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Full text of "Geschichte der Stadt Mannheim"

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Harvard College 
Library 


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FROM THE BEQUEST OF 


FRANCIS BROWN HAYES 
Class of 1839 


OF LEXINGTON, MASSACHUSETTS 








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Geichichte 
Stadt Mannheim. 


von Profellor Max Oeier 


Bibliothekar der Oeffentlicen 
Bibliothek in Mannheim. · - 


„Und das freundlicıe Mannheim, das 
gleich und heiter gebaut lt,“ 
Goethe, Bermann und Dorothea. 


Neue, bis zur Gegenwart ergänzte Ausgabe. 


Mit 92 Kunitbeilagen, Plänen und Textilluitrationen. 


in 


Mannheim 1908. 
CR Em Fa Drud und Verlag von 3. Bensheimer. ht Lat cn 


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MAY 7 1929 
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ie landfchaftlihen und figuralen Vignetten lind 
nadı Originalzeicnungen von Wilhelm Oertel 
(Mitglied des Karlsruher Künitlerbundes) ausgeführt. 


LE RL SZ PL EL EI BI EI 


Vorwort zur erfien Ausgabe. 


Die Gejhichte der Stadt Mannheim fängt gerade da an, 
wo bie erite Blüthe der meilten älteren Städte Deutichlands 
aufhört. Sie ift eine durchaus moderne Gejchichte. Auf modernen 
Prinzipien wurde die Stadt Mannheim gegründet, und ihre 
vielverheißenden Privilegien gaben ihr eine Sonbderitellung in- 
mitten der deutſchen Städtewelt. Mannheim war eine ber erjten 
Städte in Deutjchland, die eine neuere Entwidelung anbahnten, 
und auch in der Folge ift Mannheim bei wichtigen Kultur» 
und Beitereigniffen in den Vordergrund getreten. 

Die Kunſt des 18. Jahrhunderts hat hier eine heute wieder 
neu zu beachtende Blüthe erlebt, und die Wurzeln der Kunſt— 
jtadt Münden find hier zu juchen. Im 19. Jahrhundert ge: 
jtaltete fich die Stadt zu der bedeutenditen Handelsſtadt Süd— 
beutjchlands mit einem der größten Binnenhafen Europas. 

Sm gleichen Berlage, wie das vorliegende Buch, ift vor 
mehr als 25 Jahren das bisher einzig ernſtlich in Betracht 
gefommene Werk über die Stadtgeihichte Mannheims von dem 
Landtagsabgeordneten Heinrich von Feder (geboren 1823, ge- 
jtorben 1887) erjchienen. Durch eine jtarfe Perjönlichkeit wurbe 
bier jchon viel von bem Charakter der Stadt Manıheim erfaßt. 

In neuer, verjüngter Wetje verfucht num das vorliegende Buch 
die Gejchichte Mannheims unter Zugrundelegung jenes Werkes 
zu behandeln. Es foll hier weniger eine auf erjchöpfende De— 
tails aufgebaute Lofalgeichichte geboten werden, al3 eine Dar- 
jtelung der Entwidelung der Kultur und der geiftigen Werthe, 
die Mannheim in der Städtegeichichte Deutichlands auszeichnen. 

Den verjchiedenen Parteien gegenüber verjucht das Buch, 
eine völlig objektive Stellung einzunehmen. Es will nur das 
jeweils Geleiftete ins Auge faſſen und ein Charafterbild der 
Stadt in den wejentlichjten Zügen geben. 

Der illujtrative Teil des Buches konnte nur durch Die 


freundliche Unterjtügung von Seiten der Stadtgemeinde jo reich 
geitaltet werden, obwohl auch von privater Seite werthvoller 
Bilderſchmuck beigefteuert wurde und der Verlag feine Opfer 
heute. Es jei deshalb dem verehrlichen Stadtrath und Denen, 
. die des Weiteren zu der Augjtattung des Buches beitrugen, der 
verbindlichjte Dank ausgejprochen. 


Mannheim, Weihnachten 1903. 
Max Oeier. 


Vorwort zur neuen Musgabe, 


Der Verfaffer jpricht für die hier wie auswärts günftige 
Aufnahme feiner „Geichichte der Stadt Mannheim” den wärnften 
Dank aus und hofft, das Verjtändniß für die geijtige umd 
materielle Bedeutung unferer Stadt in weiteren Kreiſen nad) 
Kräften gefördert zu haben. 

Der Verfaffer bemerkt noch, daß er nunmehr nahezu 20 
Jahre auf ſtadtgeſchichtlichem und Funftwiffenichaftlichem Gebiete 
in Mannheim thätig ift, die reiche Quellen zur Stadtgejchichte 
erichließenden Mannheimer Drude in der Deffentlichen Bibliothef 
zu einer jelbjtjtändigen Sammlung vereinigen fonnte, und daß 
fein Werk auch auf eingehender Forſchung und Kenntnißnahme 
von wichtigen, im Großh. Generallandesarhiv zu Karlsruhe 
und im Kol. Hausarchiv zu München befindlichen Archivalien 
beruht, für deren Leberlaffung zu Studien er den genannten 
Inftituten großen Dank jchuldet. 

Bei ber kurz angelegten neuen Ausgabe fonnte der Ver— 
faffer nur die wichtigjten Verbefferungen ausführen, doch wendete 
er jeine Arbeit bejonders der Ergänzung der Stadtgefchichte 
bis zur Gegenwart zu. 

Möge da? Buch, das eine lebensvolle Gejtaltung der 
Stadtgeihichtsichreibung im modernen Sinne verfucht, dem 
Geijte einer neuen Zeit entgegen kommen. 


Weihnachten 1907. 
Prof, Max Oeler. 


Auhalisüberſicht. 


Seite 


Vorwort und Inhaltsüberſicht i i i .  m-xX 
I. Abtheilung: 


Mannheims Entwickelung unter der Troben Botschaft 
seiner Privilegien bis zur Zerstörung der Stadt durch 
die Franzosen. 


I. Einleitung und Vorgeſchichte . — 12 





IV. Der — = . Eintradt und Die geit n religiöjer 
Verföhnung unter Kar arl Ludwig ’ ; 24— 40 


Karl Lubwig und But e von Degenfeib — — = — — — 
beit !a fl € ’ J 





VI Inhaltsüberſicht. 


Seite 
VI. Mannheim vor der Zerſtörung (1689) und der 
Wohlſtand der Stadt ſeit Karl Ludwig 49-68 


Kurfürft Philipp Wilhelm aus dem Daufe Neuburg — Jean Gardel — Beitere 

Neligionsfreiheit — Der Fall Langhans — Grunditeinlegung zur National: 

firhe — Die verfchiedenen Religiondgemeinden — Bohlitand — Handel, Ge: 
werbe und Verkehr. 


VII Die Zerjtörung Mannheims durch die Franzofen . #4 86 


Beginn des Strieges — Vorkehrungen zur Abwehr des Feindes — Ankunft 
der Franzofen vor Mannheim — Beftechungsverfuche und Berratb — Kapitu— 
lation — Das Verbrechen Frranfreihs an einem freien Sulturleben. 


I. Abtheilung: 


Die Blüthe der Kunst in Mannheim. 
VIII. Der Wiederaufbau der Stadt . ; ; .. 89-118 


Die proviforiihe Berwaltung Mannheims von Heidelberg aus — Maßregeln 
um Schutze und zur Wiederfammlung der Geflüüchteten — Erneuerung ber 

rivilegien — Tod Philipp Wilhelms — Kurfürſt Iobann Wilhelm — Seine 
Beitimmungen aum Wiederaufbau der Stadt — Der Plan Coehorns — Kirch— 
lihe Streitigfeiten — Des Kurfürſten freibeitlihe Religionsdellaration — 
Natbhausbau — Hirhenbauten — Feier des 100jöhrigen Beitchens der Privi—⸗ 
legien — Kriegsunruhen — Beſitznaähme der Rheinfchanze durch die Franzoſen 
1718 — Der Yicent — Waſſersgefahr — Zumehmender Wohlftand der Stadt 
laut a dr — Vereinigung der Stadt und Feſtung — Kurfürſt 

Johann Wilhelm als Förderer der unit. 


IX. Mannheim wird Refidenz _.. h 114—121 


Kturfürſt Karl Philipp als Statthalter in Tirol — Huldiqungsfeier in Mannes 

beim — Rücktehr — Stunitiinn des Fürften — Mangel an Gelegenheit, ibn zu 

betbätigen — Eriter Beiuch des Fürſten in Mannheim und erite Werthſchätzung 

der Stabt — Der Streit um die HeiligesWeiftsftirche in Heidelberg — Das Ers 

fennen eines großen Schaffensgebietes in der neu erftehenden Stadt Mann: 

beim — Entichluß des Fürften, bier zu wirken — Erhebung Mannheims zur 
 Surfürftlien Reſidenz. 


X. Karl Philipp ' i n . : . . 122-197 


Karl Philipps Jugend — Glängende Familienbeziehungen — Seine Ber: 

mählung mit der Prinzeſſin von Radziwill — Seine Tapferkeit in den Feld: 

zügen gegen die Türfen — Seine Tochter Eliſabeth Auguita — Die Gräfin 
von Thurn und Taris — Echidjalsichläge — Ungebrodenes Wirken. 


XI. Die Baufunft unter Karl Philipp . £ .  128—138 


Befeftigungswerfe und Stadbtthore — Farbige Architettur — Stilarten — 
Gebäude Älterer Art — Erſtehen der wichigften Bierbauten — Vorbereitung 
der Blütbe der Kunft. 


XII. Karl Philipps Wirken auf dem Gebiete des Handel3 139150 


Der neue Herr in Mannheim — Anderes Verhältniß des Fürften zum Volke 
— Beeinträchtigung des Sondercdharafters der Stadt durch die Staatöverhält- 
niſſe — Berſuchte Förderung des Handels — Gründung der Handelszunft — 
Wechjelgeriht — Das Tabatämonopol — Don Boncorbo — jein Sturz — 
Karl Philipp erflärt Mannheim als freie Handelsftadt — Erbauung bes 


Kaufhauſes. 
XIII. Die auswärtige Politik Karl Philipps und das Hof— 
leben in Mannheim . i N ; i . 151—168 


Glängende Defpaltung — Vertrag mit Bayern wegen ber —— — Fried⸗ 
rich der Große als Kronprinz in Mannheim — Bergen Johann Ghriftian — 
Verlobung des Prinzen Karl Theodor mit der Prinzeſſin Eliſabeth Augufta — 
Karl Philipps Zerwürfniß mit dem Staifer Karl VI. und jein Eintreten für 


Inhaltsüberſicht. 


Kurfürſt Karl von Bayern — Feier der Doppelhochzeit Karl Theodors mit 


vIl 


Seite 


Glifabeth Hugufta ſowie des Herzoge Clemens franz von Bayern mit ber ' 


Pen ger Maria Anna von Sulzbach — Gintreffen der Nachricht von der 
Wabl bes Kurfürften von Banern zum Sailer — Tod bes Kurfürften Karl 
bilipp und Beifegung feiner Leiche in der Schlohtapelle zu Mannheim. 


XIV. Neue Würdigung Karl Theodors 


Karl Theodor und Mannheim — Strenge —— der Mannheimer von der 

Münchener Re —— des Fürſten — Mißhelligkeiten in Bayern — Vor— 

übergehende Rückkehr Karl Theodors nah Mannheim — Rückblick auf Kind⸗ 

beit und Jugend bes Fürſten — Erziehung in Mannheim — Beſuch ber 

Univerſitäten Leyden und Löwen — Verhalten zum Militärweſen — Karl 
Theodor als Fürſt des Friedens und der Kunft. 


XV. Das Kurfürſtliche Schloß zu Mannheim . ; 


Ausdehnung des Sclohbaues — Aeußere Frfcheinungen — Das frühere 

Opernhaus — Bergleih besfelben mit dem Theaterbau Schwegingen — 

Werth der Annendeforationen des Schloſſes — Die Sclohfapelle — Das 
Veftibul Froimonts — Die Gobelins — Der Bibliothefbau. 


XVI. Die Baufunjt Alefjandro Galli Bibiena’3 und Die 
Theater-Malerei . : s ; : a ; 


Aleſſandro Galli Bibiena — Die Erbauung der Jeſultenkirche und des Kauf— 

haufes — Hoditand der Deforationsmalerei — Yorenz u — Abel 

Schlicht — Bau und Ausſtattung des Nationaltheaters — 

Joſeph und Julius Quaglio — Rıdard Wagners Urtheil über den Manns 
heimer Iheaterbau. 


XVII. Malerei und Kupferſtich ; k ; 


Einfluß fremder Ktünftler — Pellegrini — Gebrüder Alam — Johann von 

Schlichten — Guibal — Fratrel — Yangenböffel — Brandt — Die Begrün— 

dung einer felbitändigen heimiſchen und deutichen Stunft — Ferdinand Kobell 

— Heinrih Sintzenich — Die Bolbestbümlichkeit des Kupferſtichs — Maler 

Müller — Seine pfälzer rn feine Verfiindigung bes modernen 
caliäınus, 


XVII. Beter von Berjchaffelt und die Bildhauerei . 


Beitrebungen der Bildhauerei in Mannheim — Gewinn der Selbitändigfeit 

zen der Wrchiteftur — Grupellos Denkmal auf dem Baradeplag — 

eter und Johann Matthäus van den Branden — Baui gell — Konrad 

Lint — Beter von Berichaffelt — Sein Yeben — Seine Bildhauerwerfe — 

Scin Wirken ald Direktor der furfürftlichen Zeichnungsafadenie — Seine 

Baumerfe in Mannheim: das ZJeugbaus, das Bregenheim’ihe Haus — Peter 
Lamine. 


XIX, Die jocialen Verhältniſſe zu den Zeiten Karl Phi— 
(ipps und Karl Theodor . j ; 5 R 


Beihränkung der Stadtverwaltung — Zünfte — Bevölferungsverhältniffe — 
Karl Theodors Reformen — Socialiftiihe Negungen — Urganiiation der 
Stadtverwaltung — Begründung der Bürgervertretung (des Bürgerausſchuſſes) 
— Steuern — Gonfellionelle Verhältniſſe — Die Iefuiten und die Aufhebung 
ihres Ordens — Slarl Philipp Spielberger — Katholiken, Deutjchreformirte, 

allonen, Yutheraner, Mennoniten und Juden — Faliche Anichuldigung wegen 
Ritualmordes — Die Mliligfactoren — Yemle Moijes und die Glausftifrtung — 
Das Hofgeriht in Mannheim — Hier abgeurtbeilte Verbrecher — Berkehrs— 

verhältniffe — Feuerlöichweien — Verdienite Karl Theodors. 


XX, Die furfürjtliche Akademie der Wiſſenſchaften und 
die Pflege der Meteorologie und Ajtronomıe j 


Begründung der Akademie der Wiffenihaften — Daniel Schöpflin — Andreas 

Kamen und die heimatbliche Geſchichte — Voltaire und Aleſſandro Gollini — 

Zacob Hemmer — Das Wirken der Meteorologiichen Geſellſchaft — Chriſtian 

Mayer — Die Erbauung der Sternwarte — Koger Barry — Berbienfte der 
Pflege der Wiflenichaften in Mannheim. 


169— 180 


181—206 


207 —224 


endensborff, . 


235—255 


256—272 


273—327 


328. — 352 


VIII 


Inhaltsüberſicht. 


XXI, Kasse rl und Heilkunde r ’ i 


Berwerthung ber —— — für das praktiſche Leben — Botanil und 
Landwi ——n edrich Caſimir Medicus — Die „phyſitaliſch⸗vblonomiſche 
—— — Dies Begrünung, der Staatswirthſchaftlichen Oochſchule in 
beiberg — Der botaniihe Garten in Dann 2 — * Wallrad 
edicus — Heilkunde und Geſundheitspflege — n May — Die 
Hebammen⸗ unb Krantenwärterichulen — May's Buch, * 3 ze. 
in Mannheim — Die — mediciniſche Praxis Schillers — Brief d 
Dichters hierüber — Das — — Theater“ und das 7——— 
ollegium“, 


XXII. Die furfürftliche deutihe Gejellihaft . ; ; 


Der Kampf für die beutfhe Sprache — Anton von Slein und feine Schil- 
derung der beutichen Gejellihaft — Werthichägung der Mutterfpradie — 
Einführung ber beutichen a ae; ya Ag das furfürftliche Gpmnafium 

Mannheim durch ſtlein — von Beaumardais’ „Eugenie“ - 
beutiher Sprade — uber € Ban, — Streitichrift — Meins vrofeſſur 
ber — "Biftenfcaften — Klopſtock in Mannheim — Grünbung ber 
beutichen Geſellſchaft — Ihr Wirfen — ——— — Hemmer und 
ſtlein — Herausgabe der Werke der ausländiſchen ſchönen Geiſter — Heinſe 
— Geſchichtswerle — Perlodiſche Werte — Mannheim als Sig deutſcher 
Wiſſenſchaft und Kunft — Schillers Deziehungen ; zur beutichen Geſellſchaft — 

Anton von Ktleins Arbeiten und Sammlungen. 


XXIL Kunſtgewerbe und Kunſtſammlungen . ; ö 


Aufihwung des beutigen Kunſtgewerbes und neue Beziehungen besielben zum 

18. Jahrhundert — Belonders ausgebildete Bethätigungen in Mannheim — 

Schmiedefunft — Wahsbildnerei — Die Sammlungen * Mannheim — Der 

Antiken⸗Saal — Die Gemaͤlde⸗Galerie — Die Bibliothet — Arbeiten auf ver⸗ 
ichiedenen Gebieten — Frankenthaler Porzellan. 


XXIV, Die Abreije Karl Theodors und die — poli⸗ 


tiſchen Ereigniſſe 


Abreiſe bes ſturfürſten — Regierungsjubiläum — ER bed Revolutions: 

frieges — Einnahme der Rheinſchanze buch bie Franz eg — Einzug ber 

—— in Mannheim — Belagerung ber Stadt durch bie Oeſterreicher — 

ombardement der Stadt — Stapitulation — Bedrückung der Stadt durch 

General von Wurmſer — Der angebliche —— Karl Theodors Tod — 
Rüdblid auf das Leben Karl Theodors. 


XXV. Eoncert-, Opern- und Kirchenmufif ; ; B 


Blüthe der Mufit — Das Mannheimer Orcdeiter — Die Mannheimer 
Gomponiftenihule — Johann Stamig — Franz Zaver Richter — Anton 
ka Ba Ghriftian Gannabih — Karl und Anton Stamig — Joſeph Toeschi 

alletmufit — Opernaufführungen — Opera seria — Opera buffa — 
Jana —— — Das deutſche Singſpiel — In Mannheim geborene 
Mufi — Dpernfänger und Sängerinnen — Italienifhe Kaftraten — 
Deutihe Sänger — Anton Raaff — Dorothea Wendling — Mozart in 
Mannheim — Die Kirhenmufit — Abbé« Vogler ald Vorgänger — Liſzto 

— Beziehungen zu Karl Maria von Weber — Wielands Roſamunde“. 


Seite 
353 —870 


371—406 


407—433 


434 —465 


466 — 486 


XXVL Friedrih Schiller und das deutiche Nationaltheater 486 -525 


Teutihe Gomödianten” — Die Theaterbireftoren Brunnian, Brenner, Porich, 
Tiny, Kurz, Sebaftiani — Bretterhaus und Theaterbau — Berhandlungen 
mit Leffing — Mardand und Senler — Liebhabertheater — Eröffnung des 
turfürftlihen Hof⸗ und Nationaltheaterse — Wolfgang Heribert von Dalberg 
— Die Ausihüffe — Die Aufführung der „Räuber“ am 13. Januar 1782 — 
Schillers erite Anweſenheit in Mannheim und fein Bericht über die Räuber: 
Aufführung — Wirkung der e Aufführung — —2—— Beſuch in Manns 
beim — Seine Flucht aus Stuttgart — Ankunft annbeim — Mißgeichid 
— Scillere Aufenthalt in Oggersheim — Vbreife nah Bauerbach — Be 
—— Schillers nah Mannheim 1788 — Jffland — Schwan — Charlotte 
von Kalb — Geldſorgen — Schillers Vorleſung bes „Don Carlose“ in 
Darmſtadt — Ernennung zum herzoglichen Rath — Ifflande Intriguen — 
„Fiesco“ und „Ktabale und Liebe“ — Bedeutung der Schillerzeit in Mannheim. 


Inhaltsüberſicht. 


III. Abtheilung: 


Die revolutionäre Bewegung in Mannheim von der 
Ermordung Kotzebues bis zu den Jahren 1848 u. 1849 


XXVI. Karl Ludwig Sand und Augujt von Koßebue . 


Baterlandsliche und FFreiheitsbrang der Jugend — Karl Ludwig Sand als 

—— in den a gig — Eein —— feine ibeale 

Gefinnung — Seine Schrift zum Wartburgfeft — Seine Bitte an Goethe — 

Auguft von Kopebue als Feind ber beu Burſchenſchaft — Kotzebue ala 

Zuftipielbichter — Als politiiher Schri — Sopebues Leben — Seine 

Ueberfiedelung nad Mannheim — Die Ermordung Kotzebues durch Sand — 
Sands Hinrichtung. 


XXVIII. Vor Adhtundvierzig . 


Reaktion — Kaſpar Haufer — Die Großberzogin Stephanie — Louis 

Napoleon in Mannheim — Karl Gutzkow 2* A. v. Itzſtein — Karl 

Mathy und ber Zollverein — Die politiiche Bewegung — Der Rongeſturm — 

Gervinus' Abreife an die Schleswig-Holſteiner — Wahlen — Hoffmann von 
Fallersleben in Mannheim, 


XXIX, Die Jahre 1848 und 1849 ; ; ; 


Der Anfang des Jahres 1848 — Eindrücke und Folgen ber Februarereigniſſe 
— Die Prehfreiheit — Die Volläbewaffnung — Die Freicorps und General 
Sigel — Märzerrungenihaften und politifhe Vereine — Gapitulation ber 
Staatsgewalt — Nprilereigniffe — Der Kriegäzuftand — Das Jahr 1849 — 
Mannheim während der Revolution — Die Gegenrevolution. 


” * [ 


IV. Abtheilung: 


Mannheim unter Badens Fürsten und die moderne 
Entwicklung der Stadt. 


XXX. Die Badischen Fürjten vom Uebergange Mannheims 
an Baden bis zur Gegenwart .  . 


Napoleon L, und bie Junge — Aurfürft Karl Friedrih in Mannheim — 
Die —— wechſelvollen Kriegsereigniffe — Der Streit um die Samms 
lungen — Großherzog Karl — Prinz Wilhelm (nachmals Kalſer Wilhelm 1.) 
in Mannheim und ber Rheinübergang 1814 — Großherzog ——— Erb⸗ 
folge in Baden — Großherzog Leopold — Prinz Friedrich wird Regent — 
Bermählung des Großherzogs Griedrie mit ber Prinzeffin Luife von Sreußen 
1856 — Einzug in Mannke m — Auguft Zamey — * Mannheims — 
Der ſerieg 1970/71 — Krankenpflege in Mannheim — Dr. Billroth — Gefallene 
Delden — Einzug ber au — Staiferbenftmal und Kriegerbentmal — Das 
Jubiläum der 5Ojährigen Regierung des Großherzogs prieirig, — Tod bes 
Fürften. — Großherzog Friedrich II. 


XXXI. Deffentliches Leben, Verkehr, Handel und Induftrie 


Neue Inftitutionen — Eröffnung ber Dampficifffahrt 1827, ber —— 

1840 — Einweihung des Rheinhafens 1840 — Die Hafenanlagen — Aufſchwung 

des Handels und ber Induſtrie — Die Behörden — Hanbelsinftitute — 
Bereine und öffentliches Leben, 


XXXI. Wiffenihaft und Kunft im 19. Jahrhundert s 


Neue Sammlungen — Karl Schimper — Rarl v. Drais, ber Erfinder ber 
„Draifine” — Ingenieur William Farbe — Profeffor Heinrich Bürmann 
und bie Hanbelsafademie — Neue Kunftpflege — Die Muftt — Karl Maria 
von Weber — Hektor Berliog — Albert Xorking — Wincenz Lachner — 
Muſik⸗Vereine — Kammermufit — Jean Beder — Richard Wagner — Die 
Kapellmeifter Leby, Fiſcher, Weingartner — Intendanten — Geheufcsaftliche 
Girfel — Litteratur — Malerei — Runftvereine — Kunfthandlungen. 


IX 


Seite 


529 —546 


547 — 557 


558—602 


605—623 


624—642 


643 — 667 


X: Anhaltsüberficht. 


Seite 
XXxxul. Die Entftehung der modernen Stadt (Bildhauerei 
und Baufunft) . ; .  668-- 877 


en bes Scillerbenfmald — Dalberg- und MlondeStatuen — Hönlg 

Ludwig & — Neue Synagoge. — Rheiubräde und Nedarbride — Mener 

Bahnhof — Waſſerthurm un ag eu Se Schulen und Kirchen — Bas 

rabeplagbrunnen — Poſt, Börfe, Planfenumbau — Kaufhang — Amtéhaué 

und sale — Der Kr iedrihsplag — Bruno Schmig — Die Feſt— 
balle — Verbindung ber alten und neuen ſtunſt. 


XXXIV. Das Stadtjubiläum . ; j . 6718-93 


u bes Jahres ber Berleibung ber —* bi — Der 4. Januar — 

Öffnung der rohen Sartenbaus und internationalen Kunft-Ausitellung — 

Das fünfzigiäbrige Jubiläumäfer — Die Großberzogliden Herrſchaften in 

Mannbeint — Ueberblid iiber bie Ausftellung — Die Gärten — Die Kunſt-— 

aysftellung und die Hunftballe — Litteratur und Theater im Aubiläumsjabr — 
Gedenken Schillers — Lichtfefte — Schlußwort. 


Tegrtbeilagen: 


Privilegien vom Jahre 1607 (Faclimile) . j . 14-15 
Stadtrechnungen 1683—1688 . . 60- 61 


Statiſtiſche Aufzeichnungen über den Bevbikerungsſtand der 
Stadt Mannheim im Jahre 1792 . 319 - 320 


Rejeript des Staatsminifters Graf von Bieregg zur Begrün. 
dung der Meteorologijchen. Klaſſe der ——— 
Akademie in Mannheim . 339 —340 


Brief von Franz Anton May über bie Rranfenpflege . 363— 366 
Abdruck des Theaterzettels der erſten „Räuber-Aufführung“ 509-510 


u 


Einige Berichfigungen. 


Seite 176 Zeile 10 von unten lies VI ftatt IV. 


„ 32 „ 7 fehlen hinter dem Worte „Todrter” die Worte „Des Sohnes“, 
» %0 „ 10 vom ımten lies 16. Februar ftatt 16. Diärz. 
„AM 5 1 von unten lies Kaſtor ftatt Kaſter. 


„ 48 „ 12 von oben lies 1719- ftatt 1819. 

„AA 414 von unten lies Darmitadt ftatt Wien. 
„ 50 „ 9 von unten lied Schatten ftatt Gatten. 
„548 „ 16 von oben lies November ftatt October, 


Verzeichniß der Kunſtbeilagen 


und 


beſonderen hiſtoriſchen Blätter. 


Das Schillerdenkmal in Mannheim von Karl Ludwig Cauer Bee 
Kurfürſt Friedrich der IV., Portrait —— * 8/9 
Belagerung von Mannheim durd Tilly 1622 2021 
Raugräfin Luiſe von Degenfeld. Portrait 24/25 
Die fliegende Nheinbrüde und Anficht von Mannheim 1669 32/33 
Der „Tenipel der Eintracht* vor feiner Zerſtörung 1689 40/41 
Plan der Stadt Vlannheim nach van Deyl 1663 . ‚ 48/49 
Plan Mannheims aus der 1. Hälfte des 17. Jahrhunderts . 56/57 
Kurfürjt Karl Philipp. Nach dem Gemälde von — van 

Schlichten. 128/129 
Plan und Anfiht von Mannheim um 1780 . i i 136/137 
Flucht des Kronprinzen Friedrich von Preußen auf der Reife 

nach Mannheim. Nach der Zeichnung von Adolph Menzel 152/153 
Das ehemalig. kurpfälzitche und jet Großhetzogliche Schloß 

zu Dannheim j 206/207 
Die Jeſuitenkirche in Mannheim, — von Aleſſ. G. Bibiena 208/209 
Drei Kupferſtiche von — Sintzenich. Nach den Original⸗ 

blättern 240/241 
Kurfürft Karl Theodor — einer — von Peter 

von Verichaffelt . i i 256/257 
Die Einnahme Mannheims durd bie Deſterreicher 1799 306/307 
Anſicht von Mannheim mit der NRheinihanze Mitte des 18. 

Sahrhunderts 320/321 
Die Sternwarte in Mannheim, Nach einer — von 

Ernft Sirchner . ; . 344/345 
Der große Bücherfaal der „Deffentlichen Bibliothek“ im 

Schloſſe zu Mannheim 424/425 
Das Scillerdentmal auf dem Schillerpiatz — dem Nationals 

theater in Mannheim R . 520/521 


Sand wird dad Todesurtheil verfündigt 


544/545 


Xu 


Königin Carola von Sachſen. Nah dem Gemälde von 


Louis Coblig . } 652,553 
Mannheim Mitte des 19. Jahrhunderts 568/569 
Die Concordienkirche in Mannheim 576/577 
Das Mühlau-Schlößhen . 588/589 
Der Brand von Ludwigshafen 1849 592/593 
Großherzog Karl Friedrich von Baden 604/605 
Großherzog Leopold von Baden . 608/609 
Die Rheinbrüde und die Nedarbrüde i 612/618 
Vermwundete deutihe und franzöfiiche Soidaten 1870 in 

Mannheim 5 i } ; ; 616/617 
Großherzogin Luife von Baden. 620/621 
Großherzog Friedrih von Baden. Nah dem Gemälde von 

Dtto Propheter . j ’ 5 ; . 622/623 
Hauptbahnhof und Ningitraße 624/645 
Anfiht der Stadt Mannheim aus der Bogelbereie 628/629 
Der Rheinhaien : ; 632/633 
Heidelberger Etraße mit Waſſerthurm 634/635 
Oberbürgermeiſter Beck. Nach dem Gemälde von Ernſi Noeiher 640/641 
Paradeplag mit Kaufhaus und Planken ; 3 642/643 
Richard Wayner. Nach der Marmorbüfte von Johannes Hoffart 656/657 
Nheinlandichaft bei Manuheim. — einem Gemälde von 

Wilhelm Frey 660/661 
Straße nadı der Zefuitenticche in Mannheim. Nach einem 

Gemälde von PBnilıpp Stlein 664/665 
Anfelm Feuerbachs Gemälde „Medea mit bem Dolce” in der 

Städtiihen Gemälderammiung zu Manuheim 666/667 
Die Börje und großer Börſenſaal, erbaut von Köhler & 

Kaich 670/671 
Der Bernhardushof, erbaut ı von Nubdolf Tilleſſen 672,673 
Die Feithalle und der Friedrihsplag, erbaut und entworjen 

von Bruno Schwnig . i j nad Seite 676 


wie 29 Tertilluitrationen und 7 fünftterifche Vignetten. 


Bu - — — 


I. Abtheilung: 


Mannheims Entwicklung unter derfrohen 
Botschaft seiner Privilegien bis zur Zer- 
störung der Stadt durch die Franzosen. 


—e —— — 








Freyheiten und Begnadigungen 


1 e 
Velche der Durchleuchtigſt HochgeborneFuͤrſt 
vnd Herr / Herꝛ Friderich Pfaltzgraff ben Rhein/ deß H. Roͤmiſchen 

Reichs Ertztruchſeß vnd Churfuͤrſt / Hertzog in Bayın/ıc. Den jenigen / welche 
ſich in Ihrer Churf. Gnaden newen Stadt vnd —— Manheim Haͤuß⸗ 
lech niderzulaſſen gemegmtrareordirs und iget. 


2 — Sngugun Pfaltz deroſelbigen Dorff 


I 

? zu einer Stadt zuerbawen / diefelbige mit 
Wähllen und Waſſergraͤben zubevefligen / auch mit Privile- 
gien vnd Freyheiten alfo zubegnadigen in willens/ wie bey an⸗ 
dern dergleichen Städten herkommen / vnd dann alibereit/fo viel 
die Beveſtigung der Stadt belanget / ein ſolcher Anfang ge⸗ 
macht / das verhoffentlich cher als inn Jahrsfriſt dieſelbe allerdings mit dem 
Wahll ſoll vmbgeben vnd verfertigt werden: So find diſes vngefehrlich Die Pun⸗ 
cten / in welchen Ihre Churfuͤr ſtliche Gn. den Inwohnern zu bemeivtem MA N⸗ 

HEAMʒn willfahren geneigt. 


I. 
Sollen alle Vnterthanen diß Orts / allerFrohn gegen Churfuͤrſtli 4 
erlaſſen vnd befreyet ſeyn. * .. 


IL. 

Diejenige/fozubemeldtem MAN.HEIM bawen/ vnd ſich haͤußlich 
niderſetzen wollen / ſollen zu jhrem ein⸗ vnd zuzug / ſampt allen dem jenigen fo 
jhnen zuſtendig / an Churfürftlicher Pfaltz Zoͤllen / beydes in der Obern vnd Vn⸗ 
dern Pfaltz / zu Waſſer vnd Landt / frey vnd vnbeſchwert gelaſſen werden. Auch 
da ſie ſich wider von dannen zu begeben vorhabens / ſolches jnen vngewehrt / vnnd 
fie Churfuͤrſtlicher Pfalg innerhalb OREISSIG Jahren nichts vor 

eym 
11 






Abzug zugeben ſchuldig fi 


Wein diefe Stade MANHEIM wegen der daſelbſt zuſammenflieſſen⸗ 
den vornemen Schiffreichen Waſſerſtroͤme / IR def nn 





zum Kauff handel fehe wol gelegen / als wollen jhre Thurfücftt. Gn. ſich m den 

Kauffleuten / fo ſich dahin begeben werden / der Marckſchiff halben / fonacher 
Wornmbs / Oppenheim / Meintz / Speyer / Heydelberg / vñ andere Ort den Rhein 
vnd Necker vff⸗ vnd ab gehen werden / wie es die Notturfft vnd gemeiner Nutzen 
erfordern wirdt / alſo vergleichen / auch Hilff vnd Befoͤrderung darzu erweiſen / 
daß jhre Kauffmanſchafft dardurch ” * ein Anſehenlichs befördert werden. 


Soll ein jeder Außländifcher/fo diß Orts bawen wil ZWANTZIS 

a8 aller Schagungfrepfeyn. Daaber Ingeſeſſene / welche allbereit Ihrer 
hurfürfttichen On. Vnterthanen / vnd derwegenjrer Güter halben Schagbar 
feynd/fihgn MANHIEFM begeben/ond allda bawen follen derfelben Hau: 
fer und Baͤw / ſo fiedafelbften vffrichten werdenauhZWANTZ FG Fahıs 
(ang der Schagung befreyer ſeyn: Aber mit ihren andern Gütern / fo fiefonften 
n der Pfalgligen haben/ ſoll es in dem Standt gelaflen werden / wie fie jetzundet 

eyndt. 


V. 
Der Annemmung vnd Beſtellung dep Raths / Jahr vnd Wochenmarckt 
wegen / wollen Ihre — Gn. ſich mit jhnen alſo vergleichen / daß ſie dar⸗ 
mit auch wol ſollen zu frieden ſeyn. — 


Die ledige Plaͤtz / ſo zuverbawen ſeyndt / ſeyndt allbereit allerding abge⸗ 
zeichnet vnd abgeſteckt / vnd ſollen denen / ſo zu bawen luſt haben / vergebens eyn⸗ 
geraumbt / Auch den jenigen / ſo ſich am erſten angeben vnnd eynlaſſen moͤchten / 
die Wahl gegeben werden. Allein ſollen ſie von einer jeden Ruthen Landts in 
recognitionem vier pfenning Jäbrlichs zu Dodenzinserlegen, 

I. 


Damisdjejenige/fodiß Orts bawen werden/defto mehr Vortheil und Ber: 
legenheie darzu haben/als wollen Ihre Churfürftlichen Gn.jhnen fo viel Stein- 
grubenim Neckerthal / welche diefem Ort am nechften gelegsn/ vergebens eyn⸗ 
reumen / das ſie ſo viel Maur⸗vnd Quaterſtein / wie auch Werckſtuͤck / zu Thuͤren / 
Fenſtern / Bronnen vnd anderer Notturfft / als fie bedoͤrffen werden / daſelbſten 


vergebens vberkommen / doch vff jhren Koſten brechen / hawen / vnnd zu Waſſer 
hinab führen laſſen. 


VIII. 
Was dann Gebackenſtein vnd Ziegelſtein anlanget / weil Ihre — 
n die⸗ 


Gn. dieſelbe allbereit in loco brennen Laffen/ond mit denen ein folcher anflaft ge 
macht daß diefelben in grofler Anzahl / vnnd Jaͤhrlichs auff zehenmal hundert 
taufendt Stein wolfönnen zu wegen bracht werden / als folleu einem jedern der 
bawen wird/diefelbe auch in einem billichen ondfeidlichen Tas fäufflich gegeben 
werden. Solten ſie aber lieberwollen/Stein’ Ziegel und Kalck auff jhren eig. 
nen Vnkoſten brennen laſſen / darzu fie dann diß Orts — gute Gelegenheit 
haben / als ſoll jhnen eine beſondere Ziegelſchewer / Brenndfen vnd was mehr 
darzu von Neches umie ——— verſtattet werden. 


Mit dem Wein vnd Bier Vngeldt / ſo biß dahero Ihrer Churfuͤrſtl. Gn. 
diß Oris allein zuſtaͤndig geweſt / ſollen fie vil geringer als in den Benachtbarten 
Reichoſtaͤdten / vnd alſo der Stadt —— gehalten werden. 


Was aber ein jeder zu ſeinem Haußgebrauch an Wein, Bier’ Korn / oder 
Meel von — ſich zu Keller vnd Speicher legenwirdt / darvon ſoll er 
nichts geben / ſondern deßwegen — — ſeyn. 


Dieweiln auch biß anhero von Frembden vnnd Außlaͤndiſchen / die Wol 
vnnd Leder / inn groſſer Anzahl auß der Pfaltz gefuͤhrt worden / Als wollen Ihre 
Churfuͤrſtl. Gn ſolches Außfuͤhren hinfuͤro vnd auff den Fall nicht meh: geſtat⸗ 
ten / ſondern Fuͤrſehung thun / daß denjenigen ſo ſiezu MAN bereiten 
vnnd verarbeiten wollen / gleich andern deroſelben Vnterthanen der Vorkauff 
geſtattet vnd vorbehalten werden 


Damit auch jhr Gewerb mit dem Tuchhandel deſto mehr befuͤrdert werde / 
Als wollen Ihre Churfuͤrſtl. Gn. Walckmuͤhlen diß Orts / oder aber in der nehe / 
zur Notturfft zu richten vnd auffbawen laſſen / auff daß ſie jhre Tuch walckhen 
vnd zubereiten laſſen moͤgen. er 


Die Religion belangendt / wollen Ihre Churfürftt. Gn. ſie bey der Chriſt 
lichen/ond inn Gottes Wort gegründten Religion/ darzu fich Diefelbe/wic bes 
wuſt / durch Gottes Genad / beſtaͤndiglich befennet / [chügen onnd handthaben: 
weniger auch nicht / daß ſie von dero Erben vnnd Nachkommen / dabey gelaſſen 
werden ſollen / alle muͤglich Fuͤrſehung thun: Auch ſie nicht allein mit tauglichen 
vud geſchickten Pfarrvnd Schul Dienern nach — — 

ten 


en / ſondern jhnen hiemit / daß fie jederzeit zween oder drey / vermog Ihrer 

urfuͤrſtlichen Gn. Ordnung qualificirte Knaben / auß De DBurgerfchafft 
erwehlen vnnd darſtellen moͤgen / bewilligen / welche Ihre Churfürftl. En off 
dero Koſten zum ſtudiren folang zu Heydelberg beneben andern Alumnis vn⸗ 
serhalten wollen / biß fie zu dem Minifterio oder Schuldienſt tauglich ſeyn. 
Sm fall aber fie darnach diefelben auch inn frembde Landt ſchicken und feriner et⸗ 
was in Spraachen oder fonften erfahren laſſen wolten / ſoll jhnen folchesanch zu 
ihn bevor ſtehen und vnverwehrt ſeyn. 


Sonſten iſt meht bemeldier DH MANHEFDI wegen der allda zuſam⸗ 
menflieſſenden vornemmen Schiffreichen Waſſern deß Rheins vnd Neckers / 
wie obgemeldt ſehr wol gelegen / Vnd hat man von dannen biß zur Churfuͤrſt⸗ 
lichen Hauptſtadt Heydelberg den Necker hinauff zwo kleine Meil. 

Den Ryein hinab biß gen Franckenthal ein Meil. 
Biß gen Wormbs drey Meil. 

Biß gen Oppenheim ſieben Meil. 

Biß gen Meinszehen Meil. 

Biß gen Franckfurt ein gute Tagreiß zu Lande. 

Den Rhein hinauff aber / Biß gen Speyerdrey Meil. 

DBißgen Straßburg viertzehen Meil. 

Alſo daß man mit Wein / Getraydt / Wollen und dergleichen Handthierun⸗ 
gen zu treiben / ſehr gute Gelegenheit hat. So iſt an Bawholtz vnd Steinen / wie 
obgemeldt / auch andern Materialien/fo zum Bawen vonnoͤthen / fein Mangel/ 
Vnd kan ſolches alles gantz fuͤglich / vnd leichtlich herbey geſchafft / vnd einem je⸗ 
den zu Waſſer gleichſam fuͤr die Thuͤr gefuͤhrt werden / Wie dann auch die 
a Landtſtraſſen nicht ober ein Meilwegs darvonge- 
egen 


Vff den Fallfichdanndie Anzahlder Burger und Inwohner 
diß Orts mehren onnd zunemmen wuͤrdt /wollen Ihre Churfürftliche Gnaden / 
was hierinnen nicht geſetzt / und noch weiter zu tractiren ſeyn möchte/fich gegen 
Ddenfelbigen auch in Gnaden erweifen. Signatum Heydelberg unter Ihrer 
Churfuͤrſtlichen Gnaden Secrei, den 24. Tag Januaxii. ı 6 0 7. 


Getreues Facsimile des 1608 in Mannheim hergeſtellten Nachdrucks. 








[7 Ve 


Das Schiller-Denkmal in Mannheim 
von Karl £udwiga Cauer. 








L 


Einleitung und Vorgeſchichte. 


Mannheim als Rheinſtadt — Sagen über ihr Alter — Das Dorf Mann— 
heim — Beſitzwechſel — Zollerhebung — Schiedsgericht — Die Burgen 
Rheinhauſen und Eichelsheim.) 


Mo konnten ſich von altersher Männer beſſer heimiſch 
fühlen als da, wo große elementare Gewalten ihre Kraft und 
Schönheit entfalten, wo ſich mit der Stärke der Natur, ſie 
zwingend, menſchliche Macht zu verbinden vermag. 

Und als Stätte einer ſolchen miteinander verbundenen 
Machtentfaltung erſcheint uns heute die Stadt Mannheim. 

Der Riejenjtrom des Nheines durchraufcht hier wie ein 
ftolzer Beherrſcher eines großen, fruchtbaren Gebietes die breite, 
nur in blauer Ferne von Bergen umjäumte Ebene und nimmt 
hier den Nedar mit jeinen aus dem Herzen lieblicher, deutjcher 
Lande quellenden Fluthen auf. 


Eine großartige Wafjerwelt entwidelt ſich hier um das 
zwiichen Rhein und Nedar wie ein Delta gelegene Land, auf 
dem die Stadt Mannheim erjtanden: ift. 


Defer, Geſchichte der Stadt Mannheim. 1 


2 Einleitung und Vorgeſchichte. 


Dieje Waflerwelt ſich zu eigen zu machen, bier ihren 
Schub zu genießen, ihre Kraft ftärkend zu empfinden umd fie 
in den Dienſt der Menjchen zu ftellen, hatte denn auch immer 
etwas Neizvolles, Berlodendes, ſodaß ſchon in ben früheften 
Zeiten Anfiedelungen an diejer Stelle unternommen wurben. 

Einer fragwürdigen Annahme nah ſoll Mannheim bereits 
2042 vor Ehrifti Geburt von Mannus, dem Sohne des „Stamm- 
vater aller Deutſchen“ Zuifto, als eine große Stadt erbaut 
worden fein und von ihm den Namen tragen. Ihre gänzliche 
Zerftörung jollen hiernach ſpäter die Hunnen bewirkt haben. 

Dat die Römer an diejer Stätte nicht achtlos vor— 
übergingen, daß fie ſich Hier niederließen und hier zur Zeit 
Balentinians im Jahre 364 n. Chr. ein Kaftell errichteten, 
ſcheint dagegen weniger fraglich zu jein. 

Durd das Schloß Eichelsheim (auch Eicholzheim oder 
Eichelberg genannt), das wahricheinlih an der Stelle des 
Römerkaſtells errichtet worden tft, und durch die Burg Rhein- 
hauſen blieben hier auch im Mittelalter befejtigte Orte, in deren 
unmittelbarer Nähe das Dorf Mannheim mit dem Dorfe Dorn» 
heim lag. 

Bon dem blühenden Wohljtande diejes Dorfes Mannheim 
legen eine Reihe von Urkunden (aus Pipins Zeiten) Zeugnif 
ab, deren erfte vom Jahre 765 n. Chr. ſtammt. Hiernach war 
das Dorf Mannheim reich an Wein: und Objtgärten, Wiejen, 
Feldern, Wäldern und Weiden, und es entfalteten Freie, Frei— 
gelafjene und Knechte ein reges Leben und fruchtbringende Arbeit. 

Diefer Befigitand fiel laut diejer Urkunden als Opfer: 
ipende für die Erlöjung armer Seelen an das 764 vom Grafen 
Cancor im Oberrheingau gegründete Kloſter Lorſch. Als erfter 
diejer Opferjpender wird ein gewiljer Trudbert genannt. Das 
Dorf Mannheim wird in diejen Urkunden als „Billa Mann: 
heim“ bezeichnet. 

In innige Beziehung zu den Grafen der Pfalz gelangte 
das Dorf Mannheim unter Conrad von Hobenftaufen, dem 
Stiefbruder Kaifer Friedrichs L, im 12. Jahrhundert. Mit ihm 


Einleitung und Vorgeſchichte. 3 


begannen die Pfalzgrafen eine neue Herrſchaft über das Kloſter 
auszuüben, ſeinen Reichthum nutzend und ihm manche Domäne 
entreißend — zum größten Leidweſen der Mönche und Aebte, 
die ihre erbitterten Klagen über die „ihnen aufgebundenen 
Geiſeln“ in ihre Chroniken ausſtrömten. 


Nur die Nachgiebigkeit der Biſchöſe von Worms verhinderte 
es, daß die Pfalzgrafen nicht gelegentlich den Beſitzſtand ganz 
an ſich riſſen. 


Das Jahr 1287 bringt eine weitere, allerdings nur vorüber— 
gehende Beligveränderung mit ſich. Vom Pfalzgrafen Ludwig 
dem Strengen wird die Burg Rheinhaufen nebjt den Dörfern 
Mannheim und Dornheim der Braut feines Sohnes, Elijabeth 
von Lothringen, als Morgengabe geichenft. Doch da der junge 
Pfalzgraf in einem Turnier zu Nürnberg im Jahre 1290 den 
Tod fand, fiel die Gabe wieder an den Pfalzgrafen Ludwig 
zurüd. 

Das Dorf Mannheim gewann immer mehr das Gepräge 
eines anjehnlichen Ortes, was aud) aus einem Vertrage des 
Pfalzgrafen Ruprecht d. Yeltern und der Stadt Worms vom 
Jahre 1356 hervorgeht, in dem u. U. beſtimmt wird, daß alle 
ihre Zwilte und Berhandlungen durch vier jtändige Schied3- 
richter entjchieden werden jollen, die jedesmal acht Tage nad) 
Aufforderung in Mannheim „einzureiten“ haben, um da zu richten 
„mit Minne und Necht ohne Gefährde“. 


Mannheim bildete bereits nach Urkunden des 14. Jahr- 
hunderts einen wichtigen Play für Einziehung von Zöllen auf 
alle Hauptjächlic durch Schifffahrt hier verfehrenden Waaren. 
So wurden „Tornoſſe“ an Rhein» und Nedarzoll vergeben. 
Kaijer Karl IV. verlieh 3. B. dem Pfalzgrafen Rudolf II. nach 
einer Urkunde vom Jahre 1349 „zwey große Tornofje“ auf 
den Zoll zu Mannheim über die „drey Tornoffe, die er ignot 
dajelbes hat von unjern und des Reichs wegen haben joll von 
jeglihem Fuder Wein und von aller Kaufmannſchaft nad) 
Markzal”, 


4 Einleitung und Vorgeichichte. 


Eine jolche Stätte wejentlicher Einnahmen umd Ausgaben 
mußte ganz von jelbjt die Aufmerkfjamfeit der damaligen Füriten 
auf fich lenken und konnte aud dem Volke nicht gleichgültig 
bleiben. 

Im Jahre 1367 wird ein pfalzgräfliher Zollichreiber 
Namens Friderich von Neujtadt erwähnt, und im 15. Jahr: 
hundert war in Mannheim bereits ein größeres Zollamt ein- 
gerichtet. 

Diejer „liebe und getreve“ BZollichreiber erhielt auch im 
genannten Jahre vom BPfalzgrafen Ruprecht I. eine mit 22. 
Januar datirte „Quitantia“ (Uuittung) über abgelegte Rech— 
nungen der Einnahmen von den Nedarzöllen und Umgeldern 
(einer Art indirecten Steuern) aus Mannheim, Nedarau, dem 
Dofe Aheinhaujen und der Mühle zu Feudenheim, jowie itber 
einbezogene Strafgelder für „Frefelen“ (Vergehen), jo zu Nedaran 
vorgefallen. 

Früher (noch im 13. Jahrhundert) wurde der Zoll nur 
in der Burg Eichelsheim, dann aber aud im Dorfe Mann» 
heim erhoben. Dies richtete ſich nach dem Laufe des Nedars, 
der früher jedenfalls bei der Burg Eichelsheim mündete, während 
der Rhein jeinen jegigen Lauf ſchon zur Römerzeit eingejchlagen 
hatte und nur noc das Flußbett jeiner Nebenarme änderte,*) 

Der genannte Zollichreiber war auch einer der jog. Rhein— 
mänmer, der 12 Nichter des Fiſchereigerichts, einer für das da— 
malige Mannheim höchit characteriftischen Einrichtung. Diejes 
Sondergericht beweiit das Vorherrichen der Fiſcherei im Orte 








*) Menn an Stelle der Burg Eichelsheim thatfächlich ein römiſches 
Kaſtell geitanden hat, jo iſt auch anzunehmen, daß bier der Haupt» 
arm des Mheines vorüberfloß und bier der Nedar mündete. Valen— 
tinians Lobredner Aurelius Symmachus ſpricht von einer neuen Feſtung 
am Zufammenfluß zweier Ströme (des Nheins und Nedars) und jchildert 
jie ihrer Anlage nad) ähnlich der Burg Eichelsheim. Hier dürfte ſich auch 
die von Symmachus erwähnte, nächtlicher Weile bewirkte Ueberſetzung einer 
dem Hauptheer vorausgeiendeten Römer-Abtheilung über den Rhein voll» 
zogen haben, die den Nedar aufwärts nad dem Odenwald vorzudringen 
ſuchte 


Einleitung und Vorgeſchichte. 5 


Mannheim, der ja auch als Fiſcherdorf das Angelzeichen jeiner 
Gemeindemarfe einverleibte. Der Dberfte der Gemeinde, der 
Schultheiß, erhielt jein Amt vom Pfalzgrafen verliehen und 
mußte nah einem Zinsbuch von 1369 feinem hohen Herrn 
dafür „15 phunt Heller“ jährlich bezahlen. 


Doch dem Dorfe Mannheim gaben vor allem auch die 
Burgen und Schlöffer Rheinhauſen und Eichelsheim einen be- 
jonderen Charafter. 

Die in ringförmiger Gejtalt gebaute Burg Rheinhaujen, 
an der Straße nad) Nedarau zu gelegen, wurde in dem Thei- 
lungsvertrag von Pavia 1329 aufgeführt und mit Mannheim 
den Brudersjöhnen des Kaiſers Ludwig IV. zugeiprochen; doch 
jo diefe Burg Schon Ende des 14. Jahrhunderts in verfallenem 
Buftande gewejen jein, obwohl fie noch auf weit jpäter gezeich- 
neten Karten zu finden ift. 

Zu Anderem, gejchichtlih Wejentlicherem, war dagegen 
noh Burg und Schloß Eichelsheim auserjehen. Hier wurde 
der vom Concil zu Konſtanz abgejette Papſt Johann XXILL 
(Balthajar Roſſa) vom Kurfürjten Ludwig III. drei Jahre ge- 
fangen gehalten (1415—18) und dann gegen ein Löjegeld von 
30000 Goldgulden freigegeben. 

Im Jahre 1616 hatte der Erzbiichof Johann von Mainz 
den Schloßhauptmann dafür gewonnen, den Papſt entfliehen 
zu lajien, allein der Pfalzgraf erfuhr von der geplanten Flucht 
und ließ den bejtochenen Schloßhauptmann im Rhein ertränfen. 
Der Papſt konnte fi, da er der deutſchen Sprade nicht 
mächtig war, jeinen Wächtern gegenüber nur durch Zeichen ver: 
jtändlih machen. In jjeiner Einjamfeit verwandelte er jeine 
Klagen über das Leid der Welt in Berje, die er in lateinischer 
Sprache niederjchrieb und von denen nod) einige befannt jind,*) 


*) Eines Diejer Gedichte ſei bier in freier Ueberſetzung wiederge- 
geben. Es findet ſich in Finiterwald, „Vom g. pfälziihen Hauſe“ (1746) 
und heißt etwa zu deutich: 

„Der ic einmal der Höchſte war, glücklich und hohen Titels, 
traurig und niedergebeugt beflage ich jegt mein Loos. Sturz vorher mod 


6 Einleitung und Vorgeſchichte. 


In denjelben Schloßraum, in dem Wartthurm Gäuchelingen, 
in dem jener Papſt die Zeit jeiner Gefangenjchaft verbrachte, jebte 
47 Jahre jpäter der Kurfürjt Friedrid der Siegreiche nad) der 
Schlacht bei Sedenheim im Jahre 1462 den Bilchof Georg 
von Meb gefangen. 

Nah dem befeftigten Schloß Eichelsheim wurde Mann: 
heim „die Veſte uf dem Rhyne“ ſchon im 14. Jahrhundert 
genannt. In diefem Scloffe hielten die Pfalzgrafen und Kur— 
fürjten, vor allem Friedrich der Siegreiche, zuweilen Hof, von 
bier aus auch Jagd und Schifffahrt unternehmend. 

In einer 1368 in Heidelberg von ben Pfalzgrafen Ruprecht 
dem Velteren und Ruprecht dem Jüngeren ausgejtellten Urkunde 
find auch das Schloß Eichelsheim und Mannheim als dauernd 
der Pfalz verbleibend aufgeführt. 


1369 wurde vom Bfalzgrafen Rupredt I. zum Vicar der 

St. Jacob3fapelle der Burg Eichelsheim unter Errichtung einer 

neuen Pfründe der Priefter Heinrich Dudewilre vorgeichlagen. 

. Als Inhaber von Kaplaneipfründen werden 1462 Werner 
Lebfuch und 1506 Johann Meier bezeichnet. 


Unter den hier niedergelegten Urkunden befanden fich 
3. B. aud) jolche über das Bündniß Friedrichs des Siegreichen, 
betreffend die Lichtenberger Fehde vom Jahre 1451 und über 
den Frieden desjelben mit Herzog Ludwig dem Schwarzen von 
Zweibrüden vom Jahre 1460. 

Später im Jahre 1684 jollte hier gelegentlich einer jo- 
genannten Quftbelagerung des zu dieſer Zeit ſchon Halb ver- 
fallenen und zerjtörten Schloffes der Kurfürft Karl von einem 
verhängnißvollen Schidjal betroffen werden. 


war ich in hoher Würde und alles Volk küßte dehmüthig meine Füße, jegt 
aber bin id in der Strafen tiefiten Abgrund Hinabgeichleubert, und jeder: 
mann jcheut davor zurüd, mein vergrämtes Antlig zu ſehen. Aus allen 
Landen fpendete man mir freiwillig Gold, aber mir Hilft jegt weder Ver: 
mögen, noch befiße ich irgend welchen Freund. So wandelnd Glüd in 
Unglüd, gibt mid) das Schickſal preis und treibt grauſam jein Spiel mit 
einem Titel, der leicht feinen Träger wechſelte.“ 


Einleitung und Vorgeſchichte. 7 


Die Burg Eichel3heim, ein quadratiih angelegter, ge— 
drungener, jtarfer Bau mit vier runden Edthürmen und ftern- 
förmig errichteten Feſtungsmauern lag wie auf einer Inſel 
(an Stelle des jpäteren Rennershofes) und bildete — von den 
Wellen des Rheines umrauſcht — eine jeltene, eigenartige Stätte 
der Romantif in der weiten Ebene bed großen bdeutjchen 
Stromes. 


—— — ⸗ 
I JE 


4 Pe: 


 — 


Perth 


Zw neN” 








Il. 


Die Gründung der Stadt und Seftung 
Mannheim-Sriedrichsburg. 


Mannheim als Feſtung — KHurfürft Friedrich IV. — Widerjtand der 
Dorfbewohner — Vertrag — Gründungsfeier — Art der Erbauung — 
Die Privilegien und ihre frohe Botichaft. 


ID. die Burg Eichelsheim und jedenfalls auch ein 
römtjches Kajtell hier am diejer Stelle erjtehen lieg: Die Er- 
fenntniß der Bortrefflichkeit des Plates zum Zweck der Ver— 
theidigung in Kriegszeiten — das mußte jchlieglich auch zu einer 
jtrategifchen Ausnußung diejes Gebiets in größerem Stile Anlaß 
geben. 

Kurfürjt Friedrich IV. war es, der den Gedanken fahte, 
hier eine größere Feſtung zu erbauen. Seine Rejidenz Heidelberg 
ihien ihm bei der ausgebildeten Kriegsfunjt jener Zeit feinen 
genügenden Schuß mehr zu gewähren. 

Die Lage einer Feſtung zwijchen zwei Flüſſen in weiter 
Ebene ohne jeden Hügel gewährte ganz andere Sicherheit und 
verhieß ganz andere Erfolge, ald das von Bergen umjtandene 
Heidelberg. 

Er entſchloß ſich daher, hier am Rheine eine größere 
Stätte der Vertheidigung zu errichten in der klaren Voraus— 
fiht der bald anbrechenden Striegszeiten, 


Gründung der Stadt und Feſtung Mannheims FFriedrihsburg. 9 


Gleich bei ſeinem Regierungsantritt zeigte der jugendliche 
Kurfürſt Friedrich feſtes, energiſches Handeln. Er war da noch 
nicht ganz 18 Jahre alt und es ſollte zunächſt ſein Großoheim, 
Pfalzgraf Richard von Simmern proviſoriſcher Regent der Pfalz 
werden. Aber Friedrich ergriff trotzdem mit feſter Hand die 
Zügel der Regierung und wußte dieſe Vormundſchaft abzu— 
wehren. 

Friedrich IV. (aus dem Fürſtenſtamm Pfalz-Simmern) 
kam im Januar 1592 zur Regierung. In demſelben Jahr ver— 
mählte fich Friedrich mit Luife Juliane, der Tochter bes 
Prinzen Wilhelm von Dranien, des großen niederländijchen 
Treiheitshelden. 


Der Character des Kurfürften zeigte die merkwürdigſten 
Gegenfäge. Mit 9 Jahren war Friedrich zur veformirten 
Kirche übergetreten, und jeine Gedanken blieben ſtets darauf 
gerichtet, die VBertheidigung dieſer feiner Religion, zu deren 
Schub er jpäter auch die Union gründete, auf’3 Energiichite zu 
betreiben. 


Doch zugleich erfüllte ihn eine überjchäumende Lebensluſt, 
die ihn gar manche Schranken im guten und jchlimmen Sinne 
überichreiten fie. Wohl lebte er trog der Mahnungen jeines 
Seeljorgers, des Hofpredigers Pitisfus weit über jeine Kräfte 
hinaus, doc) bewahrte er ſich vor aller Verfnöcherung geijtiger 
Anſchauungen und jein außergewöhnlicher Kunftfinn ließ werth- 
volle Schöpfungen erftehen, jo auch den prächtigen Friedrichs— 
bau des Heidelberger Schloffes. Des Fürſten allzufrüher Tod 
erfolgte bereits im Jahre 1610. Einem jo jugendlichen, leb- 
haften und — wie die fpäter gejchilderten Privilegien be» 
weifen — entichieden freien Geijte entiprang die Gründung der 
Feſtung und Stadt Mannheim. Ein jäher Schreden erfaßte 
die friedlichen Berwohner des Dorfes Mannheim, als die erſte 
Kunde von der für fie folgenjchweren Idee des Fürften, hier 
eine Feltung zu bauen, zu ihnen drang. 


Diejer Schreden verwandelte ſich in Empörung, als der 
furfürjtlihe Obermarſchall mit einigen Begleitern die erjten 


10 Gründung der Stadt und Feſtung Mannheim: Friedrichsburg. 


Meſſungen des Gebietes vornehmen wollte. Die Bevölkerung 
erging fich in heftigſten Drohungen, ja auch in thätlichen Ans 
griffen. 

Durch dieje heftige Gegenwehr der Bevölkerung, die ihre 
Meingärten, Aeder, Felder und Wohnjtätte nicht ohne weiteres 
verlaffen wollte, jah jich der Kurfürjt genöthigt, den Streit auf 
friedlichem Wege durch Zuficherung von Erjaß für die bean 
Ipruchten Gebiete zu jchlichten. 

Die furfürftliche Regierung ließ deshalb durch abgejendete 
Räthe mit dem Schultheiß und Bürgermeilter der Gemeinde 
Mannheim verhandeln. 

Sie ficherte der Gemeinde für die einzubeziehenden Be— 
jigungen andere Pläße auf dem Jungen Bush (Jungbuſch), 
in Nedarau, Sedenheim, Feudenheim und Käferthal zu. 
Die zum Abbrechen und Wiederaufbauen nöthigen Werfleute 
und Materialien jollen unentgeltlich geitellt werden. Ebenſo 
jollen die jog. Erbbeitandsgiiter in gleicher Weile wie Die 
Beligungen vom Hofe Rheinhaujen u. j. w. erjegt werden. Die 
Abſchätzung jollen vier unparteiijche‘ Männer der oben ge- 
nannten Ortichaften vornehmen, Bis der Häujer- und Güter— 
bau in Ordnung, jollen die Gemeindemitglieder frohnfrei jein, 
aber dann Dienjte beim Feſtungsbau wie Fremde gegen Zah: 
lung leiften. 

Der Vertrag gelangte am 11. November 1605 zum Ab— 
ichluß, und bereit? am 17. März des folgenden Jahres 1606 
wurde der Grundjtein der neuen Stadt gelegt. 

Dieje Grundjteinlegung jpielte sich unter folgenden Um— 
jtänden und Feierlichkeiten ab. 

Am Abend zuvor begab fi; der Kurfürit mit feiner 
Gemahlin, dem aus Frankreich zurücgerufenen Kurprinzen (den 
jpäteren „Winterfönig“) und dem gejanmten Hofjtaat von 
Heidelberg nach Mannheim, um am Tage der Feier bei Zeiten 
zur Stelle zu jein. Ein Unfall, der ſich unterwegs, durch 
Umftürzen des Wagens des Kurfürſten zutrug, ging ohne 
ſchlimme Folgen ab. 


Gründung der Stadt und Feſtung Mannheim-Friedrichsburg. 11 


Die Feier wurde in der Nähe der jogenannten Neckarſpitze, 
der Einmündung des Nedars in den Rhein, abgehalten. Das 
jurchtbare Unwetter, da3 die Feier umtofte, war wie ein Vor— 
zeichen ber entjeglichen Kriegsſtürme, denen die neugegründete 
Stadt ausgejegt werden jollte. Doch wie die damalige Feier 
den Wettern der Natur, jo hat auch die Stadt Mannheim all 
den Stürmen des Krieges Troß geboten, um heute als eine 
Stätte des Friedens zu blühen. 

Feſt und ruhig trat der Fürſt, nachdem der Geiftliche eine 
Bredigt gehalten, troß des jtrömenden Regens aus dem Zelte, 
das der Sturm fat umzureißen drohte, unter die Verjammelten, 
Er glaubte in klarer Vorausſicht die Nothwendigfeit diejer 
Gründung erfannt zu haben und michts hätte ihn veranlafien 
fünnen, in dem einmal dazu bejtimmten Moment damit zu 
jögern. In feinen Mantel gehüllt grub der Fürſt mit einem 
Spaten eine fleine vieredige Grube, in die er einen oben aus» 
gehöhlten Duader-Stein ſenkte. Dann trat der 10jährige Kurs 
prinz; vor und legte in die Höhlung des Steines eine goldene 
Platte mit dem Bildniß des Fürften und einer lateiniſchen In— 
jchrift,*) worauf er den Stein mit einem Dedel ſchloß. Nun 
ergriffen die Hofleute jchleunigjt die jchon zum Bau bereit 
liegenden Werkzeuge, Haden, Spaten, Schubfarren und ichichteten 
mit wahren Feuereifer Erde auf Erde, ſodaß bald ein fieiner 
Hügel entjtand. Die Fortſetzung des Baues wurde jodann der 
großen Zahl von Arbeitern überlaffen, die mit nicht weniger 
Feuereifer an's MWerf gingen. Der Kurfürſt aber begab jich 


*, Diele Inſchrift überſetzt Liſſignolo folgendermahen: 

„Glück und Segen voraus! Auf jenem jehr befannten Boden des ftreitbaren 
alten Franlem Schwabens, am Jufammtenfluß bes Rheins und Nedars, wo einit 
ber erhabene Haifer Balentinian zum Angriff gegen die Germanen ein hohes und 
fiheres Bollwerk für deren erften Angriff gegründet hatte, das jeboch nicht für 
immer in römifcher Gewalt blieb, jonbern wicht lange baranf ber Franken gerechten 
Waffen weichen mußte, befannt unter dem Namen Mannheim, und endlich unter 
pfälztiche Herrichaft kam: ba begann ‚Friedrich IV. von der Pfalz am Rhein des 
heiligen römischen Reichs Frjtruchfäh und Kurfürſt, Dersog von Bayern ⁊c., zu 
feinem umd feines Boltes und Vaterlandes Schug eine ſehr feite Burg mit Volle 
werfen und einer Stadt von neuem unb bon Grund aus zu erbauen, auf beim 
er ſelbſt mit eigener Hand dieſe Tafel zugleich mit dem eriten und wuteriten Stein 
und Rajen legte, ben 17. März 1606,” 


12 Gründung ber Stabt ımb Feitung Mannheims Friedrichäburg. 


mit jeiner Familie und dem Hofjtaat in die Burg Eicheläheim, 
wo ein fejtliches Mahl abgehalten und dem bei diejer Gelegen- 
heit bejonders gerühmten Mannheimer Wein lebhaft zugejprochen 
wurde. Am Abend ging es dann unter den Güſſen des nicht 
zu bejänftigenden Himmels nach Heidelberg zurüd. 

Dem Tage der Grundjteinlegung am 17. März 1606 folgte 
aber mit dem 24. Januar 1607 der Tag der Verleihung der 
Privilegien, welche der Stadt ihren bejonderen Charakter jchufen 
und Die geiftige Grundlage ihrer Entwidelung bildeten, ſodaß 
diefer letztere Tag als die eigentliche Begründung Mannheims 
in der Folge gefeiert wurde, 

Der Eifer, der am Tage der Grumdfteinlegung mit der 
eriten Baubethätigung entfaltet wurde, hielt auch vor. Die 
Feſtung und Stadt wuchs ungewöhnlich rajch empor. Der Kur- 
fürft ließ fie in regelmäßiger niederländischer Bauart anlegen. 
Die Feitung, nah dem Rhein zu gelegen, bildete ein ge« 
ichlofjenes, fjternförmiges Siebened. Nordwärts reichten ihre 
Mauern bis zu den jetigen Planken. Das Stadtgebiet, das 
jth von den Planken bis zu dem Nedar erjtredte, war gleich: 
falls durch fternförmig gezadte Mauern befejtigt, doch von der 
Feſtung durch einen freien Pla (die jetzigen Planfen) getrennt. 
Die Feitung war gegen die Stadt zu außer durch befondere 
Mauern auch durch bejondere Wallgräben mit Pallijaden ab» 
geichloffen. An der Nedarjpige jowohl, wie über dem Rhein 
befanden fich befejtigte Schanzen. Ein bejonders befejtigter 
Plab blieb auch das Schloß Eichelöheim.. In der Feſtung 
wurde eine Kajerne, ein Schulhaus und eine Münzſtätte erbaut. 
Die Stadt erhielt 1610 zunächſt gegen den Nedar zu ein 
Ihmucdreiches Thor. Auch gegen den Rhein und in der Rich— 
tung nad Heidelberg zu finden ſich bereits auf den älteiten 
Plänen Thore angegeben. 

Am 30. Mai 1608 wird Jacob Römer als Schultheiß und 
„raißiger Amptknecht” für Mannheim vorbehaltlich vierteljähriger 
Kündigung verpflichtet. Er soll ſich bei den kurfürſtlichen 
Directoren und Näthen, die zur Beauffichtigung der Feitungs- 
arbeiten beorbdert jind, bei Otto Graf zu Solms, Dr. oh, 


Gründung der Stadt und Feſtung Mannheim-Friedrichsburg. 13 


Gernandt, Albreht von Gadau und David Wurmbier „fleißig 
einstellen“. Als Gehalt befommt er jährlih 39 Gulden (da- 
von 10 für 2 Hoffleider und 6 für „Pferdtſchaden“), 8 Malter 
Korn, 25 Malter Hafer und 2 Wagen Heu. Das neue Amt 
eines Aumannes auf der Mühlau zur Ueberwachung der Fiſcherei, 
der Wälder und Weiden hatte der Kurfürjt 1596 eingeführt 
und mit Wendel Regensperger bejett. 


In der bereits erwähnten Münze wurden jchon 1608 kur— 
pfälziſche Silbergulden geichlagen. Auch Hatte der Kurfürit der 
Stadt wahrjcheinlih ein Wappen verliehen, in dein bereits Die 
Wolfsangel jedenfalls als alte Gemeindemarfe und zugleich auch 
als Mauerzeichen des Aufbaus der Stadt angebracht war. 


Was aber die aufblühende Stadt*) weithin befannt und 
berühmt machte, das waren die Privilegien, die ihr der Kur— 
fürft ertheilte. Bejonders in Holland, Frankreich, England 
und Bortugal erregten dieje Privilegien**), die man vielfach ab— 
drudte, ungewöhnliches Aufjehen. 

Die herrliche Verheißung der Freiheit, Aufhebung der 
Leibeigenichaft, Toleranz in Bezug auf Nationalität und Religion 
winfte allen Freigelinnten, allen Bedrängten und Berfolgten 
tröftend daraus entgegen. 





*) Bon den Straßennamen find aus damaliger Zeit uw. A. noch 
befannt: Friedrichsgaß (ietzige Necdaritraße), Speirer, Wormier, Franken— 
thaler, Bensheimer, Yadenburger, Neuitädter Gaß, Geigergab, Klein und 
groß Kappengaß, Sclojjer und Hafner Gab, Adergak, Vorgengaß. Yon 
den Namen der Einwohner feier bier genannt: Groe, Neiz, Treber, Mesel, 
Köple,, Schmidt, Möglich, Klein, Schumacher, Schramm, Schad, Nuß, 
Welter, och, Werg, Raauet, Bethune, Bierot. 

+*), Die Privilegien erichienen zuerit mit dem Datum: 24. Januar 1607 
in vier Sprachen au Heidelberg im Drud und wurden ein Jahr fpäter 
1608 ın Mannheim gleichtall3 in derjelben Weiſe gedrudt. Somit kann 
auch das Jahr 1608 al3 das Jahr der Begründung der eriten Druckerei 
in Mannheim gelten. Wir geben bier den deutichen Theil dieſer für die 
Entwickelung der Stadt grundlegenden, heute nur nod in einem Gremplar 
vorhandenen Bublitation, auf die der Statalog der „Deffentlichen Bibliothek” 
1896 Seite 173 deutlich hinweiſt, genau in der uriprünglichen Form der 
Mannheimer Ausgabe wieder. (Siehe die Beilage). 





14 Gründung der Stadt und Feitung Mannheim-Friedrichsburg. 


Und gar Viele eilten aus aller Herren Ränder herbei, hier 
Schutz und ein freies Leben zu fuchen, ſodaß die Einwohner: 
ichaft der damals jüngſten deutjchen Stadt bald 180 Familien, 
bejtehend aus circa 1200 Köpfen, zählte, und in Kurzem circa 
200 Häufer bewohnt wurden. 

Dieje Privilegien erwiejen fich jomit al3 ein wirkſames 
Lockmittel, allein jie waren weit mehr als dies. Sie ſprachen 
das Wort der Freiheit aus, ein Wort, da8 — wo und wann 
e3 auch gejagt wird — jtet3 die Zauberfraft bejigt, fortzu- 
wirken durch Jahrhunderte zum Segen der Menden. 

Und daß damals von Mannheim eine jo frohe Botichaft 
ausging, Hat diejer Stadt eine geiftige Grundlage gegeben, 
auf der fich, troß Kriegsnoth und Zerftörung, bis zum heutigen 
Tage eine fich immer bedeutender gejtaltende Entwidelung voll 
ziehen konnte. 





11. 


Die Einnahme Mannheims im 
dreißigjährigen Kriege durch Tilly. 


Friedrich V., der „Winterlönig* — General Tilly vor Mannheim — die 

Einnahme der Stadt und Uebergabe der Feitung — die Wiedereroberung 

Mannheims durch Bernhard von Sachſen-Weimar — Wechſelnde Schickſale 
der Stadt und ihre Nüdgabe an das pfälziihe Fürſtenhaus (1649). 


Der urſprüngliche Gedanke, mit Mannheim eine feſte 
Burg der Freiheit und Toleranz zu ſchaffen, konnte nicht ſo 
ſchnell verwirklicht werden, als es der Begründer der Stadt 
im Auge gehabt hatte. Furchtbare Bluttaufen mußte ſeine 
Schöpfung noch durchmachen, ehe eine ſolche Stätte des Friedens 
und freien bürgerlichen Lebens daraus hervorgehen konnte, wie 
ſie das heutige Mannheim vorſtellt. 

Was die Waffen, was die Feſtungswerke nicht erzwangen, 
das erſchuf ſchließlich der Fleiß und das geiſtige Leben der 
Bürger ſelbſt. 

Friedrich V. war — wie bereits erwähnt — als Knabe 
bei den Feierlichkeiten zugegen geweſen, die ſich bei der Be— 
gründung Mannheims abſpielten, und hatte die Ideen ſeines 
Vaters vollſtändig in ſich aufgenommen. Er trat erſt 4 Jahre 
nach dem Tode jeines Vaters und zwar am 16. Augujt 1614 
die Regierung an. Friedrich der IV. hatte dafür Sorge ge- 
tragen, daß zum Vormund jeines Sohnes ein ftrenger Cal— 
vinijt gewählt wurde und jelbjt dazu den nachbarlichen Herzog 
Sohann von Pfalz. Zweibrüden auserjehen troß des heftigen, 


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Kurfürſt Friedrich V., der „Winterk 


Die Einnahme Mannheims im 30jährigen Kriege durch Tily. 17 


fih auf nächſte VBerwandtichaft ſtützenden Wideripruchs des 
Iutheriichen Pfalzgrafen Philipp Ludwig von Neuburg. So 
war SFriedrich V. von Jugend auf in jenen jpeziellen religiöjen 
Ideen erzogen worden, die bald enticheidend für einen fein: 
ganzes Leben beitimmenden Entichluß werden jollten. 

Unter dem Einfluß des Hofpredigers Abraham Scultetus 
(Schulz), eines fanatischen Calviniſten *), veritand fich der junge 
Fürſt dazu, die ihm zulegt angetragene, von andern Fürſten 
vorfichtig abgelehnte Krone Böhmend anzunehmen. Große 
Dinge bereiteten fich vor, und Friedrich, als Haupt der Union, 
fonnte fich zum Führer einer großen Bewegung berufen glauben, 
der er nicht feige jeine Kraft verjagen dürfe. Außerdem meinte 
er, der jtarfen Mithilfe Englands ficher zu jein, da ja jeine 
junge Gemahlin Elifabeth Stuart (Enkelin der Königin Maria 
Stuart) die Tochter des regierenden Königs Jakob I. war. 

Aber das Wagniß war zu groß, er hatte damit mehr, 
Gott verjucht, als vertraut, umd das furchtbare Unglüd, das 
damit für die Pfalz, für Deutichland, ja für Europa begann, 
lajtete auch jchwer auf dem allzu wagemuthigen Fürjten, der 
von allen vermeintlichen Freunden und Bundesgenofien jchnöde 
im Stiche gelaffen wurde. Friedrich hatte jih denn im 
Dftober 1619 zum König von Böhmen krönen laſſen und den 
Kampf gegen den Kaifer aufgenommen, aber jeine Heere wurden 
Ihon im November des folgenden Jahres am weißen Berge 
bei Brag von den Kaijerlichen Truppen völlig geichlagen. Der 
neue König, der nur ein Jahr, einen Winter regierte, und des— 
bald den Spottnamen „Winterfönig* erhielt, wurde vom Kaiſer 
geächtet und mußte von Ort zu Ort flüchten, bis er endlich 
bei jeinem Better Mori von Oranien in den Niederlanden 
Aufnahme fand. Im Frühjahr 1632 hoffte der unglüdliche 
Fürſt endlich jeine Länder wieder zu erhalten, da Guſtav 





*) Der Fanatis mus dieies Geiftlichen zeigte fich ſpäter nach der Ueber— 
fiedelung Friedrichs V. nad Prag ın grelliter Weiſe. Als dieier Fürſt Die 
dortige Domkirche den Galviniiten übergab, ließ Scultetus die berrlichen 
Kunſtwerke des Domes (darumter ein Altarblatt von Lucas Granadı) 
ihonungslos in Stüde ichlagen! 


Oeſer, Geichichte der Stadt Mannheim. 2 


18 Die Einnahme Mannheims im 30jährigen Kriege durch Tilly. 


Adolf fich feiner Sache annahm und ihn in Frankfurt als 
„König von Böhmen“ empfing. Allein der am 16. November 
desjelben Jahres erfolgte Tod des ſchwediſchen Herrichers zerftörte 
auch dieje legte Hoffnung. Durch diefen Schidjalsichlag jchwer 
erkrankt, ftarb Friedrih 13 Tage darnach, am 29. November 
1632, 

Das Schickſal diejes Fürften gehört zu ben tragiichiten 
der Weltgeichichte, umfomehr als er doch aus einer nicht zu 
feugnenden jtrengen Conjequenz handelte und alle Folgen auf 
ſich nahm. 

Ueber jeine bejonderen Beziehungen zu Mannheim wird 
nur wenig gemeldet. Gleich nach jeinem Wegierungsantritt 
förderte er die weitere Befejtigung und den weiteren Ausbau 
‚ der Stadt nad den urfprünglihen Plänen des holländischen 
Feitungsbaumeifters Freitag. Bei dem außerordentlichen Kunſt— 
jinn, den diejer Fürſt bejonders durch die unter ihm bewirften 
Bauten und Gartenanlagen des Heidelberger Schlofjes be— 
fundete, ijt anzunehmen, daß unter ihm auch eine Reihe hervor— 
ragender Bauten in Mannheim entjtanden find. Sp wurde die 
Citadelle Friedrihsburg zu dieſer Zeit weiter ausgebaut. 
Als Schultheiß der jungen aufblühenden Stadt zu jener Zeit 
wird Dr. Gernandt genannt, 

Im Herbite 1614 Hatte Friedrich im fürftlichen Ornate 
mit Kurhut und Schwert in Mannheim die Huldigung der 
Stadt entgegengenommen. 

Der Feitung Friedrichsburg zum Trog unternahm e3 der 
Biſchof Philipp Chriftoph von Speyer, das Städtchen und 
Schloß UÜdenheim am Rhein gleichfalls in eine Eitadelle zu 
verwandeln, die den Namen Bhilippsburg führen ſollte. Der 
jpaniiche General Spinola hatte zu diefem Bau perjünliche Anz: 
feitungen gegeben uud die Abjicht verrathen, hier eine jtarfe 
Beſatzung Hineinzulegen. Die Fürſten der Union bejchlofien 
daher, den Weiterbau diefer Feſte nicht zu dulden. Friedrich V., 
dejjen Plänen man durch diejen Bau ganz bejonders entgegen- 
handeln wollte, und der Markgraf von Baden machten fich des» 
Halb am 15. Juni 1618 in der Morgenfrühe mit 4000 Reitern 


Die Einnahme Mannheims im 30jährigen Kriege durh Tiy, 19 


und Fußjoldaten, jowie 1200 Scanzengräbern nad der im 
Bau begriffenen Feſtung auf und ließen, ohne auf wejentlichen 
Widerſtand zu ftoßen, die bereit3 hergeftellten Wälle und Boll: 
werfe zerjtören. Den dadurch entftandenen Schaden jchlug der 
Biihof auf 100000 Gulden an, und heftige Streitichriften 
wurden wegen diejer Sache gewechſelt. Der 30jährige Krieg 
warf jeine eriten Schatten. 

Kur zu bald brachte diejer Krieg, wie jchon geichildert, 
größtes Unheil über den Fürften und jein Haus. Auf jeiner 
Flucht aus Böhmen weilte Friedrich im Juni des Jahres 1622 
auf etwa 10 Tage (11.—21.) in Mannheim, hier jedenfalls 
Anordnungen für die Vertheidigung der Feſtung treffend. An 
jeine Gemahlin jendete er von hier aus ein Schreiben, mit dem 
er jeiner Hoffnung auf Gott und jein gutes Recht ergreifenden 
Ausdrud verlieh. 

Wenige Monate darauf rüdten jchon die bayrischen und 
faijerlihen Truppen vor die Mauern Mannheims. 

In die Pfalz waren gleih nach der Beſiegung der 
Truppen Friedrichs in Böhmen die faiferlihen Heere, Bayern 
und Spanier eingefallen. Anfangs September 1622 wurde 
Heidelberg von dem bayriichen General Johann Tzerklas Graf 
von Tilly mit Sturm erobert, und am 10, und 11. September 
trafen die mit der faiferlichen Armee vereinigten Truppen diejes 
gefürchteten Feldheren vor Mannheim ein. 

Tilly hatte jchon, ehe er jelbjt mit jeinem Heere ankam, 
das Terrain um Mannheim von einigen unter Bedeckung von 
Gavallerie und Infanterie vorausgejendeten Ingenieuren jorg- 
fültig ausfundichaften laſſen. Die Truppen verichanzten ſich 
zunächſt in der ganzen Linie zwijchen Rhein und Nedar, die 
bayrijche Neiterei dem Rhein, das faijerliche Fußvolk und die 
Geſchütze dem Nedar zu. Die bayrifche Reiterei wurde jedod) 
durch Heftiges Gejchüßfeuer der Mannheimer Beſatzung zurüd- 
getrieben. 

In Mannheim Hatte man in fieberhafter Aufregung 
größte Anftrengungen gemacht, dem Feinde Troß zu bieten. 
Als ein mächtiger Flanımenichein am Himmel, der von der 


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20 Die Einnahme Mannheims im 3Ojährigen Kriege durch Tilly. 


Einnahme Heidelbergs herrührte, das Herannahen des Feindes 
anzeigte, täujchte man fich über die Größe der Gefahr nicht, 
zumal die Befejtigung der Stadt noch nicht ganz vollendet war 
und die Bejagung nur aus 5500 Mann beitand, die ſich aus 
2400 Engländern (angeworbenen Soldaten), aus einer geringen 
Anzahl pfälzer Fußvolk, und im Uebrigen aus Bürgern und 
Flüchtlingen zufammenjegte. Auch die vorhandenen 25 Geſchütze 
fonnten nicht al3 ausreichend betrachtet werden. 

Das Oberkommando hatte der englische General Horaz 
de Beer; das pfälziische Fußvolk ftand unter dem Befehl des 
Dbrift von Waldmannshaujen. Da feinerlei Entſatz zu er- 
warten war, mußte die Yevölferung Mannheims mit größter 
Sorge erfüllt jein. Genährt wurde dieje Sorge durch weitere 
ortichritte, welche die Belagerer — troß eines heldenmüthigen 
Ausfall der Mannheimer Truppen am 13. September — in 
rajcher Folge machten. So mußte ſich bald die Bejabung 
der Rheinfchanze in die Stadt Mannheim zurüdziehen, ebenfo 
die Beſatzung des Schloffes Eicheläheim, dag — um nicht den 
Feinden in die Hände zu fallen — von Mannheim jelbjt aus 
in Brand geichofjen wurde. Vom linken Rheinufer festen die 
Feinde, nachdem jie von dort aus die Stadt vergeblid; be- 
ihoffen hatten, nad) der Mühlau über, aud) hier die pfälzischen 
Borpojten vertreibend. Dazu fam der Verrath eines Ueber- 
läufers, der dem ‘Feinde mittheilte, daß die Feſtung von der 
nordeöftlichen Seite, öjtlich des Nedarthores, da jie dort noch 
unvollendet, am leichteften genommen werden könnte. Die Be— 
fagerer bemächtigten ſich des öjtlic) gelegenen Baumgartens 
und gelangten von bier aus mittels Laufgraben bis Dicht 
an das Nedarthor. Inzwiſchen war auch über dem Nedar 
ihon eine Batterie aufgeitellt. Die Lage der Bejakung der 
Feſtung verichlimmerte jich ganz bejonders noch dadurch, daß 
infolge der großen Trodenheit des Wetters die Flüſſe janfen 
und jchließlich auch das Waſſer der Feſtungsgräben austrodnete. 
So geitalteten ji denn die Gefahren für die Stadt Mannheim 
immer drohender. Am 23. Oftober begann die Beichiegung 
der Stadt von all den genannten Schangen aus unter be= 


Die Einnahme Mamıheims im 3Ojährigen Kriege durh Tily, 21 


jonderer Berjtärfung durch die weſtlich der Stadt aufgejtellten 
Batterien. 

Der Kommandant de Beer jah, dad die Erjtürmung der 
Stadt unmittelbar bevorjtand, und jo entichloß er ſich, die 
Einwohner der Stadt in die Feſtung zurüdzuziehen und Die 
Stadt in Brand zu fteden. Unter einem lebhaften Süd— 
wind brannten die zumeijt aus Holz gebauten Häujer bis auf 
den Grund nieder und nur die wenigen aus Gteinen her: 
geitellten Gebäude blieben jtehen, den eindringenden Feinden 
Schu und Ausblide zur Beobachtung der Feltung gewährend. 
Leicht wurde es dem Feinde, bier von der Stadt aus den 
legten Reit jpärlichen Wailers aus den höher gelegenen Gräben 
der Feſtung abzuleiten. 

Die Bejagung der Feſtung machte noch einen verzweifelten 
Ausfall, nahm auch 16 Bayern gefangen, doch ein wirklicher 
Erfolg konnte damit nicht verbunden fein. 

Der Feind jchiete jich an, die Gräben mit Sand auszu— 
füllen und bereitete den Sturm der Feſtung vor. 

In diejer wütheten Hunger und Krankheit; die Bejabung, 
die meiſt aus Söldnern bejtand, war unmuthig und matt nad) 
bwöchentlichenm unaufhörlihem Kämpfen geworden und konnte 
feine Löhnung mehr erhalten. Das Elend der Bürger und 
Flüchtlinge in den engen Mauern der Feſtung erichten nicht 
mehr Länger erträglid. Da beichlojjen der Kommandant 
de Beer und der Obriſt Waldmannshaujen die Kapitulation 
der Feſtung, weil auch an einen Entjag überhaupt nicht zu 
denfen war. 

Die weiße Fahne wurde aufgeitekt und ein Hauptmann 
mit einem Tambour in die Stadt zu General Tilly zur Ver: 
mittelung der angebotenen Uebergabe geichidt. 

Wie hoc) General Tilly den Heldenmuth und die Tapfer: 
feit der Bejagungstruppen, die ſich nach dem Urtheil eines 
Augenzeugen „wie die Löwen“ gewehrt haben, anjchlug, geht aus 
dem Kapitulationsvertrag hervor, nad) welchem den pfälzischen 
und englijchen Truppen freier Abzug „mit Sad und Bad“ be- 
willigt wurde. Der englische General de Veer durfte zwei 


22 Die Einnahme Mannheims im 3Ojährigen Kriege durch Tilly. 


Faltonet3 mit zugehöriger Munition mitnehmen, und ihm und 
jeinen Truppen wurde freies Geleit und Schuß bis Frankfurt 
gewährt, während die pfälziichen Soldaten ſich, wohin fie 
wollten, wenden konnten. Die „Theologen“ follten unbehelligt 
in der Stadt bleiben fünnen bis fie auf „weiter unterfommten 
von dannen verreyſen möchten“, und die in der Feſtung unter: 
gebrachten Güter wurden den Beſitzern zum Fortſchaffen über- 
laſſen. 

Dieſer überaus günſtige und humane Vertrag entlaſtet 
auch General Tilly, der damit bewies, daß es ihm hier nicht 
um Raub und Plünderung zu thun war. Der dreißigjährige 
Krieg zeigte ich hier noch in jeinen milden Anfängen. 

Am 23. Oftober wurde diejer Vertrag abgejichloifen und 
om 24. Oktober zogen die Bejagungstruppen unter fliegenden 
Fahnen aus der Feitung Friedrichsburg ab. 

Mannheim blieb in den Händen des jedenfalls jchon da— 
mals vom Kaiſer zum Kurfürſten der Pfalz auserjehenen 
Marimilian von Bayern, dem man den friegeriichen Einfall 
bayrijcher Truppen bejonders zum Vorwurf machte, weil er 
bei den Tractaten zu Ulm 1620 feterlichit gelobet habe, die 
Pfalz niemals mit Krieg zu überziehen. Um gerecht zu jein, 
muß jedoch bemerkt werden, dat ohne Waffengewalt Ddiejer 
bayrische Fürſt die Pfalz iiberhaupt nicht hätte in Bejig nehmen 
fünnen, denn freiwillig hätten die Pfälzer ihrem angejtammten 


*) Ein ſehr weientliches Urtheil Schiller8 über Marimilian von 
Bayern, das ſchon Lipowski anführt, ſei auch bier wiedergegeben. Es 
findet ſich in der „Seichichte des 30jährigen Krieges" und lautet: „Oeſter— 
reich und das katholiſche Deutichland hatten an dem Herzog Marimilian 
von Bayern einen ebenio mächtigen, als jtaatsflugen und tapferen Bes 
ſchützer. Im ganzen Laufe dieſes Krieges einem einzigen überlegten Plane 
getreu, nie ungewiß zwiſchen jeinem Staatsvortheil und feiner Religion, 
ie Sclave Deiterreich®, das für jeine Größe arbeitete und vor jeinem 
rettenden Arme zitterte, hätte Marimilian es verdient, die Würden und 
Länder, welche ihn belohnten, von einer beijeren Hand, als der Willkür, 
zu empfangen.” Marimilian von Bayern war ed aud, der Friedrich V. 
am nachdrüdlichiten vor der Annahme der Krone Böhmens gewarnt hatte, 


Die Einnahme Mannheims im 3Ojährigen Kriege durh Tilly. 23 


Mannheim behielt auch unter der neuen Herrichaft feinen 
seitungscharafter. Die Meiften der Bürger wichen dem Sieger 
und wanderten aus. Die Bevölkerung Mannheims bejtand 
in nächſtfolgender Zeit hauptjächlich aus den Soldaten der Bes 
Tagung. 

Erit 1631 gelang es dem Herzog Bernhard von Sachſen— 
Weimar durch eine verwegene That die Stadt in den Be— 
jit des von Guſtav Adolf inzwiſchen fiegreich vertretenen 
Proteftantismus zu bringen. Wie in wilder Flucht jprengte 
der Herzog mit 300 Streitern am Morgen des 29. Dezember 
1631 an das Heidelberger Thor der Stadt Mannheim, von 
der Wache dringend Einlaß begehrend unter dem Borwand, 
daß er von den Kaijerlichen verfolgt werde. Die Wache lieh 
fih durch dieſe Lift täufchen und öffnete das Thor. Der 
Herzog jtiirmte mit jeinen Soldaten in die Stadt und lieh die 
ichlaftrunfene jpanische Beſatzung, beitebend aus 250 Mann, 
niederhauen. Der jpanifche Commandant Maraval und jein 
Fähnrich wurden gegen Xöjegeld freigegeben, doch in Heidel- 
berg wegen ihrer Nachläſſigkeit von der faiferlichen Regierung 
zum Tode verurtheilt. 

Mannheim war auch weiterhin der Spielball der wechieln- 
den Ereigniffe. Zunächſt blieb es im ſchwediſchem Beſitz (bis 
1635 unter Oberſt von Schmidtberg), dann gelangte e3 wieder 
in die Hände der Bayern. Dieje wurden 1644 von den mit 
den Schweden verbündeten Franzoſen verdrängt. Allein die 
Bayern erjtürmten in demjelben Jahre wieder die Feſtung, 
einen großen Theil der Mauern zerjtörend und jchleifend. Erft 
1649, ein Jahr nad) dem wejtphäliichen Frieden, war mit dem 
definitiven Abzug der bayrischen Truppen Mannheim dem 
pfälzischen Herricherhauje wiedergegeben. Wenn auch jchwer, 
jo hatte die Stadt Mannheim doch jene jchredensvolle Kriegs- 
zeit überjtanden, die ihr gar leicht völligen Untergang bringen 


fonnte. 





Der Tempel der Eintracht und die 
Heit religiöjer Derjöhnung unter 
Karl Ludwig. 


Karl Ludwig und Luiſe von Degenteld — Einweihung der Eintrachtskirche 

— Freiheitlie Beitrebungen — Bauten (Die fliegende Nheinbrüde) — 

Der Streit um das „Wildfangredt* — Die Peit in Mannheim — Die 

„ſtolze Pfälzerin“ Liielotte — Durchzug der Franzojen — Plünderungen 
— Tod des Kurfürſten. 


Die Regierungszeit des folgenden, wieder in die alten 
Rechte eingeſetzten pfälziſchen Kurfürſten Karl Ludwig, eines 
am 22. Dezember 1617 geborenen Sohnes Friedrichs V., brachte 
ein kulturell interejjantes, merfwürdiges und jeinem Sinne nad) 
dauernd fortwirkendes Ereigniß mit fih: Die Erbauung eines 
Tempels der Eintracht in Mannheim, der zur Verſöhnung der 
jich bejehdenden firchlichen Parteien dienen jollte. 

Eine jolhe Schöpfung fonnte nur unter einem Fürſten 
möglich werden, der jich zu einer weitgehenden humanen Bil- 
dung emporgerungen bat, wenn derjelben auch eine gewiije 
Enge und Frühreife noch anhaftete. 

In der That hatte Karl Ludwig auf der Univerfität 
Leyden jtudirt, einer Stätte des Geijtes, die mit den freiheit 
lichen Ideen jener Zeit in jtarfer Berührung jtand. 

Die furchtbaren Folgen religiöjer Streitigfeiten, wie jie 
der 30jährige Krieg zeitigte, umdrohten die Jugend des Fürſten 
und ftanden ihm warnend vor Augen. 


Der Tempel der Eintradt und die Zeit religiöſer Verſöhnung. 25 


Das lebhafte Temperament Karl Ludwigs, das ſich ſchon 
in feiner Jugend über jo manche Schranfe hinwegſetzte, durch— 
brach jpäter auch mit einer gewiſſen Gewaltthätigfeit Die 
Schranken familiärer Verhältniſſe. Seine Liebe zu der zart— 
finnigen Raugräfin Marie Sujanna Luiſe von Degenfeld, für 
welche er jeine Ehe mit der Prinzejjin Charlotte von Heſſen— 
Kafjel opferte, iſt längft jchon zu eimem bejonderen Kapitel 
der Gejchichte, der Wahrheit und Dichtung*) geworden. 

Bas aller Wiſſenſchaft, aller Bildung noch nicht gan; 
gelingen fonnte, das vermochte hier ein großes, tieffühlendes 
Frauenherz. Dem Füriten wurde jeine Liebe zu dieſer außer— 
ordentlichen rau, die lichtvoll mit der Gejchichte Mannheims 
verbunden iſt, zu einer neuen Quelle der Duldſamkeit und 
Freiheit. 

Luiſe wußte vor Allem den calviniſchen Groll des 
Fürſten gegen das Lutherthum zu bejiegen und aud) in diejer 
Beziehung die Duldjamfeit zu fördern. In ſeiner Liebe zu 
diejer Frau ging dem Fürſten eine ganz neue Geiſtes- und 
Empfindungswelt auf. Und den hier neu gewonnenen Ideen 
entjprang jene Schöpfung, die nach dem jahrzehntelangen wilden 





*) Der zu jener Zeit gefeierte Dichter Chriitian Hofmann von Hof: 
mannswaldau, der nahezu im gleichen Alter mit dem Kurfürsten ftand und 
mit Diejem in Leyden ftudirte, läßt in einer jpäteren bilderreihen Dichtung 
„Liebes \ntriguen zwiichen Churfürit Karl Ludwig in der Pfalz und Maria 
Loyſa von Degenfeld“ dieie legtere an den von ihr geliebten Fürften jchreiben: 

„Urtheile, grojier Fürst! wie weit ich mich vergangen, 

Ob mir die Liebe nicht bezaubert Geiſt und Sinn? 

Die Furdt dringt in mein Herz, die Schanmröth in die Waugen, 
Weil ic) verliebt und meiner nicht mehr mädtig bin... . 
Jedoch dies Bündniß kann fein anders Siegel Ichliejien, 

Als ımverichränftes Recht und eines Vrieſters Band, 

Die Einfalt iſt bey mir, Er wird, obs recht jen willen, 

Daß er die andere rau vermählt zur linfen Hand. 

Sc ſelbſt bin lüfternd nun nad) der Vermählungs Kette 

Und folge, wenn Er winkt, Ihm zu dem Prieiter nad, 

Denn vom Altare gehn die Staffeln in mein Bette 

Und durch die Kirche fommt man in mein Schlafgemad.“ 


26 Der Tempel der Eintracht und die Zeit religiöier Verſöhnung. 


Toben der Religionsfämpfe wie eine lichte Verheigung bejjerer 
Zeiten auf dem düſteren Hintergrunde der Vergangenheit er= 
glänzte. 

Kurz vor dem Tode der ihm inzwiſchen angetrauten Rau— 
gräfin, anfangs des Jahres 1677, faßte Karl Ludwig den 
Gedanken, ein Wahrzeichen religiöſer Eintracht zu errichten und 
eine Kirche zu bauen, die den Bekennern der verſchiedenen Re— 
ligionen gemeinſam zum Gottesdienſt dienen ſollte. Dieſe Kirche 
ließ er in der Nähe des Platzes der jetzigen Schloßkapelle er— 
richten. Am 29. März desſelben Jahres legte Karl Ludwig 
gleichſam im Gedächtniß ſeiner am 18. März dahingeſchiedenen, 
von ihm jo heißgeliebten zweiten Gemahlin (Luiſe von Degen— 
feld) den Grundſtein zu dem Werfe religiöjer Eintracht. 

Als im Jahre 1680 die Kirche vollendet war, bereitete 
der Kurfürſt jelbit die Eimmweihungsfeterlichkeiten vor, die jich 
am 27. Juni d. 3. vollzogen. 

Gleich bei diejer Einweihung wollte man dem neuen Tempel 
eine Art internationalen Charakter geben. - Die eigenthümliche 
Weiſe, wie dies geichah, wird heute allerdings etwas Fünftlicd) 
arrangirt erjcheinen. Man lie dabei an einem Juden, an 
einem Mohren aus Guinea (einem Muhamedaner), und einem 
Knaben aus DOjtindien (einem Buddhiſten) die Taufe vollziehen. 

Drei Geiftlihe vertraten die verichiedenen chrijtlichen 
Glaubensgemeinden: der Hofprediger Langhans die Reformirten, 
der Prediger Betri aus Worms die Qutherijchen und ein römijch- 
fatholtiicher Geiftliher aus Handſchuchsheim die Katholiken. 

Zur Kirchenmuſik hatten die Bilchöfe von Straßburg und 
Osnabrüd auf bejonderen Wunjch des Kurfüriten ihre italieni= 
hen Mufifer und Sänger (Cajtraten) nad) Mannheim gejendet. 

Der Kurfürft traf mit der Kurprinzejlin gegen 8 Uhr 
morgens auf dem Plage vor der Kirche ein, empfangen „von 
dem Schalle der Pauken und Trompeten“. 800 Milizjoldaten 
waren auf dem Plate aufmarjchirt. Mit der Austheilung von 
Münzen und Gejchenken jchloß die gewiß merkwürdige Feier, 
die am Abend noch durch ein Feuerwerk ein fejtliches Nach— 
ſpiel erhielt. 


Der Tempel der Eintracht und die Zeit religiöier Verföhnung. 27 


„Zürden, Juden, Schwarge Mohren .... 
Vnd waß joniten wahr verlohren, 
Trifft zur Eintracht bier herein... . 
Wir erleben heut in Freuden 
Nad) io vielem Kreutz und Leyden 
Den erwünſchten Sonnenicein. 
Gott laß doch zu deinen ehren 
Diejen Tempel ewig währen 
Und in Fried bejtändig fein“ 
heißt es in einer merkwürdigen Feſtdichtung jenes Tages. 

In 9. von Finſterwalds Buch „Vom ganzen Prälziichen 
Haufe“ (Frankfurt und Leipzig 1746), das dem pfälziichen 
Theil der „Germania princeps“ von Peter von Ludewig in 
erweiterter Bearbeitung bietet, wird die Eintrachtsfircche im 
folgender Weije bejchrieben: „Selbige war an ſich eben nicht 
jo gar groß; gleichwohl aber jehr jchön, ſonderlich von innen 
prächtig gemalt und ausgeziert. Unter andern jahe man oben 
an der Dede das Furpfälziiche Wappen, wie e3 Die Engel 
hielten und gleichjam in den Himmel Hineintrugen. Ob auch 
ichon diefe Dede aus lauter gleichen Tafeln beftund und 
zujammen gejchlagen war, jo hatte jie doch der Künſtler der— 
maßen optijch gemalt, daß es jchien, als ob es viele gewölbte 
Bogen wären. Außen biergegen auf dem Thurme jtund ein 
Krenz, welches eigentlih aus drei Kreuzen bejtund, die in 
Form eines einzigen an das Viereck, in welchem auch ein 
Kreuz zu jehen, angeheftet war, um dadurch die intendirte 
Einigkeit der drei Religionen, welche den gefreuzigten Chriſtum 
verehren, anzuzeigen.“ 

In dieje Kirche wurde die Leiche ihrer geiftigen Stifterin, 
der Raugräfin Luiſe von Degenfeld von Heidelberg überführt. 
Die feierliche Beiſetzung fand bereits am 4. April 1677 kurz 
nah der Grundjteinlegung unter Anmwejenheit des Kurfürſten 
und Kurprinzen um Mitternacht bei Fackelſchein jtatt. 

Der Tempel der Eintraht war das für den Geiſt der 
Zeit charakterijtiichite Unternehmen während der Regierungszeit 
Karl Ludwigs; er war mehr als ein gejchichtliches Curiojum. 
Wenn auch die erjehnte Eintracht nicht gedieh, die Brutalität 





is 





ee), 


Kurfürft Karl Ludwig. 


Der Tempel der Eintracht und die Zeit religiöier Werföhmmg. 29 


der Kriegsereigniffe den Bau bis auf den legten Stein ver: 
nichtete, jo bleibt der Geiit der Verjöhnung, der Weisheit und 
Milde da, wo er eine wirkliche, wenn auch noch beichränfte 
Stätte gefunden, fortwaltend für alle Zeiten. 

Bezeichnend für die freiheitlichen Beitrebungen des Kur— 
fürjten it e8 auch, daß er den großen Philojophen Spinoza 
an die Univerfität Heidelberg berufen wollte. Ihm ließ der 
Kurfürjt volle Lehrfreiheit zuiichern unter der Bedingung, daß 
die Störung der herrichenden Weligionen vermieden werde; 
allein Spinoza traute doc den jedem unberechenbaren Wechfel 
unterworfenen Eleinjtaatlichen Verhältniſſen nicht und jagte ab. 
Sich, irgend welchen Bedingungen zu unterwerfen, war ohne: 
died nicht Sache diejes Philoſophen. 

Su der That wollte die Univerſität jpäter (1678) den 
erit 1Ojährigen Sohn des Kurfürſten, den Raugrafen Starl 
Eduard zum Rector magnificentissimus ernennen — eine 
Liebedienerei, die der Kurfürſt jelbit brüsf zurückwies. 

Bejondere Berdienite um die Pflege der Wiſſenſchaft er- 
warb fich der Kurfürjt durch entichiedene Förderung des Schul- 
wejens. Unter ihm wurde in Mannheim 1664 die erjte Latein— 
ihule, das erite Gymnaſium gegründet, das jich raſch ent— 
widelte und 1677 jchon 50 Schuler zählte. (1685 ließ Rector 
Bünger von Primanern der Anjtalt im Saale auf dem „neuen 
Wegbaum“ eine „Comoedia“ aufführen.) 

Bon den durchaus ehrlichen Abjichten Karl Ludwigs gibt 
auch jein am 8. Mai 1677 furz nad) der Grundjteinfegung 
zur neuen Kirche der Eintraht in Mannheim erlafjenes 
Decret Zeugniß, worin der Fürſt die durch Firchliche Streitig- 
feiten entjtandenen öffentlichen und häuslichen Mißhelligkeiten 
beflagt und in der Duldung der Eigenart der verfchiedenen 
Religionen, doch nicht in der Vermijchung derjelben, das Heil 
des Staates erblidt. 

Bald nach feinem Kegierungsantritt, im Jahre 1652 wur- 
den die Privilegien erneuert und damit die einjt gewährten 
Freiheiten noch erweitert. Tieje Privilegien, wieder in den 
verſchiedenſten Ländern befannt gegeben, lodten von Neuem 


30 TDer Tempel der Eintracht und die Zeit religiöier Verſöhnung. 


eine ſich raſch jteigernde Zahl von Angehörigen der vericic- 
denften Nationen und Religionen nah Mannheim. 

Durh ein Edikt vom 7. Mai 1650 war die Bauluit 
wieder gewedt worden, indem der Kurfürſt allen denen, die 
jolhe Häuferbauten unternahmen, die Entlaftung von Abgaben 
und Beichwernifjen auf eine je nad) dem Geldaufwand be— 
rechnete Zeitdauer zujagte. 

Der Kurfürjt ging mit jeiner Förderung der Bauthätig- 
feit allen voran. Er ließ in Friedrichsburg unter verhältnif- 
mäßig großen Kojten ein Schloß errichten, bewirkte den Bau 
eines Schütt» und Zeughaujes (an der Stelle des jebigen Hof- 
theaters) und jeßte die Feſtungswerke wieder in den Stand. 
Auch erhielt das Rathhaus der Stadt einen großen Gloden- 
thurm. Das Schloß war ein in regelmäßigen Formen ge— 
haltene® Gebäude mit drei gleichmäßigen großen Pavillons, 
von denen der eine in der Mitte und die beiden andern an 
den Eden des Gebäudes ftanden. 

Als eine Baulichkeit anderer Art iſt die 1669 von Michael 
Tautphöus von Bacharach im Auftrage des Kurfürjten einge- 
richtete jogenannte fliegende Rhein-Brücke zu erwähnen. Sie 
bejtand aus einem auf zwei großen Kähnen ruhenden Verded 
mit einer zierreichen Balujtrade und wurde in der Art der 
noch heute vielfach verwendeten fliegenden Fähren fortbewegt. 
Am 27. Auguft ließ der Kurfürit hiermit 100 Pferde auf 
einmal über den Rhein jegen, woraus die Größe und Trag- 
fähigkeit diejer damaligen jogenannten Brüde zu entnehmen it. 
Da diefer Brücdenbau erit nad) mancden Streitigkeiten und 
Schwierigfeiten ins Leben gerufen werden konnte, feierte der 
Baumeiiter das glüdliche Gelingen des Unternehmens in bejon- 
derer Weije, indem er jeiner Freude darüber u. A. in folgen: 
den Verſen Luft machte: 

Die Arbeit iſt geicheben, 
Obſchon der Neidhard tobt, 
Die Brüde läßt ſich jchen, 
Tas Merk den Meiſter lobt. 
Es mag hier mander lacheı, 
Wer es nicht lafien kann, 


Der Tempel ber Eintracht und die Zeit religiöfer Verſöhnung. 31 


Sollt er es beiler machen, 
Es würde nicht gethan. 


Trompeten fröhlih Hungen, 
Heerpaufen ftimmten ein, 

Die Bürger jelbit fi drungen 
Auß Mannheim an den Rhein, 
Die Ueberfahrt zu jehen, 
Dergleichen vor der Zeit 

Bey ihnen nicht geichehen 

Mit der Bequemlichkeit. 

Das in der Nähe von Mannheim gelegene Schloß 
Schwesingen ließ Karl Ludwig wieder Herjtellen. Es wurde 
zunächft der langjährige MWohnfiz der Raugräfin Luiſe von 
Degenfeld, und man jagte dem Fürſten nad), er habe die Straße 
dahin von Mannheim aus nur deßhalb jo jchnurgerade anlegen 
laffen, um rajcher zu jeiner Geliebten gelangen zu können. 

Karl Ludwig förderte in Mannheim auch die Wiſſenſchaft 
dur Stiftung einer Bibliothef. ‘Ferner legte er ein Münz— 
cabinett au. Bon den künſtleriſch geſchmückten Münzen, die 
er jelbjt prägen ließ, dürfte die zum Gedächtniß des Todes 
jeiner zweiten Gemahlin (Luije von Degenfeld) hergeitellte jo- 
wie die der Einweihung der Eintrachtskirche gewidmete von 
bejonderem Werth jein, 


Neben diejer friedlichen Entwidelung wollten leider die 
politiichen Streitigfeiten nicht jchweigen, die aber zumächit nur 
mit Tinte und Feder ausgefochten wurden — mit Tinte auch 
in einem anderen al3 üblichen Sinne, denn bei der Kaiſer— 
wahl in Frankfurt a. M. geriet Karl Ludwig, im kurfürſt— 
fihen Collegium (17. Mai 1658) über eine jeinen Pater 
Friedrich V. beleidigende Rede des bayriichen Gejandten Johann 
Georg Dechsle derartig in Zorn, daß er dem Redner das 
Tintenfaß an den Kopf warf, Die daraus entipringenden Feind— 
jeligfeiten wurden gütlich beigelegt. *) 





*) Unter diejer Heftigfeit des Kurfürften, die leicht in Gewaltthätig- 
feiten überging, hatte auch feine erite Gemahlin Charlotte von Heſſen— 
Staffel zu leiden. Ihre herbe Natur konnte den Kurfürſten nicht auf die 


32 Der Tempel der Eintracht und die Zeit religiöier Verſöhnung. 


Eine merkwürdige Hartnädigfeit bewies der Kurfürſt in 
einer anderen Sade, in der das wahre Recht nicht auf feiner 
Seite ftand. Es handelte jih um das fogenannte Wildfangs- 
recht, das in der Pfalz jeine bejondere Ausbildung gefunden 
hatte und ein Ueberrejt jchlimmer mittelalterlicher Zuſtände 
war. Karl Ludwig wollte um jeden Preis feinem Lande Leute 
gewinnen. Die Privilegien bewirkten dies auf bejtem, ehren: 
vollitem Wege. Der „Wildfang“ aber bildete die Anwendung 
der brutalen Gewalt; der Fürſt glaubte ein altes Necht dazu 
zu haben, jeden in oder nur vorübergehend durch das Land 
fommenden Mann, der fich nicht über jeine Angehörigfeit zu 
einem Landesherrn auszuweiſen vermochte, als „Wildling“ 
zwangsweije zu feinem Unterthan machen zu fünnen. Von 
diefem vermeintlichen Rechte, das allerdings von SKatjer 
Marimilian I. 1518 der Kurpfalz bejtätigt worden war, 
machte Karl Ludwig ausgiebigen Gebrauch, ſodaß fich die 
benachbarten Reichsjtände davon betroffen fühlten und Klage 
beim SKaiferlichen Reichs-Kammergericht erhoben. Diejer Klage 
ichloffen fich in der Folge u. A. die Biichöfe von Würzburg 
und Straßburg, Speyer und Worms, die Kurfürjten von Trier 
und Mainz, jowie der Herzog von Xothringen Karl IV. an. 

Da jedoch eine Enticheidung bei dem jchleppenden Gang 
jenes Gerichts verzögert wurde, begannen die offenen Feind— 
jeligkeiten jchon vor irgend welchem Urtheil. Der Streit jpielte 
fich in den Jahren 1664—66 ab. 

Der Kurfürit von Mainz erobert die Etadt Ladenburg 
und der Herzog von Lothringen rüdte in die Rheinpfalz ein. 
eindlihe Truppen umjchwirrten die Stadt Mannheim, Die 
durch die bejtändigen SKriegsgefahren nicht wenig beunruhigt 
wurde. Man richtete fih hier zur DBertheidigung und ließ 
täglich 100 Mann auf die Wache ziehen. Eine Compagnie 





Dauer feſſeln und ihre fpöttiichen Neben brachten ihn in maßloſe Auf: 
regung, ja einmal bei einer feitlichen Tafel in Heidelberg, zu der aud 
der Markgraf Friedrih von Baden und deſſen Gemahlin geladen waren, 
verfegte der Kurfürit feiner Frau vor alien Gäften einen Schlag in’s 
Geſicht. 





Kurfürst Friedrich IV. 
der Begründer der Stadt Mannheim. 


Der Tempel der Eintracht und die Zeit religidjer Verlöhnung. 33 


Reiter wird gebildet, die Capitains müljen ihre Compagnien 
„werkitellig“ machen. Die jüngeren Leute werden einberufen 
und veranftalteten Schieübungen. Eine Junggejellen-Gompagnie, 
die ſich darauf verfteift, Feine verheiratheten Offiziere zu haben, 
übernimmt die Vertheidigung. Das Berlangen bes Oberjt- 
leutnant von Speer, einen Stabtmajor als Oberfommandanten 
zu ernennen, wird vom Rathe abgelehnt, da Streitigkeiten mit 
dem Milizcommandanten befürdjtet werden und fein Geld zur 
Bezahlung eines jolhen Poſtens vorhanden fei. Dagegen wer: 
den auf Antrag des Ingenieurs van Deyl die Deiche um die 
Stadt wieder hergeftellt, auch die Befejtigungswerfe am Nedar- 
thor und über dem Nedar verbefjert. Außerdem werden Maß— 
regeln getroffen, um genügend Munition und Proviant vor: 
räthig zu haben. Das war im Jahre 1665. 

Kurfürit Karl Ludwig belagerte Landituhl und Falken— 
jtein und lieferte den herbeieilenden Lothringiichen Herren ein 
Gefecht, das aber umentichieden blieb. Er Hatte ſchließlich ein 
Compromiß angeboten und den Kaijer al3 Obmann, die Könige 
von Frankreich und Schweden als Schiedsrichter vorgeichlagen. 
Dieſes Compromiß Fam auf dem Kongreſſe zu Heilbronn 1667 
zuftande. Dem Kurfürjten Karl Ludwig wurde Sein Wild- 
fangsredht von Neuem bejtätigt, aber er mußte fich verpflichten, 
dabei jede Benachtheiligung der NReichsjtände zu unterlaflen. 

Allein dieje Kriegswirren hatten noch andere jchwere 
Folgen für die Stadt Mannheim, der damit vom Scidjal 
weitere neue Leiden zugedacht wurden. Eine furchtbare Seuche 
eroberte die Stadt, die Peſt wiüthete in ihren Mauern jchlimmer, 
als andere Eroberer. Bon Feder giebt in jeiner Gejchichte unjerer 
Stadt eine Schilderung über das Peſtjahr 1666 nach einem 
Rathhausprotofoll wieder, wonach fich die Vorgänge in folgen: 
der Weije abipielten: „In der Rathsſitzung vom 26. Februar 
1666 brachte Dr. la Roje vor, dab bei dem Bollwerfe an 
der Bogelitang viel Stroh liege, worauf im Sommer 1665 
die Franfen Soldaten (Xothringer) gelegen und an einer an— 
jtedenden Krankheit gejtorben jeien. Die Leute holten von dem 
vermoderten Stroh ab, und brauchten jolches zu „Tabak— 

Deier, Seihichte der Stadt Mannheim. 8 


34 Der Tempel der Eintracht und die Zeit religiöfer Verföhnung. 


Kutichen“; „dadurch könne die Seuche entjtehen.“ Der Rath 
beichloß, das Stroh bei ruhigem Wetter verbrennen zu lafjen.. 
Über jei es, daß der Grumd zu einer anjtedenden Krankheit 
bereits gelegt war, oder jene Anordnung des Rathes, wie jich 
jpäter herausstellte, nicht rajch genug vollzogen wurde: am 19. 
Mai wird gemeldet, daß eine Dienjtmagd des Jean Garulle 
an einer gefährlichen Contagion plötzlich geftorben fei und daß 
Niemand fie anrühren wolle. Das Schredenswort „Peſt“ iſt 
in Aller Mund. Sofort werden die nöthigen Mafregeln an: 
geordnet. Die Häujer, in welchen die Krankheit auftritt, jollen 
abgejperrt werden; die an derjelben Geftorbenen jollen im 
Sungbujhe in der äußerjten Ede rechter Hand gegen dem 
kleinen Rhein und Nedar appart begraben werden (Beitbudel) 
und zwar gegen Abend 4 Uhr. Beſondere Leichentücher und 
Todtenbahren jollen angejchafft werden. Die Peſt nimmt aber 
raſch zu. Schreden und Niedergeichlagenheit lagert ſich über 
die Stadt. Die Kirchengemeinden fürchten für ihre Pfarrer 
und wollten fie nicht ferner zu dem freilich gefährlichen Ge— 
ihäfte von „Kranfentröjter“ hergeben, jo daß der Rath ſich 
gendthigt fieht, nach einem Studiojus ans der Sapienz oder 
nach einem andern bequemen Subjectum nad) Heidelberg zu 
ichreiben. Die Maßregeln gegen die Pet häufen jich. Gräber 
müffen im Vorrath gehalten werden, Todtenregiiter werden 
eingeführt, Wachholderbeerholz muß beigejchafft werden. Den 
Apothefern wird verboten, die Leute, welche Medicamente ab- 
holen, in die Apotheke hineinzulaffen; inficirte Häuſer werden 
geichlofien, die Bewohner derjelben jollen ji Hütten auf dem 
Sungbujh bauen; das Schlachtvieh wird der Belichtigung 
unterworfen. Ein äußeriter Mangel au ärztlichem und Ver— 
pflegungsperjonal macht fi) bemerkbar. Darum wird Bader 
Hans Jakob Zehrer zu dieſem Zwede angeftellt; auch wird ein 
Peſtmeiſter und Bejtichreiber ernannt. Die Sterblichkeit it 
eine übergroße, die Sterblichkeit eine allgemeine; nebenbei 
macht ſich das wüſte Treiben frivoler Menjchen bemerkbar. 
Eine Menge Eimvohner verlafien die Stadt und viele Häujer 
itehen leer. Man gibt dem Rathe oder dem Eonjiftorium Boll» 


Der Tempel der Eintracht umd die Zeit religiöfer Verföhnung. 35 


maht zur Verwaltung des zurüdgelaffenen Vermögens und 
wendet der Stadt den Rüden. Der öffentliche Geift erlahmt. 
Die Quartiermeifter lagen, daß niemand mehr auf die Wache 
ziehen wolle; der Bürgermeijter Kalimantel konjtatirt das fait 
volljtändige Fehlen der Rathsmitglieder in den Sibungen. 
Auch einige Pfarrer jterben an der Peſt und Niemand will 
fich melden. Nur Bfarrer Thilmann Ghim von Frankenthal 
erklärt, daß er ohne Scheu nad Mannheim fommen werde, und 
er wird zum Pfarrer beitellt. Endlih im März 1667 läßt 
die Peſt dauernd nah. Auf Betreiben des Dr. la Roſe, der 
nunmehr zum Bürgermeijter gewählt war, und der an feinen 
in der Situng vom 16. Februar 1666 geitellten Antrag er- 
innert, werden die gejundheit3spolizeilichen Maßnahmen unaus- 
gejegt im Auge behalten. Eine Quarantaine wird eingeführt; 
die inficirten Häufer müfjen mit Icbendem Kalk geweifelt wer- 
den; die Fremdenpolizei wird jtrenge gehandhabt. Im Jahre 
1668 verjchwindet die Belt aus dem ganzen Lande. Damit 
ift jener abjcheuliche Würgengel überwunden, allein die Stadt 
hat furchtbar gelitten. Auch unter den jungen Leuten bat die 
Reit entjeglich aufgeräumt. Ganze Straßen jind entoölfert, 
Alles ift desorganifirt. Der Rath, die ftädtiichen Aemter, die 
Compagnien müfjen reconjtruirt werden. Mit einer über: 
rajchenden Schnelligkeit vollzieht fi) die Ausgleichung der 
Schäden und Ausfüllung der Lücken.“ 

Nahdem die Hartnädigkeit Carl Ludwigs in der Be— 
hauptung des Wildfangrechtes jo lange fortwirfende üble Folgen 
mit fi gebracht hatte, unterlag der Fürſt noch einem großen 
politiihen Srrthum, dem er das Herz einer deutichen Frau 
zum Opfer brachte. 

Mit großer Sorge jah Karl Ludwig die Macht Lud- 
wigs XIV. immer mehr ſich ausbreiten und ganz beſonders jein 
and bedrohen.: Ta bot fich ihm die Gelegenheit, jein Haus 
mit dem Herricherhaus Frankreichs zu verbinden. 

Mit einer jolchen Verbindung glaubte Karl Ludwig all’ 
die drohenden Gefahren von jeinem Lande abzuhalten; er hielt 
e3 geradezu für eine politiiche Pflicht, diefe Vereinigung mög— 


3* 


36 Der Tempel der Eintracht und die Zeit religiöier Verſöhnung. 


fih zu machen. Und er jeste ſich über all die natürlichen 
Hemmnilfe hinweg und brachte diefe Verbindung wirklich zu 
jtande. 

Seine eigene Tochter war das „Opferlamm“ diejer real- 
politifchen Erwägung: die 19jährige Elifabeth Charlotte, die er 
gegen ihren Willen mit dem Herzog Philipp von Orleans, dem 
Bruder Ludwigs XIV., verheirathete. Es ift wohl nichts Gegen- 
jäglicheres zu denken, als dieje einfach jchlichte Frau an dem 
glanzvollen Hofe des Sonnenfönigs. Unbeftehlihd war das 
Herz und der Sinn Liſelottens troß all’ der fie umgebenden 
Tracht geblieben. Ihr Wunſch ging nicht nach franzöfifcher 
Prunfentfaltung, fie fam ſich dort mit ihrem tief inneren Ge- 
müthsleben einjan und verlaffen vor. 

Sie muß in ihrer burichifojen, halb emancipirten Art und 
pfälzer Derbheit eine merfwürdige Figur an dem franzöfijchen 
Hofe abgegeben Haben. Dem freudigen Kunftleben des Romanen, 
das hier einen Culminationspunft erreichte, da8 Streben, dem 
Staate und der Kirche durch die Kunſt weithinleuchtend Licht 
und Glanz zu verleihen, war ihr wenig begreiflih. Ihre ernite, 
ftrenge Moral empörte fich über die loderen Sitten romanischen 
Lebens, und ala dieje durch die Verlobung ihres Sohnes in 
ihr Haus zu dringen drohten, bejtrafte jie ihren Sohn mit der 
befannten, „schallenden“ Ohrfeige. Nicht jo ablehnend, wie fie 
ſich dem franzöfifchen Hofe gegenüber verhielt, verhielt fich diejer 
ihr gegenüber. Bei dem lebensvollen und jcharfen Geifte jener 
Zeit Frankreichs wußte man eine ausgejprochene, fraftvolle 
Berjönlichkeit, wie fie die „stolze Pfälzerin“ vorjtellte, ſchon 
zu jchägen und im ihrer Weije gelten zu laſſen. Ludwig XIV. 
ſelbſt fühlte fich durch ihre wahre und echte Art zuweilen er- 
frifcht und Hatte gar wohl Verſtänduiß für das Geijtige und 
Werthvolle diejes Frauencharakters. Wie ein der Heimath 
getreues Volkskind weilte Liſelotte mit ihrem Denken und 
Fühlen immer in ihrem Baterlande, und als jpäter Unglüd 
und Noth über dasjelbe fam, äußerte ſich ihre Heimathliebe 
in folgenden ergreifenden Worten: „Sch jollte Falten Blutes 
mein arme Mannheim und Alles, was mein verjtorbener 


Der Tempel der Eintraht und die Zeit refigiöfer Verjöhnung. 37 


Bater mit joviel Sorge gejchaffen, zerftört jehen! Ia, wenn 
ich denke, was alles man verwüjtet hat, bebe ich vor Er— 
regung und Schmerz und allnädhtlih im Traume glaub’ ich 
mich in Heidelberg und Mannheim und jehe Berwüjtung. Ich 
ipringe dann auf und kann jtundenlang nicht jchlafen. Ich 
ſehe alles, wie e3 zu meiner Zeit war und jehe es, wie es 
heute jein muß und weine heiße Thränen!“ 

Aus diejen viel jpäter gejchriebenen Worten geht der ganze, 
furchtbare Irrthum hervor, dem Karl Ludwig mit jener Ver— 
ehelihung feiner aufopferungsvollen Tochter unterlag. 

Die politiichen Ereigniffe, die Gegenſätze der Nationen 
und ihrer Intereſſen traten alle verwandtichaftlichen Bande mit 
Füßen und ließen die Klagen einer edlen deutjchen Frau wie 
an harten, falten Felſen nußlos verhallen. 

Schon wenige Jahre nad) der 1671 erfolgten Verehelichung 
Sijelottens jollte Karl Ludwig ſelbſt die Nutzloſigkeit diejes 
Opfers erfennen. 

Ludwig XIV. legte zunächjt die Verbindung mit dem 
pfälzischen Tyürjtenhauje zu feinen eigenen Gunjten aus und 
muthete Karl Ludwig zu, mit ihm gegen Holland vorzugehen. 
Aber der deutihe Sinn Karl Ludwigs ließ diefen doc) eine ſolche 
Gemeinjchaft mit Frankreich ablehnen und zunächſt neutral 
bleiben. Die VBerwüjtungen und Erprejjungen der durchziehen- 
den und- jih im Winter 1673 in der Pfalz einguartirenden 
franzöfiihen Truppen veranlaßten den Fürften zu dem Verſuch, 
durch ein Bündniß mit Kaifer und Reich, feinem Lande einen 
jtarfen Schuß zu bringen. Allein dieje Abjicht, die nad) Frank— 
reich verrathen wurde, verjchlimmerte nur die Lage der Pfalz. 

Bon Neuem rüdten die Franzoſen im Sommer 1674 in 
die Pfalz ein, die jie wie feindliches Land behandelten. Wein- 
heim fiel der Zerſtörungswuth der feindlichen Soldaten zum 
Opfer und in der Umgebung von Mannheim gingen nicht 
weniger wie 17 Dörfer in Flammen auf. Karl Ludwig, der 
diefer Verwüſtung jeines Landes machtlos von jeinem Schlofje 
in der Friedrichsburg zujehen mußte, wollte empört ſelbſt fir 
jein Bolf in die Schranfen treten und von dem NRädelsführer 


38 Der Tempel der Eintracht und die Zeit religiöier Verſöhnung. 


jelbjt mit der Waffe in der Hand Rechenſchaft erzwingen. Er 
forderte den Befehlshaber der hier wüthenden franzöfiichen 
Truppen, ben General Turenne mit folgenden Worten zum 
Zweifampf heraus: „Herr Marihall! Was Sie an meinem 
Lande verüben, kann unmöglich auf Befehl bes allerchriftlichiten 
Königs geichehen, ich muß es als Wirkung eines perjünlichen 
Srolles gegen mich betrachten. Es iſt aber unbillig, daß 
meine armen Unterthanen büßen, was Sie vielleicht gegen 
nich auf dem Herzen haben fünnen, darum mögen Sie Zeit, 
Ort und Waffen bejtimmen, unjern Zwijt abzuthun.* 

Diejes muthige Vorgehen half. Ein Schreiben Turenne’s 
traf ein, worin Diejer ſich und jein Heer entichuldigte und 
verficherte, daß weitere Zerjtörungen nicht vorfommen würden. 
Die franzöſiſchen Soldaten jeien durch Ermordungen von 
Kameraden erbittert worden und wären deshalb bejonders 
gegen Weinheim vorgegangen. Er, Turenne ſelbſt, könne der 
Aufforderung zum Duell mit Rüdjiht auf jeine Poſition dem 
König gegenüber nicht nachkommen. 

Die großen Vorbereitungen, die man in Mannheim für 
den Fall einer neuen Belagerung machte, erwieſen ſich als 
überflüffig. Noch zu jehr zitterten die Ereignifje der Einnahme 
Mannheims unter Tilly in der Stadtgemeinde nad, jo dab 
man feinerlei Vorſicht außer Acht laſſen wollte. 

Schon am 15. Auguſt 1673 war Karl Ludwig nad 
Friedrichsburg zu längerem Aufenthalt gekommen. In der 
Feſtung lagen 500 Soldaten, was auf die Dauer von der 
Bürgerjchaft als jchwere Bürde empfunden wurde Die für 
den Belagerungsfall getroffenen Maßregeln waren: Injpection 
und Vermehrung der Bürgerwehr, Unterjuchung der Gewehre, 
Vorſorge für Lebensmittel, Anjchaffung von 1000 Pech— 
fränzen, Arbeiten an der Befejtigung der Stadt, an welch) 
feßteren fi) auch die Juden und Wiedertäufer betheiligen 
mußten. Im März nahmen drei Compagnien fränkiſcher Sol- 
daten Quartier in der Stadt. Ein Vierteljahr darauf rüdten 
noch faiferliche Truppen ein, die jedoch im September desjelben 
Jahres mit den fränfiichen Soldaten wieder abzogen. Durch 


Der Tempel der Eintracht und die Zeit religiöfer Veriöhnung. 39 


die Bürgermeilter la Roje und Kaltmantel übermittelt General 
Due de Bournonville 1674 jeinen Dank der Stadtgemeinde, die 
ihm Naturalien gewährte. Erceffe der Soldaten, fortwährender 
Wachtdienſt der Bürgerwehr, die Gefahr einer wieder aus- 
brechenden Seuche durd) die unbegrabenen Leichen von Sol- 
daten machten die Lebensverhältnijie der Stadt in dieſer un- 
ruhigen Zeit recht unbehaglih. Noch einmal im Jahre 1677 
wurde die Stadt von einem feindlichen Heere umzingelt, ohne 
daß jedoch irgend welche Eroberungsverjuche unternommen 
werden. Erjt zwei Jahre darnach, am 31. Januar 1679, 
fonnte der Friede zwiſchen dem Kaiſer einerjeit3 und dem 
König von Frankreich) amdererjeit3 gejchloffen werben. Auch 
Brandenburg, Dänemark und Schweden wurden in diejen Frie— 
den mit einbegriffen, 

Marichall Turenne war bald nach der vorhin geichilderten 
Aufforderung zum Duell und zwar am 27. Juli 1675 in der 
Schladt bei Saßbach gefallen. 

Als der Stadtdireftor Clignet im Auftrag des Kurfürjten 
den Friedensſchluß der Stadt verkündete, da fühlte man ſich 
von langem, jchwerem Drud befreit und neue Arbeitsluit 
durchzog die Bruft der Bürger, die jogleich den weiteren Aus: 
bau der Stadt fortjegten. 

Der Kurfürft Karl Ludwig aber Hatte durch all die Vor— 
kommniſſe einen zu tiefen Einblid in die politiichen Verhält— 
niffe gewonnen, zu jehr jeine Täufchung Frankreich gegenüber 
erkannt, als daß er frohen Geijtes werden konnte. In dem 
Zande jeiner unverjöhnlihen Gegner wußte er fein Kind in 
Sehnjuht nach der Heimath, das machtlos war, etwas für 
diefe zu thun oder auch nur Schonung zu erflehen. Ein auf's 
Strengite geheim gehaltenes Berhältnig des Kurfürjten mit 
einem ‘Fräulein von Berau blieb für ihn ohne geijtige An— 
regungen. Daß die Ehe ſeines Sohnes, de3 Kurprinzen Karl 
kinderlos blieb, ftimmte den Fürſten gar oft traurig. Und 
als wieder neue Streitigkeiten mit Frankreich durch die von 
Ludwig XIV. eingejesten Reunionskammern begannen, erfaßten 
ihn die trübjten Ahnungen einer jchlimmen Zukunft jeines 


40 Der Tempel der Eintracht und die Zeit religiöfer Verſöhnung. 


Landes. Der Kurfürjt erkrankte jchwer. Auf Anordnung des 
jüdijchen Arztes Heyen in Mannheim jollte Karl Ludwig von 
ber Friedrichsburg aus nad) Heidelberg überfiedeln. Als man 
am 28. Auguft 1680 den Fürſten in einer Sänfte zum Thore 
der Feſtung Friedrichsburg Hinaustrug, joll er zu jeinem Be— 
gleiter, dem Regierungsrath Schreiber in der Borahnung feines 
Todes geäußert haben: „Nun ift es auch an mich gekommen!” 
Schon auf dem Wege nad) Heidelberg verjchlimmerte fich der 
Zuſtand des Fürften derartig, daß man in Edingen die Reife 
nicht fortjegen Ffonnte und rajch im Freien ein Zager bereiten 
mußte. In diejer idyllischen Landichaft, unter einem Nußbaum 
litt Karl Ludwig den legten Schmerz, Es war etwa 4 Uhr 
des Nachmittags, als der Tod des Kurfürften eintrat. 





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V. 


Die kurze Regierungszeit des Hur: 
fürften Karl und Rückblick auf die 
Stadtverhältniije. 


Kurfürit Karl — „Luitbelagerung” bei Mannheim — Ordnung der Erb— 
folge — „Batronanzbrüder* — Grundfteinlegung der neuen Stadtmauer — 
Stadtdireftor Glignet — PBürgermeifter la Roſe — Humane Nectöpflege. 


Mar das Leben und Streben Karl Ludwigs von dem 
Ernſt eines leidenſchaftlichen, kräftig ausgeſprochenen Charakters 
erfüllt, ſo iſt ſein Nachfolger, ſein Sohn Karl, auch als Kur— 
fürſt niemals ganz zum Ernſt des Lebens herangereift. Eine 
gewiſſe Verzärtelung, Schwächlichkeit und Kränklichkeit ließen 
dieſen Fürſten, der bei ſeinem Regierungsantritt 29 Jahre alt 
war, nicht zu weſentlichen, in die Geſchicke ſeines Landes ein— 
greifenden, ſelbſtſtändigen Handlungen kommen. Er ſetzte auch 
während ſeiner Regierung die Lieblingsſpiele ſeiner Jugend— 
zeit fort. 

Was ihn zu einer beſonderen Beſchäftigung mit dem 
Soldatenweſen und zum Arrangement von „Schlachten“ und 
„Erſtürmungen“ veranlaßte, war mehr ein jugendlich roman— 
tiſcher Zeitvertreib als eine leidenſchaftliche Paſſion für ernſte 
militäriſche Unternehmungen. Dieſe ſoldatiſchen Spiele waren 
zugleich mit Maskeraden verbunden und hatten mehr den 
Anſchein von VBergnügungsfeiten. Ein jolches „Kriegsfeſt“ 


42 Die kurze Negierumgszeit des Kurfürſten Karl und Rückblick. 


wurde auch im Juli 1684 bei Mannheim abgehalten. Der 
Kurfürit hatte eine „Auftbelagerung“ des ruinenhaften Schlofjes 
Eichelsheim angeordnet. Das Schloß wurde verichanzt und 
eine Bejagung in türkischen Coftümen hineingelegt. Diejes im 
Grunde harmloje Vergnügen jollte dem Fürſten den Tod 
bringen. 

Bei der herrichenden Julihige ſprach der Fürſt allzu— 
jehr falten Getränken zu. Er erfranfte dadurch ſchwer; bei 
jeiner ſchwachen Gejundheit jtellte jich die Zehrung ein, die ihn 
am 27, Mai 1685 bdahinraffte. Wie jchon bemerkt, erwies 
Karl als Fürjt wenig Selbitjtändigfeit. Er iſt zweifellos ein 
liebenswürdiger und freundlicher Menſch geweſen. Seine 
Schwäche aber wurde von verjchiedenen Seiten ausgenußt. So 
war er ganz in den Händen des Kirchenrathes Langhans, der 
jeinen Einfluß zu ftärferer Begünftigung der reformirten Kirche 
aufwandte. Auch ein am 2. Januar 1682 neu eingeführtes 
Geſetz, wonach Ehebrud; mit dem Tode durd; das Schwert 
beitraft werden joll, mag auf ſolche Einflüſſe zurüdzuführen 
jein, denn von dem Surfürjten, der jelbit in ehelichem Zwiſt 
lag und ein geheimes Verhältnig mit einem Hoffräulein 
unterhielt, fonnte eine derartig drafonische Beitimmung uns 
möglich herrühren. 

Bor jeinem Tode trug Karl Sorge für Ordnung der 
Erbfolge auf das mit ihm erlöjchende Haus Simmern, da ver: 
ichiedene Anjprüche erhoben wurden. So meinte der Pfalzgraf 
Leopold Ludwig zu Veldenz Rechte auf die Nachfolge zu haben. 
Allein e3 konnte mur das Haus Neuburg rechtmäßig in Be: 
tracht fommen. Der Kirchenrath Langhans mußte aber, da 
diefes Haus Fatholiih war, ernjte Sorge um die reformirte 
Kirche getragen haben, denn Kurfürjt Karl bejtimmte das Haus 
Neuburg erit nad) Abjchluß eines Vertrages zu der Erbfolge, 
nad) welchem den Reformirten und Qutherijchen weiter der 
volle Schuß des Staates gefichert wird, Der Vertrag wurde 
am 22. Mai 1685 zu Schwäbilch-Hall von Bevollmädtigten 
des Kurfürjten Karl und des Herzogs Philipp Wilhelm von 
Neuburg feitgeftelt und von Karl wenige Tage vor feinem 


Die kurze Regierungszeit des Kurfürſten Karl und Rüdblid. 43 


Tode unterzeichnet. Dieje Bejtimmung der Erbfolge betrachtete 
Frankreich al3 einen neuen Grund zu Feindſeligkeiten. Erſt 
hatte Ludwig XIV. den Pialzgrafen zu Veldenz unterſtützt, 
war dann aber mit jelbititändigen Anjprüchen hervorgetreten, 
jih darauf berufend, daß Karl Ludwig in jeinem Tejtamente 
vom 4. April 1670 feine Tochter Elijabeth Charlotte, die Ge— 
mahlin des Herzogs Philipp von Orleans bei dem Ausjterben 
männlicher Erben zur alleinigen Erbin aller Beſitzthümer be— 
jtimmt habe. Sp war jhon vor dem eigentlichen Beginn der 
Regierung Philipp Wilhelms der politiihe Himmel gefahr- 
drohend verdüſtert. 

Für Mannheim brachte die Regierungszeit Karls feine 
wejentlichen Ereigniffe. Bei der Umjelbftjtändigfeit des Fürſten 
hatte ſich die Stadtverwaltung mehr mit den tonangebenden 
Beamten augeinanderzujeßen, was damals mancherlet Schwierig- 
feiten und Verjchleppungen mit ſich brachte. Einige diejer Be— 
amten legten fich jelbjt ganz dreijt den Namen „Batronan;- 
brüder“ zu. Welche wunderbare Bewandtniß es mit Diejer 
Bezeichnung Hatte, geht aus folgender Stelle der jchon er- 
wähnten „Germania princeps“ hervor: 

„Dabei entjchlugen fich die Hofbedienten der Aufwartung 
meijtentheild, außer — wenn man zur Zafel gehen wollte. 
Dafür jchliefen fie lieber die jedesmal mit heimgebrachten 
jtarfen Räuſche aus. Alſo Hatte der regierende Herr zum 
Ausreiten gar wenige, bei Tijche aber eine große Menge Be- 
diente . . . Inder an Perjonen gar jehr vermehrten Kanzlei 
that auch ein jeder was er gerne wollte Sie famen des 
Morgens jpät in diejelbe und liefen vor der gejegten Stunde 
wieder davon, nachdem jie eine gewiſſe Abrede gepflogen, wo 
fie nachmittags anjtatt der Stanzleiarbeit zum Spazieren, Spielen 
und dem überhand genommenen Schwelgen zujammenfommen 
wollten. Darunter befanden jich jonderlich 8 Perſonen, Die 
ihr Vergnügen an diejer Lebensart fanden, und fich deswegen 
ſelbſt „Patronanzbrüder* nannten.“ 

Die für Mannheim wichtigfte Handlung Karls war die Be- 
jtätigung und Ergänzung der Privilegien. Vorher hatte er die 


44 Die kurze Regierungszeit des Kurfüriten Karl und Nüdblid. 


befonderen Wünjche der Mannheimer Rathsherren fich mit: 
theilen laſſen. Es äußerten ſich u. A. die Räthe Stribing, 
Koppert, Schadinger, Fuchs. Ihre verjchiedenen Wünſche find 
z. B.: Umlagefreiheit für Diejenigen, die ein Capital von 
1000— 2000 Gulden verbauen, Erbauung eines Bürgerhojpi- 
tals, Ausdehnung des Wochenmarkts, Brüden für Rhein und 
Nedar, Verbot der Ausfuhr von Rohproduften, BZollfreiheit, 
Sarküchen für das Volk, ein Garten für die Bürger und 
die Leitung des Schweßinger Baches durch Mannheim. 

Die Privilegien jollten auch fernerhin den Zuzug von 
Fremden bewirken und enthielten deshalb noch weitere Ver— 
günftigungen für Ausführung von Bauten. Wenn auch mit 
den erneuerten Privilegien nicht alle Wünjche befriedigt werden 
fonnten, jo wurden doch die meiſten berjelben berüdiichtigt. 
Häuſer, Grundftüde und Gewerbe bleiben darnach weiterhin 
10 Jahre von aller Schagung frei; ebenjo alle eingeführten 
Waaren von jedem Zoll. Für Fleiſch, Mehl und Malz iſt 
fein Ucci3 zu erheben. Die Wohnungen jollen möglichit billig 
vermiethet werden. Auch für den beſſeren Häujerbau wird Sorge 
getragen. Die Häuſer jollen gute gewölbte Seller haben und 
mindejtens zwei Stodwerfe, nicht weniger wie je 11 und 
10 Schub Hoch, beiigen, jteinerne Giebel tragen und nicht 
unter 30 Schuh im Quadrat einnehmen. 

Unter Kurfürſt Karl wird in Mannheim eine neue 
Stadtmauer angelegt. Die feierliche Grunditeinlegung wejtlid) 
vom Nedarthor, bei welcher der Kurfürjt mit jeiner Gemahlin 
Wilhelmine Chrijtine (Tochter des Königs Friedrichs III. von 
Dänemark) anmwejend war, fand am 9. Mai 1681 ftattl. Die 
‚seitrede hielt Pfarrer Ghim. Zum Andenken an die Feier 
wurden jilberne und goldene Medaillen geichlagen. In den 
Srundjtein wurde die filberne Medaille eingeichloffen, während 
der Kurfürft die goldene Medaille dem Nathe zur Verwahrung 
übergab. Den Bau leitete Ingenieurhauptnann Taverne. Ein 
weiterer Bau wird .von Nurfürjt Karl begonnen: Der Bau 
einer neuen reformirten Kirche, zu welcher der Grundjtein im 
Jahre 1684 gelegt wurde, nachdem der Rath einen Beitrag 


Die kurze Regierungszeit des Kurfürſten Karl und Nüdblidl. 45 


zur Zahlung der Kojten des Baues zugejichert hatte. Dagegen 
widerjeßt fich der Rath der Einführung jtrengeren Kirchen— 
dienſtes. Es bleibt daher bei der alten Kirchenordnung. 

Während der Regierungszeit des Kurfürjten Karl begrün- 
dete fich in Mannheim auch die lutheriſche Gemeinde. Dies 
geihah im Jahre 1682. Zum Seeljorger erwählte man den 
Pfarrer Appelius. 

Daß damals zahlreiche Hinrihtungen in Mannheim jtatt- 
fanden, hat nicht? mit der eigentlichen Rechtspflege der Stadt 
zu thun; e8 wird damit erflärt, daß in Mannheim die Richt: 
jtätte für die Verbrecher aus ber ganzen Pfalz; war. Ein 
Spezialbefehl des Kurfüriten Karl vom 4. Oftober 1683 ver: 
bot den Rathsherren die nad) diejen Erekutionen üblichen Im— 
biffe und Mahlzeiten. 

Bu den in damaliger Zeit hervorragenden Perjönlichkeiten 
der Stadt Mannheim gehörte der vom Kurfürjten Karl Ludwig 
eingejette Stabtdireftor und Regierungsrath Llignet. Er 
vertrat von Seiten der Regierung die Stadt, während der 
Schultheiß, zwei Bürgermeijter und die Räthe die Vertreter 
der Stadtgemeinde ſelbſt waren. Der Schultheiß und die Räthe 
wurden auf Borjchlag der Stadt vom Kurfürjten ernannt, die 
Bürgermeifter auf ein Jahr vom Rathe gewählt. 

Direktor Clignet wußte feine jchwierige Stellung zwiſchen 
den verjchiedenen Intereſſenkreiſen mit großer Sicherheit zu 
behaupten und den Wünjchen der Stadtgemeinde derartig ent- 
gegenzufommen, daß er bald eine beliebte und populäre Ber: 
lönlichfeit wurde. Der Verſuch, ihn durch einen etwas dejpeftir- 
lichen Ausſpruch jeiner Tochter über den Kurfürjten bei diefem 
in Ungnade zu bringen, jcheiterte völlig, Dafür rechnet man 
ihm jein energifches Handeln gegen Uebergriffe des Militärs 
hoch an. Einmal wies er einen Kapitän der Garniion, der 
einen Leutnant der Bürgerwehr beihimpfte und den Vorwürfen 
des Stadtdireftors mit gezogenem Degen begegnen wollte, 
handgreiflich durch eine Ohrfeige zurecht. Die allgemeine Be- 
liebtheit Clignet3 geht auch daraus hervor, daß man eine 
Straße der Stadt nad ihm lignet-Straße nannte. Clignet 


46 Die kurze Regierungszeit des Kurfürſten Karl und Nüdblid, 


hat etwa jeit 1650 jein jchwierige8 Amt verwaltet, doc 
bewahrte ihn jein gutes Schidjal davor, die Zerjtörung Manns 
heims im Jahre 1689 noch zu erleben. 

In den jechziger Jahren Ddiejes Jahrhunderts trat in 
Mannheim auf furze Zeit die Perjönlichfeit des Schultheiß 
Philipp Stolfius (Stold) hervor. Diejer war zwar 1664 auf 
Lebenszeit gewählt worden, allein man wußte ihn gar bald 
wieder und zwar ſchon nad) 2 Jahren jeine3 Amtes zu ent- 
heben. Er geräth mit dem Stadtdireftor, den Näthen und 
Bürgermeijtern in Conflikt, wirft diejen Ignoriren feiner Ber: 
jon vor, während ihm jelbjt von jeinen Gegnern allzuperjön- 
liches Regiment, Benugung der Stadtbüttel zur Erledigung 
von Brivatgeichäften, jowie Betheiligung an Joch- und Spiel- 
gelagen und jogar an dabei vorfommenden Prügeleien zum 
Vorwurf gemacht wurde. Seine Bibliothef läßt der Rath 
pfänden und aufs Rathhaus bringen, doch wurde die ganze 
Sammlung in dem bald folgenden Kriege vernichtet. ALS 
Nachfolger werden Dr. Hieronymus Glödner (f 1679), Dr. 
Johann Chriſtoph Roth und Dr. Straßburg genannt. Scult- 
heiß Straßburg verwaltete jein Amt noch bis zur Zeit der 
Einnahme Mannheims durd die Franzoſen. 

Der Bürgermeifter Dr. Nikolaus la Roſe gehört zu 
den hervorragenden Berjönlichfeiten des damaligen Manı- 
heim. Dr. la Roſe war Arzt und bat jich bejonders auf 
dem Gebiete der Gejumdheitspflege und Gejundheitspolizei 
verdient gemacht. Er war der erite, der — wie jchon oben 
erwähnt — auf die furchtbare Gefahr der Peſt aufmerkjam 
machte und gleihb Schritte zu ihrer Befämpfung thun wollte. 
Er war es auch, der durch ununterbrochene Maßnahme jchlieh- 
lich doch die Seuche verdrängte und ihre Wiederfehr unmög- 
lich machte. Dies allein ſchon ſichert ihm einen Ehrenpla in 
der Gejchichte Mannheims. Doc joll fa Roje auch auf dem 
Gebiete des Bauweſens Tüchtiges geleiitet haben, wenn er ſich 
auch hier in Unammehmlichkeiten verwidelte und jeine Rech— 
nungen nicht recht ftimmen wollten, weshalb er jchließlich jeine 
Hemter niederlegte. 


Die kurze Negierungszeit des Kurfüriten Karl und Rüdblil. 47 


Bon den Bauten, die auf Anregung oder unter berathen- 
der Mitwirkung von la Roje entitanden, kommt zunächſt die 
„zum Gebrauch für das Volk und ſonderlich der franzöfiichen 
Gemeinde“ bejtimmte provifionirliche Kirche in Betracht, die 
— aus Holz hergeſtellt — auf die Karlsſtraße, etwa in die 
Nähe der jetzigen Concorbdienkirche zu ftehen fam. Außerdem 
wird eine „Nothkirche“ in das Rathhaus eingebaut. 

La Rote entwarf für ein neues Rathhaus den Plan, den 
Karl Ludwig guthieß, und beaufjichtigte den 1673 begonnenen 
Bau. Nach Reparirung einer widerjpenjtigen Mauer wird das 
neue Rathhaus 1675 bezogen. Des Weiteren unternahm man 
die Bauten eines Schladhthaujes, eines Armenhaujes, eines 
Büchſenſchießhauſes, eines Krahnens am Nedar und bewirkte 
die Anfchaffung einer Schlaguhr. Und jo viel gab man auf 
die Bauthätigfeit auch von privater Seite, da man jogar 
Arrejtanten aus der Haft entließ, wenn fie veriprachen, bauen 
zu wollen. Ein widerjtrebender Bürger Namens Lantilier, der 
dem Frieden in Mannheim nicht recht traute und wegen den 
Lothringiichen Unruhen mit dem von ihm verjprochenen Bau 
eines Haujes am Marktplatz zögerte, wird (1670) vom Sur: 
fürjten Karl Ludwig ftreng gemahnt. 

Die ftädtiichen Baumeifter, von denen u. WU. noch le Eoeur, 
de Poel genannt werden, erhielten einen Gehalt von 50 Thalern 
von der Stadt und der Fürſt jteuerte ein Fuder Wein dazu bei- 

Zur Sicherung der Gebäude wurde 1673 eine Feuerlöſch— 
ordnung eingeführt. Zwei Feuerjprigen ließ man für 60 
Thaler bei „Peter Rulant* anfertigen. 

Die gejundheitspolizeilihen Maßnahmen, die zumeift la 
Roje in’s Leben rief, waren u. A.: Einführung der Fleiſch— 
ihau (Unterfuchung des Schweinefleiiches), Neinhalten der 
Höfe, Abbruch des Verkehrs mit Seucheverdächtigen Gegenden, 
Quarantäne für Fremde, die aus folchen Gegenden kamen. 
La Roje jhlug auch die Anjtellung eines „Stattmedicus“ 
vor und wurde beauftragt, die Inſtruktionen für einen jolchen 
Beamten zu entwerfen. 

Aber nicht nur einzelne Perjönlichkeiten, jondern auch der 


48 Die kurze Regierungszeit des Kurfüriten Karl und Rüdblid, 


aus 9 Mitgliedern bejtehende Rath in jeiner Gejammtheit 
hatte in jener Zeit manches Schwierige zu leiften. So war 
dem Rath die NRechtöpflege, die bürgerliche, ftrafrechtliche und 
freiwillige, anheimgegeben. Im Ganzen jpielte ſich die Hechts- 
pflege in liberaler Weije ab. 

Nichts von den anderwärt3 damals üblichen Folterungen 
fam bier zur Anwendung. Auch auf dem jo wichtigen Gebiete 
der Rechtspflege ging Mannheim durch freiheitliche Inftitutionen 
in jenen Zeiten entjchieden voran. 

Die Lüfte der Freiheit lajjen eine Stadt raſch aufblühen 
und gedeihen. Und jo war es auch hier. Die Einwohnerjchaft 
Mannheims Hatte fi auf etwa 12000 Köpfe erhöht. Schon 
der Stadtplan von 1663, nad) dem die Bevölkerungszahl nur 
3000 betrug, zeigt eine reiche Entwidelung. Angehörige der 
verjchiedenjten Religionsgemeinden und Nationen wohnten hier 
friedlich nebeneinander. 

Den Bedrüdten und Berfolgten gewährte Mannheim eine 
Stätte des Schutzes, den nad freiem Leben ſich Sehnenden 
ein Feld friedlicher, gemeinjamer Arbeit. Mannheim wurde 
dadurch ein Vorbild freier Städteentfaltung, und den Kur— 
fürjten der Pfalz bleibt der Ruhm, ein folches Vorbild in 
deutichen Landen geichaffen zu haben. 








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Mannheim vor der Serftörung (1689) 
und der Wohlftand der Stadt feit 
Karl £udwig. 


Kurfürft Philipp Wilhelm aus dem Haufe Neuburg — Jean Gardel — 

Weitere Religionsfreiheit — Der Fall Langhans — Grundfteinlegung 

zur Nationalfirhe — Die verjchiedenen Religionsgemeinden — Wohlſtand — 
Handel, Gewerbe und Verkehr. 


Men e3 für das Lenau'ſche Wort: 
Ob jeder Freude ſeh ich ſchweben 
Den Geier bald, der fie bebroht 
eines betrüblichiten Beweiſes bedürfte, jo braucht man nur die 
damalige Zeit Mannheims in ihrem fi) Schon jo fröhlich ent- 
widelnden und reich aufblühenden Leben zu betrachten, über 
dem jchon der räuberijche Feind beutegierig feine Kreiſe zog. 

AM das ſich reich entfaltende Leben, die behaglichen und 
freundlichen Stadtverhältniffe wurden fort und fort beunruhigt 
durch jchlimme Nachrichten von auswärts, die Krieg androhten 
und neue, furchtbare Gefahren anfündigten. Die verhängniß- 
vollen Folgen des großen politiichen Fehlers, den Karl Ludwig 
durch die Vermählung jeiner Tochter mit dem franzöſiſchen 
Prinzen begangen, jollten jih nun erjt ganz im ihrer kraſſen 
Wirklichkeit zeigen. 

Das große Opfer, das die edle Charlotte ihrer geliebten 
Pfalz, ihrem Vaterlande gebracht hatte, es jollte ſich nicht nur 
al3 völlig vergeblich erweilen, jondern gerade noch dazu bei- 

Deier, Geichichte der Stadt Mannheim. 4 





Mannheim vor der Zeritörung (1689) x. 51 


tragen, das Unheil drohender zu machen und dem Einfall der 
Feinde in das pfälzer Land einen Schein des Rechts zu geben. 
Ein furchtbares, ein tragiiches Geſchick, das nur ein ganz ftarfes 
Herz nicht zu brechen vermochte! 

Ludwig XIV. behauptete feine vermeintlichen oder con— 
jtruirten Anjprüche auf den Beſitz der Pfalz und begann jie 
mit Gewalt geltend zu machen. 

Dieje Feindſeligkeiten richteten ſich zunächſt gegen den 
neuen Regenten der Pfalz, den Kurfürften Philipp Wilhelm, 
der 1685 mit 70 Jahren die Regierung der Pfalz antrat und 
der in feinem Alter noch viel des Unheils erleben jollte. 

Im Juli 1685 Hatte Bhilipp Wilhelm die Huldigung der 
Stadt Mannheim empfangen. Mit ihm fam — wie ſchon 
gejagt — das Haus Neuburg (verbunden mit Jülich und 
Berg) zur Regierung der Pfalz. Philipp Wilhelm hatte ſich 
zwei Jahre nach dem 1651 erfolgten Tode feiner erſten Gemahlin 
Anna Catharina Conjtantia, Tochter Königs Siegismund III. 
von Polen, mit der Tochter des Landgrafen Georg von Heſſen— 
Darmſtadt, Eliſabeth Amalia, vermählt, die zur Fatholiichen 
Kirche übergetreten war. 

Das eigenmächtige Vorgehen Ludwigs XIV. präfudirte 
Ichon mit der Gefangennahme des angejehenen Manuheimer 
Bürgers Jean Cardel am 25. November 1685. Jean Cardel 
(geb. 1635 zu Tours), jeit 1674 in Mannheim und hier Be— 
figer einer großen Seidenmanufaftur, war von franzöfiichen 
Soldaten auf einer Reije nad) Speyer auf Befehl Ludwigs XIV. 
gefangen genommen worden. Er wurde einer Verſchwörung 
gegen den König bezichtet, doch war dieſe Anklage nur ein 
Vorwand, den Angehörigen einer in Frankreich wegen ihres 
Muthes gefürchteten Hugenottenfamilie zu bejeitigen. Er wurde 
in ber Baftille zu Paris eingeferfert, furhtbaren Folterqualen 
ausgejegt und an jchiwere Fetten gefeffelt. Er jtarb erft 1715 
nad) 30 jähriger Gefangenjchaft, bis zuletzt noch an jeinen Ketten 
ſchmachtend. 

Für dieſen unglücklichen Bürger Mannheims trat der 
katholiſche Kurfürſt Philipp Wilhelm mit dem König von Eng— 

4 


52 Mannheim vor der Zeritörung (1689) x. 


(and, den Generaljtaaten von Holland und dem beutichen 
Kaifer ein. Der Kurfürſt that energiiche Schritte, die Be- 
freiung des Öefangenen zu erwirfen, doch blieben alle Berjuche 
bei der ihm ohnedies feindjeelig gelinnten, viel Schlimmeres 
noch planenden franzöfiichen Regierung vergeblid). 

Der katholiſche Glaube des Fürften brachte für Mannheim 
feine nachtheilige Beränderung der religiöien Freiheiten mit 
fih. Die Katholifen Mannheims fuchten nur ihre etwas hinten- 
an gejtellten Rechte zur Geltung zu bringen, was nicht mehr 
als recht und billig war. Der Fürſt jelbjt hatte gleich am 
Tage nad jeinem feitlihh begangenen Einzug in Heidelberg 
(16. Auguft 1685) ein Mandat veröffentlicht, mit dem er bie 
Freiheit der Religionen von Neuem fihern und allen Streitig« 
feiten confejlioneller Art entgegenwirken wollte. 

„Damit denen gemeinen Privatleuten — jo heißt es in 
diejem Mandat — deito weniger Gelegenheit und Anlaß zu 
dergleichen Religiong = Gezänfen und Mißhelligfeiten gegeben 
werde, jo wollen Wir hiemit gnädig und ernitlih, daß auch 
jedbweder Theil obbemeldter Religions-Verwandten auff den 
Cantzeln im Predigen und jonften jich feiner Religiong-Dispute 
anmaſſen, und da es die Materie erforderte, dab ein Glaubens: 
Artikul berühret und aufgelegt würde, ſolches mit Glimpff, 
und Ehrijten anftändiger Bejcheidenheit, ohne die andern Res 
ligions-Verwandten mit Schimpfen, oder jpöttlichem, oder wohl 
gar ehrenrührigen und anzügigen Hißigfeiten und verbitterten 
Läſt- und Berläumbdungen, auch Berdammungen anzugreiffen, 
vorgetragen (werde)“. 

Daß es jedoch zu Zerwürfniffen zwiichen dem Kurfürjten 
und dem nunmehr feines Einfluffes und feiner Herrſchaft be— 
raubten Kirchenraths und Hofpredigers Johann Ludwig Lang: 
hans fommen würde, war vorauszujehen. Langhang wollte 
gewifjermaßen auch in die Gejchide des neuen Kurfürjten ein- 
greifen und überreichte dieſem perjönlich ein Teſtament des ver- 
jtorbenen Fürſten Karl, das durch jeine merkwürdige Beſtim— 
mungen allerdings als durch Langhans bewirkt oder einge: 
geben erjcheinen konnte. 


Mannheim vor der Zerftörung (1689) ꝛc. 53 


Der Kurfürft ließ in feinem Zorn über diejes Schriftitüd, 
da3 ihn wichtiger Erbgüter berauben wollte, den Hofprediger 
Langhans unter der Anklage der Teitamentsfälihung mit dem 
Kammerjunfer von Dollne und dem Leibarzt Dr. Winkler ver: 
haften und progeiliren. Das iſt dem Kurfürjten jchlimm aus- 
gelegt worden, allein die herausfordernden Vorkommniſſe recht- 
fertigen doch von jeinem Standpunkte aus den Sturz des 
durch die veränderten Verhältniſſe erbitterten Prieſters. Lang» 
hans wurde jpäter aus jeinem Gefängniß in Zwingenberg bei 
dem Einfall der Franzoſen befreit und flüchtete von da aus 
nad) Straßburg und Bajel. 

Nicht unerwähnt darf hier bleiben, daß nad dem von 
Lipowski veröffentlichten Wortlaut diejes zum Gegenjtand der 
Anklage gemachten, fraglichen Tejtaments des verjtorbenen Kur: 
fürjten Karl anderen Staaten, jo der reformirten ‚Schweiz, 
Waffen ausgeliefert und den Angeklagten, Hofprediger Lang: 
hans und Leibarzt Dr. Winkler jelbjt beträchtliche Geldjummen 
übermittelt werden jollten.*) 


*) In dem für die Beurtheilung biefes Prozeffes und ber Berbältniffe des Landes 
bei dem Regierungsantritt Philipp Wilhelms toichtigen, faum glaublih merkwürdigen 
Teſtamente“ heikt es: 1. Ihre Hoheit (die Hurfürktin Karl) hätten außer dem Heiraths 
Paetis unb andere barüber gemachte Verordnungen, auch der Aubeln und anbere Prä— 
tiofen, fo berfelben von Zeit au Zeit von ihrem Gemahl verehret worben, nicht® mehr gu 
erhalten. 2. Der alten vermittibten Churfürftlihen Durchlaucht fol zur Beſſerung ihres 
Wittums die Stabtsftellerey Weinsheim, und das Ampt Dirmftein, ober wo biefes dem 
Borhaben nad, an das Biſchoffthum Worms vertaufcht, alddann dasjenige, was man da— 
gegen befommt, zu dero Wittum gelaffen werben jolle, weilen obgemeldetes aber in bie 
Ehurfürftl, Gammer und Renteren gehörig, alfo ift hieran nichts. 3. Den Rhaugräflichen 
findern, fo beftänbig ben ber reformirten Religion beharren, das verordnete Jährliche 
Deputat, au dem Oberamt Bretten und Kellerey Weingarten, ber frau Louysen aber, 
abfonberlih ein Ring von 2000 Reichäthalern, 4. GhurBrandenburg dren halbe Car: 
thaunen, zwei 18pfündige, vier 12pfündige, vier Ipfündige und zwei Apfünbige Metallene 
Stüce, auch den Ehurapfel und das Moscomitifche Praesent nebit allem Gold und filbernen 
Aniiquitaeten, Mebaillen, Item bie Neichdtapeten von Julio Caesare. 5. Herrn Marg- 
grafen zu Ansbach drey halbe Garthaunen, vier 12pfündige und zwey Ipfündige Dietallene 
Stüde, beiigleihen die gange Rüftfanımer; Noch die alte Gron von Ruperto dem Röm. 
Htönig; Item dıe Tiara, fo unter der Erben gefunden worden ſeyn fol, begleichen bie 
Tapeten von Mufon und Belagerung Sandftubl; noch 1000 Mukquetten, 600 Garabiner 
und 1900 Piftolen. 6. Seren Herzogen zu Hannover zwey halbe Garthaumen, und was 
von 6pfündigen Metallenen Stüden noch vorhanden, befgleichen die Tapeten vom König 
Pharao, und ben Kindern Iſrael, auch bie von Salamone und Melcager. 7. Kern Sand- 
grafen zu Gaffel Hochfrftl. Durchl. drey halbe Garthaumen, vier 12pfündige und ein Gin- 
pfündiges Metallenes Stüd; bie ganze Bibliothee bey Hof; Alle güldene und filberne 
Diedaillen, fo nicht antin. ſeyn, deßgleichen bie Tapeten von Pauli Belehrung und bom 


54 Mannheim vor der Zerſtörung (1689) x. 


Durch Philipp Wilhelm wurde die Vorherrichaft der Re— 
formirten gebrochen und den SKatholifen und den Qutheranern 
neue3 Recht gewährt. 

Die Lutheraner erhielten die Erlaubniß, ein. Pfarrhaus, 
eine Schule, eine Almojenkaffe, ein Spital und einen Kirch— 
hof zu erjtellen. Den Katholiten wurde gleichfalls ein eigener 
Begräbnißplag angemwiejen. Ihnen gilt and) die neue Beſtim— 
mung, daß für Kinder Ffatholiicher Eltern nur Vormünder 
fatholiihen Glaubens zu ernennen find. Im Februar 1686 wird 
der Gregorianifche Kalender eingeführt. Die Katholiken traten 
am 30. November 1686 in die freie Religionsübung ein. 


Die Reformirten wurden bei alledem nicht wejentlich in 
ihrem firchlichen Leben beeinträchtigt. Der Kurfürft genehmigte 
die Erbauung der jchon von Karl Ludwig und Karl geplanten 
jogenannten Nationalfirche, einer Doppelfirche für die deutſche 
und franzöfiiche reformirte Gemeinde. 

Mit der Grundjteinlegung zu diejer aus ſtädtiſchen Mit— 


Bacho. 8, Die nicht legirte Mußquetten und Piquen in den Zeughäufern Heydelberg. 
Franfenthal und Friedrichbburg den Beformirten Cantoos in ber Schweitz. 9, Herrn 
Grafen von Gaftell das Schlob und Dorf Jlbesheim, banebenit alles erfauffte Silber: 
geichirr, jo ſich bei Hof befindet. 10. Herrn Grafen von Mitgenftein aber die Sutichen- 
Pierde, Sattel und Zeug, und was jonften im Marftall befinblih. 11. Seren Grafen 
von Caſtell, Seren Grafen von MWitgenftein ferner, dann Hofprebiger Langhans alle vor- 
handene und nicht legirte Tapeten; biefelben unter fich zu vertbeilen. 12, Dem von 
Adelsheim 1500 Reichsthaler. 13, Herm Jägermeiftern 1400 Rthl. 14. Dem Bebeimen 
Rath und HofsrPrediger Langbanfen 2000 Ducatian Gold. 15. Geheimen 
Rath Schmettau und Leib Mebico Dr, Winflern, jedem 600 Ducati. 16, Dem Über 
Gammerer von Galenberg ein paar Dörffer, fo vor biefem feiner Familie zugehbört, aber 
nicht gemeldet, im Ampt Moßbach. 17. Deflelben Schiweiter, der HofsJungfer bey Ihrer 
Hoheit aber, was noch von Ducaten in specie vorhanden, banebenft noch 2000 Rthl. an 
vorräthigem Gold in speeie, und dann alle vorhandenen Jubeln, barüber nicht disponirt, 
18, Einigen Officirgi, als Obrift Cachena, Obriftlieutenant Stepp, Obrift Bartels, Capitain 
Dahn und Capitain Puiglerie 300 Ducaten, 19. Kriege-Gommiffariats-Berwaltern Dürr: 
telden, Seeretario Eulern, Baumeifter Wachten, Gammerrath Gensweiler, und Stüds 
Lieutenant Wagnern 1500 Ducaten, 2%. Gämmerer Dollue 1000 Rthl. 21. Obrift Inarn 
800 Rtbl, 22. Obrift Aundher 1200 Rthl. 283. StüdsLieutenant Menb 600 Rthl. 24. Der 
gangen Milig, ſowol Officiren ala Gemeinen doppelte Belohnung, darzu das Dragoner 
und BeibsRegiment zu Fuß fampt ber LZeibsGarde abzudanfen und an 
GChur-Brandenburg zu recommendiren. 25. Denen Räthen und Canzley-Be— 
dienten zwey Quartal doppelte Beiolbung und bie übrigen HofsBebienten Churpfälziichen 
Gebrauch nach zu beneficiren. 26. Die noch übrige eigenthümliche Mobilien und Baar 
ichaft, ber Verwaltung zur befferen Verpflegung der Kelormirten Stirchens und Schuldiener 
zuzuftelfen. Ueber das noch 1000 Ducaten bem biefigen (Deidelberger) Hoipital. 


Mannheim vor der Zeritörung (1689) x. 55 


teln zu erbauenden Kirhe war eine öffentliche Feier ver- 
bunden, die am Dienitag, den 13. Oftober 1685 jtattfand 
und etwa folgenden Verlauf nahm: 

Auf dem Plage der abgebrochenen und (am NRheinthor) 
wieder erbauten hölzernen Brovifionaffirche, auf dem das neue 
Gotteshaus errichtet werden jollte, waren drei Zelte aufge- 
jtellt. Der Rath und Amtmann Ludwig Jvahim Strauß er- 
ichien mit dem gejammten Stadtrath und dem Gerichtsjchreiber 
Johann Heinrich Reich und den jog. vier VBiertelmeijtern (Quar— 
tiermeiftern) auf dem Rathhauje. Die Deputirten des Kirchen— 
raths waren Profejjor Dr. Ludwig Fabricius, Hofgerichtsrath 
Philipp Burkhard und SKirchenrath =» Sekretär Ludwig Kreuz. 
Unter dem Geläut der Gloden begab man ſich früh '/,9 Uhr 
in feierlihem Zuge vom Rathhaus aus zu den Zelten. Dem 
Zuge voran wurden von den Biertelmeiftern zwei in Sammet 
gebundene und mit dem furfürftlichen Wappen gezierte Bibeln 
getragen, die eine in deuticher Sprache zu Herborn 1666 ge- 
drudt, die andere in franzöfiichem Tert 1565 zu Genf heraus: 
gegeben. 

Dieje Bibeln legte man mit einer Medaille, auf welcher 
eine Anficht der Kirche und eine Injchrift geprägt worden war, 
und mit je zwei Flaſchen rothen und weißen Weines in den 
Grundſtein. 

Von den deutſchen und lateiniſchen Schülern und dem ver— 
ſammelten Volke wurde ſodann ein Geſang (11. und 12. Vers 
des 118. Pſalms) angeſtimmt. Mit deutſchen und franzöſiſchen 
Predigten der Pfarrer Thilemann Ghim und Keßler fand die 
Feier ihren Abſchluß, die mehr einen internen ſtädtiſchen Cha— 
rakter hatte, da ſich der Hof an ihr nicht betheiligte. 

Die Nationalkirche ſollte aus zwei gleichförmigen, mit je 
einem Dachreiter verſehenen Kirchengebäuden beſtehen, die ein 
großer Thurm verbindet, ähnlich dem ſpäteren Kirchen- und 
Rathhausbau am Marktplatz. 

Zum Bau dieſer Kirche hat die Stadt vom Jahre 1684 
bis 1688 im Ganzen circa 30,800 fl. beigetragen. Die Be— 
vorzugung der reformirten Kirche von ſtädtiſcher Seite läßt 


56 Mannheim vor der Zerftörung (1689) ꝛc. 


ſich auch hieraus erjehen. Die reformirte Neligion hatte hier 
drei Gemeinden, eine hochdeutiche, eine niederdeutiche und eine 
franzöfiiche, jede mit bejonderen Pfarrern und Conſiſtorien. 
Pfarrer der an Mitgliedern reichſten franzöfiichen Gemeinde 
waren u. U. Erispin und du Vivier. 


Etienne Crispin aus der berühmten hugenottijchen Familie 
und der blinde Jacques Couet du Vivier, der gefeierte Redner 
und berühmt durch jein Eintreten für eine anzubahnende Ber- 
einigung der Reformirten und Qutheraner (auf der National: 
jyuode am 5. Januar 1660 zu Loudun), zeichneten ich hier 
im Jahre der Peſt durch Heldenmüthiges Wirken aus und fielen 


jelbjt der furchtbaren Krankheit zum Opfer. 


Als Vertreter der hochdeutichen Gemeinde ragte der jchon 
genannte Pfarrer Ghim durch energijche Bethätigung hervor; 
Seeljorger der niederdeutichen Gemeinde war Pfarrer Wilhelmus 
Mollerus (Molarus), ein aucd in weltlichen Angelegenheiten 
jehr erfahrener Berather der Familien, der u. A. Käufe abſchloß 
und Gelder auslieh. 

An Streitigkeiten fehlte es in firchlichen Ungelegenheiten 
nit. Die Reformirten juchten ihre Macht zur Geltung zu 
bringen. Sie verflagten u. U. einen lutherischen Pfarrer von 
Rheingönnheim, weil er hier das Abendmahl geipendet habe, 
und bewirften 1680 (unter Karl Ludwig) einen furfürtlichen 
Befehl, wonach katholiſche Prieſter — wenn jie fein exercitium 
religionis haben — Kranke nicht verjeheu dürfen. Der Rath 
aber juchte in vielen Fällen dieje Streitigkeiten zu jchlichten. 

Etwa 200 Familien umfagte die jüdiiche Gemeinde. Sie 
hatte fich Hier rajch zu regem Leben entfaltet, obzwar jie nur 
Handel und Geldgeichäfte betreiben durfte. Die wejentlichjte 
Bedingung der Niederlaffung war, innerhalb von 4 Jahren ein 
Haus zu bauen, ſodaß auch die Juden an der Erbauung 
Mannheims ſtark betheiligt waren. Die Juden bildeten ein 
jehr regiames Element in der Bevölkerung Mannheims, daß 
ichließlich der Rath befürchtete, fie könnten ihm über den Kopf 
wacien und im Jahre 1681 Mafregeln ergriff, weitere Ein— 


Mannheim vor der FZerftörung (1689) x. 57 


wanderung zu verhindern. Seit 1661 hatte die jüdiſche Ge: 
meinde einen eigenen Begräbnißplab. 

Die Juden waren im Rath dur Vorjteher ihrer ziwei- 
gliedrigen Gemeinde vertreten, die aus Deutjchen nnd Por— 
tugiejen bejtand. Ein jolcher Vertreter der portugiefiichen Juden 
im Rath war u. U. Emanuel Carcajfone, während in der 
deutjichen israelitiichen Gemeinde fih u 4. die Namen Bens- 
heim, Hertz, Marcus vorfinden. Eine gewiſſe Eiferfucht zwiſchen 
den Deutichen und Portugiefen dieſer Gemeinde läßt auch hier 
mancherlei Streitigkeiten entjtehen, doch in ihrem ftrengen Glau— 
ben juchen fie gemeinjam die Einwanderung eine® in Amijter- 
dam „ercommunicirten“ Juden („Abraham Herzens Sohn“) 
zu hintertreiben und beim Uebertritt von Jiraeliten zum chrift- 
fihen Glauben herricht bei ihnen große Erregung, jodaß auch 
bier der Rath bejchwichtigend eingreifen muß. 

Die Juden werden von der Stadt als jogenannte Schub» 
verwandte betrachtet, jie genießen den Schuß der Stadt, ohne 
volle Rechte zu bejigen. Sie find mancherlei Beichränfungen 
in eben und Verkehr ausgeſetzt, doch dafür vom Wachdienit 
befreit. Im Allgemeinen hatte die jüdiiche Gemeinde hier in 
Mannheim eine für jene Zeit ſchon beträchtliche Freiheit und 
blieb von all den jchweren Bedrüdungen verjchont, die in 
anderen Städten vorlamen.*) 


*) Nur eine Heine Zahl von Mitgliedern hatten die Selten ber 
hutten'ſchen oder hutteriihen Brüder und der Socinianer, der polniichen 
Brüder gehabt. Die polniihen Brüder, von denen der von Karl Ludwig 
geihägte und ſpäter von Leifing erwähnte Schrifiteller Wiffovatius (Andreas 
Wiszovaty von Sumdli, polnischer Magnat) und ber gleichfalls durch 
ſocinianiſche Schriften bekannte Joahim Stegmanı befonders genannt jeien, 
verließen bereits im Peſtjahre 1666, nachdem ihnen der reformirte Stirchens 
rath jede Agitation für ihre Sache verboten hatte, die Stadt. Wiszovath 
(deffen Sohn hier übrigens bei einem Knopfmacher in die Lehre ging) 
wandte fich nad) Amfterbam, Stegmann nadı Siebenbürgen. Beide ftarben 
im Sabre 1678. — Die Zahl der hutterifchen Brüder bejchränfte fi im 
Jahre 1684 anf drei Familien (Mofed Wirg, Joſeph Grittmann und 
Abraham Zahn), die fih jedoch zur reformirten Religion befehrten. In 
ihrem Gebäudehof joll es trog des von ihnen zur Schau getragenen Muder: 
thums unfittlich zugegangen fein, in Folge deilen der Rath eine Vermahnung 
an bie dort wohnenden fremden „Weibsleut” ergehen ließ. 


58 Mannheim vor der Zeritörung (1689) x. 


Der Kurfürſt Philipp Wilhelm zeigte ſich ber fo ver- 
ichiedene Religionsgemeinden bergenden Stadt Mannheim durch⸗ 
aus gewogen. Er bejtätigte vor Allem die bisherigen Privi- 
fegien ohne jede Einjchränfung und befreite außerdem noch im 
Jahre 1686 eine Reihe jtädtiicher Gebäude, wie das Rath— 
haus, die Stadtichreiberei, die Wohnungen der Stadtbeamten 
und des Scharfrichters, die jog. Chriften- und Juden-Schrannen 
von jedem Grundzins. 

Die Stadt Mannheim verjtand fich dagegen bei dem Re— 
gterungsantritt Philipp Wilhelms zur Zahlung bes ihr zuge- 
ichriebenen Theiles eines für den Fürſten geforderten Donativ- 
geldes und jpendete 3000 fl. Eine jolche Forderung war aller- 
dings unvereinbar mit den Privilegien, aber die Stadt mochte 
doch die Begründung diejer Forderung für richtig halten, daß 
einem Fürſten, der in ein jo „leer gefundenes Land“ kommt, 
etwas aufzuhelfen jei, und betrachtete diefe Ausgabe mehr als 
eine zu gewährende Schenkung. 

Die finanziellen Verhältniſſe der Stadt Mannheim bes 
zeugten einen gewiſſen Wohlitand, fommen uns auch heute die 
noch erhaltenen Jahresrechnungen aus jener Zeit höchſt unbe- 
deutend vor. Ein Rentmeiſter (ſeit 1668) und die Bürger: 
meilter verwalteten die Rechnungen und dieje werden „abge- 
hört“ von furfürjtlihen Hofkammerräthen. 

Die größten Einfünfte verjchaffte der Stadt das Umgelt 
auf Bier und Wein. So erhob man im Jahre 1687 für einen 
Fuder Wein 15 fl. und für einen Sad Malz 15 fr. Der Zentner 
Tabak wurde mit 10 fr. beftenert. Außerdem wurden an ben 
Thoren Weggelder, auf dem Markte Standgeld, am Rhein 
und Nedar Fahrgeld, ferner Waaggelder beſonders für die zum 
Verkauf gebrachten Tabafpflanzen u. ſ. w. u. ſ. w. erhoben, 

An Wirthichaften mit Wein- und Bierverichant fehlte es 
ihon zu damaliger Zeit in Mannheim nicht. Ihre Zahl be= 
trug im Jahre 1687 über hundert. Schon früher trugen hier 
Wirthichaften die Namen „Eihbaum*, „Wilder Mann“, 
„Gerſte“, „Walfiih“, „Zum halben Mond“, „Ritter St. 
Georg“, von denen die legten drei jeit 1673/75 ſich noch heute 


Mannheim vor der Zeritörung (1689) x. 59 


an denjelben Stellen befinden. Gegen den Verkauf jchlechter 
Getränke wird aufs Strengjte vorgegangen, zur Strafe dafür 
das Schild der Wirthichaft heruntergeworfen und der Zapf zu= 
geichlagen.*) 

Ueber dad Zehen und Spielen in ben Wirthichaften zur 
Zeit des Gottesdienftes an Sonntagen wurde öfter von der 
Geiftlichkeit geklagt. Der Rath juchte dagegen einzujchreiten 
und verbot vor allem auch den Wirthen, Soldaten zu „ver- 
führen“. Händel zwiichen Bürgersleuten und Soldaten waren 
damals an der Tages= oder beſſer Nachtordnung. Die Polizei- 
jtunde wurde eingeführt. Das Jahr 1675 iſt das Geburtsjahr 
der Bolizeijtunde in Mannheim. 

Die Sittlichfeit meinte man durch Ausweiſung „Liederlicher 
Dirnen” zn fördern. Die Ausweiſung wurde den Stattknechten 
überlafjen, die dafür 15—30 kr erhielten. 

Dieje Stattknechte waren die „Vollzugsorgane“ des Stadt- 
raths. Sie hatten den oft jchwierigen Verkehr mit einer Be— 
völferung verfchiedener Nationalität in allen ſtädtiſchen Ange— 
legenheiten zu vermitteln. Es wurde daher darauf gejehen, 
daß fie neben der deutichen auch die franzöfiihe Sprache 
iprechen konnten. Sie trugen eine Art Uniform aus rothem 
Tuh und blauem Futter mit Knöpfen in blausweißsrothen 
Farben, die jedenfalls jchon damals die Stadtfarben waren. 


*) Laut Regierungsbeihluß vom 8. Febrnuar 1669 find Die Preiſe 
für Speiſe und Trant in Wirtſchaften folgendermaßen feitgeiegt: 

1. daß der Würth vor eine trufene Mahlzeit von dem Herrn 80 fr. 
erhalten und hiergegen 6 gute Gerichte anſchaffen ſolle, als 

a eine Supp 

b ein Gemüs 
und die übrigen vier Schüffeln an Fleiih, Fiſch, Paiteten, Wildpret, Ge: 
badenes nad; Welegenheit der Zeit 

2. vor einen Diener joll bezahlt werthen 12 kr. 

3. für einen Sejter Haber 7 fr. 

4, für den Wein pur und unverfälicht bleibt es dabei, daß Die 
1666er vor 4 Batzen, 1667er vor 10 fr., 1668er die Maas um 8 fr. aus: 
gegeben werben. 

5. indisſtincte joll ein Herr vor jein Nachtlager oder Bett 4 kr., der 
Diener 2 fr. zahlen. 


60 Mannheim vor der Zerftörung (1689) x. 


Stadtrechnungen 


1683—1688 


nach der erften von Feder bewirften und erläuterten Deröffentlichung. 


Die älteite Stabtrehnung, weldhe erhalten geblieben it, datirt vom 
Sabre 1683. Darin ift eine Einnahme von . i 18,932 fl. 48 fr. 
und eine Ausgabe von . ; ; A . ; 8,940 fl. — kr. 


conitatirt, jomit war ein Heberihuß vorhanden von 8,492 fl. 48 fr. 
Die Haupteinnahmäpoften bilden: 


a. das Nedarfahr mit : ; \ 2 1,646 fl. 22 ir, 
b. das Waidgeld mit i E \ . 543 fl. — kr. 
e. dad Waggeld mit . - . ; 1,976 fl. — fr. 
d. dad Umgeld mit . ; . ; B 6,624 fl 15 fr. 
e. dad Weggeld mit : ; ; 373 fl. — Fr. 
Unter den Ausgabspoften figurisen: 

a. an Dienftbeioldungen . 5 5 n 2,006 fl. 59 Er. 
b. Baufoften . r i } : R 2,554. — kr. 
ce. das Pflafter mit . : i 2 } 168 fl. — kr. 
d. für Zehrung ; \ i 377 fl. — ke. 


Bei Einnahmen und Ausgaben Figurist regelmäßig ein unbeftimmter 
Poſten „in’8 Gemein“, unter dem alle Einnahmen und Ausgaben zu: 
fammengefaßt werden, die unter die gewöhnlichen Rechnungsrubrifen nicht 
paffen. Das „Insgemein“ erreidt aber mandmal einen Betrag von 
mehreren taufend Gulden. 

Die Rechnung pro 1684 weilt Einnahmen nad im Betrage von 


25 791 fl. — fr. 

Ausgaben : } ; i 17,668 fl. 46 Er. 
Im Jahre 1685 fielen ſich 
die Einnahmen auf . . 21,672 fil — kr. 
die Ausgaben auf . N f . ; 17,913 fl. 30 Er. 
Sm Jahre 1686 
die Einnahmen auf y ; 3 j 19,824 fl. — fr. 
die Ausgaben auf . . F ; ß 16,455 fl. 5t fı. 
Im Sahre 1687 betragen 
die Einnahmen j } j ; f 22,120 fl. 26 fr. 


die Ausgaben ; e : 5 ; 18,799 fl. 30 fr. 


Mannheim vor der Zeritörung (1689) x. 61 


Die Stadtrehnung vom Jahre 1688 iſt die legte des alten Manns» 
heim. Sie geftattet einen eingehenden Blid in die damaligen finanziellen 
Berhältniffe. Sie ift geftellt von den damaligen Bürgermeiftern Bonen- 
fant und Philipp Fuchs und wurde abgehört im März 1699 von den 
Hoflammerräthen Zwenger und Sigmund Gabriel Böhm, melde ſich 
damals in Weinheim aufhielten. Sie conftatirt eine Einnahnte von 

81,437 fl, 54 fr. 

Die Ausgabe belief fi dagegen auf . 26,848 fl. 40°, kr. 
fo daß ein Ueberihuß vorhanden war von 4,584 fl. 19 Er. 

Die einzelnen Ausgab3poften find: 

1) an bie gnädigſte Herricdaft (Sriegägelber) 4.558 fl, 1 kr. 


2) an Dienitbeioldbung . i n 3 2,058 fl. 84 Er. 
3) Bıüdenkoiten . P R Ri a 1,083 fl. 26 fr, 
4) an Marktverwandte . . ; 187 fl. 82 fr. 
5) für Lichter und Brennößl . ; . 294 fl. 26 fr. 
6) für Weidgelt . ’ 81 fl. 12 Er. 
7) zu Kriegskoſten an bie Brangfe z 9,368 fl. 82 fr. 
8) zur Behrung . i } ; 284 fl. 45 fr 
9) den Mauren . r i . ; 89 fl. 50 fr 
10) den Zimmerlentben . . — 48 fl. Ak 
11) den Schreinern . : ä r i 17 fl. 22 fr. 
12) den Glafern . . a Fee" 9f. 20 kr. 
13) den Schlofiern . ; : A B 129 fl. 20 kr. 
14) den Hafnem . j j . P 10 fl. 80 fr. 
15) den Seien . .: 2... ; 8 fl. 41 kr 
16) den Steämern . ; . i 102 fl, 42 fr 
17) für Kalkziegel, Steine u i ; 8 fl. 83 kr. 
18) für Bauho . . : : : 219 fl. — kr. 
19) zum neuen Kirchenbau i ; e 6,920 fl. 18 Er. 
20) zu den Brunnenkojten ; ö i 108 fl. 48 fr. 
21) zum Bilafter . . i : i 8 fl. — fr 
23) Insgemein i - 1,376 fl. 40 Er, 


Zu den Sriegäfoften pos. ; iſt bemerkt: 

Ahn aller Handt dergleichen Kriegskoſten bei Attaquir und Eins 
nehmung der Statt Mannheim auch gewehrten feindlichen Franzofen 
Winterquartier jeind nah und nach bezahlt worden nad Juhalt 
der abionderlich von Herrn Stattihreiber Reihen darüber geführten 
bier vornen bei Innehmgelt „ins Gemein“ allegirten Rechnung. 

(Dieje legle Rechnung vom Jahre 1688 erflärt fich des Näheren aus 
den im folgenden Kapitel geichilderten Ereigniſſen.) 


62 Mannheim vor der Zeritörung (1689) x. 


Als ein Zeichen des Wohlitandes der Stadt erjcheint es, 
daß die Bürgerjchaft im Jahre 1675 der Stadt Philippsburg 
eine ftarfe Beihilfe zur Aufbringung der „franzöfiichen Con— 
tribution“ leitete und nicht weniger wie 1947 ji. 8 fr. jpendete. 

Auch der rege Verkehr der Stadt mit anderen Ländern 
und die weiten Reifen vieler Bürger deuteten auf Reichtum 
und Wohlſtand. Man unternahm bejonders Reijen nad) Hol- 
land, der Schweiz, Franfreih, Italien und Portugal. Die 
Rathsmitglieder erhielten bei Reifen im Auftrage der Stadt 
bejondere Deputate. 

Handel, Landwirthihaft und Gewerbe gediehen immer 
mehr. Tabak: und Weinbau, Viehzucht, Tuchmacherei, Gerberei, 
andere Handwerfe verjchiedener Art, im bejonderen das Bau 
handwerf, nahmen hier einen raſchen Aufichwung. 

Marktihiffe verkehren ftändig mit Mainz (das erjte da— 
hin 1675 von Dfivier de la Motte eingeführt), Worms, 
Speyer. Ordinari-Fuhren find von Thomas Rieß nah Franf- 
furt eingerichtet. Die erjte „Ordinari-Fuhr“ ging von 1668 
alle Freitage oder Samftage nad Heidelberg. Botendienjt 
wurde u. A. nah Sedan und Meb bejorgt. Später werden 
Poſtkaleſchen über Worms nad) Frankfurt (1673) und nad 
Speyer, Met von Johannes Hümpeljtein, Jean Brian und 
Sohannes Schadinger eingeführt, welch lebtere das Recht er- 
halten, an ihren Kutſchen das Stadtwappen anzubringen. 

Als Poſtbote zur Berbindung mit der ftaatlichen Poſt— 
ftation Nedarhaufen ernannte der Rath 1663 den Lehrer 
Lammerts, (Im Jahre 1664 werden auf furfürftlichen Befehl 
die erjten Bojtpferde eingejtellt). 

Das Zeitungswejen wurde anfangs gleichfalls durch einen 
Lehrer gefördert und zwar durch den Holländer Anton Sigier. 
Diefer verfchaffte dem Rathe etwa vom Jahre 1662 an nieder: 
deutjche und franzöfiiche Zeitungen. 1680 bezieht der Rath 
von dem Buchdruder Wilhelm Walther in der Friedrichsburg 
eine jedenfalls von diejem gedrudte Zeitung. 

Ein erjter Anfang zur Anlegung einer Stadtbibliothef 
wurde mit der Anjchaffung des Repertorium Carpzovianum 


Mannheim vor der Zeritörung (1689) ꝛc. 63 


von Wigandus Mollerus 1676 gemacht. Das Buch ijt jeden- 
falls von einem Verwandten de3 Mannheimer Pfarrers Wil- 
helmus Mollerus verfaßt und wahrjcheinlich durch Vermittelung 
bes Lebteren angejchafft worden. Die Confiscirung eines hier 
von Heilbronn aus colportirten „Zajterjchaftsfalender“ fällt in 
das Jahr 1683. 

Auch die Zahl der Beanıten und ihre Gehälter jagen 
etwas über den Wohlitand der Stadt. Der Rath wird aller: 
dings Hauptjächlich durch Allmende, Steuererläffe und andere 
Bergünftigungen „honorirt“. Allein die Gehälter der Stadt: 
beamten jind für damalige Zeiten jchon beträchtlich. So war 
dem Stadtjchreiber ein Gehalt von 150 fl. und dem Rent— 
meijter ein jolcher von 245 fl. ausgejegt. Die Biirgermeifter 
waren mit auf die Erträgniffe der Sportelbüchſe angewiejen. 
Vom Rathe angejtellt waren außer den jchon hier vorher ge- 
nannten Beamten u. U. noch ein Umgelter, ein Viehjchreiber, 
vier und jpäter acht Quartier» oder Biertelmeiiter, Brunnen: 
meijter, yleiichbejeher, Brodwieger, Weinjchröter, Rhein und 
Nedarfergen, die das Fahrgeld einzunehmen hatten, ein 
Kuhhirt, Geishirt und Schweinehirt und ein jogenannter Cin- 
quenift, der vom Thurme aus die Wache hielt und die Stunden 
„anzublajen“ hatte. Die Bejegung diejer Stellen erfolgt zu 
Martini jeden Jahres. 








VII. 


Die Zerſtörung Mannheims durch 
die Franzoſen. 


Beginn des Krieges — Vorkehrungen zur Abwehr des Feindes — An— 
kunft der Franzoſen vor Mannheim — Beſtechungsverſuche und Verrath — 
Kapitulation — Das Verbrechen Frankreichs an einem freien Kulturleben. 


MH · ber all dem ſich ſo geſund und fröhlich entwickelnden 
Leben einer deutſchen Stadt ſchwebte aber, wie geſagt, ſchon 
das Unheil, das jeden Hauch der Freiheit zu erſticken ſuchte. 
Der alte Erbfeind ſtand auf der Lauer, aufquellende deutſche 
Freiheit zu vernichten. Frankreich mochte ſchon längſt ſein 
Augenmerk gerade auf dieſe aufblühende Stadt gerichtet haben, 
in welcher ſchon die Lüfte einer neuen, freien Zeit wehten. 

Und jo konnte es kommen, daß der trotz ſeines „Sonnen— 
glanzes“ von reaktionären Mächten umſtrickte König Lud— 
wig XIV. ſich gerade auch Mannheim zum Opfer in dem von 
ihm dreiſt vom Zaune gebrochenen Kriege auserſah. Es war 
nicht gut, daß man am franzöſiſchen Hofe vielleicht gerade durch 
die Anweſenheit Eliſe Charlottens ſo viel der Pfalz gedachte. 
Wer weiß, ob man nicht durch dieſen Zerſtörungskrieg auch 
die ſtolze Pfälzerin abſichtlich demüthigen wollte. Ludwig XIV. 
verfolgte die angeblichen Erbanſprüche ſeines Bruders, des 
Herzogs von Orleans, auf das Allodialvermögen des dahin— 
geichiedenen Kurfürjten Karl weiter. 

Die Sache fam auf dem Reichstag zu Regensburg zur 
Verhandlung, ohne zur Entiheidung zu gelangen. Darauf 


Die Zerftörung Mannheims durch die Franzoſen. 65 


rücten die Franzoſen am 4. September 1688 in die Pfalz ein 
und die Zeit, die damit für diefe Land begann, brachte die 
ihredlichiten Ereigniffe jeit feinem Beſtehen mit fich. Ein herr- 
liches deutjches Land zu verwüſten, die großartigen Dome, die 
prächtigen Sclöffer, das blühende Leben überhaupt zu zer- 
ftören, war den Feinden deutjcher Freiheit und Schönheit eine 
wahre Wolluft. 

Aber die größte Schandthat diejes ganzen Raubfrieges, das 
größte Verbrechen an einer aufblühenden neuen Kultur war 
die Zeritörung einer Stadt, in welcher dieje Kultur eine erite, 
freie Stätte gefunden Hatte, war die Zerſtörung der Stadt 
Mannheim. 

Hier war jchon ein Stück deutjcher Freiheit Wirklichkeit 
geworden, ein Vorbild gejchaffen für die freie Entwidelung der 
Städte und damit eine neue Zeit in Deutjchland eingeleitet. 

Die Zertrümmerung einer jolchen, aus dem ſchweren Ringen 
und Kämpfen der Zeit mühjam hervorgegangenen Kulturarbeit 
verdient in der Gejchichte noch ganz bejondere Kennzeichnung. 

Als die Nachrichten von den furchtbaren Verwültungen, 
die die Franzoſen nach ihrem Einfall in der Pfalz fich zu 
ichulden fommen ließen, nad) Mannheim drangen, da erichauerte 
die an ein friedliches, arbeitiames Leben gewöhnte Bevölferung. 
Das Vertrauen auf ihre gute Sache allein ftärfte fie. Aber 
die legte, jchwerfte Prüfung jtand ihr bevor. 

Die allzubehagliche Kleinftaaterei in der Pfalz hatte feine 
genügende VBorjorge getroffen gegen Einfälle von feindlicher 
Seite, 

Der Kurfürſt Philipp Wilhelm, alt und franf, war in, 
feiner Weiſe vorbereitet, jolchen Angriffen zu begegnen. Er 
hatte jelbit noch mit der Befeſtigung feiner neuen Herrichaft 
im eigenen Lande zu thun, in einem Lande, dag er — wie 
ichon oben bemerft wırrde — leer vorgefunden. Als das Wüthen 
der Franzoſen in der Pfalz beganı, hieß es, der Kurfürſt ſei 
vor Schreden darüber geftorben. Allein er war am 10, Oftober 
(1688) nad Neuburg geflüchtet und hatte jein neues pfälzer 
Reich wieder verlaffen. 


Deier, Gelchichte ber Stadt Mannheim, 9 


66 Die Zerftörung Mannheims durch die Franzoſen. 


Zur Befoldung der Soldaten fehlten die nöthigen Mittel, 
ſodaß überall in den pfälzer Städten Meutereien ausbradhen 
und auch die wenigen Truppen in den Augenbliden der höchſten 
Noth noch verjagten. Wie verhältnigmäßig wenige, doc zu: 
verläjlige Truppen dazu gehört hätten, die Franzoſen auch 
aus der Pfalz zu verjagen, das hat die raiche Verdrängung 
des Feindes aus Schwaben dur zwei Negimenter Kavallerie 
bewiejen. Allein die ganze Pfalz war ohne jeden organifirten 
militäriichen Schuß und jo ftanden dem franzöfijchen Heer nur 
vereinzelt vorhandene Truppen gegenüber. 

Leiht war es daher für Frankreich, ein jo jchußlojes 
Land zu überfallen und zu zeritören. Daß man aber ein 
ganzes Land mit ſyſtematiſcher Planmäßigkeit und voller Kalt- 
blütigfeit in eine Wüſte zu verwandeln verjuchte, das wird für 
alle Zeiten ein arger Schandfled in der „Sonne“ des franzöfijchen 
Neiches bleiben. Eine ſolche Handlungswetje ijt in der ge- 
jammten Weltgejchichte jelbit in barbarijchen Zeiten nur jelten 
wiederzufinden. 

Die Vorkehrungen, die in Mannheim zur Abwehr des 
Feindes getroffen wurden, jtanden von Anfang an unter der 
Ausfichtslofigkeit auf irgend welchen Entjag. Die von dem 
Gouverneur der Stadt, dem unjeligen reiherrn von Seeligen: 
fron und dem in taujend Aengſten jich befindenden Schultheißen 
und Stadtrath verkündete Verordnung läßt den Vertheidigungs: 
zuftand Mannheims nicht jehr verheigungsvoll ericheinen. Es 
lautet dieielbe: 

1. daß zuvörderit aller Bürger und Einwohner Gewehr 
und Proviant vilitiret, dabei auch einem jeden anbe— 
fohlen werde: 

2, einen Kleinen Schanzforb auf dem Wall zu machen 

. vor jeder Hausthüre einen Kübel voll Waſſer, und 
nachts im Haus ein brennend Lıcht zu halten; 

4. zur Zeit des Lärmens, welcher durch drei Schuß vom 
Windmühl-Bollwerk aus der Feſtung angezeiget werden 
wird, joll ein Jedweder mit dem Gewehr auf jeinem 
angewiejenen Orte ericheinen, und jollen die Bürger und 


e3 


Die Zerftörung Mannheims durch die Franzoſen. 67 


fedige Mannichaften nachfolgende Vojten bejegen: a) das 
Nheinthor- und Garten-Bollwerk Herrn Lantellier und 
Logets Compagnien, als von jeder Compagnie Die 
Hälfte, ein Bollwerk, b) das Krahnen- und Biegel- 
bollwerf, Herr Bouchet als jedes Bollwerf mit einer 
halben Compagnie; c) das Stein» und Bronnenboll- 
werf Herr Milkhauſen und Auerfams halbe Compagnie ; 
d) das Juden» und Knochen= Bollwerk, diejer zwei 
Hauptleute übrige halbe Compagnien. 

5. Nun aber, und bis der Feind approcdiret, jollen alle 
Naht von drei Bürger - Cumpagnien die Quart aus» 
ziehen, und bei dem Heidelberger Thor von dem Herrn 
Commandanten Schenk die Ordres erwarten, die übrigen 
aber jich in ihren Häujern parat halten; 

6. die alldier jich befindlihen Piemontejer jollen in Re— 

jerve auf dem Sand vor der Feſtung jtehen ; 

. die Maurer und Zimmerleute, Wiedertäufer und Juden 
jollen in die vier Quartiere der Stadt verlegt und von 
den Viertelmeiftern commandirt werden, um in ber Zeit 
der Noth mit gebührlichem Löjch:- Werkzeug dem Brand 
zu wehren. 

8. Die Nedarbrüde joll, bis der Feind herannaht, jtehen 
bleiben, alsdaun aber in guter Ordnung abgeführet 
und diesjeits bei dem Krahnen gejtellt werden. 

. Die Compagnien beitehen in: 


— 


2 
— 


Rantelier . .» .» ..200 Mann 
Loget 
Bouchet.250, 
Wilckhauſen ei ae ED: 
Aurlom® . ...125 „ 
Biemontejer . . . . 150 „ 


Summa 1050 Mann 
ohne Maurer, Wiedertäufer und Juden. 

Solange die Waſſer- und Landſtraßen nod offen waren, 
wurde aus Mannheim Hab und Gut jo jchnell wie möglich 
geflüchtet. Am 22. Oktober jehnitt der Feind zunädit Die 

5* 


68 Die Zeritörung Mannheims durd die Franzoſen. 


Waſſerſtraße des Nedars für Ausfuhr und Zufuhr ab und 
bald waren auch die übrigen Straßen zu Waſſer und zu Land 
in der Hand des Feindes. 

Der Raubzug der franzöfiihen Truppen durch die Pfalz 
hatte ſich in leichter Weije vollzogen. Eine friedliche, meiſt 
ländliche Bevölkerung wurde von raffinirten Beutefuchern raſch 
bewältigt. Charafteriftiich für Ddiefen „Krieg“ war es, daß 
zwiichen den feindlichen Parteien gar oft ruhig die Heerden 
meideten — jo recht bezeichnend für die Jdylle, die hier herz» 
(oien Zerſtörern zum Opfer fiel. 

Gleich nad) der am 25. September erfolgten Einnahme 
Kaiſerslauterns durch Bouffler® und 2a Breteche hatte ſich 
der Kurfürit Philipp Wilhelm von der Friedrichsburg aus 
durch ein Schreiben an den zuleßtgenannten General über das 
Borgehen der franzöfiichen Truppen heftig bejchwert, allein ohne 
jeden Erfolg. Alzey, Neuftadt, Oppenheim, Worms, Speyer 
fielen rajch in die Hände der Franzoſen. Heidelberg fapitu- 
lirte am 24, Oftober und die Franzoſen jpotteten, daß ſie hier 
Stadt und Schloß für einen Reiſepaß eingetaujcht hätten, 
da eine Hauptbedingung der Uebergabe war, den Deutjchmeifter 
Anton Ludwig, einen Sohn de3 Kurfürften, in Frieden ziehen 
zu laſſen. Zahlreiche Orte des Odenwaldes erlagen Melac’s 
Zerjtörungsmwuth. 

Philippshurg erklärte am 30. Oftober feine Kapitulation. 
Hier befand fich der von Philipp Wilhelm 1685 als Oberbe- 
fehlshaber der pfälztichen Truppen eingejegte Geheimrath und 
faijerliche Gouverneur Graf Marimilian Lorenz von Star: 
hemberg, der jomit durch die Belagerung der Feſtung gleich 
bei Beginn des Krieges von jeder Aktion zur Organijatton ber 
Vertheidigung der Pfalz überhaupt ausgejchlojfen wurde. 

Sp wenig hatte diejer hohe Herr den Einfall der Frans 
zojen in die Pfalz vermuthet, daß er ji; gerade dem Vergnügen 
der Jagd bingab, als die Feinde vor Philippsburg ankamen, 
und fi nur mit Mühe vor jofortiger Gefangennahme in die 
Feſtung retten Fonnte. 

Non Ladenburg aus verjuchte General Montclar am 


Die Zeritörung Mannheims dur die Franzoſen. 69 


1. November dem Gouverneur von Mannheim, Freiherrn 
Bernhard Seeliger von Seeligenfron, eine Aufforderung zur 
Uebergabe der Stadt zu überjenden, welches Schreiben folgender- 
maßen lautete: 


„Monsieur! Nachdem euer Plab brennt, und ihr 
feinen Succur3 weder zu hoffen noch zu erwarten habt, 
al3 überjende euch gegenwärtigen Trompeter, welcher von 
euch einen guten Bahport für den Obriiten-Lieutenant de 
Bellerour begehren ſoll. Er Hat des Teutichmeiiters und 
bochfürftliche Durchlaucht nad) Mergenthal begleitet, und 
wird euch berichten, aus was für Bewegungsgründen 
diejer Prinz die Stadt und das Schloß Heidelberg an 
Monfieur le Dauphin übergeben Hat; werdet ihr als» 
dann nicht lange verweilen, jeinem Erempel nachzufolgen, 
damit ihr hierdurch gleichjalld einen ehrlihen und 
reputirlihen Accord von Monjeigneur erhalten 
möget.“ 


Allein Freiherr von Seeligenfron machte in diejer Sache 
kurzen Prozeh. Er verbot dem von Montelar abgejendeten 
Trompeter überhaupt erſt über den Nedar zu fommen. Er lief 
ihn dort durch einen Hauptmann abfertigen und ihm nur jagen, 

„dab er zwar gegen Se. Durchlaucht des Teutjch- 
meiſters höchſte Perſon die tiefite Verehrung hege, und 
über den von höchitdemielben getroffenen Accord feine Be— 
merfung ſich zu erlauben wage, aber in jeiner Lage 

Niemand anderem, als des Kurfürjten von der Pfalz 

und deijen Kurprinz unmittelbaren Befehlen zur Ueber- 

gabe der Stadt und Feſtung Folge geben werde, er 
jonad) den Herrn General Montelar nach Kriegsgebrauch 
erwarte.“ 


Wie ſchon oben erwähnt, war dem Könige von Frankreich 
an der Einnahme und Zeritörung Mannheims viel gelegen. 
Man Hatte vorerjt Pläne, die Stadt durch ein Bombardement 
zu zeritören oder jie nach der Einnahme zu entfejtigen. Die 
ruchloje Idee, die Stadt nach der Eroberung völlig Nieder- 


70 Die Zeritörung Mannheims durch Die Franzoien. 


brennen und dem Erdboden gleich machen zu wollen, wagte 
man troß aller Gewijjenlofigfeit noch nicht zu faſſen. 


Der Uuartiermeilter Chamlay jchlägt dem franzöjiichen 
Miniiter Louvois zunächit die völlige und jchleunige Schleifung 
Mannheims vor, damit man dadurch irgendwelchen Friedens— 
bedingungen, die die unverjehrte Rüdgabe Mannheims fordern 
fünnten, zuvorfonme. 


Mit welchen niederträchtlihen Mitteln in diejem joge- 
nannten Feldzuge gewirthichaftet wurde, dafür giebt die gleich 
nad) Ankunft des Heeres vor Mannheim durd) VBerräther in 
der Stadt vertheilte, auf über 60 Zettel gedrudte Aufforderung 
ein nicht zu verfennendes Beiipiel. Dieje auf gemeine Be— 
jtehung binauslaufende Aufforderung lautete: 


„Es wird hiermit dem jämmtlichen Rath und ber 
Bürgerjchaft der Stadt und Feſtung Mannheim im 
Namen Monjeigneur le Dauphin ganz ernitlich zu wiſſen 
gethan, daß, wofern jie die Stadt heute Dato (3. Novem- 
ber) innerhalb zwei Tagen Ihrer Köriglichen Hoheit nicht 
‚übergeben werden, nicht mur allein die Stadt gänzlich 
geplimdert und abgebrannt, jondern auch gegen die Ein- 
wohner mit aller Schärfe ohne einige Gnade verfahren 
werden joll; im all aber fie die Stadt innerhalb ob- 
beitimmter Zeit übergeben werden, jo veripricht Ihro 
Königliche Hoheit denjelben alle Gnade, und fie bei ihrem 
alten Herfommen, ohne einige Aenderung zu laſſen; 
denen Soldaten aber, jo ſich wider ihre Dffi- 
ziers aufrührerijch zeigen, und eines Bollwerks 
jich alsdann, oder eines Theiles bemädhtigen, 
und diejes ihres Vorhabens ein Zeichen geben 
werden, verjprehen Ihro Königliche Hoheit nicht 
nur allein einem Jeden injonderheit 10 Louis— 
d’or, jondern auch einen guten Paß oder Dienft 
unter Ihro Königlihen Majejtät Truppen, und 
ihre Dffiziers zu völliger Bezahlung ihres rück— 
jtändigen Solds anzuhalten.“ 


Die Zeritörung Mannheims durch die Franzoſen. 71 


Hier mit der Eroberung Mannheims jollte jich der Dauphin, 
der jchon wegen der Einnahme Philippsburgs in contumaciam 
zu Verjailles gefeiert worden war, noch jeinen höchſten Kriegs— 
ruhm erwerben. Der mit Maria Anna Bictoria (Tochter des 
Kurfüriten Ferdinand Maria von Bayern) verheirathete Dau— 
phin Louis von Frankreich war zu diejer Zeit, in der man es 
für nöthig hielt, ihn durch irgend eine „Heldenthat“ hervor- 
treten zu laſſen, bereit3 27 Jahre. Er jollte aber den eigent- 
lihen Lohn für einen jolden Ruhm nicht ernten, denn er 
fam überhaupt nicht an die Regierung. Er jtarb noch vor dem 
Tode Ludwigs XIV. im Jahre 1711. Ihn, den Dauphin 
Louis, Hatte man dazu auserjehen, die Pfalz zu — erobern, 
nicht den Herzog von Orleans, der doch wahrhaftig für jeine 
Intereſſen hätte jelbjt kämpfen können. Wenn irgend etwas 
die unehrlichen Abjichten diejer Kriegsunternehmung zeigt, To ift 
es died. Die Herzogin von Orleans, die muthige Pfälzerin, 
jagte dies auch dem Dauphin in's Geficht, als er ihr beim 
Abſchied vor jeiner Abreife in die Pfalz verfichern wollte, daß 
er den Krieg nur in ihrem Intereffe führe. 

Nachdem das franzöfiihe Heer von Bhilippsburg nad) 
Mannheim gerückt war, fam der Dauphin mit dem gejammten 
Seneraljtab am 4. November Morgens unter den heftigiten 
NRegengüffen vor Mannheim an. Das Hauptquartier errichtete 
man in Nedarau. Der Uebergang über den Nhein war bei 
Rheingönnheim genommen worden und der Uebergang über den 
Nedar fand bei Feudenheim, von den Franzoſen Widenheim 
genannt, jtatt. Zur Erbauung von Schiffbrüden führten die 
Franzoſen jehr tragfähige Kupfernachen mit, die nach Angabe 
des berühmten Feſtungsbaumeiſters und Ingenieurs Vauban 
gebaut waren. Bauban jollte auch vor Mannheim die Be- 
(agerungsarbeiten leiten. Er war überhaupt der eigentliche Leiter 
diejer Belagerung. Der Dauphin und jeine Generale waren 
nur ammwejend, um jchließlich den Ruhm einzuheimfen. 

Während nun Vauban jeine Arbeiten vor der Feitung 
begann, Herrjchte in der Stadt und Feſtung Mannheim leider 
Unfrieden und Streit. 


72 Die Zeritörung Mannheims dur die Frauzoſen. 


Vergeblich hatte der Gouverneur von Seeligenfron jchon 
vor Herannahen des Feindes einen Bericht an den Striegs- 
Commilfionsrath gerichtet und den Mangel an genügenden 
Truppen, an Lebensmitteln und Geld in lebhaften Farben ge— 
ſchildert. Weſentliche Hilfe erhielt er nicht. 

Ein Betrag von 3500 fl., der dem Gouverneur vom 
Deutjchmeijter noch vor deſſen Abreije von Heidelberg aus 
gejendet wurde, reichte gerade, um den Offizieren eine halbe 
Monatsgage und den Gemeinen 10tägige Löhnung auszuzahlen. 
E3 mußten Gewaltmaßregeln ergriffen werden, um mur Die 
nöthige Nahrung für die Mannichaften zu erhalten. Unter Anz 
drohung der Anwendung von Gewalt wurde von den Bürgern 
die Lieferung von Fleiih und Wein gefordert und die im kur— 
fürjtlichen Befige befindlichen Zehntfrüchte mußten beichlag- 
nahmt werden, um Brod zu erhalten. 

Großen Schreden verurjachte auch die Entdeckung ſchmäh— 
lihen Berrathes in der eigenen Stadt — jedenfalls eine Folge 
des colportirten, oben mitgetheilten Bejtechungsichreibens. Man 
fand an der Thür und dem Fenſter des Stellers der Kanzlei, 
in welchem 300 Gentner Pulver lagen, eine brennende Lunte 
angelegt. Glücklicher Weile fam durch die rechtzeitige Entdeckung 
die ruchloje Abficht nicht zum Austrag. Bürger wurden be— 
ordert, den Seller jcharf zu bewachen. Inzwiſchen hatte General— 
leutnant Marquis de Joyeuje die linksrheiniſchen Feſtungswerke 
mit 3 Bataillonen Fußſoldaten und 2 NReiterregimentern raſch 
in Beliß genommen. Vauban ließ über dem Rhein 8 Gejchüte, 
jogenannte Ricochetfanonen, aufitellen. Sein Plan war, zus 
erit die Stadt, dann die Citadelle zu erobern. Auch über dem 
Nedar kamen Geſchütze zur Aufftelung, die das Nedarthor und 
Krahnenbollwerk beſchießen jollten. In der Nacht vom Montag 
den 8. bis Dienjtag den 9. November wurde ein Laufgraben 
am Baumgarten troß jtarfen Feuers der VBürgerwehr von den 
Franzoſen bis 60 Schritt an die Stadt herangeführt. Der 
Dauphin war jelbjt bei der Eröffnung dieſes Laufgrabens zu« 
gegen. 

In der folgenden Nacht gelang es Bauban au, einen 


Die Zerftörung Mannheims durd die Franzoſen. 13 


Laufgraben von der Eichelsheimer Schloßruine aus bis nahe 
der dem Rheine zu gelegenen Fronte ber Feſtung jelbit zu 
führen. Während die jchon durch das Ausbleiben der Löhnung 
läjjig gewordenen Soldaten in der Feſtung jangen und jpielten, 
fonnte hier der Feind jo nahe an die Mauern beranrüden. 
Dagegen Hatte ſich die Bürgerwehr an der anderen Seite 
der Stadt jo wachſam und muthig erwiejen, daß die Fran— 
zoſen dort jehr weientliche Berlufte erlitten. 

Mannheim war volljtändig von den Feinden umzingelt, 
auf allen Seiten waren Batterien zur Beſchießung der Stadt 
aufgejtellt und die Laufgräben machten das Vorrüden der fran- 
zöftihen Truppen an Stadt und Fejtung bis zu unmittelbarer 
Nähe möglih. So konnte das raffiniert vorbereitete Zer— 
ftörungswerf erfolgreich beginnen. 

Am 3. November wurde die Beichießung der Stadt an- 
gefangen und bis zum Morgen des 10. November fortgejebt. 
Das furchtbare Flammenmeer, das durch die brennenden Häujer 
entjtand, jegte die Bürger in großen Schreden. Viele eilten 
von ihren Posten zu ihren Familien, um ihre Angehörigen 
und ihr Hab und Gut zu retten. 

Die Frauen legten fih in’s Mittel und wollten auf 
eigene Verantwortung dem Unheil ein Ende machen Sie 
liefen in ihrer Verzweiflung auf die Wälle und winften mit 
weißen Tüchern, um damit die Uebergabe der Stadt anzus 
fündigen. Die Bevölferung wollte den Rath zwingen, Die 
Uebergabe der Stadt bei dem fich dagegen wehrenden Gouver— 
neur durchzujegen. Der Rath mußte jchließlich dem Drängen der 
Bürgerichaft nachgeben. Er jucdhte dem Gonverneur durch einen 
Bericht die verzweifelte Lage der Bevülferung und die Noth- 
wendigfeit der Uebergabe vorzujtellen. Auf diejen Bericht hin 
berief der Öouverneur Freiherr von Seeligenfron jogleich einen 
Kriegsrath, in dem bejtimmt wurde, daß dem Rathe die Ein- 
leitung von Verhandlungen mit dem Dauphin zu geitatten jei 
unter jtrengiter Einhaltung der VBerjicherung, eine Kapitulation 
nur unter Genehmigung des Gouverneurs abzujchliegen. 

Am Abend des 10. November begaben jich zwei Raths— 


74 Die Zerftörung Mannheims durch die Franzoſen. 


herren und der Stadtichreiber in das Hauptquartier des fran- 
zöfiichen Generaljtabs nach Neckarau. Die Führung der Depu— 
tirten durch das Lager übernahm Marſchall Duras. Der 
General malte ihnen unterwegs die Situation in ſchwärzeſten 
Farben ab und eröffnete den angfterfüllten Räthen, daß es 
die höchſte Zeit jei zur Uebergabe, denn in folgender Nacht 
würde jonit die Stadt von den Grenadiren erjtürmt und ge- 
plündert werden. 

Im Hauptquartier wollten die abgejandten Räthe dem 
Dauphin ihre Kapitulationsbedingungen unterbreiten, allein 
Monjeigneur ignorirte dieſe vollftändig. Er übergab den Räthen 
einfach einen Zettel, den er jelbjt mit Unterjchrift und Siegel 
verjah und der folgendes enthielt: 

„Nachdem der Mannheimer Stadtrath und die Bürger- 
ihaft fich meiner Discretion ergeben als bin ich ge— 
meint, jie ſämmtlich beiihren Privilegien Redten 
und Geredhtigfeiten zu erhalten, und im Falle der 
Gouverneur von der Feſtung oder die pfälziiche Gar— 
nifon durch Einwerfung deren Bomben, oder mit ihren 
Kanonenjchüffen denen Kirch’ oder Häufern in der Stadt 
einigen Schaden zufügen werden: jo follen ſie von mir 
weder Quartier, nod Kapitulation befommen. Ich be= 
gehre Hingegen vermöge daß, jo ich durch gegenwär= 
tiges Schreiben dem Rath und der Bürgerjchaft accor- 
dire, daß fie morgen frühe, al dem 11. November, meinen 
Truppen jo ich dahin commandiren werde, der Stadt 
Nedarthor einräumen jollen und jolches durch meine 
Völker bejegen laſſen.“ 

Gegeben im Lager vor Mannheim den 10. November 
1688. Louis. 
Der Gouverneur Freiherr von Geeligenfrun war über 

diejes Nefultat der Verhandlungen empört und verweigerte auf 
das Beſtimmteſte jeine Einwilligung zu diejer Kapitulation. 
Er mochte vielleicht mit hellem Blick das jpätere Schidjal der 
Stadt vorausjehen und dachte jih wohl, um was es ich hier 
handelte. 


Die Zeritörung Mannheims durch die Franzoſen. 75 


Als am folgenden Morgen den 11. November die fran- 
zöftichen Truppen durch das Nedarthor in die Stadt einziehen 
wollten, verweigerte der Gouverneur die Schlüffel. Es fam zu 
einem Aufitand der Bevölkerung gegen die Soldaten und den 
Gouverneur. General Duras lich das Thor einjchlagen und 
das Volk half dabe. Der Gouverneur mußte der Gewalt 
nachgeben und befahl den 300 in der Stadt liegenden pfälziichen 
Soldaten, ſich mit den Fahnen, den Kanonen und der Munition 
in die Feſtung zurüdzuziehen. Allein nur 40 Mann unter 
dem Commando des Obriſt-Leutnants Perden und Majors 
Wagner folgten diejem Befehl des Gouverneurs. Die übrigen 
diejer Soldaten traten zu dem Feind über mit der Erklärung, 
„ne hätten ihre Sache ſchon ausgejtanden und jeien nicht 
ichuldig, in der Feſtung zu kämpfen.“ 

Drei franzöftiche Infanterieregimenter zogen in Die Stadt 
ein und Vaubans Arbeiter begannen jogleih vom Heidelberger 
und vom Rhein-Thor aus Yaufgräben gegen die Feſtung ber: 
zujtellen. 

Das heftige Bombardement, das nunmehr auch von der 
Stadt aus zugleih mit der Beichiegung von der Rheinſeite 
aus gegen die Feſtung eröffnet wurde, riß große Breichen in 
die Feſtungswerke, bewirkte eine Bulvererplofion, die eine ganze 
Batterie in die Luft jchleuderte, und tüdtete und vermundete 
viele Soldaten. Bejonder8 wurden der rothe Thurm und fein 
Yußenwerf vor der Eichelsheimer Schlofruine jtarf beichädigt. 

Von hier aus war dem Feinde aufs Wirkſamſte zu: 
gejeßt und jein Herannahen verhindert worden. Die Poſition 
hätte dem Feinde auch noch weiter große Schwierigkeit ge— 
macht, wenn bier nicht die offene Meuterei der Soldaten 
ausgebrochen wäre. 

Aufgeftachelt durch einen feigen Verräther Namens Hart: 
mann Schüß hatten die Soldaten ein Complott gejchmiedet und 
geichworen, alle Offiziere zu ermorden, wenn nicht capitulirt 
würde. 

Auch die Offiziere jchlugen angeſichts dieſer Rebellion 
der Soldaten die Kapitulation vor; allein der tapfere Gou— 


76 Die Zerftörung Mannheims durch die Yranzoien. 


verneur eilte jelbjt an den von den Soldaten bis auf einen 
Mann verlaffenen wichtigen VBertheidigungsplag des rothen 
Thurmes .und wußte die Soldaten wirklich zu bewegen, ihre 
Poſten wieder einzunehmen. 


Sie forderten nur in Anbetracht ihrer Erichöpfung 
durch den langen Kampf baldige Ablöjung. 

Der Gouverneur befahl deihalb einer anderen Abthei— 
lung die Beſatzung des Thurmes abzulöjen. Allein hierbei 
jtieß er auf den beftigiten Widerjtand und jener Verräther 
Hartmann Schüß jchrie dem Gouverneur zu: „Welcher Teufel 
will da hinüber auf die Mebelbant gehen. Es tit nicht mehr 
um die Zeit, daß die Offizierd Meifter find; man zahle uns 
in’3 Teufelsnamen unjeren rücjtändigen Sold!* Und mit den 
Worten: „Wird nochmal die Communicationsbrüde und das 
Schiff zujammengeichoffen, wo joll man fich nachgehends hin 
retiriren?“ juchte er jogar dem Gouverneur die erfolgreiche 
Vertheidigung des Platzes zum Vorwurf zu machen. 


Der Gouverneur war jprachlos vor Zorn und wollte ohne 
Metiteres den Verräther mit einem Gewehre, das er einem 
Soldaten entriß, niederjchießen, allein ein Stabsoffizier jchlug 
das Gewehr beiieite, um das Aeußerſte zu verhindern. Aber 
der Näbdelsführer Schüb benußte den Borfall raih, um die 
Nebellion zu ſchüren und rief den Soldaten zu: „Ihr Burſche, 
haltet euch an mich; ich will euer Obrift jein; wir wollen die 
Bluthunde, die Offiziers, über den Haufen ſchießen, ftedt einen 
doppelt brennenden Lunten an!" Und die Soldaten ließen Sich 
durch diefe Aufforderung dazu Hinreißen, dem Gouverneur die 
Gewehre auf die Bruft zu jehen mit dem Gejchrei: „EI tt 
nicht mehr um die Zeit, gieb uns unjeren rüdjtändigen Lohn, 
oder Du bijt des Todes!” 

Damit war das Zeichen zur allgemeinen Meuterei ge: 
geben. Die Dragoner und Infanteriften verließen den Wall, 
und das Zeughaus jollte erbrochen werden. 

Da erkannte auch der Gouverneur die Unmöglichkeit, die 
Feſtung länger zu halten. Die große Geſinuung, der Muth 


Die Zeritörung Mannheims durch die Franzoſen. 17T 


dieſes ausgezeichneten Mannes war nicht im Stande, Trägheit 
und Verrath gegenüber den Sieg davonzutragen. 

Freiherr von Seeligenfron verjammelte alle Offiziere um 
jih und legte ihnen die Frage vor, was in einer folchen 
Lage weiter zu beginnen jei. Die einſtimmige Antivort war, 
daß eine Kapitulation nicht länger zu vermeiden. ber bie 
Beweggründe zu diejem Entſchluß wurden mit Folgendem durch— 
aus flar geitellt: 

„Die Feſtung wird nur darum dem Feinde übergeben, weil 
wegen der ausgebrochenen Meuterei in der Garnifon unter 
welcher der Haupträdelsführer Hartmann Schütz den Franzoſen 
von dem rothen Thurm ein Zeichen zu geben verjprochen, und 
nur deshalb daran verhindert worden, weil die Stiege auf 
diefjem Thurme abgebrochen war, johin jein Vorhaben zwar 
nicht ausführen konnte, aber deßhalb an eine getreue Verthei- 
digung nicht mehr zu denfen jet.“ 

Die Kapitulationsbedingungen enthalten 17 Abjchnitte und 
wurden nocd am 11. November in Friedrichsburg aufgezeichnet. 
Der Dauphin „accordirte* jie und zwar ohne Veränderung. 

Dadurch geitaltete fih die Kapitulation durchaus ehren— 
voll für den Gouverneur, den jelbjt die Feinde ala energiichen 
und opfermuthigen Soldaten rejpectirten. 

E3 wurde gewährt, daß die Garniſon aus der Feſtung 
mit Fingendem Spiel, mit fliegenden Fahnen, Musfeten auf 
der Schulter, Kugeln im Mund, brennenden unten und zwei 
Kanonen abzieht. Die Offiziere dürfen ihre Kutſchen und 
Wagen mit Gepäd und Mobilien mitnehmen. Die Garnijon 
fann ihren Weg unter ficherem Geleit nah Frankfurt und 
Düſſeldorf einichlagen. 

Den zurücdbleibenden Bürgern der Stadt und Feitung 
wird die volle Einhaltung der Privilegien, jo auch in Reli— 
gionsjachen, zugelichert. 

Freitag den 12. November früh Morgens erfolgte Die 
Uebergabe der Feitung durch Deffnung des Thores an der 
Stadtjeite, durch welches zunächit ein Bataillon franzöſiſcher In— 
fanterie in die Friedrichsburg einzog. 


78 Die Zeritörung Mannheims durch Die Franzoſen. 


Bon pfälziihen Soldaten jammelten ſich am folgenden 
Tage, Samjtag den 13. November, etwa 400 um den Gou— 
verneur. Nachmittags 2 Uhr marjchirte die pfälziiche Garnijon 
unter Elingendem Spiel und wehenden Fahnen durch das Rhein— 
thor aus der Feſtung. Am Rheinthor hatte ſich der Dauphin 
mit dem Generaljtab aufgejtellt, um die Garnijon vorbeidefiliren 
zu lafjen. 

Der Gouverneur Freiherr von Seeligenfron war von jeinem 
Pferde abgeitiegen, um dem Dauphin die üblichen Ehrenbe- 
zengungen zu erweijen und jich mit der nochmaligen Berfiche- 
rung zu verabichieden, daß er die Feſtung nur im Folge der 
Meuterei übergeben habe. Der Dauphin ließ dies durchaus 
gelten und erwiderte: „Daß er dieſes Unglück wohl erkenne, 
ihn zwar bedauere, aber ihm das Zeugniß ertheile, als Mann 
von Ehre und Pflicht jich tapfer vertheidigt zu haben.“ 

Unterwegs jollte der Gouverneur noch in neue Bedräng- 
niß fommen und zwar Durch die eigenen Soldaten. Kaum 
hatte in Eberjtadt die aus 50 franzöſiſchen Reitern bejtehende 
Escorte am 16. November den Gouverneur und jeine Soldaten 
verlafjen, jo brady unter diejen neue Meuterei aus und eine 
Anzahl Dragoner bedrohten den Gouverneur mit dem Tode, 
wenn er ihrer Fahnenflucht irgend etwas in den Weg legen 
wolle. 

Freiherr von Seeltgenfron fand zunächjt bei einem Darm— 
jtädtifchen Gardemajor Schuß und Hilfe, und als er mit einer 
kleinen Schaar von Getreuen über Frankfurt nad Heſſen-Kaſſel 
gelangte, konnten er und jeine Leute vorläufig wie andere Hülfs- 
truppen in die Dienjte des Landgrafen treten bis vom Kurfürft 
der Balz weitere Befehle eintreffen. 

Der Abzug der Truppen aus Mannheim hatte auch 
noch ein militärgerichtliches Nachipiel, Gegen den Freiherrn 
von Seeligenfron wurde eine Unterjuchung eingeleitet wegen 
der Uebergabe der Stadt. Allein dem tapferen Gouverneur, 
der jich jogar während der Belagerung erboten hatte, aus jeiner 
eigenen Taſche den Sold der Bejagung zu bezahlen, war auch 
nicht die geringſte Pflichtwidrigfeit vorzumwerfen. Man bejchul- 


Die Zeritörung Mannheims durd die Franzoſen. 79 


digte ihn auch, bei dem Abzug der Truppen die ihm be— 
willigten beiden Kanonen nicht mitgeführt zu haben, aber er 
hatte nur wegen der Schwierigkeit des Transportes mit den 
Franzoſen vereinbart, daß ihm dieje Kanonen per Schiff nachge- 
ſchickt werden jollten, was aud) geichehen ift. 

In dem durch den Wegzug der pfälziichen Truppen völlig 
ihuglojen Mannheim begann nunmehr unter der Herrichaft der 
Franzoſen eine Zeit ſich heimlich entwidelnden Verrathes bis 
zum offenen brutalen Bruch aller Berficherungen und Ge— 
löbniſſe. 

Zum Oberbefehlshaber in Mannheim wurde der franzöſiſche 
Oberſt Harcourt ernannt. Er machte jich ſchleunigſt an Die 
Zerjtörung der Feſtung, ließ die von Vauban als vortrefflic) 
bezeichneten Kanonen der Feſtung nad) Philippsburg abführen, 
das Zeughaus mit den darin aufbewahrten Schägen ausplündern, 
die Wälle der Stadt und das prächtige Furfüritliche Schloß 
demoliren und von der Bürgerichaft als jog. Glodenranzion 
(zur Auslöjung der Gloden) 20000 fl. fordern. 

Die Soldaten des Bigard’ichen Infanterie = Regiments 
und des Bourbon’ihen Reiter-Regiments juchten auf eigene 
Fauſt den Bürgern der Stadt Speije und Tranf für ſich in 
unmäßiger Weije, rejp. auch überreichliche Berjorgung ihrer 
Pferde abzupreſſen. 

Die Bürgerjchaft bat in ihrer Noth den General-Inten- 
danten Le Grande um Abhilfe, wurde jedoch von diejem rohen 
Gejellen grob abgewiejen. Auch eine Verordnung des Kriegs- 
Kommiſſärs La Serre, welche die Verpflegung der Truppen 
genau bejtimmte (3. B. pro Mann des Tages nicht mehr wie 
1 Pfund Fleiſch und eine halbe Maß Wein, für die Offiziere 
3—12 Halbe Maß Wein), blieb zunächſt völlig unbeachtet und 
wurde erſt dann einigermaßen eingehalten, als General Mont- 
clar nad Mannheim zurüdfehrte und diesbezüglich jtrengjten 
Befehl ertheilte. Auch die Angjt der Bevölkerung vor Brand- 
legung und Plünderung juchte der als menichenfreundlich ge— 
ichilderte General Montelar zu beichwichtigen. 

Dankbar für dieje tröjtenden Worte in Noth und Unge— 


30 Die Zeritörung Mannheims durch die Franzoſen. 


mach, juchte die Bürgerichaft den franzöfiichen Truppen freundlich 
entgegenzufommen. 

Aber alle Hoffnung auf Redlichkeit und Erbarmen war 
umjonft. 

Mitten in der Waffenruhe, ohne jede Urſache und ohne 
jeden Kampf jollte die Vernichtung der friedlichen Stadt voll: 
zogen werden. 

Am 3. März 1689, aljo vier Monate nad) der Kapitu— 
lation, nachdem hier alle Feindſeligkeiten längit aufgehört 
hatten, wurde von dem Intendanten Ze Grande bei Anweſen— 
beit aller Generäle dem Rath eröffnet, daß laut Königlichen 
Befehl die Stadt und Feſtung niedergerijfen und dem Erdboden 
gleich gemacht werden jollte. 

Die Bejtürzung der Rathsherren bei dem Empfang diejer 
Scredensnahricht war jo groß, da jelbjt die Generäle, dieje 
hart gewordenen Kriegsleute, ein menschliches Rühren empfanden 
und die ganze Schuld auf den Befehl des Königs abzuwälzen 
verjuichten. 

Man ftellte es den Bürgern anheim, jelbjt ihre Häuſer 
niederzureißen und ließ befannt machen, daß denjenigen, welche 
in das Elſaß, nad) Straßburg oder Landau überziehen wollten, 
nicht nur ein Paß und Pla zum Bauen, jondern auch eine 
10jährige PVerjonalfreiheit und freie Ueberfuhr ihrer Mobilien 
werde ertheilt werden. 

Aber feiner der freien Bürger ging auf ein jolches Pak— 
tiren mit dem Feinde ein und die Bürgerichaft begehrte nur 
freien Abzug, der unter allerhand Chikanen ſchließlich gewährt 
wurde, 

Doch nur ein Theil der Bürgerichaft vermochte überhaupt 
an den Ernit der Lage zu glauben, gar viele hielten die Zer— 
ftörung ihrer guten Stadt ohne jede Veranlafjung mitten im 
ruhigen Leben überhaupt nicht für möglich und verließen ihre 
Wohnungen nicht. 

Als daher am 5. März eine Horte von 400 Soldaten und 
Mordbrennern die Vernichtung der wehrlojen Stadt begann, 


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82 Die Zeritörung Mannheims dur die Franzoſen. 


trafen die Zerftörer in den Wohnungen vielfach) noch die Bürgers- 
leute an, denen fie Haus und Habe vor den Augen zertrüm— 
merten und entrifjen. 

Aber im Rauſch und Taumel der Zerjtörungsarbeit 
wuchs die Beitialität der Soldaten, das Einreißen der Häujer 
ging ihmen zu langjam — die Brandfadel jollte den Untergang 
der Stadt beichleunigen. 

Nachts 10 Uhr erreichte die Zerftörungswuth der Mord- 
brenner ihren Höhepunkt — an die noch jtehenden Häuſer 
wurde Feuer gelegt, und die Keller, in denen viele Bürger auf 
den Rath der Generäle Hin ihre Sachen geborgen hatten, wur— 
den mit Pulver gejprengt. 

Durd die von dem Flammenmeer der brennenden Häufer 
grell erhellten Straßen der Stadt irrten unter Wehflagen und 
Hilferufen Weiber und Kinder und die Väter juchten ihre 
Familien zu jammeln, um aus ihrer jo plöglich in einen Ort 
des Schredens verwandelten Heimath zu fliehen. 

Das Thor am Nedar jtand offen und eine Rettung 
über die Brüde war noch möglid. Da wollte es ein unglüd- 
licher Zufall, daß gerade auf der anderen Seite des Nedars 
eine Abtheilung jächliicher Dragoner anfam und ein franzöſiſcher 
Offizier Namens du Buiffon erjchoffen wurde, der den fliehen- 
den Einwohnern beigejtanden hatte. 

Von Neuem brach die Wuth der Zeritörer aus. Sie 
liegen die Brüde abbrechen, und damit war der Bürgerjchaft 
die Flucht auf’3 Aeußerſte erjchwert. 

Am 6. März, Morgens, wurden die Minen zur Spreng= 
ung der neuerbauten Nationalkirche gelegt. 

Pfarrer Caspar Gumbart, der jeit 15 Jahren jeines 
Amtes als Seeljorger der hochdeutichen Gemeinde waltete, wollte 
bier noch Morgens 10 Uhr das dem Untergang geweibhte Gottes— 
haus durch einen Abjchiedsgottesdient ehren. Er hatte mühſam 
den Aufichub der Zeritörung um wenige Stunden erbeten, allein 
jeine rührenden Worte an die hier im Elend und in treuem 
Glauben veriammelte Gemeinde wurde durch den Lärm der 


Die Zeritörung Mannheims durch die Franzoien, 33 


Brandftifter geitört, die die Kanzel und den Predigtituhl herab- 
warfen und die Kirchenbänke zerichlugen. 

Bald war das Werf der Zerjtörung unter dem Hohnge— 
fächter der Soldaten vollzogen, die triumphirend die den Bürgern 
abgenommenen Sachen als Beute auf den Marftplag zur Ver- 
theilung trugen. 

Mit den Kirchen war auch bald die ganze Stadt in einen 
völligen Trümmerhaufen verwandelt. 


Bon der Stadtmauer war überhaupt nicht? mehr zu 
entdeden. Nur die Hauptitraße vom Nedar bis zur Feſtung 
blieb noch einigermaßen paſſirbar, alle übrigen Straßen bildeten 
eine einzige große Trümmerftätte Auf dem Schloßplage der 
Feftung erkannte man an großen Quabderiteinen die Reſte der 
aus jo edlen Motiven entjtandenen Eintrachtsfirche, des Tempels 
des Friedens — zu früh von menjchlicher Güte erdacht und der 
noch unbejiegbare Macht entfaltenden Bejtialität zum Opfer ge: 
fallen. Die erbrochenen und beraubten Gräber dieſer Kirche 
fagten genug über die Art diejes Zerjtörungswerfs. 

Und die Zerjtörer wußten, was fie hier der Vernichtung 
preisgaben. 

Gleich nach dem erjten Anblid der Stadt Mannheim in 
ihrem jauberen und jchönen Bau und im ihrer großartigen 
Wafjerwelt hatte General Duras an den Minijter Louvois mit 
Begeifterung und daraus hervorgehender Uebertreibung berichtet 
daß Mannheim in der jchönjten Lage der Welt („dans la plus 
belle situation du Monde*) jich befinde. Der Feſtungsarchitekt 
Vauban hatte jpäter noch nach der Kapitulation Mannheims 
und eingehender Bejichtigung der Stadt das Urtheil gefällt, 
dab er noch feinen Pla der Erde in befjerem Zuftande gejehen 
habe als dieſen. 

Ferner wußten die Zerjtörer auch recht wohl, daß ſich 
bier eine große Anzahl ihrer franzöſiſchen Landsleute angefiedelt 
und Schub und Heim gefunden hatten. 

Die hier verübte Schandthat erjcheint durch al’ dies 
noch in ganz anderem Lichte; das Werf der Zerjtörung nimmt 


6* 


84 Die Zeritörung Mannheims dur die Franzofen. 


dadurch den Charakter einer Schurferet an, wie fie die Welt- 
geichichte faum je gejehen hat. 

Aber die Annahme, daß Gewalt vor Recht gehe, daß eine 
Schöpfung freien Geijtes vernichtet werden fünne durch die rohe 
Kraft der Fauft, erwies ſich auch hier wieder als ein Irrthum, 
wie er niedriger Gefinnung nun einmal anhaftet. 

Troß Brand und Zerjtörung war die Seele dieſer Stadt 
nicht zu zertrümmern und gar bald erjchuf fie fich wieder eine 
neue Hille. 

Berichiedene Male verſuchten noch die Franzojen das 
MWiedererjtehen der Stadt unmöglich zu machen. Bon Philipps» 
burg famen fie am 4. Auguft 1689 (unter Marſchall Duras), am 
25. Auguſt 1691 und am 3. Februar 1692 nah Mannheim 
herüber, um bie bereit wieder erbauten Käufer, etwa 100 an 
der Zahl, zu vernichten. Auch die von circa 3000 Bauern 
und Arbeitern zum Theil jchon wiedererbaute Stadtmauer 
wurde von Neuem eingeriffen. Die Feinde verbrannten jogar 
die über dem Nedar errichteten ärmlichen Hütten und provi— 
jorijchen Häujer der hier zurücgebliebenen Einwohner Mann— 
heims und plünderten und raubten dieje bis auf's lebte Stück 
ihrer Habe aus. Nadt und bloß wurden die Bewohner in die 
Winterfälte des Februars hinausgejagt. 

Ergreifende Tagebuchjaufzeichnungen des 1691 vom Kirchen» 
rath nad) Mannheim gejandten Feldpredigers und Pfarrers 
Daniel Schmidtmann, der hier in einem Bretterhauje jeine 
Antrittsrede hielt, veröffentlichte Dr. Tollin in den Geſchichts— 
blättern des Deutichen Hugenotten-Bereins (Magdeburg 1894). 
E83 heißt da: „Weil aber meine armen Zuhörer in tiefen 
Kellern oder in fleinen, auf Brandjtätten errichteten Häujern 
wohnten, brachen allerhand Krankheiten unter ihnen aus. Und 
da e3 an Pflege, Arznei und Fräftiger Speije gebrad), mußten 
viele Menichen elend jterben. Doch wir tröfteten uns, daß wir 
bei den Gräbern unjerer Väter wohnten, und daß wir nad 
unjerem Tode zu ihren Gebeinen würden gejammelt werden... . 
Ter unbarmberzige Feind wollte uns diejen Trojt nicht länger 
laifen. Er gebot uns mitten im harten Winter aus der Stadt 


Die Zerftörung Manuheims durch die Franzoſen. 85 


hinwegzuziehen. Bei Lebenjtrafe jollten wir dorthin nicht wieder 
zurüdfehren. Durd Bitten und Flehen verjuchten wir umfonjt 
jein Herz zu rühren. Es überfiel uns eine feindliche Abthei- 
lung aus Philippsburg, plünderte unjere Hütten, ftedte fie in 
Brand und mißhandelte die armen Leute auf’s Schändlichſte. 
Mehrere Kinder blieben auf der Flucht im Schnee fteden und 
famen jämmerlih um. Als der Feind abgezogen war, führte 
Viele die Liebe zur Vaterjtadt zurüd. Auf's Neue hielten wir 
dajelbft unjeren Gottesdienft. Aber nicht lange. Eines Sonn- 
tags (!) während der Predigt famen die Feinde abermals mit 
großer Wuth über uns und bejchoffen die Hütte (ein als Kirche 
errichtetes Bretterhaus), in der wir und verjammelt hatten, jo= 
daß die Kugeln in das Dah und mir und den laut auf: 
ichreienden Zuhörern über die Köpfe wegfuhren. In aller Eile 
mußten wir flüchten Am nächiten Tage verbrannten Die 
Franzoſen den Ort unjerer Erbauung nebjt den noch übrig ge: 
biiebenen Hütten, traftirten die Leute erbärmlih und ver- 
ihonten nicht einmal die unmündigen Kinder. Einigen von 
diejen jchoffen fie durch den Kopf. Den Entflohenen ließen fie 
melden, dat jie mafjafrirt werden würden, jobald fie ſich wieder 
in der Stadt jehen ließen. Darauf entichlojfen wir uns, aus 
Mannheim zu jcheiden, juchten aber bei dem franzöfiichen 
Kommandanten in PHilippsburg um die Erlaubnif nad, dies» 
jeit3 des Nedarjtroms am Ufer unterhalb Feudenheim Hütten 
bauen zu dürfen, was uns endlich auch gegen Bezahlung einer 
Summe Geldes gejtattet wurde.“ 


Allein all’ diefe an Graujamfeit und Raublujt verjchwen- 
dete Mühe der Feinde war umſonſt. Den leblojen Stein 
fonnten fie zertrümmern, aber die lebendige Idee erwies ſich 
unzerjtörbar und beitand auch dieje jchwerjte Prüfung. Sieg- 
haft erhob id) die wie aus einer geiltigen Nothwendigfeit ge- 
borene Stadt Mannheim wieder zu neuem Leben, ein Wahr: 
zeichen unzerjtörbarer deuticher Kraft und zugleich der Ohnmacht 
des Feindes. 


86 Die Zeritörung Mannheims durd die Franzoſen. 


Das Wiedererftehen Mannheim im 18. Jahrhundert 
brachte gleich eine neue Blüthezeit diejer Stadt mit fich. Neue 
Freiheit jollte Hier noch auf einem anderen Wege als dem 
bisher eingejchlagenen — auf dem Wege der Kunſt erobert 
werden. Betrachten wir den eigenartigen weiteren Lauf ber 
Entwidelung der Stadt Mannheim im 18. Jahrhundert und 
juhen wir die richtigen Gefichtspunfte für eine neue Beur— 
theilung diejes vielfach noch recht u — Beitabjchnittes 
zu gewinnen. 





Kriegsfurie. 


II. Abtheilung: 


Yie Blüthe der Kunst 
in Mannheim. 


ee —- 


VIII. 
Der Wiederaufbau der Stadt. 


Die proviforifche Verwaltung Mannheims von Heidelberg aus — Maßregeln 
zum Schuge und zur Wiederfammlung der Geflüchteten — Erneuerung der 
Privilegien — Tod Philipp Wilhelms — Hurfürft Johann Wilhelm — 
Seine Beftimmungen zum Wiederaufbau der Stadt — Der Plan Goe- 
horns — Kirchliche Streitigkeiten — Des Hurfürften freiheitliche Religions» 
declaration — Rathhausbau — Kirchenbauten — Feier des 100jährigen 
Beitehend der Privilegien — Kriegsunruhen — Befignahme der Rhein: 
ihanze durch die Franzoien 1713 — Der Licent — Wafjerögefahr — Zu: 
nchmender Wohlitand der Stadt laut Stadtrehnungen — Bereinigung der 
Stadt und Feitung — Kurfürſt Johann Wilhelm als Förderer der Kunſt. 


Die bei den Trümmern Mannheims zurückgebliebenen 
ſowohl, als auch viele der in andere Orte geflüchteten Ein— 
wohner der Stadt hielten treu an dem Gedanken des Wieder- 
aufbaues ihrer bisherigen Heimathitätte feit. 

Die Stadtverwaltung von Mannheim conjtituirte fich durch 
ein furfürjtliches Rejtript vom 16. Mai 1689 provijoriich in 
Heidelberg. Schultheiß Dr. Straßburg (jpäter 1691 Schultheiß 
Simon Jörger), Bürgermeister Theodor Timmermann, Rath 
Joh. Ph. Schadinger und oh. Georg Kayjert3 waren die 
bochverdienten Männer Mannheims, die troß des großen Un— 
glücks der Stadt ihren Muth nicht beugen ließen und unentwegt 
neue Schritte zur Wiedererbauung Mannheims unternahmen. 
Dit ihnen waren circa 75 Familien nach Heidelberg über» 
gejiedelt. Sie bildeten dort eine bejondere Mannheimer Ge- 
meinde und jtellten eine aus 4 Gorporalichaften bejtehende 


90 Der Wiederaufbau der Stadt. 


Bürgerwehr, die zujammen 61 Mann zählte und von den 
OÜberoffizieren 3. Georg Brad, Pierre Mauginot, Johann 
Niklaus Pompejati und Johann Overfam commandirt wurde. 

In einem großen Zimmer der von Bürgermeiiter Timmer- 
mann für 174 fl. in Heidelberg gemietheten Wohnung fanden 
die Situngen des Rathes ftatt. Zu diejen Sitzungen wurden 
auch der Mannheimer Stadtrentmeijter Küftenmacher und der 
Stadtichreiber Reich, ſowie die Viertelmeiſter hinzugezogen. 

Zunächit erließ der Rath das dringende Verbot an die 
umliegenden Orte, fich irgendwie an der Gemarkung Mannheim 
zu vergreifen, deren Bejit von der Bevölkerung der Stadt auch 
bei Abwejenheit in feiner Weiſe aufgegeben jei. 

Sodann ließ der Rath zur Wiederjammlung der fich in 
verjchiedenen Städten und Orten aufhaltenden Mannheimer 
Bürger Aufzeichnungen anfertigen und jo wie in Heidelberg 
auch in Weinheim, Frankfurt, Hanau, Magdeburg Namensliſten 
aufitellen. 

Durh eine bei Buchdruder Samuel Ammon in Hanau 
Ende März 1689 im Auftrage des Rathes für 30 fl. 42 fr 
in 500 Eremplaren gedrudte „Beritörung-Relation“, deutich 
und franzöfiich in verichtedener Weiſe verfaßt, jollte allerorten 
Mitleid und Hilfe erwedt werden. 

Vom Kurfüriten Philipp Wilhelm erwirkte der Rath den 
Schub der Mannheimer Bürger in den Städten und Orten 
des Landes, in welche ſie geflohen. 

Laut einer PBroclamation des Kurfürjten vom 23. Juni 
1689 jollten die aus ihrer Stadt Vertriebenen auf ein Jahr 
in den Orten des Landes von Schatung, Frohn, Huth und 
Wacht u. ſ. w. entbunden jein. 

Trogdem wurde den Mannheimern das Eril jchwer genug 
gemacht. Man empfand die „Fremdlinge“ überall als eine 
Lait und juchte fie wieder durch Chifanen zu vertreiben. Und 
jo mußte der Nat bald über die jchlechte Behandlung der 
Mannheimer Beichwerde führen. Mit einer Schrift vom 25. Juli 
1689 wurde bejonders gegen die Umfreumdlichkeit der Weinheimer 
Bürgerichaft jchwere Klage geführt. 


Der Wiederaufbau der Stabt. 91 


Um Geld zu jchaffen, verpfändete der Rath die ihm vom 
Kurfürften Karl bei der Grunditeinlegung der Stadtmauer ver- 
ehrte goldene Medaille, die nach Frankfurt in Sicherheit ge= 
bracht worden war, an den Rath Steibing gegen ein Dar» 
lehen und verkaufte einen filbernen und vergoldeten Vocal für 
61 fl. 30 fr. an einen Juben. 

Des Weiteren arbeitete der Rath eine Denfichrift aus 
über die zu ergreifenden Maßregeln für den Wiederaufbau 
der Stadt, fir die Sicherung und Förderung derjelben. 

In diejer Denfichrift wurde zuerſt dem Gedanken Ausdrud 
verliehen, eine Trennung von Stadt und Feſtung bei dem 
Wiederaufbau nicht mehr vorzunehmen. Man hatte das Ver— 
hängnißvolle diefer Trennung nur zu gut empfunden. Zu leicht 
fonnte die Stadt in die Hände der Feinde fallen und zu leicht 
fonnte man dann von der Stadt aus der Feſtung beifommen. 

Den durch die Zerftörung der Feitungswerfe verurjachten 
Schaden berechnete man mit 609000 fl.; der Verluft der Stadt 
an Gebäuden und Inventar verichtedener Art wurde auf 
865 469 fl. 30 fr. (nad) einer Aufitellung vom 25. Nov. 1689) 
angejchlagen. Sodann begehrte man die Schleifung der dem 
gejammten jüdwestlichen Deutichland und bejonders Mannheim 
jo gefährlichen Feſtung Philippsburg, jobald diejelbe den 
Händen der Franzoſen wieder entzogen iſt. Des Weiteren erbat 
man die Ermächtigung zu einer größeren Anleihe, da man 
jelbjt die Glocken habe dahingeben müſſen. Bor allem aber 
forderte die Denkichrift die Erneuerung der Privilegien. 

Kurfürjt Philipp Wilhelm war mit einer Erneuerung und 
Erweiterung der Privilegien durchaus einveritanden. Er zeigte 
fih mit Theilnahme an dem Schickſal der Stadt jogleich bereit, 
alles zu thun, was den Mannheimer Bürgern zum Trojte und 
zum Wiedererjtarfen ihres Muthes dienen konnte. Wie er 
mit jener obenerwähnten Proflamation jofort für Schuß und 
Aufnahme der Mannheimer Bürger in den Städten des 
Landes Schritte that, jo gab er mit einer anderen Zujchrift 
zugleih der Stadt Mannheim, über deren „mehr als 
barbariihe und graujame Zerftörung“ er jeine Empörung 


92 Der Wiederaufbau der Stadt. 


ausdrüdte, die AZuficherung, daß er die „Privilegien, Frei— 
heiten und Immunitäten nicht allein zu erneuern und zu be- 
ftätigen, jondern auch jelbige mit andern Gnaden und Frei— 
heiten zu vermehren und zu derjelben Aufkommen jolche heyl- 
jame nüßlihe Berordnung mit Nächten ergehen zu laſſen 
gelinnet, dab fie fich deren Höchlich zu erfreuen, und darob 
der treuen landesväterlichen Borjorge zu getröjten haben werden.“ 

Freilich fonnte dieje Theilnahme des Fürſten nicht jo 
herzlich jein, ala jie ein aus dem Lande jelbjt hervorgegangener 
Negent befundet hätte. Philipp Wilhelm war erjt wenige 
Jahre Kurfürſt der Pfalz — und welchen Uerger und Kummer 
hatte ihm dieſe für ihm wirklich jchlimme Erbſchaft jchon in 
diejer Furzen Seit bereitet! „Leer“ fand er das Land vor — 
alles von irgendwelchen Werthe jollte andern vermacht worden 
jein, faum der Nagel an der Wand jollte ihm bleiben! Dann 
das Beſitzthum des Landes ſelbſt durch unvorfichtig gejchloffene 
Familienbeziehungen in Frage gejtellt und durch Krieg ge- 
fährdet! Und an den Feind mußte er jelbjt werthvolles Erb» 
theil abgeben und jchließlich wurde ihm das ganze neugewonnene 
Land verwüjtet und zertrümmert — wahrhaftig, all dies war 
nicht geeignet, den Fürjten mit bejonderer Freude jeines Erbes 
gedenken zu lajjen. Das mildert einigermaßen die Vorwürfe, 
die man ihm daraus zu machen jucht, daß er jich während 
des Krieges raſch wieder nad) Neuburg zurückzog und dort 
dem Wohl jeines Haujes lebte, deſſen Zukunft übrigens auch 
mit derjenigen der Pfalz verbunden war. 

Bejonders beklagte man ſich über glänzende Familienfeſte, 
die Philipp Wilhelm in Neuburg während des Strieges feierte 
(jo anläßlich der Hochzeit jeiner Tochter Maria Sophie mit 
König Peter IL von Portugal). 

Auch hielt man ſich darüber auf, daß der Kurfürſt im 
Spätjommer 1690 troß der unglüdlichen Lage der Pfalz ſich 
an der Staijerfrönung Leopolds I. zu Augsburg in glanzvoller 
Weiſe betheiligte, allein jeine Tochter war die Kaiſerin 
— follte der Kurfürſt der Pfalz hier fehlen? Gerade durch 
die Verbindung mit dem Staijerhauje konnte der Pfalz Hilfe 


Ter Wiederaufbau der Stabt. 93 


werden und es iſt mur zu beflagen, daß dieſe Hilfe nicht zur 
rechten Zeit wirfjam anzurufen war. 

Philipp Wilhelm begleitete den Kaijer damals nah München 
und Wien, doch überjtiegen die Anftrengungen und Aufregungen, 
die mit diejen Feſtlichkeiten und diejer Reiſe verbunden waren, 
die Kräfte des Töjährigen Kurfürjten. Er erkrankte in Wien 
und ftarb dajelbft nad) furzem Krankenlager am 2. Sep- 
tember 1690. 

Sein Sohn Johann Wilhelm, nach dem Tode feiner erſten 
Gemahlin Maria Anna, der Schweiter des Kaiſers (1689) 
im Jahre 1691 wieder verehelicht mit Anna Luiſe von Florenz 
aus dem Hauje Medici, trat die Erbichaft der Pfalz noch unter 
viel jchlimmeren Umständen an als jein Vater. Er erbte mit 
der Pfalz nur noch ein völlig ruinirtes Land, das ihm ſchließlich 
nicht einmal mehr eine Refidenz gewähren konnte. 

Johann Wilhelm erwählte daher Düſſeldorf zu jeiner 
Reſidenz, erwarb fich dortjelbit hervorragende Verdienfte um die 
Kunst und ſchuf dort die Grundlage zu der noch heute be— 
rühmten Kunjtitadt. 

Unter Johann Wilhelm begann in der Pfalz die Vor— 
herrichaft des Katholicismus. Wie die Worherrichaft der 
Calviniſten Unzuträglichkeiten mit fich gebracht hatte, jo blieben 
dieſe auch bei der neuen Vorherrichaft nicht aus. Die Katholiken 
juchten ihre neue Macht zur Geltung zu bringen und die das 
Herrihen gewöhnten Calviniſten fühlten fich dadurch ſchwer 
bedrüdt. Sie hatten auch thatjächlich jchwer zu leiden, denn 
ihre Kirchen und Schulen in der Pfalz waren durch bie 
Franzoſen jchon im fathofiiche Hände gekommen und der Friede 
zu Ayswid 1697 bedingte, daß dieje Kirchen und Echulen auch 
den Katholiken verbleiben jollten. Ob dieje Beitimmung nun 
mit oder ohne Willen des Kurfüriten Johann Wilhelm erfolgte, 
kurz — bei der Regentichaft eines katholiſchen Haujes konnte 
bereits fatholiich gewordener Beſitz nicht jo leicht wieder calviniich 
gemacht werden. Das erjehnte Gleichgewicht zwiſchen den ver— 
ichiedenen Religionsparteien wollte ſich leider nicht einftellen 
und die eine Vorherrichaft löfte mur die andere ab. Dabei 


94 Der Wiederaufbau der Stadt. 


aber nahm die Kulturentwidelung ihren eigenen, nicht immer 
leicht zuerfennenden, doch fiheren Lauf, und wie fie durch die 
Galvinijten in der einen Weile gefördert wurde, jo jollte jie 
nun von den Katholiken in einer anderen Art weitergeführt 
werden. 

Eine Religionsdeclaration, die der Kurfürft fpäter (am 
21. November 1705 erließ), ficherte den Vertretern der drei 
verjchiedenen chrijtlichen Religionen volle Gewiffensfreiheit und 
jreies Bekenntniß ihres Glaubens zu. 

Johann Wilhelm ſchloß ſich auch treu dem Kaijer und der 
deutichen Sache an, al3 der Krone Frankreichs von dem Neiche 
der Krieg erklärt wurde. Glüclicher Weiſe brachte diejer neue 
Feldzug, der jog. ſpaniſche Erbfolgekrieg, der Pfalz feine wejent- 
lihen Bejchwerniiie. 

Der Stadt Mannheim gegenüber erwies fich der Kurfürſt 
durchaus wohlwollend und hilfsbereit. Unter ihm konnte fich 
die Stadt rajch wieder entfalten. Er jelbit trat für das Wieder: 
eritehen der Stadt ein, und als Wiedererbauer derjelben verdient 
er ın der Gejchichte Mannheims einen hervorragenderen Platz. 

Zum Schuge des inzwijchen in der Nähe von Feudenheim 
(auf einem vom Kurfürjten jeit März 1692 überlaifenen Plage) 
errichteten Dorfes Neu-Mannheim, dem jeit 1695 der Raths— 
verwejer Küſtenmacher vorjtand, erließ der Kurfürft am 11. Juni 
1696 eine Proclamation und forderte damit den Kaiſer, die 
Verbündeten und das pfälziiche Militär auf, dem nenerjtehen: 
den Orte ihren Beiltand gegenüber deu von Zeit zu Zeit fich 
wiederholenden Einfällen der in Vhilippsburg lagernden Franu— 
zojen zu gewähren. Auch die Verbündeten ſelbſt hatten den 
Ort ſchon fchlecht behandelt und ein Hauptmann La Vale, der 
im Januar 1696 mit 50 Soldaten von Mainz aus nad) Neu— 
Mannheim gefommen war, hatte alle der Bevölferung gebören= 
den Nachen einfach wegnehmen lajjen. Eine Bejchwerde des 
Kurfürſten bei Generalleutnant von Thumb in Mainz änderte 
an der Sache nichts. 

Als der Kurfürſt bemerkte, daß die immer mehr ein- 
reißende Unordnung in dem einer jtarfen Berwaltung völlig 


Der Wiederaufbau der Stadt. 95 


entbehrenden Neu-Mannheim die Rückkehr der Geflüchteten und 
den Zuzug von Fremden beeinträchtigen fünnte, da verdffent- 
lichte er am 20. Dezember 1696 und am 27. September 1697 
Proclamationen, mit denen er jeine Förderung eines Wieder: 
aufbaus des alten Mannheim anfündigte, neue Privilegien ver: 
hieß und die noch auswärts weilenden Geflüchteten zurückberief 
unter der Androhung, daß, wenn fie nicht innerhalb 5 Monaten 
zurüdfehrten, deren frühere Wohnpläge und Felder eingezogen 
würden, Während die fernweilende Magdeburger Colonie der 
Pfälzer ſich zu einer Rückkehr nicht entichließen fonnte, ant- 
wortete die Hanauer Colonie mit einer Denkichrift, die Vor: 
ichläge und Wünſche diefer Mannheimer Bürger vor deren 
Rückkehr enthielt. Beſonders begehrten die Letzteren Schuß 
der reformirten und lutherischen Religion. Am 14. März 1698 
wurde vom Kurfürjten Johann Wilhelm der Wiederaufbau der 
Stadt definitiv angeordnet, 

Der Kurfürſt betätigte dann auch am 31. October 1698 
die für die Stadt Mannheim und deren freiheitlichen Sonder: 
charafter jo wichtigen Brivilegien auf 30 Jahre. Den Bau— 
luſtigen wurden damit noch größere Vergünſtigungen als 
bisher gewährt. Die Handwerker jollten nicht zur Bildung 
von Bünften gezwungen jein, ſie fonnten diejelben jedoch frei— 
willig einrichten.*) 

Sodann ließ der Kurfürſt von dem niederländiichen General» 
leutnant und Feitungsarchiteften Menno Coehorn für den neuen 
Aufbau der Stadt einen Plan entwerfen, der dem Wunſch 
der Bürgerichaft: daß die Feſtung und Stadt vereinigt werde, 
entgegenfonmen jollte. 

Seit dem Ryswicker Frieden 1697, (der die Pfalz einjchlieh- 
lich des Oberamts Bermersheim vom Feinde wieder Jäuberte und 
den Kurfürsten nach Enticheidung des Papſtes Lediglich zur 





*) Die Beichränfung der Anfiedelung von Juden dürfte mehr dent 
Nathe der Stadt ald dem Surfürften zuzuichreiben fein, fwie aus früheren 
Nathödiscuffionen hervorzugehen jcheint, Es wurde u. A. beſtimmt, dat; 
jeder Jude, der zugelaflen werden will, mindeitens 1000 Thaler be— 
figen müſſe. 





Kurfürft Johann Wilhelm aus dem Haufe Neuburg. 









ÜUasse 


noppen 


Khem -Thor 
— 


382 Gerard Mickant 

383 Jaques du Rieu 

384 Andr@ Petillion 

385 Louis de Beviers 
“86 Jaques Vandin 

3#7 Matnis Gruson 

88 Mathes Wilhelm 

89 Drarbachs Wh, 

3% Caspar Mittler 

39 Hanner Bärwerth 
392 Pierre Robert 

393 Johann Ingelbert 
34 Abraham Trolet 

35 Wilhelm Cambert 
396 Christoph Zimmermann 
397 Jaques le Clerque Wh. 
398 Roland le Clerque 
399 Jost Cruson 

100 Andreas Habels,Wb. 
401 tieorg Haffner 

40. Charles Fonrnier 
403 Albert le Brun 

404 Aloy de la Haye 
405 Henrich Diemer 

406 Director Clignet 

407 Jean van Zille 











Königin Carola von Sahfen Wwe. 
(als Prinzeffin von Wafa 1852 während ihres mehrjährigen Aufenthaltes in Mennheim) 
gemalt von Couis Coblitg Mannheim) 


Der Wiederaufbau der Stadt. 97 


Zahlung von 300000 Thalern an die Herzogin von Orleaus 
veranlaßte) war unter den nunmehr geiicherten Verhältniſſen 
die Bauthätigfeit in den Nuinen der Stadt Mannheim 
lebhafter geworden. Am 16. März 1700 wurden die nod) 
in den Mitten und proviioriichen Häuſern Neu-Mannheims 
campirenden Bürger vom Rathe aufgefordert, die Stadt wieder 
zu beziehen unter der Drohung, daß ihnen andernfalls ihr 
‚sreibrief entzogen würde. 

Der neue Plan zur Wiedererbauung der Stadt war von 
Coehorn ganz in dem Stile jener Zeit gehalten und zeigte 
eine mit vielem Geſchmack entfaltete regelmäßige Gliederung, 
die einer Stadt der Ebene weite Perſpectiven verleiht und 
die fernliegenden Bergfetten freundlich in die Straßen und 
Plätze hineinjcheinen läßt. Die Negelmäßigfeit einer jolchen 
Feltungsanlage erinnert einigermaßen aud an die Geſtalt der 
vömiichen Lager mit ihren hauptſächlich aus Nechteden gebil: 
deten Raumgruppen, mit ihren geraden Wegen und nad) vier 
verichiedenen Seiten angelegten Thoren. 

Die eriten größeren Greigniffe bei dem Wiederaufbau 
Mannheims waren die Grundjteinlegung zum Rathhauſe am 
17. September 1700 und die Grundjteinlegung zum Rathhaus— 
thburm am 5 Dftober 1701. Das Rathhaus iſt jomit im 
jeiner Grundlage das ältejte Gebäude des heutigen Mann 
heim. Der NRathhausbau wurde von Baumeiſter Georg 
Weger ausgeführt. Ueber die bei der Grumdjteinlegung zu 
dem Thurme jtattgehabten Feierlichkeiten berichtet eine aller: 
dings recht jchwerfällig abgefaste Urkunde (nad) Feder) folgendes: 

„Nachdem befanntlich durch die für gewejenen Kriegs— 
troubel und frangöfticher feindliche Invaſiones hieſige Statt 
Mannheim und im Ddiejer auch das ſchön erbaute Rathhaus 
in Grundt ruinivt, zeritört und der Erde gleich gemacht, 
nun aber bei wiederhergejtelltem lieben Frieden, deſſen Conti— 
nuatton uns der Allerhöchite in lang Jahren gedeihen laſſen 
möge, aud) die von Ihrer churfürſtlichen Durchlaucht zu Pfalz, 
unjerem gnädigiten Herrn mildeit zugeiagten Privilegien Die 
Statt joweit zum Bau wird gebracht werden, daß nun auch 


Oeer, Geſchichte der Stadt Mannheim 7 


Rathhaus mit 





Marftplag. 


Der Wiederaufbau der Stadt. 99 


das Rathhaus ald den Grundveit einer Statt nad Ertrag der 
eingehenden Mittel, wiederumb baldmöglichit zum Perfectiong- 
ftande zu bringen, uns obliegen will, alſo hat man zu deſſen 
zeigenden Eiffer den Grunditein zum NRathhausbau und noth- 
wendig erbauenden anjehnlichen Turm legen zu laffen beſchloſſen 
und zu diefem Ende Ihro Exc. Herrn Obriften Freiherrn von 
Wiejer, umb Namens Ihrer churfüritlihen Durchlaucht noch 
bevor dero vorhabenden Abreiß nadı Diüffeldorf diejem Actum 
mittelft Legung des eriten Steins zu decoriren per Deputatos 
gehorfamft erjucht, welche denn auch solches ganz williglich 
emplectiret,. ihre Reiß zu dem Ende noch in etwas verjchoben 
und den heutigen Tag zu jolcher Solennität gnädigjt anbe- 
raumt, da man mitteljt joviel fich wegen Kürtze der Zeit hat 
thun laſſen, alle Anjtalten gemacht und aljo heute zwiſchen 
10 und 11 Uhr Se. Ercellenz in Begleitung des Herrn 
Generalen und Grafen von Leiningen bier erjchienen und ſich 
an den Rathhausplatz verfügt, jo war die daſelbſt mit Gewehr 
veriammelte Bürgerjchaft in jchöner Ordnung rangiret und 
nachdem auch die Geiitlichkeit mit Streug und Fahnen ad 
benedicendum lapidem jich eingefunden, jo werden in An— 
wejenheit vieler vornehmen hoc und niederen Standesperjonen 
und des gemeinen Volks, erjtlih von Herrn Stattſchultheißen 
die auf eine jilberne Medaille und zinnerne Tabell formirte 
Injeriptiones abgeleien. — Nach diefem wurde mit Benedi- 
cirung des Grundſteins unter Hörung lieblicher Muſik fortge: 
fahren und jodann von Freiherrn von Wiejer die zu Handen 
geitellte Medaille und Tabell in den Stein gelegt, zu deſſen 
Befeftigung die gehörige Materialia von Ihro Ere. appliciret, 
jofort gejenft, und von dem übrigen hohen Umitandt zu deijen 
Einmauerung die Hand mit angelegt worden; inmittelft werden 
die auf dem Markt gepflanzten Canonen 3 mahlen gelöjet und 
von der Bürgerjchaft 3 ſchöne Salven gegeben, mithin unter 
fröhlicher Ausrufung 
Bivat Ehurfürit Iohanı Wilhelm 

dieie Solennität mit alljeitiger großer Vergnügung bejchlojien“. 

Der an die weltliche Seite des Thurmes angrenzende 


‚100 ‚Der Wiederaufbau Ler Stadt. 


Flügel des Baues wurde vom Nurfürjten zu einer Fatholiichen 
Kirche bejtimmt. Aus Stadtmitteln jollte dieje Kirche erbaut 
‚werden, alle — da dieje Mittel nicht reichten — 309 man 
jüdische Beifteuer dazu heran, indem man diejenigen Juden 
‚vom Häuferbau dispenfirte, die eine Zahlung von 160 fl. zu 
diejem Kirchenbau leifteten. Die Juden hatten damals über: 
haupt ein eigenartiges Berhältnis zu den Statholifen. Sie 
kamen den Katholifen aufrichtig entgegen und nahmen auch die 
nah Mannheim fommenden Kapuziner gajtfreundlih auf — 
ohne jedoch großen Dank zu ernten, denn gerade von 
fathotiicher Seite wurde in der Folge über die „übermüthige 
Kleiderpracht” über „proceſſionsartige“ Hochzeitszüge mit Muſik 
und mit Fackeln „bey hellem, lichten Tag“ Beichwerde geführt. 
Dennoch erhielten die Juden die Erlaubnig zur Erbauung 
einer Synagoge (in F 2), die unter einem Koſtenaufwand von 
6000 Fl» zur Austührung gelangte. 

Die Einweihung der „Rathhauskirche“ erfolgte am 1. Mat 
1710, doc) wurde noch bis 1720 daran gebaut und von Seiten 
der Stadt bis dahin im Ganzen 11406 Fl. dafür aufge 
wendet. 

Rathhaus und Kirche bilden ein jtattlihes Monument 
ans der Zeit Johann Wilhelms in Mannheim. Die Ber: 
bindung des eigentlichen Rathhauſes und der Kirche durch den 
Thurm iſt in origineller Weife durch drei Aufichriften in gol« 
denen Lettern markirt. Das an dem Thurm prangende Wört- 
fein „Et* vereinigt die an den Gebäudetheilen des Rathhauies 
und der Kirche angebrachten ‚Aufichriften F„Justitiae* und 
„Pietati.“ 

Der ganze Bau wurde in Fräftigem und gut gegliedertem 
Früh-Barock ausgeführt. Der Säulen: und Bilafterjchmud it 
mit Anklängen an den dorischen, jontjchen und korinthiſchen Stil 
behandelt. Jenen vorher erwähnten Inſchriften entiprechen die 
über den Façaden der beiden Flügel aufgeftellten Gejtalten der 
„Gerechtigkeit" und der „Frömmigkeit“, legtere von Bildhauer 
Bitterich gemeihelt. Vortreffliche und charakterijtiiche Kunſt— 
werfe jener Zeit find auch die gleichfalls Recht und Glauben 


Der Wiederaufbau der Stadt. 101' 


verförpernden Männer- und Engelögeitalten, welche die nördlich 
gelegenen Balkone tragen. Das Inmere der Kirche hat etwas 
von der Form der alten Baſiliken. 10 Säulen korinthiſchen 
Stiles theilen das Hauptichiff von dem Mittelichiff ab. Der 
werthvolle Hauptaftar ift in neueiter Zeit merfwürdiger Weile 
bei einer Renovation der Kirche entfernt worden und befindet 
jich gegenwärtig im Kunſtgewerbe-Muſeum zu Berlin. Auch) 
eine Chriftusftatue, die in der Mitte des Balfons aufgeitellt 
war, wurde meuerdings bejeitigt. Die Seitenaltäre find mit 
Säulen aus rothem Marmor geziert. Die 1712 für 600 fi, 
in Frankfurt a. M. gekaufte Orgel erfüllte das Haus bis zum 
Iahre 1878 mit ihren Klängen. Ueber die Gloden der Kirche 
iit erjt jpäter zu berichten 

Auch die lutheriſche Gemeinde erhält die Genehmigung zur 
Errichtung eines eigenen Gotteshaujes. Die Stadt jpendete zu 
den dazu nöthigen Mitteln nur 100 Thaler. Das Uebrige 
mußte durch eigene Mittel und durch Sammlungen in aus— 
wärtigen Gemeinden aufgebracht werden. Regiments-Haupt— 
mann Saspari, Stadthauptmann Tremelius und die Leutnants 
Leopold und Paul Debertshäujer begaben ſich auf Reifen (jo 
auch nad) Sachen, Dänemarf und Schweden) und erhielten 
veichliche Beiträge. Außerdem jendete die Nachbarftadt Frank— 
furt 920 fl. 

Der Grundjtein zu diejer Kirche, der noch heute ftehenden 
Trinitatisficche, wurde am 30. September 1706 gelegt. Pfarrer 
Mettenius hielt bei dieſer Feier die Predigt. Der Bau dauerte 
drei Jahre, zeitweilig wohl auch aufgehalten durch die fehlenden 
und erſt herbeizujchaffenden Mittel. Am 1. Oftober 1709 
fonnte die Einweihung jtattfinden. Die Feierlichkeiten wurden 
von Confiftorialrath Schlofier als Redner und von Vicar Feder 
als Veranftalter des muſikaliſchen Theiles geleitet. Die Dffi- 
zieve des kurpfälzifchen Iſſelbach'ſchen Negiments, die joviel für 
die Sammlımg der Baukoſten gethan hatten, stifteten noch Die 

Glocke. 
| Der Ban ımd die Austattung diejer Kirche iſt fchlichteiter 
Art.. Ihre gedrungene Form gibt ihrer äußeren Erſcheinung 


102 Der Wiederaufbau der Stadt. 


etwas Majfives, Starkes. Die Kirche wurde 1737 bi3 39 
noch durdy einen Anbau erweitert. Auch die beiden Haupt- 
portale find erjt nachträglich in ihrer jegigen Form ausgeführt. 
Den fünftleriihen Schmud des einen Portals Tiefen die evan- 
geliihen Offiziere des Sachſen-Meiningenſche Regiments im 
Jahre 1715 auf ihre Koften herftellen. Ueber dem aus 
braunem Holz gefertigten, mit Schnigwerf, VBergoldungen, 
forinthiihen Säulen und Figuren gezierten Altar befindet ſich 
eine einjt weit berühmte Orgel, die von Heinrich und Philipp 
Stumm bereit? 1677 gebaut worden .ift und für dieſe Kirche 
erworben wurde. In der Kirche befindet fich jett auch an der 
Säule vor der Kanzel ein jchlichtes Denkmal, von der Ges 
meinde ihrem um jie verdienten Pfarrer und Kirchengefchichts- 
ichreiber Karl Benjamin Liit errichtet. 

Gleich nad) Beendigung des Krieges 1697 hatten aud) die 
Kapuziner, die vor diejer Zeit nur vorübergehend von Laden— 
burg aus nah) Mannheim famen, vom Kurfürjten die Erlaub- 
niß zum Bau einer Kirche erhalten. Zugleich wurde ihnen 
auch die Errichtung eines Kloſters gejtattet. Der Kurfürſt 
unterjtüste den Kirchen- und Klojterbau aus eigenen Mitteln 
und auch die Stadt leijtete jpäter einige Beiträge dazu. Zur 
Srundfteinlegung am 3. Juli 1701 wurde auch der Nath ge- 
(aden, der den Mönchen ein Fäßchen Wein jpendete, Der Bau 
der Kirche war früher fertig als der des Kloſters, das erit im 
Jahre 1706 bezogen werden fonnte. Die Kirche wurde dem 
heiligen Rochus geweiht. — Ihr Inneres war mit vier Altären 
und einer Seitenfapelle veriehen. Der Bauptaltar muß von 
fünftleriichem Werth gewejen jein, doch ift der künſtleriſche 
Schmud jedenfalls erit jpäter gejtiftet worden. Duaglio joll 
den Gejammtentwurf diefes Schmudes, I. van Branden Die 
Statuen und Bernardint das Altarbild ausgeführt haben. 
Heute ijt von Ddiejer Kirche, die vor dem damals mit einer 
Statue des heiligen Johannes gezierten Johannesplaß (N 4—5) 
ftand, nichts mehr vorhanden. Wieger beklagt jchon 1824 den 
Plan zu einer Niederreigung des Klojtergebäudes und Um— 
ihaffung desjelben zu einer Kavalleriekaſerne. 


a nn fe > 





Kapuzinerflofter und Johanniſsplatz. 


104 Der Wiederaufbau der Stadt. 


Auch die Neformirten planten bald größere Kirchenbauten, 
die aber erit jpäter nad dem Tode des KHurfürjten Johann 
Wilhelm beendet wurden. Sie hielten ihren Gottesdienjt in 
der wieder erbauten Proviitonalfirche, die zunächſt allen drei 
Gemeinden zugewiejen war. Schon im Jahre 1700 führte dies 
zu erniten Zwiſtigkeiten 

Die Katholiken benugten ihre neue VBorherrichaft und 
Macht zu allerhand Drangjalirungen gegenüber den Reformirten 
und Lutheriichen. Sie verlangten von diejen, daß fie jich vor 
der Monſtranz beugen jollten, und die jich deſſen weigernden 
Bürger wurden von den Soldaten auf dem Marktplatz miß— 
handelt. Einmal und zwar Weihnachten 1700 dringen wegen 
einer jolchen Berweigerung die Soldaten jogar in die Kirche, 
joda die dort verjanmelte Gemeinde bejtürzt die Flucht er- 
griff und Frauen und Kinder unter Zurüdlaffung ihrer Ge— 
ſangbücher und Tücher zum Fenſter hinausiprangen. 

In einem anderen alle wird den NReformirten und 
Evangeliichen vorgeworfen, die Katholischen zur Kirche hinaus- 
geiperrt zu haben, ſodaß fie im Negen hätten jtehen müfjen. 
Des Fürſten Johann Wilhelms jchon oben hervorgehoben 
Neligionsdeclaration vom 21. November 1705 machte diejen 
Streitigkeiten ein Ende. Man erjah deutlich daraus, wie ernit 
es dem Fürſten mit dem Frieden in jeinem Lande war. Er 
bob die Beſtimmung auf, daß die Provifionalfirche den drei 
Gemeinden zur Verfügung jtehe und gab fie den Neformirten 
zu alleinigem Bejige zurüd. Zugleich beließ der Kurfürft den 
Reformirten deu großen Kirchenplatz und das dajelbjt gelegene 
Fundament, „jo zu den Hochteutichen und Walloniichen Ge: 
meinden deſtinirt jeyend, mit allen etwa daſelbſt befindlichen 
Pfarr-Rectorats, Schulhäufern oder deren Plätzen und Berti- 
nenzien, welche die Reformirten 1685 beſeſſen, ‚oder jeither au 
ich justo titulo gebraucht oder gebauet.“ Hierbei wurde be— 
jtimmt, daß das Gymnafium zu Mannheim den Reformirten 
verbleibe. Bon den Einkünften jollten die Neformirten ®- und 
die Katholiken ?- erhalten. Bezüglich ihres Gottesdienjtes 


Der Wiederaufbau der Stadt. 105 


jollten fi) die Katholiken bis zur Fertigſtellung der Rathhaus- 
firhe mit der Kapuzinerficche behelfen. 

Ein großes, wichtiges, auch heute eigentlich nod) berechtigtes 
‚seit wurde am 24, Januar 1707 in Mannheim gefeiert. Es 
war dies der Gedenktag des 100jährigen Beſtehens der Privi- 
legien, denen ganz bejonders die Stadt Mannheim ihren Eigen» 
character verdankt. Am 24. Januar 1607 war ihr dieje geijtige 
Grundlage gegeben worden, und es fann als ein Zeichen freis 
heitlihen Empfindens angejehen werden, daß man den Tag 
diejer geiltigen Begründung der Stadt, der Begründung ihres 
eigenjten inneren Lebens, feierlicy beging. Feder gibt aus 
den Rathsprotocollen der Stadt folgende Bejchreibung dieſer 
‚sejtlichfeiten: „Während des ganzen Vormittags wurden von 
ämmtlihen Neligionsgemeinden die Andachten mit zierlichen 
Predigten mit te deums unter pompöſer Muſik celebrirt. Des 
Mittags zog die gelammte Bürgerjchaft mit klingendem Spiele, 
den ahnen und mit dem Gewehr auf. Ebenjo eine aus ber 
jungen Mannjchaft errichtete Compagnie. Bei der Parade 
erichien auc) eine Compagnie von Knaben mit lauter Piquen, 
flingendem Spiel und in milttärijcher Ordnung, welche auf dem 
Marftplage ihre Erercitia präjentirte, was bei männiglich eine 
große Freude verurjacdhte. Die jungen Leute von der Bäder- 
zunft famen jodann alle ganz weis gekleidet und mit jchönen 
Bändern geihmüdt, um aus vielen Körben das bejonders für 
die Feſtlichkeit gebackene Brod zu vertheilen. Ferner zog Die 
Küferzunft in guter Ordnung auf und jpendete Wein aus Fäſſern 
und aus künſtlich gefertigten Röhren, welche rothen und weihen 
Wein gleich einer Fontana ergojien, was curios zu jehen war 
und ein großes Jauchzen und Freude verurjachte. Ebenjo fand 
das Austheilen neugeprägter Münzen den Beifall der zahlreid) 
verjammelten Menge. Gegen Abend wurden die Kanonen gelöjt; 
die Infanterie, jorwie die Kavallerie und die Bürgermiliz gaben 
dreimalige jchöne Salven, an welche jid) eine auf dem bejonders 
gebauten Theatro mit allerhand muſikaliſchen Inftrumenten auf: 
geführte Serenade anreiht. Sodann wurde auf dem Marftplag 
unter Pauken- und Trompetenjchall ein Feuerwerk abgebrannt; 


106 Der Wiederaufbau der Stadt. 


das Nathhaus und die Hauptjtraßen waren illuminirt, und 
ſchließlich ergötzte ich die Menge an einem von der Schifferzunft 
veranstalteten Zuge, welcher mit auf Rädern und von Pferden 
gezogenen Schiffen die Straßen der Stadt durchfuhr. Den 
fremden Standesperjonen, jowie den Offiziers der Garniſon 
und der Bürgerichaft wurde unterdeifen auf dem Rathhauſe, 
im Ochſen und im Bojthauje eine Gollation gegeben, und des 
andern Tags wurde eim Freiſchießen abgehalten, zu dem Die 
Stadt einen jchönen vergoldeten Becher, die gemeine Juden- 
ichaft dagegen zwei filberne Becher und eine vergoldete Schaale 
zur Bezeugung ihrer Freud’ und Devotion jtiftete. Die Preiſe 
wurden mit gezogenen Büchſen und Flinten ausgeſchoſſen 
und Generallieutenant von Bettendorf gewann den erjten 
Preis. Das Feſt ging ohne jeden Unfall vorüber und der 
Berichterftatter wünjchte, dab die Nachkommen mit gleich- 
mäßiger großer Freud und Fröhlichkeit diejes Feſt wieder feiern 
möchten.“ 

Es jchten der Bürgerichaft zu jener Zeit bejonders nöthig, 
wirkſam auf die Privilegien Hinzumeifen, wie dies denn auch 
durch das gejchilderte Feſt geichah. Es hatten ſich gar manche 
Uebergriffe gegenüber den ausdrüdlichen Beitimmungen der 
Privilegien gezeigt, und man fürchtete vielleicht, daß davon 
immer mehr unbeachtet bleiben könnte. War doch noch nad) 
der Religionsdeclaration gegen einige Mitglieder der als be= 
jonders „gefährlich“ bezeichnete Secte der Bietijten (Clopheos, 
Hochmann, Erb, Heroje, Gulade) gewaltjam vorgegangen worden. 
Sie jollten jolange eingejperrt oder zu Schanzarbeiten ge— 
zwungen werden, bis fie zu einer der drei anderen chriitlichen 
Religionen übertreten würden. Erjt als ſie ſich troß dieſer 
Zwangsmittel in ihrem Glauben ımerjchütterlich erwiejen, ließ 
man fie auf Fürſprache hin frei. 

Dagegen waren freiwillige Webertritte zur katholiſchen 
Kirche an der Tagesordnung. Selbſt Schwindler drängten ſich 
heran u. A. eine Frauensperſon, die ich für eine Türkin unter 
dem Namen Fethmeda ausgab, die fich aber jchon in vier 
anderen Städten hatte taufen laffen und hier entlarvt und 


Der Wiederaufbau der Stadt. 107 


beitraft werden fonnte. Sie wurde drei Tage eingejperrt, mit 
einem Brandmal auf der Stirn gezeichnet und zur Stadt 
hinausgewiejen. Die neu eingezogenen Kapuziner thaten jich 
beionders in der Belehrung Andersgläubiger hervor. 

Der herrichende Krieg veruriachte der Stadt Mannheim 
mancherlei Bejchwerniffe. So wurde jie durch die Einquartirung 
mehrerer Regimenter finanziell jtarf in Anjpruch genommen. 
Der Commandant der Pfälzer und jpätere Gouverneur der 
Stadt war General von Iſſelbach. Quartier bezogen hier noch 
vier Negimenter unter General von Aulbach und faijerliche 
Truppen unter dem Generalfeldmarihall Grafen von Naſſau. 
Im ganzen genommen blieb aber Mannheim von directer Be— 
"ührung mit den Stürmen des Krieges verjchont. Nur einmal 
im Sommer des Jahres 1713 drang der Krieg bis dicht vor 
die Mauern Mannheims. Franzöfiihe Truppen waren am 
13. Juni unter General de Billars nach der Einnahme Landaus 
und Speyers bis zu der Nheinichanze der Stadt Mannheim 
vorgedrungen, und es gelang ihnen, die Schanze in ihren Beſitz 
zu bringen und ſie zu zeritören. Der furfüritliche Oberſt— 
leutnant Kuhla hielt die Schanze mit 600 Mann Garde- 
Grenadiere und Iſſelbach'ſcher Infanterie bejegt und bot vier 
Tage lang der heftigiten Beſchießung Trotz. Erjt als ihm 
der Gouverneur der Stadt befohlen hatte, jich in die Feſtung 
zurückzuziehen, verließ Kuhla jeine muthig gewahrte Poſition. 
Er vermochte die geſammte Beſatzung in der Nacht vom 28. 
zum 29. Juni, ohne daß der Feind etwas davon bemerkte, über 
den Rhein zu ſetzen. Etwa 20 Mann Garde-Grenadiere unter 
Feldwebel Wünſchhütel blieben während des Rückzugs der 
Truppen in der Schanze zurück und feuerten zeitweilig zur 
Täuſchung des Feindes einige Kanonen ab. Es gelang auch, 
alle zurückbleibenden Artillerie- und Munitionsſtücke in den 
Rhein zu verjenfen, und jchließlich Konnte ſich auch die fleine 
wadere Schaar mit ihrem muthigen Führer ungejtört über den 
Rhein retten. 

Das Erjtaunen des Feindes, al3 jih am anderen Morgen 
nichtö mehr in der Schanze rührte, war groß. Die Borficht, 


108 Der Wiederaufbau der Stabt. 


mit der ſich der Feind der Schanze näherte, erwies ſich als 
überflüjfig. Die Stätte war leer und verlafjen.*) 

Die Franzojen hielten die Schanze bis Anfang September 
(1713) bejeßt. Am 8. September zogen jie nach völliger Zer- 
jtörung derjelben wieder ab. Das folgende Jahr brachte den 
Friedensabſchluß zu Rajtatt, und damit jchwanden aud; für 
Mannheim alle weiteren Kriegsgefahren. 

In Mannheim herrſchte große Unzufriedenheit über die 
Lajten, die der Krieg durch die Bezahlung von Eontributionen 
und Uuartiergeldern mit ſich brachte. Gewiß erſchienen da— 
durch Beitimmungen der Privilegien aufgehoben, allein der mit 


*) Aus einem Rathsprotokolle vom Jahre 1713 bringt v. Feder 
folgende Beichreibung dieſer Vorgänge zur Kenntniß: „Auf den PBfingit: 
montag hat fih Marichall de Billard zum erften Male nad) Speier begeben 
und allda Poſten gefaßt, dann Landau berennet und eingeiperrt, Neuftabt beiegt, 
allda ſowohl ald Wormbs und andern Orten die Früchte aufgeichrieben, bei 
Brand und Plündern verboten, nicht das Geringfte über den Ryein paſſiren 
zu laſſen und fi nad) und nach von Speier ahn den Rhein poitirt, darauf 
auf die hieſige Schanz approdyiret und den 22. (Juni) dieſes iit der Prinz 
Eugenius bier gewejen, hat Alles genau in Augenschein genohimen, auch 
nah Möglichkeit Widerftand zu thun veriproden; ben 283, ditto hat der 
Feind angefangen ftarf auf die Schang zu canoniren, ſodann die ganze 
Nacht gewehret; den 24. ditto ift von einem allhiefigen Gonjtabler Einer 
von den voruchmiten franzöjiichen DOfficieren mit einer Stückkugel todt- 
geihoffen worden, welcher in der Kirche zu Speier begraben liegt, vor 
defjen Leben der König von Frankreich ein ganzes Regiment Lieber verlohren 
hätte, wie man fichere Nachricht bekommen. Sodann hat das Ganoniren 
den ganzen Tag continuirt und ſeynd Die Kugeln zu 25 Pfund ſchwer 
häufig an die Statt geflogen, als daß fein Menſch mehr ficher auf der 
Gajfen geweien, fie haben an den Häufern ziemlih Schaden gethan. Den 
25. haben fie gleichfalls fortcanonirt und haben bei 6 Soldaten, ein 
Schneiderdgeiell und ein Judt das Leben eingebüßt. Den 26. haben fie 
eben mäßig mit den Ganoniren fortgefahren. Den 27. Nachts gegen 12 Uhr 
weilen durch das Canoniren auf die Schaug die Häuſer in der Statt 
wegen der Abjpringung der Kugeln jo fehr ruinirt worden, auch Fein Menſch 
fiher über die Gallen gehen fönnen, haben umiere Soldaten nachdem fic 
Alles aus der Schang über den Nhein herübergeführt, ſich auch ftill 
ſchweigend hinüber begeben, und iſt die Schaug eine ganze Stunde ehr 
geitanden ; aladann die Franzoſen, da fie wahrgenearen. ſich hineingemacht 
und ſolche beſetzt haben.“ 


Der Wiederaufbau der Ztadt. 109 


diejen Kriegsausgaben verbundene Rückgang der finanziellen 
Berhältnilje der Stadt fann der Regierung nicht zur Laſt ge- 
legt werden. Zu den Kriegskoſten mußte beigetragen werden, 
das jah die Stadtverwaltung ſelbſt ein und bewilligte 1714 
die Gontributionen durch den „Licent“, eine Abgabe, die von 
jedem Bürger nach Vermögen erhoben wurde. Trotzdem ber 
Kurfürjt die Befreiung der Stadt von diejen Abgaben wünjchte, 
macht 1716 das Kriegscommifjariat eine nene Forderung von 
16000 fl. geltend, die zu erheben, die Noth gebot. Aus den 
gezahlten Raten geht einiges über die VBermögensverhältnifie 
der Stadt hervor. So trugen zu der Rate vom Yugujt 1705 
die Bürger der Stadt 3232 fl. 15 fr., die Juden 571 ft. 9 kr. 
und die wenigen. Bewohner der Feitung nur 39 fl. 10 fr. bei. 
Zur Bezahlung der neu geforderten Summe von 16000 ft. 
wurde den Juden 3000 fl. und den Metzgern 1600 fl. abver- 
langt. Um die Quartierfojten zu eriparen, geht man mit der 
Abjicht um, Kajernen fiir die Soldaten zu erbauen. 

Schlimmer als die Kriegsnoth geitaltete jich zu jener Zeit 
die Waflersgefahr. Die Stadt Mannheim wurde in den Jahren 
1703 und 1708 von großen Ueberihwenmungen heimgejucht, 
die bedeutenden Schaden anrichteten. So jpielten die Fluthen 
im Jahre 1708 bejonders der Mühlau arg mit und zerjtörten 
die dort befindlichen Feſtungswerke. 

Der oben erwähnte Rüdgang der. finanziellen Berhältniffe 
der Stadt war übrigens nur ein zeitweiliger und vorübergehen: 
der, und zwar betrifft dies nur die Zeit von 1709 bis 1714. 
Im Ganzen genommen find die Einnahmen der Stadt von Anz 
fang bis Ende der Regierung Johann Wilhelms bedeutend ge- 
jtiegen. Das Jahr 1700 3.8. verzeichnet an Einnahmen circa 
10000 fl. und an Ausgaben ca. 8000 fl., während das Jahr 
1715 eine Einnahme ın der Höhe von ca. 20200 Fl. und eine 
Ausgabe von ca. 16600 fl. aufweiſt. Das wiederaufblühende 
Leben der Stadt Mannheim geht aus diejen Zahlen deutlich 
hervor. 

Eine wejentliche fortlaufende Einnahmequelle erhielt die 
Stadt im Mai 1705 durch die ihr von der Negierung laut 


110 Der Wiederaufbau der Stadt. 


Privilegien zugewiejene jogen. fliegende Rheinbrüde. Die Er- 
trägnifje dieſer Einnahme vermehren ſich vom eriten Jahre, 
wo jie 1870 fl. 20 fr. betrugen, bis zum Jahre 1716 auf 
5098 fl. 57 kr. 

„Schon Johann Wilhelm iſt, wie Feder jchreibt, frei: 
gebig in Eoncefjionirungen und Schupbriefen. Ein Louis des 
Foſſes aus dem Lüttich’ichen fiedelt fi) im Jahre 1698 an, 
um Manufacturen zu betreiben; die Salpeterjiedereien werden 
privilegirt (1700); ein Bontemps errichtet im Jahre 1701 eine 
Porzellanfabrif und erhält ein Privilegium für die pfälztichen 
Lande. Der Maimarkt wird im Jahr 1703 eingeführt. — 
Dem Tabaf wendet jhon Johann Wilhelm jeine bejondere 
Aufmerkſamkeit zu und ernennt im Jahre 1709 in der Perſon 
von More und Tremelius zwei Tabafsinjpectoren, welche Die 
Tubafsproduction und den Tabakshandel überwachen follen 
Auch für Erleichterung des Verkehrs wird gejorgt. Die Nedar: 
brücde wird wiederhergeitellt und tm Jahre 1714 über den 
Rhein eine Schiffbrüde durch Obriftleutnant Meyern um Die 
Accordſumme von 3900 fl. ausgeführt. Die Landkutjchen, 
namentlich die Frankfurter (1707) werden wieder in Betrieb 
gejegt und die Reichspoſt beginnt, ſich zu etabliren.“ 

Die jtädtiiche VBürgerwehr hatte jchon 1701 eifrigit ihre 
Uebungen wieder aufgenommen. Als Stadthauptleute werden 
Tremelius und Altherr genannt, die zugleich aud die Ober: 
häupter der jeit 1700 wieder vereinigten Büchlenichügen jind 
und dieſen einen ſtädtiſchen Beitrag von jährlich 52 fl. erwirken. 
Die Biürgermiliz zählte 1709 drei Compagnien unter dem Be— 
fehl von Tremelius, Tulpert und Wilkhauſen. Die Juden 
müfjen, da fie vom Milizdienft ausgeſchloſſen waren, Beiträge 
zur Anichaffung von Bulver und Munition zahlen. 

Eine jcharfe Ueberwachung ber Getränte, des Bieres und 
Meines, wird eingeführt und als Prüfer werden jogen Bier: 
füfterer und Weinfüfterer aus den Nathsmitgliedern gewählt. 

In der Stadtverwaltung hatten ſich wejentliche Wandlungen 
vollzogen. Neben dem Amt des Schultheigen war das Amt 
des Anmwaltichultheiß meu eingerichtet worden. Der Vertreter 


Der Wiederaufbau der Stadt. 111 


diejes Amtes jollte dem Schultheiß in allen Rechtsſachen be- 
rathend zur Seite jtehen. Der erjte, dem diejes Amt anver- 
traut wurde, war der Rechtsgelehrte Gobin. 

In neuer Weiſe jucht die Regierung über die Rathsſitze 
zu verfügen. Die Bitte des Rathsherrn Johann Philipp 
Fuchs, im Falle jeines Ablebens jeinem Sohne jeinen Raths— 
herenfig erblich zu überlafien, wird in Anbetracht des 40jährigen 
Wirkens diejes Rathsherrn vom Kurfürjten bewilligt. Dies 
war im Jahre 1712, doch hatte man jchon jeit dem Jahre 1709 
im Voraus Nachfolger für etwa freiwerdende Nathsjite be— 
jtimmt. Man jah in diejen Bejtimmungen ernite Gefahren für 
die Freiheit der ſtädtiſchen Selbjtverwaltung. 

Der von der Regierung geförderte Stadtichultheig und 
jpätere Stadtdirector Lippe joll den Nat und die Bürger: 
meifter durch allerhand Willfürlichkeiten herausgefordert haben. 
So wird ihm vorgeworfen, daß er Leute ohne irgendiwen zu 
fragen „für jeine eigene Plaiſir“ habe einjteden laſſen. Der 
Rath bejtimmte daher, daß die Bürgermeijter die Garcerjchlüjjel 
bei ich behalten jollten. igenmächtige Beitimmungen des 
Schultheiß über die Wiejennugung und Grasvertheilung wußte 
der Kath energijch abzumehren, wie er fich auch gegen verjuchte 
Eingriffe von Seiten der Regierungsbehörden, 3. B. im Jahre 
1710 gegen ein Borgehen des Geheimrath von Heumüller 
wirkſam zu verwahren wußte Der Kurfürjt trat im Diejen 
Sachen gewöhnlich auf die Seite des Nathes und verficherte, 
daß er die Privilegien nicht angetajtet jehen wolle. 

Im Jahr 1701 gelangte die Einheit der gejammten Stadt- 
verwaltung einjchließlich der bisherigen Feſtung Friedrichsburg 
zur Berwirklihung. Stadtſchultheiß Lippe wurde zugleich auch 
zum Schultheiß von Friedrichsburg ernannt — eine damals 
höchſt beicheidene Erweiterung jeines Amtes, für die er nicht 
einmal das als Entjchädigung erbetene Sutter für ein Pferd 
erhielt, da der Bla der Feſtung nur erjt von wenigen Leuten 
wieder bezogen war. Die Bedeutung der Vereinigung dieſer 
bisher getrennten Aemter war erjt den kommenden Geichehnijien 
zu entnehmen, 


112 Der Wiederanfban der Stadt. 


Schon am 5. Mai 1699 Hatte der Kurfürjt Johann Wil- 
helm dem Schulthei Lippe und dem Nathe geichrieben: „Nach— 
dem der Herr Generallieutenant von Coehorn eheitens zu 
‚Mannheim wird ankommen oder vielleicht jchon angelangt jein, 
umb die Fortififation allda einzurichten, als befehlen wir Euch, 
gedachten Herrn GSenerallieutenant in allem und jedem, jo er 
oder der Generaladjutant von Heldevir jeinetwegen begehren 
wird, förderjamjt an die Hand zu gehen, auch hierinfalls nichts 
erwidern zu lafjen.“ 

Der Kurfürit nahın ji) der Erbauung der Stadt ge: 
wijjenhaft an und überließ eine jo wichtige Sache feines: 
wegs dem Zufall oder der Willfür. Witt jeinem feinen Kumit- 
geihmad war er. gerade der geeignete Mann, hier einzugreifen 
und die richtige Kraft zum Entwurfe des Planes zu erwählen. 

Rad) dem unter Oberleitung Coehorns von Ingenieur 
Kottum ausgeführten und im September 1709 fertig geitellten 
Plane des ehemals die Feſtung bildenden Stadttheils und der 
Befejtigungswerfe wurde Stadt und Fejtung definitiv vereinigt. 
Die Stadt zahlte dem Ingenieur Nottum für die Ausführung 
des Planes eine Vergütung von 20 Thalern. 

Auch für den Bau der Häujer diejes nunmehr neu zur 
Stadt gehörenden Theiles traf der Kurfürſt durch einen Er- 
la vom 29. Januar 1710 bejondere Beitimmungen, die zur 
Wohlgeftaltung des Stadtbildes beitragen jollten. 

Zwar nahm die Ausführung des Planes lange Zeit in 
Anjpruch, doch war jie wohl gelungen und ganz in der Art 
des früheren Characters der Stadt gehalten unter Einbeziehung 
der Feſtung. Hatte der Kurfürjt auch nur einmal die erit im 
Werden begriffene und ihm noch fein Heim gemwährende Stadt 
im November 1712 beiucht, jo hatte er doch die Wiederer- 
bauung der Etadt jtark gefördert, und dieſe Wiedererbauung 
wurde unter ihm im geichmadvoller und charakterijtiicher 
Weiſe begonnen. 

Die alten Maßſtäbe für die Beurtheilung der Regierung 
eines jo feinfühligen und kunſtſinnigen Fürjten veichen heute 
nicht mehr aus, und die jcharfe Verurtheilung jeiner ‚Fehler 





Der „Tempel der Eintracht” vor feiner Ferftörung 1689, 


Der Wiederaufbau der Stadt. 113 


vom Standpunkte calviniicher Nüchternheit und geiziger Spar 
jamfeit läßt jeine Vorzüge nicht mehr verwiichen. Auch die 
derben Urtheile der offenherzigen Lijelotte heben mehr Die 
Fehler als die Vorzüge diejes Fürſten hervor. Sie iſt der 
neuen Zeit gegenüber feine competente Richterin mehr. 

Seine jo viel gerügte Bevorzugung der fatholiichen Reli— 
gion, jeine Schwärmerei für Ludwig XIV., den er gelegentlich 
auc zum Berather in Religionsjachen machte, jtand in vieler 
Beziehung mit jeinem großen Kunſtſinnn in Verbindung, der 
ſich aber auf dem Gebiete der Kunſt jelbjt ganz frei bethätigte. 
Das beweilt des Fürſten Vorliebe für die lebensvolle nieder- 
ländiſche Malerei. Die herrlihde Sammlung niederländiicher 
Gemälde, die der Fürft für jeine Galerie in Düffeldorf ans 
faufte und die fich heute in der alten Pinakothek zu München 
befindet, ift jebt noch ein Schatz der Bildung des deutichen 
Bolfes. 

Ein ſolcher Fürſt, der zugleih auch Düffeldorf zu der 
heute noch bedeutenden Kunſtſtadt geitaltete, der einen Meiſter 
wie Gabriel Grupello zu würdigen wußte und ihn, den ehe- 
dem einfachen Mautrergejellen, in den Adeljtand erhob, fann 
nur mit aller Hochachtung als der Wiedererbauer Mann- 
heims bezeichnet werden, das er in Schutt und Aſche vorge: 
funden. Er bat den Grund gelegt zu einer großen, gar bald 
auch in Mannheim Fuß faffenden Kunftpflege und jo auch für 
dieje Stadt eine Zeit vorbereitet, deren Kunſt in ihrer glanz- 
vollen Echönheit noch bis in unjere Tage hineinleuchtet. 


REN 


Deler, Geichichte der Stadt Mannheim 8 





IX. 


Mannheim wird Reſidenz. 


Kurfürft Karl Philipp als Statihalter in Tirol — Huldigungsfeier in 
Mannheim — Rückkehr — Kunſtſinn des Fürften — Mangel an Gelegen- 
heit, ihm zu bethätigen — Erſter Bejuch des Fürften in Mannheim und 
erite Werthihägung der Stadt — Der Streit um die Heilige-Geift:Stirche 
in Heidelberg — Die Erfenntniß eines großen Schaffensgebietes in der 
neu erjtehenden Stadt Mannheim — Entihluß des Fürſten, bier zu 
wirten — Erhebung Mannheims zur furfürftlichen Reſidenz. — 


Genʒ im Geiſte ſeines Bruders Johann Wilhelm ſetzte 
Carl Philipp die Regierung der ihm erblich zugefallenen Län— 
der fort. 

Johann Wilhelm war am 8. Juni 1716 in Düſſeldorf 
geſtorben. Ein prächtiges Standbild von Grupello ehrt dort 
ſein Andenken. In Mannheim wurde der Tod des Kurfürſten 
am 15. Juni von Stadtdirektor Lippe bekannt gegeben, der 
auf dem Rathhauſe eine Gedächtnißrede hielt. 

Der neue Kurfürſt Karl Philipp hatte die große Kunſt— 
pflege jeines Bruders vor Augen gehabt und dieje aud) recht 
zu verjtehen gewußt, da er jelbjt ein funftliebender und kunſt— 
verftändiger Mann war. Bon jtattlicher, edler Erjcheinung 
und ritterlicher Art, humorvoll und doch feinfinnig galt er 
feinem Weſen nad als einer der vornehmjten Fürſten 
jeiner Zeit. 

Zur Bethätigung feines Kunſtſinnes bedurfte er eines 
neuen großen Feldes. Er wollte nicht nur das von jeinem 


Mannheim wird Refiden;. 115 


Bruder Gejchaffene übernehmen, jondern er wollte fich jein 
Reich jelbit gejtalten, er wollte in jeinen eigenen Schöpfungen 
leben. 

Da richtete ſich dem jein Auge gar bald auf die auf: 
blühende Stadt Mannheim. 

Karl Philipp war zur Zeit, als er aurfürſt der Pfalz 
wurde, kaiſerlicher Statthalter zu Innsbruck. Er lebte dort 
wie ein Fürſt, feierte glänzende Feſte und empfing ſelbſt 
hervorragende Fürſten, ſo z. B. im Jahre 1711 den zum 
Kaiſer gewählten König Karl VI. Er beeilte ſich nicht, als 
ihm die Länder ſeines geſtorbenen Bruders zufielen, ſeine herr— 
liche „Reſidenz“ in Tirol zu verlaſſen. Verſchiedene Gründe 
ſollen zu dieſer Verzögerung mit beigetragen haben. So ſoll 
er ſchon der Einkünfte ſeiner Statthalterſchaft wegen dieſelbe 
nicht ohne Weiteres haben verlaſſen wollen, da in ſeinen Erb— 
landen rückſtändige Forderungen der Zahlung harrten und Die 
nöthigen Summen aufzubringen waren. WUndererjeits will man 
wijjen, daß er nur deshalb mit jeinem Einzuge in jein neues 
Land gezögert habe, um die Abreije jeiner Schwägerin, der 
Gemahlin des veritorbenen Kurfürjten nach Florenz abzu— 
warten, denn er habe gejchworen, nicht eher das Land zu 
betreten, als bis feine Schwägerin, die ihm jchwer gefränft 
hatte, dasjelbe verlafjen. Dieje joll ıhn, als er einjt als Prinz 
nad Düſſeldorf zum Bejuche gefommen war, nicht zur Tafel 
zugelafjen haben, da jie zu ihrer Tafel nur regierende Fürſten 
laden wollte. 

Bunädjt ſetzte Karl Philipp einen Gonferenz = Rath zur 
Vertretung der Regierung ein. Diejer Rath) bejtand aus dem 
Grafen von Schäsberg, von Globen, von Wiejer, den Freiherren 
von Hundheim, von Sidingen, von May, von Hillesheim und 
von Moras. Es wurde jtrengjtens unterjagt, ſich irgendwie 
an den Fürjten jelbjt nad) Innsbruck zu wenden. 

Die dem neuen Fürſten gewidimete Huldigung der Stadt 
Mannheim nahmen am 22. Dezember 1716 für den abwejen- 
den Fürſten die Negierungsräthe Graf von Wiejer und Herr 
von Moras entgegen. 


8* 


116 Mannheim wird Nefiden;. 


Tieje Huldigung geitaltete jich zu einer bejonderen Feier. 
Die Stadt empfing am 21. Dezember die Vertreter des Fürften 
in feftliher Weile. Die Bürgergarde einjchlieglih der Jung- 
gejellencompagnie bildete Spalier von der „Stadt Jerujalem* 
(jedenfalls am Heidelberger Thor) bis zum Abfteigequartier 
der hohen Gäfte, dem „Goldenen Schwanen“ (E 3, 1): Ein 
fejtlicher Zug bewegte ſich dem Gejandten bis zur Seden- 
heimer Weide entgegen — voraus zwei Compagnien Weiter 
mit Standarten, Trompetern und Heerpaudern, dann in 12 
Kutichen und Chaiſen der Stadtrath, die Geijtlichen und 
Nektoren. Nach der Begrüßung der Herren „Commiſſäre“ 
durch den Stabtdireftor Lippe ftiegen diejelben in eine mit 6 
Pferden beipannte Kutſche, der ein ebenfalls Hipänniger Wagen 
vorausfuhr. 

Am anderen Tage, dem 22. Dezember, Vormittags erfolgte 
dann die eigentliche Erbhuldigung Nah Abhaltung eines 
Tseitgottesdienftes in der Rathhauskirche begaben fich die Ge- 
jandten auf ein vor dem Rathhaus aufgejchlagenes, mit 
ichwarzem Tuch beffeidetes Podium. Die Commiffäre be- 
jtätigten den Bürgermeijtern Meyer und Inden im Wuftrage 
des Fürften die Privilegien und die verjammelte Bürgerichaft, 
ihr voran die Viertelmeifter durch Handtreu, leijteten Hier auch 
den Huldigungseid. Für die „in jauberer Kleidung aber er- 
ichienene Judenſchaft“ gab der Rabbiner allein Handtreu, 
während die Menoniten „insgefammt“ Treue ſchworen. 

Auf dieje öffentliche Huldigung fand dann noch in der 
unteren „Rathhausftube” die Huldigung des Stadtraths, der 
Geiſtlichkeit und der jtädtiihen Beamten unter Handichlag und 
Eidesleiitung jtatt. Ein bis in die Nacht hinein währendes 
Feſteſſen beichloß den feierlichen Alt, und am folgenden 
Morgen früh 8 Uhr fuhren die Eurfürftlichen Regierungsräthe 
unter derielben Begleitung, die fie bei ihrer Ankunft gefunden, 
wieder zur Stadt hinaus. 

Als ein wichtiger Tag für die weitere Entwidelung 
Mannheims fann der 29. Auguſt 1718 angejehen werden. 
An diefem Tage jtattete Karl Philipp als Kurfürlt der Stadt 


Mannheim wird Refiden;. 117 


Mannheim jeinen eriten Bejuch ab, Allerdings war der Kur— 
fürft ihon 10 Tage vorher frühzeitig am Morgen einmal mit 
jeinem Gefolge durch die Stadt gefommen, als er von 
Schwegingen aus zu einer Jagd in den Stäferthaler Wald 
zog. Am 29. Auguft (einem Montage) fand jedoch der feit- 
fihe Empfang des Fürſten von Geiten der Mannheimer Be- 
völferung jtatt, und an dieſem Tage lernte der Fürſt Die 
Mannheimer Bürgerijhaft und die Stadt Mannheim zum 
erjten Mal näher kennen. 

Die Eindrüde, die der Fürſt hier gewann, ließen ihn 
bier ein großes Feld der Thätigfeit erkennen. 

Seine Jagdzüge in der Nähe Mannheims hatten Karl 
Philipp die jchöne Lage der Stadt in dem großen Strom: 
gebiet vor Augen geführt, jein erjter Beſuch der Stadt machte 
ihn auf die aufblühende Entwidelung und die große Entwide- 
lungsfähigfeit diejes Plates aufmerkſam. 

Der Gedanke, bier jelbitichöpferiich einzugreifen, bier mit 
jeinem Schaffen und Weitergejtalten einzujegen, MWerdendes zu 
fördern und zu vollenden, mußte dem jchöpferiichen Sinne des 
Fürſten nahe treten. 

Karl Philipp war erfreut über die feitliche Aufnahme, 
die ihm die regſame Bevölkerung Mannheims bereitete. Als 
Abfteigequartier des Fürften wurde das dem Nathhaus jchräg 
gegenüberliegende ſchön gebaute Haus (R 1, 1), das damals 
dem als hervorragenden Finanzmann befannten Bankier Emanuel 
Dppenheimer gehörte und das jpäter die freiherrliche Familie 
von Hillesheim anfaufte, von der Stadtverwaltung auserjehen. 
Als der Kurfürit gegen 11 Uhr vormittags mit der Kur— 
prinzeſſin, jeiner Tochter Clijabeth (der Gemahlin des Erb- 
prinzen SDojepp Karl von Sulzbah) und dem gejammten 
Hofſtaat eintraf, war auf dem Marftplak die Bürgerwehr 
aufgeftellt. Trommeln, Schalmeien und Waldhörner erjchall- 
ten zur Bewillfommmung des Landesherrn. Allgemeines Vivat- 
rufen erbrauite, als der Fürſt vom Ballon aus die verjammelte 
Menge begrüßte. Das Feſteſſen gejtaltete ſich lebhaft, die 
Bürgerichaft jtrömte herbei und umringte die Tafel. Der 


118 Mannheim wird Nefidenz. 


Kurfürjt wurde durch die Herzlichkeit der Freude der Bevöl— 
ferung über feine Anmejenheit jehr bewegt. Dieje guten Ein- 
drüde konnten auch durch einen Unfall, der sich bei der am 
Nachmittag auf Stadtfoften arrangirten jog. Waiferjagd (der 
Jagd nah Hirjchen durch den Strom) ereignete, nicht getrübt 
werden. Zwei „Herren“ wurden dabei aus Lmvorfichtigfeit, 
doch nicht gefährlich, verwundet. 

Bon diefer Zeit an fahte der Kurfürſt eine Hofhaltung in 
Mannheim ins Auge. Er ließ fih zunächſt das Oppen— 
heimer’iche Haus für feine weiteren Bejuche der Stadt durch 
Bermittelung des Obermilizfaftors Lemble Moyſes zujichern 
und befahl dem Stadtdireftor Kippe, hierüber die „nöthige Ob— 
ficht zu tragen.“ 

Karl Philipp konnte ſich nach dem ihm schwer gewordenen 
Berlajjen feines herrlichen Wohnliges in Tirol (1717) in jeinem 
Heimathlande nicht gleich wohlfühlen. 

Zunädit wollte er ſich Neuburg wieder heimijch machen, 
allein der Gegenjaß mußte doch zu groß gewejen jein, als daß 
er ihn lange aushalten fonnte. 

Er verjuchte daher, Heidelberg zu jeiner Reſidenz zu ge: 
jtalten. Die Heidelberger waren des Hofes und einer Hof: 
haltung ſchon recht entwöhnt, als Karl Philipp im November 
1718 in ihrer Stadt jeinen Einzug hielt. 


Der Fürſt, deſſen Eunitgeiibtes Auge bald jeinen Blick auf 
die ſchöne Heilige-Geiſt-Kirche warf, begehrte jchließlich dieſe 
für fich, unter der Begründung, daß fie urjprünglich als katho— 
liſche Hoffirche errichtet und die Ruheſtätte jeiner Vorfahren 
jei. Er begehrte dieje Kirche gleichjam als ein Bewillkomm— 
nungsgeichenf jeiner Ueberjiedelung nach Heidelberg. Allein die 
Heidelberger Calviniſten dachten nicht daran, von ihrem ihnen 
ohnedies gefährdet erjcheinenden Belit und Recht irgend etwas 
freiwillig abzutreten,. Sie weigerten jich mit aller Energie und 
ald der Kurfürit eigenmähtig durch Gewalt diefe Kirche in 
jeine Hände brachte, riefen fie die Hülfe Preußens, Englands, 
Hollands u. a. Staaten an, auf deren ntervention hin der 


Mannheim wird Refidens. 119 


Kurfürft die Kirche den Calviniſten in der alten Weije wieder 
zurüdgeben mußte. 

Der Kurfürit jah, daß er bier fein Gebiet zur Entfaltung 
eines aus eigenmächtigem Willen hervorgehenden Kunftichaffens 
vor ſich hatte. Die Tradition hatte hier alles jchon vergeben 
und die Stadt lag eingeengt durch die Wände der Bergketten. 

Vom Schloſſe aber jchweifte jein Blick hinüber nach der 
neu erjtehenden Stadt Mannheim in die weiten Spielraum ge- 
währende Ebene — dort blühte neues Leben empor, dort be= 
durfte es noch der jchöpfertichen Hand, die das Werdende mit 
Glanz und Schönheit erfüllte, die Nüchternheit und Werkel— 
täglichfeit in eine höhere Sphäre erhebt. 

Wohl Hatte ihm der Gedanke, hier jchaffend einzugreifen, 
jeit feinem Bejuche Mannheims vorgefchwebt, allein es bedurfte 
noch eines bejonderen Anlafjes, ihn zur That reifen zu lafjen. 

Jetzt Hatte fich diefe Reife vollzogen. Der thatenlujtige 
Fürſt erfaunte klar jein neues, längjt gejuchtes Arbeitsfeld. Er 
faßte den feſten Entichluß, Heidelberg zu verlaſſen und Manns 
heim zu jeiner Reſidenz, zur Stätte feines Wirkens zu machen. 
Wie eine Befreiung von langem Unbehagen, das jchließlich zu 
falihen Handlungen treibt, mußte der Fürſt dieje Erfenntniß 
empfinden. 

Am 19. April 1720 ließ Karl Philipp dem Stadtrat 
Mannheims fundgeben, daß er beichloffen habe, Mannheim 
dauernd zu jeiner Refidenz zu machen und auch jänmtliche 
Dikafterien und Körperfchaften von Heidelberg nah Mannheim 
zu verlegen. Am 15. Mai ſolle das Hofgericht bereits jeine 
erste Sitzung in Mannheim abhalten. 

Ueber dieje Nachricht war in Mannheim die Freude groß. 
Der Rath übermittelte jogleih durch „Expreſſen“ dem in 
Schwetzingen weilenden Kurfürſten jeinen Dank. 

Das Oppenheimer'ſche Haus am Markte (das jetzige Caſino) 
wurde mit großem Eifer zu einer interimiſtiſchen Reſidenz ein— 
gerichtet und die angrenzenden Häuſer für die Hofhaltung mit 
dazu genommen. Die beträchtlichen Mittel, die die Stadt 
für dieſe Reſidenz des Fürſten aufwendete und die von 1720 


120 Mannheim wird Refidenz. 
bis 1727 jährlich etwa 3—13000 fl. betrugen, wurden von der 
Bürgerjchaft gern gejpendet in Anblick des rajchen, fichtlichen 
Aufſchwungs Mannheims. 

Wie angefündigt, fand aud) bereits am 15. Mat 1720 
die erſte Sitzung des Hofgerihts in Mannheim ſtatt. Bis 
Monat Oktober desjelben Jahres waren alle übrigen Körper: 
Ihaften der Regierung nah Mannheim übergefiedelt. 


Auf zwei Tage fam der Kurfürit im Monat Mai und 
zwar am 29, und 30. 1720 nah Mannheim, um bei der feier- 
lihen Weihe der großen Glode der Fatholifchen Rathhauskirche 
perſönlich theilzunehmen. Die Weihe vollzog Weihbiſchof Gegg 
aus Worms, 

Am Abend desjelben Tages aber jollte noch eine für die 
Geftaltung des Stadtbildes hochwichtige Beitimmung getroffen 
werden. Der Kurfürjt bejichtigte den füdlich von der Stadt 
am Rhein gelegenen Plab, der für die Erbauung eines neuen 
furfürjtlichen Schloffes auserjehen war und erklärte ſich mit 
Drt und Stelle einverjtanden. 


Mit der bereits am 2. Juli 1720 erfolgten Grundjtein- 
legung*) zu dem Kurfürftlichen Schlofie wurde zugleich auch der 


) Bei diejem Feſtakt, der Freier des eriten Geburtstags einer neuen 
Kunſt in Mannheim, waren anweſend: Negierungspräfident B. v. Hillesheim, 
die Geheim-⸗ und Regierungsräthe Graf v. Wieſer, v. Stechinelli, v. Berling, 
B. v. Yrſch, v. Reiſach, v. Sachſe, dv. Metzger, v. Moras, v. Fritz, Fleck 
v. Roſeneck, v. Lüls, v. Becker, Schwan, Schumm, v. Scherer, Degen, 
Hartſöcker, Zumpuz, Cochemius, Hofgerichtspräſident B. de Beveren, die 

Hofgerichtsräthe Graf v. Inzaghy, v. Schallenheim, v. Gudenus, Graf 
v. Arz, dv. Saida, Graf v. Effern, B. v. Stechau, v. Nifetti, v. Bücharts, 
v. Jungwirth, Burger, der Director des Kriegskommiſſariats v. Scherer 
und feine Beiräthe Grael und Wilhelmi, die Hofkammerpräſidenten L. B. 
v. Sickingen und 2. B. v. Dalberg, die Hofkammerräthe Zwengel, Rapp, 
Gräber, Fromarz, Reichmann, Bonn, Creuzer, Mayer, Douven, Ruprecht, 
v. Zangen, die geiftlichen Käthe v Müller, Huben, Linck, Schmiz, Brauer, 
Bezani, Jacobi, Hofrath und Stadidirector Lippe, Vizevorſteher Gobin, 
die Bürgermeiſter More, Pompejati, die Stadträthe Fuchs, Beer, Forch— 
mayer, MWeger, Inden, Lauffs, Senffert, Neibeld, Mang, Bel und Stadt: 
ichreiber Schweiger. 


Manuheim wird Nefidenz. 121 


Grundjtein zu einer neuen großen Bethätigung Mannheims 
gelegt: zur Bethätigung auf dem Gebiete der Kunſt. 

Den bedeutungsvollen Akt beging man in feierlicher Weije. 
Kurfürjt Karl Philipp traf am Feſttage mit dem Erbprinzen 
von Sulzbach jhon morgens früh 7 Uhr, von Schweßingen 
fonımend, in Mannheim ein. Um 10 Uhr begab jich der Fürſt 
mit jeinem hohen Gajte, den Minijtern und Näthen, den Be— 
amten und dem Stadtrath nad) dem Bauplake, wo für ihn ein 
Zelt aufgejtellt war, und wo Weihbijchoff Gegg bereits das 
Amt angefangen hatte. 

Nah Beendigung des firchlihen Amtes trat der Kurfürit 
aus dem Zelt und legte feierlichit eine Anzahl jilberner und 
goldener Münzen und Medaillen und ein auf Pergament her: 
gejtelltes Schriftitiid mit den Namen der Anwejenden in den 
Grundjtein. 

Als der Kurfürft in jeine provijoriiche Rejidenz am Marft- 
plag zurüdfam, jagte er bedeutungsvoll: „Jetzt ijt der Anfang 
gemacht, zweifelt nicht mehr daran, Gott jegne es!“ 

In demjelben Jahre noch, am 14. November 1720, jiedelte 
der Fürſt für immer in die Rhein- und Nedarjtadt über. 
Mannheim war Nejidenz geworden. 





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X. 
Karl Philipp. 


Karl Philipps Jugend — Glänzende TFamilienbeziehungen — Seine Ver: 
mählung mit der Prinzeffin von Radziwill — Seine Tapferkeit in den 
Feldzügen gegen die Türken — Seine Tochter Elifabeth Augufta — Die 
Gräfin von Thurn und Taris — Schickſalsſchläge — Ungebrochenes Wirken. — 


KRatt Philipp iſt am 4. November 1661 zu Neuburg 
geboren. Seine Jugend fällt in eine Glanzzeit des Haufes 
Neuburg, das mit erjten Fürjten Europas in Familienverbin— 
dungen trat. So heiratheten von jeinen 8 Schweitern hervorragende 
Fürften: Eleonora Magdalena 1676 den jpäteren Kaifer Leo- 
pold, Maria Anna den König von Spanien Karl IL, Maria 
Sophia den König Peter II. von Bortugal, Dorothea Sophia 
den Herzog Odoardo von Barma und Piacenza und Hedwig 
Elifabeth Amalia den Prinzen Ludwig Sobiesfi, den Sohn 
des Königs Johann III. von Polen. 

Dieje letztere Verehelichung bildete gleichjam eine Berjöh- 
nung des polnijchen Fürftenhaufes mit dem Haufe Neuburg. 
Sobiesfi hatte bereits um die Hand der Wittwe des Mark: 
grafen Ludwig von Brandenburg (eines Sohnes des großen 
Kurfürjten), der erſt 21 Jahre alten Prinzeſſin Luije Charlotte 
von Radziwill angehalten und von ihr das Jawort erivorben, 
al3 jeine Braut furz vor der Hochzeit den zu den angejagten 
Bermählungsfeftlichfeiten herbeifommenden Karl Philipp kennen 
lernte. 

Und jo bezauberte Prinz Karl Philipp die junge Wittwe, 
daß er ihr Herz im Sturme eroberte, fie nichts mehr von 


Karl Philipp. 123 


ihrem polnischen Bräutigam wiffen wollte, diejem abjagte und 
ſich am gleichen Tage, an dem fie ſich mit Sobiesfi verehe- 
lichen wollte, mit Karl Philipp vermählte. Die Hochzeit wurde 
im Auguſt 1688 zu Berlin feftlih begangen. Das dadurch 
berbeigeführte Zerwürfniß der polnischen und neuburger 
Fürſtenhäuſer wurde ſchließlich dadurch beigelegt, daß Sobieski, 
wie oben gemeldet, eine Schweſter Karl Philipps heirathete — 
für das Haus Neuburg ein neuer, merkwürdiger Triumph. 

Karl Philipp war zunächſt frühzeitig in den geiſtlichen 
Stand getreten und hatte das Canonicat erſt zu Salzburg 
und dann zu Cöln erhalten. Einen jo lebensfrohen, thaten— 
luſtigen Manne konnte aber der geijtliche Beruf nicht feffeln. 
Er hatte jich beitändig in der Kunſt der Waffen geübt und 
den Johanniter-Orden angenommen. Er erbat fich denn auch 
Dispens von jeinem geitlihen Stand, der ıhm in Anbetracht, 
dab jein älterer Bruder, Johann Wilhelm, kinderlos blieb, 
und jeine anderen Brüder ebenfalls der Kirche (jpäter ala Dom: 
herrn und Biichöfe) dienten, gewährt wurde. 

Sogleich betheiligte er ſich als Volontair an den Feld— 
zügen gegen die Türken in Ungarn, und dabei zeichnete er ſich 
durd; Muth und Tapferfeit aus. Am glänzenditen bethätigte 
er jeine Tapferkeit bei der Einnahme von Ofen 1686. 

Zu den Führern und Xeitern der Erſtürmung diejer 
Feſtung gehörte auch der tapfere Prinz Ludwig Wilhelm von 
Baden, der „Türkenlouis“ genannt und vielberühmte Held 
jenes Krieges. 

Auch nach jeiner Verehelihung mit Luiſe ven Radziwill 
jchloß ſich Karl Philipp noch den weiteren Feldzügen wider die 
Türfen an — ein müſſiges Leben war nicht Sache dieſes 
ritterlichen Prinzen. Im Jahre 1695 wurde er General der 
Kavallerie und ein Jahr jpäter General: Feldmarichall. 

Der 1698 endende Krieg gegen die Türken Hatte 
dem tapferen Prinzen weithindringenden Ruhm einge— 
bracht. Schon im Jahre 1695 am 26. März furz vor feiner 
Ernennung zum General-Feldmarſchall war jeine erit 28 Jahre 
alte Gemahlin im Kindbett gejtorben. Streitigkeiten wegen 


124 Karl Philipp. 


des Erbes und der Verwaltung der Radziwill’ichen Güter 
wurden zuerjt durch einen Vergleich beigelegt. Die Liebe des 
Prinzen Karl Philipp zu feiner Gemahlin wandelte fich nun 
in eine heiße väterliche Liebe zu jeiner Tochter Elijabeth 
Augufta Sophia. Die Liebe zu diefer Tochter blieb auch troß 
jeiner am 15. Dezember 1701 erfolgten VBermählung mit der 
polniſchen PBrinzejiin Therejia Katharina, Tochter des Fürſten 
Carl Lubomirski, in gleicher Kraft und noch über dieje Ehe 
hinaus fjortwaltend. Karl Philipp verlor jeine zweite Ge— 
mahlin bereit3 im Jahre 1712 in Jnnsbruck. 

Dieje jeine zweite Gemahlin hatte ihm zwei Mädchen ge- 
boren, denen aber nur furze Lebensdauer bejchieden war. Und 
da auch drei der Kinder jeiner eriten Gattin, ein Sohn und 
zwei Töchter gleich nad der Geburt gejtorben waren, jo blieb 
ihm nur als ſein einziges Kind die jchon genannte Elijabeth 
Augufta. 

Sie .war jeine „Troſt und jeine Freude“. Trotzdem fie 
ih am 2. Mat 1717 mit dem Erbprinzen von Sulzbad) 
Sojeph Karl Emanuel vermählte, weilte fie oft noch bei ihrem 
Bater Karl Bhilipp. Wie erwähnt, hatte diejer in ihrer Bes 
gleitung zuerjt die Stadt Mannheim bejudht. Sie fiedelte mit 
ihrem Gemahl jpäter nach Mannheim über und vertrat hier 
gleihjam die Kurfürjtin. Des Abends hielt die Prinzejfin die 
Tafel, des Nadymittags fanden im „Staat3damengemach“ größere 
Gejellihaften jtatt, wobei auch Concerte arrangirt wurden. 
Die Brinzeifin trug jelbjt italienische Gejänge vor und lieh 
fi) dabei von ihrer Kammerfrau, einer Stalienerin Namens 
Claudia, begleiten. Des Defteren wurden aud Muſiker der 
damal3 berühmten furfürjtlichen Kapelle hinzugezogen. So 
erfüllte die Prinzefiin denn das Heim des Kurfürjten mit 
gejellichaftlichem Leben und froher Kunit. 

Ein furhtbarer Schlag war e3 für den Kurfürjten, als 
ihm die hei geliebte Tochter im Jahre 1729 entrifjen wurde. 

Elifabeth Augufta ftarb am 18. Juli diefes Jahres in 
Mannheim. Der fchon alternde Kurfürſt hat den Gram über 
diejen fir ihm jchmerzlichiten Verluſt nie ganz überwinden können 


Karl Philipp. 125 


zumal auch die beiden Söhne jeiner Tochter in jungen Jahren 
geitorben waren, 


Roc) ein weiterer jchwerer Verluſt betraf den Kurfürften 
im Jahre 1734. Heimlich hatte er fich mit der Gräfin Violante 
Therefia von Thurn und Taris verbunden und vermählt. An 
dem Herzen diejer zarten rau hoffte er Linderung feines 
Schmerzes zu finden. Allein auch fie entriß ihm der Tod 
und der Unerbittliche raffte auch die beiden Söhne dahin, die 
jie dem Fürſten jchenfte. Wohl zum Gedächtniß diejer Kinder 
ließ der Kurfürft in einem Saale jeines Schlofjes zu Mannheim 
ein noch heute zu jehendes großes Plafondbild malen — eine 
rührende Apotheoſe jo früh Dahingejchiedener. 

Nah dem Tode der Gräfin am 3. November 1734 gab 
der Kurfürft, um das Andenken der verftorbenen Frau vor 
faljchem Gerede zu bewahren, öffentlich befannt, daß fie vom 
Kaiſer 1733 in den Reichsfürftenftand erhoben worden und 
rechtmäßig jeine Gemahlin gewejen fei. 

Ihren Leichnam ließ er in der Gruft der hiefigen Schloß: 
fapelle beijegen, und er traf für den Fall jeines Todes die 
Beitimmung, daß man feine Leiche in bderjelben Gruft bei- 
ſetzen jolle. 

Trog dieſer Schickſalsſchläge bewahrte jich der Kurfürft 
doch bis an jein Ende einen Haren, hellen Sinn für jein 
Wirken. Die Kunſt war es, die er im ihrer troftreichen 
Schönheit erfannt hatte und für die zu wirken, ihn mit 
beruhigender Freude erfüllte. 

Auch durch jeine Mithilfe an der Erziehung des jungen 
Prinzen Karl Theodor, eines Neffen jeiner Tochter Elijabeth 
Auguſta, der längere Zeit am Hofe zu Mannheim weilte, fand 
der Kurfürſt einen gewilien Trojt, boffend, damit auch für 
künftige Gejchlechter den Grund zu edler Kunſtpflege gelegt zu 
haben. 


Wir jehen den Fürften vor unſerem geiftigen Auge als 
eine ritterliche, in der Liebe jieghafte, ſtolze und tapfere, doc 


126 Karl Philipp. 


auch eigenmächtige Berjönlichfeit voller Thatenluft und Kunſt— 
finn, nicht zu brechen durch das herandringende Leid der Welt. 

Der von lebhaften Hoffnungen erfüllten Bevölferuug der 
wiedererjtehenden Stadt Mannheim kam der Kurfürjt Karl 
Philipp mit feinen Unternehmungen größerer Bauten durchaus 
entgegen. 

Man erwartete dieje Bauten gleihjam wie eine Krönung 
des werdenden Werkes und empfand es als eine große Genug: 
thuung, daß gerade die Stadt, die der Feind völlig vernichtet 
zu haben meinte, mit neuem Glanze aus der Aſche emporwuchs. 


Die Bevölkerung zeigte fich daher jchnell bereit, für Großes 
auch Großes einzufegen. Sie wußte nur zu gut, daß weithin. 
wirfende Ehre und Bedeutung nicht ohne Opfer und fühnen 
Wagemuth zu erwerben find. Das bloße Werktagsleben, das 
ſich in Fleinbürgerlichen Einrichtungen genügt, kann einer Stadt 
nicht allein eine Bedeutung unter den deutſchen Städten geben. 
Sollte Mannheim wieder wie früher hervorragen durch eigen- 
artige Unternehmungen, durch eigenartigen Charafter, jo mußte 
von Neuem hierfür Geld und Gut eingejeßt werden. Die 
Bevölferung begrüßte daher den Fürſten, der große Pläne mit 
der Stadt Mannheim verband, mit heller Freude. Ste gab 
jogar jeinem Eigenmwillen in vieler Beziehung nach und murrte 
nicht, wenn er manche ihr lieb gewordene Freiheit mihachtete. 
Der fichtlihe Mufihwung, die wachjende Bedeutung der Stadt 
tröftete jte über manche Willfürlichfeiten des Fürſten. 

E3 wäre geradezu unrichtig und komiſch zugleich, wenn 
man Fürjten wie Karl Philipp und dejjen Nachfolger Karl 
Theodor als „treue Diener ihres Staates" bezeichnen würde. 
Sie waren nicht weniger wie Diener, fie hatten unleugbar 
viel Despotiiches an fich, ſie waren vielmehr durchaus jelbit: 
herrichende und eigenmäcdhtig handelnde Naturen. 

Aber dieje Fürſten gehörten zu jenen hervorragenden Des- 
poten des 18. Jahrhunderts, die machtvoll Bedeutendes leiſte— 
ten, und überjehen wir heute ihr Schaffen in den richtigen 
perjpeftiviichen Berhältniffen, jo lernen wir ihr Wirken ganz 


Karl Philipp. 127 


anders ſchätzen, als dies früher von einjeitigen, rein politijchen 
Gefihtspunften aus geichah. 
’ Gerade der Stadt Mannheim brachten fie ihre Achtung 
und Arbeit entgegen, fie erkannten jie als eine zufunftsträchtige 
Stätte und ihr feiner Kunjtgejchmad verjtand die wellenum- 
rauſchte, in ihrer Art jchönen Lage der Stadt. Mit bejtem, 
wenn auch nicht unfehlbarem Willen machte ſich Karl Philipp 
daran, dieje Stadt wieder emporzuheben zu glänzender Ent- 
faltung und zu neuer Bedeutung im deutjchen Kulturleben. 








Die Baufunft unter Karl Philipp. 


Befeſtigungswerke und Stadtthore — Farbige Arditeftur — Stilarten — 
Gebäude älterer Art — Eritehen der wichtigiten Zierbauten — Vorbereitung 
der Blüthe der Kunſt. 


B. Wiedererſtehen und Neugejtaltung einer Stadt mußte 
jelbitverftändlich die Baukunſt in erjter Linie hervortreten. Auf 
eine vortreffliche Bethätigung Ddiejer Kunſt legte deshalb Karl 
Philipp den größten Werth. Den vortrefflichen Blan, den der 
verftorbene Kurfürſt Johann Wilhelm von Generalleutnant 
Menno Eoehorn für den Aufbau der Stadt hatte entwerfen 
lafjen, verfolgte Karl Philipp weiter. 

Zunädjt wurden die Arbeiten an den Befejtigungswerfen 
mit Eifer weitergefördert. Die Werke jind außen von Bad- 
jteinmauern gebildet. Die Mauern jollten bald drei maleriich 
wirkende Thore verbinden, deren Bau man gleichfalls in An— 
griff nahm. Zuerſt wurde das Heidelberger Thor und zwar 
im Jahre 1722 fertiggeſtellt. Das Thor, das wie alle dieje 
Thore, in arcdhiteftonischer Verbindung mit einem Wachthauje 
und einem Zollhauje jtand, war aus Sandjtein gebaut und 
nach außen hin im Frontiſpiz mit einem großen pfälztichen 
Wappen, mit Kriegstrophäen und an den Seiten mit Pilaftern, 
dies alles in Stein gehauen, geziert. Es trug eine lateinijche 
Snichrift, die durch ihren Bezug auf die jih auch bis zu 









UNTLICHE VRD) PER SPECTIVISCHE CONTRAFATTUR DE 


MANNHEIMB, fsnht ıbeas Bollwercken nd Pafn 
= An: 1622 ‚belagetimd den + Nwembr: hernacher erobert m 


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"A Der orik.an welchen 'dıe Kay: das erfiom hl a, C Ein Paftof Dir Beyräbues geeänk aid lickaj: dsl er. - 


fengen haben zufchanbien ‘ obert und der Stadt ait grobn Stucke gro/sen [ihaden zuge fugt habe . 
P 7 der Niedengrundt genagdt welchen deKv D de Stat jo von dem Haltgruui Gensral'Alrabir. 
eh bemgchugh und von dann, der. Stab. 0m Vrer fr einEngelleader zeurka m Brandt geftcht 
ann ayekir haben. fb werden. 


Belagerung von Mannhei 


URNEMBSTER VON KURTZEN JAHRN HERO NEE.EP® 
w In der unern Churft: Pfaltj ‚fo indtlich gefche fen; Nunmche 

Grave er Till; als. Feldt OB, zagchendts * m Eee E 

bon__ 





— in welchen fi dir Haltgräwıfeben, nach 


dem fie di: Stabia Brandiı gefleckt, rehhrirt haben ⁊ H. Krk__ > Jedruet, Zu Ransıny 22 
— Ielche: die Pfasifehen Seldlm, I]. Modrburg Peter Vselbura 1 62.3 
mar dom in — — — haben Re 

palsir + 


n durch Tilly 1622, 








Mannheim, Mitte d 


Mad einer Zeihnung von Ehr, Hedel, Me 
(Original! Eigentum d 








19. Jahrhunderts. 


jeim, 


Geftoken von Joh. Poppel. 


errn Alb. Sommer, 


Die Baukunst unter Karl Philipp. 129 


diejer Zeit erhaltenen, mit Mannheims Entftehung verknüpften 
Sagen einigermaßen charafteriftiich ift. Sie enthielt nach Rieger 
folgendes: | 

„Bon dem beiten und größten Gott begünftigt gab 
Mannus, ein König im Jahre 370 nad) der Sündfluth den 
Namen (der Stadt). Kaijer Valentinian befejtigte die Stadt 
nad) Ehrifti Geburt 372. Kurfürſt Friedrich IV. jtellte jolche 
1606 wieder her. Kurfürſt Johann Wilhelm erhob fie 1698 
wieder aus ihrer Aſche. Unter der Regierung Kaijer Karls 
VI hat Karl Philipp, Kurfürjt von der Pfalz, diejes Denkmal 
des pfälziichen Haujes und als Grundfejte des Vaterlandes 
aufgeführt im zehnten Jahr der Faijerlichen Regierung 1722.* 

Ueber die 1806 ohne jede Rüdjicht mitten im Frieden 
vorgenommene Demolirung diejes gewiß jchönen, ſchmuckreichen 
Thores jchreibt Rieger: 

„Schonungslos, wie von jo manchem Anderen, hat man 
jede Spur diejes Thores verwijcht. Die fteinernen Löwen, 
die treuen Hüter des pfälziihen Wappens, welche jelbjt der 
Macht des Gejchübes getrogt hatten, wurden von der Stelle 
herabgejtürzt, auf welche fie fich durch ihre erlittenen Ver— 
jtümmelungen ein ewiges Recht erworben zu haben jchienen, 
um den Enfeln als ein Denkmal der Schidjale, die ihre Bäter 
erlebt hatten, da zu ftehen..... Die Inichriften der Thore, 
welche in die Antifenjammlung der Stadt gehört hätten, wur: 
den — zerichlagen.“ 

Das ſchönſte der Stadtthore ijt aber unzweifelhaft das 
1725 erbaute Nedarthor gewejen. Der mit dem Thore ver» 
einigte Bau der Wacht- und Zollhäujer bildete ein einheitlich 
und vortrefflich jtilifirtes Ganzes. Drei große, offene Bogen— 
gänge bewegten ſich durch den auf jechs Pfeilern ruhenden 
unteren Stod de3 aus rotem Sandjtein hergejtellten Gebäudes. 
In der Mitte des Thores ragte ein die Weltkugel tragender 
Atlas empor; unter ihm war im Giebelfelde ein jchmudreiches 
Wappenjchild mit den verichlungenen Buchſtaben C. P. (Carl 
Philipp) angebracht, und über dem Bogen des Hauptthores 


Deier, Beichichte der Stadt Mannheim. 9 


130 Die Baukunſt ımter Karl Philipp. 


befand fich die große Figur einer Ruhm kündenden Fama mit 
einem Kinde in fitender Stellung. 

Das Gebäude war außerdem durch Pilafter und gleichfalls 
in Stein ausgeführte Waffen und Trophäen gejhmüdt. Die 
ſämmtlichen Bildhauerarbeiten an diefem Thore waren Werke 
des bedeutenden Bildhauers Paul Egell, auf den an anderer 
Stelle noch zurüdzufommen ift. 

Die lateinische Injchrift bezog fich auf das frühere, an— 
geblid; unter Kurfürſt Karl errichtete und 1679 durch die 
Franzoſen zerjtörte Nedarthor, indem fie u. U. fagte: 

„Der Nachwelt ein unfterbliches Denkmal, an dem Zu— 
jammenfluß des Rheines und Nedars, nach den hundert- 
jährigen, in wahrhaft heftigen Kriegen, welche die Römer, 
Spanier und Franzojen gegen die tapferen Deutjchen geführt 
haben, hat diejes, von dem Kurfürſten Karl gegründete Thor, 
welches von den Feinden niedergeriffen war, aus den Trüm— 
mern hervorgerufen Karl Philipp, Kurfürft von der Pfalz aus 
dem Haufe Neuburg, und zum Frieden geöffnet den Freunden, 
den Feinden geichlojfen 1725.“ 

Aber das Denkmal wurde von ber Nachwelt nicht als ein 
unsterbliches erachtet. Leicht war man bereit, auch diejes Thor 
im Jahre 1842 niederzureißen, jedenfall® unter der immer 
wirkenden Begründung, daß e3 ein Hemmniß des Verkehrs jet. 
Allerdings war das Thor jehr baufällig geworden, und die 
Figuren waren ſtark bejchädigt. 

Ganz die Geftalt eines Haujes trug das 1728 erbaute 
Rheinthor mit nur wenigem bildhaueriihem Schmud, den jedoch 
der berühmte Hofbildhauer Link ausgeführt hatte, Das joge- 
nannte Thor, das bald auch als Gefängnig diente, wurde 
ſpäter thatſächlich in ein Wohnhaus mit Garten verwandelt. 
Mit der Neugejtaltung der Rheinſtraße verſchwand auch der 
architektonisch unbedeutende Bau. Das mit dem Namenszug 
Carl Philipps verjehene Eurpfälziiche Wappenjchild über dem 
Durchgang trug eine Infchrift, die etwa zu deutjch hieß: 

„Ein guter Fürft glaubt niemals jo jehr an den Frieden, 
daß er fich nicht für den Krieg bereit hält.“ 





Das Heidelberger Thor (1722 —1806). 











kuruaezar 3 








44 


ni 


Das NHedartbor (1725— 1842). 


Nach Federzeichnungen von Johann franz von Schlichten 
get, von Gebr, KHlauber (1762). 





y* 


132 Die Baulunſt unter Karl Philipp. 


Eine weitere, längere, doch nicht mehr jagende lateiniſche 
Inſchrift befand fich an der Außenjeite des Thores auf einer 
in der Art eines Tuches geftalteten Marmortafel, die gleich- 
fall3 eine Arbeit Links war. 


Die jauber ausgeführten Vertheidigungswerfe mit ihren 
Badjteinmauern, ihren Wällen, Allen und ſchmuckreichen 
Thoren, ſowie die neue, groß angelegte Rheinſchanze gaben 
der Stadt ihren ſich immer jtärfer gejtaltenden Charakter als 
Feſtung. 

Was den Weiterbau der Stadt ſelbſt betraf, ſo ging es 
vor Allem an die Vollendung der nahe dem Schloß gelegenen 
Straßen auf dem Plate der ehemaligen Friedrichsburg. Hier 
errichteten jich die mit dem Fürſten nad) Mannheim überge- 
fiedelten Wdelsfamilien, die Hofbeamten und Staatsbeamten 
u. j. w. vornehme, bejonders auch innen jchön ausgeitattete 
Wohnhäufer. 

Leider fommen die aus jenen Zeiten jtammenden Wohn 
häuſer und Gebäude heute nicht mehr in ihrer urjprünglichen 
Art zur Geltung. Man unterjchäßt deshalb heute leicht den 
Werth diefer Architekturen, die in ihrer neuen Hülle kaum 
mehr zu erkennen find. Dieje Hülle iſt der neumodijche Anjtrich. 
In Profeſſor Mathy's „Studien zur Gejchichte der bildenden 
Künfte in Mannheim” finden ſich über diefe Sade folgende 
treffende Worte: 

„Wenn aber der äſthetiſche Eindrud der alten Stadt 
vielfach jest nicht mehr dem entipricht, den die Bewunderer 
Mannheims vor 100 oder 150 Jahren hatten, jo rührte 
dies zum Theil auch von der faljchen Behandlung der alten 
Bauten durch die Tüncher her. Urſprünglich prangten gewiß 
alle nicht verpußten, aus rothem Sandftein hergejtellten Theile 
der Gebäude in der jchönen Naturfarbe dieſes Steines, welche 
uns am Dtto Heinrihsbau und Friedrichsbau des Heidelberger 
Schloſſes, am hiefigen Schloife, an der Jejuitenfirche und an 
den Bauwerken umjerer Tage jo ſehr entzüdt; und im den 
Innenräumen waren die Studarbeiten bunt bemalt, natürlich 


Die Baukunſt unter Karl Philipp. 133 


nicht in grellen oder fatten Farben, jondern in den zarten 
gebrochenen Tönen der Zeit der gepuderten Frijuren. Aber 
dann fam zur Freude der Tüncher die Zeit, von welcher der 
Apotheker in Goethes Hermann und Dorothea jagt, nachdem 
er die Farbenpracht feines baroden Gartens geichildert: 

„sa, wer ſähe das jegt nur noch an! ch gehe verdrießlich 

Kaum mehr hinaus; denn alles fol anders fein und geſchmackvoll, 

Wie ſie's heißen, und weiß die Latten und hölzernen Bänte, 

Alles ift einfach und glatt; nicht Schnigwerf oder Vergoldung 

Will man mehr. 

Das erneuerte ernfte Studium der antiken Kunft hatte zu 
ber faljchen Borftellung geführt, die bi8 zu Sempers Bud) 
über „Bemalte Architektur und Plaſtik“ (1833) herrſchte, daß 
die antife Arcchiteftur und Skulptur farblos gemwejen jei; und 
da man nun feit 1750 noch antifer jein wollte al3 vorher, jo 
ging der Pinfel des Weißbinders über die reizenden ‘Farben 
der Studaturen eines Ajam und Pozzi ebenjo ſchonungslos 
weg, als der gleichmäßige weißliche, gelbliche oder graufiche 
Delfarbenanftrich den rothen Sanbdjtein, die rothen Holzftafeten, 
die Ächwarzen und vergoldeten eifernen Treillen, die gejchnigten 
Thür» und Thorflügel überzog. Jetzt wurde Mannheim erjt 
jo eintönig wie es in der erjten Hälfte unjeres Jahrhunderts 
gewejen tft. 


Man denke ſich die Arkaden, Pilaſter, Feniterfrönungen, 
Gefimje und Giebel des Kaufhaujes und des Rathhauſes, 
die Portale der Konkordienfirche, der Trinitatisficche, die 
Portale und Fenjtergewände jo vieler Brivathäujer in der 
Naturfarbe des rothen Nedarjandjteinee, den Verputz blaßgrün 
oder hellgelb angeftrichen, das Eiſenwerk ſchwarz mit Vergol— 
dung und bunten Blumen, die Holzichnigereien entweder in der 
Naturfarbe oder durch farbige Töne hervorgehoben, die Niſchen 
mit den Heiligen auch von Gold und Farben jtroßend, jo 
Ihwindet (der Abjtand zwijchen dem alten und dem neuejten 
Mannheim erheblich zujammen.“ 


Doch hält man einen Anftrich der Häuſer zum Schube 
de3 Verfalles abjolut für geboten, jo jollte man ihn wenigitens 


134 Die Baukunjt unter Karl Bhilipp. 


in der Weije der früheren farbigen Architektur bewirken laſſen, 
damit die vom Architelten beabfichtigte urjprüngliche malerijche 
Erſcheinung des Bauwerks bleibt oder wiederhergejtellt wird; 
allein eö dürfte bei den meiften Gebäuden aus jener Zeit fich 
heute noch die volle Wiederherjtellung der reinen Steinverzie- 
rungen reichlich lohnen. Das aus ruinenhaften Verfall heute 
wieder erjtehende Schloß jollte doch für die prächtige Wirkung 
des reinen Gteines bei älteren Gebäuden der überzeugendite 
Beweis fein. 

Die Stilarten, welche die feit dem Wiebererjtehen der 
Stadt errichteten Bauten unter Johann Wilhelm und Karl 
Philipp zeigen, find Hauptjächlich der jpäter ſog. Hugenottenjtil 
und ber eigentlihe italienische Barodjtil. Zur Zeit Johann 
Wilhelms gab man ſich in Mannheim mit dem Hugenottenjtil 
zufrieden. Er war ein gewijfer Ausdrud der nüchternen 
Einnesart der eingewanderten Hugenotten, und Hervorragende 
franzöfiiche Architeften wußten zunächſt auch die Fürſten 
Johann Wilhelm und Karl Philipp dafür einzunehmen. 

Urſprünglich begründet von dem 1580 geſtorbenen italie— 
niſchen Architekten Andrea Palladio, der ſeine Ideen in den 
„Bier Büchern der Architektur“ niedergelegt hatte, wurde dieſer 
Stil in der Folge bejonders von den Hugenotten vertreten und 
von Ddiefen nad Holland und Deutjchland gebracht. Selbjt 
die katholiſchen Parteien jchloffen fich diejem Bauftil an, wie 
wir die auch in der erften Zeit des 18. Jahrhunderts in 
Mannheim jehen. 

Aber bald begann auch hier in Mannheim der Kampf 
gegen allzu große Nüchternheit in der Kunft. Noch hatte Karl 
Philipp den Plan des Scloffes in der nüchternen Weile 
diejes Hugenottenftiles anlegen lafjen, da begannen ſich mächtige 
Gegenelemente zu regen. 

Der von feinem geringeren wie Michelangelo mit hervor: 
gerufene italienische Barodftil ſchlug endlich auch nad) Deutjch- 
land herüber und mußte das Herz des Funftfinnigen Fürſten 
der Pfalz gewinnen. Im Schloſſe jelbjt jehen wir diejen Sieg 
der neuen Richtung jchon durch den Einbau der Schloßfapelle 


Die Baukunſt unter Karl Philipp. 135 


marfirt, der auf dem urjprünglichen Plane gar nicht vorge- 
jehen war und dem ſpäter noch al3 ein Pendant die Errich- 
tung der Bibliothef folgte. Doch darauf foll an anderer 
Stelle noch zurüdgelommen werden. Hier jei vorläufig nur 
fejtgejtellt, in welcher Weiſe der Kunft zur Zeit Karl Philipps 
in der pfälzischen Reſidenz neue belebende Elemente zugeführt 
wurden. 

Einige dem Sclojje gegenüber nach der Stadtjeite zu 
angelegte bejondere Gebäude wurden noch in dem älteren Stil 
gebaut, jo 1722 das Klofter und die Kirche der Karmeliter 
Barfüher (jet das Großh. Inftitut)*) und 1725 Kirche und 
stlojter der Auguftinerinnen. Dieje lebtere Klofterkirche bildet 
noch heute die jüdöftlihe Ede der Breiten Straße. Der 
große Kirchenraum weilt nocd gut gemalte Dedenbilder auf 
und eignet fich mit feinen jchönen, durch die oberen Fenſter 
geförderten Licht vortrefflich zu den daſelbſt heute jchon mehr 
fach veranjtalteten Kunftausjtellungen, während das Kloſter 
jelbjt in jeiner erhalten gebliebenen Südfront mit feinem großen 
Dad und Heinen Glodenthürmchen, dem zierlichen Portale 
und den früher farbig wirkenden Fenftereinfaffungen maleriſch 
und cn Alt-Mannheim gemahnend dem Bibliothetsbau des 
Schloſſes gegenüber liegt. 

Unter Karl Philipp gedieh vor allem auch die private 
Bauthätigkeit in kunſtreicher Weiſe. Eine Reihe der ſchönſten 
Häuſer der bis zu dem Plankengebiet reichenden oberen Stadt 
entſtanden während ſeiner Regierung. Gerade dieſe zierlichen, 


*) Rieger berichtet über dieſen Kloſterbau folgendes: 

„sm Sabre 1729 wurde ber erfte Grundftein dazu gelegt, und das— 
jelbe der heiligen Dreifaltigkeit geweiht. Karl Philipp bewilligte im Jahre 
1784 den Ordensgeiftlichen dabei eine Herberge für drei Brieiter und einen 
Zaienbruder aufzufchlagen. 1742 wurde die Vermehrung der Ordensgeiſt⸗ 
lichen durch zwei neue Mitglieder geftattet, und als die Stiftung Beifall 
fand, erwirkte endlich Pfalzgräfin Grneitina Eliſabeth, welche fih im 
Frauenklofter der Karmeliten zu Neuburg befand, dab Karl Theodor die 
Veränderung jener Herberge in ein wirkliches Kloſter bewilligte. Die hiebei 
veriprochene Erbauung eines neuen Kloſters mit dazu gehöriger Kirche kam 
nicht zur Ausführung.” 


136 Die Baukunſt unter Karl Philipp. 


ehedem buntfarbig erjcheinenden PBrivathäujer trugen zu dem 
freundlichen Gepräge der Stadt weſentlich bei und brachten 
ein höheres fünftleriiches Element auch in die Architektur der 
Straßen. 


In raſcher Folge wuchien auch eine Neihe allgemeinen 
Zweden dienender Gebäude empor, zunächſt die jchon früher 
immer von der Bevölferung gewünjchten Kajernen, die die 
fäftige und koſtſpielige Einquartirung abichafften, jo u. A. die 
Ssnfantertefajerne in C 6 (1722—27), die nach dem damaligen 
Gouverneur genannte Belderbujcher Reiterfajerne M 3 und 4 
(1723) dag Militärlazaretd F 6 (1739), das früher mit einem 
Glockenthürmchen gezierte Eurfürftliche Hofpital ad S. Carolum 
Borromaeum R 5 (1730), 1752 den barmherzigen Brüdern 
überlaffen und jeit 1807 das jtädtifche Krankenhaus, die öftlich 
der Stadt gelegene Münze (1735), eine Zeit lang die einzige 
Münze des Landes*), die Lateinſchule und das Jeſuitenkolle— 
gium (1739 am Schloß) mit ſchönen Einrichtungen und werth— 
vollen Deden-Gemälden. 


Eine auf dem Zeughausplag 1737 begründeten Garni- 
fonfirhe mit einem größeren Thurm ift jchon 1780 wieder 
abgebrochen worden. 


*) Weber dieſe Münze ichreibt Baroggio: „Diejelbe war in ihrer innern 
Einrihtung auf das Zweckmäßigſte eingetheilt. Die Schmelz: und Glüh— 
öfen, die Strede, welde mit Pferden getrieben wurde, der Durchichnitt, Die 
Juſtirmaſchine, die verichiedenen Auswürfe zum Prägen, die Pränwerfe für 
fleine Sorten, dad Gränzelwerk zc. zeigten hinlänglih, wie wohl dieſelbe 
eingerichtet war. Es gereichte damals allerdings dem Kurfürſten zu nicht 
geringem Nuhme, daß er nadı dem legten Kriege, in welchem Deutichland 
mit ſchlechten Münzen überihwenmt geweien, durch den angenommenen 
Miünzconventionsfuß, feine Lande nicht allein mit den beiten Sorten nad) 
Erforderniß verforgte, ſondern auch durch die nahdrüdlichiten Befehle die 
geringhaltigen und schlechten Sorten daraus entfernt gebalten hat, Der 
Münzrath und. zugleich Münzmeiiter Schäffer wie auch der Münzwardein 
Diez wohnten in. der Münze und mußten fich diejenigen, welche Silber zur 
ihmelzen hatten, bei denjelben melden. Es wurde ihnen jolches nach dem 
beitimmten Werth vergütet.“ 


Die Baukunſt unter Karl Philipp. 137 


Am 1. März 1739 wurde auch der Bau der walloniſchen 
Kirche vollendet, die dicht neben dem Thurm der bereit3 am 
25. Auguft 1717 eingeweihten beutjch-reformirten Concordien- 
firhe (R 2) zu jtehen fam. Während die wallonifche Kirche 
im Jahre 1795 völlig zerftört wurde, beiteht die größere, in- 
zwijchen an die lutheriſche Gemeinde übergegangene ehemalige 
deutichereformirte Kirche noch heute in verjüngter Geftalt. 

Jene walloniſche Kirche galt als die jpätere Ruheſtätte 
der Gebeine der Raugräfin von Degenfeld. 1700 jollen dieje 
Gebeine unter den Trümmern der zerjtörten Stadt wiederge- 
funden und auf diefem Kirchenplage, auf dem zumächjt nur ein 
proviforisches Gebäude jtand, beigejegt worden jein. Eine 
Gruft mit einem zinnernen Sarg, die man 1823 an Dieier 
Stelle entdedte, bejtätigte dieje Annahme. Der mit 10 Löwen: 
köpfen gezierte Sarg wurde in die hier noch erhaltene Kirche, 
die heutige Concordienfirche, verbracht und hier beigeſetzt. 


Aber neben diejen architektonisch einfach gehaltenen Ge— 
bäuden begannen fi unter Karl Philipp auch ſchon jene 
hervorragenden Zierbauten zu erheben, mit denen die Baus 
kunſt des ganzen 18. Jahrhunderts in Mannheim ihren Gipfel 
erreichte. 

Vom Schloß wurde bereit3 der größere, wejtliche und 
jüdliche Theil jertiggeitellt, das Kaufhaus, zu dem 1730 der 
Grundjtein gelegt worden war, ging jeiner Vollendung ent= 
gegen und jchon erhob ſich der prächtigite Bau Mannheims: 
die herrliche Jejuitenfirche, eines der jchönjten Werfe des 
Barods in Deutichland. 


Hatte Johann Wilhelm der neuen Stadt ihren Grund» 
plan gegeben, jo erhielt jie durch Karl Philipp den Eharafter 
ihrer äußeren Erjcheinung. Aber nicht allein die hier wejent- 
lihjten Werfe der Baukunſt Hatte Karl Philipp vorbereitet, 
er trug auch dafür Sorge, daß der fünftige Empfänger dieſer 
Werke, daß jein Nachfolger fich dieſes Erbes würdig erweije. 
Auch diejen jelbjt, den jungen Prinzen Karl Theodor bereitete 
er durch jorgfältige Erziehung auf eine hohe Kunjtpflege vor. 


138 Die Baukunſt unter Karl Philipp. 


Schon 1734 zog Karl Philipp den Prinzen an den Hof nad) 
Mannheim und Tieß ihn Hier die großen Eindrüde einer 
außergewöhnlichen, auf bedeutende künſtleriſche Gejtaltung ge— 
richteten Bethätigung gewinnen. 

So ging denn die Kunft in Mannheim durch ihre er- 
ftehenden Werfe und ihren fommenden Fürjten einer jorgjam 
vorbereiteten Blüthe entgegen. 








All. 


Karl Philipps Wirken auf dem 
Gebiete des Handels. 


Der neue Herr in Mannheim — Anderes Verhältniß des Fürſten zum 

Volke — Beeinträchtigung des Sondercharakters der Stadt durd) die Staats: 

verhältnifje — Verſuchte Förderung des Handeld — Gründung der Hans 

deläzunft — Wechielgeriht — Das Tabalsmonopol — Don Poncorbo — 

fein Sturz — Karl Philipp erklärt Mannheim als freie Handelsitadt — 
Erbauung des Kaufhauſes. 


Miss fonnte für die durch die Privilegien begründete 
freie Selbjtverwaltung der Stadt Mannheim einjchneidendere 
Veränderungen mit fi bringen, als die Verwandlung der 
Stadt in die Rejidenz eines Fürſten. 

Hatte ſich jchon Heidelberg einer Hofhaltung ent: 
fremdet, jo war dieje für die Stadt Mannheim etwas völlig 
Neues. 

Wohl hatte in der von der Stadt abgejchlojjenen Feltung 
Triedrihsburg Kurfürjt Karl Ludwig zeitweilig refidirt, allein 
wenn er die Stadt bejuchte, jo wußte er im Verkehr mit 
der Bevölkerung einen populären Ton anzujchlagen, mit dem 
er fich die Liebe der jelbjtherrichenden Bürgerjchaft zu gewinnen 
veritand. Dft Hatte er und feine Tochter Elijabeth Charlotte 
jelbjt die einfache Proviſionalkirche bejucht (hier u. U. den 
Neden des Myſtikers Pierre Poiret und des Chrijtian Wehren- 
felö lauſchend). Zwanglos hatte hier auch Lijelotte an der 


140 Karl Philipps Wirken auf dem Gebiete des Handels, 


Kinderlehre theilgenommen. In Mannheim weilte der Kur— 
fürft bisher gleihjam frei von jeinem ganzen großen Regie: 
rungsapparat, der fich ja in Heidelberg befand. 

Ganz anders geftaltete ſich das Verhältniß des Fürſten 
Karl Philipp zum Volke, als diejer als Landesherr jich dauernd 
hier niederließ, al3 die gejammte Staatsverwaltung mit ihm 
nah) Mannheim überjiedelte und die Regierung des Landes 
joviel wichtiger erichien, als die Verwaltung einer einfachen 
Stadt. 

Eine ganz neue Bevölkerung fam mit dem Hofe nad) 
Mannheim, die gar fein ntereffe an den freiheitlichen Ver— 
hältniifen der Stadt mehr hatte und die hauptſächlich nur dem 
Dofe und dem Staate diente. Die jchlichte Bürgerichaft des 
bisherigen Mannheim gerieth den machtvoll auftretenden Be— 
amten des Staates und Hofes gegenüber immer mehr in’s 
Dintertreffen. 

So fonnte e3 fommen, daß die Stadtverwaltung immer 
mehr an Selbjtjtändigfeit verlor. Der Kurfürft wollte nicht 
nur der Negent des Landes, jondern auch der oberfte Gebieter 
in der Stadt jeiner Rejidenz jein. 

Damit war ein neuer Herr in Mannheim eingezogen und 
mit neuen Berhältnijfen mußte gerechnet werden. Den Privi- 
legten jtand der Wille des Landesherrn gegenüber und der 
freiheitlihe Sondercharafter der Stadt konnte, da nun hier 
dag ganze Land jeine Vertretung fand, nicht mehr in alter 
Weile gewahrt werden. 

In die ihrer geiltigen Entwidelung nad) weit voraus— 
geeilte Stadt Mannheim fonnten nun wieder die rüdjtändigen 
Staatsverhältniffe der Zeit ungemwehrt Hineinjchlagen. Für 
Mannheim bedeutete daher oft jchon die einfache Wiederkehr 
damals allgemein üblicher Injtitutionen einen großen Rück— 
ichritt. 

Die aus ſolchen ganz natürlich entitandenen Verhältniſſen 
für Mannheim erwachjenen Gefahren wurden jedoch durch das 
aufrichtige Bejtreben des Kurfürften Karl Philipp, durch jociale 
Reformen zu wirken, wejentlich gemildert. 


Karl Philipps Wirken auf dem Gebiete des Handels, 141 


Karl Philipp wollte ſich durchaus nicht etwa mur mit 
der äußeren Gejtaltung der Stadt begnügen, jein Sinnen und 
Trachten ging zu gleicher Zeit dahin, auch das fociale Leben 
Mannheims zu fördern und weiter auszugejtalten. 

Der Kurfürft war weit davon entfernt, mit Mannheim 
fediglich künftleriiche Intereffen zu verbinden. Der neue Auf: 
bau der Stadt erheiichte jelbitverftändlih — ſollte er bedeu— 
tender ausfallen — die Entfaltung von Geſchmack und Kunſt. 

Allein der Kurfürft erfannte auch jehr wohl jchon als 
ein anderes wichtiges Lebenselement der Stadt und deren 
bedeutender Entwidelungsfähigfeit: den Handel. 

Hatte ſchon ein Poet zur Zeit Karl Ludwigs 1677 in 
einem dem Fürſten gewidmeten Geburtstagsgedicht der Zukunft 
des Handels in Mannheim u. W. folgende Berje gemeibt: 

„Mercurius wird hier ſich gänglich niederlafien 

Und feine Handelihaft in dieien weiten Straßen 

Freftiegen, ja mich deucht, ich jehb wie von dem Meer 

Und andern Orten ſchon viel Haufen ziehen ber ..“ 
jo war ſich auch Karl Philipp wohl bewußt, daß bier mit der 
Entfaltung des Handels große Hoffnungen zu verbinden jeien. 

Des Kurfürjten Verjuche, den Handel zu heben und zu 
fördern, laſſen jedenfalls jeine beiten Beitrebungen auch auf 
diejem Gebiete erfennen, gleichviel, ob ſie Erfolg mit Sich 
brachten oder nicht. 

Zunächſt ſetzte jich der Nurfürjt mit den Handelsjtädten 
Elberfeld und Barmen in Verbindung und ließ von da aus 
Gutachten und Vorichläge zur Förderung des Handels einholen. 

Da die katholische Religion in Mannheim hervortrat, mehr: 
ten fih auch die Eimvanderungen aus romanischen Ländern. 
Beionders erhielt die Bevölkerung Mannheims aus Italien 
wejentlihen Zuwachs. Neben den vielen italtenischen Künit- 
lern, die hier meift nur vorübergehend anmwejend waren, kamen 
auch eine große Zahl italienischer Kaufleute nad) Mannheim, 
um fich hier dauernd niederzulaflen. Der Rath that alles, 
um dieſe Niederlafjung zu begünjtigen und wußte diejenigen 
Eingewanderten, die zunächſt ohne ihre Familien nah Mann: 


142 Karl Philipps Wirken auf dem Gebiete des Handels. 


heim famen, zu bejtinnmen, auch ihre Frauen und Kinder 
hierher zu bringen und im ein bleibendes Verhältniß zur 
Stadt zu treten. Namen wie Budoni, Brentano, Scotti, 
Limpa, Terragoli, Ajjeredo, Bucarrini, Liffignolo, Leon, 
Barazetti, Andriano, Antonio, Pebetti, Eartorio, Baroggio, 
u. a. m. verzeichnete in den folgenden Zeiten die Einwohner- 
liite Mannheims. 

Meift war es der Kleinhandel, den dieje Italiener hier 
ausübten. In den achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts ver: 
band bier jogar ein Poet die Dichtkunft mit dem Kramlabden. 
Der italienische Hofdichter Berazi, von dem eine Operndichtung 
„Iphigenie in Tauris“ herrührt, eröffnete zu Ddiejer Zeit Hier 
auch eine Gewürzfrämerei. 

Es galt vor Allem, dem Handelsſtand eine geichlofiene 
Snterefienvertretung zu Schaffen. Dieſe Intereffenvertretung 
jollte die laut einer furfürjtlihen Urkunde vom 23. August 
1728 begründete Handelszunft bewirken. „Jeder neu Aufzu— 
nehmende — jo berichtet Feder — muß fich über jeine ehrliche 
Geburt und jein Herkommen ausweilen, auch Bürger von 
Mannheim jein. Die Stadtrathsverwandten, Zunftmeifter und 
ſechs alte Zunftgenofjen, die Senioren, beichliegen über die 
Aufnahme; auch muß der Betreffende ſich nach dem technijchen 
Ausdruck jener Zeit ausweiten, daß er „praestanda‘ präiltirt 
babe. Die Aufnahmstare iſt 25 fl. für ein Landeskind, 50 fl. 
für einen Auswärtigen. Der Zunftgenoffe muß natürlich die 
Zunftartifel vejpektiren, den Ladungen Folge leiften und Sich 
als ehrlicher Handelömann betragen. Durch Verbrechen, aud) 
durd) Banquerott wird man des Zunftrechts verluftig. Tie 
Berhältniije der Gejellen und Lehrlinge find genau geordnet. 
Die Lehrzeit der lebteren beträgt in der Regel zwei Jahre, 
alsdann werden fie feierlich losgejprochen. Die Gejellen find 
in einer freieren Stellung. Sie tragen Waffen und rauchen 
auf der Straße, was ihnen zeitweile verboten wird. — Die 
Bürgermeifter Nicolaus Pompejati und Wilhelm Inden hielten 
am 12. Auguft 1728 die erite Sitzung der Handelszunft ab, 
bei welcher zu Zunftmeijtern die Herren Ferdinand Deurer, 


Karl Philipps Wirken auf dem Gebiete bes Handels, 143 


Paul Anton Allegro, Philipp Lorenz Schmalz und Antony 
Brentano; zu Senioren Andreas Scotti, ©. Balthafar Hof- 
mann, Joh. Abr. Weger, Joh. Heinrich) Weyl, Johann Paul 
und Antony Drtelo gewählt wurden, (womit dann jeder 
männiglid verabjd;iedet und vor diefesmahl in Frieden aus- 
einander gegangen.) — 


Eine bemerfenswerthe Thätigkeit der Handelszunft beiteht 
in der Wahl der Handelsfundigen Mitglieder des (1726 von 
Karl Philipp zugleich mit dem Erlaß einer Wechjelordnnung 
eingejegten) Wechjelgerihts. Es werden vier Fatholiihe Mit- 
glieder: Dratio Togny, Carlo Cetti, Stephan Sartory und 
Rathsverwandter Seufert; zwei reformirte: Johannes Moll, 
Heinrih Daniel Müller und zwei lutheriiche: ‘Ferdinand 
Deurer und Johann Heinrih Weyl, gewählt. Zu den Fragen 
allgemeiner Art, welche die Handelszunft bejchäftigen, gehörte 
z. B. die, ob Jemand, der mit Wechjeln Gejchäfte made, als 
Handeldmann zu betrachten jei. Die Handelszunft jpricht ſich 
im März 1736 dahin aus, daß ein Wechiel-snegotium das 
vornehmjte Stüd der Handlung jei.“ 

Diejes Wechjelgericht war auf Anrathen des Barmer und 
Elberfelder Handelsjtandes eingerichtet worden. Den 1729 erft: 
mals gewählten Handelsleuten jtand ein Director vor und zwei 
Rechtsgelehrte zur Seite. 

Ein weiterer Borjchlag diejes Barmer und Elberfelder 
Handelsjtandes: Die inländijche Industrie zu privilegiren, führte 
zu einer von der Bevölkerung heftig befehdeten und nicht auf 
die Dauer zu hHaltenden Unternehmung. Die3 war die Be- 
gründung einer Tabafsmanufaftur und des Tabafsmonopols. 

Karl Philipp Hatte die Bedeutung des Tabafshandels für 
Mannheim wohl verjtanden und glaubte hier mit Reformen 
einjegen zu müſſen. Er war daher den kühnen Borjchlägen 
eines ſpaniſchen Handelsmannes Namens Don Barthelemy 
Poncorbo d’Ayala et Guerra leicht geneigt zu machen, 

Diejer wollte den Tabafshandel in einheitlichem Stile be— 
treiben und zu dieſem Zwede für die Pfalz monopolifiven. Er 


144 Karl Philipps Wirken auf dem Gebiete des Handels. 


wußte das Vertrauen des Kurfürften zu gewinnen, der freudig 
großen Plänen zuftimmte, 

Ueber den wenig erfreulichen Verlauf diefes Unternehmens 
hat Feder eine jehr anſchauliche Schilderumg gegeben, die hier 
nicht fehlen joll und die folgendes aus den im General-Landes- 
archiv zu Karlsruhe aufbewahrten Akten dariiber zur Kenntniß 
giebt. 

„Boncorbo, der vom Gommerzienrath zum Director des 
Commercienweiens, jodann zum Director des Borromäus- 
hojpitals, endlich zum Geheimrath avancirt war, hatte mitteljt 
der Zwangsmaßregeln, troß des Widerjtrebens der Diesjeitigen, 
und namentlich) aud) der jenjeitigen Pfalz, die Tabaksmanu— 
factur zu Stande gebradt und das Monopol durchgeführt. 
Tabaf erhielt er infolgedejlen genug geliefert, aber ihn zu be— 
zahlen, und, wie er dem Kurfürjten glaublic; gemacht haben 
joll, die Blätter in Gold zu verwandeln, hielt ſchwer. Doc) 
läßt es fich nicht beftreiten, dag Poncorbo auch hierin eine 
ungemeine Thätigkeit entwidelt, die eines bejjeren Er: 
folges würdig gewejen. Er bewirkt den Abjchluß eines 
Handelsvertrags mit Württemberg (20. Dezember 1736) und 
eines jolhen mit dem Kurfürſten Clemens Augujt von Köln, 
worin beide ſich Namentlich auch verpflichten, den Abjab des 
Pfälzer Tabafs zu begünftigen; er jchloß weiter mit den 
Banquiers Andreas van den Velden und Henriques Medina in 
Amſterdam zu der gleichen Zeit einen Vertrag ab, worin Die: 
jelben fich verpflichteten, den Berfauf des Tabafs in Holland zu 
vermitteln. Ja nod) mehr, Boncorbo läßt die Straße von 
Mannheim nad) Düffeldorf in Stand ſetzen, und läht 12 Land— 
futichen auf dieſer Route gehen. Auch hierfür erhielt Pon— 
corbo ein Privilegtum vom 11, Juli 1737 für Perſonen- und 
Frachtfuhren, bei 100 fl. Strafe unverlegbar. 

Doch die Hoffnung auf dieje hierdurd; eröffneten Abſatz— 
gebiete wurde bitter getäuſcht. Man beichwerte jich, day weder 
Württemberg, noch Chur-Köln die Handelöverträge einhielten 
und fremden Tabak zum Verkaufe bringen ließen. 

Schon im Sommer 1737. treten bedenkliche Symptome 





Kurfürft Karl Philipp. 


Lac dem Gemälde von Johann von Schlichten in der Großh. Galerie zu Mannheim. 


(Das Gemälde if vielfach fehr dunkel und zeigt viele Sprünge, Eine beffere Keproduftion 
ift infolgedeffen nicht möglich, 


Karl Philipps Wirken auf dem Gebiete des Handels. 145 


auf. In dem Bublitum curfiren fchlimme Gerüchte und macht 
fich eine bedrohliche Stimmung gegen Don Boncorbo geltend. 
Ein Lakai Ernſt hat öffentlich erklärt, daß man benjelben 
hinauspeitichen ſolle. Die bienftwillige Regierung dictirt ihm 
dafür „30 wohlangemefjene Brügel*. (Juli 1737, General- 
Landesarchiv Conv. 96). Im Auguſt 1737 verbreitet ein 
Frankfurter, Namens Müller, die gröbften Schmähreden an 
der Amfterdbamer Börje über die Tabaksmanufaktur. Die Re— 
gierung verfügt, daß man den „Böjewicht an dem Kopfe faffen 
jolle*, wo man ihn erhalte Alle Schmähreden gegen die 
Tabaksfabrik und VBerfleinerungen bderjelben, woburd ihr Credit 
erfhüttert würde, werden durch höchſten Erlaß verboten und 
mit Prangerftellung und emwiger Landesverweilung bedroht. 
(18. Auguft 1737) Don Boncorbo fühlt fi in dem Vollbe— 
fige jeines Anſehens und feiner Kraft; er jpielt den Groß— 
müthigen gegen feine Feinde, bittet um Gnade für den Lafaien 
Ernit, da es ihn jehr betrüben würde, die Urfache des Un— 
glüds eines Menſchen zu fein. Er jchreibt: „Je serais très 
mortifi& d’etre la cose (la cause) du malheur de qui que 
ce soit.“ Man gibt jedoch Feine Ruhe. Plötzlich verbreitet 
fih das Gerücht von weiteren Zwangsmaßregeln, die bevor- 
jtünden. Es jei beichloffen, zur Race gegen die Württem- 
bergiiche Regierung, welche den Handelsvertrag nicht erfülle, 
und gegen die Frankfurter, welche Schmähreden verbreiteten, 
alle Württembergifche und Frankfurter Reiſenden mit ihren 
Koffern, ſowie alle dorther fommenden Güter mit Arreit zu be— 
legen. Man fängt an, die Pfalz zu meiden. Die Regierung 
hat alle Mühe, jenes faljche Gerücht zu widerlegen. Pon— 
corbo läßt aber ein Speyerer Schiff mit einer Tabatsladung 
arretiren, und bejtärft dadurch dieſes Gerücht. 

Noch im Winter 1737/38 fißt Poncorbo feit im Sattel. 
Er beherricht den Kurfürften und weiß ihm fortwährend goldene 
Berge vorzumalen. Er ift Generaldirektor und führt im Spät- 
jahr 1737 den Alleinverkauf des Schönfelder Salzes in Mann 
heim ein. Der Verkauf und Vollzug alles andern Salzes 
- wird vom 1. Oktober 1737 verboten. Weiter jtrebt jein 
Deier, Geichichte der Stadt Mannheim. 10 


146 Karl Philipps Wirken auf dem Gebiete des Handels, 


Sinn, und er begeht babei einen Schritt, deifen bedenkliche 
Folge er außer Acht ließ. Er begnügt ſich nicht mehr mit der 
Direktion des Commerzienwejens, fondern er will nichts 
weniger, als „Öeneralprocurator“ bed Landes werden. Unter'm 
2. Dezember 1737 (GeneralsLandesardhiv Conv. 103) reicht 
er bei dem Kurfürften eine Denkſchrift ein, worin er darlegt, 
daß an allen großen Höfen ein hoher Würdenträger bejtehe, 
den man mit dem Ausdrude Generalprocurator oder Proteftor 
bezeichne. Dieſer jei der Bejhüger der Armen, Wittwen und 
Waiſen; er forge dafür, daß die Brozeffe der Gefangenen zu 
Ende gebracht würden, und prüfe, welche berjelben der höchſten 
Gnade würdig jeien; er habe ferner dafür zu jorgen, daß die 
Hartgefangenen am Charfreitage und Samjtage an einen 
offenen Ort gebracht würden, damit fie dort einiges Almojen 
empfingen; er habe das Sculdenwejen der Gefangenen in 
Drdnung zu bringen, die Gefängniffe zu vilitiren; für Rein- 
lichkeit und die Kranfenverpflegung zu jorgen und darüber, daß 
die Dftern von den Gefangenen gehalten würden, und daß den. 
Eapitalverbrechern bis zu ihrer Hinrichtung nichts abgehe, zu 
wachen. 

Dieje wichtigen umd wohlthätigen Funktionen unentgeltlich 
zu übernehmen, erbot ji Poncorbo, und mit Erlaß des 
Kurfürften vom 9. Dezember 1737 wurde er in der That zum 
Generalprocurator und Protektor jämmtliher furfürftlichen 
Lande ernannt. Nun hieß e8: Sturm auf allen Linien. Die 
Regierung mit v. Hillesheim an der Spike, die Jujtizcollegien, 
die Militärgerichte unter General von Habfeld protejtiren in. 
aller Devotion gegen dieje Ernennung. Die Regierung jagt: 
es ſei das Juftizwejen fchlecht verjehen, wenn die indagationes 
qualitatis delictorum quo ad poenam vel gratiam von einem 
der teutſchen Sprade jo wenig als der teutjchen Nechte und 
Ordnungen fundigen subjeeto anvertraut werden jollen und 
die Militairs wollen es jehr jchmerzhaft empfinden, der Kritik 
eines Fremden in ihren Umtshandlungen ausgejegt zu ein. 
Man ftellt dem Kurfüriten vor, daß alles in Verwirrung ge— 


Karl Philipps Wirken auf dem Gebiete des Handels. 147 


rathen müſſe und dieſem anhaltenden Sturm kann er nicht 
widerjtehen. 

Schon mit Erlaf vom 13. Januar 1738 wird die General- 
procuratorftelle wieder eingezogen. Das war ein harter Schlag 
für Poncorbo. Unter dem Borgeben, den Abjab des Tabaks 
nach England betreiben zu wollen, geht er nach London. Unter- 
befien füllen fich die Magazine mit Tabak und leeren fich die 
kurfürſtlichen Kaſſen mehr und mehr. Man kann den Tabat 
nicht bezahlen, und läßt ben Bauern eröffnen, daß fie ihr 
Guthaben an den Steuern erhielten. Damit find dieje aber 
nicht zufrieden. Die Angeftellten der Tabaksmanufaktur jchlagen 
zuerjt Lärm. „Mit blutihwimmenden Herzen“ wenden fie ic) 
im April 1738 in den Worten „Herr erhöre mein Gebet, 
vernimm mein Flehen um deiner Wahrheit willen; erhöre mich 
in deiner Gerechtigkeit" an den Kurfürjten, und bitten um 
Rückgabe ihrer eingezahlten Cautionen und um Zahlung ihres 
Gehaltes, die jeit Monaten ausgeblieben ift. Jetzt jebt der 
Kurfürjt in Abweſenheit des Poncorbo eine Commiſſion, be- 
jtehend aus dem Freiherrn v. Baden, v. Weiler, Felmer und 
Beuße, zur Unterfuhung der Tabaksmanufaktur ein. Die 
Eommijfion wird von den revoltirenden Tabakſpinnern em— 
pfangen, die ſchon jeit drei Wochen feinen Lohn mehr erhielten. 
Ale Welt jchrie nad) Geld und Niemand hatte jolches. Durch 
verzweifelte Mittel juchte man fich zu helfen. Man jtellte die 
Juſtiz gegen Handwerfsleute und jonjtige bedürftige Berjonen; 
die an die Tabaksmanufaktur eine Forderung zu machen hatten, 
auf die Dauer von zwei Monaten ein (Juni 1738), brachte die 
Pferde des Poncorbo zur Berjteigerung, und beurlaubte die 
Angejtellten der Fabrik (Juli 1738), wobei man es nicht 
unterließ, die Wirthe und jonjtige Gläubiger derjelben auf den 
Bahltag, den 7. Juli, aufmerkſam zu machen. 

Die BVerlegenheiten der Tabafsmanufaftur nahmen jedoch 
fein Ende. Hatte doch der Hoffaktor Emanuel Mayer allein 
für 62,850 fl. Wechjel in den Händen und von allen Seiten 
drängt man auf Zahlung. Im der größten Noth ſchickt nod) 

10* 


148 Karl Philipps Wirken auf dem Gebiete des Handels. 


der Kurfürſt einige Juwelen, um fie plus offerenti zu ver- 
fteigern. (Juli 1737). 

Unterdefjen hatte die Commiffion die Papiere und Mobi- 
lien des Don Eorbo mit Bejchlag belegt und zwar troß einer 
Beichwerde der Madame Boncorbo, welde ſich über bieje 
unwürdige Behandlung jehr beleidigt fühlt. Man wollte aber 
wiſſen, daß die Hauptjächlichjiten Papiere und Werthichaften 
nächtlicher Weile unter Beihilfe der Bedienten bes franzöfiichen 
Gejandten Blondel aus der Wohnung des Don Corbo wegge— 
ihafft worden jeien. Nach einer vorläufigen Zujammenftellung 
berechnete man die Sculdenlaft der Tabafınanufactur auf 
636,811 fl. Das war das Ergebniß einer 1'/,jährigen Thätigfeit, 

Poncorbo kehrte Ende Auguft 1738 von London zurüd 
und verjuchte fich zu rechtfertigen. Allein jeine Zeit war 
vorüber. Er wurde läjtig, und im Februar 1739 läßt ihm 
der Kurfürft feinen rüdjtändigen Gehalt von 2000 fl. mit ber 
Weifung auszahlen, fofort das Land zu verlafien. Als man 
ihm fein Geheimraths- und jeine jonjtigen Patente abfordert, 
zeigt es ich, daß diejelben bereit? nad) Spanien abgegangen 
find. So war das Ende Poncorbos.“ 

Der unglüdlihe Ausgang diejer Unternehmung brachte 
zur Schuldentilgung ein wenig erfreuliches Mittel zur Anwen- 
dung: die Lotterie. Laut Erlaß des Kurfürjten vom 14. Juli 
1738*) wurde eine folche Lotterie eingeführt. v. Uberbruf, 


*) Diefer von Schwegingen aus ergangene Erlaß lautete nadı Feder: 
„Serenissimus Elector, Nachdem Ihro churfürſtliche Durdlaucht zur Bes 
forgung ficherer dero hohen Churhaufes, wie auch dero Landen und Unter: 
thanen Höchitangelegenen Nothwendigleiten einer namhaften Geldſumme 
ehebaldigit unumgänglich benöthigt ſeynd, welches zu beftreiten das churs 
pfälzifhe Cameral⸗ und Kriegsärarium dermahlen nicht vermag, und dann 
bei Ihro hurfürftl. Durchlaucht foldhen endts in Truf biebei verwahrter 
Plan Einer in dero RefidenzStatt Mannheim aufzurichtender Lotterie in 
unterthänigiten Vorſchlag gebracht, von Höchjftderjelben jolcher au in Bes 
tracht vorerwehnter ſtark antringender Umftand, und daß fothaner Lotteries 
plan für und an fich felbften bem gemeinen Weſen ehender verträglich, als 
beſchwerlich jeyn, genehmt worden, mithin Höchftjeden Ihro churfüritlichen 
Durchlaucht fih zu derer Miniftern, Rätben, Oberbeamten, Secretären, 


Karl Philipps Wirken auf dem Gebiete des Handels. 149 


Friſch, Baud und Hauß wurden zu den Direktoren derfelben 
ernannt und das Oberjägermeifteramt erhielt die Aufficht zu— 
gewiejen. 

Der Erlaß des Kurfürjten war als ein Befehl für jeder- 
mann, 2ooje zu nehmen, gedeutet worden. Da hieraus eine 
Mipftimmung entftand, erfolgte am 22. Jult ein weiterer fur- 
fürftliher Erlaß, der dieſe Auffaffung der Sache zu widerlegen 
verjuchte. 

Ueberblidt man die Thätigfeit Boncorbos in ihrer Ge— 
jammtheit, jo fieht man jedenfalls, daß ſich Hier eine große 
Energie vergeblich verjchwendete. Wie jelbjt Feder zugibt, der 
eine jo fcharfe Verurtheilung diejer Unternehmungen vornimmt, 
wäre doc dieſe Thätigfeit eines bejjeren Erfolges würdig ge- 
wejen. Abgeſehen davon, ob eine ſolche Unternehmung über- 
haupt jegensvoll ausfallen fonnte, war fie doc in großem 
Stile gedaht. Der Bruch aller damit verbundenen Verträge 
untergrub dieje Veranftaltung von Anfang an, und die weit 
greifenden Machtgelüfte des Unternehmers mußten das Ende 
der Sache bejchleunigen, da der Handel nun einmal ein „Kind 
der Freiheit” ift. 

Kurfürjt Karl Philipp wußte das wohl, er ließ 1736 
Mannheim als freie Handelsftadt erklären. Allein das 
Ausiprechen diejes großen und jchönen Gedankens, mit dem ein 
Kernpunft der Entwidelung Mannheims erfaßt war, blieb zu= 
nächſt nur eine ideelle Berfündigung, da man in Wirklichkeit 
die rechten freien Wege noch nicht finden konnte. 


Negiftratoren, ſämmtlicher VBedienten in deren Stätten und Oberämtern 
ohne einige Ausnahme, jedod mit Ausſchließung deren in dero Livrée 
jtehen, wie auch andern geringeren Perſonen, forth denen Stattrathsgliedern 
und vermögenden Gerichtsperſonen gäntzlich gnäbdigit verjehen, daß felbige 
inögejammt bei gegenwärtiger DVerfallenheit Ihre gegen mehr Höchitjeden 
Ihro Hurfürftlihe Durchlaucht abtragende Devotion und für das Gemeine 
Beite hegende Begierde werkthätig zu bezeugen, ein jeder jeinem Vermögen 
nad) innerhalb denen nächſten acht Tagen nad) Erhaltung dieſes maaßen 
fothane Lotterie baldmöglichſt erfüllet werden muß, eine oder mehrere Looſe 
gegen Zahlung zu nehmen ꝛc.“ 


150 Karl Philipps Wirken auf dem Gebiete des Handels. 


Ein bedeutendes Denkmal der Förderung des Handels 
durch Karl Philipp jtammt aber aus jener Zeit: das Kaufhaus. 
Mit ihm war dem damaligen Handel in der Mitte der Stadt 
eine jchöne, von der Kunſt geweihte Stätte gegeben. Mit der 
Errichtung dieſes Bauwerkes bewies der Kurfürjt am Bejten 
jeinen guten Willen, das Gejchäftsleben in Mannheim zu 
fördern, und jeine Hochſchätzung des Handels überhaupt. 


XIll. 


Die auswärtige Politif Karl Philipps 
und das Hofleben in Mannheim. 


Glänzende Hofhaltung — Vertrag mit Bayern wegen ber Erbfolge — 
Friedrich der Große als Fronprinz in Mannheim — Herzog Johann Ehriftian 
— Verlobung des Prinzen Karl Theodor [mit der Prinzeifin Eliſabeth 
Augusta — Karl Philipps Zerwürfnig mit dem Kaiſer Karl VI. und fein 
Eintreten für Kurfürſt Karl von Bayern — Feier der Doppelhochzeit 
Karl Theodor mit Elifabeth Augufta fowie des Herzogs Clemens Franz 
von Bayern mit der Prinzeffin Maria Anna von Sulzbach — Eintreffen 
der Nachricht von der Wahl des Hurfürften von Bayern zum Kaiſer — 
Tod des Kurfürſten Karl Philipp und Beifegung feiner Leiche in der 
Schloßlapelle zu Mannheim. 


Baduches Gelingen ſeiner Unternehmungen lag für Karl 
Philipp hauptſächlich auf dem Gebiete der Kunſt, der Neuge— 
ſtaltung der Stadt und der Förderung künſtleriſcher Bethäti— 
gung. 

Da ſich die Kunſt zur Zeit Karl Philipps zu der Kunſt 
der Zeit Karl Theodors wie die Wurzel und der Stamm eines 
prächtigen Lebensbaumes zu deſſen Blüthe und Frucht verhält, 
ſo kann die Kunſt dieſer Zeiten nur als ein Ganzes betrachtet 
und behandelt werden. 

Es ſoll daher in einem ſpäter folgenden Kapitel hier ein 
einheitliches Bild dieſer Kunſtbethätigung zu geben verſucht 
werden. 

Ebenſo zeigen — wenn auch nicht ſo bedeutend und er— 


152 Die auswärtige Politit Karl Philipps x. 


freulich — die focialen Berhältniffe während der Regierungs- 
zeiten dieſer Fürjten viel ähnliches und aus gleichen Boraus- 
jegungen Entjtehendes. Auch dieje Verhältnifje jeien deßhalb 
an einer anderen Stelle diejes Buches im Zujammenhange ge— 
ſchildert. 

Was uns hier noch beſonders zu beſchäftigen hat, iſt das 
mit der Perſon des Kurfürſten ſelbſt verbundene Hofleben, ſo— 
wie die auswärtige Politik Karl Philipps und ſeine Zukunfts— 
pläne. 

Mit jeiner glänzenden Hofhaltung verband Karl Philipp 
weitgehende Abfichten. Mit ihr wollte er zunächit fein Haus 
den Fürftenhäufern Europas gegenüber in hervorragender Weije 
repräjentiren. Er glaubte das Anjehen, das er fich durch feine 
Kriegsthaten erworben, und das fein Haus durch feine Fami— 
fienverbindungen bejaß, auch äußerlich zum Ausdruck bringen 
zu müſſen. 

Er wahrte damit denn auch hohe Achtung jeiner Perſon 
und jeines Landes und e3 gelang ihm, neue Erweiterungen 
jeine® Ländergebiets anzubahnen. Seine Verbindung mit 
Bayern erichien ihm aus dieſen politischen Gründen wichtiger 
als jeine gute Beziehung zu Oeſterreich, das ihn verftimmende 
Enticheidungen getroffen hatte und dem er Troß bieten wollte. 

Am 15. Mai 1724 fam zu München ein mit Bayern als 
Unionstractat abgeichlofjener Haus- und Staatsvertrag zum 
Vollzug, wonach die gegenjeitige Erbfolge bei Ausjterben eines 
der beiden Fürftenhäujer bejtimmt wurde. Das bedeutete für 
Karl Philipps äußere Politif einen wejentlichen Erfolg, allein 
diefe Beitimmung legte zugleich auch den Grund zu dem jpäteren 
großen Berlufte, den die Stadt Mannheim durch die Ueber- 
jiedelung Karl Theodors nah Mimchen am Ende des 18. Jahr- 
hunderts erleiden mußte. 

Bu den hervorragenden Gäjten, deren Bejud Karl Bhilipp 
in jeinem Scloije zu Mannheim empfing, gehörte auch der 
Kronprinz Friedrich von Preußen, der jpätere König Friedrich 
der Große. Der Kronprinz fam mit jeinem Vater, dem König 
Friedrid Wilhelm I. von Breußen, auf dejjen Reife dur Süd— 





Oberſt Rochow verhindert die Flucht des Kronprinzen Friedrich von 
Preußen auf der Reife von Stuttgart nad Mannheim. 


Nah einer Zeichnung von Adolf Mentel zur Geſchichte Friedrichs des Großen- 





154 Die auswärtige Bolitif Karl Philipps x. 


beutichland von Stuttgart aus am 8. Mai 1730 nad) Mann— 
heim. 

Der damals erjt 18jährige Kronprinz befand fich Hier 
nicht gerade in der beiten Gemüthsverfaffung. Sein auf diejer 
Reife nah Mannheim im Dorfe Steinsfurth bei Sinsheim 
nächtlicherweile unternommener Fluchtverjuh war von Oberjt 
Rochow vereitelt worden. Diejer Fluchtverſuch ereignete fich 
nah Kugler unter folgenden Umjtänden: 

„Im Dorfe Steinsfurth übernachtete man in verichiedenen 
Sceunen, in dem der König, in ſolchen Fällen nad) weichlicher 
Bequemlichkeit wenig lüjtern, einen [uftigen Aufenthalt der 
Art der beflemmenden Schwüle der Wirthshausftuben vorzu- 
ziehen pflegte. Der Kronprinz, der mit dem Dberften Rochow 
und feinem Kammerdiener gemeinichaftlih eine Scheune zum 
Nachtlager erhielt, machte jchnell feinen Plan, der Gelegenheit 
gemäß. Er benupte die gutmüthige Leichtgläubigkeit eines 
füniglihen Pagen — es war ein Bruder feines Freundes 
Keith — indem er ihm amvertraute, er habe ein verliebtes 
Abenteuer unfern des Ortes, wozu er ihn bes andern Tages 
früh um vier Uhr weden und ihm Pferde verichaffen möge. 
Das letztere war leicht zu bewerfitelligen, da gerade an dem 
Drte Pferdemarkt war. Der Bage war gern dazu bereit; an- 
jtatt aber den Prinzen zu weden, verfehlte er das Bett und 
wecte den Kammerdiener. Diejer Hatte die Geiftesgegenwart, 
ſich anzuftellen, al3 ob er darin wenig Verdächtiges finde; er 
blieb ruhig liegen, um das Weitere abzuwarten. Er jah, wie 
nun der Kronprinz aufiprang und fich jchnell anfleidete, aber 
nicht die Uniform, jondern ein franzöfiiches Kleid und einen 
rothen Ueberrod, den er fich heimlich auf der Reiſe hatte 
machen laſſen, anlegte. Kaum hatte der Kronprinz die Scheune 
verlaffen, jo benachrichtigte der Kammerdiener den Oberſten 
Rochow von dem, was vorgegangen; dieſer wedte eilig drei 
andere Offiziere aus des Königs Gefolge, und man machte fich, 
nichts Gutes ahmend, auf den Weg, den Stronprinzen zu fuchen. 
Nach kurzer Zeit fanden ihn die Offiziere auf dem Pferde- 
marfte, an einen Wagen gelehnt und nad) dem Pagen aus- 


Die auswärtige Politik Karl Philipps x. 155 


ſchauend. Seine franzöfiiche Kleidung vermehrte ihren Ver— 
dacht, doch fragten fie ihm mit ſchuldiger Ehrerbietung, weßhalb 
er fich fo früh aufgemacht. Der Kronprinz war über die un— 
willfommene Dazwiſchenkunft von Wuth und Verzweiflung er- 
füllt, er wäre des Weußerjten fähig gemwejen, hätte er Waffen 
bei fich gehabt. Er gab ihnen eine kurze und rauhe Antwort. 
Rochow bemerkte, der König ſei bereit3 aufgewacht und werde 
in einer halben Stunde weiter reifen; er möge aufs Schleu- 
nigjte jeine Kleidung verändern, damit fie dem Könige nicht zu 
Gefiht fomme. Der Kronprinz verweigerte e3 und fagte, er 
wolle jpazieren gehen; er werde zur rechten Zeit zur Abreije 
bereit fein. Indeß fam der Bage mit den Pferden. Der Kron—⸗ 
prinz wollte ſich vajch auf das eine derjelben werfen; aber die 
Dffiziere ließen ihn nicht dazu fommen und zwangen ihn, der 
fi wie ein Verzmweifelter wehrte, mit ihnen zur Scheune zu— 
rüdzufehren und die Uniform wieder anzulegen.“ 


Unter der Nachwirkung dieſes vereitelten Fluchtverfuchs 
jtand der Aufenthalt de3 Kronprinzen Friedrih in Mannheim. 


Der König hatte von dem Vorkommniß erfahren, doch lief 
er hier ben Kronprinzen von feinem Zorne nichts merken, erſt 
furz nach der Abreife von Mannheim jagte er zu feinem Sohne 
gewendet leichthin in jpottendem Tone, er wundere ſich, ihn Hier 
zu jehen, denn er habe ihn jchon in Paris vermuthet. 

Die Treftlichkeiten in Mannheim müfjen doc etwas durch 
die gewitterjchwüle Stimmung,. die die Situation mit fi 
brachte, gelitten Haben. Es ift auch anzunehmen, daß der Kur— 
fürft Karl Philipp gleihfall3 von dem Vorfall Kenntniß er- 
hielt und ein Mißbehagen darüber empfand. 

Beruhigend erjchien es, daß der König und der Kronprinz 
am Sonntag den 9. Auguſt gemeinjchaftlih dem lutheriſchen 
Gottesdienjt in der Trinitatisfirhe zu Mannheim beiwohnten. 

In demjelben Jahre 1730 jtedelte der Prinz Johann 
Ehrijtian von Sulzbach, der Bruder des verjtorbenen Erb— 
prinzen Joſeph Karl von Sulzbach, in das Schloß zu Mann- 
heim über, um dem KHurfürften Troft und Stütze zu jein. 


156 Die auswärtige Politit Karl Philipps n. 


Allein auch diejer Beiltand wurde dem Kurfürften nach 
furzer Zeit entzogen. 

Prinz Johann Chriftian war zu diejer Zeit erſt 30 Jahre 
alt. 2 Jahre vorher war jeine Gemahlin, die Fürſtin Maria 
Anna, Tochter des Herzogs Franz Egon Latour d’Auvergne, 
geftorben. Diejer Ehe entitammte der am 11. Dezember 1724 
geborene Karl Theodor, der nachmalige Kurfürit der Pfalz. 
Nach dem Tode jeiner Gattin erbte Johann Chrijtian die Herr- 
ichaft Bergen op Zoom. 

Bald nad) feiner Ueberfiedelung nad) Mannheim vermäbhlte 
fih Prinz Johann Ehriftian nochmals und zwar am 25. Januar 
1731 mit der Prinzeſſin Eleonore Augufte von Heſſen-Rhein— 
fels, Schweiter der Königin von Sardinien. 

Aber nur kurzes Glüd jollte ihm in diefer Ehe beichieden 
fein. Wohl gelangte er nad) dem am 11. Juli 1732 erfolgten 
Tode jeines Vaters Theodor an die Regierung jeines Landes, 
allein jchon ein Jahr darauf wurde er jeiner jungen Gattin 
und jeinem väterlichen Freund, dem Kurfürſten Karl Philipp, 
durch den Tod entriffen. Zunehmende Beleibtheit Hatte die 
Gefundheit des jonjt körperlich jo kräftigen und großen Mannes 
untergraben. Die Fürjtin hat ihren Gemahl noch 26 Jahre 
überlebt; fie jtarb im Jahre 1759 in dem Kloſter der Karme— 
literinnen zu Neuburg. 

Als der Tod der eriten Gemahlin Johann Ehrijtians den 
jungen Prinzen Karl Theodor jeiner Mutter beraubt hatte, 
war dieſer zu feiner Urgroßmutter, der Herzogin Marie Hen- 
riette von Aremberg in Drogenburg bei Brüſſel, zu weiterer 
Erziehung verbracht worden. 

Jetzt nach dem Tode auch des Vaters de3 jungen Prinzen, 
übernahm Kurfürſt Karl Philipp jelbft laut einer teftamen- 
tarijchen Beftimmung Johann Chriftians die Vormundſchaft 
über das verwaijte Kind, Er ließ den Prinzen — wie jchon 
früher erwähnt — an den Hof nah Mannheim kommen und 
leitete jelbjt die Erziehung desjelben. Wie ein koitbares Kleinod 
wahrte er Diejes Kind, mit ihm die größten Hoffnungen ver- 
bindend, die ſich denn auch erfüllen jollten. 


Die auswärtige Politit Karl Philipps x. 157 


Zu einem lieblichen Feſte geitaltete fich die Verlobung des 
Knaben Karl Theodor mit der jungen Tochter der Eliſabeth 
Augusta gleichen Namens, mit der Enkelin Karl Philipps. In 
rührender väterlicher Liebe wollte Karl Philipp das Theuerjte, 
was er bejaß, mit einander verbunden jehen. Und jo ver: 
wirklichte er den Plan der Verlobung der beiden Kinder, Karl 
Theodors und feiner Enkelin Elijabeth Augusta. Im April 1733 
fand diejes Feſt einer gewiß jeltenen Verlobung im Mannheimer 
Schloſſe jtatt. 

Eliſabeth Augusta, die jpätere Gattin Karl Theodors, iſt 
am 17. Januar 1721 zu Mannheim geboren und zwar in dent 
zweiten Stod des neben der proviſoriſchen furfürjtlichen Reſi— 
benz R 1, 1 jtehenden und mit diejem damals durch einen 
Durchbruch verbundenen Haufe des Kaufmanns Gejell. Sie 
iſt das dritte Kind der Ehe des Erbprinzen von Sulzbach und 
der Tochter Karl Philipps. 

Die in Mannheim erfolgte Geburt ihres Bruders Karl 
Bhilipp Auguſt am 24. November 1725 war von der Stadt 
mit großem Jubel begrüßt worden. Zur eier diejes Er- 
eignifles ließ der Stadtrath eine Münze. (einen Dufaten) 
prägen mit einer dem Kurprinzen gewidmeten Injchrift und 
einer allegoriichen Jünglingsgeſtalt Allein nur zwei Jahre 
währte das Leben diejes alſo Gefeierten. 

Herzog Johann Chriſtian hatte furz vor jeinem Tode für 
die fünftige Bermählung feiner Nichte Eliſabeth Augujta mit 
jeinem Sohne Karl Theodor einen Vertrag mit Karl Philipp 
abgejchloffen, worin u. U. in $ 14 bejtimmt wurde, „daß die 
Gemählde-Gallerie zu Düffeldorf und die beiden Kabinette der 
Mahlerey und Alterthümer zu Mannheim „cum vinculo per- 
petui fideicommissi* für das dhurpfälziiche Haus belegt ſeyn 
und bfeiben.“*) Der Bertrag wurde am 25. April 1733 in 
Mannheim und am 30. April zu Sulzbach unterzeichnet. 


*) Non einer Guriofität in dem damaligen Mannheimer Stabinelt, 
die wir bier nur erwähnen wollen, weil fie in humoriſtiſcher Weile Kaiſer 
Friedrich IL. in ihre Schickſale hineinſpielen läßt, erzählt Lipowsky nad) Freher's 
Hriginum Palat. Pars II: „In dieſem Stabinette befand jich unter andern 


158 Die auswärtige Politit Karl Philipps x. 


Kurz vor dem Tode Johann Chriſtians kam zwischen ihm 
und Karl Philipp eine eigene Sache zum Austrag, die bewies, 
daß die Freundſchaft diefer beiden Fürſten nicht zu erjchüttern 
war. Der Markgraf von Bayreuth hatte dem Vater Johann 
Ehrijtians 30000 Gulden geliehen, die er nun vom Sohne 
als diejer die Regierung angetreten, zurüdforderte. Johann 
Chriſtian wandte ſich in jeiner Bebrängnig an Karl Philipp, 
der die ganze Summe dedte. Die enorme Ausgabe wurde 
damit begründet, daß dies die Begleichung einer Forderung jei, 
die das Haus Sulzbah an das Haus Neuburg habe. That- 
tählih Hatte das Haus Sulzbach im Jahre 1621 dem Haufe 
Keuburg ein Darlehen von 24000 Gufden gewährt, das allers 
dings nod) nicht zurüdgezahlt war. 

Ende Dezember 1731 traf der Better Karl Philipps, 
Kurfürft Karl Albert von Bayern, in Mannheim zum Befuche 
ein, den er bis zum Februar des folgenden Jahres ausbehnte. 
Die Anwejenheit des mit dem Haufe Neuburg innig verbun- 
denen Firjten in Mannheim war von neuer politiicher Bedeu- 
tung und verjchärfte noc das Zerwürfniß Karl Philipps mit 
dem öfterreichtiichen Kaiſerhauſe. 

Bayern und Pfalz jchloffen jich denn auch dem Sailer 
nicht an, als dieſer 1733 mit Frankreich wegen der polnischen 





Alterthümern auch ein vergoldeter, nad) dem Wachsthume des Fiſches ſich 
ielbit ausdehnender Ning, welden ein im Jahre 1497 gefangener Hecht ge— 
tragen hat, und den Ghurfürft Philipp, nachdem er ihn zuvor hatte ab» 
mahlen laffen, ſich zu Heidelberg auf feine Tafel bringen ließ. Diefer 
Hecht wog damals 350 Pfund und war 19 Schube lang. Die Aufichrift 
auf dem Ringe war griedhiich, und der damalige gelehrte Biſchof zu Worms, 
dann Kanzler des Ghurfürften, Johann, Kämmerer von Worms, Freiherr 
von Dalberg, überiegte dieie griechiiche Aufichrift wie folgt: Ich bin unter 
allen Fiichen der erfte, weldyer dur die Hände Kaiſers Friedrich IT. in 
dieien Wog geſetzt worden, den 5. Oktober 1230. Kaiſer Friedrich II. hatte 
nämlich) in dem cben angegebenen Jahre einen Hecht mit eigener 
Hand in den nunmehr ausgetrodneten Kaiſerswog (Weiher) nicht weit 
von der Stadt Lautern gelegt, der ſich 267 Jahre darin aufgehalten 
hat. Die Abbildima dieſes Hechtes befindet jich im Schloſſe der Stadt 
Lautern.“ 


Die auswärtige Politik Karl Philipps x. 159 


Königswahl Krieg führte. Sie erflärten mit Köln diejen Krieg 
nur al3 den Austrag einer Yamilienjache, die fie nicht an— 
gehe, und jtellten ſich auf den Standpunft der Neutralität. So 
blieb wohl die Pfalz vor einem neuen Kriege verichont, allein 
der Durchzug und Aufenthalt fremder Truppen brachten dem 
Lande Unzuträglichkeiten, zumal der Kurfürjt fich nicht unpar- 
teitfch genug verhielt, um Ausjchreitungen zu vermeiden. 

„Da nun injonderheit der alte Kurfürft von der Pfalz — 
jo heißt es in der Germania princeps — ſchon ſeit vielen 
Jahren daher mit Kaijer Karl VI. nicht recht zufrieden geweſen 
war, jo trug er dejto weniger Bedenken in diejem Kriege die 
Neutralität mit zu wählen, da er zumal wußte, daß dadurd 
dem Haufe Defterreich Fein geringer Tort geſchähe. Ja, ber 
Kaijer hatte Urjache, ihn noch dazu vieler Barteilichkeiten zu 
bejchuldigen, denn er ließ nicht nur den Franzoſen zulänglichen 
Proviant aus jeinen Landen zuführen, jondern gejtattete ihnen 
auch bei Nedarau den Uebergang über den Rhein. Bei An- 
näherung der Deutjchen Hingegen ließ er jowohl zu Mannheim 
al3 Heidelberg die Brüden abwerfen über welche vorher die 
Franzoſen marjchirt waren. Auch Hatten die franzöftichen 
Generale, der Marſchall von Noailles, der Graf von Sadjen, 
der Graf von Belleisle, der Herzog von Nichelieu und andere 
mehr bei Hof freien Zutritt, und unterredeten ſich fleißig mit 
dem Kurfürſten. Zwar ließ diejer hierauf dem Kaifer ein joge- 
nannte Ereulpations-Schreiben wegen des Uebergangs der 
Franzoſen überreichen. Uber es fand jolches bei jo bewandten 
Umjtänden wenigen Beifall. In mitteljt jebte er jeine Truppen 
und Feſtungen in einen guten Stand, wozu die Geiftlichkeit 
wiederum vermöge eines päpitlihen Breve ein Anjehnliches 
beitragen mußte. 

Ohngeachtet nun der ergriffenen Neutralität empfand er 
dennoch das SKriegsungemah im Jahre 1735 merklich jatt. 
Denn beiderjeitigen Armeen ftunden. in jeinen Landen, und 
verurjachten den Unterthanen großen Schaden. Ob er aud) 
wohl zu Wien und in Berjailles öfters nachdrüdliche Klage 
darüber führte, und begehrte, daß man den Schaden erjegen 


160 Die auswärtige Politik Karl Philipps x. 


jollte, jo Hatte doch der Kaiſer das. wenigſte Mitleiden mit 
ihnen, zumalen da er auch den im vorigen Jahr aus dem 
Reiche geichafften franzöfiichen Minijter Blondel an feinem Hof 
aufnahm und die Feldfrüchte feiner Unterthanen gegen die ver- 
Iprochene Einjaat an die franzöftiche Armee verfauft hatte, wo— 
für ihm jedoch der franzöjiiche Hof nachgehends Satisfaction 
gegeben.“ 

Abgeſehen von der mangelhaften Wahrung der Neutralität, 
muß zu Gunften Karl Philipps doch in Erwägung gezogen 
werden, daß bei Betheiligung an dem Feldzug gegen Frank— 
reich die Pfalz wieder zuerjt von den Franzoſen mit Krieg 
überzogen worden wäre und der Schaden für das Land dann 
jedenfall3 viel bedeutender ausgefallen fein witrde, ferner, daß 
Karl Philipp thatjächlih nur gegen die Perſon des regieren- 
den Kaiſers Karl VI. Groll hegte und fein Wunfch nur dahin 
ging, einen anderen Kaijer auf dem Thron zu jehen, nicht dem 
deutichen Kaiferreich überhaupt entgegenzuftehen. So machte 
er bei der folgenden Kaiferwahl im Jahre 1742 feinen Einfluß 
zu Gunſten des Kurfürjten von Bayern geltend, und es iſt ein 
Zeichen der Macht feiner Regierung, daß er es hauptjächlich 
mit bewirkte, daß dieſe Wahl wirklich zuftande fam. Ob dieſe 
Wahl glüdlih war oder nicht, kann an diefen Erwägungen 
nicht3 ändern. 

Der bier in Frage fommende Krieg währte übrigens drei 
Jahre und der Kaiſer wagte es nicht, dem Kurfürjten das 
Berhalten in diefem Kriege jpäter entgelten zu laſſen. 

Die Politik des Öfterreichifchen Fürſtenhauſes wurde bald 
darauf von Preußen ebenjo wenig rejpeftirt, wie von Karl 
Philipp, denn nad) dem Tode des Kaijers Karl VL riß Preußen 
befanntlih Schlejien an ſich. 

Ebenſo verjuchte der Kurfürſt von Bayern feine Rechte 
geltend zu machen. Karl Philipp wollte jedoch nicht offen gegen 
Defterreich, mit dem er verwandtichaftlich eng verbunden war, 
vorgehen; er jtellte fich wieder auf den Standpunkt der Neu— 
tralität, Dabei jedoch den Durchzug Bayern zu Hilfe eilender 
franzöfiicher Truppen durch fein Land geitattend, 





Marmorftatue des Kurfürften Karl Theodor 
von Peter von Derfcaffelt. 
(Im Ritterfaal des Schloſſes). 


Die answärtige Folitif Karl Philipps x. 161 


Auf Vorſtellung des Kurfüriten wurde die bereits auf 
27. Februar 1741 angejegte Kaiferwahl bis zum 24. Januar 
1742 hinausgeichoben. Bei der Wahl fonnte der Kurfürft 
jeine3 Alters wegen nicht jelbir erjcheinen, er entjendete den 
Freiherrn Hermann Arnold von Wachtendond und den Bize- 
fanzler Peter Heinrih von Weiner nad Frankfurt, die denn 
auch die Wahl des Kurfürſten von Bayern durchiegen halfen, 

Bon einiger politiichen Bedeutung war auch der vom 
31. Oktober bis 9. November 1739 währende Bejud) des Kur: 
fürften Clemens Auguit von Köln ın Mannheim gewejen, der 
fih dem Bündnis Karl Philipps und des Kurfürſten von 
Bayern angeſchloſſen hatte. 

Die Nachricht von der Wahl des Kurfürſten von Bayern 
zum deutſchen Kaiſer traf in Mannheim gerade am Schluſſe 
eines glänzenden Feſtes ein, bei dem auch der zum Kaiſer 
gewählte Fürſt anweſend war. Wie zur Krönung dieſes Feſtes 
wurde die bejubelte Botſchaft von dem Reichsmarſchall Grafen 
von Pappenheim überbracht, dem bei ſeinem Einzug in Mann— 
heim hundert blaſende Poſtillone vorausritten. 

Man beging hier das Feſt der vom Kurfürſten Karl Philipp 
erſehnten Vermählung der früh Verlobten, des Prinzen Karl 
Theodor und der Prinzeſſin Eliſabeth Auguſta, das zugleich 
mit der Vermählung der jüngeren Schweſter der letzteren, 
Maria Anna mit dem Herzog Clemens Franz von Bayern, 
dem Sohne des Bruders des Kurfürſten von Bayern, gefeiert 
wurde. 

„Der alte Kurfürſt hatte — jo lautet der Bericht der 
(sermania princeps — zu diefem doppelten Beilager große 
Anftalten vorfehren laſſen, um die vielen hohen Gäſte recht zu 
berrirthen. Unter diefen war der Kurfürſt von Bayern der 
vornehmſte. Allermaßen er ich jchon den 7. Dezember 1741 
zu Brag vor einem König in Böhmen hatte ausrufen laſſen, 
da jeine und ſeiner Alliirten Waffen bis dahin noc jo ziem— 
lid) glücklich geweien waren. Er gelangte den 16. Januar mit 
jeiner ganzen Familie zu Mannheim an, nachdem jeine Herrn 
Brüder, der Kurfürſt von Köln und der Biichof von Frey— 


Oefer, Gefchichte der Stadt Mannheim. 11 


162 Die auswärtige Rolitit Karl Philipps ıc. 


ingen und Regensburg nebſt anderen füritlichen Perſonen 
ſchon vorher allda angefommen waren. Die VBermählung ge- 
ihahe gedachten 17. Januar Abends um 6 Uhr, worauf bis 
9 Uhr Afjemblee gehalten und alsdann erjt zur Tafel gegangen 
wurde. Daran jagen 14 durchlauchtigſte Perſonen, welche der 
Kurfürſt alle durch) Kammerherren bedienen lie. An ver: 
ihiedenen anderen Tafeln aber jpeiieten noch 150 vornehme 
Berjonen. 

Nach aufgehobener Tafel tanzte man; und der alte fur: 
fürjt eröffnete jelbjt den Ball, wobei er ſich aber hohen Alters 
halber eines Stuhles mit Rädern bediente, der durch zwei 
Nammerherren fortgerüdt wurde. Die hoben SHerrichaften 
blieben hernach noch bis 30. Januar zu Mannheim beiſammen, 
und Divertirten ji) jehr wohl. Unter anderen Luftbarkeiten 
ließ der Kurfürſt auch, während der ſchönen Illumination durch 
die ganze Stadt, im Schloßhofe Wein aus einem großen Faſſe 
ipringen, welches im vorigen letten großen Winter auf dem 
zugefrorenen Rheine, unter vielen Geremonien der daran 
arbeitenden Handwerksleute, ganz meu verfertigt worden, Diejes 
Faß war ganz vergoldet, und lag auf einem hohen ®erüfte. 
Ein Bachus ſaß auf demjelben, welcher einen Becher in der 
Hand hielt. Nur der Kurfürft von Köln ging ſchon den 20. 
nach Frankfurt wieder zurüd. Als auch der neue König in 
Böhmen und Kurfürjt zu Bayern den 24. Januar die Nach— 
riht von jeiner an dieſem Tage gejchehenen Erhebung zur 
Kaiſerlichen Würde erhalten hatte, bradı er ebenfalls den 
30, Januar mit feiner jämmtlichen Hofitatt nach Frankfurt 
auf. Bet dem Abjchied gings jehr beweglich her, denn ala ſich 
der neue Kaiſer bei dem Kurfürſten beurlaubte, umarmte er 
ihn mehr als einmal aufs zärtlichjte nicht anders, als ob er 
ichon damals gewußt hätte, daß er ihn im dieſem Leben nicht 
wieder jehen würde.“ 

Bon anderer Seite wird noch über das jyejt berichtet: 
„Difene Tafeln, Bälle, Theater, Beleuchtung, Feuerwerke, Masfen- 
züge und Sclittenfahrten wechlelten in jeltener Pracht mit- 
einander. In dem prächtigen Overnfaale des Schloſſes wurde 


Die answärtige Politik Karl Philipps :c. 163 


eine heroiſche italieniſche Oper, mit Muſik vom furpfälziichen 
Kapellmeifter Karl Ludwig Peter Grua, aufgeführt. Noch 
mehr wurde Diejes herrliche seit dadurch gehoben, daß 
die zu Schweßingen am 15. Junius 1724 geborene dritte 
Schweiter Franziska Dorothea Chriftina mit dem Prinzen 
Friedrich Michael, Pialzgrafen von Zweibrüden, veriprochen 
wurde. Die Bermählung jelbjt aber wurde erjt am 6. ‚Februar 
1746 vollzogen.“ 

Zange Hatte der alte Kurfürjt jih in der Trauer um das 
Hinjcheiden jeiner Tochter und jeiner Gemahlin feiner Feſtes— 
freude mehr Hingegeben, jtill war es am Mannheimer Hofe 
geworden. Da erwachte noch einmal furz vor jeinem Tode ein 
Frohgefühl glücklicher Zukunftsausfichten und mit dem glänzen- 
den seite feierte der Fürſt auch das Wiedererjtarten jeiner 
Hoffnungen auf das Glück und Gedeihen jeines Landes, Mit 
herzlicher Freude nahm daher auc) die Bevölferung an diejem 
‚seite theil, dem alten Zandesfürjten die Ueberwindung jo langer, 
ihmerzliher Empfindungen aufrichtig gönnend. Zum Andenken 
an das Feſt wurden Münzen geichlagen. 

Noch eine weitere Freude erlebte der Nurfürit furz nad) 
diejen Feſtlichkeiten: die Erledigung der Jüchlich' und Berg’ichen, 
reſp. Navenftein’schen Erbichaftsangelegenheit, die zu feinen 
Sunjten beendigt wurde. Der Vertrag, nach welchem der 
König von Preußen auf jeine Anjprüche verzichtete und ihm 
dafür jein neuer Belig von Schlefien anerfannt wurde, gelangte 
am 10. Februar 1742 in Mannheim zur Unterzeichnung. Der 
Vertrag gewährleiftet nach dem Tode Karl Philipps jomohl 
den männlichen wie weiblichen Angehörigen des Haufes Sulz— 
bach die Erbfolge in den Herzogthümern Jülich und Berg, ſo— 
wie in der Herrſchaft Ravenitein. 

Das war die erite Folge der Verbindung Karl Philipps 
mit dem neuen Kaiſer. Des Weiteren übertrug der Kaiſer dem 
Kurfürjten von der Pfalz bei der am 12. Februar 1742 jtatt- 
findenden Kaiſerkrönung das Erz-Truchſeß-Amt. Der Kurfürſt 
ließ dieſes Amt bei der Krömungsfeier, da er ſelbſt jeines 
Alters wegen es nicht verjehen konnte, in jeinem Namen von 

11* 


164 Die auswärtige Politit Karl Philipps x. 


dem Grafen Zeil-Wurzac und dem Freiherrn von Wachten- 
dond verwalten. | 

Ueberfieht man die auswärtige Bolitif Karl Bhilipps in 
ihrer Gelammtheit, jo kann man ihr jehr wejentliche Erfolge 
nicht abiprechen. Karl Philipp wußte feinen Ländern*) eine be- 
deutende Macht zu fichern und der Glanz, den jein Hof ent- 
faltete, war ſomit fein faljicher Schein. Seine durch Kunft 
und Glauben geförderte Dinneigung zu Frankreich verleitete 
den Kurfüriten durchaus nicht, fich in einen Krieg zu Gunjten 
des franzöfiichen Staates einzulafien. 

Den Troß, den Karl Philipp dem Kaiſer Karl VI. bot, 
und der Einfluß, den er bei der Kaiſerwahl übte, beweilt jeine 
Macht am deutlichiten. Hierzu kommt noch jein Sieg in dem 
Jülich-Berg'ſchen Erbfolgeitreit: allein der jedenfalls größte 
Erfolg jeiner Bolitif bleidt der Gewinn der Erbfolge in Bayern. 
So hatte Karl Philipp dem Wirken jeines Nachfolger auch 
auf politiichem Gebiete eine wichtige Grundlage bereitet. 


*) „Man kann demmad die Kurpfalz, ihrem tweitläuftigen Um— 
fange nad, in fünf Haupttheile abiondern, welche find: 1. das Kurfürſten— 
thum oder die eigentliche jogenannte Pfalz 2. das Herzogthum Simmern 
3. das Herzogthum Jweibrüden, worzu nunmehr unter andern auch Birken: 
feld und die Srafihaft Nappoltitein gehören, wovon das Cberanıt zu 
Meiſſenheim tt, 4, die Grafſchaft Spanbeim und 5. die Srafichaft Veld- 
ent mit dem Fürſtenthume Lautereck. Zwiſchen allen Diefen Yändern 
liegen noch einige Eleine unter andere Herrſchaften achörige Landſchaften 
als da find: die (Srafichaften Rheingrafenitein, Yeiningen und Faldenitein, 
ingleichen die Herrſchaft MNeipolgfird, wit den Stiftern, Worms und 
Speyer. Zweibrücken nebſt Birkenfeld und Rappoltitein gehört nur noch 
einer beionderen Yinie, nämlich der Zweibrüdiichen. Das übrige alles aber 
it nunmehro Kurpfälziſch. — Es wird demnach cheutiges) Tages die Kur— 
pfalz in 15, Oberämter eingetheilte, deren jedes twiedernm eines oder mehrere 
Unterämter unter ſich bat. Selbige nun find folgende: 1. Sheidelberg, 
längit dem Nedar, wo der ſich in den Rhein ſtürzt. Und darinnen Liegen 
die Hauptirädte Heidelberg und Mannheim nebit der chemaligen Feſtung 
Friedrichsburg und dem Luſtſchloſſe Schwetzingen, wie audı den Heinen 
Städtchen Wicsloh und Weinheim. 2. Das Amt Mosbach ebenfalls am 
Neckar, darinnen Mosbach und Lindenfels die beiten Derter find. 3. Das 
Amt Bretten an der Mürttembergiichen (Grenze, darinnen Genmingen, 


Die auswärtige Politif Karl Philipps ıc. 165 


Wie Karl Bhilipp jo jeines Nachfolgers bejorgt gedachte, 
jo wollte er auch jeines Borgängers dankbar gedenfen und 
jeinem Bruder Johann Wilhelm in Mannheim ein Denkmal 
errichten. Er beabfichtigte, das in Düffeldorf aufgeftellte Gru— 
pello’sche NReiterjtandbild Johann Wilhelms nah Mannheim 
bringen zu lafjen, allein die Bevölferung Düſſeldorfs wehrte 
ich dagegen, ſodaß der Kurfürſt dieien Plan aufgeben mußte. 
Dafür lieh er ein anderes Meiſterwerk Grupellos, das hier 
auf dem Paradeplatz ſtehende Brunnendenfmal, im Sabre 1741 
von Düſſeldorf nach Mannheim überführen und bier aufitellen 
als ein unvergängliches Zeichen der feinen Kunſtpflege der Zeit 
Johann Wiihelins. Diejes Werkes ſoll ipäter noch beionders 
gedacht werden. 


Sinsheim, Cppingen und Bretten, des Philippi Melanchthonis Bateritadt 
zu merken find. Diele 3 Memter zufammen heißen jonit auch der Creichau 
oder Crichau von dem Kleinen Fluſſe Greich, welcher unweit Speyer in den 
Rhein fließt. 4. Das Amt Borberg liegt etwas abwärts im Franfenlande 
an deu Odenwalde nicht weit von Mergentheim. Anno 1691 wurde es 
dem Biichofe zu Würzburg veriegt, 5. Das Ant Ugberg liegt den Seidel: 
bergiichen gegenüber nad) Heilen Tarmitadt zu. 6. Das Amt Neuftadt 
abermals dem Heidelbergiichen gegenüber, worinnen Neuftadt an der Hardt 
nebit der ehemaligen Schönen Feſtung Frankenthal und dem Eleinen Städtchen 
Freinsheim und Wachenheim zu bemerken. 7. Das Amt Germersheim am 
Rhein, dem Stifte Speyer gegenüber; worinnen die Städte Germersheim 
und Billigheim find. Auch Liegt die ſchöne Franzöfiiche Feſtung Yandan 
darinnen, welche eine Brille vor die ganze Niederpfalz ift, die aus diefer 
einzigen Feſtung kann gedrillet werden. 8. Das Amt Yautern am Fluffe 
Yauter, worinnen unter anderen Maierslautern nebit der Stadt und dem 
Schloſſe Wolfitein lieget. 9. Das Amt Alzey oder Alzbein mit der Stadt 
aleihen Namens, die noch eine Lutheriſche Nirdye hat. 10. Tas Amt 
Oppenheim am heine, zwischen Dlainz und Worms, worinmen die Stüdte 
Oppenheim, Odernheim und Ingelheim befindlih. 11. Tas Amt Badıaradı, 
weiter hinunter an beiden Ufern des Rheins, darinnen Bacharach und das 
Schloß Stalek lieget, da der Rheinzoll bezahlet wird, 12. Das Amt 
Stromberg am Rhein iit eines der Eleineiten. 15. Das Amt streuznad) be: 
greift alles, was dem Nurfüriten aus der alten Grafſchaft Spanheim ges 
bört, und liegt auf dem Hundsrüd am Fluſſe Nahe. Dazu gehören Stadt 
und Schloß Kreuznach mit der Grafihaft Bregenitein u. ſ. w. 14, Das 
Amt und ehemalige Fürſtenthum Zimmern, abermals auf dem Hundsrück 





166 Die auswärtige Volitik Karl Philipps x. 


Am wenigften gelang es Karl Bhilipp, die jozialen Ver— 
hältniffe der Stadt Mannheim zu fördern. Zu weit war — 
wie gejagt — dieſe Stadt bereits mit ihren freiheitlichen In— 
jtitutionen der Zeit vorausgeeilt, als daß das Auffommen der 
neuen Verhältniſſe, das SHereinjpielen der zurücdgebliebenen 
Staatöverhältnifje, anders als ein Nüdjchritt empfunden werden 
fonnte. Auf dieſe neuen Berhältnifie joll ipäter noch des 
Näheren eingegangen werden. 

Die hervorragende Bedeutung der Regierung Karl Philipps 
für Mannheim lag auf dem Gebiete der Kunſt und der Ge— 
jtaltung der Stadt, doch darf hier nicht vergeffen werden, 
daß die von dieſem Fürſten begonnene Kunſtpflege in jpäteren 
Zeiten auch für das ſociale Leben manches Gute zur Folge 
hatte. 

In demſelben Jahre, in dem Karl Philip die oben ge— 


zwiichen dem Rheine, der Moſel und der Nahe, an den Grenzen des Erz— 
bisthums Trier, worinnen die Städte Sinmern und Caub befindlich. Und 
endlich 15. das Amt Kirchberg liegt nleich bei dem Sinmmeriſchen, und hat 
feinen jonderlich merkwürdigen Ort. Bor diefen war es eine eigene Graf— 
Schaft, deren Befißer aber 1408 mit dem legten Grafen Gerhardo von 
Kirchberg ausgeitorben find. 

Außerdem aber befiset (heutiges Tages) der Kurfürſt der Pfalz auch 
in dem weſtphäliſchen Kreiſe die Herzogthümer Jülich und Berg nebft der 
Herrſchaft Navenftein. Weberdies bejigt er auch noch im Bayeriſchen Kreiſe 
das FFürftenthum Neuburg, worzu das Sulzbachiiche gehört. Es iſt eigent- 
lih ein Stüd von der Oberpfalz, das Pralzaraf Wolfgang feinen Sohne 
Philipp Ludwigen zur Npanage gab. Es iſt ein Feines Land, längſt der 
Donau, zwiichen Ingolitadt und Donauwerth. Es wird auch ſonſt das 
Pfälzle oder die junge Pralz genennet. Man theilt es gemeiniglich in zwei 
Haupttheile, die aber nicht aneinander hängen. Der MWeitliche liegt zwiichen 
Schwaben und Franken; der Oeſtliche hergegen zwiſchen Bayern und der 
Oberpfalz. Beide Theile beitchen wiederum aus 29 Aemtern. Die vor: 
nehmiten Derter aber find: Neuburg an der Donau als die Hauptitabt des 
ganzen Landes, Sie ift zwar mittelmäßig, doch wohl erbanet und liegt 
drei Meilen oberhalb Ingolſtadt. Gegen Oſten Tiegt eine hohe Schanze 
und andere mittelmäßige Fortificationswerfe. Auch ift die Brücke über die 
Donau mit einer Schanze verwahret. Den Anfang zu den Befeſtigungs— 
werfen hat Pfalzgraf Wilhelm gemacht; und Otto Heinrich zu Seiten Kaiſer 
Karls V. das ichenswürdige Schloß erbaut.“ (Germ. prince. 1746.) 


Die auswärtige Politit Karl Philipps x. 167 


jchilderten, für ihn erfreulichen Ereignijfe erlebte, im Jahre 
1742 feierte er noch am 4. November jeinen 81. Geburtstag. 

Wenige Wochen darauf wurde der Kurfürft von einer 
raich zunehmenden Schwäche befallen. Am 23. Dezember 
jteigerte jic; diefe Schwäche und am folgenden Tage nahm fie 
einen jo bedrohlichen Charakter an, daß man an der Genejung 
des Fürſten zu zweifeln begann. 

Der Schwäcezuitand verichlimmerte ſich denn auch mit 
jedem weiteren Tage und am 28. erhielt der Fürft die lebte 
Delung. 

Wohl trat am 30. Dezember früh noch eine leichte Beſſe— 
rung jeines Zujtandes ein, allein das neue Jahr jollte der 
Kurfürſt nicht mehr erleben. Er verjchied am 31. Dezember, 
am Splveiter des Jahres 1742 Abends gegen 8 Uhr. 

Mit Karl Philipp jtarb der damals ältejte Regent aller 
Fürſtenhäuſer Europas und der letzte Kurfürft der Pfalz aus 
dem Hauſe Neuburg. 


Schon eine Woche lang waren in Mannheim alle Abende 
die Glocken jämmtlicher Kirchen geläutet und Gottesdienfte zur 
‚sürbitte für den franfen Landesheren gehalten worden. Hatte 
doch die Bevölferung der Stadt den Fürſten gerade jeiner 
Berjönlichkeit wegen lieb gewonnen, wie denn jelbit von der 
ſtrengſten Gejchichtsichreibung zugegeben werden mußte, daß 
„Tein ganzes Bezeigen und die Art zu reden verurjachte, daß 
man ihn Lieben mußte“ Es war nicht die derbfräftige, popu— 
läre Art Karl Ludwigs, jondern mehr eine feine Liebenswür— 
digfeit, durch die Karl Philipp fich die Herzen gewann. Seinem 
Charakter nach joll er — jo heißt es in dem durchaus objek— 
tiven Bericht des Buches vom pfälziihen Fürftenhaufe — ein 
Herr geweien jein, dem e3 an Güte niemand zuvor gethan, da: 
bei er der gnädigite Herr gegen jeine Bedienten und der freund- 
lichite Prinz gegen jedermann war. Wie er auch jelbjt jehr 
geſprächig, alio jahe er es gerne, wenn andere ebenfalls zu 
iprechen wußten und frei mit ihm redeten. . . . Daß er aud) 
in jeiner Jugend unter die jchöniten Prinzen jeiner Zeit mit 


168 Die auswärtige Politit Karl Philipps x. 


Recht gezählet wurden, konnte man noch im Alter an jeiner 
guten Gejtalt und Miene erfennen.“ 

Der Schmerz über den Tod des Fürſten war bei der Be- 
völferung der Stadt Mannheim, die jich unter ihm jtarf und 
Ihön wieder aufrichtete, groß und allgemein, aber auch die 
Trauer de3 ganzen Landes jchlug ihre Wogen in die ihres 
Hauptes beraubte NRefiden;. 

Da es der Wille des Verftorbenen war, daß bei jeiner 
Beilegung bejondere Yyeierlichkeiten unterlafjen werden, ſah man 
von einer Aufbahrung der Leiche auf einem Baradebett ab. 

An 1. Januar 1743 Abends gegen 9 Uhr wurde der 
Leichnam des Kurfürſten im aller Stille in der Gruft der 
Schloßkapelle zu Mannheim beigejebt. 

Dier ruhen jeine Gebeine noch beute neben den irdiichen 
Ueberrejten jener Frau, deren Liebe ihm in Leid und Unge- 
mach joviel gewejen und der er treues Gedenken bewwahrte, dies 
durch den umnerjchütterlichen Wunjch beweilend, noch im Tode 
an ihrer Seite gebettet zu jein. 

Der Kaiſer Karl VII., der den Kurfürjten wie einen 
Bater ehrte und liebte, ließ für den DVahingeichtiedenen am 
18. Januar 1743 in der Bartholomäi-Kirche zu ‚Frankfurt in 
feierlicher Weije „bei einem aufgerichteten herrlichen Todtenge- 
rüfte* unter jeiner und des ganzen fatierlichen Hofes Anweſen— 
heit die Erequien halten. 

In der in tiefe Trauer verjegten Stadt Mannheim fanden 
die Erequien erit am 10. Februar jtatt. Ber diejen Trauer- 
feierlichfeiten war neben dem Herzog Clemens Franz von 
Bayern und deſſen Gattin jelbitverjtändlich auch der junge 
Kurfürft Karl Theodor mit jeiner Gemahlin zugegen, der Erbe 
alles deſſen, was Karl Philipp zur Stärfung feiner Macht 
und zur Blüthe jeiner Reſidenz grundlegend geſchaffen hat. 


— 


EN 7 ——“ u Sp Y/ —— WERD 
MET BE EEE ER RE TEE NER NA NE 


Neue Würdigung Karl Theodors. 


Karl Theodor und Mannheim — Strenge Scheidung der Mannheimer von 

der Münchener Negierungszeit des Fürſten — Mißhelligkeiten in Bayer — 

Borübergebende Nüdkehr Karl Theodor nah Mannheim — Rückblick 

auf Kindheit und Jugend des Fürſten — Erziehung in Mannheim — Be: 

juch der Univerjitäten Leyden und Löwen — Verhalten zum Militärweien 
— Narl Theodor als Fürſt des Friedens und der Kunſt. 


$ 

Kart Theodor! Für Mannheim bedeutet dieſer Name 
eine Glanzzeit, welche die Stadt weithin zu Ruhm und Ehre 
gelangen ließ und das Augenmerk der gebildeten Welt Europas 
auf ſie richtete. 

Das iſt unbeſtreitbar, mag man auch über Karl Theodors 
Regierung Bayerns die Achſeln zucken, über manche Seiten 
ſeines Weſens die Naſe rümpfen: Die Geſchichte der Stadt 
Mannheim im 18. Jahrhundert iſt mit ſeinem Namen ver— 
bunden wie der Baum mit ſeiner Krone. 

Unter Karl Theodors Regierung gelangte Mannheim auf 
beſonderen Gebieten zu einer Entwickelung, welche auch heute 
noch nicht wieder erreicht iſt und die auch unſerer Zeit in 
vieler Beziehung zum Vorbild dienen kann. 

Die großen Traditionen auf dem Gebiete der Kunſt, die 
uns heute wieder hier mächtig vor Augen treten, ſie rühren 
aus der Zeit jenes Fürſten her. Mehr und mehr beginnen 
die bedeutenden Denkmäler aus jener Zeit wieder zu uns zu 
ſprechen. 


170 Neue Würdigung Karl Theodor. 


Das Borurtheil, das uns blind machte für das Verjtänd- 
niß einer ſich vollgiltig ausiprechenden Zeit, beginnt zu ſchwin— 
den. Die moderne Kunſt empfand zuerit wieder ihre Ber: 
wandtſchaft ımit jener Zeit der Lebendigkeit und des Geſchmackes 
und fnüpfte zuerit wieder an die Kunſt des 18. Jahrhunderts an. 

Da in Mannheim dieje Kunft einen Höhepunkt erreichte, 
eriteht von Neuem jein Auf, wird von Neuem der Blid auf 
dieſe Stadt gerichtet, die heute noch herrliche Meifterwerfe 
jener Zeit bejigt. 

Mannheim wird immer mehr erfannt als, durch jeine Baus 
denfmale heute noch rühmenswerthe Kunititadt, als Stätte vor: 
bildlicher Nunstwerfe, deren Betrachtung und Studium jich für 
die Weiterentwidelung der Architektur fruchtbar erweiien fann. 

Das Kunſtverſtändniß des heute regierenden Fürſten, Groß— 
herzogs Friedrich von Baden, hat das bedeutendſte Denkmal 
jener Zeit vor dem Verfall gerettet, in neuem Glanze eritehen 
lafien und damit frei von jeder Engherzigfeit eine ſchöne Ber- 
bindung von einjt und jet geichaffen. 

Das kurfürſtliche Reſidenzſchloß Karl Theodors, es ent: 
faltet ſich heute in ſeiner Rieſenausdehnung als das größte 
Schloß Europas in voller Wiederherſtellung. 

Und mit dem Wiedererſtehen dieſes Denkmals zu neuem 
modernen Leben iſt auch das Andenken des Fürſten wieder 
erſtanden, deſſen Name jene Zeit Mannheims kennzeichnet. 
Das Wirken Karl Theodors in Mannheim findet wieder neue 
Würdigung, und die aus ruhiger Friedensarbeit hervorge— 
gangenen neuen Werthſchätzungen der Kunſt kommen allmälig 
auch dem Schaffen dieſes Fürſten zu gute. 

Die politischen Fehler, die dieſem Fürſten zugejchrieben 
werden, find längſt wieder ausgeglichen und gutgemacht, ihre 
Folgen waren vorübergehend; dauernd jedoch bleiben jeine 
Ihaten im Neiche der Kunit. Intereſſant und merkwürdig 
jtehen jein Leben und feine lange Negierungszeit vor uns, 
jelbit einem originellen Kunſtwerk gleichend. 

Keine Spur von dem, was man einen treuen Diener Des 
Staats zu nennen pflegt, war diejem Fürſten eigen. Selbit- 


Neue Würdigung Karl Theodors. 171 


herricher, Despot war er durchaus, und jeine Lebensweiſe ver: 
lor ſich nicht jelten in's Schranfentofe, 

Das hat ihm lange Zeit die ftrengite Verurtheilung von 
Seiten der politifchen Parteien zugezogen, die ihn und jeine 
Zeit in Acht und Bann erklärten. 

Heute kann man getroft die Berechtigung diejer Verur— 
theilung von dieſem Standpunkte aus zugeben, ohne damit den 
neugewonnenen modernen Standpunkt für eine größere und 
weitere Weberficht iiber das Wirken diejes Fürſten zu verlaffen 
— nur darf dabei nicht überjehen werben, daß die von ihm 
gejchaffene Kunſtſphäre eine Frucht reifte, die auch für das 
jociale Leben von großer Bedentung wurde: dab zu Diejer Zeit 
ein Friedrich Schiller jein freieites Wort jprechen konnte. 

Bei Beurtheilung des Fürjten Karl Theodor muß feine 
Regierung in der Pfalz von jeiner jpäteren Negentichaft in 
Bayern jtreng gejchieden werden. Durch Vermiſchung diejer 
beiden Regierungszeiten erhält das Lebensbild diejes Herrichers 
eine ganz falſche Einheitlichfeitt und einen ganz unrichtigen 
Charakter, es ericheint dadurch in einer alles fälfchenden Be— 
leuchtung, die die alten gewohnten Anſchauungen immer fort- 
jpinnen läßt. 

Allein die Pralz und bier im Beionderen die Stadt Mann: 
heim bat endlich alle Urjache, das Bild diejes Fürſten Mar zu 
jtellen und ihr Berhältnig zu ihm nicht mehr durch das Hinein— 
jpielen einer anderen Intereſſenſphäre trüben zu Lajjen. 

Der vom Kurfürften Karl Philipp jo erfolgreich vorbe- 
reitete Gewinn Bayerns gejtaltete jich für Karl Theodor zu 
feinem Glücke. Ein rechtes Verhältniß zu Land und Volk in 
Bayern fonnte Karl Theodor nicht gewinnen. Während er, 
einer fait überfeinerten Kultur huldigend, die urwüchſiger ge— 
bliebene bayerische Bevölkerung weder verjtehen noch von ihr 
veritanden werden konnte, jubelte ihm das pfälzer Bolt zu und 
dankte ihm von Herzen das, was er für diejes Land gejchaffen. 

„Das Volk freute ſich — jchreibt Heigel — des glänzen: 
den Hofes und der populäre Fürſt gab hinwieder durch viele 
Stiftungen und Anordnungen zu erkennen, dat ihm die Hebung 


172 Neue Würdigung Karl Theodors. 


des Wohlitandes in der Pfalz am Herzen liege. In der That 
fonnte die Pfalz unter, Karl Theodor, wenn man nur die 
materielle Seite in Rüdjicht zieht, als ein wohlregiertes, glüd- 
liches Land gelten; es wäre lächerlich, wollte man alle 
anerfennenden und lobenden Zeugniſſe von In- und 
Ausländern auf eitel Servilismus zurüdleiten. Plötz— 
lic) ja ſich aber dieſer Fürſt durd) den Tod des kinderlojen 
Kurfüriten von Bayern (30. Dezember 1777) zur Regierung 
über ein Land und Volk berufen, die mit jeinem alten Befig 
nicht nur nicht die mindefte Nehnlichkeit beſaßen, jondern in 
Bielem einen direkten Gegenjat bildeten. Die jonnigen Reb— 
gelände am Rhein und Nedar jollte er vertaufchen mit 
dem Bayernland, deſſen Hoclandnatur damals als rauh und 
unwirthlich galt; jtatt der aufgewedten, leichtblütigen Pfälzer 
jollte er umgeben jein von derben, verichloifenen, mißtrauischen 
Bayern, die auf den feingebildeten Fürſten den Eindrud von 
Halbbarbaren machen mochten. Und doch mußte er in ihrer 
Mitte bleiben, denn durch die zwiichen Bayern und Pfalz 
aufgerichteten Hausverträge war ausdrüclich Teitgeiegt, daß 
Münden die Haupt: und Wejidenzitadt der vereinigten Kur— 
lande bleiben mühe. Und um jo weniger Sympathie fonnte 
ihm der neue Belit einflößen, da auch er ohne legitime Nach- 
fommen war, das vereinigte Pfalz: Bayern alio nad) jeinem 
Tode an die Linie der Zweibrüdener Derzoge fallen mußte. 
Aus dieſen Gründen läßt lich zwar nicht entichuldigen, aber 
doc begreifen, dag Karl Theodor den Einflüjterungen des 
Wiener GCabinets, das zunächſt auf einzelne Yandjtriche Bayerns 
an der öfterreichiichen Grenze Anſpruch erhob und für fried» 
liches Arrangement ein entiprechendes Aequivalent in Aussicht 
itellte, willig Gehör jchenfte.“ 

Und trog alledem hat Miinchen doch in einem Stüd dem 
Fürſten zu danken: er war es, der den eviten Grund jur 
modernen Kunſtſtadt Miinchen legte, ev verjudhte es, die be= 
deutende Nunitpflege, die er Mannheim angedeihen ließ, nad) 
München zu übertragen. Wenn dieje Kunſtpflege dort nur lang» 
jam gedieh und bei der Bevölferung vielfach Wideritand er- 


Neue Würdigung Karl Theodors. 173 


regte, jo hat e3 die Folge gelehrt, daß diejer Widerjtand auch 
noch jpätere Fürſten, wie die Könige Ludwig J. und Ludwig II. 
betroffen hat. 

Zum mindejten bildete die Kunſtpflege Karl Theodors bis 
jegt noch keinerlei verjöhnendes Element zwijchen dem Fürſten 
und der Münchener Bevölferung. Der alte Haß erhält fich 
weiter, obwohl ein großer Beitandtheil der heutigen Mufeen, 
der Galerien und Bibliotheken, der ſtolzeſten Schätze Münchens, 
aus den Sammlungen Karl Theodors herrührt. 

„Höfiſche Kunſt“, das war das Schlagwort, womit man 
dort eine große, bis heute fortiwirfende ——— 
abthat. 

Daß dieſer Fürſt nicht nur wie König Ludwig II. zur 
Stadt, ſondern ſogar zum Lande hinauswollte, wäre vielleicht 
vermieden worden, wenn ſich zwiſchen Fürſt und Volk ein 
beſſeres Verhältniß hätte gewinnen laſſen. Doch laſſen wir 
auch dies dahin geſtellt oder geben wir Karl Theodor allein 
die Schuld, ſo rechtfertigt das eine Beurtheilung dieſes Fürſten 
im Geiſte der damaligen Zeit heute nicht mehr. Heute müſſen 
neue Wege beſchritten werden, ſoll einem Fürſten gerechte 
Werthung widerfahren, der auch für Münchens ——————— 
ein wichtiger Begründer war. 

Weit über die Hälfte ſeiner langen, nicht weniger wie 
56 Jahre währenden Regierungszeit konnte Karl Theodor in 
der Pfalz eine vorwiegend jegensreich jchöpferiiche Thätigkeit 
entfalten. Nur der Zwang des Vertrags mit Bayern ver— 
mochte ihn diejem jeinem eigentlichen Schaftensgebiete zu ent= 
reißen und ihn zur Ueberfiedelung nad; München zu veranlafien. 

In den Drangjalen, denen er dort durch Fehler aus Un» 
fenntniß der Verhältniffe und durch die gegenfeitige Abneigung 
des Füriten und des Volkes ausgejegt wurde, flüchtete er ſich 
in alter Liebe zu jeinem Pfälzer Yande wieder in jeine frühere 
Refidenz Mannheim, bis die Münchener Bürger auf jeiner 
Rückkehr beitanden. 

Gerade der Grund, wegen deſſen ſich der Fürſt aus 
München flüchtete, it höchſt charakteriftiich dafür, wie die Be- 





Kurfürft Karl Theodor. 


Nach dem Gemälde von Johann Georg Fiefenis (damals in Mannbeim), 
arftochen von Johann Georg Wille (Paris). 


— 
| by Goodgle 
1 


Nene Würdigung Karl Iheodors. 175 


ftrebungen Karl Theodors dortjelbjt wahllos faljchen Beur- 
theilungen unterlagen. 

Was z. B. hatte der Fürſt verbroden, daß er fich in dieſem 
Falle den Zorn und den Wideritand der Münchener Bonrgeoifie 
zuzog? Er hatte zur Hebung der eingerojteten fozialen Ver— 
hältniije die Beitimmung getroffen, daß ſich auch die Hand- 
werfäleute und Arbeiter der Münchener Borftädte in der 
Stadt Münden ſelbſt Arbeit fuchen dürfen. Das aljo war 
das Verbrechen Karl Theodors in diejem Falle! Der Zorn des 
Münchener Stadtrathes machte ſich in unehrerbietigjter Weife 
Luft und veranlaßte den Fürften zur Abreife nah Mannheim. 

Mit vollem Rechte jedoch wurde der Fürſt, als er auf 
den Wunſch des einfichtSpolleren Theiles der Bevölferung 
Münchens wieder dahin zurückkehrte, bei jeinem Einzuge als 
„Wohlthäter des Volkes“ gefeiert. Dies war in den Jahren 
1788 und 1789, 

Die Stadt Mannheim glaubte damals ſchon, den von ihr 
Ihmerzlich vermißten Fürſten wiedergewonnen zu haben, allein 
dieje Hoffnung wurde durch die Rückkehr Karl Theodors nad 
München vernichtet, und lange jollte es noch währen, bis ſich 
die Stadt Mannheim nad) ſich immer trüber gejtaltetem Rüde 
gang ihres Lebens zu jelbitjtändigem bürgerlichen Handeln in 
merkliher Weile aufraffte. 

Diefe vorübergehende Anweſenheit Karl Theodors in 
Mannheim war wie ein letztes Auffladern der von der Kunjt 
verffärten Helle jeines pfälzer Wirfens. 

Mit diefem jeinem Wirken in der Pfalz, das von der 
Stadt Mannheim ausging, haben wir es hier vornehmlich 
zu thun. 

Ber der Icharfen Scheidung der glücdlichen von ber un— 
glüklihen Regierungszeit Karl Theodors fällt uns hier Die 
Behandlung der lichtvollen Zeit zu, die — wie gejagt — den 
größeren Theil jeiner Negierungsdauer, die thatenlujtigere 
Jugend und das jchöpferiiche Mannesalter des Fürſten umfaßt. 

Die Pfalz bedurfte dringend einer jugendlichen Kraft auf 
dem Ihrone. Karl Philipp Hatte der äußeren Politik gleich- 


176 Nene Würdigung Karl Theodors. 


ſam jeine lette Straft gewidmet, während die innere Politik 
deutlich die Zeichen der Altersſchwäche dieſes SFürften an 
ih trug. 

Der alte Kurfürſt Karl Philipp hatte es jelbjt gewußt, 
daß ſeine Kräfte nicht mehr zur Erledigung aller jeiner Re— 
gierungsgejchäfte ausreichten. Er gab jchon bei Lebzeiten einen 
Theil diefer Gejchäfte an den jungen Karl Theodor ab, dem er 
die Regierung des Herzogtums Sulzbah und des Marf- 
grafenthums Berg op Zoom übertrug. 

Dazu bedurfte es der Genehmigung des Kaiſers, denn 
Karl Theodor hatte zu Diejer Zeit das achtzehnte Lebensjahr 
nod) nicht erreicht und war jomit noch nicht großjährig. Diete 
vom Kaiſer erbetene Grofjährigfeits-Erflärung wurde am 10. Juli 
1741 abgegeben. 

Karl Philipp wollte jeinen Zögling Karl Theodor ge= 
wiſſermaßen jelbit in die Regierungsgejchäfte einführen, er 
wollte ihn dabei väterlich zur Seite Stehen und ſich jelbit noch 
an der emporblühenden Bethätigung jeines Lieblings erfreuen. 
Sp jorgte auch Karl Philipp für eine gute Einführung des 
elternlojen Fünglings in das dieſem erwartende Arbeitsgebiet. 

Karl Theodor hatte das Glüd der Mutterfiebe nur 
wenige Jahre genoffen. Seine Mutter jtarb vier Jahre nach 
jeiner Geburt. Seine Geburt it nicht im pfälzer Landen er» 
folgt. In den damals öfterreichiichen Niederlanden, im Schloſſe 
Drogenbujch bei Brüſſel bat er das Licht der Welt erblickt. 
Hier weilte jeine Mutter bei der Herzogin von Aremberg Maria 
Henriette. Kaiſer Karl IV, Kurfürſt Karl Philipp und Herzog 
Theodor von Sulzbach waren jeine Taufpathen und nach diejen 
erhielt er die Namen Karl Philipp Theodor. 

Für das troß jeiner vielen Linien (abgejehen von Zwei— 
bridensBirkenfeld) in der Gefahr des Ausſterbens ſchwebende 
Haus Wittelsbach war die. Geburt diefes Prinzen eine neue 
Freude und Hoffnung. 

Kaum zur Welt gefommen, wurde das Kind jogleich von 
einem Künſtler abeonterfeit, denn der alte Herzog Theodor von 
Sulzbach, der in feiner ;sreude tiber den neuen Spröfling des 


Neue Würdigung Karl Theodors. 177 


jeines Hauſes das Sind jehen wollte, doch die weite Reife 
nad Drogenbuſch nicht unternehmen fonnte, ordnete durch einen 
Eilboten an, daß ein Bild des Knäbleins von einem tüchtigen 
Künjtler gemalt und ihm jchleunigjt zugeſchickt werde. 

Bon der früh verjtorbenen Mutter weiß man nur, daß 
je in großer Frömmigkeit nach einer damaligen Sitte, Kindern 
Irdenskleider anzulegen, ihrem Söhnlein das Ordenskleid der 
Paulaner habe tragen lafjen. 

Nach ihrem Tode 1828 fam das Knäblein an die Stätte 
jeiner Geburt, in das jchon erwähnte Schloß Drogenbujch bei 
Brüfjel zu jeiner Urgroßmutter Maria Henrietie, Wittwe des 
Herzogs Karl Franz von Aremberg, einer gleichfalls jehr 
frommen rau. 

Es war der alten Dame jehr leid, als fie das aufge- 
wedte Kind, nachdem ſich jein Bater Johann Ehrijtian 1731 
wiedervermählt hatte, jeiner Stiefmutter zur weiteren Erzieh- 
ung übergeben mußte, doch leitete dieje Erziehung nach dem 
baldigen Tode des Vaters, wie bereit3 ausgeführt, Kurfürſt 
Karl Philipp. 

Karl Theodors Vater hatte bejonderen Werth auf ben 
Unterricht in der Mufif gelegt und jeine Anficht hierüber pflegte 
er mit den Worten zu äußern: „Was ift dev Menich, der feine 
Harmonie in jeinem Innern fühlt und in jeinen Reden und Hand» 
(ungen äußert?“ Die gute Grundlage, die Karl Theodor fir 
das Verftändnii der Muſik empfing, verdanfte er daher haupt» 
jählih dem Willen jeines Vaters, während ihn jeine Stief- 
mutter in der franzöſiſchen Sprache unterrichtete. Auf den 
Wunſch der ftreng katholiſchen Stiefniutter wurde zur Erzieh- 
ung in Sulzbad) der Jeſuitenpater P. Staudacher herange- 
zogen. 

Der Aufenthalt am Hofe zu Mannheim brachte für den 
Knaben Karl Theodor bald die obengejchilderte originelle Ver— 
fobung mit jih. Die Erziehung des Knaben wurde hier jedoch) 
auf's Sorgjamite gepflegt und die förperliche und geijtige Aus— 
bildung energisch gefördert. 

„Der neunjährige Prinz machte bei feiner Ankunft in 


Oeſer, Geſchichte der Stabt Mannheim. 12 


178 Neue Würdigung Karl Theodors. 


Mannheim dem Kurfürften um jo mehr Freude, als er mit 
einem gefälligen Aeußern und vielem Anjtande auch ein. leb- 
haftes Temperament und vortreffliche Geiftesgaben verband. 
Er ſprach die deutiche (!) und franzöfiihe Sprache fertig, war 
in den Anfangsgründen der lateinischen und italientjchen 
Sprache ſchon jehr gut unterrichtet und zeigte eine außerordent- 
liche Wiß- und Lernbegierde“ 

Der Lehrplan, der der Erziehung des Prinzen vorge- 
zeichnet war, enthält u. U. allgemeine, deutſche und im be- 
fonderen kurpfälziſche Gejchichte, Mythologie, Archäologie, 
Kunſtwiſſenſchaft, Sprachen, Poeſie und Redekunft, Geographie, 
Religionslehre, Philojophie, Naturwiffenichaft. 


War diejer Unterriht am Mannheimer Hofe von dem 
1733 hierher berufenen Jeſuiten Franz Seedorf von Ingol— 
ſtadt geleitet, jo wurde der Prinz auf den Univerjitäten Leyden 
und Löwen von freieren Strömungen berührt. Hier richtete 
er jein Studium auf „die geiftlichen umd weltlichen Rechte, das 
allgemeine und deutjche Staatsrecht, die Staatspolizei, Finanz— 
wifjenjchaften, Staatsöfonomie, Staatenkunde, Diplomatif, 
Genealogie, Heraldik u. j. w.“ 

Ueber die Erziehung des Prinzen auf militärischem Gebiete 
und über die daraus hervorgegangenen jpäteren Anfichten Karl 
Theodors behufs der Behandlung des Militärwejens in jeinem 
Lande giebt uns Lipowsky in jeinem Buche über dieſen Fürsten 
jehr ſchätzenswerthen Aufichluß, indem er ausführt: 

„Der Kurfürſt Karl Bhilipp hielt es für jehr nothwendig, 
daß der Prinz ſich auch der Kriegskunſt widmete, um einſtens 
als Regent nicht weniger weile und klug das Scepter zu 
führen, als aud) im erforderlichen Falle felbit zum Schwerte 
zu greifen, und dadurch feine, jeines Hauſes, und jeiner Staaten 
und Unterthanen Rechte jchirmen und vertheidigen zu können. 
Um dieſe Abitcht zu erreichen, ſollte ſich der junge Prinz 
praftijch für die Waffen bilden; der Kurfürſt ernannte ihn da— 
her anfangs zum Hauptmanne in jeinem Leibregimente, damit 
derjelbe eine Compagnie fommandiren und anführen lerne, und 


Neue Würdigung Karl Theodors. 179 


nad; Verlauf eines Jahres beförderte er ihn zum Oberjtinhaber 
eines Infanterie-Regiments. 

Aber die vielen Förmlichkeiten des Fleinen Dienftes, Die 
vielen Handgriffe, das Ererciren, Manövriren, Chargiren u. ſ. w. 
waren dem Prinzen bejchwerlich; der militärtiche Mechanismus 
war für jeinen Geiſt viel zu einfach und zu langweilig und 
daher fam es, dab er dem Dienjt nicht lieb gewann. Ohne 
daher, im eigentlihen Sinne des Wortes, Soldat zu jein, 
jpielte er den Soldaten, jtellte ihn aber doch vor, wenn er bei 
jeiner Compagnie und jpäter als Oberjt vor der Front jeines 
Regiments ſich befand. Indeſſen fühlte er für diefen Stand umjo 
weniger einen Beruf oder eine Neigung, als er aus der Ges 
ihichte und aus den politiichen Ereignifjen jeiner Zeit wahr: 
genommen hatte, dag nur große Mächte eigentliche Militär: 
ftaaten jeien, daß aber fleine Staaten mehr durch Staatsklugheit 
als durch Waffen recht behalten und fich fichern; und daß ein 
Föderativſtaat des heiligen römtichen Reichs deuticher Nation 
Schirm und Schub von Kaiſer und Reich allein zu hoffen und 
zu erwarten habe, daß er deßhalb am beiten handle, wenn er 
nur jo viele Soldaten gut montirt, bewaffnet und geübt halte, 
als die Stellung feines Kontingents zur Reichsarmee, die Be: 
jagung jeiner Feſtungen und Städte, und die Aufrechterhaltung 
der innern Sicherheit erfordert.“ 

So wurde denn Karl Theodor ein Fürſt des Friedens 
und der Kunſt. 

Uber auch jeine Reformen auf ſocialem Gebiete, auf dem 
Sebiete der Berwaltung und Juſtiz find nicht zu unterichägen. 
Er war es, der eime neue Juftizpflege im jeinem Lande an- 
bahnte und für Abſchaffung dev mit den rüdjtändigen Staats- 
injtitutionen auch wieder in die bisher freie Stadt Mannheim 
eingeichleppten Folter wirkte, wenn dieje Abjichaffung zunächſt 
auch nur im den Derzogthümern Jülich und Berg völlig zu: 
jtande fan. 

Durch dieje und „ähnliche Maßregeln — jchreibt Feder — 
leitete Karl Theodor jeine Regierungsthätigfeit ein, Er kenn— 
zeichnete damit die Grundzüge eines Charakters. Karl Theodor 


12% 


180 Nene Würdigung Karl Iheodors. 


war von Natur aus gutmüthig, gerecht, eimfichtlich, ja man 
fann ihn jelbit die Freiſinnigkeit bis zu einem gewiſſen Grade 
nicht abiprechen.“ 

An anderer Stelle joll auf dieje Mafregeln und Reformen 
noch des Näheren eingegangen werden. Hier galt es vorerft 
nur, einige Gefichtspunfte für eine beijere Würdigung des jo 
viel und jchwer verurtheilten Fürften in's Feld zu führen — 
für eine Würdigung, die, ohne die Schwächen und Fehler der 
Thätigfeit Karl Theodors zu verfennen, doch jeinen dauernden 
Schöpfungen und der für Mannheim bedeutenden Zeit jeiner 
Regierung in weitherziger Weile volle Gerechtigkeit widerfahren 
laſſen will. 








XV. 


Das Hurfürftliche Schloß zu 
Mannheim. 


Ausdehnung des Schloßbaues — Aeußere Eriheinungen — Das frühere 

Opernhaus — Bergleich desjelben mit dem Theaterbau zu Schwegingen — 

Werth der Innendekorationen des Sclofies — Die Schloßkapelle — Das 
Neitibul Froimonts — Die Gobelins — Der Bipliothekbaır. 


Unter den großen Fürjtenjigen jener Periode iſt das 
Mannheimer Schloß wohl der Gewaltigjte. Eine Frontlänge 
von 600 Metern, ein Flächeninhalt von 6 Hektar, 1500 
Fenſtern! Das jind Zahlen, welche genügend die Verhältnijie 
des Werkes darlegen.“ 

Mit dieien Worten hat Cornelius Gurlitt im jeiner 
1889 erjchienenen „Geichichte des Barockſtils“, die den Blid 
wieder auf eine große, ihrem Werthe nad) lange verfannte 
Zeit der Baukunst lenkte, eine kurze Beiprehung des Mann» 
heimer Schlojjes eingeleitet. 

Gurlitt hat das Schloß nur in jeinem verfallenen Zus 
itande gejehen, umd er winjchte, daß etwas gejchehe, um dem 


182 Das Kurfürſtliche Schloß zu Mannheim. 


ſich damals ruinenartig öde Hinjtredenden Bau ein befebteres 
Anjehen zu geben. 

Heute präjentirt fi der Schloßbau in verjüngter Geftalt, 
und da die Erneuerung ganz der urjprünglichen Form gemäß 
ausgeführt wurde, jo fann man jet wieder einen vollen, un= 
geihwächten Eindrud von dem Riejenbau gewinnen. 

Der Schloßbau durchzieht die ganze Regierungszeit Karl 
Philipps und Karl Theodors und iſt in einem inzwiichen 
wieder entfernten nordöjtlihen Anbau überhaupt nicht ganz 
fertig geworden. Jenes in’s Schranfenlofe Schweifende, das 
dem Leben und der Regierung diejer Fürften in vieler Be- 
ziehung anbaftete, zeigte fi) aud an diejem Schloſſe. Zwei 
Fürſten, von denen der eine 26 Jahre und der andere 55 
Jahre regierte, erlebten nicht die Beendigung diejes Baues. 
Ehe noch der rechte Flügel ganz fertiggeitellt werden konnte, 
wurde der linfe Flügel durch die Stürme der Zeit, durch 
Krieg und Brand wieder zerjtürt. Es war eine Unternehmung 
in’3 Ungemefjene gehend, und es ift nur erjtaunlich, daß das 
Werk überhaupt bis zu jolhem Umfange ausgeführt werden 
fonnte, dat mar nahezu ein Jahrhundert lang trog einzelner 
Veränderungen doch an dem urjprünglichen Rieſenplane feſt— 
hielt und ihn wirklich beinahe volljtändig ausführte. Dadurch) 
fonnte bier ein Bauwerf emporwachſen, wie es in diefer Art 
wohl einzig in der Welt dajteht. Es ift ein Unicum in der 
deutichen, ja in der allgemeinen Wrchiteftur. Seine äußere 
Erjheinung bietet im Einzelnen wenig, aber in jeiner Ge— 
jammtheit ftellt eö ein wahres Schwelgen in Riejenperjpektiven 
und mächtigen Linien vor, die nur durch fräftig wirkende 
Eckpavillons, durch den großen Mittelbau und die erſt nad 
träglihh in den Plan aufgenommenen Gebäude der Scloß- 
fiche und Bibliothek unterbrochen werben. 

Ein colofjales Steinmaterial it auf den Bau dieſes 
Schloſſes verwendet worden. Der rothe Nedarjanditein giebt 
hauptjächlich dem Bau feine warme, weiche Farbe. Ein Nach— 
theil jeiner äußeren Erjcheinung fünnte in der Armuth an 
bildhaueriſchem Schmud, der allerdings früher etwas reicher 


Das Hurfüritlihe Schloß zu Mannheim, 183 


war, in einer gewiſſen Dede der nach der Stadt zu liegenden 
Seitenflügel und in der Zerjplitterung der dem Aheine zuges 
fehrten Fronten gejehen werden, das hebt aber den monus= 
mentalen Eindrud des ganzen Baucomplexes (bejonders von 
der Stadtjeite aus geiehen) nicht auf, auch nicht die vielleicht 
gerade durch ihre Einfachheit jtarfe Wirkung der einzelnen 
Flügel und Pavillons und die jchöne Gliederung und Aus» 
führung der Schloßhoffronten. Die hier reichere Gejtaltung 
des Mittelbaues gegenüber den kahlen Seitenflügeln fommt 
jedenfall® der zu jener Zeit üblichen, nur für einen Stand» 
punft berechneten Betrachtungsweije entgegen. Als Stand» 
punkt jcheint bier der Schloß-Eingang zwiſchen den Wachen 
gewählt zu jein, von dem aus die Seitenflügel des Hofes in 
ihrer Verfürzung ebenjo reich ericheinen wie der Mittelflügel. 

Die Seitenflügel find nur durch ihre Arkadengänge und 
komiſchen Masken (die etwas an die berühmten Masfen Böd- 
(ins in Bajel erinnern) gejchmüdt. Allein das Aeußere des 
Schlojjes zeigt im ganzen nur wenig den Wandel und die jich - 
jteigernde bedeutende Kumjtpflege jener Zeit. Der Bau des 
Aeußeren hat durch das Feſthalten des uriprünglichen Planes, 
einzelne Correkturen abgerechnet, eine frühe primitivere Zeit 
lange weiterwalten lafjen. 

Bon ganz anderem Werthe, al3 die äußere Ericheinung 
des Schlofjes find die Innenräume und Innendeforationen des— 
jelben. In dieſer Beziehung erreicht das Mannheimer Schloß 
einen Höhepunkt des Barod und Rokoko überhaupt. Die Pracht, 
die Grazie, die Feinheit und Fülle dieſer Innendeforationen, 
die ji nahezu über den ganzen zweiten Stod des Riejenbaues 
ausdehnen, machen das Mannheimer Schloß zu einem groß» 
artigen Muſeum des zu hoher Steigerung gebrachten Kunjt- 
gewerbes einer ganzen Zeit. Hier in diejen Innendekorationen 
liegt die immer mehr erkannte Bedeutung des Mannheimer 
Schloßbaues. Der Neihthum an Motiven, die Vieljeitigfeit 
des Zimmerſchmucks läßt die Erfindungsgabe jener Kunft jchier 
unerihöpflich ericheinen. 

Hier galt es, große und weite Räume durch künjtleriiche 


184 Das Kurfürſtliche Schloß zu Mannheim. 


Zierde wohnlih und ſchön zu geitalten, es mußte viel aufge- 
boten werden, um die jonit gähnende Leere jo groß angelegter 
Räume zu beleben. Und wie dies die Künſtler bier gelöſt 
haben, wie fie hier durch den Herrlihiten Wandſchmuck die 
fahlen Flächen zu einer Welt ewig heiterer, freudiger Kunſt 
geitalteten, das dürfte das Mannheimer Schloß noch als einen 
bejonderen Triumph der Innendeforation ericheinen laiien. 

Bei dem übermächtigen Umfang des Schloſſes hatte die 
Snnendeforation in dieſer Zeit wohl noch nie ſolche Weiten 
und Ausdehnungen zu befiegen gehabt. Und diejer Sieg it 
hier groß und glänzend. 

Leider iſt der äußerſte Theil des linken (meitlichen) Flü— 
gels des Schlojjes durch Brand zeritört geweſen, wodurd eine 
Anzahl werthvolliter Innendeforationen vernichtet wurden. 

Sp vor allem das jedenfalls jehr ſchön ausgeitattete, ehe: 
dem am jüdwejtlichen Flügel des Schloſſes erbaute Opern- 
haus. Von dem Glanz und der Pracht der Theateraufführungen 
in jener Zeit wird man ich heute wohl faum noch einen Be- 
griff machen fünnen. Die Theater waren damals zu den groß— 
artigiten Veranjtaltungen auf's Beſte eingerichtet. 

Das im nahen Schloß zu Schwesingen heute noch zu 
jehende Theater aus jenen Tagen gibt uns vielleicht auch einen 
Maßſtab für die Beurtheilung des noch größeren Mannheimer 
Dpernhaufes. 

Der Zuſchauerraum des Theaters zu Schweßingen iſt ver- 
hältnigmäßig Hein, nur zur Aufnahme eines Fleinen, gewählten 
Publikums beftimmt, um jo größer aber it die architektoniſch 
ihön von dem Zujchauerraum getrennte Bühne. 

Die Bühne ift von einer geradezu übermächtigen Aus— 
dehnung und geeignet, die jchwierigften Aufführungen bequem 
zu Stande zu bringen, jo könnten dort z. B. die Meininger 
ihre reich ausgejtatteten Stüde gut zur Aufführung bringen. 

Diefe Bühne läßt ſich aber gleichjam in's LUnendliche 
fortjegen und zwar dadurch, daß die Rüdwand des Bühnen- 
raums entfernt und jo die Scene in der freien Natur fortges 
ſetzt werden kann. 


Das Kurfüritlihe Schloß zu Mannheim. 185 


Die malerijch gruppirten Bäume und Büjche des Schweßinger 
Gartens bilden dann den natürlich jchönen Hintergrund. Auf 
dieje Weile fonnten große Feſtzüge von weither fichtbar die 
Bühne paifiren und überhaupt. die weitejten Raum erfordern- 
den Maflengruppirungen ermöglicht werden. 

Sedenfalls ift eine jolche Berbindung von Natur umd 
Bühne Höchit charakteristisch für jene Zeit, wie fie denn auch 
das Naturtheater in eigenartiger Form pflegte. 

Ganz ähnlich, nur noch wejentlich größer, wird das Opern- 
haus des Mannheimer Schlojjes gejtaltet geweſen fein, deiten 
Bau 1737 begonnen hat und in dem bei der 1742 gefeierten 
doppelten Bermählung die erjten Aufführungen unter Anweſen— 
heit des neugewählten Kaiſers, des Kurfürſten Karl Philipp 
und all der anderen hierher geladenen Fürjtlichfeiten jtattfanden. 

Dem Brinzen Karl Theodor wurde hauptjächlich Diejes 
seit geweiht, und jo war der fünftige Förderer der Muſik und 
des Theaters in Mannheim auch bei der Eröffnung des Opern: 
hauſes anweſend. 

Drei Tage vor der Eröffnung des Theaters am 17. Januar 
1742 Hatte Kurfürſt Karl Philipp nad) den im Kgl. Haus— 
archiv zu München verwahrten Niederjchriften und Aktenſtücken 
Theodor von Traittenrs Beitimmungen ergehen lafjen, die über 
die Hinzuziehung des Militärs zur Regelung des Theaterbe- 
juchs interefjanten Aufichluß geben. Der Kurfürſt ordnete an, 
„daß 1. zu Verhütung vieler anſonſt zu bejorgender Unord— 
nungen Dero Leibgarde zu Pferd die Pojten und Ausgäng von 
dem inneren Opera Haus, mithin jowohl von denen Logen als 
auch Barterre bis an das Orcheiter, um denen mit Billets ver- 
jehenen ihre Loge anweiſen zu können, ingleichen die obere 
Thür an der Gallerie, allwo die Durchlauchtigſten Herrichaften 
mit um ich habenden Hofitaat hereinfommen, bejegen; dahin- 
gegen 2. Dero Schweizerleibgarde das Theatrum und deſſen 
Thür, durch welche die Operijten und Mufifanten auszugehen 
haben, mit doppelten Schildwachen bededen, und weilen 3. Die 
Deffnung vieler Thüren das Gedräng der Leute, mithin faſt 
unvermeiblihe Confuſion erreget, alſo nur das mittlere große 


186 Das Kurfüritlide Schloß zu Mannheim. 


Thor zur Hauptpaſſage offenitehen, die daranjtoßende beide 
Nebenthüren aber benebjt denen, jo dem Orcheſter am nächſten, 
bi3 zur Endigung der Opera verichlojjen bleiben, vor diejen 
vier Thüren jedoch doppelte Ehildwachten inwendig, benanntlic) 
an denen vorderen zwei Schweizer, fort denen Orceiterthüren 
zwei Grenadiers mit bei ſich habenden Schlüjjeln jtehen, damit 
auch 4. das große Gedräng der Leute an dem mittleren Haupt- 
thor abgewendet werde, ein Kommando von 100 Mann Örena= 
dier3 vor dasjelbe beordert, von diejen ein Carré mit Piquen 
formiert, darein ein Offizier gejtellt; nicht weniger 5. an die 
oberjte und leßtere Loge, jo denen von geringerem Stande vor— 
behalten ijt, 6 Unteroffizierd von denen Örenadierd, um bei 
etwa entjtehendem Tumulte alljogleih abwebhren zu fünnen 
u. ſ. w. u. j. w.“ 

Das Opernhaus wurde damals als eines der ichönjten 
jener Zeit gerühmt. 

Alejandro Galli Bibiena, der Schöpfer der Jeſuitenkirche, 
hat es gebaut. 

Nach den noch vorhandenen alten Schloßplänen befand 
jih das Veſtibul des Theaters am äußerſten Ende des weit- 
lichen Flügels dicht vor dem abichliegenden Pavillon. Das 
Dauptportal lag der Stadt zu. 

Das Haus Hatte ſechs Etagen. Die furfürjtliche Loge be— 
fand fi) in der Mitte des Zujchauerraums. 

Unter ihr zog ji) eine Gallerie, das „Parterre noble*, 
bis an die Bühne, für die „Doffavaliere und Offiziere“ be— 
jtimmt. Die Damen und Herren waren getrennt placirt und 
traten durch bejondere Eingänge ein. Tie Gallerien trugen 
vergoldete Säulen. Für die „Paufer und Trompeter“ waren 
links und rechts neben dem Orcheſter etwas hervorjpringende 
Logen eingerichtet. 

Die Bühne wird nad) verjchiedenen anderen Berichten als 
groß und weit gerühmt. Schlojjer führt in jeiner Gejchichte 
de3 18. Jahrhunderts (Deidelberg 1848) ein Urtheil des 
Marquis de Foſſeuſe an, der 1750 aud Mannheim bejuchte 
und über das Theater jchrieb: „die Bühne jet groß, Habe jehr 





Die Schloßfapelle und der weftlihe Schloßflügel. 


188 Das Hurfüritlihe Schloß zu Mannheim. 


gute Verhältniffe und viele Feine Gemächer und Bequemlich— 
feiten, die für die Schaujpieler und die Aufführung jehr brauch— 
bar jeien.“ 

Die Bühne war von dem Zuſchauerraum durch einige aus 
ihwarzem Marmor gehauene Säulen abgeſchloſſen. Auch wird 
die Schön gemalte Dede des Zuichauerraums gelobt und die 
reihen Vergoldungen und Malereien, die den ganzen Raum 
durchzogen. Der Bühnenraum war jedenfall3 demjenigen des 
Schweginger Theaters ähnlih und joll mit „zahlreichem Ma— 
ſchinenwerk“ ausgeftattet gewejen jein. 

Der Bau wurde unter der Leitung Bibienas und bes 
Ingenieurhauptmanns Baumgrat ausgeführt. Durch jeine Zer: 
jtörung im Krieg 1795 verlor das Schloß und die Stadt 
Mannheim ein werthvolles Werk fojtbarer Innendekoration. 
Es wurde in Brand geſchoſſen und durch das Feuer völlig 
vernichtet. 

Südlicher Weije blieb die noch prächtiger auägejtattete, 
in den wejtlichen Flügel eingebaute Schloßfapelle vom Brande 
verschont, in deren Gruft die Gebeine Karl Philipps und jeiner 
Gemahlin, der Gräfin von Thurn und Taris ruhen. 

Der Einbau diejer Kapelle in den wejtlichen Schloßflügel 
durchbrach, wie jchon ausgeführt, den urjprünglichen Plan des 
Schloſſes und war hier der erite Sieg des italieniſchen Barods. 

Die Scloffapelle bildete zur Zeit Karl Philipps den 
einzigen jchmucdreich gehaltenen Gebäudetheil der der Stadt 
zugefehrten Schloffagade. 

Das Giebelfeld ziert eine bedeutende Arbeit Paul Egells, 
des eriten Bildhauers der Stadt zur Zeit Karl Philipps. 

Mit äußeriter, ergreifendjter Lebendigkeit hat hier der 
Künftler dargeftellt, wie Gott den auferjtandenen Chriſtus 
nad) dem herrlichen Siege über das Leid der Welt mit er: 
habener Freude in den Himmel aufnimmt. 

Die Schloßkapelle gliedert fich durch Ihre einfach gehaltene 
Nordfacade ohne allzugroße Gegenjäglichkeit in den ganzen 
Scloßflügel ein. 

Der Schmuck des Innern der Stirhe iſt überaus reich, 


Tas Nurrüritlide Schloß zu Mannheim, 189 


auc hier übertrifft die Innendeforation bei weiten die Ge— 
jtaltung des Aeußern. 

Ju verhältnißmäßig Heinem Raume iſt hier ein außer— 
ordentlicher Reichthum entfaltet, und eine freundliche, doc) 
auch feierliche Helle erzielt. Sieben große, fajt wie das ganze 
Gebäude hohe Bogenfenfter werfen mit den noch über ihnen 
befindlichen runden Fenfteröffnungen ein volles, helles Licht 
in die Kapelle. Das große, fiqurenreiche und durch ſchöne 
Gruppen ausgezeichnete Dedengemälde rührt von Cosmas Aſam 
her. E3 jtellt jedenfalls den Triumph des Glaubens dar. Das 
große Bild des Hochaltars ift ein Meiiterwert Godreaus. 

Hinter dem Hodaltar befindet fich ein halber Zirfelbau, 
wodurd) der Altar mehr wie ein Mittelpunkt der Kirche er- 
ſcheint. 

Zwei Seitenaltäre mit ſchönen Statuen und joniſchen 
Säulen, die hohen koriuthiſchen Pilaſter zwiſchen den Bogen— 
fenſtern, die Stuckaturen ber Fenſterniſchen, die Schnitzereien 
mit Vergoldungen an dem Holzwerk der Orgel, die gleichfalls 
durch Vergoldungen gezierte Kanzel, die fein umrahmten Logen, 
dies alles auf kleinem Raum vereinigt, wirkt überaus reich, iſt 
aber doch zu einer gewiſſen ruhigen Einheitlichkeit gebracht. 

Die Kirche enthielt ehedem werthvolle Schätze, ſo eine 
Monſtranz aus gediegenem Rheingolde, zahlreiche Reliquien in 
Gold und Silber gefaßt, und der Altar des „heiligen Hubertus“ 
war maſſiv aus Silber gearbeitet. Diefe Schäte wurden jpäter 
nad; München verbradt. 

Die feierliche Einweihung der Kirche fand unter Anweſen— 
beit des Kurfürften Karl Philipp am 31. Mai 1731 ftatt. 

Koh in demjelben Jahre am 22. November bezog der 
Kurfürit den damals bereits fertigen Theil des Schlojjes. Die 
prächtigen Möbel und Einrichtungsgegenjtände hatte der Kur— 
fürft aus den Schlöffern zu Düffeldorf und Heidelberg nad) 
Mannheim verbringen laſſen. 

Der den Schloßhof weftlich begrenzende Flügel weiſt heute 
noch eine Fülle des reizvolliten Wand: und Deckenſchmucks auf. 
Bejonders jind die Plafonds bewundernswerth durch ihren uns 


190 Das Kurfüfftliche Schloß zu Mannheim. 


erſchöpflichen Reichthum an Figuren und Ornamenten, ausge: 
führt in Teichtefter, faum Hingehauchter Zartheit oder auch 
kräftig Far und linienſcharf einjegend oder in einer wie ſinn— 
verwirrenden Fülle der fich überfluthenden Linienmaſſen ge- 
halten. Man nimmt au, daß dieje unvergleichlich jchönen, frei 
modellirten Studdeden früheite Arbeiten des Brüderpaares Egid 
Duirin Aſam und Cosmas Aſam find. Ihren Höhepunkt er- 
reichten dieſe Studarbeiten in den an der jüdmweitlichen Ede 
des Mittelbaues gelegenen Wohnräumen. 

Im Mittelbau zeigt das Veltibul große, bedeutende Glie- 
derung. Das Urtheil Gurlitts über diejes Treppenhaus, das 
er im Bergleich mit der Ausjtattung der Schloßfapelle be— 
jpricht, fer hier angeführt, um jeden Gedanken an einen die 
Dinge etwa übertreibenden Lofalpatriotismus auszujchließen. 
Gurlitt jchreibt: 

„Die Kirche iſt einjchiffig, reich jtudirt. Ueber den Pilaſtern 
in hellrothem Marmor und mit weißen Sapitälen dehnt ſich 
die von Cosmian Aſam mit gewohnter Meiiterichaft gemalte 
Dede aus, den Triumph der Religion verfinnbildlichend Die 
Altäre find von der größten Pracht in Bezug auf die Aus: 
jtattung, doch der Gedanfenreichthum des ſüddeutſchen Meifters 
hilft uns nicht völlig über die Armuth des Franzoſen hinweg. 
Um jo mehr überraicht es, in dem Treppenhaus eine höchit er— 
freuliche Leiftung und in dem anitoßende Saale eine Raum— 
entfaltung zu finden, melche auf fränkische Vorbilder hinweiit. 
Manche Theile der Studirung beider Räume dürfen allerdings 
einer jpäteren Zeit zugehören; doch zeigt die bedeutende Grund: 
vißanordnung in der mit zwei Armen zu einem Podeſt auf: 
jteigenden Treppe mit ihren maleriſchen Durchblicen nach dem 
fie vom Saal trennenden Gange, bemerfenswerthe Begabung 
zum Entwerfen, jedody auch eine unverfennbare Annäherung 
an fränkische Vorbilder. Mehr tritt dies noch im Nitterjaal 
hervor, welchen mächtige jontiche Säulen in rothem Marmor 
nit weißen Kapitälen und Bajen auf ſchwarzen Boftamenten 
gliedern, während die Hauptfenjter mit einer reich jtucirten 
Bogenftellung umgeben, die oberen quadratiichen in das ſchwäch— 


Das Hurfüritliche Schloß zu Maunbeim. 191 


lich gebildete Hauptgefims gezogen find. An den Innenwänden 
erjegen Bilder die Fenſter.“ 

Mit dem erwähnten Franzoſen meint Gurlitt den Archi- 
teften Johann Clemens Froimont, der von Speyer aus, mo 
er als Nadjfolger des la Frise du Parquet jeit 1712 den 
Bau des bijchöflihen Palais leitete, etwa 1720 von dem Kur— 
fürjten Karl Philipp nad) Mannheim berufen wurde. 

Die von ihm vertretene Stilart, die über Holland nad) 
der Pfalz gelangte und die ſich eigentlicd) in unberechtigter 
Were auf die GStilrihtung Palladios berief, war für den 
Grundplan des Mannheimer Schlofjes ausjchlaggebend. 

Schon unter Johann Wilhelm war von dem in gleicher 
Art thätigen Leiter des neuen Stadtbaues, Menno Coehorn, 
eine Schloßanlage in's Auge gefaßt und von deſſen Mitarbeiter, 
dem niederländischen Architekten, Daniel Marot, ſchon vor dem 
Jahre 1712 der Entwurf eines Rejidenzichlojjes (aus der Vogel— 
perſpektive gejehen) angefertigt worden. 

Bon Froimont rührt noch aus dem Jahre 1729 eine in 
Kupferftich ausgeführte Vogelperſpektive der Schloßanlage her. 
Maren Hier auh noch nit die Schloßkirche und Bibliothef 
vorgeiehen, jo zierte dieſen Plan doch ein projeftirter Kolon— 
nadengang, der dicht hinter den Edpavillons des Schloßhofes 
einjegte und auf den die großen nördlichiten Bogen des Arkaden: 
wegs heute noch jchließen laſſen. 

Das Projekt diejes KRolonnadenganges wie der thatſäch— 
fihe Einbau der Schloßfapelle iſt zweifellos den Einflüſſen 
Bibienas zuzuschreiben. 

E3 war nicht leicht, in den ganz ſchmucklos gehaltenen 
Plan irgendwelche reichere Gliederung einzufügen. Es durfte 
bei dem Einbau der Schloffapelle die Rüdjicht auf die Ein— 
fachheit des übrigen Baues nicht ganz außer Acht gelafjen 
werden, und jo wurde denn der Nordjeite der Kapelle gleich: 
jam als DVermittlerin noch ein Reit von Nüchternheit belafien 

Froimont verlor jeit dem Jahre 1726 nach langen Kämpfen, 
ih als Leiter des Baues zu behaupten, jeinen Einfluß bei 
dem Kurfürſten, den er auch durch den 1729 dem lebteren 





A; F * en. 


Der Bibliothefbau des Schloffes 


mit dem Relief Peterson Verſchaffelt'o. 





Magdalena 


nach dem Gemälde von CARLO DOLCI 


| 
—— 





FT Et “ 


Jeſuitenkirche in Mannheim 
erbaut von Aleſſandro Galli Bibiena. 


Das Kurfürſtliche Schloß zu Mannheim, 193 


gewidmeten, oben erwähnten Blau, nicht wieder für fich einzu— 
nehmen vermochte. 

Eine andere Zeit war gekommen und deren Vertreter 
fiegten. Für den auf die Wirfung großer Linien ausgehenden 
Grundplan Froimonts ijt das Treppenhaus des Schlojjes jeden- 
falls das beite, bedeutendite Beiipiel. 

In den Jahren 1726—1730 wird als Hofbanmeijter ein 
gewiljer Haubenrath genannt, über deſſen Thätigfeit nichts 
MWejentliches berichtet wird und der jedenfalls bald durch das 
mächtige Hervortreten Bibienas in den Hintergrund gedrängt 
wurde. 

Zu den werthvolliten Innendecorationen des Schlofjes ge- 
hören farbenjchöne Gobelins, von denen glücdlicher Weiſe noch 
eine größere Zahl fich heute Hier befindet. Ste waren während 
der franzöfiichen Offupation nad) Straßburg verbracht worden, 
wurden jedoh der Großherzogin Stephante als Gejchent 
wieder gegeben. Dieje Gobelins waren ein bejonderes fünjt« 
leriſches Mittel, die hohen, großen Wände der Schloßjäle mit 
reich und jchwer wirfendem Schmuck auszuſtatten. Sie geben 
den Wänden eine Fülle von Farbenreizen, die der Größe der 
Räume jede Dede nehmen. 

Neben prächtig jtrahlenden Farben jind auc) zarteite, feinjte 
und abgejtimmtejte eingewirft. Dieje Gobelins jind zumeijt in 
der berühmten Manufacture des Gobelins in Paris vor Mitte 
des 18. Jahrhunderts hergestellt und gehören zu den jchönjten 
und jeltenjten Arbeiten diefer Manufaktur. Ste bringen ganz 
verjchiedene Richtungen zum Ausdrud: die chriftliche Malerei, 
die hiſtoriſche Kunſt, Landichaft und Thierſtück in erotijcher 
Entfaltung und die niederländiiche Genremalerei. 


Gerade mit den in Riejenformat nad) Teniers gewirkten 
Bildern erreichen dieje Gobelins eigentlich die tiefiten und er» 
ſtaunlich wahrjten Farben. Den hiſtoriſchen und bibliſchen 
Bildern der Gobelins ift dagegen der Stil der Zeit am ſtärkſten 
aufgeprägt, jo vor allem den Gobelins, die die Legende Jaſons 
daritellen. 


D eier, Geihichte ber Stadt Mannheim 13 


— 


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Wr % 2 
tern. mo. 





(Entwurf zum Schloßbau von Froimont 1729.) 


Das Hurfürftlide Schloß zu Mannheim, 195 


Hier ift die liebenswürdig kokette Art jener Hofgejellihaft 
auf die Geftalten des Alterthums in ganz naiver Weiſe über- 
tragen. Sind bie figürlichen Darftellungen nicht ganz frei von 
der Weije einer Maskerade, jo bieten doc die Farbe und 
Stimmung diefer Gobelins im Ganzen genommen reizvolle 
Schönheit. 

Von den chriſtliche Stoffe behandelnden Gobelins ragt 
beſonders ein durch die tiefen Farben der Gewänder prächtig 
wirkender Teppich: „Die Könige aus dem Morgenlande“ hervor. 

Außer weiteren Gobelins biblishen und hiſtoriſchen 
Characters (3. B. aus der Geſchichte Mark Antone) findet ſich 
heute noch ein Cyklus von Teppichbildern vor, die exotiſches 
Leben zum Ausdrud bringen. Eine füdliche Welt ift bier in 
großem Maßſtab und reichiter Fülle zur Anſchauung gebradt, 
Menſchen, Thiere und Pflanzen erjcheinen bier nahezu im 
Lebensgröße. Doch bei aller Mannigfaltigkeit der Ericheinungen 
durchzieht ein tiefer, warmer Ton jtimmungsjchön jeden diejer 
Gobelins. 

Heute jehen wir diefe Wandteppiche im öftlichen Theile des 
Schloſſes, während fie früher den weitlichen Theil- zterten. 
Nur wenige derielben find in das Schloß nach Karlsruhe und 
auf Schloß Mainau gefommen. 

Die große Zahl der noch in Mannheim befindlichen 
Gobelins zeigen eine Höhe diejes Kunſthandwerks überhaupt 
und bilden jehenswertheite Kunſtſchätze des Schloſſes. 

Zu dem koſtbarſten Wandſchmuck des Schloffes Hat in 
reichiter und jchönfter Art auch die Holzbildhauerei beigetragen 
und hier den Haupttheil einer Innendecoration gejchaffen, die 
zu den wunderbarjten Leiſtungen des Rokoko gehört. Es ift 
dies die Innendecoration de3 Bibliothefbaues, des großen 
Bücherjaales des Schlojjes. 

Wie auf einem aus der Erde gehobenen Kellergewölbe, 
da3 feuerfichere, mit eijernen Thüren verjehene Wandjchränfe 
enthält, die früher die werthvollen Archivalien geborgen Haben, 
erhebt fich dreiſtockwerkhoch der mächtige Bibliothekſaal mit 
fieben hohen „Sirchenfenjtern” und großen runden Lichtöff- 

13* 


196 Das Aurfüritlihe Schloß zu Mannheim. 


nungen darüber. Die nad) Norden zu gelegene Fenſterwand 
iſt ben herrlichiten Studarbeiten gewidmet, während die drei 
von unten bis oben dreijtödig mit Bücherichränfen betedten 
Innenwände troß ihrer Riefenausdehnung mit einer unerjchöpf- 
liche Fülle von feiniten Holzbildhauereien bededt find. Dieje 
Holzbildhauereien zieren die drei Abtheilungen und umrahmen 
gleihjam all’ die Hier aufgejtellten Bücher. Blumen, Butten, 
Bortraitmedaillons, Bänder, allegoriich gehaltene Medaillen, 
Blätter und Zweige find in Holz gearbeitet fürmlich über die 
Bücher ausgeichüttet. Jeder Sodel iſt vermieden, all der 
Neihthum ift unmittelbar mit dem durch wunderbar große 
ſchwungreiche Einlagen prächtig gejtalteten Paryuetboden ver— 
bunden; und mit den Holzbildhauereien jind die Studaturen der 
‚senjterwand und der Dede durd) ihre gleichmäßige, weiße Farbe 
wie zu einem Lichtmeer vereinigt. Vergoldete, auf's feinite ge- 
ichmiedete Gitter der Galerien, die nur wıe Glanzpunkte in das 
Lichtmeer Hineinflimmern, ſowie durch Holzbildhauerei imitirte 
Hermelin-Ueberhänge mit den Initialen CT (Earl Theodor) 
und E A (Eiiſabeth Augufta) und eine in Holz geichniste, von 
einem Engel gehaltene Uhr in der Mitte der zweiten Galerie 
feuchten in reicher Vergoldung noch bejonders hervor. Und 
über all dieſem Lichtglanz breitet jich ein Plajondgemälde wie 
ein im zarten, prismatisch von Farben angeglänztes Wolfenge- 
bilde, das beim eriten Blick eine ätheriiche Einheit bildet, aus 
dem aber immer flarer und bejtimmter ſymboliſche Geitalten 
hervortreten, 

In der leuchtenden Mitte des Bildes erhellt die „Wahr: 
heit“ als nadte, weibliche Gejtalt mit der itrahlenden Sonne 
die Welt. Kronos, die Zeit, hat die Wahrheit entjchleiert und 
Künste und Wijjenichaften, durch weibliche Gejtalten in mehr 
oder weniger bunten Gemwändern verjinnbildlicht, wallen der 
Wahrheit entgegen. 

Vorboten des Lichtes ragen auf der nördlichen Seite des 
Bildes über den Rahmen heraus, die Entichleierung der Wahr 
heit der Welt verfündigend, während auf der weitlichen Seite 
des Gemäldes ſymboliſche Seitalten der Finſterniß den Rahmen 


Das Kurfürſtliche Schloß zu Mannheim. 197 


des Bildes durchbrechen, als würden fie aus dem Himmel der 
Wahrheit herabgejtürzt. 

Diejes große Dedengemälde, deſſen ätheriiche Farbenfein— 
heit nur noch in der Mitte des Bildes ganz erhalten ift, 
während im Uebrigen das Colorit des Bildes durch Ueber- 
malung wejentlich beeinträchtigt wurde, hat der Maler Lambert 
Krahe gemalt.*) 

Krahe wird als ein liebenswürdiger Menſch gerühmt, der 
fi) mit bejonderem Eifer junger Talente angenommen und fie 
auf den Weg der Kunſt gebracht hat. Er Hatte jelbjt nur zu 
gut die Gefahren Fennen gelernt, die dem Aufkommen eines 


*) Ueber die Bibliothek jchreibt Kieger u. A.: „Einen beionderen Be— 
ſuch verdient aber der prachtvolle Bibliotheliaal. Cine mit Trophäen von 
Schnigarbeit verzierte Flügelthüre führt im zweiten Stodwerf zu dem: 
ſelben. Beim Gintritt erblidte man fonit bier zur Nechten das Bruſtbild 
Karl Theodors und zur Linken das der Kurfüritin. Beide waren aus 
weißem Marmor von Berjchaffelt verfertiget. Der Saal jelbit iſt hundert 
Fuß lang und vierzig breit. An der Dede befindet ſich ein herrliches Ge— 
mälde von Krahe. . . . Die ganze Höhe des Saales hat an den Seiten: 
twänden drei Abtheilungen. Zu den zwei oberen fteigt man auf verdedten 
fteinernen Treppen, von welchen man auf die zwei um den Saal herum: 
führenden Gallerien tritt... . In der unterjten Abtheilung befanden ſich 
chemals die hiftoriichen, in der zweiten die ſchönwiſſenſchaftlichen und 
philofophiichen, in der oberiten die juritiichen und theologischen Werte auf: 
geitellt. Nebit den vielen jeltenen Manuferipten fol die Zahl der Bände 
ſich auf hunderttaufende belaufen haben. Diefer reihe Schag ftand jedem 
MWißbegierigen Dienitags, Mittwochs und Freitags zum Gebrauche offen, 
In neuerer Zeit (1824) hat man die Hälfte des Saals, von weldhem der 
berühmte Literator Reiß jagte, daß er nie einen jchönern geiehen, zu einem 
— Luſttheater umgeihaffen. Natürlich hat dabei das herrliche Dedenge- 
mälde und der eingelegte Boden bedeutend gelitten. Die Hälfte des 
Thrones der Wahrheit und des Lichtes ift Dadurch verdedt worden. Auch 
werben in diefem Heiligthbume der Pallas die Veriteigerungen abgängiger 
Möbel aus den Zimmern des Schloffes mandmal vorgenommen. . . .“ 

Diefen Zuftänden wurde durch die Opfermwilligkeit Großherzogs 
Friedridy und durch die Initiative für Wiffenichaft und Kunſt eintretender 
Bürger im Jahre 1869 ein Ende gemacht und hier von diefer Zeit an in 
unabläfliger, Stiller Arbeit der Stadt Mannheim eine Bibliothet errichtet, 
die jegt ichon nahezu 60000 Bände zählt und ben herrlichen Saal wieder 
voll zur Wirkung und Nugung kommen läßt. 


198 Das Kurfürſtliche Schloß zu Mannheim. 


Künjtlers im Wege ftehen. Er wurde im Jahre 1712 als 
Kind armer Eltern zu Düffeldorf geboren. Wohl Hatte er in 
der Berjon des Oberit-Leutnant Mayer in der Jugend einen 
Proteftor gefunden, durch deſſen Vermittelung er im Gefolge 
des Grafen Plettenburg nad Italien reijen konnte. Allein 
gerade dort wurde er von einem ſchweren Unglüd betroffen, 
denn der Graf ſtarb plöglih und der junge Künftler jah ſich 
dadurch größter Hilflofigfeit und Armuth überantwortet. Nur 
das Malen von Heiligenbildern für Indien, womit er von 
einem Jeſuitenpater beauftragt wurde, rettete ihn vor dem 
Hungertode. Dabei jtudirte er eifrig die ihm irgendwie zu— 
gänglichen Werfe italienischer Meifter raſch das Bedeutende 
und Schöne, das ihre allgewaltige Kunft bietet, in fich auf: 
nehmend. 

Die Frucht diefer Studien war ein jchnelles reifen jeines 
Talentes, welches endlich durch hervorragende Yeiftungen in 
Italien Aufjehen erregte. Man ehrte den Künftler daraufhin 
durch feine Berufung an die Akademie von St. Lucca, womit 
jein Lebensſchickſal entichieden war, da jeine Perſönlichkeit hier- 
durch eine nicht mehr zu überjehende Stellung erhielt. Bald 
gewann ſich Krahe von Hier aus das Intereſſe der höchiten 
Kreiie Roms und jo auch die Proteftion des Cardinals Valenti, 
der ihn dem nad) Künftlern juchenden Kurfürſten Karl Theodor 
empfahl. 1755 folgte Krahe dem Rufe diejes Fürſten nad) 
Düſſeldorf, wojelbjt er die Gemäldegalerie ordnete und die be- 
rühmte Akademie mit begründete. 

In die erjte Zeit jeiner Rückkehr nach Deutichland fiel 
jein Wirken in Mannheim. Später in feinen letzten Lebens— 
jahren und zwar 1784 wurde er noch von Karl Theodor mit 
der Einrihtung der Münchener Galerie beauftragt — ein Bes 
weis dafür, daß ihm der Fürſt allezeit jeine Gunft und Werth- 
ſchätzung bemahrte. 

Krahe jtarb nach einem hohen Idealen geweihten Leben 
im Jahre 1790 zu Düſſeldorf. 

Krahe beeinflußte das Mannheimer Kunftleben zur Zeit 
Karl Theodors in ftarfer, jegensreicher Weile. Ihm gelangen 


Das KHurfüritlihe Schloß zu Mannheim. 199 


vortreffliche Erwerbungen für die damalige Mannheimer Galerie. 
Das Kupferitichcabinett begründete er und er wußte es bald 
zu einer der reichjten und werthvolliten Sammlungen der Welt 
zu gejtalten. Weitere Plafondbilder, die er hier malte, find 
noch an anderer Stelle zu bejprechen. 


Hier jollte Krahe vor allem nur als derjenige Meijter 
Würdigung finden, der das jchönfte Gemälde des Schlofjes ge- 
Ihaffen und der das Schloß damal3 mit den werthvolliten 
Kunſtſchätzen füllte. 

An der malerischen Ausihmüdung des Schlofjes, die aus 
Blafondgemälden, Sürporten oder anderen in die Wände ein- 
gelaffenen Bildern bejtand, betheiligten fich noch die Maler 
Sohann und Franz von Schlihten (Portraits und Scheinreliefs), 
Joſeph Fratrel, Antoine Pelegrine und Bernardint (Plafonds), 
Schenf, jowie Hieronymus Brinfmann (Landichaften). 

Die meijten Plafondbilder des Schlojjes Huldigen — ab— 
gejehen von dem Vedengemälde der Bibliothet — mehr dem 
Augenblid der Zeit, verbinden dabei Altes und Neues in jorg- 
(08 unhiſtoriſcher Weije miteinander, portraitiren Fürſten und 
Hofleute in den Vorwürfen entjprechenden Goftümen und 
nehmen fich in Folge deijen mehr wie Masferaden aus, wenn 
auch die Grazie echt Fünftlerticher Darftellung über ſie ge— 
breitet iſt. 

Drigineller und werthvoller al3 die meijten dieſer Plafond— 
gemälde ericheint Heute noch ein anderer malerijcher Zimmer: 
ihmud, auf den der Berfaffer diejes Buches jhon vor Jahren 
bejonders wieder hinzuweiſen verſuchte. 

E3 find Dies die jogenannte Weliefmalereien, Wand— 
malereien, die täujchend wie Neliefs ausjehen. Der in Inns— 
brud geborene Maler Franz Anton von Leidensdorff und Jo— 
hann Franz von Schlihten haben dieje Malereien in Mann- 
heim eingeführt. Die Sürporten im Lejezimmer der Bibliothek 
und die Dedfenmalereien in den öftlihen Räumen des Mittel« 
baues des Schloffes find Meifterwerfe diejer originellen, 
tänjchenden und zugleich überzeugenden Kunſt. 


200 Das Hurfürftlihe Schloß zu Mannheim, 





: | Die Geſchichte. Neliefmalerei Im Ceſeſaol der Bibliother. | 


Die bald in Mannheim zu einer außerordentlichen Höhe 
gelangende Kunftichlofferei und Schmiedefunjt trug gleichfalls 
zu den Innendecorationen des Schlojjes das Ihrige bei. Das 
Gitter der Bibliothefgallerie iſt wohl das feinjte und zartejte 
Werk dieſer Kunſt und zeigt das gewaltige Material wie in 
Duft und Flimmer aufgelöjt. Zahlreiche diejer Arbeiten rühren 
von Sabinetjchloffer Fröchmann her. 

Ein Meifterwerf in Bronze iſt das Folofjale pfälziiche 
Wappen mit den Initialen C P (Carl Philipp) am Mittelbau 
des Scloffes, wahrjcheinlih in der Werfjtatt Grupellos zu 
Düfjeldorf gegojien. Auch der darunter angebrachte Pankopf 
in Bronze dürfte daher jtammen, der jedenfalls einem Aber— 
glauben, damit Unheil vom Hauje abzuhalten, jeine Erijtenz 
verdanft. 

Auch durch Spiegelglas und helles, des Nachts interejfante 
Lichtlinien an die Wände werfendes Fenſterglas, künſtleriſch 
ihön gebaute Kamine, meilt aus Marmor, prächtige Fußböden 
in Stein und Holz wurden zu Zweden der Innendecoration 
reich verwendet. 

Als betheiligt an den Funjtgewerblihen Arbeiten des 


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202 Das Kurfürſtliche Schloß zu Mannheim. 


Sclofjes werden u. A. die Studateure Bedetti und Albuzio, 
ber Kabinettsichreiner Zeller, jowie als Holzbildhauer von den 
Branden und Egell genannt. 

Die neue Bauperiode, die den öftlihen Schloßflügel ent- 
jtehen ließ, begann anfangs der fünfziger Jahre. 

Der berühmte Acchiteft Nicolaus de Pigage war von 
Karl Theodor berufen worden, zunächſt um die Bauten und 
Anlagen in Schwegingen zu leiten. 

Pigage iſt 1721 als Sohn des Hofbaumeifters des Königs 
Stanislaus zu Luneville geboren. Er jtudirte auf der Afade- 
mie der Baufunjt zu Baris und unternahm größere Studien- 
reijen duch ‚Frankreich, England und Italien. Im Jahre 1749 
wurde er von dem Kurfürſten Karl Theodor, der auf den 
Künſtler aufmerfiam geworden war mit 1500 fl. Gehalt als 
Intendant der Gärten und Waiferfünjte zu Schweßingen an— 
geitellt. 

In kurfürſtlich pfälziſchen Dienjten ſchuf Pigage jeine 
beſten und weſentlichſten Werke. Zuerſt unternahm er — wie 
beſtinmt — Die Leitung der neuen Schloßanlagen zu 
Schwetzingen. Bald jedoch wurde er nach Mannheim berufen, 
um hier durch einen Schloßbrand nöthig gewordene Reparaturen 
auszuführen. Hierbei wurde auch der Weiterbau des Schloſſes 
in's Auge gefaßt und Pigage mit der Leitung dieſes Weiter— 
baues betraut. So iſt, abgeſehen vom Bibliothekbau, der ge— 
ſammte öſtliche Flügel mit ſeinen fürſtlichen Wohnräumen, 
den Galerieſälen und dem Naturaliencabinet, ſowie den Stall— 
ungen und Sonderhöfen (Schneckenhof) unter Pigage's Leitung 
entſtanden. 

Die Hauptaufgabe des weiteren Schloßbaues wurde darin 
gejehen, den Hofitaat des Kurfürjten von demjenigen der Kurs 
fürftin zu trennen, während im Mittelbau die gemeinjchaftlichen 
Nepräjentationsräume liegen jollten. 

Der ganze öjtliche Flügel wurde daher dem Kurfürſten 
gewibmet und jeiner Pflege der Kunjt und Wilfenjchaft, wes- 
halb hier die Bibliothef und neue Räume für die Kunjt- 
Sammlungen angelegt werden mußten. 





Lambert Arahe, 
der Maler des Dedenbudes in der Bıbliothef, 





204 Tas Hurfuritlihe Schloß zu Mannheim. 


Pigage war es auch, der großen Antheil an der erit unter 
ihm bewirkten Fertigftellung des Ritterjaales und des Viſtibuls 
hatte. Während der gewaltige Grundplan von dem fich in 
großen Linien ergebenden Froimont Herrührte, wurde die Aus— 
fhmüdung und Weiterverfolgung der begonnenen Ausführung 
erit wieder von Pigage aufgenommen. Er verjuchte über die 
lebensvolle Kunſt Bibinas hinweg wieder an Froimont anzu: 
fnüpfen und zugleich einen mehr Hajfiziftiichen Stil einzuleiten. 

Sfeiche Ziele verfolgte bald auch der nad) Mannheim be— 
rufene Bildhauer und Architeft Peter von Verichaffelt, von dem 
die Marmorjtatuen Karl Theodors und deifen Gemahlin Elija- 
bet Augufta im Ritterſaal des Schloſſes herrühren. Das 
Fortſchritt und Rüdjchritt in merfiwiirdiger Miſchung vertretende 
Wirken diejes Künftlers muß jpäter hier noch eingehend behan- 
delt werben. 

In Ihönen Raumverhältnijien find auch der Marjtall und 
die Reitbahn im öjtlichen jogenannten Stallbau angelegt — 
würdig, Heute zur Unterbringung von Mujeen oder anderen 
Ausftellungen zu dienen. 

Die Fortjegung weiterer Stallbauten und Wagenremijen 
öftlich des Schloffes wurde damals auf Einjpruch der Offiziere, 
welche darin eine Beeinträchtigung der Befeftigungsbauten jahen, 
unterlaffen. Dieſe Stallbauten, jpäter ber Kojadenjtall ge- 
nannt, gelangten erjt vor Kurzem zum Abbruch. 

Auf dem wejtlichen Flügel wurden mit dem Brande, der 
das Opernhaus vernichtete, auch die weit ausgedehnten Küchen- 
einrichtungen, der cour des cuisines, zerftört. 

Bon diefem Sondertheil des Schlofjes jieht man heute 
nur noch das malerijch gelegene Ballhaus mit großem Saal 
und ſchönem Garten. 

Beſonderen bildhaueriihen Schmuck trug die jüdlih nad 
dem Ehrenhof zu gelegene Sclopterrafje mit vier Medaillon- 
bildern der Kurfürſten Philipp Wilhelm, Johann Wilhelm, 
Karl Philipp und Karl Theodor. Dieje auf der Bruſt von 
Figuren angebradhten Medaillons wurden jpäter mit ihren 
jteinernen Trägern herabgeſtürzt. 


Tas Kurfüritlide Schloß zu Mannheim. 205 


Roh vor 10 Jahren konnte man — jah man den fort= 
ichreitenden Berfall des Schloſſes — mit Rieger flagen: 

„Betritt man jegt den großen Vorhof diejes majejtätiichen 
Gebäudes und fieht man überall den Boden mit Raien bededt, 
jieht das Spiel der Lüfte in den üppig aufgeichojjenen Neſſeln, 
wo einft fein Grashälmchen auffommen fonute, weil immer 
zahlreiche Reiter, yußgänger und ein Heer raljelnder Gala— 
wagen hier zujammenjtrömte — wandelt man jtill durch Die 
hohen, jchallenden Bogengänge, in denen jich einjt ein Heer von 
Tienern in reich gallonirten farbigen Liveréen geichäftig herum 
trieb, jieht in dem Gorridor des linfen Flügels die weißen 
fahlen Wände, die vormals mit einer Neihe in Lebensgröße 
gemalter Portraits aller Glieder des furfürjtlichen Hauſes be- 
bangen waren, erjteigt man die Treppen und wandelt an dem 
großen Nitterjaale vorüber, wo einjt die glänzenden Hofbälle 
und mujifaliiche Akademien gehalten wurden, geht an den 
reichen Kaiſerzimmern, wo einjt Stühle und Tiſche, jelbjt die 
Spiegelrahmen von gediegenem Silber ftroßten, an den ver- 
ichloijenen Thüren, die zu den Sigen der Künſte und Wiſſen— 
ihjaften führten vorbei, denft man ſich die mit ihrem Wolfe 
vertrauten ‚Fürften die ab und zu fahrenden Gejandten rappor— 
tirende Offiziere und Ordonanzen, die von Eeide, Gold, Silber 
und Diamanten glänzenden Hofdamen, den reichen pfälziichen 
Adel, erblicdt jegt nirgend mehr ein befanntes Gelicht jener 
Zeit, hört jeden Tritt hohl und vervielfacht wiederhallen, dann 
befällt einem in dem weiten Balajt ein Grauen, man dünkt ſich 
verlaffen — allein, das Menjchengejchleht ausgejtorben, und 
eilt hinab auf die Straße, um diefen Wahn zu verjcheuchen.“ 

Doch anders jehen wir heute das Schloß vor und. Durch 
die Beitiimmung eines funitverjtändigen Fürſten wurde es vor 
dem Untergang gerettet und unter einem Koſtenaufwand von 
etwa einer Million wiederhergejtellt. 

Bon außen den Anblid einer Niefenardhiteftur bietend, tm 
Innern eine unerjchöpflihe Welt der Kunſt und Schönheit 
bergend, iſt mit ihm eines der hervorragenditen Kunſtdenkmäler 
jener Zeit echalten, das jetzt nach feiner Verjüngung die Blide 


206 Das Hurfürftlihe Schloß zu Mannheim. 


aller Kunftverftändigen immer mehr auf ſich richtet und that- 
jächlich einen Gipfel der Kunft des 18. Jahrhunderts bedeutet. 

Damit find die großen Koſten, die die Kurfürjten Karl 
Philipp und Karl Theodor für Diejes Gebäude aufbringen 
mußten, nicht verichwendet. Nicht für Werthlojes wurde jo 
viel Geld geopfert, der Kunſt warf man es in den frucht- 
bringenden Schooß. Die Lajten, die für fie eine Generation 
tragen mußte, kommen künftigen Generationen zu Gute. Die 
Zeiten, wo eine veraltete Kunſtbetrachtung die Wun— 
derwerfe eines lebensvollſten Stiles mit dem Schlagwort 
„Rokokogeſchnörkel“ verächtlich abthat, find endlich vorüber. 
Ueber die Deden eines jteifbeinigen Nachahmungsklaſſicismus, 
der jchlieglih auch in den Schloßbau hineinzufpielen begann, 
hinweg reiht die Gegenwart wieder jener formenreichen, 
blühendes Leben athmenden und grazidjen Kunſt des Barod 
und Rokoko, wie fie das Schloß in feinen berrlichiten Partien 
verfürpert, freudig und anerfennend die Hand. 


REN 


XVI. 


Die Baufunft Aleſſandro Galli 
Bibiena’s und die Theater: 
Malerei, 


Aleſſandro Galli Bibiena — Die Grbauung der Jeſuitenkirche und des 

Kaufhaufes — Hoditand der Decorationsmalerei — Lorenz Duaglio — 

Adel Schliht — Bau und Ausjtattung des Nationaltheaters — Leydens— 

dorff, Zofeph und Julius Duaglio — Richard Wagners Urtheil über den 
Mannheimer Theaterban. 


D. zur Zeit Karl Philipps gejchaffenen Grundlagen zur 
Entwidelung der Baufunjt in Mannheim liegen nunmehr unter 
Karl Theodor Vollendetes erjtehen. 

Das Schloß war etwa 1758 joweit fertiggeftellt, wie wir 
e3 heute jehen. Bei jeinem Bau jpielte jich lebhaft der Kampf 
verjchiedener Stilrichtungen ab ohne den Grundplan jedoch) 
wejentlich zu verändern. Der Sieg de3 italienischen Barock— 
ſtils durch Aleffandro Galli Bibiena um das Jahr 1730 wurde 
bereits gejchildert. 

Galli Bibiena ift der bedeutendjte Architekt diejer Kunſt— 
zeit Mannheims. Er ſchuf das hervorragendite Gebäude der 
Stadt: die Jejuitenfirche, feine Stilrichtung beeinflußte bejonders 
auch befreiend die Innendecorationen des Schlojjes (den Biblio- 
thefjaal), und neben dem einjt jo viel gerühmten Opernhaus 
baute er noch das graziöje Kaufhaus. 

Lebensvolle Pracht, Reichthum verbunden mit Größe der 
Auffaffung, Grazie und Ungezwungenheit erfüllen die Werke 


208 Die Baukunjt Aleſſandro Galli Bibiena's x. 


diejes Meſſter, der erjt jet wieder einigermaßen gewirdigt zu 
werden anfängt. 

Aleſſandro it aus der Schule jeines Vaters Ferdinando 
Galli, ein Meiſter des Theaterbaues und der Theatermalerei, 
hervorgegangen. Sein Vater, 1656 zu Bologna geboren und 
dajelbjt 1729 gejtorben, war in Prag, Parma jowie unter 
Kater Karl VI. in Wien thätig und jchrieb zwei Bücher über 
Architektur („Varie opere di perspettiva“ und „Architettura 
eivile‘‘), die erit 1740 und 1811 in Drud erjchienen. Das 
Geburtsjahr des Aleffandro Bibiena fiel jedenfalls noch in das 
17. Jahrhundert, da er jchon als reifer Künftler nah Mann: 
heim fam. Seine Slanzzeit fällt in die Jahre 1730 — 1750. 
Mit der Berufung Pigages begann jein Einfluß zu jchwinden 
und jein Alter machte es jedenfalls nöthig, daß jein Schüler 
Naballiati den Bau der Jeſuitenkirche vollendete. Als jein 
Todesjahr wird das Jahr 1760 angegeben. 

Mit dem Bau jeines Dauptwerfes, der Jeſuitenkirche, 
wurde Bibiena von Karl Philipp beauftragt. Die Grundjtein- 
legung fand im Jahre 1733 am 12, März ftatt. Nach einer 
Bauzeit von 23 Jahren wurde die Kirche am 15. November 
1756 unter Anweſenheit des Kurfüriten Karl Theodor und des 
gejammten Hofitaates dem Gottesdienit übergeben. 

Die „bochfeitliche Weihe“ empfing die Kirche erſt am 
18. Mai 1760 durch den Fürſtbiſchof Joſef von Augsburg mit 
Aſſiſtenz des Weihbiichofs Chriitof Nebel von Mainz. 

Zum Gedächtniß des Tages wurde eine Münze geprägt. 
Eine prächtig ausgejtattete Schrift über dieje Kirche „Basilica 
Carolina‘ wurde vom Sejuitencollegium herausgegeben und 
dem Haufe Neuburg, im Beionderen Karl Philipp und Karl 
Theodor gewidmet. 

Dieſer prächtige Bau gibt der Stadt Mannheim haupt: 
jächlich ihr eigenthümliches Gepräge und läßt, von Ferne ge— 
jeben, die Silhouette der Stadt in künſtleriſch ſchönen Linien 
ericheinen. 

Die Hauptfacade ift architektonisch in reicher, dur Säulen 
und Zimje marfierter Gliederung gehalten und reich mit bild» 





Das Innere der Jeſuitenkirche. 


14 


Deler, Geihichte der Stabt Mannheim 


210 Die Baukunſt Alejandro Galli Bibiena’s x. 


haueriſchem Schmuck ausgejtattet. Ueber drei großen Thor- 
wölbungen, die durch prachtvoll gejchmiedete Eijengitter*) ver- 
bunden find, ftehen in Niſchen bedeutende Bildhauerwerfe Peter 
von Berichaffelt3 in Stein gehauen, während das Frontijpiz 
mit einer Engelögruppe von Egell reliefartig geziert ift. An 
dem großen, hinter zwei Hleineren Thürmen aufragenden Thurn 
ift jeder bildneriihe Schmud verjchmäht, er wirft allein und 
mächtig genug durch feine colofjale Kuppel. Daß das Baus 
werf von jenem Schöpfer als eine verkleinerte Nachbildung der 
PVetersfirche gedacht worden jei, ijt ein Irrthum der Tradition. 


Reich an künſtleriſcher Schönheit iſt auc das Innere der 
Kirche. Am prächtigen Hauptaltar tragen jechs forinthijche 


*) Jacob von Falke bringt in jeiner „Geichichte des deutschen unit: 
gewerbes” (Berlin 1888) eine große Abbildung des Mittelthores der 
Sefuitenfirhe au Mannheim und fchreibt über die großartige Schmiedekunſt 
jener Zeit u. A. folgendes: „Die Hauptleiftung der Gifenarbeit in dieſer 
Epoche beitand aber nicht in Eleinen Arbeiten, fondern in den geichmiedeten 
Thoren, Thüren, Gittern, Treppengeländern und dergleichen Arbeiten. Die 
großartigen Palaſt- und Schloßbauten, welche Ludwig XIV. in ganz Europa 
in Mode gebracht hatte, bedurften ihrer zur künftleriichen Ausstattung, und 
als das Rokoko fam, verlangte es ein freie, erzentriiches Ornament, für 
welches das zähe Eiſen kaum paffend ſchien. Und doc zeigte es fich den 
übertriebenften Anforderungen gewachſen, gerade ald ob es dazu geichaffen 
fei, fich wie natürliches Laub und Geranke oder wie das wilde Mufchel: 
werf unter dem Hammer zu fchmiegen und zu biegen. Es folgt nachgiebig 
und gefchmeidig und doc von höchſter Solidität jeder willfürlichen Laune 
des Künſtlers. Niemals vorher iſt dem Gifen fo viel zugenmthet worden, 
und niemals hat ed auch in den Dimenfionen großartigere Zeitungen voll- 
führt, wie fie zahlreiche Schlöfler aufweiſen. ........ Wenn man 


dieſen Arbeiten etwas vorwerfen kann, fo iſt es ihre übergroße Schwere, 
bie übermäßige und unnöthige Maflenhaftigfeit des verwendeten Eiſens. 


Dieſer Fehler verlor ſich freilich mit dem Wechſel des Geſchmacks gegen 
das Ende des Jahrhunderts, aber es verlor ſich auch alsbald das ge— 
ſchmiedete Eiſen als Kunſt überhaupt, indem das Gußeiſenan die Stelle 
trat. So iſt auch hier wieder mit dem neunzehnten Jahrhundert nicht 
bloß ein Verfall, ſondern der Untergang eines eben noch blühenden 
Kunſtzweiges zu konſtatiren.“ Glücklicher Weiſe nimmt gegenwärtig die 
Schmiedekunſt, an die alten, guten Traditionen anknüpfend, gerade auch in 
Mannheim wieder einen kräftigen Aufſchwung. 


Die Baufunft Aleffandro Galli Bibiena’s ꝛc. 211 


Säulen aus jog. röthlichem pfälzer Marmor, die durch treffliche 
Politur zu glanzvolliter Wirkung gelangen, ein aus gleichem 
Stein gehauenes Gefimje mit vergoldetem Architrav. Die Mitte 
des Altars bildet eine Gruppe, die den heiligen Ignatius von 
Loyola darjtellt, wie er den vor ihm fnieenden Franziskus 
XZaverius zur Belehrung der Heiden nad) Indien jendet. Dieje 
Gruppe Verſchaffelt's ift nur in Gips gegojjen; Die beabfich- 
tigte Ausführung in weißen Marmor wurde mit der Aufhebung 
des Jeſuitenordens 1774 in der Pfalz Hinfällig. Plafond- 
gemälde von Cosmas Ajam und Brindmann (von lehterem die 
Landichaften), nehmen die ganze Dede des Hauptihiffs und die 
große lichtvolle Kuppel ein. Die Seitenaltäre find mit Del- 
gemälden Lambert Krahe's geſchmückt. 

Eine Renovirung der Kirche wurde im Frühjahre 1907 
fertiggeltellt und zu gleicher Zeit errichtete man in den Niſchen 
der Vorhalle Standbilder der Kurfürjten Karl Philipp und 
Karl Theodor. 

Das durch die Kuppelöffnungen und durch die zahlreichen 
Tenfter in das Innere fallende Licht läßt die Schönheit der 
Kirche in ihrem weihevolljten Glanze erjtrahlen. 

Iſt die Jeſuitenkirche der am mächtigjten wirkende und 
prächtig jchönfte Bau Mannheims, jo kann ein anderes Bau— 
werf Bibienas: das Kaufhaus als das maleriſchſte und graziöſeſte 
Gebäude diejer Stadt bezeichnet werden. Beſonders iſt Dies 
von dem ſchlank und zierlich aufjteigenden hohen Thurm und 
von der reich gegliederten Vorderfagade zu Jagen. 

Diejer Thurm stellt das charakteriftiichite Bauwerk der 
inneren Stadt vor, und der ganze Bau it gleichlam das Herz 
Mannheims. 

Das Kaufhaus bildet mit jeiner Vorderfacade die Süd» 
jeite des in der Mitte der Stadt befindlichen Baradeplages und 
ein ganzes Quadrat für fich mit einem aus 73 Bogen bejtehen- 
den Arkadengang. 

Die nunmehr von dem häßlichen Anſtrich befreite Archi— 
teftur des Thurmes iſt von reichiter Gliederung und verjchieden- 

14* 


212 Die Baufunft Aleffandro Galli Bibiena’s ꝛc. 


artigem Bilafterihmud. Ein kraftvoll vorjpringender Balfon- 
bau erhöht die monumentale Wirkung des Sockels. Der Thurm 
it, wie der größte Theil des übrigen Baus, in rothem Sand» 
jtein ausgeführt und wirkt jest in der Farbigkeit jeines echten 
Materiald noch viel graziöjer und vornehmer, als dies vorher 
der Fall war. Sehr ſchwungvoll in den Linien und maleriſch 
ijt auch da8 Dach des Thurmes mit jeiner Krönung duch ein 
zierlihes Glockenthürmchen. Der bildhaueriihe Schmud des 
Gebäudes rührt von Paul Egell*) her. Der Bau ging nicht 
ohne Schwierigkeiten ab und währte die verhältnigmäßig lange 
Beit von 16 Jahren (1730— 1746). Etwas von jeiner Bauge- 
ichichte berichtet die über dem großen Baltonbogen am Mittel- 
thor befindliche lateiniſche Injchrift, die in einer älteren Ueber- 
ſetzung u. WU. folgendes jagt: 

„Auf Geheiß Karl Philipps wurbe diejes (Gebäude) von 
Grund aus errichtet, und ftand ſchon zum Theil aufgeführt... 
Allein es war zweifelhaft, ob es TFejtigkeit genug habe. Da- 
her blieb es dreimal drei Sommer ohne Dad) und Hut, bis 
e3 damit gefrönt ward von Karl Theodor. Er lebe.“ 

Das Gebäude wurde auf Trümmern der alten Feſtung 
Friedrichsburg errichtet, wodurch bie Fundamentirung auf ſolche 
Schwierigfeiten ftieß. 

Noc heute ift der Bau, der jegt zum Rathhauſe erhoben 
wurde, nad) wohlgelungener Bloßlegung feines prächtigen Stein- 
material und unter völligem Umbau jeines Innern, das Herz 
unjerer Stadt geblieben. 

Außer jeiner bedeutungsvollen Thätigkeit als Baumeifter 
muß bier aber noch eines weiteren Wirkens Bibienas gedacht 
werden. 

Dies führt uns zur Betrachtung eines Gebietes, Das 
gerade in Mannheim mit außergewöhnlicher Kunſt gepflegt 





*) Ueber Egell fiche Seite 200. Hier fei nebenbei bemerkt, daß eine Tochter dieſes 
Bildhauers: Elifabeth Egell das eigentliche Urbild von Werthers Lotte ift. Als Gattin 
des furpfälziichen Geſandten Gert lernte fie in Wetzlar der junge Jeruſalem fernen, deffen 
freitwiliger Tod wegen immertoiberter Liebe zu diefer Frau Goethe die erfte Anregung zur 
Wertherdichtung gab. 


Die Baukunft Aleffandro Galli Bibiena's x. 213 


wurde: zur Betrachtung der decorativen Malerei, im Befonderen 
der Theatermalerei. 

Bei dem Glanz und der Pracht, die man hier in der Aus- 
jtattung der Theateraufführungen entfaltete, wurbe bie Decora- 
tionsmalerei zu bedeutender Höhe erhoben. 

Diefe Malerei betrachtete man damals nicht, wie oft noch 
heute, als eine Kunſt zweiten Ranges, die nur mit ftarfen, 
groben Mitteln zu wirken hat, jondern fie wurde in künſtleriſch 
vornehmster Weije gepflegt und jedes ihrer Werke erfuhr die 
jorgfältigjte Vorbereitung. 

Die Entwürfe zu den Decorationen wurden auf’3 Ge- 
nauefte und Gewiljenhaftejte gezeichnet oder getufcht und dann 
jogar in Kupfer gejtohen. Nichts von theatraliichen Effekten 
im gewöhnlichen Sinne des Wortes ift auf diejen Entwürfen 
zu ſehen, bie meijt vollendete jelbjtftändige Meifterwerfe find. 
Ganz wunderbare Berjpectiven und erjtaunlich fein abgeftufte 
Lichtwirkungen geben diejen meijt radirten oder in Mquatinta 
ausgeführten Entwürfen das Gepräge vollwerthiger Kunft. 

Auf diefem Gebiete hatte jeber Künftler daher jeine volle 
Kraft zu entfalten und die beiten Talente ſetzten ihre Ehre 
darein, in diejer Weile Schönes und Gutes zu leiten. 

Bibiena war einer der erjten Künftler, die hier auf dem 
Gebiete der decorativen Malerei ihren Einfluß geltend machten 
und jelbjt vortreffliches leijteten. 

Die Entwürfe Bibienas für Theaterbecorationen find von 
jo vollendeter Schönheit, das wir fie heute, erhalten in Radi— 
rungen oder Aquatinta-Blättern, al3 ganz unveraltete, vollendete 
Meifterwerfe genießen können. Meift find es allerdings Ent- 
würfe, bei denen das arditeftonijche Element ftarf zum Aug- 
drud kommt, Gebäude, Gewölbe, Kerker mit geheimnißvollen 
Lichtwirkungen u. ſ. w. 

Zu einer weiteren Höhe gelangte die Decorationsmalerei 
unter Zorenz Duaglio, der nach Bibiena die Leitung ber Theater- 
malerei in Mannheim in die Hand nahm. 

Quuaglio kann als der Hauptbegründer der neueren Bühnen- 
ausſtattungskunſt in Deutjchland bezeichnet werden. Bei der 


214 Die Baukunft Aleffandro Galli Bibiena’s x. 


Bedeutung, die fein Wirken für das deutiche Theaterweien hatte, 
bürfte e3 von Intereſſe jein, auch einen Blid auf den Lebens- 
gang des Künſtlers zu werfen. 

Lorenz Quaglio wurde 1730 in Oberitalien geboren, 
lernte zuerjt bei jeinem Water Maria Quaglio und jegte in 
Wien, wohin diejer überfiedelte, an der ausgezeichneten Afade- 
mie daſelbſt jeine Studien fort. 

Schon mit 20 Jahren wurde er von dem Kurfürjt Karl 
Theodor: nah Mannheim berufen, von wo aus er nod 
Studienreifen nad) Italien: Rom, Neapel und Pompeji unter- 
nahm, um eine möglichit große Entfaltung der Berjpective zu 
gewinnen. 

Im Jahre 1778 ſiedelte er mit dem Hofe nah München 
über. Auch dort fanden jeine heute noch gerühmten Decora- 
tionen. 3. B. zu den Opern, „Eajtor und Pollur* und zu dem 
Trauerjpiel „Agnes Bernauer“ jubelnden Beifall. Prächtige Ent- 
würfe diejes Künftler® wurden u. U. von Schramm, Langlois 
und C. Schleich in Kupfer gejtochen. An jeinem fiebenzigjten 
Geburtstag erhob ihn der Kurfürſt in den Adelſtand. Der 
Tod des Künſtlers erfolgte im Jahre 1804. 

In Mannheim Hatte Duaglio das außerordentliche Talent 
eines 10jährigen Knaben entdedt, den in der Kunſt ausbilden 
zu laſſen, er dem Kurfürften Karl Theodor vorjchlug. 

Der Fürft war jofort dazu bereit und jegte dem Knaben 
ſogleich eine jährliche Penfion aus — eine Großherzigfeit, die 
jo recht für die edle Kunftpflege diejes Fürſten bezeichnend ift 
und bie der deutjchen Kunſt eine tüchtige Kraft gewann. 

Diefer Knabe war der Sohn eines Tiünchermeijters in 
Mannheim und bier 1754 geboren. Abel Schliht — dies ift 
der Name jenes früh entdedten Talents — erreichte eine Höhe 
in der Theatermalerei, die in vieler Beziehung noch jeinen 
Meijter übertraf. Er entwidelte ſich als ein vieljeitiger Künjtler, 
der in allem, was er zu jeinem Schaffen heranzog, in der 
Architektur, Malerei und beſonders auch in der Kupferitechfunft 
(Portrait, Genre, Thierjtüd) jo Bedeutendes leitete, daß er 
bald einen großen Ruf erhielt und zum ordentlihen Mitglied 


Die Baukunſt Aleſſandro Galli Bibiena’s x. 215 


ber Königlichen Akademie der jchönen Künfte in Berlin ernannt 
wurde. 

Das prächtige Blatt „Unterirdiſcher Kerker“ nach der 
eigenen Compoſition des Künſtlers, ſowie zahlreiche Blätter 
nach anderen Meiitern (Bibiena, Brower, Berghem, v. d. Velde) 
in Kupfer ausgeführt, welche jich noch im Großh. Kupferftich- 
cabinett zu Mannheim befinden, find überzeugende Beijpiele 
dafür, daß die genialen Werke Abel Schlicht’3 heute noch nichts 
an Kraft, Friſche und Farbigkeit verloren haben und gerade auch 
neben der modernſten Produftion auf dem Gebiete des Zeich- 
nens und der vervielfältigenden Künſte noch wohl beftehen. 
fünnen. Die feinften Nuancen, die jchwierigjten Uebergänge vom 
helliten Licht zum tiefiten Dunkel der Töne vermochte er mit 
jouveräner Meifterjchaft herauszubringen. 

Schliht erhielt in Mannheim eine Anjtellung als fur« 
pfälziſcher Hofbaumeijter und im Düſſeldorf eine jolche ala 
Profeſſor an der dortigen Kunſtakademie. 

Ueber das Ende des an Kämpfen reichen Lebens diejes 
Künstlers ijt nichts bejtimmtes befannt. Nagler gibt das Jahr 
1826 als das Todesjahr desfelben an. Die Thütigfeit 
des Künjtlers in Mannheim läßt ſich bis zum Jahre 1791 
verfolgen, was die Behauptung Roſts, Schlicht jei 1790 ge 
itorben, hinfällig macht. Beſonders auch die Entwürfe diejes 
Künftlers zu Theaterdecorationen zeigen den Hocdjitand der 
Mannheimer Theatermalerei im 18. Jahrhundert. 

Einen anderen, jehr begabten Künjtler hatte Duaglio von 
Stuttgart aus nah Mannheim gezogen und zwar den 1748. 
in Straßburg geborenen Maler Matthias Klotz, der Schüler 
Guibals und Scotis war, des damals in Stuttgart wirkenden 
Theaterardhiteften und Frescomalers. 

Durch die gut gemalten landjchaftlihen Hintergründe, die 
Klotz feinen Bildniffen zu geben wußte, wurde Quaglio auf 
diejen Künftler aufmerfjam, um ihn ganz für die Landichafts- 
malerei und zwar für die decorative Landjchaftsmalerei zu ge- 
winnen. ' | 

Den großen körperlichen Anftrengungen, die mit der Deco- 


216 Die Baukunſt Aleſſandro Galli Bibiena's x. 


rationdmalerei verbunden find, war jedoch Matthias Klo nicht 
auf die Dauer gewachſen. Er zog fi, als er mit dem Hof 
1778 nad) München übergefiebelt war, von ber Decorations- 
malerei, die er vorzüglich geübt Hatte, zurüd und wandte fich 
ausichließlich der Bildnigmalerei zu. Durch Anwendung eines 
eigenen, von ihm erfundenen Farbenſyſtems, über das er 1816 
bei Giel in München ein Buch herausgab, wußte er die Bild. 
niffe feiner legten Zeit weit bedeutender wie bie jeiner früheren 
zu geftalten und jich damit einen neuen Auf zu machen. Der 
Künftler jtarb im Alter von 73 Jahren als Königlich Bayriſcher 
Hofmaler in Münden, 

Ein Sohn diejes Meifters ijt der 1773 in Mannheim ge- 
borene Maler Caspar Kloß, der durch fein gemalte Miniatur: 
bilder bald zu Auf und Anjehen fam. Kurfürft Karl Theodor 
und König Marimilian ſchätzten ihn Hoch und gewährten ihm 
die Vergümftigung, immer neue Studien in Paris und Wien 
machen zu können. Caspar Klo wird auch als Erfinder eines 
Inſtruments genannt, das zu anatomijhen Mefjungen behufs 
richtiger Zeichnung des menjchlichen Körpers dienen joll. Der 
Tod des Künftlers fällt in das Jahr 1845. 

Lorenz Quaglio jollte ſich Hier auch als Architekt in einer 
bedeutungsvollen Sache bewähren. Er war es, nad deffen 
Plänen das zu großen Thaten auserjehene Hof- und National- 
theater erbaut wurde. Er wußte mit vielem Geſchick ein bis- 
heriges Scütt- und Rüſthaus, das als Fruchtſpeicher und 
Urjenal gedient hatte, gleihjam als Grunbdftod für den Bau 
diejes Theaters zu verwenden. 

Nach dem Plage zu wurde das Haus an beiden Seiten 
durch etwas vorjpringende Gebäubdetheile und in der Mitte 
durch einen von Gäulen getragenen und mit Figuren ge- 
ihmüdten Balfon, duch ein Giebelfeld mit einem Relief, Die 
Muſen darjtellend, und durch einen auf der Höhe des Giebel- 
feldes thronenden Apollo reicher geftaltet. 

Das Haus war urjprünglich nur dreiftödig. und trug ein 
malerijch gegliedertes Dad. Bon der faftenartigen Form, die 
es erſt in neuerer Zeit erhalten, war damals noch nichts zu 


Die Baukunft Aleſſandro Galli Bibiena's x. 217 


ſehen. Wie heute noch wirkte es auch damals jchon durch 
feine impofante Länge. Der ganze Umfang dieſes Gebäudes 
wird auf etwa taujend Fuß geſchätzt. 

Die nördlich und ſüdlich nach den Straßen zu liegenden 
Facçaden find gleichfall3 je mit einem Balkon geſchmückt, ber 
von acht Säulen gejtügt wird und Muſik und Tanz verfinn- 
bildfihende Figuren trägt. Diefe an den Facçaden ftehenden 
Figuren, jowie Die dazwijchen angebrachten Urnen find Arbeiten 
des Bildhauers Johann Matthaeus van den Branden. 

Früher befanden fich zwifchen den etwas vorjpringenden 
Edflügeln und dem vortretenden Mittelbau der Wejtjeite des 
Theater Feine, von Gittern abgejchloffene Höfe. An den 
Thoren diejer Höfe waren vier Termen aufgeitellt, die je eine 
Sphing trugen. Dieje Termen mit ihren Gejtalten wurden 
jpäter bei dem Umbau des Theaters 1853 entfernt und ge- 
langten in dem Garten der Schmudert’ihen Villa zur Auf- 
jtellung, wo fie bi! zum kürzlichen Abbruch bes Gebäudes eine 
Zierde der Rheinſtraße bildeten. Hoffentlich findet fich für 
dieje intereffanten Werke des Hofbildhauers Konrad Link eine 
andere, zur Öffentlichen Aufftellung geeignete Stätte in Mann- 
heim.*) 


*) In feinen Studien zur Geichichte der bildenden Künſte jchreibt 
Prof. Mathy über diefe Arbeiten Links: „Die vier Sphingen ähneln denen 
Verfchaffelts, die vor dem Apollotempel des Schwekinger Schloßgartens 
fagern. Die Köpfe find im felben Gefhmad frifiert wie die Mufen van 
den Brandens; auch ihre Gefichter haben bdenfelben Haffiihen Typus; 
durch verfchiedene Embleme, auf welche fie ihre Vordertagen ftreden, werben 
fie zugleih als Mufen des Theaters cdarakterifirt; nad einer Aufzeich- 
mung aus Schmuderts Hinterlaffenfchaft, die mir durch die Güte bes 
jegigen Befigers, Herrn Emil Kahn, zugänglidy geworben ift, wird die eine 
Ktalliope, die andere mit ber Larve Thalia, die dritte Melpomene, Die 
vierte mit ber Flöte Grato oder auch Euterpe genannt. Aber es macht 
eher den Eindrud, als hätten die holden Ungeheuer die Unglücklichen, welche 
die Räthſel der Bühnenfünfte nicht zu löſen vermochten, ihrer thebanifchen 
Ahnfrau gleich in den Abgrund geftürzt und ſich der Spolien bemädhtigt. 
Die eine lagert auf Kriegswaffen: einem pfeilgefüllten Köcher, einem 
Schilde, einem Helme und einer Trompete; ihre Nachbarin hat ein Tam—⸗ 
bourin, eine Doppelflöte, einige Bücher, Noten und den Strohhut einer 


218 Die Baukunſt Aleſſandro Galli Bibiena’s x. 


Um über bie uriprüngliche. Gejtaltung bes Innern des 
Theater8 näheres zu erfahren, iſt man genöthigt, wieder auf 
Rieger Bericht vom Jahre 1824 zurüdzugreifen, der aller» 
dings nach dem eriten Umbau im Jahre 1821 geichrieben 
ift, aber doch auf die erſte Art des Theaterinnern vergleiche» 
weije zurüdfommt und wie folgt lautet: 

„Das ganze Speftatorium, welches Hinfichtlich jeiner Aus- 
ihmüdung düſter und unheimlich ausjah, erhielt erjt im Jahre 
1821 jein jegiges freundliches Gepräge. Das frühere Plafond— 
gemälde jtellte Aurora, welche die Nacht verſcheuchte, dar.. Jetzt 
erblidt man da eimen großen Ring, welcher in der Runde 
herum verjchiedene Sinnbilder, Masten, Thyrjusitäbe und 
dergl. trägt. Durch diejen Ring blidt man in ben blauen 
Himmel. Bon der Mitte aus, wo der Lüſtre herabhängt, ver- 
breitet eine weit jtrahlende Sonne ihr Licht. — Bier große, 
bis unter das Gefimje reichende, forinthirche Säulen mit grau 
und weiß melirtem Schaft und vergoldeten Klapitälern jchließen 
das PBrojcenium ein. Auf deffen Wordertheil erblidt man in 
ber Mitte das Bildniß des athenienfiihen Trauerjpieldichters 
Sophofles. Diejes Medaillon war ehemals von zwei er- 
babenen jchwebenden Figuren, die Zeit und den Ruhm vor- 
jtellend, getragen. Dieje jind aber, jo wie drei auf jeder Seite 
diejes Hauptbildes noch befindlich gewejene Fleinere Mebaillons, 
antife Zierathen und theatralijche Sinnbilder, bei der Reſtau— 
ration hinweggenommen worden. Die dafür hingemalten Ara- 
besken jind unbedeutend. ... Auf dem vorigen Vorhange er- 
blickte man den Genius der Pfalz, der fich den Künſten und 


Schäferin erbeutet. Auch das andere Paar ruht auf dien Folianten: 
die eine hält noch zwei Theatermasten unter ihren Klauen, die andere mit 
büfterem Gefihtsausdrud, das Haupt von einem Tuche umfchlungen, bie 
langen Strähnen des aufgelöiten Haares auf der Bruſt verfnotet, ift übers 
dies durch einen Dolch und eine Giftichlange als Allegorie der Tragöbie 
gekennzeichnet.“ Uebrigens ſcheinen die Gefichter diefer Sphinrgeftalten 
— mie dies auch in Schwegingen zu bemerken iſt — Portraits damaliger 
Hofdamen zu fein — eine realifch intereffante Verbindung von — und 
allegoriſcher Kunſt, die heute wieder modern iſt. 


Die Baukunit Aleffandro Galli Bibiena's ze. 219 


Wiffenjchaften weihete. Er trat aus dem Tempel der Mufen. 
Ganz nahe dabei ftand ein Altar, der von dem pfälziichen 
Löwen bewacht wurde. Thalia und Melpomene näherten ſich. 
Der Genius ftredte mit freundlicher Miene die Hand nad 
ihnen aus, indeſſen er — die andere erhob, um den Scaß 
Apollos und Minervas zu erbitten, die in den Wolfen nieder- 
ichwebten. In der Entfernung jah man die Vereinigung des 
Neckars mit dem Rheine und einen Theil der Gegend um Mann» 
heim mit der Ausficht auf das Schloß zu Heidelberg... .. 
Der Heine Konzert und Redoutenjaal liegt in dem Vorderge— 
bäude rechts. Er ijt unter der Auffiht Quaglios in antifem 
Geſchmack ausgemalt worden. Das ovale Plafondgemälde jtellt 
den Triumph der Venus vor, die in dem Olymp den goldenen 
Apfel zeigt. Vierzig verichiedene Figuren find in Gruppen auf 
dem Ganzen vertheilt. Es ijt von Leydensdorff gemalt. Die 
Gruppen über den Eingängen und die Basrelief3 an der Dede 
und den Wänden find auch von ihm. Die Architektur, gemalte 
Säulen, ein von diejen getragenes Hauptgefimje zc. rührt von 
Joſeph Quaglio her. Mehr als diejer zieht der große Konzert- 
und Redoutenjaal die Aufmerkjamteit an. Er iſt ein wahrer 
Prachtſaal. Durch das Portal auf dem am Plahe liegenden 
Flügel des Theatergebäubdes gelangt man auf einen Vorplatz. 
Hier führt eine aus 58 Stufen bejtehende Treppe auf ben Vor— 
plaß ber zweiten Etage und in den dritten Stod. Alle Bände 
find hier mit Basreliefs, jonijchen und korinthiſchen Wand» 
jäulen, Bachanale, ganzen Figuren und Trophäen geſchmückt, 
die Gipsarbeiten find von Pozzi. Auf der Mitte des oberen 
Vorplatzes führt eine große Haupt- und Flügelthür in ben 
herrlichen Saal... . Rund herum wird eine jchöne Gallerie, 
welche den dritten Stod einnimmt, von 24 jonischen Säulen 
getragen. Die in den Kanten etwas gewölbte Dede ijt über 
der Gallerie mit vergoldeten Rojetten, Yaubwerf, Arabesken ꝛc. 
und über der Mitte des Saales mit einem grau in grau ge- 
malten Plafond, auf weldem man den Tempel Apollos, ver- 
jchiebene. opfernde Figuren u. j. w. erblidt, geziert. Die ganze 


220 Die Baukanſt Aleffandro Galli Bibiena's x. 


Ausſchmückung rührt von Leybensborff, Pingetti, Klo und 
Sulius Duaglio her.“ 


Aus diefem Bericht erfieht man u. A., daß ber malerijche 
Wandſchmuck des Heinen und bes großen Eoncert- und Rebouten- 
Saales im Theater 1824 nad dem erften Umbau noch erhalten 
war. Auch die Leydensborff’shen Malereien find erſt bei 
fpäteren NRenovationen und Umbauten verihwunden. Johann 
Anton von Leybensborff (geb. 1722 zu Reita in Zirol) ift 
einer der wenigen Künftler jener Zeit, die heute noch allge 
meiner befannt geblieben find, wie dieſer Maler heute jelbft 
noch in tiroler Neifeführern genannt wird. Seine Hauptwerfe 
ſchuf er in ber Stiftsfapelle zu Innsbrud und in ber Kuratie— 
kirche auf dem Schönberg bei Innsbrud. 


In Mannheim bat er verhältnigmäßig wenig hervorragen- 
des geichaffen. Hier wurde er zu feinem eigenen Leidweſen 
zumeiſt als „Xheaterfigurenmaler” von QDuaglio bejchäftigt. 
Nod erhaltene gute Arbeiten von ihm find bier die jchon ge— 
nannten Sürporten im L2ejejaal der Schloß-Bibliothef, ferner 
die Wandmalereien im Mittelbau des Schloſſes, im Breßen- 
heim’schen Hauje. Zu den jchönjten feiner Arbeiten, die in 
Mannheim entjtanden, gehört die große Titelzeichnung zu der 
ihon erwähnten Feitichrift zur Einweihung der Jejuitenfirche: 
„Basilica Carolina.“ Dieje Zeichnung, die von Gebr. Klauber 
allerdings in den Seitenpartien etwas mangelhaft behandelt 
worden ift, läßt die Geftaltungsfraft des Künſtlers außer- 
ordentlich reich und bedeutend ericheinen. 

Das jchönfte Denkmal wurde dem Künftler in Mannheim 
duch die 6 Jahre nad) jeinem Tode erfolgte Herausgabe. einer 
größeren Bublifation über jein Wirken gejegt, die Heute noch 
die Hauptquelle zu feiner Beurtheilung bildet. 

Dieje Publikation erjchien unter dem Titel „Coup d’oeil 
sur la vie, les planches, et les tableaux ex&cut&s par 
Francois Antoine de Leydensdorf, peintre d’histoire de 
8. A. E. P..et'professeur. de l’academie du dessein de Mann- 
heim (Mannheim 1801). Das franzöfiich gejchriebene Werk 


Die Baukunſt Aleſſandro Galli Bibiena’s x. 221 


it geziert mit einer Reihe von Radirungen aus der römifchen 
Zeit des Künftlere. Ein paar eingeftreute meifterhafte Por— 
trait3 Karl Theodors, die man als Verfuche, mit der auf feine, 
rein maleriſche Wirkungen ausgehenden Mannheimer Kupfer» 
jtecherichule Heinrich Siegenich® in Berührung zu kommen, 
deuten möchte, tragen im Grunde doc noch jo ſehr den 
Charakter der römischen Schule des Künftlers an ſich, daß fie 
feider für den Mannheimer Kupferftich nicht in Anſpruch ge= 
nommen werden fünnen. Das Werk feiert den Künftler in«be- 
geijterter Weife und ift, wie gejagt, das jchönfte Denkmal jeines 
Wirkens. 


Mit der Theatermalerei in Mannheim beſchäftigte Lorenz 
Quaglio auch feine beiden Hochbegabten Neffen Joſeph und 
Julius Quaglio, die Söhne des 1723 in Laino geborenen und 
1760 zu Wien geftorbenen namhaften Bildniß- und Hiftorien- 
malers Domenico Duaglio. 

Julius Duaglio wurde ſchon mit 25 Jahren auf Grund 
jeiner al3 vortrefflich gerühmten Arbeiten im Jahre 1789 zum 
Hoftheaterarditekten in Mannheim ernannt und 1800 der Nach- 
folger ſeines zu dieſer Zeit in den Ruheſtand getretenen Onkels 
Lorenz Quaglio in München, doch ereilte ihn dort nad) kaum 
einjährigem Wirken der Tod, 

Un jeine Stelle trat fein Bruder Jojeph Quaglio, der 
durch die von ihm eingeführte Dreipunftperjpective der Decora- 
tiongmalerei neue Impulſe gab und viel bewunderte Proſpecte 
ihuf. Diejer 1747 zu Laino geborene Künftler ftarb 1828 zu 
München im Hohen Alter von 81 Jahren. 

Joſeph Duaglio fam 1770 nad) Mannheim und trat hier 
in furfürftliche Dienjte. 1783 ſehen wir den Künftler in 
München, wo er zuerft die SFeitdecorationen in ber alten Reit» 
ſchule malte und dann als Decorationsmaler wirkte. Auch fir 
die Theater zu Mannheim, Speyer, Schivegingen, Frank— 
furt a. M. hat er Decorationen gemalt. 

Sojeph Duaglio ift der Vater des heute noch befanntejten 


222 Die Baukunit Alejandro Galli Bibiena’s x. 


Mitgliedes der an Talenten reichen Künſtler-Familie Duaglio,*) 
des 1787 zu München geborenen berühmten Architefturmalers 
und Radirer® Domenico Quaglio, der vor Allem mit jeinen 
Gemälden der Dome zu Worms, Köln, Ulm, Straßburg, 
Negensburg, Freiburg u. A., jowie mit zahlreihen Radirungen 
und Lithographien ein jpezielles Gebiet mit großer Meifter- 
ichaft pflegte, ja in Deutjichland begründete. 

Drei andere Söhne de3 Joſeph Duaglio widmeten fich 
ebenfalls der Malerei und genofjen frühzeitig den Unterricht 
ihres Vaterd. Angelo, Lorenz und Simon Quaglio — dies 
find die Namen diejer Söhne — wurden gleichfalls namhafte, 
wenn auch nicht jo berühmte Künſtler, wie ihr vorher ge= 
nannter Bruder, Auch bei ihnen zeigte ji ein ſcharf aus- 
geijprochenes Talent für Theater: und Arditefturmalerei. 

Sojeph Duaglio zeichnete ſich gelegentlid auch in der 
Tresfomalerei aus. 

In Mannheim hatte er wie jein Bruder nad) dem oben 
wiedergegebenen Berichte jchon an der Ausjchmüdung des von 
Lorenz; Quaglio erbauten Komödienhaufes theilgenommen. 
Daß ein Bau, bei dem jolche Künftler mitwirkten, fich zu einem 
außergewöhnlichen Kunſtwerk geitalten mußte, ift jelbftver- 
ſtändlich. 

Und ſo iſt es denn kein Wunder, daß der Leiter dieſes 
Baues, Lorenz Quaglio, in unſerer Zeit noch eine große 


*) Zu der Familie Quaglio gehören noch folgende Künſtler: Julius 
Quaglio der Aeltere, der Stammvater der Familie (1601 geboren), von 
dem ein Selbitbildniß bekannt ift und der von Kaiſer Leopold im den Adel- 
ftand erhoben wurde. — Julius Quaglio der Meltere, Julius Qualeus 
ſich nennend, FFrestomaler, 1720 geftorben. — Johannes Maria von 
Quaglio der Neltere (1700—1765) Ffaiferl. General-Ingenienr zu Wien, 
Vater des Lorenz Duaglio — Johannes Maria Quaglio, geboren 1772 zu 
Zaino, erbielt von dem Sturfüriten Karl Theodor eine Penſion zu feiner 
Ausbildung in Italten. Er weilte etwa 1790—1792 in Mannheim, wurde 
aber dann nah München berufen. — Antonio Ouaglio, Bruder des Joſeph 
Quaglio d. I. (geb. 1749), malte Freskobilder im Winterpalafte zu St. 
Petersburg. — Angelo d. I. 1829/90, Franz und Gugen Onaglio geb, 
1844 u. 1857. 


Die Baukunſt Aleffandro Galli Bibiena's x. 223 


Würdigung fand und fein Werk in einer wichtigen Sache noch 
eine werthvolle Anregung gab. Denn fein geringerer wie 
Nihard Wagner war es, der dem Erbauer des Mannheimer 
Theaters ein großes Lob jpendete und eine bedeutende architef- 
toniſche Idee desjelben für jein großes Unternehmen in Bay- 
reuth in's Auge faßte, worüber er in einem Bericht über „das 
Bühnenfeftipielhaus zu Bayreuth“ folgendes jchrieb: 

‚„Ueber das beleidigend freche Hervortreten des jcenijchen 
Bildes bis zur Betaftbarkeit durch den Zufchauer, habe ich mich 
fürzlich bei Gelegenheit eines Einblides in das heutige deutiche 
Dpernwejen ausgejprochen ; ich Habe dem dort Gejagten hier 
noch hinzuzufügen, daß ich mit wahrer Genugthuung bemerfte, 
wie der gleiche Uebeljtand bereits von einem Theatererbauer, 
aber meiner Kenntniß nad) auch nur von diefem einzigen, näm— 
lich demjenigen des Schaufpielhaufes in Mannheim gefühlt, 
und, joweit dies im heutigen Theater möglich war, dadurch ihm 
abgeholfen worden ift, daß die Projceniumlogen verbannt 
waren, und dafür wirklich ein in den Seiten vertiefter leerer 
Raum zwifchen einem davor jtehenden zweiten Proſcenium die 
Iſolirung des jcenischen Bildes vorbereitete.“ 

So wurde denn in diefem Sinne das erfte deutjche 
Nationaltheater zum Vorbild einer neuen großen Stätte deutjcher 
Kunft. 








A.SCHLICHT. 


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XV. 
Malerei und Kupferftich. 


Einfluß fremder Künitler — Pellegrini — Gebrüder Alam — Johann 

von Sclihten — Guibal — Fratrel — Langenhöffel — Brandt — Die 

Begründung einer jelbftändigen heimifchen und deutſchen Kunſt — Ferdinand 

Kobell — Heinrich Singenih — Die Volfsthümlichkeit des Kupferjtihs — 

Maler Müller — Seine pfälzer Heimathkunſt und feine Verkündigung des 
modernen Realismus. 


Moaren in der Baukunſt und in der Theatermalerei in 
Mannheim vorwiegend fremde Elemente thätig, ſo entwickelte 
ſich auf dem Gebiete der reinen, nicht mit der Architektur ver— 
bundenen Malerei gar bald ausgeſprochenes ſelbſtſtändiges 
Schaffen, das ſchließlich zur Mitbegründung einer neuen 
deutſchen Kunſt führte. 

Allerdings wurde die Kunſtſphäre Mannheims durch all' 
die bedeutenden von auswärts hierher gezogenen Künſtler raſch 
auf eine Höhe der Zeit überhaupt erhoben, was den hier auf— 
wachſenden, lernenden und ſchaffenden Künſtlern zu Gute kam, 
ja auch die Anſprüche, die man hier an die Kunſt überhaupt 
machte, raſch aus kleinſtädtiſchen Anfängen zu den höchſten 
damals giltigen Graden ſteigerte. 

Betrachten wir zunächſt noch einige dieſer fremden Künſtler, 
die hauptſächlich noch auf dem Gebiete der decorativen Malerei 
wirkten, um dann das Emporwachſen eigener, ſelbſtſtändiger 
Kunit in's Auge zu fallen. 

Deler, Geihichte ber Stadt Mannheim 15 


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Dee Waffenplay (Place d’Urmes) in Mannheim 1282 (jegiger Paradeplag). 





Malerei und Kupferftich. 227 


Es handelt ſich zunächjt noch um einige fchon vorher als 
Plafondmaler des Schlofjes genannte Künstler. Wohl ber erjte 
Künstler, der ſchon unter Karl Philipp die Kunftiphäre Mann» 
heims zu ungewöhnlicher Höhe zu erheben begann, war Antonio 
Pellegrini (Bellegrine). Diejer Künftler, um den fich damals 
die hervorragenditen Kunftitädte Europas förmlich rilfen, ver- 
fügte über eine große PVirtuofität umd entwicdelte in jeiner 
Malerei eine graziöje Leichtigkeit, die jehr anziehend wirkte, 
doc eine gewiſſe TFlüchtigfeit zeigte. Dem Maler (1674 zu 
Padua geboren) wurde bei feiner Vielbegehrtheit die Zeit zu 
Geld und, begabt mit dem praktischen Sinne des Jtalieners, 
wußte er durch eine Art Schnellmalerei große Summen Geldes 
in feine Tafche zu bringen. In Dresden z. B. ließ er fi 
zwei Dedengemälde in dem dortigen Bibliothefsgebäube mit 
der damal3 unerhörten Summe von 29000 Thalern bezahlen. 

Bellegrini trat 1722 in furpfälziiche Dienjte. Außer im 
Mannheimer Schloffe, wo er mehrere Dedengemälde ausgeführt 
hat, malte er damals aud im Schlofje zu Bensheim ver- 
ſchiedene Freskobilder. Er wurde jpäter Mitglied der Akademie 
zu Paris und ftarh im Jahre 1741. 

Unter den am frühejten in Mannheim thätigen Künjtlern 
find vor allen auch die Gebrüder Cosmas Damian Ajam und 
Egid Duirin Aſam hervorzuheben. Während von Egid Quirin 
Alam der größte Theil der wunderbaren Studdeden der Schloß: 
räume herrührt, hat jein Bruder Cosmas Aſam eine Reihe 
guter Plafondgemälde ausgeführt, jo die jchon erwähnten 
Dedengemälde in der Jejuitenfirche und der Schloßfapelle, ſo— 
wie die Dedengemälde des Ritterſaales und des Veſtibüls im 
Mittelbau des Schloſſes. 

Das eine Niejenfläche genial bewältigende Plafondgemälde 
des Ritterjaales, bei deifen Reitaurirung der Name des Malers 
neu fejtgejtellt werden konnte, verfinnbildlicht den Sieg des 
Chriſtenthums über das Heidenthum. 

Die drei Dedengemälde des Veſtibüls jtellen das Urtheil 
des Paris (Meittelbild), den Wirfungsfreis des Aeolus und 


15* 


228 Malerei und Kupferitich. 


die Werfjtätte des Vulkan (Seitenbilder) vor. Die naive Leber: 
tragung der alten Götterwelt auf die Zeit des Künftlers fällt 
bejonders bei dem leßteren Bilde auf, wo Vulkan z. B. auch 
als der Herjteller von Stanonen und von Kriegswaffen neuerer 
Zeit geichildert ijt. Gleichfalls wird dieſem Künſtler das 
Dedengemälde in der Aula des alten Gymnaſiums zuge: 
ſchrieben. Es iſt perjpectiich intereffant behandelt und hat die 
Speijung der Armen durch Ehrijtus zum Gegenftand. Auch 
hier ift der Stoff in die neuere Zeit hineinverwebt, indem auf 
dem Bilde Kurfürſt Karl Philipp und der Kurprinz Karl 
Theodor bei der Vertheilung der Brode an die Armen mit- 
helfend dargeitellt find. Durch das ſich ergänzende Zuſammen— 
wirfen diejer beiden Künſtler gejtalteten fich die von ihnen ge= 
ihaffenen Innendeforationen zu ganz jelten jchöner Harmonie. 

Die Ajams arbeiteten etwa in den Jahren 1725—32 in 
Mannheim. Bon hier aus wandten jie fih nah Münden, 
doch waren fie zeitweilig auch an zahlreichen anderen Orten 
thätig, fih an der Ausſchmückung von Kirchen, Klofter- und 
Schloßbauten betheiligend, jo in Freiſing (Domkirche), Ingol— 
jtadt (Congregations-Saal), Innsbrud (Jacobskirche), Negens- 
burg (Emeran-Kicche), bei Bamberg (Mariahilfs-Kirche), in 
Schleißheim (Kuppel des Schloßvejtibüls) u. j.w. In München 
ihmidten die Künjtler u. A. die Franzisfanerfirche und er» 
bauten 1733-46 die Johannisfirhe. Die in Holz geichnitte 
Figur des St. Peter in der Vetersfirche zu Münden ift ein 
Meijterwerf des Egid Ajam. Die beiden Künftler find in 
Bayern geboren: Cosmas zu Benediftbeuren (1686), Egid zu 
Tegernjee (Jahr unbekannt), Als Zeitpunfte ihres Todes 
werden die Jahre 1742 und 1746 angegeben. 

Zu den Stünjtlern der Zeit Karl Philipps gehört auch der 
1720 von diejem Fürſten nah Mannheim berufene Maler 
Sohann Philipp von Schlichten, ein Schüler van der Werff's. 
Er blieb dauernd in Mannheim und malte bier eine Reihe 
Fürftenbildniffe, ſowie Genreſtücke und SHeiligenbilder (die 
Gemälde „Der Landmufifant* und „Der heilige Andreas“ 
famen in die Pinakothek zu München). 


Malerei und Kupferitidh. 229 


In Mannheim geboren (1825) it der Sohn dieſes 
Künftlerd Johann Franz von Schlichten, der jeine Ausbildung 
zum Künftler in Italien (in Rom bei Conca, in Bologna bei 
Torelli) vollendete. Wie Leydensdorff zeichnete er ſich durch 
täufchend gemalte „Reliefs“ aus und hat bei vielen Diejer 
merkwürdigen decorativen Malereien des Schlofjes mitgewirft. 
In Delfarben führte er zahlreiche Genrebilder in niederländifcher 
Art aus. Seine Bildniffe wurden bald hochgeihäßt und von 
hervorragenden Stechern in Kupfer geftochen. Er übertraf 
jeinen Vater durch die Kraft des Ausdruds. Von ihm wurden 
aud) eine Reihe von Anfichten Mannheims mit der Feder ge- 
zeichnet, die Gebr. Klauber zu Augsburg in Kupfer jtachen umd 
die 1782 gejammelt erjchienen. Einen neuen Abdruck der 
Blatten veranftaltete 1856 die Buchdruderei des katholiſchen 
Bürgerhofpitals zu Mannheim. Aus diejer Sammlung ftammen 
aud) die hier wiedergegebenen Anjichten des Aheinthores und 
des Nedarthores, des Theaters und des Zeughauſes. Der 
Künstler ftarb 1795 als Director der furfürftlichen Gemälde» 
Galerie zu Mannheim. 


Eine Reihe franzöfiiher Maler trat gleichfall3 mit der 
Stadt Mannheim in vorübergehende oder dauernde Verbindung. 


Der erjte diefer Künjtler, der jchon unter Karl Philipp 
hier etwa im Jahre 1729 arbeitete, war der jchon oben ge= 
nannte Maler Godreau, der Schöpfer des Altarbildes in ber 
Schloßkirche. Vorübergehend weilte auch der damals berühmte 
franzöjiihe Portraitmaler Antoine Pesne (geb. 1683 zu Paris, 
geit. 1757 zu Berlin) in Mannheim, der u. U. auch ein gutes 
Bildniß Karl Philipps malte. Diejes Portrait machte der 
Kurfürft „dem Feldmarjchall jeiner Armeen“ Heren von Gryjaud 
zum Gejchenf. 


Längere Zeit währte der Aufenthalt des damald name 
haften Malers und jpäteren Stuttgarter Galeriedirectors 
Nikolaus Guibal aus Luneville, dort 1725 geboren. Der 
Künftler fam mit 16 Jahren nad) Paris und empfing dajelbit 
jeinen Unterricht bei Charles Natoire, dem damals berühmten 


230 Malerei und Kupferitich. 


Maler und Stecher, der in jeiner Weile zu Paris ähnliche 
Ziele verfolgte wie Raphael Mengs in Dresden. 

Guibal wandte fich denn auch von Paris nad Dresden, 
um auch von Mengs Unterricht zu genießen, und jchrieb jpäter 
eine Abhandlung über diefen Meiiter. 

Dennoch ließ fich Guibal von Mengs eigentlih nur wenig 
beeinfluffen und jein eigener lebhafter Sinn war nicht in 
Feſſeln zu legen, auch troßte eine gewiſſe natürliche Grazie 
jeiner Art jeder rein formellen seierlichkeit. 

Goethe erwähnt Guibal in jeiner Schrift über Wintel- 
mann und jchildert die Forderungen des Meijters (Menge) und 
die Art der Schüler in folgender Weile: „Ernſte jtrebende 
Naturen verzweifelten, daß fie die unendlichen Schwierigfeiten 
würden überwinden fünnen, an andern, die ein bloß zum 
Praftiichen fich neigendes Talent hatten, wie Knoller, Guibal, 
Unterberger, gleitete das Ernte ab, fie überließen ſich ihrer 
Natur, und man erfennt Mengs Schule in ihren Werfen nicht 
aus der wohlverjtandenen Zeichnung ſchöner gewogener Formen, 
jondern bloß an hellen, muntern Farben und herrichenden gutem 
Ton im Allgemeinen.“ 

Dieje Selbjtändigfeit und Neigung wohl mehr zum Lebendigen 
als zum Praktiſchen wird heute diejen Künstlern Niemand mehr 
zum Vorwurf machen. 

Tie von Goethe als hell und freundlich characterifirten 
Farben bemerft man auch an dem allerdings reitaurirten Ge— 
mälde Guibals „Aurora* im Badhauſe zu Schwegingen und 
an einigen jeiner Surporten im Großh. Schloffe. Der Künftler, 
der etwa Ausgangs der fünfziger Jahre des 18. Jahrhunderts 
in Mannheim wirkte, jtarb als württembergijcher Hofmaler zu 
Stuttgart um das Jahr 1790. 

Ein weiterer franzöfiicher Künjtler gewann ein dauerndes 
Berhältnig zur Stadt Mannheim und blieb bis zu jeinem 
1783 erfolgenden Tode hier thätig. Es ijt dies der 1730 zu 
Epinal geborene Maler und Kupferjtecher Joſeph Fratrel. 

Seine Kunſt iſt ſpezifiſch franzöfiiher Art. Er Huldigte 
einem Klaiiicismus, den er liebenswürdig und mit einer ge= 


Malerei und Kupferſtich. 231 


wiffen Grazie auszujprechen vermochte. Seine Fürften-Apotheofen 
und Bildniffe trugen ebenfalls dieje Art an fih. Doc) führte 
er auch einige andere Bildniffe und zwar in Nadirung aus 
— jo ein Portrait jeines Freundes Lambert Krahe, des 
Maler des Plafondgemäldes in der Schloßbibliothet. Eine 
Reproduction diejes vorzüglichen auf dunklem, tiefem Grunde 
wie in leuchtenden Farben behandelten Bortraits findet fich auf 
Seite 203 diejes Buches. 

Tratrel wurde von Nancy aus, wo er Hofmaler be3 
Königs Stanislaus war, von Karl Theodor nah Mannheim 
berufen. Er iſt 1730 zu Epinal in Lothringen geboren. Fratrel 
begab fich nad) Paris, um dajelbit die Rechtswiſſenſchaft zu 
jtudiren, ging aber bald zur Malerei über und wählte fich 
U. Baudovin (aus der Schule Bouchers) zum Lehrer, deſſen 
Lascivitäten er jedoch nicht nachahmte. 

Fratrel war aud als Kunstichriftiteller thätig, Er trat 
mit großem Freimuth und ohne ſich durch jeine eigene Art 
beichränfen zu Laffen, für andere und jüngere Künſtler neuerer 
Richtungen ein, jo 3. B. Half er dem ausgezeichneten Mann 
heimer Kupferjtecher Heinrich Singenich freie Bahn brechen. 
Auch verfahte er eine interejfante Schrift über die Wachs— 
malerei, die er mit Vorliebe übte, und gab das Buch unter 
dem Titel „La cire alliee avec l’huile ou la peinture à 
huile-cire, trouvee a Mannheim par M. Charles Baron de 
Taubenheim, 1799, heraus. 16 Jahre nad) dem Tode des 
Künftlers erjchien in Mannheim eine Sammlung jeiner Ra- 
dirungen (17 Blätter). Bon jeinem Schaffen nahm man aud) 
in Paris Notiz, und es brachte der Moniteur vom 30. Auguft 
1806 eine eingehendere Würdigung feiner Kunft. 

Ein Sohn Tratrels war noch lange in Mannheim als 
Miniaturmaler tätig, und noch heute leben hier Nachkommen 
diejer Künftlerfamilie, 

Aber troß all der fremdländiichen, zumeiſt romanifchen 
Kunjtbethätigung in der Stadt Mannheim nahmen immer 
mehr die Regungen zur Gründung einer eigenen deutfchen 
Kunſt zu. 


232 Malerei und Kupferſtich. 


So wuchs der 1703 in Mannheim geborene hochbegabte 
Bortrait- und Hiftorienmaler Georg Dathan in einer folchen 
Sphäre heran, die jeiner Kunſt jelbjt eine rejpectable Höhe 
gewinnen ließ, jodaß er auch auswärts rajch befannt wurde. 
Bon ihm gelangte in die Dresdener Gemäldegalerie ein alle 
goriiches Bild der Bermählung der Prinzeſſin Maria Jojepha, 
Tochter Auguft’3 „des Starken“ (Kurfürjten von Sachſen und 
Königs von Polen), mit dem Sohne des Königs Ludwig XV. 
von Franfreih. Das Bild it im Jahre 1747 gemalt. 

Unter jeinen zahlreichen Portraits aus der Mannheimer 
Geſellſchaft und Künjtlerwelt jei bejonders das Bildniß des 
Bildhauers Paul Egell erwähnt, das von Haid in Kupfer ge= 
jtochen wurde. 

Ein Schüler Krahes, Johann Jojeph Langenhöffel wurde 
1782 von Düſſeldorf nah Mannheim berufen. Hier wirkte er 
etwa bis 1795 als Hofmaler und Galeriedirector, wandte jich 
dann in den Kriegsjahren nad) Wien, wojelbjt er 1805 jtarb. 
Ihm rühmt man eine außergewöhnliche geiltige Bildung nach, 
die jedoch das natürliche Temperament beeinträchtigt haben mag, 
denn jeinen Bildern haftet doch etwas Erfünfteltes und Leb— 
[oje an. 

Ein Kunſtgelehrter verjpottete daher mit Recht den da— 
maligen Enthufiasmus der Mannheimer Zeitung, die in ihrem 
Jahrgang 1786 Nr. 144 mit dem Wirken Langelhöffels in 
Mannheim das „Zeitalter des Werifles“ wiedergefommen 
wähnte. 

Abgejehen von ſolch' Lächerlichen Webertreibungen war 
Langenhöffel ein gewiß ernit zu nehmender Künſtler, der in 
jeiner Zeit manches Tüchtige jchuf. Für die Galerie zu Mann 
heim malte er ein Bild des Homer, für den Herzog von Zwei— 
brüden eine „Venus mit Amor“, für den Domherrn von 
Hutten eine „heilige Familie“, für den Erbjtatthalter der ver- 
einigten Niederlande zwei große Gemälde aus der römiſchen 
Geſchichte. Man fieht daraus, daß jein Schaffen damals eine 
weitgehende Würdigung fand. 

Den Kurfüriten Karl Theodor feierte er durch ein Bild» 


Malerei und Kupferſtich. 233 


niß und eine allegoriſche Zeichnung zu dem 50jährigen Re— 
gierungsjubiläum des Fürſten, die der verdienſtvolle Kupfer— 
ſtecher Egidius Verhelſt in Kupfer ausgeführt hat. 

Ein weiterer Schüler Krahes war der Hiſtorien- und Por— 
traitmaler Johann Wilhelm Hofnaas, 1727 im Bisthum 
Münfter geboren. Er jtudirte 1753 in Rom und errang zu 
Dresden, wo er auch bei Raphael Mengs lernte, ben eriten 
akademischen Preis. 

In Mannheim wurde Hofnaas zu dem Wirken als Hof- 
maler und Profeſſor der Akademie auserjehen. Er malte hier 
und in Mainz, Frankfurt und Regensburg zahlreiche Portraits 
und Familienſtücke, ſowie hiſtoriſche Blätter in Sepia. 

Seine Bildniffe find mit großer Sicherheit im Ausdrud 
der Geſichtszüge behandelt und feine hiftoriichen Compofitionen 
find lebhaft und Klar gejtaltet, wenn auch manche Härte mit: 
unterläuft. Der Tod diejes Künſtlers erfolgte 1795, in welchem 
Jahre in Mannheim der Tod überhaupt unter den Künftlern 
eine reiche Ernte hielt. 

Sein Sohn Lorenz Hofnaas ift in Mannheim 1772 ge- 
boren. Er empfing bier noch von jeinem Vater werthvollen 
Unterricht im Zeichnen und Malen. In München als Profeſſor 
der Zeichnenkunft im Königl. Kadettenhaus angeftellt, entfaltete 
er in der Iſarſtadt eine rege Thätigkeit als Miniaturmaler, 
als Zeichner (in Sepia) und als Maler heiliger Legenden und 
Hiltorien. Er jtarb hochgeehrt als Mitglied der Königl. Aka— 
demie und Königl. Rath im Jahre 1837 zu München. 

In Mannheim jpielte fich die längſte Zeit des jehr wejent- 
fihen Wirfens des vorzüglichen Portraitmalers Heinrich Karl 
Brandt (auch Brand gejchrieben) ab, der jedenfalls der zweit- 
ältejte Sohn des 1695 zu Frankfurt a. D. geborenen und gegen 
1750 zu Wien gejtorbenen Landichaftsmalers Chrijtian Hülfgott 
Brandt ijt. Der Schreiber dieſes Buches hat jchon früher auf 
diejen damals in Mannheim wirkenden Künftler hinzuweiſen 
verjucht, und e3 wäre ein Leichtes, dieſen Himweis durch den 
Abdruck weiterer Aftenjtüde zu verftärfen. Allein in Mannheim 
ſprechen des Künſtlers Werke jelbjt im Bregenheim’schen Haute, 


234 Malerei und Kupferſtich. 


in den Sammlungen des Alterthumsvereins und in hieſigem 
Privatbefit genügend für die dauernde Beadhtung der Thätig- 
feit Brandts. Zahlreiche jeiner Bildniffe, die Kraft im Ausdrud 
und eine gewifje Kühnheit in der Anlage zeigen, wurden in 
Kupfer gejtochen.*) Brandt ift 1724 zu Wien geboren, jtudirte 
dajeldjt bei Meytens, um in Paris feine Studien zu vollenden. 
Bei Begründung der Mannheimer Zeichnungsakademie wurde 
er Profeſſor und Secretär dieſes Hinfichtlich jeines Werthes 
jehr anzuzweifelnden Inſtituts. Durch fein ungezügeltes Leben 
verftridte er fih im Fährlichkeiten und Schulden, die ihn 
ichließlich in den Tod trieben. Der Künftler machte im Mai 
1787 zu München jeinem Leben durch Gift ein Ende. Daß er 
troß jeiner tüchtigen Kunjtbegabung feine jonderliche geijtige 
Potenz war, beweijen in vieler Beziehung feine Hinterlafjenen 
Niederichriften. 

Es iſt höchſt merfwürdig zu Sehen, wie ichon hier in 
Mannheim damals fünftleriiche Ziele verfolgt wurden, die ſich 
die allerneuejte Zeit erit wieder vorgenommen hat. 

Der heute moderne Realismus erhob damals ſchon er— 
wachend jein Haupt, um aber bald wieder durch die Dede und 
Zangweiligkeit anderer Beftrebungen in den Schlaf gelullt zu 
werden. 

Zunächſt handelte es fich darum, der Kunſt dem feiten 
Boden der Natur zu gewinnen umd jie von der Nachahmung 
rein formeller Dinge zu befreien. 

Das Rokoko Hatte ſchon viel von dem Formenreichthum 
der Natur und ging feine eigenen Wege. 

Eine neue Kunſt wollte nun noch den großen Schritt in 
das volle Zeben und in die volle Natur Hinein unternehmen 
und fi) von jeder zeitlichen ftiliftiichen Sonderheit befreien. 

Jeder Künſtler jollte rein von fich aus die Natur werthen 
und jie in jeiner eigenen Auffaliungsweije wiedergeben. 








*) Gin Bild des ältejten Bruders des Stünitlers, Johann Chriftian 
Brandt (1723—1793), eine Landſchaft mit Thieren befindet fich in ber 
Großh. Gemäldefammlung des Schloiles, 


Malerei und Kupferſtich. 235 


Man begann ſich wieder an die nordiſchen Meiſter zu 
halten und vermied die Ausbildung in Italien. Nur einen 
italieniſchen Meiſter erhob man noch auf den Schild: den— 
jenigen, der der klaſſiſchen italieniſchen Kunſt entgegenſtand, den 
auch heute wieder neu geſchätzten Salvator Roſa. 

Beſonders drei Künſtler vermochten es, realiſtiſche Be— 
ſtrebungen damals hier in Mannheim zum Durchbruch zu 
bringen und damit einen Grund zu legen, auf dem die 
realiſtiſche Kunſt einer ſpäteren Zeit weiterbauen konnte: der 
Maler und Radirer Ferdinand Kobell, der Kupferſtecher Heinrich 
Sintzenich und der Dichter und Maler Friedrich Müller. Dieſe 
drei Künſtler ſind Söhne der Pfalz und Kobell und Sintzenich 
in Mannheim geboren. 

Wenn je ein Künſtler mit Mannheim und ſeiner land— 
ichaftlichen Umgebung fich auf's Innigjte zu verbinden wußte, 
jo war dies Ferdinand Kobell. 

In der Umgebung Mannheims, die durch ihr von Wafjer 
durchfloffenes Flachland an Holland erinnert, gewöhnte er ſich 
von Jugend an, mit den einfachiten Motiven jeine feine Natur: 
empfindung zu verknüpfen, um jpäter darnad) tiefere und 
ihönere Werke zu jchaffen, als andere Klünftler mit den dank— 
barſten Motiven der beliebtejten Tourijtengegenden. 

Dies betrifft beſonders Kobells Sepia- und Tujchzeich- 
nungen. Faſt alle dieje Blätter radirte er zugleich, und er 
half damit, ähnlich wie der zuerit in Mainz thätige Kupfer: 
jtecher Edmund Weirotter aus Innsbruck, die deutiche Radir- 
funft zu neuer moderner Höhe zu erheben. 

Eine Sammlung jeiner Radirungen in neuem Abdrudf von 
178 Platten gab Franz Kugler mit einer größeren Einleitung 
heraus (Stuttgart, Berlag von Karl Goepel). 

Als Maler betrachtete Kobell bejonders auch den Italiener 
Salvator Roja als jein Vorbild. Seine Landjchaften beweijen 
dies unverfennbar. Kobell hat verhältnigmäßig nur wenig mit 
Delfarben gemalt, Zwei Bilder in der Mannheimer Galerie 
und die Gemälde im Badhauſe zu Schweßingen, wo fich aud) 
einige von ihm gezeichnete Surporten befinden, find wohl die 


236 Malerei und Stupferitich. 


einzigen bier in feiner Heimath noch öffentlich zu jehenden 
Landſchaften jeiner Hand. 

Ueber Kobell als Maler und den traulichen Familienkreis, 
in dem der Künjtler in Mannheim lebte, liegt eine anheimelnde 
Schilderung einer Freundin des Meijters, der Dichterin Sophie 
La Rode vor, die in ihren Briefen über Mannheim (Zürich 
1791) folgendes jchreibt: 

„Sie fünnen nicht glauben, wie einem jeden wohlgejinnten 
Menſchenkind in Kobell3 Haus jo wohl ijt. Seine Phyſiognomie 
und fein Betragen geben jogleich den Gedanken ein, daß Die 
Natur jelbjt ihn zu ihrem Maler bejtimmen mußte. Er zeigt 
fi) wie eine offene fruchtbare Landſchaft — voll jchöner An: 
höhen und ‘Felder, mit einem jo lebhaft durchitrömenden Fluß, 
der vor dem Auge des edlen gefühlvollen Menjchen verbreitet 
it; — bei jedem Schritt, den man den Hügel aufwärts geht, 
vermehrt jich die Anmuth und der Reichthum der Gegend. 
Ebenjo ijt es mit Kobells Unterredung, je weiter jie geht, je 
mehr Kenntniß jeines Geijtes, — je mehr Güte jeines Herzens 
wird fichtbar; bejonder8 wenn man ihm mit jeiner jchäßbaren 
Gattin und jeinen Kindern fieht, in welchen der Charakter, und 
die Verdienjte der Eltern, in ſtarken, einzelnen Zügen, und 
auch in lieber Miſchung erjcheint. Wie der ältejte Sohn Die 
jtile Sanftmuth der Mutter, der zweyte aber den Kunſtgeiſt 
des Vaters in vollem Maaß erhielt — wie der Character der 
Mutter wieder in der älteren Tochter erjcheint, und maleriſches 


Talent in der jüngeren jich zeigt — in den zwey anderen 
Söhnen aber dieje Eigenjchaften zu gleichen Theilen gemijcht 
find — alle haben Verſtand — mit einer unendlich Heitern 


Gutmüthigkeit und Dienjtfertigkeit verbunden. Das Interefjante 
diejer Familiengruppe wird nocd durch ein junges artiges 
Frauenzimmer vermehrt, welche bei Herrn Kobell die Lande 
ihaftsmalerei jtudirt, wodurch jie einen anftändigen Unterhalt 
zu erwerben Hofft, und indejjen von dem edelmüthigen Mann 
und jeiner rau als Tochter behandelt wird. Ich ſaß eine 
zeitlang neben der Staffeley diejes Künjtlers und jah ihn ganz 
eigentlich die Blätter eines jchönen Birfenbaums jchaffen; denn 


Malerei und Kupferſtich. 237 


fie entfalteten und vermehrten fich jede Minute unter jeiner 
Hand, wie unter den Fingern des Frühlings: am Ende dünkte 
mich ihre leichte Bewegung fichtbar zu jeyn, das Auge und ber 
Pinjel diejes Mannes find ihrer fchöpferiichen Kräfte auch jo 
gewiß, dat er neben dem Malen, von jedem andern Gegenjtand 
philojophiich und geihmadvoll jpriht. Es war mir ein jehr 
glüdliher Tag, an welchem ich jo viel herzliches moralijches 
Gute, jo viel Talent und Kenntniß in einer Familie meiner 
Freunde vereint fand.“ 

Mit einem dieſer Waldbilder hatte ſich Kobell auch das 
Intereife und die Gunſt Karl Theodor3 gewonnen. Stephan 
von Stengel, ein Freund des jungen Künjtlers, hatte es dem 
Kurfürften gebracht, der es bewirkte, daß Kobell gegen den 
Willen jeines Vaters fich der Kunft widmen konnte. 

Ferdinand Kobell ift 1740 in Mannheim geboren und hat 
fait alle jeine Meijterwerfe in der Stadt Mannheim gejchaffen. 
Weil er die letzten Jahre feines Lebens in München verbrachte, 
wird er meijt den Münchener Künftlern zugerechnet, allein erſt 
jeine Söhne gewannen ein innigeres Verhältniß zu München. 
Er ſelbſt hoffte immer, als er durch die Kriegsunruhen 1793 
genöthigt war, Mannheim zu verlaffen, auf eine Rüdfehr in 
jeine geliebte Vaterſtadt und fchrieb noch 1796: „Die jchred- 
fihen Kriegsunruhen und die unglüdlichen Begebenheiten und 
Bedrängniſſen, welche über mein Watterland und bejonders jo 
ſchwer über meine Vatterſtadt gekommen find — zwangen mich 
bier in Münden Ruhe zu juchen und auf das himmliche 
Süd, den jo gewünichten Frieden, zu warten; drei Jahre 
harre ich nun in dieſer Hoffnung — noch immer getäufcht mit 
jo vielen 1000 meiner Mitbürgern und guten neben Menjchen 
entfernt von meinem Hauß — und all demjenigen, was mir 
zur Ausübung meiner Kunft jo unentbehrlich ift.“ 

Die Familie Kobell (Köbel) jtammt aus Oberheſſen. 
Sohann Heinrich Kobell, der Großvater Ferdinands, fiedelte 
von Frankfurt aus, wo er jeit 1716 Bürger war, nad) Mann- 
heim über, während ein Oheim Ferdinand Kobells, Heinrich 
Kobell, nad) Holland auswanderte, wo zwei jeiner Söhne 


238 Malerei und Kupferitich. 


Heinrih und Johann bald berühmte Maler und Kupferſtecher 
wurden. 

In Mannheim gewann die Familie Johann Heinrich Kobells 
bald Beziehungen zum Fürftenhaus. Ein Sohn diejes, Balt- 
haſar Kobell wurde vom Kurfürjten zum Finanzkammerrath 
ernannt. 

Balthafar Kobell it der Vater Ferdinand Kobells und 
des gleichfalls in Mannheim geborenen Künstlers Franz Stobell. 

Ferdinand ftudirte auf Beſtimmung des Vaters Hin (der 
von irgendwelcher Fünjtlerifchen Bethätigung feiner Söhne nichts 
willen wollte und ihre Studien und Verjuche rückſichtslos in's 
Feuer warf) Rechtswiſſenſchaft; Franz jollte Kaufmann werden. 

Terdinand Hatte 1760 jein Examen bereits bejtanden und 
die Stelle eines Secretärd an der furfürjtlichen Hofkammer 
erhalten, al3 er vom Kurfürjten die Freiheit und die Mittel 
erhielt, zur Kunſt übergehen und fich als Künſtler ausbilden 
zu fünnen. 

In Mannheim hatte die Landichaftsmalerei in dem 1709 
zu Speyer geborenen Maler Philipp Hieronymus Brinckmann, 
der Schüler Georg Dathans und Lehrer des von Goethe ge— 
ſchätzten Seekatz war, einen tichtigen Bertreter. 

Brindinann leijtete auf dem Gebiete der Landichaft und 
des Blumenjtüdes jein Beites und gab damit zur Pflege diejer 
Kunftbereihe in Mannheim die erjte Anregung. Seine Sur- 
porten im Mannheimer Schlojfe jind gute Beijpiele für Die 
gediegene Kunft dieſes Malers. Leider jtarb Brindmann, der 
übrigens vom Kurfürften mit dem Titel Kammerrath und dem 
Amte eines DOberaufiehers der Galerie ausgezeichnet wurde, 
ihon im Jahre 1761, ſodaß Ferdinand Kobell jeinen perjön- 
lihen Unterricht nicht mehr genießen konnte. 

Kobell bejuchte die Mannheimer Zeichnungsafademie, die 
freilich mit Brindmann ihren Hauptvertreter der Landichafts- 
malerei verloren hatte, begleitete dann im Jahre 1768 den zum 
furbayrifchen Gejandten ernannten Grafen Sidingen nad Baris, 
durch deifen Vermittelung ihm das Studium der Kunftichäße 
der franzöfiichen Hauptſtadt ermöglicht wurde. 


Malerei und tupferftich. 239 


In Paris genoß Kobell den Unterricht Johann Georg 
Willes. Bei dieſem Meifter gewann er einen vollen Einblid 
in die damals beiten Techniten der Radirkunſt. Nach feiner 
Rückkehr 1769 wurde Kobell zum furfürjtlichen Cabinett3- und 
Hoflandichaftsmaler ernannt und bald darauf erhielt er eine 
Anitellung als Profeſſor und Secretär der furfürftlichen Zeich- 
nungsafademie zu Mannheim. Er ftarb zu München am 1. 
Februar 1799 als nomineller Director der inzwijchen dorthin 
verbrachten Mannheimer Gemälde-Galerie, ohne feine geliebte 
Vaterjtadt wiedergejehen zu haben. 

Neben Ferdinand Kobell verdient auch deijen Bruder Franz 
Kobell genannt zu werden. | 

Während Ferdinand Kobell ſich hauptſächlich der ein- 
heimijchen, deutichen Landjchaft zumandte, widmete fich Franz 
Kobell, der gleichfalls durch Karl Theodor der Kunſt gewonnen 
wurde, durchaus der Darftellung jüdlicher Natur, im Bejon- 
deren Italiens, ſodaß fich die beiden SKtünftler, etwa wie heute 
die Brüder Andreas und Oswald Achenbach, in ihrem Schaffen 
ergänzten. 

Franz Kobell, deſſen Geburtsort Mannheim iſt, und deſſen 
Geburt in das Jahr 1749 fiel, hat nur wenig gemalt und nur 
wenige Blätter in Kupfer geſtochen, dafür um ſo mehr ge— 
zeichnet. Die Zahl feiner mit Sepia angetuſchten Federzeich— 
nungen joll ſich auf 10,000 belaufen. Seine jorgfältig ges 
zeichneten Blätter, die fich auch den Beifall Goethe's erwarben, 
erreichten jedocdy nicht die Wirkung der lebensvollen Arbeiten 
jeines Bruders. Franz Kobell gewann innigere Beziehungen zu 
München und febte — abgejehen von jeinem öfteren Aufent— 
halt in Italien — dort bis zu jeinem 1822 erfolgenden Tode. 

Wie dieje beiden Künstler iſt auch Wilhelm Kobell, der 
Sohn Ferdinands, in Mannheim geboren. Hier hatte er Die 
Grundlage zu feinem jpäter gefeierten Kunftichaffen erhalten 
und jchon Hervorragendes, bejonders als Nupferjtecher, mit einer 
Reihe von Nquatintablättern nach niederländischen Meifterwerfen 
der Mannheimer Galerie geletjtet. So ift aud) er, der einft 
berühmte und viel ausgezeichnete Maler bayeriicher Gejchichte, 


240 Malerei und Kupierſtich. 


der von König Ludwig I. in den erblichen Adeljtand erhoben 
wurde, aus Mannheim und feiner fünftleriihen Sphäre hervor» 
gegangen. Wilhelm von Kobell jtarb im hohen Alter von 89 
Jahren 1855 zu München, wo heute noch Verwandte von ihm 
durch Hohe Stellen im Staatsdienjt ausgezeichnet wurden. 

Mit Wilhelm Kobell wuchs auch der bald zu großem Auf 
gelangende Thiermaler Karl Kung heran. Karl Kung iſt 1770 
zu Mannheim geboren. Mannheim war ebenfall® die Wiege 
feiner Kunft. Hier ſchuf er jchon, wie Wilhelm Kobell, meijter- 
hafte Aquatintablätter nach alten miederländiichen Gemälden 
und einige farbig gedrudte Anfichten des Schweßinger Gartens. 
Eine große Sammlung jeiner Werke, wie derjenigen feines 
Sohnes Rudolf Kung (1797 in Mannheim geboren, 1830 zum 
Badiſchen Hofmaler ernannt, 1848 zu Karlsruhe geitorben, be- 
fannt als guter Thier-, bejonders Pferdemaler), befindet ſich 
im Großh. Schloſſe zu Mannheim. 

Karl Kung, der 1830 als Badiſcher Hofmaler und 
Direktor des Mufeums zu Karlsruhe ftarb, kann als ein Bes 
gründer der neueren deutjchen, auf ftrengjtem Naturjtudium be= 
ruhenden Thiermalerei angejehen werden. Bilder von ihm bes 
figen noch die Galerien zu Karlsruhe, München, Wien, Paris, 
St. Petersburg. In der Mannheimer Sammlung feiner Werke 
ift au) eine gute Anficht der Stadt Mannheim (Delgemälde). 

Half bejonders Ferdinand Kobell eine neue moderne Auf: 
fafjung der unmittelbaren landihaftlihen Natur dem deutjchen 
Kupferftich bringen, jo brach ein anderer Mannheimer Künjtler 
auf dem Gebiete de3 Portraits der deutjchen vervielfältigenden 
Kunft ganz neue Bahnen. 

Heinrich Sintzenich — das iſt der Name diejes Künſtlers — 
hatte nach furzem Beſuch der Mannheimer Zeichnungsatademie 
fich zu jeiner weiteren Ausbildung durch die Protektion und 
Unterjtügung Karl Theodors nad) England wenden fünnen, wo 
der Kupferjtich unter Francesco Bartolozzi ganz neue Rich— 
tungen einjchlug. 

Erfüllt von der Schule diejes Meijters, jendete Sintzenich 
ihon von London aus einige Blätter in feine Vaterjtabt, die 


Malerei und Kupferftich. 241 


hier und bald auch in weiteren Kreiien Aufiehen und durch 
die Neuheit ihrer Behandlung erſt Widerſpruch, dann fchliehlich 
Bewunderung erregten. 

Es handelte ſich um nichts weniger, als dem deutjchen 
Kupferjtich, der fih in ftarrer Linienmanier bewegte, malerijch 
technische und farbige Elemente zuzuführen. 

Bon der Beziehung der Architektur, die damals die ganze 
Zeit ſich unterwarf und auch den Kupferjtich in architektonisch 
gezeichnete Umrahmungen preßte, jollte der Kupferjtich über- 
haupt befreit werden. Die Blätter Sintzenichs geben die Bor- 
trait3 ohne ornamentale Rahmenzeichnung. WIS letter Anklang 
an die Architektur behielt Sintzenich mit jeinen Portraits an— 
fänglich noch die Medaillonform bei, allein bald ließ er auch 
von dieſer und gewann damit jeinen Bortraits die volle Frei— 
heit der Ericheinung. 

Die neue, auf feine maleriihe Wirkungen ausgehende 
Technif, die Singenih von England aus nad) Deutjchland 
übertrug, war die jogenannte Punktirmanier. Mit diejer 
Manier erreichte der Kupferjtich eine Feinheit der Töne, die " 
bejonders im weiblichen Bortrait eine noch heute unübertroffene 
Wiedergabe der Bartheit der Hautfarbe ermöglichte. 

Die mittelfte der drei diefem Buche als Beilage einges 
fügten Reproductionen Sinkenih’iher Stiche („Zemire“ nad) 
Eipriani) giebt ein jolches in Bunftirmanier ausgeführtes Bildniß 
wieder. 

Für das männliche Bildnis, das im diefer Manier leicht 
zu weich ericheint, wählte Singenich jpäter oft auch eine andere 
jtarf wirkende Manier: die Schabmanier. Damit jhuf er, als 
der Ruhm des Künftlers weiter gedrungen war und er auch 
nad Berlin berufen wurde, bortjelbjt eine große Anzahl außer- 
ordentlich wirfungsvoller Portraits von Mitgliedern des fürſt— 
fichen Haujes, von Miniftern, Generälen, Hofleuten u. ſ. w. 

Dieje Portraitsgalerie dürfte für die Menzel’ichen Dar: 
jtellungen aus der Hohenzollerngeichichte eine gute Grundlage 
gewejen jein. 

Ein Blatt Singenich’s, das Portrait des Königs Friedrich 


Deier, Geihichte ber Etabt Mannheim. 16 


242 Malerei und Stupferitich. 


Wilhelm IL. (nah einem Gemälde von Schröder) wurde auch 
bei dem am 18. Januar 1901 gefcierten Gedenkfeſte bes 
200 jährigen Beſtehens des preußiichen Königthums wieder be= 
fannt und von illuftrirten Zeitichriften mehrfach wiedergegeben. 

Wie diejes Portrait zeigt, daß Sintzenich auch das männ— 
liche Bildnig wenn auch nicht jo fräftig, jo doch meijterhaft in 
PBunftirmanier zu behandeln wußte, jo beweift ein Bild der 
„Magdalena“ nad) Carlo Dolci (fiehe die Beilage) zu welchem 
Schmelz des Tones diejer Künftler auch den weiblichen Kopf 
dur die Schabmanier zu bringen verjtand. 

Mehrere der Singenich’ichen Portraits (darunter Bild: 
nifje der Berliner Zeit) find auch in Aquatinta-, Crayon: 
und gemihchter Manier gearbeitet. — AM’ dieje Techniken find 
direft zur Erreichung maleriſcher Wirkungen herangezogen, mit 
denen Sintzenich den deutjchen Kupferſtich zu beleben juchte. 
Diejes Streben nad Farbigkeit veranlafte Singenih auch 
dazu, mit einer Reihe farbiger Stiche hervorzutreten. 

Damit brach diejer Künftler dem Buntdrud in Deutjch- 
land die Bahn. Die feinen Blätter diefer den Buntdrud mit 
ber Punftirmanier verbindenden Art (u. U. 3 B. „Emilia“ 
nah Angelifa Kauffmann, „Phyllis“ nach Carlo Dolct) jind 
jeltene, gejchmadvolle Arbeiten der damals neuen vervielfältigen- 
den Kunſt diejes Meiſters. 

Waren alle dieje Blätter Sintzenich's mit einem eigenen 
Geifte erfüllte Neproduftionen nach Gemälden anderer Künſtler, 
jo wagte er mit einem auch von ihm jelbit entworfenen Blatt, 
dem merkwürdigen Bildnig des damaligen Oberbibliothefars 
der Berliner Hofbibliothet, Johann Erich Bieiter, einen jo 
fühnen Realismus, daß dieje Arbeit wohl zu den interefjantejten 
Stichen des vorigen Jahrhunderts gehören dürfte und Heute 
noch ungejchwächt wirkt. Das Bild, das in der Verwegenheit 
realiftiicher Auffaſſung faſt die Starrifatur jtreift, doch durch 
die außerordentliche Energie des fünjtleriichen Ausdruds feſſelt, 
it bier auf der Beilage von Reproduftionen Sintzenich'ſcher 
Stiche wiedergegeben. 

Heinrich Sintenich kann als das Haupt der Mannheimer 


Malerei und Kupferitich. 243 


Kupferftecherichule betrachtet werden. Sein Ruf drang bald 
durch die geſammte deutjche Kunjtwelt und jeine jtarfe Beein— 
fluſſung des deutſchen Kupferſtichs und der vervielfältigenden 
Künjte überhaupt geht aus den Thatjachen hervor. 

Nachdem Sinkenih 1778 vom Kurfürften Karl Theodor 
zum furpfälziich bayerischen Hoffupferjtecher mit einem Gehalt 
von jährlich 200 fl. ernannt worden war, wurde er 1790 von 
der Kol. Preuß. Hoffupferftihoifizin Markt Pascal’3 nad 
Berlin berufen, um dort einen Aufſchwung der Kupferſtechkunſt 
bewirken zu helfen. 

Wenn auch der finanzielle Erfolg der Thätigkeit Sintzenichs 
zu wünſchen übrig ließ — der Sünjtler hatte lange mit 
jhweren Xebensjorgen zu fümpfen —, jo wurde ihm doch reich- 
lich Ehre und Anerkennung zu theil und im Jahre 1792 er- 
nannte ihn die Kgl. Akademie der bildenden Künſte zu Berlin 
zu ihrem ordentlichen Mitgliede. 

Für St. Petersburg arbeitete er ein großes Crayonblatt 
der Kniſerin Katharina II. und für Dresden ftach er ein Bild» 
niß des Hoffupferitechers Adrian Zingg nach einer Zeichnung 
des dortigen Afademiedireftors H. Seydelmann. 

Emm Bruder Heinrih Sintzenichs, Peter Sintzenich, gründete 
1785 in London eine eigene Druderei und radirte jelbjt, nach— 
dem er in Dresden jtudirt hatte, vortreifliche Landichaften nach 
Berghem, Huysmann u. A. 

Auch von einem Sohne Heinrich Sintzenichs, Friedrich 
Heinrich Sintzenich, ſind noch einige Stiche, z. B. „Der Mord 
der Geſandtſchaft zu Raſtatt“, „Der zerbrochene Krug“, bekannt 
und eine Tochter des Meiſters, Eliſabeth Sintzenich, widmete 
ſich der Malerei. Dieſe Malerin erhält laut kurfürſtlichem 
Spezialbefehls vom 25. Auguſt 1798 eine Penſion von 50 fl. 

Als die Reaction gegen die Kunſtzeit Karl Theodors mit 
Beginn des 19. Jahrhunderts immer ftärfer eintrat, drohte 
man auch den „Eurpfalzbayriichen Hoffünftlern”, die auswärts 
weilten, ihre Penſion zu entziehen, wenn ſie nicht ſchleunigſt 
wieder an die Stätte des Hofes zurüdfehren würden. 

Singenich, der jeine Beziehungen zum kurfürſtlich pfälzijchen 

16* 


244 Malerei und Kupferitich. 


und bayriichen Hofe (er führte aud in Berlin den Titel 
„KRurpfälziich Bayrischer Hofkupferſtecher“) nicht aufgeben wollte, 
jah fich dadurch genöthigt, jeine ehrenvolle, doc) nur wenig ein- 
bringende Thätigfeit in Berlin abzubrehen und nad München 
überzufiedeln, wo die Ungunjt der Zeit ihm jedes ergiebige 
Feld für feine Kunſt nahm. Er jtarb dajelbit 1812, nur noch 
wenig geſchätzt — fern von jeiner Baterftadt Mannheim, der 
er mit feiner Kunſt weithin Ehre gemacht hat. 

Heute, wo die vervielfältigenden Künfte einen neuen Auf— 
ihwung nehmen, wird man ſich auch dieſes Bahnbrechers 
deutscher Kunst wieder erinnern und den jchon 1780 in ben 
„Rheinischen Beiträgen zur Gelehrjamfeit” über Sintzenich ge- 
jagten Worten wieder beipflichten: „Was Hat jo manche 
große deutiche Künstler aus ihrem Vaterlande vertrieben, die 
nun der Stolz von London und Paris find als Mangel an 
Abſatz ihrer Kunstwerke. Wir Deutjche, die vaterländijche 
Merfe mit Verachtung oder mit Gleichgiltigfeit anjehen; in 
alles Ausländische mit Raſerei verliebt jind, jollten doch einmal 
dieje und zur Schande gereichende Neigung verabjcheuen, und 
mit mehrerem vaterländiichem Stolze den Werth unferer eigenen 
verehrungsmwürdigen Werke jchägen lernen. Hier, edeldenkender 
Pfälzer, haft du Gelegenheit, deiner vaterländiichen Hauptjtadt, 
die jo herrlich gelegen iſt, Künftler vom erjten Range in fich 
wohnen zu haben, einen wahren Dienſt zu erzeigen...... “ 

Der Lehrer Singenich in Mannheim war der 1742 zu 
Ettal in Bayern geborene und 1765 von Karl Theodor nad 
Mannheim berufene Kupferitecher Egidius Verhelft, ein Künftler 
der älteren Schule. Bon ihm ftammen zahlreiche Portraits 
von hervorragenden Berjönlichfeiten jener Zeit, nach Bildniſſen 
meist mit dem Grabitichel gejtochen, cbenjo Bignetten zu 
Büchern und auch die 16 Radirungen zu der zweibändigen 
Publikation des damals in Mannheim wirfenden geiftreichen 
Schriftitellers Desbillon® „Fabulae Aesopiae" (Mannheim 
1780), von welchen Blättern bier (Seite 245) ein bejonders 
(ebensvolles, für die Zeit characteriftiiches Städtebild wieder- 
gegeben iſt. Egidius Verhelſt radirte auch einige größere 


WR 
ii 


ſſ Hi | j I Hi 





Nadirung von Egidius Derhelft 
zu Desbilons „Fabulac Aesopine“. 


246 Malerei und Kupferſtich. 


Blätter, allegoriiche Fürltenhuldigungen nach Zeichnungen von 
Langenhöffel (1790 und 1792). Auch er mußte nach München 
überitedeln (etwa um 1802), wo er fich nur noch wenig be= 
thätigen fonnte und nahezu erblindet 1818 im Alter von 76 
Jahren ftarb. 

Eine Reihe anderer Kupferjtecher der Mannheimer Schule 
verfolgte meist die Bahnen Sintenichs, Schlichts und Kobells 
weiter und entfaltete von Mannheim aus eine lebharte Thätig— 
feit, jo Anton Karcher, ein Schüler Sintzenichs, mit jeinen 
punftirten Portraits und allegoriichen Blättern, Karl Matthias 
Ernjt (1758 in Mannheim geboren), deſſen Lebensgeichichte 
das „Muſeum“ 1789 veröffentlichte, jo A. Biſſel, der Schöpfer 
des Seite 250 hier reproducirten Stihes nach dem heute noch 
in der Mannheimer Galerie befindlichen Rubenskopf, 3. Rieger 
mit hiſtoriſch werthvollen Anfichten der Stadt Mannheim, 
Franzisfa Schöpfer, eine Tochter Mannheims (geb. 1770), die 
ipätere namhafte Miniaturmalerin, Koch, Calmé, Kruit, Regula, 
Geticher, Berger, Wißger, Küffner, Bernhard und Wilhelm 
Siegrijt, ſowie mehrere Maler, die gelegentlich auch einmal 
zur Radirnadel griffen u. A. m. 

Nur ganz vorübergehend wirkten in und für Mannheim 
oder auf dem Gebiete des Kupferſtichs u. A. R. de la Rocque 
von Darmftadt, die Gebrüder Klauber, I. E. Nilſon und 3. 
N. Störklin von Augsburg und der Engländer Balentin 
Green.*) 

Die Kupferitechfunft war jo recht geeignet, zur eigentlichen 
Volkskunſt zu werden. Als vervielfältigende Kunſt ſtreute fie 
ihre Arbeiten in alle Bürgerhäufer aus, nahm jie der Kunit 
jeden erclujiven, höfiichen Character. Sie befruchtete auch das 


*) Mon zeitweilig bier wirkenden Malern feien auch noch Johann 
Georg Zieſenis aus Copenhagen (1716— 1777), der vom sturfilriten von 
stöln dem Sturfüriten Garl Philipp empfohlene Dialer Johann Schenf, und 
der Italiener Bernardini erwähnt, Der Hiſtorienmaler Schaitian Stafien 
ans Gent ftudirte in Mannheim, gewann 1770 bier den zweiten Preis 
der Akademie und wurde jpäter Director der Mannheimer Galerie. 


Malerei und Kupferſtich. 247 


Kunftgewerbe, Buchausftattungen und Drudarbeiten und drang 
jo in weite Bereiche, Leben und Verkehr verichönend, ein, 

Der KHupferftih und die Malerei zu Mannheim follten 
aber zu einer Perjönlichkeit in ein inniges Verhältniß fommen, 
die, in Mannheim gleichfalls auf diejem Gebiete thätig, noch 
über diejes hinaus griff und fich auch das Neich der Poeſie 
erichloß, hier ein wichtiges Band zwiichen den bildenden Künjten 
und der Dichtkunſt knüpfend. 

Dieſe Perjönlichkeit ift der Maler Friedrich Müller, ge— 
nannt Maler Müller. 

„Wenn ich nichts von meiner Reife nad) Mannheim hätte, 
als die Bekanntſchaft dieſes herrlichen Kerls, jo wäre ich taujend- 
fach bezahlt!" Mit diejen Worten ichilderte Wieland in einem 
an Frau Rath Goethe gerichteten Brief vom 12. Januar 1778 
den großen Eindrud, den er von der Perſönlichkeit Friedrich 
Müllers in Mannheim empfangen Hatte. 

Wieland konnte bei jeiner ganz anders gearteten Littera= 
turrichtung jelbftverjtändlich fein dauerndes inneres Verhältniß 
zu Müller gewinnen, umjo höher aber find jene Worte anzu— 
ichlagen, die beweilen, wie erfriichend die gejunde, Fraftvolle 
deutiche Natur Miller gerade auf einen fich mehr im Fahr— 
waſſer eines raffinirten Gejichmads bewegenden Dichter wirkte. 

VBerjuchten dann die Romantifer unter Führung Ludwig 
Tieds auf Müller hinzumweiien und ging aus ihrem Kreiſe eine 
Ausgabe jeiner Werke (erichienen 1811 bei Mohr und Zimmer 
in Heidelberg) hervor, jo Eonnte damals doc, noch feine volle 
Würdigung eintreten, da man ihn mehr für einen Vertreter 
des Mittelalters halten wollte, als für einen nach vorwärts 
gewandten Kämpen für realiftiiche Poeſie. 

Hermann Hettner ließ es ſich in neuerer Zeit zuerft wieder 
angelegen jein, auf die ganz hervorragende Bedeutung der 
Dihtungen Müllers aufmerffam zu machen. Und während es 
fich in der tiefer und weiter forjchenden deutichen Gelehrten: 
welt immer lebhafter für Müller regte, hatte die moderne 
deutjche Litteratur und Kunſt jelbjt Wege eingeichlagen, die mit 
Müllers Bahnen in vieler Beziehung in Verbindung jtehen. 


248 Malerei und Kupferſtich. 


Damit war denn auch ein ganz neues Interejje für das 
dichteriiche und fünjtleriiche Schaffen Müllers erwedt und immer 
mehr reift das PVerjtändnig für jeine Schöpfungen. 

Friedrich Müller ift ein Sohn der Pfalz, jeine beiten 
Werke wurzeln in einem fernigen, naturechten, allen Modebe- 
jtrebungen abholden Pfälzerthun. 

In jeinen pfälzer Idyllen „die Schafihur“ und „das 
Nußkernen“ nimmt er die ausgeiprochendite Stellung ein gegen 
alles Erfünftelte und Gemachte in Litteratur und Leben. 
Hier wagt er e3, ganz die Sprache des pfälzer Volfes zu 
ſprechen, um zu beweiſen, welch’ reiche Schäße des Gemüthes 
und des Herzens fich da in jchlichtem Worte fundgeben. 

Mit diejen Dichtungen wurde Müller zu einem erjten Be— 
gründer des modernen Dialectjtüdes. 

Starf mit pfälzer Dialect vermijcht hat Müller auch den 
Dialog jeines Dramas „Solo und Genoveva“, von dem Hettner 
jagt: „Unzweifelhaft ijt neben Goethes „Götz“ und Schillers 
„Räuber“ dieſe „Genoveva“ das bedeutendite Werk der Sturm- 
und Drangperiode: die überrajchendjte Lebensfülle der ver- 
ichtedenften und eigenartigjten Charactere, die markigſten Zeich- 
nungen der jchredensvolliten Abgründe menschlicher Leidenſchaften 
und zugleich der holdejten Unjchuld und Lieblichkeit, und über 
dem Ganzen der Duft und Zauber einer Iyriichen Innerlichkeit, 
die nur das Vorrecht eines echten Dichtergemüthes it.“ 

In Maler Müllers Dichtungen werden Töne und Laute 
angeichlagen, die durch ihre Wahrheit und Gefühlswärme im 
Innerjten ergreifen. Müller jchöpft immer aus voller, tiefer 
Empfindung und jo reißt uns jeine Sprache meiſt wie durch) 
elementare Macht mit fort. Nicht zum wenigiten läßt fich dies 
auch von jeinen Hymnen auf „das Heidelberger Schloß" und 
auf feinen Geburtsort Kreuznad) jagen, von denen Die eine 
heiligen Schmerz um zeritörte Pracht zu großem Ausdrud 
bringt, während die andere die Mutterliebe wie die Sonne der 
Heimath mit begeifterten Worten feiert. 

Biel von der Weinjeeligkeit eines Landes edler Neben 
haben die von echteftem Humor getragenen Jdyllen „der Zaun“ 


Malerei und Kupferſtich. 249 


und „Bachidon und Milon“ an jih. Die föjtlichen Figuren 
diejer Dichtungen erinnern in Manchem ſchon an die originellen 
Faunsgeſtalten Bödlins. 

Am weiteiten aber wirkten die herrlichen Lieder, die Miller 
jeiner pfälzischen Heimath gegeben, die aber längit zum Beſitze 
de3 ganzen deutjchen Volkes geworden find. Das „braune 
Fräulein“ und der „Soldatenabjchied („Heute jcheid’ ich, heute 
wandr’ ich) werden gejungen, joweit die deutiche Zunge Flingt. 

Kein Wunder, dad ein Dichter und Künſtler, der jo leb- 
haften Antheil an der Entwidelung der deutjchen Dichtung 
nahm, mit aller Leidenjchaft die Gründung eines deutjchen 
Nattonaltheaters zu fördern juchte, als dieje in Mannheim ge: 
plant wurde. 

In Mannheim weilte damals der Künſtler, hier fand er 
die Gunſt und den Schuß Karl Theodors und jeine Anftellung 
als Hojmaler, die ihn jpäter die Freundſchaft des Kronprinzen 
Ludwig von Bayern vermittelte. 

Da Müller von hier aus nad) Nom iüberjiedelte und dort 
bis zu jeinem Tode verblieb, it Mannheim die einzige Stadt, 
in der Müller in Deutichland wirkte. 

Berragt um jeinen Rath bezüglich der Gründung jenes 
Theaters, von dem eine neue Epoche der dramatiichen Kunſt 
in Deutjchland ausgehen jollte, widmete er dem geplanten 
großen Werfe u. A. folgende begeijterte Worte, die jo recht be— 
weijen, wie jene Schöpfung ganz aus der großen Kunſtſphäre 
der damaligen Zeit hervorging: 

„Ohnmöglich fann ich die Freude und all das jühe patrio» 
tiiche Gefühl bergen, das durch die reizendite Ausfiht in Er: 
richtung einer deutichen Nationalbühne, in der Pfalz mein 
ganzes Herz erwärmt — wie lange Hagt Deutſchland jchon, 
wenigjtens der patriotijche Theil davon, über den Mangel 
einer Nattonalbühne, unwillig auf das Brahlen des Engländers, 
des Franzoſen, die mit emporgerichtetem, ſich jelbjtfühlendem 
Stolze jagen: wir haben eine eigene Bühne; wo habt ihr die? 
Und Deutſchland fonnte nicht immer jchlafen, es erwachte, that 
die Augen über jeinen Mangel auf — wie viele edle Teutiche 





ELI SABET: H de BRANT ES 
—— vo Semome LRPR len, ©.) 


Liimal2e Mk Ct me de Kan  Karnkin = Ca de frnunemmalerne a Hanne 


Malerei und Aupferitic). 251 


bejtrebten jich seither, dieje Lüde auszufüllen, unjere Bühne, 
die durch Verachtung und Vernachläſſigung unter fich jelbit ge» 
junfen, wieder aufzurichten, und ſie zu derjenigen Höhe zu 
führen worauf die Bühnen der Ausländer jchimmern — ver: 
gebens bisher, denn von Fremdlingen an deutichen Höfen ver- 
trieben irrte die Schaujpiel-Muje wie eine veritoßene unter 
ihren eigenen Brüdern herum, und nicht lange iſt's, dab fie 
auf ihrer traurigen Wanderjchaft noch nicht einen Ort wußte, 
wo fie jicher ihr Haupt Hinlegen konnte. Um jo viel entzüden- 
der, hinreigender der Gedanfe — dab die Pfalz diejenige ift, 
die den übrigen Provinzen Deutjchlands in einem jo herrlichen 
Unternehmen vorangehen will, In einem Staate, wo .. . ſich 
alles in einem einzigen Punkte vereinigt, eine Epoche zu bilden, 
die ewig dem pfälziichen Ruhme heilig fein fol. — Was 
Wunder, dat von edlem Unmuth entflammt der Gedanke auf: 
lodert, auch in der Schauſpielkunſt dasjenige zu leilten, was 
wir bereits in andren edlen Wiljenichaften gethan — Deutjch- 
land eine National-Bühne zu bilden — uns und unjren Nach: 
fommen zu Bauen ein ewig Denkmal, — — Edles Geichäft, 
wovon dreimal die Ehre zufällt auf den gütigiten Fürſten, unter 
deſſen Huld ein jo patriotiiches Werk beganır, glorreich alle die 
Edlen, die mitarbeiten. Einſt, wenn Deutichland ihnen ent» 
züdten Dank abjtatten wird, wird ihr Anjehen grünen, wenn 
fünftig der Enkel ihren Namen nennt, jagen wird — Die 
waren’s, die’3 unternahmen — die waren’s, die's ausgeführt.“ 

Als Maler war Müller einer der erjten Künjtler, die in 
einer Zeit des glatten und „geleckten“ Malens oder bloßen 
Zeichnens Fräftigen, paitojen Farbenauftrag wagten, um ihre 
Bilder möglichit wahr und lebendig zu gejtalten, damit jedoc) 
nicht geringen Aerger während der Herrichaft des damaligen 
Zeitgeichmads erregten. 

Eine ehrenvolle Ausnahme machte in diejer Beziehung das 
„Kunſtblatt“ vom Jahre 1824 durch Veröffentlichung eines 
weite Verjpectiven eröffnenden Artikels über den hoch anzu— 
ichlagenden Werth der fünjtlerijchen Arbeiten Müllers. 

Zu Lebzeiten Müllers war es bejonders auch der Dichter 


252 Malerei und Kupferſtich. 


Heinſe, der mit Eifer für die Gemälde des Künſtlers eintrat 
und 3. B. im Jahre 1781 an Jacobi jchrieb: „Miller Hat erit 
fürzlich ein großes Gemälde ausgeftellt, den Leichnam Moſis, 
um den fich der Teufel und der Erzengel Michael zanfen, der 
Zeufel muß aber davon weg. Der Engel hat das flammende 
Schwert in der Linfen und deutet nach dem Satanas mit der 
Rechten, abzuziehen; der auch im Begriff it zu weichen. Es 
ijt viel malerijche Idee, Feuer, Fleiß und Studium darin.“ 
Auch Förfter rühmte ein Gemälde Müllers, einen „Salon“, 
und jagte, der Künjtler habe ſich „durch Kraft der Färbung, 
Ausdruf und Stil in der Zeichnung ausgezeichnet, wie man es 
damals nicht zu jehen gewohnt war.“ 

Bon den größeren Gemälden Müllers erregten bejonders 
nod) ein 1818 vollendetes, paſtos behandeltes Wert „Odyſſeus 
in der Unterwelt” und ein jatirijches Bild „die Hölle“ Auf: 
jehen und den Zorn der Widerfacher, die dem Künftler den 
Spottnamen „Zeufelsmüller* anhingen. 

Bernhard Seuffert, deſſen umfangreiches Buch über Maler 
Müller viel Material enthält, wenn es auch ein wenig günftiges 
Endreiulat zieht, äußert ſich einmal jehr treffend über Maler 
Müllers künſtleriſche Position mit folgenden Worten: „Wie 
er in feinem Berichte zum Nationaltheater die Nahahmung der 
Natur betonte gegenüber der Manier, jo zog ihn jein Gefühl 
von erjter Jugend an immer zum Natürlichen aud) in der Malerei. 
Su dem jchönen Gedichte Natur beipricht Müller das Ver: 
hältniß des Künstlers zu diejer Göttin: 

63 reiht Natur, o Künitler, willig Dir, 

AU ihren Zauber, ihre jeltne Zier, 

Gleich Waffen dar, fie jelber zu bejiegen. 

Du ringft mit ihr; mit wonnevollen Zügen 
Haucht fie im Kampf dir Muth und zahlt dafür 
In deinem Jubel ſich mit doppeltem Vergnügen. 

So räth Miller auch Garjtens, vor allem die Natur zu 
beobachten; denn auf der Natur nur blühe das deal, aljo 
fünne in der Borjtellung nichts groß und jchön jein, wenn es 
nicht wahr und richtig jei. Legt Müller hier das Berhältnif 
zwiichen Natur und Phantaſie Far, jo fügt er an andern 


Malerei und Kupferitich. 253 


Stellen noch einen dritten Faktor als nothwendig zur Kumft 
bei: Die Beobahtung der Mujter. Die Kenntniß des praf- 
tiihen Theiles der Kunſt müſſe in den beften Muftern gejucht 
und der Natur abgelaufcht werden; ja ohne dieje bleibe die 
ihönjte Idee ein leerer Traum. Am beiten jpricht ein Jugend» 
gedicht Müllers dieſe nothwendige Vereinigung aus; Müller 
ichreibt einem reijenden Maler in’3 Stammbuch: 


Nimm Dreierlei zum Frommen an: 

Hab wahrer Künstler Eigenfinn 

Zu malen nur nad deinem Sinn; 

Wie Gott dir Aug’ und Herz geitellt, 
Darnach betrachte deine Welt — 

Nimm Rath und qute Meimung an; 
Doch Schau, wer Rath dir geben kann ... 
Vor allem traue der Natur; 

Rift Künſtler nur auf ihrer Spur: 

Denn ohne fie was iit die Kunſt? 

Ein Kinderſpiel — nur Müh und Dunit. 


In diejer Dreiheit juchte Müller jich zu bilden und nach 
ihrer Eingebung, ihrem Borbild zu arbeiten. In der Pfälzer 
Zeit waren ihm Dürer, dem auch der junge Goethe verehrte, 
Rubens, Leonardo da Vinci und Michelangelo die Ideale. 
Gegen das Ende des Aufenthaltes in Deutjchland arbeitete er 
unermiüdet in dem Mannheimer vortrefflihen Antifenjaal, um 
die Meifteritücde des alten Griechenlands und Roms innigjt zu 
Studieren. Später in Nom trat Michelangelo weit vor Raphael 
und die Antike hervor . . . . Auffallend mag es bei diejer rid)- 
tigen Einficht Müllers jcheinen, daß er Michelangelo, der nicht 
den Weg zur einfachen Natur zeigte, folgte. Denn Müller und 
die Stürmer und Dränger wollten doch Natur; aber ihre Natur 
jollte groß und gewaltig jein, und groß und gewaltig war 
Michelangelo, nicht Raphael, nicht die Antife in dieſem Sinne. 
So iſt e3 ein wichtiger Punkt in der Kumftgeichichte, daß um 
das Jahr 1750, alfo zur gleichen Zeit ungefähr, in welcher 
die deutiche Litteratur gewaltiam ſich Bahn zu brechen begamı, 
im Gegenjabe zu Mengs, welcher in der Antike und auf 
Raphael fußte, Michelangelo vorgezogen wurde Was Die 


254 Malerei und Kupferitich. 


Dichter zu Shafeipeare hinführte, z0g die Künſtler zu Michel- 
angelo hin: das Große, Urgemaltige.“ 


Als eine merkwürdige Frucht des Studiums im Antiken- 
faal zu Mannheim mu bier auch ein Ddichteriiches Werk 
Müllers erwähnt werden: das 1778 in Mannheim herausge- 
gebene Drama „Niobe*, dem Freiherrn Heribert von Dalberg 
gewidmet. Mit diefem Stüd verjuchte Müller in ganz eigen- 
artiger Weije die Lyrik in den Dienjt des Dramas zu ftellen, 
ähnlich wie es 3. B. heute Richard Dehmel unternimmt, die 
Lyrik höheren Zweden zu gewinnen und für den Noman ein» 
zujegen. Auch die Titelzeichnung zu diejem „Iyriichen Drama“ 
das zu gleicher Zeit mit einem dem Freiherrn von Gemmingen 
zugeeigneten phantaſie- und fraftvollen Fauftfragment erſchien, 
läßt entjchieden einen großen, intereilanten Zug hervortreten. 

Bu gleicher Zeit mit dieſen und anderen Titelvignetten zu 
jeinen Werfen radirte Miller eine Anzahl urwüchlig Fräftiger 
Thieritüde, die manchem Suchenden und Taſtenden jeines 
übrigen Schaffens gegenüber jeine Kunſt in unverfennbarer 
Vollendung zeigen. 

Müller war nad) der Kunſtſtadt Karl Theodors von 
Bweibrüden aus gekommen, wo er von Ehriftian Mannlich, 
dem Director der Akademie in Zweibrüden, unterrichtet worden 
war. Er iſt als Sohn eines Schenfwirths am 13. Januar 
1749 in Streuznach geboren. In Mannheim gewann er bald 
zahlreiche Freunde und Gönner, und von hier aus unterhielt er 
freundichaftliche Beziehungen zu hervorragendjten Perjönlich- 
keiten der deutjchen Kitteratur, jo vor allem zu Goethe, 
Leſſing, Schubart, Heinje. Sein Verhältnig zu Goethe konnte 
fein Ddauerndes jein, da Goethe immer mehr die Schule des 
Naphael Mengs vertrat, gegen die jich die realistische Kunft 
Müllers richtete, 

Bald erwarb fih Müller auch die Gunst des Kurfürſten 
Karl Theodor, der ihm eine Benfion ausjegte und ihm 1778 
die Mittel zu einer Neije nah) Rom gewährte. 


Aus Italien jollte Miller nicht mehr zurüdfehren; in 


Malerei und Kupferſtich. 255 


Rom jtarb er nah 37jährigem Aufenthalt dajelbjt im Alter 
von 76 Jahren am 23. April 1825. 

Seine Grabftätte befindet fich in der Kirche St. Andrea 
delle Fratte neben den Grüften Angelifa Kauffmanns und 
Schadows. Eine Gedenktafel, die der funjtjinnige König Lud— 
wig I. in diejer Kirche nach mancherlei Schwierigfeiten an- 
bringen ließ, ehrt noch heute den hervorragenden Sohn der 
Pfalz, dejien Werke eine erjte Verkündigung derjenigen Kunſt 
war, die wir heute in aller Fülle bejigen. 

Das Wirken eines Künftlers und Dichters in Mannheim, 
der ein wichtiges Element der Sturm= und Drangperiode bildete, 
der durch jein fühnes, freies Schaffen hier hauptjächlich die 
Schillerzeit vorbereitete und dejjen Werfe der Kunſt und Lit- 
teratur bis zu unjeren Tagen vorauseilte, ijt jedenfalls ein 
werthvoller Beweis für die Freiheit künſtleriſcher Bethätigung 
zur Zeit Karl Theodors. 





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XVII. 


Peter von Derfjchaffelt und die 
Bildhauerei. 


Veitrebungen der Bildhauerei in Mannheim — Gewinn der Selbitändigfeit 

negenüber der Architektur — Grupellos Denkmal auf dem Paradeplag — 

Reter und Johann Mathäus van den Branden — Paul Egell — Stonrad 

Lin? — Peter von Berjchaffelt — Sein Leben — Seine Bildhauerwerke 

— Sein Wirfen als Director der furfüritlihen Zeichnungsafademie — 

Seine Bauwerke in Mannheim: das Zeughaus, das Bregenheim’sche Haus — 
Peter Lamine, 


I. nicht weniger reicher Entfaltung, wie die Malerei, 
gelangte auch die Bildhauerei des 18. Jahrhunderts in Mann» 
heim, wenn jie auch nicht jo energiich vorwärts drängte und 
oft mehr einen bejchränfenden, rücdwärtsjchreitenden Character 
annahm. 

Die ihr Füllhorn von Lebendigkeit auch über die Bild- 
hauerei ausſchüttende Zeit des Barock und Rokoko ließ dieje 
Kunſt troß ihrer reactionären Anwandlungen nicht erjtarren, 
jondern war auch jelbjt in anders beabjichtigten Arbeiten nicht 
zu verleugnen, 

Sp entitand denn in Mannheim eine große Zahl guter, 
beachtenswerther und für die Zeit characterijtiiher Bildhauer- 
werfe, die theils in Mannheim Aufitellung fanden, theils in 
dem furfüritlichen Garten zu Schwegingen noch zu jehen jind. 

Bejonders bemerfenswerth it, da die Bildhauerei hier 
volle Selbftändigkeit gegenüber der Architektur gewann. Dies geht 





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Beter von Verihaffelt und die Bildhauerei. 257 


bejonders aus der häufig unternommenen naturaliftiichen Ge— 
ftaltung des Sodels hervor. Wie dies heute wieder nicht jelten 
verjucht wird, jo bejtrebte man fich damals ſchon, die Geftalten 
mit Sodel Tandichaftliher Art zu verbinden, was wir — 
um bier gleich ein Beiipiel anzuführen — bei der auf einem 
Teljen figenden Bangeftalt im Schweßinger Garten in jo 
naturvoller Weije jehen. 

Wie die Malerei zur Regierungszeit Karl Philipps durch 
die Werke hervorragender Künftler in Mannheim gleich in eine 
höhere Sphäre gehoben wurde, jo jorgte diejer Kurfürft auch 
dafür, dab die Bildhauerei hier in hervorragender Weije ein- 
jegte. Kurz vor jeinem Tode ließ der Kurfürjt noch ein Haupt- 
werf der unter jeinem Bruder Johann Wilhelm in Düffeldorf 
erjtandenen Kunftzeit nah Mannheim verbringen: das jchon 
oben erwähnte Brunnendenfmal Grupellos. 

Diejes heute noch die Zierde des Paradeplabes bildende 
Denkmal kann den bedeutenditen Werfen jener ganzen Zeit zu— 
gerechnet werden. Seine Werthichägung fteigert ſich immer 
mehr, je jorgfältiger da8 Denkmal auf die wunderbare Aus- 
führung jeiner einzelnen Gejtalten geprüft wird. Die merk— 
wiürdigite Symbolif, verbunden mit äußerjter und zugleich auf’s 
Feinſte ausgeführter Lebendigkeit der Figuren, laſſen dieſes 
intereſſante Geſtaltenpotpourri als eines der characteriſtiſchſten 
Werke jener Stilrichtung erſcheinen. Es iſt höchſt wahrſchein— 
lich zunächſt als ein Denkmal auf den überſtandenen Orleans'ſchen 
Krieg gedacht, allein des Künſtlers freie Phantaſie iſt doch weit 
über dieſes beſchränkte Ziel hinausgeeilt, und ſo wurde dieſes 
Denkmal zu einer feinſinnigen Symbolik der Elementarkräfte, 
des Lebenskampfes menſchlicher Leidenſchaften, hohen Helden— 
thums, edelwaltender Charactereigenſchaften und ſchließlich des 
Sieges und der Entſchleierung der Wahrheit durch die Zeit. 

Das Denkmal baut ſich in drei Ringen auf; der unterjte 
verjinnbildlicht jedenfalls das Neich der Naturgewalten und 
Naturerjcheinungen und verfürpert die Tugenden der Weisheit, 
der Mäßigkeit, der Gerechtigkeit, der Standhaftigkeit, während 
der zweite Ring Trophäen und Kriegsiymbole faßt. Der dritte 

Defer, Gefchichte der Stadt Mannheim. 17 


258 Peter von Verſchaffelt und die Bildhauerei. 


Ring ſchildert das Gewirr menſchlicher Lebenskämpfe mit dem 
Siege der von der Zeit enthüllten Wahrheit. 

Im untersten Ring fällt die Berförperung der Standhaftig- 
feit dur) die Gejtalt des Nömers Mucius Scaevola be— 
jonder3 auf. 

Den jteinernen Sodel, der. feine architektoniſche Formen 
zeigt, hat Bibiena entworfen. 

Der Schöpfer dieſes Denkmals, Gabriel Grupello, ift am 
22, Mai 1644 zu Grammont geboren. Seinen erjten Unter- 
richt genoß er bei Artus Quellinus in Antwerpen; er vollendete 
jeine Ausbildung in Paris und Brüffel. Laut Patent vom 
5. Mai 1695 wurde er von dem Kurfürften Johann Wilhelm 
nach Düffeldorf berufen. Diejer Fürſt war es, der die Lauf— 
bahn des hervorragenden Künjtlers ficherte. Nach dem Tode 
Sohann Wilhelms wurde Grupello vom Kaiſer Karl VI. zum 
faijerlihen Hofbildhauer ernannt (15. März 1719). Er jtarb 
am 20. Juni 1730 im Alter von 86 Jahren auf Schloß 
Ehrenjtein bei Aachen. Seine Gebeine ruhen im Chor der 
Kirche von Kerfraede. 

Bon jeinen Werfen, die er außer dem hier befindlichen 
Paradeplatzdenkmal, jeinem Hauptwerk, geichaffen, wurde hier 
vorher jchon die Reiterjtatue Johann Wilhelms genannt. Im 
Schweginger Garten rührt die schöne Marmor-Gruppe „Salathen 
und Triton“ von der Hand diejes Künſtlers her, ferner be- 
finden ich Ddajelbjt von diejem Künstler die Marmorjtatuen 
„Minerva im Minervatempel*, „Merkur“, „Pallas Athene“, 
„Nemeſis“. 

Die Meiſterwerke dieſes Künſtlers gaben gleich der Mann— 
heimer Bildhauerei eine Höhe, die ſpäter nicht wieder erreicht 
wurde. Eine feine und ſchöne Kunſt konnte ſich damit hier 
geltend machen, die jene Zeit noch lange in ehrenvollſter Weiſe 
repräſentiren wird. Die innerliche Echtheit und feine Grazie 
dieſer Kunſt konnten jeden äußerlichen decorativen Effekt ver— 
ſchmähen. 

Ein ebenſo kraftvolles wie ſchönes Werk der Bildhauerei 
iſt die von Peter van den Branden und deſſen Sohne Johann 


Peter von Verihaffelt und die Bildhauerei. 950 


Matthäus gejchaffene Brunnengruppe auf dem Marktplatz zu 
Mannheim. 

Die Gruppe war nad) dem Entwurf des alten van ben 
Branden zuerit als eine Symboliſirung des Elementes des 
Waſſers gedacht. Allein von dem Sohne wurde es mit Nüd- 
tcht auf den neugewählten Beltimmungsort zu einer Ber: 
förperung der Stadt Mannheim mit dem Nhein und Nedar 
umgewandelt. Ueber die Gejchichte diejes Denkmals jagen die 
vier Injchriften ar dem von Pigage graziös entworfenen Sodel 
das Nähere und fie lauten: Sübweitjeite: Karl Theodor, der 
glückliche Fürjt, machte jeinen lieben Bürgern damit ein Ge— 
ſchenk 1767. — Nordweitjeite: Nun jubelt unter enerm Fürſten, 
dem e3 Freude macht, euch eures Glückes wegen mehr zu lieben als 
ſich ſelbſt. — Nordoitjeite: Diejes Werk entitand in Heidelberg ; 
von da erhielt es jeine Verjegung nach Schweßingen, und 
endlich wurde es bier zur Zierde erhoben, durch Peter van den 
Branden aufgeführt, und durch Johann Matthäus, deſſen Sohne, 
vollendet. — Südoſtſeite: Bon dem Stadtmagiftrat Jakob 
Friedrich Gobin, Stadtdirector, Johann Lambrecht Babo, 
Stadtichuftheiß, Johann Schoch und J. E. Stengel, Stadt- 
räthe freudig gelegt 1771. 

Beter van den Branden war Schüler Grupellos und in 
furfürjtlihen Dienften zu Heidelberg thätig jedenfalls zur Zeit, 
als Karl Philipp nod) in Heidelberg rejidirte. In der Graim— 
berg’ichen Alterthümer- Sammlung des Heidelberger Schlofjes 
findet jich noch eine Reihe von Werfen diejes Meifters vor. 

Sein Sohn Johann Matthäus van den Branden iſt 1716 
zu Heidelberg geboren und wurde, nachdem er in Wien jeine 
fünjtleriiche Ausbildung beendet, 1740 von Karl Philipp nad) 
Mannheim berufen. Hier wußte er auch jpäter noch neben 
Berichaffelt jeinen Einflus auf die Kunjtverhältniife geltend zu 
machen. Eine Reihe der feinften Figuren an den Eden zahl: 
reicher Privathäujer ſtammt von jeiner Hand, ebenjo der er» 
wähnte bildneriiche Echmud des Theaters, ein Marmorrelief 
Karl Theodors vom Jahr 1779, die Inichrift der Grabplatte 
der Gräfin Heydeck, Mutter des Fürften Bretzenheim (tm 


10° 


260 Peter von Verſchaffelt und die Bildhauerei, 


Schlofje zu Zwingenberg a. N.), ein Ehrijtusfopf (Mannheimer 
Altertdumsjammlung), die Urnen am Hirſchbaſſin und die 
Bajen mit den fich jchnäbelnden Tauben in Schwegingen und 
U. m. Der Tod des Künſtlers erfolgte im Jahre 1789 in 
Mannheim. 

Wie Peter van den Branden war aud Paul Egell ein 
Schüler Grupellos. Seine Berufung nad Mannheim erhielt 
er von Karl Philipp, der den Künjtler jehr jchägte und ihm 
die Ausführung des jchon oben beiprochenen Relief3 an der 
Schloßfirdhe übertrug. Nußerdem ſtammt von ihm der bild- 
neriihe Schmud des Kaufhauſes und des einjtigen Nedar: 
thores, die Füllung des Giebelfeldes an der Sejuitenfirche. 
Auch er hat zu dem Häuſerſchmuck der Stadt durch Bildwerfe 
beigetragen, die den Character einer naiven, graziöjen, echten 
Kunjt ausjprechen. 

Ein Künjtler der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts iſt 
der 1732 zu Speyer geborene Bildhauer Konrad Lind (Link), der 
jeine Studien in Wien und Berlin gemadt hat. Er fam um 
das Jahr 1754 nah Mannheim. 

Seine Arbeiten haben nicht die Tiefe und Feinheit der 
Werke der eriten Zeit Mannheims unter Karl Philipp, allein 
fie haben doch etwas Kraftvolles, Wahres an fi, dag blopen 
decorativen Effeft zu vermeiden weiß. Von ihm wurden Die 
ihon genannten vier Sphingen vor dem Theater ausgeführt, 
ebenjo die wenigen ornamentalen Verzierungen des ſchon früher 
gebauten ehemaligen Rheinthores, ein Marmorrelief Karl 
Theodors (1772) und ein Gipsrelief der Gemahlin des Fürſten. 
Die auf der alten Heidelberger Brüde jtehenden Statuen Karl 
Theodors und der PBallas Athene find wohl die beiten Werke 
jeiner Hand. BZahlreiche Arbeiten des Künſtlers befinden ſich 
im Garten zu Schwetzingen. Auch Hat Lind mehrere 
ichöne, in Franfenthaler Porzellan ausgeführte Gruppen ent= 
worfen (Trauer über Karl Theodors Wegzug von Mannheim, 
die Elemente, Amor u. U. m). Lind jtarb im Jahre 1794 in 
Mannheim. 

ALS Meifter ornamentaler Kunſt waren die Brüder Jojeph 


Peter von Verſchaffelt und die Bildhauerei. 961 


und Carl Lucas Pozzi befonders in Schwebingen thätig. Joſeph 
Pozzi hat mit den Studaturen der Eirfeliäle zu Schweßingen 
ein in jeiner Art umübertreffliches Werk der Innendecoration 
geſchaffen. Beide Künftler jtammen aus der italienijchen 
Schweiz (Caſtel San Pietro). Sie find in den dreißiger 
Jahren des 18. Jahrhunderts geboren und erhielten von ihrem 
Bater Franz Pozzi ihren Unterricht in der Kunſt der Stud: 
arbeiten. In Schweßingen waren fie wohl nur vorübergehend 
thätig, da fie zahlreiche andere Aufträge zu erfüllen Hatten. 

Bon den Bildhauern der zweiten Hälfte des Jahrhunderts 
werden noch Ohnmacht und Kaiſer ehrenvoll genannt. 

Längſt hat die moderne Kunjt jehr wejentliche Beziehungen 
zu der Kunſt jener Tage genommen. Der Lebendigfeit der 
Kunſt des Barod und Rokoko konnten auch fir die moderne 
Kunjt wichtige Elemente entnommen werden und die Prinzipien 
diefer Stile ließen überhaupt eine ganz freie Entwidelung zu. 
So jehen wir heute die freischaffende moderne Kunft in neuer 
inniger Beziehung zu dem Zeitalter diejer Stile. 

Aber auch ſchon damals ging freieſtes Kunftichaffen uns 
mittelbar aus ber Herrichait des Barock und Rokoko hervor 
— wie dies in dem vorhergehenden Kapitel zu ſchildern ver— 
jucht wurde. 

Die Oppojition gegen das Barod und Rokoko bildete 
einzig und allein die Flaifiziftiiche Nachahmung, während die 
vorwärtsjchreitende Kunftentwidelung im modernen Sinne mit 
diejen Stilarten in Beziehung blieb — verbunden durch die 
natnraliftiiche Grundlage des Schaffens. 

Damals fiegte am Ende des Jahrhundert der Nach— 
ahmungsklaſſizismus — in Mannheim durch die ſich machtvoll 
aufiptelende Perjönlichkeit Peter von Verſchaffelts vertreten. 
Bei diefer Nachahmung des Klaſſizismus wurde gar oft alles 
das, was der klaſſiſchen Richtung ihren umvergänglichen Werth 
verleiht, in jein Gegentheil verkehrt. Das Barod und Rokoko 
hatten es ſchon in ihrer Weife verjucht, den Reichtum der Natur 
in verjchwenderiicher Fülle darzujtellen, und man ließ die An— 
fnüpfung an diefe Kunft durch den damals ſchon auffommen- 


2652 Beter von Verſchaffelt und die Bildhauerei 


den Naturalismus unberüdjichtigt, jih in die Arme der Nach— 
ahmer des Klaſſizismus werfend. 

Aber dieje jogenannten Nahahmer waren im Grunde gar 
feine Nahahmer im guten Sinne des Wortes. Sie waren 
nichts weniger als klaſſiſch gebildete, tief empfindende Künſtler. 
Sie hatten während ihres Aufenthalts in Jtalien mur den 
flaifiichen Werfen der Kunſt das Decorative, nur das äußer— 
lich Wirkende abgegudt, jih ort ſchon in Italien jelbit in 
Scene zu ſetzen veritanden, und als man jie dann nach Deutjch- 
land berief, da traten fie höchſt anjpruchsvoll auf und täufchten 
einem durch ihre Anmaßlichkeiten verblüfften Publitum ein Wie- 
dereritehen „Hajiticher Größe und natürlicher Einfachheit“ vor. 
Man verwechjelte decorative Leere mit natürlicher Einfachheit 
oder gar klaſſiſcher Größe. 

Nicht ganz außerhalb jolher Betrachtungen jteht eine Perſön— 
lichfeit des Mannheimer Hunitlebens, die mit großer Rückſichts— 
(ofigkeit hier jchaltete und waltete und ein jtarfes Gegenelement 
gegen die Entfaltung freier Kunſt und junger Talente bildete. 

Peter von Verſchaffelts Wirken in Mannheim war für 
die Stunftentwidelung der Stadt nicht ducchweg von Vortheil 
— jeine dauernde Anjtellung als eine Art Oberhaupt des 
Kunſtlebens war der einzige Fehlgriff, der Karl Theodor auf 
fünftleriichem Gebiete vorgeworfen werden fünnte. Gerade ein 
fich jo eigenmächtig ſelbſt aufjpielen wollender Künjtler hätte 
bier nur als Schaffender, aber nicht als Leitender wirken 
dürfen. Die Würdigung jeiner decorativen Schöpfungen wäre 
dann in den rechten Schranfen geblieben und hätte die Begriffe 
von wahrer und echter Bildhauerei nicht beeinträchtigen fünnen. 

Peter von Verſchaffelt ift ein großer Decorateur unter 
den Bildhauern jener Zeit. Da, wo er einen großen Garten 
mit mächtigen Figuren beleben will — wie den Schweßinger 
Garten — oder wo er prunfvoll einen Altar oder ein Grab» 
mal mit Figuren auszuftatten hat, oder wo er Gebäudefaſſaden 
und Treppenwände ſchmücken joll, da tjt jeine Domäne als 
Künstler, da bringt er ſtark Wirfendes zum Ausdrud; doch 
nur jelten gelingt es ihm, auch etwas tiefer Getjtiges zu 


Peter von Verichaffelt und die Bildhauerei. 263 


paden oder gar das Kindliche über das bloß mit Re 
Wirkende zu jtellen. 

‚Die meijten der weit älteren zierlichen Figuren, die wir 
an den Eden zahlreicher Häujer in Mannheim jehen, jind oft 
an innerem Gejftalt, an natürliher Haltung und Bewegung 
künſtleriſch werthvoller als manches der bildhaueriichen Decora— 
tionswerke Verſchaffelts. Hier an jenen zierlichen Eckfiguren 
ſieht man troß aller reichen Details die wahre Einfachheit und 
Schlichtheit echter Kunit. 

Das Gegentheil von diejen Figuren ijt 3. B. Verichaffelts 
prunfvolle, rein decorative Marmor-Statue Karl Theodors im 
Nitterfaal des Schloſſes, die in ihrer jühlichen Jdealifirung und 
rein äußerlihen Auffaffung überhaupt die Trage aufkommen 
läßt, ob jte denn wirklich den genannten Fürſten auch darjtellt 
oder nicht eher einen andern. 

Berichaffelt war in jouveränem Selbjtgefühl nie verlegen, 
wenn irgend ein Einwand gegen jeine Arbeiten erhoben wurde. 
Als man ihn fragte, warum jein Apollo im Schweßinger 
Scloßgarten mit der linken Hand und nicht mit der rechten 
die Leyer jpiele, da antwortete er friich darauflos: „Apollo 
müſſe eine Hlägliche Gottheit jein, wenn er nicht mit beiden 
Händen jpielen könne.“ So wußte er jeinen Sritifern und 
Freunden immer zu imponiren. 

Ganz verhängnißvoll für das Mannheimer Kunitleben war 
die Thätigkeit Berichaffelts als Lehrer und als Director der 
unter ihm entjtandenen Mannheimer Zeichnungsatademie. Diejem 
Inftitute war durd die Oberleitung von Seiten Berjchaffelts 
eigentlich von Anfang an der Todesſtoß verjeßt. 

Man kann ſich nichts Verfehlteres denken, als einen 
Künſtler von jo eigenmächtiger Art an die Spike eines jolchen 
Injtituts zu jtellen und ihm damit eine Macht in die Hand zu 
geben, mit der er allem ihm nicht Pafjenden bequem entgegen- 
wirken fonnte. 

Und wie hat Verjchaffelt dieſe Macht gebraudt! Man 
fann getroft jagen, was Karl Theodor durch jeine liebens— 
würdige Förderung der Talente gut gemacht hat, das juchte 


264 Beter von Berfchaffelt und die Bildhauerei. 


der eigenfüchtige, auch feine äußerlihe Sinnesart hier jo recht 
zeigende Alademiedirector wieder einzureißen. 

Liejt man die erjchütternden Klagen in den Aufzeichnungen 
Theodor von Traitteurs, die im Kgl. Hausarchiv zu München 
aufbewahrt werden, über die Art, wie VBerichaffelt die bejten 
Talente in ihrem Wirfen zu ftören und zu unterbrüden ver- 
juchte und wie er fich überhaupt gegen jeine Gollegen betragen 
hat, jo fieht man mit aller Klarheit, wer es war, der eine ge— 
deihliche Entwidelung des Mannheimer Kunftlebens im lebten 
Viertel des 18. Jahrhunderts aufgehalten hat. 

Traittenr hat fi) von dem äußern Glanz, den dieſes 
Injtitut durch den Namen jeines Directors erhielt, nicht täujchen 
laffen, er hat tiefer in die Verhältniffe hineingejchaut als fo 
mancher der Schüler, die oft von Weitem hierher eilten in der 
Meinung, hier eine Stätte edlen Unterrichts zu finden. Dieje 
erwige Furcht vor anderen Talenten, die Verichaffelt nicht [os 
wurde, zeigte jo recht, wie ſchwach er fich bei aller Anmaßung 
im Grunde jelbit fühlte. 

Kein Wunder, daß ein Künjtler, deſſen ganze Veranlagung 
nach der Richtung des Decorativen hin ging, auf einem anderen 
Gebiete als dem der Bildhauerei und Lehrthätigfeit eigentlich) 
fein Bebeutendites zu leiften vermochte und zwar auf dem Ge— 
biete der decorativen Kunſt jelbit, der Innendecoration und der 
mit ihr verbundenen Baufunft. 

Seine Werfe der Innendecoration und Baufunft find die 
eigentlichen großen Denfmäler, die fich diefer Künftler an der 
Stätte feines längften Wirkens, in Mannheim, gejegt hat. Sie 
find an ſich werthvolle Werfe. Hier, wo es ſich nur um äußere 
Formen handelt und nicht, wie bei der Bildhauerei, um ver— 
innerlichte Darftellung von Menſchen — kann jene bdecorative 
Einfachheit, die der Art Verjchaffelts eigen ift, viel eher wahr: 
haft große Wirkungen erzeugen. 

War auch die Richtung, die Verichaffelt in der Baufunft 
einschlug, ein großer Rüdhchritt gegenüber der vorangegangenen 
febensvollen und farbigen Architeftur, an die auch die moderne 
Baukunst (3. B. mit der Fethalle in Mannheim) wieder ans 


Peter von Verſchaffelt und die Bildhauerei. 265 


fnüpft, jo bleiben doc die Bauwerke Berjchaffelts jelbjt heute 
noch von Bedeutung durch das Erreichen von Größe mit ver- 
einfachten Mitteln. Das Decorative Hat hier als das an ſich 
Verlangte ganz andere innere Berechtigung. 

Beter von Berjchaffelt iſt als Sohn nicht begüterter, doch 
gebildeter Eltern am 8. Mai 1710 zu Gent geboren. Frühzeitig 
wurde er jchon in feiner Baterjtadt in der bildhauerijchen Kunft 
unterrichtet, für die fich jeine Begabung von Kindesbeinen an 
regte. Die kunftwifjenichaftlihe Erfahrung läßt ganz von jelbjt 
annehmen, daß ein jo begabter Knabe jchon frühzeitig jchöpferiich 
thätig war. Es gelang ihm, feine Ueberjiedelung nad) Paris 
durchzujegen, wo er bei dem bedeutenden Bildhauer Edmé 
Bouchardon, von dem ſich übrigens im Schwesinger Garten 
eine Reihe von Werfen befindet, Unterricht genoß und jchließ- 
lich von diejem Meijter geſchätzt und zu größeren bildhaueriichen 
Arbeiten herangezogen wurde. 1737 jiedelte der junge Künſtler 
nad Rom über, um dort jeine Studien zu vollenden. Hier 
gewann er fich die Gunjt des Funjtverjtändigen Papſtes Bene: 
dift XIV. durch VBermittelung des Malers Subleras und bes 
Staatsjefretärs Valenti. Sein Hauptwerk in diejer römischen 
Zeit ijt jeine Schöpfung des Modells zu dem im Bronce ge- 
gofjenen befannten Engel auf der Engelsburg zu Rom. Da- 
neben arbeitete er noch eine große Marmorbüfte des Papites 
Benedift XIV. für das Capitol und ein in Marmor lebens— 
groß ausgeführtes Porträt desjelben Papſtes für den Bene- 
diftiner Orden auf Monte Caſſino bei Neapel, eine Statue des 
heiligen Johannes und vier Basreliefs für die Kirche St. Eroce 
zu Rom, ein Standbild des heiligen Baulus für die Peters: 
fiche zu Bologna, ein Bruftbild des heiligen Norbertus für 
das Portal der Norbertusfirche zu Rom, einen Genius mit 
den päpitlichen Attributen für die Domfirhe zu Bologna 
u. U. m Das er in Rom die erjten wejentlichen Anregungen 
zu jeiner jpäteren Bethätigung in der Baufunjt erhielt, it 
jelbjtverjtändlich. 

Sn Rom vermählte ſich VBerichaffelt mit der Jtalienerin 





266 Peter von Verichaffelt und die Bildhauerei. 


Giovanna Catarina Ehinchinteri, die ihm zwei Töchter jchentte, 
doch ihm bald durch den Tod wieder entriffen wurde. 

Sn Rom fonnte Verjchaffelt ſich auf die Dauer nicht be- 
haupten. Hatte der kunſtſinnige Papſt Benedift XIV. die 
Schwäche der Kunſt PVerjchaffelt3 erfannt oder den Künitler 
al3 „Unfreien“ verjtoßen, weil diejer in nahe Verbindung zu 
dem Sejuitenorden getreten war? Sturz, Verjchaffelt verlieh 
Rom und folgte einem Ruf des Prinzen von Wales nad 
London, dortjelbit einen mächtigen Triton, einen Bahus und 
ein von dem Domherrn zu Gent bejtelltes Modell für bie 
Wiederheritellung der Kirche St. Bavon entwerfend. 

Doh nur Dreiviertefjahr währte der Aufenthalt Ver: 
Ichaffelt3 in London. Der genannte Fürft, fein Protektor, 
war gejtorben, und damit bier auch ſeine Ausficht auf ein 
längeres Wirken geichwunden. 

Inzwiſchen jedoch waren die Jejuiten zu Mannheim, die 
einen gelinnungsverwandten Künjtler fir die Ausichmüdung 
ihrer im Bau begriffenen Kirche bedurften, durch römiſche 
Jeſuiten auf diejen Künjtler aufmerkſam gemacht worden. Sie 
verwendeten fich deshalb bei Kari Theodor für die Anitellung 
Berichaffelts. Der Fürſt willigte ein und berief den Künftler 
nad; Mannheim, wo er am 11. September 1752 eintraf. 

Nun begann für Verjchaffelt eine große und rege Thätig- 
feit. Er fonnte hier gleich in der feinem Talente am nächſten 
liegenden Weije einjegen: mit der deforativen figürlichen Aus» 
jtattung eines mächtigen Bauwerks, der Jeſuitenkirche. 

Dann erwuchien ihm in der Beihilfe zur bildhauerijchen 
Ausſchmückung des Schlofles (Figuren des Ritterjaals u |. w.), 
in der Dekoration des Schweginger Gartens weitere jeinem 
Talent entjprechende Aufgaben. Bejonders jeine Figuren in 
Schwetzingen (Flußgötter u. A.) wußte er troß aller Manierirt— 
heit mit einem gewiffen naturwüchligem Leben zu erfüllen und 
Arbeiten zu jchaffen, die heute in ihrer Weile noch gut be— 
ſtehen fünnen, 

In Mannheim jchuf er u. A. noch für Brüffel das Denf- 
mal des Prinzen Karl von Lothringen und für Gent das 


Peter von Verſchaffelt und die Bildhauerei. 267 


Grabmal van der Noots, eine Madonna für den Theodor- 
Altar der unteren Pfarrficche und einige Büjten (Voltaire, 
Selbjtportrait), mit welch’ leßteren eine merkwürdig breite, 
behäbige niederländiihe Manier zum Ausdrud gelangt und 
eigentlich das national echtejte der Kunſt Verichaffelts her— 
vorbrad. Won weiteren Arbeiten jeien noch das bedeutende 
Basrelief im Fronton des Bibliothefbaues, der leider 1794 
durd; Brand vernichtete Altar im Chor de3 Domes zu Speyer, 
die Figur des Johannes am Hauje O 2, 10, das Grabmal der 
Gräfin St. Martin, der einen Tochter des Künſtlers, das fich 
in der Nonnenklofterfirche befand und jeßt in die Heilige Geijt- 
Kirche verbracht wurde, und ein Marmorportrait der rau 
Geheimratd Profefjor Franz Mai, der anderen Tochter des 
Meiiters hervorgehoben. 

Die beiden hier genannten Töchter Verichaffelt3 waren 
Kinder der erften Ehe des Künſtlers. In Mannheim vermählte 
er ſich 1759 mit Marie Franziska von Mauroy, einer Frans. 
zöjin. Bon den beiden Söhnen diejer Ehe wurde Marimilian 
Berichaffelt, 1754 zu Mannheim geboren, als Arditeft be— 
fannt. Nach dem Tode jeines Baters berief ıhn Karl Theodor 
nad) München. Er jtarb zu Wien 1818, wojelbjt er als 
Architekt größere Bauten leitete. 

Das Jahr 1779 brachte der Familie Verjchaffelt eine 
bejondere Ehrung. Peter von Verfchaffelt hatte ich bei dem 
Kurfürjten um die Erhebung in den Adelitand beworben und 
Karl Theodor gewährte ihm dieje Auszeichnung. 

Bon dem Fiürſten erhielt Peter von Berichaffelt aud) 
größere Aufträge auf dem Gebiete der Baukunſt. Zunächſt 
wurde der Kiünjtler mit der Erbauung der Kirche zu Oggers— 
beim (1775 fertiggejtellt) betraut. 

Der große Bau des Zeughauſes, der 1778 vollendet 
wurde, zeigt die Berichaffelt’ihe Baufunjt in ihrem kühnſten 
Verſuche, die malerischen Bauftyle jener Zeit abzuthun und 
nur durch die gerade Linie in mathematiich berechneter Gleich: 
mäßigfeit zu wirfen. Die große Begabung des Künſtlers half 
über die Niüchternheit und Dede einer ſolchen neu einge: 


268 Peter von Verichaffelt und die Bildhauerei. 


ihlagenen Richtung vorerjt hinweg, die aber gar bald maß- 
gebend wurde und jchließlich zu einer lang andauernden Zer- 
ſtörung alles Lebendigen und Schönen der Architektur Mann— 
heims führte. 





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Das Zeughaus. 


Das Zeughaus ſelbſt wirkt jedoch heute noch durch die 
Kraft der Begabung ſeines Schöpfers. Es iſt etwas mili— 
täriſch Korrektes in dem Stile dieſes Gebäudes. Die Fenſter 
ſtehen egal nebeneinander wie die Soldatenreihen und das 
Portal erjcheint wie der allgewaltige Kommandant. Das Mili- 
tärijche, Befehlende, Selbftbewußte hat hier eine merkwürdige 
architektoniſche Verkörperung gefunden, fie muß imponiren — 
ihon durch die Mafje der gleihmäßigen Linien. 

In das Reich) der Töne übertragen könnte man dieſe 
architeftonijchen Linien vielleicht aucd) mit dem Knattern der 
Gewehrjalven und das Aufjchießen der großen Bilafter mit 
dem Donnern der Kanonen vergleichen, doch laſſen wir der— 
artige Vergleiche bei Zeite. 





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270 Peter von Verſchaffelt und die Bildhauerei. 


Weit liebenswürdiger nimmt fich die Baukunst Verichaffelts 
mit dem Bregenheim’jchen Haufe, der jekigen Rheinischen Hypo— 
thefenbanf, aus (errichtet 1782— 88). Bier ift der einfachen 
Anlage des Schlofjes gegenüber eine möglichit einfach und 
gleichmäßig gehaltene Architektur entjchieden geſchmackvoll und 
berechtigt. Das Bregenheim’iche Palais iſt jedenfalls die jchönite, 
gehaltvolljte und unvergänglichite Schöpfung Verjchaffelts. Hier 
fonnte er einmal von jeinem Schwelgen in großen, dekorativen 
Parabdejtüden laſſen und fih im wirklich edler und ruhiger 
Dekoration und intimerer Baufunft ergehen. 

So gemäßigt wird Verſchaffelts Kunſt immer angenehm 
bleiben. Das Bregenheim’ihe Haus iſt ein im Aeußern und 
Innern vortreitlich gegliedertes Gebäude, das Lichtvoll und 
freundlich dem Schlojje gegenüberiteht. 

Der große Mitteljaal, der durch zwei Etagen hindurchgeht, 
ift einer der glänzendjten und ſchönſten Palaſtſäle Deutichlands. 
Recht lebendige Reliefs des Meiſters, „Die Jahreszeiten“ dar- 
jtellend, große, in Die Wände eingelaffene wirfungsvolle Bortraits 
Karl Brandts, grazidie Studaturen jhmüden den in lichtvollem 
Weiß hell ftrablenden Saal. Reicher fünftleriiher Schmud, 
an deſſen Ausführung eine Reihe der hervorragenditen Künjtler 
des damaligen Mannheim betheiligt waren, verleiht auch vielen 
der übrigen Räume, bejonders den jebigen Verwaltungsraths— 
und Directionsräumen, hohen künſtleriſchen Werth. Ein Meijter: 
wert der Innendecoration tft vor allem aber das herrliche 
Treppenhaus, deſſen edle Linien fich von den verjchiedeniten 
Standpunften aus interejlant überichneiden und feinſte Wir— 
fungen erzeugen. Auch die Statuen des Mars und der Venus 
von Berichaffelt wirfen hier als Dekorationsſtücke vornehm. 
Das werthvolle Gebäude, auf deilen Gejchichte hier noch weiter 
unten zurücdgelommen wird, lief in neuejter Zeit Gefahr, ab- 
gebrochen zu werden, doch wurde diejer für die Kunſtwelt 
unerjegliche Verluft durch die Leitung der Rheiniſchen Hypo— 
thefenbanf, die das Palais erwarb und voll zu würdigen 
wußte, abgemwendet. 


Dieſes Werf auf dem Gebiete der Tecoration, der eigent- 


Peter von Berichaffelt und die Bildhauerei. 271 


lichen Schaffensart des Künſtlers ganz entiprechend, wird ſtets 
eine Krone des Wirfens Peter von Berjchaffelts3 bilden. Die 
Werke diejes Künſtlers — in welcher Richtung und Abficht fie 
auch geichaffen wurden, werden immer al3 Zeichen einer großen 
Begabung bejtehen bleiben; die Ziele und die Poſition diejes 
Meijters aber jind von umjerer Zeit völlig überwunden und 
eine neue Verbindung it gejchaffen mit der viel innerlicheren, 
höheren und feineren Kunſt der vorhergegangenen Zeit. Ein- 
fachheit und Größe wurde auf viel natürlicherem Wege gefun- 
den, als fie ung eine rein äußerliche Nachahmung der Antike 
bringen fonnte. Mit dem Tode VBerjchaffelts, der am 5. April 
1793 erfolgte, hatte die fünjtleriihe Reaktion in Mannheim 
ihr Oberhaupt verloren. 

Ein Sohn Mannheims war e3, der zuerjt in jeiner Vater: 
jtadt nach dem Tode Berjchaffelts, aus deſſen Schule er jelb- 
jtändig hervorging, als dieſem nachfolgender Director der 
Zeichnungsafademie*) eine meue und andere Kumjtpflege auch 
auf dem Gebiete der Bildhauerei anzubahnen verjuchte. 


Peter Lamine — 1756 in Mannheim geboren, 1817 in 
Miinchen gejtorben — ift der Schöpfer jener herrlichen Statue 
des auf einem Felſen die Flöte jpielenden Ban, die in ihrer 
wunderbaren Verbindung von Natur und Bildhauerfunjt wohl 
eines der interefjanteiten BildhHauerwerke der Mannheimer Kunſtzeit 
genannt zu werden verdient. Hier ijt der Prozeß der Be— 
freiung der Bildhauerei von der Architektur und Decoration 
in einer ganz vollendeten Weije erreicht. Ja, Meijter Bödlin 
würde ſich von Herzen gefreut haben, wenn er dieſes 
jeine Kunſt gleichjam vorahnende Werk zu Geficht befommen 
hätte. Eine jo innige Verbindung von Natur und Kunit 
fonnte nur ein großer Character, eine liebenswürdige, den 
Boden einfacher, wahrer Natur nie verlierende Perjönfichkeit 
erreichen. 

Peter Lamine war eine jolche Perjönlichkeit, von tief unter 


*) Auf die Zeichnungsakademie und feinen neuen Director (Zamine) 
wird in einem ſpäteren Stapitel noch zurücdgefommen. 


272 Peter von Berichaffelt und die Bildhauerei. 


ihm Stehenden verfannt und mißachtet — aber nur jo fonnte 
er über eine Zeit anderer Ziele hinausfommen und jeine Kunſt 
mit unjerer heutigen verfnüpfen. 

Der Ban im Schweßinger Park ipielt das Lied einer 
neuen Zeit — über ein Jahrhundert hinweg Klingt jeine Weije 
zu uns und Die heutigen Bejucher des wunderbaren Gartens 
lafjen ji von ihm mehr al3 von allem anderen anloden — 
die Laute der Güte und des Glüdes der Natur Flingen wieder 
neu und troftreich in unjere Herzen hinein... . 








XIX. 


Die ſocialen Verhältniſſe zu den Seiten 
Karl Philipps und Karl Theodors, 


Beſchränkung der Stadtverwaltung — Zünfte — Bevölferungsverhältniffe 
— Karl Theodors Reformen — Socialiftiiche Negungen — Urganifation 
der Stadtverwaltung — Begründung der VBürgervertretung (ded Bürger: 
ausihufles) — Steuern — Gonfeilionelle Verhältniſſe — Die Jeſuiten 
und die Aufhebung ihres Ordens — Karl Bhilipp Spielberger — Katholiken, 
Deutichreformirte, Wallonen, Lutberaner, Mennoniten und Juden — Faliche 
Anihuldigung wegen Nitualmordes — Die Milizfactoren — Lemle Mofes 
und die Glausitiftung — Das Hofgeriht in Mannheim — Hier abge- 
nrtheilte Verbreher — Verfehräverhältnifie — ‚Feuerlöichweien — Vers 
dienſte Karl Iheodors. 


Dis jo reich an glüdlicher Bethätigung wie die künſt— 
leriſchen Gebiete gejtalteten fich die jocialen Verhältniſſe unter 
Karl Philipp und Karl Theodor. Gewiß auch in diejer Be: 
ziehung wurde von den beiden Kurfürſten nicht wenig unter» 
nommen, allein bier riß die furfürjtliche Regierung die Herr: 
ihaft über die Stadtverwaltung an ſich und die Yandesiniti- 
tutionen verdrängten die früheren jtädtiichen Machtvolltonmen- 
heiten. In der Kritik dieſer Zuftände bietet das Feder'ſche 
Buch viel zutreffendes. Es jei deshalb hier in diefem Kapitel 
eine freie Zuſammenſtellung des Hauptlächlichiten der Feder'ſchen 
Ausführungen unternommen, die bejonders auf Grund von 
Akten des Großh. Generalstandesarchivs zu Karlsruhe das 
Folgende zu Sprache bringen: 


Deier, Beihichte der Stadt Mannheim. 18 


274 Die jocialen Verhältniſſe ꝛe. 


Mit Karl Philipp fam der geiammte Hofjtaat und die 
Garden zu Pferd und zu Fuß. Die Anjammlung einer großen 
Anzahl von Leuten, die an andere Bedürfnijje als die bisherige 
Einwohnerichaft gewöhnt waren, veranlaßte eine Reihe von 
Maßnahmen. Man beklagte fich über die Zünfte, daß fie zu 
unbejcheiden jeien und zu theuer arbeiteten, und drohte mit 
deren Aufhebung, da fie nad) den Privilegien eigentlich nicht 
eriltiren jollten; man beflagte jich über die bisherige Hand— 
habung der Brod» und Fleiſchpolizei und verlangte, daß die 
Metzger beijeres Fleiſch liefern und Schlachthäuſer errichten 
jollten; mit der Bifitation der Bierjude jollte es genauer ge— 
nommen werden und jämmtlichen Wirthen ließ man eröffnen, 
daß fie die Zeche micht zu Hoch machen und den Wein nicht zu 
theuer geben jollten. Die Straßenpolizei jollte bejier gehaud- 
habt, namentlich jollten feine todten Hunde, SKaben und 
Schweine auf die Straße geworfen werden, die Häufer ſollten 
vifitirt, die Höfe jauber gehalten werden. Auch das Pflaster 
Ichien ungenügend und mußte namentlich an den Wohnungen 
der Minifter verbejjert werden. Eine Menge Schildgeredhtig- 
feiten wurde conceifionirt. Die Schildgerechtigfeit zu den drei 
Glocken beiteht jeit dem 5. Jänner 1706; das ſchwarze Lamm 
jeit 17215 der Weinberg jeit dem Jahre 1725; im Jahre 1723 
werden nicht weniger als 11 neue Schildgerechtigkeiten ge— 
ihaffen, daneben entitehen jest Caffeehäuſer in größerer Un: 
zahl, Allein alle diefe Maßregeln genügten den regierenden 
Herren noch nicht. Noch lag das Schwergewicht der ſtädtiſchen 
Verwaltung in dem Stadtrathe und noch bejaß er die nach den 
Privilegien ihm zufommenden Machtbefugniſſe. Damit mußte 
aufgeräumt werden. Nicht mit einem Schlage, aber nad) und 
nad) untergrub man die jtädtiiche Verwaltung, und reduzirte 
fie auf das Minimum, in welchen fie auf das 19. Jahrhundert 
übergegangen iſt. Es iſt intereifant und lehrreich, den Gang 
der Dinge zu verfolgen. 

Zunächſt faßte man bei der Wahl der Bürgermeifter an. 
Mie wir aus der Geichichte des 17. Jahrhunderts gejehen 
haben, war die Wahl der Bürgermeifter nad) den Privilegien 


Die focialen Verhältniſſe x. 35 


eine freie und als jolche unbeanjtandet geübt. Sie wurdell 
jährlich an Martini gewählt und dankten regelmäßig abbunter! 
Bitte um Nachfichtsertheilung für die menſchliche Schwachheiti‘ 
So verhielt fich dieſes Verhältnig bis zum Jahre 1726. 
Unterm 26. März diejes Jahres ließ aber der Kurfürjt datt 
Rathe eröffnen, dad das Recht, die Bürgermeiſter frei und ohne) 
Betätigung zu wählen, ein anmaßliches jei und fünne nicht 
aus Art. 19 der Privilegien abgeleitet werden. Man verlangt 
die Anzeige von den Wahlen. Der Rath beruft ſich auf das 
Herfommen; um aber jeine unterthänigjte Veneration und jeinen 
Reſpekt zu beweiien, fügt er fich der Anordnung und macht 
Anzeige von der Wahl. Das genügt indeffen nicht; man will 
im folgenden Jahr auch die Wahlprotofolle vorgelegt haben, 
und auch das reicht noch nicht aus; man will auch die Namen 
der Votanten fennen. Der Rath entipricht auch dieſem Be— 
gehren, und damit das Bejtätigungsrecht auch praftijch in Die 
Wirklichfeit eingeführt werde, bejtätigt der Kurfürjt die Bürger- 
meijterwahl vom Jahre 1729, welche auf Jubert und Winfel- 
blech fiel, nicht und ordnete eine neue Wahl an. Der Rath 
remonjtrirt wiederholt und beruft ſich auf die Privilegien und 
eine mehr als hundertjährige Gewohnheit ; er hebt hervor, daß das 
Beitätigungsrecht und das Verlangen, daß die Bürgermeifter aus 
allen drei Religionen gewählt werden jollten, nachtheilig jei, weil 
der Rath am Beten die des Stadt- und Feldweſens Kundigen 
fenne, und überdies entitehe das Mißverhältniß, daß jonjt die 
Proteitanten dreimal zum Bürgermeijteramt gelangten, bis die 
Katholiken einmal dazu fämen. Der Rath bejteht nämlich aus 
acht fatholtichen, zwei reformirten und zwei lutheriſchen Mit- 
gliedern. Indeſſen ließ fich der Kurfürſt von jeiner Anordnung 
nicht abbringen, und bejtätigt diejelbe wiederholt. Im Jahre 
1730 wird das Bejtätigungsrecht des Kurfürjten Schon als eine 
Objervanz bezeichnet, während der Rath Sich fortwährend auf 
das uralte Necht der freien Wahl beruft. Die Differenzen 
hierwegen ziehen fich durch die ganze Negierungsperiode des 
Kurfüriten Karl Philipp, und als im Jahre 1741 ſich ein 
Etreit wegen Zulaſſung des (reformirten) Bürgermeiſters 
18* 





2376 Die iocialen Verhältnifie x. 


Winkelblech erhebt, welchen der Rath, entgegengejegt den kur— 
fürftlichen Weiſungen, nicht zulaſſen will, wird dem Rath er: 
wibert: es komme ihm feineswegs zu, die gnädigjtlandesherr- 
lihen Regierungsverordnungen zu ceritiliven. — Damit war das 
Beitätigungsrecht der Bürgermeijter erobert. Der Kurfürst 
bat hierbei allerdings den Standpunft der Gleich 
heit der NReligionsparteien vertreten; auf der andern 
Seite war aber damit dem Stadtrathe das freie Wahlrecht m 
Bezug auf die erjten Gemeindebeamten entzogen, und die Zu— 
fammenjegung desjelben hing nunmehr auch volljtändig von der 
furfürftlihen Negierung ab. Und nicht genug damit, Nach— 
dem jener Streit bejeitigt, wirft das Rentamt die Frage auf, 
ob e3 nicht zwedmäßig jei, auch die Wahl der Viertelmeijter 
der furfürjtlichen Bejtätigung zu unterwerfen. Dazu kommt es 
nun nicht; dagegen it es dieſe Periode, im welcher die An: 
wartichaften auf die Rathsſitze und gewifjermaßen die Erblich- 
feit derjelben eingeführt wird. So tritt Rathsherr Beern 
jeinem Schwiegerjohn Winfelblech im Jahre 1723 die Raths— 
herrnftelle ab, und erwirft die Bejtätigung der Negierung. 
Beern übergibt jolche bereits bei jeinen Lebzeiten und macht 
nur den einen Vorbehalt, daß feine Frau nach jeinem Ab— 
[eben den Weibern der andern Rathsherrn in den äußern Ehren 
gleich gehalten werden möge, ein Wunſch, welchem der Rath 
nicht ohne eine ironijche Beigabe mit aller Freundlichkeit will- 
fahrt. Das Beijpiel findet Nahahmung. Der kranke Raths— 
herr Fuchs tritt jeinem Sohne die Nathsherrnjtelle noch im 
gleihen Jahre ab, und auf den alten PBompejati folgt im 
Jahre 1729 der junge. Auch Anwartichaften wurden von der 
Regierung nach Willfür vergeben. So ernennt diejelbe im 
Jahre 1734 den Burgvogt Hirſch eventualiter zum Mitgliede 
des Raths, und es erbietet fich derjelbe einjtweilen gratis die 
Berrichtungen zu vollziehen. Der Rath erwidert, er möge jich 
vorerft als Bürger einkaufen, jonit könne er nicht anerkannt 
werden; auch müſſe er auf die Accidentien verzichten, dann 
fünne er gratis arbeiten. Schon im folgenden Jahre fommt 
er auf den erwünjchten Sit. Auch das Bedürfniß nach ver- 


Die focialen Verhältniſſe x. 277 


mehrter rechtsgelehrter Bildung macht fich bemerkbar und im 
Jahre 1736 befiehlt der Kurfürjt, daß einer der beiden Bürger- 
meiſter jedesmal ein Nechtsgelehrter jein jolle. 

Hatte man ſonach völlig freie Hand in der perjonellen 
Zuſammenſetzung des Rathes gewonnen, jo ftand fein Hinderniß 
mehr entgegen, auch jeine Machtbefugniffe „dem Bebürfniß ber 
Zeit“ entjprechend zu reguliren. Schon längjt war die Recht: 
iprehung des Rathes in Strafjahen der Regierung ein Dorn 
im Auge. Mit ihrem Ueberzuge von Heidelberg nad) Mann- 
heim erfolgen die Strafurtheile nicht mehr durch den Rath, 
jondern auf gnädigiten Befehl des Kurfüriten durch die Re— 
gierung. Der Rath hat bis dahin die Advocaten und Procu— 
ratoren concejlionirt; dieſe Machtbefugnig wird ihm entzogen 
und dem Hofgericht übertragen. Eine befonders hervorragende 
Stelle in der Ujurpation der bisher dem Stabdtrathe zujtehen- 
den Befugniffe pielte das Nentamt oder furzweg die Rent. 

Das Rentamt zieht die ganze wirthichaftliche Controle der 
Gemeinde an ſich; es regulirt die Fiſch- und Fleiſchtaxen, und 
es bemächtigt fich der Wirthichaftsconceffionen, die jeither dem 
Nathe zugeftanden hatten. Bald miſcht fich das Nentamt in 
alle jtädtiichen Angelegenheiten ein und dem Rathe bleibt nichts 
anderes übrig, al3 zu gehorchen. Im Jahre 1734 wird dazu 
noch eine „geheime, in dem Mannheimer Stattweien angeord» 
nete Conferenzcommijfion“ eingejeßt, bei welcher die dirigiren- 
den Minijter betheiligt find. 

Nunmehr ift der Stadtrath lediglich zu einer ausführen- 
den Behörde umgewandelt. Zu gleicher Zeit (1734) tritt eine 
Trennung desjelben ein in dem eigentlihen Stadtrath und 
in das Stadtgericht, welc)’ letzteres die bürgerlichen Streitig- 
feiten zu bejorgen hat. Indeſſen hat man es mit eingemwurzelten 
Einrichtungen zu thun, die nicht mit einem Federſtriche be= 
jeitigt werden fünnen. Der Kurfürft hat im Jahre 1738 eine 
Polizeicommiſſion eingejegt, welche unter der genannten Con— 
ferenzeommiffton jteht und die polizeilichen Angelegenheiten der 
Stadt beiorgen ſoll. Allein der Rath will jich feine Befug- 
niffe nicht entziehen laffen. Darauf wird im Jahre 1738 ein 


278 Die ſocialen Verhältniſſe ꝛc. 


durfürſtlicher Bejehhreröffnet, wornach ihm ausdrücklich verboten 
wirdntan Pohzeiſachen etzvas Einſeitiges zu verfügen; er hat 
vielmehr das hiepanf;hezügliche unter Direction der Polizei— 
sommillion zun verrichten, und jede Weigerung wird für jtrafbar 
ertlart. Zurãchſt mind ging Geldſtrafe von 12 Thalern ange» 
Drobt, ;iodann ſoll eine, Suöpenfion von Amt und Gehalt auf 
en, Dadız und endlich ſoll die Cafjation ausgeiprochen werden. 
zo 2 Auf Diele, Waiſe wurde, ;dem Rathe die Juſtiz und die 
Poltzeigewalt,. Jomie, Fin. großer Theil jeiner adminiftrativen 
Befugnijſe eutzpgemen Es ageſchah nicht ohne Widerſtreben. 
VNamentlich waren esn Dig, wie man fie nennt, akatholiſchen 
Mitglieden Des, Rothes, cwelchen Hrh durch dieſe Beichränfung 
Dex Stadtsäthlichen, / Befngniſſeverletzt erachteten. Cie erhoben 
Jahres laut Beſchwerde, dab der Rath durch 
Bieınengrlichen: Anordnungen smmamgatlich auch durch die Ein- 
richtung des Stadtgerichts ;lichnspiner, Alctivität ffaſt ganz ent- 
jegt jehe, and fie ;perlangten, Die Ausirerhterhaltung des früheren 
Guſtandes. 7 Gum -abfiß sid ilihon & 

sc Der Kurgürſt Ihnte, aber ‚bieies; Begehren ab; er beſchied 
die Beirhmerhefüihrer, daß es ma auf eing „beſſere Reipicirung 
der Juſtizſ ahgejehen ad Die; Trenunng „des Rathes von dem 
Gtadtaguichtohahex (beibehalten. werden, mühe; doc ſollten die 
alten Hbſervanzen beachtet mer da. ni uniads, 

si RD Re jlalchen Perioden des, Unidhapungs gegen 
hergebrachte, eingewurzelte Bolksaufihten md; Gewohnheiten 
niemals an Werkzeugen, Feb, die begeit „Ind; dem, Pillen der 
Herrishenden: Geyalt mit ginem hexporſtechendeng Uebereifer 
durchzu füihren, ı fo Ayan ad. uch. hiet. der man Lömenberg, 
jpäter: Paligeibigester, iſt der Held dieſer MBertodeg ein bureau⸗ 
fratiſchex Reitpeitſchenijunkex de A Jahrhuuderts Dexſelbe 
erjcheint, immer pexſijulichnin dem Mathe, au dort, ſeinen Maß⸗ 
nahmemn zu denanſtriren nd fofgrtige Willführigkeit, zu exzwingen. 
Bois am ee 1735. inndem Rathe und will 
iR Auftrage apa) Raugcuiten ben Rgtheverwandten Poupe jati 
a Anwaltſchutheißadignlten „einippäiem Dos mar an jelbft 
hen xxchtsgelehxten Mitgliehezu, des Mathes ham Stadtdireetor 


Die iocialen Verhältniſſe x. 279 


Lippe und Anwaltjchultheißen Gobin zu ſtark. Sie protejtiren 
feierlichit dagegen und verlangen die Unterjchrift des Kurfürjten 
zu jehen. Löwenberg beruft jich nun auf die geheime Confe- 
tenzcommiffion, in deren Namen das Rentamt gehandelt, nimmt 
Pompejati an der Hand und jeßt ihn auf den Seſſel des An- 
waltichuftheißen. Der Streit löſt ſich dadurch, daß Gobin nun 
wirklich Stadtdirector wird, eine Stelle, die er bis zu jeinem 
am 28. Dezember 1791 erfolgten Tode, alſo 56 Jahre lang 
befleidete, und Pompejati, in jeine Stelle al3 Anwaltichultheiß 
einrüct. Ein anderes Mal (1741) erjcheint von Löwenberg 
bei dem Rathe, um eine Reviſion der Gebühren, die der Leb- 
tere erhebt, vorzunehmen, worüber fich der Rath jehr gefränft 
erachtet; ein drittes Mal bejchuldigt von Lörwenberg den Stadt- 
rath und insbejondere den Director Gobin, daß er fortfahre, 
die furfüritlichen Verordnungen nad eignem Sinne zu inter— 
pretiren und die Autorität der Polizeicommiſſion jchmälere. 
Darnach geht ein jtrenger Befehl an den Rath, ſich jolcher 
Widerjpenjtigfeiten zır enthalten. Der Rath iſt entſetzt. Er 
verlangt eine Unterfuhungscommiilion und Nennung des Denuns 
ctanten. Er fühle fich feiner Schuld bewußt und jei immer 
den furfürjtlichen Befehlen gehorjam gemejen. Ein jedes der 
Mitglieder gibt fich jelbjt diejes Zeugniß. 

Die Sache endete damit, dat die Öewaltsbefugnifie, welche 
der Polizeicommiſſion zujtanden, nochmals geregelt und betont 
werden. Die PBolizeteommiffion hat darnach die Polizei zu 
üben, wie die Regierung; nur feine criminalia, die Blutver— 
gießen zur Folge haben und feine dauernde Ausweiſung jtehen 
ihr zu. Dieje bleiben bei der Regierung. 

Endlih ein anderes Mal gebietet von Löwenberg dem 
Rathe, einen inhaftirten Juden freizulafien und als Gobin nicht 
jofort Folge leijtete, erklärte er dem rapportivenden ftädtiichen 
Wachtmeiſter Sreudenberger: „den Stadtdirektor Gobin joll 
der Teufel holen; ich werde noch mit ihm fertig werden, und 
den ganzen Rath zu Paaren treiben!“ Bon diejer Nede macht 
Freudenberger jofort die Meldung bei dem Stadtrathe, der 
über ſolche Bloßſtellung jeiner Autorität betroffen war, eine 


280 Die ſocialen Nerhältniiie :e. 


Unterfuhung einleitete und eine heftige Beichwerbe gegen den 
Polizeidirector bei der Regierung erhob. 


Erit nad) dem Tode Karl Philipps wurde indellen diejer 
Dränger de3 Rathes bejeitigt. Sein und des Nentamtes Ver: 
dienit war es hauptiädhlich, den Stadtrath durch ihre Ueber: 
griffe eingejchüchtert und die Durchführung der Umwälzung 
ermöglicht zu Haben, welche nunmehr vollendet war. Am Ende 
der Regierung des Kurfürſten Karl Philipp jah ich die 
ftädtiihe Verwaltung ihrer wejentlichiten Befugniſſe beraubt 
und zwar troß der Privilegien, die Karl Philipp noch im 
Jahre 1718 bejtätigt Hatte. 


Die gejellichaftlichen Verhältniſſe, wie fie durch die Ueber- 
fiedelung des Hofes veranlaßt wurden, hatten diejen Umſchwung 
der Dinge begünjtigt. Das Berjonal desſelben war überaus 
zahlreich. Das Princip der Arbeitstheilung war bei demjelben 
mit äußerjter Conjequenz durchgeführt. Bon den Hofitäben 
bis herab zu dem Hoffüchenjungen, Bratwender und Geſchirr— 
pußer, dem Hofzwergen und Hofnarren erfüllte jeder nur eine 
ganz ſpezielle Million. Die Hofbedienten, Stallfnechte, Hey: 
dufen, die Soldaten von der Linie und der Garde erfüllten Die 
Stadt. Dazu famen die Streiter der Kirche, die Kapuziner, 
die Jeſuiten, die Karmeliter und die barmherzigen Brüder. 

Ebenjo zahlreih wie der Hof, waren die Difajterien be— 
jegt. Ein umendlihes Schreibereiwejen und ein verwidelter 
Verwaltungs und Gerichtsorganismus begann fich jet jchon 
breit zu machen. Neben der Regierung, der Hoflammer, dem 
Gerichtädepartement, - dem Hofgerichte und der Firchlichen Ad— 
miniitration, welche unterdeifen auch nad) Mannheim verpflanzt 
worden war, beftand ein hegericht, ein Wechjelgericht, das 
indeffen im Jahre 1734 mit dem Hofgericht vereinigt wurde, 
die geheime Conferenzcommiſſion, die Polizeicommiſſion, vom 
Jahre 1741 an ein Merkantilgericht, das Rentamt u. j. w. 
Ein mafjenhaftes Perſonal war bei diejen Stellen beichäftigt. 

Außerdem zog die Gaftfreundichaft des Kurfürſten und 
des Hofes eine große Menge von Fremden an. Ein zahlreicher 


Die focialen Berhältnifie ze. 281 


Adel Fam, um theils im Militär, Hof oder Staatsdienft 
lohnende Beihäftigung zu finden. — 

Die Bevölkerung der Stadt vermehrte fih daher nament— 
fih, was die Beifaffen anbelangt, in dieſer Periode beträchtlich). 
Nach einer Zählung vom 15. September 1733 rechnete man 


bürgerliche Familien . 599 
Beiſaſſen 266 
Wittweiber . 5 : ; 106 
Juden . ; . 4 160 
Geiſtliche und rei j 39 


E3 fann daraus annähernd auf eine Bevölkerung von 
6—8000 Seelen geichloffen werden. Leider gehören ſolche 
ftatiftiiche Angaben zu den Seltenheiten. 

Bemerft muß hierbei werden, daß bei jener Zählung weder 
der Hof, noch das Militär eingerechnet iſt. (Beides eingerechnet 
betrug die Bevölferungszahl 1778 an 24000). Das Verhältnif 
diejer Bevölferung zu der Gemeinde war ein wejentlich Ver— 
Ichiedenes von dem des vergangenen Jahrhunderts. Der Hof, 
das Militär und die Beamten jtanden außerhalb der Gemeinde, 
und jie waren und wurden größtentheils mit ihrem Beſitzthum 
befreit von den Gemeindelajten. Die Befreiungen von der 
Schatzung, den Wacht- und Frohndienjten, den Uuartiergeldern 
gingen herab bis zu den niederiten Bedienteten und darin liegt 
eine der Urjachen, warum einestheils jene Laſten dem eigent- 
fihen Bürgerjtand gegenüber jo außerordentlich drüdend wur— 
den, anderntheils fi aber aud; die Einnahmen der Stadt 
gegenüber den früheren Jahren zunächit nicht nur nicht ver- 
mehrten, jondern verminderten. Während die Einnahmen der 
Stadt im Jahre 1688 ſich jchon auf 31,437 fl. jährlich er- 
hoben, und im Jahre 1721 wieder die gleiche Höhe (31,544 ff.) 
erreicht hatten, hielten fie fi) nur bis zum Jahre 1727 auf 
annähernd der gleichen Höhe Sie fteigen im Jahre 1762 
(unter Karl Theodor) wieder auf 32930 fl. und erhalten fich 
auf diefer ungefähren Höhe (bis zu den Kriegsjahren am Ende 
des Jahrhunderts, in denen ſie wieder finfen). 

Bon der Freiheit der Niederlaffung war jebt feine Rede 


282 Die ſocialen Verhättniſſe ac. 


mehr, im Gegentheil überwachte man diejelbe auf das Sorg- 
jamjte. Schon im Jahre 1701 Hatte man die Frage aufge- 
worfen, ob die Judenjchaft überhaupt von Nußen für die Stadt 
jei, und der Rath war jehr geneigt, der verneinenden Meinung 
zuzuftimmen. Die Bürgerannahmsgelder, jowie die Gebühren 
für Aufnahme in den Schu wurden erhöht; im Jahre 1734 
werden fie von 6 fl. auf 40 fl. feitgeiegt, „damit das an 
dringende Gefindel abgehalten werde.“ Die Bürgerannahmen 
Afatholiicher wurden bejonders jtrenge geprüft und im Jahre 
1739 ericheint jogar ein Nentamtsbefehl, welcher überhaupt 
den Grundſatz ausipricht, daß unvermögliche Leute abgehalten, 
und jeder aufzunehmende Bürger verpflichtet jein jolle, ein ein- 
ftödiges Haus zu erwerben und jolches zweiſtöckig zu bauen, 


Dazu entwidelte jih mit dem Beginne des 18. Jahr» 
hunderts das Zunftwejen in feiner ausgeprägteiten Geſtalt. 
Die Hutmacher-, die Bäder-, die Barbierer- und die Schneider- 
zunft waren die erjten, welche die Bedingungen der Aufnahmen 
verichärften; die Barbiererzunft verlangten neben einem inner— 
lfihen und äußerlichen Eramen die Zahlung einer Aufnahms- 
tare von 20 fl. und 4 fl. in das Almojen (1707). Das 
Beiſpiel fand alljeitige Aufnahme Damit war der Freiheit 
ber Arbeit der Todesſtoß verjett. Ohne Aufnahme in die 
Zunft feine Arbeit — das war die Marime des 18. Jahre 
hunderts.*) Noch weniger hielten die Privilegien der Stadt 
in Betreff der Freiheit von der Einquartierung und der Ab: 
gaden Stand. Die Einquartierung wurde zu einer jtändigen 
Lait;**) fie mußte an Freund und Feind geleijtet werden; an 


*) Huf dem Gebiete der Kunſt aber wurden dieſe Beſtimmungen 
nicht eingehalten, hier herrichte fowohl bezüglid der Aufnahme von Künſt— 
lern und ihrem Scaffen unbefümmerte Freiheit, ſodaß ipäter auch in Die 
Privilegien (1785) folgender Pafjus aufgenommen wurde: „bei geichidten 
Künftlern und Profeifionisten jedoch, nad ſorgſamſter genauer Unterfuchung 
ihrer vorzüglihen Cigenichaften, fanndie unit und Provifion bierunter 
in einigen Anſchlag gebracht werden.” 

**) Dieſe Laſt wurde jedoch durch den oben ichon erwähnten Bau von 
Kaſernen vermindert. 


Die jocialen Verhältniffe x. 283 


die Dffiziere und Kriegsbeamten werden ebenjo jtändige Quar— 
tiergelder entrichtet. Schon vom Jahre 1711 an beichäftigt 
man fi mit einem näheren Studium der Finanzkräfte der 
Stadt. Damals beruft fich der Rath noch mit Erfolg auf die 
Privilegien, wonad; die Stadt feine andere Abgabe als den 
Grundzins zu entrichten hat. Aber bald wird diefe Schranfe 
durchbrochen. Zu dem Schloßbau müſſen jchon im Jahre 1720 
Fuhrfrohnden geleistet und bald Gelbbeiträge gejteuert werden; 
von jedem Ohm Wein, das auf den Markt gebracht wird, er- 
hebt man einen Gulden und jperrte die Straßen der Eontrole 
wegen mit Ketten ab (1721); die Mebger müſſen vom Jahre 
1723 an für das Viehſchlachten im Schladhthauje ein Averſum 
von 2400 fl. bezahlen; alles Sträubens ungeachtet, zieht man 
die Stadt im Johre 1726 zu Beiträgen für die Furfürjtliche 
Landmiliz mit 1394 fl. heran; der jogenannte Nothipeicher 
wird eingeführt und eine Menge Gefälle, wie 5. B. von 
Schenken, Kaffeehäujern, von Kindtaufen, Hochzeiten, Beerdi- 
gungen demjelben zugewendet; im Jahre 1733 wird die kur— 
fürftliche Rente neu organifirt, folche unter die Direktion eines 
Freiherrn von Saida gejtellt und der große Aceis eingeführt. 
Dem Rentamt werden im Jahre 1731 die Erhebung aller 
Gefälle überwiejen. Sie jollen in drei Theile getheilt werden, 
wovon die Hoflammer, das Kriegstommiffariat und der Stadt- 
rath je einen bezieht. Nur die bürgerlichen jogenannten Neben- 
gelder, Wacht-, Quartier, Frohnd- und Brunnengelder jollen 
unmittelbar in die Stadtfafje fließen. In den Jahren 1728 
bis 1731 lieferte die NRheinbrüde allein ein Erträgniß von 
durdhichnittlih 4—5000 fl. Im Jahre 1733 wurde jedoch 
das Rheinbrüdenerträgniß der Stadt wieder entzogen. 

Als Karl Theodor mit dem Beginne des Jahres 1743 
zur Regierung gelangte, fand er das Land in einem Zuftande, 
welches einer bejjernden Hand nothwendig bedurfte. Zwar 
machte ſich äußerlich feine Unzufriedenheit bemerkbar, dazu war 
man allzu jehr an eine blinde Unterwürfigkeit und Urtheils- 
fofigfeit gewöhnt; allein ein umbefangener und wohlwollender 
Blid, wie er dem Kurfürſten Karl Theodor nicht abzujprechen 


284 Die focielen Verhältniſſe x. 


ift, mußte jofort erkennen, daß in der Weile, wie e3 unter 
Karl Philipp der Fall war, ſich nicht fortwirthichaften Lafle. 

Sofort machte Sich Karl Theodor an feine Regententhätig- 
feit und der erjte Schritt, den er that, beitand darin, daß er 
den Luxusausgaben zu ſteuern und das Uebermaß von Vor— 
rechten einzelner Klafien zu beichränfen juchte. 

Die Diäten bei den Vorstellungen der Geiftlichen wurden 
vermindert; es wurde beitimmt, daß von nun an auch die fur- 
fürftlichen Näthe und die Dofbedienten zu den Straßenjäube- 
rungsfojten beitragen jollten; das Tabaksmonopol wurde aufs 
gehoben und der Verkauf des Tabafs wieder freigegeben; den 
Handwerfsleuten wird der freie Verkauf und die Ausfuhr 
ihrer Erzeugniffe geitattet; der Holzhandel wird freigegeben. 
Die bureaufratiihe Maichinerie wurde vereinfacht und ins— 
bejondere der jehr Fromme Wunich ausgeiprodhen, daß die 
Vielichreiberei beieitigt und die Gejchäfte, namentlich in Kom— 
munalangelegenheiten befördert werden jollten. Die jogenannten 
Adjunftionen und die Lehrer und Bedienungseripectanzen 
wurden aufgehoben; eine Ueberficht über die Bejoldungen 
wurde gefertigt; den Gardeoffizieren wurde die Quartierfrei— 
heit entzogen, die Perjonalfreiheiten der Hofhandwerfer wurden 
aufgehoben und der Freiherr von Löwenberg von der Leitung 
der Polizei entfernt; den Beamten wurde verboten, mit dem 
Anfauf von Forderungen an die Stadtfaffe wucherliche Ge— 
ſchäfte zu treiben. 

Die gejeßgeberiiche Thätigfeit Karl Theodors ift allerdings 
bemerfenswerth. Er lieh die Privilegien der Stadt (jest nicht 
mehr „Statt*) Mannheim zweimal revidiren und erneuern, 
das erite Mal am 18. November 1743, das zweite Mal am 
23. Dezember 1785. Aus dem Jahre 1743 datirt ferner eine 
Feuer- und Brandordnung, jowie eine Ordnung für die Porte— 
halfen, deren Preiie genau geregelt wurden; aus dem Jahre 
1744 die Conceſſion für die Nuden, erneuert am 21. November 
1765. Aus dem Nahre 1756 eine Preßpolizeiordnung; eine 
Verordnung über Einführung der Kopfiteuer ift vom 9. Nänner 
1758; das Stempelpapier wurde durch) Verordnungen vom 


Die ſocialen Verhältniſſe x. 285 


Jahre 1762 und 1768 geregelt; eine Geueral-Landespolizei— 
direction, deren Aufgabe es hauptſächlich it, den Handel und 
die Gewerbe zu fürdern, wird am 4. Juni 1765 eingeführt; 
zu gleicher Zeit wird eine Münzordnung erlalien; ebenjo eine 
Fuhrwerksordnung und eine Verordnung über Entihädigung 
bei Hagelichlag, Mißwachs, Brand u. ſ. w. Eine Medicinals 
ordnung wird im October 1770 gegen die Beit erlaſſen und 
darin find jogar die Necepte gegen die Bert enthalten. 

Aus dem Jahre 1772 datirt eine Verordnung gegen die 
überhand nehmenden Hazardipiele und ein Vertrag mit Frankreich 
über die Beitrafung der Verbrecher und Frevler. Eine neue 
Feuer- und Brandordnung, eine Ztrumpfmweberordnung, eine 
Markt» und Fiſchmarktsordnung, eine Meggerordnung, ſowie 
eine Verordnung über das allgemeinspolizeiliche Verhalten der 
Einwohner wurden im Jahre 1773 erlatien. Nicht bloß der Stadt« 
rath, auch jeder Einzelne wandte ſich an dieſe unerjchöflich fließende 
Quelle der höchſten Staatsraijon, um von dort ber eine Kegel 
des Verhaltens oder eine Entiheidung zu erlangen. — Es 
folgt eine Schäfereiordnung, eine Miethsordnung, ein Quartier: 
reglement, eine Verordnung über die Beherbergung der Lakaien 
u. ſ. w. Daneben laufen eine unendliche Anzahl von Einzel— 
erlajien — decreta Serrenissimi — durd welche in alle Ge— 
biete des öffentlichen Lebens, insbejondere aud) in die jtädtiichen 
Verhältniſſe bis in das Kleinſte eingegriffen wurde. Dadurch 
gewöhnte man ſich daran, Alles von dem Befehle und dem 
Wunſche des Kurfürſten abhängig zu machen. 

Im Jahre 1761 und 1769 erichtenen zwei Schriften, 
welche bewetien, daß die kurfürſtliche Negierung dem Rückgange 
der jtädtiichen Verhältniſſe mit Beſorgniß zuſah, und daß fie 
bejtrebt war, die Urjachen deſſen ergründen zu laſſen. 

Die erjte im Jahre 1761 in der furfüritlichen Hofbuch- 
druckerei gedrudte Schrift enthält eine Abhandlung des Bice- 
fanzlers Paſtoir über den Gejundheitszuftand von Mannheim, 
welche ofrenbar zu dem Zwede verbreitet wurde, um bet dem 
wiederholten Ausbruche von epidemiichen Krankheiten zum 
Studium der darin angeregten Fragen auzuregen. Baitoir hat 


286 Die foeialen Verhältniſſe x. 


fünf allgemeine und nicht weniger wie zwölf jpezielle Urjachen 
des bedenklihen Gejundheitszuftandes von Mannheim entdedt, 
und darunter die jtehenden Gewäſſer, den Mangel an Schatten, 
jowie an reinem und gejundem Trinkwaſſer, die Unjauberfeit 
auf den Straßen, der Mangel an fühlen Kellern, die Feuch— 
tigfeit der Wohnungen, die jchlechte Kanalifirung, den Badofen- 
raud), und den allzu reichlichen Genuß des Objt- und Pflaumen- 
werfs als ſolche Urſachen bezeichnet. Auch die vielen auf dem 
Felde faulenden Tabakſtengel jollten ihre Schuld an den 
jtehenden Krankheiten tragen. Der Kurfürſt Karl Ludwig, der 
jeiner Zeit dem Bicefanzler Paftoir die Bearbeitung Ddiejer 
Denkſchrift aufgetragen hatte (die jomit Zuftände aus ber 
Regierungszeit dieſes Fürften behandelt), trat nicht überall 
ihren Ausführungen bei, jondern widerlegte diejelben in feiner 
originellen Weiſe, namentlich juchte er die Ehre des Brunnen— 
waſſers zu retten, und wollte von der Ungejundheit des Tabaks 
nichts willen; er jchrieb: es müſſe namentlich daran gelegen 
jein, einen gejchidten Medicum Herbeizuichaffen, aber man müfje 
jagen: „rara avis in terra oder vielmehr in (rermania, 
dagegen gäbe es der Haben und Krähen gar viele.“ Den in 
diejer Denkfichrift hervorgehobenen fatalen Gefundheitszujtand 
der Stadt betrachtete man als die hauptjächliche Urjache der 
nicht fortichreitenden Zunahme derjelben. 

Karl Theodor nahm ſich den Inhalt jener Denkichrift zu 
Herzen und ordnete das Pflanzen von Bäumen an (das jchon 
1703 unter Johann Wilhelm mit dem erjten Baumſchmuck der 
Planfen begonnen worden war), machte Anlagen, jorgte für 
eine bejjere Straßenreinigung — das Reinigen der Kändel wurde 
durch ein Slodenzeichen angekündigt (1763) — und jchaffte die 
rauchenden Badöfen ab und ließ die Sümpfe austrodnen; allein 
damit änderte fi) das Verhältniß noch nicht. 

Darauf erichien eine zweite Schrift in Frankfurt (1769) 
von dem Bevölferungsitand der Pfalz, vorzüglid) in Mannheim. 
Diejelbe weiſt mit Zahlen nad, daß e3 ein Vorurtheil fei 
zu glauben, daß Mannheim eine ungejunde Lage habe 


Die focialen Verhältniffe ꝛc. 287 


Die Zahl der Geborenen habe immer die der Gejtorbenen über- 
jtiegen; jo babe man 

im Jahre 1712 Geburten 267, Todesfälle 219 

vo. Im2 „4886, — — 

1732 „687, 310 

„ 1742 2 633, = 394 

5 „ 1782 — 614, 2 503 
gezählt und nur im Jahre 1762 jei bei 522 Geburten die 
Zahl der Todesfälle auf 798 gejtiegen. Der Grund, warum 
e3 mit Mannheim nicht vorangehen wolle, und die Stadt zwar 
in den Jahren 1730—38 zugenommen, von da an aber ftille 
gejtanden jei, müjfe anderswo gejucht werben. 

Der Berfaffer jener Schrift, ohne Aweifel ein Hoch- 
gejtellter und aufgeklärter Beamter, fand ihn in zwei faljchen 
Grundjäßen, die ſich in das damalige Staatdwejen eingentjtet 
hatten. Dieſe beiden Säge bejtünden in der Annahme, daß 
man dag Land nicht überjegen dürfe, weil jonjt einer dem 
andern die Nahrung wegnehme, und jodann im Glauben, daß 
Arme dem Lande jchädlich ſeien. 

Die von der Regierung Karl Theodord gegen Die freie 
Meinungsäußerung und das Vereinsweſen ergriffenen Maß— 
regeln waren lediglich Ausflüffe des Polizeiſyſtems, das unter 
Leitung der Bolizeicommilfion und des Vizecanzlers Geheimrath 
von Sufmann überhaupt das ganze Kleine Staatswejen be— 
herrſchte. 

So wird im Jahre 1756 die Anzeige erjtattet, daß Die 
Schuhmachergejellen in höchſt ſchädlicher Correjpondenz mit 
auswärtigen Orten, wie Würzburg, München und Mainz jtünden, 
wo Schuhmachergejellihaften bejtänden. Dagegen müſſe mit 
aller Strenge eingejchritten werden; man dürfe feine Gejellen 
von jenen Orten aufnehmen, die Briefe müßten von den Zunft: 
meiftern erbrochen und gelejen werden. Noch weniger aber 
dürfe man ſich unterfangen, einige Verfammlungen zu halten, 
durch welches öftere Zujammenläufe, viele Unruhe und Une 
einigfeit erwedet würden. Der Stadtrat) wurde darnach ange- 
wiejen, gegen die Schuhmachergejellen einzujchreiten. Er jperrte 


288 Die jocialen Berhältnifle x. 


die Widerjpenftigen bei Waſſer und Brot ein bis fie Beiferung 
verjprachen, und erit auf dringendes Anſtehen der Meiſter 
wurden fie endlich entlaſſen. So erging es den Schreiner: 
gejellen im Jahre 1765, die in Berbindung mit den Frankfurtern 
einen Aufitand „tentirt“ haben jollten, und als im Jahre 1770 
die Schloffergefellen im Köln, überall wegen der Lohnirage, 
einen Aufitand erregten, wurden die Ueberwachungsmaßregeln 
verichärft. 

Das waren die erjten fjocialijtiichen Regungen in Mann 
heim. Sie endigten damit, daß im Jahre 1771 der Wochenlohn 
der Handwerfsgejellen amtlich jeitgeiegt wurde. 

Biel unichuldiger war das Gebahren des Handelitandes. 
Berichiedene Handelsleute famen im Jahre 1769 um die Er: 
laubniß ein, eine Gejellichaft errichten zu dürfen. Es war 
diejes Geſuch aus dem Bedürfniß entiprungen, ich über die 
gemeinjamen Angelegenheiten zu beiprechen und zu veritändigen. 
Der Stadtrat) jtellte Dieje Frage der höheren Beurtheilung 
anheim. Die berrichaftlichen Kutſcher fühlten gleichfalls das 
Bedürfnig nach einer Vereinigung; ihnen wurde diejelbe ge= 
jtattet, den Handelsleuten dagegen verweigert. Sie wiederholten 
im folgenden Jahre ihr Gejuch und der Stadtrath entwarf nun 
9 Artikel als Statuten der Geſellſchaft. Darnach ſollte Diele 
die Zahl von 24 Mitgliedern nicht überichreiten dürfen; es 
jollte das MWeintrinfen, das Hazardipiel verboten und alle 
Discurje über Polizei und Staat unterjagt fein. Auch darauf 
ging die Polizeicommiſſion nicht ein. Die Betheiligung bei der 
jogenannten Brüdergejellichaft der „Frances Macons‘ (Frei— 
maurer) war für Offiziere und Beamte ſchon feit Karl Philipps 
Beiten verboten. 

Eine andere Affociation, die jich aus der Mitte der Bürger: 
Ichaft entwidelte, hatte mindeltens im Laufe der Zeit einen 
beiferen Erfolg. Seit den Reformen Karl Theodors regte jich 
ein etwas freierer Geiſt unter der Bürgerichaft. Man bejchwerte 
jich über verichiedene Mißſtände in der Gemeinde und verlangte 
deren Bejeitigung. Die Regierung jegte eine Commiſſion zur 
Unterjuchung über die bürgerlichen Beichwerden ein und Die 





Die Einnahme Mannheims 





sch die Oefterreicher 1799. 


4 





Die Sternwarte in Mannheim. 
Dad einer Kadierung von Eruft Kirchner (Mannheim), 


Die focialen Verhältniffe x. 289 


Bürger laffen fich dabei durch ihre Deputirten vertreten. Ein 
Hauptbeichwerdepunft betrifft die Wiejen und Neder auf dem 
Niedergrund. Die Bürger behaupten gegen den Stadtrath, daß 
jene Allmend jeten und ihnen zum freien Genuſſe gehörten; 
insbejondere verlangen fie unentgeltliche Bleiche. Der Rath 
it über dieſes Auftreten der Bürger entjegt. Er will von 
feinen Aenderungen etwas willen und namentlich PBompejati, 
der erblihe Anwaltichultheiß, beklagt ſich heftig, dab alle 
Subordination und Autorität durch jenes Vorgehen untergraben 
werde. 

Der Rath weiſt die Beichwerdeführer zurüd. „Bürgerliche 
Deputirte”, meint der Rath, jollten nicht geduldet werden; er 
jelbit wolle die Stadtangelegenheiten bejorgen. Die ganze Be— 
wegung nennt der Rath jpöttiich die „Bürgerei.“ Diefleibige 
Actenfascifel erwuchien über die bürgerlichen Bejchwerden; die 
Verhandlungen jchleppten jich in die Länge und verliefen endlich 
im Sande; allein trogdem liegen in diejen Vorgängen Die 
Anfänge der Bürgervertretung, melde in Form der 
Bürgerdeputation bald eine fejte Gejtaltung gewann. 

An der Spitze der ſtädtiſchen Verwaltung ftand, wie früher, 
der Stadtdirector. Seine Stellung bat ſich nur injofern ver- 
ändert, als er nicht mehr neben dem Rathe jteht und denjelben 
controlirt, fondern er wird nunmehr wirflihe Spitze und Be— 
ftandtheil desjelben. Die Leitung der Geichäfte und Die 
Repräjentation der Stadt jteht ihm zu. An feiner Seite und 
als jein Stellvertreter functionirt der Anwaltſchultheiß, gleich« 
falls ein ftaatswijjenjchaftlich gebildetes Mitglied des Rathes. 
Als Stadtdirector functionirt vom Jahre 1706—1735 Herr 
Lippe; von da ab bis 28. Dezember 1792 Herr Gobin; von 
da an befleidet jenes Amt in der jchwierigjten aller Perioden 
Herr Rupprecht. Als Anwaltichultheiß ſtehen Herrn Lippe zur 
Seite zunächſt Herr Gobin, dann Bompejati der Aeltere, jpäter 
deifen Sohn. Unter Rupprecht functionirt der fleißige Bearbeiter 
aller Boritellungen, Dentichriften, Beichwerden und Berichte, 
Herr Hofgerichtsratd Pfanner als Anwaltichultbeig. An den 
Stadtdirector und den Anwaltſchultheiß schließen jih an die 

Oſeſer, Geihichte ber Stadt Mannheim 19 


290 Die ſocialen Berhältnifie x. 


beiden Bürgermeifter, welche jährlich von dem Rathe gewählt 
werden, aber nunmehr der furfürjtlichen Beltätigung bedürfen. 
Gegen die Mitte des vorigen Jahrhunderts und gleichzeitig 
mit der Einführung des Beitätigungsrechtes fommt die Sitte 
in Abgang, die Bürgermeifter an Martini zu wählen. Ihr 
Geſchäftskreis ift ein verminderter und ihre Bedeutung tritt in 
dem ftädtijchen Organismus mehr und mehr zurüd. 


Der Rath bejteht regelmäßig aus weiteren 10 Mitgliedern, 
wozu mehrere rechtsgelehrte Mitglieder, die das Stadtgericht 
bilden, fommen. Sämmtliche wirflihe Mitglieder des Rathes 
beziehen einen Gehalt. Das hierfür in der Mitte des 18. Jahr: 
hunderts für die ftädtijche Verwaltung ausgeworfene Budget 
beträgt 4585 fl.*) 


%) Hiervon bezieht 
1) Hofgerichtörath und Stadtdirector Bobin 825 fl. 
2) Hoffammerrath und Anwaltichultheiß 


VBompejati . 2 ; 2 A } 600 fl. 
nebjt dem Genuß der jog. Schultheißen- 
wieſe; 
3) jeder der beiden Bürgermeiſter. ; B 2350 fl. 
4) drei Stadtgerichtsaffefforen 
a) als Nathöverwanbte . 100 fl. 200 fl 
b) ala Aſſeſſoren r . 100 fl. : 
5) jeder Nathöverwanbte : ; ; B 100 fl. 


Außerbem hatten die Rathsmitglieder eine Rathsmahlzeit, eine 
Zeitung und einen Stalender von der Stabt zu beziehen. Der Stadt: 
fchreiber erhält eine Beioldung von 851 fl.; der Stadtrechner eine jolche 
von 400 fl. 

Dieje Bejoldungsverhältniffe erhielten fih bis an das Ende diejes 
Jahrhunderts. Nur da die Bezüge einzelner Nathsmitglieder fih dadurch 
erhöben, dab fie beiondere Junctionen übernahmen, wie 3. B. die eines 
Pupillar:Affeffors, eines Stadtſyndicus u. f. w. 

Außer den obengenannten ſtädtiſchen Angeſtellten bezichen ferner 
nod) Dienitbefoldungen: ein Stadtphyficus 300 fl.; ein Regiitrator 225 fl.; 
ein geihworener Accoucheur 75 fl.; eine geſchworene Stadthebamme 
25 fl.; ein Mehlwaagenmeiiter 200 fl.; ein Mehliwaagencontroleur 200 fl.; 
ein Ilmgelder 133 fl. 20 Er.,; die Raths- und Stadtgerichtsdiener, die 
Viertelichreiber (diefe zufammen 180 fl.); die Stabtthürmer; 4 Armens 
bögte; die Stabtbüttel; der Nathhausvater; der Stadtbrücenmeifter; die 





Die focialen Verhältniſſe x. 291 


Die bürgerliche Deputation war zuſammengeſetzt aus den 
Stadtoffizieren. den Viertelmeiſtern, welche, nachdem für die 
ehemalige Friedrichsburg ein ſolcher eingerichtet iſt, aus fünf 
beſtehen, und regelmäßig aus einer Anzahl Zunftmeiſtern. Was 
die Viertelmeiſter anbelangt, ſo haben wir dieſelben bereits in 


4 Feldmeiſter; die Feldſchützen; Kuh- und Pferdshirten; die Thorſchreiber 
die Holzſchreiber; der Brodwieger; der Plantagegärtner; ein Dürrfleiſch— 
beſchauer; eine Mäuſe- und Rattenvertreiberin. 

Die Zahl der ſtädtiſchen Angeſtellten hat ſich, wie bier ange: 
geben, erheblich vermehrt. Es ericheinen bald zwei „Stattphyfici“ 
als ftädtifche Angeftellte mit je 200 fl. Beſoldung; ferner ein Regiitrator, 
dem die unlösbare Aufgabe obliegt, die ftädtifche Regiftratur in Ordnung 
zu halten. Die Stabtichreiber und Rentmeiſter find in ihrer früheren 
Stellung. Mit den Stabtichreibern hat das 18. Jahrhundert feine Liebe 
Noth. Da ift ein Stattichreiber Sonnenbühl, welcher im Jahre 1751 
feines Dienftes entlaffen werden muß, nun aber den Stabtdirector und 
Rath mit allen möglichen Mitteln, auch durch Verbreitung einer Schmäh: 
ichrift verfolgte. Darauf wird beſchloſſen, ihm einftweilen arreftirlich ein— 
zufegen, ihn zur Satisfactions-Erflärung anzuhalten, die Schmähſchrift ihm 
vor feinen Augen auf öÖffentlihen Markt zu verbrennen, und feine Aus— 
weilung zu begehren, „weil man fonft feine Ruhe vor ihm habe”. Sn der 
That läßt er auch dem Rathe feine Ruhe, fondern tritt mit immer neuen 
Beichuldigungen auf. Da wird er an einem Octobermorgen in aller Frühe 
in eine Chaiſe gelegt und ımter der Eskorte von etlihen Stadtioldaten nad) 
Oppenheim an die hurfürftliche Grenze gebracht. 

Dieſes PBerfahren merkt ſich ein anderer Stadtichreiber Namens 
Kremer, weldher im Nahre 1757 mehrerer Vergehen bejchuldigt wird. 
Man legt ihm auch zur Yait, daß er ſchwere Beleidigungen gegen den Hof: 
fammerrath und Amvaltichultheiß Bompejati verübt habe. Kremer 
wurde fofort fujpendirt und follte verhaftet werden, er flüchtet ſich aber in 
das Stapuzinerflofter, wojelbit er ein Aſyl findet. Obgleich ber Stadt« 
director Gobin und Anwaltichultheig Pompejati die Herausgabe des 
Flüchtling3 begehren, verweigert der Pater Guardianas dieſelbe ftandhaft, 
und nur gegen bie ausdrückliche Zufiherung, dab Kremer ad locam unde 
reſtuirt (zurüdgegeben) werden jolle, wern man ihn mit einem Urtheile an 
Leib, Leben oder Ehre beichiweren wollte, wurde er endlich entlafien. 
Kremer wurde ſchließlich caffirt und im Jahre 1769 in's Zuchthaus geiprochen. 

Die fortichreitende Gultur macht ſich infofern bemerkbar, als aus den 
früheren Stattknechten nunmehr „Stattdiener” werden, und die Cinqueniſten 
des vorigen Jahrhunderts verwandeln fih in „Statthürmer”. 


19* 


292 Die focialen Verhältuiſſe x. 


der erjten Abtheilung diejer Geichichte kennen gelernt. Sie 
erhielten fich auch im Laufe des Jahrhunderts. 

Die Bürgermiliz des vorigen Jahrhunderts verwandelt fich 

dagegen nach und nad) im Laufe des 18. Jahrhunderts in eine 
Compagnie Stabtjoldaten. Die Zahl diejer Stadtjoldaten wurde 
im Jahre 1759 auf 50 vermindert und nachdem jie vorüber- 
gehend wieder erhöht, fällt fie am Ende des Jahrhunderts auf 
38 zurüd. Die Stadtjoldaten jtehen unter dem Commando 
eines Stadtmajors, einiger Leutnant3 und eines Fähnrichs. Die 
Stadtoffiziere gehören zu den Notablen der Stadt und jie 
werden überall bei Berathung wichtiger Angelegenheiten zuge- 
ogen. 
* Schon im Jahre 1727 treten die Stattoffiziere und Viertel— 
meifter Namens der gejammten Bürgerichaft auf und richten 
fogar eine „fußfällige Bitte“ an den Kurfürſten von Trier um 
ein „gnädigites hohes Vorwort bei Seiner furfüritlichen Durd;- 
laut zu Pfaltz“ um Wiederverleihung der Privilegien und 
Befreiung von der Schagung. Allein diejer erite Verſuch wird 
übel vermerft. 

Erjt unter Karl Theodor, als man im Jahre 1754 an 
den weiteren Stajernenbau geht, um die unerträglich gewordene 
Einquartirungslaft zu vermindern, und dazu die Finanzen der 
ohnedies mit Schulden beladenen Stadt in Anſpruch genommen 
werden Sollen, fühlt man das Bedürfniß, auch die Stadtoffis 
ziere, Deputirte der Bürgerichaft und die Viertelmeiiter zur 
Berathung beizuziehen. Die Gonferenzen finden bei Staats— 
minijter Freiherrn von Wrede jtatt. Das Thema verichtwindet 
nicht mehr von der Tagesordnung. Die Berhandlungen werden 
im Jahre 1755 weitergeführt, und aud), nachdem im Jahre 1756 
die eine Kaſerne nahezu vollendet iſt, gibt es noch viele Fragen, 
bei denen man fich des Beirathes der Stattoffiziere und der 
Deputirten der Bürgerichaft bedient. So bei der Vertheilung 
der Duartiergelder, der Contributionen und der Beihaffung von 
Lieferungen. 

Aber nur jchwer und jehr allmählig bricht ſich der Ge— 
danfe Bahn, jenem Beirathe das Gewicht einer geietlichen und 


Die focialen Verhältniſſe 2e. 293 


nothwendigen Einrichtung beizulegen. Erjt am 18. Mär; 1783 
wird dem Rathe ein decretum Serenissimi eröffnet, daß 
beim Defonomiewejen der Stadt die jtädtijchen 
Dffiziere und Deputirte der Bürgerjhaft zuge 
zogen werden jollen. 

Eine demgemäße Beltimmung fand ſich zwar jchon in den 
Privilegien vom Jahre 1744 vor, allein ſie war nicht praftijch 
geworden. Erjt durch jenes Nejeript wurde eine eigentliche 
Bürgervertretung neben dem Rathe gejchaffen. Damit war die 
jtädtifche Gemeindevertretung in's Leben eingeführt. 

Es jollte dies nicht ohne Kampf gejchehen. Unter den 
Stadtoffizieren und den bürgerlichen Deputirten machte ſich jo= 
fort das Bedürfniß geltend, ſich auf eigene Füße zu jtellen, 
und auch ohne Mitwirkung des Stadtrathes die Gemeindean- 
gelegenheiten zu behandeln. Das erregte Anſtoß. Zwar hatte 
man weniger dagegen zu erinnern, wenn der „Stadtmajor“ den 
Vorſitz bei der bürgerlichen Deputation führte; allein, wenn 
der Stadtmajor verhindert war, wer follte dann den Vorjig 
übernehmen? Darüber verhandelte man im Stadtrathe im 
Jahre 1790, und der leßtere war beim Widerjpruche der bür- 
gerlichen Deputation der Anficht, daß dann einer der Bürger: 
meijter präjidiren mitjfe. Die bürgerliche Deputation fügte ſich 
aber dem nicht, jondern hielt Situngen ohne Zuziehung eines 
Bürgermeijters. Darüber heftige Erregung des Rathes (1792), 
welcher nunmehr förmlich ausſprach, daß feine Sigungen der 
bürgerlichen Deputation ohne Zuziehung eines Bürgermeijters 
abgehalten werden und daß diejelbe feine unmittelbare Eingabe 
an den Kurfürjten richten dürfe. Die Frage fam vorerjt nicht 
zu einem definitiven Austrage. Die nächſtfolgenden Ereignijje, 
das Jubeljahr des Kurfürften und die Hiebei jtattfindenden 
sejtlichfeiten, wie jodann die nächitfolgenden Kriegsjahre mit 
ihren unerjchwinglichen Zajten, machten die Bedeutung der 
bürgerlichen Deputation jo bervortretend, daß zu derartigen 
Streitverhandlungen fein Raum mehr gegeben war. — 

Ein bejonderes Geſchick entwidelte die Regierung Karl 
Theodors in der finanziellen Ausbeute. Im Jahre 1743 läßt 


294 Die focialen Verhältniſſe ze. 


fie die Kojtenbeiträge für das Reichsvicariat und die Kaiſer— 
wahl ad 2970 fl. 10 fr. im Wege einer Familienſteuer er— 
heben und dazu muß das erjte Viertel 769 fl. 50 fr., das 
zweite 462 fl. 6 fr., das dritte 595 fl. 27 kr, das vierte 
943 fl. 1 fr. und das fünfte (Friedrichsburg) 219 fl. 47 kr. 
beijteuern. 

Noch im gleichen Jahre werden die Frohnden neu regu— 
lirt und dazu die Stadt in zwei Diſtricte eingetheilt; mittelft 
eines Rescriptum Serenissimi vom 21. Dezember 1763 wird 
verordnet, daß von jeder Fuhre Holz ein Scheit zu Guniten 
des Borromäus-Hoſpitals abzugeben ift; demjelben werden die 
Spielpatentgelder wiederholt zugewiefen (1745); die Krämer, 
Tabafsipinner und Fabrikanten müſſen wegen Gejtattung des 
freien Tabafhandels eine Abgabe zahlen, die zunächſt zur Be— 
friedigung der Gläubiger der Tabafsmanufactur zu verwenden 
iſt (1746). 

Dem Hojpital werden ferner die Strafen für firchliche 
Bergehen und wegen einfachen Sıttlichfeitsvergehen zugewieſen; 
ebenio erhält der Landesfundus eine Reihe von Gefällen zuge: 
theilt, wozu jegt auch die jogen. Transjumptengelder, Abgaben 
bei Beligveränderungen von Liegenichaften, kommen. 

Im Jahre 1756 geräth der Kurfürſt auf den weiteren 
Gedanken, zu Guniten des Hoipitals eine Lotterie zu errichten. 
Es werden 10000 Looſe A 30 fr. geichaffen, und es joll die 
Lotterie nach „dem Beiſpiele anderer benachbarter Herrichaften“ 
jtändig gehalten werden. Es werden Collectores angejtellt 
und Dieje angewiejen, auch die Landbevölferung beizuziehen. 
Nicht nur jeder Beamte und Bediente, ſowie die Rathver- 
wandten jollen jich betheiligen, auch jegliche Zunft und die ges 
meine Stadt joll ihr Glück verſuchen. Die Viertelmeilter 
werden angewiejen, die Collectores genan zu überwachen und 
fie abzujegen, wenn jie nicht den erforderlichen Eifer beweiſen. 
Die Hofkammer legt jich ferner das Recht bei, von dem Brenn— 
holz, welches aus dem Nedarthale kommt, immer das vierte 
Scheit um einen beftimmten Preis zu beziehen. Die Kajernen- 
gelder werden eingeführt, von den Juden erhebt man neben 


Die jocialen Verhältniffe x. 295 


allen andern hHergebrachten Abgaben ein jogen. Taſchengeleit; 
der Kartenjtempel wird erhöht; ein kurfürſtlicher privilegirter 
Quartfalender wird herausgegeben und nicht nur die Behörden 
und Gemeinden angehalten, denjelben zu Faufen, jondern es 
müſſen aucd die Juden eine bejtimmte Anzahl derſelben, 215 
Stüd, übernehmen. 

Die Fouragegelder, welche während des fiebenjährigen 
Krieges gezahlt werden müſſen, jollen durch einen Aufichlag 
von 3 fr. auf den Gulden Schagungsfapital zum Schreden 
. ber Bürger erhoben werden (1761). Die ftädtifchen Allmend— 
güter beginnt man im Jahre 1773 zur Schagung zu ziehen, 
im Jahre 1774 endlich werden die „Beiträge zum allgemeinen 
Beiten“ eingeführt, welche in der finanziellen Bedrängniß jener 
Zeit auch von den Beamten erhoben werden. Nur der Hof: 
marjchallitab weigert fich deifen, wird aber angewiejen, fich zu 
fügen (was nur gerecht tjt).*) 

Daneben jucht übrigens der Kurfürſt auch feinen Unter: 
thanen überflüjlige Ausgaben zu eriparen. Wenn er von einer 
gefährlichen Krankheit geneit, wie im Jahre 1755 und 1776, 
jo ift es ihm lieber, wenn feine raujchenden Feſtlichkeiten ver- 
anftaltet, jondern die Gelder zu einem guten und Gott ges 
fälligen Werke, ala welches das Berromäus-Hoipital bezeichnet 
wird, verwendet werden. 

Er mill ferner nicht, daß ſeine Unterthanen gefälichten 
Wein trinken, und als es ſich im Jahre 1748 zeigt, daß man 
den Wein mitteljt eines „alcalifchen Praeparatum* anmadıt, 
wird icharf gegen die Weinfäljcher eingejchritten. 

Auch das Bier ift ein Gegenjtand der Sorge der kur— 
fürftlihen Regierung. Es find im Jahre 1761 eine Anzahl 
von 55 Vierfiedereien in der Stadt. Alle Brauer jtehen für 
die Güte ihres Bieres ein, und verwahren ſich gegen den Vor— 
wurf, daß fie jchädliche Stoffe in dasjelbe mengen. 

Die größten Brauereien find die von Hofmann, Butter- 


*) Hierzu kommt noch das Nheinbrüdenerträgniß, das zeitweilig (1733) 
der Stadt entzogen wurde. 


296 Die ſocialen Verhältniiie sc. 


wed, Gehrig und Mayer. Die Verordnung vom 2. Dezember 
1756, wonach zu 2 Fuder gutem Biere 3 Malter Gerjte und 
22 Pfund Hopfen genommen werden jollen, bleibt aufrecht er- 
halten, und nöthigenfallg3 müſſen die Brauer einen Eid leijten, 
daß fie Feine fremdartigen Stoffe in das Bier milchen. — 
Auch das jchädliche „Laboriren und Goldmachen“, das im 
Jahre 1753 jehr im Schwunge war, joll abbejtellt, die Kolben, 
Retorten und Tiegel jollen innerhalb 24 Stunden aus der 
Refidenz Hinweggejchafft werden, und drei der befannteften 
Jünger der Goldmacherfunft — Bogener, Preuel und Lang — . 
erhalten das consilium abeundi. 

Die Aenderung, welche zu Ende des 17, Jahrhunderts in 
der Confeſſion des über die Bfalz regierenden Haujes eingetreten 
war, mußte von den weittragenditen Folgen für die confejlio- 
nellen Verhältnifje des Landes und insbejondere der Bevölke— 
rung der Stadt Mannheim jein, 

Die alten reformirten Namen waren von dem Schauplaße 
verjhwunden und an ihrer Stelle war das jtädtijche und das 
politische Regiment in die Hände der Katholiken gelegt. 

Die Fatholiiche Kirche juchte mehr und mehr Terrain zu 
gewinnen; die Reformirten und Lutheraner waren bejtrebt, das, 
was fie noch bejaßen, zu erhalten und ein verirrtes Schäflein 
womöglich wieder zu fich zurüdzuführen. Der Eonfejlionalis- 
mus durchdrang und beherrichte alle Verhältniffe. 

In dem Rathe waren e3 die Katholiken und Mlatholifen, 
die fich bei jeder nur entfernt in das religiöfe Gebiet ein- 
Ichlagenden Frage gegenübertraten; die Sonderung ging herab 
bis zu den Viertelmeijtern und Angeftellten der Gemeinde; aud) 
in die Zünfte und die Gejellen; im Staatsdienft war felbit- 
verjtändlich die fatholiiche Confeſſion die bevorzugte. 

Unter jo bewandten Umständen hielt man wohl äußerlic) 
Friede, aber innerlih wüthete unausgejeßt der kleine Krieg. 
Die Seelenjägerei, das Convertiren und Proſelytenmachen iſt 
zumal in der erjten Hälfte des 18. JahrhundertS auf der 
Tagesordnung. 

Diejer Kleine Krieg der Confeſſionen mildert fich aber 


Die jocialen Verhältniffe ꝛc. 297 


unter Karl Theodor. Der lebtere ijt nicht in dem Grade ber 
Kirhe unterthänig wie jein Vorfahre Allerdings ift er ihr 
treuer Sohn, und er will, daß Frömmigkeit und Gottesfurdt 
in der Welt herrſche; allein in Karl Theodor dringt ſchon 
Etwas hindurch, was man heut zu Tage als einen Ausfluß 
der Staatdomnipotenz bezeichnen würde. 

Karl Theodor ordnet zwar gleich bei Beginne feiner Re— 
gierung an, daß die meuberufenen katholiſchen Pfarrer und 
Schulmeifter mit dem nöthigen Lebensunterhalt dotirt werden. 
Allein er verfügt auch, daß bei einer fünftigen Beitellung auf 
eine fatholiiche Pfarrei und bei Verleihung von Beneficien ein 
concursus clericorum eröffnet, und daß bei diefem concursus 
nur kurfürſtliche Landeskinder zugelaffen und alle Fremde aus» 
geichloffen fein jollen (April 1747). Die bei einem folchen 
Concurje abzulegende Prüfung war ſtaatlich überwacht; ſie 
fand auf der Negierungscanzlei vor der geordneten Commiſſion 
ſtatt (1753) und jene Vorſchrift des Ausſchuſſes der Nicht- 
Zandesfinder wurde öfters wiederholt und ftreng beachtet (März 
1756). Karl Theodor iſt damit nicht zufrieden. Er prüft 
auch die Leiſtungen. Namentlich ift es ihm eine Sorge, daß 
die Schule ſchlecht verwaltet, allzuviel gefeiert und zu lange 
serien gegeben wird. 

Nah Beendigung des fiebenjährigen Krieges traf ein 
preußijcher Minijter von Brand in Mannheim ein (1756), in 
der erklärten Abjicht, die Religionsbejchwerniife der proteſtan— 
tiichen Confejfionen entgegenzunehmen. Das erregte Aufjehen, 
und man befahl dem Stadtrath, die Leute anzumeijen, ſich uns 
mittelbar an den Kurfürjten zu wenden und Brand Hatte aller: 
dings von Mannheim aus nicht viel zu berichten. 

Im Jahre 1771 ſprach der Kurfürjt weiter in einer Ver— 
ordnung aus: „daß die Pfarrer in andern, als ihren amtlichen 
Handlungen den landesfüritlihen Verordnungen unterworfen 
ſeien“, und er wollte damit eine Örenzlinie für das Necht des 
Staates und der Kirche ziehen. Trogdem, daß Karl Theodor 
in allen übrigen Dingen fich als der Kirche willfährig erwies, 
jah man doch derartige Maßnahmen mit Mißbehagen an, und 


298 Die foeialen Verhältniſſe x. 


im Jahre 1786 entjpann fich jogar ein heftiger Conflict zwijchen 
der Regierung Karl Theodor und dem Wormjer Capitelö- 
vicariat, welcher jchlieglih zur Einführung des Placet führte. 
Das Wornifer PVicariat maßte ſich nach der Darlegung der 
furpfälziichen Regierung an, aus eigener Machtvollkommenheit 
Dispenje zu ertheilen, und jeine Anordnungen ohne landesherr- 
liches Vorwiſſen direct an die Pfarrer gelangen zu laſſen. 
Darüber fühlte fich die Furfürjtliche Regierung auf's Höchite 
entrüftet, und ſie erwirfte unter'm 6. März 1786 eine kurfürſt— 
liche Berordnung, wonach e3 den Pfarrern unterjagt wurde, 
bei Strafe der Sperre und Entziehung der Temporalien eine 
eimjeitige Berordnung des Vicariats ohne placitum electorale 
(kurfürftliche Genehmigung) zu verfünden. Bon da an war das 
Placet, ohne auf weiteren Widerspruch zu jtoßen, eingeführt. 

Eine nicht minder bemerfenswerthe Einrichtung iſt Der 
carcer ecclessiasticus, Derjelbe wurde durd) eine päpitliche 
Bulle vom 21. Januar 1774 in Mannheim auf Andringen des 
Kurfüriten Karl Theodor bejtätigt. Es ijt ein Arreſtlokal, 
welches für Diejenigen bejtimmt iſt, die von dem firchlichen 
Aſylrecht Gebrauch machen, und bis zur Enticheidung, ob jie 
an das weltliche Gericht auszuliefern find, dorthin verbracht 
werden. Ebenjo iſt es für Diejenigen bejtimmt, welche aus 
perjönlihen Gründen der Ffirchlichen Jurisdiction unterjtellt 
find, alſo für Geiftlihe. Ad Sanctum Michaelem (in der 
Gefängnißkirche) hat man die geeigneten Arrejtlofale gefunden 
und dort wird der Carcer errichtet. 

Es iſt eine ängitlihe Sorge des Erzbiichofs von Mainz 
und des GapitelvicariatS von Worms, darüber zu wachen, daß 
aus jener Einrichtung feine Uebergriffe der weltlichen Juſtiz 
in bie kirchliche Gerichtsbarkeit erwachlen. Im Uebrigen iſt 
jene, den carcer ecclessiasticus betreffende Bulle des Papſtes 
Clemens XIV. unjeres Wiſſens die einzige, welche fich mit 
einer localen Einrichtung der Stadt Mannheim befaßte. Sie 
war veranlaßt durch den Mißſtand, daß man fein geeignetes 
Arreitlofal für geiſtliche Unterſuchungs- und Strafgefangene 
bejaß, weshalb 3. B. ein Prieſter Kemmerer, deſſen Lebens- 





Die focialen Verhältniſſe x. 299 


wandel öffentliches Aergerniß erregte, zu den Alerianern nad) 
Köln überführt werden mußte. 

Die Gliederungen der katholiſchen Kirche waren im Laufe 
des 18. Jahrhundert3 mannichfaltig geworden Bald nach den 
Kapuzinern, deren Wirkjamfeit fih mehr nach den unteren 
Schichten zu erftredte, famen die Jefuiten oder „Jeſuiter“, die 
hauptsächlich ihren Einfluß in den regierenden Streifen geltend 
zu machen juchten. Pater Seedorf iſt an ihrer Spihe, ein 
Mann von Gelehriamkeit und feiner Bildung. Karl Philipp 
it der Protector der Jeſuiten. Er zieht fie nah Mannheim 
und weiſt ihnen zumächjt zu ihrer Subſiſtenz 1200 fl. jährlid) 
von den Abgabeerträgniffen der Kaminfegerei zu. Die Jejuiten 
find indeifen damit nicht zufrieden, jondern fie jtreben nad) 
einer gelicherten häuslichen Niederlaffung. Die Gründungsur- 
funden für die Niederlaffung der Jejuiten find vom 22. Mpril 
1729 und vom 16. Juni 1731 und befinden fich im General» 
Landesarchive. 

Es wurde ihnen ein Platz zur Erbauung eines Colle— 
giums, einer Kirche und Schule angewieſen, ihnen in Renten 
zu dieſem Zwecke der Betrag von 100000 fl. geſchenkt, die 
Steuerfreiheit zugeſichert und ihnen noch anderweitige Einkünfte 
in Ausſicht geſtellt. Die Jeſuiten zählten ſchließlich 19 Prieſter 
und 9 Hausbediente. Ihre regelmäßigen Jahreseinkünfte ſchlug 
man zu 8289 fl. an. 

Karl Theodor übernahm die Jejuiten, wie fie ich unter 
jeinem Vorgänger eingebürgert hatten, und fonnte nicht umhin, 
fih in der gleichen Weije gefügig zu zeigen. Als aber der 
Papſt Clemens XIV. im Jahre 1773 die Authebung des 
Jejuitenordens ausſprach, beeilte fih Karl Theodor, dieſe 
päpftlihe Anordnung zu vollziehen. Das Iefuitencollegium 
wurde aufgelöft, die Gefälle mit Beſchlag belegt und ihr koſt— 
bares Mobiliar öffentlich verjteigert (1775).*) 

Neben den Jejuiten beftanden in Mannheim jeit dein 20. Auguſt 


*) Das Stift Neuburg wurde am 27. März, der Schwabenheimer 
Hof am 29. März verfteigert. 


300 Die focialen Verhältnifie x. 


1766 die Garmeliter (12 Patres), durch Karl Theodor einge- 
führt, und jeit 1781 die Zazariften. 

Die „Congregation de notre dame* in dem jchon unter 
Karl Philipp gegründeten Frauenkloſter bejtand aus 18 Chor— 
und 4 Laienjchweitern. Ste beihäftigten ſich mit Eirchlichen 
Uebungen und dem Unterricht der weiblichen Jugend. 

Neben dieſen Orten bejtanden auch nod eine Anzahl 
von Bruderfchaften, und zwar in der unteren Pfarrkirche die 
Sacramental=- Bruderihaft und die Nepomuzentiche; letztere 
lediglich zu religiöjen Zweden und ohne Fonds. In der Pfarr: 
firhe bejtanden: die Todesangjtbruderichaft; die Aloyjianijche 
und die Marianijche Sodalität (letere jpäter in der einjtigen 
Kirche A 3); in der Garnijonspfarrei endlich bejtand die Schuß 
engelsbruderichaft; gejtiftet 1739 durch die Johann Schorr 
Eheleute zum Zwede der Brodvertheilung an die Armen. Sie 
wurde durch eine Schenkung vom Jahre 1767 erweitert. 

Unter der regulären fatholiichen Geijtlichkeit nimmt von 
der Mitte des 18. Jahrhunderts Karl Philipp Spielberger 
eine hervorragende Stellung ein. Seiner theologiichen Bildung 
und jeinem jeeljorgerlichen Eifer hatte er e8 zu verdanfen, dab 
er im Jahre 1788 zum Dechanten befördert wurde. Er war 
ein Mann von Verſtand und Wib, von gejelligem Talente; 
von Muth und Aufopferungsfähigkeit, Tugenden, die er bei der 
Belagerung im Jahre 1795 glänzend bewährte; dabei beieelte 
ihn ein Eifer für jeine Sache, der ihn leicht zur Maflofigfeit 
verleitete. Spielberger war es, der bei der Belagerung im 
Jahre 1795 und insbejondere während den Schredensnäcdhten 
den gejunfenen Muth der Einwohner aufrecht erhielt, der mitten 
im Sugelregen die Bürger aus den Häufern und Kellern zum 
Löjchen herbeiholte und der ebenjo, alle Gefahren mißachtend, 
den Nothleidenden, Kranken und Sterbenden, Hilfe und Troft 
ſpendete. 

Bei Lebzeiten Karl Theodors, der die Verdienſte Spiel— 
bergers und ſeinen Einfluß auf die Einwohnerſchaft zu wür— 
digen wußte, hatte derjelbe Feine Anfechtungen zu bejtehen. 
Mit dem Regierungsantritt des Kurfürften Marimilian (Mai 


Die focinlen Verhältniſſe x. 301 


1799) zogen indefjen Schwere Gewitterwolfen über jeinem Haupte 
zufammen, die mit der neuen Religionsdeclaration (Mai 1799) 
zujammenbingen. Während der Striegszeiten 1795—1800 wurden 
auch Mönche und Nonnen aus Mannheim verdrängt. Man 
hatte deren Klöfter als Kaſernen oder zur Aufbewahrung 
von Vorräthen benüßt und jo war für ihre Bewohner fein 
Bleiben mehr. 

Die reformirte Gemeinde war, nachdem fie im 17. Jahr— 
hundert die herrichende gemwejen, durch die oben näher darge- 
ftellten Ereigniffe mit Beginne des 18. Jahrhunderts in die 
Defenfive gedrängt. Sie mußte ſich darauf bejchränfen, ihren 
Beitand zu erhalten, und gegen die fortgejegten Angriffe zu 
vertheidigen. Während jie in dem früheren Jahrhundert tu 
eine hoch“, niederteutiche und franzöfiiche Gemeinde zerfiel, theilt 
fie fih jest in eine hochteutſch reformirte und wallonijche 
Gemeinde. 

Die Verfaffung der reformirten Gemeinde ift diejelbe ge- 
blieben. Sie jteht unter dem Kirchenrath in Heidelberg und 
wird durch die Pfarrer, die Aelteſten und Almojenpfleger 
(Diaconen) verwaltet. 

Die größten Schwierigkeiten für die Gemeinde ergeben ſich 
bei den Wahlen der Pfarrer, des Nectors und der Lehrer. 

Bei den eriteren waren die Brobepredigten eingeführt. 
Unter den mehreren Gandidaten, welche einer Brobepredigt ſich 
unterwarfen, wählte die Gemeinde. Die Wahl wurde unter 
Zuzug einiger Rathverwandten und unter Zeitung der Vorſteher 
vorgenommen. Die Wahl wurde jodann dem Kirchenrathe 
angezeigt, damit derjelbe den Gewählten der furfürftlichen Re— 
gierung präjentire, und dieſe ihn confirmire und berufe. Allein 
Öfter8 wurde gegen die Wahl von einem Theile der Gemeinde- 
glieder protejtirt, welche, wie bei der auf Ableben des Pfarrers 
Widder erfolgten, ſich über unerlaubte Einflüſſe der Vorfteher 
beichwerten. Bei diejer Wahl Hatte Weger die Mehrheit der 
Stimmen, 122, erhalten. Die Wahl wurde aber nach langen 
Verhandlungen umgejtogen und am 25. Mai 1735 aus „Liebe 
zum Frieden“ eine neue Wahl vorgenommen. Dabei erhielt 


302 Die focialen Verhältniſſe x. 


fe Biyue 5, Anöpfel 1, Weger 158 und Rector Bräunig, ber 
vorige Concurrent Wegers, 215 Stimmen. Er war aljo jtatt 
Wegers gewählt. Man jieht daraus, da die reformirte Ge— 
meinde damals mindejtens 379 ftimmberedtigte Mitglieder 
zählte. Auch darüber ergab fich eine Differenz mit dem Kirchen— 
rathe, ob die Candidaten vor oder nad) der Wahl demjelben 
zu präjentiren jeien. E3 blieb aber bei dem Herfommen. Karl 
Theodor hielt auch bei den Reformirten jtreng darauf, daß 
feine Ausländer zu Pfarrern gewählt werden, und als diejes 
im Jahre 1766 mit Pfarrer Esvuch der Fall war, wird die 
reformirte Gemeinde um 100 Ducaten geitraft. 

Das Conſiſtorium jucht auch den Einfluß der Reformirten 
in der politifchen Gemeinde zu Eräftigen. Es glaubt, daß zwei 
Nathöglieder eine unverhältnigmäßig geringe Nepräjentation 
der jtarfen reformirten Gemeinde bei der Semeindeverwaltung 
bilden, und e3 thut Schritte, wenn aud) vergeblih, um deren 
Zahl auf vier zu vermehren. 

Die Gemeinde bejchließt im Jahre 1735 ein Armenhaus 
zu bauen und veranftaltet dazu eine Gollecte; und wegen der 
Kirchhöfe, die aus der Stadt verlegt werden jollen, jowie wegen 
Ausbaues des KHirhthurms tritt man mit immer neuen Ans 
forderungen an fie heran. Dies wird im Jahre 1754 be— 
ichlofjen und nach dem Plane Bibienas durch Oberbaubdirector 
Pigage ausgeführt. Die Wallonijche Gemeinde jteht auf dem 
gleichen confefionellen ‚Boden mit der deutjch-reformirten Ge— 
meinde. Sie hält fih nur äußerlich von ihr getrennt. Der 
politijhen Gemeinde gegenüber erjicheinen beide als Glieder 
desjelben Ganzen. Das zeigt ſich z. B. bei der BVertheilung 
des Nathsalmojens. Dasjelbe fällt auf die fatholijche, Die 
reformirte und die lutherijche Gemeinde zu gleichen Theilen. 

Huch die walloniiche Gemeinde muß ſich im Verthei— 
digungszuftand erhalten, nicht nur gegen die Kapuziner umd 
Jeiniten, jondern auch gegen die Zutheriichen und Reformirten. 
Auch die proteftantiichen Konfeſſionen bejchuldigen fih einer 
starken ‚Rekrutirung“. Die Wallonen und Reformirten jchloffen 
am 20. Dezember 1742 einen Vertrag, wonad nicht ohne Zus 


Die focialen Verhältniſſe ꝛc. 303 


ftimmung de3 reformirten Konfiftoriums oder de3 wallonijchen 
Minijteriums die Glieder der einen oder anderen Gemeinde 
aufgenommen werden jollten; allein beide Theile beichuldigen 
fich bald des Bruchs dieſes Vertrages und banden fich beiber- 
jeits nicht mehr an denjelben. Die meiften Uebertritte von der 
wallonijchen zur teutjchreformirten Gemeinde jcheinen indeifen 
aus Rüdfichten auf die Sprache vorgefommen zu fein. In den 
Glaubensjägen ftimmten beide Theile überein. Im Jahre 1770 
bedarf die wallonifche Gemeinde eines zweiten Pfarrer und es 
wird hierzu Pfarrer Jolly aus Frankenthal beitellt. 

Sie legt großen Werth auf ihre gejchichtliche Vergangen- 
heit. Die Grauſamkeiten Albas haben fie nad Mannheim ge- 
führt. Hier Hat fie das induftrielle Leben in Aufihwung 
gebradt. Die Zerftörung Mannheims im Jahre 1689 trieb 
fie wieder in die Fremde. In Magdeburg gründete fie 
„l’eglise reformee Wallone de Mannheim“, welche heute noch 
befteht und blüht. Die nad) Hanau und Vindefen Geflüchteten 
fehrten im Fahre 1696 mit ihrem Prediger Raboudet nad; Manıt« 
heim zurüd. Sie haben Vorfteher („Miniſterium“) und Aelteſte. 

Als ſolche funftiontrten beim Beginne des Jahrhunderts 
Joſeph Saviary, Daniel Coqui, Janron Marhand, Philipp 
Euftine u. U. 

Die jonjtigen firhlihen und vermögensrechtlichen Beziehungen 
beider Gemeinden find Tebhafter, wie die mit anderen Kon— 
feifionen. Bald verträgt man fi in Güte und tritt auch zu 
gemeinfamer Action zufammen, wie 3. B. wenn e3 fi um 
Proteftation gegen Eingriffe in das Wahlrecht der Gemeinde 
handelt (1713); bald fertigt man jpitige Schriften gegen 
einander. Die Wallonen werden bei Ddiejer Veranlaffung in 
der Regel von den Reformirten als die „Herrn Wallonen“ 
titulirt. 

Die Zahl der Lutheraner belief ſich im Jahre 1710 auf 
1115 Seelen, vermehrte ſich aber bald um ein Beträchtliches. 
Die kurfürſtliche Regierung wollte das Wahlrecht der lutheri— 
ſchen Gemeinde nicht aufkommen laſſen und unterm 7. März 
1725 erging ein Erlaß derſelben, wonach ausgeſprochen wurde, 


304 Die focialen Verhältniſſe x. 


daß feine Gemeinde ſich unterjtehen jollte, ohne Vorwiſſen des 
Konſiſtoriums eine Pfarrwahl vorzunehmen. Unterm 17. Auguit 
1725 fam es zu einem Vergleiche, worin feitgejtellt wurde, daß 
bei einer Pfarrwahl das Konjiftorium „zwei capable Subjecte“ 
und ebenjo die Gemeinde zwei jolche vorjchlagen jollte Die 
Kandidaten mußten dann Probepredigten halten und barnad) 
wurde die Wahl von der Gemeinde vorgenommen. 

Auch die Iutheriiche Gemeinde war übrigens an die Wahl 
inländiicher Kandidaten gebunden (1758). Die lutheriiche Ge— 
meinde jtand mit der reformirten meiltens auf gejpanntem 
Fuße. — Eine lateinische Schule wird im Jahre 1711 ge— 
gründet und an ihre Spige Rektor Langen, jpäter Dietrich 
Köjter geitellt.e. Zu gleicher Zeit wird ‚die Kirche mit einer 
Orgel verjehen, welche Organıft Reumanı aus Sachſen jpielt, 
ber als ein vortrefflicher Mufifer gerühmt wird. 

Die Intheriiche Gemeinde erhält jich in unveränderter Ge— 
jtalt bis ans Ende des Jahrhunderts. Ihre Organijation 
fräftigt ih auch äußerlich. Das lutheriſche Konſiſtorium be= 
fteht jchließlih aus einem Direktor, acht Räthen und einem 
Sekretär. 

Es iſt nun noch der Mennoniten Erwähnung zu thun. 
Dieſelben werden ebenſo quäleriſch behandelt wie die Juden. 
Im Jahre 1706 beſchränkt man ihre Zahl auf 20 Familien, 
allein dieſe Beſtimmung kann auf die Dauer nicht eingehalten 
werden. Die Mennoniten müſſen um Heiratherlaubniß ein— 
fommen und um den Schuß nachſuchen, jonft werden fie nicht 
geduldet. Dieje Beitimmung wird noch im Jahre 1790 wieder- 
holt. Es find fleißige und betriebjame Leute, die jich nament- 
lich mit dem Aderbau bejchäftigen. Da wird im Jahre 1774 
fonftatirt, daß die Mennoniten viele Meder anfaufen und einer 
derielben jogar 38 Morgen bejigt. Man wirft deshalb die 
trage auf, ob der Erwerb von Grundeigenthum durch Diele 
Sekte nicht zu beichränfen jei. Diejelbe Frage wiederholt fich 
im Jahre 1777. Man beantwortet fie im Jahre 1784. Da: 
mals wurde bejtimmt, dat die Mennoniten zwar Gitter und 
Gärten erwerben dürfen, dat aber der frühere Eigenthümer 


Die ſocialen Verhältniiie x. 305 


während drei Jahre ein Auslöjungsrecht befiten jolle. Diele 
Auslöfungsbefugnig wird im Jahre 1787 nochmals beftätigt 
und fie erhält fich bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts, zu 
welcher Zeit fie vom Kurfürjten Marimilian bejeitigt wird. 
Den Mennoniten ift die Abhaltung eines ftillen Gottesdienſtes 
geitattet (1784). 

Die Zahl der jüdischen Familien beläuft ſich im Jahre 
1723 auf 160. Die Jubdenvorfteher find noch in berjelben 
verantwortlihen Stellung, wie früher dem Rathe gegen- 
über. Sie find das Organ, durch welches berjelbe mit ber 
gejammten Judenſchaft verhandelt. Sie müffen Ordnung halten 
und einjchreiten, wo fie gejtört wird, was namentlich auf dem 
Fiihmarkte und in dem Schlachthauſe gejchieht. Ihre Ver: 
lündigungen nehmen fie in der Synagoge vor. 

Auch jene Erjcheinung, die zu der damaligen Zeit ber 
firhlihen Berfolgungen in vielen Städten auftrat, und nad) 
welcher man Haß und Verfolgung durch Andichtung von Ver: 
brechen zu jchüren fuchte, fam auch in Mannheim vor. Als 
im Sabre 1727 ein Kind verloren ging, wurde das Ver— 
ſchwinden desjelben den Juden zur Laft gelegt. Die ge— 
ſchwätzige Fama wollte deijen Leiche in einem Keifer gefunden 
haben. Die Judenvorjteher traten fräftig auf und verlangen 
vom Rathe eine jtrenge Unterjuchung. Das Rejultat derjelben 
erzielt eine völlige Grundlofigfeit der ausgebreiteten Gerüchte, 

Unter Karl Theodor beginnt auch eine Art Reformperiode 
für die jüdiſchen Verhältniffe. Die Ichlimmften Bedrückungen 
hören auf, und als Karl Theodor im November 1747 von 
Düfjeldorf zurüdfommt, wird er namentlich von der jüdiſchen 
Bevölkerung mit großer Freudenbezeugung empfangen, fo daß 
jelbjt die dabei begangenen Erceffe mit Nachſicht beurtheilt 
werden. 

Karl Theodor Hatte 1744 jeine erſte Konzejfion für die 
Suden in der Pfalz ertheilt. Allein auch dieſe Reformperiode 
hielt nicht Stand. 

Die Barmer und Elberfelder Handelsleute hatten (jchon 
unter Karl Philipp) vorgefchlagen, die Juden von der chrijt- 

Defer, Geſchichte der Stadt Mannheim. 20 


306 Die jocialen Berhältniffe x 


lihen Bevölkerung abzujondern und Religionsfreiheit zu ge= 
währen. Gegen jenen Vorjchlag proteftirten die Judenvorfteher 
damals jofort, indem fie jich darauf beriefen, der Stadt immer 
aufgeholfen zu haben. 

Im Jahre 1761 und 1762 wurde ber Stadtrath zum 
Bericht aufgefordert, ob e3 nicht zweckmäßig jei, eine Juden— 
gaffe einzuführen und der Rath ſprach ſich dahın aus, daß 
jolhes innerhalb vier Jahren gejchehen könne. Die. Juden 
müßten angehalten werden, ihre Wohnungen außerhalb der zu 
bezeichnenden Straße innerhalb. jenes Zeitraums zu verkaufen 
und fich dort anzufaufen. Ebenjo müßten die Chrijten ange» 
halten werden, ihre dortigen Häufer nad tarirtem Werth abzu= 
geben. Die Quadrate, wohin die Juden überjiedeln jollten, wurden 
bejtimmt und das Nähere in die Concefjion der Judenjchaft 
fir die Stadt Mannheim vom 21. November 1765 aufge= 
nommen.*) 

*) Diefe Conceſſion erläutert und ergänzt die biöherigen Beltimmungen 
über die Nechtsverhältnifie der Juden in Mannheim und fie blieb im 18. 
Sahrhundert geltendes Geſetz. Wir führen deren wejentlichen Inhalt an: 

Der $ 1 beihäftigt ſich mit der Clausſtiftung wovon weiter unten 
bie Rede iſt. 

Der $ 2 normirt den Zinjenbezug bei Darlchen. Bon Darlehen 
unter 25 Gulden ohne Fauftpfand können 10% auf ein Jahr; von 25—50 
unter der gleichen Vorſetzung 8%, von 50—100 fl. ebenfo 7% erhoben 
werden; von Darlehen mit Sicherheit dagegen nur 5% Zinſen. 

Im $ 3 ift beftimmt, ‚daß bei Darlehen auf unbeweglihe Güter die 
Baluta dem Schuldner vor feiner Obrigkeit baar vorgezählt werden muß, 
und daß darauf erſt Die Hypothek ausgefertigt werden darf. Das Pfand» 
objeft darf bei der Berfteigerung dem jüdiſchen Greditor nicht zugeichlagen 
werden. Darlehen über 50 fl, follen immter eine Urkunde von Notar und 
Zeugen erfordern. Bei trodenen Wechſeln ift das Blanco-Indofiament 
unterjagt. 

Der $ 4 verbietet den Ankauf von Fahrnißgegenitänden von Weibern, 
Kindern und Dienftboten; ſder $ 5 unterwirft die Juden ben ſonſt gel 
tenden Gejegen und Verordnungen; nur in ihren Geremonien jollen fie 
frei fein, 

Der $ 6 beſchränkt die Zahl der jüdiihen Familien auf zweihundert. 
Einwanderer müfjen fich anmelden und fo lange fie den Schug nicht erlangt 
haben, die doppelte Schagung bezahlen. 


Die ſpeialen Verhältniſſe x. 307 


Die Juden waren vom Staate ausnahmsweije behandelt, 
von der Gemeinde ausgejchlojjen, von der Geſellſchaft zurück— 
gejtoßen. Nur bezüglich) Einzelner bejtand von dieſer Regel 
wieder eine Ausnahme Es waren die Hof» und Miltzfactoren. 

Die außerordentlich zahlreichen Lieferungsgejchäfte, welche 
zu Anfang des 18, Jahrhunderts vorfamen, insbejondere aber 
die Lieferungen für das einheimiihe und fremde Militär, 
ebenjo das damals jich entwidelnde Geld» und Wechſelgeſchäft 
hatte den Beizug gewandter israelitiicher Gejchäftsfeute für 
den Kurfürjten und die Regierung nothwendig gemacht. So- 
bald dieje Verwendung eine dauernde wurde, wird eine Stelle 


Der $ 7 beitinumt die Vermögensihaft zur Gonceffionsbefähigung, 
welche in 2—6000 fl. befteht, je nachdem man einheimiich oder fremd ift. 
Das Finzugsgeld beträgt 40 fl, außerdem muß noch Kajernengeld entrichtet 
werben. 

Der $ 8 regelt die MWohnungsverhältniffe. Er beftimmt zunächſt, daß 
fein Jude in der breiten Straße und den beiden rechts und links ans 
ichließenden Nebenitraßen wohnen darf, ebenjo wenig in der Alarmgaſſe 
(den jegigen Planen). Innerhalb drei Jahre müßten die Häufer verkauft 
oder vertaufcht fein. Dagegen folle den Juden geftattet fein, zu wohnen 
„im Bezirke der Stadt vom fatholiichen Kirchhof, die Wormfer Gaſſe hin- 
durch bis in die Drappiergaffe, nämlich bis an das Eck des Wirthshauſes 
zum goldenen Adler, dann von dort gegen den Wall zu, wo das Militär- 
lazareth und der Juden Begräbniß annoch it, die Drappier- und Stallgafie 
hindurch, ſomit in dem dritten Viertel die Quadrate Nr. 49—61; in dem 
vierten die Quadrate 73, 74, 81, 82, 88," 

Im $ 9 iſt beitimmt, was die Juden zu zahlen haben, nämlich 

1) Gimergeld ad 3 fl. nebit einem Eimer in natura, 

2) Wacht: und Quartiergeld. 

3) Schutzgeld 10 Thlr., die Wittweiber jedody nur die „Halbicheid“. 

Der $ 10 geftattet den Juden, ihre Synagoge und Schule auf ihre 
Koſten zu halten, ferner einen Rabbiner, zwei Vorſänger, einen Judenſchafts— 
Diener, einen Schulklepper, einen Spitalmeijter, zwei Weglaubte, vier 
Krankenwärter, vier Schulmeifter und einen Schädter. 

Sms 11 it die Entiheidungsbefugnig des Nabbiners und der 
Vorſteher in Sachen des Ceremoniells vorbehaltlid der Berufung an die 
christliche Behörde feitgeitellt. 

Der $ 12 trifft Beſtimmungen über Anwendung der beutichen Sprache 
bei Ehepacten, Handelsbücer, Inventarien. Den boshaften Banquerouteur 


20* 


308 Die focialen Berbältniffe x. 


und ein Rang gejchaffen, den man zunächſt mit dem Titel 
„Milizfactor“ bezeichnet; aus dem Milizfactor wird ein „Hof- 
und Milizfactor“ und im höheren Rang ein „Oberfactor“ oder 
„Oberhof und Milizfactor.“ 

Als ſolche Factoren werden genannt Lemle Mojes, der zu 
den Zeiten Johann Wilhelms und Karl Philipps feine Wirf- 
famfeit entfaltet, und im Jahre 1724 ftirbt; auf ihn folgt der 
Dberhof- und Milizfactor Süskind (1726), der Cabinetsfactor 
Emanuel Mayer, der gleichfall® bei dem Kurfürften in hohem 
Anfehen fteht, und zu auswärtigen Miffionen verwendet wird 
(1731); fodann Elias Hayım, deffen Sohn Mayer Hayım ; 
endlih Mayer Elias. 

Beim Ende der Regierungszeit Karl Theodors beginnt 
bereit? das Bankiergejhäft ſich zu entwideln, und es ver- 
mitteln die Bankiers Schmalz und Aron Seligmann die größeren 
Geldgefchäfte des Kurfürften und der Regierung. 

Unter den Hof» und Milizfactoren nahm Lemle Moſes 
jelbjt wieder eine hervorragende Stellung ein. Wir treffen ihn 





foll außer der Strafe des großen Bannes auch die im Geſetze vom Jahre 
1731 verordnete Strafe treffen. 

$ 13 beſtimmt das Alter der Heirathsfähigkeit auf 20 Jahre. 

8 14 beftimmt die Competenz der Regierung und Hoffammer bei 
Schutzverleihungsſachen. 

$ 15 verordnet, daß die Juden auf ihren Sabbath und an Feiertagen 
in Civilſachen nicht vor Gericht geladen werden, dagegen auch die chriftlichen 
Feiertage reipectiren follen. 

Der $ 16 definirt den „Schutz“. „Wir nehmen fie dergeltalten in 
Unjere Protection, Schirm und Schug, daß Wir felbige, jedoch eines Jeden 
Thun und Verhalten nad, nit verichimpfen laffen, jondern vielmehr 
dagegen ſchützen und ſchirmen“. 

8 17 Spricht die Befreiung von der Naturalbequartierung aus, vorbes 
haltlih der Goncurrenzgelber. 

$ 18. Im Uebrigen haben die Juden die Freiheiten der Stadt 
Mannheim mit zit genichen und die Laften mit zu tragen. 

$ 19, Die neuverheiratheten Jubenfinder müflen um den Schutz nach— 
fuchen, injofern die Zahl von 200 nicht complet ift. 

Alles in einer etwaigen Mehrung oder Minderung „Eraft unumſchränkter 
Machtvollkommenheit“ vorbehalten. 


Die focialen Berhältniffe x. 309 


ihon im Auguſt 1703 in Wien, wojelbjt er jich aufhält, um 
die jährlichen Subfidien von 400 000 fl. in Empfang zu nehmen, 
die damals an Kurpfalz gezahlt wurden. Später wird er er- 
wähnt als der Erbauer mehrerer Häufer, namentlich einer 
Billa mit arten gegen den Rhein hin. Auch ift er Erbbe- 
jtänder der Mühlau, die nach feinem Tode an den Kurfürjten 
zurüdfällt, und von demjelben im Auguſt 1727 an den reis 
herrn von SKagened Statthalter des Herzogtums Neuburg, 
vergeben wird, Seine Berbindungen find weit verbreitet; er 
erwirbt für jeine Zeiten große Reichthümer und ijt die finan— 
zielle Stütze des Kurfürſten in bedrängten Geldverhältniffen 
Seine Verdienjte werden mit dem Titel eines Hof» und Ober- 
milizfactors und mit Steuerfreiheiten jeines liegenichaftlichen 
Befitzthums belohnt. Auch nad jeinem Tode wurden diefelben 
gewürdigt, die Objignation auf jeinem Nachlaſſe wird baldigjt 
aufgehoben, und die auf jeinen Häujern und der Claus ruhen» 
den Freiheiten und oncejjionen zu Gunſten jeines Erben 
Mojes Mayer bejtätigt. 

Lemle Mojes Hat fein Andenken durch eine bedeutende 
Stiftung verewigt, „die Claus“. Nach Inhalt feines Teſta— 
mentes, von welchem eine durch die Beglaubten der gemeinen 
Sudenichaft Ijaae Ajtrud und Salomon Joſeph beurfundete 
Abjchrift in den Acten des General-Landesarchivs aufbewahrt 
iit, weiß er, daß das Ende von allen Menjchen der Tod iit, 
und er iſt zu der Ueberzeugung gelangt, „daß die Lebzeiten der 
Menjchen nichts als Narr» und Eitelkeit find, und vorbei- 
fliegen, wie der Schatten eines Vogels.“ Er will deshalb eine 
Ordnung jeiner Berlajjenichaft Heritellen, welche die Judenſchaft 
in Mannheim erfüllen joll. 

Lemle Mojes glaubt, daß die erjte und bejte Vernunft des 
Menſchen in der Gottesfürchtigfeit bejtehe, und er ordnet des— 
halb Gebete an und jtiftet ein ewiges Capital von 100000 ft., 
um das Studium in der Thora zu befördern. Davon ſind 
jährlih 3000 fl. für 10 Rabiner bejtimmt. Die Häuſer des 
Lemle Mojes, welche gegen Sonnenaufgang und Sonnenunter- 
gang stehen, jollen zur Clausftiftung gehören bis an's Ende 


310 Die focialen Verhältniſſe zc. 


der Welt. Er ernennt jeines Bruders Sohn Moſes Mayer 
zum Clausdirector und trifft die nöthige Beitimmung über Ver— 
waltung des Stiftungsvermögens. Die Clausjtiftung befteht 
heute noch. 

Auch die andern Hof und Milizfactoren befanden ſich in 
günftigen Verhältnifjen. Der Sohn de3 Elias Hayum, Mayer 
Elias, hat ſich während des fiebenjährigen Krieges durch reelle 
und pünftliche Lieferungen Berdienfte erworben, und es ergeht 
deshalb im Dezember 1759 ein Furfürjtliches Decret, wonad) 
dem Hof» und Milizfactor Elias Hayım Sohn, Mayer Elias, 
„die Gnade angethan wird, in Anjehung des bei der zur Reichs- 
erecutionsarmee gejtellten Sriegscontingent® und bisheriger 
guter und richtiger Lieferung fich erworbenen Verdienites, auch 
zugeficherten Beeiferung das gleichmäßige Hof und Milizfac- 
torenpatent zu erhalten.“ 

Dieje Verhältniffe der Judenſchaft erhalten jich bis zum 
Schluſſe des Jahrhunderts. Die Vorſchriften bezüglich der 
Judengaſſe laffen fich nicht mit aller Strenge durchführen. 
Auch die Claus bleibt, obgleich in der Conceſſion ihre Ver— 
legung vorbehalten war, an ihrer Stelle, die Verbote in Be— 
treff der Kleidung werden gemildert. 

Allein im Uebrigen bleiben die Dinge in dem früheren 
Stande. Während der SKriegszeiten am Schluſſe des Jahr: 
hunderts erichwert ſich auch die Lage der Juden, und ihre 
Borjteher, Löw Baruch Kahn, Wolf Gabriel Mai und David 
Ullmann haben die jchwierige Aufgabe, den an fie geitellten 
Anforderungen zu entiprechen oder aber die Schwere des Kriegs- 
gejebes zu empfinden. Für die jüdifchen Verhältniſſe konnte 
erjt mit dem Herannahen einer neuen Zeit auf Bellerung ges 
hofft werden. — 

Mit der Berlegung der Nejidenz und des Hofgerichts wird 
Mannheim auch der Mittelpunkt der Erecutionen in Kurpfalz. 
Bon allen Seiten jchleppt man die Verbrecher und diejenigen 
herbei, die des Todes würdig erklärt find. Ein neues Be— 
bürfnig tritt deshalb hervor. Der Scharfrichter iſt zwar ein» 
heimiſch geworden, aber der Galgen iſt jchadhaft und ein neues 


Die ſocialen Verhältniſſe xc. 3ll 


Hochgeriht muß deshalb am Schafbrunnen errichtet werden. 
Der 26. Juli 1724 war ber Felttag, an welchem das Wert 
begonnen werden jollte. Bier Compagnien der Bürgerichaft 
verjammeln fich mit fliegenden Fahnen auf dem Markte. Die 
Zunft der Maurer und Zimmerleute ift dorthin bejtellt. Jede 
derjelben will an der Spite des Zuges marjchiren, und als 
die Zimmerleute den Maurern den Vorrang nicht zugeitehen 
wollen, weigern fich die letteren zu marjchiren. Dem Stadt: 
director Lippe gelingt es endlih, ein Compromiß zu erzielen, 
und hinaus bewegt fi der Zug, der den neuen — Galgen er: 
richten will. Stadtdirector Lippe thut den erjten Dieb mit der 
Art in das Holz und legt den erjten Stein zum Galgen, und 
darauf macht fich die jubelnde Menge daran, das Werk fortzu— 
jegen. Bis zum 29, iſt der Galgen vollendet; er wird mit 
einem „ſchön gezierten“ Kranze umjchlungen und die Mufif be- 
grüßt mit Iuftigen Weijen die Vollendung des Werkes. Ein 
Däger des Grafen von Hillesheim, der einen Diebjtahl be- 
gangen, ijt der Erſte, welcher dort vom Leben zum Tode ges 
bradjt wird, 

Am Beginne der Regierungszeit Karl Theodors wird ein 
Falſchmünzer mit feiner Frau zum Feuertode verurtheilt, jedoch, 
da die Milde der Schärfe vorzuziehen ift, zum Tode durch das 
Schwert begnadigt. Sein Genofje wird nur verurtheilt, Die 
Erecution mit anzujfehen und empfängt dann, wie die beider- 
jeitigen Weiber, Staupenjchläge. 

Im Jahre 1749 tritt eine in den Kreifen der Bagabunden 
bejonders bemerkte Perjönlichkeit auf. Robuſt von Gejtalt, 
mit jtruppigen Haaren bededt, gebietet diejelbe über eine an— 
jehnliche Truppe. Bieler Herren Länder Hat fie ſchon durch— 
zogen, geleitet und gejhüßt von ihrem Häuptling, Mojes Jacob 
Sulgberger, genannt der haarige Ranzen. Da wird bderjelbe 
mit jeinem Genoffen, unter denen ein Abraham Biſcher der 
vornehmſte ift, in der Pfalz verhaftet und nah Mannheim in 
das Gefängnig im Rathhauſe gebracht. Das Gerücht von der 
Verhaftung jenes WVagabundenhäuptlings verbreitet ji und 
Alles kommt, um den haarigen Ranzen zu jehen. 


312 Die focialen Berhältniffe x. 


Am 28. Juli wird er mit jeinen Genofjen dem Strange 
überliefert; de3 haarigen Ranzen Frau wird mit den Uebrigen 
des Landes — nad; gejchworener Urphede (eidliche Verſicher— 
ung, das Land nie wieder zu betreten) — verwiejen. Der 
Name „haariger Ranzen“ jollte eine den Mojes Jacob Sultz— 
berger weit überdauernde Bedeutung gewinnen. Denn als bald 
darauf wieder neue Arreftanten anfommen und in das Gefäng- 
niß des Sulbberger verbracht werden, nennt man das leßtere 
den „haarigen Ranzen“, und im Jahre 1751 erjcheint dieje Be— 
zeihnung jchon gelegentlich der Berhaftung eines Wilhelm 
Günfter als die officielle in den Rathsprotofollen. 

Die Erwähnung diejes Wilhelm Günjter it auch injofern 
von Bedeutung, als darin auf ein culturhiftoriiches Moment 
verwiejen wird, das vielleicht heute weniger mehr gekannt iſt. 
Er war zur Galeerenjtrafe verurtheilt. Die gleiche Beitrafung 
wiederholt ſich mehrfach. Dieje Strafe muß in Holland voll: 
zogen werden. Den Günjter fann man nicht allein nad) Hol— 
fand verbringen, das würde zu viel fojten; deshalb muß er 
furz geichloffen im haarigen Ranzen ſitzen, „bis die Zeit der 
von Straßburg abgehenden Kette von Galeerencandidaten an— 
kömmt.“ 

Ein beſonderes Aufſehen erregte endlich die Hinrichtung 
eines Freiherrn von Buchröder wegen Mords. Bei deſſen Hin— 
richtung (Juni 1764) ſtrömte nicht nur eine Maſſe Volks her— 
bei, ſondern auch der ganze Hof mit ſämmtlichen Hofkutſchen, 
ſowie die Leibgarden waren anweſend, woraus man auch auf 
die Anweſenheit Sereniſſimi ſchließen kann. Da die Volks— 
menge ſich vordrängte, die Hofkutſcher ſolches aber nicht leiden 
wollten, entſtand ein großer Tumult, der in allgemeine Prügelei 
auszuarten drohte. In Folge deſſen wurde eine ſtrenge Ord— 
nung, wie es bei den Hinrichtungen zu halten ſei, erlaſſen. 

Die Hinrichtungen werden übrigens nicht mehr in Gegen— 
wart des ganzen Raths, ſondern nur vor drei Hinrichtungs— 
commiſſären vorgenommen, denen zur Erleichterung ihres miß— 
lichen Geſchäſtes Reitpferde zur Dispoſition geſtellt werden. 

Eine Taxordnung für die Scharfrichter, je nach dem 


Die focialen Verhältniffe x. 313 


Prangerftellen, Daumjchrauben =» Torturen, Fujtigiren u. j. w. 
angewandt wurden, bejtand jeit dem Jahre 1741. Die Locali- 
täten, in welche die Maleficanten fich vor der Hinrichtung aufs 
hielten, waren neben dem haarigen Ranzen die „Bötzenkammer“, 
ohne Zweifel das Lofal, in welchem man die Marterinſtru— 
mente applicirte, jodann das „Armejünderjtübchen“.*) 

Ueber die Hofleute und Soldaten bejaß die bürgerliche 
Polizei feine Gewalt; um jo jchärfer und unbarmherziger jchritt 
fie gegen das Weibsvolk ein. Körperliche Züchtigungen, Brand» 
marfung und PBrangerjtellung u. A. wendet man gegen te an. 

Eine „Schelmin von Rotenbach“ jpielt in der Mitte des 
vorigen Jahrhunderts eine der erjten Rollen in der demi-monde 
des furfürjtlihen Hofes, bis fie sichließlih mehr und mehr 
finft und dem Farrenziemer verfällt und ausgewiejen wird. 

Deffentliche Tanzbelujtiguigen — Redouten — „bei denen 
jih Manns» und Weibsleute indijtinete einfinden*, jowie mas— 
firte Zuſammenkünfte find in jener Zeit Schon jehr im Schwunge; 
doch läßt fie Karl Theodor in calamitofen Zeiten öfters ver- 
bieten. 

Ein jüdischer Tanzlehrer Elkan ift der Erfte, der die Tanz- 
funjt in weiteren Kreiſen zu cultiviren jucht. Er erhält im 
Jahre 1746 die Erlaubniß, an Sonn» und Feiertagen nad) 
dem Gottesdienite Tanzitunden zu geben, bei denen er auch auf— 
ipielen darf. 

Nur bei einzelnen Gelegenheiten jchwand vorübergehend 
die Kluft, welche zwiichen dem verjchiedenen Kreiſen der Geſell— 
ſchaft beſtand. Es waren dies die Volfsfefte. 





*) Mit der Veberfiedelung des Hofgerihtd nah Mannheim kam die 
damals noch allgemein üblihe Anwendung der Folter nah) Mannheim. 
Aus diejer Zeit dürfte auch das in der Geſchichte der Folterwerkzeuge als 
„Drannheimer Bod* bezeichnete, jedenfalls von Scharfridter Schmidt aus 
Bergzabern erfundene Yolterinftrument itammen, Mit ber eigentlichen 
Stadtgeihihte Mannheims hat die Aburtheilung der Verbrecher des ganzen 
Landes nichts zu thun, weshalb hier nur einige wenige Fälle erwähnt 
feien. Karl Theodor bemühte fich ernitlih um die Abjchaffung der Folter, 
die zunächit in feinen Herzogthümern Jülih und Berg nicht mehr zur Ans 
wendung kam. 


314 Die focialen Verhältniſſe x. 


Ber einer diejer Feſtlichkeiten wurde eine Stiftung gemacht, 
die die Stadt berührt und deren Gegenjtand noch vorhanden 
it, wenn auch die Stiftung jelbit der Vergejjenheit anheim 
fiel. Als nämlih im Jahre 1730 ſich gelegentlich des Bei: 
lagers des Pfalzgrafen ChHrijtian mit der Prinzeſſin Eleonore 
von Heſſen fich herausftellte, daß die Bürgerichaft noch „Feine 
Leibfahnen“ bejäße, jo wurde eine jolche bei Golditider Klein 
bejtellt, und e3 wurde Ddiejelbe am 8. Januar 1731 dem ver— 
fammelten Rathe übergeben und an einer Stange befeitigt. 

Man vertiefte ſich bei diejer Veranlafjung in die Erinner- 
ung an vergangene Beiten, und es fam auch die Rede auf Die 
Teitlichfeiten bei dem 100jährigen Jubiläum der Stadt am 
24. Jänner 1707 und auf den goldenen Becher, den damals 
der Rathsverwandte Chryjoftonus Mang von der Stadt bei 
dem Freiichiegen gewonnen Hatte. Derjelbe muß den Becher 
herbeiholen, um ihn den Rathsmitgliedern, die ihm noch nicht 
gejehen haben, zu zeigen und er jchenft ihn der Stadt mit der 
ausdrüdlichen Bejtimmung, „daß bei Stadtfejtivitäten jedesmal 
daraus getrunfen werde“ (welche Beſtimmung jedoch in Ver: 
gejienheit gerieth). 

Unter Karl Theodor erhielt die Schüßengejellihaft oder 
Schügencompagnie eine feſtere Geftalt. Unterm 1. Juli 1744 
genehmigt Karl Theodor ihre Statuten. Die Schübenmeijter 
waren Freiherr von Hohenhaujen und von Oberndorf. Im 
October 1749 wurde eine Schießordnung für Scheibenjchießen 
erlaffen und vom Jahre 1750 ein Namenverzeichniß der Mit- 
glieder der Schügencompagnie angelegt. Der Kurfürft und die 
Kurfürjtin, Prinz Friedrich und feine Gemahlin ftehen an der 
Spige derjelben. Im Jahre 1797 wurden die Statuten er— 
läutert und ergängt. 

Einem tief empfundenen Bedürfnifje entipringen in der 
Mitte des 18. Jahrhunderts eine Anzahl Vereinigungen, welche 
die gegemieitige Unterftügung in Krankheits- und Sterbe- 
fällen bezwedten. Dieje Vereinigungen waren confejlioneller 
Natur. Für die Satholifen war durch das Borromäus- 
Hojpital und das Fatholiiche Bürgerhojpital geſorgt. Trotzdem 


Die ſocialen Berhältniffe x. 315 


ftellt fih die Kurfürjtin noch an die Spibe eines Kranken— 
vereind. Auch die Jiraeliten gründeten ihren Kranfenverein 
und eine Todtenbruderjchaft, deren mehrfach Erwähnung gethan 
wird. Der protejtantiiche Kranfenverein datirt vom 24. October 
1774 und wurde als „Kranken und Sterbefajje“ gegründet. 
Der Berein nahm einen fehr günjtigen Fortgang und zählt 
jchon im Jahre 1780 eine Zahl von 253 Mitgliedern. Der 
Verein hat fi) als Kranfenverein im König von Portugal 
bis auf die heutige Zeit erhalten, und durch jeine jegensreiche 
Wirkſamkeit die Entjtehung der übrigen Krankenvereine hervor— 
gerufen, die heute noch ein jprechendes Zeugniß von dem 
unter der Bevölkerung berrichenden Sinn für Selbjtthätigfeit 
ablegen. 

Die Verkehrsmittel hatten fih im 18. Jahrhundert ges 
beilert. Die Landkutjchenverbindung Hatte fich vervollkommnet 
und auch die Poft gelangte allmählich zu einer bejjeren Ver— 
faſſung. 

Schon beim Beginn des 18. Jahrhunderts iſt in ber 
Berion des Herrn Forchmeier ein kaiſerlicher Poftmeifter hier 
vorhanden. Die Landkutichen, welche bald auch Diligencen 
genannt werden, und die nach Heidelberg täglich gehen, jowie 
die Hauderer machen jedoch der Poſt eine erheblihe Con— 
eurrenz, jodaß man fich bald nad) einem geeigneten Schub für 
das Poſtregal umfieht. Darauf begründet fi die Beitimmung, 
daß „Neijende, welche mit Bojtpferden anfommen, auch wieder 
mit Bojtpferden abreijen müſſen.“ Erjt nad) einem bdreitägigen 
Aufenthalt find fie befugt, fich eines Hauderers zur Abreiſe 
zu bedienen. (1771). Im Jahre 1773 trifft man eine beijere 
Einrihtung mit der Beförderung des Poſtwagens. Es wird 
zu diefem Behufe ein eigener Bojtwagenjpediteur ernannt (Seiz), 
und es ergeht ein bejonderer Fatjerlicher Befehl, daß nur treue 
Eonducteurs und zuverläflige Poſtknechte bejtellt werden jollen. 
Die Poſt ijt übrigens auch Herausgeberin einer kaiſerlichen 
Beitung, und erhebt für Einrüdung von Avertifjements jchon 
von der Mitte des 18. Jahrhunderts an Einrüdungsgebühren 
(1758). 


316 Die focialen Berhältniffe zc. 


Ein eigenthümliches Zofalverfehrsmittel find die Porte- 
chaifen. Das Injtitut entſtand nach Ueberjiedelung des kur— 
fürftlichen Hofes nad) Mannheim; es entwidelte fich mehr und 
mehr und wurde unter Karl Theodor förmlich organifirt. Die 
Seffelträger find verpflichtete Leute; fie werben unter „ſchwerſten 
Aydespflichten” in Dienjt genommen und find gehalten bei 
empfindlicher Leibs- oder auch allenfalljiger Zuchthausitrafe 
ihre übernommenen Verpflichtungen zu erfüllen. An ihrer 
Spite jteht der Portechaifen-Meijter. Die Portechaijen hatten 
einen angewiejenen Pla unter dem Kaufhaus. 

Für den Waarenverfehr war die Schifffahrt von großer 
Bedeutung, die jich troß der Stappelrechte, welche jih Mainz 
und Köln anmaßten, und troß aller jonjtigen Hemmniſſe, die 
ihr bereitet wurden, lebhaft entwidelte. Es wurde jowohl die 
Rhein- wie die Nedariifffahrt organifirt und zwar in der 
Form der Rangichifffahrt. 1753 wird bejtimmt, daß um die 
Negelmäfigkeit der Schifffahrtsverbindung zu bezweden, Die 
Schifffahrt ſowohl auf dem Rhein wie auf dem Nedar nad) 
dem verliehenen Rang ausgeübt werden jolle. 

Wer einen Rang erhalten will, muß Schiff und Geſchirr, 
mindejtens 1000 fl. werth, jowie eine Gaution von 1500 fl. 
jtellen. E3 wurden damals 6 Ränge geichaffen. Nheinabwärts 
walten die bereit3 erwähnten Hinderniffe ob. Dagegen läßt 
fih die Rangichifffahrt auf dem Nedar und nad) Straßburg 
ungejtört betreiben. Für den Rang nad) Straßburg muß man 
2000 fl. Eaution jtellen. Im Jahre 1761 beitehen 9 Nedar- 
rangjchiffer und weitere 10 jind angemeldet; 5 Rangſchiffer 
nah Straßburg. Die Rangjchiifer jind an bejondere Taren 
gebunden, müſſen auch ihre regelmäßigen Fahrten einhalten, 

Im November 1798 Hatten jid) die Kaufleute Wilhelm 
Franz Samphaujen und Caspar Anton Dilges von Düſſeldorf 
in Mannheim eingefunden, um der hieſigen Dandelszunft einen 
Plan zur Vervollkommnung der Schifffahrt vorzulegen, den jie 
bereits auc in Frankfurt mitgetheilt hatten. Der Plan bejtand 
darin, daß der Düſſeldorfer Handelsvorjtand eine Rangidifffahrt 
von Düſſeldorf nach Holland einrichten wolle, jo daß alle 


Die focialen Verhältuiſſe x. 317 


8 Tage ein Schiff von Düffeldorf nach Holland gehen folle. 
Die Waaren würden auf diefe Weile jchneller und billiger 
bejorgt. 

Um dieſes heiljame Werk zu unterjtüsen und vollkommen 
zu machen, jollten nun die Mannheimer eine ähnliche Rang- 
ihifffahrt von Mannheim nad) Düffeldorf und zurüd ein- 
richten. 

Die Handelszunft erflärte fich nach Erörterung des Dafür 
und Dawider mit dem Plane einverftanden unter zwei Be— 
dingungen. Die Herren aus Düfjeldorf jollten dafür forgen, 
dat die Schifffahrt zu Thal und zu Berg ungehindert jei und 
der gewöhnliche Ueberjchlag oder die Ausladung unterbleiben, 
und daß die direfte Schifffahrt auch fonft von den Mainzern 
und Kölnern nicht angefochten werde; ferner müfje die kur— 
fürftlihe Regierung mit der projeftirten Einrichtung einver- 
ftanden jein. 

Im Jahre 1735 wurde die kurfürſtliche Münze von Heidel- 
berg nad) Mannheim verlegt; die Münzverhältniffe wurden 
aber dadurch in feiner Weiſe erheblich berührt. Schon im 
17. Jahrhundert waren diefelben jchiwierig geworben. Ein jeder 
der Heinen und auch die kleinſten beutichen Fürſtenthümer, umd 
nicht allein die Fürften, jondern auch die Erbprinzen hatten 
fih ein Gejchäft daraus gemacht, Münzen zu prägen. Auf den 
Gehalt derjelben fam e3 dabei weniger an als auf den zu er- 
zielenden Nuten. Dadurch wurde ein fortwährendes Herab- 
jegen und Berrufen der Münzen veranlagt. Schlimmer ge- 
jtalteten fich noch die Dinge im 18. Jahrhundert. Man hat 
es nicht nur mit deutichem Gelde ber verjchtedenften Gattung 
zu thun, fondern ber Geldverfehr war auch damals jehr 
international. Franzöfiihe Schilde und Sonnenlouisd’or, 
ipanijche Quadrupeln, päpftlihe und ruſſiſche Ducaten, englijche 
Souverains, Züricher und Holländische Ducaten curfirten gleich- 
fall8 in Menge. Und die Silbermünzen theilten ſich wieder 
in Thaler und Guldenftüde; in */, Gulden und in halbe 
Gulden, in Kopfitücde, in Mariengroſchen, in 6 Kreuzerſtücke, 
in Baten und Albusjtüde, in 2", Kreuzer- umd 2 Kreuzer- 


318 Die focialen Verhältniſſe x. 


jtüde und in 6 Pfennigjtüde. Sie waren theil3 nad dem 
20=, theil3 nad) dem 24-Guldenfuße geprägt. Ein fortwähren- 
des Schwanfen des Werthes diefer Münzen war unter diejen 
Umftänden erflärlih. Die Decrete, wodurch derjelbe regulirt 
und herabgejegt, oder auch die Münzen gänzlich verrufen er: 
Härt wurden, bilden in wenigen Jahren ganze Aktenfascifel 
von beträchtlichem Umfange. 

Karl Theodor „in landesväterlicher Beherzigung der bei 
dem teutjchen Münzwejen vor mehreren Jahren bedauerlich 
eingerifjenen, nod) immer fortwährenden gemeinjchädlichen Zer- 
rüttung“ jucht diefem Gebrechen, das dem geſammten Publikum 
täglich mehr und unerjeglichen Schaden zufügt, durch eine Con— 
vention mit Bayern und Dejterreich zu jteuern (1765). 

In die Zeit um 1780 fällt der Beginn des Xctien- 
weſens. „Zur Emporbringung der inländtichen Commercial- 
und Fabrik-Etabliſſements in Belang der Theilnehmung des 
Ankaufs und Ueberlaffens gejellichaftlicher Antheile, Stämmen 
oder Aktien ohne Unterichied, unter welchem Namen jolche auch 
immer kommen mögen,“ verfügt Karl Theodor unterm 31. 
October 1782, daß derlei Antheile oder Actien durch jeden 
Landeseingejefjenen ohne Unterjchied des Dienjtes, des Standes 
und ohne Rüdjiht auf einen bejonderen Auftrag an ſich ge- 
bracht und cedirt werden fünnen. 1783 erfolgte die Eröffnung 
einer Commercialroute nah Rußland und Konjtantinopel. 

Konnte mit der Monopolifirung des Tabaks nichts ange: 
fangen werden, jo juchte Karl Theodor eifrigit durch Hebung 
des Gewerbefleißes das dort nicht Erreichbare zu erzielen. 
Tabakfabriken werden conceifionirt, darunter eine von ano, 
Dalencon und Genthon (1752); im Jahre 1782 die von Peter 
Brentano mit bejonderen Privilegien; um das weibliche Ge- 
ichleht von jchädlihem Müßiggange und fündyaften Leben ab— 
zubalten, wird im November 1749 die große Spitenfabrif des 
Commerzienraths Johann Maurer concejjionirt; es folgen im 
Jahre 1758 und weiterhin Krapp-, Plantage» und Fabrikcon— 
cejlionen für Chriſtoph Ballermann, Chriſtoph Michel (1778), 
Bernhard Ulrich Brasberger, den Adminiſtrationsrath Heddäus; 


Beilage. 


Statiftiiche Aufzeichnung über den Bevölferungsitand 


der Stadt Mannheim im Jahre 1792. 


Auszug aus der Jüngjten Aufnahme hiefiger 


jämmtliher Stadtbewohner. 


In Hiefiger Stadt befinden ſich an Haußpläzen, 


fonjtigen Gebäuden . 


Darin find dermalen bewohnte — 
Dieſe Quartier bewohnen 


1. Adliche Berfonen . k h ’ . 64 
2. Hofdienerichaft j i ; . 201 
3. Minifter, und Staats Rathe 4 
4. würckliche und Titular geheime Räthe . 24 
5. würckliche und Titular Regierungsräthe 31 
6. würckliche und Titular Hofgerihtsrätfe . 23 
7. würdlie und Titular Hoffammerrätfe . 32 
8. Titular Räthe und jonjtige bediente . 69 
9. Advofaten und Kanzleiverwandte . . 147 
10. Kanzleidiener und bothen . j & . 65 
11. Komödie und Hofmufict . R 0.68 
12. Hofbeichüßte, und jonjtige -ganz notoriſch 

arme . . 613 
13. Herrn Bebiente ; : 0. 136 
14. Sämmtliches Militair außerhalb der Kaſernen 


in hieſiger Stadt wohnhaft ' 00. 963 





und 
1542 


.. 4969 


749 


1. Rathsverwandte, und Stadtgerichts assessores 27 

2. Stadtoffizier, und Deputirte . . 80 

3. Stäbtifhe und bürgerliche Dienerichaft . 18 

4. Geiftliche, und le .  -Di 

5. Stabtjoldaten . j ’ ; 63 

6. Bürger . : i i . 1129 

7. Arme Bürger . ’ : h . 188 

8. Beijaßen . ; s . 360 

9. Münzknecht . i i j . 12 

10. Buchdrudergejellen . ; ; 19 
11. Die hieſige Judenſchaft . 237 
12. Geſchützte Wohlhabende . i . 8 
13. ledige reiche jo Keinen Schuß . i . 2 
14. ohne Schuß überhaupt . j . 236 

bewohnte quartier find 
Sind dermalen bewohnt 

a. Mit adlichen, und Dienerihaft. - . 728 

b. mit Hofbejchügten, Armen und Herrndiener 749 

c. mit Militair . j i ‘ .. 963 

d. mit Bürgerftand . i . 2529 

4969 


963 


5. Hiefige Gemeinde 


a. Stäbtifches Perjonale 





Mannheim d. 18. Dec. 1792 


2529 
4969 


Pfanner, Boos, Tremelius. 





Plan und Anficht von 


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1750. 


Nannheim um 


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Anfelm Feuerbach's Gemälde „Nedea mit dem Dolce“ 


in der ädtifchen Gemältefammlung zu Manubeim. 


Die ſocialen Verhältniſſe zc. 321 


(1779); für eine Cattun- und Zitfabrif hat Mottu im Jahre 
1751 ein Privilegium erhalten; eine Tabafspfeifenfabrit von 
Sohann Jacob Xiberih wird im Jahre 1742, eine Seibden- 
fabrif von Jean und Jaques Daufer aus Langundoe im Jahre 
1759 concejjionirt; ein Caspar Sorgenfrei erhält im Jahre 
1761 die Erlaubniß zum Torfgraben. Derjelbe Hat ein neues 
Material zur Erjparung des Holzbrandes entdedt; eine Syrup- 
fabrit von Chamoujet wird im Jahre 1772 concejfionirt, eine 
weitere Seidenfabrit von Paſſavant und Bincent entfteht im 
Jahre 1780. Gaftwirtd Renner zum „Bfälzer Hof* erhält 
im Augujt 1789 zuerjt die Erlaubnig, eine Kohlenniederlage 
zu errichten und wird mit der Freiheit von Chauſſee-, Brüden», 
Pflaſter- und Weggeld privilegirt. Bierbrauer Engelhorn er- 
hält im Jahre 1794 die Erlaubnif zum Bierejfig fieden. Der 
Fabrikationszweige waren es in den 1770er Jahren einige 60 
in der Pfalz. 

Das Sleingewerbe befand jich bis zum Abzuge des Hofes 
in einer verhältnißmäßig günjtigen Lage. Man fieht aus der 
Vermehrung der Zünfte, in welcher Weije ber Zudrang zu den- 
jelben fich vergrößerte. Much die Lurusgegenjtände werben 
bearbeitet. Die Ehefrau des Morqueray Coromeo ijt die erjte 
Modiſtin, welche im November 1741 die Eoncejlion zur Ferti— 
gung von Prgegenjtänden und Frauenkleidern erhält. Unter’m 
4. September 1766 erhält Carl Heinrich Achenbach die Con— 
cejlton zur Errichtung eines Gaffeehaujes „für lauter ehrbare 
und angejehene Perſonen“. Hazardipiele find verboten. 

Apotheken waren uriprünglich nur vier vorhanden, die zum 
Einhorn, Ichwarzen Bären, zum Belican und zum güldenen 
Löwen. Es wurde im Jahre 1709 ausgejprochen, daß es bei 
diejen vier Apothefen bejtändig belaffen werden jolle. Doc) 
wurde ihnen aufgegeben, dat jie bejtändig mit auserlejener 
Waare und bejtem Material verjehen jein jollten. Als die 
Vereinigung der FFriedrichsburg mit der Stadt Mannheim 
durchgeführt war, wollten die jtädtijchen Apothefen auf Grund 
jener Zujage die in der Feſtung bejeitigt wiljen; es wurde 
ihnen aber bedeutet, daß ſich das Privilegium nur auf die 

Oeier, Geihichte der Stadt Mannheim. al 


322 Die foeialen Verhältniſſe x. 


Stadt Mannheim beziehe (1713). Im Jahre 1733 bejtehen 
neben den obigen nod) die Apotheke zum goldenen Adler und 
zum ſchwarzen Mohren. 

Bald dachte man auch daran, eine nächtliche Beleuchtung 
der Stadt einzuführen. Aber erjt im Jahre 1748 fommt der 
Plan zur Reife. Die Stadt jhafft die Laternen an, die Be— 
feuchtung wird Entrepreneurs übergeben. Dieje thun indeſſen 
ihre Schuldigfeit nicht, jondern juchen nur, wie geklagt wird, 
ihren Vortheil (1760). Es ſoll jcharf eingeichritten, und ces 
follen die Entrepreneurs mit jtrengen Strafen belegt werden. 
Die Stadt bejorgte damals die Beleuchtung mit 518 Laternen 
und einen jährliden Aufwand von 1600 fl. Anwaltſchultheiß 
Pompejati war fpeziell beauftragt, diejen Gegenſtand unter 
jeiner Aufficht zu behalten, und es verlieren fich auch allmählich 
die Klagen über den mangelhaften Zujtand der Beleuchtung. 
Auswärts erfennt man vielmehr die Leiltung der Stadt Mann- 
heim in Bezug auf die nächtliche Beleuchtung als eine außer: 
gewöhnliche an. 

Ebenſo ausgebildet werden die Feuerlöſch-Anſtalten. 
Namentlich jeit dem Jahre 1757, wojelbjt im Juli ein großer 
Brand entjitand, wird theils dadurch eingejchritten, daß man 
auf Befeitigung der Scheuern dringt, theils dadurd, daß man 
die Errichtung von Brandmauern vorichreibt, theils endlich da- 
durch, daß man die Löichanftalten verbeifert, neue Spriten und 
Feuereimer anſchafft, jowie die Löſchmannſchaft organifirt. 
Gegen Ende des 18. Jahrhunderts befindet jich die Stadt im 
Beſitze von 7 Feuerſpritzen, von denen 6 in der Stadt ver: 
theilt find; eine derjelben iſt mobil und kann jofort dahin ab- 
gehen, wo ein Brand entjteht. Zu den Feuerſpritzen ijt die 
erforderliche Bedienungsmannjchaft mit dem Sprigenmeijter an 
der Spitze, jowie die Ablöjungsmannjchaft eingetheilt, Zu den 
7 jtädtiihen Spriten fommt noch eine Hofiprike. Feuer— 
Commiſſär ijt der eine Bürgermeifter. Feuerpiquets ſind be= 
jtellt; für Tyeuereimer, Leitern und Hafen iſt gejorgt. Sobald 
ein Brand ausbricht, verjammeln fich die Spiten des Stadt— 
rathes auf dem Rathhauſe und von dort aus werden Die 


Die ſocialen Berhältniffe x. 323 


weiteren Anstalten getroffen. 67 öffentlihe Brunnen find vor- 
handen, die benüßt werden können. 

Ueber den Bevölferungsitand der Stadt im 18. Jahr- 
hundert finden fich leider nur wenige ftatiftiiche Aufzeichnungen. 
Eine derjelben, die allerdings nur die Zeit nad) Wegzug des 
Hofes betrifft, ift hier al3 Beilage gegeben (Seite 319). 

Die Stellung der verjchiedenen Klaſſen der Bevölkerung 
zur Stadt ijt jehr verichieden. Alles was mit dem Hofe und 
dem Staatsdienjte zujammenhängt, fteht, wie gejagt, außerhalb 
des ©emeindeverbandes und ift von den Gemeindelajten mit 
Ausnahme der Straßenläuberung befreit, und hierbei ijt es 
gleichgiltig, ob man ein wirklicher oder ein Titularrath, ein 
zählender oder ein noch nicht feſt Angejtellter ift. 

Auc die Advokaten und Kanzleideamten zählen unter dieje 
Kategorie. Was die Erjteren anbelangt, jo jtehen fie unter 
dem Hofgerichte und der Regierung und werden namentlich zu 
den Zeiten Karl Philipps unter jtrenger Disciplin gehalten, 
So wurden im Jahre 1729 einem Advofaten Soyer von dem 
Hofgericht jeine „rabultitiichen Streiche* verboten, und als er 
ſolche wiederholt, wird er incarcerirt. Endlich verjpricht er 
Beijerung und wird des Arreſtes entlafjen. 

Auch unter der Negierung Karl Theodors wird auf 
prompte Beförderung der Gejchäfte und der Bejeitigung aller 
Winkelzüge wiederholt gedrungen. 

Beim Beginne des Jahrhunderts fam es vor, daß ausge- 
diente Unteroffiziere, wie 3. B. Sergeant Biltorius (1700), 
unter die Zahl der Procuratoren aufgenommen wurden mit 
der Verpflichtung, Feine Injurien in ihre Schriften aufzunehmen 
und die Parteien nicht mit Prozeffen aneinanderzuhegen. Seit- 
dem aber die Ernennung von Advofaten und Procuratoren an 
das Hofgericht und die Regierung übergegangen iſt (1729), 
jcheint man einen größeren Werth auf die Uualıftcation Der 
Betreffenden zu legen. Die Advofaten geben ſich wejentlich mit 
der Bearbeitung von Prozeßichriften ab. 

Im Öanzen ergibt ſich aus der Zujammenjtellung, daß die 
Zahl der Familien, welche eine erempte d. h. gemeindelajten- 


2ı* 


324 Die focialen Verhältniſſe x. 


freie Stellung in der Gemeinde einnahmen, nahezu die Hälfte 
betrug. Die dadurch hHervorgerufene Ungleichheit der Be— 
faftung war jo bedeutend, daß man fie bei der allgemeinen 
Staatsbeſteuerung auszugleichen ſucht. Das zeigt ſich 3. B. 
beionder8 bei der Erhebung einer Kopfiteuer während des 
jiebenjährigen Krieges zur Beitreitung der Kriegskoſten. Das 
Steuergejeg vom 9. Januar 1758 legte jeder Familie mit 
Ausnahme der im Dienft befindlichen Militärs und der ganz 
Armen die Verpflichtung auf, eine Kopfitener zu entrichten. 
Dieje Kopfitener wurde nad) der Nangordnung der damaligen 
Geſellſchaft erhoben.*) 

Karl Theodor Regierung Hat übrigens noch dauerndere 
Verdienſte aufzuweiſen als die hier gejchilderten einzelnen Maß— 


*), In eriter Linie ftehen natürlich die Minijter, Regierungs- und 
fonitige Näthe. Sie zahlen pro Kopf fünf Thaler. 

Ihnen gleich ſtehen die höheren Hofbeamten, Sammerherrn und 
Truchſeſſe. 

Die Stallmeiſter, Oberbereiter, Edelknabenhofmeiſter, Hofmedici und 
Leibchirurgen zahlen vier Thaler. 

Hiernady fommen die mit drei Thaler Gewertheten. In Diele Claſſe 
gehören: Die Doctores, Secretarii, die Advocaten und Procuratoren; die 
Stadtidirectores, die Ordendichagmeiiter, Herolde, Proviantmeiſter, Küchen- 
meiiter, Mundköche, Zucderbäder, Inſtrumental- und Hofmufici, Tänzer und 
Figuranten, Hofmaler und Hofapotheker. 

Zwei Thaler zahlen die NRegiitratoren, Notare, Hofvergolder, Hof— 
bildhauer, Hoftapezierer, Ballmeiſter, Saalmeiſter, Proviantmeiiter, Tanze 
meiſter, Fechtmeiiter, Büchſenſpanner, Paufer und Trompeter, 

Einen Thaler zahlen die Hofichreiner und Schloſſer; der Schloßpor— 
tier; der Galicant; Jäger, Forſtknechte. 

Einen Gulden zahlen die Ganzeliften und Hofbedienten. Die übrigen 
Unterthanen waren in 6 Claſſen eingetheilt von 600 fl. und mehr bis 
100 fl. und darumter; die oberite Glaffe zahlte eine Kopfſteuer von 2 fl. 
30 £r., die von 100 fl. und darunter 25 fr, Die Mennoniten, Freymänner 
und Juden zahlen ä proportion ihres Nahrungs, Vermögens: nnd 
Schägungscapitale 2 fl. 86 Er, 3. 9 Er. oder 1 jl. 43 fr. Man er: 
fennt auch aus dieſem Steuergeiege eines Theils die officielle Eintheilung 
und Abitufung der damaligen Gefellichaft; andern Theil die Steuer: 
fähigkeit ihrer verfchiedenen Glaffen und darnadı wird nur beitätigt, daß 
die der Vürgerichaft auf ein jehr geringes Map herabgedrüdt war. 


Die focialen Verhältniſſe x. 325 


regeln, und dieje Verdienjte find es, welche ihm allerdings ein 
bleibendes3 Andenken fichern. 

Karl Theodor war ein eifriger Förderer des Landbaues. 
Er bemühte ſich um Ausdehnung des Kleebaues und des Krapps. 

In Käferthal legte er 1769 eine Rhabarber Plantage an; 
der botaniiche Garten in Mannheim datirt vom Jahre 1767. 
Die Berjuche, die Seidenzucht zu betreiben, jchlugen fehl. Nicht 
minder bemühte er ſich um die Hebung der Gewerbe, ber 
Fabrikation und des Handels. Im Jahre 1754 wurde die 
„Ecole partieuliöre d’Anatomie et de Chirurgie practique* 
gegründet. 1757 jtiftete er die Zeichnungsafademie, 1763 die 
Akademie der Wilfenichaften, im Jahre 1765 das chirurgiiche 
Collegium, im Jahre 1766 die Hebammenjchule; das Naturalien- 
fabinet jtammt aus dem Jahre 1765. Um die Anlage einer 
Bibliothek Hatte fih Karl Theodor jeit dem Beginne feiner 
Negierung gekümmert. Im Jahre 1772 wurde der Grumbditein 
zur Sternwarte gelegt, im Jahre 1775 die deutiche Gejellichaft 
gegründet, im Jahre 1776 die Hauptkriegsichule für Ingenieurs 
und Artilleriften, ebenjo ein Kabinet für Naturfehre. Der Bau 
des Zeughaujfes wurde 1777 begonnen, eine Stüdgießerei und 
ein Bohrhaus angelegt. Die Nationaljhaubühne, die in das 
ehemalige Schütthaus eingerichtet wurde, erhielt im Jahre 
1779 ihre definitive Geſtaltung. Im Jahre 1780 wurde ein 
meteorologijches Kabinet und eine Gejellichaft für Witterungs- 
beobadtungen gegründet. 

Daneben hat Karl Theodor eine Reihe mildthätiger An— 
jtalten in's Leben gerufen oder gefördert. 

Das Armen-, Waifen- und Zuchthaus wurde im Jahre 
1768 gegründet und eim milttärijches Waijenhaus 1781. Die 
Hebung des neu gegründeten katholischen Bürgerhojpitals (1772 
und 1775) bildete eine ftändige Sorge des Kurfürften, eine 
Kranfenwärterichule wurde im Jahre 1781 gegründet, die barm— 
herzigen Brüder im Jahre 1752 herbeigezogen; die Kranken— 
kaſſen wurden gefördert und eine patriottiche Krankenkaſſe durch 
die Kurfürftin in's Leben gerufen. Der rechte Flügel des 
Schloſſes hauptſächlich für die fünftleriihen und wiljenichaft- 


326 Die iocialen Verhältnifie zc. 


[hen Sammlungen wurde um das Jahr 1750 durch den Entre- 
preneur Rihard in Angriff genommen. Ueber die Zahlung 
der Maurer: und Steinhauerarbeiter ergeben fich Differenzen. 
Sie wurden durch eine Erpertiie auf 436,733 fl. abgeichäßt. 
Das Dperat befindet fich in der Univerfitätsbibliothet von 
Heidelberg. Die Hoffirhe wurde im Jahre 1756 vollendet. 
Wir geben hier eine überfichtlihe Zuſammenſtellung dieſer 
Schöpfungen, von denen wir die Wichtigiten in den Kapiteln 
über Kunſt und Wiffenichaft behandeln. Es bilden dieſe 
Schöpfungen die Lichtieiten der Negententhätigfeit Karl Theodors. 


Man muß die üderrajchende fruchtbare Thätigkeit diejes 
Fürften bewundern, und die Anerkennung, welche die Nachwelt 
dem Andenken Karl Theodors jchuldet, wird auch dadurch nicht 
gemindert, daß von all den Schöpfungen — mit Ausnahme 
der Bauten — nur das Theater und das Naturalientabinet 
fih erhalten haben. Was die Lichtjeiten abichwächt, ift die 
Schattenjeite der öffentlichen Zuftände, die hauptſächlich in der 
Zurüddrängung der eigentlichen Stadtverwaltung und des freien 
Bürgerthums durch eine erjt mit dem Hofe hierher gefommene . 
Beamtenwelt beitand. Daraus ergibt fih, daß die Beitrebungen 
Karl Theodors für Kunſt und Wiſſenſchaft weientlih nur 
ihimmernde Glanzpunkte find, bejtimmt, um die höchiten Kretie 
der damaligen Gejellihaft zu belehren und zu unterhalten, daß 
man aber in jener Zeit noch weit davon entfernt war, die Re— 
iultate der Wijlenschaft und des Kunſtlebens — Aufklärung 
und Humanität — zu einem Gemeingut Aller zu beſtimmen. 
Diefe Weihe den wiſſenſchaftlichen und künſtleriſchen Beſtre— 
bungen Karl THeodors zuzuerfennen, it nicht möglich. — 

So lautet etwa dag Schlußergebniß der Feder'ſchen Aus— 
führungen. 

Abfihtlicy find Hier gerade die in diejem Kapitel behan- 
deiten jocialen Verhältniffe jener Zeit in der Betracdhtungsweije 
Feders mitgetheilt. Es ſoll hier nicht vor jchärfiter Kritik 
zurüdgeichaut werden und nur da ilt Einhalt geboten, wo von 
der ipeziellen Betrachtung der augenblidlichen ſozialen Zuftände 


Die jocialen Verhältniſſe zc. 327 


aus auf das gejammte Schaffen Karl Theodors allgemeine 
Schlüfje gezogen werden. 

Was damals allerdings dem Bolfe nicht in jeder Bezieh- 
ung direct zu Gute fam: das Wirfen auf den Gebieten der 
Kunſt und Wiſſenſchaft, und was damals thatjählih nur einen 
kleinen, ercelufiven Kreis berührte, das hat inzwijchen die Zeit 
der Allgemeinheit und der gejammten Kulturarbeit erichlojjen. 
Die Schäte der Kunſt und Wiljenjchaft, die unter Karl Theodor 
in Mannheim gejchaffen oder gejammelt wurden, find zumeijt 
von ihrer neuen Stätte München aus Gemeingut des deutjchen 
Volkes und deutjcher Geiltesarbeit geworden, und Mannheim, 
die frühere jüddeutiche Hauptjtadt der Kunſt und Wiſſenſchaft, 
beginnt in ihren Denfmälern und Arbeiten jener Tage heute 
_ wieder mehr und mehr gejchäßt zu werden. 

Es ijt daher wahrhaftig an der Zeit, daß vor Allem an 
der Wiege einer jolchen geiftigen Bethätigung, in Mannheim 
jelbjt, für die Betrachtung des gejammten Wirfens Karl Theodor 
weitere Gefichtöpunfte gewonnen werden. Hat wirflic) nicht die 
Zeit jenen Bejtrebungen eine Weihe gegeben? 





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Die kurfürſtliche Akademie der 
Wiſſenſchaften und die Pflege der 
Meteorologie und Aſtronomie. 


Begründung der Akademie der Wiſſenſchaften — Daniel Schöpflin — 
Andreas Lamey und die heimathliche Geſchichte — Voltaire und Aleſſandro 
Collini — Jacob Hemmer — Das Wirken der Meteorologiſchen Geſell— 
ſchaft — Chriſtiau Mayer — Die Erbauung der Sternwarte — Roger 
Barry — Verdienſte der Pflege der Wiſſenſchaften in Mannheim. 


Dis weniger fruchtbar als die Pflege der Kunſt erwies 
ſich die Pflege der Wiſſenſchaft in der kurpfälziſchen Hauptſtadt. 
Die jih auf dem Gebiete der Wiſſenſchaft in Mannheim zur 
Regierungszeit Karl Theodors entfaltende rege Thätigfeit hat 
jih die Hochachtung hervorragender Gelehrten Europas er- 
worben und fand z. B. die Anerkennung und Zuftimmung 
eines Voltaire, Lejling, Lalande, Schöpflin. 

. Kein geringerer wie Voltaire war e8, der die Beitrebungen 
des Hurfürjten auf diejem Gebiete anregte. Der Verkehr Karl 
Theodors mit dem großen Franzoſen verjegte den Fürſten in 
die Berührung mit einer kühnen, wagemuthigen Geijteswelt, 
aus deren Schooße die franzöfiiche Revolution und mit ihr ein 
neues Zeitalter hervorgehen ſollte. Die Sprache Boltaires be- 
reitete der Kritik der Weltzuftände einen jouveränen Erfolg, und 
die Wiſſenſchaft erhob ſchon ihr Haupt zu pofitivem Scaffen. 

Die Bahn zu wifenjchaftlicher Arbeit war frei gemacht — 








Die burfürftliche Akademie der Wiſſenſchaften x. 329 


e3 galt jeßt, auf ihr in rechter Weile zu fchreiten und fich an 
ernjte Arbeit zum Entdeden und Erfinden zu machen. 

Das hatte Karl Theodor, deffen Briefwechjel mit Voltaire 
ein bejonderes Beijpiel jeines zu freiheitlicher Gefinnung ge— 
neigten Geijtes bildet, gar wohl erfaßt. 

Als daher an ihn Vorſchläge Herantraten, in Mannheim 
eine Akademie der Wiljenichaft zu gründen, fanden dieſe Vor- 
ihläge gute Aufnahme. Der Kurfürjt wandte fi) an den be- 
rühmten Gelehrten der Univerfität Straßburg, Daniel Schöpf- 
lin, um deſſen Rath zur Gründung eines ſolchen Injtituts 
einzuholen. Scöpflin kam perjönlid nah Mannheim und 
ſprach dem Fürſten entjchteden zu, jodaß fich diejer mit Freuden 
entichloß, die Akademie in's Leben zu rufen. 

Im Dectober 1763 erfolgte die Gründung der Akademie. 
Die Feier der Eröffnung fand am 20. diefes Monats im Saale 
der Bibliothef des Schloſſes in feitlicher Weile jtatt. Karl 
Theodor jtiftete eine Denkmünze, die auf der einen Seite mit 
jeinem Bruftbild, auf der anderen Seite mit einem Bilde des 
Apollo und den ſymboliſchen Gejtalten des Rheins und Nedars 
geziert war und deren Abbildung zur Zitelvignette des erjten 
Bandes der afademijchen Schriften gemacht wurde. Die 
Mitglieder der Afademie bildeten zunächſt in ben Dienjten 
de3 Kurfürſten jtehende Gelehrte, regiame Geilter, die fich in 
hervorragenderer Weije auf dem Gebiete der Wiljenjchaft be- 
thätigen wollten. 

Scöpflin wurde zum Ehrenpräfident ernannt. Von ihm 
wünſchte der Kurfürjt ein Werf über die Pfalz. Cine Aufgabe 
der Afademie jollte es auch jein, das Material für ein jolches 
Gejchichtswerf zu jammeln. 

Das VBerhältnig des großen, dem Lande Baden ent« 
jtammenden Gelehrten zu Mannheim erjcheint dadurd), daß die 
Stadt längjt zu dem Lande Baden jelbjt gehört, noch um einen 
beachtenswerthen Bunft bereichert, 

Der berühmte Verfafjer der Historia Zaringo-Badensis 
und der Alsatia illustrata betheiligte jich eifrig an den Ur: 
beiten der Mannheimer Akademie und verjäumte feine der beiden 


330 Die kurfürſtliche Akademie der Wiſſenſchaften x. 


alljährlihen öffentlichen Situngen im Bibliothefjanle des 
Scloffes, die Anftrengungen der Reife von Straßburg nicht 
icheuend. Abhandlungen von ihm zierten die afademijchen 
Bubtlifationen. 

Ein Jahr nad) jeinem Tode gab die Mannheimer Afade- 
mie 1772 das unter Mitwirfung Lameys vorbereitete Werf 
Schöpflins „Alsatia aevi merovingiei carolingiei saxoniei 
saliei et suevi diplomatica” im zwei jchön ausgejtatteten 
- Foliobänden heraus. Welchen Einfluß Schöpflin auf die da- 
malige geiitige Welt hatte, das läßt fi am beiten den Worten 
Goethes in „Wahrheit und Dichtung“ entnehmen, die befannt- 
ih lauten: „Auch ohne nähere Berührung Hatte derjelbe 
(Schöpflin) bedeutend auf mich eingewirft; denn vorzügliche 
mitlebende Männer find dem größeren Sternen zu vergleichen, 
nach denen, jo lange fie nur über dem Horizont ftehen, unjer 
Auge fich wendet und fich jtärft und gebildet fühlt, wenn es 
ihm vergönnt tft, ſolche Vollkommenheiten in jich aufzunehmen.“ 

Der Kurfürft erwählte zum repräjentirenden Vorſitzenden 
der Akademie den Freiherrn Leopold Marimilian von Hohen 
haufen, und zum leitenden Director den Freiherrn Georg von 
Stengel. 

Die Seele der Vereinigung war aber der Bibliothefar und 
Secretüär der Akademie: Andreas Lamey. 

Lamey hat ſich als Gejchichtsforicher einen geadhteten 
Namen erworben. Er kann ala Schüler Schöpflins bezeichnet 
werden, bei dem er längere Zeit in Straßburg weilte. Wie 
er die erften Bände des berühmten Werfes „Alsatia illustrata“ 
mit vorbereiten half, jo jollte er — vom Kurfürjten auf 
Schöpflins Empfehlungen nad) Mannheim berufen — bier 
das Material für das gewünjchte Werf über die Pfalz jammeln. 
Von den Arbeiten Lameys verdienen bejonders die Bublifation 
de3 „Codex prineipis olim Laureshamensis abbatiae diplo- 
maticus“, die Herausgabe von Chriſtoph Jacob Kremers 
„Geſchichte des Rheiniſchen Franziens“ (beide Werke gedrudt 
in der Druderei der Akademie), jowie jeine „Geichichte der 
Grafen von Ravensberg“ und jeine pfälziich geographiichen 


Die furfürftliche Akademie der Wiſſenſchaften x. 331 


Schriften genannt zu werden. Lamey leitete bejonders auch die 
Herausgabe der zujammen aus 11 Bänden bejtehenden beiden 
Abteilungen des großen Memoirenwerfes der Akademie, der 
„Acta Academiae Theodoro-Palatinae“, deren erjter Theil 1766 
in dem jchönen Drud der afademiichen Druderet erichien. 

Lamey war von Geburt Elſäſſer. Er ijt 1726 zu Münjter 
als Sohn eines Küfers geboren und erhielt jeinen erjten Un— 
terricht durch den Pfarrer des Orts. In Mannheim mußte 
er auf jeine alten Tage noch all die Leiden der Akademie, des 
von ihm mit aller Begeifterung und mit größtem Fleiße ver- 
tretenen Imftituts, in den Sriegsjahren am Ende bes Jahr- 
hundert mit erleben. Er jtarb am 17. März 1802 zu Mann- 
beim. Ihm verdanken wir Hauptjächlich die Aufzeichnung der 
Gejchichte der Afademie. 

Neben Lamey wirkte mit gleichem Eifer, doch mehr auf einem 
anderen Gebiete der Wifjenjchaft, der am 14. Dftober 1727 zu 
Florenz geborene und Ausgangs des Jahres 1759 von Karl 
Theodor nach Mannheim berufene Gelehrte Cosmo Alefjandro 
Collini. 

Die Akademie der Wiſſenſchaften war in zwei Abtheilungen 
getrennt: in die hiſtoriſche Abtheilung, die Lamey leitete und 
in die phyſikaliſche Abtheilung, zu deren Haupt Collini wurde. 
Collini erhielt den Titel eines kurfürſtlichen Geheimſekretärs 
und die Anſtellung als Direktor der noch heute in Mannheim 
befindlichen Naturalienſammlung. Collini iſt als Freund und 
Begleiter Voltaires und duch ſein Memoirenwerk: „Mon 
séjour auprès de Voltaire“ (Paris 1807), das ſeinen Verkehr 
mit Voltaire unter Veröffentlichung zahlreicher Briefe desſelben 
jchildert, in weiten reifen befannt geworden. Durch eine 
Schrift Eollini’s „Precis de l’histoire du Palatinat du Khin“, 
die gleichfall3 eine Vorarbeit zu dem geplanten pfälzer Ge— 
ihichtswerf bilden jollte, fühlte jih der Kurfürſt veranlagt, 
dem Gelehrten den Titel eines kurfürſtlichen Hofgeſchichts— 
ichreibers zu verleihen. Allein die Beitrebungen Collinis be- 
wegten ich in der Folge mehr auf dem Gebiete der Natur: 
wiſſenſchaften. Hier bildete er hauptſächlich ein anregendes 


332 Die kurfürſtliche Akademie der Wiſſenſchaften x. 


und die wiffenichaftlichen Unternehmungen des Kurfürsten (3. B. 
die Errichtung der Sternwarte) mit Begeiiterung begleitendes 
Element. Seine Gedächtnigrede über Karl Theodor nad dem 
Tode des Fürſten im Jahre 1799 ijt eine noch heute leſens— 
werthe, vornehme und jachfundige Würdigung des fürstlichen 
Wirkens auf wiijenjchaftlichem Gebiete. 

Im Jahre 1753 war Gollini mit Voltaire zum eriten 
Mal an den Hof des Kurfürjten gefommen. Voltaire jah jich 
nach jeinem Zerwürfnig mit dem König von Preußen von Karl 
Theodor auf's Herzlichite empfangen. Voltaire fühlte ſich als 
Siüdländer an dem jüddeutichen Hofe jedenfalls wohler als in 
der herberen Welt des Nordens. Er kam raid in einen 
regen geiftigen Verkehr mit Karl Theodor. Voltaire legte 
damals in der kurfürftlichen Bibliothek einen Band der Werke 
Friedrichs II. nieder. Diefer Band, der in der fojtbaren Aus— 
gabe von 1751 die „Memoires pour servir à l’Histoire de 
la Maison du Brandebourg‘“ enthielt, war ihm von dem 
Preufenkönig eigenhändig zum Gejchenf gemacht worden. 
Wollte vielleicht der erzürnte Dichter damit, daß er dieſes 
Gejchent in die Hände eines andern Fürſten legte, ein wenig 
Nahe üben? 

Es ift anzunehmen, daß Voltaire damals aud das 
Schloß zu Mannheim beſuchte. Erit 6 Jahre nad) dem 
Aufenthalt Collinis an der Seite Voltaires in Schweßingen 
erfolgte — wie erwähnt — die Berufung Collinis nad 
Mannheim. Seine naturwilfenichaftlihen Abhandlungen er- 
ſchienen zumeiſt in den der phnfifaliihen Abtheilung gewid- 
meten weiteren Bänden der „Acta Academiae Theodoro- 
Palatinae“. Won ihm rührt u. A. auch eine „Description 
physique et &cunomique de Mannheim“ her. Im Jahre 
1765 hielt er einen Wortrag über „die Ueberjchwenmungen 
des Neckars“, den er 1790 noch in Drud herausgab, da er 
für die Abjtellung diejer Beichwerniffe der Stadt wirfen wollte. 
Gollini jtarb in dem hohen Alter von nahezu 80 Jahren, das 
duch die Schiefjale der Akademie in den legten Zeiten jeines 
Lebens jchwer getrübt wurde. 


Die furfürftlide Akademie der Wilfenichaften zc. 3383 


Die Akademie zählte außer dem Bräfidenten und dem 
Director im Ganzen 12 ordentliche Mitglieder, ſodaß neben 
Lamey und Gollini noch 10 Gelehrte der Vereinigung ange- 
hörten. Bei der Gründung waren dies bie furfürftlichen Be- 
amten und Räthe Franz Joſeph von Oberkamp, Franz 2. von 
Sallern, Comelius V. v. Yond, Georg Joſeph Wedekind, 
Nikolaus Maillot de la Treille, Ehrijtoph Jacob Kremer, Wil- 
helm und Daniel Flad, Peter Kelling, jowie Ludwig Harjcher, 
der die Rechnungen der Akademie führte. 

Ueber den Director und jpäteren Ehrenpräjidenten Reichs» 
freiheren Johann Georg von Stengel, „wirfl. geheimen Staat3- 
rath, Kanzleidirector und geheimen Kabinetsfefretär” liegt das 
Urtheil eines fremden Bejuchers der Stadt Mannheim Namens 
Biorejtahl vor, der Gelegenheit hatte, Herrn v. Stengel fennen 
zu lernen und der ihn als den Mäcenas be3 pfälziichen Landes 
bezeichnet, der zu Allem, was in dem Kurfürjtentdume Die 
Künjte und Wiſſenſchaften fördert, den Grund gelegt und Die 
Mittel herbeigeichafft habe. Er jchildert Herrn von Stengel 
des weiteren als einen guten Deren, der von Tand und 
Complimenten nicht3 willen wolle, wenig jpreche, aber gut und 
förnig, gute Kenntniſſe, einen guten Geichmad und jchöne 
Sammlungen befige. 

In der Folge erhielt die Akademie noch 40 außerordent- 
lihe Mitglieder und fie ernannte eine Reihe von Fürſten und 
Gelehrten zu Ehrenmitgliedern. 

Der Kurfürjt erklärte fich im Jahre 1770 zum Proteftor 
der Akademie und ließ zum Gedächtniß diefes Momentes eine 
Medaille jchlagen. 

Die Akademie hielt alljährlich zwei öffentliche, jogen. Feſt— 
figungen nad) je jehswöchentlichen Frühlings» und Herbſtferien 
ab, die unter Anwejenheit des Kurfürften im großen Bibliothef- 
jaale des Sclofjes jtattfanden. Die während des Jahres 
fortlaufenden Situngen fanden Donnerjtags in verjchiedenen 
Räumen des Schlojjes, anfangs immer in dem an den großen 
Bibliothekſaal ſtoßenden kleineren Lejejaal jtatt, deſſen fünit- 
leriſcher Schmuck auf die Pflege der Wiſſenſchaft und Künſte 


334 Die kurfürſtliche Akademie der Wiflenihaiten x. 


deutet. Später nah Wegzug des Fürſten aus Mannheim 
werden die Situngen jedenfall3 im andern, weitlichen Schloß— 
flügel abgehalten worden jein, denn Collini berichtet, daß die 
Akademie infolge des Schloßbrandes, dem nur diejer weitliche 
Flügel zum Opfer fiel, Habe das Schloß verlaiien müſſen. 
Außer der eigenen Bibliothek, die circa 40,000 Bände umfaßte, 
hatte die Akademie auch eine Sammlung pfälziiher Münzen 
‚und Siegel angelegt. 

Karl Theodor verlieh der Afademie im Jahre 1765 das 
Privilegium zur Errichtung einer eigenen Druderei und leiltete 
ihr einen jährlichen Geldzuſchuß, der Hauptjächlich zu Preiſen 
für wiffenschaftlihe Arbeiten verwendet wurde. So jebte man 
Preiſe im Betrage von 50 Dufaten für je eine hiltoriiche und 
phyſikaliſche Abhandlung aus. 

Der jährliche Geldihus wurde vom Jahre 1773 an auf 
Borichlag de3 Minifters von Golditein vom Kurfürften be— 
deutend erhöht, jodaß die Akademie beträchtliche Gelder (in der 
linfsrheinischen Pfalz) anlegen konnte. Die Akademie beein- 
flußte das Leben Mannheims im wejentliher und durchaus 
fegensreicher Weiſe. 

Sie lenkte den Blid auf die Gejchichte des Landes und 
regte zu jorgfältiger Unterjuchung der eigenen Zebensverhält- 
niſſe an. 

Die Gründung der Akademie machte aber weit über die 
Grenzen der Stadt und des Landes hinaus Aufiehen. Bon 
Neuem wurde durch ein jolches Inititut auf die Pflege der 
Wiſſenſchaft und auf die Hochachtung des Forſchens und Willens 
Dingewiejen. 

Während die Pflege der hiltorifchen Wiſſenſchaften, der 
Forſchungen zu einer Gejchichte der Pfalz durch den 1771 er: 
folgten Tod Schöpflins, von dem man ein großes Geſchichts— 
werf über diejes Gebiet erhoffte, einen jchweren Schlag erhielt, 
regte das Wirken der phyſikaliſchen Abtheilung der Akademie 
zu immer bedeutenderen Unternehmungen auf naturwifjenichaft- 
lichem Gebiete an. 

Karl Theodor war ein eifriger Förderer und Freund der 


Die kurfürſtliche Akademie der Wiflenichaften zc. 335 


Naturwifienihaften. Ständig beſuchte er das phnfifaltiche 
Kabinet der Akademie, und es machte ihm Freude, ſelbſt zu 
erperimentiren und durch Erflärung jolcher Erperimente aud) 
bei der Hofgejellichaft das Intereſſe für die Wiſſenſchaft anzu— 
regen. 

Der Profeffor der Mathematik und Geiftliche Rath Johann 
Sacob Hemmer Hat das Verdienjt, der Berather des Kurfürften 
bei deſſen Pflege der Naturwiſſenſchaft geweſen zu jein. Diejer 
ausgezeichnete Gelehrte, deſſen Wirken für deutſche Wiſſenſchaft 
einer neuen Werthſchätzung bedarf, iſt der geiltige Urheber 
eines wifjenjchaftlichen Injtitut3 von weittragender Bedeutung. 
Auf jeine Beranlafjung hin gliederte der Kurfürjt im Jahre 
1780 der phyſikaliſchen Abtheilung der Akademie eine weitere 
Klaffe für Meteorologie an. 

Der Kurfürjt wollte damit befunden, daß er auch nad) 
jeiner Ueberjtedelung nah München die Förderung der Mann: 
heimer Akademie nicht aufzugeben gedenke. 

Hemmer ijt im Jahre 1733 zu Horbach (Herrichaft Land: 
ftuhl) in der Pfalz geboren. Sein Bater, ein jchlichter Bauer, 
geitattete anfangs die Ausbildung des mit einer ſchönen Stimme 
begnadeten Knaben zur Mufif, doch nur zu bald rief er feinen 
Sohn wieder zurüd, um durch weitere Koſten diejer Aus» 
bildung (in Kaijerslautern) feine drei anderen, älteren Söhne 
nicht zu ſchädigen. Der junge Kunftbefliffene entfloh aber dem 
Baterhaufe und gelangte unter mancherlei Drangjalen nad) 
Köln. Hier hatte er zunächſt jchwerjte Kämpfe um feinen 
Lebensunterhalt zu bejtehen. Schließlich wurde man aber durch 
jeinen Schönen Gejang auf ihn aufmerkſam, und er erhielt einen 
Freitiih und die Erlaubniß, den Unterricht in der Jejuiten- 
ichule bejuchen zu können. Auch konnte er bald eine Haus: 
lehrerjtelle in der Familie des böhmiſchen Patricier A. Queita 
annehmen, wobei er jedody Zeit fand, jeine eigene wiſſenſchaft— 
liche Ausbildung zu pflegen. 

Weit über jeine theologischen Studien ging bier jein In— 
terejfe für die Naturwiſſenſchaften, bejonders für die Mathe- 
matit hinaus. Die Jeſuiten, die den intelligenten Jüngling 


336 Die kurfüritiihe Akademie der Wilfenichaften x. 


gern fir ihren Orden gewinnen wollten, richteten deswegen eine 
Anfrage an Hemmers Bater, der jedoch hierdurch den Aufent- 
halt jeines Sohnes erfuhr und diejen jchleunigit zurüdholte. 
Allein bald wibmete fich der junge Hemmer wieder dem Lehrer— 
beruf. 

Er wurde Hauslehrer in der Familie von Sturmfeder zu 
Mergentheim in Schwaben. Eine ihm angetragene Pfarrei des 
Deutichherrenordens jchlug er aus. Wie auf fünftleriichem Ge- 
biete, jo war auch auf wifjenichaftlihem Gebiete der Kurfürft 
Karl Theodor gleich bereit, junge Talente zu fürdern. Als er 
von der Begabung Hemmers hörte, berief er ihn nad) Mann» 
heim; er ernannte ihn zu jeinem Hoffaplan. Raſch ging hier 
die Laufbahn des jungen Gelehrten aufwärts. Er wurde im 
April 1767 zum außerordentlihen und im October 1768 zum 
ordentlihen Mitglied der kurfürſtlichen Akademie auserjehen. 

Karl Theodor lernte den Gelehrten immer höher jchägen. 
Unter jeiner Anleitung unternahm er die eigenen Erperimente 
im Schlojje zu Schwetingen, wo ihm Hemmer ein phylifafisches 
Cabinet einrichten mußte. Der Kurfürit interejjirte ſich jehr 
für die Arbeiten Hemmers auf dem Gebiete der Wetterkunde 
und für deſſen Vertretung der Erfindung des Blitableiters. Er 
befahl, daß auf allen Schlöſſern und Bulverthürmen jeiner 
Lande Blitableiter zu errichten jeien, und der erſte diejer Blitz— 
abfeiter wurde am 16. Juli 1776 auf dem Schloſſe zu 
Schwegingen angebradt. 

Im gleihen Jahr wurde Hemmer vom Kurfürften zum 
geistlichen Rath und zum Aufſeher des Furfürjtlichen phyſika— 
liihen Gabinet3 ernannt, 

In kurzer Beit waren in den pfälziichen Landen etwa 
150 Blitableiter aufgejtellt. Die Hemmer'ſchen Blitzableiter 
erfennt man noch heute an dem Kreuz unter der Spite. 1778 
gab Hemmer jeine Schrift „Anleitung Wetterleiter anzulegen“ 
in Mannheim heraus, um damit weitere Propaganda für Die 
Franklin'ſche Erfindung zu machen, zu deren erjten Verfündern 
er gehörte. Auf die wejentlichen Verdienſte Hemmers als 
Spradforicher joll ipäter noch zurüdgefommen werden. Hier 


Die kurfüritlihe Akademie der Wiſſenſchaften x. 337 


gilt es, jein thatkräftiges Wirken auf dem Gebiete der Natur- 
forjhung zu characterifiren und eines Gelehrten zu gedenken, 
der, aus der Pfalz jtammend, von Mannheim aus ein Be- 
fruchter deutjcher Wiſſenſchaft war. 


Am 15. September 1780 wurde laut kurfürſtlichen Rejcriptes 
die von Hemmer gewünſchte Gründung der neuen jelbjtändigen 
Klaffe der phyfifaliichen Abtheilung der Afademie unter dem 
Titel „Deutiche meteorologiiche Gejellichaft“ zur Wirklichkeit. 

In feiner Rebe, die Hemmer als Secretär der Gejellichaft 
am 21. October 1780 zur Feier der Eröffnung der neuen 
Klaſſe in der Afademte hielt, betonte er bejonders den Werth 
der fich mit dem Leben und der Arbeit des Menjchen verbin- 
denden Forſchung, der practiichen Thätigfeit, des Erperimentes 
und die Nothwendigfeit, eine ſolche Forſchung zu pflegen. 

Für ein ſich über die ganze Erde verbreitendes Neb von 
Beobachtungsjtationen wurde zunächſt Sorge getragen. Man 
wandte jich mittels Circulars an die hervorragenditen Univer— 
jitäten und warb auch brieflicy unter perjönlichen Beziehungen 
um Förderung der Sache. So gelang e3 z. B. dem gleichfalls 
um das Zuftandefommen der Gejellichaft hochverdienten Director 
der Alademie Georg von Stengel durch jeine perjönliche 
Belanntichaft mit dem Generalpräfeften des Kapuzinerklofters 
in Rom, von diejem die Erlaubniß zu erhalten, eine Beobad)- 
tungsitation im Hojpiz auf dem St. Gotthardt zu errichten. 

Die Beobahtungsftationen der Gejellichaft waren außer 
Mannheim: Minden, Düfjeldorf, Berlin, Göttingen, Würz- 
burg, Erfurt, Ingolftadt, Sagan, Andechs, Tegernjee und 
Hohengeißenberg (Oberbayern), St. Zeno, Prag, Ofen, Brüfjel, 
Delft, Haag, Middelburg, Edsberg und Spydberg (Norwegen), 
Kopenhagen, Stodholm, Genf, St. Gotthard, Rom, Bologna, 
Padua, Chioggia, Marjeille, Dijon, La Rochelle, St. Peters: 
burg, Moskau, Pyſchminsk (Ural), Gotthaab (Grönland), Brad- 
ford und Cambridge (Nordamerifa). 

Un alle diefe Stationen wurden von der Gejellichaft aus 
die gleichen Inftrumente gejendet und zwar: zwei Thermometer, 

Deier, Beichichte ber Stadt Mannheim. 23 


338 Die kurfürftliche Akademie der Wiſſenſchaften x. 


ein Gefüßbarometer, ein Feberfieldygrometer und eine Bran— 
der’iche Deklinationsnadel. 

Die jchwierige Berjendung der Injtrumente erfolgte durch 
Ertraboten. Als Changeur in Paris 1780 den Barometro- 
graphen erfunden Hatte, war Hemmer der erjte deutjche Ge— 
lehrte, der das Injtrument auf der Station zu Mannheim 
einer Prüfung unterzog und das Reſultat diejer Jahre 
währenden Prüfung in den Ephemeriden veröffentlichte (1785 
bis 1787). 

Sn den „Ephemerides Societatis meteorologicae Pala- 
tinae*, deren erjter Band 1783 in Mannheim erichien, find 
fortlaufend die von allen Stationen eingegangenen Beobad)- 
tungsrejultate eingezeichnet. Der lebte Band des Werkes er- 
ihien 1795. Hemmer hatte bis 1790, dem Jahre jeines Todes, 
die Herausgabe diejer Bublifation geleitet, und hier außer der 
(unter Mitwirkung des Ajtronomen König) jorgfältig geführten 
Beobadhtungstabellen aud willenichaftlihe Arbeiten über 
Witterungstunde veröffentlicht. 

Mit dem Hinicheiden dieſes bedeutenden Gelehrten war 
dem Unternehmen die innere Lebenskraft entzogen. Wohl wurden 
noch zwei Bände von dem Nachfolger Hemmers, dem neuen 
Secretär Medicinalratd Mel. Güthe herausgegeben, aber die 
Stationen hatten fich mehr und mehr verringert und die an- 
regenden Abhandlungen blieben ganz weg. 

Mit Hemmer hatte die Akademie überhaupt eine große, 
thatenlujtige Stüte verloren. Minijter von Oberndorff, ber 
an Stelle von Hohenhaujens Präfident der Akademie geworden 
war, zeigte fein jonderliches Interejje für das wiijenjchaftliche 
Inſtitut und that auch bei dem Kurfürjten feine Schritte für 
die Erhaltung der Akademie, ald die Geldzuſchüſſe im Jahre 
1794 bejchränft wurden. 

Das Wirken der Mannheimer meteorologiihen Gejellichaft 
unter Hemmers Leitung wird aber in der Gejchichte deutjcher 
Wiſſenſchaft ein nicht mehr zu überjehendes Kapitel bilden und 
bejonders ein Beweis dafür bleiben, daß die Förderung der 
Wiſſenſchaft durch Kari Theodor von allgemeinjtem Nuten 


Beilage. 


Refcript des Staatsminifters Graf von Dieregg zur 
Begründung der Meteorologifchen Klafje der Kurfürft: 
lichen Akademie in Mannheim. 


Diejenigen unter den Wilfenichaften, welche nebit dem, daß ſie bie 
allerweifeiten Abfichten des Schöpfers verfündigen, noch einen bejonderen 
unmittelbaren Einfluß auf des Menschen Leben und feine 
täglihen nöthigfiten Beihäftigungen haben, verdienen 
um deßwillen eine befondere Adhtung, Aufmerkſamkeit 
und Obforge, und je weniger alsdann jelbjt in unjeren 
Tagen nod an ihre Bearbeitung gedacht worden tft, um 
deito wichtiger ift e8, an ihre Erhebung, Ausbildung und 
Vervolllommmung Hand anzulegen. Aus folden Beweggründen 
haben Seine Kurfüritlihe Durchlaucht p. p. die Witterungskunde ihres 
höchſten Schuges vorzüglich gewürdigt und bereits die Anstalten treffen 
lafjen, daß man an mehreren merkwürdigen Standt-Orten ſämmtlicher Kur— 
fürftlichen Erbftatten, au; in anderen Gegenden Europas und der übrigen 
MWelttheile künftig nad möglichit gleichlaufenden, auf höchſte Koſten ver— 
fertigten Werkzeugen, tägliche Beobachtungen gemacht und zuſammengebracht 
werden follen. Zu vollfommener Grreihung ſolch höchſter Abfiht haben 
Seine Kurf. Durchlaucht um weitere gnädigſt beichloffen, dieſem Werke 
die nöthige Selbſtändigkeit zu geben, zu gleicher Zeit aber auch Höchſtdero 
Akademie der Wiſſenſchaften in Mannheim, welche ſich zum höchſten Wohl: 
gefallen durch ihre Arbeiten bereits rühmlichit bekannt gemacht hat, bier: 
durch eine neue Ausbreitung zu verschaffen und verordnen deßwegen hiermit 
au Dderielben eine neue lintereintheilung unter dem Nahmen Meteo: 
rologiiche Klaſſe. Jedoch ſolle deswillen die bei ihrer eriten Stiftung 
verordnete und bishero beitehende Anzahl der ordentlichen Mitglieder (der 
Akademie) nicht vermehrt werden, ſondern lediglich die in das neue Fach 

29* 


einichlagenden Arbeiten von dem Akademiſchen Boritande einigen, wenigitens 
dreyen der ſchon angeitellten ordentlichen oder außerordentlichen Mitglieder 
beionder® aufgetragen werben, dermaßen, daß jolchen dazu ernannten außer: 
ordentlichen Mitgliedern, jo oft es das Geichäft erfordert, oder fie Darüber 
der Akademie eine Arbeit vorzulegen haben, der Zutritt zu den akademischen 
Verjammlungen geitattet ſeyn solle. Ihre Beichäftigung wird alddann 
jein, an den merfwürdigiten Orten fleißige Beobachter aufzufuchen und mit 
fich zu vereinigen, auf neue Beobachtungswerkzeuge zu denken, die Alte 
ihon Bekannte zu verbeffern, vorgeichlagene zu prüfen, neu gemachte zu 
unterjuchen, einen Briefwechiel durch alle Welttbeile zu unterhalten, aufges 
mworfene Fragen zu entſcheiden, neue VBorjchläge den Beobadhtern zuzu— 
fchreiben, die gemachten Beobachtungen zu jammeln, fie wegen der Wer: 
breitung des Werkes in die lateinifhe Sprache zu überjegen, mit Ans 
mertungen, die aud der Vergleihung der verſchiedenen Beobachtungen 
entipringen, zu begleiten, alljährlich zum Drudf zu befördern, und überhaupt 
Alles, was zur Aufklärung einer noch jo wenig bearbeiteteten Wiſſenſchaft 
und zur Greeihung des hödjiten Zweckes gehöret, thätig zu bewirken. Zu 
jolhem Ende jolle ihnen ein befonderer Sefretarius, welcher ihnen in allen 
diefen Arbeiten zu Händen zu geben im Stande iſt beygegeben, und dieſem 
ein ſolcher Beihäftigung angemeflener Gehalt von der Akademie verreichet 
werben. Die in den verichiedenen Gegenden vertheilte Beobachter follen 
als außmwärtige Mitglieder der Meteorologiichen Klaſſe der Akademie bey: 
gezählet, und jedem von ihnen ein Schiweremeffer, ein Wärmemeſſer, und 
endlich, wo es der Beobadıter begehrt, auch Plaß und Umſtände erlauben, 
eine Abweihungs:Nadel, welche auf das genaueite übereinftimmen, auf, 
Kurfüritlihe SKoften verfertigt und zugeichietet werden. Ferner jolle zu 
Erhaltung der nöthigen Gleichförmigkeit fowohl das von dem geijtlichen 
Mathe Hemmer entworfene Monitum ad observatores, als auch deſſen 
Tabula meteorologiea zum Drude gebracht, und jedem der Beobadıter 
vom eriten ein — von letterer aber eine hinreichende Anzahl Abdrücde 
zugeiendet werden. Zu größerer Sicherheit und Grleichterung dergleichen 
Veriendungen, und des zum Geſchäfte nöthigen, weitichichtigen Briefwechſels 
aber haben Seine Kurfürſtliche Durchlaucht durch Höchſtdero Departement 
der außwärtigen Geichäfte ſämmtlichen Kurfüritlichen Geſandten den Auftrag 
ertheilet, alle dergleihen Padete und Briefe aufzunehmen, zu überwachen 
und zu verrechnen. Dieſe höchſte Verordnung bat demnach würklicher ge— 
heinter Staat3:Gonferenz:Miniiter, Hofrichter, Ehrenpräfident der Akademie 
der Wiſſenſchaften und Ritter des pfälziihen Löwen-Ordens Freiherr von 
Oberndorf ermwähnter Akademie zu schuldigiter Nachachtung befannt zu 
machen. München den 15. Herbitmonats 1780. Sr. M. v. Vieregg. 


Die kurfüritlihe Akademie der Wiſſenſchaften x. 341 


war. Jetzt erheben jih Stimmen, die dieje wiſſenſchaftliche 
Bethätigung in Mannheim wieder laut anerkennen. So heißt 
e3 3. B. in einer 1885 erjchienenen und für Mannheim be- 
jonders erfreulihen Schrift Dr. Friedrich Traumüllers in 
Leipzig: 

„Von ungleich größerem Erfolg begleitet (als die Verjuche 
Boeckmanns in Karlöruhe) waren die Beitrebungen des für Die 
Naturwiſſenſchaften ſich lebhaft interejjirenden Kurfürjten Karl 
Theodor von der Pfalz, der unter Mitwirkung feines Hoffap- 
lans Hemmer in Mannheim eine meteorologijche Geſellſchaft 
gründete, deren Thätigfeit eine der glänzendjten Epochen der 
Geſchichte der meteorologiihen Beobachtungen nit nur in 
Deutichland, jondern überhaupt der ganzen Erde bildet. Diejer 
Gejellihaft, an deren Spike Hemmer als ein ebenjo gründlich 
unterrichteter wie energijcher Leiter jtand, glüdte es in 
glänzender Weije, ein über die ganze Erde fich eritredendes 
Beobachtungsſyſtem einzurichten und die von den Beobachtern 
eingejandten Journale nad) einem und demjelben Plane zu 
verarbeiten. Die Mannheimer meteorologiihe Geſellſchaft ift 
jeitdem ein Mufter für alle Einrichtungen der Art geworden, 
und mit ihrer Gründung beginnt eine neue Periode in der 
Geichichte der Meteorologie. . .. Die in 12 ftattlichen Quart- 
bänden der Ephemeriden enthaltenen Beobachtungen bildeten bis 
in die erjte Hälfte unjeres Jahrhunderts fast die einzige Quelle 
zuverläffiger und vergleichbarer meteorologiicher Beobachtungen. 
... Leopold von Buch und Wahlenberg Teiteten aus ben 
Mannheimer Ephemeriden ihre Naturgejete ab, und Alerander 
von Humboldt Hatte, al3 er 1817 die vergleichende Witterungs- 
funde ſchuf, außer jeinen eigenen umd etlichen neueren Beobach- 
tungen nur die in den Ephemeriden enthaltenen, benutzen 
fönnen. Auch Brandes ging bei jeinen Arbeiten über jynop- 
tiiche Witterungsericheinungen auf dieſe Uuelle zurüd und 
Kämtz leitete klimatologiſche Mittelmwerthe daraus ab. Der 
engliihe Meteorolog Daniell hat in einem Artikel feiner 
„Meteorological Essays and Observationes“ (London 1727, 
2. edit.) einige von den Reſultaten aus den Beobadhtungen 


342 Die kurfüritliche Akademie der Wiſſenſchaften x. 


der Mannheimer Gejellihaft nebit Entwürfen von Karten der 
barometriſchen Oscillationen mitgetheilt und auch einige ges 
ihichtliche Bemerkungen über die Mannheimer meteorologijche 
Sejellihaft gegeben.“ 

Wie die Meteorologie jo gelangte in Mannheim auch die 
Atronomie zu einer ganz außergewöhnlichen, wijjenjchaftlich 
hervorragenden Pflege. 

Die Berjönlichkeit, welche hierzu die Anregung gab, war 
der Aitronom Chriſtian Mayer. 


Mayer iſt nicht, wie Hemmer, ein Sohn der Pfalz; er ift 
1719 zu Mejeritih in Mähren geboren. Sein Drang nad) 
wiljenichaftlihen Studien veranlaßte ihn, jeinem VBaterhaufe zu 
entfliehen und bei jeiner hervorragenden Begabung wurde es 
ihm möglich, in Brünn, Wien und Würzburg Philojophie und 
Theologie, vor allem aber die ihn am meijten feſſelnde Wiſſen— 
ichaft der Mathematik ftudiren zu fünnen. Nach Rom führte 
ihn eine bejchwerliche Fußreile. In Mannheim (nach) einer 
anderen unrichtig erjcheinenden Angabe in Mainz) trat er am 
13. September 1745 in den Jejuitenorden ein. Er war zus 
nächit als Lehrer der klaſſiſchen Sprachen und der Mathematik 
zu Aſchaffenburg thätig. Dann erhielt er durch VBermittelung 
des gelehrten Pater von Seedorf, des Erziehers Karl Theodors, 
im Jahre 1752 eine Anftellung als ordentlicher Profeſſor der 
Mathematif und Phyſik in Heidelberg. Um das Jahr 1762 
wurde Mayer als Hofaftronom des Kurfürjten Karl Theodor 
nah Mannheim berufen und hier begründete er eine zu 
rühmlichjter Entfaltung gelangende Pflege der Ajtronomie. 


In den Jahren von 1753 bis 1778 publizirte Mayer 
33 Schriften und Aufſätze. Dieje Schriften legen Zeugniß 
von eimer vieljeitigen Thätigfeit auf den von ihm vertretenen 
wilienschaftlichen Gebieten ab. So verfaßte er Lehrbücher über 
Phyſik (erichienen zu Heidelberg 1755), eine Abhandlung über 
Bauban’s Feitungsbaufunft („Systema primum mun. celeb. 
Mareschall de Vauban.“ Mannhem 1758), Arbeiten über 
reine Mathematit (Heidelberg 1754 und 1762), über jeine 


Die kurfürftlihe Akademie der Wiſſenſchaften x. 343 


Meſſung eines Erbmeridians in ber Nheinebene (Basis Pala- 
tina anno 1762; anno 1763.“ Mannh. 1763), ze. 

Die Rejultate der Prüfung des von Graf Pacheco erfun- 
denen Dijtanzmefjers legte er gleichfall® in einer 1767 zu 
Mannheim erjchienenen Schrift nieder. Steine etwa 1773 in 
Kupfer geftochenen Landkarten, umfafjend die Landitrede Worms 
bis Raitatt, bildeten einen entichiedenen Fortichritt auf geo— 
graphiichem Gebiete. Leider ijt eine weitere Karte, die nad) 
einem Brief Franz Hubers an den Mathematiker Stegling in 
Prag nach) ganz neuen Grundjägen angefertigt worden jein joll, 
bei einem Brande auf der Sternwarte*) vernichtet worden. 

Mayers Hauptfädhlichiten Arbeiten betrafen das Gebiet 
der Aitronomie, Hier hatte er zahlreiche Entdekungen gemacht, 
die ihm jedoch von dem Hofaftronomen Mar Hell im Wiener 
„Diarium* vom 8. November 1777 und jpäter (nach feinem 
Tode) auch von dem Ajtronom Nikolaus Fuß (1789) in 
heftiger und gehäjliger Weiſe bejtritten wurden. Auf die An— 
griffe Hella antwortete Mayer mit feiner ruhig und ſachlich 
gehaltenen Schrift „Gründliche Vertheidigung neuer Beobach— 
tungen von Firftern-Trabanten, welche zu Mannheim auf der 
Sternwarte entdedt worden find“ (Mannheim 1778). Durd) 
William Herichels großartige Entdeckungen wurde das Vor— 
handeniein der von Mayer entdedten Sterne bejtätigt, allein 
der Ruhm Herricheld machte das Wirken Mayers vergefien. 

Heute wird jedoch der Verdienſte Mayerd wieder ehren» 
voll gedacht. „Bei alledem” — jo urtheilte 3. B. Dr. Günther 


*) Klüber berichtet hierüber: „Bei einem Sympofium, von dem aftro= 
nomiichen Grjefuiten am Tage des heiligen Ignatius am 31. Juli 1776 
auf der Sternwarte gegeben, wo die Libationen mit rheinischem Falerner 
vermuthlich nicht karg ausfielen, fchien durch den Heiligen von feinem 
Sternenfige mehr als die Sternfunde begünstigt zu werden. Feuer, das 
in dem vierten Stod, in dem Gajtzimmer — nad) einigen, durch Unvor—⸗ 
jichtigfeit der Arbeiter — ausbrady, verzehrte den größten Theil von 
Mayers Bibliothef und ajtronomischen Handichriften, worunter ein großer 
Theil jeiner aftronomiichen Beobachtungen und die Beſchreibung einer 
Reife nad) Holland, Rußland, Schweden, Tänemarf, die Frucht fo vieler 
durchwachten Nächte.“ 


344 Die kurfüritlihe Akademie der Willenihaften x. 


1885 in der Allg. d. Biographie — „wird die Nachwelt nicht 
umbin fönnen, zuzugeben, daß Mayer, wenn er auch das 
Weſen jeiner Firfternbegleiter mangels mifrometriicher Meffungen 
nicht richtig auffaßte und wenn. er auch mehrfach optijche 
Sternpaare mit phyfiichen verwechjelte, gleichwohl den eigent- 
fihen Anftoß zu den in neuerer Zeit zur höchjten Bedeutung 
gelangten Unterjuhungen über Doppeliterne gegeben und zu- 
gleih ſich als einen ungleich weitjichtigeren Forſcher den 
zunftmäßigen Ajtronomen vom Sclage Hell’3 gegenüber be» 
währt hat.“ 

Abgejehen von jenen Angriffen war Mayer in Gelehrten- 
freiien al3 hervorragende Kraft geihätt. So war er Mitglied 
der Akademie von München, der kgl. Gejellichaft zu Göttingen, 
der Royal Society in England, der Akademien Bologna und 
Philadelphia. 

Im Jahre 1762 betheiligte er fih an den von Caſſini de 
Thury in Deutichland bewirkten Grabmejjungsarbeiten. 1769 
berief ihn die Kaijerin Katharina IL nach St. Betersburg zur 
Betheiligung an der von der dortigen Staijerlichen Akademie der 
Wiſſenſchaften unter Dinzuziehung namhafter auswärtiger Ge— 
lehrten unternommenen Beobachtung des Durchgangs der Venus 
durh die Sonnenicheibe (3. Juni des genannten Jahres). 
Seine 1769 erjchienene lateinische Schrift hierüber wurde auch 
in’3 Ruſſiſche überjett und erwarb fi die Anerkennung 
Lalandes, 

Die kurfürjtlihe Akademie zu Mannheim ernannte Mayer 
1773 nad) Aufhebung der Jejuitenordens zu ihrem ordentlichen 
Mitgliede, (denn als Ordensgeiftlicher fonnte er nicht gewählt 
werden). 

Die Akademie gewann damit die Verbindung mit dem ver: 
dienftvollen Unternehmen Mayers: mit der Begründung der 
Sternwarte, 

Der jpätere Curator der Sternwarte, der Bad. Staats— 
und Cabinetsrath Klüber gibt aus der unmittelbarften Kenntniß 
diejes Inſtituts folgende Schilderung desjelben in damaliger 


Beit: 


Die kurfüritlihe Akademie der Wiſſenſchaften x. 345 


„Auf der weitlichen Seite der Stadt Mannheim, an dem 
Ende des Schloßgartens, erhebt fi die Sternwarte. Diejes 
Gebäude, eine der vorzüglichiten Zierden der Stadt, ijt 111 
Fuß hoch durchaus maſſiv. Dem Grundplan nad, bildet es 
in dem Innern bes Erdgeichofjes, mit einer Mauerdicke von 
74, Fuß ein nad den Eden abgejtußtes Vieref von 23 Fuß 
Breite, welches jo viel möglich, die äußere achtedige Form 
veranlaßt. (Siehe beiliegende Abbildung). Die vier Hauptflächen 
find genau nach den vier Himmelsgegenden gerichtet. Thurm— 
artig, auf der Portaljeite mit einem Vorjprung von 7’), Fuß, 
deſſen obere Fläche vor dem Fußboden des dritten Stodwerfs 
einen Balkon bildet und flach gededt, läßt es jchon außen 
jeine Bejtimmung muthmaßen. Das Innere ift abgetheilt in 
fünf Stodwerfe, zu denen eine eben jo jichöne als bequeme, 
jteinerne Wendeltreppe führt, für welche auf der Hinterjeite, 
gegen Morgen, dur einen Anbau von 12", Fuß Länge 
gejorgt ift. Ein Hohes und weites Portal leitet aus dem 
Park in das Erdgeſchoß. Diejes bildet einen großen Saal, 
mit Ausgängen zu der Treppe, zu einem Eleinen Garten und 
zu dem Haushof, der zweite Stod enthält Wohnzimmer, Küche 
und Gabinete für den Ajtronomen. In dem britten befindet 
fi der erite große Inftrumenten und Beobachtungsſaal, geziert 
unter andern mit dem Mauerquadranten, dem Mittagsfernrohr 
und verjchiedenen Penduluhren. Diejer Saal bat vier hohe 
Fenſter und drei große Glasthüren gegen Süden, Weiten und 
Norden. Bor der weltlichen Glasthür, über dem Portale des 
Einganges, ijt ein geräumiger Balkon, auf welchem man Werk— 
zeuge Sicher stellen und nad) dem Himmel und der um: 
liegenden Gegend frei richten fann. Bor den beiden andern 
Glasthüren find ähnliche Kleinere Balkons, auf jtarfen Conjolen 
ruhend, und mit etjernen Geländern eingefaßt. Cie dienen 
ebenfall3 zu freier Umficht, und zu Beobachtungen mit bemweg- 
lihen Inſtrumenten. Nehnlihe Balfons befinden ſich vor den 
drei Glasthüren des vierten und fünften Stodes, gegen Mittag, 
Abend und Mitternacht. Der vierte Stod enthält ein Zimmer, 
hauptjächlich für reifende Ajtronomen, und verjchiedene Gabinete, 


346 Die kurfürftlihe Akademie der Willenichaften x. 


wovon eines für die Bibliothek dient. In dem fünften Stod 
ift der zweite Juftrumentenjaal, worin u. U. der Zenith»Sector, 
von 12 Fuß Länge, aufgerichtet ii. Ueber dem Mauer: 
quadranten, dem Mittagsfernrohr und dem Zenithjector, find 
die nöthigen Einjchnitte in der Mauer, und auf der Außen- 
jeite fupferbeichlagene Fallthüren angebracht, die durch eine 
mechaniſche Vorrichtung leicht können geöffnet werden. Das 
ganze Gebäude iſt mit Quaderjteinen gededt, welche ein flaches 
Dad (Söller) mit einem freien Play bilden, der mit einer 
Bruftwehr umgeben ift, und in deifen Mitte jich eine Gloriette 
mit einem Drehdach erhebt, auf welcher ein Bligableiter ange- 
bracht ijt. Dieje Plattform dient bei gutem Wetter zur allge- 
meinen Ueberſicht des Himmels und der Gegend, und zu 
vorübergehenden Beobachtungen im ‘Freien. Der Stifter der 
Sternwarte war der Kurfürjt von der Pfalz, Karl Theodor, 
ein ſchützender Freund der Künjte und Wiljenichaften. Diejer 
Fürſt Hatte in dem Jahr 1762 auf dem Scloffe zu 
Schwegingen eine Feine Sternwarte, mit beweglichen aſtrono— 
mijchen Inftrumenten errichten lafjen. Sie war dem Pater 
Chriſtan Mayer anvertraut, einem Jejuiten, welcher ala Pro— 
feifor der Mathematif und Erperimentalphyfif zu Heidelberg 
angejtellt war. Der brennende Eifer dieſes Gelehrten für die 
Sternfunde, die Bekanntmachung jeiner Beobachtungen auf der 
Sternwarte von Schwegingen cerregten Aufjehen, und erhielten 
den Beifall der berühmteiten Nitronomen Europas. Mayer 
ward ſogar in dem Jahr 1769 nad) Petersburg berufen, zu 
einer wichtigen ajtronomijchen Beobachtung. Mit Wohlgefallen 
bemerkte diejes der Kurfürit, und gern faßte er, auf Mayer’s 
Nath, den Entſchluß, ein größeres Institut diefer Art in jeiner 
Nefidenzitadt zu gründen, das an Zwedmäßigfeit und Schön— 
heit feinem andern nachjtehen jollte. Einer der größten und 
berühmtejten Ajtronomen urtheilte mehrmal öffentlich, daß dieje 
Abiicht des Kurfürjten volllommen jei erreicht worden. Mayer 
entwarf den Plan zu dem Gebäude und ließ ihn mit Beihilfe 
der Baumeijter Lachers und Rabaliatti (dem jchon erwähnten 
Schüler Bibienas) unter jeinen Augen ausführen, unterjtüßt 


Die kurfürftliche Akademie der Willenichaften x. 347 


von der füniglichen Freigebigfeit jeines Fürften. Der Grund- 
jtein ward gelegt am 1. Oftober 1772, von dem Bräfidenten 
der Akademie der Willenichaften, Baron Leopold Marimilian 
von Hohenhaujen. Raſch ging der Bau von jtatten, jo mannig- 
faltig auch die Hinderniffe waren, die man hie und ba zu 
überwinden hatte. In etlihen Jahren war jolcher vollendet. 
Es war fein Geld gejpart worden, das Gebäude jchön und 
dauerhaft auszuführen, das mit einem jpäteren Zuſatz, wovon 
nachher die Rede fein wird, über 70009 Gulden fojtete. Nur 
allein der Arbeitslohn für Maurer und Steinhauer betrug bis 
in das Jahr 1776 19 101 Gulden 27 fr., welche dem Unter- 
nehmer diejer Arbeit, Schlihterle, ausgezahlt wurden. Nach 
dem Willen des Kurfürjten wurden für die Sternwarte die 
wichtigsten aſtronomiſchen Werkzeuge, bejonders die firen, in 
vorzügliher Güte und Größe von den gejchicdtejten und be— 
rühmteften Künftlern Englands verfertigt, 3. B. von Dollond, 
Bird, Ramsden, Arnold, Trougfton, Siffon ohne den großen 
Aufwand zu jcheuen, den die höchſte Vollfommenheit erforderte, 
welche man zur Bedingung machte. Schon am Ende des 
Jahres 1775 konnte der große achtfußige Mauerquadrant von 
Bird, dieſes jeltene und höchſt vollfommene Injtrument, auf 
der Sübdjeite in den Meridian eingepaßt werden. In dem 
Jahr 1778 ward der jehr jchöne, zwölffußige Zenith-Sector 
von Siffon aufgerichtet, nebſt der fürtrefflichen Arnoldi'ſchen 
Penduluhr, welcher Mayer eine eigene, in dem Jahr 1780 
gedruckte Abhandlung widmete. Das Pafjagen-Injtrument oder 
Mittagsfernrohr, 6 engliſche Fuß lang, Hatte anfangs derjelbe 
Siſſon durch Vertrag vom 31. März 1783 zu liefern ver- 
jprochen, vollitändig für 145", Guineen: nachher fertigte es 
Ramsden, diejer bewundernswürdige Mechaniker für denjelben 
Preis. Erjt 8 Jahre nad) jeiner Ankunft aus England fonnte 
e3 die gehörige Stelle auf der Sternwarte erhalten. Zu dem 
Ende war an der weitlichen Seite derjelben, ein eigener Anbau 
nöthig, auf deſſen nördlichem Pfeiler diejes köjtliche Werkzeug 
befeitigt ward. Dieſer höchſt jolide Anbau, an welchem jeit 
dem Jahre 1789 ungefähr achtzehn Monate lang mit einem 


348 Die kurfürftliche Akademie der Willenichaften x. 


Kojtenaufwand von ungefähr 8000 Gulden gearbeitet ward, 
bildet auf der ganzen wejtlihen Seite des Thurms einen 
Vorſprung.“ 

Chriſtian Mayer ſollte aber ſeine Freude an der Arbeit 
auf der von ihm begründeten Sternwarte nicht lange genießen. 

Eine ſchwere Krankheit erfaßte ihn im Jahre 1783, die 
mit einem Naſenpolypen begann und ihn am 16. April dieſes 
Jahres hinraffte. 

Zwei Jahre vorher, am 25. October 1781, hatte Karl 
Theodor von München aus ſeinem Mannheimer Hofaſtronomen 
noch die freudige Ueberraichung ber Bewilligung von 10,000 
Gulden zur Anſchaffung aftronomijcher Inftrumente gemacht. 

Mayers Tod wurde von der wiljenjchaftlichen Welt allge 
mein beffagt. Bon der deutichen gelehrten Gejellichaft wurde 
eine Gedächtnißfeier veranftaltet, und man ließ eine Denk— 
münze mit dem Bildniß des VBerftorbenen von dem Graveur 
Boltſchaus anfertigen. 

Neben Mayer war auf der Sternwarte al3 deſſen Ge» 
hülfe der Hofajtronom und Erjefuit Johann Metzger thätig 
gewejen, geb. 1735 zu Unterginsbach bei Mainz und geftorben 
1780 in Mannheim. Er erwies fich als ein jehr tüchtiger 
Mitarbeiter, der u. U. aud) einen Grundriß der „iphäriichen 
Ajtronomie“ und Tafeln über Firiternbeobadhtungen herausgab. 

Bon den auf Mayer folgenden Ajtronomen der Stern» 
warte waren bier nur vorübergehend: Dr. Karl König 
1784— 1786, und deſſen Gehülfe Matthäus Kübel, Profefior 
in Heidelberg, Johann Nepomuk Fiicher*), vorher Brofefjor der 
Mathematit in Ingolftadt und Geiftl. Nath zu München, 
1787— 1788, dann nad) Berufung der Mifftong-Congregation 

*) Fiſcher ließ bei einem Mannheimer Mechanifus Namens Beiker 
ein in der Mannheimer Zeitung (1788) und in Rößlers „Handbuch ber 
Aitronomie* (Tübingen 1788) befchriebenes Inftrument anfertigen, das als 
ein „Univerſal-Inſtrument“ zu allen aſtronomiſchen Beobachtungen dienen 
ſollte. Das Inftrument, das auf dem Dadje der Stermwarte ſtand, wurde 
bei der Beſchießung Mannheims im Jahre 1795 durch eine Haubige zer: 
trümmert. 





Die kurfüritliche Akademie der Wiſſenſchaften x. 349 


St. Lazare zur Verwaltung der Sternwarte: der Mijfionär 
Peter Ungeſchick (ein begabter Schüler Lalandes), der aber 
1790 auf der Rückkehr von einer Studienreije jtarb. 

Inzwilchen Hatte jchon die Gongregation zur Aushülfe 
während der Abwejenheit Ungeſchicks ein anderes Mitglied nad) 
Mannheim berufen. 

Dies war Roger Barry, geboren am 30. September 1752 
zu Spincourt in Lothringen, gleihfall3 ein Schüler Lalandes, 
bei dem er, al3 1788 jeine Berufung nach) Mannheim erfolgte, 
in Bari arbeitete. Nach Ungeſchicks frühem Tode wurde 
Barry zum Hofajtronomen und Leiter der Sternwarte er- 
nannt. Damit begann für das Inſtitut noch ein furzer, 
arbeitsreicher Aufihwung. VBorübergehend beobachtete zu diejer 
Zeit hier auch Prof. I. Schmidt von Heidelberg. 

Ueber die Thätigfeit Barry und die Bedeutung ber 
Mannheimer Sternwarte jchrieb der berühmte Ajtronom und 
Director der Barijer Sternwarte Jerome 8, de Lalande: „Herr 
Barry hat dort (in Mannheim) ſchon eine große Anzahl wichtiger 
Beobachtungen gemacht; er wird dabei unterjtügt von Herrn 
Henry, einem jungen Miſſionär bderjelben Gongregation. ... 
Meine Reife nad) Mannheim (1791) war eben jo angenehm 
als nüslich, und ich jah mit äußerſter Zufriedenheit, daß auf 
feiner der großen Sternwarten Europas mit mehr Beharrlich- 
feit, Einficht und Nuten gearbeitet ward; nur die Sternwarten 
von Paris, Gotha, Mailand und Palermo konnte man mit 
der Mannheimer vergleichen.“ 

Der bier als Mitarbeiter Barrys genannte Ajtronom 
Henry, Mitglied des gleichen Ordens (geb. 1763 in Sauvigny 
an der Mojel), Hatte fi) 1790 vor den Schrednifjen der 
Revolution in Paris auf die Sternwarte nah Mannheim 
geflüchtet. Er blieb hier (unter vorübergehender Lehrthätigfeit 
in Met) bis 7. Juni 1794. Bon hier, dann von St. Beters- 
burg, Münden, Paris und Straßburg aus entfaltete er eine 
damals in willenichaftlichen Kreifen wohl beachtete Thätigkeit. 

Das Jahr 1793 unterbrach mit feinen gefahrdrohenden 
Kriegsereigniffen die ruhige und eifrige Arbeit des Ajtronomen. 


350 Die kurfürftliche Akademie der Wiſſenſchaften x. 


Die koſtbaren Inftrumente wurden verpadt und in Sellern 
geborgen. 

Henry wandte ſich, wie gejagt, fort von Mannheim, wäh 
rend Barry die Beit, in welcher er feine Beobachtungen machen 
fonnte, zur Ausarbeitung von Berechnungen und Aufzeichnungen 
benutzte. 

Klüber berichtet im Jahre 1811, daß ſich damals noch 
9000 Tafeln ſolcher Aufzeichnung (ſogen. Aberrations- und 
Nutations-Tafeln) auf der Sternwarte zu Mannheim befanden 
und für den großen Fleiß Barrys erjtaunliches Zeugniß ab» 
legten. Selbit nad jeiner auf’Befehl des Generals Collaud 
vorgenommenen Verhaftung durch die Franzoſen im Frühling 
1799 arbeitete Barry ruhig in der Sternwarte unter militärijcher 
Bewadhung an jeinen ajtronomiichen Tafeln weiter. Nach 
jeiner Freiſprechung verließ er Mannheim, um exit 1801 
wiederaurüdzufehren und ſich an die Fortſetzung jeiner Arbeit 
zu machen Doc dies fällt in eine andere, erit jpäter zu 
behandelnde Zeit. 

Die Akademie der Wiſſenſchaften Hat in Mannheim ein 
reges willenjchaftliches Arbeiten gewedt, da8 — wie auch das 
folgende Stapitel noch vergegenwärtigen joll — immer weitere 
Kreife zog und in vieler Beziehung bahnbrechend wirkte für 
beutiche Wiſſenſchaft überhaupt. 

Und es war feine weltabgezogene Gelehrſamkeit, die hier 
gepflegt wurde, jondern es gelangten hier vor allem die in das 
unmittelbare Leben des Landes hineinipielende Heimathfunde 
und die ſich mit dem praftiichen Erperiment verbindende Natur- 
wiſſenſchaft zu reicher Entiwidelung. 

Wohl jchien die Ueberjiedelung Karl Theodor? nad 
Münden im Jahre 1778 eine jchwere Gefahr für das Weiter- 
beitehen der Akademie mit ſich zu bringen, allein der Kurfürſt 
bewies — wie oben gejchildert — dem Mannheimer Anjtitut 
auch des Weiteren jeine Gunſt. Nur der eintretende Krieg 
fonnte am Ende des Jahrhunderts die Pflege der Wiſſenſchaft 
mit rauher Hand unterbrechen. 

Im Fahre 1791 ftand die Akademie noch in Blüthe. Zu 


Die furfürftliche Akademie der Wiſſenſchaften xx. 351 


ihren ordentlichen Mitgliedern zählten in diejem Jahre neben 
den jchon Genannten (Lamey, Collini und dem Geh Rath und 
Bibliothefar Maillot de la Treille) die an Stelle der Ber- 
ftorbenen gewählten neuen Societäre: Profeſſor Friederich 
Caſimir Medicus, der Director der phyſikaliſch ökonomiſchen 
Geſellſchaft (auf deren Thätigfeit wir noch zurückkommen) 
Theodor von Traitteur, der Verfaſſer der werthvollen „Statis 
jtiichen Tabellen über die Größe und Bevölferung der Rheiniſchen 
Pfalz im 6. Bande der afademijchen Publikation, Reichsfreiherr 
Caſimir von Häffelin, Director des kurf. Miünzcabinets in 
München, der Rechtsgelehrte Regierungsrat Georg Friedrich 
Zentner, der Directorialvatd und Archivar Friedrich von 
Günther, der Phyjifer Daniel Wilhelm Nebel, Medicinalrath 
Ulerander Plaicher, Hoffammerrath und Lehrer der Mathematik 
Peter Kling, zugleich der Schatmeijter der Akademie. 

Baron von Hohenhaujfen war im Jahre 1784 gejtorben, 
und an jeine Stelle wurde Neichsgraf Franz Albert von 
Dberndorff zum Präfidenten der Akademie gewählt. 

1778 beflagte die Afademie den Tod Voltaires, ihres 
Ehrenmitgliedes, und 1781 den Tod Leifings, der als aufer- 
ordentliches Mitglied der Akademie angehörte. 








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XXI. 
Kameralwifjenjchaft und Beilfunde. 


Verwerthung der Naturwiffenihaft für das praftiiche Leben — Botanik 
und Landwirthihaft — Friedrih Caſimir Medicus — Die „phyſikaliſch— 
ökonomiſche Geſellſchaft“ — Die Begründung der Staatöwirthichaftlichen 
Hochſchule in Heidelberg — Der botaniihe Garten in Mannheim — 
Ludwig Wallrad Medicus — Heilkunde und Gejundheitöpflege — Franz 
Anton May — Die Hebammen und Stranfenwärterihulen — May’s Beſuch 
bei Friedrich; Schiller in Mannheim — Die geplante mediciniihe Praris 
Schillers — Brief des Dichterd hierüber — Das „Anatomiſche Theater” 
und das „Chirurgiiche Collegium“, 


Die Verwerthung der Naturwiſſenſchaften für das prak— 
tiſche Leben diente einer Reihe von weiteren Unternehmungen 
und Veranſtaltungen, die durch Karl Theodor entſchieden För— 
derung fanden. 

Die Naturwiſſenſchaften ſollten vor allem auch der Land— 
wirthſchaft neue Grundlagen geben, und beſonders auch das 
Studium der Botanik ſollte eine neue Pflege der Gartenpflanzen 
herbeiführen. 

In Kaiſerslautern war es, wo ſich einige Landleute, 
zunächſt hauptſächlich Bienenzüchter, vereinigt hatten, um eine 
Hebung der Landwirthſchaft in ihrer verhältnißmäßig rauhen 
Gegend zu bewirken. 

Auf dieſe Beſtrebungen wurde der auf dem Gebiete der 
Botanik beſonders hervorragende Gelehrte, Regierungsrath 
Friedrich Caſimir Medicus, der Director des botaniſchen Gartens 

Defer, Geſchichte der Stadt Mannheim, 23 


354 Kameralwiſſenſchaft und Heilkunde. 


in Mannheim, aufmerkſam. Seiner Anregung dürfte es zu 
verdanfen jein, daß ſich aus jener Vereinigung einiger Land— 
leute eine größere, den Betrieb der Landwirthichaft auf wiſſen— 
jchaftlich rattoneller Grundlage erweiternde Gejellichaft entwicelte. 
Dieje neue Vereinigung nannte ſich „Phyſikaliſch-ökonomiſche 
Geſellſchaft“. Im Jahre 1770 wurde dieſe Gejellihaft vom 
Kurfürjten beftätigt und mit Privilegien verjehen. Die Präſi— 
dentichaft übernahm Herzog Karl II. von Zweibrüden, Vize 
präjident wurde Freiherr Chriſtoph Anton von Hauzenberg 
(Oberit des furpfälziichen Dragonerregiments „Fürſt Leiningen“). 
Der das Ganze leitende Director war jedoch der geijtige Be— 
gründer der Gejellichaft, Rat Medicus jelbit. Die Vereinigung 
zählte außerdem 16 ordentliche Mitglieder und eine Reihe von 
Ehren- und außerordentlichen Mitgliedern. 

„Um der Landwirthichaft einen höheren Betrieb und 
Aufihwung zu geben — jo jchreibt Lipowsky über dieje Ver— 
einigung — und die möglich bejte Vervollkommnung und Aus» 
bildung derjelben herbeizuführen, aud das Mechanijche der 
Gewerbe und die Mechanif jelbit zu heben und zu verbejiern, 
die Kenntniſſe in derjelben zu verbreiten und gemeinnügig zu 
machen, bejtätigte der Kurfürjt die i. 3. 1769 zu Lautern 
(Katjerslautern) entjtandene physikalisch öfonomijche Gejellichaft, 


*) Die Oeffentlihe Bibliothek im Schloß zu Mannheim hat folgende, 
ihr von der Harmoniegeiellichaft überlaffene Schriften von F. GC. Medicus 
aufzuweiſen: Brief über einige Grfahrungen in der Nrznei-Riffenichaft, 
Mannheim 1766 — on der Xebenäfraft Mannh. 1774 — Beiträge zur 
ihönen Gartenkunſt. Mannh. 2. Aufl. Mannh, 1783 — Botanifche Bes 
trachtungen des Jahres 1782. Mannh. 1783 — Wie fann elender Aderbau 
einer Gemarkung in einen befferen verwandelt werden? Mannh. 1784 — 
Theodora speciosa, ein neues Planzengeichleht. Mannheim 1786 — 
Ueber einige künftlihe Geſchlechter aus der Malven- Familie, Mannb. 
1787 — Philoſophiſche Botanik, Mannh. 1789 — Ueber nordamerifaniiche 
Bäume und Sträucher als Gegenitände der deutichen Yoritwirthichaft und 
der ſchönen Gartenkunft. Mannh. 1792 — Geſchichte der Botanik unjerer 
Zeiten. Mannh. 1793 — Bericht über die in den Jahren 1800—1802 ger 
führten Schläge in der k. Mcacien-Anlage neben dem botaniichen Garten 
au Mannheim. Mannh. 1802 — Pilanzenpigchiologiihe Abhandlungen. 
Mannh. 1808 — Beitrag zur Kultur exotiſcher Gewächſe. Mannh. 1806, 


Kameralwiſſenſchaft und Heilkunde, 355 


die fih i. I. 1774 in eine Kameral-Hochſchule umgejtaltet hat 
und vom Kurfürjten Karl Theodor am 25. Augujt 1777 in 
eben diejer Eigenjchaft anerkannt und janktionirt worden ijt. 
Die jehr brauchbaren Zöglinge, die aus diejer Kameral-Schule 
hervorgegangen find, die nützlichen durch den Drud bekannt 
gemachten Arbeiten derielben, ihr gedeihliher Einfluß in das 
praftijhe Leben der Landwirthichaft zc. bewogen endlich den 
Kurfüriten, in Folge eines am 30. September 1784 erlafjenen 
Dekretes, dieje Schule von Kaijerslautern nach Heidelberg zu 
verlegen und als jtaatswirthichaftliche Hochichule mit der Univer- 
fität daſelbſt zu vereinigen.“ 

Als Lehrer an diejer nach Heidelberg verlegten Schule 
für Kameralwiſſenſchaften wirkte neben dem bejtändigen Secretär 
der Gejellichaft, Georg Adolf Succow (Lehrer der Mathematif, 
Chemie und Naturgeichichte) auch der Gejchicht3gelehrte Friedrich 
Peter Wundt (Pfarrer in Wieblingen). 

Wundt betoute in jeiner am 30. Dezember 1792 in der 
Hauptverjammlung der furpfälzischen phyſikaliſchen öfonomijchen 
Gejellichaft zu Heidelberg gehaltenen Nede, die er ber Feier 
der fünfzigjährigen Regierung Karl Theodors widmete, Die 
große Bedeutung der Begründung des Unterrichts in der 
Kameralwiſſenſchaft für die deutichen Hochichulen, und er hob 
bejonders hervor, daß die Heidelberger Schule das erſte Inſtitut 
von diefer Art in Deutjchland ſei, „wo der wißbegierige Jüng— 
fing alle zur Staatswirthichaft gehörigen Wifjenichaften in der. 
ihönjten jyitematiichen Ordnung“ erlernen fonnte.*) 

Dieje Schule erhielt von Karl Theodor den Titel „Staats- 
wirthichaftlihe Hochſchule“. 

Ein 1775 zu Mannheim erjchienener „Plan von der 
öfonomischen und Kameralſchule“ veranlaßte den Nector 
Schlögel (Heilbronn) bei der Beiprechung diejer Publikation 
in der Allgem. Bibliothet für Schul» und Erziehungsmweien 


*) Wundt bat vor allem auch „Karl Theodors Verdienite um bie 
Berichtigung und Erweiterung der rheinpfälziichen Landesgeſchichte“ an— 
erfannt und jelbit einen „Entwurf der allgemeinen rheinpfälziichen Landes» 
geidichte (Mannheim 1798) geichrieben. 

23% 


356 Kameralwifienihaft und Heilkunde. 


(II. Band I. St. Nördlingen 1775) auf die Wichtigkeit der 
Verlegung einer jolchen Anjtalt an den Ort afademijcher Studien 
überhaupt hinzuweiſen. Wielleiht fei dies auch ein Mittel, 
„diefer ehemal3 jo berühmten Univerfität wieder Zufluß von 
Auswärtigen zu verichaffen“. 

Diefer in Mannheim erjchienene Plan ift hauptſächlich 
von Medicus verfaßt, der zugleich auch Director der Kameral— 
ichule wurde. 

Medicus Hat fih in Mannheim durch die Anlage des 
botaniichen Gartens bejonders verdient gemacht und durch jeine 
philojophiiche Betrachtungsweiſe die Botanik weit über Die 
Schranken bloßer Fachwiſſenſchaft hinausgehoben. Er hat für 
dieje Wiſſenſchaft ein größeres, allgemeineres Intereſſe zu erregen 
‚verjucht und die Pflege einer „Ichönen Gartenfunjt“ für weitere 
Kreije nugbar zu machen gewuht*). 


*) lleber jeine „Beiträge zur ſchönen Gartenkunſt“ schrieben Die 
Göttingiichen gelehrten Anzeigen 1782, 76. Stüd: 

In der neuen Hof: und akademiſchen Buchhandlung (Mannheim) find 
des Herrn Regierungsraths Medicus Beiträge zur ſchönen Gartenkunſt 
gedrudt worden... Das Titelblatt Hat ein artiges Zierbild nad) der 
Zeichnung des berühmten Landichaftsmalers Ferdinand Sobell, wo man 
eine Urne in der melancholiihen Laube einer babyloniſchen Weide fieht. 
Der größte Theil des Buches erzählt des Verfaſſers Beobachtungen und 
Verjuche über die beite Weiſe, ausländiihe Bäume und Sträuder an 
uniern Himmelsftrid zu gewöhnen, welche größten Theils jchon aus den 
‘° Schriften der Kurpfälziſchen ökonomischen Geſellſchaft bekannt find; fie haben 
hier jedoch manche Zufäße erhalten. Cinige neue Auffäge find in bie jett 
beim linterrichte zur Gärtnerei gebräuchliche Briefform eingefleidet. Da 
fie zugleich nad) Art eined Tagebuches abgefaifet find: jo wird zumeilen 
das vorhergehende durch das nachfolgende verbeflert, und der Leſer jtößt 
nicht jelten auf Wiederholungen; aber dagegen it aud an Vollſtändigkeit 
und Deutlichkeit jehr viel gewonnen, und es it allerdings lehrreich zu 
fefen, wie der Verfafler mißglüdte Verſuche zur Entdeckung bisheriger 
Fehler und beiferer Methoden angewendet hat, welches ohne die gründliche 
stenntnig der Naturlehre und Botanik, durch welche er ſich längft aus— 
zeichnende Verdienite erworben hat, unmöglich geweien wäre. Er beklagt, 
daß die Deutichen meiftens mur noch bemüht find, eine ungeheure Menge 
Abarten ihren Gärten zu verfchaffen, und eben deswegen von Ausländern, 
die ihnen jede Heine Veränderung als eine Neuigkeit verkaufen, um ihr 


Kameralwiifenihaft und Heilfunde, 357 


Es ijt anzunehmen, daß ſich Medicus mit dem Gedanken 
getragen hat, die Kameraljchule nah Mannheim zu verlegen, 
denn bier befand fich jeine Lieblingsjhöpfung: der botanische 
Garten. 

Diejer botanifche Garten wurde öftlih von Mannheim 
an ber Heidelberger Landſtraße angelegt „zur beſſeren Empor- 
bringung der Agrikultur und zur Ermunterung der Landwirthe, 
jelbjt fremde Pflanzen und Früchte auf ihren Grunden anzu— 
bauen und einheimiich zu machen“. Die Anlage erfolgte nad 
einem von Medicus entworfenen Plane von Oſten nad Süden. 
In der Mitte jtanden die Treibhäujer, auf den Seiten die jog. 
falten Häufer mit hohen Fenſtern. Die ganze Hausanlage war 
210 Fuß lang, die Höhe der emporjtehenden Fenſter betrug 
21 Fuß. Der Hauptgarten umfaßte erhöhtes und vertieftes 
Terrain. Auf den Erhöhungen jtanden die Bäume und Ge— 
wächſe aus jüdlichen Gegenden; in den Bertiefungen waren 
alle anderen Pflanzen und Bäume ohne bejondere Ordnung 
eingeitellt. Neben dem Hauptgarten waren auch noc Kleine 
Anlagen angebracht, die hauptjächlich zum Anbau von ameri- 
faniihen Bäumen und von Sträuchern jüdlicher Länder dienten. 
Bor dem Garten ließ Medicus eine Afazienallee anpflanzen. 
Hier gab man auch den Grundbejigern Samen und Pflanzen 
unentgeltlih ab mit der Anweiſung der Behandlung des Ans 
baues der Gewächſe. Bon Hier aus wurde ferner die ſchon 
erwähnte Rhabarber: Plantage bei Käferthal angelegt. Ebenſo 
förderte man von bier aus die Bepflanzung der Landſtraßen 
mit Obftbäumen. 


Die wiſſenſchaftliche Thätigfeit des Nathes Caſimir Medicus 


Held gebracht werben, ohne dem Batterlande dadurd; zu nuzen. Aus Be- 
forgniß, dieſe Koftbarfeiten zu verlieren, fährt man fort, nad der alten 
Vorichrift des Tournefort Gommelin u. a. die ausländischen Bäume ängit- 
lich in Treibhäuiern zu halten, von denen doch ſchon viele längſt einheimiich 
geworden wären, wenn viele zu Verſuchen, fie im Freien zu ziehen, Muth 
und Geichielichkeit gehabt hätten. Hoffentlich wird das glüdliche Beifpiel 
und der Ilnterricht des Verfaſſers ſolche nüglihe IUnterfuchungen rege 
machen... .* 


358 Kameralwiſſenſchaft und Heilkunde, 


umfaßt etwa die Jahre 1760—1806. Berühmter noch wie er 
wurde jein am 8. Auguſt 1771 in Mannheim geborener Sohn 
Ludwig Wallrad Medicus, der ganz im Geiſte jeines Vaters 
fortwirfte. Karl Theodor ernannte ihn 1795 zum außerordent- 
lichen Profejfor an der jtaatswirthichaftlichen Hohen Schule zu 
Heidelberg und zugleich zum Mitglied des furfüritlichen Ober- 
bergamtes in Mannheim. 


Nach dem Uebergang Mannheims an Baden wurde Wall- 
rad Medicus nah Würzburg, Landshut und ſchließlich im 
Sahre 1826 nah München berufen, wo er über Land» und- 
Forjtwirthichaft jorwie Technologie las. Zuvor hatte er jchon 
die Begründung des landwirthichaftlihen Vereins in Bayern 
mitbewirft. 

Wallrad Medicus ftarb, hochgeehrt und von König Lud— 
wig I. ſchon 1828 zum Hofrat ernannt, in München am 
18. September 1850. Fünf Jahre vorher Hatte er jein 50- 
jähriges Dienjtjubiläum gefeiert. Seine WBublikationen, von 
denen hier die „Anleitung zum forſtwiſſenſchaftlichen Studium“ 
(1802) und der „Entwurf eines Syitems der Landwirthichaft“ 
(1809) genannt jeien, waren von grundlegender Bedentung für 
die Kameralwiſſenſchaft in Deutjchland. 


Tie Förderung der Kameralwilfenichaft durch den Kur— 
fürjten Karl Theodor jelbjt feierte der furpfälziiche Rath B. 
Wigard unter bejonderer Bezugnahme auf die Gründung der 
Staatswirthichaftsichule in Heidelberg mit folgenden Berjen 
jeineg Jubiläumsgedichtes im Jahre 1792: 

Von feinem Geift befeelt vereinigten fi) biedre Männer 

Zum Lauſchen auf noch unbemerkte Tritte der Natur, 

Sie hinzuleiten auf Die Landwirthſchaft und auf Gewerbe 

Des Lands Ertrag mit Einficht zu verwenden, 

Des Staates Wohl in allen Zweigen 

Die Habe jelbit des Einzelnen 

Durch wohlgewählte Mittel zu erweitern 

Wuchs eine junge Pflanzung auf von Zöglingen der Staatswirthſchaft 
Sie reifte bald 

Und blühet nun der ältern Pflanzung einverleibt. 


Kameralwiſſenſchaft und Heilkunde. 359 


Aber noch eine andere, die Xebensverhältniffe der Ein- 
wohner Mannheims noch tiefer berührende praftiiche Ver— 
werthung der Naturwiſſenſchaft jollte in Mannheim verjucht 
werden und zwar auf dem Gebiete der Heilfunde. Hier war 
e3 der ebenio energiiche wie aufopferungsvolle und menjchen- 
freundlich gejinnte Arzt und Lehrer der Mebdiciniichen Wiſſen— 
ihaft Franz Anton May, der eine neue Stranfenpflege bes 
gründete. May, am 16. Dezember 1742 zu Heidelberg geboren, 
begann im Jahre 1766 nad) Bollendung jeines Studiums der 
PHilojophie und Medicin in Mannheim als Lehrer an der hier 
neu errichteten Hebammenjchule jeine jegensvolle Thätigfeit. 

Dieſe Schule war auf Wunſch der Kurfürſtin Elijabeth 
Augusta, die im Jahre 1761 jelbit die Leiden eines unglück— 
lichen Kindbettes zu ertragen hatte, von Karl Theodor am 
17. April 1766 geitiftet worden. 

Die Eröffnung der an dem Seideiberger Thor, dem 
Gießhaus gegenüber gelegenen Anjtalt fand am 24. November 
desjelben Jahres in feierlicher Weije jtatt. 

Als erjter Lehrer wirkte dajelbit Profeſſor Dr. Fiſcher, 
der morgens von 9—11 Uhr Borlefungen den Hebammen 
und sFeldicheren hielt. Correpetitor May hatte unter Bei— 
hilfe eines Dr. Wilhelmi des nachmittags den Juhalt diejer 
Borlejungen mit denjelben Hörern nochmals durchzugehen. 
May jelbjit las Mittwochs und Samjtags über die vor und 
nad) der Geburt vorkommenden Krankheiten. Der Lehreurjus 
dauerte drei Monate. Nach jedem Curſus wurde einen Wonat 
der Unterricht ausgejegt. Die Leitung der Anjtalt war einem 
„Sollegium Medicum“ übergeben. Die Prüfung der Hörer 
fand von den Lehrern der Anjtalt vor einem Mitgliede diejes 
Eollegiums jtatt. 

Die Einrihtung der Anjtalt beitand aus einem großen 
ringsum mit Bänfen ausgeitatteten Hörjaal, mehreren Zimmern 
mit 12 Betten für die Wöchnerinnen und einem Wohnraum 
für die Wartfrau. 

Der Unterricht wurde unentgeltlich ertheilt und den Ge— 
meinden anbefohlen, den ji) hier ausbildenden Hebammen 


360 Kameralwiflenichaft und Heilkunde. 


aus Gemeindemitteln täglih 15 fr. zu jpenden und die Bes 
zahlung der nöthigen Bücher zu übernehmen. Die nach be— 
jtandener Prüfung entlafjenen Hebammen wurden auf Strengite 
verpflichtet, die ihnen vorfommenden jeltenen und jchweren 
Tälle zu melden. Bei dem Unterriht in der Anatomie vers 
wendete man die Leichen hingeridhteter oder im Gefängniß 
geitorbener Verbrecherinnen. 

Der Bekämpfung des Kindsmorbs, der früher jo jchwer 
beitraft wurde, jollte hauptſächlich auch dieſe Anftalt durch 
Aufnahme armer Frauen dienen. 

Sp wurde aus der Schule für Hebammen zugleich auch 
ein Aſyl Hilfsbedürftiger Frauen. Immer mehr trat hier Mays 
Lehrthätigfeit hervor und immer reger gejtaltete fich dieſes 
Inſtitut bejonders auch durch dieſen tüchtigen, hochbegabten Arzt. 

May, der 1786 ordentlicher Profeſſor der Geburtshilfe 
an der Univerlität Heidelberg wurde, bewirkte 1805 bei dem 
Niedergang der Stadt die Ueberfiedelung des Inſtituts nach 
Heidelberg und rettete es dadurch jedenfalls vor dem Berfall. 

Seine wejentlichite Schöpfung von großer Tragweite war 
aber die Stranfenwärterjchule in Mannheim. Damit hat May 
die Krankenpflege in neue, weithin vorbildlich wirkende Bahnen 
gelenkt. Das Hinfterben der Kranken aus Mangel an rechter 
Pflege hatte das für die Menjchheit mit warmer Liebe erfüllte 
Herz dieſes Arztes tief bewegt, und mit Begeijterung für jeine 
gute Sache ging er daran, hier Abhilfe zu Schaffen, hier durch 
ernite, energiiche Arbeit diefen Mipitänden abzuhelfen. 

May wurde damit zu einem der erften Begründer einer 
rationellen Stranfenpflege in Deutichland. 

Da fih in der von ihm am 30. Juni 1781 unter Beihilfe 
des furfüritlichen Hofes begründeten Kranfenwärterichule jeder- 
mann in der Stranfenpflege unterrichten laſſen fonnte und auch 
aus der Umgegend viele Leute zu dieſem Unterricht herbei- 
famen, jo drang das hier Gelernte ſchon in weitere Kreife und 
verbejjerte in Stadt und Land die Behandlung der Stranfen. 

Hand in Hand mit diefem Wirfen ging Mays Begrüns 
dung einer Krankenkaſſe für Arme und einer Krankenwärterkaſſe 


Kameralwiflenichaft und Heilkunde. 361 


für arme Kranke bedienende Wärter. 1783 waren der letzteren 
Kaffe durch mildthätige Gaben bereits 601 fl. 49 fr. zugefloffen. 
Den Recenjhaftsbericht hierüber unterzeichneten v. Lamezan, 
Davanz und May. | 

Im Jahre 1789 wurde May zum Leibarzt der Kurfürftin 
Elijabeth Augufta ernannt. Dabei behielt er feine Stellung 
al3 Lehrer an der Heidelberger Univerfität inne. Als Aelteſter 
der Univerfität jtarb May am 20. April 1814 zu Heidelberg. 
Eine Lungenentzündung hatte den Hochverdienten Mann zum 
Scmerze der Bevölkerung Heidelbergs und Mannheims, wie 
der auswärtigen wiljenjchaftlichen Welt im Alter von 72 Jahren 
dahingerafft. Seine Ehegattin war eine Tochter des Bild» 
hauers Berichaffelt. Na) May's Tode wurde deffen Schwieger- 
john, der namhafte Arzt Franz Karl Nägele, „Director der 
Heidelberger Gebäranitalt.* 

Mays Thätigfeit wird dauernd fortwirfen und verdient 
gerade heute, wo man fanitäre Einrichtungen immer mehr in’3 
Auge faßt, neue Anerkennung. 

Auf dem Gebiete der Geburtshilfe machte Mays 1799 
erjchienene Schrift „Programma de necessitate partus quan- 
doque praemature promovendi* durch den darin zuerſt in 
Deutichland ausgejprochenen Gedanken, in bejonderen Fällen 
die Frühgeburt künſtlich zu bewirken, in ärztlichen Streifen 
Aufſehen. 

Als Geſundheitslehrer verdient May an die Seite Hufe— 
lands geſtellt zu werden. May war von außerordentlicher 
ſchriftſtelleriſcher Begabung, und er konnte ſeine Gedanken auf's 
Klarſte und ſprachlich Feſſelndſte formuliren. Dadurch ver— 
mochten ſeine Werke unmittelbar in das Volk zu dringen und 
hier viel gutes zu ſtiften. Eine gewiſſe Nüchternheit, die ſeinen 
Anſchauungskreis beſchränkte, reſp. nicht auf andere Gebiete 
erweiterte, fam dem Arzte nur zu Gute. Seine außerordent- 
lihe Kunſt der Sprache bewies May bejonders bei jeinen 
Ausführungen über Gejchlechtskranfheiten und über das Ge- 
ſchlechtsleben. Hier wagte er in aller Deffentlichfeit viel zu 
jagen, was jonjt nicht berührt werden durfte. Seine Offenheit 


362 Stameralwifjenichaft und Heilkunde. 


wirkte hier durchaus edel und gut. Hier könnte mancher 
moderne, geichlechtliche Fragen behandelnde Kongreß, der die 
heifeljten Dinge oft in rohſter Sprache in die Deffentlichkeit 
zieht, den rechten Ton für jeine Diskujfionen lernen. 

May's Humorgewürzte Kraft der Sprache gipfelt in den 
5 Bündchen umfaljenden Büchlein „Stolpertus, ein junger 
Urzt am Strankenbetter (Mannheim 1777—1807) und in den 
„Mediciniichen Faltenpredigten* (Mannheim 1793/94 2 Bbe.), 
welch' legtere Schrift, wenn auch nicht frei von politiicher Be— 
ſchränktheit, doch gerade auf ihrem Gebiete der Gejundheitslehre 
neue Wege einjchlägt. 

May Hatte nahdrüdlichit auf das Verhängnißvolle der 
Armuth bei Krankheit Hingewiejen und es dadurch bewirkt, 
dab auch noch im amderweitiger Weile für die Armen gejorgt 
wurde. 

So wurden den armen Stranfen der in jech$ ärztliche Be- 
zirfe eingetheilten Stadt unentgeltlich Recepte gejchrieben und 
Medicamente verabreicht. Ebenjo gab man Brennholz an arme 
Kranke aus dem Furfiwitlichen Lager ab. Im Jahre 1779 
erreichten die Ausgaben für gejpendete Medicamente über 
4000 Gulden und an Brennholz wurden im gleichen Jahre 
721 Wagen vergeben. 

Zahlreiche janitäre Beitimmungen jind auf Mays Fnitiative 
zurüdzuführen, und manche wichtige, erjt heute verwirklichte 
Einrichtungen jah er voraus. 

Bon den Hojpitälern jener Zeit jeien hier das 1739 be— 
gründete Militärlazaretd in F 6, das im gleichen Quadrat 
errichtete Hojpital der Reformirten, die Hojpitäler der lutheriichen 
und ijraelitiichen Gemeinden, das früher jchon erwähnte fur» 
fürjtliche, jest ſtädtiſche Ktrankenhaus und das Fatholijche Bürgers 
hoipital genannt. 

Das katholiſche Bürgerhojpital fiedelte erſt 1784 nad 
jeiner Stiftung im Jahre 1773 auf das jebt nod einge» 
nommene Stadtgebiet (dad ehemalig Freiherr von Ullner’iche 
Anwejen FE 6, 1 (1783 um 24000 fl. erworben) über. Der 
Bau der Kirche begamı 1786 und die Einweihung berjelben 


Beilage. 


Bei der außerordentlihen Wichtigkeit der Begründung der Kranken— 
wärterichule für Mannheim und die Einführung einer Krankenpflege über: 
haupt dürften die Grundfäge, die den Schöpfer diefer Anjtalt leiteten, von 
weiterem Intereife jein. Man entwicelt dieſe Grundfäge in einem im 11. 
Heft der „Pfalzbaieriſchen Beiträge zur Gelehrſamkeit“ (Mannheim 17>2) 
veröffentlichten längeren Schreiben, das zugleich auch für die fernige, kräftige 
Sprache dieſes Arztes und Denkers charakteriſtiſch iſt. Das Schreiben 
lautet: 

Mannheim, den 8. Chriſtmon. 1782. 


Liebiter Kosmas! 


Endlich, Liebiter Freund! kann ich ihnen von dem Fortgang meiner 
voriges Jahr ichon errichteten Strankfemivärterichule wahre Nachricht geben. 
(53 mangelte niht an Splitterrichtern, welche dieſer Erſtgeburt allerhand 
Mutterfleden andichteten. Man will (hie es) Stranfenwärter bilden, und 
es werden mediciniiche Prufcher werden; man rümpfte die Naſe, zudte die 
Achſeln, wizelte umd jpöttelte über das Unternehmen, ehe man noch den 
Plan, die Lehrart, und das Leiebuch eingejehen hatte. Sie wiſſen wohl, 
mein Beiter! e3 giebt fo eine Gattung Leutchen, die ſich einbilden, fie ſeien 
dafür beioldet, alles mit Bitterfeit zu tadeln, was den Zoll ihrer Gench- 
migung entgchet, und den Stempel der Neuerung trägt; Neuerungen, 
schreien jie mit voller Stehle, weil fie von jeher gewohnt find, ihren Schnedens 
gang fortzumallen, ohne jemal an eine Beiferung zu denken. Man hat jo 
fang, jagen fie, ohne zünftige Krankenwärter Strankheiten geheilet, man 
wird bieielben auch in Zukunft entbehren können. Diefe wohlweiſen Herren 
bringen aber jene Kranke nicht in Anfchlag, welche aus Mangel einer ber: 
nünftigen forgfältigen Wartung, trog aller ihrer Gelehriamfeit und ange 
wendeten Fleiſes, frühzeitige Engelgen geworden find. Das war ein Theil 
der Belohnung für die Mühe, die ich mir gab, diefe wiſſenſchaftliche Lücke 
auszufiillen. So ſehr mid dieſes Gemurmel hätte niederichlagen Eönnen, 
jo aufmunternd war die höchſte Genehmigung und Unterjtügung der Kur: 
fürritlihen hohen Regierung. Ueberzeugt von dem offenbaren Nuten dieſer 


Lehrſchule legten die würdigen Mitglieder dieſer hohen Stelle Geldbeiträge 
zufammen, um zur Aufmunterung der Lehrlinge filberne Denkmünzen prägen, 
und die Beitbeitandenen bei der öffentlichen Prüfung damit frönen zu laſſen. 
Damit Sie aber, liebiter Kosmas! völlig überzeugt werden mögten, wie 
ſehr ih bemüht war, feine Quadialber, feine Nbergläubler, jondern ver: 
nünftige Stranfenwärter zu bilden, will ich Ihnen zwei Punkte aus den— 
jenigen bierher jegen, welche die Lehrlinge bei ihrer Entlafjung haben bes 
ſchwören müſſen. Der trantenwärter (jo lautet der zweite Punkt) ſoll ſich 
forgfältig nad) den in der Yehre empfangenen Grundjägen von allem Aber: 
glauben, Segeniprehen und lächerliher Simpathie enthalten, zwar den 
Stranfen nicht hindern, Gott, dem alles möglih, um feinen Segen zur ge— 
deihblihen Mitwürfung der Arzneimittel anzurufen, aber doch mit Ber 
icheidenheit den Stranfen abmahnen, daß er ſich nicht von Andächtlern und 
Afterärzten, von Segenjprehern und Bejchwörern betrügen laſſe, ſondern 
die von dem Allmächtigen erichaffenen, von redlichen, erfahrenen Aerzten 
vorgeichriebenen Sträuter allen Lulaszetteldyen, Hexen- und Teufelsamuletten 
und anderem Mißbrauch geweiheten Tändeleien vorziehe, und nach ber 
Vorſchrift gebrauche. Sollte der Strantenwärter wahrnehmen, daß der 
Kranke, auf Zureden unvernünftiger Leute, feinen Harn zum prophetiichen 
Scharfrichter überbringen lies, und heimlich Mittel gebrauchte, welche, wie 
gemeiniglich geichiehet, die Stranfheit verſchlimmein, jo iſt es feine Pflicht, 
ſolche Betrügereien bei Zeit dem Arzte anzuzeigen, damit diefer den üblen 
Folgen dieſes Unterſchleifs jo frühzeitig als möglich vorbeugen könne. Der 
vierte Punkt, welchen die gelernten Stranfenwärter eidlich angeloben mußten, 
war folgender: So nüzlich ber rechtichaffene Kranfenwärter dem Kranken 
it, wenn er in den Schranfen feiner erlernten Wiſſenſchaft fortwandelt, 
jo gefährlich fan er dem kranken Nebenmenichen werden, wenn er, wie es 
je zuweilen durch langen Umgang mit Aerzten geichiehet, in einen unbäns 
digen Quadjalber ausartet; feine hie und da erbafchten Mittelchen bei den 
Kranken außframet, und mit Verahtung würdiger Aerzte jeine eigenen 
Pulver und Billen, feine Pflafter und Salben zum Nachtheil der Kranken 
anrühmet und aufdringet. Der vernünftige Stranfenwärter foll ſich von 
diejer gelehrten Ausſchweifung enthalten, und wenn er ja etwas mit Grund 
anzurathen oder vorzuichlagen glaubt, niemal ohne den Rath eines ver: 
nünftigen Arztes, vielweniger binterliftig Arzneimittel gebrauchen; weil aud 
dfterd ein unichuldiges Hausmittel, wern daſſelbe zur Unzeit angewendet 
wird, ichädlich werden fann. Dan laffe ſich niemal von feinen eingebildeten 
Kenntniſſen täuſchen. Sogar ein Handwerk muß ordentlich und ſtufenweis 
erlernet werden, ſonſt bleibt man immer ein elender Pfuſcher. Jener 
Stranfentwärter, welcher ſich unterfangen würde, zu quadjalbern, ioll als 
ein geführlicher Bürger angeſehen und von jeinem vorgejezten Medicinals 
rath mit angemeſſener Strafe behandelt werden, u. ſ. w. Mus Dielen 
beiden Beihwörungspunften fönnen Sie, mein Beiter! deutlich jehen, wie 


fehr ich bei der Lehre der Krankenwärter entfernt war, Pfuſcher zu er: 
ziehen, und wie ungereimt die Vorwürfe waren, womit man dieſes heilfame 
Inſtitut verunglimpfen wollte. Meine Hauptabfiht war, gute hippofratiiche 
Beobachter ans Krankenbett zu ſezen, welche den meiltens zu viel bes 
Ihäftigten Arzt gedeihlich unterftügen könnten. Welcher praktifche Arzt ift 
wohl im Stande, bei einem jeden jeiner Kranken Stunden lang fizen zu 
bleiben, und ganze Nähte durchzuwachen; gleihwohl können in feiner Ab» 
weſenheit Zufälle erjcheinen, die ihm zu willen jehr nötbig find. Ich will 
mich bei diejen jonnenklaren Wahrheiten nicht länger aufhalten, und ihnen 
nur nod von dem mohlthätigen Einfluß Nachricht geben, womit dieſes 
Inſtitut auf dürftige Kranken in hiefiger Stadt würket. — Ich fahe gleich 
beim Anfang der Lehre ein, daß Die gelernten Krankenwärter nur jenen 
Mitbürgern nüzen würden, welche das Vermögen haben, ihre Dienfte zu 
belohnen; damit alfo auch dürftige Stranfen in ihrem Nothitande bedienet 
würden, jo forderte ich die Wohlthätigfeit und Großmuth guter Mitmenfchen 
auf, durch gefällige Geldbeiträge eine bejondere Armenkaffe zu jtiften, 
woraus jene Krankenwärter, welche dürftigen Mitbürgern mit Fleis und 
Menſchenliebe in ihren Krankheiten beifpringen, ihren Taglohn erhalten 
fönnten. Auf diefe Art fan der dbürftige Kranke bei dem Inftitut um einen 
stranfenmwärter bitten; dieſer bringt nach geendigter Stranfheit ein von dem 
Arzte und Kranken beftätigtes Verzeihniß der Täge und durdgewacten 
Nächte, und erhält von dem Kaſſierer diefer Armenkaffe, welches Geichäft 
unjer würdiger Negierungsrath Herr von Lamezan übernahm, feine Bes 
zahlung. Bielleicht, mein Beiter! iſt unfere Armenkaſſe, durch die Wohl: 
thätigfeit unſers gnädigen Landesherrn unterjtüzet, in einigen Jahren im 
Stande, wiedergenefende Armen mit Beiträgen zu nöthigen Erholungs 
ineifen zu laben. linjere durchlauchtigite Sturfürftin war die erite gnädigſte 
Wohlthäterin diefer Armenkaſſe; Höchitdiefelbe haben einen jährlichen be= 
trächtlichen Beitrag hiezu beitimmt. Biele unjerer rechtichaffenen Mitbürger 
folgten diefem erhabenen Beifpiele, Segen des Himmels fcheinet diejen 
Blan zu unteritügen. — Damit aber aud) die Krankenwärterlehre fich nad) 
und nad unter das Zandvolf verbreiten, und dadurch mancher rechtichaffene 
Hausvatter und mande brave Mutter erhalten werden möge, jo bin id) 
geiinnt, zu derjelben Zeit, wo die Dorfhebammen dahier unterrichtet werden, 
zugleid; den Strankenwartdienft zu lehren, wenigitens werden dadurd) ſchäd— 
liche Mißbräuche und Vorurteile bei den Krankheiten des Landvolfes aus: 
gerottet werden können. Der Unterricht für Krankenwärter, deſſen ich mic) 
bei den öffentlichen Vorlefungen bediene, und welcher bem Begriffe einer 
jeden Hausmutter angemefjen it, joll, dem fichern vernehmen nad, von 
Sturfürftlicher hoher Regierung umentgeltlih im ganzen Lande an die 
Pfarrer, Schulmeifter, Wundärzte und Hebammen abgereichet werden, um 
die Fehler bei Wartung der Stranfen, wodurdh jo mancher brave Bürger 
vor der Zeit hinmweggeraft wird, nad und nad) abzuwenden. 


Sie werben begierig fein, mein Freund! zu erfahren welche Gat— 
tung von Inwohner fih diefem harten Berufe widme. Sie willen, mein 
Beſter! in jeder Stadt giebt ed eine große Menge wohlernährter Faul- 
lenzer, welche fich auf das Allmoien verlaffen, die Kirchenthüren belagern, 
und die Gutherzigfeit der Inwohner jchändlich mißbrauchen. 

Aus diefem Haufen unthätiger Menſchen fange ich zum Krankenwart— 
dienit diejenigen aus, welche nad dem Alter und Leibesfräften die Fähig— 
feit haben, Kranke zu bedienen; weigern ſich ſolche ausgeraftete Faullenzer 
der Lehre beizumwohnen und auf diefe Art ihr Brod zu verdienen, jo werben 
diejelben von dem wöchentlichen Almoien jo lange ausgeſchloſſen, bis fie 
von mir ein Zeugniß dieſes Fleifes bei dem armen Pflegamt aufweiien. 
Auf dieſe Art wird zugleid ein Theil wohlgemäfteter Müfiggänger zur 
Arbeit angehalten. Die anfchnlichere Klaſſe der Lehrlinge beitchet aus 
jungen Wundärzten, Wittwen und Kindsfrauen, aus den Stranfemmwärtern 
der Hoipitäler und Waifenhäufer. Die Judenfrantenwärter jind von der 
Lehre nicht ausgeichloffen. Ich muß es unferer biefigen Judenihaft zum 
Ruhme nachſagen, dab fie gegen ihre Stranfe beionders wohlthätig und 
dienftwillig ift. Zwei Jüdinnen haben dem erften Lehrgang der Kranken— 
wärterlehre beigewohnt, worunter bejonders die Jungfer Glückge Hallin bei 
der öffentlichen Prüfung durch geſchickte ımerwartete Antworten ſich aus— 
zeichnete. 

Wie unſere Armenkaſſe mit der Zeit, wie ich hoffe, zunehmen, ſo bin 
ich, mit Genehmigung des Inſtituts, geſinnt, den jährlichen Ueberreſt, der 
für die Belohnung der Armenkrankenwärter beſtimmten Gelder unter die 
fleiſigſten Krankenwärter, ohne Unterſchied der Religion zur Aufmunterung 
ihres Dienſteifers, auszutheilen, auch die zum Krankendienſt gemächlichen 
und nöthigen Kleidungsſtücke für die Krankenwärter daraus anzuschaffen. 

Hier haben Sie, mein Beiter! den ganzen einfachen Plan der neuen 
Lehrſchule für Krankenwärter; finden Sie diefe Ginrichtung möglich, jo 
legen Sie in ihrer Gegend eine ähnliche Pflanzſchule nüzliher Mitmenichen 
an, und theilen Sie mir Ihre etwa entdedten VBerbefferungen mit. Wir 
fönnen nie den Abfichten des allgütigen Schöpfers gemäfer handlen, als 
wenn wir Merzte beionders uns beitreben, gegen unfere unglüdlichen Mit— 
menschen mwohlthätig zu fein. Leben Sie wohl, Liebiter Kosmas, und, ſo— 
fern Ihnen umerträglihe Neujahrsgratulanten mit ſeichten Wünſchen die 
Ohren vollbrummen, jo zehnten Sie einem jeden um einen Gulden zum 
Beiten der Stranfenwärteröfafle, denn bei den meilten iſt doch der Neujahrs— 
wunich feinen rothen Heller werth. Ich bin ohne Neujahrswunicd 

Ihr allzeit redlicher 
Man. 


SKameralwifienihaft und Heilkunde. 367 


erfolgte am 21. September 1788 durch den Bifchof von Worms. 
1789 ertheilte der Kurfürit dem Hoipital die Conceſſion zur 
Herausgabe einer Zeitung. Die Verluſte während der Kriegs- 
zeiten wurden durch eine Spende von 33000 fl. von Seiten 
des Kurfürften einigermaßen ausgeglichen und bald darauf erhielt 
da3 Hojpital das große Vermächtniß des Generalfeldzeugmeijters 
Freiherrn von Rodenhauſen im Betrage von 114000 fl. 

Eine merfwürdige Berührung mit der medicinischen Be- 
thätigung in Mannheim und Profeſſor May hatte im Jahre 
1784 Friedrih Schiller. 

May bejuchte im Auftrage Dalbergs den in Mannheim 
weilenden Schiller und ertheilte diejem dem väterlichen Rath, 
die medicinischen Studien wieder aufzunehmen und dann als 
Arzt ſich fein Brot zu verdienen. May ficherte ihm Dabei 
feinen Beiltand zu. Der gerade, nüchterne, auf’3 rein praftifche 
gerichtete Sinn des Arztes reichte nicht hin, die Bedeutung der 
Situation voll zu erfalien. 

Schiller erwog dennoch in jeiner finanziellen Nothlage 
ernjtlich diefen Gedanken und jchrieb (Ende Juni des genannten 
Jahres) an den FFreiherrn von Dalberg: 

„Dasjenige, was Ewr. Erzellenz mir gejtern durch Hern 
Hofratd May haben jagen lajien, erfüllt mich auf's neue mit 
der wärmjten und innigjten Achtung gegen den vortrefflichen 
Mann, der jo grosmütigen Antheil an meinem Schickſal nimmt. 
Wenn es nicht fchon längſt der einzige Wunſch meines Herzens 
gewejen wäre, zu meinem Hauptfach zurüczufehren, jo müßte 
mir allein jchon diejer ſchöne Zug Ihrer edeln Seele einen 
blinden Gehorjam abnötigen: Aber lange jchon zog mich mein 
eigenes Herz dahin; lang ſchon habe ich, nicht ohne Urjach be— 
fürchtet, daß früher oder jpäter, mein Feuer für die Dicht: 
funjt erlöjchen würde, wenn fie meine Brodwifjenjchaft bliebe, 
und daß fie im Gegentheil neuen Reiz für mich haben müßte, 
fobald ich fie nur als Erholung gebrauchte, und nur meine 
reinften Augenblide ihr widmete. Dann nur kann ich mit 
ganzer Kraft und immer regem Enthouſiasmus Dichter jeyn — 
dann nur hoffen, daß meine Leidenjchaft und Fähigkeit für die 


368 Kameralwiſſenſchaft und Heilkunde. 


Kunſt durch mein ganzes Leben fortdauern würde. Urtheilen 
Sie aljo, wie willfommen der Winf mir gewejen jeyn muß, 
der mir Erlaubniß gab, Ihnen mein ganzes Herz vorzulegen ! 

Aber darf ich jest mehr jagen? Darf ich mich jest auf 
die vielen redenden Beweiſe Ihrer Theilnahme fügen, und 
Ihnen, der Sie jchon jo vieles für mich gethan haben, darf 
ih Ihnen zumuten, auch noch das Lezte — Alles für mich zu 
tun? — Nur ein Jahr habe ich nötig das Verfäummiß in 
meinem ach nachzubohlen und mich öffentlich mit Ehre darinn 
zu zeigen. In diefem Jahr kann ich alio für die hiejige 
Bühne nicht jo thätig jeyn, als jonft, und dennoch brauche ich 
eben jo viel Unterjtübung. 

Diejes einzige Jahr entjcheidet für meine ganze Zukunft. 
Kann ich meinen Plan mit der Medicin durchjezen, jo bin ich 
auch immer gejichert und mein Etablissement zu Mannheim 
ijt gegründet. 

Wollen Ewr. Erzellenz; mir Hierin die Hand bieten ? 
Können Dienjte, die ich der hiejigen Bühne erft nach Verfluß 
diejes Jahres leijten kann, mir für jchon geleijtete gelten? — 
Bin ih dann endlih auf dem Punft, worauf ich arbeite, jo 
wird e3 mir nimmer jchwer fallen, diefe Schuld nachzuhohlen, 
und meine Produkte bleiben Ihnen dann eigen. Da ich ohne- 
bin jo ſchnell nit auf da3 Drama Berzicht thun kann, fo 
fann ich immer für ein großes Stüf gewähren, und mein 
Entwurf wegen der Dramaturgie joll ganz nad) ihren Wünſchen 
zu Stande fommen, 

Hab ich zuviel gejagt, jo vergeben es Ewr. Erzellenz 
meinem vollen Herzen. Ich jtehe auf dem Scheideweg, Alles, 
mein ganzes Schidjal vielleicht hängt jezt von Ihnen ab. 
Kann es Ihnen jchmeicheln, das Glück eines jungen Mannes 
zu gründen, und die Epoche jeines Lebens zu machen — die 
Wünſche jeines Herzens, jeiner Familie, feiner Freunde — ja 
Ihre eigene mit Eins zu erfüllen, kann diejes Bewußtjeyn 
Ihnen ſüße jeyn, jo erwarte ich Alles von Ihrer Entichließung, 
und wenn ich e3 je dahin bringe, der Welt wichtig zu werden, 
jo weiß ich auch gewiß, daß ich Denjenigen nicht vergeife, dem 


Kameralwiffenfhaft und Heilkunde. 369 


ih alles, alles jchuldig bin. Kann ich Hoffen, die Ent: 
ihliegung Euer Erzellenz mündlich oder fchriftlich zu Hören. 
Ih erwarte fie mit Sehnjucht und Ungeduld“. 

Der Himmel verhütete es, daß die geplante mebicinijche 
Praris Schiller in Mannheim zur Wirklichkeit wurde und 
die gewiß wohlgemeinten Rathichläge in diefer Beziehung zur 
Ausführung gelangten. — 

Schon 1754 hatte Karl Theodor eine Schule zum Studium 
der Anatomie errichten laffen. Der Unterricht wurde unter 
Vornahme von Sectionen menfchlicher Leichen ertheilt. 

Die Schule nahm drei Räume des furfürftlichen Militär- 
lazareths ein. Ein großer Raum mit vier je etwas erhöhten 
rund laufenden Sitreihen und in der Mitte mit einem Tiſch 
zur Aufjtellung der Leichen bildete den Hauptunterrichtsſaal. 
Hieran ftieß ein Heinerer Raum mit fechs Tifchen, in dem jeder 
am Unterricht Theilnehmende jelbjt Sectionen vornehmen konnte. 

Mit diejer Schule war ein anatomisches Mufeum ver- 
bunden. An den Wänden der Zehrräume hingen die anatomijchen 
Tafeln Gauthiers. In dem dritten Raume, der mehr für bie 
Lehrer beftimmt war, befanden ſich Stelette, durch Drähte auf: 
geftellt, oder auch in Kiſten zufammengelegt, fowie oſteologiſche 
Seltenheiten. 

Die ofteologifchen Vorlefungen fanden.im September und 
Dctober ftatt, die Sectionen wurden von November bis Dftern 
vorgenommen. E3 wurde weitgehendjter freier Zutritt zu diejen 
Vorträgen gewährt und den ſich jelbjt üben Wollenden das 
Nöthige an Inftrumenten, Schürzen, Schugärmel u. j. w. 
gratis zur Verfügung geftellt. 

Als Direktor der Anftalt wird ein Profeſſor der Anatomie 
Namens Leiſt bezeichnet. 

Das Inftitut führte den Titel „Anatomijches Theater“. 
Gute Inftrumente konnten durd) Stiftungen des Prinzen Friedrich 
von Pfalz Zweibrüden angejchafft werden. 

Mit dem anatomischen Theater jollte bereits 1754 ein 
Chirurgifches Collegium verbunden werden, allein dies fonnte 
erit im Jahre 1766 ins Leben treten. 

Deier, Geſchichte der Stadt Mannheim, 24 


370 Kameralwilfenihaft und Heilkunde. 


Es jollte zur Uebung in der operativen Kunft und in be= 
fonders jchwierigen Operationen anleiten. Die Ausführung 
der Operationen jollte hier an Leichen geübt werden. Den 
Unterricht leitete der furfürjtlihe Rath und Oberjtabschirurgus 
Winter. Der Kurfürſt ließ neue, als vorzüglich gerühmte 
Inftrumente bei dem Hofinjtrumentenmacher Eberle anfertigen. 

Auch hier war der Unterricht für Studirende unentgeltlich. 
Die Vorlefungen wurden täglih Nachmittags zwiſchen 2 und 
4 Uhr gehalten. Zu dem im Frühling jtattfindenden, drei- 
tägigen Haupteramen hatte der Kurfürjt für die drei bejten 
Schüler Preismünzen gejtiftet. 

Dieje vortrefflihen und äußerſt praftiih eingerichteten 
SInititute trugen nicht wenig zu der damald regen Förderung 
der Heilkunde in Mannheim bei. 


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XXH. 
Die furfürftliche deutfche Hejellichaft. 


Der Kampf für die deutihe Sprahe — Anton von Klein und feine Schil- 
derung der deutſchen Gejellihaft — Werthihägung der Mutterfprahe — 
Einführung der deutſchen Spradlehre in das kurfürftlihe Gymnaſium zu 
Mannheim durd Klein — Aufführung von. Beaumardais’ „Eugenie” in 
deutiher Sprahe — Buchhändler Schwan — Streitſchrift — Kleins 
Profeſſur der jchönen Wiſſenſchaften — KHlopftod in Mannheim — Grüns 
dung der deutichen Gejellihatt — Ihr Wirken — Preisausiegungen — 
Hemmer und Klein — Herausgabe der Werke der ausländifchen ſchönen 
Geifter — Heinfe — Geihichtswerte — Periodiihe Werte — Mannheim 
als Sig deutiher Wilfenihaft und Kunſt — Schillers Beziehungen zur 
deutichen Gejellihaft — Anton von Stleins Arbeiten und Sammlungen. 


ür das Vorwärtsichreiten auf dem Gebiete der Kunſt 
und Kitteratur in Mannheim zu Zeiten Karl Theodor ijt ganz 
bejonders auch die Entwidelung der vaterländiichen Produktion 
neben und aus der Pflege fremdländijcher Bethätigung ein 
jtarfer Beweis. 

Das erjte größere Unternehmen, deutjcher Geiftesarbeit 
und vor allem der deutſchen Sprache im eigenen Vaterlande 
Freiheit zu gewinnen, war hier die Begründung der deutjchen 
Geſellſchaft. 

Laſſen wir uns dieſe Begründung und ihre Motive von 
dem Geſchäftsverweſer der Geſellſchaft, dem „Profeſſor der 
Philoſophie und der ſchönen Wiſſenſchaften“, Anton von Klein 
ſelbſt ſchildern. Wir werden durch dieſe Schilderung, die uns 
Klein mit einem im jetzigen Leſeſaale der Bibliothek des 

24* 


"373 Die kurfürſtliche deutiche Geſellſchaft. 


Schlofies im Jahre 1785 gehaltenen Vortrag giebt, jo une. 
mittelbar in die Bewegung hineinverjegt und erhalten ein jo 
febhaftes Bild des Wirkens diejer Gejellichaft, daß die hiermit 
gegebene Behandlung der Sache höchſt charakteriftiich nicht nur 
für die Gejellichaft, jondern aucd für ihr geiftiges Haupt, den 
Profeſſor Anton von Klein ift, den wir dadurd vielleicht am 
Beiten kennen lernen. 

Klein hat mit feiner interejfanten Arbeit, deren Ortho— 
graphte unter nur wenigen Wenderungen der unſrigen gleich: 
gejtaltet werben konnte, der Gejellihaft ein dauernd beachtens- 
werthes Denkmal geſetzt, indem er hauptjächlich folgendes aus— 
führt: 

„Außer dem allgemeinen Schidjale des jüdlichen Deutſch— 
lands hatte die Pfalz noch bejondere Hinderniffe, um nicht 
eine der erjten deutjchen Provinzen zu fein, die in den neuern 
Zeiten das Feld der Mutteriprahe anbauten. In manden 
Gegenden waren Sprache und Dichtkunſt ſchon in einem blühen: 
den Buftande, als der große Theil unjeres Publikums die 
vortrefflichjten Schriftjteller der deutihen Nation faum dem 
Namen nad) fannte. 

Die feinere Welt unjerer Stadt, zum Theil in Frankreich, 
mehrerentheild von lateinischen Schullehrern oder franzöfiichen 
Hofmeiftern und Hofmeifterinnen erzogen, gewöhnt am bie 
franzöfiiche Sprache, in den beiten Gejellichaften, unter dem 
Singgepränge italienischer und franzöfiiher Schaubühnen aufs 
gewachſen, umgeben von ausländijchen Künftlern, Gelehrten 
und Hofleuten, meiftentheil® befannt mit den Meiſterſtücken 
dieſer Nationen, durch die geſchmackloſe Schreibart der deutſchen 
Schriftiteller voriger Zeiten, mit VBorurtheilen wider die jegigen 
eingenommen, fam nidjt einmal auf eine Vermuthung von demt 
Grade der Volltommenheit, den deutſche Sprache und Litteratur 
damals erreicht Hatten. Brachte der Zufall einen deutſchen 
Dichter unter die Augen eines Deutſchen am Rheinftrom, To 
ichien aus Mangel an Uebung und Kenntniß das Werk jehr 
oft unverftändlich, unnatürlic, und gezwungen. Reiner Aus— 
drud und richtige Ausſprache waren auffallend und widerlich ; 


Die kurfürftliche deutſche Geſellſchaft. 373 


Die angewöhnte und geläufige Vaterlandsſprache verächtlic. 
Man fühlte den Unterfchied zwiſchen Dikafterialauffägen und 
einer Arie des Metajtajio; zwijchen den Verſen Racine's und 
den damals in der Pfalz erjchienenen Gelegenheitägedichten, 
und glaubte daher Ueberzeugung zu haben, daß unjere Mutter- 
ſprache nicht einmal einer Veredlung fähig wäre, bie fie den 
beiden Lieblingsiprachen etwas nahe bringen könnte ... 

Da wir enblid uns bejtrebten, durch SKunftliebe und 
Geſchmack am Schönen vor allen Provinzen Deutichlands uns 
auszuzeichnen, und uns den gebildetiten Völkern der Welt zu 
nähern, eben in diejer Zeit, jage ich, vernachläfjigten wir unjere 
Mutterjprache. 

Man eiferte, fich rein und zierli in der franzöfiichen 
Sprache auszudrüden, und dachte nicht einmal, daß dies in 
unjerer eigenen geichehen jollte oder fünntee Man jchrieb in 
jener zierliche Briefchen, und drudte in dieſer barbarijche 
Schriften. Neben einem gejchmadvollen italienischen Gedichte 
mit Jomelli's himmliſcher Muſik, jah man die poflirlichiten 
Ueberjegungen. Bei öffentlichen Feierlichkeiten jtritten Gejang 
und alle Genien der Tonkunſt, Malerei, Dichtkunft, Bau- und 
Tanzkunſt gleich wohlthätigen seen um die Wette, ung in 
edeln und erhabenen Vergnügungen zu bezaubern, und unjern 
Geſchmack zu erhöhen; zu gleicher Zeit erjchienen Lächerliche 
Chronodijtichen und jinnlojes Deutſch in abjcheulichen Reimen. 
Götz und Jakobi jangen für ferne Provinzen. Die gleich- 
zeitigen Pfälzer fannten ihre eigne Landsleute nicht, deren 
Ruhm bei Ausländern verbreitet war, jene Männer, auf die 
wir jest jtolz find, und auf welche unjre Nachwelt noch ftolzer 
jein wird. Mit einem Worte: es wird jchwer jein, vor dem 
Jahre 1760, ich will nicht jagen, ein in unjerer Mutterjprache 
richtig und mit Geſchmack gejchriebenes Werk, jondern aud) 
nur ein einziges erträgliches Gedichtchen, ein einziges Blatt 
mit reiner und der Sache angemejjener Schreibart ausfindig 
zu machen, das in der Pfalz wäre gedrudt worden... 

Das ältefte Werfchen, das mir unter die Hände fan, 
und in Abjicht auf Verbejferung der Sprade, und des jich 


374 Die kurfürſtliche dentiche Gejellichaft. 


reinigenden Geichmades Aufmerkſamkeit verdient, ift die Pfälziſche 
Sittenihrift, von Naumann, einem Ausländer, gedrudt zu 
Heidelberg bei Johann Jacob Häner 1761. Es enthält unter 
andern Aufläge von Herrn Bingner, der jelbjt nachher 1764 
Moraliihe Erzählungen und einige Gedichte herausgab, Die 
als Erjtlinge der vaterländiichen Litteratur anzujehen find. 
Die Geichichte Friedrich! des Siegreichen im Jahre 1765 
gedruckt, iſt das erfle, freilich faum in erträglihem Deutſch 
gejchriebene Werk, das in der Pfalz herausgegeben wurde. 
Die Eßlinger'ſche Buchhandlung in Frankfurt gab zwar 
ihon vom Jahre 1756 durch Herrn Löffler einige Gelegenheit, 
uns mit den damals in Deutichland entjtehenden guten Schrift- 
jtellern befannt zu machen: allein der Verkauf derielben war 
ganz unbeträchtlid. Zehn Jahre nachher wurde dieje Hand» 
fung bedeutender, und dieſer Beitpunft verdient vorzüglich 
gemerkt zu werden, da Herr Schwan, der als Buchhändler und 
Schriftſteller zugleich auftrat, diefelbe übernahm, und die Pfälzer 
mit den Schriften von Geſchmack in Deutichland, die fich bis 
dahin jchon jehr gemehrt hatten, befannt machte. 
Das erjte, was unmittelbar auf die Verbefferung der 
Sprache wirkte, was das Auge des Bublifums auf fich ziehen, 
und die wichtigjten Yyolgen haben mußte, war unjtreitig die 
Einführung der Lehre der verbeijerten deutjchen Sprache in 
das furfürftliche Gymnaſium, oder in die Schulen der Jejuiten zu 
Mannheim. Dies wurde von einem jungen Schullehrer, der 
jelbjt noch wenig gebildet, aber voll Wärme für das Gute, 
und mit Muth und aller Entichloffenheit eines Neuererd aus— 
gerüftet war, im Jahre 1768 bewirket.*) Bon nun an waren 
Deutichlands Dichter und vorzüglide kritiſche Schriftiteller in 
den Händen der Jugend, wenigjtens der Lehrer, und beide 
zugleich geriethen mit diejen vaterländiichen Fremdlingen in 
eine glüdlide Bekanntſchaft. Die Bibliothef des hiejigen 
Kollegiums ward auf einmal mit den beiten Werfen der 
Deutſchen ausgejhmüdt. Das Vorurtheil erjtaunte weit 


*) Tiefer Lehrer war Anton Klein ſelbſt. 


Die kurfürftliche deutiche Geſellſchaft. 375 


weniger über dieſes plößlich hereindringende Heer proteſtan— 
tiſcher Schriftiteller, als es über die freilich vergebens gefürch— 
tete Verdrängung der Römer klagte Im eben diejem Jahre 
machte Herr Schwan den Anfang, franzöfiihe Schaujpiele ins 
Deutiche zu überjegen. Derjelbe theilet unftreitig mit Herrn 
Marhand die Ehre, den Geſchmack des Mannheimer Publi— 
fums zum deutjhen Schaufpiele gereizet zu haben. Seine 
Ueberjegung der Eugenie*) machte vorzügliche Wirkung. Er ver- 
fertigte fie in dem Augenblicke, da die franzöfiihen Schaufpieler 
die Vorjtellung dieſes Stüdes wider den Wunjch unjeres Fürjten 
verzögerten. Diefer jah die Aufführung desjelben auf der deut— 
ihen Bühne und empfing den erjten glüdlichen Eindrud für 
diejelbe. Die im folgenden Jahre veranftaltete neue Auflage 
des jchon vorher in Frankreich herausgegebenen Unjichibaren, 
und einige andere Werke des Herrn Schwan von diejer Zeit, 
hatten zwar Verbeſſerung der Spradhe und des Geſchmacks 
nicht zum unmittelbaren Endzwede; aber als die erjten Schrif- 
ten gereinigter Schreibart, die in der Pfalz gedrudt wurden, 
müfjen fie ung wie jene merkwürdig fein. 

Das 69. Jahr gab das Lofungszeichen zur allgemeinen 
Aufmerkſamkeit des Publitums auf die vaterländijche Sprade. 
Ein Mann,**) der fich gründliche Kenntniß derjelben erworben 
hatte, jchilderte ihren traurigen Zuftand in der Pfalz mit etwas 
zu lebhaften Farben, Was einige Zeit vorher in den Schulen 
vorging, war ihm unbefannt. Cine Menge Streitichriften 
waren die Folgen. Dasjelbe Mittel, das in allen Theilen der 
Wiljenichaften meiftens die Aufklärung befördert, war auch hier 
das fräftigite. Die Menjchen gleichen hierin der Erbe, die fie 
bewohnen. Allen guten Samen jtreuet man vergebens auf ihre 
Oberfläche, wird fie nicht durch gewaltfame Werkzeuge auf- 
gewühlt, und gleichjam verwundet. Vielleicht wäre die vor» 
treitlihe Abhandlung des Herrn Hemmer unbenügt geblieben; 
vielleicht hätten wir alle jeine gerechten Vorwürfe mit Un- 





*) von Beaumarchais. 
**) \acob Hemmer. 


376 Die kurfürftlihe deutſche Geſellſchaft. 


empfindlichfeit, oder wenigjtens ohne an eine Beſſerung zu 
denfen, aufgenommen; vielleicht würben bie getreueften Schilde: 
rungen allgemeiner Nachläffigkeit denen, die es vorzüglich be— 
traf, nicht einmal zu Gefichte gefommen jein; hätte ihn fein 
Eifer nicht zu weit getrieben, ihn jelbjt einigen Vorwürfen aus» 
gejegt, und Züge in jein Gemälde gebracht, die ung beleibigend 
ſchienen. 

Dies iſt das Schickſal der menſchlichen Werke: Das Beſte 
wird ſelten erkannt, ehe das Schlimmere durch Prüfung offen— 
bar wird, und ein Fehler oder eine Schwachheit dient oft zur 
Hervorbringung der Früchte, welche die edelſten Bemühungen 
allein nicht würden erzeugt haben. 

Der allerſeits feurige Streit über Rechtſchreibung, Sprache, 
ungerechte Vorwürfe und Angriffe dauerte über drei Jahre, und 
nun erſchien in der Pfalz kaum eine Schrift, die nicht das 
Gepräg merkwürdiger Verbeſſerung trug. Jedes Jahr war mit 
der Herausgabe einiger gut geſchriebenen deutſchen Werke bezeichnet. 

Das Sendſchreiben eines Landprieſters an die ſämmtlichen 
Verfaſſer der deutſchen gelehrten Zeitungen, Bibliotheken u. ſ. w. 
von Herrn Schwan, ging unmittelbar auf die Reinigkeit der 
deutſchen Sprache, und wurde ſelbſt von auswärtigen Ge— 
lehrten, die es tadelte, mit Beifall aufgenommen. 

Im 1774ten Jahre ereignete ſich eine neue und beſondere 
Gelegenheit, die Reinigkeit der Sprache und des Geſchmackes 
zu verbreiten. 

Eben der Lehrer, der vor ſechs Jahren der deutſchen 
Sprache den Eingang in die lateiniſchen Schulen öffnete, kam 
nach Aufhebung ſeines Ordens in die Pfalz zurück, die er als 
ein Märtyrer jeiner Neuerungsbegierde auf zwei Jahre ver« 
(affen hatte. Er verfertigte einen Entwurf von der Lehre der 
ihönen Wiſſenſchaften. Yon dem Freunde,“) dem er ihn aus 
Verlangen nad einem guten Rathe übergab, erhielt ihn die 
Familie**), deren Namen! jedem Pfälzer ebenjo heilig jein muß, 

*) Freiherr von Weiler. 

**) Familie von Stengel. 


Die Iurfürftliche deutſche Geſellſchaft. 377 


al3 er in den Tempeln der Künfte und Wiſſenſchaften und in 
den Jahrbüchern der Pfalz unfterblich fein wird. Dieje über- 
gab den Entwurf ohne des Verfaſſers Begehren, ohne fein 
Borwiljen in die Hände des Landesfürften. 

Die fonderbare Erjcheinung einer ſolchen Schrift in 
deuticher Sprache erregte die ganze Aufmerkſamkeit desjelben. 
Er verlangte die Ausführung der Sache, und nun ward Die 
Profeſſur der ſchönen Wiſſenſchaften gejtiftet. Vergebens wider: 
ſetzte ſich betitelte Pedanterei und Unwiſſenheit. Sie wurde 
geſtürzet, und ſah mit Erſtaunen die ſchönen Blüthen, die ſie 
nicht in dem Keime verderben konnte. Die Beeiferung einer 
Menge geiſtvoller Jünglinge von den erſten Häuſern der Stadt, 
die öffentlichen Prüfungen derſelben, und die von dem Lehrer 
herausgegebenen verſchiedenen Werkchen zeugen von den Wir— 
kungen, die dieſe Stiftung hervorbrachte. Die in den Göttinger 
und andern gelehrten Anzeigen mit Beifall aufgenommene 
Sammlung zur Aufmunterung des guten Geſchmacks in der 
Pfalz iſt in ihrer Art das erjte, und bis jet (1785) nod) 
einzige Werf unjeres VBaterlandes. 

Indeſſen war alles dies nur ein jehr Eleiner Anfang der 
Aufklärung in der Sprachwifjenichaft. Das alte Gebäude war 
im Innern wenig gereinigt oder verichönert und von außen 
faum übermalet. Der große Theil des Publitums hing noch 
immer bloß an einigen Veränderungen in der Rechtichreibung 
und in Ausmufterung unnüger fremder Wörter, und glaubte 
damit an dem Ziele zu jtehen. 

Gründlihe Spracwverbefjerung und reiner Gejchmad war 
nicht3 weniger als allgemein, oder weit umher verbreitet. Die 
noch jehr wenigen Patrioten, denen das Berbeiferungswerf am 
Herzen lag, dachten an ein großes, nothwendig und allgemein 
wirfendes Mitte. Man machte Entwürfe zur Vereinigung der 
Kräfte. Eine gejellihaftlihe Verbindung zur Reinigung und 
Verbeſſerung der Mutterſprache in der Pfalz jchien das zweck— 
mäßigjte Unternehmen zu fein. 

Man machte mehrere Verſuche zu gemeinjchaftlichen Ver— 
jammlungen. Das Band der Willfür war zu ſchwach, jie zu 


378 Die kurfüritliche deutiche Geſellſchaft. 


erhalten. Unjer Vorſteher, der Herr von Stengel, entwarf den 
Plan zu einer deutſchen Gejelichaft, deren Erhaltung der 
Schuß des Landesherrn bürgte. Das Schidjal führte zu diejer 
Zeit in unjere Stadt den Dichter des Meſſias. Diejer unter- 
jtügte mit Herm Prälat Häfelin, defjen jeligen Bruder, umjerm 
ehemaligen Geichäftsverweier, und dem Profeſſor der jchönen 
Wiljenichaften den edeln Gedanken bes vortrefflihen Mannes, 
und unterhielt die Neigung des weijen Regenten für 
die deutſche Sprache und die Errihtung der deut— 
ihen Geſellſchaft in einer glüdlichen Unterredung. Unier 
verehrungsmwürdiger Vorſtand vollendete das Werk, und wir er- 
hielten im Jahre 1775 den 13. Weinmonat aus den Händen 
des erhabenen Fürſten unjern Stiftungsbrief und machten in 
demjelben Monate den Anfang unjerer Verſammlungen. 

Nach zehnjähriger Arbeit find wir im Begriffe, das erjte 
mal unter dem Namen einer Gejellichaft, einige unjerer 
Schriften der Welt mitzutheilen. Wäre dieſes unjere ganze 
Beitimmung, hätten wir den einzigen Zwed, die Werfe ge= 
(ehrter Gejellichaften zu mehren: jo würden wir mehr be» 
klagenswürdig als nüßlich jein. 

Der hohe Stifter hat ung in unjeren Geſetzen ein er- 
habeners Ziel ausgeftedt: und ich muß gleich Anfangs einem 
Vorurtheile vorbeugen, das jelbit manche unjerer Mitglieder 
zu wunderbaren Planen, Vorträgen und jelbjt Bejchuldigungen 
verleitet hat. 

Man machte ſich den irrigen Begriff, eine deutjche Gejell- 
ihaft müßte bloß aus Gliedern beftehen, die von Stande jchon 
Sprachgelehrte jein müßten, oder wenigitens das Studium der 
Sprade fi) zum Hauptgegenftande machten, und die gelehrte 
Welt mit großen Werfen bereicherten. 

Der Zwed des Stifter war, Reinigung der Sprache und 
des Gejchmades in allen Ständen des Vaterlandes unmittelbar 
und jchleunig zu verbreiten. Daher wählte er nicht nur Ge- 
lehrte vom Stande, ſondern aud Freunde der jchönen Litte— 
ratur, deren Hauptgefächer durchaus verjchteden find, und die, 
indem jie ſich in einer deutſchen Gejellichaft bildeten, noth— 


Die kurfürſtliche deutſche Geſellſchaft. 379 


wendig durch unmittelbaren Einfluß auf Andere das Gute 
wirken müßten. Dies war unſtreitig der glücklichſte Gedanke 
in dem Plane dieſer Geſellſchaft. Denn außer dem, daß keine 
Geſellſchaft mehr, als die von bloßen Kunſtgelehrten eines Ge— 
faches dem Geiſte der Schwärmerei und Schulſteifigkeit aus— 
geſetzet iſt: ſo kann ſie niemals einen ſo ausgebreiteten Nutzen 
haben, als wo Männer verſchiedener Gefächer verſammelt ſind, 
die von jenem den Gelehrten von Stande nicht ungewöhnlichen 
Eigendünkel, und der zu Zeiten bis ins Lächerliche ausarten— 
den Vorliebe ihres Gefaches frei, durch die Verſchiedenheit 
ihrer Aemter gleichſam nach allen Richtungen die Quellen der 
Aufklärung leiten können; Männer, die durch Erfahrung und 
Behandlung unzähliger Geſchäfte gebildet, in Kenntniſſen der 
Landesverfaſſung unterrichtet, Zuſchauer, Kenner und Mit— 
ſpieler der feinern Welt, weniger kunſtmäßig gelehrt, aber 
deſto einſichtiger und klüger, manchen ſchwindelnden Entwurf 
von einem in ſeiner Sphäre ſchwärmenden Gelehrten, im 
Traume oder im Taumel der Hitze erzeugt, vernichten oder 
mäßigen können; Männer endlich, die, wenn ſie von der Liebe 
des Vaterlandes begeiſtert ſind, durch die Stellen, die ſie ver— 
treten, dem Gelehrten vom Stande manchen Zutritt in ein 
neues Feld eröffnen können, daß er Fruchtbarkeit dahin bringe, 
wo ödes Land it. In diefem Geſichtspunkte wurden die ver- 
ichiedenen Mitglieder der deutjichen Gejellichaft gewählet, und 
dies jei aljo der Standort, von dem wir ausgehen, die Ge- 
ſchichte derjelben zu erforjchen. 

Sie zerfällt in zwei Buntte: 

1. Was that die deutſche Gejellichaft, ſich jelbjt zu bilden? 

2. Welche Zeichen ihrer Wirkung auf das Baterland kann 

jie aufweijen ? 

Die erjte Frage beantworten unjere Tagebücher. 

Ein Berzeihnig von mehr als dreihundert Aufjägen, Die 
über deutſche Sprache und jchöne Wilfenichaften, oder ala 
Werfe der Dichtkunft und Beredtjamfeit in unjern Verſamm— 
(ungen jind vorgelejen worden, geben einen einleuchtenden Be— 
weis des Beitrebens der deutichen Gejellichaft, ihre Beitimmung 


% 





Wolfaanga Heribert Reichsfreiberr von Dalberg 


Die kurfürftliche deutiche Geſellſchaft. 381 


zu erfüllen. Dieje Arbeiten wurden ohne Zwang, ohne Ver— 
bindlichfeit, ohne Belohnung und jelbjt ohne einige andere Er— 
munterung verfertigt, al3 die das Vergnügen der Selbitver- 
vollfommnung, das Streben nad) einem edeln Zwed, und das 
Gefühl der Ehre, fein umrühmliches Glied einer nüßlichen 
Gejellihaft zu fein, darbietet; denn ohne diejen Beruf, ohne 
Stiftung ber beutichen Gejellihaft würde von allen dieſen 
Arbeiten wenig oder nichts entitanden fein. 

Über beichäftigten fich alle Mitglieder nach einem Syiteme? 
Uebernahm ein jeder einen Theil eines großen Ganzen? Er- 
zeugten wir durch gemeinichaftliche Kräfte ein großes klaſſiſches 
Berk, welches das Aufjehen Deutichlands erregte? Die Ant- 
wort hierauf Liegt in dem Plane unjerer Stiftung, in dem 
Geiſte unferer Gejege, das Unſchickliche und Lächerliche von 
dergleichen Forderungen zeigt fich von jelbit. Muß denn zu 
einem merfwitrdigen Werke juft eine ganze Sejellichaft infte- 
matijch beichäftigt jein? Sollen Männer von ganz verjchiedenen 
Gefächern, verwidelt in vielfältigen Gejchäften, fih in den 
Zwang jeßen, an Werfen zu arbeiten, zu denen fie weder 
Hang noch Beruf haben? Soll: eine ganze Gejellichaft fich 
dem Gefache eines einzelnen Mitgliedes weihen und ein Werf 
verfaffen, das oft der Einzelne zu Stande gebracht hat? Oder 
joll der Mann ganz vom Guten abitehen, der das nicht 
wirken fann, was ein eimjeitiger Plan fordert? Freiheit ber 
Wahl ift einem Gelehrten das erwünjchteite, und jie werden 
überzeugt werden, daß in Erhaltung diejer Freiheit die Geſell— 
ichaft weit mehr durch jedes Mitglied wirkte, als fie durch 
ſyſtematiſche Verfaſſung des größten und vorzüglichiten Werkes 
wiirde gewirfet haben. 

Es iſt ein ebenfo gewöhnlicher al3 unphilojophiicher Vor- 
wurf, den man den Afademien überhaupt macht, daß die vor: 
trefflichen Werke, die aus ihrem Schooße hervorfommen, mehren: 
theils nicht Werke der Afademien, jondern ihrer einzelnen 
Glieder find; daß dieſe vor ihrer Einweihung jchon als Laien 
eben diejelben berühmten Männer waren, und oft mehr, als 
nachher leijteten, und daß man aljo nicht jehe, welche Nutzbar— 


382 Die kurfürftliche deutiche Geiellichaft. 


feit den Akademien jelbjt zuzufchreiben je. Zur Vertheidigung 
der Akademien iſt hier der Ort nicht. Ihre Vertheidigung 
liegt in ihrer Geichichte. Ich gebe Hier bloß ganz kurz eine 
Bemerkung, die Antwort auf dasjenige ift, was man von der: 
gleichen Borwürfen etwa auf unjere Gejellichaft beziehen wollte. 

Der einzelne Gelehrte, wer er immer jei, gewinnt immer 
durch geiellichaftliche Verbindungen mit Gelehrten. Je wichtiger 
die Hilfsmittel und je anziehender die Reize der Verbindung 
find: deſto vorzüglicher ijt für ihn und für den Staat fein 
gejellihaftliher Stand. 

Gemeinichaftliche Ermunterung, wechieljeitiger Beiſtand und 
Mittheibing der Kenntniffe, Gefühl übernommener Pflicht einer 
bejonderen Beitimmung, nothwendig gewordene Uebung, immer 
erneute Gelegenheiten und Zriebe zu zwedmäßigem Arbeiten, 
jelbjt Wetteifer und Begierde, einer auszeichnenden Ehre nicht 
unwerth zu jein, find fortdauernde Reize und Auffoderungen 
für jedes Glied einer Akademie. Der Mann einer gelehrten 
GSejellihaft Hat im gewiſſen Verhältniſſe eben diejelben Vor— 
theile und Borzüge, die der Menſch der Gejellichaft vor dem 
Entgegenftehenden hat... . . Was würde von den Werfen ber 
Glieder ohne gejellichaftliche Verbindung entitanden jein? Können 
wir uns eines nüslichen Einflufjes auf das Publikum rühmen: 
jo müfjen wir gejtehen, da die Stiftung dieſer Gejellichaft 
Anlaß, ihre Berfaffung Gelegenheit, Trieb und Hilfe dazu gab. 

Und um den nicht umwichtigen Einfluß der deutichen Ge— 
jelljchaft auf das pfälziſche Publikum zu beweiſen, darf ich nur, 
wie mich dünkt, den jegigen Zuftand unjerer Litteratur jener 
voriger Zeiten entgegenjeßen. 

Welche Umfehrung der Dinge in einem Heinen Zeitraume! 
Schul-Erziehungs- und Sittenjchriften, wiljenichaftliche Werke, 
Erzeugungen aus dem Felde der Dichtfunit, Beredtiamfeit und 
der jchönen Künfte, Eritiiche Bearbeitungen, jogar Werfe der 
Rechtsgelehrten und Kanzleien, Zeitungen und jelbit jedes un- 
bedeutende Blätthen — alles hat eine andere Gejtalt. 

Der Strahl des Geſchmackes drang durch die Heinjten 
Nisen, Bernachläjjigung der Spracdrichtigfeit in öffentlichen 


Die kurfürftlihe deutſche Geiellichaft. 383 


Schriften ift zur Schande, das Lejen guter Schriftfteller im 
ganzen Familien zum Tone geworden. Die Mundart reinigt 
fih auf den Lippen der Jugend und fein Alter jcheut fich, in 
die Bahn der Schüler zu treten. Faſt jede Wiſſenſchaft und 
Kunſt, faſt jedes Gefach zählt jetzt nützliche Werke, die unjer 
Vaterland hervorgebracht bat. 

Ich weiß, dab die deutſche Gejellihaft allein nicht alles 
wirkte Auch andere Umjtände hatten ihren Einfluß. Aber 
fie gab das Loſungszeichen, fie zerjtörte den allgemeinen 
Schlummer, jie ſchwang die Standarte der Aufflärung in der 
Baterlandsipradhe, fie gebar aus ihrem Schooße Werke zu 
diejem Ziele, und jandte belebenden Hauch in jeden Stand. 
Denn e3 find Glieder der deutjchen Gejellicyaft, die mit philo- 
jophiichem Geiſte in die Geheimniffe der Sprache drangen, ihre 
Schönheit zeigten, das Borurtheil befämpften, durch Beiſpiele 
reisten und ermunterten, die Schulen des Baterlandes mit 
Spradjlehrern bereicherten, und durch ihren Forſchgeiſt und 
neue Entdeckungen Deutjchlands Aufmerkſamkeit erregten. Es 
find Glieder der deutjchen Gejellichaft, die mit brennender Be— 
gierde des Guten Entwürfe zur Erziehung und zum Unterricht 
der Jugend gaben, Jünglinge edler Gaben jelbjt bildeten, zu 
nüglichen Uebungen ermunterten, durch Erzeugungen des Ge— 
ihmades leiteten und die Lehrer zum Nacheifer weckten. Es 
find Glieder unjerer Gejellihaft, die das Auge des Fürſten 
auf das deutſche Schaujpiel zogen, die Neigung des Publikums 
dahin lenkten, den Werth bdesjelben fühlbar machten, und die 
vaterländiiche Bühne mit eignen Ausarbeitungen bejchenkten. 
Es find Glieder diejer Gefellihaft, die mit dem Geijte der 
Kritif in die Tempel Melpomenens und Thaliens traten, den 
Geihmad des wahren Schönen im Lichte zeigten, den Feinden 
des Hohen und Edeln die Masfe wegriffen, das mißfannte 
Verdienſt des Schauſpielers retteten, den Dichter von Irrwegen 
riefen und auf die echte Bahn braditen. Es find Mitglieder 
unjerer Gejellichaft, welche die koſtbaren Blüthen der Litteratur 
unjeres Baterlandes jammelten und dem Untergang entzogen. 
E3 find Glieder der bdeutichen Gejellichaft, die den fait allge- 


384 Die kurfürſtliche deutſche Geſellſchaft. 


meinen Gebrauch fremder Wörter in unſerer Mutterſprache 
verfolgten und hemmten, in die Hallen der Rechtsgelehrſamkeit, 
der Weltmweisheit, der Sternfunde und ber Gotteögelehrtheit 
durch ihre Schriften Verfeinerung des Gejchmades, Reinigfeit 
und Bierlichfeit der Schreibart übertrugen, von denen bie 
Kameral-Wiffenihaften, Haus» und Landwirthichaft, die Arznei— 
und Kräuterfunde, die Natur, Welt- und Vaterlandsgeſchichte 
nicht nur Werke der Aufklärung, jondern auch Erftlinge ber 
verbeiferten Sprahe und Rechtſchreibung erhielten. Es find 
Glieder der deutichen Gejellichaft, die die Größe jener erhabenen 
Barden des Alterthums uns in vortrefflichen Ueberjegungen 
gaben ... .*) die einige der vorzüglichjten Dichter der Aus— 
länder zuerjt in beutjcher Sprache dem Baterlande lieferten 
oder alte Ueberjegungen durch neue Umarbeitungen zur ers 
habeneren Stufe brachten, und zugleich das Mittel erfanden, 
fie allgemein zu verbreiten, und in allen Provinzen Deutjch- 
landes bis in den geringjten Häuſern nüslihe Biücherjamm- 
lungen zu ftiften. Es find endlich Glieder der deutichen Ge- 
jellichaft, die, nicht zufrieden, alle Fähigkeiten ihrer Seele und 
alle Stunden ihrer Muße dem Baterlande zu widmen, von 
einem großen Gedanken angefeuert, durch öffentliche Preisaus— 
jegungen die Gelehrten jedes Landes aufriefen, Werfe zur Ver- 
edlung des Gejchmades, zur Erweiterung und Erhöhung der 
Wiſſenſchaften, und zur Ehre der Menjchheit zu bearbeiten. 

Dies ijt fein Gemälde meiner Einbildungskraft; es find 
Thatiachen, die befannt find, und die den Ruhm einzelner 
Glieder unjerer Gejellichaft ausmachen. 


Gleich in dem eriten Jahre der deutſchen Gefellichaft trat 
Herr Hemmer mit einer deutjchen Spracdjlehre auf, von der ich 
nicht zuviel jage, wenn ich behaupte, daß das Verdienſt, jo fie 
über alle vorhergehende deutjche Sprachlehren hat, noch feine 


*) Von diefen und anderen, mit Kupfern von Verhelſt verjehenen 
Mannheimer Ausgaben befigt die Deffentliche Bibliothef: Livius 1779/80 
12 Bde, Salluftius 1779, Gato 1781, Cicero 1783/87 20 Bde, Horatius 
1779, Juvenalis 1781, Lucanıs 1779, Martialis 1782, Palladius 1781, 
Statius 1782, Zuftinus 1790, Suetonius 1787, Tacitus 1780/81, 5 Bde. 


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Dlan Mannheims aus der 










— — — — — 
FR, AG wärds Port DrPuswhrree Platz der 
BYE und GrdPert Ste vnd Cafel: foind 
—F * Hood — "uch —— 
D ARcıka Port. Di fohwarte fhatertr 
E _Nodder Port aber feinid gebawtge. 





a1 
wo J— re — 
—— 17 / 





ı Hälfte des 17. Jahrhunderts. 





Vberbürgermeifter Bed. 


Nach den Pajtellgemälde von Ernft Noether in der?Städtifchen 
Bemälde-Sammlung. 


Die kurfürſtliche deutſche Geſellſchaft. 385 


nachfolgende auslöſchte. Seine verſchiedenen Abhandlungen 
über die Rechtſchreibung bleiben nur darum ohne Wirkung, 
weil die Sonderheitlichkeit derſelben die Einführung äußerſt 
beſchwerlich und faſt unmöglich macht. Dieſe ſogenannte philo— 
ſophiſche Rechtſchreibung, ſo wenig ſie auch Beifall erhielt, 
verbreitete immer neues Licht über unſere Sprache. Herr 
Hemmer iſt der erſte Urheber derſelben. . . . Sie hatte für 
Deutſchland keine ſo ſchlimmen Folgen, als zufälliger Weiſe 
für unſere Geſellſchaft. Wir entſchloſſen uns nicht, ihre Ver— 
theidiger zu ſein, und der unermüdete Gelehrte entzog ſich 
unſerer Geſellſchaft. Während wir ſeinen Verluſt bedauern, 
befördern ſeine ehemals herausgegebenen Schriften unſern Zweck. 
Der Kern ſeiner Sprachkunſt iſt das Lehrbuch in den pfälziſchen 
Schulen. 

Die Werke des Herrn Mieg und Günther im Gefache der 
Sprache haben das gleiche Maaß des Ruhms und der Nutz— 
barkeit. Ich berühre die vielen kleinen Schriften nicht, womit 
das Reich der Sprache faſt von jedem unſrer Mitglieder durch 
Journale bereichert wurde. Das große Wörterbuch des Herrn 
Schwan, zu deſſen Verfaſſung die deutſche Geſellſchaft Ver— 
anlaſſung gab, eines der nützlichſten Werke beſonders für Aus— 
länder, die unſre Sprache lernen wollen, wäre allein hinreichend, 
die Ehre einer deutſchen Geſellſchaft zu gründen. Die deutſche 
Geſellſchaft reizte verdienſtvolle auswärtige Gelehrte, die ganze 
Geſchichte unſerer Sprache zu bearbeiten. Die Werke, die wir 
krönten, müſſen der deutſchen Nation ihres Inhalts und ihrer 
Ausarbeitung wegen merkwürdig ſein. 

Auch in den erſten Jahren der Geſellſchaft verfertigte ein 
Mitglied derſelben, der Profeſſor Klein das erſte deutſche 
heroiſche Nationalfingipiel,*) das wegen der Epoche, die es 
machte, merkwürdig iſt. Die Italieniſche Singbühne wurde 
von nun an den deutſchen Muſen gewidmet, und Wieland 
ward aufgerufen, das zweite zu verfaſſen. Karl Theodor, 
der Freund und Kenner der Künſte, erklärte ſich vollkommen 


*) „Günther von Schwarzburg“. 


Deier, Geſchichte der Stadt Mannheim. 25 


386 Die kurfürſtliche deutſche Geſellſchaft. 


für das deutſche Schauſpiel, errichtete demſelben eine eigne 
Bühne und ſtiftete das Nationalſchauſpiel. 

Die dramaturgiſchen Werke der Herren von Stengel, von 
Gemmingen und des Profeſſors der ſchönen Wiſſenſchaften 
haben ſich zum Theile faſt vor allen andern in Deutſchland 
ausgezeichnet ..... Der Sturm von Boxberg, und der Fuß 
von Stromberg, eine neue Gattung von Schaujpielen, zierten 
unſere Schaubühne; und ihr Berfafjer, Herr Mayer,*) machte 
durch jeinen fritijchen Geiſt auf einer noch nicht betretenen 
Bahn Epoche. Derfelbe brachte reine Sprade, richtigen Aus» 
drud, und guten Geſchmack bis in die Gerichtshöfe, wo man 
feinen Verluſt feines edlen Herzens, jeines geraden Denkens, 
jeiner außerordentlichen Kenntniffe, und jeines philojophiichen 
Veritandes wegen eben jo jehr bedauert, als in unjerer Ge— 
jellichaft. 

Unfer Obervorjteher, Freiherr von Dalberg, begnügte ſich 
nicht, jelbjt für die Schaubühne zu arbeiten, er reizte die 
Schauspieler über ihr Gefach zu jchreiben, und gab die Ver— 
anlaffung, daß fie ſich zu Gelehrten bildeten, welches fait 
durchaus in Deutſchland den Schaujpielern mangelt. 

Die mediciniichen Werke in deuticher Sprache von Herrn 
May, die aftronomifchen des feeligen Mayers, die moralijchen 
von Herrn Mieg und Staibel, die ökonomiſchen und mathe- 
matiſchen von Herrn Kling, die botanischen von Herren Mebicus, 
find lauter Erjcheinungen neuer Art, die ihren wichtigen Einfluß 
haben mußten. 

Das Inftitut der Herausgabe der Werke der ausländiichen 
ſchönen Geiſter it das Werk eines einzigen Mitgliedes unjerer 
Sejellichaft. Nicht mur die ausgejehten Preiſe auf die vortreff- 
lichſten Ueberjegungen und die eigenen Ausarbeitungen des 
Herausgebers**) fünnen hier bemerkt werden, jondern der mächtige 
SER Pe Inſtituts auf die Aufklärung des Publikums. 


*) Sofgerichtärati Mayer ſuchte ähnliche Aufführimgen, wie die heute 
üblichen nationalen Feitipiele zu begründen. 
**) Der Herausgeber war Klein jelbit. 


Die kurfürftlihe deutihe Geſellſchaft. 387 


Dasfelbe lieferte in jieben Jahren 68 Bände, und 
beinahe eine Auflage von 300000 Eremplaren, Die 
größtentheils durch ganz Deutichland verbreitet find. Die Ge— 
ihichte der Ordensftände von Herrn Schwan iſt ein nützliches, 
auch außer Deutjchland mit Beifall aufgenommenes Werf. 

Das Werk der Leben und Bildniffe der großen Deutichen*) 
zeichnet Sich nicht allein durch Pracht und wohlgearbeitete 
Biographien aus: es iſt jeines Planes wegen, da alle edeln 
Züge unjerer Geſchichte in Kupferjtihen von großen Meijtern 
dargeitellt, die beiten Schriftiteller der Nation zu Gehülfen 
aufgerufen, und den vorzüglichiten Arbeiten Preiſe ausgeſetzt 
werden, vielleicht das einzige Werf jeiner Art. 

Drei pertodiiche Werke, von Mitgliedern der Gefjellichaft 
herausgegeben, haben ihr emtichiedenes Verdienſt fürs Vater: 
land. Die Schreibtafel von Herrn Schwan, die Rheiniſchen 
und Pfalzbairiſchen Beiträge zur Gelehriamfeit, und das 
Pfälziiche Mujeum Dies bejorgt der Profeſſor der jchönen 
Wiſſenſchaften; zur Entjtehung jener gab derjelbe und Leſſings 
Unterftügung den Anlaß; deren Inhalt und fünfjährige Fort— 
jegung iſt dem Verdienſte der deutſchen Gejellichaft zuzu« 
jchreiben. 

Eine der nützlichſten Wirkungen ift die Verbefferung der 
Sprache unter dem Landvolke. Sobald gute Spracdhlehrer in 
den Gymnaſien eingeführt wurden, jo war dieſe Folge noth« 
wendig. Die jungen Landgeiftlichen, in denjelben gebildet, ver- 
breiteten ihre Grundjäge in den Dorfichulen. 

Noch wichtiger ijt die durch ebendiejelbe jchon ziemlich 
bewirkte glückliche Veränderung des Vortrages auf den Kirchen: 
fanzeln, wo die Barbarei der Sprache ihre Triumphe feierte. 

Der verbeijerte Zandfalender mußte nicht nur durch Ver— 
bannung tiefgewurzelter Vorurtheile, duch Aufklärung der 
Begriffe von der Natur, und Verbreitung neuer Beobachtungen 
und guter Kenntniſſe, jondern auch wegen gereinigter Sprache 
jeine unfehlbare Nugbarfeit für den Landmann erreichen. 


*) (Fbenfalls von Klein herausgegeben. 


235* 


388 Die kurfürſtliche deutiche Geſellſchaft. 


Die deutihe Gejellichaft, indem fie beichäftiget ift, nütz— 
liche Werke hervorzubringen, hat ſtets ein beobachtendes Auge 
auf alle anderen Erzeugungen des Geiltes im Vaterlande, 
Tritt ein Mann von ausgezeichneten Gaben öffent- 
(ih auf: jo öffnet fie ihm ihren Schooß zur Er- 
munterung und wählet ihn zum Gehülfen in den 
Beihäftigungen für die Mufflärung So berief 
jie die Herren Scdiller, Jung, Günther und andere, 
deren Ruhm ſich duch ihre Werke verbreitet hatte. Ihren 
Zwed mit verjtärkteren Kräften zu erreichen, jucht fie fich mit 
den beiten Kräften Deutſchlands zu verbinden, und fie zählt 
wirflih jchon mehrere der vornehmjten Schriftiteller unferer 
Nation unter ihre Mitglieder. 

Dies find ungefähr die Hauptzüge der Beitrebungen ber 
deutjchen Gejellichaft und ihrer nütlichen Folgen. Bon welchem 
Werthe ie fein mögen: jo iſt gewiß, daß wir von der höchiten 
Stufe unjeres Bieles noch in Entfernung ftehen. 

Wenigitens habe ich mir einen jehr hohen Begriff von 
dem gemacht, was eine deutiche Gejellihaft nad) und nach be- 
wirfen fünnte. Die Schilderung dejjen liegt außer den Grenzen 
zu meiner jegigen Abjicht. 

Aber es bemächtigt jich meiner Seele ein heiterer Gedanke. 
Eine Ausficht der Wonne; die glüdlichen Zeiten enthüllen fich 
meinem Blicke, wo die deutiche Gejellichaft, und jedes denfende 
Glied des Staates von dem Geiſte des Waterlandes durch— 
drumgen, durch vereinigte mächtige Thatkraft einjt eine all» 
gemeine Umfehrung der Dinge wirfet. Ueberlaffen Ste mid) 
einen Augenblick dieſer ſüßen Täufchung Es iſt ein Traumt, 
aber jo reizend, daß ich ihm oft wachend nachhänge .. 

Unjere Vaterjtadt iſt zum Sitze der Künjte und Wiſſen— 
ihaften geworden. Die vortreiflihen Stiftungen haben ihren 
Zweck erreicht. Die vielen Denkmäler der Kunſt werden all 
gemein benugt. Die herrlichen Säle, wo die Wijjenichaften 
und Künfte ihre großen Geheimniffe bewahren, ihre Selten- 
heiten und Wunder zur Pracht und zum Vergnügen aufgeftellt 
haben, jind eröffnet und mit Lernenden erfüllt. 


Die Eurfürftliche deutiche Geiellichaft. 389 


Die Vorfteher derjelben haben fich die Pflicht aufgelegt, 
ihre Kenntnijfe gemeinnügig zu machen. 

Man tritt täglich aus einem Heiligthum der Mujen ins 
andere, empfängt Unterricht, und fieht Kunft und Natur in 
ihrem ganzen Umfange und Zujammenhange Eine glüdliche 
Bereinigung aller Glieder hat ein Ganzes zu Stande gebradit, 
welches da3 Wufjehen des Auslandes erregt. Die Fremden 
eilen herbei — Mannheim wird als der vorzüglichite Ort be= 
trachtet, wo alles, was zur edlern Erziehung, zur Aufklärung 
gefordert wird, in einem Mittelpunfte verjammelt ijt. Die 
Menjchen jeder Klaſſe find zu höherem Gefühle, reineren Kennt— 
niffen und hellerem Denfen erhoben. 

Dies ift das Bild einer glüdlihen Zukunft, ein Traum, 
deſſen Wirklichkeit ich Hoffen darf, wenn der Geiſt unjerer 
gejellichaftlichen Gejege der Geijt des Vaterlandes wird. 

Ihr, denen die weijen Abfichten des beiten Negenten be— 
fannt find, ihr, denen Macht gegeben tft, fie auszuführen, ihr 
alle, edlere, wiürdigere Menfchen, denen das Wohl der Menich- 
heit am Herzen liegt, die die Aufforderung: Laßt uns etwas 
gutes unternehmen — begeijtert, höret die Stimme de3 Vater— 
landes, die Stimme des Ruhms und der Nachwelt: reichet euch 
die Hände; laſſet aus dem ſtückweiſen, aus dem Unzuſammen— 
hängenden ein Ganzes werden; und es wird fein Zweck uner- 
reicht bfeiben. 

Geiſt der Aufklärung! laß jeden die Wichtigkeit der Ver— 
breitung empfinden! Geiſt der Thätigfeit! bejeele todte Kräfte 
zum Leben und zur Wirkjamfeit. Geiſt der Uneigennügigfeit, 
der Ermunterung, der ‘Freiheit und Vereinigung! erfülle vor— 
züglich die Glieder unjerer Gejellihaft, dab fie Werfe des 
Ruhmes und der Unjterblichkeit für das Wohl des Vaterlandes 
und der Menjchheit auf's Neue unternehmen.“ — 

Diejer Bortrag Kleins iſt im Ganzen genommen mit 
echter Begeijterung verfaßt, wenn auch mancherlei Ruhmredig« 
feit mitunterläuft. 

Bor Allen dürfte eine Betrachtung des Verhältniſſes 


390 Die kurfürftliche deutiche Geſellſchaſt. 


Schillers zur deutichen Gefellihaft und zu Anton von Klein 
von Intereſſe jein. 

Klein gehört entichieden zu den wenigen Befannten 
Schillers, die frühzeitig etwas von deſſen Genie erfaßten, ob— 
zwar er die „Räuber“ recht abfällig kritiſirte. Klein meinte 
Schiller durch feine eigenen Schriften beeinfluffen zu können 
und es ijt nicht mehr zu überjehen, daß Schiller thatjächlich bei 
jeinem Uebergang von der Proſa feiner eriten Dramen zu den 
Berjen des Don Earlos*) etwas von Kleins äfthetiihen Aus» 
führungen angenommen hat. 

Klein nahm troß feiner Begeiſterung für alles Deutich- 
thum al3 Kritiker Leſſing gegenüber, mit dem er fih aud 
perjönlich überworfen hatte, eine feindliche Stellung ein. Er 
vertheidigte die Negelmäßigfeit des franzöfiichen Dramas und 
bejonders Gorneille gegen die Angriffe Leſſings. Schiller jtrebte 
jelbjt nach regelmäßigerer Behandlung des Dramas, jodaß er 
ih der Betrachtungen Klein nicht entziehen konnte. 

Im Januar des Jahres 1784 wurde Schiller in Die 
deutjche Gejellichaft eingeführt, ob durch Kleins oder Dalbergs 
Vermittelung mag dahingejtellt bleiben, jedenfalls mußte die 
Anzeige der Aufnahme Klein ala Gejchäftsverweier der Gejells 
ihaft bewirken und er erntete jomit auch den Dank Schillers, 
der an ihn folgendes jchrieb: 

„Sehr angenehm war mir die Nachricht von meiner Auf— 
nahme in die furfürjtliche Gejellichaft, welche ein jchöner Be— 
weis Ihrer thätigen Freundſchaft für mich ift, und es wäre 
meine erite Pflicht gewejen, Ihnen perjönlich deßwegen zu 
danfen — doch verzeihen Sie es einer gewijen franfen Er— 
ihöpfung, welche mir die bisherigen vielen Proben meines 
Fiesko zugezogen haben, und einer Ueberhäuffung von den un= 
angenehmften Gejchäften, die durch meine bisherige Zerftreuung 


*) Die erite Auflage erihien befanntlih unter dem Titel „Dom 
Karlos, Infant von Spanien“ bei Göſchen in Leipzig 1787, geziert mit 
einem Kupfer (weiblichen Stopf) von dem Mannheimer Supferftecher Egidius 
Verhelit. Gin Gremplar dieſer eriten Ausgabe befigt die Deffentliche 
Bibliothek zu Mannheim. 


Die furfüritlihe deutiche Geſellſchaft. 391 


liegen geblieben find. Solten Sie nur noch heute in Manns 
heim verweilen, jo habe ich vielleicht doc noch die Freude Sie 
zu ſehen. — Wie Ihnen der Fiesko gefallen hat, wäre id) 
jehr zu wiſſen begierig. Sie kommen doc bald wieder zurüd 
— und erlauben mir Ihnen nad) München zu jchreiben? Ihr 
ganz ergebenfter Schiller.“ 

As man Schiller zur Aufnahme des mebicinischen Be- 
rufes befehren wollte, war Klein entjchieden gegen dieſe Be— 
fehrungsverjuche. 

In die deutſche Gejellichaft eingetreten, machte Schiller 
gar bald Vorjchläge, eine Verbindung der Nationalbühne mit 
der deutjchen Geſellſchaft durch einen Secretär herzuitellen, für 
welchen Poſten er fich jelbjt empfahl. Sechs Mitglieder der 
Gejellichaft jollten die eingereichten Stüde und die ftattgehabten 
Aufführungen einer Prüfung unterziehen.*) 

Klein, der dadurd als Gejchäftsverweier eine Bejchrän- 
fung jeiner Thätigfeit fürdhtete, Hintertrieb jedoch die Aus» 

*) Schiller jchreibt hierüber.in feinem Brief vom 7. Zuni 1784 an 
den Freiherrn von Dalberg: „Meiner Meinung nad müßte vorzüglich und 
ausdrüdlic dahin entichievden werden, daß aus der Geſellſchaft ein engerer 
Ausſchuß von allenfalls 6 der Sache Fundigen Mitgliedern zur Beurtheilung 
der Stüde und ihrer Vorftellung auf der Bühne, errichtet wiirde — welcher 
pflichtmäßig gehalten wäre, fchriftlich feine Meinung zu fagen. In dieſem 
Ausſchuß müßten Eur. Erzellenz nothwendig Selbit, und auch id) jeyn, 
weil fih doch natürlich vermuthen läßt, daß ſonſt fchiefe und unſerm 
Theater intonveniente Stritifen die gute Sache überwägen könnten. — Schwan, 
Keibel, Profeſſor Günther, Neichert, Klein und Sambuga glaube ich, würden 
dann dem Face am meiften gewachſen jeyn, und es auch mit dem 
gröſeſten Eifer betreiben. Doc werden Eur. Erzellenz der Gejellichaft wahr: 
ſcheinlich darinn nachgeben, daß ein jeder die Freiheit Hat über alle 
Geſichtspunkte eines Stüfs und feines Spiels zu enticheiden — nicht aber 
die zerichtedenen Punkte getrennt, und einem einzeln anvertraut würden. 
Menn dies zu Stande kommt, jo würde ich Eur. Erzellenz dann erfuchen, 
nich, gleihlam als wechfeljeitigen Sefretair, die Schlüffe der D. 
Gejellihaft dem Theaterausihuß, und die Antworten oder Anfragen 
bes leßtern der Geiellichaft referiren zu laffen. Auf dieje Art würden beide 
Gollegien durch mich in Zufammenhang gebracht, und auf eine folenne Art 
mit einander verbunden.“ 


392 Die kurfürftliche deutſche Gejellichaft. 


führung dieſer Vorſchläge. Dagegen Hatte Klein dem jungen 
Dichter einen Vorſchuß von 132 fl. bei der deutjchen Gejell- 
ſchaft erwirft. 


Am 26. Juni 1784 hielt Friedrih Schiller in dem Bor- 
tragsjaale der deutjchen Gejellichaft in der Bibliothek des fur- 
fürftlichen Schlofjes eine Vorlefung über das Thema: „Was 
fann eine gute, jtehende Schaubühne eigentlich wirken?“ Es 
ift Dies die Abhandlung, die unter dem Titel „Die Schaubühne 
als eine moraliſche Anjtalt betrachtet“ in Schillers Werfen zu 
finden ift, 

Schillerd Beziehungen zu Klein hörten im Laufe der Zeit 
völlig auf, wenn auch Klein fich feines freundichaftlichen Ver— 
hältnifjes zu dem Dichter noch lange rühmte und diejer Freund— 
ſchaft nach dem Tode Schillers mit einer Dde gedachte. 

„Mag fih Klein“ — jo urtheilt Karl Krüfl in feinem 
kritisch jcharfen, jehr lebendig und zugleich fünftleriich fein ge- 
ftalteten Buche über dieſen „Profeſſor der ſchönen Wiſſen— 
ſchaften“ — „auch bei der Bewerthung feiner Freundſchaft für 
Schiller einer eitlen Uebertreibung. jchuldig gemacht haben, das 
eine Verdienſt bleibt ihm jedenfalls, daß er dem jungen 
Schiller von Anfang an jeine Aufmerkſamkeit geichenft und 
denjelben, jofern deſſen Pläne nicht feinem eigenen Interejie 
entgegenliefen, mit Rath und That unterjtügt Hat.“ 

Weit weniger erquiclich geftaltete fich Kleins Berhältnif 
zu Wilhelm Heinfe, dem Dichter, deffen Bedeutung für die 
deutiche Litteratur man Heute immer mehr erfennt. 

Dennoch verdanfen wir Klein die Herausgabe von Heinjes 
Ueberjegung des „Befreiten Jeruſalems“ von Torquato Taffo. 
Dieje Ueberjegung hat trog ihrer Abfaſſung in Proja glänzende 
ſprachliche Schönheiten und zeigte damals die deutſche Sprade 
in reicher Entfaltung. Sie erſchien im Jahre 1781 im Ber- 
(age der Herausgeber der ausländijchen jchönen Geijter, den 
Klein unter Verbindung mit der deutſchen Gejellichaft ins 
Leben rief. Das in vier Bänden erjchienene Werk, dem der 
italienifhe Tert zur Seite gejtellt wurde, jhmücdte der Mann— 


Die kurfürftliche deutiche Geſellſchaft. 393 


heimer Kupferftecher Verhelit mit einem Bildniß des Dichters 
und mit vier Titelvignetten.*) 


Leider fnüpften ih an die Herausgabe diefer Ueberjegung 
recht üble Auseinanderjegungen zwiichen Klein und Heinfe. 

Als Heinje im Juli 1780 auf drei Tage (10., 11. und 
12. Juli) Mannheim bejuchte, gewann er fein innigeres Ver— 
hältniß zu dieſer Stadt. Wohl jchrieb er am 14. Juli an 
Jacobi: „Mannheim ijt mit feinem prächtigen Schlofje wirklich 
eine jchöne Stadt,“ doch Hat er viel auszuftellen und, über- 
wältigt von dem Naturzauber Heidelbergs, verliert er den 
rehten Maßſtab für die Beurtheilung einer nur durch menſch— 
liche Kunſt jtilvoll gejtalteten Stadt der Ebene. 

Das ganze Urtheil macht den Eindrud großer Flüchtigkeit. 

Heinfe jcheint fih in Mannheim mit Klein eher zerworfen 

*) Auf Heinſes Tafforlleberjegung kommt Joh. Schober in feiner 
Heinje-Biographie (Leipzig 1882) in folgender Weife zu fprechen: „Hier (in 
Venedig) weilte er acht Monate! Was die Lagumenitadt für Wiſſenſchaft 
und Kunſt bot, das hat er fleißig aufgefucht, genoffen und — gewerthet. 
Zunächſt vollendete er daſelbſt jeine Taſſo-Ueberſetzung, die er für 80 
Louisdor Profeſſor Klein vertragsmäßig liefern mußte, der fie als die beite 
Ueberjegung bezeichnete unter der Menge von Berfuchen, die ihm ein 
geichickt worden find. Es ijt dem ftürmifchen Geift in feiner neuen Lime 
gebung dies feine leichte Arbeit geiveien, fo daß er am Schluſſe derjelben 
ausrief: „O Taſſo, Taflo, dein befreites Jerufalem hat mir viel zu fchaffen 
gemacht! Beihnahe wäre ich, wie du, darüber zum Narren geworden!“ — 
Leicht läßt fich heute Die Ueberſetzung des Taflo in Proſa tadeln; aber 
vor 100 Jahren lag die Sache noch anders. Unſere Sprade mußte zur 
Miedergabe des Italienischen noch Fortichritte machen und die Verfifilation 
noch leichter werden. Wieland, der größte Verskünſtler feiner Zeit, nennt 
die Tafioslleberjegung einen Ulyſſes-Bogen, den ſchon mancher vergebens 
zu jpannen verſuchte, und verlangt zur Weberjegung des befreiten Jeru— 
jalem3 in ottave rime nichts weniger, als — einen Taifo ſelbſt. Heinſe 
wäre wohl dazu befähigt geweſen, hätte er mehr Ausdauer bejeifen und 
nicht um Geld arbeiten müſſen. Immerhin aber ijt jeine Ueberſetzung ein 
großer Gewinn für die deutihe Literatur gewweien. Gr felbit wurde durd) 
das Beiipiel des Stalienerd in der Kunſt zu ſchildern bedeutend gefördert 
und hat das allgemeine Intereffe für Taffo geiteigert. (In der Ausgabe 
von 1781 Mannheim S. 53 iſt die 25. Stange nicht vollitändig überlegt 
und S. 137 Stanze 9 muß für „Ichwanger“ „ſchwärzer“ ſtehen.)“ 


394 Die kurfürftliche deutſche Geſellſchaft. 


als befreundet zu haben. Klein ließ bei der Herausgabe des 
befreiten Ierujalem3 den Namen des Ueberjegers weg und 
machte der Honorarzahlung Schwierigkeiten, weil die Ueber- 
jegung eine ungünftige Beurtheilung erfahren habe. 

Heinje aber machte der Sache durch eine durchaus be— 
rechtigte und treffende Antwort (14. September 1782) ein 
Ende, in der es am Schluſſe Heißt: 

„Wenn Sie und Ihre Gejellihaft Männer jeyn wollten, 
jo mußten Sie Ihren Ausspruch fort behaupten, ohne ſich an 
ein Dußend Syibenjtechereyen das geringfte zu fehren; jo haben 
es bis jetzt alle würdigen Gejellichaften gemacht, die wegen 
ihrer ausgeftellten Preije jind angefochten worden. Alles das 
Geſchwätz hab ich vorausgejehen, aber fie jollen mir nur einen 
jechszehnten Gejang, eine Klorinde, eine Erminia, einen Soli— 
man oder Tanfred anders und beſſer aufjtellen! Ich Habe Feine 
dreyßig Jahre an einem befr. Jer. arbeiten wollen, weil ich es 
jolcher Mühe nicht für werth Hielte; die wenigen Wörter aber, 
die etwa faljch überjegt jeyn mögen, kann jeder Dummfopf be= 
richtigen. Was mir leid that, war der Groll von leuten, die 
ih hoch jchäge, die die Sache aus dem ungehörigen Geſichts— 
punkt anjehen und von Einjfendungen und Preis von allen ein- 
geſchickten Ueberjegungen und dergl. hörten. Zu Sorrent, dem 
Geburtsort des Tafjo, wohin ic) von Neapel aus gereijt bin, 
hab ich einen Brief itber den Taſſo und Arioſt geichrieben, und 
meine wahren Gedanken über beyde Dichter gejagt, was ich 
vor den Ueberſetzungen nicht für dienlich erachtete, und zugleich 
einige Nachichriften über die legteren beygefügt; und diejen will 
ih nädjtens in ein Journal einrüden laffen. — Ich thue 
Ihnen nocd einen Vorſchlag, um der Gejchichte ein Ende zu 
machen; Sie bezahlen mir den Reft die Hälfte in Büchern aus 
Ihrem Berlag, und die Hälfte in baarem Gelde ...... 5 

Damit war die Sache aus der Welt gejchafft. Außer 
diejer Ueberjegung erjchtenen in damaliger Zeit in Mannheim 
u. A. noch Ueberſetzungen von Werken Lucians, Oſſians, Mil- 
tond, Drydens, Rowes, Popes, Fieldings, Youngs, Sternes, 
Richardions u. A. Wegen der von Klein herausgegebenen 


Die kurfürſtliche deutſche Geiellichaft. 395 


Ueberjegung der Werke Shafeipeares (zum Theil in Franfen- 
thal bei Friedrich Gegel gedrudt), die unter Leitung des Pro- 
feſſors Gabriel Edert erichien, entipann fich ein heftiger Streit 
mit den Verlegern der Eſchenburg'ſchen Ausgabe Orell, Geßner 
und Fueßly in Zürich, die die Klein'ſche Ausgabe nicht ohne 
Berechtigung für einen Nachdrud der ihrigen erflärten.*) 


Um ſich zit revandiren, drudte diejelbe Firma Kleins 
Tajfo-Ausgabe im Jahre 1782 nad) und erwirfte ein Privi- 
fegium, nad) dem nur ihre nachgedrudte Ausgabe auf der 
Leipziger Meſſe verkauft werben durfte. 


Don der großen Berbreitung der von den Herausgebern 

der ausländiichen jchönen Geifter veröffentlichten Ueberjegungen 
berichteten bier jchon die Klein'ſchen Ausführungen. 
*) Klein veriheidigt den Profeſſor Edert in der Einleitung feiner 
beutichen Ausgabe des Lucian (Mannheim 1783, 8 Bde.) u. 9. in folgen: 
der Weife: „Herr Profefior Edert, dem Deutichland vorzüglich die ver— 
beſſerte Ueberjegung Shakeipeares zu verdanken hat, und deſſen Ehre noch 
mehr als die meinige angegriffen ward, nahm jich nun jelbit der Sadıe 
an, und jegte die Ungerechtigkeit der Herren Orell, Geßner und Fueßly in 
ein folches Licht, daß fie jedem ins Auge fallen mußte. Er machte einen 
Auszug von wenigftens 800 Stellen aus dem Werke, fegte bei jeder Stelle 
da3 engliſche Original oben an, fügte Die Zürcher und feine Ueberſetzung 
bei, zeigte den wichtigen Unterfchied, und rief alle Stenner und jeden, ber 
nur gefunden Berftand Hatte, zur Beurtheilung auf. (Siehe: Gabriel 
Edert an das gelehrte Publitum wegen der Mannheimer Herausgabe der 
Werke Shafipeard. Mannheim 1780.) .... Herr Profeſſor Edert, der 
viele Jahre in Engelland zugebradjt hatte, die Schaujpiele Shakipears oft 
aufführen jah und Kenntniß der engliichen Gejege, Gebräuche ꝛc. fid von 
Jugend auf erwarb, konnte freilich Über taufend Stellen Licht verbreiten, 
to ein anderer, der mit dem Wörterbuch in der Hand die engliiche Sprad) 
erlernte, oft nothwendig ſich verirren mufte. Seine Verbefjerungen find 
auch von jedem, der fie prüfen konnte, und redliches Zeugniß geben wollte, 
al Meiiterarbeit anerkannt worden. Ich will bier von den vielen Zeugs 
niffen, die wir erhielten, nur ein einziges Schreiben anführen, weil es 
nicht im Druck erichienen iſt. Es ift von dem berühmten Freyheren von 
Harold, kuhrpfälziſchen Oberitlieutnant (dem Ueberſetzer der „Gedichte 
Oſſians, Mannheim 1782), der als engliiher und beutfcher Schriftiteller 
befannt it, deſſen Ginficht und Kenntniß der Sache und edler Character 
jo bewährt ift, da wir auf fein Lob jtolz fein fönnen . . . .* 


396 Die kurfürftliche deutiche Geſellſchaft. 


Ein großes Litteraturleben wurde durch dieſe billig aus— 
gegebenen Bände (dev Band für 24 Kreuzer, das Bildniß eines 
Dichters als Kupfer 16 Kreuzer) eingeleitet und in Deutſch— 
land gefördert. Für das Auftreten Schillers war jpeziell in 
Mannheim, dem Ausgangspunkt diejer Litteraturpflege, ein gut 
vorbereiteter Boden geichaffen. 

Klein rühmt fich jeiner Verdienite um dieſen Aufihwung 
der Litteratur nicht mit Unreht. Er bat große Regjamfeit 
entfaltet. Sein Charakter iſt ein merfwürdiges Gemiſch von 
Begeijterungsfähigfeit und kluger Berechnung. Im die legten 
Tiefen litterarifcher Erfenntniffe drang er niemal® — Höchſtes 
jchließt jede niedere Berechnung aus, allein nad) Kräften Hat 
er doch viel geleiftet und einen großen Einfluß im Ganzen ge- 
nommen nicht zum Schaden gebraudt. 

Am Längften genoß er die Freundſchaft Schubart?, dem 
er manche Idee für feine litterariihen Unternehmungen verdanfte, 

Schubart feierte Klein in einem Briefe vom 3. Oftober 
1775 u. A. mit folgenden Berjen: 

Und die Wellen von dem alten Rhein 
Schlagen Beifall braufend drein, 

Wann der Lehrer Stlein 

Deutiche fleht — „fie follen Deutiche ſeyn.“ 

Bon des aljo Gefeierten erfolgreichen Lebenslauf ſei fol- 
gendes erzählt: 

Am 12, Juni 1746 erblidte Franz Anton Klein in Mols— 
heim im Elſaß als Sohn eines wohlhabenden Bädermeijters, 
Franz Nicolaus Klein, das Licht der Welt. 

In Molsheim, dem Stammort derjelben Univerfität, die 
1702 nad Straßburg verlegt worden war, hatte ſich mit dem 
Iefuitencollegium noch ein Nachklang des einjtigen großen 
wiſſenſchaftlichen Lebens erhalten. 

In dieſem Jejuitencollegium genoß der aufgewedte Knabe 
jeinen wiljenjchaftlihen Unterriht, der bier von deutſchen 
Lehrern ertheilt wurde, ſodaß Klein ſchon frühzeitig die deutjche 
Sprache und deutjchen Unterricht ſchätzen lernte. Außergewöhn— 


Die kurfürſtliche deutiche Geſellſchaft. 397 


(ih früh, im Jahre 1764, alſo jchon im Alter von 18 Jahren 
wurde er Noviziat. 

Nachdem 1765 das Jejuitencollegium in Molsheim aufge- 
hoben worden war, treffen wir Klein im Jahre 1768 als 
Lehrer im Jejuitencollegium zu Mannheim. 

Nah jeiner Einführung des deutichen Sprachunterrichts 
und nad) einem Conflikt mit Hemmer, der mit feiner „Abhand- 
lung über die deutjche Sprache zum Nuten der Pfalz“ (1769) 
jelbjtjtändig für die deutiche Sache neben Klein wirkte, wurde 
diejer 1772 aus der Pfalz verjegt. 

Nach Aufhebung des Jejuitenordens kehrte Klein 1773 ala 
ein „freier Mann“ nah) Mannheim zurüd. 

Hier fand er ein großes Feld für feine Bethätigung auf 
dem Gebiete der Litteratur und Aeſthetik vor. 

Er gewann fich die Gunft des Kurfürften, der eigens für 
ihn 1774 die „Profeſſur der jchönen Wiſſenſchaften“ errichtete. 
Klein Hatte hier die feinem Entwurf entſprechenden Vorlefungen 
unentgeltlich zu halten. 

Zu den Schülern Kleins gehörten Söhne aus erjten 
Familien. Bor nur 8 Schülern begann er feine Vorlefungen, 
die jedoch bald gejuchter wurden. 

Die Arbeiten feiner Schüler gab er in der „Sammlung 
zur Aufmunterung de3 guten Geihmads in der Pfalz“ 1776 
heraus. 

Die Aufführung des deutjchen Singjpiel3 „Günther von 
Schwarzburg”, deifen Dichtung er gejchrieben hatte, brachte 
ihm im nächiten Jahre 1777 einen großen Erfolg. Man ehrte da— 
mals den Dichter nicht weniger wie den Componiſten (Holzbauer). 

Klein wurde vom Kurfürften unter Erhöhung feines Ge- 
haltes zum Geheimen Secretär ernannt. Auch die Fürften 
von Schwarzburg-Rudoljtadtt und Sondershaujfen, Ludwig 
Günther und Chriſtian Günther, zeichneten den Dichter aus, 
da fie durch jein Werf ihr Haus geehrt jahen. Er wurde von 
diejen Fürſten in die Würde der faijerl. Pfalz: und Hofgrafen 
eingejeßt, und mit dem funjtfinnigen Erbprinzen Friedrich Karl 


398 Die furfürftliche deutiche Geſellſchaft. 


von Nudoljtadt trat er in freundichaftlichen Verkehr und Brief- 
wechſel. 

Kleins Singſpiel bedeutet den erſten Verſuch, eine Art 
deutſches Muſikdrama zu ſchaffen. Dieſer Gedanke allein ſchon 
erregte damals alle deutſch geſinnten Geiſter. Zahlreiche 
Fremde trafen in Mannheim ein, um das Werk zu ſehen und 
zu hören und bald wurde es auch am anderen Bühnen Gyranf- 
furt, Dresden) aufgeführt. Bei einer Wiederaufführung im 
Jahre 1785 lernte Schiller das Werk fennen. 1777 Hatte 
Mozart in Mannheim bereits die Oper*) gehört, der allerdings 
den Erfolg bei weiten mehr der Muſik Holzbauers zujchrieb 
und nicht dazu zu bewegen war, eine andere Dichtung Kleins, 
„Rudolf von Habsburg“, zu componiren. Vielleicht erlebt 
jenes Werf an feiner Geburtsjtätte feiner biftorischen mufifdrama= 
tiichen Bedeutung wegen einmal eine Wiederaufführung. Dam: 


*) Stapellmeiiter Vogler, der eine Holzbauer entgegenitehende muſika— 
liſche Richtung vertrat, Schrieb damals über dieſes Werk: „Weder Francesko 
de Majo mit feiner Ifigenia in Tauride 1762, noch mit feinem Allessaudro 
rell’India 1764; noch Traetta mit feiner Sofonisba 1766; noch Holzbauer 
jelbft mit feinem Adriano in Siria 1768; noch Piccini mit feinem Catone 
in Utica 1770; noch Chr. Badı mit jeinem Temistocle 1772 und Lacio 
Silla 1774, alle vier verdienitvole Männer fanden nicht den allgemeinen 
Beifall — ſolchen Larm erregten fie alle nicht, als die deutiche Oper, 
die zur Zeit der Revolution der Deutichheit, wo eine Deutfche Ges 
ſellſchaft geitiftet ward, wo wir alle von einem Deutichen Bigotiäme ans 
geitekt waren, wo wir und einer Sinden fürchteten ein fremdes auch mit 
Bürgerrecht begabtes Wort einzumischen, ftatt Tabatiere Najenkrautitaubs 
ſchachtel einführen wollten — mit dem innern Gehalt denn fie ift be 
fonders durd ein beitändiges Gewebe von allen veridie- 
denen Inſtrumenten ſehr unterhaltend) den äußern Werth als 
Bruſtmauer gegen die verhafte Vogler'ſche Neformation zu verbinden 
wußte." (Jahn, Mozart II. 3b. ©. 523), Das Berliner litterariiche 
Mochenblatt 1776 fündigte das Werk in folgender Weife an: „Der Stapel» 
meiſter Holzbauer tft, wie es heißt, mit der Gompofition einer von Herrn 
Profeſſor Klein verfertigten deutichen Oper fertig. Cine deutihe Oper aus 
der deutſchen Geichichte, von einem deutſchen Dichter! Deutſche Compoſi— 
tion und auf dem beiten Deutichen Theater aufgeführt! Wer jollte 
fich nicht über dieje heilfame Nevolution des Geihmads freuen!” (Danzel 
und Gubrauer, Zeifing I. Bd. ©. 554). 


Die kurfürftliche deutſche Gefellichaft. 399 


burg hat im Jahre 1893 bei der Feſtvorſtellung der Schröder- 
Feier eine Arie aus jener Oper zum Vortrag bringen laſſen. 
Der große Beifall, den die Mufif Holzbauers daſelbſt fand, 
könnte ſchon zu einer Wiederaufführung des Werkes in Mann- 
heim ermutbigen. 

Nach Ueberfiedelung des Fürften nad) München blieb Klein 
in Mannheim zurüd. Er ſtack bier zu jehr in geichäftlichen 
Unternehmungen, mußte für diefe auch den Platz in der Pfalz 
fiir geeigneter halten als die Münchener Sphäre; doch abge- 
jehen hiervon, hat fich Klein durch fein Verbleiben in Mann— 
heim und jeine weitere Thätigkeit für Litteratur und Kunſt das 
Verdienft erworben, zu der Blüthe des Nationaltheaters mit 
beigetragen und hier noch lange den Verfall des Kunjtlebens 
aufgehalten zu haben. 

Im gleihen Jahre, in welchen Karl Theodor Mannheim 
verließ, begründete Klein in Gemeinschaft mit dem furfürjtlichen 
Rath und Poſtſecretär Johann Caſpar Becké unter Betheiligung 
eines Kaufmanns Namens Schmülling aus Rheingönnheim, der 
zunächſt 1000 Gulden vorjchiegen mußte und als Kaſſier gegen 
einen Jahresgehalt von 440 Gulden angeftellt wurde, die Ge— 
jellichaft der Herausgeber der ausländiichen jchönen Geiſter und 
der alten klaſſiſchen Schriftiteller, iiber welchen mit dem kaiſer— 
lihen Privilegien verjehenen Verlag wir jchon oben berichteten, 
Das folgende Jahr 1779 brachte jedoch jchon ein völlige Ber: 
würfniß der drei Betheiligten unter einander mit ſich; Klein 
führte gegen die beiden bisherigen Mitbetheiligten einen Prozeß 
und jegte allein den Verlag fort. Er beabjichtigte des Weiteren 
auch eine Ueberſetzung der Bibel herauszugeben, allein (am 
11. September 1779) wurde ihm die Erlaubniß dazu verjagt. 
Dagegen erhielt Klein am 7. Juni 1783 die furfürftliche Ge— 
nehmigung zur Errichtung einer eigenen Druderei. 

Klein machte den Verſuch, mit Wien Beziehungen anzu— 
fnüpfen, zunächſt um den Vertrieb jeiner VBerlagswerfe zu för: 
dern, dann auch, um eine Aufführung jeines Dramas „Rudolf 
von Habsburg” zu erreichen. Lebterer Verſuch blieb erfolglos. 

K. Krükl theilt aus einem Wiener Blatt vom 28. Juni 


400 Die kurfüritliche deutiche Geſellſchaft. 


1787 eine beachtenswerthe Unterredung zwijchen dem Kaifer 
Sojeph II. und Profefjor Klein mit, die etwa folgendermaßen 
gelautet haben joll: 

Kaijer Joſeph: Mit was beichäftigen Sie ſich jest haupt— 
ſächlich? 

Prof. Klein: Mit Herausgabe des Werks „Leben und 
Bildnijje der großen Deutſchen.“ Ich unternahm das Werf, 
um etwas beizutragen, daß der Geijt der alten deutichen Bie— 
derfeit und Tapferkeit unter der Nation wieder erwedt werde. 

Kaifer Joſeph: Da haben Sie viel zu thun. 

Prof. Klein: Beſſere Köpfe, als ich, thun nur, was fie 
können. 

Kaiſer Joſeph: Unſere franzöſirten Herren werden nicht 
viel Geſchmack daran finden. 

Prof. Klein: Und juſt ſind die franzöſirten die Klaſſe, von 
denen das Glück des Werkes abhängt. 

Kaiſer Joſeph: Schade wars der deutſchen Litteratur und 
Sprache, daß der König von Pr. nicht viel daraus machte. 

Prof. Klein: Deutſchland hat ſeine Hoffnung auf Eure 
Majeſtät geſetzt, daß alles erſetzt werde. 

Kaiſer Joſeph: Ich ſprach den König einſt hierüber. Die 
deutſche Sprache, ſagte er, iſt nicht kultivirt, nur zu den ge— 
meinſten Ausdrücken brauchbar, und die Deutſchen hätten noch 
nichts beſonders geleiſtet. Eure Majeſtät, erwiderte ich, haben 
doch als Deutſcher zwölf Schlachten gewonnen. — 


Nach Mannheim zurückgekehrt, vermählte ſich Klein 
mit der Tochter des Vizekanzler Freiherrn von Fick, ſeines lang» 
jährigen Proteftors. Im Juni des Jahres 1790 wurde Klein 
vom Kurfürſten Karl Theodor zum Hofgerichtsrath ernannt und 
in den erblichen Adelſtand erhoben. Sein Gejuch, feine 1781 
in Mannheim begründete Buchhandlung zur Kurfürftlichen Hof: 
buchhandlung zu bejtimmen, wurde ihm 1796 abgejchlagen. 
1794 war Klein mit feiner Oattin auf kurze Zeit nah Ulm 
geflüchtet, wojelbjt ihm ein Sohn, der den Namen Karl Auguſt 


bloumgasa liaansaqo d sog quaı quoz 





Die kurfüritliche deutiche Geſellſchaft. 401 


(nah dem Herzog von Zweibrüden) erhielt, geboren wurbe.*) 
Diejer Sohn hatte lange mit einem jchweren epileptiichen Leiden 
zu kämpfen, erwarb fich jedoch als Componift und Mufikjchrift- 
fteller Achtung. Beethoven und Mehul interejfirten ſich für 
- Compofitionen von ihm, zu denen eine Duverture zu Othello, 
Symphonten und Kammermufitwerfe gehören. Kleins jun. 
mufifaliiche Thätigkeit läßt ich bis zu dem Jahr 1842 ver- 
folgen. Ein Bruder Anton von Kleins war Profeſſor in 
Mainz. 

Mit jeinem im Jahre 1802 in 16 Gejängen erichienenen 
Gedicht „Athenor“ (Frankfurt und Leipzig, mit Kupfern von 
A. Karcher) hatte Klein nicht das Glück, wie einjt mit jeinem 


*) Ueber eine weitere Flucht Kleins während der Belagerung wird 
berichtet: „Die Gefahren und Drangjale einer Belagerung, welchen er das 
mals zu entrinmen hoffte, trafen ihn bald nach jeiner Rückkehr in dops 
peltem Maße. Ein abermaliges plögliches Vorrlden der Feinde nöthigten 
ihn wiederholt zur Flucht. Ueberall herrſchte Furcht und Beſtürzung. 
Seine Gemahlin floh, da die Pferde in Beſchlag genommen waren, zu 
Fuße, ihren Säugling in den Armen, mit der ſich drängenden Menge. 
Er jelbit warf in der Eile Hppothefen, Schmud und fonftige Koftbarkeiten 
in einen Korb, ließ ihn auf einem Handwagen vor fich herführen, und 
verlor im Gedränge den Führer aus den Augen. In dem nächſten Dorfe 
erfundigte er fich nad) dem Manne, allein niemand hatte ihn in der alls 
gemeinen Verwirrung bemerkt. Zufällig fam er nad) langen, vergeblihem 
Forjchen in eine von zagenden Menjchen angefüllte Stube, in deren Mitte 
der Korb jtand. Er bradte ihn nah Heidelberg in Sicherheit, wo er 
aud Frau und Kind zu treffen hoffte Allein mehrere Tage vergingen, 
ohne daß er ihren Aufenthalt entdecken konnte, Grit, als der Weg nad 
Mannheim wieder offen war, fanden fie fih. Sie war zu Sedenheim in 
einer Bauernhütte verborgen. Dicht neben ihrer Kammer waren Soldaten 
einquartirt, die mit lauter Stimme ſich die Unthaten erzählten, welche fie 
bei dem Plündern verübten, und in ihrer räuberiſchen Ausgelaffenheit 
felbft die Stimme der Unglüdlihen nahahmten, die fie auf das graus 
famfte mißhandelt hatten. Man denke ſich die Lage dieier Mutter, die 
ein einziger Laut ihres Kindes verrathen, und der Wuth diefer Menichen 
Preis geben konnte, Bald nachher überftanden fie jenes furdhtbare Bom— 
bardement, das einen großen Theil der Stadt und Gegend von Manns 
heim vermwüftete, und wobei der eine Flügel des Kurfüritlichen Balaftes, 
das ehemalige pracdhtvolle Opernhaus, ein Raub der Flammen wurde.“ 
(Litterarifches Leben d. A. v. 8. Wiesbaben 1818.) 


Defer, Geſchichte ber Stabt Mannheim. 26 


402 Die kurfürftliche deutiche Geſellſchaft. 


Singipiel „Günther von Schwarzburg“. Selbjt Schiller, der 
Klein gewiß nicht gern nahe treten wollte, konnte nicht anders 
al3 an Goethe jchreiben (12. May 1802): 

„Mit dem Athenor find Sie mir um einen Tag zudorge- 
fommen, denn auch ich habe diejes jchredliche Product erhalten - 
und hatte es jchon für Sie bei Seit gelegt.” 

Und Goethe jchrieb in der Jenaiichen Allgemeinen Littera- 
turzeitung 14. Februar 1805: „Wenn man Wielands poetische 
Schriften ftüdweije in eine Hexenflamme nebeneinanderjegte und 
ſodann über einem gelinden Feuer jo lange jchmorte, bis 
Raturell, Geift, Anmuth, Heiterfeit mit allen übrigen lebendigen 
Eigenjchaften völlig abgeraudht wären, und man alsdann die 
überbliebene zähe Mafje mit einem Löffelitiel einigermaßen 
durcheinanderzöge und einen ſolchen Brei, der faſt für ein 
caput mortuum gelten fann, völlig erjtarren und erfalten ließe, 
jo würde ungefähr ein Athenor entitehen.” 

Klein Half fi) durch eine Reile nach Paris, die er ım 
folgenden Jahre 1806 antrat, über den Mißerfolg eines 
Athenor hinweg. Dort in Paris wurde er denn auch als eine 
Capacität auf dem Gebiete der jchönen Wiſſenſchaften gefeiert 
und eingeladen, fi) an den Situngen bes Nationalinjtituts zu 
betheiligen. 

Klein verdanfte feine Einführung in die eriten wiſſenſchaft— 
lichen und gejellichaftlihen Kreije der franzöfiihen Hauptjtadt 
dem dort weilenden Sohne des Freiherrn Heribert von Dal— 
berg, Emmerich Iojeph von Dalberg, dem die furbadiiche Ge» 
jandtichaft in Paris übertragen war und der fich durch jeine 
Intelligenz dortjelbft Achtung erworben hatte. 

In Paris gab Klein eine verkürzte Ausgabe jeines mit 
Kupfer reich gejchmücdten Werkes „Leben und Bildniffe der 
großen Deutjchen“ unter dem Titel „Galerie historique des 
illustres Germains“ heraus, die jedoch nicht er, jondern der 
Schriftiteller Diliste de Sales bejorgt hatte. Ueber dieſes 
Werk erichien im Parifer „Moniteur” vom 30. Auguſt 1806 
eine eingehende, lobreiche Kritif. 

Wieder in Mannheim eingetroffen, juchte Klein den neuen 


Die kurfürſtliche deutſche Geſellſchaft. 403 


Landesfürſten Karl Friedrich, den er ſchon bei deſſen Regie— 
rungsantritt in beſonderer Weiſe gehuldigt hatte, zur Förde— 
rung ſeiner litterariſchen und geſchäftlichen Unternehmungen zu 
gewinnen. Karl Friedrich verlieh denn auch dem „Pränu— 
merations- und Subſeriptions-Comptoir“ Kleins den Titel 
einer Großh. privilegirten Hof-Buch- und Kunſthandlung. Der 
Fürſt wünſchte auch die Hebung des am Anfange des 19. 
Jahrhunderts in Verfall gerathenen Kunſtlebens Mannheims. 


Klein war damals in Mannheim einer der Wenigen, von 
denen ſich eine ſolche Förderung des Kunſtlebens erwarten ließ. 
Finanzminiſter von Türkheim theilte ihm in einem Briefe vom 
21. Februar 1810 mit: „Bereits vor einigen Wochen iſt ein 
Bericht in das Kabinet erſtattet worden, um dem Kunſtſinn in 
Mannheim einen Vereinigungspunkt zu errichten. Ich verband 
damit moraliſche Zwecke um bey der zahlreichen ſtudirenden 
Jugend die Gefühle des ſittlich ſchönen aufblühen zu ſehen. 
S. E. Herr von Reitzenſtein wird in kurzer Friſt eine Ent— 
ſcheidung vorſchlagen.“*) 

Ein ſolcher Vereinigungspunkt ſollte die von Klein 1809 
gegründete Geſellſchaft „Muſeum Karl» Stephanie” werden, 


„Das Mujeum — fo lautet es in der 1809 in Drud 
erichtenenen Berfaffung diejer Gejellihaft — iſt ein freier 
Verein für die Zwede und den Genuß der verfeinerten Ge— 
jelligfeit. Seine Mittel jind Litteratur, Muſik, Umgang und 
Spiel. Sp wie diejer Verein nur als Erzeugnig der Humanität 
gedeihen faun, jo find ihm die Förmlichkeiten und Berhältniffe 
des gemeinen bürgerlichen Lebens fremd, und alle lieder haben 
gleihen Rang. — Mögte fein Ceremoniell und feine Titeljucht 
in dieje dem Frohjinn und der Kultur geweihten Sälen ein- 
gehen! Dieje im Geijte unjerer Regierung gegebene Bejtim- 
mung gelte ung für einen Fortſchritt in der deutichen gejelligen 
Welt.“ 


*) Non Krükl aus dem von der Kaiſerl. Landesbibliothek zu Straß— 
burg aufbewahrten Briefe mitgetheilt. 
26* 


404 Die kurfürftliche deutiche Geſellſchaft. 


Das Mufeum verfügte über eine Bibliothek von mehreren 
taufend Bänden, arrangirte Vorlejungen, Kunſtausſtellungen 
und Mufifaufführungen. Ein litterarijches Comite, zu welchem 
zwei „Adjunkte“ gehörten, entichied über die Anjchaffung von 
Büchern und Zeitungen. Auf mufifaliihem Gebiete jollte das 
Muſeum die Thätigkeit des ehemaligen Conjervatoriums fort- 
jegen, deffen Inventar e8 übernommen Hatte. Der Mitglieds: 
beitrag betrug 20 Gulden pro Jahr. 


Für weitere Förderung der Kunftpflege jchlug Klein den 
Ankauf feiner Kunſtſammlungen für die Großh. Galerie vor, 
worauf wir jpäter noch zurüdfommen. 


Hier follen nur kurz noch einige der noch nicht erwähnten 
fitterariihen Werke Kleins angeführt werden. Bon jeinen 
Aufiägen und Vorträgen haben wir hier die charakteriftiiche 
Arbeit „Vom Urjprunge der Aufklärung der Pfalz in der 
Vaterlandsſprache“ aus den Schriften der Kurfürjtlichen deut» 
ſchen Gejelihaft (I. Band Mannheim 1757) zum größten 
Theil wiedergegeben. 

Für die von ihm herausgegebene „Mannheimer Schau— 
bühne“ überjegte er Drydens Bearbeitung von Shafejpeares 
„Antonius und Kleopatra“ unter dem Titel „Alles für Liebe* 
und das de la Rue'ſche Trauerjpiel „Lyſimachus“ (beide Stücke 
im III. Band von Jahre 1791 erjchienen). Als Herausgeber 
des Pfälziſchen und Pfalzbaieriihen Mujeums ging er in 
jeinen Litteratur= und Kulturfimpfen jehr radical vor. Er 
verfeindete fich dadurch mit dem katholiſchen Klerus und fein 
Blatt wurde im Jahre 1790 cenjurirt. Klein war auch der 
Verfaſſer verjchiedener hier erjchienener Publikationen über 
Mannheimer Künftler. Als Sprachforſcher machte er ſich 
durch jein „Deutjches Provinzialmwörterbuch”, das er zum 
59ährigen Regierungsjubiläum 1792 der Kurfürftin Elijabeth 
Augufta widmete und das auch den 6. und 7. Band der 
Schriften der Deutjchen Gejellichaft bildete, entjchieden verdient. 

1793 gab Klein feine Gedichte heraus (auch Bd. VIII 
der Schriften der k. d. Gejellichaft) und 1809 veranjtaltete er 


Die kurfürftliche deutiche Geſellſchaft. 405 


eine Ausgabe feiner dramaturgijhen Schriften. Ein merk— 
würdige® Gedicht in drei Gejängen „Der Jüngling und das 
Mädchen“, das zum Theil im Pfälziſchen Muſeum und voll 
jtändig in einer jedenfalls von Klein in Wien herausgegebenen 
Beitichrift „Wahrheiten in Ernjt und Scherz“ 1787 erichien, 
rührt zweifellos von Klein Her, da dasjelbe in dem Verzeich— 
niß jeiner nachgelajjenen Werfe (1818) aufgeführt ift. Diefes 
Werk iſt durch finnliche Elemente ſtark gewürzt und jpiegelt 
einen bejonderen Zug des Charakters jeines Berfajfers — 
einen nicht geringen Senjualismus, der fi) auch in ber 
„epicuräiichen“ Lebensweije Kleins äußerte. Ferner wird eine 
Satire: „Dichterunwertd im Staate, oder hundert und ein 
Beweis, daß Dichter dem Staate unnütz find“ unter ben 
nachaelaffenen Schriften erwähnt. 


Kurz vor feinem am 15. Dezember 1810 erfolgten Tode 
und zwar im Mai d. 3. Hatte Klein feine Kunſtſammlungen 
an den Badijchen Staat verfauft.*) Unter den 21 Delgemäl- 
den diefer Sammlungen, die der Mannheimer Galerie einver- 
feibt wurden, befand fich auch das oben jchon erwähnte und 
nach dem Stiche von Bilfel wiedergegebene weibliche Bildniß 
von Peter Paul Rubens, bezeichnet als Portrait der erjten 
Gattin des Meiſters Elijabeth Brant. Dieſes Gemälde und 
ein vorher bereit3 zur hiefigen Sammlung gehöriges Bild von 
David Teniers d. I. „Niederländische Bauernjchenfe* find die 
Perlen niederländijcher Malerei in der Mannheimer Galerie, 
deren Neugründung von dem badifchen Landesfürjten 1803 
unternommen wurde. 


Die gleichfalls hier in Mannheim aufbewahrte, das Großh. 
Kupferitichfabinet bildende ehemalige KHlein’ihe Sammlung von 
Kupferftihen (über 20000 Blätter) enthält jchönfte Arbeiten 


*) Nach dem Vertrag hatte Klein, reip. nad) feinem Tobe fein Sohn 
auf 15 Jahre eine jährliche Aente von 4800 Gulden. in den erjten ſechs 
Sahren und von 3000 Gulden in den übrigen neun Jahren zu erhalten. 
Klein wurbe zugleich geitattet, in den Näumen der Galerie Vorlefungen 
über Kunſt zu halten. 


406 Die furfürftlihe deutihe Geſellſchaft. 


der bebdeutenditen Schulen und gehört zu den vornehmiten 
Collektionen diejer Art. 

Durch) diefe Sammlungen hat auch die Gegenwart Mann— 
heims noch eine ganz direfte Beziehung zu Kleins Bethätigung 
behalten, und das Interefie für das Leben und Wirfen dieies 
einjt jo einflußreichen und regjamen Mannes verdient hier be— 
ſonders wachgehalten zu werden. 








XXI. 


Kunftgewerbe und Kunftfammlungen. 


Aufihwung des heutigen Kunſtgewerbes und neue Beziehungen desselben 

zum 18. Jahrhundert — Belonders ausgebildete Bethätigungen in Manns 

heim — Schmiedekunst — Wachsbildnerei — Die Sammlungen zu Manns 

heim — Der Antiken-Saal — Die Gemäldegalerie — Arbeiten auf vers 
ichiedenen Gebieten — Frantenthaler Porzellan, 


B or wir bier die Weiterentwidelung der deutjchen 
Sprache in der Litteratur und auf dem Theater weiter ver- 
folgen, müſſen wir noch auf eine mit dem Leben ber Zeit auf's 
innigfte zujammenhängende fünjtleriiche Bethätigung zu jprechen 
fommen: auf das Kunjtgewerbe des 18. Jahrhunderts. 

Bei dem eminenten Aufihwung, den heute wieder nad) 
langem Darniederliegen das Kunjtgewerbe nimmt, haben fich 
die Augen gejchärft gerade für die Betrachtung diejer Arbeit 
einer Zeit, hat man einigermaßen wieder die Wichtigkeit er- 
fannt, die in der Fünjtlerijchen Gejtaltung unjerer Lebensformen 
liegt. 

Uns ein Heim zu jchaffen, wo wir wirklich ausjpannen 
fünnen von jchwerer Arbeit und ermüdenden Gejchäften, in das 
wir ung wie in einen edlen, reinen Kreis flüchten fünnen aus 
dem oft jtillofen Durcheinander, aus dem Halten und Jagen 
des Lebens, gehört zu den erjten Aufgaben der neueren kunſt- 
gewerblichen Bejtrebungen. 

Die Gleichgiltigkeit und die Mode waren es, die lange 
unjere Gedanken an die Gejtaltung einer unjerem Gejchmad 


. 408 Kunftgewerbe und Kunſtſammlungen. 


entiprechenden, behaglichen Häuslichkeit unterdrüdten und nicht 
auffonmen ließen 

Hiezu fam noch die Annahme, daß jede fünftleriich ſchöne 
Wohnungseintichtung riefige Geldjummen verichlinge, und daß 
man, wenn man nur irgend jo etwas in beichränften Verhält- 
nilfen berücfichtige, fich einem fträflichen Luxus hingeben würde. 
Dadurch würde in neuerer Zeit die fünftlerische Geftaltung des 
Hauſes Hauptjächlich dem Reichthum vorbehalten bleiben. Nichts 
iſt höher zu ſchätzen, als wenn der Reichthum jeinen vollen 
Tribut der Kunſt zollt, wenn der Reiche feine Ausgaben ichent, 
ihön und geichmadvoll zu wohnen und in jeinem Hauſe ber 
Kunft ihre Triumphe feiern läßt. Gerade Mannheim wird 
auch von auswärtigen Künftlerfreiien immer mehr beachtet 
durch die werthvollen Inmendecorationen, die fich ſowohl in 
dem unter Großherzog Friedrich zu neuem Leben wiedererftandenen 
Schloſſe jowie in zahlreihen Privathäufern befinden. Mann» 
heim gehört zu den in dieſer Beziehung reich verjehenen 
Städten. Die Pflege von Pracht und Schönheit wird immer 
groß daftehen gegenüber dem öden, jinnlojen Zufammenraffen 
und Aufipeichern zu nichts verwendeten Geldes. Daher bleiben 
Fürſten, wie König Ludwig II. und Kurfürjt Karl Theodor, 
aud wenn fie über ihre Mittel hinausgezangen, immer leuch- 
tende Vorbilder für die Förderung einer hohen Kunft, an 
denen ſich die jpäteren Geichlehter zu neuen Kunſt— 
thaten begeijtern fünnen. Noch wichtiger jedoch, als die aus 
dem überfließenden Reichtum entjtehende Kunftentfaltung, ift 
— weil fie Die ganze Nation umfaſſen kann — jene Kunſt— 
pflege, die auch der in bejcheidenen Verhältniſſen lebende Bürger 
fi und jeiner Familie zur ‚Freude und Bildung ausüben kann. 

Die Hauptjache bleibt, daß die Kunft, hier im Bejonderen 
das Kunjtgewerbe, der Willfür der Mode entgegen wieder feiten 
Boden gewinnt, wieder zum Bedürfni des Volkes wird. 

Und jo jucht denn das heutige Kunjtgewerbe wieder natür= 
fihe Schönheit, lebendige Verförperung der Idee zu erreichen. 

Es knüpft dabei an die verjchiedenjten Stile der Ver— 
gangenheit an, jofern fie Werthvolles und unjerem Geilte Ent- 


Kunftgewerbe und Kunſt fammlungen. 409 


iprechende3 enthalten, und ſucht fie zu freier Vereinigung unter 
jtarfer Betonung des Selbjtempfundenen zu bringen. 

Schon eine Zeit jchaltete und waltete in diejer Weiſe auf's 
Freieſte, die man lange verdammt und gejchmäht hat und die 
unjerer Zeit in ihrem ganzen Werthe wieder verjtändlich wird: 
die Zeit des Barock und Rokoko. 

Dieje Kunſt entnahm allen erdenklichen Stilweiſen Motive, 
um fie für ihre Zwede zu nußen, die auf den Gewinn von 
Lebendigkeit, Grazie, Zierlihfeit ausgingen, doch allem, was 
fie heranzog, wußte fie ihren eigenen Character aufzuprägen. 

Bor allem wollte das Kunſtgewerbe diejer Zeit alles frei 
gejtalten, jedes Material, ſei's Stein, Eijen, Dolz u. j. w. zu 
lebendigjten Formen zwingen. 

Mit dem Eijen gelang ihm dies auf das Wunbderbarjte. Die 
Schmiedekunſt erreichte im 18. Jahrhundert in Mannheim 
eine nicht zu übertreffente Höhe. Wir haben an anderer Stelle 
bereits auf dieſes Kunſtgewerbe und jein berühmtes Meiſter— 
werf, das Thor an der Jeſuitenkirche, das einen herrlichen Sieg 
über das eijerne Material bedeutet, Hingewiejen. 

Das Schloß, das Zeughaus, das Bretzenheim'ſche Palais 
und zahlreiche Privathäufer befigen ebenfalls lebendig gejtalteten 
Eiſenſchmuck. Bejonders characteriftiich für die Schmiedekunſt 
der damaligen Zeit find die unten fich vorichwingenden, reich 
verzierten Fenſtergitter (Treillen). 

Die Urbeiten der Kunjtichmiede Mannheims zur Zeit Karl 
Theodors jind der größten Werthichägung werth. Welche 
Kunft iſt da im „Streden* und „Stauchen“, im „Biegen“ und 
„Anjegen“, im „Ausdornen“ und „Schweißen” entfaltet wor— 
den, um durch menjchliche Kraft und Geſchicklichkeit das wider- 
jpenjtige Material zu jolhem Formenreichthum zu zwingen. 
Wer es jelbjt mit anfieht, wie bei der Schmiedearbeit der ge- 
waltige Hammer des Schlagenden dit am Kopfe des da3 
glühende Eifen Haltenden vorüberjauft, der begreift etwas von 
der Kühnheit, die die Bewältigung des Eijens erheiſcht. Nur 
ſolchen Gewalten entiprießen bier Blumen und Blätter... .. 

Gleichfalls wurde bereits der Holzbildhauerei gedacht, die 


410 Kunitgewerbe und Kunſtſammlungen. 


in dem großen Bücherſaale des Schloffes zu Mannheim ihren 
Slanzpunft erreichte. Wie man mit dem Material zu fpielen 
verjuchte, zeigen 3. B. die in Holz ausgeführten Imitationen 
von Giiengittern im Kaufhaus. Auch das Theater in 
Scweßingen muß hier wieder genannt werden. Zu ben 
intereſſanten Holzichnigereien jener Zeit gehören auch die kunſt— 
voll geichnisten Bilderrahmen, die nach Ueberzug mit einer 
dünnen Gipsjchicht vergoldet mwiurrden und deshalb heute meijt 
für Studrahmen angejehen werben. 

Auf die herrlichen Studarbeiten jener Zeit Mannheims, 
beionders im Schloffe und im Palais Bretenheim, machten wir 
hier ebenfalls jchon aufmerkſam. 

Ein faſt ganz verjchollenes Gebiet der Kunſt, das heute 
der Allgemeinheit kaum noch dem Namen nad) befannt ift, zeigte 
fih damals in der vollen Frucht edeliter Bearbeitung. Es it 
dies das verhältnigmäßig raſch in Vergeſſenheit gerathene Ge— 
biet der Geroplaftif, der Wachsbildnerei. 

Was heute aus dem gleichen Material, aus dem Wachs 
noch fabrizirt wird, kann feinen Anſpruch auf irgendwelche 
fünjtlertiche Bezeichnung mehr erheben. Die heutigen Wachs— 
arbeiten haben ihren Bereich in den Schaubuden der Mefien, auf 
dem Weihnachtsmarkt, in Spielmaarenhandlungen und in den 
Schaufenſtern der Friſirſalons oder Stleiderläden. Höchſtens, 
daß in Form von Wahsblumen oder Wachsblumenſtöcken ſolche 
Fabrikate noch zu einem oft recht fragwürdigen Zimmerſchmuck 
benußt werben. 

Bei dem Heranziehen aller erdenklichen ZTechnifen und 
Stilarten für die Weiterentwidelung der modernen Kunjt und 
des modernen Kunftgewerbes ift es geradezu erſtaunlich, das 
jo ergiebige Gebiet der Wachsbildnerei im höheren Sinne des 
Wortes noch gänzlich vernachläſſigt zu ſehen. 

Und deshalb fünnen Meifterwerfe einer einjt jo viel be— 
deutenden Kunſt heute vielleicht wieder anregend wirken, wenn 
man jich die Mühe nimmt, fie einer Prüfung zu unterziehen. 

Dieje in den Wohnungen ihrer Befiger oft nur als Ur— 
väterhausrath gehegten Wachsbilder find oft gute Beiſpiele für 


Kunſtgewerbe und Kunſtſammlungen. 411 


ein werthvolles, in dieſer Beziehung vorbildliches Kunſt— 
Ichaffen. 

Die meiften diejer noch in Mannheim aufbewahrten Wachs» 
bilder find mit Ausnahme einiger mythologiicher Darjtellungen 
in Medaillonrahmen eingefaßte Neliefportraits. Die aus ein- 
farbiger Wachsmaſſe hergeftellten nehmen ſich wie Kopfbilder 
von Münzen aus. Die im Profil gehaltenen erinnern etwas 
an die urfprüngliche Art der Brofildarjtellung: an den Schatten- 
riß, deſſen jeltjam wahr wirfende Erjcheinung fie durch die 
Lebendigkeit ihrer Formen und Farben noch übertreffen. Im 
jogenanntem Biscuit angefertigte Medaillonbildniffe, meift wei 
auf ſchwarzem Grunde, bilden den Uebergang von ben Wach!» 
bildern zu den Porzellanrelief3. 

Die meijten diejer Portraits find nicht höher als 12 Cen— 
timeter. Aber welche Kunſt iſt auf ſolch' kleinem Raume ent» 
faltet! Was jede echte Kunſt uns geben joll: aus dem In— 
nern geichöpfte Wahrheit, bietet jedes dieſer Portraits. Lie 
zeigen das piychologiich feinste Verſtändniß für die dargejtellten 
Perſonen; jeder charakterijtiiche Zug iſt richtig erfannt und mit 
großer Gewiffenhaftigfeit wiedergegeben. Und doch iſt allem 
die eigenartig zierliche Kunſtweiſe jener Zeit aufgeprägt. 

Die ganze Liebenswürdigfeit und Intimität des damaligen 
Tamilienlebens breitet einen verflärenden Schimmer über die 
bier jcharf und Kar veranjchaulichte Menjchenwelt. Eine ganz 
wunderbare Feinfunft wird dabei auch in der Wiedergabe der 
Koſtüme, der Uniformen, Spigenfleider, Haarfrijuren, Schmuck— 
jachen u. ſ. w. bemiejen. 

Welcher von den zwei verjchiedenen Arten ber Herjtellung 
diejer Wachsbilder das einzelne Werk feine Entjtehung ver- 
dankt, ift jchwer zu erfennen. Bei der Kleinheit der Arbeiten 
it es kaum fejtzuftellen, ob ein jolches Wachsbild bojjirt (von 
dem altdeutichen boß-rund) d. h. mit ben Fingern oder Elfen» 
beingriffeln geformt oder in eine bereit3 vorhandene Form ges 
goffen worden ift. Die gegofienen Werfe mögen etwas glätter 
ericheinen als die bojfirten, obwohl auch dieje durch vorfichtiges 


412 Kunftgewerbe und Kunftiammlungen. 


Üeberjtreichen mit reftifizirtem ZTerpentinöl von allen Rauhig— 
feiten befreit werden fonnten. 


Di Die Verwendung des Wachſes zu dieſen Arbeiten, wie 
überhaupt dieje ganze Kunjt rührt hier in Mannheim daher, 
dat die Wachsbojiirer der Frankenthaler Porzellanfabrit fich 
nebenbei auch mit Portraitiven beichäftigten und fich dazu des 
gleichen Materials, des Wachies, bedienten, mit dem fie nun 
einmal als Berfertiger der Modelle zu den PBorzellanjachen 
zu arbeiten gewohnt waren. Cine Vervielfältigung ſolcher 
‚samilienportrait3 wurde jelbjtverjtändlich nicht verlangt, ſodaß 
e3 zumeijt bei der erjten Ausführung, bei dem bojfirten Wachs- 
bild verbleiben konnte, höchſtens, daß noch der eine oder andere 
Abguß als ein Gejchent für Verwandte gewünjcht wurde, auf 
den jedoch die Farben wieder neu aufgetragen werden mußten. 
Auf diefe Weiſe jcheint fich diefe Kunft hier zur Selbitftändig- 
feit ausgebildet zu haben. Dazu fam nod, daß durch den 
Banferott der Frankenthaler Porzellanfabrif die einzelnen 
Wachsboſſirer darauf angewieſen waren, ihre Kunſt jelbtftändig 
auszuüben. 

Als Künftler auf dem Gebiete der damaligen Wachsbild— 
nerei in Mannheim werden heute noch genannt: Georg Jgnaz 
Hinel, Heuberger, Brechter, Scholl, Joſef Zöller. Ihnen wird 
auch ein Freund Goethes, der Bildhauer Johann Peter Melchior, 
geb. zu Lintorf bei Düffeldorf, zugezählt. 

Unter diejen bat ich der zuerjt Genannte in Mannheim 
am regiten bethätigt. 

Georg Ignaz Hinel hat hauptjächlih die Wachsbildnerei 
auf dem Gebiete des Portraits in der Stadt Mannheim zu 
großer Vollendung gebradt. Er ijt 1764 als Sohn des 1783 
geitorbenen Porzellanmodelleurs Ignaz Hinel in Frankenthal 
geboren. Seine Thätigfeit läßt ſich noch bis in die zwanziger 
Jahre des 19. Jahrhunderts verfolgen, und ein Selbjtportrait 
in Wachs zeigt den Künjtler in gejegtem Alter. — 

Doch ehe wir hier weiter auf das kunſtgewerbliche Schaffen 
jener Zeit eingehen, jei den Hauptgrundlagen der Fünftlerijchen 


Kunstgewerbe und Kunſtſammlungen. 413 


und wifjenjchaftlichen Bethätigung des damaligen Mannheim: 
den hervorragenden Sammlungen, eine nöthige Betrachtung ge— 
widmet. 

Im Vordergrund ftand damals der berühmte Antifen-Saal. 

Der Antifen-Saal gelangte zu großer Bedeutung für die 
Entwidelung deuticher Kumjtwilfenichaft und für die Ermög: 
fihung tiefer Kunjteinfichten. Die beiten Werfe der floren- 
tiniichen und römischen Sammlungen waren bier in jorgfältig 
hergeitellten Abgüffen vereinigt. Verſchaffelt Hatte alle Die 
bier befindlichen Abgüffe, die größtentheil von Düfjeldorf 
nad) Mannheim überführt worden waren, gejammelt und unter 
jeine Obhut gebracht. Wenn er dies auch mehr zu jeinem 
eigenen Nuten gethban haben mag, konnte er doch das 
Studium in diefen Sälen nicht erjchweren und jo hatten die 
bier jtudirenden Künftler einen unberechenbaren Vortheil davon. 
Die Statuen waren in einen 1767 erbauten jchön und praftifch 
gejtalteten und mit der Zeichnungs-Akademie verbundenen Saal 
aufgeftellt, Echiller Hat im erften Hefte jeiner „Ihalia* 1785 
eine eingehende Bejchreibung dieſes Antifenfaales veröffentlicht. 


Durch Herder war Goethe auf dieje Kunftichäke aufmerk— 
jam gemacht worden. In Mannheim gewann er die eriten 
großen, vielumfailenden Einblide in das Kunftichaffen der 
klaſſiſchen Zeit. Dier jah er zum erjten Mal die ganze, im 
Mittelpunfte der damaligen Kunjtbetrachtung jtehende Laokoon— 
gruppe. In Leipzig hatte er nur die Statuen des Laofoon 
(Vater) allein zu jehen befommen, im Antifenjaal zu Mann 
heim befand jich dagegen ein Abguß der volljtändigen Gruppe 
mit den Gejtalten der Söhne des Laofoon. 

Die Schilderung des großen Erlebnijjes von Goethe jelbit 
darf in einer Geichichte Mannheims nicht fehlen. Ste bildet 
den Schluß des elften Buches von „Wahrheit und Dichtung“ 
und lautet: 

„sn Mannheim angelangt, eilte ich mit größter Begierde, 
den Antifenjaal zu jehen, von dem man viel Rühmens machte. 
Schon in Leipzig, bei Gelegenheit der Winfelmann’jchen und 


414 Kunitgewerbe und Kunftiammlungen. 


Leifingihen Schriften, hatte ich viel von dieſen bedeutenden 
Kunstwerken reden hören, dejto weniger aber gejehen; denn 
außer Laofoon dem Vater und dem Faun mit den Srotalen 
befanden ſich feine Abgüffe auf der Alademie, und was uns 
Oeſer bei Gelegenheit diejer Bildnifje zu jagen beliebte, war 
freilich räthjelhaft genug. Wie will man aber auch Anfängern 
von dem Ende der Kuuſt einen Begriff geben ? 

Direktor Berjchaffelts Empfang war freundlid. Zu dem 
Saale führte mich einer jeiner Gejellen, der, nachdem er mir 
aufgejchlojfen, mich meinen Neigungen und Betrachtungen über- 
ließ. Hier jtand ich nun, den wunderjamften Eindrüden aus- 
gejegt, in einem geräumigen, vieredten, bei außerordentlicher 
Höhe fait fubiichen Saal, in einem durch Fenſter unter dem 
Geſims von oben wohl erleuchteten Raum: die herrlichſten 
Statuen des Alterthums nicht allein an den Wänden gereiht, 
jondern auch innerhalb der ganzen Fläche durch einander auf- 
geitellt; ein Wald von Statuen, dur den man fich durch— 
winden, eine große ideale Volksgeſellſchaft, zwiichen der man 
fi durchdrängen mußte. Alle dieje herrlichen Gebilde Fonnten 
duch Auf und Zuziehen der Vorhänge in das vortheilhaftefte 
Licht geitellt werden; überdies waren jie auf ihren Poſtamen— 
ten beweglich und nad Belieben zu wenden und zu drehen. 
Nachdem ich die erſte Wirkung diejer unwiderftehlihen Maſſe 
eine zeitlang geduldet hatte, wendete ich mich zu den Gejtalten, 
die mich am meiſten anzogen,; und wer fann leugnen, daß 
poll von Belvedere durch feine mäßige Koloffalgröße, den 
ihlanfen Bau, die freie Bewegung, den fiegenden Blick auch 
über unjere Empfindung vor allen andern den Sieg davon- 
trage? Sodann wendete ich mich zu Laofoon, den ich hier 
zuerjt mit feinen Söhnen in Verbindung ſah. ch vergegen- 
wärtigte mir jo gut al® möglich das, was über ihn verhandelt 
und geftritten worden war, und juchte mir einen eigenen Ge— 
fichtspunft; allein ich ward bald da» bald dorthin gezogen. 
Der fterbende Fechter hielt mich lange feit, bejonders aber 
hatte ich der Gruppe von Kaſter und Bollur, diejen foftbaren, 


Kunſtgewerbe und Kunſtſammlungen. 415 


obgleich problematiſchen“) Reſten, die ſeligſten Augenblicke zu 
danken. 

Ich wußte noch nicht, wie unmöglich es ſei, ſich von einem 
genießenden Anſchauen ſogleich Rechenſchaft zu geben. Ich 
zwang mich zu reflektiren, und ſo wenig es mir gelingen wollte, 
zu irgend einer Art von Klarheit zu gelangen, ſo fühlte ich 
doch, daß jedes einzelne dieſer großen verſammelten Maſſe faß— 
lich, ein jeder Gegenſtand natürlich und in ſich ſelbſt bedeutend 
ſei. Auf Laokoon jedoch war meine größte Aufmerkſamkeit 
gerichtet, und ich entſchied mir die berühmte Frage, warum er 
nicht ſchreie, dadurch, daß ich mir ausſprach, er könne nicht 
ſchreien. 

Alle Handlungen und Bewegungen der drei Figuren 
gingen mir aus der erſten Konzeption der Gruppe hervor. 
Die ganze, jo gewaltſame als kunſtreiche Stellung des Haupt— 
fürpers war aus zwei Anläffen zujammengejeßt, aus dem 
Streben gegen die Schlangen und aus dem Fliehen vor dem 
augenblidlichen Biß. 

Um dieſen Schmerz zu mildern, mußte der Unterleib ein- 
gezogen und das Schreien unmöglich gemacht werden. So 
entjchted ih mich auch, daß der jüngere Sohn nicht gebiffen 
jet, und wie ich mir jonft noch das Kunſtreiche diejer Gruppe 
auszulegen juchte. Ic jchrieb hierüber einen Brief an Dejer, 
der aber nicht jonderlich auf meine Auslegung achtete, fondern 
nur meinen guten Willen mit einer allgemeinen Aufmunterung 
erwiderte. 

Ich aber war glüdlich genug, jenen Gedanken feitzuhalten 
und bei mir mehrere Jahre ruhen zu laſſen, bis er fich zulett 
an meine jämmtlichen Erfahrungen und Ueberzeugungen an— 
ichloß, in welchem Sinne ich ihn jodann bei Herausgabe der 
„Propyläen“ mitteilte. 

Nach eifriger Betrachtung jo vieler erhabener plaftijcher 
Werke jollte es mir auch an einem Vorgeihmad antiker Archi— 


*) Weil legtere Gruppen unrihtig als Schöpfungen des Phidias 
und Polyklet bezeichnet wurden. 


416 Kunftgewerbe und Kunſtſammlungen. 


teftur nicht fehlen. Ich fand den Abguß eines Kapitäls der 
Rotonde,*) und ich leugne nicht, daß beim Anblid jener jo un» 
geheuren als eleganten Afanthblätter mein Glaube an die 
nordiiche Baukunſt etwas zu wanfen anfing. Diejes große und 
bei mir durch's ganze Xeben wirkende Schauen war demnach 
für die nächſte Zeit von geringen Folgen. Wie gern hätte 
ih mit diejer Darjtellung ein Buch angefangen, anitatt daß 
ih’3 damit ende! Denn faum war die Thür des herrlichen 
Saals Hinter mir gejchlofjen, jo wünjchte ich mich jelbjt wieder: 
zufinden, ja ich juchte jene Gejtalten eher als läjtig aus 
meiner Einbildungskraft zu entfernen, und nur erjt durch einen 
großen Ummeg jollte ich in diejen Kreis zurüdgeführt werden, 
Indeſſen iſt die jtille Fruchtbarkeit jolher Eindrüde ganz um: 
ihätbar, die man geniegend ohne zeriplitterndes Urtheil in 
fi) aufuimmt. Die Jugend ijt dieſes höchſten Glüds fähig, 
wenn fie nicht kritiſch jein will, fondern das Vortreffliche 
und Gute ohne Unterjuhung und Sonderung auf fich wirfen 
läßt.“**) 
*) Des Pantheons zu Nom. 

**) Hier fei gleich nebenbei Goethes Erzählung einer anderen Epiiode 
eines ipäteren Aufenthalts des Dichter in Mannheim auf feiner Neife mit 
den Stollbergs nad Jtalien wiedergegeben — eine Erzählung, die aller: 
dings auf Wahrheit und Dichtung beruhen dürfte: „Schon auf dem Wege 
nah Mannheim zeigte fich ungeachtet aller guten und edlen gemeinjamen 
Gefühle doch ſchon eine gewilfe Differenz in Gefinnung und Betragen. 
Leopold Stollberg äußerte mit Leidenschaft: wie er genöthigt worden, ein 
herzliches Liebesverhältnig mit einer jchönen Engländerin (Sophie Hanbury) 
aufzugeben, und deswegen eine jo weite Reife unternommen habe. Wenn 
man ihm num dagegen theilnehmend entdedte, daß man ſolchen Empfins 
dungen auch nicht fremd jei, jo brady.bei ihm das grenzenlofe Gefühl der 
Jugend heraus: feiner Yeidenjchaft, feinen Schmerzen, jowie der Schön: 
heit und Liebenswürdigkeit feiner Geliebten dürfe fih in der Welt nichts 
gleichſtellen. Wollte man ſolche Behauptung, wie es ſich unter guten 
Gejellen wohl geziemt, durch mäßige Rede ins Gleichgewicht bringen, io 
ſchien fich die Sache nur zu verichlimmern, und Graf Haugewig wie aud) 
id) mußten zulegt geneigt werben, dieſes Thema fallen zu laſſen. Ans 
gelangt in Mannheim, bezogen wir fhöne Zimmer eines anftändigen Gajt: 
hofes, und beim Deffert des erjten Mittagsefjens, wo der Wein nicht war 





Raugräfin Cuiſe von Degenfeld. 


Nach einer im Jahre 1677 geprägten Mänze (Durchmeſſer 47 mm) aus der Sammlung des 
Heren Uuguft Herricel in Mannheim, 


Kunstgewerbe und Kunſtſammlungen. 417 


Goethe empfand deutlich, daß die Beichäftigung mit ben 
antiten Bildwerfen von jüngeren Künjtlern mit einer gewiljen 
Vorſicht geübt werden müſſe. Es iſt, als bemerfe er etwas 
von den Abfichten, die Verſchaffelt mit der Aufitellung diefer 
Bildwerfe verband. Nicht dem lebendigen Schaffen der Zeit 
und feiner Jugend wollte Goethe jozujagen ein Bein stellen 
laſſen, jondern er wollte nur die richtige geiftige Stimmung ab» 
warten, um aud für jein Dichten und Leben daraus hohe 
Schönheit zu ſchöpfen. 

Der Antikenſaal war mit der ſchon erwähnten kurfürſt⸗ 
lichen Zeichnungsakademie verbunden, der unglücklichſten Schöpfung 
jener Kunſtzeit Mannheims, da ihr Leiter nichts weniger er— 
ſtrebte, als neben ſeiner Selbſtherrlichkeit anderen Talenten die 
Wege zu ebnen. Selbſt die Lehrer dieſer Anſtalt, K. Heinrich 
Brandt, der zugleich Secretär des Inſtituts war, Leydensdorf, 
Verhelſt, die Malerin Treu, Kobell u. A. hatten gleichſam die 
rauhe Hand ihres Directors und deſſen Aerger und Verdroſſen— 
heit über das ganze Inftitut zu fühlen. Es hieße die Kunjt- 
geihichte carikiren und Zeit und Mühe an etwas Unnöthiges, 
Ueberflüffiges verjchwenden, wollten wir uns bier länger mit 
den kurfürſtlichen Holz, Lichte, Bindfaden- und Siegellad- 
Lieferungen bejchäftigen, die diejes fragwürdige Injtitut nad 
zahlreichen Aktenjtüden erhalten. Lafjen wir es bahin geftellt, 


geihont worden, forderte uns Leopold (Stollberg) auf, feiner Schönen 
Gefundheit zu trinken, welches denn unter ziemlichem Getöfe geihah. Nach 
geleerten Släfern rief er aus: „Nun aber ift aus jolchen geheiligten Bechern 
fein Trunk mehr erlaubt; eine zweite Gejundheit wäre Entweihung, des— 
halb vernichten wir diefe Gefäße!” und warf jogleich fein Stengelglas 
Hinter fich wider die Wand, Wir anderen folgten, und ich bildete mir 
denn doch ein, ald wenn mich Merk (Anm. der dieſe Reife mit den Stoll 
bergs als einen „dummen Streich” bezeichnet hatte) am Kragen zupfte. 
Allein die Jugend nimmt das ans der Kindheit mit herüber, daß fie 
guten Gejellen nichts nadträgt, daß eine unbefangene Wohlgewogenheit 
zwar unangenehm berührt werden kann, aber nicht zu verlegen iſt. Nach— 
dem die nunmehr al3 englisch angeiprochenen Gläſer unfere Zeche verftärkt 
hatten, eilten wir nad) Karlsruhe getroft und heiter, um uns zutraulich 
und ſorglos in einen neuen Kreis zur begeben.” 


Deier, Belhichte ber Stadt Mannheim, 47 


418 Kunftgewerbe und Kunſtſammlungen. 


ob einige Schüler infolge oder trog dieſes Inſtituts tüchtige 
Künjtler wurden. Als 1793 der vortreffliche Peter Lamine bie 
Zeitung der Afademie übernahm, war e3 durch die eintreten- 
den SKriegdereigniffe zu jpät zu einem Aufihwung und nad 
diejen Ereigniſſen vermochte auch Karl Kung eine Rettung ber 
Anſtalt vor gänzlichem Verfall nicht zu erreichen. 


Was den Schülern auf der Akademie fehlte, das konnte 
ihnen ein amderes Inſtitut im reicher Fülle bieten und damit 
vielen Mangel ausgleichen: die kurfürſtliche Gemäldegallerie, 
die zu den beiten Sammlungen jener Zeit gehörte. Hier boten 
644 Gemälde, die neun prächtige Säle füllten, lebensvollfte 
Kunft Hervorragenditer Meiſter aller Zeiten. Neben ben 
italieniſchen Schulen war bejonder8 auch die nieberlänbifche 
Malerei durch erjte Werfe vertreten, von denen heute noch eine 
Anzahl fich Hier befinden. 


Dieje Niederländer jprachen zu den jungen Künftlern und 
Schülern wie das Leben jelbjt, fie öffneten ihnen die Augen 
für die Schönheit der Wirklichkeit und zahlreiche Kopien des 
Malers Müller nah Wouvermann und die Stiche bejonders des 
jungen Wilhelm Kobell und Karl Kung bewiefen, wie das 
Studium der niederländiichen Malerei der damaligen Kunftbe- 
wegung entgegenfam, Als Intendant der Gemäldegallerie wird 
Graf Savioli bezeichnet. Director waren nacheinander die 
Maler Johann Franz von Schlichten, Staffen und Ferdinand 
Kobell. Lebterer fungirte noch als Director der „Mannheimer 
Galerie“, als Diejelbe auf Nimmerwiederfehr bereit? nad) 
München verbradht worden war. 

Ueber einen Bejudh der Gallerie und der Schloßräume 
gibt 1791 Sophie von La Roche in ihren Briefen über Mann- 
heim folgende lebhafte Schilderung: 

„Sc habe gejtern mit meinem Veritand und meinen Sinnen 
wieder einen großen Weg zurüdgelegt — denn id Habe in 
Mannheim die Gallerie — die Churfürjtlihe Zimmer — und 
den Antiquenſaal mit einer Freundin bejucht, und den Tag in 
dem Concert geendigt; hatte aljo in dem erſten malerijchen 


Kunftgewerbe und Kunftiammlungen. 419 


Kleidungsgeihmad der legten Jahrhunderte, in dem Antiquen- 
jaal den bey Göttinnen, Nymphen, Kayjerinnen und griechiichen 
Damen vor Jahrtaufenden üblichen Puz — und Abends bey 
der Mufit — die Erfindungen und been des Schönen ber 
heutigen Weiberwelt vor mir; ein heller Tag, und gute Gejell 
ſchaft hatte mich erheitert — ich bemerkte in der Gallerie auch 
manches, das ich in den erjten Bejuchen überjah — und be= 
diente mich dabey des Freyheitsbriefes, welchen der berühmte 
und liebenswürdige Engländer Gregoris uns gegeben, al3 er 
jagte: Scharfer Berftand ift bey weiten nicht die einzige Eigen- 
ihaft der Eritif in Werfen des Gejchmads — das Herz hat 
bier öfter mehr zu thun, als der Kopf. — Ich fand aber aud), 
was Laune vermag; denn ich würde heute das Bild von 
Velasquez nicht gewählt haben, welches mich das erjte mal io 
ſehr anzog . . . .. 

Näher bey der Wahrheit und der Natur (als einige vor— 
her noch beſprochene Gemälde) iſt das Bild der Caritas 
Romana in den Churfürſtlichen Zimmern, welche ihren zum 
Hungertod verdammten Vater, mit ihrer Milch ernährte: ſchön 
hat der Maler, dejjen Namen man mir nicht jagen fonnte, 
diefen Zug findlicher Liebe und Menjchheit dargejtellt — und 
jehr wahr läßt er der Tochter ihren Kopf jeitwärt3 wenden, 
während der Bater jaugt — da jonjt immer die Mutter auf 
ihr Kind blickt; aber ein Vater an der Bruft ijt eine jo wider- 
natürliche Sache, daß das Abwenden de3 Auges ganz wahre 
Bewegung wird: doc) hätte ich gewünjcht, daß ihr Kopf, jtatt 
der Bänder in den Haaren, einen Schleyer trüge, weil es dem 
unglüdlihen Zujtand des Baterd, und der Handlung der 
Tochter angemejjener wäre.*) 

Die Caryatiden, welche das Marmorgefimje eines großen 
alten Camins tragen, erjchienen mir als treifendes Sinnbild 
weiblicher Geduld, da fie mit ruhigen Geſichtszügen, und in— 
einander gejchlungenen Armen gelaſſen, aber aufrecht und ent- 


*) Tiejes Bild befindet fich jegt in der Großh. Gallerie zu Mann— 
heint. ö 
97% 


420 Kunſtgewerbe und Kunſtſammlungen. 


ſchloſſen die Laſt tragen, welche das Schickſal ihnen auf— 
1 

In den Tapeten — den filbernen Gejtellen der Canapees, 
Tiihen und Stühlen eines Zimmers, den Wanbdleuchtern, 
Spiegelrahmen — und Gueridons von dieſem Metall, liegt 
alte Fürſtenpracht und alter Kunſtgeſchmack, welcher in den 
Wandleuchtern des Audienzzimmers fich jchön und edel zeigte. 


Die Tapeten des großen Vorzimmers freuten mich für die 
Kammerherrn, indem fie ihnen die vier Jahreszeiten vorjtellen, 
wodurch diefe Herren, welche jo oft über die lange Weile in 
diefen Stuben Hagen, eine Unterhaltung finden können, be— 
ſonders wenn fie dabey die Gedichte des Rouget — Thomſons 
— Kleiſts, und des Abbe de Lille leſen wollten, jo würde 
ihnen der Aufenthalt in diefem Zimmer angenehm und nüzlıd) 
werben; jezo wiederhallt der Fußtritt einzelner neugieriger 
Fremden in dem großen jchönen Pallaft. Drofligt und auf« 
fallend jchien mir die Frage — Warum die Bildjäulen ver: 
Ihiedener Tugenden, auf dem Gefimje einer Altane, den Bes 
wohnern des Hauſes den Rüden aufehrten? — Artig war Die 
Antwort eines Hofmanns — Gie fliehen aus Verzweiflung 
aus dem von ihrem geliebten Fürſten verlaffenen Ballaite. 
Schön it des jchäzbaren Künſtlers Melchior von Franken— 
thal, auf diefe Begebenheit ausgearbeitetes Bild." — 

Neben der Gemälde-Gallerie wies auch das Handzeichnungs- 
und Stupferftichceabinet, das die Inſpectoren Schmidt und Pichler 
verwalteten, werthvolle Kunjtihäge auf. Für diejes Cabinet 
hatte Karl Theodor von Baron von Stojh 487 Driginalzeich- 
nungen bedeutender Meifter (darunter auch Rafael) um den 
Preis von 2—3000 Gulden erworben. Die Kupferſtichſamm— 
lung, die circa 400 Bände in Folio zählte, hatte der Maler 
Lambert Krahe eingerichtet und Meijter-Blätter aller Schulen 
und Zeiten mit großer Regſamkeit erworben. Beide Samm- 
lungen befinden fich jegt in München, während Mannheim die 
Klein’ihen Sammlung zum Erjag erhielt.*) 





*) Die reihhaltigite Sammlung fpeziell von Stihen Mannheimer 
N 


Stunftgewerbe und Kunſtſammlungen. 421 


Das furfürftlihe Antiquitäten-Cabinet wurde im Jahre 
1763 zugleich mit der Akademie der Wiſſenſchaften begründet. 
Die Direction des Muſeums übernahm der Secretär der 
Akademie Hofrath Andrea Lamey, der über die Erwerbungen 
und Funde in den Acta academiae Theodoro-Palatinae ein- 
gehende Berichte veröffentlichte. Einen Hauptbeitandtheil diejer 
Sammlung bildeten in der Folge die römiſchen Denfiteine, 
Gleich im Gründungsjahre des Mujeums, rejp. der Akademie 
fonnte man vier werthvolle Dentjteine einjtellen. Der eine 
davon, mit einem „MithrassRelief* ohne Inschrift in rothem 
Sandjtein joll nad) Freher in Mannheim ausgegraben worden 
jein. Bunächft diente diejer gefundene Stein um 1613 einem 
Brunnen vor dem damals neuerbauten Rathhaufe in Mann» 
heim zur Bierde, dann gelangte er jedenfalls infolge einer kurs 
fürftlihen Schenkung in den Bilchofspalajt zu Ladenburg, wo 
er in die Hofmauer eingelaffen wurde, und ſchließlich holte 
man ihn bei der Begründung des Dofantiguariums im Jahre 
1763 wieder nah Mannheim zurüd. 1763, 1767 und 1768 
wurden die erjten Heilen zur Auffindung und Erwerbung 
römijcher Denkiteine unternommen, u. X. nad) Worms, Mainz, 
Speyer, Heilbronn, Nafjau, Trier, Bonn, Köln, Düfjeldorf. 
1794 enthielt die Sammlung 70 jolcher meijt in den Rhein— 
landen gefundener Denkjteine. Dazu famen etrusfifche Bajen 
jowie Urnen aus Wlabajter, in Toskana gefunden, Kleine egyp— 
tijche, griechische und römiſche Statuetten, bejonders in Marmor 
und Bronze, Statuen und Büjten verjchiedener römijcher Kaiſer 
und berühmter Männer, Mojaiten, Waffen, Hausgeräthichaften 
u. U. aus dem Altertum. Glüdlicher Weife ift zum größten 
Theil diefe Sammlung hier verblieben. 


Kunft und Wiſſenſchaft befruchtend wirkte auch das kur— 


Meiiter des 18. Jahrhunderts iſt gegenwärtig im Beſitze ded Herrn Rubolf 
Baſſermann in Mannheim. Mehrere der in unſerer Geſchichte wieders 
gegebenen Stiche ftammen aus biefer mit großer Sadıfenntni vorzüglich 
zufammengeitellten Sammlung. (Siehe das Verzeihniß des Bilderſchmuckes 
dieſes Buches.) 


422 Kunftgewerbe und Sunftiammlungen. 


füritlihe Naturhiftoriihe Cabinet. Die Hier vor Augen ge- 
führte Thierwelt, die Pflanzen, Mineralien und jeltenen Ber- 
jteinerungen erweiterten hier den Geſichtskreis des Naturerfennens 
und gaben der Kunjt und Wiſſenſchaft mand)’ neue Motive. 
Die Sammlung machte unter Collinis vortrefflicher Leitung die 
beiten Fortichritte. Die VBerfteinerungen, Mineralien und Meer: 
pflanzen find vom Kurfürften aus dem Bertrand’schen Mujeum 
in Bern für 1200 Gulden angefauft worden. 


Das mit Geſchick und Kumjt geübte Ausjtopfen der todten 
Thiere bejorgte nach einer bejonderen Methode Johannes 
Singenidh, ein Bruder des berühmten Kupferitechers Heinrid) 
Sintzenich. 

Reich an künſtleriſch ſchön gearbeiteten Schmuckſachen war 
die kurfürſtliche Schatzkammer, als deren Verwalter Geofroi 
Goẽës genannt wird. Dieſe Schatzkammer ſtieß an das im 
rechten Schloßflügel befindliche naturhiſtoriſche Cabinet und be= 
ftand aus zwei mit gläjfernen Schränken ausgejtatteten Sälen. 
Die Schatfammer und die Miünzjammlung famen bald nad 
des Kurfürften Abreife nah) München. 


Die kurfürftliche Bibliothek kann, wie jchon auf Seite 
195—197 ausgeführt wurde, als der Glanzpunkt der Aus» 
jtattung Mannheimer Sammlung bezeichnet werden. Die zur 
Zeit Karl Theodors hier aufgejtellte Bibliothef umfahte circa 
50000 Bände. Unter der Leitung des Abbe Nikolaus Maillot 
de la Treille jtehend, deſſen Litteraturfenntniije jehr gerühmt 
wurden, hatte ſich die Bibliothef und das Archiv raſch zu 
rejpectabler Reichhaltigkeit entwidelt. Unter den hier bewahrten 
jeltenen Werfen befand fich die Barijer Ausgabe des „Corpus 
historiae Byzantinae*, die der Kurfürſt um 600 franzöftiche 
Lire angefauft hatte. Das Arhiv enthielt u. A. auch eine 
Copie des „Codex Laureshamensis“, deſſen Herausgabe durch 
den zweiten Bibliothefar Andreas Lamey jchon oben erwähnt 
wurde. Als Adjunct wirkte bei der Verwaltung der Biblio: 
thef Kicchenrath Cafimir Haeffelin mit, der Director des Münz— 
cabinets. 


Kunitgewerbe und Kunitiammlungen. | 423 


Bon der furfüritlichen Bibliothek find Heute nur noch 3000 
Bände in Mannheim zurüdgeblieben, alle übrigen Werke und 
alle Archivalien famen nad) München, 


Ein längſt verdienter Erjab für dieſen großen Verluſt 
wurbe der Stadt Mannheim erjt in neuerer Zeit durch Ein- 
ftellung einer anderen größeren Biblivthef in den Saal ber 
jest öffentlichen Bibliothek des Schlofjes zu theil, einer Biblio» 
thef, die zu gleicher Zeit der Begründung der fusfürjtlichen 
Bibliothek nah Mannheim rejp. hier zu voller Entwidelung 
gelangte. Es iſt dies die große Bibliothef des Abbe Desbillong, 
eines Freundes des Prälaten Maillot de la Treille. 


Franz Terraſſe Desbillons (Des Billons) gehört zu jenen 
für das 18. Jahrhundert charafteriftiichen Vertretern des Jejuiti- 
mus, die mit großer Wihbegierde in die Geheimnifje des gei— 
ftigen und weltlichen Lebens einzudringen verjuchten und mit 
einem gewiljen Raffinement eine interejjante Lebenskunſt ent— 
falteten. Desbillons war ein großer Gelehrter, geiftreicher 
Schriftjteller und weltgewandter Lebemann. (Portrait Seite 352.) 


Er ift am 25. Januar 1711 in Chäteau-neuf in Frank— 
reich (Landichaft Berry) geboren. In der Schule zeigte ſich 
bereit3 jein lebhafter Geiſt und feine Lernbegierde. Schon mit 
16 Jahren trat er im Jahre 1727 der Gejellichaft Jeſu bet, 
die den begabten Jüngling für fi) zu gewinnen wußte Cr 
wurde nad feinem Studium der Philojophie und Theologie 
zumächit Lehrer an den Gymnaſien zu Nevers und Caën. In 
Paris, wo er neben jeiner Lehrthätigkeit in der Rhetorik jeine 
philojophiichen und theologijchen Studien fortiegte, wurde er 
zum Prieſter geweiht. Nach furzer erfolgreicher. Thätigfeit als 
Lehrer in Fleche und Bourges wurde er nad) Paris zurüd- 
berufen, um hier — abgejehen von einer nochmaligen vorüber: 
gehenden Rückkehr nach) Bourges — im Collegium St. Ludwig 
al3 Oberbibliothefar bis 1762 zu wirken. Hier wurde er durch 
die Aufhebung jeines Ordens im gleichen Jahre ſchwer betroffen. 
Ein jo freies Leben er auch in Paris führte, jo hielt er doch 
mit aller Energie an den politijchen und religiöjen Bielen jeines 


424 Kunftgewerbe und Kunſtſammlungen. 


Ordens feit.*) Er mußte in Folge deſſen 1764 Frankreich ver- 
faffen und wurde von Karl Theodor nad) Mannheim berufen, 
der auch auf feine Koſten die große, damals jchon über 13 000 
Bände zählende Bibliothek des Geflüchteten hierher verbringen 
ließ. Hier in Mannheim konnte Desbillons in aller Ruhe 
jeine wiljenjchaftlihen und litterariſchen Arbeiten fortjegen. 
Karl Theodor hatte an dem geijtreichen, lebensluftigen Mann 
offenbar Gefallen, er zeichnete ihn durch jeine Gunft aus und 
lud ihn oft ein, um fich feiner jcherzreichen, heiteren, oft ſtark 
gepfefferten Unterhaltung zu erfreuen. 


Doch das Unglück jeines Ordens verfolgte ihn auch nad) 
Mannheim, al3 1773 die allgemeine Aufhebung der Geſell— 
ihaft Jeſu erfolgte. Desbillong erichütterte das Ereigniß tief, 
allein er blieb Lehrer am Gymnafium zu Mannheim.**) Er 
ftarb im Alter von 76 Jahren am 19. März; 1789. Zwei 
Tage vorher Hatte er noch eine Meife gelejen und ruhig 
war er, verjehen mit den Sterbejacramenten, am Nach— 
mittag des genannten Tages in jeinem Lehnſeſſel ent» 


ſchlafen. 


*) In den aufbewahrten Akten der Pariſer Geheimpolizei, die das 
mals die Jeſuiten fcharf zu beobachten hatte, ift auch der Name Francois 
Terraſſe Desbillons eingezeichnet. 


**) Nach einem Eurfürftlichen Befehle wurden nach Aufhebung der 
Jeſuiten die Lehritühle gemifcht mit Weltgeiftlihen und Jeſuiten befegt, 
ſodaß nun je drei Jeſuiten und zwei Weltgeiftlihe bei dem Mannheimer 
und bei dem Heidelberger Gymnaſium verwendet wurden. Der von Maillot 
gemachte Vorichlag einer Congregatio Clericoram jcheiterte Zwar, weil das 
hohe Minifterium und Die Lurfürftliche Landesregierung ganz Übergangen 
worden war, ber patriotifche Clerus aber wurde von der Führung der 
Jugend verdrängt, und der Unterricht derfelben dem aus Frankreich bes 
rufenen Orden der Lazariften (Missio) anvertraut, welche fih im Jahre 
1782 anfangs und hauptſächlich in Heidelberg und bald auch in Manns 
heim, Neuftadbt und Ingelheim niederliegen. Ginen bedeutenden Einfluß 
wußte fi) dabei der Voriteher Saligot zu verichaffen, der manche Vers 
wirrungen und Unordnungen herbeiführte, denen vergeblich mehrere tüch- 
tigere, dem Orden beigetretene deutſche Mitglieder, zu fteuern bemüht 
waren. (Gräff nach der Geſchichte d. Lazarisınus, Bethania, 1798.) 


Kunftgewerbe und Kunftiammlungen. 425 


Als Schriftiteller zeigte Desbillons ebenjo wie im gejell- 
ichaftlichen Verkehr jeinen lebhaften, jprudelnden Gert. Er war 
viel zu hoch gebildet, um nicht davon überzeugt zu fein, daß 
im Neiche des Geijtes nur das perjönliche Können und jelb» 
jtändige Denken enticheidet und nicht das angelernte, unge- 
werthete Wiſſen. Er bevorzugte es, jeine Gedanken in die 
anjchauliche Form der Fabel zu Heiden — La Fontaine und 
der römische Fabeldichter Phaedrus waren feine Meiiter. 
Außerdem verehrte er bejonders noch Terenz — ein Beweis 
feinen Weltverjtändniiies. Wie Phaedrus behandelte er eben» 
falls äſopiſche Fabeln. Seine erjte Sammlung erſchien zu 
Glasgow 1754 unter dem Titel „Fabularum Aesopiarum libri 
quinque* — bis nad) verjchiedenen weiteren Ausgaben diejer 
Collection 1768 jeine große Publikation in zwei Bänden 
„Fabularum Aesopiarum libri XV* (15 Bücher) mit Kupfer— 
jtihen von Berheljt in Mannheim herausfam und 1769 aud 
in Paris (mit nur einem Kupfer von C. Baquoy) aus» 
gegeben wurde. Cine größere Ausgabe des Phaedrus, Die 
Desbillons jorgfältig vorbereitet hatte, gelangte nicht zur Ver— 
öffentlichung, angeblich, weil die beigegebenen Kupfer anjtößig 
gewejen jeien. Dafür gab Desbillons 1786 in Mannheim die 
fünf Bücher Nejopiicher Fyabeln des Phaedrus mit Noten und 
Erklärungen verjehen für den Schulgebrauch heraus. Etwa 
10 Jahre zuvor waren aud) die „Fables du pere Des Billons“ 
mit dem beigedrudten Lateinischen Tert in's Franzöſiſche über- 
jet zu Mannheim erjchienen. Neben diejen Werfen einer 
(ebensvollen Poeſie verfaßte Desbillong auch vecht gedanfen- 
reiche und feingejchriebene biographiihe Schriften „Nouveux 
Eelaircissements sur la vie et les &uvres de G. Postel, 
Liege 1771, und „Histoire de la vie chretienne et des 
exploits militaires d’Albert Barbe d’Ernecourt, connue sous 
le nom de Madame de Saint Balmont, Liege 1773“, Außer: 
dem jprach jich die rege litterariiche Thätigfeit Desbillons’ in 
zahlreichen lateinischen Gedichten, jowie in Kritifen (beſonders 
über Voltaire und Bayle) und Ueberjegungen aus dem Latei— 
nischen aus. Desbillons iſt — nebenbei bemerft — auch ber 


426 Sumitgewerbe und Aunitiammlungen. 


Berfafjer der Inichriften auf der alten Brüde zu Heidelberg, 
die fich auch in feinem Buche „Ars bene valendi“ (Heidelberg 
1788) vorfinden. Ein Theil feiner nachgelafjenen Werke er: 
jhien 1792 unter dem Titel „Miscellanea Posthuma* 
(2 Bde.) im Verlage des Bürgerhofpital3 zu Mannheim und 
wurde durch eine biographiiche Skizze über den PVerfafjer nad) 
Maillot de la Treille eingeleitet. 

Eine Zeit lang trug fi) Desbillons mit dem Plan, eine 
fritiiche Litteraturgefchichte zu fchreiben. Diefer Plan ftand im 
Zuſammenhange mit ber großen Bibliothef, die er vielleicht 
hauptjächlich für dieſen Zweck geichaffen. 

Dieſe Bibliothek, zulegt circa 16000 Bände enthaltend, 
jpiegelt das große umfaſſende Willen, die große Wihbegierde 
und die außerordentliche Bücherfenntniß des geiltvollen Baters. 
Nach feinem Teſtament war bejtimmt, daß die Sammlung ber 
furfürjtlichen Bibliothek einverleibt werden jolle; er hatte 
jedenfalls für ihre Aufftellung den prächtigen Saal des Schlofjes 
im Auge. Allein jein Wunſch jollte erft nach nahezu 100 Jahren 
in Erfüllung gehen. Da die furfürftliche Bibliothek nad 
München wanderte und eine ausdrüdliche Beſtimmung beftand, 
dat die Bibliothef Desbillons an ihrem Orte in Mannheim 
verbleiben müffe, jo ließ man jie zunächit im Jeſuitencollegium 
und Lyceum und vereinigte fie mit der ebenfalls dort aufbe- 
wahrten Sammlung des Collegiums. Erſt im Jahre 1870 
gelangte fie vereinigt mit der letzteren Sammlung in den präch— 
tigen Saal der jegigen „Deffentlichen Bibliothek“ im Schloſſe. 

Schon in Paris hatte Desbillons bis zum Jahre 1762 
etwa 13000 Bände gejammelt. In Mannheim fette er die 
Ermwerbung durch reihe Correipondenz mit guten Quellen fort 
und bier vermehrte er den Biücherbejtand jeiner Bibliothef um 
3000 Bände. Seltene theologiishe und philofophiiche Werke, 
über ein halbes Hundert Incunabeln, bei. frühe Ausgaben von 
lateinischen Klaſſikern, erſte Drude italienischer und jpanischer 
Litteratur u. U. m. geben diejer Bibliothek einen außergewöhn- 
lihen Character. Auch die intime Weltkenntniß ihres Be— 
gründers bringt diefe Sammlung zum Ausdrud mit nicht 


Kunftgewerbe und Kunſtſammlungen. 427 


wenigen Schriften, die in geheime Falten der Weltgeſchichte 
und des Lebens blicken laſſen. 

Friedrich von Weech theilt in ſeiner beſonders auch für 
die Geſchichte Mannheims wichtigen Schrift ‚Römiſche Prälaten 
am Deutichen Rhein“ aus den Aufzeichnungen des von der 
römischen Kurie gejendeten Grafen Franz Iofeph Garampi, der 
übrigen? auch Ehrenmitglied der Mannheimer Akademie ber 
Wiſſenſchaften war, folgendes mit: 

„P. Billon, ehemals Bibliothefar des großen Jeſuiten— 
collegiums3 in Paris, hatte feine eigene Bibliothek, die etwa 
6000 Bände enthielt, mit ſich nach Mannheim gebradt. Es 
befinden fich darunter ein Dante in italienischer Sprache mit 
vielen eigenhändigen Randglofjen von Menagio, die Briefe von 
Johann von Saliebury und von Stephan dv. Tournay mit 
eigenhändigen Varianten und Randgloffen von Baluze, unediert 
und jehr interefjant durch die Richtigftellung vieler Eigennamen 
und die Erläuterung jchwieriger Stellen. Billon jagte, Die 
„Nouvelles de la R&publique des lettres* von 1684—1689 
jeien von Peter Bayle und gälten als eine der beiten Zeit- 
ihriften nad) dem „Journal des Savants“; ferner die Aus- 
gaben des Cäſar vor 1500 feien jehr jelten, die ſämmtlichen 
Bibliographien von Elere in 84 Bänden fünne man in Paris 
um etwa 100 Livres kaufen. Garampi jah auch die Briefe 
des franzöftichen Gejandten in Rom zur Zeit Gregor3 XIIL., 
Paul de Foir, in einem Quartband.“ 

Einige der werthvollften Bücher find jedenfalls dem kur— 
fürftlihen Befit einverleibt worden; doc find, mie gejagt, 
werthvolle Drude noch in beträchtlicher Zahl in der Sammlung 
jelbft verblieben. 

Die kurfürftliche Bibliothef war bejonders reich an künſt— 
leriſch-ſchön gearbeiteten Bucheinbänden, wie dies auch die noch) 
hier vorhandenen Bände zeigen. Dieje Bucheinbände find kunſt— 
gewerbliche Arbeiten vorbildlichjter Art. 

Doch das führt uns auf das Kunſtgewerbe dieſer Zeit 
zurüd, das auf fait allen Gebieten außergewöhnliches leiſtete. 

Feinſte Seidenfticereien, prächtige Cojtüme, geſchmackvollſte 


428 Kunftgewerbe und Kunftfammlungen, 


Juwelierarbeiten mit funftvoll gejchnittenen Steinen und ſchön 
gejchliffenen Diamanten ließen die damalige Gejellihaft in 
einem auf echten Schmud beruhenden Glanz ericheinen. 

Zulegt müſſen wir noch eines Kunſtgewerbes ge= 
denfen, das im 18. Jahrhundert entjtand und jeine Blüthe er— 
(ebte, um bis zum heutigen Tage nicht wieder erreicht zu wer— 
den. Diejes Kunjtgewerbe, das der Tüpferei weitejten Spielraum 
gab und fie über die gewöhnlichen Grenzen Hinaushob, war 
die Borzellan-Arbeit. Eine ganz neue Welt der Kleinkunſt ent- 
ftand durch Johann Friedrich Böttchers Erfindung des Por— 
zellans. An die erſte Fabrik in Meiken, die etwa zwanzig 
Jahre nah dem 1819 erfolgten Tode Böttcher in Blüthe 
jtand, jchloffen jich bald andere Fabrifen an — jo vor allem 
auc Frankenthal, die damalige große Fabrikſtadt der Pfalz. 

Eine ausführliche Bejprechung diejer Fabrik gehört in eine 
Geihichte der Stadt Frankenthal. Hier joll nur kurz einige 
Hauptpunkte diejer vor Allem nad) Mannheim hinüberjpielenden 
Kunjtbethätigung angeführt jein, Die Fabrik war von Paul 
Anton Hannong im Jahre 1755 in Frankenthal unter den am 
26. Mai diejes Jahres ertheilten furfürftlichen Privilegium be» 
gründet. Hannong erhielt aud) vom Kurfürjten einen Vorſchuß 
von 1500 Gulden, und es wurde ihm eine Verfaufsjtätte im 
Kaufhaus zu Mannheim gewährt. Schon im November 1755 
fonnten Arbeiten, die den Stempel P H trugen, in Berfauf 
gebracht werden. Die Erde jtammte aus Alzey, Dürkheim und 
PBafjau. Im Jahre 1759 wurde ein Sohn Hannongs, Jojeph 
Adam Hannong Leiter der Fabrik. Als ein vorzüglicher 
Künftler auf dem Gebiete der Porzellanarbeit hoffte er den 
Betrieb der Fabrik rajch fürdern und einen geiteigerten Abſatz 
der Arbeiten erreichen zu können, allein troß der Vorzüglichkeit 
jeiner Arbeiten wollte ſich ein rechter Erfolg nicht einjtellen. 
Er verkaufte deßhalb die Fabrik für 50804 Gulden an ben 
Kurfüriten Karl Theodor, der fich von der eigenen Verwaltung 
einen Aufihwung der Fabrik veriprad). 

Die Fabrik zählte im Jahre 1775, wo jie relativ am 
Beiten ftand, nad) einem Bericht der Fabrikcommiſſion („Kurze 


Kunſtgewerbe und Kunjtiammlungen. 429 


Borjtellung der Indujtrie in den drey Haupt-Städten der Chur: 
fürftlihen Pfalz" Frankenthal 1775) 180 thätige Angeſtellte. 
E3 waren dies: der Director Adam Bergbold, der Inſpector 
Simon Feylner, die Condirectoren Martin Stephan Lang, 
Ludwig Lynder, Michael Monné jowie 33 Boffirer, 61 Maler, 
und 86 andere Arbeiter (Dreher, Brenner, Glafirer u. ſ. w.). 

Der furfürftliche Commiſſarius war ber Geh. Regierungs- 
rath und Oberappellationsgerichtsrath Joſeph von Geiger in 
Mannheim, dem Commiſſionsſecretär Mayer zur Seite ftand. 
Die Oberdirection führte über die Fabrik als kurfürſtliche An- 
ftalt jelbftverftändlich das Mintjtertum. 

War die zweite Fabrifmarfe unter I. Adam Hannong die 
Beichnung eines aufrecht jchreitenden Löwen gewejen, jo wählte 
fich die kurfürftliche Fabrik ein verichlungenes CT (Monogramım 
des Kurfürften) zur Bezeichnung ihrer Arbeiten. 

Die Fabrif wurde nad) jchweren Bedrängniffen in den 
Kriegszeiten und harten Kämpfen um ihre Eriftenz im Jahre 
1800 auf Beitimmung des Kurfürſten Mar Jojeph mit der 
Nymphenburger Fabrik vereinigt. 

Als Baden die Regierung der Pfalz übernahm, follte 
auch das im Mannheimer Kaufhaus noch beitehende Waaren- 
lager der eingegangenen Frantenthaler Fabrik geräumt werben. 
Bei der dazu vorgenommenen Verfteigerung ging ein Theil der 
auf 80000 Gulden geſchätzten Waaren etwa nur zu einem 
Sechstel des Preijes weg, die übrigen übernahm der badijche 
Hof zum Zehntel-Preis nur, um die Sache zu jchneller Erledi- 
gung zu bringen. Die Zeit war Verkäufen auf fünftleriichem 
Gebiete nicht mehr günjtig. 

Die Arbeiten der Frankenthaler Fabrik hatten gleich von 
Anfang an den Beifall der Kenner gefunden; fie fünnen neben 
guten Arbeiten anderer Fabriken in ihrer Eigenart bejtehen. 
Leider kam auch dieje feine Kunſt fange Zeit für die Allge- 
meinheit in Vergeflenheit und nur wenige Kenner und Kunſt— 
freunde*) erhielten bier in Mannheim durch reihe Sammlungen 


*) Gegenwärtig beionders die Herren Jean Wurz und Sarl Baer. 


430 Aunftgewerbe und Kunftiammlungen, 


in Heinem Kreiſe den Sinn für diefe vornehmen künſtleriſchen 
Arbeiten, 

Dieje Kleinkunſt, die das Haus mit ihrer Grazie erfüllte, 
lenkte in ungezwungenjter Weije auf eine feine Kunjtpflege 
überhaupt Hin. Geichmadbildend und den Sinn verfeinernd 
gewirft zu haben, ift ihr unbejtreitbares Verdienſt. Alle Ver- 
juche, diefe Kunſt in größeren Formen zu üben, jcheiterten, fo 
auch Kendlers Unternehmen in Meißen, eine lebensgroße Statue 
des ſächſiſchen Kurfürjten in Porzellan auszuführen, und aud) 
der chineſiſche Borzellanthurm in Nanfing und andere chinefische 
Porzellanarbeiten fünnen bier nicht in Frage fommen. Nein, 
gerade Kleinfunft erreicht Hier jpielend Großes. Werthvoller 
noch als die reizenden Schäferidyllen und mythologiichen Dar: 
jtellungen waren die lebenswahr geitalteten Genrejcenen und 
Handwerfer- und Arbeiterdarjtellungen, die aus dem unmittel- 
barjten Leben der damaligen Zeit geichöpft wurden und nicht 
nur decorativen Schmud, jondern wahre Kunjt an fich bieten. 
Diefe Kunft gibt und auch Plaſtik und Malerei in reizvolliter 
Verbindung und unbejtreitbarjter Harmonie, einen lebhaften 
Beweis für die Schönheit bemalter Plaſtik Liefernd. 

Nicht weniger als 800 figürliche Gruppen und 500 andere 
Arbeiten funjtgewerblicher Gegenjtände wurden nad) E. Heujers 
neueften Ermittelungen in Frankenthal gejchaffen — eine ganze 
Melt farbenjprühender und formenreicher Schöpfungen eines 
vornehmen Sunjtgewerbes, das erjt heute wieder neue Schägung 
findet. 

Auch die Teppichwirferei wurde zu diejer Zeit in großem 
Stile betrieben und auch einige der beiten Gobelins des 
Schloſſes (nach Teniers) entjtammen heimathliher Kunft. 

Eine intereffante Bejchreibung einer Zimmereinrichtung da— 
maliger Zeit bietet die ſchon oben erwähnte Schriftjtellerin 
Sophie von La Rode, indem fie jchreibt: 

„Sie werden ganz natürlich finden, daß man nach Betrach- 
tung der Perſonen in einer Gejellichaft fih auch im Zimmer 
umjchaue. Mich dünfte eine Miſchung von Holländijchem und 
Pariſer Geſchmack zu finden; die Canapees und Comode, das 


Kunftgewerbe und Kunſtſammlungen. 431 


igmetrijche der zwey Cabinete, und ihre Einrichtung war fran- 
zöſiſch — die in der Vertiefung der Fenſter eingepaßte, nett= 
gearbeitete, und gemalte Kajten von Blech auf zierlihen Füßen 
jtehend, voll der jchönften in der Stubenwärme aufgeblüten 
Hyacinthen, die auf den Fenſterſimſen ruhende jchöne porcelane 
vortreflih geformte Blumentöpfe — die Gläfer, auf welchen 
Blumenzwiebeln, durch die Dünfte des Wafjers zum Keimen und 
Wurzel treiben gebracht werden, waren wirklich holländiih . . .. 
Wirflih waren die Gemälde — die Mufifpulte, und bie 
Blumengefäße jo artig vertheilt, daß man von dem zum Früh 
jtüden niedlicd; geordneten Tiſch — vder von den Canapees 
alles jehen und genießen fonnte. Diejer Genuß war im zwei 
Stunden eingejchloffen, und wie viele Jahre hatte die gute alte 
Beit, an den Materialien gearbeitet, welche nicht nur dieje Hier 
vereinte höhere Künfte, jondern auch die untergeordnete Geifter 
der Schreynerey, der Tapeten und Tepichweberey — der Ber- 
fertigung der muſikaliſchen Inftrumente, des Porzelaus — und 


Dod ehe wir das Gebiet der Kunft des 18. Jahrhunderts 
verlaffen, joll noch ein Sohn der Stadt Mannheim in danfender 
Erinnerung genannt werden, ber, aus dieſer Kunftiphäre her- 
vorgegangen, auch anderwärts jeiner Vaterſtadt Ehre machte, 
Es ijt dies Karl Gontard, der berühmte Architekt, geboren zu 
Mannheim 1738 und gejtorben zu Berlin 1802, 

Bon Friedrich dem Großen angejtellt, wirkte er bei der 
Erbauung des Palais bei Potsdam mit, und er entwarf hier- 
für die Communs. In Berlin erbaute er u. U. bekanntlich die 
großartigen Thürme der Kirche am Gensdarmenmarkt und bie 
Colonnaden an der Königsbrüde. Er begann aud) die Erbauung 
de3 neuen Marmorpalais bei Potsdam und ftand bis 1788 
in ben Dienjten des Königs Wilhelm IL. In allen feinen 
Merken iſt etwas von der werthvollen Grundlage, die jeinem 
Schaffen das Studium der Bauten Bibienas in Mannheim ge— 
geben hat, deutlich bemerkbar. — 

Zurüdblidend auf die gejammte Kunftbethätigung des 
18. Jahrhunderts zum Vergleich mit dem Schaffen der darauf: 


432 Kunftgewerbe und Ktunſtſammlungen. 


folgenden Zeit werben wir uns der Wahrheit jo recht bewußt, 
die Jacob von Falke in feiner Geichichte des Kunſtgewerbes 
mit folgenden Worten jagt: 

„Das achtzehnte Jahrhundert hatte wenigitens noch überall 
feinen eigenen Gejchmad gehabt, wenn er auch fein beuticher, 
fondern ein franzöfiicher war; das neunzehnte hatte aud) den 
nicht, denn was Frankreich, das immer noch, und mehr als je, 
die Führung im Gejchmad hatte, in funftgewerblichen Dingen 
ſchuf, das zeigte wohl Gejchidlichfeit und auch einiges Leben, 
oder vielmehr WVeränderlichfeit, aber es bewegte ſich ohne 
Driginalität nur in den traditionellen Stilen feiner Ver— 
gangenheit. Und darin folgte Deutichland erjt in weiten Ab— 
ftande. Jedes eigentliche Stilgefühl war ausgeftorben . . . .. 
In der Goldichmiedefunjt galt mur das Material, in dem 
Schmud der Stein oder das Gold; an edler Kunft, an jchöner, 
zierlicher Arbeit hatte Niemand mehr Gefallen; man verlernte 
fie zu jchäßen und zu beurtheilen. Das geichmiedete Eiien 
hatte der leichteren Gußarbeit weichen müffen. Die Schnigerei 
der Politur, die gegoijene und zifelirte Bronze dem in Formen 
gedrudten Blech. Das Glas wurde wie Porzellan bemalt, das 
Porzellan wieder wie Holz, das Holz auf jeiner Oberfläche 
dem Leder gleich gemacht. Es war eine völlige Verwirrung 
und Vermiſchung der verjchiedenen Zweige des Kunſtgewerbes 
untereinander. 

Bei diefer Sachlage büßte die Kunjtinduftrie ganz ge— 
rechterweije alles Antereffe bei dem Publikum ein. Das Intereije 
wendete fich der Majchine zu und den großen phyſikaliſchen 
Erfindungen der Neuzeit. Die Maſchine follte in der Kunſt— 
industrie aud; das leiten, was bisher die Hand geichaffen 
hatte. Damit verihwand nicht bloß die Kunſt, jondern auch 
der Künjtler. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts gab es in 
Deutichland, wenn man die Sache vom richtigen Standpunkt 
betrachtet, in der Imduftrie weder eine Kunſt noch eimen 
Künſtler ... . - Aber das Bedürfnig nach Schönheit läßt fich 
im Menichen nicht tödten; es kann eine Weile zurücgedrängt 
werden, wird aber immer wieder fiegreich bervorbrechen. Und 





Rheinlandfchaft bei Mannheim. 


Nach einem Gemälde von Galleriedireftor Wilhelm Frey (Mannheim). 





Kunstgewerbe und Kunſtſammlungen. 433 


fo ijt e3 in der zweiten Hälfte unjeres Jahrhunderts gejchehen 
Der Rüdjchlag gegen den Ungejchmad der Zeit und gegen die 
Allmacht der Majchine it erfolgt und hat eine Bewegung her— 
vorgerufen, welche bereit3 die ganze civilifirte Welt ergriffen 
hat und al3 ein bedeutungsvolles Ereigniß der Kulturgeichichte 
zu betrachten it. Die Bewegung iſt aber noch nicht abge- 
ichlofjen, wir jtehen noch mitten darin und können nicht voraus— 
jehen und vorausjagen, wohin jie führen wird. Ihre außer— 
ordentliche Bedeutjamfeit iſt klar, weniger aber ihr Ziel." 





Defer, Geihichte der Stadt Mannheim. 23 


XXIV. 


Die Abreiſe Karl Cheodors und die 
folgenden politifchen Ereignijje. 


Abreije des Kurfürſten — Regierungsjubiläum — Beginn des Revolutions— 

frieges — Ginnahme der Rheinſchanze durch die Franzofen — Ginzug der 

Franzofen in Mannheim — Belagerung der Stadt durch die Deiterreicher 

Bombardement der Stadt — Sapitulation — Bedrüdung der Stadt durd) 

General von Wurmfer — Der angebliche Verratd — Karl Theodor Tod 
— Rückblick auf das Leben Karl Theodors. 


Mitten in die reihe Bethätigung Mannheims auf den 
verichiedenjten Gebieten der Wiſſenſchaft und der Kunft und des 
jocialen Lebens kam die Nachricht von dem Tode des Kurfürften 
Mar III. Joſeph von Bayern. 

Man wußte e8, daß laut des von Karl Philipp 1724 be- 
wirkten Unionstractats mit Bayern, der im Sinne des alten 
Vertrags von Pavia (1329) die Erbfolge nochmals regelte, 
Kurfürit Karl Theodor als neuer Regent Bayerns zur Ueber: 
fiedelung nah) München verpflichtet war. 

Wie einen jchweren Schlag empfand die Bevölferung 
Mannheims diefe Wendung ihres Gejchides. 

Als am 31. Dezember 1777 Nachts die Abreiſe Karl 
Theodors erfolgen jollte, drängte fi eine Volksmenge um 
jeinen Wagen und fiel den Pferden in die Zügel, um mit Ge— 
walt die Abreije des verehrten Landesfürjten zu verhindern. 
Laute Rufe erichallten: „Bleibe bei uns!“ und die Mütter er- 


Die Abreife Karl Theodors und die folgenden politiichen Greigniffe. 435 


hoben ihre Kinder, um das Herz des Fürften zu rühren und 
ihn noch in legter Stunde von feinem Entſchluß abzubringen. 
Nur die Verfiherung des Kurfürjten, bald wiederzufehren und 
Mannheims Wohl im Auge zu behalten, beruhigte einigermaßen 
die aufgeregte und jchmerzerfüllte Bürgerjchaft. 

Das folgende Jahrzehnt lehrte auch, wie dies hier aus 
den Kapiteln über Kunſt und Wiſſenſchaft jchon hervorgeht, daß 
Karl Theodor jeines Verſprechens redlich gedachte. Wenn er 
auch nur vorübergehend zurüdfehrte, jo förderte er doc von 
München aus bejonders die fünitleriichen und wifjenjchaftlichen 
Beitrebungen in Mannheim auf’3 Lebhaftejte — bis die alles 
lähınenden Striegsereignijje am Ende des Jahrhunderts den 
Strom ruhiger Weiterentwidelung unterbrachen. 

Mannheim Hatte 1792 alle Urjadhe, das Feſt der 
5Ojährigen Regierung Karl Theodord mit allem Glanz zu 
feiern — es war unter der Regierung diejes Fürjten zu einer 
hoch angejehenen, berühmten Stadt geworden. 

Das Feſt bildete gleichham den letten Höhepunkt der 
Regierung Karl Theodors. Eine neue Zeit begann mit der 
franzöfiichen Revolution fich einzuleiten und umdrohte ſchon 
das Jubelfejt diejes gewiß hervorragenden Vertreters eines 
„aufgeklärten Despotismus“. 

Nach den ausführlichen Aufzeichnungen Feders geitalteten 
fih das Feſt und die darauf bald eintretenden Ereigniſſe fol 
gendermaßen: 

Das Feit begann am 30. Dezember mit dem Glodenjchlag 
4 Uhr nachmittags mit Fahnenſchmuck, Trompeten- und Pauken— 
ihall, jowie Glodengelänte. Am 31. Dezember Glodengeläute 
und Trommelichlag in der Frühe. Die Bürgerichaft ſammelt 
fi in zwei Bataillonen Infanterie auf dem Marftplage; ein 
neugebildetes Neitercorps war in zwei Brigaden formirt. Ein 
Feſtzug bewegte fich von dem Rathhauſe durch die breite Straße 
bis zur unteren Ede des Redoutenhauſes, wojelbjt er jich auf 
dem großen offenen Pla aufjtellte. Der Feſtzug wurde er= 
öffnet von einem Pionier (Zimmermeijter Bittenbeg) und dem 
Stadtmajor (Weimvirth Meyer); es folgten Abtheilungen des 


28* 


436 Die Nbreiie Karl Theoddrs und die folgenden politiichen Ereigniſſe. 


Bürgermilitärd in dunfelblauen Röden, jchwefelgelben Weiten 
und Beinfleidern und blau und weißen Federbüjchen, die Muſik, 
24 Zünfte, die bürgerlichen Deputirten; jodann das Stadtge- 
richt, der Stadtrath, die Bürgermeijter und der Stadtdirector, 
alle in ſchwarz mit Degen an der Seite; ferner die Hofitäbe 
mit allen Slünjtlern u. j. w, das Confilium Medicum, das 
Oberforſt- und Oberbergamtsperjonal, das Furfürftliche Hof— 
fammerdepartement mit Freiherrn von Perglas an der Spibe, 
das Hofgericht mit den Advocaten und Procuratoren, die Re— 
gierung mit der geheimen Sanzlei, der Negierungspräfident 
Freiherr von Venningen, der Oberappelationsgerichtspräfident 
Neichsfreiherr von Dalberg und der Negierungs-PVicepräfident 
Reichsfreiherr von Hövel, der Pfalzgraf Marimilian von Zwei- 
brüden, jodann die Generalität, den Zug bejchloffen Abthei- 
lungen des Bürgermilitärs. In der Hoffirche wurde Gottes« 
dienjt abgehalten, bei welchem Dechant Spielberger fungirte. 
Sodann Parade auf dem Schloßhofe in Gegenwart der Kur— 
fürjtin, Anjprachen des Regierungspräfidenten von Venningen 
und des Stadtdirectord Rupprecht mit Uebergabe einer Feſt— 
denfmünze, worauf die Kurfürftin erwiderte: Ich hoffe, glaube 
und bin überzeugt, daß mich die gejammte Bürgerichaft liebt, 
denn ich bejtrebe mich, die erjte Bürgerin Mannheims zu jein. 

Der Feitzug zog jodann an der Wohnung des Neichs- 
grafen von Oberndorff vorüber auf den Marktplatz, wojelbit er 
fid) wieder auflöfte. In ihm bewegten fich als Gegenstand der 
allgemeinen Aufmerfiamfeit acht der äfteiten Bürger, die jchon 
bei dem Negierungsantritt Karl Theodors demjelben gehuldigt 
hatten, der jüngite war 76, der ältejte 84 Jahre alt. Ihre 
Namen find: Johann Reuther, Conrad Moll, Abraham Gatte, 
Lorenz Totfüs, Philipp Bidermann, Heinrich Hofeker, Johann 
Röſſel, Martin Gräf. 

Eine Anzahl Mannheimer Jungfrauen überreichte der 
Kurfürjtin ein Feitgedicht mit einem Strauße von fünftlichen 
Blumen; Abends war allgemeine Beleuchtung.*) 


*) In Wigards Denkmal auf die 5Ojährige Regierung Karl Theodors 


Die Abreiie Karl Theodors und die folgenden politiihen Ereigniffe. 437 


Die Feitlichfeiten dauerten noc acht Tage. Iffland hatte 
ein eigenes Schaufpiel „Die Verbrüderung“ gedichtet, das unter 
allgemeiner Rührung zur Aufführung fam; am 2. Januar war 
Militärgottesdienft in der Oarnifonfiche; am Abend des 
gleihen Tages hatte Entreprenneur Etienne einen VBaurhall 
veranjtaltet., Am 3. Januar folgte ein feierliches Dankfeft im 
Gymnaſium; dann folgten die Danffejte der Karmeliter und 
der marianiihen Sodalität. Der Kurfürjt erwies ji) dankbar 
für dieje Feier und ließ der Stadt jeine Gefühle ausdrüden. 
Er überihidt durch Geheimrath von Stengel unter'm 2. De— 
zember 1793 jein von Battoni gefertigtes Portrait, von welchem 
Hofmaler Hofnaas*) eine Copie in Lebensgröße in Bereit» 
ſchaft gehalten zum Denkmal der landesväterlichen Huld und 
Liebe, 

Noch war diejer Feſtesjubel nicht verflungen, jo änderte 
fih die Scene in einer höchſt bedenklihen Weiſe. Eine Ab- 
theilung Franzoſen lagerte bei dem Hemshofe und errichtete 
dort im Februar 1793 zwei Batterien. 

Bon Seiten Dejterreichd drängte man jchon jeit Dezember 
1792 in die furfürjtlihe Regierung auf Bervolljtändigung der 
Bertheidigungsmittel, um Aufnahme einer öjterreihiichen Gar— 
(München 1795) heißt es in der 50 Eeiten fühlenden Bejchreibung des 
Feſtes u. N. noh: „Während der Zeit, als die Vürgerstöchter in kunſt— 
fofer, ungeziwungener und natürlicher Gradheit ihre Wünſche der gnädigiten 
rau in den Prachtſälen der Refidenz zu Füßen legten, hatten fich in dem 
großen Bücherſaale die Mitglieder der Akademie der Willenjchaften vers 
ſammelt, um ihrem erhabenen Stifter und Gönner an feinem feitlichen 
Ehrentage durch Werke des Geiftes und der Gelchriamkeit ein Opfer der 
GFreenntlichkeit und de8 Dankes zu bringen und dadurch das Andenken des 
Tages zu verewigen. Sie erichienen in der jtatırtengemäß ſchwarzen eier: 
fleidung und hielten ihre Sigung vor einer anjehnlichen Verfammlung von 
Zubörern.“ Bibliothefar Andread Lamey eröffnete die Sigung und Medi— 
cinalrath Melchior Güte hielt die Feſtrede. 

*) Hofnaad hat jedenfalld auch die beiden lebensgroßen Portraits 
Karl Theodors und feiner Gemahlin um dieje Zeit für den öftlihen Saal 
des Kaufhauſes (dem biöherigen Bezirfsrathsiaal) gemalt, während bie 
beiden anderen lebensgroßen Portraits diefes Saales weit früher gemalt 
find und jedenfall von der Hand Johann von Schlichtens herrühren. 


438 Die Abreife Karl Theodors und die folgenden politiichen Ereigniife. 


niſon und jedenfalls um Offenhaltung der Feſtung und des 
Rheinübergangs zum Zwecke des Durch» und eventuellen Rück— 
marjches. Auch der preußiiche Minifter Quchefint verlangt im 
April 1793 die Inftandjegung der Feſtung, die Wiederher- 
jtellung der Rhein» und Nedarbrüde, die Ausweiſung der fran- 
zöltihen Adjutanten und er betont ausdrüdfich, daß bei dem 
ausgebrochenen Reichskriege fein Reichsſtand berechtigt jei, die 
Neutralität zu bewahren. Oberndorff macht Zuſagen, ſetzt 
Commiſſionen zujammen und verhandelt auf dem gebehnten, 
regelmäßig fruchtlojen Wege. 

Ernitliher wurden die Dinge gegen Ende bes Jahres 
1793. Die Uneinigfeit zwiichen dem preußiichen Heerführer, 
dem Herzog von Braunjchweig, und dem öjterreichiichen General 
Wurmjer lähmte die Operationen der Verbündeten und das 
Gros der franzöfiichen Armeen dringt gegen den Rhein. Man 
fürchtet einen Durchbruch der Franzoſen bei Mannheim. Sept 
geht es endlich an die Arbeit. Graf Oberndorff läht unterm 
28. Dezember 1793 dem Stadtrath gebieten, jofort 1000 Mann 
zu Arbeiten an der Rheinſchanze zu ftellen. 

Die Franzoſen ftehen jchon bei Maifammer und die Lage 
wird jeden Augenblick bedrohlicher. Die NRegiftratur und Die 
Depofiten werden nad Mosbach geflüchtet; ebenjo wird das 
Perſonal der Behörden angewiejen, ji) dorthin zu begeben. 
Nur Deputationen bleiben zur Beſorgung der wichtigſten Ge: 
Ichäfte zurüd. 

Das Jahr 1794 beginnt mit einer außerordentlihen Auf- 
regung. Die Regierung zieht ab, das Zuchthaus wird ver- 
legt; Oberndorff befiehlt die Ausweilung der Franzoſen; 
Mailen von Flüchtlingen drängen fi in die Stadt; man muß 
fie vom Brüden- und Pflaftergeld befreien; die in die Stadt 
gebrachten herrichaftlichen Mehl- und Früchtevorräthe müſſen 
in den Slirchen untergebracht werden, wozu namentlich bie 
Neformirten ein jaures Geficht machen; die Garmeliter und die 
Nonnen verlafjen Mannheim, und Borjchriften werden erlaſſen, 
wie man fich bei einem Bombardement und bei ausbrechendem 
Teuer zu verhalten habe. Den Einwohnern wird zugejagt, daß 


Die Abreiſe Karl Theodors und die folgenden politiihen Ereigniſſe. 439 


fie nicht außerhalb der Stadt und nicht auf gefährlichen Punkten 
verwendet werben. 

So herrſcht überall eine fieberhafte Thätigfeit; man ijt in 
der größten Spannung. Die Stadt ift von Truppen angefüllt. 
Aus Bayern rüden zwei Bataillons Infanterie ein, und aud 
öfterreichiihe Cavallerie unter Generalmajor von Hospoth be= 
findet fich in der Stadt; al® aber noch weitere 85 Sappeurs 
und 100 Mann Infanterie einrüden jollen, macht man An— 
jtände, da fein Pla mehr vorhanden ſei. Auch hatte der Kur— 
fürft jagen laſſen, daß, wenn eine weitere Verſtärkung der 
Garniſon nothiwendig ſei, in erjter Linie furfürftliche Truppen 
dazu verwendet werden jollen. Ein LZazaret auf der Kaiſer— 
hütte wurde noch errichtet, die Bäume und die Hütten auf dem 
Jungbuſch wurden bejeitigt; aber mit dem Schreden und der 
Angit fam man auch diejesmal davon. Die Franzoſen griffen 
nicht an, fondern schlugen fih am linken Rheinufer mit den 
Dejterreichern herum, die unter Wurmjer jedoh am 30. De— 
zember 1793 bet Philippsburg jich wieder auf das rechte Rhein» 
ufer zogen. General Hoche ließ am 30. Januar 1794 den 
Gouverneur von Belderbujch zur Uebergabe der Stadt auf- 
fordern, erhielt aber eine kurze ablehnende Antwort. 

Wurmjer wurde nad jeiner Niederlage bei Hagenau ab» 
berufen; ihm folgt Feldzeugmeiſter Graf Browne in der 
Führung der öfterreichiichen Aheinarmee. Wurmfer Hatte noch 
am 12, Januar 1794 an Oberndorff einen Brief gerichtet, 
worin er auf die Gefahren aufmerfiam machte, welche der 
Stadt Mannheim drohten und dringend gebeten, die Feſtungs— 
werfe zu verbefjern. 

Wurmſer nennt in dieſem von Heidelberg batirten Brief 
Mannheim eine jchöne und glänzende Refidenz und verlangt 
weiter, daß bayerische und öfterreichiiche Truppen zur Ver— 
ftärfung der Garnifon aufgenommen werden. 

Die Rheinichanze, um welche es ich zunächſt handelte, 
bejaß nur eim 12—15 Fuß hohe Mauer und Hatte feinen 
Raum für eine aufzuftellende Reſerve. Die Fleſchen waren 
nur auf offenfive, nicht auf defenfive Bewegungen berechnet. 


440 Die Abreiie Karl Theodors und die folgenden politithen Greigniffe, 


Die Garnifon der Rheinjchanze beitand aus 3000 Mann, wo— 
von 360 pfälziiche Truppen, die übrigen Dejterreicher waren, 
Die Feſtung jollte durch eine kurpfälziſche Beſatzung von 9995 
Mann und 201 Mann Gavallerie vertheidigt werden. Die 
Feſtung zählte 471 Geſchütze, die Rheinſchanze 67 Kanonen. 
Der Beſitz der Aheinichanze mußte über den von Mannheim 
entjcheiden. Um jo tadelnswerther it es, daß jenes wichtige 
Werk in einem jo wenig vertheidigungsfähigen Zuftand gelafjen 
wurde. 

Eine zweite Thatjache, welche für dieſe Periode zu con— 
ftatiren ift, bejteht in der Schroifheit, mit welcher man allen 
Anforderungen, die Namens des Reichs an die Feſtung gemacht 
wurden, entgegentrat. Nicht nur, dag man alle Berbejjerungs- 
vorichläge auf die lange Bank jchob, jondern man wies jelbit 
angebotene SBilfeleiftung trogig zurüd. Als am 27. März 
zahlreiche Colonnen Cavallerie und Infanterie Seitens der 
Franzoſen nach Mundenheim dirigirt wurden, erbot jich der in 
Sedenheim jtehende General von Hotze ein Bataillon Rödel— 
Infanterie zur Berjtärfung nad) Mannheim zu jchiden. Die 
Regierung wies dieſes Anerbieten als überflüjjig zurüd. Als 
aber trogdem jenes Bataillon vor das Heidelberger Thor rüdte, 
wurden die Feltungsthore gejchloffen. Die Beſatzung trat 
unter Gewehr und die pfälziiche Artillerie faßte mit brennen— 
den Lunten Poſto an den Kanonen. 

Eine ähnliche Scene wiederholte fih im Mai 1794; Herzog 
Albrecht, der Reichsfeldmarjchall, wollte eine Offenfivbewegung 
gegen die Franzoſen jenjeits des Nheines beginnen und er ver- 
langte den Duchmarjch durch die Feſtung. Belderbujch er— 
widerte: dab der Durchmarjch der faijerlichen Truppen, wie 
immer, nur duch die Schleußen der Feſtung und über Die 
Rheinbrücke gejtattet jei, alle anderen Anforderungen aber nicht 
bewilligt werden fönnten, Die Sache wurde befannt und einige 
Abtheilungen der Reichgarmee wollten im Sturmjchritt und mit 
gefälltem Bajonett in die Feſtung eindringen und Rache nehmen 
für dieſe Mißachtung. 

Noch weniger ald eine fremde Bejagung wollte man jich 


Die Abreife Karl Theodors und die folgenden politiichen Ereigniſſe. 441 


an der Stelle des alten Belderbujch einen fremden General ges 
fallen laſſen. Ber Kurfürſt wollte jeine eigenen Städte und 
Garnijonen feinem fremden Commando anvertrauen. 

Diejer Anſchauung entgegen jtand die öfterreichiiche, welche 
betonte: es handle fich nicht um Specialintereffen, jondern um 
die Wohlfahrt des ganzen Reichs. Ueber diejes Thema jchrieb 
man bin und ber. 

Der Neichsfeldmarihall Herzog Albreht von Sachſen— 
Zeichen jet in Verabredung mit dem preußiichen Feldmarſchall 
von Möllendorif am 23. Mai mit 16000 Mann, jodann mit 
weiteren 18000 Maun bei Mannheim und Philippsburg über 
den Rhein und drängte die Vorpojten der Franzoſen bis an 
die Erbach und die Dueich zurüd. General Dejair jtand dem 
Herzog Albreht von Sachjen-Tejchen gegenüber; gegen bie 
Preußen commandirt St. Cyr. Man hatte beiderjeits jiegreiche 
Gefechte geliefert; da begannen Mitte Juli die Preußen plöß- 
lih den Rückzug. Im Folge deſſen mußten auch die Dejter- 
reicher wieder das linfe Rheinufer verlaſſen. Am 15. Juli, 
Nachts 12 Uhr, zogen fie ganz jtill durch die Rheinſchanze bei 
Mannheim vorbei. Abermals hatte man ihnen die Thore ver- 
ichloffen und durch Kanäle und Schleußen mußten fie die Stadt 
und die fFeitungswerfe umgehen. Damit war das Schiedjal der 
Rheinſchanze und Mannheims bejiegelt. Die Disharmonie der 
deutichen Großmächte, die bald in dem berüchtigten Frieden 
von Bajel ihren Ausdrud fand, hatte über dasjelbe entichieden. 

In Mannheim begannen alsbald die Vorbereitungen zur 
Vertheidigung. Man wies die Emigranten aus, ordnete die 
Verproviantirung der Stadt an, führte die damals im Neid) 
geplante Nationalbewaffnung ein und organifirte das Feuer— 
löſchweſen; Man jchidte auch eine Deputation nah Münden, 
die tröftende Worte vom Hofe zurüdbrachte. 

Nochmals entwarf der öjterreichiiche Heerführer den Plan 
zu einer gemeinjamen Offenfivbewegung gegen die Franzoſen, 
und damit zur Befreiung der Rheinſchanze und von Manns 
heim; allein er fam nicht zur Ausführung. 

Die Franzoſen folgten den rückweichenden Dejterreichern 


442 Die Adreife Karl Theodors und die folgenden politiichen Ereigniſſe. 


auf dem Fuße, bloquirten zunächſt die Rheinſchanze, und be— 
gannen eine regelmäßige Belagerung. Täglich fielen Fleine 
Scharmützel vor und es machten die Dejterreicher meiſtens er- 
folgloie Ausfälle. Sie waren von General von Wartensleben 
commandirt. Der pfälziiche General von Deroy war ihm im 
Dezember zur Seite getreten. Die Franzoſen waren von 
General Mihaud commandirt, Der lebtere hatte von dem 
Wohlfahrtsausihuß den Befehl, die Rheinichanze um jeden 
Preis zu nehmen. Zum Unglüd war der Winter jehr hart, 
und e3 trat ein jtarfer Eisgang ein, der die Aheinbrüde und 
jomit die Verbindung der Rheinſchanze mit Mannheim bedrohte. 
Belderbujch wollte jogar die Rheinbrücke abführen laſſen, wurde 
aber durch einen nachdrüdlichen Befehl des Reichsfeldmarichalls 
daran verhindert. Am 22. Dezember zerriß aber das Eis die 
Brüde und die Reſte mußten daher abgeführt werden. Es war 
die regelmäßige Verbindung der Rheinſchanze mit der Feſtung 
unterbrochen und fie fonnte nur mühjam mit Nachen bewerf: 
ftelligt werden. 

Nun war der Augenblid zur enticheidenden That für die 
Franzojen gefommen. Noch am 22. Dezember fandten fie 
folgende Aufforderung: 

„Shr jeid verloren; ihr ſeid ohne Hilfsmittel und ohne 
Hoffnung auf Unterftügung. 40000 Republikaner, bie ihr 
zählen könnt, find entichloffen, Alles zu wagen, Alles zu unters 
nehmen, um Euch zu bezwingen. 150 Feuerſchlünde find bereit, 
auf Euch Tod und Flammen zu jpeien. Schaut hinter Euch! 
der Rhein, auf den Ihr Eure Hoffnungen gebaut, bietet Euch 
den Abgrund dar, der Euch zu verichlingen droht. Blickt auf 
ung und Ihr findet den Edelmuth und jene Größe, die von 
dem franzöliichen Volke unzertrennlich find. Haltet dies nicht 
für eitle Brahlerei; die Republifaner bedürfen diejer nicht und 
laſſen fich nie jo weit herab. Nie jagen fie etwas umſonſt — 
Ihr wißt ed. Wählt! drei Stunden find Euch ala Bedenfzeit 
bewilligt; iſt diefe umjtrichen, jo bemächtigen wir uns Eurer 
mit Gewalt und laffen Euch alle über die Klinge fpringen.“ 

In der That wurden Unterhandlungen eingeleitet, die 


Die Abreife Karl Theodors und die folgenden politiſchen Greignifie. 443 


fi) aber zerichlugen. Infolge deſſen eröffneten die Franzoſen 
in der Nacht vom 23. auf den 24. Dezember aus acht Batterien 
ein furchtbares Kanonen, Bomben» und Haubigenfeuer. In 
Kurzem waren die Fleſchen, die Rheinſchanze, die Mühlau und 
die Stadt mit glühenden Kugeln und mit Brojectilen aller Art 
überjchüttet. Die Häuſer der Rheinſchanze wurden fiebartig 
durchlöchert, Das Feuer wurde am 24. fortgejegt. Am Nach— 
mittage wurde abermals eine Aufforderung zur Uebergabe in 
die Rheinſchanze gejchidt mit dem Bedeuten, daß jonft die 
Stadt in Aſche gelegt würde. 

Nach dem Belanntwerden diefer Nachricht trat num auch 
die Action der Staats- und Gemeindebehörden ein, um die 
Uebergabe der Rheinjchanze zu befürworten. 

In der Nacht vom 24. Dezember, 11 Uhr, wurde folgende 
Uebereinfunft abgejchloifen: 

„Die Rheinjchanze von Mannheim wird den 25. Dezember 
um Mittag mit dem Geſchütz, der Munition und anderen Gegen— 
jtänden, die im Augenblid der Uebergabe noch darin jein werben, 
der belagernden Armee übergeben, unter der Bedingung, daß 
die Stadt Mannheim, in folange der Krieg nur auf dem Linfen 
Rheinufer jtatthaben wird, nicht bombardirt werden darf. Die 
Beritörung der Rheinſchanze darf nicht gehindert werden. Die 
geringjte Widerjeglichfeit in diejer Hinficht wird man als eine 
Verlegung gegenwärtiger Uebereinfunft anjehen und durch Be- 
ihießung der Stadt zurückweiſen.“ 

In Folge diejer Uebereinkunft hatte man Zeit bis 12 Uhr 
Mittags, um die Rheinſchanze zu räumen. Mit allem Eifer 
wurde an das Werf gegangen und bis zur angegebenen Zeit 
wurde unter Beihilfe der Mannheimer Schiffer und Fiſcher die 
Räumung bewerfitelligt. Die Bejatung mit 67 Kanonen nebjt 
allen Zubehörden wurde auf das rechte Rheinufer gejchafft. 
Nur drei unbrauchbare Kanonen und Haubigen wurden zurüd- 
gelafjen. 

In der Stadt waren durch das Bombardement 69 Häujer 
beichädigt, 3 Civilperionen getödtet und 5 verwundet worden. 
Die Dejterreicher hatten bei den Kämpfen vor der Aheinichanze 


444 Die Abreife Karl Theodors und die folgenden politiichen Ereigniffe. 


3000 Mann, während des Bombardbements 32 Mann und 3 
Offiziere verloren. yeldzeugmeifter v. Wartensleben übermittelte 
dem Stadtrathe unterın 30. Dezember 1794 die Anerkennung 
des Reichsfeldmarſchalls Herzog Albredt von Sachſen-Teſchen 
über das vortreffliche Betragen, die Stille und Ordnung der 
Bürgerjchaft während der Belagerung der Rheinjchanze.*) 

Die Rheinichanze war gefallen. Die Stadt Mannheim 
athmete einen Augenblik auf: allein ein Schreden durchzitterte 
die nächitbetheiligten Länder. Man jagte ji, daß mit der 
Rheinihanze Mannheim früher oder jpäter in die Gewalt der 
Franzoſen fallen müſſe, und daß dann der Schlüffel zu Süd— 
deutichland in ihren Händen jei. In der That war die Rheins 
ihanze ein jchwerer Verluft. Ihre Einnahme war nicht nur 
gleichbedeutend mit dem Belige des linken Rheinufers, jondern 
jte deutete auch den Weg an, den das eroberungsluftige Frank— 
reich zu betreten vorhatte. Im Convent erjtattete Carnot Be— 
richt über diejen Triumph der franzöjiichen Waffen, und es 
wurde derſelbe, trog der Gegenbemerfungen Lejage-Senauits, 
welcher meinte, der Feind habe die Bedingungen der Uebergabe 
dietirt, mit Enthufiasmus aufgenommen, Der Kaijer beflagte 
den Tall der Aheinichanze als ein großes Unglüd, das den 
Verluft der Feſtung Mainz nad ſich ziehen könne, und der 
Reichstag gerieth in einen jolhen Grad der Beltürzung, daß 
er friedensjüchtiger als je wurde. 


*) Der Erlaß lautet wörtlich: 

„Der Magiitrat und die Bürgerfchaft von Mannheim, welde ſich jo 
vortrefflih betrugen, in der größten Ruhe und Zuverſicht während dem 
Bombardement blieben, verdienen fein geringes Lob, ſowie die Stille, ſo 
in der Stadt herrichte, der arößte Beweis ihrer Ordnung und Sittfichkeit 
ift, und wünſche ich ſehnlichſt, daß Dielen Einwohnern von der ganzen 
Armee ein lauter Beifall zugerufen werde, der ihnen zu erfennen giebt, wie 
jehr jie fi für das allgemeine Beſte verdient gemacht haben. 

Ebenſo muß ich den Mannheimer Brüdenmeijtern (Baul van 
Seil) nebit meinem Danfe die Gerechtigkeit wiberfahren lafjen, daß ihrer 
Mühe und Geichicdlichkeit zu verdanken fei, die durch die Gewalt bes Eiſes 
vor verloren geachtete Platten wieder beigebracht zu haben, ohne welche die 
Hälfte der Artillerie hätte zurück gelaffen werden müſſen.“ 


Die Abreife Karl Theodors und die folgenden politiichen Ereigniſſe. 445 


Erſt im September 1795 begannen wieder ernftere Ereig- 
niffe. Am 15. des genannten Monats ließ Gouverneur von 
Belderbujchh dem Stadtrathe durch den Stadtcommandanten 
Deroy anzeigen, daß die Franzoſen in den jenjeit3 des Rheins 
aufgeworfenen Batterien Geſchütz aufführten. Da man nicht 
wilje, was bie Franzoſen vorhätten, und welche Anforderungen 
an die Stadt gejtellt würden, jo möge die Bürgerſchaft auf 
ihrer Hut jein. Was jollte aber der Stadtrath beginnen? Er 
beihloß einftimmig, eine Borjtellung an den Kurfürſten in 
Münden zu richten, ihm die gefahrvolle Lage der Stadt zu 
ſchildern und diefe Vorftellung mittelft Ejtaffete nah München 
zu ſchicken. Eine ängjtlihe Stimmung bemächtigte fich der 
Stadt. Der Stadtrath war ohne Verhaltungsmaßregeln; 
mehrere Wirthe zogen ihre Schilde ein, Bierbrauer ſchloſſen ihre 
Wirthichaften und Kaufleute ihre Läden. Gerüchte von einer 
abgeſchloſſenen Capitulation verbreiteten ſich. 

Am 19. September hatte General Pichegru einen Trom— 
peter in die Stadt gejchieft mit der Aufforderung zur Ueber- 
gabe, widrigenfalld die Stadt und Feſtung mit glühenden 
Kugeln beichojfen würde. 

E3 trat ein Kriegsrath zujammen, dem Graf Oberndorff 
beiwohnte, Diejer bejchloß die Capitulation, welche Morgens 
4 Uhr vereinbart wurde. 

Die wenigen öjterreichiichen Truppen zogen am 20. Mittags 
12 Uhr aus der Feſtung. Man hatte vorgeichrieben, daß Die 
Leute in den Häujern bleiben und feine Kundgebungen machen 
jollten. Ein öfterreichiicher Offizier meinte, daß fie bald wieder: 
fümen und dann Mannheim warm machen würden. Die Fran— 
zojen zogen ftill ein. Man jah ihnen den Mißmuth an. Sie 
jagten öffentlich: der Uebergang über den Rhein ſei ihr Grab, 

Als Bolksrepräjentanten functionirten Rivaud und Merlin 
von Thionville in der Stadt; auch Reubel ging ab und zu. 

Die Aheinbrüde wurde wiederhergeftellt und Truppen auf 
Truppen zogen herüber. Der Befig der Stadt war jedoch für 
die Franzoſen nicht ruhig. Die Defterreicher ftanden am Ge- 
birge, und faſt täglich fielen größere oder Heinere Gefechte vor. 


446 Die Abreife Karl Theodors und bie folgenden politiihen Creigniffe. 


Mit dem Beginne des October vereinigte ſich Die Armee 
des Generalfeldmarjchall Clerfait mit der Wurmjers, welcher 
vom Oberrhein herbeigeeilt war. Die Franzoſen wurden überall 
zurüdgedrängt und mehrmals geichlagen. Unterdejjen befleigigten 
ji die Volksrepräſentanten eines großen Eiferd in Beitreibung 
der Requifitionen und Contributionen. Der Cours der Aſſig— 
naten ſollte alle 14 Tage nad) dem der Stadt Baiel bejtimmt 
werden. 

Enger und enger jchloß ſich der Kreis der öfterreichijchen 
Truppen. Schon am 18. October griffen fie das Lager der 
Franzoſen jenjeit3 des Nedars mit Erfolg an. In der Stadt 
commandirte General Montaigu. Die Geſchichte darf demjelben 
das Zeugniß eines tapferen Soldaten und eines ehrenwerthen 
Mannes nicht verfagen, Mit aller Energie fteuerte diejer den 
Zügellofigfeiten, deren jich die unter jeinem Befehle jtehenden 
Banden jchuldig madten. 

Die Dejterreicher hatten am 18. October das Lager der 
Franzoſen auf dem Galgenberg im Sturm genommen und jie 
in die Feſtung zurüdgeworfen. Die Franzoſen hatten große 
Berlufte erlitten; eine Menge Todte lagen herum; man mußte 
ſie zu 10 und 20 im jchnell gemachte Löcher begraben. Die 
öſterreichiſche Artillerie lagerte auf der Kuhweide; Nedarau 
wurde genommen und dabei der franzöfiiche General Hottovin 
gefangen. Die Dejterreicher machten fih nun an die Belage- 
rungsarbeiten. Sie führten vier große Batterien auf. Diejen 
gegenüber verjtärften die Franzoſen die Bertheidigungswerfe, 
und jie benüsten dazu das reiche Material, welches ihnen aller- 
dings die Uebergabe Mannheims zur Dispofition gelafjen hatte. 
Dan zählte 164 Belagerungsjtüde, 107 Feldſtücke, 130 Mörjer, 
80 Haubisen, 343 000 Pfund Pulver u. ſ. w. 

Die Kanonaden, welde bis zum 29, October vorfielen, 
hatten nur den Zwed, die Arbeiten an den Befeitigungen zu 
jtören; aber bei der Nähe, in welcher ſie jtattfanden, ver= 
breiteten jie Schreden in der Stadt. Dort waren die Geilter 
lebhaft erregt. Man verjammelte jih in den öffentlichen 
Lokalen, discutirte die Angelegenheiten des Tages und theilte 


Die Abreife Karl Theodors und Die folgenden politiihen Ereigniffe, 447 


den anderen jeine Erlebniſſe und Bejorgniffe mit. Gerüchte, 
al3 rege ich ein widerjpänjtiger Geift in der Bevölkerung, 
waren der Militärbehörde zu Ohren gekommen. Strengere 
Mapregeln wurden ergriffen. Die Entwaffnung der Einwohner: 
ihaft wurde angeordnet. 

Am 29. October Nachts griffen die Defterreicher die Nedar- 
Ihanze an; General Pichegru und die Bolfzrepräjentanten 
waren gerade in der Comödie. Der Kampf dauerte die ganze 
Nacht Hindurch und endete mit der Einnahıne der Nedarjchanze. 
Die Stadt war mit Kugeln überjchüttet. Auch unterhalb Mann 
heims waren die Dejterreicher über den Rhein gegangen, wes— 
halb Pichegru dorthin eilte und die Feſtung Mannheim ihrem 
Schidjal überließ. Er Hatte den Generalen Montaigu und 
Dejair den Befehl Hinterlajjen, die Stadt bis auf den lebten 
Mann zu vertheidigen und jollte fie auch in einen Steinhaufen 
verwandelt werden. 

Die Bejagung betrug ungefähr 7000 Mann, 

Am 1. November in der Frühe machten die Dejterreicher 
einen Angriff auf die Katjerhütte und drangen bi zur Hajen- 
hütte vor, Abermals waren viele Kugeln in die Stadt ge= 
flogen. Die Einwohner hatten ſich in die Seller geflüchtet; 
Angit und Unruhe zehrte fie auf. Montaigu jchrieb am 2. No— 
vember an General Wurmſer, um ihm Schonung für die Be— 
wohner der Stadt zu empfehlen. Das Bombardement dauerte 
aber fort. Die Dejterreicher errichteten nun auch eine Batterie 
im Rojengarten. Bom 10. November an beginnen die Schredens- 
nächte für Mannheim. In der Naht vom 10. auf den 11. 
brach ein großer Brand in dem Quadrate der Stadt Augsburg 
aus und zerjtörte ſechs Häujer, während er acht beichädigte; 
in der Nacht vom 11. auf den 12. fiel eine Haubige im die 
Scheuer des Bürgers Ungemach und zündete ſofort. Much die 
Karjerhütte jtand in Flammen. Unterdeilen Hatte der Stadt- 
rath jeine Bemühungen um die Rettung der Stadt fortgejebt. 
Mit einer umnermüdlichen Ausdauer machte er Berichte an den 
serenissimus elector oder an die furfüritliche Regierung, um 
von dort die beiten und jchönjten Worte, aber immer thatſäch— 


448 Die Abreife Karl Theodor und die folgenden pohtiichen Ereigniſſe. 


lih das Geſtändniß zurüdzuerhalten, dat Beide etwas Wırf- 
james zu thun außer Stande jeien. 

Am 11. November begab fich eine Deputation, beitehend 
aus dem Anwaltſchultheißen Hofgerichtsratd Pfanner und dem 
Natheverwandten Boos, zu dem Grafen von Oberndorf, um 
deijen Verwendung nochmals zu erbitten. Er ſichert jeine 
fräftigite Unterjtügung auf allen nur möglichen Wegen zu; er 
wolle fich no am gleichen Tage mit dem General Bichegru 
in's Benehmen jegen. Das Schreiben liegt vor. 

Er jchildert darin das Unglüd der Bewohner Mannheims. 
Die Stadt habe ein Bombardement erfahren; um ein zweites 
zu vermeiden, habe man capitulirt, und jest laufe fie Gefahr 
in Aiche verwandelt zu werden. Er bitte den General, Die 
Mittel zu ermöglichen, dem Schreden, welchem friedliche Bürger 
fortwährend ausgejegt feien, ein Ende zu machen. Man habe 
mit der franzöfiichen Nation capitulirt, und es ſei die Neu— 
tralität der Stadt fejtgeitellt worden. Nichtsdeitoweniger werde 
die Stadt jelbit durch die franzöfiihen Truppen als feindlich 
behandelt; man wolle die Bürger entwaffnen, obgleich; man bei 
Tag und Nacht Exceſſe begehe. Die pfälziiche Garnijon hätte 
nad der Gapitulation mit Kriegsehren ausziehen jollen, jebt 
verlange man, daß die zurücgebliebenen Soldaten ſich nad) 
Tranfreich begeben. Graf DOberndorif bittet jodann um Die 
Erlaubniß, dem Obergeneral Vorſchläge machen zu dürfen und 
dieie bejtchen darin, daß er in eriter Linie die Neutralifirung 
der Stadt Mannheim, in zweiter aber vorichlägt, von dem 
General Wurmjer die Erlaubniß erbitten zu laſſen, damit Per— 
jonen, welche das Bombardement nicht länger aushalten wollten, 
jowie die pfälziichen Soldaten die Stadt verlaffen dürfen, 

Pichegru beffagte den Zustand der Stadt, wollte auch die 
Durchlaſſung der pfälziichen Soldaten bewilligen, allein den 
Gedanken der Neutralifirung der Stadt erklärte er für unaus— 
führbar. 

Zu gleicher Zeit begab ſich die jtädtifche Deputation zu 
den General Montaigu, der erflärte, daf, wie er ſchon oft 
gejagt und Proben gegeben habe, das Wohl der Stadt ihm 





y 


WMieroslawsty hält eine Anrede nach der Heerjchau. 


Nach einem Mquarellbild von Franz Artaria aus dem Jahre 1849. 





Die Abreife Karl Theodors und die folgenden politifhen Ereigniſſe. 449 


am Herzen liege, und er werde, joviel e8 von ihm abhänge, 
dasielbe möglichjt zu verbejjern bejtrebt jein. 

Die Lage der Stadt wurde indefjen immer fritiicher. In 
der Nacht vom 12. auf den 13. November brach in der Scheune 
des Bojthalters Fröhlich Feuer aus und zerjtörte mehrere 
Häuſer und Scheunen. | 

Das Bombardement dauerte for. Die Feuerſpritzen 
rafjelten fortwährend durch die Straßen. Das nächtliche Läuten 
mit den Gloden wurde unterjagt. 

Die Gebäude vor der Stadt waren jchon vorher in Brand 
geichofien worden. Am 16. November brannte die neue Ka— 
jerne ab; am 17. jprang eine Poterne am Heidelberger Thor, 
wodurd; mehrere dort gelegene Häufer gänzlich zeritört, andere 
beihädigt wurden. Menſchenmaſſen jammelten fich vor dem 
Haufe des franzöjiichen Commandanten, um die Uebergabe der 
Stadt zu erbitten. Das rief noch ftrengere militäriihe Maß— 
regeln hervor. Am Dienitag den 17. November abermals 
großer Brand. Dechant Spielberger eilt durch die Straßen, 
um die Einwohner zum Löjchen zu ermuntern. Unterdejien 
war e3 gelungen, den General Montaigu zu bewegen, einen 
Adgejandten der Stadt und Regierung an General Wurmijer 
gehen zu laſſen. Die Miſſion wurde dem Zweibrückiſchen 
Hofmarichall von Gohr übertragen. Diejer rapportirte aber 
(den 14. November), daß die öjterreichiiche Generalität fich jehr 
aufgebracht gegen Mannheim geäußert habe, und namentlich 
gegen Diejenigen, „welche fie für die Beförderer der mit den 
Frauzoſen abgeichloffenen Gapitulation hielten“. 

General Wurmjer habe anfänglich den Brief des Grafen 
von Oberndorf gar nicht erbrechen wollen, habe aber dennoch 
jchließlich geitattet, daß eine Anzahl Weiber und Greiſe die 
Stadt verlafjen dürfen, doch wolle er vorher bie Liſte jehen. 
Auf Ddiejer Lifte zeichneten ich jedoch mehrere Taujende ein, 
und ala Stadtdireftor Rupprecht fie nad) Käferthal in das 
öjterreichiihe Hauptquartier brachte, erflärt General Bellegarbe: 
es jei eine Indiscretion, den Wegzug jo vieler Individuen zu 
begehren, und e3 könne jetzt nichts aus der Sache werden. Er 

Deier, Seihichte Jer Stabt Mannheim. 29 


450 Die Abreife Karl Theodors und die folgenden politiichen Greigniiie. 


bedauere das Schickſal Mannheims, aber es habe fich dieſes 
jelbjt zugezogen, und die Unjchuldigen müßten mit den Schul— 
digen leiden. 

Ein erneuerter Befehl des Direftoriums an den Comman— 
danten traf ein, die Stadt um jeden Preis zu halten (de se 
tenir & toute outrance). Die Einwohnerichaft flüchtete in die 
Keller des Schlofjes, des herzoglich zweibrüdifhen Palais und 
in die des Theaters, 

In den Kellern wurden Berjchläge angebracht, Hinter denen 
fih rauen, Kinder, Kranke, Gebärende und Sterbende lagerten. 
Luft und Lage war unerträglih. Sogar in der Gruft unter 
der Jeſuitenkirche hielten ſich Mehrere auf. 

Die Stadt- und Regierungsbehörden wiederholen ihre Vor— 
ftellungen bei General Montaigu. Endlich eriheilt er die Er- 
laubniß zur Abjendung einer abermaligen Deputation an 
Wurmjer. Diejer will jegt 15 Perjonen den Ausgang ge= 
ftatten, aber wie jollte man die Auswahl treffen? Montaigu 
fürchtet Aufregung und gibt nım überhaupt den Weggang aus 
der Stadt nicht zu. Nun eröffnen die Dejterreicher die zweite 
Paralelle und die Batterie an der Kaijerhütte fängt zu jpielen 
an (18. November). Eine Haubige fährt in den grünen Löwen; 
ein PBulverwagen erplodirt. Das Gießhaus, das Kapuziner— 
flofter, der Kammerjtall werden hart mitgenommen. 

Die franzöfiihe Soldatesfa wird immer zitgellojer; fie 
jtiehlt und raubt; die Bürger treiben die Soldaten mit Hebeln 
und Stangen zurüd. Ein Kriegsgericht wurde eingejegt, um 
die Schuldigen zu beitrafen. 

Der 20. November war ein trauriger Tag für Mannheim, 
Eine große Anzahl von Gebäuden gerieth in Flammen, darunter 
die walloniiche und reformirte Kirche, jowie die Örenadier- 
fajerne. Tageshelle herrichte in der graujigen Novembernadt. 
Gerüchte, daß Capitulationsverhandlungen im Gange jeien, 
wiederholten ſich Man drängte auch in den Grafen von Obern- 
dorff, daß er Sich perjönlich für die Kapitulation bei Wurmjer 
verwenden möge; er fchrieb unterm 20: So willig und bereit 
ich bin, meine perjönliche Verwendung auch für das allgemeine 


Die Abreife Karl Theodors und die folgenden politiichen Ereigniſſe. 451 


Beite eintreten zu fajjen, jo unmöglich ift e8 bei den gegen- 
wärtigen betrübten Umjtänden mich aus hiefiger Stadt begeben 
zu können. 

Der ſchlimmſte Tag war der 21. November. Die Dejter- 
reicher Hatten ihre Batterien jenjeit3 des Nheines in den Stand 
gelegt und begannen nun auch von Diejer Seite das Feuer. 
Ein furdhtbarer Kugelregen breitet ſich abermal über die ganze 
Stadt aus. Bald war der ganze linke Flügel des Schlofjes 
von den Flammen ergriffen. Der größte Theil dieſes Schlop- 
flügel3 und das damit verbundene prächtige Opernhaus wurden 
durch das Feuer zerjtört. 

Das höchſte Maß der Aufregung, der Leiden und der 
Qualen war erreicht. 

Eine Menge Volks jammelte ſich trogend allen Gefahren 
vor dem Hillesheim’schen Haufe am Marftplat, der Wohnung 
des franzöfiichen Commandanten, und begehrte die Uebergabe 
der Stadt. Die Kanonen wurden gegen die Menge gerichtet; 
aber General Montaigu, ergriffen von dem Jammer der Wer: 
zweifelnden, ließ jagen: fie möchten ruhig jein, heute wiürde 
noch über das Schickſal der Stadt entichteden werden; und 
der Städtischen Deputation erklärte er: das Wort iſt gegeben, 
ihr werdet gerettet jein und mir wird es den Kopf koſten. 

General Deliret unterhandelte wegen des Waffenitillitandes 
und der Kapitulation. 

Graf Oberndorff und der pfalzzweibrüdiiche Miniſter Sa— 
labert betheiligten jich bei den Unterhandlungen und drängten 
auf Beichleunigung. Die Berhandlungen wurden mehrmals 
abgebrochen. Endlich fam am 21. November Nachts die Ka— 
pitulation zu Stande, *) 

*) fapitulation 
zwiichen dem Diviſions-General Montaigu, Befehlshaber der franzöſiſchen 
Truppen in Mannheim, und dem Grafen von Wurmijer, fommandirenden 
General der davoritehenden öfterreihiichen Truppen. 


1. Artikel. General Montaigu wird die Feſtung Mannheim dem 
Herrn Grafen von Wurmfjer mit Kriegs: Munition und Geihüg, die ſich 


29 


452 Die Abreiie Karl Theodor& und die folgenden politiichen Ereigniſſe. 


Am 23, bewerfjtelligten die Franzoſen ihren Ausmarich. 

Mit den an fich gezogenen Verſtärkungen betrug die 
Garnijon noch 9762 Mann. 

Die Defterreicher bejeten die WVorwerfe. Am 24. No— 
venber 309 Wurmjer über die rauchenden Trümmer der Stadt 
ein, empfangen von dem Stadtrathe. Am 25. traf auch General 





darinn befinnden, und in dem Zuftande, mworinn fie find, am... . No— 
vember 1745 überliefern. 

Antwort. Die Feſtung fol den 23. November 1795 überliefert 
werden. , 

2, Artikel. Die franzöfiihen Truppen werden mit Waffen und 
Bagage aus Mannheim ausziehen, fo bald die Mittel, auf das linke Rhein 
ufer zu kommen, werben bergeftellt ſeyn; im jedem Fall werden fie aus— 
ziehen am .... November 1795 und die Marich: Route halten, die zwiſchen 
den Beyden fommandirenden Generälen wird feitgefegt werden. 

Antwort. Die franzöfiihe Beſatzung wird als Striegägefangene 
am 23. November mit den Sriegäehren aus der Feſtung ziehen, die Waffen 
Morgens um 9 Uhr auf dem Glacis nieberlegen und die Marfch-Route 
halten, die ihr von General Wurmjer wird angegeben werben. 

8. Artikel. Die unter dem Befehl des Herm Grafen von Wurmier 
ftehenden Truppen Sr. faiferlichen Majeftät werden zwey Stunden nad 
geichehener Auswechſelung der von beyden kommandirenden Generälen unters 
zeichneten Kapitulation die Nedarbrüden- Schanze, die äußeren Poften des 
Heidelberger Thores und die Schanze an der Rheinſchließe beiegen und 
nicht ehender in die Stadt einziehen, als bis die legte Divifion der fran— 
zöfiichen Truppen wird ausgezogen feyen. 

Antwort. Nah unterzeichneter Kapitulation werden die öfter 
reichiichen Truppen die äußeren Werke des Heidelberger: und Rheinthores 
am 22, Morgen um 8 ihr befegen. 

4. Artifel. Gegen gutwillige Bezahlung und auf Ordre des Herrn 
Grafen von Wurmier jollen in dem Lande, wodurch die franzöfiichen 
Truppen ziehen, die uhren geitellt werden, welche zur Fyortbringung der 
Effekten nöthig find, die der Nepublif, den Corps und den einzelnen Sol: 
daten von der Mannheimer Garniion zugehören, 

Antwort. Man wird den franzöfifchen Truppen die zur Fort— 
bringung der Effekten und des Cigenthums der Offiziere nöthigen Fuhren 
nad) der landesüblichen Tare jtellen. Alles, was der Nation gehöret, joll 
ben öjterreihiihen Gommiffarien eingeliefert werben. 

5. Artikel. Der Herr Graf von Wurmfer wird Ordre geben, daß 
die nöthige Fourage und was jonft die Bejagung zu Mannheim fi nicht 


Die Abreiſe Karl Theodors und die folgenden politiichen Ereigniſſe. 453 


Clairfait ein, und in Gegenwart der gejammten öfterreichiichen 
Generalität wurde in der fatholiihen Stadtpfarrfirhe (am 
Marktplatz) ein Te deum laudamus angeftimmt. Die Spitzen 
der Furfürjtlichen Regierung wohnten diejer Feſtlichkeit nicht 
bei. Schon am 23. November war auf Befehl des Katjers 
der Graf von Dberndorff, jowie der herzoglich zweibrücijche 
Minijter Salabert verhaftet worden; ebenjo hatte man ben 
Dberappellationsgerichtsrath v. Davans und den Regierungs- 
rath dv. Schmig in Verhaft genommen. Es machte ſich als— 


hat verichaffen fönnen, in den Orten geliefert werde, wodurch die frans 
zöſiſchen Truppen paffiren. Lebensmittel follen die Truppen auf 4 Tage, 
von dem Tage ihres Abmariches zu rechnen, zu Mannheim mitnehmen. 

Antwort. Man wird Sorge tragen, ben Truppen das Brod zu 
liefern, die Offiziere, welche ihre Pferde behalten wollen, werben das 
Futter kaufen, welches ihnen derjenige, der fie begleitet, um dem laufenden 
Preis zu verichaffen beforgt jein wird, 

5. Artifel. Die Kranken, welhe im Hofpital zu Mannheim zus 
rücdbleiben, ſollen von den Gejundheitsbeamten der franzöfiihen Armee 
verpflegt werden, die deßwegen zurüdbleiben, bis der Platz völlig geräumt 
wird, wozu die nöthigen Fuhren bis zur erften von den franzöfiihen Trups 
pen beiegten Stabt geftellet werden jollen. General Montaigu verläßt ſich 
hierin auf die Menjchenfreundlichkeit des Herrn Grafen von Wurmfer, daß 
den Kranken geleiftet werbe, was zu ihrer Genejung erforberlid) iit. 

Antwort. Die franzöfiihen Kranken werden leutjelig behandelt 
werden, was man in dergleichen Fällen nie zu verjagen pflegt; ſie ſollen 
aber von öfterreihiichen Wundärzten bejorgt werden. Nach ihrer Geneſung 
jollen fie wie andere Striegägefangene fein. 

7. Artikel, Ein IngenieursÖfficier der franzöfifchen Armee wird 
einem öfterreihiichen Offizier die Karten, Pläne und andere Gegenitände 
überliefern, welche den franzöfifchen Ingenieurs feit ihrem Ginzuge in 
Mannheim find eingehändigt worden, 

Antwort. Vorſtehender Artikel joll Statt haben, fo bald bie 
öjterreichiichen Truppen beyde, oben benannte Thore beiegen werben und 
veriteht jih von allen militäriſchen Gegenftänden, als Geſchütze, Plänen, 
Starten, Magazinen 2c,, zum welchem Ende öſterreichiſche Ingenieure und 
Artillerie» Offiziere am 22. November Morgen um 8 Uhr in die Stadt ges 
ſchickt werben follen. 

8. Artilel. Die Regierung, die Magiitrate und die 
Ginwohner der Stadt Mannheim jollen auf feinerlei 
MWeife zur Verantwortung gezogen werden fönnen, au 


454 Die Abreife Karl Theodors und die folgenden politiichen Greigniife- 


bald, wie ſich ein Regierungsberidht ausdrüdt, eine jchranfen- 
103 rauhe Stimmung der öfterreichiichen Bejagung gegen die 
Stadt und die furfürjtliche Regierung bemerkbar, Mit Tracta- 
menten und Weinjpenden wollte man die Befreier von fremden 
Joche begütigen, allein es half wenig. 

Außer einem Schreiben des General3 v. Wurmjer, das 
die Uebergabe der Feſtung an die Franzoſen als einen Hinter- 
lijtigen Aft bezeichnet und darauf hinausläuft, von dem Magijtrat 
und den Einwohnern ein „Douceur* von 400000 fl. zu fordern, 
traf die Nachricht ein, daß nit nur alle dem furfürjtlichen 
Aerar gehörigen, jondern auch die ſtädtiſchen Vorräthe mit 
Beichlag belegt worden jeien. 

Da Geld in der Stadtkaſſe nicht vorhanden war, jo pro= 
jeftirte man ein von den vermögenden Mannheimer Einwohnern 


Urſache, daß dieje Stadt in die Hände der Franzoſen ge- 
fommen ift. 

Antwort. Diejer Artikel hängt lediglih von dem 
Willen Sr. Majeftät des Kaiſers ab. 

9. Artikel. Sobald der Tag des Auszugs der Beſatzung aus 
Mannheim feftgeiegt jeyn wird, wird ein Staab8-Officier der öfterreichiichen 
Armee in Begleitung eines Staab3-Officier& der franzöfifchen vorausgehen, 
um die nöthige Ordre zu ertheilen zum franzöfiihen Truppenmarſch und 
Ginauartierung bis diefe auf ein von den Truppen der Republik beſetztes 
Gebiet kommen. 

Antwort. Hit durch den 2. Artikel beantwortet. 

10. Artifel. Sobald die Stapitulation von beiden fommanbdirenden 
Generälen unterzeichnet ift, wird der Herr Graf von Wurmfer einen Paſſe— 
port ertheilen, damit ein Staab3-Officier von der franzöfifchen Armer abs 
gehen könne, dem Oberbefehlshaber Pichegru von gegentwärtiger Kapitu— 
lation Rechenſchaft zu geben. 

Antwort. Man wird an den General Pichegru den Bericht ge: 
langen laffen, der an ihn von dem General Diontaigu wird erftattet werden. 

Beichehen 

Mannheim, am 30, Brumaire im 4. Jahre der franzöfiichen Republik. 

Divifion General, Oberbefehlöhaber der franzöfifchen Truppen 

in Mannheim. 
Unterzeihnet Montaigu, Unterzeichnet Graf von 
geichehen im Haupt-Quartier MWurmier, General ber 
zu Mannheim 21. November 1795. Stavallerie. 


Die Abreije Karl Theodor und die folgenden politiihen Ereigniſſe. 455 


zu erhebendes Bmwangsanlehen und fuchte die in München 
wohnenden ehemaligen Mannheimer zu freiwilligen Anlehen 
beizuziehen. Alles, was man aufbringen fonnte, bejtand in 
einer Anweiſung der Herren Schmalz und GSeligmann auf 
100000 fl. Endlich wurden davon 100000 fl. nachgelafien. 
Weitere 50000 fl. ſchoß die furfürftliche Kafje vor und für 
weitere 50000 fl. jtellte Seligmann einen Wechfel aus. Unter: 
deifen hatte man alle möglihen Mittel in München und Wien 
in Bewegung gejegt, um von weiterer Zahlung entbunden zu 
werden. Der Oberlandesfommifjär v. Wrede, der Gejandte in 
Wien, v. Zattenbag, jowie Freiherr von Berglas legten ſich 
in's Mittel und Tattenbag erwirkte in Wien ein Juhibitorium 
(gerichtlichen Unterjagungsbefehl). Allein Wurmjer erhielt feine 
Nachricht und bedrohte jowohl den Stadtrat wie den Hof- 
agenten Seligmann mit Execution. Doc bewilligte er aber- 
mals eine achttägige Friſt und unterdeflen traf der Nachlaß 
ein. Zugleich erging ein fatjerlicher Befehl, wonach den Militär- 
bebörden ein artiges Benehmen gegen die Stadt vorgejchrieben 
wurde. 

Bon dem Bombardement waren nicht mehr als 14 Häufer 
unbejchädigt geblieben. Der Schaden an Privatgebäuben wurde 


a) in der Stadt auf . 539394 fl. 

b) vor dem Heidelberger Thor auf 150 657 fl. 

c) vor dem Nedarthor auf . ; 3198 ft. 
693249 1l. 

geihägt. 

Der Schaden an den ae Bameralgebäuden 

betrug k 166 879 ft. 

an den Militärgebäuben \ 3 515818 fl. 

an dem Reſidenzſchloß ; i 409425 fl. 


1092122 |. 
Die Defterreicher hatten in die Stadt geworfen; 
20 000 große Kanonenkugeln, 
6000 kleinere R 
2700 Haubigen, 
1780 Bomben. 


456 Die Adreife Karl Theodor und die folgenden politischen Ereigniffe. 


Man warf ſich mit Recht die Frage auf, wie es fomme, 
erklärt und gerechtfertigt werben fünne, daß eine Stadt, welche 
eine, wie fie jelbjt im ihren Schriften jagte, dem Kurfürjten 
immer unterthänige, in dem Reichsverband mit inbegriffen ge= 
wejen war, und eine reichsgetreue Bürgerjchaft in fich ſchloß, 
trog alles Elends, das der Srieg über fie brachte, von einem 
Generale, der ein faijerlicher war, in der angegebenen Weije 
mißhandelt werden konnte Nicht die Wiederherjtellung der 
zeritörten Häujer und vermüjteten Gelände, nicht die Auf— 
räumung der Schutthaufen, nicht die Pflege der Nothleidenden, 
ber Kranken und Verwundeten bejchäftigte damals in eriter 
Linie die Stadt, jondern die Sorge, wie fie der von ihrem 
Befreier angedrohten Plünderung entgehen konnte. 

Die Uebergabe der Stadt Mannheim an die Franzoſen 
am 20. September 1795 Hatte nicht jofort aber alsbald nach— 
dem Dejterreich mitten in den Siegen des „Ehrenjahres 1795* 
ftund, ein mächtiges Aufſehen erregt. Die Fortichritte der 
faijerlihen Waffen, die Entjegung von Mainz, die MWieder- 
eroberung be3 linken Rheinufers durch die öfterreichiichen Heere 
hatten den Deutjchen, damals duch Dejterreich getragenen 
Patrivtismus überjhäumen gemacht. Cs war vorzugsweiie der 
äußerſt fruchtbaren und getjtreichen litterariſchen Thätigfeit eines 
Polen, Kobielsfi, zu danken, der unter dem Namen Karl Graf 
von Strengjchwerdt allerdings, wie faum zu bezweifeln unter 
öfterreichtichem Einfluffe, die nationalen Geifter zu deden juchte. 
Aber e3 war eigenthümlih, daß es ein Pole jein mußte, der 
zum erjten Male der deutjchen Nation ein nationales und in 
gewilfem Sinne auch ein demokratiihes Programm entwideln 
jollte. Diejer fchrieb in wenigen Jahren mehr als 22 Schriften, 
darunter ein „rechtliches Gutachten über die Uebergabe der Feſt— 
ung Mannheim an den Reichsfeind“. 

Man glaubte und wollte an Verrath glauben; durch die 
neueren Hiſtoriker verjchiedener Richtungen Haben ſich von diejen 
Gedanken nicht [osmachen können. 

Man hat indeffen doc wohl das Recht, nach den Be— 
weiſen des Verraths zu fragen, der als Rechtfertigungsgrund 


Die Abreile Karl Theodors und die folgenden politischen Ereigniſſe. 457 


der joldatiichen Mißhandlung einer jchwergeprüften Stadt dienen 
jollte. 

Man ift bis heute jeden Beweis des Verraths und jede 
Rechtfertigung jener Gewaltthat jchuldig geblieben. 

Der jiegreiche Wurmjer greift durch die Verhaftung der 
furfürjtlichen Behörden die Sade auf. Unterm 23. März 1796 
werden auf faijerlichen Befehl die Berhafteten nach fünfmonat— 
lihem Arrejt wieder entlafjen. Der Kurfürſt weiſt dem Grafen 
von Dberndorff an, ſich nad) Neuburg zu begeben, der leßtere 
hat fich aber jeit jeiner Entlaſſung in Nedarhaujen aufgehalten, 
jteht wieder in freundlichen Beziehungen zu Wurmjer und ver: 
jpürte feine Neigung, fich nach Neuburg zu verfügen; er faßt 
dieje Mafregel als eine Art Verbannung und die Strafe auf, 
die er ich nicht gefallen laſſen will. Schlieglih gibt er dem 
Drude der Umjtände nach und geht nad) Neuburg. 

Nun folgt jeine protofollarijche Verantwortung in Betreff 
der Uebergabe der Stadt. „Auf die Frage, ob ſich der Herr 
Minijter berechtigt geglaubt Habe, die Reſidenz und Feſtung 
Mannheim durch die Kapitulation vom 20. September 1795 - 
an die Frankreicher zu übergeben und durd) was er hierzu be= 
vollmächtigt worden ſei? erflärt der Graf, daß ihn ein Reſ— 
eript vom 3. September 1795 dazu bevollmädtigt und die aufs 
Höchſte geftiegenen Gefahr für Mannheim berechtigt habe, die 
Vollmacht in Ausübung zu jegen. 

Auf die weitere Frage, warum der Graf ein Bombarbde- 
ment nicht abgewartet habe, erklärt er: Da Mannheims 
Erhaltung im Sinne der höchſten Willensmeinung gelegen 
jei und nicht Mannheims Berheerung, jo habe er dieje lettere 
vermeiden zu müſſen gegfaubt. 

Mochte man auch die Erwägungen der furfürftlichen 
Regierung jelbjt von dem einen oder anderen Standtpunft aus 
verſchieden beurtheilen: Planmäßigkeit, Hinterlijt, Verrath durfte 
man ihr nicht unterjtellen, ohne ſich mit der Wirklichkeit in 
Widerſpruch zu jeben. 

Die beiden hauptjächlichiten Opfer jener Drangjalen, von 
Belderbufh und Graf Oberndorff, jtarben bald darauf. Der 


458 Die Abreife Karl Theodors und die folgenden politiichen Ereigniſſe. 


Erſtere am 4. Februar, der Letztere am 29. Mai 1799 in 
Mannheim, beide in hohem Greijenalter, beide tief gefränft, 
daß ihre beiten Abjichten gegen ihren Landesherrn und die 
Stadt ihres Wirkungskreiſes jo jchmählich verfannt und beur- 
theilt worden waren. 

Der Kelch der Leiden war durch das Wurmjer’iche 
Douceur und die fortdauernden Contributionen fir Mannheim 
noch nicht erjchöpft. Die leßteren ftiegen in einem enormen 
Grade. Im Jahre 1796 mußten allein für Brennöl 3646 fl. 
von der Stadt an die Garniſonsmannſchaft gezahlt werden. 
In dem gleichen Verhältniffe ftanden die übrigen Leijtungen. 

In der Stadt lagen das 2, 3., 10. und 12. Füſilier— 
regiment, ein Ingenieur» und Artilleriekorps. 

Außerdem rückten nocd das Regiment Herzog Mar und 
das zweibrüdiiche Garderegiment ein. 

Im Juli wird ſchon wieder der Stand der Dinge bebenf- 
fih; es wird anbefohlen, daß alle Emigranten binnen 24 
Stunden die Stadt verlajien müfjen, und daß ſich die Ein- 
wohnerihaft auf einige Monat verproviantire; auch wird Die 
Abtragung aller Gebäulichfeiten vor dem Heidelberger Thore 
binnen 10 Tage angeordnet. 

Feltungsfommandant war Freiherr von Baaden und Feld— 
marjchalllieutnant Baron Petraih. Die furfürftliche Regierung 
lag in den Händen einer Oberlandesverwaltung, zu deren Mit- 
glieder von Dalberg, von Perglas und von Reibeld ernannt 
wurden. 

Die neu conftituirte Regierung hatte ein jchweres Amt. 
Das Kriegsrecht waltete, und es handelte fich wejentlich nur 
um die Herbeiichaffung der Kriegsbedürfniſſe. Die Bevölkerung 
wurde migmuthig. Eine jolche Stimme jchlidh ſich in den Sad- 
falender pro 1797 ein und jchilderte dort die Drangjale der 
Belagerung und fortdauernden Bedrückung. Sofort wurde der 
Kalender confiscirt und vernichtet. Die drohende Kriegsgefahr 
30g indejjen vorüber und auch das Jahr 1797 gejtattete wieder, 
an die Gejchäfte des Friedens zu benfen, 

Die auögejtandenen Leiden und Drangjale hatten auf die 


Die Abreiie Karl Theodors und die folgenden politiihen Ercigniſſe. 459 


fichlihe Gegenüberjtellung mildernd gewirkt und zum erjten 
Male werden die beiden Bürgermeijter — Weller und Ader- 
mann, der eine katholiſch und der andere lutheriſcher Con- 
fejfion — einftimmig gewählt. Von Traitteur nahm jene 
ſchon früher verfolgten Wajferleitungspläne wieder auf und pro- 
jectirt jet eine jolche Leitung aus dem Leimbach bei Schweßingen, 
nachdem die aus dem Gebirge bei Rohrbach durch die Kriegs» 
zeiten noch vor ihrer Vollendung wieder zerjtört worden war. 

Auch Heinen Angelegenheiten wendet fich wieder die Auf— 
merkjamfeit zu, und wenn bie Stadtjoldaten, angejtedt von dem 
leichten Kriegstone, in nicht ordonanzmäßiger Kleidung, aljo 
mit ſchwarzen Beinffeidern, mit Stiefeln und ohne Batrontajche 
auf die Wache ziehen, jo werden fie jtrengjtend zur Ordnung 
zurüdgeführt. 

Ernftliher werden die Dinge jchon wieder im Jahre 1798, 
Am 25. Januar 1798 meldet das Directorium, daß der Stadt- 
commandant dv. Bartels durch die jenjeits des Nheines ftehen- 
den Franzoſen unter General Dubinot und Ambert aufgefordert 
worden jei, die Rheinjchanze zu übergeben. In diefer comman- 
dirte Obrijt von Sarg, welcher die Uebergabe ablehnte, da Die 
Rheinſchanze ihm zur Vertheidigung anvertraut ſei. Bon Dal- 
berg leitete Verhandlungen ein, die auch dahin zum Ziele 
führten, daß die Franzoſen zujagten, vorerjt nichts Feindliches 
gegen Mannheim zu unternehmen. 

Es ſollte nur ein Boften von 200 Mann 60 Schritte von 
der Rheinbrüde ftehen bleiben, und es jollte der Waffenjtill- 
ftand mit Zmal 24jtündiger Friſt gekündigt werden müſſen. 
Die Rheinſchanze jelbjt war aber hierbei abermals verloren 
gegangen. Die Lage der Stadt war abermals jehr bedenklich 
und abermals wendet fi) der Stadtrath an den Kurfürften, 
um ihm vorzujtellen, daß man doch nicht daran denfen möge, 
eine Feſtung zu vertheidigen, welche feinen Proviant, feine 
ausfömmlihe Munition, feine hinlängliche Garniſon und feine 
Ausfiht auf Succurs bejäße. Der völlige Ruin der Stadt jei 
unter jolhen Umjtänden gewiß. — 

Soweit haben wir hier die Ausführungen Feders üher 


460 Die Abreife Karl Theodors und Die folgenden politischen Greignifie, 


dieje Ereignifje, als unjerer Meinung nad) den Nagel auf den 
Kopf treffend, in's Feld geführt. 

Dian fieht bejonders auch aus den legten Worten wieder, 
wie die Bevölkerung Mannheims dem Kurfürften für feine, die 
Stadt ſchonende Politif dankte. Zu ſehr noch ftanden dem 
Fürſten wie dem Volke die furchtbare Zerftörung Mannheims 
vor Augen, die im Orleans’jchen Kriege die Folge einer unrich- 
tigen äußeren Politik war, 

Bor Wiederholung diejes Schiejals hat die Stadt wenigſtens 
die vorjichtige Behandlung diejer Sahe von Seiten des Kur— 
fürften bewahrt. Das Mittel freilich, um dieje dem Kurfüriten 
immer am Herzen liegende Stadt, deren Erbauung er mit be= 
wirft hatte, vor allen Kriegs» Drangjalen zu bewahren und alle 
Streitfälle zu vermeiden, wäre eine frühere Aufhebung des 
Feitungscharacter® der Stadt geweien. Dieje Aufhebung 
wurde lebhaft discutirt und Karl Theodor ordnete fie nun 
auch wirflih an. 

Da trat ein Ereigniß ein, das die gänzliche Veränderung 
aller bisherigen Stadtverhältniffe und Landesbeziehungen zu 
baldiger Folge Hatte. 

Am 18. Februar 1799 wurde diejes Ereigniß befannt: an 
diefenn Tage traf die Nachricht von dem am 16. März zu 
Münden erfolgtem Tode des Kurfürften Karl Theodor ein. 

Es war fein Tod, der zu larmoyanten Betrachtungen 
Beranlafjung gab; plötzlich hatte ein Schlagfluß dem Leben des 
immer noch weltfrohen Regenten*) in deſſen hohem Alter von 
75 Jahren und in dejjen weit über 50 Jahre hinausgegangener 
Regierungszeit ein Ziel gejebt. 

Die Bevölkerung Mannheims war heftig bewegt und be- 
jonders alle, die Kunſt und Wiſſenſchaft liebten und in deren 
Dienjten jtanden, wußten, was fie an dieſem Fürſten verloren, 


*) Ein Jahr nad) dem Tode der Kurfürſtin Elifabeth Auguſta hatte 
fih Karl Theodor noch im Alter von 71 Jahren mit der jungen Erzher— 
zogin Maria Leopoldine von Oeſterreich (1795) vermählt. Der aus Rück— 
ficht auf die Thronfolge eingegangenen Ehe entblühte jedoch fein Throns 
folger. 


Die Abreife Karl Theodors und die folgenden politifchen Greignifie. 461 


welcher heute erjt wieder (3. B. von Robert Eitner in der Allgem. 
beutichen Biographie) als der gelehrtejte und gebildetite Regent 
jeiner Zeit bezeichnet wird. 

Biden wir auf das Leben des Fürſten im engeren 
Sinne, auf feine perfünlichen Lebensverhältnifje zurüd, jo fällt 
befonders eines auf: die Kälte und Traurigfeit jeiner Che mit 
Elijabeth Auguſte von Sulzbad). 

Gewiß war dieje Fürſtin eine Herzensgute Frau, wie dies 
ihre Wohlthätigfeit und Fürſorge für Kranke beweiit. Ja, als 
Protektorin der phyſikaliſch ökonomiſchen Gejellichaft, ala Be— 
gründerin der ſegensreichen Hebammenſchule u. ſ. w. zeigte ſie 
ſich auch als eine geiſtig hochgebildete Frau. 

Allein, wahre Liebe kann nicht künſtlich erzeugt werden. 
Die gut gemeinte Idee Karl Philipps, ſeine Lieblinge, Couſin 
und Couſine in jungen Jahren durch einen Bund der Ehe an— 
einanderzufeſſeln, iſt nicht zum Segen ausgeſchlagen. Der Zug 
des Herzens iſt nicht durch andere Mächte zu beſtimmen, und 
jo blieben ſich Karl Theodor und ſeine Gattin innerlich fremd. 
Erjt nach 19jähriger Ehe ſchien es, als ob Familienglück in 
diejes Fürſtenhaus einziehen jolltee Ein Sohn wurde am 
28. Juni 1761 geboren, der den Namen Karl Ludwig erhielt. 
Aber fur; nah der Geburt jtarb das Kind und die Mutter 
wurde durch fortdauernde Krankheit dem Eheglück noch mehr 
entfremdet. 


Den Kurfürſten erfaßten manche vorübergehende Neigungen 
zu weiblichen Schönheiten (man nennt vor allem die Namen 
Huber, VBerneuil und Augujte Wendling, die Tochter der be= 
rühmten Sängerin), und es tjt fein Zweifel, daß bier das 
Hofleben, wie damals an vielen anderen Fürſtenhöfen auch, 
von franzöfticher Leichtlebigfeit erfüllt war. 

Dod in einem Falle hat das weibliche Gunſt reich begehrende 
Herz des Kurfürſten wirkliche Leidenſchaft, wahrhafte Liebe durch— 
bebt, die nie erlojh und ewig noch in der Erinnerung an das 
blühende Wejen fortlebte, das der Tod frühzeitig vernichtete. Es 
it dies Karl Theodors Liebe zu der Schaufpielerin Maria 


4652 Die Abreiie Karl Theodors und die folgenden politiſchen Ereigniffe. 


Joſepha Seyffert (Seiffart). Gegenüber der Dede und dem Miß— 
geichiet jeiner Ehe, der nicht ein lebensfähiges Kind entiprofien, 
war das Verhältniß mit diejer Künftlerin durch vier blühende 
Kinder gejegnet, die Das nach Kinderfröhlichkeit ſich ſehnende, heitere 
Gemüth des Fürften mit Wonne und Glüd erfüllten. Hier, bei 
diejen Sprößlingen fühlte er fi) wohl, die Mutter, umgeben 
von ihren Kindern, ließen ihm den Schein eines Familienglücds 
genießen, das ihm das Schickſal in anderen Berhältnijjen ver- 
fagte. Wir wiſſen, daß Mozart die Kinder der Künjtlerin eine 
furze Zeit unterrichtete und ihnen einige Compofitionen widmete, 
Es dürfte faum ein Zweifel darüber herrichen, daß der Fürſt 
noch eine Ehe mit diejer Stünftlerin eingegangen wäre, wenn 
dies die Verhältnifje irgend geitattet hätten und nicht der Tod 
dazwiichen getreten wäre. Die väterliche Liebe, die er allezeit 
den Kindern diejer Künſtlerin bewahrt hat, beweilen, daß nicht 
nur jein Sinn, jondern auch jein Herz für die lehtere ent- 
brannt war. Denn die Belehnungen, die er den Slindern ber 
Geliebten zufommen lieh, find erjt nach dem Tode der letzteren 
erfolgt. Alſo wollte er ſich nicht durch gewährte Geichenfe die 
Gunſt der Geliebten und vergnügte Stunden ertaufen, jondern 
eine innige Herzensliebe gedachte nur der theuren Entichlafenen 
und hielt jchütend die Hände über die geliebten Kinder. 


Sein Lebenlang fühlte er ſich für eine jolche Liebe 
verpflichtet, und tief jchmerzlih muß er es empfunden haben, 
dab er jeinen, dieſem Verhältniß entiproffenen Sohn nicht zu 
dem Erben jeines Thrones machen konnte. 


Was waren die Belehnungen dieſes Kindes und von deijen 
Geſchwiſtern mit ein paar Gemarfungen gegen das Naturrecht, 
da3 fie eigentlid) an das Erbe des Thrones hatten. Das mag 
— wie gejagt — der tiefjte Schmerz des Kurfürſten geweien 
jein, der immer und immer wieder jeiner Kinder mit Gaben 
gedachte, ohne dabei die letzte Befriedigung zu finden. 


Diefer Sohn, Karl Auguſt Friedrih Jojeph, wurde am 
24. October 1769 geboren. Ein Jahr vor ihm am 27. Januar 
1768 hatte jeine Schweiter Karoline Jojephine Philippine das 


Die Abreiie Karl Theodors und die folgenden politiſchen Ereignifie. 463 


Licht der Welt erblidt. An der Geburt der Zwillingsichweitern 
Eleonore Karoline Jojepha und Friederike Karoline Joſepha 
am 9. Dezember 1771 jtarb die Mutter nach mehrmwöchentlichem 
Krankenlager am 27. Dezember besjelben Jahres in dem jugend» 
lihen Alter von 23 Jahren, 


Die Leiche der verjchiedenen Künftlerin, die den Rang 
und Namen einer Gräfin Heyded erhalten hatte, wurde in der 
Sarmeliterfiche (L 3 jetzt Großh. Injtitut) beigejegt. An den 
zwei legten Tagen des alten und an den zwei erjten Tagen 
des neuen Jahres waren Trauermeſſen gehalten worden. 
Später, als am 15. Augujt 1778 der Sohn der Berftorbenen 
die Herrichaft Zwingenberg a. NR. (Burg mit acht Dörfern) er— 
halten hatte, wurde die Leiche in die dortige Schloßfapelle 
überführt. Karl Auguſt erhielt u. A. noch die Herrichaften 
Breidenband, Meerfeld, Gladbach, Mandel und Planig, Weih- 
weiler, Baland und Stadt und Stift Lindau am Bodenſee, 
für welch’ legteres Bejisthum er jpäter die Herrichaften Saros— 
Paſak und Regecy eintaujchte, die früher dem Fürſten Franz IL 
Nagoczy gehört hatten. Bon Eſſeg in Ungarn aus erhob 
Kaiſer Jojeph II. am 19. Dezember 1789 Karl Auguft, veip. 
die Familie Heyded, in den Reichsgrafenjtand mit dem Namen 
von Bregenheim. 


Sleih nach dem Tode der Mutter Hatte Kurfürft Karl 
Theodor für die Erziehung und Zufunft der Kinder Sorge ge— 
tragen. Die Erziehung der finder hatte Reichggraf von Obern- 
dorif und Regierungsrath of. dv. Fink zu überwachen und zu 
ihrem Beſitz erwarb Kurfürſt Karl Theodor die Herrichaft 
Bregenheim an der Nahe von Freiherr Joſeph Leopold von 
Noll (bisher kurkölniſches Zehen), für welche Karl Auguſt 1801 
Lindau am Bodenjee erhielt, da das Fürſtenthum an Frankreich 
abgetreten werden mußte. In Mannheim wurde 10 Jahre 
nach dem Tode der Mutter für die Kinder dag unter dem 
Namen Bregenheim’sches Haus befannte Palais gegenüber dem 
Schloſſe gebaut, ein funftreiches Denkmal rein väterlicher Liebe 
und Fürſorge. 





4654 Die Abreiie Karl Theodors und die folgenden politiichen Greigniiie. 


Karl Auguſt jtarb am 27. Februar 1823. Er war ver: 
mählt jeit 27 April 1783 mit Maria Walburg, Fürftin von 
Dettingen» Spielberg. Seine Schweitern, die Söhne hoher 
Familien geheirathet hatten, waren jchon vor ihm aus dem 
Leben geichieden. Der legte Sproß des Haujes Bretzenheim, 
Fürft Alfons, faiferlich öfterreichiiher Oberft, der mit einer 
Bürgerstochter Johanna Hofmann vermählt war, jtarb 1863. 


Das Hofleben in Mannheim entfaltete einen ungewöhn- 
lihen Glanz, mit dem der Kurfürſt auch anderen Regenten 
gegenüber jeine Poſition erhöhen wollte. An Feſtlichkeiten 
und Bejuchen fürjtliher Perjönlichkeiten fehlte es nicht. 

Bon den Seiten jei hier bejonders die Feier der Ver— 
mählung der Tochter des Bralzgrafen Friedrich von Ywei- 
brüden, Amalie Augufte mit dem Kurfürjten Friedrich Auguſt 
von Sachſen am 17. Januar 1769 erwähnt, an welchen Tage 
auch die Akademie die Verbindung und „Freundſchaft der 
Pfälzer mit den Sachſen“ durch eine Feſtrede des Geſchichts— 
Ichreibers Chr. Jacob Kremer preijen lieh. 

Unter den zahlreichen Fürftlichkeiten, die zur Zeit Karl 
Theodors im Mannheimer Schloife weilten, befand fich auch 
Kaijer Jojeph IL, der am 29. Mai 1781 (unter dem Namen 
Graf von Falkenſtein) auf der Durchreiie von Frankfurt nad 
Wien bier Eurzen Aufenthalt nahm. Später nad) dem Wegzug 
des Kurfürſten bejuchte der König von Preußen in Begleitung 
des tronprinzen, der Herzöge von Sachſen-Weimar und Braune 
Ichweig die Stadt Mannheim und zwar im April 1793, zur 
Zeit als jeine Armee zwiichen Worms und Grünftadt lag. Bei 
jeiner Anwejenheit fanden größere Feſtlichkeiten jtatt. 

Den König von Preußen (Friedrich Wilhelm II.) hatte 
der Pfalzgraf Marimiltian Joſeph von Zweibrüden empfangen, 
der das Mannheimer Schloffe mit feiner Gattin Marie Wil 
helmine Augufte, von jeinem Wohnfig in Straßburg durch die 
ausbrechende Revolution vertrieben, zum Aufenthalt gewählt 
hatte. 

Die Pfalzgräfin, die von der Mannheimer Bürgerichaft 


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Die Neckarbrücke. 


Die Abreije Karl Theodors und die folgenden politiichen Ereigniſſe. 465 


wegen ihres al3 vorzüglich gepriejenen Character8 Hochverehrt 
wurde, ftarb hier im Mai 1796. 

In Mannheim weilte ihr Gatte auch im Jahre 1799. 
Hier erhielt Marimilian Jojeph die Nachricht von dem Tode 
Karl Theodor und von hier aus trat er jeine Regierung 
Bayerns und der Pfalz an. 


Deier, Geichichte der Stadt Mannheim. 30 


Gap) 


XXV. 
Concert-⸗, Opern- und Kirchenmuſik. 


Blüthe der Muſik — Das Mannheimer Orcheſter — Die Mannheimer 
Componiſtenſchule — Johann Stamitz — Franz XRaver Richter — Anton 
Filtz — Chriſtian Cannabich — Karl und Anton Stamig — Joſeph 
Toeschi — Balletmuſik — Opernaufführungen — Opera seria — Opera 
buffa — Ignaz Holzbauer — Das deutſche Singſpiel — In Mannheim 
geborene Muſiker — Opernfänger und Sängerinnen — Stalieniiche Ka— 
ftraten — Deutihe Sänger — Anton Raaff — Dorothea Wendling — 
Mozart in Mannheim — Die KHirhenmufit — Abbe Vogler ald Vorgänger 
Franz Liſzts — Beziehungen zu Karl Maria von Weber. — Wielands 
„Rofamunde”. 


Dangit vor dem Tode Karl Theodors hatte Mannheim 
den Verluſt diejes Fürften zu beflagen. Mit jeiner Abreije 
von Mannheim in der Sylvejternaht 1777/78 nad) München war 
der erjte Schritt zu jeiner Ueberjiedelung in die bayrijche Haupt— 
jtadt gethan. Wohl fam der Kurfürjt kurz darauf nad Mann— 
heim zurüd — jedoch nur, um die Ueberjiedelung des ge— 
jammten Hofes nad) München zu regeln, und um nicht allzujchroff 
jeiner Lieblingsjtadt zu entjchwinden. 

Als der Kurfürjt mit feiner Gemahlin am Ende des 
Sommers 1778 zum legten Male das Theater bejuchte, hatte 
ji wieder eine große Volksmenge auf der Straße verjammelt. 
Die Leute geberdeten ſich wie verzweifelt und Viele warfen 
jih vor den Wagen des mit jeiner Gattin aus der Vorjtellung 
zurücfehrenden Kurfürjten auf die Erde, das Bleiben des 
Fürften in Mannheim und Gnade für die Stadt erflehend. 


Concert⸗, Opern⸗ und Kirchenmuſik. 467 


Als „rührend und ſchaudervoll“ bezeichnet Stengel dieſen Auf— 
tritt in ſeinen Memoiren. Die Kurfürſtin war ſo erſchüttert, 
daß ſie nicht mehr fähig war, ohne Beiſtand die Schloßtreppe 
hinaufzuſteigen. 

Es war auch für den Kurfürſten ein ihn tief bewegender 
Augenblick, als er die Stätte der Kunſt, die er geſchaffen, zum 
letzten Mal betrat. 

Aber die Grundlage, die er hier bereitet, war durch den 
Wechſel der Ereigniſſe nicht anzutaſten. Neues, Großes er— 
wuchs weiter aus dem kulturreichen Boden, junge Knospen 
ſetzten wieder an und ſprangen auf zu einer herrlichen, Früheres 
noch überſtrahlenden Blüthe. 

Sehen wir zu, wie ſich dies für das Mannheimer Theater 
aus den gegebenen Grundlagen herausgeſtaltete. 

Die innigſten Beziehungen hatte Karl Theodor, der ſelbſt 
Cello und Flöte jpielte, von Jugend auf zur Muſik. Ihre 
Wundermacht fich voll entfalten zu laffen, war immer jein 
heißes Bejtreben. So jcheute er weder Mühe noch Kojten, um 
in Mannheim die Pflege der Muſik in großem Stile zu bes 
wirken. Zunächſt wußte er ein Orchejter zu begründen, das 
ganz neuen Klangwirfungen die Bahn brad). 

„Bor allem war e3 die Injtrumentalmufit — jo jchreibt 
Otto Jahn in dem Klaffiichen, uns zum Führer dienenden Werfe 
über Mozart — durd welche Mannheim jich auszeichnete, und 
das dortige Orcheſter galt nad) dem einjtimmigen Urtheil als 
das Erjte in Europa. Es war zahlreicher und volljtändiger 
bejett, namentlich in den Blasinftrumenten al3 jonft damals 
gebräuchlih war. Mozart Iernte hier zuerjt die Clarinetten 
als Orcchefterinftrument fennen. Uebrigens war es nicht allein 
die Kraft eines wohlbejegten Orcheſters, welche man lobte, 
jondern ein fein jchattirter Vortrag, wie man ihn früher nicht 
fannte. Man veritand es Piano und Forte in den verichte- 
denjten Abftufungen wiederzugeben, das Crescendo und Dimi- 
nuendo wurde in Mannheim erfunden.*) Dieje außerordentlichen 


*) reip. zuerit bewußt zur Geltung gebradt. 
30* 


468 Goncert:, Opern: und Kirchenmuſik. 


Leiitungen des Mannheimer Orcheiters, welche bei den Zeitge— 
nofjen eine ähnliche Bewunderung erregten wie die des Pariſer 
Drchefterd unter Habeneds Leitung in unferer Zeit (1850) 
wurden dadurch begünftigt, daß bdasjelbe nicht bloß in der 


— — 


Oper, ſondern in den regelmäßigen Muſiken des Kurfürſten 
ſpielte, der ſich mit lebhaftem Intereſſe an denſelben be— 
theiligte.“) 

Der erſte Kapellmeiſter des Hoforcheſters ſchon unter Karl 
Philipp war der Italiener Karl Grua. Von ihm wiſſen wir, 
daß er bereits 1734 hier dirigirte. Er war es auch, der die 


*) In Schubarts Leben und Geſinnungen (I. Theil Stuttgart 1791 
geziert mit Supferitichen von Anton Karcher Mannheim) findet fich 
folgende Schilderung des damaligen Mufiklebens am Hofe Karl Theodors: 
„Sch kam nah Mannheim nicht ohne Staunen über die fimetriihe Anlage 
und Schönheit diefer deutichen Stadt... . Mitten unter (verjchiedenen) 
Grgözzungen erhielt ich ſchleunigen Befehl mich nad Schwezzingen zu be= 
geben und vor dem Surfüriten zu ſpielen. Gin Befehl, der mir umfo an— 
genehmer war, je ſchwerer es ſonſt fiel, bei diefem Fürften Gehör zu finden. 
Sc fuhr mit dem jungen Grafen von Neflelrodt dahin und wurde fogleich 
vor den Kurfürften gerufen. Er befand ſich feiner Gewohnheit nah im 
Badhauſe, einem im fchtwezzingiichen Garten liegenden zwar Heinen, aber 
ungemein geihmadvollen Gebäude, die Prinzen Gallian und Nienburg, die 
Frau von Sturmfeder und nod ein Paar Kavaliers waren bei ihm. Er 
hatte beinahe allen Glanz, jede Miene der zweiflenden Hoheit — nad) Klop— 
ſtocks Ausdrud — abgelegt und jchten nur guter Menſch und liebenswür— 
diger Gejellichafter zu jenn. Sein Aeußeres fündigte Gefundheit und männ— 
fihe Stärfe an. Sein freundlicher Bid, den er auf Fremde und 
Einheimiiche ausitrahlt, mildert das zurükichröfende feiner Macht umd feines 
Anjehens. Man vergißt im Anblif feiner lichten Miene den Stern bald, 
der an jeiner Brujt flammt und jeine Fürftengröße anfündigt. Er em: 
pfing mich jo gnädig, dab fich meine Blödigkeit bald in Freimuth ver: 
wandelte. Nachdem er fich liebreih nach meinen Umftänden erkundigt 
hatte, jo spielte er jelbit, beinah etwas furdtjam, ein 
Flötenfonzert von zween Toeſchi und dem Wioloncelliften Danzy bes 
gleitet. Nach diejen ſpielte ich verichiedene Stükke auf dem Fortepiano, 
fang ein ruffifches Striegslied, das ich foeben gemacht hatte, jtand auf, 
fprah über Literatur und gewann des Kurfürſten vollfommenen Beifall. 
Ich will Ihn öfters hören und ſprechen“, ſagt' er mit heiterfter Miene, 
als ih Abichied nahın.” 


Concerts, Opern: und Kirchenmuſik. 469 


erite Aufführung des neugebauten Opernhaujes und zwar jeine 
eigene Oper „Meride“ leitete. 1748 wurde von ihm nod) eine 
Oper „La clemenza di Tito“ aufgeführt. Als er in der 
Folge nur noch Leiter der Kirchenmuſik war, componirte er, 
jowie jein Sohn Paul Grua zahlreiche Dratorien, Mejjen und 
Motetten. Er jtarb im Jahre 1773 zu Mannheim. 

Weit bedeutender gejtaltete ſich das Wirken eines anderen 
Stapellmeijters und Gomponijten in Mannheim: das Wirken 
des am 19. Juni 1717 zu Deutjhbrod in Böhmen geborenen 
und 1743 von Karl Theodor an den furpfälziichen Hof be= 
rufenen Johann Stamig. Stamik war nur 15 Jahre 
in Mannheim thätig, 12 Jahre nur dirigirte er das Mann 
heimer Hoforcheiter, aber ihm verdankte die Injtrumentalmufit 
in Mannheim ihren mächtigen, alles überholenden Aufihwung. 
Ueber die bedeutende Stellung, die jeine Compofitionen in der 
Gejchichte der Muſik einnehmen, wird endlich volle Klarheit 
geichaffen. So jchreibt Riemann in jeiner neuen PBublifation 
über die Mannheimer Symphonifer: „Die genannten Trios 
von Stamis (auf melde auch Anklänge in BBoccherinis 
Uuartetten Op, 1. deutlich hinweijen) inauguriren in einer gar 
nicht zu überjehenden Weile den Stil der modernen Kammer: 
mufit und find die erjten noch heute mit ausgezeichneter Wir- 
fung jpielbaren deutichen Streichtrios. Der Generalbaß it in 
ihnen durchaus entbehrlich; der zweite Sat des erjten Trios 
jteht auf der vollen Höhe der Kunſt Haydns und Mozart3 und 
iſt von einer für alle Zeiten unvergänglichen und muftergültigen 
Faktur. Die feine Abtönung des Ausdruds des ganzen Satzes, 
der von einer wahrhaft klaſſiſchen Gemwähltheit und Nobleſſe 
umd von einer bezwingenden Logik ift, die auch nicht eine Note 
ohne Schaden zu ändern gejtattet, verleihen demjelben dauern» 
den Werth. Vielleicht zum eriten Male tritt in Stamip’ 
Trio der ganze Zauber des Biolinflangs berüdend hervor. 
Kein Zweifel: Johann Stamig ift der jo lange ge- 
ſuchte Vorgänger Haydns! Hiller hat recht: zu allen 
Zeiten joll der Name des Mannes heilig jein, ber zuerjt ge— 
(ehrt Hat, wie ein jchlicht fich ausjprechendes inniges Em— 


470 Goncert:, Opern: und Kirchenmuſik. 


pfinden alle gelehrte Kunſt aus dem Felde ſchlägt.“ Stamitz 
ftarb 1758. 

Ein hervorragendes Mitglied der älteren Mannheimer 
Componijtenfchule war auch Franz Kaver Richter. Er ijt am 
1. Dezember 1709 zu Holliihau in Mähren geboren. Er 
wirfte 1747—1769 in Mannheim und führte den Titel eines 
Kammer-Mufiferd und Componiften des Kurfürjten, hat aber 
auch als Baßſänger bei der Oper mitgewirkt. Ueber Richter 
und jeine zahlreichen Compofitionen, von denen bereits 1748 
das Oratorium „La deposizione della croce“ in Mannheim 
aufgeführt wurde, urtheilt Riemann in der jchon obengenannten 
Bublifation: „Der Inftrumentaleomponift Richter wird ohne 
Zweifel in der nächſten Zukunft in erhöhtem Mae Beachtung 
finden und auch feine Vofalcompofitionen verdienen ausführ- 
liher unterfucht und gewürdigt zu werden.“ 

Richter nahm 1769 eine Anftellung als Münfterfapellmeifter 
zu Straßburg an, mwojelbjt er am 12. September 1789 jtarb. 
Im Mimfterarhiv zu Straßburg befinden ſich die Partituren 
und Stimmen zu einer großen Anzahl feiner Compofitionen 
(28 Meſſen, 2 Requiems, 38 größere Motetten, ein Tedeum, 
16 Pialmen, 2 Kantaten, 2 Paſſionen u. a. m.). 

Neben Stamis und Richter wirkte der von Schubart 
bejonders gefeierte Componift und Gellovirtuos Anton Filg in 
Mannheim etwa in der Zeit von 1754 bis 1760. Ueber jein 
Leben ijt nicht viel befannt geworden. Schubart mußte an der 
Urwüchſigkeit der Compofitionen von Filtz bei jeiner kraft— 
genialen Art bejonders Gefallen finden. Er nennt Filtz den 
beiten Symphoniefchreiber, der jemals gelebt bat, und bedauert 
den infolge eines bizarren Einfall (Efjens von Spinnen) ein- 
getretenen Tod des Componiſten. 

„Pracht, Volltönigfeit, mächtiges, allerfchütterndes Raujchen 
und Toben der Harmonieflutd; Neuheit in den Einfällen und 
Wendungen, jein unnahahmliches Pompojo, jeine überrajchen- 
den Andantes, jeine einjchmeichelnden Menuetts und Trios und 
endlich feine geflügelten, laut aufjauchzenden Preſtos haben ihn 
bis zu diejer Stunde die allgemeine Bewunderung nicht rauben 


Goncert:, Opern: und Kirchenmuſik⸗ 471 


fönnen.“ So lautet das Urtheil Schubarts über die Ton- 
ihöpfungen von Anton Filtz. Nach den Mittheilungen Rie— 
manns wird von der Sol. Hausbibliothef zu Berlin eine 
größere Anzahl von Pariſer Ausgaben Filtz'ſcher Werke auf- 
bewahrt, die mit Symphonien von Joh. Stamig zufammen- 
gebunden find unter dem Titel „Receuil de Symphonies de 
feu Mrss Stamitz et Filtz‘“ (Paris, Huberty und Paris, La 
Chevardiere). 

Zu dem jüngeren Zweig der Mannheimer Componiften=, 
Dirigenten und Violiniften-Schule gehört in erſter Linie Ehriftian 
Cannabich, ein Schüler von Johann Stamitz. Cannabich ijt 
jedenfall$ 1731 zu Mannheim geboren als Sohn bes Flötiften 
und Kammermuſikers Matthias Cannabih. Nach Vollendung 
jeiner dreijährigen Studien bei Jomelli in Italien, trat er 1765 
jeine ihm jchon 1759 gemwährleiftete Anjtellung als Concert- 
meilter des Hoforcheſters an. Mit ihm erreichte das jchon 
unter Stamitz vorzügliche Orchefter feinen größten Ruhm. 
Schubart urtheilt über Cannabich: „Mein erfter Freund aus 
dieſem Strahlenfreife war Cannabich, der mit der ſchönſten 
Kunfteinficht das beſte deutjche Herz verbindet... .. Das mit 
Recht jo hochberühmte pfälziiche Orheiter hat dieſem Manne 
das Meiſte von jeiner Bolltommenheit zu danken. Nirgend 
wird Licht und Schatten befjer marfirt, die halben, mittel und 
ganzen Tinten fühlbarer ausgedrüdt, der Töne Gang und Ber: 
halt dem Hörer jo einjchneidend gemacht; und die Katarakte 
des Harmonieftroms in jeiner höchſten Höhe allwirfender vor- 
getragen als hier. Die meijten jungen Mitglieder diejes treff- 
lichen Mufitchors find Cannabichs Zöglinge. Selbjt Cramer, 
Bollis würdiger Nachfolger, deſſen Grazie ich ſchon in Lud— 
wigsburg bewunderte, ıjt e3.“ („Leben und Gefinnungen I.) 
„Sannabih, von der Natur jelbft zum Goncertmeijter ge— 
bildet, bejigt die Gabe mit dem bloßen Niden des Kopfes 
und BZuden des Cllenbogens das größte Orcheſter im 
Ordnung zu erhalten. Er ift der eigentlihe Schöpfer des 
gleichen Vortrags, welcher im pfälzischen Orcheſter herricht. 
Er Hat alle jene Zaubereien erfunden, die jetzt Europa be- 


472 Goncert:, Opern» und Kircheumnſik. 


wundert. Das Colorit der Violine hat vielleicht noch niemand 
jo durcchitudirt, wie dieſer Meiſter. . . . So groß er als 
Eoncertmeifter ift, jo groß iſt er auch im Unterricht. Die 
erjten Sologeiger und die vortrefflichiten Ripteniften gingen 
aus feiner Schule hervor.“ (Aeſthetik). 

Als Componift ſchuf er zahlreihe Eymphonien, Sonaten, 
Eoncerte, jowie mehrere Opern (u. A. in Mannheim: „Aza— 
faja“, in Münden: „La Croisee* aud in Paris 1788 auf: 
geführt, „Elektra“ und die Operette „Angelifa“). Ganz be— 
ſonderen Erfolg hatten jeine Ballet „La descente d’Hercule 
aux enfers* und „Cortey et Thelayre“, welch’ lebteres 
1794 auch in Berlin aufgeführt wurde Die glänzende 
Mufiferlaufbahn jeines Sohnes Karl Cannabih, 1771 zu 
Mannheim geboren, der raſch bis zum Hofmufifdirector im 
Münden avancirte und fich als Leiter der Münchener Hofe 
fapelle, wie alö Geiger und Componijt der Opern „Orpheus“, 
„Palmer und Amalia”, des Ballet? „Arur" und zahlreicher 
anderer Tonjchöpfungen einen bochangejehenen Namen gemacht 
hatte, wurde durch den plößlichen Tod diejes vortrefflichen 
Tonkünſtlers am 1. Mai 1806 jäh abgebrochen. Karl Cannabich 
hat jeinen Vater, der (1798) bei einem Beſuche jeines damals 
in Frankfurt wirkenden Sohnes ftarb, nur um 8 Jahre 
überlebt. 

Zwei andere gleichfalls in Mannheim geborene Compo— 
nijten find die Brüder Karl und Anton Stamit, Söhne des 
Johann Stamig. Karl Stamig, am 1, Mai 1746 ges 
boren, genoß von Jugend auf die Schule jeines Vaters, dann 
jegte er jeine Studien unter Leitung Cannabich3 fort und war 
er 3 Jahre Mitglied des Hoforcheiters 1767—1770. Hierauf 
unternahm er eine Concertreije nach Paris, und er errang fich 
dort großen Beifall durch feine Vorträge auf der Bratiche und 
„Viola d'amour“ — jowie die Anftellung als Concertmeijter 
bei dem Herzog Noailles. Bon 1785 an hielt er jich zeit= 
weilig in Nürnberg, Prag (1787) Eafjel (1789—90) und nad) 
einer längeren: Reije durch Rußland in Nena (1800) auf, 
überall jals Künſtler wirfend und gefeiert. In Iena, wo er 


Concert⸗, Opern» und Kirchenmuſik. 473 


die Afademie-Concerte leitete, ereilte ihn im Jahre 1801 
der Tod. 

Karl Stamig Hat außer zahlreihen Symphonien, 
darunter eine Jagd-Symphonie für Streichquartett, Biolin-, 
Bratichen- und Clavierconcerte u. A. auch zwei Opern „Der 
verliebte Bormund“ und „Dardanus“ componirt. Die erjtge- 
nannte Dper wurde in ‘Frankfurt, die andere in Petersburg 
aufgeführt. 

Anton Stami begleitete im Alter von 17 Jahren (er 
iſt 1753 zu Mannheim geboren) jeinen Bruder Karl auf der 
Reife nad) Paris, wojelbjt er fich jedenfall niedergelafjen Hat. 
In Paris gab er eine Reihe von Compofitionen heraus, Sym— 
phonien und Concerte. 1794 wird jeiner in der Berliniſch— 
Muſikaliſchen Zeitung als „noch Lebenden“ vorzüglichen 
Muſikers gedacht. Das Jahr jeines Todes fonnte bis jet noch 
nicht ermittelt werden. 

Bon jeinen Compofitionen werden u. WU. genannt: 12 
Streichquartette, 18 Trios für 2 Violinen und Baß, für 2 
Violinen und Cello, für Violine, Flöte und Baß, 6 Duetten 
für Violine und Flöte, 3 Clavierconcerte und Nocturnen für . 
Violine und Cello. 

Eine kurze Zeit in Mannheim hielt fich auch ein Bruber 
des „alten“ Johann Stamitz, Thaddäus Stamitz (geb. 
1721 zu Deutjchbrod) auf. Er war in der von Johann 
Stamit geleiteten Mannheimer Kapelle Gellift, widmete ſich 
aber dann dem geijtlihen Stande und jtarb als bijchöflicher 
Bicar und Canonicus des Stiftes in Alt-Bunzlau (Böhmen) 
im Jahre 1768. 

Neben Ehrijtian Cannabich gehörte der jüngeren Compo— 
niftenjchufe noch) Joſeph Toeshi an aus der Familie der 
Toesca della Castellamonte von der Romagna. Er ift der 
Sohn Alerander Toeschis, der bereit3 1742 in Mannheim als 
Goncertmeijter wirkte und die Balletmufif zu Gruas Oper 
„Meride“ componirte, und der Bruder des al3 bedeutender 
Geiger der Mannheimer Kapelle gerühmten Johann Toeschi. 
Joſeph Toeschi, geboren 1724, trat etwa im Jahre 1750 als 


474 Goncert:, Opern: und Kirchenmuſik. 


Violiniſt in die Mannheimer Kapelle ei, Er wurde 1759 
Concertmeiiter und leitete da3 Mannheimer Orcheiter neben 
Gannabich, anfangs aucd während deſſen Studienjahren in 
Stalien. Mehr als Violinjpieler, zeichnete er ſich als Dirigent 
und Componiſt aus. Eine neue Ausgabe jeiner zahlreichen 
Symphonien bereitet Hugo Riemann vor. Große Erfolge 
hatte Jojeph Toescht ganz bejonders aber auf dem Gebiete ber 
Balletmufif, die er mit Cannabic zu jehr wejentlicher Höhe 
brachte. 

Die Ballets bildeten zumeiſt zwangloſe Einlagen in den 
verſchiedenſten Opern. Sie wurden zunächſt zu der Entfaltung 
prächtigſter Ausſtattung und blendendſten Sinnenreizes benutzt, 
dann aber fanden ſie auch eine höher gehende Ausbildung. 
Balletmeiſter Etienne Lauchery brachte dieſe Balletvorführung 
in den 70er Jahren zu dem größten Glanz. Er richtete eine 
Art Mfademie des Tanzes ein und führte den Titel des 
Directors einer jolchen Akademie. Er juchte dem Tanze echt 
fünstlertiche Wirkungen abzugewinnen und jah in ihm einen 
Förderer menschlicher Schönheit. Das Balletperfonal umfaßte 
über ein halbes hundert Kräfte, von denen die Herren Lauchern, 
Bouqueton, Le Grand und die Damen Micherour, Lauchery, 
Lang, Dubonlay und Gervais hier genannt jeien. 

Zum Vorwurf zu diejen Ballet3 wurden meift erotiiche 
Scenen aus klaſſiſchen Dichtungen genommen. Auch indijche 
und türkfiihe Stoffe wurden herangezogen. Dazu famen Pan— 
tominen in der Art von fomijchen Genrejcenen und ausge: 
laſſene Harlefiniaden. Eine bejondere Pflege fand die Schäfer- 
idylle, die jo recht klaſſiſche Stoffe im Gejchmad der Zeit 
behandelte. Mit einer großen fünfaftigen Pantomine „Pal— 
merin d'Olive“ (componirt von Cannabich, aufgeführt 1776) 
gelangte das Ballet zu jelbjtändiger Höhe. 

Für dieſe Ballets, die Lauchery in vielbewunderter Weiſe 
geitaltete, fjchrieben Toescht und Cannabich zumeiit die Mufif. 
Dft wurden an einem Opernabend zwei Ballet3 eingelegt, die 
diefe Mujifer componirt hatten. 

Während Gannabih u. A. noch die Ballets „Ceyr und 


Coneert⸗, Opern⸗ und Kirchenmufik. 475 


Alcyone“, „Medea und Jaſon“ (mach Dvid) „Achilles“, „die 
Amazonen“, „das Jahrmarktsfeſt“ componirte, rühren von 
Joſeph Toeschi z. B. die Compoſitionen zu den Ballets 
„Telemach“, „Roger“ (nach Arioſt) „das Frühlingsfeſt“ her. 
Gemeinſchaftlich arbeiteten Cannabich und Toeschi die Muſik 
zu den Ballets „Matroſenfeſt“ und „Cythera“ aus. Bei all 
dieſen Ballets entfalteten die Componiſten mit der Schilderung 
der Landſchaften und Vorgänge ſchon lebhafte Tonmalerei. 
Ueber Toeschis Compoſitionen im Verhältniß zu denen 
Cannabichs ſpricht ſich Schubart in folgender Weiſe aus: 
„Toeschis Manier iſt nicht jo ganz eigenthümlich aber faßlicher 
und mehr in den Honiggeihmad der Mode getaudht. Be— 
ginnende ernſte Majejtät, dann Lenkung des Stroms von 
Plätjchern des Pianiſſimo bis zum Wogenfturze des Fortijjimo, 
ſchmeichelnde Andante und komiſches Prejto jind der Character 
aller jeiner Symphonien. Hat man zwei bis drei gehört, jo 
hat man fie alle gehört.“ Man wird nad) dem Erjcheinen der 
Niemann’schen Publikation diejes Urtheil neu zu prüfen haben. 
Aber nicht allein die Concert» und Ballet-Muſik nahm in 
Mannheim einen weithin wirkenden Aufichwung, auch auf dem 
Gebiete der großen Oper wurde hier Neues und bejonders Zus 
funfsträchtige8 unternommen. Wir haben das damals Auf— 
jehen erregende Ereigniß der Aufführung des deutjchen Sing» 
ipiels8 „Günther von Schwarzburg“ an anderer Stelle jchon 
ausführlich bejprohen. Der Componijt diejes erjten Verſuchs, 
ein deutjches mufifdramatiiches Werk zu jchaffen, wurde dabei 
ihon genannt. Ignaz Holzbauer war eine erjte Kraft der 
großen muſikaliſchen Bethätigung jener Mannheimer Zeit. 
Ueber ihn berichtet Jahn: „Holzbauer, geb. 1711 in Wien, 
jollte die Rechte ftudiren, gab jich aber der Mufif Hin und 
bildete jich jelbit nach dem Gradus ad Parnassum von Fur. 
Er war anfangs Mufikdirector bei Graf Rottal in Mähren, hielt 
fih auf wiederholten Reijen mit feiner Frau längere Beit in 
Italien auf, wurde 1750 Kapellmeijter in Stuttgart und 1752 
in Mannheim, von wo aus er nod) mehrere Reijen nad) Italien 
unternahm, um dort jeine Opern aufzuführen; in den jpäteren 


476 Gcucerte, Opern: und Kirhenmuiik. 


Jahren war er bejonderd mit Compojitionen für die Kirche 
und das Orcheſter und dem Unterricht bejchäftigt. Er war ein 
gebildeter und fenntnigreiher Mann, deifen „inhaltſchwere Ge- 
ipräche über die Tonkunſt“ Schubart (Selbjtbiographie I ©. 
213) rühmt, und Heinje (Briefe von Gleim und Heinje I. ©. 
324) nennt ihn die lebendige Chronik der Muſik des Jahr« 
hunderts. Er jtarb 1783 in Mannheim. Eine Selbitbiographie 
von ihm findet fich in der mufifalischen Correſpondenz Speier 
1790 S. 107 ff. mit einem Nachtrag.“ 

Die Begründung eines beutjchen Muſikdramas lag Holz: 
bauer in jeinen alten Tagen jo am Herzen, daß er mit ber 
Abficht umging, Klopitods Hermannsſchlacht in Muſik zu jegen. 

Borher hatte Holzbauer der italienischen Oper gehuldigt 
und viele italienische Opern verfaßt, die bejonders in Italien 
große Erfolge hatten. So wurde feine Oper „Alessandro nell’ 
Indie* in Mailand im Jahre 1758 dreigigmal aufgeführt. 
Seine Oper „Il figlio delle selve‘* (Sohn der Wildniß) war 
e3, die ihm jeine Anftellung am furpfälzischen Hofe einbrachte. 

Das Eingjpiel „Günther von Schwarzburg“ gab Holz- 
bauer jelbjt heraus mit einer Widmung, an den Kurfürften Karl 
Theodor gerichtet. Ein Eremplar diejer Ausgabe befigt die 
Kgl. Bibliothek zu Berlin. 

Bon jeinen früheren Opern jei noch als jog. Opera 
seriaridicola fein Werf „Don Chisciotte* (Don Quirote), 
ein Borläufer der neben der Opera seria ſich immer mehr 
entwidelnden Opera buffa (Komiſchen Oper), erwähnt. 

Ueberbliden wir raſch die Kräfte, die mit den jchon Ge— 
nannten für Muſik- und Theateraufführungen in Mannheim 
zur Verfügung jtanden, jo kann man weiter noch den Werth 
diejer Darbietungen entnehmen. Bor Allem treten uns im 
Orcejter noch zahlreiche berühmte Namen entgegen. „Eine 
Armee von Generälen*, nennt der englische Mufikichriftiteller 
Burney die Mitglieder des Mannheimer Orchejters. Bejonders 
erfreulih it es dabei, daß Diele vortreffliche Künſtler 
meift Deutiche waren und jomit die deutiche Mufif zu neuer 
großer Geltung brachten Sehr viele diefer Mufifer find in 


Goncert:, Opern: und Kirchenmuſik. 477 


der Stadt ihres Wirkens, in Mannheim geboren, die jomit zur 
Baterjtadt eines großen, jich weithin verbreitenden Künſtler— 
freife8 wurde. Dazu gehören außer Cannabid, Anton und 
Karl Stamis, Johann Ritihel (Sohn des Mannheimer Orga- 
nijten Franz Ritjchel), Componift und Bicefapellmeijter an der 
Mannheimer Oper in dem jechsziger Jahren, Wilhelm Cramer, 
geb. 1745, gejt. 1800 in London, wo man ihn als den „eriten 
Violiniiten der Welt“ feierte, jowie jein Sohn, der Klavier— 
virtuoje und Componift Joh. Baptift Cramer (1771 geboren). 

Der ebenfalls in Mannheim geborene Ignaz Fränzel wurde 
1747 mit 17 Jahren Biolinift des Mannheimer Orcheiters, 
dann Konzertmeifter, Componiſt' mehrerer Violinconcerte und 
jpäter Leiter der- Mannheimer Oper und Badilcher Mufik- 
director. Diejer auch von Mozart gejchägte Künstler jtarb im 
Sabre 1811. Auch jein Sohn Ferdinand Fränzl, geb. 1770 
zu Schweßingen, gejt. 1833 in Mannheim, wirfte als Violin- 
virtuos, Componiſt und zuletzt als SKapellmeiiter (an der 
Münchener Hofoper). Wie Ferdinand Fränzl waren aud) die 
in Mannheim geborenen Biolinijten Friedrich Wilhelm Pixis 
und Johann Baptift Geiger Schüler von Ignaz Fränzl. 
Ferner entjtammen der Stadt Mannheim der Violiniſt und 
Componiſt Chriftian Danner, hier 1745 geboren und in Karls— 
ruhe 1816 gejtorben. Er war der Lehrer des berühmten 
Bioliniiten Johann Friedrich Ed, der gleichfalls ein Sohn der 
Stadt Mannheim it (geb. 1766). Ebenjo war dejjen Bruder, 
der Violiniſt Franz Ef ein Echüler Dannerd. Der Pioliniit 
Beter Winter, ein geborener Mannheimer, wurde als Componift 
der Oper „Das unterbrochene Opferfejt“ befannt. Er jtarb 
im Alter von 71 Jahren 1826 in München. Gleichfalls erblidte 
der Gellift, Operncomponift und Karlsruher Kapellmeifter Franz 
Danzi in Mannheim das Licht der Welt. Seine Schweiter 
Franziska Danzi, die berühmte Sängerin, heirathete befanntlich 
den in Mannheim 1746 geborenen ansgezeichneten Oboeiſten 
Auguft Lebrun. (Schüler von ihm waren die Mannheimer 
Friedrich Ramm und Anton Fladt). Ferner iſt Mannheim aud) 
die Baterjtadt des Componiſten Anton Dimmler (geb. 1758) 


478 Goncerts, Opern: und Kirchenmuſikj 


und des Kapellmeifter3 der Münchener Hofoper Beter Ritter 
(geb. 1765 gejt. 1846), deſſen Gattin die von Schiller Heiß 
verehrte Katharina Baumann wurde. Außerdem find auch die 
Mufikerfamilien Lang, Friedel und Bohrer durch vortreffliche 
Künjtler mit Mannheim verbunden. Man jieht aus diejer noch 
feineswegs vollftändigen Aufzählung von Mufifern Mannheims, 
welhe Fülle von Talenten dem damals kunſtgeſchwängerten 
Boden diefer Stadt entiproßten. 

Zu den Leiftungen des Orchefters, die den Höhepunkt der 
mufifaliihen Bethätigung Mannheims bildeten, fam noch ein 
Opernperjonal, das manche tüchtige und berühmte Kraft in 
jeinen Reihen aufwies. Zuerſt war es allerdings nod) das 
italienijche Kaftratenthum, das die Oper beherrjchte, allein mehr 
und mehr brachen fich deutjche Sänger Bahn und wußten durch 
den natürlihen Wohlklang ihrer Stimme alle Unnatur und 
Unmanier zu befiegen. Hier wirkte vor allem auch der damals 
gefeierte Tenor Anton Raaff, von dem Schubart jagt: „Seine 
Berzierungen und Kadenzen, wie überhaupt jein mufifaliicher 
Geihmad find unerreihbar ſchön; was er fingt, fingt er mit 
tiefitem Gefühl und jein jchönes Herz jcheint in feinem Gejang 
wiederzuhballen.“ Bei der denkwürdigen Aufführung des 
„Günther von Schwarzburg“ jang Raaff die Titelrolle, und 
man war glüdlich, für die Aufführung diejes deutjchen Werfes 
einen ſolchen deutſchen Sänger zu befigen. Ihm zur Seite 
ſtand Dorothea Wendling, die berühmte, auch von Wieland und 
Heine glänzend beurtheilte Sängerin. Heinje jchreibt über ihre 
Erjcheinung 1780 folgendes: „In der Comödie (zu Mannheim) 
.... habe ih die Dorothea Wendling mit ihrer Tochter ges 
jehen; deren Stimme Seelenflang mir das Glück leider nicht 
vergönnt hat. Sie hat viel von dem in ihrem Gejicht, was 
ich bei den vortrefflichiten ihres Gejchlechtes jchon empfunden 
babe; das anſchmiegende feuchte, gluthitillende von Weibes— 
liebe, und dabei das jchnelle, Leicht bewegliche der Leidenſchaft. 
Ihre Tochter jieht aus, wie eme völlige, Hundertblättrige 
Roſe.“ Und Wieland urtheilt über ihren Gejang: „Ihre Art 


Goncert:, Opern: und Kirchenmuſik. 479 


zu fingen, übertrifft alles, was id) jemals, jelbjt von der be- 
rühmten Mora gehört habe.“ 

Bon den übrigen Kräften nennen wir noch: die jchon er= 
wähnte Franzisfa Danzi-Lebrun, Auguſte Wendling (die oben 
von Heinje kurz gejchilderte Tochter der Dorothea Wenbdling), 
Roſa Gabrieli-Blekmann, verheirathet mit dem Oboeiften Bled- 
mann, Rojalie Holzbauer, die Gattin des Kapellmeifters, Mag- 
dalena Allegranti, Barbara Straffer, Suſanna Toeshi, Minna 
Brandes, der Baſſiſt Ludwig Fiſcher, der Tenoriſt Franz 
Hartig u. A. Unter den italienischen Gejangsfräften ragten 
die Tenorijten Lorenzo Santorini, Pietro Sarfielli, Paolo 
Carnoli, Giujeppe Guiardini, Battijta Zonca hervor. Von den 
jogen. Sopraniften trat bejonder® Mariano Lena al3 Director 
der Dper, (auch Mufifmeifter der Kurfürjtin) in den Vorder— 
grund. 

Zur Aufführung gelangten u. U. Opern von den Stalienern 
Grua, Galuppi, Sachini, Jomelli, Traetta, Majo, Piccint, 
Garzias, Gazzaniga, Anfofji, Paefiello, Salteri*), von dem 
Franzoſen Gretry und von den Deutichen Joh. Chriſtian Bad), 
Hafje, Hiller, Gluck, Schweiger, Holzbauer und Mozart. 

Mozarts Beziehungen zu Mannheim waren von Vedeutung 
für das Schaffen und Leben diejes Componijten. 

„Der Aufenthalt in einer Stadt — ichreibt Jahn — welche 
an Bildungsmitteln, an bedeutenden Perſönlichkeiten jo reich 
war, mußte auf Mozart einen tieferen und nachhaltigeren Ein— 
flug haben, als dies in Salzburg, Augsburg oder auch in 
München der Fall jein konnte, und er fam zu einer Zeit nach 
Mannheim, wo das Fünftleriiche und Titterariiche Streben ſich 
frrich und thätig regte und zwar gerade auf dem Gebiet, für 
welches er fich vorzugsweije berufen fühlte, auf dem drama- 
tiichen, am lebhaftejten.“ 


*) Antonio Sälieri ift der Gomponift der komischen Opern „La fieri 
di Venezia" (Der Jahrmarkt von Venedig) und „Der geraubte Eymer“, einer 
Parodie der damals jhon im Verſcheiden liegenden Upera seria. (Text 
buch in der DOeffentlichen Bibliothek zu Mannheim). 


480 Goncerte, Opern: und Kirchenmuſilk. 


Mozart fam am 30. Oftober 1777 mit jeiner Mutter 
nad Mannheim. Gleich am Tage darnach bejuchte er Canna= 
bich, der jtarf für den jungen Componiften eintrat und alles 
that, Mozart an Mannheim zu fejleln. In jeinem Hauje ver- 
fehrte Mozart während der ganzen Zeit feines Aufenthalts in 
Mannheim. Er unterrichtete die 14jährige Tochter des 
Muſikers, Roja Cannabich, und dieje gewann er in ihrer knos— 
penhaften Schönheit jchließlich jo lieb, daß er ihr eine Sonate 
widmete. „Wie das Andante diejer Sonate — jagte Mozart — 
jo iſt fie.“ 

Mozart fühlte fich wohl in dem anregenden und liebens- 
würdigen Stünjtlerfreis, der ihn hier umgab und wie Schubart 
fonnte er urtheilen: „Und nun jtürzt ich mich ganz in den 
Strom der Tonkunſt hinein, der hier voll, tief und reich in 
jeinem Bette daherzog. Burnei thut den pfälziichen Birtuojen 
jehr unrecht, wenn er fie der Unhöflichkeit gegen Fremde be= 
ſchuldigt. Ich hab’ in meinem Leben feine höflichere Leute an- 
getroffen als dieje. Ihr Haus, Tiſch und Herz jtunden mir 
ganz zu Dienſten. .. .* 

Eine Woche nad) jeiner Ankunft am 6. November jpielte 
Mozart ſchon in eimer alaafademie beim Kurfürſten. Er 
jchreibt jelbjt hierüber: 

„Der Churfürjt, fie (die Churfürjtin) und der ganze Hof 
ift mit mir jehr zufrieden. Im der Accademie, alle zwey Mal 
wie ich jpielte, jo ging der Churfürjt und fie völlig neben 
meiner zum Clavier. Nach der Akademie machte Cannabich, 
daß ich den Hof iprechen fonnte. Ich küßte dem Churfürjten 
die Hand. Er jagte: Es iſt jegt, glaube ich, fünfzehn Jahre, 
daß Er nicht Hier war? — Fa, Ew. Durchlaucht, funfzehn 
Sabre, dab ich nicht die Gnade gehabt habe) — — Er jpielt 
unvergleihlih. Die Prinzeſſin, als ich ihr die Hand küßte, 
jagte zu mir: Monsieur, je vous assure, on me peut pas 
jouer mieux.‘ 

*) Fünfzehn Jahre vorher hatte Mozart ald Knabe, von jeinem Vater 
begleitet, in Schwegingen gefpielt. 


PPMqupgR MG 




















Richard Wagner. 
Marmorbüfte von Johannes Hoffart 
(geb. in Mannheim). 


Goncert:, Opern» und Kirchenmuſik⸗ 481 


Viel verkehrte Mozart auch in der Familie des Flötiiten 
Johann Baptift Wendling, des Gatten der berühmten Sängerin 
Dorothea Wendling. Da gab es Heitere und fröhliche Abende 
und Mozart konnte hier jeinen nie verjagenden Humor walten 
lafien. Der jungen Tochter „Guſtl“ Wendling componirte er 
ein franzöfiiches Lied. und bie. Mutter erfreute er durch die 
Compofition einer Arie zu Metaſtaſios Didone. Auch den 
Kiünjtlern, Cannabih und Wendling, erwies er Aufmerkſam— 
feiten und Beihilfe, indem er Compofitionen von dem eriteren 
für Clavier, von dem Letzteren für Orchejter übertrug. 

Mit Vorliebe erging ſich bier Mozart im Drgelipiel und 
jpielte auf den Orgeln der Schloßfapelle, der Trinitatis- und 
Concordienkirche „Vergangenen Sonntag“ — berichtete Mo— 
zart — jpielte ich aus Spaß die Orgel in der Kapelle. Ich 
fam unter dem Siyrie, jpielte das Ende davon, und nachdem 
der Priejter das Gloria angeſtimmt, machte ich eine Gadenz. 
Weil fie aber gar jo verichieden von den hier jo gewöhnlichen 
war, jo gudte fich alles um, und bejonders gleich der Holz- 
bauer. Er jagte zu mir: Wenn ich das gewußt hätte, jo hätte 
ih eine andere Meile aufgelegt. — Ja, jagte ich, damit fie 
mich angejegt hätten! — Der alte Toeshi und Wendling 
jtunden immer neben mir. Die Leute hatten genug zu lachen, 
es jtund dann und wann pizzicato, da gab ich allezeit den 
Taften Bazen. Ich war in meinem beiten Humor, Anjtatt 
des Benedietus muß man bier allezeit jpielen; ich nahm alſo 
den Gedanken vom Sanctus und führte ihn fugirt aus. Da 
jtunden fie alle da und machten Gelichter. Auf die let nach 
dem Ite missa est jpielte ich eine Fuge. Das Pedal iſt anders 
als bey und, das machte mich anfangs ein wenig irrig, aber 
ich fam gleich drein.“ 

Bon der Ktirhenmufif in Mannheim hielten Mozart und 
Schubart nicht viel, wie auch der Kurfürjt jelbit einmal in 
München die Kirchenmusik in Mannheim als den übrigen Mufif- 
bethätigungen nicht ebenbürtig bezeichnete. Man gab vielfach dem 
Abbe Vogler die Schuld, der das Orgel und Glavierjpiel zu 
„rein technijch virtuojenhaft* und die Compofition der Kirchen» 

Defer, Geſchichte der Stabt Mannheim, 31 


482 Concert⸗, Opern: und Kirchenmuſik. 


muſik zu „tändelnd“ behandelt haben joll. Hier liegt aber 
offenbar eine Ungerechtigkeit oder ein Irrthum vor und erjt 
nad) der neueren Mufifentwidelung gewinnen wir einen neuen 
Mapitab für die Beurtheilung dieſes Muſikers. Selbjt Jahn, 
der die von Vogler eingejchlagene Richtung der Programm— 
muſik nicht gelten läßt, jagt über ihn: „Vogler war ohne 
Zweifel eine ungewöhnliche und bedeutende Natur.“ Vogler 
hat zuerjt die Muſik zu bejtimmter Characterifirung, zu effect- 
voller Iluftration von Gedanfen und Vorgängen verwendet 
und jtarfe Wirkungen damit erzielt. Vogler kann heute als der 
eigentliche Vorgänger Franz Lilzts bezeichnet werden. Er juchte 
die Tonkunſt im bewußt dichteriicher Weile zu üben und ihr 
damit neue, große Gebiete zu gewinnen. Seine Ouvertüre zu 
Hamlet begründet die muſikaliſche Characterjchilderung der 
ſymphoniſchen Dichtung. Wie Franz Lilzt verjuchte er auch 
aus Gemälden anregende Gedanken für mufifaliihe Scilde- 
rungen zu gewinnen. 

In der Weiſe wie Lilzt feine „Hunnenſchlacht“ nach dem 
Kaulbah’ihen Gemälde (dies allerdings dem innern Gehalt 
nach weit übertreffend) componirte, jo verjucht Vogler ſchon 
1785 Compofitionen nad) Gemälden (der Düſſeldorfer Galerie). 
Seine Symphonien, jeine Kirchencompofitionen und jein Orgel» 
jpiel entfalten glänzende Farben und characteriftiichen Ausdrud. 
Meſſen von ihm wurden noch in neuejter Zeit im Freiburger 
Minister aufgeführt. 

Für den Orgelbau erfand Vogler ein neues Syſtem, das 
er Simplificationsſyſtem nannte. Ueber dieſes jchreibt der 
Drgelbauer F. A. Adermann im Allg. Anzeiger (Nationalzei- 
tung der Deutjchen) vom 28. April 1830 einen begeijterten 
Beriht. Zum Unterricht in der Muftf gründete Vogler in den 
70ziger Jahren eine Gejangsichule in Mannheim, zu der aud) 
der Kurfürft einen Zuſchuß leiſtete. An diefem Conjervatorium 
hielt Vogler jelbjt Borlejungen, und er Hatte die Freude, auch 
Leſſing einmal unter jeinen Zuhörern zu finden. Mit jeinen 
Vorlefungen und einer Reihe muſikwiſſenſchaftlicher Schriften 
wurde er zum Begründer der modernen Harmonielehre. 


Goneerts, Opern» nnd Kirchenmufif. 483 


Bon wichtigeren Schriften erjchienen von ihm u, A. 
„Tonwiſſenſchaft und Tonſetzkunſt“ (Mannheim 1776), 3 Jahr: 
gänge „Betrachtungen der Mannheimer Tonjchule*, in denen 
auch die Widerlegung einer in ber Berliner Litteratur- und 
Theaterzeitung veröffentlichte Schmähſchrift gegen Vogler erfolgte, 
das „Choralſyſtem“ (Kopenhagen 1800) und eine Abhandlung 
über die Harmonifirung von Volfsliedern (Bolymedos München 
1806); 5. B. mauriiche Volksweiſen zu entdeden, hatte Vogler 
Reiſen in Spanien und an der Nordfüjte Afrikas gemacht 

Auch das Leben Boglers hat in feiner wechielvollen, 
glänzende Höhen erreichenden Art viel Aehnliches mit dem von 
Franz Liſzt. Seine größten Erfolge hatte Vogler als Clavier- 
und Orgelvirtuofe, obwohl er als Componift noch viel weitere 
Bahnen brad). 

Georg Joſeph Vogler ift zu Pleichach bei Würzburg als 
Sohn eines Violinisten und Geigenmachers am 15. Juni 1749 
geboren. Als er von Mannheim aus, wo er theologtiche 
Studien gemacht hatte, 1770 in das Klofter der Franziscaner 
in Würzburg eintreten wollte, wurde er durch ein Decret des 
Kurfürften, der ihn zu jeinem Almojenier ernannte, einer freien 
mufifaliihen Thätigfeit gerettet. Der Kurfürſt ließ ihm im 
Italien weitere mufifaliihe Studien machen und ſprach ihn 
(28. November 1774) in Rom, wo Bapit Pius Vi. Vogler 
zum Ritter vom goldenen Sporn, Protonotar und Kämmerer 
erhoben hatte und der Componijt Mitglied der arcadijchen Ge— 
jellichaft geworden war. 1775 erhielt Vogler in Mannheim 
den Titel „Geiſtlicher Rath“ und die Stelle des Vicekapell— 
meiſters. Unter den Orcheftermitgliedern in Mannheim war 
Vogler nicht beliebt, da er geſellſchaftlich nicht mit ihnen ver— 
fehrte und fie mit langen Proben „quälte*. Daher rühren 
vielfach auch die abiprechenden Urtheile her, die über Bogler 
in Mufiferkreiien gefällt wurden. „Mozart — jo ichreibt 
Rob. Eitner — der auf eine Anjtellung hoffte, Jah, von der 
in der Kapelle herrichenden Erbitterung gegen Vogler angejtedt, 
in ihm den Feind, der ihn hinderte, in Mannheim fejten Fuß 
zu faſſen. Vogler, der fich übrigens mit den Kapellmitgliedern 

3i* 


484 Goncert-, Opern: und Kirchenmuſik. 


wenig abgab, dehnte die Proben oft bis zur Ermüdung aus, 
wobei er jtet3 als der vornehme Geiſtliche im jeidenen leide, 
und dem violetten Seidenmäntelchen, den violetten Strümpfen 
der Calotte auf dem Kopfe erjchien.“ 

In Berfailles wurde eine Oper Vogler3 „Le Patriotisme“, 
die Belagerung von Gibraltar behandelnd, vor dem König und 
der Königin bei Anwejenheit des Componiften aufgeführt. 
1780 erklärte die Akademie zu Paris das Syitem Boglers als 
eine Weiterentwidelung des Syſtems Rameaus. Vogler war 
dann noch al Kapellmeiter in München, in Schweden und in 
Heſſen-Darmſtadt angejftellt, wojelbjt er am 6. Mai 1814, jchon 
ſchwer franf, an einem Schlaganfall jtarb. In Darmftadt war 
jchon früher, am 4. Juli 1779, ein Melodram „Zampedo von 
Lichtenberg“ von ihm aufgeführt worden, wobei die Landgräfin 
Luiſe jelbjt die Rolle der Gemahlin Lampedos gab und der 
Erbprinz dirigirte. 

Vogler ſteht in jtarfer Berbindung mit der gejammten 
modernen Mujitbewegung. Er war in jeinen lebten Lebens 
jahren noch der Lehrer Meyerbeers und Karl Maria von 
Webers. Weber hat jtet3 mit edlem Künftlerdanf dieies Lehrers 
gedacht und fein Andenken gegen die Angriffe aller Tyeinde 
immerdar vertheidigt. 

In Wien hatte Karl Maria von Weber mit 17 Jahren 
(1803) den Abbe Vogler kennen gelernt, dort genoß er nahezu 
2 Jahre den ausgezeichreten Unterricht diejes von ihm ver- 
ehrten Meijters. Bon Bogler lernte Weber den Werth der 
dichteriichen Befruchtung der Tonkunſt erfaſſen und jtrengjte 
Characterifirung der Handlung. Die Schule Voglers ijt in 
den Werfen Webers deutlich zu erfennen und wirkte damit bis 
in unjere Zeit auch auf Richard Wagner. 

In Mannheim fnüpften ſich befanntlic auch die jpäteren 
Familienverbindungen von Weber und Mozart an. Hier lernte 
Mozart die Töchter des Onkels von Karl Maria von Weber, 
die Töchter Fridolin Webers fennen, welch’ leßterer bier als 
Sänger, Souffleur und Copiſt angejtellt war. 

Bon diejen Töchtern, Joſephine, Sophie, Conftanze und 


Concert⸗, Opern: und Kirchenmuſik. 485 


Aloyſia, die fich alle der Gejangsfunft widmeten, wußte die 
Letztere Mozart durch ihr jugendfriich hervorbrechendes Talent 
zu bezaubern. Aber die innige Liebe des Componijten Lohnte 
die bald berühmt gewordene Sängerin nicht mit voller Gegen: 
fiebe und unentwegter Treue. Mozart erfannte bald, daß 
ihre jüngere Schwefter, Conftanze Weber, wenn auch nicht jo 
begabt, doc eine viel tiefer angelegte Natur war. Er wandte 
diejer jeine Liebe zu und heirathete jie am 4. Auguſt 1782. 
Während Mozarts Aufenthalt in Mannheim jpielte ſich 
hier noch ein jonderbares Borfommniß ab. Wieland war nad) 
dem Erfolge der Oper „Alcejte“ zur Erft-Aufführung jeiner 
Operndichtung „Rojamunde“, die wieder Schweißer componirt 
hatte, perjönlich eingeladen worden. Er traf auh am 21. 
Dezember 1777 in Mannheim ein, nahm an den Vorbereitungen 
der Aufführung theil, wurde von vielen Seiten auf’3 Beſte 
aufgenommen — alles jprach hier von Wieland und der neuejten 
Oper, weite Kreiſe waren intereifirt, — da mitten in all’ 
diefe Anjtrengungen und Erwartungen hinein platte die Nach: 
richt von der Abreiſe Karl Theodor? nah München, vom 
Schluß des Theater8 wegen der Trauerzeit des Hofes und von 
der Abjage feines Stüdes. Die Aufführung unterblieb und 
Wieland reifte wieder ab. Wohl jchrieb Wieland, als er vom 
Kurfürjten für die Neife mit 100 fl. und 24 Carolin ent— 
ihädigt, Mannheim Mitte Januar 1778 wieder verließ: „Sch 
reife nun, übrigens mit meinem biefigen Aufenthalt höchjt ver- 
gnügt, wieder nach meinem lieben Weimar,“ allein er mußte 
das Berfehlte all diefer Bemühungen ſchließlich doch als ein 
Genarrtjein empfinden und er konnte jpäter jeinen aufjteigenden 
Groll über das ihm Hier Zugeſtoßene nicht unterdrüden. Er 
wollte jchlieglich doch nicht feinen Feinden gegenüber jelbjt als 
zum Beiten gehalten, al3 der Genarrte erjcheinen und jo Lenfte 
er durch jeinen fieghaften Wit den Spott auf die Stadt Mann- 
heim ab, die er in jeinen „Abderiten“ reichlich bedacdhte — un— 
geachtet, daß hier nur ein umverjchuldetes Mißgeſchick im 
Spiele war. 
Mit aufrichtigem, tiefem Schmerz erfüllte es dagegen 


486 Goncert», Opern: und Kirchenmuſik. 


Mozart, die Stadt Mannheim verlafjen zu müfjen. Seine An— 
jtellung bier Hatte ſich nicht verwirklicht, auch ihn hatte Die 
Abreije des Hofes und die Ablenkung des Kurfürjten von den 
Mannheimer Angelegenheiten jchwer betroffen. 

Zuletzt Hatte er hier mit jeiner Mutter bei dem Hof— 
fammerrath ‚Serrarius (F 3, 5) gewohnt. „Wir find hier un— 
vergleihlich logirt“, jo jchreibt Mozarts Mutter am 18. De— 
zember 1777, „haben jchöne Betten und alle Bedienung. Der 
Herr Hoffammerrath heißt Serrarius. Seine Frau ift recht 
höflich mit uns. Ich ſpeiſe alle Abend bey ihnen und plaudere 
bis halb 11 Uhr mit der Frau und Tochter*), ich jollte faſt 
den ganzen Nachmittag bey ihnen jeyn. Mein Sohn wird jo 
von ihnen gejchäßt, daß es nicht zu jagen iſt; es iſt ihnen 
nur leid, daß er nicht alleweil bei ihnen jein kann.“ 

Am 14. März 1778 reiſte Mozart mit jeiner Mutter von 
Mannheim wieder ab. Bereichert durch wichtige Fünftleriiche 
Eindrüde, tiefe Herzenserfahrungen mußte er „von ung ziehen“. 
Uber für die Stadt Mannheim bleiben die Worte Mozart3**) 
für immer gejchrieben: „Wie ih Mannheim liebe, jo liebt auch 
Mannheim mich.“ 


*) Diefe hieß Therefe Pierron; ihr gab Mozart Glavierunterricht 
und er widmete ihr vor jeiner Abreiſe eine Glavierionate mit Violinbe: 
gleitung. (Werke IV, 2.) : 

**) Vorübergehend kam Mozart noch im November 1778 und am 
24. Oktober 1790 nad Mannheim, an welch' legterem Tage er bier die 
erite Aufführung von „Figaros Hochzeit“ leitete, 


J cc— = — 





XXVI. 


Friedrich Schiller und das deutſche 
Nationaltheater. 


Teutſche Comödianten“ — Die Theaterdireftoren Brunnian, Brenner, 
Porſch, Tilly, Kurz, Sebaftiani — Bretterhaus und Theaterbau — Ver: 
handlungen mit Leſſing — Mardhand und Seyler — Liebhabertheater — 
Eröffnung des furfürftlihen Hof: und Nationaltheaters — Wolfgang 
Heribert von Dalberg — Die Ausihüffe — Die Aufführung der „Räuber“ 
am 18, Januar 1782 — Schillers erite Anmwejenheit in Mannheim und 
jein Bericht über die Räuber-Aufführung — Wirkung der Aufführung — 
Scillerd zweiter Befuch in Mannheim — Seine Flucht aus Stuttgart — 
Ankunft in Mannheim — Mißgeſchick — Schillers Aufenthalt in Oggers: 
heim — Mbreife nah Bauerbach — Berufung Schiller® nah Mannheim 
1783 — Iffland — Schwan — Charlotte von Kalb — Geldforgen — 
Schillers Vorlefung des „Don Carlos“ in Darmjtadt — Ernennung zum 
herzoglihen Rat) — Ifflands Intriguen — „Fiesco“ und „Kabale und 

Liebe” — Bedeutung der Schillerzeit in Mannheim. 


ie den wifjenjchaftlichen Beitrebungen Mannheims jo 
bewahrte Karl Theodor auch den Fünftleriichen Unternehmungen 
der Stadt troß jeiner Ueberfiedelung nah München die leb- 
baftejte Theilnahme. Gerade auf dem Gebiete der muſikaliſchen 
und dramatiichen Kunſt jollte ji) auf dem gut bereiteten Boden 
noch Großes entwideln. Mit lebhaften Interefje förderte Karl 
Theodor die Begründung eines deutjchen Nationaltheaters, und 
er trug durch jeine Beſtimmungen jowohl, wie durch jein per: 
önliches Wirken während jeiner jpäteren Bejuche in Mann- 
heim zu dem Aufſchwung diejes Theaters bei. 


488 Friedrich Schiller und das deutiche Nationaltheater. 


Schon im Jahre 1770 Hatte er jeine Gejellichaft „Tran- 
zöfiicher Comödianter“, die ſeit 1748 in einem Saal im linfen 
Schloßflügel jpielte und bier Stüde von Moliere, Racine, 
Corneille, Voltaire, Shafejpeare (in F. Lebauld's franzöfticher 
Ueberjegung) aufführte, entlaffen. 

Die Pflege des deutjchen Schaujpiels trat dem Kurfürſten 
immer näher, bis e3 zur Begründung des furfüritlichen Hof- 
und Nationaltheater kam. 

Schicken wir die Vorgeichichte des deutſchen Schauſpiels 
in Mannheim nach den Aufzeichnungen der Pichler’ihen Chronif 
unjeren weiteren Betrachtungen mit folgendem voraus: 

Wenn jhon die theatraliichen Kunſtgenüſſe ji nur auf den 
engen Kreis des Hofes in dem Furfürftl. Schlofje zu Maunheim 
oder Schwegingen beichränfte, jo wurde dennod die Neigung 
zum Theater, der Sinn für Mufit in das größere Publikum 
verpflanzt, und führte zur weiteren Ausbildung der ſchon in 
die. Zeiten Carl Philipps fallenden Anfänge eines öffent- 
lichen Theaters. Herumziehende Schaufpielertruppen, fogenannte 
„Zeutjche Comödianten“ fanden fich zur Maimeſſe ein, oder 
„dörften“ während der Faltnachtäzeit „ihre Productionen reprä— 
jentiren und von Jedem Tag, da jelbige ihre Comedien erhibiren 
zum Hospital Carolum 30 Kreuger zu entrichten jchuldig jeynd“. 

Die Schaufpiel-VBorjtellungen, welche in jpäteren Jahren 
vom Spätherbit bi3 zum Aichermittwoch ftattfanden, wurden 
im großen Rentamtjaale (im Kaufhaus) abgehalten, big daß 
1753 den 12. November dem Stadtrathe ein Schreiben der 
Regierung zuging, das den Bau eines Theaters vorjchlug. 

Ein Bauunternehmer wollte fich wicht finden, und Die 
Theater-Brinzipale jahen ſich genöthigt auf dem Fruchtmarkt 
eine Bretterbude für ihre Vorſtellungen alljährlih aufichlagen 
zu laſſen. 

1755 den 17. Februar ift dem „Comedianten Johann 
Joſeph Brunnian erlaubt worden bis auff den Aichermitt- 
woch jeine Teutſche Vers-Comedien und Pantomimen zu pro: 
ducieren“, welche jo jehr gefielen, daß Brunnian diejelben „biß 
nad) Berfließung der May-Meß ipielen und representiren 


Friedrid; Schiller und das deutſche Nationaltheater. 489 


dörffe*. Im Herbit begann Brunnian feine Broductionen aufs 
Neue, welche den 24. Februar 1756 durch einen Erlaß ber 
Regierung an den Stadtrath unterbrochen wurden. 

Nach Beendigung des fiebenjährigen Krieges ließ man 
wieder Schauftellungen und Comedien zu, und erhielt zunächit 
der Schaujpielunternehmer Friedrich Brenner während der 
Faſtnachtszeit und Maimelje 1764 und 1765 Erlaubniß „zum 
Spielen“, 

1766 den 29. Januar ift „dem Arnold Heinrih Porſch, 
Sächſiſchen Comödianten, die Aufführung jeiner Trauer: und 
Luſt-Spiele währender Carnevals Friſt gndjt. bewilliget, übriges 
Begehren aber jolche die Faſtenzeit hindurch exhibiren zu 
dörffen abgejchlagen worden“. Die darjtellenden Perſonen find 
damals noc nicht mit Namen genannt. 

Die Gejellihaft war nicht jonderlih; außer Porih und 
feiner rau find die übrigen Mitglieder von feiner Bedeutung 
geweien. Das Repertoir bejtand meiftens aus guten Stüden, 
als „Tancred“, die „Sellertichen Molierejchen und Holbergichen 
Ruftipiele*, aber — beim Nachipiel durfte der gute Dans» 
wurjt nicht fehlen. 

1767 den 17. März erhielt der Stadtrath den Regierungs- 
Erlaß „daß der Direeteur der Kayjerl. Prager privilegirten 
Hocdeutjchen Comoedianten-Gejellihaft Joh. Tilly nad) be- 
voritehenden Djtern, und die Meßzeit hindurch feine Schaut: 
bühne eröffnen könne“. — Tilly’ Tochter (ipäter als ver— 
ehlichte Scholz renommirt) machte hier ihren erjten theatraliichen 
Verſuch in einem Traueripiele von Cronegk. 

Der Theaterprinzipal Joſeph Felix von Kurz eröffnete 
die Bühne auf dem Fruchtmarkte Anfangs November 1767, 
und war der Erjte, welcher jeine VBorjtellungen bis Ajchermitt- 
woch ausdehnen durfte. Seine Einnahmen 1767/69 erreichten 
(für je 4 Monate) die Höhe von 32,627 fl.; er hatte das 
„Leggeld von Loge und übrigen Plätzen höher bejtimmt als 
feine Nachfolger”, deren durchichnittliche Einnahme für vier 
Wintermonate ſich auf 12,000 Gulden belief. Kurz gab häufig 
Bernardongjtüde, die nahe Blutsfreunde mit dem Hanswurſt 


490 Friedrid Schiller und das deutiche Nationaltheater. 


find, ın denen Kurz ſelbſt brillirte. Uebrigens waren feine 
Spiele von aller Gattung, nnd e3 wurden meistens drei Stüde 
in einer Vorſtellung gegeben: ein Luftipiel, eine Oper und 
ein Ballet. 

Letztere waren jehr anjehnlih, und Kurz ließ fich über- 
haupt feine Koſten gereuen, das Publikum zu befriedigen. 
Therefina von Kurz, die zugleich eine gute Tänzerin war, 
Mille. Richard, welche ſich jpäter als Md. Sacco in Wien 
großen Ruhm erwarb, Bergopzoomer (von 1774 in Wien 
jehr beliebt) u. A. m. machten die vorzüglichiten Mitglieder 
diejer Gefellihaft aus, und waren „eines vollftommenen Bei— 
falls würdig“. 

Der Kurfürſt und ein Theil des Hofes beſuchten hin 
und wieder einige Vorſtellungen in dem Bretterhauſe von 
Kurz, weshalb der eitle „Impreſor“ ſeine Truppe „Deutſche 
Hofichauipieler-Gejellichaft“ nannte. 

1769 und 1770 erichien der Director Sebajtiani mit 
jeiner Gejellichaft von Mainz. Unter ihm nahmen die Operetten 
ihren Anfang und die Bernardonsjtüde ein jehnlich gewünjchtes 
Ende. Ungeachtet Sebaftiani alle Arten von Schaujpielen dem 
Publikum mit vielem Beifalle vorführte, gewannen dennoch die 
Dperetten die Oberhand; Marchand war jein erfter Schau- 
jpieler, deijen Frau, geb. Brochard, Md. Brochard, geb. Ilein, 
Huck und Piloti nebſt deſſen Schwejtern jpielten die erften 
Rollen. 

Sebajtiant zog ſich vom Theater zurüd und übertrug die 
Gejellihaft und Direction an Theobald Marchand, welcher 
jeit diejer Zeit Mannheim alljährlich bejuchte. Luftipiele, Sing- 
ipiele und Pantomimen bildeten jein NRepertoir. Marchand, ein 
rechtichaffener feiner Mann, der „Aufresne“ mit Nuten gejehen 
hatte, war ein tüchtiger Schaufpieler im Fache der Väter und 
Characterrollen, und wirkte belehrend und vortheilhaft auf feine 
Geiellichaft. Seine Frau fpielte mit vielem Beifall Soubretten 
und tanzte. Beider Tochter, Margarethe Marchand, verheirathete 
ji) 1790 in München mit Franz Danzi. Eva Brocdard be— 
jaß eine jchöne Stimme und wurde als Darjtellerin gelobt; 


Friedrich Schiller und das dentiche Nationaltheater, 491 


Mad. Urban gefiel in den komischen Rollen. Tenor war Brandl, 
eriter Characterliebhaber der vielgerühmte Hud, Komiker Hell: 
muth, Balletmeifter: Brochard d. ä, Tänzer: Brochard d. j. 
und Md. Stierle Tänzerin. „Die Decorotionen und die Gar— 
derobe waren ſo koſtbar und ſo häufig, als ſie eine reiſende 
Geſellſchaft haben kann. Das Perſonal behauptete den Ruhm 
der guten Sitten und der feinſten Lebensart.“ 


Der Kurfürſt Karl Theodor war einer der erſten 
deutſchen Regenten, welche ſich des aufblühenden deutſchen 
Theaters mit ebenſoviel Verſtändniß als Intereſſe angenommen 
haben. Die Anweſenheit der Marchandſchen Geſellſchaft, deren 
Vorſtellungen der Kurfürſt häufig beiwohnte, ferner die deutſchen 
Singſpiele, welche ſeit einigen Jahren in Schwetzingen zur Dar— 
ſtellung gelangten, gaben die erſte Anregung zur Förderung 
einer deutſchen National-Schaubühne im Sinne Jo— 
ſephs des Zweiten. (Die franzöſiſche Schauſpieler-Geſellſchaft 
war — wie gejagt — 1770 entlaſſen.) Durch Erbauung eines 
Theaters jollte dem deutichen Schaujpiele eine dauernde Stätte 
geboten werden — nicht nur eine dauernde, jondern auch eine 
würdige, das bewies die Abjicht, als Leiter des neuen Unter: 
nehmens im Allgemeinen und insbejondere einer damit zu ver- 
bindenden Schaujpielerjchule die berühmteften und berufenjten 
Männer zu gewinnen. 


Ein vom Negierungs- und Hoffammerrath von Babo, um 
Ditern 1775, gemacdhter Vorſchlag zur „Erbauung eines Comö- 
dienhaujes“ fand — weil zu Hoch angeichlagen — feine Ge- 
nehmigung, Hingegen deſſen (am 27. Wugujt) vorgelegter 
Koſtenanſchlag von 58,405 Gulden zur „Errichtung eines 
Comödien- und Redoutenhaufes im hieſigen Schütthanje" 
(Arjenal) bewilligt. 

Der Bau wurde alsbald in Angriff genommen, die Bühne 
erhielt eine Breite von zwölf Schritt, welches man fir den 
angemejjenen Raum für das Scaujpiel hielt, und unterm 
12. Januar 1776 ijt dem St. Carolus Borromäus-Hospital 
das Privilegium zur Benügung des Theaters ertheilt worden. 


492 Friedrich Schiller und das deutiche Nationaltheaters. 


Ein Erlaß hob indeß zum Herbit desjelben Jahres das dem 
Spital zugewendete Brivilegium wieder auf. 


= Tran 











Mit der Verwaltung und Auflicht (die Shaubühne ausge: 
nommen) wurde der Regierungs= und Hoffammerrath J. Marius 
Babo betraut, der Dichter des Trauerjpiels „Otto von Wit: 


telsbach“. 
Der Miniſter, Graf von Hompeſch, ein Mann von echt 


patriotiſcher Geſinnung, trug Vieles dazu bei, den Kurfürſten 
zum Entſchluß zu bringen, die deutſche Nationalbühne zu er— 
richten, und ſetzte ſich in Gemeinſchaft mit Schwan eiligſt mit 
Gelehrten, Dramaturgen, und Theaterprinzipalen in Correſpon— 
denz. Zur Organiſation und Belehrung junger hieſiger Talente 
wurde Eckhof die Direction und Leſſing das Amt eines 
Dramaturgen angetragen. Beide lehnten dieſen ehrenvollen 
Antrag ab, denn keiner von ihnen mochte ſeine innehabende 
Stellung aufgeben. Ein zugereiſter Schauſpieler, Namens 
Lorenz, erbot ſich aus dem Tänzerchor talentirte Subjecte zu 
unterrichten und nach wenigen Wochen eine Fleine Gejellichaft 
zu formiren. Die zur Mitwirfung fi) angemeldeten Mitglieder 
waren: Die Antoine, Lang, Hagenbuh und Hoff 


Friedrich Schiller nnd das deutiche Nationaltheater. 493 


mann, die Herrn Buccarini, Herter, Schubert, 
Nayer, Frank, Boudet j. und Heydel; und Neujahr 1777 
wurde das neuerbaute Schauspielhaus von diejer Hoftheater- 
Gejellichaft mit dem damals beliebten Stüde von Brandes: 
„Der Schein betrügt" eröffnet. Gegen Erhebung eines 
Entree’3 fanden Sonntags, Dienjtags und Donnerftags Vor- 
jtellungen ftatt, aber das Perſonal war zu Hein, zu unge: 
nügend, um größere Stüde aufzuführen. Wiederholt ergingen 
von dem fürzlich zum Hoffammerrath ernannten Schwan Ans 
träge an Leſſing zur Uebernahme der artiitiichen Leitung des 
Nationaltheaterd, welche diejer aber eben jo oft und ent= 
Ichieden zurüd wies. Bei jeinem kurzen Aufenthalte in Mann— 
heim*) that er den Vorichlag, man jolle Schaujpieler von be— 
fanntem Werthe engagiren und neben dieſen Die jungen 
Pfälzer nach und nad) für die Bühne erziehen. Wie übrigens 
Lejling über die zu gründende Nationalbühne dachte, zeigt 
ein Brief an jeinen Bruder Karl, von Wolfenbüttel am 25. Mai 
1777: „Mit einem deutjchen Nationaltheater ijt es lauter Wind, 
und wenigſtens hat man in Mannheim nie einen anderen Be— 
griff damit verbunden, als daß ein Ddeutiches National: 
theater dajelbit ein Theater ift, auf welchem lauter geborene 
Pfälzer agirten.“ Wie wihtig Mannheim für das Bühnen- 
leben in ganz Deutjchland wurde, Hatte Lejling nicht geahnt. 
Uebrigens wäre es noch jehr die Frage, ob Leſſing nad) 
den heutigen Tagesberichten ein „einfichtsvoller Bühnenleiter“ 
und „genialer Intendant mit weitblidenden Kenneraugen“ ge— 
worden wäre.**) 


*) J. Ch. Brandes in feiner „Lebensgefchichte* erzählt: „Der Kalter 
beging aus Irrthum einen groben Fehler bei Leſſingen, der hierher, 
zu gewilfen Ginrichtungen bei der Bühne, eingelader war. Man gab zu 
deilen Empfang ein bejonders glänzendes Schaufpiel und — ließ ihn die 
Entree zahlen. Der Intendant (Graf von Bortia) hörte dieſen Verſtoß, 
und äußerte darüber ſeinen Unwillen. Der Kaſſier verſtand dies unrecht, 
glaubte den Fehler wieder gut machen zu müflen, und ſchickte Leifingen den 
eingelegten Gulden mit vielen Entfchuldigungen zurüc, welchen dieſer 
zwar annahm, aber ihn mit Lächeln dem Boten fchenkte,* 

**) 5, Hübner. 





494 Friedrich Schiller und das deutiche Pationaltheater. 


Der Minijter von Hompeſch ſetzte fi) mit Director 
Seyler, 3. 3. in Mainz, in Unterhandlungen und ertheilte 
demjelben die Erlaubnig zum Zweck der Uebernahme der 
Direction, im Laufe des Sommers mehrere Probevorftellungen 
mit jeiner Gejellichaft zu geben. Zu gleicher Zeit meldete jich 
Marhand zum Director, deifen Geſuch beim Kurfüriten vom 
Grafen von Oberndorf und vom Intendanten von Portia 
befürwortet und unterjtügt, jofort die höchite Genehmigung er- 
hielt. Marhand, am 6. Mai 1777 durch ein Patent zum 
Hoftheater-Directorder „Churfitl. deutihen Schau— 
bühne“ ernannt, war verbunden, fähige, junge Leute in der 
Kunſt zu unterrichten und zu diefem Behuf wöchentlich zweimal 
die Grundſätze der Schaufpielfunft durch Vorlefungen zu er: 
flären. Dreimal müßte wöchentlich gejpielt werden, und mit 
Luſtſpielen, Sing- und Trauerjpielen abzumwechieln; auch jollen 
Eoncerte und Oratorien auf dem Theater gehalten werden, (der 
Bau des Concertiaales war noch nicht vollendet), zu welchem 
Zwede man eine beiondere Decoration anfertigte. Die uriprüng» 
liche Gejellihaft ging nun mit der Marchand’schen, nach Ab- 
gang einiger Mitglieder von beiden Seiten in Eine zuſammen 
und jo entitand mit dem Monate Mai das „Ehurfüritliche 
Hof» und National-Theater unter der Intendantur des 
Grafen von Savioli.“ 

Das Perſonal bejtand aus den Actricen: Antoine geb. 
Amberger, Brodard, Lang, Marchand, Toscani, Urban, Hof— 
mann, Hagenbuch, Redwein; Kinderrollen jpielten Mille. Mar— 
hand und Schmaujen. Wcteurs waren: Caro, Frank, Hud, 
Herter, Heydel, Marchand, Nayer, Bilotti, Sennfelder, Schubert, 
Titfe, Urban, Toscani und Zuccarint. — Vom großen Opern: 
theater jpielten auch auf dem deutichen: Mille. Straßer, die 
Herrn 8. Fiſcher und Hartig, und vom Tänzerhor Boudet und 
die Miles. Dimmler, Degenhard und Dupuis; te behielten 
ihre Bejoldungen vom großen Theater bei und empfingen als 
deutſche Schaujpieler beionderen Gehalt. 

Ende Mai debütirte die talentvolle Anfängerin Marianne 
Boudet, und als Gaſt erichten den 12. Juni Boed, vom 


Friedrich Schiller und das deutiche Nationaltheater. 495 


Gothaiihen Hoftheater, in der Rolle des St. Albin von 
Diderot3 „Hausvater“ mit dem größten Beifall; der Kurfürft 
ſchickte ihm nach der Vorftellung eine goldene Medaille. Boed 
war der Erfinder der Gaftipielreifen auf bejtimmte Rollen, 
unternahm von Gotha aus feine Rundfahrt und jpielte ferner 
in Nürnberg, München, Wien, Berlin und Hamburg. 

Seyler, dem vergeblihe Hoffnungen zur Uebernahme 
der Direction gemacht worden, gab in der zweiten Hälfte des 
Monat Juni jeine ihm zugejagten Probevorjtellungen, in 
welchen fih nur Frau Seyler und Hr. Brochard Beifall er— 
warben. Die Einnahmen diejer neun Aufführungen beliefen ſich 
auf 2130 fl. 30 fr. — 

Nachdem Marchand jeinen früher eingegangenen Ber: 
pflichtungen, zur Herbſtmeſſe Frankfurt zu bejuchen, nachkam, 
entfaltete fich hier in literariicher und künſtleriſcher Hinficht ein 
veges Leben. Deutſche Schaujptele entjtanden in Menge, von 
denen hervorzuheben: „Walwais und Adelaide“, ein Originals 
ichaufpiel vom Freiherrn von Dalberg, jowie deſſen „Cora“ 
(„Marmontels Incas“ entnommen), „der Sturm von Borberg” 
vom Hofgerichtsrath Meyer, „Pygmalion“, überjegt von 
Gemmingen, „Bolt von Bremen“ von Spracmeijter Edert, 
„Das Winterquartier in Amerifa* von Babo, „Azakia“, von 
Schwan und deifen Dichtung zu Voglers Singipiel „Der 
Kaufmann von Smyrna.“ 

Marchand, dem man jo viel Neues darbot, beeilte jich die 
genannten Novitäten, feinem Repertoir einzuverleiben und fleißig 
einzuftudiren. Für das Schaufpiel bejaß er ganz vortreff— 
liche Dariteller, wenn ihnen auch die franzöfiichen Manieren 
anhafteten, welche bisher vorherrjchend waren; weniger genügten 
jeine Sänger (mit Ausnahme des Baſſiſten 2. Fiicher), welche 
eben nur für Kleine Singjpiele ausreichten. 

Der hohe Mel, durch Dalberg veranlaßt, entrirte ein 
Liebhabertheater (ein Gleiches in der bürgerlichen Klaſſe 
war jchon 1777 entjtanden), um fich zu vergnügen, und Erſatz 
zu juchen für den Ausfall der großen Oper; zu gleicher Zeit 
wurden auc die „Concerts des Amateurs‘ gegründet. Am 


496 Friedrih Schiller und das deutſche Nationaltheater. 


28. Februar 1778 führte die Gejellichaft adeliger Perſonen 
„Melanide* von Chauffee und „L’heureusement‘‘ öffentlich 
zu einem wohlthätigen Zwed im deutjchen Theater auf; das 
überfüllte Haus lohnte die Darjteller mit großem Beifall.*) 

Ale Montage um 3 Uhr findet eine theatraliiche Ver— 
jammlung jtatt, wo ungedrudte Stüde vorgelejen, die Urtheile 
gehört, über die Aufführung der Stüde pon jeder Woche ge— 
jprochen, neue Stüde vorgeichlagen und vertheilt werden. Gute 
Stüde, welche nicht auf dem Nationaltheater vorgeführt wer: 
den, lernen und jpielen die Mitglieder der Verſammlung zum 
Beitvertreib, halten aber ihre Vorjtellung geheim, um fich nicht 
der Unannehmlichkeit auszujegen, durch Verjagung des Zutritts 
zu befeidigen. Cine derartige Aufführung fand am 15. Oftober 
1779 mit Leffings „Nathan der Weije“ jtatt.' 

Marchand's Nepertoir bot von bemerfenswerthen Stüden, 
außer den jchon erwähnten, nachitehende: „Der Edelfnabe* und 
„Der Philoſoph“ von Engel, „Minna von Barnhelm“, Banks 
„Eſſex“, Cumberlandse „Miß Obre“, Goldoni's „Murrfopf”, 
Dalbergs „Walwais und Adelaide“, Gluck's „Pilgrimfahrt 
nah Mecka“ u. U. m. 

Das ſtürmiſche Applaudiren hatte ſchon damals einen jolch 
hohen Grad erreicht, daß der Berichterftatter in den „Rheiniſchen 
Beiträgen“ über die Vorftellung „Elfriede“ vom 17. Mai 1778 
ſchrieb: 

„Schade, daß das Publikum kein anderes Zeichen ſeines 
Beifalls, keine andere Art von Belohnung und Aufmunterung 
kennt, als ſein nur gewöhnliches, ſogar oft ohne Geſchmack 
*) Schon früher hatte eine Geſellſchaft von Offizieren (1767) hier 
ein deutſches Theater gegründet, wenn auch vorerſt nur ein Marionetten— 
theater. Das Theater befand fih in dem Gafthof zum Prinzen Karl und 
ift von dem Bildhauer Paul Egel eingerichtet worden. Auch die Mario: 
netten wurden von Egel hergeftellt. Das Theater wurde anfangs Dezember 
mit Moliere8 Don Juan unter dem Titel „Das jteinerne Gaftmahl* er: 
öffnet. Bekanntlich ftehen 3. B. in Italien heute noch die Marionetten 


theater in Blüthe, ein Beweis für die dort immer noch vorhandene naive 
Illuſionsfähigkeit des Publikums. 


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Anfiht von Mannheim mit der Rheinfhanze in der Mitte des 18. Jahrhunderts. 


Friedrich Schiller und das beutiche Nationaltheater. 497 


und ohne Kenntnig angebradhtes und dadurh nur zu jehr 
abgewürdigtes Händeflatichen“. 

Die große Oper mit ihrem Orcheiter, das Ballet und die 
Marhand’ihe Hof: und Nationaltheater » Gejellichaft ſiedelten 
Mitte September nah München über; die letzte Vorſtellung 
im Schauſpielhauſe war am 13. September 1778 Leſſings 
„Minna von Barnhelm“. 

Die guten Mannheimer hatten das Nachjehen. Nicht nur 
um ihr Vergnügen, auch um ihre Eriitenz begann ihnen bange 
zu werden. Bei der allgemeinen VBerödung, welche über Mann: 
beim hereinbrehen mußte, waren indeß patriotiihe Männer 
darauf bedacht, durch mancherlei Mittel den ſtockenden geiitigen 
und materiellen Berfehr wieder aufzuhelfen. Unter dieſen war 
Freiherr Heribert von Dalberg, welcher fih Ende Juni an 
den Minijter von Hompeſch nach München wegen der Fort— 
führung des Theaters mit einem Schreiben wandte, 

Inzwiſchen fam der Kurfürſt zum Beſuche nah Mann: 
heim. Dalberg, welcher mündlich mit Karl Theodor die 
Einrihtung des Theaters beiprechen konnte, erhielt unterm 
2. September eine zuftimmende und zu höchſtem Eifer anregende 
Zuſchrift: 

„An 

tit. Freiherrn von Dalberg 

die Fortführung einer Teutſchen 
Schaubühne dahier betreffend. 

Dalberg bot nun alle Kräfte auf, um dem Wunjche 
feines Fürſten zu entjprechen, und eine der beiten Schaujpieler- 
gejellihaften Deutſchlands zu errichten; der Erfolg war der 
Beweis, daß feine Bemühungen nicht fruchtlos gewejen jind. 
Unterhandlungen mit dem berühmten Brofmann und dem 
Unternehmer Abt in Münfter führten zu feinem Nejultat, 
weshalb Dalberg mit Director Seyler*) in Mainz einen 





*) Seyler war urfprünglih Kaufmann in Hamburg aeweien, aber 
ſchon als folcher jcheint er lieber und öfter hinter den Gouliffen als hinter 
dem Hauptbuche geitanden zu haben; die Folge davon war ein Banferott 
Sm Jahre 1767, zur Gründung des eriten Nationaltheater® verbanden ſich 


Deier, Geſchichte der Stabt Mannheim. 32 


498 Friedrih Schiller und das beutiche Nationaltheater. 


Contract abjchloß, vermöge deſſen Seyler vom Oktober 1778 
bis in die Faſten 1779 wöchentlich einmal hier zuipielen, dann 
aber von Faſtnacht bis Dftern alle Woche 3 Vorſtellungen zu 
geben Habe. 

Die Mitglieder der Seyler'ſchen Gejellihaft waren: 
Mufikdireftor: Neefe. Chorrepetitor: Benda, Sohn. 
Actricen: Benda, Borchers (ehemalige Frank), Dauer, Neefe, 
Pöſchel, Scletter, Seyler, Müller, Opitz, Kicchhöfer und 
Tochter. Acteurs: Borchers, Bed (Bruder von Heinrich) 
Bed), Dauer, Henjel, Kirchhöfer, Möller, Müller, Opit, 
Pöſchel und Zuccarini. 

Am 27. Oktober 1778 wurde die Bühne eröffnet mit dem 
Luſtſpiel: „Geſchwind ehe es Jemand erfährt, oder: 
Der beſondere Zufall.“ Mad. Seyler hielt eine von 
Wagner verfaßte Antrittsrede. 

Das Repertoir zeigte durch Aufführungen deutſcher Original— 
jtüde jich von größerer Bedeutung als dasjenige Marchands, 
und it im Verlauf des nächſten Jahres auf die gewählten 
Borftellungen die Einwirkung Dalbergs eine unverfennbare. 
Bon Leſſing wurden ohne jonderliche Wirkung zum eritenmale 
„Mit Sara Sampjon“ (17. Januar 1779) und „Der Frei— 
geiſt“ (24. Januar) aufgeführt, hingegen gefiel außerordentlic) 
defien „Emilia Galotti“ (3. e 21. März 1779), ferner 
Shafespeare’s „Hamlet“ nad Schröder (den 4. November 
1778) und „Macbeth“, in der Bearbeitung von Wagner (27. 
März 1779). 

Auch die Förderung der deutichen Oper lag Dalberg für 


zwölf Hamburger Bürger, denen Seyler, ZTillemann und WBubbers als 
engerer Ausichuß voritanden. Nach dem Scheitern diefes Unternehmens 
erwarb Seyler fih in Hannover das Privilegium für eine neue Geſell— 
ichaft, bei der Eckhof die Höhe feines Stünftlerruhmes erlangen und 
Schröder jeine erite Blüthe entfalten follte. (Das Spiel diejer Beiden 
begeiiterte den jungen Iffland damals jo, daß er den Gedanken fahte, 
fih der Schaufpiellunjt zu widmen). Ein Zerwürfniß zwiichen Seyler 
und Schröder beitimmte Legteren die Truppe zu verlaffen, welche 1771 
nad; Weimar ging, wo Seyler jeine ſchon längjt verehrte und vergötterte 
Frau Henſel heirathete. 


Friedrih Schiller und das deutiche Nationaltheater. 499 


jein Nationaltheater am Herzen, weshalb er ſich an Mozart, 
der jeit 28. Oftober in Mannheim weilte, wegen Compofition 
feiner Oper „Cora“ und eines Melodram’3 „Semiramis* von 
D. von Gemmingen wandte Unterhandlungen mit Mozart, 
Bogler, Gluck und Schweiger zerjchlugen fich indefjen. 

Inzwiichen bemühte ſich Dalberg, einen Direktor für jein 
Unternehmen zu gewinnen und über renommirte Schaujpieler 
Erfundigungen einzuziehen, weshalb er fi) nad) Dresden 
wandte, wo der Prinzipal Bondint mit einer in gutem Rufe 
ftehenden Geſellſchaft weilte. Der kurpfälziſche Staatsminifter 
Graf von Oberndorf nahm, in Gemeinjhaft mit Dalberg, 
hierfür die Bemühungen des kurpfälziſchen Gejandten in 
Dresden, Freiherrn von Halberg in Anjprud. Diefer jchrieb 
am 26. Februar 1779 an Dafberg, daß der dort angeitellte 
Schaujpieler Brandes nicht abgeneigt wäre, die Direktion zu 
übernehmen, 

Herr von Halberg jebte feine Unterhandlungen mit 
Brandes fort, ohne daß Dalberg, der auch mit Seyler 
contrahirte, einen entjcheidenden Entichluß gab. Es war unter- 
dejien in unerwarteter Weile ein glüdlicher Zufall Talbergs 
Plänen entgegen gefommen. Eckhof, der artiftiiche Director 
des Hoftheater8 in Gotha war (16. Juni 1778) geitorben; als 
deſſen Nachfolger fungirte einige Zeit der Schaujpieler Boed, 
der jedocd) jeinen großen Vorgänger jo wenig zu erjegen ver— 
mochte, daß der Funftjinnige Herzog am ganzen Theater die 
Luſt verlor und dasjelbe zum Herbit 1779 auflöfte. Das kam 
Dalberg zu erwünscht und gelegen. Ein jchöner Verein reich» 
begabter Talente, darunter das jugendliche Freundes-Kleeblatt 
Iffland, Beil und Bed, weldes ſich unter Eckhofs Augen 
herangebildet hatte, wurde plötzlich disponibel. 

Dalberg verjäumte nicht, eiligſt den Theaterfaflterer Sar— 
tori nach Gotha zu jchiden, welcher eine von Seyler gejchriebene 
und von Dalberg unterzeichnete Inftruction erhielt, worin ihm 
Weiſung über die zu bewilligenden Sagen angegeben ift. 

Zu gleicher Zeit hatte fid) Dalberg an Gotter gewandt, 
welcher am Gothaer Hofe die Stelle eines Secretairs bekleidete 

3* 


500 Friedrich Schiller und das dentiche Nationaltheater. 


und mit dem Theater und deſſen Angehörigen im intimen Ver— 
fehr jtand, um jänmtliche Angelegenheiten zu ordnen. In der 
Antwort Gotterd (vom 12. Mai) empfahl er bejonders „den 
jungen Iffland zu gnädiger Aufnahme und befonderm Schuze“. 

Dalberg fam nun felbft einmal nach Gotha, um fich die 
Leute anzujehen, und jcheint fich bejonders günftig über Beck, 
Beil und Iffland ausgeiprochen zu haben. 

Iffland erzählt, daß nur der im Siebeleber- Holze*) mit 
Beil und Bed gejchloffene Freundichaftsbund ihn beitimmte, das 
Mannheimer Engagement abzujchließen. Diejen drei Jüng— 
fingen, jo verjchieden begabt und fo gleich in ihrer Begeiiterung 
und ihrem Streben, alle drei mit Kenntniffen und dichteriſchem 
Talente ausgerüstet, wurde der Freundjchaftsbund nicht nur für 
fie jelbjt ein Quell der belebenditen Anregungen, jondern er 
übte auch den merfwürdigiten Einfluß auf die ganze Kunſtge— 
nofjenichaft aus, der fie angehörten. 

Sartori jchloß mit den drei Genannten, mit Boed, Meyer 
und Frau, Backhaus, Boenife und den Damen Kummerfeld und 
Wallenftein Contract ab, und erjuchte Gotter, den Mitgliedern 
die verlangten Vorſchüſſe auszuzahlen, welches am 9. September 
gejchah. 

Durch Anftellung Seylers al3 Director, mit einem Ge— 
halt von 1200 fl., mußte fih Brandes jehr verletzt fühlen, 
der auf dieje Stelle feft rechnete und fein Engagement deshalb 
in Dresden aufgegeben hatte. Dalberg jchloß, zur Entſchä— 
digung, mit ihm als Darjteller, nebjt Frau und Tochter, 
Engagement am 14. Juli ab. 

Seyler hatte fi) verpflichtet, die Frankfurter Herbſtmeſſe 
zu bejuchen und gab bier den 27. Auguſt die lebte Vorſtellung. 

Die Familie Brandes trat dort zu Seyler, der von feiner 
Gejellihait die Mitglieder: Hr. und Mad. Toscant, Zuccarint, 
Hr. und Mad. Böichel, Familie Kirchhöfer, Herter, Haferung 
und Trinfle für Mannheim beibehielt. 


*) Ein Wäldchen iu der Nähe von Gotha, wohin Iffland, Beil und 
Beck ihre Spaziergänge gewöhnlich machten, 


——n 


Friedrich Schiller und das dentiche Nationaltheater. 501 


Rüftig wurde im Sommer vorgearbeitet zur Eröffnung des 
Theaters. Seyler ließ herrichten, „malen und jchneidern“, kaufte 
Coſtüm- und Decorationzjtüde ein und verjicherte brieflich an 
Dalberg, welcher den Sommer auf jeinem Gute verbrachte, er 
dürfe beruhigt jein, e8 werde nichts verjäumt, was zum recht- 
zeitige Anfange des Theaters nöthig wäre. 

Daß Dalberg jeine Augen überall hatte, um nach neuen 
Talenten und pafjenden Ergänzungen für jeine Bühne auszu— 
hauen, und daß er in jedem Falle den rechten Vertrauens— 
und Mittelemann zu wählen wußte, bei dem er an Ort und 
Stelle anfragen fonnte um ein vertrauliches Urtheil, dafiir find 
mehrere Briefe Zeugen. 

Die erite Vorftellung des neuen Nationaltheaterg 
fand am 7. October 1779 ſtatt mit der Aufführung des hier 
jehr beliebten Luſtſpiels „Geſchwind, eh’ es Jemand erfährt”, 
oder „Der bejondere Zufall“ nad) Goldoni. 

Die zweite Borjtellung den 10. war Hamlet, in welcher 
Boeck fich großen Beifall erwarb. 

Am 22. Dezember fand eine Aufführung mit freiem Entree 
von „Clavigo“ ftatt, wegen Anmwejenheit des Herzogs von 
Weimar und Goethes. 

Catharina Baumann, weldhe auf dem Liebhabertheater 
ein hübjches Talent zeigte, wurde von Dalberg engagirt. Sie 
it 1766 in Mannheim geboren. 

Der große Schaujpieler Schröder, auf der Höhe jeiner 
Kunft stehend, fam von feiner Wiener Gajtjpielreije am 14. 
Juni in Mannheim an, und begann ein auf neun Rollen fich 
eritredendes Gaitipiel. Er trat u. A. auf als Damlet den 
16. Juni und 2. Juli, den 18. Juni als Harpagon im „Geis 
zigen“; am 23. al3 Odoardo in „Emilie Galotti“ und den 
28. und 30. ala König Lear. — Unbejchreiblich war der Bei- 
fall, mit dem dieſer große Künstler hier aufgenommen ward, 
Alles drängte fich ihm "zu jehen und Alles war von der Wahr- 
heit feiner Darjtellung Hingerifien. 

Gleich bei Beginn des Theaters zeigten ſich zwifchen ben 
rauen Seyler und Brandes Differenzen. 


502 Friedrih Schiller und das deutiche Nationaltheater. 


Nachdem Seyler von der Direction entfernt worden, gab 
Dalberg ihr eine durchaus veränderte Organijation. Ein aufs 
fallend neuer Moment war es in der Theatergeichicdhte, daB er 
jelbft den Vorſitz bei der fünjtleriichen Direction übernahm. 
Bisher war an allen Hoftheatern die fünjtleriiche Leitung von 
der Verwaltung der beauffichtigenden Oberbehörde getrennt ge» 
halten worden, wie zwei ihrem Weſen nach verjchiedene Thätig— 
feiten. 

Jedenfalls ſtützte Dalberg bei jeiner Direktion ſich nicht 
blos auf das vom Hofe ihm ertheilte amtliche Anjehen, jon- 
dern auch auf wirkliche fünjtleriiche Fähigkeiten und Erfah- 
rungen; er war Sadjverjtändiger und auch Bühnenjchriftiteller. 
Er benußte alio jeine doppelte Eigenschaft als Scriftiteller 
und Bühnenuoritand rühmlich für die Veredelung der drama= 
tiichen Sprache. Und dennoch war er weit entfernt, fih im 
füinjtleriichen Dingen eine unbejchränfte Entjcheidung beizu— 
meifen, nein, im ebenſo beicheidener, als Liberaler Geſinnung 
wollte er den Geſammtgeiſt, die künſtleriſche Intelligenz zum 
Lenker des Nationaltheaters machen. 

Es erging von Seiten der Intendanz eine Anordnung 
der neuen Theater-Regie, welche das Gejammt-Berjonal 
unterjchrieb und Herrn Meyer zum erjten Ausihuß (Ober- 
regiifeur) wählte; die Stelle des zweiten Ausſchuſſes wechjelte 
unter den Mitgliedern nach Dalbergs Beitimmungen. 

Bon großer Bedeutung und Wichtigkeit war die Anord- 
nung Dalbergs: alle vierzehn Tage die Regiſſeure mit 4--6 
Mitgliedern der Gejellichaft bei fich zu verjammeln, um ges 
meinjchaftlich über Verbeflerung des Theaters zu berathichlagen, 
neue Stüde in Borjchlag zn bringen, und abzuftimmen über 
eingegangene VBorjtellungen, Klagen und Bejchwerden. 

Die Berjammlungen des großen Ausſchuſſes dauerten vom 
28. Mai 1781 bis Mai 1789. Da es fich jpäter faft immer 
nur um Erhaltung der materiellen Erijtenz der Bühne handelte, 
und die franzöftiche Nevolution mit ihren Folgen, jo wie Die 
Screden des Krieges alle dafür nöthige Ruhe nahmen, hörten 
fie natürlich ganz auf. Drei Foliobände in Manuſcript zeugen 


Friedrich Schiller und das deutihe Nationaltheater. 503 


für die ernftlichen Bemühungen der Verſammlung, wie für die 
raftloje Thätigfeit, womit Dalberg ſich der guten Sache der 
Kunst ſtets widmete. 


(Den großen Ausjhuß bildeten: Meyer, Boed, Iffland, 
Beil, Bed, Gern, Rennſchüb, Withöft und jpäter Schiller. 
Boeck trat nach einigen Jahren wegen feiner zu jchonenden 
Gelundheit aus.) 


Im Monat October trat Cath. Baumann in Gage und 
Caroline Ziegler*), welche im „Flatterhaften Ehemann“ ihren 
eriten theatraliſchen Verſuch abjolvirte, wurde engagirt. Sie 
jpielte jchon einigemal beifällig auf dem Liebhabertheater, daß 
Dalberg auf ihr Talent aufmerkſam wurde Ihre Eltern 
waren Dagegen, daß fie zum Theater ging. Ahr Vater, Franz 
Ziegler war Hofgerichtsregiftrator, ihre Mutter, Eva Ziegler, 
die Schweiter der befannten Maler Frd. und Frz. Kobell, 
verband mit hellem Verſtand und jtrenger Nechtlichkeit tiefe 
Poeſie des Herzens. Herr und Mad. Rennſchüb, nach dem 
Abgange von Brandes mit Frau, gaftirend, traten in Engage: 
ment, ebenfalls Mad. Eurioni, Mle Jacquemin umd 
Herr Brand. — Soweit die Vorgeichichte des Mannheimer 
Nationaltheater nach der Pichler’ichen Chronik. — 


Kaum hatte die energiiche Bethätigung des Mannheimer 
Nationaltheater begonnen, da präludirte jchon die große 
dramatiiche That, die diejes Theater bald zu Weltruf bringen 
jollte. 


Der junge Friedrich Schiller Hatte ſchon jein Auge auf 
die Kunſtſtadt Mannheim geworfen. Er hatte erfahren, daß 
jein Freund Wilhelm Peterjen in die Pfalz gereijt war und 
Beziehung mit den litterarischen Kreifen Mannheims anknüpfen 
fonnte, Er jchrieb an diefen, fich für die Drudfegung der eben 
vollendeten „Räuber“ in Mannheim zu verwenden und ver: 


*) Garoline Ziegler heirathete den 8. Januar 1784 Bed, ihre ältere 
Schweſter Luife, vermählte ſich mit Beil 


504 Friedrich Schiller und das deutiche Nationaltheater. 


ſprach fich davon ein ehrenvolles „Urtheil der Welt“ und etwa 
50 Gulden in Elingender Münze. 

Allein aus der Sache wurde zunächit nichts und Sciller 
bejchloß, jein Werf auf eigene Kojten in Stuttgart druden zu 
fafjen. Er wußte dem Druder einen Bürgen für die Bezahlung 
der Koſten zu jtellen. Gleich die erjten fertig gedrudten Bogen 
jendete Schiller nad; Mannheim und zwar befanntlih an den 
in litterariichen Streifen bekannt gewordenen Buchhändler 
Chriſtian Friedrich Schwan der jofort etwas von der Aftualität 
des Stüdes erkannte und diefe Bogen an den Freiherrn 
Heribert von Dalberg ſchickte in der Hoffnung, daß er ich 
deſſen Werthichäbung durch Empfehlung eines zugfräftigen 
Stücdes gewinnen fünne. 

Dalberg war gleichfall3 von der Aktualität des Stückes 
überzeugt. Der große Erfolg der am 6. Mai 1781 erichienenen 
eriten Ausgabe der Räuber gab dieſer Ueberzeugung Gewißheit. 
Dalberg beeilte jich, das Stüd für die Mannheimer National» 
bühne zu gewinnen und richtete ein jehr jchmeichelhaftes 
Schreiben an den jungen Regimentsmedieus Schiller. 

Wenn man bedenft, daß die Kühnheit und Freiheit der 
Sprache diejes Stüdes heute noch, wenn dasjelbe jebt erichiene, 
vielfach auf Beanitandung jtoßen würde, jo kann man daran 
den Wagemuth ermeſſen, der dazu gehörte, jchon damals ein 
jolches Drama öffentlicd aufführen zu wollen. Wohl begehrte 
Dalberg mit Schwan Milderungen und Wenderungen für die 
Aufführung, allein dag beeinträchtigt die Verdienſte Dalbergs 
um das ganze große Unternehmen nicht im Entfernteften. 

Dalberg verdient durchaus die ſchöne Witrdigung feines 
Lebens und jeiner Thätigfeit, die Kofffa mit folgenden Worten 
giebt: „Wolfgang Heribert Reichsfreiherr von Dalberg (Kämmerer 
von Worms, am 18. November 1750 geboren, 1771 verehe- 
licht mit Eliſabeth Augufte, Freiin von Ullner zu Dieburg) 
war der Sprößling aus dem alten edlen Gejchlecht der Dal: 
berge, deilen jchon im frühejten Mittelalter in der deutichen 
Geſchichte Erwähnung geichieht. Das Alter des Adels hatten 
die Dalberge mit manchem gemein, was fie aber bejonders aus— 


Friedrich Schiller und das deutiche Nationaltheater. 505 


zeichnete, da3 war ihre wahrhaft edle Geſinnung, welche von 
jener ariftofratiich jein jollenden, junferhaften Ueberhebung 
nicht3 wußte, deren Handlungen vielmehr überall, ohne Ab- 
fichtlichkeit und Schaugepränge, den Stempel des „noblesse 
oblige“ trugen. Im diefer humanen Sinnesart und Denkweiſe 
lag die Begründung für den warmen Zug nad) Kunjt und 
Poeite, welcher vielen Dalbergen gemeinjam war. Ganz be» 
jonders Hatte fich derfelbe in dem trefflichen Manne ausgebildet, 
mit dem wir uns zu beichäftigen haben, und es unterliegt 
feinem Zweifel, daß er jchon in jungen Jahren jeiner Muje 
manche Früchte abgewann, jo wie er offenbar jpäter in den 
Mannheimer Hoffreifen durch jein feines Verſtändniß und jeine 
liebevolle Empfänglichfeit für die Ddichterifche und ganz beſon— 
ders für dramatijche Production die Autorität eines geſchmack— 
vollen und intelligenten Beurtheilers in diejen Dingen jich er- 
worben haben mag. Ein bedeutendes Vermögen — das Stammes 
ſchloß Hernsheim bei Worms gehörte Hrn. von Dalberg — 
jegte ihm in den Stand, feinen Neigungen durch Reifen und 
Anſchaffung aller werthvollen Hervorbringungen im Gebiete 
der ichönwiffenichaftlihen Literatur Genüge zu thun. Die 
dienitlihe Stellung, die er in der Regierung der Pfalz ein» 
nahm, that darin wenig Eintrag, und jo konnte er das Ge— 
wicht, welches ihm Geburt und Würden verliehen, ebenjo mit 
materiellen wie mit geiftigen Kräften vereinen und fich zu einer 
imponirenden Bedeutung bringen, welche durch ihren individuellen 
Einfluß bei dem aufzuführenden mehr als einmal als fräftigfte 
Stüge fih bewähren jollte.“ 

Als Dichter und Ueberjeger befundete Dalberg einen feinen 
Sinn und Geihmad, und es dürfte fich lohnen, diejer Thätig- 
feit des Intendanten jorgfältiger, als dies bisher geichehen 
nachzuſpüren, und in einer bejonderen Abhandlung die Rejuls 
tate niederzulegen. Hier fann nur im Allgemeinen auf dieſe 
Arbeit Dalbergs bingewiejen werden. Ein bejonders großes 
Verdienft errang ſich Daiberg durch feine nach der Wielandfchen 
Ueberjegung vorgenommenen Bearbeitung von Shafejpeares 
„Julius Caeſar“ für die Bühne und durch die glänzende Auf— 


506 Friedrich Schiller und das deutiche Nationaltheater. 


führung diejes Stüdes am 24. April 1785, die auch den Bei- 
fall des Kurfürften fand. Unter Dalberg gehörte dag Mann— 
heimer Theater zu den erjten Stätten der Werke Schillers, 
Goethes, Leſſings, Mozart? und Glucks. Sein Rüdtritt am 
20. Juni 1803 bedeutete den Abſchluß einer großen, fampf- 
reihen Zeit und fein Tod 27. September 1806 erfüllte die 
gelammte Kunjtwelt mit aufrichtiger Trauer.*) 

Schon im Juli 1781 bejchäftigte ſich Schiller mit dem 
Gedanken, Mannheim aufzujuchen. Doch erit im Januar des 
folgenden Jahres reifte er heimlich zur erjten Aufführuug 
feiner Näuber nah) Mannheim. Dieje Aufführung wurde durd) 
die Energie des Intendanten und die Begeifterung der Schau» 
jpieler zu Wirklichfeit. Am 13. Iaunar 1782 durchbrauften 
die gewaltigen Freiheitsworte wie der Wedruf einer neuen Zeit 
das Nationaltheater zu Mannheim, das damit eine unvergäng— 
liche Weihe erhielt. 

Die Vorſtellung begann Nachmittags 5 Uhr. Schon um 
1 Uhr nahmen die Bejucher, die Feine Logenfige hatten, ihre 
Plätze ein. Aus Heidelberg, Speyer, Worms, Mainz und 
Frankfurt a M. und aus der ganzen Umgegend waren zahl- 
reiche Zeute herbeigefommen. Kurz vor Beginn der Vorftellung 
begab jih Schiller, deifen Anwejenheit geheim gehalten werden 
mußte, da er ohne Urlaub gereift war, in das Theater, in eine 
ihm von Dalberg zur Verfügung gejtellte Loge. 

Was hier der Dichter erlebte und empfand, davon gibt er 
uns in einem Briefe an Dalberg (17. Januar 1782) ſelbſt 
Aufichluß, indem er jchreibt: „Beobachtet Habe ich jehr vieles, 
jehr vieles gelernt und ich glaube, wenn Teutichland einit einen 
dramatiichen Dichter in mir findet, jo muß ich die Epoche von 
der vorigen Woche zählen. E. E. werden mir erlauben, wenn 
ih die Aufführung der Räuber zu Mannheim nad meinen 
dabei angeftellten Beobachtungen weitläufig zergliedere und in 
einer Abhandlung über das Schauspiel öffentlich der Welt be— 
fannt mache, . . .* 

*) Sein prädhtiges, mit fchönen Innendecorationen ausgeltattetes 
Palais, eines der ſchönſten Privathäufer jener Zeit, ift heute noch gut ers 
halten (Straße N 3 Nr. 4). 


Friedrich Schiller und das deuticdhe Nationaltheater. 507 


Dieje Abhandlung hat Schiller in Gejtalt eines fingirten 
Briefes (datirt aus Worms den 15. Januar 1782) in dem 
„Wirtembergiſchen NRepertorium der Litteratur“, erjcheinen 
lajien. Die originelle Selbjtkritif lautet: 


„Vorgeſtern endlich gieng die Borftellung der Räuber 
des Hrn. Schillers vor fih. Ich komme foeben von der 
Reiſe zurüd, und noch warn von dem Eindrud, feze ich mich 
nieder, Ihnen zu jchreiben. Nun erjt muß ich erftaunen, welche 
unüberfteiglicd; jcheinende Hindernige der Hr. Präſident von 
Dalberg befiegen mußte, um dem Publifum das Stüd auf- 
tiichen zu können. Der Hr. Verfaſſer hat e3 freilich für die 
Bühne umgearbeitet, aber wie? Gewiß auch nur für die, die 
der thätige Geift Dalbergs bejeelt; für alle übrige, die ich 
wenigitens fenne, bleibt es, nach wie vor, ein unregelmäßiges 
Stüd. Unmöglid wars, bei den fünf Acten zu bleiben; der 
Borhang fiel zweimal zwiichen den Szenen, damit Machiniften 
und Schaujpieler Zeit gewännen, man fpielte Zwijchenafte, und 
jo entjtanden jieben Aufzüge. Doch das fiel nicht auf. Alle 
Perſonen erichienen neu gefleidet, zwei herrliche Deforazionen 
waren ganz für das Stüd gemacht, Hr. Danzy hatte auch die 
Zwiſchenakte neu aufgejezt, jo daß nur die Unkosten der erjten 
Boritellung hundert Dufaten betrugen*) Das Haus war 
ungewöhnlicd; voll*), daß eine große Menge abgewiejen wurde. 
Das Stüd jpielte ganze vier Stunden, und mich däucht die 
Schaujpieler hatten fich noch beeilet. 


*) Die Theaterrehnungen melden: Für Malerei 45 fl. 54 fr, für 
Holzarbeit 50 fl. 45 fr., Schlofferarbeit 5 fl. 25 fr, 2 Gemälde 14 fl. 24, 
Perrüquier Braun vor einige Perrüquen jo zu den Räubern nöthig waren 
20 fl., Garderobe 44 fl. 7, Piitolen, Dolche, Mond mit blechernem Spiegel 
12 fl. 18, an Kaufmann Schmalg u. Sohn für Kleiderſtoffe 60 fl. 80 und 
65 fl. 40, für Stattiften bei Proben und Borftellung 28 fl. 55, 2 Proben 
mit ganzer Beleuchtung 15 fl., zwei Trompeter 1 fl. 30, Requijiten 1 fl. 7, 
Pulver 15 fr. — Stüde, welde im Drud erſchienen, wurben nicht hono— 
rirt, auf dieſe Weife erhielt Schiller nur 44 fl. als Erſatz „vor die Reiß— 
köſten“ durch Hrn, Schwan, 

*) Die Einnahme betrug 233 fl. 42 fr., der Ertrag der Wiederholung 
am 24. war 180 fl. 40 fr, 


508 Friedrih Schiller und das deutſche Nationaltheater. 


Doch — Sie werden ungeduldig jeyn vom Erfolge zu 
hören. Im Ganzen genommen, that eS die vortrefflichite Wir- 
fung. Hr. Boeck als Räuberdauptmann, erfüllte feine Rolle, 
jo weit e3 dem Schaujpieler möglich war, immer auf der Folter 
des Affeft3 geipannt zu liegen. In der mitternächtlichen Szene 
am Thurm hör ich ihn noch, neben dem Vater fnieend mit 
aller pathetiichen Sprache den Mond und die Sterne beichwören 
— Sie müſſen wifjen, daß der Mond, wie ich noch auf feiner 
Bühne gejehen, gemächlich über den Theaterhorizont lief, und 
nah Maasgab jeines® Lauf ein natürliches jchröfliches Licht 
in der Gegend verbreitete — Schade nur, dat Herr Boed für 
jeine Rollen nicht Perſon genug bat. ch hatte mir den 
Räuber hager und groß gedacht. Hr. Iffland, der den Franz 
vorjtellte, hat mir (doch entjcheidend joll meine Meinung nicht 
jeyn) am vorzüglichiten gefallen. Ihnen geſteh ich es, dieſe 
Rolle, die gar nicht für die Bühne ift, hatte ich jchon für ver— 
loren gehalten, und nie bin ich noch jo angenehm betrogen 
worden. Iffland Hat ſich in den lejteren Szenen als Meiiter 
gezeigt. Noch hör ich ihm in der ausdrudsvollen Stellung, die 
der ganzen laut bejahenden Natur entgegenjtund, das ruchloje 
Nein jagen, und dann wiederum, wie von einer unfichtbaren 
Hand gerührt, ohnmächtig umſinken. „Ja! Ja! — bdroben 
einer über den Sternen!“ — Sie hätten ihn jollen jehen, auf 
den Knieen liegen, und bethen, als um ihn jchon die Gemächer 
des Schlofjes brannten. — Wenn nur Herr Iffland feine Worte 
nicht jo verjchlänge, und jich nicht im Declamiren jo überjtürzte! 
Teutjchland wird in dieſem jungen Mann noch einen Meiiter 
finden. Hr. Beil, der herrliche Kopf, war ganz Schweizer. Sr. 
Meyer jpielte den Herrmann unverbefjerlich, auch Koſinsky und 
Spiegelberg wurden jehr gut getroffen. Mad. Toskani gefiel, 
mir zum mindeftens, ungemein, Ich fürchtete anfangs für dieje 
Rolle, denn fie it dem Dichter an vielen Orten mißlungen. 
Toskani jpielte durchaus weich und delifat, auch wirklich mit 
Ausdruck in den tragiihen Situationen, nur zu viel Theater: 
Affectationen und ermüdende weinerlich klagende Monotonie. 


Sonntags den 13. Jänner 1782 


wird 
auf der hiefigen National-Bühne 
aufgeführet 


r ' r 
Die Räuber, 
Ein Trauerjpiel in jieben Handlungen; für die Mann- 


heimer Nattonalbühne vom Berfajjer Herrn 
Schiller neu bearbeitet. 





Berjonen. 





Marimilian, regierender Graf von Moor : Herr Kirchhöfer. 
Karl, — Herr Boeck. 
Franz, ſeine Söhne Herr Iffland. 
Amalia, feine Nichte ; j ; j Mad, Toscani. 
Spiegelberg, x ’ i ; ; | Herr Pöſchel. 
Schweizer, ; . . R ; j Herr Beil, 
Grimm, ; 2 i ' Ä i Herr Rennichüb. 
Scufterle Liberkmer, nachher Banditen Herr Frank. 
Roller, Herr Toſcani. 
Razmann, Herr Herter. 
Koſinsky, Herr Bed. 
Herrmann, Baltard eines Edeimanns Herr Meyer. 
Eine Magiſtratsperſon. Her Gern. 
Daniel, ein alter Diener , ; ; i Herr Bakhaus. 


Ein Bedienter E r : ’ i ; Herr Epp. 
Räuber. 
Volk. 


Das Stück ſpielt in Deutſchland im Jahre, als Kaiſer Maxi— 
milian den ewigen Landfrieden für Deutſchland ſtiftete. 


Die beſtimmten Eingangsgelder ſind folgende: 


In die vier erſten Bänke des Parterres zur linken Seite 45 fr. 
In die übrige Bänke i i N i ; 24 fr. 
In die Reſerve-Loge im eriten Stod ; R i 1 fl 

In eben eine ſolche Loge des zweiten Stocks. 40 kr. 
In die verſchloſſene Gallerie des dritten Stocks 15 fr. 
In die Seiten-Bänte allda : ; B ; ; : 8 kr. 





Wegen Länge des Stückes wird heute präciſe 5 Uhr angefangen. 


Der 
Berfafler an dad Publikum. 


—e+—— 


ie Räuber — das Gemählde einer verirrten grojen Sele 

— ausgerüjtet mit allen Gaben zum Fürtrefflichen, und 
mit allen Gaben — verloren — zügellojes Feuer und jchlechte 
Kammeradichaft verdarben jein Herz, riffen ihn von Lafter zu 
Laſter, bis er zulezt an der Spize einer Mordbrennerbande 
ſtand, Gräuel auf Gräuel hänfte, von Abgrund zu Abgrund 
jtürzte, in alle Tiefen der Verzweifelung — doch erhaben und 
ehrwürdig, gros und majeftätiich im Unglüd, und durch Un— 
glück gebeflert, rüdgeführt zum SFürtrefflichen. — Einen ſol— 
hen Mann wird man im Räuber Moor beweinen und haſſen, 
verabicheuen und lieben. 

Franz Moor, ein heuchleriicher, heimtückiſcher Schleicher 
— entlarvt, und geiprengt in jeinen eigenen Minen. 

Der alte Moor, ein allzu jchwacher nachgebender Vater, 
Berzärtler, und Stifter vom Verderben und Elend jeiner 
Kinder. 

In Amalien die Schmerzen jchwärmerifcher Liebe, und die 
Folter herrichender Leidenichaft. 

Man wird auch nicht ohne Entjezen in die innere Wirth: 
ſchaft des Lajters Dlidde werfen, und wahrnehmen, wie alle 
Vergoldungen des Glüds den innern Gewilfenswurm nicht 
tödten — und Schreden, Angft, Reue, Verzweifelung bart 
hinter jeinen Ferſen find. — Der Jüngling jehe mit Schreden 
dem Ende der zügellojen Ausichweifungen nach, und der Mann 
gehe nicht ohne den Unterricht von dem Schaufpiel, daß die 
unsichtbare Hand der Vorſicht, auch den Böjewicht zu Werk— 
zeugen ihrer Abjicht und Gerichte brauchen, und den verwor— 
venditen Knoten des Geſchicks zum Erjtaunen auflöjen fönne, 


ee 


Friedrich Schiller und das deutſche Nationaltheater. 511 


Der alte Moor konnte unmöglich gelingen, da er ſchon von 
Haus aus durch den Dichter verdorben ift. 


Wenn ich Ihnen meine Meinung teutich berausiagen joll 
— Dieſes Stüd ift dem ohnerachtet fein Theaterjtüd. Nehme 
ih das Schießen, Sengen, Brennen, Stechen u. dgl. hinweg, 
jo ift e3 für die Bühne ermüdend und jchwer. ch Hätte den 
Verfaſſer dabei gewünjcht, er würde viel ausgejtrichen haben, 
oder er müßte jehr eigenliebig und zäh ſeyn. Mir fam es aud) 
vor, e3 waren zu viele Realitäten bineingedrängt, die ben 
Haupteindrud belaften. Man hätte drei Theaterftüde daraus 
machen fünnen, und jedes hätte feine Wirkung gethan. Man 
Ipricht indeh langes und breites davon, Webermäßige Tadler 
und übermäßige Lober. Wenigitens iſt Dies die bejte Gewähr 
für den Geiſt des Verfaſſers. Bald werden wir e8 gedrudt 
haben. Hr. Hoffammerratd Schwan, der zur Aufnahme des 
Stüdes jehr viel beigetragen hatte, und ein eifriger Liebhaber 
davon ift, wird e3 herausgeben. Ich Habe die Ehre zu jenn ꝛc. 

N? 

Auf das Publifum wirkte das Stück mit der ganzen 
Wucht jeiner gewaltigen Sprache, der ungebändigten Thaten- 
(uft, die fich darin fundgiebt. Schiller wußte gleich mit diejem 
Sti das Herz des Bolfes und der geiftig Vornehmen aller 
Kreije zu gewinnen, während das eigentliche Theaterpublikum, 
das damals bejonders aus herbeigezogenen Landadeligen be— 
ftand, und der größte Theil der Preſſe im fittliche Entrüftung 
ausbrachen. Ein ſolches Stüd auf einer furfürftlichen Bühne in 
aller Deffentlichkeit zu geben, „welche Geſchmackloſigkeit, welch' 
ein Mangel an wahrem fittlihem Gefühl!" Aber Dalberg, 
geſtützt durch das Vertrauen eines Funjtverjtändigen Fürſten 
und durch den thatſächlichen Erfolg der Aufführung, bejtand 
rubig und fejt den Anfturm gegen diejes Werk der Wahrheit, 
das bald ganz Deutichland durchbrauite. 

Hamburg und Leipzig folgten zunächſt (September 1782) 
mit Aufführung des da nicht weniger ziindenden Werfes. Much 
in England und jpäter in Paris während der Revolution 


512 Friedrich Schiller und das dentihe Nativnaltheater. 


erihallten die lauten Anklagen Karl Moors wider Unrecht 
und Knechtſchaft. 

Wohl fonnte der Dichter jelbit, der jeine Dichtung 
für die Aufführung firzen mußte, die Bühne als eine 
Schranke anjehen, das Publikum aber empfand die dramatiiche 
Sprache zum Vortrag wie geichaffen und gerieth angelichts 
der ich vor jeinen Augen abjpielenden Handlungen in fieber- 
hafte Erregung Am jelben Abend nach der Aufführung 
wurde Schiller noch in der Gejellihaft Ifflands und der 
andern Scaujpieler, jowie jeines Freundes Peterſen und 
Schwaus gefeiert. Lebterer beeiferte jich und jah darin eine 
Ehre, dem Dichter die ihm zugejagten Reiſekoſten vorzujchiegen. 

Ende Mai desjelben Jahres reiite Schiller nochmals gemeine 
Ichaftlidh mit Frau von Wolzogen und Frau Viſcher heimlich 
nach Mannheim zu einer von Dalberg eigens für die An— 
wejenheit diejer Gäſte angejegten Näuberaufführung. Diejer 
Beſuch knüpfte feitere Beziehungen zu Mannheim und dem 
Intendanten von Dalberg an. Es muß zwiichen dem lebteren 
und Schiller zu einer herzlichen Ausiprache gekommen , jein; 
des Dichters Hoffnung auf die Zukunft jtärkte jich, obwohl er 
durch die Reiſe erfältet und an der Örippe (Influenza) erkrankt 
nah Stuttgart zurüdfehrte. Dort folgten für den Dichter 
bald Tage des Mergers und der Bedrängniß. Herzog Karl 
verbot ihm jede weitere litterariiche Thätigfeit und das ſchreck— 
lihe Schidjal Schubarts, der auf Hohenajperg eingeferfert 
war, ſtand dem jungen Dichter wie ein frühes Grab vor 
Augen. 

Sich jelbit, feine Kunſt zu retten, mußte er fliehen und 
mit Hilfe jeines treuen Freundes, des 1761 zu Stuttgart ge— 
borenen Mufifers Andreas Streicher, gelang ihn auch in der 
Naht vom 22, zum 23. September 1783 dieſe Flucht, wäh: 
rend der Herzog zu Ehren der Anwejenheit des Großfürjten 
Paul und dejien Gemahlin (dev Nichte des Herzogs) auf 
Schloß Solitude ein großes Feſt veranftaltete. Er floh mit 
jeinem Freunde Streicher in die Nacht hinaus — feiner Vater— 
jtadt verloren, aber Deutichland für immer gewonnen. 


Friedrih Schiller und das deutſche Nationaltheater. 513 


Ueber dieje Flucht berichtet Streicher in feinem 1836 zu 
Stuttgart (Cotta) erichienenen Büchlein, dad — wie Wych— 
gram vortrefflich jagt — „zu den merfwürdigiten und liebens- 
würdigſten unjerer Litteratur gehört und das jeder junge 
Deutiche lejen jollte“, folgendes: 

„Der Weg wurde zum Eplinger Thor hinaus genonmen, 
weil dieſes das dunfelfte war, und einer der bewährteiten 
Freunde Schillers als Lieutenant die Wache hatte, damit wenn 
fih ja eine Schwierigkeit ergäbe, dieje durch Vermittlung des 
Dffizierd fogleich gehoben werden fünne .. . . So gefaßt die 
jungen Leute auch auf alles waren, und jo wenig fie eigent- 
lih zu fürchten Hatten, jo machte dennoch der Anruf ber 
Schildwahe: Halt! Wer da? Unteroffizier heraus! einen 
unheimlichen Eindrud auf fie. Nach den Fragen: Wer find 
die Herren? Wo wollen Sie hin? wurde von Streicher des 
Dichters Name in Doctor Ritter und der einige in Doctor 
Wolf verwandelt, beide nach Eßlingen reißend, angegeben und 
aufgejchrieben. Das Thor wurde nun geöffnet, die Reiſenden 
fuhren vorwärt3 .. . Gegen Mitternacht ſah man links von 
Ludwigsburg eine außerordentliche Röthe am Himmel, und ala 
der Wagen in die Linie der Solitüde fam, zeigte das dajelbit 
auf einer bedeutenden Erhöhung liegende Schloß mit allen 
jeinen weitläufigen Nebengebäuden fich in einem Feuerglanze, 
der fi in der Entfernung von anderthalb Stunden auf das 
Ueberrafchendite ausnahm. Die reine, heitere Quft ließ alles 
fo deutlich wahrnehmen, daß Schiller jeinem Gefährten den 
Punkt zeigen fonnte, wo feine Eltern wohnten, aber alsbald, 
wie von einem jumpatbetiichen Strahl berührt, mit einem 
unterdrüdten Seufzer ausrief: Meine Mutter! — Morgens 
zwijchen 1 und 2 Uhr war die Station Entweihingen erreicht, 
wo gerajtet werden mußte. Als der Auftrag für etwas Kaffee 
ertheilt war, zog Schiller jogleich ein Heft ungedrudter Ge- 
dichte von Schubart (den er befanntlich auf Hohenajperg be- 
ſucht hatte) hervor, von denen er die bedeutenditen jeinem 
Gerährten vorlas. Das Merkwürdigite darunter war Die 
Fürftengruft, welches Schubart in den eriten Monaten jeiner 

Defer, Geihiäte der Stabt Mannheim. 33 


514 Friedrih Schiller und das dentſche Nationaltheater. 


Gefangenihaft mit der Ede einer Beinkleiderſchnalle in die 
nafien Wände jeines Kerkers eingegraben hatte... . Nach 
3 Uhr wurde von Engweihingen aufgebrochen, und nad) 8 Uhr 
Morgens war die churpfälziiche, durch eine kleine Pyramide 
angedeute Grenze erreicht, die mit einer freude betreten wurde, 
als ob rückwärts alles Läjtige geblieben wäre und das er- 
jehnte Eldorado bald erreicht jeyn würde. Das Gefühl eines 
harten Zwanges entledigt zu jeyn, verbunden mit dem heiligen 
Vorſatz, demjelben fi nie mehr zu unterwerfen, belebten das 
bisher etwas büjtere Gemüth Schillers zur gefälligiten Heiter- 
feit, wozu die angenehme Gegend, das muntere Wejen und 
Treiben der rüftigen Eimwohner wohl auch das Ihrige bei— 
trugen. Sehen Sie — rief er jeinem Begleiter — jehen Sie, 
wie freundlich die Pfähle und Schranfen mit Blau und Weiß 
angejtrichen find! Ebenjo freundlich tft auch der Geijt der 
Regierung! — Ein lebhaftes Geſpräch, das durch dieje Be— 
merfung herbeigeführt wurde, verfürzte die Zeit dergeitalt, daß 
es faum möglich jchien, um 10 Uhr jchon in Bretten ange- 
fommen zu jeyn. Dort wurde bei dem Bojtmeifter Pallavicini 
abgejtiegen, etwas gegejjen, der von Stuttgart mitgenommmene 
Wagen und Kutjcher zurüdgeichidt, Nachmittags die Poſt ge- 
nommen und über Waghäufel nah Schwegingen gefahren, 
allwo die Ankunft nad) 9 Uhr Abends erfolgte. Da in 
Mannheim, als einer Hauptfejtung, die Thore mit Eintritt der 
Dunkelheit gejchlojfen wurden, jo mußte in Schwegingen über- 
nachtet werden, welches auf zwei unruhige Tage und eine 
ichlafloje Nacht um jo erwünjchter war. Am 19. September 
waren die Retjenden des Morgens jehr früh gejchäftig, um fich 
zu dem Eintritt in Mannheim vorzubereiten. Das Beite, was 
die Koffer faßten wurde hervorgejucht, um durch jcheinbaren 
Wohlſtand ſich eine Achtung zu fichern, die dem dürftig oder 
(eidend Ausjehenden fait immer verjagt wird... . Mit der 
Zuverfiht (daB in diefem Jahre der vollendete „Fiesco“ auf: 
geführt werde und daraus neue Hilfsmittel zu gewinnen jeien) 
wurde die Poſtchaiſe zum lebtenmal beitiegen und nach Mann 
heim eingelenft, dag in zwei Stunden, ohne irgend eine Frage 


Friedrih Schiller und das deutſche Nationaltheater. 515 


oder Aufenthalt an dem Thor der Feſtung, erreicht war. Der 
Theaterregiffeur, Herr Meier, bei welchem abgejtiegen wurde 
war fehr überraſcht, Schiller zu einer Zeit bei fich zu fehen, 
woYer ihn in lauter Feſte und Zerſtreuungen verjunfen glaubte, 
aber jeine Ueberraihung ging in Erjtaunen über, als er ver- 
nahm, daß der junge Mann, den er jo hoch verehrte, jept ala 
Flüchtling vor ihm ſtehe . . . Die Keijenden wurden von ihm 
zum Mittageffen eingeladen, und er hatte auch die Gefälligfeit 
in der Nähe jeines Haufes eine Wohnung, die in dem menjchen- 
leeren Mannheim augenblidlih zu haben war, aufnehmen zu 
laſſen, wohin jogleich das Reiſegeräth geichafft wurde. Nach 
Tiiche begab ſich Schiller in das Nebenzimmer, um daſelbſt an 
feinen Fürjten zu jchreiben .. Den andern Tag Abends traf 
Madame Meier von Stuttgart (wohin fie als Stuttgarterin 
zu den Feſtlichkeiten gereiſt war und dort nod; Schiller ge- 
jprodhen hatte) wieder zu Haufe ein. Sie erzählte, daß fie 
ihon am 18. Vormittags Schillers Verfchwinden erfahren, daß 
jedermann davon ſpreche. Für die Neijenden war es jehr 
angenehm in der Hausfrau eine theilnehmende Landsmäntin 
und jehr gebildete Freundin zu finden... Nicht nur für dieje 
bedenkliche Zeit, jondern auch in der Folge blieben dieje wür— 
digen Leute Schiller3 aufrichtigite, wahrjte Freunde“ . 

Aber das Glüd, das Schiller bei jeinem erften Aufenthalt 
in Mannheim entgegenfam, blieb ihm diesmal nicht treu. Ver— 
geblich wartete er auf eine gnädige Antwort feines Fürſten, 
vergeblich war jeine Hoffnung auf die gute Aufnahme jeines 
neuen Stüdes „Fiesco“. 

Gleich die VBorlefung des Stüdes durch Schiller jelbjt vor 
den anmwejenden Schauipielern Meyer, Iffland, Beil, Bed, Frank 
fand zum Schmerze jeines gleichfall3 gegenwärtigen Freundes 
Streicher feinerlei Beifall. Rejpectlos benahmen ſich die Schaue 
jpieler dem Flüchtling gegenüber. 

„Der erjte Akt — berichtet Streiher — wurde zwar bei 
größter Stille, jedoch ohne das geringite Zeichen des Beifalls 
abgelejen, und er war faum zu Ende, als Herr Beil fich ent— 
fernte, und die Uebrigen jih von der Gejchichte Fiescos 

33* 


516 Friedrih Schiller und das deutihe Nationaltheater. 


oder andern Tagesneuigfeiten unterhielten. Der zweite Akt 
wurde von Schiller weitergelejen ebenjo aufmerkſam wie der 
erite, aber ohne das geringfte Zeichen von Lob oder Beifall 
angehört. Alles ſtand jetzt auf, weil Erfriichungen von Obit, 
Trauben ꝛc. herumgegeben wurden. Einer der Schaufpieler, 
Namens Frank, jchlug ein Bolzichießen vor, zu dem man auch 
Anftalt zu machen jchien. Allein nach einer Viertelſtunde hatte 
fich alles verlaufen, und außer den zum Haus Gehörigen war 
nur Iffland geblieben, der fich erſt um acht Uhr Nachts ent- 
fernte. ...“ 

Auch die heißerſehnte Rückkehr des Intendanten von Dal— 
berg erfolgte vorläufig noch nicht, ſodaß Schiller ſich entſchloß, 
nach ſiebentägigem Warten mit Streicher eine Fußreiſe nach 
Frankfurt a. M. zu unternehmen, bei welcher Streicher bekannt— 
(ih in einem Walde jeinen von des Lebens Sorge müde ge- 
besten Freund, der ermattet in Schlaf verfallen war, in brüder- 
licher Liebe bewachte. 

In Frankfurt reip. in Sachſenhauſen traf Schiller die Ab— 
fage Dalbergs, der weder einen Vorſchuß leilten, noch über: 
haupt den Fiesco annehmen wollte Dalberg hatte joeben die 
Gaftfreundichaft des Herzogs von Württemberg genoffen und 
er jchien Bedenken zu tragen, den Flüchtling zu unterftügen. 
Mit Streicher, der ihn tröftete und von Haus aus 30 Gulden 
erhielt, trat Schiller die Rückreiſe an. In Oggersheim er- 
warteten Regiſſeur Meier und deſſen rau, jorwie zwei Ver— 
ehrer Schillers die Ankunft des Dichters und jeines Freundes. 
Hier in Oggersheim jollte Schiller und Streicher bleiben, um 
vor aller Berfolgung ficher zu fein. Im Gafthofe mit dem 
poetijchen Namen „zum Biehhof“ ließ fich in Oggersheim dem 
auch der Dichter unter dem Namen Dr. Schmidt mit feinem 
Freunde nieder. Hier entwarf er gleich am eriten Abend den 
Plan zu jeinem neuen Drama „Luife Millerin“, mit dem er 
fih auf der Wanderſchaft lebhaft beichäftigt hatte. Unermüd— 
lid und Leidenichaftlich bewegt arbeitete er hier an diefem neuen 
Werk, jodaß die darüber vernachläffigte Neubearbeitung des 
Fiesco für's Theater erjt anfangs November vorbehaltlich des 


Friedrich Schiller und das deutiche Nationaltheater. 517 


Schluffes fertig wurde, als fi Schiller durch die äußerfte 
Geldnoth dazu gezwungen jah. 

Nur in den Abendftunden wagte fi) Schiller zuweilen in 
die Stadt zu jeinen Freunden; doch einmal glaubte man in— 
folge der Anweſenheit eines württembergijchen Dffiziers, (der 
jich ſpäter jedoch als ein Verehrer Schillers erwies) jo an die 
Berfolgung des Dichters, daß man ihn und feinen Freund am 
jelben Tage nicht nad) Oggersheim zurückließ, jondern die 
beiden jungen Leute durch Vermittelung der Hausverwalterin 
Euroni in dem Palais des Prinzen von Baden verbarg. 

Ende November erfolgte die Entjcheidung des Intendanten, 
der auch die neue Bearbeitung des „Fiesco“ verwarf — troß 
eines günjtigen Gutachtens Ifflands. 

Da war es der Buchhändler Schwan, der wenigſtens ben 
Drud des „Fiesco“ übernahm und Sciller den Bogen mit 
einem Louisdor honorirte. 

Schillers Aufenthalt im Mannheimer Kreije mußte nun- 
mehr jchleunigjt abgebrochen werden. Er begab ſich von hier 
aus befanntlic) nad) Bauerbadh auf ein Gut der Frau von 
Wolzogen. Im den erjten Tagen des Dezember reijte er bei 
Kälte und Schnee von Oggersheim ab. Streicher, Meier und 
einige andere Freunde begleiteten Schiller bis Worms. Dort 
beluftigte ſich die Heine Gejellichaft noch im Poſthauſe bei einer 
Aufführung von „Ariadne auf Naxos“, die gerade eine wan— 
dernde Schaufpielergejellihaft vom Stapel ließ; dann wurde 
der Abjchied unter der Spende von Liebfrauenmilc gefeiert. 
„Meier und die Andern jchieden jehr unbefangen und redjeelig. 
Allein was fonnte Schiller und jein Freund fich jagen? — 
Kein Wort fam über ihre Lippen — feine Umarmung wurde 
gewechjelt; aber ein jtarfer, lang dauernder Händedrud war 
bedeutender als alles, was fie hätten ausiprechen fünnen.“ 

Im Sommer 1783 hatte Dalberg ſich eines Beiferen bejonnen 
und Schiller nad) Mannheim zurüdgerufen. Schiller wurde als 
Theaterdichter und Dramaturg des Mannheimer National- 
theater8 auf ein Jahr vom 1. September 1783 bis 1. Sep 
tember 1784 mit einer Bejoldung von 300 fl. angejtellt. 


518 Friedrih Schiller und das deutiche Nationaltheater. 


Außerdem wurde ihm die Einnahme je einer Aufführung der 
drei von ihm zu liefernden Theaterjtüde zugefichert. 

Aus der Einjamfeit war er in Mannheim mitten in ein 
bewegtes gejellichaftliches und Fünftlerifches Leben hineinver— 
jeßt. Hier gewann er die Sicherheit und Kraft, jchwierige 
Lebensverhältniffe zu meiltern. Nur dem Berrath von Freun— 
desjeite konnte der edle, hohe Geilt des Dichters feinen Wider- 
ftand entgegenjegen, Diejer Freund, der jpäter den Dichter 
dem Hohn und Spott der Mannheimer Gejellichaft auslieferte, 
war fein anderer al3 Iffland. 

Irland Hat die ihm vorgejchriebene Laufbahn als Pre— 
diger mit der des Schaufpielers in jugendlichem Enthufiasmus 
für die Kunſt, zu der er ganz beionders befähigt war, ver- 
tauicht. Er ijt der am 19. April 1759 zu Hannover geborene 
Sohn eines Beamten. Seinem Vaterhauſe entronnen, bildete 
er ich in der Schule Edhofs zum Schaufpieler aus. 

„Den 15. März 1777 — jchreibt Koffka — hatte er in 
der Rolle des Juden in Engels „Diamant“ die Gothaer Bühne 
betreten und durch jeinen Fleiß, feine Bildung uud eine feine 
Biegſamkeit des Talentes begünftigt, ſehr raſche Fortſchritte 
gemacht. Seine natürliche komiſche Kraft zeigte früh eine 
eigenthümliche Grazie und Feinheit, das Aplomb ſeiner Hal— 
tung, ſein auffallendes Zuhauſeſein in Rollen aus der höheren 
Geſellſchaft verdankte er ſeiner Abkunft aus angeſehener Familie. 
Dieſer Umſtand war es, der Ifflands Talent und ſeinen Ein— 
fluß auf die Kunſt überhaupt weſentlich charakteriſirte. Alle 
anderen tonangebenden Meiſter vor ihm waren entweder aus 
geringem Stande, oder doch aus bejchränften Lebensverhält- 
nifjen, wo nicht aus dem abgejonderten Eouliffenleben hervor: 
gegangen.“ 

Aber nicht nur Schauifpieler, fondern auch Dichter wurde 
Sffland und dies war es, was ihn zum heimlichen und jchlieh- 
fich offen hervortretenden Feind Schillers machte, dejjen Ber 
gabung die jeinige auf diefem Gebiete an der Stätte jeines 
Wirkens gänzlih in Schatten zu jtellen drohte. Ifflands 
dichteriiches Talent war entichieden bejchränft, dennoch werden 


Friedrih Schiller und das dentſche Nationaltheater. 519 


feine Arbeiten vielfach zu gering geichäßt. Es ftad jchon viel 
ſcharfe Lebensbeobahtung und Menfchenfenntniß in dieſen 
Stüden Ifflands und ein entjchiedener Realismus ſprach 
bereit8 aus der Zeichnung der da auftretenden Gejtalten 
de3 unmittelbaren Lebens. Freilich neben Schillers Genie 
fonnte Ifflands Begabung nicht beitehen. Als Schiller daher 
mit jeinem bürgerlichen Trauerſpiel „Kabale und Liebe” auf 
dem eigenjten Gebiete Ifflands diejen völlig jchlug, da wan— 
delte jich des Letzteren Freundichaft in Feindſchaft, ohne daß 
Schiller eine Ahnung davon hatte. Auch das Berhältnif 
Schilfers zu Dalberg blieb fein ungetrübtes, Ifflands heim- 
liches Handeln gegen Schiller zerjtörte jpäter auch die Gunft 
Dalbergs. 

Sehr weſentlichen Verkehr hatte Schiller beſonders im 
Haufe des Buchhändlers Schwan, des Berlegers jeiner eriten 
Werke. Mit Unrecht hat man Schwan den Mannheimer Nicolai 
genannt. Schwan war ein viel bedeutenderer Kopf als der 
Berliner Berlagsbuchhändler. Er hat viel mehr von dem Werth 
der großen Dichtungen jener Zeit erfannt und er hat vielen 
derielben, jtatt wie jein Berliner College der Berfiflage zu 
huldigen, freimüthig die Bahn gebrochen. 

Schwan, am 12. Dezember 1733 zu Prenzlau in ber 
Udermart geboren, iſt der Sohn des Schleſiers Ananias 
Schwan aus Groffen, der in der Mark einen Buchhandel be» 
trieb. Seine Mutter war die Tochter eines Predigerd, Doro» 
thea Sophie Buchholz aus Woldek in Medlenburg:Strelig. 
Schwan jollte Theologe werden und er ftudirte in Halle. Mit 
zwanzig Jahren wurde er Hofmeifter der drei Söhne des Land- 
edelmanns Fsriedrih von Berg in Neuenkirchen in der Marf 
Brandenburg. Nach vorübergehendem Aufenthalt in Hamburg, 
Kopenhagen reifte er nach St. Petersburg, wojelbjt er durch 
Vermittelung des als ruſſiſchen Gejchichtsichreibers befannten 
Profeſſors Georg Friedrich Müller und des namhaften Ge— 
lehrten Joh. Georg Gmeiin die Stelle eines Correftors der 
faijerl. Akademie erhielt, dann auch Lehrer der Pagen der 
Großfürjtin Katharina und ſchließlich Auditeur im Dragoner: 


520 Friedrih Schiller und das deutiche Nationaltheater. 


Regiment des Prinzen Georg Ludwig von Holftein wurde. 
Schwan erlebte in Petersburg die Revolution nad) dem Tode 
der Kaiſerin Elifabeih und die Thronbejteigung der Kaijerin 
Katharina II. 1762 verlieg Schwan Petersburg und er trat 
hierauf als Auditeur bei dem Infanterie-Regiment Alt-Stutter- 
heim in die Dienjte Friedrichs des Großen. 1763 und 64 
weilte Schwan in Holland. Dort ließ er (1764 bei Staat- 
mann in Haag) fein aus den unmittelbarjten Erlebnijfen ge— 
ihöpftes anonym erjchienenes Wert „Anecdotes russes etc,“ 
ecrites de Petersbourg en 1762 (Londres 1764) druden. 
Nah Frankfurt a. M. übergefiedelt, gab Schwan die Wochen 
ihrift „Der Unfichtbare" im Verlage von Eßlinger heraus, 
die zugleich au in Mannheim und Kafjel erichten. Schwan 
heirathete die ältefte Tochter Eplingers und übernahm am 
25. September 1765 die Leitung der Mannheimer Filiale 
dieſes Buchhändlers. Die Mannheimer Thätigkeit Schwans 
wurde hier jchon bei verjchtedenen Gelegenheiten gerühmt. Er 
erhielt den Titel furfürjtl. Hoffammerrath. Um die Haud jeiner 
Tochter Margarethe Schwan hielt bekanntlich Schiller an, ohne 
daß der Wunſch des Dichters erfüllt wurde. Schwan wandte 
fih in dem Sriegsjahre 1794 nad) Heilbronn und ftarb zu 
Heidelberg am 29. Juli 1815 im Alter von 82 Jahren. Seine 
zahlreichen Schriften, Ueberjegungen, Operndichtungen, Abhand- 
lungen u }. w. zeigen ihn als einen begabten, hochgebildeten 
Mann, dem jedod) für jein perjönliches Eintreten für Schiller 
noch mehr zu danken ijt, als für feine eigenen Werfe.*) 

*) Eßlinger hatte die 1733 in Mannheim gegründete Hofbuchhands 
lung von Friedrid Daniel noch, feinem Schwager, im Jahre 1764 über: 
nommen und zu feiner Filiale gemadt. Mit Schwan vereinigte ſich ipäter 
der Buchhändler Friedrich Götz, der Verfaſſer des Buches „Geliebte Gatten“, 
der die Handlung nad Schwan's Wegzug (1794) allein weiterführte. Diefe 
Buchhandlung fiedelte 1801 von H 1, 14 nad C 3, 6 über. Su H1, 14 
dem jogen. Fuchs'ſchen Haufe war jedenfalls auch die Wohnung Schwans, in 
der Schiller verkehrte. (Schiller wohnte 1784 in dem heute noch erhal: 
tenen Haufe O 2, 1). Nbgejehen von den ſchon erwähnten Klein'ſchen 
Unternehmungen, richteten die Buchhändler Charles Lafontaine 1772 und 
Heinrich Bender Lejefäle und XLejebibliotheten ein. Michael Göß wird als 
eriter Mufikalienhändler und Dominik Artaria als eriter Kunjthändler ge 


Friedrich Schiller und das deutiche Nationaltheater. 521 


Schiller verkehrte auch mit dem Dichter und Hoffammer- 
rath Dtto Freiherr von Gemmingen-Hornberg, geboren am 
8. November 1755 (zu Heilbronn) und gejtorben am 15. März 
1836. Gemmingen ijt bejonder® durch jein moralifirendes 
Familienftüd „Der deutſche Hausvater“ (1780 aufgeführt), 
einer abgeijhwächten Nahahmung des Diderot'ſchen „Pere de 
tamille“, in weiten Streifen bekannt geworden. Mit feiner 
„Mannheimer Dramaturgie für das Jahr 1779“, die Dalberg 
gewidmet ift und 1780 erjchien, jchuf er die einzige Dramaturgie 
des Mannheimer Theaters, da Schiller die von ihm begehrte 
nicht verfaßte. Eine Operndihtung Gemmingens „Semiramis“ 
ſoll Mozart componirt haben; das Werk iſt jedoch nicht erhalten 
geblieben. 

Zu den literariſchen Capacitäten der damaligen Mannheimer 
Gejellichaft gehörte ferner die Schriftitellerin Sophie von La 
Roche, geb. Gutermann, die Freundin Wielands, die Schiller 
wohlwollend und herzlich aufnahm, obwohl fie von der Be— 
deutung jeiner Werfe jo gut wie nichts verjtand. 

Zu einem innigeren Verhältniß führte Schillers Be— 
fanntichaft mit Charlotte von Kalb, geb. von Djtheim, deren 
Gemahl Offizier in einem in Landau garnijonirenden Regiment 
war und die in der Funjtbewegten Stadt Mannheim lebte. 
Das Verhältniß zu diejer rau, das den Dichter jchließlich in 
einen Abgrund der Leidenjchaft zu reißen drohte, trug bekannt— 
lic jpäter zu feinem Entichluffe, Mannheim zu verlafjen, bei. 

Schon war in Mannheim eine Mädchengejtalt wie die 
Ankündigung einer Zukunft dauernder Liebe erjchienen: Char— 
(otte von Lengefeld war mit Mutter, Schweiter und Schwager 
durch Mannheim gereijt und hatte mit den Ihrigen Schiller 
flüchtig begrüßt. Die Reiſenden trafen den Dichter nicht im 
Haufe an, doch Schiller konnte ihnen noch nacheilen und fie 
uannt. Ein Verleger Namens Uffieur gab 1768 das Journal, , L’Europe 
litteraire‘‘ heraus und der Antiquar Pfahler begründet 1761 das Manns 
heimer Intelligenzblatt. Die vom Bürgerhofpital herausgegebene Manns 
heimer Zeitung und die Zeitichriften Schwan find an anderer Stelle 
erwähnt. 





522 Friedrih Schiller und das deutſche Nationaltheater. 


am Poſtwagen fprehen. Er drüdte Charlotten die Hand ohne 
zu ahnen, daß ihm einst diefe Hand zum ewigen Bunde ge- 
reicht werben jollte. 

Die Beweije der Verehrung und die Aufmerkjamfeiten, die 
dem Dichter von Seiten zartfühlender Frauen zu Theil wurden, 
bildeten aber nur einzelne, Lichtpunfte in dem von bitteren, 
faum erträglihen Sorgen verdüfterten Leben des Dichters. 

Wie ſchlimme Duälgeifter meldeten fich in dem Augenblid, 
in dem Schiller aus feiner Werborgenheit offen hervortrat, 
alle diejenigen, denen er nach den finanziellen Nöthen der letzten 
Jahre noch Geld jchulbete. 

Dieje Sorgen fteigerten fich faſt bis zur Unerträglichkeit, 
als plöglich Mitte Juli jene Perjon nad) Mannheim floh, die 
für die Koften fdes Drudes der Näuber in Stuttgart Bürg- 
ichaft geleitet hatte und wegen diejer Schuld verfolgt wurde. 
Schillers Schreden erhöhte ſich noch, als dieje Frau hier auf 
Antrag des Gläubigers verhaftet wurde. Des Dichters ganze 
gejellichaftliche Reputation ftand auf dem Spiel. Da fand fidh 
eine unerwartete Hilfe für den Dichter und die arme Frau, 
(wie man vermuthet, eine Korporalin Fride), die ihm einft 
einen jo großen Dienit erwielen und die joviel deshalb hat 
leiden müſſen, fonnte aus der Haft entlafien werden. 

Maurermeifter Hölzel war der Netter in der Noth. Bei 
ihm wohnten Schiller und Streicher. Seine brave rau er— 
wies fich als treuforgende Wirthin. Hölzel lieh dem Dichter 
die zur Löſung der Schuldhaft der Gefangenen nöthigen 200 fl. 
Sp entjtand bier auch dem Dichter aus dem Volke heraus 
vertrauensvolle Hilfe, für die ſich Schiller noch lange dank— 
bar erwies, indem er die jpäter verarmte Familie fortdauernd 
unterjtüßte. 

Das Drängen der Gläubiger ließ erjt etwas nad), als 
Schiller von dem Herzog Karl Auguft von Weimar den Titel 
eines Herzoglichen Rathes erhielt. Auf Empfehlungen der rau 
Charlotte von Kalb wurde er in die Hofkreije in Darmitadt 
eingeführt, Er reijte Weihnachten 1784 zum Bejuch nach Darm 
ftabt und Fonnte dort dem Herzog von Weimar, der am Darm- 


Friedrich Schiller und das deutiche Nationaltheater. 523 


jtädter Hofe weilte, und dem Fürſten von Heſſen den erften Aft 
jeines „Don Carlos“ vorlejen. Darmjtadt wurde für den Dichter 
gleihjam die „goldene Brücke“ zu einer glüdlicheren Zukunft. 

Diejer auswärtige Erfolg war für Schiller um jo wid)- 
tiger, als fih in Mannheim für ihn die Verhältniffe immer 
mehr verjchlimmerten. Ifflands ununterbrochenes Wirken gegen 
ihn grub ihm Hier nach und nad) den Boden unter den Füßen 
weg. Die Schaufpieler behandelten ihn bei feinen derangirten 
Geldverhältniffen immer geringichägiger und Katharina Bau— 
mann, die von Schiller angejhwärmt wurde, wollte von dem 
Dichter (höchſt bezeichnend) bejonders deshalb nichts willen, 
weil er ſich zu nachläſſig Hleidete. Sein einziger wahrer Freund 
unter den Schaufpielern, der Oberregiljeur Meier, war der 
damals. in Mannheim herrichenden Influenza, an der Taujende 
von Berjonen erkrankten und die auch den Dichter auf's Kranken 
lager warf, erlegen und im October 1783 geitorben. Iffland 
hatte den Zeitpunkt richtig gewählt, um den Hauptichlag gegen 
Schiller auszuführen. Er benugte dazu die Aufführung des 
Gotterihen Stüdes „Der jchwarze Mann“ und zwar am 
3. Auguft 1784, aljo kurz vor Ablauf des Contractes mit 
Schiller als Theaterdidhter. Er gab jelbit die Wolle des 
Poetafters Flidwort, die er zu einer Berliflage Schillers zu— 
ſpitzte. Im einem Tageblatt von 1784 ift, wie Pichler mit 
theilt, eine Bejchreibung der Gejtalt und Kleidung der Haupt- 
perjon des Stückes enthalten, in welcher alles vom blauen 
Ueberrod mit Stahlinöpfen bis zu den ſchmutzig weißen 
Strümpfen und den großen Schuhjchnallen herab auf Schiller 
„den Feuerkopf von 25 Jahren“ paßte. 

Das Publitum ließ ſich duch das raffinirt gejchicte, im 
eigentlichen Sinne des Wortes faliche Spiel Ifflands täufchen und 
ftimmte in den Hohn auf Schiller ein. Es opferte ein paar 
dummen Witzen und egoiftiicher Niedertracht den in jeinem 
Kreis edel jchaffenden Dichter. Dalberg hielt auf einen Bes 
riht Ifflands Hin nunmehr Schiller hier jür abgethan und 
erneuerte den Contract des Iheaterdichters nicht.*) 


*) Auch Dalberg hatte fpäter die Untreue Ifflands zu empfinden, 


524 Friedrih Schiller und das deutiche Nationaltheater. 


Ueber ein halbes Jahr rang hier Schiller noch nach dem 
Aufhören jeiner Stellung am Theater mit den fih immer 
widriger gejtaltenden Verhältniſſen, in jeiner leidenjchaftlichen 
Liebe zu Charlotte von Kalb „der Menge Spott“ beherzt ver- 
achtend und vergefjend. 

Es iſt ein großer, furchtbarer Kampf, den Schiller während 
der Zeit diejer zweiten Verbindung mit Mannheim gekämpft 
hat, aber aus den aufgeregten, leidenschaftlich bewegten Stim— 
mungen dieſes Lebens gingen Dichtungen hervor, die heute 
noch alle jeine jpäteren an Jugendfriiche übertreffen. 

Nah) der Aufführung des „Fiesco“ am 11. Januar 
1784, deren Wirkung begreiflicher Weije Hinter der der „Räuber“ 
weit zurüdblieb, folgte am 15. April die Aufführung von 
Luiſe Millerin, oder „Kabale und Liebe“*), wie Schiller dieſes 
Stück nad Ifflands bedenklihem Rath umtauftee Mit dieſer 
Schöpfung hat Schiller der deutſchen Nation ihr großartigſtes 
Volksſtück gegeben, das bis zum heutigen Tage der Entwicke— 
lung des Realismus den Weg ebnete. Hier in Mannheim er— 
ſchien dieſes Werk zuerſt im Druck und in Frankfurt und 
Mannheim erlebte das Stück ſeine erſten Aufführungen. „Der 
zweite Akt — ſo ſchreibt Streicher über die Mannheimer Auf— 
führung — wurde ſehr lebhaft und vorzüglich, der Schluß 
desſelben mit ſo viel Feuer und ergreifender Wahrheit dar— 
geſtellt, daß, nachdem der Vorhang ſchon niedergelaſſen war, 
alle Zuſchauer auf eine damals ungewöhnliche Weiſe ſich er— 
hoben und in ſtürmiſches, einmüthiges Beifallrufen und Klatſchen 
ausbrachen. Der Dichter wurde ſo ſehr davon überraſcht, daß 
er aufſtand und ſich gegen das Publikum verbeugte. In ſeinen 
Mienen, in der edlen, ſtolzen Haltung zeigte ſich das Bewußt—⸗ 
ſein, ſich ſelbſt genug gethan zu haben... ..“ 


als dieſer 1794 ſeinen Contract brach und nad) Berlin überſiedelte. Ifflande 
Tod erfolgte bekanntlich am 22. September 1814. 

*) Präſident: Boeck, Ferdinand: Bed, v. Halb: Rennihüb, Wurm: 
Iffland, Miller: Beil, feine Frau: Md. Wallenitein, Luife: Md. Bed, 
Sophie: Md. Nicola, Kammerdiener: Pöſchel. 


Friedrih Schiller und das deutiche Nationaltheater. 525 


Dodh mag man über diefe zweite Mannheimer Zeit 
Schillers, die ihm auch noch die Dalberg zu danfende An— 
regung zur Schöpfung des „Don Carlos“ brachte, denfen wie 
man will — die erjte Verbindung Schillers mit Mannheim: 
die Erftaufführung der „Räuber“ wird der Stadt Mannheim 
und jeinem Nationaltheater zu ewigen Ruhme gereichen. 

Damit allein jhon hat fi die Gründung der erjten 
deutichen Nationalbühne als ein großes, Die ganze deutjche 
Litteraturentwidelung beeinfluffendes Unternehmen erwieſen. 
Die Kunjtbethätigung in Mannheim erreichte damit ihren Gipfel: 
eine freie deutiche Kunft ging aus ihr hervor. 

Das große Wort der Freiheit, das die fünftige Zeit durch— 
zitterte, hier erjchallte es 7 Jahre vor der franzöfiichen Staats- 
umwälzung auf den weltbedeutenden Brettern. In Deutjchland 
jpielte jich im 18. Jahrhundert die Revolution auf dem Theater 
ab. Schillers Räuber bildeten dieje Revolution und ihr eriter 
Schauplatz war das Nationaltheater zu Mannheim... . 






= 7], 
= un Friderid Shiller an 


II, Abtheilung: 


Yie revolutionäre Bewegung in Mann- 
heim von der Ermordung Kotzebues bis 
zu den Jahren 1848 und 1849. 


— — — — 


— — — —9— 
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Die fliegende Rheinbrücke und Y 


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t von Mannheim im Jahre 1669, 


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Großherzog Kriedrich von Baden. 
ad dem Gemälde von Otto Propheter (Mannheim) in der ftädtifchen 
Gemälde- Sammlung zu Mannheim, 


XXVII. 


Karl Ludwig Sand und Auguſt 
von Hoßebue. 


Vaterlandsliebe und Frreiheitsdrang der Jugend — Starl Ludwig Sand 

als Freiwilliger in den Freiheitskriegen — Sein Lebendgang und jeine 

ideale Gefinnung — Seine Schrift zum Wartburgfeit — Seine Bitte an 

Goethe — Augufi von Kogebue ala Feind der deutichen Burſchenſchaft — 

Kogebue als Luftipieldichter — Als politiiher Schriftiteller — Kotzebues 

Leben — Seine Ueberfiedelung nad) Mannheim — Die Ermordung Kotze— 
bues durch Sand — Sands Hinrichtung. 


3) tertandstiebe und Freiheitsdrang waren erwacht, erfüllten 
das Herz des deutichen Jünglings mit Opfermuth und Thaten- 
luft. Körner Hatte für die Unabhängigkeit des deutſchen 
Baterlandes jein edles Heldenleben dahingegeben — in Mann 
heim jollte der deutjchen Freiheit ein anderes vermeintliches 
Dpfer gebracht werden, hier jollte ein anderer deutjcher Jüng— 
ling eine That vollbringen, die Richard Wagner jpäter eine 
„unerhörte, ahnungsvoll merkwürdige That“ nannte. 

Der Bollbringer diejer That war Karl Ludwig Sand. 
Er war jchon einmal nach Mannheim geeilt, um von hier aus 
für jein Volt und Baterland in den Kampf zu gehen. Im 
April 1815 war er in Mannheim in das bayrijche Jäger— 
bataillon, zu dem bereits jein Bruder als Offizier gehörte, als 
Freiwilliger eingetreten, um an dem Srieg gegen den wieder 
von Elba zurüdgefehrten Napoleon theilzunehmen. Und im 

O efer, Geſchichte der Stabt Mannheim. 34 


530 Karl Ludwig Sand und Auguit von Kotzebue. 


jeiner leidenjchaftlichen Vaterland! und fFreiheitsliebe ſchwor 
er ih, ohne die erfämpfte Freiheit nicht mehr heimzufehren. 

„Ich Halte es für die höchite Pflicht, für meines theuren 
Baterlandes, für aller Theuern, die mich lieben, Freiheit mit zu 
fümpfen und jollte die Uebermacht Vortheile über uns er— 
fangen, vorn an den Grenzen im Tode über einen Wütherich 
zu ſiegen.“ j 

Das waren die edlen, hohen Gefinnungen, die Sand ber 
jeinem erjten Aufenthalt in Mannheim in innerjter Seele er- 
füllten. Er hatte jedoch feine Gelegenheit, jeinen Opfermuth 
zu bethätigen — die Schlacht bei Waterloo machte dem Feld— 
zug ein rajches Ende. 

Schon als Gymnaſiaſt zu Hof erfüllte ihn der Hab gegen- 
über Napoleon mit jolcher Leidenschaft, dab, als 1812 der 
franzöfiiche Kaijer dahin fam, Sand der Stadt den Rüden 
fehren wollte, weil fie der Fuß des Vernichters deutjcher Frei— 
heit betrat... . 

Nach dem Feldzug jtudirte Sand zu Tübingen, Erlangen 
und Jena Theologie; jein jchwärmerijches Gemüth war dem 
Glauben an Hohes und Edles zugethan und der Opfertob 
Chriſti machte jein Herz in heiliger Bewunderung erſchauern. 
„Sch Liebe mein Volk wirklich, — lautet jein Bekenntniß — 
möge e3 ich auch zeigen wie es fomme; ich erfenne, daß etwas 
Gutes, und daß mehr Gutes als Böſes in der Welt jei, auch 
in jochen Stürmen; und ich glaube an den endlichen Sieg des 
Guten, wenn ich auch im reinjten Bejtreben vor meinen beiten 
Freunden mit Nadeln zu Tode gemartet wiirde — deshalb jtehe 
mir bei, o Gott, auch in dieſem und allem zufünftigen Kampf, 
und helfe mir gnädiglih — nicht zum Siege — aber dazu, 
dat ic) diejen Glauben umerjchütterlich wie unjer Heiland vor 
allen Feinden bewahre!“ 


Unter den Dichtern war Schiller das Ideal Sands und 
jeines jugendlichen Kreiſes, der deutichen Burjchenjchaft. Für 
fie verfaßte Sand eine begeijterte Schrift, die auf dem Wart- 
burgfeft am 18. October 1817 an die Burjchen vertheilt wurde 


Karl Ludwig Sand und Auguit von Sogebue, 531 


und die viel zu der Weiterbildung der deutichen Burſchenſchaft 
beitrug. 

Dieje Schrift Hatte Sand in jeiner Vaterſtadt Wunſiedel 
im Fichtelgebirge, gejchrieben, wo jeine Eltern lebten, und wo 
er am 5. October 1795 das Licht der Welt erblidt hatte. Er 
war vorübergehend von Erlangen dahin zurüdgefehrt, um ſich 
bald nad) Jena zu wenden, 

In Jena wollte Sand ein älteres, größeres Gebäude, das 
leer jtand, der Burjchenichaft für ihre Turn- und Fechtübungen 
gewinnen. Da fam er — echt jugendlich — auf den Gedanken, nie- 
mand geringeren als Goethe, den er als Dichter des „Götz“ 
und „Egmont“ der deutſchen Burichenichaft geneigt hielt, für 
die Sache zu interejliren und jich deshalb, als der Dichter im 
November 1817 in Jena weilte, perjünlich an ihn zu wenden. 

„Dann ſprach ich — jchreibt Sand hierüber — bei Goethe 
zwar weibiſch aber doch ehrlich und jo, daß er ganz herzlid) 
darauf zu achten jchien, über den Erfauf des alten Turnhaufes 
und da es einmal von Herzen war, wurde ich fröhlich, und 
ich wiederholte zu Hauje den 13. Pſalm danfend und fröhlich. 
Ich hatte bei Goethe gejprochen ungefähr wie beiliegt: Alter 
Vater, laßt euch etwas ehrlich jagen von mir und hört mich 
geneigt an. Schaut, hier außen it das alte Ballhaus. Solcher 
gibts’3 jest in Deutjchland mur noch drei. In dem Haufe 
haben unjere alten Väter, grade die waderjten geturnt, und es 
ift ein gar jchönes Gebäude. Nun ijt dies edle Haus in die 
Hände eines alten, verrüdten Philiſters gekommen, und der 
will eö gerade jetzt, wo e3 das Volf wieder gebrauchen gelernt 
hat, zerjtören, will es einiger Thaler wegen umjchaffen nad) 
jeinem niedrigen, gemeinen, dummen Sinn und es uns jo 
rauben. Da wir im lieben Vaterlande jo wenig öffentliche 
Gebäude haben, joll dies aud) gar untergehen? Nun dachte 
ich, ihr Fünntet vielleicht joviel Gelder aufbringen, und würdet 
ed anfaufen, daß wir es fünnten zur Miethe befommen. .. . 
Als die Sache ſchon ganz aufgegeben war, fam mir doch der 
Gedanke, euch darum zu bitten; ihr mühtet doch auf alle 
Fälle wenigjtens Liebe für dieje vaterländiiche Sache haben, 

34* 


532 Karl Ludwig Sand und Auguft von Kotzebue. 


und jo weiß denn niemand darum, daß ich jebt bei euch 
bin.“ 

Hier zeigt fich jo recht das naive Denken und Handeln 
Sande. 

Aber mit diefer Naivität war glühende Leidenjchaft ver- 
bunden, die fanatijch ein Ziel verfolgte, um es um jeden Preis 
zu erreichen. 

Mit jeinen Tagebühern und Briefen ftachelte er fich 
immer mehr zu Thaten an, nährte er immer mehr jeinen leiden- 
ichaftlihen Haß gegenüber alles „Knechtiſchen.“ 

Da trat der deutichen Burjchenichaft ein Dann gegenüber, 
der als ein vielgereifter Weltmann nicht das Entferntejte von 
den aus edler Heimathsliebe hervorgegangenen idealen Bielen 
der Ddeutjchen Nugend zu begreifen vermochte. Er hatte fich 
zum Landesangehörigen Rußlands gemacht, des Reiches, das 
damals als der Inbegriff aller Knechtſchaft galt. 

Der ruffiiche Staatsrath Auguft von Kogebue wollte die 
Ideale der deutjchen Jugend verhöhnen, wollte deutjche Jüng— 
linge denunciren und deutſche Freiheit durch die Knute des 
Despotismus vernichten! Das war damals die bejtimmte Mei: 
nung deuticher Burjchen. Glühende Nachegefühle entjtanden in 
dem Herzen Sands. Hier der Räder und Befreier zu werden, 
dieje Idee trat ihm immer näher und faßte ihn in unentrinn= 
barer Weije. Wie ein Hypnotifirter lebte Sand diejer bee, 
grub er fich in dieje hinein und wie ein Nachtwandler bereitete 
er traumvoll die blutige That vor. „Spufmeier” nannten ihn 
feine Freunde, die merkwürdig berührt wurden, wenn fie in 
das fchwärmeriiche, unheimlich leuchtende Auge Sands fchauten 
und jein jeltiames Gebaren beobachteten. 

Das Object, dem die Rache der deutichen Jugend gelten 
jollte, war aber ganz anderer Art, als es fich die tiefgefränften 
Sünglinge dachten. 

Sie beadjteten es nicht, daß Auguft von Kotzebne ein 
deuticher Dichter war, dem die deutſche Nation Fröhlichite 
Stunden verdankte, Kotzebue iſt bis zum heutigen Tage der 
beite deutiche Quftipieldichter geblieben. Nicht jeine jentimen- 
talen Schaufpiele umd Rührſtücke, jondern jeine unvergleich- 


Karl Ludwig Sand und Auguft von Stogebue. 533 


lichen Luſtſpiele geben Kotzebue eine hervorragende Stellung unter 
den deutſchen Dichtern. Sein föftliher Wis, jeine jcharfen 
Characterzeichnungen und jeine oft rückſichtslos freie Sprache 
haben die jpaßhaftejten Situationen und Gejtalten zu über- 
wältigend komiſchem Ausdruck gebradht. Die Luftjpiele und 
Poſſen „der Wirrwarr“, „die Zerjtreuten“, „Schneider Fips“, 
„Die deutichen SKleinjtädter“, „die beiden Klingsberg“ u. j. w. 
u. ſ. w. find in ihrer Art heute noch nicht übertroffen. Sein 
Sinn richtet ſich Hier ganz auf die Schilderung des wirf- 
lichen Lebens — er geht nicht über die gewöhnliche Lebens— 
iphäre hinaus, aber wie viel Komik weiß er ihr abzugeminnen, 
und zum Beijpiel in dem fleinen Stüd „der gerade Weg der 
Beſte“ wird er zum jcharfen Geißler der Heuchelei. Seine 
derb fräftige Sprache nimmt hier fein Blatt vor den Mund. 

Kotzebue arbeitete zulegt an einem Trauerſpiel aus ber 
pfälzishen Geſchichte „Pfalzgraf Heinrich“, von dem ber erfte 
Akt vollendet und der ganze Plan entworfen war, als der 
Dichter den Dolchſtichen Sands erlag. 





Auguſt von Kotebue. 


Nichts ift für einen Schriftiteller gefährlicher ala die Gabe 
des Witzes ohne die Erziehung zu einem feiten Character. 


534 Karl Ludwig Sand und Auguft von Stoßebue. 


Selbſt der große Voltaire konnte feinen Witz nicht immer 
zügeln, nicht immer auf das richtige lenken und befledte fich 
für alle Zeiten durch jeine Ichmachvolle Behandlung der „Jung— 
frau von Orleans“. Erjt ein beutjcher Dichter mußte der 
franzöfiichen Nation zu Gemüthe führen, was Frankreich an 
diefer erhabenen Frauengeſtalt beſaß. Der Witz kann leicht 
über große, pofitive Werthe Hinmwegtäujchen. 

ALS politiicher Schriftiteller und Kritifer benugte Kotzebue 
jeine wunderbare Begabung zu jolchen Täuſchungen. Seine 
Thätigkeit auf politiihem Gebiete trug das Brandmal völliger 
Charakterloſigkeit. Er meinte hier ungejtraft jeinen Ddreiften 
Wit ipielen lafjen zu fünnen und er ahnte die Gefahr nicht, 
wenn bier Leichtfinn und Characterlofigfeit auf Ernft und Cha— 
racter jtößt. Er unterichäßte die deutſche Jugend, ‘die für 
das Baterland in den Freiheitskriegen ihr Leben eingejest hatte. 

Der rujfiihe Staatsrath Auguſt von Kotzebue ijt ein 
Sohn der Stadt Weimar. Er wurde dajelbjt am 3. Mai 1761 
geboren und hatte das Glüd, jeine Jugend in der Hajfiichen 
Dichterzeit diefer Stadt zu erleben und ſchon als Knabe Goethe 
fennen zu lernen. 

Zwei Jahre nach Beendigung jeines Rechtsſtudiums in 
Jena und Duisburg wandte er fi) 1784 nad) Rußland, ein 
Land, das das unzweifelhafte Verdienſt hat, gar manden 
deutjchen Schriftjteller und Gelehrten (man denke z. B. an 
Marimilian Slinger) aufgenommen und zu Anjehen gebracht 
zu haben. 

In Petersburg ftand der Jüngling unter der Obhut eines 
Freundes der Familie, des damals als preußiicher Gejandter 
in Petersburg weilenden Grafen von Schliß, genannt von Görtz, 
der in Weimar als Erzieher des Erbprinzen gewirkt Hatte. 
Auf Empfehlung jeines Gönners hin wurde der junge Kotebue 
Privatjecretär des faijerlichen General-Ingenieurs3 von Bawr. 
Dieje Stelle hatte vorher der heute wieder vielgejchäßte deutjche 
Dichter Johann Michael Reinhold Lenz beffeidet. 

General von Bawr wurde durch einen Band von Er: 
zählungen Kotzebues, den er auf einer Reiſe in einer Buch— 


Karl Ludwig Sand und Anguſt von Koßebue. 535 


handlung zu Riga ausliegen jah und faufte, auf die dichterifche 
Begabung ſeines Secretärd aufmerfiam, und er übertrug ihm 
einen Theil der Geſchäfte, als er die Direction des neuen 
faiferlihen deutjchen Theater übernahm. 

Kokebue fühlte fih da ganz in jeinem Element. Er jchrieb 
ein Trauerjpiel „Demetrius*, das dort nach größeren Schwierig- 
feiten und erjt nach Aufhebung eines polizeilichen Verbotes 
zur Aufführung gelangte. 

Kotzebue war Lehrer der Tochter eines reichen, einfluß- 
reihen Mannes. Dieje Schülerin, Friederife von Effen, wurde 
1784 feine Gattin, und die Kaijerin Katharina II. ernannte ihn 
1785 zum Bräfidenten des Gouvernementsmagiftrats der Pro- 
vinz Eſthland, womit die Erhebung in des Abelsjtand verbuns 
den war. 

An Reval erkrankt und von der Kaiſerin Katharina be— 
urlaubt, kehrte Kogebue nad Weimar zurüd, wo ihm jeine 
Gattin bei der Geburt einer Tochter durch den Tod entrifjen 
wurde. 

Mit dem berüchtigten Basquill „Dr. Bahrdt mit der eiſernen 
Stimm oder die beutiche Union gegen Zimmermann“ trieb er 
unter dem Mißbrauch des Namens des Freiherrn von Knigge 
und unter der Maske, feinen Freund, den Hofrath Johann 
Georg von Zimmermann in Hannover gegen defjen politijche 
Gegner vertheidigen zu wollen, ein unerhört dreiſtes Pojjen- 
und Berjtedipiel. Nein litterariich betrachtet ijt dieſe Satyre 
mit einem jo vermwegenen, tollen und cynilchen Wit verfaßt, 
„daß man — wie jelbit ein heftiger Gegner Kotzebues zu— 
gibt — wider Willen oft an Wriftophanes kecke Manieren er- 
innert wird“. 

Nach feiner mit dreijter Offenheit gejchilderten jogenannten 
„Flucht nah Paris“ und nah einem Aufenthalt in Mainz 
übernahm er wieder jeine Präfidentenjtelle zu Reval in Ruß— 
land, nachdem bie Kaiſerin von Rußland jeine Verfolgung 
wegen jenes PBasquills aufgehoben hatte. Hier verheirathete 
er fig; wieder und zwar mit Chriftine von Krujenjtern, einer 
Verwandten des „Weltumſeglers“ Kruſenſtern. 1795 legte er 


536 Karl Ludwig Sand und Auguit von Kogebue. 


jeine Präfidentenftelle nieder, um reich begütert in Deutichland 
der Schriftitellerei leben zu wollen. 

1798 kam Kotzebue an Stelle Ulringers als Theaterdichter 
nad) Wien, doch verließ er diefe Stelle jchon vor Ablauf des 
Jahres. Auch in Weimar, das er von Neuem aufjuchte, konnte 
er weder jegt noch jpäter wieder Fuh fallen Im Jahre 1800 
fam er nad Rußland zurüd, wurde aber dortjelbjt verhaftet 
und auf Befehl des Kaijers Paul I. nah Sibirien verbannt, 
wo er das von ihm bejichriebene „merfwürdigite Jahr feines 
Lebens“ verbradte. Seine Begnadigung erfolgte, als dem 
Czaren das Kotzebue'ſche Stück „Der Leibfuticher Peters III”, 
von Krasnopulski ins Ruſſiſche überjegt, zu Geficht fam, das 
in indirefter Weife auch Paul den Erjten feierte. Nach flüchtigen 
Verfuchen, nochmals in Weimar und dann in Jena fic niederzu- 
faffen, fiedelte er nach Berlin über, von dort aus in jeiner 
neuen Zeitung „Der Freimüthige“ gegen Goethe, der ihn von 
fich) abhielt und gegen die Romontifer, die er mit jeiner Poſſe 
„Der huperborätiche Ejel* (1790) verhöhnt hatte, in wißreicher, 
doch nichtiger Weile zu Felde zu ziehen. 

Nach dem 1803 eingetretenen Tode jeiner Gattin reijte er 
wieder nad) PBaris*) und dann nach Rußland, dort mit einer 
Verwandten jeiner verjtorbenen zweiten Frau gleichen Namens 
ſich verehelidyend. 

Die Zeitichriften „Die Biene“ und „Die Grille“ (1808 big 
1812), die vielfach) confiscirt wurden, richtete er gegen Napoleon 
in beharrlicher und ſtark wirfender Art. 

Kurz jei noch jein Aufenthalt in Königsberg als ruſſiſcher 
Gejandter, feine Ernennung zum rujfiihen Staatsrath dur) 


*), Sein Begleiter war der Berliner Kapellmeister Bernhard Anjelm 
Meber (geb. in Mannheim 1766, geit. zu Berlin 1821), ein Schüler Voglers 
und begeifterter Anhänger Glucks. Mehr wie die Opern „Deoba* und 
„Hermann und Thusnelda“ hatten Webers Mufikjtücte zu Goethes „Epime⸗ 
nides”, zu Schillers „Tell“, „Braut von Meffina”, „Jungfrau von Or: 
leans“, zu Kotzebues „Huffiten” u. a. m., fowie feine melodramatiichen 
Sompofitionen zu Gedichten (3. B. zu Schiller „Gang nad dem Eifens 
hammer“) Erfolg. Webers Mufif zum „Tel“ wird noch heute gefpielt. 


Karl Ludwig Sand und Auguft von Kotzebue. 537 


den Kaijer Alerander und fein nmochmaliger Aufenthalt in 
Weimar erwähnt, wo er als Berfajler an die rufliiche Re— 
gierung gerichteter Bulletins über deutjche VBerhältniffe entlarvt 
wurde. 

Man betrachtete ihn als fremden Spion, und als er ſich 
an der Burjchenichaft, die bei dem Wartburgfejt einige jeiner 
Schriften verbrannt Hatte, durch Berjpottung ihrer freiheitlichen 
und vaterländiichen Bejtrebungen zu rächen fuchte, da reifte in 
Sand der Plan, den „Feind deuticher Freiheit” zu vernichten. 

„Bor dem Jahresichluffe 1818 — fo Heißt es in einer 
Schilderung der weiteren Vorgänge vom Jahre 1820 — ging 
Kopebue über Frankfurt nah Mannheim, wo er an der Seite 
jeiner Gattin, umgeben von jeinen Kindern (mit Ausjchluß der 
erwachjenen Söhne; dreizehn Kinder überlebten ihn), fich häus— 
lich niederließ; in gewohnter Gejchäftigfeit jchien er jeine Tage 
heiter und zufrieden zu verleben, wie Diejes immer dann der 
Fall war, wenn er einen neuen Wohnort ſich gewählt und in 
jeinen Umgebungen nocd feine unangenehmen Berührungen auf 
fich gezogen Hatte. Bon bier aus leitete er fortwährend jein 
litterarifches Wochenblatt, in weldem er jchon mit dem Be— 
ginn des zweiten Bandes nicht mehr allein die Stimme führte, 
gern einlenfenden und vermittelnden Aufjägen eine Stelle gab, 
und fich jelbft mehr mit den Erjcheinungen der Litteratur, als 
mit politischen Gegenftänden bejchäftigte.e In der genauen 
Beobachtung der auf jorgfältigen Haushalt mit der Zeit be- 
rechneten Lebensweiſe, in feiner ununterbrochenen Thätigfeit am 
Screibtiiche, von früh morgens bis zu den Mittagsjtunden, in 
der ungeihwächten Kraft jeines Gedächtniſſes und Witzes, in der 
regen Empfänglichfeit für alle Freuden des gejelligen Lebens zeigten 
ſich bei ihm eine treffliche körperliche Organiiation, die ohne— 
geachtet vorübergehender Unpäßlichfeiten, noch feine bleibenden 
Hinweijungen auf das nahe Öretjenalter dem rüjtigen Manne 
vor die Augen jtellten. Nähere Beobachter wollen an ihm 
gegen das Ende des Mürzes hin zumeilen eine wehmiüthige 
Stimmung bemerft haben, wie man auch erzählt, daß er um 
dieje Zeit bei Erblidung jeines jüngjten, faum die erjten Raute 


538 Karl Ludwig Sand und Auguft von Koßebue. 


lallenden Sohnes fich joll erinnert haben, wie er ſelbſt nicht 
älter war, als ihm der Tod jeinen Vater wegnahm. — So 
erichien der verhängnißvolle Tag, der 23. März des Jahres 
1819, wo eine wunderbare Geſtalt im gegenübertrat. 

Sand verläßt am 9. März ganz im Stillen jeinen 
akademischen Wohnort (Jena). Er wandert über Würzburg 
nah Mannheim. Hier tritt er frohes Anjehns in einem 
Gafthofe („Zum Weinberg“) ab, wo er fih nah Kotzebues 
Wohnung (Straße A 2, 5) und nad) der eines ihm von Erlangen 
aus befannten Predigers erkundigt. Zweimal meldet er ſich in 
eriterer den 23. Vormittags; er wurde beide Male abgewiejen, 
weil von Kotzebue des Morgens fih in feinen Arbeiten nicht 
unterbrechen ließ, und gegen 12 Uhr Mittags ausgegangen 
war. Der junge Mann fehrt zur Wirthstafel zurüd, wo er 
unbefangen und lebendig an der Unterhaltung der Tijchgejell- 
ihaft Theil nimmt; auc von Kobebue wird geredet, manches 
Nachtheilige über ihn gejagt, hierzu jchweigt er; von einem 
ihm nach der Zandesfitte Hingeftellten Schoppen Wein genießt 
er nur wenig; doch den Genuß der Speife verjchmäht er nicht; 
mit einem dort getroffenen Zandgeiftlichen jpricht er vieles, big 
die Zeit heranrücdt, auf welche er von dem Bedienten, um 
Kotebue zu fprechen, bejchieden ijt. 

Kopebue hatte den Tag auf gewöhnliche Weile verlebt. 
Nachmittags um 5 Uhr, als feine Familie joeben Bejuch von 
einer Dame erhielt, ward er abgerufen; ein junger Fremdling 
wünſchte ihn zu ſprechen. Er geht in das Zimmer, wo ihn 
diefer erwartet. Nach wenigen Augenbliden durchdringt ein 
Gejchrei das Haus, man jtürzt herbei, die Bebienten finden 
ihren Herren auf dem Boden im Blute liegend. Noch ringt er 
mit dem Fremdlinge, welcher mit dem in fejter Hand ge- 
baltenen blutigen Dolche ihm Herz und Lunge durchbohrt hat. 
Umgeben von feiner jammernden Familie ſchließt von Kotzebue 
nad wenigen Minuten für immer die Augen. Indeß der Auf 
nah einem Wundarzt fchon den WBorübergehenden von der 
ichredlichen That Kunde giebt, vafft fich der Jüngling, der fie 
vollführte, auf, die Treppe hinab, erreicht die Straße, finft 


Karl Ludwig Sand und Auguſt von Kotzebue. 539 


auf jeine Knie, ruft mit lauter volltönender Stimme: Der 
Berräther iſt gefallen, das Vaterland gerettet! — Ich bin der 
Mörder; aber jo müſſen alle Berräther fterben. — Dir, himm— 
fischer Bater danke ich, daß du mir die That haft vollbringen 
lafjen! — 

Dann reißt er die Kleider auf, wendet den Dolch gegen 
die eigene Bruſt und verwundet fich tief. Bon der herbei- 
jtrömenden Menge wird er halb entjeelt in das Bürgerhojpital 
gebracht, wo er unter ärztlicher Pflege und gerichtlicher Unter- 
juhung den Ausſpruch feiner irdiſchen Richter erivartet, mit 
jeinem Leben für ich im Reinen — ohne alle Reue der That. 
Sand iſt diefer Jüngling, der die jchredlihe Schuld des 
Meuchelmordes auf fich lud und auf das geliebte Vaterland. 
Welch eine unergründliche Verkettung des Menfchen und der 
That! Welch ein ſchwerer Beruf, hier richten zu müflen als 
berufene Richter! Aber die Unberufenen mögen jchweigen ; 
jchweigen auch die unberufenen Bertheidiger. Es ijt gleich 
verbrederiih, Sand anzuflagen, ihn entichuldigen zu wollen; 
jenes thut die begangene That hart genug; dieſes am lauterften 
jein reines Leben.“ 

14 Monate lag Sand jchwer krank, aber feine längere 
Schonung jollte dem Schwerfranfen von Seiten de3 Gerichts 
zu theil werden. 

Am 17. Mat wurde Sand das Todesurtheil verfündet. 

Die lebten Lebenstage Sands jchildert ein von Freunden 
desjelben gejchriebener Bericht aus dem Jahre 1820 in folgen- 
der Weije: 

„An demjelben Tage, den 17. Mai, ward auch das Urtheil 
öffentlich befannt gemacht, und es hieß, die Zeit der Hinrichtung 
jei auf den 20. Vormittags zwijchen 11 und 12 Uhr fejtgejeßt. 

Zum Rihtplage ward eine Wieje vor dem Heidelberger 
Thore erwählt, links von der Heerjtraße nad Heidelberg. Man 
begann alsbald ein Schaffot zu errichten, 5 bis 6 Fuß hoch. 
Die Gefängnigwache ward dreifach verjtärkt, und zur militärijchen 
Anordnung der Hinrichtung fam der General von Neuenjtein 
aus Carlsruhe in Mannheim an. Das Militär bejtand aus 


>40 Karl Ludwig Sand und Auguft von Kogebne. 


1200 Mann Infanterie, 350 Mann Eavallerie und ein Deta- 
ichement Artillerie. Allee war unter Waffen. 

Sands lebte Tage vergingen ihm janft und friedlich). 

Leute, welche ihn zu jehen und zu jprechen wünjchten, 
wurden jest mit Auswahl gemeldet und größtentheils zuge- 
lajfen. Mit manchen von ihnen unterhielt er fich gern und 
ſprach auf das Unbefangenite über viele jeiner Lage ganz 
fremde Gegenstände, nicht ſelten pbilojophiichen und politiichen 
Inhalte. 

Unter andern verlangte ein Handwerker zu Sand gelafjen 
zu werden, weil er mit ihm zu Wunfiedel in die Schule ge- 
gangen und ihm wohl befannt je. Sand fonnte fich feiner 
nicht jogleich erinnern, wünjchte ihn aber doch zu fprechen, Er 
verficherte, daß es ihm jehr wohl gehe, gedachte mit bejonderer 
Liebe jeiner Verwandten im ‘Fichtelgebirge, bat ihn beim Ab— 
ichiede, Diejelben zu grüßen und zu bitten, fie möchten um 
jeinetwillen feine Betrübniß haben, indem er, mit Gott völlig 
einig, den Tod in freudiger Stimmung erwarte. 

Ein andrer Mann, (den Sand bald nad) der That ge- 
jehen und jet gleich wieder erkannte), fragte ihn: „ob er jebt 
das begangene Unrecht einjehe, und Reue empfinde?“ Sand 
erwiederte: „Ich habe ein Jahr vorher darüber nachgedacht, 
und jeitdem wieder 14 Monate, und meine Anficht hat ſich 
um Nichts geändert.“ 

Sand hatte den Wunſch geäußert, den Scharfricdhter, (Wid- 
mann ans Heidelberg), zu Sprechen. Diejer fam am 19. m 
Mannheim an, als er in's Zimmer trat und grüßte, lag Sand 
im Bette, und der neben ihm figende Zuchthausverwalter ©. 
jagte: „der grüßende ift Hr. W., den fie zu fprechen wünjchten.“ 
Da erheiterte fich plößlich ſein Geficht, er richtete fich auf, 
faßte W. bei der Hand, ließ ihn meben fich ſetzen, und hielt 
während der ganzen Unterredung die Hand feit, wo er oft 
Beranlaffung fand, jie recht herzlich zu drüden W., ganz 
niedergeichlagen und tiefbewegt, ward durch Sand und jeine 
Stärfe allmählig ermuthigt. Sein Gefühl Hatte ihn aber jo 
überwältigt, daß er nachher wenig von der ganzen Unter- 


Karl Ludwig Sand und Auguft von Kotzebue. 541 


haltung zu jagen wußte. Er erzählte nur, Eand habe viel 
geiprochen und unter andern gejagt: „Bleiben fie nur ftand- 
haft, an mir joll es nicht fehlen, ich werde nicht zuden; und 
wenn auch zwei oder drei Diebe erforderlich find, meinen Kopf 
vom Rumpfe zu trennen, jo jollen fie darum die Faſſung nicht 
verlieren.“ Auch bat er ihn nicht zu jchnell zu verfahren, 
jondern fich Zeit zu nehmen, fragte, wie er ſich verhalten jolle, 
und dankte im Voraus für jeine Mühe: „denn nachher“ — joll 
er hinzugejegt haben — „werde ich ihnen nicht mehr danfen 
können.“ 

Abends waren drei Geiſtliche bei ihm, mit denen er ſich 
über Religionsgegenſtände unterhielt. Der eine blieb mehrere 
Stunden und erklärte unter Andern: er habe den Auftrag, ihm 
das Verſprechen abzufordern, auf dem Richtplatze nicht zum 
Bolfe zu reden. Sand verſprach es und jebte Hinzu: „wenn 
ih auch wollte, jo ift doch meine Stimme zu ſchwach; das 
Volk würde fie nicht vernehmen.“ — Immer blieb er ruhig 
und janft, freundlich und ermuthigend gegen jedermann. Er 
Ihien in den drei lebten Tagen nicht der Troftbebürftige, 
jondern der Trojtgebende für alle, die ihn umgaben, mit Weinen 
und Schluchzen in jeine Nähe kamen, oder von ihm jchieden. 
Abends jpät joll er noch zum Abjchiede aus diejer Welt ein 
Gedicht niedergejchrieben haben*), und erjt nach 11 Uhr legte 
er ſich zur Ruhe und jchlief. 

Da fih die Nachricht von der am Samjtag vor dem 
Pfingſtfeſt angelegten Hinrichtung Sands jchnell überall hin 
verbreitet hatte, jo jtrömten viele Menjchen von allen Seiten, 
auch viele Studenten aus Heidelberg**) nah Mannheim, um 
derjelben beizumohnen. Sie blieben aber in den nahegelegenen 
Dörfern. Um jeder unruhigen Bewegung zuvorzufommen, bes 
ihloß man am 19. die Erecution, welche, wie oben bemerkt 


*) Das jedod) nicht bekannt geworden tft. 

**) Die Heidelberger Burichen handelten jedoch zufällig in Ueberein— 
ftimmung mit den Mannheimer Bürgern, indem die beffern unter denfelben 
in einem Umlauf ihre Freunde aufforderten, nicht periönlid der Erecution 
beizumohnen, fondern in jtilfer Trauer daheim in Heidelberg zu bleiben, 


542 Karl Ludwig Sand und Auguit von Kogebue. 


um 11 Uhr Mittags anberaumt war, jchon früh um 5 Uhr 
vor ſich gehen zu lajfen. — Die meiften Studenten kamen da- 
her erjt nad) beendigter Vollziehung des Urtheil® auf dem 
Richtplatze an. 

Die gebildeten Bewohner Mannheims hatten jchon lange 
ein lebhaftes Interejje für das Schidjal des unglüdlichen 
Zünglings an den Tag gelegt. Als jeine Todesjtunde heran- 
nahte, hatten viele die Stadt verlaſſen, andre jchloffen fich in 
ihren Häujern ein. Am 20, früh ward noch eine ganze Stunde 
an dem Schaffot gearbeitet. Die Straßen wimmelten von 
Menjchen, doc ging Alles ruhig zu. Alles Militär war unter 
Waffen; von bedeutenden Patrouillen zu Pierde und zu Fuß 
wurden alle Straßen der Stadt und alle Ab» und Zugänge 
des Richtplates bejtändig durchfreuzt. Als das Schaffot fertig 
war erjchien der Scharfrichter mit jeinen Helfern. Alle waren 
ſchwarz gekleidet, erjterer trug über dem jchwarzen Rode einen 
Schanzläufer von Biber, und unter demſelben das Schwert. 
Die Henfersfnechte aber nahmen auf dem Blutgerüfte ihr Früh— 
ſtück ein und rauchten dann zum Zeitvertreib ihre Pfeifen. 

Sand jchlief an diejem Morgen in jeiner Kammer des 
Zuchthauſes jo gut, dat er gewedt werden mußte. Das geichah 
vor 4 Uhr. Damı fie er fich ankleiden im jchwarzem deutſchem 
Rock und weißen leinenen Beinkleidern, nachdem er zuvor die 
langen dunfelbraunen Daare hatte ordnen und den ganzen 
Körper wajchen lafjen, wobei er bemerkte, „Daß es die Völker 
des Alterthums auch jo gemacht hätten, ehe ſie ins Treffen 
gingen.“ Das Verbinden der Wunde jchmerzte ihn jehr, doch 
blieb er friich, und frühjtücdte, wie gewöhnlich; mit fichtlicher 
Eßluſt. Um 4 Uhr kamen die Geiftlihen zu ihm und man 
eröffnete dem Verurtheilten, daß die Zeit der Hinrichtung jtatt 
um 11 um 5 Uhr angejeßt jei, daß dieſe aljo in einer Stunde 
ihon vor fich gehen werde, fall3 er dazu bereit jet, „Das 
bin ich in diejem Augenblide” erwiderte Sand. Schon früher 
äußerte er: daß er dieſen Morgen noch einmal recht bewußt 
(eben wollte, und im diefem Sinne unterhielt er fi wirklid) 
mit den Geistlichen. Endlich wünjchte er, daß fie leiſe mit ihm 


Karl Ludwig Sand und Auguft von Kotzebue. 543 


beten möchten. Die gejchah. Als er geendigt hatte, jagte er 
Körners Worte: „Alles Ird'ſche ift vollendet, und das Himm- 
liſche geht auf.“ 

Wie er jchon früher von den Merzten, welche ihn behan- 
belt hatten, danfbar Abjchied nahm, jo geihah dieß jetzt mit 
den Geijtlichen. Er jagte ihnen: „Meine Rührung ift nicht 
die der Weichlichfeit, jondern die der Dankbarkeit.“ Doch 
wünjchte er nicht, daß ſie ihn auf den Richtplag begleiteten, 
weil er völlig vorbereitet, mit Gott und jeinem Gewiffen im 
Reinen jei, und jelber dem geijllichen Stande angehöre. Auf 
die Frage: ob er ohne Groll jcheide? antwortete er: „den habe 
id) ja nie gehabt.“ 

Test vernahm er den wachjenden Lärm auf der Straße, 
und wiederholte nochmals, man fünne über ihn verfügen, in- 
dem er bereit je. Man führte ihn darauf aus dem Zimmer 
in den Hof zu einer Kalejche, die man zu dieſem Ende hatte 
faufen müjjen, indem die Mannheiner ihre Wagen darzuleihen 
jih weigerten. Als er das Zimmer verließ, wandte er ich 
um und wünjchte den Bleibenden nochmals ein Zebewohl! Im 
Hofe grüßte Sand ringsumherjchauend und ftillichweigend die 
Züdtlinge, die in ihren Fenftern lagen und meinten. (Schon 
während der Unterjuchung hoben dieſe, wenn ſie an jeinem 
Bimmer vorbeigeführt wurden, ihre Ketten in die Höhe, um 
ihn nicht zu beunruhigen.) Sand jagte auch den Uebrigen jein 
Lebewohl! und ward in die Kaleiche gehoben. Langjam fuhr 
dieje vorwärts. Zu den Seiten gingen zwei Zuchtmeifter mit 
Trauerflören. Ein zweiter Wagen mit Stadtbeamten folgte, 
Unten ging das Hofthor auf. Draußen harrte jeiner die ver- 
jammelte Menge jchweigend. Bei feinem Anblik aber brad) 
jie in lautes Schluchzen aus. „Gott ftärfe mich!" ſprach er, 
als er die Menjchen alle jo weinen ſah. Dann bat er den 
Dberzuchtmeijter, welcher neben ihm jaß, er möchte, wenn er 
etwas Schwädjliches an ihm bemerkte, jeinen Namen ihm zu: 
rufen. Der Zug ging langjam weiter zu dem faum 800 Schritte 
entlegenen Richtplate, begleitet und eingejchloffen von einer 
jtarfen militärischen Bededung zu Pferde. Seine Glocken wur: 


544 Karl Ludwig Sand und Auguſt von Stoßebue. 


den geläutet. Nur einzelne Stimmen: „Sand! lebe wohl!“ 
unterbrachen die allgemeine Stille. Die Luft war jehr kalt, 
es hatte geregnet. Sand war zu ſchwach, um fich in aufredht- 
jigender Stellung zu erhalten; er ſaß halb zurüdgelehnt in 
dem Arm jeines Begleiter. Sein Geſicht war leidend mit 
Sanftmuth, die jedoch nicht vorherrichend war; die Stirn offen 
und frei, die Züge interefjant ohne jchön zu fein; aber die 
Leiden hatten das Jugendliche aus denjelben verwilcht. Sein 
Kopf war unbededt und das lange Haar hing über die Schul- 
tern herab. „So werde ich ihn ewig jehen,“ erzählte ein Be- 
wohner Mannheims, „wie er den Hügel hinabfuhr und das 
Auge wie verflärt gen Himmel richtete.“ Der Zug fam vor 
der Richtitätte an, die von einem Bataillon Infanterie ums 
ihloffen war. Als Sand das Blutgerüft erblidte lächelte er 
ſanft. Beim Ausfteigen aus der Kaleſche jagte er: „Bis hier- 
ber hat mich Gott gejtärft.“ 

Der Oberzuchtmeifter und die Zuchtmeifter hoben ihn die 
Stufen des Schaffots hinan. Obſchon geführt und unterjtüßt, 
hielt er fich aufrecht und fagte: „Die iſt alſo der Ort, wo ich 
jterben werde.“ Noch ehe er zum Richtituhl gelangte, blidte 
er nach Mannheim und auf das verfammelte Volk zurüd, das 
ih längit dem Wege hingeftellt hatte; dann in Die von der 
Natur neugeichaffene Umgegend; es jchien, als wollte er jagen: 
mir waren 14 lange, peinliche Monate diefer Zauber und dieje 
Schöpfung verihlojfen. Darauf ward ihm, dem Herkommen 
gemäß, das Urtheil nochmals verleien. Auf die Frage ob er 
daijelbe jtehend vernehmen könne, bejahte er dieß und meinte, 
die moralische Kraft, die er in ſich fühle, werde jeine phyftiche 
überwinden. Er richtete fi vom Stuhle wieder auf, indem er 
beide Begleiter bat, nicht fern von ihm auf die Seite zu treten, 
um ihn zu unterjtügen, im Fall er wanfen jollte. 

Er wankte nicht. Nach geendigter richterlicher Verhand— 
(ung ließ er fich wieder nieder und ſprach mit lauter Stimme: 
„Ich fterbe im Vertrauen auf Gott! — „Sand, was haben 
fie veriprochen ?* — unterbrady man ihn, (nämlich nicht zu 
reden.) Er jchwieg, hob damı die Nechte feierlich wie zum 





in. 


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Die Con 


Karl Ludwig Saudb und Auguſt von Kotzebue. 545 


Schwur in die Höhe und fuhr leije fort: „Ich nehme Gott 
zum Beugen, daß ich für Deutjchlands Freiheit fterbe.“ Bei 
biejen Worten warf er mit berjelben Hand (die linke war ge- 
lähmt) das fejtgeballte Tajchentuch*) mit einiger Heftigfeit auf 
die Erde. Was er nun noch jprach, bezog ſich auf die nächſten 
Augenblide; jo wünjchte er nicht zu fejt gebunden zu werden, 
weil ihm die Wunde jchmerzte und die Binde vor den Augen 
jo zu jchieben, daß ihm das Licht nicht ganz entzogen werbe. 
Er jagte dieß zum Scharfrichter und reichte ihm freundlich Die 
Hand. Die Hände band man ihm auf den Schvoß, weil fie 
ihm auf der Bruft, wohin fie anfangs gebunden waren, das 
Athmen erjchwerten. Auch wünſchte er, jein Haar nicht zu 
verlieren, worauf der Nachrichter herbeitrat und ihm ſagte, es 
jei fir jene Mutter beitimmt. Sand nidte Beifall. Man 
ihnitt ihm demnach nur wenige Haare ab, und band die übrigen 
in die Höhe. Feierlicher Ernft und tiefes Schweigen umgaben 
das Gerüjt, und wo die Stille der verjammelten Menge unter: 
brochen wurde, da war es, bei Volk und Soldaten, ein Aus: 
bruch lauten Weinens und Schluchzens. 

Das Haupt fiel — aber erjt bei dem zweiten Streicdhe**). 

Nun drängten fich die Umftehenden an das Schaffot, das 
Blut ward mit Tüchern aufgewiicht, der Richtjtuhl — durch 
einen Knaben vom Scaffot geworfen — zerichlagen und in 
fleinern Stüden vertheilt, und wer davon nichts habhaft wer- 
den konnte, jchnitt wenigitens von den Pfoten des Blutgerüftes 
bfutige Splitter ab, 

Kopf und Körper wurden in einem, mit jchwarzem Tuch 
behangenen Sarge unter militäriſcher Bedeckung nad dem 
vorigen Orte zurüd und von dort Nachts um 11 Uhr, ohne 
vorher jecirt zu jein, auf den benachbarten Kirchhof gebradit. 
Auf diejem lutherischen Gottesader,***) wo auch der Gegenitand 


*) Nach einem anderen Bericht riß er fich den Verband ab. 
**) Beim eriten blieb e3 an einigen Fleifchtheilen des Vorderhalſes 
haften; fein Zweifel alfo, daß der erſte Schlag ſchon tödtlich war. 
***) Jetzt befinden fich die Gräber Sands und Sogebues auf dem 
Friedhof „Über dem Nedar“. 


Dejer, Geſchichte der Stadt Mannheim. 85 





>46 Karl Ludwig Sand und Auguft von Koßebue. 


jeiner blutigen That modert, warb ber Gerichtete in denſelben 
Kleidern, unter Begleitung mehrerer Perjonen, nad) den ge= 
wöhnlichen Gebeten eingejenft.e Das Grab aber warb fofort 
mit ben ausgehobenen Rajen wieder überdedt und eben ge» 
macht; und bis zur völligen Verweſung des Leichnams joll eine 
Wade in der Nähe jtehen. 

In der Naht vom 23. auf den 24. Mai will man bei 
bem Grabe einen Gejang gehört haben, mit Begleitung von 
Hörnern und Slarinetten. Als man fich näherte, heißt es, 
fuhren mehrere Wagen gen Heidelberg. Doc ward vom 8. 
Juni au Mannheim gejchrieben, daß man nichts näheres 
darüber erfahren hat.“ 


pa) 


XXVM. 
Dor Achtundvierzig. 


Neaktion — Kaſpar Haufer — Die Großherzogin Stephanie — Louis 

Napoleon in Mannheim — Karl Gutzkow — J. A. v. Itzſtein — Karl 

Mathy und der Zollverein — Die politiihe Bewegung — Der Ronge— 

fturm — Gerpinus’ Adreſſe an die Schleswig-Holfteiner — Wahlen — 
Hoffmann von Fallerdleben in Mannheim. 


Die That Sands bewirkte zunächſt gerade das Gegentheil 
von dem, was ſie bewirken wollte, ſie führte dazu, daß ſcharfe 
Maßregeln getroffen wurden, die Freiheitsbewegung der deut— 
ſchen Jugend zu unterdrücken. Dennoch trug auch dies nur 
zur Verſtärkung revolutionärer Stimmungen bei, die im Ge— 
heimen gehegt wurden und nur auf die Gelegenheit warteten, 
zu öffentlichem Ausdruck kommen zu können. Da regte ein 
neues Ereigniß die politiſche Welt auf, das auch vorüber— 
gehend in die Stadt Mannheim hineinjpielte. 

Am Pfingftmontag den 26. Mai war in Nürnberg jene 
rührende Jünglingsgejtalt aufgetaucht, die in ihrer Seltjamfeit 
das Räthjel des Jahrhunderts geblieben ift. Kajpar Haujers 
geheimnigvolles Erjcheinen in Nürnberg machte nicht geringes 
Aufiehen. Der unglüdlihe Jüngling fam unzweifelhaft aus 
Naht und Leiden und jein erjchütternder Tod — man fand 
Hauſer im Dezember 1833 im Parf zu Ansbach tödtlich ver- 
mwundet in jeinem Blute liegend — zeigte unwiderleglich, daß 
man es bier nicht etwa mit einem Simulanten oder Schwind- 
[er zu thun Hatte. Kaſpar Haujer erhob jelbjt feinerlei An- 


35* 


548 Bor Achtundvierzig. 


Iprüche auf irgendwelche Rechte in dem für ihn jo jchmerz« 
vollen Leben. Umjomehr machte man den Verſuch, diefe Sache 
politifch zu verwerthen. Die Zeit wollte ihren Demetrius und 
Kaſpar Hauſer jollte dieje Lüde ausfüllen. Man jcheute fich 
nicht, eine Fürftin in diefe Sache hineinzuziehen, von der mıan 
wußte, daß fie eine gewiſſe Sonderjtellung in ihrem Fürſten— 
hauſe einnahm. 

Romanhafte Phantafie jpann ihre Fäden zu der auf 
ihrem Wittwenfig, dem Großherzoglihen Schloß in Mann- 
heim ziemlich zurüdgezogen lebenden Großherzogin Stephanie 
hinüber, der Adoptivtochter des großen, aus der Revolution 
hervorgegangenen franzöftichen Kaiſers. 

Die Sache blieb ohne die leifeite Spur eines Beweijes 
und deshalb auch yänzlih ohne Erfolg, Die neuerliche 
Hervorziefung der Sade von Seiten eines franzöfiichen 
Gejchichtsromanichreibers nöthigte uns Hier nur einige Be— 
merfungen über dieſe eigentlich längſt abgethane YWngelegen- 
beit ab. 

Wir fommen auf die außerordentlichen Verdienjte, die ſich 
Badens Fürſtenhaus um die moderne Entwidelung Mannheims 
erworben, in einem bejonderen Abjchnitt noch eingehend zu 
iprechen. Die in diejer Abtheilung herangezogenen Ereignifje 
ind Beitereigniffe allgemeiner Art, jpielen in die allgemeine 
deutjche Politik hinein und haben injofern mit der Entwidelung 
Mannheims jpeziell unter Badens Herrichern nur wenig zu thun. 

Die am 28. Auguft 1789 geborene Gräfin Stephanie 
Luiſe Adrienne von Beauharnais, Tochter des Grafen Francois 
Claude de Beauharnais und der Marquije von Lezay Mar- 
nejta, wurde von Napoleon, nachdem er fie am 8. März 1806 
al3 jeine Tochter adoptirt und zur kaiſerlichen Prinzeſſin er- 
hoben hatte, dazu augerjehen, der Verbindung Frankreichs mit 
Baden dur) ihre VBermählung mit dem Kurprinzen Karl am 
8. Dftober desjelben Jahres einen familiären Charakter zu 
geben. 

Dieje aus rein politiichen Gründen geichlofiene Ehe ent- 
widelte ji) erjt langjam zu einem Herzensverhältnig der bei- 


Bor Adtundvierzig. 549 


den Vermählten. Anfänglich hielt fich die Prinzeſſin Stephanie 
getrennt von ihrem Gemahl im Mannheimer Schloffe auf, während 
fi ihr Gatte noch dem Schmerz über jein Entjagen feiner 
Neigung zu der bairiſchen Königstochter Amalie Auguſte Hin- 
gab. Stephanie mußte ſich auch erjt langſam nach dem am 
faiferlichen Hof zu Paris genoſſenen Glanz an die VBerhältnifie 
eines Eleineren Hofes gewöhnen. Das wird jedoch auch von 
franzöfiihen Gefchichtögelehrten zugegeben, daß es für Die in 
allzufrühem Alter in den Raujch des franzöfiichen Hoflebens 
hineingezogene Prinzejlin ein Glück war, noch zur rechten Zeit 
in die ruhigen und gediegeneren Verhältniffe eines deutſchen 
Hofes zu fommen. Hier reifte die Prinzeffin zu einer tiefer 
empfindenden Frau heran, und e3 lernten ſich die zwangvoll 
Vermählten Schließlich aufrichtig Tieben und jchäßen. 

Bon den bedeutenditen Ereigniſſen der europäiſchen Ge- 
ichichte wurde das Herz diefer Frau erfchiittert und bewegt, 
ein Herz, das fich ftark erwies in den Tiefen des Unglüds 
und auf den Höhen des Glüds. Wie mußte der Sturz 
Napoleons die ftolze Frau hinabjchmettern von der Höhe ihrer 
Position am badiihen Hofe, wie fonnte fie jubeln, als ber 
Geftürzte wiederfehrte nach jeiner Flucht von Elba, wie unfag- 
bares Leid mußte fie empfinden, al3 Napoleon auf St. Helena 
jeinem Tode entgegenjchmachtete. Und wie dann, nachdem fie 
auch ihre Söhne und den fie jchügenden Gatten verloren und 
fie mit ihrem Baterlande Franfreich jchon Feine Hoffnung, 
feinen Troft mehr zu verbinden vermochte, wie dann der 
junge Louis Napoleon nah den Stürmen der Revolution zu 
neuer Herrichaft gelangte, fie am Ende ihres jchicjalreichen 
Lebens wieder au den glanzvollen Hof der franzöfiichen Haupt- 
ſtadt zurückkehrte und in Nizza gleihjam im Anblick der neuen 
großartigen Entfaltung des Kaiſerreichs (1860) aus dem Leben 
ſchied — da mußte ihr Herz erbeben ober jubeln, das wie 
von einem Strom der Weltgeſchichte durchfluthet wurde. 

Der nachmalige Kaiſer Napoleon III. weilte vor der 
Nevofutionszeit 1848/49 mehrmals bei der Großherzogin 


550 Vor Adıtundvierzig. 


Stephanie im Mannheimer Sclofje, hier mit diejer die Pläne 
und Ausfichten für eine noch verhüllte Zukunft erwägend. 

Bei ihr weilte auch ihre Tochter Luiſe Amalie Stephanie, 
1830 mit dem Prinzen von Waja vermählt, nach unglüdlicher, 
1844 wieder gejchiedener Ehe im Schlofje zu Mannheim. Auch 
die Tochter der Prinzeſſin von Waſa, die jetige Königin- 
Wittwe Carola von Sadjen, die Enkelin der Großherzogin 
Stephanie, hielt ſich gleichfalls mit ihrer Mutter mehrere Jahre 
in Mannheim auf.*) 

Seit ihrer Rückkehr nach Frankreich jollte die Groß— 
herzogin Stephanie Mannheim nicht wiederjehen. Nach ihrem 
Tode in Nizza am 29. Januar 1860 wurde ihre Leiche nad) 
Pforzheim überführt und dortjelbjt in der fürftlichen Gruft 
beigejebt. 

In Mannheim hatte die Großherzogin Stephanie die Kunit 
lebhaft gefördert, wa8 wir jpäter noch zur Sprache bringen. 

Doc berührte auch eine Kunft, reſp. eine Litteratur, die 
mit der Politif und Freiheitsbewegung der Zeit verbunden 
war, die Stadt Mannheim. Der Führer des jungen Deutjch- 
lands, der 24jährige Karl Gutzkow, hatte hier in Mannheim 
jeinen Tendenzroman „Wally, die Zweiflerin“ 1835 erjcheinen 
lajjen (einen der erjten Frauenemancipationsromane), den auf 
Menzels Denunciation die Polizei beichlagnahmte. Gutzkow 
wurde wegen dieſes Buches in Mannheim vor Gericht ge— 
jtellt und zu drei Monaten Gefängnis verurstheilt. Während 
jeiner Gefangenſchaft in Mannheim jchrieb er einen Auf— 
jat „Gedanken im Kerker“ und feine „Philvjophie der Ge— 
ihichte" (Hamburg 1836). In Mannheim Hatte er nod) 


*) Die 19jährige Prinzeifin Carola wurde hier 1852 von dem am 
Hofe der Großherzogin Stephanie wirkenden Mannheimer Maler Louis 
Goblig gemalt. Kurz vor dem Tode des Königs von Sachſen bejuchte im 
März 1902 die Königin Carola dag Mannheimer Schloß. In Erinnerung 
verfunfen durchichritt die Königin die von ihr einft bewohnten Räume (im 
linken Flügel des Schlofjes) und fie war tief bewegt, als fie die wohlbewahrte, 
„nad) dem Leben‘ gemalte Portraitikizze aus ihrer Jugendzeit wiederſah. 
Das nad; dieſer Skizze (fiche Abbildung) ausgeführte Gemälde befindet 
ſich jegt im Kgl. Schloß zu Dresden, 


Vor Achtundpierzig. 551 


mit 2. Wienbarg 1835 die „Deutjche Revue” gründen wollen, 
von der jedoch nur das Programm „Menzel und die junge 
Litteratur“ bei C. Löwenthal ericheinen konnte. Der gleiche 
Verlag gab im gleichen Jahre auch Gutzkows „Vertheidigung 
gegen Menzel“ heraus. Bier Jahre darauf erichien hier noch 
eine Schrift „Gutzkow und die Gubfowgraphie“ von Hein— 
rich Hoff. 

Wie ſich im Uebrigen die politiiche Bewegung in Mann- 
heim vor den Jahren 1848/49 abipielte, das ijt in jehr objec- 
tiver Weile von Ludwig Mathy („Die Stadt Mannheim 
1896*) gejchildert worden. Die diejes betreffenden Stellen 
lauten: 

„Im Jahre 1822 wurde Johann Adam von Itzſtein, jeit 
1819 Hofgerichtsrath in Mannheim, in den Landtag gewählt. 
Diejer ausgezeichnete Mann war lange Zeit der tonangebende 
Führer der liberalen Oppofition im badijchen Landtag und bis 
1848 der Lehrmeiſter und das Vorbild der ganzen jüngeren 
Generation der Liberalen. Sein Einfluß bradte im Jahr 
1824 das Militärbudget zu Fall; zur Strafe wurde er nad) 
Meersburg verjegt und dann penjionirt, worauf er ſich als 
Advofat in Mannheim niederließ. Damit fam e3 zum erjten 
Konflitt zwiichen Regierung und Landtag. Die Kammer wurde 
am 21. Dezember aufgelöjt; duch die Neuwahl kamen für 
Mannheim Amtmann aber, Bürgermeijter Hutten und Handels- 
mann Keßler in den Landtag. Der Lebtgenannte gab am 20. 
April 1825 durch einen Antrag, der einjtimmig angenommen 
wurde, die erſte Anregung zur Gründung eines Zollvereins. 
Der badiſche Landtag wurde eine Vorſchule für das parlamen- 
tarijche Leben der ganzen Nation, und unter den badijchen Ub- 
geordneten hatten die in Mannheim gewählten oder hier wohnen: 
den gewöhnlich eine Führerrolle, 

Am 3. Yuguft 1830 traf die Nachricht von der Pariſer Juli- 
revolution ein; in Belgien und Polen brachen Aufitände aus; 
auch im verjchiedenen deutjchen Städten fam es zu Unruhen, 
Kein Wunder, daß es ſich auch bei uns regte. Im den neuen 
Sandtag von 1831 wurde IHitein von Schweßingen gemählt; 


552 Bor Achtumdvierzig. 


er ftellte al3bald den Antrag auf Herftellung der 1825 will- 
firrlich abgeänderten Verfaffung. Die Stadt Mannheim jandte 
den Oberhofgerichtsadvofat Föhrenbach, den Handelsmann Lauer 
und den Advofaten Mohr in die 2. Kammer. Die Regierung 
fam den liberalen Forderungen entgegen und gewährte eine 
neue Gemeinde-Ordnung und eine größere Preßfreiheit. Als— 
bald entjtanden !hier „Der Wächter am Rhein“ und „Der 
Sreifinnige*. Das Bolf begann, an den Kammerverhandlungen 
Antheil zu nehmen. Daher wurde am 3. Januar 1832 ein 
Feſt zu Ehren der heimfehrenden Mannheimer Abgeordneten 
und ihres Hauptes Itzſtein, eine Ihfteinfeier, abgehalten, wo— 
bei feurige Reden ftrömten. Am 13. Mai wurde die erfte 
Bolfsverjammlung veranitaltet, bei der Itzſtein als Hauptredner 
auftrat und eine Adreſſe für volle Preffreiheit empfahl. Diefe 
Adreffe wurde von der Regierung am 23. Mai zurüdgewieien. 
Am 27. Mai folgte das berühmte Hambacher Felt, eine Zus 
jammenfunft der Liberalen aus dem deutichen Südweſten auf 
dem Hambacher Schloß bei Neuftadt, wobei e3 jehr radikal 
berging. Darauf antwortete die Reaktion mit einem Verbot 
aller öffentlichen Reden und Auflöſung aller nicht genehmigten 
Bereine. 

Eine ftrenge Cenſur wurde eingeführt, der Wächter am 
Rhein und der Freifinnige wurden verboten, und Franz Stroh 
meier am 1. Juli wegen jcharfer Preßerzeugnifie zu 2 Monaten 
verurtheilt. Da man erwartete, er werde die Strafe nicht an» 
treten, fam es zu einem Tumult, wobei e3 einige Verwun— 
dungen abſetzte. Aufreizende Flugſchriften wurden allenthalben 
verbreitet; die geängftigten Spießbürger erließen Gegener— 
klärungen. Dazu fam noch der Streit um die Bürgermeijter- 
wahl; Hofrat Gerbel wurde gewählt, aber von ber Regierung 
abgelehnt, jtatt jeiner Andriano eingejeht. In Folge des Franf- 
furter Attentat3 vom 3. April 1834 verjchärfte fich die Reaktion, 
Dazu fam der Streit über wirtbichaftlihe Fragen. 

Im Jahre 1831 war die Mannheimer Handelsfammer 
gebildet worden, die jich für die Zollvereinigung ausſprach und 
1833 eine Deputation nad) Karlsruhe jchidte, um die Abge- 


Bor Adhtundvierzig. 553 


ordneten zu bearbeiten. Im gleichen Sinne wirkte eine Schrift 
des jungen Mannheimer Kameraliften Karl Mathy vom Jahre 
1834: „Betrachtungen über den Beitritt Badens zum Boll- 
verein“. Als der Landtag 1835 dieſe Frage zu behandeln 
hatte, wirkte Hofgerichtiratd Sander gegen den Anjchluß; bet 
der Abjtimmung am 2. Juli waren von den fünf Mannheimern 
drei, Lauer, Weller, Mohr, dafür, Itzſtein und Gerbel dagegen. 
Die Mehrheit entjchied zu Gunften des Zollvereins, und fchon 
am 19. Juli wurde der freie Verkehr über den Rhein nad 
der bayerischen Pfalz in feierlicher Weile eröffnet. Das erite 
Band der Einheit war zwifchen beiden Rheinufern und zwijchen 
Sid und Nord gejchloffen. Bon da an datirt der Aufſchwung 
des Mannheimer Handels. 

1838 ließ fich Friedrich Hecker als Oberhofgerichtsadvocat 
hier nieder, deſſen feuriges Weſen fi) bald im öffentlichen 
Leben geltend machte. 

Das Jahr 1840 brachte in Folge der franzöfiichen Er— 
eigniffe eine liberale und deutſche Strömung. Aber jchon im 
folgenden Jahr Fam e3 zu einem neuen Konflikt zwijchen der 
Dppofition und der Regierung wegen des jogenannten Urlaubs 
jtreitd. Das Miniftertum behauptete das Recht der Regierung, 
ihren Beamten den Urlaub zur Annahme eines Abgeordneten» 
mandates zu verweigern und verfuhr danach gegen die Abge- 
ordneten Oberhofgerichtsrath Peter von Mannheim und Hof. 
gerichtsrath Aſchbach. Gegen diejes Verfahren proteftirte die 
2. Kammer, die am 16. April zufammengetreten war, einftim= 
mig; außerdem lag eine Proteft-Adreffe von 195 Mannheimern 
vor. Nun wurde die Kammer vertagt, und der Großherzog 
erließ am 5. Auguft ein Manifeft, in welchem er die Haltung 
der Abgeordneten im Urfaubsftreit heftig tadelte, ohne Gegen- 
zeichnung des Minijterd. Darob neuer Sturm. Nach den 
Ferien erichien neben Weller und Mohr an Lauers Stelle, der 
jein Mandat freiwillig niedergelegt hatte, Friedrich Daniel 
Baffermann, der Sohn des früher genannten Abgeordneten, 
al3 dritter Abgeordneter für Mannheim. Als am 10. Januar 
1842 die Kammer eröffnet wurde, jtellte Itzſtein den Antrag, 


554 Vor Achtundvierzig. 


das Regierungsmanifeſt im Urlaubsſtreit für verfaſſungswidrig 
zu erklären; der Antrag wurde angenommen, worauf die Kam— 
mer am 19. Februar aufgelöjt wurde. Die Neuwahlen hatten 
nur das Ergebniß, daß die Oppofition verjtärkt und gereizter 
wiederfam. Ballermann, Gerbel, Weller waren wieder gewählt. 
Heder fam als Abgeordneter für Weinheim-Ladenburg. Auch 
Karl Mathy erichien, der von 1835 bis 1840 in freiwilligem 
Eril in der Schweiz gelebt hatte, weil ihm wegen jeiner Hal- 
tung in der Preſſe Berhaftung gedroht hatte. Mathy gründete 
nun die Landtagszeitung, die mit Begier gelejen wurde. Die 
Dppofition errang einen vollfommenen Sieg. Als die Mann— 
heimer Abgeordneten (Bafjermann, Gerbel, Weller, Heder, von 
Ipjtein und Mördes) am 10. September heimfehrten, gab man 
ihnen ein Feſteſſen im kürzlich erbauten europäiſchen Hof; der 
Vicefanzler des Oberhofgerichts Bekk war zugegen, und Streu« 
ber, Soiron, 9. C. Hoff hielten begeijterte Reden. 

Im Jahre 1843 erjehte die Regierung den verhaßten 
Minijter Blittersdorf, den jie wieder zum Bundestags-Gejandten 
in Frankfurt machte, durh U. von Duſch. Am 22. Augujt 
wurde das 2öjährige Jubiläum der badijchen Verfaſſung ge- 
feiert, worüber Mathy eine Schrift herausgab. Im November 
jtellte er im Landtag den Antrag auf Preßfreiheit; in der Be— 
gründungsrede zeichnete er in drajtijcher Ironie den Mujter- 
Genjor. Ein folder war in Mannheim der Regierungsrath 
von Uria-Saradhaga. Am 1. Auguſt 1844 ftimmte die Oppo— 
fitton mit den Mannheimern voran gegen das ganze Budget; 
zum Danf dafür veranftaltete man am 22. September wieder 
die ſchon üblich gewordene Ipiteinfeier durch ein Feſteſſen im 
Theaterjaal, wobei dem alten Führer eine eigens geprägte 
Denkmünze verehrt wurde. Das Jahr 1845 brachte die Auf- 
regung wegen der jchleswigsholitein’schen Frage Am 6. April 
protejtirte Heder als der Erjte im badischen Landtag gegen 
die Verichmelzung der Elbherzogthümer mit Dänemarf. Als 
weiterer Mannheimer Abgeordneter trat der Überhofgerichts« 
Advofat Alerauder von Soiron, der in Lahr an Sanders 
Stelle gewählt wurde, in die 2, Kammer ein und machte jich 


Bor Adıtundvierzig. 555 


alsbald durch eine Motion auf Uebertragung der Polizeiftraf- 
Gewalt und der freiwilligen Gerichtsbarkeit auf die Gerichte 
bemerflich. Um die Verwirrung vollfommen zu machen, braufte 
der Rongejturm durch das Land. Der jchlejiihe Pfarrer Ronge 
hatte befanntlid am 1. Dftober 1844 gegen die Ausftellung 
des heiligen Rods in Trier proteftirt und den Verſuch ges 
macht, aus diefem Anlaß die deutichen Katholifen von ber 
römischen Kirche loszureißen. Auch in Mannheim fand er An 
hänger, darunter Dr. Hammer, Streuber, Eifenhardt, 2. Stoll, 
welche am 29. Juli zujammenfamen; am 21. Auguft predigte 
hier der deutjch-fatholische Prediger Looſe. Am 28. September 
fam Ronge jelbjt mit Dowiat. Als ihn die Liedertafel am 
Bahnhof begrüßen wollte, wurde dies verboten; die Kirchen 
fand er durch Pfarrer Orbin, den nachmaligen Erzbiihof von 
Freiburg, verjchloffen; darum hielt er jeine Vorträge in Baſſer— 
mann's Haus und Garten. Am 13. Oftober wurde er aus— 
gewiejen. Eine andere Ausweiſung hatte jchon im Frühjahr 
böjes Blut gemacht. Itzſtein hatte mit Heder eine harmloſe 
Neiie nach Berlin gemacht, wo fie nur Sammlungen und 
Mujeen oder Theater bejuchten; da wurden fie am 22. Mai 
aus Berlin und Preußen ausgewiejen. Im Jahre 1846 blieb 
im Landtag der Konflift permanent. Die Kammer wurde am 
8. Februar aufgelöjt; wieder wurden die heimgefehrten Abge— 
ordneten gefeiert. Die Neuwahlen fielen abermals im Sinne 
der Dppofition aus. Am 4. Juli Elagte Bafjjermann im Land» 
tag laut über Bund und Bundestag und verlangte ein deutjches 
Parlament. Damit war dem allgemeinen Berlangen nad) Re— 
form, nad Einheit und Freiheit, ein bejtimmtes Ziel gewiejen. 
Im jelben Monat wurde die allgemeine Mufregung durch den 
offenen Brief König Chriftians VII. gejteigert; Profeffor Ger- 
vinus in Heidelberg, der mit den Mannheimer Liberalen in 
lebhaften Beziehungen ftand, erließ die berühmte Adreſſe an 
die Schleswig-Holjteiner. Auch Profeſſor Häuffer, einft ein 
Zögling des Hiejigen Lyceums, griff in den Streit mit ein. 
Da mußten die Mannheimer ihrer Stimmung wegen der Eib- 
bherzogthümer am 27. Juli in einer Verſammlung Luft machen. 


556 Bor Adhtundvierzig. 


Die Mannheimer Zeitungen, das Journal, welches feit einem 
Jahre von Guſtav Struve redigirt wurde, und Mathys Rund— 
ſchau jchürten die Gährung. Am 17. September wurde die Kammer 
geichloffen; bei dem Landtagsefjen im Europätichen Hof toaftete 
Ballermann auf das deutjche Parlament, Heder auf Schleswig- 
Holftein. Kurz vorher war hier ein Schleswig-Holjtein-Verein 
gegründet worden. Die Regierung fam den Liberalen injofern 
entgegen, als fie Beff zum Minifter des Innern machte, Bis 
um dieje Zeit waren alle Liberalen in der Oppofition gegen 
die Regierung, gegen Bund und Bundestag einig geweſen. Aber 
jobald es fich um pofitive Ziele handelte, mußte zwijchen den 
ganz verjchiedenartigen Elementen ein Riß entjtehen, der fich 
im Jahre 1847 allmählich erweiterte und in der Revolutions- 
zeit die Gemäßigten, Konftitutionellen oder Halben, wie man 
fie nannte, zur Regierungspartei machte, die Radifalen oder 
Ganzen zur Revolution trieb. In beiden Lagern gehörten die 
Mannheimer zu den Führern der badifchen und beutjchen Be— 
wegung. Die Partei der gemäßigten Reform ſcharte fih um 
die Deutjche Zeitung, zu der Gervinus im Juni 1847 das 
Programm entwarf. Sie erjchien zum erften Male am 1. Juli 
im Verlag von D. %. Ballermann, mit dem Mathy affociert 
war; jie trat ein für deutjches Parlament, monarchiſche Ver- 
fafjung und preußische Hegemonie; die Redaktion bejorgte zu— 
erjt Gervinus, und die Haupt-Mitarbeiter waren Dahlmann, 
Bejeler, Waitz, Droyfen, Häuffer, Höffen, Mittermaier, Bafjer- 
mann und Mathy. Rechts ftand außerdem nod das Mann 
heimer Journal, jeit es Obermüller redigierte, während die 
Radikalen in Struves Deutſchem Zujchauer und Ficklers See- 
blättern, die in Konftanz erichienen, ihre Anfichten verfochten. 
Die Gemäßigten in Mannheim hielten am 1. September eine 
Bürger-Verfammlung unter Leitung von Berberich, deren Spitze 
gegen die Abgeordneten Ipitein, Heder, Mathy, Soiron, Baſſer— 
mann und Hoff gerichtet war. Aber die Angegriffenen trium— 
phierten. Auf der anderen Seite jcharten ſich die Radikalen 
am 12, September in Offenburg zufammen, wo Struve auf: 
trat und die „13 Forderungen des Volkes in Baden“ im Sinne 


Vor Achtundvierzig. 557 


von Heder, Struve, Kapp, Eller und Winter — Eller war 
Advokat in Mannheim, Papa Winter Buchhändler in Heidel- 
berg — aufgeftellt wurden. Daran reihten ſich Hochverraths- 
Prozeffe. Im Oftober verjammelten ſich die Führer der Libe— 
ralen aus Preußen, Hannover und allen jüddeutichen Staaten 
in Heppenheim, um zu den Forderungen des Tages Stellung 
zu nehmen. Mathy wollte die Reform möglichjt im Anſchluß 
an das Beitehende durchgeführt haben, aljo Herjtellung der 
deutichen Einheit auf der Baſis des Zollvereins. Die Mehr: 
zahl ging viel weiter. Im November wurden die Zandtags- 
wahlen mit großer Erbitterung geführt. Die Mannheimer 
wählten jtatt Gerbel den radikalen Advokaten Lorenz Brentano 
und den unbedeutenden Sachs.“ 

Am 5. Mai 1847 fam Hoffmanıı von Fallersleben nad) 
Mannheim, um Itzſtein (der in der Straße M 4 Wr, 7 wohnte), 
zu bejuchen. Isitein empfing den Dichter am Bahnhofe und 
Alerander von Soiron jandte ein Begrüßungsichreiben. Zu 
einem gemeinjchaftlihen Mittagejjen hatte damals Itzſtein auch 
die Familie Heder geladen. 

Als Hoffmann von Fallersleben am 4. Detober desjelben 
Jahres wieder jeinen Freund Itzſtein in Mannheim aufjuchte, 
wurde er durd ein Schreiben des Stadtamts überraicht, das 
ihm aufgab, „innerhalb von 24 Stunden bei Zwangsvermei— 
dung das Großherzogthum Baden zu verlafien.“ 

Auf eine Eingabe Itzſteins Hin, mit der diejer geltend machte, 
daß der Dichter hier nur wegen einer Traubencur weile, wurde 
die Ausweiſung wieder zuridgenommen. Allein das Mann- 
heimer Morgenblatt brachte bald darauf die jenjationelle Notiz, 
daß der Dichter bei dem vergnügten Genuß von 12 Echoppen 
Bier im „Rothen Schaf" beobachtet worden jei. Mit diejer 
Berleumdung jchloß der diesmalige Aufenthalt des gemüthvollen 
Dichter in Mannheim, 


— — 






u. 





ZU 


XXIX. 
Die Jahre 1848 und 1849. 


Der Anfang des Jahres 1848 — Eindrüde und Folgen der Februar: 
ereigniffe — Die Preßfreiheit — Die Volksbewaffnung — Die fFreicorps 
und General Sigel — Märzerrungenichaften — Politiiche Vereine — Capi— 
tulation der Staatsgewalt — Aprilereigniffe — Der Kriegszuſtand — Das 
Jahr 1849 — Mannheim während der Revolution — Die Gegenrevolution, 


D. Gejihichte der Jahre 1848 und 1849 wird uns in 
den innern Beweggründen ihrer Handlungen am Verftändlichiten, 
wenn ihre Schilderung mit einer gewiljen politiſchen Theil- 
nahme erfolg. In umjeren gänzlich veränderten politischen 
Verhältniſſen jchredt uns auch der Radicalismus diejer Be- 
wegung nicht mehr. Wir wollen nur Aufichluß über die Ur- 
jachen der damaligen Revolution. Die Feder’schen Ausführungen 
geben uns jedenfall3 vielen Aufichluß hierüber, fie haben noch 
etwas von der Zeitjtimmung an fich und verdienen deshalb 
bleibende Beachtung. In dieſem Kapitel joll daher mit Folgen— 
dem das Hauptjächlichjte diejer Aufzeichnungen und Beröffent- 
lichung jtädtiicher Protofolle wiedergegeben werden. 

Das Jahr 1848 begann unter äußerlich ruhigen und 
günftigen Ausfichten. Eine Theuerung der Lebensmittel begann 
nachzulaffen und man war wieder in normale Verhältniffe ein» 
getreten. Der Handelöverfehr war lebhafter wie je. Im 
Sahre 1847 hatte man 326 aus Holland anfommende Schiffe 
gezählt. 


Die Jahre 1848 und 1849. 559 


In der Bolitit war es friedlicher geworden. Man wollte 
willen, daß die Macht de3 Radicalismus gebrochen jei durch 
die liberale Haltung, welche die Regierung auf dem am Schluffe 
de3 vorigen Jahres begonnenen Landtage eingenommen Hatte, 
und man glaubte, daß eine Vereinigung der alt oder gemäßigt« 
liberalen Bartei mit der Regierung zu ftande fommen würde, 
In der Kammer begann man fi) wieder mit den oft behan- 
delten Fragen der Preffreiheit, der Gejchworenengerichte, Ein- 
führung eines deutichen Civilgejeßbuches u. A. m. zu beichäf- 
tigen, ohne daß man in die Bitterfeit der früheren Diskuffionen 
verfiel. Mannheim ſchickte wieder 13 Petitionen an den Landtag, 
die in einer von 3. M. Bielefeld, Daffner, Leer und Eoni. 
auf den 22. Januar berufenen Verſammlung berathen und 
unterzeichnet wurden. Sie betrafen die verfaffungsmäßigen 
Zuftände Deutjchlands und Badens: die Religionsfreiheit, die 
Kriegsverfaffung, die Bolizeiftrafgefepgebung, Gericht&verfaffung 
und Procengejebgebung, das Gewerbsweſen, das Steuerwejen, 
das DBereingzollweien, die Anhänfung von Tiegenichaftlichen 
Gütern in todter Hand, das Rheinoctroi und die Rheinjchiff- 
recognitionsgebühr, die Eiſenbahn über Bretten in’s Württem— 
bergiiche, die Errichtung einer Bank in Mannheim, den 
Straßenbau von Mannheim nad) der Bergjtraße, die Er- 
mäßigung des Rheinbrückengeldes. 

Die liberalen Barteien jchienen wieder vereinigt zu fein. 
Unter den zu jener Verjammlung Einladenden finden fich die 
Namen ©. von Struve, 3. P. Grohe, Heinrich Hoff ein- 
trächtlich neben den Namen Valentin Streuber, Löwenhaupt, 
Dr. Gentil, Dr. Ladenburg, K. Geber, Melchior Nüdert 
u. A. m. 

Man fieht auch aus jenen Petitionen, daß der herrſchende 
Geift Fein einjeitig politijcher war, ſondern daß auch die realen 
Intereſſen die öffentliche Aufmerkſamkeit auf fich gelenkt hatten. 

Die Motion des Abgeordneten Baflermann auf Vertretung 
des deutichen Volkes bei dem Bundestag, welche dieſer in der 
Kammerfigung vom 1. Februar begründete, regte dagegen 
wieder die politiichen Geilter an. Staatsminifter von Duſch 


560 Die Jahre 1848 und 1849. 


warnte vor der gefährlihen Bahn, die man betreten wolle. 
Der Antrag gehe auf Aufhebung des deutſchen Particularismus; 
er würde dahin führen, daß Baden und Die badijchen Stände 
ihre Hauptrechte verlören und Baden zu einer Örenzprovinz 
herabfinfe. Pflicht der Regierung jei e3, vor ſolchen Schritten 
zu warnen und zu erklären, daß fie feinen Theil an jolchen 
Verhandlungen nehme. Die Motion wurde mit allen gegen 
5 Stimmen in die Abtheilungen verwiejen. 

Ihren Wiederhall fand die Motion in einer Verſammlung 
vom 21. Februar, die im Intereſſe Schleswig-Holjteins im 
Aulajaale abgehalten wurde. Auf Antrag v. Struve’3 wurden 
drei Adreſſen an die Schleswig-Holfteiner, an das deutiche 
Volt und an alle deutjchen Volksvertreter beichlojien. Cs 
wurde darin zum Feſthalten an dem guten Rechte und zur 
Unterjtügung der Schleswig-Holjteiner aufgefordert. 

Nochmals wurde die Cenſur in der Kammerjigung vom 
23. Februar von der Linken auf das Heftigite angegriffen, von 
der Regierung aber in Schuß genommen. 

Da langten am 27. Februar die erjten Nachrichten von 
den Barijer Revolutiongereigniffen vom 23. und 24. Februar 
an. Ludwig Bhilipp, hieß es, habe dem Throne entjagt, fein 
Enfel jei König, alles Laffe fich zur Verjühnung an. Bald folgte 
die Nachricht von der Proclamirung der Republik und der 
Einjegung einer proviforiichen Regierung. 

Schon auf den 28. Februar hatte Struve eine Verſamm— 
lung im Aulajaal berufen, die jich angejichts der Ereignijje in 
Frankreich mit der Lage des Vaterlandes bejchäftigen jollte. 
1500 Bürger jprachen das Berlangen nad) Volksbewaffnung, 
unbedingter Preßfreiheit, Schwurgerichte und nach einem Bar: 
lamente aus. Eine Adreſſe follte hierwegen an die zweite 
Kammer gerichtet werden. Heidelberg jchloß ſich jofort an; der 
1. März war zur Uebergabe der Adrejie beitimmt. Auch Karls- 
ruhe bereitete eine gleiche Betition vor. Auswärts in Mainz, 
Worms, Darmjtadt faßte derjelbe Funke Feuer. Wie mit 
einem Schlage war eine Bewegung entjtanden, deren Folgen 
unabjehbar erichienen. 





Das Sciller-Denfmal auf dem Schillerplas vor dem Hof: und 


Hationaltheater in Mannheim. 





Leopold 


ßherzog 


Gro 


Die Jahre 1848 und 1849. 561 


Am Dienftag den 29. traf ein Schreiben des Abgeordneten 
Ballermann an den Oberbürgermeilter Jolly ein, das u. U. 
folgendes enthielt: „Eben erklärt Herr Staatsrath Belt in 
öffentlicher Situng, daß im Laufe der nächften Woche bie 
Cenjur aufhören, Bürgergarden errichtet und ein Gejekentwurf 
über Gejchworene unverzüglich vorgelegt werden ſolle. Diejer 
große ftaatsmännische Aft verjchmilzt alle Barteien.“ Allein 
die Friſt von einer Woche jchien doch zu lange für den Drang 
der Umſtände. Am 1. März erjchienen v. Struve, Jörger, 
Löwenhaupt von Mannheim, Winter von Heidelberg und 
Bürgermeifter Rée von Offenburg, wie man verfündete, „vor 
den Schranken des Haufes*, um die Petitionen ihrer Städte 
zu übergeben. 

Staatsrat) Bekk verkündete, daß das Preßgeſetz wieder 
bergeftellt jei. Unendlicher Jubel verbreitete ſich unter den 
verjammelten Maſſen und weithin im Lande. Die Mannheimer 
Abgeſandten wurden bei ihrer Rüdfehr feſtlich empfangen. 
Töwenhaupt verkündete vom Balcone des Rathhauſes das Er- 
gebniß ihrer Miſſion (2. März). Neuftadt jendete eine mit 
600 Unterjchriften bededte Zultimmungsadreife. 

E3 ging an die zweite Forderung: „Die Volksbewaffnung“. 
Die Regierung wollte Bürgerwachen nach der Berordnung vom 
Jahre 1810 einführen. Das fchien ungenügend Der Ge- 
meinderath erflärte, daß die Verordnung vom Jahre 1810 ver- 
altet jei, daß man feine Bürgergarden wolle, mit denen man 
feine gute Erfahrung gemacht habe, jondern daß Volksbewaff— 
nung auf einer breiteren Grundlage ruhen müſſe. Er jeßte 
eine Kommilfion — Hoff, Algardi, Kley — nieder, um einen 
Entwurf zu bearbeiten Schon am 3. März war diejer Ent- 
wur fertig. Er beitand aus 9 Paragraphen. Alle Bürger 
bis zum 55. Lebensjahre waren verpflichtet, an der „Bürger- 
wehr” Theil zu nehmen. Sie bejtand aus 2 Bataillonen, ein- 
getheilt in Compagnien. Die Auszeichnung war ein weißes 
Armband um den linken Arm, die Bewaffnung ein Obergewehr 
mit Bajonette und Batrontajche. Die Offiziere trugen Schärpen 
und Säbel. Die oberjte Leitung jtand dem Oberbürgermeijter 

Defer, Geihichte der Stabt Mannheim. 86 


562 Die Jahre 1848 und 1849, 


zu. Doc auch diefe Bürgerwehr, welche der Gemeinderath 
vorſchlug, jtand, injofern fie nur die Bürger zuzog, auf einem 
zu engen Boden. Der Bürgerausihuß dehnte fie in jeiner 
Sigung vom 18. März auf alle Einwohner aus, 

Die Bürgerwehr wurde proviſoriſch organifirt, (Hecker 
Oberſt, Engelhorn und Jörger Majore). Die Regierung bot 
Gewehre unter der Bedingung an, daß fie nur an geeignete 
Bürger vertheilt und bezahlt wurden. Der Gemeinderath er— 
Härte, daß man jolche jelbit anjchaffen werde. 2000 Gewehre 
wurden bejtellt, fie trafen aber nur jehr allmählich ein. 

Bu gleicher Zeit bildeten fich die Treicorps unter der Be— 
zeihnung „Schaar der Freiwilligen“. Ihre Anführer waren: 
Sigel,*) Oberftleitmann‘; Grabert jr., Julius Trog, Dr. Ham— 
mer und E. 9. Schnauffer**), Hauptmänner; Otterberg und GC. 


*) Franz Sigel erzählt in feinen inhaltsreihen „Denkwürdigkeiten“ 
hierüber Folgendes: „In diefer Stadt (Mannheim) berrichte zur Zeit 
meiner Wiederankunft, im März 1848, die größte Aufregung und c& war dies 
jelbe natürlich der Organifation eines „Freikorps“, die in wenigen Tagen 
zu Stande kam, jehr günftig. Das Korps, auch die Schaar der „Frei— 
willigen“ oder „Senfenmänner“ genannt und 500 Dann ſtark war aus 
Mangel an Gewehren nur zur Hälfte damit bewaffnet, während fich die 
andere Hälfte mit Senjen begnügen mußte, die an fünf bis ſechs Fuß 
hohen Stangen aufgerichtet der Waffe ein ganz formidables Ausfehen 
gaben, In der Aufitellung bildeten die Musketiere und Scharfichügen das 
erite und die Senfenmänner das zweite Glied, Das Korps beitand aus 
4 Kompagnien. Eines Tages, als ih auf dem Kapuzinerplat mit den 
„Senjenmännern“ Grerzierübungen vornahm, kam plöglih eine große Ko— 
lonne vom SKajernenplag herangezogen; wir glaubten, ein Angriff jtände 
bevor, ich ließ deshalb die Straße fverren, die Musketiere ihre Gewehre 
laden und fih auf die Vertheidigung vorbereiten, Bald jebod zeigte es 
fih, daß die Stolonne aus den Soldaten des 4. Negiments beitand, die 
ihre gefangenen Kameraden befreit hatten und num mit Jubel auf und zu— 
famen, uns als Freunde und Brüder begrüßten und durch eine Anſprache 
ihres Führers, des Gefreiten Meier, der dafür 7 Jahre lang im Zuchte 
haufe zu büßen hatte, erklärten, mit uns „Hand in Hand“ gehen zu wollen. 
Viele Hunderte aus dem Volke begleiteten fie und gaben ihre Zuftimmung 
und Freude zu erkennen,“ 

**) Von Schnauffer erichienen 1848 in Mannheim (Heinrih Hoff) 
„Gedichte“ und „Deutiche Solbatenlieder“, in Karlsruhe 1849 „Der deutiche 
Waffenruf“ mit Noten. 


Die Jahre 1848 und 1849. 563 


Lehr, Oberleitmänner; Adolf Schmidt, Jacob Nauen und Kle- 
berger, Zeitmänner. Sie erklärten, mit der Bürgerwehr Hand in 
Hand gehen zu wollen und ftellten fich unter den Befehl bes 
Kommandanten derjelben. Der Gemeinderath erklärte, daß bie 
Freiwilligen al3 Berein in die Bürgerwehr nicht aufgenommen 
werden fönnten, daß es aber den Einzelnen freiftehe, in die 
Bürgerwehr einzutreten. 


Das Stadtamt dringt auf Auflöfung des Corps. Das 
Diinifterium erließ unterm 17. März einen Auflöjungsbeichluß 
gegenüber allen bewaffneten Privatvereinen. Der Oberbürger- 
meister gibt Abjchrift des jtadtamtlichen Bejchluffes an die 
Freiwilligen mit der gleichen Aufforderung, ſich jofort aufzu= 
löjen. Algardi opponirt in dem emeinderathe gegen Diejes 
Vorgehen des Oberbürgermeiſters und der Beichluß wird in 
Folge deſſen annullirt. Dabei blieb es vorerj. Auch ein 
weiterer Auflöjungsverjucd im April 1848 fam nicht zur Aus— 
führung. 


Unterdefjen Hatte aber die politische Bewegung weitere 
Fortichritte gemacht. Nach Erringung der Preßfreiheit ver— 
(angte man die Gewährung weiterer Forderungen. Eine durd) 
Struve auf den 5. März ın den Aulaſaal berufene Bürger: 
verjammlung fügte den in der Kammer geltend gemachten For— 
derungen noc) andere bei. Bereits hatte das Mißtrauen an— 
gejeßt. Hecker ſprach davon, daß die Reaction fi) durd) ein 
Bündniß mit „Ausländern“ gegen die Freiheitsbewegung zu 
jtärken juche; man wolle die deutjchen Truppen von ihrem 
Herde entfernen und an ihre Stelle fremde jegen. 


Man genehmigte den Antrag, daß alle Bürger fich jofort 
bewaffnen jollten. Die Aufregung, in welcher man fich be- 
fand, wurde durch den Brand des auswärtigen Minifteriums, 
und die Art, wie man dieſen augszubeuten verjuchte, ſowie 
durch die in Bruchjal, Heidelsheim, Emmendingen und anderen 
Drten vorgefommenen Ercejle gegen die Israeliten gejteigert. 
Die in Mannheim anweſenden Abgeordneten Heder, Helmreid), 
v. Itzſtein, Karl Mathy, Friedrich Ballermann, v. Soiron, 8. 


36* 


564 Die Jahre 1848 und 1849, 


Weller und W. Sachs erliehen am 8. März einen warmen 
Aufruf, worin fie dem tiefen Schmerze Ausdrud gaben, welchen 
alle wahren ‚Freunde der Freiheit und des Vaterlandes über 
die vorgefommenen Exceſſe empfanden, und die Aufforderung 
an Alle, welche es mit dem Wohle des Volfes ehrlich meinten, 
richteten, mit Belehrung duch Wort und That und mit aller 
Kraft dahin zu wirken, daß joldhe Entweihungen der Tage der 
Freiheit unterblieben und des Bolfes Ehre nicht geichändet 
werde. Dieſe Proclamation war nad außen gerichtet; auf 
Mannheim hatte fie feinen Bezug. 

Nur ein Vorkommniß ereignete fich, in welchem fich der 
jahrelang eingejogene und aufgehäufte Groll Luft machte. 
Schon der Bürgerausjchuß hatte in der Situng vom 28, Februar 
einftimmig den Wunſch ausgeiproden, daß der Regierungs- 
director Schaaff von Mannheim entfernt und durch einen Mann 
eriegt werde, der das Vertrauen der Bürgerichaft fih zu er- 
werben und zu erhalten wilfe. Der Gemeinderat mußte jenen 
Beichluß des Bürgerausjchuffes vollziehen. Das Miniftertum 
berief den Regierungsdirector Schaaff ab, deſſen Nachfolger 
Stößer war. Aehnlich ging es mit der Verjegung des Poſt— 
meifters Weigel zu, der fich durch jchroffes Benehmen gegen 
die Eilenbahnarbeiter mißliebig gemacht hatte. 

Es folgte in dem täglichen Wechjel der Dinge am 13. März 
wieder ein Act der Verſöhnung. Das Militär wurde auf Die 
Berfafiung vereidigt. Der Gemeinderath wohnte der TFeierlich- 
feit bei. 

Tags vorher war die jchwarzerothegoldene Fahne auf dem 
Bundespalaft in der Ejchenheimer Gaffe in Frankfurt aufge- 
zogen worden. So jchien die Bewegung ihren ungeftörten 
Siegeslauf fortzujeßen. 

Allein man fühlte den Mangel in der Einheit der Lei— 
tung. Die Exceſſe gegen die Jsraeliten wiederholten ſich. Es 
fehlte an jeder Organifation, die im Stande geweien wäre, an 
Stelle der erlahmten Staatsgewalt, die Volfsbewegung in einem 
richtigen Geleije zu erhalten. Man beklagte es, daß die 
Feinde der Freiheit und des Vaterlandes diejen Uebeljtand be- 


Die Jahre 1848 und 1849. 565 


nusten, um feindfelige Umtriebe zu machen. Um dem zu be= 
gegnen und um eine einheitliche Zeitung der Volksbewegung in 
Baden herzuftellen, beriefen Heder, Itzſtein, Soiron, Peter, 
Richter, Straub, Struve, Sachs, Mez, Welfer, Kapp, B. Grobe, 
E. Eller, Val. Streuber und Heinrich Hoff auf Sonntag, den 
19. März eine Volsverſammlung in Offenburg zujammen. 


Unterdeſſen folgten täglich neue Alarmnadrichten aufs 
einander. In Konſtanz jollte die Republik proclamirt jein; 
man jchrieb und erzählte ſich von Volfsverfammlungen in dem 
Oberlande von 5—6000 Mann, die eine entichloffene Haltung 
an den Tag gelegt hätten; von Kämpfen in dem Odenwalde. 
Welker wurde Bundeögejandter, Baſſermann Bertrauensmann 
zur Berathung der Bundesreorganijation. Die Wiener und 
die Berliner Revolution erhöhten die Aufregung bis zum 
höchſten Grade. An eine Widerftandsfähigkeit der Regierung 
war nirgends mehr zu denfen. 


Eine Amneftie wurde unterm 18. März bewilligt. Es 
folgten große Bolfsverfammlungen aufeinander. Ein Extra— 
Eiſenbahnzug führte eine Maſſe Mannheimer am 19. März 
nah Dffenburg. In fünf Artikeln wurden die aufzujtellenden 
Forderungen formulirt. Im Ganzen hielt fich die Verſamm— 
fung auf dem gegebenen Boden. Verſuche zur Proclamirung 
der Republik wurden ernftlich nicht gemacht oder zurückgewieſen. 
Es folgte die Verſammlung von Heidelberg am 26. März. Auch 
dort ſchlug man die Nachbildung der amerikanischen Verfaſſung 
vor; der Antrag wurde aber verworfen. Das Parlament, 
defien Zufammenberufung man entgegenfah, follte die deutjche 
Berfaffung jchaffen. 

Unterbejjen jchritt man zur Bildung von vaterländiichen 
Vereinen. Die Verjammlungen diejer waren im Babdner Hofe. 
Die erjten waren höchſt ſtürmiſch; Soirons mächtige Stimme 
vermochte den Lärm nicht zu bewältigen. In das leitende 
Comité wurden gewählt: Hoff, Rüdert, Jörger, Bielefeld, Eller, 
Löwenhaupt, Bleginger, E. Moll, Happel. 

In jenen Tagen erhielt auch das Mannheimer Journal 


566 Die Jahre 1848 und 1849. 


durch Staatsminifterialentihließung die amtlichen Inferate wieder 
zugewiejen. Es war für die Märzerrungenfchaft erfenntlich. 

Um 31. März begannen die Tage des Vor-Parlaments. 
Die Frage, od Monarchie oder Republik, fam nunmehr auf 
die Tagesordnung und übte einen durchgreifenden Einfluß auf 
die PBarteiftellung aus. 


Bon Mannheim aus ging eine Adreffe an das beutfche 
Parlament ab, die großen Streit erregte*) Aus dem „Wein- 


*) Deutihes Barlament! 

In dem enticheidenden Nugenblide, in welchem die Vertreter der 
berfchiedenen beutichen Länder fich verfanmeln, um ein gemeinfames Organ 
für das einige freie Deutichland zu bilden und die Inftitutionen für Die 
Garantie der Einheit und Freiheit zu gründen, ift es Pflicht jedes Bürgers, 
jeine Anficht unbedingt und Har auszufprechen, damit dad Barlament den 
Willen der Nation kenne und demfelben Folge leifte. Im dieſer Ueberzeu— 
gung halten fich die unterzeichneten Einwohner Mannheims verpflichtet, dem 
Parlament gegenüber die nachfolgenden Grundfäge als unbedingt für jie 
bindend auszufprechen. 

Das weientliche Ziel der Erhebung der deutichen Nation tft die Eins 
heit Deutichlands, weil nur durd fie ein fräftiger Schug für die Freiheit 
bedjelben gegeben ift; alle diejenigen Mafregeln, welche der Erringuug der 
Einheit hemmend in den MWeg treten, müffen daher die unbedingte Miß— 
bilfigung der Nation erfahren und können von feinem Gliede derſelben an— 
erfannt werben. 

Sollte durch die zur Zeit im Parlament verfammelten Abgeordneten 
des Volkes nicht der größere Theil der Nation vertreten jein, jo kann das 
Parlament feine definitive Beſchlüſſe faffen, vielmehr muß beffen ganzes 
Beitreben dahin gehen, eine Vertretung der bis dahin noch nicht vertretenen 
Lande herbeizuführen. 

In gleicher Weile kann nur derjenige Beſchluß des Parlaments an— 
erfannt werden, welcher den Willen des größeren Theiles der im Parla— 
ment vertretenen deutichen Stämme ausfprict. 

Das Parlament wird nicht ermangeln, das Vertrauen der Nation 
zu rechtfertigen und feinen Rechten und Freiheiten eine fichere Gewähr zu 
ſchaffen; es wird darin auf den einftimmigen Beifall der Nation rechnen 
können. 

Dagegen werden fich bezüglich der Form des einheitlichen Organs 
die verfchiedenften Anfichten und Wünſche geltend machen; wir erwarten 
von den Vertretern des Volkes, dab fie bei der Enticheidung über dieſe 
Frage die weientliche Bedeutung des Parlaments nicht außer Auge laffen, 


Die Jahre 1848 und 1849, 567 


berge“ mußte fie Hinweggenommen werden, weil man dort Un- 
ruhe befürchtete. In der Harmonie und dem Caſino⸗Saale 
wurde fie unterzeichnet. Man warf ihr vor, daß fie nicht mit 
der Farbe herausrüde und eine unbedingte Unterwerfung unter 
die Beichlüffe des Parlaments verfünde, auch wenn bieje reichs— 
feindlich jeien. Die Adreſſe wurde an Friedrich Baſſermann 
zur weiteren Uebergabe abgejendet nnd bei der bezüglichen Ver— 
fammlung der entjchiedene Wille der Bürger fund gethan, jeg- 
ficher Unordnung im Junern der Stadt mit aller Energie zu 
fteuern. Jetzt, mitten in der Bewegung, fing man an, vor 
„leidenschaftlihen und unbejonnenen Menjchen“ zu Iprechen, 
welche nur dazu beitragen, das Gewonnene wieder zu verlieren. 
Auf der anderen Seite begann man den Gegenſatz zwiſchen 
Bürgern (bourgeois) und Volf aufzuftellen. Der Bourgeois 
war jeßt der Herrjchende, der Tyrann, der überwunden werden 
mußte, wenn das Volk jeine Freiheit erringen follte. 

Dagegen fehlte es nicht an Stimmen, welche zur Einigung 
mahnten und darauf hinwiejen, daß Mannheim in gefahrvollen 
Zeiten, wie die dermaligen, immer einig gewejen jei und da— 
durch Kraft gefunden Habe, alle Bedrängniffe zu überwinden. 

In dieſe Zeit fällt ein Ereigniß, welches die damalige 
Lage ber Dinge jprechend Fennzeichnet. Auf den 3. April ließ 
Stabtdirector Kern den Gemeinderath und Bürgeransihuß zu 
einer außerordentlichen Sigung verjammeln. In diefer erfchien er 
jelbjt in Begleitung des Generals von Gayling und des Haupt: 


daß ſie nicht auf ihren Wünfchen bezüglich einer beftimmten Form ver: 
barren, wenn dadurch eine vollfommene Ginheit der Nation gefährdet 
würde. 

Die Befürhtungen, dba Einzelne ihre Wünfche rückſichtlich einer 
beftimmten Norm des Bundeorgand über daß Intereſſe der beutfchen 
Einheit fegen möchten, veranlaßt uns zu einem feierlichen Proteft gegen die 
Unterftellung, als ob wir unferer Seit3 Plane theilten, durch welche wir 
uns ber Grreihung unferer heißeſten Wünſche gerade entgegenitellen würden. 

Sollte aber fogar die einfeitige Verwirflihung folder Wünſche ge: 
waltjam verjucht werden, jo werden wir biefem Streben auf's Kräftigſte 
entgegentreten und uns dem Parlamente bei dem erften an uns ergebenden 
Aufruf zum Scuge einer freien Berathung zur Seite ftellen. 


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568 Die Jahre 1848 und 1849. 


manns von Wechmar. Zugleich waren anmwejend die beiden 
Majore Karl Engelhorn und Sebajtian Jörger. Stadtdirector 
Kern machte der VBerjammlung folgende Eröffnung: die orbent- 
liche öffentliche Gewalt jei in dem gegenwärtigen Zuftande der 
Aufregung außer Stand, die öffentliche Ordnung, Ruhe und 
Sicherheit der Stadt zu handhaben. Alles desfallſigen Maß— 
regeln müßten deßhalb der Gemeindebehörde anheim geftellt 
bleiben. Es werde ſich nur darum handeln, daß die beftehende 
Bürgerwehr zu diefem Zwecke organijirt werde, und daß fich 
die Gemeindebehörde über die allgemeinen Grundjäge binficht- 
(ich der Anwendung der Waffengewalt bei vorfommenden Ruhe— 
ftörungen und Aufftänden ausipreche und unverzüglich eine an- 
gemeſſene Inftruction an die Kommandanten ergehen Lafie. 
Der Stadteommandant von ayling bejtätigte, daß die Stim- 
mung des Militärs insbejondere von der Art jei, daß auf jeine 
Haltung bei etwa ausbrechenden Unruhen und Aufjtänden nicht 
gerechnet werden fünne, und daß daher alle bewaffnete Gewalt 
an die Bürgerwehr übergeben werden müſſe, während er nichts 
Anderes thun könne als bei eintretenden Fällen mit bem 
Militär aus der Stadt zu marſchiren. So regierte Mannheim 
in jenen Tagen mit jtaatlicher Zuftimmung fich jelbit. Die 
Drganijation der Bürgerwehr war vollendet worden und fie 
jtand nun bewaffnet da,*) 

Es famen unruhige Tage. Am 5. April jollte ein 
heifiiches Bataillon die Stadt paſſiren, um nach Raſtatt zu 


*) Dberft war Friedrich Heder. Abdjutant Dr. Gentil. Das erfte 
Bataillon commandirte Karl Engelhorn. Adjutant war Wilhelm Reinharbt. 
Das zweite Bataillon commandirte Sebaftian Jörger. Adjutant Julius 
Baffermann. Die Compagnien waren befehligt von den Hauptleuten in 
folgender Weile: 1. Compagnie von Ludwig Schütz, F. X. Wimmer. 2. 
von Melchior Rückert, (der zweite fehlt). 8. von Karl Ziegler, Wilhelm 
Stoll. 4. von Friedrich Brechter, 8. Wilh. Sachs. 5. von Heinrich Hoff, 
Heinrich Düringer. 6. von Joſeph Dörler, Louis Stoll. 7. von Heinrid) 
Weller, Friedrich Lauer. 8. von Ehriftian G. Kühn, Ludwig Baflermann. 
9. von FFriedr. Löwenhaupt, Michael Wolf, 10, von Garl Matthy, K. L. 
Eiſenhardt. 11. von I. D. Lehr, I. E. Korwan. 12. von Fr. D. Bafler: 
mann, Heinrich Rös. 18, von Aler. dv, Soiron, Valentin Hoffmann. 14. 


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Die Jahre 1848 und 1849, 569 


gehen. Man glaubte es nicht. Man firrchtete den Wegzug ber 
heimijchen Truppen, Reaction und Knechtung. Es wurde be— 
abfichtigt, die Bürgerwehr zufammenzurufen, um den Helen den 
Eintritt in die Stadt zu wehren. Sie wurden um die Stadt 
herum an den Bahnhof geführt, ohne fie betreten zu Haben. 
Der Gemeinderath erließ eine Proclamation, worin er jenen 
Verſtoß gegen die deutiche Einigung beklagte und auf die Noth- 
wendigfeit hinwies, daß die in Mannheim garnijonirenden 
Truppen bald abmarjchiren müßten. Der Zwiſchenfall blieb 
ohne weitere Folgen. 

Der Gemeinderath war fajt in Permanenz auf dem Rath» 
hauſe. Am 8. April erfchien Karl Mathy, Mitglied des Ge- 
meinderaths, bei dem erjten Bürgermeijter mit der Nachricht, 
daß er in der Frühe den Redacteur der Seeblätter Fickler eben, 
al3 diejer im Begriff geweſen ſei, mit der Eijenbahn nad) dem 
Oberland abzureiien, arretirt habe, weil er fich geitern bie 
Ueberzeugung verjchafft habe, daß derjelbe im Auslande Be- 
ziehungen angefnüpft habe, um einen bewaffneten Einfall zu 
bewirken. 


Auf Antrag Mathys wurde auf den Nachmittag eine 
Situng des Gemeinderaths und Bürgerausichuffes berufen, um 
zu berathen, „was die erfte Hauptitadt des Landes angefichts 
jolcher Ericheinungen für ihre Aufgabe halte.“ Nach Inhalt 
des jtadträthlihen Protocolls überreichte zunächſt Mathy eine 
ihriftlihe Erklärung über die Beweggründe, welche ihn zur 
Berbaftung Ficklers bejtimmten. Sodann verlas er den Ent» 
wurf zu einer Proclamation, welche der Gemeinderat und 
Bürgerausijhuß an die Einwohner der Stadt erlaffen jolle, 
Gemeinderat und Bürgerausihuß billigten beide Aktenſtücke 
einjtimmig; die Proclamation wurde von dem Ausjhußmitgliede 
Jörger von dem Balkone des Stadthaujes aus der verjammelten 


von Carl Neitler, (der zweite fehlt). 15. von David Hoffmann, Friedr. 
Rumbad. 16. von Anton Pfeiffer, Philipp Miller. 17. von Aloys Engel- 
hard, Ph. H. Clottü. 18. von Valentin Streuber, Chr. Schäufele. 19. 
von Guſtav Struwe, Robert Pfeiffer. 20. von Carl Artaria, I. W. Rein 
hardt. 





570 Die Jahre 1848 und 1849. 


Menge vorgelejen. Die Adreſſe beklagte die peinliche Ungewiß- 
heit und Unficherheit ber öffentlichen Zuftände, fowie Die 
Stofungen des Berfehrs. Nicht die großartige Erhebung und 
die Freiheitsbewegung des deutſchen Volkes habe diejen Zuftand 
herbeigeführt, jondern diejenigen, welche ftatt der Freiheit Un- 
ordnung, ſtatt der Gejeglichkeit Anarchie predigen. Sie forbert 
zum Feithalten an der Verfaffung und an ber Gejeglichfeit auf. 
Die Bürgerwehr beeilte ſich, dieſe Adreſſe zu unterzeichnen. 
Die Nachricht von dem, was gejchehen war, hatte ſich nämlich 
jchnellitens verbreitet. Bor dem Haufe Mathys waren Demon- 
jtrationen gemacht worden, und er jelbjt Tieß fich duch eine 
Anzahl Bürger mitten durch die aufgeregte Menge auf das 
Rathhaus geleiten. 

Bor dem Rathhaus wiederholten ſich des Nachmittags bie 
tumultariihen Scenen. Es jchlug Generalmarih für die 
Bürgerwehr und die drei Bataillone bejegten den Marktplatz. 
Die Proclamation des Gemeinderat wurde mit Beifall auf- 
genommen. Man leitete daraus einen Sieg der Drbnungs- 
partei über die Freunde bes Umjturzes ab. Die Regierung 
lobte das Berhalten Mannheims; Karlsruhe folgte feinem Bei— 
ipiel baldigft nad). 

Am 9. April erjhien v. Soiron in Mannheim und Hielt 
gleichfalls vom Balkone des Rathhaujes eine feurige Rede an 
das Volk. Er bezeichnete es al3 eine Engherzigfeit, an Reaction 
zu glauben; Deutichland ſei fich jeiner Kraft bewußt, das 
Parlament werde die Reichsacht gegen den Fürſten verhängen, 
der eö wagen jollte, Mahnung und Warnung dieſes Parlaments 
zu mißachten. Donnernder Applaus folgte diejen Worten, „der 
Herd des Aufruhrs“ jchien dieſesmal für die Ordnung ge- 
wonnen. 

Dod wer mochte in jener Zeit des täglichen Wechjels auf 
die Bejtändigfeit ber Stimmungen rechnen? Die Gegen- 
jtrömungen blieben nicht aus; der vaterländiiche Verein hielt 
ſtürmiſche Situngen. Die Frage ob Monarchie oder Republik 
wurde offen behandelt; der gegebene Verfaſſungsboden war 
von Grund aus erjchüttert, und es jollte der Souveränität des 


Die Jahre 1848 und 1849, 571 


Volkes, repräſentirt in dem Parlamente zuſtehen, neue Formen 
zu ſchaffen. „Mißtrauen iſt des Bürgers erſte Pflicht“ war 
die Parole. Hecker unternahm in der Mitte des April ſeinen 
mißglückten Freiſchaarenzug von Conſtanz aus. Struve ſchloß 
ſich ihm an. 


Eine heftige Aufregung durchzitterte Mannheim ob des 
Gelingens der Unternehmung. Mehrere falſche Nachrichten im 
bunteſten Durcheinander ließen die Einwohnerſchaft nicht zur 
Ruhe kommen, bald aber ſtellte ſich die Niederlage und Flucht 
Heckers und Struves heraus und die Ruhe kehrte wieder. 
„Bürgerblut iſt gefloſſen!“ rief man nun wieder auf der andern 
Seite und ſuchte alle Rachegeiſter gegen Diejenigen heraufzu— 
beſchwören, die mit Hecker und Struve ſympathiſirt Hatten. 


In dieſer Lage der Dinge trat ein Zwiſchenfall ein, der 

leicht Mannheim zum Schauplatze eines traurigen Nachſpiels 
jener Oberländer Ereigniſſe hätte machen können. Die Garuiſon 
war hinweg in das Oberland gezogen, und es lag in Mann— 
heim jeit 20. April ein Regiment Naffauer. Der Gemeinderath 
fand ſich durch das Einrüden diejer Truppen überrajcht, Da 
die Behörde al3 die Alleinherrichende von den Staatsbehörden 
erflärt worden je. Man nannte dies eine rein militärische 
Dislocation, die auf die inneren Berhältnifje der Stadt ohne 
Einfluß fei. Die Stimmung war gereizt; bald jteigerte fie ſich 
nod, und am 26. April artete fie in Thätlichfeiten zwiſchen 
Soldaten und Einwohnern aus, die fich weithin in die Stadt 
verbreiteten. Es jchlug Generalmarſch; die Truppen wurden 
in der Kaſerne conjignirt; die Bürgerwehr trat unter die 
Waffen. 


Im Innern der Stadt parlamentirte man und brachte die 
Sade wieder in Ordnung; aber außen an ber Rheinbrüde 
ertönten Gewehrjalven. Das 3. Bataillon der Bürgerwehr 
wollte den Brüdentopf abführen, der Nafjauer Wachtpojten zog 
fih auf die Brücde zurüd und rief die am jemjeitigen Ufer 
aufgeftellten Bayern zur Verſtärkung herbei. Nun begann ein 
Gewehrfeuer, durch das vier Mannheimer verwundet wurden; 


572 Die Jahre 1848 und 1849, 


ebenjoviele Verwundete zählte man auf militäriicher Seite. 
PBarlamentäre beendeten das blutige Schaujpiel. 

Das Reſultat der von einem Minifterialcommiffär Mayer 
gepflogenen Unterfuchung war die Verhängung bes Kriegszu- 
jtandes über die Stadt Mannheim durch eine Verordnung vom 
29. April. 

Eine Militärmaffe von 5—6000 Mann rüdte in Mann- 
heim ein. Die Bürgerwehr wurde entwaffnet und eine große 
Anzahl von Berhaftungen vorgenommen, darunter Grohe, Hoff, 
Streuber und viele Freiwilligen. 

Selbjtverftändlich fiel ein Theil der Preſſe mit gewohnter 
Bitterfeit über Mannheim her. Namentlich war es die „Deutjche 
Zeitung“, welche ihren Groll ausgof. Mannheim wurbe als 
der Sit der Häupter des Nufjtandes und der vorausgegangenen 
Berihwörung bezeichnet. 

Auf der andern Seite verwahrte ſich die Stabtdirection 
gegen den Vorwurf der Schwäche, den man ihr gemacht hatte. 
Sie fei ohne alle Mittel der Durchführung der beichloffenen 
oder verlangten Maßnahmen gewejen. Das Senjenmänner- 
corps hätte früher nicht aufgelöft wırden können und von 
Wrbeitern jeien binnen 4 Wochen 800 ausgewiejen worden. 

Am 9. Mai kam Staatsrath Belt nah Mannheim, um 
mit dem Gemeinderat und den Staatöbehörben über die Lage 
der Stadt zu conferiren. Bon der Militärbehörde wurde jchon 
am 10. Mai die Aufhebung des Kriegszuftandes verkündet; die 
Beftätigung des Livilcommiffärs folgte fofort mit dem An— 
fügen, daß Bolfsverfammlungen noch weiter verboten jeien. 
Die Privatwaffen jollten zurüdgegeben werden. Sofort erhob 
ih neuer Lärm. Man fagte, daß es nach Aufhebung bes 
Kriegszuftandes fein Recht gäbe, die Volfsverjammlungen zu 
verbieten, und da der Militärcommandant die Berabfolgung 
der Waffen verweigerte, jo erblidte man darin eine unzuläffige 
Ueberhebung desjelben über die Civilbehörbe. 

Prinz Karl von Bayern war der Obercommanbdant ber in 
Mannheim liegenden Truppen. Gemeinderath Artaria begab 
fich zu ihm, um Aufichlüffe über die verweigerte Berabfolgung 


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Die Jahre 1848 und 1849, 573 


der Privatwaffen zu verlangen. Der Obercommandant erflärte, 
da der Minifterialjecretär Mayer den landesherrlichen Erlaß 
vom 10. Mai rüdfichtlih; der Zurüdgabe der Waffen falich 
ausgelegt habe, und daß er die Ausfolgung berjelben ver- 
weigern müffe Der Gemeinderath wandte ſich mit einer 
energijchen Vorſtellung an das Minifterium. 

Mannheim befand fich damals in trüber Stimmung. Viele 
Familien waren in Bejorgniß über verhaftete Angehörige. Die 
Stadt fand ſich gedemüthigt durch den über fie verhängten 
Kriegszuftand. Die Bürgerwehr fühlte fich beleidigt durch die 
Entwaffnung, welche man gegen fie verhängt hatte. Eine An- 
zahl Bürger traten zujanımen, um zu erflären, daß fie ſich 
dem Willen der Mehrheit der Vertreter des deutichen Volkes 
unbedingt unterordneten, und zu verjichern, daß eine frei- 
finnige Regierung in dem Widerjtande gegen reactionäre Ge— 
füjte immer auf fie zählen fünnen. Sie traten zur Bildung 
eines neuen vaterländifchen Vereins zujammen.*) 

Unterdefjen war der Tag des Zujammentritts des Parla- 
ments gefommen. Man Hatte proteftirt gegen das indirecte 
Wahlſyſtem, aber die Wahlen waren doch ruhig verlaufen. 
v. Suftein wurde in Mannheim mit 68 Stimmen gewählt; 
Weller erhielt 40, Brentano 1 Stimme. Man entnimmt daraus 
die Sonderung der Parteien. Der gewählte v. Itzſtein lehnte 
für Mannheim ab und es wurde an jeine Stelle W. Sachs 
gewählt. 

Im Gemeinderath jtellte Jörger den Antrag auf feftliche 
Begehung des 18. Mai, des Tages des Zujammentrittö des 
erjten deutjchen Parlaments. Der Gemeinderath erblidte aber 
in der „in der Stadt herrichenden düjteren Stimmung“ ein 


*) Der Aufruf enthält die Namen: 3. P. Adam, 2. N. Baflermann, 
30). Bauer, Blezinger, Soiron, Bühler, Gleejen, Clottü, R. Dürkel, 9. 
Düringer, Engelhorn, Eſſer, Pf. Giulini, Gentil, Pf. Held, Jörger, Jak. 
Kley, Dr. Ladenburg, Morig Lenel, Fr. Löwenhaupt, N. Lindenberger, 
Eduard Mol, A. Nauen, CE. Neftler, Fr. Oeſterlin, A. Pfeffer, Melchior 
Nüdert, Ad. Roes, A. Sator, Schröder, 9. Weller, Dr. Weiſſenburg, Yranz 
Mimmer, Auguſt Wunder. 


574 Die Jahre 1848 umd 1849, 


Hinderniß gegen eine laute Feier, und er beichloß, ſich auf 
einen Zug in die Jejuitenfirche und auf einen dort abzuhalten- 
den Gottesdienft zu bejchränten. 

Die Zeit war fortwährend jehr bewegt. Am 15. Juni, 
hieß es allgemein, jollte es wieder losgehen. Alles war auf 
der Wache. Der Franzoſenlärm trieb jeinen Spuf im Ober» 
lande. Die Preſſe jebte ihren bitteren Kampf fort. Unter 
diefen Umftänden war an eine Erleichterung nicht zu denken. 

Endlih am 14. Juli rüdte das bayriiche Militär aus, 
und es übernahm ein Bataillon des badijchen Leibinfanterie- 
regimentsS den Garnijondienjt in der Stadt, die nunmehr 
wieder aufzuathmen begann. Wegierungsrath Schmitt hatte fi 
um diejes Reſultat bemüht. Man wollte Mannheim ohne 
Garnifon lajfen, weil dort das Militär demoralifirt würde 
und die Gemeindebehörde jelbjt die Entfernung der Garnijon 
beantragt habe. Das war eine beftrittene Unficht, die bereits jchon 
das Kriegsminijterium in einem früheren Falle dem Anſuchen 
des Gemeinderatb3 um Belajjung der Garniſon entgegenge- 
halten hatte. Der Gemeinderath protejtirte einjtimmig gegen 
jene Annahme. 

Die Reorganijation der Bürgerwehr wurde angeordnet. 
Die Lage der Dinge ſchien fich wieder verjühnlicher zu ge— 
ftalten. Die Anerkennung der Deutjchkatholifen war jchon 
unterm 19. Mai erfolgt. Die Gemeinderathswahlen waren 
ruhig vor jich gegangen. Gewählt wurden Glimpf, Löwen— 
haupt, Elias Eller, Nüdert, Haffner, Schlidt, Kley und 
Knippenberg. Schlicht lehnte ab; bezüglich Eller hatte man 
die Beanftandung wegen jeiner Confejlion nad) Maßgabe des 
damals geltenden Gejeßes zu erwarten. Der Gemeinderath be— 
ſchloß jedoch, da die Frage der Gleichjtellung aller Confeſſionen 
feine ftrittige mehr jei, die Wahl Ellers anzuerfennen. Das 
Stadtamt erflärte jedoch die Wahl für ungiltig. 

Auch Augenblide freudiger Genugthuung gab es in jener 
bedrüdten Zeit. Die Berliner Stadtverordneten Hatten eine 
Danfes- und Anerfennungsadrejfe an Mannheim gerichtet, die 
mit Befriedigung gelejen wurde. 


Die Jahre 1848 und 1849, 575 


„Seit lange gewohnt, unjere Hoffnungen und Wünjche 
durch die badische Kammer vertreten zu fehen“, hieß es darin, 
„mit ihren Siegen zu jubeln, mit ihren Niederlagen zu trauern, 
hatten wir die Löſung der erften Frage, welche Deutjchland an 
die eigene Aufunft geftellt bat, von dem badijchen Volke er- 
wartet. Unjer junges politiiches Leben, obgleich es jchon in 
der Wiege gar manche Schlange zerdrüdt hatte, war noch zu 
ſchüchtern und unteif, um das Vaterland aus dem beängjtigen- 
den Traume zu weden. Ihr habt es ausgeiprochen, das rechte 
Wort zur rechten Zeit. . . . Was ihr für Deutjchland gethan, 
das ift und bleibt Euch unvergeffen. Stolz und Dankbarkeit 
wird jedes deutjche Herz nach wie vor empfinden, jo oft Manns 
heim Name genannt wird. Es lebe und blühe Eure edle 
Stadt, die Heimath der Männer!” 

Das war die Sprache Berlins im Frühjahr 1848. Auch 
Wien jandte jeine Grüße. Die zum WVorparlamente reijenden 
Abgeordneten Defterreichd hatten im rafchen Fluge Mannheim 
bejucht und den Naturforjcher Dr. Schimper beauftragt, den 
Mannheimern zu jagen, „daß nit etwa eine gewöhnliche 
Tourijtenneugierde fie nach) Mannheim geführt habe, jondern 
da3 jegliche Verlangen, jobald als thunlich den Ort zu jehen, 
von dem dieje rajche und zufunftsreiche Bewegung in Deutjch- 
fand ausgegangen jei.“ 

Das waren freundliche Erinnerungen des jpäterhin ge— 
drückten und bedrohten Mannheim. Troß alledem griff es 
überall ein, wo Gutes und Nübliches zu thun war.*) 








*) Gin Comite, beitehend aus v. Suftein, Sache, Helmreich, Stößer, 
Weller, Schmitt, Brentano, Ginlini, Jörger, Snippenberg, Baflermann sen., 
Thomas Eller, Fr. Löwenhaupt, Dr. Anfelmino, Fr. Reif, W. Reinhardt, 
Dr. Stehberger, W. H. Ladenburg, C. Engelhorn und Hermann Laden: 
burg, Hatte von April an die Sammlungen für die aus Frankreich ver: 
triebenen Deutschen organifirt. 

Ein anderes Comité, beftehend aus W. 9. Ladenburg und Söhne, 
9. 2. Hohenemjer und Söhne, Peitavy und Bletzinger, Baflermann und 
Herrſchel, Karl Neitler und Compagnie, Sebajtian Zörger, ©. Hirfchhorn 
und Söhne, Traumann und Compagnie, veranftaltete Sammlungen für 
die deutſche Flotte (Mai 1848), und endlich bildete fih im Juni 1848 ein 


576 Die Jahre 1848 und 1849, 


Es trat eine kurze Periode der innern Ruhe ein. Man 
verfolgte die Berhandlungen des Parlaments und hoffte auf 
eine endliche Löſung der großen Frage der deutſchen Einheit 
und ‘Freiheit. Hatten ja doch beide jchon Opfer genug ge— 
foftet, jhon Kummer und Sorge jchwer auf das Land gelegt. 

Der Heder’ihe Aufitand Hatte eine gerichtliche Unter— 
juhung gegen 3572 Perſonen herbeigeführt. Viele waren 
flüchtig, viele waren im Gefängnifle, mehrere im Zuchthaufe in 
Bruchſal. Man petitionirte um Amneſtie. Auch von Manns 
heim ging eine mit vielen Unterschriften verjehene Petition an 
das Parlament. Am 15. Juli wurde von dem Abgeordneten 
Wiedemann darüber Bericht erftatte. Die Tagesordnung 
wurde beantragt und angenommen; das machte böjes Blut. 
Die THatlofigkeit des Parlaments trat täglich mehr hervor. 
Man jah der Zukunft mit trüben Blicken entgegen. Die Zus 
jtände entbehrten noch jedes fichern Halte. 

Die badiiche Garnifon war wieder nach Schleswig-Holftein 
abberufen worden. Am 19. Auguſt rüdte ein Bataillon kur— 
beifiihen Militärs in die Stadt ein. Es weigerte fich, die 
Stajerne zu beziehen, da fie in einem dejolaten Zuſtande fei. 
Als die Einquartirung nicht bewilligt wurde, 309 das Bataillon 
wieder aus und dann nach Säferthal. Man fand die Be— 
jchwerde über den Zuftand der Kajerne begründet, aber Nie- - 
mand war da, der abzuhelfen vermochte. So war Mannheim 
wieder eine Zeit lang ohne Garniſon. 

E3 folgten nacheinander die Aburtheilung politifcher Pro» 
zelle. In der Anflagejache gegen Hoff erklärte fich das Hof- 
gericht für incompetent. 3. B. Grohe wurde am 1. September 


Ausſchuß zur Unterftügung der Gewerbtreibenden, der es fich zur Aufgabe 
fegte, zum Verbrauch inländiicher Gewerbserzengniffe aufzufordern und 
durch Vorſchüſſe an die Handwerker der durch die Verkehrſtockung und Die 
vielfachen Laſten hervorgerufenen Noth zu ſteuern. Der Ausſchuß beitand 
aus I. P. Adam, I. Bauer, F. G. Barth, M. Bielefeld, H. Ch. Diffens, 
N. Fabris, Ph. Held, 6. Hoff, L. H. Knippenberg, S. Ladenburg, FF. 
Löwenhaupt, Fr. Mördes, H. Schröder. Die Großberzogin Stephanie bes 
theiligte ſich mit einer Zeichnung von 1000 fi. 


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Die Jahre 1848 und 1849, 577 


freigejprochen. Das hätte beinahe wieder den Sriegszujtand 
über Mannheim herbeigeführt. Der freigejprochene Grohe 
wurde unter dem Jubel jeiner Freunde und des zujammenge- 
jtrömten Volkes nach Haufe geleitet. Das faßte die Polizei 
als eine Ruheftörung auf und fchritt ein. Bedrohlicher wurde 
die Stimmung nad) den Septemberereigniffen in Frankfurt. 

Infolge des Beichluffes der Nationalverfammlung über 
die Sijtirung der zum Bollzug des Malmder Waffenftillitandes 
ergriffenen Mafregeln hatte das Reichsminiſterium jeine Demiſſion 
gegeben, und es jollte ein anderes Minifterium gebildet werden. 
Eine tiefgehende Bewegung durchzitterte das deutjche Volk. 

Am 11. September fand in der Turnhalle eine Bürger- 
verſammlung jtatt, welche eine Adrefje an die Nationalverjamm- 
fung beſchloß, die den gefaßten Beichluß auf Sijtirung jener 
Waffenftillftandsmaßregeln mißbilligtee Die Unterzeichneten 
ſprachen den Entihluß aus, die Ehre Deutſchlands mit allen 
Kräften zu vertheidigen. 

Aber es folgte bald der Beichluß der Nationalverfamm- 
fung vom 15. September, welcher den Antrag auf Nichtge- 
nehmigung des Waffenftillftandes mit 253 gegen 237 Stimmen 
verwarf. Das war das Signal zu neuer Erregung. Man ver- 
langte mit Haftigkeit nad) Waffen Am 19. erichien eine 
größere Anzahl von Einwohnern auf dem Rathhauſe mit der 
Erklärung, daß über die Frankfurter Ereigniffe eine ungemeine 
Aufregung herriche, daß man die Waffen zurücdverlange, und 
die Organijation der Bürgerwehr innerhalb 24 Stunden be- 
gehre. Der Gemeinderat) wollte die Dringlichkeit der Maßregel 
nicht einjehen, gab aber jeine Bereitwilligfeit fund, jofort an 
die Reorganijation der Bürgerwehr zu gehen. 

Man ließ dem Gemeinderath feine Zeit. Deputationen 
folgten auf Deputationen. Schließlich verbanden ſich Menjchen- 
maſſen mit Diefen und wiederholten in tumultuariicher Wetje 
das gejtellte Begehren. Es gab unangenehme Scenen, aber der 
Gemeinderath blieb bei feinem Beſchluſſe. 

Am 23. September ftellte der Gemeinderath die Grund» 
züge fejt, nach welchen die Bürgerwehr gebildet werden jollte. 

Defer, Geſchichte ber Stabt Mannheim. 87 


578 Die Jahre 1848 und 1849, 


Sie follte zunächſt auf Diejenigen bejchränft werden, die ihre 
Ausrüftung und Waffen jelbjt zu ftellen vermödten.. Man 
technete auf eine Stärke von 1200 Mann. Die Bürgerwehr 
wird in 10 Compagnien von 120 Mann eingetheilt und bildet 
zwei Banner; jeder Banner bejteht aus fünf Compagnien oder 
Fähnlein. (Die bejtehende Scharfichügencompagnie bildet eine 
Compagnie). 

Unmittelbar vorher (den 18. September) hatte eine große 
Volksverſammlung auf dem Marktplage ftattgefunden, welche 
ben Malmder Waffenftillitand zum Gegenftand ihrer Berhand- 
lung gemadjt hatte. Sie ſprach jebt aus, da die Majorität 
der Nationalverjammlung nicht mehr das Vertrauen des Bolfes 
bejige und „ich des Verrathes an Deutichlands Ehre jchuldig 
gemacht habe“; die Linke allein ſei die wahre Vertreterin der 
Volkzinterefien. Löhr aus Worms, Mördes, Grohe und Barth 
von Mannheim waren die Sprecher. 

E3 folgten die Ereignifje von Frankfurt, deren Opfer 
Fürft Lihnowsty war, und der Einfall Struves, infolge 
befjen eine erneute Kriegszuſtandserklärung der oberen Landes— 
theile und des Bezirks Weinheim ausgejprochen wurde. 

Die Mannheimer Garniſon z0g wieder in das Oberland 
und zwei Bataillone des 27. preußiichen Infanterie-Regiment! 
rüdten am 26. September ein. 

Auch Struve unterlag, Es füllten fich die Gefängnifje, 

Weitere Truppenzuzüge folgten am 30. September, Die 
Einquartirungslaft drüdte abermals auf die Stadt. Trotzdem 
gährte es fort und fort. 

Die Bewegung für Auflöfung der Kammer und Berufung 
einer conjtituwirenden Berfammlung für Baden begann in Fluß 
zu kommen. Am 14. Oktober follte eine Verfammlung zur 
Berathung einer besfallfigen Betition ftattfinden. Sie wurde 
verboten. Das Local war militärisch beſetzt. Darüber ent: 
jtanden neue Aufregungen und heftige Scenen in der Kammer. 

Anfang November wurde das Frankfurter Linienbataillon, 
deſſen mufterhafte Mannszuht und gutes DBetragen man 
rühmte, aus der Stadt verlegt, und e3 hörte damit wieber Die 





Die Jahre 1848 und 1849. 579 


Einquartirung, die mit Furzen Unterbredungen acht Monate 
angedauert hatte, auf. Man bejchäftigte jich mit der Organi- 
jation der Bürgerwehr. Die Scharfihügencompagnie war be- 
reits aufgeftellt. Bei den Offizierswahlen bemerkte man indeſſen 
eine ziemliche Theilnahmlofigkeit. 

Die Todesfeier Robert Blums (19. November) regte erſt 
wieder die Mafjen an. Der eben erjt erwählte Pfarrer ber 
Trinttatisficche Schellenberg hielt die firchliche Feier ab. Nahe 
an 6000 Menjchen waren herzugejtrömt, um die „Itrafenden, 
verhöhnenden und erhebenden Worte“ des begeijterten Redners 
zu vernehmen. Bon der Kirche begab fich der Zug in die Aula, 
wojelbjt weitere Vorträge gehalten wurden. Die ganze Haltung 
der Verſammlung beurkundete tiefen Ernſt. Man ſprach über das 
Wort des Dichters: „Das Grab des Freien iſt der Freiheit 
Wiege." Der Gemeinderath hatte fich bei der firchlichen ‘Feier be= 
theiligt; von der Aula hielt er fich fern, da das Stadtamt ihm 
die Berantwortlichkeit für die dort gehaltenen Reden aufbürden 
wollte Ein Comit&*) befaßte fi mit Sammlungen für die 
Hinterlafjenen Robert Blums. 

Gegen Ende des Jahres wurde das Vereinsleben neu 
angeregt. Die Clubs der vereinigten Linfen forderten zur 
Bildung von Märzvereinen auf und ſchlugen eine bezügliche 
DOrganijation vor. Trübjchler, Raveaur, Eijenmann, Mar, 
Simon, Raus und Wejendonf jtanden an der Spitze. 

Der neue vaterländifche Verein in Mannheim erklärte ſich 
mit der allgemeinen Tendenz der Märzvereine: die Einheit 
und Freiheit Deutjchlandg zu begründen, einverjtanden, wollte 
aber, daß der Märzverein nicht nur eine Erflärung gegen die 
freiheitsfeindlichen Unternehmungen der Machthaber fondern 
auch eine jolhe gegen die freiheitsgefährdenden Wühlereien der 
Anarchiſten erlajfe. Der neue vaterländifche Verein entfaltete 
fofort eine rege Thätigfeit. Er richtete Anſprachen an bie 


*) beſtehend aus Karl Drechsler, Ph. Düringer, Anton Hauer, M. 
Lenel, Fr. Löwenhaupt, 2. Neihard, A. Roes, M. Niüdert, Dr. Weiſſen⸗ 
burger. 


87* 





580 Die Jahre 1848 und 1849, 


Nationalverfammlung, an die zweite Kammer, an dag deutjche 
Boll. Er war es, der zuerft (22. Mai 1848) das jog. klein— 
deutiche Programm aufftellte, nach welchem Preußen mit vor» 
erftigem Ausjchluffe Defterreihs berufen fein follte, an Die 
Spitze Deutjchlands zu treten. 

Zu gleicher Zeit entwicelte fich aber noch ein wahres 
Chaos von Vereinen, aus dem man fich, nad) den von Be— 
theiligten gegebenen Darftellungen faum herauszufinden vermag. 
Es entjtanden die Volksvereine, bei denen nad) feiner eigenen 
Beichreibung Amand Gögg, der rührigite, aber immer unglüd- 
(ihe NAgitator, die Hauptrolle jpieltee Dann bejtand ber 
Bürgerverein unter der VBorjtandfchaft Friedrich Löwenhaupts. 
Dann noch ein demokratischer Club unter Florian Mördes. 
Nach den Angaben des letteren zählte der neue demofratijche 
Berein nahezu 2000 Mitglieder. Das Beamtenthum war zahl- 
reich vertreten. 

Die Verhandlungen in diefem Verein müſſen nach der 
Schilderung von Mördes von äußerjter Heftigfeit geweſen 
jein. Selbjt in den jtillen Räumen der Harmonie führte man 
eine Sprache, die heute Erftaunen erregen müßte. Auch Thät- 
lichkeiten nnd unfreiwillige Entfernungen gehörten nicht zu den 
Seltenheiten. 

Mördes erzählt mit großer Offenheit feine eigenen 
Erlebniffe in dieſer Beziehung. Er verfichert auch, daß es 
nicht ungewöhnlich gewejen jei, mehreren Wereinen anzuge= 
hören, jelbjt, wenn die Tendenzen derjelben nicht im Einflang 
ſtanden. 

Die alten Gegenſätze zwiſchen Extremen und Gemäßigten 
und Vorſichtigen kamen auch unter der ſog. radikalen Partei 
zum Vorſchein. Struve und Gögg ſtanden im Gegenſatz zu 
Mördes und Brentano. Aber auch die letzteren gehörten ja 
zur äußerſten Partei, von der ſich in vielerlei Schattierungen 
bis hinüber zu dem vaterländiſchen Verein die Meinungen 
abſtuften. Mit derben Worten bezeichnete man den Gegner; 
die Fertigkeit, ihn mit Re zu belegen, Hatte ein 
weites Feld. 


Die Jahre 1848 und 1849. 581 


So war e3 ein Durcheinander politiichen Treibens, das 
ſich Ende 1848 entwidelte. Die Einen begehrten die Republif, 
die Andern fanden diejes Begehren verfrüht. Die Einen unter- 
warfen fich der Mehrheit der Nationalverfammlung, die andern 
wollten über fie himwegipringen. Die Oberhauptzfrage jpaltete 
auch die mehr Eonjervativen Parteien. Hier wollte man an 
dem heimijchen VBerfafjungsrechte fejthalten; dort begehrte man 
eine fonftituirende VBerjammlung. Andere waren auch damit 
nicht zufrieden. Das Jahr 1848 endete unter trüben Aus— 
fihten. Niemand war im Stande, dad Ende diejes Wirrwars 
vorauszujehen. Seinem war es gegeben, den Haren Blick zu 
bewahren. 

Sp trat man in das Jahr 1849. Mannheim wählte mit 
dem Beginn des Jahres den Obergerichtsadvofaten Lorenz 
Brentano zum Oberbürgermeijter mit 109 Stimmen gegen 
Jolly, der 88 Stimmen erhielt. Die Kreisregierung verjagte 
die Bejtätigung der Wahl, Ein eingelegter Recurs blieb ohne 
Erfolg. Das Minijterium des Innern hob in jeinem Erfennt- 
nijfe hervor, dai die Wahl Brentanos deshalb nicht beftätigt 
werden fünnte, weil der Gewählte als Vorjitender des Landes: 
ausjchuffes der Volksvereine einem politischen Streben Huldige, 
wodurh auf den Umsturz der bejtehenden Staatsverfafjung 
planmäßig Hingearbeitet werde. Die folgenden Ereignijje ver- 
ſchlangen auch dieje Angelegenheit. 

Das Barlament Hatte endlich die Grundrechte des 
deutjchen Volkes fejtgeftellt. Der neue vaterländijche Verein 
erließ infolgedeffen unterm 6. Januar einen Aufruf an alle 
deutſchen Männer, welche die Einheit und Freiheit des 
Baterlandes erjtreben, alle gejelichen Mittel in Bewegung zu 
jegen, um die Grundrechte jofort überall in Geltung zu bringen. 
In einer zweiten Anfprache forderte er die Nationalverjamnı: 
fung auf, in der gemeinfchaftlichen Bekämpfung aller Feinde 
der Freiheit zum Volke zu ftehen. Der Streit der Parteien 
wurde immer heftiger. Der vaterländiiche Verein und der 
Bolfsverein ſtanden einander als erbitterte Gegner gegenüber. 


582 Die Jahre 1848 und 1849. 


Baden verfündigte die Grundrechte (18. Januar) vorbe- 
haltlich eines den Kammern vorzulegenden Einführungsgejeßes. 

Am 19. Januar entſchied die Nationalverfammlung die 
große Frage, ob Monarchie oder Republik mit 258 gegen 
211 Stimmen zu unten der Eriteren. Das Tofen, mit 
welchem dieſer Beichluß in dem Parlament aufgenommen 
wurde, tönte auswärts wieder. Die Bolfsvereine fämpften 
hanptjächlih mit ihren Flugblättern, welche zunächſt das 
offizielle Organ des neugebildeten Landesausjchuffes waren. 
In beide Vereine ftrömten große Mailen Volkes; dasjelbe 
war von Grund aus aufgeregt. 

Die Auflöjfung der Kammer und die Einberufung einer 
conftituirenden Berjammlung bildeten den Hauptjächlichiten 
Agitationsgegenftand der inneren Politik. Moll jtellte in dem 
vaterländiichen Verein den Antrag, Sich diejem Begehren der 
Volksvereine anzujchließen, um der Agitation die Spitze abzu— 
bredien. Sein Antrag wurde mit allen gegen eine Stimme 
verworfen. Die Gegenjfäße wurden immer jchroffer. 

„Wollt Ihr unfer gejegnetes Vaterland nicht in ein großes 
Grab .unjerer Wohlfahrt verwandelt jehen, jo löſt Euch los 
von jenen Leuten, die die Freiheit im Munde führen und den 
Haß im Herzen tragen“, rief der vaterländifche Verein aus; 
mit heftigen Gegenreden antworteten die Wolfsvereine. So 
pflanzte ſich der Streit während des Frühjahres fort. 

Im März verlangten die Bolfsvereine, daß jämmtliche 
Abgeordnete der Volkspartei aus der Kammer austreten müß— 
ten, und daß jede Wahl in die bisherige Kammer abzulehnen 
fei; daß ſämmtliche Wahlbezirfe ihre Abgeordneten jofort ab— 
berufen und jämmtliche Bürger Badens gegen die Beichlülfe 
und Geſetze der bejtehenden Ständeverjammlung protejtiren 
jollten. Das goß vollends Del in das Feuer. 

In einer fulminanten Anſprache beantworteten die vater« 
ländiſchen Vereine jenes Begehren, Sie ſprachen von ben 
„Klauen der Anarchie”, in welche man das Land treiben wolle, 
von dem Grabe der Freiheit und der Wohlfahrt, das geöffnet 
jei. Unterdeffen zerbrödelte fi) aber auch das Werk ber 


Die Jahre 1848 und 1849. 583 


Nationalverjammlung mehr und mehr. Dejterreich erkannte 
die von dem Parlamente bejchloffene Reichsverfaſſung nicht 
als bindend an. Das Erbkaiſerthum wurde nun mit 279 
gegen 255 Stimmen bejchloffen. Erzherzog Johann trat am 
30. März als Reichsverwejer zurüd, Der König von Preußen 
lehnte die ihm aus den Händen des Parlaments angebotene 
Saijerfrone ab. Alles geriet) in Gährung. Was jollte nun 
werden ? 

Die vaterländiichen Vereine erhoben am 9. April ihre 
Stimme für Aufrechterhaltung und Anerkennung ber Reichs— 
verfaffung. Und als die Dinge immer jchlimmer gingen, 
wandten fie fih mit den Worten an die zweite Kammer: 
„Die deutjche Reichsverfaſſung muß jelbjt dann, wenn Die 
Könige nicht wollen, zum Vollzuge kommen!“ 

Wenn aber jo die Sprade der gemäßigten Bartei in 
jener Zeit war: darf man ſich da wundern über die Sprade 
der Bolfsvereine, ihrer Preſſe und ihrer Führer? 

Man fühlte, daß es zu irgend einer Entſcheidung fommen 
müſſe und diejes Gefühl gab das Verlangen nad) Waffen ein. 
Die Gewehre waren den Mannheimern immer noch vorenthalten 
worden. Der Gemeinderath) hatte fich wiederholt an die Be— 
hörden gewendet, war aber immer abichlägig beſchieden worden, 
Endlich verjhob man die Sache bis zur definitiven Organi- 
jation der Biürgerwehr, die nad) der Anficht des Gemeinde- 
raths bereits jchon bewerkſtelligt war. 

Darüber riß der Vürgervertretung angefichtS der drohen 
den Ereignifje die Geduld. Viele Bürger verlangten die Be— 
rufung des großen Ausjchuffes, welcher an die Staatäregie- 
rung das Verlangen nad) der unbedingten Anerkennung der 
Neichsverfaffung und nad) jofortiger und unbedingter Zurüde 
gabe der Gewehre jtellen jollte. 

Die Verhandlung des großen Bürgerausschuffes fand am 
2. Mai ftatt und die [gejtellten Anträge wurden einjtimmig 
genehmigt. Trotzdem verzögerte ſich die Herausgabe der Ge— 
wehre noch immer. ZTruppenbewegungen nad) Rheinbayern 
waren im Gange Am 6. Mai wurde gemeldet, daß Bayern 


584 - Die Jahre 1848 und 1849, 


bereit3 durch die Stadt marjchirt und weitere Truppen im 
Anmarſche jeien. 

DOberbürgermeifter Jolly berief jofort eine Sitzung des 
Gemeinderaths und Ausjchuffes, um zu berathen, was im der 
Sache zu thun jei. Elias Eller, der damals in den Ge— 
meinderath eingetreten war, nachdem das entgegenjtehende kon— 
fejfionelle Hinderniß durch die Geſetzgebung befeitigt war, 
erjtattete Bericht. Der Gemeinderath beichloß darnach, gegen 
die Truppenzufammenziehung, welche ohne die Anordnung der 
Reichsgewalt ftattfindet, zu protejtiren. 

Die Stadt gerteth in Aufregung. Volksmaſſen waren auf 
den Beinen. Am 7. Mai verbreitete ſich das Gerücht, daß 
die badifchen Truppen nah Rheinbayern abmarjchiren jollten. 
Der Stadtfommandant v. Roggenbach bejtätigte, daß er eine 
Drdre erhalten, wonach 3 Compagnien und eine Escadron 
nad Landau marichiren follten, um die Neichsfeftung Landau 
gegen die links des Rheins ausgebrochene „anarchiſche Be— 
wegung“ zu jchüßen. 

Diefe Ordre wurde nad; einer Berathung des auf dem 
Rathhauſe verfammelten Gemeinderathes mit dem ebenfalld an- 
wejenden Stadtdirector Kern der vor dem Rathhauſe ver- 
ſammelten Menge vorgelejen. E3 gab tumultuarijche Scenen. 
Reden wurden gehalten, die theils beruhigen jollten, theils dazu 
aufforderten, die Truppen nicht ziehen zu laſſen, jedenfalls nicht 
vor ihrer Beeidigung auf die Reichöverfaffung. Da erjchienen 
plöglih Truppen unter Trommelichlag auf dem Marftplaße 
und trieben ohne Weiteres die Verſammelten auseinander 
Einzelne Schüffe fielen. Man erhob lebhafte Klage über diejes 
rüdjichtslofe und formloje Verfahren. Nun war dem Verlangen 
nach den Gewehren nicht mehr zu widerftehen. Der Gemeinde- 
rat und Ausſchuß fahten den Beichluß, zu den äußerften 
Mitteln zu greifen, um die Gewehre zu erhalten. Cine Com: 
miſſion von 6 Mitgliedern follte fich mit dem Oberbürger— 
meifter jofort zu dem Vorſtande der SKreisregierung verfügen, 
und die Herausgabe der Gewehre verlangen; im Weigerung3- 
falle follte fich eine Deputation (Glimpf und Löwenhaupt) nad) 


Die Jahre 1846 und 1849, 585 


Karlsruhe zu dem gleichen Zwed begeben und erflären, daß 
alle Verantwortung für die Folgen der Verweigerung der 
Regierung zur Laft fielen. Endlih am 12. Mai wurde die 
Anordnung zur Verabfolgung der Gewehre von dem Minijtertum 
des Innern nad eindringlihen Vorjtellungen erwirkt. 

Die Wogen der Bewegung gingen hoch. In Rheinbayern 
hatte man fi) von „Marimilian von Bayern“, der die Reichs— 
verfaffung nicht anerkannte, [osgefagt, und wollte am 7. Mai 
jogar in Neuftadt die jozial-demofratiiche Republik proffamiren. 
In Dresden war es zum Kampfe gefommen. Ueberall gährte 
ed. Auf den 13. Mai Hatte der Landesausichuß der Volks— 
vereine eine Volksverſammlung nach Offenburg ausgejchrieben. 
So ſtark war die Bewegung, daß der Borort der vaterländifchen 
Bereine, vertreten durch Blezinger, nunmehr die Hand zum 
Frieden bot. In einer Anſprache vom 10. Mai — ber legten, 
die überhaupt von den vaterländiichen Vereinen erlaffen wurbe 
— drüdte der Vorort derjelben den Wunſch aus, daß man es 
auch den vaterländijchen Vereinen ermögliche, ſich bei ber 
Offenburger Volfsverfammlung vom 13. zu betheiligen. „Um 
einen vollftändigen Sieg über die eherne Gewalt der Reaktion 
zu erringen“ ſei die Einigung aller Freunde der Freiheit und 
des Baterlandes nothwendig. „Unjere Partei ſteht fejt zur 
Nationale Berjammlung, zu der aus ihr hervorgegangenen 
Reichsverfaffung und wird auch dafür in den Kampf gehen;“ 
jo verficherte jene Anjprache. „Möge die traurige Gewißheit, 
daß das Baterland in Gefahr ift, alle Herzen verſöhnen!“ Mit 
diefen Worten reichten die vaterländifchen Vereine den Volks— 
vereinen die Hand, aber es war zu jpät. Am 11. Mai wurde 
die Rheinjchanze friedlich, aber im Sturmſchritt von Bewaffneten 
Schaaren aus Worms und Umgegend genommen. Die Auflöfung 
riß in die Reihen des in ARheinbayern gelegenen Militär ein. 
Ein Aufruf des Mannheimer Wehrausichuffes — Franz Earl 
Barth, 9. 2. Barth, 8. ©. Dreßler, H. Happel, 8. Hönn, 
M. Linier, Fr. Löwenhaupt, Florian Mördes, P. J. Dfter- 
haus, L. Reihard, 2. Rumbah, W. Sönder, Dr. Weiffen- 
burger, ©. Zeiler — forderte zu Unterftügungsbeiträgen an 


586 Die Jahre 1848 und 1849, 


Geld und Waffen für die rheinbayriiche Bewegung auf; aber 
ſchon des andern Tages (14. Mai) trafen die erſten Nachrichten 
von der Militärrebellion in Karlsruhe und Raftatt ein. Dan 
vernahm, daß der Großherzog und die Minifter geflüchtet ſeien. 
Zugleich wurden die 16 Beichlüffe der Offenburger Verſamm— 
lung befannt, welche unter andern die unbedingte Anerfennung 
der Reichsverfaffung und ihre Durchführung, die Entlaffung 
des Minijteriums Bekk, und die Ernennung eines Minijtertums 
Brentano Peter, endlih die Berufung einer conjtituirenden 
Berfammlung begehrten. Am gleichen Tage fand eine große 
Bolfsveriammlung auf dem Marftplage ftatt, welcher ſämmt— 
liches Militär anwohnte. Man empfahl treues Zuſammen— 
halten der Bürger und Soldaten. Mördes ermahnte zur Ord- 
nung. Die Offenburger Beichlüffe wurden anerfannt. Der 
Gemeinderath und Ausſchuß verjammelte ſich zu gleicher Zeit. 

Florian Mördes fand fih in diefer Sigung ein, und 
jtellte jich als den Präfidenten des Sicherheitsausjchuffes mit 
dem Bemerfen vor, daß er bereits die Staatsfafjen zu ihrer 
Sicherung mit Wachpoſten beſetzt Habe. 

Der Gemeinderath ſprach aus, daß er es fich zur Pflicht 
mache, den bejtehenden Sicherheitsausſchuß nad Kräften bei 
Aufrechthaltung der öffentlichen Ordnung zu unterftügen; 
ferner wurde ausgeſprochen, daß das Stadtamt, dem 
die Verwaltung der Polizei überlafjen bleibe, von der Ge— 
meindebehörde jede Unterjtügung zu gemwärtigen habe, wovon 
dem Stadtdireftor Kern Mittheilung gemacht wurde, ferner 
wurde jedem Soldaten eine Zulage von 4 fr. bewilligt; die 
Funktionen der Stadtfommandantichaft follten von dem Stadt: 
fommandanten von Roggenbach, Oberbürgermeiiter Jolly und 
dem Bürgerwehrfommandanten Oſterhaus gemeinjchaftlich be— 
jorgt werden. Eine Proflamation wurde hiernach erlaffen und 
darin wurde zugleich der Einwohnerichaft für die „würdige 
und männliche Haltung bei dem Anbruch der neuen Umgeftal- 
tung” gedankt, und fie ermahnt, jtreng am Rechte und an ber 
gejellihaftlichen Ordnung fejtzubalten. 

Auf dieſe gemüthliche Weile war Mannheim in das 


Die Jahre 1848 und 1849, 587 


Stadium der jog. Revolution eingetreten. Während anderwärts 
der Sturm tofte, wurde von Mannheim gemeldet, „Mannheim 
ist ruhig”. Nur auf den Häuptern des Gemeinderaths laſtete 
bange Sorge. Er durfte fi von dem Rathhaufe nicht mehr 
entfernen. Am 16. Mai verjammelte er fich abermals, „um 
über die drohende Lage der Öffentlichen Senke in Folge des 
Regierungsfturzes zu berathen.“ 

Ueber den Stand der Dinge in Karlsruhe befand man ſich 
noch am 16. ganz im Unklaren, und es wurde daher Gemeinde— 
rath Hoff dahin deputirt, um ſich über die regierende Gewalt, 
die zu treffenden Maßregeln, über die Stellung des Sicherheits» 
ausschuffes umd die der ftädtiichen Behörden zu erfundigen. In 
der Sikung vom 17. Mai erjtattete Hoff Bericht über jeine 
Sendung und deren Erfolg. Nachdem er die Lage der Dinge 
in Mannheim gejchildert, habe man ihm von Seiten des Lan 
desausjchuffes eröffnet, daß derjelbe bereit jei, ihm unum— 
ſchränkte Vollmacht zur Leitung der Angelegenheiten der Stadt 
zu ertheilen, was er jedoch aus perjünlichen Gründen abgelehnt 
habe. Der Landesausſchuß ſchickte zunächſt fein Mitglied 
Werner hierher. Der lettere hat indejjen feine bemerfbare 
Thätigkeit entfaltet. 

Ueber den Hinfeldey’ihen Zug geriet) dagegen die Be— 
völkerung im eine fieberhafte Aufregung. Man jchidte dag eben 
an die Reichsverfaffung beeidigte Militär nebft Bürgerwehren 
und Freiwilligen in der Richtung nad) Ladenburg ab, um den 
Tlüchtigen den Uebergang über den Nedar zu wehren (16. Mai). 
Bei Fürfeld endete die Cataftrophe. 

Zugleich) wurde gemeldet, daß an der hejliichen Grenze 
ein Objervationscorps unter General Wachter zujammenge- 
zogen werde. Die erjte Anordnung, welche der Landesausichuß 
ins Werk jebte, war die Organijation und Mobilmahung des 
1. Aufgebot3 der Bürgerwehr. Der Gemeinderath ergriff die 
erforderlichen Vollzugsmaßregeln. Man jah fih auch nad) 
einem Commandanten um, allein die Wahl hatte ihre Schwierig: 
feiten, da der in Ausficht genommene Oberlieutenant v. Davans 
den von ihm geforderten Eid verweigerte. Die Offiziere ber 


588 Die Jahre 1848 und 1849. 


Garnifon Hatten zumeift die Stadt verlaffen. Eine gewiſſe 
Burüdhaltung war überall bemerkbar. 

Es bedurfte der Anfeuerung, welche eine von .Strupve, 
Peter, Martinyg, d'Eſter, Rehmann, Fidler, Bam- 
berger, Mördes, Löhr, Grohe und Hoff auf ben 
20. Mai ausgejchriebene Bolköverfammlung hervor bringen 
jollte. Die Verſammlung hatte ein eigenthümliches Gepräge. 
Außer Hoff, Mördes, Fickler und Schmitt jprachen ein Pole 
und ein franzöficher Offizier aus Met. Man ſchätzte die Zahl 
der Anmwejenden auf 6000. Die beiden Regimentsmufifen 
ipielten abwechielnd während der Verſammlung. Die Redner 
hatten ihr dargelegt, daß die Bewegung eine deutjche jet, und 
fie veranlaßt, ihr Einftehen für die ‘Freiheit und Einheit 
Deutichlands duch einen Eid zu befräftigen. Abermals meldete 
man: „Mannheim ift ruhig“. 

Die Soldaten begannen ihre Offiziere zu wählen, allein 
die Gewählten aus dem Dffiziersjtande nahmen nicht an. 
„Oberlieutenant v. Davans“ las man in den Zeitungen Seitens 
der Offiziere des 4. Infanterieregimentes, „it einzuladen durch 
ein Injerat des hiefigen Journals das Commando des 2. Ba- 
taillons ſobald als möglich zu übernehmen“, jedenfall eine 
eigenthümliche Art der Commandoübernahme Die Mitglieder 
der Gerichtshöfe, der Kreisregierung und des Stadtamtes ver- 
weigerten den ihnen angejonnenen Eid, da nur das Staats» 
oberdaupt berechtigt jei, jolchen abzuverlangen. 

Das erite Aufgebot war nicht jehr eifrig in der Samm- 
lung. Oſterhaus, ber interimiftiiche Befehlshaber der Bür- 
gerwehr, mußte wiederholt mahnen. Bürger Ahles Hatte die 
ihwierige Aufgabe, in der Eile das 1. Aufgebot zu inftruiren. 
Schon begannen die yeindjeligfeiten bei Worms gegen Blenker 
(29. Mai) und an der Bergitraße. Am Qage vorher Hatte 
Trützſchler die Stelle eines Livilcommiffärs für Mannheim 
übernommen. Streuber, Rös und Löwenhaupt wurden ihm 
beigegeben. 

Die Sorge für die Nusrüftung und Einübung des 1. Auf- 
gebotes, fjowie für die Bequartirung und Berpflegung der 


Die Jahre 1848 und 1849. 589 


durchmarjchirenden Truppen und Bürgerwehren bildeten von 
nun an die regelmäßige Beichäftigung. Späterhin rief man 
auch das zweite Aufgebot unter die Fahne Am 9. Juni 
rücdten alle mobilen Streitkräfte gegen die Bergjtraße. Vor— 
mittags hörte man jchon fanoniren, 

Am 10. Juni wurde die jog. conftituirende Verſammlung 
in Karlsruhe eröffnet. Heinrih Hoff, Buchhändler, war zum 
Vertreter Mannheims gewählt worden. 

Oberſt Merjy, der neue Stadtcommandant, führte eine 
militäriihe Sprache gegen die höflihen Formen Trüßjchlers. 
Die drei jtädtiichen Kanonen wurden am 11. Juni an ber 
Kettenbrüde aufgefahren. Am 15. Juni erflärte der Ober- 
commandant Mieroslawsfi die Stadt in Belagerungszuftand 
und verkündete das Standredit. Man machte fichtlich Vorbe— 
reitungen zu einer Vertheidigung. E3 wurden Feueriprigen 
aus der Umgebung requirirt und Materialien an die Brüde 
geichafft. Dieje Vorbereitungen waren nothwendig.*) 


Die Preußen unter Hannefen waren am 15. Juni in 
Ludwigshafen eingedrungen und Hatten die dortige Beſatzung 
über die Brüde nah Mannheim zurüdgedrängt. Von da an 
begann eine Kanonade hinüber und herüber. Verjchiedene Ge- 
bäulichfeiten und Magazine in Ludwigshafen geriethen in 
Brand, auch die Aheinbrüfe. Bon Corvin und Arnold 
Sted leiteten das Artilleriefeuer von dem Ddiesjeitigen Ufer 


*) Hierzu fchreibt Franz Sigel in feinen Denkwürdigkeiten: 

Mieroslamsfi war jeinerfeits in der Naht vom 14. in Mannheim 
angefommen, leitete die Vertheidigung der Stadt am nädjften Tage und 
jandte durch jeinen Adjutanten Zurkowski BVerftärfungen nad Säferthal, 
wodurd Oberit Stapferer und ber polnische Oberft:Lieutenant Tobian in 
den Etand gejegt wurden, mit dem 2. und 3. Bataillon des 4. Regiments, 
4 Geſchützen der Batterie Odenwald und 2 Schwadronen bes 2. Dragoner: 
Regiments das von General Wadıter mit 3 Bataillonen Heflen und Würt- 
tembergern, 2 Medlenburger Jäger-Stompagnien, 6 Schwadronen Heilen 
und Medlenburaern und 8 heil. und medl. Geſchützen bereitö genommene 
Dorf wieder zu nehmen und den Feind bis in den Viernheimer Wald zu 
verfolgen. Bei diefem Gefechte wurbe der tapfere Oberftlieutenant Tobian 
ihwer verwundet; eine Stugel traf ihn in den Gaumen. 


590 Die Jahre 1848 und 1849. 


aus. Die Nacht vom 15. auf den 16. Juni war jehr bewegt. 
Ludwigshafen ſtand in Flammen. Die Kugeln der Preußen, 
die herüber kamen, jchredten mehr, als fie jchadeten. Die 
Stadt war in Aufregung. Mieroslawski, der Furze Zeit mit 
jeinem Adjutanten fich in derjelben aufhielt, verlette durch jein 
brüstes Benehmen. Die Kanonade dauerte noch einige Tage 
fort, bis am 20. Juni die Preußen von Ludwigshafen ab und 
die Bayern einrüdten.*) 

An diefem Tage traf jogar noch Belagerungsgeihüs von 
Karlöruhe ein. Der Gemeinderath jendete ſofort eine Depu- 
tation, beftehend aus den Gemeinderäthen Glimpf und Löwen 
haupt, nad) Karlsruhe, um bei der provijoriichen Regierung 
Schritte zu thun, daß feine Kriegsmaßregeln ausgeführt würden, 
welche den Ruin der Stadt zur Folge hätten. Die Stimmung 
der Stadt wurde immer unbeimlicher. Der Bürgerwehrcom- 
mandant Oſterhaus danfte ab und übergab das Commando 
dem Bürgerwehrmajor Engelhorn. 


Die Preußen waren bei Philippsburg über den Rhein 
gegangen und hatten das Treffen bei Waghäuſel geichlagen 
(21. Juni); die Nedarlinie wurde von der Reichsarmee durch— 
brochen und eingenommen. Am 22. Juni vollzog ſich in Folge 
deijen eine Gegenbewegung in Mannheim. Es ijt in den Raths- 
protofollen der Stadt eine officielle Beichreibung diefer Vor— 


— 


*) Ueber eine Truppenparade und den Brand von Ludwigshafen 
(fiche die Abbildungen) fchreibt v. Corvin in feinen Erinnerungen (III. 8d.): 
„Eines Nachmittags ließ er (Mieroslavsfi) Generalmarih schlagen. 
Sämmtliche Truppen, die in Mannheim lagen, mußten fih auf dem Ererzier: 
plag veriammeln, Lintenmilitär, Vollswehr und Bürgerwehr, fogar meine, 
von ihrem Inftructor geführten Rekruten mußten die Barade mitmachen. 
Der General ließ einige Evolutionen und beionders Angriffe in der Golonne 
machen, die beſſer ausfielen, als ich erwartet hatte. — Der Brand von 
Ludwigshafen bot, beionders bei Nacht, ein grauenvoll ſchönes Scaufpiel 
dar, erhöht durd; die Spiegelung im Rheine." — Als Corvin Nachts nad 
bem Mühlaus:Schlößchen fich begeben follte, dody den Weg nicht wußte, 
ritt er dahin auf einem ben Stallungen des Sclofjes entführten Pferde 
der Großherzogin Stephanie, dad den Weg bem Schlößchen der 
Fürſtin ganz von felbit fand. 


Die Jahre 1848 und 1849. 591 


gänge zum ewigen Gedächtniß niedergelegt, welche wir in ihrem 
Wortlaut folgen Lafjen: 

Die Ereigniffe des 22. Juni 1849 in Mannheim, an 
welchem Tage die Stadt an die kgl. Preußiichen Truppen iüber- 
geben wurde, Lajjen fich furz in Folgendem zujammenfafjen: 

Das für die badiichen Injurgenten unglücklich ausgegangene 
Gefecht bei Waghäufel Hatte denjenigen Bürgern, welche der 
Mairevolution nicht zugethan waren, die Hoffnung eingeflößt, 
daß wir nun bald von der auf ung drüdenden Lajt eines un— 
gejeglichen Zuftandes befreit werden würden. . 


) 





Freiſchärler. 


Als man daher wahrgenommen Hatte, daß General 
Mieroslawsti ſich veranlaft gejehen, mit dem größten Theil 
jeine® Heeres Heidelberg zu verlaffen, und fich gegen Bruchjal 
zurüdzuziehen, jo wurde bei vielen Bürgern der Gedanfe er: 
wedt, daß es jebt an der Zeit fein dürfte, durch eine Gegen- 





592 Die Jahre 1848 und 1849. 


revolution die gejeßliche Ordnung wieder herzuitellen. Bei 
diefer Stimmung der Gemüther geihah es, daß ſich am Frei— 
tag den 22. Juni Vormittags eine Kleine Anzahl Bürger auf 
dem Rathhauſe verfammelte, um mit den gerade dort befind- 
(ihen Mitgliedern des Gemeinderaths zu berathen, ob es nicht 
thunlich wäre, die Stadt an die Breußiichen Truppen zu über- 
geben, welche die zunächit liegenden Dörfer Käferthal und 
Feudenheim beſetzt hielten. Es wurde jedoch bei diejer Unter— 
redung nichts Bejtimmtes ausgemadjt, jondern beſchloſſen, daß 
man ſich an demjelben Nachmittage mit Dinzuziehung des Ge- 
meinderath3 und Heinen Ausichufjfes wieder dajelbit verjammeln 
wollte. 

Am Nachmittag, es mochte ungefähr 3 Uhr jein, als ſchon 
mehrere Mitglieder des Gemeinderaths und Kleinen Ausſchuſſes 
mit andern Mitgliedern auf dem Nathhauje verfammelt waren, 
erichien. Kreiskaſſier Tarujello und erklärte, daß er eben einen 
von dem Civilkommiſſär Trützſchler ausgejtellten jchriftlichen 
Befehl erhalten habe, die Kreisfaffe an den Notar Oswald 
auszuliefern, daß er jedoch die Auslieferung derjelben entſchie— 
den verweigert habe, und den Gemeinderath erjuche, ihm in 
Ausübung jeiner Amtspflicht den nöthigen Schuß zu verleihen. 
Herr Taruſello ichwebte in Lebensgefahr. Der Notar Oswald 
hatte ihm bei Verweigerung der Kaffe mit Erſchießen gedroht 
und auch wirklich der ihn begleitenden Freiſchaaren-Wache ihre 
Gewehre zu laden befohlen. Oberſt Engelhorn der hinzuge- 
fommen war, und troß der augenjcheinlichen Gefahr, die aus 
dem Widerftand entipringen fonnte, den Sreisfajfier in ber 
Meinung bejtärkt hatte, die Kaffe zu verweigern, forderte dieſen 
auf, jich auf das Rathhaus zu begeben, und von dem Gemeinde- 
rathe Schuß zu verlangen. Tarujello jagte ferner aus, daß 
ſowohl Zrüßjchler, als auch der Stadtlommandant Oberſt 
Meriy mit mehreren anderen Offizieren nach Heidelberg zu 
fliehen im Begriffe jeien, und bie Abjicht hätten, die Kreisfaffe 
mitzunehmen. Es wurde diejes auch von Bürgern, die ine 
zwiichen herbeigeeilt waren, bejtätigt, da fie gejehen hatten, 
wie die im Schloßhofe aufgejtellten Reiſewagen in aller Eile 


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Bernhardushof 
Erbaut von Rudolf Tilleifen (Mannheim). 


Die Jahre 1848 und 1849. 583 


bepackt wurden. Die Gemeindebehörde war ſogleich der An— 
ſicht, daß die Hinwegnahme der Kreiskaſſe durch die revolutio— 
nären Fremdlinge, die ſich damit flüchtig machen wollten, ver— 
hindert werden müßte, und beſchloß ſofort die Schloßwache 
durch Bürgerwehr zu verſtärken. 

Nachdem die dazu nöthigen Befehle von dem Oberſten 
Engelhorn gegeben waren, und derſelbe an die Schloßwache 
zu gehen im Begriffe war, wurde er davon in Kenntniß geſetzt, 
daß die Dragoner zu den Bürgern übergegangen ſeien. Auf 
dieſe zwar nicht unerwartete, aber zu rechter Zeit eingelaufene 
Nachricht ließ Oberſt Engelhorn dem Dragoner-Commandeur 
Thomann ſogleich den Befehl zugehen, die Kreiskaſſe, die Eiſen— 
bahn und die Stadtausgänge zu beſetzen, und Patrouillen um 
die Stadt herum zu ſchicken. 

Major Thomann ſtellte ſich bald darauf zur Verfügung 
des Gemeinderaths. Es befanden fi) nämlich hier drei Schwa- 
dronen Dragoner, die vom Oberfommando den Befehl erhalten 
hatten, um 2 Uhr Nachmittags abzumarjchiren, und zum Haupt- 
Corps zu ftoßen; allein diefe Truppen, welche der Revolution 
ſchon nicht mehr zugeneigt waren, weigerten ich, dem Befehl 
zu folgen und blieben am Schluſſe aufgejtellt. 

Bon verichiedenen Seiten war auf fie eingewirft worden. 
Mehrere hiefige Einwohner hatten jchon Vormittags den Ver— 
juch gemacht, die Dragoner zu bewegen, zum Behufe einer 
Gegenrevolution gemeinjchaftlihe Sache mit den Bürgern zu 
machen; fie wurden dadurch jchwanfend gemacht, jedoch erit als 
fie vernahmen, daß die Kreiskaſſe geraubt werden jollte, ent: 
ichloffen fie fich, zu den Bürgern überzugehen. Damit war der 
Anfang zur Gegenrevolution gemacht, und es bedurfte von nun 
an ganz energiicher Maßregeln, um diejelbe durchzuführen, da 
noch jehr viel zu thun übrig war. 

Oberſt Engelhorn, der ſich nad) dem Zeugniffe aller, Die 
ihn gejehen, an diefem Tage mit großer Energie benahm, gab 
gleich darauf den Befehl, die Kanonen vom Rhein und dem 
Nedar abzuführen und herein ins Zeughaus zu bringen; da 
er jedoch wohl wußte, dab die Kanoniere diejem Befehl nicht 

Defer, Geſchichte der Stadt Mannheim. 38 


594 Die Jahre 1848 und 1849, 


gehorchen würden, und an dem Vollzuge desjelben alles gelegen 
war, jo erlaubte er fich dabet eine Lift. Es waren von Seiten 
der Commandantichaft ſchon Morgens die Pferde requirirt wor— 
den, und dieſe ftanden nun bereit, die Kanonen nach Heidel- 
berg zu führen. Er ließ daher den Kanonieren jagen, daß fie 
jetzt abmarjchiren jollten, und den Fuhrleuten befahl er, anitatt 
nach Heidelberg, die Kanonen bier in den Schloßhof zu führen, 
wo fie von den Dragonern bewacht wurden. Dieje Lift gelang 
durch die Unterjtügung der Dragoner, und damit war nahezu 
die Sache gewonnen. Bis dahin jchwebte die größte Gefahr 
über den Häuptern der Bürger, welche ich bei diejer Bewegung 
bejonders betheiligt hatten, denn die Kanonen fuhren geladen 
durch die Stadt, und ein einziger Schuß, abgefeuert von der 
der Revolution noch ganz ergebenen Mannjchaft war vielleicht 
das Beichen zu einer blutigen Kataſtrophe. 

Die Pionier» Kompagnie wurde vom Rhein in die Stadt 
berufen, und die Vorpojten von Jenſeits des Nedars zurüd- 
gezogen, welche theils aus Leuten des eriten Aufgebot, theils 
aus jolchen der jogenannten deutjch-polnijchen Legion beſtanden. 
Bier: bis fünfhundert Maun des eriten Aufgebots ftanden 
noch auf dem Paradeplag. Das Ettenheimer Banner, welches 
die Schloßmwache noch bejegt hielt, war im Scloffe aufgeftellt. 

Beide Corps wurden entwaffnet und nach Hauje geichidt, 
bis auf einen Theil des leßtgenannten Banners, welcher nad 
Heidelberg entfam. 

Es iſt hieraus erfichtlich, daß ſich noch viele revolutionäre 
Elemente in der Stadt befanden, die mit einem entjchlofjenen 
Anführer die Gegenrevolution nerhindert haben würden; allein 
e3 lag eine ſolche moralifche Kraft in dem Verhalten der 
ordnungsliebenden Bürger, daß auch die wüthendſten Roth— 
republifaner nichts dagegen zu unternehmen wagten. Die Be— 
fehle wurden, wenn aud mit einigem Widerjtreben, vollzogen, 
und die eriten Aufgebote liegen ſich entwaffnen. Die Nach— 
richt, dah die Dragoner ſich den Bürgern angeſchloſſen hätten, 
ging wie ein Lauffeuer durch die Stadt, und es wurde auf 
den Straßen außerordentlich lebhaft. 


Die Jahre 1848 und 1849. 595 


Die Bürgerwehr war auf den Auf des Generalmariches 
ziemlich zahlreich erichtenen, und man jah auch Bürger, die 
der Schüßencompagnte angehört hatten, mit Musfeten herbei— 
eilen, um ſich an der Gegenrevolution zu betheiligen. Dies 
geihah zwiſchen 3 und 4 Uhr. Für die Schügen war fein 
Signal gegeben worden, da ſie jchon früher entwaffnet worden 
waren. Die Bürgerwehr verlief fich wieder; der zweite 
Generalmarjch gegen 5 Uhr brachte wenig Mannjchaft zuſam— 
men; aber alsdann verjammelte das Hornfignal die Scharf- 
ihüsen, und viele Bürger jchlojfen fich ihnen an. Erſtere 
bejegten das Nathhaus und die Kreiskaſſe. 

Die Dragonerabtheilung, welche die Eijenbahn bewachte, 
hatte dajelbit den Stadtcommandanten Oberſt Meriy und 
mehrere andere polnische Officiere verhaftet, fie wurden aber 
auf Verwendung mehrerer Bürger freigegeben und entfamen 
auf der Eijenbahn nach Heidelberg.*) Der Eijenbahnzug war 
zwar auf Befehl des eriten Bürgermeifters zurüdgehalten, 
allein durch Drohung mit Anwendung von Waffengewalt, 
gelang es endlich den Offizieren, unterftüßt von den oben— 
genannten Ettenheimern den Voritand zu vermögen, von dieſem 
Befehle abzugeben. 

Civilkommiſſär Trübjchler wurde am neuen Weg von 
einigen Bürgern angehalten, von den Dragonern arretirt umd 
blieb verhaftet. Er wollte zu Pferde das Weite juchen 

Es war von der Gemeindebehörde verabredet worden, daß 
Oberbürgermeilter Jolly mit einem Gemeinderathe, Karl Hoff, 
nad) Ludwigshafen überfahren, den Commandanten dajelbit von 
dem, was in Mannheim vorging, benachrichtigen, und bayriiche 
Truppen zur Unterjtügung verlangen jolltee Der Commandant 
wollte aber ohne Befehl des Übergenerals nicht handeln, und 


*) Zu dieſen gehörte auch Otto von Gorvin. Der Mannheimer Karl 
Blind und Struve waren jchon am 30. März in Folge ihrer Betheiligung 
an der Revolution im Oberland vom Schwurgericht in Freiburg wegen 
Hochverraths verurtheilt worden, wurden jedoh im Mai aus dem Gefäng— 
niß in Bruchial befreit. 

38” 


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596 Die Jahre 1848 und 1849. 


bis die Öenehmigung dazu erfolgt war, waren die Preußen 
ſchon in die Stadt eingerüdt. 

Zu gleicher Zeit war den Major Thomann aufgegeben 
worden, mit einem Trompeter über den Nedar zu reiten, und 
mit den Preußen wegen der Uebergabe der Stadt zu unter 
handeln. Kaufmann Wilhelm Reinhard jun. wollte ihn zu 
Pferde hinüberbegleiten, allein die an der Brüde aufgeitellte 
Bürgerwache wollte durchaus nicht dulden, daß der Lebtere 
mit hinüber ging. Major Thomann, ein erwählter Officier 
und früherer Oberwachtmeifter, getraute ſich nicht allein in das 
preußiiche Lager zu gehen, und jo begleiteten ihn denn zwei 
Gcmeinderäthe Bender und 9. Knippenberg nad Käferthal, zu 
dem dajelbit commandirenden Major. Dieſer war nad) ge: 
pflogener Unterredung mit den Abgeſandten bereit, ſogleich 
nah Mannheim einzumarichiren. Zwei Schwadronen rother 
Huſaren waren jchon voraus, und das Infanteriebataillon war 
bereits in Marſch gejegt, als plöglich durch einen Officier die 
Ordre gegeben wurde, die Truppen in das Standquartier zu: 
rüdfehren zu lajfen. Die parlamentirenden Gemeinderäthe 
waren darüber erjtaunt, und zugleid; beunruhigt, weil ſie bei 
der in Mannheim noch immer berrichenden Gährung, und in 
Folge des Ausbleibens der preußtichen Truppen Erceife gegen 
die ordnungsliebenden Bürger befürdteten. Die Sache Härte 
jich bald auf. Es war der von Mannheim ausgegebene Befehl, 
(daß die bei Feudenheim und Ladenburg jtehenden Corps des 
erjten Aufgebots fich nad) der Stadt begeben und auch die 
Kanonen mitbringen jollten) den die Barlamentäre jelbit dem 
Commandanten der Hujaren = Borpoften zur Bejorgung über: 
geben hatten, von dem in Feudenheim ftationirten Major ge 
öffnet und ausgelegt worden als beabjichtigte die Mannheimer 
Einwohnerjchaft, die preußiichen Truppen in eine Falle zu 
loden. Die Barlamentäre wurden daher unter Eskorde in das 
Hauptquartier nach Heddesheim geſchickt, wo fie jehr freundlich 
aufgenommen wurden. Oberſt Graf von Schlieffen ſetzte durch— 
aus feinen Zweifel in ihre Ausſagen, und ließ ohne Bedenk— 
lichkeit jeine jämmtlichen Truppen jogleich den Weg nad Mann: 


Die Jahre 1846 und 1849. 597 


heim antreten, indem er einen Hujaren mit dem Befehle voraus- 
ſchickte, daß die Käferthaler Beſatzung ſich ohne Verzug eben- 
falls dahin auf den Weg machen jollte. 

Als die Gemeinderathsmitglieder mit dem Major Thomann 
nach Käferthal zurüdtamen, hörten fie zu ihrer großen Freude, 
dad die Preußen ſchon in Mannheim eingerüdt jeien; das war 
nach 9 Uhr. Eine Patrouille von 2 und fpäter eine von 5 
Mann rother Hujaren, waren bereit? nad) 6 Uhr in die Stadt 
und bis ans Schloß Hinaufgeritten, um zu refognosziren, nad) 
8 Uhr marſchirte Infanterie ein, und bejegte die Eiſenbahn. 
Die übrigen Truppen rüdten erjt gegen Mitternacht in Die 
Stadt ein und bivouacirten bis zum nächjten Morgen in den 
Planfen. Die Kettenbrüde und die breite Straße waren am 
Abend erleuchtet worden, und dieſe freudige Stimmung bei 
dem größten Theile der Bevölkerung bezeugte, daß man mit 
dem Einzuge zufrieden war. So endigte diejer Tag denk— 
würdig für diejenigen, welche fich an der Bewegung betheiligt 
hatten. Glüdlich endigte er für die Stadt, die bei einem 
feindlichen Angriffe viel zu dulden gehabt haben würde.“ 

Damit war die Rejtanration eingeleitet. 

Der großherzogliche Landescommiſſär v. Reigenjtein erließ 
unterm 6. Juli eine Verfügung, wodurch gegen jämmtliche 
Mitglieder des Gemeinderathes und Ausſchuſſes wegen Ber: 
dachts der Betheiligung an den hochverrätherijchen Unterneh- 
mungen eine Unterjuchung eingeleitet, und fie ihrer Stellen 
einjtweilen enthoben wurden. 


Stadtdirector Kern, derjelbe, der im April 1848 capitulirt 
und im Mai 1849 ſich dem Gemeinderathe unterworfen hatte, 
mußte den Erlaß vom 6. Yuli*) den Betheiligten eröffnen und 


+) Mir laffen den Wortlaut des Erlaſſes vom 6. Juli und des Er— 
Ööffnungsprotocolles vom gleihen Tage als denfwürbiger Urkunden folgen. 

„Der Großh. Zandes:Gommifjär für den Unterrheinfreis verordnet: 

1) Gegen die beiden Bürgermeifter, die Mitglieder des Gemeinderaths 
und des feinen Bürgerausſchuſſes, jowie gegen den Rathichreiber ber Stadt⸗ 
gemeinde Mannheim iſt wegen Verdachts der Betheiligung an den hodhver- 
rätherifchen Unternehmungen eine Unterfuchung einzuleiten. 


598 Die Jahre 1848 ımd 1849. 


die neu ernannte Gemeindeverwaltung einiegen. Mochte es 
nicht ein hartes Geichäft für den bejahrten Mann jein, Jene 
als Hochverräther zu behandeln und von dem Rathhauje zu 
verweilen, die mit hingebender Aufopferung die Geichide der 
Stadt während einer ichweren Zeit geleitet, die Ruhe und Ord- 
nung aufrecht erhalten; die an Stelle der ohnmächtigen Staat®- 
gewalt Perſonen und Eigenthum geſchützt; die mit einem Worte: 
die Bürgerfrone durch Aufopferung, Selbitlojigfeit, Ausdauer 
und Rückſichtsnahme verdient hatten? 

Dem Erlaß des Großh. Landeskommiſſärs für den Unter» 
ıheinfreis vom 6. ds. zu ‚Folge hat man die Mitglieder des 
wirklichen Gemeinderats und Heinen Ausſchuſſes, ſowie jene, 


2) Der Großh. Amtmann Herterih wird mit Führung diejer Unter: 
juhung beauftragt. Solche hat ſich vorderhand auf eine kurze Feititellung 
des Thatbeitandes, ſummariſche Erhebung der Beweismittel und Verneh— 
mung der Betreffenden zu beichränfen, das Grgebniß der Unterfuchung iſt 
in thunlichiter Bälde zur weitern Verfügung vorzulegen. 

3) Die Gemeindeverwaltung, die Bürgermeiiter, (Gemeinderäthe, Der 
Nathichreiber und Feine Ausihuß) wird im ihrer gegenwärtigen Zuſammen— 
jegung ihrer Functionen einjtweilen euthoben. 

4) Dem eriten Bürgermeiſter wird die Befugniß eingeräumt, einen 
proviforiichen Nathichreiber, fowie dasjenige Perfonal anzuftellen, welches 
zur Durchführung feines Amtes nöthig iſt. Man erwartet von demifelben 
die Entlafiung des Scribenten Hud). 

Die Ernannten erhalten ihre Bezahlung aus Mitteln der Gemeinde, 
Die Gehalte der Bemeindebeamten find diejelben, wie fie vor dem 13. Mai 
l. 3. feitgefegt waren. Der Bürgermeifter ift wegen Zahlung der Gehalte 
und der Stoften, welche die Maßnahmen verurfachen, die nothwendig find 
zur Aufrechthaltung der öffentlichen Ordnung, nicht an die Juftimmung von 
Gemeindebehörden gebunden, 

5) Der große PVürgerausihuß kann — bis auf Weitered — ohne 
Ermächtigung des Großh. Landes-Commiſſär für den Unterrheinkreis zu 
feinerlei Verfanmmlungen berufen werden, 

6) Das Großherzogl. Stadtamt Mannheim ift, mit der Verkündigung 
und dem Wollzuge beauftragt. Derfelbe ift fofort zu bewirken, und wie 
geichehen, anzuzeigen. Den bejtellten Gemeindebedienfteten ift zu bedeuten, 
daß ihnen die Mebernahme des Amtes Kraft der dem linterzeichneten über— 
tragenen Vollmacht zur Pflicht gemacht wird. Cine Ablehnung ift unzuläffig. 

Mannheim, 6. Juli 1849, 

gez. v. Reitzenſtein.“ Gr. Stadtdirector tern. 


Die Jahre 1848 und 1849. 599 


welche provijoriih zu Gemeinderäthen und Ausichußmitgliedern 
ernannt wurden, auf heute Abend 6 Uhr auf das Gemeinde- 
haus eingeladen; von dem bisherigen Gemeinderath find er- 
fchienen: Der 1. Bürgermeifter Jolly, der 2. Bürgermeifter 
Moll, die Gemeinderäthe: Bender, Hoff, Kley, Anippenberg, 
Forrer, Eller, Held. Die Gemeinderäthe Clottü und Glimpf 
find in Gemeindeangelegenheiten abwejend und Gemeinderath 
Haffner iſt verreift. Die Gemeinderäthe Löwenhaupt und 
Nüdert aber befinden fich in Unterfuchungshaft. Won dem 
Heinen Bürgerausſchuß find ſämmtliche erichienen, mit Aus» 
nahme der abwejenden Sebajtian Jörger, Heinrich Noes, 
Michael Helwig. 

Von den neu ernannten Gemeinderäthen find jämmtliche, 
bis auf Weinhändler Friedrich Deiterlin und Gemeinderath 
Glimpf, von dem neu conjtituirten Kleinen Ausſchuß ſämmtliche 
bis auf Hofichloffermeilter Johann Peter Adam, Mebgermeifter 
Karl Greihgauer, Kaufmann Meier Nicolai und Bäckermeiſter 
Schuh erichienen. Man eröffnete denjelben den Erlaß des 
Gr. Landeskommiſſärs vom 6. Juli, von Nr. 3 bi! zum Schluffe 
durch wörtliches Vorleſen. 

E3 entfernten ſich hierauf jogleich die Gemeinderäthe Hoff, 
Eller, Bürgermeijter Moll und Ausſchußmann Vogt; Lebterer 
mit der Erflärung, daß er der Gemeinde lange genug gedient 
und jomit nichts mehr bier zu thun hätte. 

Dagegen erklärten diejenigen, welchen, theil3 ala Gemeinde: 
räthe, theil® als VBürgerausichußmitglieder, die Gemeindever- 
waltung provijoriich übertragen worden, daß fie ſich nur dem 
Drang der Umftände fügen. 

Auf Borlejen erklären die Anweſenden, der Gemeinderath 
Hoff habe bei feinem Abgehen gejagt, er jehe mit Befriedigung 
auf feine 7Tjährigen Dienjtleiftungen im Gemeinderath zurüd, 
und empfehle jich, worauf er abgetreten ijt. Gemeinderath 
Kley erklärte, daß er die ihm zugedacdhte Stelle nicht übernehmen 
wolle, und nicht fünne, da er glaube, daß jeine Collegen, welche 
nicht wieder in den Gemeinderath treten, dadurch gefränft jeien, 
und Bürgermeijter Reiß erklärte, dag er ohne den Eintritt der 


600 Die Jahre 1848 und 1849. 


Gemeinderätbe Kley und Glimpf das Bürgermeifteramt nicht 
übernehme; man erwiderte jedoch denjelben unter Hinweijung 
auf das eröffnete Reſcript des Landeskommiſſärs, daß man 
feine Einſprache annehmen könne und fie ſich ihres Dienftes 
ohne Weiteres zu unterziehen hätten.“ 

Auch die Unterjuchungsgerichte waren längjt in Thätigfeit 
getreten. In erjter Linie war es Wilhelm Adolf vou 
Trützſchler aus Gotha, gewejener Appellationsgerichts-Aſſeſſor, 
welchen man des Hochverraths bezichtigte. Trüßjchler war 
31 Jahre alt, Vater von drei unmündigen Finder. Er Hatte 
die Stelle eines Civilcommiſſärs für Mannheim und die eines 
interimiftiichen NRegierungsdireftord des Unterrheinfreijes be— 
fleidet. Seine Vollmachten datirten aud) von der Reichsregent— 
ihaft in Stuttgart. Als Civilcommiſſär hatte er das 1. Auf- 
gebot der Bürgerwehr und jpäter das zweite aufzuftellen ge— 
habt und mußte für deren Bedürfniſſe jorgen. Er hatte jchließ- 
lid Bertheidigungsanftalten getroffen und Befehl gegeben, die 
Kreiskaſſe bei dem Rückzuge nad) Heidelberg zu bringen. Außer: 
dem hatte er den Bolizeicommifjär Hofmann abgejegt, das 
Scübencorps aufgelöft und die Entlajjung der Mitglieder der 
Kreisregierung beantragt und erwirkt. Auch Hatte Trübjchler 
einmal eine Rede Mieroslawskis überjegt und verdeutlicht. 
Mieroslawsti war am 15. Juni in Mannheim anwejend und- 
gerirte ſich als unumſchränkter Dietator. Er erklärte, daß ihm 
alle Mittel der Stadt, Häuſer, Geld, Lebensmittel, ja Menjchen 
zur freien Verfügung jtänden, und drohte, dag, wenn ihm 
Hindernifje bereitet würden, er die Stadt in einen Aichenhanfen 
verwandeln und die Köpfe der Wideripänjtigen, und wären es 
10,000, fliegen lajjen werde. Wegen diejer und ähnlicher 
Handlungen formulirte man gegen v. Trützſchler eine Anklage 
wegen Hochverraths. Trützſchler räumte alle jene Anklagpuntte 
ein, und auf den Vorbehalt, da er fi) durch diefe Hand» 
lungen des Hochverraths jchuldig gemacht Habe, erklärte er: 
„Das iſt eine Rechtsfrage, die jpäter entichieden werden 
wird.“ 

Allerdings war das eine Rechtsfrage und fie wurde 


Die Jahre 1848 und 1849. 601 


entichieden durch ein militäriiches Gericht, dur) ein Stand- 
gericht. Ein preußischer Major, ein Hauptmann, ein Ober: 
fteutenant, ein Secondelieutenant, ein Feldwebel, ein Unter- 
offizier und ein Wehrmann entjchieden über die Rechtöfrage. 
Nach einer Verhandlung, die von Morgens 8", Uhr bis 5 Uhr 
dauerte, und wobei der Angeklagte von Anwalt Küchler in 
Heidelberg vertheidigt wurde, erließ das Standgeridht am 
13. August 1849 ein Urtheil dahin: „es jei Wilhelm Adolf 
von Trüßichler des Hochverrath3 für jchuldig zu erklären, und 
deshalb zum Tode durch Erjchießen, zum Erſatze des Scha— 
dens, joweit er noch nicht geleiftet, und zur Tragung der Unter: 
juchungstoften zu verurtheilen.* Eine Genehmigung diejes Ur- 
theil® Seitens einer höheren Behörde war nicht vorbehalten; 
der Vollzug erfolgte deshalb am 24. Auguſt Morgens 4 Uhr 
vor dem Stirchhofe jenjeit® des Neckars. Ebenjo lautete das 
Urtheil gegen Valentin Streuber vom 9. October. Das» 
jelbe war nicht einftimmig gefällt und bedurfte deshalb der Be- 
jtätigung des Kriegsminijteriums. Sie wurde ertheilt und das 
Urtheil am 11. October vollzogen. Gegen Streuber machte man 
geltend, daß er jeit dem Jahre 1830 der Oppofitionspartei an- 
gehört habe, daß er die Proletarier Mannheims geleitet, fich 
bei den Unruhen mit dem Naſſau'ſchen Militär betheiligt habe, 
Mitglied des Sicherheitsausſchuſſes geweſen jei, bei der Ab- 
ſetzung der Beamten mitgewirkt und den Gemeinderath terrorifirt 
habe. Auch habe Streuber als Stellvertreter des Eivilcommiffär 
Trügjchler functionirt, und noch in den legten Tagen ver- 
ihiedene Anordnungen zur Vertheidigung getroffen. Streuber 
war gleichfalls von Anwalt Küchler in Heidelberg vertheidigt. 
Umfonft war es, daß Streuber ſich darauf berief, wie er 
immer nur das Beſte feiner Mitbürger gewollt und was er 
Nützliches gejchaffen habe; umjonjt berief er fich wohl aud 
auf eine vorliegende Urkunde, nad) welcher er bereit3 am 
22. Mat jeine Demijfion als Mitglied des Sicherheitsaus- 
ichuffes gegeben und eine nochmalige jpätere Ernennung 
abgelehnt hatte, umjonjt waren alle Worte des VBertheidigers ; 
mit 4 gegen 2 Stimmen wurde dad Todesurtheil gefällt. 


602 Die Jahre 1848 und 1849. 


Dieje traurigiten aller Broceduren wiederholten ſich gegen 
Carl Höfer von Bremen, den Soldaten Beter Laher aus 
Brudjal, Heinrih Diet aus Schneeberg; andere wurden 
zum Zuchthauſe verurtheilt, oder zur jolchem begnadigt. 

Die Gegenfäge jener Zeit waren furchtbar. 

Es famen die Zeiten der Denunciationen und der Anklagen. 
Die Gefängniſſe füllten fih an. Auch die Mitglieder des 
Semeinderath3 hatte man, nachdem die Disciplinarunterfuchung 
mit ihrer Entlaffung endigte, criminalrechtlich verfolgt. Die 
Meitgliedichaft in dem Sicherheitsausichufle genügte dazu. Eller, 
deſſen Haare in dem Unterjuchungsverhaft bleichten, hatte man 
die Fertigung der Prockzmationen des Gemeinderathes, nament— 
lich der vom 14. Mai, zur LZaft gelegt. 

Viele hatten der Heimat den Nücden zugewendet, um 
anderwärts einen freien Ruhepunkt zu finden. 

Ein düfterer Himmel breitete fich über Baden und Deutfch- 
land aus. Es kamen die Tage von Bronzell und Olmütz. 
Die bundestägliche Wirthichaft blühte von Neuem. Und den— 
noch ftand die Entwidlung der Dinge nicht ftill. 

Zunächſt war e3 eine öconomiſche Neftauration, Die 
bewerfjtelligt werden mußte. Die Zeit der Bewegung hatte 
die Finanzen des Staates, der Gemeinden und der Einzelnen 
erſchüttert. Es begann eine Zeit der Arbeit und der all» 
jeitigen Negiamfeit auf dem Gebiete der Privatthätigfeit. 
Die erlittenen Berlufte mußten ausgeglichen, die verlorene 
Zeit eingeholt und neue Erwerbsquellen geöffnet werden. 
Bon dieſem Zeitpunkte datirt ſich die Entwidlung der 
Industrie in Mannheim und das raſche Aufblühen des 
Handels. 


TEL 


IV. Abtheilung: 


Mannheim unter Badens Fürsten und 
die moderne Entwicklung der Stadt. 


— — Ze 


XXX. 


Die Badischen Sürften vom Ueber: 
gange Mannheims an Baden bis 
zur Gegenwart. 


Napoleon I. und die Refidenzfrage — Kurfürſt Karl Friedrih in Mann: 
heim — Die vorherigen wechjelvollen Kriegsereigniſſe — Der Streit um 
die Sammlungen — Großherzog Karl — Prinz Wilhelm (nahmals Staifer 
Wilhelm I.) in Mannheim und der Nheinübergang 1814 — Großherzog 
Ludwig — Erbfolge in Baden — Großherzog Leopold — Prinz Friedrid) 
wird Negent — Vermählung des Großherzogs Friedricd mit der Prinzefin 
Luiſe von Preußen 1856 — Einzug in Mannheim — Auguft Lamey Ehren— 
bürger Mannheims — Der Strieg 1870/71 — Strantenpflege in Mannheim 
— Dr. Billroth — Gefallene Helden — Einzug ber Sieger — Kaiſerdenkmal 
und Kriegerdenkmal — Das Jubiläum der 5ujährigen Regierung des Groß: 
herzogs Friedrich. 


Mopoleon I. hatte am 5. Juni 1803 dem badiſchen Ge— 
jandten von Dalberg gegenüber die Stadt Mannheim als eine 
der jchönften Städte Deutjchlands erflärt und jeine Meinung 
dahin ausgejprochen, daß der neue Landesherr der recht3- 
rheinijchen Pfalz, Kurfürſt Karl Friedrich, dieſe Stadt zu ſeiner 
Refidenz machen werde. Napoleon war die Bedeutung diejer 
Stadt, ihrer Kunft und Wiſſenſchaft, ihrer jozialen Einrich- 
tungen und ihrer früheren Hofhaltung nicht entgangen. 

Aber jein Gedanfe, Mannheim zur Refidenz Badens zu 
machen, konnte jich nicht verwirklichen. Die badijchen Fürjten 
hielten — und dies fann ihnen nicht verdacht werden — treu 


606 Die Badiſchen Fürſten. 


an der Hauptſtadt ihres Stammlandes feſt. Sie wollten ſich 
doch nicht ohne weiteres in eine Sphäre verſetzen, die erſt 
langſam mit der ihres bisherigen heimatlichen Kreiſes in Ein— 
klang zu bringen war. Lange währte noch der Gegenſatz 
zwiſchen Pfälzerthum und Badener Art fort bis die Begrün— 
dung des Deutſchen Reiches, zu der Badens Herrſcher haupt— 
ſächlich mit beitrug, neue Einheit ſchuf. 

Karlsruhe blieb die Reſidenz der badiſchen Fürſten, aber 
Mannheim erfreute ſich nichtsdeſtoweniger der Liebe und Huld 
dieſes Herrſcherhauſes. 

Vom 2. bis 7. Juni 1803 fanden in der Stadt Mann— 
heim die erjten, jeinem neuen Fürſtenhauſe gewidmeten Hul— 
digungsfeierlichkeiten jtatt. Am 2. Juni nachmittags gegen 4 
Uhr wurde Kurfürjt Karl Friedrich am Heidelberger Thor von 
Stabtdireftor Rupprecht mit einer Anſprache begrüßt. Der 
Fürſt hielt dann, begleitet von der ihm entgegengefommenen 
bürgerlihen Cavallerie, jeinen Einzug durch die Stadt bis 
zum Schloß und wurde von der Bevölferung Mannheims 
auf's Herzlichite aufgenommen. Am zweiten Tag war Seit: 
vorjtellung im Nationaltheater mit einem von rau Ritter 
(geb. Baumann) gejprochenen Prolog von G. Römer und mit 
einer Aufführung der glanzvoll ausgeitatteten Oper „Palmira“ 
von Salieri. Der dritte Tag des Feſtes (4. Juni) ließ Die 
Jugend ihre Huldigung darbringen; die neue Generation hul— 
digte dem neuen Herricher. Am vierten Tag der Feier, einem 
Sonntag, wurde feierlicher Gottesdienjt unter Anmwejenheit des 
Kurfürjten in der ZTrinitatisficche abgehalten. Eine Kantate 
von Sapellmeijter Ritter (Dichtung von G. Römer) gelangte 
zum Vortrag und Pfarrer Leibnig hielt die Predigt über 
Pſalm 118 Vers 24, der lautet: „Diejen Tag hat uns ber 
Herr gemacht, laſſet uns freuen und fröhlih an demjelben 
jein.“ 

Tags darauf huldigten die herbeigefommenen Heidelberger 
und Bruchjaler Bürgertruppen dem Kurfürjten. Abends war 
Feſtconcert in dem glänzend erleuchteten Ritterjaal des Schlofjes. 
Ihren Gipfel erreichte die ‚Feier am 7. Juni. An diejem lebten 


Die Badiichen Fürften. 607 


Tage der eier wurde der offizielle Duldigungsaft vollzogen 
mit den Neden des Staatsminiiter8 von Edelsheim, des Hof: 
rathepräfidenten von Hövel und des Stadtdirectors Rupprecht 
bei Anmwejenheit der jtädtiichen Deputirten. Nach dem Gottes» 
dienit in der Schloßfapelle folgte die Parade der Bürgerwehr 
und des Militärs. Am Abend fand die Feſtzeit mit einer 
glänzenden Sllumination ihren Abſchluß. Zum Gedächtniß des 
eine neue Geichichtsperiode Mannheims einleitenden Tages lieh 
man eine Denkmünze von dem Münzgravenr Bolthauien 
in Gold und Silber prägen, die neben der Büſte des Kur— 
fürjten mit einem Bilde der Stadt und Berjinnbildlichungen 
des Rheins und Nedars die Umjchrift trägt: Karl Friedrich 
Kurfürſt. Seinem eriten Negenten aus dem Hauſe Baden 
huldigt Mannheim 1803. 

Karl Friedrich weilte noch mehrere Wochen in der Stadt 
Mannheim und begab ſich erit am 27. Juni von hier aus 
nach Heidelberg, um dort neue Huldigungen entgegenzunehmen. 

Es war ein beſonderes Glüd, dat das badiiche Fürſten— 
haus mit einem feiner beiten Häupter jeine Regentſchaft in den 
neugewonnenen Lande begann. Ein jo vortrefflicher Fürſt wie 
Karl Friedrich konnte fich rajch die Herzen der Bevölferung 
der Stadt Mannheim gewinnen — bejonders als man jeine 
aufrichtigen Bemühungen ſah, die Berlufte, die die Stadt 
Mannheim durch Krieg und den Wegzug des Furpfälziichen 
Hofes erlitten hatte, einigermaßen auszugleichen. Sein erites 
Merk war ein Werk des Friedens. Er machte es möglich, 
daß die noch von Karl Theodor angeordnete Schleifung der 
Feſtung Mannheim vollendet werden fonnte. 

Am 1. Suli 1799 war 4 Monate nad) dem Tode Karl 
Theodors deſſen Beſtimmung zur Schleifung der Feſtung der 
Bevölkerung Mannheims befannt gegeben worden. Jubelnd 
machte fich die wie von einem jchweren Drud befreite Bevöl— 
ferung an die Zertrümmerung der Feſtungswerke. Die zu den 
Arbeiten herbeiitrömenden Freiwilligen jangen das für fie ges 
dichtete Lied, in dem es z. B., der Leiden der Feſtung ges 
denfend, heit: 





608 Die Badiihen Füriten. 


Länger jollen diefe Wälle 
Diefe Mauern niht mehr ſtehen; 
Durch fie nie mehr unjerer Entel 
Lebensfreuden untergehen. 


Allein dieſe Zeritörungsarbeiten waren bald in’s Stodeu 
gerathen. Zeit und Geld fehlte, fie fortzujegen. Da war es 
denn Karl Friedrich, der durch die Spende von 90,000 fl. im 
März 1803 die volljtändige Niederlegung der Befeſtigungs— 
werfe ermöglichte. 

Im Sommer 1799 hatten die Franzoſen noch eine Feld— 
befeitigung bei Nedarau angelegt, um die Deiterreicher von 
Mannheim abzuhalten; allein Erzherzog Karl griff am 18. 
September diefe Schanze der Franzoſen an und es gelang 
ihm, die Stadt einzunehmen‘) Doch wichen die Dejterreicher 
bald wieder aus Mannheim. Bereit3? am 20. Oktober jah 
man die Franzoſen unter General Ney in diefer Stadt. Nach 
ihrem Abzug fam am 13. Dezember ein pfälziiches Regiment 
nach Mannheim. Nach nochmaliger Einnahme der Rheinichanze 
durch die Franzoſen am 14. Mat 1800 unter General Thüring 
nahmen die franzöitiichen Truppen einen dreitägigen Aufenthalt 
in Mannheim. Während des am 18. Juli geichloffenen Waffen- 
jtillftands weilten in der Stadt nacheinander eine polniiche 
Legion und ein jehweizeriiches Halbbataillon bis October 1800. 
Dann wurde die Stadt nochmals durch franzöſiſche Soldaten 
bejegt, die General Suzanne befehligte, umd die erſt im Mai 
1801, nachdem am 13. Februar der Friede zu Lunevill abge- 
jchloffen war, wegzogen. Kurz vorher am 3. Mai hatte der 
General en chef Moreau in Begleitung jeiner Gemahlin 
Mannheim bejuht. Seine Landsleute empfingen die Gäſte 
feierlichit und es wurde ihnen zu Ehren eine Feſtvorſtellung 
im Theater bei glänzend befeuchtetem Haufe veranftaltet. Das 
waren die wecjjelvollen Erlebnijfe, die der Stadt Mannheim 
während diejer Uebergangszeit zu theil wurden. 

Befreit athmete die Stadt auf, als am 13. Juli 1801 
endlich wieder eine pfälzische Truppenabtheilung unter Divifionse 


*) Siehe die Abbildung zwiichen Seite 306/307, 





Großherzog Karl Friedrich. 


Die Badifhen Fürften. 609 


general von Yenburg einzog. Yſenburg ſprach der Bürger: 
jchaft jeinen Danf aus für „das unter Aufjicht und Leitung 
eines wohllöblidhen Stadtraths jowohl während der Anwejen- 
heit der Franzoſen mitten im Drange der Umſtände ebenjo 
ruhige, duldſame und gelafjene Benehmen, als aud über ben 
auf Wachten und Poſten zur allgemeinen Sicherheit nicht aus 
Zwang und Dienftobliegenheit, jondern vielmehr aus Vater: 
landsliebe und ganz bejonderer Neigung zur allgemeinen Wohl- 
fahrt bethätigten Eifer.“ 

Als im April 1802 Karl Friedrich als Markgraf 
von Baden Mannheim vorübergehend bejuchte, da gab man 
fi) über das weitere Schidjal Mannheims allerhand Ver— 
muthungen hin. Doch erit im Auguft wurde offiziell befannt 
gemacht, daß die Oberämter Ladenburg, Bretten, Heidelberg 
mit den Städten Heidelberg und Mannheim dem Markgrafen 
von Baden zugejprocen jeien. Am 21. September erichienen 
die badijchen Kommifjäre von Wöllwarthd und Gaum in Mann— 
beim, um die Uebergabe der Stadt einzuleiten. Die militärtjche 
Beligergreifung vollzog ein badiiches Bataillon unter Oberit- 
leutnant von Ed am 23. September 1802; die Beliger- 
greifung durch die Civilbehörden geihah am 23. November 
desjelben Jahres. Baden wurde 1803 Kurfürjtnethum. 

Am 2. Juni 1803 erfolgte dann die ſchon für Januar 
diejes Jahres geplant gewejene, oben bereits bejchriebene Hul- 
Digungsfeier, zu der mit dem Kurfürſten auch die Erbprinzejfin, 
die Gräfin Hochberg und deren Tochter nad) Mannheim famen. 

Doch nicht ganz ohne Conflict mit dem bisherigen fürjt- 
lichen Oberhaupt Mannheims und der rechtörheinijchen Pfalz 
Kurfürft Marimilian Jojeph (aus dem zweibrüdijchen Haufe) 
jollte die Uebernahme der Stadt fich vollziehen. Bejonders 
waren e3 die Mannheimer Sammlungen, die den Gegenjtand 
eines heftigen, nicht ohne gewaltiame Handlungen ablaufenden 
Streites bildeten. Noch während man über die Rechte an dem 
Beſitz diejer Sammlungen fi jchriftlid auseinander zu jeßen 
verjuchte, erjchienen Mitte November in Mannheim die bay- 
ziihen Kommiffäre Generalleutnant Graf von Rumfort und 


Deier, Geichichte ber Stabt Mannheim. 39 


610 Die Badiſchen Fürſten. 


General Tompſon, die einfach ohne jede Anzeige die Kunſt— 
gegenſtände im Schloſſe bei Nacht und Nebel in größter Eile 
und Haſt verpacken ließen. Dies geſchah in der Nacht vom 
14. zum 15. November. Die in Mannheim weilenden badiſchen 
Kommiſſäre Hatten inzwiſchen Auftrag erhalten, gegen die Weg- 
führung der Sammlungen Proteſt einzulegen und nöthigenfalls 
mit dem ihnen beigegebenen badiichen Militär den Transport 
zu verhindern. Für den Fall, da das den bayrijchen Ge— 
jandten zur Verfügung jtehende Militär die Uebermacht habe, 
jollten ji die Kommiljäre mit den badiichen Soldaten bis 
nad) Ladenburg zurüdziehen und dort auf Berjtärfungen von 
Karlsruhe und Bruchjal warten. Am 15. Morgens ſahen 
die bayriihen Kommiſſäre die Thüre der Schlofräume, in 
denen jich die verpadten Kunſtgegenſtände befanden, verfiegelt 
und.badiiche Soldaten als Wache davor jtehen. Mar Joſeph 
fündigte daraufhin den Einmarſch bayriicher Truppen in die 
Pfalz; an — Krieg wurde angedroht, ein Krieg um die Kunit. 
Dazu wollte es Karl Friedrich nicht kommen laſſen — es 
waren der Sriegswirren genug. Er entichuldigte die Vor— 
fommnifje in der Nacht vom 14, zum 15. November ala „im 
Gewirr einer arbeitsvollen Nacht unterloffene Irrung“ und 
gab auch in den weiteren Berhandlungen um die Bejigrechte 


an den Sammlungen, obwohl ſich Napoleon in diejer Sache 


für Baden einzutreten geneigt zeigte, zum Kummer des badijchen 
Gejandten von Reitzenſtein jeine Anfprüche freiwillig auf. 

Auch die Mannheimer Akademie hatte gegen die Weg- 
führung der Sammlungen, bejonders der Bibliothef protejtirt, 
allein diejes Anftitut beftand nur noch aus wenigen Mitglie- 
bern, die feine Macht mehr repräjentirten und zu deren Be- 
joldung dem Kurfüriten von Baden der geringe Fond der 
Akademie von 140000 Gulden überlafien worden war. Neue 
Mitglieder waren jchon jeit 1794 nicht mehr ernannt worden 
und jo erloich das verdienitvolle, formell bereit3 mit ber 
Münchener Akademie vereinigte Inſtitut mit dem Tode jeiner 
legten Bertreter. 

Auf die vortrefflichen Unternehmungen Karl Friedrichs, 


Die Badiſchen Füriten. 611 


Erjat für den Verluſt diefer Sammlungen zu jchaffen und 
Kunſt und Wilfenfchaft zu fördern, fommt noch das folgende 
Kapitel zurüd. Hier follen hauptiählih nur die politischen 
Ereigniife zur Sprache gebracht werden. Zu diejen Ereignijien 
gehört noch die Umwandlung des vergrößerten Kurfürſtenthums 
in ein Großherzogtum im Jahre 1806. Karl Friedrich war 
der erjte Großherzog Badens. 

Am 26. November 1808 wurde der Enfel Karl Friedrichs, 
Prinz Karl (Ludwig Friedrich), ein Sohn des 1801 in Schwe- 
den durch einen Sturz aus dem Wagen verunglüdten Erb: 
prinzen Karl Ludwig, Mitregent des erkrankten und alters— 
ihwad) gewordenen Grofherzogs, der am 10, Juli 1811 
verjtarb. 

Am 29. Juli zog Großherzog Karl in Mannheim ein. 
Seine Gemahlin, die Großherjogin Stephanie, war jchon am 
23. hier eingetroffen. Den Huldigungseid legte Oberbürger- 
meifter Reinhardt ab, der von der Bürgerichaft durch ein mit 
den Namen der Bürger unterzeichnetes Schriftjtüd dazu be= 
vollmächtigt worden war. 

Der Feldzug nah Rußland Hatte 1812 begonnen und 
8000 Badener waren am 19. Februar diejes Jahres unter 
Oberſt Brüdner in den verhängnißvollen Krieg gezogen. Erit 
am 5. Juni 1813 traf die Nachricht von den unglüdlichen 
Scidjalen der Napoleonischen Heere ein und nur ein Fleines 
Häuflein der muthig Ausgezogenen fehrte tief gebeugt zurüd. 
Bald darauf fam es zur Schlacht bei Leipzig, in der jchließ- 
(ih auc) die badischen Truppen unter Markgraf Marimiltan 
auf die deutiche Seite übertraten. Am 20. November erfolgte 
der definitive Anſchluß Badens an die Verbündeten. 

Um 31. Dezember 1813 und am 1. Januar 1814 war 
Mannheim der Schauplag einer wichtigen Truppenbewegung. 
Am 31. Dezember wurde gegen die in einer Rheinſchanze liegen- 
den Franzoſen ein jiegreiches Artilleriegefecht unternommen — 
das erite Gejecht, welches Prinz Wilhelm, der nacmalige 
Kaiſer Wilhelm I., erlebte. Die Franzojen wurden aus der 
Schanze verdrängt, und am andern Morgen früh gegen 6 Uhr 


39* 


612 Die Badiſchen Fürften. 


Schritt der in umd um Mannheim lagerude linke Flügel der 
Blücher’ihen Armee, der aus Preußen und Ruſſen beitand 
und den General von Saden befehligte, über den Rhein. 
Prinz Wilhelm fuhr nad) kurzer Nachtruhe im „Pfälzer Hof“ 
in einem Boote über den Rhein. Ein in Mannheim einge: 
richtetes Lazaretd hatte jhon im Januar über 1500 Kranke 
und Verwundete aufgenommen. 

Zu dem laut Beichluß vom 10. Februar 1814 gebildeten 
Landſturm jtellte Mannheim zwei Bataillone zur 8. Brigade 
des Nedarfreijes (unter Kreisdireftor Hinkeldey). Baden ſtellte 
im Ganzen inclufive der regulären Truppen und Reſerven 
nicht weniger al3 125000 Dann. 

Bom 28. bis 30. Mai Hatten die Rufjen in Mannheim 
ihr Lager errichtet. Nach ihrem Wegzug mußten die Straßen 
und Pläbe, die voller Scherben und Ueberbleibjel aller Art 
lagen, gründlich gejäubert werden. Im Jahre 1815 erfolgten 
weitere Truppendurchmärſche. Zunächſt zog Prinz Karl von 
Bayern mit 4000 Mann Infanterie, 2 Cavallerie-Regimentern 
und zwei Batterien Artillerie durch Mannheim. Um 6. Mai 
hielt hier Feldmarſchall Fürjt Wrede eine Truppenparade ab. 
Nacheinander kamen Fürft Schwarzenberg, Generalijfimus der 
öfterreichiichen Armeen, die Kronprinzgen von Bayern umd 
Württemberg, Prinz Emil von Heſſen und Erzherzog Karl 
von Dejterreih duch Mannheim. Am 25. Juni trafen hier 
‘der Kaijer von Defterreih und der Kaiſer von Ruflaud zu 
jammen, weld)’ leßterer am 12. Dftober nochmals jein Haupt 
quartier hier errichtete. Der Durchmarſch der Ruſſen dauerte 
vom 25. Juni bis 9. Juli. Dann folgten von September 
bis Ende des Jahres die Rückmärſche. Endlich zogen badiſche 
Truppen, die Regimenter Großherzog und von Neuenftein, 
ferner vier Esfadronen Dragoner des Regiments von Fred: 
jtädt in Mannheim in Garnifon. 

Am 22. Auguſt 1818 verlieh Großherzog Karl dem 
badijchen Lande eine Verfaſſung. Der Stadtrath von Man: 
heim überjandte am 19. September 1818 dem Großherzog 
hierfür eine bejondere Vankadreſſe. 


Die Badiichen Fürſten. 613 


„Der Schöpfer der Verfaſſung — jchreibt v. Feder — erlebte 
deren Einführung nicht. Am 8. Dezember 1818 ſtarb Groß- 
herzog Karl nad langem Leiden, und Großherzog Ludwig 
folgte ihm in der Regierung nad). Unterm 12. erfolgte die 
Veröffentlichung des Regierungsantrittspatentd, nachdem am 
10. Dezember die Huldigung durch Oberhofrichter von Drais 
vorgenommen worden war. Der lebtere hob im feiner Rede 
an die verjammelten Staatsdiener und Einwohner, als zwei 
bejondere Verdienite des Großherzogs Karl die hervor, daß 
er mit Standhaftigfeit die Integrität des badiichen Staates 
behauptet und ihm eine liberale Verfafjung ertheilt habe. 
Großherzog Ludwig kam am 18. Februar nach Mannheim 
und verlebte dort drei feitliche Tage. 

Im Sanuar 1819 wurden die erjten Wahlmännerwahlen 
vorgenommen. Die Stadt war in 8 Wahldiſtrikte eingetheilt. 
58 Wahlmänner wurden gewählt. Diejelben gehörten, mit 
Ausnahme des Hofgerichtsrath Ziegler, ausſchließlich den 
bürgerlichen Kreifen an. Der letztere, Handelsmann Baſſer— 
mann und Weinwirth Diffens wurden zu Abgeordneten gewählt. 

Damit war der erfte Schritt in das fonjtitutionelle Leben 
gethan.“ 

Die Regierung des Großherzogs Ludwig (Wilhelm 
Auguft), des dritten Sohnes Karl Friedrichs und deffen 
erjter Gemahlin Karoline Luiſe von Hejjen-Darmftadt, währte 
bis zum Jahre 1830. Der Großherzog blieb unvermählt. Am 
10. Juli 1819 kam e3 zu dem „Territorial-Rezeß* der Kom 
mijfton zu Franffurt a, M., der über die Thronfolge in Baden 
entjchied, die Grafichaft Hohen-Geroldsek mit Baden verband, 
die Integrität Badens unter den Schuß Oeſterreichs, Rußlands 
und Englands jtellte und die Söhne der Reichsgräfin von Hoch— 
berg, vorher jFreiin Geyer von Geyeröberg, der zweiten Ge— 
mahlin Karl Friedrichs, zur Erbfolge berechtigte. Der wichtigjte 
Akt während der Regierungszeit Ludwigs war die Vollziehung 
der Kirchenvereinigung der drei protejtantijchen Gemeinden, die 
von Mannheim aus ſchon im April 1818 von den Pfarrern 
Katz, Leibnig, Ahles und Karbach, Joſeph und den Vorftehern 


614 Die Badiihen Fürſten. 


der walloniſchen Gemeinden Bruchle, Verrour und Stroh ar, 
geregt worden war. Die Union fam am 28. Oftober 1821 
zu Stande. 

In die Regierungszeit Ludwigs war die Reaktion nad 
der That Sands gefallen. Mit dem Negierungsantritt des 
Großherzogs Karl Leopold TFriedrich, des Sohnes Karl Fried— 
richs und der Neichsgräfin Hocberg, verband das Land die 
Hoffnung auf Befreiung von dem Drud der Reaktion. Die 
Regierung diejes Fürſten zeigte ſich auch in der Folge als 
mild und bürgerfreundlih. Am 1. Mai 1830 hielt Groß— 
berzog Leopold mit feiner Gemahlin, Sophie Wilhelmine 
(Tochter des früheren Königs Guftav IV. von Schweden), 
jeinen feierlichen Einzug in Mannheim. Die Feitlichkeiten 
währten bis zum 12. Mat und umfaßten Baraden, Feſtvor— 
jtellungen im Theater, Bälle, eine Rheinfahrt, Illumination, 
ein nächtliches Bivouaf des Bürgermilitärs auf dem Markt— 
plat mit Weinipenden u. ſ. w. Auch in den folgenden Jahren 
feierte man noch die Erinnerung an diejes Feſt. 

Das Eingreifen der allgemeinen Zeitereignijfe im das 
badiiche Land und die Revolution ließen die perjünliche Thättg- 
feit des Fürſten zurüdtreten. 

Die Revolution wurde von der Reaktion abgelöjt. Nach 
dem Sturm der Jahre 1848/49 Fehrte der Großherzog am 
18. Auguſt 1849 von Mainz nach Baden zurüc, bejtrebt, die 
Verfaſſung wieder herzuftellen. 

Zwei Monate vor dem am 24. April 1852 eingetretenen 
Tod des jchon längere Zeit vorher jchwer leidenden Großherzogs 
Leopold war der junge Prinz Friedrid am 21. Februar Mit- 
regent geworden. Er blieb Regent des Landes, da jein älterer 
Bruder, der Erbgroßherzog Ludwig, in Folge jchwerer Krant- 
heit die Regierung nicht antreten Fonnte. 

In jchwerer Zeit und unter jchweren Scidjalen jeines 
Haujes übernahm der junge Prinz Friedrich, damals 26 Jahre 
alt, die Regierung Badens, die zu einer Stufenfolge immer 
glüdlicherer Entwidelung wurde. Gleich bei jeiner erjten An— 
wejenheit in Mannheim als Regent am 26. Augujt 1852 traf 


Die Badischen Fürften. 615 


der Großherzog die Beitimmungen zu einer neuen Pflege ber 
Kunſt. Wir fommen jpäter noch darauf zurüd. 

Der erjte jegensreihe Aft der Regierung des Prinzen 
friedrih war die Aufhebung des Kriegsrechts und die Wieder- 
herjtellung der vollen bürgerlichen Berwaltung und Rechts— 
pflege (Auguſt 1852). 

Da der Krankfheitszuftand feines Bruders boffnungslos 
war, entichloß ſich Prinz Friedrich vor jeiner Verehelichung 
mit der Prinzejjin Luije von Preußen am 5. September 1856 
den Titel des Großherzogs anzunehmen. Die fir das Land 
Baden zur großer Bedeutung werdende Verbindung der Fürſten— 
häufer Badens und Preußens fand dann am 20. September 
1856 zu Berlin jtatt. 

Für Mannheim geftaltete ſich die erjte Anweſenheit des 
neuvermählten Fürſtenpaares am 26. und 27. September 1856 
zu einer glänzenden Feſtzeit. 

Am 26. September, 4 Uhr, traf das junge Fürſtenpaar 
mit dem Dampfer „Hohenzollern“ an der errichteten Empfangs- 
halle am Landungsplag ein, begrüßt von dem Prinzen Wilhelm 
von Baden, der von Berlin aus heimlich) vorausgeeilt war, 
von dem Oberhofrichter Dr. Stabel, von dem erjten Bürger: 
meilter Diffene und dem Jubel der Bürgerichaft. 

Feftliche Fahrt nach dem Schloſſe, Empfang im Ritter- 
jaal, Feitzug, Tafel bei der Großherzogin Stephanie, Feſtvor— 
jtellung im Theater (Aufführung von Lorgings „Undine* mit 
einem Vorjpiel „Die Huldigung des Landes“ von H. von Hillern), 
eine großartige Illumination, Feuerwerk, dann am andern Tag 
Morgengruß der Gejangvereine (Vortrag eines von Vincenz 
Lacher componirten Liedes), Empfang im jog. gelben Saale 
und Mittags 1 Uhr Fahrt an den Bahnhof unter Begleitung 
einer Schwadron des hiejigen Dragoner-Regiments, des Stadt- 
commandanten Generalmajor von Kung, des Führers der Ehren- 
garde Alerander Bajjermann, des Oberbürgermeijters Diffene, 
bildeten die Hauptaftıonen des Feſtes. Das Läuten aller Gloden 
und dad Dröhnen der Kanonenſchüſſe hallten dem jcheidenden 
Fürjtenpaar nach, das ſich hier alle Herzen gewonnen hatte, 


616 Die Badiichen Fürften. 


Ein Jahr darauf, am 19. Juli 1857 feierte die Stadt die Ge— 
burt des Erbprinzen Friedrich Wilhelm Ludwig Auguft, die 
am 9. Juli erfolgt war. Im Theater wurde „Jeſſonda“ ge 
geben und ein Feſtprolog von Deetz geiprochen. 

Immer jtärfer entfaltete fich die Regierung des jungen 
Großherzogs Friedrich. Am 7. April 1860 verfündigte eine 
Proclamation, unterzeichnet vom Großherzog, von Stabel, 
Ludwig, Nüßlin, Lamey, Vogelmann die Aufhebung des Concor- 
dats, deren nächjte Folge eine firchlich liberale Gejeßgebung war. 

In Mannhein Eangen noc die Stimmungen der Jahre 
1848/49 nadı. Das zeigte die Bürgerjchaft mit der Spende von 
10000 Thalern an die Schleswig-Botjteiner am 22. Januar 1864, 
mit der begeifterten Aufnahme polnischer Flüchtlinge, mit dem 
Intereffe für die Betheiligung Heders und Struves am ameri- 
faniichen Bürgerkrieg, mit der Wahl des Demokraten Wilhelm 
Kopfer in den Landtag und der Aktion der demofratiichen 
Partei 1866. 

Der 50. Jahrestag der Schlacht bei Leipzig wurde in 
Mannheim fejtlich begangen. Vorher im Juni war der Grof- 
berzog zu dem allgemeinen deutſchen Schützenfeſt, das ebenfalls 
nationale Gefinnungen zum Ausdrud brachte, nad) Mannheim 
gefonmen. 

In Mannheim fand die Thätigfeit des Miniſteriums Lamey 
wärmfte Theilnahme. Die Stadt ernannte Lamey am 27. April 
1866 zu ihrem Ehrenbürger und der Minifter fiedelte nad) 
jeinem Rüdtritt in demjelben Jahre nad) Mannheim zu dauern— 
dem Aufenthalt über. Lamey Hielt hier 1865 am Tage ber 
Feier des 50jährigen Beftehens der Verfaffung im Theaterjaal 
die SFeitrede und wurde nach Begründung des deutſchen Neiches 
von Mannheim in den Reichstag gewählt. 

Der Krieg 1866 beichräntte fich in Baden glüdlicherweile 
auf eine unbedeutende Epijode. 

Die Bezahlung der von Baden geforderten Kontribution 
von 6 Millionen konnte unter Beihilfe des Bankhauſes Selig- 
mann Ladenburg in Mannheim jchon bis 6. September ge- 
regelt werden. 


wangpolloaz mu sAvys aos aoqppou 


— — FE F 


% 






Die Badischen Fürſten. 617 


Bald folgte der deutjch-franzöfiiche Krieg, in dem Mann— 
heim durch feine ſtrategiſch vortreffliche Yage wieder von be- 
jonderer Bedeutung wurde. Zunächſt war Mannheim Haupt: 
quartier der III. Armee. Dann famen weitere Truppen hier 
fortwährend durd. In Mannheim weilte zu diejer Zeit auch 
der Kronprinz Friedrich, der nachmalige Kaijer Friedrich LII.*) 
In Schwetzingen ijt an der Stelle, an welcher der Prinz von 
der Großherzogin Luiſe vor jeinem Auszug in den Krieg Wb- 
ichied nahm, ein Gedenkſtein errichtet. 

Eine Haupthätigkeit bildete in Mannheim die Sranfen- 
pflege. Hier zeichnete jih Mannheim ganz bejonders aus und 
die Stadt machte ihren guten Traditionen auf diejem Gebiete 
alle Ehre. Bortrefflich war auch der Sanitätsdienit am Bahnhof 
eingerichtet. In den Lazarethen wirfte damals hier Theodor 
Billrotd, der die in feinen „Ehirnrgiichen Briefen aus den 
Kriegslazarethen 1870" (Berlin 1872) niedergelegten Be— 
obachtungen bejonders auch in Mannheim machte. Billroth 
gibt eine ausführlide Schilderung der Lazarethe in Mann 
heim. Die Lazarethe für Verwundete waren ein großer 
Baradenban auf dem Ererzierpla mit 254 Betten, geleitet von 
Dr. offen aus Würzburg, zu deren Commiſſären Auguft 
Herrichel und H. Schrader ernannt waren; das Baraden- 
lazareth in der Seilerbahn mit 180 Betten (Dirigent: Brof. 
Bergmann von Dorpat, Commiſſäre: W. Ballermann. W. Wunder 
und H. Röther), das Baradenlazaret) im Schießhaus mit 64 
Betten (Leiter: Dr. Frey Mannheim, Aifiitenten: Dr. Anjelmino 
und Dr. Gerlady), das Eijenbahnlazaretd mit 86 Betten zum 
Ausruhen von weiter zu transportirenden Verwundeten, das 
Dffizierslazaretd im Oberndorff'ſchen Hauſe mit 30 Betten 
(Dirigent: Dr. Stephani, Commiljäre: Graf Gög von 
Berlichingen und v. St. Georges), Offizierslazareth im Haufe 
der Domänenverwaltung mit 16 Betten (Commifjäre: Die 


*) Der Stronprinz befuchte zu dieſer Zeit auc in Begleitung bes 
Großherzogs die Deffentlihe Bibliothef im Scloffe, die damals gerade 
neue Bücherichäge einftellte. 





618 Die Badiſchen Trürften. 


Bürgermeifter Mol und Löwenhaupt)*); das Baraden- und 
Beltlazareth der niederländiihen Miſſion der Gejellihaft des 
rothen Kreuzes auf dem Ererzierplag mit 30 Betten. Für 
franfe (micht verwundete) Soldaten ftanden zu Verfügung: Das 
Militärlazareth (Merzte: Dr. Stephani, Dr. Feldbauſch, Dr. 
Bertheau); 70 Betten im allgemeinen Krankenhaus (Aerzte: 
Hofrathd Dr. Zeroni und Dr. Stehberger); dag Zeughaus: 
lazareth für Ruhrkranke, das Lazareth in der Infanteriekaſerne 
mit 324 Betten und die Siolirbarade für Fleckfieberkranke 
auf dem Exerzierplatz mit 48 Betten. 

„Die Zahl der in Mannheim Verpflegten — ſchreibt 
Billroth in dem genannten Buche — betrug ſchon bei meiner 
Abreiſe am 4. October weit über 2000. Zu dieſen Lazarethen 
gehörte nun auch noch eine andere Gruppe von Inſtituten, die 
in einer ſo wichtigen Etappenſtation, wie Mannheim, nicht 
fehlen durften. Die ankommenden Züge mit Verwundeten 
mußten empfangen werden; die Hungrigen mußten geſpeiſt, die 
Durſtigen mußten getränkt werden. Dazu war eine eigene 
Erfriſchungscommiſſion unter Leitung des Herrn Koch ge— 
gründet mit regelmäßigem Bahnhofdienſt. — Eine ganz außer 
ordentliche Erleichterung für den weiten Verwundeten- Transport 
(vom Bahnhof auf den Ererzierplag) war es, daß die hollän- 
diichen Merzte 12 Näderbahnen mitgebracht hatten und zur 
Dispofition jtellten, welche nach dem Syſtem Goudin gearbeitet, 
fi) ganz außerordentlich bewährt haben. Nun konnte 1 Mann 
einen Schwerverwundeten ind Lazareth bringen, ohne ſich gar 
zu jeher zu ermüden. Die „Holländerwägelchen“ wurden bald 
die Freude des Sanitätscorps und der Verwundeten, die ſich 
auch gern damit jpazteren führen ließen, da fie jo außerordent- 
lih bequem darın lagen. — Wenn man bedenkt, daß der 
ganze Verkehr von der Armee in der Richtung nad Frankfurt 
über Mannheim ging, jo wird man bei einem Bli auf bie 
Eijenbahntarte jehen, dal nad) Sprengung der Eijenbahnbrüde 


*) Siehe die Abbildung, rechts in der Thüre ftehend Oberbürger: 
meiſter Moll, 


Die Badiſchen Fürſten. 619 


bei Kehl, Mannheim einer der Punkte war, welchen die meiſten 
Züge zu paſſiren hatten. Die Mannheimer haben ſich in der 
That ganz außerordentlich viel Mühe gegeben, Alles für die 
Verwundeten auf's Beſte herzurichten.“ 

Hofrath Dr. Zeroni inſtruirte hilfsbereite Frauen Mann» 
heims in der Krankenpflege. Im Bibliothekſaal wurde die An— 
fertigung der Verbände vorgenommen, in der Schloßkirche war 
das rieſige Maſſen von Vorräthen bergende Centraldepot, das 
Friedrich Oeſterlin mit „anerkanntem Talent und ſeltener Aus— 
dauer“ verwaltete. 

In den Lazarethen ſtarben 158 Deutſche und 47 Franzoſen, 
was in Anbetracht der großen Zahl der Aufgenommenen gewiß 
nicht viel zu nennen iſt. Den verſtorbenen deutſchen Soldaten 
wurde ein gemeinſames Grabmal auf dem Friedhof errichtet; 
die Ruheſtätten der Franzoſen erhielten einfache Denfkſteine. 
Die Sanitätskolonne Hatte den Transport der Verwundeten 
und Kranken in die Razarethe zu bewirken. Sie ſtand unter 
Leitung von Dr. Löwenthal, Karl Reiß und Turnlehrer 
Brehm. Die legteren beiden zogen auch von hier aus mit 
Abtheilungen in den Feldzug. Unter Karl Reif begab fich ein 
Detachement vor Paris, unter Brehm eine Colonne von Jüng— 
fingen auf die Schladhtfelder von Metz. 

Ueber die aufopferungsvolle Thätigkeit der Grofherzogin 
Luiſe von Baden jchreibt Billroth: „Es würde etwas MWejent- 
liches an meiner Schilderung des Mannheimer Zazarethlebens 
fehlen, wenn ich nicht auch der Beſuche Ihrer Königlichen 
Hoheit der Großherzogin mit Ihrer Kaijerlichen Hoheit ber 
Prinzeb Wilhelm erwähnte... . Die hohe Frau nahm an allen 
Einrichtungen der Lazarethe und ihrer Austattung den wejent- 
lichjten Antheil und übte den jegensreichen Einfluß auf die— 
jelben, erhielt fich durch regelmäßigen Beſuch der Comite- 
figungen in Karlsruhe fnrtdauernd au fait über alle ein= 
ſchlägigen ragen, verfolgte die Bauten der Baraden nad) 
verichiedenen Syjtemen mit größtem Interefje und war auch in 
vielen termini technici der Chirurgie jo eingeweiht, daß jie 
uns oft in Erjtaunen ſetzte. Dieje Bildung des Geiſtes, Die 


620 Die Badiihen Fürften. 


bei Frauen ja dann erft liebenswürdig ift, wenn fie nicht 
gezeigt wird, fondern wenn man fie bald zufällig gelegentlich 
findet, verband ſich bei unferer hohen Protectorin mit einer 
feinen Bildung des Herzens, die ſich in der wirklich herzigen 
Urt und Weile ausſprach, wie fie mit den Verwundeten ver: 
fehrte . .. Es waren die Feſttage unjerer Zazarethe, wenn die 
Sroßherzogin fam, und die Einmwohnerichaft jeder Barade 
juchte ihr Haus dazu, jo gut es gehen wollte, mit Blumen 
und Zweigen zu ſchmücken.“ 

Billroth war in Mannheim Stellvertreter de3 von der 
Regierung aufgeitellten GeneralsInipeftors ber Rejerve-Lazarethe 
in Baden, des „Generalarztes“ Simon in Heidelberg. Er 
faßte fein Urtheil über jeinen Aufenthalt in Mannheim in den 
Worten zujammen: „Fir mich wird die in Mannheim verlebte 
Beit ftet3 eine Quelle der freundlichiten und dankbarſten Er— 
innerung fein.“ 

Großen Umfang erreichte auch die in Mannheim bewirkte 
Einquartierung Ddurchfommender Truppen. In den Jahren 
1870 und 1871 waren bier circa 50,000 Dann mit etwa 
7000 Pferden vorübergehend untergebradt. 

Ein Detachement der in Mannheim garnifonirenden Truppen, 
die ein Schleppdampfer mit zwei großen Kähnen nah Marau 
brachte, bejegte die Marauer Brüde. Im die Pfeiler der 
Rheinbrüde zu Mannheim wurden Sprengminen gelegt und 
dieje mit eimer eleftriichen Batterie auf der Sternwarte ver- 
bunden. 

In Mannheim Tagen zunäcit der Brigadeftab unter 
General von Laroche, das 1. und Füſilierbataillon des 2. 
Infanterie-Regiment? König von Preußen und 4 Eskadrons 
des Leib-Dragoner-Regimentsd. Nah der Schlacht bei Wörth 
famen die in Lauda und Königshofen gebildeten Erjatdetache- 
ments des Infanterie-Regiment3 und des Leib-Dragoner-Regi- 
ment3 nad) Mannheim. 

Bon Mannheimern jtarben im Kriege den Heldentod die 
Hauptleute Gräff und May bei der Belagerung von Straß. 
burg am 2. und 12. September, die Seconde-Leutnants Adolf 


Die Badiſchen Fürſten. 621 


und Hermann Quilling, erſterer bei Brazey am 5. November 
1870, leßterer bei Chenebier am 16. Januar 1871, Oberſt 
Karl von Renz, der Kommandeur des 2. Grenadier-Regiments, 
Adjutant Wang, Hauptmann Boettlin und Premier-Leutnant 
Biihoff (Hauptmann Schmidt und Seconde-Leutnant Schmidt 
wurden jchwer verwundet und jtarben bald darauf) in dem 
Gefecht bei Nuit3 am 18. Dezember 1870, das zu den ruhm— 
volliten Heldenthaten deutjcher Krieger zählt. Die ſämmtlichen 
Namen der vielen dort gefallenen Mannheimer find in den 
Sodel des im September 1896 enthüllten Sriegerdenfmals zu . 
ewigem Gedächtniß eingegraben. 

Am 6. März wurde der Rückmarſch aus Franfreih ans 
getreten und am 3. April verkündete der Großherzog bei einer 
Parade der Divifion in Karlsruhe die am 25. November 1870 
mit Preußen vereinbarte Militärkonvention. 

Der Einzug der zurüdgefehrten Helden in Mannheim am 
6. April 1871 gejhah unter dem Jubel und der Begeifterung 
der gejanmten Bevölferung. Ganz Mannheim hatte Feſt— 
ſchmuck angelegt. Am Heidelberger Thor war ein Triumph: 
bogen erbaut. Dort empfing Oberbürgermeiiter Moll das ein- 
ziehende Regiment mit einer Anſprache. Auf dem Strohmarft 
begrüßten Feitjungfrauen, die auf einer dort errichteten Ejtrade 
placirt waren, die Truppen. Die Soldaten wurden fejtlich be: 
wirthet und die Rejerviften am folgenden Tage aus dem 
Dienft entlajjen. Der Tag des Einzugs der Truppen brachte 
all’ die Aufregungen und den Jubel bei Einlauf der Sieges- 
nachrichten während des Krieges wieder in lebhafte Erinnerung. 
Die nun folgende Abrüftung leitete die große, bis zum heutigen 
Tage währende Zeit des Friedens und der bürgerlichen 
Arbeit ein. 

Die Erinnerung an dieſe große Zeit deutjcher Siege und 
der erjehnten Begründung des beutichen Neiches wurde in 
jpäteren Tagen bejonders durch die Errichtung des Kaifer- 
Wilhelm-Denkmals im Schloßhofe am 14. Oftober 1894 ge- 
feiert. 

Bei dem Entwurfe diejes Werkes jchwebte dem Künjtler 


622 Die Badiſchen Fürften. 


Guſtav Eberlein eine Symbolifitung des Sieges vor. Sieg 
ipricht fich auf den energiihen Zügen des Heldenkaiſers aus, 
und die wilde Bewegtheit feines Roſſes läßt erkennen, daß es 
aus heißem Kampfe daherfommt. Wie jubelnd ſchwingt der 
Genius des Sieges, der ih in Fünglingsgeftalt am Poſtamente 
des Denkmals vor einem wild erregten Löwen erhebt, das 
Siegesreis, und an den Seiten des Sodelö fieht man die Vor: 
zeichen und Folgen des Sieges dargeitellt und verjinnbildlicht: 
Auf der einen Seite die Kaiferproffamation in Verſailles, wo: 
bei der Großherzog von Baden das erite Hoch auf den 
deutſchen Kaiſer ausbrachte; auf der andern Seite die Bot- 
ihaft des Kaiſers an die Mübhjeligen und Beladenen des 
Volkes, daß ihnen bei Alter und Krankheit Hilfe werde. An 
der NRücdjeite des Sodels aber deutet eine Schilderung des 
Rheinübergangs des jungen Prinzen Wilhelm im Jahre 1814 
die bejonderen Beziehungen de3 Denkmals auf unjere Stadt 
an. Der Bildhauer hat die Proportionen aller dieier Theile 
des Denkmals jehr qut getroffen, das hauptjächlich auf defora- 
tive Wirkung berechnet erjcheint. Durch die Höhe. und Schmal- 
heit des Sodels erjcheinen Roß und Reiter in mächtigiter 
Größe. Der Sodel wurde aus rothem jchwediichem Granit 
von der Firma Schraep in Roſtock in tadellojer Weile her: 
geftellt, und der Guß der Figuren und die feine Abtönung 
der Bronze von der Aktiengejellihaft Schäffer & Walker in 
Berlin bewirkt. Das Denkmal wurde unter Anweſenheit fait 
aller Angehörigen des badischen Fürſtenhauſes feierlich ent: 
hüllt. Es ijt das erſte Reiter-Standbild, welches im badijchen 
Lande dem deutichen Heldenfaijer errichtet wurde. Für Mann: 
beim wird es allzeit ein Wahrzeichen begeijterter Vaterlands— 
liebe jein. 

Der Errichtung dieſes Denfmals folgte Ende September 
1896 die jchon erwähnte Enthüllung des neuen Kriegerdenk— 
mal3 vor dem Quadrat E 7. Der Schöpfer des Denkmals, 
Profeſſor Guſtav Volz, iſt ein Sohn des badiſchen Landes 
und gehörte ſelbſt zu den Kämpfern des Krieges 1870/71. So 
mußte denn ſein Werk von der unmittelbarſten lebendigſten 





Die Badischen Fürften. 623 


Mitempfindung erfüllt jein. Das werthvolle Steinmaterial wurde 
von Heren Hartmann zum Gejchent gemadt. Der Guß der 
Figuren übernahm die Kgl. Metallgießerei Hugo Pelargus in 
Stuttgart. 

Die Enthüllung diefes Denkmals bildete zugleich eine feit- 
liche Nachjeier des 70. Geburtstages des Großherzogs. 

Aber einen noch herrlicheren und jelteneren Feſttag jollte 
Großherzog Friedrich 1902 begehen: den Tag der Vollendung 
der 5Ojährigen Regierung des Landes, ein Feſt, das jeit Karl 
Theodors Zeiten nicht wieder gefeiert werden konnte. Auch die 
Fürjtin des Landes hat nahezu diefe ganze Regierungszeit hin- 
durch ihrem Gemahl zur Seite gejtanden und dieſe Regierung 
glücklich und jegensvoll mitgeftalten helfen. Das fünftägige Feſt, 
da3 die Stadt Mannheim im Junt 1902 unter Anwejenheit des 
Großherzoglichen Hofes feierte, wird noch lange im Gedächtnif; 
aller Mannheimer bleiben. 

Weitere jchöne Feſttage für unjere Stadt bildeten die Feier 
des 8SOjährigen Geburtstages des gottbegnadeten Landesfürſten 
im Jahre 1906, jowie die Anwejenheit der Großherzoglichen 
Herrichaften in Mannheim 1907 (30. Mat bis 6. Juni) während 
der Feier des Stadtjubiläums. Wenige Monate darauf am 
Samftag, den 28. September wurde ung Großherzog Friedrich 
durch den Tod entriifen — nach einem Wirfen, das über ein 
halbes Jahrhundert währte und das jich im die deutjche Ge— 
Ihichte und im die Herzen der Deutichen wie in Erz einge- 
graben hat. Treu im Sinne jeines hochedlen Vaters wird 
Großherzog Friedrich II. an der Seite jeiner hohen Gemahlin, 
der Großherzogin Hilda, das weithin leuchtende Vermächtniß 
eines jegensvoll regierten Landes wahren und jein eigener hoher 
Sinn verbürgt eine edle, freudige Förderung und Weiterbe- 
(ebung des kulturellen und Fünjtleriichen Lebens Badens. 


= 





XXXI. 


Oeffentliches Leben, Verkehr, Handel 
und Induſtrie. 


Neue Inſtitutionen — Eröffnung der Dampfſchifffahrt 1827, der Eiſen— 
bahn 1840 — Einweihung des Rheinhafens 1840 — Die Hafenanlagen 
— Aufſchwung des Handels und der Induſtrie — Die Behörden — Handels— 
inſtitute — Vereine und öffentliches Leben. — Die Bürgermeiſter Moll und Beck 


N. neue Regierung, die 1803 der rechtscheinischen Pfalz 
zutheil wurde und die ſich Mannheims auf's Freundlichite an- 
nahm, traf in ihrer eriten Thätigfeit für den neuen Landes— 
theil auch gleich eine jehr wejentliche Beitimmung für Mann- 
heim. So wurde 1803 ein Hofgericht in Mannheim errichtet 
und am 23. Juli 1810 erfolgte die Verlegung des Oberhof: 
gerichts von Bruchſal nach Mannheim, wojelbjt die erjte Sitzung 
von Oberhofrichter von Drais eröffnet wırde. Im gleichen 
Jahr erhielt das Nedarkreisdirectorium feinen Sit in Mann: 
heim. Das Neligionsedift vom 11. Februar 1803 führte in 
Mannheim 1805 zur Sperrung des Frauenkloſters, das zuleßt 
ein weibliches Lehrinjtitut war, deſſen Leiterinnen fich aber den 
neuen Bejtimmungen nicht fügen wollten. 

Um 24. Januar 1807 wurde das 200 jährige Beitehen 
der Stadt, rejp. der Tag der Berleihung der Privilegien, ge= 
feiert. Mit fnapper Noth war die Stadt einer nochmaligen 
Zerſtörung entgangen, und jo fonnte jie diejes Feſt mit Freuden 
begehen. 





Großherzogin Luife von Baden. 


Nach einer Aufnahme und mit Genchmigurg des Herrn Bofphotograph Bubert £ill 
Mannheim. 





Deffentlihes Leben, Verkehr, Handel und Induſtrie. 625 


Die 1810 verhängte Kontinentalfperre betraf einigermaßen 
aud Mannheim. Auf dem Marktplat wurden englische Waaren 
verbrannt. 

Im Jahre 1816 und 1817 wurde Mannheim durch Hoch— 
wajferfluthen bedrängt, wie dies jchon im Jahre 1784 der 
Fall war. In den zwanziger Jahren erregten größere Brände 
die Bevölkerung, die auf Branditiftung zurüdgeführt wurden. 

Nach dem Tode des Großherzogs Karl errichtete die Groß» 
berzogin im Mannheimer Schloffe ihren Hofhalt, der das ge- 
jellichaftlihe Leben der immer noch recht verlafjenen Stadt 
einigermaßen bob. Der Großherzogin zur Frende legte die 
Stadt 1830 die prächtige „Stephanienpromenade* am Rhein an. 
Gern weilte die Fürſtin auch auf dem erit neuerdings abge» 
riſſenen Mühlauſchlößchen. 

Die Großherzogin wurde Protektorin des Fräulein-In— 
ſtituts, das auf ihre Veranlaſſung 1829 von Karlsruhe nach 
Mannheim verlegt wurde. Die Fürſtin ſtiftete am 7. Juli 
1855 auch das Luiſenhaus, eine Waiſenanſtalt und Schule, 
zum Andenken ihre Tochter Luiſe von Waſa, der Mutter der 
Königin-Wittwe Carola von Sachſen. Die Großherzogin über— 
nahm auch das Protektorat über die Marienanſtalt, in der 
Waiſenkinder aus Mannheim erzogen wurden. 

Nachdem man am 7. Oktober 1821 die Kirchenunion in 
Mannheim gefeiert hatte, legte man bier nicht ganz zwei Jahre 
darauf am 16. Juni 1823 den Grundſtein zu einem gemein« 
jamen Schulhaus in R 2. 

Im Juli 1827 begann die Einführung der Dampfichiff- 
fahrt auf dem Rhein. Mit dem Aheindampfer „Ludwig“ 
wurden die erjten Fahrten unter dem lebhaften Intereſſe der 
Bevölkerung Mannheims unternommen. Eine für den Handel 
und die Schifffahrt wichtige Angelegenheit war die Eröffnung 
eines Freihafens am 1. September 1828. 

Wichtig war auch die Anregung, die Mannheim zur Ein- 
führung einer Eifenbahn in das badiiche Land gab. Bon Mann- 
heim aus ging der erfte Vorjchlag dazu. Commerzienrath L. 
Newhouje gab im Mai 1833 eine Schrift heraus, die den Titel 

Deier, Geſchichte der Stadt Mannheim. 40 


126 Deffentliches Leben, Verkehr, Handel und Induſtrie. 


führte: „Vorichlag zur Heritellung einer Eiſenbahn im Groß— 
herzogthum Baden von Mannheim bis Bajel und an den 
Bodenjee, als zweckmäßigſtes Mittel, Landbau, Handel und 
Gewerbe in größeren Flor zu bringen, den Gütern und Pro— 
ducten einen beiferen Werth zu verichaffen und jo den National= 
veichthum zu erhöhen.“ Dieje Schrift wurde ala Petition den 
Stammern übergeben. 1836 bildete fich in Mannheim ein 
Comité zur Förderung der Eifenbahniache und ein Jahr darauf 
ein Comité jpeziell für die Einführung der Main-Nedar-Bahn. 
Miniſter Blittersdorf entichied gegen das Intereſſe Mannheims 
in diejer Angelegenheit für eine Abzweigung der Bahn bei 
‚sriedrichsfeld. Im Juli 1838 begann der Bau der eriten 
Bahnitrede in Baden, der Linie Mannheim— Heidelderg und 
am 12. September 1840 fand die Eröffnung der Bahn ftatt. 

Faſt zu gleicher Zeit, am 17. Oftober 1840 erfolgte die 
feierliche Einweihung des meuen Rheinhafens mit dem Hafen— 
zollgebäude (jebt Dauptzollamt) in Anweſenheit des Großher— 
zogs Leopold, der Großherzoglichen Familie. Die Stadt Köln 
hatte zu dem Feſte eine Deputation unter dem Präfidenten der 
dortigen Handelskammer Camphauſen geiendet. im neuer 
Dampfer wurde „Mannheim“ getauft. Die ganze Stadt be- 
theiligte ich lebhaft an dem Feſte. Der Bau des fir die 
industrielle Entwidelung Mannheims grundlegenden Hafens 
war ichon im Sabre 1834 begonnen worden. 

Im Sabre 1835 erfuhr das Schulweſen durch Eröffnung 
einer Sewerbeichule am 16. Auguſt eine bleibende Bereicherung, 
während das Jahr 1840 die Begründung einer höheren Bürger- 
ichule mit Sich brachte. 2 Nahre darauf 1842 gründete man 
bier den Gewerbeverein. 

Der Falching der Nahre 1840 und 1841 bradıte das 
Maskenweſen durch prächtige Feſtzüge (St. Hubertus, Einzug 
Kaiſers ‚Friedrich IL.) zu neuer Geltung. 

Im Jahr 1840 wurde ein neuer großer Friedhof (über 
dem Neckar) eröffnet, der jeht auch ein Denkmal für Karl Lud— 
wig Sand erhalten hat und auf dem neuerdings ein Crema— 
torium errichtet tit- 


Deifentlihes Leben, Verkehr, Handel und Induſtrie. 27 


Mit dem Beginn des Gütertransport3 der Eiſenbahn im 
Sahre 1844 jteigerte fich der Handel in größerem Maßſtabe. 
Zahlreiche Handelsfirmen entitanden, jo 3. B. auch die Firma 
Jacob Hirid und Söhne. Auch) die Schifffahrt erhielt durch die 
Begründung der Mannheimer Dampfichleppichiiffahrt (Februar 
1843), der Nelfon’schen Schiffswerfte und der Einführung 
der Neckardampfſchifffahrt (April 1843) neue Anregungen. 
In den Sahren 1850 —52 gelangte die neue Gasbeleuchtung 
zur Einführung. Auf Oberbirgermeijter Reif folgte 1852— 1861 
Oberbürgermeifter Chrijtian Diffene, Weit dem Jahre 1861 
war die Einwohnerzahl Mannheims über 27000, womit die 
höchite Zitfer der Bevölkerungszahl des 18. Jahrhundert wieder 
erreicht it. Bon da an jchritt die Einwohnerzahl ununter: 
brochen vorwärts bis zum heutigen Tage, wo fie auf 149000 
geitiegen ilt. 

Zwei Vereine, deren Wirken für das öffentliche Leben 
Mannheims, wenn auch auf ganz verjchiedenen Gebieten von 
Bedeutung wurden, begründete das Jahr 1867: den „Kauf: 
männtjchen Verein“ (11. Februar) und den „Badische Renn— 
verein“, welch letterer durch die von ihm eingeführten Mais 
vennen das Sportäleben Mannheims zu glänzender Entfaltung 
brachte. Es würde den bier gegebenen Naum weit überichreiten, 
wollten wir alle Vereine, die ſich im öffentlichen Leben Mann 
heims verdient machten, bier aufzählen, ja nur einige Wenige 
fönnen wir bei der gleichlam fteberhaften Wereinsthätigfeit in 
Mannheim berücjichtigen. Wie viel z. B. geichieht hiernach 
auf dem Gebiete dev Wohlthätigfeit und der Getelligfeit. Bon 
jolhe Zwede verfolgenden Veremen wollen wir noch die ſchon 
1814 aus dem Caſino und dem Muſeum gebildete Harmonie- 
gejellihaft und die „Räuberhöhle“ mennen, ſowie als wohl: 
thätige Beranjtaltung die Gründung der Beitalo;zi- Stiftung 
am 12. Jammar 1846, dem 100. Geburtstag Beltalozzis. 

Em unermüdlicher Vereinsgründer war der Advocat und 
Journaliſt Gultav v. Steuve. 1845, dem Jahre jeiner lieber: 
ſiedelung nach Mannheim, jowie 1846 gründete er nicht weniger 
wie drei Vereine: den Badeverein, den Volfslejeverein und den 


40* 


628 Deffentliches Leben, Verkehr, Handel und Induſtrie. 


Qurnverein und 1847 den erjten Arbeiterverein unter dem Titel 
„Verein zur Förderung des Wohles der arbeitenden Klaffen.“ 
1847 erfolgte noc, die Gründung des Mannheimer Frauen: 
verein und einer Handwerkerbank. Des bdeutichfathoftichen 
Predigers Karl Scholl’3 Gemeinde wurde in Mannheim 1846 
nur unter dem Titel „Verein der Anhänger des Leipziger 
Glaubensbekenntniſſes“ zugelajfen. 

Die am 28. Januar 1778 hauptſächlich durh Jacques 
Drouin in Mannheim gegründete Loge „Karl zur Eintracht“, 
die mit der von ihr abgezweigten Loge „Karl Stephanie“ durd 
das furfürjtliche NRejeript vom 16. Februar 1813 aufgehoben 
wurde, trat am 19. Augujt 1845 unter Mitwirkung von Stadt: 
director Joſeph Niegel wieder hervor und eutfaltete mit den 
weiterhin gegründeten zwei Odd-Fellow-Logen, der Auguit 
Lamey-Loge und der Loge „Wilhelm zur Dankbarkeit“ bis zur 
Gegenwart neue Thätigfeit. Die erjte Loge in Deutjchland 
bejtand jchon 1737 in Mannheim. 

Bon Wichtigkeit für den Handel Mannheims war die de: 
gründung einer Börje am 26. Januar 1863. 

Der Handel jchwang fich immer lebhafter auf und er 
heischte neue große Unternehmungen der Stadt. 

Mannheim wurde zum erjten Handelsplatz Süddeutid 
lands und zum Sig einer großen Anzahl wichtiger Induſtrie— 
zweige. 

Seine glückliche Lage an einer großen Waſſerwelt, die 
ihre Arme bis ans Meer erſtreckt, ließ den Handel hier zu 
immer größerer Blüthe kommen. 

Das großartige, mit Schiffen bedeckte Hafengebiet giebt 
am beſten Zeugniß von den rieſigen Dimenſionen, die hier ber 
Handel angenommeu hat. Mannheim beſitzt den größten 
Binnenhafen Deutjchlands. 

Ueber das Mannheimer Hafengebiet mit der Einmündung 
des Nedars in den Ahein giebt das beigegebene Bild „Manr- 
heim aus der Vogelperjpective“ eine Ueberficht. Die Beſich— 
tigung der großartigen, weit ausgedehnten Hafenanlagen, die 
ca. 278,000 ha Waſſerfläche umfaſſen, beansprucht jchon eine 





Deffentliches Leben, Berkehr, Handel und Induſtrie. 629 


Dampfihifffahrt von mehreren Stunden und, jofern dieſe Ge- 
fegenheit nicht geboten, einen tagelangen Spaziergang, um das 
großartig bewegte Bild eines auf’3 höchite gejteigerten Güter- 
verfehr3 ganz zu erfajlen. 

Mit den Hafenanlagen ift auch der große Centralgüter— 
bahnhof verbunden mit jeinen Dampfkrahnen und Werfthallen, 
deſſen Schienenneß fich in die verichiedenjten Theile des Hafen: 
gebietes eritredt. Zu dem SHafengebiet gehören: Der offene 
Kheinhafen mit Raianlage, der Mühlauhafen, der obere Hafen- 
fanal, der alte Zollhafen, der VBerbindungsfanal, der den Ber: 
fehr zwiichen Rhein und Nedar abfürzt, der bereit3 1816 be- 
gonnene Nedarhafen, der Binnenhafen, jowie der neue In— 
duitriehafen, an defjen Ufer das große Eleftrizitätswerf jteht. 

Anfangs des Jahres 1895 wurde der Bau des Induſtrie— 
hafens begonnen, der aus einer Umwandlung des alten Floß— 
bafens, eines alten Rheinarms, in moderne Hafenanlagen ent- 
ſtand. Der Hafen liegt zwijchen dem neuen Rhein und dem 
Nedar und jein Gebiet hat eine Längenausdehnung von über 
2 km bei einer Breite von 1 km. Die Wafjerfläche beträgt 
682,506 qm. Dieſe gliedert fich in den alten Nedarlauf, den 
Einfahrtöfanal und den bisherigen Floßhafen. Die Ufer des 
Induftriehafens haben ſich rajch mit Fabriken bededt und eine 
neue Welt der Induſtrie eritehen laſſen. 1902 wurden Die 
Hauptanlagen vollendet. Die Ausführung des Hafens, dieſes 
gewaltigiten Werkes der Mannheimer Hafenbauten hat Stadt- 
bauratd M. Eiſenlohr mit vollendeter Meifterichaft der Tief— 
baufunft bewirkt. 

Ein weiteres großes Hafengebiet: Der Rheinauhafen ent: 
wicelt jih auf der anderen im Oſten liegenden Seite der 
Stadtgemarfung und der daran grenzenden Gemarkung Rheinau. 
Zahlreiche Fabriken jind in der Nähe diejes neuen Hafengebietes 
angelegt worden. 

In der vom Verfaſſer diejes Buches im Auftrage des 
Stadtraths herausgegebenen Publikation „Die Stadt Mann— 
heim“ heißt es über die Entwidelung der Indujtrie u. A.: 

„Rad dem Ergebnifie der Berufszählung vom Juni 1895 





530 Oeffentliches Leben, Verkehr, Handel und Juduitrie. 


beichäftigt das Handelögewerbe nahezu ', der Gejammtheit 
aller gewerblich beichäftigten Eimmwohner unjerer Stadt. Kaum 
ein anderer Bla von der Größe Mannheims wird wohl ein 
jo vielgejtaltiges Öepräge der einzelmen Zweige der fommerziellen 
Thätigkeit aufzumweijen haben, wie die oberrheiniihe Dandels- 
metropole. 

Der Menge nah it die Ruhrkohle der hauptjächlichite 
Dandelsartifel Mannheims. 

Während der Ruhrfohlenhandel in Mannheim erjt jeit 
Einführung der Dampfichiiffahrt bejteht, it der Dandel in 
Getreide weit älteren Datums. Zunächſt beichränfte er ſich 
freilich auf den Export der Erzeugniife unjerer engeren Heimath, 
was jid) aber änderte, als das Bedürfnig zum Bezuge aus: 
wärtigen Getreides eintrat und fich ftändig vergrößerte. Mann: 
heim begann darauf der Stavelplab für Siddeutichland und 
die Schweiz zu werden. Seit Beginn der 1870er Jahre beſteht 
direkter Berfehr mit allen Getreideproduftiongsländern der Welt, 
neuerdings namentlich mit Rußland und Rumänien. Am Rhein 
beanjprucht Mannheim fait die Hälfte des gefammten Getreide: 
verfehrs und wird im Reiche überhaupt nur von Königsberg, 
Hamburg und Berlin übertroffen. Es it deshalb nicht zu 
verwundern, daß gerade hier auch die ausgezeichnetiten und 
umfafiendjten Einrichtungen zur Lagerung und Behandlung 
des Getreides (Nagerräume für nahezu 3 Millionen Sad) 
vorhanden iind. 

Ganz erheblich ift ferner der Handel in anderen Landes— 
produften wie Dopfen, Sämereien und Wein, namentlich ın 
legterem Artifel it ein von Jahr zu Jahr fteigender Umjat 
bemerkbar. Er hat naturgemäß vor Allem die Erzeugntiie dei 
benachbarten Weinbezirfe Pfalz und Rheinheſſen, der hauptiädr 
lichiten Produftionsgebiete Deutichlands überhaupt, nebenbei 
auch die jüdeuropätichen (ipanifchen, italienijchen) Verjchnittweine 
zum Gegenſtand. 

Eine große Ausdehnnng hat der Dandel in Deljaaten 
gewonnen, der vielfach im Zujammenhang mit dem Getreide 
handel betrieben wird. 


Deffentliches Leben, Verkehr, Handel und Induſtrie. 631 


In Bezug auf den Bertrieb und die Lagerung von 
Petroleum nimmt Mannheim unter den Binnenhandelsplägen 
des europäiihen Kontinents den unbeitritten eriten Rang ein. 
Bon bier aus gingen die eriten Ciſternenwagen für den Bahn 
transport in die Schweiz, hier wurden die eriten Betroleum«- 
bailins, auf der hiefigen Werft das erite Tankſchiff für den 
Rhein erbaut. 

Eine in jeder Beziehung hervorragende Rolle jpielt im 
Handelsverfehr Mannheims der Tabaf, was um jo verſtänd— 
licher ericheint, wenn bedacht wird, daß die hauptjächlichiten 
deutichen Produftionsgebiete der genannten Kulturpflanze die 
badijch-bayriiche Pfalz, Helfen, Eljaß-Lothringen und das nord— 
weitliche Württemberg find, von welchen aljo Mannheim ziem— 
li genau den Mittelpunkt bildet. Aber nicht allein für dieje, 
jondern auch hinſichtlich der ausländiichen Provenienz iſt 
Mannheim der wichtigite Plab des Feſtlandes, was jchon 
aus der namhaften Zolleinnahme (1895: 4407165 Mark) 
hervorgeht. Der Tabakgroßhandel beichäftigt dahier 33 Firmen 
mit 393 Berfonen und jehr erheblichen Betriebsfapitalien. 

Bon Bedeutung ift auch der Holzhandel Mannheims, der 
jih bier für ganz Süddeutſchland concentrirt. 

Dem Fleiſchverkauf Mannheims und jeiner Umgebung, 
jowie einem von Jahr zu Jahr an Bedeutung gewinnenden 
Handel in Maſt- und Zuchtvieh, ſowie in Pferden, dient der 
nad) allen Anforderungen der Neuzeit ausgeitattete, allgemein 
als muftergültig anerfannte jtäditiche VBiehhof, mit dem zur 
Zeit eine großartige, mehrere Millionen koſtende Schlachthof: 
anlage verbunden wird. Die bier ftattfindenden Vieh- und 
Pferdemärkte, bejonders der jog. Maimarkt erfreuen jich jeit 
langem ſchon eines wohlbegründeten, weit über die Grenzen 
unjeres Vaterlandes verbreiteten Rufes. 

Es beiteht faſt fein Zweig des Groß- und Stleingewerbes, 
der nicht jchon heute in unjerer Stadt Vertretung gefunden 
hätte. 

Dbenan fteht für die Stadt Mannheim die Metallverar- 
beitung, worunter wiederum die Fabritation von Majchinen, 


632 Oeffentliches Leben, Verkehr, Handel und Induſtrie. 


Armaturen und dergl. hervorragt. Hier nennen wir zunächft 
eine der bedeutenditen deutjchen Fabriken landwirthichaftlicher 
Maſchinen und Lofomobilen: die Fabrit von Heinrich Lanz, 
welche ihren Abnehmerkreis in allen europäiichen Staaten hat 
und zeitweilig 18002000 Arbeiter beichäftigt, hierzu kommen 
eine Fabrif von Gas- und Wajferleitungsartifeln, eine Gas— 
motorenfabrif. 

Ein eigenartiges Unternehmen iſt die große Spiegelmanu— 
faktur auf dem Waldhof, welche im Jahre 1854 von einer 
franzöfiichen (auch zu Saint Gobain, Chauny und Eirey an 
jäjligen) Gejellihaft am Ufer des damals dort vorbeifliegenden 
Rheins gegründet wurde. Diejelbe beichäftigt ca. 600 Arbeiter, 
welche faſt volljtändig in der trefflich eingerichteten Wohnungs 
tolonie der Fabrik untergebracht find. 

Noch hervorragender iſt im Wirthichaftsgebiete Mann 
heims die chemijche Induſtrie vertreten. Faſt jede ber dazu 
gehörigen Betriebsjtätten gewährt hunderten von Arbeitern Be— 
ihäftigung; darunter die größte Farbenfabrik der Welt, die 
„Badiiche Anilin- und Sodafabrif* in Ludwigshafen. 

In zweiter Reihe verdienten die Etabliffements des „Ber- 
eins chemiicher Fabriken“ in Wohlgelegen und Neuichloß, jene 
auf der Aheinau und im Waldhofe und einige Fabriken im 
engeren Stadtgebiete Mannheims Ervähnung. 

Für die Verarbeitung von Gummiharzen bejtehen in 
Mannheim zwei und in Nedarau ein Betrieb mit zujammen 
1000 Arbeitern. 

Eine der ältejten und größten Tapetenfabrifen (Engelhard) 
Deutichlands mit 250 Arbeitern pflegt den Erport ihrer PBro- 
dukte, von den einfachiten bis zu den feinjten Leder- und Woll- 
artifeln, nach allen Kulturländern. 

Drei umfangreiche Betriebe in Waldhof und Nedarau be» 
fajfen fih mit der Heritellung von Hanf, Baumwoll- und 
Drabtjeilen, hauptjählih für den Bedarf der Schifffahrt, 
Flößerei und majchinellen Betriebe. 

Die Holzverarbeitung zählt die bereit3 an anderer Stelle 
erwähnten drei großen Hobelwerke und die Zellitofffabrif 


Deffentliches Leben, Berfehr, Handel und Induſtrie. 633 


Waldhof. Diejelbe, der größte eriftierende Betrieb dieſer Art, 
produziert täglich 2500 Zentner fertigen trodenen Zellitoff, 

Die Biererzeugung Mannheims und dejjen Umgebung hat 
in den legten Dezennien einen geradezu riejenhaften Aufſchwung 
zu verzeichnen. Sie wird mit geringen Ausnahmen von Aktien— 
gejellichaften betrieben, weiche über große Stapitalien verfügen 
und fich allmählich, allerdings in erbittertem Kampfe mit der 
auswärtigen Konkurrenz, ein immer weiteres Abjabgebiet zu 
fihern wußten. Die Brauereien in Mannheim produzierten 
B. 1896 28377000 Liter. 

Der aus einer Fuſion mehrerer größerer deuticher Kon» 
furrenzfirmen entjtandene „Verein deuticher Delfabrifen“ jtellt 
in 2 hierort3 gelegenen Etablifjements Pflanzenöle für Speije- 
und gewerbliche Zwecke her; eine Spezialität der biejigen 
Fabriken bildet das Ricinusöl, das hier allein in Deutichland 
hergeitellt wird. 

Auch eine Eſſig- und 2 Chokoladen-Fabriken befinden jich 
am Plate, in jeiner Umgebung 3 WRobzuderfabrifen und 
mehrere Zuderraffinerien, davon eine inmitten der Stadt. 

Daß ein jo hervorragender deuticher Tabakhandelsplatz 
mit einem im Tabakbau jo reichen Hinterlande auch eine jehr 
erhebliche Cigarren- und Tabaffabrifation bejitt, iſt fajt jelbit- 
veritändlich; in der That find in Mannheim allein, die aus: 
wärtigen Filialen als bejondere Betriebe betrachtet, 116 Bes 
triebe mit rund 5000 Arbeitern, weiche im Ganzen allwöchentlich 
10 Millionen Stück Cigarren anfertigen. 

Das polygraphiiche Gewerbe iſt in Mannheim jehr ftarf 
entwidelt. Es bejtehen hier mehrere Buch, Kunſt- und Acci— 
denzdrucereien größeren und Eleineren Umfangs, die mit den 
modernften Einrichtungen ausgejtattet find. In deren Verlag 
ericheinen 6 Tageszeitungen, 2 Wochenblätter, 7 Fachzeitſchriften. 
Einige derjelben befaifen jich auch mit dem Drud von Verlags— 
werfen. 

Huf dem Gebiete des Handels, Verkehrs und Gewerbes 
iit, wie jchon gejagt, jeit der Gründung des deutjchen Reiches 
ein ungeheuerer Aufihwung zu verzeichnen. Schon 1870 





634 Deffentliches Leben, Berfehr, Handel und Induſtrie. 


wurde die Rheiniſche Ereditbanf und Öypothefenbanf unter der 
Leitung des Altoberbürgermeifters Reiß gegründet, welche ſich 
an Stelle des ehemaligen Zweibrüdiichen Palais ein pradır 
volles Haus erbauten. Edhard, dag befannte Haupt der 
nationalltberalen Bartei Badens, trat in die Direktion ein, der 
er jebt ala Bankprältdent vorjieht. Am Jahr 1872 wurde der 
neue Hauptbahnhof beendet. Am 15. Auguft 1875 murden 
die großartigen neuen Dafenanlagen auf der Mühlau im Bei— 
jein des Großherzogs unter großen Feſtlichkeiten eingeweiht. 
Die Handelsfammer, deren Präſident auch der hochverdiente 
Friedrich Lauer war, befam eine ſtets wachiende Bedeutung. 
1871 wurde Moris Lenel Präfident, Kopfer Vicepräftdent; 
1876 wurde Kopfer zum Präfidenten gewählt. Ihm folgte 1879 
Ph. Diifene, diefem 1902 PBictor Lenel. Im Jahre 1881 
wurde die Fernſprechanlage geichaffen. Die Frieſenheimer Inſel 
bezog man 1895 in die Stadt Mannheim ein. Das Bedürfj— 
niß nach Ausdehnung des Stadtgebietes im Norden führte zur 
Einverleibung des Dorfes Käferthal mit der Fabriktolonie 
Waldhof, welche an 1. Januar 1897 vollzogen wurde. Im 
Oſten wurde die Stadt durch Einverleibung des Vororts Nedarau 
vergrößert. 

Die größte Unternehmerin it in diejer Periode die Stadt 
jelbft. Sie hat durch Anlage von ganzen Straßenſyſtemen 
Raum für eine Stadterweiterung in allen Richtungen gejchaffen; 
die Schweginger Vorſtadt, die Nedar-Vorjtadt, der Jungbuſch, 
das jog. Villenviertel, der Lindenhofitadttheil, der Kaijerring 
find in diejer Periode ganz oder zum Theil entitanden. Der 
Unternehmungsgeift Privater, namentlich des Kommerzienraths 
Engelhorn, der die ehemaligen Baumjchulgärten von der 
Domänenverwaltung, das Gontard’sche Gut von der evangeliſchen 
Kollektur kaufte und in Baublöde ummwandelte, griffen fördernd 
mit ein. Die Stadt nahm am 12. Juli 1873 das Gaswerf 
in eigene Verwaltung und baute ein neues; fie Ffanalifirte die 
Nedarvorjtadt 1876 und beendete ein Kanalpumpwerk diesjeit 
des Nedars in K 9 ım Jahr 18785 fie ſchuf die ſtädtiſche 
Abfuhranſtalt durch Uebernahme eines Privatunternehmens 1881 


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Deffentliches Leben, Verkehr, Handel und Induſtrie. 635 


und eine jtädtiiche Ferniprechanlage fir den Verkehr der 
jtädtischen Behörden und Anftalten mit einander im gleichen 
Jahr. Am 21. April 1888 wurde die von Ingenieur Smrefer 
entworfene Wafjerleitung in Betrieb gejegt. Im jelben Jahr 
begründete die Stadt zur Unterhaltung der ftädtiichen Garten» 
anlagen eine Stadtgärtnerei mit einem Schulgarten. 

Im gleichen Jahre wurde ein Kanalpumpwerk zur Ent« 
wäſſerung der Neckarvorſtadt gejchaffen. 1893 wurde der Kojafen- 
jtall, ein häßliher Anbau am Schloß, und die benachbarten 
Remiſen abgebrochen, um eine freie Verbindung der Stadt mit 
dem Billenviertel an der Bismarditraße und dem Bahnhof her- 
zuitellen. Eine ganz großartige Unternehmung ift der Sielbau, 
durch den all die Stadttheile eutwäfjert wurden, welche nicht 
ihon ein Kanaljyftem hatten. Im Auguft 1894 war der Siel» 
bau der inneren Stadt beendet. Dieje Anlage führt zu den 
anderen Anjtalten, welche zur Beilerung der Gejundheitsverhält- 
niſſe und der Sicherheit wegen errichtet wurden. Am 24. Dezember 
1876 wurde die ftädtiiche Waſſerwehr geichaffen und im Mai 
ein Ortigejundheitsrath eingejett. 1892 baute man zwei Volfs- 
braujebäder in der Schwetzinger Vorjtadt und den Nedargärten. 
Am 11. Januar 1892 wurde der großartige Viehhof eröffnet, 
mit welchem jet auch ein großer Schlahthof verbunden ift. 
Bejonders rühmlih find die Park- und Gartenanlagen. Zur 
Beauffihtigung aller diejer Anlagen, wie der Stadtgärtnerei 
und der landwirthichaftlichen Betriebe der Stadt wurde am 
6. Februar 1890 eine ſtädtiſche Kulturkommiſſion eingeſetzt. 
Nun entitand der Pismardplag mit jeinem Springbrunnen 
1890, die Anlage am Waſſerthurm 1892, der Nojengartenparf 
und der Park im Schnifenlodh, das der Domäne abgefauft 
wurde, 1894, die Bepflanzung des Paradeplates 1895, endlich) 
die Anlage des Uebergangs nad) dem Lindenhofjtaditheil und 
der Luiſenpark. 

Bejondere Sorgfalt widmete die Stadt den Schulen. Doch 
blieb die Erbauung von neuen Schulhäufern fait immer Hinter 
dem Bedürfniß zurüd. 1873 wurde das Volksſchulhaus in 
K 2, 6 gebaut, 1874 da3 im neuen Stadttheil über dem 


636 Deffentliches Leben, Verkehr, Handel und Induſtrie. 


Nedar 4. Querftraße 4. Am 7. April 1874 ftellte die Stadt 
einen Rektor an die Spike der gemiichten Volksſchulen. Am 
27. Juli 1875 wurde die jtädtiihe Schulkommiſſion gebildet, 
am 1. Augujt 1876 ein Ortsitatut für das Großherzogliche 
Injtitut entworfen, da3 am 29. Dezember 1876 unter dem 
Ehrenproteftorat der Großherzogin in ſtädtiſchen Beſitz über- 
ging. Dftern 1885 fonnte man das Volksſchulhaus in K 5 
beziehen. Seit dem 1. April 1880 find in Baden auch weib- 
liche Lehrkräfte im Elementarunterricht gejtattet. 1889 wurde 
das Friedrichsſchulhaus in U 2 beendet, im folgenden Jahre 
das Luiſenſchulhaus. Am 1. November 1892 erfolgte nach 
langen Kämpfen die Aufhebung des Volksſchulgeldes. Dafür 
wurde für Diejenigen Schüler und Schülerinnen, welche eine 
über das Elementare etwas hinausgehende Schulbildung ge— 
nießen wollen, eine Bürgerjchule eingerichtet.“ 

Unterdeflen war vom Realgymnafium eine Realjchule (jebt 
Dberrealichule) ohne Latein abgezweigt worden und jpäter ent- 
jtand neben ihr die Reformſchule. 1894 wurde die Hildajchule 
„über dem Nedar“ und einige Jahre darauf die Mollichule in der 
Schweginger Vorjtadt eingeweiht. Das Schulwejen feierte das 
Jubiläumsjahr durch die Einweihung des großen, verjchiedenen 
Lehrgebieten dienenden Schulbaus der Kurfürft Friedrih-Schule. 

Eine Krönung des DVerfehrswejens der Stadt fand 1902 
durch Eröffnung der eleftriichen Bahn flatt, eine meifterhafte 
Anlage Direktor Löwits. 


Die Zahl der Einwohner der Stadt Mannheim ftieg in 
den lebten 50 Jahren von 27000 auf 170000. 

Werfen wir noch einen Blid auf die Behörden, die ihre 
Kraft für das Wohl der Stadt einjegen, jo haben wir etiva 
folgendes zu verzeichnen. 

Als Großh. Landestommijfär folgte an Stelle des im 
Jahre 1900 verftorbenen Freiherrn Rüdt von Collenberg Ober- 
regierungsrath Mlerander Pfiſterer. Im gleichen Jahre wurde 
Geh. Regierungsratd Edmund Lang BVorftand des Bezirks- 
amtes. Fir Bolizeidirector Schäfer kam Dr. Korn nah Mann 


Deffentliches Leben, Verkehr, Handel und Induftrie, 637 


heim, für Major Grabert an das Diftrift3-ffommando der 
Gendarmerie Major Faller. 

Der Verwaltung des Reiches unterjtehen die Reichspoſt 
(Director Weiland), da3 Telegraphenamt (Director Bernhard) 
und die Reichsbank-Hauptſtelle (Geh. Regierungsrath Richter). 

Das Oberhaupt der Juftizbehörden in Mannheim ift der 
Präfident des Landgerichts Guſtav Chriſt, Vorjteher des Finanz— 
amtes Dr. E. Bernauer. 

Die Großh. Etjenbahnverwaltung unterjteht dem Regie— 
rungsrat Landenberger. 

Als Kommandant der Kgl. preußiſchen Garniſon wurbe 
Dberjt von Winterfeldt nad) Mannheim verjebt. 

An der Spite der Stadtverwaltung fteht der Stadtrath, 
gebildet von Oberbürgermeifter Dtto Bed, den Bürgermeiftern 
Paul Martin, Robert Ritter und Eduard von Hollander, den 
Stadträthen Dr. Theodor Alt, Herm. Barber, Ludw. Baro, 
Ernſt Baljermann, Joſ. Battenftein, Hch. Bausch, Auguſt Denzel, 
Alfred Duttenhöfer, Con. Fendel, Bernd. Foshag, Franz Frey— 
tag, Daniel Groß, Kommerzienratd Fri Hirihhorn, Joſef 
Köhler, Hch. Löwenhaupt, Iſaak Mainzer, Val. Orth, Dr. 
Sally Stern, Mar Stodheim, Karl Bogel, Anton Bogel- 
gejang II. Der aus 95 Stadtverordneten bejtehende Bürger— 
ausichuß hat Fisfalanwalt ©. Selb zum Obmann und Kauf: 
mann Wild. Fulda zu dejfen Stellvertreter gewählt. 

Die Häupter der Kirchengemeinden in Mannheim find: 
Stadtdefan Joſef Bauer (Erzbiichöfliches Decanat, fath. Stif- 
tungsrath), Stadtpfarrer Wilhelm Hisig (Evang, Kirchen: 
gemeinderath), Stadtpfarrer Chriſtian (Altkatholiiche Gemeinde), 
Prediger Georg Schneider (FFreireligiöje Gemeinde), Dr. M. 
Stedelmader (Stadtrabbinat), Oberrath Mar Stodheim (Syna- 
gogenrath). 

Den Berfehr mit dem Auslande vermitteln 25 Konjulate. 

Bon den zur Förderung von Handel, Gewerbe und Land» 
wirthichaft gegründeten Injtituten, Vereinen fommen u. U. in 
Betracht: Die Handelskammer für den Kreis Mannheim: Präfi- 
dent bis 1903 der in Diejem Jahre verjtorbene Kommerzien« 


638 Deffentlihes Leben, Verkehr, Handel und Induftrie, 


rath Philipp Diffene, jeitdem Geh. Kommerzienrath Victor Lenel; 
Secretäre: Dr. D. Emminghaus, Dr. A. Blauftein. Die Börje: 
Großh. Kommilfäre: Miniſterialrath Pfiſterer, Regierungsrath 
Lang; Vorſtände: Großkaufmann Emil Hirſch und Kommerzien— 
rath Wilhelm Zeiler. 

Von den Schulen der Stadt Mannheim nennen wir: 
Großh. Gymnaſium (Director: Hofrath Keller), Großh. Neal» 
gymnaſium (Director: Wilh. Höhler), Großh. Oberrealſchule 
(Director: Hermann Roſe), Großh. Inſtitut unter dem Pro— 
teftorat der Großherzogin Luiſe (Vorſteherin: Frl. Streccius), 
Städt. höhere Mädchenſchule (Director: nach M. Walleſer 
Prof. Hammes), Gewerbeſchule (Rector: L. Herth), Ingenieur— 
ſchule (Direction: Paul Wittſack), die Bürger: und Volks— 
ſchulen: (Stadtſchulrath Sickinger). Neue Gründungen ſind 
die Reformſchule, die Handelsfortbildungsſchule und die Handels— 
hochſchule. 

Zahlreich ſind in Mannheim die Bankinſtitute, von denen 
ſich mehrere in hervorragend ſchönen Gebäuden eingerichtet 
haben: Die Rheiniſche Creditbank und Hypothekenbank, die 
Süddeutſche Discontogeſellſchaft, die Badiſche Bank, die Ober— 
rheiniſche Bank, die Mannheimer Bank, Mannheimer Gewerbe— 
bank, Pfälziſche Bank, Dresdener Bank, Süddeutſche Bank und 
mehrere andere Bankfirmen (H. L. Hohenemſer, Wingenroth, 
Soherr & Co. u. A.). 

Wichtige Handelsverfehrsinftitute in Mannheim find: Mann- 
heimer Dampfichleppichifffahrtsgejellichaft, Mannheimer Lager: 
hausgejellichaft, Badiiche Aktiengejellichaft für Aheinichifffahrt 
und Seetransport, Nheinichifffahrtsaftiengejellichaft (vormals 
Fendel), die Mannheimer Site der Kölniichen und Düffeldorfer, 
jowie der Niederländischen Dampfichifffahrtsgejellichaften u. a. m. 
Hierzu kommen verjchiedene VBerficherungsgejellichaften, 3.8. die 
Mannheimer Verfiherungsgejellichaft, die Eontinentale Verſiche— 
rungsgeſellſchaft, Badiihe Schifffahrts- und Aifefuranz-Öefeil: 
ihaft, Badiihe Rück- und Mitverficherungsgeiellichaft, Die 
Gascoverliherungsgejellichaft „Jus et Justitia“. 

Die beruflihen Interejjen vertreten das Arbeiter-Secre- 


Deffentliches Leben, Verkehr, Handel und Induſtrie. 639 


tariat, das Bureau der Fatholifchen Arbeitervereine, der allge- 
meine Fabrifantenverein, der Gewerbeverein und Handwerfer- 
verband, Verein badijcher Finanzbeamten, zahlreiche Kaufmän— 
nijche Vereine (darunter der neu gegründete Verein weiblicher 
Angeftellten), der Hausbejigerverein und Mietherverein, die 
Bäder: und FFleifcherinnung u. ſ. w. u. ſ. w. Eine hervorragende 
Stellung unter diejen Vereinigungen nimmt auch der Land— 
wirthichaftliche Bezirksverein ein. 

Die Aufzählung der vielen Vereine für Gejelligfeit, Sport 
u. j. w. bier anzugeben, würde zu weit führen, jie alle tragen 
zu der bewegten, reichen Lebensentfaltung Mannheims das 
Shrige bei. Neben zahlreichen Unterftüßungsvereinen, Kranken— 
fafjen (3. B. dem Medicinalverband und dem von Franz Thor- 
bee gegründeten „Neuen Medicinalverband“) entfalten eine 
große Zahl von Bereinen für Wohlthätigfeit ihr edles Liebes— 
werk. Hierzu gehört außer den kirchlichen Vereinen der Frauen- 
verein, der Verein Knabenhort und Mädchenhort, Verein für 
Kinderpflege und das zu großer Entfaltung gelangte, unter dem 
Proteftorat der Großherzogin Luije jtehende Wöchnerinnen-Ajyl 
(Bräfidentin: Frau Oberbürgermeijter Bed, dirigirender Arzt: 
Medicinalratd Dr. Mermann). 

Die freiwillige Feuerwehr, 1850 gegründet, feierte bereits 
das Jubiläum ihrer 5Ojährigen, Hilfreihen Thätigkeit (Com- 
mandant Hauptlehrer Molitor). Es bejteht auch eine Berufs- 
feuerwehr, von der Stadt eingeführt. 

Die politischen Parteien vertreten folgende Bereine: Der 
Nattonalliberale Verein unter dem Ehrenpräjidium Karl Edhards 
und unter der Leitung Ernjt Baſſermanns und Rechtsanwalts 
König. Der Männerverein Centrum (Vorſitzende: Mechaniker 
König und Amtsgerichtsdirector Gießler). Der Demokratijche 
Berein (Vorſtand: Stadtverordneten-Vorjtand W. Fulda, Land» 
tagsabgeordnete Ihrig und Bogel, Vince. Beder u. A), ber 
freifinnige Verein (Vorſtände: Alfr. Duttenhöfer, Dr. ©. Stern, 
E. Magenau, Dr. Gerard, Dr. E. Weingart, H. Löwenhaupt u. U.) 
und der Sozialdemofratijche Verein (Vorſtand: Dr. 2. Frank). 
Die leßteren Vereine legen eine furze Erwähnung der Wahlen 





640 Deffentliches Leben, Verkehr, Handel und Inbuftrie. 


zum Reichstag nahe. Abgeordnete für Mannheim waren jeit 
1870 Lamey, Kopfer, Philipp Diffene, Ernit Baffermann, 
Auguſt Dreesbah und Dr. Ludwig Frank. 

In den legten 30 Jahren iſt das ſchon in früheren Zeiten 
in die Geſchicke Deutichlands eingreifende politiiche Leben 
Mannheims rege geblieben. Auch für andere Reichstagswahl- 
freife wurden in den lebten Zeiten Berjönlichkeiten aus Mann- 
heims politijchen Parteien herangezogen, jo war Rechtsanwalt 
Ernft Bafjermann in Jena gewählt worden, Landgerichtsdirector 
. Anton Zehnter wurde in Mosbach-Tauberbifchofsheim, Redacteur 
Emil Eichhorn in Pforzheim gewählt. Bräfident des Reichstags 
war eine Zeitlang der in Mannheim als Landgerichtsdirector 
thätig geweſene Freiherr von Buol 

Es ift hier nicht der Raum, um auf das politische Partei- 
leben in Mannheim des Näheren einzugehen, das würde, wie 
die jpeziellen Stadtangelegenheiten überhaupt, für jedes Jahr 
die Abfaffung eines ganzen Bandes nöthig machen. 

Doc jeien hier einige der thätigiten Mitglieder der ver— 
jchiedenen Parteien namhaft gemacht. In der nationalliberafen 
Bartei wirkten in hervorragender Weile der jchon genannte 
Staatöminifter Auguſt Lamey (geit. 1895), die Verjtorbenen 
Commerzienrath Jörger und Franz Thorbede; Bankpräfident 
Karl Eckhard und Stadtrath Ernjt Ballermann, der mit friicher 
Kraft eine Verjüngung der nationalliberalen Partei anbahnte, 
jowie die Profefforen Ludwig Mathy, Aug. Behaghel u. A. m. 

Die Commerzienräthe Philipp Diffene, Ferdinand Scipio, 
Karl Reiß und Oberbürgermeiiter Bed wurden vom Großherzog 
in die erjte Sammer berufen, während Commerzienrath Karl 
Ladenburg und Gerichtspräftdent Anton Bafjermann, Mitglieder 
der 2. Kammer waren. 

Ferner waren Zandtagsmitglieder die Demokraten 3. P. 
Eichelsdörfer, Frd. Schneider, Krebs, Kopfer, Eller, Heinrich 
von Feder, welche fich zugleich als Häupter der Demokratiſchen 
Partei in Mannheim hervorthaten. Heute find die Führer der 
Demokratiſchen Bartei Stadtverordneter-Borjtand Wilhelm Fulda, 
Karl Vogel und 3. Mainzer. Auch der verjtorbene politijche 


DOeffentliches Leben, Verkehr, Handel und Induſtrie. 641 


Redacteur der Frankfurter Zeitung Dr. Joſef Stern, ‚der Ver 
faſſer des Buches „Hinter den Gittern“, gehörte eine Zeit lang 
diefem Kreije an, 

In letzter Zeit Hat auch die Gentrummspartei unter der 
Führung des Amtsgerichtsdirectord und Landtagsabgeordneten 
Joſef Gießler, des Landgerichtsdirectord Anton Zehnter, des 
Stadtverordneten-Vorftandes Andr. König u. U. jtärfer entfaltet. 

Bon den Führern der neuerdings begründeten Freiſinnigen 
Partei jeien Hier die Stadträthe Alfred Duttenhöfer und Dr. 
Stern, jowie der Stadtverordneten-Borjtand Magenau genannt. 

Ein ſtarkes Anwachſen hat die jozialdemofratiihe Partei 
zu verzeichnen. Sie eroberte ſich in den legten Jahren mit 
Auguſt Dreesbah, Rüdt, Kramer, Geis, Süpkind, Lehmann 
Landtagsmandate und mit Stadtrat August Dreesbah und 
Dr. Ludwig Frank aud das Neichstagsmandat. 

Die das politiiche und öffentliche Leben Mannheims zum 
Ausdruck bringenden Zeitungen find: Der Mannheimer General- 
anzeiger, jo vereinigt mit dem Mannheimer Journal, reſp. der 
ehemaligen Zeitung des Bürgerhojpitals (Dr. Haas'ſche Druderei), 
Die Neue Badiiche Landeszeitung, 1871 aus dem Beſitze von 
Johannes Schneider in den Verlag der Mannheimer Vereins— 
druderei übergegangen. Das Mannheimer Tageblatt (Mar 
Hahn & Co), Tas Neue Mannheimer Volksblatt (Berlag 
Jean Gremm) mit „Stadtbas“ (bis 1907 Red. Heinrich Unger f), 
Die „Volksſtimme“ (Berlag Mannheimer NAetiendruderei), 
Die Badifch- Pfälziihe Volkszeitung (Verlag Mannheimer 
Vereinsdruderei). *) 

Weientlihe Stiftungen wurden der Stadt zu Theil. Bon 
den jog. weltlichen jeien angeführt u. W. diejenigen von David 


*) Don Verlagsbuhhandlungen nennen wir die 1888 gegründete 
Verlagsbuchhandlung 3. Bensheimer, deren langjähriger hervorragender 
Leiter Albert Bensheimer war, die früheren Verlage von Heinrich Hoff, 
Friedrich Baſſernann. Die aus bem 18. Jahrhundert ftammende Buch: 
handlung von Tobias Löffler war früher mit einem berühmten Verlag vers 
bunden. Weitere Buchhandlungen find diejenigen von Brodhoff und Schwalbe, 
Julius Hermann, Ernſt Aletter, Nemnich, Bender, Schneider u. a. 


Defer, Geſchichte ber Etabt Mannheim. al 


642 Deffentliches Leben, Verkehr, Handel und Induſtrie. 


Frieder. und Marie Engelhorn, 9. 2. Hohenemjer, Friedoline 
Hartogenfis, Bernhard Herichel, Frh. v. Hövel, Mathilde Kap, 
und Jeanette Aberle, AU. Bensbah, v. Buſch, Karl Edhard, 
Morig und Karoline LZenel, Seligmann, Julie und Leopold 
Ladenburg, Heinrich Lanz, Gallenberg, D. Oppenheim, Friedrich 
Reif, Karl Reit, David Wachenheim, Familie Wespin, Karl Weyl. 

Aus ſolchen kurzen Ausführungen und Aufzählungen ijt 
ſchon viel über die rege Entwidelung der Stadt zu entnehmen. 
Auf die bauliche Entwidelung der Stadt fommen wir nod) 
jpäter ausführlicher zu jprechen. 

Hier jei nur noch derjenigen Männer gedacht, die in den 
febten dreißig Jahren den Aufſchwung der Stadt in wejentlicher 
und hervorragender Weije leiteten: die beiden Oberbirgermeijter 
Eduard Moll und Dtto Bed. Der 1896 verjtorbene Ober- 
bürgermeijter Moll widmete der Stadt Mannheim jeine fleißige, 
jorgjame Tätigkeit biß zu dem Jahre 1891, und Hat der 
Stadtentwidlung eine vorzüglihe Grundlage gejchaffen. 

Dann folgte ihm Oberbürgermeijter Dr. Bed. Der große 
Aufihwung der Stadt, der mit dem ganzen Abjchnitt diejes 
Buches zu jchildern verfucht wird, hat unter der Stadtleitung 
Dtto Beds jeinen Höhepunkt erreicht, und es iſt die freudige 
Gewißheit gegeben, daß jich die Stadtentwidelung auch fernerhin 
auf diejer Höhe erhält. 











Der große Bücherfaal der „Veffentlihen Bibliothef“ im Großh. Schlofje zu Mannheim. 





XXX. 


Wifjenjchaft und HKunft im 
19. Jahrhundert. 


Neue Sammlungen — Karl Schimper — Karl v. Drais, der Erfinder der 
„Draifine* — Ingenieur William Fardely — Profeffor Heinrih Bürmann 
und die Handelsafademie — Neue Kunftpflege — Die Mufit — Karl Maria 
von Weber — Hektor Berlioz — Albert Lorking — Vincenz Lachner — 
Muſik-Vereine — Kammernuuſik — Jean Beder — Richard Wagner — 
Die Hapellmeijter Levy, Fiſcher, Weingartner — Intendanten — Dr. Auguit 
Baſſermann — Geſellſchaftliche Cirkel — Litteratur — Malerei — Vereine. 


n. Kunſt und Wilfenjchaft hatte im 19. Jahrhundert 
ganz andere Kämpfe zu bejtehen als in der vorangegangenen 
Zeit. Kriege und Nevolutionen drängten mit ihrer äußerlichen 
Straftbethätigung die aus dem Innern jchaffenden Künfte und 
Wilfenjchaften lange zurüd. Dennoch ließ es ſich Karl Fried— 
rich nicht verdrießen, diejen Geijtesmächten alle ihn nur mög» 
lihe Förderung zu Theil werden zu lajjen. 

Um für den Berluft der Sammlungen den Mannheimern 
einen Erſatz zu bieten, begründete Karl Friedrich die Große 
berzogliche Gemäldegallerie. Er erwarb zu diejem Zwede im 
Jahre 1803 die Sammlung des Grafen Luchefi in Neapel, be- 
jtehend aus 256 Gemälden, für den Preis von 61,000 Gulden. 
11,000 Gulden gelangten jofort zur Auszahlung, während das 
Uebrige dem Grafen als Leibrente von jährlich zu zahlenden 
5000 Gulden ausgemacht wurde. Zu diejer Sammlung famen 


41* 


644 Wiflenihaft und Kunft im 19. Jahrhumbdert. 


noch einige Gemälde aus der Kollektion Klein (1810, darunter 
der Kopf von Rubens), und die nod vorhandenen Rejte der 
furfürjtlich pfälziihen Gallerie. Die Großherzogin Stephanie 
ihenfte 1811 ein großes Gemälde von Diepenbed „Die Ber: 
mählung der heiligen Katharina“. - Später wurden der Samm- 
lung vier Altargemälde aus dem Kloſter Lichtenthal einver- 
leibt, wahre Perlen der Gallerie und eine Reihe anderer Bilder 
(16 darunter von badiihen Malern) aus Großherzoglichem 
Hausbeſitz (1853). 


Daß an Stelle der nah München gewanderten Kupfer— 
jtihlammlung eine neue durch Ankauf der Klein'ſchen Kollek— 
tion von circa 20,000 Blättern 1810 begründet wurde, iſt 
icon oben erwähnt. 


Bon dem urjprünglich von Karl Theodor begründeten fur- 
fürjtlichen Antiquarium blieb ein anfehnlicher Theil in Mann- 
heim zurüd. Die Stadt machte diefe Sammlung 1803 dem 
neuen Landesfürjten Karl Friedrich zum Geſchenk unter der 
Bedingung, daß dieſe Sammlung im Mannheimer Schloffe 
aufbewahrt bleibe. Im Jahre 1879 wurde das Antiguarium 
mit der Sammlung des 1859 gegründeten Mannheimer Alter— 
thumsvereins unter Geldzujchüffen von Seiten der Stadt ver- 
einigt, ſodaß diefe Sammlung jett enthält: Cingangshalle: 
Mittelalterlihe und neuere Skulpturen. 1. Saal: Römiſche 
Dentfteine. 2. Saal: Klein-Alterthümer vaterländijchen Fund— 
orts. 3. Saal: Funde aus Italien und Griechenland. 4. Saal: 
Bibliothef. 5. Saal: Waffen und Trophäen. 6. Saal: Mann- 
heimer Alterthümer. 7. Saal: Pfälzer Alterthümer. 8. Eaal: 
Ethnographiiche Sammlung. 9. Saal: Zunftwejen. 10. Saal: 
Archiv. 


Auch für den Verluſt des berühmten Antifenjaals juchte 
Karl Friedrich Erſatz zu Ichaffen, indem er durch den Gejandten 
E. 3. v. Dalberg — einen Sohn des berühmten Mannheimer 
Intendanten — in Paris eine Reihe von Gipsabgüſſen an- 
faufen ließ, die im Mannheimer Schloß Aufitellung fanden 
und 1882 in die Archivräume des Bibliothefbaues wanderten. 


Kunſt und Wiflenihaft im 19. Jahrhundert. 645 


Die Sammlung wird auf jtäbtiiche Koften fortdauernd ver- 
mehrt. 

Die Innendeforationen des Mannheimer Schloffes wurden 
durch herrliche Gobelins, die Napoleon I. jeiner Adoptivtochter, 
der kaiſerlichen Prinzejfin Stephanie zum Gejchenf machte, in 
wejentlicher Weife bereichert. Es find dies die nämlichen 
Gobelins, die Goethe in dem Hauptjaal eines ehemaligen Luſt— 
haujes ber Königin Maria Antoinette in Straßburg jah und 
über die er in „Wahrheit und Dichtung“ ſich ausführlich aus- 
ipricht. 

Das jest mit den Sammlungen des Mannheimer Vereins 
für Naturfunde vereinigte Großherzoglihe Naturhiftoriiche 
Muſeum, deifen Geichichte wir jchon an anderer Stelle be- 
bandelten, führt ung zur Betrachtung der Berührungspunfte 
Mannheims mit der wifjenjchaftlihen Arbeit des 19. Jahr 
hundert3. 

Einer der erjten Schüler des 1807 von Karl Friedrich 
in dem ehemaligen Jejuitenfollegium gegründeten Großherzog- 
(ihen Lyceums war der jpäter jo berühmt gewordene Botanifer 
Karl Schimper, geboren am 15. Februar 1803 in Mannheim, 
geitorben am 21. Dezember 1867 in Schwebingen. Seit 1843 
weilte er wieder in Mannheim. In Schweßingen, wo er jchon 
früher bei Gartendireftor Zeyher gewejen war, hatte ihm 
Großherzog Friedrich 1863 unter Gewährung einer PBenfion 
auch eine freie Wohnung anweiſen lafjen. Mit feiner Arbeit 
„Bejchreibung des Symphytum Zeyheri“ (1830 in Geigers 
pharmaceutiihen Magazin veröffentlicht), wurde Schimper zum 
Begründer der neuen Blattſtellungslehre. In jeinen Be- 
ziehungen zu Mannheim veröffentlichte er die Schriften: „Ges 
fihtspunfte eines jtromfundigen Naturforichers bei der Frage, 
wo zu Mannheim der Rhein überbrüdt werden ſoll“ (1863) 
und „Landwirthichaftliches" aus dem Mannheimer Anzeiger 
(Dezember 1865) beſonders abgedrudt. Schimper zeichnet fich 
auch al3 Dichter aus und gab einen Band Gedichte in Mann- 
heim (1847) heraus. 

Der oben erwähnte Gartendireftor Zeyher legte nad 


646 Kunst und Wiſſenſchaft im 19, Jahrhundert. 


Scleifung der Feitungswälle im Jahre 1808 in Mannheim 
den prächtigen Schloßgarten an. 

Wie die Botanik, jo erhielt auch die Landwirthihaft von 
Mannheim aus einen namhaften Vertreter. Der 1790 in 
Mannheim geborene Landwirt Lamprecht von Babo (geitorben 
20. Juni 1862 zu Weinheim) machte ſich als Vorjtand des 
Heidelberger Kreiſes des badijchen landwirthichaftlihen Ver— 
eins, Gründer des landwirthichaftlichen Bereinsgartens in Heidel- 
berg und Anreger der Sparkafjen für Landgemeinden, VBich- 
verlicherungen u. j. w. und jehr fruchtbarer Fachichriftiteller, 
befannt, dejjen Arbeiten vielfach in andere Sprachen überjebt 
wurden. Die Stadt Weinheim jehte dieſem eifrigen Förderer 
der Landwirthichaft am 10. Oktober 1859 ein Denkmal. 

Auf dem Gebiete der Technif wurde von Mannheim aus 
manche Anregung gegeben und jehr Beachtenswerthes geleijtet. 

Der Sohn des Oberhofrichters von Drais in Mannheim, 
‚sorjtmeijter und Kammerjunfer Freiherr Karl von Drais, er— 
fand hier im Jahre 1816 die Dratfine, das Urbild des heu— 
tigen Velocipedes. Noetling veröffentlichte 1884 eine Schrift 
hierüber (Mannheim 1884) und jchreibt darin: „Noch Heute 
jehen wir ihn im Geifte auf jener „Laufmajchine“ oder „Fahr: 
maſchine“ durd Mannheims Straßen und in den Schlofgarten 
hineinjaufen. ALS richtiges Original war er dabei immer in 
gleicher Weije gekleidet: Grauer Eylinder oder grüne Dienit- 
müße, grüner Dienjtfrad, grüne, graue oder Nanking-Hoſe; 
ein dünnes Spazierſtöckchen, auch wenn er auf der Draifine 
jaß, vervolljtändigte die in jüngeren Jahren mit jpig gedrehtem 
Schnurrbarte gezierte und mit Jabothemd und Manjchetten 
ausgejtattete Erjcheinung, welcher, wo ſie fich zeigte, die ver— 
ehrliche Straßenjugend höhnend und johlend nachlief.“ Drais 
iſt am 29. April 1785 in Karlsruhe geboren und dajelbjt am 
10. Dezember 1851 gejtordben. Mit 28 Jahren kam er 
nah Mannheim, wo er den größten Theil jeines Lebens 
verbrachte. 

Bon beionderer Bedeutung auf dem Gebiete der Technik 
war auch das Wirken des am 26. Juni 1869 hier ver- 


Kunſt und Willenichaft im 19. Jahrhundert. 647 


jtorbenen Ingenieurs William Fardely. Diejer war 1822 
mit jeinem Vater, einem englischen Spracdhlehrer, nach Mann— 
heim gefommen. Seine hervorragendite Leiftung iſt jeine Ans 
lage der eriten, für den praftijchen Betrieb bejtimmte eleftrijche 
Telegraphenlinie von Wiesbaden nach Staftel im Jahre 1844. 
Es ijt dies die erjte Anlage auf dem europätjchen Feitlande 
überhaupt. Von jeinen Schriften über „Salvanoplaftif" (1842), 
„Der eleftriiche Telegraph“ (1844), „Der Beigertelegraph“ 
(1856) find noch die leßteren in der Deffentlichen Bibliothek in 
Mannheim erhalten. Nebenbei gejagt, bethätigte fich Fardely 
auch als Pyrotechnifer; jeine Kunſt auf diejem Gebiete wurde 
gelegentlich des 1856 gefeierten Feſtes der Anmejenheit des 
Sroßherzoglihen Paares bejonders gerühmt. Die Stadtver- 
waltung in Mannheim hat neuerdings eine Straße nach diejem 
bedeutenden Ingenieur genannt. 

Aus dem damaligen Schulwejen, das einen wejentlichen 
Aufſchwung nahm, ragt die interefjante Berjönlichkeit des Pro— 
feſſors Hans Heinrih Bürmann hervor. Die Bemühungen 
diejes Gelehrten, hier eine Handelsafademie zu gründen, müſſen 
heute noch von einer inzwilchen aufgeblühten Handelsſtadt 
dankbar empfunden werden, da leider heute ein jolches Inſtitut 
in großem Stile fehlt. Bürmann hielt in Mannheim jeit 
1795 Borleiungen über Handelswiſſenſchaft; doch hatte er mit 
anderen Berjuchen auf dieſem Gebiete, von Borowski, Sinz- 
heimer und Neugaß unternommen, zu fämpfen. Much die von 
ihm begehrte Profeſſur am neu organifirten Lyceum zu Mann— 
heim und eine Vereinigung der Handelsafademie mit dem Gym: 
najium wurde ihm abgejchlagen. Dagegen führt er 1805 jchon 
den Zitel eines Direktors der kurfürſtlich Badiichen Handlungs: 
akademie, die 1811 ihre Erweiterung fand. Doc das Inſtitut, 
das die erjte Nealjchule in Mannheim darjtellt, konnte nicht 
zur Blüthe fommen und mit Birmanns Tode am 21. Juni 
1817 hörte die Anjtalt zu erijtiren auf. Won den interejjanten 
jchriftjtellerijchen Arbeiten Bürmanns, von denen einige Der 
PBarijer Akademie vorgelegt wurden „Essai de calcul fonction- 
naire“ (1797) und „Musophelia oder Bortheile der Wiſſen— 


648 Kunst und Wiſſenſchaft im 19. Jahrhundert. 


ſchaften“ (Mannheim 1805), welche Schrift den Verfaſſer ſchon 
als Direktor der furfürftlichen Akademie bezeichnet. 

Bon Gelehrten, die der Stadt Mannheim entitammen 
(reſp. zu ihr in näherer Beziehung ftanden) und fiir Die deutiche 
BWilfenihaft von Bedeutung wurden, feien hier noch Krafft— 
Ebing (geb. 1840 in Mannheim), Kußmaul, 3. Kohler und 
Karl Neumann nambaft gemacht. | 

Wenden wir uns zur Kunſt. Da ift es vor Allem die 

Mufit, die den Beitereigniffen zum Troß, Sich lebhaft ent— 
faltete und weiterhin hervorragende Berjönlichkeiten mit Mann- 
heim in Berührung brachte. 
Karl Maria von Weber, der mit feinen Freunden Gott- 
fried Weber, Alerander von Duſch, dem Sänger Berger, 
Meyerbeer (der damal3 in Darmitadt bei Bogler Unterricht 
nahm) und Gänsbacher einen „Öarmoniichen Verein“ gegründet 
hatte, trat in einem Concert im DOftober 1810 in Mannheim 
auf, das von der „Mujeumsgejellichaft" gegeben wurde. 

„Das Concert — ſchreibt Mar Maria von Weber in 
jeinem Lebensbild des Komponiften — fand am 19. November 
ftatt und die liebenswürdige Prinzejlin Stephanie ſaß dem 
Piano, auf dem er jpielte, gegenüber. Bon Karl Maria 
wurde jeine reizende, eimjchmeichelnde Ouvertüre zu „Peter 
Schmoll“ in der Bearbeitung von 1807 vorgeführt und erndtete 
den Beifall des Publikums und der feinfinnigen Fürftin. Meyer: 
beerö ſchöner Pſalm: „Aus der Tiefe“ erhielt gerechte Wür— 
digung, und das zum erjten Male vollitändig von Karl Maria 
jelbjt geipielte Klavierconcert in C, As und C-dur (op. 18) 
gewann die Prinzejjin jo, daß fie, in ganz ungewöhnlicher 
Huld, nad) dem Concert mit ihrer Oberhofmeifterin, Gräfin 
Walich, auf Weber zutrat und ihm jagte, daß fie von ihrem 
Vetter, Ludwig von Bayern, joviel Neugiererwedendes über 
jein Liederjingen zur Guitarre gehört habe, daß er ſie ver- 
pfliditen würde, wenn er ihr ein gleiches Ergößen bereite. 
Weber ließ fich jofort eine Guitarre reichen und fang jtehend, 
jeine rührendften und jeine jchelmtichiten Kieder vor einem ihm 
gleichfalls ftehend umgebenden Fleinen, aber aus Perſonen von 


Wiſſenſchaft und Kunſt im 19. Jahrhundert. 64% 


Gewicht zuiammengejesten Kreiſe, der, wie es der Sänger in 
der Mitte wollte, die Brinzeifin an der Spite, lachte und ſüße 
Thränen weinte, aber das Fortgehen vergaß.“ 

Alle jeine Mannheimer Freunde glaubten Weber für 
Mannheim gewonnen. Die Brinzeifin Stephanie that jelbit 
alles dazu, fie wollte, daß man für Weber eine zweite Kapell- 
meifterftelle (neben der Ritters) einrichten jolle, allein ber 
Intendant von Benningen erklärte dies jchließlich für unthun— 
(ih und Webers Worte: „Ich kenne meinen Stern! Es wirb- 
nicht3 daraus!“ erfüllten fih. In Mannheim hat Weber 
während jeines furzen Aufenthalts fich bereit? mit der dee 
der „Oberonmuſik“ getragen und den erjten Entwurf zum 
„Freiſchütz“ mit feinem Freund Alerander von Duſch gemacht. 
Im Hauſe Gottfried Webers, bei dem er wohnte, fomponirte 
er vom 11. bis 14. November an jeinem „Abu Hafjan“. Bon 
Mannheim aus datirte Weber eine neue Epoche jeines Lebens. 

Ueber 30 Jahre nad) diejer Zeit, den 9. bis 14. Januar 
1843 weilte hier ein anderer großer Komponift unjerer Zeit, 
deffen 100. Geburtstag wir jett feiern. Hektor Berlioz 
war am 9. Januar in Mannheim angefommen. Mannheim 
wollte zu den erjten Städten gehören, die den bahnbrechenden 
Werfen des franzöfiichen Komponiften Gehör jchenten. Zur 
Aufführung von Schöpfungen diejes Komponiften war ein 
großes Concert im Theater angejegt. Berlioz leitete jelbjt die 
Proben des Hoftheaterorcheiter8 und dirigirte das Concert. Es 
wurde von ihm aufgeführt: Die VBehmrichterouvertüre und 
Stüde aus det Haroldiymphonie, die Ouvertüre zu „König 
Lear“ und „Der Hirtenjüngling”, letztere Kompofition ge— 
jungen von Fräulein Recio mit Orcheiterbegleitung. Das. 
Concert konnte nur bei wenigen Weitjchauenden volles Ber- 
jtändniß finden; in der Kunftgeichichte Mannheims Bleibt es 
aber ein großes, monumentales Ereigniß.“) 

Ein Jahr darauf, vom 1. bis 13. Juli 1844, weilte 
Albert Lorking in Mannheim. Er war innig befreundet mit 





) In den Rheiniihen Blättern, Feuilleton zur Mannheimer Abend» 
zeitung 1843 Nr. 7, erichien eine austührliche Kritit über dieſe am 13. 
Januar erfolgte Aufführung. 


650 Wiſſenſchaft und Kunſt im 19. Jahrhundert. 


Kapellmeiſter Vincenz Lachner, der, nachdem jein Bruder Franz 
dieje Stelle hier bis zum Jahre 1836 innegehabt hatte, Die 
Dpernaufführungen leitete. Lachner Huldigte den Opern 
Lorgings um jo mehr, als fie ganz der von ihm vertretenen 
muftfaliichen Richtung angehörten. Lorking dirigirte hier am 
3. Juli jeinen „Czar und Himmermann“ unter begetiterter 
Aufnahme Die Mannheimer Tage gehörten zu den jchönjten 
Lichtbliden in dem durch Sorge und Leid verdüfterten Leben 
diejes jo liebenswürdigen Komponiften. 

Bincenz Zachner, der die Thätigfeit feines ganzen Lebens 
Mannheim widmete, iſt am 19, Juli 1811 zu Rain geboren. 
37 Sahre wirkte er als Dirigent der Opern und Concerte in 
Mannheim bis 1873, in welchem Jahre er fich penlioniren 
ließ. Er war in jeiner Weile ein Meifter der Tonkunjt als 
Componiſt jowohl wie als Dirigent und Lehrer. Was ihm 
jelöjt nicht möglich war: ein Verhältniß zu der neueren Rich— 
tung der Muſik zu gewinnen, das verjtand einer jeiner Schüler 
um jo bejjer: Hermann Levy, der 1861 auf Lachners Vorſchlag 
jtellvertretender Mufikdireftor am Mannheimer Hoftheater 
wurde und von bier aus jeine große Laufbahn als Vertreter 
und Berkünder der Kunſt Richard Wagners antrat, Lachner, 
der bereit3 1851 unter großem Jubel jeine 2öjährige Diri— 
gententhätigkett am Mannheimer Hoftheater gefeiert batte, 
jtarb im Alter von 81 Jahren 1892, Zu den hervorragenden 
Kräften der Lachnerzeit an unjerem Theater gehörten vor 
Allem Karl Ditt, der hier heute noch unvergejjene ausge— 
zeichnete Bahbuffo, und Henriette Rohn (ſpäter verehelichte 
Ullrich-Rohn), die jhon 1876 zum Leidwejen der Mannheimer 
Kunftwelt vom Theater jchied. 

Die Intendanten, die das Theater jeit Dalbergs Wirken 
geleitet hatten, waren: Freiherr von Venningen bis 1816, 
Freiherr von Ungern-Sternberg bis 1821, Graf von Luxburg 
bis 1836. Unter dem leßteren wirkte bier in den Jahren 
1833— 1836 der berühmte Schaujpieler Theodor Döring. 
Diejer gerieth wegen jeiner erbetenen, doch nicht gleich be= 
willigten Entlaffung im Gonflift mit dem Intendanten, der 


Willenihaft ımd Kunjt im 19. Jahrhundert. 651 


dem Künſtler 1300 fl. aus jeiner Privatkaſſe vorgeftredt hatte 
und ihn nun wegen Fluchtverdachts in Haft nehmen lieh. 
Döring verbradte die Haft in Gemeinſchaft mit Gutzkow. 
Diejer verbüßte damals hier gerade die ihm wegen Beröffent- 
lihung der „Waly“ zudiktirte Strafe. Mit dem Rücktritt 
des Intendanten Geheimrath von Kronfels im Jahre 1839 
begann die Leitung des Theaters durch ein Comite von 3 
Bürgern, die der Gemeinderath (und Ausihuß) wählen und 
das Miniftertum bejtätigen mußte. Damit kam das Theater 
unter jtädtiiche Selbitverwaltung. Die erjten Comite-Mitglies 
der waren Jolly, Schmudert und Dr. Seit. Bald jedoch 
brachen Streitigkeiten aus. Da die Anftellung eines Direktors 
vom Minifterium nicht bewilligt wurde, jtellte man einen 
Oberregiffeur in der Perjon Philipp Düringers an. Da ſich 
durch ihn der Schauſpieler Braunhofer aus jeinem Rollenfac) 
verdrängt jah, fam es am 25. Juli 1843 bei einer Aufführung 
von „Sabale und Liebe“ zu einem Sfandal im Publikum, 
jo daß die Aufführung abgebrochen werden mußte. 

Ende 1855 gelangte der jchon im Jahre 1849 geplante, 
doch erſt 1853 begonnene Theaterumbau, mwährenddejjen im 
Concertſaal geipielt wurde, zur Bollendung. Das erneuerte 
und erweiterte Haus wurde am 11. yebruar 1856 unter Ans 
wejenheit des Prinzregenten mit Mozart3 „Zauberflöte* er- 
Öffnet. Dann 1857 wurde der Concertjaal umgebaut. Prinz 
Friedrich hatte gleich bei jeiner erjten Anwejenheit ald Regent 
in Mannheim den geplanten Umbau des Theaters freudig be— 
grüßt. Unter jeiner Regierung jollte es im neuen Hauſe zu 
einer neuen bedeutenden Kunjtpflege fommen. 

Diejen Umbau, dem im legten Jahrzehnt noch ein weiterer 
folgte, leitete der auch von Wagner hochgeichägte Theatermaler 
Joſeph Mühldorfer (geb. 1800 in Meersburg am Bodenjee, 
1863 zeit. in Mannheim), ein Schüler Lorenz Quaglios. 

Lachner war e3 auch, der in der deutſchen Aheinjtadt 
Mannheim den Männergefang außerordentlich fürderte und 
belebte, Die ältejten der Mannheimer Gejangvereine jind die 
1840 gegründete „Liedertafel“ und der „Liederfranz“, gegründet 


652 Wilfenihaft und Kunſt im 19. Jahrhundert. 


1856, die fich bis zum heutigen Tage in voller Blüthe er- 
halten haben und in der Zeit der nationalen Entwidelung das 
deutiche Lied erklingen ließen. 

Zu Ddiejen Vereinen famen der „Singverein“ und „Sänger- 
bund*, In den Jahren 1878 bis 1889 entialtete hier Karl 
Iſenmann als Dirigent der Liedertafel und des „Arion“ 
(Iienmann’schen Männerchors) jeine der Pflege bes deutichen 
Männergejangs in unvergeffener Weile gewidmete Thätigfeit 

Zu Meiiterleiftungen im Männergejang brachte es aud) 
der neuerdings erit gegründete Lehrergejangverein Mannheim: 
Ludwigshafen, der zu dem Ruhme, den fi die Mannheimer 
Sangeskunſt auch auswärts erwarb, wejentlich mit beitrug. 

Die von einer Gejellihaft von Dilettanten jeit 1778 
gepflegten Liebhaberconcerte führten 1807 zu den Muſika— 
liſchen Akademien des Hoftheaterorcheiters, jpäter geleitet von 
Franz und Bincenz Lachner. Dratorien und Symphonten 
unferer klaſſiſchen Metiter kamen dabei zur Aufführung. 

Ein jchon 1829 gegründeter Verein, „Der Mufitverein“, 
der fich bis zum Jahre 1834 „Gejang und Mufitgejellichaft“ 
genannt hatte und in welchem ebenfalls Bincenz Lachner wirkte, 
unternahm mit der Pflege des Chorgejangd aud die Pflege 
der Injtrumentalmufif und veranjtaltete bis zum heutigen Tage 
die Aufführung großer Kompofitionen, bejonders für Chor und 
Orcheiter, joeben den 100. Geburtstag Hector Berlioz’ durch 
die Wiedergabe von deijen Requiem, des wohl tongemwaltigiten 
Werkes aller Zeiten, feiernd. 

Der kirchlichen Muſik widmet ſich der „Verein für Elafftiche 
Kirchenmuſik“ in fünjtleriich werthvoller Art unter der Leitung 
des rühmlichit befannten Orgeljpielers Muſikdirector Hänlein. 

Der „Philharmoniſche Verein“ hatte fich 1859 unter dem 
Namen „Dilettanten-Verein” gegründet. Sein erjtes größeres 
Eoncert fand am 30. Juni diejes Jahres im Aulajaale zu 
Gunſten des patriotiihen Hilfsvereing unter der Leitung 
Ferdinand Langers ftatt. Diejer Verein erwarb fich im der 
Folge außerordentliche Verdienſte um die Erziehung zur muſi— 
faliihen Kunft. Seine 1864 ins Leben gerufene Vorſchule, 


Wiſſenſchaft und Kunft im 19. Jahrhundert. 653 


war lange Zeit die einzige größere Muſikſchule Mannheims. 
Die mufifaliichen Aufführungen und Concerte des philhar- 
moniſchen Vereins zeigten am bejten die bedeutenden Reſultate 
einer nicht berufsmäßigen, jondern lediglich aus Heißer Liebe 
zur Muſik quellenden Mufitpflege und das Aufſteigen des 
Dilettantismus zu wirklicher Kunft. 

Jetzt hat Mannheim in der „Hochſchule für Muſik“ eine 
hervorragende Mufikichule großen Stiles erhalten. Dieje Schule, 
unter dem Proteftorate der Landesfürſtin jtehend und von dem 
ausgezeichneten Muſiker, Mufitichriftiteller und Mufifpädagogen 
Wilhelm Bopp geleitet, Hat ſich, weit über einjeitige Fach— 
intereſſen hinausgehend, raſch zu einer hohe Ziele verfolgenden 
Kunftatademie gejtaltet, wie dies für das moderne Mannheim 
eine Nothwendigfeit war. 

Im Mufifverein gelangte auch die Kammermufif jchon vor 
1850 zu lebhafter Förderung. In einem Goncerte diejer Ver: 
einigung trat am 15. Oftober 1844 der elfjährige BViolinift 
Sean Beder auf. Mit diejem Künſtler erſtand der modernen 
Kammermufif eine bedeutende Kraft, die bejonders hier in 
Mannheim die großen Traditionen aus der Zeit Karl Theodors 
wieder aufleben ließ. Jean Beder ijt ein geborener Mann 
heimerjund jeine große Kunſt, die er jpäter auch auf jeinen Reijen 
in weiter Welt entfaltete, ließ jeine VBaterjtadt auf mufikaliichem 
Gebiete einigermaßen wieder in altem Glanze erjcheinen. Das 
von ihm 1866 in Florenz begründete Florentiner Quartett 
verband in ganz jeltener, noch nicht wieder erreichter Weije 
deutiche und italieniſche Kunſt zu interejfantejtem gemeinjchaft- 
lihem Wirfen. Seine Kinder Hans, Hugo und Jeanne waren 
von jo ausgezeichneter Begabung und Hatte der Meifter jo 
vortrefflich unterrichtet, daß er mit ihnen ein neues Quartett 
bilden konnte, das in der mujifaliihen Welt als „Jung— 
Beder’iches Quartett” lebhafte Anerkennung fand. Aus dem 
Kreiſe diejes Meifters entiprang auch noch nad) deilen allzu: 
frühem Tode (10. Dftober 1881) eine bis heute noch fort: 
wirfende Bethätigung auf dem Gebiete der Muſik. Der Sohn 
des Meifters, der Celliſt des berühmten Frankfurter Streich- 





654 Wiflenihaft und Kunſt im 19. Jahrhundert. 


quartetts, ift jelbit zum Meiſter geworden. Die alljährigen 
Vorträge dieſes Quartetts in Mannheim gehören heute noch 
zu den auserlejeniten mufifaliichen Darbietungen der Winter- 
jatfon. In diefem Quartett wirfen befanntlich noch der aus 
Mannheim gebürtige Violinift Profeſſor Fris Ballermann und 
der Bratſchiſt J. Naretsftoning, der hier früher Concertmeifter 
des Hoftheaterorchefters war, in künstlerisch vollendeter Weije 
mit. Die Tochter des Meifters, Jeanne Beder-Srohe, die 
gefeierte Pianijtin, entriß der Tod 1893 einem von edler 
Kunſt verflärten Leben. Ihr jeelen= und Funjtverwandt, 
förderte ihr Gatte, Osfar Grohe, bier die Pflege eines vor— 
nehmen Klavieripiels, bejonders in der Liedbegleitung und ver- 
band den Kreis des Meiſters Jean Beder mit dem neuen 
Meiſter Hugo Wolf. Das von Moeit geichaffene Jean-Becker— 
Denkmal in den Anlagen vor dem Schloſſe läßt uns lebhaft 
der in ihrer geiftigen Fortwirfung noch heute nicht erichöpften 
Ihätigkeit des hervorragenden Tonfünjtlers gedenten.*) 

Wie Hugo Wolf in Mannheim innige Freundichaft ge— 
wann, jo hatte jchon längſt Richard Wagners mächtiges Wirfen 
bier warme Freunde und begeifterte Vertreter gefunden. 

Im Juni 1871 war bier der erite der deutichen Wagner: 
vereine gebildet worden und noch in demjelben Jahre dirigirte 
bier der Meiiter jelbit am 20. Dezember ein großes, 
ihm zu Ehren veranftaltetes Concert. Er traf jchon am 
16. Dezember hier ein und leitete jelbit die Proben der ver- 
einigten Mannheimer und Karlsruher Orcheiter. Unter jener 
Direktion erflangen der Satjermarih, die Duvertüre zur 
„Zauberflöte“, Beethovens A-dur-Symphonie, die VBorjpiele zu 
„Lohengrin“, den „Meifteriingern“ und „Trijtan und Iſolde“, 
jowie „Iſoldens Liebestod”" in neuem, großem Stile. Nach 
dem Concert, das einen vollen Sieg der Kunjt Wagners be- 
deutete, hielt der Borjtand des MWagnervereins in der kampf— 


*) Die Kammermuſik wird heute ipeziell in Mannheim von Goncert» 
meiſter Schuiter trefflih geleitet. Als Componiſt jei hier noch der hoch— 
begabte Nobert Kahn genannt. Auch Chordirector Nıdard Bärtid) com— 
vonrte Beachtenswerthes. 


Wiſſenſchaft und Kunſt im 19. Jahrhundert. 655 


reichen erjten Zeit, Dr. Zeroni, die Feſtrede. Wagner ant- 
wortete etwa folgendes: 

„Dan hat gefragt, wie es fommt, daß ich mich gerade 
hierher gewendet habe. Die große Vergangenheit Mannheims, 
der ftet3 rege Sinn für Kunſt und Künſtler, der bier herricht, 
find für mich wohl jchon Anziehungs- und Anknüpfungspunkte 
gewejen. Es hat ſich mir aber auch ein eigener Sinn dafür 
ausgebildet, wo das Echte, das Deutiche in Geſinnung und 
That zu juchen ift. Das findet man nicht in den größten 
Städten, nicht in den Refidenzen, jondern in den Städten, wo 
echtes Bürgertum und echter Bürgerjinn herrichen . 
Storporativ it Mannheim der erjte Ort gemweien, der mir in 
jelbitjtändiger Initiative entgegenfam. Die Mannheimer haben 
in mir zuerſt deu Glauben an die praftiiche Verwirklichung 
meiner Pläne befeitigt, fie haben mir bewiejen, wo für den 
deutichen Künftler der wahre Boden zu juchen it: im Derzen 
der Nation. Schon der Name bezeichnet Mannheim als einen 
Ort, wo Männer heimisch find; Bayreuth aber it ein durch 
die Kultur noch unentweihter, echt jungfräulicher Boden fir 
die Kunſt. Aus der Berbindung beider joll ein neues, jugend- 
lich Fräftiges Kunjtleben entiprießen.“ 

Einer Aufführung des damals noch zujammengeftrichenen 
„liegenden Holländers* fonnte Wagner feinen Geſchmack ab— 
gewinnen; er verlieh nach kurzer Anweſenheit die Vorſtellung. 

Eine Reorganijation des Opernweſens jollte eingeführt 
werden. Dans von Bülow machte Anstalten, einzugreifen und 
ih nad Mannheim zu wenden, das er eine Stadt mit jchönen 
Kunjttraditionen, jtädtiicher Unabhängigkeit und immer noch 
reipeftablen Reiten früheren Glanzes nannte. Aus einem Auf: 
ihwung des Nationaltheater unter Bülows Yeitung wurde 
jedoh nichts. Die Sache galt im Oftober 1872 als ab» 
gethan. Der Muſikalienhändler Emil Heckel bewirfte die 
Gründung der „Batronatsvereine“, die das Geld für die Auf: 
führung in Bayreuth herbeiichaffen jollten. Friedrich Nietzſche 
jollte 1873 den Aufruf jchreiben. 

Inzwiſchen wurde in Mannheim eifrig an einer bejjeren 


656 Wiflenihaft und Kunſt im 19. Jahrhundert. 


Aufführung der bereit? gegebenen Werfe Wagners und an ber 
Neuaufführung der noch zurüditehenden gearbeitet. 1873 ges 
langte unter Kapellmeijter Ernſt Franks Direktion „Lohengrin“ 
vollſtändig ohne jeden Strich auf dem Mannheimer Theater 
zur Wiedergabe. Die ‚Meiſterſinger“ waren zuerſt 1869 
(5. März) gegeben worden. „Rienzi" erjichien 1872 hier 
zum erjten Male. Zwei Jahre jpäter wurde die gefühlstiefe 
Dper „Die bezähmte Widerjpenjtige” von Hermann Göb unter 
Anwejenheit des durd) die begeijterte Aufnahme innig gerührten 
Komponisten zum erjten Male aufgeführt und damit dem deut— 
ſchen Theater gewonnen. Das großartige Gelingen der Bay- 
reuther SFeitipiele im Jahre 1876 wedte in Mannheim die 
Luſt, dieje neuejten Werke des Komponijten nad) dieſem Mufter 
vollitändig zur Aufführung zu bringen. 

Emil Hedel war 1877 Präſident des Mannheimer Theater- 
comites geworden und Franz Fiſcher, der jegige Münchener 
Kapellmeifter, hatte die Leitung der Oper übernommen. Alle 
Schwierigkeiten wurden überwunden und das Feſt des 100- 
jährigen Bejtehens des Nationaltheater fonnte nicht beſſer ge— 
feiert werden, als durch den Beginn der vollitändigen Auf— 
führung des Wagner’schen Riejenwerfes mit der Darjtellung 
des „Rheingold“ und der „Walfüre* am 13. und 14. April. 
BZahlreihe Mujikverftändige und Freunde Wagner’icher Kunjt 
ftrömten herbei, um hier auf einem verhältnigmäßig einfachen 
Theater das Wunder einer jolchen Aufführung ermöglicht zu 
ſehen. 

Die allerdings noch weit ſchwierigeren Aufführungen von 
„Siegfried“ und „Götterdämmerung“ wurden, wenn auch erſt 
in den Jahren 1884 und 1885, gleichfalls bewältigt. Der 
Aufführung der „Götterdämmerung“ wohnten Franz Lißt und 
Coſima Wagner bei. Liszt war früher jchon zur Zeit, als 
auch Berlioz nach Deutjchland kam, in Mannheim gewejen und 
bier im Concert aufgetreten. Auf Fiſcher folgten die Kapell- 
meijter Emil Baur und Felir Weingartner. Unter Paur, dem 
ausgezeichneten Dirigenten und Violin- und Klaviervirtuoſen, 
‚gelangte „Zrijtan und Iſolde“ 1889 zur erjten Aufführung in 


BE un * € 


um 





Straße nach der efuitenfirche in Mannheim, 
Nach einer Gemälde von Philipp Klein (geb. in Mannheim), 


Wiſſenſchaft und Kunft im 19. Jahrhundert. 657 


Mannheim, zu der Frau Coſima Wagner eintraf. Richard 
Wagner war 1873 das lehte Mal in Mannheim. Emil Hedel 
bat an jeinem Haufe, in dem der Meijter wohnte, eine Büſte 
Wagners (in carrariihem Marmor von Johannes Hoffart aus— 
geführt) anbringen lafjen und dieje der Stadt geitiftet. 


Weingartner dirigirte hier unter Anweſenheit der Frau 
Wagner und Siegfried Wagners 1890 ein großes Concert, in 
dem u. A. Liſzts Dante-Symphontie zu ergreifendftenm Vortrag 
fam. Auf Weingartner folgten als Kapellmeifter Franf, Hugo 
Röhr, E. N. von Reznicef, Willibald Kähler und jest Kutzſch— 
bad) und Reichwein. Dauernd widmete jeine Kraft bis zu 
jeinem im Jahre 1905 erfolgten Tode ber vorzügliche Kapell- 
meister und Componift Ferdinand Langer dem Hoftheater. Zu 
den bervorragendften Sängern des Nationaltheater gehörten 
der Mannheim bis zu jeinem Tode treu gebliebene Knapp, jo» 
dann Mödlinger, Neidl, Götjes und die Sängerinnen Mohor, 
Seubert, Prohasfa, Sorger, Heindl, Fiora u. U. 


Zahlreiche Mufikfeite wurden während de3 19. Jahrhun— 
dert3 in Mannheim abgehalten. Auch die mehrmalige An- 
wejenheit von Johannes Brahms in Mannheim gejtaltete ſich 
zu jhönen Feſttagen in den Kreiſen der Muſik. 

Unter den artiftiihen Leitern des Hoftheater8 in ber 
Comitezeit ragten Dr. Julius Werther, Otto Devrient und 
Karl Marterjteig hervor. 


Gewiſſe Unzuträglichkeiten bei der Comite-Leitung veran- 
laßten die Stadtverwaltung, die Direktion des Theaters wieder 
einem Intendanten zu überlaffen. Zuerjt erwählte man hierzu 
den Freiherrn von Stengel, dann wurde 1892 Alois Praſch 
mit diejer Stellung betraut bis endlich 1895 fich die Stadt» 
verwaltung entjchloß, einen verdienten Sohn der Stadt Mann- 
heim und ausgezeichneten Schaufpieler: Dr. Auguſt Baljer- 
mann, auf deſſen außerordentliche Regiekunſt man gelegentlich 
der Guſtav Adolf-Feſtſpiele aufmerkſam geworden war, zum 
Intendanten des Mannheimer Hof» und Nationaltheater auszu= 

Defer, Gefchichte der Stadt Mannheim. 42 


658 Wiſſenſchaft und Kunſt im 19. Jahrhundert. 


erjehen. Damit hatte die Leitung des Hoftheaters einen ficheren, 
die Interefjen der Heimath aus tiefiter Kenntniß heraus wah- 
renden Charakter gewonnen. Doch gelang es nicht, Herrn 
Bafjermann dauernd an jeine Baterjtadt zu feileln. Er wurde 
vom Großherzog zum Leiter des Karlsruher Hoftheaters aus— 
erjehen. An jeine Stelle wählte man den durch jeine Publi- 
fationen über Regie, Oper und Scene, Osfar Wilde und Frank 
Wedekind befannt gewordenen Schriftjteller Dr. Karl Hagemann. 
Der Wagemuth und die Kraft jeiner Vertretung moderner Biele, 
jowie jeine Leitung der Jubiläumsfeitipiele haben jein Wirken 
bier rajch zu Bedeutung erhoben. Von den guten Sträjten, die 
dem Theater zur Aufführung dramatiiher Werfe jchon jeit 
ängerer Zeit zur Verfügung jtanden und jtehen, jeien vor 
Allem die Herren Jacobi, Hecht, Köfert, Tietih, Godeck und die 
Damen Wittels, Liſſl, v. Nothenberg und Jacobi genannt. 
Während die Mufit au in den Cirkeln von Fräulein 
Anna Reiß (Großherzogl. Weimariiche Kammerjängerin) eine vor» 
nehme Pflege erfuhr, hatte neuerdings in den Gejellichaften der 
Frau Intendant Sophie Baſſermann die Litteratur Betonung ge> 
funden. Die Litteratur ift in Mannheim noch ein Stieffind. Nur 
wenige Kräfte haben neuerdings auf dieſem Gebiete hier gewirft. 
Benno Nüttenauer veröffentlichte von bier aus eine Reihe jeiner 
feinfinnigen Novellen, ohne ein näheres Verhältniß zur Stadt 
jelbit zu gewinnen. Mar Grad (Frau Hofrath Bernthien) ſchlug 
einen Energie und Gefühlstiefe wunderbar verbindenden Ton in 
der deutſchen Novelliftif an. Zu den litterariichen Ereignifjen 
der lebten Zeit gehörten Richard Dehmels im Innerſten ergreifende 
Vorlejung des Iyriichen Romans „Zwei Menjchen“ (in einem 
fitterariichen Cirfel von Frau Alice Bensheimer), M. &. Conrads 
Vorträge über Emil Zola und Maxim Gorfi im Kaufmänniſchen 
Berein und Frank Wedefinds Liedervorträge im Kunſtgewerbe— 
verein „Pfalzgau“. Bon den in Mannheim wirkenden oder in 
neuerer Zeit thätig gewejenen Schriftitellern und Schriftftellerinnen 
nennen wir noch: Friedrich Algardi, Theodor Alt, Melchior 
Grobe, Karl Hedel, Wilhelm Köhler, Julian Markuje, Robert 
Miller, Peter Krauß, Otto Seiler, Peter Schnellbadh, Egon 


Wiffenihaft und Kunſt im 19, Jahrhundert, 659 


Straßburger, Friedrich) Walter, I. Haydn, Marie Netter, Paul 
Scäfenader, Franz Siding, Hermann Walded, F. Wigand. 

Als Schriftfteller wirkten ferner die Bibliothefare ber 
Deffentlichen Bibliothet A. Fiicher (bis zu feinem im Januar 
1894 erfolgten Tode) und (die legten 14 Jahre) Mar Defer. 

Für das litterarifche und wifjenjchaftliche Leben Mann- 
heims wurde die im Juli 1869 durch die Initiative Mann— 
heimer Bürger gegründete Deffentliche Bibliothef von Werth, 
die jih in dem vom Großherzog zur Verfügung gejtellten Biblio- 
thefiaal des Schloſſes umd der einftigen furfürftlichen Afademie 
befindet. Die Bibliothek entwidelte jih in den 30 Jahren 
ihrer Thätigfeit zu einer Sammlung von über 60,000 Bänden, 
ſich zujammenjegend aus den von jtädtiihen Mitteln ange- 
ichafften Büchern, aus der Desbillons'ſchen Bibliothek, der 
Kolleftion de3 Vereins für Naturkunde und den Reſten ber 
ehedem Eurfürjtlich pfälziichen Bücherſammlung. Staatsminijter 
August Lamey war bis zu jenem Tode Präſident der Samm- 
fung. Mit und nad) ihm führten dem erjten und zweiten Vor— 
fit Dr. Ludwig Niejer, Dr. Karl Diffene, Dr. Auguſt Hohen- 
emjer und Prof. Dr. Hubert Claaſen. 

Die ältere Bibliothek enthält über 100 Infunabeln, die 
neuere läßt fich neben der Anjchaffung moderner Werke be- 
jonders auch die Sammlung Mannheimer Drude (jowie der 
Sand: und Koßebue-Litteratur) angelegen jein. Wilhelm Wundt, 
der neue Ehrenbürger Mannheims, ein Sohn unjerer Stadt, 
jtiftete zum Stadtjubiläum der Deffentlichen Bibliothek prächtige 
Neu-Ausgaben jeiner Werke. 

Die Bibliorhef gewann in meuejter Zeit durch die Ein- 
jtellung der über 4000 Bände umfafjenden Sammlung des hier 
verjtorbenen ausgezeichneten Bibliophilen Julius Mammelsdorf 
reichen Zuwachs an werthvollen, mit großer Gelehrjamfeit ge- 
ſammelten jeltenen Werfen, bejonders der italienischen, jpanijchen 
und franzöfiichen Litteratur. 

Der Mannheimer Altertumsverein trat in der lebten 
Zeit mit größeren Publikationen „Forihungen zur Geichichte 


42* 


660 Wiſſenſchaft und Kunſt im 19. Jahrhundert. 


Mannheims“ und „Mannheimer Geſchichtsblätter“ hervor, die 
die Ergründung der Stadtgeſchichte weſentlich erleichterten und 
auch zum Theil in der vorliegenden Geſchichte dankbarſt berück— 
ſichtigt werden konnten. Den erſten und zweiten Vorſitz im 
Verein führen gegenwärtig Major z. D. Max Seubert und 
Profeſſor Karl Baumann. Eine Neubelebung erfuhr der Ver— 
ein durch Rudolf Baſſermanns opferreiche Förderung der Mann— 
heimer Kunſtgeſchichte. 

Als ſchriftſtelleriſch thätige Gelehrte machen wir aus 
früherer und heutiger Zeit u. A. namhaft: Regierungsrath 
Friedrichs, die Profeſſoren Nüßlin, Deimling, Fickler, Dr. A. 
Lorent, Hofrath F. Haug, Karl Chriſt, L. Mathy, H. Theo— 
bald, H. Maurer, die Landgerichtsdirectoren Reinhold Baumſtark, 
Anton Zehnter, Rechtsanwalt Dr. Hachenburg, ſowie Hofrath 
Dr. Hecht, Dr. Frantz und Dr. Carlebach. 

Von den in neueſter Zeit gegründeten, pädagogiſchen und 
litterariſchen Intereſſen dienenden Vereinen ſeien hier noch her— 
vorgehoben: Der Verein für Beſchaffung einer Volksbibliothek, 
der Verein für Volksbildung, der Mannheimer Journaliſten— 
und Schriftiteller-Verein, der Mannheimer Diejterweg-Verein, 
Verein für Frauenbildung und Frauenſtudium, Freidenker— 
Verein, Verein für jüdiſche Geſchichte und Litteratur, Badiſcher 
Zweigverein der deutſchen Schiller-Stiftung, Ortsgruppe Mann- 
heim, Deuticher Schulverein, Gruppe Mannheim, 

Gehen wir von der Litteratur zur Malerei über. 

Vor allem wäre da der 1806 in Mannheim geborene 
Maler Ludwig Deurer hervorzuheben. Nach Bejuch der Kunft- 
ichule in Nürnberg und der Akademie in München, jchloß er 
fi) in Rom der Richtung der jog. „Nazarener“ an. Sein 
großes Gemälde „Die Kreuzfahrer beim Anblid Jeruſalems“ 
erregte im Jahre 1839 großes Aufjehen und iſt heute noch 
ſehr charafteriftiich für die damalige Kunft. Diefes Hauptwerk 
des 1848 gejtorbenen Künstlers befindet jich in der ſtädtiſchen 
Sammlung. Der Vater diejes Malers, Beter Ferdinand 
Deurer, ift gleichfalls in Mannheim geboren und zwar im 
Jahre 1779, aljo noch zur großen Kunſtzeit diejer Stadt. 


Wiffenfhaft und Kunſt im 19. Jahrhundert. 661 


Auper in Mannheim verbrachte er feine Studienzeit in Düjjel- 
dorf und Kafjel. In Augsburg verwaltete er als Inſpektor 
die dortige Galerie bis 1826, dann begab er fich mit jeinem 
Sohne Ludwig nad) Rom. Eine Copie der Grablegung Chriſti 
nach Raffael von ihm kam in die Karlöruher Galerie. Von 
jeinen Bildniffen ift bejonders ein Portrait des Königs Mar 
Joſef I. von Bayern (im Saale der Börje zu Augsburg) zu 
erwähnen. 

Einige Künftler haben das in jchwierigen Berhältnifjen 
nicht genug zu jchägende Verdienſt, in Mannheim die Ver— 
bindung mit der großen Vergangenheit nicht verloren und hier 
Sinn für Kunſt wach erhalten zu Haben. 

Drei Künjtler dürften bejonders das Verdienjt für fich in 
Anjprud nehmen, auf einem jpröden und harten Boden gute 
Arbeit in der Zeit einer Kunſt des Uebergangs gethan zu haben. 

Als erjter diejer Künſtler joll der Hijtorienmaler Jacob 
Gögenberger genannt werden. Hatte er aud die großen Hoff- 
nungen, die jein Meijter Cornelius auf ihn ſetzte, nicht voll 
erfüllt, jo ragten jeine Arbeiten doch im jener Zeit weit über 
das allgemeine Niveau hinaus und führten dazu, daß er auch 
anderwärt3 bedeutende und ehrenvolle Aufträge erhielt. So 
malte Gößenberger, der im Jahre 1800 zu Heidelberg geboren 
iſt, die Freskogemälde in der Aula der Univerfität Bonn. Hierauf 
wurde er zum Badiſchen Hofmaler und Galerieinjpector in 
Mannheim ernannt. Während diejer Zeit erhielt er die Auf: 
träge, die Kapelle zu Nierjtein und die Trinfhalle von Baden- 
Baden mit Fresken zu zieren. Inzwiſchen machte er mit 
Cornelius gemeinichaftlich eine Reife nah Paris und London, 
wohin er nach jeiner Entlafjung aus dem Badiſchen Hofdienjt 
überjiedelte. Götzenberger jtarb nad; einem längeren Aufent- 
halt in Luzern am 6. Oktober 1866 zu Darmitadt. 

Uber aud) einem eigenen Sohne verdankt die Stadt Mann— 
heim die Aufrechterhaltung einer edlen Kunftpflege in aller Un— 
gunjt der Zeit und zwar dem 1814 hier geborenen Maler 
Louis Coblig. Diejer Künftler hatte fi durch jorgfältige 
Studien in Münden, Italien und Paris einen feinen Kunſt— 


662 Wiffenichaft und Kunſt im 19. Jahrhundert. 


geihmad erworben, den er im jeine Bortraits, Landichaften und 
Genrejtüde zu übertragen wußte In allen jeinen Bildern 
ipricht fich eine vornehme, gewillenhafte und zarte Natur aus. 
Er ift der eigentliche Portraitift der Mannheimer Gejellihaft 
jener Beit. Die eriten Familien Mannheims beiigen heute 
noh von ihm gemalte Portraits der hrigen. In jeinen 
Genrebildern berricht noch etwas von der Scäferidylle des 
18. Jahrhunderts, während er in der Landjichaft jchon Eraftuolle, 
ganz moderne Färbungen gewann, (Miühlau, Rheinufer, Anfichten 
von Wimpfen). Leider wurde der Künjtler verhältnismäßig früh 
feiner für diefe Stadt jehr wejentlichen, ausgezeichneten künſt— 
feriichen Thätigkeit durch den Tod im Jahre 1863 entrifjen. 

Der dritte diejer hier das Kunſtleben bejonders fürdernden 
Maler war gleichfalls ein Mannheimer: der 1802 hierſelbſt 
geborene Genremaler und aleriedireftor Theodor Leopold 
Weller. Er war ein ſchätzenswerther Vorläufer der heute weit 
ausgebildeten Genremalerei in Deutjchland. 1828 entjchied er 
fi) zu der von ihm bejonders vertretenen Richtung, Genreicenen 
aus dem italieniichen Volksleben darzuftellen. Ein gewiſſer 
Realismus, den er dabei zum Ausdrud brachte, gab den Bildern 
etwas Zeitgemäßes. Bilder von ihm befinden fich auch in der 
Berliner Nationalgalerie.. Als Künftler wie als Lehrer ſetzte 
er jeine ganze Kraft ein, das Mannheimer Kunſtleben zu heben, 
Sp veranftaltete er gemeinichaftlih mit dem Stunjtverein im 
den jechziger Jahren eine Ausstellung Mannheimer Kunſtwerke, 
deren ſchwacher Beſuch leider nur zu deutlich zeigte, wie ent- 
fernt man von der Würdigung einheimtjcher künſtleriſcher Be— 
jtrebungen war. Weller jtarb 1880. 

Neben diejen bereits genannten Künſtlern liegen ſich auch 
noch einige andere Maler das Kunftleben der Stadt Mannheim 
angelegentlih jein. So der in Mannheim geborene Maler 
Mathias Artaria, der Studien in Düſſeldorf machte und Tirol 
und Spanien bereijte. Ein PVorträt des Malers, der ſich leider 
zu früh von jeiner Kunſt zurüdzog, obwohl er jehr Tüchtiges 
(bejonders in der Landichaftsmalerei) geleijtet hatte, rührt von 
der Hand Theodor Wellers her. 


Wilfenihaft und unit im 19, Jahrhundert. 663 


Wie Artaria ift auch der Genre: und Bortraitmaler Jojeph 
Weber ein geborener Mannheimer. Seine Geburt füllt in 
das Jahr 1803. Bon ihm gibt es jorgfältig gezeichnete und 
gut gemalte Portraits, jo folche des Großherzogs und der 
Großherzogin von Baden, der Prinzeſſin Marie von Baden, 
des Malers Flüggen (im Wallraf-Muſeum in Cöln) und des 
Freiherrn von Stodhorner, des erjten Präfidenten des Mann- 
heimer Kumjtvereins, das im Ausſtellungslokale des Vereins 
hängt. 

Den Uebergang von jener älteren zu der gegenwärtigen 
Zeit bildete die Thätigfeit des 1881 als Großh. Galeriedirector 
nad) Mannheim berufenen Thiermalers Karl Roux. Nachdem 
er auf dem Gebiete des Thierjtüdes, der Idylle und hiſto— 
riſchen Genremalerei in älterer Manier thätig gemwejen war, 
fand er in lesterer Zeit auch hellere Farben für jeine neueren 
Thieritüide, von denen eines auf der internationalen Aus— 
jtellung zu München im Jahre 1893 durch jein frijches Colorit 
auffiel. Roux jtarb im Jahre 1894 nach 14jährigem verdienſt— 
vollem Wirken in Mannheim. 

Nach Rour’s Tode begannen die Wellen der immer mächtiger 
anichwellenden modernen Kunſtbewegung auch jtärfer nad) 
Mannheim zu jchlagen. Der an jeine Stelle hierher berufene 
Saleriediveftor und bekannte Thier- und Landichaftsmaler 
Wilhelm Frey gewann fejte Beziehungen zur modernen Kunft 
und eroberte jeinem Colorit in jugendlich gebliebener Schaffens- 
luſt das volle leuchtende Sonnenlidt. Seine Thierjtüde find 
von energiicher Bewegung und lenken aud in auswärtigen 
Kunftausftellungen den Blid auf das gegenwärtige Mannheimer 
Kunftichaffen. Mit jeinen Landichaften gewann er den Boden 
heimiſchen Landes wieder im Sinne einer hier nei entjtehenden 
Heimathfunft. Der Meijter feierte im Jahre 1906 feinen 
80. Geburtstag in geijtiger und förperlicher Kraft und unge- 
mindeter Arbeitsfreudigfeit. 

Mit ihm find auch in Mannheim inzwiichen eine Reihe 
junger Talente und tüchtiger Künftler zur Geltung gefommen, 
die längſt jchon auswärts geſchätzt waren und endlich mit 


664 Riffenihaft und Kunſt im 19, Jahrhundert. 


Collectivaugjtellungen ihrer Werke auch ihrer Vaterjtadt Freude 
machten, jo der hochbegabte Bortraitmaler Dtto Propheter, 
deſſen Bildnifje auch ein Stüd Heimathfunft in der Darftellung 
von Mitgliedern der hiefigen Gejellihaft bieten, Wilhelm Nagel, 
der hier zuerjt die jchlichten Motive jeiner wirfungsreichen, 
ftimmungsfeinen Landichaften fand. Michel Koch übertrifft mit 
jeinen groß angelegten Blumenftüden bei Weiten feine übrigen 
Arbeiten, auch die Eleganz und Helle jeiner früheren Baitell- 
bildnifje, während Ernjt Noether das Paſtellbildniß in tieferen, 
dunfleren Tönen zu halten jucht. Gleichfalls der Stadt Mannheim 
entitammen Auguſt Dieffenbacher, der vielleiht im Paſtell— 
Portrait jein beſtes leiftet, doch im Oberbayeriichen Sittenbild 
jeine größten Erfolge hatte, Ernjt Kirchner, von defjen flotten 
Nadirungen Mannheimer Anfichten wir hier „Die Sternwarte“ 
zur Wiedergabe bringen. 

Neben diefen Künftlern entfaltet die talentvolle Malerin 
Anna Moll, eine Schülerin von Frau Hormuth-Kallmorgen, 
in ihrer Baterjtadt Mannheim ihre farbenjprühende naturvolle 
Blumenwelt. Eugenie Kaufmann widmet ihre ausgejprochene 
Begabung mehr der Plaſtik als der Malerei. 

Bon Auswärts kamen nah Mannheim die hier kürzlich 
geftorbenen, verdienftvollen Maler Julius Fehr und‘ Ewald 
Haajenritter, der poefiereiche Maler, Radirer und Steinzeichrier 
Wilhelm Dertel (vom Künjtlerbund Karlsruhe), der im Frei— 
ficht fich vornehm bewegende Theo Schindler und die begabte 
Malerin Lydia Meyer, während der in Ludwigshafen geborene 
Künjtler Julius Exter hier in Mannheim feinen erjten Unterricht 
empfangen hatte. 

Mehrere diejer Künftler haben auswärts große Erfolge ' 
zu verzeichnen und einige von ihnen Bilder in bedeutenden 
Gemäldegalerien, jo in der Kgl. Gemäldegalerie zu Dresden 
in der Großh. Galerie zu Karlsruhe und in der Kgl. Pinakothek 
zu München. Viele ihrer Namen begegnen und auf den größten 
internationalen Kunftausjtellungen, wo auch erjte Preife ihnen 
zu Teil wurden. 

Diefen auswärtd zu großer Beachtung und Geltung ge 


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Wiffenihaft und Kunſt im 19. Jahrhundert. 665 


fommenen Künftlern zählt noch der junge, in Mannheim ge— 
borene Maler Bhilipp Klein zu, der energiiche Bertreter des 
modernen Naturismus — der neuejten Kunjtbewegung — Die 
noch Emil Zola freudig begrüßte. Der nordijch traurig ange: 
hauchte Raturalismus eines Liebermann wurde für überwunden 
erffärt und mit neugewonnener Lebensfreude ſtürzte fich Die 
berzensjunge Künftlerihaar in die Lichtfluthen der Königin 
Sonne. Das in Licht und hellite Farbe getauchte Bild „Straße 
nad der Jefuitenfirche am Prozeffionstage“ von Klein fand den 
einjtimmigen Beifall der Berliner und Münchener Kunjtkritif. 
Bald Hatte jih Klein einen weithin gehenden Auf in der 
deutjchen Kunjtwelt erworben, jodaß jein Schaffen troß jeines 
frühen Todes (9. Mai 1907) von der Kunſtgeſchichte nicht 
mehr vergejlen werden kann. 


Für die angewandte Kunſt wirkte der 1898 gegründete 
Kunjtgewerbeverein in anregender Weile. Neben den von ihm 
veranjtalteten Ausjtellungen ließ er hervorragende Vertreter des 
modernen Sunjtgewerbes, 3. B. Joſeph M. Olbrih (Darm 
Itadt), Prof. Henry Ban der Velde (Berlin), Hermann Obrift 
(München) hier in Vorträgen ihre Ideen entwideln und ver- 
juchte jeinen Bejtrebungen einen größeren, ungewöhnlichen Zug 
zu verleihen. Die im Jahre 1901 arrangirte größere Kunftgewerbe- 
Ausjtellung, die auch auf den jchönen Raum der Schulfirche 
in L 1 hinwies, bildete eine erjte Zuſammenfaſſung einheimijcher 
funjtgewerblicher Betätigung und erfreute ſich auch des Bejuches 
des Landesfürſten. 


Auch der Architekten- und Ingenieur-Verein Mannheim 
Ludwigshafen ift hier als Förderer der Kunſt, wenn auch 
hauptjächlid der Architektur, zu nennen, 


Der Kunftverein, deſſen erjte Vorſtände Generalleutenant 
von Stodhorner, Hoffapellmeijter Ritter und Lithograph Schlicht, 
ein Nachkomme Meijter Abel Schlihts, waren, wurde im 
Jahre 1833 ins Leben gerufen. In lebter Zeit erwarb fich 
als Borjtand des Vereins Medicinalrat Stehberger (7 1907) 
bejondere Verdienſte um den Verein durch verſtändnißvolle 


666 Wiſſenſchaft und Kunſt im 19. Jahrhundert. 


Förderung der modernen Kunſt. Der Verein veranitaltete 
ſtändig Kunftausjtellungen und leitet die Anjchaffungen für die 
jtädtijche Gemäldejammlung; er ſteht unter dem Protektorat des 
Großherzogd. Das Jahr 1901 gejtaltete jich für den Verein 
bejonders glänzend, Es gelang dem Verein, die bisher um» 
fafjendjte Thoma-Ausjtellung mit 76 Delgemälden des Meijters 
zu arrangiren. Brof. Henry Thode hielt zu Ehren dieſer 
Ausjtellung bier einen Vortrag über die Kunſt des badiichen 
Meiiters, 


Der Grund zu einer, der Stadt Mannheim gehörenden 
Kunjtiammlung wurde im Jahre 1873 gelegt, indem Durch 
Urkunde vom 21. Oktober jenes Jahres Herr Generalleutenant 
Kung in Karlsruhe die in jeinem Beſitze befindlihe Sammlung 
hinterlafjener Werke jeines Vaters, des Großherzoglichen Galerie: 
directors Karl Kuntz in Karlsruhe, der Stadt Mannheim 
ſchenkte. Karl Kung, 1770 in Mannheim geboren, machte 
hier jeine Studien und blieb bier bis er 1808 als Hofmaler 
nad Karlsruhe berufen wurde, wo er jpäter bis zu jeinem 
1830 erfolgten Tode die Stelle des Galeriedirectord bekleidete. 
Er war einer der erjten, die wieder eine deutiche, auf ernjtem 
Naturjtudium beruhende Thiermalerei begründeten. Eine weient- 
liche Bereicherung erfuhr die jtädtiiche Kunftiammlung durch 
das Vermächtniß des Herrn James Emden, deifen 91 Gemälde 
enthaltende Sammlung nach dejjen Tode 1883 in den Beſitz 
der Stadt überging. 


Die ſtädtiſche Kunſtſammlung ift bis jet im Anjchluffe 
an die Großherzogliche Galerie im Schloffe aufgeftellt. 


Ihr Hauptwerk ift Anfelm Feuerbachs in großem Stile 
gehaltenes Gemälde „Medea mit dem Dolce.” Bon Thoma 
befitt die Galerie das eine bejondere Richtung der Malerei 
diejes Meifterö bedeutend ausiprechende Bild „Gemüſemarkt.“ 
Bon den Mannheimer Künftlern, die leider nicht vollzählig 
vertreten find, nennen wir Wilhelm Frey und Otto Propheter 
(Bortraits des Großherzogs Friedrih umd der Großherzogin 
Luiſe), von anderen Meiftern noch Franz von Lenbach (Bismärd), 


Wiſſenſchaft und Kunft im 19. Jahrhundert. 667 


Dans am Ende, Friedrih Kallmorgen, Guſtav Schönleber, 
Hermann Baiſch. 

Der jtädtiichen Kunjt-Sammlung iſt mit der in diefem Jahre 
vollendeten Kunjthalle in der Nähe des TFriedrichsplages ein 
neues Heim erbaut worden. Wir fommen an anderer Stelle 
noch auf dieje Neufchöpfung zurüd und wollen hier nur noch 
dem Wunjche Ausdruck geben, dab fie eine Stätte edler Kunſt— 
erziehung werden möge. 





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XXXIII. 


Die Entſtehung der modernen Stadt 
(Bildhauerei und Baukunſt). 


Errichtung des Schillerdenkmals — Dalberg und Iffland-Statuen — König 

Ludwig J. — Neue Synagoge — Rheinbrücke und Neckarbrücke — Neuer 

Bahnhof — Waſſerthurm und Waſſerleitung — Paradeplatzbrunnen — 

Voſt, Börſe, Plankenumbau — Der Friedrichſsplatz — Bruno Schmitz 
— Die Feſthalle — Verbindung der alten und neuen Kunſt. 


Die Bildhauerei und die Baukunſt verſchönten im 19. 
Jahrhundert das durch den Wegfall der Feſtungsmauern größeren 
Umfang gewinnende Stadtbild immer reger. 

Im Jahre 1848 ließen die Veteranen aus den Freiheits— 
kriegen zum Andenken an die große Zeit der Befreiung Deutſch— 
lands das Denkmal auf dem Zeughausplatz errichten. Es iſt 
nad) einem Modell Brofefjor Hochjtetters von Bildhauer Arnold 
ausgeführt. 

Mit der Erridtung eines Denkmals für Friedrich Sciller 
hat man eine alte Danfesjchuld abgetragen. Die Enthüllung 
diejes Denkmals fand am 9. November 1862 ftatt. Die dee, 
dasjelbe herzuftellen, wurde bei der Feſtfeier des 100jährigen 
Geburtstags des Dichters von funjtverjtändigen hieſigen Bür— 
gern gefaßt. Die Koſten brachte man durd eine Sammlung 
freiwilliger Beiträge auf, und mit der Ausführung wurde der 
Bıldyauer Cauer aus Kreuznach, der damals eben erjt von 
jeinem Aufenthalt in Rom zurüdtam, betraut. Mit dem Guß 


Die Entitehung der modernen Stadt. 669 


der Statue beauftragte man die Kgl. Erzgießerei in München, 
während die Ausführung des von Stufen umgebenen jteinernen 
Piedeital3 der Firma E. Adermann (Weißenfels) übergeben 
wurde. Durch das Eritehen dieſes Denkmals erfreut, jtiftete 
König Qudwig I. für den Theaterplat (an dem er, nebenbei 
erwähnt, an Stelle der jetigen Rheiniſchen Kreditbanf hier 
ein Domizil hatte), zwei weitere Denkmäler für die beiden 
großen Perjönlichkeiten der Mannheimer Schillerzeit, für den 
wagemuthigen Freiherrn v. Dalberg und den genialen Schaus 
ipieler Iffland.“) 

E3 war ein großer Feittag für Mannheim, als die Hülle 
von der ehernen Statue Friedrih Schillers, des geliebten und 


gefeierten Dichters fiel, deijen Name mit der künſtleriſchen Be— 


deutung unjerer Stadt jo innig verknüpft ift. Der Dichter iſt 
in energijcher Bewegung, als begeilterter Füngling und Apojtel 
einer freien Gedanfenwelt bargeitellt. In jeiner Linfen hält 
er das Manujfript der „Räuber“. Das Mannheimer Denfmal 
iſt jedenfall3 eines der beiten Sciller-Denfmäler Deutichlands 
und verdient auch al3 Kunſtwerk weitgehendere Beachtung. Das 
Denkmal für Iffland wurde 1864 enthüllt, während die Ent: 
hüllung der Statue Dalbergs in das Jahr 1866 fällt. Die 
beiden Denkmäler zu Seiten de3 Sciller- Monuments, Die 
Profeſſor Widnmann gejchaffen hat, erhöhen die Lebhaftigkeit 
der Erinnerung an die Zeit großer Kunſtthaten. 

Das Schillerdenkmal wurde auch zum Mittelpunkt der 


*) lleber Ifflands Denkmal jchrieb König Ludwig an dem damaligen 
Dberbürgermeiiter Achenbah in Mannheim: 


„sch fee Sie vorläufig in Kenntniß, daß ich mit Genehmigung des 
Großherzogs vorhabe, in Sommer 1864 zur Erinnerung des größten 
Glanzes der Mannheimer Bühne ein Denkmal zu jegen: einer der wenigen 
noch Lebenden, der die lette Zeit derjelben noch ſah. Es joll dieſes 
Denkmal in Ifflands ehernem Standbild beitehen, ala dem Vertreter 
jener glänzenden Zeit von Mannheim’3 Bühne Mich freut, damit zur 
Verihönerung Ihrer Stadt, an die mich jo viele Erinnerungen knüpfen, 
etwas beizutragen. Ich bin mit den Gefinnungen vieler Wertſchätzung 
Ihr mwohlgeneigter Ludwig. Ludiwigshöhe, den 28. Juli 1862.* 


670 Die Entitehung der modernen Stabt. 


großen Feier zum Gedächtnis des Todestags des Dichters im 
Scillerjahr 1905. 

Unter den neueren Gebäuden verdient die 1851 bis 1855 
in byzantiniſchem Stile erbaute Synagoge in F 2 bejondere 
Hervorhebung. Ihre Sanditeinfafjade mit weiter Eingangs- 
halle, zu welcher breite Treppenftufen führen, liegt nach dem 
Quadrate F 3 zu. Im Innern iſt der Tempelbau reich und 
vornehm ausgeftattet. Die Malereien rühren von Schwarz- 
mann ber, welcher Kimjtler befanntlich bei der Erneuerung des 
Domes zu Speyer mitgewirkt und Dedenmalereien in ber Bafilifa 
in München geichaffen hat. Erbaut wurde die Synagoge von 
den Architekten Ulm (Mannheim) und Lehndorf (Heidelberg). 
Die bedeutenden Koſten des Baues trug die Hiefige ijraelitische 
Gemeinde. 

1868 wurde die große Rheinbrüde vollendet. Sie iſt 
nach dem Plane des Oberingenieurs der Pfälziichen Eiſen— 
bahnen, Baurath Basler, in der Zeit von 2 Jahren erbaut. 
Die Portale, auf Badiſcher Seite mit einer Handel und In— 
dujtrie jchügenden Minerva geziert, auf pfälziicher Seite eine 
Germania und Palatia tragend, find von Baudireftor Durm 
und Bildhauer Moejt entworfen. Bon der Brüde erhält man 
ein jchönes Bild des von Schiffen belebten Aheinftromes, des 
Mannheimer Ufers mit jenem Schloßgarten im Oſten und 
jeinen neuen Hafen» und Kaianlagen im Weſten, jowie der 
gegenüber gelegenen pfälzer Stadt Ludwigshafen, der jüngjten 
Stadt Deutichlands (gegründet 1853). 

Un Stelle der 1845 von Ingenieur Wendelſtädt errich- 
teten Slettenbrüde über den Nedar, die abgebrochen wurde, 
erbaute man die neue Friedrichsbrücke. Diefe wurde nad) dem 
Entwurfe von Profeſſor Thierſch (München) in einer fich zierlich 
und graziös ausnehmenden Eijenkonftruftion errichtet und 1891 
eingeweiht. 

Ueber dem Nedar liegen in nordöftlicher Richtung Die 
neuen Kaſernen des hier garnijonirenden Badiſchen 2. Grena— 
dier-Regiments Kaijer Wilhelm I. Nr. 110. 

Die Stadt iſt rei) an hervorragenden Banfgebäuden, 


Die Entſtehung der modernen Stadt. 671 


großen Waarenbazaren, eleganten Verkaufsläden, neuentſtan— 
denen Bergnügungs-Etablifjements (Saalbau, Apollotheater, 
Eolofjeum) und ſchmuckreichen Vereinshäuſern. Bon den leb- 
teren enthält eimen ſchönen Saal das fatholifche Vereinshaus 
„Der Bernhardushof“, erbaut von dem Mannheimer Architekten 
Rudolf Tilleſſen. 

Erwähnt jei noch, dab das Dft-Bortal des Rathhauſes 
mit neuen Figuren von Bildhauer Moejt geichmücdt wurbe. 

Das 1876 vollendete Gebäude des Hauptperjonenbahnhofs 
empfängt den Fremden am jüdöjtlichen Ende der inneren Stadt. 
Die jtarf betonte Mittelballe Itegt quer vor dem Kaijerring, 
von dem aus man die bedeutend wirkende Kuppel überall jehen 
kann. Das dreitheilige Portal bildet die architeftonijch ſchöne 
Eingangspforte zur Stadt. Der Bau it nach dem Entwurfe 
des Oberbauraths Helbing (Karlsruhe) aus weißen Murg- 
thaler und rothem Nedar-Sandjtein ausgeführt. 

Bom Hauptportal des Bahnhofs beginnt die mit gärt- 
neriichen Anlagen reich geſchmückte Ringſtraße. Dieje, durch 
die Fülle ihrer echten Steinfajjaden ſich bejonders auszeichnende 
Straße führt zunächſt an das am 31. März; 1900 enthüllte 
Bismarddenfmal. Fürſt Bısmard ift hier im ganzer Figur 
unter ftarfer Betonung des Energiichen und Kraftvollen feiner 
Berjönlichkeit dargeitellt. Ihm zu Füßen wahrt ein Germane 
mit Schild und Schwert die deutiche Katjerfrone. Das Denk— 
mal iſt von Profeſſor Hundriejer in Berlin entworfen. 

Auf der entgegengejegten Seite der Stadt vor dem Zeug» 
haus wurde auch ein Moltke-Denkmal errichtet, entworfen von 
Profeſſor Uphues (Berlin). 

Das weithinfichtbarjte moderne Bauwerk Mannheims it 
jedenfalls der auf dem Friedrichsplatz errichtete Waſſerthurm. 
Er iſt ein Meiſterwerk de3 namhaften Architekten Halmbuber, 
der befanntlich auch die Architektur des neuen Kaiſerdenkmals 
in Berlin entworfen hat. In einfach großen Formen gehalten, 
ericheint er wie ein gewaltiges Symbol des Elements, dem 
er zur Aufnahme dient und dem unjere Stadt jo viel verdanft. 
Er erreicht mit der ihn frönenden Amphitriten-Geſtalt von 


672 Die Entjtehung der modernen Stadt. 


Johannes Hoffart eine Höhe von über 50 Meter. Die Be- 
ftimmung des Thurmes jpricht jchon jein Name aus; er gehört 
zu der jtädtiichen Wafjerleitungsanlage, die das vorzügliche 
Grundwaſſer des 7 Kilometer von der Stadt gelegenen Käfer— 
thaler Waldes als Brauch- und Trinkwaſſer der Stadt zuführt. 

In der Nähe des Friedrichsplatzes liegen eine Reihe von 
neuen modernen Sculgebäuden, jo dicht vor der Feithalle 
weitlih das Realgymnafium mit jeiner aus rothgelbem Pfälzer 
Sandſtein reich gejtalteten Faſſade, ein Quadrat nach Diten 
weiter auf der Tullaſtraße die Oberrealichule, ein in weißem 
und grauen Sandjtein und mit Vergoldungen ausgeführter 
rubig jchöner Bau, im Südojten vom Friedrichsplatz, auf der 
Noonitraße, das Großh. Gymnaſium, aus rothem Sandjtein 
gebaut (im Treppenhaus mit mehreren Glasmalereien nach 
Entwürfen von Otto Edmann geziert). 

Südlich neben dem Gymnafium jtehen die 1901 vollendete 
Heiliggeijtfirche, etwas entfernter dem Nedar zu die neue malerijche 
Turnhalle und dicht am Nedar die neuerbaute Reformichule. 

Bon neuen Gotteshäujern, die in den letzten Jahren 
unjere Stadt erhielt, nennen wir no als katholiſche Kirchen: 
die Liebfrauenfirhe am Luiſenring (1903), die Herz-Jeſu— 
Kirche im Nedarjtadtteil (1904), jowie die St. Jojephsfirche 
an der Windeckſtraße (1907) und als evangeliihe Kirchen: 
die Johanniskfirche im Lindenhof (1904), die Lutherkirche am 
Nedardamm und die }riedensfirche in der Schwetzingervor— 
jtadt (1906). 

Eine weitere fünjtleriiche Zierde erhielt unjere Stadt durch 
die neuen Figuren am Sodel des älteren Paradeplatz-Denkmals, 
die im Sommer 1893 enthüllt wurden. Ihr Schöpfer, der 
jest in Charlottenburg wohnhafte, aus Mannheim gebürtige 
Bildhauer Johannes Hoffart, hat es veritanden, mit Diejen 
Figuren uns eine Wunderwelt des Waſſers hervorzuzaubern, 
die troß all ihrer phantajtiichen Gejtalten wie in wahrhafte 
Natur verwandelt ericheint. Nicht weniger denn acht neue 
Figurengruppen umgeben nunmehr den Mittelbau des eigen- 
artigen Zierbrunneng, zum Schmude der verändert aufgejtellten 


Die Entjtehung der modernen Stadt. 673 


jteinernen Wafjerbeden dienend. Den Metallguß der Figuren 
bejorgte die Kgl. Erzgießerei von Ferd. von Miller in München. 
Dieje ſymboliſche Welt bes naſſen Elements umringt das 
originelle Gejtaltenpotpourri des alten Kunſtwerkes Grupellos 
aus den Zeiten der Kurfürften Johann Wilhelm und Karl 
Philipp, das von jeiner die Schärfe der Formen verwiichenden 
Ueberladierung wieder befreit wurde. 

Unter den modernen Gebäuden der inneren Stadt nimmt 
da3 neue Reichspoftgebäude an den Planfen eine erjte Stelle 
ein. Es ijt von Architeft Bauer, dem „badiſchen Poſtarchi— 
teften“, der die meijten in Baden errichteten Poſthäuſer aus— 
geführt hat, entworfen und wurde erjt kürzlich nach einem 
weiteren Anbau vollſtändig fertiggeitellt. 

An den Planfen ragt noch die neue 1902 eröffnete Börje 
hervor. Diejer Bau ift einer großen Hanbelsftadt, wie dies 
Mannheim ift, entiprechend im großen Stile ausgeführt. Er 
wirft von Außen bedeutend und doch ruhig; im Innern iſt er 
mit prächtigem Wandſchmuck verjehen, jo die große mit Glas 
überdachte Börjenhalle mit ihren 12 Säulen, im ber fih ein 
Haupttheil des Mannheimer Handels abjpielt. Der Bau ift 
infolge der Initiative und Opferwilligfeit erjter Perjönlichkeiten 
der Hiejigen Handelswelt unternommen worden. Ausgeführt 
wurde er von der hiefigen Architekturfirma Köchler & Karch. 
Architekt Karch erbaute auch die neue Darleihkaffe, die eine 
fünstleriiche Verbindung Mannheims und Heidelbergs veriucht 
und deren reichgejchmüdte Faſſade mit ihren Büſten und Reliefs 
die Geihichte Mannheims feiert. 

Das Gebiet der Planfen bildet ein faft die ganze innere 
Stadt von Dften nach Weiten durchziehendes Rechteck, das 
einer langhingejtredten, plaßartig breiten Straße gleichkommt. 
Die Planfen haben erjt fürzlich durch Anlage breiter Trottoirs 
und Asphaltirung der Fahrſtraße eine moderne Umgestaltung 
erfahren, die ihnen als Mittelpunkt des Verkehrslebens noth- 
wendig zufam. In der Mitte der Planfen erjtredt ſich der 
Baradeplag nah Süden zu, mit neuen gärtnerischen Anlagen 
geſchmückt. 


Defer, Geſchichte der Stadt Mannheim. 43 


674 Die Entitehung der modernen Stabt. 


Am Paradeplat glänzt das zum neuen Rathaus erhobene 
Kaufhaus in jeinen graziöjen Formen und feinem echten Stein- 
material. Der von uns mitgefämpfte Kampf für die Erhaltung 
des prächtigen Baues und für die Bloßlegung der überjtrichenen 
Steinfafjaden hat ein Meijterwerf der Baufunjt vor drohender 
Gefahr gerettet. (S. noch Seite 211). 

Ebenjo hat das Zeughaus Verichaffelts durch jeine Reno— 
virung an Schöhnheit und Wert gewonnen, weniger die Stern— 
warte, die in ihrer alten Gejtalt jtimmungsvoller erichien.*) 

Seit kurzer Zeit zählt auch die Konkordienfirche im Quadrat 
R2 zu den hervorragenderen Gebäuden unjerer Stadt. Bisher 
fonnte fie in ihrem faft verfallenen Zuftande nur dem Ein- 
heimijchen ein gewiſſes hiftoriiches Intereffe abnöthigen; allein, 
neu hergerichtet und mit einem neuen Thurmaufbau verjehen, 
ift ihr Bau zu neuem Leben gebracht, der num wejentlich zur 
Verihönerung der Unterjtadt beiträgt. Der Ergänzungsbau 
wurde nach den Plänen des Bauraths Behaghel (Heidelberg) 
ausgeführt. (Bild Seite 576). 

Bor dem Schloſſe lagert fich der renovirte, einfach gehaltene, 
doc) architektonisch und hiſtoriſch wertvolle Bau des ehemaligen 
Frauenkloſters, jest Bürger- und Volksſchule mit dem jchönen 
Raum der Schulfirche, der jebt das von den Schlogräumen des 
Altertumsvereins abgezweigte Stadtgejchichtliche Muſeum birgt. 

Dem öjtlihen Ende des Echlofjes nördlich gegenüber liegt 
das neue Großherzogliche Amthaus, das im Auftrag des Großh. 


*) Auf ber Stermivarte wurde aud im vergangenen Jahrhundert eine rege willen 
ſchaftliche Thätigfeit entfaltet, Nach Klüber und vor Schönfeld und Balentiner, dem leuten 
Gelehrten auf ber Ztermwarte, wirkte bier der am 25. Oftober 1793 in Braunfchtweig ges 
borene Nitronom und Mathematiker Friedrich Bernhard Wottfrieb Nicolai, ein Schüler 
bes berühmten Gauß. 1816 wurbe Nicolai von Großherzog Marl, ber für die Sternwarte 
lebhastes Intereſſe zeigte und fie auch ſelbſt befuchte, als Hofaftronom in Mannheim art: 
geitellt. Seine wertvollen aftronomiichen Arbeiten behandeln beſonders bie auch im Brief: 
wechſel mit Gauß beiprochenen Mondbeobadhtungen. (Mädlers Mondkarte verzeichnet einen 
Dlondberg, ber auf biefer Harte nad ihm „Nicolai” genannt it.) Der Baily’ichen Formel 
zu Meſſungen auf ber Grboberfläche nad ben Monditellungen feste er eine vereinfachtere 
gegenüber unb als ausgezeichneter Mathematiker ergänzte er wichtige Punkte der bisherigen 
Theorien zur Integralrechnung. Wicolai ftarb ala Großh. Hofrat am 4. Juli 1846 zu 
Mannheim an den Folgen eines Schlagfluffes. Gin Enkel von ihm ift der jegige Präfident 
der Großh. Bad. Givilliftte Exc. Dr. Eduard Nicolai und eine Gntelin die Gattin des in 
Mannheim wirkenden Yandgerichtsbireftors Wengler, 


Die Entjtehung der modernen Stadt. 675 


Minijteriums des Innern Oberbaurath Danjer entworfen hat, 
während dem wejtlichen Flügel des Sclofjes der Neubau des 
Großherzoglihen Amtsgericht? angegliedert wurde, 


Für den Schloßhof jtiftete neuerdings Stadtrat Herrichel 
zwei Monumentalbrunnen, die der Idee nad) mit dem hier 
errichteten Kaiſerdenkmal in Verbindung jtehen und gleichfalls 
von Guſtav Eberlein geichaffen wurden. Sie verfinnbildlichen 
den Wiedergewinn der deutichen Kaiſerkrone aus dem alten 
Nibelungenichage und den Segen des freien, deutfchen Rheins. 

Gleichfalls eine Stiftung und zwar des Herrn Geh. Com— 
merzienrat Karl Reiß ift die im Schloßgarten vor dem Mittel- 
bau des Schlofjes aufgejtellte Marmorjtatue der Großherzogin 
Stephanie von Baden, der Adoptiv-Tochter Napoleons I. (Siehe 
Kapitel 28 diejes Buches). 

Im Schloßgarten befindet ſich am nordweitlichen Ende der 
Stadtparf, ein für ſich abgejchlojienes Gebiet dieſes Gartens, 
das 1880 von der Großh. Hofverwaltung einer Brivatgejellichaft 
zur Errichtung eines gejellichaftlichen VBergnügungsetablijjements 
erjten Ranges pachtweiie überlajien worden iſt. Diejer Theil 
des Parkes, 1882 im Syſtem Siesmayer (Frankfurt) neu ges 
ftaltet, gehört zu dem jchönjten Stadtgärten Süddeutſchlands 
und bildet heute bei Gartenfonzerten des abwechjelnd hier und 
im Nojengarten ſpielenden Kaimorcheſters, der gutgejchulten 
Militärtapelle Mufikdireftors Vollmer während der Sommer: 
jatjon und feitlicher Gelegenheiten den Zuſammenkunftsort der 
vornehmen Welt. Näher am Sclofje liegt das von hundert- 
jährigen Kaſtanien bejichattete Garten-Café des einjtigen kur— 
fürjtlichen Ballhanjes. 

Eine jchöne Stätte der Wohlthätigfeit und der Hilfe in 
Krankheit und Leiden iſt das im äußeren Lindenhofviertel am 
Schloßgarten großartig angelegte Krankenhaus, gejtiftet von 
Frau Commerzienrat Heinrich Lanz. 

Die bauliche Vergrößerung Mannheims machte in dem 
festen Jahrzehnt Riejenfortichritte.e Ganz neue Stabdttheile 
entjtanden, jo das malerische Billenviertel am neuen Zuijen- 
park, das Lindenhofviertel, daS durch eine große Ueberführung 

48* 


676 Die Entitehung der modernen Stadt, 


über das Bahngebiet mit der Stabt verbunden wurde, und 
die prächtige neue Stadt um den Friedrichsplatz. 

Der Friedrichsplatz aber joll das Werf der neuen Stadt- 
enttwidelung frönen. Er joll einen großen, einheitlich gehaltenen 
monumentalen Pla in großem Stile bilden, wie er in ber 
Berbindung von Architektur und Gartenfunjt in Deutjchland 
bisher noch nicht vorhanden ift. Der deutiche Meifter der 
Baufunft Bruno Schmig hat diejen Plab entworfen. Mit 
genialem Berjtändnig für den Charakter der Stadt erfannte 
Schmitz jofort die Eigenart der Architektur Mannheims, und 
er entwarf den neuen Pla und die neue Feſthalle ganz unter 
Berückſichtigung der malerischen Architektur des 18. Jahrhun— 
dert3, den modernen Stil mit dem der bedeutenden Kunſtzeit 
Mannheims verbindend. 

Bu der harmonisch fi in die Architektur des Friedrichs— 
plages emfügenden Südſeite der Feſthalle iſt die Nordjeite des 
Baues mit ihren Thürmen, ihrem mächtigen Portal, ihren 
Gartenanlagen und ihren Terraffen das malerijch lebendige 
Gegenbild. Das grüne, licht jchimmernde Dach trägt zu der 
prächtigen Geſammtſtimmung und impojanten Wirkung des aus 
rothem Sandftein errichteten Baues bei, deſſen Etagen von 
feuerficheren Eijenfonjtruftionen getragen werden. Unmittelbar 
hinter dem an der Nordjeite hochaufragenden Hauptportal Liegt 
der fir nicht weniger wie 15000 Berjonen ausreichende große, 
hohe Ribelungenjaal. An der dem Friedrichsplatz zugefehrten Seite 
ber Feſthalle befindet fich der prächtige, feierlich Ihöne Mujen- 
jaal, der etwa 2000 Berjonen zu fafjen vermag und für Konzert- 
aufführungen und Theatervorjtellungen bejtimmt ift. Hier tjt 
auch das große Veſtibül mit den geräumigen Garderoben, 
während öſtlich davon die Rejtauration Liegt. 

Die neue Feithalle wurde Oſtern 1903 mit einem zwei— 
tägigen Mufikfeft, an dem da3 Karlsruher und Mannheimer 
Hofordieiter, jowie das Joachim-Quartett und etwa 1000,Sänger 
und Sängerinnen mitwirften, bei Anweſenheit des Großherzog» 
lihen Hofes unter Felir Mottl3 und W. Kählers Leitung 
eröffnet, und bald darauf erhielt das neue Haus noch durch 


Die Entſtehung der modernen Etabt. 677 


ein viertägiges Beethovenfeſt, veranftaltet vom Mufikverein 
und ausgeführt vom Kaimorchefter unter Felix Weingartners 
Leitung, eine weitere herrliche Weihe. 

Zugleich erjtand auch während der Erbauung der Feſthalle 
da3 mädhtigjte Gebäude der Kunftzeit des 18. Jahrhunderts in 
Mannheim: das Großherzoglide Schloß aus ruinenhaften 
Verfall zu neuem Glanze. 

Der Landesfürjt, Großherzog Friedrich, war es, der, wie 
wir jchon oben erwähnten, da3 Schloß Karl Theodor3 wieder- 
beritellen ließ und der höchſten Ehrung für wert hielt. 

Damit jind von dem Fürſten jelbjt die oft noch von an— 
derer Seite künſtlich Eonjtruirten Gegenſätze zwiſchen der ein- 
jtigen und jeßigen Zeit in vornehmer, hoher Gefinnung voll 
ftändig überwunden. In ungetrübter Freude können wir ung 
dem Genuß der werthuollen Werfe hingeben, die noch aus 
jener Zeit jtammen, und von denen das Großherzogliche Schloß 
eines der großartigjten Deutſchlands ift. 

Die neue Feſthalle aber bildet das nöthige Bindeglied 
zwiichen der modernen Architektur und den Baumerfen der 
früheren Zeit. 

Fürſt und Bolf reichen ſich die Hand in der Hochhaltung 
großer Traditionen und in der Berjöhnung aller Gegenjäge. 


XXXIV. 
Das Stadtjubiläum. 


Feier de3 Jahres der Verleihung der Privilegien — Der 24. Januar — 
Eröffnung der großen Gartenbau= und internationalen Kunftausftelung — 
Das fünftägige Jubiläumsfeit — Die Großherzoglihen Herrihaften in 
Mannheim — Ueberblid über die Ausitelung — Die Gärten — Die 
Kunjtausftellung und die Kunfthalle — Litteratur und Theater im Jubis 
läumsjahr — Gedenken Schillers — Lichtfeite — Schlußwort. 


8 war denn — als die Feier ihres dreihundertjährigen 
Beitehens und Wirfens an die Stadt Mannheim herantrat — 
die bauliche Entwidlung der neuen Stadt bis zu einer jie 
frönenden Höhe gediehen und die alte und neue Stadt zu einer 
harmoniſchen Einheitlichfeit verbunden. 

Bei der Beitimmung der Feier fiegte die auch durch diejes 
Bud) lebhaft vertretene Anficht, daß eine Stadt des Vorzugs, 
eine bejondere geijtige Begründung zu bejiten, auch heute ſich 
bewußt bleiben jolle und, wie unjere Vorfahren, den Tag diejer 
geiftigen Begründung auch in modernem Sinne zu feiern habe. 
E3 wurde daher die am 24. Januar 1607 erfolgte Verleihung 
der Privilegien, die für die ganze Entwidlung der Stadt grund» 
legend blieben und über ihre materielle Zeritörung hinweg— 
halfen, als die eigentliche Begründung unjerer Stadt zur Jubi- 
läumsfeier für das Jahr 1907 auserjehen. 

Es jollten große Vorbereitungen getroffen werden, diejes 
Jahr in fejtlicher und würdiger Weile zu begehen, um auch im 





Ar 








Das Stadtjubiläum. 679 


deutichen Städteleben gebührend hervorzutreten. Die Stadt be- 
ihloß für das Jubiläumsjahr die Veranjtaltung einer großen 
Gartenbau Ausstellung und einer internationalen Kunjtaus- 
jtellung und volfsbildend wirkende Vereine und wiljenschaftliche 
Inſtitute beeiferten jich, die Veranjtaltungen der Stadt zu er- 
gänzen und jelbftjtändig zu erweitern. 

So veranjtaltete der Verein für Bolfsbildung am Vor— 
abend des 24. Januar, des eigentlichen Feſttages, im Saale 
des alten, der ganzen Stadtentwidlung bisher vorftehenden 
Rathhaujes eine Vorfeier des Tuges und betraute den Berfafjer 
dieſes Buches mit einer Rede über den freiheitlichen und Frucht 
bringenden Charakter diejer Privilegien. 

Am Tage darauf fand die offizielle Feier des Tages durch 
die Einweihung des neuen Schulhaujes am Zeughausplabe, das 
den Namen und das Reliefbildniß des Stadtgründers, des Kur- 
fürjten Friedrich IV., trägt, mit einer Weiherede des Ober— 
bürgermeijters ftatt. Das neue, jich weitausdehnende Schul- 
gebäude umfaßt die Gewerbe-Schule, eine Bürgerichule und Die 
Handelsfortbildungsichule. 

Nach fieberhafter Thätigkeit konnten am 1. Mai die in 
furzer Zeit wie aus dem Boden gezauberte große Gartenbau» 
Ausstellung und internationale Kunftausitellung eröffnet werden. 
Es war ein recht fühler, doch heller Maientag, an dem fich 
die Eröffnungsfeier vollzog. Die Vertretung des Landesfürjten 
und der Landesfürjtin hatten Erbgroßherzog Friedrih und Erb: 
großherzogin Hilda übernommen. Der Eröffnungsaft wurde 
im Mujenjaale der Feſthalle abgehalten und gejtaltete ſich be— 
jonders auch durch die Anwejenheit der zahlreichen illuftren Gäjte 
zu einer glänzenden Einleitung des großen Unternehmens. Die 
Begrüßungsworte ſprach Oberbürgermeijter Bed; dann ergriff 
Bürgermeijter Ritter als Leiter des Unternehmens das Wort 
über die Idee und die Gejtaltung der Ausjtelung. Im Auf— 
trage des Großherzog eröffnete jodann mit warmen, herzlichen 
Worten Erbgroßherzog Friedrich die Ausftellung und mit dem 
Bortrag des von Mufikdirector Bieling dirigirten Männerchors 
„Die Ehre Gottes” von Beethoven und den Klängen der von 


680 Das Stabtjubiläum. 


Mufifdirector Hänlein geipielten Orgel endete der erſte Akt 
der Eröffnungsfeier. Hieran jchloß ſich noch des Nachmittags 
ein Rundgang des Erbgroßherzoglichen Paares und der anderen 
Feſtgäſte durch die Ausjtellung und des Abends ein Feſteſſen 
(im Ribelungenjaal), ſowie die erite Feſtbeleuchtung. 

Bei dem Feſteſſen jprachen der Minijter des Großh— 
Haujes und der auswärtigen Angelegenheiten Freiherr von 
Marſchall und Oberbürgermeijter Bed. 

Inzwilchen waren die Vorbereitungen zu einer mehrtägigen 
Teier des Stadtjubiläums jchon begonnen worden und jie 
fonnten bis zu Anfang des Feſtes vollendet werden. Es wurde 
eine Ehmüdung der Stadt vorgenommen, wie fie Mannheim 
wohl noch nicht gejehen Hat. Die Schloßpläße, die breite 
Straße bis zur Nedarbrüde, die PBlanten, die Rhein und 
Heidelbergerjtraße, der Ring vom Bahnhof bis zur Feſthalle 
wurden in ein Meer von Blumen:, Guirlanden- und anderen 
Feſt-Schmuck verwandelt, daß die Häufer felbjt fajt darunter 
verihtwanden.*) Das Felt jollte auch äußerlich zu jubelndem 
Ausdrud gelangen. So nahten die Feſttage heran, die durch 
die Anwejenheit des Landesfürjten jelbjt beionders gekrönt 
wurden und fir alle Zeiten gefrönt bleiben; denn es war der 
legte Aufenthalt des Fürſten in unſerer Stadt und mit Ge- 
nugthuung erfüllt es ums, daß jich diefe Tage jo jchön ge— 
ftalteten. An der Landungsjtelle des Rheines, da, wo das 
großherzogliche Paar vor einem halben Jahrhundert von der 
Mannheimer Bürgerichaft zum erjten Male jubelnd begrüßt 
worden war, entjtieg auch diesmal wieder das Großherzogliche 
Paar einem von Karlsruhe den Rhein abwärts gefahrenen 
feitlich gefhmücten Dampfer „Johannes Keßler“. Der Empfang 
gejtaltete fi) zu einer großartigen Huldigung des fürftlichen 
Paares, Mit dem folgenden Tage Freitag, den 31. Mai, be- 
gann die Feſtwoche. Nach einer Feſtſitzung der jtädtiichen 





*) Die Triumphbogen der Planken zierte Bildhauer Hermann Taglang, 
der Schöpfer des ſoeben enthüllten Auguſt Dreesbach-Denkmals auf dem 
Friedhof mit ftilvollen Reliefs, während Bildhauer Willy Ballmann den 
Brunnen am Bahnhof nah dem Groß'ſchen Plakat ausführte, 


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Das Stabtjubiläum. 681 


Kollegien im Biürgerausichußfaale, die fich zu einer Ehrung 
des Dberbürgermeijter® Bed geftaltete und in der zu Ehren- 
bürgern Mannheims der berühmte Gelehrte Wilhelm Wundt, 
jowie Staatsminijter v. Eiſenlohr, Geh. Commerzienrath Karl 
Ladenburg und Major 3. D. Mar Seubert als um unjere 
Stadt hochverdiente Männer ernannt wurden, begab man ſich 
zum Feſtakte im glänzend geichmiüdten Nibelungenjaale. Die 
eier ging aus internen Kreiſen der Stadtverwaltung hervor. 
Dberbürgermeijter Beck und Stadtardivar Prof. Dr. Walter, 
der Berfafjer der Jubiläums- Publikation, hielten das gleiche 
fejtlihe Thema der Stadtgründung und Stadtentwidelung bes 
handelnde Reden, wobei die glänzende Redekunſt unjeres Stadt» 
oberhauptes dominierte, und Stadtrat Dr, Alt hatte einen ge- 
danklich reich belebten Prolog mit einer Schlußhymne gedichtet, 
die von A. Barchet componirt worden war und zu deren Vor— 
trag man das Hoftheaterorcheiter, das Kaimorcheiter, Die vereinigte 
Männergejangvereine und (für das Drgelipiel) Herrn Muſik— 
director Hänlein heranzog. An die Feſtreden jchloß ſich noch 
eine beiondere Ehrung des Stadtoberhauptes, des Oberbürger- 
meilter® Bed. Im Namen der philojophiichen Fakultät ber 
Univerfität Heidelberg überbrachten die Profeijoren Dr. Hoops, 
Geh. Hofrat Dr. Windelband, Geh. Hofrat Dr. Neumann und 
Geh. Hofrat Dr. Gothein dem Oberbürgermeifter die Urkunde 
feiner Ernennung zum Ehren-Doctor. Prof. Dr. Hoop3 hielt 
eine längere, dieje Auszeichnung begründende Anſprache. Den 
Schluß des Feſtaktes bildete der Bortrag des niederländtichen 
Dantgebetes. 

Nach diejer Feier bejuchten die Landesfürſtin, Erbgroß- 
herzog Friedrich und Prinz Mar die Jubiläumsausſtellung der 
Deffentlichen Bibliothef im Großh. Schloffe, unter Führung des 
Bibliothefard Prof. Dejer, den jtadtgefchichtlihen Quellen— 
ichriften (bejonders auch dem erjten Mannheimer Drud der 
Privilegien) ihr hohes Intereſſe zuwendend. 

Des Nachmittags begaben ſich die Großherzoglichen Herr: 
ichaften zur Feier der Enthüllung der vom Großherzog unjerer 
Stadt geitifteten und von Johannes Hoffart ausgeführten 


682 Das Stadtjubiläunt. 


Denkmäler Karl Friedrichs und Karl Ludwigs auf den Schloß— 
pläßen, die mit reichgejchmücten Tribünen verjehen und deren 
Straßenzug in Laubengänge verwandelt waren. Hier in einem 
auf dem Karl-Theodor-Plate errichteten Zelte, an der Seite 
jeiner hohen Gemahlin ftehend, ließ Großherzog Friedrich den 
Feſtzug der Jugend unjerer Stadt an ſich vorüberziehen, wie 
der fröhlichen Zukunft feines Landes jegnend ins Auge jchauend. 
Die Worte, die er dann jelbjt mit Fräftiger Stimme ſprach, 
werden hier noch lange wiederklingen. 

Diejen und folgenden Feiern wohnten die jtaatlichen 
und jtädtiichen Behörden vollzählig bei. Bon Karlsruhe waren 
die Minifter Frh. von Duſch, Frh. von Bodmann und Frh. 
von Marſchall anwejend. Der Abend bradjte als erjter Theil 
de3 viertägigen Mufikfeftes ein jtadtgejchichtliches Konzert: die 
Aufführung von Werken der jchon oben im Kapitel 25 unjeres 
Buches beiprochenen Mannheimer Symphoniter Kaver Richter, 
Chriſtian Cannabich und Johann Stamik, wobei leider die 
beiden bedeutenden GComponijten Ignaz Holzbauer und Abbe 
Vogler unberüdjichtigt blieben. Wie wir gleich Hier erwähnen 
wollen, verzeichnete das Programm des ganzen Mufikfejtes 
noch jymphontiche Werke von Haydn, Mozart, Beethoven, 
Brudner, moderne Chorwerfe von Lijzt und Theodor Streicher, 
und deutjche Lieder aus zwei Jahrhunderten. Leiter der Kon— 
zerte waren Peter Raabe, Ferdinand Löwe, Hermann Kutzſch— 
bad. Das Orcheſter beitand aus .120 Mufitern, der Chor 
aus 800 Herren und Damen. Zu einem großen mufifaliichen 
Ereigniß gejtaltete ich die Aufführung der Graner Feſtmeſſe 
von Franz Liſzt unter Mitwirkung von Frau Chanbley-Hinfen, 
Fräulein Wehrenpfennig und der Herren Aler Heinemann und 
Felix Senius. Zu den Soliſten der Feſtkonzerte zählten noch 
die PBrofefjoren Marteau, Beder, Frau Julia Eulp, Frl. M. 
Lammen. 

Der nädjte Vormittag Samjtag, der 1. Juni wurde der 
bildenden Kunft gewidmet. Die Großherzoglichen Herrichaften: 
Großherzog und Großherzogin, Erbgroßherzog und Erbgroß- 
berzogin, jowie Brinz Mar bejichtigten die internationale Kunſt— 


Das Stadtjubiläum. 683 


ausftellung in der neuen Kunfthalle.e Die Führung hatten 
Bürgermeifter Ritter und Maler Ludwig Dill übernommen, 
Sp wurde auch dieje neue Phaje der Entwidelung unjerer 
Kunſtpflege noch durch den Landesfüriten, der jo lange freudig 
für die Kunſt wirkte, eingeleitet. Des Nachmittags gejtaltete 
fih die Rundfahrt der Großh. Herrichaften durch die Garten- 
bauaugjtellung und den Bergnügunsparf zu einer neuen Ovation 
fiir den Landesfürjten und jeine hohe Gemahlin. Der Beſuch 
der Ausjtellung wurde in dem im VBehrens-Garten angelegten, 
mit originellem Blumenſchmuck ausgejtatteten Naturtheater 
beichloffen, auf deilen freier Bühne unter Louiſe Dumont3 und 
Gujtav Lindmanns Leitung Goethes „Laune des Berliebten“ 
von Mitgliedern des Düfjeldorfer Schaujpielhaufes im graziöjen 
Rokofo-Stil aufgeführt wurde. Die Aufführung gewährte neue 
Eindrüde und neue Werthichägung des Naturtheaters, jener 
interefjanten jtimmungsvollen Verbindung des Theaters mit der 
Natur zur Zeit Karl Theodors.*) 

Zu einem weiteren jchönen Tag des Jubiläumsfeites ge» 
jtaltete fich der folgende Sonntag. Bei dem Feſtgottesdienſt 
in der Trinitatisficche, dem die Großh. Herrichaften beimohnten, 
hielt Herr Stadtpfarrer Achtnich die Predigt unter Zugrundes 
legung des Bibelwortes: „Sucht der Stadt Beites, dahin ich 
euch babe Lafjen wegführen und betet für fie zum Herrn.“ 
Nach dem Feitfonzert am Nachmittag und der Feſtvorſtellung 
im Hoftheater brachte die in dem Feuerzauber der Jllumination 
erjtrahlende Stadt die TFeitfreude zum Ausdrud. Einen Gipfel 
erreichten die fejtlichen Beranjtaltungen am Montag, Am 
Morgen des Tages wurde von etwa 200 geladenen Teilnehmern 
an den FFeitlichkeiten der erjte Gang über die neue Nedarbrücde 
vorgenommen, ein dringend geforderter, fühn ich mit einem 
Bogen über den Nedarfluß jchiwingender Brüdenbau, ausge: 
führt unter der Leitung des Stadtbaurathe3 Eijenlohr, der 


*) Auch der Hebbek-Rerein, der ſchon mit einer Aufführung von Taſſos 
„Aminta* im Schweginger Garten dieſer Vorftellung voranging, arrangirte 
hier fpäter noch eine andere dramatifche Darbietung. 


654 Das Stabtjubiläum, 


auch die Führung biejer erjten Ueberjchreitung leitete. Dann 
folgte der feierliche Akt der Einweihung des neuen Induſtrie— 
bafens an der einen Aundblid über das weite Waſſer- und 
Ufergebiet gewährenden, fejtlich gezierten Baftion. Gegen 11 Uhr 
erſchienen die Großherzoglichen Herrichaften auf dem Feſtplatz, 
fih in das aufgeftellte Firftenzelt begebend. Die Feſtreden 
hielten Oberbürgermeijter Beck und Stadtbaurat Eijenlohr. 
Hierauf jchritten der Großherzog und die Großherzogin vom 
Zelte aus auf die Baftion, um mit dem von einem hiefigen 
Bürger geftifteten filbernen Hammer die erjten Schläge auf den 
Schlußjtein des großen Werkes auszuführen. Dann ergriffen 
den Hammer die Minifter Sch. v. Duſch, Frh. v. Bodmann 
und Frh. v. Marjchall, Oberbürgermeijter Bed, Handelskammer— 
präfident Geh. Commerzienrat Lenel und zulegt Stadtbaurat 
Eiſenlohr. Das eine große Zufunft induftrieller Bethätigung 
vorbereitende Unternehmen hatte jeine Weihe erhalten. 

Und nun begann mit dem prächtig decorirten Dampfer 
„Kaiſerin Friedrich“ die Feſtfahrt, die glänzend gelingen jollte, 
obwohl bei ihrem Beginn ein ſtarkes Unwetter niederging 
das Sich aber bald verlor und umjo froder jtimmendem 
Sonnenjchein wid. Die Großherzoglichen Herrichaften und 
Feſtgäſte fonnten fi auf dem Ded des Schiffes bald ganz 
den herrlichen Eindrücken hingeben, die dieje Feitfahrt gewährte. 
Nahezu ein halbes Hundert non Feſtſchiffen bewegte ſich auf 
dem Rheine dem Feſtdampfer entgegen, auf welchem jich die 
Großherzoglichen Herrichaften befanden — eine Huldigung un« 
vergeßlicher Art und ein auch von den fremden Gäjten als 
groß empfundene® Schaufpiel. Erit gegen "3 Uhr wurde 
gelandet. Bei dem Feſtmahle am Abend, das in dem von Stadt- 
gärtnerZippel reich mit Blumen, Palmen u. A. gezierten Nibelungen- 
jaale des Rojengartens jtattfand und an dem circa 400 Berjonen 
theilnahmen, ſprachen Oberbürgermeilter Bed, Staatsminijter 
von Dusch, Bürgermeifter Martin und Oberjt von Winterfeld. 

Weniger gelang das an demjelben Abend noch abgehaltene 
Gartenfeſt in der Ausjtellung, da ſich Regengüſſe recht unan- 
genehm bemerkbar machten. Dennoch jiegte das reich entfaltete 


Das Stabtjubiläum. 685 


Licht über die büftere Regenjtimmung und die Großherzoglichen 
Herrichaften, die von einem Bavillon am Wafferturm aus Illumi— 
nation und Feuerwerk mit anjahen, Fehrten erfreut und befries 
digt in das Großherzogliche Schloß zurüd. 

Dienftag, den 4. Juni brachten die Jubiläumstage das 
Kinderfeit auf den Rennwieſen, deſſen Leitung Stadtichulrat 
Sidinger zufiel. Nahezu 10000 Kinder erfüllten den weiten 
Bla mit ihrer jubelnden Lebensfreude und erheiterten das 
Herz des greijen Landesfürften durch ihre fröhlich vorgeführten 
turneriſche Spiele. 

Am Mittwoch war der Großherzog im Schloſſe jelbit 
der Gajtgeber. Die Hoftafel, die Diesmal vor allem aud) die 
mit der Ausjtellung und ihrer Vertretung (Prefje) verbundenen 
Perſönlichkeiten Heranzog, fand in der üblichen glänzenden 
Weiſe ſtatt. Am Mittwoch traf noch die zur Kur in Baden 
weilende erotiiche Majeſtät des Königs von Siam ein und 
ließ fich, auf dem Balkon des Schloffes mit den Großherzog» 
lichen Herrſchaften ericheinend, von den herbeiftrömenden Bür— 
gern und Bürgerinnen unjerer Stadt begrüßen. Der lebte 
Aufenthalt des geliebten Landesfürften im unjerer Stadt ging 
jeinem Ende zu. Für Donnerjtag Abend war die Abreiſe 
bejtimmt. 

Da jollte noch ein intereijantes Ereigniß den Großherzog 
und den hohen Seinen begegnen. Begegnen im wahren Sinne 
des Wortes, denn die Abreije der Großherzoglichen Herrichaften 
erfolgte jo, daß bei ihrer Abfahrt vom Schloſſe ihnen gerade 
noch die eriten im Schloßhofe eintreffenden Wutomobile der 
Herkfomer-Concurrenz entgegenfamen, an der Spige ein Mann— 
heimer, Edgar Ladenburg, deifen Benzwagen, geiteuert von Inge: 
nieur Fritz Erle, den Sieg errang. Der Sieger und Meijter, Söhne 
unjerer Stadt und des legteren Werkzeug, ein Triumph unjerer In— 
dujtrie! Stolz fonnte jo Mannheim noch beim Abjchiede große 
Perjpectiven auf eine neue Welt des Verfehrs bieten. Der 
Jubel der Bevölkerung begleitete die Wagenflucht der Groß— 
berzoglichen Herrſchaften und ihres Gefolges bis zum Bahnhof. 
In den Jubel mijchten ſich die jchmerzlichen Empfindungen des 


686 Das Stadtjubiläunt. 


Abſchiedes, eines Abjchiedes für immer, denn den heißverehrten 
Landesfürſten jollte die von ihm allezeit jo jorgjam bedadıte 
Stadt Mannheim nicht mehr wiederjehen. Sein Tod durch— 
zitterte die Stimmungen der legten Wochen der Ausjtellung 
in trauererfüllender Weiſe. 


Wenden wir uns der „Großen Gartenbau» und Inter 
nationalen Kunſt-Ausſtellung“ ſelbſt zu. Sie bildete die dauernde, 
nahezu ein halbes Jahr währende Feier des Stadtjubiläums. 
Die Stadtgemeinde war die Trägerin des Unternehmens, Pro— 
teftor desjelben Großherzog Friedrich) von Baden. Zum Ges 
jammtleiter der Ausjtellung hatte man Herrn Bürgermeiiter 
Ritter auserjehen. Der Vorjtand der Ausjtellung bejtand noch 
aus folgenden Herren: Commercienrath Herm. Dyderhoff, Geh. 
Commercienrath Karl Reit, Geh. Commercienrath Karl Qaden- 
burg, Fabrikant Ed. Schweiger, Ingenieur O. Smrefer, Prof. 
Ludwig Dill. Die Vertreter des Staates waren: Landes— 
commiffär, Geheimer Oberregierungsrath Pfiſterer und der 
Boritand des Bezirksamtes Geheimer Regierungsrat Edmund 
Lang.*) Für die fünftleriiche Gejtaltung der Anlage der Aus— 
ftellung z30g man hauptjächlich auswärtige Kräfte heran. Prof. 
Mar Läuger entwarf die Gejammtanlage der Ausftellung, Prof. 
Hermann Bieling erbaute die neue Kunfthalle und Brof. Ludwig 
Dill arrangierte in der legteren die internationale Kunſtaus— 
jtellung. Wis weitere mitwirfende Kräfte find zu nennen: 
Garten-Ingenieur Ferdinand Keerl, Architeft Schab, Stadtbau- 
rat Perrey, Prof. Dr. Walter und Redacteur Herm. Schade 
(die regjamen Leiter des Reclame-Wejens). Die Ausjtellung follte 
einen intimeren Character erhalten und durch ihre Einglieder- 
ung in den Friedrichsplatz mit der Stadt verbunden bleiben. 
Der am Sodel durch den interimiftiihen Anbau des Haupt- 
rejtaurants erweiterte Waſſerturm befrönte mit jeinen wuch— 
tigen und bedeutenden Formen die Ausſtellung. Bor ihm 





*) Beſondere Verdienfte um die Ausſtellung erwarben fich ferner noch 
Graf Victor von Helmitatt, Stadirat Löwenhaupt und Stadtrat Hirichhorn, 
ber franzöfiihe Gonjul Pradere-Nigquet, Stabtbeirat Dr. Schott u. N, 


Das Stadtjubiläum, 687 


breitete fich der nach Plänen ſeines Erbauerd Bruno Schmik 
für die Ausftellung umgejtaltete Friedrichspla aus. Rechts 
von ihm wurde vor der Kunfthalle von der Firma Siesmayer 
(Frankfurt) ein in einfachen geraden Linien und Quadraten 
gehaltener Schmudhof angelegt. Durch die provijorijche Ueber— 
brüdung der Augufta-Anlage, die man für den begrenzten 
Ausitellungsplag für nothiwendig hielt, gelangte man zur eigent- 
lichen Gartenbau-Ausjtellung, die durch die mit breiten Terraffen 
und Freitreppen verjehenen 320 Meter langen Ausjtellungs- 
allen (gewerbliche Halle, Abteilung der Objtdauerausftellung, 
Halle für Gartenkunft, Palmenhalle, Halle der Sonder-Aus— 
jtellung, wiffenjchaftliche Abteilung) abgejchloffen wurde. Vor 
diejer Halle liegen die Gärten: der phantafievoll componirte, 
abwechjelungsreihe Schmud einheitlich zujammenfaffende Garten 
Läugers mit dem gejchloffenenen Badhauje und dem Sommer- 








Badhaus im Yäuger-Oarten. 


baſſin im Mittelpunkt, der innig deutjch berührende, einfache 
Schönheit bietende Garten Schulze-Raumburgs, verbunden mit 
anheimelndem Gartenhaus und fühlender Grotte, der von Peter 
Behrens in großen Formen angelegte Garten, auf deſſen von 
Eypreffenwänden umgebenen Naturtheater die jchon erwähnten 
Theatervorjtellungen im Freien ftattfanden, der exotiſch inter 


688 Das Stadtjubiläum. 


eſſant geitaltete Sondergarten Heinrich Henkels (Darmitadt), 
der römijche Motive vortrefflich heranziehende Brahe’iche Garten, 
der Luxusgarten Röthe-Bonn, Sonnen» und Scattengarten 
glücklich jcheidend, die ornamentalen Gärten Bielings zu Seiten 
der großen Hallentreppe. Neben diejen Gärten find noch zu 
nennen die mit praftiichen Zweden verbundenen Gebiete des 
Staudengartens von 008 und Könemann (Niederwalluf), der 
Rejtaurationsgarten am „Zillerthal“, der Formobſtgarten der 
Firma I. Hönings (Neuß a. Rh.), das Beet der Dlainzer Handels: 
gärtner, der Demonftrationsgarten von N Gaucher (Stuttgart), 
die Schrebergärten, das Roſenbeet Peter Lamberts (Trier), der 
aud; die von Läuger entworfenen Roſarien am Cingange der 
Ausjtellung bepflanzt hat. Ein Verſuchsplatz für gärtneriiche 
Farbenſtudien bildeten noch die jog. Farbengärten an der jüd- 
lihen Seite der Augufta-Anlage, die von Andreas (Frankfurt), 
Appel (Darmitadt), Rojenkränzer (Mannheim) u. A. ausge» 
jtattet wurden. Auch dürfte hier noch die gärtneriiche Anlage 
August Buchners um den fräftig raufchenden Brunnen vor dem 
Lanz'ſchen Pavillon zu erwähnen ſein. Es iſt hier leider nicht 
der Raum, um aud) auf den vielen decorativ plaftiihen Schmud, 
den dieje Gärten erhielten, näher einzugehen. 

Ein beionderes Garten-Gebiet bildete der Friedrichsplag, 
deſſen Blumenihmud zuerſt (Zulpenparterre) die Firma 
Berjenbujch- Doriten, dann eine Bereinigung Stuttgarter Handels- 
gärtner (Bofinger, Ernſt, Pfiber u. U.) übernahm. Die am 
Friedrichsplatz gelegene Feſthalle Rojengarten barg zeitweilig 
große Blumen (Orchideen) und Objt-Ansftellungen und erlebte 
ein hauptjächlich von Damen der hieligen Gejellichaft unter Mit- 
wirfung der Stadt verſchwenderiſch reich in Scene gejettes „Rojen= 
feſt.“ Eine an die Landichaft des heimischen Landes anfnüpfende 
Natur-Fmitation war die Schwarzwald: Anlage am öjtlichen 
Ende der Sondergärten, die von dem technijchen Leiter der 
Gartenbau-Ausitellung, Ingenieur Fred Keerl entworfen wurde. 
Zu diejer maleriich behandelten Anlage jtiftete Director Fuchs— 
Mannheim die von Architekt Hoppe nad) dem Vorbilde in 
Immeich ausgeführte Kapelle, Ingenieur Ludwig das getreu 


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Aus dem Schulze-MTaumburg-Barten in de 





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Jubiläums-Ausftellung Mannheim 1907. 





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Das Stadtjubiläum. 689 


dem ältejten Hauje im Guttachtale nachgeichaffene alte Schwarz: 
waldhaus. Hier in diejer Schwarzwaldanlage mit feiner Wein- 
fojthalle des Neichsverbandes der deutichen Landivirtichaftlichen 
Genoſſenſchaften im Unterjtod eines neuen von Architeft Hoppe 
erbauten Schwarzwaldhaufes, in dem auch eine Ausitellung der 
Schwarzwaldinduftrien untergebracht war, fpielte ſich ein Stüd 
pfälzer Volkslebens ab. Heimatlichen Charakter trug auch die öft- 
(ich neben der Schwarzwaldanlage errichtete „Burg Zähringen“, 
während das weſtlich an dieje Anlage grenzende Blodhaus der 
Firma Luſchka und Wagemann und feine gefällten Urwald» 
tiejenftämme fremde Naturart mit der heimijchen verbanden. 
Eine zur Gartenbau-Ausjtellung noch gehörige Neform-Schöp- 
fung war die Mehlhorniche Gewähshaus-Anlage nach eigenen 
neuen Syſtem, im Mittelpunkt das Heim der Königin der 
Blumen, der Victoria Negia. Auch das von der Firma Fuchs 
und Priefter angelegte Gewächshaus mit großer Heizungsvor— 
rihtung und ein von Architekt Tilleffen entworfener Garten: 
pavillon jollen hier noch genannt jein. 

Die Augufta-Anlage bildete den Uebergang zum Vergnüg— 
ungsparf und führte, von dem Weinrejtaurant Weber und der 
Nothauswirtihaft ausgehend, an dem ein bedeutendes Werk 
Mannheimer Induſtrie ausftellenden Bavillon Heinrich Lanz, 
dem Cafe Hagen - und der großen Sunlight- Halle vorüber 
nach diejem Park, der nun einmal auf einer Ausjtellung nicht 
fehlen jolltee Die Gejammtanlage, die leider nur die jchönen 
Peripektiven auf die Berge des Ddenwaldes, auf die Allen 
und Fernfichten der Ebene nicht vol berückſichtigte und zu 
icharf von der freien Natur abichnitt, war dennoch künſtleriſch 
und jtilvoll geitaltet, während die Gebäude des Parfs meist nad) 
vortrefflichen Skizzen des Architekten Schaab ausgeführt wurden. 
Hier im Bergnügungspark mit Abejlinierdorf und Zillerthal, 
Panorama und Stinematographen » Theater, Waſſerrutſchbahn 
und NRodelbahn, Luft: und Automobil-Karuſſell, Kinderjpiel- 
plab und Gajperle= Theater, Teich- und Terraſſenreſtaurants, 
Sekt: und Weinjtuben („Luftige Witwe”, „Süße Mädel”), 
Spießbraterei und Wurjtlerei, Verkaufshallen und Verkaufs— 

DO eier, Geſchichte der Stadt Mannheim. 44 


690 Das Stadtjubiläum. 


ftänden konnte fich bei den weichen Klängen der italieniichen 
Kapellen und herzhafter deutjcher Muſik hiefiger und auswärtiger 
Militär- und Schützenkapellen, jowie der Kapelle der hier auf- 
marjchirenden Petersthaler Bürgermiliz ein fröhliches volkstüm— 
liches Treiben entfalten.*) Ernſter gejtaltete fich das Verhalten 
unjerer Bevölferung zur Kunſtausſtellung. Dieje war in feinerlei 
Weiſe in den heimischen Boden eingewurzelt, und die Kräfte, die 
Mannheim der modernen Kunst geichenft hat, jahen wir nur jpär- 
lich vertreten. Gerade die Kunftausjtellung hätte jehr über den 
Wert und die Bedeutung der Mannheim entjtammenden Künfter 
unterrichten fönnen. Mit Werfen von Julius Exter, Philipp Klein, 
Wilhelm Frey, Wilhelm Nagel, Otto Propheter, Johannes Hoffart, 
Albert Haueiſen, Hans Beit, August Dieffenbacher, Wilhelm Dertef, 
Michael Koch, Ernjt Nöther, Theo Schindler, Volz, Franz u. N. 
wäre zweifellos ein Saal von Mannheim ausgegangener Kunſt 
zu ftarfem Eindrud zu bringen gewejen und die fremden Be- 
jucher hätten nicht das faljche Urteil gewonnen, Mannheim habe 
nur noch geringe Beziehung zur heutigen Kunjtbetätigung. Dem 
Leiter der Ausjtellung, Prof. Ludwig Dil, ift daraus fein 
Vorwurf zu machen. Er, in einer anderen Kunftiphäre wirkend, 
fonnte unjere Intereſſen nicht voll empfinden. Er jchuf ung 
in jeiner Weije eine Ausjtellung von intimen Reizen moderner 
Kunft, von interefjanten fünftleriichen Erperimenten und lie 
jeldft die verwegendjten Erſcheinungen der fünftlerischen Gegen- 
wart (jo 3.8. auch Gogh, Klimt) walten. Wir wollen feines: 
wegs das Genußreiche und Bahnbrechende dieſer Ausstellung 
auch in ihrer fünftlerijch feinen Darbietung verkennen, nur hoffen, 
dag auch Mannheims Kunjt, wie fie fich in den Werken alter wie 
neuer Zeit zeigt, die ihr gebührende Schäßung und Achtung findet. 

Mit diefer Darbietung war bejonders das neue Gebäude 


jelbjt verbunden, in dejjen Räumen die Ausitellung jtattfand. 
Es iſt dies die neue jtädtiiche Kunfthalle von Brot. Hermann 





*) Der Neronautif wurde mit dem Feſſelballon und einer Freien Ballon- 
wettfahrt, an der fich neun Ballons betheiligten, gehuldigt,. Ein jportliches 
Unternehmen großen Stiles waren auch die Jubiläumsrennen im Dat, 
denen das Erbgroßherzogliche Paar beiwohnte. 


Das Stadtjubiläum. 691 


Billing (Karlsruhe). Der Bau wurde von ber Stadt auf 
Grund einer Stiftung der Hier verjtorbenen Frau Aberle unter- 
nommen. Mit verhältnigmäßig geringen Mitteln hat Billing 
ein in einfach großem Stile gehaltenes Gebäude geichaffen. 
Der mächtig wirkende Mittelbau bietet mit jeinem hochliegenden 
Portal in feierlicher Weije gleichjam den Eingang in die 
Myiterien der Kunft. Im Innern dominiren das prächtig im 
Marmorglanz erftrahlende Treppenhaus und der fich im unteren 
Stock daranſchließende große Oberlichtiaal. Der Bau, der die 
ſtädtiſche Kunſtſammlung aufnehmen joll, wird ein jchönes Denf- 
mal der Kunftbetätigung im Jubiläumsjahr bleiben und dem 
Worte Lejlings über Mannheim neue Ehre machen. 

Während die Muſik das Jubiläumsjahr außer durch das 
Muſikfeſt noch durch die glänzend neu ausgejtattete Aufführungen 
der „Meifterfinger“ und des „Oberon“, jowie Durch das Gaſtſpiel 
der Wiener Operettengejellichaft feierte, brachte die Litteratur 
und Dramatik zwei hier völlig neue Ereignifje: den ſprachge— 
waltigen Bortrag Richard Dehmels einer eigenen neuen Dich— 
tung im Verjammlungsjaal des Rojengartens (gelegentlich der 
Tagung der Kunftfreunde der Rheinlande) und die Aufführung 
von Hebbeld Tragödie „Herodes und Mariamne“ in künftlerifch 
hochbedeutender Zeitung, Darjtellung und Ausjtattung. 

Mächtig wirkte auch die vervolljtändigte Räuber-Aufführung 
in der neuen, großartig und ftimmungsvoll gehaltenen In— 
jcenirung mit dem genialen Darjteller Albert Heine als Franz 
Moor, den diejer in ähnlicher Maske wie einjt Iffland jpielte. 
Das Haus Schillers durchbebten da die Schauer großer, aber 
auch leidvoller Erinnerungen. Zur Sühne der Leidenszeit des 
Dichters, zugleidy aber auch jeine dauernde Verbindung mit 
dem Pfälzer Volke feiernd, errichtete der hiefige Verein für 
angewandte Kunft und künftleriche Kultur im Jubiläumsjahr 
unter der Zuftimmung des Landesfürften im Schloßgarten 
einen jchlichten Dentkijtein für „Anna Hölzel, der WRetterin 
Schiller in ſchwerer Bedrängniß.“ Die bier gedachte, den 
Sturz Schillers als Theaterdichter herbeiführende Affaire ges 
(angte mit einem kürzlich erichienenen dreiaftigen Drama „Slid» 


44* 


692 Das Stadtjubiläum. 


wort, der arme Teufel” (Heidelberg, Otto Ficker, Gervinushaus) 
vom Verfaſſer diejes Buches zu eingehender Darjtellung. 

Bon den vielen hier abgehaltenen Congreſſen dienten be 
ſonders der Wiſſenſchaft und Kunft die Verſammlung der 
deutſchen Gejchichtsvereine, die Tagung für Denkmalspflege, die 
Hauptverſammlung der jhiffsbautechnischen Geſellſchaft u. A.m. Die 
Journaliſtik jandte 200 Vertreter zur Eröffnung der Ausjtellung. 

Ein gelungenes Wagſtück war auf fünftleriichem Gebiete 
auch das Auftreten Iſadora Duncans und ihrer Tanzſchule 
am 12. und 14, Juli unter freiem Himmel in voller Deifent- 
lichkeit vor Taujenden von Menichen auf der Baſſin-Inſel des 
wie ein Amphitheater klaſſiſcher Zeit ericheinenden Friedrichs— 
plates bei jtrahlend heller Beleuchtung. 

Das aber führt uns zu den großartigiten VBeranjtaltungen 
der Ausjtellung auf dem Gebiete der Lichtentfaltung. So ge 
hörten denn die herrlichen Beleuchtungen und Feuerwerke der 
Ausftellung, die jtimmungsvolle Kachelbeleuchtung, das Teuer: 
meer der Bogengänge, der Lichterglanz der Illumination der 
Gebäude, die großartigen Conturen des Waflerturmes und die 
in bunten Farben erjtrahlende Leuchtfontaine zu einer Ent: 
widelung des Lichtes, wie Dies jchöner, edler und feterlicher 
nicht gedacht werden fann. 

„Licht ift Leben, Liebe, Freude, Behaglichkeit, Sittlichkeit“ 
ichreibt ein moderner deutſcher Schriftjteller (M. G. Conrad) 
jo trefflih und wahr, und er fügt Hinzu: „Das Wort des 
jterbenden Goethe: ‚Licht, mehr Licht!‘ Klingt jo wunderbar 
mit dem biblischen Schöpfungswort zujammen: „Es werde 
Licht! Es ijt wie der Jubelruf des Sehers, der durch die 
momentanen Verdüjterungen der Geilter und Gewiſſen Hindurd) 
das hellfeuchtende Ziel erjchaut, zu dem ſich die Völker umd 
Sahrtaufende immer fiegreicher emporringen,“ 

Was auch ein Bismard, der Ehrenbürger Mannheims, 
ihon vor mehr als 50 Jahren in einem feiner Immediatbe- 
richte nach Berlin von Frankfurt aus über die Zukunft des 
Rheinischen Emporiums hellen Auges verfündete, geht jeiner 
Erfüllung entgegen. 


Das Stadtjubiläum. 693 


Immer mächtiger vaujchen die Wellen des deutjichen Rheins 
das Lied einer deutjchen Stadt, die auf freiefter Grundlage 
erjtanden, eine große Kunſt zur Blüthe brachte und in freier 
bürgerlicher, hochachtbare Leiftungen aufweijender Arbeit eine 
zufunftsreiche Entwidelung herbeiführte. 





DAR 5 


Bon Mar Oeſer it u. A. noch folgendes erichienen: 


Geichichte der Kupferitehkunit zu Mannheim 


im 18. Jahrhundert. (Mit einer Einleitung über 
Peter v. Berichaffelt, Lambert Krahe u. A.) Leipzig, Breite 
fopf & Härtel. 1900. 


Aus der Kunjtitadt Karl Theodors. Studien 
über pfälzische und badische Maler (Ferdinand Stobell, 
Maler Müller, Anjelm Feuerbach, Hans Thoma, Emil 
Lugo u. a.) Mannheim, 3. Bensheimer. 1901. 


- Die Mannheimer Drucke und Buchausgaben der 
Schillerzeit. Mamıheim, Oeffentliche Bibliothef. 1905. 


Slikwort, der arme Teufel. Sciller- Drama in drei 
Aufzügen. Heidelberg, Otto Ficker (Gervinus-Haus). 1906. 








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wird. nun Ser Stadt Mannheim. 


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A fine of five conts a day is in, ırrec 
by retaining it beyond the speeii 


Please return promptly. 





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