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LUFTDRUCKMITTEL
DER JAHRiCSZKITEK
aus den .TaJiren inHS.iHßi- u.mas.
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Die Mecklenburgischen
höhenrücken (geschiebestreifen)
Christian Gruber, Franz Eugen Geinitz. Friedrich Gustav Hahn,
Hermann Ignaz Bidermann. Karl Jansen, Richard Assmann. ...
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1703.'
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ZÜB DEÜT>SCHI-Is •
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LANDES- ÜND YOLKSKONDE
IM AUFTRAGE DER
OENTRALKOMMISSION FÜR WISS£NSOUAFTUCHE
LANDESKUNDE VON DEUTSCHLAND
HBBATreOBGBBffll VON
DB. RICHARD LEHMANN,
PSOmaOB l>Bt KBDKÜMDB AM MB JUUBBIIB Zü MOMHIBB LV.
ERSTER BAND.
KIT IS TAISLN KASTEN UND PROFILE. SOWIR EIN£K KARTRH8KIZZE
UND NBHRKRKN FBOFILGN IM TEXT.
VEKL AG
STUTTGART.
VON J. ENGELHORN.
1886.
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Drudt ▼Ott 0«brtd«r Erftur in StvttgMt.
1. Der IJodt ii Met kk-iiburf,'.s, von Dr. E. <!einitz, ord. Prot', der
MincTdlogiu und lifologie an der Universität Rostock ....
2. Die oberrhüiniöche Tiefebene und ihre Kandgebirge, von
Dr. Richard Lepsin», ord. Prof« der Gre<dogie und Mineralogie
«ad Direktor der GroMhm<^l. heae. geolog. Laadesanstalt in Dann«
stadt. Mit Tebersichtskarto des oberrheinischen Gebirifsfjystema .
3. Die Städte der Norddeutschen Tiefe beut- in ihrer Be-
ziehung zur B o d e n c s t ii 1 1 11 n ;jr . von Dr. F. Ii . H a h u, ord.
Prof. der Erdkunde un der L'nivcräität Königüberg
4^ Das M&nchener Becken. Ein Beitrag i^ur physikali-
sclien Creographie Sttdbayerns, von Chr. Grnber. IGt
1 Kartenskizze und 2 Profilen im Text
5. Die m e c V 1 e n b urgi.sch en Höhcnrii'kfu (Geschiebest reifen)
und ihre B e z i e h u n gen zur J ] i s z e i t , von Dr. E. G e i n i t z,
ord. Prof. der Mineralogie und Geologie an der Universiti^t Hoetock.
Hit 2 UebersichtKkBrtchen und 2 Profilen
G. Der Einfluss der Gebirge anf das Klima von Hittel«
deutsc bland, von Dr. med. et phil. R. Ässm an n, Oberbeamter
im Königl. preuss. Meteorologischen Institut und Dozent ttSit Me-
teorologie zu Berlin. Mit 7 Karten und 10 Profilen
I. Die Nationalitäten in Tirol und die wechselnden Schick-
sale ihrer Verbreitung, von Dr. H. J. Bidermann, ord.
Prof. der Statistik und des Staatsrechts an der UniversitBt Graz .
8. Poleographie der cimbrischen Halbinsel, ein Tersuch
d i e .\ n s i e d 1 u n g e n N o r d a 1 b i n g i e n .s in ihrer Bedittgt-
heit durch Nutur und Geschichte nachzuweisen, VOn
Prof. Dr. K. J a n ü e n in Kiel
Seite
1-92
33—92
160—214
215— aio
311—388
389—475
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ZÜB DEÜTäO
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IM AUFTRAGE UND UNTER MITWIRKUX« DER
CfiNTMIiKOMMlSSlON FÜR WI88EN8CHiVFTUCH£ LAND£äKUMD£
VON DEUTSCHLAND
H£BAÜ8üE(*EltEN VON DEREN SCHRIFTFÜHRER
D« ßlCHAl^D LÜHMAJS'N,
0»BKtiXB»Xa ÜMO POOKMT AH »SB WITBkttvXV KAIiIi« Ajk
ERSTER BAND.
HEFT 1.
DER
BODEN MECKLENBURGS
^ 1
VOK
^ K eEINITZ,
MmUMOIB TOS OMKiOnB AH Sn UMIVIMlsXs MMMOB*
1
STUTTaABT.
yERliAG VON J. ENGELHORN.
1885.
inniTrtmmnmi
II" iiiiiiiiinnnmTTniinfT
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BODEN MECKLENBURGS
VON
D' E. QEINITZ,
uvaauxoott im» oBotio«n ak osb mtvaMorS» aocrocB.
STUTTGART.
VERLAG VON J. K xN G H L H () il N.
1885.
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Prack rou CWbrAder KrOuer in Stuttfurt
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Mit der folgenden Uebersicht über den geologischen Bau Mecklen-
burgs kommt der Verfasser der Aufforderung, einen Beifarag zn den
, Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde* zu liefern, nm
so lieber nach, als er hofft, damit diesen interessanten und schönen
Theil des norf1fieiit?;t'hen Tieflandes auch weiteren Kreisen bekannt zu
machen, als bisher leider der Kall war. Zur Orientirung über specielle
geologische Arbeiten über unser Gebiet seien folgende Schriften auf-
geftlhrt:
E. Oelnlt«: Die geolo^gehe Literatur Heeklenbnrg« Ut 1878. Arebiv des
Vi rrini; der Freunde der Naturgesehichte in Mecklenburg. XXXII. 1878.
E. Geinitz: Beitr^ zur Geologie Mecklenburga. I— VI. Archiv XXXIIl.
1879 — XXXVin. 1884. (Auch separat.)
E. Geinitz: Die Flötziortnationen Uecklenboivs. Mii geologischer Karte.
1883. Güstrow. (Archiv X2UILVIL)
Anch will ich es nicht nnterlftssen , an dieser Stelle die drei Mlnner m
noiinen. denen die Geologie Meeklenburgs eine so ^ti isho Zahl wielitiger Heobacii-
tangeu and Aufzeichnungen verdankt: G. A. Brückner, Ernst Boll und
F. E. KQch.
Eine topographische Beschreibung des Landes liegt nicht im Plane
▼orliegMider Darstellung ^) , doch sei hier die grosse Mannigfaltigkeit
des Landschaftscharakters hervorgehoben, die durch das iialie Zusaramen-
vorkoiTimen aller Typen der reinen norddeutschen (^uartärlandschaft
beding ist: die ^Moränenlaiidsrhaft" ist ebenso in den bewaldeten
Gegenden wie in den mit Fi ldwirthscliaft bestellten Theilen kenntlich;
coupirtes Terrain durch isoiirte oder zu Ketten verbundejie Hügel, mit
kleinen, von Wasser oder Torf erfüllten Kesseln, Böllen oder grösseren
S>>en zwischen sich, der Boden oft massenhaft mit erratischen Blöcken
bestreut; tiefe romantische Schluchten, in denen die dem Geschiebelehm
entstammenden grossen Blöcke wild durcheinander liegen . denselben
landschaftlichen Charakter liefernd wie die vom anstehenden Graniifels
der thüringischen oder Harzer Thäler losgelösten Felsblöcke. Die
-weiten Dilnvialplateanfläclien mit ihren rasch wechselnden «yerscMessen-
den* Bodenarten, wo die dorch den Grossgrundbesitz bedingte auf
') Vergl. hierüber £. fioll, Abriss der mecklenburgischen Landes-
kunde. 1861.
TondraBtni su dantsdwii X*Mid«»- vad Tolkdrand«. LI. 1
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2 ' ..... .^^nite, [2
: . V : :
weite Strecken« glfTi(j)i;OirjiMge Eeldbestellung auf den Wanderer oft einen
recht eintöJjfjCferr^ ßiiiHrnick aäclife^-'sind besonders da, wo sie aus
dem , oberen Gescbiebemergel" zusammengesetzt werden, wie durch-
siebt von den isolirteu kleinen runden Wasserlöchern , die unten als
Solle beschrieben sind. Auch die drei grossen Haidegebiete mit ihrem
feinen gelben Sand, in dem aich oft eine nndttrchdringliche Schicht von
Raseneisenerz I dem «Ortstein", bildet, liefern mit ihren Dfinenzügen
interessante, wenn auch oft eintönige Landschaftsbilder, zum Theil aber
auch, wie z. B. in der Ro'^tocker Haide, wegen ihrer gfinstigen feuchten
Lage präcbtifxen Baniiiwnolis.
Mehrfache isoiirte oder zu Zügen vereinigte Berge erheben sich
ans der Landschaft; als Beispiele seien genannt der SchSnberg im
Kllltzer Ort 92 m, Diedrichshäger Berg bei Doberan 130 m, Schmoks-
hetg bei Teterow 135 m, Hohe Burg bei Schlemmin 144 m, Mamitzer
Bei^ bei Pnrehim 105 m. Helpter Berg bei Woldegk ca. 170 m.
Die zahlreichen grussen und kleinen Seen mit iliren oft wunder-
Yollen bewaldeten Steilufern bieten nach allen Kichtuiigeu hin, wissen-
■chaftfidi wie vraktlsoh, das mannigfaltigste Interesse, abgesehen von
den wediselvoUen Bildern, die die einseinen Seen mit ihren Inseln,
ihren Schlössern am Ufer oder ihrer romantischen Einsamkeit im
di'']]fen Walde flem Lunflschafter vor Alicen ffibren. Die mannigfachen
grossen und kleinen FluHsläufe bieten in ihrem N'erlauf und ihren
eigenthümlichen ürsprungsgebieten ein für die norddeutschen Flüsse
recht charakteristisches Bild, das in seiner Allgemeinheit manches bisher
rithselhafte Oberfl&chenphftnomen erklären wird Seen wie ThaUftufe
weisen allermeist deutlich auf den einstigen grösseren Wasserraohtbom
des Landes hin, die Seen durch ihre jetzt trockenen Uferterrassen und
Vorländer, die Flusslüufe durch ihre breiten Sand- oder Mooreheiieii,
welche den jetzigen schmalen Wasserfaden hegleiten oder einzelne
Seebecken zu einem einzigen Stromlauf vereinigen. Zahlreich^ Torf-
moore miterbrechen den Znsammenbang des Dilnvialplateans oder
sdlieben sich in die Hügelketten ein.
Endlich gewährt noch die Küste mit ihrem senkrechten, von
einem Kranze von erratif^chen Blöcken umsäumten Abbruchsufer (Klint)
oder ihren flache Moorlaiidschaft oder Fhissnitindungen abgrenzenden
Dünen und mit ihrem oft haffartig in das Land eingreifenden Verlauf
▼ielfaches Interesse nnd mannigfaäie Schönheiten*).
1. DiluTinro.
Die fast ganz allgemeine Bedeckung des mecklenburgischen
Landes wird von dem DüuTinm nnd AUoTium gebildet, während die
^ 8. Beitr. z. Geol. Meckl. VI. 1884.
Dr<?8 die zahlreichen landpchaftlich überauB schönen Gegenden Mecklen-
burgs noch so wenig bekannt und aufgesucht sind, bat seinen wesentlichen Grund
in dem fiir Touristen höchst unbequemen Manpel pausend gelegener Gasthäuser, zum
Theil auch in der häufig betrnohtlichen Strrckc weniger anziehender Partien
zwischen den besuchenswertheu (vielfach im Privatbesitz befindlichen) Punkten.
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Der Boden Keeklenburgi«.
3
llteren Fonnationen da, wo sie zu Tage treten, auch fast stets noch
T<m einer geringen Quartärbedeckung (Abraum) tiberzogen sind.
Die Bodenarten (Gesteine) des Quiirtärs, welche an der
Znsaniniensetzung des mecklenburgischen Bodens tliexiuehmeu, sind die
folgenden :
GeBchiebemergel und -Lehm, Thon, Eies, Sande,
Torf, Moor, Diatomeenerde, Hnmnserde, Wiesenkalk,
Raseneisenstein, Kalktnff.
Die Bildung und Ablagerung dieser Gesteine im einzelnen brauche
ich hier nicht besonders auseinanderzusetzen; es genügt getj^eiiwärtig
der Hinweis auf die nunmehr allgemein acceptirte Glaciaitheone.
Der Geschiebemergel ist nach dieser Theone das Ablagerungs-
prodnct der Gnmdmorine m skandinavisch-norddentscfaen InUndglet-
sehers. Brist ein blaugraues oder gelbbraunes, thonig>kalkiges, mehr
oder weniger sandreiches Gestein von /äher, im feuchten Znstand ziem-
lich plastischer, im trockenen harter und bröckeliger Beschaffenheit, in
dem völlig regellos Sand, Grand, Gerolle und Geschiebe eingelagert
sind, ohne jegliche innere Schichtung. Von derselben physikalischen
Besdbsffenheit wie die Chrnndmorftne jedes heutigen Gletschers giebt
sieh der Geschiebemergel als das festgepackte Zerreibongsproduct des
nordischen und einheimischen Felsunteigrundes zn erkennen.
Dort wo der Geschiebemergel einigermassen mächtig ist, liefert
er eine der tjesten Bodenarten, für Weizenfelder, Rübenbau, Buchen-
wald geeignet. Als , schwerer* Boden bedarf er vielfach ausgedehnter
Drainage. Oft ist er so widerskandsf&hig, dass er bei grösseren Erd-
arbeiten, wie Eisenbahnbanten n. dei^l. mit Pulver gesprengt werden
muss («. B. bei Möllenhagen* 1884). Seine Mächtigkeit ist sehr ver-
schieden , von 1 dem bis zu 20 , 30 oder mehr Metern. Abgesehen
von seinen grösseren Blöcken, Geschieben und Gcrölleu ist er in seiner
Hauptmasse verschiedener Beschafienbeit, niimhch bald mehr thonig
oder lehmig und fett, bald mehr sandhaltig und ma^er, schliesslich
ganz in den unten erw&hnten Geschiebesand und -Kies libergehend;
stets ist er im frischen Zustand durdi seinen Kalkgehalt ausgezeichnet,
welcher bedingt ist durch fein zerriebenes Kalkmelil und grössere
Kalksteinstücke. An der übertiäche unterliegt er drei Arten von
Umwandlung: während er in der Tiefe von blaugrauer Farbe ist,
entsprechend den in ihm enthaltenen Eisenoxydulsilicaten, erhält <nr in
der Mühe der Oberiäche (oft in sehr wedisehaden Tiefen) die lehm-
gelbe Farbe durch hOhere Oxydation seines Eisens. Eine weitere
chemische Veränderung tritt dadurch ein, dass sein Gehalt an kohlen-
saurem Kalk durch da.s einsickernde Tagewasser mehr und mehr ent-
fernt wird und er dadurch aus Mergel in Lehm ubergeht. Der Kalk
wird meist in tiefere Lagen gefüiirt und hier häutig in unregelmässig
der Oberfläche folgenden Schichten oder Schmitzen all weisser Beschlag
Ton Bergmilch abgesetzt. Diesem Process zufolge wird aus einem
Mergelboden allmiihlich ein Lehmboden, der nun durch künstliches
Auftragen von frischem Geschieberaergel oder Kalk meliorisirt werden
mu.Ms; daher auf allen Feldern die zahlreichen Mergelgruben, , Mergel-
kahlen*, an deren Abstichen man obigen Process zur Genüge oft
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beobachten kann. Die dritte Art der l unvandlunL^ ist eine mechanische,
indem hier das Sickerwasser die tenien Staub- und Thontbeile all-
mählich weglüUrt und aus dem fetten Mergel ein immer magerere»,
bis sniletzt sandiges OeBfcem herausbildet Dies findet besonders rasch
da statt, wo der Oeschiebemer^l weniger micfatig ist nnd einen san»
digen Untergrund hat
Die Blöcke oder Geschiebe, welche in wechselnder Menpje,
meist in sehr lietriichtlicher Masse, in dem (ieschiebemergel eingebettet
lagern, smd von ganz besonderem Werth in einem Laude, welches
festes, SU Banzwecken geeignetee anstehendes Gesteinsmateinal nicht
besitzt. Allerwärts werden daJher diese Blöcke, die sogenannten «Felsen*,
gesanunelt und za Strassen-, Eisenbahn- nnd H&nserbauten verwerthet.
Da wo der Geschiebemergel vom Wasser anspjewaschen wird , wie an
der Seeküste, wird das feinere Material weggeführt, und die grossen
Blöcke bleiben an Ort imd Steile liegen. Da nun die Küste immer
weiter landeinwärts rflckt, erklSrt si<£ das Vorkommen dieser , erra-
tischen Blöcke* in dem Strandgebiet nnd am Grunde der See sehr
einfiush. Genau ebenso sind die auf dem Lande oft in ungeheuren
Massen heramliegenden Blöcke liefen gebliebene Reste des Gescliiebe-
mergels, dessen feinere Theile vom Wasser fortgespült sind. Alle
unsere erratischen Blöcke, gross und klein, sind also nicht als solche
isolirt auf dem Eise aus dem Norden zu uns gekommen , sondern als
Bestandtiieile der Grundmorine und erst aus dieser herausgewaschen.
Die meisten Blöcke des Geschiebemergels erweisen sich als deutliche
, Geschiebe", indem sie auf einer oder mehreren Seiten mehr oder
weniger glatt geschlifPene Flächen zeigen , auf denen wieder scharf
ausgeprägte Schrammen, flache oder tiefe, schmale oder breite Furchen,
in paralleler oder sich kreuzender Richtung lautend, eingekratzt sind.
Nach der Natur der Geschiebe lassen sich zwei Gruppen derselben
unterscheiden. Die eine, welche die bei weitem grOsste Menge ge-
liefert hat, ist als die der nordischen Geschiebe zu bezeichnen. Es
sind Granite, Fel.sitporphyre, Syenite, Syenit}»orj)hyre. Diabase, Diorite,
Gabbros, Porphyrite, Melaphyre und Basalte; ferner (Ineisse, HäUe-
flinta, Glimmer-, Hornblende-, Augit-, Chloritochieier , Quarzite, kry-
staUinische Kalksteine, Phyllite, Thonscluefer; von den Vezsteinerungen
fahrenden Schichten Vertreter des Silur (und Devon?), nllmlidh Sand-
steine, Thonschiefer, Kalksteine (letztere zum Theil local so massenhaft,
dass Kalkbreunereibetrieb darauf lohnte), der Trias (Sandstein und Kohle
vom sudlichen Schweden), des Jura (versteinerungsreiche Sandsteine),
der Kreideformation mit Feuerstein, Kreide und anderen verschiedenen
Kalksteinen, endlich des Tertiär. Von fast allen diesen Geschieben,
soweit sie einigermassen charakteristisch sind, konnte ihre Heimath
nachgewiesen werden 0: meisten sind skandinavischen Ursprungs
und zwar aus einem mehr oder weniger eii«.^ umgrenzten Bezirk des
südlichen und mittleren Schwedens, während sowohl westlichere als
') S. Beitr. z. Geol, Meckl. III.— V. und N. Acta d. Leup.-Carol. Acad.
45. 2, 1882.
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5]
Der Boden Mecklenburgs.
5
östlichere Gegenden (Norwegen resp. Finnland) keine oder nur liöchst
untergeordnete Vertreter geliefert haben. Der Transport dieser niecklen-
burgischen Diluvialgeschiebe durch das Eis erfolgte somit m nordnordost-
sfldgQdwestlicher Richtung. Der andere Theil der nordiMfaeii Oeidhiebe
sfeBHunt ans dem Östlichen und sfldlichen BSnemark, sowie dem swischen
diesem und der deutet hen Küste gelegenen Balticmn ; es ist dies neboi
dem Saltliolinkalk und Kreidekalk von Faxe vor allem die weisse
Schreibkreido und der Feuerstein, welche beide in enormer Masse iin
norddeutschen Diliiviinn liegen.
Neben diesem nordischen Material, das als skandinavi8ch*»8
und baltisches getrennt werden kann, treten nun noch einheimische
Geschiebe auf. d. h. soldie, die vom Gletscher dem mecklen-
burgischen Boden entnommen sind. Dieselben sind stets auf die
Nachbarschaft der betreffenden Flöt/formation localisirt und bilden hier
zuweilen dif Varietät des Ge-sciiiebemorgels. die man ah . Krosssteins-
gruri' bezeichnet. Dazu gehören Muschelkalkgerölle, Juragerölle zum
Theil, Kreide und Feuerstein, Pläner, Septarien, die sogenannten
Stemberger Kuchen, Terkieselte HOlzer zum TheiL Nirgends ist auch
hier ein Geschiebe aus südlicher oder Ost- und westlicher Richtung
darunter. Eine einzige Ausnahme, die Bernsteinstiicke, welche zuweilen
im Geschiebemergel gefunden werden, reducirt sich dahin, dass diese
Stücke leicht durch Wasser verschwemmt werden konnten und dann
in die Grundmoräne eingebracht sind.
Wo sich organische Reste, insbesondere Knochen von höheren
Thiereu, im GescUebemergel finden, sind dieselben ebenfalls Fremd-
linge für denselben, meist ans zerstörten sedimentüren Diluvialablage-
mngen stanunend.
Der GeschiebenuTgel zeigt im normalen Falle nirgends Schichtung.
Dagegen ist er häufig nahezu hurizontal in dünnen Bänken abge-
sondert, was auf den gewaltigen Druck zurückzuführen ist, unter
dem die Grundmoräne des riesigen Gletschers stand. Diesem Druck
ist auch die grosse Menge von Schichten Störungen des Unter-
grundes zuzuschreiben, welche in allen Verhältnissen ungemein häufig
sind. Von den geringen wellenförmigen Anfbiegungen der unterlagern-
den Schichten zu schleifeaförmi^en Verbiegungen und Stauchungen
und zu grossartigen mächtigen Emquetschungen des Moranenmateriales
in den Untergrund lassen sich Tausende von Beispielen anführen. Oft
ragt auch der Geschiebemergel buchtenartig in Form von Biesentöpfen
in den Untergrund hinein.
Schliesslich sei noch erwähnt, dass auch dünne <»der dickere
Lagen, Schmitzen und Nester von geschichtetem Sand oder Kies öfters
miäen im ungeschichteten Geschiebemergel angetroffen werden. Die-
selben sind local durch Schmelzwasser angeschlämmte Theile der
Grundmoräne.
Nächst dem Geschiebemergel sind es zwei andere Arten von Ge-
steinen, die das mecklenburgische Diluvium im wesentlichen zusammen-
setzen, nämlich die geschichteten Thune und Sande. Für sie ist der
Geschiebemergel gewissermassen das Muttergestein, sie sind die natllr-
Uchen Schlämmproduete desselben. Demgenuiss bestehen sie aus g^ian
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[6
(IfMiisolhen Material wie die>er, auch hier wieder vorwiegend nordischem,
zurUcktreteud eiiiheimiächem.
Die groben Schlftmmprodncte sind die Sande, Orande, GeröUe
und Kiese.
Der gemeine Dilnvialsand, wegen seines Gehaltes an Feld-
spathkörnchon auch als S{)athsand bezeichnet, besteht hauptsächlich aus
Körnchen von Quarz, Feldspath und zum Theil Gümmer, Augit, Horn-
blende, Magneteiäen, und ist in seiner ursprünglichen Beschaifeuheit stets
durch seinen gewöhnlich 2 — 3 ^jo oder auch mehr betragenden Ealkgehalt
ausgezeichnet. Der Chrand und die GerOlle unterscheiden sich von dem
Sand durch das grössere Korn ihrer Gemenge, der Kies ist durch ungleich-
massig wecliselnde Korngrösse charakterisirt. Audi diese grobkörnigen
Sedimente führen Kalk, zuweilen sind sie „unrein", d. h. mit Lehm
oder Thon vermengt. Die iJiluviaisaniie liefern in ihrer ursj»riiii«fliL'hen
Beschailenheit einen zwar „leichten", aber doch noch leidlich irucht-
baren Boden wegen ihres Gehaltes an allen für die Pflanzen brauch-
baren Mineralnährstoffen. Das Sickerwasser laugt aber dieselben leicht
aus und wandelt diese Bodenarten in unfruchtbare um. Der Kalkgehalt
wird leicht aus den oberen Partien durch das Wasser weg£,n'führt und
an anderen Stellen wieder abgesetzt; daher die vielen Kalkcoiuretionen,
Incrustationen, Cunglomeratbildungen oder Ausblühun^en von Bergmilch
in tieferen Schichten von Sandlagem. Dasselbe wird auch oft Ton
Eisen geliefert.
Sand, Grand, Gerölle und Kies zeigen durch ihre Lagerungs-
verhältnisse deutlich ihren Absatz aus Wasser an. Feine Schichtung,
Wechsellagerung aller möglichen Varietäten der Sande, discordante
Parallelstructur , Steinpflaster u. a. m. beobachtet man in schönster
Form und mannigfachster Ausbildung an allen fHsch ansgegraben«!
Au&chlflssen.
In den Sauden finden sicli zuweilen Knochenreste diluvialer
Thiere, Conchvlicn sind bisher no( h nicht nachgewiesen worden. Dünne
Zwischenschichten von Sand , die durch PÜanzenreste schwarz gefärbt
sind, trifft man zuweilen in grösseren Sandablagerungen. Von häu-
figeren einheimischen Geröllen sind zu nennen Braunkohlenstficke, ver-
kieselte Hölzer , Conchylien des Stemberger Oligocän und Holsteiner
lÜocSn, während reichlich angehäufte Bryozoen der Kreide in dem
sogenannt«'!! Korallcnsand zu den nordischen Fremdlingen gehören.
Ein sehr feinkörniger und oft stark thoniger, gelblicher McrL'el-
sand, „Schlutf", kommt häufig als Zwischenschicht in Sandal)lageruiigen
vor oder ist der Begleiter von Thonschichten. Als »Wellsand" oder
»Triebsand* wird oft ein sehr feiner, thonarmer Sand bezeichnet, der
in gewissen Tiefen häufig Wasser fCÜirt.
Die Sande sind je nach ihrer Beschaffenheit zu verschiedenen
Zwecken verwerthbar; aus den groben Gerölllagern gewinnt man Bau-
und Strassensteine, Kies und Grand wird zu Dammschüttungen gesucht,
der scharfe Grand als Mauersand, der feine Sand als Zusatz für den
Ziegeleibetrieb.
Der diluyiale Thon (zum Theil aSehindel'' genannt) tritt nicht
80 häufig bis ganz zu Tage, wird aber in zaUloeen Gruben für die
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Der Boden Heekleiibaivs.
7
Ziegeleien, Cementfabriken and Thonwaareuanlageii abgebaut. Er
bildet kleine Zwischenschichten in SaiKlnblagerungen oder mächtige
reine Lager von 30 m und mehr Mächtigkeit. Meist ist er frei oder
ganz arm an grösseren Steinen, stets etwas kalkhaltig und von sehr
verschiedener Beimengung au Sand, wodurch Uebergänge von dem
8dilti&and durch Bändeiihon zu fettem zfthem Thon entmien. Seine
Farbe ist blaugran oder rothbraun und gelblich. Oft enthält er mergelige
Concretionen von derselben Gestalt wie die LOsapnppen, ferner ro£-
braune Lettenzwischenschichten.
Conchvlien konnten Uisher noch m keinem Thonhiifer auftjetunden
werden, eine Thatsache, die um so mehr besondere Beachtung verdieat,
ab in den Nachbarprovinsen solche Fände mehrfach gemwmt worden
sind. Dagegen erwies sich das ausgedehnte Thonlager Ton Wendisch
Wehnii^en an der Elbe als eine diatomeenreiche Ablagerung, in der
auch eine schwarz gefärbte Schicht von reiner, thonfreier Diatomeen-
erde eingeschaltet ist^); der Hauptbestand derselben ist nach Cleve
die Süsswasserform MeLosira lyrata neben dem spärlichen marinen Cos-
einodiseut sublUis.
Bas ZnsammenTorkommen dieser Dilnvialaldagerungai ist ein
ungemein wechselvolles, und dadurch wird der rasche Wechsel der
Landschaft und der Bodenarten bedingt. Ganz kurz sei noch über die
Gliederung des Diluviums einiges raitgetheilt. Auch in Mecklen-
burg kann man das Diluvium in zwei Abtheilungen gliedern, dem
Ober- und Unterdiluvium der Mark entsprechend, welche zur Hervor-
hebung ihrer stratigraphischen Ungleichartigkeit auch gut als Deck*
und HauptdiluYinm bezeichnet werden kOnnen.
Die bei weitem mächtigsten und mannigfaltigsten Ablagerungen
gehören dem H a u p t d i 1 u v i u ra an. Hier finden sich die genannten
drei Gruppen von Gesteinen in allen möglichen Varietäten in mannig-
fachster Wechsellagerung und Vertretung, ohne dass mau berechtigt
wäre, noch weitere Gliederungen fthnUch wie bei den Etagen der
Flötzformationen Torzunehmen. Jeder grössere Aufschluss durch Gruben,
Bahnbauten u. dergl., Bohrprofile und audb die Oberfläche der Felder
führen uns di^s Verhältniss immer von neuem vor. Lassen sich auch
ftir manchr Ablageningen, wie z. B. für manche Geschiebemergel-
partien, Thoulager oder Sande, ziemlich weite Strecken gleichbleibender
Ausdehnung und Ausbildung nachweisen, so genfigen sie doch nidit
Sur Berechtigung von Horizontunterscheidungen. Und hftujGg ^enug ist
man überrascht durch das plötzliche Wechseln und gegenseitige Ab-
schneiden der einzelnen Ablagerungen. Zu diesem Phänomen gehört
auch die Thatsache, dass auf den Feldern die Bodenarten oft rasch
iverschiessen", d. h. in ihrer petrographischen Beschaffenheit plötzlich
we«sbseln, so daas s. B. in einem sdiweren Me^elbod^ dnzdne
grossere (oder auch so kleine, dass sie kartographisä nicht mehr dar-
stellbar sind) Flecken von reinem Sand auftreten; ein zufällig hier
entblösstes Profil (Drainage, S'trasseneinschnitt oder der<^^l.) zeigt dann
mitten im Geschiebemergel eine von unten heraufgequetschte oder ganz
0 Beitr. z. Geol. Meckl. I. S. 40.
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8
Geinits,
[8
isolirt ^elepene Sandschmitze oder Sanduest. Es wäre ein Leichtes,
noch zahlreiche weitere Beispiele der Art aufzuführen.
Einige Beobachtungen an Bohrprofilen ergaben eine mehrfiiehe
Wechsellagerung Ton Geflchiebemergel und Mdimentären Diluvial»
bildnngen : doch können sie meiner Ansicht nach wegen der üngleich-
miesigkeit in den Lagernngsverhiiltnissen der Nachbarschaft nicht als
Beweise für die von A. Penck auch für Deutschland anffenomniene
Theorie der dreifachen Vergletscherun^- mit entsprechenden Inter-
gladalieiten gelten. Zwei dieser wichtigsten ProiBüle seien hier mii-
getheilt :
Bohrloch in Probst Jesar bei Lübtheen:
0 — 1,40 m Auftrag und Fluniusbodenf
— 2,10 . gelber Haidesand,
— 19,0tJ , oberer Sand und Kies,
—24,65 „ grauer Geschiebemergel mit Saudeinlagerung,
— ^25,45 , grauer feiner Sand,
— 34,50 „ grauer geschichteter Thon,
—42,00 , Sand und Kies,
— 53,90 , grauer sandiger Geschiebemergel,
— 62,30 , gro])er Kies.
— 64,80 , grauer saudiger Geschiebemergel,
—97,90 , Sande, Thone und Brsimkoble des Tertiir.
Bohrloch bei Trebs in der Nähe von Lübtheen:
0— 16,1 m gelber Haidesand,
— 22,4 , Saud und Kies,
— 31,2 , grauer Geschiebemergel zum Theil mit Kies,
— 36,3 , Kies und Sand,
— 49,0 , eingequetschter Tertiftrsand,
— S0,7 « Dilnvialkies,
— 53,8 „ graner sandÜger Geschiebemergel, ^
— 75,1 , Kiof.
— 82,3 , grauer sandiger Geschiebemergel.
— 133,1 „ grober Kies, wechsellagernd mit sandigem Ge-
schiebemergel.
Das letztere Bohrloch ergab llberdies die enorme Mächtigkeit
des Dilnvilinis von 133 m fd. i. 115 m unter dem jetzigen Ostsee-
spiegel) : es ist da.s die nilclist dem Spandauer Bohrloch bekannte grdsste
Mächtigkeit des deutsclien Diluviums.
Das Deckdiluvium tritt zwar gegenüber der mäciitigen und
mannigiuliigen Entwickelune des Hauptdiluviums stark zurück, ist
aber geologisch wesen seiner nSoBgen discordanten Ueberlagernng meist
gat zu unterscheiden und in agronomischer Beziehung deshalb von
besonderer Bedeutung, weil es den fast allgemeiiieu Ueberzug des Haupt-
diluviums bildet und durch seine Eutwickelung oben die Bodenbeschaffen-
heit wesentlich htMÜnf^t oder wenigstens lieeintlusst.
Das Deckdiiuviuui ist als der Absatz des Kückzugsgletschers und
seiner ScbnelzwSsser zn bezetebnen; es besteht im wesentlichen ans
0 Ftötsformat. Meckl. 6. 114.
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Der Boden Hedcleobafgs.
9
Geschiebemergel oder Sauden. Hiiiifip sind seine Ablagerungen durch
einen Ueichthum an Geschieben ausgezeichnet, doch ist dies kein Cha-
rakteristicuni desselben, da die Geschiebe in grosser Masse auch ebenso
dam Hanptdiliifiiim angehören. Eine Veraduedenlieit in der Natur
der Geschiebe ist nicht zu eoustatiren, ebenso wenig eine grossere
Häufigkeit Ton geschrammten Geschieben g^^nüber denen im Haupt-
dilurium.
I)er ,obere'' G e s c h i f h p m e r g o 1 ist tlieils wegen seiner den
Tagewässern exponirteu Lage, tlieils auch schon von Anfang an (wegen
des reichlichen Schmelzwassers in der Grundmoräne des Rückzugs-
gletschers) meist nicht so fett wie der untere, sondern sandiger ; auch
ist er gegenwärtig meist von lehmgelber Farbe und in seinen oberen
Partien sehr liäiifig zu Lehm ausgelaugt. In diesen Eigenschaften
liefert er (»iiieii sehr guten BodtMi. der, wenn er auch den , unteren*
Mergel nodi als Untergrund hat oder in bedeutender Mächtigkeit (die
bis 3, sogar zu 10 m ansteigen kann) vorhanden ist, als schwerer Boden
bezeichnet werden muss; wenn er in geringerer Mächtigkeit oder als
Bedeckung von Sand auftritt, diesem an sich weniger werthvollen
Untergrund erhöhte Bonität verleiht. Dadurch, dass er nicht in gleicher
Dicke ausgebreitet ist. sondern oft rasch in allen Grenzen schwankt,
kommt das ,Versi hi« ssen" des Bcidens mit zu Stande.
An anderen Stellen ist die Ablagerung dieser Grundmoräne keui
Hergel, sondern dadurch, dass von Anfang an oder auch zum Theil
duroi spätere WegfOhrung die feinsten Theile diesem Absatz fehlen,
der sogenannte Decksand, Geschiebesand, Deckkies abge-
lagert. E> ist dies ein mehr oder weniger lehmiger, ei.senbraim ge-
färbter Siind und Kies, in dem ordnungslos Gerolle und Geschiebe
eingestreut sind. Zuweilen sind letztere so massenhaft vertreten, dass
man von einem Steinlager zu reden hat, in dem nur vereinzelt zwischen
den einzelnen grossen Blocken der lehmige Sand steckt. In beiden
Formen ist der Decksand wegen seines Gehaltes YOn etwas Feinerde
immerhin nocli ein leidlicher Boden, der allerdings /n einem fast un-
fruchtbaren wird, wenn der Decksand nar wenig mächtig auf reinem
Sand lagert.
Sind durch späteres Wegwaschen der Feintheile von dem Deck-
diluTium nur noch die einzelnen grossen und kleinen Steine liegen ge-
blieben, so ist dies die ,Ste i nbestreuung", wie sie ungemein häutig
auf altdiluvialem Untergründe (Mergel oder Sand) in allen Gegenden
de'! T.nndes vorkommt; dazu gehOrt auch die Anhäufung Yon „erratischen
Blöcken«.
Das.s auch der leine llaidesaud zu dem Oberdiluvium gehört,
hat neuerdings Berendt gezeigt Diese Ablagerungen sollen weiter
nuten besprochen werden.
In dem oberen oder Decksand finden sich an vielen Stellen des
norddeutschen Diluviums und so auch in Mecklenburg die eigenthüm-
lichen, von B e r e n d i als D r e i k a n t e r od er V y r a m i d a I g e s c h i e b e
bezeichneten, besser wohl als »Kautengerülle" zu benennenden Gerölle,
an denen zwei oder mehrere Flächen gerade abgeschliffen sind und durch
ihr Zusammenstossen scharfe Kanten hervorrufen, wodurch eine mehr
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10
Qeiniti,
[10
oder weniger deutliche Pyriimidenfonn auf einer oder beiden Seiten
entsteht, die oft als Kunstproduct angesehen worden ist. Diese Drei-
kanter sind nicht allgemein im Deckdilnvinm verbreitet, sondern nur
auf die Nachbarschaft p^rösserer Hiiidestrecken odfT juugdiluvialer
Flussläufe beschränkt. Sie bilden häuiig eine Art von Steinpflaster
unter dem feinen Haidesand. Ihr angegebenes beschrftnktes Vorkommen
ist eine wohl zu beachtende Thatsache, die für die Erklärung ihrer
Bildungsweise wichtig ist. Sie sind dnrdi « ine besondere Art von
Wasserbewegung abgerieben worden . durch das Abschmelzwasser des
Rückzug.Hgletschers und nicht als Producte der vereinigten Wind- und
Sanderosiou, als »sandcuttings" aufzufassen, wie dies Gottsche ') (uud
früher Meyn) thut*).
Der Qeschiebemergel des Deckdiluvinms bedeckt die Haupt»
dihiTialscbichten biludg in discordanter Ueberlageruug und schneidet
dieselben oft ganz harf ab oder greift buchtenartifj und mannigfache
Schichtenstörungen verursacliend in dieselben ein. Zuweilen erscheint
er auch in seinen untersten , einige Centimeter dicken Partien auf-
geschlämmt zu Bänderthon, Kies oder Sand, eine Erscheinung des am
Grunde befindlichen Schmelzwassers der GrundmorSne.
Eine für die mecklenburgische Diluviallandschaft sehr charakte-
ristische Erscheinung sind die das Land in nordwest-südöstlicher Rich-
tung parallel durchziehenden Geschiebestreifen, auch Geröllstreifen
genannt. Es sind dies nicht wallartige Gesteinsniauorn, sondern durch-
schnittlich ',2 Meile breite (zum Theil auch bis 2 Meilen breite), nicht
vdUig geradhnig verUufende Höhenzflge, die sich oft in eine Reihe
verschieden hoher Hügel auflösen und durch ihre nnglaubliclie Menge
an Geschieben und Geröllen ausgezeichnet sind. Durch die weg-
waschende Arbeit der Tagewässer werden die grossen und kleinen
Steine von dem wenigen sie umge))enden Mergel oder Sand befreit
iwd gelangen so an die Oberfläche, hier auf llügelu wie in Thälern
in so grossen Massen herumliegend, dass sie oft der Feldbestellung
äusserst hinderlich werden, ja dieselbe an manchen Stellen ganz un-
mö^ich machen. Die Felder sehen in diesen Gegenden wie übersäet
ans mit den nnwirtliliclieu Steinen, und man kann keinen Schritt thun,
ohne an einige Steine zu stossen. Oft liegen die Steine auch noch
unter der mergeligen Ackerkrume und nur ein zuiuiliges Tiefpflügen
offenbart hier zuweilen den ungeahnten, fttr Wegebauten trefflich tw-
werthbaren Steinreichthum. Man sucht die Steine von den Feldern zu
beseitigen, indem man sie zu Manem an Wegen und Gdböften anhäuft,
sie in Gräben und Teiche versenkt oder sie zu grossen Haufen zu-
sammentr;l<i;t, die oft wie Hünengräber aussehen; ferner sind die Hänser
dieser Gegenden zum Theil aus den Feldsteinen gebaut. In Mecklen-
burg laufen vier solcher Streifen durch das . Land : der erste , im
Klfitzer Ort beginnend, zieht sich zum Nordzipfel des Schweriner Sees
iSedimentargescliiebe d. Prov. Öchleswig-iiolstein. 1883. S. Ö.
Vergl. hierüber eine weitere demniclutige Nolls das Yerfeners in der
Zeitechr. der deotscli. geol. Gesellsch.
*) Vergl. auch £. Boll: Zeitachr. d. deutsch, geol. Gesellsch. 1851. Taf. 19.
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Der Boden MeeklenbofgB.
11
über Sternberg, Alt-Schwerin durch den Müritzsee ühtT Fürstenberg
bis Oderbers; hin (hier den Stein wall von Liepe bildend). Der zweite
Streifen verläuft von Buckow über Steinliagen, Satow, Warnow, Zehna,
Sieinbeck, Roth»palk zur Südspitze des Moichiner Sees, über Vieliat
nOrdlieh Ton Waren, Mdllenhagen bei Penzlin nach Feldberg. Ein
nahe dabei gelegener dritter Vm^i l eginnt auf den Diedrichahiger
Bergen bei Doberan und zieht sich über die Gegend von Schwaan und
Teterow zum Malcliiner See. Der letzte verläuft an der poimnerschen
Grenze aus der Gegend von Ribnitz über Sülz nach Deniniiu und weiter.
Da» Material, au^ dem die Gescbiebestreifeu bestehen, ist
hanptsSchlich der Geechiebemergel reap. Qeechiebekies und Steinpackung,
zum Theil nehmen auch Sande nnd Kiese an ihrer Znaammenaetziing
Theil. Sie sind nicht blos aus dem oberen Diluvium xnsamm engesetzt,
sondern das Hauptdilnvium betheiligt sich ebenfalls wesentlich mit an
ihrem Aufbau ; oft bestehen gerade die höchsten Hügel solcher Reihen
au» mäcbtigea Aufschüttungen von Sauden. Nie sind es mauerartige
WftUe, sondern nur durch gewaltige Steinanh&ufuug ausgezeichnete
Horftnenablagerungen. In der Oegoid der Qesohiebeatreifen ist die
»Moranenlandschaft'' mit ihren Seen, Kesseln und Söllen stets ausge-
zeichnet entwickelt.
Zum Theil werden diese Hügelzü^e der Geschiebestreifen i>euk-
recht durchbrochen von Flussthäleru oder Seen, die Streifen betheiligen
sieh an der Zusammensetzung des mralisch-baltischen Höhenzuges.
Hinter den einzelnen Streifen liegen ebenfalls häufig grössere oder
kleinere Seen (z. B. der Krackower, Flauer See u. a.). Häufig ist
auch die Gegend, welche hinter, d. Ii. südwestlich von einem Geschiebe-
streifen liegt, dadurch ausgezeichnet, dass hier vom Hügelzuge her die
Steine immer kleiner und spärlicher werden, bis sie schliesslich ganz
Terschwinden und der Haide Platz machen. Sehr schön lässt sich dies
s. B. beobachten auf dem Wege von Yoürathsruhe am Sfidende des
Malchiner Sees Über Cramon znr Nossentiner Haide. „
Zur Erklärung der Bildung dieser eigenartigen, Asar-ähnlichen
Geschiebestreifen hat man drei Möglichkeiten. Bereu dt hebt hervor,
da.'>..s der Druck der zurückweichenden Eisdecke in dem eben ver-
la^seuen Terrain eine dem Rande des Gletschers parallele Erhebung,
ein Emporpressen des noch plastischen durchfeuchteten Bodens Ter-
unaehen konnte. Auch als Anhäufiingsmassen von Endmoränen des
Blldcsugsgletschers kann man die Geschiebestreifen deutm. Nach
meinen weiteren Untersuchungen scheint es mir aber nicht ausreichend
und zum Theil nicht nöthig. die.se Erklärungsweisen in Anspruch zu
nehmen. Vielmehr sind hiernach die Geschiebestreifen anzusehen als
der Moränenschutt, der, sich an den das Land zu versehiedener Höhe
in Nordwest-Sfidost-Richtung durchquerenden Bodenwellen des Flötz-
gebirgsuntergrundes stauend, hier auf- und angelagert worden ist. In
der That fallen die Aiiliäiifiingen des erratischen Materiales, die Ge-
schiebestreifen, zu>amuien mit dem Auftreten der Flötzformatiouen.
Auch die al.s „Kames" oder ,Eskers* bezeichneten isülirteu
Geröllhagel finden sich in Mecklenburg, z. .B. bei Gnoyen, wie an
anderer Stelle ausflOhrlicher gezeigt werden solL
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12
Oeinitc,
[12
Der topooraphische Charakter der mecklenburgischen Landschaft
wird denniHch durch die beiden Factoren bedingt: Kern oder Unter-
grund durch das Flötzgebirge, Oberfläi heuforraen durch die Glacial-
fh&tigkeit und Erosion des Qnartörs.
2* FlStrformatloneii.
Im Anschhiss an das sim Immi Flrörterte seien hier die Vorkomm-
nisse der vordilnvialeii. als Flötzformutiunen bezeichneten Ablaf?erun<^ft'n
erwähnt, soweit dieselben als nutzbare Mineralien für die Kenniniss
des mecUenburgischen Bodens von Wichtigkeit sind.
Man trifft in Mecklenburg sieben hanptsScbliche parallele Er-
hebungen des Flötzgebirgsuntergrundes, welche alle der hercynischen
G eb i r pi^ri c h f u 11 g folgend, in Südost-Nord wf.st-Riclitung das Land
durch(|ueren und an resp. auf welche sich die geächiebereichen Glacial-
maasen besonders reichlich abgelagert haben.
Die älteren Formationen, die aus dem Untergrund von Mecklen-
burg anstehend bekannt sind, sind Dyas, Jnra, Kreide und Tertiftr.
A. Dyas.
Bei dem Flecken Lübtheen, 8 km südlich vom Bahnhof Pritzier
an der Berlin-Hamburger Bahn, liegt der seit langen Jahren in Abbau
befindliche Gypsberg als eine bis 20 m über den Meeresspiegel sich
erhebende, von Diluvial- und Haidesand bedeckte Kuppe. Im Jahre
182') fand man den Gypi^ unter dem Sande auf und errichtete später
einen sich immer mehr entwickelnden Abbau auf den Gyps, der als treu-
liches Material zu Düngezwecken und zu Fusssböden sehr gesucht wird.
Wegen des stockfSrniigen Auftretens findet der Abbau in der Art
statt, dass man in den H< i u; von oben herab einen Steinbruch angel^
hat. der den rundlichen Theil des Gypses al liutzmauer stehen lässt
und ailjälirtich weiter nach der Tiefe geht. Der starke Wasserzuflnss
(ca. cbm j»ro Minute) erfordert die dauernde 'i'hiitigkeit eines Pump-
werkes, nach dessen Einstellen sich bald der Bau mit Wasser füllt
und somit in den Zeiten, zu denen nicht gebrodien wird, ein tiefer
Teich die Stelle des Gypsbruches einnimmt.
Der Oyps hat eine heU- bis dunkelgraue Farbe, nnregelmassig
dunkel durciiadert, und ist von mittlerem Korn, meist derb, doch auch
dünn geschiefert. Nach unten geht er in Anhydrit über. An den
Seiten gewahrt man, dass d«*r Gyps von dunkelgrauem Dolomit bedeckt
ist, und diesem ist häufig tertiärer Septarienthon aufgelagert. Auch die
in der Nachbarschaft angefahrten Bohrungen ergaben vielfach dieselbe
üeberlagerung. An dem Gypsstock und seiner Bedeckung ist das
Diluvium als Sand und zum Theil auch als Geschiebemergel an- und
aufgelagert.
Das Vorkommen von Salzquellen in dem Gypsbruch und in der
weiteren Umgebung liess schon längst auf das Vorhandensein von
Steinsalz unter dem Oyps schhessen. In der That ist auch durch
die neueren Tiefbohrungen in jener Gegend das Dasein eines mächtigen
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Der Boden Mecklenbnfgs.
13
Sieinsalzlagers unter dem Gyps nachgewiesen. Ein Bohrloch am Rande
des 0 vp:>bnirhp.s erg'ab in -VIl m Tiefe Steinsalz, welclies hei 477 m noch
nicht durchftuukeu war. Das hierbei gefuudeue Proüi ist folgendes:
0— 22,33 m Sand,
22,33—135,00 , grauer und weisser Gyps, oben zerklüftet,
135,00—288,36 » bl&nlicher, grauer und weuser Gyps und
Anhydrit,
288,36 — 327,40 „ grauer Mergel mit rothen und weissen Salz-
körnern in dunklen Thonlagen,
327.40-477,08 ^ Steinsalz.
Auch Abraumsalze sind aufgefunden worden, ohne jedoch bis
jefert zu einer teehniBchen Yerwertfaung gelangt zn sein.
Durch das Vorhandensein von Salzquellen und den im Gjps-
gebirge so häufigen Erdfällen (Pingen) ist die Ausdehnung des Lüb-
theener Gyps- resp. Salzlagers mit ziemlicher Sicherheit auf eine Strecke
von 42 km nachgewiesen ; dabei hat sich herausgestellt, dass das Dyas-
lager von Lübtheen, der , Lübtheener Gebirgszug^, in Ostsüdost- VVest-
Dordwesi-Richtaiiff streieht
Zu diesem Gebirgszug gehört auch die jetzt unverwerthete, ziem-
lich starke Soolquelle von Sülze bei Conow, 17 km südöstlich
von Lübtheen gelegen. In der Zeit zwischen 1307 und 1320 wurde
dort eine Saline eingerichtet; später verfallen, wurde sie in der Mitte
des 17. Jahrhunderts (1052) wieder aufgenommen, jedoch nur mangel-
haft Terwaltet und endlich im Jahre 1746 gelegt.
Neben diesem Dyaszug finden sich noch vier, gteichfialls in der
hercynischen Richtung streichende, die tlieils durch Salzquellen, theik
durch Erdialle sich kenntlich machen. Ks sind dies die folgenden:
1. Sülsdorf — Suiten südlich Schwerin — Sülsdorf bei Schönberg
( — Segeberg in Holstein).
2. Sülten bei Brüel — Silz bei Nossentin.
3* Neuenkirchen — Bfltzow — Schüeffimberg — ^Franzensberg — Sfilten
bei Stavenhagen.
4. Ribnitz — Sülz — Golchen— Wittenbom.
Bei Sülten zwischen Brüel und Sternberg war schon im Jahre
1222 ein Salinenbetrieb ^): ebenso war bei Neuenkirchen unweit
Schwaau wahrscheinlich früher eine Salzsiederei; im 16. Jahrhundert
aoU bei Bibnitz und 1170 in Selz bei Golchen eine Saline in Betrieb
gewesen sein. Die gegenwärtig einzige noch in Betrieb befindliche
aline findet sich in dem an der pommerschen Grenze befindlichen
Städtchen Sülze. Die Quelle enthält ähnlich wie die von Sülz bei
Conow einen beträchtlichen Gehalt an Kahum und Magnesium. Die
älteste Urkimde^), welche von den Soolquellen bei Sülz spricht, ist
vom Jahre 1243, wo schon die Benutzung der Soolquellen von den
Toifahren erw&hnt wird. Seitdem war hier &st dauernd eine Salz-
•) V'ergl. die geschichtlichen Notizen von Lisch, Jahrb. d. Ver. f. meckl.
Qochichte. Schwerin 1846.
^) iS. Koch, Geschichte der Saline su SiUs. Lisch'a Jahrb. f. mecki. Gesch.
1846. t>. 'J7.
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14
Oeinitx^
[14
siederei im Betrieb. Seit 1822 ist daselbst eiu Soolbad errichtet,
welches hauptsächlich für scrophulöse Kinder benutzt wird. Im Jahre
1882'83 prnducirte das Salzwerk 1 514 100 kg, von denen 1 170 400 kg
Speiaesalz und 97 800 kg zu anderen Zwecken verwendetes !Salz im
Lande blieben, während das übrige nach Pommern Termndt wnrde.
Die Prodndaon des Jahres 1883/84 betrag 1 447 400 kg, das versteuerte
Salz (1 264 400 kg) lieferte einen Steuerertrag von 151 725 M. Auch
pine chemische Fabrik ward 1^28 daselbst gegründet zur Verarbeitung
der ziemlich beträchtlichen Mutterlauge u. a. m., mosste jedoch bald
wieder eingehen.
B. Jura.
Zwischen dem Dobbertiner und Goldberger See im mittleren
Mecklenburg^ wnrdf in einer Thonprube die Juraformation entdeckt,
ein blaiirrraiier fetter Thon mit einer grossen Menge von rundlichen,
brodfürmigen Kalkconcretionen, bedeckt von Diluvialmassen ; ausserdem
in starker Schichtenverdröckung ein bitumenreicher sandiger Posidonien-
schiefer. In leteterem finden sich charakteristische Yersteinernngen des
oberen Lias. Die Ealkooncretionen sind durch ihren Reichthum an
Versteinerungen (Fische, Ammoniten, Krebse, Tnsectwi, Fflansen) ans-
gezeichnet, welche dem obersten Lias angehrirfn.
Die Funde von In.secten in dem Juni von Dobbertin . welche
bisher einige 40 verschiedene Arten in wuhlerhaltenen zahlreichen
Exemplaren geliefert haben, sind in mannigfacher Besiehung von
hohem Interesse, auch schon deshalb, weil sie die einzigen derartig
reichen Funde in ganz Deutschland sind. £s sind neben einigen Käfern
▼orwiegend Nenropteren und Orthopteren, welche meist am Wasser zu
leben pflegen. Es war also hier zur Zeit des obersten Lias eine
Meeresbucht an einem Festland resp. Inselland; damit stimmt auch
der Fnnd von Landpflanzen flberein.
Technisch wird der Thon zn einem lebhaften Ziegeleibetrieb ver-
wer&et, der Schiefer hat noch keine Verwendung analog den warttem-
berger Oelsrhiefern icfefunden. Nur hat man seinen hohen Gehalt an
Bitumen (er ])reiint mit leuchtender Flamme an der Kerze an) zum
Schwärzen und Glanzbrennen der Dachsteine versuchsweise benutzt. —
Besonders im östlichen Mecklenburg finden sieh nnier denDilnvial-
gpschieben in sehr grosser Menge JnragerOlle mit sehr zahlreichen
Versteinerungen des mittleren Jura. Da in den nordöstlich hiervon
geleirencn Gegenden Pommerns der braune Jura ansteht, so ist die
Annalime berechtigt, dass diese mecklenburgischen Geschiebe und
GerüUe aus jenen Gegenden stammen. In der That zeigt eine Karte,
auf der die Yerbreitang dieser GeröUe eingetragen wird dass sie
sich hauptsächlich da finden, wo fiberhaupt Gesddebe reichlich ange-
häuft sind, nämlich im Gebiete der oben erwähnten Geschiebestreifen,
und dass sie nicht so wie die tertiären Sternberger Gesteine auf ein
beschränktes Gebiet localisirt sind. Man kann also nicht annehmen^
dass der braune Jura in Mecklenburg ansteht.
0 Flötiformat Heckl. TW. 8.
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15j Der Boden Mecklenburgs. * 15
C. Kreide.
Die KrtMilctormation tritt in Mecklenburg an sehr zahlrMichen
Stf'llen auf und liefert technisch verwerthbare Gesteine in dem Kreide-
kalk zu Bau- und Düngekalk, in den Thonen zu Thonwaaren- und
Cementfabriken, in dem Pläner zu vorzüglichem Bau- und Düngekalk
mid in den Phosphoriten günstiges Material fttr chemiseh-teehniBGhe
Yerwerthung. Der Plänersandstein ist zu nnrdn nnd durch den
Glacialdrurk zu stark zertrümmert, als dass er zu Mauersteinen Ver-
wendung finden könnte.
Folgende vier geologische Altersstufen konnten in den verschie-
denen mecklenburgischen Kreide Vorkommnissen durch Versteinerungen
oonslatirt werden:
1. Cenoman oder Unterer Pläner (z. 6. bei Gielow und Moltcow
am Malchiner See).
2. Mittlerer Pläner oder Unteres Turon (Plänerzug von Karenz
bei Lübtheen und von Brunshuupten bei Doberan).
8. Oberes Turon, Scaphites Geinitzi-Schichten. (,Die meisten
Vorkommnisse Ton Feuerstein fQhrender Schreibkreide, mit
untergeordneten Thonen.)
4. Oberes Senon vom Alter der Rügen*8Ghen Kreide (Feuerstein
führenrip Kreide im Klützer Ort).
Das mecklenhiirgische Kreidegebirge besteht aus fünf parallelen
Zügen, die in Südost-Kordwe.st-Streichrichtung durch das Land laufen:
1. Earenzer Pläner und Grünsand, zum Lübtheener Gebirgszug
gehörig.
2. Pläner- und Kreidezug von Silbeck in Holstein — Klützer Ort—
Nossentin — Poppentin — Gotthun am Müritzsee - Fürstenberg.
3. Planer- und Kalkzug von Cismar in Holstein— Neuhof bei Zehna
— Jabel — Moltzow.
, 4. Plänerzug von Heiligenhafen in Holstein — Brunshaupten und
Brodhagen bei Doberan — Teterow — ^Basedow, Gielow imd Len-
schentin bei Malchin — Nedemin.
5. Kreideztig von Warnemünde — Kösterbeck — Saroow — Glempe-
r\oyr — Salow— Wittenbom.
Der Pläner von Karenz und von Brunsiiaupteu enthält ziemlich
häufig Phosphoritknollen, welche für eine techniche Verwerthung (zu
Düngemateiialien) recht brauchbar wSren. Diese beiden Stellen sind
als die bis jetzt bekannten westlichsten Ausl&ufier der grossen mittel-
europäischen Phosphoritzone zu betrachten, die sich von Central-
mssland, Simbirsk , Woronesch, Desnaquellen nach der oberen Kreide
Schonens, Seelands und Jütland erstreckt
D. Tertiär.
Die Tertiärformation mit ihren nutzbaren Gesteinen: Braunkohle,
Tlum, Sand, Alaunerde ist in Mecklenburg besonders in der südlichen
^) S. FlöUlormat. Meckl. S. 59.
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16
Geinits,
[16
Hälfte ziemlich weit verbreitet. Ihr ^geologisches Alter ist wie du
im übrigen Norddeutschlnnd oligocän und miocän.
Am besten aufgeschlosseu sind die Tertiärvorkommnisse im süd-
westlichen Haidegebiet Mecklenburgs, wo der schon in alten
Zeiten mit einem besonderen Namen, »Wanzeberg*, beseichnete HOhen-
eomplex der Gegend von Malliss und Bockup in unmittelbarem Zu*
sammenhang mit der Ltibtheener Gegend stehend das Tertiär des
.Ltibtheener Gebirgszuges" bildet.
Von Malliss über Conow und sodann in nordwestlicher Richtung
wieder bis Lübtheen ist ein Lager von mitteloligocänem Septarien-
thon nachgewiesen, welches hier ein deutliches Nordwest-Slidost-
Streichen und ein Südwest-Einfällen hat. In ihm finden sich zahlreiche
charakteristische Conchylien, femer g^t ausgebildete Gypskrjstalle und
die grossen, oft 1 m im Durchmesser haltenden Kalkconcretiotien. die
„Septarien" oder ('ementsteine , die jetzt noch als werthios hei Seite
geschafft werden, sich aber zur Cenientfabrikation vorzüglich eignen.
Das Thonlager wird gegenwfirtig in einer gromartig betriebenen Thon-
grube, der «Neuen Msllisser Ziegelei", abgebaut und zu einer bedeu-
tenden Zie^elindustrie verwerthet. In dem Jahre vom 1. März 1883
bis i'O. September 1884 wurden daselbst 12 188 000 Stück 21 cm lange
Ziegel gebrannt und im Sommer durchschnittlich 17."), im Winter
95 Arbeiter beschäftigt. Der Transport der Steine wird durch den
bis ans Werk geffihrton Arm des Eldekanab wesentli^ erleichtert.
Das Braunkohlenlager von Malliss und Bockup gehOrt dem
südwestlichen Abfall desselben Höhenrückens an und lagert coni rm
mit derselben Streich- nn<l Fallrichtung auf dem Septarienthon. Es
gehört theils den von reinen glacialen Diluvialmassen bedeckten
Höhen an, theils aber auch der tiefer gelegenen jungdiluvialeu Haide,
welche das hier von schroffeu Absturzufern begrenzte alte Eidethal
einnimmt.
Die Lagerungsverhältnisse sind hier ziemlich r<'(;elmiissig, die
Schichten fallen sehr flach nach Südwest ein. Nach dem Fallenden
(bei Bockup) nimmt sowohl die .Mächtigkeit der Flötze (es sind deren
zwei) als auch der Zwischenraittel und des Hangenden zu. Das Lie-
gende und Hangende wird von Gliminersand und Thon gebildet,
schliesslich lagert auf den Massen noch ein harter, an miocSnen Gon-
chjlien flberaus reicher Sandstein, der bekannte „ Hock uper Sandstein*.
Zur näheren Orientirung sei ein Bohrprofil mitgetheilt:
0 — - 1 m Haidesantl.
1 — 2,8 „ GeschielM'HKrgel,
2,3 — 8,0 „ Dilii vialsand,
8,0 — 8,9 , Bockuper Sandstein,
8,9—16,7 , grauer Tertiärsand, wechselnd mit Thon und
Alaunerde,
16,7 — 18,6 , ol>ert's Brsinnkohlenflötz,
18,0 — 41,5 „ Glimmersand und Alauuerde,
41,5 — 40,5 , unreine" Kohle,
46,5—49,0 „ unteres Braunkohlenflötz , darunter Thon und
Sand.
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Der Boden MeeUenborgs.
17 ♦
Diü hier geförderte Braunkohle ist von dunkelbrauner erdiger
Beschaffenheit; sie zerfült an der Luft in kleineckige Sfcfieke. Neben
der Mulm- nnd ErdkoUe findet sich liftnfig BlKUerkoble mit sehr viel
Lignit, verkohltem Holz.
Eine Analyse der Braunkohle TOn Schulze (Arch. f. meckl.
Landesk. 1855. S. 669) er^ab:
58,85 Kohlenstoff,
5,04 Wasserstoff,
0,66 StiekstofP,
34,15 SaueTsbxflf,
1,30 Asche.
Hierbei ist der geringe Aschengehalt bemerkenswerth.
In dem Braunkohlenbergwerk zu Malliss wurden im Jahre 1883
14 860 000 kg Braunkohlen im Werth von 58 700 Mark gewonnen;
im Jahre 1882 12 550 000 kg (im Werth von 62 750 Mark); 1873
betrag die Plrodactioii nnr 5 761000 kg, im Jebr 1878 dagegen
19484 000 kg. Das Werk beech&fldgte im Jahr 1882 dnrchedbmttUch
d5 Arbeiter täglich.
Seit dem Jahre 1817 wurden bei Bockup (in der Nachbarschaft
von Malliss gelegen) Bohrversuche auf Braunkohlen angestellt, die auch
nach üeberwindung einiger äusserer Schwierigkeiten bald zur Anlage
eines Bergwerkes „Zeche Friedrich Franz^ führten, welches auf Kosten
der Grosäerzoglichen Kammer betrieben wnrde; da aber die Kohlen
zn wenig Absatz fanden, wurde das Werk 1888 aufgegeben, und erst
1851 übernahm eine Actiengesellschaft den Betrieb von neuem, wdehe
den Besitz 18G2 an eine Commanditgesellschaft tibertrug; diese ver-
kaufte es 1873 an die Mallisser Gewerkschaft, welche den Betrieb
bedeutend erweiterte. Der jetzige Betrieb schliesst sich an die alten
Bauten an und erfolgt durch einen Schacht und einen Stollen, der Art,
dass der Schacht das Oberflfttz erreicht nnd der Stollen Tom Eldekanal
her das ITnterfl6tK abbaut
Die , Alauner de' aus dem Hangenden der Kohle, die bei
Bockup am Absturz des Eldethales, bei Malliss in den Alaunbergen u. s. w.
zu Tage ausgeht, lieferte im 16. Jahrhundert das Material zu einer
Alaunsiederei bei Malliss, welche aber im Jahre 170!) ,das Schicksal
vieler derartiger iiulu»triellen Unternehmungen in Mecklenburg theilte
und eingingt (Boll).
Die weissen Olimmersande der dortigen Braunkt^nformaticii
WOTden zur Glas&brikation, su Zwecken der TOpfer und Ziegler n. a.
Terwendet.
In nordwestlicher Richtung von Malliss wurde im Gebiete des
Lübtheener Gebirgszuges bei Hohen Woos 1879 und 1880 und bei
Trebs, sowie in Lübtheen die Braunkohle, zum Theil in bedeutender
Mächtigkeit und auch in zwei Flötzen aufgefunden. Das Bohrloch bei
Trebs (im Kamdohl) ergab ferner unter der Kohle eine Ablagerung
TOn GHmniersand, in welcher sieb zahlreiche miocäne Conchylien
befinden. Durch diesen Fund ist das geologische Alter der
mecklenbnrgischen Braunkohle als miocän erwiesen, im Gegensata
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18
Geinilz,
zu dem höheren, oligocäuen Alter der Braunkohlen in den südlicheren
Theflen des norddeutschen TieflAndes.
Alaunthone und Glimmersande treten ausserdem an vielen Stellen
des erwähnten Areales zu Tage nnd werden fOr Ziegeleien n. a. ver*
wendet.
Im mittleren M e < k 1 n b u r ist das Tertiär nahe der Ober-
fläche au vielen Orten nutgelimden. Brauukohleulager wurden bei
Pritz (zwischen Stemberg und Dobbertin), sowie beiParehim dnrch
Bohrung in nicht beträchäicher Tiefe nachgewiesen; doch findet an
beiden Orten kein Abbau statt.
Tm östlichen Mecklenburg findet sicli nnr n<uh ilas Oligocän,
in den mächtigen Lagern von Septarienthon der l nigelinng von Mal-
chiUf Neubrandenburg, Treptow und Friedland; ziemlich
bedeutende Ziegeiden benutzen diese Lageik
Das nördliche Mecklenburg ist frei von Tertiär, war also ein
Ereidefestland zu dieser Periode.
Eines specifisch mecklenburgischen Tertiürge.steines sei hier noch
Erwähnung gethan. der sogenannten ^Sternberger Kuchen*. Es
sind dies Bruch- und Koilstücke eines noch nicht anstehend aufgefun-
denen Lagers, die sich in diluvialen Kies- und Mergellagem inner-
halb eines eng begrenzten Districtes finden; ihr Hauptgebiet ist auf
die Umgebung von Sternberg beschränkt: von der Ost- und Nordseite
des Schweriner Sees, Warin, Warnow, östlich von Sternberg. West-
grenze des Dobbertiner Sees, Crivit/, nach der Süd.spitze des Sclnvoriner
Sees. Daneben sind noch einige wenige i.solirte Fundpunkte vorhanden.
Die Stemberger Kuchen sind recht verschiedener Art: feinkörnige
hell|rraue bis dunkle kieseUge Kalksteine, gelbgraae bis weisse kalk-
haltige Sandsteine, oft reich an Glimmer und Glaukonit, oder feste
oder lockere eisenschüssige Sandsteine, endlich auch kalkige oder eisen-
haltige Cnnglonierate und schliesslich sogenannte .Eisensteinscherben",
von tniirlK'Ui oder festem eisens<']iTissigt'ni Sandstein Iiis zu reinem
glänzendem Brauneiseuerz in Platten uiler dosenfürmige Geoden über-
gehend. Die massenhaft in den Stemberger Kuchen enthaltenen Con-
chylien sind entweder mit ihrer Kalkschale oder nur als Steinkeme
erhalten, bei den abgerollten Stfuken treten sie häufig auf der Ober-
fläche etwas hervor nnd haben durch ihr eigenthümliches Aussehen
alsdann dem Gestein die alte volksthümliche Bezeichnung verliehen.
Nach dem geologischen Alter sind diese Versteinerungen als ober-
oligoeän bestimmt (Karsten, Koch, Wiechmann).
3. Postglaeiale Ablagernngeu.
Kehren wir zurück zu den eigentlichen Diluvialabsätzen. Wir
sahen, wenn wir Ton allen SinzeUragen absehen, dass dieselben aul-
zufessen sind ak die Absitze des Gletschers und seiner Schmelzwässer
während der sogenannten Eiszeit. Der Abschluss dieser (ein- oder zwei-
maligen) Vergletschornng Xorddeutschlands kann als die , Abschmelz-
periode* bezeichnet werden, die, als postglacial dem jüngsten Dilu-
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19]
Der Boden Mecklenbargs.
19
vium angehörend, in die .Jetztzeit, das Alluvium, hinübergreift und
daher znm Theil schon zum Altalluvium zu rechnen ist.
Dieser Zeit de» Abschmelzens des DilaTialgletschers gehört in
Mecklenburg (und gleichfalls im übrigen Norddeutschland) TOr allem
die Herausbildung der heutigen Wasserlilufe , Niederungen und Seen
an, .soweit dieselben nicht schon durch Glacialthätigkeit , prüglaciale
Erosion oder Configuration des Flötzgebirgskernes mehr oder weniger
scharf vorgezeichnet waren.
Nor Inirz sei hier dieser Vorgang angedeutet.
Durch die im grossen und ganzen ziemlich plötzliche Vermeh-
rung der Abschmelzwässer wurde das bisher vom Eis bedeckte Land
der verhältnissmässig plötzlichen Einwirkung von stromHchnellenartig
hf we Litern Wasser ausgesetzt und in folgenden verschiedenen Formen
erüdirt :
Durch strudelnde Wässer (zum Theil auch schon unter dem Eis,
durch ,Gletsrhermühlen") wurde der Boden zu den riesentopffthnlichen
sSöUen" aufgewühlt. Dies sind die zu- und abflusslosen, ziemlich
kleinen kreisrunden , trichterfx^rmigen , verschieden tiefen Löcher , die
^^'ie Erd^iille zu Tausenden den (Teschiebemergelboden des norddeutsclien
Tieflandes durchsieben, und die cisternenartig meist das ganze Jalir
llher mit Wasser erflQU sind').
War hei dieser Strudelhewegung reicUicheres Wasser Torhanden,
so wurde ein grösserer Fleck ausgearheitet und es entstanden die
i.vnlirten Kesselseen mit steilen Rändern und beträchtlicher Tiefe oder
flacheren Depressionen von irrr»ssprfMn Umfange, die gleichfalls in
grosser Menge das Diluviaiplateau unterbrechen, theils von Wasser
erfUlt, ab Sheen oder Teiche, theils zu Moorflächen vertorft.
War noch reidüicheres Wasser Torhanden, so floss dasselbe nicht
eindfoch Uber den Rand der ausgearbeiteten, isolirten Vertiefoi^ Aber,
sondem verschaffte sich durch Erosion einen in seiner Form spater
conserviiteu Abfiuss. Diese Abflüsse haben folgende verschiedene
Formen :
Flache Thaldepressionen, die theils nur im Diluvialboden ein-
gesenkt sind, tbeik auch Alluvialahsatze fthren. Oft liegen in ihren
< 1 1 ren Regionen reihenförinig hinter einander einige SöUe. Zu ihrer
Hildung bedurfte es nicht langer Zeit, sie entstanden gewissermassen
durch ein einmalij^e?^ Ausschlämmen: demgemäss sind sie auch sehr
allgemein verbreitet und haben keinen lange dauernden Wasserlauf
gefülirt. iiäutig hegt eine Anzahl solcher Depressionen dicht neben
einander, ohne je durch eine Erosionswirknng in Verbindung getreten
zu sein.
31it grösseren Thälern stehen sehr liäufig in seitlicher Verbindung
kurze, oft nur amphitheatralisch oder kesseltormicr gestaltete Seiten-
schluchten, in denen nur durch Stauung am Hauptthal alluviale Moor-
oder Torfbildung ermöglicht wurde.
Waren an einer SteOe reichlichere oder andauerndere OewKssor
0 8. die Daxatellung im VI. Beitrag zur Geol. Meekl. 1884.
*} Beitr. s. Geol, MeeU. I. 1879. 8. 54.
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20
L20
Torhanden, ao bahnten sich dieselben einen Weg durch ein echtes,
häufig Ton Steflnfem begrenztes, znm Theü sehr tiefes Erosionsäial,
das später von Alluvionen angefüllt werden konnte.
Der Beginn dieser Thäer ist fast stets in einem oder mehreren
oberhalb gelegenen Thalkesseln oder flachen Depressionen zu finden.
Dieser Thalbeginn mit kurzem Quellenlauf, bei dem also nach einem
oder mehreren Thalkesseln mit folgendem sehr kurzem Erosionsthai
naeh gnns koner Entfenrang alsbald der ganze Flnsslaaf in seiner
fertigen Breite nnd Tiefe ersdieint, ist fOr die Flfisse nnd Bftche, sowie
deren Reste, die Seen, Mecklenburgs und Überhaupt des gesammten
norddeutschen Tieflandes charakteristisch.
Da die Abschmelzwässer das Diluvialplateau gleichzeitig an sehr
verschiedenen Stellen bearbeiteten, so mussten viele der genannten
Bodendepressionen in sehr nahe Nachbarschaft kommen und konnten
sieh aueh die Wasserscheiden hanflg sehr nahe zosanunenlegen.
Die Sehmekw&sser erodiiten aber nicht blos den Boden, sondern
sie schwemmten auch ans demselben Theile wep . um sie auf ihrem
Laufe in anderer Form alsdann wieder abzusetzen. Die Thalsande,
zum Theil die Steine der »Steinbestreuung*, ein Theil von Wiesen-
thonen u. a. gehören zu diesen Absätzen des Altallu viums, die
man snm Thml sogar noch sum Jongdiht^nm zihlt.
Als dann später bei zunehmender Trockenheit, d. h. Eisbefreiung
die Wasser allmählich versiegten, wurden die einst von dem Wasser
einp^enommenen Niederungen ganz oder theilweise von den eigentlichen
Alluvialabsätzen, Flusssand, Lehm, Wiesenkalk, Torf und Moor-
erde eingenommen. Dieselben bedecken entweder die altalluvialen
Bildungen oder ruhen direct auf den diluvialen Gesteinen; eine Alters-
grenze zwischen Alt- und Jung-AUuvium ist häufig ungemein schwierig.
Zu den wichtigsten Ablagerungen des Altalluviums gehört der
Haidesand. Di(»ser findet sich in Mecklenburg in folrronden drei
grossen Arealen, welche mehr oder weniger deutlich als grosse weite
Thalebeuen noch kenntlich sind: das zum Elbthal gehörige, von der
Eide, Bfignits und Sude durchfiossene im Sfidwesten, das grösste; so-
dann das zwischen dem Goldberger und Fleesen-See in der Mitte des
Landes nnä die Rostock-Ribnitzer Haide am Ostoeestrand, bis zum
Darsser Ort sich hinziehend.
Das Haidegebiet im Südwesten des Landes wird von der Elbe
abgeschnitten von der Gegend von Boitzenburg bis südöstlich von
Bttmitz. Neusfcadt, Ludwi^ust, Grabow, Eldena ^ Dömitz, Lübtheen,
• Hagenow sind die bekamrtesten Orte, die im Gebiet dieser Haide
liegen. Sehr deutlich ist zu beobaehten, dass sieh dasselbe aus folgen-
den breiten Thalläufen znsararaensetzt, zwischen denen insel- und
zungenfbrmige Rücken von niedriger Erhebung die alten Ufer dar-
stellen, welche von älteren Gesteinen, Diluvium oder Flötzgebirge.
zusanmiengesetzt werden, oft aber auch schon von einer dünnen Decke
des Haidesandes Aberzogen worden sind: es sind die Th&ler, welche
heute noch von den Flüssen Elbe, Eide, Bögnitz, Sude, Schaale und
Boitze durchflössen werden. Die erste sammelt in ihrem nach Nord-
west gerichteten Lauf die übrigen aus Nordost zufliessenden Thäler
#
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21]
Der Boden Meckleaborgs.
21
auf. Letztere haben eine sehr bedeutende Breite gegenüber einem im
Yerhältoiss nur kurzen Lauf. Das Eide- und liögnitzthal , soweit es
dem Haide^ebiet angehört, beginnt in der Gegend von Parebim, bei
Neustadt mit der grossen Lewitzniederung südlich vom Schweriner
See in Verbindung stehend. Südlich von Parchim nimmt auch die nur
zum kleineren Theil zu Mecklenbirfg i^ehörige Haidethalebene der
Locknitz ihren Anfang. Mit der isenstiidter Haide steht in Quer-
Yerbiuduug das bei Hagenow Torbeilaufende Haidetlial der Sude, das
in der Gegend afidweetlidi Ton Schwerin seinen An&ng hat. Weiter
im Westen verlaufen die geringfügigen Thäler der Schaale nnd Boitze.
Becht charakteristiacfa ist die häufige Ablenkung dieser Seitenflüsse
vor ihrer Mündung zu einem der Eibe parallelen nordwestlich «gerich-
teten Lauf: solche Kniee finden sich erst im eigentlichen Elbthal, also
nach der geologischen Einmündungssteile. Sie sind sehr autiiiliig
bei der Löcknitz, alten Blde und Rögnitz, die sogar noch einen weiteren
Parallelarm, die Eralnke, abgegeben hat.
Recht trefi'end schildert Koch den Charakter dieser Haideebene
mit folgenden Worten ') : „Es giebt kaum einen grösseren Contrast, als
wenn man die reizenden Umgebungen tschwerins verlassend südwärts
sich wendet und in raschem Wechsel des Landschaftscharakters plötzlich
die anabsehbare Ebene vor sich hat; der Name der .Haideebene'
wird dem gerechtfertigt erscheinen, der noch jetzt weite Flfidien,
namentlich zwisdien Hagenow und Ludwigslust, vor sich sieht, die
kaum eine andere Vegetation darbieten als Haidekraut. Die weitläufig
gelegeneu Dorfscliaften , fast ohne Ausnahme alte VVendensitze, stets
an feuchten, für Wiesengründe günstigen Steilen aufgeführt, bestellten
nur die unmittelbar benachbarten Theile der Feldmark, so dass meilen-
weite Flächen als .sogenannte Gonimnnionweide nnbenntat lagen, nur
sehlechten Schafsorten kümmerliche Nahrung liefernd. In den letzten
Jahren hat allerdings durch den Aufschwung der Landwirthschaft u. a. m.
die Haideebene ihren (/harakter sehr bedeutend verändert ..." Neben
den sumpfigen tiachen Niederungen, den mühsam bebauten Kornfeldern
und Gärten trilft mau im wesentlichen vorwaltend nur Haidekraut und
vor aUem trockene Kieferwaldungen von m&cbtiger Ansdehnnng.
Der Boden ist der feine, gelbliche oder weisse, «mahlende* Sand,
der bei trockenem Wetter da.s Gehen nnd Fahren so erschwert.
Grössere Steine, Geschieben oder Kieslagern entsprechend, fehlen voll-
ständig. Nur auf den randlichen oder inseltormigen Bodenerhebungen
kommen dieselben aus den Diluviailageru zu Tage und werden natür-
lich hier ebenso wie die brauchbaren Bodenarten des DihiTinms (Lehm
oder Eies) eifrig gesammelt, am zu Hftnserbauten, Wegebesserung u. dergL
verwandt zu werden. Die oberste Decke des Bodms, wo der flüchtige
Sand nicht unmittelbar zu Tage tritt, bildet ein saurer kohligharziger
Humusboden. Unter dieser folgt eine 1 — 2 Fuss mächtige, oft auch
viel geringere Lage von grauem Sand, auf dem sehr aligemein ein
braungelber, oft stoinartig erhirteter, mehr oder minder eisenschfissiger
0 Archiv für LaodeskQnde in den Qroesbenoethflmern Meeklenbaig. 1855.
8. 652.
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22
[22
k^aüd, die sogenanute Fuchserde lagert. Diese ist es besonders,
welche m dem Haidesandgelnet die grosee Unfirachtbftrkeife bedingt
Mit der Bildung dieses branngelben hnmoeen Sandes steht die
Bildung des Baseneisenerzes (auch Klump, Ortstein, Ur genannt)
in Zusammenhang. Von eisenschüssigem, lockerom o<lor festem Sand
linden sich dabei alle llebergänj^f^zu dem braunen glänzenden, porösen
und doch ziemlich festen Erz. Eine Analyse von Raseueisen aus der
Haide (Schuhe 1859) ergab:
46,752 PjOj
20,158 H.O
24,630 Sib..
0,272 Al^füg
4,778 Mn^Og
0,143 CaOOj,
0,011 MgO
2,078 PgOg
0,r>7S BaO.
Besonders rein tindet sich das Kaseneisenerz auf den Feldmarken Grebs,
Bresegard, Glaisin.
Die alten Einwohner des Landes haben das Erz ausgeschmolzeu,
wie man ans den zahlreichen Schlacken ersehen kann, die noch heute
auf den Feldern gefunden werden. Das Ausschmelzen erfolgte an offenen
Feuern; bei der UnvoUkommenheit des Betriebes blieben die Schlacken
noch sehr eisenreich (30 — 40 ^o). Nach Lisch ^) erfolgte die erste
Eisenverhüttung historischer Zeiten im Jahre 1282 zu Stavenhagen.
Später wurden folgende Eisenwerke eingerichtet, die aber alle nur
einen sehr kurzen Bestand hatten: 1. zu Ghrabow 1518; 2. Disensehmdz-
hfitte, Hammer- und Blechschmiede zu Neustadt 1 544 ; 3. Eisenschmelz*
hütte (1570) und Frischhammer zu Neustadt 1574 — 8(3; 4. Anlagen
Herzog Christophs 1573; 5. Herzog Adolph Friedrichs I. Anlagen zu
Dömitz und Neustadt 1600; 0. Eisenwerke zu Wittenberg und Zarren-
tin 1614; 7. Eisenhütten zu Neustadt 1647, 1661, 1703; 8. Eisen-
werke bei Dömitz 1755 — 70. Gegenwärtig benutzt man das Basen-
eisenerz nur noch als Baumaterial, namentlich wegen des Mangels an
Qesdiieben und Gevö]]*')u Sehr hübsch sehen die Gehöftemauern und
die massiven Gel)äu(le. Ställe oder Wohnhäuser ans durch den Con-
trast der dunklen grossen Erzblöeke mit dem weissen Mörtel dazwischen
oder den helbrothen Ziegelsteinen der Pfeiler; auch sollen sich die
inneren Bftnme solcher Gebäude durch srosse Trockenheit auszeichnen.
Wenn sich ein neues chemisches Verfiuiren, aus dem Baseneisenstein
die Phosphdrsäure leicht und in brauchbarer Verbindung darzustellen,
als pruktist h 1)0 währt, so steht diesen Mineralvorkommnissen, die jetzt
nur dem Ackerbau lästig sind, eine grosse Zukunft bevor.
Das Gebiet des Haidesandes ist nicht durchaus eben, sondern man
trifft ungemein häußg kleine oder langgezogene, isolirte oder in Läugs-
oder Parallelreihen angeordnete Hfigelrfläen oft Ton sehr Steuer
Böschung nud bedeutender Höhe, welche vom Wind zusammengewehte
>) LiMh, Jahrb. d. Vereins f. meekl. Qeeoh. VU. 1842. 6. 51—156.
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23]
Der Bod«n Heckleabargs.
23
D li 11 V 11 darstellen. In den grossen Waldungen und auf Feldern siÖBst
mau ausserordentlich häufig auf diese Höhen, die uns oft nach einer
Ausrodung oder Umpflügung wieder daa alte Bild der anfimchtbareii
DfinenkadBehaft vor Augen finhren. Aueh auf die alten üfer und
Liseln der Haide ist der Thalsand durch wandernde Dttnen hinauf-
rweht und hat dadurch sein Areal um ein Boleutendes ver<^rössert.
B. kann man dies an den von Tertiär und Hauptdiluvium gelnldeten
Bockuper Bergen, dem Steilabhaug des Eidethaies, sowie an den Mal-
lisser Tertiärufem sehr schön beobachten.
Neben diesen Dllnenhügeln unterbrechen noeh einzelne andere
Höhen die Haideebene. Es sind dies Inseln oder Ufer der Thal-
länfe, aus Geschiebemergel, Diluviul^anden oder Thonen, Tertiär, Kreide
oder G vps bestehend. Auf ihnen zeigt oft die oberste Diluvialbedeckung,
der Geschiebesand, dieselbe Ausbildung wie auch in den Gegenden,
welche dem Beginn der genannten Thäler benachbart sind (z. B. die
Gegend bei Parchim) ; er enthält n&nüich hier an der Grenze nach dem
Hauptdiluvium einen auffälligen Beichthum an den sonderbar geschlif-
fenen harten GeröUen, die man als Dreikanter bezeichnet hat.
Ihr Vorkommen in Mecklenburg ist ganz besonders auf die Grenz-
regionen der stidwestlichen Haide beschränkt. Sie haben ihre Ge.stalt
einer eigenthünüichen Beweguugsform des plötzlich uod in grosser Fülle
auftretenden Schmelzwassers zu Terdanken.
Geologisch kann man als einen Theil dieser Haide die grosse
Lewitzniederung betrachten, welche sich yom Südende des Schwe-
riner Sees in einer Länge von 3 Meilen und einer grössten Breite von
ca. 1 Meile bis Neustadt erstreckt. Die moorige, frülier zum errössten
Theil völlig unzugängliche, jetzt von zahllosen Kanälen entwässerte
Niederoni^ ist als ein anateoeknender See «iftii&ssen, dessen Terrain
theÜB Haidesand, theils Yertorfungsproducte einnehmen. (VergL die
eingehende Schilderung dieses interessanten Gebietes von Fromm und
Struck. Arch. f raeckl. Landeskunde. 18G6. S. 113 f)
Das zweite Haidegebiet Mecklenburgs zieht sich vom Nordufer
des Fleesensees (Nossentiner Haide) südhch vom Krackower See nach
Dobbertm hin und zeichnet sich durch eine grössere Anzahl Ton Seen
und Torfiiiederungen aus. Es ist fisst durchgängig Ton Wald und zwar
meist Kiefern bestanden. Auch hier können wir von seinen Grenzen
her den Üebergang aus der oberdiluvialen ,Steinbe:streuung* allmählich
in den steinfreien feinen Sand des eigentlichen Haideareales auf dem
Wege z. B. von Vollrathsruhe südwestlich vom Malchiner See nach
Nossentiner Hütte sehr schön verfolgen. Am Südrande bei Jabel fand
ich ein grosses EantengerSUe.
Endlich das dritte Gebiet ist nicht mehr vollständig erluiUeii, weü
die Ostsee in ihrem heutigen Küstenverlauf diis Areal abgeschnitten
hat. Es ist die Rostocker, Gelbensander und Kibnitzer Haide. Die
herrschende Bodenart dieses Gebietes ist ein sehr feiner, hell ocker-
gelber, zum Theil auch rostbraun, aber auch weisshch gefärbter Saud
Ton sehr gleichbleibender Beschaffenheit, f&r welche auch der Orts-
und Reviername , Gelbensande " eine sehr charakteristische Bezeichnung
ist. Ganz allgemein ist dieser Sand in seinen oberen Partien folgender«
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[24
nuMsen umgewandelt, ünter einer yeiechieden dicken Hnmiuloedeckiuig
folgt ein ca. 20—40 cm mächtiger graner, durch Humus geförbter
Sand, als ^Bleisand" bezeichnet; dieser lagert auf einer fast völlig
zusammeubängenden , gewöhnlich 20 — 25 cm mächtigen Schiclit von
, Ortstein", einem festen harten Gestein von rostbrauner Farbe, be-
stehend aus Sand, der durch Humus und etwas Eisen zu solchen festen
Maasen verbunden ist, dass dieselben nur sebwer sn durehstossen sind
und Ton den Baumwurzeln nur ganz ausnahmsweise durchdrungen
werden. Darunter folgt dann der gewöhnliche gelbe Haidesand. Die
Ortsteinschicht ist für den Arkerbetrieb sehr störend, dagegen ist sie
in der niedrig und im Seeklima gelegenen Rostocker Haide für die
Forstcuitur von huber Bedeutung. Sie verhindert das Eindringen des
Wassers in grossere Tiefen und erbitt dadurcb dem Boden eine erbeb-
liche Feuchtigkeit; durcb den langjfibrigen Bestand bat sich an der
Oberflache die ungewöhnlich mächtige Humusschicht ang^esammelt, die
mit dem Sand gemengt den günstigen Boden für ppäcbh'ge Nadelholz-
und Buchenstämme bildet. Die mächtigen Wurzeln jener Bäume breiten
sich alle fast ohne Ausnahme über der Ortsteinschicht aus, nur in seltenen
FSUen gelinst es einer Wurzel, hier durchzudringen. Damit stehen
audi die nidit seltenen Windbrflche in Zusammenhang, durcb welche
das mächtige, flach in einander verfilzte Wurzelwerk ausgehoben wird»
Binnendünen sind auch in dieser Haide nicht selten. Im übrigen ist
das Terrain flach zu nennen, mit nur geringen Bodenerhebungen, welche
einem Hervortreten des älteren Diluviums entsprechen. In den flachen
Bodendepressionen, die besonders im westlicben Tbeil der Haide häufiger
sind, tritt sehr leicht Versumpfung und Vertorfung ein. Daher ist
unser Gebiet von zahlreichen grossen und kleinen Torfmooren durch-
zogen , die mit einander nicht oder nur durch künstliche Gräben in
Verbindung stehen. Der Wechsel von schönem Wald mit diesen Wiesen
verleiht dieser Gegend neben der Lage am Seestrand jenen landschaft-
lichen Beiz, der von den zahlreichen Sommerfrischlern in neuerer Zeit
immer mehr gewfirdigt wird.
Das genannte Haidegebiet erstreckt sich vom Breitling östlich
von Warnemünde in nordöstlicher Richtung nach Ribnitz. Hier wird
es bei Dierhagen von den Torfwiesen abgegrenzt, welche den einstigen
weiteren Lauf des llecknitzthales kennzeichnen. Das hier nach Nord-
osten sich anreihende Fischland mit seinen Steilufern besteht aus dilu-
Tialem Gescbiebemergel, dem noch in der Mächt^keit bis zu einigen
Metern derselbe Haideeand aufj^lagert ist; nach der nördlichsten Spitze
der mecklenborgisch-pommerschen Küste, dem Darsser Ort, verläuft
die Haide weiter und jeder, der einmal eine Wanderung durch die
Kiefernwälder und Torfiiird Inningen dieses Landtheiles zu dem Seebad
Prerow unternommen hat, wird zur Genüge die öde Haidesandlandschaft
kennen gelernt haben, um zum zweiten Mal nicht ohne Noth wieder
dahin zu gehen. Wegen des Anschnittes durch die See ist bei noch
fehlender genauer Kartendarstellung der Zusammenhang dieser Haide
mit altalluvialen Thallänfen zur Zeit noch nicht völlig klargelegt.
Ein kleines vierten Haidegebiet durchläuft die Kisenbnhn dicht
sAdöstiich von Güstrow in dem geologischen. Ursprungsgebiet des
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25]
Der Boden HeekleDborgt.
2S
R^cknitzthales bei Klues. Auch hier sind Dünenzüge, Fuchserde,
Kiefernwaldiiiig die duurakteiifitischexi Eigenthfimlich keiten der Land-
schaft.
Wir haben in den mächtigen Ablagerungen von Uaidesand oder
»Thaband* die Aba&tze der breiten mftch^en Strtnnl&iife a-kaxuit, deren
Wassennaesen dnieh das Abechmeken des Gletechers geliefert wurden.
Nach Versiegen der Wassermengen wurde ein ^osser Theil dieser Sande
trocken ffelecrt und konnte zum Theil durch die Atmosphärilien um-
gearbeitet werden; in Niederungen bildeten sich stehende Gewässer,
welche Torfbildung einleiten konnten. Die spärlichen Reste von flies-
aendem Wasser, genährt durch Quellen oder Seen, dnrchfliesaen jetzt
all schwache Wasserarme die weiten Saad-Thalebenen nnd setzen neue
AllnTionen ab.
Tn den schmäleren Wasserläufeu müssen wir dieselVicn Ablage-
rungen finden. Ihre Profile zeUfen uns das Altersverhältniss derselben.
Wenn auch nicht überall alle Ablagerungen gebildet wurden, so macht
sich doch in diesen Thälem als sehr allgemein geltende Aufeiuander-
folge die Dreifirliedernng bemerklMur: tu nnterst Flnsssand, darauf
Moorerde und Wiesenkalk, darüber Torf.
Die in bedeutender Tiefe solcher Thäler, wie z. B. im Warnow-
thal, in ziemlicher Mächtigkeit auftretenden Flusssande (zu unterst
in Kie.s übergehend) sind somit allermeist von dem gleichen Alter wie
der Haidesand. Zuweilen bilden sie die alleinigen Sedimente der Thal-
linfe, dabei oft reoente Condiyliensclialen einschliessend ; meist aber
and sie in beträchtlicher Mächtl^eit verhüllt Ton Torf und Moor
(zum Theil mit Wiesenkalk). Ein treffliches Beispiel dieser Lage-
rung bietet das untere Warnowthal. Bei Rostock trafen vielfach Boh-
rungen und Fundirungen folgendes Profil:
1— 4 m Torf (obenj,
2 — 8 9 Hoomde, zum Thefl mit Wiesenkalk,
darunter feiner, grauer Sand, nach unten in Kies fibergehend.
Bine Probe der imter dem eigentlichen Rasentorf liegenden sandigen
Moorerde aus der Tiefe von 5 m im Warnowthal am Rostocker Bahn-
hof zeugt nach Untersuchung von Früh^) durch die zahlreichen und
t erhaltenen Formen von Diatomeen, insbesondere durch die mannig-
tigen Skeletttheile des Sfisswasserschwammes und die hinfigen üeber-
reste von Nymphaea von einem stOlstehenden, siemlich ruhigen Ge-
iHtoser. in welchem Riedgräser und wohl auch Phragmites communis
ihre Halme erlKjlM u; die auf dorn Untergrund aufruhende Vegetation
enthielt auch Laubmoose, später scheinen die Gräser die Oberhand
gewonnen zu haben.
Die erwähnte Dreigliederung entspricht den natürlichen Yerhält-
mssm. Bei reichlich und stark strömendem Wasser wurde der Sand
abgeliefert; als Product des langsamer und weniger reichlich fliessen-
den Wasserf^ wurde die Moorerde (Diatomeenerde) abgelagert,
eine Bildung, die noch heute vor sich geht; hier entfaltete sich gleich-
zeitig ein üppiges Leben von Süsswasser- und Sumpf-Conchjlien und
0 8. Qeiniti, Beitr. YL t. Qeol. Xeckl. 18M. 8. 84.
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26 Qeinits, [26
Diatomeen; als das Wasser allmählich weiter versiet^tc bildete sich
auf diesem Untergrund in dem mehr stagnirendeu äumptigeii W a^äer
der Torf.
Daher finden wir fest unter jedem der hierher gehörigen Torf-
lager, allerdings in sehr wechselnder Mächtigkeit, eine mehr oder
weniger sandige Moorerde von verscliiedenem petrographischem Ver-
halten , in der sich liehen den vertorften oder humificirten Pflanzen-
resten sehr häufig Schulen von Sumpfconchylien und kleinen Ostracoden,
sowie in grosser Fülle Diatomeenpanzer finden. Vielfach ist solche
Moorerde, «Modder* hier ffenannt, demzufolge auch direct als Infusorien-
erde zu bezeichnen. Auch hierfür liefert das Wamowtiial bei Rostock
treffliche Belege. Bei dem Bau der neuen Schleuse vor dem Mühlen-
tb'»r zu Rostock hat ni;in diese Erde unter 1 — 2 ni Torf in einer
Miiciitigkeit bis zu 8 ni au^'etrüü'en ; darunter folgt erst diM- für Ftin-
diruugsarbeiten sichere Flusssand. Die Moorerde, hier unter dem
WassemiTean stehend nnd daher reich mit Wasser imprägnirt, bildet
eine zähflüssige schmierige Masse, welche von dem auflagernden Torf
in die Abstiche hineingetrieben wird und dem Bau der SchiffiSahrts-
schleu.se ungeahnte und kostspielige Schwieri'_rkeiten verursachte.
Petrographisch dieser Moorerde sehr nahe stehend und auch dem Alter
nach ihr äquivalent sind die Absätze, die sich noch heute vielfach am
.Omnde der Flüsse bilden, die sogen. ,Baggermodde*, die uatfirfich
local mannig<ige Beimengongen enthalten kann. Auch in ihr sind
Diatomeen äusserst häufig. Sie bildet sich also dort noch weiter, wo
wegen des darüber befindlichen Wassers eine eigentliche Torfbildnng
noch unmöglich ist.
Neben der Diatomeenerde üudet sich in Thalläufen zuweilen auch
noch Wiesenkalk unter dem Torf.
Tor^ damnter häufig Wiesenkalk, sodann Wiesenthon oder Sand,
bildet ni^t allein die letzte AnsfCQlnng sehr zahlreicher alter Fluss-
läufe . sondern erfüllt auch die mannigfachen isolirten Bodendepres-
sionen; diese Bildungen mögen daher gemeinschaftlich besprochen
werden.
Als Abweichung von der oben erwähnten Regel in der Lagerungs-
folge der AUnvialbildungen sei noch angefahrt, dass auch zuweilen
Wechsellagerung derselben stattfindet und anch nochmalige Sand-
bedeckung des Torfes öfters beobachtet wird.
Bisweilen macht sich am alten Ufersaum eine deutliche Terrassen-
laudschaft bemerkbar.
Der Wiesenkalk tritt theils als Zwischenlage in Moorerde,
theib und zwar häufiger fiber derselben direct unter dem Torf auf.
Er ist meist von graulich weisser Farbe, oft durch Beimischung orga-
nischer Stofie mehr grau, durch Eisenoxydhydrat zuweilen gellilich ; ini
feuchten Zustand bildet er eine plastische schmierige Masse, getrocknet
ein krümeliges, sehr feinerdiges Material. In verschiedener Menge
liegen in ihm Süsswasserconchylien (Bythinia, Valvata, Fianorbis,
Limnea, Gyclas, Pisidium n. a.), ferner Diatomeen nnd zuweflen grössere
vertorfte Pflanzenstengid. Durch immer mehr Aufnahme von vertorften
\Pflanzentii6ilen geht er oft rasch in reinen Torf über. Wohl in den
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27]
Der Boden MecUenbai^t.
27
meisten Fällen ist der Wiesenkalk das Product der Kalkabeclieidiiiig
durch Charen am Grundp der (Tewüsser. Seine Zusamniensetzung ist
durch die sehr wechselnden mechanischen Beimenguntfen oder chemischen
Verunreinigungen sehr starken Schwankungen unterworfen . zuweilen
ist er sandig, zuweilen mergelig, oft ist er wieder fast völlig chemisch
reiner kohlensuirer Kalk.
Wiesenkalk findet sich recht weit verbreitet und bildet häufig
recht ausgedehnte und bis einige Meter mächtige Lager, die bei nicht
zu bedeutender Tiefe mit Vortheil abgebaut werden. Um einige Bei-
spiele zu nennen, kommt er bei Roggow (östlich von Güjstrow), bei
Dobbertiu, im Uamper Moor im Schweriner See, bei Gnoyen, Krackow,
Crivits, im Wamowthal, in den Wolftberger See wiesen Ostlich Ton
Boetock, bei Jaebitx im Dossethalt Yipperow am Müritssee n. s. w. in
grösseren Lagern vor. Oft sieht man die Wiesenkalklager am Grunde
von Seen sich noch weiter bilden, so im Schallsee. im Tollense-See,
Müritzsee u. a. a. 0. Man benutzt den Wiesenkalk theils durch
directes Aufstreuen als Düngemittel, freilich mit verschiedenem Erfolg,
tiieüs wird er gebrannt lus Dfinge- nnd Bankalk verwendet; da1i«i
stricht man erst die feuchte Masse in Formen ähnlich den Ziegel-
steinen. Zahlreiche Ziegel- ond Kalkhfitten yersorgen das Land mit
diesen Producten. Auch zur Cementfabrikation wird er verwerthet;
in der grossen Cementfabrik bei Schwerin wird der ganz reine Wiesen-
kaik vom iiamper Moor mit dem Thon vom Ziegelwerder im Schweriner
See gemiacbi.
Anch in isolirten TorfsOllen ist häufig der Untergrund des Torfes
solcher Wiesenkalk, zuweilen auch Thon.
Torf. .T. Früh unterscheidet folgende Arten von Torfmooren.
1 . Wiesi'imioor bildet sich a) in Seen mit kalkreichem Wasser,
b) auf Alluviaigebieten von Flüssen oder in localeu Versumpfungen,
wo die Oberfläche fortwährend oder wiederholt durch hartes Wasser
befenehtet wird. Diese Moore bedfirfen eines Eallrantergrandes.
2. Hochmoor, auf Thonuntergrand, a) in Seen und Teichen mit
kalk freiem Wasser, b auf kalkfreien, TOn Wasser berieselten fioden-
depressionen entstehend.
3. Mischmoor; auf (oft nur sehr geringer) Unterlage von ilasen-
moor entwickelt sich Hochmoor, oder letzteres bildet auch nur eine
ganz geringe Decke auf mächtigem Basenmoor.
4. Algentorf, von gallertartiger Beschaffenheit, ans Sllsswasseralgen
gebildet = Torfschiefer, Lebertorf.
In Mecklenburg sind am zahlreichsten vorhanden und zeigen die
grö.s.ste Ausdehnung die Wiesenmoore. Sie dehnen sich in den
alten Fiussthäleru zu deu Seiten des heutigen Wasserlaufes aus oder
nehmen das ganze Thal ein, bilden die grfinen Flachen der einst Jim
Wasser erftUten SöUe, Kessel und Depressionen, nms&muen die Seen
oder nehmen deren Flächen auch ganz ein, gehören also nicht nur den
Thälern an, sondern finden sich auch in der hochgelegenen Moränen-
landschaft. Ihre Oberfläche ist eben und niedrig. Die Mächtigkeit ist
*) Torf and I>opplerit. Zürich 1888. Oinertation.
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28
Qehiita,
[28
recht wechselnd, l — 5 m gewöhnlich, in manchen Stellen aber auch
beträchtlich mehr. Ihre Masse ist braun oder schwarz und dicht. Oft
enthält sie Bamnstftmme, Aeste und Wnrseln ▼on Eieben, Birken, auch
wohl Kiefern und Buchen, auch Blätter und Früchte. Als Beispiel sei
eine mikroskopische Analyse eines Torfes aus der Warnowniederung
bei Rostock initg-etheilt (Früh): vorherrschend sind Hadizellen von
Cyperaceen und Gramineen, dann Farne aus der Gruppe der Polypo-
diaceen (schön vertorfte Treppen- und Netzgefasse, Sporen, Sporaugien,
Hohselleu), endfieh Samen TOn Jnncagiueeu, Pc^enkOrner von Gräsern
nnd Pinns, Tereinselte Colonien kleiner einzelliger Algen. Die Vege-
tation, welche diese Torfe gebildet hat, ist oft recht mannigfaltig und
zeiß^ nicht selten eine Aenderung in den verschiedenen aufeinander
folgenden Niveaus. Oft giebt sich dabei sehr schöne feine Schichtung
zu erkennen. Nach der Beschreibung von F. Koch ist das Torfmoor,
welches die Wasserscheide zwischen der Trebel und Recknitz bei Sülz
bildet nnd sich deutlich von dem Wiesenmoor der Recknits abhebt,
ein Hochmoor (Mischmoor). In dem nutei t- n Tbeile besteht ee ans
einer 'S — -4 m mächtigen lockeren moosigen Masse, im oberen, mehr
aus den Kesten von Haidekraut gebildeten, ist der Torf compacter und
dunkel und enthält zahlreiche Baumstämme . besonders Wurzelstöcke
▼on Kiefern; dieselben nehmen eine bis 3' mächtige Schicht ein und
kommen oft in drei&cher Veberlagernng vor; Aber ihnen erhebt sich
noch ca. 1 m Torf. In den untersten Lagen vieler Torfmoore finden
sich nordische Pflanzen, wie Salix polaris, Betula nana u. a., als An-
klänge an die niedrige Temperatur des Schlusses der Eiszeit.
Oft sind die Torfmoore von einer schwarzen trockenen loh-
artigeu Erde bedeckt, wie sie sich besonders auf Wegen innerhalb des
Möores dnrch Fahren und Geben bildet. Sehr hftofig lagert der Torf
anf Wiesenkaik, und stellenweise geht letaterer, wie Boll bereits
hervorhebt, sogar allmählich in unteren über; auch wo dies nicht der
Fall ist, finden sich hier oft vereinzelte Gehäuse der Snnipfconchylien.
Neben den verschiedenartigen und verschieden häufigen mecha-
nischen Beimengungen (Sand u. a.) enthält der Torf oft einen beträcht-
lichen Aschengehalt, der besonders dnrch die Menge an kohlenaanrem
Kalk bemerkenswerih ist. BolP) berechnete, dass ans dem Torfirtiche
des Jahres 1850 bei Malchin mit den 6 968 000 Stück oder »Soden*
Torf Tentner kohlensaurer Kalk, 90 Ctr. kohlensaure Magnesia,
210 Ctr. Gyps und 210 Ctr. Kieselsäure in der Torfasche gefördert
sein müssten. Sehr häufig enthalten die Torfmoore grosse Mengen
Ton Eisen, das sieh in ^rm von braunem Eisenoxjdhjdrat in den
Tor^^ben und Moifisten ausscheidet nnd steOenweise die Gewässer
mit einer irisirenden Ilaut bezieht, oder die Betten der Wasserlfinfe
mit brauner oder blutrother Ausscheidung bedeckt; das Wasser der
aus solchen Mooren kommenden Bäche erscheint wie mit Blut ver-
imreinigt. Der Torf selbst ist dabei in den oberen Lagen bröckelig
imd zu harten rostbraunen Stückchen aufgelöst. Zuweilen sind solche
Torflager auch dnrch Vorhandensein Ton Viviamt, pliosphonanrem
0 Anh. d. Ver. d. Nat. MeeU. ZZI. 1M8. S. 45.
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29J
Der Boden Hecklenbiifgs.
29*
Eisen, ausgezeichnet, der in gewiaser Tiefe und Mächtigkeit bis ca. 1 m
das Lager intensiv blau färbt.
Häutig trifft man in der Tiefe von Torflagern die sogen. ,Torf-
leber* oder Baggertorf, eine dnnkd oder kdler Inrmime, vom Waeaer
so ^prägnirte Masse, dass sie wie ScUanun anseinandeifliessli und auf
der Schaufel nickt gehalten werden kann. Sie stellt eine vOUig in
Humnsstbffe nTnf?e wandelte Torfsubstanz dar, die beim Trocknen 20
einer harten homogenen Masse von putem Brennwerth wird.
Etwas Verschiedenes ist der Papiertorf, Torfschiefer oder
Lebertorf. Derselbe wnrde bisher an vier yerschiedenen Stellen nnter
norqialera Mooe- nnd Rasentorf gefbnden. Er ist im feachten Zustand
elastisch und homogen, von leberbrauner Farbe; dabei zeigt er sdiSn
die Neigung, in parallelen Flüchen leichter zerreissbar zn sein. Beim
Trocknen wird er dunkler, hart und zerblättert in oft papierdünne
Lagen. Der Torfschiefer oder Lebertorf gehört zur Gruppe der aus
Sfisswasseralgen gebildeten Algentorfe, die im Wasser gallertartig und
elastisch werden.
üeber die Verbreitung des Torfes in Mecklenburg kann ich
hier nicht der Art reden, dass ich alle Funde rubricirt aufzähle. Nach
dem einffangs Gesagten müssen wir den Torf als eine der häufigsten
AUuvialbildungen der Oberfläche in allen oben aufgezählten, durch die
Abschmelzwässer gelielerten Bodenumformungen finden. So giebt ea
denn auch im VerbSltoiss nur wenig Feldmarken, die nicht ihr Torf-
lager besSssen. Die Millionen Stück Torf, die alljährlich gestochen
werden, zu schätzen, wäre eine interessante Arbeit. Zu Hunderten
sind die Torfstiche verbreitet , von ganz primitiven , nur bei momen-
tanem Bedarf benutzten Öticlien ^) zu grossartigen, maschinell betriebenen
') Tcbcr die primitive Fabrikation des Backtorfes, wie sie auch heute noch
•tattfindet, berichtet Boll recht instructiv : Nachdem der Torfbrei auf dem Flatze,
wo die Arbeit vorgenommen werden eoU, gleichmäsBig aasgebreitet worden ist,
beginnen die Arbeiter, ihn zu „pedden", d. h. mit den Fussen zu treten und
darchzakneten. Nach dem wird die ganze zerarbeitete Maase auf dem (trockenen,
am Rande des Moores gelegenen) Lagerplatz aasgeebnet, wie ein colosaaler Kuchen,
von der Dicke, von welcher die TorCitiloke werden sollen. Hit Schuhen oder mit
Brettern nnd Schaufeln wird er noch panz glatt und eben bearbeitet. Bevor sie
diese Maaae in Stücke von der Form und Urosse der Ziegelsteine zerlegen, machen
sie eine Pause \on eia paar Tagen, damit sie einige GkMBlistenz gewinne, und
die?»" /wicclienzeit muss je nnch 'h r Witterung abpernessen werden. Ist die Hasse
noch zu weich, so würde die Zerlegung nichts hellen, deun alles würde wieder
zusammenfliessen ; wollte man aber damit zu lange warten, so würde der grase
Kuchen anfangen «ich zu zerspalten und rissig zn werden. Zuerst «erden Langs-
iinieu durchgebchuiiten in einem Absland von 9 — 10 Zoll, so lang jedes einzelne
Torfstäck werden soll, und aufdieeeWeiM das Ganze in „B&nke* getheilt. Nach
einer a!>ernialip[en Paase von einigen Tagen fschreitet man dann zu den Quer-
achnilleii. die iii den engeren Abstanden der Breite der Torfstucke gemacht werden.
NaehdeiD diese nun ihrer Vnrm nach fertig sind^ geht es an das Au.s trocknen der>
selben, welches mit grosser V^orsicht geschehen muss. Die Torfstücke müssen erst
ein wenig auf die lange Kante und neben einander gelegt werden; nachdem sie
8—14 Tage in der bezeichneten Stellung verblieben sind und etwas Festigkeit
erlangt haben, beginnt das „Ringen". Dies besteht darin, dass man die schon
nemlich reifen Torfsoden zu kleinen Kegeln so über einander legt, daas sie nur
nlt den Enden auf einander fhaeen nnd diM mdgUehst groaie Zwiadkenriame
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30
[30
Anlagen. Der Torf wird vor allem als Brenimuiterial benutzt, und es
gielit wohl kaum einen Hanshalt in Mecklenburg, wo er nidit mehr
oder weniger Benutzimg fände. Man benutzt ihn zn diesem Zweck
entweder so, wie er im Lager sich findet, wobei natm^^emies die unteren
Partien besjserer Qualität sind als die oberen , oder man vermengt ^ie
verschiedenen Sorten eines und desselben Lagers durch Press- und
Mengmaschinen und erhält so ein gleichmässiges Material. In neuerer
Zeit werden auch die oberen, znm Brennen nntanglichen lockeren
Maasen, der «Torfinnll", als Siren, zvl Dtlngnng, ab Desinfectionsmittel,
Füllungsmaterial von Fussböden oder Wänden tt. a. benutzt. Zur Her-
stellung sticksk)ftlialtiger Diin^eniittel könnte er in chemisch-technischer
Industrie verwendet werden, doch haben bisher die Berechnungen hier-
bei nicht den genügenden Gewinn in Aussicht steilen können. Der
dem Torf beigemengte Yivianit kann f&r ShnHcfae technische Zwecke
fldir wohl eine gOnstige Yerwerthung finden. Der unter dem Torf
lagernde Wiesenkalk £ftt, wie oben gezeigt, seinen von alters her
bekannten Werth.
Zuweilen sammeln sich unter den Tort lagern Gase, die aus
der Zersetzung des Lagers gebildet werden, in grösserer auffälliger
Menge an; die Erscheinung der IrrUchter ist selten beobachtet
worden.
Wie sich bei dem Vertorfungsprocess auch häufig auf dem Wasser
schwimmende Torfdecken oder Torfinseln bilden können, hat Boll
(a. a. 0. S. 2<) {'.) an einiLTen Beispielen sehr anschaulich geschildert.
Solche Stellen sind ebenso wie die Moore mit mächtigem Schlamm unter
dem Torf sehr lästig für Bauten von Eisenbahn- oder Chausseedämmen,
indem sie in ihren Tiefen oft erschreckende Massen tod Schfltfcungs-
material verschlingen.
Schliesslich ist noch eines Alluvialabsatzes Erwähnung zu thun,
nämlich des Kalktuffes. Derselbe findet sich in Her bekannten
Ausbildung und häufig mit den bekannten Thier- und Pflanzen-
eiuschlüssen an mehreren Stellen des Landes und verdankt seine
Bild^nng der Anslaugung von kohlensanrem Kalk der benadibarten
Höhen, der theils aus I n Diluvialabsätzen, theik aucli ans Kreide-
massen geliefert wird. Zum Theil ist oder war auf Grund solcher
Vorkommnisse auch eine Kalkbrennerei eingerichtet und m Betrieb,
so z. B. bei Nemerow am ToUense-See, am Haidberg bei Teterow,
bei Malchin u. s. f.
In den Dilnvial- und AllnTialablagerungen Mecklenburgs sind
bisher Reste Ton folgenden Säugethieren aufgefunden: Mammuth,
Urochs, Bison, Rind, Riesenhirsch, R^nthier, Hirsch, Reh, Zioge, Schaf»
Pferd, Schwein, Biber, Hund, Fuchs, Wolf, Höhlenbär.
An prähistorischen Funden ist Mecklenliurg tmgemein
reich, deren Kenntniss wir vor allem den Aufzeichnungen und Samm-
lungen Lisch^s verdanken. Eiinzelfande von Stein- und Bronae-
zwii^chcn ilint ti bleiben ; die Kegel sind inwendig bohl, und in dieser Aufsteilnngs-
wei^e kann der Wind am besten die Aaetrocknoag ToUendeo. (Areh. d. Ver. d.
Nat. Meckl. 1868. S. 92.)
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i
31]
Der Boden Mecklenburgs.
31
gerüthen, Dolmen, Kegelgräber, Steinsetzungen, Opfersteine, Pfahl-
bmttes, wendische Borg- und Ringwälle, Opferplätze, Umenfelder n. a. ol
nnd in grosser Zahl Aber das Land Terstrent. Viele der sogen. Wenden-
niederlassnngen geben uns Zeugniss von dem Wasserreichthom des
Landes nooli in fiistorisclier Zeit.
Neben den \ eränderungen der Obertiäche, die durch allmähliche
natürliche oder künstliche Entwässerung in grossartigem Massstabe
verorsacht worden sind, hat das Land an den KUstenstrichen dardi
die sftcnlare Landsenknng bedeutende, vom Theil noch in die
Gegenwart reichende Veränderungen erlitten. Historische Notizen, der
dauernde Abbruch der Ufer durch dir See und das Vorkommen von
Torfmooren am Meeresgrund vor den Dünen sind die Beweise der
erwähnten Senkung Häufig findet man am Strande nach grösseren
Wellenbewegimgen des Meeres (im Frühjahr oder nach Sturmfluthen)
grosse losgerissene Schollen Ton Torf aasgeworfen, wie grosse erra-
tische Blöcke am Strand liegend. Daneben findet man in allen Grössen
Torfstücke, die wie harte Strandkiesel durch die Bewegung im Wasser
am Strand zu runden Torfgeröllen abgerollt sind. Auch nach mikro-
>-kopi^^cher Prüfun^^ ergiebt sich da.s Material dieser TorfgerÖlle als
identisch mit dem aus den Torfmooren hinter der Düne vom Festland
entnommenen Matmal; es ist Rasenmoor, Sllsswassertorf nnd nicht
ans Seetang gebildet. Zuweilen hat man Gelegenheit, den unter der
Dfine befindliehen, gepressten Torf zu beobachten, welcher nach der
Bezeichnung ForchharameT's als „Martörv" unterschieden ist; auch
dieser ist YöUig übereinstimmend mit dem Torf der dahinter gelegenen
Moore.
Durch die Kfiste ist das Land gewissermassen willklirlich ab-
geschnitten; wir können danach drei verschiedene Typen der Ufer-
rander unterscheiden, nämlich 1, Steilufer oder Klint, ein steiler Ab-
bnich des Diluvialplateaus oder eines Flötzgebirgszuges, mit schmalem
steinigem Strand, 2. flache Senkung des Diluvialbodens, entsprechend
einer muldenartigen Tiefang des Plateaus, und 3. Abschnitt von Alluvial-
depreasionen (isolirte Tomnoore oder alte ElnssthiÜer) ; beide lebst-
gonnnte Klistentypen haben einen breiteren, simdigen Strand, auf dem
sich Dünen erheben. Die Dünenlandschaft ist oft ungemein charak-
teristisch ausgeprägt; die Schichtung der Düne, ihr steiler Abfall
nnrh der Landseite, ihre parallelen Vorwellen am Strand, auch ihr
Vorwärtsschreiten gegen das hinterliegende Land, die Ueberwehung
der hinter ihr liegenden Wiesen , das Heraufsteigen auf ein niedriges
Abbmchufer n. a. m. sind in mannigfachen Bildern Tertreten, wenn auch
die immer nur gwinge Höhe (10 m werden selten überschritten) und
Ausdehnung schon es bedinfrt . dass die Landschaft nie den öden nnd
trostlosen Charakter gewinnt, wie er von anderen Gestaden bekannt
ist. Im „Heiligen Damm" bei Doberan haben wir den Abschluss
einer Alluvialniederung gegen die See durch einen aus Rollsteinen
aud^l^eschOtteten Ufer wall. Durch die Landsenkung ist auch die
') £. Geinita, Zeitschr. d. dentach. geoL Ges. 188d. 8. 301.
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32 Geiiiitz, Der Boden Mecklenburgs. . £32
eigenthümfiche trichter- oder haffartige M flndung der Bäche
und Flüsse bedlngl, wie sie z. B. in der Wismar'schen Bacht oder im
Breitling bei Warnemflnde vorliegt. Die mecklenburgische (wie wohl
überhaupt die ganze norddeutsche) Ostseeküste verdankt ihre Con-
figuration im Grossen wie im Kleinen dem Zusammenwirken der
beiden Kräfte: Erosiouswirkung der glacialen Schmelzwässer und
sicnlaie Senkung des Balüemiui; tfe Htodungstrichter, Forden, Hälfe,
Strandaeen u. dergL sind nicht das Product yon QletecherenMum oder
Meereeemhrflehen *).
») S. Beitr. VI. z. Gcol. Meckl. 1884. Taf. 2.
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Im gleichen Veriftge ill; erachienen:
Aütliropo-Geograpliie
oder
GnindsQge der Anwendung
der
Erdkunde auf die Geschichte
von
Dr. Friedrich Ratzel,
ProfaMor an der t^cbnUchen Bocbfichule In HttttclMB.
Preis Mark 10. -
Handbuch der Elimatologie
von
Dr. Julius Hann,
MNlifee» 4«r meteorol. Zeatr«l«Datalt und Profesnor an der UaiveratUl In Wiau.
Preis Mark 15.
Handbuch der Ozeanographie
Ton
Prof« Dr. 6. von Boguslawsk^
I Amt 4m lalt. iaoiMlMn MailnUl«. «nA
Jiand I.
Kiumliche, phyBlluüiMhe nnd cbemische Bescliaffenheit der OietB«.
Preis Mark 8. 50.
Handbuch der Gletscherkunde
von
Dr. Albert Heim,
Frafeanof ter CI«olocto «aSdmeixeriBcfaen Polytedodkm und d«r tUnfarenHit
in Zürich.
Preis Mark 1 3 ',0.
tn
IttenmÜ^an^lg gemetoerftftnblid^en Kloctrasen
Aber
2Utgmeme €r6f un6e.
Dr. Jvielrririi £i(1^«L
$tcid SDtari 6. -
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OiMk von OMIar Ki«net in StutigMt. Digitized by GoOglc
Jt»*orscftunire
B^Md ' HefV-
DIE
OBEBRHEMSCflE TIEFEBENE
UND IHRE
RANDGEBIRGE
VON
G. RICHARD LEPSIUS,
o. PnrfeSMr der Geologie und Hineralo^^ie an der tf'cbnischen Hochschale nnd Direktor dar
grosaherzoglich hessiHcbeu geologUcheu i^mdesanatalt zu Daimstadt.
HU einer Uebersichtskarte des oberrheinischen Gebirgssysten^s.
ÖTUTTGAKT.
YERLAG VON J. ENGELHOBN.
1885.
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L Einleitimg.
Eine der aQfßillendsieii Ersclieraiiiigeii in der Oberflftcbeng^estal-
tang Ton Deutschland ist die Tiefebene, wel< lic der Rhein durchströmt
in seinem Mittellaufe von Basel bis Mainz. Während das ganze übrige
südliche Deutschland aus Hochflächen und Gebirt^en besteht und im
Gegensatze zu dem norddeutschen Tieflande als ein Hocliland zu be-
zeichnen ist, senkt sich zwischen die vier Gebirge Schwarzwald,
Vogesen, Odenwald und Haardt eine langgestreckte Tiefebene von
mehr als 10 000 Quadratkilometer Oberfläche ein, deren mittlere Höhe
über dem Meere nnr 150 m beträgt, während die umliegenden Ge-
birge bis zu Höhen von fast 1500 m aufragen. Diese tiefe T.affc der
oberrheinischen Ebene und der Schutz, welchen ihr die begleitenden
Gebirgsketten gewähren, bedingen das milde Klima dieser bevorzugten
Laadsfcrecken, bedingen auch, zugleidli mit den Anschwemmungen, mit
denen der Bhein die Oberfläche der Tiefebene und die Vorhügel der
Randgebirge bedeckt hat, die grossentheils reiche Fruchtliiirkt it ihrer Ge-
filde. Gehört doch der nördliche Thcil der Ulieinebene und die srhmalen
Uferstriche längs des untern Rheintliales zn den wenigen Gegenden
Deutschlands, deren mittlere Januartemperatur über CG. liegt Daher
denn anch in der oberrheinischen Tiefebene nnd an den Thalgefaängen
des Mittdrheins die besten Weine wachsen. Ah Ludwig XlY. von
der Höhe der Zabemer Steige zum ersten Male herabblickte auf die
gesegnete Ebene zu seinen Füssen, rief er ans: ,quel beau jardiu";
dieses Wort des französifschen Kcinifrs gilt nicht allein vom Elsass,
sondern ist auch bezeichnend für die meisten übrigen Theile der ober-
nnd mitteliheinischen Tiefebene und der Qebirgsabhänge längs ihrer
Chrenzen.
Vier Heilen breit und vierzig Meilen lang erstreckt sich diese
Ebene über zwei und einen halben Breitengrad bis zum fünfzigsten
Parallelkreis, der gerade durch Mainz schneidet. Mitten hindurch fliesst
der mächtige Kheinstrom , in der weiten Ebene trotz seiner Wasser-
fülle nur wie ein silberglänzender Faden von den Gebirgsabhängen aus
anzuschauen.
0 SiebfrJ. Hann, Handbuch der Klimatologie, S. 473 ff. Stnltgart 1888.
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36
Lepsias^
[4
Dass die oberrheinische Tiefebene in ihrer eigenartigen Erschei-
nung im südwestdeutsclien Gebirgslande eine ganz besondere geologische
Geschichte bis zu ihrer jetzigen Gestaltiing durchlaufen haben rnnss,
wird einem Jeden einleuchten, der gewohnt ist, über die Beziehungen
der äusseren Oberflächenformen zn dem inneren Bau der festen Brd-
kruste nachzudenken, pjin Pr()V)lpni der mechanischen Genloufie liecft vor
uns. Noch .sind wir nicht im Stande, da.s.selbe völlig zu lösen, da hierzu
noch die genauen geologischen Aufnahmen des ganzen Gebietes zu aller-
meist fehlen. Aber bei der OrOsse des Torliegenden Problems ersdieint
es schon wichtig und fördernd, tiber.sichtlich zusammenzufassen, wie
weit unsere Kenntnisse von der Ent^t ! ing der oberrheinischen Tief-
ebene und ihrer Kandi^ebirge durch du- l>i.-herigen Arbeiten der rhei-
uischeu Geologen bereits vorgeschrittea smd.
Die oberrheini.sche Tiefebene ist keineswegs ein vom Rheine
ausgewaschenes Thal : so mächtiff der .stolze lihein dahinfluthet. würde
es ihm doch nicht möglich gewesen .sein, ein vier Meilen breites Thal
in das Gebirgslaud des südwestlichen Deutschlands einzufurchen. Wie
ein solches nur vom Flusse gebildetes Thal sich gestaltet, das sehen
wir am Rheinthale unterhalb des Binger Loches, wo sich der Strom durch
die eigene Kraft des fliessraden Wassers bis nach Bonn hin durch das
Seliiefergebircro eine schmale, vielfach gewundene und scharf einije-
sclmittene Thalfurclie im Laufe der Zeiten gegraben hat. Dort unter-
halb Bingen erkennen wir die eigenartigen Formen eines Erosions-
Thaies, wie es Tom Flusse in ein Gebirge eingeschnitten wird.
Vielmehr ist die oberrheinische Tiefebene eine weit klafiSende und
tiefe Spalte der festen Erdkruste, eine Spalte, welche längst vorhanden
war, ehe der Rhein geboren ward, eine Spalte, welche dieser Strom,
als er sich in dieselbe ergcssen hatte, nicht nur nicht tiefer ausfurchte,
sondern vielmehr mit dem mitgeschleppten Schutt der Gebirge ganz
bedeutend auffüllte und zuschüttete.
Diese Anschauung von der allgemeinen Entstehung der ober-
rheinischen Tiefebene ist bereits von den «rsten Geologen, welche die
Randgebirge beiderseits der liheinebene genauer untersuchten, ge-
wonnen wf»rden; sie wurde von allen späteren Forschern imr bestätigt.
Freilich über die be.sondere Art und Weise und über die Zeit dieser
Entstehung gingen die Meinungen der Gelehrten sehr weit auseinander
und richteten sieh naturgemSsiB nach dem jeweiligen Stande der geo-
logi^^ i ] 1 t u Wissenschaft;,
In dem berühmten und für alle späteren geologischen Arbeiten
am Rheine rrrundlegenden Werke, den „Geognostischen rinri.ssen der
Rheinländer zwischen Basel und Mainz, nach Beobachtungen ent-
worfen, auf einer Reise im Jahre 1823 gesammelt sprachen die
drei Verfasser C. yon Oeynhausen, H. von Dechen und H. von La
Bodie bereits die richtige Ansicht Über die Entstehung der ober-
0 Zwei Bände. Eraen 1825.
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5]
Die oberrheinische Tiefebene und iiire Raadgebirge.
37
rheinischen Tiefebene klar aus: .Das Rheinthal von Basel bis Mainz
ist so wenig durch eine Auswaschung oder Zerstörung des Gesteins
entstanden t class im Oegentheil später noch eine WiederansfOllung
stattgefunden hat", und «wenn nnn aber das Rheinthal von Basel bis
Mainz nicht durch Auswaschung entstanden sein kann, so verdankt
dasselbe soine Bildung; derselben Ursache, welche die Vogesen und
den JSrhsvarzwald emporhob, und ist daher von gleichem Alter, wie
jene beiden tiebirgszüge" (I. S. 24 und 25). Also schon im Jahre
1828, m einer ZeiC wo die Geologie noch in ihrer ersten Entwieklnng
stand, freiiieh in Deutschland unter der energischen Einwirkung eines
Leopold von Buch, erkannten jene drei reisenden Qeognosten mit
genialem Blicke den ursächlichen Zusammenhang zwischen der Rhein-
ebene und ihren Randgebirgen ! Allerdings die tieferen Ursachen der
(iebirgs- und Spalten-bildenden Kräfte konnten damals noch nicht
ergrttndet werden; sind wir doch auch heute in der Erkenntniss dieser
letiten Ursachen von einer endgültigen und allgemein befriedigenden
Lösung noch weit genug entfernt.
Die crennrnostischen Verhältnisse in den Vogesen und im Elsass
hatte zuerst Philipp Voltz In^'^t'nieiir en chef des miues in Strass-
burg, in ausgezeichneter Weise studirt, sodass er bereits jenen drei
Reisenden im Jahre 1823 nach ihrer eigenen Aussage (Vorrede S. III)
«mündlich und schriftlich viele wichtige Bemerkungen mittheilen
konnte* Auf Voltz^ objektiTe und sichere Beobachtungen stutzten
sich auch vielfach die späteren Ausführungen des bekannten fran-
zosi^ichen Ooologen Elie de Beaumont. Unter den verschiedeiien
Gebirgssystenieii , welche dieser hervorrageml»' (leiehrte in seinen
.Recherches sur q^uelques-unes des revolutions de la surtace du globe"
aufgestellt hatte ^ war eines der wichtigsten das , Systeme du Rhin*,
welches die Gebirge Schwarzwald, Vogesen, Odenwald und Haardt
urafasste; die Revolution, welche diese Gebirge und die Rheinspalte
dazwischen entstehen Hess, sollte ein;/etreten sein naeli der Ablagerung
des Vogesen-Sandsteins und vor der Ablagerung des Voltzien-Sand-
steins ; um zugleich diese grosse Revolution zwischen zwei Forma-
tionen erscheinen zu lassen, schloss Ehe de Beaumont die Permische
Formation und also auch die paläozoische Epoche mit dem Vogesen-
Sand-tein, welcher jetzt als mittlerer Bunter Sandstein angesehen
wird, und befTnnn den Bunten Sandstein iiiid die Trias-Formation mit
dem Voltzien-Sandstein , welcher nunnieiir als olierer Bunt-Sandstein
gilt. Dieser Annahme des damals leitenden l'ariser Geologen folgten
nicht allein die meisten übrigen im Elsass und in den Vogesen später-
hin arbeitenden Geologen, wie Thirria, Hogard, de Billy, Daubr^e,
*) Nicht zu verwechseln mit dem jüngeren Geologen Fried rieh Volts
in Hains, dessen Schriften über das Hainter Becken in den Jahren 1851'* 1853
enehienen.
') Siehe anch Ph. Voltc^ G^ognosie des denx d^partements da Rhin, In
Anfachl atrr r. Nniivcllr (le5cripfu»ii «k- l Alsacc. Strassburg 1820—1828.
*) Zuerst erächienen in den Annaled des sciences naturelles^ tome XVIIl,
Paria 1829; dann weiter ansgeftthrt in einem Artikel de« Dictionnaire nniverael
d'hiatoire natnreUe. Paris 1849.
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38
Lepsius,
[6
Delbos, Küchhii-Sclilumberger uuii Jacquot sonderu auch einige
deutsche, auf dem badisdien Bheimifer aufiielinieiide Oedoffen, vor
allen Fr. Sandberger in seiner geologischen Beschreibung aer Um-
gegend von Baden-Baden^) und in späteren Aufsätzen
Tn dem grossartig angfleL'tcn und mustergültig au-rrt^f nlirten Werke,
dem Texte zur geologischen Karte von Frankreich, welches Anfang der
vierziger Jahre erschien, stammt die vorzüghche Beschreibung der
Yogesen aus der Feder Elie de Beaumont's^). Daselbst stellt dieser
geniale Forscher seine Ansidit Ton der Entstehung der Bheinebene
zwischen Schwarzwald und Vogesen in dem hier wiederg^ebenen Dia-
gramm dar (Expl. I. pag. 437):
yoflBMO. Bbelnebflim. Sdiwaitwild.
Wie bereits angedeutet, ist die allgemeine Erklärung, welche
dieser schematiscben DarsteUung Elie de Beaumonfs zu Grunde liegt,
nämlich der zwischen den aufgekippten Rändern eingesunkenen Kliein-
ebene, auch jetzt noch die massgebende. Nur darin irrte Elie de Beau-
mont. (l:iss er die Entstehung der Rhein-Versenkung zwischen den
R;ui(]gel)irgt'n bereits in die Zeit vor Ablagerung des Bunten banü-
steius verlegte. Gegen diese unrichtige Zeitbestimmung des grossen
Ereignisses hatten sich schon frühzeitig einige französische Geologen
ausgesprochen: so Bozet in seiner originellen Beschreibung der Süd-
Togesen und Contejean in der geologischen Beschreibung des Canton
Montbeliard
*) E. Thirria, Statistique min^ralogiqne et gLologiiiue du dipartement dir
)S Haulc-SaüiK.'. üosanriui ISo;'.
U. Jüogard, Deacription min^ralogiqae et geologiq^ue des r^ioDs grani-
tique et ar^nae^e dn Systime des Vosgea. Atcc Atlas de 12 fenilles et nne carte
geologiquc. K[)in!il 1837.
K. de Billy, Eaquisse de la g^ologie du departement des Yosges. Aunales
de la soci^td d'Ämulatioti des Vosge». IRIiO.
A. Danbröc, Dc-criplii'H (^'t'olnu i,| ,.( mineralc^que da d^partement
da Baa-Khin. Mit Karte und Profilen. i?txaäsburg 1852.
J. Delbos ei KÖehlin-Schlnmberger, Description geolugiijiie et
miniralogiquc du dipartcment du Haut-Rhin. 2 vol. Mit Atlas. Colmar IS»!»;.
E. Jacquot, 0. Terquem et Bnrr^, Description min^ralogique et
giologiqne du d<^partement do la Moselle. Mit Atla«. Paris 1868.
') In den lit itriigm zur Stati.^tik der inneren Vemraltaog des Grosehersog-
Urams Baden. Heft XI. Carlsruhe 18t)l.
•) Zur Urgeschichte des Schwarzwaldes. Verhandl. der natnrforsch. Geaell-
schafl in Basel 1877 um! in der Zeitschrift «Das Ausland* 1870.
*) F.xplication (le la carte g^ologiqnc de la France par Dufr^noy et Elie
de Hcauniont. Tome 1, pag. 207. chapitre V: Les Vosges. Paris 1841.
^) Rozet, Description geologiqne de la rägton möridionsle de Is cbatne
des Vosges. Mit geologischer Karte. Paris 1834.
Ch. Contejean, Esquisse dune description phyeique et g6ologique de
Parrondissenicnt de Montbeliard. Ans den Meni. de la 80C. d'imnlation de Hont-
b61iard. 2. serie, I. vol., pag. 41->13ii. Paris 1862.
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Die oberrbeiuische Tielebeue und ihre Raadgebirge.
S9
Mit Bezug auf diese Streitfraffe aber die Zeit der Entstehung
des .Rhein-Systems* ') stellte die philosophische Fakultät der neu ge-
grflndeten UniTersität Strassburg im Jahre 1873 eine Preisanfgabe
mit der Fraije: ,lst der Vogesen-Sandstein vom Bunten-Sandstoin zu
trennen?", eine Fraeo . welche auf Grund der stratigraphischon Ver-
hältnisse dieser Sandsteine in den Vogesen unbedingt zu verneinen
war Endlich hat W. Benecke in seinem Werke über die Trias
in Elsass-Lothringen und Luxemburg (Strassburg 1877) in einem
Schlusskapitel die verschiedenen Ansichten über diese Frage noch
einmal zusammengefasst (S. 794 — 823) unter der Ueberschrift: ,Elie
de Beaumont's Hypothese von der Hebung der Vor;es«'ti nach Ab-
la<rerung des Vogesen-Sandsteins* : B<*net ke hat durch diese klaren und
trelieudeu Darlegungen wohl endgültig Elie de Beaumont's Hypothese
beseitigt und die Zeit der Entstehung von Yogesen und Schwarzwald
in eine viel jüngere Epoche verwiesen.
Freilich können wir damit die Frage Über Zeit und Weise der
Ent.-tehung des oberrheinisclien Gebirgssystems noch nicht als gelöst
betrachten; dazu müs^jen erst, wie gesagt, die in Elsass-Lothringen
und Hessen fortschreitenden, leider in Baden immer noch nicht be-
gonnenen geolMpschen Spezialaufnahmen fertig vorliegen. Wie weit
bisher unsere ^nntnisse fiber das »Rhein-System'' gefördert wurden,
wollen wir in den folgenden Abschnitten unserer Abhandlung be-
trachten
') Leopold V. Buch) Ueber die ecognostiscben Systeme von DeatoclilaDd.
Ein 8eikr«iben an den Oeli. Rath t. Leonhard, in t. Leonhard*« mineralogiBchem
Taschenbuch für das Jahr 1824. S. 501-50'!. Mit Karte. Frankfurt a. M. 1824.
Auch in L. v. Buch s gesammelteu Werkeu^ Band Ul., S. 218. Berlin 1877.
*> Ans der prftmurtcn Preisarbeit veröffentlichte der VerAMser einen Annng
mit Kartenskizze und Profilen in der Zeiteehrift der deuteehen geolog. OeeellscC
Jahrg. 1875, ä. 83 ff.
*) Aqmw der bereits genannten Uteratnr erwfthnen wir hier noch: die
wichtigen Abhandlungen zur geologischen Spezialkarte vr»ii Elsass-Lothringen,
Binde 1—1 V, Strassburg 1875 — 1884 i daraus Jenes oben citirte Werk von Benecke
ober die Trias; dann A. Andreae., Ein Beitrag zur Kenntniss des Elsftsser Ter>
tiar?. in Band II. Heft 3, 18S:'.~18S{; D r s e 1 !. «• . Der Dilavialsand TOn Hangea-
bieteu im Unter- Elüasti, io Baud 111^ lieft 2, 1884.
Femer: ErliMiterangen aar geologischen Karte der Umg^nd von Strassbnrg,
bearbeitet von G. Schamacher. Mit geologischer Karte im Jlassstabe 1 : 25 000.
Strassburg 1883.
FQr Hessen: B. Lepsins, Ueber die dilnyiale Entstehung der Rhein«
Versenkung zwischen DarmsUult nnd Mainx. Zeitsehr. d. deutsch, geolog. Qcsellseli^
Jahrg. 1880, S. 672.
R. Lepsins, Das Mainzer Becken, geologisch besehrieben. Mit geologischer
Üebersichtpkart.' in 1 : 100 000. Darmstadt 1884.
Für Baden siud bisher einige geologische Karten mit Beschreibung ver-
dffentlicht worden in den «Beitrilgen snr Statistilc der inneren Verwaltung des
Grossherzogtlmras Baden". 11 Hefte. Carlsruhe 1858—1873.
Ferner: W. Benecke und £. Cohen. Geognostiscbe Beschreibung der
Umgegend von Heidelberg. Mit swei geologischen Karten in 1 : 50 000. Strass-
borg P74 l'^'=!l.
U. Eck, (ieognostische ICarte der Umgegend von Lahr. Mit Profilen und
Erllnteruugen. Lahr 1884.
Für W ürtte m Ii e r^' er.icliienen bereits 44 Bliittt r der gfognostischen Spezial-
karte im Massstob 1 : 50 000 mit Begleitworten. Stuttgart 18b5— 1883. (Forts, f. S.)
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40
LepeiuB,
[8
IL Orographisohe Uebersicht.
(Siehe die Kertensklue auf Tafel I.)
Das oberrheinische Gebirgssystem umfasst die Gebirge Vogesen,
Schwarzwald, Odenwald and Haardt und die inmitten derselben
liegende Tiefebene. Diese verschiedenen Landestheile des südwestlichen
Deutschlands gehöreu deswtMjen zu ein und demselben Gebirgtssvstem,
weil sie der gleichen ursiiciilichen Kraft ihre Entstehung verdanken;
wir werden Mben, worin wir die gleichzeitig wirkenden Kräfte er-
kennen. Die ünsseren Grenzen des oberrheuiiechen Gebirgssystems
reichen zum Theil weit über die Grenzen jener genannten Gebirge
hinaus; indessen wtirde nns hier eine Erörterung über den Umfang
des Systems zu weit führen, da wir uns liier nur mit den inneren,
wichtigsten Theilen des Systems beschäftigen wollen. Betrachten wir
inerst, wie die yier Randgebirge der oberrheinischen Tiefebene ftnsser-
Hch uneem Blicken sich darstellen.
1. Die Yogesen.
Die Yogesen richten ihre Bergzüge von SSW nach NNO, oder
genauer in N 25 ^ 0. Dire höchsten Hohen liegen im sfidlichen Theile
des Gebirges, in dem festgefügten, aus krystallinen Gesteinen nnd paläo-
zoischen Formationen gebildeten Beichenstock, welcher nnch Süden
getreu die weite Lücke von BeHnrt (,1a trouee de Belforf* oder ,die
Burgundische \ ülkcrpforte*") steil und unvermittelt abbricht. Nach Norden
hin nehmen die Höhen des Gebirges allmählich ab und gehen ohne scharfe
Grenze in die Sandstein-Plateaus der Haardt Uber. Der zweite auf-
fallende Charakter in der äusseren Gestalt der Vogesen bekundet sich
darin, dass dieselben auf ihrer Ostseite noch steiler als gen Süden
zur tiefgelegenen Rheinebene abstürzen und dabei unmittelbar über
der let/temi ilire höchsten Höhen besitzen, während «;ie sich nach
Wesleii gauii ullmuhlich verflachen in die burgmidisch-luLhnngische
Hochebene.
Die absoluten Höhenzahlen lassen diese Verhältnisse am schärf-
sten hervortreten: in der Rheinebene liegt Cohuar in 195 m, Schlett-
stadt in 178 m, Hagenau in 140 m über dem McfM-f-; dagogf'u erreicht
lit inirpmont an der Mosel 393 m, E})inal, obwohl es Ijereits weit ab-
wärts im Moselthale liegt, noch oii ui, Saarburg in Lothringen
292 m Höhe. Dabei steigt man s. Q. Ton dem 1866 m hohen Hohneck,
der anf der Wasserscheide des Gebirges zwischen Colmar nnd Epinal
Sodann: Die gcognostische Proflliran^ der wflrttetnberf^Bchen Eisenbahn»
liniei], von 0. Fraas. Drei Lieferungen. StnttK.itt l'^S:'»— 1RS5.
0. F r a a B . Gengnostische B«ficbreibung vou Württemberg, Baden und Uohen-
sollem. Stuttgart 1882.
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Die oberrheinische Tiefebene und ihre Kandgebirge.
41
steht, zu der nur 20 km eutfernten RheiDebene bis zu 200 m herab,
wSlirend man in entgegengesetzter Richtung von der Mosel bis nach
Nancy etwa fünfmal so weit, nämlich fast 100 km weit Tom Hohneck
ans hina])steiL;en mtiss, um die gleiche Höhe von 200 m Aber dem
Meere zu erreichen.
Bei niiberer Besichti<;nnrr theilt sich die Gebirgsmasse der Vo-
geseu iu drei von SO nach ^nW aufeinander folgende und au Höhe
in dieser Bichtnng abnehmende, parallele Bergzüge (siehe das hinten
beigegebene Kärtchen).
Der mittlere dieser Längszflge ist der Hauptkamm des südlichen
Belchen-Massivs und trennt als Wasserscheide dieZnnfisse des Douhs. der
Saöne. Mosel und Menrthe von denjenigen derill, welciie von der Burj^nui-
di&chen 1' forte an bis unterhalb Strassburg alle VogesenabÜilsse dem Rhein
TOnvegnimmt. Dieser Kamm hBlt sichanf einer mittleren Höhe von llOOm.
Er beginnt im Sflden mit dem steilen Vorgebirge der Planche des helles
fiUes 1150 m und zieht über die breiten Rftcken des Elsässer Beleben
12 -' i m, des Rothenbach 1319 m, dos oben genannten Ilolnieck 1306 m
bis zu den Hautes Chanmes de Pairis 130(5 m. Weiter nördlich erlei-
det der Kamm durch das iu leichter zerfallende Schiefer eingeschnittene
WeüerChal eine tiefe Einsenkang in der Steige bis auf 600 m, um
sich jenseits noch einmal in dem breiten Granitstock des Hochfeldes
(Champ du feu) bis auf 1095 m zu erheben
Diesem S'i) km laiiL'f'n Hauptkainme der Vogesen ist südöstlich
ein kürzerer, parallel f^erichteter Bergzug vorgelagert, welcher des-
wegen nicht mit dem mittleren Kamme vereinigt werden kann , weil
seine Berge zum Theil höher sind als diejenigen des letzteren. Seine
Richtung bezeichnen die mächtigen Pfeiler des Bärenkopfes 1078 m,
des Rossberges llOö m und des Gebweiler (oder Snlzer) Beleben
142»3 m, des höchsten Berges der Vogesen , um 60 m niedriger als
der höchste Punkt des oberrheinischen Gehirgssystems, des Feldberges
drüben im Schwarzwalde-). Mit dem Kleinen Beleben {oder Kahlen
Wasen) 1274 m endigt dieser vorderste Bergzug.
^) Allerdings trennt Kosenbusch (Die öleiger Schiefer^ Abhandlung zur
geolor,'. Spezialkarte Ton Klsast-Lothringen ^ Band I, 8. 80) nach dem Vorgange
von Dechen niul Klic il c H e ii ii in o n t (Ins Massiv des Hochfeldes als ein bc-
aoodereä Glied der üesamrotvogeeen ab, weil dasselbe von der Kammlinie der
Sfid vogesen darch das breite wetlerthal getrennt sei. Indessen hebt Rosen bnsch
seihst licrvor. (lui^s das IIochfeM „genau iu iler Strt'ii liriclituiiy: iler Kaniitiliiiie der
ÖüdTogesen" UeRe. Das Vorhandensein der leicht erodirbaren ächiefer im Weile r-
thal und anf der Steige ist doch gegenöber der von der allgemeinen Gcbirg.-
erhebung ahliiuigigcn Stieichrichtmivr «ier I5t'rgkiin)nie nur eine zunUlige und
eecandi^re Erscheinung, was auch daran zu erkennen ist, dass die Triastafcln west-
lieh dieser fiinsenknng in ihrem Streichen Iceine Einwirlcnng derselben erweisen.
-) In Bezug iuif die in dieser Abliandlung angegebmen Höhenzulilen bemerke
ick, dass es bekanntlich eine Seltenheit ist, wenn für em und denselben Berg in
den Terschiedenen besten geograf^hischen Handbächern die gleiche Höhenzahl an«
gegeben wird, da die zu ürunde gelegten Materialien von sehr verschiedener
Genauigkeit zu sein ptlegen. Ich habe mich bemüiit, für die vorliegende Abhand-
lung möglichst sichere Zahlen za sammeln, und habe stets die Landeskarten, nicht
Zahlen aus Büchern, dafür benutzt. Für die bayerische Pfalz i.st es besonders
schwierig, richtige Uöhenzahlea au gewinnen : denn die Pfälzer Karte in 1 : 50 000
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42
Lepsius,
Lio
An diesen Eckpfeilern des Belcbenstockes muss naturgemSss die
Denudation nnd Erosion stärker wirken nnd rascher nagen als an
dem mittleren Gebirgskamme, da der letztere nur von zwei, jene
vorgeschobenen Rf-r^e aber von drei Seiten angegriffen werden ; noch
dazu bestehen diese zunächst über der Kheinebene liegenden lit ige
zum grossen Theil aus leichter zerstörbaren Gesteinen (nämhch aus
Grauwacken nnd Thonschiefern) als die Wasserscheide, deren m^st
granitische Gesteine langsamer zerstört und abgetragen werden;
ciidHch muss an diesen schroff ansteigenden Bergen, von denen der
höchste von 142(3 m auf eine Entfernung von 8 km bis auf die Tiefe
von 2(50 ni Cfebweiler) abstürzt, die Abtragung (Um- OberHäche
viel energischer vor sich gehen, als an den Bergen mitt<?n im Ge-
birge Wenn trotzdem die höchste Erhebung, der Gebweiler Beleben,
hart am äusseren, südöstlichen Rande des Gebirges liegl^, so erklärt
sich dieser innere Widerspruch nur aus der Art und Weise der Auf-
richtung des ganzen Gebirgssystems, auf welche wir unten näher
einzugehen ha})en.
Während die l)ei(lt'ii ersten Züge dem krvstallinen Belchenstock
augehörten, fällt der dritte, am meisten auch Westen gelegene
Bergzug seiner ganzen Länge nach in das ausgedehnte Suidstdn-
gebiet der Vogesen. Er beginnt im Süden auf dem Plateau an der
oberen Mosel und Meurthe; als erster hervorragender Berg ist dort
etwa der Noyemont !••')() m bei Oerardmer anzuführen. Daun iVdgt
eine lange Sand^tt iiiketie vom Ormont Sil») m bei St. Die an über
die Hautes Chaumes 933 m bei Plaine (zu unterscheiden von den
oben genannten Hautes Obaumes de Pairis des mittleren Kammes)
bis zum Donon 1010 m, Prancey 1007 m und Schneeberg 90.3 m: von
dort senkt sich der Kamm allmählich bis ZU 101 m Meereshöhe bei
Pfalzburg auf der Zaberner Steige . um jenseits durcli das Sandstein-
Plateau von Bitsch einzutreten in di»' Haardt. Des öfteren wird
dieser westliche Bergzug von Flüssen und i*ässen quer durchschnitten,
da die Sandsteine einer viel rascheren Zerstörung anheimfallen, als
die Granite und Grauwacken des Beichenstockes. Die Bichtung dieses
bietet nur wenige Zahlen nnd swar diete in bayerischen Rathen ! Für die Höhe dea
Donnersbern-f's . liöolisten I!t'ri:jos der bayoriscli»^n Pfalz, (Inden pioh z. B. die
l'ulgenden Angaben: K lüden., Uandb. der Erdkunde 1875, II, 6. 107: Gä8,0in;
Onthe- Wagner, Lehrb. der Oeogr. 1879, S. 781: 684 ro; Nenmann^t geogr.
Lex. des deutschen Roirhcs IS^i;;. I. S. 217: 7l?J m: Ritter's {jeo^^r. Lex. 1.
ä, 444: Ö89 m; Laspeyrcs, ZeiUchr. d. Ucutäch. geol. Ges. 1867, Ö. 800: OSO m
nnd 691 m; Reymann's Spezielkarte, Blatt Worms: 666,5 m; Stiel er'a Hand-
atla.«. Knrte Nr. 30:11: m; Giinjbel. Geo^rr;ost. Verluiltiiisse der Pfalz 18(>.'>.
ä. 15 : GUI in : die bayer. Generalstabskarte der Pfalz in 1 : 50 000, Blatt Lauter-
ecken; 288,1 bayer. Ruthen. Man hat also nntcr diesen 10 Angaben die Wahl;
die Mnioritiit spridit für HOl in, welolie /alil drfinial wioderkeliit . wfilirend alle
anderen Angaben untereinander dilTeriren, und zwar von 000,5 m bis 722 m.
') Ger 1 and. Die Gletseherspnren der Vogesen, Verhandl. des 4. deutschen
Geograpliontar'cs zu .MüiuIumi. Merlin l^^^i, .«^atit S. 101 fferade im (Ji'pt'iisatz
ZU der oben ausgedprocheocn Anbicht, dass der mittlere Vogesenkamm deswegen
niedriger als der Oebwetler Reichen sei, weil er durch die ettdwestUch benm«
ziehenden Regen und Wetter stärker denn ^rf winlen W&TC als jener Eckpfeiler.
Der Geologe kann dieser Meinung nicht beipllichten.
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Die oberriieiniBcüe Tiefebene und ihre Randgebirge.
43
Kammes ist parallel den ersten beiden in N 25 ° 0; seine Länge TOm
Nojemont bis zur Zaberner Steige beträgt 80 km. KSrdlieh der
tiefsten Senkung dee Kammes bei Pfalzbnrg imd Lfitzelstein, welcher
drüben die ebenso tiefe Einsenkung des Kraichgaues zwischen Schwarz-
wal(] u!i(l Odenwald entspritlit, sollte man nicht niphr von Vorlesen
syirechi'n : das ^Bitsclit-r Land^ ( Pavs d«- Kitsch ) gehört bereits zur
Haardt. Die Entfernung dieses westiiclien Bergzuges vom mittleren
Hauptkamme der \ ogcsen beträgt durchschnittlich 10 km, d. h. eben-
soTiel wie die zwischen dem leteteren uud dem südöstlichen Bergzuge ;
»eine Hohe liält sich in 900 his 1000 m^ erst gegen die Zaberner Senke
hin nimmt dieselbe ansehnlich bis auf 400 m ab.
Während die beiden erstgenaimten Bergzüge durch mehrere
Querrioo"«'! verbunden oine fcstgofiigte Masse und das Hauptnias^^iv
des Gebirges ausnia(lii n. .sodabs wir sie nach dem Vorgange Elie
de Beaumont's unter dem Namen des ^ Beichenstockes " zusammen-
fassten, ist der dritte, nordwestliche Bergzug der Vogesen von den
beiden ersten scharf getrennt, sellwt von dem Funkte, wo die Wasser-
scheide TOm mittlert ii auf diesen westlichen Gebirgskamm Übergeht,
bei Saales: ein scliroffes nehüngo wendet dieser Sandstein/.ug dem
Belchensttx ke zu. während er nach Westen allmählich in das niedere
Plateau iil>ergeht.
Die Wasserscheide des Gcliirges läuft im südlichen Theile der
\ ogesen vom Elsüsser Beiehen an über den mittleren Kamm bis zum
Climout 974 m, biegt dann nach Westen aus und sinkt auf dem Pass
bei Saales zu 558 m Höhe hinab, um dann wieder in die Hauptstreich-
richtung des Gebirges in NNO und auf den dritten, nordwestlichen
Kamm einzulenken. Vom Passe bei Saales strömt nach SSW in der
Verwerfung zwischen dem zweiten und dritten Zuge die Fave nach
St. Die am Ormont zur Meurthe hin, nacli NNO in der Fortsitzmig
desselben Bruches die Breusch, die sich in ihrem unteren Laufe um
das Nordende des Hauptkammes, den Nordabhang des Hochfeldes,
nach Osten zum Rheine hin herumwendet. Weiter nördlich fliesst die
Zorn an&ngs längs der Westseite des dritten Gebirgsk minies, um
ihn dann in der Zaberner Senke (fuer zu durchbrechen nnd nach Osten
in die Kheinebene hinauszutreten, gerade wie jenseits der Neckar erst
den Ostrand des Schwarz waldes umtliesst, aber sciiliesslich quer den
Gebirgskamm zur Rheinebene hinaus durdischneidet.
Von grossem Interesse ist die südliche Fortsetzung der Wasser-
scheide südlich der Vogesen zwischen Mfilhausen und Beifort: hier
scheiden sich die Gewässer, welche dem Khein und der Nordsee zu-
f^iessen, von denen, welche durch die Uhone in das Mittelmeer ge-
langen: wir stehen also hier auf der primären ^Vasserscheide des
europäischen Continents. Für die innere Strm tiir der \ ogesen ist es
von Bedeutung, dass diese AVasserscheide auf der Burgundischen Pforte
nicht am Stldende des mittleren Hauptkammes der Vogesen, am Elsasser
Beleben ansetzt, sondern von diesem Berge sich zunäclist östlich zum
S&dende des ösÜichen Bergzuges, zum Bärenkopfe begiebt und erst
Ton diesem Berge aus in die Senke hinabsteigt. Auch hieran ist zu
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44
Lepsin«,
[12
erkeuuun, dass der östliche Bergzug, der Ostrand der Vogesen, von
Yornherein die höchste Erhebung des Gebir^ war.
Die grosse Yölkerpforte zwischen den Vocresen und dem Schweizer
Juragebirge hat eine Breite TOn etwa 30 km oder 4 geographischen
Meilen, also diescU»-' I^n'ito. wie die oberrheinische Tiefebene. In der
That i?5t die Hurunindische Pforte topoirraphisch und geologisch die
durch das Juragebirge resp. durch (iuä Aipeusystem etwaa nach West
verschobene sfldliche Fortsetzung der Rheinebene. Der niedrigste
Punkt der Wasserscheide liegt bei Dammerkirch im Col de Valdieu
850 m hoch, also nur 100 m über dem Rheinspiegel bei Basel, jedoch
700 m unter dem nächsten Vogesenberge, dem Bärenkopfe.
•
2. Der Sehwanwald.
Betrachten wir nun das den Vogesen gegenüberliegende Rand-
gebirge der Khoinebene. den Schwarzwald, m finden wir dort eine
ähnliche ;lu.ssore Gebirgsform wie hier, nur dass d«'r Steilhang des
Schwarzwaldes nach Westen, die Üache Abdacimng desselben nach
Osten gerichtet ist. Im einzelnen treten manche Unterschiede in
dem Aufbau beider Gebirge hervor, im grossen und ganzen aber ist
der Schwarz wald das getoeue Abbild, der symmetrisäe Gegenflfigel
der Vogpspii.
Per Sfhwarzwald richtet seine Kiininio parallol den Bergzügpn
der Vogesen in NNÜ; er hat seine liin listen Höhen ebenfalls mi
Süden und näher dem westüchen als dem östlichen Gebirgsrande.
Er sondert sich wie die Vogesen in zwei, auch äusserlich leicht kemit-
liche Theile, das krystalline Grundgebirge der Beleben und das manteU
formig um diesen Kern lagernde Sandsteingebirge : im einzelnen lassen
sich beide Theile in mehrere parallele Bergzüge gliedern, welche den
soeben besprochenen Zügen der Vogesen parallel, in der allgemeinen
Streichrichtuug des oberrheinischen Systems in N -5" 0 verlaufen.
Im Sehwarzwalde steht der höchste Berg, der Feldberg, auf dem
mittleren Gebirgskamme, welcher im Gebiete des krvstallinen Grund-
gebirges zugleich die Wasserscheide darstellt und dem mittleren
Vogesenkamm entspricht. Dieser Hauptbergzug des Schwarzwnldcs
bc^ginnt im Süden mit dem Hohen Mohr, nordöstlich über Schoj t in ini
im Wiesenthaie, mit einer absoluten Höhe von iiSO m; er läuft dann über
den Rohrkopf 1161 m, den Hochkopf 1265 m, den Bldssling 1312 nt,
das Herzogenhorn 1417 m zum Feldberg 1495 m. Von dem breiten
Rücken des Feldberges sinkt die Höhe des Gebirgskammes zum Pass
über dem H(")llentlial Ins auf 012 ni herab, um jenseits 'wieder anzu-
steigen Zinn iloch.strass (oder Hohlen Graben) \'2'M ni und weiter zu
gehen über die Ecke 1004 m bei Furtwangen zum Brend llöO m und
Rosseck 1148 m. Das obere Gutaehthal zwischen Triberg und Hom-
berg begrenzt diesen Hauptzug. Durchschnittlich hält sieh dieser
Kamm des Belchenstr»c1:,.s in liOOm Höhe, steigt im Feldberg bis
fast auf löOO m und lallt im llöllenthalpas.s l)is auf 012 m.
Nahe diesem mittleren Hauptkamme des Schwarzwaldes zeichnet
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Die oberrheinisdie Tiefebene und ihre Randgebirge.
45
sich noch weiter östlich ein vortjelagerter Bergzug &u.s, der im Süden
mit den weit nuch Süden bis an den Uhein durchziehenden Höhen des
Vor Waldes östlich über dem Wehrathai bei Homberg mit 1035 m ein-
setzt; er zieht fiber den Bützberg 1210 m und Habsberg 1209 m am
Schluchsee zum Hochfirst 1101 m bei Neustadt, an dessen Nordfuss die
Gutach (Wutach) in enger Schlucht diesen Bergzug durchbricht. Ueber den
Steinbühl 1139 m am SchoUachthal und den Kesselberg 1009 m gelangt
dieser östlii he Zug auf dit> 1 )()nau-IUi<'in-Was8erscheide im Sonimeraupass
877 m bei Triberg, dem niedrigsten Pass der Wasserscheide, welcher
im Tmmel toh der Schwarzwaldbahn durchfahren wird. Jenseits be-
ginnen die zusammenhängenden Sandsteinhöhen im Windkopf 045 m
und Brielkopf 882 m; schon die Schramberger Haardt 748 m bei
Schiltach streicht mit den Triastafeln des Mantels mehr in nördlicher
Richtung.
Westlich des Hauptkammes zur liheinebeue hin tulgt ein dritter
paralleler Bergzug; derselbe beginnt im Sflden mit dem Schlöttleberg
965 m bei Eandem, zieht auf den Belchen 1415 m, nächst dem Feld-
berg die höchste Erhebung des Schwarzwaldes, und läuft über den
Erzkasten 1280 m, den Kandel l_M:{m, den Rohrhardts])erg 1144 in,
den Grossen Hnndskopf 052 m bei Pft^rsthal bis auf den Kniebis
973 m. Ueber das obere Murgthal hinaus lässt sich dieser Zug noch
in das Sendsteinplateau bis auf den Hohloh 991 m und den Rösberg
886 m bei Gemsbach Terfolfifen. Dieser Tordere Bergzug des Schwarz-
waldes wird durch zwei Thäler tief zers( Imitten, w«dche von dem
Hauptkamra herabkommen, das Dreisamthal, dessen Sohle hin Zarten
oberhalb Freiburg 'M^) ni tief liegt, und dann durch das Kinzigthal
bei Wohach in 240 in Tiefe. Die Länge des ganzen Zuges vom
Schlöttleberge bis zum Kniebis beträgt gegen 100 km, und die Kichtung
desselben streicht in N 25* 0, der Hanptrichtnng des oberrheinischen
Gebirgssystems.
Noch weiter westlich von diesem dritten Bergzuge des Schwarz-
wald»*s ♦ rheben sich am Steilhange zur Rheinebene noch einige be-
sonders liervorragende Bergkuppen, welche zum Theil bereits dem an
der Kbeinspalte abgesunkenen Gebirgsrande augehören, zum Theil noch
als Ausl&ufer jenes Zuges zu betrachten sind. Von diesen Aussen-
gliedern nennen wir den Blauen 1107 m, den Schönberg 040 m bei
Freiburg, den Hünersedel 746 m, den Rauhkasten 041 m und den
Steinfirst 002 m, welche Berge sämmtlich auf abgesunkenen Gebirgs-
streifen liei^eu; endlich die Sandsteinreste des Mooswaldes 878 m und
der Horm.sgnnde 1100 m, welche durch Erosion vom östlichen Haupt-
kamme abgesondert liegen. Es entsprechen diese Vorposten den isolirten
Kuppen, welche drüben in den Vogesen gleichfalls nahe über der Rhein-
ebene vor dem Hauptkamme liegen, wie der Hohnack 080 m über
Colmar (nicht zu verwechseln mit dem Hohneck auf der Kammlinie),
der Alteuberg 880 m, der Ungersberg 905 m imd der MenneLstein
819 m fiber Barr bei Strassburg gelegen.
Die Wasserseheide des Schwarzwaldes scheidet ebenso wie die-
jenige der Vogesen zumeist Gewisser, welche ein und demselben Flusse,
dem Rheine zufliessen; nur die kurze Strecke des mittleren Gebirgs-
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46
LepsioA,
kammes vom Hocli?itiass an über die lixjsseck b»M P'urtwangeii und den
Kesselberg bis zum Sommeraupasse bei Triberg, eine Strecke von
el^a 80 km Länge, trennt die Zufifisse der Donau, Brege nnd Brigach
und also des Schwarzen Meeres von den Znflflssen des Rheins nnd
der Nordsee. Hier stehen wir znm stweiten Male*anf der primären
eiirop;iis(]ipn Wasserscheide, so dass demnach die genannte Strecke
auf dem Scliwarzwalde jener noch kürzeren in den Südvogesen vom
Elsässer Belchen bis zum Bärenkopfe entspricht, in welcher sich die
Rheinzuflfisse Yon denjenigen der Rhone acheiden.
Wenn nnn auch einerseits die Mosel, Heurthe nnd Saar, andrer-
seits die Wutach und der Neckar in ihrem Unterlaufe Hüninitlich in
ein und denselben Strom, den Rhein, einmünden, so bleiben doch die
mittleren (Tebirgskämme der Randgebir«?e auch ihre Hauptwasser-
scheiden, weil die Verhältnisse des Unterlaufes dieser Flüsse nicht mass-
gebend sind für die Wasserscheiden im oberen Lauf derselben. Durch
die eigeuthtlmlichen hydrographischen Verhältnisse im Stromgebiete
des Rheins durchbredicn die Zuflüsse öfters die Hauptwasserscheiden
der Randgebirge im oberrheinischen Gebirgssysteme, wie es bei der
Zorn in den Vogesen, beim Neckar im Odenwalde der Fall ist.
Die Hauptwasserscheide des Schwarzwaldes beginnt auf dem Vor-
walde über Säckingen, vereinigt aich im Hochkopf mit dem mittleren
Gebirgskanune nnd bleibt anf diesem bis znm Bosseck, Ton wo an sie
sich wieder östlich dem dritten Bergzuge zuwendet und fiber den
Kesselberg und Sommeranpass Übertritt anf die Sandsteinsfige des
Mantels.
3. Die Haardt
Den Vogesen schliesst sich im Norden ohne scharfe Ghrenze, doch
nach einer fast ebenso tiefen Senke wie drflben zwischen Schwarzwald
und Odenwald , das Gebirge der Haardt an , welches im Ganzen den
Platcaucharaktcr eines jeden ausgedehnteren Sandsteingebirges trägt,
ähnlich dem hinteren Odenwald oder dem Spessart. Wie in den Vo-
gesen liegt auch in der Haardt die höchste Erhebung unmittelbar
über dem steilen Abbruch zur Rheinebene. Hier Yerlluft am Osfennde
des Gebirges eine Bergkette, welche im Hanptstreichen des ober-
rheinischen Systems sich in NNO richtet. Im Süden beginnt dieser
Zu'_r mit dem isolirten Hd -liwalde bei Wörth, der bis zu '»1^ m an-
steigt, sich also 441 m über dem Hheinspiej^el bei Lnntf^rbnr«; ( 1()7 m)
erhebt. Dann folgen der Trifels 457 m und Hohenberg öoö m bei
Annweiler, der Teufelsberg 003 m, Schänzel 616 m und der Gnwse
Kalmit 681 m, der hOchste Berg der Haardt; endlich der Hohe Wein-
bieth 555 ra bei Neustadt und der Peterskopf 497 m bei Dürkheim.
Dieser äussere Bergzug hat eine Länge von 05 km. An drei
Stellen wird er von grösseren Rheinzuflüsseu durchschnitten: von der
Lauter bei W^eissenburg, von der («Queich bei Landau und vom Speyer-
') „Haardt* bedeutet Wald; daher die Beteichnang „Haardtwald", wie sie
zuweilen fttr dieses Gebirge gebraucht wird, eine Tautologie ist
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15]
Die oberrheiniBche Tiefobene und ihre Randg^birge.
47
bach bei Neustadt. Diese drei Fliis.-e (Inrchsclineideu das Sandstein-
gebirge bis auf das unterliegende GnmdL^ebirge , welches auch läiitrs
der hüchsteu Erhebuug .des Gebirges an den unteren Berggehüugen
swiBchen der Qaeioh und dem Speyerbaeh flberall m Taffe tritt Der
Ostfoss der Haardt in der Vorderpfalz Hegt etwa in 200 m, während
der Kordwestrand von Göllheim nach St. Ingbert eine mitÜere Hohe
▼on 235 m hositzt.
Ein zweiter Bergzug zieht 15 km weiter westlich mitten durch
die Haardt: er setzt an im eingesunkenen Hügellande zwischen Zabern
mid Hagenau mit dem Bastberg 329 m bei Buchs weiler, tritt in das
Gebirge ein mit dem Plonn 413 m bei Offweiler, zieht ttber den Grossen
Winterberg 577 m bei Niederbronn, den Grossen Byberg bei Dahn
zum Eschkopf 012 m auf die Frankeiiwoide, welcher Kücken in der
mittleren Haardt dominirt und zugleich die Wasserscheide bildet; dieser
Zug bleibt dann auf der Wasserscheide im Waltersber«:^ 4r)," m und im
Heiligenberg bei Hochspeyer und endigt im Stumpfwaide bei Güliheim.
Erst der dritte, westlichste Bergzug der Haardt bildet die Fort-
setzung (]»'s Kammes der nördlichen Vogesen, welcher, wie erwähnt,
direkt über den tiefen Einschnitt des Zornthides in das Hochland von
Bit<f h nVtergeht. Die einst als Strassenkunstwerk berühmte Zaberner
St^iige erreicht eine Höhe von 10 J ni: in dieser Höhe etwa bleiben
die Bergzüge in dem ausgedehnten Sandsteinpiateau des Westrichs ;
nur die höästen Kuppen strecken sich etwas höher. Der Sattel der
Strasse Ton Bnehswcnler über Lützelstein nach Saamnion liegt mit
395 m zwar um 0 m niedriger als der Gebirgskamm aof der Ziwemer
?^tra«tse: er entfernt sich aber auch ansehnlich weiter vom abgewnsrhonrn
östlichen Gebirgsrande ; diesem Rande stehen der höhere Hünenberg
419 m bei Neuweiler und der Euglischberg 393 m bei Ingweiler näher.
Weiter nach Norden zieht dieser Bergzug über den Sarreinberg 484 m
bei Oötzenbrfick, den Hohen Kopf 443 m bei Bitsch, den Kirchberg
387 m bei Pirmasens und endigt in der Sickinger Höhe 475 m zwischen
Kaiserslautern und Landstnlil.
Der Nordrand der Haardt streicht parallel dem gegenüberliegen-
den Hunsrück in ONO von Göllheim über Kaiserslautern und Homburg
bis nach Saarbrficken.
Die Lange des westlichen Bergzuges der Haardt Ton der Zabemer
Steige bis auf die Sickinger Höhe beträgt 77 km; rechnen wir hinzu
die Fortsetzung desselben durch die Saudsteinvogesen bis auf das Plateau
an der oberen Mosel, so erreicht dieser fortlaufende Bergzng eine Länge
von 100 km. Yogesen und Haardt zusammen sind etwa 200 km lang,
während der östliche Gebirgsrand der Rheinebene, Schwarzwald und
Odenwald, noch um 70 km langer ist.
4. Die beiden Senken bei Zabern und im Kraichgan.
Wie wir gesehen haben, bleibt der verbindende Bergkaiuru
zwischen Yogesen und Haardt in der Strecke von Pfalzburg bis Lfitzel-
stein mit 4(M) m Meereshöhe nur wenig unter den Höhen des Bitscher
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48
LepsiuSf •
[16
und Westricher Hochiandes; jedoch erhebt sich der höchste Berg der
Haardt, der Grosse Kalmil, um 280 m fiber denselben. Zu dies^
Sandsteinzuge westlich fiber Zabern ist geologisch das tiefer ein-
gesunkene Uflgelland zwischen Zabern und FIa«):enau als «gleich werthig
hinzuzurechnen. Unter dieson Unistäiidon ist der Unterschied zwischen
der ZalxTiior Lücke und (icr Seukinig drüben iui Kriiicb^au nicht so
bedeutend, als er t<jpograj)hiscli aui den ersten Blick erscheinen künnte.
Die abgesunkenen Juraschichten in den Verbergen bei Lan^enbr&cken
entsprechen den gleichen Schichten im Zabem-Hagenauer HOgellande.
Der Gebirgskamni östlich oberhalb der LangenbrÜckener Senke
tritt zwar äusserlich nicht so scharf hervor als derjenige bei Zalu rn.
weil ihm der abgebrochene yteilhiuicr fehlt; auch liegt er nicht auf Bunt-
sandstein, sondern auf Muschelkalk und Keuper, besitzt aber immerhin
eine mittlere Höhe von >V2h m, gegen 4ü0 m drüben bei Zabern.
Ebenso wie in der Zabemer Senke die Wasserscheide weit nach
Westen von der Bheinebene entfernt liegt, so weicht auch im Kraich-
gau zwischen Schwarz wald und Odenwald die Wasserscheide etwas
nach Osten aus: dieselbe zieht sich aus dem Xordrande des Schwarz-
waldes von Dobel 722 m ül>er den VVartberg 44l> ni bei Pforzheim,
den Scheuelberg 383 m bei xMaulbronu zur Grossen Haardt 330 m und
erreicht unterhalb Neckarelz den Neckar, um sich jenseits im hinteren
Odenwald weiter fortzusetzen.
Ein zweiter vorderer Bergzng in der Kraichgauer Senke läuft
westlich des erstgenannten und näher der Kheineltene vom Nussbaum
3211 m bei Bretteu zum Kreuzberg 332 m bei Klsenz und Eichelber«x
328 m (der Steins! >erg 335 m etwas östlich des Eichelberges ist eine
aufgesetzte Basaltkuppe), erreicht den Hohberg 260 m bei Sinsheim
und tritt jenseits in den Sandstein-Odenwald ein.
5. Der Odenwald.
Im Odenwalde richten sich die Bergztige etwas mehr gegen K
als in den anderen drei Randgebirgen der Bheinebene: während das
Streichen der Kämme in den letzteren in N 25 " 0 geht, verläuft das-
selbe im ndetiwalde mehr in N 15*0. Am deutliclisten tritt dieses
Streichen in dem Bergzuge hervor, welcher die vorderen Hcdien der
Kraichgauer Senke nach Norden fortsetzt: er zieht durch den Stüber
Centwald zum Auberge 516 m bei Eberbach , setzt dann Aber den
Neckar weiter, an der aufgesetzten Basaltknppe des Katzenbuckels
()28 m, i1 Mii liöchsten Berge des Odenwaldes, westlich vorüber, auf
die Sensbacher Höhe 558 m, den Krähberg 548 m bei Bct i felden, den
Baurück 550 m bis zum .Tairdhaus Eulbach 505 m und darüber hinaus
bis an den Main. Der scharte N-S gerichtete Einschnitt westlich
dieses Zuges liegt zumeist in einer Verwerfung und Bruchlinie, in
welcher nach S der Gammebbach, nach N die Mümling abläuft;
auf der Passhöhe 400 m zwischen beiden Bächen entspringen in Beer-
felden starke Quellen, welche aus den westlich gelegenen, in 0 ab-
fallenden Sandateinhöhen gespeist werden.
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17]
IHe oberrheinische Tiefebene und ihre Sandgebirge.
49
Dieser östliche Theil des Odonwaldcs , der -hintere Odenwaki",
Fetzt sich zusammen ans mehreren in X 15 o 0 streichenden Sandstein-
zügen, welche im ganzen ein Hochplateau von durchschnittlich 450 m
Meereshöhe bilden; der Spessart ist die unmittelbare Fortsetzung des
hinteren Odenwaldes, nur getrennt durch den Main, welcher sich quer
durch r]ie S'andstcinifige nein Bett grub.
Der Rheinebene näher zieht am Westrande des Sandstein-
plateaus ein Bergzut^ von Wiesloch herauf über die ersten Höhen am
Südende des vorderen Odenwaldes auf den Köni<j;.stuiil 507 m bei
Heidelberg, dann über dea Neckar zum Haidenbuckel 523 m, über
den Hardeberg 582 m und Kottenberg 550 m bei Siedelsbrunn , die
Walpurgiskapelle 521 m bei Weschnitz, den Morsberg 517 m, die
Böllsteiner Höhe 407 m , den Heidelberg 364 m bis auf den Klotze-
berg 350 m bei Umstadt.
Im vorderen Odenwalde zwischen der Bergstrasse einerseits und
den Thälern der Weschnitz und Gersprenz andrerseits, in dem das
kryttaUine Grundgebirge Torherrscht, macht sieh die Aufkippung der
Gebirgsränder längs der Rheinebene besonders kenntlich in dem Berg«
zuge, welcher mit dem Auerbacher Schlossberge 350 m und dem dicht
über der Rheinebene aufraffenden Melibocus 510 m beginnt, über den
Frankenstein 424 m nach Norden fortsetzt und in den Berufen östlich
Darmstadt, im Dommerberg 280 m, der Ludwigseiche 289 m und in
der Wasserscheide gegen Offenbach am Main hin ausläuft. Die höchsten
Höhen des vorderen, krystallinen Odenwaldes liegen auf dnem weiter
Östlich streichenden Zuge in der Seidenbucher Höhe 598 m und in
der weiter in NNO gelegenen Neunkircher Höhe 591 m.
Die Tier Randgebirge der oberrheinischen Tiefebene zeigen
demnach im allgemeinen die folgenden Verhältnisse. Der Beichenstock
der Vogesen besitzt im Südosten und dicht über der Rheinebene seine
höchste Höhe mit 142() m und nine Kammhöhe von 1300 m Meereshrdie.
Das •'h-nndgebir^'e des Schwarzwaldes liat seine höchste Erliebung mit
14l'.'> m mehr inmitten seiner Breite, näher dem Süd- als dem Nordende
seiner Länge, und einen weniger geschlossenen Kamm als die Yogesen,
▼on 1200—1400 m Höhe.
Die Sandsteinrücken der westlichen Vogesen von 900 — 1000 m
Höhe verl)inden sich durch einen Sandsteinzug von 400 m Höhe mit
dem Plateau der Haardt, deren höchster Berg, wie in den Vogesen,
dicht am östlichen Gebirgsrande mit (iSl m Höhe steht; die Horli-
kiimme des Westricher Hinterlandes besitzen 400 — 500 m Höhe. Der
«regenfiberliegende Odenwsld ist einerseits durch eine etwas flachere
Tind breitere Senke von 325 m Höhe der Wasserscheide vom Schwarz-
walde getrennt, andrerseits dem äusseren Anschein nach (aber nicht
geologisch) etwas weniger hoch gehoben als die Haardt; der höchste
Berg des Odenwaldes liegt, wie im Schwarzwalde, mehr inmitten des
Gebirges und hat eine Höhe von 028 m; die Trennung in einen
krystallinen Kern mit Höhen von 500 m am westlichen Rande und
fast 600 m in der Mitte und in einen östlich gelegenen und scharf
VovMlniOfm mr dfvtaolMii LaadM- vnA Volkskoiide. Z. 9. 4
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50
Lepsiiu,
[18
abgesetzten Saudsteinmantel mit Plateaus von 4r)() — .'»Od ni Höhe tritt
im Odeuwaide ebeaso deutlich hervor als im Schwurzwaide und iu den
Yogesen, während in der Haardt die Unterlage des Sandsteins, das kry-
staUine Grundgebirge, nur in den tiefeten Thaleinschnitten su Tage tritt
6. Die Eheinebene.
Die zwischen diesen Gebirgen abgesunkene Rheinebene endlich
dacht sich allm&hlich mit dem StrorogeföUe nach Norden zu ab, Ton
250 m Meereshöhe im Süden bis 80 m im Norden , also im ganzen
170 m auf eine Liinge der Ebene von Basel bis Miunz von 280 kra.
Das Gefälle des Rheins in dieser Strecke ist bekanntlich verhältniss-
mässig gering und beträgt ,von Basel bis Ötrassburg ungefähr 107 m,
von da bis Mannheim 45 m und von da bis Mainz 15 m; es ist also
in den oberen Gegenden um vieles stärker wie in den unteren Theilen
der Tiefebene. Man kann annehmen, dass das starke Gefälle von Basel
bis zum Einfluss der Murg (bei Rastatt) reicht und wenigstens ra
beträgt, von da bis Mainz aber nur noch 31 m* (von Dechen 1. c. 1SlI5
S. 25). Zum Vergleich sei aufrt'tuhrt, dass der Rhein vom Bodensee
bis Basel auf eine Länge von etwa 112 km 150 m und von Bingen
bis Bonn auf 150 km um 33 m f&llt.
Der Feldberg ragt 1200 ra, der Gebweiler Beleben 1221 ni, der
Katzenbuckel 532 m und der Grosse Kalmit 580 m über den Rhein-
.«ipiegel empor; die beiden nördlichen Randgebirge sind also etwas
weniger als halb so hoch als die ])eiden südlich gelegenen. Die (Te-
birgsliuie längs der Westseite der Rheinebene sinkt von 1420 m im
Gebweüer Beleben bis auf 400 m in der Zabemer Senke , also um
1026 m, und erhebt sich dann wieder um 281 m bis 681 m im Grossen
Kalmit. Auf der Ostseite sinkt die gleiche Linie von 1495 m im
Feldberg um 1 1 70 m bis auf die Kraichgauer Senke und hebt sich
zum Katzenbuckel wieder um 303 ni — Hrdienunterschiede, gegen welche
die Abdachung der Rheiuebcne von Basel hin Mainz mit 107 m gering-
fügig erscheint.
7. Die äusseren Orenien der ?ier fiandgebirge.
Ziehen wir endlich noch die Höhen des Aussenrandes der
vier Gebirge in Betracht. Diese Linie des Aussenrandes ist allerdings
nur mehr oder weniger willkfirlich zu ziehen, da die äussere Abdachung
des Gebirges eine ganz allmfthliehe ist und eine scharfe Chrenze gegen
die anstossenden Hochebenen nur an wenigen Punkten gegeben ist.
Nehmen wir als Grenze diejenigen Gebiete, in denen der Charakter
des Waldgebirges übergeht in das bebaute Hache Hoch- oder Hügel-
land, so erhalten wir für den Schwarzwald als östliche Grenzlinie etwa
die folgende: rom Bbein oberhalb Waldsbut längs des Thaies der
Wutach hinauf nach Blumberg 708 m, dort über die Wasserscheide
in 740 m Höhe zur Donau nach Donaneschingen 680 m, dann die
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19]
Die oberrhciniBclie Tiefebene nnd ihre Randgebirge.
51
ßrigach hinauf nach Villingen m, wieder über die primäre euro-
päische Wasserscheide in 7(30 m Höhe hinüber zum Neckar; weiter
an der alten Hönierstrasse entlang auf dem jilatten Kücken zwischen
Neckar und Eschach ca. 1)50 m hoch und um Neckar hinab bis Horb,
hier über die Wasserscbeide in 575 m zur Nagold und endlich dies
Flüsscben hinab bis Pforzheim; die Wasserscheide zum Rhein liegt
hier in nur 300 m Höhe. Eine srdche Linie von Waldshut bis IM'orz-
heim würde durchschnittlich eine Uöho des (istlichen Schwarzwaldraiides
von *)'»() m ergeben: jedoch würde dieselbe im Süden höher als im
Norden liegen, da die Wasserscheiden bei Douaueschingen in 740 m,
bei Yillingen in 769 m, dagegen bei Horb in 575 m nnd bei Pforzheim
in 9ßO m Höhe sich befinden.
Als Ostgrenze des Odenwaldes wn'irde etwa die Strasse von
Neckarelz über Auerbach, Buchen, Walldürn im Baulande nach Werth-
heira am "Main anzusehen sein ; hier liegt die Wasserscheide zwischen
Neckar und Main in 430 m Meereshühe.
Die westliche Umrandung der Vogesen tritt noch weniger dent-
lieh als die Östliche Grenze des Schwarzwaldes henror: sie würde etwa
durch die Orte Faucognej 364 m, Remiremont 393 m, Bruyeres (>()1 ra,
Raun TKtape 285 m, Cirey les Forges 309 m zu bezeichnen sein, dann
zur Saar hinüber nach Saarburg 202 m und quer nach NNO über die
flachen Plateaus weiter als westliche Grenze des Ilaardtgebirges über
Kauweiler 283 m, Ganeweiler 3ü0 m, Lorenzen 230 m, Rohrbach 350 m,
endlich das BickenthiJ hinab nach Zweibriicken 217 m nnd Homburg
233 m verlanfen. Die Wasserscheiden dieser Begrenzungslinie liegen
im Süden zwischen den Quellflüssen der Mosel und Meurthe in 050 m,
weiter nördlicli zur Saar hinüber in 450 m. dann auf dem Plateau
w« -tlirh der Haardt in 350 ra. Im ganzen würde demnach das Hoch-
land westlich der Vogesen und der Haardt um etwa 100 m niedriger
sein als dasjenige ösIMdi Tom Schwarzwald nnd Odenwald; die west-
liche Grenzlinie sinkt ziemlich gleichmassig nach Korden zu mehr nnd
mehr ab, die Ostliche steigt ans dem Neckunhale wieder auf zur Wasser-
scheide gegen den Main.
Eine der eigenthümlichsten Erscheimuigcn im Stromgebiete des
Rheines ist der Verlauf der Rhein-ZuHüsse: Neckar und Main, Mosel,
Zorn und Saar durchschneiden quer Gebirgskämme und Plateauhöhen,
welche nach den äusseren topographischen Kiveaubeziehungen scheinbar
nur dadurch überwunden werden konnten, dass die Flüsse einst bergauf
Üoft-n; so bricht z. B. der Neckar nicht an der tiefsten Stelle, in der
Kraicligauer Senke, durch den Gebirgsrand hinaus zur Rheiuebene. sondern
hat Berge des südlichen Odenwaldes durchschnitten, welche mehr als
200 m höher sind, als die Wasserscheide ju jeuer Senke. Solche
hydrographischen Batiisel sind topographisch unlOsbar; nur aus der
geologischen Geschichte der Gebirge werden sie entziffert. Die mecha-
nische Geologie weist nach, dass die jetzigen NiveanverhiUtnisse der
Oebirge gegen die Hoch- und Tiefebenen in früheren Zeiten andere
waren, dass sie bedeutende Veränderungen im Laufe der Erdgeschichte
erlitten, während gleichzeitig die Bäche und Flüsse unablässig beschäftigt
waren, ihre Fnrdien in die ErdobeiflSche altentiialben zu ziehen. Aus
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52
[20
den meist complicirten Wirkungen, welche durch die Gleichzeitigkeit
der mechanischen Gebirgs-Bewegungeu und der Erosion der Flüsse,
sowie durch die uumterluNMdiene Folge und die lauge Daner beider
Eraeheiiuiiigeii TeruzBacht wurden, lassen sich allein die mannigMtigen
Bathsel der Hydrographie lOsen und erklftren.
UL Der geologische Bau.
Die bLslier betrachtete äussere Gestalt der Rheinebene und ihrer
Kandgebirge ist abhängig von der inneren Structiu: derselben und nur
ans der Erkenntniss dieses geologischen Baues TerstSndlidi. Als
seciiuJäres Formelement der Oberfläche kommt dann die abtragende,
einschneidende und auffüllende Thätigkeit des fliessenden Wassers
hinzu, welche die innere Strnctnr der Berge und Ebenen oberflächlich
verwischen, aber nicht verändern kann, und welche stets jenem geo-
logischen L actor die massgebende Stellung überlassen muss.
Zwei scharf Ton einander getrennte Schichtensysteme lagern im
südwestlichen wie im übrigen Deutschland discorduit Qber einander:
(las krystalline und paläozoische Grundgebirge wird ungleichförmig
bedeckt von den unter sich concordanten Schichten der Trias?- und
Jura-Formationen. Jenes Grundgebirge umfasst die azoischen Schiefer.
Gneiss, Glimmerschiefer und Urthonschiefer mit ihren granitischea
Eruptivgesteinen, sowie die Silnr- nnd DeTon-Schiehteii und die
SteinkoUenformation. Das jüngere Schichtensystem beginnt mit den
CoDglomeraten und Sandsteinen des Oberen Rdtliliegenden. Im Ver-
laufe der Steiiikohlenzeit vollzocr sich allmählich in den damaligen
coutineutalen Strecken des a\ östlichen und südwestlichen Deutschlands
eine allgemeine Zusammenstauung des Grundgebirges: es entstanden
die langhinziehenden, in ONO streicihenden Falten des rheinischen
Schiefergebirges; andi noch die Schichten der productiven Steinkohle
in den Becken von Aachen, an der Ruhr und von Saarbrücken uiussten
den gleichen Bewegungen nachgeben. Gleichzeitig und in Folge dieser
Bewegungen ergossen sidi aus den aufgerissenen Erdspalten grosse Massen
von Lava, welche in tlen 1 ornien der Melaphyre und Porphyre er-
kalteten. Erst gegen das Ende der Kothliegeudeu 1 urmation sanken
die continentalen Strecken Deutschlands mit allen anf ihrer Oberfliche
befindlichen Beiden, Thälem und Ebenen unter den Meeresspiegel und
wurden dann zunächst durch die Geröll- und Sandmassen des Ob^en
Äothliegenden iilterschüttet und nivellirt.
Die Meeresbedeckung dauerte nun ununterbrochen fort bis
zur Zeit nach der Ablagerung der Oberen Juraformation. Während
sich aber in den Heeren anderer Gebiete die ganze mächtige Reihe
der Kreide- und der ältesten, eocänen Tertiär-Schichten absetzte,
wurde und blieb das sfidwestUche Deutschland wiederum Contineni
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Die obenrheiniaelM Tiefebene und ihre Randgebirge.
53
Erst das tnitteloligocäno Meer brach von Süden herein ül)er dio da-
mals in ilirer Entstehung begriffenp Rheinversenkiing. Wir erkennen
daher m unserem Gebiete eine zweite discordante Ue})erlugerung,
welche geschah nach langer eontinentaler ünterbreebung: die ob'go-
cSnen, jungtertiären imd diluvialen Schichten bedecken ungleichförmig
das Grundgebirge und die Trias- und Jara-Formationen. Wir wollen
mm sehen, welche Rolle diese drei von einander scharf getrennten,
aber in sich einheitlich gefügten Schichten?ysteme, Gruml «Gebirge, Trias
und Jura, Tertiär und Diluvium, in dem Aufbau des obc^rrheinischen
Oebirgssystems spielen.
A. Das Grundgebirge.
Das krystalline und paläozoische Grundgebirge, wclclio«; in allen
vier Randgebirgen der Kheinebene den Kern der munteltoriiiig um-
lagernden Schale \) von jüngeren Formationen bildet, ist bisher noch
verhiUtnissmässig am wenigsten untersucht worden; wir können den
Aufbau desselben daher nur an einigen Beispielen erläutern. Die einst
auch an der Oberflüche zusammenhängenden Strecken des Grundge-
birges treten jetzt im .südwestlichen Deutschland nur noch zu Tage in
den Beichenstöcken von Schwurzwald und Vogesen, in dem vorderen
Odenwalde längs der Bergstrasse und in den tiefsten Einschnitten am
Ostrande der Haardt. In allen vier Gebieten herrschen Gneisse und
Oranite Tor; Glimmerschiefer und Phyllite finden sich untergeordnet
in den Vogesen. Die Silurformation wurde bisher nicht nachgewiesen.
Granwacken und Thonschiefer sind in den Vogesen weit verbreitet,
auch linden sie sich in Schwarzwald und Haardt: man bezeichnete sie
frtlher als ,Uebergangsgebirge", eine unbestimmte Bezeichnung, die
noch von Werner aus dem vorigen Jahrliundert stammt; das Alter
derselben ist auch jetzt zum Theil noch nicht erkannt worden, zum
anderen Theil wurden sie durch Funde von Yersteinenmgen als
devonisch, zum grössten Theil aber als unter -carbonisch (Kulm) be-
stimmt. Productive Steinkohle (Oberes Carbon) wurde bisher in den
Vogesen nur in der Umgegend des Leberthaies bei Schlettstadt und
im Schwarzwaid an vereinzelten Orten nachgewiesen. Es interessirt
uns hier allein die Lagerung der Schichten des Grundgebirges, da wir
nur aus derselben den Bau der Gebirgskeme erkennen können.
1. Im Schwarzwalde.
Das Grundgebirge des Schwarzwaldes besteht zum grosseren Theil
aus Gneiss. Drei Granitstöcke durchbrechen und umgrenzen die
(ineissflSohen: der eine derselben nimmt die südlichen Berge des
Ein Ausdruck, den bereits Peter Merian anwendet in seiner wichtigen
GcogDMttoehen Uebenicht des sttdlichen Sehwsnwaldes, S. 188. Basel 1881.
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54
Lepüiu,
[22
Sciiwarzwaldes ein und zieht vom Blauen über den Hochkopf zum
Hoehfirst bei Neustadt an der Wntacfa; dieser Gramtsng trennt den
Gneiss des Vorwaldes von den grossen, zusammenhängende GneisiK
gebieten, welche vom Beleben und Feldberg bis nach OfTenburg und
Oppenau rpiVlien. Auf der Grenzo zwischen diesem Granitzug und dem
nördlicli anhebenden Gneisse zieht sicli eine henierkenswerthe Zone von
Kulm-Grauwauken und -Thonachiefern quer durch den Schwarzwald von
Westen nadh Osten. Audi umsehliesst der Oranit mehrere einzelne
Ghieissschollen. Ein zweiter Granitzng tritt bei Triberg auf und reicht
Über Hornberg bis Schiltach und Alpirsbacb. wo der Granit unter der
Sandsteindecke von der Oberfläche verschwindet. YAn drittes Graniff^ebiet
finden wir im Nordwesten der Gneissfläcben: es nimmt den ganzen nijrd-
lichen Theil des Schwarzwülder Grundgebirges ein. von Ottenburg bis
Achem nach Gemsbach und bis ins Enzthal nach Wildbad hinüber.
üeber die Structur dieser krystallinen Massen des Gtrundgebirgea
im Schwarzwalde sind wir noch wenig unterrichtet; jedoch l&sst sich
bereits so viel erkennen:
1. Die Schirhteu des Grundgebirges bilden im allgemeinen ein
System von aufgebrochenen und abrasirten Falten, welche vorherrschend
von WSW nach ONO, zuweilen auch in NO und in 0 streichen; die
Flügel der Falten fallen in der Regel in NNW oder NW, weniger
häufig in SSO oder SO ein und zwar meistens mit steilen Winkeln.
2. Das so ursprOnglich gefaltete Grundgebirge wurde später bei
Entstell de«: oberrheinischen G ebirgssystems in einzelne Stufen
tuiVltVinnit; zerbrochen, welche im aligemeinen Streichen dieses Systems
nach NNO gegeneinander verworfen liegen, so dass sie aUseits unter
der Triasdedce yon der Oberfläche des Gebirges Terschwinden.
Das Streichen der älteren Falten des Grundgebirges geht parallel
dem Streicben des rheinischen Schiefergehirges und demjenigen des
Alpensystem«:, «soweit das letztere südlich am oberrheinischen Gebirgs-
system vorüberzieht. Der spätere staffeiförmige Abbruch der einzelnen
Streifen in der Hichtung NiS O entstand gleichzeitig mit dem Embruch
der BhdnTersenkung und wurde massgebend fttr die äussere Gestalt
des Schwarzwaldes.
Die „im Kleinen stark gebogenen, gewundenen und geknickten
Schichten" des Gncisses lassen nicht allein im sfidlichen Schwarzwalde,
wie Peter Merian a. a. 0. S. 73 angiebt, sondern auch in den übrigen
Theilen des Grundgebirges das Fallen und Streichen der Gneisse schwer
erkennen^). Doch herrscht im allgemeinen ein ONO-Streichen mit
Vogelgcpan g in ?einrr vortrefTlichen Beschreibung des Gneiasgebietes
der Umgegend von Triberg (Curlsruiie 1872, S. 47^ giebt es auf, „irgend welche
Gesetzmässigkeit in der Stellang der Sehichten nnd in der Richtung der Sehiefe-
rong" der Gneisse zu flnden.
Fr. Sa ndb erger sagt darüber in seiner geologischen Beschreibung der
Umgegend von Badenweiler (Carlsrulve 1858, S. 18): ,Die Sehiefemng des
Gneisses lässt keine bestimmte Richtung auf weitere Strecken erkennen.) im all-
gemeinen scheint die Gneissmasse hora G (von \V nach O) zu streichen." An
einer anderen Stelle, nämlich in der geologischen Beschreibung der Umgegend
der Renchbftder (Carlsrabe 1863, S. 27) spricht sich Fr. Sandberger folgender-
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23]
Die oberrheinische Tiefebeoe und ihre Randgebirge.
55
nördlichem Einfallen'); gelegentlich wird das Streichen ein mehr öst-
Irahes oder nontOsUicnes und das Falleii ein sttdlidies^. Die grossen
und gegen den Tangentialschub ypn SSO her spr&de sich Yerbaltenden
Oranitstöcke hahen an ihren Grenzen besonders starke Verstauchmigen
und Störungen in der Lap^ernn^ der Gneisse hervorgernfen.
In den verschiedenen Partien von jüngeren Thonschiefern nnd
Grauwacken, welche zwischen Gneiss und Granit eingeklemmt liegen,
iSsst sich Streichen und FaUen tmd die allgemeine Stnictur des Grund'-
gebirges leiehier erkennen als in den Gneissen, weil dieselben dent-
ucher geschichtet sind als diese.
Durch den südlichen Schwarzwald streichen von WSW hvi l^aden-
weiler über Schönau nach ONO bei Lcnzkircli ansehnliche Partien von
Grauwatken, Thonsebiefern und Congloweraten, der Unteren Stein-
kohlenformation (Kuhn) angehörig und dünne Anthracitlager enthaltend;
die grösseren Verbreitungsgebiete derselben beschreibt schon Peter
Merian (a. a. 0. 1831, S, 100—132) genau, später wies Fromherz»)
nach, dass diese Schichten nicht drei von einander getrennte Ab-
lagerungen, sondern einen zusammenhängenden, aher sehr dislocirten
Zug ((lUT durch das Gebirge von Badenweiler bis Lenzkircli bilden,
nur mit einer Unterbrechung durch Granit zwischen dem Thal von
Menzenschwand nnd der Aha.
Das Streichen der Schichten in diesem Kulmzuge richtet sich im
al^meinen in 0 bis ONO, das Fallen ist ein steiles (70 — 80°) und
unregelmässig durch die starke Zusammenstauchung der Schichten
zwischen der südlichen Granit- und der nördlichen Gneisszone*).
Interessant ist die Ueberkippung des Gneisses am Nordrande der
Schönauer Schieferpartie, wie sie Merian beschreibt im Wiesentfaal
swischen den Dörfern Gschend und Todtnau und westlich davon in
einem Seitenthal der Wiese zwischen Uzenfeld und Wieden, während
längs des Südrandes derselben Partie die Schiefer dem Granite einfach
auflagern. Eine solche mechanische Ueberkippung der Schichten und
Ueberschiebmig des Gneisses über Kulmschiefer durch Druck von SSO
massen aus: „Dass die Lagerang der GneisM meistens eine wellenförmige^ mit
bald steileren^ bald flacheren Sätteln und Mulden ist, lässt sich ausser vielen
kleinen Profilen in allen Thcilen des Gebietes beweisen." Jedoch giebt Sand-
berger dabei nichts über die Richtung des Streichens und Fallens an. bezieht
sie!) vielmehr nur auf das eine von ihm gezeichnete Profil Taf. I. 3, welches ober-
h.ilb Peterathai zwischen Böstenbach und Mauren verschiedene Sättel und fluiden
des Gneisses mit NW-8t reichen zwischen zwei Granitztigen darstellt. Wie sich
diese üneisspartie mit NW-Streichen gegen die übrige Masse des Schwarzwälder
Grundgebirges mit vorherrscliendem ONO-Streichen verhUt, iat naeh den bisher
vorliegenden geringen Angaben nicht zu erkennen. Eine genaue geologische
Kartirang des Schwar/.walde.s auf der Grundlage der vorzUglich ausgeführten
badischen Karten im Massstabe 1:25000 wflrde aneh ttber die Lagerung der
Schwarzwälder Gneisse Licht verbreiten.
») P. Merian a a. (). S. 7:5 und 130.
') H. Eck. (ii >K'iH>sti<«che Karte der Umgegend TOn Lahr, S. 80. Lahr 1884.
») N. Jahrh. tiir Min. 1817. S. 813.
*) Siehe auch über die Verhältnisse bei Badenweikr die geologische Be-
schreibung der Umgebungen dieiea Badeortes von Fr. Sandberger a. a. 0.
1858, 8. 17.
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56
LejpftioB,
[24
her entspricht, der Faltenbildnng und den Ueberschiebuugen , wie sie
in den Gebirgasystemen nördlich und südhch untjeres oberrheinischen
Systems, im DeTon des rheinischen Schiefergebirges und in den nörd-
lichen Randzonen der Alpen häufig vorkommen unter dem gleichen
Streichen, durch denselben Süddruck hervorgerufen.
Jüngeren Ursprungs dürften die Yerwerfunpren dieses Kulmziij^es
sein, welche die bedeutenden Niveauuntersdiiede in der Richtung des
Streichens hervorgerufen haben; jedoch sind hierüber die Unter-
suchungen noch dürftig: es scheint der Granit des Blanen bereits zu
den längs der Rheinebene abgesunkenen Partien des Schwarzwaldes zu
gehören, da die Schieferpartie bei Badenweiler auf dem Nordabhang
des Blauen um mehr als .300 m tiefer liegt als die östliche Fortsetzung
derselben auf der Sirnitz am Beleben in lllG m Meereshöhe.
Hier sei bemerkt, dass die Annahme einer Bergkette quer durch
den Schwarzwald von WSW nach ONO vom Blauen über die Simita
zum Beleben und Feldberg und zum Hochfirst bei Neustadt, wie sie
Peter Merian (a. a. 0. S. 12) und nach ihm andere Autoren ziehen,
nicht dem inneren Bau des Gebirges entspricht: der Blauen stellt
südlich des Kulmzupes, ist Granit und liegt wahrscheinlich in einem
spät abgesunkeneu Gebirgstheile; im Beleben trifft Granit auf Gneiss;
der Feldberg besteht aus echtem Schwarzwälder Gneiss, der nördlich
der grossen Kulmpartie bei Todtnau liegt; der Oranit des Hochfirstes
endlich befindet sich mit seinen beiderseitigen verworfenen Buntsand-
steinresten bereits im östlich absinkenden Stufenlande. Für die Rich-
tung der Bergketten in nnsern Gebirgen sind mass<xebend die erst spät
entstandenen NNO-Verweri\aigeu; ob von der älteren ONO-Richtung
des Grundgeljirges noch Spuren an der Oberfläche in ostnordüstlich
laufenden Bergketten flbrig gebUeben sind, müssen erst genauere Auf-
nahmen nachweisen.
Die kleine Kulmschiefer-Scholle bei Hofen, östlich von Kandem,
scheint nach ^lerian's BeschreiVinnf^ (a. a. 0. S. 102) durch mehrere
Verwerfungen stark zerrüttet /u sein, so dass eine vorherrschende
Streichrichtung schwer zu erkennen ist.
Am Ostrande des Grundgebirges im Schütadithale unterhalb
Schramberg stehen am Granit und unter dem Bothliegenden und Bunt-
sandstein zu Tage Thonschiefer und Sandsteine der Steinkohlenfor-
mation mit Pflanzenabdrücken und Kohlenschnüren; die Schichten dieser
carbonischen Lager erweisen die })rimäre Streichrichtung des Grund-
gebirges von W nach 0 mit N- und S-Fallen von 20—30°, während
die discordant auflagernde Triasdec^e das jüngere Streichen des ober-
rheinischen Systems in N aufweist 0>
Eine grössere Ausdehnung gewinnen Reste der Steinkohlenfor-
mation zwischen Lahr und OfVLii))ur(j in den bereits zur Rheinspalt«
absinkenden Gebirgsstreifen; Sandsteine, Conglomerate und Schiefer-
thone mit anthracitischen Trümern streichen von Diersburg nach
Berghaupten in ONO bis NO und fallen mit steilen Winkeln von
0 E. V. Paulas, Begleiiworte sar gcognostischen Speeislkarte tod Wdrttem-
ber^, Atlasblatt Oberndorf, S. 8->10. Stattgart 1875.
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26J
Die oberrheinische Tieiebeae uud ihre Kaudgebirge.
57
50—90^ in NW oder in SO ein. Die ganze Partie ist stark ver-
qnetocht, so dass die wohl einst znsammeimftngenden, bis 10 m starken
KuiileuSötze in viele einzelne anskeilende Trümer in der Richtung
des .Streichens aiiseinandergezogen wurden. Die Kohlenmulde wird
umschlossen von Gneissen, welche dasselbe Falh^n nnd Streichen be-
sitzen, wie die Steinkohlenschichten an der Grenze ^egen jene. Dabei
tritt auch wieder der bemerkenswerthe Umstand ein, das.s durch den
starken Sfiddmck die Mnlde an der NW-0renze überkippt ist, so dass
die Gneisse dort die eingeklemmten Steinkohlenschichten überlagenif
während die SO-Grenze zwischen beiden Gesteinen flach nordwesÜieh
einfallt*). Auch im Streichen erlitt die Kohlenmulde Verstauchungen.
Niicli den in den Schichten bei Diersburg uud Berghaupten vorkom-
menden Pflanzen ist diese Ablagerung nach H. Eck jünger als die
Knlmbildungen von Badenweüer^Lenskirch und gehört der nnteren
pfoductiven Steinkdile an.
In der Fortsetzung der Streirhrichtung nach NO findet sich in
Hinterohlsbach bei Gengenbacli bis hinüber in den Hesselbach, der
ZOT Rench fliegst, 200 — 300 m höher eine Mulde von Sandsteinen uud
Thonschiefern der oberen produotiven Steinkohle, concordant überlagert
Ton Unterem BoÜiliegenden, das von jenem schwer abzutrennen isi
(H. Eck a. a. 0. S. 64), eine üeberlagenmg, wie sie im Becken Ton
Saarlurflcken in gleicher Weise vorkommt. Die Schi( l^tfu lagern anf
Crneiss und Granit und sind wie jene bei Diersburg muldenförmig zn-
samiuengeschoben mit NO-Streiclien.
Eine dritte Scholle von Schichten aus der oberen productiven
Steinkohle ist unter dem Porphyr und auf Gneiss am Rinkhofe im
Lieibachihale bei Oppenan in eben^aUs ca. 600 m Höhe erhalten, nnd
zwar liegt auch diese Partie in der ONO-Streichriehtimg der OhJs-
bacher Mulde 2).
Wir erkennen in diesen drei Resten von Schichten aus der Stein-
kohlenzeit, dass auch hier bei Lahr und Otfenburg das GrundfTrebirtje
in Falten durch Druck aus SSO zusammengeschoben wurde, dais .so-
gar, ebenso wie im sfldliehen Schwarzwald bei Todtnau, am Kordrande
der Mulde eine Ueberkippung des unterlagernden Gneisses über die
Kohlenschichten stattgefunden hat. Auch streichen diese Steinkohlen-
mulden in ähnlicher Weise wie diejenigen von Badenweiler-Lenzkirch
nahe der Siidgrenze eines grösseren Granitmassives hindurch und
parallel der m ONO verlaufenden Grenze zwischen Granit und Gneiss,
dem letzteren aufgelagert. Die TJeberkippimg der Schichten vor der
Graiiitgrenze veranlasste hier, wie in zahlreichen ähnlichen Fällen, die
nnrichtige Vorstellung, als ob der Granit durch .seine Eruption die
stärkere Faltung und Verstauchung der Gneisse bewirkt hätte. Ur-
sächlich für die bedeutenderen Störungen in seiner Nähe ist der Granit
') V. Dechen, Oeynhausen und La Roche, 1825, I, S. 246. Eine
genaae Beschreibung dieses Vorkommens giebt M. Eck, Geognoatische Karte der
ümgegend von Lahr 1884, S. :34— 6ö.
'l Fr. Sand berger. Geologische Besckreibung derümg^end der Rench*
Inder, & 17. Carisruhe 1863.
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58
Lepeius,
[26
allerdings, hier wie in allen anderen FSllen, aber nicht durch seine
Eruption, sondern dadurch, dass das spröde Granitmassiv durch den
mechanischen Druck bei der Faltung des Grundgebirges nicht zusam-
men f^epresst werden konnto, und daher die faltbaren geschichteten Ge-
steine der Umgebung des Granitstoc kes um so stärker verstaueht wurden.
Weiter südlich von diese in Zuge sind zu Hoheugeroldseck bei
Lahr nnter Porphyr nnd anf Gneise Sandsteine und Sdueferthone anf-
geschlossen und erbohrt, welche H. Eck (a. a. 0. S. 72) nach den darin
vorhandenen Pflanzenresten ebenfalls zur oberen productiven Steinkohle
(Ottweiler Schichten des Saarbrückener Beckens) rechnet; ans der ver-
worrenen Lagerung ist keine vorherrschende Streichrichtuug zu ent-
nehmen.
Am nördlichen Ende des Schwarzwilder Grundgebirges erscheinen
in den zur Rheinebene absinkenden Gebirgstheilen der Umgegend von
Baden-Baden mit Gneiss und Granit unter den discordant überlagern-
den Schichten des Oberen Rothliegenden und des ßunt^andsteins ein-
zelne Reste von Thonschiefern des „Uebergangsgebirges", und wieder-
um eine ziemlich ausgedehnte Mulde des oberen Carbon.
Das ganze Absenkungsgebiet der Umgegend Ton Baden-Baden
mit seinen zahlreichen Verwerfungen ist höcnst charakteristisch in
seiner geologischen Structur und recht geeignet für die Entzifferung
der jüngeren, tertiären Ein])rüclie der Rheinversenkung. Bisher be-
sitzen wir nur die geologische Beschreibung der Gegend Yon Baden
von Fr. Sandberger vom Jahre 18<)1.
Die Thonschiefer des «Uebergungsgebirges* sind ihrem Alter
nach unbekannt, da in ihnen bisher keine Versteinerungen gefunden
Avurden; ihrer petrographischen Beschaffenheit nach gleichen sie den
Schiefern des Weilerthales in den Vogesen (siehe unten); auch zeigen sie
am Granit eine ähnliche Contactzone mit Hornstein, Adinolschiefer etc.,
wie sie ans dem Weilerthale von Rosenbuscli beschrieben wurde.
Diese dunkelgrauen Thonschiefer streichen nach 8andberger (S. 40)
in ONO (N 60« 0) und fallen mit 50—88 <> in SSO ein; sie treten in
Baden selbst, dann weiter nordöstlich bei Bbersteinburg über Granit
auf und zeigen sich noch bis nach Gaggenau hinüber ins Murgihal,
wo sie in der Nähe einer Gneissscholle ebenfalls südlich einfallen. In
letzterer Partie bei Gaggenau enthalten die Schiefer feinkörnige Kalk-
steine. Es liegt kein Grund vor, diese Schiefer für devonisch zu er-
klären, wozu Sandberger (a. a. 0. S. 51) neigt.
Bei Baden werden diese Siteren Thonschiefer discordant über*
lagert von groben Sandsteinen und Schieferthonen mit Steinkohlen-
flötzen der oberen productiven Steinkohle (Ottweiler Schichten), welche
sich unter dem Rothliegenden und Porphyr nach S l)is Steinbach und
Geroldsau, nach NO bis gegen Gernsbach verbreiten. In nächster
Umgegend der Stadt Baden und bei Umwegen sind die Eohlenschichten
sehr zerrfittet durch die jüngeren Brüche nahe der Rheinebene. Bei
Malschbach fallen sie in NW ein. Oberhalb Baden im Oosthale an
der Seelarh fallon sie in NXW mit 28" ein; von 01)(M-beuren ziehen
sie dann ununterbrochen liinüber nach Gernsbach, indem sie mit
15 — 50° N vom Granit abfallen (Sandberger a. a. 0. S. 40).
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27]
Die oberrheinische Tiefebene und ihre Randgebirge.
59
Wir erkennen demnach auch bei Baden in der Lairerung der
Thonaehiefer und der Stemkohleiifleliiehteii trote der q»2tteren Zerrfittvmg,
die gerade hier am Kordende des Grundgebirges sehr bedeutend i^
eine ältere, ursprünf^lich Todbaadene Streichrichtung in 0 bis XO. Im
GeiT'^nsatz zu der Zerreissung und Absenkung der jüngeren Flötzfor-
mationen des Mantels wurden die Scliicbten des Grundgebircres im
Schwarzwalde durch einen Süddruck zusammengefaltet und luehr oder
weniger steil aufgerichtet, in der gleichen Weise, wie die Devoiifor-
mation des Diederrheiniscbeii Schiefergebirges.
Diese grosse SchichtenznsammenfaLiumg des Grundgebirges er-
reichte ihr Ende vor Abliig:ernng des oberen rotlilieg^enden Sandsteins,
da dieser und die jttnjieren Formationen über die Mulden und Ruttel
der Gneisse und Thouschiefer discordant fibergreifen; wami dieselbe
ihren Anfang genommen, läsat sich jetzt noch nicht bestimmen; wahr-
eeheinlich wirkte der stauende Sflddmck bereits lange Zeiten, da die
Gänge der Granite und der älteren Porphyre im 8<£warzwalde schon
Beziehungen zu dieser alten Gebirgsbewegung zeigen. Jedenfalls wurden
auch die Schichten der Steinkohle und des unteren Bothliegenden noch
mit^efaltet.
Die zweite grosse Schichtenstör un^, welche zur Tertiärzeit im
sfidwesdielien DeutschUind das oberrheinische Gebirgssjstem entstehen
liess, zerbrach auch das Grundgebirge des Schwarzwaldes in Stufen
und Tafebi, welche im allgemeinen in NNO und normal dazu in OSO
aneinander verworfen wurden. Die Wirkungen dieser Bewegung sind
scharf ausgeprägt in den Tafelbrüchen der Trias- und Jura- Formationen
rings um den Schwarzwald; das Grundgebirge des Schwarz waldes je-
doch kennen wir noch zu wenig, um den verlauf von Verwerfungen
parallel der Rheinspalte oder senkrecht dazu angeben zu können.
2, Im Odenwalde.
Im Odenwalde tritt das krystalline Grundgebirge hervor in den
Bergen, welche zwischen der Bergstrasse einerseits und dem Weschnitz-
und Gersprenzthale andrerseits 1)is zu HOh^ von 508 m ü])er dem
Mt ere und etwa 500 m über dem Rheine sich erheben. Die Gneisse,
weiche den grösseren Theil dieses Gebirges einnelimen, erweisen im
allgemeinen ein regelmässiges Streichen in ONO bis NO, also parallel
dem Taunuskamme. Natürlich nehmen die Schichten der verschieden-
artigen Gneisse, unter denen Hornblende-Plagioklasgneisse vorwiegen,
nicht einen so lirnaren Verlauf, wie Ludwig denselben auf den
Sectionen Worms, £rbach und Kossdorf der hessischen K arten bliitter
7f»irhnet; auch fügen sich die Granitstöcke nicht so prleichfÖrmifj in den
\ erband der Gneisse ein. Dennoch scheint das NO- bis ONO-Streicheu
vor zuherrschen bei steilem S- und Is -Fallen. Diese Sfcreichrichtuug
ist z. B. deutlich ausgeprägt in dem fast 4 km langen Zuge Ton
Marmorlagern, welche in mehreren bis zu 40 m mächtigen Trümern
im Streichen der Gneisse N 00*' 0 (hora 4) von Bensheim oberhalb
Auerbach hindurchziehen bis hinauf zum Felsberg bei Hochstätten;
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ÖO
[28
die Trümer feilen mit den Qneissen 60 — 70^ in SSO ein. Auch an
mehreren anderen Stellen des vorderen Odenwaldes, so auf dem Meli«
bocus. dann in den Bergen sfidlith von Darmstadt und nalie der Ost-
greuzc der Gneisse im Gersjtrenzthale bei Brensbach liegen Marmor-
trüiuer im Streichen der üueisse.
Zu beiden Seiten des Gersprenzthaies sind die Gneisse typischer
ansgebfldet als an der Bergstrasse, wo die grobkörnigen Homblende-
Plagioldasgneisse in mächtigen Stöcken vorherrschen ; aber die scharfe
Grenze , welche Ludwig auf Section Erbach zeichnet zwischen den
angelflich versohiedenarti^en Gneissen westlich und östlich des Gerspreuz-
thal»'-:, ist in Wirklichkeit niebt vorhanden. Vom Gersprenzthalc sind
die Gueisse oberßäclüich zu verfolgen nach !NNO über Hering uud
Gross-Ümstadt nnd nnter dem MaindilnTinm hindurch nach Asdhaffen-
bnrg; sie zeigen in diesem ganzen Gebiete stets ein ONO-Streichen.
Marmortrömer sind aus den Gneissen des Schwarzwaldes nur
von einer Stelle bekannt: am linken Kinzigufer oberhalb Offenburg
am Gaiskopi'e eutdeckte Platz ^) eine l)is 8 cm mächtige Schicht körnigen
Kalkes in Begleitung von Wollastonit, Granat, Yesuvian, Schwefelkies,
Titanit, grünem Augit, Quars etc., wie bei Auerbach; die Schicht fiUlt
mit dem umgebenden Gnetsse 50^ in NW ein; in der N&he dieses
Punktes fond H. Eck *) später noch zwei andere Trflmer des Marmors,
deren einer bis 16 cm mächtig war. Ein grösseres Marmorlasrer schliesst
der Gneiss von Markirch in den Vogesen ein, welches von P. Groth
genau beschrieben wurde Diese verschiedenen Punkte sind die
einzigen im Gnmdgebirge des oberrheinischen Systems, die his jetzt
bekannt wurden : ihrer petrographisch-mineralogiechen Aushfldung und
ihrer Lagerung nach verhalten sie sich nahezu gleichförmig.
Ob die Gneisse im Odenwalde abrasirte Falten oder einfach auf-
gekippte Schichten darstellen, lässt sich jetzt noch nicht sagen: jeden-
falls folgen sie dem allgemeinen ONO -Streichen des krystallinen
Grundgebirges im Schwarzwalde und dürften einfach als die nördliche
Fortsetzunff des letzteren anzusehen sein. Im Kraichgau und sttdlich
Ton Heidelberg wird das verbindende, I unterlagernde Grundgebirge
von den Tria«- und Juraschichten überdeckt. Bei Heidelberg schneidet
der Neckar den Buntsandstein durch bis zur granitischen Unterlage,
gerade wie drüben die Biiclie der Haardt.
Jüngere Schichten als die Gneisse sind bisher aus dem krystallinen
Theil des Odenwaldes nicht bekannt geworden; discordant Uber die
einst denudirten Schichtenköpfe des Gneisses lagerten sich die Sand-
steine und Conglomerate des oberen Kothliegenden, über welchem bei
Heidelherrr und längs des Ostrandes der Buntsandsteinflächen noch
schwach entwickelter Zechstein sich einstellt, welcher im Schwarzwalde
und linksrhemisch fehlt.
') Ph. Platz, Beschreibung der Umgegend von Lahr nad Offenbiuqg,
t>. 7. OarlsruUe 1807.
*) HL Eck a. a. O. 1884, S. 32.
^) Das Gneissgebipt von Mnrkirrli im Ober-Elsass. Ahlinndl. znr geolog.
äpezialkarte von fileass-Lothringen, Band I, S. 393. ätrassburg 1877.
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29]
Die oberrheiniiehe Tiefebene und ihre Handgfebirge.
61
Das krvstalliiie ürundf'ebirtrt* des vorderen Odenwaldes ist in
*
seinen nördlichsten Ausläufern zwischen Darmstadt und Offenbach von
dein südöstlichen Theile des rheinischen Schiefergebirges, dem Taunus,
nur durch eine 30 km breite Bedeckung Ton oberem Bothliegenden,
tertiären und diluvialen Schichten getrennt, eine Zwischenzone, welche
etwa dieselbe Breite wie die ßheinebene zwischen Darmstadt und Mainz
besitzt. Die nördhchsten krystalliuen Gesteine bei Darmstadt und
Messel sind Hornblende-Gneisse , Diabase und (Ti-anite, welche von
Melaphyr und oberem Kothliegeuden discordant überlagert werden. Die
südlichsten Gesteine des Grundgebirges am Sfldrande des Taunus sind
balbkrystalline Sedimente, welche oonoordant unter den untersten ver-
steinerungsffthrenden Schichten des Unter-Devon hegen und mit steilem
SSO -Fallen unter das obere liothliorrendo bei Lorsbach zwischen
Wiesbaden und Frankfurt in die Tiefe absinken. Wir werden unten
bei Besprechung des Grundgebirges der Haardt und seiner Verbindung
mit dem Hunsrück auf diese Verhältnisse östlich der Bheinspalte Be-
siehung nehmen.
3. In den Yogesen.
Der Beichenstock der Yogesen enthftlt neben Gneissen und grani-
tischen Gesteinen die uns aus dem Schwarz walde bereits bekannten
Grauwacken und Thonschiefer der Steinkohlenformation in viel be-
deutenderer Ausbreitunfj als im Grundpfebirge jenseits des Rheins.
Der Gneiss in den Yogesen beschränkt sich auf die Umgegend von
Urbeis NVV Colmar und das Leberthal W Schlettstadt. Die letztere
Partie ist ziemlich ausgedehnt und yon P. Groth 0 eingehend beschrieben ;
sie enthalt die oben erwähnten Marmorlager bei Markirch. Im All-
gemeinen streichen die beiden von Groth im Leberthale unter-
schiedenen Gneisse parallel dem Granitzutje vom Bressoir nach Kesten-
hülz in X G't'^ O mit 40" X\V- Fallen; liei den häutigen localen
Schichtenstoruugen und Knickungen schwankt das Streichen von 0
bisN, das Fallen ist gelegentlich flacher bis 25^ oder steiler bis 9b ^;
auch sind einige Gneisssättel vorhanden oder abradrte Falten mit
Einfallen in NW und in SO. Der ältere, graue Gneiss \(m Markirch
enthält vorwiegend dunklen Magnesiaglimmer, ist dünuschiefrig und
djcktiasrig und dürfte den weitverbreiteten Schwarz wälder Gneissen ent-
sprechen , während Groth's jüngerer Granat^Gneiss bisher aus dem
Schwarzwalde noch nicht mit Siiäerheit erkannt wurde Im Granat-
Gneisse bei Markirch lagert Hornblende-PlagioklasgneisSf welcher früher
von Delbos und Köchlin-Schlumberger, ähnhch wie an der Bergstrasse,
ab Diorit bezeichnet wurde; mit den Gneissen in den Yogesen
') a. a. 0. Siehe ausserdem: Delbos et Köchlin-Schlumberger,
Description g^ologique et niineralogique du departement du Hniit-Rhin. I, 8. 140
bis 149 und II. S. '2^9—290. Colmar 1866, und Beaecke, AbdM der Geologe
von Elsaas-Lothnngeu , S. 4 — 8. Strassburg 1878.
*) Siehe H. Bck a. a. 0. 1884^ 8. 88.
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62
Lepsitts,
[30
erscheinen mächtige Stücke von Granit, Sjenit, Diorit und Diabas, in
gleicher Weise wie im SehwarzwaMe und im Odenwalde.
Eine grosse Ansdehnmig gewimien in den Yogesen Thonschiefer
und Grauwacki ii , welche zum Theil als devonisch, zum andern Theü
als carhonisch duicb Ver^^tf■^nprungen charakterisirt sind, deren fprösserer
Theil aber keine Versteinerungen enthält . so dass ihr Alter noch
nicht bestimmt werden kann; Benecke hält die letzteren auch für
paläozoisch.
Am besten bekannt sind bis jetzt die Schiefer im Weiler* nnd
Andlanthale bei Schlettstadt ^) : dort liegen zunächst Phyllitgneisse,
Glimmerschiefer nnd Phyllite mit eingelagerten talkigen Schiefern
und Quarziten concordant auf den echten Gneissen von Urbeis : dann
folgen mächtige Thonschiefer, durchl)roc]ien von Graniten; eudhch
concordant über diesen ein mächtiges System von Grauwacken und
Thonschiefem, welche auf der Nordseite des Hochfeldes im Brensch-
thale Kalklager mit devonischen Versteinerungen (Korallen, Crinoiden
nnd Brachiopoden) einschliessen. Wir haben hier im Weüer- und
Brenschthale ein sehr mächtiges System von Schichten vor uns. welch»'
etwa den Schichten am Südrandc des Taunus mit ihren L^hyliitgii- issHii.
Phylliten und versteineruugsführeuden unterdevonischen Schiefern und
Orantracken oder den Formationen am Nordwestrande des rheinischen
Schiefergebirges in Belgien entsprechen, nur dass wir hier in den
Vogesen noch als Unterlage der Phyllite echte Gneisse kennen lernen.
Diese ganze Schichtengmppe von den Phylliten bis hinauf zum
Devon streicht im Allgemeinen in ONO, „wenn schon, zumal in der
Nähe der eingeschalteten Granitmassen, grössere und kleinere Ab-
weichungen dnrchans nicht selten sind; trciz der ni^t unbedentenden
Schwankongen, welche oft anf enf^em Ranm neben einander als förm-
liche , sogar lii<* und da senkrechte Knickungen im Streichen der
Schichten beolnichtet werden können, ist die allgemeine Streichrich-
tung ziemlich rcirehnässig, nahezu ONO Iiis WSW, wie sie schon
von Elie de Beaumont zu N 55^ O angegeben wurde/ (Koscnbusch
S. 91 nnd 93.) Dabei sind die Schichten von Süden her äteil auf-
gekippt, so dass die ältesten Schichten im Sfiden zum Vorschein
kommen und alle Schichten bald senkrecht stehen , bald in steilen
Wiiikt'hi nacli NW oder in SO einfallen: die Schiefer sind „gemein-
scliat't]i( Ii aus urs{)rünglich horizontaler Ijagernn«;' zu einem Systeme
von mannigtach aufgerichteten, sattel- und miiidenrörmig gebogenen
und überkippten Schichten zusammengepresst" . Der faltende Druck
kam ans SSO. Wir erkennen also Her in den Schiefem am Hoch-
felde ganz die gleiche Lagerung der Schichten, wie sie das nieder-
rheinische System, das rheinische Schiefergobirge, beherrscht, eine
Lagerung, wie wir sie im Grundgebirge des Schwarzwaldes gleichfalls
vorfand» 'u.
im Süden des Weilerthaies sind zu beiden Seiten des Leber-
thales einige Beste von Gbauwacken Aber den Gneissen erhalten, welche
*) H. Rosenbasch, Die Steiger Schiefer. Abhandl. aar geolog. Spesial»
karte von Elsass-Lotbringeii. Band. I. Strassbni^ 1877.
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Die oberrheiniiche Tiefebene und ihre Randgebirge.
63
auch im allgemeinen in ONO streichen und inXNW einfallen, Schollen
von ehemals n:rös.sert'r A usdehnung, welche den jüngeren Grauatgneissen
nicht ganz, aber , ungefähr concordant" (P. öroth S. 477) auf-
lagern. Wir erkennen ans diesen Verhältnissen, dsss die Faltnng der
Chieisse, Grauwacken imd Thonschiefer erst lange nach Ablagenmg
der devonischen Schichten des Brenschtlmlea TOr sich ging.
In den südhchen Vogesen verbreiten ^\ch Grauwacken und
Thonschiefer von Luxeuil hinauf zu der Planche des belies filles,
südlich entlang am Elsüsser Belchen im Thal der Savoureuse und
steigen nach NO hinanf auf den Bärenkopf sfidlich des Dollerthales;
ein anderer Theil zielit nOrdlieh des Elsftsser Belehens, der am Qxanit
besteht, über den Col de Bnssang 734 m und durch das Thurthal hinauf
zum Gehweiler Belchen und zum Kahlen Wasen und reicht nach
Norden hinüber bis ins Münsterthal Die jedenfalls verschieden-
artigen Schichten dieses grossen Gebietes sind bisher noch nicht von
einander getrennt; an Yersteinerungen wurden zahlreiche Abdrficke
Ton fossilen Pflanzen *) nnd eine B«ihe interessanter marin» Hollnskra
nnd Korallen bei Thann und Niederburbach (5 km S Thann) gefunden,
welche die dortitjen Schiefer und Grauwacken zum Kulm stellen;
auch lagern bei Thann häufig Schmitzen von Anthracit zwischen den
Grauwacken. Jedenfalls sind auch ältere Schichten als carbonische
unter diesen Gebilden der Südvogesen vorhanden, wie z. B. die ge-
legentlieh auftretenden PhyUite beweisen.
Die südlichsten Ausläufer des Grundgebirges der Yogesen sind
die beiden lang in ONO gestreckten Rücken des Salbert und Arsot, zu
beiden Seiten der Savoureuse einige Kilometer nördlich Beifort gelegen ;
diese beiden Berge bestehen auf einer Strecke von 10 km Länge aus
Thonschiefem , welche regelmässig in ONO streichen und zumeist in
NNW fiülen; am Hont Salbert sdieint anch der Sfldflflgel der Falte
erhalten zn sein (Delbos et Edchlin I, S. 48).
In dem grossen Gebiet p (hr Grauwacken, Schiefer und Con-
glomerate im südlichen Theih' «b s Relchonstockes sind die Lagerungs-
verhältuisse verworren, besonders dnrrh zalilreiche Einschaltungen von
Eruptivgesteinen, Porphyren, Meiaphjren und Diabasen, deren spröde
Massen dem Oebirgsdruck weniger nachgeben konnten als die meist
dflnnschiefirigen Oranwacken; noch dazu wurden die alteren Granite
zwischen und neben den Grauwacken heraufgeschoben. Stellt man
sich die zahlreichen AngaV»en, welche Delbos uiul Kfu'hlin-Schlum-
Iteruer a. a. 0. I, S. 34 — 113 über Fallen und »Streiclien der Grau-
wacken macheu, übersichtlich zusammen, so ergiebt sich bereits erstens
ein vorherrschendes NO -Streichen, wie es diese Autoren auch in dem
zweiten Bande ihres Werkes S. 288 benrorheben, nnd zweitens, dass
das hanfig wechselnde Fallen nach NW und SO wiederholte Falten an-
Dcllios et K ö c Ii I i n - S c hl u m b e rge r a. a. 0. I, S. 31— II-"?.
J. K »» c h 1 i n-S c hiu m be rger et W. P. Schi in per, Memoire sur le
terrsin de transition des Votges. Strassburg 1802.
') G. Meyer, Beitrag' zur Kenntniss des Culm in den südlichen Vogesen.
Abbandl. zur geolog. Spezialkarte von Elsasd-Luthringea. Band III, üelt 1, S. 93
und 95. Strusborg 1884.
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04
LepsiuS)
[32
deutet, deren genauere Lage festzusetzen den^äteren Spedalaufnahmen
Torb^alteu bleibt. Einen ersten glücklichen versudi, die verschiedenen
Falten der Grauwacken in Beziehung zu einander zu setzen, machte
kürzlich G. Mov^r (a. a. 0. 1884): er erkannte in den Doller-, Bur-
bach- und Thur-Thiilern fünf Mulden und Sättel, welche ziemlich
I regelmässig in NO streichen; das Fallen ist öfter steil und vertikal als
flach, wie schon die Angaben von Delbos und Eöchlin-Sdilumberger
beweisen.
Endlieh hetheiligen sich an der Zusammenseteung des Grund-
gebirges der A^ogesen noch einige auf den älteren Schichten iil>riiT-
gebliebene Rpsto von prodnrtivem Steinkohlengebirge, gerade wie im
Schwarzwaldt' ; rs ^in*l Scliulleu von Sandsteinen (Arcosen), Conglome-
raten, Schielern mit einigen Kalkbänken und mit jetzt zumeist ab-
gebauten SteinkohlenflStzen von geringer Mächtigkeit, welche in der
Umgegend des Leber- und Weilerthaies die dortigen älteren Thon-
sehiefer, sowie Gneiss und Granit discordant überlagern. Wegen der
geringen Ausdehnung der einzelnen Reste des einst grösseren Beckens
ist eine regelmässige Lagerung nicht mehr wahrzunehmen (vergl.
Delbos und Köchlin-ScMumberger I, S. 198 und 11, S. 209). Doch
scheinen die Schichten weniger stark gefaltet zu sein, als die filteren
Thonschiefer und Gneisse; sie werden wiederum discordant Ton dem
oberen Rothliegenden und dem Vogesen-Sandstein überdeckt. Wir
erkennon an« dio^;on Verhältnissen, dass in dem Grundgebirge der
Voge.sen die Faltung und Aufki}){)ung der älteren marinen Ablagerungen
bis zum Kulm bereit« ziemUch weit vorgeschritten war, ehe diese
jüngsten Schichten der oberen Steinkohle in Sflmpfen und Landseen
des alten Continents zum Absätze gdangten.
4. In der Haardt.
Während das krystalline Grundgebirge im Schwarzwalde noch
bis zu Höhen von 1405 m, in den Vogesen bis 142(3 m, im Odenwald
bis zu 598 m fiber dem Meeresspiegel aufragt, kommt es unter den
Buntsandsteinen der Haardt durchschnittlich nur Iiis 230 m, an zwei
Stellen bei Albersweiler und am Schieferkopf bei Hambach bis etwa
400 m Höhe zu Tage. Das Nord^ndo Ach Grundgebirges in den
Vo<zesen lieiyt am Nordfuss de.s lloc]itelde.s im Breuschthale bei
Schirineck. Nachdem dort die Grauwacken und Thonschiefer unter
der Rothliegenden und Trias-Decke yerschwunden sind, finden sich
weiter nördlich die ersten Spuren des Grundgebii^s wieder im Jiger-
thal bei Niederbronn : hier tritt Hornblondegranit hervor am Fusse
des Windsteiner S( lilussbcrges imd auf demselben Reste vom Stein-
kohlengebir^e . in einer Höhe von etwa 280 m Sodann treüen wir
das Grundgebirge wieder am Ostabhauge der höchsten Haardt-Krhebuug
') Sielie über das Jägerthal : Daubr^e, Description geologitjue et inin&^-
logiqne da döpartemeDt du Bas-Rhia, S. 2ä, 73, 82. Strassbarg 1852.
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Die oberrheiniache Tiefe1>ene und ihre Handgebirge. 65
von TT^'is^^enburg an über Landau bis Neustadt; auck in Dürkheim ist
es nuch erbolirt worden.
Die Lauter hat oberhalb Welssenburg bei dem Dorfe Weiler
den Bnntsandsiein des Kammes durcligescbmtten bis auf das Grund-
gebirge und hat ein kleines Gebiet desselben freigelegt. Die kürzlidh
erschienene Stndie von G. Linck^) bietet eine treffliche Beschreibung
dieses interessanten Vorkommens: nach derselben sind hier devonische
Sclucter und Grauwacken in einer abrnsirten Falte zusammengepresst,
so dass die Schichten in ONO streichen und östlich an der Khein-
spalte bei Weiler in 70® NNW, weiterhin senkrecht und westlich am
Krrazweg 75*^ in SSO fallen. Die Schichten der Falte sind zam
TheU fiberkippt; auch Verschiebungen und Knickungen der Sdiichten
nnd Faltelung der Schiefer sind öfters zu beobachten. Der zusammen-
faltende Druck wirkte demnach auch hier wie im ganzen bisher be-
trachteten Grundgebirge von SSO her. Ausser Porphyriten und Minetten,
welche als EruptiTdecken den Schiefern einlagern, sind hier bei Weiler
keine anderen Gesteine des Grandgebirges aufgeschlossen. Der Abbrach
der Schichten zur Rheinveraenkung verläuft in N 15" 0 gerade duzt^
Dorf Weiler. Hier schneiden sich also die beiden Gebirgssysternc, d:\!^
l'unirere oberrheinisclie und das ältere niederrheinische Sjstem, in einem
VVmkel von 50 " (N 15" O und N 05" 0).
Weiter nördlich längs des Abhanges der Haardt finden wir wieder
einen bedeutenderen Aufschlnss des Grundgebirges in dem tiefen Ein-
schnitt des Queichbaches oberhalb Landaa in den grossen Steinbrüchen
im Gneiss bei Albersweiler. Eine genauere Beschreibung dieser Vor-
kommnisse an der Haardt fehlt uns bisher noch; in der kurzen Ueber-
sicht der geognostischen Verhältnisse der Pfalz-) giebt Giunbel nur
an, dass „die Lagerung der Gneisse bei Albersweiler sehr verworren
durch starke Biegungen und gangartiges Eingreifen der Granite* sei.
Femer zeigen mäk Granite bei Weiher, bei Rhodt, an der Ludwigs-
höhe und am Fuss der Haardt bis gegen St. Martin bei Edenkoben hin.
Grauwackon erwähnt Gümbel über dem Gneiss von Albersweiler, aus
den Sieiniiriuhen am Öchiei'erkopf bei Hambach und aus dem Xeu-
stadter Thale; hier oberhalb Neustadt zeige die Lagerung der Thon-
schiefer und Grauwacken Tielfiiche Störungen. H. Lauhmann*) er-
wähnt, dass die Grauwacken bei Neustadt mit 34^ in N 23'' W
einfellen, also dasselbe Streichen in 0X0 oder genau N 67 0 wie
an der Lauter oberhalb Weissenburg liesitzen; Laubmann berichtet
aurb . da.ss dieselben Thonschiefer , welche bei Neustadt anstehen, im
Bohrloch des Maxbrunnens zu Dürkheim unter dem Buntsandstein in
330 m erbohrt wurden. Nach dem Profil, welches H. Ott fiber die
Bohrungen zu Dürkheim gab*), liegt das Bohrloch bereits in einer
') G. Linck. Geognostisch-petrogrnphische Beechreibung des Grauwackea-
gebietes von Weiler bei Weissenburg. Band III, Heft 1. Strassbnrg 1884.
*) Separat- Abdruck aus „Bavaria*, IV. Band, 2. Abtheilung, S. 25. Mtin-
ciica IHüT).
U. L a u b m a n n , Dürkheim mit seiner Umgebung (geolog. Bescbreibang)
in PoUichia, 25.-27. Jahresbericht, 8. 72—158. Dürkheim 18G8.
*) Heinrieh Ott, Ueber den Ursprang der Dörkheimer Solquellen. Pol-
7oTMliratm tnr daatidMB Landet- vmä Tollakande. T, t, 5
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66
Lepsios,
[34
zur Rheinspalte Iiin abgesunkenen Banteandsteiustufe ; Dürkheim liegfc
126 m über dem Meere.
Endlich wurden noch weiter nördlich bei Battenberg so zaiilreiclie
lose Blöcke von Gneiss und Granit gefunden, dass wohl auch dort noch
diese Gesteine nahe unter dem Tertiär vorhanden sind ; dies wäre der
nördlichste Punkt in der Haai dt, an welchem das Grundgebirge hervortritt.
Dagegen schliesst sich nun nördlich au die Haardt das Saar-
brlickener Kohlenbecken an, welches seiner Lagerung nach mit znm
Gnmdgehir;^^' /u rechnen ist und uns daher Aufschluss darüber geben
kann, wie sich das Grundgebirge des oberrheinischen Systems anordnet
an den Südrand des niederrheinischen Systems.
Wir erinnern daran, dass wir iu ibni \'ngeseu bereits productives
Steiukühlengebirge kennen lernten, welches discordant die älteren
Formationen des CFrundgebirges Überdeckte; jedodi folgt dasselbe, wie
wir schon im Sdiwarzwalde erkannten, noch denselben zusammen-
faltenden Bewegungen TOn SSO her, welchen bereits alle älteren
Schichten unterworfen waren. Die Schichten der productiven Stein-
kohle, und fügen wir gleich hinzu, ebenfalls die im Saarbecken darauf
toigeuden beiden unteren Abtheilungeu der iiothlie^endeu Formation
(Enseler und Lebacher Stufen), sind mit ihren StemkohlenflOtzen in
Binnengewässern, nicht in einem Heere abgelagert, während die untere
Steinkohlenformation (Kulm) und die oberen Rothliegenden Saadsteine
mit allen folgenden Stufen der Trias- und Jura-Forniationen marine
Gebilde sind. Nachdem nun die älteren azoinchen und paläozoischen
Sciiichten des Grundgebirges continentale Landstrecken wurden und
Yon ^0 her aufgerichtet und gefaltet worden waren, bildeten sich
in einigen tieferen Einsenkungen der Oberflidie dieses Gontinenta
Landseen und Sümpfe, in denen sich die Steinkohlen und ihre Zwischen-
niitt(4 absetzten; der grösste dieser Landseen in unserer Gegend, der
am längsten bestanden hat, war derjenige, welcher die damals >^cbon
tiefe Einsenkung zwischen den steilen Devoufalten des Hunsrück und
dem Grundgebirge der Haardt bedeckte.
Nach Ablagerung der oberen Steinkohlen- und der unteren und
mittleren Hothliegenden Formation wirkte der SSO-Druck weiter fort
und faltete auch noch diese Gebilde, so dass das Saar-Nahe-Becken und
längs des Nordrandes des rheinischen Srbiefergebirges das Aachener und
Ruhrbecken gleichfalls noch in dem Sinne des niederrheinischen Systems
in ONO streichende Mulden und Sättel mit zahlreichen Verwerfungen im
Streichen und Fallen der Schichten zusammengeschoben wurden. Die
Falten des productiven Steinkohlengebirges und der imteren Bothliegen-
den Stufen konnten aber in Folge dieser späteren Bew^^ungen nicht
mehr so steil aufgerichtet und scharf gefaltet werden, wie die älteren
Formationen vom (Tueiss an bis zum Devon und zum Kulm. Daher sehen
wir bereits iu den Vogesen, dass die Schichten der oberen Steinkolile
mit flacheren Winkeln einfallen, als die unterlagernden Gnetsse nnd
Grauwacken, und dass die Schichten der productiven Steinkohle und des
lichia. 40.-42. Jahresbericht, S. 59— 72. Mit geologiBehen PnilOeii. Tafel L
Dürkbeim X884.
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35J
Die obenrlMinisch« Tiefebene vad ihre Randgebirge.
67
unteren und mittlereu KolliliegenJen discordant übergreifen über die
früher entstandenen und steileren Falten der älteren Formationen.
Auf die fnedellen Nachweise dieser LagerungsverbSlinisse im Saar-
Xahe-Beckra können wir hier nidit eingehen^); dieses Saar-Nahe-
Gebirge') oder Saarbrückener Kohlenbecken bildet ein selbständiges
Zwischenglied zwischen dem rlieiiiischen Schiefergeltirp^e und dem ober-
rheinischen Gebirgssystem oder zunächst zwischen Hunsrück nnd Haardt.
Das Grundgebirge, welches wir am Ostrande der Haardt zu Tage
treten sahen, erscheint nicht mehr am Nordrande desselben Gebuwes.
Eine sehr bedeutende Verwerfung in der Richtung von St Arold in
Lothringen über Merlenbach, Forbach, Malstatt bei Saarbrücken nach
St. Ingbert, Wellesweiler bis Ober-Bexbach hat den Siidfiügel des
bteinkolilensattels abgeschnitten und neben die untersten Scliichten der
productiven (obereiij Steinkohlenformation den Bunten Sandstein ge-
worfen. Südlich dieser Verwerfung wurde z. B. bei St. Ingbert die
prodnctiTe Steinkohlenformation, welcbe kanm 2 km nördliä dieser
Stadt in ihren untersten Schichten an der Oberfläche liegt, erst in
lo8 m Tiefe erbohrt, unter 202,5 m Bunt-Sandstein und 255,5 m Koth-
liegendem Sandstein; bei Mittel-Bexbach wurde das Kolilengebirge in
238 m Tiefe angetroffen^). In Lothringen wurde die Steinkohlen-
formation südlich der Verwerfung zwischen St. Avold und Forbach
im Bosseltlial in 588 m Tiefe noen nicht erreichtf während nnr 700 m
nördlich dieses Bohrloches im Hocbwalde bei Merlenbach dieselbe schon
in 173,7 m erbohrt wnrde*).
Die Bohrlöcher an der Pfälzer Grenze bei St. Ingbert und Bex-
bach beweisen jedoch wenigstens, dass südlich der grossen Verwerfung
daö productiye Steinkohlengebirge unter dem Rothliegendeu noch vor-
handen ist, wShrend wir gesehen haben, dass 50 km weiter OstJich Ton
Bexbach am Ostrande der Haardt Aber dem Gmndgeburge nicht allein
die productive Steinkohle, sondern auch die im Saar-Nahe-Becken so
mächtin-f'n linmischen Schichten der Rothliegenden Formation voll-
ständig fehlen. Das Liegende der productiven Steinkohle im Saar-
brückener Becken ist noch nicht erbohrt worden.
Die Verwerfung von St. Avold-Forbach-Bexhach zieht ziemHch
geradlinig im Streichen des niederrheinischen Systems, in N 55^ 0,
weiter über Reichenbach nnd am Donncrsljerg vorbei bis nach Alzey
und Oppenheim am Rhein, wo sie die in NNO verlaufende Bheinspalte
in spitzem Winkel durchschneidet^).
'i Sielie Weiss und LasjM'yros, Geognostische Urbfrsichtskarte dea
kohlenrührenden Sa&r-Rhein-Gebietes, Berlin 1868^ und Laspeyres, Kreuznach
and Dflrkhefm a. d. Haardt Zeitoefar. d. deutsch, geol. GeseUseh. 1807, Band 19,
& 803—022. Mit Profiltafcl.
G um bei a. a. 0. 1865, S. 15 macht mit Recht darauf aufmerluam, dass
der Ueintte Theil des Saarbrttckener Kohlenbeckens auf PflUser Gebiet flUlt nnd
daher die Benennung „Pfälziscli-iSaarbrüikVclies Kolilengebirge* nnpassend sei.
Allerdings liegt der höchste Berg dieses Gebirges , der Donnersberg &il m, noch
auf Pftlcer Gebiet
\) Gümbol a. a. 0. S. 28.
*) Benecice, Abriss der Geologie von Elsass-Lothringen, 1878, S. 21.
OB* LepsiaS) Ites Xabuer Becken, geologisch beschriebai, S. 173.
Darmstadt 1883.
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68
Lepsius,
[36
Wir haben demnaeh im Yerkuf unserer üntersudrong erkannt,
dasB die vier Randgebirge der oberrheinischen Tiefebene ein Grund-
gebirge enthalten, welches vor der neuen Meeresfiberfluthung su Beginn
(1er Zeit dt s oberen Rothliegenden einem weitausgedehnten, in sich fest
zusaniuienhängenden Coutiueut angehörte. Diesem Contineut fohlte noch
vollständig die Rheinversenkung und fehlten Gebirgszüge von der liich-
tung und der Form der jetzt im südwestlichen Deutischland vorhandenen
Gebirge; vielmehr werden die Berge dieses Gontinentes mit ihren
Kämmen in der Streichnchinng ihrer Formationen, nämlich in OKO
gerichtet gewesen sein.
B. Die Trias- und Jitra-Tafeln.
Nachdem nun dieser Continent in ganz Deutschland zu Anfang der
Bildimg des oberen Rothliegenden Conglomerates wieder vom Meere bedeckt
worden war. lafj^^rten sich während eines sehr langen Zeitraumes in diesem
Meere die Foruiutionen des oberen Rothliegenden, des ZechRtein^. drs
Buntsandsteins, Muschelkalkes und des Keupers, sowie fast die sämmt-
Uchen StufSsn der Juraformation ruhig und aUndhlich ah. Ohne jede
Schiditenstörung, ohne einen einzigen Ausbruch der Erdlava ging diese
ganze lange Zeit der Meeresbedeckung für Deutschland vorüber. Die
Gesteinsbeschaffenheit der genannten Formationsstufen bleibt in Folge
dieses ununterbrochenen Al)i«atzes in einem grossen Meere über weite
Strecken hin nahezu gleich: der Muschelkalk in Lothringen sieht
ebenso aus wie derjenige an den Bindern der Bheinehene und wie in
Schwaben und Franken; der Lias dehnt sich ohne wesentliche Ah*
weichung seiner Gesteine und seiner Fauna gar fiber den grOssten
Theil von Europa aus.
Erst zu iv'ginn der Kreidezeit trat das Meer vom südwestlichen
Deutschland zurück: die Jurakalke erschienen an der Oberfläche des
neuen Oontinentes. Nun erst wurden diejenigen Bewegungen in unserem
Gebiete eingeleitet, welche in ihrem langen Fortgange und in ganz
allmShlidier Wirkung die oberrheinische Tiefebene und ihre Rand-
gebirge als endliches Resultat zu Stande brai Ilten. Nicht plötzlich und
auf einen Guss entstand dies neue Gebirgssystem mit seinem NNO-
Streichen, sondern von kleinen Anfangen an und durch unzäbligemal
wiederludte kleine Absenkungen und geringe Einbrüche der Schichten-
oompleze. Koch heute sind diese Bewegungen im Sinne des ober-
rheinischen Gebirgssjstems nicht zur Ruhe gekommen, wie die häufige
Erdbeben in der Rheinebene Ix' weisen.
In dem Grundgebirge erkannten wir eine Lagerung der Schichten,
welche durch Zusammeuschub und durch tangentialen Druck von SSO her-
▼orgerufen worden war. Die neuen Bewegungen von der Kreidezeit an
bis heilte, weit entfernt davon, die Schichten ausammenzuschieben, haben
dieselben vielmehr in der Rhcinspalte mitten auseinander gebrochen und
sie in den übrigen Theilen des Systems tafel- und stufenförmig neben
einander absinken lassen. Die Wirkung dieser tafelförmigen Zerstücke-
lung der Erdkruste erkennen wir am deutlichsten in der Lagerung der
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37)
Die obcrrbeiiitoehe Tiefebene mid Ihre Randgebirge.
69
aljgewoifenen Trias- und Jnrascbichten, viie sie die stehen gebliebenen
Kerne des Grundgebirges mantelfönnig amhtOlen und an deaaelben
abgesunken liegen.
In seinem geistvollen Werke ,I)as Antlitz der Erde* nennt
Suess die Brüche zwischen solchen absinkenden Schichtentafeln
.Tafelbrflche*, eine sehr treffende Bezeichnung dieser Art Ton Brficben
im Gegensatz zn den Faltenbrücben, nnd setat zugleich den funda-
mentalen Unterschied von tangentialen, zusammenschiebenden und Ton
vertical absinkenden Bewegungen im Erdgewölbe klar auseinander
(S. 142 — 189). Daselbst kennzeichnet Suess die stehen eehliebenen
Grundstöcke von Scbwarzwald, Vogesen, Odenwald und Haardt als
sHiNTste*, Yon äeam allseits die Trias- und Jnratafeln absinken
(S. 167 und 265). Rings tun diese Horste »ToUzieht sich die Ab-
trennung der mesozoischen Tafeln vom alten Gebirge in mehr oder
minder dem Gebirgsrande parallelen Brüchen, welche häufig TOn Quer-
brächen rechtwinkelig gekreuzt werden* (S. 257).
Oestlich des Schwarzwaldes und Odenwaldes brach das grosse
friakiseh-schwäbische Senkungsfeld ein, wie die «eingebrochene SSs-
decke eines entwässerten Teidies* (8. 253); westlich der Vogesen nnd
der Haardt sinken die Tafeln ebenso ab zu dem nordiranzflsischen
Senkungsfelde, dessen Mitte das Pariser Becken einnimmt.
Mitten zwischen diesen beiden vertical absinkenden und dabei
treppenturmig zerbreehenden grossen Trias- und Jura-Tafelgebieten
bfieben als Brücken oder , Horste" zwischen dem Alpensystem und
dem niederrheinischen System die beiden Grundgebirgskettni auf bei-
den Seiten der Rheinebene stehen. "Weshalb dieselben nicht mit den
beiderseitigen Senkungsfeldern in die Tiefe sanken, lässt sich schwer
erklären. Vielleicht giebt die La^e der Brücken einen Anhalt: hier be-
findet sich die kürzeste Kntlernung zwischen dem in der Schweiz weit
tangential nach Norden geschobenen und dabei gerade dort am stärksten
gefalteten Alp ensjstem und dem grossen MassiT des rheinischen Schiefer-
gebirges; wie zwischen den beiden Backen eines Schraubstockes wur-
den die Horste festgehalten von Norden und Süden her, während östlich
und wf'^tlich der Brücken genügend Kaum war, um dasselbe Grund-
gebirge mitsammt den darauf befindlichen Trias- und .Turntafeln in die
Tiefe absinken zu lassen. Wahrscheinlich sind die beideu nachbarlichen
Gebirgssjsteme auch daran schuld, dass die Horste am Sfid- und Nord-
rande höher liegen als in der Mitte, indem zugleich dem höheren
Alpensjsteme die grössere Höhe der Brücken im Süden und die weitere
Entfernung der mittleren Einsenkungen (Zabern-Liuifrenbrückpn) nach
Norden entspricht. Auch würdo sich auf diesf Weise zugleich «t-
klüren, weshalb die östliche Brücke, Schwarzwaid und Odenwald, und
das fr&nkisch-sehwftbische Senkimgsfeld rerhSltnissrnfissig hoher stehen
als die westliche Brücke, Yogesen und Haardt, und das lothringische
Senkungsfeld; westlich ist mehr Raum zwischen den Alpen (resp. dem
Centralplatean Ton Frankreich) und dem niederrheinischen System, als
im Osten.
') Eduard Suess, Das Antlitz der Erde, I. Prag 1883-1885.
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70
Lepains,
[38
Der Horst bracli seiner Länge nach niittpii auf und tlieilte sich
in zwei Brücken: eine 4 Meilen breite und 4<) iMeilen lanpe Spalte
entstand von Basel bis Mainz, in welche die Trias- und Juratat'eln
embraclien, so daas sie jeizfc in Stficken den inneren, dem Blieine zu-
gewandten Rändern der stehen gebfiebenen Brtteken des Omndgebirgee
steil aufgerichtet oder Üach yerworfen anlagern.
Die bisherigen Arbeiten und geologischen Aufnahmen der um
die Kerne des oberrheinischen Gebirgssyst^'infs stufenförmig nieder-
gesunkenen Schalen der Trias- und Juraiaieiu lassen bereits eine
grosse Anzahl von Spalten nnd Verwerftingen erkennen, welche das
grosse Bmcfanetz der Senkongsfelder Ensammenseteen Einige der
wichtigsten wollen wir anführen, um daran zu zeigen, in welcher
Weise die Trias- un l Tut atafein die oben gekennzeichneten Grundstöcke
der vier Randgebirge umlagern.
Die Richtung, nach welcher hin die zerbrechenden Tafeln ab-
sinken, ist natürlich im allgemeinen abhängig von ihrer Lage gegen
die in NNO streichenden Horste: nach OSO fidlen die Stufen in
Schwaben und Franken, nach WNW in Lothringen; gegen OSO brechen
die abgestürzten Formationen nieder am Kusse der Vogesen und der
Haardt, gegen WNW am Rande des Schwarzwaldes und des Oden-
waldes; das krystalline Grundgebirge sinkt natürlich unter den Trias-
uud Juraschichten in gleichem Sinne mit denselben treppenförmig in
die Tiefe; ja auch in den Horsfem selbst wirkten die tertiiren und
diluvialen Bewegungen in der gleichen Weise, so dass Theile der-
selben ebenfalls stufenförmig von den Hauptkämmen in 0 und W ab-
brechen und gegen einander verworfen liegen.
Im einzelnen jedoch unterliegt die vorherrscliciule Fallrichtung
der Tafeln nach den Senkungäielderu hin bedeutenden Abweichungen,
besonders aus folgenden Grflnden: jede der beiden Brficken bädet
keinen einzelnen, durch das ganze Gebirgssystem durchstreichenden
Kamm, sondern besteht aus mehreren, in NNO streichenden Parallel-'
Zügen, welche mit verschiedenen Längen an den Rändern der vier ge-
trennten Horste zickzackfbrmig abbrechen. Deswegen läuft die Rhein-
ebene nicht durchweg geradlinig in NNO, sondern springt oft mit
BueUen, in denen dimn die Schiäten besonders stark zerrfittet liegen,
gegen die Kämme der Horste hinein. Die Grundursache dieser quer
gerichteten Abbrüche der in NNO streichenden Kämme und der V>oi<Iea
Senken bei Zabern und im Kraichgau, sowie des Süd- und Nordrandes
der Gebirge berulit darin, dass das Grundgebirge ein anderes Streichen
besitzt als dasjenige ist, welches die jüngeren Bewegungen beherrscht :
') Ausser den bereit« citirten Werken heben wir hier hervor:
Deffner und Fraae, Die Jura- Versenkung bei Lnnpenbrücken. Geo-
gnoatische Monographie. N. Jahrb. für Mineral. 1859, S. 1 u. Mit geologischer
Karte. Stuttgart 1859.
Ben ecke nnd Cohen, Geognostische Beschreibung der Umgegend ▼on
Heidelberg. Mit 2 geol. Karten. Strassburg 1881.
G. Bleicher, Essai de geologie compsrte des Pyr6n£e>f du plateau central
et des Vosges. Inaug.-Di,«?. Colmar 1870.
F. Schal ch, Beitrage zur Kenntuiss der Trias am südustlicheu iScinvarz-
walde. Inaog.*DiM. Schaohaasen 187S.
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Die oberrheiniBche Tiefebene und ihre Bandgebirge.
71
das gefaltete, in ONO streichende Grundgebirge zerbricht leichter
parallel seinem Streichen und parallel seinen Falten, als in der neuen
NNO-Richtung des jüngeren Gebirgssystems.
Aus diesen Ghrllnden überzieht rieh das oberrheinische Gebirge*
System mit einem Netz von Brüchen, welche vorherrschend im Haupt-
streichen des Systems in NXO und senkrecht zu dieser Richtung
verlaufen, welche aber durch die Querbrüche des Grundgebirges je
nach der Lage der absinkenden Tafeln von jener Hauptrichtung mehr
oder weniger abgelenkt werden. Wenn es dabei auch gelegentlich
vorkommen kann, dass das Streichen der jüngeren BrQche dem Sfareiehen
des Grandgebirges parallel wird, so unterscheiden sich die Ursachen
dieser ähnlichen Wirkungen doch sehr scharf von einander: jene Be-
wegung der paläozoischen Zeit schob die von ihr betrotfeuen Schichten
zusammen, die jünprere Bewegung der tertiären Zeit riss im Gegen-
theil die Schichten auseinander.
1. Am Südrande des Schwarzwaldes.
Die Bergketten des Schwarzwaldes brechen an ihrem Sfldrande
nicht geradlinig in die Tiefe, sondern in zwei Absätzen: der Dinkel-
berg und die Sandsteinhölien nördlich der unteren AViese zwischen
Schopflieim und Kandern bestehen aus fast liorizontal liegenden Trias-
tafeln, welche mit ostwestlichem Bruche, also ungefähr parallel der
oben beschriebenen Falte von Badenweiler bis Schönau, südlich vor
den letzten Hdhen der beiden Kimme des Feldbergs nnd des Bolchens
abgesunken sind; nur längs des Bmches sind die Schichten, wie so
häufig bei Tafelbrüchen, ein wenig geschleppt, d. h. sie fallen eine
kurze Strecke weit vom Grundgebirge ab nach Sfidon. Am Ostrande
trennt ein Längsbruch in der Hauptrichtung des Systems die abgesun-
kene Triastafel des Dinkelberges vom Gneiss des Vorwaldes, welcher
Vla^ der Wohra nach Sfiden vorspringt bis an den Bhein: eist hier
zwischen Säckingen und Waldshut endigt mit ostwestlichem Querbrache
der östlichste S&eifen des Grandgebirges.
2. Am Ostraade der Bhelnebene.
Längs dem der Kheinebene zugewandten Abhänge des Schwarz-
waldes brachen die Trias- und Juraschichten zumeist regelmässig mit
Verwerfungen in derNNO-Hauptrichtung am Grundgebirge oder gleich-
zeitig mit mehr oder weniger breiten S&eifen des Grandgebirges selbst
zur geöffneten Spalte nieder; dabei finden sich die grössten Störungen
mit steiler Abschleppung der Schichten in der Nähe der Hauptbrüche
zwischen Trias und krystallinem Grundgebir«;« , während westlich der
Hauptbrüche zumeist die Trias- und Juratafeln fast horizontal lagern,
wie z. B. in dem breiten Jurahügellande zwischen Kandern, Isteiu
and MilUheim.
Bei Freibnrg begegnen wir einer tieferen Einbuchtung, in welcher
die abgesonkenen Trias- nnd Jurastufen schneller und steiler direkt
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72
Lepsins,
[40
am Fasse des westlichen Hanptkammes des Grundgebirges in die Tiefe
sinken: dieser tiefere Einbruch der Schichten in der Rheinebene ver-
ursachte das Ausströmen der ErdlaTa in dem Vulkane des Kaiserstuhls
am Bhein.
Charakteristisch für die Lagerung der abgeworfenen Schichten
ist der Bau des SchCnberges ') sfidlich Freiburg und seiner Parallel-
kette, des Toniberges bei Thiengen: die Trias- und Jnraschxcbten beider
Berge streichen parallel der Hauptrichtung in NNO und fallen von den
Verwerfungen ab nach WNW dem Rheine und dem Kaiserstiihl zu.
Nördlich der Freiburp^er Bucht ist der ganze Oebirp^sstreilVu zwi-
schen Emmeudingen uud Üfl'enburg gegen die Rheinebeue abgesunken*);
nicht nur die Trias- und Jurastreifen, sondern auch breite Streifen
des Cbrundgebirges brechen Tom Hanptkamme treppenförmig an ein-
ander zur Tiefe. Die genanen Annahmen von H. Eck in der Umgegend
von Lahr weisen mehrere parallele Verwerfungen im Hauptstreichen
des Gebirges, nämlich in NXO nach, zwischen denen die Tafeln hori-
zontal, oder schwach geneigt nach W lugern.
Bei Baden und Gernsbach bricht der grössere Tlieil des Schwara-
wftld^ Grundstockes qner xnm Streichen des Gebirges in ONO ab;
wir finden znnScfast vor den abgeschnittenen Eftmmen die niedersinken-
den Formationen in stark verworfener Lagerung, so dass z. ß. am
Nordfiisse der Ebersteinburg f^egen Knppenheim zu eine grössere Partie
Muschelkalk mit Verwerfungen eingekeilt liegt zwischen den westlichen
Buntsaudstein-Höhen uud den paläozoischen Schiefern und Rothliegeu-
den Gonglomeraten der Ostseite.
In diesem Umbrüche der Rheinspalte bei Baden b^pnnt die breiie
und für den Ban des oberrheinischen Gebirgssystems wichtige Senke
des Kraichgaues zwischen Schwarzwald und Odenwald. Von Baden
brechen die Tafeln allmählich nieder bis zu den relativ am tiefsten
eingesunkenen Jurastreifeu bei Laugenbrückeu. Diese Schollen haben
aehon lange die Aofinerksamkeit der Geologen erregt: denn sie sind
die letzten Beste der Jnradecke, welche einst Tor den tertiären Brfichen
und vor der Denudation der continentalen Strecken das ganze südwest-
liche Deutscliland bedeckten. Das erkannten schon Deffner und
Fraas, und mit Recht rühmt Suess in sein» in umfassenden Werke
(Anthtz der Erde I, S. 250j, dass diese beiden Forscher bereits im
Jahre 1859 ^e Entstehung der eingekeilten Jurascholle von Langen-
brflcken richtig erkannt hfttten. vom Nordende des Sehwarzwädea
bis zur Senkungsmittellinie Langenbrficken - Mühlhausen sinken die
Tafeln statfelformig nieder, so dass die SO-Seite jeder Verwerfung
stets die relativ höhere ist; nördlich der Mittellinie der Senke findet
natürlich das Umgekehrte statt: hier steigen die Stufen zum Südrande
des Odenwaldes auf, so dass immer die NW-Seite jeder Verwerfung
die höhere wird.
*) Carl FroiuhtTz, Geognostische Beschreibung des Schönbergs bei Frei-
barg. Mit Profiltafel. Üniversitäta-Programni. Freiburg 1837.
H. Eck. rmg»-pend von Lahr. 1884. Ph. Platz, Oeologiache B«flchrei-
buDg der Uragebungeii von Lahr und ütTenburg. Carisrube 1867.
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Die oberrhefnische Tiefebene und ihre Randgebifi^.
73
Da die ganze Kraichgauer Senke quer zu den Zügen des ober-
rheini-chen Ge})irgssystems und parallel zum Streichen des Grund-
gebirj^es verlauft, so richtet sich die Mittellinie der Senke in N 50 ° 0
und die derselben parallelen Hauptverwerfungen in NO, indem die Tafeln
zwischen dem in NNO liegenden Odenwalde und dem in SSW liegenden
Sehwarswalde niedersinken müssen. Docli streieht eine Hauptverwer-
ftuig, die von Vl^statt, über Oestringen bis in den Buntsandstein bei
Spechbach (Bem i ki* und Cohen a. a. 0. S. (iOl) in N 37" 0, also
mehr im Hauptstreichen der Gebirge, als in dem der Senke. Die
mit den Hauptverwerfungen entstellenden Qnerbrfiche streichen natür-
lich senkrecht zn jenen, also in KW bis WNW; in dieser Richtung
Terläufl z. B. die Verwcnrfung im Angelbachthale, wo die beiden Ränder
des Querbruches so zu einander stehrn. dass Ix'i Wicslodi die NO-
Seite höher liegt als die SW -Seite, dagegen oberhalb im Thale schon
bei Waldangeloch die Schichten beiderseits des Bruches in gleiches
Kireau zu stehen kommen.
Auch die Nahe der Bheinspalte macht sich geltend in dieser
Senke, z. B. in der Verwerfung, welche von Nussloch in N 6^ 0
oberhall» Lfinien und über den Speiererhof nach Heidelberg zwischen
Eönigstuhi und Geisberg hinflnrch zieht; der Westrand der Verwerfung
sinkt ab zur Rheinebene (^Htiuckc und Cohen a. a. 0. 1881, S. 002).
Doch sind wir hiermit schon am Kujide des Odenwaldes ange-
langt, an dem nur wenige Reste der abgesunkenen Schichten zn Tage
geben. Einige Bontsandstein-Schollen ragen zwischen Grossachsen und
tVeinheim am Fusse der Granitberge hervor; die Starkenburg liei
Heppenheim steht auf einer an Gneissen hängengebliebenen Buntsand-
-teinkuppe; und in Darmstadt sinken Conglomerute und Letten des
oberen Kothliegenden mit nord.südlich gericliteter Verwerfung am
Granit nach W unter das DiluTium in die Tiefe.
Der Abbruch des Grundgebirges an der Bergstrasse verläuft auch
nicht geradlinig, sondern mit einem stumpfen Winkel am Melibocus;
in der Ecke südlich vorgelagert diesem neuen gegen W mehr vor-
springenden Kamme haben sicli die Scholien des Bunten Sandsteins und
der oUgocänen Meeressande bei Heppenheim erhalten.
3* Am Sftdraode der Yogesen.
Betrachten wir nun zuerst den Innenrand der Vdgesen und der
Haardt, ehe wir die östliche Abdachung des Schwarzwaldes und des
Odenwaldes kennzeichnen, so erkennen wir dort denselben Zickzack-
ftrmigen Verlauf der Abbmcblinie an der Kheinversenkung und ähn-
liche Buchten wie am inneren Rande der östlichen Gebirge. Der
Beichenstock der Vogesen bricht im Süden an der Bnrgundischen
Pforte in der Richtung ONO parallel zum Streichen des Grundgebirges
ab: längs des Südrandes der oben erwähnten letzten Falte des Grund-
gebirges im Mont Salbert und Arsot bei Beifort fallen sämmtlicbe
Fotmaftumen vom oberen Botfaliegenden dnrch die Trias bis zum oberen
Jnn ab nach SSO, also im gleichen Sinne mit dem Qrnndgebirge,
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74
Lepdtu,
[42
indessen discordant über demsellien und mit bedeutend flacheren Winkeln .
Dabei macht man hier wie überall die Beobachtung, dass spröde
Schichten wie der Buutsandstein tiacher einfallen (hier am Mont Arsot
mit 10 — 15 als die <baren, dünnen Schichten des Mnaefaelkalkee
und des Eenpers, die Ober dem Bonisandstein daselbst mit 32^ in
SO abfallen. Die massigen Korallenkalke des oberen Jura bei Beifort
verhalten sich auch wieder spröde und brechen daher mit drei Längs-
verwerfungen staffelförmin" nach SO, mit Winkeln von anfangs 30"
beim Fort de la Miotte und von 6® in der zweiten, südlichen Stufe bei
Perouse; schon bei Danjoutin liegen die Tafeln fast horizontal — also
eine Lagerung der abgesunkenen Tafeln mit Schleppung am Grund-
gebirge wie &fiben im sfldlichen Schwarzwald zwischen Kandern mid
Schopfheim. Nördlich der Falte der Bergkette Salbert-Arsot füllt das
obere Rothliegende die Einsenkung bis zum höheren Anstieg des Ge-
birges bei Giromagny, und zwar liegt dasselbe fast horizontal über
den Köpfen der mit 50 ^ und steiler einfallenden paläozoischen Schiefer
bei Sermamagny (Delbos et Köchlin-Schlumberger a. a. 0. 18G7,
II, S. 291). Hier am südlichen Abbruch der Vogesen beherrschen
demnach die Richtungen des Gnmdgebirges auch diejenigen der viel
jüngeren Tafelabbrüche des oberrheinischen Gebirgssystems, weil das
letztere überhaupt im Sfiden wie im Norden endigt parallel dem
Streichen des Alpensjstems und des niederrheinischen Sohiefergebirges.
4. Am Westrande der Bheinebene.
Längs des Ostabhanges der Vogesen und der Haardt dagegeu
sinken die niederbrechenden Trias- and Jnratafeln ein&ch an den NNO
streichenden ESmmen na^^ OSO in die Rheinspalte ein; nnr an den
Umbiegungen und in den Baditen des Gebirgsrandes complidren sich
die Brüche und Verwerfungen zwischen den Tafelstücken. Zwei
Buchten sind hier von besonderer Wichtigkeit: diejenige von Wintz-
felden, welche die Ecke zwi^cluMi dem Nordende des südöstlichsten
Bergkammes und dem mittleren Hauptkamme ausfüllt, und die Bucht
Ton Hntraig, welche Tor dem Nordende dieses zweiten Hauptkammea
fainfiberleitet zu dem letzten westlichen Kamme. Da dann die Haardt
wiederum bedeutend gegen Osten vorspringt, so entsteht nördlich von
dem St(jrunfrc!frebiet von Mutzig eine grössere Bucht bis nach Zabern,
Ingweiler und Wörth hin.
Die Bucht von Wintzfelden ist besonders dadurch interessant, dass
in derselben aui Fuss der höchsten Bergkette der Vogesen die sämmt-
lichen Schichten der Trias und auch noch der Lias mit miToriaderter
Mächtigkeit und ohne jeden petrographischen Wechsel hart am Granit
des Kleinen Beleben abschneiden: der Lias von Wintzfelden ist derselbe
wie derjenige in Lothringen ond in Schwaben. Von einem Meeresarme
0 Siehe Delbos aiidKöeMin-Sehlaiiiberger; Bleieher a. «.0. 1870,
bes. pL IV, profil 13; und R. Lepsin» a. s. 0. 1875, Tat VI, Profil &
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IK« oberrheiniflche Tiefeben« und ihre Bandgebirge.
75
des Liasmeeres, welcher hier zwischen Vogesen und Schwarzwald hin-
durchreichte, kann keine Rede sein; weder diese beiden Gebirge noch
die Rheinspalte existirteu zur Liaszeit
Der Kleine Belchen hat eine absolute Höhe von 1274 ni; rechnen
wir die Mächtigkeit der Trias und des Lias in der Bucht von Wintz-
felden zu 400 m so ergiebt sich eine Höhe des Verwerfungssprunges
von llUO m, hm ca. 500 m Meereshöhe des Lias bei Wintzfelden;
gegen die Höhe des stldliGh anfragenden GrcMuen oder Gebwdler
Belchens erhöht sich der Abbruch noch um 150 m Sprunghöhe der
Verwerfnng: d. h. vor jenen grossen, tertiären Bewegungen und Sen-
kungen, welche das oberrheinische Gebirgssjstem und die Kheinspalte
entstehen liesstMi. befand sich der Lias, welcher jetzt in der Bucht von
Wintzfelden laijert, im Verhältniss zum Grundgebirge des Beichenstockes
um 1250 m hoher als jetzt, wo er in ca. 500 m Meereshöhe liegt.
Wenn nun das Grandgebirge des Beichenstockes gar nicht höher ge-
hoben, d. h. gar nicht weiter Tom Mittelpunkt der Erde entfernt
wurde, als vor Entstehung des oberrheinischen Grebirgssystenis, was
wahrscheinlich ist, so würde sich dt r Lias von Wintzfelden seit Anfang
der Tertiärzeit um 1250 m gesenkt, d. h. um diesen Betrag sich dem
Mittelpunkt der Erde genähert haben.
Die einzelnen Stücke der zerbrochenen Triastafeln sind in der
Bucht von Wintzfelden durch Verwerfungen von einander getrennt, welche
zumeist in NJSÜ und senkrecht dazu verlaufen; die Tafeln zwischen
d^u Verwerfimgan neigen sich mit yerschiedenen Winkehi im allge-
meinen zur Rheinspalte hin oder liegen horizontaL Nur die innerste
Tafel mit der Liasscholle zunächst der grossen Verwerfungsspalte am
Chranit fällt gegen den Granit zu ein: diese Beobachtung lässt sich häufig
bei Tafelbrüchen maelien, dass nämlirh die Tafel zunächst an einer grossen
Verwerfungsspalte gegen diese einfüllt'). Diese Erscheinung erklärt
sich aus der Mechanik der Tafelbrüche: Tafelbrüche setzen stets ein
Auseinanderweichen der. stehenbleibenden Horste oder erhobenen Theile
des Grundgebirges Toraus; sonst mflssten die einsinkenden Tafeln ge-
fiJtet werden, was sie nicht sind. Dabei wird häufig am meisten
Raum bleiben unmittelbar am Abhang des stehenbleibenden Horstes
und daher die nächste au der Verwerfung anlietrende Tafel, statt wie
die übrigen Tafeln nach aussen vom Grundgebirge ab, nach innen zu
einfallen, nach dem mechanischen Gesetze, welches die Tafelbrüche
beherrscht, dass nämlich .die Schichtentafeln sich einfach dahin neigen,
Siehe über diese nunmehr abgetbaae Frage Benecke, Trias in Eisaas*
Lotbringen 1877, S. 794-032.
*) Allerdings geben Delbos und Köcblin-Schlumberger I, 8. 225,
251, 274, 277, 283 im ganzen nur 370 —390 m für die Trias im Ober-Elsass an;
das dOrfie aber entschieden zu wenig sein. Daubr^e rechnet für die Trias im
Unter-£la88 570— COO m, siehe a. a. 0. 1852, S. 87, 116, 12(j, 132.
*) Z. B. an der grossen Yerwerfung am Granitstoek des Adamello in SÜd-
tirol sinkt gewöhnlich die letzte Triastafel gegen den Granit ein: siehe R. Lep-
sias. Das westliche Südtirol, S. 73 und 222, Berlin 1878, und Suess, Das
AntHta der Erde, 1885, I, S. 815.
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Leptius,
[44
wo €2tt Raum es gestattet" Diese Erscheinung, dass die nächste Tafel
an der Hanpt^erwerfang gegen das Onmdgebirge zn einfftUi, kommt
übrigens am Ostrande der Vogesen öfter Tor was am besten beweist,
dass die jEUieinspalte dadurch entstanden ist« dass das Grundgebirge
der Vogesen sich nach Westen etwas von demjenigen des Schwarz-
waldes entfernt hat. Die Anlagerung der abgesunkenen Trias- und
Jura-Schollen am Inuenrand des Schwarzwaldes ist noch nicht so genau
untersucht, um uns Beispiele für diese wichtige Erscheinung darbieten
zu können.
Die Umbiegung des Ostabhanges der Vogesen an der Bucht von
Wintzfelden geschieht bei Raffach, so dass Ton hier ab nach Korden
der Rand des Gehircres mehr in NS-Rirhtnnrr verläuft. Längs der
Verwerfungen am Grundgel »irire zwischen der Bucht von Wintzfelden
und derjenigen von Mutzig sinken die Triastafeln rasch in die Tiefe, so
dass die Vorberge nur eine schmale Zone bilden. Auf dieser Strecke
zeigt sich die interessante Erscheinung, dass Uuigs der HanptTerwerfunff
am Granit und an den paläozoischen Granwacken Muschelkalk und
Juraoolithe umgewandelt sind in Eieselgesteine; Kieselsaure hat den
kohlensauren Kalk nächst der Verwerfunffpspalte vollständit? verdrängt;
zugleich hat sich Schwerspath und Flussspath ausgeschieden. Diese
Verkieselung der Kalke ist zu beobachten auf einer Strecke von 40 km
von Bergheim über Kestenholz bis Truttcnhausen und Kosheim *). Die
Hanptrerwerfung stretcbt auf dieser Linie parallel dem Oebirgskamme
in N 22 " 0 ; der siüficirte Muschelkalk fÜlt Ton Bergbeim nach Orsch-
weiler bei Schlettstadt mit 85« in 0 22 S ein.
Der Hauptkamm der Vocre^en endigt im Norden mit dem breiten
Rücken des Hochfeldes und bricht dann quer ab am Magel- und
Breuschthale mit zahlreichen Verwerfungen zwischen Ottrott und
Urmatt; von hier läuft der Gebirgsrand wieder nach NNO, am Ab-
hang der Hohen Struth über Oberhaskich nach Gossweiler. Dann
sinken die Triastafeln noch weiter nach Westen ein bis nach Rein-
hardsmflnster, nnd erst dort erreichen wir unmittelbar den Abhamr des
dritten, am meisten niirli Westen zu gelegenen Vogesenkarames. Diese
mehrfachen Umbi«'!j;nngen des Gebirgsrandes und die beiden gegen die
Uheinspalte vorsprin<i;enden Winkel })ei <)ttr<itt und Cossweiler bewirken
eine ausserordentUch gestörte Lagerung der Trias- und Juratafeln,
welche an dem anfragenden Gebirge in den Yorhügeln zwischen
Mutzig, Haslach, Wasselnheim und &bem in viele Stficke zerbrochen
liegen.
Ueber den genaueren Verlauf der zahlreichen Tafelbrüche in
diesem abgesunkenen Gebiete sind wir noch nicht hinreichend unter-
') 0. Fraas, Genlogisches Profil der Schwarzwaldhahn von ZuflTenhausen
nach Calw. Württ. JaUres hefte 1876, S. 12Ö. Siehe auch Suesa, Das AatliU
der Erde I, S. 257.
0 Ausser in der Bucht von Wintzfelden auch z. B. bei Niedermorsweier
nnd Kienzheim bei Colmar, im Becken von Mutzig bei liiederhaslach etc., siehe
die Profile bei Bleicher 1870 und Ben ecke 1877.
'i Siehe Delbos et K ö c h Ii n - Schlttu b erger 1866, I 8. 264 und
Daabree, Ites-Rhin 1852, 8, 825—328.
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45]
Die oberrheiiiische Tiefebene und ihre Randgebirge.
77
richtet; mit Ausnahme der nächsten Umgebung von Haslach und
Mutzig ^) fehlen uns die Specialaufnahnien dieser Gegend. Mit derselben
beginnt die weite Bucht von Zaberu-Buchaw eiler, welche der Senkung
des Gebiiges zwiBchen Yogesen imd Haardt OstHch vorliegt und der
LaogenbrllckeDer Yeraenknng jenseits des Bheines zwischen Schwarz-
wald nnd Odenwald en&pri<£t.
Längs des Ostrandes des Grundgebirges der Yogesen brachen
bisher die Trias- und Juratafeln so rasch in die Tiefe der Rheinspalte,
dass sich die Verwerfnngsspalten, mit Ausnahme der Bucht von Wintz-
felden, auf einen schmalen Streifen von Vorbergen beschränkten. Vom
ßreuschthale an vertheileu sich die Längsbrüche auf den breiten Kaum
zwischen einer Linie, welche in direkter Fortsetzung der sfidlichen
Hanptrerwerfung von Mölsheim fiber Truchtersheim, l^mmenheim nnd
Schweighau .sen nach Lobsann und Weissenbnrg verläuft, um hier am
Ortrande der Haardt in derselben Richtung in NNO weiterzuziehen,
und einer zweiten Linie, welche den Ostfuss des Zaberner Sandstein-
gebirges von Reinhardsmünster über Nenweiler nach Ingweiler in
gleicher NNO-Richtung begleitet. Zwischen diesen beiden Haupt-
Terwerfongen liegen zahlreiche andere Verwerfungen, welche die Trias-
und Juratafehi stufenförmig nnd die kleineren Sprünge allmählich zur
Tiefe absinken lassen*).
In diesem Hügellande ragt der Bastberg bei Bnchsweiler am
höchsten auf bis zu 320 m über dem Meere, nur 70 m niedriger als
der Sandsteinkamm bei Pfalz)>iirf]:. Der obere Theil «If^s Bastberges
besteht aus eocänen Süsswasserkalken und mitteloligocäuen Conglo-
meraten. welche zwar discordant über den unterlagernden Jurakalken
liegen, aber auch ihrerseits wiederum i-nie gestörte Lagerung zeigen
und dadurch beweisen, dass die Bewegungen im oberrheinischen Ge-
birgssysteme erst nach Ablagenmg dieser Tertiärschichten ihr Maxirnnm
erreichten.
Bei Hagmian durchteufte ein Bohrloch von 290 m Tiefe noch
nicht die jüngeren tertiären Schichten, welche rlio Rlioinebene unter
dem Diluvium erfüllen; die Bergwerke und Bohrungen bei Lobsann
haben die dortigen tertiären Schichten bis in 150 m 'liefe erschlossen,
ohne die Unterlage derselben zu erreichen. Wir erkennen daraus, dass
die Trias- nnd Juraschichten, welche das Htigelland von Bnchsweiler und
Worth bilden, fisäich der Yerwerfnng Mol£eim-Weissenburg in grosse
Tiefen abgesunken sind.
Längs des Nordrandes der weiten Zabemer Bucht wendet sich
dar Abbruch des Sandstein-Plateaus von Ingweiler wieder zurück über
Niederbronn in ONO nach Weissenburg hinüber. Der Hochwald
springt an der Ecke vor der ümbiegung des Gebirgsrandes mit Ver-
werfungen weit heraus nach Süden; westlich neben diesem Buutsand-
') Benecke a. a. 0. 1877. Geologische Karte der Umgebunfxon von Mutzig.
*) Siebe R. Lepsius, Beiträge zur Kenntniss der Juralonnation im Unter-
EbsM, 8. 80 ff. and Skisse nnd Profile anf Tafel I. Leipzig 1875.
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Lepsius,
[46
steinzuge dringt der Muschelkalk grabenartig noch weit in KNO in
das Gebirge bei Lembach ein.
Wie wir bereit8 erwähnten, entspricht die Zaberner Bncht geo-
logisch genau der Kraichgauer Versenkung: die Mittellinie und die
Ränder der beiden Senken liegen in der üiS'O-Kichtung des Streichens
des Grundgebirges und parallel dem Südabhange des Taunus und
Huusrück. Die Keste von Jura- und Tertiärschichten nehmen auf der
ebSssischen Seite noch einen viel grosseren Bamn ein, als oof der
Imdischen. Der Gebirgskamm bei Zabern tritt schärfer und deutlicher
hervor, als derjenige von Pforzheim bis Neckarelz, weil jener ao8
spröde brüchigem Snndstoin besteht, dieser aus Muschelkalk undKeuper-
mergeln, in denen sich die treppeuiormigen Verwerfungen mehr aus-
gleichen.
Am Ostraude der Haardt i»t die Lagerung der am Gebirgsraude
abgemtschten Trias- nnd Juraschollen nodi eiäiAcher, als Ift^ der
Vogesen: die grosse Verwerfungsspalte zieht von Weissenburg in KNO
über Bergzabern nach Neustadt, biegt bei Forst mehr in N nm und
lünft ü])er Dürkheim nach Grünstadt, wo die Klieinspalten auf die
mittelrheinischen Vorlagen des niederrheinischen Gebirgssystems auf-
treffen. Zerbrochene Tafelstücke des Musclitdkalkes liegen an der
Verwerfmig niedergesunken von Weissenburg an bis nach Neustadt;
auch noch bei Grfinstadt fi^nd Oflmbel Spuren desselben (a. a. 0. 1865,
S. 53). Der tiefere Einschnitt der Queich bei Landau entblösst auch
noch Keupermergel und Lias. Im übrigen in I es die Tertiärschichten,
welclie die Vorhügel am Gebirgsabhang bilden, dif' seihst auch noch
an den Bewegungen des oberrheinischen Systems theiluahnien.
Im Bereich der Vogesenspalto geschahen zur Tertiärzeit nur an
drei Punkten Ausbrüche von Erdlaven: es sind das die Busalte von
Beichenweier zwischen Colmar und Schlettstadt im Oberelsass, dann
zwisidien WOrth und Reichshofen im ünterelsass, und endUch bei Forst
in der Pfalz; am letzteren Orte ist die Basaltmasse ziemlich bedeutend,
an den beiden ersten Punkten gering. Diesen Ausbrüchen an der
Vogesenspalte entsprechen diejenigen an der Schwarzwald-Verwcrfung,-
im Schönberg und im Bromberg bei Freiburg im Breisgau, im Steins-
berg bei Sinsheim und bei Auerbach an der Bergstrasse.
Während im ganzen Gebiete der Vogesen und der Haardt kein
einziger Basaltansbruch bekannt ist, finden sich deren mehrere im
östlichen Randgebirge, zum Theil gerade auf den höchsten Höhen:
nämlich am Oberhaustein bei Hornberg in lü.")! m Meereshöhe, dann
bei Neckarbischoffsheim und Neckarelz und im Katzenbuckel in (328 ni
Höhe: mit dt iii luisshero- hei Darmptadt beginnen dann die zahlreichen
Basaltausbrüche am unteren Main und im Vogelsberge. Als wichtigstes
Merkzeichen einer tiefgreifenden Störung im Erdgewölbe steht aber
mitten in der Bheinebene und Tor dem Einbrüche der Freiburger Bucht
da } reits erw&hnte vulkanische Gebirge des Kaiserstuliles. Indessen
scheinen jene vereinzelten Basaltausbrüche alteren Datums* zu sein,
als die Entstehung des Eaiseratuhl-Vulkanes.
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Die oberrbeimsche Tiefebene nnd ibre &andgebirge.
79
5. Die äussere Abdachung des Schwarzwaldes.
Was nun die äuneren Abdachungen der Randgebirge betrifft, so
neigen sich im allgemeinen die Trias- und Juratafeln g^anz allmählich
nach OSO zum schwäbisch-fränkischen Senkungsfelde vom Schwarz-
wild und Odenwald ab und auf der anderen Seite ebenso flach in
^V2s W nach Lothringen hinein. Dabei brechen die Tafeln mit Längs-
verwerfuugeu treppeniormig aneinander ab. Vortrefflich sind diese
Tafelbrüche in Schwaben Ton 0. Fraas in den Ton ihm yeröffentlichten
fiisenbahnprofilen dargestellt nnd beschrieben^): «Die heutige Ober-
flSchenbildung des Landes erscheint hienach als das Resultat treppen*
ftnniger Einsenkungen der Schichten, welche zwischen dem Sdiwarz-
walde und dem Xockar statthatten.* Am schnellsten auf einander
folgen die Verwertungen zwischen den niederbrechenden Tafeln am
büdostraude des hohen Schwarzwaldes am oberen Neckar und im Gebiet
der Donauquellflüsse, wo die Schwäbische Alp nahe steht; je weiter
nadd Norden, am so breiter lagern sich die einzelnen Tafeln in dem
Hflgellande am mittleren Neckar.
Die Umbrechung der Tafeln um das Nordende des Schwarzwilder
Grundgebirges bringt wesentliche Unregelmässigkeiten im Streichen
der absinkenden Trias: indessen treten einerseits die aus- und ein-
springenden Winkel des Grundgebirges nicht so deuthch als am Innen-
rande der Gebirge hervor, weil die Verwerfuugssprünge nicht so hoch
wie dort werden; andererseits ist die Beschreibung der Lagerung in
den Begleitworten der wtirtfcembergischen geologischen Karten von
£. Paulus noch zu wrnig ausgiebig, um ein klfures Bild des Bruch-
netzes der Triastafeln östlich des Schwarzwaldes entwerfen zu können.
In den vielfach gegen einander verworfenen Triastafeln von
Schwaben entstellt zwischen dem südlich angrenzenden Senkungsfelde
der Tiefschweiz und der nördlich vorliegenden Kraichgauer Senke, also
zwischen dem Rhein bei seinem Dnrchbmch durch den Jura oberhalb
Waldshut und dem Neckar ein breiter Sattel, welchen bereits Vogel-
gesang in seiner werthvnllen geologischen Beschreibung der Umgegend
TOn Triberg und Donanescliingen kennzeichnete (a. u. 0. 1872, S. 9 — 11).
Nach Vogelgesang fallen die Trias- und Juratafeln im Wutachgebiet
in OSO ein bis zu einem Sehitiit«^nsattel , auf welchem die Wasser-
scheide zwischen Wutach und Donau hegt. Die Donau benutzt eine
flache Schichtenmulde, in welcher nach E. Paulus, Blatt Schwen-
ningen auch eine Verschiebung der Schichten gegen einander statt-
findet, um durch die Jurakette quer durchzubrechen. Ein zweiter
Sattel entspräche der Wasserscheide zwischen Donau tmd Neckar: von
hier an nach Norden fallen die Tafeln inelir gegen ONO ein , um
allmählich die Wendung um das Grundgebirge bis zur Kraichgauer
Senke auszuführen.
0 0. Fraas, Die geognostische Profilirung der wiirttembergischen Eisen-
bslinliiiien. Stottgart, 1. Uefg. 1883 ; 2. Liefe. 1884 ; 3. liefg. 1885, mit Profilen
in Farbendrack; und Wärtt Jahnshefte 1870.
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80
Lepsiua,
I
Auf dem Donausattel streichen die Schichten nach Yogelgesang
ziemlich genau nordsttdüch. Der Abfall der Stnfen nach O gieht sie»
in folgenden Höhenzahlen zu erkennen: der Buntsandstein erreicht
auf dem Griindgehirge im Kesselberg bei Triberg 1026 m, die obere
Grenze des Muschelkalkes auf dein Donansattel 7HS ni , des Keupers
791 m und des Jura östlich über Donauescliingen 1'42 m. Zugleich
beweisen diese Zahlen das rasche Niederbrechen der Tafeln gegen O
mit Verwerfungen : denn da die Schichten dieser Tafeln nur mit wenigen
Graden einfallen^ würden die obigen HOhenyerhSlioiaae der vier Schichten-
grappen , die nach Fraas zwischen Yillingen und Tuttlingen eine Ge-
sammtmächtigkeit von 1354 m^) besitzen, nicht möglich sein ohne die
treppenfbrmigen Abbrüche der immer tiefer einsinkenden Tafeln.
Nördlich des Douausattels sinken die Triastafeln allmählicli immer
mehr nach NO ab, du diesell)en um den nördliclien Theil des Schwarz-
wälder Grundgebirges von Freudenstadt über Wildbad nach Ettlingen
henunschwenken mtlssen, um zur tie&ten Stelle der Senke bei Langen-
brficken zu gelangen. Aus dem reichen Material, welches für die
Construction des Tafehiet/.es in Stuttgart vorhanden isii bieten Regel-
mann*). Bach ^) und Fraas ' i einiges. Fraas zählt eine Heihe der
wiclitig.sten Längsverworfuiigen auf (a. a. O. S. '2'2 If . I ; er liebt
dabei mit Recht hervor, dass im Sandfsteingebiet der Enz und Nagold
die Verwerfungen schwer zu erkennen, dagegen in den höheren Stufen
der Trias wegen der zahlreichen leichtkennthchen Horizonte besser zu
constaturen sind^). Vom Donausattel an nach Norden und Nordosten
auf Stuttgart zu führt Fraas die folgenden Hauptverwerfungen an,
aeben denen zahlreiche andere Verwerfungen die Thas durchsetzen:
') Nach Fraas^ üeoguostische fieschreibung von Württemberg etc. 1882
berechnen sich die Uiditigkeiten im rinselnen:
Buntsandstein . . . loG m
Muschelkalk . . . . 1<J0 m
Lettenkühle .... 30 u
Kenper .... . 444 m
Tria*: 820 m
Lins 50 m
Brauner Jura . . . 220 m
Weisser Jura . . . 204 m
Jura: 584 m
Dabei dürrte vielleicht der Buntsandstein zu gering gerechnet seiOf d& er im
Schwarzwalde wohl an 400 m mächtig wird.
^) Trigonometrische Hohenbestimmun^en und Notiien Ober den Oebirgsbau,
in den Wiirttcml^cr^isoln'n JrUirtMiclierii 1H77, S. 35.
^) Uegleitworle imu Ailasblatt Böblingen 18t>8.
*) In den TortreffUchen Eisenbahnprollen and in der geognostiseheo Be-
SchreibunfT von Württemberg 18>'2.
^) Dasselbe findet statt im Rheinischen Schiefergebirge ^ wo im Devun die
Yerwerftingeii schwer so beobachten sind, dagegen in der aoflageimden Trias mausen»
haft erscheinen, obwohl natürlich die Verwerfungen nicht nur durch die Trias,
sondern ebenso lahlreieh durch das Devon setzen (siebe U. Grebe, lieber das
Ober>Rothliegendft, die Trias, das TerUilr und DiluTium in der Trier*achen G^fend,
und Ueber die Trias-Mulde zwischen dem llunsrück und Eifel-Devoo. Jahrb. der
k. preuss. geolog. Landesanstalt. Berlin 1882 und 1884).
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49] oberrheinische Tiefebene und ihre lUndgebirge. 81
1. von Yülingeu über Möachweiler und Königsfeld nach Schram-
berg; streicht, in N ir, " W;
2. von Dorahan über Lossburg nach (jhribtophsthal bei Freuden-
sMt; siareicht in N 30« W;
3. Ton Schopfloch an Dornstoiten Torbei nach Hallwangen ; streicht
in N 45« W;
4. im Schönbiuh a) von Bebenhün^cn ül>or Hildrizhansen nach
Ehningen, h) von (jrla.-hütte bei AN'aldcnhuch nacli Steinenbronn, c) die
^Oj^se Verwerfung von Aich nach Kohr und Vaihini^en, weh^he die
Grenze gegeu die Filder bildet; alle drei Verwertungen streichen in
N 45« W;
5. zwischen den Fildern und dem Schurwalde verlSuft eine Ver-
werfung von Plochingen östlich über dem Neckarthale nach Unter-
tiirkheim und setzt sicli fort von Münster bei Cannstatt Ober Stammheim
und Schwielirrdiii^^on ]>is nacli Vaihingen an der Enz; diese 42 km
lange Verwerfung ätrei« lit in N T)!)" W :
zwischen Calw luul W eil der Stadt zieht bei Althengstett eine
Verwerfung gleichfalls in N 5U" W.
Wir erkennen aus diesen Angaben, dass die Triastafeln, je weiter
sie sich vom Donausattel nach NO entfernen, um so mehr ihr an-
föngliches NNW-Streichen in NW umwenden, um das Nordostende
des Schwarzwaldes mantelförmig bis zur Kraichgauer Senke zu um-
gehen: dabei ist im allgemeinen die Tafel auf der NO-Seite der
Verwerfung gegen die SW-Seite nbjresninken . so dass die Bahn von
Freudenstadt (7lil m) nach Stuttgart (241) m; immer jüngere Schichten
rom Bunten Sandstein bis hinauf zum Lias durchschneidet.
Von Querverwerfungen heben wir diejenige im Schönbuch hervor,
welche von Bebenhausen nach Aich in N oO» 0 verläuft. Parallel
diesen Querverwerfungen streicht der Steilhang der Rauhen Alp : der-
selbe ist fa-^t (1urrh;iii'^ fin Resultat der Erosion durch die Neckarzuflüsso.
Im !j:ios.st*u und (ganzen ist demnach die Lagerung der Trias-
tafeln m tiem schwäbischen Hügellande mehr beherrscht von der tiefen
Einsenknng parallel dem Streichen des Grundgebirges zwischen Schwarz-
wald und Odenwald, ab von dem Hauptstreichen des oberrheinischen
Gebiigssystems.
6. Die äussere Abdachung des Odeuwaides.
Während wir bereits einigermassen über den Bau der schwäbischen
Triastafeln am Ostrande des Schwarzwaldes orientirt sind, mangeln
bis jetzt fast vollständig die Nachrichten über die Lagerung der Trias
östlich vom nriiinigebirge des Odenwaldes. Das weitausgedehnte Sand-
steinplateau des hinteren Odenwaldes zwischen Neckar und Main scheint
im allgemeinen aus einer lieihe von Talein zu bestehen, welche durch
Verwerfungen in NNO -Richtung von einander getrennt sind: die
einzelnen Tafelbrüche bewirken aber meist nicht eine tiefere Lage des
Ostflflifels an der Verwerfimg, wie in Schwaben, sondern umgekehrt
eine Erhebung der Ost- über die Westseite: z. B. fallen die Sandsteine
ForaDknogeii tat deutteben Lude*» und Volkakvnde. Li. 6
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82
Lepsin«,
[50
zwischen der oberen Gersprenz und der Mümling fliirli in OSO prepcn
Michelstadt zu ein, so daäs ein Profil in dieser Richtung vom Grund-
gebirge bei ReicheUheim enfe den Zechsiein, dann die Stufen des
mächtigen BnntBandsteins, bei Steinbach auch den oberen Bantsandrtein
durchachneidet und im Münilingthale endlich noch den Wellenkalk an-
trifft. Oestlich von Miclidstadt und Erhai !i zieht eine Verwerfung
von bedentendnr Sprunirhöhe in NNO hindurch, welche am Westfuss
des Krähhcr»^''» 'S den unteren Bunten Sandstein in d is Niveau des Muschel-
kalkes tjffwoitcn hat. Wiederum fallen dann im Krähberge die Sand-
steine regelmässig in OSO znm Schöllenbach hin.
In den Hauptrerwerftingen des hinteren Odenwaldee laufen die
Bäche nach N und S ab : «^o die Gersprenz, Mtlmling und Mudau in den
Main, Weschnitz, Finkenbach, Gammelsbach, Sensbach, Itterbach in
den Neckar. Die einseitij:fe Anfkippuji^ der Tafeln bewirkt, da.-js die
Höhen der ganz fladi in O bis OSO einfallenden Bunten Sandsteine
zwischen den A't rwf rfungen in den von W nach 0 auf einander
folgenden Zügen last gleich hoch bleiben, im Durchschnitt von 450 m
Meereshöhe, und dass der hintere Odenwald ini ganzen als ein f^eich-
förmiges Sandsteinplatean erscheint, obwohl hier die Tafeln ebenso
zerstückelt sind, wie in Schwaben.
7. Die äussere Abdachung von Yogesen und Haardt.
Die westliche Abdachung dsr Yogesen und der Haardt verläuft
nun weit einfacher und regelmässiger als diejenige der Gegenseite in
Schwaben und Franken. Bs ist dies verständlich bei der NNO-Richtung
des oberrheinischen Gebirgssystems: wahrend dn'il)cn im Schwarzwalde
die Bergzüg*' des Grundgebirijres in sj)itzen ^Vinkeln auf fH»' in NO zur
Kraichirauer .Senke ubsinkciwleu Triastat'tdn auftreffen, streicht diesseits«
der lange Westkamm fast ununterbrochen vom Hochplateau der oberen
Mosel über die obere Saar bis zum Westrich in der NNO-llichtung
gleichförmig hindurch. Von diesem Kamme fallen die Triastafeln regel-
mässig nach WNW, in derselben Weise einzeln aufgekippt mit steilen
Ost- und flachen Westabhängen wie drüben im hinteren Odenwalds.
Benecke giebt in seinem Abriss der (icolo'^np von Elsass-Lothringen
(187S S. lor» ff.) eine allgemeine Uebersicht tler Triaszüge in Deutsch-
Lothringen : ,l)it' /.onenartige Aufeinanderfolge der Formationen von
den V ogeseu uacii der Mosel hin veranlasste einen wiederholten Wechsel
von Depressionen und erhöhten Rücken, je nach der leichteren oder
schwereren Yerwitterharkeit der Gesteine. Die Rttcken liegen wallartig
mit dem steilen Abfall gegen die Yogesen und bilden nach Westen ein
Glacis.*
Die Triastafeln in Lothringen setzen sich /nnächst vom östlichen
Vogesen- und Haardtkamme n\> einer Verwerfung, die ancii im Sand-
steiugebicte von Pirmasens ül>cr Bitsch bis ins obere Zornthal in der
Haaptrichtung von NNO nach SSW zu verfolgen ist. Dann folgt
nach Westen ein scharf hervortretender Muschelkalkzug von den
Höhon westlich fiher Saarburg an in NNO, östlich an Saarunion vorbei
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51]
Die oberrbeiniscbe Tiefebene and ihre Kandgebirge.
83
nach fiolirlcich und aul Z\veil)iii(krti zu; duran sclilicsst sich wenilieh
die Set'iinieileriin<r der Keupermerg«*! in dersell)('n NNO-Kichtung von
Avricourt au der französischen Grenze bis nach Saargemünd hin; die
SeUle entwässert diese Niederunff nach S, die Saar nach N. Der
nächste Wall von Chftteau-Salins über Grosstönchen nach Yahl-Ebersing
gehört zum oberen Keuper.
Von diesem letzteren Zuge an macht sich gegen die Mosel bei
Metz hin mehr und mehr die NO- bi;^ ONO-Kichtung des nieder-
rheinischen Systems geltend, welches nürdluh an dieser Gegend mit
der grossen, bereits erwähnten Verwerfimg vou St. Avold über For-
bach und Bexbach bis zum Donnersberge abschneidet.
An der Mosel bei Metz und Diedenhofen streichen die BergzQge
wieder nordsüdlich ; doch werden sie häufig gequert von den in NO bis
ONO verlaufenden Verwerfungen des niederrheinischen Systems. In
der yS-Kichtung streicht z. B. die vou Steinniann angegebene Ver-
wertung vou Aniauvillers nach l{oml)arh in deiu Plateau westlich über
Metz So weit nach Westen erstreckt sich aber nicht die Wirkung
des oberrheinischen Gebirgssystems; denn wir befinden uns bei Metz
bereits in den Gebieten nOrdlich der das oberrheinische System ab-
grenzenden Verwerfungsliuie St. Avold-Bexbach. Die Wirkungen sind
indessen hier deswegen ähnliche wie in der Westal)dachvuig der Vo-
gesen und der Haardt, weil die Umgegend von Metz ebenfalls zu
d«'tn gr<isseu Senkuugsfelde zu rechneu ist, dessen Mitte das Pariser
Becken euiuimmt.
Benecke vergleicht den Verlauf der Höhenzüge in Lothringen mit
der Gestalt eines liegenden Z, da die Triastafeln zunächst westUch der
Vogesen und der Huirdt in NNO parallel dem oberrheimschen System
streichen . dann weiter westlich anfangs mit NO-, endlich bei Metz
mit N'Streichen um die SW-Scke des Kheinischen Schiefergebirges
umlenken.
Diks interessante Brucliuetz, welches Grebe aus der Trias der
unteren Saar und Mijsel so trefflich gekennzeichnet hat (a. a. 0. 1882
und 1884), gehdrt vollständig in den Bereich des niederrheinischen
Systems.
C. Die terüftren Ablagerungen in der oberrheinischen
Tiefebene.
Die Lagerung der abgestOrzten Trias- und Jura-Tafeln an den
beiderseitigen Gebirgsrändem längs der Vogesen- und sidi /wald-
Spalten hat \ms bereits l^lar '^i Tnadit. dass die oberrheinische Tief-
ebene dadurch entstanden ist. dass das Grundgebirge in der NNO-
Hi( liTnti;^^ des Systems auseinanderVmu h und die Formationen zwischen
den Horsten in grosse Tiefen versanken. Der Einbruch der Schichten
*) ü. Stein mann, Geologischer Fuhrer der Umgegend von Metz. Skizze
der Verwerfongen auf 6. 10. MeU 1880.
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84
LepsiiM,
[52
in die Rheiiispaltt? <;es(liiili zwar wie jedes derartige Ereigniss plötz-
lich, aber das Endresultat deüselbun, wie wir es heute vor um sehen,
wnrde nicht auf einmal erreicht, sondern erst durch eine sebr grosse
Reihe einssehier Eiinbrflche, welche am Anfange der Tertiärzeit be*
gannea mid sich bis in die jetzige Zeit fortsetzten. Am Anfang der
Tertiärepoche befanden aidi in der wahrscheinlich sehr flach ein-
gesenkten Kheinebene nur einige wenige ansgedelnite Landseon, einer
z. B. bei Burhsweiler Ith Unterelsass ; dieser Biu lisweiler See vertiefte
und vergrösserte sieb bedeutend in der untendigotänen Zeit, wo in
demselben die bis 300 m mächtigen Schichten von Lobsann und Pechel-
bronn abgelagert worden
Znr mitteloligocänen Zeit war jedoch die Versenkung schon so
weit gediehen, dass das Meer in die Rheinebene einbrach und sich
über die rr^mA^ p]bp!ie zwischen den Gebirgen verbreitete : von Räders-
dorl in der l'tirt im (H)erelsa^•s und von I>ürra('h luid Stetten im
Wiesenlliai bei Basel an bis binab nach Heppeiilieim an der Berg-
strasse und bis nach Alzey in Rheinliessen, sowie längs des SUdrandes
des Taantts kennen wir die Sande nnd Gonglomemte des mitteloligo-
cftnen Meeressandes. Eine noch stärkere Vertiefung des Meeres in
der Rheinebene beweist die mächtige Ablagerung des darauffolgenden
Septarienthones, welcher gleichfalls von Sentheim im Oberelsass durch
das ünterelsass bis an die Nahe und bis in die Wettfran zu finden i>t.
In den oberen Tbeil der Septarieiitb(nie geiitiren die i>cliieter-
thüue mit Fischresten, welche im Oberelsass eine ziemliche Verbreitung
besitzen. Dann folgen in der ganzen Bheinebene bis in das Mainzer
Becken feinkSmige oberoHgocSne Meeressande nnd Mergelscbiefer, welche
zum Unterschied von den älteren «Alzejer Meeressanden" die , Els-
heimer Meeressande' heissen; sie werden nach ihrem häufigen Gehalt
an fossib'n Blättern mucIi Blättersaiulslcine «jfenannt.
Mit den überlagernden Cyrenenniergeln beginnt die Aussüssung des
Meeres. Der Cerithienkalk imd der jüngere Litorinellenkalk des Mainzer
Beckens lagerten sich bereits in einem geschlossenen Landsee ab, welcher
nur am Mittelrbein, in Rheinbessen, in der Wetteran und in der Pfelz bis
na( b Landau hin sieb ausdehnte. Gleichaltrige Bildungen in Oberbaden,
bei Müllheim, Auggen, Schliengen, Kleinkems, Istein und im Tullinger
Bei^ bei Basel gehören nK'br der schweizerischen Facies des Miocän an.
Wahrscheinlich tlossen dieve Seen nach S^V ab, jedenfalls nicht nach N,
da wohl in der Schweiz und im Centralplateau von Frankreich, aber
nicht in Norddeutschlaud oder am Niederrhein eine ähuhche miocäne
Fauna Torbanden ist. Die jüngste tertiäre Bildung der Rbeinebene
sind die fluviatilen Sande mit Resten von Dinotherinm, Mastodon und
anderen Landsäugethieren , wie sie von dem Schweizer Jura an bis
hinab ins Mainzer Becken und bis auf das Pbitean des rheinischen
Schiefergebirges in grosser Verbreitung vorkoinnieii. Erst mit dem Be-
ginn der Diluvialzeit, also mit der Einwanderung des Menschen in
') Siehe für das elsässer Tertiär A. Andreae, Beitrag zur Kenntniss des
elsilsBer Terti&rB. Straasburg 1883-1884. Für das mittelrheinische Tertiär R. Le p-
sias. Das Uaimer Becken, geologisch besehrielMiL Dannstadt 1888.
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53]
Die oberrheinische Tfetebene ODd ihre Randgebiige.
85
Enri)])a. brach der Rhein durch die Juratafeln unterhalb des Bodensees
und ht nutzte die grosse Spalte zwisclien Vogesen und Schwjirzwald,
um nach Norden abzufliessen. Der Kliein füllte mit seinem Schutte die
Kheinebene so weit aus, doas die diluvialen Sande und Schotter über
der tertiären Unterlage zumeist 50 — 100 m mächtig angehäuft liegen;
nur an einigen Stellen wie bei Kolbeheim und TmchterBheim bei Strass-
burg, im Büchelberg bei Lauterburg in der Pfalz (Andreae a. a. 0.
1884, S. 227) und auf dem Steinmarkt bei Bauschheim zwischen Gross-
geraii und Mainz taucht das Tertiär auch mitten in der Kheinebene
an die Oberfläche aus dem Diluvium liervor.
Uns interes.sirt hier besonders die Lagerung der tertiären Schichten
in ibrem Yerhältniss zum oberrheinischen System. Da erkennen wir
znent, daes die Unterlagen, das Liegende des Tertiärs längs der
Rheinebene verschiedenartig ist. In Oberbaden lagern die mittel-
oligocänen l\;ilk<ande bei Lörrach und am Schloss Rötteln auf der aus-
trefiirclitpii OberÜäche der Jnra-Kalke und -Oolithe, deren Material
die (ieröile dieses tertiären Meeressaudes eninonimen sind; die Ver-
werfungen, weiche hier den Oolith neben den Muschelkalk de.s
Dinkelberges warfen, sind offenbar erst später als der mitteloligocäne
Meeressand entstanden: denn sonst mtlsste der letztere auch andere
GerQlle, ab nur Juragerölle, er müsste Tor allem auch Schwarz-
waldgerölle enthalten, was nicht der Fall ist Die Meeressande bei
Lörrach liegen in 321 m absoluter llölie.
In gleicher Weise überd ecken ooeiino Thone mit Bohnerzen und
obereocäner Melauienkalk zwischen istein, Schlienpen und Kanderi,i
die ausgewaschene Oberfläche der oberen und uateren weissen Jura-
kalke der am Schwarzwälder Grundgebirge abgesunkenen, ziemlich
horizontal lagernden Schollen in 400 — 450 m Höhe. Die Bohnerzbildung
ist hier ganz die gleiche wie auf der schwäbischen Alp und im Schweizer
Jura; zur Zeit als diese limnischen eocänen Schichten sich ablaLferten,
konnte die Absenkung der Juratafehi um die Horste herum noch
kaum be*;omien haben : jedenfalls war das Grundgebirge des Schwarz-
waldes zur Zeit noch niclit entblösst.
Weiter nßrdlieh treflfen wir die mitteloligocänen Kalksande und
GoDglomerate ausser bei Schliengen, MüUheim, Oberweiler, Stauten
a. a. O, auch auf der höchsten Höhe des 640 m hohen Schönberges
bei Freiburg und an dem VVestabhang desselben: die Unterlage des
Tertiär ist hier ebenfalls tlieils Oolith des braunen Jura , theils noch
jünirerer Jurakalk, wie in ganz Oberbadeu, und die Gerölle desselben
besteben zumeist aus diesen Jurakalken, zuweilen aus Liaskalk, selten
aus Muschelkalk; aber man findet keine Gerölle Ton filteren Ge-
steinen. Der ausgezeichnete DarsteUer der geologischen VerhSltoisse
des Schönberges, Karl Fromherz (a. a. 0. 1837, S. 3(>) satrt am Schlüsse
seiner Abhandlung: „Wenn es sich endlich darum handelt, die geo-
logische Epoche der vulkanischen Hebung des Schönberirps zu be-
stimmen , so rauss ich mich hier auf die Bemerkung beschränken,
dass diese Hebung augensclieinlich erst nach der Ablagerung der
tertiären Conglomerate erfolgte. Das Vorkommen dieser Conglomerate
auf dem hdchsten Gipfel des Schdnberges in einer Höhe von 2000 Fuss
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86
[54
«nd die Aufriclituii^' drr Schichten ') dieser tertiären Felsarten am
Steinenweg bei Ebringen setzt jene Thatsache ausser Zweifel." Wir
sprechen nach unseren jetzigen Anschauungen nun weder tou einer
^Tulkanischeii Hebung* noch von einer Hebung flberhaupt, sondern
sehen in der steilen Stellung der Tertiärschichten am Schönberg eine
Folge des Absiiikens der Schollen in die Rheins))alte. .TtMlenfalls fareffen
wir auch hier b(M Fr<'i]tnr«r noch keine Gerölle des (ilrundLrebirges- in
den oligocänen Congi(jnu>raten an und linden diese selbst in einer
Höhe über dem Meere von 04(3 m.
Endlich wurden die mitteloligocäneu Kalksande auch bekannt auf
dem Schntterlindenberg bei Lahr, wo sie gldcbfalls auf dem Oolitfa
des braunen Jura aufliegen und mit 8 — 16**^, an einer Stelle auch
mit 10^') in W einfallen; sie lagern dort in 100 200 m absolater
Hölle. l)ies(> Kalksande bestehen nach Walchner^) fast ganz ans den
Oolithkörnern ihrer Unterlage.
Gehen wir norli wiMter nördlich, so tindcii wir bei lTl)statt und Malsch
imKraichgau mitteleotaneSüsswasserkalke aufgelagert aut unterem brau-
nen Jura (HurdliBonae-SandBtein); es sind Schichte von demselben Alter
wie diejenigen drüben auf dem äastberg bei Buchswefler im Unterelsass.
Die Lagerung der Schichten ist schlecht aufgeschlossen: dodi sagt
Benecke (a. a. O. S. OOl): .in horizontaler Lage verblieben der Kalk-
sandstein von Ubstatt und die jüntreron Tertiärbildungen. " Sodann
begegnen wir bei Grossaclisen einer einzelnen an d<'r Hanptverwerfung
abgesunkenen Scholle von mitteloligocänem Meeressande, welche unter
Löss und nahe einer ebenfalls niedergesunkenen Partie Buntsandstein
zu Tage tritt Endlich hangt eine abgerissene Tafel des mitteloligo-
cänen Meeressandes am Gneiss in den Vorbergen bei Heppenheim an
der Bergstrasse; nördlich daneben steht die Starkenburg auf einem
Rest von Bnntsandstein ''). Hier nun besteht der Ifrtiäre Sand«t<^in
zumeist aus Trümmertheilfu der granitischen (icsteiiir des Grund-
gebirges, an welchem die Scholle liegt; wir erkennen liieraus, dass an
der Borgstrasse bereits das kristalline Grundgebirge eiitblösist war, als
das mitteloligocäne Meer die Rheinebene bedeckte. Dieser tertiäre
Sandstein lagert bei Heppenheim in 300 m absoluter Höhe.
Für die linke Kheinseite heben wir aus der eingehenden Dar-
stellung des elsiisser Tertiär von .\ndreae die folgenden hier in Betracht
kommeiidcn l'unktc liervor. Die eocänen Kalke in der l^nigegend von
Buchsweiler im I iitrrelsass und zu Morvillars bei Beltort lagern wie
diejenigen bei Klcinkems in Oberbaden und bei Ubstatt und Malsch
im Kraichgau auf Oolithen und Kalken des braunen Jura. In diesen
Schichten gibt uns nichts kund, dass die Rheinspalte bereits Yorlianden
war. Zur Zeit des obersten Eocän, als sich der Melanienkalk im Sündgau
') Die Schichten lallen nach WNW ein.
*) Eck a. 8. O. 1883. S. 101.
'1 Platz a. a. 0. 1807, S. 44.
*) Walcliticr. Ut'biT das Vorkommen von Grobkalk am westlichen Kande
des Schwarzwaldes, in Leonh. Zeitschr. für Min. 1827. II Ö. 241—240.
^) R. LepsiuB, Mainter Becken 1883, S. 40.
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55] oberrhcinimslie Tiefebene und ihre Bandgebirge. 87
ablagerte, scheint sich da.s schweizer Molassemeer dem Elflass von
Süden her genähert zu haben.
Zur unteroligücänen Zeit entstanden die 200 bis 300 m mächtigen
Aspluli-, Petrol- und Braunkohlen-führenden Mergel und Kalke in
dem Gebiet zwischen Bagenau, Wörth und Weissenbnrg im Unter-
elsass nnd bei Altkirch im Sundgau, brackische Schichten; auch in
ihnen finden wir keine Andeutung, dass die Schichtenstörungen des
obttrrheinischeii Systems bereits begonTioTi hätten.
Erst mit der weit über die Grenzen des südwestlichen Deutschlands
ansgedehnteu allgemeinen Senkung zu Anfang der mitteloligocänen Zeit
scheinen die ersten Tafelbrüche im Sinne des oberrheinischen Systems
entstanden zu sein; denn tou nun an finden wir Klistenbildungen
längs der Linien, welche jetzt ungefähr durch die Vogesen- und
Schwarzwald-Spalten gezogen sind. Besonders treten grobe StrandgeröU-
raassen an der ganzen Länge der Yogesenspalte auf: die bis 30 (in.
ja bis 5(1 em grossen Strandfjerölle des mitteloligocänen Meeres lagern
zu Oltingen bei F^rtrt im Oherelsass auf unterem weissen Jurakalk
(Astartien) und bestehen selbst fast ganz aus diesen Jurakalken; eben-
so bei Beifort und Montb^liard. Bei Rödern und Leimbach S Thann
und zu Sulz bei Gebweiler sind die Strandgerölle ebenfalls den Jura-
kalkeu, aber auch dem Muschelkalk, dem Voltzien- und Yogesen-
Sandstein entnommen ; dagegen fehlen vollständig Gerölle von Granit
oder Grauwacke, welche Gesteine dort jetzt di<* Rer<re jenseits der
Verwerfung bilden. Auf dem 416 m hohen Hullenberg und über
liudacii in ca. 390 m Höhe, dann bei Pfalienheim und auf dem 350 m
hohen Letzenberg bei Tflrkheim liegen die mächtigen Gonglomerate
des mitteloligocänen Meeres auf braunem Jurakalke; aus diesem Kalke
stammen auch die meisten Gerölle selbst, daneben finden sich selten
Gerölle aus der Trias, niemals die Granite und Grauwacken des Grund-
gebirges. Zu Beblenheim bei Colmar bestehen die mitteloli<r<n iinen
Meeresstrandgerölle aus Vogesensandsteiu , Muschelkalk nnd .luni-
oolithen; bei Ittersweiler, auf der 350 m hohen Gloriette bei Barr
und bei Bemhardsweiler vorwiegend aus braunen Jurakalken « am
letzteren Orte auch aus eocSnem Sflsswasserkalk. Auf dem Bischen-
berg 360 m bei Obere]) ulicim lagern die Conglomerate auf eocänem
SOsswasserkalk ; die Gerölle derselben sind Juraoolithe, selten Bunt-
sandsteine. Die mächtigen Strandgerölle auf dem Scharrachberg 31 )! m
bei Wcdxheim bestehen vorwiegend ans Juraoolithen ; daneben kommen
solche aus Muschelkalk , selten aus Voltzien- und Vogesensandsteiu
vor. Der 329 m hohe Bastberg bei Buchsweiler trägt über den
Oolithen nnd Kalken des oberen braunen Jura die eocänen Braun-
koUenmergel und Süsswasserkalke ; auf diesen lagern machtige Massen
von mitteloligocänen StrandgeröUen , die siimmtlich den Oolithen und
Kalk (Ml des braunen Jura entnonunen sind; die tertiären Schichten
fallen hier mit 0 — Itj** in NNO ein.
Bis hieriier lagern die mitteloligocänen Schichten stets anf der
ausgefurchten Oberflüche der Kalktafeln des braunen Jura, wie in
Baden, nicht auf älteren Formationsstnfen; nur im Sundgau und
dann noch weiter sfidlich im Schweizer Jura lagern sie auf noch
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88
Lepsitts,
[56
jüngeren Stufen, auf den Kalken des weissen Jura. Aber am Ab-
hänge der Haardt und im Mainzer Becken wird das anders: schon
bei Wdrtii, bei Gonsteti und Weissenbnrg liegen die mitteioligoc&nen
Conglomerate auf Lias und anf Muschelkalk; auch zeigen eich keine
Jnragerölle mehr, sondern fast lauter Muschelkalkgerolle ; ebenso zn
Leinweiler bei Landau (Andreas IT S. 71). Das Profil von Lobsann
(zwischen Wörth und Weissenhnrg) zeiLTt , dass die eocänen Petrol-
schichten, die Conglomerate des niitteloliiiociiiien Alzeypr Meeressandes
und die ebenfalls mitte loligocäneu Septarienthone mit voller Mächtigkeit
an der Verwerfung am Vogesensandstein der Haardt abstossen; die Sep-
tarienthone fallen sogar etwas gegen die Verwerfung ein, was wir oben
(S. 73) als ein Kennzeichen der Tafelbrüche längs der Vogesenspalte
hervorhoben. Die Mächtigkeit der drei tertiären Stufen bei Lobsann
ist mit ;iOO m noch nicht durchbohrt; der Vogesensandstein des Hoch-
waldes steht .l'H) m über Lo])sann empor; die Mächtigkeit der oberen
Trills (Voltzien-Sandstein, Mnsclielkalk und Keuper) ist im Lnterelsass
nach Daubr^ anf 175 m« diejenige des Jura bis zum oberen braunen
Jura auf 135 m zu schätzen: rechnet man diese Zahlen zusammen,
so ])eträgt die Sprunghöhe der Verwerfung zwischen dem Hochwald
und Lt)bsann mindestens 910 m. Diese Verwerfung ist nun sicher erst
nach dem Absatz des Septarientliones (wahrsclieinlich sehr viel später)
entstanden: die Hheinebene bei W'eissenburg hat sich denmach seit
der oligücäneu Zeit im Verhältnis« gegen die stehengebliebenen Ilorste
noch um wenigstens 910 m gesenkt.
Im Mainzer Becken nun lagern die mitteloligocänen Meereseande
auf den Rotliliegenden Sandsteinen; am Hunsrück und am Taunus end-
lich auf den Qrauwacken des devonischen Schiefernde] »irf?es.
Wir erkennen daraus, dass die nördlichen Gebiete der ){ heinebene
noch lan<(e Zeit ('ontinent waren und denudirt wurden bis auf das
Grundgebirge (bei Heppenheim bis auf d("n Gneiss), ehe das mittel-
•oligocäne Meer auch in diese Gegenden von Süden her einbrach,
w&hrend dasselbe im südlichen Theile der Rheinebene schon längst die
Felsen des braunen Jura überspülte. Die Grundgebirge der Vogesen
und des Schwarzwaldes waren damals noch nicht entblösst : denn keine
Granit- und Grauwackengerölle, sondern nur Jura- und TriasgerÖlle
bildeten die Conglomerate an der Küste des f)linv)tänen Meeres.
Auch noch untrüghcliere Zeiclieu der Brandung des tertiären Meeres
finden sich längs dieser dauuiligen Küstenlinie: ausgewaschene und ab-
gespülte Felsen der Grauwacken und Quarzite am Taunusrande (z. B.
nahe Schloss Vollraths bei Oestrich) und der Rothliegenden Sandsteine,
Melaphyre und Porphyre in Rheinhessen. Audi sitzen häufig noch ganze
Aiisterncolonien fest an den Porphyrfelsen nahe der ehemaligen Küste.
Im Elsass aber erwähnt Daubree auch Bohrlöcher von liohrmuscheln
am Strande des initteh)li^'()( änen Meeres in den Jurakalken und im
Muschelkalke bei Wörth, am Kleinen Bastberge bei Buchsweiler, am
Scharrachberg und Dreispitz bei Molsheim, bei Barr und bei Bliensch-
weiler.
Die miocänen Süsswasserbildungen haben eine geringere Ver-
breitung in der Rheinebene, als die oligocänen Meeresabsätze; in den
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Die oberrheinische Tiefebene und ihre Randgebirge.
89
Cerithieükalkeu und Litoriuellenkalken bemerken wir keine Anzeichen
TOD bedeatendeo SiÖnuiffeii. Doch werden audi wShrend dieser Zeit
die Absenkungen fnNigeeäritten sein; am stärksten jedoch woU wShrend
der pliocänen, jfln^rten Tertiärzeit, wo bereits die grossen Seen
aus der Rheinebene verschwunden waren und nur Fhissabsätze sich
bildeten. Am Anfang der Diluvialzeit waren jedenfalls schon die
fTnindffebirge von Vogesen und Schwarzwald fast ebenso entblösst von
den ehemala überlagernden Trias- und Jurastufen, wie jetzt: denn in
den dilnvialen Couglomeraten der Rheinebene finden wir die Qranite
nnd Grauwacken der Grundgebirge ebenso wie Triasgerölle. Die
dflnvialen Gletscher in den Beichenstöcken fanden die Thäler, in
welchen sie hinabglitten, nicht viel weniger ausgehöhlt vor, als sie
jetzt sich darstellen. Dazu brachte der Klioin alpine Gerolle, die vor
der diluvialen Zeit nirgends in den älttren Al>Ia<j:erungen des ober-
rheinischen Gebirgssjstems vorkommen. Auch während der Diluvial-
seit sanken die Trias-, Jura- und Terti&rtafeln in der Bheinspalte
noch tiefer, indem gleichzeitig der Rhein mit dem mitgefUhrten Sand,
Kies und Schlick die absinkende Fläche wieder aufiMllte. Hundert
Meter mächtig liegen */. B. die diluvialen Rheinablagerungen zu Gries-
heim in der Ebene westlich bei Darmstadt, und sie enthalten noch
in ihren tiefsten Schichten Flussmuscheln und Flussschnecken, wie sie
zur diluvialen Zeit am Rheine lebten.
Noch heute geben uns die sahireichen Erdbeben in der ober-
und mittelrheinischen Tiefebene kund, dass diese Bewegungen im
Simie des oberrheinischen Gebirgssystems noch nicht zur Ruhe ge-
kommen sind; jedesmal wenn eine durch die Senkungen entstandene
Spannung im Erdgewölbe ausgelöst wird, lassen die Ein})rüche den
Boden unter unseren Füssen erzittern. Dagegen erhuiben die Schutz-
dämme, welche jetzt den Strom seiner ganzen Länge nach von Basel
bis Mainz yon der ihn umgebenden Ebene abschliessen , dem Rhein
nicht mehr, die allmählich tiefer smkenden Flächen der Tiefebene mit
seinem Schlicke aufzufüllen; in Folge dessen werden, besonders, am
Mittelrhein, die Ueberschwemmungen bei der Hochfluth immer gefahr-
hcher und bedrohen immer weitere Gebiete, so dass in fliesen Gegen-
den schon ernsthch die Frage erörtert wird, ol) es nicht thunlich wäre,
zu dem holländischen Poldersystem überzugehen, den Getreidebau in
den Niederungen in der Nähe des Rheines wieder au&.ugebea und, wie
frfiher Yor dem Bau der Dämme, zur Wiesencultur nnd zur Viehzucht
zurückzukehren.
Dieselbe Erwägung, die wir aus der geologischen Geschichte des
oberrheinischen Gebirgssystems gewonnen haben , nämlich dass die
Ra.ndt;ebirge der Rheinebene durch langsames aber lange andauerndes
Absinken der Trias- und Juratafeln sowie des Tertiärs entstanden
sind, giebt uns auch die richtige Erklärung des eigenthümlichen Ver-
laufes der Fltlsse im Stromgebiete des Rheines: der Neckar, der Main,
die Zorn, die Mosel, die Saar, die Nahe und der Rhein selbst konnten
deswegen die Gebirge, durch welche ihr Unterlauf geht, durchfliessen
nnd durchschneiden . weil ehemals die Landstrecken ihres oberen und
mittleren Laufes in einem höheren Niveau als jetzt sich befanden. In
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90 Upsius, [58
der langen Zeit vom jüngsten Tertiär an durch das Diluvium bis in die
jetzige Pf^riode war das; südwestlichf Deutschland ein Continent, auf
welchem Flüsse ihr Bett eingruben ; wälirend derselben Zeit sanken die
Schichtentafebi in der Rheinebene sowie in dem schwäbisch-fränkischen
und in dem lothringischen Seukungsfelde immer tiefer ab, sodass sie
sich xran in einem bedeutend tioferen Niveau im VerHlltniBS zu den
weniger tief abgesunkenen oder stehengebliebenen Horsten Sehwars-
wald, Vogesen, Odenwald nnd Haardt befinden.
Sc hl aas.
üeberblicken wir noch einmal die dargelegten Verhältnisse der
oberrlieinischen Tiefebene und ihrer Kandgebirge, so lassen sieh die
Resultate unserer Betrachtungen in die folgenden Sätze kurz zu-
sammenfassen :
1. Das krystaUine und palftotoisehe Gnmdgebirgef waches in den
Kernen der Bandgebirge zu beiden Seiten der Rheinebene zu Tage
tritt, wurde am Ende der Steinkohlenzeit durch tangentialen Druck von
SSO her in zahlreiche Falten mit ONO-Streichen zusammengeschoben.
2. Von der Ablagerung des oberen Rotbliegenden an h'is zur Zeit
der oberen Jura-Formation war das südwestliche Deutschland vom
Meere bedeckt: Schicliten von 1200 — 1500 m Mächtigkeit lagerten sich
während dieser langen Zeit ohne jede Störung allmählich Aber dem
Grundgebirge ab.
3. Während der Kreidezeit wurde das südwestliche Deutschland
wiederum Continent und blieb es bis zur neuen Ueberfluthung durch
das mitteloligocäne Meer.
4. Von der Tertiärzeit an bis jetzt bildete sich das im allgemeinen
in NNO streichende oberrheinische Gebirgssy stem heraus: rings
um die weniger tief einsinkenden oder stehenbleibenden Horste brachoA
die Formationen in viele Tafeln auseinander und sanken mehr und
mehr nieder östlich in dem schwäbisch-fränkischen, westlich in dem
lothringischen Senkungsfelde und mitten zwischen den Horsten in die
aulldaffende Rheinspalte.
5. Quer durch die Ramlgebirge entstand eine Senkung in der ONO-
Richtung des Grundgebirges, östlich im Kraichgau zwischen Schwarz-
wald und Odenwald, westlich im Zabemer Hügellande zwischen Vogesen
und Haardt
6. Die ersten grösseren Bewegungen im Sinne des oberrheini-
schen Gebirgssystems s))rechen sich aus in der Küstenbildung des mittel-
oligocänen Meeres. Dieses Meer drang von Süden her in die ent-
stehende Tiefebene ein. verbreitete sich allmählich bis zum Mittelrhein-
gebiet und blieb als ein Meeresarm in Verbindung mit dem schweizerischen
und norddeutschen Meere bis zur oberoligocänen Zeit, wo die Aus-
sflssung des Wassers in der Rheinebene begann.
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Die oberrheiniadie Tiefebene und ihre Randgebirge. 9I
7. Am meisten beigetragen /nr jetzigen Gestaltung des ober-
rheinischen Gebirgssystems hat die jüngste Tertiärzeit.
8. Auch während der Diluvialzeit dauerte die Absenkung der
oberrheinischen Tiefebene tort. Zu Anfang dieser Zeit brach der Kheiu
in die Tieföbene eis lud flUlte dieselbe in der Folge fortdauernd mit
seinem Schotter aof , so daas die d^uvialen Bhein<%ande und -Kiese
jetrt bis zn 100 m m&ditig die abgesunkenen Tafeln der filieren For-
mationen bedecken.
9. Noch jetzt nehmen die Bewegungen im oberrheinischen Ge-
birgssystem ihren Fortgang, wovon die Erdbeben uns Kunde geben.
10. Wenigstens um 2500 m sind die Trias- und Jurataiein in
der Bheinebene swischen den höchsten Theilen von Schwarswald und
Vogesen von der Tertiftneit an bis jetzt niedergesunken.
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Inhalt
I. Einleitung [3] 35
Q. Orogrsphische Uebersicht [8] 40
1. Die Vogesen . . . ! [8] 40
2. Der ßchwariwald [12] 44
8. Di« Haardt [14] 46
4. Die beiden Senken bei Zabeni and im Kraickigaa . . . [15] 47
5. Der Odenwald . ^ [16] 48
6. Die Rheinebene . ' [18] oO
7. Die äusseren Grenien der vier Randgebii^ge [18] 50
III. Der ppologischp Ban [20] 52
A. Das ürundgebirge [21] 53
1. Im Schwanwalde . . . . • [21J 53
2. Im Odenwalde [27] 59
8. In den Yogeaen [29] 6t
4. In der Haardt [32] 64
B. Die Trias- und Jura-Tafeln [36] 68
1. Am Siidrande des Schwarzwaldes [39] 71
2. Am üstrande der Rheinebene [39] 71
8. Am Sfldrande der Vogesea [41] 73
4. Am Weslrande der Rheinebene [4Sf\ 74
5. Die änaaere Abdaehnng des Schwanwaldet [47] 79
6. Die änaaere Abdaehnng dee Odenwaldes [49] 81
7. Die äassere Abdachung; von Vogesen und Haardt . . [50] 82
C. Die tertiären Ablagerungen in der oberrheinischen Tiefebene [51] 88
Schlus« [58] 90
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I
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25
1: Wier? IV. techn. Hoc^ism^^
FTmtmtmmmnmTffnTimnmffmm^
Forsclumgcn
zur dentsehen Landes- und Volkskunde
tm Auftrage der
CeiitraIk<«uiii8rioii für wiMenediaftliche Landeskunde- von Demtaehland
henuiagegeliea von
l^gl D'- Richard Lehmann,
Profmor d«r JSrdkoad*^ an d«r AkMlemie su Münster i;W.
JBrster Band,
Heft 3.
DIE STÄDTE
Norddeutschen Tiefebene
IN IHRER E
«8 ZDB
Boden gestaltung.
F. G. HAHN.
der Eidkimd« ui der Pnlvewitftt Leipsig.
STUTTGABT,
VERLAG VON J. BNiSELHORN.
188Ö.
LfifkXß: u m 1 rniiTmirnninrnq
illiiiim»JllllUUl)UI'Mn""«f»"''"H«lMUtM"UUt"UM'lll"M"'"'H»»'"f>
IlllllltllUlllrJ •
PROSPEKT.
'fj^^^ie ..F(»r.s( liuiigeii zur deutschen Landes- und Volkskunde*' wollen dazu heltVii,
»^^Idie heiniisclieu landes- und volkskuudlichen Studien zu fordern, indem n^ie auj
UBb allen Gebieten derselben bedeutendere und in ihrer Tragweite über ein blosi
(Srtliches Interesse hinausgebende Themata herausgreifen und darttb^ knrzere wissen-
8chaftllclie Abhandlungen hervorragender Fachmänner bringen. Sie woll» n fVriuT aut
solche Weise zugleich dahin wirken, dass die l>» züoTichen in den rerschiedenen Teilet
unsore^J Landes betriebenen Forschungen melir, als dies bisher meist der Fall war
unter einander in Verbinduucr kommen. Endlich wollen sie auch dazu beitragt n,
das Interesse für diese Studien in den hölier gebiideteu Kreisen unseres Voikes leb«
hafter anzuregen und allgemeiner zu machen.
In r¨icher Beziehung werden sie sich keineswegs auf das Gebiet des Dentsches
Reiches beschränken, sondern soweit auf mitteleuropäischem Boden von geschlossener
Yolksgemeins( haften die deutsche Sprache gerch t wird, soweit soll sich auch, ohii<
Rücksicht auf staatliche Grenzen, der (it siihtskreis unserer Sammlung nusdehnen
Da aber die wissenschaltliche Betrachtung der Landesnatur die Weglassuug einzebiei
Teile aus der physischen Einheit Mitteleuropas nicht wohl gestatten \vtirde, so sollen
auch die von einer nichtdeutschen Bevölkerung eingenonmienen Gegenden desselbeil
samt ihren Bewohnern mit-znr Berücksichtigung gelangen. Es werden demmach aussei
dem Deutschen Reiche auch die Länder des cisleithaiiischen Oesterreichs abgesehen
Ton (T ili/icn. Bukowina und Dalmatien, femer die ganze Schweiz, Luxembui^,
Niederlande und Belgien in den Rahmen unseres L^nternehraens hineingezogen werden.
Ausserdem .sollen nocli die Sachsen Siebenbürf^ens mit berücksichtigt werden uml
auch Arbeiten über die grosseren deutscheu \'olksiusehi des russischen Reiches nich;
ausgeschlossen sein.
In sachlicher Hinsicht lassen wir die Landes^ und Volkskunde in weitem Slime.
Ks werden demnach ebensowohl Arlxiten über Bau und Belief des Bodens, fibet
fossile Schätze desselben und ihre Verwertung. Über Klima und Hydrographie,
Pflanzen- und Tierverhreitunsj^. wie ül»er die antliropologLschen und etlmologischen
Verhältnisse der Bewohner, ihre Mundarten, iiu'e rännilirhe A'erteilung und deren
Dichte, ihr Wirtschaftslebeu und dessen natürliche und örtliche Bedingungen, ihre
Sagen, Sitten, Bi&uche u. s. w. hier Aufiiahme finden kennen und auch Landesver-
messung, Kartographie und Geschichte der Geographie in angemessener Weise zur
Berüi ksichtigung gelangen. Durch Verbindung mit zalüreichen namhaften Fach-
gelehrten ist dafür gesorgt, dass thatsächlich schon in näherer Frist eine grösser*- Zalü
dieser verschiedenen (Tehiete zur Bearl)eitnng gelangen wird. Gleichwohl wird daduri h
keineswegs ein Chaos heterogener Sp»'zialar)>eiten entstehen. Der leitende Gedankt!
in allen Einzelarbeiten, da» innere Band, das sie trotz des mannigfaltigsten Stoffes
doch unter einander zusammenhalten wird, bleibt eben, abgesehen von der Ctemein-'
samkeit der räumlichen Umgrenzung, die wechiielseitige innere Beziehung der ein-
zelnen Gegenstände unter einander. So wird der geologische Bau einer Landschaft
nicht behandelt werden, ohne dass zugleich die dadurch bedingte Gestaltung des
Reliefs und Zusammensetzung des l^odens erörtert und die Folgerungen mindestens
angedeutet wenleu, welche sich wiederum aus diesen beiden Faktoren für die auf
diesem Boden hausende organische Welt, ganz besonders aber für die Gestaltung deis
wirtschaftlichen Daseins der Menschen, ergeben. So wird ferner der Vegetaticms-
Charakter einer Gegend hier nur erörtert weiden kSmien im Zusammenhang einer-
seiis uiit den ursächlicli einwirkenden natürlich«! Faktoren, wie Rdief und petoo-
graphischer Charakter des Bodens, Temperatur- mid Bewässerungsverhälbiissc u. o..
anderer.seits mit seiner Beeinflussung der übrigen Lehewelt, i^nn/ besonders der
menschlichen Existenzbedingungen u. s. w. Und in analoger Weise werden Abhand-
niiA«* Wi«4tt»li<il^«lAl«Am ^^ber \ olki^ar^ VnlIrttwMifiMU««»«* V/^ttifltüiSfiLbyhiwi^
"S -V ■
DIE STÄDTE
DER
N0EDDEUT8CHEN TIEFEBENE
IN IIÜtfiR BEZIEHUNG ZUR
BODENGESTALTÜNG.
VON
F. ö. HAHN,
PAOFEIMÜB l>£B EKOKDNDE AJt DEB CSIVEUalTAT LEIPZIU.
STUTTGART.
VEllLAG VON J. ENÖELHOKN.
1885.
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Druck von Otbrädsr Krtatr In Stnttgm.
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Inhalt.
Seite
Einleitung [Ö] »7
Waiult-nu)«,' duirli NorrldentM liland von Loiy.zijf bis zur Ostsee S. ffi]
iü. üedtutuug iltr Te'mimfoniien ISorddeuUchlands für die Be-
siedelung 8. [8] 100. Aufgaben und Grenzen der ge<^prapbi8chen
Siedelungslefare S. [8] 100.
Ereter Abschnitt [10] 102
Die Flu.ssniederungen und Sümpfe unseres Gebietes S. [10] 102.
IKe Uebergangsstellcn und ihre militäri^jche Bedeutung S. [12] 104.
Die Brückenstftdte S. [13J 105. Die Spree S. [141 106. Lübben
S. [Vy] 107. Cöpenick S. [15] 107. Berlin S. [IG] l*i^. Brandenburg
S. [10] III. Havcllx-rtr S. [19] III. Breslau S. [20] 112. Bartsch und
Prosua S. [21] 11;',. Die Netze S. [22J 114. Die Weicli^el [2:1] 115.
Ermeland .S. [23] 11-5. Leij.zig und Halle S. [24] II»"-. .Magdeburg
S. [25] 117. Die Moorgrbiete de.^ Nordwestens S. [2»;) 118. liremen
S. [27] 119. Die oldenburgifichen Moore S. [27] 119. Die Fehn-
colonien S. [28 1 120. Papenburg S. [29] 121. Flussvereinigungen
im Flathlanil»' und ihre Bedeutung S. [•^()] 122. Festungsstädtc an
Flu88vereiuigungen S. 131] 123. Flusskrümmungen ä. [33] 125.
Die Alle nnd ihre üferstädte 8. [341 126.
Zweiter Abschnitt [35] 127
Die norddeutschen HOhenrOcken S. [35] 127. Der Fläming S. [36]
128. Die Lüneburger Haide und das Innere Holsteins S. [36] 128.
Seenreichthum der Höhenzüge S. [:57] 129. Typen der Städte an
I^andseen S. [38] 130. Malaien S. [39j 131. Mecklenburgische See-
ort.- S. [40] 132. Holsteinische Seeorte S. [41] 133. Die Ränder
dt r H.'ihen/.äge iiti'l ihri- l?edt utuiig S. [42] 134. Randstädte S. [43]
135. Elbing S. [44J i3ü. Dan/.ig S. [44] 136. Stettin S. [45] 137.
Magdeburg, Braunschweig und Hannover S. [45j 137. Marsch
und Geest S. [47] 130. Orte am Geestrand in Schle.swig- Holstein
S. [48] 140. An der unteren Elbe und in Ostfriesland ä. [50] 142.
Fruchtbarkeit und SOdtevertheilong S. [52] 144. Bannwteiial
S. [52] 144. Mineralachfttze S. [53] 145. Stanfart 8. [54] 146.
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96
Inhalt
[4
Seite
Dritter Abschnitt * [55j 147
Küstoutypen, welche in Dout.schhmd vorkommen, S. [ob] 147. Die
0.«it«ieeküste und ihre Städt«' in« All^joiuoincni S. [oH] lAS. Riga
S. [57] 149. Memel S. [08] löO. Könij?sl)erg 8. 15u. Das •
Frische Haff (.j'j] l-M. Daiizi-,' und die Weichsehniinduiig
S. [r)!ij l-M. .Stettin und die Odenuiludmif^en 8. |<)0] l.')2 Die
Küste Hiuieii>unuuerns S. [02] lö4. (Jreifswald und Stralj'und
S. pi] 1"»'). Kugen S. [tj2] 154. Rostock und Wi.inar S. [(H] 15t;.
Lübeck S. [♦>')] 1")7. Die Schleswig-Holsteinischen Föhrden ^. [iJ-^j
157. Kiel Js. 158. Die üchlei Ü. |_U7j 159. Die deichtVeien
Strecken an der Nordsee 8. [68] 1CK>. Flossmllndungen und Städte
.1'. ler Nordsee S. [im] 161. Wilhelnishafen S. [70] 1G2. Knul.<n
fe. 1701 lt>2. Bremen und seine Vorhäfen ö. |71J liiS. Hamburg
und (fie Elbe S. [72] 164. Hamburgs Beziehung zur Küsten«
gestaltung S. [74] 166. Hamborg und Lübeck 8. [75] 167.
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»
Einleitung.
Treten wir aus der fruchtbaren Gegend von Leipzig und Halle
in nordöstlicher Richtung eine Wanderung durch die norddcntsrhe
Ebene an . so verlassen wir die leicht wellenförmigen . ertnigrt ichen
Ebenen, welche jene Städte auf der Ostseite umgeben, sehi* bald. Schon
VeTOr wir die Mulde kreuzen, betreten wir zwischen Tauehft, Delitzsch,
Düben und Eflenbnrg leichten sandigen Boden mit einzelnen Torge-
Behobenen Kiefernwäldern. Rasch nimmt mit dt r Tnite des Bodens Zahl
nnd Volksmenge der Dörfer ab. Jenseits der Mulde erreichen wir die
Dtlhener Haide, einen der grö.ssten zusammenhängenden Waldhezirkr
der mittleren El))lihider. Nur einzelne Lichtungen tragen hier l)örli r
oder kleine Städte, es giebt aljtr auch weite Strecken, namentlich au
der anhaltischen Grenze und zwischen DUben, Schmiedeberg und Chr&fen-
hajnichen, in denen selbst solche Lichtungen ganz fehlen. Bei Eem-
berg ei l . i( hen wir den Beginn der Elbniederung, überschreiten den
Strom selltst und müssen jetzt den niedrigen, aber geographisch durchaus
niclit uinvir hti'j-eii Rücken des PMäniing übersteigen. Noch am An-
fang unseres .laluhunderts wurde (Kr Fläming sehr wenig beachtet.
Zur Zeit, als Hermann Berghaus seine Wanderungen durch die Mark
Brandenburg antrat (1815), zeigten die besten damals vorhandenen
Karten so geringe Andeutungen jenes Landrück^s, dass der Reisende
nördlich von Wittenberg ein ganz ebenes Land zu finden erwartete
Aiirli die Sotzmann'sche Karte vom ITerzogthum Magdeburg und den
ben:i( hl. arten Ländeni zeigt an Stelle des Fläming nur einige ganz un-
vermittelt aufsteit;eiule Bergkuppen. Der Fläming zeichnet sich a]u>r
wenigstens an seinem Südrande und auf der Höhe seines Rückens durcli
fast gänzliche Abwesenheit eigentlicher Gipfel aus. Daneben ist die
Armuth an fliessenden Gewässern sowie an grösseren stehenden Wasser-
becken sofort bemerkbar. An kleineren Tümpeln und Teichen fehlt
e.s jedoch nicht ganz, ebenso ist die Waldarmuth des Fläming noch
nicht so gross, als sie häufig dargestellt wird. Der mittlere, am meisten
besuchte Theil d»-^ Fläming längs der Berlin- Anlialtischen Eisenbahn
ist freilich gerade der waldloseste. Reichlich vertreten sind auf dem
') Berghaus, Landbuch der Mark Brandeuburff, Band 1, Brandenburg 1854»
8. 592 ff.
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98
6]
Fläming nur «,'(»l('<^''f'ntH( Ii xom Wassor iroftllltc Sflihicliten und Trocken-
thäler, wi'lclic <l('r Fliuniiighewolmer wohl liununrlii nennt, nach Ber'_'-
haus' Vermutliung (a. a, U. S. 5G7) au> dem Grunde, weil das rasch
abfliesseude und bisweilen wie im Karst versinkende Wasser einen
dumpfen Schall Terureacht. Die Etörfer des Fläming liegen in ziem-
li( h grossen Abständen von einander, Städte fehlen auf der Höhe selbst
durchaus. Der Nordrand des Fläming ist etwas schärfer ausgeprägt,
hier giebt es Gipfel wie den HagolslM ig liei Beizig, den Golnil)erg
zwisclien .Jüterl)og und Baruth und nicht wenige andere, welche, von
dee niedrigen Landschaften an der Notte, Nuthe und Plaue aus gesehen,
sehr hervortreten.
Wir verlassen den Fläming , von dessen Höhe wir vorwärts bis
zu den Havelgegenden und rih kwärts bis zum IVtersberg sehen konnten,
und betreten waldiges, sehr flaches Land, welches uns sofort durch
seinen weit grösseren AVas^erreichthum auffällt. Mfigen wir die alte
Heerstrasse über Treut'iil»rit t7,'ii oder die Eisenbahn über Lnckeiiwalde
eingeschlagen haben, innner wenlen wir — im ersten Falle bei Beelitz
und nochmals bei Saarmund, im zweiten Falle bei Trebbin eines
jener höchst aufTalligen und ftir den landschaftlichen Charakter der
norddeutschen Tiefebene so bezeichnenden alten Flussthäler zu jiassiren
haben, welche meist in ostwestlicher Richtung das Tiefland durchziehen.
Bisweilen werden sie von grösseren Flüssen und Strönu^i streckenweise
beinit/.t, meist aber eiitlialten sie nur einen kleinen, langsam tliessenden,
nicht selten mit verschiedenen Flussgebieten in Verbindung stehenden
Wasserlauf, dessen geringe Grösse zu den Kaumverhältuissen des Thaies
in sofort bemerkbarem Missverhältniss steht. Einige ermangeln jeg-
lichen fliessenden Gewässers und enthalten nur sumpfige Wiesen, da-
zwischen Teiche und Seen. In unserem Fall haben wir es bei Trebbin
lind Saarmund mit der Nut he. l»ei Beelitz mit einem westlichen Zu-
flüsse derse]})en zu tliuii, welelier nach \Vesten hin in der Verlängerung
des alten Thaies auch mit der l'lane und hierdurch mit der Havel bei
Brandenburg in Verbindung steht. Die geologische Bedeutung
dieser erloschenen Thäler zu erörtern, ist diesmal nicht unsere Auf-
gabe ; ihre Bedeutung für ^'erkehrswege und Siedelungen dagegen wird
uns weiterhin noch mehrfach beschäftigen.
Für jetzt ersteigen wir von Trebbin oder Saarmund aus eine
kleine, zwischen die alten Thalläufe einijeschaltete Diluvialinsel, die
Landschaft Teltow, auf welcher uns zwischen Lichterfelde und Britz
schon eine Anzahl der kleinen runden oder ovalen, über das Plateau
yershreuten TUmpel auffallen, denen wir bald noch häufiger begegnen
werden. Wir flberschreiten dann das im Verhältniss zur mässigen Wasser-
menge seines Flusses offenbar ebenfalls viel zu breite Spreethal, welches
Viif^r auch nichts anderes ist. :ils ein Stück eines vom südlichen Polen bis
zur Alier, Weser und .lalide zu vertolgenden erloschenen Flusslaufes,
und sehen uns jenseits auf einem neuen , diesmal etwas grösseren
Diiuvialplateau, der Landschaft Ba r n i m ^ ). Hier ganz besonders bilden
') Die Kurte Girurd's zu seinem Buche: Die norddeutsche Ebeue zwischen
Elbe und Weiehsel, Berlin 1855» ist hierzn no^ immer mit Nutien su gebraudioi.
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7]
Die Sadte der norddeutschen Tiefebene.
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jt_-ne kleinen Seen . Tümpel und Kolke einen Hciu|)U:liar;ikterzug der
Laudscliut't. Sie sind bald reihenweise aiigeurduet, bald gauz uiiregel-
mSssig auf den Hoehebenen zerstreui. Die neuen deutsdien General-
stabskarten lassen gerade diese kleinen Wasserbecken in ihrer gewal-
tigeii Anzabl sehr scharf und deutlich hervortreten. In geologischer
Beziehung sind diese Tümpel, wie Berendt ^) gezeigfc hat, weit wichtiger,
als man bis in die neueste Zeit unnuhin. für unsere Zwecke werden sie
aber nur dann bedeutsam, wenn sie grösseren Umfang erreichen. Aber
auch eigentliche, von diesen Tümpeln wohl zu unterscheidende Seen
werden im nördlichen Theile des Landes Barnim schon häutiger, und
nach TJeberschreitong eines neuen Thallaufes, welchen der Finowkanal
zur Ver)»indung der Havel mit der Oder benutzt hat, stehen wir am
Sudrande einer neuen Landhöhe, wt-Mier man wegen ihres Seenreich-
1 ;>n< iferailezu den Namen der mecklenl)urL(isch-pommer'schen Seenplatte
'j;c;^eben hat. Der landschiiftliche Charakter dieser nur einen Theil des
grossen Landrückens, welcher den Südrand der Ostsee von Litthauen
bis Schleswig-Holstein und Jütland umgiebt, bildenden Seenplatte ist in
den belehrenden Schriften des mecklenburgischen Geographen Boll sehr
gut geschildert worden Auch hier sind die Blätter der neuen Reichs-
karte (besonders Nr. 117 Güstrow, l&O Goldberg u. a.) mit grösster
Anerkennung zu nennen. Klar zeigen sie das wirre Durcheinander
der kleinen Höhenzüge und einzelnen oft wie Maulwurfsliaufen grup-
pirteu Berge, welche den Rücken des Plattau.s bedecken, der zahl-
reichen regellosen Flussläufe und Trockeuthäler , der massenhaft auf-
tretenden kleinen Kolke und grösseren, unregelmässig gestalteten Seen.
Auch diese Karten beweisen, dass die Landschaften des nord*
deutschen HöhenrUckens weit davon entfernt sind, ein so einförmiges
Bild zu bitten, wie der Süddeutsche bisweüen annimmt. Jrder, wer
den mittleren und östlichen Theü Mecklenburgs aus eii^ener Ausehauung
kennt, wird von der reichen Abwechslung zwischen Thiilern und Höhen
flberrascht gewesen sein, die er dort fand. Einförmig und noch flacher
ab die firuätboren Landschaften an der Saale und Elster, in denen
wir unsere Wanderung begannen, sind dagegen diejenigen Striche
Vorpommerns, welche wir, etwa bei Neubrandenburg oder Demmin
von der Landhöhe herabsteigend , jetzt noch zu durchwandern haben,
um das Meer zu erreichen, (rnisscrc Seen finden sich hier selten,
auch Waldungen treten sehr zurück, fruchtbare Ackerflächen und Wiesen
Uberwiegen durchaus. So erreichen wir endlich die hier flache KUste
der Ostsee.
Wir haben auf unserem W^^ schon eine ganze Anzalil der
charakteristischen Landschaftsformen der norddeutschen Ebene vorläufig
kennen gelernt. Wir sahen die fruchtbaren, l)ald wellenf(irmigen, bald
ganz flachen Ebenen, die mit Nadelwäldern bedeckten Sandgebiete,
die kaiüen und wasserarmen Höhen ebenso wie die an Seen und
Waldungen reichen ausgedehnten LandrUcken, die breiten sumpfigen
') Zoitachrift der Deutsch. Geolog. Gesellschaft Bd. 22, 1880, S. 56 und
Tat VII. Jaiurbuch der Eönigl. Preuss. Geolog. Landesanütalt Bd. 1, 1880, S. 279.
') Besonders ia der , Mecklenbmgichea Landeskunde", Wismar 1861.
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Hahn,
[8
ThSler noch Torhandener oder erlofichener FlUsse. Um das Bfld voll-
st im di: /u niilclion, werden wir aus dem deutschen Nordwesten noch
die HaideUi die Moore und die Mar^clu n. nus dtm Nordostoi die aus-
ffedflinten, nicht blos an Thäler geknüpft» n Siimplwaldunp^en , endlidi
Ktistenlandschaften wie die Kreideklippen Kii^tns. die 8trundsecn, La-
gunen und Haffe Preussens und J^tninierus , die Dünen der Kurisehen
Nehrung und der hinterpommer'schen Küste, die Föhrden Holsteins und
Schleswigs, zuletzi die einförmigen eingedeichten Küsten der Kordsee
hinzuzufügen hahen.
Die Höhendifferenzen aller dieser Landschaftsfoimen sind nament-
lich im Westen der Elbe sdir bescheiden, Erhebungen von 10<*- IHOm
über dem Meeresspiegel gelttn schon als nn^flnilit lie Berge und Land-
marken und werden in den Landesbeschreilningt n sorgfiiltig verzeichnet.
Aber die einfadien Gegensätze zwischen Landhöhe und Niederung sind
in ihrer Art nicht weniger auf die Grflndung, das Wachsthnm und die
gegenwartige Vertheilung der Ortschaften Ton Einflnss gewesen, als
die Bergmassen und Thäler der A\]m\ oder der deutschen Mittel-
gebirge. Nur ist in der norddeutschen Ebene nicht sowohl die Höhen-
lage selbst das Bestimmende, als vielmehr die Amderuiigen in der
Zusammensttyiing und Ertragsfahigkeit des Bodtns. uelelie oft an ge-
ringfiigige Hoheudifl'erenzen geknüpft sind. Ferner >pielt in der Tief-
ehene die Begehharkeit des Terrains eine grosse Rolle, aher in anderer
Weise als etwa in den Alpen. Wie in den Alpenlandem die Pässe
die Uebersdireitung der Gebirgsketten vermitteln, giebt es auch im
Tieflande zahlreiche und in ihrer Art nicht minder wichtige Passe.
Es sind die Streifen trockenen, für Kriegszüge und Hnnddskarawnneii,
für rhausseen und Eisenbahnen zugiinglidien Bodens zwischen Stcn.
Sümpfen und 1 hissniederungen. Wir werden uns bald näher mit
ihnen zu beschäftigen haben. Bei Berficksichtigung dieser Satze und
nach ihrer Prüfung an Beispielen kann man sich der Uebeizeugun^
nicht Terschliessen , dass Ansiedlungen und Verkehrswege in dem an-
scheinend so einfadmi norddeutschen Tieflande sogar noch strenger
von ihrer Naturumgebung abliü!i^''en als in den Gebirgslündern. Nur
muss man sich bei diesen Untersudnmgen vor einer Uebersehreitung
der Grenzen der Geographie gegen die Gesdiidite hüten. Die Ver-
theilung, das Wo und bis zu einem gewissen Grade auch die Anlage,
den Qrundplan, die Physiognomie der Städte, das Wie können wir
allerdings meist auf geogi'apliisdie Momente zurückfüJiren. Die natilr-
liclien Vorzüge, welche der Situation einer Stadt anhalten, sind aber
von der Bevölkerung nicht immer in gleicher Weise benutzt worden.
Die Bedeutung, Grösse und Verkehrsstelluiig einer Stadt in den ver-
schiedenen Perioden der Geschichte ist daher nur zu euiem Theil das
Ergebniss physisch-geographischer Verhältnisse, zu einem anderen und
oft grösseren Theile aber aus dem Gange historischer Ereignisse abzu-
leiten, deren nähere Erforschung und Darstellung dem Geographen
nicht obliegt. Wir dürfen auch nicht annehmen, dass eine bestimmte
geographische Eigenthündidikeit einer Stadtpositi<m immer in demselben
Sinne gewirkt liabe; feste gesicherte Lage z. B. erwies sich in iinrnbigen
Epochen wohltlmtig und fordernd,, in friedlichen vid eher naditlieiiig.
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91 Sie Stftdte der norddeatFcheB Tiefebene.. ... 101
Diejcnifxen Städte vccrcltii am ^H-horsten eine einfliissrciilie Stellung'
Ijebaiipttn , welclie so reich an jj;Kit:v: ],'\ii^< lie,«: ^'o^KÜ^Vii- yi«p< liif (lf n('r
Art sind, dass die wechselnden An^prüclie und Verkelirshedürinii^fc.e
alter mtd neuer Zeit gleicbmassig befriedigt werden können. Es wird
dann bald der eine, bald der andere Vorzug der Stadt mehr in den
T(»dei^nuKl rücken. Wird eine solche Stadt, auch noch durch den
frang der Geschichte hegünstigt und werden die Vortheile ihrer Lage
klar erkannt und riehtif^ "iM inifzt. so entwickeln sich Ansiedlungen, wie
w sie in unstrtni (i(l>ietf weise in Berlin und Hnnihurg be-
sitzen. Sind nur einzelne begünstigende Momente vorhanden, ho werden
Perioden des Aufsteigena mit aoläen des StiBstandes oder Sinkens ab-
wediseln, je nachdem jene Momente gerade Werth besitzen oder gering
geachtet werden. Besonders energische Anstrengungen der Bewohner
oder grosse Begllnstigungen durch die Landesregierung können jedoch
auch einer solchen Stadt noch eine nehtungswerthe, wenn audi iii< ht aus-
Klilii;/ut li» ii(le Stellung verschafitn. lUiss es daneben eine ISlenge von
kleinen Ötüdten iu Norddeutschland giebt, welche kaum irgend welchen
natOrHchen Vorzug ifir sich in Anspruch nehmen und darum auch wohl
nie eine sehr mS^ge Bedeutung überschreiten können, versteht sich
Ton selbst. Auch der ausdauerndsten Mühe eines Regenten würde es
nicht gelingen, sagt Bernhard v. Cotta mit Recht Dingelstädt oder
Breiteiibach in Tliilringen. Altenberg oder Marienberg in Sachsen in
Städte ersten Hanges zu verwandeln.
Es kann allerdings vorkommen, dasä Städte auf so zu sageu
geographisch unzulässigem Platze gegründet werden, wenn eine t&t»
kräftige Regierung einen ganz bestimmten Zweck dort erreichen will.
Dieser Zweck kann in der That, wenn auch nach Besiegung sehr grosser
Schwierigkeiten, schliesslich erreicht werden, die Blüthe einer solchen
Stadt wird jedoch fast immer eine einseitige bleiben. Fülle dieser Art
werden wir nur sehr wenige zu betrachten halnn. Andererseits aber
ist es iu Xorddeutschland auch nur sehr selten vorgekommen, dass eine
Position, welche der Geograph als höchst günstig bezeichnen muss,
Willig unbenutzt geblieben ist
Manche Geographen, welche sich mit diesen Fragen beschäftigt
haben, wie u. A. der anregende J. G. Kohl, legten zu viel Gewicht
auf die weitere Umgebung der zu besprechenden Stadt, auf ihre Be-
ziehungen zu ausserdc iitsf li( n. selbst aussereuropäischen Ländcni und
liesseu die Untersuchung des Bauplatzes der Stadt und der näheren
Umgebung mehr als wünschenswerth zurücktreten. Die Gründuns und
erste Entwicklung einer Ansiedlung wurde aber weit mehr durch kleine
Eigenthümliclikeiten des Baujdatzes. « tAva eine hohe sichere L'ferstelle,
einen kleinen See, an den sich die Stadt anlehnen konnte u. A. bestimmt
al?« durch Rücksiehti ii auf Beziehungen, an welche wohl jetzt, aber nicht
schon vor Jahrhunderten g( dneht Averden konnte. IManehe Städte waren
trefflich zu Verkehrsmitteipuukten kleiner Kreise geeignet, traten aber
zurück, als ganz neue grossartigere Yerkehrsbahnen geöffiiet wurden;
andere filhrten lange eine bescheidene Existenz, bis die Gegenwart die
)) Beatschlands Boden Bd. 2, Leipzig 1854. 8. 10.
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102 .• : üahn, [10
• • ••
grossen VortkiAi^,« .ü^rör.Lage, orkairiit-' nii'l benutzt*-, wt-lche bei dem
eugereu G!^clil&^-taiy« \fLi*gi5?i*^*;itir Jahrhuuderte unbeachtet bleiben
musste. Als Städte, welche sowohl für den örtlichen als für den Fem-
verkehr gleich trefflich geeignet waren, können Torläofig hier wieder
Berlin und Hamburg genannt werden. Ich halje im Allgemeinen mehr
Gewicht auf die Betrachtung der ])liysis( hen Verhältnisse des Bauplatzes
und der näliereu L^niLreliuni,^ der berucksiclitigten Städte gelegt und die
sogenannte Weltstellung" der Stadt luir au>iiahms\vt.Mse gestreift. Uebri-
geus liegt l)ei Erörterungen der let^tt-ren Art die Grefuhr immer recht nahe,
in allgemeine, schon khngende, aber inhaltslose Betrachtungen za rer^
fallen. Das Terrain der Stadt, der Boden und die Gewässer ihrer Um-
gebung müssen filr den Geographen immer die Gnmdlage der weiteren
Untersuchung bleil>en, historisclit' Tnat-^arlien und Notizen dürfen in
geographischen Werken nicht um ihrer sel!»st willen, sondern nur zur
Erläuterung der Wirkimg jdivsisrher VerhäUiii^>e auf die Entstehung
und Entwicklung der betreffenden 6tadt herangezogen werden.
Im Rahmen einer kurzen Abhandlung können selbstverständlich
nur die Grundgesetze, welche die Beziehungen der grösseren Ort-
schaften und wichtigsten Verkehrswege Norddeutschlands zu den Terrain-
formen bestimmen, aufgesucht und durch einige Hauptbeispiele erläutert
werden. Es wird sich licr;in'->l"rllen . d;iss bei aller Mannichfalti'jfkeit
der einzelnen Erseheinuiiuru diese ürundgesetze weder sehr zahlreich
noch besouder.s verwickelt sind.
Erster Abschnitt.
Als die grössten Verkehrshindernisse in der norddeutschen Tiefebene
konnten stets die SUmpfe und Moore betrachtet werden. Unter diesen
waren ^vi( der die Sflmpfe in den FlussthSlem am lastigsten, da sie nicht
wie die Flächenmoore unigjingen werden konnten, sondern an dazu ge-
eigneten Punkten wolil oder übel gekreuzt weivlcn mussten. Jedenfalls war
die Uebersclu'citung der dm Fluss eiin alinicnden .Suni])fstreifen oder der
moorigen, jetzt flusslosen Thäler schwerer und aufhältlicher als die des
Flusros selbst, zumal wir bedenken müssen, dass es noch am Schlüsse
des Mittelalters beinahe an aQen ReguUrungs- und Entwftsserungsarbeiten
fehlte und die Transportmittel und der Zustand <lcr Wege etwa auf
der Stufe .standen, wie heute im nfirdlichen Russland. Noch im 18. Jahr-
hundert, kurz vor dem Beginn der grossen Uegulirung einiger der ge-
fährlichsten und ödesten Sumpfnieih rungf'n unter Friedrich Wilhelm I.
und Friedrich IL, wird die Niederung des Oderbruches zwischen Küstrin
und Schwedt als ein gewaltiges, von zahlreichen regellosen Flussarmen
durchzogenes Sumpfland geschildert, welches zweimal jährlich, um die
Fastenzeit und in d< i Glitte des Sommers, tief unter Wasser gesetzt
wurde ^). Nach jeder Ueberschwemmung zeigten sich grosse Verande-
^ Berg haus, Londbaoh der Mark Brandenburg, Bd. 8, Brandenburg 1850»
8. 45 ff.
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Di6 Städte der norddeutächeu Tieiebeue.
103
ruDgen in der Bicktang und Wassermenge der einzelnen Flussarme.
Aber auch Epidemien unter den Bewohnern der nicht zalilreielien, auf
den wenigen Höhen gelegenen und gegen d:is Wassor durcli Deiche
und Wälle nach Möglich1\eit n<»cli mehr g( ■^irlu rti n l)<irlrr begannen
dann autzutreten. Nur im Winter kruiiit»- *Hc Niederung eiiiii^ermassen
bequem pasisirt werden, sonst gab e.s nur ganz wenige Verbindungswege,
Ton denen nicht leicht abgewichen werden konnte. Sogar die alte
Hauptstrasse von Berlin nach der Neumark stand streckenweise je nach
der Jahreszeit unter Wasser. Aehnlich sah es im Wartlic- und Xetze-
l»ruch aus'). Das Wartht_'])iurh war eine „fast unbekannte Wilstenei'*,
T\ie Ber«rhiui< a. a. (). sagt, in welcher fast nur der Fhiss selbst als
Strasse benutzt werden konnte. Drirt'er lagen nur ganz vereinzelt auf
etwas gescliutztereu Stellen. Am unwegsamsten war das untere Bruch,
nahe der Vereinigung der Warthe mit der Oder. Unzugänglich war
aach der grösste Theil des Netzebruches, über welches nur wenige aus
Baumstämmen und Pfahlwerk hergestellte Ue])ergiinge fülirten, ebenso
das ()l)rabruch. die Bartschniederung und andere Sumpfslriche.
Da^ lehrreiche Kärtchen, welches Otto Delitsch ül)er die alten
Flu«:stiiäler Norddeutschlands znsanmiengestellt hat, zeigt uns die grosse
Zahl die.ser Thäler deutlich genug -). Weichsel, Netze, W arthe, Uder,
Spree, Havel, Schwarze und Weisse Ekter, Ohre, Aller und Weser be-
natzen streckenweise diese Thäler; wo sie es thun, bekommen sie
Neigung zur Zerfaserung in zahlreiche Arme, zur Bildung von Alt-
wasj^em und Bayous; sie nehmen geradezu einen mississippiartigen
Charakter an. Auch kleine F'lüsse. wie /. B. die Fuhne zwischen Halle
und Kothen, konnten durch ilu' breites, suinjdiges Thal wiclitige Terrain-
absclmitte und Ijedeutende Hindernisse namentlich für Truppeumärsche
werden.
Wohl sind jetzt viele dieser sumpfigen Niederungen regulirt und
entwässert worden. Wo sich einst die Wüsteneien des Warthebruches
ausdehnten, wohnen jetzt zahlreiche Men.schen in Einzelhöfen und ge-
schlossenen D«>rfern, das OdnrVinieh. die Dbraniederung und viele andere
haben eine neue (b-stalt angenoniinen und sind viel leicliter zugänglich
geworden. Trotzdem bleibt noch sehr viel zu thun übrig. Das Oderbruch
ze^ im Norden und Westen der sogenannten ^Insel Neuenhagen")
noch Reste der froheren Wüstenei; ähnlich steht es im Warthebruch
mit der immer besonders öden Strecke von Sonnenburg bis Küstrin,
Zwischen Sonnenburg und der Oder liegt noch jetzt kein einziges Dort
Olli r einzelne Ansiedlung: Wiesen, feuchte W älder, Seen als Beste ab-
gt'storbt in 1- Flussarme erinnern an den frülieren Zustand. Die l)eiden
Spreewäider, die Lewitz in Mecklenburg, Theile des Drömliug in der
noTinz Sachsen sind nur die bekanntesten einer noch immer sehr
grossen Reihe ahnUcher Brüche und Niederungen. Es ist auch nicht
') Berghauä Bd. 'S, S. 89 u. ö.
Deutschlands Oberflächenform, Breslau 1880, Tafel I.
•) Eine Insel wurde dicsos kleine, in das Bruch hineinragende bandstück
«rst im 18. Jahrhumlert durch die Anlegung des neuen Durchstiches zwischen
Glietzen und llohcnsathen.
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Hahn,
[12
ZU orwarton (und aus nietrorologischen (irimdcn «owie aus Rücksielit
auf die höchst interessante Fauna und Flora der Sihni)le für den Geo-
graplien auch gar nicht einmal erwünscht), dass diese Sümpfe in ab-
sehbarer Zeit sämmtlich urbar gemacht werden; die aufzuwendenden
Mittel würden sehr bedeutende sein und die Resultate wobl nicht Überall
80 günstige und lohnende wie im Oder- und Warthebrucb.
Auch für unsere heutigen Verkehrswege sind die Sümpfe der Fluss*
niederungen noch keineswegs zu unterschätzende Hindernisse. Eisen-
balnun und I.andstrassen können ilincn nicht gnnz aus dem Wege gehen,
machen aber gern Umwege, um wenigstens die schwierigsten Stellen
zu vermeiden. Die Dammschüttungen und Brückenbauten in diesen
Niederungen gehören immer zu den kostspieligsten und aufhSltUchsten
Bauten. Dies zeigte sich bei dem Bau der Chauss^Cf welche die Hark
mit der Provinz Posen verbinden sollte. Man hatte, trotzdem andere
Richtungen möglich gewesen wären, den AVeg von Kü'-friii durch den
ol)en erwälinten Theil des Warthebruches auf Sonnenburg gewälilt, um
die Festung Küstrin nieht zu unigtdien. Nun niusste al)er ein langer
und hoher Damm aufgeschüttet und mehrfache liegulirungsarbeiten au
den Hussen vorgenommen werden, welche von der Regierung för wichtig
genug gehalten wurden, um in einer eigenen Abhandlung beschrieben
zu werden Den Cisenbahnen boten schon die kleineren Thalniede-
rungen (oft Fliesse genannt; ih r Name bezi< lit sich bald auf die
Wasserader selbst, bald auf das ganze Thal) Schwierigkeiten genug zu
überwinden. Als im .bilirc 1S4<) die Starganl-Poseiicr F^isenbahn ang»'b <:t
wurde, versank am Uebergaiige über das Wutziger Fliess bei Woldeii-
berg der aufgeschüttete Erddamm so beharrlich, dass bis zur Tiefe von
memr als 40 m ein fester haltbarer Boden erst künstlich geschaffen
werden musste. An einem benachbarten Fliess, dem Merenthiner *),
mussten 20 Monate lang 2 — 3<>0 Arbeiter mit Schüttung eines festen
Damraes «birdi den immer wieder nachgebenden Moorboden bescliüff iüft
werden. 1 )er Moorboden und eine darunter Itetindliche MergelseliK iit
quollen zu beiden Seiten des Dammes hoch auf und befanden .sich nat Ii
Vollendung des Baues 5 — 6 m Über dem Niveau des Sumpfes, unter
dem sie sonst verborgen waren'). Nur dies eine Beispiel aus emer
grossen Reihe vorhandener wollte ich anfbhren.
Jedenfalls geht aus diesen Erörterungen hervor, dass diejenigen
Punkte, an denen der Uebergang über so hinderliebe Terrainformen
leichter ist als an anderen Stellen, für unsere Zwecke ganz besonder-?
wichtig sein werden und dass ferner diese Uebergangsstellen durci»
lange ZeitriLume hindurch ihre Bedeutung bewahren müssen. Denn ein
Abweichen von dem trockeneren und bequemeren Pfade zwischen Sümpfen
ist noch schwerer denkbar als das Abweichen von einem einmal als
') Buuau^^fl^hnlngen des Preusüi!*chen Staat»^ Rd. 1, Rerlin 1^42. S. 143 ff.,
aut Karte. Dieses Werk ist ein Vorliinfer der bekannten, auch reiches geoj^pbi-
■ehee Material besonders in hydrog^rn]ihi8clier Beziehung bietenden Zeitschzilt ftr
Bauwesen. Einiges auch bei n*<rghaii,s n. a. O., Bd. 8, 8. S3 ff.
^) Reymann'.s Spezialkarte Blatt til,
') Odebrecht in den Monatüberickten der Berliner Gesellsehait für Erd-
kunde. Neue Folge, Bd. 6^ 1848—1849, 8. 115 ff.
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Die Stildte der norddentscfaen Tiefebene.
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InMii. hliar t rkaimteu Gebirgspass. Durch Spren^juni^en uml maiicherlt'i
Kun>tliautfii kann eine neue (}»'))irgs.strasse hergestellt und dit; ältere
in diu 6chatteu gejjtellt werden; ganze Gebii'gsketten können, wie ge-
nde die G^^uwart zeigt, diirckbonrt und so der Verkehr ganzer Alpen-
linder nmgistaliet werden. Dagegen hat man sich kaum je dazu eni-
schlos-ien, einen vorhandenen Pass durch Sumpthiederungen aufzugeben
uA iliiuclu u und in grösserer Entfernung mit vieler Mühe einen neuen
irotkeuen und sicheren Weg zu bahnen. Ancli heute wird man dies
nur da ausführen, wo ganz besonders wiciitige Interessen auf dem I,-
stehen. Die l>e\ölkeruiig der nurddeutscheu Tiefebene ist aber nur
selten so dicht, um so schwierige Bauten erwQuscht oder nothwendig
m machen. Selbst in der Nahe der grössten StSdte reichen die vOr-
handenen oft in sehr alte Zeit zurückgehenden, wenn auch vom Fuss-
und Saumpfjid allmählich zur Chausst^e und Eisenbahn gewordenen
Ueliergänge meist noch aus, wie die langen brückenlosen Strecken der
Spree und Havel in der Mark Brandenburg, der unteren Elbe. (k»r
Unter weser uud auderer Flüsse zeigen. Wulil konnten iu früheren
Jahrhunderten Rttoksichten auf die Sicherheit yor fdndlichen Angriffen
n einer VemachlSssigung des bequemeren aber minder sicheren Ueber-
ganges über ein Luch oder Flless führen. Soltald aber friedlichere
Zeiten eintraten, brach sich der Verkehr wieder .seine gewohnte Bahn,
ujid die Wold sichere, aber weniger günstii; gelegene, etwa üeber-
iRliweinmungen ausgesetzte Strasse verödete wieder. Es entspannen sich
iu Krieg^zeiten in der norddeutschen Tiefebene sehr häutig Kämpfe um
Behauptung uud Eroberung der Ueberg'äuge über die Flusst^ler, welche
ZQ ganzen Landschaften den SchlOssel bildeten. Daher die häufige
Wiederkehr von Schlachten und Gef^n Ilten an der gleichen Uebergangs-
>telle. Besonders auffällig ist dies in den an da.s Deutsche Reich un-
mittelbar angrenzenden polnischen Landschaften, deren physische Xatur
niit der Xorddeutschlands fast völlig übereinstimmt und namentlich die
ofterwähnten alten Thalrinneu iu reiclilicher Menge aufzuweisen hat,
£b genflgt, an die Namen Pultusk (Schiachten 1703 und 1806), Ostro-
lenka (1807 und 1831) und die zahlreichen westrussischen Orte zu er-
umem, bei denen es sowohl auf dem Hinwege als auf dem Rückzüge
der nrrn.s. n französischen Armee im Jahre 1812 zu Gefechten kam.
Auch bei den oft wiederholton Kämpfen um Leipzig spielte die Lage
•lieser Stadt an einem brauchbaren Üebergangspuukte über die weiter
abwärts wie aufwärts schwerer zu kreuzenden Thäier der ELster und
Fleisae eine wichtige Rolle.
Dass llberhaupt an üebergangspunkten über Flttsse und Thaler
gern Ortschaften entstehen mu>-t< u. bedarf keines Beweises. Der
tebergang war meist mit Aufenthalt verknttpft, bisweilen mus.ste man
ta^'o-, >'elbst wochenlang auf eine Besserung der Was.ser- «xb r Eisver-
bältuisse warten^). Da wurden ächutzhäuser iUr die Karawanen, ilire
') Dies geschah an der W»'ic'hsol noch bis zur Erbauuir_' !• r Diis* havier
Brücke 1ÖÖ7, an der Memel bei Tilsit noch bis in das letzte Jahrzehnt. Uekaunt
iit die Schwierigkeit de« Elbflberganges zwischen Hamburg , und Harburg vor der
Eib&onng der gnnen. Brücken.
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lUü
Uahn,
[14
Zug- und Lastthiere und Waaren noihweadigf Handwerker siedelten
sich an, und zuletzt kam auch ein Schanzwerk mit Besatzung zur
Deckung des Ueberganges sowie eine Kirc-lio (xU r Kapelle hinzu.
Welche Vorzüge mussten a!)er die zum Uebergauf^ geeigneten
Oertlichkeiten bieten? Diejenigen Stellen waren oft'enbar die günstigsten,
an denen die Breite des Thal» s niöglielist gering war. Mun sm lite, so
weit es irgend ging, auf trockenem holiem Lande an den Fluss heran-
zukommen, und wir finden deshalb mit merkwürdiger Regelmüssigkeit
yiele in das Sumpfland der Thftler Torspringende Halbinseln mit ge-
wöhnlich sehr a1t< n Städten und Ortschaften besetzt. Am gOnsti^ten
ist es, wenn beide Üt'er des Thaies einengende Vorsprtinge zeigen,
doch wurde auch schon fH<* günstige Gestaltung nur eines Ufers selten
unlu nutzt gelassen. Waren Inseln im Fluss. so konnten sie den Ueber-
gang dann sehr erleicliteni, wenn sie nicht all/.u niedrig und auch nicht
zu gross waren. Umströmte ein Fluss eine sehr ausgedehnte Insel, so
wurde die Ueberschreitung der beiden Hauptarme durch einen anzu-
langen Zeitraum getrennt, und konnte nicht mehr wohl unter dm
Schutze und mit den Httlfemitteln einer und derselben Ansiedlung aus-
geführt werden. Man passirt lieber einmal einen etwas breiteren Strom
als heute den ersten Arm und morgen oder übermorgen vmter Wieder-
holung des ganzen umständlichen l'roces.ses den zwtiten. Anders lag
die Sache, wenn die Insel so klein war, ddua beide Stromarme etwa
im Verlauf eines halben Tages fiberschritten werden konnten, dann
konnte die Arbeit gleichsam durch eine einzige Anstrengung bewältigt
werden; die Wassermasse des Stromes aber war doch in erwünschter
Weise gethcilt. Eine kleinere Insel konnte an( Ii <lun li eine Ansied-
lung ganz ausgefüllt und ausserdem gut vertlieidigt werden. Noch
unter dem Schutz der Mauern und Stadtthore konnte die Uebei-schreitung
der beiden Flussarme vollzogen werden, die durch Anlage von Brücken-
kSpfen am anderen Ufer oft noch mehr gesichert wmxle. Sehr Tor-
theilhaft war es, wenn eine beiderseitige Einschnürung des Thaies durch
trockene Höhen mit einer günstig gelegenen Insel zusammentraf; wir
werden bald einen solchen Fall kennen lernen. Nachtheilig war allzu
niedrige, üeberschwemmungen ausgesetzte Lage der Insel, noch mein*
ihre Zersplitterung in eine Keihe all/u kleiner Bruchstücke und Eilande.
Hie und da konnte auch eine Furth im Flusse, eine Stein- oder Kies-
bank den Uebergang erleichtem, jedoch lockte dieser Umstand allein
selten einen wichtigen Handelsweg herbei, wenn sich nicht andere Vor*
zOge damit vereinigten.
Nach diesen zur Verständigung nothwendigen Betrai htungen müssen
wir uns einigen der lehn"eichsten Heispiele zuwenden. Betrachten wir
zimächst den Lauf der Spree vom Spreewalde ab. 1 >er gnj.ssere ,.()bere
Sj^reewald" ist von dem weniger au»gedehuten unteren nur durch einen
ziemlich schmalen Isthmus getrennt. Dieser Isthmus war froher noch
schmiler % jederzeit aber auf einer 40 km langen Strecke (von Peitz
bis zum Prahmsee, oder, wenn man will, bis Beeeiow) der einzige wiik-
>) Berghaus, Landbuch Bd. 3, S. 646.
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Die Slädte der oorddeutschen Tiefebene.
107
lieh braii<liV>art' T'eber;i:aiijif. Hii'rlicr zitlfen denn aufli von i)<t und
West mfhicre Strassen'], hier entstand die Stadt Lübben, in ilirer
Anlage noch durch die hier stattfindende milssige Inselbildung der Spree
»wie dnrcli die Richtung des Ton Südwest kommenden und sich hier mit
der Spree rereinigenden Flfisschens Berste begünstigt Vielfache Oefechte
und Bestürmungen während des dreissigjährigen Krieges bezeugen die
strategische Wichtigkeit des „Passes von Ltil)ben''. Das südöstlich von
Lübheri am Westrande des Oberen Spreewaldes gelegene Lübbenau
ist uur eine Kandstadt (vergl. den nächsten Al>s< Iniitt) und )>eherrscht
keinen Thalübergaug. Unterhalb Lübbeus zeigt uns die Frankfurt-
Leipziger Eanstsfamase , welche die hier weit nach Osten ausbiegende
Spree noch zweimal ttherschreiten muss, zwei weitere Uebergangspunkte
beiTrebatsch und Beeskow^), welche beide sein- merkliche Aehn-
lichkeit mit der Gegend von Lübben haben und schon lange vor der
Zeit der Kunststrassen einen bescluMdenen örtlichen Verkehr vermittelt
haben. Dass nicht an jeder dieser llebergangsstellen eine Stadt ent-
stand, ist bei der wenig dichten Bevölkerung des wald- und sumpf-
rachen Landes nicht aufSftUig.
Kur zweimal noch, bevor wir Berlin erreichen, zeigt das Spree-
thal aufl^ige Pässe. Zuerst nach eiin r längeren, nur von ganz kleinen
Dörfern und einzelnen Häusern schwach belebten Strecke bei Fürst en-
walde. Hier treten südlich die wichtigen Kauenberge bis auf kaum
1 km an den Strom heran. Auch im Norden rückt gerade hier das
Iiüdersdorf-Müücheberger Hügelland, em Theil des Plateaus von Barnim,
niher an die Spree, hldbt jedoch immer noch 2 — 2*/t km dayon ent^
femt Die aus Nord und Süd' bei FOrstenwalde zusammenlaufenden
und hier die Spree kreuzenden Strassen sind wiederum sehr auf!ßdlig.
Das nächste Stück des Spreelaufes konnte weder zu Ansiedlungen
reizen noch Strassen heraTv/iehen , es ist eine noch dichtbewaldete,
gegen Nordwest von grösseren Seen «Inrchsetzte Gegend, welche die
ziemlich gewundene Spree hier durchzieht. Erst bei Cöpenick hören
^ Seen und Flusstheiltmgen plötzlich auf; hier finden wir denn auch
eme der ältesten und in früherer Zeit wichtigsten Städte der Mark,
welche jedoch, wie sich gleich zeigen wird, nicht ohne geographischen
Grund hinter Berlin so weit zurückgeblieben ist. Cöpenick war haupt-
•sächlich ein strategisdi wiclitiger. gegen Angriffe gut gesicherter Platz.
Die Lage auf einer Spreeinsel ermöglichte sowohl die Beherrschung
des Spreeverkehrs, der durch den hier in den südlichen Spreearm
(Wendische Spree) einmündenden D ah mefluss eine besondere Wichtig-
keit hatte, füs die Ueberwachung der den Fluss kreuzenden Handels-
zQge, die jedenfalls die Insel berühren mussten. Brückenköpfe, die sich
spater zu Aveitläufigen Vorstädten herausbildeten, lagen an beiden Spree-
ui'em sowie aui' der Kordspitze der grossen, die Müggelberge tragenden
') In Lübben kreuzen sich die wichtigen Landstra^sen von Berlin nach (lörlits
nnd von Frankfurt (Oder) nach Leipzig, ^rstere hält sich jedoch immer westlich
*0n beiden Tln-ilen des Spri-^ wnlrlr^ und Überschreitet die ^pree hier nicht.
Bei dem grösseren Dorfe Trebat«ch liegt, durch die Spree von ihm ge-
trennt, der kleine Ort Sabrod, in dessen Namen vieUeicht das damische brod =
Ueberfohr steckt Dies würde auf frühe Benutcung dieses Passes deaten.
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108
Ualin,
[16
lusel zwischen den beiden Spreearmen. Indessen waren die Flussarme
bei Cöpenick zu breit (noch »eeartig) zur l^equemen Ueberschreitung
das unmittelbar angrenzende Terrain ist meist niedrig und die ganze
Situation der Stadt der Hntwicklung eines grossen Handels- und Ver-
krhrsplatzes jedenfalls nicht hervorras^end gOnstig. Sobald daher die
Rücksicht auf die cfesicherte und gli ii lizeitig zur üeberwachung geeignete
Lnj^e nicht iiitlir <lie ausschla<rfrclnnde war, verlor die Inselstadt dtu
grössten Theil ilii'er einstigen Bedeutung. Unterhalb Cöpenicks bleibt
das Thal über eine Meile laug flach, und die Uöhenränder treten hier weit
zurOck. Diese Strecke ist noch immer wenig belebt, wenn audi die
unmittelbare NSbe der Qrossstadt manche kleinere Ansiedlung hervor-
gerufen bai
So erreichen vnr endlich B e rli n. Jeder, der die Umgegend von
Berlin und die Stadt selbst mit einiger Aufmerksamkeit durclnvandert
hat, muss den Gegensatz des nie<lrigen Alluvialgebietes des Spreethaies
und der beiderseitigen Diluvialhöheu im Süden und Norden der Stadt
rasch bemerken. Wir lernten schon oben diese Höhen als die Land-
schaften Tdtow und Barnim k« tinen. Die Generalstabskarte zeigt uns
aber, dass gerade bei Berlin die Höhenränder sich am meisten nähern.
Der Nordrand des Teltow zieht sich von den hNillbonjen bei RixdoH
über den Kreuzberg gegen ^^'illnersdorf hin. Der Südrand des Barnim
reidit noch mehr in die Strassen des heutigen Berlin hinein, die nörd-
lichen und nordöstlichen Stadttheile liegen schon auf Diluvialboden und
zeigen stark ansteigende Strassen Die Spree aber, welche auf der
ganzen Strecke von der Mündung des MüUroser Kanales bis zur Ver-
einigung mit der Havel nach Karrer's Ausdruck «im erborgten Bette''
fliesst. d. h. das alte, tur sie viel zu breite Oderthal benutzt, bildet
hier eine Insel von mä.ssiger Gnisse. Die Insel aber war nicht ganz flach,
.sondern hatte einen Hügel aufzuweisen, der gegen die grösseren Ueber-
schwemniuügen jedenfalls Schutz gewälirte. Wii- müssen doch wohl
den Namen der Ansiedlung, welche auf dieser Insel entstanden war,
Cöln oder Kölln mit der bekannten slavischen Bezeichnung Kobn, Golm
oder Köllen für einen einzelnen, aus .sumpfiger Umgebung heraus-
r^enden Hügel in Verbindung bring<'n. Erleichtert wurde hier die
Stromüberschreitung und die Bebauung der Insel noch durch den Um-
stand, dass zwei Landzungen, von den Höhen des Barnim und des
Teltow ausgehend, sich dem Südende der Insel Cöln selir näherten^).
In der That ist auch die Insel weit frtther an der SOdspitze als im
nördlichen Theil bebaut worden. Jenseits des rechten Spreearmes aber
entstand ein Brttckenkopf, der erste Kern des späteren Berlin. Die
^) Jetzt sind Brflcken und lange Dämme Torhanden.
Vgl. Karrer, Dn- Hoden der Hauptstädte Kii ipas, Wien 1881, daselbst
den Diirchschuitt auf b. 44 u. 45. Für eiuliUäUcher«j btudien ist Lossen, Der
Boden von Berlin, Berlin 1879, mit seinen zahlreichen DorehBchnitten unent-
behrlich.
Fidicin, Hauiitmoniente aus der (beschichte Berlins, Berlin 18Ö8, mit
lehrreicher Karte. Daselbst 8. 0 auch über den Namen Cöln. Vgl. auch die
Karten zu Klöden's Werk: Ueber Pintatehiuig, Alter Und früheste Oesdiichte der
Städte Berlin und Kölln, Berlin 1839.
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Die Städte der norddeutacben Tiefebene.
109
Lii^c (Ir 1 )<>ppfl>ta<lt Berlin-Cöln war für den Verkehr eine günstige,
die Sicherung gegen Feinde aber minder vollkommen als bei Cöpenick,
Spandau oder Brandenburg, da die Spreeinsel hier nicht so wie bei
jenen Orten durch breite seeartige Flussanne umgeben war. So konnte
Berlin erst in friedlicheren Zeiten und unter dem Sdmt/e einer starken
Refficrung die grossen Vorzüge, welche ihm sch<jn die Beschaffenheit
der allernächsten Umgebung gewälirte, voll ausnutzen.
Zu diesen Vorzügen kamen aber noch andere, welche in der ^'er-
lutiiuug (ier Tliiiler und der trockenen höheren Striche in der Mark
tief begründet sind Die Stelle, an welcher die Annftherung zwischen
Teltow und Barnim stattfindet, war für den gesammten von Süd und
BDdwest nach Norden und Nor<losten gehenden Verkehr der gebotene
üebergangsjjunkt über die Sj)ree-Havellinie, der nur dann von seinen
viel ungünstiger gelegenen Xel)enV)uhlern in den Sciiatteu gestellt wurde,
wenn ilie politischen Verhältnisse mehr auf Sicherheit ak auf Bequem-
lichkeit und Kürze des Weges zu sehen zwimgeu.
Denken wir uns, wir kommen wie auf unserer einleitenden Wan-
denmg vom Flftming herab und haben die OdermUndungen oder Vor-
pommern zum Ziel, so werden wir uns gewiss nicht in die sumpf-^
*een- und flussreichen Landschaften im Südosten Berlins (heutiger Kreis
Beeskow -Storkow) verlocken lassen, um dann Ikm Fürstenwalde oder
Bee'ikow nlüll<^;lln die S|u-' e /n überx hreiten. Noch viel weniger aber
werden wir uns der LandschalL Za ucli-Belzig zuwenden. Da hätten
wir zanachst mehrere besonders breite Thäler zu überschreiten und würden
bei Brandenburg den flATelübergang unternehmen. Der Lauf der Harel
würde uns zwingen, oberhalb Spandaus diesen breiten, seenreichen Fluss
luxh ein zweites Mal zu überschreiten, um unsere Kichtung nicht ganz
zu verlieren. Schlagen wir aber den mittleren Weg ein. so gelangen wir,
nachdem bei Trebbin das letzte Suinpfthal überscliritten ist, auf dem
trockenen Boden der Landschaft Teltow au die Spree, wo wir den beque-
meren üebergaug bei Berlin dem Tiel beschwerlicheren bei Cöpenick sicher
vorziehen werden. Jenseits können wir dann auf ziemlich langer Strecke
die gleichfalls tr-xkene Landschaft Barnim benutzen. Aber auch wenn
wir von der Elbe l)ei Magdeburg herkämen und die Oder etwa bei Frank-
furt erreichen wollten, würde der Sjn*eeübergang bei Berlin für uns
der vurtheilliafter^te sein, um dann die alte Berlin-Frankfurter Land-
fetrasse zu verlblKeu, welche nicht ohne Giiiud deu weiten Umweg über
Hfinchebeiv ma^fte, wo sich ihr fast immer trockener guter Baugrund
bot Der verkehr innerhalb des westlichen Theiles der Mark war so-
mit in ganz bemerkenswerther Weise auf den Spreepass Ton Berlin
angewiesen.
*) Schon vor ujehr ah 40 .Taln en luit Kl öden die geof^raphische Lage Ber-
liM in dem eben genannten Hiulie S. 17—30 mit richtigem geographiBcheni Dlick
«Ärt^rt, Man vgl. hcine Tafel I. Die Ausführungen bei Kohl (Die geographische
Lage der Haui)t.sti\dte Kuroi>aV. Leip/iLT l.**74. S. :{M ff.) ontfernen K\rh bisweilen
aUzmreit von der rein geograpliischen TeiTainbetraciuung und wollen zu viel be-
woiiieD. Kohl versucht hier, wie auch sonst mehrfach, rein historische Entwick-
lungen geographisch zu begründen.
Wonüaatgtn rar d«nt«chen L»odM* und VoUuka&de. I. 8. 8
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110
Halm,
Auch in der Zeit der Eisenbahnen ist das Zusammentreten der
Schienenwege in den trockenen Strichen nördlich und sOdlich von
Berlin ( In auffallig, so viel wir auch hierbei der Grossstadt, welche
di«' ]*]iseiil)ahnen herbeizog, ihrerseits wiedw zurechnen können. Aber
es fehlt den von H» rlin aiiscrehenden Bahnen an solchen A^erhindungs-
linien. wie sie die Bulinnetze um f.ondon und l*ari.s reichlich aul'zuweisen
haben. Die Havel ist von Oranienljurg bis Spandau und wieder von
Spandau bis Rathenow '), die Spree sogar von Berlin bis Cottbus ohne
jeden Eisenbahnübergang. Man vergleiche damit die zahlreichen Eisen-
Dahnbrücken, welche über Seiin . Marne und Themse in einem Umkreise
von etwa -jOkni um Paris oder L<Mldon geschlagen sind. Freihch würde
eine Kingbahn, Wfklie Berlin etwa in 10—50 km Ab>tiind umgäbe, mit
grossen Schwierigkeiten 7.u kiimpfen haben. Zalilreiciie Brücken- und
Danmibauteu wären in dem nicht einmal dicht bevölkerten Lande nöthig.
Dürfen wir die Bedeutung Berlins für die Mark mit vollem Recht
aus der Yertheilung der Wasserlaufe und LandhShen ableiten, so müssen
wir uns doch hüten, auch die Bedeutung der Stadt für die gesammte
norddeutsche Ebene oder gar für das Deutsche Reich nur auf geo-
gr;t])his('he ^lomente zurückzuftihren. Wir dürfen nur soviel sagen, dass
Berlin dnnli die geographischen Verhältnisse st-iner Umgt lnmg nicht
daran verhindert wurde, staatlicher Mittelpunkt des Deutschen Kelches
zu werden. Hätten es die Verhältnisse mit sich gebracht, dass Cöpenick,
Spandau, Potsdam oder Brandenburg an die SSelle Berlins als Haupt-
stadt getreten wäre, so wäre durch die Energie der Fürsten und die
Bi f ri< 1<s;inik^t der Bewohner die Entwicklung einer Grossstadt auch
dort dun liaus möglidi Lr^-wesfu. nur würden die Schwierigkeiten und
Hindernisse, welche Bauplatz und nächste Umgcliung einer bedeutenden
Vergrösserung der genannten Städte entgegenstelk n, schwerer und laug-
samer zu überwinden gewesen sein als in Berhn. Statt der zusammen*
hängenden Masse Berlins, welche jetzt aus dem Spreetbale auf die
rei(£lich Platz bietenden Höhen des Teltow und Barnim hinaufsteigt,
würden wir es dann mit weit ausgedehnten, durch grosse Wassei-flächen
getrennten Städteanlagen nach Art von Boston. Storkholm oder Peters-
burg zu tliun haben. Eine solche Zersplitterung bietet wohl manche
Vortheile, wenn es sich um eine Stadt mit Seeverkehr handelt, iin
Binnenlande würden aber die !Xachtheile — namentlich die schwierigere
Heranftihrung der Bahnlinien — gewiss sehr überwiegen.
Unterhalb Berlins treten sorort die Hdhenränder wieder zurück,
der Fluss strömt zw ischen feuchten Wiesen hin. Eine rasch vorüber-
gehende nochmalige Einengung des Thaies zwischen der Nordspitze
des Gnmewaldes und di'u unerheblichen Höhen hei Haselhoi-st bleibt
wirkungslos, da die Spree hier keine Erleichterung des Uebergangs
bietet und die Zugäuge von beiden Seiten versteckt und weniger bequem
liegen. So wird die Vereinigung der Spree mit d&c Havel erreicht,
welche durch die Wasserfestimg Spandau bezeichnet wird. Spandau
Die HavelbrOdcen bei Potsdam admeidai nur ein weit nach Sftd ans*
biegendes, ^eearti^ erweitertes Stfick des Flusses ab und sind nicht als ,Ü^Mr*
gftnge* in unserem Sinne zu rechnen.
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Die Stftdte der norddentschen Tiefebene.
111
wird mit den übrigen nicht e1)en zahlreichen norddeutschen Städten,
welche an Zusaninienflüssen j^rr)sserer >itrr)me lie'ren, zu l)etrachten sein,
für jetzt setzen wir unsere Fuhrt noch auf der Havel eine Strecke tbrt
und überzeugen uns sehr l)ald, dass die hier wie fast auf ihrem ganzen
Lauf sehr breite seeartige Havel zu keiner Zeit eine Rolle als stSdte-
anlockender Fluss gespielt haben kann. Potsdam, in einer an Wäldern,
Hligeln und Seen sehr reichen Gei^^end ziemlich versteckt gelegen, ist
eine der alten Grenzfesten Albrechts des Bären an der Nutlie- und
Havellinit'. V.< h;\t seine gegenwärtige Bedeutung lediglich der Vorliebe
der hrauilt nlaHL,n>ch-preussis(hen Herrscher für diese Stelle der Havel-
uter zu verdanken. Säiumtliche Wohugebäude Potsdams wurden von
Joachim I. an bis auf den König Friedrich Wilhelm II. auf Kosten
der Eurftirsten und Könige hergestellt Geographische Momente sind
hier nicht vorhanden. Auf der Weiterfahrt berühren wir noch mehrere
unbedeutende Städte, darunter die Inselstadt Werdrr. welche schon
durch ihre Lage andeutet, dass Sicherung gegen Angrilfe und daneben
etwa noch der Fischfang in der Havel das Ziel der ersten Ansiedler
gewesen ist. Die Lage von Brandenburg erinnert uns wieder an
Cöpenick. l^randenburg ist als Uebergangsort Aber das Haveltfaal ent-
schieden nidit sehr gOnstig gelegen. Nur im Norden treten Höhen bis
in die Nähe des Stromes, im Süden dehnen sicli anselmliche Wieseii-
flikhen ans, durch welche sich nur im Südwesten ein ganz schmaler
Zug unbedeutender Erhebungen hinzieht, an den sich die von Branden-
burg nach Ziesar führende LandstrassL- anlehnt. Ein Uebergang bei
Brandenburg erschien wenig ratlisam (s. o.), da man gegen Westen
und Osten nochmals die Havel, gegen Norden aber das nocb schwerer
zu flberschreitende havelländische Luch zu passiren hatte. Es konnte
somii nur der Gang der rein histori^ 1 i Begebenheiten, bei denen die
vorzügliche strategische Lat^e der den Flus.slauf belierrschenden
IhmI- und Halbinsclstadt schwer in das Gewicht tiel, an Brandenburg
Zeitweilig eine liangstellung und Macht übertragen, lUr welche ein
verkehrsgeographischer Grund nicht vorlag.
Jene ungünstige, inselai tige Gestaltung des auf drei Seiten von der
Havel, tas£ der vierten von dem eben erwähnten Luch eingeschlossenen
eigentlichen Havellandes Hess auch die noch Übrigen kleinen Passorte
an der Havel wenig Verkehrsbedeutung gewinnen, trotzdem Plaue
einen leidlich guten U*'l>erLcang an einer der seltenen Stellen, wo die
Havel schmäler ist und an beiden Seiten von Höhen eingerahmt wird,
darbietet und auch iiatiienow desselben Vortheils nicht ganz ermangelt.
Zwischen Rathenow und Havelbei^ lenkt die Havel in die von Osten
kommende Senke des Luch ein. Diese Strecke ist besonders unwirth-
li< h. Havelberg selbst litgt pliysisch wie politisch schon ausser-
lialb der Landschaft Havellan«! und wird zur Priegnitz geredmet. Es
ist geographisch sownhl als Fiand- wie als Brückenstadt zu Itezeichnen.
Havelbej^ liegt zum Theil auf den hier ganz nahe au die Havel heran-
Derghaus a a. 0. Bd. 1, S. 532, woselbst da.>« Einzelne höchst ausfÜlirlidi
daigesteUt wird.
f
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112
Hahn,
[20
rückenden Hr.licn der Pi ironit/. /um Tlioil auf der sehr scharf lit-rvor- '
tretendrii { vitlK-icht künstlich in ilirm rinnsst-n noch regehn;is>ijjr,.r
gesttilteien ':') llavehnsel, welche die \Vassei-menge de« Flusses iu er- '
wOnschter Webe theilt und auf längerer Strecke die einzige ihrer Art
ist. Am südlichen Havelufer fehlt eme unmittelbar herantretende Höhe,
die Stadt hat hier auch keine Vorstädte. Da jedoch weiter südlich
(an der Stnke, die der Plaue'sche Kanal benutzt, lufrinnend) ein san-
di<jer, mit Nadelholz ])estandener Rü" k«'n die Nifdriunrren der Havt-l
und der fast parallel mit ihr fHes>. udcn Elhe ti t iml. war hier eine
nicht ganz zu verachtende Gelegenheit geboten, auf trockenem, über-
schwemmungsfreiem Boden nach Norden vorzudringen. Jener Rücken
hmt sich anfänglich naher an der Havel, biegt aber bei Eamem mehr
nach Westen ab. um bei dem Städtchen Sandau aufzubahren. So weist
er gerade auf den durch Insel und wenigstens einseitigen Höhenrand
begünstigten Pass von Havelberg bin. Wnr aber die Havel hier pas-
sirt, so bot sich nun auf dem me( kleiihiiigiM lieii H<ihenrücken. zu dem
die Priegnitzhöhen orogruphisch sdion gehören, ein nicht allzu schwie-
riger und namentlich von grösseren Flussthalem freier Weg bis iu das
Gebiet der Wamow dar.
Die Brücken stä dt ('. wie wir sie kurz nennen Avollen, lassen
sifh nun nicht IjIos in der Mark, die wir eines besonders wichtigen
Beispieles halber zuerst l>etriiten, .sondoni auch in den übrigen nord-
d<'uts(di«'n Landschaften nachweisen. Natüiliih ist nicht ausführbar,
sie alle hier zu betrachten, nur einige besouilers charakLeriütische Bei-
spiele aus dem Nordosten und Nordwesten der Tiefebene sollen noch
erörtert werden.
Bleiben wir zunächst an der Oder stehen, so ist es nicht zu
verkennen, dass bei Breslau ähnliche Vorzüge zusammentreffen
wie bei Berlin. Die ^)der ist von lirieg l»iv «xcgen Breslau diivli
ihr breitis Thal und ihre zahlreiclieii Arm»' und Altwasser wiiul:
passirbar, von Ohl au ab tliesst auch noch der gleichnamige kleine
Fluss in cproeser Nahe der Oder, nur durch eine wenig hervortretende
Kette kleiner Sandhügel von ihr getrennt Bei Breslau mündet die
Ohlau endlich in die Oder ein, gleichzeitig erfolgt hier eine allerdings
nicht bedeutende Verschraälerung des ganzen TJiales und « in Heran-
treten von nieilrigen. aber doch niclit ganz eintlusskoen Hügeln auf
lieiden Seiten. Auch Inseln, wt'lchr «Ini Uebergang erleichterten, waren
vorhanden, und auf diesen ist die älteste bUidtanlage entstaudeu, die
sich dann zuerst nach Süden, später und sparsamer nach Norden weiter
entwickelte. Unterhalb Breslaus befindet sich erst bei Dvhernfurth
wieder eine kleine In.sel in der Oder, und charakteristisch genug ist
auch D3'hernfurth ein in sehr früher Zeit wichtiger Uebergangspuukt
von Biibnicn und Mäliifu nach den Bernsteinländern des Xordostens
gewesen'). Kr liot l'.rr^lau gegenül>er noch den \ ortheil . da>s .lie
Flüsse Lohe, Weistniz und \Veida, welche die Annähemug an Breslau
immerhin etwas erschwerten, hier nicht mehr hindernd in den Weg
*) Sadowski, Die HandelBstrassen der Griechen und BOmer durch das
Flussgebiet der Oder etc.» deutsche Anagabe, Jena 1877. 8. 9.
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Die Städte der norddeatschen Tiefebene.
113
traten. Wir lenien daraus wiederum, da.'^s -wir die alle Xacliliarstädtc
Oberra<rende Entwicklung Breslaus nicht ohne ^\ cittTt.s, viclleiclit nicht
eiunial zum grösseren Theile der günstigen geographischen Lage zu-
schreiben dürfen. Jedenfalls domimrt Breslau die OderUbergänge nicht
derart wie Berlin die Spree-Hayellime.
Auch weiter abwärts finden wir an der übrigens auffallend stadte*
armen Oder noch einige sehr markirte Uebergangspunkte, wie Crossen
und iranz besonders Frankfurt. Bei Frankiurt hat die Oder das alte
Ost- VVesttlial , welches sie von der 01)raniündung an benutzt, endlich
verlassen und flies.st in .schmälerem Thal zwischen hohen Ui'eru. Bei
Frankfurt ist der Abstand zwischen den Thalrändem am geringste tind
die Bedeutung dieser Stelle ist um so grösser, als unweit nördlich Ton
der Stadt bei Lebus und Beitwein schon der Beginn des uns be-
reits bekannten Oderbruches liegt. £s ist auch nicht zu Ubersehen,
dass ebenso wie westlich von Frankfurt der Barnim eine trockene
Bahn bot, östlich die von Rümpfen und Thälern ziemlich freie, hoch-
gelegene Landschafl Sternberg eine bequeme Bahn bis weit in das
alte Polen eröfinete. Die Obra war auf diesem Wege bei Bomst nicht
schwer zu überschreiten, und auch die Warthe ^t gerade ostwärts
Ton Frankfurt bei Moschin eine sumpfige Thalniederung verlassen und
kann bei Posen, aber auch noch an einigen anderen, weiter abwärts
lie^^enden Stellen überschritten werden. So bietet sicli hier in der
Tliat von der Elbe bei Magdeburg über Berlin, Müncheberg, Frank-
furt, Bomst, Posen und weiter über die zwar seenreiche, aber nicht
sehr sumpfige Gegend von Gnesen eine natürliche Verkehrssti'asse bis
zur Weicbsu und Brahe, welche in unserer Zeit durch die MSrkisch-
, Posener und Posen-Thom-Bromherger Eisenbahn wieder angesucht
imd neu belebt wurde.
Die zalüreichen kleinen Flüsse im nördlichen Mittelschlesien und
im südlichen Posen sind auch meist von ansehnlichen Sumpfstrichen
eingerahmt und waren nur an bestimmten Stellen für die älteren Hun-
delsstrassen zu überschreiten. Grössere Städte sind jedoch nicht au
diesen PSssen entstanden, was nicht auffallen darf, da alle Ton Polen
bewohnten Landstriche zahlreiche kleine, aber nur sehr wenig grös-
sere Städte aufzuweisen hnbm. Ein histiges Hinderniss war und ist
zum Theil noch heute die Bartsch, ein Zufluss der Oder, welcher
aber der allgemein in der norddeutschen Ebene herrselieiiden Kegel
zufolge mit seinen (^uellbächen nahe an den Tystlichen Nachbartiuss, die
Prosna, heranreicht. Die Prosna hat hier einen Zufluss von Westen,
den Olobok. Ph>sna, Olobok und QueUgegend der Bartsch bilden
nun einen, in der jüngsten Vergangenheit sdlerdings stark veränderten
und viel zugänglicher gemachten Suinj)f ') . der früher, >vie die unten
citirte Karte angibt, nur zwischen den (Quellen der oigentliehen Bartsch
und dem Laute einer anderen, zum Olobok fiies.senden Bartsch (Stry-
Z(»wer Bartscli) überschritten werden konnte. Am Passe selber liegt
kfcin grosserer Ort, nur das Dorf Chyno wa. Dagegen linden wir süd-
BOTinaims Specialkarte Blatt 114 u. 183. Die neuen Generalstabskarten
tt>er dieie Gegend liegen nocb. nicht tcmt.
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114
Hahn,
[22
lieh von ihm, an der Zuiriings.stra.sse , eine Reihe kleiner Städte, wie
Kempeu, Schild berg und Mixstadt, nördlich aber eine etwas
grössere mit dem bedeatungsvoUen Namen Ostrowo » InseL In der
That liegt Ostrowo auf einem nicht grossen, aber sehr aufiäUigren insd-
artigen Stück wasserfreien Landes z\W8chen den Flussthälem. Sehr
zahlreiche Strassen vereinigen sich hier von allen Richtungen. Dieser
Pass von Chyuowa und O.strowo scheint mir widitiger als der Ton
Sadowski a. a. 0. S. 10 erwähnte Pass von Herrnstadt.
Aehnlich wie die Bartsch mit ihren Quellbächen sich der Prosna
nähert, greift auch die obere Ketse weit in das Qebiet der Weichsel
und ihres Zuflusses, der Brahe, ein. Die Netze, der polnische mi, wie
sit^ w(dd genannt wird, war noch selnverer zu überschreiten als die
Bartsch Gegenwärtig ftlhren von der Biegung unterhalb der Küddow-
niHndung bis zum Anschlusspunkt des Broni]>erger Kanals (bei Nukel)
vviclitigere Verkehrswege nur l»ei Usch an der Küddowinünduug, bei
Dziembowü (Schneidemülil - Poseuer EisenbahuJ, bei Samotschin
und bei Nahel Ober das meist sehr breite Neizethal, also im ganzen
nur an vier Stellen. Ich möchte kaum annehmen, dass der Uebergang
bei Usch an der Küddow so alt und so wichtig gewesen ist, wie Sa-
dowski a. a. 0. S. 15 bemerkt. Das Thal ist hier kaum weniger breit
als an anderen Stellen, und im Norden des Pii'^-je«^ wiirde man direkt
in die Wälder und Eintiden Poninierellens gelaugt sein, welche zu keiner
Zeit einen grösseren Verkehrsplatz oder eine etwas dichtere Bevölkerung
enthielten. Die Stadt SchneidemOhl, jetzt als Knotenpunkt von
sechs Bahnlinien von einiger Bedeutung, war immer nur klein und
höchstens als BriU kenstadt für den die Koddow in ostwestlicher Rich-
tung kreuzenden Verkehr vor der Eisenbahnzeit zu nennen.
Von dt r Biegung bei Nakel fülirt eine Thalsenke zur Weichsel
herüber, weh he in ilu'em östlichen Theil von der Brahe benutzt wird.
Wir haben es hier mit einem Stück des alten Weichsellaufes zu thun,
in welchem Brahe und Netze gleichsam niur als Gäste verweilen. Ge«
rade das Stttck aber, welches sich die Brahe angeeignet hat, ist nicht
so breit und sumpfig als der Rest. Sandhüg( I, die ausser in der näch-
sten Umgebung der Stadt Brom berg dicht mit Nadelholz bestanden
sind, erheben sich zu beiden Seiten des Thaies. Diese Gegend er-
scheint geographiscli als der bequemste Annäherungspunkt an die
Weichsel für den von Süd und Südwest Kommenden. Wir werden viel
eher hier als bei Usch an der Küddow die Stätte eines alten Verkehrs-
platzes zwischen Süd und Nord suchen dürfen. Hier lag in der That,
an der Einmündung der Brahe in die Weichsel, die Feste Wyszogrod
und etwas weiter an der Brahe herauf der üebergangsort Bydgoszcz.
Heute finden wir an letzterer Stelle das rasch aufblühende Brom berg.
welches den Verkehr von Westen nach Osten (Warthe — Netze — Brom-
berger Canal — Weichsel) und von Norden nach Süden (Eisenbahn Danzig —
Bromberg — Posen) zu vermitteln hat. Wenn auch das Wiedererwachen
des hst ganz verfallenen Bromberg gegen das Ende des 18. Jahr»
Karte des Deutsehoi Reiches Blatt 222, 228, 224» 225.
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23]
Die SOdte der norddeutschen Tiefebene.
115
huudtrts zunächst das Verdienst der preussischen Regierung ist. ist
docli auch die Lage dies» r Stadt physisch eine ungemein günstige zu
ueuueu. Das benachbarte Thorn, vortheilhaft au dum hohen üfer-
nnde der Weichsel selbst gelegen, nimmt «a den Yortheilen der Brom-
berger Gegend noeh Theil und bildet dazu ein Glied in der froher
erwähnten Verkehrslinie Ton Berlin über Frankfurt und Posen zur
Weichsel. Es giebt aber noch einen anderen Grund, welcher den von
West und Südwest kommenden Verkehr gerade diesem Theile der
WeichseUinie zuliihrte. Die Weichsel war, abgesehen von <len Zeiten
des Eisganges und der Ueljerschwemmungen, auf der Strecke von Thorn
bis gegen die Montauer S|>itze hin ziemlich leicht zu überschreiten,
da festes Land in zum Theü unerwartet schroffen Wänden theils un-
mittelbar an den Strom herantritt, theils wenige Kilometer davon ent-
fernt ist*). Ging man auf der genannten Strecke über den Strnm, so
betrat man wieder ein ziemlich ausgedehntes hochliegendes und trockenes
Gebiet, das Kulmerland. Der Fluss Ossa theilt diese Landschaft
in einen grösseren südlichen und einen kleineren nördlichen Theil ; er ist
kein grosses Hindemiss, da er an den Quellen umgangen und noch
leichtar auf mehreren Pässen zwischen Rehden und Lessen gekreuzt
werden kann Die Ostgrenze des trockenen Gebietes wird im All-
gemeinen ilurch die Sümpfe an der Drewenz, durch die zwischen Strass-
burg, Deutscli-Eylau und Sualfeld sich hinziehende Grupjie ];inLrL''estreckter
Seen, endlich durch das Thal des kleinen Flusses Sorge gebildet. Die
Sorge aber fällt in den Drausensee südlich von Elbing.
Der Gegensatz zwischen dem Kulmerland und den östlich an-
grenzenden auch heute noch als schwer gangbar geltenden Strichen
ist ein sehr scharfer. So Lst es nicht wunderbar, dass das Kulmerland,
' in welchem der Verkehr nach allen fUchtungen hin leicht war, tai nicht
allzu kleinen wohlgel)auten Städten reicher wurde als Masuren im Osten
und Pommerellen im Westen. Hier konnte mit Recht ein neu ent-
standener Schienenweg die , W e i c h s e 1 s t ä d t e b a h n " genannt werden.
Sie berührt auf einer Strecke von nur 154 km (einschliesslich der 17 km
langen Stichbahn nach Kulm) die Städte Thorn, Kulmsee, Kulm,
Graudenz, Garnsee, Marienwerder, Stuhm und Marienburg ^. Die
Krei.se Thom, Kulm, Graudenz, Rosenberg, Marienwerder und Stuhm
zählen zusammen 18 Städte. Nordöstlich vom Kulmerland und nur
durch eine schmale Fluss- und Seelinie davon getit mit, liegt das eben-
t'allM meist trockene Ermeland. Um aus dem Kulmerland nach Erme-
land zu gelangen, kreuzte man am besten die Sorge, bevor sie in die
SOmpfe am Drausensee gelangt, etwa bei der alten, bezeichnender
Weise viel umkämpften Pa.ss- und Festungs.stadt Ohristburg, über-
schritt bei Preussisch - Holland die Weske imd stand nun schon auf
dem wenig v^n Snmpfniederungen und Seen unterbrochenen Acker-
und Waldboden Ermelands, auf dem es leicht war, die PregeiUber-
') Kai-tp dos P.nitschon Reiches Blatt 10:1.
0 Der durch seinen seltsamen Lauf ausgezeichnete Fluss Liebe, an welchem
Biesenbnrg und M»ri0nwerder liegen, ist noeh Idekter m ftbenehrnteii.
*) Muienbnrg mid Elbing gehören in das xAchcte Gi^itel.
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116
Bahn,
[24
Ränge, von deren wichtigstem erst -piiter die R<'fle sein kann, zu «ff-
wiuueu. Der Pass zwischen dem Drauseusee und der Elbinger Höhe,
welchen Sadowski (a. a. 0. S. 23 f.) für wichtu^r halt, erscheint in
physischer Beziehung weniger geeignet, da auf diesem Wege, wenn
man westlich von der Sorge blieb und bei Elbing den Abfluss des
Drausensees überschritt, ein Stück der Niederung zu durchziehen war,
welches mindestens in der älteren Zeit gewiss w t ii'ir si( lier»'ii Boden
bot. Dass die Gegend des heutigen Elbing früli eine l»e«kutende
Ansiedluug aufzuweisen hatte, ist allerdings nicht zu bestreiten, für
diese war nnd ist aber der Verkehr zwischen den HaÜgegenden und
dem südlichen Binnenlande (Obeillndisch^ Kanal!) wichtiger als der
Vi rlct hr zwischen Südwest und Nordost. Tn neuester Zeit hat sich die
üstbahn, um Marienburg und Elbing nicht unberührt zu lassen, in die
jetzt allerdings gegen die Zeit vor Ankunft der Orden^n'ttt r völlig um-
gestaltete Niederung gewagt und überschreitet W'ei« lisd und Nogat
auf zwei bekannten Brücken, die Niederung selbst auf langen i>ümmen.
Wir haben Yon den Landschaften an der Spree und der Havel
bis an den Pregel eine Zöne trockener wegsamer Gebiete mit sonstigen
FlussÜbergängen verfolgt und uns überzeugt, dass eine nicht unbe-
deutende Zalil grösserer und kleinerer Städte der günstigen Lage in
der Nähe jener Uebergänge einen grossen Theil ihrer BlUthe Ter-
danken.
Aber auch bei Leipzig, das wir auf dem Wege nach dem
nordwestlichen Theil der Tiefeb^e doch nicht flbergehen wollen,
macht sich dieser Umstand geltend. Bei Leipzig vereinigen sich die
ziemlich breiten auenreichen Thäler der Pleisse und der Weissen Elstor
zu einem einzigen von solcher Breite, dass wir sofort vermuthen, es
sei ftlr die darin fliessende Weisse Elster nicht eigentlich bestimmt.
Li der That belehrt uns der Text zur geologischen Specialkarte Sa< h-
sens , dass wir es hier mit dem alten M u 1 d e 1 a u f zu thun haben,
dessen Spuren von Grimma Uber das ebenfalls sehr breite obere Parthen-
Üial nach Naunhof und von da, in mehrere Arme getheilt, bis Leipzig
verfolgt werden können. Gerade zwischen der Stadt Leipzig und dem
westlichen Vororte Lindenau erfährt nun das Thal, in welchem Elster
und Pleisse noch getrennt, aber nur durch einen schmalen, meist mit
Hausern bedeckten Auenstreifen geschieden, neben einander herfliessen,
eine massige Einschnürung, die auf der geologischen Karte schärfer
hervortritt als auf der orographischen Die Scheidelinie zwischen
dem Alluvium der Flussaue und dem Diluvialboden der Hdhen ver-
läuft an der Wt'stgrenze der inneren Stadt von Leipzig. Dass die
Flussauen dt r Leipziger Gegend dem Verkehrsleben früherer Zfift n
ein sehr ernstes flinderniss entgegenstellten, l>eweist noch die Schlacht-
periode des <\tober 1818. Heinrich Aster würdigt in der geographi-
schen Einleitung zu seinem kriegsgeschichtlichen Werk die Niederungen
westlich, südwestlich und besonders nordwestlich von Leipzig selir
^) ErliVuterungen zur Section Naunhof. Leipzig 1881, S. 26 ff.
*) Geolog. Spedalkarfce des Königreichs Sachsen« Blatt 10» 11.
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25]
Die Städte der norddeutecben l^efebene.
117
riclifi<i^ und lu'l)t besonders die ^'osse Scltcnlioit l)niu(h])arer Ueber-
gäiige hervor. Noch die Eisenbahnhaut«-]! der iieiiostoii Zeit sind durch
diese Terraiiibeschatfenheit vielfacli erschwert worden ; die von Leipzig
nach Zeitz ftQirende Linie benutzt, soweit es geht, den Bahnkörper der
Siteren, direkt nach Westen führenden Strecke und umgeht dann die Aue
in weit nach Westen ausgreifendem Bogen Auch heute noch ist wenig-
stens zur Zeit grösserer Ueberschwemmunffen das 1813 viel genannte
,Defile' von Lindenau", d. h. »1er Damm, auf welchem die nach Westen
föhrende }le« rsh-a^se den ikm h nicht aufgefüllten und bebauten Theil
der Aue überschreitet, iiul • iner ziemlich langen Strecke der einzige
nicht überfluthete Uebergang. Man wird also in früherer Zeit um so
lieber die Gelegenheit ergriffen haben, den AuenObergang etwas abzu-
kürzen-). Dazu kam noch die sehr feste uml ge sicherte Lage des
alten Leipzig hart am Auenrande und nach Norden noch durch die
hier einmündende Parthe gedeckt. Es waren daher wrdil mehr diese
L'mstände als die weiten wellenförmigen Ebenen um Leipzig — die
ja auch anderen Gegenden nicht fehlten, — welche kriegführende Heere
so oft gerade bei Leipzig zusammentreffen liessen. Auch Heinrich Aster
(a. a. 0. S. 10, 11) nennt die TenainTerhSltnisBe um Leipzig solche,
wie sie vorzugsweise eine sich Tertheidigende Armee braucht, und
denkt dabei an die Thalniederungen der drei Flüsse.
Was aber den friedlichen Verkehr betrifft, so ist anzuerkennen,
dass historische Ereignisse und menschliche Thatkraft das rasche Wachs-
thum und die Blüthe der 'Stadt Leipzig doch mehr gelordert haben
als eine einmal gegebene Natuilage. War auch bei Leipzig der beste
Uebergangspunkt Uber Elster und Pleisse, so blieb im Westen doch
immer noch der Terrainabschnitt des Saaltiiales zu bewältigen. Dieser
war nicht zu umgehen, wohl aber der TJebergang bei Leipzig in dem
Falle ülierflüssig, wenn man YOn Düben, Eilenbnrn; oder ^^'nrzen nicht
erst auf Leipzig, sondern direkt auf den Saaleübergang Ixn dem benach-
barten Halle vorging. Ich glaube kaum , dass man den Halle'schen
Saaleübergang für so schwierig hielt, um deshalb, wie Delitsch a. a. 0.
8. 13 u. 14 meint, lieber Ober Leipzig zu gehen. Die Saale blieb
etwa bei Mersebui^ oder Weissenfeis für Jeden, der westwärts über
Le ipzig liinauffiugehen dachte, doch noch zu kreuzen, und die dortigen
Ueberträni^e sind nicht wesentlich bequemer als der bei Halle. Viel-
mehr war der ^rrosse Fluss gerade ein A'ortheil für das auch sonst
geographisch mannichfach bevorzugte Halle, und es ist um so be-
merkens- und anerk ennens werther , dass Leipzigs Bewolmer, durch
die ThUtigkeit der Regierungen vielikch begünstigt, diese Bevorzugung
zu einem sehr grossen Theile wieder ausgeglichen haben.
Eine BrUckenstadt mit allen uns nun schon hinreichend bekannten
Kennzeichen der TiH^xo ist auch Magdeburg. Oberhalb der Stadt ist
gegen Schönebeck grosse Breite des Thaies, Bildimg von Nebenarmen
') VoQ Mn( kern unterhalb Leipzig bis Ammendcnf bei Halle Wild das Klater^
thal von Eisenbahnen nicht überschritten.
*) Vgl. Otto Delitsch bei Hasse: Die Stadt Leipzig und ihre Umgebung,
Leipng 1878. & 13 u. U.
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118
Hahn,
[26
und Altwassern /u ln.'inerken ; dieselbe Erscheinun!.'' tritt ;ni(li unter-
halb Magdeburufs zwischen der Neustadt und der nhreniüinlung auf.
Nur bei der Stadt selbst reicht steües Ufer bis au den Fluss, wie mau
in den zur Elbe stark geueigten Strassen des alteren Stadttheiles dea^
lieh walinielimen kann. Auch im Osten streift eine trockenere Zone
gerade bei Magdelnirg an die Elbe. Passende Inseln fehlen auch nicht,
während älinliche aufwärts und abwärts auf weiter Strecke nicht vor-
kommen. Magdeburg ist für die Elbe, was Frankfurt für die Oder,
und srlüiesst sich der oben besprochenen Reihe der uordoatdeutschen
BrUckeustädte ah» letztes westlichstes Glied au.
Wenden wir nns jetzt dem äussersten Kordwesten der Tiefebene
zu, so sehen wir hier nicht mehr so sehr die Thäler als Tielmefar die
ausgedehnten Mo or <^^e biete die Wegsamkeit des Landes beeinflussen.
Die Flüsse werden hier sogar von den Ortschaften aufgesucht, da sie
hänfi'^ von sclnnalen Sandstreifeii begleitet werden. w»'lehe eine sichere
Veri)Uidung zwischen den Mooren hinrliirch ernnigliclien. Aber auch
fern von den Flüssen giebt es einzelne festere Steilen, die die Fläche
des Moore« theilen, und diese Stellen sind seit alter Zdt von den An-
siedlem sorgfältig ausgewählt worden. Die Moorpftsse sind noch
viel constanter als die Pässe über die Flussthiller der Mark und des
Xordostens; wer würde auch neue Wege durch das Bourtanger Moor,
die oldenburgischen und Diepholzer Moore balmen wollen . um sich
daran anz u s i d e 1 n V ') Die spärliche Bt'vtilkcrung reichte mit den
vorhandenen Strassen ebenso wie mit den Wolmplätzeu, die nur höchst
selten zu grösseren Siftdten anwuchsen, Tollkommen aus. Nur in Eri^^
Zeiten yersuchte man hier und da in die Moore selbst einzudringen, wie
die eigenthümlichen Bolilwege, deren Reste an verschiedenen, ziemlich
weit auseinander liegenden Punkten gefunden wurden, bezeugen. Fried-
rich von Alten, dem wir eine werthvolle, von einer Karte begleitete
Monographie über die Bohlwege verdanken , schreibt diese Bauten
durchweg römischer Thätigkeit zu. Doch sind auch in späterer Zeit
noch Terdnzelte Bohlwege iheils hei den Örtlichen Fehden der Friesen,
theils zur schwachen Verbesserung einiger gar zu ungenügender Yer-
bindungen zwischen den Moororten hergestellt worden.
Unter denjenigen Städten nun, welche Moorpässen einen grösseren
oder geringeren Theil ilirer Bedeutung verdanken, nenne ich zuerst
Bremervörde. DitM-r Ort ist zunächst wiclitig als einer der wenigen
guten Uebergangspunkte über die Oste. Dann aber sind die Geest-
streifen zwischen den hier sehr ausgedehnten Mooren so Terthdlt, dass
der Yerkehr eines ziemlich grossen Landestheiles den Pass vonBremervdrde
benutzen muss. Die zahlreichen Landstrassen, welche sich dort kreuzen,
halten sich sehr genau an die Geestrücken und überschreiten nur ein-
zelne kleinere Moorstreifen. Die Strasse von Bremervörde nach Oster-
holz umgeht so das gro.sse Teufelsmoor im Westen , die Strasse nach
Zeven thut dasselbe im Osten, die Strasse nach Neuhaus kann einen
') Leber eine doch vorkommende, ganz clmrakteristische Auitnahme siebe
weiter unten.
*) Die Boblwege im HenogÜiam Oldenburg» Oldotbiug 1879.
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27]
Die 8t841e da norddeutsohen Tiefebene.
119
Gee.strückeii zwischen der Oste und den Sünipien des Iliidehischen
Siethlundes Itenut/.en. Alle aber liäiii^en genall von den Bodenverhiilt-
nLssen ab und kömiteu iiicht beliebig verlegt werden. Blieb über das
▼Ott den lebhaften Elb- und Wesermftrschen weit entfernte Bremer-
Torde ^) immer klein, so erwies sich eine Ansiedlung auf einem anderen
Geeststreifen zwischen den Mooren an der Weser viel entwicklungs-
fiUiiger.
Dies ist H reinen. Wir wollen e.s dahingestellt sein lassen, ob
der Nunie Bremen wirklich von dem Stannne „brim'' herkommt, der
einen i^chmalen, scharf begrenzten (Terrain- J Rand bezeiclmen soll; jeden-
fails ist festzuhalten, dass das östliche Ufer der Weser von der Mün-
dung der Aller bei Verden bis zu der Yereinigping von Wflnune und
Hamme oberliillt Vegesack von einem nicht breiten, aber stellenweise
durch seine Höhe auffallenden Geeststreifen begleitet wud . welcher
eine trockene Verl»in«liinLr liiny^s des wichtigen Flusses erniiiglichte.
Die Landstrasse von \ erden nacli Bremen sowie später die Eisenbahn
von Hannover nach Bremen und Geestemünde folgen diesem Geest-
streifen. An seinem nördlichen Ende bei Burg und Lesum ist der
Streifen sehr schmal, dn wichtiger Pass führt OMr die Lesum, wie die
Tcreinigte Hamme und Wümme genannt wird, zu einem en^egen-
kommenden Geestrücken. Dass sich die grössere Ansiedlung nicht
hier, sondern an der ansehnlicheren Weser entwickelte, ist begreiflich.
Warum man aber gerade die Stelle gewählt hat, wo jetzt Bremen steht,
lässt sich durch geographische Thatsachen nicht ganz entscheiden.
Dicht am Strom sich erhebende, zu jenem Geestzug gehörende Hügel,
welche sich bei Wanderungen durch das ältere Bremen noch bemerk-
lich machen, femer die immerhin auffällige Zunahme der Schiff barkeit
des Stromes von der Gegend von Bremen ab mögen die erste Ver-
anlassniig gegeben haben. Das Terrain ist durch die Bebauini.;" sowie
zalUreiche Weserdurclistiche hier gnn/, verändert worden. Eine Brücken-
stadt im Sinne der trülier betrachteten ist Bremen jedenfalls nicht, da
auf dem westlichen Wesenifer sich auf ziemlich weite Entfernung nur
flache, Yon Qrftben durdizogene Wiesen und Weiden, aber kerne Geest-
hohen finden'). (Ueber Bremens Beziehungen zum Meere Ab-
schnitt m).
Wer den Eisenbahnweg von Oldenburg nach Leer und dem nörd-
lichen Holland einschlägt, streift bald nach der Abfahrt den Nordrand
der grossen oldeuburgischen Moore, welche sich hier von den Flüssen
Yehne, Soeste und Mfurka in langsamem Lauf durchzogen, viele Stunden
Dieser Punkt ist j^tlorh in mehreren Krief?en wichtig geworden, zuletzt im
siebenjährigen, (iuthe, Die Lande Braunschweig und Hannover, Hannover 1807»
8. 50^ Amn.
*) Outhe a. a. 0. S. Hl, Anm.
') Die Kisenbahnen, welche noth wendig die grosse Handelsstadt berühren
nraseten, hftben gleicliwoh] die Wesermarschen ober- und unterhalb Bremens mit
Brücken übersetzt. Rein geographisch betrachtet wörde übrigens das «b-iu M»'*re
noch nähere Vegesack sich bei seiner vortheilhaften La^xe hart am Strom und
doch auf hohem Uferrand ebenso gut zur Grosdstudb entwickeln können als
Bfeoieii»
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120
[28
weit nach Südwesten ausdehnen. Es ist eine der au Orten und Strassen
ärmsten Gegenden des ganzen Keiches. Ansiedlungen sind hier nur
auf den schmalen Landstrdfen möglich, welche die Flüsse — jedoch
nicht stets — einrahmen, mit den Nachbarorten ist die yerbrndung-
eine sehr schwierige. Bis in unser Jahrhundert hinein waren die FlOsse
die einzigen Verkehrsstrassen; an der Marka hatte, wie Schacht an>
führt jeder Hausbesitzer sein Scliiff', auf dem er zur Ems hinabfuhr,
um dort Torf zu verkaufen und ihm nöthige Waaren dafür zurückzu-
bringen. Die Gemeinden Scharrel, Ramsloh uud Strückliugen, aUe an
der Marka, bilden das Sagterland, in dem sich in Folge der
schwierigen Verbindungen mit der Aussenwelt noch manche eigenthdm-
liehe Sitten sowie Reste der friesischen Sprache erhalten haben.
In neuester Zeit hat man allttdings b^jonnen, auch Landwege
auf den fteeststreifen an den Flüssen anzulegen, und so ist das einsame
Sagterland jetzt nach Südosten mit der kk^'nen, einen Landrücken an
der Soeste einnehmenden Stadt Frieso vtlie, der einzigen dt> eigent-
lichen Moorgebietes, und dadurch mit dem hügeligen Süden Oldenburgs,
nach Nordwesten mit der Gegend Ton Leer yerbunden. Viele benadi-
harte Moorgebiete haben aber seit Anfang des Jahrhunderts nur wenige
Veränderungen in der Wegsamkeit erfaliren
Westlich von der Marka finden sich als Vorposten des Hohen
HUmmeling noch einzelne sandige trockene Rücken, auf deren einem
sich dm Dorf Esterwege mit der Ruine einer Tempelherrenburg und
sogar Ton einem kleinen Gehölz umgeben erhebt. Noch weiter gegen
Südwest beginnt dann schon der Hflmmeling selbst mit seinen haide-
und waldbedeckten Kuppen.
Auch in den übrigen Theilen der deutschen Moorgebiete sind die
Ortschaften vorzugsweise an die Geeststreiten — westlich der Ems viel-
fach Tanifen «benannt — geknüpft. So läuft die Strasse von Nord-
horn (am Rande des grossen Bourtanger Moores) nach der holländischen
Grenzfestung Coevorden auf einer Tange entlang, die streckenweise der
Sanddamm heisst; zahlreiche Ortschaften zeichnen diesen von fast
menschenleeren Strichen umgel>enen Damm aus.
Es giebt jedot li eine Culturmcthode in den Moorgebieten, welcJie
die Besiedelungsverhältnissp merklich verändern und unter günstigen
Verhältnissen sogar neue Städte schaffen kann. Ich meine die Felin-
colonien^). Die Fehnwirthschalt beruht darauf, dass von dem nächsten
Flusse aus ein Kanal rechtwinklig in das Moor vorgetrieben wird, der
lange Zeit als einziger Zugangsweg zu den Häusern der Colonisten
dienen muss. Die Colonisten wohnen zu beiden Seiten des Hauptkanals,
so dass die ältesten Höfe dicht am Flusse, die jüngsten am £ndpunkt
') Petermann 's Mitth, 1883, S. 10.
') Man verfrl. 'n in noner, gänzlich umgearbeiteter Ausgabe er-
Bchienenc Rlatt 5:5 dor l-if viuarm sehen Karte mit ältereii AiiNi.'al)en desselben Hlattes.
') Die Schreibart ^Veen'' würde holländisch sein. 1 rl i i- die Fehncolonien
zu vergleichen u. \. de Vries und Pocken, 0^itfriesland. Kinden IS^l. bpsond*»rs
S. 31 ff.; dann Die Moorgebiete des Herzogthums Bremen, Berlin 1877,
mit lehrreicher Karte. Dies sind nur einige der am IdditMten sogltaiglidMn
aeaeren Schriften.
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29]
Die St&dte der norddeutocboi Tiefeben«.
121
<1es Kanals tief im Innern liegen. Unter Hinterwieken versteht nnm
Kanäle, welche parallel mit dem Hauptkanal in das Moor eindringen,
unter ibiwieken Verbinduug»kanäle zwischen dem Uauptkaual und den
Hmterwieken. Die Colomsten entfernen auf ihrem Gebiete den Torf
bis auf den Uuter<ri-und, um auf diesem dann Ackerfelder und Wiesen
anzuletren, Avelehe hei sorgfältiger Cultur und Düngung reeht guten
Ertrag liefern. Die Fehncolonien sind verhältnissmilssig nocli nicht alt,
im Jahre lt>33 wurde von vier Enidt'ner Bürgern das .sogen. Grosse
Fehn, das erste der ostfriesisclitu Fehne angelegt. Es liegt hei
Timmel gerade östUch von Emden. Man sieht leicht ein, dass die
Fehne die Besiedelungsverhftltnisse einer Gegend wesentlich ändern
k<">nnen. auf jeder guten topographischen Karte Ostfrieslands treten die
Fehne scharf hervor*). Hart an der Grenze Ostfrieslands liegt die für
den Geographen wichtigste Frlinculonie. nänilioh Papenhurg. Tm
Jahre iriTö fanden sich liier nur sieben Häuser und ein verl'allenes
.Schloss, 181)0 wurde der aufgeblühte Fehnort zur Stadt erhoben. Papen-
burg hatte 1880 U73G Einwohner und besass 1882 nicht weniger als
126 eigene Seesduffe, während Emden (1881) nur 83 besass'). Der
Plan der Stadt zeigt noch ganz deutlich die Entstehungsweise Papen-
burgs an, wir können den Hau})tkanal, die Inwieken und Hinterwieken
sehr gut unterscheiden, fast »5 km weit erstrecken sich die hiluser])eset7.en
Kanüle der eigenartigen Stadt in das M<nn- hinein. Wir haben hier
ein wichtiges Beispiel, dass nicht nur die Lage, sondern auch die
Physif)gnomie einer Stadt durch eine eigenthümliche, freilich nur diesen
Hoorgebieten angehörende Culturmethode bestimmt werden kann. Eine
so grossartig entwickelte Fehncolonie wie Papenburg finden wir ni( ht
weiter vor, grosse stadtälmliche stundenweit sich hinziehende Ansied-
lungen aber noch mehrfach. Wenn in den letzten Jahrzehnten nicht
.*^o zahlreiche Fehnkolonien angelegt wurden als Iriiher und wenn da-
nel)en die alr»^ unvollkommene ^) B ran d( U 1< ur trotz aller Bemühungen
der liegieruugen , Vereine und einzelner Personen noch fortl)esteht, so
ist die Veranlassung wohl in der immerhin grossen Eostspiehgkeit der
ersten Anlage des Fehns zu suchen. Ausserdem sind die besten den
Flüssen l^lchsten Angriffspunkte nach und nach vergeben worden; je
weiter man aber in das Moor vordringt, desto schwieriger und theurer
wird die Anlage.
Das zweite Hauptgebiet der Fehncolonien ist in den Mooren des
Herzogthums Bremen zu suchen, wo diese Betriebs- und Siedelungs-
methode zuerst 1720 in den Aemtem LiUenthal und Osterholz auftaucht^).
Noch in den Jahren 1855 und 1856 wurden in den Aemtem Osterhof
und BremerTörde neue Fehncolonien eingerichtet. Zu einer Entstehung -
'1 V^'l. auch die zu de Vries und Focken's Werk gehörige Karte, sowie
die ganz neutin Sectionen 37, 52 u. ö3 der Keymann'sehen Karte.
Allfirdinga waren die Emdener Schifte dafür grösser. Die 88 Emdener
Schiffe hatten zu^^ammpn 21.1^4 Ki'Lri-t. rtünioii. di'- 12*1 aus l'npenburg nur 19.044.
') Vgl. Robcher, Natioualökuuoiiii.k deü Ackerbaues, 10. AuÜ., Stuttgart 1SS2,
8. 79. 80 (in Amn. 14).
*) Moorgebiete des Henogthums Bremen, S. 21.
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122
Hahn,
neuer Städte ist es liier bis jetzt uoch nicht gekommen, wtun auch die
in der früher so gefürchteten Gegend des Teufelsmoores erzielten Resultate
bedeutende zu nennen sind.
J. G. Kohl meint, dass der Punkt, wo zwei Flüsse sii Ii vereinigen,
ein lilr den Stiidtebiiu si-lir rrpschitkter sei Dieser Satz kann nicht
allgemein als richti*^ anerkannt werden, es zeigt sich vielmehr, dass
weniL'^tt-ns im 1'i< fT,in<lc. und ganz besonders im norihh-utschen, Flu>s-
veremigungeu ia.st niemals einen günstigen Baunlat/. iür grössere Au-
siedlungen darbieten. Sie sind zu sehr von Ueberschwemmungen be-
droht, sind oft weithin Ton feuchten Wiesen und Laubwalätreifen
umgeben, wShrend die Strecken festeren Bodens, die bisher f&r uns so
wichtig waren, nur selten gerade an die Flussvereinignngen des Tiif-
landes lierantreten. Dazu k(mimt die grosse VeränderhcliKcit dt"^ Fahr-
wassers und der Flüsse ülu rhaupt in der Nähe der Vereini^un;^. sowie
der oft V)emerkbare ^Mangel guten Trmkwassers und die nicht selten
ungünstigen GesundheitsrerhJÜtnisse Wo uns Iddnere Karten grosse
Stäte hart an der Gabel zweier bedeutender TieflandsflOsse zeigen,
finden wir bei Heranziehung topographischer Blätter meist, dass die
Stadt doch nicht genau an der Vereinigung liegt. Khartum — um
nur einige der bekanntosten wenn auch unser Odtirt nicht berührenden
Beispiele anzuiülu'en - liegt nicht an der Vereini;4^uiig der beiden Nil-
arme selbst, sondern um Blauen Nil, noch über ö km von der Mündung
entfernt*). St Louis beherrscht ebenfalls nicht genau die Yerdnigung
des Mississippi mit dem Missouri, sondern Hegt am Mississippi, der
schon 20 engl. Meilen weiter oben den Missouri aufgenommen hat.
Wo man doch die Vereinigung aufgesucht hat. muss man auch die
grossen Nachtlieile mit in den Kauf nehmen. Der Platz, auf welchem
die Messe von Nishnij-Nowgorod abgehalten wird, liegt auf der
flachen Landspitze zwischen Wolga und Oka und wh'd bei hohem
Wasserstande von den Finthen der beiden FlOsse fibersehwemmt, ob-
wohl man sich bemOht hat, durch künstliche Aufhöhimg diesem üebel-
stände abzuhelfen^). Ganz anders verhillt es sich selbstverständlich mit
Flu88vereinigungen in Bergländem; hier sind dicht an die beiden FlOsse
angelehnte Städte häufig und ihre Anlage TortheiUiaft, es genügt an
Pas sau, Co b lenz, Lyon etc. zu eriunern.
Wenden wir nun das Gesagte auf die norddeutsche Tiefebene au,
so dürfen wir nicht erwarten, an den zahlreichen Flussrereinigungen
derselben^) grössere Städte zu finden. Während die Weichsel auf der
0 Verkehr und Anaiedlongen der Hauchen, Dreaden und Leipsig 1841,
Seite 481.
*) Die VorttieHe, iHreldie die Yeoieinigung zweier Flflaae f&r Handel nnd
Srhifftahrt bietet, könn*>n anoli aus einigttr £ntfenimig von der Veretaigongaetdle
fmt ebenso gut verwertliet werden.
*) Peterniann*8 Mittb. 1884, Taf. 8.
*) Man vergl. den .'fchönen Plan der Stadt in Banlekor^ Russland, 1. Aufl.,
S. ;M8. sowie die lehrreicben Ansichten bei Ragosin, Die Wolga, 2. Bd., Peters-
burg 1881, S. 1 u. 120.
^) Die Tin ilung eines Flus8es in mdirere Arme, wie bei der Montaner
Spitze, verhält sich offenbar ganz ähnlich.
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31]
Die ät&dte der norddeutBchen Tiefebene.
12a
deutschen .Strecke au Stüdteu nicht arm ist, bleibt der Montauer Spitze,
dem Trennungspunkt der Weichsel und Xogat, aus gutem Grunde jede
grossere Ansiedlting fem, denn gerade hier ist eine Statte fortwähren-
der V«faridrnmt:eii. die theUs durch die Hochfluthen und Eisgänge, theils
aber auch durch die Bürger der Städte Danzig und Elbing venirsacht
wurden, welche sich in vergangenen Jahrhundei-ten oft Ixniühten, die
in'i'»>>»'re Wassernieiig»- gerade ihrer Heimathstadt zur Hebung des Stroni-
verkehrs zukommen zu lassen, und den Stromai'm des üeguers mich
Möglichkeit Teratopften oder abdämmten. Passarge hat den Kampf
um die Montaner Sjntze in einem interessanten Abschnitt seines der
besseren Reiseliteratur angeh()rigen und durch die hinziigitilgten Quellen-
nachwt isc auch wisstnschattlich verwerthbaren Scliriftchens sehr an-
schaulich l)eschriehen V). Städtelos ist auch <]vv TrHiurnngspunkt der
Danziger und der jetzt fast völlig trockenen Elljiiiger Weu hsel. ()l>glei( Ii
gerade hier ein kleiner Hügel, das sogenannte Danziger Haupt, die Ein-
förmigkeit der Niederung unterbricht. Das Delta des Niemen wird Ton
der Stadt Tilsit beherrscht, Tilsit aber liegt mehr als 10 km aufwärts
10m Trennungspunkt .In- beiden Hauptrunn Ifuss und Gilge.
Warthe und Netze vereinigen sich in einer weiten Bruch- und
Wiesenlandschaft. Es scheint nie ein grösserer Ort hier gelegen zu
haben, wenn aucli das benachbarte Schloss Zantoch eine gewisse Be-
deutung gehabt haben mag*). Es hatte übrigens nur einen wenig
bequemen Wartheaberguug zu decken, mit der Flussvereinigimg als
solcher aber sicherlich nichts zu thun.
Am Zusammenfliuss der Oder und Warthe finden wir die Festimgs-
stadt Kü strin. Festungen siedeln sicli gern an Flussvereinigungen an,
hefsonders wenn die Vertheidigungsfiihigkeit der Gegend durch ^Silmjife,
vielleicht auch durcli die Miitrüchkeit. ein grö.sseres Gebiet vorübergelu nd
unter Wasser zu setzen, noch erhöht wird. So gewimit man einen
guten Stützpunkt für die Vertheidigung, mid der Verkehr auf bdden
itidmen wird Überwacht und beherrscht. Die militärischen Interessen
überwogen stets bei Kflstrin; auch die sechs Bahnlinit n, welche man
hier zusammenführte, um die wichtige Fi stungs^tadt nicht zu umgehen,
werden die Stadt kmnn zu einer für das benachbarte Frankfurt bedroh-
Ucheu Verkehrslirdie ansteigen lassen.
Ganz in dieselbe Kategorie wie Küstrin gehört auch Spandau au
der Spree und Hayel. Bereits oben wurde erörtert, dass die Verkdirs-
strassen der Mark Brandenburg bei Berlin zusammenlaufen mussten;
über Spandau konnten nur diejenigen Handelszüge und Kriegsexpeditionen
gehen, welche in das Havelland selbst eindringen wollten. War aber
die Hedtiitung des I'unktes für den Landverkehr nicht sehr gross, sy
ist die SchiftTahrt auf Havel und Spree doch eine lebhafte iin<l die
Sicherung dieser Flüsse durch eine pa.ssend gelegene Festung sehr an-
gezeigt. Wie alle Städte, welche auf beschränkten Bauplatz angewiesen
und dazu noch Ton Festungs wällen umgeben sind, besitzt auch Spandau
Passar^^e. Aus dem Weichi<eldelta, Berlin 1657, S. 224 IT»
*) Sadowski, Handelastrassen, S. 12.
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124
Hahn.
[32
ziemlich entfernte, weitliiutige Vorstädte, namentlich gegen Norden und
gegen Südosten, wo der häoaer&eie Raum zwischen denselben und
den westlichen Erweiterungen von Charlottenburg immer kleiner wird.
Der€kdanke Iit-<rt nahe, dass einst Spandau gleichsüm mir die Citud eile
des grossen imter dem Namen Berlin zusammengefassten Städtecomplexes
sein wird.
An der Elbe sehen wir uns verirehlich nach Flusf>mündungst!iihtMi
um. Die Havehnündung i.st von Havclberg weit entfernt, die klenie
Stadt Werben, aber, welche der MOndung gegenüber am linken SSb-
ufer, wenn aucli nicht unmittelbar am Strom hegt, ist nur eine Rand-
statlt (vgl. den nächsten Abschnitt) und steht zur Havelmündung kaum
in Beziehung. Auch an der Mündung der Saale, welche von grossen
Wie<ontlächen niriijel»en wird, liat si( h Ivcinc grn«Jsere Ansiedlung ent-
wickt lt; selbst I )r)rfer fehlen in unniitt» ll)arrr Xälic des Zusammenflusses.
An der Mündung der Mulde linden wir in KÜnsiiger strategischer
Lage die kleine Stadt Rosslau, der wohl zumeist die Überwachung der
SchiffiPahrt auf den beiden Flüssen oblag; sie lehnt sich an den Rand
des schon zum Fläming aufsteigenden Hügellandes. Das benachbarte
Dessau ist nur als lirückenstadt der Mulde zu Ijetrachten; bei eigener
Durchwanderung der (iigt iid sowie auch mit Hülfe guter Karten ent-
deckt man baM, dass der von Ost nach West gehende \ erkehr die
Mulde am vortheilhaftesteu bei Dessau kreuzte, da man unterhalb rasch
in das Gebiet der ElbQberschwemmuugen, oberhalb ftir eine Strecke
von mehr als 15 km in eine gleichfalls sumpf- und waldreiche Gegend
gelangte'). In neuester Zeit ist aber bei Des-au ein wirkliclu r Miln-
dungsort im Entstehen, dies ist Wall witzhafen, etwa halbwegs
zwisclien Dessau und Kosslau sehr günstig an der Elbe, einem Mün-
dungsarm tb r Mulde und der Eisenbahn gelegen. Wie weit sich das
niedrige Deituland liier zur Anlage eines grösseren Wohuplatzes eignet,
muss tinh allerdings noch zeigen.
Die Weser verhalt sich nicht anders wie die grösseren östlichen
Ströme. Die Allermündung ist als städtelos zu betrachten, da Verden
sich ähnlich zu Aller und AVeser stellt wie Dessau zu Mulde und Elbe.
Es liegt auf einem äliidichen Geestrncken wie Bremen an der alten
Handelstrasse von Bremen nach Minden ^). Von ö<ler Gegend ist die
Mündung der Leine in die Aller umgeben, ebenso städtelos ist der Eintiuss
der für den Handelsverkehr älterer Zeit nicht unwichtigen Oker. Nur ein
Dorf Namens Müden findet sich hier, dessen Name, angeblich die platt-
d« iitsche Form für Münden, noch an mehreren Flussmündungen wieder-
kehrt, wie z. B. an der Vereinigung von Wietze und Oertze nördlich
von ^'<1I<'. Diese letztere Allerstadt bezeichnet einen >nchtigen Fluss-
übergang, dann abt-r auch einen für die Vergangenheit wichtigen Scliiff-
fahrtsab.schnitt, indem hier die Aller durch die Fuse und die Lachte
eine namhafte Verstärkung erfährt. Für die neuere Zeit hat dieser
') Im 30jiihrig*'n Kriege fanden wicbtiffe Kämpfe an der Dessauer Brücke statt.
*) Vgl. über die bu^'e von Verden: Gnthe, Die Lande Brannachwmg und
Hannover, Hannover 1807, S. 129.
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33]
Die Städte der norddeutschen Tiefebene.
125
Abschnitt il»'r Schitt'Uaikcit seine Bedeutung fast völlig verloren. Aus
diesem Grunde, dann aber auch in Folge staatlicher Veränderungen ist
Celle gänzlich hinter Hannover zurUc^eblieben. An der Ems finden
steh zwei StSdte, die zu einmündenden >iebeüflassen in Beziehung stehen
könnten, nämlich Meppen und Leer. Jedoch sind sowohl Hasse
als Leda nicht von solclier Wichtigkeit, dass man ihrer Mündung eine
grosse Anziehinigskratt in dem sonst menschenarmen Lande zuschreil)en
könnte. Es ist vielmehr auch hier ein längs der Ems verlaufender
Düuenzug, welcher bequemes Vordringen nach Norden eruKigliclitu und
den Ort des Haaseflberganges bestimmte. Hanptstrasse* und Eisenbahn
folgen ihm auf weiter Strecke. ' Bei Leer finden wir bei näherer Be»
trachtung, dass die Stadt gar nicht an einem der beiden sich hier ver-
einigenden Flüsse liegt, sondern vielmehr auf einer kleinen Erhöhung zwi-
>' li»'n den F'Iüsseii. W ahrscheinlich hat die gesicherte Lage dieser Anhöhe
zuerst die Blicke auf sicli gezogeu. Guthe (a. a. 0. S. 21)0) l>elehrt uns
zudem, da.ss die Bewohner von Leer bis zur Mitte des vorigen Jahr-
hunderts kaum Gebrauch von der vortheilhaften Position ihrer Stadt
nahe an der Grenze der See* imd Flussschifffahrt gemacht haben und
das8 gerade der älteste Theil der Stadt am fernsten von den Flussufem
liegt. So erwies sich auch hier die Flussrereinigung nicht als bestimmend
lur die Entstehung einer Stadt.
Am deutschen Niederrhein endlich sehen wir in der Fe.stimg
Wesel au der Münduiig der Lippe noch einmal ein Seitenstück zu
KOatrin und Spandau. Wesel ist eine echte, den Einfluss des bedeuten-
den Nebenflusses beherrschende Festungsstadt, hat aber daneben auch
maunichfache Industrie sowie Antheil an der Rheinschifffahrt. Hier
wie in Küstrin kreuzen sich sechs wichtige Bahnlinien innerhall) des
Festungsrayons. Kuhrort wäre trotz der nahen Einmündung dei- Ruhr
» in unbedeutender Ort geblieben, wenn nicht die Verschitfung der reichen
Kolilenschätze des iiuhrbeckens hinzugekommeu wäre. So stieg die
Einwohnerzahl der Stadt von nur 1443 im Jahre 1816 auf 9130 im
Jahre 1880. Ruhrort hat jetzt den grdssten Flusshafen des deutschen
Beiches, und vielerlei Industrien und Transportgewerbe haben sidi in
dem gewissermassen mit den englischen Städten Sunderland und Shields
zu vergleichenden Kohlenhafen entwickult.
Auch die Krümmungen gni^serer Flüsse haben im Tief lande
nicht denjenigen Eiufluss auf die Städtelage wie im Berglande. Im
Berglande finden wir sehr häufig starke Flusskrümmungen von Städten
eingenommen, ich erinnere nur an die Stadt Bern auf ihrer von drei
Seiten von der Aare umströmten Halbinsel Das benachbarte Freiburg
nimmt an der Saane eine ganz ähnli< In Lage ein. Es sind vorzugs-
weise Bücksichten auf die Sicherheit, weiche eine solche Wahl bestimmen
') Alf» eigentlich*' liiim- iii;n'iize de.-i Seevorkelu> kann Ixvsser Papenliur g
beseichnei werden.
*) Etwas unterliiill» H.'ins -rlineiilt t Aare eine nocli j^rössere auftiill irrere
Hnlbiut«el heraus, welche aber, wie man leicht sieht, ihrer unregelmä.s.«jijfen Form
halber weniger zQ einet Stadtanlage geeignet, auch weniger gesichert war, als die
Halbinsel von Bem.
Foracliiuigen nr drataehen Landn* und VoUukuode. LS. 9
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126
Hahn,
[34
können. Ffir den Verkehr kann eine Lage wie die von Bern kaun
ab gOnsdg bezeichnet werden: die Strassen können die Stadt nur anf
einer Seite bequem erreichen, auf il* n ainlt ich sind sie zu bedeuten-
den Brüc'Venbauten gezwungen. Die Ei.seiibalnien nähern sich fast alle
der Stadt Bern nur auf «grossen Umwe^'en. da man sich nicht ent-
8<liliessen konnte, die Aare «itter als einmal für Eisenbahnzwecke zu
überbrücken. Dieser Umstand hat es luitveraulaäst, dass die Buudes-
kauptstadt Bern nicht ein so bedeutender Bahnknoten geworden ist wie
Ölten, Solothum oder Biel.
Im Flachlande treffen nun die Stiulte an den Flusskrünimungen
dieselben Nachtheile wie im Berglande, ohne dass sie dafür die Vorzüge
einer besonders gesicherten Lage gent'issen. Daneben ist noch der oft
mangelnde gute Bau^niind, die an den Krünmnnigen besonders grosse
V eränderlichkeit der Flüsse u. s. w. in ganz ähnlicher Weise wie bei
den FluBsrereiniguugen in Anschlag zu bringen. Die Erscheinung, dasa
Flusskrttmmungen im Tieflande der Städte ermangehi, ist denn auch
in Norddeutschland eine so allgemeine, dass es gar nicht nothwend^
erscheint, »lie deutschen Flüsse in dieser Hinsicht einzeln zu besprechen.
An allen Flüssen der Tiefel>ene werden die gerade verlaufenden Strom-
strecken den stark gekrümmten gegenülx r eiitsi Iiieden bevorzugt. Die
einzige wichtigere Ausnahme ist die ganz moderne (irossstadt Düssel-
dorf am Rhein, welche an der convexen Seite einer gröaseren ErOm-
mung liegt. Das Aofblohen Dflsseidorfs, anfänglich durch politische
Verhältnisse veranlasst, hängt in der neueren Zeit mit der Entwicklung
des Elberfeld-Dortnmnder Industrie- und Bergbaubezirkes zusammen.
Für diesen öffnete sich in dem Thal der Düssel. welches bei Vohwinkel
nur wenige Kilonieter vom Wupperthal entfernt ist. nelxii der Ivnlir
ein zweiter leidlich bequemer Ausgang nach dem iÜiem, deu eine der
iUtesten deutschen Eisenbahnen (DOsseldorf— £iberfeld) benuiste. Hit
der Gestaltung des Rheinlaufes auf der Strecke von Cöln bis zur
Ruhrmündung hat Düsseldorfs Aufblühen wi iiig zu thun.
Sehr charakteristisch ist es dagegen, dass dla, wo die norddeutschen
Flüsse in tief eiliges* linittenen vieli/ewnndenen Tliälern fliessen und sich
dem Charakter der Hergflüsse niilu rn. auch sotort an Bern erinnernde
Halbinselstädte auftreten. Diiis ist der Fall bei dem ostpreussischen
FlusB Alle. Schon im Pregeithale fallt uns auf, dass die Stidte Tapiau
und Wehlau entgegen unserer Mher erörterten Regel hart an Fluss-
vereinigungen resp. -theilungen liegen; wir sehen aber sofort, dass der
Pregel von ziemlich steilen Höhen rändern eingefasst wird, jene Aus-
nahmen daher ifanz wohl begründet sind. Gehen wir an d(^r ^VUe
liiiiiuif. so erblicken wir bald die Stadt Alienburg in sehr benierkeiis-
werilier Lage auf einer etwas erhöhten Halbinsel, welche im Westen
Ton der Alle, im Süden gleieh&Us von der Alle und dem hier ein-
mündenden Omet, im Norden von der Schweine begrenzt wird. Nur
im Osten bleibt ein sehmaler Zugang offen, auf den verschiedene durch
Omet und Schweine eingeengte Strassen uiul Wege, die aus dem Osten
kommen, hinfiihren. Auf einer ähnlichen Halbinsel des linken Ufers,
die durch einen Bach noch schärfer herausgehobi u ist, liegt die Stadt
Fried lau d, noch weiter aufwäi-ts wieder auf dem rechten Ufer
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Die Städte der norddeutschen Tiefebene.
127
Schippen beil. dieses besonders an Bern erinnernd. Auch bei Schippen-
mündet ein Seitenfluss, der Guber, in die Alle. Bartenstein,
Heil.sberjj; und Gutstadt i^ind weniger auffallend, dagegen ist wieder
Allensteiu auf einer Flusshalbiusel angelegt, aber später daiüber hinaus-
gewachsen. So zeigt sich an der meist zwischen hohen Ufern fliessen-
den, emem Tieflandsstrom wenig ähnliehen Alle sofort jener Einflnss
starker Stromkrümmimgen , der hei den Ohrigen StrOmen unseres Ge-
hietes yermisst wird.
Zweiter Abschnitt*
Wenn auch eigentliche Gebirge m unserem Gd»!' fe nicht vor-
kommen, so fehlen beträchtliche Höhenunterschiede doch keineswegs.
Völlige Ebenen sind sel]>st in den Kilstengegenden nicht sehr häutig,
nur etwa die Marschen, die Mündunj^s^eluete der Weichsel und des
Niemen, sowie einzelne Striche Vorpommerns können als solche an-
gefbhrt werden. Aber auch die Marschen werden von einzelnen Geest-
hügeln unterbrochen, das Niemendelta hat zerstreute sandige, f&r die
Besiedeluug nicht unwiclitige Reihen aufzuweisen, und im Weichseldelta
macht sich von den beiden Hauptstromrinnen der Weichsel und Nogat
an< eine leichte Senkung des Bo(lt>ns nach der iMitte d'-r Niederung
benierklcir. wo die ^^ asserläufe T i e g e und Sc Ii we ute su li entwickelt
haben. Diese Senkung erklärt sich unschwer durch die grössere An-
häufung der Sedimente in der Nähe der Hauptarme.
Zwei grosse Landrücken durchziehen das norddeutsche Tief-
land, welche man früher wohl als den uralisch -baltischen und den
aralisch-karpathischen Höhenzug, jedoch ohne innere Berechtigung, be-
zeichnete. Sie sind nicht so geschlossen , wie sie die älteren Karten
darstellen, zerfallen vielmehr in » ine Heilie einzelner Landhöhcn, welche
durch Thäler und oft nicht unbedeutende Niederungen von einander
getrennt sind), so dass Flüsse und Kanäle die beiden Züge kreuzen
können. Der sQdliche Zug, den wir im weitesten Sinne vom östlichen
Oberschlesien bis zur Wingst bei Cuxhaven verfolgen können, ist häu-
figer und stärkt r unterbrochen als der iK'h-dliche, welcher in Masuren
in das Reich eintritt, um dann di( Ovtsi elüTuler l)is Nordschleswig und
über dif* Keichsgrenze nach .lütiand hinein zu durchziehen. Ausserdem
unterscheiden wir noch Höhen zwi.schen dem nördlichen Zuge und der
Ostseeküste, Hohen zwischen beiden Zügen und endlich Höhen zwischen
dem sfldlichen Zuge und dem deutschen Hittelgebirge. AUe diese Höhen
treten meist als Landrücken, als niedrige Plateaus auf; eigentliche Hügel-
gruppen finden sich selten, wirkliche kleine Ketten noch seltener. Die Be-
ziehungen, welche zwischen diesen Erhebungen und der Vertheilung der
Städte obwalten, lassen sich nun leicht auf wenige Hauptsätze zurückführen.
Zunächst ist zu merken, dass eine Aldiiingigkeit der Städtelagen
TOn einzelnen Berghöhen, wie sie in Mittelitalien, Sicilien und Griechen-
land so oft zu beobachten ist, in Korddeutschland nicht vorkommt.
In jenen Ländern suchte man der Sicherheit halber gern sdiwer zu-
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128
Hahn,
[36
»fiintjliclie und ol)en geringen luiuni bietende Berge aut und nahm die
gru.sseii isuchtheile, welche mit einer solchen Lage yerknüpft sind, in
den Kauf; im nördlichen Deutschland sind auch die wenigen jenen
italienischen Beiden etwa zu vergleichenden Hügel unbenutzt geblieben,
da sich auf Flussinseln, zwischen SUmpfen. und besonders an den bald
zu besprechenden Landscen strategisch günstige Positionen in mehr
als genügender Zahl l>oten.
Betrachten wir aber die Scheitel der langgestreckten nord-
deutschen Höhenzüge, so werden wir bald wahrnehmen, dass die Ver-
theilung der Städte auf denselben durchaus keine gleichmassige ist.
Sehr stadteann ist im Ganzen der südliche Zug; auch die Dörfer
liegen hier in weit grössere Abständen als auf dem nördlichen Rücken.
Der Grund dieser Erscheinung scheint mir darin zu liegen, dass der
südliche Zug im Allgemeinen wasscrärmer ist und namentlich der zahl-
reichen Land Seen des nördlichen so gut wie völlig entbehrt. Der
südliche Zug stellt sich meist als ein Terraiulundeniiss dar. das mau
seiner Wasserarmuth imd seiner Sandstrecken halber möglichst rasch
durchzog, wo auch kein besonders wichtiges Bodenerzeugniss, kein
zur Vertiieidigung oder Deckung eines wichtigen Passes geeigneter
Terrainabschnitt zur Ansiedlung und zum Verweilen anlocken konnte.
So fehlen Städte völlig auf dem iiücken des Fläming. Alle an
diesem Hr)1irnzuge vorhandenen Städte liegen bei genauerer Betrach-
tung nicht aut der Höhe, sondern schon an den Abhängen, es sind
Randstädte (s.u.), wieZiSsar, Beizig, Zahna, Seyda, Jüter*
bog, Dahme, Luckau un'd manche andere. Der sogenannte Lausitzer
Grenzwall, die östliche Fortsetzung des Fläming und das schlesische
Katzengebirge verhalten sich ganz ül)ereinstimmend.
Ganz besonders arm an Städten und überhaupt grösseren Wohn-
plät/.en ist das Innere der Lüneburg er Haide. Ks ist auch wenijjf
Aniass zu einer grossen Verdichtung der Bevölkerung hier gegeben,
da der durchschnittlich nicht reichlich lohnende Boden und namenÜicfa
der grosse Bedarf an Haide zur Streu für den einzelnen Besitzer ein
grosses Wirthschiiftsgebiet zur Xothwendigkeit macht Dazu kommt
auch wohl noch die in der nordwestdeutschen Bevölkerung verbreitete
Abneigung gegen stäiltisdie Bauweise. Indessen wäre es nicht richtig,
da, wo wenig Städte liegen, auch Mangel an gesclilossenen Dörfern zu
erwarten: gerade die Landdrostei Lünel>urg hat geschlossene Dörfer
und wenig Städte, das MOnsterland dagegen Einzelhöfe und daneben
ziemlich zahlreiche kleine Städte. Die an Städten ärmste Haideland-
schaft wird durch eine die Städte Hotenburg, Soltau, Walsrode, Hude-
milhlen, Celle, Gifhorn, Brohme, Wittingen, Salzwedel. Lüchow. Dannen-
berg, LünelHirg. Win^'-n . Hnrburg. iiiixtehndc . Harsefeld und Zeven
verbindende Linie umschrieben, in diesem grossen liaume liegt nur
') Ueber den starken Verbrauch il-r ll iido Ter^. das für die Kenntniss
der Lüneburger Haide überhau{)f \vi(litiLr.' \\frkrbcn von W. Peters. Die Heid-
fläclien Norddeutschlanda, j^ekrönte l'rei.sschritt, Haunuver 1862. Uebrigens werden
die Verhältniflse dieser Haidegegenden in vielen Schriften mit zu grellen Farben
geschildert.
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37]
Die St&dte der 'norddeatBchen Tiefebene.
129
die Stadt Uelzen an der Ilmenau. Die Position von Uelzen ist
jjeo^rraphisch kaum zu het^lnden; eine Thahvcitung der Ilmenau, von
der initlie a. a. (). S. 'J5 spricht, ersclieint in dmi aiicli sonst iM quem
zugängliihen Thal dieses Flusses nicht so wicliti^^. um finr ^M<'>s«<cre
Ansiedluut' heruiizuzielieu. Immerhin i&t es bemerkeuswurth, da-ss das
Thal der fimenau nicht nur im Mittelalter, sondern auch heute von der
wichtigen Route Hamburg — Frankfurt a/M., einer der bedeuteamsten, die
es in Mitteleuropa giebt, durchzogen wird. Jetzt wird diese Eiseiihahu-
»trasse in Uelzen von der von Stendal nach Bremen führenden gekreuzt,
welche die Haide, olnu- sich an 1)estimmte Bodenwellen oder Gewässer
anzulehnen, ziemlieli gt-radlinig durchzieht.
Nicht so umi'angreich ist ein in seiner Naturbe^chaÖ"enheit sehr
ähnliches stSdtdoses Gebiet in Holstein, also auf don nördlichen Hdhen*
zuge. Es liegt zwischen Hamburg-Altona, Oldesloe, Segeberg und den
heiderseitigen KüstenstUdten . Nur N e u m ü n s t e r und K e n d s b U r g
finden sich hier. Letzteres ist t ine übrigens nicht bedeutende Brttcken-
stadt an der Eider, welche ursprünglich auf zwei Eiderinseln lag, .sich
dann aber nach beid«'n l'fern des Flusses ausgclireitet hat '). Bis zur
Mitte unseres Jahrhunderts galt Kendshnrg als starke Festung. 2seu-
mttnster liegt weder an einem wichtigen Uebergangspunkt noch an
einem Terrainabschnitt in einer ziemlich einförmigen, Haidecharakter
tragenden Ebene. Die Stadt ist um ein wichtiges Klonter entstanden;
dass später hier Avichtige Handelsstrassen zusammentrafen, hat sie keinen
Besonderheiten ihrtr Lage, sond»'rn nur dem Unistande zu verdanken,
dass auf dem menschen- und d<»rtarmen Haidt riU ken ein Stützpunkt,
wie ihn das Kloster und der um dasselbe entstandene Ort bot, schon
an sich gern benutzt und von den Handelswegen (Lübeck — Dithmarschen
und Hambuig— Kiel) aufgesucht wurde. Jetzt ist Neumflnster der wich-
tigste Bahnlmoten der ganzen cimbrischen Halbinsel geworden, sechs
Linien vereinigen sich hier.
Ganz andere Erscheinungen tiiiden wir auf dem bei weitem grös-
seren seenreichen Theil des nördlichen Höhenzuges. Die Seen,
dereu Gestalt meist eine sehr unregeluiässige ist, boten zalilreiche, sich
wenigstens durch ihre Sicherheit empfehlende Bauplätze ; auch der Fisch-
reichthimi vieler derselben mag häufig anziehend gewirkt haben. Später
fireilii h. als die RUcksicht auf die Sicherheit nicht mehr überwog, litten
gerade die Seeorte schwer unter ihrer nun hervortretenden ungünstigen
Verkehrslage. Chau<s.'en und Eisenbahnen konnten die versteckt ;nif
Halbinseln oder Insehi gelegenen kleinen Städte nur schwer t rn i( lu n.
Bei der grossen Anzahl der Seen, der auf weiter Strecke gleichturmigen
Bodcnbesehaffenheit des Landes und dem Mangel an besondei» wiSeh-»-
tigen, anderen Gegenden fehlenden Producten gab es für eine solche
kleine Seestadt wenig Möglichkeiten, eine grössere Bedeutung als viele
benachbarte zu gewinnen. Diese Städte blieben deshalb früh in ihrer
Entwicklung stehen, und manche haben an Einwohnerzahl sogar ver-
') Auülübrlicb dargeätellt bei Schröder, Topographie der üerzogtbümer
Hobtein and Laneaburg, Oldenbmrg in Holstein 18^, Bd. 2, S. 886.
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130
Hahn«
[38
loren, da die Masse der Bevölkerung sich lieber den lohnenderen Erwerb
versprecheudeu Gros.sstädten zuwendet Schon Bergbaus bat in seiner
Scbildenmff der Stadt Teupitz*) ^esen Städtetjpus treffend charak-
terisirt. Teupitz hatte 17r>0 nur 258, 1800 erat 372, 1850 530 und
1880 immer erst Gl :> Kiuwohner; von 1750 — 1800 wurden nur 6, Ton.
1800 — l^oO ^ar nit ht ein einziges Haus neu f(el)aut. Dabei ist Teupitz
noch durch die schüi'bare Verbindung' seines Sees mit der Thilime
und hierdurch mit der Spree etwas günstiger gestellt als viele andere
Seeorte.
Es lassen sich nun unter diesen Seeansiedlungen folgende Typen
unterscheiden :
1 . Die Stadt liegt am Ende eines länglichen Sees, gewöhnlich da,
wo der Ein- oder Ansfluss des den See ])assirenden Wa^serlaufes sich
befindet. Viele Seen der norddeutschen Seegebiete haben gegen 'früher
au Umfang sehr verloren, die Stadt liegt deshalb häuhg jetzt von
dem Ende des Sees etwas entiernt, oder es ist auch der ganze See
trocken gelegt worden und erloschen, so dass seine Stelle nur noch
durch eine Wieseniläche bezeichnet wird
2. Die Stadt liegt auf einer Halbinsel, welche entweder in den
See liinein vorspringt oder durch zwei in das Land eingreifende schmale
Bui hteii (K s Sees gel)ildet wird. Zuweilen hegt auf der Halbinsel —
welche oit nichts ist als eine durch Anschwenimung oder künsthclie
Verbindung iandfest gewordene Insel — nur das Schloss oder das
Kloster, an welches sich die spätere Stadt anlehnte, wahrend die
Häuser der Stadt verschiedene Punkte des Seeufers in der Nachl^ar-
ßchaft besetzen. Dadurch entstehen weiträumige Ortschaften, welche
mit ihren durch fiärten und Felder unterbrochenen Strassen weit mehr
Platz einnehmen, als man nach ihrer geringen Einwohnerzahl er-
warten sollte.
3. Die Stadt liegt aul einem Isthnms zwischen zwei Seen. Die
Zahl der Seen ist so gross und sie liegt n oft so dichtgeschaart, dass
dieser Fall keineswegs zu den seltenen gehdrt. Offen])ar wurde hier
die Vertheidigung besonders erleichtert; wuchs aber die Stadt an, so
bildete sie eine langgestreckte, oft sehr scluualf. nur von einer oder
•zwei Strassen gebildete Häusernienge, welche schw ci' zu Ul)ersehen und
von den jenseits der Seen belegenen Acker- und VV'eidestücken oft weit
entfernt war.
4. Die Stadt kann endlich ganz auf einer Insel des Sees (oder
seeartiger Flusserweiterungen) liegen. Dieser Fall ist nicht selu* häufig,
da die rein insulare Lage der Stodt sehr bald fOhlbare Unbeqaemlich-
Landbuch der Maxk Brandenburg, Bd. 2, S. 524. Tenpitx liegt allerding«
nicht auf dem nnrtllirhcn Höht'nzug'e, sondern in einer Senkung am Niirdrando des
südlichen (im Kreise Teltow), kann aber ganz gut a\s Beispiel einer solchen zurück-
gebliebenen Seeansiedlung gelten. In PreuMen, Pommern und Mecklenburg fehlt«
C8 nicht un Seitenstfidcen sn Teupiti, wenn anch die neueste Zeit hier vieles ge-
bessert hat.
') Bei grösseren Seen liegt auch wohl an jedem Ende eine Stadt. Gans
kreisf&Timge Seen, bei denen jeder Punkt des Ofen dch gleich gut cur Besiedelung
«ignety sind bei uns sdir selten.
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39]
Die Stildte der norddeutschen Tiefebene.
IBl
keiten mü sich brachte und auch die Sicherheit dann eine fragliche
war, wenn sich der Soe mit Eis ühorzot;.
A\ as Kolli über die Aiisiedhiiiixeu an Landseen mittht ilt. ist für
uns ohne Bedeutung, da Kohl nur grössere Seen und liiinieunieere
heranzieht Nur beiläufig bemerkt er S. 3U8 , Aum. 1 , dass auch
kleinere Seen der malerischen Lage oder auch der durch sie gewährten
leichteren VerÜieidigung gegen Feinde wegen oft stark um])aut werden.
Wir können nicht jeden nonhleutschen Landsee hier besprechen,
nur einige besonders charnktoristisrlio Seeiref^enden sollen kurz erörtert
Averden. Die Landschaft Masuren ist durch ihren Heichthum an
Laudseen der verschiedensten Grösse und Gestalt ausgezeichnet. Die
vorhandenen Städte zeigen sich eng an die Seen geknüpft. Zwar liegt
nicht an jedem See eine Stadt, das w&re bei ihrer ^prossen Anzahl nicht
möglich, wohl aber liegt hier fast jede Stadt an einem See. Die Stadt
Johannisburg entspricht dem ersten der aufgestellten Fälle, sie
liegt kaum 1 km von dem starkgemmdenen Warschausee. gerade da,
wo der l*ischekfluss denselben verlassen hat: der Zwischenraum zwi-
•schen Sta<lt und Sre wird von sumpfigem Wiesenland eingenommen.
Auch die benachbarte kleine Stadt Jiialla hat eine ähnliclie Lage wie
Johannisburg; der flache Sumpfboden nördlich von der Stadt, durch
wdichen sich mehrere Dämme als Winterwege nach dem auf einer höheren
Stelle inselartig liegenden Dorfe Oblewen ziehen, kann nur als ein altor
fcseegrund aufgefasst werden. Die Stadt Lyck liegt am gleichnamigen
See an der östlichen Langseite. Auf einer Insel im See, der Stadt
gegenüber, tindet sich das Scldoss Lyck. und im Anschluss an dieses
ifet die städtische Ansiedlung entstanden, welcher die Schlossinsel gleich-
zeitig einen Ueberffang über den See gewährt Schmale, langgestreckte
Seen verhalten sich in ihren Einwirkungen auf die Besiedelung ofl wie
breite Flüsse. Wir bemerken noch die Stadt Oletzko auf einer Hoch*
fläche zwischen dem grossen (>let/.ko»*r See und dem Thale des kleinen
Flusses Lega; fenier das ganz besonders interessante Lotzen auf einem
Isthmus zwischen dem Löwentin- und dem vielverzweigten Mauersee.
iJer Isthmus von Lotzen ist einer der wichtigsten Zugänge in das öst-
liche Masurenland, da sfidlich Ton ihm ausgedehnte, mit Seen unter-
niLsdite Sumpfwälder, nördlich eme Reihe grösserer Seen namentlich
den Marscli von Trttp])en erschweren. Die Landstrasse von Königsberg
nach .I(i1i;uinisburg und der russischen Grenze, sowie die Eisen]>ahn
Ton Königsberg nach Lyck (und weiter nach dem südwestlichen Kuss-
land) benutzen diesen Pass. dessen Bedeutung durch die Festungswerke,
welche die Höhen nordwestlich von der Stadt bedecken, noch erhöht
worden ist.
Eine langgestreckte Kette meist schmaler Seen sdeht sich rou
der kleinen Stadt Klieiii nach Süden bis weit in die Johannisburger
Haide hinein. Die Stadt Rhein ist auf dem Isthmus zwischen dem
Nordende dieser Seegruppe und einem kleineren isolirten See zu l)eiden
Seiten des Terbindenden Gewässers erbaut, also gleichzeitig Brücken-
*} Verkehr nnd Anriedlimgen, S. 301 ff.
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132
Hahn,
[40
und Isthmusstadt. Noch aulttilli^er ist die Lage von Nikolaikcn zu
beiden Seiten des hier stiu'k verschmälerten Sees. Viele Strafji<en und
Wege führen Ton beiden Seiten auf diesen Uebergaiig>puiikt zu.
Gleichfalls zwischen zwei langgestreckten Seen liegt Sensbnrg
an einem wichtigen Strassenfibergang, der aber doch unbequemer zu
erreichen ist als der Pass Ton L(")tzen. Weiter nu rkeu wir uns noch
die Seeorte Orteisburg und Passenheim. I>er schninle See, an
welchem Ortelshurg sich lang hinzieht, ist in der Mitte durch eine
Brücke überschritten. l*assenheim liegt nicht auf der »ehr charakten-
stisclieu, weit in den Kalbensee vorspringenden südlichen Halbinsel»
sondern im Hintergründe einer Bucht; die Halbinsel scheint -sich wegen
ihres unebenen Bodens weniger zur Stadtanlage geeignet zu haben ala
ähnliche Terrainformen bei vielen anderen Seen.
Weiter westlich wandernd tretfen vnr an der Orenze von Ost-
und Wcstpreusscii mehrere Städte des Halbinseltv|)us. So ist l)eutsch-
Eylau auf einer Halbinsel in den oberen Geserichsee hinau>>gebaut
Riesenburg und Stuhm haben Isthmen zwischen zwei Seen sehr
geschickt benutzt Namentlich Stuhm war eine' wichtige Burg der
Ordensritter, um welche sich die Stadt angesiedelt hat. Viele der
kleinen ost- und westpreussi<( hen Städte sind im Anschlttss an die
Ordensburgen entstanden, die ( h densritter haben die Terrainverhältnisse
des Landes für ihre Burg- und StUdtegründungen meist sehr glücklich
benutzt und die am meisten gesicherten und zugleich die Verbindimgeu
beherrschenden Stellen rasch herausgefunden.
Versetzen wir uns Ton hier^ um dieses Kapitel nicht zu sehr aus»
zudehnen, gleich in die Seelandschaften Mecklenburgs, so finden wir
dort die Seeorte des ersten und dritten Ty}ius besonders zahlreich ver-
treten. Da liegt Wesenberg am Südende des Woblitzsees, Mirow
und Woldegk, das erste am Südost ende, das zweite an der Westseite
von Seen, deren Spiegel in historischer Zeit viel an Umfang verloren
haben. Neustrelitz lehnt sich an die Ostseite des Zierkersees, eines
der wenigen fast runden norddeutschen Seen. Vielüiush sind die mecklen-
burgischen Seeorte zugleich BrUckenorte ftlr die aus den Seen kommen-
den Flüsse.
So liegt der wichtige Strassen- und Bahnknotenpunkt Xeubranden-
bürg kaum einen Kilometer vom unteren Ende des Tollensesees am
gleichnamigen Fluss. Da unterhalb der Stadt sein* bald wieder Sumpf-
und Bruchland im ToUensethal beginnt, war der Pass von Neubranden-
burg für die von Ost nach West Mecklenburg durchziehenden Routen
gar nicht zu umgehen. Auch die Stettin— Hamburger Bahnlinie hat ihn
aufgesucht. Verfolgen wir diese Linie in der Kichtung nach Hambui^,
so treffen ^vir bald die Stadt Malchin in ganz ähnlicher Lage an der
Peene zwischen dem Malcliiner und dem Cummerower See. Auch der
Pass von Malchin ist schwierig zu umgehen. Wir merken noch Plau
am Austritt der Eide aus dem grossen Plauer See, Goldberg am
Ausfluss der Hfldenitz aus dem Goldberger See und Malchow an einer
schmalen Stelle des Malchower Sees. Letztere Stadt hat nicht nur eine im
See liegende Insel besetzt, sondern sich auch noch auf beiden Ufern
ausgebreitet
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41] Die Stftdte der norddeutschen Tiefebene. 13S
ZuLlreidu' intM klt nbiirgische Städte haben sich an mehrere nahe
bei einander litgeiide Seen angelehnt. Fürstenl» erg Hegt auf einem
Tou der Havel in mehreren Armen von West nach Ost durclizogeueu
lithmus, welcher östlich vom Baalensee und Schwedtsee, westlich yom
Röbüiisee begrenzt wird. Die Landstrasse und die Berlin-Strakunder
Eisenbalm benutzen diesen Päse, un da^ nach Ost und West hier ganz
besonders entwickelte Seengebiet zu durchschneiden'). Penzlin (west-
lich vom Tollensesee) beherrscht einen ähnlichen Pa.ss inmitten von
mh'i kleinen Seen. Auch Waren am Nordende des Müritzsees ist
zwi^clien die>en und einen nördlicheren kleinen See eingeschaltet. Da
der Müritzsee den Wegen ein so grosses Hindernis« entgegenstellt,
dringen sich dieselben um so mehr an seinen Spitzen zusammen, und
so ist auch Waren ein Strassenknoten geworden, imd in allernächster
Zeit wird es einer der wichtigsten Brenninmkte des sich jetzt stark
tergrofisemden mecklenburgischen Eisenbahnnetzes werden.
Mit Uel»er<rehung einiger l^leinerer Städte erwähne ich dann noch
Schwerin, weh hes östlich an den grossen, sonst al»er städtearmen
Schweriner See grenzt und westhch, südlich und nördlich von einer
ganzen Kette kleinerer Seen, die zum Thefl von den Häusern der Stadt
oocb berOhrt werden, umgeben wird. Diese Seen sind der Faule See,
der westlich dur( h ein sumpfiges Thal mit dem langen schmalen Neu*
mOhler See verbundene Ostorfer See, der Lankow er See, der
Medeweger See. der Ziegelsee und der Heidensee. Der Ziegelsee
flrinsrt mit einem Golfe, (h in IMatFenteich, und der SchAveriner See mit
dem Buig&ee und dem sogenannten Beutel noch besonders tief in das Stadt-
gebiet ein. Das Schloss entstand auf der Insel zwischen Schwerinersee
und Burgsee, der älteste Theil der Stadt zwischen dem Burgsee und
dem Pfaffenteich. Die Lage war für die Yertheidigung eine imgemein
günstige, die um das ganze Stadtgebiet sich herumziehenden Seen»
welche die Stadt wie eine Inselstadt erseheinen lies-^^eii. haben jedoch
Schwerin verhindert, ein ebenso wichtiger Strassen- und Bahnknoten
zu werden, wie manche kleinere Stadt des mecklenburgischen Landes.
Halbinselstädte giebt es im Gebiet der mecklenburgischen Seen-
platte nicht Tiele, erwähnenswerth sind nur etwa Dob bertin am
Dobbertiner- und Röbel am Müritzsee.
Höchst auffällig ist dann wieder die Lage von Ratzeburg. Der
Keni der Stadt befindet sich auf einer grossen Insel des Ratzeburger
Sees. Vorstädte liegen auf dem ö-tlidien und dem früh besiedelten
Westlichen LTfer, von letzterem aus streckt sich eine Halbinsel der Stadt-
insel entgegen. Man beachte auch die Lage des nahen Mölln auf
einer fast bis an das gegenfiberliegende Ufer reichenden Halbinsel des
Möllnersees. Da dieser See nicht sehr um&ngreich ist, hat er die
KLsenbahn nicht zu einem Umweg gezwung^ und wird Ton ihr auf
einem Damme überschritten.
Im (iebiete der grossen Seen Ostholsteins haben wir endlich die
Stadt Eutin als eine Isthmusstadt zwischen dem grossen und kleinen
*) Man Tgl. hierzu das Blatt 215 der Karte des Deutachen Reidies.
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134
[48
Eutinersee und das an Schwerin erinnernde Plön zu erwähnen. Es
wird von dem grossen utkI kleinen Plönersee. dem Trammersee und
Schöhsee umgeben. Plön lehnte sich wie Schwerin an ein festes Schloss
an, hatttf aber hinnchtlich der LandTerbindimgen mit denselben Nach-
theilen zu kämpfen wie jenes. Landstrassen und die ein/ige hier vor-
ilheifüfarende Msenbahn niUssen theils auf D&mmen die Buchten der
kleinen-Ti Rppn überschreiten, theils mit grossen Umwegen die schmalen
Landzungen zwischen den Seen aufsuchen.
Wir verlassen hier die Landseeii und die Scheitel der norddeutschen
Höhenzüge, um noch die Abfälle derselben gegen das niedrigere Land
zu untersuchen. Es leuchtet ein, dass an den Rändern der HdhenzOge
fast stets Aenderungen in der Beschaffenheit und Zusammensetzung des
Bodens eintreten werden. Dunit ändert sieh aber auch die Ertrags-
tVihigkeit und die BenutzungswtM<p. Ebenso wie schon im Waldbau die
(irenze /wischen Höhenzug und tiefliegender Ebene sich s*'br liriiifig
durch jjlöt /liehen Wechsel des Bestandes zu erkennen giebt. iht aut den
Höhen in der Kegel Nadelwald, in der Tiefe — wenn sie nicht allzu
sandig ist — Laubwald Torhenscht, ist dies in noch höherem Grade
bei dem em])findlicheren Ackerbau der Fall. So kann eine an sich
unerhebliche Höhendifferenz die Grenze zwischen gutem und kärglich
lohnendem l^xtdeii \m<\ damit zwischen grösserer [)irlite und Wolilhaben-
heit der Brw ( »liru r und schwach besiedelten, ärmlichen Strichen werden.
Ueberail aljer, uo (Tebiete verschiedener Anbauweisen und Bodenerzeug-
nisse zusammentreöen , ist Gelegenheit zum Austausch und damit zur
Entwicklung von Verkehrsplätzen gegeben.
Dazu kommt, dass auch die Land- und Wasserwege an der Grenze
zwischen Höhe und Tiefebene gewöhnlich eine Veränderung erleiden,
welche Aufenthalt und dadurch auch wieder Ansiedlung<Mi hervoiTuft.
Die Landwege zwar werden sich durch die TTrdienziige nicht immer be-
irren lassen, aber sie zielien docli, so lange sie können, am Rande
eines solchen Kückens hin, dadurch gerade hier Leben und Verkehr
befördernd und hervorruÜBnd. Audi & ISsenbohnen machten nament-
lich in den ersten Jahrzehnten der Eisenbahnzeit gern Umwege « um
den be.scheidencn aber d\o SteigungsverMltntsse doch oft unangenehm
beeinflussenden norddeutschen Höhenzügen aus dem Wege zu gehen
oder sie doch an der becjnemsten Stelle zu überschreiten. M;ui erinnere
sich an den Umweg der Berlin-Anhaltischen EisenVcilin zwisi hen H. rlin
und Wittenberg, um einen günstigen i iämwigübergung zu gewmnen,
femer an den Umweg der Ostbahn zwischen B3bing und Brannsbeiig
zur Vermeidung der Elbinger Höhe und zahlreiche ähnlidbe Fälle.
Beeonders ist aber der Uebergang in die Tiefebenen bei den
Wasserwegen zu beachten. Vielfach reicht die Schitlbarkeit eines
Gewässers gerade bis an den Rand eines Hölienzuges hinan; hier ent-
stand dann, wenn man einmal den Fluss als Verkehrsstrasse zu benutzeTi e^e-
lernt hatte, ein L mladeplatz für Waaren und hier uud da auch Aufenthalt
ftlr die Reisenden selbst. Es kommt auch vor, dass die Schiffbarkeit eines
Gewässers beim Durchbruch durch einen wenn tack unbedeutenden
Höh^urOcken eine Torübergehend e Hemmung oder Minderung erfahrt,
indem eine Barre oder ein Felsriff das Strombett durchsetzt oder das
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Die Städte der norddeutschen Tiefebene.
135
Fahrwasser auf eine srlniinlc Kinne beschränkt. Auch an solchen Stellen
eutstehen wohl AusiedlunLK ii . tlii "las Fahrwasser ijeaulsichtigt und im
Stande gehalten, die Fahrzeuge durch die schwierige Stelle hindurch-
geleiiet oder auch, wo dies nicht angeht, die Waaren auf kleinere Schiffe
umgeladen werden mfissen. Es werden auch gern Mühlen an solchen
Punkten angelegt. So zog eine dem Rande der Tiefebene wenigstens
sehr nahe gelegene Stadt, nämlich Hameln, einen grossen Theil ihrer Ein-
nnlimen ans der Durchleitnng der SchitFe durch das soo-pnannte Hanielnsche
Loch, die getürchtetste Stelle der ganzen Weser von ßremeji bis Münden
Mehrere der norddeutschen Hr)henzüge sind an ihren Abhängen
TOü einer sehr deutlich hervortretenden Stüdtereihe begleitet, am meisten
da, wo auf dem Scheitel des Zuges selbst die AnzaM der Stftdte sehr
gering ist. So werden das schlesische Katzengebirge, der Lausitzer
Orenzwall und der Fläming von zahlreichen Randstädten umgeben (s. o.).
Es sind am K atzen ijebirge Trebnitz. Prausnitz. Stroppen li. a.; am
Lausitzer Greuzwall Neustädtel, Freystadt. Naumburg am Bober. Summer-
feld, Forst, Spremberg. Alt-Döbern, Kalau: am Fläming Luckau, Dahme,
Jüterbog, Treueubrietzeu , Niemegk, Beizig, Ziesar als nördliche
Randstadte zu bezeichnen. SQdliche Randsfödte sind am Fläming u. a.
Möckern, Leitzkau (auch noch das schon höher liegende Lol)urg ). Zerlest,
Coswig. Wittenberg. Zahna, Jessen, Schweinitz. Schlieben. Kirchhain,
Finsterwalde. Senftenberg, Hoverswerdri sind die wi( htigsten südlichen
Kandstädte des L a n s i t z e r (i r e ii z w a 1 1 e s : am K a t z e n e 1 » i i" g e
mr»chten etwa Wohlau. üels, Bernstadt und Xamslau als Städte des
Siidraudes mit einigem Rechte zu bezeichnen sein.
Andere Randst&dte finden sich am Saume der frflher besprochenen
Vreiten Flussthäler. Sie sind von den BrUckenstädten sehr wohl zu
unterscheiden, da bei ihnen nicht die Möglichkeit des Ueberganges über
das Thal, sondern nur die Lage hart am Thalraiide das Htstimmende
i>t. Diese Laire erm<>;xli<"ht es, sich nicht nur gegen Feinde hiniänglicli
zu sichern i besondt-iN \s t ini mim auch noch die vom Flusse abgewendete
Kflckseite der Stadt mit W all und Graben uragiebt), sondern auch in
der Flossniederung Aecker, Wiesen und Weiden zu übersehen und zu
bewirthschaften. ohne dass die Stadt sdbst den in der Flussebene leicht
mO^^lichen Schädigungen ausgesetzt wird. An der Weichsel gehören
Kulm und Marienwerder, dann aber auch das hart am Rande der
Niederung liegende Marien bürg zu diesen Handstädten. Die Lage
Ton Marienburg ist in der That eine sehr bedeutungsvolle. Das rechte
Ufer der Nogat ist hier noch ziemlich hoch (20 — 80 ni) und gestattet
eben sehr guten UeberbUck über die ganze Niederung, in welcher bis
T^irsdiau, Danzig und Elbing kein Höhenzug, kaum ein vereinzelte
Hügel dem Blick entgegentritt. Die Gegend von Marienini rg ist aber
auch gerade die des letzten Herantretens der südöstlichen Höhen an
den Fluss, weiter abwärts an der Nny-at würde man vergebens nach
einem ähnlichen die Niederung beherrsi hendeu Bauplatze suchen (Elbing
8. u.). Xui nebenbei sei angedeutet, das.s die Lage Marieuburgs auch
^ Gnthe, Die Lande Brannachweig und Hannover, 8. 4d4.
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130
Hahn,
[44
eine leicht^' \'t il>iniluiig mit allen Tlu-ik-ii (k-s au>üi «leimten Ordens-
lunde^ ermöglulite, zumal sich im Kückeu von ^liinenburg die Irüiier
erwähnten trockenen und wegsamen Landsfanche des Eulmerlandes hin-
ziehen.
Aber auch Elhing und Daiizig sind echte Randstädte an der Grenz-
scheide zwi.schen Höhe und Niederung. Es läs.st sich kaum ein schärferer
Gegensatz denken als der zwischen den Hügellandsdiaftm der bei Tninz
2<^1 m Höhe erreichenden, von zahlrei( In n raschtlics>L'uden Bächen und
l iüsschen durchfurchten und stark bewaldeten Elbinger Höhe und dem
fast TöUig ebenen {a. jedoch am Anfang des Abschnittes) waldlosen
aber dicht mit Ortschaften fibersäten Niedertmgslande. Die Sstlicheii
Vorstädte von Elbing liegen schon auf den Vorvtuf. n der Höhe, die
westlichen jenseits des Elbingflusses auf Niederungsliudcn. Die Verkehrs-
wege EUniigs sind schon mehrfach berührt worden, die Eisenbahnen,
welche die inneren Tlicilt- des Weichselwerders lange ^^ streng geniied« n
haben, berührten auch Elbing bisher nur mit eiuer allerdings besonders
wichtigen Linie. Begehen wir uns jetzt auf das linke Ufer der Weichsel,
so bemerken wir im Vorfibergeben die früher nur als Randstadt, seit
Vollendung der ostpreussischen H€'iuptlandstra>se und zumal seit Erbau-
ung der Ostbahn auch als Brückenstadt zu bezeichnende Stadt Dirschau.
Strasse und Eisenbahn wurden wohl deshalb mit grossen Kosten und
vieljähriger Ar})eit durdi den südlichsten Theil der Niederung ge-
führt, weil bei einem südlicheren Weichselübergang (unter Ersparung
der Nogatbrücke) nur kleinere Orte von der Bahn berührt wSren, Elbing
aber und das jetzt durch eine kurze Zweigbahn angeschlossene Danag
allzuweit seitab gelassen wären. Durch die Nogatbrücke ist auch Harien-
bürg, jedoch in geringerem Grade, zur Brtickenstadt geworden.
Die Lage von Danzig entspricht in ludiem (Jrade derjenigen von
Elbing. Unmittelbar westlic h von Danzig erheben sich ansehnliche Hügel,
auf denen ein Theil der wichtigen I)anziger Festungswerke errichtet
ist. Die Stadt liegt genau au der nordöstlichen Ecke des ganzen Hügel-
hmdes, welches den Lauf der Weichsel hegleitet hatte und sich von Danzig
ab im allgemeinen der Meeresküste parallel nach Nordwesten wendet.
Oestlich und südristlich \nn Danzig dehnen sich sofort die weiten von
Weichsel und Mottlau dun lizogenen Ebenen des Werder^ ans. Nördlich
von der IStadt beginnen bald die hier und damit Waldung bedeckten Sand-
felder und Dünen der Küste. Da die eigentliche Stadt Danzig nur einen
kleinen Kaum einnimmt, ziehen sich hier wie bei alleu f estungsstädten
Vorstädte weit hinaus. Sie liegen theils südlich ^on der Stadt am Bande
des HfigeUandes (Petershagen, Alt-Schottland und das weit entfenite
aber noch zum Stadtkreise gehörende St. Albrecht) theils nordwestlich
an der Fortsetzung des Höhenabfalls (Ncu-Schottland, Langfuhr), theils
ziehen sie sich in Thalrinnen zwischen den Hügeln bergan (Neugarten.
Schidlitz, Theile von Langfuhr). In der Niedeiiing liegen durchaus
keine eigeutlichen Vororte Danzigs, ebensowenig in den DUneugegendenr
') Erxi in neuester Zeit geht man an die Auslührung einer von der Dirschau-
Marienburger Strecke abzweigenden und sieh nach Nord gegen Neateich und Tiegen*
faof wendenden Stichbahn.
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45]
Die Stidte der norddeutsch«! Tiefebene.
1S7
(über I)anzi«;s Vorhafen und BezicluniLicn zum Meere s. u.), dai^egen
hat die Stadt hier einen grossen Theil ilire.s Grundliesitzes (I)anziger
Rieselfelder östlich von WeichselmUnde, Waldungen auf der Danziger
und Friscfaen Nehrung weit nach Osten reichend). So ist die Stadt am
Rande ihrer sichemden Höhen den GMahren der Kiederun^ fast gänz-
lich entrückt, vermag aber die Ebenen gut zu übersehen und Theile
derselben für sich auszunutzen. Wiederum der Lage von Danzig ähn-
lich ist die von Stettin. r)io eigentliche Stadt und ihre durch die
Aufhebung der Festung intiglich gewordenen Erweiterungen nach Ost und
Nord liegen auf der Höhe, die sogenannte Lastadie und Silbervviese schon
auf tiefliegenden Oderinseln; auch der südliche Vorort Oberwieck ist zwi-
schen den Al)hang des Plateaus und den Hauptarm der Oder eingezwängt
und deshalb ziemlich eng gel)aut. Die übrigen Vororte Stettins, welche
jetzt nur noch theil weise als solche zu erkennen sind, da sie in die
neuangelegtt^n an Gnis^t' das alte Stettin weit übertretfeiiden Theile der
Stadt hineingezogen wurden, liegen sämmtlich auf der Höhe, nordwest-
lich und besonders nördlich von der Stadt, wo sie sich mit Fabriken
und Schiffbanplatzen untermischt fast 5 km weit auf dem Höhenrande
enÜang ziehen. In der Niederung der Oder liegt kein besonderer Vor-
ort, an der AufflnUndimg der Dunzig, Ptniitz und Reglitz in dengrossen
Damni'schen See stehen kaum einzelne Hauser. OeLfcn Südost, jenseits
der kleinen Reglitz, beginnt das grosse Stettiner Elsbrueh, eine tief-
liegende Waldung. Nur die Landstras.se und die beiden Eisenbahnen nach
Stargard und Kü.strin durchziehen nicht ohne Mühe das sumptige Land,
um den entfernten Östlichen Thalrand zu gewinnen.
Wir überschreiten wiederum die Elbe. Die Randstädte des Harzes
Abgehen wir für diesmal ebenso, wie wir die RandsiÄdte des Kiesenge])irges
als unserer Aufgal)e schon femer liegend übergangen haben. Wohl
aber muss daran erinnert werden, dass die drei Orossstädte Magdeburg,
Braunschweig und Hannover in gewissem Sinne gleichfalls als
Randstädte aufzufassen sind. Das fruchtbare, hügelige, hier und da
noch von kleinen Berg^zügen mit anstehendem Gestein unterbrochene
Ackerbaugebiet erreicht ziemlich genau in der Nahe der drei genannten
Städte seine Nwdgrenze. Diese Grenze verläuft von Hannover, in dessen
Nähe wir noch erhebliche, auch für den Geologen wichtige Höhen er-
blicken, ostwäi-ts etwas südlich von Lehrte, dem bekannten Bahnknoten,
über Peine, nahe vor den nördlichen Tlioren von Braunschweig V{ud)ei,
dann auf Oebisfelde, Neuhaidensleben und erreicht die Eibe etwas süd-
lich* Ton der OhremUndung unterhalb Magdeburgs. Nördlich von der
eben gezogenen Linie herrschen Wald, Haide, hier und da auch Sümpfe,
der Boden ist fast durchweg von geringerer Güte als in den südlicheren,
niit Ausnahme jener klriiuMi Gebirgszüge fast waMlosni Strichen. Pie
Dichtigkeit der Bevölk» i iiiig sinkt bei Ueberschreitung jener (Trenzlinie
sofort auffallend. Man vergleiche folgende, nach den Ergebnissen der
Zählung von 1880 aufgestellte kleine Tafel:
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138 Hahn, [46
Südlich von jentr (irenzf. | Nördlich von derselben.
(Abgesehen von kleinca, durch die nothwendi^e Benutzung politischer Be>
xirke veranlassten Aliweichungen.)
Kreis Hannover- Land .... 90
Hildesheim 142
i> 1 • i 205
, Mmunschweig . . . < ^„
, HL«hu-,tt'at 73
, Neuhaidensleben . . . 82
, Wolmirstedt .... 7:i
Krei» Fallingbostel 22
. Celle 37
« Gifhorn 29
, Salzwedel 42
, (tardelegen 38
» Stendal 61
Mittel 88. I Mittel 38.
Diese Zalilt n. welche dem Text zu Ksivensteins Bevri]kt'run<j:skarte des
Deutschen iieiclies (im Atlas zu dem bekamiten NeumaiiH '-i hen T.exiknii,
Leipzig 188Ü) eutuoiuiuen sind, bezeichnen die Seeleii/ulil aul dem
Quadratldk)iiieter. Die Sordae sind bo ao&el&lirt;, dass jedesmal zwei
räumlich benachbarte Kreise, einer des sQaliehen und einer des nOrd*
liehen Gel)ietes, einander gegenübergestellt sind. Bei Braunschweig ist
in der ersten Angabe die Stadt mit eingerechnet, bei der zweiten je-
doch nicht. Für den Mittehveiih ist natürlich nur die zweite Zalil
heran^e/.(»gen. l)ie Differenz zwisclien den Zahlen für die Kreise
Wohuirstedt und Stendal ist nur gering; der EinÜuss der wieder besser
bebauten, wenn auch der Magdeburger Börde nicht gleichzustellenden
Altmark macht sich hier geltend« Dass an der Grenze so yerschieden
besiedelter und bebauter Landstriche Austau.sch und Verkehrsplätze guten
Boden fanden, versteht sich von selbst. Es ist auch nicht auffallend,
dass von den drei hier in Betracht kommenden Städten Ma«jde1nng
mit seiner günstigen Lage an einem Elbiibergang und am B<'gnni .l« s
früher ausführlich besprochenen 2saturweges nach dem Osten die grösste
Bedeutung erlangte. Hannover, durch die Leine audi noch einiger-
massen gefördert, ist allerdings durch politische Verfa^tnisse mehnach
seta begflnstigt worden, hatte al^er daneben den grossen natürlichen
Vorzug eines breiten offenen Weges nach Süden durch das Leinethal.
Von Güttingen aus war der T'ebergang znr Fulda nicht schwer, und
für den weiteren Weg nacli ►'Süden bot sicli jt ne von der Main-Weserl»alm
benutzte Senke zwischen Vogelsberg und dem Ostmnde des sogenannten
Rheinischen Schiefergebirges, welche genau auf das Nordende der grossoi
oberrheinisGhen Tiefebene zuführt. Braunschweig hatte nur die un-
bedeutende, einst aber doch zur Schifffahrt benutzte Oker zur Verfügung,
und im Süden die hemmende Masse des Harzgebirges. Es ist sonach
nicht zu verwundern, wenn das in früherer Zeit durch mancherlei ver-
kehrspolitische Massregeln sehr gehobene Braunschweig allmäldich von
Hannover und noch viel mehr von Magdeburg überholt wwde^). In
neuester Zeit hat jedoch Braunschweig durch die Betriebsamkeit seiner
Einwohner und den blühenden Anbau der reichen sOdlichen und sOd-
östlichen Umgegend, welche in Braunschweig ihren Hittelpunkt sieht,'
den Verlust zum Theü wieder ersetzt; die Verkehrswege nach Süden
M Ytrl. Zcitschr. für wissenschafÜ. Geographie, Bd. 1, 1880, S. 27 ff., mit
dem Diagramm auf 8. 31.
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Die Städte der norddeutschen Tiefebene.
139
(Qber Hui-zburg iimaus) und direct uach Xordeii fehlen der Stadt jedocli
iiodi immer.
Wir mfissen uns jeizt aber der eigenartigsten Gruppe von Rand-
stridteii zuwenden, welche sich im Westen der Elbe entdecken lässt;
dies sind die Stildte an der Grenze von Geest und Marsch. Die
Marsch ist fast in jeder Beziehuii«^ das Gegeiitheil der Geest. „Die
Marsch/ sagt Bernhard v. Cotta in einer Itekannttn klassisc hen Stelle,
die ich hier auiühreu möchte „ist niedrig, flach und eben, die Geest
Iiocli, uneben und minder firuditlMur. Die Manch ist kahl und TGlüg
InuudIos*), die Geest stellenweise bewaldet, die Marsch zeigt nirgends
Saud und Haide, sondern ist ein ununterbrochener fetter, höch.st frucht-
Urer Erdstrich*), Acker an Acker, Wiese an Wiese; die Geest ist
haidig. sandig und nur stellenweise beliaut. Die Marsch ist von Deichen
und schnurgeraden Kanälen durchzogen, ohne Quellen und FHisse*), die
Geest hat Quellen, Bäche und Ströme." Jeder wer diese für den Geo-
graphen überaus anziehende Grenzlinie zwischen Marsch und Geest selbst
besttdit hat, wird diese Worte Cotta's mit den in den Anmerkungen
Toigetragenen Einschränkungen bestätigt gefunden haben. Es versteht
sich nun von selbst, dass mit jenen Gegensätzen der Landesnatur auch
solche der Bewirthschaftung, Besiedlnng. Bevölkenmgsdichte und Wohl-
habenheit verbunden sind. Der Gegensatz zwischen Marsch und Geest
beherrscht tliaisäcliiich auch die Lebens- und Erwerbsverhältnisse der
Dordwestdeutschen Bevölkerung weit mehr, als man sich im Binnen-
lande wohl vorstellt
Was die Ansiedlungen betrifft, so ist der Boden der eingedeichten
Marschen, welcher nur durch regste menschliche Thätigkeit und unaus>
gesetzte Verbesserung der schtitzendeii T)eiche semen hohen Werth er-
langt und bewahrt hat, ottenbar keni günstiger Bauplatz für grössere
Ortschaften oder gar Städte. Man sucht, wo es irgend angeht, einen
wenigstens etwas über das allgemeine Niveau der Mars(£ eihOhten
Bsaplatz für Haus und Hof zu gewinnen, um einerseits der immer
möghchen Ueberschwemmungsgefalir 1 »esser ssu entgehen, andererseits
aber nichts von dem werthvoUen zu Wiesen und Feldern zu benutzen-
den Boden mit Häusern zu verhauen. Es tinden sich nun wenigstens
in einem Theil der Marschen einzelne sandige Erhöhungen, die aber
nur selten so viel Baum bieten, dass ein grösserer Ort darauf Platz
findet; nur einige Gehöfte können sich hier zusammendrängen. An
') Deutschlands Boden. Leipzig 1858. Bd. 1, 8. 151, § 308.
' i Die Mancbbaueni haben indessen jetst zuweilen kleine W&ldchen an
ibr^Q Höfen.
*) Wo man, wie im Hadeln^scfaea Siethlande, die Marschen zu früh
cingerleicht bat. treten nVior leicht Versumpfungen ein nnd dadurch minder firadit*
baie Strecken zwischen die besseren.
*) Dies iat nicht (nim richtig', es giebt in den Hanehen allerdings von der
Oeef«t herabkommende klrii <> Flüss«-. nur sind sie meist SO regolirt und unter Auf-
iicbt gehalten, das» »ie Kanülen gleichen.
'-) Man vergl. die grosse Kute bei Müller, Besdneibnn^ der Stonnfluthen
am 3. nnd 4. Februar 182'). Hannover 1825, welche das an jenen Tagen aber>
schwemmte Marschgebiet zeigt.
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140 Hahn, 1^48 !
I
einzelnen Stellen sind diese kleinen Hügel auch wohl kUustlichen Ur- !
Sprungs^ dann aber meist nur für ein einziges OehSft, selten ftlr mehrere
besfcinmit. Dass man so grosse Hflgel (Warfe oder Wurthen) auf-
geworfen habe, um ganze Ortschaften imd Städte in Sicherheit daraoi
anzulegen, ist nicht wahrscheinHch, wenn auch J. C. Hekelius in euvr
Beschreibung der Wassertluthen «ler Jahre 1717 uud 171>^') meint,
man habe „Hügel aufgeworiten , auf weldie man sich .sauibt .seinem
Yieh reteriret, wenn etwa das Wasser angekommen, wie mau denn noch
heut zu Tage hin und wieder solche HOgel sieht und die Flecken und
Dörtfer sind auch mehrentheils auf .solche erbauet worden.* Hekelius
hielt wohl wie manche Murschbewohner alle diese Ueinen Geestinsdn
in der Marsch für künstlich aufgeworfen.
\\ o jedoch ilie Marsch nicht allzubreit ist, da werdi'u die grösseren <
Ortschaften .sehr gern auf dem Kande der Geest errichtet. Sie liegen
dort in Sicherheit, nehmen nur weniger werth vollen Boden weg, uud
die Ländereien in der Marsch lassen sich vom Höhenrande aus ebenso-
gut übersehen und beherrschen als bequem bewirthschaften. Da eme
geringe Breite der Mai-sch aber fast an der ganzen deutschen Nordsee-
küste di«' Hegel ist, .so ist die Lage der Städte auf dem Geei^trande
eine ganz allgemeine, weder bei Wan<lerungen an Ort und Stelle noch
hei dem Studium guter topographischer Karten zu übersehende Er-
adieuiung, die sofort von den Geographen hervorgehoben wunle. ids
man begonnen hatte, nicht mehr ausschliesslich auf «Merkwürdigkeiten"
und Gewerbthätigkeit der Städte, sondern auch auf ihre Beziehungen
zur Landesnatur zu achten*). Wir treten nun eine kurze Wanderang
durch diese Randstädte zwischen Mars( h und Geest an und beginnen
im äussersten Norden. Noch jenseits der deutschen Grenze erblicken
wir genau an dem Geestsaume die Stadt Hipen, deren Bedeutung noch
durch ihre Lage auf eiuer Insel der Ripener Au uud an dem letzten
günstigen üebergangspunkte Uber diesen Fluss erhöht wird. Ripen ist
immer einer der wichtigst«i Orte dieses Theiles der Küste gewe^sen, in
ziemlich weiter Entfernung findet sich kein Ort von ähnlicher '^^e
und Verkehrsbedeutung. Höver liegt auf einem rings von Marsch-
wiesen nnigebenen Geesthügel unweit des Meeres. Von Höver, wo die
eigentlichen Deiche erst recht beginnen, weicht der Geestrand bogen-
förmig in das Lmere des Landes zurück, er lässt sich über Mögelton-
dem bis in die nOrdliche Umgebung von Tondem verfolgen. Tondefn
selbst bildet eine Ausnahme unter diesen Randstädten, da es nur auf
emer äusserst geringftigigen Bodenerhebung liegt. Man hat diese Lage
wohl gewählt, um von der Seeschifffahrt Nutzen ziehen zu können.
Das Meer war im Mittelalter viel leichter von Tondern aus zu er-
reichen als heute Der ungünstige Bauplatz hat jedoch der Stadt
wohl grösseren Schaden gebracht als die Seeschifffahrt Nutzen, zuiii-
Wieder abgedmckt bei de Vries und Focken, Ostfrieshmd, Emden 188L
43eite 46.
*) Tgl. z. B. Mendelssohn, Das germantsehe Europa, Berlin 1836,8.250 f.
Schrö'lor. Topographie des Hersogthnms Schleswig, Oldenbnig^ in
Uolsiein 1854, Ö. 541 f.
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Die Sadte der norddeutschen Tiefebene.
141
reiclie Ueberscliwcmmungen bei SturmHuthen werden gemeldet , deren
eine im Jahre Hiir) die Stadt dem Unterganfr^' ^«'hr nahe l>racht«.
Melleicht häTi;x< ii auch die zahlreichen Pestepidomirii, von denen Ton-
dem im IG. und 17. Jahrhundert heimgesucht wurde, mit der niedrigen
Lage der Stadt zusammen.
Der Geestraad, der östlich Ton Tondern nocli weit in das Innere
des Landes hmeingreift. wt ndct sich südlich vom Flusse Suderau wieder
der Westküste zu; wir bemerken auf ihm die grösseren Orte Süder-
lügiini. Braderup. Leck, und namentlicli Bredstedt. Während
iu der <istlichen l iiiLft lniii«; von Bmlstedt nocli Höhen von 42 — 44 m
vorkommen, dehnen .sich westlich die von den Deichen umgebenen Kooge
mranterbrodien bis zum Heeresufer aus. Auch Husum ist eineRand-
sUdt; nördlich, und sfldUch vom Fluss Husumer Au zieht sich je ein
Vorsprung der Geest in die Marsch hin ji. auf dem nördlichen liegt
die Stadt Husum, auf dem südlichen das Dorf Hödeniis. Oestlich
von Husum lie^ren Höhen von 12 — 22 m, westlich wieder die Marsch.
Husum ist gleichzeitig letzter Brückenpunkt an der Husumer Au.
An der Ostgrenze der Marschlandschaft Eiderstedt tritt der
Gfeestrand ivieder weiter zurück, mehrfach grenzen grosse Moore an
die Harsch und nur einzelne Geestinseln erbten sich dazwischen. So
namentlich an dem Moorfluss Treene. Unter den Städten und Flecken
Eiderstedts und der ostwärts angrenzenden kleinen Landschaft Sfapel-
holm bemerken wir zunächst das «ranz moderne F r i e d r ic h s t a d t.
eiue Festungsstadt an der Vereiniguncr von Treene und Eider, also ganz
mit Küstriu , Spandau und Wesel zu vergleichen Sie wurde erst
1621 gegründet und hat als Festung im Kriese von 1850 eine Rolle
gespielt, jetzt sind die Befestigungen wieder beseitigt worden. Auch
xönning steht nicht zur Geestgrenze in Beziehung, es hat eine niedrige
Lage und ist deshalb wie Tondern öfters von Uebei-fluthungen heim-
L'^^-iiidit worden. Im 17. und 18. .Lihrhundert hat Tönning als Sperr-
h -tuiig für die Eidermündung mehrfache Angriffe und Belagerungen
durchzumachen gehabt, ist aber jetzt schon lange entfestigt. Im west-
Hchen Theile des eigentlichen Eiderstedt macht sich ein niedriger, in
^eeer flachen Landschaft aber doch auffallender Geestrllcken bemerk-
lich; er tritt zuerst am .Tunkernhof westlich vou Kotzenbüll auf
und zieht sich dann nach Westen bis Ording iu der Xähe der Land-
spitze Xackh(»rn fort. Auf diesem sehr stark besiedelten Hcdienzuge
zieht sich die Land.strasse hin. auf ihm liegt auch die nicht unwichtige
Stadt Gar ding. Schnider (a. a, 0. S. \M\ bezeugt ausdrücklich,
dass dieser sandige Höhenzug, Gaardesand genannt, die Veranlassung
tm Erbauung einer Ansiedlung, zunächst eines Dorfes, an dieser Stelle
gewesen ist.
Wir überschreiten die Eider und gelangen in die Landschaft
Dithmarschen, wo uns zunächst ein ähnlicher dichtbebauter Geest-
') .Tedoeh ist Friedrielistadt ursprün)»licli nicht zur Ft,»«tung bestimmt ge-
«■f*sen und erst 1850 J)etesti«?t worden. Die inr Verthoidifjunj? höchst günstige
Lage der Stadt lies.s aber ein solche.«^ .Schicksal vürau«i.seheu , sobald sicli Kriegs-
«ragniaae in der Nilbe abhielten.
F«ndianfm sar dMtaeihen LatidM- und Yolktkniide. t. 9. 10
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142
Hahn,
[50
streiten wie hei Oardiii^ aullVillt. Er führt V(»ii 1) a h r cii m n rt h unweit
der Eider gerade nach Süden auf Weddingstedt und Heide zu ; er bddet
die Grenze zwischen der Marsch und grossen Moorgegenden, erhebt sich
bis zu 10m und tragt eine wichtige Landstrasse sowie zalüreiche Ort-
schaften, «hnunter den Flecken Lunden. Heide .selbst liegt auf dem
Geestrande liart an der Marsch, »hr Flecken Hemniingstedt auf
einem Ausläufer der Gfost, th r nur fhucli eint n Lran/ schmalen Hürk» n
mit dem grossen Gee^(L••t'llit't zusannnenhüntjrt. Uann ioiirt ]M« lilorf
aui und au den letzten Ausläufern eines anderen, von Ost nach West
streifenden Geestzuges. Von hier an kommt eine ziemlich grosse Zahl
Ton Ortsnamen vor, die mit -donn zusammengesetzt sind : Elpersbfltteler-
doiiii. Michaelisdonn u. a. Donn hedeutet nichts anderes als einco
schmalen langgestreckten Hcihenrücken. Man spricht von Donnketton,
dem Ponnraufle. DonnansitMllungen u. .s. w. \). Mr»glicherwei.se hängt
das ^\(t^l mit Düne zu>ummen. Ausser Beziehung zum Geestrande
stehen in dieser Gegend W essel b uren, eine auceblich der Fischerei
halber angelegte grössere Ansiedlun^ in der Mars(£ selbst, und Marne,
ein gleichfalls ganz in der Marsch hegender Ort, der wie andere durch
üeberschwemmungen und Seuchen srinr ungeeignete Lage zu bUssen hatte.
Sehr markirt ist wieder die Lage der Stadt Itzehoe. Nord-
östlich von der Stadt dehnt sich ein echtes Ge»-.t]dateau aus. es ent-
hält Höhen bis zu 72 m, die bekannte L(j( kstedter Haide mit ihrem
Artillerieschiesyplatz gehört ihm au. Im Westen, Südwesten und Osten
Ton Itzehoe herrscht die Marsch, welche hier, zum Theil Ton Sttmpfen und
Mooren b^leitet, wieder weit in das Land eingreift Gerade sfldHch
von der Stadt aber, auf dem Südufer der St<5r, hebt sich noch einmal
eme nicht unbedeutende Geestinsel aus der Marsch; es sind die mit
Haide und etwas W ald bede{ kten . den Geologen wegen ihrer Kreide-
brüche wohll)ekannten Höhen von Lägerdorf. So besitzt Itzehoe eine
höchst eigenthündiche Lage, zumal die Stör zwischen diesen beiden
HOgelmassen noch starke KrOmmungen hat und eine auiÜBdlende Insel
bildet. Auf dieser Insel entstand die Burg, an welche sich die Stadt
anschloss, die aber bald auch das Norduf» r der Stör in Besitz nahm
und sich an den Abhängen des oben angeführten Geestj)lateaus hinan-
zog -). Itzehoe ist scmach gleichzeitig Hnndstadt und Hrückenstadt.
Oestlich von Itzehoe merken wir noch die liandstudt Kelliughusen
auf einer sehr auffälligen, weit siclitbaren Geestecke.
Hamburg und seine Umgebuns dem letzten Abschnitt vor-
behaltend, gehen wir auf das linke Elbufer Aber und tr^en dort Yon
Harburg abwärts an der Elbe entlang eine ganze Reihe von Ortsdriften
genau an der Marsch- und Gee.stgrenze. Ziniädi^^t liegt das ebenialls
im nächsten Abschnitt noch einnuil zu Iterührendc Harburg selbst
genau an der Grenze der hier sehr hügeligen und stark bewiddeten
Geest gegen die Elbmarschen, Buxtehude liegt an der Este auf
einer Geestzunge, die sich in die Marsch hinein erstreckt. Die Namen
') Schröder. Topographie der Herzogthümer Holstein und Lauenburg,
Oldenburg in Holstein 1850, Bd. 2. 8. 568 und an anderen Stellen.
') Viele Einzelheiten bei Schröder a. a. 0. Bd. 2, S. 9.
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51J
Die Städte der norddeutBchen Tiefebene.
143
dtr Thore dieses Ortes: Geest-, Marsch- und Moorthor') sind ebenso
bezeichnend wie die politische Eintheilung dieser Gegend in einen
Stiuler Marse hk reis und Stader G<'estkreis. Horneburg an der Lühe
hat eine iilinlielie Lage wie lUixteliude, und Stade selbst beherrscht
(Itn AusU iLt der Schwinge aus den hier bis 20 m lioheii Geesthügeln.
Auch viele tod den grösseren Dörfern an der unteren Elbe haben sidi
an den Geestrand angelehnt, wie Altenwalde bei Cnzhaven und zahl-
reiche andere. Die Dichtigkeit der Bevölkt rung ist in der ]\T;iisch
selbstverständlich viel grösser als in der Geesl (Stader Marschkreis
7' Kiuw. auf den Quadratkilometer, im Geestkreise nur Ii'), Städt'^
ftr'hlen aber gänzlich, all«- An^^iedlungon ziehen sich incilmhing ;in den
(meijjt etwas erhöhten) l lern der Elbe und der zahircichtii einmündenden
Flflflse, sowie an den Kanälen, endlich auf schmalen, weniger durch
die Höhendifferenz als durch die veränderte Bodenbeschaffenheit hervor-
tretenden Rücken durch die an einzelnen Stellen unter dem Meeres-
niveau liegenden Marschen hin. Zwischen jenen diclitbewohnten Häuser-
r» ihen sind die mit vielen Obstbäumen bestandentm Flächen fast gänz-
lich un>i<-dhings frei. an< Ii einzelne (ielirifte finden sich hier sehr selten.
Aucii in Oldenburg und Ostlricsland können wir unseren liaud-
stSdten nochmals begegnen. Im Gebiet der Jahde zieht sich eine
schmale Sandzunge nordwärts, auf deren letzten Höhen die Stadt
Varel liegt. Auch die Land.strasse von Oldenburg nach dem Jever-
lande benutzt diesen bisweilen durdi kleine Hügel ausgezeichneten
Kücken, die Eisenbahn nach Wilhelnishat'en hält sich dagegen etwas
ostlicher. Auch Jever seihst liegt auf einem in die Marsch hinaus-
sehenden und diese beherrschenden Vorspruug der wenig umtungreichen
jeverlandischen Gteest.
Von den Städten Qstfiieslands li^ Au rieh auf emem sehr
inarkirtMi Geestrücken, der allerdings mehr von Moor- als von Marsdi-
liuul begrenzt w ird , Witt ni und. Esens und Norden dagegen auf
VorsprOngen der Geest in die Marsch. Auch im Rheiderland, wie
die kleine, östlich von der Ems und nördlicli \ "m Dollart begrenzte
Landschaft genannt wnd, machen die Geeststreilen ihren Einfluss noch
geltend. Von Süden her zieht sich die Spitze des Bourtangermoores
in die Landschaft, zu beiden Seiten von je einem sandigen Streifen, einor
Tange begrenzt, welche sich über die Spitze des Moores hinaus noch
in »las Marscldand fortsetzen. Auf dem östlichen dieser Sandstreifen,
und zwar nahe am Ende, liegt die Stadt Weener, auf dem west-
lichen Bunde-). So können wir diese Gruppe von Kandstädfcen bis
in den äussersten Nordwesten des Keiches verfolgen.
Die geologischen Verhältnisse des Bodens haben in der
norddeutschen Tiefebene nur äusserst selten einigen Einiluss auf die
Vertheüung der Städte ausgeübt. Beeinflusst werden kann die Be-
siedehmg einer Landschaft durch das Vorkommen nutzbarer Mineralien,
') Gut he a. a. 0. S. 107.
Die Karte zu de Vries' oben genanntem Buche zeigt diese Verhuitnisse
höcbt deatUch.
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144
Hahn,
[52
reUurttii (Bausteine) und iVlineralqueilen ; ebt'ii?>() durch die VVasser-
armutfa mukcher Bodenarten und durch den verschiedenen Grad der
Fruchtbarkeit^ welcher den Verwitterungsproducten der einzehien Fek-
artetl, der -Miu. naniiti'n Ackerkrume zukoimnt.
Der letzte Punkt ist durch frühere Betraclitungen schon im
Wesentlichen erledigt: wir salien. i\h>>a überall die Städte nicht iffrade
in den besonders fnichtban ii Strichen, sondern an ihrem Uaude auf-
geblüht sind. Es kann noch hinzugefügt werden, dass gerade in sehr
fruchtbaren Gegenden wie in der Magdeburger Bürde zwischen Magde-
burg, Bemburg und Halberstadt auch die Dörfer nicht zahh*eich, dafbr
aber gross und stadtähnlich sind. Man wollte möglichst wenig des
guten Bodens bebauen. Die grosse Zahl der wüsten Dorfstellen in
der Börde erklärt sich nicht iiusschliesslich durch die Verwüstunjren
des ^Ojährijxcii Krie'^es, sondern ist vielfach darauf zurückzuführen,
dass die Bewuiiner kleinerer Dörfer diese verliessen und sich in deu
grösseren mit ansiedelten, um ihre Ackerflächen zu erweitern. Das
weite Auseinanderliegen der Dörfer verursacht im Verein mit der Baum-
losigkeit und der Einturmigkeit iler unabsehbaren Zuckerrübenfelder
den öden Land.schaftscharakter dieses Landstriches am Nordrande des
Harzes und an der unteren Beule, welcher schon dem Durchreisenden,
noch mehr aber dem aufmerksam beobachtenden Fusswanderer un-
angenehm entgegentritt. Die grossen Landstra-ssen Ijerühren so selten
ein Dorf, dass die gerade hier ungewöhnlich grosse Zahl der ganz
einsam an der Heers&»se liegenden Gasthöfe und alten Poststationen
dadurch erklärlich vsinl. Wer diese Gegend nicht selbst durchwandert
hat, UKige sie nach den Messti.schl)lätteru dos Generalstabes studiren
Wasserarme Bodenschichten hal)en. ab(jesehen von den sch<m
besprochenen Höhenrücken (h's Fläming und des I.aiisitzer Grenzwalle.s,
wohl nirgends in unserem Gebiete die Entstehung von Städten erschwei-t;
▼iel lästiger war stets dßr allzugrosse Reichtiium an Wasserläufen, wie
froher gezeigt wurde. Jenseits der Grenze der Tiefebene macht sieh
die Wasserarmuth gewisser Schichten der Trias schon im Thüringer
Hügelland sehr benierklich, noch mehr die des süddeutschen Jurazoges
und des Sintfeldes sü<llich von Paderborn.
Was die Bausteine anl)etritl't , so möchte i< Ii weiiiirstens fOr
unser Gebiet iliren Emlluss auf btädtelage und Städteentwickiung nicht
allzu hoch veranachlflgen. Die Wohnhäuser unserer Städte waren im
Mittelalter und vielfach noch später aus sehr einfochem und leichtem
l&terial hergestellt; Berghaus' Brandenburgisches Landbuch berichtet
an vielen Stellen von der späten und seltenen Erbauunir b(»ssercr.
namentlich niu^siver Häuser in selbst nicht ganz kleinen Städten. Für
die ört'entlichen Gebäude aber, die Schhisser, KUister und Kirchen. h;it
mau schon sehr früh gutes Baumaterial aus weiter Ferne herbeigesciiaüi.
So ist die sehr alte Kirche des kleinen Ortes Blexen an der Weser-
mündung aus schottischen Basaltblöcken und Sandsteinquadem aus dem
Teutoburger Walde errichtet, die Kirche zu Wremen im Lande Wursten
') Nr. 2237, 2288, 2309, 2310. 2311 n. a.
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53]
Die Städte der norddeutschen Tiefebene.
145
gleichfalls aus schottischen TiiiTsteiBen erbaut. Wurden die Bausteine
tHr die Kinhon so kleiner Orte aus weiter Ferne bezogen, so werden
grö.sjjere (iemeinweseu durcli ihre Kntfcrnung von einem Bruche pas-
senden (iesteines sicher nicht Vf)n der Erriclitunj; <jr<>sserer Bauten
abgeschreckt worden sein. Ausserdem hallen die e r r a t i s c h e n B 1 ö c k e,
wdche namentlich in Mecklenburg und Pommern, aber auch im Nord-
westen stark ausgebeutet wurden, manche Lttcke decken. An der
Ostsee mussten und müssen noch heute sogar die auf dem Meeres-
kunde liegenden Blöcke, welche durch das grosse skandina^nsch-nord-
deutsche Inlandeis oder in t iir/ehun Fallen dunh moderne Eisfelder
der Ostsee dahin gebracht wurden, Material zu allerlei Bauten liefern.
Es versteht sich von selbst, dass Menge, Güte und petrographische
BeschafFenbeit der verwendeten Bausteine die Physiognomie der Kirchen
einer Gegend oder selbst die Bauweise ganzer Städte sehr beeinflussen
können. So ist der Backsteinban der Ostseeländer und der Mark und
•lie Verwendung von Feldsteinen in emigen Marschländern auf die geringe
V»'rl»reitung besseren Materials zurückzuführen. W ar aber eine An-
>iedlung sonst günstig gelegen oder ein i'latz von hervorragender
strategischer Bedeutung, so hat die schwierigere Beschallung des Bau-
materades eine weitere Entwickhing gewiss nur wenig aufgehalten. Man
befaalf sich mit weniger guten Steinen, mit Backsteinen, Lehm oder
Holz so lange und so weit es ging; war die Verwendung guter Bau-
steine aus wichtigen riründeii nicht mehr ZU umgehen, so wusste man
sie sich auch zu vers( liaiien.
Es wurden Aveiter n u t z b a r e M i n e r a 1 i e n und Mineralquellen
erwähnt. Letztere sind in der norddeutschen Tiefebene nicht ganz 80
selten, wie man bei der geologischen Beschaffenheit derselben erwarten
sollte, die Landbflcher und Ortsbeschreibungen wissen auch in der Mark,
in Pommern und Mecklenburg, selbst in Holstein und Preussen eine
Menee derselben aufzuzählen. Ich erinnere nn Bmmstedt in Hol-
stein, wo sieli vier Mineralquellen finden, von tlemii zwei eisenhaltig,
eine schweteilialtig und die vierte eine Salziiuelie ist *). Mehrmals
zogen diese Quellen eine grosse Anzahl fremder Benutzer au, zuletzt
noch 1840. Der Flecken Bramstedt gewann manchen VoHhdl durch
den Besuch der Quellen, indessen verlor sich der Ruhm ihrer Heil-
wirkungen immer sehr bald wieder.
Aus der Mark nenne ich Gleissen in der Landschaft Sternberg
mit seinen Eisenquellen; die auch ausstiliall) der Mark bekannten
Quellen von Freienwalde, die von \S alilmberg und Erman unter-
^ Buchte Eisenquelle des Luisenbades bei Berlin und die Quellen in
der Uckermark, namentlich bei Prenzlau und Gerswalde*). Viele
der schwächeren Quellen sind Oberhaupt niemals zu medicinischen
Zwecken benutzt worden, andere haben eine kurze Blfithezeit im 17.
oder 18. Jahrhundert durchgemacht und sind dann nach Vt rbr<--cni!!g
und Abkürzung der Wege zu den wirksameren und schöner gelegenen
') Schröder. Tomographie des Herzogthuius Holstein f tc , Dd. 1, S. 253.
') Hödisfc aosfOhrhcb beechrieben bei Berghans, Landbuch, Bd. 1, S. 137 ff.
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146
HAhn.
[54
(hit'Uen anderer Tlieile Mitt.'lpurMpas vf)llstiiiidi«( in VerLressenbeit ge-
ratlieii. Sie hatteu die KuLwickluag benachbarter Städte eine Zeit lang
mitgefördert, bestimmendeii Emflnss auf GrOndung oder AnfblOhen einer
Stadt hat keine einzige erlangt.
Auch die meisten der zahlreichen Salzquellen haben die Blüthe-
zeit ihrer medicinischen und technischen Verwerthung wolil hinter sich;
von den einst zuhlrtMcheren mecklenburj^ischen Salinen ist nach Geinitz ')
nur noch die in Siil/r an der pomnierscheu Grenze im Betrieb. Ebenso
haben rommern, Brandenburg, die Elbländer, auch der Nordwesten
zaUreiche entweder ganz erloschene oder nur noch zu Badezwecken
benutzte Salzwerke aumnreiaen; seibat noch im Stromgebiet des Pregels,
bei Wehlau findet sich die alte preussische Saline Ponnau*). Die
ffegen frülier so sehr erleichterten Verbimhinp^en mit fenien. grösseren
Salinen. <^anz Ijesondcrs aber die Entdeckung und Ausbeutung der grossen
Sleinsalzlager hat der Benutzung so vieler ärmerer Soolquellen ein Ende
gemacht.
Dagegen ist das Steinsalz allerdings Ton wesentlichem Einflnss
auf die Entwicklung imd NeugrUndung einzelner SiSdte gewesen. Vor
allem ist hier an das Steinsalzlager von Stassfurt und Leopoldshall za
erinnern. Stassfurt war bis in unser Jahrhundert eine kleine BrUcken-
stadt an der Bode, die in den Kriegsereignissen des 13. Jahrhunderts
eine Rolle spielte, im Verkeiii-^lid>en jedoch nicht hervortrat. Die im
Jahre 1857 begonnene Ausbeulung des Steinsalzes und die Verarbei-
tung der Kalisalze hat zur Entstehung einer Menge von industrieUen
Etablissements Anlass gegeben und £e Einwohnerzahl, die 181«) nur
1G44 betrag, auf 12194 un Jahre 1880 steigen las.sen. Da das Stein-
8alzlager auch auf unmittelbar angrenzendem anhaltischen Geliiet erlxdirt
wurde, entwickelte sich dort der (lJ^8<t) 3184 Einwohner zälilende Ort
Leopolds hall, dessen Industrie sich der von Stassfurt ganz ausclüie>st.
Eben jetzt steht die Erhebung von Leopoldshali zur Stadt bevor. Stass-
furt und Leopoldshall bilden bis jetzt die einzigen Bei8|nele eines so
weit gehenden Einflusses von Mineralschätzen auf städtische Ansied-
lungen innerhalb der norddeutschen Tiefebene*). In unserem Gebiet
wenigstens hat da.s Steinsalz der sonst obenan stehenden Kolile und
dem Eisen den Rang in dieser Bezieimng abgelaufen. Die Braunkohle
ist wohl filr einzelne (»egenden des Tieflandes, die sich jedoch vom
Südrande desselben fast sämmthch nicht weit entfernen, wichtig ge-
worden, wirkte jedoch nicht städtebildend. Die Steinkohle reicht nur
im südlichsten Theü des Regierungsbezirkes Münster in das eigentliche
Tiefland hinein und hat dort im Kreise RecklinghaiHen die Beviilki mng *
stark anwachsen lassen. Die erst 1845 entstandene Kohlen-, ludustrie-
Heft 1 dieser Sammlung, S. 13.
*) Die Provinx Pt^uBsen, Geschichte ihrer CuHur and Beschreibung ihrer
land- und furfitwirthschaftlichen Verhältnisse, Königs])erg 8. 109.
') V. Dechen. Die nutzbaren Mineralien und Gebirgsarten im Deutschen
Reiche, Berlin 1873, S. m.
*) Um .Schönebeck zeigt sich eine ähnliche Fabrikthatigkeit . dodi war
das Anwachsen dieser Salzstadt nicht ao rasch wie das von Stassturt
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Die Stftdte der norddeutschen Tiefebene.
147
und Eisenbalmstadt Oberhausen im Rei^Ierungsbezirk Düsseldorf liegt
*:chon so nahe am Kunde des Berglaiides, da.ss man sie nur in Verbin-
duntf mit diesem betrachten kann. Wrdlte man Oberhausfii trotzdem
<len Städten des Tietlandes anscliliessen, so würde es Stasslurt an rascher
Eutwickluug miudesteus gleichkommen. Oberhauseu hob sicli in der Zeit
von d5 Jahren auf 16680 Einwolmer, Stassfurt Yon 1855 (kurz vor
Beginn des Abbaues) bis 1880 von 2760 auf die oben erw&hnte Zahl
Ton 12 194.
Alle anderen mineralischen Pnnhicte haben :iuf die Städteentwick-
lunir der Tiefebene keinen nennenswerthen Kintiuss geübt. Auch das
Uaseneisenerz macht keine Ausnahme, (ieinitz hat die kurze Lebens-
dauer der zahlreichen mecklenburgischen bis in das 13. Jahrhundert
zurückreichenden Eisenwerke übersichtlich zusammengestellt^). Ob die
bereits in den Topographien und geographischen Wörterbüchern an-
geführte Petroleum-Ortschaft Oelheim am Südrande der Lüneburger
Haide wirklich dauernden Bestand haben oder gar ZU einer Stadt an-
wachsen wird, bleibt wohl noch abzuwarten.
Dritter Äbschniti.
Der letzte Abschnitt dieser Untersuchungen wird sich noch mit
den Beziehungen der Küstenp^estaltung zu der Vertheilung der nord-
deut,«<chen Städto zu beschäftigen haben. Von den zehn Kiistentypen,
wekhe ich vor kurzem aufzustellen versucht habe- i. kommen in unserem
Gebiete nur fünf vor. Der normannische Küstentypus findet sich
nur in den Kreideklippen Rügens und einigen Partien der Steilufer
des Samlandes vertreten , zu den Städten tritt er nicht in Beziehung.
Wichtiger sind die noch übriffen vier Typen. Der cimbrische be-
herrscht die ganze Ostkflste Sdoleswig-Holsteins, der ostpreussische
■wird durch die Nehrungen und Raffe Preussens, der friesische durch
die deutschen Nordseeküsten, der gas conische durch grössere Strecken
der hinteq)ommerschpn und mecklenburgischen Küste vertreten.
Die deutschen Küsten können daneben auch in natürliche und
künstliche oder besser in geregelte und unberührt gelassene eingetheflt
werden. An den geregelten oder künstlichen Küsten, welche stets Flach-
küsten sind, hat der Mensch durcli Deich- und Dammbauten das flache
Marschland beschützt und dadurch die Physiognomie der ganzen Küsten-
linie wesentlich v(^rändei"t. A?i \\9W natürlichen Küsten waren keine Deich-
bauten erforderlicli, hier hat die Küste, abgesehen von einzelnen Eingrirt'en
an Flussmündungen und Häfen, ihre natürliche Physiognomie bewalirL
Fast die ganze deutsch«; NordseekUste ist als künstliche Küste zu be-
zeichnen, die sehr beschränkten Ausnahmen werden unten anzufOhren
sein. An der Ostsee wiederum herrscht der andere Typus durchaus vor.
»} A. a. 0. S. 22.
^ Zeitschrift fBr wiasemchaflL Geogiaphiep Bd. 5^ S. 245 ff.
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148 Hahn. [5$
Die Küsten DeiitscLeii Ueiehes sind im iillireineiiRii filr die
Besiedt'hmg uiciit günstig zu ueuiieu. ^»iigeuds fijideu sich so städt^i-
reiche Ettstenstrecken wie etwa in Ligurien. IJm so mehr ist anzu*
erkennen, dass die sich dennoch darbietenden günstigeren Positionen so
geschickt liiid zum Theil irlänzend verwertliet wurden.
Uebersclmuen wir die deutsche OstseekOste mit Hinzuziehung
der Küste Kurlands und Livlands iiacli ilnei- alltremeinen Anordnung,
so bemerken wir sofort eine Reihe von grossen Buchten, welche in
das Land eingreifen. Der liigaische Meerbusen zwischen Cap Spint
und Lfiserort erOfl&iet die Reihen bei LUserort, noch deutlicher bei Stensort»
beginnt eine zweite grosse aber flache Bucht, die gewöhnlich nach der Stadt
Dun zig benannt wird. Sie reicht bis Rixhöft; die widerstandsfaliigeren
Schichten des Samhindes. welche den Vorsprung Brüsterort bilden, be-
wirken whi'v eine Theilung dieser Buclit in einen grösseren nördlichen
und k!i ineren südlichen Tlieil (Menieler und eigentliche l)anziger
Buchtj. Von Riidiöft bi.s Arcona rechnen wii* die flache Pommer'sehe
Bucht, Yon Arcona bis zur Nordspitze Fehmarns die Mecklenburger
oder Lübecker Bucht. Es fäUt nun sofort auf, dass die Zahl der
grösseren StUdte an jeder dieser Buchten eine sehr geringe ist, dass
mehrfach eine diestr Städte die übrigen weitaus überflügelt hat und
dass die Ltiise dieser wichtigen Ansicd hingen unverkennbar an die Ein-
mündung der grösseren Flüsse gekniijill ist. Es lässt sich sogar eine Be-
• Ziehung zwischen der Grösse der Städte und dem Umfange des betreö'eu-
den Flus^bietes nachweiBen. In der KShe der Flussmfindungen dringt
sich der verkehr zwischen dem Meere und dem Hinterlande zusammen;
je tiefer der Meeresgolf in das Land eingreift, desto weiter landeinwärts
wird auch der Uebergangsplatz zwischen Land- und Seeverkehr nach
einem längst erkannten OJesetze das freilic h keineswegs für alle Küsten-
typen, doch aber lür die in Deutscldand ^ orkommenden gilt, angelegt
werden. Mündet mehr als ein grösserei- l'luss in einen Golf, so werden
meist auch mehrere Städte bestäen, welche jedoch durch mannichfeche
Besonderheiten des Bodens und der hydrographischen Verhältnisse aus
der unmittelbaren Nähe der Flussmündung oder gar des Flusses
überhaupt verdrängt und doch auf den Fluss und seine Mündung
angewiesen sein kramen. Auch wird man nicht Lrcnide die unmittel-
barste Nähe des Mcerrs ;nifsuchen, es ist \iu> virl»ii (iründen der
Punkt am Unteriauie des Flusses vortheühaiter, an weichem die See-
schiffe Halt machen und ihre Last den Flussschiffen Übergeben mUssen.
Vielfach ist auch eben dieser Punkt der letzte, an welchem der Fluss
bequem Überschritten werden kann. Die Strecken, welche von den ^lün-
dungen grösserer Flüsse zu sehr entfenit sind, werden nur wenige und tast
durcnweg kleine Städte aufzuweisen haben. Selbst verständ]i< Ii sind alle
diese Regeln nicht etwa von Anfang an von den An>^iedlern und Städte-
gründem erkannt und befolgt worden. Aber die allgemeine Anordnung
und die Beschaffenheit der Küste, die Vertheilung und Grösse der
') Vgl. Kohl. Vcik'lii \iinl An^iedluogen, S. 364 ff.; andi Schneider,
Bie Siedelungen an Meerbusen, Halle 1883.
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57]
Die Stftdte der norddeatsoheii Tiefebene.
14»
einniünderiden Ströme lialien iliren Eiiifluss trotz aller noch so hoch an-
ziuchiagenden Einwirkiiiij^rn der Viilker- und Ortsi^csc liic lite so nach-
drücklich und unaVilässi;^^ geltend ^^'emacht, dass ungeachtet aller Zer-
gtüruugeu und Unterdrückungen an den günstigsten Plätzen immer
wieder städtisches Leben aiublühte. Solide Ansiedlimgen dagegen,
welche gleichsam an gBographisch unstatthaften Punkte errichtet ware n,
haben am Ii durch die grössten Opfer nicht über eine mässige Höhe
hinrtusgeht)l)en werden künnen. Eine kurze Durchmusterung der Ostsee-
;g^dte wird uns zahlreiche Beis]»i»'l<- tiir die eben aufge.stillten Sätze
Torfiihren. In den 1\ i ira i sc hen (xolt münden an grösst reu Flüssen
nur die weit aus dem Innern Kusslands kommende Düna mit iliren un-
mittdbaren Nachbarn, der Aa Ton Wohnar und der Aa von Mitau;
feiner die Pernau. An der Hflndung der Düna und der beiden Aa
greift der Golf am ti( f>ten in den liier so nias>igen Continent hinein,
hier am weitaus niiuhtigsten der geKannten Flüsse erwuchs die Sfadf
KiL'u, die wichtigste zwischen Petersburg und Königsberg. Sie liegt
jede« Ii nicht umiiittelhar an der Mündung des Fhisses, sondern 15 km
flus»autN\ ärts. Da aber die Seeschiüe der älteren Zeit alle bis Riga
hinauffahren konnten, war ein eigentlicher Vorhafen hier nicht in dem
Haasse wie bei anderen Ostseestildten erforderlich. Dttnamünde diente
nur ab Sperrfort und Zollstätte. Erst die Ansprüche der neuesten Zeit
haben hier oder genauer bei Bolderaa Hafenanlagen für die grössten
See^chitfe entstehen lassen. Bf)lderaa bezeichnet zugleich die Mündung
der Aa von Mitau. Die Aa von \\ Olmar, obwohl auch eine Strecke
weit schifi'bar, ist der Düna zu naiie, als dass an ihr eine gjjössere von
Riga unabhängige Stadt gedeihen könnte. Auch Pernau würde ein
wenig bedeutender Ort sein, wenn sein kleiner Fluss allein dastände;
da er aber durch den See AVirz und den Embach mit dem ganzen Peipn--
gebiet in Verbindung tritt, ist Pernau der Seehafen \\\r einen ziemlich
grossen Theil des nördliclien Livlands. Mit der Erl»auinig einer Ei.sen-
balm zwischen Riga und Dorpat werden sieli die Verhältnisse alter etwas
zu L'iigunsteu Pernaus verschieben. Die übrigen Uferorte des Kiguischen
Meerbusens sind ganz unbedeutend.
Wir passiren den Landvorsprung Stensort und treten in den zu-
nächst sehr schwach ausgeprägten Memeler Golf ein. Hier ist der
Xiemen der Hauptfluss. der jed(ii( li nieht direc t in die offene See,
sondern in das Kurische Haff ausniü!i<]rt. Das weitiUutiirf' Delta des
Xienieu und die ganze Ost- und Südküste des Hatts sind zu Ansied-
lungen wenig geeignet und ermangeln in der That aller städtischen
WohnplStze. Die Bedeutung des bis weit in die russischen Gouveme»
meuts Minsk und Grodno hineinreichenden Kiemen liess aber trotzdem
Mündungsstädte entstehen. Die eine derselben, Tilsit, liegt an der
Wurzel des Deltas, eine nicht seltene Erscheinung, sobald das Delta
selbst keinen geeigneten H;iuplatz darbietet. Tilsit kann allenfalls uoeh
als Seestadt bescheideii>teii Hanges l)etrachtet werden, da es dureh
Dampfer, welche das Kurische Hati', den Pregel, einige Arme des
Kiemendeltas und verbindende Kanäle beßihren, mit Memel und Königs-
berg in Verbindung steht. Jedoch liegt der grössere Theil seiner Be-
deutung in dem Verkehr mit dem Innern des Landes.
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150
Halm,
[68
Der eigeiitlidie Seeliafon dos Kuri.scheii Halles und der Xieineii-
luumluijgeii ist Memtd. Bei Meiiitd eutstijht durch die Anndlieruug der
Nordspitze der Kurischen Nehrung an das FesÜand eine flnssutige
Meeresstrasse, so dass Hemel den wenigen Meerengenstädten des Reiches
zugerechnet werden kann Es kreuzen sich bei Memel drei Verkehrs-
bahnen. Die erste kommt von Tilsit )ier (sei es auf dem Hati" oder
auf dem Landwon^c über Hoidekrug) und geht an d«'r Mt^-resküste ent-
lang nach Norden, kurz vor l*olangen die russische Grenze üljerschreitond.
Die zweite hat vüu Königsberg aus den Weg über die Nelirung ein-
geschlagen, kreuzt bei Memel den Ausfluss des Haffes und vereinigt
eich nun mit der ersten. Besonders der Brie^DOstverkehr schlug tot
der Zeit der Eisenbahnen gern den Weg über die Xelirung, Stemel
und Pohingen ein. Drittens endhch l)ietet der bei Memel einmündende
Flnss Dange eine kurze durch die Nähe der Zollgrenze noch besi^nders
erschwerte B.ihn in die nächsten Binnenlandschaften dar. »So vereiiiiirte
sich hier mehrcres. um eine Stadt von müssiger Grösse aufblühen zu
lassen. Vorübergehend wurde der Verkehr Memels und anderer ost-
preussischer Seestädte sehr gesteigert, als während des Erimkrieges
die benacli1»arten russischen Häfen nicht l)enutzt werden konnten. Dieser
gelegentliclie Vortheil wird jedoeh durt Ii •lic grosse Nähe der (Irenze
und den Mangel einer directen Eisenbahnverl>indung über dieselbe mehr
als aufgewogen. Auf der einförmigen Küstenstrecke nördlich von Memel
sehen wir noch den russischen Hafenplatz Li bau. Für Libau lassen
sich weit weniger geographische Momente geltend machen als fUr MemeL
Es Hegt weder an einer bemerkenswerthen Einbiegung der Kfiste, noch
mündet hier ein wi< lifiuer Fluss. Nur eine Art Lagune, der sogenannte
„Kleine See" dient als Hafen, zwis(dien ihm und dem Meere liegt die
Stadt. Es ist bekannt, dass sich die russische Regierung seit einigen
Jahrzehnten grosse Mühe triebt, Libau trotz der wenig günstigen geo-
graphischen Verhältnisse emporzuheben; eine wichtige Bahnlinie, welche
▼on Libau fiast schnurgerade bis Charkow, Itostow und Wladikawkas das
sndlidie Russland durchschneidet, bietet einen grossen Vortheil, auf den
Memel verzichten muss. Noch nördlicher als I.iban liegt der kleine
Hafen Windau, der zw^ar noch keine weitreichende Bahnlinie, al)er doch
eine bescheidene Kanalverl)indung des gleichnamigen Flüsschens mit
dem Gebiet tles Xiemen für sich anfühi'en kann.
Wii" gehen zum südlichen Theil unseres Golfes über. Wieder
zeigt hier die KUstenbildung ein Haff und eine Nehrung, beide sind
aber wesentlich milder und zugänglicher als die DOnenwUste der Kuri-
schen Nehrung und die stets flache sumpfige Küste des Kmischen
Haft'es. Zwei wichtige Ströme, Weichsel und Pregel. münden hier.
Beide sind durch Städte von ansehnli< her Grösse ausgezeichnet. Der
Pregel hat zwar kein so grosses Gebiet wie der Niemen, beherrscht
aber doch einen wichtigen, fruchtbaren und recht gut bebauten Theil
des mittleren Ostpreussens. Die Pregelstadt Königsberg ist sowohl
BrOdcen- als MOndungsstadt Sie diente nrsprOnglich als Ghrenzfeste
Ausser Memel namentlich noch Stnüsuid und Sonderbmg.
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59]
Die Stftdte norddeutschen Tiefebene.
151
und Bri'K ktMikojtf gegen ilas Samlund. Mehrere kleine Hügel erleicli-
tertoii Aubau und Vertlieidigung, eine klt iiif liist l im l'rrgcl den Ueber-
gang'). p]in anderer i'uiikt hätte nicht Irirlit gcwidilt werden können,
denii immittelbar oberhalb von der Stadt beginnt lür eine weite Strecke
die Bildung langgestreckter Inseln mit nassem Wiesenboden, unterhalb
aber folgt sogleich das ausgedehnte die Mündung umgebende Wiesenland.
Hier kreuzte sich der Weg ans dem trockenen gangl)aren Ermeland (Ab-
.H'liuitt 1) nacli dem Sandand mit der Wasserstrasse des Pregel. Königs-
berg l>ililrt tiTn«-r eine (ireii/e der IMeor- und F]iis>;s( ]nii'tahrt. Es können
noch See.schiti'e bis Kr»üii(sl»rr;^ hinaul'i;i'laiiut ii. icdocli nur bis /u -l ni
Tiefgaug; tiefergellende müssen einen Theil ilirer Ladung in i'iliau
lüDchea, oder, wenn sie Eönigsbeig seewärts verlassen, sich bis Pillau
«if Begleit kühnen nachbringen lassen*). Pillau ist also Königsbergs
Vofliafen und Vorfestung; es liegt auf dem nördlichen Theil der Frischen
X*^lining unmittelbar nördlich von dem Verbindungstief mit der otienen
See in einer sandigen Gegeml. Da es Bahnverl»indung besitzt, werden
manche tiir das Biixueuland bestimmte VVaaren schon hier au die Eisen-
bahn abgegeben.
Das' Frische Haff hat eine Anzahl kleiner Hafenplätze au&uweisen,
> 1 Ix zum Theil unmittelbar am Ufer liegen. So finden wir Tolkemit
und Frauenburg am Rande der 'Elbinger Höhe gegen das Haff, beide
hiW-n nur kleine Häfen und sehr geringen Schiflsverkehr. Im Norden
litif.n nocli Brandenburg an der Mündung des Frisching. da wn die
alle Berhn- Königsberger Poststrasse das Haß' berührt, und Fisch hausen
Btt der SüdkUste des Samlaudes. Brauusberg an der Passarge hat
nur wenige Beziehungen zum 7 km entfernten Meere, es verkehrt mehr
mit dem Binnenlande, wohin auch seine Eisenbahnen weisen. Auch
Elbing steht mit der See nur in schwacher Verbindung, das soge-
iiiiniite Elbinger Fahrwasser führt zum Haft", eine complieirte und
beschwerliche Kanalverbindung zur Weichsel und nach Danzig^). Auch
dag Elbiuger Fahrwasser ist au einigen Stellen sehr eng, der ganze
Verkehr wird als „nicht gerade bedeutend** bezeichnet*). Dass Elljing
aber daf&r an wichtigen binnenländischen Verkehrsstrassen Theil nimmt,
ist schon früher erwähnt worden. Da Nogat und Elbinger Weichsel
nicht mehr als Zugänge zur See betrachtet werden kr>nnen, ist jetzt
Danzig die einzige Mündungsstadt der Wei( h-rl. Seine Lage am Rande
«ler^öhen von Pommerellen ist s( hon cluirakterisirt worden. Näher mit
<ier Stadt an das Meer heranzugehen wäre weder der Terrainverhältnisse
noch der Sicherheit halber rathsam gewesen. Gleichwolil liegt die Stadt
dem Heere noch so nahe, dass ihre Thflrme als Seezeichen benutzt
werden kdnnen. Als Vorhäfen dienen Weichsel münde und Neufahr-
wasser; ersteres ist befestigt und deckt die £iniiihrt. Fast alle grösseren
*) Da Königsberg" einen pjrossen Raum einnimmt und noch viel Gärten und
Uib^Miate Plätze in seinen Mauern einschliesst, fehlen hier die sonst lür Festungs-
ttidte so bezeichnenden uuägedehnten Vororte last gän/lich.
*) Segelhandburh Ii n- die Ostsee. Hd. 2. Herlin 18^1. 123.
•) Passarge, Aus dem Weichaeldeltu. Berlin 1857, b. 231 ff.
8«gdhaiidbQ€li, Bd. % 8. 134.
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I
152 Hahn. [60
Schiffe TnOs55en in X. nt'nlirw asscr fwekhes oft sclileclithin als Danzij^er
liheile bezeichnet winl) Ihih muehen. We.sthch von Danzig bot das
rasch zu bewaldeten, .schwachbewohnten Höhen ansteigende Land, der
Mangel wichtiger Verkehrswege nach dem Innern und das Ton Sand*
b&nken nicht freie Fahrwasser der Putziger Wiek wenig Veranlassung
zur Anlage von Hafenpliitzen. Putzig dient nur d^ beMihiinktesten
örtlichen Verkehr. Autfallend ist <lie Aiisiedlung an der Spitze der
Halbinsel Heia, da die sandige und zum Theil mit AVald bedeckte
Halbinsel wohl nie einen guten Verbindungsweg nacli dem Festlande
daibot. Walirscheinlich ist die öfters wiederholte Angabe, das heute
sehr unbedeutende Heia sei einst eine grosse Handelsstadt gewesen,
eine ebenso giimdlose Sage wie die Tradition Ton Vineta und Shnliche
Terkehrsgeographische ^lythen
Die Pomni »'v'--( lie Bucht reicht von Hixhöft bis Arcona auf
Hü gen. Auch in ihr linden wir gegenwärtig die gWisste Stadt in der
innersten Kinltuchtung des Golfes und gleichzeitig an der Mündung des
grössten Flusses. Wir haben Stettin als Raudstadt schon kennen ge-
lernt. Was seine Beziehungen zur KOste und zur ganzen Pommer'schen
Bucht betriflFl, so sind dieselben erst in neuerer Zeit recht wichtig ge-
worden. 181G zählte Stettin erst 24 000 Kinwohner. * Man sieht leicht»
dass Stettin wtdil für den grösseren 'l'heil Fonimems einen passenden
iViitralpunkt bildet, die Entfernung von der See ist aber so bedeutend
und die Sclnvierigkeiten der zum Theil engen und gewundenen \Va.sser-
strassen so gruss, dass die ganze Energie der Regierung und der
Stadt selbst daför eintreten musste, um Stettin durch Verbesserung
seiner Zufahrtsstrassen und Hafeneinrichtungen auf die heute erreichte
sehr rühmliche Stufe zu heben. Fahren wir von Stettin nach der See zu,
80 gelangen wir durch die sogenannte Enge Oder an den nördlichen
sehr industriellen Vororten Stettins vorül)er in die KTmigsfahrt. wieder
Durchstich von der Engen Oder zum sogeiunuitt n K n ni ee 1 ström ge-
nannt wird (auf ültereu Specialkarteu noch nicht angegel»en). Der gro.sse
Damm'sche See bleibt dabei rechts liegen, er wird vom Seeverkehr fast
gar nicht berOhrt. Der Kameeistrom bringt uns bald in den sogenannt« n
Dammsnsch, ein breites Gewässer, in welchem auf kurze Zeit alle
Oderarme wieder vereinigt sind. Es folgt eine neue Dn itheihmg des
Stromes, wir schlagen den (istlichsten Arm. die Weite Strewe ein und
erreichen das i*ai)euwasser, eine südliche Ausbuchtung des grogsen
Stettiuer Haifes. Drei Wege führen aus dem Haff in dius offene Meer,
von denen aber der Ostliche so gut wie gar nicht, der westliche auch
wenig in Betracht kommt. So bleibt uns der mittlere Weg durch diÄ
Swine Übrig, und auf ihm erreichen wir endlich bei SwinemOnde das
Ende dieser Wasserstrasse, der complicirtesten, Avelche irgend eine der
gr<")sseren deutsehen Seestädte mit «lem offenen Meere verbindet. ^^ ir
bemerkten auf unserem ^Vege mehrere für Ansiedlungen anscheinend
geeignete Punkte au den Stromtrennungen und Wiedervereinigungen-
') Vgl Segelhandbach Bd. 2. S. loi ; femer Aber Heia Schumanii, Geolog.
Wanderungen durch Altpreuneo, Königsberg 1869» S. 80 ff.
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Die Stftdte der norddeutsdieii Tiefebene.
153
Näheres Studium der örtlicheu Verhältnisse überzeuijt uns indes^r-n '^tot'^.
dass i\n^< niedrige sumpfige Wiesenland kaum vu\ gün>tig('r liauplatz
geuiinnt werden durt'. Auch ist die Bevölkerung^ der mit ausgedehnteu
Waldungen bedeckten Ufergebiete des Hafifs und des Papeuwossers
eine noch wenig zahlreiche. Nur einige Zwischenhafen und kleine
Ladep^tze haben sich zwischen Stettin und Swinemünde entwickelt, wie
Pdlitz an der Lar])e. einem kleinen Seitenarm der Engen Oder,
Stepenitz an d« r Oststite des Papenwassers und einige noch kleinere
PlStze. Sie verlialten sieli zu Stettin t-twa wie Brakt' odrr HlsHetli zu
Bremen, erreielu-n aber bei weitem uiciit die Wichtigkeit jener Weserorte.
£s möge hier gleich der Städte an- der SOdwestkUt^te des Hafts und den
dortigen Flfissen gedacht werden. Das kleine Neuwurp an der Grenze
2wi.schen grossem und kleinem Haff au einer Bucht gelegen, ist nur
ein Ladeplatz für das Holz der hier besonders ausgedehnten Forsten,
üeckermünde und Anclam entsprechen an Bedeutung genau der
Orüs-«»- ilirer Flüsse. Beide liegen nicht unmittelbar am Ufer. Uecker-
müude an der Uecker, wenig über 2 km vom Haft" entfernt, betreibt
iwar etwas Seeschifffahrt, erhebt sich aber nur wenig über jene Oder-
stidte zwischen Stettin und dem Hafif. Anclam, mehr als 7 km Tom
Ufer an der Peene hat zwar noch weniger Seeverkelu* als Ueckermünde,
iüt aber in seinen Beziehungen zum Binnenlande viel widitiger als jenes.
Ks ist eine Brückenstadt für den Landweg von Stettin nach \ orpommem
und der letzte bequeme Uebergangspunkt über die Peene, bevor dieselbe
<iüs HaÖ' erreicht.
Wir kehren in das Haff zurQck. Je weiter eine auf Seeverkehr
angewiesene Stadt vom offenen Meere entfernt und je schwieriger der
iusserweg dorthin ist, desto grössere selbständige Bedeutung wird der
Vorhafen für sich in Anspruch nehmen können. So ist auch Swine-
münde, der eigentliche Vorhafen Stettins an der Swine, lebhaft empor-
geblüht, allerdings nicht lediglich durch die (iunst seiner Lage, sondern
vornehmlich durch die unablässige Thätigkeit der preussischen Kegie-
rung Wäre die Peene schon am Aulaug des 18. Jahrhunderts ganz
in preussischem Besitz gewesen, so hätten sich die Anstrengungen viel-
leicht dorÜiin gewandt ; so aber galt i >. jenen noch halb schwedischen
Wasserweg durch die ganz preussische S^vine möglichst zu ersetzen.
Swinemünde besitzt jetzt auch eine allerdings etwas weitläufige Bahn-
verbindung mit dem Binnenlande und wird vielleicht noch eine zweite
(über die Insel W'ollin) erhalten. Mit der wachsenden Bedeutung der
Swine mussten die Peene und vollends die sehr ungünstige Dievenow
an Verkehr einbOssen; die Dievenowstädte Kamm in und Wo 11 in
haben den Kampf fast gänzlich aufgegeben'), die Peenestadt Wolgast
dagegen setzt ihn noch rüstig fort und hat sich ein kleines, aber von
Stettin unabhängiges Verkehrsgebiet erhalten. Pt enemünde ist nicht
al^ Vorhafen Wolgasts zu betrachten, sondern dient nur als Zoll- und
L"<'t>»:ii5tation (Segeihandbuch Bd. 2, S. 10).
Mau vergi. hierzu Paul Lehmann, Poauuems Küäte vou der Dieveuow
bis mm DsiM, Breslau 1878i bes. 8. 22 «. 23.
*) Segelhaadbnch Bd. 2, S. 67 u. 68.
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154
[62
\\\'ii(lt n wir uns von diest iii ceiitriilt n Tlicile der Stettiner Bucht
noch emjual an die Ivüsic Hintcr[)oimiieni8 zurück. bemerken wir
hier einen auffallenden Mangel grösserer Städte, aber ein ziemlich häu-
figes Vorkommen von Seehäfen dritten und vierten Ranges. Grössere
Seestädte sind hier auch nie ht zu erwarte n, da die Küste auf der langen
Strecke von der Dievenow bis KLxluilt keinen V)esonders guten Halen
darbietet und überhau})t keinen sofort auttallenden und ftir den Ver-
kehr witlititren Al>schnitt zeigt. Dazu kommt, dass nwh das Hinter-
land im Cianzeu genommen nur eine müssige Fruchtbarkeit besitzt.
Der Charakter des Landes und der Landwirthschaft ist weithin der
nämliche, die Berölkeningsdichte ist auch in der Nähe der Kttste nicht
l>edeutend und sinkt im Innern in den an Wäldern und Haiden reichen
Kreisen Kummclsburg, Sclilochau und Könitz noch mehr.
Die Hafenstädte sind last sänimtlich an die kleinen Flüsse ge-
knüpft, welche auf dieser Strecke münden. Der Küstensaum selbst ist
für Städte meist wenig geeignet. „Aus Seen, Sümpfen und Tori'brücheu
setzt sich das Landsc&ftshild der hinterpommer'schen Küste zusammen",
sagt Paul Lehmann in einer neueren Arheit flher diese so hemerkens-
werthe und doch so wenig besuchte und selten heschriehene Kflste
Dazu kommen dann noch die Dünen.
Die Städte Herren deshalb eine kleine Strecke stromaufwärts. Es
münden hier die Uega, Persante, Grabow, Wipj)er, Stolpe,
Lupow, Leba und Piusnitz. Grabow und Wipper haben eine ge-
meinschiÄliche Mllndung. Kur Piasnitz und Lupow haben keine S£iidt
aufiEUweisen; an der Lupowmfindung liegt jedoch das Fischerdorf Howe.
Eigentliche Seelüifm sind jetzt noch Kolberg mit dem ganz nahen Vor-
hafen Kolbergermünde an der Persante, Rügenwalde mit l?ilgenwalder-
münde an der Wipper, Stolpmünde an der Stolpe und allenfalls noch
Leba am gli'ichnamigen Flusse zwischen Lebasee und Sarbskersee.
Dotii ist Leba's maritime Bedeutunj^ ganz gering, ein neuer Halen
aber beabsichtigt^}. Stolpmfinde ist nicht etwa der Vorhafen von
Stolp, einer reinen Binnenstadt, su welcher keine Seeschiffe hinauf-
gelangen können, sondern ein selbständiger kleiner Seeplatz, dessen
Hafen aber auch zu wünschen übrig lässt . da ihn die Stolpe und die
Küstenstrr)mnnir zu versanden streben (SegeDiandb. Bd. 2, S. l';0.
Am wic•htlf;^tt n unter allen diesen Plätzen ist Kolberg, weil >ein
Hafen der relativ beste an der ganzen Küsteustrecke ist. Stadt und
Hafen waren deshalb stark befestigt, der letztere ist es noch jetzt
TTebrigens hat auch gewerbliche Thätigkeit sowie Eolbergs Eigenschaft
als Sool- und Seebad grossen Antheil an dem in neuester Zeit rascheren
Aufblühen der Stadt; der Schifi'sverkehr im Hafen umfasst jedoch vor-
wiegend nur Küstenfahrer. Erhaschen ist K ega mün de, der Vftrhaten
von Treptow. Lelmiann macht diirauf aufmerksam, dass dieser st h -n
im 14. Jahrhundert ver.sandendc Haien niemals bedeutend gewesen sem
kann *). Woher sollte auch im Kittelalter ein so starker Verkehr an
•) Zeitsclirift der Berl. Gesellschalt für Erdkunde Bd. 19, 1884, S. 385.
Lfhmunn a. a. 0. S. ;i85. Vgl. Sogelhandhuch Bd. 2, S. 97.
Zeitschrift der BerL Gesellschaft ftlr lilrdkande Bd. 19, 1884, S. 3i4 f.
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63J
Die SlAdie der norddeutschen Tiefebene.
155
der Kflste Pommems kommen , wie ihn die Vertheidiger der dort be-
sonder^ zahlreich auftauchenden verkehr.^gcogrnjilii.schen Stildtesagen
annehnitii musstenr' Das Land war weit wcnintr antje^niut als heute,
die Verkehrswege ganz unentwickelt, die öHentliche Sicherlieit oit ge-
lährdet, die Bevölkerung des ganzen Küstengebietes gewiss wenig
atUreich.
In Vorpommern erscheinen zwei Stellen vor anderen zu Städte-
anl.igtn geeignet, der innerste Winkel des Greifswalder Boddens, das
Diinische Wieck genannt, und die Ufer des Sundes zwischen Rügen
und <hm Festlande. Nur ein kleiner Fhiss mündet in das Diinisdie
Wieck, es ist die Ryck oder der Kyckgraben, weldier durch den
Schwedengrabeu mit dem Gebiet der Peene in Verbindung steht.
Hier liegt Greifswald etwa 3 Ion vom offmien Meere und dem kleinen
Vorhafen Greifswalder Wieck entfernt. Der Greifswalder Bodden
ist ein ziemlidi beschwerliches Fahrwasser und die maritime Bedeutung
(m-ifswalds nicht allzu gross. Im Jahre ISTl* zählte man in Oroifs-
wrdd und Wieck zusammen nur S2 aiisgt^hiuh-iie und 114 eingelaufene
Seescliiffe ^). Die fruchtbare Umgebung, die Lage dir Sta<lt an der
Torpommerschen Ivüstenstrasse, sowie die früher wichtigen Salzwerke
und schliesslich auch die Universität haben zusammen mehr zu dem
iuiineihin bemerkbaren Aufblühen der Stadt he^etragen, als die Nahe
des Meeres. Nur lilr die Verbindung mit dem östlichen Theile Rügens
ist der Greifswalder Hafen jetzt von einiger Wichtigkeit.
Stralsund ist die zweite der deutschen Meerengenstiidte,
wichtig durch die Verbindung mit dem fruchtbaren Rügen und der
schwedischen Südküste, sehr gesichert durch seine wasserreiche Um-
gebung. Die Insel Dänholm erleichtert den Uebergang nach Rflgen.
Stralsund hat einen erheblich grösseren Schi&rerkdur als Greifswald,
seine Einwohnerzahl ist aber nur wenig rascher gewachsen. Die Insel
Rügen und ihre Hesicfb lung winl schon von Kohl fr(>rtert -). Sie
^'ehört in die Zahl derjenigen Inseln, l»ei denen Inneres und Küsten
von ungefähr gleicher Zugänglichkeit und Anbaulahigkeit sind. Ist
nun eine solche Insel nicht gar zu gross, dann genügt ein Hauptort
nahe der Mitte tmd wenige andere an den Küsten. So ist es in der
Tbat auf Rügen. Die CentraLstadt Bergen wird von dem Kranze der
der Küste näheren Flecken und Städtchen Garz, Putbus, Sagard
lind Gingst umgeben. Alb- sind der mässigen Gnissc der InseP)
entsprechend nur sehr bescheidene Ansiedlungen. Keiner der Randorte
liegt jedoch unmittelbar an der Küste. Sagard kann gleichzeitig als
Centraiort des fast selbständigen Inseltheiles Jasmund betrachtet werden.
Mecklenburgs Küsten zeigen drei bemerkenawerthere Küsten-
einsehnitte. Der erste ist zum Tnefl noch Pommern zugehörig und
•) Segelhandbuch Bd. 2. S. 26.
Verkehr und Ansiedlungen S. 2t)3 f.
^ Es -venteht sich von selbst, dass unter ganz besondert'n. im Deutschen
Reich nicht vorkommenden Verhftltnisspn auch eine ganz kleine liisd eine grössere
Stadl enthalten kann. Dann ist aber nicht die Grösse der Insel du» Musägebende,
•ondeni ihre Beneboog zu Mnem naheUegenden Festlznde oder einer anderen Insel.
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156
Halm,
[M
wird durch die uinl'ani^reichen Hatte und Hodd« n. in deren innersten
AVinkel (Kibnitzer See) die Recknitz mündet. )ji zeicliuet. Die Stadt
Ribnitz kann jedoch kaum als Seestadt betrachtet werden, ebenso-
wen'ig wie ihre preussische Nachbarstadt Dammgarten. Beide er-
halten durch den KecknitzUbergang einige Bedeutung und waren lange
wichtige Zoll- und Febergangsplätse an der proussisch-mecklenburgischen
Grenze. Die Nelirun«? zwischen dem Hiltnitzer St-e und dem oftenen
Meer ist das sogenannte Fi sc Iii and. ein liiiutig geschilderter, von einer
rein seemännischen lievölkerung ht-wohnter Strich. In der (lestaltuug
der Küste ist liier nichts zu finden, was die Bewohner gerade dieses
abgelegenen Gebietes so entschieden auf das Seeleben hinwiese; wir
werden auch hier uns vor einer Ableitung der Neigungen und Ab-
neigungen der Bevölkerung aus der Landesbeschafienlirit einigermassen
zu boten haben. Fcbrigens kommen auch weit im Binnenhmde . wo
der Anblick der See gänzHch wegfSillt, Landstriche und Ortschaften
vor, deren Bewohner dem Seedienst vor anderen lieschjitl:igungen den
Vorzug geben und sich auch gut dazu eignen. Ein solches Gebiet
liegt z. B. in der Nähe von Oldenburg bei 6rüp])enbQhren.
Der zweite wichtige Küsteneinschnitt wird durch den Mündungs-
golf der Warnow gebildet. Wir haben es hier sclion mit Bildungen
zu thun, welche zu den sclileswig-holsteinisclien Frdirden überleiten.
Gerade da, wo die Warnow in den Miindunur>gi)lf eintritt, hat sich die
Stadt Rostock angesiedelt, gleiclizeitig die letzte Üebergangsstelle
über den nun seeartig werdenden Fluss und die Grenze der Seeschifffahrt
gegen das Binnenland bezeichnend. Der gute Hafen von Rostock ist
um so wichtiger^ als er auf der Strecke von Stralsund bis Wismar
einzig da.steht. Vorhafen ist das Städtchen Warnemünde an der
eigentlichen Mündun«^ der WaiTiow. Rostock und AVarnemünde >iud
das Ausgangsthor für das ganze «östliche und mittlere Mecklenburu.
sowie für einige Gegenden der n«irdliclien Mark. Die Stadt Kostuck
hatte lauge Zeit nur eine einzige Eisenbahnlinie zur Verftlgimg, Warue-
mflnde war ganz ohne 'Bahnanschluss. Die letzten Jahre haben den
Ausbau des mecklenbuigischen Bahnnetzes mächtig gefördert und auch
Rostock nicht nur die Verbindung mit seinem Vorhafen, sondern auch
noch zwei andere Linien gebracht; eine weitere nach Stral>und, welche
die letzte wichtige Lücke im Netz der deutschen Küstenbahnen aus-
füllen wird , ist im Bau. Während der Sommermonate vermittelt
der von Berlin aus jetzt leicht zu erreichende Hafen von Rostock auch
einen wichtigen Theil des Personenverkehrs nach den naheliegenden
dänischen Inseln.
Wismar endhch li^ an einer noch auffälligeren Bucht als
Rostock, so n;\hf^ am Meer, dass es keine** ^^>rll:lft'ns bedarf. Unirij<s.
Lage und Bauplan der Stadt erimiern sehr an Kostock . doch ist der
Hafen weniger ))e(iuem. Er ist nach Aussage des Segelhandbuches
(Bd. 1 , S. 184) nur ein kün.stlich ausgetiefter Graben. Wismar ent-
behrt eines grosseren binnenwarts führenden Gewässers; zwischen die
grossen Plabse Rostock und Lübeck einge.schaltet, i.st .sein eigenes
Vwkehrsgebiet nur gering. Ausserdem haben mancherlei nichtgeo-
graphische Umstände die Entwicklung der Stadt lange aufgehalten.
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Die Stftdte der norddeutschen Tiefebene.
157
Ih'e Stadt Lülieck, mit der wir den wostlirlisieii Winkel der
grosjien mecklenburgischen oder lübischt ii Bucht erreichen, wurde keines-
W€^ durch hervorragend günstige nähere Umgebung auf die hohe
RaoflBtnfe gehoben f weldie sie knge Zeit einnahm. Die Entfernung
der Stadt vom ofPenen Meere ist bedeutend, das Fahrwasser der Trave
Im zum Vorhafen Travemünde stark gewunden und trotz sehr
energischer Verbessenmgen stellenweise so cn«;. dass die Beir^ ^-iiung
zweif-r Schiffe schwierig wird Das Zusammentreffen mehrerer kleiner
Flusslitute im innersten Winkel der Lübecker Bucht (Trave. Wakenitz,
btepeiiitz, Schwartau) scheint früi» /u Ansiedlungen gelockt zu haben;
AltpLQheck, der Vorläufer der heutigen Stadt, kg der See etwas naher
tn der MOndung der Schwartau in die Trave in niedriger, aber nicht
ungihistitrt'r Gegend *). Das neue Lübeck besetzt eine sehr auffallige
Halbinsel, welche von Wakenitz und Trave umgeben wird. Vortheile
dieser Lage waren die grosse Sicherheit in dieser last insularen Position,
sowie die Möglichkeit, zahlreiche Seeschiffe ankern zu lassen. Wirk-
lich zum Anlegeplatz verwendet werden jedoch nur die (iewUsser au
der Westadte der Stadt Die Lttbeeker Kriegsschiffe zur Zeit der
Hansa lagen weiter abwärts im Stau, einer heute seichten Bucht in der
Xülie der sogenannten Herrenfähre Schattenseiten in der Lage von
Lübeck waren die beschwerliche Verbindung mit dem Meere (s. o.)
und die Beschränktheit des I^nuplatzes, welcbf mit der Zeit durch
Anlt'^mntj: von Vorstädten und Häusergruppen jenseits der Jtlüsse aus-
geglichen werden musste ■*).
Wir betreten nun das Gebiet der schleswig-holsteinischen
FShrden*). Diese KUstenstrecke begünstigt die Entstehung zahl-
reicher, wenn auch nicht immer grosser Städte ungemein. Die Ftihrden
sind für Seeschiffe meist gut zu befahren, einige derselben gehören zu
den besten Häfen Kuropas. T)ie rier leiten der Besiedelung viel we-
niger Hindernisse in den W e^ als die oft sandigen und sumpfij^en
Küsten Preussens und Pommerns. Die mässig ansteigenden Ulerhügel
smd ungemein fruchtbar. Wenn wir auch in den Marschländereien an
der Westküste Striche von ähnlicher Fruchtbarkeit finden, so sind dort
doch der Küstencharakter und die ganzen Anbauverhältnisse des Msirsch-
landes der Städteentwicklung viel feindlicher als in der begünstigten
Zon." des Geschiebethons . welche der Ostküste entlan«; zieht und die
K'dinlen zunächst umhiebt. In ihr Ketjel liegt der Hauptort einer,
jeden Pöhrde tief im Hintergrunde, gleichsam an der ^^ urzei dersell»en,
da, wo der Landtransport endet und der Verkehr der Seeschiffe begimit,
gleichzeitig aber auch die der Küste entlang führende Strasse die Fdhrde
'i SefrelhanUbuch Bd. 1, 471.
Näheres bei Schröder, Toi>ographie der Herzogäidmer Holstein etc.
Bd. 2. ff.
') Segelhandbuch Bd. 1, 8. 472.
*) Man TergL Aber Lfibecks Lage auch die weiter unten sum Vergleich mit
Hambuff? einf^efüg^ten Bemerkunfjcn.
Hier zu vergleichen: Jansen, Die Bedingtheit des» Verkehrs und der
Aniiedltnigen der Menschen durch die Gestaltung der Erdoberfladie, nachgewiesen
u der cimbrischen Halbinsel, Kiel 1861.
Pomtilittagen sar deatadken Lsodct* und Tolkakoiide. Lt. 11
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Uabn,
berülireii musijj. Zeigt die Fülirde abwechsehul Eiusclmürungeu uud Er-
weiterungen, 80 kann die EOstenstrasse eine Einschnarung benutzen,
um die Föbrde näher am Meere zu ttberschreiten ; häufig findet auch
der Seeverkehr an einer solchen V( rt nirnnu' seine Grenze und ist vom
innersten Theil der Föhrde ausgeschlossen. Dann zieht sich aucli die
llauptansiedinni; von dem hi< r l)edeutunf;siosen Kmh' der ganzen Fölirde
an diese wichtige UeV»(^'rs( hri.'ilunLrs- und Undadestcik». In l)eiden Fäll^^n
))leil)t OS aber gewuhniii Ii nicht bei e i n e r Ansiedluug, auch die üheralJ
zugänglichen und anbauföfaigen Uferstrecken der Föhrde zwischen Haupt-
ort und Meer sind noch von Ortschaften, bisweilen sogar kleinen Städten,
besetzt.
Wenn wir die Küste von Lin)eck bis zur dänischen Grenzf ver-
folgen, tn^ffen wir zuerst Ix i XciistmU eine allerdings wenig onl-
wickelte Föhrde. an welcher dir r^tadt der zweiten oben aut'gt'st»dlt»n
Kegel sehr genau folgt. Auch der Gruber See ist ah» eine uuregel-
mässig gestaltete, th^weise verlandete Föhrde zu betrachten; das Dori
Grube entspricht Neustadt in seiner Beziehung zur Föhrde, nur dass
hier von SeescJiifffahrt keine Hede mehr sein kann. Heiligenhafen
ist ausnahmsweise keine Fcihrdenstadt . dir vorliegende, sehr zerrissene
Insel Graswarder l)ietet dem kleinen llnfm der Stadt jedoch einen
Schutz, der an der einförmigen Küsteustrecke vom Felimarusunde bis
zur Kieler Föhrde sonst maugelt.
Kiel selbst zeigt ganz die normale Form der Föhrdenstadte, es
umgiebt mit den Vororten Gaarden und Ellerbeck den Kopf der Föhrde
und steigt auch an den umliegenden Hölim hinauf, Jansen hat die
zaldreichen sich in uud bei Kiel kreuzenden Verkehrswege meist richtig
charakterisirt V). Unter ihnen ist für die Gegenwart die grosse AVelt-
stnisse von Paris üImt Lütticli. Vcnloo, Münster. Bremen. Hamburg
Kiel nach Uüuemark und Schweden um wichtigsten geworden; sie
weicht so wenig von der geraden Linie ab, dass ihr sicher keine Gon-
' currenzbahn erwachsen wi^. Aber auch die Beschaffenheit der Föhrde
selbst, ihre Tiefe, Geräumigkeit und leichte Verfcheidiginigsfahigkeit
sichert Kiel die grössten \'ortheile vor den anderen Föhrdenstädteu.
JanscTi. der l'^'U srlirieb. warnte noch davor, auf itn»- KiLTtuschaften
«Irr l'<"»]irdt' allzu ^aiiguiiMsclu' Hottnnngen zu l)auen und Inrh «li»^ leichte
Verbindung mit Dänemark iür Kiels wii*ksauisteu Vorzug. Im Angesicht
des grossen deutschen Kri^hafens Kiel w^Urde er jetzt gewiss anders
urtheilen. Die Kieler Föhrde zeigt nahe am Eiugang eine leichte Ein»
schnilrung, welche jedoch nicht erheblich genug ist. um hier eine
Brückenstadt hervorzurufen; nur die schon \{V.V2 angelegte kleine Festung
Fri» <l rirhsort schützt in Verbindunir mit den Werken auf dem iiol-
steniiselien Ufer (b ii Kiiiti'ang in die Föhrde,
Eckern forde ist wieder ein gutes Beis]>iel für den zweiten
Typus der Föhrd^tädte, es hat sich den üebergangspunkt Ober die
schmale Wasserstrasse, welche die weite Aussenföhxde und das als ihre
Fortsetzung zu betrachtende, aber Seeschiffen nicht zu^^n^cheWindeb j-
*) Die Bedingtheit de» Verkehrs etc. S. lul ft.
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Die Städte der norUdeutbchen Tiefebene.
159
Noer verbindet, erwählt. Bei Eckemförde wird diese Wasserstrasse Ton ^
dem nordwärts ziehenden Landweg© und neuerdings von der Kiel-Flens- '
bur^er Eisenbalm gekreuzt. Ein grosser, ihr eigenthünilieher Vortheil
für ih'e E< kcnitorder Hafenhiuht ist ihre seltfiio Eishedeckung: zu Zeiten,
Wo die KieK-r und Flensl)urger Ffdirde zuweilen wochenlang zugefroren
wareu, hatte nuiu natli Aussage des Segelhaudhuches (Bd. 1, S. 405)
in Eckemförde offenes Wasser.
üngewöhnlich weit greift die Schlei oder Schleswiger Föhrde
in das Land ein. Die halbmondförmig gebaute Stadt Schh .swi^r unigiebt
da^ Binnenende der Föhrde. Hätte die Schlei keine schmäleren über-
.»chrt itltare!! Stellen, so wäre sie ein schweres llinderniss für die östliche
Kü^tenNtta>-e . mehrfache Eins( hnürungen schaHeii jed'Kli ebenso viele
UeW^gaug^|>uukte. Solche sind au der Stexwiger Enge (wenig
benutzt^, bei Missunde, wo die Schlei nur 75 m breit ist, bei Amis
and bei Kappeln. Die drei letztgenannten Punkte sind durch kleine
Städte und Vorhäfen ftlr Schleswig bezeichnet. S( hl ei münde am
Eingang in die Schlei ist nur eine Lootsen- und Leuchtfeuerstation,
kein Hafenplatz. T)ie Eisenbalm von Kiel nach Flensburg, welche sich
mit der Schlei irLjeiidwie abfinden nmsste. hat zum Uelier<x;uiLr keine
jener schmäleren Stellen aufgesucht, sondern überschreitet die Sclilei
zwischen Missunde und Amis da, wo die beiden Halbinseln Grosses
ondKleinesNiss em nördliches Seitenbecken der Sclilei, das Lind-
auer Noer, fast ganz umscliliessen. So war nicht nur die hier ziem-
lich breite Schlei, sondern auch das Lindauer Noer zu kreuzen. Rück-
Mthien auf Einhaltung einer möglichst geraden Hichtini'j. sowie auf
'lie Wassertiefen in der Scbb'i. welche bei Mi.>-sunde. Ka|i|teln und Arnis
grösser sind als an der gewiildten Stelle und den Bau des Dammes
nnd der Brttcke erschwert haben wflrden, veranlassten wohl zur Wahl
dieser breiteren Stelle. FöhrdenOberbrackungen durch Eisenbahnen finden
«nch auch in Jütland (Limfjord) und viel grossartiger an der Ostkfiste
Schottlands (Taybrückc bei Dundee).
Die Flensburger Föhrde ist sehr unregelmUssig «gestaltet
und vielverzweigt. Flensburg selbst umtrieltt wiedf-r den K(»jd' der
löhrde, deren überall gutbebaute Ufer noch einige kleine Vorhäfen
und ZoUstStten wie Holnis und Ekensund aufzuweisen haben.
Kkeusund ist gleichzeitig Brückenort an der schmalen gleichnamigen
Einfahrt in das Nflbelnoer, jenes in der Kriegsgeschichte des
lahres 18t)4 oi\ genannte Seiten<^ew'ässer der Flensburger Föhrde.
r>it Halbinsel Sunde witt trägt keine städtiseht n Ansiedlun«?en , die
\ t-rhälf ni-^^e sind zu klein und die Entfernung von dem \ erkehrs-
inittelpuukt Flensburg zu gering, um diese vortreli iu litn Positionen
recht Terwerthen zu können. Nur die bekannten Schanzen erhoben
«ich hier und machten die Spitze der Halbinsel gegen den Alsensund
zu einem klassischen Punkte fiir die neuere Kriegsgeschi( lite. Am
Alsensund selbst, und zwar auf dem Inselufer (nicht wie bei Memel
und Stralsund auf der Festlandscite) liegt die lt f/(e i|er deutschen
.Meerea^enstädte. das kleine S o n d e r 1» u r g. Eine Scliitllirücke kuinite
hier über den nur 237 m breiten, aber verhältnissmässig tiefen und
von kleineren Schiffen dem Weg um die Insel gern vorgezogenen Sund
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160
Hahn,
[68
geschlagen wenleii. Die übrigen Stütlte und Flecken der Insel, welche
Jausen (a. a. (). OO) durchaus normal vertlii ilt schienen, sind noch
kleiner als Sonderburg, viele sehr günstige Städtelagen, wie z. B. aia
HöruphafiP, blieben ganz unbenutzt Apenrade liegt ganz normal am
Kopfe seiner Föhrde, Hadersleben wieder ist BrQckenstadt an einer
schinalen Wasserstrasse zwischen der eigentlichen Hadersleber Föbrde
und dem nur 2ni tiefen Hadersleber „Damm".
Zwischen den beiden Ffdirden von Apenrade und Hadersiebon ist
eine recht günstige Po-^itioii unbenutzt geblieben. Ks ist die tiefe und
gut zugängliche Bucht von ü j enn er, eine echte Föhrde, die nur nicht
so tief in das Land hineingeht wie die übrigen. Das Segelhandbuch
beurtheilt Bd. 1, S. 361 die Gjenner Föhrde sehr gflnstig, sie bietet
grösseren Schiffen gute Ankerplätze und ist durch die Torliegende Insel
Barsoe gegen östliche Winde geschützt. Keine andere der benach-
barten Föhrden wird in dieser Weise durch eine ganz nahe vorliegende,
aber doch nicht hinderliche Insel gedeckt. Im Hintergnindf- der Föhrde
liegt noch die kleine, schwach hügelige Insel Kaloe, ganz lür einen
Stadtkern geeignet. Aber es findet sich jetzt hier nur ein ganz un-
bedeutender Anlegeplatz mit wenigen Häusern. Auch das Iandemw9rt8
liegende Dorf Gjenner, nach welclu ni die Föhrde ^^nannt wird, benutzt
den Haft 11 fast nur zur Torfrerschiffung h.k b Aeroe und Alsen '). Viel
gereditft rt iutcr ist die Veniachrässigimg der Bucht von Heilsminde
an der dänischen Grenze, da sie ziemlich Hach ist und eines Schutzes
durch eine vorliegende Insel entbehrt. Der innerste Theii dieser Föhrde,
der Heilsmindesee, kommt fUr den Seeverkehr Uberhaupt nicht in Be-
tracht An der Wasserstrasse zwischen Innen- und Aussenföhrde hat
sich neuerdings ein kleiner Brücken- und Grenzort, Heilsminde, der
in einen deutschen und einen dänischen Ortstheil zerfällt, angesiedelt.
Die Betrachtung der jütischen Küsfnistrecke liegt ausserhalb
unserer Aufgabe, man sieht jedoch leieiit. dass auch die jütischen
Föhrden.städte .sich nach den oben angegebenen Kegeln richten. Kol-
ding, Veile, Horsens und Hobro sind Beispiele für die erste, Rauders
und Aalborg für die zweite Form. Da gegen Norden die Föhrden
seltener auftreten, finden wir auch föhrdenfreie Kostenstrecken durch
Hafenstädte belebt, wie Aarhuus, Saeby und FrederikshaTn zeigen.
Es sind noch die Städte der Nordsee zu betrachten. Die deutsche
Strecke der Nordsee hat fast dur« liw» *^»- » ine kihistliche. d. h. eine durch
Deiche geschützte Küste. Eine Ausiiitliiiie machen nur folgende Strecken:
1. Von der dänischen Grenze bis Hoyer. Mehrmals tritt hier Steilufer
auf wie bei der MOndung der Bredeau, bei Jerpstedt und bei £mmerle8^
aber auch die Flachküstenstrecken sind nidit eigentlich eingedeicht.
2. Bei Hattstedt und Scliobidl nördlich von Husum. Auf kurzer Strecke
tritt hier eme Geestinsel nahe an das Meer. Eine ganz kurze Dünen-
strecke findet si< Ii auch im äussersten Westen von Eiderstedt hei
St. l'«'ter. I. A\ estlieh von Cuxhaven bei Duhnen tritt der Gee.*<t-
streiien der Wingst oder Wurster Haide auf einer Stiecke von ükm
') Schröder» Topographie des HenogthanM SchlMwig, S. 175.
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60]
Die St&dte der norddeotedieii Tiefebene.
161
an die See, so da.ss liier die Deiche unterbrochen werden konnten.
h. Nördlich von Varel am Jahdebusen springt bei Dangast ein schmaler
Geeststreit'eu gegen die Küste vor. Die deichiose Küstenstrecke beträgt
jedoch kaum 2 km. Wenig weiter Badi Südwest setM die Deiche auf
kurzer Strecke am Hügel Wulfsgast nochmals aus Diese deich-
Gebiete wirken jedoch auf die Vertheilung städtischer Ortschaften
nirgends nachweisbar ein. Der ganze Kest der Küste aber ist unge-
mein stüdtefeindlicli. Ausserhalb des Deiches würden die Städte ohne
jeden Schutz gegen das Meer sein, hinter den Deichen wäre ihre Ver-
bindung mit dem Meere eine beschränkte und beschwerliche. Auch haben
wur schon früher gesehen, dass das Innere der Marschen ein sehr un-
gern gewählter Bezirk für süldtische Ansiedlungen ist.
Um so wichtiger sind aber die Mündungen der nordwestdeutschen
Flüsse. An ilinen, wenn auch nicht immer unmittelbar an der See-
küste, erheben sich die Ansiedlungen, welche den Verkehr zwischen
dem Innern des Reiches und der Küste, sowie nach den überseeischen
Ländern zu vermitteln haben. Die Flüsse, welche hier in Betracht
kommen, sind die Eider, die Elbe, die Oste, die Medem, die Weser,
die Geeste, die Jahde, die kleinen Wasserl&nfe des Harlingerlandes, be-
H'uders Harle und Bense, endlich die Ems. Jedem dieser Flüsse ent-
spricht eine Mündungsstadt, und » s nniss sofort auffallen, in wie enger
Beziehung Grö's'se des Flussi^olnt tts. Länge des Laufes und Bedeutung
der zugehörigen Stadt mit einander stehen. Die grössten Flüsse Elbe,
Weser und Ems haben auch die grössten Städte, und soweit Eider,
Olie, Medem, Harle und Bense hinter jenen Strömen zurückstehen, so
sehr werden auch die kleinen Mündungsstädte ') Tönning an der Eider,
NeuhauB an d^ Oste. Ottemdorf an der Medem, Wittmund an der Harle
und Esens an der Bense von Hamburg, Bremen und Emden -Leer-
Papenburg übertrotfen. Von den genannten Städten bedürfen Tönning,
Neuhaus, Otterndorf, Willielnishaven und die Enisstüdte keines A'or-
bafens. während Hamburg, Bremen, Wittmund und Esens einen solchen
besitzen. Die Eiderstadt Tönning haben wir schon kennen gelernt.
Neuhaus und Ottern dorf sind für den Wasserverkehr des durch
Eisenbahnen noch wenig aufgeschlossenen Innern der Landdrostei Stade
?on nicht zu unterschätzender Bedeutung, namentlich das erstere. Bei
Otterndorf ist die sich ausweitende Mündung der Medem als Ottem-
dorler Hafen bezeichnet; vielleiclit entwickelt sich hier ein Vorhafen,
zumal der Hadeln'sche Kanal die Stadt Ottemdorf nicht berührt.
Dieser Kanal fuhrt aber zur Geeste hinüber und ist wichtiger als die
kleine schi£fbare Strecke der Medem '). Als Seehafen kommt Ottem-
dorf kaum in Betrachi
') lät auf der neuen, elwni •'rschieuenen Ausgabe der Reymami*8clien Karte,
i}«ction 37, nicht mehr verzeichnet.
*) Ich nenne Hündimgastftdte solche Orte, welche aa der binnenlBadisdieD
*hein>- dof Seeverkehrs Hegen, ohne Rücksicht darauf, ob sie an der Eüste selbst
oder eine Strecke flussaufwürts betindlieli sind.
*) Vgl. Die Moorgebiete dea Herzogthums Bremen, Berlin 1877 « 8. 29, 31
and die wichtage Karte.
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162
[70
Wilhelm sha v ou hat mit dem kleineu Flüsschen .Jaiidc ) selbst-
verständlich wenig zu thun. Der Jahdebusen, einst einem Arme der
Weser zum Auefluss dienend, aber erst seit 1218 in seiner heutijafen
Gestalt vorhanden -), Avar schon von Napoleon I. zur Anlage einer wich-
tigen Eü8tenbei'e8tigung ins Auge gefasst worden. Aber erst 1853
wurde mit der Erwerbung eines kleinen , spater vergr<"i>^s( rt<'U olden-
burgischen Terrains «lurdi Prcussen der Antnng zur Anlegung des
heutigen Kriegshai'ens genuielit. Die Schwierigkeiten, wekhe beim Bau
des Hafens und der Einrichtung des ganz neu anzulegenden Ortes zu
Oberwinden waren, müssen sehr bedeutend genannt w^en. Wenn sie
trotzdem in verhältnissm&ssig kurzer Zeit besiegt wurden, so haben w ir
hier ein seltenes Beispiel einer auf wenig gUnst^em, sumpfigem und
des Trinkwassers antanglich entbehrendem Terrain begründeten An-
siedlung^l. Wilhelmshaven hatte iHi^o schon 12rt<'2 Einwohner. Neben
dem Kriegshafen ist auch ein Handelsliafen angelegt worden. Der ( Jrund-
plau der Stadt konnte ganz regelmässig durchgefühi-t werden, fast alle
Strassen kreuzen sich in rechtem Winkel. Merkwürdig ist es, dass
noch 1867 der Geograph Guthe (a. a. 0. S. 159) nur GeestemQnde
und das Knock bei £mden als passende und wUnschenswerthe Punkte
für Erriclitung des neuen deutschen Kriegshafens an der Nordsee l»e-
zeichnet. nicht iil)er den .lahdebusen. Ueber diesen heisst es S. i2H mir
kurz, dass dort die preussische Knme einen »Seehafen anzulegen beab-
sichtige, dessen Bau aber nur langsam vorwärts sclireite. Die Eisenbahn-
verbindungen Wilhehnshavens sind Uber Oldenburg^OsnabrQck und Jever-
Emden ausreichend, auffallig ist noch die LOcke zwischen Jahde und
Unterweser (zwischen Varel und Elsfleth oder Nordenhamm). An
ansserdeutschen Seitenstücken zu unserem neugegründeten wichtigen
Hafen nenne ich Esbjerg in Jütland und La Nouvelle in Rüd-
frankreich, beide erst in neuester Zeit gegründet, an Bedeutung aber
hinter Wilheluishaven weit zurückstehend.
An der Ems finden wir die drei MOndungsstädte Emden, Leer
und Papenburg, von denen die beiden letzten in anderem Zusammen-
hange schon früher besprochen Avurden. Emden ist keineswegs als
Vorhafen seiner Nachbarstädte zu betrachten, es hat selbständige Ver-
kehrsent\vicklun{jr. Die Lage von Emtlen wird durch emen ungemein
geräumigen (wohl nicht küiistliclien | Hrdliii^el bedingt, der sich hart
an der einst hier vorbeifliessenden Lais erhob \\ enn man das lehr-
reiche historische Kärtchen betrachtet, welches de Yries und Pocken
S. 346 bieten, so sieht man, wie ungünstig sich die Beziehungen der Stadt
Emden zur Ems im Laufe der Jahrhunderte gestaltet haben. Die Ver-
bindung mit der weit von der Stadt zurückgew ichenen Ems nniss j<'tzt
durch einen auch nicht allen Anfordenmgen genügenden Kanal aui-
') Neuerdings auch ohne h geschrieben,
') Zeitschrift der Berl. Gesellschaft f&r Erdkünde Bd. 16, 1861, S. 168,
und Talel 9.
') N'ähoifs bei Kot ken und de Vries, Ostfrieslaud , 387, wo auch der
Plan der Stailt naolizuschen ist.
'*) (iuthe. Braunschweig und Hannover, S. 210.
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71]
Die Städte der norddeutschen Tiefebene.
163
recht erhalten Averflen; der Vorsehlag Unthc's (a. a. O. 8. 21 :V). am
Knofk ciiipn Vorhateii für Eiii(l<*u zu erritliteii uinl <lit'<t'ii oveiitut41
dorcli ciiieu Kaual mit der Stadt zu verbindeu, ist uocli uicht au.sgeiülut.
Wittmund und Esens sind nothwendig auf VorMfiui angewiesen, da
die kleinen Flttsse des Harlingerlandes, Harle und Bense, allzu unbe-
deutend sind. Für Wittmund dient Carolinensiel (daneben X^'u-
harlingersiel), iur Esens Bensersiel als Vorhafen. Von diesen kleinen
VorhätVn ist ('arolinnisiel der wichtijjrstf. dem auch ein Theii des Ver-
kehrs mit den trieM-i-hen Inseln zu Gute kommt.
Es bleiben noch Hamburgs und Bremens Beziehungen zum Meere
zur Betrachtung Qbrig. Audi hier bestätigt sich der Satz, dass die
Tollten desto bedeutsamer werden, je unbequemer die Wasserstrasse
zum Huuptorte des Mündungsgebietes ist. Bremen war wegen der
schwierigen Fabrbarkeit des oft wechselnden Fahrwassers von seinen
Vorhäfen stets sehr abhängig. Als Vorhäfen dienten lange die kleinen,
mtist oldenburgischen Orte an der linken Weserseite, wie Elsfleth.
Brake und andere, sowie das von den Bremern am Einfluss der Lesum
(also auf dem rechten Ufer) erst im 17. Jahrhundert, als das BedOrf-
niss nach einem eigenen Winterhafen immer sförk^ wurde, angelegte
Vegesack Der letztgenannte Ort konnte jedoch wenigstens im Sehiff-
fahrtsverkehr mit .seinen oldenlmrgi sehen Gegenorten nicht gleichen
Schritt halten. Man sieht leiclit ein. dass emplindliche Naclitheile ent-
stehen können, wenn dii- X'orliäfen einer grossen Handelsstadt ganz oder
theilweise in den Händen eines fremden, wenn aucli l)efreundeten Staates
and. £rst im laufenden Jahrhundert hat Bremen einen eigenen Vor-
hafen erlangt, welcher der See nahe genug liegt, um jene oldenburgischen
Flussorte weit zu übertreflfen. Nahe an der MUndung der Geeste tritt .
noch einmal ein schmaler Geeststreifen an das östliche Ufer der Weser
iunm. Dieser für Befestigungen nicht ungeeignete Punkt wurde von
ver>t iiiedeneii Kegierungeii zu diesem Zweck in Betracht gezogen. Die
Stillteuburg, welche die bremischen Erzbischöfe im Anfang des 1.'). Jahr-
hnnderts hier erbauten, erfreute sich keines langen Daseins, ebensowenig
wie ein schwedisches Fort, das im Jahre 1673 gegründet wurde ^.
Xajjoleon I. wollte hier durch eine Batterie die AVes( reinfahrt sichern.
Erst der Bremer Bürgermeister Smidt ersah 1827 diesen Platz zur
Aiihige eines eigenen bremischen Vorhafens. W ir haben hier ein be-
nu rkenswerthes Beispiel für eine mit vollstem Verständniss und richtiger
Bcimtzung der physischen Verliältnisse durchgetiihrte Städtegründung
dar neuesten Zeit. Das Ostufer der Weser wurde gewählt, weil das-
selbe weniger leicht Ton Eisschollen umlagert werden kann, wenn bei
Östlichen Winden Eisbildung in der Wesermtindung erfolgt. Auch fand
sich im östlichen Fahrwasser der Weser eine grössere Tiefe als an der
oMtplMiriri^chen Küste. Die (leeste bot zuglei( h eine bequeme Wasser-
verKiiidiHig mit dein Lande zwischen Weser und Elbe. S'> ist Bremer-
huten gleichzeitig Mündungsstadt der Ueesle und Vorhuten von Bremen.
*) Gathe a. a. 0. S. 148.
') Gut he a. a. 0. 8. 155 f.
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104
Hahn»
1?^
Geestemünde wurde von der hannöTerschen Regierung, welche auch
auf ihrem Gebiete einen Weserhafen zo haben wünschte, hinzugefügt
und Ijildet jetzt mit Breinerhafen einen einzigen grossen Hafenort. dem
sich Geestendorf im SUden und der ältere Geestflecken Lehe oder
Bremerlehe im Xon^'ii l)iild anschliessen werden.
Von besoiidririii gtMt^raithischeai Interesse ist die Strlhin^- Ham-
burgs zu seinem Strome und ziuii Meere. Wir haben uns zu frwjea,
welche natttrlichen Vortiheile der Bauplatz too Hamburg für die Ent-
wicklung einer Stadt bot und welche geographischen Verhältnisse
es waren, die in der Folge gerade diese Stadt Uber viele benachbarte
Seestiidtc nnporhoben. Zunächst fallen uns aueli hier, wie in so vielen
früher Ijetruchteten Fällen, trockene Geest«trecken auf, welche die An-
nähenmg an den Fluss auf beiden Seiten gerade hier sehr erleichterten.
Auf der Südseite sind es die ansehnlichen, theilweise bewaldeten Har-
burger Höhen, welche zwischen den Manchen an der Seeve imd
Luhe und denen des ^ Alten Landes ^ an den Fluss herantreten. Im
Korden nähert sich der Geestrand der Elbe zunächst zwischen den
Flüsschen Bille und Alster, er .setzt sich dann über Altona und Ottensen
zu den bekannten Bergen von Blankenese fort, um kui*z vor Wedel,
wo die weite Haseldorfer Maisch beginnt, in das Binnenland zurückzu-
wflicben. Weiter abwSrts treten nie wieder die GeeethSben in ähnlicher
Weise an die Elbnfer b^ran, auch aufwärts mttssten wir bis zu der
uralt<?n Uebergangsstelle bei Artlenburg* (40 km oberhalb Hamburgs)
zurückgehen, um ähnliche Verhältnisse zu finden '). Der Pass von Artlen-
burg würde aber schon viel zu weit von der Nordsee entfernt sein, nii;
mit der Uebergangsstelle bei Hamburg, wo der Abstand der Geesträuder
allerdings 9500 m beti-ägt, wetteifern zu können.
Nun ist bei Hamburg das nördliche Ufer der Elbe vor dem sQd-
liehen durch mehrfache Vorzttge ausgezeichnet. Zunächst ist die Norder-
elbe ein besseres Fahrwasser als die Harburg berührende Süderelbe.
Es münden fenier hier zwei kleine FlUsse. die Bille und die Alster.
von denen die Aister durch die seeartige Erweiterung^ nahe an iler
Müuduug einen guten Schutz- und Winterhaien für die Flussschüie dar-
bot. Die Stadt Hamburg erwuchs nun zuerst hart an der Alster auf
der schmalen Geestzunge, welche Elbe und Alster trennt. Von der
Ell)e sell)st war sie zunächst noch durch eine später eingedeidite und
besiedelte Marschfläche getrennt, ein neuer Beweis, dass es ursprüng-
lich nicht die Lage in der Näli*- der zinii Weltmeer fillirendon grossen
Wasserstrasse, sondern der günstigen Baugrund bietende Geestrücken,
der hier erleichterte ElbUbergaug und das Wasserbecken der Aister
waren, welche gerade hier zur Begrfindung ein« Ortschaft anreizteii.
Die in der Elbmarsch belegenen Stadttheile Haniburgs unterscheideD
<u-h v.nch heute in Plan und Physiognomie, wie jeder zugeben wird,
der Hamburg autmerksani durchwandert bat. sehr scharf von denjeni'jr»'U
auf der Geesthühe. lu der Marsch gab es noch 1870 Strassen, welche
'l l t'lHT die Artleiiljurger Fiihrstelle. wo ilie l»r'iil<'rs<'itiijen Gfe^strilnder .'•ich
bis auf fast 15U0iu nüheru, vgl. Uamburg iu naturhistorischer und mediciuiscber
Benehong, Hamburg 1876, 8. 2 f.
73J Die St&dte der norddeutMben Tiefebene. 1(35
bei den hrK-hsteii Stiirmfluthen bis 2.34 m unter Wasser standen, und
bewohnte Keller, in denen unter gleichen Verhältnissen dsis Wasser l)is
3,5 m anwuchs Nur allniählicli ist H!iiiil>nr^' an die Elbe heran-
jjerflckt. llarl>urtr, die Statlt des Südulers, liatt< weder einmündende
Nebenflüsse noch ein su günstiges Fahnvasser und konnte höchstens
eine zur Vertikeidigung etwas besser geeignete Lage fOr sich geltend
machen, da der Hflgelzug, an den sich Harburg lehnt, schärfer hervor-
tritt als der Geestrücken im Stadtgebiet von Hamburg. Die Vortheile,
Wf-Idip Hamburg von der Natur gewährt wnrrlen. suchte später die
Kegieriuig Hannovers der Stadt Harbur«; durch kostspielif^e Bauten
gleichfalls zu verschafien, doch hat der Erfolg den Erwaitungen im
Allgemeinen nicht entsprochen.
Die Oeesthöhen der Elbufer konnten wobl die AnnSherung an den
Fluss erleichtern, aber der Uebei^ang selbst blieb immer noch lästig
geniiL'. Wir müssen ältere Karten zu Hathe ziehen, um die alte Topo-
gRiiihie der Elbinseln, welche von der heutigen sehr abweicht, zu ver-
stehen^). Die Zahl der Elbinseln und der zu überschreitenden Arme
war im 17. Jahrhundert noch wesentlich grosser als heute, wo kieniere
bueln zu umfengreicberen Maasen vereinigt und eine Anzabl kleinerer
Stromarme erloschen sind. Aber auch noch im 19. Jahrhundert blieb
dar Elbflbergang Tor der Erbauung der grossen EisenbahnbrUcken sdbr
unsicher imd beim Eisgange sogar gefährlich. Aeltere und neuere Karten
s^twie eigene Durchwanderung der Gegend überzeugen uns jedoch, dass
der Uebergang bei Hamburg immer noch am leichtesten möglich war;
elbabwärts lösen sich die Inseln in immer kleinere Bruchstücke auf
and verschwinden endlich ganz, um dem ungetheilten, nun sur üeber-
schreitung schon zu mächtigen Strom Platz zu machen, aufirärts hindert
die breite Marschebene mit ihren früher spärlidm und beschwerlichen
Wf'gen. Der Flussübergang bei Hamburg kann also wohl '1er letzte
vor der Mündung genannt werden. Der ganze Verkehr zwischen Bremen,
Lübeck und der östhchen Ostsee, zw^ischen den liheinlanden, Osnabrück,
Bremoi und Kiel sowie den skandinavischen Staaten, endlich zwischen
Norwegen, Schweden, Jfltland, Schleswig und Lüneburg, Hannover,
Hessen, Frankfurt a./M. wurde auf diesen Uebergang hingddtet. Das
Eisenbahnnetz der Gegenwart lässt dies noch deutlich genug erkennen.
Hamburg' wäre wegen seines wichtigen p]lbüberganges aucli dann noch
ein bedeutender Verkelirsnuttelpunkt, wenn die Nordsee der Schifffahrt
verschlossen oder ein unermessliches Weltmeer ohne lockende Gegen-
kOsten wäre.
Hambui^ ist aber auch ftbr den Verkehr auf der Elbe selbst
dn weit wichtigerer Grenzort zwischen Fluss- und Seeschifffahrt, als
Bremen dies ftir die Weser ist. Die Elbe selbst ist der Weser gegen-
über in fast allen Beziehimgen im Vortheil. Die Weser»chü£fahrt reicht
') Man vergl. Karte 1 u. 2 d"s genaantea. in manchen Abschnitten reiche
geo^rraphi^che Belehrung bringende Werkel, aneb den Holxschnitt auf Ö. 15 und
dazu Text 8. W.
^) Di<> erste K.iiic im Werk «Hamburg etc.* (s. o.) zeigt die Elbinteln, wie
■ie zu Anfang des 17. Jahrhunderts waren.
Foncbnogen zur deatschen Lande*, and Volkskaade. I. 3. 12
166
Hahn.
[74
kinnn his in ih\< nürdliclu- Ilt'sseii. die Ell)e «luiretren beherrscht mit
ihren Xeh(iiHiis>« ii iiocli einen anselinhVhen Theil von Sachsen un«i
Bölnuen. Sie steht mit Oder und Weichsel durch die märkischen Kaual-
linieii in Verbrndung, während die Weser nur auf ^ich selbst angewiesen
ist. Ist auch die Elbe, wie alle deutschen Flüsse vom Ideal einer
Wasserstrasse ziemlich weit entfernt, so fehlen ihr doch so nufiVillige
S( hitlTahrtshindrrnisse. wie sie an der u eser zwischen Minden und Karls-
halen namentlicli bei Harn« In vorkommen. Vor allem aber ist die K'tzte
wichtigste Strecke der Elbe von Hamburg l>is Cuxhaven viel brauch-
barer als das entsprechende Stück der Weser von Bremen bis zum
Meere, so viele Mtthe man sich auch stets mit der Verbesserung des
Fahrwassers in der Unterweser «gegeben ]i;ir. ()))i^]eich 125 km von der
offenen See entfernt, ist Hamburj.^ doch so sehr Seestadt, dass nur
Wf'ni«^'»' der aUergrössten Schiffe nicht mit volh/r Ladunir bis Hamburg
huijiu flehen oder von da aust'aliren kfinnen. Haniijuri^ bezeicluiet tur
die Elbe thatsächlich die Grenze der Seeschilltalirt gegen den Flussver-
kehr, wahrend diese Grenze an der Weser schon bei Bremerhafen,
höchstens (für kleine Seeschiffe) bei den oben erwähnten kleinen olden-
burgischen Uferorten zu suchen ist. Die Vorhäfen Hamburgs stehen
SWR diesem Gnmde an selbständiirer Bedeiituntr >veit hinter dem pressen
imd blühenden Vorliaten Hremeiis zurück. Hamburg zunächst finden sich
Brunshausen und Glücksta<lt. ersteres nahe an der Stelle einer plüt2-
lichen, merkbaren Tiefenzuualime des Falu*wasäers, letzteres an der ge-
wöhnlichen Grenze der Eisbedeckung des Flusses in normalen Wintern.
Doch sind beide Vorhäfen nicht sehr erheblich. Xeuhaus und Ottern-
dorf (s. o.) können kaum als Vorhäfen ftlr Hamburg bezeichnet werden.
D;i«s endlich auch ('uxhaven filr Hamburg nicht eine ^jolelif l^iMleutiniLr
besitzen kann, wie Bremerhafen-deesteniünde für Bremen. Iteweist >ch()U
der Umstand, da.ss erst in neuester Zeit eine Eisenbahnlinie die Elb-
mflndung erreicht hat, während die Wesermttndung schon längere Zeit
sogar zwei (nach Geestemflnde und dem oldenburgischen Kordenhamm)
au&uweisen hatte. Wäre das BedOrfiouw nach einer EisaibahnTeibin-
dung fiir Cuxhaven so dringend gewesen, so würde es gewiss allen ent-
gegenstehenden Sclnvieriirkeiten zum Tiotz auch viel t'rülier befriedigt
worden sein. Nur für die Zeiten strengen Frostes kann die Bahnver-
bindung mit der Elbmündung für Humburg entscheidend wichtig werden,
im Uebrigen dient die Linie hauptsächlich der Abkürzung der Fahrt
nach Helgoland und ist fÜr die Küstenvertheidigung wichtig.
Noch andere Momente kommen hinzu, um Hamburgs Uebergewicht
über seine Niichbarstildt«' /n verstärken. Die Küstenstrecke von der
Knismündung bis /ur Kllie bildet mit der Westküste der ('imbrischeii
llalbmsel, von kleineu Lnregelmä.ssigkeiten abgesehen, naliezu eiueu
rechten Winkel. Eine Stadt, die gerade im Scheitel des Winkels
oder demselben nahe liegt, wird einen grossen Theil des Trakehres
beider Schenkel zu sich heranziehen können, falls die örtlichen Verhält-
nisse nur einigermassen günstig sind. Sind dieselben so ungewöhnhch
vortheilhaft wie bei Hamburg und der ganzen Elbmündnng. dann wir«!
es den Häfen, weUhe vom Sclieitel des Winkels weiter entttTiit >iml.
sehr schwer werden, einen Theil des Verkehrs ttir sich zu behaupten.
75]
IKe St&dte der norddeutedien Tiefebene.
167
Tm so anerketiiien>:werther ist die hohe Bedeutang, welche das nur
»iunli die wein«^ <;ünstige Weser unttTstützte Bremen noch immer he-
Wiihrt hat. l)as Hinüber jifi'eifeu Haniburisxs in die A'erkclirs'/.onc BronnMis
ist allerdings auch durch die hinge Zeit ungewölmlicli uuisiaudlichen
Kisenbahuverbindungen zwischen beiden grossen Städten erschwert worden.
Mnaste man doch last drei Jahrzehnte nach Vollendung der aus dem
^nenlande nach Hamburg. Harburg und Bremen ftthrenden Eisen-
bahnen noch den grossen Umweg über Lüneburg, Hannover und Verden
fitHchlagen. wenn man nur von Harburg nach Bremen gelungen wollte.
Vor H<'rst«dhmg des ElbUbergangs bei Lauenburg füliiti' die einzige
durthgehende Schieuenverbindung zwischen Haiiii)urg und Bremen .-sogar
fäatit Magdeburg, Braunschweig und Hannover ').
Viel deutlicher zeigt sich die Abhängigkeit von Hamburg an dem
«Ilderen Schenkel des Winkels, der Westküste Schle.swig-Holsteins und
.Tntlands. Hier ist — an einer sillerdings !s»dn" iingCmstii,'' grstulteten
Küste — kein einziger Ort auch nur t-ntb-rnt mit llanil)urg zu ver-
gleichen. Die eben jetzt im Bau begritlene Bahn von Töiming nach
Kipen, welche das Schlus^^stUck in der langen Linie der westcimbrischen
Kfistenbahn (von Hamburg bis in den Norden JQtlands) bilden wird,
kann mir den Erfolg haben, die Beziehungen der kleinen Städte im
westlichen Holstein, Schleswig und JttÜand zu Hamburg noch viel enger
za knüpfen.
Man .sieht leieht. dass auch Lübeck im Scheitel ^eines recliten
Winkels liegt, welchen die Ostküste Schleswig-Holsteins mit der mecklen-
bmgisch-pommerschen KOste bildet Die Antwort auf die Frage, warum
Labeck jetzt nicht eine ähnliche Rolle spielt wie Hamburg, kann nicht
schwer fallen. Zunächst i.st die nähere Umgebung und der Baujdatz
Lübecks, wie wir frülier sahen, nicht so vortheilhaft für die Entwick-
lung einer umfangreichen Stadt als der Bauplatz von Hamburg. I)ie
Trave war im Vergleich zur Elbe nur eine dürftige Wa.s.ser.strasse zum
Meere. Wenn nun Lübeck gleichwohl eine Zeit lang die massgebende
Stadt im westlichen Theile der Ostsee und darQber hinaus war, so haben
nirht blos geschichtliche, geographischer For.schung fernliegende Ent-
wicklungen dahin geführt, sondern diese Ut'berlegenheit Lübecks hatte
auch einige geographische Gründe. Lübecks (iegenküsten, die dilnisclien
Inseln und das südliche Schweden, waren nahe und lockende Ziele für
den Ostseeverkehr der Hansazeit. Haniburg hatte keine älmlichen Gegeu-
kflsten au£euweisen, da der Verkehr mit England besser und leichter
über die niederlän^schen und flandrischen HSfen yermitfcelt wurde. Als
aber der nordamerikani.sche Coutinent aus dem Dunkel i n [ tauchte
und die ganze kaum übersehbare Weite des überseeischen \ n kchrs
offen stiuid, da war die Nordseeküste als die der neum W(4t zugewandte
weitaus im Vortheil: die skandinavischen Länder und Kussiand verblassten
Itlr lange Zeit vor der amerikanischen Gegenküste der Nordseehäfeu.
£nt in neuester Zeit beginnen mit der jetzt rascher Torschreitenden
'i Noch heate besteht zwischen Cuxhaven und Bremerhafen keine directe
Bahnverbindong.
168
Hahn, Die Städte der norddmt«cheii Tiefebene.
[76
AiifscWiessiing und Entwickluiii; der Ostseeländer ülx rliaujtt auch die
deutschen ( )stseehiit"t'ii wieder krilttiger in den Weltverkehr einzuf^reiten,
und Lübeck, begünstigt durch seine Lage am Scheitel jenes rechten
Winkels der Ontseeküsten, wird noch einer neuen, wenn auch jener
alteren wohl nicht gleichkommenden BlQthezeit entgegensehen können.
T"''nsere Wanderung überzeugte uns, dass die Bevr»lkerung der nord-
(leut<( hm Tit l'ehene die geographisch günstigen Positionen wohl auszu-
nutzen versteiit und selbst da, wo die von der Natur gebotenen Vortheile
gering und die Schwierigkeiten gross sind, rttstig bemüht ist, den Kampf
gegen Wellen und Ströme , gegen Sumpf und Sand au&unehmen und
zu einem guten Ende zu führen.
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♦
stets den lüiiereu Zusaiumeiiliang aufzusuchen .streben, welcher besteht zwischen
jenen und der Landesnatnr, sowie der Ethnographie und Geschichte. So wird bei
aller Mannigfaltigkeit der Gegenstände und Gesichtspunkte immer wieder hervor-
treten, daea alle diest* Arbeiten nur verschiedenartige Gerüst- und Bau.stücke sind
zu dem einen Werke der wissenschaftlichen Erforsc Itint-jf des heimischen Landes und
Volkes in ilirer Eigenai-t und iln-en Wechselbeziehungen.
Schon durch diese leitenden Gesichtspunkte ist ausgeschius.sen, dass ehie hier zur
Veröffentlichung gelangende Arbeit jemals zu derjenigen Kategorie von Sonder-
arbeiten gehören kann, deren Interesse der Natur der Sache nach ausschliesslich auf
einen ganz engen Kreis von Speziali.^^ten beschränkt sein muss. Dfiartige Ai*beiten
müssen vielmehr den einzelnen Fachorganen der betreifenden Forst hungsgebiote
überlassen ))leiben. Auch 'wird ferner in Behnndlungsweise und r)arstellung «tets,
soweit der tiegenstand irgend es zulässt, darauf Bedaclit genommen werden, dass nicht
nur die unmittelbaien Facligenosseu des Verfassers, sondern aucli ein grösserer Kreis
wissenschaftlich (Sebildeter die Sache verstehen und ftbr die betreffenden Studien ein
Interesse gewinnen kann. Damit aber denjenigen, welche diesen Studien weiter nach-
zugehen wQnschen, hierfür auf alle Weise der Weg geebnet und der Eintritt erleichtert
werde, soll stets di^ wichtigere einschlägige Litteratur namhaft gemacht und. soweit
es thunlich ist, zugleich auf diejenigen Momente ausdrücklich hingewiesen werden, unf
die es für weitere Forschung iu dem beregten Gebiete vornehndich ankonmien muss.
ünsere Sammlung erscheint in zwanglosen Heften von ungefalu: 2 bis höchstens
5. Bogen; jedes Heft wird eine vollständige Arbeit (ausnahmsweise von kürzeren
auch mehrere) enthdten und für sich käuflich sein. Eine entsprechende Anzahl von
Heften wird jedesmal zu einem Bande vereinigt, und wird im Jahre etwa ein Band
im Umfange von 10—45 Bogen erscheinen. Der Preis eines solchen wird ungeiahr
It) — 18 Mark betragen.
Bisher sind erschienen:
lieft 1. Der Boden Mecklenburgs, vou.Dr. E. Geinitz, o. Prof. der ilineralogie
und Geologie an der Univ. Rostock. 32 Seiten. Preis 80 Pfennig.
Heft 2. Die oberrheinische Tiefebene und ihre Randgebirge, von Dr.
Richard Leps i n - . ord. Prof. der Geologie und Direktor der Grossherzoglich
hessisrhon geologischen Landesanstalt in Darmstadt. Mit Uebersichtskarte
des o)>errheinisch<'n Gebirgssystems, ÖS Seiten. Preis M. 2. —
Heft 3. Die Städte der Ntirddeutachen Tiefebene iu ihrer Beziehung
Sur Bodengestaltung, von Dr. F. G. Hahn, Professor der Erdkunde
an der Universitilt Leipzig. 76 Seiten. Preis M. 2. —
DenrnKchst erscheint:
Heft 4. Der Einfluss der Gebirge auf das Klima von Mitteldeutschland,
von Dr. R. As s mann, Vorsteher der Wetterwarte in Magdeburg.
Die weiteren Hefte werden namentlich von den folgenden HeiTcn Beiträge ent-
halten: Dr. G. Berendt, Königl. Landesgenloge und Prof. a. d. Univ. Berlin; Dr. K.
Freiherr vonFrit<ch. Prof. a. d. Univ. Hülle; Dr. E. Geinitz. Prof. a. d. Univ.
Ro.stock; Dr. F. G. Hahn, Prof. a. d. Univ. Leipzig; Dr. G. Helhnann, Vorstand
d. Königl. meteorolog. Instituts zu Berlin; Prof. Dr. K, Jansen in Kiel; Dr. A.
Jentzsch, Dozent a. d. Univ. Königsberg i/Pr. ; Hoirat Dr. von Inama-Sternegg,
Präsident d. k. k. statist. Centraikommission und Prof. a. d. Univ. Wien; Dr. 0. M.
Kan, Prof. a. d. Univ. Amsterdam: Dr. A. v. Koenen. Prof. n. d T^niv. Göttingen;
Dr. F. Kroues Ritter von Marchland. Prof. a. d' Univ. Graz; l)r. O. Krümmel,
Prof. a. d. Univ. Kiel; Dr. A. Freiherr von Lasaulx, Prof. a. d. Univ. Bonn; Dr.
F. Löwl, Dossent a. dL deutsch. Univ. Prag; Dr. K. H. Lübben, Physikus in Walters-
hausen; Dr. A. Hakowsky, Prof. a. d. techn. Hochschule zu BrOnn; Dr. J. Ottmer,
Prof. a. d. techn. HocKschiüe zu Braunschweig; Dr. J. Partsch, Prof. a. d. Univ.
Breslau: Dr. E. Petri, Dozent a. d. Univ. B(^rn: Dr. Fr. Pfaff. Prof. a. d. Univ.
Krlangen; Dr. .1. Ranke. Prof. a. d. Univ. München; Dr. Fr. Ratzel, Prof. a. d. techn.-
Hochüchule zu München: Dr. A. Streng, Prof. a. d. Univ. Gics.sen: Dr. F. Wakn^gle
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Im glt'icheu Verlage ist enschienen :
Anthropo-Geograpliie
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ßrundzOge der Anwendung
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Erdkunde auf die Geschichte
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Dr. Friedrich Ratzel,
■a der tccbtiinr hcri HocbaelmlA In
Preis Mark IQ. —
Handbuch der Elimatologie
von
Dr. Julius Hann,
Plrektor der meteorol. ZpntrnlunxtHlt und ?r .t.^.or an der UniTeraitit In Wien.
I'rt 16 Mark 15. —
Handbuch der Ozeanographie
von
Pref. Dr. G. von Boguslawski,
mi ItWf mrtaafl im IIr<lTOffr»|>hiMl)«n Amt d«r KftI». d*ut>cl>rn Adnirtllitt und lafi
«AaaalcB der HydrocrapU« nitd nu-itinea HeteorolofU*.
Band J«
Sliuülolie, phjsikiUscIie nnd clieTin<^che BctehaAili«itl«r
Freis Mark b. 50.
Handbuch der Gletscherkunde
von
Dr. Albert Heim,
Professor der Geologie am s<:hwriz<'insrhfn rolv-technikam und der Universität
in Zmifli.
Freia Mark 13. 50.
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über
2ingcntcinc (£röfun6c.
von
Dr. MmMii Ma^U
Diuck von G*bnid«r Krtoar in Stuttgatt.
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Forschungen
!Ii zur deutsclicü Landes- und Volkskunde
im Aaftra4;e der
CentralkommimioiL Ar wuaaischaAlidie Landeskunde von Deutschland
ly- Bi<diard Lebaiaiiii»
X}r$ter Band.
Heft 4.
Das
Müncliener Becken.
Ein Beitrag zur
physikalischen Geographie Südbayerns
von
CHR. GBUBEB.
STUTTGART.
VERLAG VON J. ENGELUORK.
1885.
s
it' Forschungen zur dcutscluii Ljindes- und Volkskunde" sollen dazu helfen,
ihr beinn' .sehen landes- und volkskundlichen Studien /u lordern, indem sie au*
allen Gebieten derselben bedeutendere und in ihrer Tragweite über ein bloss
örtliches Intoressa binausgelieude Themata herausgreifen und darüber kürzere wissen-
schaftliche Abhandlun^n hemmragender Fachmtoner bringen. Sie beecbrSnken sich
dal>ei nicht ailf das Gebiet des Dentschen Reiches, sondern soweit auf niitteleurop:uscbem
Boden von geschlossenen Volksjj;emeinschaften die deutsclie Sprache geredet wird,
soweit soll sich auch, obne Hikksicbt auf >^taatliche Grenzen, der Gesichtskreis unserer.
Sammlung ausdehnen. Da aber die wiNsensehaftliche Betrachtung der Lande.sn;itiir diej
AVeglassung eiuzehier Teile axus der physischen Einheit Mitteleuropas nicht wolü ge-
statten wüide, 80 sollen aucb die von einer nichtdeutschen BeT(fIkerimg eingenommeneai
Gegenden desselben samt ihren Bewohnern mit zur Berücksichtigiing gelangen. £«
werden demnach ausser dem Deutschen Reiche auch die Länder des cisleithaniscben
Oesterreichs abgesehm von Galizien. Bukowina und Dalmatien, ferner die ganze;
Schweiz, T.uxouiburg, die Niederlande und Belgien in den Rahmen unseres Unter-,
nehmeiL^ hnieuigezogen werden. Ausserdem aber sollen noch die Sachsen Sielteu-'
bUrgeuä mit berücksichtigt werden und auch Arbeiten über die grösseren deutschen
YoUcsinseln des russischen Reiches nicht ausgeschlossen sein.
Wir fassen die Landes- ni. l \''olk.slnmde hier in weitestem Sinne. Es werden
demnach ebensowohl Arbeiten über Bau und Relief des Bodens, über fossile Schätae
desselben und ibre Verwertung, ttl)fr Klima und Ilydrogniidue. l*tlauzi-ii- uivV
Tierverl>reitung. wie üljer die anthropologischen und ethnoloniNchen Verliältui.>M-'
der Bewohner, ihre Mundarten, ilure r'auniliche Verteilung und deren Dichte, ihr
Wirtschaftsleben und dessen natürliche und Ortliche Bedmgungen, ihre Sagen, Sitten,
Bräuche u. s. w. hier Aufnahme finden und auch Landesvermessung, Kartographie
und Geschichte der Geograjdiie in angemessener Weise zur Berücksichtigung gtTangen.
Doch wird dadurcb gleii liwuli] keineswegs ein Chaos heterogener Spezialarbciton
entstehen. Sondern wie niannigtaltig auch iunner die Themata der einzelnen Arbeit«:-ii
sein mögen, so bleibt doch als leitender Gedanke des Ganzen, der sie alle durch-
dringen und wie ein inneres Band miteinander verschlingen soll, abgesehen von
der Gemeinsamkeit der räumlichen Unujrenzung, die wechs&eitige innere Beziehung
der einzelnen Gegcmstände untereinander. So wird der geologische Bau einer Land-
schaft nicht behandelt werden, olme dass zugleich die dadurch bedingte Gestaltung
des Reliefs und Zusammensetzung des Bodens erörtert und die Folgerungen minde-
stens angedeutet werden, welche sich wiederum «aus diesen beiden Faktoren fiir (Ii-
auf diesem Boden hausende orgauische Welt, ganz besonders aber für die Gestaltoiig
des wirtschafiilichen Daseins der Menschen, ergeben. So wird femer der V^^tations-
charakter einer Gegend hier nur erörtert werden können im Zusammenhang einer-
seits mit den ursächlich einwirkenden natOrlidien Faktoren, wie Relief und petro-
grapliiscber (liarakter d"s Bodens. Temj)eratur- und Bewilsserungsvcrhältnisse u. a..
andererseits mit seiütr Heeinllussung der übrigen Lebewelt, ganz besonders der
mensc hlichen Existenzbedingungen u. 8. w. Und in analoger Weise werden Abhand-
lungen über Wirtschaftsleben, über Volksart, Yolksverteüung, Volksbewegung u. a.
stets den inneren Zusammenhang aufzusuchen streben, welcher besteht zwiechfin
jenen un<l der Landesnatur, sowie der Ethnographie und Geschichte. So wird bei
aller Mannigfaltigkeit der Gegenstände und Gesichtspunkte immer wieder hervor-
treten, dass alle diese Arbeiten nur versebiedenartige Gerüst- und Bau.stücke sind
zu dem einen Werke der wissenschaftlichen Erforschung des heimischen Landes undi
"^olkes in ihrer Eigenart und ilureu Wechselbeziehmiireu. ^ ^j^lo l y Google I
DAS
MÜNCHENEß BECKEN.
EIN BEITRAQ ZDK
PHYSIKAUSCHEN GEOGRAPHIE SÜDBAYERNS
VON
CHB. GRÜBE
Mit einer Kafteiufkizze und zwei l*rojHen,
9
VERLAG
STUTTItAKT.
VON J. £NQ£LMORN.
1885.
•
Druck voa a*brtdAr Krtaer In ttuttfaM.
«
. ^ i.L^ l v Google
Inhalt.
Seite
L Zar Einleitung [5-12] 178—180
1. Di« geographiBclie Sftualion des Mflnchener Beekens ...[&] 178
2. t^nvirrriizung und Oberfl&diengeatalt 16] 174
a. Geoiogüicher Aufbau [10] 178
n. Monographische Betrachtung der Moor* und Heideland-
schaften an der mittleren Isar [12—31] 180—200
4. Lineamente und Anaddmung d«r Moorlandechaften an der mitt-
leren Isar [12] 180
5. Die EnietehunifBurBaeben der Hflndmier Hoore. Eigenart der
Hocli- und Wiesenmoore. Moorrihnlicho Bildungen .... [15] 188
6. Uebcr die Bildung der südbaj erischen Moore überhaupt. Klassi-
fikation denelbcn [J4] 192
7. Die Heiden nSrdlick von Httnchen [28J 196
III. Die Isar im Münchoner Becken [32—46] 200—214
8. Charakter ihres Thalweges; Uferränder und Alluvionen . . ['.i2\ 200
9. WaaserfUmmg [34J 202
A. Aus den Pegelurkunden [84J 202
B. Periodische iSchwankungen de» Wasserstandes . . . [3()J 204
C. Zunahme der Wanerknien swisehen einselnen Pegd-
orten [371 205
J). Berechnung den Wassertransportes l38] 20ü
10. GeflUle, Geschwindigkeit, Breite und Tiefe, sowie ihre AV
hängigkeit vom W^asserstande [40] 208 .
11. Die Gewässer in den Müncbener Mooren. Vergleich ihrer
chemischen Beschaffenheit und Temperatur mit jeuer der Isar [43] 211^
L Zur Emleitmig.
1« Die gaognpliiflelie Sitnatioii des MOadieiier Beckens.
Es ist eiiuT <l«'r eit^eiiartijjfsttMi Züge in «Ut topischen Aiisfj«'staltung
der bedeutenderen Flussthilkr des Alpenvorlandes, dass ihi* Mittelstück
auf jenem selbst durch eine beckenartige Ausweitung von auffallend
regelmässiger Anlage ausgezeichnet erscheint. So wurde aus der Mitte
Sodbayems im Gebiete der Isar das Hüncbener Becken gelöst Nur
25 km von dessen Westrand entfernt lagert die schmale Senke zwischen
Lech und Wertach ; an der Iiier thut sich um Memmingen and am Inn
von Gnrs bis Schärding ein«« aa^ohnliche Thalung auf. in ibrpn Aus-
inas.sen tritt letztere durchaus nicht hinter den fast zirkelrundeu Kessel
von Rosenheim zurück, welchen Professor Albrecht Penck als centrale
Depression des Inngletschets cbarakterisiert >). Dieser ist an der Sslzach
die mSchtige Eintiefctng um Sakbnzg, am Lech jene von FOssen analog;
im Bereiche der westlichen Hälfte des alten Isai^letschers entsprechen
ihr Mumauer Moor. Stafiel- und Aramersee, weiter im Ostt ii Wakhcns(Ms
Kochelsee, Ostersee, Wünnsee und schliesslich das ausgetrocknete Doppel-
becken im Isarthale selbst.
Während aber diese Depressionen entweder unmittelbar am Fasse
des Gebirges oder dodi nicht weit von demselben entfernt auftreten und
▼on einer Reihe kleinerer, mit Teichen oder Mooren erfüllter Mulden
innerhalb der unverletzten Moränenlandschaft umralimt werden, setzen
die nördlicher jjelegenen Thalweiten ausnahmslos t-rst am Rande der
kt/ti rni ein. Und zwar erscheinen sie keiltormig hineingedrängt in die
uucli der Donau ausgebreiteten, vorwiegend tertiären Hügekeilien.
Olaciale Schotter umranden dieselben auf weite Strecken, bedecken an
zahlreichen Stellen ihre Sohlen und so unterliegt es bei dem engen
*) Penck, Dr. Albr.: Die YergMatAiienaig der dentschen Alpen, ihr« Ur^
»acht n . p. rio(lT>cho Wiedorkehr und ihr Kififlyw auf die Bodeagettaltinig. Ge-
krönte Preifluchrift Leipzig 1882. S. 337.
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174
Grober,
Anschlu.ss dieser Gebilde an ihre südliche üinp^ebung keinem Zweifel,
dass die Ausprägung üiier heutigen ]*hysiognomie durch Erosion Üies-
senden Wassers mit den Wirkungen der Eissseit auf die ReliefrerhSltnisse
der Donauhochebene in Verbindung gebracht werden muss.
Auch in ihrem geographischen Charakter finden sich wesentliche
XJebereinstiraraun^en ; sie stellen vorzugsweise sanft nach Norden und
Nordosten geneigte Geröllebenen dar, deren Aussehen Moore und Heiden
alieuthalben beeinflussen. Morphologisch sind diese Thalweilungen
ebensowenig vom Übrigen Thalweg der FlOsse zu trennen, denen sie
zugehören, als de etwa Tereinzelte Erscheinungen in jenem reprilsentieren.
Denn eben der ununterbrochene Wechsel von Einenj^mjiir und Verbreite-
rung ist das auffallendste Merkmal unserer heiniat liehen Rinnsale. Es
kommt hierdurcli eine jedem Kenner der Alpentliiller wohllx kannt*^ Art
von Kosenkranzform zustande, welche die Bildungsgeschichte dieser
natürlichen Kanäle und die bei ihrer Ausnagung wirksamen Faktoren
getreu wiederspiegelt, sowie feste Anhaltipuäcte für eine naturwahre
ErkUirung des Werdens derselben bietet. Wirft man z. B. auch nur
einen raschen Blick auf den Thalweg der Isar, so treten in ihm nach
den enpren Schluchten des Quellgebiet^s die kleineren Kessel von Mitten-
wald und Krün entgegen: ihnen folgt der tiefe Liingseinriss in den
Hauptdolomit, dessen Mitte die Rissmündung bezeichnet. Er wiederum
setzt sich im Tölzer und hierauf im Königsdorfer Becken fort Kurz
nachdem der Fhiss die Loisaeh angenommen, wird er aufs neue in einer
cauonartigen Rinne gesammelt, die sich erst bei Thalkirchen in das
Münchener Becken auflöst. Zuletzt dehnt sich das Isarbett noch einmal
bei seinem Ausgang nach der Donau zu einer gerilumigen Kiesniedemng
aus, welcher Landau und Plattling angehören.
Man erkennt hieraus, dma sich die 1485 Quadratkilometer um-
fassende Thalweitung, deren Ceafarum die Hauntstadt Bayetns einnimmt
und auf welche wir im folgenden unsere fietraditung einachrlnken
müssen, nicht gewaltsam loslösen lässt vom Thal weg der Isar QberhaHpi,
vielmehr mit der lieiitigen plastischen Ausgestaltung desselben in engem
organischem Zusammenhange steht. Dabei wird freilich andererseits
auch anerkannt werden müssen, dass die Landschaft um München in-
folge ihrer Situation, Umgrenzung und ihres geographischeu Charakters
auä als mehr oder minder scharf abgeschlossenes Ganzes entgegentritt,
dem vor allem die Einflüsse des Grundwassers in den Quartbnchottem
ein eigenartig individuelles GeprSge aufdrücken.
2. Umgrenzu^ und Oberfläehengestali.
Das MOnehener Becken repräsentiert sich als eine 70 km lan^Bpe
Thalsenke, deren Durchmesser zwischen 40 und 10 km schwankt, im
Mittel jedoch 25 km beträgt. Seine zwar schmucklose, nichtsdesto-
wenifj!;er aber äusserst klar hervortretende Umrandung hebt sich durch-
sclimttiicli 12 m über den Spiegel der Isar. Dieselbe wird im Süden
durch die Schuttwälle der Endmoränen des Is^rsletschers, im Osten und
Westen von ebenso aufgebauten glacialen ^igelkomplezen gebfldet.
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7J Das Müncbener Becken. X75
iriUirend sich im Norden ein ichmaler Sifcreifen TertÜr anlegi An seinem
oberen Rande biegt unser Gebiet, wie die Nordgrenze der unverletzten
Moränenland^chaft auch, weit gegen das Gebirge hin aus. Seinen
südlichsten Punkt erreicht es jenseits Holzkirchen, indem sich dasselbe
gleich einer breiten stumpfen Bucht zwischen die Ablagerungen des
Inn- und Isargletschers drängt. Dort kommt seine Sohle 700 m hoch
zu Uegen, wBhniid sie doch an ihrem nördlichen Ende hia auf 412 m
herabsteigt Im Durchschnitt fftUt sie 8 — 4 m auf den Kilometer; die ganze
Landschaft besitzt somit die Neigung eines nicht allzu steilen Schuttkegels,
Gegen ihre Mitte hin hebt sie sich, wie Weiss ') schon erkannte, liln^'s
der Isar schildförmig 12 — 15 ra hoch über das Niveau der liänder, was
bei iler Frage nach den Höhenverhältnissen der Moore und Heiden um
Erding, Dachau, Schieissheim und Garching auf Grund authentischer
Messimgen eingehender nachzuweisen ist m fibrigen aber dehnt sich
unsere Thalweitnng von Hoh^irchen bis Ifoosbnrg, von der Amper zur
Darkm als t ine sanftgeneigte Schräge aus, ohne von wesentlichen Auf-
ragungen durchsetzt zu werden. Nur Isar, Würm, Amper. Gleisenthal
und Teufelsgraben haben tiefere Furchen in sie gezogen; hier und dort
erheben sich auch breite La^er aus Löss, so besonders am Ostufer des
Hauptflusses und bei Solhi m der Nfthe von Grosshessebhe oder, wie
in den Hooieo, istdiwte, aus Lehm und GerSUe aufj^febaute, meist unier
10 m hohe Einzelerhebungen, welche indes den Gesammtcharakter der
ialtenlos erscheinenden Fläche nicht sn unterbrechen oder gar zu modi-
Üzieren vermögen.
Gleisenthal und Teufelsgraben*) reichen mit ihren oberen
L'artieen beträchtlich in die innere Moräneulaudschaft. Beide gehören
der sQdfichen Yerräugeruug des Beckens su, und zwar markiert die
in breitem Bogen von Süden nacb Westen geschwungene Eintiefuug
des Teufelsgrabens ungefähr den Ausgang desselben. Sie reihen sich
den f?rössten Trockenthälern des Alpenvorlandes an und zeigen neben
einzelnen Unterschieden in ihrer topischen Ausgestaltung eine Reihe
auffallender Aehnlichkeiten. Im G^ensatze zum Thalweg der Isar
wurden Teufelsgraben und Gleiseniliu aussehliesdich in fluTio-glaciale
Sehotter eingenagt Ihre Sohle erreicht niemals den impermeabeln
TertünnergeX auf welchem jene ruhen; sie befindet sich unter anderem
im oberen Gleisenthal ir>ni über diesem. Auch der allgemeine Grund-
wasserstrom der Hochebene, dessen Spiesrel hier ä -0 m über dem Flinz
zu liegen kommt, wurde iu beiden Kiimsalen nur an je einem Punkte an-
geschnitten. Den starkgeneigten Boden von Teufelsgraben und Gleisenthal
— sein GeftUe betrBgtbis zu 0,0046 — bildet zuoberst eine stellenweise
5 m tielb Bfecklehmschicht, deren Mächtigkeit nach Norden stetig ab-
nimmt Sie unterscheidet sich in nichts voif jener fruchtbaren zähen Lehm-
httlle, welche die Eintiefüngen zwischen den SchutthOgeln der Moräneoland-
J. H. WeisB: Sfidbayerns OberflRohe nach ihrer ftimereii Gestalt. Geo-
gnOBtisch-topographisch entworfen im Jahre IRir,, München 1820, S. 188 u. 189.
') lieber diese Benencuii^ hat Hauptuuum L. Dürr einige Vermutungen
auägcüurodicn in Moiiein Tortrage: üeber das Gebiet swiiehai Anmer nnd Maag^
m, Bea. SV Allgem. Zig. 1877, Nr. 8»-85.
Ornber,
[8
schalt aUenÜhalbeii überzieht. Am mtonsivsten kam dieselbe in den
beckenartig ausgeweiteten Depressionen zum Niederschlag, welche am
Eingang zu den TrocktMithiilern sich ausbreiten. In ilinen ruhen
chanikteristisch ausgeprägte und zugleicli (iic ganze Mulde voll ein-
nehmende Hochmoore. Ausserdem Imiert am Südende des TeufeLsgrabem»
der äuBserat amnutig stillgelegene Eirch- mid Hackenaee. Zwar ver*
zeichnen noch die neuesten Karten des bayeriadien Generalstabe auch
im Gleisentliid einen Teich ; derselbe iat indes heute bis auf kaum kennt-
liche Spuren vrrsclnvundon. Er war, ohne eine tiefere Furche aus-
zufüllen, nur Sammelpunkt atniosphärilischen Wassers auf den undurch-
lässigen Lehm- und Saiuliaj^eni der Sohle, dadurch aber den zahllosen
Weihern verwandt, welche im Gebiet früherer Vergletscherung allerorts
zerstreut sind, vor unseren Augen hesti&ndiff an üm£u^ verlieren und sich
zu Hochmooren umwandeln oder auch gänjuüch verschwinden. Schliesslich
gehört beiden Trockenrinnen noch ein schmaler, tr^[er Wa.sserfaden
eigentümlich zu. Er wird im Gleisenthal vom Deiningor Filz, im Teufels-
graben vom Kirch- und Hackensee aus genälirt und verschwindet nach
einigen Kilometern wieder im Schotter. Ebenso verhält sich im be-
nachbarten Föggenbeurer Trockenthal der Thanninger Bach.
In der Plastik ihrer ThakSnder zeigen Gleisenthal und Teufels-
graben wesentliche Unterschiede. Anfangs erscheinen sie bis 00 m tief
in die Moränenlaudschaft eingesenkt; jedocli vemiindert sieh die Höhe
ihrer Steilgehänge stetig mit iltreni Verlaut nach Norden und Ost<'n.
Während sich aber das Gleisenthal als scharfer, ungegliederter Eim-i>N
repräsentiert, dessen Uferwände auf eine Länge von 10 km und nur
50 — 100 m Ton einander entfernt gleichförmig nach Nordosten weiter-
ziehen, zeigt der Teufelsgral )en eine Anzahl von Thalstufen, welche»
ohne ein zununmenhängendes System zu bilden, öfters dreifach über-
einanderlagem und denselben bis zu seiner Einmündung in das Mang-
fallgebiet begleiten. Diese Trockenrinne stellt nicht das einheithche
Gebilde dar, als welches das Gleisenthal auf den ersten Bück hin er-
scheint; sie hängt stftrker mit ihrer Umgebung zusammen, und mehrere
Flutungslinien bezeugen, dass dieselbe ihre Wassermassen erst nach
Norden sandte, ehe sie rechtwinkelig gegen den Inn zu umbog. Das
gesamte Relief des ohne die Kirc]is<'er Mulde 2(> km langen und zwi-
schen .')0 und 150 m breiten Teufelsgruhens läs.st vernintt n. dass er an-
dauernd im Dien-ste einer zeitweise verschieden grosst n. sich alkuälilieh
vermindernden Sti-ömung stand. — Professor Dr. von Zittel wies in seiner
akademischen Rede «Ueber Gletschererscheinungen auf der bayerischen
Hochebene" ') mit zuerst daraufhin, dass die Trockenthäler des südlichen
Alpenvorlan<les als Abzugskanäle der Schmelzwasser ei.szeitlicher Gletscher
zu betrachten seien. Professor Dr. Penck begründete diese Ansicht^),
indem er ausführte, dass aus den flurch Gletschererosion geschatlenen
Depressionen stets ein tief einschneidender Kanal nach aussen fülirt,
dessen Bildung wahrend des GletscherrOckzuges begann und wdcher
') Sitzungsberichte der köiiigl. bayer. Akademie der Wissenschaften. Mathem.-
physikalische Klasse. München 1874, S. 2r»2.
*) Die VergUtschenuig der deutBchen Alpen, S. 179.
0]
Das Münchener Becken.
177
diejenigen Wasser nach aussen zu führen hatte, die sich beim Ab-
schmelzen der Gletscher im Bereiche jener Depression sammelten. »Da
sich nim seiiiher besonders im laargebiete die hydrographisehen V^-
bftltniase mehr&ch änderten, wurden mehrere einzelne Depressionen mit^
einander verknüpft und werden nunmehr durch die Isar entwässert,
w-ilirend früher eine jede durch ihren eigenen Kanal drainicrt ward.
Daiier sind einzelne dieser Kanäle ausser Betrieb gesetzt und erscheinen
heute ab Trockenthäler. Die Trockeuthäler sUdüsthch von München,
das Qlelsaiiihal b«. Deisenhofen und der Teufelsgraben von Hobskuraben
sind Kaidile, durch welche einst die Depressionen des Deininger Filzes
und KircKsees entwässert wurden und zwar die letztere nicht wie heute
nach der Isar zu, sondern nach dem Tnn hin".
llireni landschaftlichen Charakter nach reihen sicli jene alten Kinn-
sale dem tiefen Einschnitt der Isar zwischen der Loisachmündung und
Thalkirchen an. Die geographische Eigenart des letzteren hat Professor
Dr. Ratsd bei Gelegenheit einer Schildening der Umgebung MOndiens
in wenigen markanten Strichen trefflich gezeichnet. Wer jemals durch
ein solch vereinsamtes, schattensattes Trockenthal gewandert, wenn es
den sich verfjirbenden Laubmantel des Spätsommers eng um seine
Schultern geschlungen, wird dort, unbeengt von jedem menschlichen
Treiben, ein zu wenig gepriesenes Stück der Schönheit erkannt haben,
welche den weiten unoinehnlichen Hügelgruppen und Bbenen auf dj»
SchweDe zum Gebirge hin durch fliessendes Wasser gegeben ward.
Schliesslich seien auch hier noch jene gemeinsamen Züge erwälint,
die bei einem vergleichenden Blick auf die Gesamtform der Thal-
wege am Beginn des Mittellaufes der Isar hervortreten. Durch ihre
gleichartige Architektur wurden tiir sie eine Heilie vereinigender Momente
gegeben. Allen gehört eine söhlige Weitung an : der Isar das aua-
ge&Dclmete Dopp^becken, welches nunmehr den Königsdorfer Filz birgt,
der Würm und Amper ihre gleichnamigen Seen, dem Gleisenthal die
Mulde des Deininger Hochmoores, dem Teufelsgraben jene um den
Kirchsee. Am n<>rdhchen Ende dieser Depressionen setzt eine mächtig
entwickelte Thalsciilucht ein. Sie reicht im Gebiete des Hauptflusses
von Schäftlarn bis an Grosshesselohe, an der Kinne der W^ürm von
Leutstetten bis nnterhalb der Bahnstation Hflhlthal, im Anq>erÜial be-
HchrSnkt sich dieselbe auf die Umgegend von Wfldenrott, im Gleisen-
thal zieht sie bis Deisenhofen, im Teufelsgraben bis Grub an der Mang-
tall. Haben sich die scharfen Konturen dieser Einschnitte gemässigt,
jso weitet sich die Thiilsohle aus, die üfennaueni verheren von ihrer
Höhe und senken sich meist in Stufen herab, um endlicli als un-
p.cheiubare Ränder in der Müncheuer Ebene zu verschwinden. Dies tritt
an der Isar unterhalb Thalkirchen, an der Wflrm, Amper und dem
Gleisenthal bei den zuletxt angegebenen Punkten auf ihren Flanken ein.
Mflnchen in natarwimenscbafUicher und medizinischer Beziehung. Ftthrer
für die Teilnehmer der .'0. Vorsaininluiig d '':t<chor Natnrfor-<lier und Aerzte.
München 1877, S. 139 if. — Wir selbst haben dm Gleisenthal im .Auäland** Nr. 4 u. 5,
Jahrg. 188^ beaduieben.
178
Gruber,
Lio
S. Geologischer Anfbai.
Der geologische Auf hau uuseres Gebietes, welcher durch Professor
Dr. Albrecht Penck eine ebenso mustergültige Untersuchung als anschau-
lidie Schilderung erfulir (S. 282 — 290 semeB Werkes nher die Y ergletsche-
rung der deutschen Alpen), erscheint in hohem Grade einfach. Er findet
sich allenthalben an den Gehängen der tieferen Thäler sowie in zahl-
reichen Kiesgruben mannigfacli und klar aufgesclilossen. Es sind mächtige
Schotteraidagerungen fluvio - glacialeu Charakters, die hier, dreifach
abgestuft, entgegentreten. Auf die nur 2U — 00 cm tiefe Decke des
obersten Eluviums % welche die seichte Ackerkrume des (Gebietes darstellt,
folgt eine Schicht losen, bunt gemengten EalkgerOUs, das reich mit kry-
stallinischen RoUsteinMi aus den Centralalpen sowie mit tertiären und
diluvialen Bruchstücken vermischt und stets von Bändern festgefilgten
Schwemmsandes durchzogen ist. Wer na< h einem Besuch der Bavaria
und Rulimeshalle einige Schritte gegen W e>ten geht, wird jene mächtige
Kiesbank bis 15 m hoch sich absenken »eheu. In ihrem Aufbau zeigt
sie, wie auch die fokenden Ablagerungen last immer; die ausgesprochene
dJdcordante Flarallelstruktur, sowie eine beständige WechfleUagerung
gröberen und feineren Materials.
Ein schmaler Streifen bi-aunen Yerwittenmgslehms trennt jenen
.unteren Glacialschotter" von einer zweiten, durchschnittlich weniger
mächtigen GeröUschicht , die Penck als ^mittleren liegenden Schotter"
bezeichnet. Petrogra^hisch stimmt sie mit dem ersteren überein, er-
scheint aber gewöhnhch yon kleinerem Korn und häufiger leicht rer-
kittet. Ihre Oberfläche wurde stelloiweise durch Erosion angegriÖen,
hat daher schwache, leicht gebogene Eintiefungen, was darauf hin-
weist, dass sich zwischen die Ablagerung beider Etagen eine Pause
von beträchtlicher Dauer einschob. HiertKlr liefern auch geologische
Orgeln einen deutlichen Beweis. Es sind langgestreckte, trichter-
förmige Einhohrungen, gross und klein dicht aneinandergereiht. Sie
errei<men eine Länge von 7 — 8 m; ihr kreisförmiger Durchmesser ist
am oberen Ende 1 — 1,5 m weit ausgespannt, Teren^t sich aber all-
mählich, um den Schlot stumpf endigen zu lassen. \oni gewöhnlichen
Grau ihrer Umgehung heben sie sich durch die Ausfüllung mit dunklem
Yerwitterungslehni deutlich ab. Im Gleisenthal, in welchem dieselben
am mannigfaltigsten entfaltet wurden, kommen häufig zwei Reihen von
Orgeha in Tersoiiedenen GkrGUschichten tibereinander zu stehen. Dort
fehlt auch dftera die Scheidewand zwischen einzelnen von ihnen, so dass
sie, gegenseitig verschmolzen, ein ungewöhnlich breites Profil bei ge-
ringer Tiefe erhielten. Entblösst man die Ohei-fläche des festverkitteten
Schotters, so erscheint sie ungemein stark zersetzt und mit napfttiruiigeu
Eintiefungen wie übersäet. Man erinnert sich beim Anblick dieser eigeu-
tUmHchen Korrosionsförm *) an die Schratten auf den Ealkplateaus der
Alpen. Gleich den Lehmlagen zwischen den Schottern führen sie auf
Verwitterung zurOck. Dieselben sind Produkte chemischer Erosion
h Eine vorwiegend aus Kalkgeroileu entätaudene Verwitterungsscbicht.
^ Eorronon ist luer Auflockmmg und Zenetznng feiten GemiiiH.
Das Mflnohen^ Becken.
179
und dadurch entstanden . dns.s die konkaven Stellen der rauhen Ober-
fläche jener Ablagerungen einem stärkeren Eiufluss der Atmasphärilien
und ihrer zemagendea imd auflockemden Wirkungen ausgesetzt waren.
Die Bildung Shi&her Vertiefiingen geht übrigenB noch heute besttndig
vor sich. Das jfingste Eluvium breitet sich höchst ungleichmässig
gegen die Tiefe aus; man beobachtet an demselben überall kleine zapfen-
artige Einsclmitte oder Säckclien verschiedenster Form, welche sich m
den , unteren Glacialschotter" senken und nichts anderes als den Ani'ang
geologischer Orgeln darstellen.
Dem mitüeren liegenden Schotter folgt nach einer dritten Lage
von Verwitterungslehm endlich als unterstes und mSchtigstes Glied die
diluviale Nagelfluh. Auch sie kam unter Mitwirkung von Gletschern
zustande und fuhrt nt lM ii lokal j^ekritzten Geschieben krvstallinische
Rollstücke, wenn auch in «geringem Masse. Diese Schicht stellt in der
Kegel nur feste Gesteiuspartieen dar; ihr Material ist unter sich durch
ein Ccment aus spätigem Kalk zu einem Konglomerat verbunden. Dass
letsteres bereite vor Eintritt der jüngsten Vergletscherung vorhanden
war, beweist die Auffindung von öletecherschliffen auf dar Nagi Ifluh,
Im Gebiete des Münchener Beckens wurde dieselbe bis zu einer Höhe
von 25 m aufgehäuft; sie bedeckt überhaupt das nordalpine Vorland
zusammenhänj^end in weiter Ausdehnung und reicht zwischen Iller und
Lech sogai' bis an die Donau. Ihr gehören auch meist die vorliin er-
vrthnten Schlote zu.
Wie wir mehrfach andeuteten, charakterisieren sich die Schotter^
ablagerungen im Alpenvorlande als echte Glacialanschwemmungen. Es
sind umgelaf^erte Moränen, also Sdnittmaterial, d;is von rrlptsTdiem aus
dem Gebirge auf die Hochebene gebrai ht und hier durch W asser weiter
ausgebreitet und verfrachtet ward. Diese Annahme allein erklärt die
geognostische Zusammensetzung sowie die ganze Art der Anlagerung
dieser Schichten, deren Gliederung zugleich als Beweis ftlr eine mehr-
malige Wiederkehr der Eisaeit gilt Uebrigens folgen, wie erwartet
werden muss, die drei Etagen von Kies nicht allerorts regelmässig auf-
einander. Die diluviale Nagelfluh tritt in unserem Gebiete zwar selten
direkt zutage; dagegen fehlt stellenweise der mittlere liegende Schotter,
und. der untere Glacialschotter ruht häutig unmittelbar auf dem Tertiär.
Leteteres wurde mnerhalb des MOnchener Beckens am tieftlen durch
die Erosion der Isar angeschnitten und zwar nur in sdnen höchsten
Partieen. der oberen Sflsswassermolasse, weichen« leicht zersetzbaren und
auiziüockemdeu, sandigen und mergehgen Gesteinsschichten von braun-
tfelber bis graugrüner Färbung, an deren Auftrctin meistenteils Quell-
ergtisse gebunden erscheinen, lieber ilire Beschattenheit haben besonders
eine Keüie Bohrungen im Gleisenthal orientiert, welche, von der Sohle
an gerechnet, bis su einer Tiefe von beinahe 50 m reichen und deren
Resultate ergaben, dass sich zwischen die imterste Schotterschicht und
den Tertiärmergel gewöhnlich eine Lage wirigemengten Gerölles mit
mergeliger Zwischenraasse oder kompakten Schwemnisnndes von 0.5 — 7 ni
Höhe einschiebt. Letzterer ist aus gröberen und tcnieren Bändern zu-
sammengesetzt imd gleicht nach seiner Bescluitfenheit vollständig den
sandigen Strafen in den obeven Seliotlem. Die MdaaBe selbst lagert
. ^ i.L^ l v Google
180
Grober,
hier zwischen 18 und 41 m Tiefe. Sie ist, wie auch der ihr unmittel V)jir
auflagernde Tertiärsand, für Wasser in hohem Grade undurchdringlich.
So setzt sich denn der Boden unserer Thalweitung aus zwei wesent-
lich verschiedenen Gesteinsarten zusammen : einer Gruppe eng zusammen-
gehöriger, wasserdurchlässiger Geröllablagerungen und einer stark
sandigen Merixelschichte (Flinz), welche iilr da^ eingesickerte Wasser
impermeabel erscheint. Daneben findet sich an emigen Stellen und zwar
vor allem am östlichen Uochufer der Isar von jenseits Berg am Laim
hia Oherföhring Löss, hier em interglaciales Ahaataprodukt Über dem
obersten ESeslager; im Thal des Flusses seihst aber sieht sich an
schmaler Streifen junger AUuvionen über dem Tertiär weiter. An die
Erkenntnis dieser Verhältnisse werden wir anzuknüpfen haben, wenn im
folgenden die geographische Ausgestaltung des Münchener Beckens ge-
schildert, sowie die den dortigen Moor- und Heide bilduugen zu Grunde
liegenden Ursachen erörtert werden sollen.
n. Monographische Betrachtimg der Hoor- und Heide-
landsohaften an der mittleren Isar.
4. Idneftmente uiiI Avsdehnnng der MoorlftBdsebaften an der
mittlerea Isar.
Abgesehen von der Teilung des Münchener Beckens durch den
scharf eingeschnittenen Thalweg der Isar treten aus seiner Physiognomie
zwei Züge dentUeh markiert herror: die obere Hftlfte dessellMn er-
scheint als mächtiges, stellenweise Ton lOssbedeckten Aufragnngen
durchsetztes, im ganzen aber wenig ertragffthiges Kieslager; in seinen
nnt'^rpn Teilen hinfxepren breitet sich ein weites, zweigegliedertes
Qiit'Umoor ans, zwisciien welchem die ausgetrockneten Striche der so-
genannten Garchinger Heide auftauchen.
WShrend dieser Moorlandschafi im Westen, Norden und Osten
eine leicht erkennbare ümgrenzung eigen ist, scUiesst sie sich gegen
Süden unvermittelt den Schotterflächen an, die als verwaschene Mo-
ränenlandschaft am Rande des Gebietes früherer Vergletscheningen
lagern. Dieselbe endigt aber nach dieser Richtuncr nicht breit und
stumpf, sondern hat ähnlich wie das Münchener Becken überhaupt
zwei Verlängerungen auf beiden Seiten des Flusses. Dadurch erreicht
das Moor in seinen östlichen Partieen bei Riem, in seinen wesÜichein
bei Freiham, Germering und Buchheim die Breite Ton Mflnchen, w8h-
rend sich die eigentlichen Hauptkompleze der Moorwiesen erst 5 bis
<> km nördlich von hier auszubreiten beginnen. f^Okra weit erstrecken
sich jene im Westen, 38km im Osten der Isar; dort endigen sie
unmittelbar vor Freising, hier in der Volkmannsdorfer Au bei Moos-
burg. Beide entfalten in der Linie Neuching- Schieissheim -Dachau
ihre grOsste Breite von 18 km und ersdieinen an ihren unteren Ans-
^ j i.Lo l v Google
Da« Münchener Becken.
181
"Die
Verteilung der Moore und Heiden im Münchener Becken,
mit Angabe der (irunilwaäserfaorizontalen und Kulturuntemehmungen (unter Be-
nutzung der Grund wi\«senue88ungen Niedermeyer 's und Thiem's, sowie einer
Karte Drescher 's über die Kultunersuche in Oberbayem entworfen).
Haüsstab 1 : 400 000.
Kvdluirn uirr 100 Schlurrn
. . UMtrr 10 . ,
Digitized by Google
j
182
Graber,
gäugen bis auf 2 km eingeengte — Im allgemeinen charakterisiert
sich die Oberfläche der Moore, gleich jener der ganzen Thal-
weitiincf überhaupt, als ungestörte, nordnordöstlich genei;^te schiefe
Ebene, deren Abfall sich zu 2,5 — 3m auf den Kilometer berechnet,
mithin das Gefalle der Isar fast um das Doppelte übertnÜ't. Die Höhe
der tfidlichen AnnlSiifer des Erdinger Moores schwankt zwischen 522
und Silin. Riem hat 522, Domach 517,5, Aschfaeim 511,1, Kirch-
heim 511,4 m ab Terrainkote. Bezeichnet man den Nordrand der
Landschaft dnrcli eine Linie, welche iu der Höhe des Nnll])unktes des
Moosburger IsurjieLrels nach Osten verläuft, so erhält man im Mittel 412 m.
Es ergeben sich also 110 m als Höhendifferenz für die 38 km entfernten
Ausgangslinien des Moores. Den gleichen Abfall beobachtet man an
den Dachan-Schleissheinier Moorstrichen. Germering, an ihrem süd-
lichsten Punkt, liegt 580 m, das 30 km gegen Nordosten von ihm ge-
l^^e Pulling 450 m hoch. Den Charakter einer nach der Theorie
ausgebreiteten, ungefalteten Fläche trägt indes die untere Hälfte der
Sohle des Mtinchener Beckens trotzdem nicht. Man erkennt dies aus
den Resultaten einer ßeihe von Nivellements, welche die oberste Bau-
behörde Bayerns im H&rs 1879 anf dem Gebiete des Erdinger, Pro-
fessor Kremer auf jenem des mittleren Dachan^ScUeissheimer Ifoorea
ansfOhren Hess Konstruiert man einen Querschnitt zwischen der
unteren Dorfen und Amper, so fiillt besonders auf, dass die Terrain-
koten des Erdinger Moores häufig unter jene des Isarspiegels bei
Mittelwasser treten. Es findet dies im ganzen Striche z wisch on Hall-
bergmoos und Oberdin^ statt. Sein tiefster Punkt unweit der Gtall-
ach liegt 2,97 m niednger als der benachbarte Fluss. Auch in den
Linien Freising — Schweig und Freising — Berglen verhalten sich aus-
gedehnte Gebiete in ähnlicher Weise, und zwar steigt der tiefste Punkt
innerlialb der ersteren innerhalb der letzteren 1.7:'7m unter
die Obertiäche der Isar. Wir haben darin mit die deutlichste Illustra-
tion zu der Behauptung, dass der Fluss über seine eigenen Schutt-
bänke weiterroUt, ein Verhalten, das in den Werdeprozess der an-
grenzenden Moorlandschaften tief eingreift.
Im ganzen erscheint also die Oberfläche des Erdinger Moores
als sanftwellige, leicht konkav gekrtlmmte Schräge. Jenseits der Isar,
deren Spiegel hier bei mittlerem Wasserstand eine Höhe von 40G— 448 m
zei«jt, hebt sich das Terrain infolge von Schotteranhanfiin^ stetig bis
auf 488 m, um bei Lohhot unvermittelt auf 472 m zu lallen. Das
Gebiet des Dachau — Schleissheimer Moores hat gleich&Us eine mulden-
') Die letztere Arbeit wurde gemäss eines Beschlusses der Kömiwi—ion Ar
Kultivierung der Moore und grösser»')! Otnlungen in Bayern 1850 vot^nommen.
Man zerlegte zu diosem Zweck eine 27 üöO Morgen (14,67 Morgen = 5 ha) um-
fiuaende Fläche in Quadrate von 400Flli8 (114,28 m) Seite. Die LOnge der nivellierten
Linien betrug 230 ."^tunden. die der zur Kontrolle nivellierten Unifänge 42 Stunden.
Ini ganzen wurden 071(J Höhenpunkte bestimmt; aus diesen wurden Horizontal-
kurvt n von 1—3 Fuss (28 — 85 cm) vertikaler Erhebung für die Moorfläche konstruiert.
Zur Krforschung des Untergrundes wurden :348 Bohrversuche angestellt, 12 chemische
Anahsen von Bodenarten und 4 solche von Gewässern vorgenommen. Ein auf
die HOhenverh<iii«se bezu^ehmender Teil dieser sehr wertvollen, noch unbenQtBtea
Fonchimgen liegt in der Registratur des landwirtschaftliehen Vereins von Bsyera.
15]
Das Mflnchefier Becken
183
artige Eintiefnng gegen seine Mitte hin. Die Höhenkurven biegen
am Ost- und Westrande dieser Landschaft ein wenig auf, gegen die
Amper zu wird ihr Verlauf unruliiger, sonst aber ziehen sie ohne
wesentUche Störungen und in regelmässigen AltstSnden weiter. Dagegen
fUlt auf, dass diese Hälfte des Mfinchener Mooigebietes in ihren
mittleren und oberen Partieen Tielfacli höher zu liegen kommt als
die an der Dorfen gelegenen Komplexe des Erdinger Moores, eine
I^scheinung, welche sich zwanglos auf den intensiveren Gerölltrans-
port im Würm- und Anipergebiet während der Glacialzeit zurück-
« tühren lässt.
Trotedem die Moore des Mfinchener Beckens als abgerundete, in
sich geschlossene Landschaften Ton einheitlichem, überall deutlich
heraustretendem Typus erscheinen, schwanken die Angaben über ihre
Ausdehnung in auffallend widersprechender Weise. Und zwar trägt
hieran, wie es scheint, weniger die in ihnen versuchte Kultivations-
arbeit und ihre Fortschritte, als vielmehr die Art der Ausmessung
nnd Zertsilung dieser Gebiete die Schuld. Wihrend unter anderem
Zierl die Grösse der Moore an der mittleren Isar allein zo 182 288 Morgen
(2,94 Mrg. = 1 ha) Teranschlagte, nahmen nach den damaligen forst-
amtlichen Mitteilungen die Torfmoore in ganz Oberbayern mit Einschluss
des Salinendistrikte« nur 1 18 OtlT Morgen ein. Auf Grund eingehender
Berechnung erhielten wir als GesamttiÜcheuinhalt des Dachau-Schleiss-
heimer und Erdiuger Moores 46000 ha. Nach den Aktenangaben
der Kommission flir die Knitor der Moore entfollen hierron auf die
kleinere Hälfte westlich des Flusses 21 600 ha, auf die grossere Öst-
lich Ton ihm mithin 25000 ha.
Diese sehr ansehnlichen Flächen für agrikulturelle Zwecke mehr
und mehr auszunützen, ist man von staatlicher nnd privater Seite aus
besonders seit den Untersuchungen Professor Kremers eifrig bedacht.
Ein Blick auf die Uebersichtskarte der seit 1853 ausgeftihrten KnU
turen in Oberhayem zeig:t mit Ausnahme der Umgebung Rosenheims
vaaA des Chiemsees in keinem anderen Gebiete so viele und dicht zu-
sammenhängende Unternehmungen nach dieser Richtung, als eben im
Münchener Becken. In der That berechnet sich auch der Strich,
welcher hier seit 1860 mit neuen oder verbesserten Kulturanlagen
versehen wurde, auf nicht weniger als 13815 ha, für überbayem
flberhaupt (also mit Einschluss des Donaumoores) beträgt die gleiche
Zahl 22510, und fOr die 81 Jahre von 1853—1884 49 011ha.
5. Die Entstehangsursachen der Münchener Moore. Eigenart der
HMh- wi4 Wtoeenmoore. MMnrlknliclM BiMnagea,
Die Abhingigkeit der geographischen Ausgestaltung des Münchener
Beckens von seiner geognostischen Struktur zeigt sich in keinem anderen
Gebiete desselben anschaulicher, als im Bereiche der Moor- und Heide-
wiesen. Wir sahen, dass den oberen und mittleren Teil unserer Hoch-
ebene breite Gerölllager fluvio-glaciaieu Ursprungs weithin decken,
wei<^ meist locker aufgeschüttet
184
Gruber,
Xagelfluh verkittet erscheinen, für die Tagtisgewässer nicht imper-
meabel sind. Die abnoBpliSriBcheii NiedemhlSge Tennögeti deshalb
ungehindert in dieselben einzudringen und sickern, verstärkt durch
ansehnli(^he Partieen Ton Quell-, Fluss- und Seewasser, dureh sie nach
der Tiefe hin.
Es gelanpfen somit sehr beträchtliche Wassermengen bis auf die
stark undurchlässige K^chicht der tertiären oberen Süsswa^sermoksse.
Hier werden sie Ton weiterem Eindringen zurückgehalten, gesammelt,
und fliessen nun auf der Sohle des Hinzes als Grundwasser in den
Schottern abwärts. Ausser dieser der gesamten Hochfläche angehörigen
unterirdischen Strömung besitzt jedes Thal sein eigenes Grundgewässer,
das sich in den vom einzehien Flusse niedergelegten Allnvinnen weiter-
bewegt. Innerhalb der iMünchener Terrassenstufen treten .sogar o Ströme
auf. Der oberste von ihnen fliesst in den Kiesmassen, welche Bavaria
und Ruhmeshalle tragen und dem allgemeinen Plateau angehören. Sein
Verlauf ist gleich jenem der analogen mächtigen Strömung auf der
östlichen Isarseite so regelmässig, dass sich die Horizontalkurren des-
selben oft geradezu der Abdachung des Terrains anscUiessen. Ein
anderer Zweig bewegt .sich, dnrch vier Flinzriicken zerteilt und in
einer grösseren Anzahl uiuldenförmiger Emtiefungen gesammelt,
5 — 15 m tiefer auf den mittleren Terrassenebenen Münchens. Inner-
halb der dritten Terrasse, durch welche die meisten der Stadtbäche
sich hinziehen, stehen viele Brunnen sichtlich unter dem Einfluss des
Kückstaues der Isar, deren AUuvialschottem ebenfalls ein Grundwasser-
ström zukommt.
Richtung und Geschwindigkeit der Grundwasserströmungen sind
von der Konfiguration ihrer Sohle abhängig, weich' letztere allenthalben
in breiten Wälenlinien weiterzieht und stdlenweise durch Erosion stark
beeinflusst erscheint; sie werden aber zugleich auch durch die grössere
oder ^'oringere Dichtigkeit der dem Flinz auflagernden SchotterbSnke
mitbestimmt. Im allLrcmeinen geht die Neigung des erst^Ten von
Südsüdost zu Nordnordwest und ist etwas geringer als diejenige der
Kiesschichten. Auch das Gefälle des Grundwa.ssers bleibt hinter jenem
der Oberfläche etwas zurück. So neigt sich die Sohle des Mün-
chener Beckens auf der 30 km langen Strecke zwischen ThaUdrchen
tmd Pulling 1* i Fk i^iug um 73 m, während die Grundwasserhonzon-
talen nur eine Ditferenz von 04 m zeigen; am entgegengesetzten
Ufer der Isar fällt das Terrain in der ebenfalls 30 km langen
Linie Holzkirchen-Aschheim um 182, das Grundwasser nur um 97 m.
Im allgemeinen lässt sich erweisen, das.s letzteres bei je einem Kilo-
meter Entfernung nach Norden 2 — 3 m an Höhe verlieri Auf diese
Zahlen. «Iben die beständigen Schwankungen des Grundwasserspiegels
keinen irgendwie l)eträchtlichen Einfluss. zeigen sich unabhängig
vom Sinken oder Steigen der Isar und sind durchaus nicht annueller
Natur, sondern gehen in grösseren, für heute noch nicht genau bestimm-
baren Perioden. Herr Geheimrat von Pettenkofer, der gründlichste
Kenner dieser Verhältnisse, hat dieselben in der Zeit vom August 1856
bis September 1878 für die nahe am Sttdende des £rdinger Moores
gelegenen Ortschaften Berg am Laim zu 3,61—8,83, Straastarndering
^ j i.Lo l v Google
17]
Das Milucheaer Becken.
185
zu 4,77 — 4,70 und Kirchtruderiiig zu 4,80m gefunden; au anderen
SteUen eirachten sie taai die doppelte HSbe, stets aber ohne wesent-
liche Veriindeningen in der Stromrichtnng als Folge zu haben.
Die Mächtigkeit der Grundwasser und Flins überlast rnden Ge-
röllschichten nimmt vom Rande der Vorberge an gegen Norden konstant
ab. Im Gebiet des Müncbener Beckens berechnet sich der Höhen-
unterschied zwisdien der Terrainoberfiiiche und dem Spiegel der 8 bis
lOm tiefen unterirdischen Strömung auf der rechten Isarseite bei Holz-
kirchen zn 85, bei Oberwarngau za 51, bei Sanerlach zn 40, bei
Otterfiog zu 20 , bei Perlach zn 4 m. Unmittelbar am Rande des
Erdinger Moores ist derselbe so gering, dass sich die Koten des Grund-
wasserspiegels mit jenen des Terrains £ast decken, wie folgende An-
gaben beweisen:
UQhe des
Terntiiu
Bei Dornach 517,5 m
Bei Daglfing 51()..'in
Bei Aschheim 511,1m
Bei Johanniskircheii 510,0 m
An der Vordermühle 506,9 m
Oestlich Ton Unterföhring am Gleisenbach 502,9 m
An der Hintermtihle 500,0 m
Höhe des
Gnmdwaaaers
516.3 m
5 1 5,0 m
51U,3 m
508,8 m
506,0 m
502.4 m
499,0 m*).
Die gleichen Verhältnisse wiederholen sich auf der Hochebene des
hnken Isarnfers. In Fiixstenried, nördlich Yon Mfinchen, wird das
Grundwasser 22 m, in Obersendling 19, in Mittersendling 12, an
der Bavaria 10—11, auf dem Marsield am Ende der Karlsstrasse im
Miincliener Stadtgebiet 7, gegenüber dem Zeughaus (>, bei Kbenan
sCdlich von München nur noch M.5. vor Moosach 1,5 ni hoch über-
lagert. In der Gegend von Ludwigsfeld endlich tritt es zu Tage und
fliesst nach Norden in Form sehr wasserreicher Bäche weiter.
So ist denn durch die allmählich bis znm Grundwasserspiegel ab-
nehmende Mächtigkeit der quartftren GerOllschichten die wesentlichste
£ntstehungsursache des grossen Doppelmoores an der mittleren Isar
Idealer L&ngenschniit durch das MOnchener Becken.
zwanglos gegeben und zugleich erkannt, wie eng g^ nt tisih die Moor-
landschaften um Erding, Freising, Schleis.sheim und Dachau zusammen-
gehören. Würden die Schottermassen an den Südrändern der Moore
um wenige Meter höher aufgehäuft sein, so wäre damit auch die Grenze
') Die Messungen besiehen rieh auf das Jahr 1870.
FondiwigtB so« dmtidMB Land—' vad TolUknirfe X. 4.
14
180
Gruber,
1.18
zwischen Tersumpftem nnd anbaufiLhigem Gebiete entsprechend yer-
schoben worden. Hier entscheiden .sogar oft nur einige Decimeter
Kiesüberlagerung mehr oder weniger über den Kulturwert ausgedehnter
Fläclion. IhVse Thatsache wird uns bei der Frage nach den Ent-
.steliungsurstu'hen der von den Mooren umschlossenen Heidestriche in
extremer Ausprägung entgegentreten. — Die Abhängigkeit der Moor-
bildung vom Grundwasser^ welche in den Berichten der Kommission
fflr WasRerversorgung nnd Kanalisation Mflnchens neuerdings in ans-
gezeichneter Weise durch Baurat Salbach und Ingenieur Thiem ile-
monstriert ward, hat übrigens Professor Zierl bereits 1839 im Ceutral-
blatt des laud wirtschaftlich »Ml Vereins für Hävern endgültig nach sie wiegen.
,Der \\ asserüberflnss de.s 1 )arhau-Freisuiger Moores." schreil)t er dort,
»entsteht durch Durchsick er uug aus dem Untergrund. Alles Wasser,
was von den höheren Stellen eingesaugt wird, was ans den BSchen
nnd vielleicht auch Seen durchsickert, kommt bis zu der Mergelschichte
(dem Flinz), wird Ton hier zurückgedrängt und soweit fortgeführt, bis
es in den Mooren, als den tiefsten Stellcii. wieder zum Vf)rschein
kommt. Diest's lehrt der unmittelbare Anblick und das \'erhiiltnis der
Brunnen. Sie werden um so seichter, je mehr man sich dem Moore
nähert, wo endlich das Niveau der Brunnen mit dem des Moores zu-
sammenfÜUt. Das Steigen und Fallen des Wassers in den Brunnen,
was man hier den Hügel nennt, steht in genauem Zusammenhange mit
der Menge des W^assers, das auf den Mooren zum Vorschein kommt.*
Noch vor /ierl erwähnte schon W^eiss, der geistvolle Topograph aus
dem Anfiuij^ unseres Jahrhunderts, dass die zwischen Mosach und ünter-
schleissheim auftretenden Quellen durchgesickertes Isarwasser seien,
welches an den unteren ändern eines vermeintlich vom Flusse selbst
gebildeten Geachiebekegels wieder zum Vorschein komme
Der ungehinderte Ausfluss von Grundwasser rief nun allerdings
nicht allein die Moore des Münchener Beckens hervor. FJiespen jenen
doch .v;owohl von ilirer östlichen als westlichen Umrandinifj eine solch*
stattliche Anzahl von Quellen zu, dass 0. Sendtner den von ihnen
gelieferten Kalksiuter allein für die Entstehung der Erdinger Moor-
huidschaft verantwortlich machte*)* Femer dringen ansehnliche Par-
tieen der in der Isar gesammelten Gewässer, ähnlich wie nachge-
wiesenermaassen in der Würm von Percha ab, direkt durch die stark
porösen Alluvionen nach den Moorebenen hin, welche auf weite Strecken
unter ihren Spiegel zn liegen kommen; an anderen Stellen ))pwirken
sie eine Stavuing des unterirdischen Stroms und erleichtern ihm dadurch
eine ausgiebige Durchfeuchtung der Oberfläche des Bodens. Franz
von Paula Schrank hat die letztere Beobachtung in fiberzengender
W^eii^e schon vor beinahe einem Jahrhundert lOr seine Theorie von der
Entstehung des Donaumoores bei Neuburg verwertet. Endlich ist zu
betonen, dass die Moorwiesen unter regelmässigen und starken lieber-
') Südbayum8 Oberfliichc nach ihrer äusseren Gestaltung, S. 189.
') Die Yegetationsverhältnisse Südbayems nach den Gruncbätsea d^ Pflanzen-
geographie. Manchen 1854, S. (S82.
lyj Das Mimchener Becken. ^ 137
^hwemmonffen ihrer in einem engmaschigen Netze auf faltenlosem
Terrain hinffiessenden Bache, vor allem der Mosach nnd Dorfen, leiden.
Ans diesem Gmnde zeigen .sich auch die am lueisten vermoorten and
am 8chwei*sten /.n kultivierenden Gebiete um Rande jener Gewässer.
Fassen wir all' dies zusammen, so ergiebt sich, d;is-^ dio pfrossen
Muoitliiclieu des Münchener Beckens als echte Quellmoore, wenn
auch nicht vom einfachsten Typus, zu bezeichnen sind. Sie empfangen
ihre Wassermenge hauptsächlich ans dem Untergrund nnd zwar vor-
wiegend durch den Ausfluss einer mächtigen Grund wasserströmung.
Ihrer geographischen Situation nach müssen dieselben jenen Mooren
angereiht werden, welche Albrecht Fenck als Thalmoore bezeichnet,
und zwar um so mehr, als ihnen die Isar selbst tributär wird. Thal-
moore lagern mit geringen Ausnahmen jenseits des Gebietes früherer
Vergletscherung in den weiten, flachen Kiesniedemngen aller bedeu-
tenderen sftdhayerischen Flfisse. Sie zeigen indes wesentliche Ver-
schiedenheiten untereinander, und ihre Entstehung erseheint stets von
mehreren Ursachen zugleich abhängig, was allein schon ihre Lage
sowie die Beschatfenheit ihres Untergrundes bedingt. Die gleichen
Faktoren, welche neben dem Grundwasser bei Erzeugung des Erdinger
und Dachau- Schleisssheimer Moores thätig sind, nehmen auch an der
Bildung der unter analogen VerhSitnissett auftretenden Quellmoore in
der Tnalweitung unterhalb Augsburg und auf den SchotterflSchen nm
Memmingen Teil. Von letzterem bezeugt Otto Sendtner ausdrücklich,
dass es dio Eigentümlichki'iten der (^)uellmoore — er nennt letztere
Wiesenmoore — mit am an.^gesprochensten dar.stellt.
Trotzdem aber vermochte auch dieser Gelehrte die jenen Er-
scheinungen insge.samt zu Grunde liegende Hauptursache nicht endgültig
festzusteUen, irregeleitet durch den gerade in den Moorebenen an der
mittleren Isar weithin verbreiteten amorphen kohlensauren Kalk, den sog.
Alm. Sendtner führt ihn ausschliesslich auf die den Moorründern entflies-
senden QuellergOsse zurück, während er in Wirklichkeit gW'^^stenteils ein
Absatzprodukt de.s von Süden her anströmenden und zu Tage getretenen
Grundwassers ist. Dieses nahm während seines langen Laufes in den
GerßUschichten eine Menge kohlensauren Kalkes auf, von welchem es
nach bekannten Gesetzen bei der Berfihmng mit atmosphärischer Luft
einen Teil wieder abgibt. Jener Niederschlag bildet in frischem Zu-
stande eine breiige, gmraose Masse, im trockenen einen mürben, leichten
nnd rauhen Sand von weisser oder gelblicher Farltf. Häufig b«»(ro<rnpt
er in seichten Schichten von einigen Centinietern MärhtiLxlo it : wir
bemerkten ihn aber auch an mehreren Steilen der östlichen Moorliälfte
in Lagen von 1 — 1,20 m Hohe, und fanden denselben Oberhaupt hier
öfter als im gegenüberliegenden Dachau-Schleissheimer Moor. An der
Goldach sah ihn Sendtner 5 m hohe HOgel zusammensetzen nnd zu
Tuff verhärtet.
Da nun der Alm in hohem Grad«' wasserundurchlässig »'rscheint
und die einmal erhaltene Feuchtigkeit für lange Zeit zurückhält, glaubte
Sendtoer annehmen zu können, dass er den Mooren auf Kiesniedemngen
eine impermeable Unterlage verleihe und gelangte hierdurch zu folgenden
Behauptungen: Ursprfin^che Moorbildung findet sich auf Kies nur
188
Gruber,
[20
dann, wenn dieser von Alm bedeckt wird; Alm begleitet jede Wiesen-
moorbildnng; in allen Füllen ist jeder Wiesenmoorbildung Almbildnng
vonin^eganp;en. Die Mögliclikeit, dass Moor und Alm eine gemeinsame
()u<'lle haben könnten, faml w überhaupt nicht für nötig zu dis-
kutieren. Auch eine .sehr geUHUc Kenntnis der Schrift Zierls: Ueber
die Gewinnung und Benützung des Torfes in Bayern (München, 1839,
102 S.) leitete ihn nicht auf die so offSsnliegende Grondnnache der
Entstehung unserer Thalfiächenmoore. Um eine ihrer sekundären
Wirkungen klarzulegen und zu allgemeiner Geltung zu bringen, Hess
er ibre eigenen Wirkungen aufhören, nachdem „die durch die Per-
mealHlität des Gesteins eriiioL'^Iichte Almbildung die Obertiiiche ganz
oder teilweise verschlossen hat. Nur die von jener befreiten iStrecken
m^en noch als ursprünglidie Sii^ermoore gelten*. Nun leugnen wir
gewiss nicht, dass Alm in ähnlicher, ja Terstärkter Weise wie Torf
durch seine wasserhaltende, wasseranziehende Kraft die Fortcrzeugun|^
von Qnellmooren unterstützt. Er ist aber nicht imstande, jene auch
nur vorzugsweise allein zu bilden, unterliegt vielmehr selbst der steten
Erneuerung durch ansfliessendes Grundwasser.
Sendtners Aliutheorie erfuhr denn auch sofort nach dem Er-
scheinen der „VegetationsTerhältnisse SOdbajems* einen energische
Widerspruch durch Professor Dr. Fraas welcher auf Grund eigener
Studien die Thatsache konstatierte, da>> sich amorpher kohlensaurer
Kalk ebensowenig überall in der Unterlage unserer Wiesenmoore
findet, als er den Hochmooren fehlt. Ihm erschien derselbe überhaupt
nicht impermeabel, deswegen könne auf ihm auch kein Moor wachsen;
ausserdem betonte Fraas, dass der Alm der Landwirte ebenso ver-
schieden sei, als der amorphe kohlensaure Kalk der Mineralogen«
Endlich suchte er noch zu beweisen, dass aof den Lehm- und Thon-
schichten des Fichtelgebirges ebensogut Wiesenmoore entstehen kQnnen,
als auf dem Kalkgerrtll oder dem Alm Südl)averns.
Leider verliess dieser ( > t h'lntc bei Begründung si-iner Gegen-
sätze zu Sendtner allzuhüutig (ieu Ton objektiver Kritik. Zudem
verlor er selbst in seinen Behauptungen das richtige Mass, wie denn
der Satz, dass Alm nicht impermeabel sei, in dieser allgemeinen
Fassung geradezu irrtümlich erscheint. Dagegen haben wir anderer-
seits die Be()))achtnng bestätigt gefunden, dass W^iesenmoorbildung und
das Vorkommen von ani(»ri»hem, kohlensaurem Kalk durchaus nicht
notwendig im Zu.sammenbang stehen müssen. AV)gesehen von der
That>sache, dass in den auf Tertiärsand ruhenden W^iesenmooren Süd-
bayerns Alm nur stellenweise angetroffen wird, wie auch Sendtner
zugeben muss, liefern eine stattliche Reihe von Bohrversuchen und
Schürfungen im Gebiet der Moorlandschaften nördlich von Mfinchen
die über/eiitfon(]^teii Beweise hierfür. Professor Kremer. dessen sorg-
fälti'je Arbeiten über die Reliefgestaltung der Moorhälfte zwischen
Garc liijiger Heide und Dachau wir bereits zu erwähnen hatten, fand
Fruas, Dr. J.: Beitrug 2ur Kritik der Ve^etatiunsverhäitnisse Südbayems
von 0. Sendtner. Zentralblatt des landwirtachafUichen YereinB in Bayern, 1854.
8. 321— m
^ j i.Lo l v Google
21]
Das Mflnehener Becken.
189
hier bei 110 Bohrungen kaum in V« Fällen Alm. In 21 Schürf-
jrrnben. wclrho nelt'£r'"nlieit der von dor obersten Baubeltörrle in
München juisLCelulirteu Nivellements in der Mittt> dos Erdiii^er Moores
ausgeworfen wurden, iund sich Torf nur zweimal m der ^siihe von
Schweig und am Lohmühlbach auf Alm, dagegen achtmal direkt auf
Kies rabend. Nach den wenigen Fjrofilen Tbiema bat das Moor bei
Daglfing lodkeren Kies als Untergnmd und bedeckt am Fohringerbach
fino 50 cm mächtige Lehmschicht, welche ihrerseits wieder einer
•.•.20 in li' hi^ii Kiesbank aufsitzt. Wir selbst haben an 1 1 Punkten
des luittieieii nn<l unteren Erdinger Moores Aufschlüsse beobachtet,
von denen ebenfalls fünf der Meinung Sendtners widersprechen. Da
die Schicbtenfolge in mehreren derselben die geognostische Zusammen-
setzung des Moornntergmndes Ostlidi der Isar charakteristisch auf-
geschlossen darlegt, geben wir dieselbe in einfachen Zeichnnngen
wieder *).
Bodenprotile iu» Erdiuger Moor.
BM JM An der B*I
Zragannoo«. SKooiIiuiIdb. Alteoli. Schwaigs
Von den auf Kiesniederungen der Flussthäler ruhenden Quell-
mooren bat man seit Zierl die in impermeablen Mulden liegenden
Hochmoore — jener Autor nennt sie Kessehnoore — scharf untcr-
.«chieden. Sendtner versuchte später mit einem grossen Aufwand von
Gelehrsamkeit nnd Flei.«;.s den OeL'"«'ns!it/ zwischen beiden !mf]i liin-
sichtlich ihrer Ptlunzendecke im emzeliien zn jirüfen und durzuieL:' ri.
Es gelang ihm, nachzuweisen, dass von Arten (darunter 1-7
eigentfimUche) 22,(i V den Hochmooren und 47,3 ^/o den Wiesenmooren
charakteristisch sind, 30,1 ^/o oder 100 Arten aber beiden gemeinsam
ZQgebören.
') Die deu Torf hier und anderwärts 0,40 — 1 m hoch Ijedockoade Erdschicht
iflt auffallend am an HineralbestandteUen. Nimmt man mit Vogel das Terhllltnis
der organischen Subtstanzen /.u (1>mi mineralischen in fruchtbarem Boden wi6 1 : 2
an» so ergiebt sich dasselbe für Torf erde wie 5 : 2.
190
Graber,
[2-2
Dieses Verhältnis führt uns wieder zurück auf die Bescliaflfon-
heit des Untergrundes genannter Moorformen \md bestätigt , das; die
Verschiedenheit beider in erster Linie eben hier zu suchen ist. Professor
Dr. Vogel, welcher über die Genesis der südbayerischen Moore mebr-
mala Tor der Akademie der Wissenschaften zn München s{)rach, hebt
diesen Umstand in seiner Arbeit: ,Hochmo()rbildung im Wiesenmoor*
öfters hervor. Er betont aber auch zugleich, dass sich niclit nur in
der Ziisjiinuiensetziint; der Unterlage, sondern inidi in }pwv (lt>r das
Moor bedeckenden Erdschichten, des Torti -^ und des I Ortwassers be-
deutende Unterschiede ergeben, wciclie unzweifelhaft bezeugen, dass
in den auf Thon lagernden Mooren Kieselerde, in denjenigen ant
Idesigen ThalfiKchen hingef^en Kalk Torberrscht, die ersteren demnach
als Kiesel-, die letzteren als Kalkmoore zu betrachten sind, was auch
schon dnrcli Sendtner fest^^estellt ward „Nicht das Mass des Wasser-
vorrats, auch nicht die jdiysikalischen Eigenschaften des Untergrundes,
deren Modifikationen in beiden Verhältnissen gleichen Umfang haben,
entscheidet die Verschiedenheit, sondern allein das chemische Element.*"
Letzteres erscheint denn auch als die Hanptnrsache der wesent-
lichen Differenzen zwischen Hoch- und Wicsenmoorflora, welche von
mehreren Autoren vielleidit zu scharf theoretisch aufgefittst wurde.
Der Untergrund unserer Moortlächen erleidet stellenweise einschnei-
dende Aenderungen. Mitten im Gebiete der Quellmoore tatu-hen ein-
zelne lehmbedeckte Striche auf, welche eine Reihe charakteristischer
Vertreter der Vegetation auf Hochmooren tragen. So fimd Sendtner
ostlich der Isar zwischen Schdn und Birkeneck eine mit Eriophorum
▼aginatum und Va(;cinium oxycoccos tlberzc^ene Stelle. Am sfidlichen
Ausgang des Schleissheimer Moores sah er Arnica raontana sowie
Callnna vulgaris und weiter nördlich unter anderem wieder Vaccinitini
oxycoccos und Carex limosa. Dr. Eisenbart verzeichnet in dimiselbeii
Gebiete Sphagnum subsecundum und Sphagnum cuspidatum; Professor
Fraas aber erklftrt, er hStte hier ausserdem Leersia orizoides, Rhyn-
diospora alba, Orchis angustifolia und Thysselinum palustre angetroffen.
Endlich entdeckte Dr. Vogel im sogenannten Schwarzholz Avestsüd-
•westlicli von Scldeissheim eine Oase mit Sphagnen; wir selbst haben
an dem gleiclien Orte zwar nicht letztere selbst, aber Vaccinium
imd Betula humiUs in prächtigen Exemplaren gesammelt.
Zählen alle erwähnten Pflanzen den eigenartigen Formen der
Hochmoore zu — selbst Betula humilis gehört mehr ihnen als jenen
der Quellenmoore an — so lässt sich auch andererseits beweisen, dass
der Charakter des Sphagnetums unter dem EinÜuss kalkreicher Ge-
wässer wesentlit ]i geändert wird. Fa>t alle Moore an Flnssufern sind
selbst aut thouiger Unterlage Wiesenmoore, sobald sie Ueberschwem-
*) öitzuugdbenchtc der königl. baver. Akatleiuie cler W'i>seiiscliat'teu. matbeui.-
pliys. Klasse. 1866, I, S. 15 ff.
'■') AäcIic von ITochiiioorirras crgal» bei der Analyse <">'2" o. A.-cIh- von Wi» i^en-
iiioorgraa i{4V Kieselerde. In Asche von Hochnioortort landen sieh 12— 30"ü, in
jener von Wieaeninoortorf durchschnittlich 2— 5^'o dessdben Minerals. Torferde
d.T l'nchinonre entliint im^refälir die 4- oder 5foclie Menge an Kieselerde, welche
deijunigeu der Wieseiuuuuru zukommt.
^ j i.Lo l v Google
23]
Da« Müncbener Becken.
191
mungen ausj^esetzt sind. Es ist eine längst bekannte Erscheinung,
daas kalkhaltige Bäche, welche durch Hochmoore fliessen, längs ihrer
Bander der Sphagnen und der Pinus pumilio entbehren, ebenso wie
nach nnserer Meinmig jene yereinzelten Stellen, an denen die imper-
meable Thonnnterlage merklich unterbrochen wird.
So greift also die Pflanzenwelt der Wiesenmoore hier und dort
auf das Gebiet der Sphagneta über, umgekehrt geliörcn nher auch
jenen eine Anzahl inselförmig umrandeter Stelleu an, welche Huchmoor-
pflaiizeu tragen Dies beweist uns, dass der ins Einzelne gehende
floriatische Unterschied beider Formen wenn auch intensiv, doch nicht
aÜKQ allgemein oder ansschliessend hervortritt. Damit ist aber keines-
wegs die Yerschiedenlieit jener in ihrer landschaftlichen Physiognomie
geleugnet, die niemand entgehen konnte, welcher auch nur vorüber-
geliend das weithin baumlose Siidende der Miinchener Moore und eine
Partie der waldigen Filze in der Nähe liosenheims gesehen. Zierl
schon machte darauf aufmerksam, wie auch das Volk jene Differenz
durch die Bezeichnung der Hochmoore mit Filz (Ried) v und diejenige
der Wiesenmoore mit Moos. PI. Moser zum Ausdruck bringt, Be-
nennungen, welche eben.so häufig in der Moorlitteratur als auf den
Karten des bnyer. Oenoralstuhs entgegentreten. Bekanntlich wird der Ge-
sarathabitus der Filze durch Sphagnenrasen, Vertreter der Flora unserer
Heiden und Wälder aus Pinus pumilio, jener der Moser durch Cype-
raceen, Polster aus Hjpnen und kräftige Bestände der Pinus sylvestris
vorzugsweise bestimmt.
Da der Gegensatz beider Moorformen an der Hand von Spezial-
floren im einzelnen hier nicht näher zu bestimmen ist, möchten wir an
dieser Stelle noch auf das verschiedene Mass der Vermoorung in
einem und demselben Gebiete aufmerksam nuuhen. Eine Abstufung
des Feuchtigkeit«grades innerhalb so weiter Landschaften, wie es die
Moore zwischen Dorfen und Amper sind, ergiebt sich schon a priori
aus der früher skizzierten Art ihrer Entstehung. Die Mächtigkeit
der Kiesdecke Ober d^m Grundwasserstrom, so seicht sie auch sein
mag. schwankt hit-r mehr, dort weniger nach der HTilie. lässt des-
wegen au( h l>aM grössere, bald geringere Wassermengen zum Ausfluss
gelangen. Ihre allmähliche Abnahme vermittelt zugleich einen klar
ausgesprochenen IJebergang zwischen den eigentlichen Moorflächen
und den sie im Süden begrenzenden fruchtbareren GerSlUagem. £r
ist durch eine 2 — 3 Kilometer breite Zone feuchter, sumpfiger, bereits
an sauren Gräsern reicher Wiesen (, Hardtwiesen ") repräsentiert, moor-
ähnlichen Erscheinungen, wie sie besonders häufig zwi^^rhen den
Moränen auftreten, auf denen aber der eigenartigen Moorveg» tation nur
wenig liaum gegönnt ist, falls sie der Dünger überhaupt nicht giiiizlich
vertrieb. Dieselben sind jedoch auch mitten im Bereich ausgeprägter
Moorkomplexe selbst um so leichter zu beobachten, als sie allenthalben
der Landwirt bereits in seinen Besitz genommen. Sie unterscheiden
') Ein«? Reihe üiuleror liierlier jjeliorist^r Beispiele fiticrt .T. .1. Früli in
sein'^r Schrift: ,1'eber Torfe iin<l Dopplerite.* Kint' nnnero^'-»'iictischc Studie. Zürich,
Verlag von J . Wurster & Cie. 1883. 88 b. S\ Mit emer Tafel.
192
Gruber,
[24
sich Jils eine Art Kulturwieseu in auffallender Weise von den Gras-
ebenen und Torflandschaften längs der Moorbäche. Im Verein mit den
karg zerstreuten, einem ftrm]i<£en Ackerimu zugänglichen Strecken
mindern dieselben den einförmig monotonen Gharaläer unserer Gebiete,
indem sie im kleinen eine Reihe mannigfach gruppierter und ver-
schieden abgetönter Bilder in die geräumigen Weiten des Moores
hineinlegen.
Eine andere Art moorähnlicher Erscheinungen tritt sehr häutifj
im Alpengebirge entgegen. Dort hnden sich auf Gipfeln und kleineren
Plateaus (Hochfelln, Geigelstein, Daumen), ähnlich wie in den polaren
Regionen der Erde auch, echte Torfbildungen, ohne dass eigentliches
Moor anzutreffen ist. Sie entstehen gleich wie die mächtigen, meist
dem Kalk unmittelbar auflagernden Modt ianhäufnngen der Berghänge
(Prof. Dr. Ratzel beobachtete am Karwendelstock eine solrbe u. a. noch
in 2300 m Höhe) unter dem Einliuss tortwährender Feuchtigkeitszufuhr
aus der Atmosphäre, welche die Erzeugung starker Moospolster bedingt,
die mit den in ihnen wachsenden Vaccinien und Heidekräutern sowie
den Generationen älterer, abgestorbener Pflanzen eine torfartige Sub-
stanz geben. Ihre einzelnen Bestandteile führt Sendtner (S. 645 seines
Werkes) an.
6. Ueber die Bildung der .südbayerischen Moore überhaapt.
Klassifikation derselben.
Wenn wir zum Schluss unserer Betrachtung Aber die Moore des
Miinchener Beckens einen Blick auf die Genesis der sfidbayerischen
Moorlandschaften überhaupt werfen wollen, so ist vor allem der den
vermoorten Gebieten an der mittleren Isar, dem unteren Lech und der
liier näch.st verwandten Moore längs der Donau sowie der kleineren
Flüsse der Hochebene zu gedenken. Das Thal des mächtigen Grenz-
stroms zwischen Süd- und Nordbayem repräsentiert sich von Ulm bis
Vilshofen als breite Senke, welche durch die Einschnürungen bei Stepp-
berg und Abbach in :l grosse Weitungen zergliedert wird. Walther *)
nennt diese, ohne damit den geringsten Anhalt für ihren geographischen
Ciiarnktor zu geben, obere, mittlere und untere Donauebene. Die
lieitlen t isteren tretten auf den nordöstlichen Lauf des Flusses und
zeigen »ich auüälieud reich an Mooren: Ulmer Ried, Donau- Ried, die
Ueberreste der Moore in dem Mündungsgebiet des Lech, sowie end-
lich das grosse Donaumoor, welches von Neuburg aus gegen die Paar
hinzieht, lagern ihm auf dieser Strecke an. Nachdem aber die Donau
die hart an sie herandrängenden Juraränder verlassen und sich von
Regen.sbnrg weg gegen Südosten nach den Ausläufern des ostbayerischen
Grenzgebirges gewendet, gehören ihr in Bayern nur noch die Moore
bei Deggendorf und Plattling zu.
') Walther, Fr. W.: Topi.«ihe Geographie von Bayern. München, Verlag
der litterariecb-artiitischen Anstalt 1844. S. 120 ff.
^ j i.Lo l v Google
25]
Dm Mfincbeiier Bedran.
193
Diose iingleicho Verteihine^ beruht in demselben Masso auf der
o(mj1( lu'isfhen Vusgestaltung des Thalbodens selbst und seiner Umgebung
ah- auf der Kutwickeiuug der Zutiussverhültuisse, die im nordwestiicbeu
Teile der Hochebene mteneiYer aiisgeprägt enehemen als im nor^^*
liehen imd durch die GerOUftlhrang des Hauptstromes wesentlich beein-
flusst werden. Die letztere Thatsache besonders war nicht zu über-
sehen und tritt daher in allen Schriften zur bedeutenden Litteratur über
das Neuburger Donaumoor seit Ende des vorigen Jahrhunderts ent-
gegen. Wenn auch Schrank Aretin Stengel Riedl, Lutz, Kling,
Pechmann ■•) und Sendtner irrtümlicherweise das Donaumoor auf der
Sohle eines abgelaufenen Sees sich aufbauen lassen, so fanden sie es
doch fiKr nötig, die Wirkungen der rückgeschwellten Flusswasser bei
der Frage nach der steten Forterhaltung desselben heranzuziehen. Am
überzeugendsten haben Schrank, Walther und Sendtner hierfür gesprochen;
erwähnen auch, <lass die Donaumoore niemals unmittelbar an das
jetzige Ufer des Stromes grenzen und dieser besonders zwischen Ingol-
stadt und Neuburg nirgends die Spur einer ehemaligen Moorbildung
entblltost — eine Thatsache, welche den deutlichsten Hinweis auf die
Entstehung dieser Oebiete enthüU. Indem der Fluss mit nicht allzu-
grossem Gefälle über seine AUuvionen wegfliesst, wird je nach dem
Pegelstande ein grösserer oder geringerer Teil seines eigenen Wassers
gezwungen ^^eit^värts durchzTisickern. Zugleich versperren die Geröllab-
lagerungen den zufliesseudcn klemeren Gewässern die Einmündung.
Diese werden infolgedessen zurttckgestaut und durchfeuchten um so
stärker den Thalgrund, als sie häufig reranlasst sind, der Richtung
ihres Hauptflusses eine Strecke zu folgen. Die Schotterstufen und
Ki<:'slȊnke unmittelbar an der Donau, der Paar und dem Lech, ffir dessen
unterste Partieen analoge V'erliäitnisse bestimmend wirken, verhindern
aber zugleich die MoorVulduug, bis an jene Flüsse seihst fortzuschreiten,
wie es im Münchener Becken teilweise ja ebenfalls geschieht.
Es sind demnach auch hier die Wirkungen von Grundwasser in
Gerollflächen, welche tief in die Geschichte der Erzeugung der Moore
eingreifen. Nur strömt jenes nicht direkt aus der Kiesschicht von
Süden gegen Norden aus, sondern erscheint als in der Thalsenke gegen
die Hochel)ene hin zurückgedrängtes Flusswasser. Ausser ihm tragen
die reiclien Quellergüsse, welche den Rändern der 30 — 100 m tief unter
ihrer Umgebung eingebetteten Donaumoore entsfoOmen, wesentlich zu
') Schrank. Fmm von Paula: Nuturhistorische und ökonomische Briefe
über das Donauinoor. Nebst einer Euptotafel. Manaheim, bei Schwan n. Q<Stz.
1795. 211 8. 4".
Aretin, (Jeorj,' Freiherr von: AktenmiU^ij^e Donaumoorkultuimüchichte.
Herausge^^eben von der kurfürstlichen Donanmoorkulturkommiasion. Nebgt einer
Kupfertafcl. Mannlieini. hei Schwan u. CJßtz. 1795. 4 "
*) Stengel, Stcjthan FrL-iheiT von: Die Austruckiumg des Donaunioores.
München. .1. Lindner. 17<)J. 22 S. 4».
*) Pech mann. Ifeinrich Fn'ili-'iT von: Oeschichte der Au-trocknung und
der Kultur des Lonauiuouros in Bayern. Mit einer Karte des Donaunioorts. Mün-
chen, Stuttgart, Tübingen. J. G. Cotta. 1832. 156 S. 8*. — Die geogiaphiech
wichtige Litteratur übrr ili«' Moore S'ildbayerns übcrlianjit liaben wir in df-m .Tahros-
bericht der Geographiächeu Gesellschaft zu München lür 18Ö4 zusammengestellt.
194
Graber,
[26
ihrem Bcj^tehen bei. Da nun dieselben aucli. wie wir aus einer vor-
treö'lichen , leider noch nicht zur Veröffentlichung gelangten Arbeit
Albrecht Pencks zur Geologie der Donaubocbebene ersalieii, meist auf
Sand und jenem Lehmboden ruhen, welcher die AUnvionen der Donau
und des Lech von Augsbni^ an bedeckt, so muss selbst jcfle Ueber-
schwemmnng dazu beitragen, den Charakter dieser Landsclmften dort
im ganzen unverändert fortzuerhalten, \vo der Fluss noch nicht korrigiert.
Die Donaunioore führen also insgesamt in erster Linie auf die
Durchfeuchtung des Thalbodens mit rückgestautem und durchgesickertem
Flusswasser, sodann auf den grossen Quellenreiebtum der ihnen nahe-
felegenen HUgelsaume, endlich auf die geringe Neigung der ganzen
lusBweitung flberbaupt und die hierdurch begünstigten Ueberschwem-
mungen zurück.
Welch grossen Eintiuss letztere auf Versumpfung und Moor-
bildung haben, tritt in den Thälern einzelner Flüsschen entgegen,
welche auf dem Alpenvorlande ihren Ur^^pruiig nehmen. Sie sind
ihrerseits durch geringes GefUle, stark ausgeprägten Serpentinenlaui
und häufige Stauungen des Wassers Teranlasst; ferner unterstQtzen
die mehr oder minder stark impermeablen, lehmig-sandigen An*
schwemmungen dieser Ttewässer die Verraoorung ihres Bettes. Am
deutlichsten findet .»uh das Wesen dieser TufiUrationsmuore liings der
Vils bis zu ihrem Dunlibruche nach der Donau, ferner an der lliu,
Isen u. B. w. ausgeprägt.
Alle bisher genannten Moore gehören durchaus der nördlichen
Zone der Doimuhochebene an. Ihnen .stehen die ausf,n:>dehnten Gruppen
jener Moorflücheu entgegen, welche dem Bereiche der Moränen und
dem Gebirge angelKuen Auf die Unterscheidung zwischen Mooren
innerhalb und aus.serhalb der Moränenlandschaft hat zuerst Albrecht
Penck hinge wie.-en, als er in seinem Werk über die Vergletscherung
der deutschen Alpen schrieb: „Wenn man die Moore auch im MorSnen-
berdehe als erloschene Seen ansehen darf, so ist es doch nicht ge-
stattet, dasselbe von den übrigen Mooren der Hochebene zu behaupten.
Diese letzteren '^ind samt und sonders 'Phalmoore; sie werden bedingt
durch einen ausserordentlich hohen ( nundwasserstiind. Die Moore des
Gletschergebietes sind hingegen durchweg liuclimoore."
Was den spezifischen Charakter vermoorter Striche auf den
Moränen anlangt« so haben sie zwei wesentliche Zfige gemeinsam: sie
ruhen in lelunbedeckten Mulden \md empfangen ihren Wasserreichtum
direkt durch die Atm<>s{»luirilien, sind demnach im gewöhnlichen Sinne
Filze. Ihre Entstehung fiihrt meist auf den Untergang grösserer ruhen-
der Gewäs.ser zurück. Daher begleiten sie allenthalben die Ränder der
heutigen Vorlandseeu, nehmen die Sohlen ausgetrockneter Depressionen
ein, welche durch glaciale EisstrSme in die Hochebene und ihre
ThaluDgen weithin eingeschnitten wurden, und laffem in mannigfoltigster
Grösse und Form zwischen den eiszeitlichen Schottermassen versenkt:
') Die äussere oder verwat^chene MoränenlauiUchaft entbehrt, mit Ausnahme
des Haspelmoores, jeder Moorbildung.
^ j i.Lo l v Google
27]
Das Mttnchener Becken.
195
allüberall Zeugen eines früher ungleich grösseren Wasserreichtums auf
dem Alpenvorland»' als hento.
Die Moore des Gebirges unterscheiden wir am natürlichsten nach
ihrer Lage an Gehängen, auf Gipfeln, Pässen, Plateaus u. s. w. An
ihrer Entetehung nehmen eine Reihe von Ursachen gewöhnlich mehrfach
kombiniert teil und zwar Tor allem: gehinderter Abflnse des Wassers,
intensive Quellergüsse, unregelmässig starke Wasserzufuhr , Moderan-
häufiiiig (Waldmoorbildunir), Fähigkeit des Wassers, sicli durch Kapil-
larattraktioii nacli liöheren Lagen zu verbreiten, Fähigkeit der Ver-
witterungsschichten, Feuchtigkeit aus der Atmosphäre zu absorbiereu
und zorftohsnhalten, Rückgang der Oebirgsseen.
In nachstehender üebersicht versuchen wir am Schlüsse unserer
Betrachtangen über die Moore Südbayerns eine Klassifikation derselben
unter wesentlich geographischen Gesichtspunkten zu geben.
Klattifikatfon der sQilliayeritehen Moore.
A. Moore nordlich der Mor&nenlandschafb: Thalflftcfaenmoore.
Hauptnrsachen ihrer Entstehung:
1. ausfliessendes Grundwasser: Qnellmoore (typisch hierfür: die
Moore des Münchener Beckens);
2. nickgestautes und durchsickerndes Flusswasser bei starkem (Jiiellen-
reichtum der Tlialsenke und geringer Neigung ihrer Sohle: Stau-
uioore (typiscli hierfür: die Moore längs der Donau);
3. Durchfeuchtung der Thalebene infolge trägen Gefälles, starken
Serpentinenlaufes und regelmässiger TJeberschwemmui^en des ihr
zugehörigen Flusses: Infiltrationsmoore (typisch hierfür: die
Moore an der Vils, Ilm u. s. w.).
B. Mooire der Mortoonlandnohaft ; Kuldenmoore.
1. Moore am ilande und den Ausgängen der Vorlandseen (typisch
hierfür: die Moore am Kochel- und Chiemsee);
2. Moore in den Depressionen eiszeitlicher Gletscher: Ueberbleibsel
untergegangener See II (typisch hierfür: Murnauer Moor, Hoch-
und Pangerfilz im Rosenheimer Becken, die Moore am oberen
Fiiii'j'aTig df-r <,'rr)sseren Trockeiithiiler) :
;i. Moore, eingesenkt zwischen die Scliutthiigel der IM« ii;iiienland-
schaft: meist Leberreste der Moränen- oder , l unMiliungs-
seen*, oder auch gewöhnliche Hochmoore auf Blocklehm ruhend.
(Allerorts in der MorSnenlandschafb zerstreut, besonders im Ge-
biet des Inngletschers bei Wasserburg) ^).
M Einen nusg'Pzeiclm' ten r*'l»erlili(k ülier f»inen f»rossen Teil der Moorland-
•chalt^-n Siidliayerns erhält man durch die neuesti«. sehr instruktive Karte fiber die
gfeolojii*'('hen VerhSitnisae de» KreiMS 01i»'ilFa\ ♦■rn von Oherhertrdirektor Dr. von
(iiinilM l. iKrste H -ilat'*' zu dem im Juni d. J. erschienenea Werk: «Die Land-
wirttichutt in Obcrbuyeru''.)
. ^ i.L^ l v Google
196
Grnber,
[28
C. Moore des Gebiiges.
1. Moore an Btighimgea (Moore am Schlappolt und Böigen im
Algäa, am Wendelstein, Untersberg) ;
2. ^loore auf Bergj^npfelii , Borgplateaus und Pässen (Moore am
Gipfel des Hochfelln, der Eibelspitze und des Geigelstein, auf
der P( ( hschneit bei Traunstein, dem Blomberg bei Tölz, dem
Seefelder Pass u. s. w.) :
;i. Moore auf dem Boden von Zirken sowie an Stelle ausgetrockneter
oder als Begleiter noch bestehender Qebirgsseen (sehr häufig;
Beispiel hierfür: das Moor am Zireiner See, vorderes Sonnen-
wendjoch, Tirol);
4. Moore auf der Solile von Thalweitungen der Gebirgsflüsse und
-Bliche (z. B. Moor au der Aurach östlich von Neuhaus, Schliersee*
gebiet j
7. Die Heiden nördlich Ton Mflnchen.
Mit den Moorgebieten zeigen sich in Sfldbayem eine Reilie von
Heideliuidschaften örtlich sowohl als genetisch eng verbunden. Zwischen
Erdinger und Dachau-Schleissheimcr Moor lagern am linken Ufer der
Isar auf eine Länge von 2'J km die mageren Geiilde der Garchinger
Heide. Weiter weltlich drängt sich das Lecbfeld hart an die Moore
des unteren Lech. Längs der Wertach wechseln mehrfach yersumpfte
Kiesniedenmgen mit trockenen Naturwiesen; für die Umgebung Mem-
mingens aber wurde dieselbe Beobachtung bereits in den konBOgra-
phischen Mitteilungen von 1748 aufgezeichnet. Unvermerkt endif^en
die Quellmoore in den ihnen angelagerten Heidestrecken. So geht
jenes von Erding au seinem unteren Ende rasch in die Volkmanns-
dorfer An Uber; wer sich ihm aber von Süden her nähert, hat nur
das sehmale Gebiet zu ttberschreiten, welches noch auf Karten des
18. Jahrhunderts als , Perlacher Heidt" benannt ward, und steht als-
dann unmittelbar am Eingang zu demselben. Doch auch mitten in
den Mooren selbst finden sieh einzelne zerstreute Plätze, denen ein
ausgesproeliener heideartiger Charakter eigen ist, so unter anderem
bei llullbergmoos und Ebing. Aehnliche Erscheumngen treten in
grösseren Auen wie bei Puppling auf, wo der Fluss hier den Flinz
blosslegte und dadurch starke Quellen schuf, während er nahe daran
denselben so hoch mit seinen Schottern bedeckte, dass jede ergiebige
DMrcbfiMiclitung der Oberfläche <;e]iiin]ert wird. Der Wechsel von
versunipt'teti. moorartigen mid ausser^ew rilmlieli trockenen Tartieen ist
überhaupt in den Thalweitungen aller L^eschiebereichen Flüsse der
Hochebene häufig zu beobachten, am ausgejjrügtesten vielleicht nahe der
IsarmOndung bei Plattling.
Der klare Zusammenhang von zwei in ihrer geographischen
Bigenart so wesentlich yerschiedenen Gebieten, wie Moore und Heiden
') Als liöchstes AI, in!" in Siidbii vern palt bisher das Rohxmoos am Joch Windeck
unter dem hoheu Ifen im Algäu, etwa 1540 m.
29J
Das Müuchuuer Becken.
197
es sind, führt uns noch einmal auf die gtuguostische Struktur des
Mftaichener Beckens und der ihm analogen Bildungen zurück. Wir
hoffSen ihn am kürzesten durch ein Resum^ unserer kürzlich erschie-
nenen Mitteilungen über die sogenannte Garchinger Heide zu erklären
Diese erstreckt sich inmitten einer bunten Al)\\ ecliselung von Wald-
arilage und Ackerfeld glatt ausgespannt zwischen Neutreimann und
Puppling bei Freisiug parallel mit der Isar nach Nordnordosten hin.
Ihr gesamtes Areal liest sich heute auf annähernd 1000 ha Yer-
anscUagen. Die Oberfl&che der Heide trägt eine 20—30 cm tiefe
Schicht kiesigen Verwitterungslehms, welche ihrerseits auf einer Ge-
röllbank aus helleren und dtnikleren Kalken, jMolassesandsteinen und
krvstallinischen KolLstückeii nilit. Die ganze Aufschüttung charakteri-
sii'i t sicli iniverkeunbur als liuvio-giacial: sie wurde mitten auf die in
der Müucheuer Thalweitung sich auskeilenden unteren Glacialschotter,
denen sie zngehört, als segmentartig gegen den Flnss und die Moore
hin gewölbter Schattkegel abgelagert, der sich im Mittel 12 — 15 m über
jene erhebt. Seine Mächtigkeit betragt bei Garching nahe am Flusse
5 m; im rTebi<'te der Ileidewiesen nimmt sie um mehr als 20 m zu,
lim am Westrand derselben rasch bis auf 3 m zu sinken. Am
oberen Eingang zur Heidelandschaft wurde der Kies 25 m hoch auf-
gehäuft, an ihrem Nordende kaum 4 — 5 m.
Die Hanptorsache der Moorbildung im Mfinchener Becken er-
kannten wir darin, dass die Schicht der Quartärgerölle über der
Sohle des Grundwassers von sehr geringer Mächtigkeit ist. Infolge-
de>isen decken sich die Grundwasserspiegelkoten mit den Koten des
Terrams; die unterirdische Strömung kann also mehr oder minder zu
Tage treten, in einzelnen dicht uebeneiuander iiiessenden Bächen in-
dividnell werden. Stellen nun, an welchen die GerOlle weniger seicht
herrortreten , also in grösserer Hohe den wasserführenden Tertiär-
mergel decken, haben naturgemäss hierunter nicht zu leiden (siehe
den Längeiischnitt durcli das MüucIhmut l'» * ken iS. [17] 185). was das
ganze Gebi«'t df'r sorjfiiannten Garchinger Heide schlagend beweist.
Die unterirdische Strömung i.st hier mächtig überdeckt; sie tliesst
stellenweise an 20 m tief unter den Naturwiesen. Hierdurch- ist jede
ausgiebige Dnrchfeuchtung der Oberfl&che yerhindert; zudem er-
mangelt dieselbe der Zufltisse von Quellen oder von Isarwasser. Da
aber die ganze Landscliaft leicht porös aufgeschüttet wurde und die
friu'litbare. atmosphärilische Feuclitigkeit länger an sich haltende Krume
des Kulturlandes nur in Sjiuren trägt, so vermögen aucli die Tag»'s-
gewiisser fast wirkungslos bis zum Viiuz einzudringen. Erwähnt doch
schon Schönleutner*), dass zwar die wasseransaugende Kraft des Heide-
bodens, der fiber 60 ^ abschwemmbaren Kiesel- und Kalksand enthält,
42 ^/o betrfigt, derselbe aber in Wirklichkeit äusserst geringe Mengen
') Jahresbericht rler Geo<;rai>his('li»^n (iescllschaft in München Tür 1H84,
S. 24— :iO.
-1 Sfhönleutner, Max: }>i'richt über die Bewirtschaftimj; der königl.
bayer. Staatsgüter zu Schieissheim, Fürstenried und Weihenstephau im Juhre isiU
bis 1820. Mönchen 1822. 4*.
198
Gruber,
Feuchtigkeit aufbewahrt — eine Thatsache, welche zur Entdwhung der
Heide ebeuso wesentlich beitrug, als der gehinderte Ausfluss von
Grundwasser.
Das Interesse, wekhe>- die Mtinchener Heifleland.schaft dem Geo-
graphen bietet, tritt in der Litteratur vollständig zurück hinter die
Diskussion über ein Problem, das sie dem Prähistoriker aufwirft. Die-
selbe erscheint nämlich allenthalben bedeckt mit den unTerwischbaren
Spuren eines uralten Ackerbaus, langen, flachen Beeten von 3 — 15 m
Breite , die aneinandergelegte Segmente riesirr« r Cylinder darstellen
und deren gewölbter Rücken sich lieute noch 1'», ja '»0 cm über die
Furche erliebt. Auf manchen dieser Bitange steht bereits wieder Wald,
andere sind bei Anlegung neuer Ackergründe untergegangen. Die An-
siedelungen finden sich ausnahmslos im Bereiche des alten Hochäcker-
gebietes und erscheinen urkundlich sehr frOhe: Mosadi im Jahre 860,
Neufahrn (Niwivara) 834, Eching (Echinga) 819, Schieissheim (Slires-
heim) 775 und Mintraching (Munirihingas) 704. Um jede dieser Ort-
schatten dehnt sich im Ring oder fächerartig die heutige Flur und
liess von den alten Ackcrspnren meistenteils nur die Ränder übrig,
woraus man mit Recht folgerte, dass die letzteren älter sind als die
Siedelungen aus frfihbajuwarischer Zeif)*
Die Yielumstrittene Frage nach dem Alter jener prähistorischen
Kulturreste, deren Ursprung bald in die Zeit der römischen InTasion
Südbayems, bald vor dieselbe verlegt wird-), tritt für uns liinter die
Erwägung zurück, aus welchen Gründen das Heidegebiet in früherer
Zeit anbau- und ertragfähig gewesen sein könne, ja sogar wahrschein-
lich eine umfangreiche Latifundien Wirtschaft zuliess?
Sendtner, m dessen botanischen Schriften überall ein aufrichtiges
Interesse f&r die wirtschaftlichen Verhältnisse der Donauhochebene und
alle Anregungen zu deren Verbesserung entgegentritt, und nach ihm
vor allem Franz S. Hartmann führen diese eigennrtifje Thatsache auf
ausgedehnte Entwaldung und hierdurch erfolgte VerrinL^erunfr der Nieder-
schläge zurück. Der zuerst genannte Forscher sprach seine Ansicht
in nachstehenden Sätzen ans: , Anfangs, ehe noch die Waldungen
gänzlidi -verschwunden waren, war die Fruchtbarkeit hier allgemein
so bedeutend, dass gerade die an und für sich trockeneren Bodenarten
der Kultur günstiger waren als der schwere Lehmboden. Was aus-
nahmsweise nasse Jahrgänge in unseren Tagen sind, das war damals
der normale Zustand. Also waren die Kieslager, mit reicher Üamm-
erde beladen, unter dem Einfluss grösserer Feuchtigkeit ein ebenso
') Nach den vortretilichen Aui'uahmen der Hochäcker zwischen München,
Freising und Dachan, welche J. Diem vornahm nnd die er in einem lO.G qm mn-
fB«end« n Kiirt^ nlnlil (1 ; ."iOCO) darstellte, waren im .lahre 1870 noch 10;W8 bayer.
Morgen in ihrem Urzustände za erkennen. VgL 32.-35. Jahresbericht des hiator.
Vereins Ton Oberbayem.
Die rt.'iche Anzahl von Schriften und Abhandlungen hierüber hat Prof.
Fr. Ohlenschlager im Jahresbj'ridit der AlrmdiriHT Geograph, (iesellschaft filr
18SS>^ S. 107 u. I(j8, .sorgfältig zusaiuniengestellt. l nttr ihnen sind besonders die
Arbeiten August Hartmann 's (Zur Hochädwrfnige. Oberbayer. Acdliv, 85. Bd.)
mit vielen latteraturangaben zur Orienüemng empfehlenswert
^ j i.Lo l v Google
31]
Das Müncbener Becken.
Ihichtbares Land in Oberbajern, als die Lehm- und Tiiungiünde in
Nioderbayeni. Im Moder der Waldungen waren die unorganischen
Stoffe seit Jahrhunderten oder wer weiss von welcher Urzeit her aaf-
gespeichert. Als später der Abtrieb alles Gehölzes die Nebel nnd
atmosphärischen Niederschläge verminderte, vielleicht schon auf das
jetzige Mass zurückführte, gebrach es dein Boden solange nicht an
der notwendigen Feuchtigkeit, als die Huniusreste hinreichten. Die
Verujinderung beider ging Hand in Hand und machte mit einem-
male dem Getreidebaa ein Ende. Trockener Moder ist ein Spiel des
Windes. War die Gegend berölkert, so war dies allein schon Grund
genng, die Bewohner zu yeranlassen, nach anderen Wohnsitzen sich
umzusehen."
Gegenüber diesen Ausführungen, deren Grundzug wir nicht
angreifen, welche aber von einigen Unwahrscheinlichkeiteu beft'eit
werden mfissen, mdchten wir fragen, ob in Wahrheit angenommen
werden kSnne, dass mit der Entwaldung dieses schmalen Gttrtels tiefer-
gehende Modifikationen der Niederschlagsmengen verbmiden waren.
Die Heide, fast gänzlich durch Moor, Moorfelder und Wasserarme ein-
geschlossen, nimmt naturgemäss an <leu reichen Niederschlägen ihrer
Umgebung teil. Dieselbe ist gewiss keine meteorologische Erscheinung.
Auch ist daran zu zweifeln , ob lange und dicht aufgehäufte Moder-
massen so rasch nnd in so intensiTor Weise als Ranb des Windes Ter-
schwinden, wie unser Gewährsmann will.
Wir glauben vielmehr an eine wirkhche Erfahrung erinnern zu
dürfen : Jede von der Kidtur nicht beeinflusste Wiesenflora auf den
südbayerischen Ueröiitiächen erscheint nach dem Urteil der Botaniker
von dürftiger Beschaffenheit. In wie viel .stärkerem Masse mussten
die jahrhundertelang sich selbst überlasseneu Pflanzen auf dem stark
porBsen Boden der Heidelandschaft nnd- bei den geringen zurfickge-
kssenen Nahrungsstoffen ein ärmliches, trockenes Aussehen erbeten!
Erst in den jüngsten Jahrzehnten begann man wieder, dem
sterilen Geröllkegel durch Arbeit und Düngung Ackerboden abzuringen.
Vor 50 Jahren noch betrat der Botaniker, wenn er Adonis iiolen
wollte, einige Ackerlängen hinter dem Dorfe Gurchmg die unberührte
Heide. Jetzt geht man eine betrSchtUche Strecke, um den gewUnschten
Platz an erreichen. In gleicher Weise rttcken Wald nnd Flur jeden
Sommer im Süden und Westen vor. Wir haben die Thatsache nicht
zu verteidigen, dass dem oberbayerischen Ranern ein gewisser natür-
licher Konservatismus anhaftet. Aber auf dem Gebiete der Agrikultur
durchbricht er denselben oftmals still und mit wahrem Erfolg. Seine
Thätiffkeit geniesst von aussen her wenig Unterstützung, und doch nützt
derselbe, die Verbültnisse bedScbtig erwägend, jeden anbaunngsföhigen
Strich allmählich sorgsam aus. Sdlange man nicht grossartige üeber-
rieselungen ins Werk setzt, wird sein Vorschreiten im Gebiete der
Münchener Heidelandschaft genügen. Denn er ist in der That Kolo-
nisator in der eigenen Heimat.
200
Gruber,
L32
in. Die Isar im Müncheuer Becken.
8. Charakter des Thalweges. Ailaviooen and Uferränder.
Die Isar trägt im Gebiete des Mflnchener Beckens den Charakter
des Bergstroms noch toU und uneingeHchräukt an sich. Während sie
aber nach Sinlm p^egen die Loisachniündung hin von grossarti^en
Ilochufern wild und enp; znsammengeschndrt wird, öffnet si< Ii ilir Thal
jenseits Grosshesselohe zu breit entwickelten Terrassenstiifen, welche sich
allmählich nach Norden zu abdachen und deren Ausläufer sich erst am
Rande des Srdinger Moores und der Garchinger Heide Terlieren
In der Physiognomie des Flussbettes zeigen sich indes kaum merkHehe
AenderuDgen. Zwar nimmt demselben von der Maximiliansbrfli^e in
München ab eine Korrektionslinie auf 10 km Entfernung seine im-
sirliere Gestalt und macht gewaltsame Ausbrüche sowie ständige Lauf-
Verschiebungen unmöglich. Kachdeni aber der Fluss die künstlicliou,
45 bis (30 m voneinander entfernten Ufersäume verlassen, rollen seine
Wasser wieder in wirr yerschlungenen Netzen, aus denen heraus sich
die Hauptader in bald ost- bald westwärts geschwungener Linie stärker
markiert, nach Nordnordosten weiter. Die kiesige Einöde des Strom-
bettes mit den uinvgehnä.ssig ausgebreiteten Flusspartieen erinnert an
die weiten GerölllHger um Wolfratlishausen. Am Ausgang der Kor-
rektion bei Ismanning lagern überhaupt die grössten Alluvionen während
des ganzen Mittellaufs der Isar. Die innerhalb der regulierten Fluss-
strecken konzentrierte Wasserkraft treibt nämlich hei faUendem Hoch-
wasser die Geschiebefrachten durch, ohne Schotterbänke liegen zu lassen.
Nachdem sich aber die Isar aufs neue in altgewohnter Weise zersplittert,
gelangen diese in um so bedeutenderen Massen zur Ablagerung. Auf
Grund sorgfältiijster , zu liydroterhnisclien Zwecken vorgenommener
Autnalimen beatiniuilen wir die Grösse der am meisten ausgedehnten
Alluvionen in der Nähe der Moor- und Heidelandschaften und fanden
fOr den Sommer 1878 folgende Zahlen:
Kie«bank b i Flächeninhalt
m m na
Ismanning rechts .... 1200 2'n> 24
Ebing <M)0 l.M) 13,5
Kchertshof 400 125 5
, 000 200 12
Dümeck 650 200 13
000 150 9
Garching Unks 700 250 17,5
Erching 200 75 1,5
400 100 4^).
^) Näheres hiedi)*er sowie über die Mflnchener Temusenatofen in onaerer
SrhiM-TimiT : \^c\> I-urtlml zwisclion (\<'v Lnisiu li- und Ainpereinmündung. Jahres-
bericlit der Cieograpluhclieu liesellschuft iu München für 1Ö79 — IbÖO, 6. 107 tf.
*) Die Rolkteine besitzen hier im Dnrchschnilii eine lAage von. 6 cm, bei 4 cm
Breite nnd 2 — Sem Dicke. Unter 210 derselben &nden wir nur 8 kryatallinische
33J Manchener Becken. 201
Vim diesen ruhelos bewegten, stetig Tom Fluss angenagten und
verschobenen SchotteiflSchen nnterscfaeiden sich allerurts die Auen.
Dieselben repräsentieren Terlandete Allnvionpii und erscheinen bald als
Inseln rintrs vom Wasser umspült, bald als Halbinseln dem Uferrand
angegliedert. Mit ihrem buschigen Gehölz ans Grauerlen. Weiden,
Birken, Föhren und zwerghaftem Unterholz verleihen sie dem Fiuss-
bette ein eigenartig wechselvolles Gepräge, besonders im Gegensatz zu
den mit hellen EalkroUaiteinen fibergoesenen Teilen des Thalweges. Wir
haben auehfttr sie in unserem Gebiete authentische G rössenangaben zu
gewinnen Tersncht, welche in folgender Uebersicht wiedergegeben sind:
^ I^Dge Breite Fl&cheniiihalt
m m ha
Achering links 100 500 3
, rechts .... 300 300 9
Garching links 1500 400 60
Ebing 5000 600 300
Freieing rechts 2000 450 00
, links 1800 200 36.
Ueber den GesamtÜächeninhalt der dem Isarthale zugehörigen
Gedungen fehlt jede direkte und zuverlfissige Messung. Es uess sich
indes ans den Akten des Flnssbanamts Mfinchen ein Bild von der be-
ttPiehtlichen Ausdehnung jener Landstreifen gewinnen, welche dem Flusse
durch Korrektionsbauten an einzelnen Stellen seines Mittellaufes abge-
rungen wurden. Dieses erlaubt nun einesteils einen allgemeinen Schluss
qnf die Grösse der bestämlig unter der Herrschaft der Isnr stt'henden,
brach gelegenen Flächen, andernteils erhalten wir durch jene Aus-
masse ein sicheres Verhftltnis von der Grösse des eigentlichen Ge-
wiesers und der die Physiognomie seines Rinnsals in so wesentlichen
Zfigen bestimmenden Geröllanhäufungen. Infolge der .Flneskorrcktion
abwärts von der Maximiliansbriicke in München wurden am Ende (h s
.Tahre.H 1883 zwischen Ober- und Unterföhring^ links der Isar auf
2,2 km Entfernung 60,100 ha, rechts derselben auf 4,1 km dagegen
nur 28,960 ha Anlandimgen verzeichnet, da hier die auslaufenden
Hochnfer den Elnss in unmittelbarer Nähe begleiten und eine grossere
Ausdehnung seines Inundationsgebietes Terhindern. Es treffen somit
auf 3,15 km mittlere Lauf länge im ganzen 95,000 ha einstweilen für
die Forstkultur brauchbares Gebiet. Da aber die Korrektionsbreite
hier 00 m ausmacht, so stellt sich das Verhältnis der Grösse der
Wasserfläche zu jener der Anlanduugeu innerhalb der erwähnten
Strecke wie 18,000 zu 95,060 ha oder rund wie 1 : 5. Somit war
und tertiäre BmchMtQcke; alle übrigen bestanden aus sehr verschiedenen nord-
alpinen Kalken. Ueber die Bewegung der AHuvionen innerhalb der seit wenigen
Jahren nicht mehr in gerader Lmie, Bondem in stark geschwongeaen Bogen weiter^
geführten Korrektion haben wir die inleres^ante Beobachtung zu verzeichnen, dass,
entgegen den Studien Grebenaus am Rhein, sich hier die Kiesbänke Uber die
konvese Seite des Fluasnftn wegbewegen und amwchlieealich in die ironkave in
liegen konirnfn.
Foncbtmgea zax dentaüivn L«ndeii> und VoUwkunde. L 4. 15
. ^ i.L^ l v Google
202
Gruber,
[84
die den Flius vor seiner Begnlierang in breitem Bogen nmrandende
kiesige Einöde fünfmal grösser als er selbst. Oberhalb Freising wurden
bei Grüneck dem Isarbette auf 1,(3 km Entfernung beiderseits 29,440 ha
Land weggenommen , so dass liei einer Korrektionsbreite von <)2,5 m
die Gewässer unseres Flusses bei mittlerem Wasserstand nur den dritten
Teil des ilaunies einnehmen, welcher ihrem Thalweg überhaupt auf
der Karte zugewiesen wird. Dieaee Verhältnis gilt im Durchschnitt
füt den gesamten Mittellauf; es Terrbgert sich in den unteren Thal-
strecken um so mehr, je stärker mit Abnahme der Gerolle die ste-
rilen , höchstens von einer leichten Grasnarbe bedeckten Kiesflächen
hinter die Auen zurücktreten. Im allgemeinen jedoch nehmen die
Gedungen nicht nur längs der Isar, sondern auch an allen aus den
Alpen durch die Hochebene strömenden Flüssen so bedeutende Areale
ein, dass wir dem Ausspruch W. Riehl'a zustimmen mfissen, wonadi
fttr die Landwirtschaft in SiidViayem durch die Korrektion von Iiier,
Lech, Isar und Inn allein mehr Itaum gewonnen werden könnte, als
durch die sorgfältigste Austrocknung der gesamten Moore.
Der flache Saum, welcher die Isar abwärts von München bis zu
ihrem Eintritt in die nördliche Hügellandschai't der bayerischen Hoch-
ebene umrandet, erreidit in der Konrektionalinie 6, ausserhalb derselben
dagegen höchstens 2 m Höhe Ihn deckt nicht das heitere, breite
Grün dichter, mit Ahornen und Fichten vennisditer BuchenbestSnde,
wie den hoi lianstrebenden Thaleinschnitt gegen das Gebirge hin; hier
verrät ein einfacher, oft schmaler, allenthall)en bunt und schmucklos
mit Strauchwerk durchsetzter Uferwald den mageren Unterginrnd. Und
doch erfreut auch er an dieser Stelle, wo nur das leitende Ruder der
Flösse mit schwachen Schlagen die Aber den nahen Moor- und Heide-
wiesen brütende Stille unterbricht. Sparsam zerstreute, dunkel glänzende
Altwasser zerteilen ihn, in der tiefen Ruhe des Schattens ein will-
kommener Gegtiisatz zu den schnelldräugenden , lichtgrüuen Wellen.
— Vor Freising nimmt die Isar aufs neue ein künstlicher Kanal von
2480 m Länge und 70 m Breite auf. Nachdem sie ihn wieder verlassen,
baut sich ein ungegliedertes, 12 — 15 m hohes, lehmig-sandiges Oe-
hftnge an ihrer Westseite auf, wfthrend ihren östlichen Band auch
ferner Moorebenen bis zur Volkmannsdorfer Au begleiten. Erst unter-
halb Oberhummel vermag sich der Fluss gegen die Amper hin auszu-
breiten, welche ihm in sumpfiger, von abgeschnittenen Nebenarmen
stark durchfurchter Thalung zuströmt.
9. Wassertransport der Isar.
A. Aua den Pegeloikondeii.
Ehe wir uns der Berechnung des Wassertransportes der Isar zu-
wenden, sind aus der Geschichte der hier in Betracht kommenden Pegel
*) Im Süden von München fanden wir luittels Kivellexnents die Uöhe des
eigentlichen Steilufers bei SdiAftlam so 79» zwischen HOllrkigelkreiit und Palladk
TO 48. bei Orosihenelolie su 89 ra.
35]
Das Müucheuer Becken.
203
sowie der Ablesung des Wasserstandes an denselben einige Tbatsacben
zn berflbren, dnrcb welche die faktische Bedentang des auf diesem
Wege erhaltenen Zahlenmaterials fttr Schlüsse auf die Wassermenge
und deren perioJisclie Schwankungen klargelegt wird.
Längs des gesamten Thalweges der Isar stehen in Mittenwald (2),
Tölz, am Bnmnenbause oberhalb Grüiiwald, hei Grosshesselohe (selbst-
registriereudj , Bogenhausen, Freising, Muusburg, Hofham, nahe dem
Mazwdire in Landshnt, nnterlmlb desselben, zu Din^lfing, Landau
und Plattiing in ihrer Lage amtlich genau bestimmte Wasser-
messer. Die Aufschreibungen reichen an mehreren derselben bis in
das erste Viertel dieses Jahrhunderts zurück. Ihr Wert erweist sich
indes nach unserer Ueberzeugung, abgesehen von einigen langandauern-
den Unterbrechungen, in früheren Jahren durchgehend als sehr appro-
zimatir. Hierzu kommen Ungleichheiten bei Eiunivellierung der Knll-
pankte mehrerer Pegel, welche sich nach notwendig gewordenen
Umsetzungen herausstellten. Endlich beeinflusst die Art, wie die Isar
ihre Alluvionen verfrachtet und regelmässig umlagert, sowie ihre
innerhalb der regulierten Flussstrecken stellenweise unverhUltiilsmässig
gesteigerte Erosionskraft wesentlich den Stand des Wasserspiegels.
So steht der Pegel bei Freising am Ausgang einer Korrektion zur
Sicherung der dortigen Rrttcke, ako an einem Punkte, wo be-
deutende Eiesbanke ziur Ablagerung kommen. Diese stauen das
Wasser um den Pegel her, und er zeigt deshalb in den letzten drei
Jahrzehnten einen höheren Wasserstand als früher. In der Periode von
1826 — 51 hetnitr die Summe der höchsten Winterwasserstände hier
22,18 ra, zwischen 1852 und ISTli aber 35,62 m ; die mittlere Höhe
derselben war in dem ersten Zeitraum 1,305, im «weiten 1,425 m.
Von 1826—1851 ergab msk als die Summe der höchsten Sommer-
wasserstände 39,26 m, von 1852 — 1876 hingegen 52,38 m ; die mittlere
Höhe der höchsten Sommowasserstände betrug währond der ersten
Periode 2,066 , in der anderen 2,095 m. Ferner ergaben die Auf-
schreibungen am Freisinger Pegel eine grössere Wasserhölie als an
demjenigen von Moosburg In Wahrheit aber ist das Verhältnis
umgekehrt Es erklärt sich dieser Fall (wenn wir nicht, wozu kein
Grund Torhanden ist, annehmen wollen, dass die Nullpunkte der in
Vergleich gesetzten Wasserstandsmesser nicht korrespondieren) dahin,
das* ilie lokale Erosion um den erstgenannten Pegel weniger rasch
fortst hn itet als am letzteren, was abermals auf die Situation beider
zurückgeführt werden nuiss.
Die einschneidendsten Aenderungen in der Höhenlage des Wasser-
spiegels aber ergaben sich am Pegel zu Bogenhausen. Er liegt lieute
1500 m unterhalb des Anfanges der EorreUionslinie und 8500 m vor
dem Ende derselben. Die Flussregulierung wurde 1849 mit einer
"Noriiiulbreite von 72.96 m für Mittelwasser begonnen; 185S erachtete
man dieselbe als zu gross und engte den Fluss auf 43,78 m ein. Was
*) Der amtlich festgesetzte Mittclwaaserstand lieträc^t filr Freising + 1,17, für
Hoosliurg -f 0,66 m. Zwischen beiden Orten sind der Isar eine Anzahl von Moor-
bftcfaen, D«N»dert die Doxfen, tributftr.
204
Gruber,
[30
jenem dadurch an Breite verloren ging, ersetzte er sich durch rasche
Vertiefung, so dass nach den neuesten Berechnungen die Sohle des
Flusses seitdem um beinahe 5 m niedriger zu liegen kommt. Die
Senkung des Wasserspiegels hat man mit Bezug auf die Zeiträume
von 1820—1851 und 1851— 187Ü
fOr Hochwasser auf 0,647 m,
, Mittelwasser , 1,067 ,
, Nieder Wasser » 1,115 ,
im Durchschnitt berechnet.
B. Periodiiohe SehwaokaBgeD dea WaMeratandea.
Zwei Momente sind es besonders, welche sich aus den langen
Reihen der Pegelbeobachtungen und graphischen Darstelhmgen über
die Wasserstäniit» der Isar an den verschiedensten Punkten ihres Laufes
scharf markiert abheben: ein Beharrungsätand für Niederwasser im
Dezember, Jannar nnd Febmar, der aber aehr hfinfig auch in den
NoTember nnd MSrz hinftbergreift, nnd sodann eine Periode hohen
Wasserstandes während des Mai und Juni^). Diese Erscheinungen
hängen streng mit den ntmosphilrisrhen Vorgängen in den Quell- und
Zuflussgebieten zusamimii. Im Spätherbst und Winter, wo sich die
Niederschläge als Schnee auf den Bergen sammeln, muss die Isar samt
den ihr zufliessenden Gewässern meist klein und unansehnlich zu Thal;
wenn aber im Hai dieser stabil gewesene mächtige Wasserrorrat In
den grossen Kreislauf gezogen wird, wird die in der kalten Jahres-
zeit versäumte Abfuhr in wenigen Wochen nachgeholt. W^ährend
des Sommers imd Herbstes erfolgen anf jenen gewaltigen Wasser-
transport uuregeimässig und vereinzelt auitretende, nichtsdestoweniger
aber häufig sehr bedeutende Hochwasserstände nach heftigen Ge-
wittern nnd andanemden B«gengüssen, welche indes gewöhnlich rasch
wieder sinken Daher zeichnet sich auch das Sommerhalbjahr durch
ein fortwährendes Aufwallen und Zurücksinken der Isar, durch eine
oharakteri.stische Bewegung in den Pegelständcn aus. wobei natürlich
nicht zu übersehen ist, dass in den meist trockenen Monaten des Nacli-
sommers und })eginnenden Herbstes (August, September, Anfang
Oktober) eine fast konstante Wasserhöhe oft während einiger Wochen
anfhritt. Umgekehrt hat die lange Niederwasserperiode ebenfalls ihre
Unterbrechungen, welche entweder auf grössere Niederschll^e oder par-
tielle, durch föhnartige Winde Ternrsachte Schneeschmelze znrfickffihren.
') Beide kongruieren mit der Verteil mig der Niederschläge überhaupt, welche
nach den Angaben v. Bezolds (Das Klima von Oberbayem. zweiter Artikel der
Denkschrift: ,Die Landwirtschaft im Regierungsbezirk Oliorliaycrn", 25 — 44.
München 1885) in München für den Dezember 'M . Januar liü, März 46, dagegen
für den Mai 92 und für den Juni 118 mm betragen.
-) Da.«» grösste bis heute lipobachtcte Hochwasser fantl nach einem andanemden
Gewitterregen am 2. August 1851 statt; dai«alö zeigte der Bogenbauser Pe^ei
4,80 m Ober Null. Auch im Juli dieses Jähret aidiwoU die Isar bi> so dem nngewOoii-
lieh hohen Stand von -|- 0,62 m bei Mttnchen bd.
37]
Das Mttnchener Becken.
205
Sie kommen in den verschiedeusteu Winternionateii zur Beobachtung,
«ind aber im allgememen weniger auMlend.
Um ermüdende Zahlenreih en SU Yermeiden, haben wir in der
nachstehenden Uebersicht die mittleren Höhen der höchsten Sommer-
nnd Winterwasserstihule zwischen Mittenwald und Freising, sowie ihr
Verhältnis zum amtlich festgesetzten Mittelwasserstand nach Perioden
zusammengelasst, da hierdurch der Gang der Wasserführung der Isar
iu grossen allgemeinen Zügen mit am deutlichsten gekennzeichnet wird.
Pegel so
AmUlch
ter Mittel-
wassorstuid
Mlttlpr»' Hühv cler
hürlmscn Wluter-
1
INItttliTO Höhe der
höchs'en Sommer-
waoserstinde
Differenz der iiiilt-
ler«»n Hübeu der
höchiiten Sommer-
u. WlnterwMser-
1 ttinte
1825,50
1851/76
1825/50
i 1851/76
1825/50
1851/76
Mitten wald (Pe-
gel a.d. Mühl-
brücke) . . .
+ 0,39
m
0,002
m
0,504
m
0,948
m
1,020
m
0,346
m
0,510
Tölz
+ 0,44
1829/50
1,295
1851/7G
1,032
1829/50
1,892
1851/70
1,534
182950
0,597
1851/76
0,502
Orflnwald . . .
+ 0,87
1852/76
1,465
1852/76
1,980
1852,76
0,515
Freising ....
+ 1,17 1
182Ö51
1,305
1852/76
1,425
1R2G/51
2,000
I852rrt3
2, im i
1826/51
0,761
1852 76
0,700
Was die niedricrsten. mittleren und höchsten Jahreswasserstände
im Ober- und Mittelhuif des Flusses anlan^rt, so ergaben sich dieselben
in dem Vierteljalirhundert von 1851 — 1870
für Mitteuwald zu . . . ?0,151; 0,473 u. 0,900m.
, Tök , . . ?— 0,015; 0,413 , 1,021 ,
. GrOowald «... 0,115; 0,667 , 2,056 ,
, Freising , . . . 0,119; 0,671 , 2,170 ,
C. Zunahme der WaaserhOhen BwiaoheD einielnen Pegelorten.
Eine wissenschaftlich genügende Bestimmung der Zunahme des
Wasserstandes zwischen den verMhiedenen Pegelorten unseres Gebietes
M Ks ist kaum notig, an dieser Stolle auf dfii -ein- relativon Wert (1*m-
aperiodischen Wasserhöhen" hinzuweiaen , sofern diese btreng nach dem Kalender
geniexHene Monat«- oder Qaartahnitte darstellen. Tlrftgt sich ersterer doch selbst aiit
eine Berechnuiij,' il*'r mittleren Wasserstilndo für this Jahr über. Pifsp Zahlen
können nach der ganzen Art, wie ein Floss seine Wassenuengen verfrachtet,^ ge-
wöhnlich nicht als die richtige Signatar der WaeserliShe in der Zeit erodieinen,
für welche sie gelten sollen. Daher m Ii lug auch schon Grebenau vor. statt nach
mathematisch genau fixierten Zeiträumen zu gehen, einen absolut höchsten und
afaaoliit niedrigsten, einen arithmetiflch mittleren Waasercrtand, einen durchschnitt-
lich höchsten Wasserstund nach der ITiuiptjahrepzt it . einon WasseiNtand für die
V^^etationsmonate (letzterer schwankt im wesentlichen um den Sommerwasserstandj.
sowie endUdi einen BehairangswassentaDd ansufthren.
206
Gruber,
138
kann selbstredend ma auf Grand der Resultate langjähriger Beobach-
tungen geschehen, deren genereller Charakter ephemere Säwankungen
und TJnsicherheiten verwischt. Nach den Aufschreibungen zwischen
1851 und 1870 gestaltet sich das Verhältnis der Steigerung der Wasser-
höhen von Tölz bis Freising folgeudermassen :
a) für Hochwasser wie . . 10,21 : 20,56 : 21,70,
allgemein wie . . . 16 : 21 : 22,
b) für Mittelwasser wie . . 41,3 : 60,7 : 67,1,
aUgemein wie . . . 41 : 67 : 67,
c) fttr Niederwasser wie . . 5,1 : 11,5 : 11,9,
allgemein wie ... 5 : 12 : 12.
Die Zunahme ist nicht fOr die Mittel aller Wasserstände eine gleiche;
femer spielt dieselbe im Grunde nur zwischen Tölz und Grünwald. Sie
wird auf dieser Strecke fast ansschliesslich durch dio Einmündung der
Loisach verursacht. Von ürüHwald bis Freising ändert sich das Ver-
hältnis wenig, da der Isar auf dieser Strecke kein wesentlicher ZuHuss
tributär ist. Ninunt man die MittelwaaserstSnde zum Ausgangspunkt
einer Berechnung, so hetrftgt die Steigerung swischen den beaMidmeten
Punkten allgemein 2:3; für Hochwasser ist sie 4:5, für Xieder-
wasser 1 : 2. Ans diesen Ziffern ergibt sich, dass der Einfluss der
Loisach auf die Hochwasserstände ungleich geringer ist als auf Mittel-
und Niederwasser. Es lässt sich veran^rblagen, dass sie durchschnitt-
lich bis zum Wasserquantum des liuuptflusses liefert.
Versucht man die gleiche Rechnung f&c dieselbe Zeit und die
nämlichen Orte auch auf Sommer- und WintCTwasBerstiüide anzuwendeni
so erhUt man die nachstehende Uebersicht:
Tölz Cninwald Freising
Wiiiterwasserstand :
12,95 : U,65 : 20,66,
allgemein 18 : 15 : 21;
Somnierwasserstand :
10,32 : 19,80 : 20,95,
allgemein 10 : 20 : 21.
An den so wesentlirh verschiedenen Wasserständen bei Tölz und
Grünwald ist sofort wieder die starke Wirkung der Loisach in der
regenreicheren Zeit zu erkennen. Während des Winters bedingen die
auf der Ebene mehr denn in den Bergen bewegten Niederschlage den
grösseren Untersdtiied zwischen den Pegelhöhen zu Grtinwald und
Freising. Im Sommer, der Zeit des mittleren und hohen Wasserstandes,
sehen wir das Verhältnis '^ich ungofVihr zu r>:10:ll umändern, und
damit nähert es sich wieder den aus den mittleren Jabresständen be-
rechneten Angaben.
D. Berechnung des Wassertransportes.
Die Au&eidbnuneen der Wasserhöhen unserer Isar in den Pegel-
urkunden sind zuglei<m als Basis fttr die Berechnung ihres Wasser-
transportes Ton einschneidender Bedeutung. Bekanntlich steht die ab-
^ j i.Lo l v Google
39]
Das Müiichener Becken.
207
geführte Wassermasse im geometriBehen VerhältniB zum Pegelstand
und liisst sich aus letzterem mit Hilfe von Messungen über Geschwindig-
keit und Querprofilsfl'ache des Wassers genau bestimmen. Zur Be-
rechnung der Abflussmeugen in längeren Perioden bedarf es vorerst
der sicheren Feststellung des Mittelwasserstandes während der fraglichen
Zeiträume, sodami aber der sorgfältigen Bestimmnng des Wasser-
transportes bei jenem.
Unter den wenigen befriedigenden Messungen der Wasserabfahr in
südbajerischen Flüssen stehen diejenigen, welche Herr Bauamtsassessor
Bücking 1878 an der Isar bei Oberf(>hring ausführte, mit in vorderster
Linie. JDen uns zur Verfügung gestellten Akten entnehmen wir, oline
das Yerfidiren der Messung hier berücksichtigen zu kdnnen, nach-
folgende Zahlen:
Für das Winterrierteljahr (Januar bis März) ergaben sich als
Mittel aller Ablesungen am Wassermesser zu Bogenhausen — 2,33 m.
Da bei diesem Pegelstande t)4 chm in der Sekunde abtliessen, so
wurde der Wassertransport für die Ol TnuM' des ersten i^iartals 1878
zu 497 6(54 OUU cbui augenommeu. — Im Frühlingsvierteljahr zeigten die
Wasserslinde eine durehschnittlicbe Höhe von —1,07 m. Auf diese
Ablesung treffen 196 cbm Abfuhr f&r die Sekunde , somit f{lr den
ganzen Zeitraum 1541 030 400 cbm. — Das Sommervierteljahr hatte
einen mittleren Wasserstand von — 1,39 m; dieser bestimmt in dor
Sekunde eine Abflussmenge von 147 cbm, in 92 Tagen also eine solche
von 1227273000 cbm. — Während des Herbstvierteljahres endlich war
der durchschnittliche Pegektand — 2,34 m; in der Sekunde passierten,
wie im Winter, 64 cbm Wasser, im Quartal 584323200 cbm. Die Oe-
samtsumme der AbfluBsmenge im bezeichneten Jahre muss somit zu
3800291200 cbm veranschlagt werden. Dabei fehlten der Isar aber an
der Messstelle noch die im Schwabingerbach konzentrierten Stadtbäche.
Jener zeigt eine ziemlich konstante Wassermniigc von 1 1 cbm pro Se-
kunde und liefert demnach jährlich 340 8Ü0 000 cbm ; diese zur vorhin
euMcketten Gesamtsumme gezSbli, erlilUi man für Mflnchen räne Ab*
flussmenge tou 4147187200 oder rund 4150 Millionen Kubikmeter').
Unsere Zusammenstellung lehrt, dass die Isar nicht weniger als
drei Viertel ihrer jährlichen Fracht an Wasser im Frühling und Sommer
(April bis Oktober) und nur ein Viertel während des Herbstes und
') At> Quellziiflüssen erhiilt dio Tsar in unserem Oohietp niif ilirtT rechten
Seite 420, aul' ihrer linken (500 Sekundt-nUter. Von «Tstercn »'nt l.ilh'ii allein auf
den 6 km langen Atuläufer d«« Hochufers zwischen Högenhausen un<l ( )l»'riühring
280, von letzteren auf die 10 km lange Strecke Höllriegelkreut-Thalkirchcn inehr
als ti'JU •'^ekundeuliier. Zum Vergleich sei angeführt, dass der Inn 1878— löTy bei
Reiitach. 11,5km unter Kufstein, nach den im ersten Teil der ^Hydrologischen
Untersuchungen an den öffentlichen Flössen Bayerns* mitgeteilten Messungen
11 842,02 Mill. cbm Wasser abführte, demnach fast dreimal so viel als die Isar bei
Mflnchen. Allerdings betrftgt sein Flossgebiet mit der Salzach auch 26 045qkm,
wovon bis zum Reisacher E'egel 9635,8 <ikm entfallen, während das ganze (lebiet
de« Isar^tems 9039, das des Lech samt Wertach 4328, der liier 2227 qkm aus-
macht Die WasMnnenge der Denan fiuid man für I^edorwaMer bei DonanvOrUi
zu 123,7 und 12.'. 1. bei Nenbnrg zu i?T^.4. bei Ingolstadt zu ,329.3: am Lech bd
Kaofering zu 40,5U und 170, bei Schwabstadel zu 71,ö äek.-Kubikmeter.
. ^ i.L^ l v Google
208
Grttb«r,
[40
Winters ablührt. In ihr kommt der Typus jener Flü.sse klar aus-
geprägt zur Erscheinung, welche einen grossen Teil ihres Wassers
durch Regen erhalten, deren bedentondstes Hochwasser aber infolge
der Schneeschmelze entsteht 0- Gleichen Charakter tragen alle den
Alpra nach Korden entströmenden Gewässer, und eben er bezeugt wie
wenig andere ihrer Merkmale die Abhängigkeit derselben Tom Uoch-
gebir<^e in anschaulichster Weise.
Da frühere Messungen des Wassertransports der Isar zum Vergleich
fdiloi die Pegelbeobachtuugen in unserem Qebiete aber nicht ohne
weiteres als Grundlage für Scblfisse vom Wasserstand anf das Wasser-
qnantiini dienen können, welche längere Zeiträume in Betracht ziehen,
so müssen wir für jetzt wenigstens noch die interessante Frage olFen
lassen, ob eine allgemeine Zunahme oder Reduktion der in der Isar
gesammelten Wassermassen innerhalb der jüngsten Dezennien stattfand.
Auch .theoretische Berechnungen" über die Mengen der in diesem
Gebiete wirklich zum Abfluss gelangenden Niederschlage kOnnen hier
nicht zum Yergleich herangezogen werden. Mit Sicherheit I2sst sich
dagegen erweisen, dass der Wert des für ein vereinzeltes Jahr fest-
gestellten Diirchflnssquantiims von höchst iflutiver Natur ist. Sind
doch einem Jahre mehr Hoch-, einem anderen nielir Nieder- oder
Mittelwasserstände eigen; in ersterem wird die Abiuhr grössere Dimen-
sionen erreichen als im letzteren. Solche Zuckimgen der zu Thal ge-
brachten Wasserqnantitftten liegen in der Natinr der hydrographi-
schen Elemente. Hinsichtlich der von uns erwähnten 1878 aus-
geführten Messungen muss daher bemerkt werden , dass dieses Jahr
mit Bezunr anf die Wasserstände einem mittleren Diirchschnittsjahr nahe-
kam. Leider ist es ferner unmönrlfch, ein Verhältnis der an verschiedenen
Punkten des Thalweges der Isar zum Durchfluss gelangenden Mengen
selbst nur für Mittel- oder Niederwasser zu konstmieren, weil eben jede
andere Messung bis zur Stunde mangelt. Es bestätigt sich daher auch
nach dieser Richtung hin die Wahrheit der Behauptimg, dass wir that-
sächlich erst am Anfang der -\rbeiten /n einer Hydrologie Südbayems
stehen und dass keine andere Erscheinung des Alpenvorlandes mehr der
Erforschung bedarf als das fliessende Wasser, welches der gesamten Physio-
gnomie jenes Gebietes so eigenartige und bedeutungsvolle Züge aufprägt.
10. Gefälle, Geschwindigkeit^ Breite und Tlefe^ sowie ihre
Abhiagigkeit Tom Wasserstaiide.
Tn strengem Zusammenhange mit den WasserständHii nnd fort-
während durch sie moditiziert stehen Gelalle, Geschwindigkeit, Breite
'j A. WoeYkof: Flüsse und Laiulseeu als Produkte dos Klimas. Zcit^chr.
der Gesellach. f. Erdkunde zu Berlin. 20. Bd.. 2. Heft. S. 92.
Nur f'ine Angabe, welcher aber kein allzu fjrosser Wert beizulegen ist, er-
hielten wir noch vom Assistenten de« Münchener FluHsltauanit« Hoehholzer. Er
bestimmte den Abfluss willireufl eines Hochwassers nahe der Grosshesseloher Brücke
7,u 54 00(» Kiil>ikfu8S pro Sekuii l' : »'in and-rer faml ihn wleichzi'if i>: zu (iO 000 Kubik-
luss. Nach der gewöhnlichen Annuhm« lührt die obere Isai- zwischen 30 und 1000,
die untere svischen 60 und 1200, ein Hocbwaseer ungefiUiT 700 Sek.>Kalnkmetar ab.
Daa Mtbieliener Becken.
209
und Tiefe eines Flusses. Das Gefälle der Isar ward bereits durch
Riedl 0 ^Tiiit Inbejjjriff der Erdstrahlenbrechuntr auf den wahren
Gesichtskreis pebraclit." Später bestimmte Herr Oberbergdirektor
Dr. von Gürabel -) dasselbe und zwar, wie Riedl, für das ganze
Langenprofil. In neuester Zeit endlich suchte das Flussbauamt zu
Mfinehen auf Grund tod NiTellements mOglichBt sichere Angaben nach
dieser Richtoag hin zu gewinnen, und wir verzeiclinen im folgenden
die für ganx Terachiedene Stollen erhaltenen Beeultato.
Strecke
Länge
derselben
m
Absolutes
Gefälle
m
Relatives
Gefille
im Meter
Von Mittenwald bis zur Husei-
Von München bis Freising . ,
Zwischen Freisiug n. Tuching
3000
84 280
700
660
17,700
62,732
0,809
0,591
0,00592
0,00183
0,00115
0,000909.
Rauscht die Isar bei Mittenwald mit dem echten Gefälle eines
Berghaches, 1 : 200, dahin, so fliesst sie unterhalb Mfinehen nur mehr
mit einem solchen von 1 : 500, um es bis Moosburg gar auf 1 : 600,
an dt r Mündung auf 1 : 1500 zu Terringern. Die dem Lauf des Flusses
vom Gebirt:»' lipr dnreb die Vorbor^e ziirEliene entsprecliende Verringe-
rung des Gefälles wird indes durcli die Beweglichkeit der Alluvionen und
die Höhe des Pegelstandes fortwiilirend beeinflusst. Gelegentlich der
Wassermessungen bei Oberföhriug schwankte dasselbe z. B. zwischen
0,00125 und 0,00184 m.
lieber die Geschwindigkeit der Isar erhielten wir^ für die
Linie Tdlz — Moosburg nachstohende Exgebniuse:
Länge
Absolute Ge-
Relative Ge-
Strecke
in
8ch windigkeit
schwindigkeit
km
m
im Meter
38,25
101,440
0,00205
GrOnwald-Mflnchen (stein. Brflcke)
14
29,587
0,00211
Mtlnehen-Bogenhausen ....
2,50
8,795
0,00252
31,50
58,480
0,00192
18
28,245
0,00157.
Auch in dieser Zusammenstellung soll nur ein durchschnitt-
liches YerhiUtnis skizziert sein, da f&r die Isar nachgewiesen werden
kann, wie sehr die Geschwindigkeit gleich dem Ge&lle je nach dem
') Biedl. Adrian von: Stromatlas von Bayern. Text hierzu. Mün-
chen 1^. 8. 120.
*) Gfimbel. Dr. C.W. : Gcoprnostische Beschreibung des bayenachen Alpen«
gebirges und seineo Vorlandes. Gotha S. 36.
210
Graber,
[42
Pegelstande variiert. Während in der Nähe Oberföhrings z. B. am
14. Januar 1879 die absolute Geschwindigkeit 1,185 betrup^ . ^var sie
bei Mittelwasser im Oktober 1878 1,449 und 1,884, bei Hochwasser
am 4. September aber 2,111. BekanntUdi Indert dch die Geeehwindig-
keit selbst ümerhalb eines und desBelben Profils infolge der Reibung
des Wjissers an den Rändern und der Sohle des Bettes in ansehn-
lichem Grade. Die Untersuchungen, welche in der Korrektionslinie
nördlich von München angestellt wurden und aus denen wir in nach-
stehender Tabelle die instruktivsten Einzelheiten darstellen, lehren, dass
sich erstens die mittlere Geschwindigkeit im ganzen Profil des Flusses,
wie auch die mittlere Oberfl&ehen- und mittlere Sohlengeschwindigkeit
bei Hochwasser noch einmal so hoch stellt als bei Nieder wasser, und
dass zweitens die mittlere Sohlengeschwindigkeit hinter der mittleren
Geschwindigkeit im ganzen Profil ungefähr um das Doppelte zurückbleibt.
Geschiriiidiglceitanesmiigen bd Ober-
fithrisg im Jahre 1878
1.
2.
3.
4.
Messung
Nieder^
wasser
m
Mittelwasser
m
Hodi-
w aaser
m
1. Mittlere Geschwindigkeit im
ganzen Profil . . .
2. GrOsste Geschwindigkeit im
3. Mittlere Oberflächengeschwin-
4. Grosste Oberflächengeschwin-
5. Mittlere Sohlengeschwindigkeit
6. Mittlere Tiefe
1,19
1,67
1,37
1,63
0,60
0,89
1,45
2,02
1,69
2,00
0,98
1»17
1,88
2,43
2,21
2,43
1,12
1,70
2,11
2,70
2,50
2,67
1,22
2,29.
Die Unbeständigkeit des Fhissliettes der Isar, seine Abhängig-
keit von den Hochwasserfluteu und die durch letztere verursachten
häufigen Umlegungen desselben Terleihen den Angaben Aber Breite
und Tiefe keine Sicherheit. Jene haben vielmehr ansserhalb der
regulierten Strecken stets nur die Bedeutung von Sch&tznngen und
bezeichnen keinesfalls dauernde, sondern stets nur Torübergehende
Werte. Was das Anwachsen des Flusses vom Gebirge her anlantrt,
so bieten uns hierfür die Korrektionenbreiten einige Anhaltspunkte,
wobei aber zu erwähnen ist, dass die Entfernung der künstlichen Ufer-
r&nder nicht immer dem durchschnittlichen Wassertransport der Isar
entsprechend geführt ward. Sie beträgt bei Mittenwald 25 ni,
München 40 — 00 m , bei Freising 70 m ; für Moosburg ist dieselbe
zu 75 ra berechnet. An allen anderen Stellen aber, wo das Wasser
sich frei über die Sohle des Thaies ergiessen kann, nimmt es auf
Kosten der Tiefe und Konzentration einen viel breiteren Raum ein,
den es wiDkflrlich und lannisch bald hier, bald dort anschneidet Im
^ kj i^Lo l v Google
Das Müucheuer Becken.
211
Gebiete des Münchener Beckens siebt man den Fluss ansserbalb seiner
Hochufer nie in einer einzigen A»l< r voUgesamraelt. Hüiifi«,^ strömt
er 80 — 90 m breit und dann durchschnittlich 2 m tief nach Norden
weiter, umschlnngen von mehreren, wenn auch unscheinbaren Neben-
armen. Oettcr zerteilt er sich vollständig in 2 oder 3 Kinnen von
wenig verschiedener Grösse; dann scheinen die Gewässer bei niedrigem
Stand zwischen den GerOUflichen sn Terschwinden, in weiche sie sich
1 — 1,5 m tief eingraben. Um so kiWger kommen sie dagegen wäh-
rend der Frühlings* und Sommerhochwasser zur Geltung; eine michtig
hinfliitende Wassermasse überströmt jetzt nicht sowolil die weit aus-
gebreitete Thalsohle, sondern tritt häutig über dieselbe hinaus, bis zu
2 m die Ränder der Steil ni er tnipor oder über den sie begleitenden
Saumwald weg gegen Moor und Heide hin.
Die Tiefe der Isar berechnet sich bei Mittenwald im Durchschnitt
zu 0,7, bei Töla sn 1,2, bei München zu weniges über 2 m. Die
Annahme Grebenaus, dass die Breite des Flusses seine Tiefe um das
20 — 25 fache übertrefTe, mag für die reguherten Strecken im allge-
meinen Geltung haben. Wissenschaftlicher Wert aber wird ihr um
so weniger zugesprochen werden können, als das hier angezogene
Yerhältnis wiederum durchaus vom Wasserstand abhängig, mithin sehr
unstet erscheint. Es liegen uns Beobachtungen Tor, die klar bezeugen,
in welchem Grade innerhalb der Münchener Korrektionslinie beim An-
steigen des Wassers die Breite hinter der Tiefe zurückbleibt. Wir fanden
dieselben interessant rrenug, um sie hier mitzuteilen, obsclion natür-
lich zugegeben werden muss, dass sie nur für eine Stelle Geltung
besitzen, an welcher sich der Fluss nicht frei entfalten kann.
Zeit der Messiuig
Stand des
Bosenhaoser
Pegeb
AbfluBs-
men^e pro
Sekumle
cbm
Verhältnis
der Breite
mir Tiefe
— 2,77
89
39,4
23. Oktober 1878
- 2,81
64
30,8
28. August 1878
— 1,64
122
21.1
209
16,8.
lt. Die Gewässer in den Müuchener Mooren. Yergleich Ihrer «
chemlBclien BesehtlTtiiheit und Tempmtnr mit jener der Isar.
Die Wasseradern, welche den Thalflächenmooren nfirdlich von
München zugehören und in die Einförmigkeit ihrer Landschaft allent-
halben frische, angenehm lebenditje Züge bringen, tragen nach ihrer
Entstehung und ihrem Ger^anitcharakter wesentlich andere Merkmale,
als wir sie eben am nahegelegenen Hanptfluss fenden.
Sie spannen sich gleich einem engmaschigen Netz fiber die Moor-
ebenen hin und umsäumen die braungrünen Naturwiesen wie mit schmalen
SUberbändem. Im Gebiete des Erdinger Moores lassen dieselben fünf
. ^ i.L^ l v Google
212
Graber,
[44
kl' inore Systeme erkennen: das des Seebach, Schörgenbach, der Goldach,
Dorten und iSempt; dem Dachaii-Schleissheimer Moor gehören vor allem
Gröben- uud Kaltenbach sowie die Mosach an. So gross nun auch
die Zahl jener Gruudwasaerergfisse ist, in ihrer auffallenden Entwicke-
luiig spricht sich allenthalben die Gldohartigkeit Ihres Wesens ans.
Meist entquellen sie ani Kande oder inmitten des Moores in ansehnlicher
( trösse. Ihren Verlauf kennzeichnet ein steter Wechsel der Breite des
Bettes, das hier auf l — 2 m verengt \m<] nicht ferne davon zu S — *> m
ausgezogen erscheint. Einige derselben, wie Seebach und Goldnch.
schwinden eine längere Strecke vor ihrer Einmündung sichtlich zusammen,
andere wurden mit klinsUich ^ezogenenEanSlen in Verbindung gesetst and
erzeugen hierdurch eine Reihe Ton Bifurkationen. Das Bett der Moor-
bUche ist durchaus regelmässig angelegt : sie haben steile aber niedrige
Uferränder, welche die nach anhaltenden Niedersclilägen meist ein-
tretenden Ueberschwemmungen in lioliem (rrade begünstigen. Die durch-
schnittliche Tiefe derselben schwankt bei dem ziemlich gleichbleibenden
Staude, wie er vom Juli bis September gewöhnlich beobachtet wird,
zwischen 0,30 und 1,20m. Lichtbraun, klar und durchdehtig ist die
Farbe ihres Wassers; ihm gleichen die von Kalkniedmchl^fen und
Algen dunkel gefärbten Gerölle ihrer Sohle.
Die Herkunft der Moorhäche vom Grnndwasserstrom der Hoch-
ebene, über dessen allgemeine Neigung gegen Nordnordosten wir auf
Seite [lÜ] 184 einige Angaben mitteilten, sowie der beträchtliche Abfall
der Sohle des unteren Hflnchener Beckens yerleiheu denselben ein an-
sehnliches Qefäll. Schon y. Riedl bezeichnet letzteres «approzimatiT als
gross"; wir haben es im allgemeinen zu 0,0012 — 0,0018 relatiy yer-
anschlagt.
Ueber den Wassertransport dieser Gewässer fehlen mit wenigen
vereinzelten Ausnahmen grüudhche Messungen. Es ist dies um so
mehr zu beklagen , als von letzteren aus ein zuverlässigerer Schluss
auf die Qesamtgrösse der «unterirdischen StrOmung" versucht werden
kffnnte, wie ihn theoretische Betrachtungen zulassen. Thiem berech-
nete die Wassermenge des Seebachs bei Aschheim im Juni 1870 y.u
0,70, einige Kilometer nördlicher an der Hinterniiilile zu 1,27 cbm für
die Sekunde. Wir selbst fanden mittels Schwimmer die Quantität der
Dorleu in den Moorwiesen westlich von Niederneiching bei Mittel-
wasser zu 2,0, 1880 bei Hochwasser zu 2,9 cbm in der Sekunde.
2 km nOrdlich yom Dachau-Schleissheimer Kanal führte der Kalten-
graben anfangs Mai dieses Jahres 0,*>. der weiter im Osten fliessende
kräftigere Wasserfaden dagegen 1,3 cbm ab. Diesen Angaben lässt sich
im allgemeinen noch beifügen, dass die Wasserstände der Moorbäche
während des Jalires nur relativ geringen Schwankungen unterliegen
(im Maximum kaum 1 m); durchschnittlich kommt die Mehrzahl dem
Seebach bei Aschheim gleich.
Was endlich die äemische Zusammensetzung der Grundwasser-
ergfisse in den Mooren um Mönchen anlangt, so ergaben die Analysen
wesentliche Unterschiede zwischen ihnen luid den südlicher gelegenen
Quellen. Infolge der seichten Schotterüberlagerung gelangt die unter-
irdische Strömung mit den obersten Bodenschichten allenthalben in
45]
DaH Münchener Becken.
213
Berflhning. Diese werden, um ihre agrikuItnreUe Ausnützung möglich
sn machen, einer inienriTen Veninreinigung ausgesetzt, welche sich
aoeh auf das Grundwasser überträgt. Dasselbe besitzt deshalb hier
einen hohen Gehalt von Chlor und Sjilpetersänre , der ihm sonst
in viel geringerem Majisse zukommt. So fand man den Rückstand
eines (Grundwassers des Dachau-Schleissheimer Moores (bei Mosach)
za 300 mg im Liter; darunter waren 10,G Chlor, 78 Salpetersäure,
119,8 Kalk, 1,40 EohlenaSure. QneDwasser ans dem sfldlichsten Teile
der Erdinger Moorlandschafb ergal) 270 mg Rückstand und zwar 5,0
Chlor, 31,3 Salpetersäure, 96,5 Kalk, 1,45 Kohlensäure. Auch die bis
an 30 m hoch überlagerten Grundwasserergüsse in der Nähe Gross-
hesselohes hatten einen Rückstand von 270 mg: unter diesen war
Chlor aber nur mit 2,8, Salpeter mit 4,0, Kalk hingegen wiederum
mit 86,8, Kohlensänre mit 1,55 mg Tertreten. Fflr «hw Wasser der
Isar fimden Br. Bmnner und Dr. Emmerich, welche eine Torfareffliche
Abhandlung über die chemische Beschaffenheit desselben verOffent-
lirhtpn oberhalb Münchens folgende Zahlen, die sich anf Messungen
im Februar und April 1875 beziehen: Abdampfuugsrückstand 0,2195
und 0,2103: Lösungsrückstand 0,0745 und 0,0716; Kalkgehalt 0.0809
und 0,0t)9ö; Chlor 0,0014 und 0,0011; Salpetersäure 0,0005 und 0,0001;
Kohlensänre 0,0820 nnd 0,0590 ; organische Substanzen 0,0194 und 0,0265 ;
SQspendierte Teile 0,0027 nnd 0,0280. Bei Garching, 12 km unter Mün-
chen geschöpftes Isarwasser ergab: Abdampfungsrückstand 0,2220 und
2,010; Lösungsrückstand < 1,0760 und 0,0670: Kalkgehalt 0,0801) und
0.071:.; Kohlensäure 0,0820 und 0,0740: Chlor 0,0014 und 0,0013;
Salpetersäure 0,0005 und 0,0U01; organische Substanzen 0,0253 und
0,0398; suspendierte Teile 0,0044 nnd 0,0382 g im Liter. In diesen An-
gaben Üegt der kraftigste Beweis dafSr, dass das Isarwasser wShrend des
Durchflusses durch München weder bezüglich seines Kalkgehaltes noch
in Hinsicht auf die gelösten und suspendierten Stoffe überhaupt wesent-
liche Veränderungen erleidet. In einer Probe, welche unterhalb Gar-
ching hei Hochwasser genommen worden war, konnte ein Unterschied
gegenüber dem Isarwasser oberhalb der Stadt überhaupt nicht nach-
gewiesen werden. Die Zunahme der Rückstände Ton Tölz bis Plattling
betrug 29,7 und 38 mg. Parallel mit der Vermehrung oder Verminderung
der läckstandsmeoge gehen die Schwankungen des Kalkgehalts, dessen
Menge auch zum regelstand in umcrf'knhTt proportionalem Verlililfnis
steht. Der höchste Kalkgehalt (85,5 mg) fand sieh bei selir niedrigem,
der geringste (55,5 mg pro Liter) bei sehr hohem Wasserstand.
Ko<m bedeutendere Unterschiede als nach ihrer chemischen Kon-
sfcitntioii zeigen Isar- nnd Grundwasser in den TemperatnnrerhSltnissen.
Letssterem ist im allgemeinen die mittlere Jahrestein}»erati]r Münchens
eigen (7,50" C); seine Wärme spielt zwischen 7 und 11 " und unterliegt
um so grös«=ercn Schwankungen, je seichter die Schotterdecke über ihm
ist. Die Temperatur des Isarwassers dagegen bewegt sich von 1 — 20" C.
Sein Minimum tüilt, wie vorauszusehen, meist mit demjenigen der
*) ZeitMhr. f. Biologie^ Jahrg. 1878, S. 199 ff.
214
Uruber, Das Müncheuer Becken.
[46
Luft zusammen, mid zwar in den Dezember nnd Jannar; das Mazimmn
gehört dem Juli an. Konsfauite Tttnperatmrai sind meist nur während
eini<rer Wochen dea Spfttoommers, dann aber auch vereinzelt im Verlauf
der lanf^en Niederwasserperiode, welclior fiberhanpt die gerin<]ff;ton Tem-
peraturscliwuiikungen angehöreu, zu beobachten; Hochwasser bedingen
in der Regel eine rasche Temperaturerniedrigung. Eisbildung zeigt
sich an der Isar infolge ihres bedeutenden Gefälles und der hier-
durch bedingten Geschwindigkeit nnr in geringem Masse. Sa ist eine
selten wied rkehrende Ausnahme, wenn sich im Gebiete des Mfindiener
Beckens eine Eiv^'cke über die ßinne des eigentlichen Flusses oder
seiner Haiiptader von einem Ufer zum anderen spannt. Dagegen bildet
sich regelmässig im Dezember, Januar und Februar dünnes Grundeis;
dann entbehren auch die Alluvioueu und Känder des Bettes nicht der
achmSIeren oder breiteren Biakaaten, zwisdien welchen das klein ge-
wordene Gewisser rastlos nnd ungestört seinen Ereislanf yollf&hrt.
Zum Schlüsse sei noch angeführt, dass nach einer Beobachtung
T. Bezolds während des Obcrlaufo^ die o.«twestlich ziehenden Thal-
strecken der Isar (^Hinterautliul und Linie Krün — Fall) etwas wärmere
Temperaturen zeigen als die siidiiördlich verlaufenden Partieen (Schar-
nitz— Krün, Fall — Tölz). Denn letztere liegen vormittags lanse im
Schatten der OstHchen, nachmittags zeitig in jenem der weswchen
Berge; die ersteren dagegen geniessen die Sonnenstrahlen wenigstens
auf der nach Süden blickenden Abdachung vom Morgen bis zum Abend.
Keine Stelle der meridional gelegenen Thaklisclniitte aber scheint in-
folge sehr steilen Ansteigens der ihr vorgelagerten südlichen Berg-
ketten während de^ Winters einige Zeit der Besonnung gänzUch be-
nnbt zu sein.
Durch diese leitenden ( Jesichtspunkte ergiei)t .sich ganz von sell).st , diiss die
hier zur Veröffeuthchmig gelangenden Arbeiten sich nie bloss an den engeren Kreis
dftr SpesialTeitreter der verschiedeiien Fäeher wenden können, denen sie sunächsfc
entstammen, sondern stets aach mehr oder minder weit über denselben hinaus ein
Interesse in Anspruch nehmen dürfen. Es wird aber, bei aller strengen Wissen-
schaftlichkeit des Inhalts, anch in Behandhmgsweise und Darstellung stets, soweit
der Gegenstand irgend es zulässt, darauf Bedacht genommen werden, dass ausser den
uuinittelbaren Fuchgenosseu der Veriasser zugleich ein grösserer Kreis wissenseliatt-
lich Gebildeter ihren Erörterungen mit Verständnis imd Interesse tolgcii kann.
Unsere Sammlung erscheint in zwanglosen Ilefitj^n von ungefähr 2 bis höchstens
') Bogen: jt^dc*^ lieft wird eine vollstUndigo Arbeit (ausnahmsweise von kürzereu
auch mehrere) enthalten mid lür sieh käuflich sein. Eine entsprechende Anzahl von
Heften wird jedesmal zu einem Bande vereinigt, und wird im Jahre etwa ein Band
im Umfange von 40 — 45 Bogen erscheinen. Der Preis eines solchen wird ungeföhr
16—18 l&k betragen.
Bisher sind erschienen:
Heft 1. Der Boden Mecklenburgs, von Dr. E. Geiuitz, o. Prof. der Mineralogie
und Geologie an der Univ. Rostock. 32 Seiten. Preis 80 Pfennig.
Heft 2. Die oberrheinische Tiefebene und ihre Bandgebirge, von Dr.
Richard Lepsius, ord. Prof. der Geologie und Direktor der GrossherzogUch
hessischen ^logischen Landesanstalt in Barmstadt. Mit Uebersiohtskarte
des oberrhemischiBn Gebirgssystems. 58 Seiten. Preis M. 2. —
Heft 3. Die Städte der Korddeutschen Tiefebene in ihrer Beziehung
zur Bodengestaltung, von Dr. F. G. Hahn, Professor der Erdkunde
an der Umrersitiit Königsberg i/Pr. 7ü Seiten. Preis M. 2. —
Heft 4. Das Münehener Becken. Ein Beitrag zur physikalischen Geo-
graphie Sudbayerns, yon Chr. Gruber. 46 Seiten. Preis K. 1. 60.
Unter der Presse befindet sich (durch Herstellung der Tafeln etwas verspät et):
Heft 5. Der Einfluss der Gebirge auf das Klima yon Mitteldeutschland,
Ton Dr. med. & phil. B. Assmann.
Die weiteren Hefte werden namentlich yon den folgenden Herren Beitrage ent-
halten: Dr. 6. Berendt, Königl. Landesgeologe und Prof, a. d. Univ. Berlin; Dr. K.
Freiherr von Frit.sch, Prof. a. d. Univ. Halle; Dr. E. Geinitz, Prof. a. d. Univ.
Rostock; Dr. F. G. Hülm. Prof. a. d. Univ. K(>ni;4slterg i Pr; Dr. G. Hellniann.
Mitglie«! des Königl. Stati.-^t. Bureaus in Berlin; l*role-s>or Dr. K. .jan.st-n in Kiel;
Dr. A. Jentzsch, Dozent a. d. Univ. Königsberg iPr.; Hofrat Dr. von Inama-
Sternegg, Präsident d. k. k. statist Gentrs&ommission und Ptof. a. d. Univ. Wien;
Dr. C. M. Kan, Prof. a. d. Univ. Amsterdam; Dr. A. y. Koenen, Prof. a. d. Univ.
Göttingen; Dr. F. Krones Ritter von Marchland, Plfof. a. d. Univ. Graz; Dr. 0.
Krünunel, Prof. a. d. Univ. Kiel; Dr. A. Freiherr von Lassnnlx, Prof. a. d. Univ.
Bonn; Dr. A. Leskien, Prof. a. d. Univ. Lei]»zig: Dr. F. LTiwI, Dozent a. d. deutsch.
Univ. Pnig; Dr. A. Makowsky, Prof. a. d. techn. Hochschule zu Brüini; Dr. A.
Nehring, Prof. a. d. landwirtschaftl. Hochschule zu Berlin; Dr. J. Ottmer, Prof. a. d.
techn. Hochschule zu Braunschweig; Dr. J. Partsoh, Prof. a. d. Uniy. Breslau; Dr. E.
Petri, Dozent a. d. Univ Btrn; Dr. Fr. Pfaff. Prof. a. d. Univ. Erlangen; Dr.
J.Ranke, Prof. a. d. Univ. München; Dr. Fr. Ratzel, Prof. a. d. techn. Hochschule
zu München; Dr. P. Schreiber, Direktor des Königl. sächs. meteorolog. In.stitut.-^
in Chemnitz; Dr. A. Streng. Prof a. d. Univ. Giessen; Dr. F. Wahnschaffe,
Assistent bei der Königl. geolog. Landesanstalt zu Berlin; Dr. K. Wein hold, Prof.
ft.d.Uiiiy. Breslau; Dr. F. Wieser, Prof. a. d, Uniy. Innsbruck. . _ yöGogl
Verlag von Tausch & Grosse in JtliiUe (U S,
VORLESUNGEN
Hülfsmittel und Methode
des
Geographischen Unterrichts
Vi Hl
Db. RICHARD LEHMANN,
ProiiMOT dm Oeognphte 4. AkaduBie so MflMtor
Alle die miuuugfiiltigeii theoretischen und praktischen Fragen,
welche sich an den geographischen ünierriehi und seine Httlfsmittel
knfipfen, werden in dem Buche einer Umgehenden sachlichen SrwE-
gung uniensogenf und so wird dasselbe gerade durch dieses konkrete
Eingehen namentlioh ftr Stndiereode imd Lehrer der GeograpUe
ein Ratgeber sein, wie solcher, trotz der. in neuerer Zeit ziemlich
lebhaft gewordenen Th&tigkeit auf dem Gebiete der Reform des geo-
graphischen Unterrichts und Stadiums, bisher nicht existierte.
Das Buch wird einen Gesamtumfang Ton circa 24 Bogen nebst
artistischen Beilagen erhalten und in Heften Ton in der Hegel
je 4 Bogen erscheinen, von denen das erste soeben erschienen ist,
die übrigen dann in etwa sechswöchentlichen Zwischenräumen folgen.
Der Preis beträgt für Abonnenten 85 Pfennig pro Bogen, und
verpflichten wir uns, falls der Umfang wider Erwarten noch über
24 Bilgen hinausgehen sollte, diesen Ui-berschuss den Herren Abtai-
nenten gratis zu liefern, so dnss der (it&iiiiitpreis des ganzen Buches
keinesfalls 0 Mark übersteigen k.ciui.
Xach Erscheinen der let::l€n Lh feruny uird der Preis erhöht.
Lieferiuig 1 (4 Bogen) Preis M. 1. —
Omek von Oal>rüd«r Krtoer In Slattgurt.
Seuxd-Heftf S'-
DIB
Mecklenburgischen Höhenrücken
(GESCHIEBESTEEIFEN)
VSD IHBE
BEZIEHUNGEN ZUR EISZEIT
VON
D»- P. B. ÖBINITZ,
t
MU snvei UeberaUIUskürtchen und zwei J^ojUcn»
YEBLAG
STÜTTGAKT.
VON J. ENeELHORN.
188Ü.
^ kj i^Lo l v Google
Inhalt.
Einleitung [5—8] 219-222
L 0te Getobiebestreifen [8—66]
6escMebe8ti«ifiBnIV: PAel—HagebSk— GHAon— Qaalits — War-
now — üpaU — SothnMdk — Pananhenhiigwi — Mttitenhagan —
Feldberg . ,
Geachiebestreifen V : Klütser Ort — Moidentiii — Sfcemberg — Kai-
row — Poppentin — RecUin — W^enberg — Fürstenberg . ,
GeschiebeM reifen VI: Brothener Ufer? — Ivendorf — Schwanbeck —
Mühlen Kichsen — Rugensee — Retgendorf — Kamin — Frauen-
mark — Lübz — Stuer — Bütow
6e8chiel)e?<trpifen VII: Ratzeburg — Buchholz — Wahrholz —
Schwerin — Pinnow — Parchim — Mamitzer Berge . . - .
GeMhiebertreifen VIII: ZaRentan-VaUiilm^NeDliof-- Witten-
burg — Granzin — Loosen — Wamow
Geaduebestreifen IX: ö allin — Lübtheen — Conow — Böck . . .
Geaeiiiebecfereilien X: Laaenbnxg—Boisenlraxg^Wendiach— Weh-
ningen
Geschiebestreifen III: Diedrichshäger Berge — Ivendorf — Neu
Bukow — Satow — Schwaan — Sobnooloberg — Tefcerow — Mal-
chin — Neubrandtmbiirg — Helpt
Geechiebstreifen II : Warnemünde — Rostock — Tesain — Dargun —
Friedland — firtthmer Berge
Gescliiebestrpifra I: Fisrhland - Saal - Riboita — Süls — Loita?
Geschiebestreifen in Pommern und Rügen
Oeednebeateeifen in der Lttneborger Heide
Geschiebestreifen in Schleswig-Holstein , . .
Orographische Gestaltung Mecklenburgs . . . . '
BnMseliQi^ des baltiBehen HSbenrflckau
[81 222
[12] 288
[29] 248
[31] 245
371 251
25;^
[42] 256
[48] 257
52
56
58
59
60
61
641
20H
270
272
273
274
275
278
U. Die Landstriche Bwiiehen den Gescbiebestreifen [67—91] 281—305
1. Die unterdilunalen 8andheidegebieto avieeben Getefaiebe-
streifen IV u. V [67] 281
a) NoMentiner Heide [69] 283; b) Karower, Wooster und
Schwinzer Heide [70] 284; c) Pobbertiner Heide [71]
285; d) Turloffer Heide [72] 286; e) Wariner Mulde [72]
286: 0 die Sedimente ha Wimuur n. b. f. [73] 287;
g) die Heideeaodg^bieto bei Waien, Fbderow n. s. H [78] 287
218
Inhalt
Sdte
2. Bas Land zwischen Geachiebeatreifen V u. VI
3. Das Laml zwischen GoschiebeHtreifen VT u. VIT .
4. Das Land zwischen Geschiebestreifen IV u. III ,
5. Das Land zwischen Geschiebestreifen III u. 11
6. Die südwestliche Heide (jungdiluvialer Thalsand)
die Lewitztniedening
7. Die Rottook-Bibnitser Heide, «Um FiecUand und der Dans
[75
289
29a
294
82'
29t)
83
297
302
.8»
803
lU. Die Besiehniigeii snr Eisseit (91—90] 805-310
Entstehung der Geschiebestreifen
Geschiebestreifen, die Endmoränen der letzten Vereisung . . .
Sedimente hinter den Geschiebestreifen von «oberdiluvialem* Alter
Inteiiglacialseit
91
91
92
96
305
305
306
810
i.L -. l v Google
Einleitnng.
Nachdem meine geologischen OrientMnmgsarbeiten in Mecklenburg
nunmehr masa gewireen Abschluss erlangt haben, ist das Material voll-
stänflij]^ genug, um eine übersichtliche Darstellnng der schon mehrfach ')
angedeuteten Verhältnisse der mecklenburgischen Geschieb e-
sfcreifen (von Boll als „öeröllstreifen" bezeichnet) zu ermöglichen.
Wenn auch durch eine specielle geologische Landesaufnahme einzehie
Vorkommiiiese noch bemier bekaimt werden und ibr ZueammenliMig
vielleicht richtiger erkannt werden wird, so zOgere vsk doch nicht, jebst
die schon lange geplante Darstellung zu geben, um so mehr, als die ein-
gehende Schilderung einen Beitrag zu manchen wichtigen Fragen der
Olacialgeologie liefern muss, insbesondere zu den Fragen einer mehr-
maligen Vereisung Norddeutschlands und der Gliederung des Diluviums.
Aach für die Praxis wird die genane Angabe der Blockvoikommnisse
und des Auftretens des Meigelbodens von Wichtigkeit sein. Zugleich
bilden die folgenden Mitteilungen, die eine Uebersieht tiber die geo-
lofrischen Grundlagen der topographischen Verhältnisse Mecklenburgs
geben, den ersten Teil einer i)ald t'oigenden Abhaudiung Uber die Seen
imd Fluäsläufe Mecklenburgs.
Die Geschiebestreifen bilden eine ftlr die mecklenburgiBche
DilQTiallandschaft sehr charakteristische Erscheinung, die sich aber
auch in den übrigen Gel)i('t. n (\o< deutschen Balticums, wenn erst die
Aufmerksamkeit auf sie gelenkt ist, sicher in grosser Ausdehnung nach-
weisen lassen wird und zum Teil, wie auf Üügen und bei Liepe un*
weit Oderbei^, bereits bekannt ist.
0 Boll: Creognoflie der deutschen Ostseeländer 1846, S. 107; Arch. f.
tneeklenb. Laadetkonde 1855, S. 345; Zeitschr. der deutach. geol. Ges. 1851,
Taf. 19; Abrisa der mecklenb. Landeskimdt' 18H1, S, i:i f. — rJeiiiit /, : Beitr. 1.
xor Geol. Mecklenb. 1879, S. 48-54; U. 1880, S. 15; Der Boden Mecklenböisi,
in Forsch, z. deutsch. Landetk. I. 1885, S. 10.
. ^ i.L^ l v Google
220
Geiniti»
Es sind Höhenzüge, zum haltischen Höhenrücken gehöng, welche
aus einer Anzahl verschieden hoher, oft kaum über dem nachbarlichen
Plateau erhabener, und oft in ihrer Aneinanderreihung schwer zu glie-
dernder Hü^el zusammengesetzt, in einer Breite von etwa '/* — 2 Meilen
dae Land im allgemeinen in nordwest-sfidMieher Richtung durch-
ziehen, zuwdien auch durch „Ausläufer" oder , Querriegel " miteinander
in Verbindung tretend, imd häufig durch „Moränenlandschaft*', immer
aber durch einen bedeutenden iteichtum an grossen nordischen Ge-
schieben ausgezeichnet sind.
Die Geschiebestreifen sind anzusehen als der au Geschieben
besonders reiche Morftnenachutt Torwiegend des „oberen'', teil-
weise anch des „unteren*^ Diluviums, der oft an den das Land zu
▼enefaiedener Höhe in nordwestlidi-sQdjtetiich^ Richtung durch-
querenden Bodenwellen des Flötzgebirgsuntergninder? gestaut inid hier
auf- und angelagert worden ist. Vielfach fallen nämlich die Anhiiuhnigen
des erratischen Materiales zusammen mit dem Hervortreten der Flötz-
formationen aus der sonst sehr mächtigen Diluvialbeschüttung des nord-
deutschen Tieflandes.
Das Oberflächenmaterial, aus dem die Geschiebestreifen bestehen,
ist demgemäss hauptsächlich der Geschiebemergel resp. Blockkies oder
die Steinbestreinmg des!o1)eren oder Deckdilu>'iums, zum Teil nehmen auch
Rande und Kiese an ihrer Zusammensetzung teil. Das Deckdihnnura
hat hierbei gewölmlich eine Mächtigkeit, die von 0,5 bis 5 m schwankt,
ein gegenflber der Mftchtigkeit des Hav^t» oder tjnterdihiTinms aof-
fftUig zurOcktretender Wert Die allermeisten Geschiebe, kiTstallinttche
Massengesteine und Schiefer, wie versteinerungsführende Sedimentgesteine,
welche zu den verschiedensten Zwecken vom Dilnviallioden aufgesammelt
werden, entstammen dieser Decke, was für andere Fragen über Heimat
der Geschiebe u. a. m. von Wichtigkeit ist. Auch da.s untere oder
Hauptdiluvium beteiligt sich oft wesentlich mit an dem Aufbau der
Gesäliebestreifen, oft bestehen gerade die hUkhateii Hügel solcher Reihen
aus mftditigen Aufschfittungen von unteren Kiesen und Sanden.
Niemals sind es mauerartige "Wälle, sondern mehr oder weniger
breite, schai-fer oder undeutlieli aligesetzte, durch gewaltige Steinan-
häufimg ausgezeichnete Moränenablagerungen. Oft liegen die Steine
noch unter der lehmigen oder lehmig-kiesigen Ackerkrume und gelangen
erst durch Tiefflügen oder Ausgraben (,,Ausbuddeln") zu Tage. In
anderen Fällen brin^ die ffpfllende Thätigkeit der TagewSsser die grossen
und kleinen Steine an die Oberfläche, indem sie den umgebenden Mei^ajel,
Lehm oder Sand fortführt. Dies hat zu der Auffawsung geführt, dass
die Steine im Boden „wachsen". Endlich erfolgt die Isolierung der
Blöcke aus dem Geschiebemergel am Meeresstrand durch das Ausspülen
vermittelst der Wellen; daher der Strand, wo sein Abbruchsufer einen
Geschiebestieifen anschneidet, Ton massenhaften Stöcken umsäumt ist,
die weit in das Meer hinausreiehen. Ebenso zeigen einige Binnenseen
an ihrem Choind Anhäufungen von ausgewaschenen Blöcken. Sämtliche
unserer „erratischen Blöcke'* sind somit niclit anf, sondern mit und
unter dem Gletscher zu uns gelangt, sie entstammen der Grund-
ni oräne.
^ j i.Lo l v Google
»1
Die mecklenburgischeii Höhe&rackeii etc.
221
In den Gegenden der Geschiebestreifen liegen vielfach die Steine,
einige Meter im Ihirchinesser bis herab zu Kopfgrösse und noch kleiner,
oft mit ScUififlBelien und Schrammfln, in so grossen Massen. auf den
Feldern, auf Hügeln wie in Thälem. dass die Gegend wie beschüttet
oder überstreut erscheint mit diesen Blöcken und die Felder oft aus der
Ferne aussehen, als ob eine Schafherde darauf weidete. Zuweilen ist
ihre Menge der Ackerbestellung äusserst hinderlich , ja an manchen
Stellen macht sie dieselbe ganz unmögüch. Man sucht die Steine,
die sogenannten , J'elsen", zu beseitigen, indem man sie sa cyklopisclien
Kauern iSngs der Wege, Umgrenzen und um die Gehöfte anhäuft, sie
in Giftben und Sölle yersenkt, in den Boden eingräbt, oder sie zu
grossen kegelftirraigen Haufen zusammenträgt ; femer sind die Häuser
dieser Gegenden zum Teil aus den Feldsteinen erbaut und nirm |)flastert
lange Strecken Wege; weiter hat sich die Industrie dieser Vurkonimnisse
bereits vielfach bemächtigt, indem man die Steine zu Pflaster- und Bau-
steinen schll^^ oder ssn Qiausseematerial verwendet, so dass in manchen
IHsfarikten durch die Kultur allmählich der ursprüngliche Charakter
mehr und mehr verlorai geht. Auch durch prähtötorische Steinbauten
sind solche Gegenden ausgezeichnet, Dolmen und Hünengräber, Stein-
kränze und Opferplätze sind in den Gebieten der Geschiebestreifen in
oft überraschender Menge vorhanden.
Fast stets ist auch die „Moränenland schaft*^ Im Gebiet der
Qeschiebestreifen noch deutiich entwickelt: Ein stark coupiertes Tenrain,
mit zahllosen Kuppen, Hügeln, BergrÜckoi und Bodenwellen, zwischen
denen flache, grössere und kleinere Depressionen oder tiefe Löcher und
Kessel, Sölle, Pfuhle, Seen, Thäler und Schlucliten in verschiedenstem
Niveau eingesenkt sind, mit grossen und kleinen Wasserflächen oder
Torfmooren. Vielfache Buchen wulduiigeu, helle Wasserspiegel oder
dunkle im Walde gelegene Seen und Teiche, kleine ringsumschlossene
Torfkessel oder .weite Wiesenniederungen und Koppeln, die zahlreichen
Steinblöcke auf dem Boden , die schöne Femsidit von den Höhen,
malerisch gelegene Gehöfte und Schh'Jsser. oder auch gerade die Ein-
samkeit an iuideren Stellen u. a. m. verleihen dieser Moräiienlandschaft
zumeist ein überaus anziehendes, mannigfaltiges, Uberraschend schönes Bild.
Zuweflen ist aber auch inmitten eines Geschiebestreifens ein Teil
desselben durch die Denudation der Gletscherschmelzwässer mehr oder
weniger verwischt worden und andere Streifen sind fast in ihrem ge-
samten Verlaufe derartig verundeutlicht, dass sie bisher als solche über-
haupt nicht erkannt worden sind.
Boll erwähnt drei Geschiebestreilen in Mecklt uliurg ; in meinen
bisherigen Angaben habe ich vier mitgeteilt. Es sind dies die besonders
in die Ai^en springenden. Durch die detaillierten Aufnahmen habe ich
nun in Mecklenburg zehn parallele Geschiebezüge nachweisen
können, von denen einzelne vielleicht als zn8ammengelir>rige Nebenz^e
später kombiniert werden müssen. Mit ziemlii^ gleichen Distanzen,
wie sie in Mecklenburg von den einzelnen Streifen innegehalten werden,
wurden weiter im Nordosten, in Pommern mit Rügen, und im Südwesten,
in der Lttnebuzger Heide, je drei solcher Züge konstatiert
Auf dem Uebersichtskärtchen habe ich die einzelnen Streifen
222
Oeiiiiti,
[8
Mecklenburgs von Nordosten nach Südwesten laufend numeriert und
anschliessend die drei der Lüneburger Heide. Im Text hin ich fast
durchgängig sehr austXÜiriich in die Detailbeschreibuug eingegangen;
eine Orientierung über die m^eflllizteii LokaHÜton ü an der £uid
der neuen Generalstabskarten zu empfehlen, doch gmllgt fttr die Orts-
namen auch die alte Engelsche Karte Ton Mecklenburg im Massstab
1:850000 (Rostock, Tiedemann Nachf.).
Die Detailbeschreihung beginne ich mit dem am augenfälligsten
und typischsten ausgebildeten Geschiebestreifen und verfol^-o zunächst
die nam Sfidwesten liegenden Paralielzüge, um zuletzt die uudeuthchen
und Ton mir noch am wenigaten ausnlhrlich besuchten Streifen im
Nordosten anzuschliessen.
L Die GtoscliiebestreifeiL
IT. GMdiielieBtreifen: ,»P56l — HagebSk — Glashi — Qaillti ^
Wwnioir — üp«U 'B4itli8pftlk— PansdieiilugCB — Kollenhasen ~
Feldbergc".
Die Insel PihA nördlich Wismar, die sich mit einer Erhebung
bis zu 27,5 ni ühor den Meeresspiegel dor Wismarschen Bucht vorlagert,
zeigt wenig ausgeprägt den Charakter der Moräneniandsclmft, einzelne
cjklopische Mauern bei den Gehöften deuten das Vorhandensein von
Blöcken in dem sandiglehmigen Boden an. Der sOdliche Teil der Insel
ist arm an Geschieben zu nennen. Am 5 — 10 m hohen Klint erkennt
man unter blockarmem Deckgeschiebemergel, der bis 5 m Mächtigkeit
erlangt, feinen Spatsand. Erst am Leuchtturm, in der Mitte des West-
strandes, werden die ausgewaschenen Blöcke häufiger, und wt itfr nörd-
lich tritt hier an dem 10 — 13 m hohen Klint in verschiedener Höhe
auch der blaue untere Oeschiebemergel als Liegendes des Deckmergels
herror, zum Teil yon diesem Shnliä wie an der Stoltera bei Warne-
münde durch Sandschichten getrennt; oft ist hierbei zu beobachten, dass
der 3 — 0 ni miieliticfe obere Menj^el reichlichere und grössere Geschiel)e
enthält, als der untere. Auch nach der flachen kleinen Insel Langen-
werde r setzen die Blöcke auf dem flachen Seeboden in grosser Menge
fort. In letzter Zeit sind viel Steine hier vom Strand abgefahren worden.
Nordwestlich liegt vor der Insel eine Untiefe, der «Hahnenberg*,
mit reichlichen Blöcken. Westlich finden wir die kleine niedrige Insel
Liepe, welche ein auf Sand und Sclilick ruhendes Strandgerölle zeigt
und von welcher auch weiter westlich zum lüUizer Ort ein Steinlager
als Untiefe fortsetzt.
Wir können hiernach die Insel Pöel als den etwa 7 km breiten
nordwestlichen Beginn des Ctoschiebestreifinis betrachten, der nach Westen
^ j i.Lo l v Google
9]
Die mecklenbnrgischen HöhenrOcken etc.
223
hin durch die später umgeschlemmten Steinanhäufunt^en bei Lieps mit
dem benachbarten Streifen in nahe Berührung tritt.
Die Blöcke setzen von hier über den Breitling, an dessen steilen
Lehmnfem (grosser Wiek, Damekow) zahlreiche grosse Blöcke
au «^gewaschen Hegen. Das Terrain steigt allmählich zu 40 — 50 m Höhe
nach Osten an (Lisch ow. 0 km von der Ostküsto von F*öel): dieses
Gebiet bis zur Wismar-Doheraner Bahn besteht aus oberem Mergel und
aus unteren Sanden, die Steinmauern in Drevesk irchen, Alt-Bukow
u. 8. w. zeigen die Fortsetzung des Geschiebebtreitons an. Zwischen
FOel und Wismar liegt die kleine Insel Walfisch, bestehend ans mäch-
tigem (unteren) Gesäiebemergel mit reichen ausgewaschenen Blöcken.
Der Bahnbau von Doberan nach Wismar schnitt quer durch den
CJeschiebestreifen und liefert« folgende Aufschlüsse:
Nach einem etwa 4 km breiten lleidesandareal, aus wohigeschich-
teten feinen Spatsandeu mit vereinzelter Steinbestreuung bestehen<i, das
sich bei Questin und Panzow sttdlidi von Neu-Bukow hinzieht, beginnt
in der G^end von Alt-Bukow, bei Teschow, Yogelsang, Lischow,
Hagebok. das Mergelgebiet des Geschiebestreifens. Der Bronnen bei
Haltestelle Teschow, im Niveau von etwa 45 m Meereshöhe angesetzt,
durchsank 2 m Torf und 28 m grauen (? oberen) Geschiebemergel, dessen
Liwreudes weisser Spatsand ist. Die südlich folgenden Bahneinschnitte,
in dem 50 — 65 m hohen Terrain, zeigten bei Yogelsang oberen Mergel
in der Ifibshtigkeii von einigen Metern, discordtuit zum Teil mit sack-
artigen Einbuchtungen Spatsond mit Bänderthon oder Kies überlagernd
und diese Sedimente oft in zusammengeschobene Stellung bringend, an
seiner unteren Grenze auch häufig zu Sand oder Bänderthon ausge-
schlenmit. Auch treten zuweilen Kuppen der unteren Kiese bis zu
Tage, nur seitliche Anlagerung des Deckmergels zeigend. Erst bei
Lischow und Hagebök beginnt der Deckmerffel sich durch grosseren
Reichtum an Geschieben auszuzeichnen; sein Niveau ist hier dasselbe
wie in dem eben beschriebenen nördlichen Anfang des Geschiebestreifens,
etwa 5'» — 'i5 m. Hier ruht der obere unmittelbar auf d(?m unteren
Mergel; der Brunnen in Station Hagebök musste M) m grauen Mergel
durch^itoäsen, ehe er auf 6nnd kam (Unterkante des Mergels etwa 8 m
Uber Ostseespiegel). In einem südlich folgenden Einschnitt bei Neu-
burg tritt in dem 52 m hohen Blicken wieder der Kies herauf, unter
Blocklehmbedeckung. Westlidi hiervon, in Neu bürg selbst (Höhe 30 m),
•waltet der Spatsand vor, ringsum aber von Gebieten des strengen Deck-
mei^els umgeben. Der Einschnitt an der Station Kartlow entblösste
unteren Sand und Kies unter wenig mächtitjer Bedeckung von blockreichcm
Deckmergel; daneben lagerte der Deckmergel ohne Sandzwischenschichten
auf gram»lauem unteren Mergel; der Brunnen traf unter 3 m gelbem
lehmigen Sand (Oberdflurium) auf 20 m blauen unteren Meigel, dessen
Liegendes wieder Sand ist (Unterkante des unteren Mergels etwa 10 m
über 0).
Auch der Einschnitt bei Rohlstorf ergab in irleicher Weise
mächtigen Deckmergel, der unten durch Aufschlemnumg Schichtung
zeigt, mit grossen Blöcken, auf Kies und Sand lagernd. Der bald
folgende traf Kies unter Bedeckung von blockreichem sandigen Deck-
. ^ i.L^ l v Google
224
Geinitz,
[10
mergel. Der EinschmU durch den 50 m hohen Rficken Bfidlich HornS'
torf traf Blockmergel, auf blauem Thon. Die benachbarte Kiesgrube
an der HornHtorfer Scheide zeigt in 15 m Meereshohe wohlgeschichteten
Kies un<l Sand mit kaum merklicher Deckkiesüberlagerun^.
r)ie IJalui durchläuft nach dem AngeMirten hier den Geschieht'-
streiten in einer Breite von circa 12 km. Wir sahen, daas derselbe die
Meereshöhe von 50 — 60 m hat, und dass er aiu blockreichem oberen
Geschiebemergel der Hauptsache nach gebildet wird, der aber selten
bedeutende Mächtigkeit In sitzt und t^ils auf unteren Sauden und Thon,
teils auf unt^^rem <i(>s( liit-bemergel discordant aufsitzt . seine Unterlage
vielfach in ihrer Lagerung gestört liat, häufig an seiner unteren Grenze
aufgeschlemmt ist; durch Aufquetschung oder auch ohne dies durch Zu-
rücktreten des Deckdiluviums gelangten auch öfters die unteren Sande
zu Tage.
Die eben genannte Gegend kann als die westliche Abdachung der
eich im Südosten anschliessenden Höhen betrachtet werden, welche einen
vielfach coupierten, zum Teil ziemlich steilen Höhenzug bilden, Ober
Nantrow, Madsow, Zarnekow, Züsow laufend und nach Südost
weiter zur Hohen Burg von Sc hie mm in, westlich Bützow, sich er-
streckend. Seine Höhen betragen 85, 95—105 m. Oestlich schliessen
sich daran die Höhen, von 50—110 m wechselnd, welche die coupierte
Landschaft des Messtischblattes Kirch -Mulsow bilden, mit den Orten
Steinhagen, Kirch -Mulsow, Bälieliii. Glasin, Tüzen, Kospn-
ha^cn u. s. w. Prächtig ist hier (]io Moräuenlandschaft entwickelt,
mit zahllosen Sollen, Torf kesseln und kleineu Moränenseen; der Boden
besteht aus meist vorherrschendem, einige Meter mächtigem oberen
Geschiebemergel mit massenhaften Blöcken; besonders auf der Feldmark
Glasin finden sich zahllose cyklopische Mauern um die Wege, ein-
zelne Schläge, Gehöfte u. s. w., femer sind in dieser Gegend unzählige
HünerHjräVM r u. a. m.; zu dem neuen Chausseebau werden die frei herum-
liegenden oder lit unter der Oberfläche, in Lehm oder sandi<,'er Stein-
packung eingehüllten Blöcke sehr leicht gewonnen. Mitten nii Block-
gebiet finden sich auch Stellen, an denen der Reichtum an Geschieben
sich stark Termindert (/. B. bei Neu Bah st, Warnkenhagen, Poors-
torf u. a.). 1^ sonders da wo die Erosion und Evorsion in das Plateau
eingeschnitten liat, treten auch die Grand-, Sand- und Schluffthonr des
L nterdiluviunis hervor, unter noch geringer Bedeckung von oberem Ge-
scliiebemergel oder dessen Vertreter, dem Deckkies oder der Moränen-
steinpackung, zum Tdl in starker Schitditenstörung, oft aber auch völlig
ungestört. Auch auf hohen Kuppen tritt der untere Sand zu Tage,
entweder als aufgequetschtes Lager oder auch in horizontaler ungestörter
Lagerung, zum Teil von Idosscr Steinbestreuung bedeckt. Auch hier
sieht man das imtere Diluvium in gleiches Niveau aufsteigen vnc das
Deckdiluvium, die Hölienrücken bestehen nicht wie ICndmoränen aus
Material des Deckdiluviums, das etwa auf eine gleichmässig ausgebreitete
Unterlage des HauptdiluTiums aufgeschflttet wäre. Der obwe Mergel
ruht« wie erw&hnt, teils ein&ch auf seinem Untergrund, ohne denselbüsn
in seiner Lagerung gestört zu haben, und ist hierbei häufig in seinen
unteren Partien bei etwa ^fi m Dicke zu Sand oder sandigem Lehm
llj Die meckkuburgiscben Höhenrücken etc. 225
ausgesdüemmt, teils hak er starke lokale Sehichtenstörungen hervor^
geralen. Seine Mächtigkeit ist dnrchsclmittilicli 8 — 5 m, Tielfach auch
noch weniger.
Dif rfprrpnrl voTi MoltcTiow. ü 1 r 1 k 0 11 Ii 0 f , AVarn kenhagen zeigt
neben unteren Sandrn noch vorwie^^eiid strengen oberen Mergel, aber
ohne besonderen Steinreichtum, so da.ss man hier, bei einer Höhe von
70 — 75 m, die sich weiter östlich zu 50 m abdacht, den nordöstlichen
Anfang des Geschiebestreifens suchen kann; die Höhe westlich von
Warnkenhagen und Tüzen gehört mit ihrem grossen Blockreiditain
mid der Moränenlandschafk schon völlig zum Geschiebestreifen.
Von Tüzen und Poorstorf läuft ein nordoststreichender Rücken
oder breite Hügelreihe mit über 115 m Meereshöhe über die Orte
Pasee, Koseuhagen, Horst, bei Gerdshagen sich zu 90 und 80 ni
abdachend, hier nach der 70 m hohen MoritaienlaiLdschaft ron Satow
laufend, welche bereits dem anderen schmalen Parallel-Qeschiebestreifen,
der über Neu Bukow läuft, entspricht. Per erwähnte breite Hohen-
zii*? kann danach entweder als Querriegel und nordöstlicher Ausläufer
aiit'^^efasst werden, oder als ein Rest des gesamten, von Nordwest nach
Südost resp. hier Nordnordwest nach Südstidost laufenden breiten Ge-
schiebestreifens, der bei der Erosion stehen geblieben ist, während in
seiner nordostlichen Abdachung eme Ecke herausgehöhlt wurde.
Für die erstere Aufhsrong spricht auch das gleiche Verhalten des
südlichen Parallelzuge8, der an entsprechender Stelle bei Schimm einen
nördlichen Ausläufer entsendet fs. u.); der erstgenannte Ausläufer ist
der von Boll (Abriss d. meckl. Landesk. 1861, S. 247} erwähnte, von
den Schlemminer Bergen ausstrahlende dritte Zweig.
Bei Glasin schliesst sich in südösÜicher Biditung ein sehr deut-
licher schmaler HöhenrOcken an, der Ober Strameuss, hier im Hohen
Berg die Höhe von 101m erreichend. Kätcrhagen, Jabelitz zu den
Schlemminer Bergen führt. Der schmale, mir ttwu 3 — 4 km breite
Zug besteht aus einzclnon. oft als schmale seJir rem von Nordwest
nach Südost streichende Kücken ausgebildeten Hügeln, von blockreichem
oberem Geschiebemergel mit bald darunter vortretenden unteren Sanden
gebildet Isolierte Sölle und Torf kessel sind auch hier die typischen
Begleiter der Moränenlandschaft. Zwischen Gr. T es sin, am Tessiner
See, 75 m, und dem aus blockarmem, wenig mächtigen Deckmergel mit
unterem Feinsand bestehenden Kronsberg bei Lüdersdorf hat der Zug
seiiK LTfisste Verenginig, etwa 2*2 km, alsbald verbreitert er sich bei
Hermaiinshagen, Jabelitz, Göllin zu etwa 5 km.
Hier schliessen sich die Schlemminer Berge an; der Anschluss
mit dem Geschiebestreif«^, die Linie Eatelbogen-Strameuss, und
ihre [)arallelen Höhen, in nordwestlicher Richtung laufend, werden von
P>nll (Abriss 1861. S. 24<)) als erster . Auslihifer" von dem .Knoten-
punkt" der Schlemminer Berge bezeichnet. In fltr Mitte zwischen
Lübberstorf und Lüdersdorf östhch von Neukloster erreicht das
Sandgebiet, welches sUdhch unseres Geschiebestreifens sich ausdehnt
(s. u.), sein Ende und tritt zunächst blockreicher sandiger Deckmergel,
oft sehr wenig mürhtig den unteren Sand l)e(le(.k(Mi(l. zur Herrschaft.
Der Mergelboden wird mächtiger und die Blöcke mehren sich im Neu-
226
[12
klosterer Forst zwischen Lttbberstorf und Göll in, wo sich einzelne
bis 00 m hohe Kuppen neben den massenhaften Torfkesseln und Söllen
der 75 — 80 m hohen Moränenlandschaft t-rheben. Eine 4 m tiefe Grube
nahe dem östlichen Waldrand bei (iöllin zei^'t eine lehmige kiesige
Steinpackung von massenhaften grossen und kleinen Blöcken. Auf den
Feldern der Dorfechaften Oöllin, Jabelitz, Olambeck und Qualitz
sind so massenbafte Blöcke vorhanden, dass sie ausser zu ffitoif^banten
zu breiten Mauern längs der Wi'<^v und Grenzen aufgehäuft sind. SöUe
und Torfkpssel vereinigen sich damit zur Herstellung der Moränenland-
schaft, diese erreicht in den Kuppen der Schlemminer Berge nebst den
tiefen Kesseln und Thälem ihren Glanzpunkt.
Die Schlemminer Berge mit den einzelnen als Langer, Bruns,
Hei, Rag Berg, Hohe Burg, Egg Berg bezeichneten Hdhenpunkten ▼on
130 — 145 m Erhebung stellen einen Teil dee in der Umgebung von
Schlemmin 100 m hohen Mergelplateaus dar. Zahllose tiefe isolierte Kessel
und längere tiefe Thalkessel durchfurchen dieselben und schneiden ins-
besondere die lanfjen von Südwest nach Nordost verlaufenden schmalen
Eückeu heraus, deren Hache Gipfel mit den erwähnten Namen bezeichnet
sind; in diesem nordöstlichen Sireichen d«r einzeben Blicken braucht
man indes nicht ein erzgebirgisches Streicfasystem des Flötzkemea aus-
gedrückt zu finden, sondeni dieselben sind nur als Reste der lirosion
zu betrachten. Die znlilreichen losen Blöcke, div den Bergen neben
den tielen Schluchten einen seltenen landschaftlichen iieiz verleihen, ifaben
früher Veranlassung zu Bauten von Ilünengräbem ; der höchste Punkt,
die Hohe Burg, zeigt uns einen wohlerhaltenen Ringwall (vgl. auch die
Schilderung Ton Boll, Abriss 1861, S. 245).
Oestiich bis Kurzen Trechow finden wir noch coupiertes Terram,
das rasch zu 40 ni herabsteigt, öfters gelangt der untere Sand hier zu
Tage, obgleich der blockreiche mehr oder weniger sandige Deckmergel
noch herrscht. Zwischen Kurzen Trechow uud Neuend orf sind
zahlreiche Blöcke im Deckkies, einer merglig sandigen Steiupackung
enthalten, der auf unteren Sauden, oft bis 8 m MSchtigkeit la^^ert Ein
weiterer Abfall des Dfluvialplateaus bis Bfitzow zeigt, dass die teÜiche
Orenze des Cteschiel)estreifens nunmehr überschritten ist. Dieser Teil ent-
aprichtdera , zweiten Ausläufer" der Schlemminer Berpe (Boll, a. a.O.S.247);
es sind die steil nach dem Warnowthal abfallenden hohen Berge der
Qualitzer und Kühner Forsten, mit den Orten Kurzen Trechow,
Katelbogen und Baumgarteu, welche das östliche Ende des
Schiebestreifens darstellen. Auch auf den Höhen, nicht nur an den
Thalabschnitten, «rkennt man hier die Beteiligung der unteren Sande
am Bau jener Berge, indem ihre Schichten oft nur von geringem Deck-
mergel überlagert, in ungestörter oder lokal gestörter Schichtung viel-
fach zu Tage treten.
Hier wendet sich der Geschiebestreifeii nacii Süden. Bei Wen-
dorf tritt massenhafte Steinbestreuung der Eiesfelder am nördlichen
Wamowgehftnge auf, cyklopische Mauern sind häufig. Schependorf,
Qualitz, Laase, Mankmoos, mit stark coupiertem Terrain, das noch
bis 80 m anstei^^t, gehören zu dem Geschiebestreifen, der sich hier mit
einer Breite von 1 Meile nach Süden zieht.
18]
Die mecklenburgischen üöbenrücken etc.
227
Bei Eickhof, westlich der Eisenbahnstation Warnow, ist der
trefflich in die Augen springende Thalbeginn des unteren Warnow-
Unfes zu sehen, im ösüichen Grenzgebiet unseres Geschiebestreifens,
dtf hier die Höhe von 50m besitzt, bei Eickelberg aber noch zu
80 m aufsteigt. Die vielfach kurzen Seitenkessel und die steil abfallenden
Ränder des amphitheaterartigen Thalbeginnkessels zeigen bei Eick ho t
das Normalprofil: auf den unteren Sanden lagert auch hier noch bei
20 — 30 m eine 1 m mächtige Decke mächtiger Moränensteinpackung mit
gesehiammften nordischen Blöcken, die teils auf den Feldern herum rer-
streut liefen, teils zu Starassenbautoi in kleinen Kuhlen oder auf den
Feldern „ausgebuddelt*^ werden. Das sumeist aus oberem Geschiebelehm
bestehende Plateau bei Eickelberg, von zahllosen Söllen, Torflöchem
und kleinen Seen unterbrochen (typische Moränenlandschaft), ist von
massenhaften Blöcken überstreut. Die Steine verschwinden ziemlich
S lötzlich in der im Westen folgenden 60 m hohen Sandgegend von
fr 088 Labenz (s. u.).
Bei Klein Raden sUdlich Eickhof herrscht sandige Steinpackung
von geringer M'dchtigkeit, aber mit bedeutendem Blockreichtum vor,
untere Sande bedeckend und diese ziiin Teil in ihrer Lagerung störend;
zum Teil tritt der Sand zu Ta^e, zum Teil wird er auch von mächtigem
Blocklehiu überdeckt. Blocknmuern , SöUe, kleine Seen smd hier auf
dem etwa 40 m hohen Plateau typische Zeichen der Horftnenlandschaft.
Bis in die Gegend der Sternberger Burg erstreckt sich der
Blockreichtum. Gross Radejn im Nordosten davon, gehört bereits zum
Gebiet ausserhalb des Greschiebestreifen.s. der hier also eine kleine Zunge
nach Süden bis kurz vor Stemberg entsendet.
Im Norden gehört die Gegend von Warnow noch zu dem Gebiet.
Eine Grube bei der Station Warnow, am südlichen Gehänge des breiten
Wamowihales in 25m Höhe gelegen, zeigt den Typus der durch die
Schmelzwässer ausgewaschenen Moränenlandschaft, nämlich auf unteren
Sanden und Kiesen eine 1 — 2 m mächtige lehmigkiesige Steinpackung
mit normaler Entwicklung des Moränenschuttes. Die Saudfelder der
Abhänge sind mit massenhaften Steinen überstreut. Nach dem 40 m
hohen, von Sollen und Torlkesselu durchbrochenen Plateau bei Schlockow,
Klein Raden, Buchenhof herrscht der strengere Mergel vor, mit
massenhaften Geschieben.
Die Kiesgruben an der Bahn dsÜich von Warnow geben daa
Ende des Streifens an; circa Im steinreicher, brauner Deckkies, zum
Teil noch geschichtet, lagert auf flach wellig gebogenen Schichten von
unteren Sanden und Kiesen, unter denen auch Thonlagen auftreten.
Von Eickhof, Warnow, Buchenhof wendet sich der Geschiebestreifen
mehr nach Osten und streicht in ostsUdOstlicher Richtung nach Gros»
Upahl. Der deutlich zum Teil ziemlich schroff nach Nordosten zum
Nebelthal und weniger steil nach Südwesten abfallende Bergzug erhebt
sich zu 50 und 60m. vielfach auch 70 und bei Boitin und Gross
Upahl über 80ni erreichend. Die Geilend südwestlich von Tarnow^
Pruzen und Häger fei de kann als das nordösthche Ende des Geschiebe-
Streifens gehen, Lübzin, Buchow, Lenzen als diesQdwestlicfae Grenze,
so dass mer eine Breite Ton nur etwa 4 — 5 km Torliegt
228
Oeiaits,
Die 60 — 80m hohe Gegend von Gross Upahl ist wieder die
typische Moränenlandschaft, mit zahllosen tiefen AesselUf Sdllen, der
gteilufirigen Wanne des UpaUer Sees u. a. m. Ausserordentttch viel
Mauern u. dergl. benützt. Eine Grube iiuf der 80 m hohen Kuppe
hinter dem Hof Gross Upalil zei<rt '> m «gelben Blocklehm , unter und
neben dem Feinsandschichten heraufgequetsi lit sind; die Brunnenbuhrung
ergab unter dem oberen bis zu 30 m Mächtigkeit grauen unteren Ge-
MEiebemergd. da aUnich« Enidortaeke fthrt, .uf thomgoa Sind
lagerad.
In dem Lahn witzer Forst am Sudende des Upaliler Sees wird
der Geschiebestreifen von steinreichem Deckkies gebildet, der in geringer
Mächtigkeit auf unteren Sauden lagert; bis Garden dauert die St«in-
bestreuung auf dem Sandboden an, auch mit inselartigem Auftreten
Ton BlockmergeL Im Süden schliesst sich dann das Sandgebiet mit
demselben Niveau an.
Bei Klein Upahl und Gerdshagen OsÜich vom TJpahler See
ist gleicherweise eine enorme Fülle an grossen Blöcken in dem bis
100m ansteigenden stark coupierten Terrain vorhanden, nördlich vor
dem Hof Genlsliagen endigt der Geschiebesti t ifen in der Höhe von 90 m.
und das Land dacht sich von da ziemlich rasch nach Norden ab, daä
Sfldende ist heieits südlich Tom Dorf an der Lohmener Ghrense. — Von
Upahl erstreckt sich in südwestlicher Richtung ein an Blöcken stellen-
weise recht reicher Höhenzug (73, 65, 55 m) als Ausläufer des Geschiebe*
Streifens über Lenzen, Bolz, Borkow bis in die Gegend von Gä<i^elow
unweit Sternliei«^ auf eine Länge von circa 8 km, um sich dort dem
Sterubexger Geschiebestreifeu beträchtÜeh zu nähern. Sein Boden ist
yielfach von Sollen und Evorsionsseen unterbrochen ; er besteht teils aus
sfarengem oberem Geschiebemetgel, teils aus Sauden mit Steinbestreiiuiig.
Seine beiden, sehr flach abgäichten Abhinge führen in reine Spat-
sandgegenden hinüber.
lieber Neuhof, Zehna. Beilin, Steinbeck, Marienhof, Tessin
verläuft nun der Geschiebestreifen mit einer Höhe bis 70 und 80 m
nach Grabow und Charlottenthal nördlich von Kiakow. Am
ndrdlichen raschen Abfall imd in der südlichen, ziemlich gleich hoch
gelegenen Landschaft sind die Sedimente des Hauptdiluviums, als Sande
und Thone, entwickelt (s. Beitr. VII z. GeoL Meckl. 1885, S. 59),
auf denen der bl<>( kführende Deckkies oder die ihn vertretende Steiu-
bestrt'uunt? inuntr mehr zurücktritt, je weiter man sich von dem Ge-
schiebestreifen entfernt. So ist noch bei Kleisten und Kirch-Kogel,
in der Nähe von Dobbertin, eine enorm reiche Steinbestreuung auf dem
70 m hohen Sandgebiet zu gewahren, die in Sandgruben oft aJs normale
Moränensteinpackung von 1,5 — Im Mächtigkeit auf unteren Sauden zu
beobachten ist. Mau hat dies Ge])iet als südwestliche Ausweitung des
Geschiebestreifens zu Ijetrachten. welche, seitliche Hfidegebiete treimend.
über den Dobbertmer Lias zu dem südlichen Pai'alleizug von Stemberg-
Karow hinläuft (s. u.j.
An die typische ICoranenlandschaft in der dO — 75 m hoch ge-
legenen Gegend nördlich vom Krakower See, bei Ah r ens hage n, Ko ppe-
umher und sind zu cyklopisch^
15]
Die mecUenburgiacben HöhenrQckeii etc.
229
low, Kucheln! iss, mit Blockmergel- oder Deckkiesboden, auf unteren
Granden oder Mergel lagernd — mit ihren zahlreichen Sollen, Kesseln,
Schfaichteii, Thalbeginnen zu den Depressionen dee ndrdlichen Kiakower
Sees, isolierten Kuppen, massenhaften Blöcken (cyklopische Mauern!),
hier von dem Kombinationethal der Nebel durchbrochen — schlies.st
sich im Süden bis Serrahn und Neu Zietlitz der blockreirlio Deckkies
und seine bis 1 in mächtige Steinpackung als südliches Ende des Ge-
schiebestreifens an.
Bei Alt Sammit auf der wesUidieii und bei Zietlitz auf der
0stUcheii Seite des Eraikower Sees finden wir auf dem gleich hohen
Terrain nach Süden wandernd eine immer spärlicher werdende Stdn-
bestreuung auf unterdiliivi.ilen Sanden , wck-he letztere alsl)ald zur
alleinigen Herrschaft in der breiten südlich anschliessenden Ueid^egend
gelangen.
Oestlich setzt sich der Streifen in die Gegend vom Thalbeginn
des Malchiner Sees fort (s. Beitr. z. OeoL MeckL I, 1879, S. 48 f.).
Langhagen und Rotlispalk liegen am nördlichen Beginn des
Geschiebestreifens, dessen Höhe hier 70 — 90m beträfet, während das
nördlich vorlagemde Plateau etwa 70 — 50 m Höhe hat , mit mannig-
fachem Wechsel allmählich flach nach Norden abfallend. Wie an den
neuen Bahnprofileu gezeigt (Beitr. z. Geol. Meckl. 1885), gehört
Dersentin schon zum Aussengebiet, wo der Deckmergel gegen die'
Sande und Thone oder den unteren Mevffel zurttcktritt oder, wie weiter
nördlich, sich durch Blockarmut auszeiimnet. Prächtig unverftndert ist
die Moränenlandschaft bei Krevtsee und Klein Luckow erhalten,
wo die massenhaften Blöcke auf den „Knirkbergen" zum Teil noch jede
intensive Kultur hindern (Knirk-Wachholder), Schlossgrubenhagen,
Steinhagen, Hallalit, Kirchgrubenhagen, VoUrathsruhe, Gross
Behberg, Blllcherhof sind die Orte dieses bei Vollrathsnihe zu
100 m ansteigenden Moränengebietes, bei denen man die Glacialland-
Schaft mit am schönsten in Mecklenburg beobachten kann. Die massen-
haften grossen Blöcke, oft von enormer Grösse, sind zu cyklo[)isclien
Mauern oder Hügeln angehäuft, in die Solle versenkt, zu Haus- und
Pfla^terbauteu verwendet, und doch liegen die Felder immer noch viel-
&eh wie flbeniet damit. Der Boden irt zwar Torwiegend oberer Block*
meigel oder sein Vertreter der Deckkies, doch treten aueh oft die
unteren Sande und Grande, zuweilen audi unterer Mergel hoch zu Tsge.
Wandert man von Vollrathsruhe südwärts, so bemerkt man am
Abfall des Höhenzuges hinter dem Cramoner Buchengehöl/. eine Al)-
nahme zunächst in der Grösse und alsdann in der Zahl der Steine, welche
die Felder bedecken, und gelangt allmählich in das reine Sandgebiet
der Nossentiner Heide.
Bei Burg Schlitz und Karstorf ist ebenfalls noch Blockreich-
tum zu bemerken; so können wir hier den Nordrand des Streifens an-
geben, der sich in Burg Schlitz zu 103 m erhebt. Die Breite des Ge-
schiehestreil'ens wäre somit hier, zwischen Burg Schlitz und VoUrathsruhe,
gerade 1 Meile. Nach Boll soll sich von liothspalk über Burgschlitz
und Hohen Demzin ein nordöstlicher Auslftnfer nach Fehns torf (III)
abzwe^|mi*
. ^ i.L^ l v Google
230
BeiBülow am Norduler dea Makhiner Sees treten auch ziemlich
viele Blöcke in dem Mergelboden auf, so daae liier ein HenbrQcken
zum nördlich vorlageraden Geechiebestreifen durch die Sandgegend ran
Olaaow angebahnt ist
Kimmelir lässt sich der Geschiebestreifeu deutlich weiter nach
Osisüdostcii verfolgen; dabei nimmt er eine grössere Breite an. Seine
Details wurden schon früher an den Aufschlüssen der Malchin- Warener
Bahn beschrieben (Beitr. z. Geol. Meckl. I, 1879, S. 48 f.). Die Orte
Klockain, Moltzow, Rambow, Tresaow, Hinrichshagen, Saps*
hagen, Marxhagen, Piiuschenhagen, Sophienhof, Hagenow,
Sommerstorf, Klein Vieliat liegen inmitten der typischen Geschiebe*
Streifenlandschaft, in der wiederum nicht allein der blockreiche obere
Mergel oder die ausgewaschenen erratischen Blöcke und der Deckkies
herrschen, sondern auch das Unterdiluvium oft zu Tage tritt. Das
Terrain steigt im Norden und Süden allmfthlich an, bei Marxhagen ist
die grOeate Höhe von 125 m, die lOOm-Kunre niadit sich in dieser
Gegend noch häufig geltend. Von der Eisenbahn aus kann man auf
den Feldern bis Falkenhagen den grossen Blockreichtum walirnehmen.
Sch wiiikciidorf und Langwitz sind insofern als nördliche Aus-
läufer zu betrachten, als hit r, an der Südgrenze der Basedower Heide,
innerhalb der auch weiter südlich noch folgenden unteren Granddiüirikle
lokal bedeutende Blockanhftufnngen im oberen Mecgel auftreten. Audi
bei Rothenmoor tritt oberer Mergel, thet mit weniger Steinen, zum
nördlichen Grenzgebiet gehöi^ auf.
Bei Vielist, Schwenzin, Warenshof. Falkenhagen unweit
"Waren ist die südliche Grenze bereits überschritten; hier tritt der untere
band, zum Teil mit Grand zur Herrschaft, zum Teil noch von stein-
reichem Decktiea dlian fiberlagert, der eine dichte Steinbestreuung der
Sandfelder Terursacht. Die m&chtige Sandablagerung in dem Bahnein-
schnitt am Südrande des Warener Buchenwaldes zeigt ein Ab&Den
der Sandschichten nach Süden, von dem Höhenzug des Geschiebesireifens
ab. Analog war am nördlichen Parallelstreifenrand am Hainholz bei
Malchin der Sand neben flacher Schichtenwölbung im allgemeinen von
nördlichem Einfallen, also auch ab von dem Geschiebestreilen.
Der (Jeschiebeetreübn hat hier (zwischen Grabowhöfe und Tresaow
reep. Langwitz) eine Breite von 8 — 13 km.
Südlich davon reiht sich das unterdiluvialc Sandareal von Waren,
Federow, JaV>el, Nossentin, wo auch die oberdiluviale Steinbestreuung
mehr und melir zurücktritt; nur in Jabel tritt an der Südgrenze dieses
Sandgebietes am Bahnhof eine bedeutende Blockanhäufung im (oberen)
Mergel auf^ der hier auf dem Kreidekalk lagert. —
Aus der Gegend von Panschenhagen sieht sieh der Geachiebe-
streifen nach Möllenhagen. Ich habe hier teilweise nur seine südwest-
liche Grenzpartie verfolgt, an die sich eine wdte Sandg^end von dem
Typus der Lüneburger Heide anschliesst.
Bei Schwastorf und Knrgow sieht man in dem coupierten, von
Tiden Sölleu und Torfwauueu (m deren einer die Peeue bei Schwastort
ihren Ursprung nimmt) unterbrochenen Tenain wieder die nonnale
blockreiche MorSnenlandschaft, hier als an der sttdlichen Grenze schon
17]
Die meeklenburgiMhen Htthenyackeii etc.
281
mit vorherrschendem Sandboden des Unterdihiviiinis, der erst melir nörd-
lich dem Deckmergelboden Platz macht. Der EisenbuhnemaciiuitL bei
Kargo w zeigt vorzüglich schön das Profil: 0,5—1 m rostbrauner unge-
Bchichteter sehr steinreicher Deckides und Steinpackung mit einzekeu sehr
grossen Blöcken, scharf abgesetzt von dem darunter lagernden, in mannig-
facher Wechsellagerung geschichteten Grand, Spatsand und Geriille des
Haiiptdihiviums. An dem Landweg zwischen Kargow und Sch wastorf
sehen wir nieist den unterdiluvialen gelblichen Saiul bis zui" OberHäche
treten, nur von massenhaften Steinen und Blocken Ijestreut, die zu
Mauern oder kegelförmigen, oft Ton Buschwerk bewachsenen Hügeln
enffehftnft sind oder in die Sölle und Kuhlen versenkt werden.
Von der Eisenbahn aus sieht man auf dem 80 m hohen Terrain viele
dieser an Hilnengrilber erinnernden Hügel. In Schwastorf tritt der
Geschiebemergel auf, als unterer zu bez«'i(hnen. oft von geschichtetem
Grand und Sand bedeckt; nördlich von luer sind oft die kuppenartigen
Bodenerhöhungen aus schwerem Lehm zusammengesetzt, während die
tieleren Partien ans sandigem Deckkies oder gar unterdiluvialem Sand
best I hell. Die cyklopischen Mauern, die aus „Felsen" gebauten Häuser
untl das Pflaster der Strassen in jenen Dörfern weisen auf den Ge-
schiebcrt irlitnni dt-r Gegend hin. Im Norden gehrtren die Orte Sciilön,
Ueberendt-, i'orgelow, Schönau u. a. in das (Jebiet des Geschiebe-
ötreifens, hier wolil mit herrschendem Mergelboden. Schmachthageu
beseichuet die westliche Grenze gegen Waren hin. An der sOdlichen
Grenze von Kazgow zeigt die massenhafte Steinbeschüttung di s circa
75 m hohen Terrains, welche auf kurze Entfernung nach Fede row
unter VerkleiTif-ning der Steine bald gänzlich auf dem gleich hohen
Sandgebiet zurücktritt, das Südende des Gcschiebestreiiens an.
Nach Boll streicht der Geschiebestreifen nun weiter über Gross
und Klein Dratow, Eickhof, Kockow nach Möllenhagen.
. Bei Station MOllenhagen besteht das 95 m hohe Terrain aus
blockreichem gelbem Deck-Geschiebemergel von circa 3 — 5 m Mächtig-
keit, dem zuweilen gebogene Thonzwisclienschichten eingeschaltet sind.
Der Einschnitt in dem Wald, wo sich der Heilierbrrg zu ll7.r> m Hohe
erhebt, zeigte zähen dunkelbhuigrauen Gcscliiebemergei, i>edeckt von
circa 3 — 5 m gelbem oberen, zum Teü auch, besonders am westlichen
- Anfang des Einschnittes, von Kies und Sand angelagert Die massen-
haften Blöcke, welche den Boden bedecken, sind auch hier zu den
diarakteristischon Hügeln zusammengelesen oder in die zahllosen SöUe
versenkt. Sehr schön entbhi^ste iuu h der Einschnitt ein einige Meter
tiefes Turflager ( VValdtorf I. welches einen trichterlörmig in den Deck-
mergei eingearbeiteten alten Soll ausgefüllt hat.
Nach Osten hin erstreckt sich von Marin über Penzlin ein
ebenes - «Stromschnellengebiet*.
Der GJeschiebestreifen setzt (nach BoU) fort über Ottenheide,
Ankershagen, Kratzeburg, Peccatel, Adamsdorf, Peutsch nach
Hohenzieritz, l^sadcl in dns Gebiet des Thalbeginnes der Tollense.
Wenn ^lan von Penzlin siidwürts nach Neu-strelitz wandert, durchquert
man den Geschiebestreifen auf seine Breite von (i km; das Terrain
steigt von 55 bis zu 85 m an. In der an Söllen, Torfkessehi und
FoiMbuicn sw dmitidMB LaadM* «ad ToUakiuid«. hb. 17
. ^ i.L^ l v Google
2S2
Geiiiits,
[18
Seen reiclien Dockiiier|T;elgegend trifit mau zuerst bei Christenhol',
nordwestlicli Prillwitz, auf den Blockreichtum, bald erscheinen die
cyklopischen Mauern ab Weee- und Gehöfteinfassungen bei Hohen-
Zieritz. Die Sandgrube sadtieli Hohenzieritz zeigt 1 — 2, auch 3 m
michtigeii blrx k reichen sandigen Deckmergel in 55 m Hdhe, auflagernd
auf rasch wechsellagemden Sanden und Granden, am Gehänge des
Kückens auch nur Decksand, lehmig mit roher Schichtung. Bis nach
Weisdin tritt auf dem mannigfach coupierten, im allgemeinen etwas
niedrigeren (60 — 75 m, zum Teil über auch bis 94 m hohen) Terrain
mehr und mehr der unterdfluviale Sandhoden zur 0eltmig, hei Blumen*
holz noeh mit ziemlich reichlicher Steinhestrenung (nier mit Drei-
kantem). Bei Weisdin treten die Blöcke ganz zurttck, ao daaa schon
nördlich davon die Grenze <les Streifens anzugeben ist.
Die Breite; im weiteren Verfolg ist wegen der ausgedehnten Be-
forstung nicht leicht zu konstatieren. Der Geschiebestreifen setzt in
südöstlicher Richtung ununterbrodien durch den Forst Blumenhageu
fort, hier meist mit sandigem Boden. In dem Eeulenberg nördlich von
Thurow erreicht das Terrain die Höhe von 138 m. In dem tiefen
Bahneinschnitt 6 km östlich von Neustrelitz sieht man eine Fülle
grosser Blöcke auf den Abhängen, dem Deckkies entstammend, der hier
die unteren Sande überlagert. Südlich hiervon, an der Waldgrenze
neben der Chaussee werden in Üuchen Kiesgruben zahlreiche Blöcke
(darunter -vid Sflurkalk) fttr Straasenbau »ausgebuddelt* : 1 — 2 m feiner
gelber Heidesand bedeckt hier einen groben braunen, roh gesehichteten
Kies, der eine mehrere Meter mächtige Steinpackung bildet, an der
Grenze z>vischen Haupt- und Deckdiluvium« Das Terrain ist hier 80
bis 105 m hoch.
Boll gibt hier die Orte Thurow und Cammin an. Oestlicli
Zinow zeigt eine in 85 m Höhe angelegte Grube am Saum des Forstes
Dianenhof 1,5 m oberen Hergel mit einzelnen grossen Blöcken, auf-
lagernd auf horizontalen Bänderthonschicht« n : im Forst selbst herrscht
ein stark coupiertes Terrain. Erst bei Carpin tritt grösserer Block-
reichtum in 2 m starkem Deckmergel auf, sUdUch davon herrscht der
unterdiluviale Feinsand, stellenweise von grossem Blockrt'i( htum bedeckt.
Bei Goldeubaum sind wir mitten in der Blockanhäutung, die dem
nur 1 m oder noch -weniger m&chtiffen Decklehm entstammt, so dass
&st durchgangig feiner Sandboden nerrscht, mit einer enormen FQlle
von Blöcken bestreut. Diese, zum Teil 3 m im Durchmesser haltend,
sind oft so massenhaft, dnss sie der Feldbestellung fast unilberwindliche
Hindernisse bieten. So ist das Areal um den Hünberg ein wüstes,
von Blöcken bestreutes Sandfeld, wo Hünengräber, Dolmen und spätere
Steinhaufen neben den cjklopischen Mauern längs der Wege ein ganz
eigenartiges Bild darbietra. Der Forst LUttenhagen mit den «Stein*
bergen*, die Steinmühle, Bergfeld u. a. 0. sind weiter mit einem
ausserordentlichen Blockreichtum gesegnet, der teils auf Feinsandboden,
teils in strengem oberen Geschiebemergel sich befindet.
Von hier aus gelangen wir in die berühmte steinreiche und land-
schaftlich schöne Gegend von Feldberg. Bei LUttenhagen treffen
wir den blockreichen strengen Mergel des Deckdiluriums, das coupierte.
19]
Die mecUentrargUclien HOhenrQeken ete.
233
von Sollen und Seen durchsetzte Terrain setzt bis Foldberg und
Nt'uliof fort, in einer Hcihe von 120, bis zu 140 ra iu den Rosenbergt n
zwiäclieu beiden geuanut^eu Orten ansteigend. An den Gehängen der
durch Evornoii nmimigfach herausmoddlierton Bttcken ixiflfe rann bloek-
reichen Deckkies oder Hlockbesireuung der unteren Sande: auch südlich
▼on Feldbttg, bei Neu ho f undCarwitz tritt viel£udi der feine Spat-
sand zu Tage, mit derselben enormen Blot klwstreuuiig. Die Orte der
Umgebung von Feldberg. Neuhof, Carwitz, Thomsdorf, ('onow.
Wittenhageu, Tornowhof, Schlicht, Lichtenberg, Wrecheu
zeigen alle in ungeheurer Fülle die grossen, oft einige Meter im Durch-
meMor haltenden ^rratisehen Blocke, die an cyklopischen Mauern um
die Gehöfte und Wege aufgehäuft oä.er zu Steinhaufen zusammengetnigen
sind oder zu Pflaster und Häuser- und Kirchenbauten verwertet wer-
de!}. Ihre Fülle, m den WfUdeni oft {?.. H. !)ei Weudorf) wie Fels-
nieere in Granitgebirgeu erscheinend, verleiht der au sich scliou so
schönen Landschaft noch weitere romantische lieize.
Das Terram ist hier die normale Moranenlandschaft, nördlich von
Feldberg im Wendoifer Forst bis zu 166 m ansteigend, meist tou
oberem Geschiebemergel gebildet, der in einer bis 5 m betragenden
Mächtigkeit untere Sande oder Bänderthon (n]or :iuch unteren Mergel
bedeckt, zum Teil aber auch durch blosse bteiubeschüttung aui' unteren
banden vertreten ist.
Im Süden werden bei Mechow die Steine immer kleiner, bei
Lychen sollen sie Tersehwinden. Im Norden ist der Blockreiditum
im Deckmergel bei Wendorf noch unverändert, tritt bei Neugarten
und Grauenhagen zurück, erscheint aber auf dem 125 m hohen Gloin-
berg bei Göhren norhmals auf dem unteren Sand und Kies, um als-
dann nach Woldegk zu fast ganz zurückzutreten. Die Bre ite des Ge-
schiebestreifens ist denmach iu der Umgegend von Feldberg, an eniigen
Stellen aUerdings durch kurze gesduebearme reep. -freie Striecken unter-
brochen, in nordnordfiatlicher bis sUdsadwestliaier Richtung gemessen
etwa 18—20 Kilometer.
Wie Boll angibt, setzt sich von hier der Ge.schiebestreifen in
südöstlicher Richtung weiter fort durch die Uckermark über Brü.sen-
walde, Mahlendorf, Warthe, Schönemark, Güstow, Prenzlau,
Bertikow, Seehausen, Gerswalde, Blumberg, Fredenwalde,
Willmersdorf, SteinhQfel, Alt-Temmen, -Ringenwalde bis nach
Schwedt an der Oder.
T. Oeschfebestreifen: „Kliltier Ort — Hoidentln — Stornberg —
Karow — Popiieiitln — - Beehlin — Wesenberg — Fftrstenberg.^
Der an einer Stelle fast 40m hohe Klint des ,KlUtzer Ortes*
(mit welchem Namen der Küstenstrich zwischen dem Da.ssower Binnen-
see (istlich Lübeck und der Wohlenberger Wiek westlich Wismar be-
zeiclmet wird) zeigt zwischen lieth wisch bei Boltenhagen (Gross
Klotz HOred) und Brook und Schwansee in gleicher Weise wie
234
Geinitz,
[20
der Stoltero-KUnt bei Warnemtlnde einen von massenhaffen, mftditigen
erratischen Blocken umsäumten Strand, dessen Blockreichtiun weit be-
deute-nder ist als bei Warnemünde, zum Teil allerdings wohl nur des-
halb, weil seit Jahren zum Scluitz des T'fors gegen die Wellen die
Blöcke nicht weggenommen werden. Der durch den Buchenbestaud
seiner Hölien und die schönen Aussichten auf das Meer und die hol-
steinsche Küste landschaftlich ausgezeichnete Klint besteht auch hier
ans mäehtigem, grauen, unteren Geechiebemereel, der toh oberem
gelben Uergel in der Mächtigkeit von einigen Metern bedeckt wird,
an dessen unterer Grenze oft Zwischenschichten von Sauden und Bänder-
thon auftreten, die von dem Deckmergel vielfach in ihrer Lagerung
stark gesWirt erscheinen; zum Teil tritt auch der Deekmergel stark
zurück und es erscheinen bei Vorherrschen der unteren Sande in dem
Klint die amphitheatralisch zurücktretenden ^Nischen*
Den mächtigen Entwickelungen der Sande zwisdien den Geschiebe-
mergelwelien des Strandes entsprechen auch im Hinterlande Unter-
brechungen des blockrcichen Mergelbodens durch Sandgebietr , so da^s
nicht ein einheit]i< lier Geschiebestn-ifen von Iii lim Bi-eite vorliegt,
sondern derselbe in einige parallele, unter einander auch wohl diagonal
verbundene Einzelstareifen zerfiült. Der im Kltttzer Ort hervortretende
Rficken von Senonkreide ist vom gesamten Diluvium mit Sauden,
Thonen und oberem und unterem Geschiebemergel beschüttet worden.
Gebiete, in denen die unterdiluvialen Sedimentärbildungen vorbcrrscbf n.
finden sich überall inmitten des normalen Geschiebestreifens. Kmi«;e
Beispiele seien aufgeführt: Bei dem südlichen Ausbau zu Warnken-
hugen in 45 m Höhe tritt feiner Spatsand und Kies innerhalb des
Deckmergelgebietes auf. Die Kalkgrube am nördlichen Gehänge des
Hohen Schönberges zeigt bei 80m die Ejreide bedeckt von gelbem
Geschiebeniergel mit zahlreichen schön geschrammten Blöcken, in der-
selben Weise wie alle Kreidevorkommnisse des Klützer Ortes. Nach
der H()he zu tritt dazwischen ein Iiis 3 m mächtiges Lager von ge-
scliichtetem Blockkies, ein „uuterdüuviales*' Gerölllager; die Spitze des
92,3m hohoa Schdnbei^es wird aus Kies und Sand mit Gerölllagem
gebildet, der von etwa 1 m um geschichtetem Deckkies noch überdeckt ist.
Das dahinter liegende 70 — 80 m höbe, aV)er rasch zu 60 und 40 m
abfallende Gebiet zwi.schcn Hohenschönl»erg. Kalkhorst. Ranken-
dorf. Goldebeck, in einer Breite von etwa (> km, ist die eigentliche
Moräuenlandschaft. Die zahllosen SöUe, Kessel und Schluchten sowie
grösseren Torfinoore , die massenbafben grossen Steine auf dem Boden
(in Kalkborst gibt es Blöcke von 6 cbm (Grösse), die prächtigen Bucben-
waldungen verleihen auch hier dem Lande den Reiz der Gebirg.sland-
Schaft ; In deni Parke von Kalkborst ist denn auch durch geschickte
Benutzung resp. Konservierung der ursprünglichen Verhältnisse ein
reizendes Bild der Gebirgsgegend iixiert.
Auch hier herrscht nicht lediglich der obere Blockmergel, sondern
es treten auch blockaime Mergelpamen und grössere oder kleinere Sand-
') Vgl. £. Geinitz: VU. Beitr. z. Geol. Mecklenb. 1885. 8. 57 u. S.
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Die medclenbargiKheii H^^henrftcken etc.
236
lager liier zu Tage. Bei Rankondorf werden die Blöcke zum Teil
auch vou dem unteren Mergel und von Deckkies geliefert, welch letzterer
oft eise dOnne Lage auf unteren Ghranden bildet Bei Ktthlenstein,
inmitten der coupierten Landschaft tritt feiner Spatsand mit thonigen
Zwischenschichten in mannigfachen VerwerfiaDgeil, zum Teil noch mit
gering^er Mergolbodeckung zu Ta^e.
Bei KliUz uii'l Hofzumft' 1 de, wo sicli aus der westlirli LCi leL,'eiien
Moräuenlandiscliait eine weite Niederung von nur 10 m Meerc.shöhe ent-
wickelt, die itt dem Bottenhiger Thal ftthrt, ist der Blockreichtum
Terschwuuden und es treten Sande und ein mächtiges Lager von Bänder-
thon zu Tage, stellenweise noch von hlockarmem sandigen Mergel be-
deckt. Die Mi'u litiLrkcit rliesor sedimentären Ablagerungen erhellt aus
der artesi.-ichen Brunnenbolinni^ in Schlosa Bothmer, welche unter
Ackererde, Decklehm, «»:ell»eiii Sand und blauem steinfreien Thon bei
60 m Tiefe eisenschüssigen Saud antraf, aus dem ein bis 47' Uber Tage
an&pnidelnder mächtiger Wassersiarahl angezapft wurde.
Im Westen bezeichnen Vogtshagen und Ii oij ^enstorf mit
sandigem r>ecklehmboden und häufig hervortretenden hori/rmtal ge-
lagerten Feinsanden das Ende des (rescbiebestreifens; allerdiii^'^s sind
hier auch noch vereinzelte Blöcke und die Ortscbaften haben einzelne
cyklopische Mauern, indes ist die eigentliche liäuligkeit verschwunden.
Der Geschiebestreifen setzt sich in sQdastlicher Richtung fort Uber
die Orte Grevenstein, Pohnstorf, Moor, Welzin, Gutow, Küssow.
Eine Kiesgrube an der Grevensteiner Windmühle, circa 50m
hoch, zeigt steil nach Rüden einfallende verworfene Schichten von Kies
und Sand mit kalkreichen Öchlulfzwischenlagen, angelagert und zwischen-
gekeilt Biocklelmi, der oben zum Teil sedimeutiert ist. Bei Welzin
sehen wir eine strenge Steinpackung 2 m n^ichtig, auf hSnfig au&e-
richtetem Sand und Ghrand. Eine interessante Erscheinung tritt bei
Ranke 11 dorf und bei Rolofshagen auf: in einer Kiesgrube östlich
von lliinkendorf lagert M m geschichteter Kies auf blockreicheni Lehm,
und wird selbst von wenig Deckkies überlagert ; in der Sandgrube an
der Chaussee nördlich von Rolofshagen ist unterdiluvialer Grand und
Sand TOn mächtiger kiesiger Steinpackung bedeckt und diese salbst
nodniuds von geschichtetem Qrand Uberlagert, auf dem (bis 0,5 m) wenig
nük^tiger, gelber blockarmer Geschiebelehm folgt Wir erkennen hier
wie aucb bei Grevenstein eine mehr oder weniger weit durchgeführte
Sedimentierung der Gnmdmoräne des oberen Geschiebeiners^els.
Unter bedeutender Verschinälerung und mit Zurücktreten des
Blockreichtums wendet sich von Küssow — Rolofshagen der bis 55 m
hohe Cteschiebestreifen mehr in östlicher Richtung tlber Warnow,
Hoikendorf, Jassewitz, Jamal« Gressow, Hamberge, so dass
die Gegend von Grevesmühlen Btstam in das sQdliche normiue Spatsand-
gebiet fällt.
Alsdann biegt der Geschiebestreifen, als deutlich sichtbarer Höhen-
rücken von 00 — 80 m Höhe, im Papenberg bei Luttersdorf zu 92 m
ansteigend, noch circa 8 km breit nach Sfldosten, Ober Krönkenhagen,
Lntterstorf, Beidendorf, Stieten, nach Moidentin bei Mecklen-
burg sfldlich Wismar: In der Kiesgrube am Kirchhof Ton Beidendorf
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286
Geinita,
[22
sind unterdiluvinle Grunde und Kies, im iill<^'fiiu'inen von liorizontuhr
Lagerung, von Deckkies bis zu Im MHcLügkoit überlagert, der zum
TeÜ eine dichte Stdnpaekong darstellt 'mit grossen, oft gesehnunmten
Blöcken. In einer nahe dabei nördlich gelegenen Kiesgrube sind die
in ihrer Lagerung mehr gestörten Kies- und Grandechichten teils von
Steinpackunt? und lehmigem Deckkies, teils von strengem Ges(:lnel)elelim
bedeckt, der in breiten riesentopt'artigen Buchten in den Grand ein-
greift; bisweilen tiudeu sich auf dem Geschiebelehm noch Nester von
StoiinpfiGkung. SOdEch Ton Hoidentin ist eine grosse Kiesgrube an
der Eisenbahn in Betrieb, die an einem etwa 15m hohen Anfischlnss
in mannigfacher Weduellagerung Kies, Grand, Sand und Schluffsand
in fast horizontaler Lagerung mit unbedeutenden Verwerfungen abbaut.
Diese unteren Sande sind bedeckt von ungeschichtetem, V s — 3 m mächtigem
Deckkies von ausserordentlich grossem Reichtum an Blöcken, das Normal-
bild einer grandigen Moräne darstellend.
Am Ostofer des jetzt Tertorften Dambecker Sees ist lings der
Eisenbahn bei Wendisch Rambow und Nalidin das Ende des Ge-
Schiebestreifens in der reichen Steinbestreuung der unteren Sande zu
erkennen. Der Forst bei Kleinen zeioi noch blockreichen strengen
Geschiebemergel ; dagegen treffen wir au der Nordspitze des Schweriner
Sees, am Wallensteingraben und dem Lousteuer See sowie bei Hohen
Viecheln den reinen unterdiluTialen Feinsand zn Tage getreten.
Nach Norden kann man das allmähliche Anreichem der Stein-
bestieuung auf den Feldern nach Moid entin hin verfolgen. In Hohen
Viecheln herrscht der feine Saud, doch tritt am Steilufer des Schweriner
Sees der Geschiebemergel auf. Weiter östlich reiht sich das Sandgebiet
von Ventschow an, welchem der Deckgeschiebemergel teils überhaupt
nicht mehr, teils qpirlich oder nur von SteinbeBtreuung vertreten, er*
halten ist.
Oestlich von hier tritt eine Unregelmässigkeit in dem Verlauf des
Geschiebestreifens auf, durch wel(ht" sowohl die beiden benachbarten
Geschiebestreifen als auch an nndt l er Stelle die südlich von ihnen
gelegenen Öandterritorien in Vnl»iiuli]ii«r treten.
Oestlich von Hohen Vieche in folgt die von Sauden und Thonen
des unteren Dflnviums eingenommene Gegend von Ventschow, Bibow
und Blankenberg, welche an letärterem Orte mit der Sandg^^d von
Neu kl oster und War in zusammenfliesst. Fleckenweise, wie z. B.
bei Bibow, tritt auch hier der obere Mergel in etwas bedeutenderer
Mächtigkeit auf, zuweilen ragt aruli der untere oline Sandbedeckimg
hervor, aber beide sind arm an Blöcken, das herrschende Gestein Lst
der feine Spatsand, zum Teil mit Steinbestreuung.
An die sich bei 60 m erhebende Gegend von Moidentin lehnt sich
im Osten bei Moltow. Kleekamp, Tarzow, Schimm eine südsüd-
westlich-nordnordöstlich streichende Höhe an, die zunächst bis 70 m über
dem Meere, bei Schimm zu 80 m ansteigt und im weiteren nordöstlichen
Verlauf über Fahren nach Zurow sich in dem Windmühlenberg
nMlidi von Zurow zu 102 m erhebt, um alsdami swisehen Goldebee
und Nevern bald auf 60 m abzudachen.
Auf der «Steinkoppel* bei Schimm, 7 hm Östlich von Moidentm,
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23]
Die meddenbiitgiBehaii HOhenrQckeD etc.
287
finden wir in enormer Miisse <^'ros?e erratisciie Blckke zu.samniengehUuft,
zum Tt'il im Boden unter ganz geringer Erdbedecdvung liegend, eine
Morünenstempackung bildend, die auf gemeinem band und Grand des
Hauptdiluviiuns auflagert. Grosse cyklopische Stemmauem um die
Koppel, Anhäufangen längs der Wege, bedeutende Entnalimen für die
PflasfceruDgen in Wismar haben zwar viel w^^eraiunt, aber noch nicht
vermocht, den Moränencharakter zu verwischen. Auch bei Tarzow,
Moltow und Trams ist noch ein l)edeutender Steinreichtum zu be-
merken. Hier liegen zalilreiche kleine Seen und Torfmoore neben
Sollen in dem oft kiesigen, coupierten Terrain. Die nördliche Umge-
bung von Zurow ist eben&IIs sehr reich an Steinen, blockreicmer
oberer Mergel oder lehmiger Deckkies bilden die Felder und den Gipfel
des Windmühlenberges.
Zwischen Goldebee und Tatow ist dieser nordöstliche Höhenzug
nur durch eine circa 4 km breite, auf 50 m herabsinkende nordwestlich
laufende Bodendepression von dem nördlich verlaufenden Geächiebe-
sfare^sn «POel-Fddberg* gefarennt
Nach Westen dacht sieh der Streifen in die blockarmen Sand-
oder Deckmergelgebiete laugsam ab, nach Osten erfolgt die Abdachung
zu dem Sandgebiet von Neukloster- Warin rascher. Der Südabfall des
Streifens bei Kleekamp undJesendorf zeigt sehr schön das allmäh-
liche Verschwinden der zuerst sehr reichen Steinbestreuuug auf den
immer mehr bei Yentschow und Dämelow zur Geltung kommoiden
feinen unterdilnyialen Sand.
In der an Seen und Depressionen besonders reichen ümgegend
von Bibow und Blankenberg ist der weitere Verlauf unseres Ge-
schiebestreifens nur undeutlich zu verfolgen:
Zwischen dem Wariner und Bibower See, bei Nisbill und Hasen-
winkel, herrschen nur die Sedimente des Unterdiluviums, feiner Sand
und BänderÜion. In südlicher Richtung 7on Trams und Jesendorf
treffen wir bei Dämelow und Neuhof lehmigen Decksand oder block-
armen Deckmergel. Erst bei Jarchow und Holdorf westlich von
Brüel treffen wir wieder auf grösseren Blockreichtnm des oberen
Mergels, der in wechselnder Mächtigkeit den unteren Feinsand bedeckt.
Ueber B u c h h o 1 z nach Retgendorf zieht «ich in westlicher Rich-
tung von hier ein 65 — 85 m hoher blockreicher Rücken zum Sdnreriner
See, als Querxiegel oder westlicher Auslaufer von unserem Geschiebe-
streifen nach dem südlirh folgenden Streifen VI.
Die 50 — 70 m hohe Gegend zwischen Ooh hen und Brüel, mit
Decklehmboden oder Sand mit Steinbestreuung und den zahlreichen
eigentümlichen tiefen runden Kesseln, die trocken oder als kleine Seen,
zum Teil wie Pingen den Boden durchsieben und dieser Sandgegend
einen s^ eigenartigen Habitus yerleihen, kann als sttdOstliche Fort-
setzung des Geschiebestreifens von Jarchow aus betrachtet werden.
Nördlich von Brüel dacht sich der Mergelboden allmählich zu dem
Thon- und Sandgebiet von Blankenberg ab. Nordöstlich von Brüel aber
zeigt sich bei Penzin, au der Bahn in circa 55 m Höhe gelegen, in
dem Gebiet der Sande und Thone ein 2 — 4 m mächtiges kiesiges Stein-
lager, lokal auch zu Decklehm fibergehend, unteren Sand und Kies als
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GeinitB,
[24
nonnaler Moi^enschutt überziehend. Nur kaum 8 km breit trennt
diese Mor&ne das Sandgebiot der Gegend von Friedrichswalde und
liiibfn/ von dem Geschiebestreifen IV bei Eickelberg: auch nach
Osten ^i'ht also hier ein ^Ausläufer" oder Querriegel ab. Südlich folgt
Sand mit Steinbestreuung in dem Sültener Forst, und bei Weiten-
dorf wird der Anschluss an den Brfleler Sieinzug erreicht
Hier durchbricht in südwestlich -nordds weher Richtung den
Geschiebestreifen das schmale tiefe Wamowthal, wekhes die ErosionB-
vcrbiTvhinir mehrerer hinter- und nebeneinander gelegener Evoraons-
kessel darstellt.
In südöstlicher Bichtimg macht sich immer mehr der unterdiluviale
Sandboden geltend, das grosse Eaarzer Holz und die Gegend von
Sternberg zusanunensetsend. Das stark coupierte, ron SöUen und
tiefen Kesseln und kleinen Seen unterbrochene Terrain zeigt durch ine
massenhafte Steinbestreuung die Zugehörigkeit ZU unserem, hier bis
60 m hohen Geschiebestreifen.
Das stark coupierte Decksaiidgel)i»'t westlich von der Stadt Stern-
berg, mit 40 — 60 m Meereshöhe, zeigt sehr steinreichen Decksaud,
zum Teü in Steinpackung übergehend, auf unterem Sand und Grand;
in dem Deckkies, der oft die Felder mit kopfgrossen SteingerOllen wie
ttberriLet erscheinen lässt, liegen h'wr neben den nordischen Gerollen,
immer gegen diese stark zurücktretend, die bekannten ^Stemberger
Kuchen". Diese Landschaft erstreckt .sich hier mit südlicher Ablenkung
von Sternberg über Kobrow, Schönfeid nach Stieten auf eine
Breite von etwa 6 km, im Wahrsberg bei Stemberg zu 66,5 m auf-
steigoid. Im Süden, bei Demen und Buerbeck entwickelt sich all-
mählicb der reine Spatsandboden mit immer kleiner und spärlicher
werdender Bestreuunff von Steinen, nur lokal mit etwas blockarmem
Deckmergel; in gleicher Weise verschwinden die Gerolle im Norden in
dem reinen Sand- oder steinarmen Mergelboden.
In südöstlicher Richtung folgt ein Höhenzug durch den Turloffer
Forst nach Ruest und Techentin, mit einer 70 — 90 m betragenden
Erhebung, hauptdkhlidhi aus Sauden, zum Teil auch aus oberem Ge-
schiebemergel zusammengesetzt, aber ohne viel Steine. Viele tiefe Solle
und Kessel zeichnen diese Gegend aus. Nördlich hiervon breitet sich
die Heide des feinen uuterdiluvialen Sandes von l)al)el, Klein Pritz,
Schiowe, Dobbin aus, welche ihrerseits im Norden noch von einem
Ausl&ufer des Stemberger Geschiebestreifens abgegrenzt wird, der bei
Borkow mit dem Upahler Zug in BerQhrung tritt (s. oben).
Zwischen Augzin und Mühlenhof bei Mesthn sehen wir in dem
blockarmen Deckmergel- resp. Sandgebiet einen schmalen deutlich von
Nordwest nach Südost streichenden Höhenrücken von 8() m Erhebung
als parallel dem Streifen von Techentin laufende Moräne, die wir
nach ihrer Oberflächenbeschaffenheit gut als Endmorftne bezeichnen
könnten.
Als breiter, 70— 90 m hoher, von seiner nördlichen und südlichen
Umgebung sich wenig abhebender Rücken zieht sich der Geschiebe-
streifen ans der Techentiner tiegend wieder in der alten südöstlichen
Richtung über Seelstorf, Diestelow, Penzlin in die Gegend süd*
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25]
Die meckieuboiigiBChen Höhenrücken etc.
239
lieh Ton Karow. An seiner Nordseite ist der Dobbertiner, Goldberger
und Damerower See gelegen, im Norden von dem unterdiluTialen Heide-
sandareal begrenzt, im Süden 2Um Teil in Deckrat'rgellandschaft.
Letztere, bei Zidderich, Goldberg, Wendisch Waren tiihrt keinen
auffälligen ßlDckreichtom, gehört also schon zum Nordende des Ge-
schiebfstreitVns.
Auf dem 80 m hohen Hellberg bei Dobbertin zwischen dem
Dobbertiner und Goldberger See, wo bebumÜich der LissÜion und'
Posidonienadiiefer zu Tage kommt, herrscht im allgemeinen (als Be-
schüttung von unterem grauen Geschiebemergel oder von dem Liasthon)
zusammensetzt, doch tritt hier lokal auch >)lockreicher oberer Geschiebe-
mergel auf. Auch am Westufer des Goldberger Sees tritt gelber Ge-
schiebemergel auf und ebenso am Lfischowsee. Doch ist dies Vor-
kommen von Geschiebemergel innerhalb des Spatsandgebietes ein iso-
liertes, oder Ton unserem Zuge bei Wendisch Waren und Goldberg nadi
Norden abgezweigtes Areal zu nennen, an welches sich in nordöstlicher
Richtung die massenliafte Steinbostreuung von Kleis ton unschliesst,
die mit dem nördlichen Upahl- Grabower Geschiebestreifen in nahe
Berührung tritt.
Eine Kiesgrube bei Diestelow zeigt auf horizontalen Schichten
▼on Grand und Sand konform aufgelagert 1 m m'ächtigen lehmigen un-
geschichteten Deckkies, die Hauptkontur des Hügels bildend. An
anderen Stellen ist der obere Geschiebemergelf welcher die Bodenart
des Geschiebestreitens bildet.
Bei Karow trifft man auf das Grenzgebiet der nördlich vorge-
lagerten Heide. Der Bahneinschnitt südlich vom Bahnhof Karow zeigte
in 70 m Höhe 2 m machtigen sandigen Deckmergel mit zahli> uhen
grossen HlrK ken, auflagenid auf feinem Spatsand mit dfinnen Thon-
zwischensrlnchten. Auf den südlich hiervon gelegenen Feldern bei
Leisten und Zarchlin treten noch verschiedene Blöcke aus dem Sand-
resp. sandigen Mergelboden hervor, der Bahneinschnitt an der Leister
Lanke (70 m Htfhe) lieferte eboifiüls sehr bkMskxeichen gelben sandigen
Geschiebemergel auf feinem Sand lagernd, und eine benachbarte Kies-
grube zeigt gering mächtigen Deckkies auf Sand mit Thonlagen. Wäh-
rend bei Zarchlin der Geschiebemergel herrsciit, aber arm an Blöcken,
Tinterlagert von unterem Geschiebemergel, zeigt die Geirend von Plaue r-
hagen und Quetzin Sand mit reicher Steinbestreuung. Nach Flau
zu kommt allein der Sand zur Geltung, nur am Bahnhof Plan trat noch-
mals bloekreicher sandiger oberer Mergel auf Sand lagernd ein; sfldlich
der Stadt finden sich mächtige Kies- und Sandlager, so z. B. in dem
92 m hohen Kalüschenberg, westlich von welchem auch nochmals
sandiger Blockmergel mit nnterlagerndem Steinptlaster den Kies bedeckt
(wohl eine Brücke zu dem südwestlich folgenden Parallelzug, s. u.).
OestUch von Leisten und Karow zieht sich der Geschiebestreifen
in bedeutender Verengung Uber Alt Schwerin und Jürgenshof^
Sparow und Xossentin auf die Südseite des Pleesen.sees hinttber.
Der nördliche Teil des Flauer Sees, der Tauch ow- und Krebssee ge-
hdren zum T«l in sein Gebiet Seine Breite ist hier nur 3 — 4 km,
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240
Geinitz,
[26
seine Höhe beträgt 80 — 95 m und zeigt nach Norden und Süden in die
folgenden Ssiuddistrikte der Nossentiner Heide und der Malchower Ge-
gend keine bemerkenswerten Abdachungen.
Teils nur mehr oder weniger dichte Steinbestreuung , teils wenig
mächtiger Deckkies, teils auch 1 — 2 m mächtiger oberer Blockmei^el,
auf unteren Sanden lagernd, bildet hier wieder den Boden des Streifens.
Die Eisenbahneinschnittc südöstlich von Alt Schwerin entblössten sehr
deutlich diese Verhältnisse. Das Seeufer bei Jürgenshof und der
bis 93 m hohe Planer Werder sollen den blockreichen Mergel zeigen.
In der nur noch zum Teil steinbestreuten Sandgegend bei Sparow,
Silz und Nossentin tritt lokal der blockreiche Geschiebemergel auf
der hier anstehenden Kreide auf, oft nur in geringer Mächtigkeit, viel-
fach in Schichtenstörungen mit seinem Untergrund verbunden. Lra
Süden triflFt man inmitten des herrschenden Sandes noch vereinzelte auf-
fällige Blockvorkommnisse im Deckkies bei Petersdorf und Lenz, am
Südufer des den Planer- und Fleesensee westlich von Malchow ver-
bindenden Petersdorfersees (vielleicht gehört dazu auch die ,Steeneck*
am Plauersee gegenüber Plan).
lieber den Fleesensee setzt der Geschiebestreifen quer nach
den Kreidebergen von Göhren am Südufer des Sees; doch sind mir
keine Angaben bekannt über etwa vorhimdene Blöcke auf dem Grund
des Sees; Fromm und Struck erwähnen nur*), dass der See ,fast
durchweg festen Sand" besitzt.
Westlich und südlich von Göhren herrscht Spatsand, zum Teil
auch oberer Mergel, aber ohne erheblichen Geschiebereichtum. Zwischen
Penkow und Uoez tritt man in die coupierte, an Sollen reiche Mergel-
landschaft des Geschiebestreifens ein, die sich bis 90 m erhebt, im Nor-
den aber noch nach dem Göhren — Poppentiner Kreiderücken zu lOOra
ansteigt. Unmittelbar hinter den Kreideerhebungen sieht man oft, z. B.
bei Blücher, mächtige Sandablagerungen, vor und hinter ihnen oft block-
reichen Deckmergel auf Sanden, also auch hier, auf dem Streifen
Göhren, Blücher, Poppentin, Sembzin, Hinrichsberg, Sietow,
Gotthun, das gesamte Diluvium entwickelt. Am Nordostabfall des
Höhenzuges sehen wir bei Grabenitz und Klink die Sande und zum Teü
Thon in mächtiger Ablagerung und können zugleich auf dem Weg von
Sembzin über Klink nach Waren das Verschwinden der Steine an der
Oberfläche beobachten. Der Nordrand des Streifens ist ziemlich sicher
durch die am Südwestufer des Kölpinsees bei Wendhof und Neu-
Grabenitz ausgewaschenen Blöcke angegeben; Fromm und Struck*)
bemerken nämlich hierüber folgendes: „An der Südwestküste des Cölpin-
sees bei Wendhof und Neugrabenitz liegen sehr viele Geröllsteine, die
auch mehrere Ruthen weit ins Wasser hineingehen, aber nicht durch
dasselbe fortsetzen, sondern vielmehr in gleicher Richtung landeinwärts
gehen. Diese Richtung ist eine solche, dass sie, in sehr schwachem
Bogen fortgesetzt, gerade auf den nördlichsten durch die MUritz strei-
chenden Geröllstreifen stossen würde."
*) Arch. mecklenb. Lnndcsk. 1865, S. 135.
») Ebenda.
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27]
IHe meddenlMii^giMhen HShenradceii efcc
241
Ueber die Verbindung dieses und des nördlichen Par;illelzu<<e.s
durch die müchtigeu Blockvorkommniase bei Jabel ist schon oben (IV)
Mifcteilimg gemacht.
Den sorgfältigen üntenuchimgen von Fromm imd Struck ver-
danken wir di( Xiirlirichten Uber das weitere FortsetEen des Geschiebe-
streifens durch die Müritz. Sie unterscheiden vier ,Ger6ll8treifeii''t
welche als TTntiefen den See durchqueren ^j:
1. Der nördlichste Streifen beginnt als unmittelbare Fortsetzung
des Poppentin — Sietower Gesdiiebestxeifens am nordwestlichen Ufer bei
Sembzin, mit einer bis zur Sietower Lanka reichenden Breite , 4 — ^9^
Wasserhöhe über sich, und setzt sich , unzweifelhaft unter dem Wasser
fort* (ir Wasserhöhe) in westtistlicher Richtung oberhalb des Kederank
am östlichen Ufer, welches Wesselshop gensmnnt wird, wieder heraus-
tretend. ,I)ie Steine in ihm liegen so nahe und sind meistens so gross,
dass man das Aufstossen auf sie iühll, wenn man ein Senkblei von
betriehtliehem Gewichte schnell hinablilMt.*
2. ,Ein /weiter Geröllstreifen beginnt am östlichen Ufer hart an
der nördlichen Einbiegung des Rederank in die MUritz^ wo das Hinnen-
feld lit'gt, und wendet sich von Nordost nach Südwest in solcher Rich-
tung, dass er in seiner Verlängerung auf das Vorgebirge Steinhorst
(bei Ludorf am westlichen Ufer der Müritz) treä'eu würde. Bis zum
dritten Teil der Breite, vom Rederank Her, haben wir ihn verlblgt und
hierbei u. a. einen Stein von 16' im Durchmesser gefunden. Wahr»
scheinlich setzt auch dieser Streifen durch das ganze Becken fort, denn
am Vorgebirge Steinhorst findet sich gleichfalls eine beträchtliche Ab-
lagerung grosser erratischer GeWUle.**
3. „Ein dritter schmaler Streifen ist östlich von Ludorf am
sogenannten Kopf angedeutet, dessen Verlauf zweifelhaft ist.*
4. «Ein vierter, in dem sich ein Stein von circa 14' Durchmesser
befindet, geht um das ganze hohe Ufer des Klopzower Eatenortes hemm
und streift nahe am östlichen Seeufer bis nach Reblin hin fort; er lässt
sich nicht weiter verfolgen."
Bei Eintragung obiger Befunde in die Karte und Berücksichtigung
der nicht sicher nachweisbaren Fortsetzungen der vier Streiten in nord-
ISstticher Richtung erscheint es naturgemfisser, hier einen einzigen, das
Becken der Müritz in nordnordwest - sttdsüdöstlicher Richtung durch-
ziehenden l)reiten Geschiebestreifen anzunehmen, der vielleicht in seinem
nördlichen Teile einen Ausläufer nacli Osten, zum Rederank und Hinnen-
feld entsendet. Dieser Zug wünle genau der südöstlichen Fortsetzung
der Poppeutiner Kreide entsprechen.
In der Tfaat habe ich auf dem nordöstlichen Ufer der MOritz, in
der Umgebung des Rederank, bei Federow, Müritzhof, Schwarzenhof,
keine Spur von Steinen oder Blöcken auf den flachen Feinsand-Distrikten
aufgefunden; hier herrscbt auf weite Strecken der feine gelbe Sand der
Heide, erst nach Nordosten mit SteinV)estreuung sich an den nördlichen
Parallelzug anschliessend. Die Ziegelei Müritzhof beutet ein unterdilu-
*) Aycb. meeklenb. Landeak. 1864, S. 6. Mit einer Karte.
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242
Ueinitz,
[28
viales Lager von Bänderthon aus« der in einer Meereshühe von circa
63 m von 0,5 — 1 m tüluTuden Sandschichteii bedeckt ist
In direkter südöstlicher Fortsetzung der von der Sietower Lanke
über den Ludorfer Kopf nach dem Klopzower und Rechliner Ufer lau-
fenden (ioröllennhilufun^ triöTt man bei Roggentin und Leppin eine
schmale, nur zwischen Holter Mühle und Hof Roggentin, d. i. iu eiuer
Breite von li km, sich bemerkbar machende Blockanhäufuug , dem
höchstens 1 m nUtohtigen Deckkies, selten dem Decklehm entstammend.
In der Kotzqwer Heide südlich hiervon tritt noch etwas Steinbestreumig
auf dem feinen unterdiluvialen Sand auf. (Der von Struck a. a. O.
beschriebene „Steintan// bei Klopzow bestätigt wieder die Beobachtung,
dass die prähistorischen Steiiiil' nkinäler an die geschiebercichen Gegen-
den gebunden sind und gewisäerniasäen als Leitfosäilien der Geachiebe-
streifen gelten kdnnen.)
Weiter Östlich träft man auf dem 80 m hohen' Kienhont an der
Qualzower Ziegelei mitten in der trostlosen Sandgegend von Babcke
und Mirow in einer ziemlich blockreichen Deck-Ge.scliiebemergelkuppe
auf die Fortsetzung des schmalen unbedeutenden Geschiebe.streifens.
Nördlich und südlich iat auf eine ganz kurze Erstreckung noch Stein-
beatreuung des Sandes vorhanden.
In südöstlicher Verllagenrng sollen bei der üseriner Mühle,
zwischen dem Useriner- und Qiossen Labussee, südwestlich von Neu-
strelitz, sich Steine bemerkbar raachen und tritt auf der Höhe des zu
81 m aufsteigenden Wörlandberges bei Wesenberg Steinbestreuung
auf. In den beiden Ziegeleigruben östlich der »Stadt Wesenberg finden
wir steinreichen oberen Geschiebemergel, allerdings arm an grossen
Blöcken, zum Teil auf BSnderthon lagernd. Zwischen hier und Ahrens-
berg gewahrt man auf den Feldern eine reiche Stein- und Block-
bestreunngf meist dem Deckkies «itstammend, zum Teil auch dem Deck-
lehm. Am Sndufer des Drewensees sieht man im Forst Wildhof noch
ziemlich reichlich Steine auf dem Sand, und in der Nähe des Forst-
hofee Drewiu tritll mau uochmai» m einer kleinen Grube auf ziemlich
steinreichen oberen C^chiebelehm. Hiw in der Kfthe wurden auch von
Oörner viele der schönen Huschelkalkgeschiebe (in dem Decksand) ge-
fbnden^ welche im Neustrelitzer Museum aufbewahrt sind.
1( Ii habe die weitere Fortsetzung des Gescliiebcstreifens durch dit-
ausgedehnten Waldungen des südöstlichen Mecklenburg -Strelitz nicht
weiter verfolgen können. Boll gibt an, dass er in südöstlicher Rich-
tung zwischen FUrstenberg und Dannenwalde, Joachimsthal und
Alt KUnkendorf bis in die Gegend von Oderberg veriäuft. Hier
ist es der von Berendt und Remels näher bekannt gemachte Geschiebe-
wall von Liepe zwischen Oderberg und Eberswalde, welcher die un-
mittelbare Fortsetzung unseres Geschiebestreitens darstellt
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29]
Die mecklenburgicchen H&haufloken ekc
243
Tl. Gesehiebestreifen: ^Brothener Ufer? — Ivendorf — Schwan*
beek — Mäblen Kichsen — Rogensee — Retgendorf ^ Karnin —
Fraiieiijnark — Lttbz — Staer — BAtow^,
Dieser Zug tritt, vielftich weit weniger dentlich hervor als dio
beiden vorigen; seineu Verlauf habe ich nicht ganz kontinuierlich ver-
folgen können.
LängH des .Brothener Ufers* nördlich von Travemünde findet
man ahnlich wie am Eltttaer Ort « ine grosse Menge zum Teil sehr
schön geschrammter grosser Go^jchiebe aus dem hier klintartig abge-
brot henen unteren und ()i>eren Ueschiebemergel herausgewaschen. Der
obere Mergel hat oft mehr Geschiebe als der untere; bis '6 m mächtig
igt er zmn Teil auch sehr zurücktretend oder verschwindet auch ganz,
mid es tritt alsdann der untere Sand, der an vielen Stellen fthnfichot
wemi auch nicht so schöne, Schichten Störungen in seinen zwischen bei-
den Mergeln eingelagerten Massen zeigt« als Tagesbedeckung des unteren
Mergels auf.
Geht man am Ufer der Trave südwärt« von Travemünde, so trifft
man bald bei Ivendorf massenhafte Blöcke aus dem oberen Geschiebe-
mergel herausgewaschen. Eine Kiesgrube an der Bahn zeigt hier
mächtigen steinreichen Deckkies. Bis Dummerstorf zeigt das Ufer
blockreichen oberen Mergel m mächtig, auf oft ausserordentlich mäch-
tigen unteren Sainlen. deren Liegendes grauer unterer, thoniger, block-
armer Mergel ist, «lit iil»er auch gänzlicli vei^eliwinden können und dann
den oberen Mergel auf unterem lagern lassen. An melu-eren Stelleu
wird auch Deckkies, der als mächtige Steinpackung auftritt, in Kies-
gruben abgebaut. Aehnliches zeigt ebe Kiesgrube bei WaldhuseUt
landeinwärtsS, wo roh geachichteter lehmiger Deckkies in 1 m Mächtig-
keit auf horizontalen unteren Banden und Grandt ii lagert. In dem
Deckkies des Travenfers finden sich viele der grUnen Glaukonitpläiier-
Sandsteine von Heiligeuhafeu-Brunshaupten.
Der G^Bchiebestreifen setzt wahrscheinlich am Grund des Das-
sowersees fort. Bei Schwanbeck unweit Dassow tritt oberer Lehm
auf, mit einigen Blöcken, während die Gegend nördlich von Dassow frei
davon ist; südlich von Schwanbeck, nach Kleinfeld und Schönberg hin,^
verschwinden au( h .sehr bald die Geschiebe. Die 2<) m hoch gelegene
Ziegeleigrube von Öchwanbeck zeigt diskordant auf (i.stlich einfallenden
Grand- und Sandschichton strengen, blockreichen Geschiebemergel in
einer Mächtigkeit von 1 m, die sich auch auf 0 reduzieren kann.
Zwischen Schwaubeck und Sdmstorf ist der Lehmboden ausserordent-
lich reich an Geschieben
Das nächste Weiter.sfreirhen des Geschiebezuges konnte ieh bis-
her nicht genügend verfolgen, ich njuss niidi bescheiden, einige I 'unkte
anzuführen: Bei Hanshageu nordöstlich von Kehna treten wenig Blöcke
in dem 2 m mäclitigen, in Biesentö^en in unteren Sand eingreifenden
oberen Mergel auf. Bei Rflting, Wttstenmark, Mtthlen-Eichsen
*} VgL Boll, AbriH d. meddcnb. LMidesk. 8. 360.
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244
GeinikB,
[ao
und Gross Eichsen. an dem Thale der Stepiiitz, zeigt das 'lO — tjt) m
hohe Plateau mehrfach im oberen Merkel resp. Deckkies ziemlich reich-
liche Blöcke t die sttdwesilich nach Vietlttbbe yerschwinden, sich aber
ostwärts nach Moltenow, Schönhof und Dallieudorf fortseteen.
Ueberall liat das obere Diluvium nur geringe Mächtigkeit, meist unter
3 m, gewöhnlich nur 1 — 2 m. Dalliendorf bildet eine Verbindung nach
dem vorigen Parallelzug, indem 4 km östlich davon, durch Hie Dam-
Wendisch Bambow sich hier ansehliesst. Südlich hierfon sduiesst
sich die steinreiche Gegend von Rugensee und Lflbstorf am Schweriner*
see an. In Bu^ensee treffisn wir 3 m Idimige Steinpackung, auch Block-
mei^el, cyklnpische Mauern u. s. f.
Auf der (Jstseite des Schweriner Sees findet man bei Ketgen-
dorf in flachen Lehmgruben 0,5 — 1,5 m mächtigen oberen Mergel oder
Deekkies mit grossem Reichtum an Blöcken. Nördlich bei Schlags-
dorf treten die Blöcke zurflck, im Sflden sind sie noch bei Cambs
in wechselnder Menge vorhanden. Auch weiter südlich, bei Zittow
und Langen-Br ätz treffen wir noch viel Steine auf den Feldern, in
cyklopisrheii Mauern u. s. w., die aus dem blockreichen Deckmergel
oder Deekkies stammen, der hier 1 — 2 m mächtig unteren Grand und
Sand Uberlagert. Das hier bis 60 m ansteigende Plateau wird bei der
lUchenberger MOhle bei Kamin von der Wamow durchschnitten in
tiefem Erosionsthal; die Höhe desselben zeigt hier eine ganz enorme
Steinbestreuung, die Thalwände den unterlagemden mächtigen Hauptsand.
Zur Aufsuchung flor nördlichen (trenz«' gehen wir nördlich und
nordöstlich nach Kleefeld, wo im Deckmergcl die Steine noch reich-
Uch sind, und Brahlstorf und Liessow, wo ebenso wie südlich von
Buehholz die Steine in dem Mergelboden surQcktreten. Hier bei
Buchholz nach Jarchow hin scheint in dem herrschenden oberen Gte-
schiebemergel das Oebiet unseres Oeschiebestreifens mit dem nördlich
vorgelagerten zusammenzufliessen. Bei Buehholz finden sich noch zahl-
reiche Blöcke im Deckmergel.
Nach Südosten scheiden sich die beiden Streifen besser vouemauder.
Bei Eeez, Nutteln, Qustävel, Zaschendorf und Müsselmow
treten die Steine auf dem Ton Söllen, Seen und Thallftufen untere
})rochenen, aus Deckmergel und unteren Sauden zusammenge.^etzten
Plateau melir zurück, wenn auch in den Dr>rfem noch einige cyklnpische
Mauert) das Vorhandensein einiger erratischer Blöcke auf den Fluren
andeuten.
Sudöstlich von Kamin liegt K ritz ow mit einer ausserordentlichen
FfiUe von Blöcken, welche dem Deckkies entstammen, der auch als
dichte Steinpackung meist nur bis 0,5 m mächtig die unteren Grande
und Sande bedeckt; das stark coupierte Terrain ist von vielen Sollen
und Kesseln unterbrochen, es hat eine von f)0 — 80 m wechselnde Meeres-
höhc. Bei Vorbeck, Augustenhof und Basthnrst treffen wir eben-
falls massenhafte Blöcke oder dichte Steinbestreuuug auf dem hier zu
Tage tretenden, 40 — 45 m hoch gelegenen SpatsandbodoL
Bei Kladow-Gftdebehn an der Wamow haben wir Sand mit
Steinbestreuung, und eine Sandgrube zeigt auf mächtigem gelben Spat-
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Die meddenbiugiMiheii HdheDrücken ete.
245
sanrl «'ine horizontale 0,2.') m diokf Stein packung, welche noch von 1,5 m
feinem, horizontal geschichtetem Grand überdeckt ist.
Im Westen schliesst sich hier jenseits des Warnowdiirchbraches
der Steimreiclitam toh Petersberg und Pinnow an, eine Verbindung
snm sttdlich folgenden Streifen anbahnend.
lieber den weiteren südiistlichon Verlauf kann ich Tiii ht eingcliond
berichten. In der Umgebung von Crivitz ist Deckkies resp. Stein-
bestreuung auf dem unteren Sand wahrzunehmen, ohne der Landschaft
den Charakter des Geschiebestreifens zu verleihen. In Zapel trifft man
oroese Blöcke; auch in dem Eichholz bei Crivitz ist steinreicher Deck-
kies in 1 m Mächtigkeit als Bedeckung von fettem Thon. In Frauen-
mark und Severin sUdö.stlich Crivitz zeigen reiche Steinmauern den Ge-
schiebestroifen an. Wahrscheinlich gehört auch Grt bbin mit dazu,
wo in flachen Torfdepres.sionen die Warnow ihren Ursprung nimmt.
Weiter im Südosten treiien wir bei Luthe ran uudLübz (östlich
von Parchim)' den Geschiebestreifen wieder an: bei Lutheran seifft der
Bahneinschnitt auf feinem, gelbem Spatsand 1 — 2 m sandigen Bloodehm
mit zahlreichen grossen, oft schön geschrammten Geschieben. In der
Lehmgrube an der Chaussee hinter Lutheran erreiclit der Blocklehm
eine Mächtigkeit von circa i m; auch hier unterlagert ilin Spatsand.
OestUch Yon Lübz bis vor Brook tritt der Sand mehr zu Tage unter
geringer BlocUefambedeckimg, das Terrain zeigt aber noch reiche Stein-
bestreuung. Der Geechiebestreifen, der hier von dem Eldethal durch-
quert wird, hat hier eine Breite von circa 5 km.
Nach Südosten habe ich den Streifen bis Stuer nirht verfolgt ;
ich gebe demnach seinen vermutlichen Verlauf auf der Karte nur mit
Strichen an. In Stuer am Südzipfel des Flauer Sees iiudet man einen
grossen Reichtum an Blöcken, sowohl in dem mächtigen oberen Ge-
sdnebemeigel, als auch in dem unteren und zum Teil in den unteren
Oertülagem. Der Blockreichtnm setzt nördhch fort bis Suckow.
Von hier setzt der Stein- und Blockreichtum in südöstlicher Rich-
timg fort über Hogeez, Finken. Leizen, Bütow, (Karabs. Melz,
Priborn?) nach den Seen, die sich an den Südzipfel der Müritz an-
schliessen. Bei Rogeez und Alt Stuer hat man den Typus der block-
nkhen MorBoenlandschaft, auch Dammwolde im Sfiden zeigt noch in
dem lehmigen Deckkies oder im Deckmergcl sehr viel Steine.
Der Geschiebestreifen scheint weiter nach Südosten in die Gegend
von Zechlin zu verlaufen.
VII. Geschiebestreifen: ^Batzebarg — Bachholz — Wahrholf —
Sehwerlo — Pinnow — Parehiin — flamltier Berge^.
Dieser Zug läuft zum Teil sehr nahe neben dem vorigen.
Bei Ratze bürg beginnt mit stark coupiertem Terrain (südlicher
Thalbeginn des Sees) der blockreiche Geschiebemergel, der sich wahr-
scheinlich weiter muniworts fortsetzt.
Nach Südosten bei Salem und Kogel herrscht nur Spatsand
a
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Geinits,
[32
von Heidetypus, zum Teil mit wenig Steinbestreuung, erst bei See-
dorf am äcbaalsee beginnt der Blockreichtum der Gegend von Zarren-
tin (s. u.)>
In dem weiteren Verlauf des Streifens habe ich znnSchsl bis in
die Gegend von Gadebusch eine Lücke aus Hangel an Beobachtungen
lassen müssen.
Nördlich von Gadebusch bei Buchliolz besteht das üO— ()5 m
hohe Plateau aus oberem Geschiebemergel ohne erheblich viel Steine.
Bei Wahr holz, nordwestlich von Schwerin, erscheint der Ge-
schiebestreifen auf einem 80— 90 m hoben Pkteau, das als schmaler,
drca 2 — 3 km breiter Rücken von Südwesten nach Nordosten zwischen
Ilerren-Steiufeld und Gottmannsforde nach Nienmark verläuft, im Hütten-
berg die Höhe von 9G m erreichen»!, im Südwesten bei Rosenhagen und
Gross Brütz im Gadebuscher Berg 90 m hoch. Auf der GO m hohen,
rasch zu bü m ansteigenden Wasserscheide zwischen den ThiUeru des
KeomQhlersees nnd der Stepnits triffl; man bei Wahrholz auf hori-
zontalen oder flach geneigten Schichten von unterem Grand und Sand
eine 0,5 — 1,5 m mächtige Bedeckung von lehmig kiesiger Steinpackung;
Thalkessel und Sidle, zahlreiche Blöcke auf den lehmigen Sauden bieten
das Bild der ecliten Moränenlandschaft.
Nach Süden daclit sich das 70 m hohe Deckmergelplateau bei
Gross Brtttz und Gottesgabe nach Grambow sehr allmählich ab,
im Qrambower Moor eine Niederung Ton 48 m Höhe bildend. Die
Blöcke reichen bis Grambow, während sie bei Wittenförden stark
zurücktreten und hier der 2 — 3 m mächtifre Deckmergel olme erheblichen
Blockreichtum feuien Sand, Grand und Kies des Hauptdiluviums bedeckt.
Der schöne Flusssee, Neuraühler See, zeigt in seinen Erosions-
aufschltlssen den Bau des Plateaus, oberer Mergel bis höchstens 3m
nü&chtig auf unteren Senden. Zwischen dem NeumOhler und Lankower
See, wo der Mühlenberg zu 70 m, h r Weinberg zu 86 ra ansteigt,
treffen wir sandij^ien Decklehm mit zahlreichen Blöcken, bei Neumühlen
bis zur Sudspitze des Lankower Sees massenhafte Steinbestreuun<^'' der
Felder, in der Lehmgrube der grossen Ziegelei blockreichen Deeklehm.
Weiter linden wir in der westlichen Vorstadt von Schwerin nördlich
Tom Ostorf er See, bei der NeumQhle, am Galgeuberg, am neuen Kirchlutf
und in den hier gelegenen Gärten, in der sogenannten Schweriner Schweiz,
in ganz ausgezeichneter Form die typische Moitoenlandschaft mit den
zahlreichen tiefen Sollen und Kesseln nnd mit massenhafter Blockbe-
streuung. Am (TnlLjenber«? zeigen einige Kiesgruben mächtige horizontal
geschichtete Grande und Sande mit Kiesschmitzen, bedeckt von 1 — 3 m
ungeschichtetem rostbraunem Blockkies, in einer anderen Kiesgrube
sind die unteren Sande mehrfach in ihrer Lagerung gestört und zum
Teil von Blockraergel bedeckt. Vielfach werden auf den Feldeni die
grossen Steine, „Felsen". .Mn^tLfdniddelt" und man erkennt hier in ver-
schiedenen Meeresliöheu die uoiniale Moränensteinpackuug.
Auch in der eigentlichen W'estvorstadt Schwerins trifft man oft
einige Blöcke in dem oberen Geschiebemergel, der hier unmittelbar auf
grauem, unterem aufsitzt (so dass die Brunnen hier erst bei 60' (18 m)
Tiefe wasserhaltigen Sand antreffen).
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Die mecklenburgischeu Höhenruckeu etc.
247
Die niedriger gelegenen Teüe der alton Stadt zeigen nur Sand,
der auch südlich der Stadt herrscht, vielfach, wie vor Zippendorf und
bti Ostorf, noch von Blockkies oder Geröl Hullern bedeckt, oiltr aiuli.
wie bei MUss am SUdui'er des äees, von steinreichem oberen üeschiebe-
mergel.
Durch den südlichen Teil des Schweriner Sees setzt das Stein-
lager nach Ostsüdost fort, wie einzelne groese Steine, .der grosse Stein*,
im See und der blockreiche Deckmergel im Kaninchen- nnd Ziegelwerder
zeigen. Gleichfalls eine weitere östliche Fortsetzung trifft man am Südost-
ufcr des Sees Iki Rabensteinfeld. Die romantischen Steilufer des
Srhwcriner und des Piniiower Sees zeitigen hier mächtisxc Moriinenablage-
ruugen, Blocklehm und Blockkies iu einigen Metern Maclitigkeit , auf
untren Sauden oder auf unterem Geschiebanergel lagernd. Die zahl-
rdchen grossen Geschiebe dieser Ablagerungen wurden seiner Zeit mit
SU dem stolzen Bau des Schweriner Schlosses verwendet.
Der Steinreichtum setzt nr»rdlich nach Gör slow fort und reicht
östlich bis Pinnow und Petersberg. Während die niedrige, bis 4() ni
hohe Gegend von Pinnow nur feinen Spatsand mit unbedeutender Klein-
atembes&eunng zeigt, treffen wir auf dem stekoi gebliebenen Plateau-
rest, der in dem Petersberg dieselbe Höhe von 67 m bat wie die Ufer
von Rabensteinfeld, noch zahlreiche Steine und Blöcke, dem Deckkies
entstammend, der hier in geringer Mächtigkeit die unteren Sande be-
achüttet. Djls Wamowthal und seine abgeschwemmten Uferhöhen trennen
bei Augustenhof das Gebiet unseres Gescliiebestreifens von dem nörd-
lich vorgelagerten, offenbar aber nur durch die später erfolgte Erosion,
▼or welcher beide Geachiebeanhäufungen hier in Verbindung gestanden
haben.
Südlich vom Pinnower See herrschen die Blöcke noch in dem
iiabensteinfelder Forst, der einen keilförmigen Plateaurest zwischen dem
Störtbal von Müss und der Zietlitzer Niederung bildet. An l)ei<]cii
Steilufern sind die unteren Saude und Kiese angeschnitten, zum Teil
mit Schicbtenbiegungen, unter einer Bedeckung von 1 — 8 — 5 m mächtigem
daenschüssigen , zum Teil geschichteten groben Deckkies (unter desseii
grossen Blöcken häufig die Sternberger Sandsteine vorkommen).
Die ^ich in südöstlicher Richtung anschliessende etwa 40 m hoch
fjeletrene Kbene von Zietlitz und Suckow weist an Zahl und Grösse
zurücktretende Steinbestreuung auf; sie ist als eine durch Abschwem-.
mung gelieferte ünterbrechuug des GeschiebeBfareifens insofern anzu-
sehen, als auf den jenseitigen Höhen bei Göhren, Settin und Tramm
sOdlieh Ton Crivitz, der Blockreichtum fort>rtzt. In der Lehmgrube
des 66 m hohen Lelimlterijes bei Göhren tritt der untere blockreiche
Geschiebemergel hervor, zum Teil von dünnen Kies- und Sandschmitzen
und weiter von 0,5 — 1 m oberem Mergel bedeckt, an dessen unterer
Grenze ein Steinpflaster hegt. Die Felder zeigen massenhafte Stein-
beatreuung: auch bei Settin haben wir untere Sande mit reicher Stein*
beatreuung; dasselbe in Göhren und Tramm.
Die Nordgrenze des Streifens läuft bis hierher in grosser Nähe
von dem als Sudt^renze angenommenen Distrikt des vorigen Parallel-
streifens, möglicherweise auch mit ihr verschwommen.
FoHMhungen tax dentacbeB Landes- und Volkskunde. I. 5. 18
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248
0«miti,
[a4
Etwas deutlicher markiert sich die Südgrenze unseres Geschiebe-
sfroifens; wir wandern zu ihrer Auffindung sUdwefltwSrte von Schwccin:
Der deutlich ausgeprägte, nordwestlich streichende Edhenrücken von
Wittenfijrden zeigt zwischen Neumühle und Rogahn nur unbedeutende
Steinbedeckung; dagegen beginnt bei Klein R ogahn in der Höhe von
70 — 5r> m die Steiiihedeckung in dem Decklehm, wenn auch nicht in
hervorragender Massenhaftigkeit. Weiter zeigt die Kiesgrube in Gross
Rogahn 0,5 — 2m mächtigen sehr steinreichen Deckkies, resp. lehmige
Stempackung auf Kies und Orand; im Dorfe sehen wir mSchtige cy-
kU>pi8che Mauern. Die Blöcke setzen in wechselnder Menge fort Uber
Stralendorf nach WalsmOhlen, wo 1 — 2m mächtige lehmige Stein-
packung Sand mit Thonscliichten bedeckt, mit grossen Blöcken, ferner
weitfq- nach D ü m m e rh ü 1 1 e, wo ebenso wie in Walsmiüilen viele Blöcke
aul den lehmigen Feldern liegen und mächtige cykio^jische Mauern, das
stark coupierte Terrain u. a. m. die MorSnenlandschaft anzeigen. Zttlow,
Dummer, Perl in sind durch gleiche Massen von Blöcken ausgezeichnet.
Das Deckdiluvium ist meist wenige Meter müchtiger oberer Mingel oder
auch Blückkies, auf Ovntvlen und Sanden des Hauptdüuviums lagernd,
zuweilen mit starker Schiclitenstöruug.
Die Trennung von dem nördlichen Teil des Geschiebestreifens
durch da» Gramhower grosse Moor ist wohl nicht bedeutend genug,
um hier zwei selbstöndige Streifen anzunehmen.
Südlieh vom Dümmer See ist auch noch bei Parum reiche Block-
anhaul'ung zu konstatieren . meist in leliniigem Deckkies, der sich zum
Teil auch, wie in den Parunier Bergen, m Nestern von Blockmergel
gestaltet. Bei Schossin und Mühlen beck ist der Blockreichtum noch
nicht erschöpft; zwischen beiden Orten zieht sich ein schmaler Rücken
mit Steinpackung in nordwestlicher Richtung hin, der sich mit 60m
Hohe schön aN Morilne von dem niedrigen Terrain abhebt.
Bei Mühlenbeck und der Sudenmühle kann man in dem
50 — 45 m hohen (al»ges( hw(>mmten) Sand mit geringer Steinbestreuung
das Ende der Geseliie))eanhiiufung annehmen; nördlich davon, bei Kothen-
dorf führt uns eine Steinbestreuung des Sandbodens zurück zu der
bhockreidien Deckmergelgegend von Walsmühlen.
Auch die Eisenbahn zwischen Haffenow und Schwerin ftlhrt dem
Reisenden den Uebergang aus der süäichen Heide in das Oebiet des
Geschiebestreifens recht deutlieh vor Augen. Von ITa'jenow aus der
Heideebene kommend findet nifui bald hinter dem Aulialt Zaclmn sj)Ur-
liche Steinbestreuung auf dem ISaudboden, die alsbald, bei Lehmkuhlen
und Holthusen zu immer reicherer Beschüttunff sich herausbildet.
Dasselbe gewahrt man in der weiten Sandebene, die sich wie ein
isländischer „Sandr* ') südlich von Schwerin in dem Forst Buchbolz
und den Fluren nördlich von Sülstorf und Sültcn ausbreitet. Aus der
spärlichen Steinbestreuung bei Sülstorf, einem steinarmen, nur bis 0,3 ni
mächtigen Decksand entstammend, gelangt man bei Buch holz oder
Plate in reiche Stein- und Blockbeschüttung der dortigen unteren
>) Vgl. Keilhack: Tgl. Beob. an iillad. OletMher* vu nordd. Dilavial'Ab-
lagerangen. Jährt», d. preun. geoL L. A. 1883. 8. 162.
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35]
Die mecklenbiugischen HöhenrQckeii etc.
249
Saude, aus der sich auch mehrfach lelimiger Kies uud Deckmergel
entwickelt. *
Der Geschiebestreifen hat somit swischeii Schwerin und Param
resp. zwischen Ziegelwerder und HolthuBen die bedeutende Breite Ton
16 resp. 1 1 km.
JSiullich vou Sülteu erln'ht sich bei Rastow ein isoliertes block-
reiches Gebiet schwach au.s der Saiidiebene , das als südöstliche Fort-
setzung von Perlin — Parum gelten kaun. Ziegeleigruben zeigen block-
reidien oberen Oeschiebemergel in der Mftchtigkeit Ton einigen Metern,
zum Teil untere Sande und Grande mit starker Schichtenaufbiegung,
zum Teil unteren Mergel und Tlion bedeckend. Durch Auswitterung
und Ausschlämmung i.st er häufig zu Deckkies umgewandelt, an den
Gehängen der tiacheu 40 —45 m hohen Kuppen findet man daher vSand
mit reicher Steiiibestreuung. Besonders schön ist ein Auischluss am
WindmQhlenberg. Unterer Gtoechiebemergel, blauer Thon, Sehluffsand
sind mehr&di in einander gestaucht durch oberen Geschiebemei^el; zum
Teil lagert an diesra Massen mächtiger Spatsand und Kies, auf welchem
l)t(k>;and mit einem unteren Steinpflaster (liier viele Dreikanter) folgt;
diese Decksandmassen sind von Nordwesten her, d. h. von der aus
LUbesse nach Südwesten verlaufenden Thahiiederung her, an den Berg
angelagert In weiterer Entfernung zeigt sich an der Abdachung dieser
Erhöhung nur Sand mit Kleinstembestreuung in gemeinen Heidesand
übergehend. Auch bei Ortkrug herrscht wenig Decksand mit kleinen
Steinen, zu derselben Landschaft von Sülten im Norden hinüberleitend.
Oestlich folgt hier das scharf in das Plateau eingeschnittene Stör-
thal mit der sich daran anschliessenden weiten Niederung der Lewitz.
Diese bildet eine Unterbrechung des Geschiebestreifens, dessen Blöcke
und Steine erst auf den oben erwihnten östlichen Höhen bei TnumUf
Göhren u. s. w. südlich von Crivitz wieder erscheinen.
In südöstlicher Verlängerung dieses Zweiges trifft man bei Raduhn
und Garwitz nördlich Spomitz ausserordentlich reiche Steinbcschüttung
der SandfeldtT, einem nur wenig mächtigen braunen steinigen Deck-
kies entstammend, der untere Grande bedeckt. Südlich davon treten
die Steine zurQck, das alte weite Eidethal hat hier ofPenbar das Deck-
diluvium entfernt. Die Steinbestreuung dauert mit einigen lokalen
Unterbrechungen ostwärts bis Möderitz unweit Parchim.
Bei Parchim findet sich nördlich, nordöstlich und westlich auf
fh'in grossen Feld ziemlich reichliche Steinbestreuung auf nntfreii Sauden,
zum Teil auch blockreicher Deckmergel bis zu 4 m Mächtigkeit ; es wird
hier eine Annäherung zu dem Zuge VI erstrebt. SQdlich von Parchim
tritt an den Abhängen des Buchholzes an Blöcken reicher Deckmergel
in ziemlich beträchüicher Dicke resp. massenhafte Steinbestreuung auf.
Westlich von Parchim zeigt sich eine reiche Steinbestreuung auf
Sand, di»' Erhebung des Sonnenberges zeigt vielfach Rlockmergel des
T)erkdihiviuui.s, nach We.sten treten an der Bahn iimiitteü des ein-
furiuigeii Sandes mit mehr oder weniger Steinbestreuung bei Spomitz
grosse und ziemlich häufige Blöcke in Deckgeschiebemergel auf als
Von hier aus Iftsst sich der Geschiebestreifen in ausgeprägterer Form
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250
Geinitz,
Terfolgen. An den bis 108 m hohen Sonnenherg schliessen deh die hau
126 m ansteigenden hohen Rflcken bei Kiekindemarb-. Dieselben
bestehen aus Deckmergel oder Deckkies an ihrer Oberfläche und
tilliren vielfacli <frf>sse lilr»cke. Der Haiiptreichtum an Blöcken und
Steinen ist aber an dem zu 70 — ijO m absteigenden südwestlichen Al)-
t'all dieses Kückens bei Steinbeck, Granzin, Stolpe und Barkow,
auch hier hauptsilclilich dem Deckkies entstammend, der iu geringer
MSchtigkeit die unteren Sande bedeckt Bei Granzin wird unter-
diluvialer Grand und Sand diskordant von 0,25 m braunem Decksand
überlagert, dessen untere Grenze ein Steinpflaster mit Kantengeröllen
(Dreikant€rn) ist. Blockmauern und Strassenpflastrr .sind liebst Stein-
häusern auch hier »chon da^ oberflächliche Anzeichen de» Güächiebe-
streifens.
Repzin und Herzfeld sind hier die sttdlichoi Punkte der 6e-
Bchiebeanhäufung, hier finden sich noch reichliche Blöi^e; sfldUch davon
entwickelt sich in der nur 40 m hoch gelegenen Gegend der Heide-
mnd mit wenig und endlich ganz zurücktretender Steinbi'stremin«j.
Den weiteren (istlichen V erlaut" kann man sehr schön aut einer
Exkursion von Parcbim südwärts nach Maruitz verfolgen. Bei Slate
und in den Slater-Tannen hmacht in dem 60 — 70 m hohen Terrain nur
feiner Hauptsand, der alsbald nOrdlicb von Zachow Steinbestreuung
und bis 1 m mächtige Steinpackung von Deckkies zeigt; hier treten
vereinzelte Dreikanter auf, die bei Poitendorf in grosser Fülle und
Schcinheit entwickelt sind. Bei Zachow beginnt der Hauptreichtimi
an Steinen, die zum Teil zur Ermöglichung der Feldkultur eingegraben
werden, im Übrigen zu verscliiedeneu Bauzwecken seit Jahren abge-
sammelt werden. Poitendorf, Tessenow, Poltnitz, Jarchow
sind die folgemlni Orte mit reicher Steinbestreuung (darunter Drei-
kanter) auf Sand oder mit blockreichem Deckmergel, der zum Teil an
seiner unteren Grenze gegen den Sand hin rohe Schichtung zeigt (z. B.
bei Poltnitz); das Terrain st» igt hier zu 1(I0 und m, einzelne
Kuppen bis zu 150 m. Weitir tinden wir bei Meierstorf, Leppiu
und Marnitz (? Suckow) gleichfalls massenhafte BlScke, meist aus
mächtigem Deckmergel, zum Teil auch aus Deckkies, der wenig machtig
unteren Sand überlagert. Hier finden sidi viele der als läsensteinscherben
bezeichneten Sternberger OberoligocUn-Konkretionen im Deckdiluviuni :
Dreikanter sind häufig. Block mauern. Felsenhiluser, gepflasterte Strassen
in den Dörfern und um dieselben, sowie tiefe Solle und Kessel in dem
coupierten Temm kennzeichnen die Moränenlandschaft.
In den Marnitzer Bergen treffen wir längs aller Wege massen-
haft die oft sehr grossen, schön geschrammten Blöcke zu Mauern zu-
sammengetragen: teils herrscht hier der untere Sand, teils strenger
Mergel. Der ITSm hohe Kuhner Berg ist ähnlich wie die nachbar-
lichen Reiher- und Priemerberge ein spitzer Kegel von unteren Sauden
mit Decksaudbeschüttun^ von geringer Mächtigkeit. Am Südabfall der
Berge, bei Ruhn und Drefahl herrschen ebenso wie an den übrigen
Flanken massenhafte Bhicke. An dem etwa GO m hochgelegenen Ab&U
zwischen Drefahl und Panipin ist in der allmäbUch zurücktretenden
Steinbestreuung das Südende des Geschiebestreifens erreicht Die Dörfer
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37]
Dio mecklenburgischen HöhenrQeken etc.
251
Pampin und Platschow an der Laudesgrenze haben immer noch
BlockniiiiR'ni.
Sehr wahrscheuiijtii iäutt der Geschiebestreifen Yon hier weiter
in sOdflsUicher Bichtang Über Sagaat und Putlitc in die Priegnitz
hinein.
Der beschriebene Geschiebestreifeii Yll hat nach obigen Mittei-
lungen an einigen Stellen eine ausserordentliche Breite, bis zu 2^8
Meilen, an anderen Stellen scheint er sicli in zwei Parallelzütre aiif/.u-
lüsen ; oft ist er durch grossen Bitu kreichtuni in seiner Moräneuiand-
schaft ausgezeichnet, im übrigen tritt er weniger markiert aui' als die
Streifen IV und V.
Koch weiter südwestlich lassen sich noch drei Gteschiebestreifen
erkennen, die aber in ihrem Verlauf nur inselartig aus den alluvialen
breiten Heidesanddistrikten der in südwestlicher Richtung zum Elbthal
laufenden Thäler hervortreten: zum Teil sind sie nur durch Blockan-
iiiiuluugen angedeutet, die sogar oft noch von einer Heidesanddecke
Oberzogen sind; doch fiadet sich zuweilen audi noch ausgeprägte Motinen-
landecnaft koiuerviert.
Till. 6e8«Meb68trelfeii : „ZarreDÜn — Talluhn — Nesbof —
Wittenburg — Oransin — Loosen — Warne wt^*
WahrscheinUch bei Mölln beginnend TerliUift ein breiter Ge-
sohiebestreifen bei der Umgegend von Zarrentin am sQdHchen Schaal-
ßte nach Südosten.
Sein nördlicher Anfang in jeuer Gegend hegt bei Zecher am
Westufer des ScbaalseeB. Die Fäder sind hier mit grossen BUcken
beetreut, grosse Steinmauern laufen längs der Wege, am Steilufer des
Sees trifft man in der alten Kiesgrube wohl geschichteten S])at8and und
Kies mit Bedeckung von blockreichem sandigem Geschiebelehm von ge-
ringer Mächtigkeit. Die an Sollen reiche coupierte. (iO m hohe Deckmergel-
gegend nördlich von Zarrentin ist sehr reich an Blöcken des oberen
Diluviums, von denen das Rostocker Museum Herrn Apotheker Brath«
Zarrentin eine ausserordentlich reiche und Tollstandip^ petrographische
S:iiiimlung verdankt. Das Steilufer des Schaalsees zeigt hier 2 m Block-
lelmi auf unterem Sand und Kies. Die Sandgrube am Südende des
Sees eutblösst wohlgeschichteten Feinsand mit wechsellagernden GeWill-
lagem, bedeckt von 1 2 m sandigem Blocklehra, der auf der Höhe an
der Chaussee zu 1,5 m mächtigem blockreichem Deckkies wird.
Sttdlich Ton Zarrentin hwradit bei der Schaalmflhle und bei
Kölzin noch Steinbestreuung auf dem 40 m hohen flachen Sandterrain
<Schaalestromschnellengebiet), die weiter bei Pamprin ganz zurück-
tritt; doch finden sich in jenen Orten noch einzelne cyklopische Mauern,
auch waren dort früher schöne, jetzt vernichtete Steinsetzungen vorhanden.
Ein ganz besonderer Reichtum au grossen Blöcken ist westUch
und sttdweetiich von Zurentin bei Lüttow und Yalluhn vorhanden.
Das 45 — 35 m hohe, meist sandige, lokal auch sandiglehmige Teiram,
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252
[38
(It's.sen Dörfer mächtige cvklopischo Mauern und auf den Feldern Stein-
Iwiufen haben, wo zum Teil auch die , Felsen" eingegraben wurden,
zeigt teils 1 m mächtigen Jiteiureichen Deckkies auf unteren Sauden
oder BlocUdim auf Thaii, teils auch unter gewöhnlichem Decksand Ton
r Dicke die dichte Steinpaclnmg des oberdiluvialen Hoiftnenschuttes.
In Schadeland findet eich strenger Blocklehm.
Getrennt durch die breite Boizemoomiedening erheben sich welt-
lich von hier die bis 80 m ansteigenden Segralmer Berge bei Gudow,
eine aus Sanden und Kiesen bestehende, mit weni^ Deckkies oder Block-
lehm bedeckte Au&chttttung wahrscheinlich auf einem Ildtagehirgskem.
Oestlich Ton Zairentin treffen wir jenseits des Schaalsees eine
weitere Fortsetzung des Geschiebestreifens: nördlich der Schaahntlhle
treten auf dem Sandboden bei Schaliss und Bant in zahlreiche Blöcke
auf (die zahlreichen Kegelgräber im Schalisser Forst enthalten im
Inneren Steinsetzungen), der Weg nach Boissow und Neuhof ist besetzt
Ton grossen Blockmauem, in Neuhof herrscht der blockreiche Deck-
geschiebemergeh Das Terrain zeigt keinen auffälligen Höhenzug, etwa
nach Nordosten, sondern ist auf weite Strecken TOn der 40 — 55 m Kurve
beherrscht.
Ich habe bis jetzt die zwischen dieser und der östlich davon
gelegenen Moriiiu nlandschaft von Dümmer liegende Gegend nicht be-
suchen können, also einen etwaigen Zusanuneuhang mit dem nördlichen
Geschiebestreifen Vn nicht konstatieren kOnnen; ein irgend bemerkbarer
in dieser Richtung streichender Höhenzug ist, wie gesagt, nicht vor-
handen, das Terrain steigt mit mehrfachen Unterbrechungen von De-
pressioneDi und der Schildcniederung allmählich zu 60 m an.
Bei Karft im Süden werden die Blöcke im sandigen Decklehm
seltener, im Dorfe findet man aber noch viel Blockmauem. Die Felder
zwischen hier und Wittenburg sowie bei Waschow (45 m hoch)
zeigen Spatsand mit geringer Steinbestreuung , entstammend dem nur
0,5 — 1 m nichtigen Deckssnd oder Decklehm. Eine ^eegrube an der
Chaussee vor Wittenburg enthält in den mit Sauden und Granden
wechsellagernden Geröllschichten des llauptdiluviums viele grosse Gerolle,
in dem diskordant darauf lagernden Geschiebelehm, der zum Teil in
geschichteten Deckkies Ubergeht, ßndeu sich nicht erheblich viele Blöcke.
Weiter nach der Stadt hin tritt ein Thonlsger nahe an die Oberfi&cbe,
dasselbe, welche südlich in der Wittenburger Forst fOi Ziegeleibetrieb
abgebaut wird. In der Gegend südlich von Wittenburg herrscht auf
kurze Strecken der steinarme Heidesand mit geringer Steinbestreuung.
In der <>() m hoch gelegenen Thongrube am Kunde der Wittenburger
Forst lagert V» — 1 m Decksand auf dem Bäuderthon; an der unteren
Grenze des l^des hegen Terdnzelt oder in grösserer FOlle grosse
Blöcke, darunter auch einige sehr grosse Dreikanter. Bei Bobzin
finden sich viele Blöcke auf dem 55 — 60 m hohen Sandterrain: ebenso
auf dem nach Hagenow zu 40 m abgedachten Gebiet bei Zapel. Im
Helmer Forst, der bis CO m aufsteigt, tritt Sand mit Steinl)estreuung
auf, und der Heidberg bei Helm (Ö4 m) zeigt auf (tertiärem ?) Glimmer-
sand wenig Decksand mit Steinen, zum Teil noch mit sdur grossen
Blöcken. Von hier aus sfldlich, nach Hagenow hin, tritt die Stem-
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39]
Die mecklenborgischea HOhflaurttcken ete.
253
bestreuung mehr und mehr zurück und macht der reinen, steinarmen
Heide Platz.
SOdlidi Ton Wittenburg yemrate ich bei ESrcbow und Setzin
Geschiebeanbäufung; in letzterer Gegend erhebt sich ein bis 80 m hoher
Rücken von kurzer ostwestlicher Erst reckung. Toddin und Pätow,
östlich davon gelegen , besitzen Blockmauem , bei Toddin werden
gebogene Haupisandschichten von 0,5 — 1 m lehmigem Decksand über-
lagert, an dessen unterer Grenze oft Steine (und Dreikanter) alt» Ptlaster
liegen; lokal treten auch 5 m tiefe Buchten yon blockreicheni Deck-
geschiebemergel auf.
In ettcUSetlicher und südlicher Richtung ist, soweit meine Beob-
achtungen reichen, der Zu^j unterbrochen durcli die Heideebene der
Sude. Erst der Looseuer Berg, östhch von Lübtheen, '>') m hoch, zeigt
an der Windmühle sehr steinreichen Deckkies, zum Teil geschichtet,
1 — 2 m auf horizotalen Eies- und Ghrandschichten lagernd. Bei Loosen
herrscht Sand mit Steinbestreuung, im Dorf trifft man Blockmauem.
In Loosen wurde durch zwei Bohrungen ein nahe der Oberfläche lie-
gendes, 87 resp. 42' mächtiges Alaunerdelager mit Sand und Thon-
schichten erbolu-t Koch*) bezeichnet diese Erliebung am rechten
Ufer der Rögnitz, mit den Ortschaften Loosen und Krenzlin, Picher
im Osten, Kamm, Quast, Hohen Woos im Westen, als gLooseuer
Berg*. Der Östliche Teil desselben mit zum Teil steinreichem Dflu-
Tium auf Ttfti&r, zum Teil von Heidesand Abdreht, gehört sicher zur
südöstlichen Fort.setzung des hier besprochenen Geschiebestreifens, der
südliche Teil lehnt sich an den folgenden Parallelzug an, ohne eigent-
liche scharfe Grenze.
Südöstüch folgen diluviale Höhen bei Glaisin« linkseitig der
Bögnitz, und Dadow Östlich Ton Eldena, welche die Fortsetsung des Ton
den breiten Flusslftufen Tielfseh unterbrochenen (^eschiebestreirons dar»
steUen.
Tn der Gegend südlich Grabow und bei Warnow wird dieser
Streiten auf mecklenburgisches Gebiet austreten.
IX. GeseUebestreifeu : „Gallin — Lttbtlieea ^ Godow—- Böck^.
Verniutlicli nur als Parallelstreif zum vorigen gehörig, verläuft
nahe bei diesem aus der Gegend zwisclien Zarrentin und Boizenburg
über den Lübtheener Gebirgszug ein weiterer Geschiebestreifen, ebenso
wie sein nördlif^er Nachbar nur stellenweise deutlich 2U erkenne, viel-
fach von Heidesand unterbrochen oder verdeckt, so dass nur inselartige
Erhöhungen aus der Heide heraustreten, welche die Fortsetzung des
Geschiebestreifens verraten. Dadurch, dass zuweilen die Blöcke von etwa
1 m alluTialem Heidesand bedeckt werden, wird dort der Charakter der
2 Vgl. Brückner, Grund und Boden Mecklenburgs 1825, S. 66.
*) In der anschanlicAien Schilderung dieser DüuviaUnBelii io der Hnde.
Zatichr. d. deatocfa. geoL O«. 1856^ & 274.
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254
[40
j\[oriirienlandschaft völliff odor teilweise verwischt. Fasst man beide
Streifen als einen einzigen auf, der nur eine flache Niederung in seinem
Verlaufe hat, so beträgt seine Gesamtbreite 20 km (zwischen Neuhof und
Lttttennuurk) bis 16 km (swiacben Krenzlin und Bockup).
Sein nordwestlich^' Beginn in Mecklenburg lässt sicli sehr deut-
lieh auf einer Exkursion von Boizenburg nacli Zarrentin konstatieren,
bei der man die gesamte Breite des Streifens durchläuft.
Bei Schwarte w am Boizeufer bedeckt ein hr»cli.steus V*
mächtiger Decksand mit einzelnen grossen Steinen und Dreikantem
horizontal gelagerten unteren Send und Schluff. Nördlich da?on tritt
ziemlich blockreicher Beckmeigel circa 5m mächtig auf. Bis Greese
trifft man mehr oder weniger reichliche Steinbestreuung. Der Haupt-
reichtum an Steinen aber beginnt bei Lüttenmark und setzt Ober
Greven fort. In Lüttenmark tritit man viele Blockmauern, die grosse
Sandgrube am Tlialabhaug xeigt Steinbedeckuug und lehmigen Deck-
kies auf Spatsand , die Höhe , die vom Forst Chreren ostwärts zu 90 m
ansteigt, führt massenhafte Block- imd Steinbestreuung auf dem Sand-
boden, dem einzelne LehmsteUen unteraiengt sind. Beekendorf und
Bennin südlich davon, femer Granzin und Gallin sind in gleicher
Weise ausserordenthch |ü:esepiet mit Blöcken. Eine Lehmgrube an der
Scheide von Granzin und Sternsruh zeigte 1,5m festen Deck-
geschiebemergel, unten mit einem Steinpflaidier gegen Thon mit untere
Hegendem Hauptgeschiebem^el getrennt, weiteihin aber nur geringen
lehmigen Decksand auf mächtiger werdendem Thon, der wohl als Aua-
schlemmprodukt des Deckgeschiebemergels gelten kann. In Stern s-
ruh ebenfalls 1,5 m mächtiger oberer Geschiebemergel nut unterer
Blockpflasterung. Oft herrscht auch reiner Deckkies, liier und bei
Nieklitz mit massenhaften Blöcken, die vielfach zur besseren Beacke-
rung in den Feldern vergraben wurden.
Nach Pamprin, Kogel und Camin hin treten mit einer Ab-
dachung auf 40 — 35 m die Blöcke völlig zurück, nur Kleinsteinbestreuung
der San«lfel(ler herrscht hier ist die Grenze gegen den nur circa
•t km entlernten nördliclien Zan-entiner Geschiebestreifen, mit dem aber
wohl zwischen Nieklitz, Gallin und Yalluhn ein Verschmelzen
stattfindet.
Im Südosten begümt nadi der steinarmen Gegend v<m Kogel bei
Camin wieder Steinbestreuung im sandigen und dann strenge Deck-
lehm, in Camin treffen wir einzelne Steinhäuser und -Mauern. Bei
Goldenbow ist der herrschende Spatsand von vielen Blöcken, darunter
prächtigen Kantengeröllen, bedeckt, ^»'ach Y eilahn hin verringert sich
die Steinmenge. Erst bei Goosfeld mit einer MeereehÖhe von 50 m
trifft man reiche Steinbestreuung (Dreikanter), di^ bei Dttssin zurück-
tritt, dagegen im Westen bei Brahlstorf und Damraereez noch reich-
lich aufzutreten sch(>int (Trennung vom nördlichen Zuj?? bei Vellahn).
Bei Melkiiof, nahe der Eisenbahn bei Brahlstorf gele;,'eii. wird
am Abfall des hier zu 60 m sich erliel)enden Terrains auf weissem
Glimmersand lagernd noch eine 2 m dicke Decksandschicht getroffen
mit viden Steinen (Dreikantem); alsdann folgt die weite Heidesand-
ebene dee Sudethales bis nach Lübtheen. Hier macht sich als Hervor-
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41]
Die mecUenbiurgiioheii Hfthenrflokeii etc.
255
ragung aus der Heide der niedri^'e „LuUtheener Gebirgszug** ^)
geltend, als Stock f"ür Ablagennif? des Ge.scliielu'streit'ens.
Am Oypslterg von Lül>theen tindcn sich die Blöcke des Deck-
diluviunis zum Teil von lieidesuud überweht, die Blockmauer am Kirch-
hof mid andere ,Fel8eii-*yerwendungeii zeigen das ziemlich häufige
Vorkommen der Öeschiebe in der Umgebung.
Im Süden erstreckt sich bei Jessenitz das von Heidesand und
DCmen besetzte Thal dnr Rn<^m\7.. welches, parallel d»>r VAlw. jft/t d:is
von dem ehemaligen Elbstrom durchfloäseue Thal mit der Krainke zu-
sammen teilt.
Im Sfidosten schliesst sich der 40 — 50 m hohe Rficken an , aui
dem aus der allgemeinen Heidesandbedeckung an einzelnen Stellen bei
Ramm, Trebs, Quast. Jabel, Hohen Woos das Diluvium resp.
Tertiär zum Vorschein kommt und die Stein- auch ßlockbedecku^g
♦l^n Geschie1)estreifpn bezeichnet, der teils vom oberen Geschieberaergel,
teils vom I)ecksaiid (mit Dreikiiiitirn) zusammengesetzt ist. Schon
Koch betont schart a. a. (). das Zusammeuvorkommen des eigentlichen
Pflu^ums mit dem Flötzgcbirgskem im (Gegensatz ffa der alluTialen
Hdde, und ich brauche hier nidit mehr ausführlich herrorzuheben, dass
der Geschiebestreifen hier in genetischem Zusammenhang mit dem
Hervortreten der Flötzgebirgswelle steht.
Das Vorkommen an diesen Orten wird durch folgende Aufschlüsse
charakterisiert: in der Lehmkulile am Rammer Berg lagert auf block-
reichem Oeschiebemergel 0,5 m gelber Heideeand, an seiner unteren
Grenze mit Stempflaster. Die Lehmgrube bei Hohen Woos zeigt unter
Flugsand lehmigen Deckkies und Sand, dann von kleinem Steinpflaster
bedeckt thonigen Geschiebemergel, der auf Tertiärthon lagert; ähnlich
ist es in der grossen nachbarliclien Ziegeleithougrube, wo der Heide-
sand 0,3 m, der Lehm resp. Biockkies U,2 — 0,7 m mächtig ist und auf
0,5 m Sand lageii, der den Miocänthon bedeckt.
Sfld5stli(£ von hier treffen wir jenseits des hier aus Nordosten
kommenden Rögnitzthales bei Grebs, Conow, Karenz. Malk (von
Koch als «Karenzer Berge" unterschieden) und bei Malliss und
Bockup auf die Verlängerung unseres Geschiebestreifens. Das Terrain
Lst 40 — 50m hoch, steigt aber im Steinberg htn Karenz zu 71m an.
Bei Conow herrscht blockreicher Deckmergel, zum Teil einige Meter
m9chtig Blockmauem in den Dörfern und an den Strassen; sowie aus-
geackerte Geschiebe deuten den Geschiebereichtum der Gegend an.
An den meisten Stellen waltet nur dünner Geschiebelehm oder meist
Derkkies vor, der unteren Sand bedeckt, oft lagert auf dem Deckkies
oder seinem Vertreter, dem Steinpflaster mit Kautengeröiien, noch feiner
Flugsand mit Ortsteinbildung, so besonders schön bei Grebs. Die SUd-
westgrenze des Streifens bildet hier die scharfe Ecke des 42 m hohen
Gkdgenberges bei Sc hie sin, die sich plötzlich aus der Heidethalebene
hervorhebt. Hier tritt uns lehmiger Deckkies mit viel Steinen in einer
') Vgl. F'. Of^initz. Flötzfonn. Mecklenl». und Koch, Die anstehenden
Formationen der Gegend von Dömitz. Zeitächr. d. deutsch, geoh ties. 1856»
& 249 t, Taf. 12.
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256
Oeinits»
[42
Märlitigkeit von 3 m entgegen , unteren Sand und Grand über-
lagernd.
Von hier nach Bockup geht man auf der Plateauhöhe, die mit
steilem Absturz nach dem Heidethale TOn Bad den fort undHeiddorf
abfüllt. In der Lehmgrube am Abhänge nördlich Raddenfort (25 bis
30 m) ist ein 2 — 3 m mächtiger Geschiebemergel aufgeschlossen , der
von Sand bedeckt wird, mit dünnem Steinpflaster an der Grenze und
Einbuchtungen nach unten iu den Mergel. Die Bockuper Thougrube
adf der HSie (42 m) zeigt auf dem Hiodliithoii 1 — 2 m Blocudmi
reep. Deckkies , zum Teil mit oberem Steinpflaster und Ton 0,5 — 1 m
Heidesand Qberweht. BeiMalliss, nördlich davon, zeigen Sandgruben
unteren Kies, zum Teil auf tertiärem Glimmersand, mit Bedeckung von
Deckkies oder riesentopt'artig eingreifendem (d)ereni Blocklehm; das
Deckgebirge der Braunk(dilengru))en ist Deckkies mit Ureikantem unter
Ueidesand. Auch die grosse Ziegeleigrube von Malliss, am Abhang
zum Eldethale, zeigt grosse (Geschiebe in dem hangenden oberen
schiebeniergel resp. dessen Vertreter, dem Deckkies. Bei Karenz und
Malk lagert geschiebereicher Deckinergel oder -Kies auf unteren Granden
resp. tertilirem Alimmersand und Thon. Auch die Wiesenniederungen.
bei Göhren unweit Eldena führen häutig noch grosse Blöcke.
Im Norden schliessen sich hier die geschiebereicheu Gegenden von
Glaisin u. s. w. an (s. o.), vielleicht zu demselben Zug gehörig.
Jenseits der Eide trifft man auf die zu 46 m ansteigende Er-
hebung bei Böck mit der Fortsetzung des Mallisser Tertiars und
in die Gegend von Dadow (s. o.).
X. Geschiebestreifen : ^Lanenbnrg — Boisenbnrg — Wendisch
Wehningen^.
Das hohe, GO — 70 m sicherhebende Diluviulplateau, welches zwischen
Lauenburg und den Vierbergen bei Boizenburg von dem breiten
Stecknitzthal durchbrochen wird und welches dem Andringen des Elb-
stromes seine steilen Abbruchsufer entgegensetzt, zeigt in der hoch-
interessanten Gegend von Lauenburg und Buchhorst auf den inaimijcr-
fachen Ablagerungen des Unterdiluviunis und Tertiärs da.s Deckdiluviiuii
als iJecksand oder meist als l)eckgeschiel)enicrgel in einer Mächtigkeit
von 1 — 5 und mehr Metern. Vielfach liegen in ihm zahlreiche grosse
Blocke, im Mergel geschrammt, im Decksand auch als Dreikanter, zum
Teil auch als dichte Steinpac kung : wir erkennen hier einen steinreichen
Horibienabsatz. Sein Liegendes zeigt oft sehr bedeutende Schichten-
Störungen. Die Oberfläche ist abgesehen von den tiefen Erosionsseiten-
schluchten von S<)Ilen und Kessehi vielfach durchsiebt. Die nördliche
Ausdehnung der Geschiebeablagerung habe ich nicht verfolgt
Weiter östlich nach Boizenburg zu erkennt man die Fortsetramg.
*) Vgl. Koch a. a. 0. S. 273.
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43]
Die meckleaburgischen Höhenrücken etc.
257
Bei Horst sieht man in der 10m hohen Tenasee des Thaies schffn
die Umarbeitung des Bodens durch den alten Strom: braoner und
weisser Spatsand mit diskordanter Purallelstruktur wird von einem
horizontal laufenden Steinpflaster bedeckt, auf dem noch 0,5m unge-
schichteter bräunlicher Alluvialthalaand folgt. Die 54 m hohen Vier-
berge zeigen au ihren Gehängen unteren Sand mit Steinbeatreuung; das
bis Boizenbnig folgende Abbruchsufer, welches dem bis 66 m an-
stehenden Plateau entspricht, zeigt reiche Blöcke am Elbstrand aus-
gewaschen aus dem blockreichen oberen Geschiebemergel, der in be-
deutender Mächtigkeit (5 — 10 m) miteren Sand oder weiterhin steinannen
unteren Geschieberaergel bedeckt.
Im iSüdeu grenzen hieran die weiten Marschniederungen des Elb-
thales.
Im Nordwesten reihen sieh die oft sehr steinreichen rechtsextigen
Elbnfer bis unterhalb Himiburg hier an.
Südlich von Bockup liegt, von dem LUbtheener Gebirgszug durch
eine weite steinlose Heidesandebene getrennt, die bis 33 ni aufsteigende
Erhebung von Wendisch Wehningen we.stlich Dömitz an der
Elbe. Die Felder zeigen hier Sand mit reicher Stembestreuung , gute
Dreikanter sind sdir hünfig. Bei anderer Gelegenheit *) habe ich das
interessante Thonlager mit seiner bituminösen Diatomeenerde und den
Schichtenstörungen beschrieben. Das Hangende bildet hier ein mächtiger
Blockmergel.
Es ist möglich, dass die flache Gegend zwischen hier und Neu-
haus, welche die der Elbe parallel laufenden Thüler der Krainke und
Rdgnits trennt, sich als deniidierter Kern des nadi Boizenburg laufenden
Geschiebestreifens darstellt
III. Geschiebestreifen: „DiedrichshSger Berge — lyendorf
Nenbiikow — Satow — Sehwaan — Schniooksberg — Teterow —
Malchin — Kenbrandenbarg — Uelpi^.
Von diesem Zuge fehlen noch einzehie genaue Begehungen und ist
daher an einigen Stellen die Abgrenzung nicht ganz sicher festgestellt.
Das ni<mt ganz 10 m Hdhe erreidiende iJ>bruchsufer der Ostsee
westlich YOTtt Heil Ilgen Damm bis Fulgen entblfiest oberen und unteren
Geschiebemergel, zum Teil mit Sandablagerungen zwischen beiden; dem-
gemäss ist hier der Sfrand umsäumt von vielen ausgewaschenen Blöcken.
Weiter we.stlicli x.wisdien Fulgen und Arendsee wird das üfer immer
niedriger und hat auf grössere Strecken den Spatsand eutblösst, so da.ss
hier eine Unterbrechiui|p der Blockanhäufung erscheint.
Die Landschaft hmter dem Klint, zunächst der bis zu 28 m an-
stdgende flache Biücken zwischen den beiden breiten Thalniedermigen,
') I. Beitrag z. Qeol. Mecklenb. 1879, S. 40 f.
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258
Gdniti,
[44
ist bis Doberan hin nicht durch Blockreichtiim ausgezeichnet; im Dorfe
BrunsliaupteD laufen hinge grosse cjklopii^che iMueni au den Wegen
und um die HSfe« am Rande des Fulgenbachthales tritt in Klein- und
Hinter-Bollhagen mit ihren Blockraauern strenger, lilockreicher oberer
Mergel in bedeutender Mächtigkeit auf, als Bedeckung des auch hier
vielfach zu Tage tn ten<h'n feinen Sanch^s und Thonsandes. Noch aut-
tälJiger ist das Hervortreten und Vorherrschen des iSpat*<audes (mit
untergeordnetem Kies, zum Teil auch in seiner Deckkiesüberschüttung
einheimieche, aus den sOdlicb gelegenen Höhen tnasportierte GerOlIe
ftlkraad!) am linken Gehänge desselben Thaies, wo dieser Sandstreifen
von Arendsee über Brunshaupteu, Wittenbeck, Brodhagen zum
Kellerswald hei Doberan führt, bis m einer Höhe von et^va 40 m hin-
aufreit lund. Aber auch hier leliit der bli •ckreiche Deckmergel nicht
völlig; sowohl bei Brunshaupten als bei Brudhagen tritt er in mächtiger
Entwiekelung auf.
Nach diesem unterbrechenden Sandstreifeu folgt weiter nach Westen
zu der schaff markierte, zu 128 m ansteigende Höhenzug der Diedrichs-
hagener Berge mit dem hier zu Tage tretenden glaukonitischen Pläner.
Auf dem Bergrücken, der bekauntli(;h ein ausgeprägtes nordwestliches
Streichen hat, ist der obere Mergel nur fleckenweise mit bedeutendem
Qesefaiebereiekium als Auf- und Anlagerung entwickelt, in den anderen
Stellen kommt teils der anstehende Plftn^, teils Spatsand su Tage.
Von den ^wältigen Schieb tenstdrungen, die hier drä Pläner und das
Hauptdiluviiim betroften haben, ist schon bei anderer Gelegenheit
berichtet
Bei dem Bastorfer Leuchtturm (78 m) und auf dem bis 50 m
herabsteigenden Plateau bei Hohen Niendorf und Mechelsdorf
bildet sandiger Diluvialmergel den Hauptbestand des von SOUen durch-
setzten Bodens, doch gelangt hier, z. B. im Bastorfer Holm bei 80 m
Höhe, vielfach der Spatsand zu mächtiger Ausdehnung und ist auch
der Mergelboden nicht durch eine grosse Zahl erratischer Blöcke
ausgezeichnet. Wichmannsdorf, in der Höhe von 100 m gelegen,
dürfte die südwestliche Grenze des Blockgebietes bezeichnen. Im Wich-
mannsdoifer Holz imd in der Etthlung bei Diedrichshagen, in
Diedrichshagen selbst, femer am mrdabbang oberhalb Bruna-
haupten, bei Ober Steffenshagen u. s. w. sind au£GUlige Bergkuppen
mit tiefen Kesseln und Schluchten, zalilreiche grosse erratische Blöcke,
Mergelboden, aber auch Sand und Kies auf und neben dem Pläner, die
Typen der Moränenlandschaft unseres (ieschicbestreifens.
Unterhalb Diedrichshagen und Jennewitz beginnt das sand-
und bloekBrmwe Deckmergelgebiet des sttdlichen Abfalles, das sidi nach
der Kröpelin er Gegend fortoetzt (s. u.).
In südöstlicher Richtung folgt die geschieberei( he Gegend von
Reddelich, Doberan, Althof. In Reddelich zeigen schon die
< vklopischen Mauern der Gehöfte und \\ ege den Reichtum des Mergel-
bodens an Geschieben an. Die Ausschachtungen am Bahnhof zu Doberan
*) FlMsfonn. Mecklenb. S. 54.
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45]
Die mecklenburgischen Höhenrücken etc.
259
uud die Befuude der hüdlichen Höhen ergaben müciuige ßlockauhäuiuiig
auf ThoDf Sand und Kiesen des UnterdäuTinms %
Die DorCschaften Stalow, Glashagen, Hohenfelde, Althof,
Ivendorf, Konow, Hastorf, Hanstorf, Beinshagen, Heiligen-
hagen, Bölkow bezeichnen den weiteren südöstHchen Verlauf dos
Ge^chiebestreifens, der hier eine Höhe von 40 — 8U ni hat, mit stellen-
weiser Erniedrigung zu 20 m und Erhebung zu über 100 m. Sehr
deutliche Einblicke in den Bau jener Gegend ermd^chte der Ghaussee-
baa zwischen Doberan und Schwaan in den Jahren 1882 und 1883.
Die dabei gewonnenen Einschnitte ergaben ebenso wie die übrigen Auf-
schlösse der Nachbarschaft, dass der „ Geschiebestreifen " nicht etwa eine
mächtige Anhäufung geschiebereichen oberen Mergels ist, sondern dass
in gleicher Meereshöhe mit ihm auftretend und manniglach zu Tage
tretend^ in den bekannten glacialen Schichtenstörungen mit ihm verbun-
den, die unteren Sande, zum TeQ auch Thone, eben&Us an der Ober-
flachenziisammensetzung jener G^end sich wesentlich beteiligen. Nirgeiidn
ist der Charakter einer Endmoräne ausgeprägt, wohl aber •]• rjeiiige der
an Sollen und Kesseln reichen G run dmoränen - Ti an d s c ha f t.
Dem sfiehen beschriebenen Diedrichshagen -Ivendorfer Geschiebe-
Streifen parallel läuft westlich von Kröpelin ein 4 km breiter Neb en-
xug, den ich als Neu Bukow-Satower Geschiebestreifen bezeichne.
Bei Alt und Neu Gaarz tritt das Diluvialplateau mit steilem,
zum Teil 21 ra hohem Ufer an die Ostsee. Viele ausgewaschene Blöcke
umsäumen den StraTid. lU r Wismar-Rostocker Eisenbabnbau durchschnitt
sehr schtin diesen Nebenzug mit seinen beiderseitigen Sandah^n eiizuii^en
Nachdem am Bahnhof Kröpelin und noch westlich davon noch mach-
tiger (5 — 8 ni) blockreicher oberer Geschiebemergel und dessen Blpck-
bestreuung angetroffen war, als westlicher Ausläirfer des Diedrichshä^
Geschiebezuges, tritt am "Westenbrügger Holz bei Sandhagen der ferne
zu Heidesand abgeschlemmte Spatsand auf, zunächst noch mit reich-
licher Steinbestreuung (rohe Dreikanter), und erst nach der etwa 4 km
breiten Sandunterbrechung kommt bei Neu Jörnstorf und Lehnenhof,
bis Neu Bukow reichend, der block reiche Deckmergel in 1 — 2 m
Iföchtigkeit oder sein Yertreter, der Deckkies, in einer Höhe Ton 25
bis 30 m wieder zur Geltung. Hinter Neu Bukow folgt dann ein
Spatsandareal in 40—45 m lUihe, bei d^ Panzower Tannen, 4 km
breit, diesen Nehenstreifen TOn dem westlich bei Alt Bukow begin-
nenden Pöeier abgrenzend.
Im Nordwesten bilden Russow und Zweedorf die Verbindung
nach Gaarz. Nach Südosten wendet sieh der Streifen Ober Satow,
um sich weiterhin mit dem Hauptzng zu rereinigen.
So trifft man bei Schmadebeck sttdlich von Kröpelin einen be-
trächtlichen Blockreichtum, aus sehr wenig mächtigem I>eckkies .stam-
mend, der mit Dreikantem und Blöcken oft dicht gepackt, ungefähr
horizontal lagernden unteren Sand überlagert oder auch die reiche
') Vgl. Geinitz, VII. Beitrag z. Geol. Mecklcnb. 1885. S. 52.
*) Vgl. Geiniti, YIL Beitrag s. Geol. Meckienb. S. 45—47.
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260
Geinitz,
L46
Steinbesfareuimg der Felder rersorgt; auf der Höbe, die zn 80 m ansteigt,
herrscht oberer Blockmergel. Bei Siemen, südöstlich von liier, finden
sich zahlreiche Blöcke in dem oberen Mergel. Oestlich tritt über Hei-
ligenhagen bereits die Verbindung mit dem Hauptstreifen ein. Hier
schliesst sich direkt im Süden die 0.")— 75 ra hohe Deckmergelgegend
von Gerdühageu, Satow und Miekeuhageu an, mit zahlreichen
groBBOi Blöcken, tiefen isolierton Moor^ und Seekesseln. Von hier
stammt die hauptsachlich aus dem Deckdiluvium zusammengebiBchte
Geschiebesammlung, welche das Rostodci r Museum dem verstorbeneii
Pastor Vortisch verdankt. Auch hier hat der Deckmergel nur die
Mächti<^keit von i)J^ — '> m; er lagert auf unteren Banden, unter denen
zum Teil noch unterer Geschiebeniergel hervora-itt; der Deckmergel ist
oft fein horizontal gebankt und enthält nicht immer sehr viel Blocke.
Sttdin^rts von hier, bei Jürgenshagen und Neukirchen bis
Btitzow, treten die Blöcke immer mehr zurück, es herrscht noch Deck-
mergel, oft aber unterbrochen von Spatsan<l. Erst nordwestlich von
Bützow kommen bei Kurzen Trt'chow die Blöcke wieder zur Geltung,
als östliche Ausläufer des SrhlcinmiiK r Geschiebestrcifens.
Zwischen Bölkow und Fulirenholz setzt der nunmehr vereinigte
Geschiebestreifen Uber das Thal des Waidbaches; nördlich von Nien-
hüsen treten in der Höhe von 25 m massenhafte, besonders durch den
rhuuseebau im Winter 1882 — 1883 geforderte Blöcke aus dein Lfelben
Deckge.schiebeniergel zu Tajj^e. Dieser Blockreichtum zieht sieh fort
über Ziesendorf nach Bröbberow und Gross Grenz; dicht bei
Bröbberow wurde auf den 10 — 15 m hoch gelegenen Feldern an den
Uferh<$hen des Waidbaches unter der dOnnen Aekerkrume ein unge-
ahnter Reiditnm an Blöcken durch einfaches «Ausbuddeln*, d. h. Heraus-
heben ans dem Ackerboden gewonnen und für den Chausseebau Ter»
wertet. Die rrrossfu Blöcke lagern in einer dichten eisenbraunen,
kiesigen Stoinpackung von einer Min htit^keit von 1 m auf Spatsand; es
war eni tyi»is( her sandiger Moräneuabsatz von derselben Beschaffenheit
wie bei Schwerin, bei Eickhof, bei Liepe u. a. 0.
Weiter abwftrts macht sich bei Schwaan nur der rdne Spatsand
geltend, so dass hier eine Unterbrechung des (Jeschiebestreifens zu kon-
statieren ist. Hier tritt das mächtige und ausgedehnte Diluvialthon-
lager von Schwaan. Wiendorf, Viegeln und VValirstorf unter den
Sanden hervor und waltet an den übrigen Stellen der feine, oft thonige
Sand, oder wie bei Benitz der grobe Kies und Grand vor; dabei tritt
in der genannten Gegend lokal auch noch der obere Geschiebemergel
auf, aber nur zum Teil mit etwas bedeutenderem Blockgehalt.
Die durch vielfache Lücken unterbrochene, auch im Übrigen sich
nicht durch auffallige Oberfläthenbeschaf^enheit auszeichnende südöst-
liche Fortsetzung des Geschiebestreifens lässt sich etwa durch folgende
Punkte fixieren:
Bei den Östlichen Ausbauen zu Wiendorf, nahe dem Sprenzor
Thal, tritt ein steinreicher Blocklehm, zum Teil auch Deckkies in be-
deutender Mächtigkeit auf, mit seinem SjiatMind-Untergrund zum Teil
schmale Grenzrücken zwisdien den nachbarlichen Tliiilern bildend, die
als Reste des hier 30 — 40 m hohen Plateaus erkannt werden. Oesthch
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47]
Die mecklenbttrgischen Höhenrücken etc.
261
hiervon, bei Säbel, Striesdorf, Dolgen, Lautuw, tritt zwar viel-
fiMdi sof dem Sand der Deckmergel in bedeutender Bfitohtigkeit auf,
S5lle und einzelne eiratiscbe Blöcke sind häufig, aber ein besonderer
Blockreichtnm ist nicht vorhanden: wir haben Mer das nördliche Rand-
gebiet in einer Meereshöhe Ton 45 m, im Dolgener Beig auch bis zu.
71 TD. anschwellend.
Ein grösserer Blockreichtum nördlich von hier, bei Prisanue-
witz, gehört wahrscheinlich bereits zum nördlichen Rostocker Parallel-
zag (s. u.).
6 kni südlich von Schwaan triflFfc man in Kassow am rechten
Wamowufer eine reiclilichere Steinbestreuung auf dem unteren Sand,
und im Dorfe viele Blöcke; östlich und südlich davon, bei Mistorf,
Augustenruh, Lüssow timlen sich vereinzelte Blöcke, wenig reiche
Steinbestreuung auf feinem Spatsand, oder blockarmer l — 3 m mächtiger
oberer Gbschiebemergel auf dem 85 m hohen Platean, ohne den Charakter
des Gescliiebestreifens zu zeigen. Südlich dacht sich das Plaieau zu
dem Nebelthal von Güstrow ab, w'ilirind bei Güstrow die nordöst-
lich laufende breite Thalrinne des Recknitzflusses beginnt, deren beider-
seitige Uferhöhen bei Sarmstorf und Spoitendorf zum Teil Klein-
steinbestreuuug zeigen.
Jenseits des necknitBäulee findei man bei Laage die FcHiBetzung
des Nordrandes unseres Oeschiebestreifens angedeutet:
Die tiefen Einschnitte am Bahnhof Laage entblössten einen an
Mächtiixkf it vielfach wechselnden (0,0 — 4 — S m). sehr blockreicheii oberen
Geschiebemergel, der unter mannigfachen grossartigen Verdrückungen
rasch wechsellagenide untere Sande und Kiese, auch Thonsande und
unteren Geschiebemergel bedeckt, auch vielfach in Buchtenform in seinen
Untergrund eingreifend. Südlich von Laage durchläuft die neue Eisen-
bahn bei Lissow, Corleput, Knegendorf, Piaatz das oft vielfach
durchfurchte Diluvialplateau mit Sauden und Steinbestreuung, wehho
letztere oft ziemlich reich ist und auch in Blocklehm (z. B. bei Lissow)
ü>)ergeht; vereinzelte Dolmen, z. B. bei Piaatz, sind auch hier wieder zu
treätu. Bei Mierendorf lagert 0,5 m sandiger Decklehni mit Steinsohle
auf unteren Sauden und Kiesen, andererseits trifft man unter ESnbuch-
ttugen von Decklehm die Sande in schleifenartigen Biegungen zusammen-
geschoben. Bei Recknitz tritt am Recknitss^l-Ufer in 15 m Meeres-
höhe ein bis 3 m mächtiger sandiger oberer Blocklehm auf feinem
Spatsand auf.
Südlich vou Laage erhebt sich der gebirgige Hügelkompiex des
Schmooksberges bei Lflningsdorf zu einer Höhe von 135 ra. Je
nachdem man den Berg Ton Korden oder Süden und Südosten besteigt,
erhält man einen ganz Terschiedenen Eindruck, da er kein vöUig iscdierter
Berg ist, sondern in ähnliclier Weise wie der Heidberg l)ei Teterow
u. a. ni. zu dem nachbarlichen Phiteau in engste Bezieluiiig tritt. Die
Spitze und der Hauptteil des Gehänges besteht aus Sund und Kies,
stellenweise mit vielen Steinen, oft von grosser Unfruchtbarkeit des
Bodens; am nordwestiichen Abfall besteht sein Boden aus Geschiebe-
luergel, hier zum Teil, z. B. nach der Pölitzer Grenze und am Drölitzer
Ab&ll, mit isolierten oder zu Reihen geordneten SöUen und der wilden
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202
Geioits,
[48
Moräiieiilandscliaft In DrÖliiz u. a. 0. trifft man häufige Blöcke an
den Flanken des Berges. In einer Mergelgrube am Hofe Pölitz ist
ein an Blöcken reicher Geschiebemergel (Deckmergel) in irrossartig'e
Schii liteiistörung mit nachharlichem Kies und Grand getreten. Aus
allen bisherigen Beobachtungen ergibt sich, dass der obere Geschiebe-
mergel an den Seiten des Berges Torkommt, wShrend er auf seiner
Spitze fehlt und höchstens durch Steinbestreuung yertreten ist ; vielleicht
büdete also die von „unterem" Sand aufgeschüttete Spitze eine von der
«ober«!!** Grundmoräne fast freie Erlief )iing, ähnlich wie bei anderen
Bergen (z, B. Helpter- und Ruhnerberg).
Südlich und südwestlich vom Schmocksberg treifeu wir noch
emige andere isolierte Erhebungen und Berge, deren Zusammenhaiiff
erst durch die neuen MesstischbUtter ganz aufgeklärt werden wir£
Sie zeichnen sich meist dadurch aus, dass sie bis zur Spitze aus ^un-
ten'n" Sauden und Kiesen zusammengesetzt sind, am (Ifh'ange aber
auch zuweilen mäehtiye Mertjelbedorkung zeii^en: wnhix lieinlich sind
es ähnliche Diluvialauthäufungeu auf einem Flcitzgebirgbkern, wi«- •/. B.
die Höhen des Schönberges im Klützer Ort oder der Sonuenbeig bei
Parchim u. a. Vielleicht kann man sie als «Ausläufer* oder Yerbin*
dungsglieder der l)ena( h))arten Geschiebestreifen auffitssen.
Am Ahrens berg bei lieinshagen, ösÜich Güstrow, treten einige
auffällig spitzkegelfi)rmi;^n> Kieserhebungen aus dem steinbestreuten
Sandboden her\'or, die wohl kaum allein als Keste des I'lateaus gelten
dürfen, sondern vielleicht schon vom Wasser selbst zu ihrer i orm auf-
getttimt worden sind.
Die landschaftlich recht aufiälligen, weil sich den nachbar-
lichen Wassemiveaus ziemhch bedeutend erhey)enden Höhen östlich von
Güstrow, der Haidberg, Priemer, Mestersberg u. s.w.. bestehen
gleich dem benachbarten Diluvialplateau aus Sauden oder blockarmem
Deckmergel. Ihre isolierten Kuppen sind die bei der Erosion und
Evorsion stehengebliebenen Beste des Plateaus, Ton welchem sie sich
in ihrer 50 — 58 m betragenden höchsten Erhebung gegenüber der
Meereshöhe des Plateaus von 25 — 45 und mehr Meter auch nicht be-
sonders abheben.
In dem östlich folgenden Vietgester Revier treten ähnliche
Höhen auf mit 75 — 80 m Meereserhebung.
Ein bemerkenswerter Reichtum an Geschieben ist auf jenen Höhen
nicht zu konstatieren, dagegen finden wir B. bei den Bahneinschnitten
von Ahrensberg an die mächtigen Spathsandht^ häufig blockreichen
oberen Geschiebemergel angelagert.
Oestlich von diesen Höhen entltlrissic die neueEisenbahn bei Vi etfjest
und Laieudorf blockreiciicn Deckmergel des liier ca. 3H m Indien Plateaus.
Südlich von LaK ndorl steigt das Land über VogeL^aug und Lübsee
alsbald zu dem südlichen Hauptgeschiebestreifen von Both^palk an. In
den Laiendorfer Blockanhäufungen scheint eine Verbindung der beiden
parallelen ZQge angestrebt zu sein.
>) \-^\. an li K r],. Arch. d. Ver. f. Mat. Meddenb. 1884 (88)« 8.255^ und
die ächildurungen vou Boll a. a. 0.
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Die mecklenbnrguchen HShenrttcken etc.
263
In südöstlicher Richtung vom SchmofiTcslu rg durchschreiten wir
die vielfacli conpierte, von Sollen und Seen durclisotzto Landschaft von
Schlieffenberg, Koge. Zierstorf u. a., in der unterdiluviale Kiese
und Sande vorherrscheu , oberer Geschiebemergel aber nicht gänzlich
fehlt, jedoch ohne erheblichen Blockreichtum. In direkter Verlängerung
der lunrdweatlich-eOdöfltiiGheii Liaie folgen die Höhen der Heidberge
bei Teterow. Wie der Schmooksberg, so bestehen auch diese bis
102 m hohen Rücken oben aus Sand und Geröl Hagem mit geringer
Deckdiluviiilüberlageruug . und erst an den Abhängen tritt mächtiger,
Ott bU)ckreicher oberer Geschiebeniergel auf
Der Eiseubahubau zwischen Teterow und Gnoyen durchschnitt
hier zum Tefl die Nordflanke des Geechiebestreifeiis. Bei Thflrkow
zeigen die unt^rdiluvialen SandhUgel Steinbestreuung des Dcckdiluviume;
der Einschnitt längs des Holzes entblösste Spat* und Schluffsand mit
—0.8 m lehmigem Sand darauf, der ziemlich viel Blöcke enthält,
zum Teil auch mächtiger wird und in Decklehm übergeht, z. B. bei
Todendorf. Weiter nördlich folgt blockarmes Terrain.
Bei Teterow ist die Fortseisang des Gesdiiebesfareifens deutlich
zu gewahren. Nach Bolls Mitteflung*) wurde etwa im Jahre 1845
«bei Teterow* für daa Ghausseebau ein mächtiges Blocklager bloss*
gelegt, „in welchem die einzelnen Bl 'u ke durcli braunen, eisenschüssigen
Sand miteinander verkittet, wie ein dichtes Mauerwerk aufeinander gepackt
erschienen" (auflailige Analogie mit Bröbberow bei Schwaan s. o.).
Bei Niendorf und Teschow finden wir steinreiche Felder mit dichter
Steinbeschttttnng, viele grosse Blocke auf Idunigen KieshOgeln in dem
40 '80 m hohen Plateau. Blockreicher DecSnnergel auf Spatsand
lagernd geht weiter nach Wendischhagen und Bristow am nord-
östlichen Miikhiner See. Auch bei Kemplin birgt der Deckmergol,
in der Tlnaigrube nur 0,5 m mächtig auf Bänderthon lagernd, mehrfach
grosse Geschiebe. Auf dem Septarienthon von Pisede ist stellen weise
sehr blockreieher Deckmergel auf- und angelagert Dagegen bestdit
der hier zu 108 m anftteigende Harkenberg an seinem Qi^el ähnlich
wie der Schmooksberg nur aus Sauden, und erst an seinem Gehlnge
kommt der Blocklehm zur Gelhmg.
Nordwestlich vom Harkenl)erg linden wir einen Höhenzug, der
eich aus lolgeuden aus dem etwa 80 ra hohen Plateau aufragenden,
mehr oder weniger isolierten Bergen susammensefaEt: Boben-Berg mit
105,5m, Schlanker Berg 125 m, Hardt-Berg bei Pohnstorf 122 m
u. a. m. Auch der Hardt-Berg /.oigt auf seinem Gipfel nur Sand und
kleinen Kies, erst an dem Aldiang kommen Hltic^ke und gering mäch-
tiger Deckmergel. Westlich ist diese Berggruppe bei Mistorf durch
herrschenden Spatsand von dem eigentlichen Teterower Geschiebe-
streifen getrennt ; auch an seinem nördlichen raschen Abfall bei Pohnstorf
ist kein Geschiebestreifen^us zu g^ewahren.
Die Breitenansdehnung Iftsst sich hier auf einer Wanderung nach
Vgl. Geinitz, 1. Beitrat z. Geol Meckleab. 1S79, S. 29, 61.
Abiin d. mecUeiib. LanMfc. 1861, 8. 291.
VonAvagm nur dMMhm Laad» vnd TolkAana«. L ft. 19
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Geuoiti»
[50
Neukaien feststellen. Am Wege zwischen Markow und Hagens-
ruhni, sowie vor Barnitz zeigt eine reiche Steiiibestreuung dt-r Sand-
felder, zuweilen uiit Deckmergelboden, längs des breiten Thallaules die
(Müiche Grenze der Geechiebeaiih&iiftmg an.
Jenseits des breiten Torf- und S^thales des Malcliiner und Onm-
merower Sees setzt auch unser Geschiebestreifen fort.
Die Umgebung Ton Malchin wird hier liauptsiUhlich aus zu Ta«xo
tretenden unti^ren Sauden gebildet, nur untergeordnet tritt Deckgesehiebe-
lehm mit auf. Bei Duckow nimmt blockreicher oberer Mergel an
der ZusammensetEung des hier 40 m liohen Plateaus TeiL' Das Hain-
lioli bei Malchin besteht am Nordnmd der HOhe aus Spatsand, der
auch noch in der Höhe von 24m bei der Gielower Mühle auftritt.
Auf dem [üit ken kommt stellenweise auch Blo( kniergel zur Geltung;
in den Kalkgruben am Hainholz ist mächtiger, oft Idockreicher Ge-
scliiebemergel auf dem l'läuerkalk abgehigert. Auch unterhalb Leuschen-
tin finden wir steinreichen Geschiebemergel zum Teil in seinen imteren,
gegen den Spatsand grenzenden Partien mit roher^ vom Schmelzwasser
geEeferter Schichtung.
Weiterhin habe ich den Verlauf des Ge.schiebestreifens zwischen
Malchin und Neubrandenburg noch nicht eingehend studieren können.
Die Ei8enV)ahn läuft öfters, z. B. zwischen Staveuhagen und Mölln,
hier auf dem sollreichen Deckmergelplateau hin.
In der Gegend Ton Neubrandenburg sind die Geschiebe-
anhäufungen wieder recht schön zu beohachten. Die Mak hiner Eisen-
bahn läuft kurz vor Neubrandenburg längs des tiefen Erosionsthalcs
des Melliner Baches in zum Teil recht ( liaiaktf ristisrher M(»ränenland-
schatl. Der Bau der SUdbahn entblösste in dem ersten Einschnitt des
Westufers der grossen Tollenseniederung bei Broda unteren Sand und
Eies mit östlitmem Ein&llen, der auf der PUteauhöhe Ton Decklehm
überlagert ist, in welchem zahlreiche grosse C^chiebe vorkommen.
Der lange Einschnitt durch das 60 m hohe Plateau südlich Weit in
zeigte oberen und unferen Idot kr( ichen. plattiL' nl>i,n>sonderten Geschiebe-
mergel , })ei(h^ zu%v( ili'i) durch eine <>.') m du ke »Sandschicht getrennt.
Mit wechselnden Vorkommnissen reicht der l)k>ckreiche obere Geschiebe-
mergel westlich bis Wulkenzin, Malliu und Kruckow, coupiertes
Terrain, SdUe, EiesrUcken, Morftnenlandschaft zeigen auch hier den
Geschiebestreifen an.
Auch djiK schöne, ludie Brodaer nordwestliche Ufer des Tollense-
sees bei Belved«'re, N< iibrandenburg, hat d^n Blockmergid ange-
schnitten; auch hier kann man Sandein- und Auflagerungen beob-
achten; das Ufer ist umsäumt von zahlreichen grossen ausgewaschenen
erratischen Blöcken.
Am Ostufer waltet im Nemerower Holz zunächst der feine
untere Sand vor, do( h zeigen die Höhen des ()0 — 75 m hohen Plateaus
flu iifalls das zum Teil l)lo( kn ich«' Deckdiluvium, und an den hohen Ufer-
steilen nördlich Nenicr«tw tritt der Dcckmcrgcl auch ;in den See heran.
üestlich vor der Stadt erhebt sich ids eine durch das aus Südost
kommende Uftthlthal und das aus Ost zur ToUense strdmende IHttzethal
aus dem Plateau herausgeschnittene Zunge der Galgenberg. Die
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61]
Die meoUenbnrgisdien Höhenrficäai eta
265
hier angesclinittene Wand zeigt in beträchtlicher Mächtigkeit dt-u Sep-
tarientlion meist innig mit nordischem Moränenmaterial vermengt nnd
schliesslich von blauem reinem Gescliiebemergel bedeckt. Aiü diesem
lagert in bedeutender Dicke Spatsand und Grand, zum Teil auch in
acnöner SchichtenstOnmg unter Bloddehm. Die bis 58 m hohe Platrau-
Oberfläche zeigt vorwiegend Sand mit untergeordnetem Deddehm, weiter
östlich und nördlich tiberwiegt die Sandlandschaft immer melir. Auch
hier am Galgenberg ist ein selir bedeutender Reichtum an grossen
Blöcken in dem oberen Ot schiebemergel zu konstatieren. Auf der Höhe
jenseits des Mühl- oder Lindthaies (62 m) finden wir über der hintersten
Hoble reiche Steinbestrenung auf Sand und Kies. Bei Wohersin
nördlich von Neubrandenburg finden sich auch viele Steine.
Südlich von Neubrandenburg trelfen wir bei Gross Nemerow
und Rowa auf dem bis 90 m hohen Mergelplateau mit zahlreichen SdUen
die Landschaft des Gesrlncbestreifens.
Die tiefen Kessel bei S targar d, in den unteren Sand einge-
arbeitet, die Wegeanschnitte von Sand mit buchtenartig eingreifendem
oberen Blockmergel u. a. bezeichnen den Fortlauf des Geschiebestreifens
nach Stargard, welcher sich von hier auch noch südlich verbreitert.
Am oberen Ende von Stargard tritt bis 8 m mächtiger gelber, ZUm TeU
etwas sandiger oberer Geschiebemergel auf.
l.)en weiteren südöstlichen Verlauf des Geschiebestreifens über
Cölpin-Petersdorf habe ich noch nicht konstatieren können. Doch
tritt er nördlich Ton Woldegk in den GehSngen des Helpter Berges
irieder auf.
Sudlich Ton Woldegk sendet der parallele Zug IV Ins nach
Graut^nliagen und Göhren einen verbindenden Ausiäufir in nord-
r.stlicher Richtung. Die direkte Umgebung von Woldegk enthält
nicht viel Blöcke in dem bis zu (im Dicke anwachsenden Deckmergel.
Nördlich der Stadt erhebt sich aus dem zur Woldegker und
Helpter Heide mit 120 — 130 m au&teigenden Terrain der 170 m hohe
Helpter Berg als schmaler, langer, nordöstlich streichender Rücken
in ganz ähnlic iu r Weise wie die Hohe Burg bei Sclilemmin, an seinen
Abhängen und auf der HCihe mit vielen isolierten Torfsöllen. Die Ober-
fläche ist meist aus oberem Geschiebelehm mit reichlichen Blöcken ge-
bildet, welche ausgeackert oder im Walde durch Ausrodung freigelegt
werden; unter dem Beckmergel tritt feiner Spatsand herror. Audi
das nördlich nach Helpt bis 120m abfallende Gebiet von strengem
Deckmergt'l ist noch reich an Blöcken, im Osten schliesst sich die Um-
gebung von Mildenitz in gleicher Beziehung an.
Dietger Geschiebestreifen ist ausgezeichnet durch melirere isolierte
bedeutende Erhebungen, die aus unterdiluvialen Sandbeschüttungen be-
stehen und wahrscheinlich resp. sicher nachgewiesen einen nerYor-
tretenden Kern von Flötzgebirge besitzen. Zuweilen sind auch diese
Kuppen etwas TOr die Linie des Streifens herausgerückt.
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266
Geiiiite,
[52
IL öeschiebestreifen : „Warneiiiüude — Rostock — TeflSin —
Darguu — Friedland — Bröhmer Berge^.
Im wesÜichen Tefle des bis 18 m hohen Abbrachsufers der Stol-
tera bei Warnemünde tritt der an grossen Geschieben sehr reiche
obere Diluviahnergel in beträchtliclicr Mächtigkeit (bis 8 m) direkt auf
dem unteren läppernd auf. während woitcr rystlidi nach Warnemünde hin
sich viclfjich tSpatsand und Thon dazwischen einschiebt '). Djis hier
klintartig von der See abgebrochene flache nach Jsorden geneigte
Diluvialplateau erreicht bald, an der Chrenze zwischen Diedrichshagen
und Elmenhorst, die Höhe Ton 20 — 24 m, um bald wieder auf 10,
ja auch 5 m (bei Evershagen) zu sinken und alsdann bei Sievershai:^en
wieder auf 20 und 24 ni nir/iisteigen. Diese Gegend zeij^t den Boden
des ,DeckmerjS2;els* : blorki t lt hen «gelben Geschiebemergel, vieh- ausire-
wascliene erratische Blöcke, die auch in den Dörfern zu den charakte-
ristischen cjklopischen Mauern verwendet sind (z. B. in Lichten-
hagen, Elmenhorst, Diedrichshagen), zidilreiche SöUe. Nur
untergeordnet tritt Spatsand und Kies hervor. Nach Westen Terflai^t
das Terrain und der Charakter des Geschiebestreifens tritt zurück, an
der Ehnenlmrster Scheide sinkt das Ufer bis auf 2 m tief, um alsbald
wieder anzusteigen und am Rethwisclier Hol/, i;{ m Höhe zu erreichen,
von da wieder rasch zur Niederuog des Couveuter See.s bei Börgerende,
nordöstlich Doberan, sinkend. Der Boden bei Elmenhorst zeigt
zahlreiche Blöcke, der ganze Klint ist von Blöcken umsäumt, die aus
dem anstehenden <)l)eren und zum Teil unteren Geschiebemergel ;uis-
gewaschen sind. Di»' Rlockiiiauern in Rethwisch und eine Geschiebe-
lehmgrube am unteren Ende des Dorfes Börgerende sowie die zahl-
losen Solle in der südlich vom Klint gelegenen Landschaft l>ekundeii,
dass das Ende der Deckgeschiebemei^el- Ablagerung erst hier, am Ost-
raiide der breiten, durch den « Heiligen Damm* abgeschlossenen Reth-
Wischer Niederung zu suchen ist. Das flache Diluvialplateau besteht
zwar nicht durchgängig aus dem oberen Mergel, sondern lässt auch
vielfach die unteren Sande zu Tage treten (besonders im östlichen Teil),
auch ist eine eigentliche „Moränenlandschaft'* nicht entwickelt; doch
können wir diesen Distrikt immerhin als „ Geschiebestreif en" bezeichnen;
wir würden sonach seine Breite längs des Klintes (wie ich das «Ab-
bruchsufer* nennen möchte) auf etwa 8 km anzugeben haben.
Der südöstliche Verlauf ergibt sich, zunächst längs der Ostgrenze,
folgendermassen: wie erwähnt, schiebt sich am östlichen Klint der
Stolteiii mächtiger Sand zwischen den oberen und unteren Mergel;
vielfach tritt dabei der obere vollständig zurück. Die am Strand aus-
gewaschenen Blöcke yerschwinden an jenen Stellen, so dass man längs
des Klintes erst nach 2,5 km von seinem östlichen An&ng in das Oe-
biet der zunächst spärliclien Blöcke gelangt. Das südlich von hier
gelegene, flache und niedere Plateau hat vorwiegend den oberen Mezgel,
stellenweise aber auch Spatsand darunter hervortretend.
*) Vgl. auBflkbrUche Betehieibiutg und AuBonuna der Stolten im VIL Bettr.
s. Oeol. MeeUeab. 1885.
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58]
Die mecUenlimgiMditii HöhmrOck«:! eic.
267
Am Südrand der Breitlingiiiederuug tiiiden sich bei üross Klein,
Petersdorf und Peez zahlreiche grosse Blöcke aus dem Gescliiebe-
mergel ausgewascheii; em breites Steinlager setzt quer duich den Wutdow-
ström bei Gross Klein als Verbindung der beiderseitigen Steinaus-
Waschungen. In Lütten Klein ist der blockreiche obere Mergrl
aufgeschlossen, die Blockmauern des Dorto> und die nfi(hl);irli<'1i<'n Sr»lle
entsprechen dem Geschiobestreiten. Auch die neue Kisenbuim hat
zwischen Schniurl und Marienehe den blockreichen oberen eut-
blösst, neben welchem zum Teil auch schon Kies und Sand auftritt
Am Ostufer der Wamow tritt der Qeschiebestreifen TÖUig zurQck.
Zunilclist im Norden breitet <u \i die Hostocker Heide aus, und in dem
flachen, 5 — 10 m holieii Terrain l>ei Krunimondorf tritt Sand und stellen-
weise der sandige, al»er lilockannc ol)ere Mergel auf. Der letztere
zieht sieb, oft mit Sandbedeckung, weit nach Osten hin. die zablroichen
Solle und tiacheu Depresssioneu zeigen hier das Gren/.geluet au, wo
sich die Schmelzwässer zu stromschnellenartiger Th'atigkeit entfolten
konnten. In Teutenwinkel mit seinen Blo^mauem hat der obere
Mergel noch einige Bedeutung. Viei Dierkow und Bartelsdorf macht
sich dagegen der untere Sand und Kies geltend, analog den westlich
beiderseits der Wamow unterhalb Rostock gelegenen Orten (lehlsdorf
und Bramow. In Gehlsdort treffen wir am VVaruowuier block-
reichen unteren, bedeckt Ton oberem Mergel und diesen noch unter
einer HoUe von Heidesand. Der Charakter der Moränenlandschaft ist
hier uitLrends entwickelt.
Der bis hierher, unterhalb Rostock, verfolgte östliche Teil des
Geschiebestreifens hat nach Obigem eine ^/^ ringe Meereshöbe. die sich
auf ö — 20, auch 24 m belauft; an seiner Zusammensetzung nimmt
wesentUchen Anteil der obere Geschiebemergel, doch beteiligen sich auch
der untere, sowie Spatsand und bei Wamemtinde ein Kreidekem.
Die westliche Grenze des Streifens verläuft von RethwiH< b und
Börgerende ungefähr über die Orte Admannshagen, Allers-
hairen, Lambrechtshagen nach Klein Sehwass und Wilsen,
so dass hier bis zur W arnow eine Breite von 0 — 7 km ersdieint. Audi
hier tritt zuweilen innerlialb »eines Gelnetes der untere Sand hervor
und nicht Überall treten die Geschiebe besonders häufig ab erratische
Blöcke auf den Boden.
Einen guten Einblick in den Bau des Streifen- i liloss die
Rostock -T^oberaner Eiseuljahn. Es erg.ib -irli hier sehr deutlich eine
Zerteilung des blockreichen Streifens in zwei parallele, durch ein breites
Sandgebiet getrennte Areale. Das westliche ist bei Sc hwuss besonders
reich an Blöcken, sein Gteschiebemergelboden setzt bis Parkentin über
Allershagen fort; alle Dörfer haben hier ihore cyklopischen Mauern.
Von Bramow bei Rostock her zieht sich Uber Barnstorf, die
Barnstorfer Anlagen nach Biestow und westlich sowie südwestlich vor
der Stadt Rostock (die Warneniiinder Bahn durchläuft dies Gebiet
ZNvischen Bramow und dem Rostocker Kirchhof) ein gleich hoch ge-
legenes flaches Gebiet von feinem Uauptdiluvial-Spatsand in ungefähr
nord-sttdlicher Richtung. Auf demselben liegen nur ganz untergeordnet
einz^e grössere Blöäe (z. B. an der Verbindungsstrasse zwischen
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268
[54
Barnstorfer Anlagen und Doberaner Chaussee) oder tritt in Buchten
konserviert der obere Geschiobemergel auf, oft schöne Schichtenstdrungen
des feinen unteren Sandes und seiner thonigen Zwischenschichten ver-
ursachend. Solclier geschiebereicher Deckmerge! ist u. a. <s\\f anfjre-
deckt wordt n durcli die Hiiisthnitte hinter dem £ixerciersciiuppen und
aut den Feldern südöstlich vom Kirchhof.
Die Ecke des DihivialpkteauB, auf der die Stadt Rostock steht,
gehört dem oberen und unteren Qeechiebemergel an, zwischen denen
häufig wechselnd mächtige Lager von Sanden vorkommen.
Oestlich der Oherwamow, von dem Weissen Kreuz an über Bartels-
dorf u. s. w. herrschen die unteren Sande und Kiese gegenüber dem
Deckmergel derart vor, dass hier, östlich der Stadt Rostock, mit dem
zu 20 m ansteigenden Phiteau das östliche Ende des Geschiebestreifens
anzunehmen ist
Südlich vor der Stadt Rostock haben die Arbeiten für den neuen
Bahnhof und andere Einschnitte den oberen, zuweilen sandigen Geschiebe-
mergel mit reichlichen Blöcken entblösst, der oft bedeutend mächtig auf
Spatsand und Kies lagert. Der Balmbau bei Gragetopshof, Sil-
demow und Dalwitzhof förderte auf der Plateauhöhe von 20m eine
enorme Menge grosser Blöcke, die nur unter einer dQnnen Ackerkrume
▼erborgen waren. Eine Erinnerung an die durch lange Kultur und
nicdrigi" Lage ziemlich verwischte Moränenlandschaft rufen hier die Solle,
Torf- und Seekessel noch wach. Der scharfe Vorspnmg, den hier das
Warnowtlial umfliegst, gehört dem Geschiebestreifen an; sein Hoden ist
hier der untere Sand und Kies, bedeckt und gestört durch den bis
mehrere Meter mächtigen blackr«ichen Deckmergel resp. dessen Beete,
die Steinbestrettung. Auch auf der üferhöhe von Papendorf tritt nodi
1 m mächtiger, an saonen geschrammten Blöcken reicher oberer Mergel
als Bedeckung von Kies auf.
Weiter nuch Südwesten waltet Sandgebiet vor, als .^fhlliche Fort-
setzung des Braniovv-Biestower Sandes; hier tritt auch bei Polchow und
Wahrstorf der unterdiluviale Thon in Zusammenhang mit dem Lager
bei Schwaaa in beträchtlicher Mächtigkeit zu Tage, viel&eh noch von
Deckmergel überlagert. Auf dem gegen 40 m hohen Plateau nördlich
von Pölchow, bei Niendorf, Gross Stove, Kritzemow, Wilsen bis
Klein Sdiwass, ist zwar der Deckmergelhoden vorwiegend und tniden
sich Srdlt' und grössere Tortkessel in ungeheurer Anzahl, doch tritt der
Blockreichtum zurück; noch weiter westlich findet sich bei Fahren-
holz in dem vorherrschenden Sandterrain noch oberer Geschiebemergel
konserviert, mit Schichtenstörungen seines Kiesuntergnmdes.
Jenseits der Wamow tritt in der Gegend von Kessin, Köster-
beck und Hohen Srhwurfs .sowie bei Niex gegenüber Papendorf
stark coupiertes Terrain auf, zum Teil mit nicht sehr mächtigem oberen
Blockmergel, der den unteren Sand und Kies bedeckt oder in Buchten
eingreift (z. B. bei Niex), oft mit vielen schön geschrammten Geschieben.
Der Sand kommt an den üfergehän^n tmd weiter auf den Höhen zur
Geltung, so dass alsbald der eintönige Sandboden des hohen Plateaus
vorherrscht, allerdings auch hier noch zuweilen von Deckmergelpartien
unterbrochen. Die Höhe des Sigualberges bei Kösterbeck (60 m) besteht
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55]
Die meeklcabargiioheii HOhenrtlokeii ete.
haupteUchlich ihh feinem Spatsand mit untei^eorduetem Deckmergel,
die niedrigeren Punkte, auch im Thale bei Kösterbeck und Beselin,
zeigen oft reiche Stein- und BloekhtMleckun«^ auf unterdikiviiileni Sand
und Ki«'s <)(k'r mächtigen oberen (icsc }ii(.'l.)»*iin.'rgel. l);is liO — ti') m hohe
Plateau bei Fresendorf besteht aus thouigem unteren Feinsand,
dem luer leichlidi grosse Blöcke des weggespülten Deckdiluviums auf-
lagern; die zahlreichen isolierten Torfdepressionen und SfiUe, sowie die
tidfen Thalbeginne und Schluchten gehören der Moränenlandschafl zu.
Hier schliessen sich mm östlich bis Tessin die grossen Torf-
niederungen von W o 1 f s b e r g und G ö 1 d e u i t z an, einstige grosse Seen,
und lassen die Fortsetzung des Geschiebestreiteoss ehr undeutlich erkennen.
Im BQdflD ist die Chrenze ehra hei EaTeUtorf (Deckmergel,
Blockmanem, SöOe u. a.) su suchen; ein grösserer Blockreichtam in
dem bis 2 m mächtig auf unterem Grand und Geschid>anergel lagern-
den Deckmergel in dem Bahneinschnitt bei Pris a nne wi tz, sQdlich
von Kavelsti^rf, bildet einen südhchen Zipfel des Streifens. Im Osten
geben Petschow, Niekrenz, Horst die Fortsetzung nach Südosten an.
In der Garend von Tessin ist das Plateau rechts der Eecknitz-
niederung bei Vilz ▼ielfach durchfurcht und zu Belagen modelliert, die
aus unteren Sanden und Kies bestehen, mit zahlreichen grossen und
kleinen Steinen bestreut, lokal auch Reste von Deckmergel enthalten.
3.5 km südlich von Tessin zeigt ein schöner an der Chaussee gelegener
Dolmen auf dem Sand{)lateau die einstige Verwertung der Blockbe-
deckuug in jener Gegend.
Die G%AU8see zwischen Tessin und Gnoyen f&hrt uns nicht die
Charaktere des Geschiebestreifens vor Augen, meist durchläuft sie ein
steinarmes Spatsandplateau. Nördlich von ihr keffen wir bei Samow
die dort zu Tajze tretende Kreide von wenig mächtigem Blockraergel
überlagert. Westlich von Gnoyen dun hliluft die Eisenbahn bei Boddin
einen moränenarti^en Rücken, aus Spatsund und Grand mit mächtiger,
blockreicher Gesdiiebekiealthenchllttung bestehend. Eine grosse Lemn-
grube sQdlich von Gnoyen an der Chaussee baut einen circa 5 m
mächtigen, nicht sehr blockreichen oberen Geschiebemo^gel ab. Auch
die Chaussee zwischen Gnoyen und Dargun bietet keine Aufschlüsse
über einen charakteristischen Geschiebestreifen, meist ist es Deckmergel-
plateau ohne viel Steine, zum Teil auch Feinsand.
Die zahlreichen Blöcke, die zu Mauern angehäuft oder zu anderen
Ballten yerwerfcet die nördliche Stadt Dargun auszeichnen, geben uns
einflü Anhalt, dass hier der Oi st hiebestreifen seine Fortsetzung nimmt,
die nach Südwesten etwa bis Kützerhof reicht, nach Südosten durch
mehrfache Blöcke bis Upost noch konstatiert wurde.
Nach Nordosten habe ich den Streifen noch nicht weiter verfolgen
können, ebenso fehlen mir Beobachtungen über seinen Verlauf nach
SOdosten durch das hier weit eindringende Gebiet von Pommern. Ob
die von Boll angeführten Ereidepui&te Peselin und Clempenow,
Gel che n nördlich von Treptow zu dem Streifen gehören oder einen
divergierenden Seiteuzweig zu dem nördlichsten Streifen bilden, kann
ich ebenfalls zur Zeit nicht entselieiden.
In südösthcher Verlängerung des besprochenen, zum Teil freilich
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270
(ieinitz,
[50
nur lOckenliaft imtersachten GeschiebestreifeziB «Warnemünde — Bostock —
Dargun" treffen wir wieder in der Gegend von Friedland reiche
Blockanbäufuugen.
Auf dem flachen, zu 45 m sieh erht^jenden Plateau von Salow,
westlich Friedland, trifft man die Kreide unter Geschiebemergel, der
seinen Untergrund Tiel&ch stark zusammengeschoben hat und der sich
durch esnen grosse Reichtum an grossen , oft schOn geschrammten
"BLöcken auszeichnet. In dem niedriger gelegenen Areal nach Friedland
zu kommt mächtiger unterer Feinsand zu Tage. Die Stadtmauern von
Friedland sind ebenso wie die von Neiibraiidenburg nus «Felsen*
i^'ebaut und weisen wie dort auf die Hiuili^ktit von Blöcken in un-
mittelbarer Umgebung der Stadt hin. Südlich von hier macht sich
swischen Sadelkow undOenzkow auf dem 45— 55 m hohen Terrain
ein bedeutender Blockreichtum geltend und weiter liisst sich der Ge-
schiebestreifen in di( sfnrk eoupierte Gegend der Bröhmer Berge
vei'folgen, wo. wieder durch einzelne Sanddistrikte unterbrochen, der
von erratischen Blöcken oft völlig übersiUe Boden des oberen Geschiebe-
mergols vorwaltet; cyklopische Maueni in den Dörfern, wie z. B. in J at zke,
Brehm, Heinriehswalde, Matzdorf u. a., an den Wegen ange-
häufte riesige Blocke, Sölle und Torfkessel, stark ooupiertes Terrain,
geben hier wieder das typische Bild der Morftnenlandschaft. Das Terrain
steigt hier im Bröhmer WaM bi< 1^2 m an, ohne aber eigentliche Berg-
spitzen zu hiMf-n; die Kieferwaldungen zeigen, dass auch hier vit'lfa<h
der untere »Sand zu Tage tritt. Die Kreide- und Septarienthon-
vorkommuisse sUdlich von Wittenborn, von blockreichem Deckmergel
Überlagert, erweisen auch hier wieder einen Kern von 8lterem Gebirge
in dieser Bodenerhebung. Die grösste Höhe liegt bei Matzdorf mit
149 m. Der sehr ausgeprägt nordweststreichende Hölienzug fällt bei
G ehren steil ;ib y.w »b^r weiten Niederung des Gnlo?ibecker S«'»»^ und
der grossen Friedliuulcr \Vic>e. Aucii die Sandicldcr bei (iehren liegen
noch voller Steine, uud unter dem lU' mächtigen Turf der grossen
Friedteader Wiese finden sich nach Boll häufig grosse Steine
Ueber weitere Vorkommnisse von Blockanhäufungen, die einer
bedeutenden Breitenausdehnung unseres Oeschiebestreifens bis Friedland
eni<?prechen , liegen Mitteilungen von Boll vor bezüglich seines nörd-
üchen Streifens (1).
!• Geschiebestrelfen: ^Fischlaud — Saal — Blbuitz — Sülz —
Loitzi«
Bei dem Kirchdorf AVustrow auf dem Fischland erhebt sich das
Land aus dem niederen Heidesaiid und Moorboden bis über 20 m, um
alsdann an der Landesgrenze bei Ahrenshoop wieder zur Heidesiunl-
iiiederung des Darsser Ortes hcral>zusinken. Der Klint (Abbruchsufer I,
von zahlreichen grossen ausgewaschenen Blöcken umsäumt, zeigt hier
■) Abriüs 1661, S. 13.
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Die uiecklenburgiächoi HöhenrQ«^«!! etc.
271
unteren grauen Gescliiebemergdf meist von gelbem oberen bedeckt, und
auf diesem nocli den 1 — 5 m mächtigen Heidesand mit seiner Oi*tstein-
bildung. ZwiscluMi Itciden Gcschit'henicrgehi triff sclft-u etwas Sand und
auch i't'tft'r blauer Tlion auf. Beide Mer^^el führen einen {jjossen Keich-
tum an Blöcken, zuin Teil auch so massenhaft Ki'eidestückeu, dass eine
Lo]nlm(H&ie Torliegt, einem nachbarlichen Kreidekem entmsrechend.
Das jenseitige Stdlnfer des Saaler Boddens zeigfc bei Saal Gre-
schiebemerfrel und viele aus demselben ausgewaschene Blöcke.
Südlirh vou liier treffen wir den Geseliiebestreifen in der Gegend
vonHibnitz, indem hier der gescliiebereiclie Deckmergel zur Geltung
kommt. In der Gegend von Freudenberg sind die (ie.Mliiebe nicht
besonders häufig, dagegen finden sich in der sich südlich anschliessen-
den hügeligen Landschaft yon Tressentin und Jankendorf viele
errafisebe Bldcke, in den Dörfern cyklopische Mauern. Der blockreiche
Geschiebeniergel oder seine Vertreter, Deckkies und mächtige Steinbe-
streuung auf unterdiluvialejii Kies, treten in südöstlicber Fortsetzung auf
den linksseitigen Hfihen des Greiiztliales der Re» kiiitz bei Marlow,
Schulenbur^ u. s. f. auf. Südlich vor der Stadt Sülz triÜ't mau
beim Abstieg in das Thal Hergelboden mit einzelnen grossen Btöcken,
im Untergrund Spatsand.
Vorstehende Daten ergänzen die Angaben BolVs. nach welchen
der Geschiebestreifen erst bei Sülz beginnen soll, l iii- <lie Fortsetzung
'bs Streifens kann ich nun nur die weiteren Mitteilungen lio 1 Ts hier
anlüliren. Danach zieht er sich „durch Pommern an der mecklen-
burgischen Orenze entlang zwischen Demmin und Loitz hindurch
über Daberkow, Wietzow, Glempenow und Spantekow, berflhrt
beiDischley, Ramelow, Br esew itz und Friedland die nördliche
Grenze von Mecklenburg -Strelitz. durch.schneidet in grosser Breite die
Friedland-Anklamer Thaussee. setzt dann über Neuensund, Klepels-
hageu u. s. w. bis in die Gegend zwischen l'asewalk und Frenz-
lau fort*
Eingehender bespricht Boll die Fortsetzung des Streifens in seiner
.rweogiio>ir <]. deutMb. Ostseeländer" 1840, S. 108: ,F(dgende Ort.^chaften
(nach der Gegend zwischen Demmin und Loitz) sind mir aus diesem
Streifen bekannt: Karnitz. -Tahiikow, Waldhof, Mederow, Toitz,
Stedorf. C^uitzerow. N'olschow, Kadow, Toitin, Padderow,
Kagenow, Priemen, Daberkow, Wietzow, Steinmocker, Spante-
kow, Bresewitz, Ramelow; mit seinem SUdrande streift er dann
die Stadt Friedland, durchschneidet in grosser Breite die P^iedland-
Anklamer Chaussee, läuft sodann auf Putzar und die Bröhmer Berge
zu und erfüllt endlich das ganze Dreieck zwischen Prenzlau, Pase-
Wiilk nnd Brüssow. indem er bei der erstgenannten Stadt mit dem
zweiten Streifen (Steinhagen — MöUeuiiagen — Schwedt) zuaammenstösst/
Die Torstehenden Angaben Bolls lassen erkennen, dass unser
6e«chiebestreifen I mit der gewöhnlichen Richtung nach Südosten in
die Gegend südlich von Anklam föuft; die Vorkommnisse bei Clempe-
Areh. f. Luudeiik. iu Mecklenb. 1855, ä. 345.
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272
Geiuitz,
[58
now und Fnedland sind zu dem Streifen II zu zSlilen, der am Galen-
becker See mit dem vorigen nabe zusammenrückt. Bereits oben wurde
gezeigt, dass Streifen II und III am Helpter Berge sich sehr niheni
und aucli IV hier einen nördlichen Ausläufer von Feldberg aus vor-
s( hiebt. Dllher die Angabe Boll«, dass in der Oe<7ond von Prenzlau
diese (Tt'.s( hi«'hestreitt'n zusammenstossen. Eine .sptM iclle Untersuchung
der Verhaltnisse in Vorpommeni wird vielleicht ergeben, dass in jener
Gegend eine ümlenkung der Streifen aus der nordwest-sfldOetlichen in
westOstliche Richtung stattfindet
Die C^eschiebestreifen sind durchaus nicht auf Mecklenburg be*
schränkt, sondern finden sich auch in den ost- und westwärts gelegenen
Teilen des norddeutschen Tieflandes, wenn sie auch dort erst noch einer
genaueren Darstellung harren. Ganz kurz seien die wenigen mir bisher
genau bekannt gewordenen Punkte ausserhalb Mecklenburgs erwSlmt.
Geschiebestreiltn in Pommern und Rügen.
Die nördlich an der äussersten Spitze des DarsserOrts gelegene
flache kleine Insel besteht aus Geschiehemergel; liier am Strand und
am Darsser Leuchtturm titiden sich die sonst am Darss und Zingsi
fehlenden grösseren IStraudgerölle.
Oesthch von hier trifft man auf der Boddenfahrt von Prerow
nach Stralsund nach den flachen Sand- und Moorwiesenf welche ein in
die Augen springender Beweis f&r die säkulare Senkung der Eflste sind,
erst bei dem „Bock" und der Ecke von Zaren z in wieder Steilufw
mit Geschiebt'inergfl und bei Stralsund, wie besonders der alten
Fähre steib' Mergelabbruchsufer mit vielen ausgewaschenen Blöcken.
Diese Orte gehören einem oder zwei Geschiebestreifen an.
Auch die Insel Rügen zeigt vielfach den Charakter der Geschiebe-
streifen.
Biner derselben wird am Baakenberg auf Hiddensöe beginnen,
bei Bergen am schönen Rugard treffen wir den Charakter der ge-
schieberoicheu Moränenlandscluift, und wahrscheinlich wird si<h der
Streifen südöstlich über Futbus, die Inseln Vilm und Stubl)er
nach der Gegend von Wolgast verfolgen lassen, oder auch von Vilm
nach Sudosten Uber die Tcrschiedenen Untiefen des C^reifswalder Boddens
und die Sadspitze von Mönchsgut nach.der Greifswalder Oie laufen
Einen zweiten Geschiebestreifen liat BolP) (als seinen vierten
Streifen) beschrieben: dersell)e beginnt auf VVittow, nördlich Ton
Puttgarten an der Küste und geht bis Nobbin, wo er erst beim Beginn
des saudigen Küstenstriches der Schabe verschwindet und da, wo der
Sand aufhört, an der westlichen Spitze von J asm und, bei König s-
') Vgl. ilif Tiefenkartf ck-s Greildwalder BoddüiiB von E. Boruhölt: .Der
Gniftwalder Bodden". Dissoi-tation. GreifswalH 180$.
*) Geogn. d. d. Ostaeel. S. 108.
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59]
Die mecklenburgiaohen HOhenracken etc.
273
hörn, wieder zum V'orscheiu kommt. Von hier aus folgt er dem Ver-
lauf der Jasmundischen KQste (und setzt auf dem Plateau fort), bis er,
abermals durch die Schmale Heide tmterbrocheii, wieder in dem Stein-
rack, dem Granit z er 0 rt und dem Göhren sehen Hövt zum Vor-
schein kommt. Sodann taucht er nochmals bei der Greifs walder
Oie auf und geht dann auf das Festland von Hinterpommern ül)er.
— Vielleicht ist aber dieser südliche Teil noch zum vorigen gehörig
imd läuft dieser äuäseräte Zug von Jasmund aus.
Geschiebestreifen in der LUneburger Heide.
Von ganz besonderem Interesse ist es, dass auch noch w titer
südwärts von der mecklenburgischen Seenplatte nicht allein im Mccklen-
bui^er Heidegebiet (s. o.), sondern auch jenseits der Elbe, in der Lüne-
burger Heide, in dem Areal, welches vielfach als von der „zweiten
Yereieung" freigeblieben anffeeehen wird, aidi die Qeeehiebestreifen zeigen.
In der unmittelbaren Umgebung der Stadt Lüneburg finden wir
auf und an, sowie in KlQft^n in dem anstehenden Gebirge TOU Qjpe,
Muschelkalk, Keuperthon, Kreide und Tertiär zahlreiche grosse diluviale
Geschiebe im (Tcschiebemert^ei und Deckkies anj^ehilnft. Die vielfachen
Schichtenstörungen des Flötzgebirgsuntergrundes durch den Geschiebe-
mergel sind bekannt. Auch hier zeigt sich ein unterer und ein oberer
Hergel, oft durch Sand und Thonachichten von einander getrennt.
Auch nördhch von Lüneburg findet sidx bei Scharenbeck unter-
diluvialer Mammuthkies mit Steinbestreuung. Näher an Lüneburg trifft
man bei Erbstorf eine block- und steinreiche Gegend, f) — (5 km süd-
lich Lüneburg trifft mau nach der normalen Heide in derMelbecker
Heide auf dem wohlgeschichteten unteren Saud und Grand 0,5 — 1 m
Deckkiee, oft auf den Höhen mit reichen und grossen Blöcken, ganz
wie in den südmecklenlmrgischen im Sandterritorium gelegenen Oe-
se hiebestreifen; nachbarliche Höhen südlich Melbeck zeigen sogar
Geschiebemergelboden mit Buchen- und Weizenl»e>tand.
Etwa 1> km südöstlicli von Lüneburg ist Vastorf reich an Steinen
mit Mergel- und Decksandboden. Noch weiter finden sich in derselben
Richtung zwischen Beyensen und Göhrde massenhafte Steine.
Wir können diese Orte zn einem XI. Geschiebesfareifen «Lflneburg —
Vaaforf — Göhrde vereinigen.
Ihm parallel liuift ein anderer (Xü), durch folgende Vorkommnisse
angedeutet:
Nach P. Engelhardt') finden sich bei Grevendorf an der
Luhe, südwestlich von Lüneburg, zahlreiche erratische Blöcke, und
weiter abwftrts (nach Nordosten) ist die Heide bei den Ortschaften
Dehnsen, Etzen bis nach Wohlenbüt tel , mit dner grossen Menge
von Steinblöcken bedeckt, so dass sie stellenweise zu wahren Steinfeldern
ausartet". Ebenso findet sich nach Mitteilung von Dr. Sprengell-Lüne-
burg noch bei Amelinghausen Lehmboden mit massenhafter Stein-
0 Ueber da« Gebiet dea LnbefluMeB in der Lttnebntgar EMde. DiiaertatiOD.
Rostock 1879. 8. 25> 26.
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274
Qeinitey
[60
puckuiig. Jeue Gegend enthält zahlreiche steiuerue prähistorische Be-
grabnisstStteii.
Südöstlich davon treffen wir in dem Deckkies, der den unteren
öescliieberaergel und den diatorneenreichen Süsswasserkalk von Westert
Weyhe bei I'^olzen üherlagert, liäiifi^ reiche Steinbestreu img.
Die Feldmark Esterholz, ♦> km südöstlich vou Uelzen, tilhrt
oberen Gesuhiebelehui mit masseuhatten Steinen, Sehr grosse Blöcke
liegen «if den ablauen Beigen* bei Holzen, sfldlich Uäzen.
Wenn sich in der Gegend Yon Ebstorf die gleichen Verhaltaisse
hernusst eilen, so haben wir hier einen ziemlich ToUkonunen nordwest*
südöstlich laufenden „Geschiebestreifen".
Siidlicli davon isf in der Heide Hüdlicli von < )beroli«' ein dritter (Xlll.)
Zug angedeutet durch die sehr reiche Steiubestreuung auf den flachen
Kuppen, die sich aus der Ueidesandebene erheben, z. B. bei Lutter-
loh. Bei Ober- und Nedderobe lagort Deckkies mit reichlichen
Blöcken und schönen Kantengeröllen auf dem Spatsand, der seinerseits
die berühmte Diatomeenerde überdeckt. In den Gehöften treffen wir
cyklopische Maueni.
Nordwestlich davon liegt das (^uellgebiei der Luhe, zugleich eine
liuuptwasserscheide in der Lüneburger Heide. Es ist dies der Voss-
und Johannwarsberg bei Timmerloh. Von dem Boden jenor Bficken
sagt Engelhardt'), dass er »aus grobem, mit vielen G^eschieben unter-
mischtem Diluvialsand lu steht" ^^ecksand) und dass „die Geschiebe
zum Teil eine erstaunliche Grösse erreichen" : westlich von den II ölen
Timmerloh findet sich in einem Kieferwald ein über 30a grossem
Steiuield mit Blöcken bis 1 cubm Inhalt.
Der von Engelhar dt geschilderte Verfolg des Luheflusses zeigt,
dass von dieser Geschiebeanhanfiing (XIII) bis zu der bei Dehnsen
(Xn) eine Unterbrechung durch steinannen resp. steinfreien Heidesand
vorliegt, also die Annahme zweier getrennter, paralleler Geschiebezüge
sich bestätigt.
Geschiebestreifen in Holstein.
Bei der landschaftlichen und geologischen Uebereinstimmung der
Gegenden der Holstinner Seen (z. B. bei Plön, Eutin u. s. f.) mit denen
Mecklenburgs ist eine Fortsetzung der mecklenburgischen Geschiebe-
streifen nach Holstein zweifellos. Ich gehe niclit näher liierimf ein, da
mir genauere eigene Untersuchungen jener Gegtiidt n trhlen.
In Schleswig-Holstein liegen die Verhältnisse ähnlich, wie iu
den beschriebenen Gegenden, wenn auch aus der Beschreibung von
Meyn^) zunächst nur ein einziger nordnordwest-sfidsüdösthch lau-
fender Ibihenrücken mit Oberdiluvium (Deckmergel) vom Charakter
der mecklenburgischen Geschiebestreifen vorkommt; an diese Seenplatte
') A. 11. O. S. 17, 18.
*) Mfyn: Die Bodenverhältnisse der Provinz Schloswiff-Üolstein. Mit geol.
Uflbenichtskarte von Schletw^Holstein. Abband!, s. geol. BpeaaUcarte von PrenneD,
HL 8. Berlin 1882.
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«]
Die meddeDbiugiMdieii HOheorfleken etc.
275
schliesst sich iwh Wv^i^^n ganz analopf den unten zu beschreihenden
Sandgegenden hinter ileii (xeschiebestreiten ein „Sandrückcn", die hohe
Geest, mit folgender Heidesandebene (Vorgeest) und Sandmarsch; (end-
hch folgt am Meeresrand im Werten noch die Marsch). (VergL auch
die Bemerkung hierzu von Berendt, a. a. 0. S. 32). — Aus der
ileynschen Karte kami man auch, wenn man die Verhältnisse von
Meddenbnrg im Gedächtnis hat, leicht einen von der Meynschen Dar-
legung insofern etwas abweirlienden Thatbestand herauslesen, als man
mehrere, s üd (Jstl i( Ii - tiord westlich laufende (i es (hiebe st reifen
mit ilireu hiuterücgeuden Sandarealen annehmen konnte, statt des
einzigen nordsüdlich laufenden Gürtels; der «mitteldiluviale*
Deckmei^el findet sich nämlich mehr&ch weit im Westen, innerhalb
der westlichen Sandzone Meyns, und umgekehrt der Decksand in der
Seenplatte. Obijflf'ich diese V'erliältnisse erst noch genau untersucht
werden müssen, halte ich doch die oben angedeutete Vermutung iUr
sehr wahrscheinlich. —
Zur besseren fJeheiakdit sind die einzelnen «Geschiebestreifen" noch
auf eine kkiDflire Uebersichtskarte B emgetragen, mit der ungefähren
Angabe ihres Streichens. Es zeigt sich, dass die 10 Zage in Mecklen-
burg im allgemeinen einen nordwest - südöstlichen Verlauf hal>en,
aber nicht völlig geradlinig gehen, sich zuweilen verzweigen, ver-
engen und verbreitern, und ferner, dass sie seitliche Ausläufer ent-
senden, die zu geschlossenen Querriegelu zwischen zwei benachbaiteu
Streifen werden kdhineni Vom Streifen IX. bis zum III. hin liegt eine
besonders auffällige Kette Ton solchen Verbindungsgliedern, die fast
wie Reste eines Bogens erscheinen, dessen Centrum im Norden, in
Schleswig, liegt. Bemerkenswert ist ferner die ziemlich gleiche Distanz
aller Streifen untereinander. Nochmals muss hervorgehoben werden,
dass die einzelnen Geschiebestreifen, auf der Karte als breite Bänder
angegeben, nicht einen einheitlichen Bücken darstellen, sondern Reihen
hinAer- und nebenetnamder gelegener Hügel oder mok gar keine Boden-
erhebungen sind. —
Die Geschiebestreifen Mecklenburgs stehen in engster Beziehung
zu der orographischen Gestaltung des Landes. Diese YerhSltnisse
lind seit den Darstellungen von E. Boll *) noch nicht wieder genauer
nntersocht; eine endgültige Erkenntnis wird erst nach YeröflPenuichung
der von Herrn Kamnioringenieur W, Peltz- Schwerin zusammengestellten
schönen Höhenschichtenkarte Mecklenburgs möglich sein. Holls Be-
schreibungen beruhten nicht vollständig auf eigener Anschauung, sie
werden mehrfache Berichtigungen erfahren müssen.
Es sei zunftchst kurz die Bolls'che Darstellung referiert:
Nach Boll ist die mecklenburgische Seenplatte ein niedriger
Landrücken, der mit seinen nach beiden Seiten abgehenden Ausläufern
eine Breite von etwa 9 Meilen einnimmt; sdne Hauptachse liegt ungefähr
*) VgL Boll: Abciis der mecklenh. Landeakonde 1861.
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276
Geinitat,
[62
in einer von Schwedt, an der Oder zur Mitte des Schweriner Sees ge-
zogenen Linie. Auf seinem Scheitel soll er eine weite, flache mulden-
förmige Einsenkung zeigen, in welcher sich die Hauptmasse der
Seen befindet. „Im übrigen ist die Oberflächengestalt dieses Land-
rückens sehr ungleichmässig, indem er sich bald zu wellenförmigen
Hügelreihen oder knppenformigen H^Hien erhöht, bald auf grössere
Strecken völlig flach erscheint." Seine Ränder im Norden und Süden,
welclie 3*/» Meilen voneinander entfernt sind, bilden die Höhenlinien
Feldbcrg ^ Knase — Manhagen — Bothspalk — Zehna — Eikelberg —
Qreyesmtthlen — Hoher Schönberg bei KlQte, resp. im Sflden Zehdemcker
Berg bei FOrstenberg — Wesenbeig — Woldzegarten — Lübz — Banun —
Schwerin — Roggendorf.
.Der nördliche Abfall des Kückens entsendet in nordöstlicher
Richtung noch mehrere Ausläufer, zu denen z. B. die Helpter Berge,
der Hartberg bei Pohnstorf, der Schmooksberg bei Lüuiugsdurf, die
Schlemminer und DiedrichshSger Berge gehören.* Man sollte ver-
muten (und in der That ist dieser Intun vorgekommen), dass hier ein
erzgebirgisches Nordoststreichuhgssjstem sich an da.s herc^misehe noxd-
westlich gerichtete anschlösse; jene „Ausläufer" sind aber meistens nur
durch Erosion stehen gebliebene kleine oder grosse Reste von .selb-
ständigen, ebenfalls uordw^estiich streichenden Höhenzügen, wie dies u. a.
aus den Untersuchungen des in ihnen auftretenden Fldt^ebirges sicher
hervorgeht; zum Teil sind es (z. B. bei Pohnsdoif und Helpt) zwischen
Schmelzwasserrinnen stehen gebliebene Reste des Diluvialplateaus, zum
Teil al)er scheint sich der Sloränenschutt in der That un ihnen nach
nordöstlicher Richtung abgezweigt zu haben (vgl. Kärtchen B.).
Die Landschaft nördlich der Mulde zerlegt Boll (zum Teil
ziemlich willkürlich) in 5 Gebiete, nämlich in den Küstenstrich zwischen
der Dassower Binnensee und der Sfldsjpitze der Wismarsdien Bucht,
in das Gebiet der Schlemminer und Diednchsh&ger Barge, die «Becknitz-
ebene", die Quellengebiete der IVenr und Tollense. Ton diesen Ge-
bieten gehören die })eideTi erstt-n zum Diluvialplateau, in den drei letzten
machen sich breite; alluviale Heidesand- und Torfebenen geltend, aus
denen sich die Plateaureste wie Berge erheben. Daher lassen sich
diese Randgebiete, abgesehen von ihren breiten alluvialen Thalrinnra,
nicht Ton der Eih* l ung der Seenplatte trennen, sie sind nur, und auch
dies nur zum Teil, der flachen Nordabdachung der Platte zugehörig.
Bolls ungenügende Auitassin!<r erklärt sich daraus, dass er diese Ge-
biete meist nicht ans eigener Anschauung kannte. Er erklärt aber
selbst (a. a. 0. S. 244), das» unter seiner Bezeichnung ,Hügeii-eihen und
deren Verzweigungen" nicht immer scharf markierte Höhenzuge zu ver-
stehen sind, sondern breite, meist nur schwach gewölbte LandrOcken.
So fOhrt er in dem zweiten Randgebiet noch zwei „Ausläufer" an, die
resp. aus der Gegend zwischen Warin und Hohen Yiecheln nach
Kras.sow — Züsow — Kin h - Mulsow und bei Eikelberg — Katelbogen —
Schlemminer Berge verlaufen. Die „Wariner Mulde erklärt er als
durch Umrandung von zwei derartigen Höhenrücken gebildet. — Unter
der Bezeichnung „Recknitz-Ebene" iasst Boll einen sehr verschieden-
artig gestalteten, durchaus nidit einheiÜichen, ihm selbst meist unbe-
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63]
Die mecklenburgtichen Höhenrücken etc.
277
kannten Landesteil zusammen, der vom Wanu»wtlial zwisdien Schwuau
und BUtzow, den Thälern Heiliger Damm Parkentin - Schwaan im
Westen, dem Recknite Trebelthal im OsUn und der Gegend sQdfich
BUsow — Gflstrow — Teterow — Cnmmerower See abgegrenzt wird. Diese
, Ebene" ist aber ein zwar im allgemeinen niedrig gelegener Teil des
Diluvialplateaus (mit mehrf ron breiten Alluvialtliäloni) von der Meerea*
höhe 20 — 40 m, in dem aber vielfach Ansfhweliungen bis Uber lOOm
auftreten, im allgemeinen eine langsame Abdachung nach Nord und
Nordost zeigend; eine einheitliche Ebene ist sie nicht. Mehrere breite
ThSler durclikreusen den Landteflf ihre breiten Wiesenflächen haben
wahrscheinlich den Anlass gegeben zu der irrigen Auffassung, als sei
das Ganze eine von inselartigen Erhebungen unterbrochene Ebene. —
Das <)nf'll»'ngebiet der l'eene wird als eine Bcr^Inndschaft bezeichnet;
dieselbe ist durch den raschen Wechsel von Thalbe^iunen und Thälern
iu der MoränenlandÄchaft bedingt. Der hier angegebene »Muldenrand **
ist unser Geschiebestreifen IV. — Das Quellengebiet der Tollense ver«
einigt nach Boll die Charaktere der Recknitzebene und des Peenecjuell«
pebietes; nach unseren Untersuchungen gehört es zum nämhchen
Streifen IV. Hier sind die „Ausläufer" auch als durch die Fluss- und
Wiesenthäler gesonderte Reste des Plateaus erkannt. Die hohen Berge
an der üstgrenze (Helpter, Bröhmer Berg) gehören einem hercynisch
stniehenden Hötzgebirgszug an.
«Auch der Büdrand des ROckens entsendet einige Ausläufer in
sOdwestlicher Richtung.* Als wichtigste werden die Parchimer und
Mamitzer Berge genannt, iinix'deutendere zweigen sich zwischen dem
Schweriner See und dem Schaalsee ab. Zum Teil sind es auch hier
Teile der normalen, nordwestlich laufenden Geschiebestreifen.
Der südliche Muldenrand zeigt ein allmähliches Abfallen nach
Sfidwest zu der Meereshöhe von 40 und 20 m herab und ist zum Teil
ein sehr hügeliges Land, in dem sich mehrere isolierte Berge erheben,
die Reste des Plateaus mit hercynisch streichendem Gebirgskern sind»
Die l)erleutenflsten Höhen sind Her Ronnenberg bei Parchim und der
Rulmer Berg bei Marnitz. von denen wn d. r ausstrahlende „Ausläufer'**
verzeichnet werden. Die breiten Heidesandtliüler, welche die IsoUerung
der Ton Boll als „schwach ausgeprägte Ausläufer* angeführten Land-
rücken verursacht haben, werden unten besprochen; sie werden als die
„südwestliche Heideebene " bezeichnet. Boll trennt das südliche Rand-
gebiet der Mulde in die drei Teile: Parchimer und Mamitzer Bei^e,
Ueideebeue und Gebiet der Schaale und Boize.
Die Mulde und ihre Ränder zerlegt er in fünf Gebiete: das
Qnellengebiet der Harel, das der Eide und die grossen Seen, das der
Wamow, der Stepnitz und Waknitz und das GeWet des Schweriner Sees.
,Da der sicli nach Nordwest allmählich senkende Boden der Mulde
selbst ansehnlii Ii hoch liegt, so machen sicli die Händer, von innen
aus gesehen, nur wenig bemerk]i( h, '* Im Innern der Mulde, deren
Boden als nicht gleichmässig konkave Flüche, sondern mehr oder weniger
hügelig angegeben wird, ist ein grosses Sandgebiet; doch ist dasselbe
nidit einheit]^, sondern durch vielfache Mergelareale und Gkschiebe-
streüen in mehrere isolierte Distrikte geteilt. „In den Vertiefungen
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278
[64
des unebenen Muldenbodeiis li:il)on sich die (iewä>ser zu grossen innl
kleineren Landseen gesaniiinlt , deren Zahl so ansehnlich ist, dass wir
wenigstens ^5 aller mecklenburgischen »Seen hier antreÖeu" Weuii
wir weiter yernehmen, dass beide Ränder der Mulde von gGeröUstreifen*
begleitet werden, so ist der Irrtum leicht begreiflich, annmebmen, dass
Mecklenburg von zwei parallelen Endmoränen in südöstlich -nordwest-
licher Richtung durchquert wird, zwischen denen ein Sandgebiet liegt,
in welchem die Gewilsser zu Seen aufc^estaut worden seien.
Leirt man sicli nach den iMe.sstis(lil)lättern der neuen General-
stabskarte Querprohle durch das Land in nordsüdlicher oder nordost-
sttdwestlicher Richtung Ober den Landrflcken hinweg (vgl. Tafel 1),
so zeigt sich, dass die Seenplatte nicht so einfach gebaut ist, wie de
nach der BoUschen Darstellung scheint, sondern dass sie aus mehrerea
Wellen besteht, die aus Diluviulanhiiufuncren auf Flötzgebirgskernen ge-
bildet sin l. Die „Mulde" wird nach Boll im XonlwMst vom Geschiebe-
streifeu IV und zum Teil (im Nordwesten) von \ , mi Süden von VI be-
grenast, in ihrem Inneni Iftuft als Mittelerhebung der Streifen V ; die ndrd-
ch und südlich gelegenen Landstriche enthalten in mehrfilehem "Wwhael
weitere Bodenwellen, die zum Teil höher als die der „Mulde" au&teigen.
Jede der Bodenwellen besitzt eine von Flussläufen. Seen und verscbie-
denen Erosionsformen vielfach unterbrochene OberHäche. Vor resj). hinter
ihnen finden sich die diluvialen Sandanhäufungen und die Längsthäler.
Ueber die Entstehung des baltischen UühenrUckens herr-
schen noch manche unklare Meinungen, was wesentUeh seinen Grund
hat in (]• I nii<jreuügenden, nur teilweisen Kemitnis der betreffeuden
geologischen Verhältnisse; mit blossen geographischen Spekulationen
kommt man hier nicht zum Ziel.
Man weiss, dass auf dem „Landrücken" einzelne Höhenzüge ver-
laufen, die durch besonderen Reichtum au erratischen Blöcken und
durch Vorwiegen der oberdiluvialen Gnmdmorine ausgezeichnet sind.
Boll spricht von zwei den mecklenburgischen Landrflcken als Ränder ab-
grenzenden „Geröllstreifen*.» Seine Angaben sind vielfach missver-
standen worden, dass man von Asar-ähnlichen hohen Steinmauern spra< Ii
welche das Land durdizielien. Auch anderwärts in Norddeutschland
sind dieselben Beobachtungen gemacht.
Vor allem ist in dieser Frage das Faktum herrorzuheben, dass
die Höhenzuge und Geschiebeanhäufungen nicht ein und dieselbe
BiMung sind, wenn sie auch natui^mftss räumlich meist zusammenfalle
Da wo die Beobachtungen es gestatteten, ist liäufig als Kern
der „Geschiebe streifen", oft zu Tage tretend, oft aber auch mächtig
vom Diluvium beschüttet, eine Erhebung, Gebirgs falte älteren Ge-
birges, nachgewiesen^). Zuweilen liegt diese Flötzgebirg.serhebung
A. a. 0. S. 890.
^) Girard: Die norddeutsche Ebene 1855, S. 82.
') E. (leiuit/-: I. lioitr. z. Geol. Mecklenb. 1879. Die Flötzformaiionen
Meddenbuigs 1883. — Lüddecke, üeber Moränenseen, 1881, S. 34, schreibt allei-
dinps den Ausspruch Girards aus dem Jahre IRr).", noch ab. da,-)H Rstlu h der Elbe
die Erhebungen keinen Zusammenhang unter sieb oder mit anderen Gebirgssystemen
erirannen lauen.
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<i5j I^ie meckleaburgischen Höhenrücken etc. 279
aber auch etwas nördlich Yor dem Geflohiebestreifen (z. B. in den
Diedrichshäger Bergen).
Wie finiher p^ezeigt^), ist der Faltemvurt" des Flötzgebirges in
Mecklenburg iiucb den bislier möglichen Beoljachtungen walirsclieinlich
allein nach dem hercyniscbeu Gebirgss^stem gebildet. Obgleich
dieser ein&che Bau fast zu ein&ch etschemt, habe ich doch bisher
(mit Ausnahme vielleicht der noch undeutlichen Lagerung des Tert&rs
und der Krdde bei Malchin) noch nirgends den Beweis für das Dasein
des erzgehirgischen Systems auffinden können; ich muss dies liier noch-
niais betonen, da Andere, obgleich mit den lokalen Verhältnissen un-
bekannt, doch dasselbe behaupten zu sollen glaubten
Eine Folge dieses einfachen Gebii^sbaues ist uucli die sehr charak-
teristische Richtung der mecklenburgischen Flussttöler, die als sfldosi-
nordweatliche breite LUngenthiUer und als südwest-nordö.stliche schmale
Querthiiler oder am Aljfall des Höhenrückens als Südwest - nordcJsthch
und nordost - südwesthch gerichtete lireite (ilotscherstrombetten ver-
laufen und dadurch die zahlreichen rechtwinkelig aufeinander stos-
seudeu Thaleckeu büden und das Land, besonders ausserhalb der Seen-
platte, in welcher die «ETorsion* Yorherrschte und die Erscheinung
▼erandeutlichte , in quadratische Stücken serlegen. (Vgl. Uebersichts-
kartchen.) Diese R«gelmilssigkeit Teranlasste Boll sggar, nach den
damalirr^n j?e< »logischen Anschauungen diese nordöstlichen und nord-
westlichen Linien als Risse zu erklären, welche durch «platonische
Hebungen entstanden'^ seien ^).
Wenn wir nun in den Bodenwelleu Falten der alteren Formationen
erkennen, oft in so regelrechter Weise susammengeschoben, dass man
▼on niederen „ Gebirgszügen* (z. B. Lübtheener, Diedrichshäger, Poppen-
tiner u. a.) reden kann, so ist die Erkläriinii; derselben als Aufpres-
sungeu des Bodens durch den Druck der Eismassen längs des Fusses
de» zurückweichenden Diluvialgletschers "^j sicherlich ohne weiteres zu
verwerfen.
Die mecklenburgische «Seenplatte* besteht aus mehreren
ungefähr parallelen, im hercynischen System streichenden
Flötzgebirgsfalten, an und auf, re.sp. auch hinter denen Mo-
ränenschutt und Sediniente des Diluviums aufgeschüttet sind,
di*' zuweilen aui Ii als Querriegel die naclibarlichen (Tet)irgs-
züge verbinden. Dieser Höhenrücken verdankt also seine Ent-
stehung der Kombination der beiden Faktoren: Oebirgsfaltung
Geinitz: FlöUform. Mecklenb. 1883, I. Beitr. z. Ueol. Mecklenb. 1879,
Seite 95.
^) Vgl. Klockmann: T)ir i^eognost. Verhtlltn. der Gegend von Schwerin,
Arch. Nat. Mecklenb. Bd. 36, 1882, b, 1Ö4 f.; v. Könen in dem Referat über «Die
ilOtsfonn. Mecklenb.'. Nene« Jahrb. f. Min. u. s. w. 1884, II., ä. 336.
Abriss d. mecklenb. Landesk. 1861, 8. b.
*) Vgl. Berendt: Zeitachr. d. d. geol. «ie.s. 1879, 8. 15; Wahnschaffe,
ebenda 1882, S. 579; Penck: Mittheil. d. Ver. f. Erdk. Leipzig 1879. S. 13. —
Dagegen ist Löwl (Ueber Thalbildung 18 '^4 , S. 109) richtig geneigt, ,die Ent-
stehung des baltiachen LaiidrQokens mit eaoften Schictitenfaltungen in Verbindang
7>u bringen.*
TofMluHMtM aar draiMlMtt LMte- und ToUnkaade. t. 9. IM)
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280
GeinitBr
[00
der ältereu Formationen und Beschüttung durch das nordische
Diluvium —
Ehe wir ohne weiteres unsere Geschiebestreifen als Endmoränen
erklflren, vergegenwärtigen wir uns nochmals ihren geologischen
Bau und die Zu8animeasetzuug der zwischen ihnen gelegeneu Landes-
teile. Wir werden hierbei die Fragen über Gliederung unseres Dilu-
viums und über die ein- und mehrmalige Vereisung Norddeutschknds
fördern.
In der voraufgehenden Detailhcschreihnng fler einzelnen Geschiebe-
streifeu ist gezeigt, dass die Geschiebestreiien mit ilneni selir wechselnden
Aufsteigen über den Meeresspiegel durch die Blockauhüufuug fast durch-
äängig des sogenanntsB oberen Düunums ausgezeidmet siiäi dass aber
ieses nicht die ganze Erhebung wallartig oder endmorftnenartig
zusammensetzt, sondern, fast ausnahmslos nur eine u' niz dünne Decke
bildet von 1 — . sehr scKeii 8 m MUchtif^keit . sehr häufig auch nur
0,5 oder noch weniger mächtig und vielfach auch nur als blosse Stein-
bestreuung erhalten. Die Unterlage des oberen oder Deckdiluviums
bildet das Haupt- oder untere Diluvium mit seinen Sonden und Granden
oder GerOlUagem, oder als Thon oder auch als unterer Geschiebemergel
ausgebildet ; in selteneren Fällen ragt auch das tkltere Gebilde unmittelbar
unter das Deckdiluvium, hier al)er meistens an einigen Stellen, besonders
an den Flauken, auch mit initerdiluvialen An- oder Auflageiimgen.
Dieser Untergrund von Unterdiluvium oder Flötzgebirge ist es, welelu-r
alle die Bodenreliefs der Geschiebestreifen bildet. Aui ihm, sowohl aui
der Hdhe als an den Gehängen^ ist das obere Diluvium als eine Decke
ausgebreitet Nur bei den spitzen, hohen Erhebungen treflkn wir
hiervon zuweilen eine Ausnahme, indem diese entweder ganz frei oder
nur mit einer sehr dünnen De« kr fies Oberdiluviums bedeckt sind, wahrend
dieses i rst an den Flanken zur eigentlichen Entwickelung gelangt. Eine
andere scheinbare Ausnahme ist djus Zuiücktreten des Deckdiluviums
an flachen oder steileren Gehängen gegenüber dem mlchtigein Eni-
wickeltsein auf den Höhen ; dies hat seinen Grund in der denudierenden
Thätigkeit der Gewässer, welche vielfach erst jene Gehinge durch
Erosion oder Evorsion*) geschaffen haben.
S. auch Geinitz: Ueb«r die Entatehnn^ d. meeklenb. Seen. Areh. f. Nat.
Heckl. 1885, S. 2.
') Ueber die besoudere Art von Erosion, die als a^voreion' bezeichnet
wud, vgl. E. Geinits: üeber die Bntatehnng d. meeklenb. Seen. Areh. t. Nat
NecUenb. 18S5, 8. 9.
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67]
Die mecklenburgischen Uühenrücken etc.
281
ü. Die Landstriche zwischen den Geschiebestreifen.
Zur weiteren Erkeuutnis der \ erhültuiöse bedarf es noch der
Schilderung der zwischen den einzelnen Geschiebestreifeu
l^elegenen Landstriche. Üm nicht allzusehr ins Detul eingehen zu
müssen, können hierbei nur einzelne Gebiete, die uls die vmcliiedenea
Typen gelten können, specieller beschrieben, die übrigen nur flüchtig
erwähnt werden: eine f?enaue Kenntnis derselben, besonders in ihrer Ab-
grenzung, wird erst durch die geologische Uebersichtskartienmg Mecklen-
burgs ermögUcht werden können.
Diese Landstriche zwischen den Geschiebestreifen gehören drei
Typen der Diluviallandschaft an, nämlich: 1) der nach der gegen-
wärtigen Klassifikation als unterdiluvial bezeichneten Sand-
heide (analog der Lüneburger Heide), 2) einem gemischten Typus,
wo neben den unteren Sunden das Oberdiluvium als Mergel oder Deck-
kies in grösserem Masse auttritt, 6) der juugdiluvialeu oder alt-
alluvialen Thalsand-Heide.
Die Wasserl&ufe, Seen, Moore u. a. alluviale Bodenumfbrmungen
werden hierbei nicht besprochen.
Wie oben gezeigt, entwickelt si( Ii hinter den einzelnen Getchiebe-
streifen oft sehr ausge])rägt eine von unterdiluvialen Sunden gebildete
Heideebene. Diese unterdiluviale Sandheide ist zwar vielfacli etwas
niedriger gelegen als das Gebiet der nachbarlichen Geschiebezüge, in-
deesen ist dies nicht die Regel, sondern oft besitzen sie eine gleiche
Heereshöhe mit diesen; oft ist auch das Gebiet der GeschiebezUge, da
wo sie sich verengen, gleichfalls mehr oder woiiger als Heide zu be-
zeichnen, nur durch die reiche Steinbestreuung Ton der nozmalen zu
unterscheiden.
1. Die anterdiluvialen Sandheidegebiefe zwischen Geschiebe-
Streifen IV oud Y.
Von diesen (und zum Teil den nachbarlichen) Sandgebieten macht
Boll*) folgende Mitteilung: „Im Innern der Mulde finden wir ein
grosses Sandgel>iet. welches im Südosten dieselbe anliiiiglich bis zur
Müritz hin in ihrer ganzen Breite erfüllt, von der Nordspitze der Müritz
an sich aber etwas verschmälert, wobei es bis nach Sternberg seine
nordwestliche Erstreckung am nördlichen Muldenrande entlang beibe-
Idüt, von dort aber eine südwestliche Richtung nach Crivitz und zum
Pinnowersee einschlägt" (hier Gebiet zwischen V und VI): „im ElOtzer
Ort taucht der Sand wieder an dem nördlichen Muldenrande auf."
.Der slnvivrhe Name pczik. welcher Sand Itcdcutet, taucht innerhalb
dieses (iebietes nocli nielirfach in korrumpierten L<»kaiiiainen auf, wie
z. B. in Peetsch bei Mirow, Peutsch bei Penzlin, dem Peutschsee bei
FQrstenberg u. s. w., auch in anderen Sandgegenden des Landes trefPen
wir diesen Namen wieder, z. B. in Peez, nördlich von Rostock, Peetsch
') Abriss d. mecklenb. liaodesk. S. 319.
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282
Geioibc,
68]
unweit BUtzow, iß dem Peetsohsee in der Xiihe von Plau." Auch
deutsche Namen wie Sandkrui;. Srmdhagen, Sandl'eld, Sandhof. Gelben-
sande, sind in den Sandrrehieten häuli^'c fharaktoristis( lie Hezeichnungen,
sowie in den Ge.schiebe.streifen im Gegensatz wieder rlic Namen Stein-
hagen, Steinfeld, Steiuhorst u. a. zu finden sind. „I)tr Uebergaiig
des Sandgebietes zu dem nordwärts der Mulde gelegenen Lebm-
gebiete wird durch Kiesboden vermitt» It. - .Die nördliche Grenz-
linie dieses Saudgebietes verläuft üImm- Laven, JBLOldenbof, Bergfeld.
Turow, Weisdin, Peutsch. Adamsdorf, Liepon. Pieversdorf, Bomhof,
Borksee. Gross Dratow. Wan-n. Sandkrug, Hiii^cnow, Alt Gaarz, Kriuiz,
Cramon, Hohen Wangelin, Liepen, Gross Bäbeliu, Serrahn, Charlotten-
thal, Klein Tessin, Eleui Bresen, Lohmen, Lenzen, Buchow, Stemberg,
Sagedorf (wo der Sand der „Warmer Mulde* sich abzweigt), Weiiendorf,
Eaazz, Jülchendorf, Samelow, Augustenhof nach Pinnnw; die Süd-
gren^e /ichf sich nm östlichen und nördliclien Ufer der Müritz ei t-
lanir. folgt dann den anderen grossen Seen hi^ Malchow und geht daraut
üi)er Karow. Goldberg, Dobhertin, Dobbin, Dinnies, Wamekow, Stieten,
Müggenl)urg, Bamin, Crivitz gleichfalls nach Pinnow. Diese Grenzen
umfldhdiessen zugleich den grössten zusammenhängenden Distrikt der
meckle n burgischen Sandflora."
Die Physiognomie dieses Sandstriches scliildert Boll an anderer
Stelle') folgenderniassen : ,Die ol)ere (diluviale) Sandschicht überdeckt
in ununterbrochenem Zuge in Me<;klenburg-Strelitz einen Kaum von
etwa 10 — 12 Quadratmeilen, in Mecklenburg-Schwerin aber von ungefalir
20 — 24 Quadratmeilen. Es sind dies öde, traurige Flüchen, in welchen
die Dörfer weit zerstreut liegen; vergebens sucht man hier nach dem
frischen erquickend«! Grün eines Laubwaldes, nur ausgedehnte Nadel-
holzwaldungen kommen vor; der Ackerbau gedeihet hier mir notdürftig,
und grosse Bäume, wo der Sand zu steril ist, sind noch immer
aller Kultur entzogen'* (jetzt fast durchgängig beforstet); «statt der
fippigen Getreide-, Raps- und Kleefelder anderer mecklenburgischer
Gegenden gedeihet hier nur kümmerlicher Roggen, Hafer und besonders
Buchweizen, und die Brachfelderbedecken sich mit einem dichten grauen
Flor von Mäuseklee (Trifolium arvense), welcher in den fruchtbareren
Gegenden des Landes nie in so grossen Massen und so üppig vorkommt. *
Nicht überall ist die Heidelandschaft so öde und unfruchtbar, wie
es nach obiger klaren Schilderung scheinen möchte. Durch die vielen
Seen und Moore, die Bach- und Flusslftufe u. a. erhftlt die Landschaft
oft einen wunderbaren Reiz, eine Wanderung durch die meilenweiten
„Tannen" -Forstungen, die hauptsächlich Kiefern fVihren, führt uns Ober
Hügelrücken und durch Niederungen oft an romantisch gelegene, düstere
Seen und Schluchten, der reiche Wildstand bietet weiter mannigfache
Reize. So erquickend eine einsame Wanderung aber auch durch die*e
DfluTialheiden ist, so wird sie doch auch oft recht ermfldend, wenn
man in den Glebieten der Binnendünen in drückender Sommerhitw die
Gegend des .mahlenden' und stäubenden Sandes durchstreift.
') Goognostische Wanderongen durch Meoklabuig. Aich. f. Landesk, in
Meckleab. 1855, S. 343.
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09]
Die meckleDborgiacben Höhenrücken etc.
283
Sehr instruktiv war mir ein Vergleich dieser inecklenburgischen
DUuvialheidei) mit der Lüneburger Heide, den ich durch mehrere
unmittelbar aneinander geschlossene Exkursionen aii-^tellen konnte.
Üal>ei ergiil> sieh bis luif rinige lokal bedingte Diti'ereiizeu die vrilliire
Uebereinstimmung im landüchattlichen wie geologischen Charakter
beider Heidegebiefce. Auch die Lüneburger Heide ist ja nicht der Öde
Landstrich, als der er vielfach angesehen wird, sondern bietet die
mannigfaltigsten Abwechselungen von Hügel und Thal, Sand und Moor
oder Gewässer, urifl auch in ihr verlauten blockreiclu- Geschiebe-
streifen", otl mit gutem Mergelboden. Ihr Hauptcharakter beruht auf
den weiten und oft mächtigen, wohigeschichteten Ablagerungen der
nnterra Dihivialsande: dasselbe ist der FaU in den mecklenbui^sehen
DüuTialheiden. Der Unterschied zwischen beiden beruht nur m dem
Vorwalten der Düuvialsande und dem Zurücktreten der Geschiebestreifen
in der Lüneburger Heide, während in Mecklenburg die Sandstrecken
bald wieder von den in jeder Beziehung reichen Geschiebe.streifen voll
und ganz abgelöst werden; durch iliie Höhenlage bedingt ist ferner ihre
Führung von Seen, welche in der Lüneburger Heide, fehlen aber durch
Moomiederungen ersetzt sind, welche denselben ürspnmg haben wie die
S» 1 11. <l:ilier gecdogisch dasselbe Bild darstellen (auf einer Karte, wo die
Seen blau und die Moorniederungen grOn bezeichnet sind, wUrde dies
ganz prägnant in die Augen springen).
A. Kossentiner Heide.
Am besten lernt man die Heide kennen auf einer mehrfachen
Durchquerung des Distriktes, z.B. von Vollrathsruh e über Cramon
nach Nossentin, von da zurück nach Sparow und Alt Schwerin
und in nördlicher Richtung nach Dobbin und Serrahn. sodann von
Krakow wieder südlich überBosaow nach Karow und weiter nord-
westlich durch die Wooster und Schwinzer Heide nach Dobbertin.
Wir durchkreuzen dabei die grossen Areale der Nossentiner Heide,
der Karower, Wooster und Schwinzer Heide, die von zusam-
menhängenden Kiefervväldera besetzt sind un<l teils zum Besitz der
Klöster Dobbertin und Malchow, teils zur gro.ssherzoglichen Verwal-
tung gehören. Nach Nordwest wie nach Südost setzen sich die Forsten
weiter, und man kann in dieser Richtung meilenweit iumier im ein-
samen Forst gehen, höchstens kurze Lichtungen passierend; Ortschaften
liegen nur am Rande der Heide; so erstreckt sich der Forst von Dabei
im Nordwesten, wo sich, nach Nordwesten von ganz unbedeutenden
Lichtun^'"eTi unterbrochen, die Forsten bei Sternberg anschliessen , nach
Jabel unweit Waren im Südoüteu ununterbrochen in einer Länge von
circa 45 km.
Oben wurde schon der Uebergang aus dem Geschiebestreifen in
das Sandgebiet bei Cramon erwähnt. Der Gesehiebestreifen hat bei
Hallalit und Vollrathsruhe eine Meereshöhe von 70 — 90 m, an
den Cramoner Buchen bis 100 ni: die Landschaft südlich davon dacht
sich etwas ab. zu 75 — (35 m: doch trifft man bei Hohen Wangelin
noch Erhebungen von über 80 m. Die eigentliche beforstete Nossen-
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284
Gexnits,
[70
tinor Heide hat dieselbe Meeresliöhe. 70—80 m. Der Gescl)i('})f' reich-
tiiui des Streifens IV liegt ausser den grösseren Erhebungen somit in
gleicher Meeresliöhe.
Bei Cramon üi ein« Abnahme der Steine, eodaim eine Yer-
kleineruDg derselben zu bemerken, weiter trifft man nur noch Stein-
bestreuung, die schliesslich in der Heide ganz zurücktritt; in der Heide
herrsclit feiner und scharfer Sand des Unterdiliiviunis, in den oberen
La<^en oft gelb gef}lrl>t. fast durchgängig von einer verschwindend dünnen
Schicht Decksand überlagert. Zahlreiche Kessel und Wannen, voll
Wasser als grosse und kleuie Seen, oder voll Torf, isoliert oder durch
Depressionen verbimden, treten hier auf. Im sUdiichen Gebiet finden
wir zahlreiche DOnen aufgeweht, z. B. bei Nossentiner Htttte.
Nach dem über 12 km breiten Sandgebiete kommt bei Sparow,
Silz und Nossen t in der (Teschiel)Ostr«'ifen \' mit einer Höhe y<m
80 — 9() m, auch !>') m; hier tritt ih r Det kmcrgel nur in Kesten erhalt^u
auf, das Sandgebiet reicht über ilm nach Süden hinüber in die Mal-
chower Gegend, und nur die aufinerksame Beachtung des Block« und
Steinreichtums der Sandstellen und der Mergelilecken zeigt die wahre
Grenze von zwei Sandge])ieten an. In dem Gebiet des Geschiebestreifens
tritt hier die Kreide zu Thljo und zeigt das untere Diluvium ausser Spat-
sand aucli grobe (leröUlagcr unter und neben dein oberen Blocklehm.
Die Südgreuze der Heide wird im Osten dmeh den fiachufrigeu
Fleesen- und Cölpinsee gebildet Bei Jabel am Cölpin trafen wir ein
isoliertes Blockrorkommnis als wahrscheiidichen sfidUoien AuslSufer von
IV. Hier tritt zwischen Jabel und Hagen ow eine bedeutende Ver-
engun«^'-. vit lleicht sogar Abschnürung des Sandgebietes auf.
Beachtung verdient noch die Ausbreitung der Dünen in die.seui
Teile. Die Dünen finden sich, abgesehen von •Mir/» lnf n isolierten Vor-
kommnissen im Inneren der Heide, vorzugsweise au deren Südrand.
Sie beginnen bei Jabel am Nordiand der grossen Waaserfliche des
Cölpin, finden sich wieder bei Nossentiner Hütte, westlidi hiervon,
und ziehen sich von hier nach Westen zum Alt Schweriner See, welchen
sie beiderseitig innsäumen.
Eine Wamltiung von Alt Schwerin längs des Alt Schweriner
Sees nach Norden tühii uns den feinen gelben Heidesandboden, der
nur gutes Lupinenland ist, stellenweise auch ganz brach als Schafweide
liegt, vor Augen. Das Westufer des Sees hat eine Reihe kurzer DOnen.
Im Glaver Forst an der Nordspitze des See.s finden wir den feinen
und scharfen, horizontal geschichteten Spatsand von wenig Grand be-
deckt, aus dem sich lokal Steinbestreuung entwickelt, die in dem 70 — ^T.^m
liohen Gebiet an der Rederank und bei Glave (östlich vom Südende
des Krakower Sees) reichlicher wird und bei Do b bin durch weitere An-
reicherung zu dem Beginn des Streifens IV bei Zietlitz mit derselben
Meereshöne hinleitet. Die Heide hat hier eine Breite Ton circa 14 km.
B. Kaiower, Wooster ond Schwinier Heide.
Das Nord- und SUdende dieses Heideabschnittes wurde oben beim
IV. und V. G^eschiebestreifen besprochen. Im Norden wie im Sudan
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Die meddeiilniigiBchen HShenrUcken etc.
285
finden sich unter dem stark zurücktretenden, als Deckkies entwickelten
Oberdiluvium mächtige untwliluvijilc Sund» nicht sowohl als feiiiHi- Spat-
sand, sondern als Kiese und (Tnuide iius^rel>ü«iet, denen natürlich ahcr
auch feine Sande eingeschaltet sind; auch Thon t'elili nicht. Hei Krakow
and die Lager vielfach seitlich zusammenge|>res8t; diskordante Parallel-
struktur spricht hier ftar eine starke Waseerbewegung. Bei Neu
S am mit tritt die Steinbestreuung auf dem hier horizontal geschichteten
feinen gelben Spatsand zurück. In der Mitte der Heide finden wir
nur feinen gelben Sand mit verschwindendem Decksaiid. Hier liorren
neben zahlreichen kleinen Kesseln und Mooren mehrere grosse Seen mit
flachen Ufern, so der Damerower See, der jetzt abgelassene uud vertorfte
grosse Serrahn und der Ooldberger See am Sttdrande. An ihren Ufern
und in den flachen ebenen Gegenden der Heide sind zahlreiche Dünen
aufgeweht, oft (wie z. B. am Hahnenhorst und an der Meileiche)
scu grotesken Hügeln sich erhebend.
Die Breite der Heide zwischen Karow und S am mit beträgt
iu nurd.südlicher Richtung 10 — 12 km, zwischen Sa m mit und Wen-
disch Waren in nordost-sOdwestlidier Richtung gemessen 9 km. Die
Meereshöhe dieser ziemlich ebenen Heiden beträgt 60—65 m, auch
ober 70 m ansteigend; im allgemeinen liegt sie iil>o « iuige Meter tiefer
als die im Norden und Süden laufenden Geschiebestreifen.
Eine detaillierte Schilderung der Heide würde hier zu w-eit führen;
es sei nur hervorgehoben, dass gerade diese Heide sehr typisch aus-
gebildet ist. In ihren niederen sumpfigen Teilen geht aus dem feinen
gelben Sand grauer und schwarzer humoser Sand henror, auf dem sich
dann Torf entwickelt; an anderen Stellen kann man die durch Humus
hervorgerufene „Ortsteiu' -Bildung verfolgen, welche den Sand gelb und
rostbraun färbt; RaseneLsenerz ist hier selten, fast ganz fehlend.
Am östlichen und nördlichen Rand des Goldberger Sees zieht sich
die Heide nach Do b bertin. Hier erhebt sich der Hellberg zu 80 m.
Die auf den Liasthon aufgeschütteten unteren Feinsande haben hier
eine Mächtigkeit von 11 m.
Durch die etwa 70 m hoch gelegene reiche Steinbestreuung bei
Kleisten (auf unteren Sauden und Gerölle lagernd) wird die Heide hier
stark verengt und von der im Nordwesten folgenden abgeschnürt (s. o.
S. [14] 228).
C. Dobbertiner Heide.
Von hier aus erstreckt sich die Heide unter Verengung nach
Westen: es geboren in ilir Gebiet die Gegenden nördlich von Do])hertin,
bei S p e n d i n , D o b b i n , K 1 ii d e n bis L U h n w i t z , die Klädener und
Schlower Forsten. Ich möchte diesen Teil, der zu verschiedenen Be-
sÜEtÜmem gehört, unter dem Namen «Dobbertiner Heide" zusam-
menfasse Ihre HShe ist wechselnd, durchschnitÜich bis 60 m. Mehrere
Seen und Torfmoore liegen in ihr. Bei Lfthnwitz finden wir eine
Ausweitung zu der früheren Breite von circa 7 km. Zum Teil tritt in
ihr auch (unterer?) Geschiebemergel auf, so am Woseriner See, Am
Pritzer See tritt zwischen Borkow uud Ruest-Dinuies (s. o.) eme
neue Verengung auf etwa 3 km ein.
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286
Qeiiiite,
[72
B. TorloffiBr Haide.
Westlich vom Pritsser See liegt bei Dabei und Foisthof Turloff
ein kleiner Distrikt von gelbem feinem Heidesand, an seinen Rändern
mit Steinbestreuung, den ich als ^Turloff er Heide" abgrenzen wilL
Sein Niveau ist 50 — 60 m; viel&ch ist er Ton breiten, flachufrigra
Torfniederungen unterbrocli eii .
Dadurch, dass der (uNcliiebestreitcn V sich hier von Stern berj^
aus in mehr südlicher Richtung wendet und seine 00 m hohen Kücken
nur reiche Steinbestreuung auf unteren Sauden zeigen (z. 6. Stieten,
Kobrow u. 8. f.), ist er von Boll übersehen worden und das Sand*
gebiet von hier aus Uber den Streifen hinweg nach Westen fortgesetzt
dargestellt, mit den Südgrenzen Wamekow -Barnin.
Tn Wahrheit aber setzt es nördlich fort über Sternberg,
Sagestort, Loiz, Gross Raden, Göruow nach der ^Wariner
tfuMe*, zwxiM^heD Penzin und Eickelberg 60 — 65 m hoch, eine Ein-
engung auf 8 km erfahrend.
B. Waviner Mulde.
Die Wariner Mulde, um den Boll sehen Ausdruck bcizubelialten,
ist also die unmittelbare Fortsetzung der besprochenen Heide zwischen
Gteschiebestreifen IV und Y. Die „Mulde* wird nach BolP) von zwei
Hllgelauslftufera der Sehlemminer Berge umschlossen; «dieselbe zieht
sich in der Länge von 3 Meilen von Bäbelin aus ganz gerade in der
Uichtung von Norden nach Süden herunter, bis sie bei Brüel in die
grosse Mulde des Landrückens einmündet; sie ist anfangs nur sehr
schmal , erweitert sich aber etwivs nach Süden zu. Ihre Bodenverhält-
nisse zeigen mit denen der grossen Mulde eine auiiallende Aehnliclikeit,
Sie enthät sieben nicht unbetrichtUche Seen, von denen der Neukloster-
See, der Warmer^, der Glamm- und der Tempziner See alle in gerader
Linie von Norden nach Süden liegen und in eben dieser Richtung von
einem Bache durchflössen werden , welcher sich südwärts von Brüel in
die Wamow ergiesst; drei andere Seen liegen in der Mündung der
Mulde zienüich weit zu beiden Seiten von dem Tempziner See entfernt,
nämlich im Westen der Bibower^ und Hoffelder See imd im Osten der
Labenzer See.*
Von Norden und Osten ist die Mulde deutlich durch den Pöeler
Streifen und seine südliche Unibiegung in die Schlomminer Berge, im
Osten durch den Höhenzug Moltow-Zurow abgegrenzt und das Terrain
fällt von diesen zu 80 — 100 und einmal zu 140 m sich erhebenden
Höhen auf ein Niveau von 60—40 m; indes ist der Boden der Mulde
keineswegs eine Ebene, sondern von vieUachen HOgeln und Rtlckeu
besetzt; neb«n den genannten grossen Seen liegen hier auch viele
kleinere Wasser- und Torfkessel. Meist erfolgt die Abdaduing ziem-
lich rasch, doch finden sich auch mehrfach Vorstufen; aiicli das Zurück-
treten der Steine findet rasch statt (s. die Schilderungen im ersten Teil).
n Abrin d. tneckleab. Landesk. 8. 8M.
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73]
Die meeUenbnrgieehen HOheturBckoi etc.
287
Meist treffen wir feinen Sand an, so bei Labenz, Friedriehs-
waldf und in den zwischen Blankenberg^ und Xeukloster aus-
gedehnten Forsten: doch tinden sicli auch Kies- und (icrölllatrer, ho
rings um Neukloster (nördliches liuudgebietlj, uut" denselben telilt nie
eine dOnne Bes<^1ltbing von Decksand resp. zuweilen auch saudigem
Decklehm. Im südlichen Teil der Mulde treten auch mächtige oder
dünnere Thonhiger in und unter dem Sand auf, welche die Ziegeiden
von Warin, Bliinkenberg, Penzin u. a. versorgen: die oberen Thon-
schichten in ihrer Wechsellafjerunf,' mit S|)atsand sind meist sehr sandig,
als „Schluff*, die unteren, mäclitigen Lager erst reiner Bäuderthon.
Die Lagerung i«t teils flach gewölbt, fast horizontal, teils steiler auf-
gerichtet oder mehrfach gebogen. Auch hier im SUden findet sich
eine dünne obere Decksand- resp. Deckmergel-Üeherlagenmg, ohne viel
Geschiebe.
In dem siMlirlicn und südwestlichen Teil finden wir in den nur
2o — m hohen (it^tnden von Blankenberg und Biebow ein Lebtr-
greifen des Sandluudes über den hier schmalen, niederen und undeut-
lichen Geschiebestreifen Y nach der hinter diesem gelegenen Sandregion
▼on BrQel und Ventschow (s. u.), eine Thatsache, die mit der vorher
erwähnten Reichen Beobachtung in der Gegend sfldlich Yon Sternberg
die Mutma-ssung zu l^estätiijen scheint, dass die genannten Querriegel
der (ies( Iii» iM strriti'u eint iii älteren Geächiebezug entsprechen, der in
ostwestiichem Bogen verlauten ist.
F. Die Sedimente bei Wismar u. s. f.
Im Nordwesten ist die Wariner Mulde fast gänzlich durch den
Zurower Rücken abgeschnflrt von den weiter nach Wismar, Bolten-
hagen und ViUA sich erstreckeu<len Sedimttitdistrikten. Diese können
nicht mehr als Heide- liezeiclinet werden, indem in ihrem wechselnd
ht'ch ^^'•elegenen, im allgemeinen sich zur Ostsee abdachenden Terrain
*i( Ii neben den Diluviaisedimenten auch oberer und unterer Geschiebe-
Diergel ziemlich häufig findet Ausgedehnte Thonlager treffen wir bei
Wismar und Bothmer nahe der OberflSche, in Bothmer den artesi-
schen Brunnen veranlassend.
G. Die HeidegeUete bei Waren, Federow, HeostrelitB n. b. 1
Im Anschlüsse an die zuerst besprochene Nossentiner Heide zieht
sich von der auf Kreide lagernden Blockanhüuf'ung bei Jabel nach
Südosten zwischen den Geschiebestreifen IV und V ein ununterbrochenes
unterdiluviales Heidesandgebiet Uber Waren, Neustrelitz ttber die
Qckermärkische Grenze hinaus.
Auch hier ist der Heidetypus normal entwickelt, meilenweit zu-
sammenhängende „ Tannen ''-l'orsten mit spärlichen Ortschaften bedecken
den Boden.
Bis Waren besteht das 05 — 75 m hohe Terrain aus wohlge-
schichteten Sauden und Granden mit 0,5 bis höchstens 1 m Deckkies-
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288
GeiaitK,
[74
beschüttuug Die Stadt ^Varon lit'trt auf emeni aus müclitif^eii
Diluvialsanden besteheudeu Pass zwisclieu der Müritz und dem Tiel-
Warensee; der bis 84 m hohe Windm Uhlenberg an der Stadt zeigt in
sernen Steilwinden Sand und Grand in diskordanier Parallelstraktur
unter Decksand. Beachtenswert ist die Lagerung der Sande nördlich
Ton Waren am Abfall des Geschiebestreifens: liier fallen die Schichten
nach Süden*), also vom Höhenzug ab nach dv.m Sandgobiet , während
sie am Balmliof und in sowie südlii h der Stadt horizontal lagern.
Der Sand zieht sich hier südwärts über die sich bis 74 m er-
hebende, einst von einer berühmten prShistorisGfaen Ansiedelung gezierte
Landenge zwischen dem Müntz- und Cdlpinsee Uber Eidenburg und
Klink nach Sembzin und Grabenitz. Am Mtiritzufer bei Klink
treffen wir unter dem feinen Sand in der Meereshöhe von circa 65 m
ein untcrdihiviaies 1'honlagcr. Die Breite des Sandstreifens ist liier i> km.
Südlich von Waren sehen wir am Norduler des Feisnecksees
wenigstens 20 m mächtige horizontale Sandschichten das über 80 m
hohe Land bilden.
Das folgende Gebiet des flachen Ostufers der Müritz mit den
flachen seithclien Seen, die Gegend von Federow u. s. f., bestehen
aus demselben gelben feinen Sand, in den Niederungen hunios . oft zu
Dünen aufgeweht. In seinen ol)eren Lagen bildet sich liäutig Rasen-
eisen, Ortstein, der den Ertrag der Felder erheblich beeinträchtigt. Bei
Müritzhof tritt am Seeufer in der Höhe bis 65 m derselbe bhue Thon
zu Tage wie gegenüber bei Klink, sein Hangendes ist der honzontal
gelagerte feine Spatsand. Nur am randlichen Gebiet der Heide, bei
Kargow, finden sich statt der Feinsande auch grobe Gerölle mit vor-
zUglidier diskordauter l'arallelstruktur (s. o.). Die Steinbestreuung wird
je weiter nach der Mitte je kleiner und spärhcher, wie man bei
Federow gut beobachten kann. Wo ausnahmsweise, wie bei Müritz-
hof, die Forsten neben den Tannen auch Buchen und Eichen tragen,
hat dies seinen Grund teils in der niederen, sumpfigen Lage, teils in
dem Thongchalt der Sande.
Von hier aus erweitert sich das Sandge})iet nach Südosten zu den
von Boll angegebenen beiderseitigen Grenzen, mit etwa 12 km Breite.
Ein Weg von Federow über Scnwarzenhof, Speck, nach Babke
oder 12^ der Waren-NeustretitEer Eäsenbahn führt uns in die Normal-
beide, wo der feine gelbe Sand herrscht, zuweilen mit Steinbestreuung,
oft zu losem Dünensand aufgeweht, fast lediglich mit Kiefernbeständen
und nur durch die zahlreichen grossen und kleinen Evorsionskessel dem
Auge eine sonst nicht geahnte landschaftliche Abwechselung bietend.
Die Meereshöhe ist 70 — 80 m.
Mit gleicher Breite und etwas bedeutenderer Höhe folgt dann das
Neustrehtzer Sandgebiet. Besonders die Umgebung von Neustrelitz
ist trotz des herrschenden Sandes doch von besonderer landschaftlicher
Schönheit, wiederum auf Grund der vi«>1«'n Seen und des mannigfachen
coupierten Terrains. Ausgedehnte iueteriorste sind auch hier das
>) Vgl. VII. Beitr. z. Geol. Mecklenb. 1885, S. 32.
*) Vgl. I. Beitr. s. Geol. Mecklenb. S. 52.
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Die mecklenbiirgigchett Hftbeniflclceii etc.
289
Charakteristikum der menschenleeren Gegend ; auf den steinbestreuten
Fildern Luptnm, Roggen, Kiurtoffeln, längs der Wege die genügsame
Pappel.
Nach Norden ist die Begrenzung durch den Geschiebestreiien IV
ziemlich deutlich, im Ostgebiet sogar sehr typisch, nach Süden dagegen
weniger scharf, da hier die unteren Sande ihre Herrschaft behalten.
Daher ist auch von Boll die Grenze hier nicht genau angegeben.
Unterer Geschiebemergel, Thone, Gerölle treten vereinzelt auch hier
neben dem herrschenden feinen oder schärferen Spatsand auf ; obere
Steinbestreuun<^ fehlt «gleichfalls nicht. Zuweilen .sind Dünen aufgeweht.
Eine Exkursion in dtm weiteren Umkreis von Neustrelitz ist zur
Orientierung über die genannten Verhältnisse sehr instruktiv.
Bei Koldenhof, Läven undCarwitz herrschen schon diegroboi
und feinen unteren Sande noch i it Deckkies oder Blockbestreuung;
Südrand des Feldberger Gescliiebestreifens.
2. Das Land zwinchen Geschiehestreiten Y und Yl.
(Sandheide und gemischter Typus.)
SUdUch vom Ge.<9chiel)estreifen V ist nicht mehr eine so zusammen-
hängende Heide wie nördlich.
Im Südosten des Landes erstreckt sich östlich der Mflritz eine
Heide, sehr ähnhoh der Torher besprochenen der Umgegend von Neu-
strditK, und mit ihr häufig Uber den wenig markierten Geschiebestreifen
zusammenflie«:sen(l. Am bekanntesten ist hier die Gegend von Mirow
und W e s e n b e r g.
Aus der ungefähr 75 m hohen sandigen Gegend des Geschiebe-
streifens bei Drevm gelangt man im Westen zwischen Ahrensberg
und Wesenberg an den 105 m hoben Rothen Moorberg, an dessen Sand-
gehingen noch bei 60 m Blöcke und Steine liegen. Oestlich vor Wesen-
berg bezeichnet eine grosse Ziegelei^rubo in circa 80 in H(")he etwa
den Beginn de.«? Sandgebietes. Hier sehen w ir <^pll)<'n Fein.siiiid, circa 2
oder mehr Meter mächtig, mit einer Stein.sohle (Dreikanter) auf 5 m
gelbem, blockarmem (unterem) Geschiebemergel, der seinerseits, mit
Sandzwischenlage, machtigen flach nach We^n einfaHenden Bänder^
thoii überlagert. Die 80 m' hohe westliche und südliche Umgebung
Ton Wesenberg besteht aus unterem Sand zum Teil mit Steinbestreuung;
weiter westlicli nucli Mirow senkt sich (Ins Niveau zu 05 — ^70 m und
herrscht der feine gelbe, oft von Dünen bedeckte Sand: in dem Forst
uahe bei Wesenberg wird in flachen Gruben ein dem Sand eingeschaltetes
Lager yon blauem, fettem, oben magerem Thon abgebaut. Die aus-
geddmten Forsten zeigen den feinen, abgeschwemmten Sand fast ganz
ohne Steine. Bei Mirow lierrschen dieselben Verhältnisse; eigentüm-
liche hohe Dünen sind ))ei Mirowdorf am Mirower See aufgetUrmL
Nach Süden erstreckt sich dasselbe weite ebene Sandgebiet in die
sogen. .Sandpro bstei". Erst bei Schwarz steigt da« Terrain wie-
der zu 80 und mehr Meter Höhe, indem es sich dem folgenden Ge-
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290
OeinitB,
[76
schiebestreifen nähert. Zahlreiche Seen sind in dem besprorliouen
Gebiet teils als isolierte Wannen, teils vom Typus der „Fliissseeu".
Auch beträchtliche Erhebungen treten bisweilen aui, so der 105 m hohe
Sprotzsche Bm bei Retzow.
Den nördOicli^ Rand erreichen vmr Ober Qualzow mit einer
Höhe Ton 75 mit Sand und .Schluff" unter geringer Steinbeetreuung,
oder westHch davon bei Leppin und Roggentin, wo auf dem 70m
hohen Sandboden die massenhaften Blöcke sehr plöt/.licli erscheinen.
Die südliche Grenze habe ich nicht aufgesucht; die ungeialire Breite
des SandstrichM kann m 14 angegeben werden.
Die Ostseite der Mflrits mit den Orten Krümmel, Qaarz^),
Vietzen bis vor Rechlin gehört ebenfalls zu diesem Sandgebiet.
Derselbe feine Sand findet sich auf der Westseite der südlichen
Müritz, in der Priborner Heide, bei Vipperow, Spitzkuhn, bis
nach Ludorf und Röbel. In Vipperow wird am Seeufer in circa 05 m
Höhe ein diluviales Thonlager abgebaut, bei dem feiner gelber Spat-
sand auf BSnderthon lagert Bei Röbel treffen wir auf grObere Sande,
dem Kordrand entsprechend.
Gleichfalls ein ausgedehntes Sandgebiet li^^ östlich vom Flauer
See, zum Teil sclioii mit inselartifjen Vorkommnissen von Geschiebe-
mergel oder wenigstens Deekkies. Am Xordrand liegt die Mal che wer
Umgebung. Die 80 m hohe Landecke zwischen dem nördlichen Plauer-
und dem Petersdorfer See zeigt im Biestorfer Forst heizschend Feinsand,
zum Teil mit Blockmergelbedeckung, am Erebssee in dem 85 xn hohtti
Sttdrand des Geschiebeefareifens mit reicher Steinbesireuuiig. Auch die
unmittelbare Umgebung von Malchow zeigt horizontal geschichteten
Feinsand und S( hlulf mit diskordant parallel struiertcm Grand, bedeckt
von 0,5 m steiuarmeni Decksand resp. Deckmergel, der noch von Flug-
sand bis zu 1 m Mächtigkeit flberweht ist. Die 70 m hohe Ecke, welche
den Fleesensee Ton dem Malchower See bei der Ziegelei Ton Laschen-
dorf abgrenzt, besteht aus feinem, steinfreiem gelbem Sand: südlich und
südöstlich davon finden sich in derselben Höhe noch 1 — 2 m mächtige
Deckgeschiebeniergelreste auf dem in diskordanter Parallelstruktur wohl-
geschichteten Sand und Grand. Auch bei Kloster M alchow, südlich
davon, herrscht trotz Ansteigens des Terrains auf 95m der Sand und
Eies mit reichlicher Steinbesti^ung, zum TeU noch Deckmergelreston.
Aehnlich südlich davon an der Klo.stermühle. Weiter bis Petersdorf
und Lenz am Planer See ist Sand der Boden der Kiefernwälder, zum
Teil mit Lehmbedeckung oder inselartigen Auilageninjjen von unterem
Mergel. Fast ununterbrochen setzt hier das Saudgebu r mit Steigung
zu 100m und mehi- nach Süden fort über Satow und Kogel bis
Rogeez und Stuer, hier an den steinreichen Streifen VI storaend.
Am Bahnhof Plan tritt isoliert der blockreiche obere Geschiebe-
meigel in der Hübe von circa 70 m auf. Südlich Tor der St;i<lt fliHk ii
wir an dem 92 m hohen Ealüschenberg grobe Kiese und Meigei, noch
') lieber die interessanten i^rilhistorißclion Niederlassungen in jener Ge^'end
vgl. u. a. Fromm u. Struck: Die Müntz. Arch. f. Landesk. Meckienb. lb<>4»
Seite 88.
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77]
Die meckienburgiüchen Höhenrücken etc.
291
weiter sflcUich steigt das Terram bald bei Gneysdorf zu 100 und
115 m, hier den Streifen VI erreichend. Nördlich von Flau kommt in
dem 75— 80m hohen Plateau der feine Sand zur Herrschtet, bis er
nördlich von Quetzin. unweit Karow, nahe der Ghrenze Yon Streifen
V, groben Kitson weicht.
In dem westlich von Plan gelegenen etwa 70 — 75 m hohen Plateau
lauft das Eldethal als einfaches Lüugeuthal. IHe Stelnbestrenmig der
losen Sande bei Planerhagen zeigt eine nördliche Verengung an.
Westlich sehen wir bei Euppentin (60 — 70 ra) den feinen Spatsand
unter ganz geringer Bedeckung von lehmigem Decksand. Bei Brook,
östlich von Lübz, hegt in der Meereshöhe von (55 — 70 m die Grenze
des Streifens VI, mit 3 m mäclitigom Blocklehm auf Kies, welch letzterer
dicht daneben in dem zu 90 m aufsteigenden Wohmsberg als geschichteter
lehmiger Orand, Ton ganz wenig oberem Mergel bedeckt, eine selb-
ständige Kuppe bildet. Aber auch westlich bis jenseits LiiVr/, also
inmitten des Geschiebestreifens, kommt der feine Sand, zum Teil auch
Grand des , Unterdiluviums", stets zur Herrschaft unter meist nur
2—4 m blockreichem Deckgeschiebemergel; dabei ist das Terrain mannig-
fach wechselnd zwischen (30 und 100 m.
IHe Gegend nördlich von hier, gewöhnlich 55 — 65m hoch, bis
zum Goldberger See ist von vielen klemen Seen und zahllosen Sollen
durchsetzt und bietet das Bild der kombinierten vielfach wechselnden
Vorkommnisse von Sand und Deckmergel. Am nördlichen Rand herrschen
gleichfalls grobe Grande und Kiese vor, z. B. bei Diestelow (s. o.).
Es folgt in weiterem Verlauf nach Nordwesten ein 70 — 80 m hohes
Plateau teils aus blockannem oberem Geschiebemergel, teils aus Sauden
bestehend, bei Seelstorf, Hflhlenhof, Mestlin, Lenschow,
Niendorf, P restin (u. s. f.), wo der Heidetypus fehlt und das ge-
wöhnliche, fast möchte ich sagen langweilige, Diluvialplateau sich zeigt.
Am südlichen Hand dieses Bistriktes läuft der obere Teil der Wamow
bis Prestin.
Den beiden korrespondierenden knieförmigeu Biegimgen von Ge-
sduebestreifen Y und VI, resp. bei Stembeig und Eritzow (s. o.) ent-
spricht ein westliches Ausweichen des Sandgebietes nach Barnin zu.
verbunden mit einem Uebergreifen über den Streifen V nach der Tur-
lolFer Heide und über Yl nach der Chvitzer und Pinuower Gegend;
vergl. auch oben Boll s Darstellung.
Von dem block- und steinreichen aber wenig mächtigen Deck-
kiee der Gegend sfldlich Ton Stemberg bei Stietä und Dannhusen,
mit 60 m Meereshöhe, kommt man bei Demen in denselben Sand, aber
mit zurücktretender Steinbestreuung, die indes nicht i^uizUch fehlt. Dies
bleibt beiderseitig des Wamowthales bei Mttggenbnrix unweit Barnin.
Plateauhöbe circa 50 m. Zum Teil kommt auch grober Kies vor. Stld-
lich steigt das Terrain zu 00— 70 m und südlich Barn in auf 80 m,
doch bleibt der Sandboden längs des Baminsees und greift Über den
schmalen Geschiebestreifen VI nach der Grivitzer Gegend hmüber.
Von Demen nördlich und nordwestiich kommen wir durch die aas-
gedehnten Forsten von Venzkow, Jülchendorf, Schönlage, mit
55 — 80 m Höhe, in die Gegend von Brttel. Im Westen läuft bei
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292
Oanite,
[78
Kladow, Augustenbof, Basthorst. Wendorf die Qfreoze gegen
Streifen VI, überall ilunli rficlie Steiiibe^treuung auf dem verschieden
hohen unteren Sand charakterisiert. Im Osten isit die Grenze der eben
genannte Stern berg- Stieten er Zug V. In dem Gebiet herrscht nicht
fulein der gemeine Spatsand, immer mitDecksaud-Sieinbestreuung, sondern
es kommt aucb, wie bei Jfllcliendorf, Schönlage u. a. Kies und
auch Bänderthon vor. In Schön läge ergab eiue Bninnenbohning 80'
unteren Sand und Ries, d. i. bis auf eine Tiefe von circa 5 m unter den
Oatseespiegel. Viele Kessel und kleine Seen sind hier.
Die Gegend von SchTtnl ii<j:e , Kaarz. Necheln, südlich des
Wamowthule.s vonBrüel im iUateau ÖO— 7U m hochgelegen, zeigt unteren
Fenuand und groben Chrand mit Kies, meist unter Dedcaand. m Westen
und Nordwesten wird sie von den steinbestreuten Sauden und dem
blockarmen Deckmergel bei Wendorf, Gustävel u. s. w. abgesehlosaai.
Charakteristisch ist für diese Gegend , dass in den beiden hier nahe
zusammentretenden Geschiebestreifen mit ihrer coupierten Landschaft
die unteren Sande mit Blockbestreuung zu Tage treten. Daneben
kommt aber auch der obere Oeschiebemergel vor, und auch in dm
Zwischengebiet finden wir den gemischten Typus, unteren Sand und
Deckmergel das Diluvialplateau zusammensetzend.
Am nord(ist1i(hen Knde des Schweriner Sees ist in der Gegend
von Ventschow und A It-Schlagsdorf wieder ein kleines sandreiches
Areal, welches mit der „\\ariner Mulde" zusammeniliesst. Das von
hübschen runden Seekesseln unterbrochene Saudgebiet, oft mit geringer
Steinbestreuung, bildet, durch die Erosion isoliert, einen sUdwc»t-nord-
östlich laufenden, bis GO m hohen schmalen Rücken, der die Wasser-
scheide zwischen Schweriner See und dem Zufluss von Schlagsdorf-
Dämelow zum Neuhöfer See. somit zwischen Nord- und Ostsee, bildet.
Die umgebenden Plateaus der Geschiebestreifen haben dieselbe Höhe.
Nordwestlich vom Schweriner See findet sich in dem Zwischen-
gebiet semischtes DOuvium, neben den unteren Sinden auch steinamier
oberer Mergel. So ist die Umgegend von GrevesmUhlen ein circa
50 m hohes Plateau von unteren Banden, häufig mit Deckkies, oft auch,
besonders nahe den Streifen V und VI, als grobe Kieslager entwickelt.
An der n<jrdlichcn Grenze, bei Santow und Hamberge, ist in gleichem
Niveau der horizontal gelagerte oder lokal stark gestörte Grand von
1— 3 m lehmigem Decksand überlagert, der in seinen unteren Partien
als Steinpackimg ausgebildet ist und weiterhin in steinigen Deckmergel
mit unterer Steinpackuiiij: ü1)ergeht. Südlich, in der Mitte des Ge-
bietes, findet sich in den Wotcnitzer Tannen hauptsächlich Fein-
sand und thoniger „Schluffsand'* . bis bei Wotenitz und Kastahn
schon der 2 — 3 ni mächtiffe o])ere Mergel auftritt, der, z. B. I>ei
Upahl, untere Graude und ^jande bedeckt und vielfach in ihrer Lage-
rung gestört hat. Die Breite des Grevesmöhlener Sandgebietes ist hier-
nach etwa 5 km.
Weiter nordwestlich sieht man bei Pohnstorf und Roggens-
torf an der Grenze des Kalkhorster Geschiebestreifens bei :iO- 4n m
Höhe feinen Sand und Grand , zum Teil in aufgericliteter Stellung,
unter Deckkies von 0,5 — Im Mächtigkeit. In dem Geschiebeatreiten
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79]
Die mecklenburgiscbeu Höhenrücken etc.
29S
selbst herrschen vielfach die imteren Sende und steigen im Hohen
Schönberg zur Höhe von 02 m an (s. o.).
In und um die Stadt Schönberg herrschen Sande^ zum Teil mit
Tlion; die Brunnen der Stadt liefern in grosser Tiefe Springquelleo»
wahrscheinlich auf Grund eines tiefen Thonlagers.
Auch die Genend von Dassow führt (bei Wilmsturfj feineu
Sand, zum Tefl mit Steinbestremmg, zum Teil auch mit UocIaHniiem
Mergel bedeckt.
8. Das Land iwiaeheii OMcUebeBtreifen TI vnd TIL
(Gemischter Typus.)
Auch südlich vom Geschiebestreifen VI sind Sandgebiete vorhanden,
zum TeU auch mit Mergelinseln. Bei Massow, Ja(?bitz und Damm-
wolde treffen wir den feinen Sand in der Höhe von 80 — 90 m, nach
dem Runde zu mit Steinbestreuung und mit Granden . südlich ziemlich
frei von Steinen. Hier ist eine llaseneisensteinschicht nahe der Ober-
fläche, etwa in 0,2 m Tiefe, typisch für den unfruchtbaren Heideboden;
über ihr ist der Sand häufig als die rostbraune Fuchserde ausgebildet.
Bei Marienhof unweit Danunwolde finden sich noch rohe Eisenschlackso
auf den Feldern als Zeugen der früheren Schmelzhtttten, welche das
Raseneisenerz verarbeiteten.
Der Sand scheint sich weiter nordwestlich Über die 100 m \io\m
Clegrad von Priborn, nördlich von Meyenburg, und die Retzower
Taimen fortzusetsBoi.
In dem Geschiebestreifen VH der Umgegend von Parchim treffen
wir sehr all^^emein. wenn auch nicht ausnalmislns, (Sonnenberg, Marnitzer
Berjr. auch am Buchliolz. hei Möderitz u. s. f.) unter dem blockreichen
Deckdiluvium die unteren JSaiide und Kieshiger; auch die niedriger ge-
legenen nördlichen Gegenden zeigen hauptsächlich untere Sande, so bei
Slate, Siggelkow, Paarsch u. s. w., nur an den Rftndem mit
Steinbestreuung (hier KantengerÖlle oder Dreikant^jr). Das Buchhols
und das nördliche Stadtfeld bilden blockreichere inselartige Partien, Yon
Deckmergel in dem hier etwa 7 km breiten Sandzwischengel)iet, welches
zu dem nördlichen Geschiebestreiien Vi (bei Lübz) kaum merklich an-
steigt (60— 70 m).
In dem Ruhner Berg steigt der untere Sand mit verschwindendem
Decksandüberzug bis zur höchsten Höhe von 178 m.
Westlich von Parchim herrscht bis in die Gegend von Spornita
der grobe und feine, meist strinbcstreute Sand, ebenso nördlich von
Parchim auf den öden Feldern oder in den Tannenwaldungen: Darge-
lütz, Domsühl sind die Orte, welche jene Landschaft recht gut präsen-
tieren. Das Plateau ist 60- 70, auch 80 m hoch. Oberer Geschiebelehm
ist nicht gandich ausgeschlossen, meist aber V* — ^Vs™ DecUaes an
dw Oberfläche.
In der Gegend von Crivitz treten die beiden Ge.scliiebestreifen
ziemlich nahe zusammen; da hier weiter hauptsächlich die unteren Sande
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294
Geinitz,
[80
herrschen, nur mit Steinhestreuung iles Deckkieses in den Geschiebe-
zü«?en. auch die Plateauhöhen keine erhel)hchen Differenzen zeipren. so hebt
sich der Saudzug wenig ab. Bei Barnin. Kladow viTsrhniilzt das
Sand- und Kiesgebiet mit dem nördlichen; liier treten z. Ii. im Eich-
holz bei Crivitz und bei Kladow auch unterdüufiale Thonlager auf.
Das Terrain liegt 60— 80 m hoch.
PinnoWf Petersberg, Augustenhof. Vorbeck bis Langen
Brflfz zeigen gleichfalls in verschiedener, im Petersberg zu 'ißni an-
steigender Plateauhöhe die feinen unteren Saude resp. zum Teil Kies-
lager uuter Steinbestreuuug oder Deckkieü, durch deren reiches Auf-
treten die Geschiebestreifen entstehen.
Die geschiebereiche Gegend von Schwerin hat besonders im
Westen der Stadt, am NeumQhler Soe u. s. w., Kies- und Sandunter-
grund. Die unteren Sande, zum Teil auch tlionhaltig. treten nördlich
auf dem üO m hohen Plateau reichlich auf", daneben auch oft noch vom
blockarmen Deckmergel bedeckt; da.s tragliche Gebiet ist somit vom
gemischten Typus.
Derselbe setzt sich westlich fort; an der südlichen Grenze treffen wir
bei Vietlübbe undGadebusch den feinen, oft thonigen mahlenden Sand.
4. Dm Lud zwischen Gesebiebestreifen IV und III.
Der Landstrich nördlich vom Geschiebestreifen IV zeigt vielfach
den gemischten Typus.
In dem nordwärts strebenden Zij)fel der Bhxtkanhäufung von Feld-
berg triflft man am Xordende des Iwucinsees bei Li( htenberg in der
Meereshöhe von 120 m den feinen Sand mit unterlugerndem Bänder-
thon. Nördlich davon findet sich am Eude des Geschiebezuges bei
Grauenhugeu mächtiger Kies mit Blockbestreuung, auf den höheren
Plateau|pebieten mit DeckmergeL üeber Woldegk bis zum Helpter
Berg büdet fast durch^^lngig der obere Geschiebemergel den Boden,
meist sehr blockarm : m Woldegk bedeckt er mit 2 m Mächtigkeit,
durch Kieslager getrennt, den unteren Mergel, der wieder Bänderthon
überdeckt. Am Kirchhof kommt feingeschichteter Sand und Grand
unter 2 m Decklehm. Der Helpter Berg enthält vielfach feinen Sand.
Die Umgebung von Neubrandenburg hat vielfach die unteren
Sande und Kiese in ihrer Geschiebestreifemandschafb. SttdwSrts ge-
langen vrir gleichfalls zu Sauden und zu Deckmergel.
Die Kiesgruben und Spatsande l)ei Helle, Wrodow. Lapitz.
Puchow, Penzlin und die vereinzelten (Teschiebemergelpartien jener
Gegenden zeigen auch hier im nämlichen Niveau mit den Streifen IV
und III den gemischten Diluvialbodeu.
Sodlich von Malchin finden wir mächtige Entwichelung der
unteren Sande und Grande. Am Hainhob mächtige feine Sande mit
Granden, nordwärts d. i. vom Geschieberücken wegeinfallend. Der ganze
Forst bis Basedow, G e s s i n und L i e p e n . die .sogenannte Base-
dower Heide, zeigt nieist Feinsand, in Basedow horizontal mit tlio-
uigen Zwischenschichten, am Basedower Theerofen in dem 66 m hohen
Rücken machtige Gerölllager in diskordanter Parallelstruktur Ton mäch-
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Die nieeUenbnigiieheii Hfthenrttck«! eto.
295
tigern Blockkies bedeckt; liier ist die südliche Grenze nahe; hvi Schwin-
kendorf. schon im G«'l)iHt des Geschiehestreifens, kommen noch mächtige
untere Sande und Graude in 65 m Höhe vor. In jenem Gebiet lehlt
das Deckdiluvium nicht, oft macht sich der obere Mergel sogar selir
stark gleitend. Südwestlich yon Malchin zeigt der 25 m hohe Rücken,
der zwischen dem Peenethal und dem B^isedower Thal stehen gehliehen
ist, untere Sande mit Deckkies- und Lehmbeschttttungf auf welcher
noch ungeschichteter Decksand aufgespült ist.
Auch am Kempliner und {'istdcr Ufer trct*ii Sande und
Kiese unter dem Decklehm auf; bei ll^mplin tiudet sich in 30 m Höhe
ein Litffer von ^Lnderthon.
Kordlich treffen wir bei Hohen-Mistorf feinen Sand zum Teil
ohne Deckmergel, und an diesen schliesst hei Hagensruhm die Sand-
landschaft, die zu dem PTardthcrf,' aufsteigt.
Bei Teterow lierrschen Santle und Kiese. Der hohe Heidberg
setzt sich aus unteren GeröUen zusammen, an und auf welchen der
obere Gesehiebelehm lagert. Sudwestlich von hier ist die starke Qudle
▼on Köthel, auf m£htigem unterem Thon flieesend, bei ungefähr
30 m Höhe zu erwähnen. Auch amRadenerSee steht ein müiimtiges
Thonlager.
Durch die Geschiebemergel und viel Sand und Kies haltende Gegend
von Laiendorf, südUch und nördlich deren reichlich Sand herrscht,
wird nach Westen ein Abschluss erzielt.
Die obenerwähnten Kuppen zwischen hier und Ottstrow, femer
die Gegend von Niegleve führen untere Sande, zum Teil auch Grande,
oft mit Mergelbedeckung.
Die Gegend von Güstrow zeigt wieder sehr schön die Herr-
schaft der unterdiluvialen Sediniente zwischen den Geschiei)estreifen,
wiewohl auch hier das Deckdiluvium als Geschiebemergel oder Deckkies
nicht ausgeschlossen isi An der Bahn nadi ^«kow, an der Chaussee
nach Zehna u. s. w. kann man deutlich den »heblichen Abfall vom
südlichen Geschieljesti t if* n IV nach Norden zum Neboltlial verfolgen.
Unter Zurücktreten der Blr)rke gewahrt man auch hier zunächst grobe
Grande und Kiese im Unterdiluviuni und weiterhin die feineren Sande
vorherrschend, bei Hoppeurade auch ein Th()nla;^n r. welches sich nörd-
lich bis Güstrow hinzieht, mit einer Muldenlagtrung. Es fehlen aber
auch in der Mitte nicht die groben Kiese und der Deckmergel, wie an
den Schneiderbergen und an der Gleviner Burg bei Güstrow zu sehen.
Jenseits der Nebel wiederholt sich der allgemeine Typus in uragekelirter
Folge, erst feine Sande und Thon, weiter Kiese mit reicherer Stein-
bestreuung bei Annäherung an den 10— ÖUm hohen nördlichen Ge-
schiebestreifen bei Spoitendorf u. s. f. In der Mitte dieser Sandmulde
sehen wir östlich Tor Güstrow in den Röwer Tannen typische, so-
genannte AUuTialheide, feinen gelben Sand mit Ortsteinbildung, humos
in niederen Lagen, mit hohen Dünenaufwehungen. Es ist das die circa
12 ni holie von der Eisenbalm durchlaufene Gegend zwischen dem Inselsee
und der Ijn itcn Thalniederung der Recknitz, wo sich der l)reite Alluvial-
«trum seinen Thalsand aus den nachbarhchen Diluvialsanden aufge-
arbeitet hat.
FoiMhaagm s«r dralMlNii LandM- nad VoUnkund«. LS. 81
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I
296 Gemitit [82
Dasselbe witderliolt sich in noch «j^rössereni Massstab bei der
Einmünduugsstelle der Nebel in das Wamowthal südlich Bützow, wo
sich bei Langensee aus den unteren, zum Teil steinbeetreuten Senden
die alluviale Eeideeandebene der ^Mäcker^* und Vierburg-Waldung
entwickelt. In weiterer nördlicher und südlicher Umgebung folgen
nach den beiden Geschiebestreif« n öde Saiidgegenden von Peetsch und
Zernin im Süden, wo dann der Kies von Waruow als IlinUberleiter
zum Gesckie bestreiten in 20 m Höhe folgt und im Norden der Saud
von Wolken, Oetteliu bis ziu: Genend tou Schwaau; ebenso ist
auf dem linken Ufer der Wamow bei Bfltzow, Horst, Friedriche-
hof, Kambs, Vorbeck bis Schwaan der Sand herrschend. Der Beck-
mergel und der Deckkies sind hier nicht völlig ausgeschlossen, doch
herrscht in diesen (legenden der Sand, besonders feiner und thoniger,
bei weitem vor; juicii Thonlager treten auf. In einer 7m hohen insel-
artigeu Sauderhuhung inmitten des Waruowthaies zwischen Zerniu
und Rtthn oberhalb Butzow trifft man auf dem abgeschwenmiten irohl-
geschichteten unteren Spatsand und Schluffsand 0/2 m ungeschichteten
Decksand und auf diesem in scharfem diskordantem Absate noch 0,4 m
gdben Flusssand.
Nordwestwärts am Nordabfall der Schlemm in er Beriet' n;i( h der
Gegend südlich von Satow setzen die Sande fort, auch hier nicht ohne
Deckmergelpartieen. Endlich war auch in der Gegend von Neubukow
der Sand weit verbreitet, sowohl als Unterlage des Geschiebeetreifens
ab auch in der Zwischeng^nd; so z. B. charakteristisch in der Heide
Ton Questin und Panzow^).
5. Das Land iwlaelieii GMchlebestrelfen III und IL
(Gemischter Typus.)
Am Nordabhang des III. Geschiebezuges treten bei Doberan
ebenso wie am Südabfall bei Kröpelin Sandmassen in grosser Menge
auf: Feinsand, Thon und grober Kies, oft von Deckmergel oder von
Deckkies (iberlagert, in dem zum Teil ein südnördlicher Geschiebetrans-
port des Brunshauptner Planers zu konstatieren ist (Althof, Bruns-
haupt en); vgl. auch die Notiz über die kleinen Heirlcareale von Sand*
hagen bei Neubukow im Vll. Beitr. z. (ieol. Mecklenb. S. .'>.
Auch in kleinereu Partieeu finden sich innerhalb des Geschiebe-
streifens der Stoltera untere Sande und Thon zwischen den beiden Ge*
SChiebeniergclu (vgl. VII. Beitr. z. Gen]. I\[t(klenb.).
Südlich von Rostock dehnt sich ein heideähnlicher Sauddistrikt
über die Barnstorfer Tannen und Biestow nach der 0. .r, nd von
Schwaan aus, in gleichem Niveau mit den abgrenzenden Ueschiebe-
streifeu 11 und 111; oberes Diluvium fehlt nicht.
In gleicher Weise findet sich das Diluvium in Sand- und Kies*
resp. Thonablagerungen mit mehr oder weniger zurOcUretendem Ober-
diluvium (Geschiebemergel und Decksand) in südöstlicher Fortsetzung;
') Vgl. Vll. Beitr. s. Geol. HecUenb. S. 7.
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83]
Die meddenbiirgiMheii fiSlieottrQckeii elc.
297
es nia«! cfenttf^en. als Beispiele nur die Gegenden zwischen Köster-
beck und Hohen- Sprenz bei Rostock, von Liiage, Thürkow nörd-
lich Teterow, Neukaien am Cumiuerower See, Friedland u. a. zu
nennen.
6. Die südwestliche Heide. (Jungdiluvialer Thulsand.)
Die „südwestliclu Ht idt clione" Mecklenburgs ist zwar melirfach
geschildert worden doch telilt noch fino eingehende geologische und
geographische Darstellung, scjgar ihre Grenzen sind noch nicht genau
angegeben; auch an dieser Stelle kann wegen Rauniuiangelü nur ilir
Typus dmeli einige Mitteilungen bekannt gemacht werden und muss
eine aosftlhrlic^e Schilderung auf später verschoben werden. Im Osten
ist die etwa 30 Quadratmeilen grosse Heideebene nach Bolls Schilde*
rung von dm Mamitzer und Parchimer Bergen abgegrenzt, die natür-
liche Siidgreiizc bildet die Elbe, die westliche Grenze liegt in einer von
Schwerin über Klein Kogahn, Stralendori', Toddin, VVarlitz, Goldenitz,
Pritzier, Melkhof, DUssin, Brahlsdori' gezogenen Linie, im Norden lehnt
sie sich an den Sfldrand des den Schweriner See enthaltenden Mulden-
gtOckes an. -Die Heideebene ist arm an S« eii und Teichen, wird aber
▼on mehreren Flüssen durchschnitten, welche in sehr weiten, ziemlich
parallelen, von Nordost nach Südwest sich erstreckenden und nur wenig
üi er ihren Wassei-^}ne<ii l sich erhebenden Thälern dahintliessen und
nur durch unbedeutende, luselartig aus der Ebene sich erhebende Boden-
anschwellungen voneinander getrennt sind.* Diese Flüsse sind die Eide
imd Stör, die Rögnitz mit der Krainke und die Sude; ihnen
parallel laufen noch im Westen die S c h a a 1 e und Bo i z e mit ähnUchem
f'harakter. Von den zum Teil sehr tretlenden Schilderungen Kochs
und Bolls sei zunächst nocli einiges mitgeteilt: in landschaftlicher
Hinsicht ist die Heide eine traurige Einöde von ausgedehnten Kiefern-
forsten, spärlichen Ortschaften mit wenig und änmichem Ackerhau;
irOher war das Gebiet nodi viel reicher an Waldmigen als jetzt. In
diesen die deutschen Ansiedler wenig anlockenden Gegenden haben sich
die Wenden in Mecklenburg am längsten gehalten; die H< i nitj-f
noch zahlreiche slavische Ortsnamen. Auch die Ritterschaft iiut wenig
darnach getrachtet, hier Landbesitz zu erwerben, daher haben sich hier
die vielen Bauemdörfer erhalten (oft noch mit der sonst im Mecklen-
burgischen unbekannten Art der Gehöflsanordnung); kein Teil unseres
Landes trägt ein so wenig ritterschafüich-aristokratisches Gepräge wie
dieser; darin bildet er z. B. zu dem „Quellengebiet der Peene* und
anderen Geschiebestreifengebieten den äussersten Gegensatz. „Will
man daher das Thun und Treiben unserer Bauern, Büdner und Häusler
mehr im grossen kemieu lernen, so muss mau sie in diesen einsam
gelegenen, wenig vom Verkehr mit der flbrigen Welt berOhrten Dörfern
der Heideebene aufsuchen. Dort trifft man auch nodi vieUiÜtig jene
alten Bauemgehdfle, in denen Menschen und Vieh unter einemDache
') Vgl. F. £. Koch: Arch. Nat. Mecklenb. Vli, 1853, S. 17 f.; Zeitschr. d.
d. eeol. Ges. 1856. S. 249 f. E. Boll: Abriaa 1861. S. 358 f.
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298
Qeinitz,
[84
leben, mit derselben baulichen Eimichtuug, wie sie noch zu Anfang
dieses Jahrhunderts f&st überaU in den mecuenburgischen Bauemdörfem
zu finden war. Sie bestehen aus einem grossen, von Holz und Lehm
(zuweilen auch von Raseneisenstein) aufgeführten und mit Stroh ge-
deckten Gebäude olinc Schornstein, aus welchem der Hauch durch (die
an der Seite des liolu n, mit dem Pferdekopfpaar gezierten Giebels be-
findliche) Thür und iJucii abziehen muss ..."
Die geologische Zusammensetzung der Heide wül ich
zunächst eben&lls nach der Darstellung Ton Koch und Boll, aber
ohne die daran geknüpften Spekulationen, mitteilen. Die diluWalen
Schichten der Heideflächen bestellen aus manniLTfuch wechselnden
Lagern eines irlininierreichen feinen Sandes; darüber pflegt die ver-
rufene Fuchserde (Ur) zu lagern, ein braungelber, stark eisenschüssiger
und bisweilen sieinartig verhärteter Sand, der das Material abgibt zur
Bildung des in grosser Menge in allen Niederungen der Heideebene
Torkommenden RaseneiBensteins ,* die (>])erste Docke des Bodens bildet
im allgemeinen ein saurer, kohlig -harziger Humusboden; stellenweise
tritt aber aucli auf grösseren Strecken der feine und flüchtige Sand
zu Tage, teil.s selltstäiidige an.st'liiiHchc Hü<X('l!4"ni})peu , Dünen bildend,
teils den insularen, mit uordi.schem Düuvmm überdeckten Boden-
auschwellungen angelagert; «ersteres ist z. B. in der Httgelkette der
Fall, die sich längs des südlichen Eidearmes und der Elbe von Polz
nach Dömitz hinzieht, desgleich^ mit der Httg)]<iruppe bei Broda,
während z. B. die dem Wehninger Berge anpfelagerten Sandiriass»»n
wie auch die bei Lübtheen und Raddenfort auftretenden als Beispieh-
der zweiten Art anzusehen sind. Endlich aber bedeckt der Saud in
diesem Gebiete auch sehr grosse Flächen, wie z. B. bei Stolpe, Neustadt,
Dreekrögen, Moraas, Pampow o. s. w.*
„Vor 30 — 40 Jahren*) war diesem Sande in <ler Heideebene
noch vöUig freier Spielraum gegeben. Auf den l)ewegUchen Feldern,
z. B. bei Bockup, Wendisch - Wehningen , Belsch ii. a. . trül>ten bei
trockenem Sturrae auf halbe Meilen weit gelbe Sandwolkeu die Luft
bis zu einer Höhe von mehr als 100^, und der Landmann war ge-
nötigt, seine Felder durch Anpflanzung von ,Tannen* g^g^ii "Ver^
aandung zu schützen; aber auch diese konnten nur unter einer Decke
von Tannenreiseni , mit denen die ganz jungen Pflanzen überkleidet
werden mussten, Wurzel fa.ssen. Ein kleines Loch in der schwachen
Narbe solcher Samlfeldor erweiterte der Sturm oft binnen wenigen
Jahren zu einem walueu Sandsee, aus dem noch einzeln stehende
Bänke, gleich Inseln, von 4 — 6' Höhe hervorragten, als Merkzeichen,
wie gross die Masse des weggeführten Sandes gewesen war. An diesen
Bänken sah man denn auch deutlich, wie dünne Schichten von Damm-
erde wohl drei- bis viermal und auch noch öfter mit mehr als fuss-
dicken Sandlagen wechselten, und wie also dieselbe Stelle schon mehrere
Male das Schicksal der Versandung erlitten hatte."
Koch unterscheidet im Heidegebiet folgende Bildungen: l) die
1) Boll a. a. 0. 8. 390.
") Ebenda S. 363.
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85]
Die mecUenbingudien HOhemrBckeii etc.
299
Gebiete der Flussalluvionen, Marsch. Tiut oder Bruch; 2) das Heide-
gebiet, damals von ihm als tertiär angehehen; das Gebiet der uor-
di.scheu Geschiebeformation ; 4) die älteren Flötzformationen.
Da eine eingehende Beschreibiing der Heide hier nicht möglich
ist, so irollen wir versuchen, das Land auf einer Wanderung von
Schwerin nach Süden und Südwest zur Elbe hin kennen zu lernen.
Oben wurde (Ö. -U) n;ezeij^, wie sich von dem Geschiebe-
stnifen VII südlich Schwerin bis Pampow und Holthusen all-
luiililich da.s Saudgebiet imter Verschwmden der Steinbestreuuug ent-
wickelt und im Südwest bei Zachnn und Hagenow die Sandheide kommt,
miter aUmÄhlicher Abdachung des Terrains von 00 zu 40 und 25 m. Aus
den weiten, flachen Mf)ordcpre.ssionen zwischen Rogahn und Pampow,
südlich von Stralendorf und von Walsraühlen u. a. entwickeln sich
flache südwestlich lautende Thäler, so das der Sudo.
Oestlich von Hagenow dehnt sich das Saudgebiet mit weiten
Mooren in den flachen Niederongen , oft auch ac&m mit einzelnen
Dtlnen, nach Kirch-Jesar, Hagenower Heide, Morass, Isasnitz,
Fahrhinde, Dreekrögen in die Oefrend von Neustadt und Lud-
wigslust aus. In ilim liegt hei Kastow das oben beschrifbene Stein-
gebiet. Südöstlich setzt der Sand l>is unterhalb der Kuhner Berge fort.
Es wird von den Tiiäleru der Kognitz, Eide und Lfiekuitz parallel der
Sude durchflössen. Der Sand ist überall der feiue gelbe, oft Ortstein
und Raseneisenerz filhrende Heidesand oder meist horizontal geschichteter
Spatsand und Grand mit bis 1 m mächtigem Decksand. Das ebene
Terrain liegt meistens etwa 30 m über dem Meer. Der Decksand oder
seine Kleinsteinbestreuung herrscht im Norden vor, verschwindet aber
weiter nach Süden: im Norden, in der Gegend vom Südende des St liwe-
riner Sees, herr-scht der feine Sand, zum Teil auch Kies, unter wenig
n^htigem Deckdfluvium. An der 56 m hohen ünterdiluvialerhehung
hei Rastow Ist auf dem Deckmergel und Decksand noch reiner Sand
▼on dem nordö.stlich-südwesthch laufenden Kraaker Thal angelagert.
Nördlich vor Hagenow tritt unter dem Sand und dem Deck-
geschiebeniergel l)ei circa 2r» - 30 m Höhe blauer Bänderthon hervor;
und alsbald sclüiesst sich westlich und nordwestlich der oben beschriebene
undeutliche, aber hKufig blockreiche Cleschiebestimfen VJü an (Pätow,
Granzin, Helm), wobei sich das Terrain alsbald zu 40 und 60 m er-
hebt; hier heiTscht zwar ebenfalls der untere Sand, aber mit stein-
reichem Decksand oder DeckmprL'fl Ix'dfM kt, auch als grober Kies
au.sgebildet, so dass der Heidecharakter zurücktritt (s. o. S. 38). Süd-
lich von Wittenburg treöen wir bei 60 m den gelben Heidcsand mit
Ortsteinbildung als wenig mächtige Bedeckung mit Dreikantersohle auf
dem Bindertim (nördlicher Rand des Streifens Vlll).
Südlich von hier gelangt wieder die gelbe, in den Niederungen
fschwarze und graue Sandheide mit zahlreichen Dünen in dem zu 40
und 20 m abfallenden Terrain zur Geltung, vom Sud» r]ial durchflössen,
bis Lübtheen, Redefin, Belsch. Krenzlin u. s. w.
Hier und in den weiter südwärts folgenden Gegenden und nach
Sfldost in die Gegend von Eldena forts^zend, herrscht ttberaü der
Heidesand, in Niaierungen mit Raseneisenstein, in trockenen Stellen
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800
Odnits,
[86
mit massenhafton Düiienkuppen. Das Terrain wechselt dabei vielfach
uud mau erkeuut hier sehr klar, dass die Heide sich zusammeu-
setzi aus den breiten, von Thalsand erfüllten Thalebenen
der obengenannten Flüsse und ihrer SeitenthSler und den von ihnen
quer durchbrochenen nnd dadurch als Südwest -nordöstll( Ii strei-
chende flache, inselarti«;*' Erhr)liungen erscheinenden Geschie)>e st reifen
VIII und IX, welche wep'n ihrer geringen Erhebung noch von einer
dünnen Decke Flugsandes üherweht sind.
Als Belege dieser Auffassung seien die Gegenden von Lübtheen
und Malliss angeführt.
Der 15 — 20 m hohe Gypsherg von Lübtheen li^ am Südrande
des Geschiehestreifens IX, der sich östlich, immer von Heidesand und
Dünen bedeckt, bei Kamm zu 40m erhebt. Südlich dacht sich das
Terrain cranz flacli /u der normalen, an Dünen reichen Heide des hier
schon dem Eibthaic puraik-ien Rögnitzthales bei Trebs und Jessenitz
ab, in der Moomiedenmg mit 10 m Hdhe.
Die dortigen Bohrungen ') zeigten die Mächtigkeit und Beschaffen-
heit der Sande an.
Am Gypsherg ?ind dem Gyps echte unterdiluviale Saude und Kiese
angelagert; diese sind von wechselnd mächtigem Heidesand liedeckt.
In Lübtheen (VI) hat der gelblichgraue Heidesand die Mächtigkeit
von 8,2 m, darunter folgen grauer Sand, fisiner und grober Kies mit
Oer5llen und feiner und scharfer glimmerhaltiger Sand bis zur Tiefe
TOO 25,5 m, d. i. circa 10 m unter dt ui Ostscespiegel. auf Tertiärsand
lagernd. Das Bohrprofil (IT) in Pro])st Jesar bei Lübtheen (ebenfalls
circa 17 ra Meereshöhe) zeigte 1,2 m gelben Heidesand auf grauem
leinem und grobem Sand und Kies, mit 19 m Mächtigkeit auf Geschiebe-
mergel, Sauden und Thon in Wechsellagerung. Die Bohrungen am
See von Probst Jesar, in der Meereshöhe von 20 m angesetzt, zeigten
3 m gelben Heidesand auf ß m wasserhaltigem, grauem feinem Sand, der
bis 30 m Tiefe Diluvialkiese und Sande mit Thoneinlagerungen bedeckt.
Bohrloch (V) im Lübtheener Forst, südlich von Lübtheen fMeereshöhe
circa 18m), traf 14,3 m gelben, unten grauen feinen Sand auf mäch-
tigen unteren Sanden, die bei 42,8 m Tiefe Geschiebemergel bedecken.
Das Bohxloch (I\^ bei Trebs zeigte 16,1 m gelblich grauen feinen
Heidesand auf 6,3 m grobem, grauem Sand und Eies, der in ca. 13 m
Meerestiefe auf Geschiebemergel ruht. Das in anderer Beziehung
wichtitje Bohrloch im Kamdolil bei Trebs flll) hatte 15,7m gelblichgrauen
feinen Sand (Heidesand) auf Kies, Sand und Thon von 23,3 m Mächtig-
keit getroffen.
Die durchschnittlich 25 — 30 m hohe ebene (legend sEwischen Lnd-
vigslust nnd Eldena, Malliss, zeigt fest durchgängig den Heidesand, an
der Mde mit Dünen besetzt, auf dem Plateau mit flachen Moomiede-
rungen und weiten flachen Thälern; dabei finden sich im Gebiete des
hier durchquerenden Geschieliestreifens IX fla<'he, bis 50 m ansteigende
Erhebungen von Diluvium, Tertiär und Kreide, z. B. bei Loosen,
») I. Beitr. z, Geol. Meckleub. löTü, b. 12, ti4. Flötzform. Mecklenb. 1883,
S. 110—116.
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87]
Die meddoibiirgiflchen HOhtiirlleken ate.
301
Hohen Woos, Karenz, Malk, Gonow, Malliss, Bockup, Böck
(s. oben).
Einen ganz vorzüglichen Einbhck in die oben gekennzeichnete
Natur der «Heideebene* erhält man auf einem Gang von Malliss nach
Bockup und Schlesin ndrdlich Dömitz: in der grossen Ziegeleigrube
von Malliss sieht man in circa 40 m Höhe etwa 3 m mächtigen oberen
Blorkmergel auf dem SeptiirifMithon aufpfelagert. dem auf der Höhe Heide-
sand ioU/L iih Uebonvehung; nördlich davon trifft mau den unteren Sand
bei den Mailisser Abbauen an der Chaussee und weiter in den Karenzer
Bergen, mit Dreikantem und Decksand. In der rasch zu 25 m Höhe sttd-
lieh der Ziegelei ahstOrzenden Ebene der Eide lagert mi&chtiger gelber
feiner Heidesand mit seinen Danen. Von hier kann man südwestlich llngs
der 40 m Kurve gehend die Grenze des steinigen Diluvialsandes gegen
den in der Tiefe (25 m) lagernden feinen Heidesand verfolgen bis nach
Bockup, unterwegs auf der Höhe, bei Malliss selbst oder nördlich
nach Conow, die unteren Saude oder Kieslager in schöner diskordauter
Pandlebchichtung mit oberer Stein- und Dreikanterbestrenung beob-
achtend, bis man an der Ziegelei von Bockup, wo der Signalberg zu
48 m ansteigt, am selben steilen Uferrand der sich hier nach Westen
wendenden breiten Thalebene die Miocänthone mit ihrer Unterdiluvial-
lu deckung scharf abgeschnitten sielit, in der 25 — 15 m hohen, weiten,
überraschend schön sich dem Auge darbietenden Thalebene von Radden-
fort, Heiddorf u. s. w. den ÜDinen gelben, mahlenden, zu riesigen Dttnen
aufgewehten Heidesand (mit Raseneisenttzbfldung) Tor sich; aber auch
auf die Höhe ist der gelbe Heidesand bereits tfewandert; wir finden ihn
als eine l — 2 m dicke Schicht den älteren Ablagerungen nuf<?eweht.
Dieselbe Beobachtung wiederholt sich, wenn wir von lufr westlich über
Schlesin zu dem tialgenberg gehen; auf dem 40—45 m hohen Plateau
unterdihiTiale Kiese und Sande, zum Teil oberer Mergel, am Bande mit
Heidesand bedeckt, welcher unten im Thal allein herrscht. Der 42 m
hohe Galgenberg bildet die scharfe Ecke zwischen Aex hier ostwestlich
laufenden Thal ebene und dem von Nordnordost kommenden l^ögnit/thal.
Südlich von diesem scharfen Hand breitet sich, wie ersviÜmt, wieder
eine normale Thalsandheide aus; die Orte Raddenfort, Heiddorf,
Kalliss, Schmölen, Lenzen, Heidhof, Woosmer, Junker Weh-
ningen u. a. m. liegen in ihr. Tefls ein&che Sandebenen, 15 m hoch
gelegen, teils mächtige Dünen, besonders längs der üferritnder, teils auch
weite Moor- oder Sumpfniedwungen setzen sie zusammen.
Aus dieser Heideebene erhebt sich bei Wendisch Wehningen am
Elbufer der Diluvialberg mit m Höhe als inselförmiger Rest des
Geschiebestreifens X, ringsum, bei Broda unweit Dömitz, im Forst
Heidhof, bei Junker Wehningen, von HeidesaaddUnen umgeben, auf der
Höhe mit diskordant angelagertem Deckmmd, dessen gute Dreikanter
sehr häufig sind. Der Kern besteht ans unterem Oeschiebemergel, dessen
Hangendes unterdiluviale Diatomeenerde, Thon und Sand ist, mit denen
zusammen er durch den oberen Geschiebemergel mannigfach ver-
staucht ist.
Wir haben also den eigentlichen Heidesand als echten „Thal-
sand* erkannt, und es ist kaum noch ndtig, die frohere Amdeht zu
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302
Geinits,
widerlegen, dass er tertiären Alters sei. Seine , kohlig-harzige " Be-
sdiaffeime^ an der Obevflilche hängt nicht mit zen&ten tertiiren
Braiinkohleiilageni zuMunmeii, aondm ist auf junge Ortsteinbildiiiig
äun h sauren Humus zurückzuführen, wie sie besonders durch Erika ver-
anlasst in allen Heidcsaiulcii mehr oder weniger reichlich vorkommt (z. B.
Kostocker Heide, Miicker Im i Biitzow, Heide östlich Güstrow, Diluvial-
heiden bei Karow, Wittenberg u. s. f.).
In echten unterdüuvialen Sandablagerungen der Höhen finden
sich allerdings zuweilen Sande, welche ziemlich reichlich aus der
Nachbarschaft tertiäre Sande aufgenommen und dadurch eine von der
gewöhnlichen abweichende petrographische Beschaffenheit erlangt haben,
so z. B. bei Helm, Bobzin, Melkhof, vielleicht auch bei Malliss
u. a. 0. Doch sind diese Sande, von Deckrliluvium Uberlagert, st-ts
etwas anderes als untere Thalheidesande. V on ejuer postgiaciaieu Hebung
der Geschiebeatreüen-Areale kann natOrlicfa auch keine Rede sein.
Dass die Dfinen hauptsächlich an den Rändern der alten Tbiler
Torkommen, ist schon melirfach erwähnt; höchst instruktive und groß-
artige Dünenbildungen linden sich u. a. V>ei Jabel, Holien Woos,
Heidhof, Bockup, Woosmer; f'trncr bei Lenzen (von der Bahn
aus zu beobachten), dann in der Sudeuiederuug bei Gothmann unweit
Bonenburg u. s. w.
Auf die eigentfimliche Ablenkung der unteren Läufe der Löckniis,
R<')goitK und Sude in eine dem Elbthal parallele Richtung soll an anderer
StaUe angegangen werden«
Die Lewitouedenmg.
Wie sich im Südwesten Ton Schwerin am flachen Abfall des Ge-
schiebestreifens Vn die weiten flachen Moomiederungen in dem unteren,
steinbestreuten Sandboden entwickeln (Pampow u. a.) und die Thal-
beginne von südwestwärts laufenden breiten Thäleni darstellen, die
ilirerseits zur Bildung der .Heideebene" führen, in derselben Art, nur
weit gewaltiger, ist auch im Südosten des Schweriner Sees eine solche
Niederung Torhanden, die hochinteressante Lewitzniederung. Eine
ausführliche Schilderung derselben muss fÖr die spätere Arbeit über
die postglacialen Wasserläufe Mecklenburgs vorbehalten bleiben; jetzt
sei nur knrz das Wesentliche mitgeteilt. Wir verdanken eine eingehende
Beschreibung (mit Karte) der Arbeit von Fromm und Struck'),
während Bolls Darstellungen hierüber ungenügend sind.
Unmittelbar an der Sttdbucbt des Schweriner Sees (mit dnem
firosionsthal) begmnend, erstreckt sie sich zwischen hier und Neustadt
in einer grössten Länge von 3 und einer grössten Breite von circa
1 '/» Meilen. Durch das über 1 km breite, scharf in dem «10 m hohen
Plateau zum Niveau von 40 m erodierte Störtlial bei Müess mit dem
Schwerinersee in Verbindung, ferner im Osten durch die breite, weuiffer
scharf begrenzte Niederung bei Pinnow westlich Crivitz zu dem Ge-
Besebreibiiiig dei Slörbeckens, I) Die Lewituuedenmg» Aroh. f. Laadeak.
Meeklenb. im» 8. 113 a. 325.
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Die mecUenbiuguclieii HOhenrttc^en etd
SOS
schiebe^treifen ^'eöffhet, begiimt die eigentliche Lewitzniedorung, wie
auch Boll richtiger als Fromm und Struck annimmt, bei Banzkow,
mit fladien, aus abgeschwemmten unteron Sanden bestehenden nördlichen
Rändern, welche in jene beiden nördlichen Zipfel allmShlich anslaufen.
Die seitlichen Grenzen sind recht deuÜidi ausgeprägt : im Westen durch
die steilen, weiter südlich mehr verflachenden Ufer von Plate, Banz-
kow, M i r o \\ . 0 () 1 d »" n s t ä d t . D r e e k r ö g e n , W (5 b b e 1 i n ; im Osten
durch die Höhen von .Suckow, Göhren, Bahlenbüschen, Tramm, Klinken,
Garwitz, Matzlow. Die Südgreuze wird von Fromm und Struck über
Dütschow, Brenz nach Neustadt, Wöbbelin gezogen.
Vom Schweriner See fliesst die Stör in die Niederung, bei Neu-
stadt tritt die zwischen Matadow und Dütschow einmündende Eide wieder
nach Süden ans-.
Die Nieilcrung ist eine iin<^eführ 35 m hoch gel- Lreiie Ebene, von
Wiesen, Briu lieu, Waldung und Torfmooren mit ganz zurücktretenden
Aeckem eingenommen, öfters -von wenig höheren fiodaumachwelluiigen
unterbrochen. Erst durch die der jüngsten Vergangenheit angehörigen
zahlreichen Kanal- und Entntaerungsbauten ist ihre Kultivierung mög-
lich geworden: bis dahin war sie eine grosse, fast ununterbrochene
Sumpf-, Bruch- und Waldfläche, im südlichen Teil voller ausgedehnter
Moorsümpfe; ihr W^ildreichtum (Lewitz == wen<lis(]i „Jagdrevier") wurde
schon Ton den Wenden nach Möglichkeit ausgenutzt. Die Eide und
Stör Tenirsaehten häufige üeberschwemmungeii.
Wie die nachbarlichen Plateauhöhen unter gleichzeitiger Abdachung
nach Süden den allmählichen Uebergang aus dem Gescliiebestreifen in
steinbestreute Sandhochüüchen und feindsandige Heide zeigen (s. o.). so
erkennt man auch in der Niederung den Uebergang aus den abge-
schwemmten Granden, Kiesen und Sanden (z. B. bei Suckow, Zietlitz)
in gemeinen scharfen «Seesand*, wie er die Hauptmasse der Niederung
bildet (Friedrichsmoor), und klemsteinbestrente flache Sandkuppen,
und weiter in den feinen gelben und grauen, zu Dünen aufgewehten
Heidesand im Süden, bei Wöbbelin, Hohe wisch, Neustadt. Bei
Neustadt und Ludwi^r^slust schliesst sich dann die oben be-
sprochene »südwestliche Heideebene " mit ihren Geschiebestreifen-Inseln
unmittelbar an. —
Auch südlich der Zarrentiner Gegend sind hinter den Geschiebe-
streifen Sande entwickelt, nur zunftdist häufig durch die Blockan-
häufungen unterbrodien und wenig zum Ileidetypus gelangt und mehr
den gemischten Typus zeigend. Doch sind in dem unteren Boize- und
Schaaiethal Sandebeueu vorhanden, von denen auch Boll erwähnt, dass
«6 ganz denselben Charakter wie in der östlich sich anscUiessenden
Hddeebene zeigen; so in der Gegend zwischen Brahlstorf und Boizen-
burg oder »adi nördlich daTon bei Vellahn, Gresse u. s. f.
1. Die ]lo8toek*Blbiiltter Heide , das Fischland nnd der Bme.
Nordöstlich von Rostock erstreckt sich, vom Seestrund und der
Wamow und im Süden etwa Ton der Rostock -Ribnitzer Chausee be-
grenzt, ein zusammenhüngendes Heidegebiet, welches als jungdiluyial zu
304
Geinits,
[90
bezeichnen ist und mit dem der südwestlichen Heide viel Aehuiich-
keit zeigt. Es ist fast lediglidi befontet imd umlust die Bostocker,
die grosshenogliche G-elbensander und die Ribnitzer Heide.
Seine südliche Grenze ist wenig deutlich. Das 40 — 50 m hohe
gemischte Diluvial})latt'aii östlich von Rost<M k flacht sich ganz allmäh-
lich nach Norden zu circa 20—1.') m ab; die Orte Stuthof, Hövers-
hagen, Willershageu, liibnitz zeigen blockarmen oberen Geschiebe-
lehm, zum Teil auch wenig untere Sande in dem Niveau von circa 10
bis 15 m, meistens noch mit einer 0,5 — l m dicken Bedeckung von
Heidesand, dessen Dasein dem Feldbau recht hinderlich ist, dagegen
für den schönen Buchenbestand in der südwestlichen Ecke der Hostocker
Heide nicht nachteilifj ist. Also ein eigentlicher Uferranfl fehlt hier.
Ein ähnliches Uebergreiteu des Sandes als dünne Decke diluvialer Ab-
lagerungen ist im Westen am Warnowufer bei Oldendorf und Gehls-
dorf und im Osten in der Ribnitzer Gegend zu beobaditen. Im
Norden ist die Hdde von dem gegenwärtigen Strand gewissermassen
willkfirlich aligoschnitfcen, ihr Gebiet reicht auf den Ostseegrund weiter
hinaus. Abgesehen von zwei unbedeutenden B:u lilUufen mit ganz
Hachen Ufern enthält sie keine Thäler. Dagejict n liiilien sich in fiaiheu
Bodensenken weite Torfmoore gebildet. Das Terrain liegt 5 — 15 m
ttber der See, nach Osten etwas ansteigend.
Der Boden wird von feinem gelbem Sand gebildet, der zuweilen
zu kleinen DOnen aii%eweht ist. Seine Mächtigkeit ist mehrere MetOTt
dnrli fehlen genauere, über 5 ni Tiefe gehende Bohrprofile. In ganz
frischen Abbrüdien kann man fiiiie Schichtung, zum Teil mit diskor-
danter Parallelstruktur beobachten. Sehr typisch ist die Ortsteinbildung,
die in der Tiefe von 0,3 — 0,5 — 1 m stattfindet und fast durchgängig
aller Orten folgendes Profil liefert: auf dem gelben Heidesand 0,2 bis
0,5 m Ortätein als feste zusammenhängende eisenbrauue Schicht« von
verkittetem Sand mit saurem Humus und wenig Eisen, darauf circa
0.;^ m grauer humoser, seines Eisengehaltes beraubter Sand, wegen
seiner Farbe sogenannter Bleisand, und darauf oft je nach der T^age in
Niederungen noch reiner Humus oder Torf. Die Baumwurzeln ver-
mdgen nur ausnahmsweise die Ortsteinschicht zu durchdringen, daher
überall flaches, weit in der Horizontale verzweigtes Wurzelwerk und
häufige Windbrüche; daher aber auch in den niedrig gelegenen, feuchten
Stellen, auch vom Seeklima begünstigt, ein bei dem schlechten Boden
Ui>erraschend ü])pi<>;('r Forstbestand, ni^ht allein von Nadelholz, sondern
auch von Eichen und Buchen.
Nur an wenigen SteUen tritt in der Mitte der Heide die Untere
läge des Sandes, ab G^chiebemeigel oder Eieslager,' in kleinen Kuppen
ntdie an die Oberfläche.
Von einer breiten sandigmoorigen Niederung bei Dierhagen, die
als Fortsetzung des Ribnitzer Recknitzthaies gelten kann, unterbrochen,
setzt der Heidesand nordusthch nach dem Fischland weiter, bei
Wustrow zunächst noch allein herrschend, alsdann bei der Erhebung
des Landes nördlich von Wustrow und bei Nienhagen und Alten-
hagen immer noch die 1 — 4 m dicke Decke der dortigen Geschiebe-
mergel und unteren Sande dildend und auch hier vorzOglich schön die
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Die mecklenbai^cheii HShenrftcken etc.
305
Ortatembüdung mit dem ilcimit zusaninienhüngenden «rrellen Farbenwechael
von schneeweiss zu gell), braun, rot und schwarz zeigend.
Von Ahrenshoop an zeigt der flache Darss bis Prerow nur
den reinen lieideöaud, mit seinen Moorsumpfeu und dem mahlendeu
Suid ffewiss jedem Wanderer miTergessUch.
Die flache Insel Zingst Bcfalieast sicli mit gleicher Beschaffraheit
im Osten an.
Die anderen Gebiete iiördlic h des Geschiebestreifens II zeigen teils
den gemischten Typus mit reichlichen untoren Sanden, t^ils entwickeln
■ sie, z. B. am Gahlenbeckersee, auch weiter alluviale Moor- und Saud-
uiederuugen.
m Die Beziehungen zar Eiszeit.
Was die Entstehung der Geschiebestreifen anlangt, so geht
aus den oben mitgeteilten Beobachtungen über ihren geologischen Bau
(s. S. 64) hervor, dass dieselben nicht den Endmoränen moderner Glet-
scher gleich sind; vielmehr sind sie zu bezeiclinen als die geschiebe-
reichen Grundmoräuenabsiitze des sogenannten oberen Dilu-
rinms')« welche nur in geringer Mächtigkeit (0 — 8 m) auf
schon vorhandenen Bodenerhebungen des UnterdiluTiums
und Fl5tzgebir<^es auf- und angelagert worden sind. Dennoch
ist es w^en der Analogie mit den in Skandinavien -) als Endmoränen
bezeichneten, unseren Geschiebestreiten entsj)reclieudeu Höhenzügen wohl
gerechtfertigt f auch unsere Gesehiebestreifen als Endmoränen
oder endmoränenartige Anhäufungen der Gnmdmoräne der letzten
Vereisung Norddeutschlands zu bezeichnen. Aehnlich ist auch
die Deutung, welche Berendt dem mecklenburgisch -pommerisch-
preussischen Höhenzni^e gibt'), indem er sagt: „Wo diese Rückschritte
des Gletschereises laugsamer erfolgten, wo längere Zeit Stillstände
stattfanden oder wo gar gleichzeitig anderweitige Bewegungen in
der festen Erdrinde überhaupt stattfanden, da konnten diese Aufquel-
lunffen (nämlich durch den Gletscherrand heryorgerufen) auch bedeu-
tender und nachhaltiger werden; da mussten sich aber auch andererseits
Anhäufungen des Schlammes und der Geschiebe, mit einem Worte, da
*) Vgl. I. Beitr. z. (ieol, Mecklenb. 1871*. S. 54: ... „läset die Gemshiebe-
itreifen nicht als blosse Schuttwälle einer Endmoräne erscheinen."
*) Heiland: lieber die glacialen Bildungen der norddeutschen Ebene.
ZeitBchr. d. d. geol. Ges. 1879, S. 68 f., S. 105. — De (leer: Lieber die zwt'ito
AnabreituDg des skandinavischen Landeises. Zeitschr. d. d. geol. Ges. 1885, S. 177
(Ueberaetzung des schwedischen Aufsatzes in Geol. Fören. FörhandL VII, 1884»
S. }:',»;— 466). — .\»'hnlich fiir Jütland nntl Schleswig von Johnstrop ange-
noxmnen: Oversigt Over d. geogn. Forhold, i Danmark 1882.
*) Zeitsolir. d. d. geol. Ges. 1879, S. 18.
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306 Gebito, [92
niussten sich vollständige End ni o r ü n e n bilden. " Letztere Auf-
fassung weicht von der meinen nur darin ah, dass ich die Erhehnn«^en
des Bodens, (He Höhen von Flötzgebirgswellen und unterem Diluvium
ak bereits fertig ounehme und uicht durch Aufquellen am Rande des
ROckzugsgletschers «ntstaaden erkläre.
Ein sehr beachtenswertes Analogon fiir die Auffassung der „Ge-
schiebestreifen" als ,,Endmor'änenartige Anliäufungen der Grundmoräne"
liff^ ni die quer zur Be\ve».'uri!:{srirhtung des Inlandeises gestellten, hoch
gek'genen (irundmoriinen - Absätze vor den eisfreien ,,Niniatakker'' in
Grönland. (Vgl. Kornerup, in Meddelelser om Grönland I, 1879,
S. 133, Tab. V, jy und !>".) —
Meine Untersuchungen naben nun ergeben, dass in Mecklenburg
nicht bloss drei, sondern zehn, in ziemlich gleichen Entfer-
nungen voneinander gelegene, solcher Endmoränen exi-
stieren und dass auch die im Nordost und Südwest angrenztnden Ge-
biete dieselben Eudmoräuen, mit ziemlich denselben Distanzen, besitzen.
Letztere Thatsaehe verdient besonderer Blrwähnung gegenüber anderen
AttsfDhrungen Klockmanns die allerdings beäite von Wahn-
schaffe*) zum Teil korrigiert sind.
"Weiter hat sich er^'eben, dass hinter jeder dieser ,.End-
moränen' ein breiter Sti t ifen liegt, teils in demselben Niveau
wie jener, teiJs niedriger gelegen, zum Teil auch mit grösseren Er-
hebungen, in welchen die, als oberer Geschiebemergel oder Deck-
sand oder Steinbestareuung entwickelte Grundmorftne mehr oder
weniger stark zurücktritt oder ^anz fehlt und in wdchem
im normalen Falle die Verhältnisse der „Bandr^-El^ rif n ') und
der Thals a n d - II e i d c e b e n e n sich ent wickeln. 1 )iesell)en Verhält-
nisse tindt-n sich nacli De Geers Schilderungen auch im Norden
und nach Kornerup in Grönland, wo sich die Sandebentu, „Sand-
sletter^S vor dem Rande des Binneneises ausbreiten. (Vgl. Meddd.
GrOnl. I, Tab. V, Fig. A' und A''.) Diese Sanddistrikte sind bei den
höhl r fjel. <r( lu 11 mittleren Geschiebestreifenarealen, welche die Wasswr-
scheide oder die eigeiitliehe Seenplatte bilden, nur zu den Sandr-Ehenen
mit randiicher Steinbestreuung ausgebildet, ohne grössere Stroniläufe,
sondern mit den zahllosen isolierten oder perlschnurartig aneinander
gereihten Seen und Mooren; dieselben zeigen genau den nämlichen
Charakter wie die Geesthöhen der Lflnebuiger Heide. An den altoQ
nördlichen und sQdlichen Abdachungen — auf welche NB. weiterhin
wieder <lie Höhen von Kügen einerseits und von der Llineburger Heide
andererseits folgen — an diesen Abhängen haben sich aus den ge-
neigten Sandr-Ebenen weiterhin die echten feiusandigen Thahsand-Heide-
ebenen der breiteren Flussthäier entwickelt.
In vielen der Decksandablagerungen fanden sich die „D r e i k an t e r'*
oder „Kantengerdlle*^ als Zeugen der einstigen Thätigkeit der
V) Die aüdl. Vorbreitun^^cnze des oberen Ceschieb6mei]gela etc. Jahrb. d.
preuss. geol. LiindoHunst. f. Berlin, S. 238— 20t).
*| Kefeiat hierüber im N. .Tiihrb. f. Min. 188ö. II., S. 323.
^1 Von K. Koilliark <:Mscliil(b'rt in: Vgl. Beob. an islftnd. Gletscher- und
uorUdeutechen Diluviulubla|;eruugen. Jahrb. d. pr. geol. L.-A. f. 1883, 159 —
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93]
Die mecklenburgiBCben Höhenrücken etc.
307
Abschmelzwässer ; ihre Bildungsweise ist kürzlich von Berendt sehr
anacbaidich erkl&rt worden'), und ich kann seiner Deutung nur voll-
ständig beistimmen.
Die obigen Untersuchungen bestätigen auch den von Berendt*)
aUBgesprochenen Satz, dass „Heidesand und Thalsand einerseits'' (welche
übrigens völlig identische Bildungen sind und von denen ersterer, wie
gezeigt, nicht bloss eine altalluviale Uniränderung der Nord- und der
Ostsee ist), „Geschiebesand und GeröUbestreuung andererseits als gleich-
seitige Bildungen zu erkennen" sind. —
In den Öeschiebestreifen finden sich unter einer sehr dünnen, oft
zu blosser Steinbestreuung liorabsinkendon I)«»fko von „()berdilu\ium*
abgesehen von dem älteren Kern, der teils von Flötzgebirge, teils von
echtem Unterdiluvium, nämlich unterem Geschiebemergel oder unteren
Sanden und Thonen gebildet wird, fast immer noch Sedimente, aller-
meist Sande, doch auch Thone, die man nach der bisher Üblichen
BSassifikation als unterdiluvial bezeichnet hat. Auch die skandinavi-
schen Endmoränen sind im Inneren oft geschichtet*) und zeigen die
Sedimente hier auch zuweilen Schichtenstörungen.
Die hinter den einzelnen Geschiebestreifen gelegenen sandrartigen
ebenen Flächen und ebenso die innerhalb und ausserhalb derselben be-
findlichen Sandkegel bestehen aus Sanden, Granden oder Kiesen, die
man als unterdiluvial bezeichnet, und sind bedeckt von einer mehr oder
weniger dünnen, sich meistens scharf von ihnen aMu benden Decke des
olterdiluvialen Decksandos oder auch nur der Steinbestreuung: nur zu-
weilen muss man diesen Decksand als die oberste durch Verwittennig
resp. durch die Kultur umgewandelte Decke der unteren Sande be-
trachten, nicht als eine fremde diskordante Ueberlagerung. Man muss
naturgemäss diese «Sandr* als die Absitze der Ton dem jeweiligen
Gletscherrand in grossen Massen abströmend«! SchmebEi^sser betrachten,
wt'ldic das nordische Gesteinsmaferial je nach der wachsenden Ent-
ferrnin^ von der endmoränenartigen (ilacialanhäufimg der Geschiebe-
streifen als Kies und Grande (mit diskordanter Parallelstruktur) oder
feinen Spatsand oder endlich feinsten Heidesand ausbreiteten. Alle
diese Sandmassen sind also nahezu gleichalterige Bildungen
mit den Grundmoränen absetzen des oberen Diluviums, auf die-
selbe Ursache zurückzuführen, nUmlicli das Y orschreiten , periodische
Stehenbleiben und Abschmelzen des nordischen Gletschers zu ein und
derselben Periode; sie verhalten sich genau ebenso wie die ganz all-
gemein unter der eigentlichen Grundmoräne von sogenanntem unterem
Ueschiebemergel konstatierten Sand- und Gerölllager, die wir meistens
auch nicht als präglacial zu bezeichnen haben (vgl. meine Ausführung
hierQber in Zeitschr. d. d. g. Ges. 1881, S. 568). Wir müssen dem-
') Geachiebe-Dreikanier oder Pynunidai-Geschiebe. Jahrb. d. pr. geol. L.-A. für
1884, 8. 201-210.
^ Die Sande im norddontsrhon Tieflande und die grosst^ diluviale Abschmelz-
periode. Jahrb. d pr. geol. L.-A. für 1881, S. 482—495 ; Zeitschr. d. d. geol. Ges.
1882. a. 207.
^1 De G Oer a. a. 0. S. ISO f. Warum diene Sedimente im Meere abge-
lagert und geschichtet sein solleOi ist mir nicht klar.
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308
GeiuiU,
[94
gemäss die bisher Übliche Klassifikation in dieser Beriehimg
indem und können die obengenannten Sande, Grande und Kiese
der „Sandr" nicht mehr als nUnterdiluTial" bezeichnen, denn
sie gehören ihrer Bildung nach zum „Oberdiluvium*' oder
„Deckdiiuvium". Wenn wir mit Berendt schon die viele Meter
mächtigen feinen Thal- und Heidesande ak juugdiluvial erkannt haben,
so mfissen wir ebenso die grilbertti Sandr-Araike ans der nSheren Um-
grenzung der Gesofaiebestra&n als gleichaltaige Faciesbüdungen be-
trachten, niclit abor bloss die gegenüber ihrer Mächtigkeit versch?mi-
dende Steinbestreuung und den dünnen Decksand als alleiniges Aoqui-
vab'nt der Heidesando erklären. Diese, das bisherige , Oberdiluvium"
darstellend, sind ebenso wie die in den Gegenden mit „gemischtem
Typus" insel- und zungenförmig in den Sandr-Gebieten auftretenden Ab-
lagerungen von normalem obeiram Geschiebemergel dadurch ssu erUSien,
dass der Gletscherrand nicht ein fOat allemal sich auf eine bestimmte
Grenzlinie zurückzog, sondern mehrfach oscillierend wieder, ganz oder
in Zungen, sich etwns vorschob und dabei seiiie Grundniortine als dünne
oberste I)»'rke (Uli fast gleielialterigen Sedinientiii aulset/.te.
Als die Gruudniuräucn-Ablagerungen solcher zuugeniörmiger Aus-
läufer oder auch der zungenförmig nach SQden ausgebuchteten und
dadurch nicht mehr einfachen GrenzUnie des jeweiligen Gletscherrandes
können vielleicht auch die oben im ersten Teil mehrfach konstatierten
Moränen-Querricgel oder -Ausläufer betrachtet werden, so dass man in
ihnen nicht ein älteres Moränensystem zu suchen braucht.
Durch die Zuziehung eines grossen Teiles der bisher alo
unterdiluvial bezeichneten Sedimente (haupträcUich Sande, aber
auch häufig Thone) zum OberdiluTium wird auch die bisher aufföUig
geringe Mächtigkeit des letzteren erheblich yermehrt. Sei es, dass man
dasselbe als Produkt einer selbstihuligen zweiten Vereisung erklärt oder
als Ablagerungen während des Endes der einzigen Eiszeit — in jedem
Fall mu.sste die geringe, V* ^^^^ höchstens 8 oder 10 m betragende
Mächtigkeit dieses „Oberdiluviums'' auffallen, welches doch im Stande
war, ebenso massenhafte und grosse Geschiebe aus dem Norden herbei-
zubringen wie das bis über 100 m mächtige Unterdiluvium.
Die als notwendig erkannte Al)l(»sung eines beträchtlichen Teiles
von Sedimenten aus der bisherigen Abteihmg des Unt^rdiluviums ') wird
nun freilieh wegen der petrographischen (ileiehiieit oder Aehnlichkeit
mit denen des echten Unterdiluviums viel Schwierigkeiten im einzelnen
Falle bereiten; vielleicht wird man aber auch merbei einige petro-
flraphisch «leitende* Mineral- oder Gesteinsgemengteile finden. Zunäclist
kum man auch stratigraphisch noch nicht so eiäach die Grenze ziehen,
dass etwa nlh>s. was über dein .vmteren Geschiebemergel" ruht, als zum
Deckdiluviuin gehörig m betrachten ist. —
Die Geschiebestreifen sind als endmoräuenartige Anhäufungen von
Glacialschutt anerkannt. Femer ist es erkannt, daas dieselben am Ab-
') Zu einer gleichen Autiudsung ist auch Keilliack in seiner mir kürzlich
SOgSgangenen Untenuchang über die Lagerung-sverhiUtnis^e den Diluviums von
Lauenlrarg a. E. gekommen. Vgl. Jahrb. d. pr. g. L.-A. für lb^4 (B«rlin Ifiib)» S. 2ö8.
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95]
Die tnecklaibargiachen Hdhenrttcken etc.
309
schluss der Vereisung Norddeutäclilands abgesetzt worden sind. Es
fragt sich nun, ob diese Endmoränen den Abschluss der einzigen Eis-
zeit oder der zweiten, Oberhaupt letzten Yerdaung darstellen. De Geer
nimmt ftr Skandinavien zwei, durch eine Intcwgladalzeit getrennte,
Vereisungen an und erklärt seine, mit den unseren oben verglichenen,
Endmoränen als der letzten Eiszeit angehörig. Das Gleiche ist in
Nordamerika der Fall.
Die mecklenburgischen und nächstbenachbarten Geschiebestreilen
haben keine entecheiaende Thateache zur Frage der mehrfochen Ver-
eisung geliefert. Die Frage, ob die oben genannten Querriegel oder
Ausläufer als Reste von früheren, etwas anders liuifanden Endmoränen
zu befrachten sind, ist zum mindesten offen zu lassen, mit mehr Wahr-
scheinlirhkeit jedoch zu verneinen. Je weiter nach Norden, je deut-
hcher müssen die echten Endmoränen ausgebildet sein, einmal wegen
der Nihe des Gletecherbeginnes, wo inteninTere Moranenablagerungen
zu erwartoi sind, so^uin auch wegen der kOizeren Zoi, die über sie
verstrichen ist und noch weniger DenudationsTerwischungen erlaubt«.
Bei uns tragen diese Moränenanhäuftingeii des periodisch zui-ückge-
wiclicnen 01et>-clierrandes schon mehr den Charakter der Grundmoräne;
nocli weiter südlich, in der Lüneburger Heide, sind die Geschiebestreifen
teilweise noch undeuthcher. Und noch südlicher, bis zum Rande des
noirdiBchen Diluviums Oberhaupt, werden sie naturgemSss immer Ter-
waschener, schliesslich überhaupt gar nicht zur Entwickdung ge-
kommen sein. Doch sind auch dort, in Sach.sen durch neuere Funde
von ,.Dreikantem" Spuren vernmtlicher alter nordwestlich - südöstlich
laufender MoränenzUge aufgefunden, nämlich: Copitz a. Elbe — Dippels-
dorf — Buchholz und iS'tolpen — iiadeburg — Zschorna.
Wenn wir also an der Oberfläche unseres Dfluviimis in ziemlich
gleidieai AbslAnden endmoranenartige Ablagerungen finden, die nach
Norden zu immer deutlicher werd n. s o brauchen wir aus diesem
Grunde nicht eine zwei- oder mehrfache Gletscherbedeckung anzu-
nehmen: und auch etwaige sich kreuzende oder abschneidende Moränen-
züge können durch zimgeuförmige Ausläufer des Gletscherrandes erklärt
wwden. Auf ahnliche Weise können auch die verschiedenen Schrammen-
sjsteme auf dem Untergründe ihre Erk^rung finden. (Vgl. such die
im gegenwärtigen InlaiideiB Grönlands sich kreuzenden, durch Vnter-
grundsklippen, die sogenannten Nunatakker, abgelenkten Qletscheranne
mit ihren oft einander entgegenstehenden Moränenzügen : Korner up,
Meddelelser om Grönland 1, 1870, -S'. 186 u. f„ Tab. V.)
Für die Annahme einer Interglacialzeit wird die überall') durch-
fthrhare Trennung des Diluviums in ein unteres und oberes, femer die
Diskordanz und häufige Sdlichtenstöning zwischen beiden und endlich
das Auftreten mächtiger, oft fossilführender Sedimente zwischen dem
oberen und unteren fJeschiebemergel nngefülirt. Hierin liegt der Schwer-
punkt <lieser Autias>uiig und ich gestehe, thi>s e^ leichter ist, alle diese
Erscheinungen durch Annahme einer Interglacialzeit zu erklären, als.
Vgl. auch das schön aut'gt'bchlossene Profil an der Stoltera bei Wame-
mOnde, YIL Beitr. z. Qeol. Meoklenb. 1885.
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310 Geinitz, Die meckleaborgischen Höhenrücken etc.
wie ich es kürzlieii vi rsuclite auf die subglacialeu und bei Oscilla-
tionen des Gletschers heiroigeiufenen Sedimentierangen währaid einer
einzigen Eiszeit zurUckzuflÜiren.
Zmaäch.st abgesehen von den faunistisrl in und floristischen Ver-
hältnissen der Sedimente möclite ich aucli heute tiocIi die Fra«^e be-
jahen, ob es niot^Heh ist. dass bei immer tortdaneriHleni Ei.s- und
Moränenuachschub zwischen zwei oder mehr, fast durchgängig zu kon-
statierenden, ungeschicliteten Moränenbänken mächtige Sedimente ab--
gelagert werden konnten und diese, sowie die an anderen Stellen von
der oberen unmittelbar bedeckte untere Moränenbank durch die obere
in ihrer ursprünglichen Lagerung und Schichtung auch gestaucht und
gefaltet werden konnte. Nicht nur tinden sich häutig Schmitzen und
dünne Schichten von Sand, Kies oder Thon innerhalb der Geschiebe-
luergelbänke, oft von weiter Ausdehnung, oder sind die Geschiebemassen
an ärer unteren Grenze ausgeschlemmt zu Bftnderthon, Sand oder Eies,
sondern die Tiefbohrungen haben auch vielfach nicht nur zwei von
Sedimenten getrennte Gesehieb(Miiergelbänke nachgewiesen, sondern drei
oder vierfache solche Wiederholungen, die jedent'allH nicht auf zufällige
Schmitzen oder ^n rade zufällig getroffene Auskcilungen einer einzigen
Mergeibank zurückgeiiihrt werden können. l)ass wir die Diskordanz
und Schichtenstorungen gerade zwischen dem sogenannten oberen Dilu-
vium und dem Haupt- oder TTnterdiluTium so oft beobachten, hat seinen
Grund in der uns zugänglicheren Lage jener Partien nahe der Oberfläche;
bei den tieferen Bänken wird wohl dasselbe zu erwarten sein.
Da.ss sich auch Süsswasser- und sogar marine Ablagerungen mit
tierischen und pflanzlichen Bewohnern, die sogenannten interglacialen
Bildungen (Diatomeenerde, Wiesenkalk, Torf u. a.) durch Zufbllung Ton
see- imd flussartigen Depressionen inmitten der glacialen und sub-
i^lacialen Absätze einer einzigen Eiszeit bilden können, suchte ich kürz-
lich narliztnveisen Dagegen erhob Keilhaek^) in seiner Unter-
suchung des interglacialen Torflagers von Lauenhurg das gewichtige
Bedenken, dass die jenes Torflager bildenden höheren Pflanzen einem
milderen Klima, demselben wie es jetzt dort herrscht, entsprechen.
Wenn sich solche faunistische und fioristische Bedenken noch weiter-
hin erheben, so wird man natürlich nicht mehr /.u eisfreien «Oasen'
seine Zuflucht nehmen dürfen, sondern voll der Annahme zweier durch
eine wärmere Inteiglacialzeit getrennter Eiszeiten zustimmen müssen.
Anmerkung. Nach Ahschluss vorstehender Arbeit kommt mir die Notiz
von Bereu dt (Zeitschr. d. d. i^eo]. Ges. 1885> S. 804) zu, in welcher gezeigt wird.
dftSB der Joammsthal-Oderberger Gesohiebewall unterdiluTialen Amn ist.
Dies ist eine willkommene Bestätigung meiner Dant/iingen, nach welchen unsere
I JeHchiebestreifen nicht bloss von oberdiluvialem Gescbaebemergel oder Deckkies
gebildet werden, sondern alte Bodenwellen darstellen, welche von gering mächtigem
aber blockreichem Oberdiluvium bedeckt werden; dasselbe ist bei dem Oderberirer
iicschiebewall der Fall, wo auch das Oberdila^'ium nicht ganz fehlte so dass diese
Bodenwelle nicht eine Insel, sondern eine Untiefe für die .zweite' Vereisung bUdete.
') Ueber die Entstehung Her mecklenb. Seen. Arch. f. Nat Hecklenb. 1885» S. S.
A KaUt. d. mecklenb. üeen, 1885, S. 12.
*) Uebor ein intoighunales Torflager im DilaTimn von Lanenbnrg an der
Elbe. Jahrb. d. pr. geol. L.-A. ftr 1884, S. 211—288.
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Uebersicktskart en
der Gesdiek'slreii'en ( Eiiduioraneii) laMecldenLurij.
mm
inmiraiiaiiiijfjjDiiifflaB
4
X
Forechxm^en
zur deutschen Landes- und Volkskunde
im Anftrapp Jer
Centraikommission für wiasenBchaltliclie Landeskunde von Deutachland
D**- Bichard Lehmann,
Sfdkimd» «B dar Atodanl« wa Mflaflar ftw.
Heft 6>
Dar
Einfluss der Gebirge
auf das
Klima von Mitteldeutschland
TOD
Dr. R. ASSMANN,
' OhMhMuuter im KösigL prenra. Meteoroloig. Inatiuit und Dozent für Meteorologie za Berlin.
■it 10 FrolltoB wid 7 Übenriehtskarten.
STUTTGART.
VERLAG VON J. JSNGELHORN.
1886.
uiiftiimi
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ie ,,Forscliiiiigon zur deuts-clien Landes- und Volkskunde" sollen div/.u helfen,
die heimischen landes- und volkskundlichen Stndien zu fordern, indem sie aus
lallen Gebieten derselben bedeutendere und in ihrer Tragweite über ein bloss
örtliches Interesse hinausgehende Themata herausgreifen und darüber wi^enschaft-
lich« Abhandlungen herroimgender FaehmSimer bringen. Sie beeelurinken sich da-
bei nicht auf das Oebiet des Deutschen Reiches, sondern so weit auf mitteleurop'aLschem
Boden von gesclilossenen Volksgeraeinschaften die deutsche Sprache geredet wird,
so weit soll sich auch, ohne Rücksicht auf staatliche Grenzen, der Ge.sichtskreis unserer
Sammlung ausdehnen. Da aber die wissenschaftliche Betraclitung der Laudciinatur die
Weglassuug einzelner Teile aus der j[>hyäidchen Einheit Mitteleuropas nicht wohl ge-
fltftiton würde, so sollen auch die y<m einer mehideutochen Bev(fl]cemng eingaiommenen
Gegenden demelben samt ihren Bewohnern mit zur Berücksichtiiping geiangoa. Es
werden demnach ausser dem Deutschen Reiche auch die Länder des cisleithamadken
Oesterreichs, abgesehen von Galizien, Bukowina imd Dahnatien, ferner die ganz*
Schweiz, Luxemburg, die Niederlande und Belgien in den Rahmen unseres Unter-
nehmens hineingezogen werden. Ausserdem aber sollen die Saclisen Siebenbürgeus
mit berttcksiditigfe werden und aucb Arbeiten Uber die grösseren deutschen Ydks-
inseln des Russischen Beichies nicht aosgeschlossen sein.
Unsere Sammlung er.sch(>int in zwani^lnsen Heften von ungefähr 2 bis höchstens
5 Bogen; jedes Heft enÜiält eine voUstündige Arbeit (ausnahmsweise von kürzeren
auch mehrere) und ist für sich käufhch. Eine entsprechende Anzahl von Heften wird
jedesmal zu einem Bande vereinigt, und v^rd im Jahre etwa ein Band im Umfange
Ton 40 — 45 Bogen erscheinen. Der Preis eines solchen wird ungefthr 16—18 Mark
betragen»
Bisher sind erodiienen:
Hsft 1. P(M I^ifli'ii Mecklenburgs, von Dr. E, Heinitz, ord. Prof, der Mineralogie «nd
Geologie an d>'T ThiivorsitÄt Rostock. 1885. 32 Seiten. Preis 80 Pfaunig.
Heft 2. Di«' 0 b I 1 1 Ii I i M i s eil e Tiefebene und ihre Randgebirge, von I)r. Richard
LepHiUK. ord. Prof. der Geologie und Direktor der Grosaherzoglich hcssiachen geo-
logis( hen Landesanstalt in Darnistadt. Mit UebersiobtBkaite des obonrheinischen Cto-
birgsHjHic'Uis. 1885. 58 Seiten, l'reis M. 2. —
Heft 9. Die Stftdte der Korddevtffchen Tiefebene in ihr«r B«iiehang zur
B 0 d e II rr e ä t a 1 1 u 11 1: . von Dr. F. G. Ha h n . ord. Fwt. der 'Eedkonde an der Uni*
vorsität Königsberg?. löH.'). 76 Seiten. Preis. M. 2. —
Heft 4. Das MüQchener Becken. £iuBeitrag zur physikalischen Geographie
Sttdbayerne, TOB Cdr. Oraber. 1885. 46 Seiten. PkeieM.1. 60.
Heft 5. Die in e c kl (■ n b u r K i H ch en Höh en r ü k en (Geschiebestreifen) und ihre
Beziehungen zur Eiszeit, von Dr. E. Geinitü. ord. Prof. der Mineral Offie und
(ieologie an der Universität Rostock. Mit zwei Uebersichtskärtchen und zwei Profilen.
1886. 96 Seiten. Preis M. 3. 10.
Heft 6. Der E i n f 1 u s s der Gebirge auf das Klima von Mitteldeutschland, von
Dr. med. et phil. R. Assmaun, Oberbeamter iui KdnigL preuss. Meteorologischen
Institut in Berlin. Mit 7 Karten und 10 Proffleu. 1886. 78 & Ma IL 5. 50.
Demnftebst erseheinen:
Heft 7. Die Na tionalit&ten in Tirol und die wechselnden Schicksale ihrei
Verbrcitunj», von Dr. H. ,1. Bid ermann, Prof. an der Univereität Graz, und
Heft 8. Poleograpbie der ciiubrischen Halbinsel, ein Versuch, die A.nsiede
langen Schleswig-Holsteins in ihrer Bedingtheit durch Natur nnc
Geschichte nachiuirei^en, von Prof. Dr. K. Jansen in KieL
t«r*n»s«ii
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DEK EINFLÜSS DER GEBIRGE
auf das
Klima von Mitteldeutschland.
Von
Dr. med. et phil. R. Assmann,
ObwbMOkter im Königl. PreaMiioheii Meteorologiaelieo Institut so BmUd and DM«iit fBr
Mit Mehn Ftofiten tmd sieben UeberHchtakarten.
STUTTGABT.
VERLAG VON J. ENGELHORN.
1886.
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VnA vom Oebrtflwr Krtaer In Bhrtigart.
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Inhalt.
Seite
Eiiilf.'itunß'
Das lioobachtunjjfiniubjriiil
Das lii'obachtunjfiif^ebiet
Das Bodenrelief von Mitteldeutachland
Die klimatischen VerhilltniRse von Mitteldeutschland in ihrer Abhängig-
keit von dt'n Bodenn hcbungen . . .
A. Luftdruck und Winde
B. Temperaturverhältnisse
C. Hjdronieteore
a. Bewölkung
b. Niederschläge
KUmatisdie Bedrke in liitteldeiitBdiluid
6
7
8J
17
18
;io
57
60]
31 :>
31»;
317
818
327
328
34.-)
367
367
370
d79
YtmiUkaiB dar MbIa «id Kaitsi.
Zehn Profile des mitteldeutschen Bodenreliefs.
Karte 1. Luftdruckmittel der Jahre 1884 und 1885 und Windrichtungen.
Kart^ 2. Luftdnirknnttel der Jahreszeiten aus den Jahren 1883, 1884 und 1885.
Karte 3. Aul den Meeresspiegel reduzierte vierjilhr. Temperaturmittel 1882—1885.
Karte 4. Anf den [Meeresspiegel redmierte Mitteltemperataren det Deaember 1879
(Temperatur-Umkeh rnn :
Karte 5. Schneehöhen und .Miniiuiilteuijjeraturen am 8. Januar 1886.
Karte 6. Jahresmittel der Bewölkung morgens in Prozenten.
Karte 7. Niederschlag in den Jahren 1882, 1888, 1884 und 1885.
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Einleitnng.
Das KUniA eines Landes ist nicht allein Ton seiner grösseren
oder geringeren Entfemung vom Meere oder von seiner Höhenlage
Ober dem Spiegel desselben abhängig, sondern wird rik Ii beeinflusst
von Faktoren, welche diircli eine gewisse mehr oder weniger starke
Femwirkung die dem Lande sonst eigentümlichen Verhältnisse ab-
indem. Das Meer, wie jede andere Quelle sriSsseren Wassergas-
reichtumes der Luft, äussert seinen Einfluss nicht nur auf die ihm
selbst zugehjbigen Luftmassoi, sondern wirkt, vornehmlich dnrdh Ver-
niittelung Ton Luftströmungen, in die Ferne auf seine weitere Um-
ehnlich, aber doch in maunigfach anderer Weise, wirken
Bodenerhebungen auf die ihnen benadibarten Landstriche ein, indem
sie denselben ein eigentOmliches, 8tren|f örtliches GkprSge verleihen.
Besonders chanikteristisch wird dieser Emfluss der Gebirge dann, wenn
die Unterschiede der Höhenverhiiltm'sse auf kleinem Gebiete bedeutende,
wenig durch Uebergänge vermittelte sind. Unter diesen Umständen
können verhältnismässig unbedeutende aber aus der Tiefebene un-
mittelbar aufsteigende Höhenzüge eine grössere Wirkung auf ihre Um-
gebung ansahen als hohe Gebirge, wäche in sanfter Böschung aus-
Uufen.
Befinden sich aber auf einem räumlich nicht zu weit ausgedehnten
Gebiete mehrere Bodenerhebungen mit steilen Rändern und zwischen
ihnen Flach- oder Tiefländer in erheblicher Ausdehnung, so kompli-
zieren sich die Erscheinungen, indem die Wirkungen des einen Höhen-
zuges die des andern beeinflussen. Es entstehen auf diese Weise klima-
tische Bilder von mosaikartiger Mannigfaltigkeit und scheinlKin r Un-
entwirrbarkeit, bei welchen die Aussonderung der auf dieselbe Ursache
zurück fUlirbaren Erscheinungen erlieldidien SchwieriL^keiten begegnet.
Der Versuch, aus einem derartigen bunten WCtttibilde einmal
dtu markantesten Faktor, den Einfluss der Bodenerhebungen, auszu-
sondern und dessen Wirkungen ttberall, wo sie unzweifi&aft auftu-
decken sind, nachzuspüren, dürfte teils ein meteorologisches Interesse
beanspruchen, teils auch einen gewissen ge<^raphischen Wert haben.
Ein meteorologisches Interesse wesentlich aus dem Grunde, dasa man
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316
AQMinft.iwi^
[6
die krumme der mamiigfaQbea Wittenmgserscheinungen durch Aus-
sondeniBg des gmieni8eEii.fHiGhaDL Faktors «Qebirgs Wirkung" nicht un-
we8enfiu£ Terem&Glien würde; ein geographischefl, da die eoigftltige
Duichforachung der l>eia:effenden Gebiete imstande sein dttrfte, manche
neue oder doch weniger beachtete Erscheinung ans Licht zu siehen,
oder bekAunte einer veränderten Deutung zu unterwerfen.
Das Beobacktuisgiiiftterial.
Als Grundbedingung für ein derartiges Unternehmen ist das
Vorhandensein zahlreicher gut verteilter und sicher bedienter Beob-
achtiiiigaafaitioiien zu IjeaeM&ien, denn es handelt sich hierbei aus-
schUesdich um Lokalstudien. Die zur Zeit vorhandene Anzahl der
Ton Staats weg«i eingerichteten meteorologischen Stationen im mittlsfren
Deutschland ist auch nicht im entferntesten für diesen Zweck aus-
reichend; sie ist kaum imstande, ein allf'cnieines Bild der Witterungs-
verhältnisse zu geben. Für Detailuntersuchungen aber bedarf man
eines sehr viel dichteren Netzes von Beobachtungsstationen. Zwar wird
der für solche Zwecke ideale Grad der Yollkommeuheit juemals zu
erreichen sein, indem ein solcher die Besetzung jedes HOgeb, jedes
Bergabhanges, jedes Thaies, jedes Waldes, jeder Wasseransammlui^
u. s. w. mit einer meteorologischen Station zur Voraussetzung haben
würde; docli ist es nicht zu bezweifeln, dass eine, wenn auch entfernte
Annäherung an diesen idealeu Zusumd für die Erforschung der ein-
schlägigen VerhSltnisse Ton erheblichem Vorteil sein mOsste. Ausser
dem Königreiche PMssen befinden sich die grosseren Bundesstaaten
Deutschlands fast sämtlich auf einem derartigen Oiganisationsstapd-
punkte, dass die Vornahme von Detailuntersuchungen möglich und er-
folgreich ist. Wir brauchen nur an die betreffenden Arbeiten der
königi. bayenschen Centraistation zu erinnern.
In Preussett ist es allein in der ftovinz Sadisen nnd denn
NachbailSndem, sowie in der Uckermark ausfUurbar, derartige Unter-
suchungen vorzunelmien, da hier auf dem Wege privater Vereinigung ein
System von Beobachtungsstationen entstanden ist, welches an Zahl und
Vollständigkeit zwar noch weit davon entfernt ist, allen Ansprüchen
zu genügen, immerhin aber mit denen des übrigen Deutschlands wohl
in die Schranken zu treten vermag.
Der durch den Verfiuser duser Abhandlung im Jahre 1881 be-
gründete , Verein für landwirtschaftliche Wetterkunde" hat in der
Provinz Sachsen, den Herzogtümern Anhalt und Braunschweig, sowie
den thüringischen Gro.ssherzog-, Herzog- und Fürstentümern im Laufe
von vier Jahren die Aufzeichnungen von 247 meteorologischen Stationen
zur Verfügung gehabt, unter welchen auch die der Mehi-zahl der ni
diesem Gebieto Hegenden Stationen des königi. preussischen meteoro-
logischen Instituts sich befinden.
£b liegt in der Natur der Sache, dass innerhalb eines derartig
grossen Beobachtercorps, welches durch keinen diacqplinaren Rinflos«
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7] Der EbfloM der Oebiige anf da« KHma m Hitteldeatoclilaiid. 317
zusammeiigehalten, sonderu allein durcli seinen freien Willen und sein
Interesse an der Sache zur nicht mühelosen Mitarbeit veranias.st wird,
Schwankungen iu der Stationszahl und in der VoUständigkeit der Beob-
adikmgeii vorkommen mlteseii, daher denn Iflckenloee Aaizeioluiiui|^n
dnrdiaus nicht von allen 247 Stationen Torliegen. Eine sorgfältige,
stets wiederholte Kritik der Aufzeichnungen und Ausschaltung der un-
zuverlässigen h:it indes dazu geftlhrt, dass ein nicht unbeträchtlicher
Grundstock dunhaus zuverlässigen Materiales vorhanden ist, w»'lche>
ohne jede» Bedenken zu allen Untersuchungen verwandt werden kann.
Bei allen sosammenfassenden ünieraudbungen, bei welchen Mittel
oder Summen im folgenden auftreten, sind fast auss( hliesslich iQcken-
loee and wenigstens 'fier ToUe Jahre umfassende Beobachtungsreihen
verwandt worden. Nur in iranz wenigen Fällen wurden Interpt^lntionen
angewandt, wenn z. B. durch einige wenige Tagesbeobaciitimtri n das
Mittel oder die Summe eines ganzen Jahres zur Unvolktäudigkeit ge-
hraeht wurde. Es wurden in derartigen F&Uen sunSchst die sonstigen
Au&eichnnngen der betreffenden Station in ein Verhältnis zu denen
der nächstgelegenen, möglichst ähnliche klimatist lie Bodinginigen dar-
bietenden gebracht, dann die Werte des ('ntsj)rechenden Zeitabschnittes
früherer Jahre untereinander ver<?lichen und auf Grund dieser beiden
soi^altig festgestellten Proportionen interpohert.
Dm Beobachtungsgebiet.
Mitteldeutschland, in welches unser obengenanntes Beobachtungs-
gebiet des Yereinee tSa landwirtsehafyiehe Wetterkimde fUlt, ist, ab-
gesehen Ton semer starken Besetzung mit meteorologiscfaeii Stationen,
verm(jge seiner Bodenkonfiguration ganz besonders geeignet , als
Objekt für Untersuchungen über den Einfhiss der Gebirge auf das
Khma zu dienen. Es besteht in seinem nördliciien Theile aus fast völlig
ebenem Tiefland, der grossen norddeutschen Tiefebene angehörig; es
besitz rasser zwei kompakten, steil aufragenden OebiigBaiSoken, dem
Bam und dem Thüringer Walde, 8ahlrei<^e kleinere Erhebungen, welche
im allgemeinen der von Südost nach Nordwest streichenden Faltungs-
rirhtun<r folt^en. Zwischen denselben finden wir ziemlich ebene oder
inuldtntörmige Plateaus, wie das Unter-Eichsfeld, die Ilniplatte, Saal-
platte und das Thüringer Becken, von ausgedehnten Flussniederungen
durchzogen, welche an der oberen und mittleren Saale sowie an der
unteren Unstrat und oberen Ihn nur schmal, an der mittleren Unstrut
und an der Helme als „Goldene Aue' flSchenartig ausgebreitet sind.
Zwischen der unteren Saale, Mulde und mittleren Elbe und dartlber
hinaus breitet sich fast ebenes Flachland aus, welches nach Nord und
Nordost allmählich zur norddeutschen Tiefebene herabsinkt.
Die oben erwälmte Vorbedingung für eine sorgfältige klimato-
logische ünteranehung lokaler Erscheinungen, ein reichhaltiges Beob-
achtongsmaterial, zwingt uns, für unseren Zweck den Begriff «Mittel-
dentscÜand* in einem etwas anderen als dem rein geographischen
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318
[8
Sinne zn umgrenzen, indem wir im Norden die ^anzo Provinz Sachsen
dazu rechnen, im Südosten dagegen das Königreich Sachsen ausschliessen.
Zwar ist das Königreich Sachsen in vorzüglicher Weise meteorologisch
organirifiri, doch treten hier die in mancher Beziehung abweichenden
Beohachtanga-MeÜioden und -Zeiten einer Vereinigung mit unseren Auf-
zeichnungen hemmend in den Weg. Die Grenzlinie Itlr unseren Be-
griff «Mitteldeutschland* .soll daher durch folgende Punkte gegeben
sein : Salzwedel, Hannover, die Weser entlang, im braunschweigischen
Kreise Holzminden noch etwas auf deren linkes Ufer übergreifend, die
Werra entlang bis zu ihrer Quelle, femer Koburg, dann entlang der
Grenze dis K()nigreidis Sachsen durch Zeitz, Leipzig, westlich von
Düben, Wittenberg, Brandenburg, über Seehausen in der Altmark
zurück nach Salzwedel. Dieses Gebiet fasst die <_ranze Pro%nnz Sachsen,
die thüringischen Staaten, die Herzogtümer Anhalt und Braunschweig
mit einem Flächenraum von circa 45 000 4km in sich.
Das Bodenrelief tou Mitteldeatschland.
Der Zweck der Torliegenden Untersochung erhebcht iniYlhfdant
eine Schilderung des Bodenreliefe unseres Gebietes, unterstfitzt Ton der
beigegebenen Orientierungskarte. Letztere enthSli alle nennenswerten
Bodenerhebungen Mitteldeutschlands, deren hervorragendste Hfilicn in
Metern angegeben sind, ausserdem die t\lr unseren Zweck wichtigen
khmatischen Bezirke; ferner finden sich sämtliche meteorologische Sta-
tionen, deren Beobachtungsmaterial im folgenden Verwendung gefunden
hat, Teraeichnet, ihre Namen aber aus ätummangel stark abgekflnt
Die norddeutsche Tiefebene, welche in der nördlichen Altmark
eine Meereshölie von 2') 8.") m besitzt, erhebt sich in der Richtung
nach Sud zu nur äusserst allinTtliüfli. .so dass Gardelegen und Branden-
burg noch nicht 50, Magdeljurg 54, Hannover 58 m über dem Meere
Hegen. Abgesehen von einigen geringfügigen Bodenerhebungen bei
Brunau in der Altmark, wo der Dolchauer Berg eine Höhe von 98 m
(relative Höhe über der nächsten Umgebung circa <55 m) erreicht, und
der Hügelkette der Hell berge, welche nordwestlich von Ghirdelegen
bis m 1()0 m (relativ 11 U m) sich erheben, .sowie der bis 137 m reichenden
Hüijelreiheu in dem grossen Forstreviere bei Kolliit/, und Letzlingen
in der südlichen Altmark ist die nördlichste erheblichere Bodemmschwel-
lung durch den Höhenzug des Elm gegeben, welcher, bis zu 327m
(relativ circa 240 m) ansteigend, von Schöningen aus in nordw»tlicher
Richtung .streicht, eine Länge von 23, eine Breite von 8 km hat und
völlig bewaldet ist. Im Nordftstcn wird der Elm flankiert durch den
Lappwald, welcher sich nordsüdlich von We+'erlincfen bis Uber Helm-
stedt hinaus erstreckt und Höhen bis 214 m aufweist; Dorm und Elz
sind kleine, gesonderte Erhebung^en zwischen Elm und Lappwald. Sttd-
westlich vom Elm und mit ihm gleichstreichend befindet sich der iso-
lierte Höhenrücken der Asse mit Höhen bis 220 m (relativ 150m), an
welchen sich westlich der Oderwald (bis 180 m), weiter westlich ein
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Der Einfln» der Gebirge auf das KUma von Ifittddeatachland. 319
langer und schmaler Höhenzug; ansckliesst, welcher, im allgemeinen west-
lich bis nordwestlich streichend, bis an das Deistergebirge bei Hannover
herttnreicht. Dieser HSheazug wird durch die Wasserl&nfe der Innerste,
Aue, Lumme, Leine mehrfach quer duxchhrochen und zerfällt hierdurch
in eine Anzahl getrennter Erhehungen, welche zum Teil nicht un-
bedeutende relative Hrdien gegen die zwischenliegenden Niederungen
aufweisen. Zur Charakterisierung dieser Verhältnisse führen wir nur
die Namen der Hauptabschnitte mit deren Maximalhöhen an. An den
Oderwald schliesst sich nach Wert au der Hamberg bei Salzgitter
(267 m), weiterhin folgen der Hardeweg, Elberberg (233 m), Lesser-
holz, Vorholz, die Eggen (274m), Sauberge (822m), Reesberg,
Tosmerberg (295 ni), Escherberg mit dem Hildesheimer und
Gronauer Holz; ersteres liegt um 200 m über der Flussniederung
der Innerste bei Hildesheim. Der Osterwald steigt bis 398 m und
liegt um 324 m über der Leineniederung. Der Borgberg vermittelt
den Uebergang zum Deister. Von dieser HOgelkette zweigen sich nach
Süd einzeme Bergrücken ab, wie der Heinberg (308m) und die
Harplage. Nach der Weser zu reiht sieh ein System von Ketten-
höhen an, welche streng von Nordwest nach Südost streichen ; dieselben
smd in vier parallelen Zügen angeordnet.
Die östlichate Reihe wird gebildet durch die Siebenberge und
Verberge (421 resp. 342 m), den Sackwald und den Rflcbsn des
Heberberges bei Gandersheim (308 m); die zweite Reihe besteht aus
dem Thüsterberge (445 m), Küll und Duingerberge (283 m), femer
aus der Kette des Reuberg. Steinberg, Oberberg, Tödingsberg
(348 m) und des Seit er (3S0m); letzterer fällt 28U m steil nach dem
Leinethal ab. Die dritte Reihe besteht aus dem Lauensteiner Berg
(405 m), dem Ith, dem Hils (460 m) und dem Eifas, wozu noch der
Vogeler am rechten Ufer der Weser zu rechnen ist. Die weetlichsto
und bedeutendste Erhebung dieses Systems ist der Solling, dessen
Hrihen bis r)15 m ansteigen. Das Bett der Weser liegt bei Höxter
circa liO ni hoch, so dass die relative Höhe des Solling 425 m betrilgt.
An beiden Ufern der Weser ziehen Höhenzüge von ähnlicher
Erhebung, wie der Bramwald und Reinhardts wall (468 m), welche
ostwSrte in Verbindung stehen mit dem Gdttingerwalde (bis 438 m),
mich Südost aber in das vielfach zerklüftete Hochplateau des Ober-
Eichsfeldes übergehen; letzteres erreicht im Hohen Stein 500 m.
VomGöttingerwalde gehen zwei ErheVmngssysteme aus: im Norden
der schmale und flache Rücken des Rothenberges (circa 200 m),
welcher in der Gegend von Scharzfeld an den Harz sich anlehnt, und
die nicht unbetriditlichen Kuppen des Unter-Eichsfeldes; in den
Gleichen erreichen dieselben 428 m. Ein ostwärts streichender Höhenzug
von circa 400 ni Höhe verbindet dieselben mit dem Ohmgebirge,
welches im Barnberge und der HaurTtder KJippe Höhen von 519
resp. 524 m erreicht. Nach Ost zu setzt sich dasselbe in die Bleiche-
rüder Berge fort, welche, 405 m hocli. mit dem durch die Wipper
getrennten, bis 517 m hohen Dfln die sogenannte Eichsfelder Pforte
bilden.
Zwischen Werra und Fulda schiebt sich der ausgedehnte Kau-
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'620
[10
funger Wald ein, welcher im SOden im Hohen Meissner') einen
kompakten Oehirgsstock mit einer Hdhe von 751 m (relatiT circa 500 m)
bildet. Das ganze Gebiet zwischen Werra Und Fulda ist ein Plateau,
dessen l)edeutendere Eüh^m im Süden liegen, WO daeselbe Sur Hohen
Khüu mit *J50 ra auschwillt.
Vom Ober-Eichst'elde aus ziehen zwei schmale und lange Höhen-
züge ostwärts : der nördliche heisst zuerst D ü n und geht weiterhin in
die oetsfldodtv^&rte streidiende waldige Bergkette der Hainleite über,
welche 30 km lang und circa 465 m hoch ist. Nördlich von donelben,
durch das Wipperthal getrennt, streicht der flachere Höhenzug der
Wind leite (bis- 8r>lin), welcher nach einer niedrigeren Einsattelung
in den abj^t rumleten (ieliirjrsstock des Kyffhäuser (470 ni) übergeht.
Oesthch vom lJurchbruch der Unstrut durch die Hainleite bei der
Sachsenburg — Thfiringer Pforte genannt — setzt sich der HShenzug
unter dem Namen Schmttcke (386 m) und Finne (357m) bis an die
Saale fort. Der Schmücke und Finne nordwärts Torgelagert finden wir
die Hohe Schrecke (302m), welche als eine Fortsetzung der Wind-
leit€ und des Kyft'häusers anzusehen ist. Von dieser durch die Unstrut
getrennt, zieht die Wüste nordostwärts , um im Mansfelder See- und
Sebirgskreise mit den östlichen Anelänfem des Harzgcljirgee zu Ter-
schmäsen.
Allmählich erniedrigt sich das Plateau, in welches der Bhn nach
Südost und Ost hin iiiisläuft, bis auf circa 110 m Meereshöhe, nur von
unbedeutenden Erhebungen überragt. Nach dem Thal der unteren
Unstrut hin ist die Höhe jedoch meist noch über 200 m , während das
Unstrutthal selbst bei seiner Einmündung in das Saalthal wenig über
100 m Höhe hat
Die Saale bildet zwischen Korbetha und Halle die Sstliche Grenze
dieses Plateaus, wälirend nördlich von Halle eine vorgelagerte Erhebung,
das Steinkohlengebirge von Wettin. das rechte Ufer der Saale
bis gegen Hernburg hin begleitet. Die Höhen dieser Erhebung, wenn auch
an sich unbedeutend, sind doch wegen der umuittelbareu Nachbarschaft
des Tieflandes relatiT wichtig. Das Flusebett der Saale liegt bei Halle
75 , bei Bemburg 55 m über dem Meeresspiegel ; die Höhen bei Gie-
bichenstein betragen 135, bei Wettin bis zu 174m; der Petersberg
hat 241 und der nach Ost zu isoliert Torgeschobene Schwarzenberg
bei Niemberg 128 m Höhe.
Westlich von der Eibe zieht ein flacher Höhenrücken von Barby
bis in die Nahe tod Neuhaidensieben mit Hfihen bis 180 m; welcher
nach Ost gegen da« hinterliegende Tiefland ziemlich steil (mn cirea
90— 100 m) abfällt
Zwischen Schwanebeck und Dardesheim erhebt sich der bewaldet*
Rücken des II u y w a 1 d e s bis zur Höhe von 308 m ; zwischen Oster-
wick undHombuig der^Fallstein (212 m). Die Spiegelsberge (204 m)
') Der Hohe Meissner ist ein faat völlig isolierte?« Bergiuasaiv, welches sich
vorzüglich zur Kmchtung einer meteorologischen Hochätation eignen würde. Die*
seihe dürfte ein wichtiges Verbindungsglied zwischen dem Brocken und dem Inaeb-
bergc bilden; der Yogelsber^ zwischen Giosson und Fulda wftide dann weiter
die VerbindoBg nach den rheinischen Gebirgen herstellen.
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11] . ^ EinfliiM der Gebirge auf das Klüna von Mitteldeaticbland. 321
und der Hoppelberg (3U5m) stellen gesonderte Erhebungen nord-
teÜich Tom lun tot.
Vom Ober-Eichsfdde gelit ausser dem im Torigen yerfolgten
Höhenzuge ein zweiter aus, welcher zunächst sQdÖstlich, später östlich
unter dem Namen Hainich in der Hohe von 450 — 470m bis an die
Nesse streicht und hier wiederum in zwei Teile zerfallt. Der südlich»'
zieht weiter in ostsüdöstlicher Richtunf(, bildet bei Gotha den 434 ni
(gegen das Thal der Leina IGüm) hohen Krähnberg) fernerhin den
markiertoll Hfthenrflekeii der Seeberge (bis 411 m), weitoriiizi die
Drei Gleichen hvi Mühlberg (859, 404, 414m) und schliesst sieh im
Grossen Tambuch den Plauenschen HOhen und Reinsbergen bei
Arnstadt an, welche über 000 m emporsteigen und in direkter Be-
rührung mit dem Thüringerwald-Gebirge stehen. Auch östlich von der
Jim zeigt sich eine Fortsetzung dieses dem Hauptgebirge parallelen
Höhenzuges, indem aaf einem breiteren Blicken kuppen wie der
Singerb er ff bei Paulinzelle (582 m) nnd der Kalm bei Stadt-Remda
(546 m) angesetzt sind.
Der zweite vom Hainich abgehende Höhenzug trennt sich von
demselben am Alten Berge ( is? m) bei Gross-Behringen, nimmt als circa
350m hoher gerundeter Holienrücken den Namen der Haart-Berge
an nnd begleitet die Nesse auf ihrem rechten Ufer. Bei Buzg-Tonna
erhebt sich der Rttcken wieder über 400 m unter dem Kamen der
Fahnerschen Höhe (Abtsberg 411 m) und bei Alach an der Quelle
der Nesse unter dem Namen der Alacher Höhe bis circa 'VAO ni.
Die wilde Gera durchbricht bei Erfurt in einem engen Tliule
diesen Höhenzug, dessen östUche Fortsetzung nun den Namen Steiger
(845 m) führt und nach Ost bis Uber 400 m ansteigt.
Ndlrdlich von diesem Höhenzuge breitet sieh die fruchtbare Fluss-
niederung der Gera und der ünstrut aus — allen Anzeichen nach ein
alter, durch die Arbeit der Flüsse zugeschütteter See. Der Steiger
schliesst sich mit dem Kiechheinier Berge (513m) bei Kranichfeld
an den obengenannten Höhenzug, weicher vom Hainich ausgeht, an
und verläuft mit diesem zusanunen in das ebene Hochplateau der lim-
platte.
Nördlich von der Unstrutniederung steigt das Land zu mässig
gewellten Hügeln an, welche den Namen der Heilinger Höhen führen.
Auch dieser verhältnismässig unbedeutende Höhenzug bildet bei Weissensee
eine gegen das Unstrutthal circa 80 m abfallende vorgeschobene Rand-
eihebung, welche den Namen der Weissenburg (208 m) führt.
Jenseits der ünstrut bei Weroingshausen tritt dieser Rttcken als
Bei^iter der Gramme wieder herror und schwillt nördlich von Weimar
zum Grossen und Kleinen Ettersberge (481 resp. 300 m) an, wel-
cher, als isolierter, um 250 m das Ihnthal ülierragendor Gebirgsrücken
d.'ks linke Ufer der unteren Ilm bildet und, aUmähiich an Höhe ver-
lierend, bei Sulza mit der Finne zusammentrifRi.
äne weitere Ftoallelerhebung des Thürmgerwaldes finden wir im
steil abfallenden^ scharfkantigen Rücken des Hörseiberges bei Eisenach,
welcher bis 486m ansteigt, die Hörsel auf ihrem rechten Ufer begleitet
und einerseits in ein H^elplateau xwischen Nesse und Hörsel mit dem
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322
Ammaim,
390m hohen Kahmberge ausläuft, andererseits auf der linken Seite
der Nesse die Vorhdhen des Hauptgebirges bei Waltenhansen und
Priedrichsroda bildet.
Die dem Thüringer- und Frankenwald- Gebirge südlich vorge-
lagerten Höhen werden wir, da sie einer selbständigen Gliederung
nahezu entbehren » am besten mit der Darstellung des Gebirges selbst
verbinden.
FOr diese Darstellung sei noch Torweg bemerkt, dass es nicht in
unserem Plane liegt, eine Elimatologie der Gebirge selbst zu geben,
sondern nur deren Einfluss auf ausserhalb liegende oder doch minde-
stens selbst nicht gebirgsartii^e (Tehiete y.n iintcr;^nchen : demnach ist im
folgenden von einer eingehenderen Beschi-eibung der Gebirge selbst
vollkommen abgesehen worden und glauben wir, dem Zwecke unserer
Au%abe Genflge za leisten, wenn wir die allgemeinen Höhen- und
Streichungsverhältnisse andeuten und dieselben in Verbindung mit dem
hintfflpliegenden niedrigeren Lande betrachten. Doch Avollen wir, um
unsere Untersuchung nicht gnr tu srhr einzuschnüren, überall dort, wo
auch die Hereinziehung der Verliiiltnisse gebirgigen Terrains, z. B. der
Neigungen der südlicht»n (Jebirgsränder in Beziehung zu der Sonnen-
einstrahlung, Ton Wichtigkeit werden sollte, nicht dem oben aufgestellten
Princip zuhebe von derartigen Betrachtungen absehen.
Der ThOringerwald sondert sich mit einer breiten Wurzel aus
dem Fichtel- und Erzgebirge ab, wobei er unter dem Namen Franken-
wald ein breites Hochplateau von circa 5—600 m mittlerer Erhebung
bildet, welchem mehrfach Gebirj^skuppen h'is zu 8<)<) m Höhe aufgesetzt
sind. Sein südwestlicher Abfall ist ein durchaus steiler und fa.st uu-
yermittelter, während nach Ost und Nordost eine wenig meiUiche Ab-
dachimg durch das Voigtländische Gebirge und nach der Saalpiatie liin
stattfindet. Die durchströmenden Gewässer habm meist ti^e Thaler
mit steilen Rändern eingeschnitten.
Zwischen Lobenstein und Lichtenberg beginnt mit dem 720 ni
hohen Culm die ei-ste Andeutung eines Gebirgskammes , welcher nun
weiterhin unter zahlreichen Windungen nach Nordwest Terl&uft und
erst in der Gegend von Eisenach von seiner mittleren MeereshÖhe Ton
circa 750 m abfallt.
Im südöstlichen Teile des Gebirges, dem Frankenwalde, zeigt der
Kamm eine viel beträchtlichere Entwickelung von Umbiegungen, als
im nordwestlichen Teile. Die Kammkuppen nehmen von Südost aus
im allgemeinen an Höhe zu: der Wetzstein bei Lehesten hat 815 m,
die Höhen bei Igelshieb 831, der dem Kamm nach Sadwest etwas vor-
gelagerte Kieferle 868, der Wurzelberg bei Katzhütte 866m..
Y<m der Linie Eisfeld - Saalfeld an nimmt das Gebirge einen
anderen Charakter an. Die trotz des gewundenen Kammes vorhandene
plat^auartige Konfiguration verschwindet, an ihre Stelle tritt die Grup-
pierung der Bodenerhebungen um eine stark ausgeprägte centrale Leiste^
zugleidh yerschmSlert sich das Gebirge in der lUchtung von Sfldwest
nach Nordost ganz erheblich. Die Haupterhebungen, welche bis dahin
vorwiegend ileiii südwt'stHrhtii Teile des Gebirges angehört hatten,
rücken mit dem Kamme nunmehr in die Mitte desselben, der bis dahin
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I
I>er EiafliuB der Gebirge auf das KUma von Hitteldeutsohland. 323
steile Abfall nach Süd vertiiicht sich mehr und mehr durch Vorhöhen,
während der Nordostrand des Gebirges jetzt der steilere wird.
Der sQdöetliche Teil des eigentiichen Thüringerwaldes enthält
nordöstlich von Suhl einen Haupistock des Kammes und zugleich die
MaximaUiöheii des Gebirges: der Finsterberg hat 938, der Schnee-
kopf 075. der Beerberg 983m. Verfolgen wir den Kamm weiter
nach Nordwest, so finden wir den Donnershauk mit H93 m, welcher
nach Süd zu durch einen vorgelagerten iiölienzug, den Grossen Her-
manneberg (870 m) und den Rupp-Berg (850 m) flankiert wird.
Hierdurch wird zugleich an dieser Stelle ein steilerer Abfidl nach Sfid
herwgebracht , welcher bei Zella und Suhl fast 400 m beträgt. Von
hier an nähert sich der Kamm mit seinen Haupthöhen mehr dem nörd-
hchen Kunde des (iebirges und schwillt im Inselsberge noch einmal
zu 91 Gm Höhe an. Von hier an verringert sich die mittlere Kammhöhe,
welche bis dahin Uber 700 m betragen hatte, schnell auf 600, spater
500 m. Der Kamm findet sein Ende im ESichelberg (341 m) bei
HdrscfaeL
Der Südwestrand des Thüringerwald -Gebirges liesteht im allge-
meinen aus einer allmählichen Abdachung der durch zalilreiche Wasser-
läufe, welche rechtwinklig zum Kamm gerichtet sind, in Rippen zer-
schnittenen Vorhöhen. Doch treten auch mehrere gesonderte, mit dem
Gebirge selbst kaum zusammenhängende Erhebungen auf, wie der
Leimke (336 m) bei Ober -Ellen, der Hilmes berg (458 m) und die
Harth bei Marksuhl, der Krayenberg (429m) hart an der Werra
und der Winterkasten (383m) bei Salzungen. Im Grossen und
Kleinen Dolmar (740 u. 572 m), dem Schorn (574 m), dem
Schneeberg (087 m), dem Mittelberg bei Schleusingen (5ö8 m)
treten diese Yorberge so selbständig auf, dass sie den Kamm des
Hauptgebirges voUstlndig verdecken.
Weiter nach Südost finden wir einzelne namhafte Randhöhen den
Steilabfall des Frankenwaldes noch kräftiger hervorheben. Der Bless-
berg bei Kisfeld liegt z. B. mit einer Höhe von 8M4m um volle 430 m
über der benachbarten WeiTaniederung bei Eisfeld, der Uauenstein
liegt mit 820 m um ebenso viel über der Sohle des Itsthales bei
Schalkau. Bei Sonneberg betragt der Steilabfall noch circa 800 m und
verflacht sich von hier aus weiter bei allgemeiner Höhenabnahme des
Gebirges selbst; dodi stellen die dem Main zufflhrenden Flussthäler
bei Kronach nocii sehr tiefe und steilwandige Einschnitte dar. Mup-
perg und Culm bei Neustadt a. d. Heide (4(31 m), der Eckartsberg
und die Teste bei Koburg (432 u. 452 m) erheben sich circa 150 bu
180 m über die benachboiten FlussthUer.
Auf dem linkm Ufer der Werra sind noch zu nennen die Höhen
bei Römhild (TTrosser und Kleiner Gleichberg u. 040 m), der
Heilige Berg südlich von Meiningen f.^OO ni). Durch den Bless-
berg (045 m) südlich von Salzungen treten nun die Höhen „Vor der
Rhön* an die W^erra heran. Das Khöngebirge selbst soll zwar
uuerem Plane nach ausserhalb unserer Betrachtungen bleiben, doch
werden wir nicht umhin können, uns an dessen Existenz und Lage zu
erinnern, wenn wir seine Wirkungen in der Werramulde bemerken worden.
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324
Das Hurzgebirge stellt nach den meisterhaften Beschreibungen
▼on Heinrich Credner (Uebersicht der geognostiscben Verhältnisse
Thfirmgens und des Harzes, Gotiia 184H) den Abschnitt einer EDipse
dar, deren beide Brennpunkte mit den HanjiterhebtnigBcaKbren des Harzes,
dem Brocken und dem Rammberge, zusammenfallen. Der fast
gradlinige nordnordtistliche Rand des Gebirges ersriieint als eine Sehne
dieser Ellipse, gleichlaufend mit ihrer grossen Achse. Die allgemeine
Erstreckung des Harzgebij^es fallt äehr nahe mit der des Thüriuger-
waldes zusammen, indem sie die Bichtimg von Westoordwest nadi
Ostsüdost innehält. Aehnlich dem ThUriiigerwalde geht der sQd*
' östliche Teil des Qebirges in ein an Höhe abnehmendes, Ton tiefen
Erosionsthälem zerschnittenes Hochplateau über. Die fundamentalen
Unterschiede beider Gebirge beruhen indes darauf, dass der Harz ein
völlig selbständiges, ausser aller Verbindung mit anderen Erhebungs-
sjratemen stehendes Massengebirge ist, dass femer der plateanartige
Charakter, welcher nur dem südöstlichen Teile des ThOringerwildes,
dem Frankenwalde, eigentümlich ist, im Harz durchaus vorwiegt, be-
sondere aber in dem fast völligen Fehlen jeder die Konfiguration des
Gebirgsaufbaues beeinflussenden Kammbildung.
Zugleich liegt der Harz, was in Bezug auf seine relativen Höhen-
Toihiltnisse nicht unwichtig ist, auf einer Basis, wekhe um circa 70 m
niedriger ist als die des Thflringerwaldes; ihre Meereshöhe ist am
Nordnnde circa 190, am Sudrande circa 220 m.
Diese Thatsache der niedrif^^eren nördlichen Basis des Harles,
welche übrigens beim Thüringerwalde, entsprechend der allgemeinen
nach Südwest wachsenden Erhebung Deutschlands, ebenfalls vorhanden
ist, verursacht in Verbindung mit der Lage der höchsten Erhebungen
am Nordrande des Harses die Erscheinung, dass der Nordrand dieaes
Gehirges einen viel imposanteren Anblick darbietet sJs der durch Vor-
höhen mehr verdeckte Südabfall. Zugleicli aber werden hierdurch, wie
wir des weiteren sehen werden, die Erscheinungen des , Windschattens"
viel markiertere.
Der südöstliche Teil des Harzes steigt von Sangerhausen und den
Mansfeldischen Kreisen (drca 200 — 250 m) an aUmShlich zum Plateau
von Harzgerode in ein a 100 m Meereshöhe an; da.sselbe ist durch
die tiefen Flussthäler der Eine, Wipper und Selke zerschnitten. Zwei
beträchtliche Kuppen finden wir diesem Plateau aufgesetzt in Form der
isolierten Erhebungen des Rammberges (537 m) und des Auer-
berges (570 m).
Hieran scfaliesst sich ein sweites, um circa 100 m hdheres Plateau,
welches die Städte Stiege, Elbingerode, Hasselfelde und Bennekenstem
tri^ 1^ ^eichfalls durch tiefe Flussthäler, besonders die der Kalten,
Warmen und Rapp-Bode, zerklüftet ist. Im westlichen Teile des Harzes,
dem überharz, linden wir abermals ein Plateau, welches circa 570 m
Meereshöhe hat, von der Innerste bis 300 m tief eingeschnitten ist
und die Stüdte Klausthal und Zellerfeld trägt
Zwischen den heiden letzten Plateaas nun erheht sich das Brocken-
^ebirge, bestehend aus den bedeutenden Kuppen des Wurmberges
(1000 m) mit dem Grossen und Kleinen Winterberge (930 und
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Der y.infln^ der Qetkirge anf daa Klima von Mitteldeatachland* 325
880 m), dem kegeltormigen Trümmerhaufen der Achtermauusliöhe
(925 m), dem langgestreckten Sattel des Grossen KSnigsberges
(1080 m), des Rehberges und Grossen Sonnenberges (894 resp.
840 m) und den Hohneklippen (906m), in deren Mitte der Brocken
selbst in der Höhe von 1141m mit seinen beiden nach Nordwest und
Südost vorgeschobenen Schultern, dem Kleinen Brocken (circa 1000 m)
und der Heinrichshöhe (1035 m). Der eigentliche Brocken ist nach
Sfldosl von dem Stocke des Wnrmberges durch das tiefe Thal von
Scfalnft vnd Schierke, welches mit steilen Böschungen nm 550 m einge-
schnitten ist, getrennt, während er nach Nord zu seinen stdlsien Ab-
fall nach Ilsenburg hat; derselbe beträgt auf 7 km Entfemunj? circa
000 m. Hoch an der westlichen und südwestlichen Seite des Brockens tritt
abermals eine Plateaubildung in dem 850m hohen Brock enfelde auf.
Der Südrand des Harzes sowohl wie sein Südwest- und Nordwest-
nnd TeiMert den Plafceancharakter Tollstiadig. Derselbe besteht viel-
mehr ans isolierten, durch tiefe FlussÜläler getrennten Bergrücken und
Kuppen, unter welchen der weit vorgeschobene Ravenskopf (755 m),
der ebenso hohe Stöberhay und der Grosse Knollen (700 m) be-
sonders zu nennen sind. Der einzige kammartige Höhenzug des Harzes
wird durch den mit grundlosen Mooren bedeckten Bruchberg (900 m)
und den Acker (880 m) gebildet, wdcher das Brockengebirge mit den
stidwestlichen RandhShen verbindet.
Der ganze West- and Nordrand des Hanes ist steil und fäUt
nahezu unvermittelt von einer niittler^ Höhe Tcm 500 — 550 m nach
der circa 200 m hohen Niedenmg ab.
Die dem Nordrande unmittelbar vorliegenden Erhebungen sind
ausser dem isolierten Sendsteinfelsen des Regensteines (298 m) und
der Teufelsmauer zwischen Thale und Blankenburg für unsere Untere
snchu Ilgen ohne Wichtigkeit. Der südliche Harzrand wird indes nach
der r>arstellung Crediiers durch einen schmalen Höhenzug begleitet,
welcher sich, vom Gebirge selbst durch einen steilen, wandartigen Ab-
fall getrennt, über die südhche Ba.sis des Harzes um circa 160 m er-
hebt Der Kobnstein bei Nordhausen und der Eulenberg bei Steina
(42dm) gehfiren diesem Walle an.
Nach der Durchmusterung der ftir unseren Zweck wichtigeren
Bodenerhebungen erübrigt nur noch die kurze Schilderung der von
dif'sen Erhebungen umrandeten oder durchzogenen tiefer gelegenen
Landstriche, da diese es hauptsächlich sind, in welchen sich die wich-
tigsten Erscheinungen der Gebirgseüiflüsse abspielen.
Naiuigemiss werden unsere Untersuchungen sich mehr mit den
relatirai Höhenyerhältnissen zwischen Hochland und Tiefland zu be-
schäftigen haben, als mit den absoluten Höhenlagen über dem Meeres-
spiegel. Zwar sind Tjuftdnick und Teni])eratur von der absoluten Er-
hebung durchaus abhängig, aber andere klimatische Faktoren und unter
ümen die für unseren Zweck ullerwichtigsten , wie Wind und Nieder-
schlag, hingen von der relativen Erhebung Uber die nfthere und fernere
Umgegend viel stärker ab, als von der absoluten über dem Meere.
Es erschien demnach im Interesse der Anschaulichkeit geboten,
eine Reihe Ton Profilen beizugeben, w^che nach den für uns wiimtigsten
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Amnann,
[16
Kichtuugen angelegt wordeu sind. Die Profile 1, 2, 4 u. 5, letzteres
nur in dem den &tz betreffenden Tefle, aind der Sehnlwandkarte der
Provinz Hannover Ton H. Gnthe, Kassel 1883, entnommen, die fibrigen
sind neu entworfeu.
Massgebend für die Schnittrichtung war zunächst die Richtung
der vorherrschenden Winde, Süd -Südwest bis Nordwest, ferner die
StreichuDgsrichtung der Bodenerhebungen, durch welche Quer- und
Lingsscbmtte gelegt mirden; endlich wurden die filr charalctorigfeiBche
G^genttberstellung Ton Hoch- und Tiefland geeignetsten Stellen aus-
gewählt.
Die Reduktion der Längen auf ein Fünftel der für ilie Höhen
verwandten Masse Hess sich aus äussscren Gründen nicht umgehen,
obwohl dadurch das natUrhche Bild bedeutend beeinträchtigt werdeu
mu8s. Die Längen sind von 10 zu 10 km abgeteilt
Die an und zwischen den Oebirgen liegenden rebtiTen Tieflinder
fassen wir der besseren Uebersicht wegen zu folgenden Gruppen zn*
sammen :
1. Die Mulde des westlichen Harzvorlandes, durch Profil 3
dargestellt. Zwischen dem Sollingerwalde und Hon die Weser be-
gleitenden Höhenzügen breitet sich dieselbe bis an den Westrand des
Harzes aus, liegt circa 300 m unter der Höhe des SoUing und den
westlichen Randbergen des Harzes und wird von der Leine durchflössen.
Sie ist ein welliges Hügelland und wii*l im Norden von den Ketten
der Ha^7.vorber^^f^ deren Profil Nr. 1 ilarstellt, im Süden durch den
(iÖttingerwuld uml lU-n Rücken <]» .s Hothenber|tfes abgeschlossen.
2. Die Mulde des nördlichen Harzvoriandes, durch i^rotil 5 im
letzten Teile dargestellt. Sie reicht vom Nordrande des Harzes, welcher
sie um 450m ttberri^, bis zum Höhenzuge des Elm, dessen Racken
um 150— 180 m Uber derselben liegt. Im Westen ist sie durch die nord-
westlichen HarzYorberge , nordöstlicli durch die flache Bodenanschwel-
lung bei Seehausen, östlich durch die Erhebung des Hakehvaldes
begrenzt. Durch den Höhenzug des Huywaldes zerfällt sie in die
Halberstädter Mulde, welche nach Nordost kontinuierliGh in die
Bodeniedwung übergeht, nach Südost sich an die Einsenknng bei
Frose und Aschersleben anschliesst, und in die Aueniederuug, welche
von der Asse bis Aschersleben reicht und sich mit der Bodeniederung
vereinigt.
i3. Die Braunschweiger Niederung, begrenzt vom Üderwaid
im Süden, dem Elm im Osten, nach Nord und Nordost in die Ohre-
und Alleniiederung des Drifmling und in die norddeutsche Tiefebene
Ubergehend. Im Osten bilden die HöhenzQge bei Neuhaldttislebeii, im
Nordosten die bei Gardelegen die Grenze.
4. nie Börde, ein thiches Hügelland, zwischen der Bode und
der Elbe gelegen: ihr ganzer West- und SUdraud wird von der tiefer
hegenden Bodeniederuug gebildet.
5. Das Ob er sächsische Tiefland zwischen Saale und Elbe,
im Südwesten begrenzt durch die Höhen des Wettiner Plateaus von.
Könnern bis Halle, nach Sfld in die Halle-Leipziger Tieflands-
Bucht übergehend.
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»
17] Der Einflnas der Gebirge auf dae EUma von Mitteldentflclilaiid. 327
«3. Die Goldene Auo. von dor südliclien Vorkette des Harzes
im Norden, von der Wiudleite und dem Kyöliäusergebirge iin SUden
be^prenzt, Ton der Helme durchflössen und bis an den nördlichen
"Winkel der Unstmt bei Ariern reichend. Sie gebt Uber in die
7. Frankenhausener Niederung, vom Südrande des Kyff-
liiiusers bis Memleben reichend, von der mittleren Unstrut durchströmt,
im Süden durch die Hainleite und Hohe Schrecke begrenzt.
8. Die Helbe-ünstrut-Niederung, im Norden von der Hain-
leite und Schmücke, au der oberen Unstrut durch die Heilinger Hohen,
im Sflden durch die Haartberge und Fabnerscbe Höbe begrenzt. Sie
erstreckt dch, aUmüblicb scbmSler werdend, die Unstrut aufwärts bis
Mühlhausen.
9. Die Gera-Niederung nördlich von Erfurt, bei Gebesee und
Werningshausen mit «Ut Unstnit-Niedming zusammenhängend, im Süd-
westen und Süden durch die Alacher Höhe und den Steigerwaid, im
Osten durch den Grossen Ettersberff umrandet.
Die unter 8 u. 9 genannten Niederungen bilden den tiefsten Teil
dea Thüringer Beckens, dessen weat-östlidu s l'rofil wir in Nr. 0 u. 7,
in Südwest - nordöstlicher Richtung in \r. S sehen. Seine Randhr»hon
bestehen aus dem Eichsfelde und Hainich im Westen, dem Dün, der
Hainleite, Schmücke und Finne im Norden und Nordosten, dem Gros.seu
Ettersbeige und der Omplatte im Osten und den dem lliflringerwalde
parallelen Yorbergen im Süden. Als letzte Niederung ist noch zu
nennen :
10. Das Werrathal'in seinem ganzen Umfange von Eisfeld bis
Vacha, südhch von den Ibilu-n vor der Khrm, ni'irdhch von den Vorhöhen
des Thüringerwaldes begrenzt. Seine Breite beträgt , ausser bei Eis-
feld und Meiningen, nur einige Kilometer. Profil 8 stellt dessen Ver-
hSltnis zu beiden begrenzenden Gebirgen dar.
Die klimatischen Verhältnisse von Mitteldeutschland
in ihrer Abhängigkeit von den Bodenerhebungen.
Wir werden im folgendmi das vorhandene Material zur Unter-
suchung des Einflusses der Bodenerbebungen auf das Klima in der
Weise disponieren, dass wir die klimatischen Faktoren als EintfMlungs-
princip zu Grunde h'geu und diesen die Betrachtung der einzidnen geo-
graphiächen Bezirke unterordueu, soweit der Zweck unserer Arbeit uud
das Material es gestatten. Zwar lassen sieb bei dieser Metbode Wieder-
hohioffen nicht ganz Termeiden, indem die Witterungsfaktoren selbst
▼iel&ä voneinander abhängig sind, wie Wind und Luftdruck, Nieder-
schlag mv] Temperatur: doch erschien uns der andere Weg, die geo-
ronehimgeu zur deuUcben Laadn- und ToUukande. I. 6. 22
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828
[18
Graphischen Bezirke als Einteilungsprincip aufzustellen, an demselben
Fehler der Wiederhohm<^en in noch höherem Masse zu leiden. Den un-
leufjbaren Vorteil einer dra.sti scheren und anschaulicheren Wiedergabe
der Meteoration einer Gegend, welcher der letzteren Methode eigen ist,
werdra wir in ein«r zusammen&ssenden Uebendeht am Scfabuse diewr
Arbdt uns zu nutase zu machen Teranchen.
Vorweg dOrfte die Erläuterung einiger h&ufig wiederkehrenden
Ausdrücke am Platze sein.
Man nennt die Luvseite eines Gebirges diejenige Seite, welche
von einer Luftströmung rechtwinklig oder doch auuähemd rechtwinklig
getroffisn wird. Die gegenüberliegende, der direkten Windwirkung ent-
zogene Sdte heiiflt die Leeseite; man sagt auch, ein Ort liege «im Lee*
eines Gebirges. Durch einen Vergleich der Luftströmungen mit den
Lichtstrahlen ist der Ausdrnrk „WindschnftcTi" entstanden, welcher,
wären die Wimllialinen in \Virklichkeit streng horizontal genchtct, eine
unbegrenzte Erstreckuiig in das Hinterland haben niüsste. In der Wirk-
lichkeit aber ist der Windschatten durch die an sich überall vorhandenen
auf- nnd abwärts gerichteten Bewegungskomponenten der LuftstrQme
sowohl als auch <lur(;h die »hinter einem Gebirge* eifolgmide Abw&rts-
neigUDg der Windbahneu auf einen mehr oder weniger grossen, von der
relativen Höhe und horizontiilen Erstreckung des Gebirges ebenso wie
von den lto<_rleitenden Luttdruckverhältnissen in weiter Umgebung ab-
hängigen ivuuui eingeengt.
A. Lnftdmök und Winde.
Der Luftdruck wird von Hann mit vollem Recht in seinem
Handbuche der Klimatologie als ein klimatischer Faktor von «unier-
geordneter Bedeutung* bezeichnet. In der That ist derselbe für klimato-
graphische Zwecke genügend erörtert, wenn man seine allgemeinen
Wcurte bekannt gibt. Für unseren Zweck dürfte derselbe je£)ch von
» inor erheblich gnisseren Wichtigkeit sein, da wir nicht eine Kliniato-
graphie zu geben beab.siclitigen, sondern eine wesentlich theoretische
Untersuchung des Einflusses örtlicher Eigentümlichkeiten des Bodeu-
relie& auf me Gestaltung der kEmatiBehen Faktors. Erst die Ein-
wirkung der hierdurch beeinflussten, vielfiEudi lokal umgestalteten Fak-
toren auf die nähere oder fernere Umgebung der Störungsursache wird
Objekt kliinatofrrajjhischer Darstelhnig werden.
Wir werden ini folgenden noch oft Geh'ijrenheit haben wahr-
zunehmen, dass ein gi'osser, wenn nicht der grüsste Teil der Gebirgs-
wirkungen mit den Verhältnissen der Luftströmungen, des Windes,
susammenhfingt. Die oben erläuterten Bezeichnungen «Luvseite, Lee-
seite, Windscliatti n, Hinterland*, welchen wir in unseren Ausführungen
auf Schritt und Tritt begegnen werden, beziehen sich ausschliesslich
auf das Verhältnis zwischen Luftströmmig und Bodenerhebung. Es
erschien dalier. um Wietlerhulungen, wo immer möglich, zu venneiden,
ratsam, diese beide Faktoren, Luftdruck und Wind, in ein Kapitel zu-
sammenzu&Bsen.
Die Meteorologie lehrt das innige Verhältnis zwischen Luftdruck
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Der Einilusä dpr Gebirge auf das Klima von Mitteldeutschland. 329
und Wind ak ein kausales zu betnushten: Wind entsteht nur dort, wo
ein Unterschied im Luftdruck an verschiedenen Orteu vorhanden ist,
und zwar strömt die unter st&rkerem Druck stehende Luft nach dem
Orte niederen Drucks, von eim*fT<'n komplizierteren Fällen abgesehen,
ausnahmslos hin. »Solange diejenigen Scliichten der Luft, in welchen
der Lulldruck gleich ist — isobarisclie Flächen genannt — horizontal
sind, befindet sich die Ldft im Zustande des Gleichgewichtes und voll-
kommenster Ruhe. Die auf einem Berggipfel lagernde Luft wird keinen
Grund zum Abfliessen nach unten erhalten, sohmge der von ihr an
dieser Stelle ausgeübte Dnn k ffleit Ii ist dem in einer nach allen Seiten
horizontal verlaufenden Ebene. Findet jedoch die geringste Aendening
dieses Gleichgewichtszustandes statt, indem der Druck an irgend einer
Stelle dieser Horizontal -Ebene entweder abnimmt oder zunimmt, so
wird ein Verharren der Luftschichten in der Ruhelage sofort unmOg-
li(h. es wird eine Ausgleichung der Drucke beginnen, welche nur
darin bestehen kann, dass vom Orte höheren Luftdrucks ein Lufttrans-
port nach dem Orte niedrigeren Luftdrucks so lange stattfindet, bis
die vorliergehende Ruhelage wieder erreicht ist.
Betrachten wir nun zunächst die Luftdruckverhältnisse in unserem
erbiete. Die allgemeine Luftdruckverteilung über Europa ist eine der^
artige, dass im Jahresmittel ein deutlich ausgeprägtes Gefälle in den
unteren Luftschichten von Süd nach Nord vorhanden ist. Die in Mittel-
europa in annähernd gleicher Hiclitung verlaufende allgemeine Ab-
dachung des Landes von dem Alpcnwalle bis an die Küsten der Nord-
und Ostsee ist demnach im grossen und ganzen dem diesem Druck-
unterschiede entsprechenden Abfluss der Luftmassen günstig, da die
Reibung der Uber die Erdoberfläche hinfliessenden Luft durch ein gleich-
gerichtetes Gefälle des Grundes olme Zweifel verringert werden muss.
Wäre Mitteleuropa ein durchaus ebenes, von Süd nach Nord geneigtes Land,
so würde der Einfluss dieser Neigung zweifellos ein nicht unhedentender
sein; in Wahrheit treten dagegen die Bodenerhebungen Deutschlands als
Hemmnisse dieses Druckausgleiches auf. Sie werden Verzögerungen rein
örtlicher Art für doiselben abgeben mflssen, indem sie eine Bewegungs-
differenz hervorrufen zwischen den im Norden der Gebirge liegenden
Luftraassen und denen, welche von Süd her, dem allgemeinen Aus-
gleichsstrom folgend, gegen die Gehiru"»' anfluteu. So wird eüie von
lokalen Verhältnissen abhängige Uuterbreclmng der gleichmässigen
Luftdruckabnabme von Sttd nach Nord eintreten müssen, welche sich
als Vermehrung des Druckes an der Südseite und als Verminderung
desselben an der Nordseite der Gebirge darstellt.
Betrachten wir nun darauf hin unser Mitteldeutschland.
Die beiden vornehmlich in Frage kommenden Gebirge . der
Thüringerwald un<l der Harz, müssten , sollte unsere oben entwickelte
Anschauung eine Begründung in den thatsächlichen Verhältuis.sen finden,
eine Differenz der mittleren Barometersfönde an ihren Nord- und Süd-
seiten zeigen. In der That scheint diese DifTerenz vorhanden zu sein.
Wir sagen allerdings nur , scheint" vorhanden zu sein, da bei der
Kleinheit der betretenden Unterschiede eine strenge Kritik leicht zu
der Behauptung kommen könnte, dass diese Uuterscluede nur aui einer
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330
Assniaim,
[20
Täuschung beruhen, herTorgemfen durch die bei grOmerer Entfernung
vom Meere und stärkerer Erhebung iiher dasselbe allerdings nicht
fortzuleii^ende Unsicherheit der Heduktion der Barometerstiinde auf
den Moeresspiogel.
Dem iat zu entgegnen , da:>ä einerseits die Reduktionen sämtlich
mit der grössteu Soi^^t oiadi Tabellen auagef&brt wurden, welche
unter Berttcksichtigung sowohl der mittleren Temperatur der zwischen
dem Beobaclitungsorte und dem Meeresniveau zu denkenden, als auch
der zur Zeit fler Beobachtung herrschenden Lufttemperatur für jede
Station besonders berechnet sind und in giiiiz kleinen Wertintervallen
fortschreiten, dass femer aber, worauf wir noch grösseren Wert legen
möchteUf eine Reihe anderer Erscheinungen dafUr spricht, dass die im
folgenden anzugebenden Druckdifferenzen einer gewissen Realitftt nicht
entbehren.
Trägt man die auf Meeresniveau reduzierten Jahresmittel des
Luftdrucks in Karten ein und zieht die diesen Werten entsprechenden
Isobaren , so findet man sowohl nördlich vom Harze wie nördlich vom
Thtlringerwalde tiefe Ausbuchtungen der Isobaren nach Süd oder Südost
zu, welche örtlichen Gebieten niederen Luftdrucks nordöstlich von beiden
Ctebirgen entsprechen.
Zur Konstruktion dieser Isobaren sind, wie wir noch glauben
betonen zu müssen, ausscliliesslicli die An<?aben solcher Stationen ver-
wandt, deren Barometer durch sorgiiilti^a^ \ ergleichunt^ mit den Normal-
oder durch Vermittelung von Reisekontrollbarometem die Möglichkeit
von irgendwie erheblichen Instrumentalfehlem ausschliessen. Es musste
daher eine Reihe von Stationen zweiter Ordnung unberücksichtigt bleiben,
bei welchen diese Erfordernisse nicht zutrafen. Es worden die Auf-
zeiclmungen folgender Stationen lienutzt:
Klausthal, Nordhauseu, Braunschweig, Kunrau, Magdeburg, Bern-
burg, Korbeliui, Erfurt, Sulza, Eisenadi, Sidzungen, Memingen, Insels*
brag, Gross-Breitenbach, Jena und Dessau.
Die Aufzeichnungen dieser Stationen dürfen als möglichst ein-
wiirfsfrei igelten und wurden demnach zur Konstruktion der mittleren
Isobaren der Jahre IB;-!;!, 1S84 u. 188.'i benutzt, soweit das Beob-
achtungsmaterial lückenlos vorlag, und wurde ferner eine Vereinigung
der dreijährigen lückenlosen Autzeichnuugen zu einer Mittelkarte aus
diesen drei Junen bewirkt. Obgleich neun Stationen yierjährige Ittcken*
lose Au&eichnungen darboten, erschien es doch bei dem wesentlidi.
fTcographischen Charakter dieser Frage wichtiger, sechszehn Stationen
mit nur dreijährigen Mitteln zur Konstruktion der Isobaren zu ver-
wenden, da die Länge der Beobachtungsreihen liei diesen auf denselben
Zeitraum bezogenen Untersuchungen erhebliche Umgestaltungen der
Resultate nicht herronufaDi kann. Leider musste, was im uiteresse
der möglichsten Sicherung der Resultate zu bedauern ist, wegen un->
zureichender Ermittelung der Barometerkorrektionen das vorhandene
Material der Stationen Gardele^a^n. Torsran. Malle a. S., Sangerhausen,
Langensalza. Heiligenstadt, Güttingen. Kassel, Hannover, ferner Weinnir,
Arnstadt, Koburg und Neustadt bei Koburg, wegen Unvollstäudigkeit
entweder an Ort und Stelle
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Der Einfliuä der Gebirge auf das Küma von MitteldeuUcliland. 331
der Aufzeichnuiiffen das der Stationen Brocken, Uefiugeu, Soimenbeiger
Forstihaus, Que&nbturg, Alezisbad, SalzwedeU Frankenhausen, Sondeis-
bausen, Artern. Oberhof iiml Rudolstadt unberücksichtigt bleiben.
Die folgende Tabelle gibt die benutzten Jahresmittel vollständig an.
Tabelle 1. Mittelwerte dei L«flin«ks, aif den Keeresaplefel rednslerL
StetlOMtt
Meeres-
höhe
zn
1882
1883
188i
1885
lUittei
•US
1883-85
MittPl
1882-85
Klau-tlli;1
594
761.9
761,0
7t;2.i
701,1
701.: 5
221
7ti2,t>
761,0
702,9
70Ü,Ö
761,8
762,0
86
761.S
760,3
762,0
760,0
760,8
760,9
760,5
701,9
759,7
760,7
54
761,8
760,7
702,1
700,0
700,9
761,1
77
761,0
762,3
760,1
761,1
118
702,5
701.2
762,4
700.3
701,3
761,6
190
702.7
761,3
703,0
700,7
701,7
761,9
134
761.0
762.0
760,5
761,2
Fi-i'ii,lrli
240
701,4
702,8
700,5
701.0
253
701,5
702,6
760,5
761,6
311
762,4
760,0
762,8
759.6
760,8
761,4
Inj^elsberg
900
701.S
7t;2.0
700.4
701.0
GrosB-Hreitenbach ....
646
703,2
702,1
703,2
701.0
702.1
702.2
159
763,0
761,7
702,6
760,1
761,4
701,8
62
761.2
762,2
760,1
761,2
Tragen wir diese Werte tOr die Jabre 1888, 1884 u. 1885 zu
dieijübrigen Mitteln vereinigt in eine Karte ein, so bemerken wir
folgendes : Die Isobare 761 mm zeigt eine tiefe Ausbuchtung , welche
sich östlich von TTannover in südlicher Hichtuiig bis an den Nordrand
des Harzes uiui ostlich bis über die Elbe vorschiebt und von hier aus
nordwärts wenig östlich von Magdeburg parallel der Elbe diese abermals
kreuzt. In analoger Weise sehen wir £e Isobare 702 nun, vom Südwest-
rande des Harzes ausgebend, in sfldöstlicber Ricbtung nabe bei Nord-
hausen und Erfurt verlaufend, dann umbiegend in weetlicber Ricbtung
die Werra übersdireitend und den westlichen Thüringerwald umfassend
län^s dessen Kamm nach Hüdost, später nach Nordost vorlaufen.
Zwischen Rhön und Tiiüringerwnld crschciut ein wegen der geringen
Anzahl der verlügbareu Stationen allerdings fragliches kleines Gebiet,
welcbes von der Isobare 761 umseblossen ist.
Dieses Isobarenbüd ist nun aber der Ausdruck iiir die wahr-
scheinliche Exi.stenz zweier Gebiete niederen Luftdrucks, deren eines
nördhch vom Harz, d'-nii anderes nördlich vom Tliürincrerwalde liojjt,
während im Südwesten des Harzes ein Gebiet relativ höhereu Luftdrucks
augedeutet ist.
Ebenso würde die gescblossene Isobare um Meiningen bemm ein
eng umgrenztes Gebiet niederen Luftdrucks repräsentieren.
Dei- Vorfasser ist weit davon entfernt, sieh gegen jeden Zweifel
an der Kealität der genannten Erscheinung zu verschliessen. Man
könnte sicherlich dagegen einwenden, dass vielleicht nur die Unsicherheit
•
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332
Auäutanu,
[2-2
der Reduktionen auf das MeeresniTeau in Verbindung mit leicht mög^
liehen Ablesungsfehlem und Instrumentalfelilem diese Erscheinungen vor-
trmsrlite, dass nuch die Wiederholung in mehreren Jahren durch die Wieder«
hoiuug der felilerhatteii Methode zustande käme.
Gegen diese Auffassung und für die Thatsüchlichkeit der ge-
sduldertoi Luftdruckvert^ilung scheint uns jedoch folgendes zu
sprechen.
Die Hauptgründe der Unsicherheit liegen sonst in sdlchem Falle
in der vielfach nur aus banmietrischeu Ilrilu ninessungen bekannten
Höhenlage einer Station . wodurch selbstverstüiidiiLli ein bedenklic her
circuhis vitio.sus entstehen könnte, und in dem Vorhandensein von In-
strumentalfehlern.
Diese beiden Grflnde dürften in unserem Falle nahezu gänzlich
ausser Rechnung gestellt werden kOnnen: die Höhenlagen sind sämtlich
durch Nivellement bekannt — nur der Inselsberg ist nicht Eisenbahn-
station, aber als Ort eines trigonometrischen Signales wohl als genau
in seiner Höhenlage l)estimmt zu betrachten — und die Instrumente
sind . sorgt iUtig justiert und verglichen. Ferner ist die Höhenlage der
bei weitem massgebendsten Stationen eine nur mfissige und mit Aus-
nahme von Elausthal, Qross-Breiienbach und Inselsberg 300 m nicht
nennenswert übersteigende, da Meiningen mit 311m dieser vom inter-
nationalen Meteorologenkonfrress zu Wien im Jahre 1873 gezofrenen
Grenze für die UnbedeukUciikeii der Reduktion auf Meeresniveau ganz
nahe liegt.
Zur weiteren Sicherung des gefundenen Resultates glaubte der
Verfasser bei der Neuheit desselben alle irgend möglichen Garantieen
herbeischaffen zu sollen.
Die Betrachtung der Isobarenkarte lehrt, dass es vor allen andern
die Stationen Klausthal. Nordhausen (man sehe in der Tabelle die kon-
stante grosse Druckditterenz dieser beiden Orte) und Gross-Breitenbach
sind, welche die Isobaren in ihre stark gekrtlmmten Bahnen hinein-
zwängen. Da zwei derselben Höhenstatioaien sind, lag der Oedanke
nahe, dass fehlerhafte Meereshöhe dersdben die Reduktion der abge-
lesenen Bamnieterstiiiule namhaft beeinflussen könnte.
Zur Feststellung dieser Verhältnisse unternahm, der Verfasser
Revisionen und Feststellung der Meereshöhen der genannten Süitionen.
Die Barometerkorrektionen wurden durch Vergleichung mit einem sorg-
föltig vor und nach der Reise justierten Reisebarometer festgestellt,
ausserdem aber diirch eine Reihe simultaner Barometerablesungen in
der Höhe der Schienenoberkante der entsj)rechenden Bahnhöfe und an
den Stationen selbst die Ih'diendifferenz beider Punkte ermittelt. Da die
Meereshr)he der Schienenoberkante von den betreifenden Eisenbahn-
direktionen auf Ersuchen des Verfassers genau augegeben wurde, diese
auch wegen des sorgfältig ausgeftlhrten Nivellements des Bahnkörpers
als durchaus TerlUsslich gelten kann, konnte hieraus unter genauer
Bei-ücksichtigung aller Kautelen eine genaue Ermittelung der Meeres-
höhe der betretenden Stationsbarometer gewonnen werden. Diese Fest-
stellungen erjraben . dass die Meere.-^höhe des Barometers in Klausthal
594,1m, also um 2 m höher als bisher angenommen, die des Baiometers
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Der F.influs» der Gebirge auf das Klüua von Mitteldeutschland. 333
in Nordhausen 221,03 m, also nahezu mit der frOher bekannten (222 m)
flbereinstinimendf war, w&hr^d in Gross -Breitenbacli das Barometer
durch Wohnungswechsel des BeobachtOTS um 18 in höher auf<^oli*ängt
sich zeigte, als in den früheren Jahren, so dass dlf Meereshöhe des-
selben jetzt mit 048,13 m in Rechnung zu stellen ist. Dieser Wechsel
der Höhe ist jedoch erst im letzten Jalire eingetreten, so dass die
Reduktionen der früheren Ablesungen als ziemlich korrekt zu gelten
haben. Die in obiger Tabelle angegebenen Bfittelwerfce berficksichtigen
die ermittelten Korrektionen
Als fernere Stütze für die Thatsächlichkeit des Vorhandenseins
kleiner Gebiete niederen Luftdrucks im Lee der beiden Haupt «^ebirge
Mitteldeutschlands kann noch die Betraclitung dienen, dass die Ver-
teilung des Luftdrucks, wie sie unsere Karte zeigt, durchaus nicht als
eine ein&die Funktkm der Höhenlage erscheint. Wäre dies der Fall
nnd die wahre Luf!:druckabnahme von Sud nach Nord eine völlig gleich-
massige, Ton lokalen Einflüssen vdllig freie, so müsste die Differenz
der Barometerstände zwischen höherem und tieferem Terrain eine nach
allen Seiten gleiclimässige sein, d. h. es müsste niederer Luftdruck
nicht nur au den Nordseiteu der Gebirge, sondern rings um dieselben
henun TOihaiiden sein, während Gebi& relatiT hohen Lufldracks im
Süden der Bodeneihebungen nicht vorhanden sem könnten. Femer
würde, da Beduktionsmethode und die verwandten Instrumente während
des dreijähri?en Zeitraumes von — ISPn unverändert geblieben sind,
eine gi-össerc Aehnlichkeit der Luftdruckbilder der einzelnen Jahre
hervortreten müssen, wenn der Grund ihrer Existenz allein in der
Methode läge. Die Konstruktion der einzelnen Jahreskarten sngt aber,
dass dieselben von Jahr zn Jahr nicht unerheblich variieren, sowohl
was Gestalt als was Ausdehnung betrifft.
Um jedoch unseren Resultaten norli ' '"• (' grössere Sicherheit zu
verleihen, ist eine Gruppierung der Luttdruckmittel nach den Jahres-
zeiten vorgenommen worden. Würden die gefundenen Luftdruck-
differenzen ihren Grund haben in unrichtigen, zur Reduktion benutzten
Temperaturwerten der zwischen dem Beobachtungsort und dem Meeres-
niveau zu denkenden ' Luftsäule , so w^ürde eine beträchtliche Differenz
in den verschiedenen Jahreszeiten, besonders zwischen Winter und
Sommer, hervortreten müssen, da die Teniperaturabnahme mit der
Höhe im Winter und Sommer sehr verschiedene Werte repräsentiert,
zu Zeiten während des Winters, wie w ir dies weiter unten des ^«ähereu
sdben wevden, sogar völlig in ihr Gegenteil, eine Temperatuizunahme
mit der Höhe, verkehrt wird. Die Erscheinung würde also je nach
den Jahreszeiten bald verschwinden, bald wieder erscheinen müssen.
Dies ist nun aber thatsächlich niclit der Fall, wie die folgende Tabelle
und die Karte zeigen, vielmehr linden wir die lokalen Depressionen zu
allen Jalireszeiten wieder.
*) Diese and andere im Verlauf der Arbeit tiHÜg gewoTctanen firmittelungen
tragen einen Teil der Schuld an der YenSgerong des Earscheineiis der vorUegenden
Abhandliuig.
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334 Assmann,
Tkbelle 2. • Inftdrackmlttel ier JahraBieiieB.
Mlti«! aas 1883, 1881,
1886
Mlttol
aus imi.
iKfcS. 18M. lfS85
^ Winter
Früh-
Sommer
Herbst
Winter
Früh»
Sommer
. Herbst
Klausthal
TG1.9
700.1
(<)l,-->
701,0
703,6
760,4
701.0
760,3
Nordhausen ....
763,0
700,5
701,9
761,7
764,a
760,9
761,4
761,3
BraoBschveig . . .
761,7
759,8
mm A « A
761,2
760,8
768,8
760,1
760,5
760,0
Kunniu
761,b
7.'i9,8
760,9
760,5
—
—
Magdeburg ....
761,9
700,0
761,0
760,7
763,4
760,5
760,5
760,0
768,8
760,0
761,8
761,0
— ^
Korbetha
/59,8
701,3
701.4
704,3
700.4
700,9
700,7
Erfurt
7ü2,U
<b0,2
761,8
761,7
764,6
760,8
761,4
760,9
Sulza
762,1
759,7
761,6
761.5
4 U_..J
< 01,0
761,7
—
—
708,0
700.1
761,5
701,8
Meiningen ....
762,6
759,2
701,0
701,3
704,3
759,9
760.8
760,6
Ingelsberg
703,0
700,3
701.0
701.0
GroHä-Breitenbach . .
703.6
700,2
701.4
701,9
765,3
761,0
761,1
701,2
702,7
700,3
701,0
701,4
764,5
761,0
761,3
760,6
768,2
759,9 1
761,5
761,1
Je unerwariet^, tot all^ Dingen aber je unwahrsclidiilicher ein
neues Ergebnis von Untersuchungen ist, um eo grösser ist die Pflicht,
alle irgendwie möglichen Beweise für oder gegen dasselbe herbei-
zuschafl'en.
Aus diesem Grunde wurde f(lr das in Frag^e .stchondo Resiilhit
unserer Untersuchungen ein Beweisrtveg eingeschlagen, wciciier davon
ausgeht, dass die ünsicheilieit der zurBedu£ion avf Meeresniveau ver-
wandten Lufttemperaturen nahesu unwirksam gemacht werden kSnne
durch Reduktion der Barometerstände auf em mittleres Niveau. Und
in der Tliat mnssto liierdurdi. wenn, wie -wir nachgewiesen hal'ieii. die
Meereshöhen in den zulässigen Felilergrenzen bekannt sind, der einzige
noch mögliche Fehler zum grössten Teile eliminiert werden.
Wenn wir die Reduktion der Barometerstände, welche au einer
600 m hohen Station beobachtet worden sind, auf das HeeresniTeau
ausführen, stellen wir die mittlere Temperatur jener 600 m hohen Luft-
schicht in der Weise in Rechnung, djiss wir einen aus der Erfahrung
abgeleit<»ten Faktor für die Abniilime der Lufttemperatur nach oben
verwenden. Derselbe ist im Mittelwerte = 0*^,5 pro 100 m, d. h. man
nimmt an, dass eine 100 m über dem Meeresniveau liegende Station
wegen ihrer höheren Lage um 0^5 lädter sei ak eine etwa senkrecht
unter ihr zu denkende Station. Eine Station in 600 m Höhe wQrde dem-
nach lim 0 X 0*'..') = 8^,0 kälter sein.
Ist dieser Faktor O^Jy pro 100 m aber unrichtig, was er bei dem
Fehlen direkter Beobachtungen wohl sein kann, zumal eng lokale Unter-
schiede zwischen zwei benachbiut*;u , aber verschieden gelegenen Sta-
tionen schon konstatiert worden sind, dann muss der Fehler mit der
Mächtigkeit der in Frage kommenden Luftschicht wachs«D. Würde
z. B. für eine 000 m hoho Station der Faktor nicht 0*,5, sondern "",7
sein, so würden statt der im ersteren Falle in Rechnung gestellten 8^0
mm 4^,2 verwandt werden müssen, wodurch schon ein Fehler von
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Der Einflnss der Gebirge auf das Eliinft rcn Müteldeutflchland. 335
circa *).:{ nmi in den auf das Meer reduzierten Barometerstand hinein-
gebracht werden würde.
Würden wir da<?etren, statt auf Meeresniveau, auf ein mittleres
Niveau f z. B. ÜUCm, reduzieren, so würde derselbe- fehlerhafte Tem-
peraturfiEiktor nur 0^6 bei der Hitteltemperatur, bei dem Barometer-
stände aber weniger als 0,1 mm ausmachen. Haben wir eine Aiwaihl
Stationen, welche in sehr verschieden n M r Ii ")hen liegen, so werden
wir durch Kt'iluktion der Harometerstände auf ein mittlere^ Niveau
die UU8 unrichtiger Ansetzung der Temperaturabuahme hervorgehenden
Fehler möglichst einengen.
Die AusftÜmmg der Reduktion sämtlicher in Frage kommender
Barometerstände auf ein mittleres Niveau von 800 m ergibt nun einen
■ Verlauf ih r T ohargi, welcher mit dem in Karte 1 wiedergegebenen
nahezu identisch ist. Eine Wiedergabe derselben mnss indes aus &U8-*
seien Gründen unterbleiben.
Es ist jedenfalls anzunehmen, dass durch dieses Zusammeafallen
der beiden Isobarenbilder die Thatsächlichkeit der gefundenen lokalen
Depressionen an den Nord- und Nordostseiten der beiden Hauptgebirge
Mitteldeutschlands eine erhebliche Stütze erhalt.
Nach alle dem Gesatrtcn werden wir nicht umhin können, die
ThatviicliHclikeit des Vorliandenseins kleiner Gebiet»' niederen Luft-
drucks nn Norden oder Nordosten des Harzes und Thüringerwaldes,
wahrscheinlich auch eines solchen zwischen der Rhön und dem Thü-
ringerwalde, anzunehmen.
Wir haben nun noch die Frage zu erOrteni, welches die Gründe
für das Auftreten dieser lokalen Depressionen sein könnten.
Wir sahen ölten bei der Betrachtung der nll<jfemoiiien mittleren
Luftdruckverhältnisse von 1 )eutschhind . dass unser zu uutersucliendos
Gebiet auf einem allgemeinen Druckabhange , welcher von Süd nach
Nord geneigt ist, liegt. Dieser Abhang setzt, da fortwShrend infolge
seines Vorhandenseins Luft in der Tiefe von Süd nach Nord fliesst,
die Existenz eines oberen, entgegengerichteten Ausgleichstromes mit
Notwendigkeit voraus, um den fortwährenden Luflverlust in der Tiefe
zu decken. An Stellen, welclie du freien Abfluss der Luttmassen in
der Nähe des Erdbodens behmderu, also an Bodenerhebungen, muss
dieser Druckabgang notwendigerweise ein steilerer sein, als dort, wo
diese Behinderung nicht stattöndet. Er bildet also an Oebürgen, deren
Längsrichtung senkrecht auf den allgemeinen Gradienten steht, Stufen,
Terrassen, an welchen eine schnellere Drnrknbnjilnive auf Iteschränkt^m
Gebiet statthndet, als der allgemeinen 1 )ruckal»nahme entspricht. Denn
wenn die den Druck eraiedrigende Ursache auf der ganzen Sti'ecke
ungetalir gleichmässig wirkt, wie das bei der StrSmux^ in der Höhe
der Fall ist, welche durch das Ctebhrge nicht direkt beeinflusst wird,
so wird im Schutze einer die untere Zuströmung behindernden Schranke
der Luftdnick sinken, bis über der Schranke selbst oder neben ilir der
untere Gradient so stark geworden ist. dass die Zufuhr wieder der
Abfuhr das Gleichgewicht hält — es wird also ein neuer Gleich-
gewichtszustand erstrebt und erreicht.
Den hauptsächlichsten Einfluss aber auf das Zustandekommen
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836 AsBinaim, [26
dieser Gclticte niederen Luttdrucks dürfte die Tliatsaclie hüben, dass
jahraus jahrein die vorwiegend benutzten Zugstrassen der iuirometrisolien
Depressionen nördlich von unseren Gebirgen vorbeiiiüiren. Eine jede
nördlich von den Gebirgen TorOberziehende Depression eniiedxigt an
deren Nordabhängen den Luftdruck schneller und starker als an deren
Sudseite, da die nördlich lagernde Luft kein Hindernis zum Abströmen
nach der Depression liin hat, während die südlichen Luftmassen zu-
nächst den (iebirgswall ersteigen und übersteigen müssen, um sich
dem allgemeinen zur Depression hin gerichteten Strome anzuscliliessen.
Wir finden diese Thatsache zu einem mächtigen und allbekannten
Phänomen an den Nord- und SQdrändem der Alpen und ähnlich an
fast allen höheren Gebirgen der gemässigten und kalten Zonen unter
dem Namen „Föhn" ausgebildet. Wenn tiefe Depressionen vom TCnnal
aus lieranrücken, pumpen sie nach der allgemein acceptierteu Dar-
stellung von Hann die nach Nord offenen Alpenthäler aus. deren Luft
ihrem Aspirationszuge ohne weiteres zu folgen vermag, wülirend das
Gebirge ds Bewegungshemmung ftbr die Luftmassen der anderen Seite
wirkt. So wird der Luftdruck im Norden der Gtebirgskämme sinken,
dadurch a])er die über den Kamm herüberkommende Luft von ihrem
horizontalen, der Depression zuijerichteten We^e abgelenkt wer<len und
zur Ausfüllung des Geljietes niederen Luftdrucks nach unten, und /.w ar
wegen der erheblichen Druckunterschiede mit grosser Vehemenz, und
wegen Zunahme des auf ihr lastenden Drucks bei der Abwärtsbewegung
durch Kompression stark ttwärmt, strömen. Ziehen starke Depressionen
über das Mittelmeer, während im Norden hoher Luftdruck lagert, dann
tritt in den südliehen Alpenthäh'rn Nordiohn ein.
Gerade diese Thatsache der auf beiden Seiten der Alpen auf-
tretenden Föhnerscheinungen zeigt uns, weshalb die Druckabnahnie,
weldie wir bei unseren deutschen Mittelgebirgen an deren Nordseite
konstatierten, nicht auch an den Al^en auftraten kann. Die Alpen
liegen nicht auf einem einseitig geneigten Druckabhang, sondern auf
einem Kücken hohen Luftdrucks, von wehhem aus der Dru(k nach
beiden Seiten, nach Nord wie nach Süd, nahezu ijleieh st;uk abnimmt.
Daher sehen wir auch den Föhn, diesen Ausdi-uck für die Existenz
lokaler Luildruckvermiaderung , nur dann eintreten, wenn an einer
Seite des Gebirges hoher, an der anderen niederer Luftdruck herrscht.
Bei unseren mitteldeutschen Gebirgen aber gehört es zu den Ausnahmen,
dass der LuftdriK k südlich von denselben geringer ist als im Norden.
Ist nun thatsiu hlioh . wie der Föhn l»eweist, eine Bodenerhei)ung im-
stande, im gegeljeuen Einzellalle Druckditferenzen zwischen den beiden
Seiten eines Gebirges zu ei-zeugen, dann liegt kein Grund vor, es für
unwahrscheinlich zu halten, dass derselbe ^rgang, in geringerer In*
tensität fast Tag fOr Tag wirksam, einen konstanten almlichäi Effekt
hervorbringen werde.
Wir sind im Verlaufe der obigen Erörtenmgen über die Ein-
wirkung der Gebirge auf die Luftdruckverhältnisse in Mitteldeutschland
fast von selbst auf die Nennung des von der Luttdruckverteilung ab-
hängigsten klimatischen Faktors, den Wind, gekommen. 6elin|;e es
uns, nachzuweisen, dass die Windrichtung in den von den supponierten
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27] Der Einflnas der Oebixge auf da« KUma ▼on Mitteldentschlaiid. 337
lokalen Dejiressionen eingenommenen Gebieten eine von der all;^emeinen
mittleren ^Strömung abweichende, und zwar in dem Sinne der ange-
nommenen Druckunterachiede abweichende ist, so würde unserer An-
nahme eine sehr wesentEche Stötse hierans enraduen.
Es wurden m diesem Zwecke fXkr sämtliche in unserem Oebiet
liegende Stationen die in den 3 Jahren 1881, 1882 und 1883 beob-
achteten Windrichtungen in Proeenten der Gesamt -Beobachtungen be-
rechnet und nach Quadranten gruppiert. Um ein übersichtliches Bild
über diese Verhältnisse zu erlangen, wurden die vorherrschenden
und die zweithäufigsten Windrichtungen in die Karte I. der drei-
jährigen mittleren Isobaren mit ein^tragen. Die Torheirschenden
Winde <\ni[ durch einen blauen, die zweithäufigsten durch einen
roten Pfeil gekennzeichnet.
Diese Karte lelirt uns, dass nahezu ausnahmslos die vorherrschende
"Windrichtung dem südwestlichen Quadranten angehört, also dem grossen
und allgemeinen Gefälle des Luftdrucks über Central -Europa folgt.
Von einer Ablenkung im Sinne der supponierten lokalen Druck- Yer-
minderungen ist nirgends eine Andeutung Torhanden, wenn man von
den geringfügigen, durch die Erstreckung von Flussthälern oder durch
benachbarte Boden -Erhebungen mechanisch bewirkten Ablenkungen
absieht, wie wir sie in Sontlersliausen und Frankenhausen finden, wo
eine rein westliche Richtung vorherrscht.
Seh^ wir uns dagegen die Anordnung der zweithäufigsten Wind«
richtungen an, so finden wir, dass dieselben von anderen als den dem
allgemeinen Gefalle zugehörigen Ursachen beeinflusst werden. Wir
finden z. B. als zweithäufi'^'ste Dichtungen in Hannover und Braun-
scliweig Nordwest, mi Marienthal (am Elm) dagegen Südost, in Magde-
burg und Gardelegen Ostsüdost. Dieses Arrangement macht den Ein-
druck, sls sei es durch die zwischen diesen Stati<men geftmdene lokale
Depression herrorgerufen.
Durchmustern wir die Gegend der andt rtu thüringischen Depres-
sion, so sehen wir auch dort eine einer cykloualen ziemlich ähnliche
Anordnung, indem Nord hausen Nordost, Sondershausen Nordwest, Halle
Südost und Saugerhausen wieder Nordost als zweithäutigste Kichtung
zeigen.
Längs des gan^n Nordrandes des ThOringerwaldes finden wir
einen gleichmässigen Nordwest, welcher allerdings sich in eine cyUonale
Anordnung nicht ganz streng einfügt; doch könnte man, da diese
Richtung mit der Streichungs - Richtung des Gebirgswalles zusamnien-
fällt, auch hier an eine mechanische Ablenkung durch denselben denken.
Diese gebirgsnahen Stationen werden übrigens wesentlich durch den
WeehsM zwischen Berg- und Thalwind beemfiusst.
Wir finden somit aus dem Arrangement der Windrichtungen zwar
keine direkten Beweise für die Existenz lokaler Aspirations - Centren,
sehen jedoch, dass die zweithäufigsten Windrichtungen in einer Wei^c
angeordnet sind, dass sie von lokalen Verhältnissen stark beeiuüusst
erscheinen.
Die Berg- und Thalwinde, auch Nacht- und Tagwinde
genannt, stellen bekanntlich den (Gebirgen eigentQmliche, durch sie
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338
Anmann,
[28
sel^>sf venirsnrbfo periodische Luftströmung;' 'u «Inr, welche von nicht
geringt-r klimuti.scher BedeutunjJT für die VentihLtion der Thiili r sowohl,
als auch der den tiebirgsründeni beuaclilüirLeu Niederungen sind.
Tiefe, den Torhemclieiiclen Winden naheza gSnzlich enbsogene TUUer
wttrden sicherlich eine gesundheitsgefäbrlicfae Stagnation ihrer Luft
mit den daraus hervorgehenden Folgen der Anhäufung von Schädlich-
keiten aller Art erleiden niüt^-sen, wenn nicht diese lokale Cirkulation
thätig wäre, welche während des Tages die Luft der Thäler ber<?-
aufwürts gegen die Höhen, während der Nacht die reinere Luit
der Höhen bergabwärts in die Niederungen fUhrfc. 'V^ dOrfen daher
in dieser Thateache eine hOchst wichtige Wirkung der Ckbirge er-
kennen, welche auch bis auf eine gewisse Kntfemung liin den gebirgs-
nahen Niederungen, besonders denen der Leeseite, staubfreie und kühh rp
Wald- und Bergluft zu teil werden lässt. Während der wärmeren
Jahreszeit ruht an windstillen Tagen die Luftcirkulation in den Ebenen
nahezu gänzlich, da die durch Erwärmung allein auftretende, wesent-
lich aufwärts gerichtete Bewegung der Luft nicht als Wind empfunden
wird; die Nacht bringt dann über dem hocherwärmten Erdhoden ge-
meinhin auch keine aÜgemeine abwärts gerichtete Bewegung, sondern
hrKhstens ein Aufhören des Aufsteigens der L\ift zustande: die gebirgs-
nulieu Ebenen und die Thäler erhalten indes nun den erfrischenden,
abkühlenden Hauch des Gebirges, welcher allerdings die Wärmeschwau-
kung dieser Gegenden zwischen Tag und Nacht nicht unbetrftchtlich
erhöht und dadurch zur gelegentlichen Erkältungsursache wird, aher
das Nervensystem der Menschen wohlthätig erfrisdit und der Vegetation
durch Abkülilung der untersten Luftschichten zur Bildung von Tan
verhilft, welcher sie befähigt, eine längere Zeit des liegenmangela ohne
Schaden zu ertragen.
Andererseits ist wahrend des Winters diese lokale Luftcirkulation
die Veranlassung einer intensiveren Erkaltung der Thaler und gebirgs-
nahen Niederungen, indem der Nachtwind den Abfluss der an den
Gfltirgshiingen erkalteten liuft und deren Ansammlung in den Niede-
rungen befördert; Avir werden diese Thatsache l)esonders dnit driitlK h
ausgeprägt finden, wo eine Mulde vou allen Seiten durch bedeutendere
GebirgshShen umrandet ist, so dass der Zufluss der nächtlich erkalteten
Luft von allen Seiten her stattfinden kann. So zeigt das Thflringer
Becken im ganzen, die Goldene Aue, die Leine-Ni« ih rung, die Mulde
des nördlichen Harzvorlimdes gelegentlich diese Erscheinung in voller
Deutlichkeit. Allerdings l»ewirkt die am Tage auch während des
Winters erfolgende Bewegung der Luft gegen die Gebirge hin eine
Abschwächung oder Aufhebung dieser Ansammlung kalter Luftseen in
den Mulden, doch ist iHÜbrend der Zeit des niedrigsten Sonnenstandes
die Insol;Lfi()n> Wirkung eine so kuTze und geringe, besonders wenn
eine Schneedecke die Sonnenwärme vom Erdboden abhält, dass als
He<uliiit der Gebirgswinde doch eine stärkere Abkühlung der Thäler
und Niederungen zu konstatieren ist. Bei der überwiegenden Länge
der winterlichen Nacht weht auch der Nachtwiud eine erheblich längere
Zeit als der auf wenige Stunden eingeengte Tagwind.
In den gebiigsnahen Gegenden Mitteldeutschlands finden sich die
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Der Eiuüusä der Gebirge auf das Klima von Mitteldcutäclilaud. 339
Gfebiigswinde in durchans charakteristischer Weise Tor, wenn man die
Perioden heiterer und stiller Witterung für sich betrachtet. Es zeigt
sich sowohl am Hai-z als am Thüringer Walde eine dciitlicho Umkehr
der Windrichtungen vom Tage zur Nacht. Selbst in <!< n vierjährigen
Monatismitteln der Häutigkeit der einzelnen Windrichtungen findet sich
eine deutliche Tendenz des Windes vor, am Morgen und Abend vom
Gebirge her zu wehen, am Mittag aber Tom Gebirge abzudrehen, also
mehr oder weniger .schräg gegen dasselbe anzuwehen. Allerdings
wird die grosse und allgemeine Cirkulation der Luft, welche besonder«
am Ilar/^'ehirge eine ausgesprochene, dem grossen (^eflille gegen Nord
gehorchende ist. in den Mittelwertt^n durch diese lokalen Winde nicht
erheblich alteriert werden können, zu deren Zustandekommen eine ge-
rade im nördlichen Deutschland selten vorhandene Luftruhe notwendig
ist; doch erhalt man eine zweifellose Andeutung hierfür, wenn man
die zweithSiifigsten Windrichtungen der Terschiedenen Tageszeiten mit
emander vergleicht.
So hndeu wir z. B. für Klausthal im April auM vierjährigen
Mittelwerten die vorherrschende Windrichtung morgens Ost, mit-
tags Südost, abends wieder Ost; die zweithäufigste Richtung ist für
denselben Monat morgens Südost, mittags Südwest, abends wiedor
Südost. Am Westraude des Harzplateaus gelegen, bekommt Klausthal
seinen Berg^vind aus dem Striche zwischen Nordost und Südost, seinen
Thalwind zwischen Süd und Nordwest. Wir sehen in beiden Fällen
den Wind zum Mittag vom Gebirge abdrehen, abends wieder daliin
zurückkehren.
Nordhausen hat vermöge seiner Lage am Sttdrande des Harzes
seinen Bergwind aus einem Striche zwischnn Nordwest und Nordost,
seinen Thalwind zwischen West und Südost, Die allgemeine grosse
Luftbewegung aus Südwest und \V»>st. welcher Nordhausen vollständig
offen liegt, unterdrückt die lokale Cirkulation vollständig, so dass sie
m den Mittelwerten der vorherrschenden Winde nicht zu finden ist.
Wohl aber tritt sie benror in den Mitteln der zweithauflgsten Wind-
richtungen: im Dezember ist die zweithäufigste Richtung moi^ens Nord-
ost, mittags We«;t, abends Nordost; im März morgens Nordwest, mit-
tags West, abends Nordost; im Juni morgens Nordwest, mittags West,
abends Nordwest. Auch hier sehen wir das charakteristische Abdrehen
des Windes vom Gebirge zur Ikiittugszeit,
Schwanebeck hat vermöge seiner Lage nordnordöstlich vom
Han seinen Bergwind aus einem Striche zwischen Westsüdwest und
Sudost» seinen Thalwind zwischen Nordwest und Ost. Die Lage Schwane-
becks im Lee des Harzes würde an sich eine grössere Luftruhe und
damit eine Begünstigung lokaler Cirkulation befördern, wenn nicht die
Nähe der durch starke Luftbeweguug ausgezeichneten norddeutschen
Niederung diese günstige Wirkuns des Gebirges mehr als kompen-
sierte. Ausserdem entwickeln sich an den lUndem eines Gebirges
lokale , einwärts weisende Luftströmung^, welche die Reinheit der
Bilder spezifischer Gebirgswinde wohl zu verwischen geeignet sind.
Trotzdem finden wir einige Andeutungen datür, diuss auch in Schwane-
beck unter günstigen Verhältnissen ein Abdrehen des Windes vom Gebirge
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340
[30
zur Mittagszeit stattfindet. Im Januar-Mittel herrscht morgens der Südwest
(Bergwind), mittags der West, abends der Südost (Bertrwind) vor; der
West ist zwar für Schwanebeck nicht als Thal wind autzutussen. ist
aber duck vom Gebirge erheblich weiter abgedreht als die beiden
anderen Winde. Im Januar ist morgens Südwest, mittags Ost, abends
Südost am häufigsten ; der Ost ist für den Nordostraud des Harzes ent-
schiedener Thalwind. Unter dt ti zweithäufigsten Windrichtungen finden
wir im März einen schönen Beweis für unsere Betrachtung: morgens
weht Südwest (Bergwind) , mittags Nordost freiner Thalwnnd) , abends
West. Ebenso im Mai: moi^eus Südwest, mitt^igs Nordwest, abends
West; nnd im Juni morgens SOdwest, mittags l^rdost, abends West.
Die deutliche Ausprägung der Gebirgswinde in Schwanebeck,
welches 30 km Tom Gebirge entifemt liegt, gibt zugleich einen Beweis
für unsere oben aufgestellte Behauptung, dass diese lokale Cirkulation
sich bis auf die umgebenden Niederungen erstreckt, obwohl sie am
und im Gebirge selbst iliren eng lokalen l'rsprung hat. Die Aspiration,
welche ein Gebirge am Tage, die Propulsion, wekihe es wlhmid der
Nacht auf die umliegenden Luftmassen ausQlit, wirkt weithin in die
Ferne , so dass wir mit Tollem Recht die Gebirgswinde als einen von
den Bodenerhebungen umnittidbar abhängigen klimatischen Faktor VOn
mehr als lokaler Bedeutung zu l)etrachten haben.
Es lässt sich nicht verkennen , dass das Harzgebirge vermöge
seiner meeresnahen Lage weniger gut zur Auffindung lokaler Cirku-
lationen geeignet ist als ein kontinentaler gelegenes Gebirge wie z. B.
der Thüringer Wald. Und in der That finden wir hier auch die ge-
nanntr rt Krs( Ii einungen erheblich reiner und deutlicher entwickelt, so
dass wir nur ungern aus äusseren Gründen auf die Darstellung dieser
Verhältnisse ver/.i( ht(>n.
Betrachten wir nun noch in kurzen W orten die Verhältnisse der
Windstärke in ihrer Abhängigkeit von den Gebirgen. Abgesehen
TOn der hier nicht zur Betrachtung heranzuziehenden allgemein gros-
seren Windstärke an den höher gelegenen Gel)irgsstationen werden wir
einen EintluNS der Bodenerhebungen wosentlirh darin zu finden haben,
dass di»' (TelnrgstliüU r und gebirgsnahen Niederungen tinerseits einen
Schutz gegen die Ut ltigkeit bestimmter, durch lokale Lageuverhältnisse
bedingter Winde gemessen, andererseits eine Vermehnnig der Wind-
stärke eintritt, wenn tiefe Thäler dem Torherrschenden Winde eine
trichterförmige Oefinung zukehren, während si« an ihrem anderen
Ende mehr und mehr verengt werden. Es tritt in diesem letzteren
Falle eine Zusammendrängung <ler in die weitere Oefihung eingepressteti
Luft ein, welche, da die propulsive Kraft fortwirkt, die Wirkung der
Verengerung ihres Strombettes nur durch Vennehrung ihrer Sfcrom^e*
schwindigkeit auszugleidien yenaag. Die nach Sfldwmt und West sich
öffiienden Har/thäler der Oder. Lutter, Sieber, Lonau und Söse .sowie
das Thal zwiselien Gittelde und Gi*und sind durchaus geeignet, derartige
Erscheinungrn nicht selten autzuweisen, und liegen auch in der That ge-
legentliche Ein/elbeobachtungeii dieser Art vor; leider fehlen indes hier
noch systematische Aufzeichuungon gänzlich.
Der Windschutz eines Gebirges muss sich Tomehmlich darin ans-
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Der Emflun der Gebirge auf daa Klima von Mitieldeutaclilaiid. 841
drücken, dass die stärksten Winde nicht vom Gebirge her. soiKhrn
gegen dasselbe anwehen; doch sind hierbei, wie wir weiter unten seilen
werden, die nördlichen Gebirgsrander auszunehmen, an welchen sich
föhnarfige Winde «ntwickeln.
Bestehende Ueine Tabelle zeigt die Richtung der stärksten Winde
für Klausthal, Nordhansen und Schwanebeck in den yerschiedenen
Jahreszeiten.
Winter FrOl^ahr Sommer Herbst
Klausthal Weat-Sttdwest Ost-Nozdost Sttd-Sfidwest West-Sttdwest *
Nordhansen Südwest Südwest S&dwest Südwest
Sdiwanebeck Nord West Nordwest West.
Wir ersehen daraus, wie für Klausthal die stärksten Winde vor-
wiegend aus einem Striche zwischen Süd-Südwest und West-Südwest,
für Nordliausen konstant aus Südwest, für Schwanebeck aber zwischen
W^est und Nord wehen. Der W^indschutz des Harzes äussert sich
demnach für Schwanebeck in der Weise, dass die an sich stärksten
Südwestlichen Winde so viel an Stärke einbttssen, dass die im allge-
meinen absolut schwfidieren Strömungen ein Uebergewicht ihrer Si&rke
erhalten.
Die Erscheinung des durch die rb-ltirfjo aiisrrenVtten Winds( lintzes
führt uns zur Erörterung der in derselben Weise hervorgeruieueu
Windstilleu.
Wir sehen zmülchst, dass nicht nur die freigelegenen Höhen-
stationen sehr wmig Windstillen notieren, sondern dass die Stationen
der gebirgsfemen Ebenen, wie Torgau, Halle, Magdeburg, ausser-
ordentlich selten ohne bewegte Luit sind. Genauere Betrachtung lehrt
uns aber Gegenden kennen, welclie, weil gegen die vorherrschenden
Winde abgeschlossen, einen so beträchtlichen Ueichtum au \\ indstillen
haben, dass diese Thatsache ak ein wichtiger klimatischer Faktor
für die betreffende Gegend anzusehen ist. Wir finden z. B. Jena
mit 37,2 %t aller Notierungen windstill, Kassel mit 40 ** o , Rudolstadt
mit 4:}. .'3 Den Grund haben wir ausschliesslich in dem Vorhanden-
sein von Bodenerhebungen zu suchen, welche den vorherrschenden
Winden den Weg verlegen. Kassel ist durch den nach Südwest und
West vorgelagerten Habichtswald, Rudolstadt durch den ganzen, be-
trikditiich hohen Südostteil des Thüringer Waldes (rgl. Profil 9 u. 10)
gegen Südwest^ gegen West und Nordwest durch die nicht unbeträcht-
lichen Höhen rler siidlirhen Ilmplatte ganz ausserordentlich geschützt.
Jena aber liegt in dem tiefen Einschnitte, welchen die Saale in das
Plateau der Ilmplatte eingegraben hat, gegen Südwest und West Yöllig
geschützt.
Ans der ferneren Reihe der sich durch häufige Windstillen aus-
zeichnenden Stationen füllt uns noch Klausthal auf, welches trotz seiner
hohen Lage 12,7" ., Windstillen meldet. Eine Erklärung dieser merk-
würdigen Erscheinung lii^st sich ohne weiteres nicht wohl geben, doch
ist anzunehmen. das< Khmsthal dem Steilabfall des Harzes auf seiner
Luvseite noch ualie genug liegt, um noch innerhalb desjemgen Gebietes
ZU sein, welches infolge der ^npordrilngung der Luftmassen Ton noch
nicht wieder horizontal gewordenen Luftströmen ttberweht wird. Ausser-
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342
[32
dem ist zu bedenken, dass nanieutlidi an Gel)irgen die Luftströnmii'^^^n,
!><ilia1i] ein allLrenieinor und fjfrossor Gradient fehlt, als lokale Bei;^'- und
Tlialwiiide uultrcteu. l)iesell>f'n weiden sieh auf einer ziemlich ebenen
Piateaufläche, wie es diejenige ist, auf welcher Klausthal liegt, weit
weniger äussern als an den Abhangen und in den Niederungen. Auch
dürfte zur Erklärung dieser häufigen Windstillen vieUeicht die That-
sache mit herbeizuziehen sein, dass die Beobachtungstermine 8 Uhr
morgens und 8 Uhr abends in fast allen denjenioren Fällen, in welchen
diese lokalen Gebirfrswinde wehen . ziemlich nalie mit den Zeiten des
Windwechsels zusammenfallen. Berg- und Thalwind, deshalb eben auch
als Nachts und Tagwind bezeichnet, wechseln miteinander ab in der
Weise, dass der am Tage bergaufwärts wehende Thal wind am Abend
abflaut und noch eine Periode der AVindstiUe in den während der Nacht
l>ergabwärts wehenden Nachtwind über<^oht. welcher abennals am Morgen
schwach, schliesslich still wird, um dem Tagwind zu weichen. Im Sommer
wird der Abendwind Wechsel, also die zwischenliegende Stiilenperiode,
gegen 8 Uhr abends, im Winter der Morgeuwindwechsel gegen 8 Uhr
morgens eintreten, daher leicht eine grössere Ansahl von Windstillen
vortäuschen können, als sie in d^ That im Laufe des Tages herrschen.
Der Mittagswind ist aber nn Gebirgsstationen häufig der schwächste
des ganzen Tages, da die im Spiel der auf- und absteigenden Lull-
ströme aus der Ebene heraufgedruugenen Luftmassen ihre geringere,
durch Reibung behinderte Geschwindigkeit mitbringen. Doch dürfte
Elaustiial noch nicht hoch genug gelegen sdn, um hierdurdi beeinflnsst
zu werden.
Einen deutlichen Einfluss der Gebirge auf die Windverhältnisse
von Mitteldeutschland ^v^irde man auch aus einer Statistik der Stürme
erkennen können. Leider reicht für diese Untersuchungen das verfüg-
bare Material zur Zeit noch durchaus nicht zu mid müssen dieselben
daher einer späteren Gelegenh^t vorbehalten bleiben.
Wir dürfen jedoch das Kapitel vom Luftdruck und Winde nicht
schliessen. ohiw einer Erscheinung Erwähnung gethan zu haben, deren
erste Konstatierung auf Grund des dichten Stationsnetzes in Mittel-
deutschland durch den Verfasser bewirkt worden ist. Es ist dies der
Föhn in den deutschen Mittelgebirgen.
Unter denselben begünstigenden Umstünden, unter welchen, wie
wir schon oben erwähnten, in den nördlichen Alpenthälern Föhn ent-
steht, also infolge der einseitigen Abführung der Luft, wie sie durch
barometrische Depressionen, welclie den Kanal kreuzen, hervorgerufen
wird, können wir auch an den nördlichen Abhängen und Thälem des
Harzgebirges und des Thüringer Waldes die charakteristischen Föhu-
erscheinungen, wenn «ach sdbstredend in abgeechw&diter Intensit&t,
wahrnehmen. Einer der charahtmstischesten derartigen Fälle trat am
1. Januar 1883 ein und wurde vom Yertaaser persönlich in Wernigerode
beobachtet. Da derselbe als Muster fUr alle übrigen analogen Er-
scheinungen dienen kann, sei derselbe etwas ausführlicher erörtert.
Am L Januar lag westlich von Schottland eine Depression von
745 mm Tiefe, welche einen Eeü niederen Luftdrucks südöstlich bis in
die Gegend Ton Hannover vorgetrieben hatte; im südlichen Frankreich
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Der Einfliu» der Gebirge auf das KUma too MitteULeutflchlaad. 348
und im südlichen Centraieuropa lagen zwei getrennte Gebiete hohen
Luitdrucks. Im Laufe des Tages fiel das Barometer im Nordwest um
fiist 10 mm, stieg dagegen in SüddeutscUand um mehrere Ifillimeter.
Durch diese fortst hreitende Yentärkuog der Druckdifferenz wurde ein
starker Gradient nach Nord zu erzeugt, welchem folgend die Luftmaasen
Norddeutschlands leicht und ohne Hindernis, diejenigen von Mitt<>l(Ieutsch-
land und besonders die südlich vor den (Tel)irgeu lagernden nur zögernd
und iungsumer nach der Depression liiu abströmten. Hierdurch ent-
stand eine LuftverdUnnung an den Nordrandem ^et quer zur Strömung
sich erstreckenden beiden Gebirge Harz und Thüringer Wald, welche
dazu führen musste, daas die den Kamm Übersteigenden Luftmasseiif
statt horizontal dem zur Depression hin gerichteten Znp^e zn folgen,
mit grosser Gescluvindigkeit abwärts stürzten und bei diesem Sturz in-
folge zunehmender Kompression erwärmt wurden. Da sie bei üu-em
Aufsteigen an der Luvseite des Gebirges infolge der zunehmenden Ab-
kflhlung durch abnehmenden LuftdrucK den grOssten Teil ihres Wasser-
gases durch Kondensation verloren hatten, nmssten sie im Lee relativ
trocken ankommen und infolgedessen die Differenz der Temperatnr-
änderungen mit der Höhe . wie sie zwischen feuchter und trockener
Luft besteht, zu enier beträchtlichen Zunahme der Leeseiten- Temperatur
ausnutzen.
So herrschte um 8 Ühr abends in Nordhausen (in 222 m HShe)
eine Temperatur von 7 ",5, auf dem Brocken (1 142 m) 5",5, in Wernigerode
(rirra 210 m) aber beobachtete der Verfasser selbst 13^5. Der Wind
war Südwest, in Nordhauseu massig, auf dem Brocken stark, in Wernige-
rode bei klarem Himmel stürmisch, in kurzen heftigen Böen wehend. In
Nordliausen und auf dem Brocken fiel ziemlich starker liegen.
Unser Profil 5 kann uns in seinem mittleren Teile dazu dienen,
die einschlägigen Verhältnisse zu verfolgen, wo])ei wir natürlich ni(*ht
vei^essen dürfen, dass der Höhenmassstab der Profile ein anderer ist
als der '1er Läntr«'. Von Nordhausen aus in 222 in TTrdu' . im Profil
der Lage von Scluirzteld, welches etwas westlicher liegt, entsprecliend,
stieg feuchte Luit mit der Temperatur von 7 ",5 an der Luvseite des
Gebirges in die Höhe. Da die Luft nahezu mit Wassergas gesättigt
war, wie der am ganzen Tage herrschende feuchte Nebel und die relative
Feuchtigkeit von 99"» bewies, so bedurfte es nur eines geringfügigen
Aufsteigens. um das Wassertj-as zur Verdichtung zu bringen. Alle auf
der Luvseite des Gebirges liegenden Stationen meldeten 100 ''o relative
Feuchtigkeit und Hegen, auch der Brocken ebenso. Dieser die ganze
Luvseite einnehmenden Dampfsftttigung ist es auch zuzuschreiben, dass
die Abnahme der Temperatur mit wachsender Höhe so ausserordentlich
langsam erfolgte, dass dieselbe bis zur Brockenhöhe nur 2*^, also bei
einer Höhendifferenz von 92<»m nur um 0",2 auf 100 m betnig. Auf
diesem Wege muss jedoch die aufsteigende Luft den grössten Teil
ihres Wassergasgehaltes durch Kondensation eingebUsst haben, so dass
sie, in doi luftverdttnnten Eaum nördlich vom Brockengebirge mit
Vehemenz niederstürzend, die Temperaturzunahme trockener Luft er-
fahren konnte. Auf diesem abwärts g^diteten Wege von 930 m Höhe
wurdt die Luft durch Kompression um volle 8" erwärmt, was einer
Fonduatm sur dmitMlMs LMidM- and VoUnkunda. I. & 24
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344
A—maim»
[34
Zuiuihnie von U'',84 aut 100 m entspricht. Leider liess sicli die relative
Feuchtigkeit iu VVernigerode nicht feststellen, doch belehrte der heitere
Himmel darüber, dass sie jedenfalls aemlich weit vom Sattigungspankte
entfernt lag. Die Wäniic war in Wernigerode ^ne geradezu frappante
und drückende. Aelinliclie Ersclieinungen der Konipressionserwär-
mung wurden auch in Bailenstedt beobachtet, woselbst 10 ".5 notiert
wurden, während gleichzeitig Quedlinburg, weiches dem Gebirgsabfiedi
etwas ferner liegt, nur G^8 hatte.
Am Thüringer Walde Z6i|[ten sich analoge, wenn auch weniger
intensive Erscheinungen: Meinrngen (311m) hatte 8^0, fiahnmgen
(253 m) S'*, !, während auf der Nordseite Eisenach (275 m) ^^0, Arn-
stadt (287 m) lO'Vi, Erfurt (l!t7m) HM», Rudolstadt (217m) 12".2
beobachteten. Die Gebirgsstationen Grossbreitenbach, Oberhof und
Inselsberg hatten gleichzeitig 8 ",9, 8",0, 7",2, sodass eine noch viel
langsamere Temperaturabnahme nach oben vorhanden war, als an der
Luvseite des Harzes. Dagegen betrug die Erwärmung der nieder-
strömenden Luft durch Kompression im Lee des Gebirges zwischen dem
Inselsberg und Sal/ungen fast 4*^ bei einer HTihendifferenz von ()30 m.
was einer Zunahme von 0'',()4 auf 100 m enb^pricht; zwischen Gross-
breitenbach und Rudolstadt betrug diese Wärmezunahme 0*^,8 auf lOO m.
Gleichzeitig wurden auch vom Nordrande der Alpen Föhnerschei-
nungen (Friedrichshafen) gemeldet.
Aehnliche Verhältnisse traten am 22. Januar 1884 an den Nord-
rändem beider Gebirge auf, als eine tiefe und grosse Depression sich
über die nördlirbe Nordsee hinwegbeweorte. Hier hatten die Rand-
stationen des Har/es heftige vStürme bei tTockenem Wetter, während
auf dem Gebirge selbst bei massigem W inde Schnee und Hegen in
Ein sehr interessanter Föhn trat am 1. Februar 1885 am Thfi-
ringerwalde nnd zwar abermals gleichzeitig mit einem schweren Föhn-
sturm in Trogen, Glarus und Basel auf. Auf die nähere Beschreibung
dieses interessanten Phänomens müssen wir indes hier verzichten, ver-
weisen vielmehr auf die bezüglichen Angaben in Nr. 4 der vom Ver-
fasser herausgegebenen meteoix>lofftBchen Monatsschrift .das Wetter*,
n. Jahrgang S. 72, wo eine ausflmrliche Angabe der betreffenden Ver-
hältnisse zu finden ist.
Für den Zweck unserer Arbeit würde es neben der Konstatierung
dieser exquisiten Gebirgswirkung darauf ankommen festzustellen, ob
fohnartige Erscheinungen derartig häufig an unseren Gebirgen vor-
kommen, dass sie imstande wären, einen namhaften Einfluss auf das
Klima der Hinterländer oder auch nur einzelner Thaler auszuüben, wie
es von einigen der nördlichen AlpenthUler. z. B. dem Illthal bei Blu-
denz (Vorarlberg) konstatiert worden ist. Bludenz hat in jedem Jahr
insgesamt einen Monat lang Föhn, sodass eine deutliche Temjx rahir-
erhöhung dieses Thaies anderen gegenüber hierdurch bewirkt wnrd, was
sich auch iu der Vegetation ausspricht
*) Ueber die FOhneracheinangen in den Alpen vgl. Hann, Handbncfa der
Klimatologie S. 208 ff.
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Der fimflim der Gebirge «nf cUw KUma von Mitteldeutediland. 345
Für unsere erheljlich iiieflri<reren Gebirge kann der EiVekt natur-
geinäää nur ein bedeutend scliwiU herer sein, sodass ähnliche Verhültnisse,
wie in Bludenz, nicht zu bemerken sein können. Ausserdem wird eben
auch wegen der geringen Intensität die Eracheiiiiiiig häufig unbeachtet
bleiben mttssen, oder kann wenigstens nicht mit aller Schärfe nach-
g( ^Viesen werden. Aus den letzten Jahren sind ausser den angefllhrt^^n
hauptsächlich noch die Tage vom 27. November 1881, 17. Deceniher 1881,
30. Januar 18H;{, 20—24. November 1883, 1. Februar 1884 als solclie
zu nennen, an welchen deutlichere l'öhuartige ErscheLnungeu zu be-
obachten waren. Wir werden jedoch später in dem Kapitel yon dem
Fiintluss der Gebirge auf die Hydrometeore sehen, wie eine wiclitige
Erscheinung des Föhns, die geringere Bewölkung und geringere Regen-
menge an der Nordseite der Gebirge eng mit den erörterten Differenzen
des Luiklrucks an den verschiedenen Seiten der Gebirge zusammeu-
hüugt und sich auf weite Entfernungen hin zeigt.
Fassen wir zum Schluss dieses ersten Kapitels Ober den Kinfiuss
der Gebirge auf die Luftdruck- und Windverhältnisse von Mitteldeutsch-
land unsere Resultate zusammen, so finden wir folgendes:
1. Nördlich vom Harzgebirge und dem Thüringer Walde
zeigen sich in den Jahres- und Jahreszeiten-Mitteln kleine
Gebiete niederenLuftdruckes, welche zwar die Hauptströmung
der Luft nicht abzulenken vermögen, wohl aber die übrigen,
weniger konstanten und starken Windrichtungen in der Weise
beeinflussen, dass diejenigen, welche ihrem Aspirationszuge
folgen, die zweithiiiifigsten werden.
2. Die Gebirgswinde treten in den mitteldeutschen Ge-
birgen in voller Deutlichkeit auf und erstrecken ihren Eiu-
fluss bis in die gebirgsnaheu Niederungen.
3. Die stärksten Winde sind fttr die gebirgsnahen Gegen-
den diejenigen, welche nicht vom Gebirge herkommen.
4. Die Gebirge beeinflussen die Ventilation mancher
Thäler und Niederungen in der Weise, dass Windstillen eine
ausserordentliche Häufigkeit erreichen.
5. In den nördlichen Thälern und Rändern der beiden
Hanptgebirge Mitteldeutschlands kommen deutlich ausge-
prägte föhnartige Erscheinungen zur Winterszeit vor.
B. Temperatorverhiltnirae.
Es kann nicht Zweck der vorliegenden Arbeit sein, nur diejenig»*n
Faktoren zu betrachten, bei welchen ein starker und augenfälliger £in-
fluss der Gebirge hervortritt, vielmehr müssen wir auch festzustellen
suchen, auf welche klimatischen Elemente die Bodenerhebungen keinen
oder nur einen geringen und gelegentlichen Einfluss ausüben. Letzteres
wird um so mehr utitig sein, wenn dieses Resultat des geringen Eintlusses
ein unerwartetes und der gewöhnlichen Anschauung widersprechendes ist.
Li dieser Lage befinden wir uns bei der Erörterung der Tem-
peraturverhältnisse, deren Abhängigkeit von den Bodenerhebungen ohne
eingehendere Befarachtung als eine sehr bedeutende angesehen wird.
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346
Ammann,
Zweifellos ist dies auch im holieii Masse der Fall, wenn wir deu Be-
griö' , Klima von JVlitteldtutscliiaad" m semem weitesten Sinne fassen,
so dass darunter z. B. auch die von der Höhenlage der einzelneii G^^den
oder Orte direkt abhängiflen YerhSltniBse oder die Einflüsse der Ex-
position eines Ortes g^^ttoer der Sonneneinstrahlung verstanden werden.
Suchen wir da<::^egt'n in enf^erer Begrenzim^^ unseres Themas nur den
Kintluss testzustellen, welchen die Gehirge nicht auf sich selbst, simderii
auf ihre nähere und fernere Umgebung, auf Mitteldeut,schlaud ais Ganzes
ausüben, eo werden wir nur T^iftltiiinnlBag dttrftige Besnltate bei den
Temperaturverhältnissen finden.
Ehe wir jedoch an diese Untersuchung selbst herangehen, ist es
notwendig, Uber das benutzte Beobachtungsmatenal zu berichten und
dessen ZuviM-lässigkeit zu bestimmen.
Jeder Meteorologe weiss, dass die Bescliuüung völlig einwurfs-
freien Temperaturmai^ials zu den schwierigsten Auigabeu gehört, welche
die praktische Beobaditnng kennt Die Sdiwierigkeiten der An&teUung
von Thermometern, welche weder von der Sonne, noch von reflektierter
Wärme getrolFen, dabei aber dein Luftwechsel genügend ausgesetzt
werden sollen, welche in möglichst gleicher Höhe über dem Erdboden
fern von allen künstlichen W'Urniec^uellen, gegen Regen geschützt au-
gebracht sein sollen, werden uui- an sein- wenigen Stationen als völlig
Überwunden angesehen werden dürfen.
In unserem BeobachtungSgebiete finden wir Aufstellung( n (h r vei>
schiedensten Art und in allen möglichen Höhen über dem Erdboden
vor. trotzdem überall in der möglichsten Weise Rücksicht auf die be-
kannten Desiderate einer guten Aufstellung genommen worden ist.
Dasselbe ist von den Beobachtungszeiten zu sagen, welche in Ofaciiem
Arrangement Tertreten sind — hier kann, was man sich nicht scheuen
darf, auszusprechen, nur der Zwang Abhilfe schaffen. Solange die
mühsamen und opfervollen met« i< »logischen Beobachtungen allein auf
dem guten Willen der Beobachter beruhen, so lange wird es nicht ge-
lingen, die Prinzipien der korrekten Beobachtung als das einzige und
unweigerhche Erfordernis bei der Einrichtung von Stationen und Be-
stellung Ton Beobachtern gelten zu lassen und Yon der Bequemlichkeit
in Oeitiichkeit und Zeit völlig Abstand zu nehmen. Und dies kann
nur auf zwei Wegen erreicht werden, dem Wege der Besoldung der
Beobachter, wie es im Königreich Bayern zum grossen Segen der Saelie
üblich ist . oder indem man die Beol)achtungeu Beamten oder solchen
Persönlichkeiten überträgt, welche durch irgend eine disciplinare Ge-
walt zur Vernachlässigung der Bequemlichkeitsrücksichten gezwungen
weiden kOnnen. Wenn man an massgebender Stelle diejenigen Beru&-
klassen, welche naturgemäss der Witterungsbeobachtung am. nSchaten
stehen, also die Land- und Forstwirte, für die Uebertragung von Be-
obachterposten ins Auge fassen würde, .so würde sich mit Leichtigkeit
ein grosser Schritt nach vorwärts in dieser Richtung thun lassen: der
Staat verpachte keine Domäne mehr ohne die Bediugimg, dass eine
meteorologische Station nach Vorschrift des Centralinatitutes dort er-
richtet werde und setze eine Konventionalstrafe fest fOx VemachlässiT
gung der Beobachtungen; der Staat rerlange Ton jedem Oberförster
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Der EinflmM der Gebirge auf das KUma von Mitteldeatschland. 347
die Errichtung und Instandhaltung einer Station in seinem Revier,
deren Beobachtungen unter seiner Oberaulaicht und N erautwortlichkeit
zn erfolgen haben, und man wird binnen kurzem gegen 1500 meteoro-
logische Stationen im preussischen Staate haben, bei welchen die Korrekt-
heii der Beobachtungen einziger Zweck ist.
Bass es möglich ist. auf diesem Wege das gewtinsclit»« Ziel zu
erreichen, beweisen die einschlägigen V erhiiltnisse im Herzogtum liraun-
schweig, wo durch die Energie eines Mannen, welcher in der Lage ist,
die Fombeamien fitr seine WAnsehe dienshdlUg zn madien, ^n Corps
TOn Beobachtern unter den herzoglichen ObenÖrstCTn entstanden ist,
deren Au&eichnungen dem Ideale sehr nahe kommen.
Man verzeilie dem Verfasser diese a})s< h\veifenden Betrachtungen,
welche sich unwillkürlich autdrängen, wenn man den aus den verschie-
densten Rücksichten entsprungenen Metliodenreichtum in unserem Ge-
biete vor Augen hat.
Zur DanteUung der Temperaturrerhftltnisse Von Mitteldeutschland
suditen wir alles Material zu verwerten, dessen wir habhaft werden
konnten, beschränkten uns daher nicht auf die dem Vereine für land-
wirtschaftliche Wetterkunde angeliörigen Aufzeichnungen, sondern xoiren
auch die in den Jahrbüchern der preussischen Statistik niedergelegten
Daten, soweit sie unser Gebiet betreffen, in den Kreis uniserer Unter-
suchung hinein. Da das Königlich preussische meteorologische Centrai-
institut erat seit dem Jahre 1882 eine steigende Yermehrung seiner
Beobachtungsstationen vorgenommen hat, war es schwer thunHch, auf
einen längeren Zeitraum für unsere Zwecke zurtlckzugreifen, zumal auch
die Beobachtungen des Vereines ftir landwirtschaftliche Wetterkunde, in
der Mitte des Jahres 1881 begonnen, im Jahre 1882 zuerst vollständige
Jahresresuliate geben konnten. So and denn im wesentlichen die Airf-
seichnungen der Jahre 1882, 1883, 1884 und 1885 unseren Betrach-
tungen zu Grunde gelegt worden.
Da wir uns die verhältnismässig geringe Beweiskiiift derartig
kurzer Zeiträume nicht verhehlen, auch die T<'mperaturverhältnisse jener
vier Jahre einseitig abnorme, d. h. durch aubserordentiich milde Winter
ausgezeichnete waren, vemMshtmi wir diesen Handel durch Berechnung
der 6jährigen Mittel von allen verwendbaren Stationen soviel als m0g-
Kch au>/.uglcichen. In diese Reihe kam dann der sehr kalte Januar 1881
und, da die Jahresmittel für das metcorologisrlic Jahr, welches mit
dem Dezember beginnt, gebildet wurden, an(li noch der noch kältere
Dezember 1879 hinein, so dass die hieraus resultierenden Mittelwerte
den normalen näher kommen als die einseitig abnorm beeinfiitösteu
der vier letzten Jahre. Bs kommt noch hinzu, dass deren Wärmever-
haltnisse allein auch deshalb nicht als normale Werte gelten können,
weil der März 188.'? eine so niedrige Temperatur in Mitteldeutschland
hatte, wie dies ganz ausserordentlich selten vorzukommen pflegt, z. B.
in Magdeburg innerhalb der letzten öO Jahre nur 4mal geschehen ist.
Trotz aller der angeführten Bedenken erschienen uns die vor-
handenen Temperaturwerte fttr unseren speziellen Zweck, welcher ja
keine absoluten kÜmatologischen Masse, sondern ausscliliesslich Relativ-
zahlen verlangt, ausreichend, zumal die zur Verwendung kommenden
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848
L38
Augabi- u sich alle auf deuselben Zeitraum beziehen oder doch iu Be-
ziehung gebraclit WOTden sind.
in Bezug auf letztere Thatsache, dass eine Reduktion soieher
Benbacbiongardhoi, welche kleinere Taicken aufwiesen, oder auch
s( »Klier, von welchen nur 5- oder 3jährige Reihen vorlagen, auf voll-
ständige 0- und 4jährige Mittel ausgeführt werden musste. ist es noch
uuBere Pflicht^ iu wenigen Worten die hierbei zur Verwendung gelaugt«
Methode daizustellen.
Fehlten einer Beobachtnngsreihe eine oder einige Einzelbeob-
achtungen oder ganze Monatemittel . so wurden, wenn möglich, zwei
benachbarte, in ilinü T/iuren Verhältnissen möglichst älmhche Stationen
in der Weise zur Ergänzung der fehlenden Werte herangezogen , dass
die Difterenzen der vorhandenen Angabe für die entsprechende Zeit-
einheit, meist also für einen Monat, ermittelt, und dass vermittelst
dieser die fehlenden Angaben nach den Torbandenen Aufeeiebnungen
der Vergleichsstationen ergänzt wurden. In zweifelhaften Fällen ^vurde,
wie dies Prof. Hann in seiner mustergültigen Darstellung der Tempe-
raturverhältnisse <ler östcrreidiischen Alpenländer (M. Teil) vorschreibt,
einer Station ähnlicher Lage aber weiterer Entfernung der Vorzug ge-
geben vor einer solchen in grosser Nähe aber unähnlicher Lage, so dass
also Qipfel mit Gipfel, Thal mit Thal, Sfldbang mit Sttdhang Teiglicben
und der Erglln/ung unterzogen wurde
Um ein Beispiel der Methode anzuführen, mOge die Ergänzung
der für Koburg fehlenden Reihe des Jahres 1882 aus den Aufzeich-
nungen von Meiningen kiu-z ;ingege1)en werden. Beide Stationen liegen
am westUchen Abhänge von Bodenerhebungen, welche circa 450m
hoch sind, Meiningen m 811, Koburg in 824 m Seehdbe, beide dstlicb
von einem Wasserlaufe, Werra und Itz, in einem massig breiten, von
sanft abfallenden Höhenzügen cingefassten Flussthale, beide Stationen
nicht auf der Thalsohle, sondern auf einer kleinen Anhöhe über der-
selben. Die grosse Aehulichkeit der Verhältnisse erlaubte hier die
Ergänzung der Beobachtungen eines ganzen Jahres, zumal ohne die-
selbe die Station Koburg gänzlich hätte aus der Reihe der zu betrach-
tenden gestrichen werden müssen, was wepen der geringen Anzahl der
Stationen südlich vom Thflringer Walde em entscUedener Verlust ge-
wesen sein würde.
Die Jahre 1S!^3. 1884 und ISS,') lagen von beiden Stationen vollstänilig
vor. So wurde nun der Januar 1883 von Koburg mit dem Januar 1883
von Meiningen verghcheu. wobei sich zeigte, dass Koburg em um 0'',3
niedrigeres ICittel, — 0^8 gegen — 0^5 gehabt hatte; der Januar 1884
hatt« in Koburg 2^2, in Meiningen 2^^) als Mitteltemperatur, also
gleichfalls 0°,3 weniger Wärme. In dieser Weise ^vurde nun der Schluss
gezoffen, dass überhaupt der Januar in Koburg um ()°,3 kälter zu sein
j)riegt als in Meiningen. Da nun der Januar 1882 in Meiningen eine
Mitteltemperatur von — 0",7 aufwies, wmde unter Berücksichtiguug
') Die Temperaturverbältnisse der Oesterreichiächcu Alpeuländer von J. Haan,
Sitsnngsberichte der KaiBerl. Akademie der WiBsenachaften Bd. Xdl, 1885, II. Ab-
tettung. Joni.
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39] ^ EinfluM der Oebicge auf das Klima von Mitteldeutschland* 349
der gefundenen mittleren Januarkorrektion von — 0",3 für Koburg ein
Januarmittel von — 1°,0 angenommen. Die weitere Fortsetzung dieses
YerfaliTeiis auf das ganze Jahr zeigte indes, dass es dnrcbaus figJsch
sein vrürde, diese Korrektion von — 0*,3 fdr das ganze Jahr als gültig
zu betrachten und demnach ZU Terfiiliren. Es zdgte sich vielmehir
folgende Korrektionsreihe :
Dezember Januar Februar März April Mai
— 0«4 — 0",3 — 0",4 — 0",3 0»,4 — 0»,6
Juni Juli August Stptembor Oktober November
— 0°,1 iO»0 +ü»,l +0»,1 — 0«,3 — 0°,8.
Eohurg ist also in den Monaten Juli, August und September etwas
wänner, sonst aber, und am meisten im November, etwas kälter als
Meiningen. Bei derarti<r ausgeführten Erj^änzungen wird sowohl eine
von den unvermeidiiciieu Jieobachtungs- und Aufstellungsfehieru nicht
wesentMcih abweichende (Genauigkeit erzielt, ab audi die Erhaltung des
Charakters der lokalen Verhältnisse der ergänzten Station bewirkt.
Da w^ir in vorliegender Abhandlung nicht eine ausschliesslich für
Fachmeteorologen bereclinefo Arbeit zu liefern haben, wird die Angabe
der Reduktionsmethode hiermit genügend ausgeführt sein ; ein fach-
wissenschaftliches Werk mUsste womöglich die sämtUchen Korrektionen
sdhst wiedergeben.
Aus demselben Grunde sehen wir hier ab von der Wiedergabe
der Monatsmittel sämtlicher Stationen, gel)on vielmehr in folgender
Tabelle 3 die 4j;ihrigen Monatsmittel und Mittel der Jahreszeiten und
Jahre einer Arrzalil ausgewählter, für unseren Zweck günstig gelegener
Stationen aus den Jahren 1882 — 1885, dazu die Mittel der Jahre und
Jahreszeiten nach Reduktion auf das Meeresniveau. Zum Vergleich
dieser Werte mit einer etwas längeren Reihe sind in der letzten Spalte
die Ojährigen, gleichfalls auf Meer reduzierten Jahresmittel Ton 1880
bis 1885 wiedergegeben worden.
Die Gruppieriing der Stationen ist nach klimatischen Bezirken
erlülgt. wodurch örtliche Zusammengeliörigkeit und Aehnlichkeit der
zu einem Bezirke gehörigen Lagenverhältnisse gewahrt worden sind. Wir
gewinnen hierdurch, da besonders die Bodeneihebung das leitende
Prinzip für die Gruppierung gewesen ist, auch ans den Tabellen sdbst
die Möglichkeit einer Beurteilung der Beziehungen der Temperaturen
zu den Gebirgen.
Eine Darstellung dieser Verhültuisse durch Karten, wie man sie
wohl für geraten halten könnte, hat insofern grosse Schwierigkeiten,
als bei der vielfach eng lokalen Beeinflussung der betreffenden Werte
durch eigene Höhenlage oder Lage in einem tiefen, die Intensität und
Dauer der Besonnung erheblich modifizierenden Thale oder an einem
Bergabhang die Tsotlierraen einer kartographischen Darstellung zwischen
den Stationen willkürlich angeordnet werden mUssteu, sollte nicht die
ffauze Karte in lauter Einzelgebiete zerfallen.
AU idlgeiiHHiie. Rmdt^ des er<ri»n TeOes der Mh«n
dass die, abgesehm TOn dem stark lokal beeinflussten Eunrau, nördlichste
Station dieser Reihen, Braunschweig, ein um 0^9 höheres Jahresmittel
hat als die südlichste unserer Stationen, Koburg; ersterer Ort hat Ö^,9,
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41] Der Einflaaa der Gebirge auf da« Klium von MitteldetttscUaad. 851
letzterer nur 8^,0 im 4jährigen Mittel. Trotzdem Koburg um volle
2 Breitengrade südlicher liegt als Brauuschweig, macht doch die höhere
Lage von Eoburg den theimiacheii Vorteil der sOdlicliereii Breite mehr
als wett. Die höchsten Jahresmittel finden wir mit 9^,1 ni Schwane-
beck und Dessau, aLso Stationen, welche im Flachlande gelegen sind.
Die niedrigsten Werte geben uns die Gebirgsstationen . von welchen
der ln^el:sl)»*rg, da die Heihen \om Brocken leider nnvoll.standig sind,
mit 4",3 obenan steht. Eine dreijährige Keihe ergab für den Brocken 2^3.
Durchmiutem wir in grossen Zflgen die Mittel der Monate, so finden
wir den Dezemher nur auf den Höhenstationen unter 0^ wlhrend
der Januar, von den Gebirgsorten abgesehen, fast in allen südlidi
vom Harze gelegeneu Stationen seine Mittelwänne unter dem Gefrier-
punkt hat.
Dasä es nicht die Höhenlage allein ist, welche diese niedrigeren
Werte herrorruft, sehen wir aus dem Vergleich der Stationen Kor^
betha ( — 0^3) und Schwanebeck (0^7), weläe nahezu gleiche Meeres-
hohe haben; noch deutlicher zeigt sich dieses bei Erfurt ( — 0",7) und
Langensalza (0",:{), trotzdem I tztere Station etwas höher liegt als
erstere. Der Januar ist in Erfurt ebenso kalt wie in Koburg, trotzdem
letzterer Ort um 128 m höher liegt.
Wir sehen also, dass ausser der Höhenlage eines Ortes noch
andere Faktoren Einfluss auf die TemperaturreräliDisse ausflben, als
deren wichtigsten wir bei den meisten nOrdHch vom Harz gelegenen
Stationen die Meeresnähe, bei den übrigen Orten aber die durch die
Bodenkftnfigiiration bedingten YerhiiUiiisse der Exposition gegen die
•Sonne und gegen vorherr-schende ^Vinde zu nennen haben.
Wie schon aus der Tabelle bis zu einem gewissen Grade ersicht-
lich ist, wfirde eine kartographische Darstellung der Mitteltemperaturen
zeigen, wie die Temperatur mit wachsender Meereshöhe abnimmt, und
insofern könnte sie unserem Zwecke dienlich sein, die IsoÜiannen würden
mit den Isohypsen nahezu zusammenfallen : doch wollen wir nirlit diese
bekannte Thatsache, sondern den Einfluss der Gebirge auf die Temperatur
der Luigebuug untersuchen, und zu diesem Zweck werden unsere Mittel-
werte Oberhaupt, wenn wir nicht den Einfluss der eigenen Höhenlage
der Stationen ausschalten, unbrauchbar sein.
Zwar darf man sich nicht verhehlen, dass durch eine Reduktion
auf den Meeresspiegel, denn liiernm kann es sich nur handeln, die that-
siithlichen Verhiiltnisse nur uimühernd getrotlen werden können, welche
herrschen würden, wemi mau jede Station als im Niveau des Meeres lie-
^nd sich denken wollte, da der Betrag der Temperaturabnahme mit der
Höhe eine stark lokale Erscheinung ist. In trockener Luft betragt dieselbe
mit voller QesetemSssigkeit 1 '^.O auf 100 m ; an den Luvseiten der Qe-
birge und in den meeresnahen Gebirgen beträgt sie sehr viel weniger
als an den trocknen Leeseiten oder an kontinentaleren Erhebungen.
Trotzdem ist es, um ein Bild des Einflusses der Gebirge auf ihre Um-
Sebung zu erlangen, notwendig, mittelst eines gemeiuschaiUichen Re-
uktionsfiEiktors den Einfluss der eigenen Höhenlage der Stationen zu
eliminieren. Als diesen Faktor haben wir den für unsere Verhältnisse
der Wahrheit am nächsten kommenden von 0^5 auf 100 m Erhebung
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352
A— mana,
[42
angenommen und demuacb die in den letzten Spalten der Tabelle ver-
zeichneten Jahres- und Jahreszeitenmittel erhalten.
Die Eintragung dieser vom Einfluas der eigenen Höhenlage befreiten
Temperaturwerte in Karten wQrde in Übersichtlicher Weise die übrigen
thermisch wirksamen Faktoren veranschaulichen. Wir gehen daher, da
der dieser Arbeit gesteckte Ualinien eine weitere Detaillierung nicht
erlaubt, die Kai'te der reduzierten Jaliresmittel (Karte 3) wieder, während
wir in betreff der Jahreszeiteumittel auf die Tabelle verweisen müssen.
Wir bemerken zunSchst in dieser Reihe, dass eine grosse Gleich-
mftssigkeit der Werte eingetreten ist . sodass von einem in die Augen
springenden Eintiuss der Bodenerhebungen auf die Temperatnrvertei-
lung nicht die Rede zu sein scheint.
Sehen wir uns die Kurte und Tabelle etwas näher an, so tinden
wir mit emein Mittel unter U° folgende Stationen, welche wir nach
ihren Mittelwerten ordnen wollen:
Klausthal 8^5 (592 m), Kunrau 8»,7 (63 m), Sulza 8^8 (134 m),
Inselsberg 8^8 (906 m). Eisenach 8^8 (275 m). Die gleiche Mittel-
temperatiir von S^'.S hat die wegen einiger Lticken in der Tabelle nicht
mit aufgeführte Station Katzhütte (VM ni). Wir sehen zunächst hier-
aus, dass es nicht ein unrichtiger Keduktionsfaktor sein kann, welciier
das Mittel erniedrigt, da es ule Expositionen und Hdhenlagen sind,
welche diese Temperaturabweichungen zeigen. Würde man die Thot-
sache, dass die Hdhenstationen als zu kalt erscheinen, für sich betrachten,
so würde man zu dem Schluss kommen, dass ein grösserer Faktor
als 0*^,5 in Anwendung hätte kommen müssen, um Uebereinstimmuug
mit der Umgebung zu erzielen. Es würde hieraus ein geringerer Wasser-
gasgehalt derjenigen Luftschichten hervorgehen, welche jene Gipfel-
und Hdhenstationen umspülen, wahrend wir doch wissen, dass dieselben
zum Teil in derjenigen Zone liegen, welche das iiiti^te Wasser in
Gestalt von Wolken enthalten. Doch ist der wirkliclie. absolute Wasser-
gasgehalt in grösseren Höhen ein geringerer als in tieleren Lagen,
für 1000 m Höiie beträgt derselbe nach Hann nur 0,73, wenn man den
in 0 m vorhandenen gleich 1,00 setzt. Hauptsächlich dürfte aber der
an den Hdheostationen stets rege Luftwechsel zur Erklärung der niederen
Temperaturen heranzuziehen sein, sowie die wegen häufigez«r Benetzung
des Erdbodens und auch wegen des verminderten Luftdrucks verstärkt«
Verdunstung, welche durch Bindung der Wärme abkülilend wirkt.
Hinzu kommt noch der beträchtliche Wiirnieunterschied, welcher dadurch
entsteht, dass im Frühjahr die höheren Lagen noch eine Schneedecke
tragen, welche ihrerseits durch Yerstftrkung der Ausstrahlung und durch
Behinderung der Bodeninsolation wärmehemmend wirkt.
Diese Thatsachen könnten uns die niedere Temperatur der Höh^-
stationen ausreichend erklären, nicht aber die der tiefer gelegenen
Stationen.
Geht man bei KatzhUtte auf die lokalen Verhältnisse zurück, so
findet man leicht den ErUämngsgrund für 'seine niedere Temperatur
und zwar in einer direkten Wirkung des Qebirges. Katzhütte liegt
eingekeilt zwischen hohen und steilen Bergen im oberen Thüle der
Schwarza; südwestlich, südlich und südöstlich liegen die höchsten Er-
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43] Der Einfluas der Gebirge auf das Klima von IfitieldentMbland. 853
hebungen des Gehirgskammes an <lit xt Stelle, der Wurzel))erg (860 m)
und die Kursdorfer Kuppe (780 lu) vorgela<^ort, welche um 40U ra das
Thal von Katzhütte überragen. Die Wirkung dieser Hciheii auf das
Thal von Katzhütte muss zunächst die seiu, daas sie, besouder^j wühi'end
des Winters, dieBesonnung des Thaies für biBtrftchUiche Zeit ftusschliessen.
Bei der Steilheit der südlichen WSnde des Thaies wird bei niedrigstem
Sonnenstande im Dezember j^ogar eine Reihe von Wochen vorkommen,
an welchen die Sonne überluuipt nicht in Kutzhütte scheint, da die
Sonne auf dem 51 ® nördlicher Breite zu dieser Zeit nur eine Mittags-
höhe von 14*^,5 erreicht, wodurch eiu Berg von 400 m relativer Höhe
seinen Schatten bis auf eine Bntfemung von 1,4 km werfen wQide.
Das Sdiwarzathal hat aber an dieser Stelle ^e sehr Tiel geringere Breite,
sodass nicht nur die Thalaohle, sondern auch ein Teil der gegenüber-
liegenden nördlirh( II ]^ori,'wand dauernd beschattet bleiben muss. So-
gar im Xovenilu r und Januar beträgt diese Schattenlänge noch über
1 km, so dass Katzhütte durch diesen Mangel winterlicher Sonnenbestrah-
hlDg eine Art Polarnacht aufzuweisen hat. Während dieser Zeit sinkt
durch Ansstrahlung die Temperatur nicht allein wShrend der Nacht
sondern auch zur Tagzeit, und so finden wir denn in KatzhQtte das
mittlere Minimum des Jahres 188:3 mit r,0, das von 1884 mit P,8,
während das benachbarte 3ßO ni höher gel<'g»'n<' N»^iihaus am Renn-
steig nur ein solches von 2**,4 erreicht. Vergleichen wir die mittleren
Minima der 5 Monate November bis März an beiden Stationen, so
finden wir für Eatashtttte — 4",0, fOr Neuhaus a. R. — 3^,6 und wenn
wir Neuhaus auf die Höhe von Katzhütte reduzieren, ftir orsteres nur
— 1",6, sodass Katzhüttc um 3'*,3 kälter ist als letzteres.
Als ferneren Grund für ilic nirdore Temperatur von Katzhtitte
haben wir die Thatsacho anzusehen, dass dieses an einem Zusaninien-
flubs mehrerer tiefer Thäler liegt, in welchen die nächtlich an den Berg-
abhftngen erkaltete Luft yermöge ihrer Schwere zusammenströmt, dort
einen See eiskalter Luft bildend, wo die Thalung eine Stagnierung
derselben durch Erschwerung des Abflusses und mangelnde Ventilation
büdet
^Vlr halten die \ erliiiltnisse von Katzhüttc aus dem Grunde etwas
weiter ausgeführt, um ein charakteristisches Beispiel der Gebirgswirkung
auf das Sjima zu geben — allerdings nur eine Wirkung eines eng
nmgrenasten Bezhrkes.
Achnliches würden wir, falls der zur VerfOgung stehende Raum
di»'s §rlaubte. noch an vielen Stellen finden können. Pie nicdt rp Mittel-
teniperatur von Eisniacli rrklärt sich z. B. aus demselben Grunde, da
das von steilen Wänden eingefasste Marienthal, in welchem die Station
bis vor weniger Zeit lag, ebenfalls .von einem Strome eiskalter Luft
in der Wintemnt in seinen tieferen Lagen durchflössen wird.
Die in der Tabelle 4 aufgeführten absoluten Minima zeigen ferner,
wie beträchtlich diese Abkühlung unter diesen Verhältnissen werden kann.
Katzhütte erreichte im Mittel ein absolutes Minimuni von — 20",8,
Eisenach ein solches von — 20 ",0; im Jahre 1881 wurden in Eisenach
— 26*,9, in Jena — 27'',6, in Meiningen — 26",5, in Langensalza
— 25*,2, m Kassel — 26*,6, in Schloiheim — 25*,2, in Sondenhausen
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354 Assmann, [44
Tubelle ^ Mittlere absointe Maxima und Minima.
Minima
Difforenx
Sonnenberg .
Klausthal . .
Nordhausen .
Bmunschweig
Kunrau . .
Magdeburg
Beniburg . .
Schwanebeck
Langensalza . .
Erfurt ....
Sulza ....
Weimar . . .
Rudolstadt . .
Kisenach . . .
Salzungen . .
Meiningen
Küburg . . .
Inselsberg . . .
GroHB-Breitenbach
KatzhOtte . . .
Jena ....
Dessau ....
28,5
-20.9
49,4
29,0
- 15.5
44,5
31,8
- 15.7
47.5
-Iti.O
47.9
32.8
-13.9
4Ö.7
33,7
- 13,9
47.6
-14.0
47,6
32,4
- 13,5
45.9
- 13.5
46,4
33,H
- 1»J,0
49.0
33,4
-18,2
51.6
-20,4
53,7
32,M
- IBJI
50,8
- 18.9
50,4
3:],8
- 20.»j
54,8
- 20.6
53.0
ai.4
-17.4
49,5
-18,4
49.8
33,7
- 18,0
51.7
2»5.0
- 15,7
41,0
29.3
- 16,5
45,8
31.3
- 20.8
.52,1
- 20.3
.54.9
32,t>
-12.4
45.0
— erreicht. Das niedrigste bislang beobachtete Minimum wurde
am iL .Januar 1880 in Langensalza mit — 28", 8, in Erfurt mit — 27", 5,
in Sulza mit — 24 ",5. in Frankenhausen mit — 24 ",0 verzeichnet.
Vergleichen wir hiermit die absoluten Minima von Gross-Breiten-
bach , welches in ti^^O m Meere.shöhe nahe dem Kamm des Thüringer
Waldes liegt, so finden wir dessen mittleres absolutes Minimum nur — 1(> ".5,
das niedrigste Mininmm in ü Jahren überhaupt nur — 11|^4 betragen.
Durchmustern wir die Reihe der mittleren absoluten Minima in
unserer Tabelle, so finden wir solche von unter — 20" aus.schliesslich
an Stationen, welche in Thälem, und zwar in Gebirgsthälern oder ge-
birgsnahen Niederungen liegen, denn auch Jena liegt noch im Bereiche
des von den erkalteten Nordabhängen des Thüringer und Franken-
Waldes das Saalthal abwärts fliessenden kalten Luflstromes. Nur
die Station Sonnenberger Forsthaus scheint eine Ausnahme von dieser
R^gel zu machen, da diese trotz der bedeutenden Meereshöhe von
774 m ein mittleres absolutes Minimum von — 20 ",0 hat. Allein hier
gibt uns ebenfalls wieder die Oertlichkeit Aufschluss: das Sonnenberger
For.sthaus liegt in einer weiten Mulde am Fusse des eigentlichen Brocken-
gebirges, welche der Grosse Sonnenberg und Rehberg abscliliessen, auf
einem schwarzen , die Ausstrahlung stark befcirdernden Bruche , über
welchem die vom Brocken und den anderen genannten Höhen abflies-
sende kalte Luft einen förmlichen See bildet. Diese Gegend muss
demnach trotz ihrer hohen Lage der Niederung zugezählt werden.
Von den vorher genannten, sich durch niederes Jahresmittel aus-
Der EmfltoM der Gebirge auf das Klima toh Uitteldeutechlaiid. 855
zeichnenden Stationen bliebe nur noi h Kunniii der Erklärung dieser
Abnormität bcdUrftii?. Bei Kunniu kommt, wie wir f»bf'n schon sahen,
keinerlei üebirgswirkung in Frage, vielmehr ist hier nur die starke
AusBtnhluiig, welche dem schwanmi Moorboden eigoi ist, und die
wärmebindende Knit der reichlidien Yerdiuietang zur £rkl&nuig heran-
zuziehen.
Die Diskussion aller Einzelheiten der gegebenen Daten in den
Tabellen würde, (jbwohl sicherlich manches Interessante und für unseren
Zweck Wichtige bergend, uns viel zu weit führen und muss einer
Detaflbearbeitung an anderer Stelle vorbehalten bleiben.
Um allgemeinere Gesichtspunkte zu gewinnen, wollen wir die
Karte der auf Meeresniveau reduzierten Jahresuiittel in Verbindung
mit don in folgender Tabelle 5 wiedergegebenen mittleren Maxima und
ilniima der Lufttemperatur, sowie der in Tabelle ;3 gegebenen redu'
zierten Jahreszeitenmittel einer kurzen Betrachtung unterwerfen.
Ausser den schon für sich im Zusammenhange besprochenen Jahres-
mitteln unter 9 ^ finden wir in unserer Karte allgemein die Temperatur
zwischen 9 und 1 0 ° liegend.
Mit grosser Deutlichkeit zeigt aber unsere Karte ferner, dass
Temperaturen über {♦".5 aussclüiesslich in den im Lee von Gebirgen
gelegenen Niederungen vorkommen, während die Abhänge der Luv-
seiten der Gebirge trotz ilirer gUnstigeu Exposition gegen Besomiung
und warme Winde eine etwas niedrigere Mittelt^peratur haben.
Nördlich von den Gebirgen Harz, Thüringer Wald und auch Rhön
finden sich also Gebiete mit einem unverkennbaren thermischen Ueber-
gewicht gegenüber ihrer Umgebung.
Die Tabelle der mittleren Maxima und Miiiima der Lufttemperatur
lelirt uns folgendes: Die mittleren Maxima sind im Lee der Ge-
birge durchschnittlich höher als an deren Luvseite. Beispiele
geben Braunschweig — Nordhausen, Erfurt — Meiningen, Rudolstadt —
Meiningen ab. Die mittleren Minima sind im Lee des Thüringer
Waldes nirlit unix'triichtlich niedriger als an dessen Südseite,
am Hurz dagegen verringert sich dieser Unterschied, da hier der Ein-
fluss der grösseren Meeresnähe die Wirkungen des Gebirges verwischt.
AlsBeiBpiele vergleiche man die mittleren Mimnm. vonHeiniugen mit denen
von Erfort, Jena imd Rudolstadt, iriUirend zwischen Nordhausen und
Braunschwe^ ein weniger grosser Unterschied zu konstatieren ist.
Auch aus den in der let/trn Spalte der Tabelle verzeichneten mitt-
leren Jahresmaxima und Minima wird man diesen Unterschied zwischen
den Süd- und Nordseiten der Gebirge mit voller Deutlichkeit erkennen.
Koch markanter aber zeigt sich die thermische Differenz der gegenüber-
liegjNiden Gebirgsränder durch die folgende kleine Tabelle, welche die
Differenzen der mittleren .Jahresextreme zum Ausdruck bringt.
Hier sehen wir die mittlere Jahresschwankung von Nordliausen 7",H,
von Braunschweig 7°,8, von Neuhaidensieben 8",3, von Magde})urg H",t5
betragen , so dass trotz der grös-seren Meeresnähe der neirdlich ge-
legenen Stationen ein Einfluss des Gebirges unverkennbar ist. Fehlt
jedoch dieser Einfluss der Meeresn&he, dann wird, wie wir an den
beiden Seiten des kontinentaler gelegenen ThQringer Waldes sehr schön
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356
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47] Einflosa der Gebirge anf das Klima von MitteldeutBchland. $57
bemerken könueri, die Diii'erenz eine erlieblieh grössere : Meiningen luit
eine Jahresschwankung von 8*^,0, die im Lee des Gebirges liegende
Station Erfurt eine solche Ton 9^5, Jena von 9*,6, Rudolstadt Ton
10^7, so dass letztere ()it eine um 2^7 grossere Schwankung auf-
weist, als das an der Luvseite gelegene Meiningen.
Wir können ans dieser Tabelle den allgemeinen Satz ableiten,
dass die Gel»ir^re Mitteldeutschlands den Teniperatnrverhiilt-
nissen ihrer im Lee gelegenen ^iiederungeu einen erlieblich
kontinentaleren Charakter yerleihen.
Das gleiche Resultat können wir auch der Tabelle der mittleren
absoluten Extreme entnehmen, deren Differenzen z. B. für Meiningen
49",8, für Salzungen 4^»^5, fÖr Eisenach aber 53 ",<>, für Langen-
salza r)r,6, für Erfurt 53°,?, für Kudolstadt 54^8, für Jena 54
betragen.
Durchmuatem wir in Tabelle 8 die reduzierten Wintennittel,
80 finden wir zum Teil die schon in den Jahreanitteln bemerkten Er-
scheintmgen der oberen kalten Gebirgsthäler wieder, während die Höhen
relativ milde Temperaturen zeigen. So hat der Inselsbeig ein Mittel
von 2",9, während Sulza 1",? und Eisenach 1 °,8 haben.
Auffallend erscheint es jedoch, dass der Effekt der, wie wir oben
sahen, durch Abströmen erkalteter Luft an den Berghängen bewirkten
temperaturerniedrigenden Gebirgswirkung ein so eng lokaler ist, dass
wir nicht vielmehr rings um die Gebirge berum grosse Seen kalter
Luft im Winter wahrnehmen können.
In der That kommen diese Verhältnisse zu Zeiten in ganz ausser-
ordentlicher Entwickelung zur Beobachtung, wie uns die beigegebene
Karte 4 beweist, welche die auf Meeresuiveau reduzierten Monats-
mittel des ausserordentlich kalten Dezember 1879 zeigt. Hier finden
wir eine Höhenschichtenkarte vor uns, aber in umgekehrter Anordnung:
auf den Gebirgen ist die Temperatur selbst im Monatsmittel um volle
3° höher als in den Niederungen rings um die Gebirge. In der
Börde und Altmark stellt »-in See kalter Luit von enier Temperatur von
— 5 im ganzen Tliünnger Becken ein solcher von unter — 7 süd-
lich und südwestlich vom ThOringer Walde aber ein solcher Ton unter
— r> ^ Das sind ausgezeichnete Fälle von Gebirgswirkung, da es eben
die Gebirge, die Bodenerhebungen überhaupt sind, welche die Aufstauung
dieser s» Invcren Luftmassen ermöglichen und zum grossen Teile durch
Ausstrahlung an ihren Abhängen da« Er.sat/.niiiteriül für die durch fort-
üchreiteade Zusammeuziehung au Volumen abnehmenden Luftmassen
erkaltet zuf&hren. Doch sind diese Falle, obwohl nicht gerade so ausser-
ordentlich selten, dock nicht imstande, in längeren Zeiträumen erkenn-
bare Spuren zu hinterlassen, da die Hauptbedingung fUr deren Zustande-
kommen, die möglichst vitllkomuieue Luftruhe. wie ^^ie im Tentrum einer
grossen Anticyklone vorkommt, nicht eben häuliLr ertüilt wird.
Sehen wir uns aber nach den Gründen um, weshalb wir, wie
unsere Wintertabelle zeigt, lings um die Gebirge verhältnisnmss^ hohe
Mitteltemperaturen finden, so müssen wir zunächst die verschiedenen
Seiten der Gebirge voneinander trennen.
Die Sadhänge aller Bodenerhebungen werden stets von den
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358
[48
Souueuätralüen unter einem steileren Winkel getroffen alä das ebene
Land und noch mehr als die Nordhänge.
Da die Intensität der Sonnenstrahlung nach einem bekannten
Gesetz dem Sinus der Sonnenhöhe proportional ist, so müssen also sanft
geneigte Sii(lal)lr,uiL'"e. M-elcbe znr Zeit der grös.sten Luftwiirme von den
Soiineustralileu seiikreeht getroii'en werden, einen erheblichen Würme-
überschuss gegen ilire minder begünstigte Umgebung erlangen. Daäs
die wirkliche Sonnenhöhe hierbei noch von Einfluss ist, dass also nicht
z. B. eine nach Ost gelegene senkrechte Bergwand bei Sonnenau%ang
dieselbe Menge W'ärrae zuj^estralilt erhält, als eine um Mittag senkrecht
getroffene Berglehne, da doch der Einfallswinkel der Strahlen in beiden
Fällen ein rechter ist, erklärt sich aus der grfis.seren Wärmeabsorjjtion,
welche die Sonnenstrahlen auf ihrem längeren Wt-ge durch die At-
mosphäre bei tieferem Sonnenstande erleiden. Die öüdhänge der Ge-
birge werden also intenaiTer bestrahlt als alle anderen Expositionen.
Hierzu kommt noch, dass die aus dem südlichen Quadranten her-
kommenden Luftströmungen im allgemeinen eine höhere Temperatur
besitzen als die von Nord her wehenden. Beide Faktoren, Sonnen-
strahlun«!^ und Winde, vereinigen .><ich, um den SUdliängen der Gebirge
einen Temperaturüberschuss über die Nordhänge zu verleihen. Die
schon oben erwähnte ISngere Beschathmg der Nordhänge im Winter
wirkt ausserdem noch in derselben Richtung.
So sehen wir Salzungen und Meiningen, obwohl dem erkältenden
Eintluss des Gebirges naheliegend, doch erhehli< h wärmer als Eisenach
und lludolstadt; Frankenhausen, obwohl in der zu starker Ausstrahlung
neigenden Goldenen Aue gelegen, ist infokre seiner Exposition an dem
Südabhang des Eyffhäuser-Gebirges im Wintermittel um 0**5 wSnntf
als Korbetiia, welches die an den Abhängen des Saalthaies erkaltete
Winterluft erhält; derselbe Einfluss erhöht auch die Wintertemperatur
von Sondershausf !! über die seiner T^mgebung, trotzdem es durch den
südlich vorgelagerten ]^er<xrücken der Hainleite gegen die Erwärmung
durch südliche Wiu(U li;! schützt ist.
Sondershausen liegt aber nicht an der Nordseite der Hainleite,
sondern an dem Sttdabhange der dieser parallel verlaufmden, durdi
die Hainleite nicht erheblich beschatteten Windleite, verdankt daher
seinen relativ milden Winter hauptsächlich <ler intensiveren Sonnen-
wirkung. Das Thal von Sonderslmusfu ist zunuü vermöge seiner Er-
streckung von West nach Ost den vorherrschenden Winden leicht zu-
gänglich, dalier gut ventiliert, wodurch einer Ansammlung kalter, vom
Noi3hange der Hainleite abfliessender Luft wirksam vorgebeugt wird.
Auch Nordhausen und Gtöttingen sind verhältnismässig warm im
Winter infolge ihrer südhchen resp. südwestlichen Exposition und ge-
nügender Ventilation ihrer Thalungen. Doch dürfen wir, je mehr wir
uns dem nördlichen Deutschland näheni, die dortiLren Stationen nicht
mehr in Beziehung bringen mit solchen, welche südlicher gelegen sind.
Denn hier tritt ein neuer Faktor in Wirksamkeit, welcher m Bezug
auf seine Wirkung in die Feme den Einfluss der Gebirge weit hinter
sich lässt, das ist das Meer. Wir finden deshalb die der nord-
deutschen Tiefebene angehörigen Stationen im Winter sämtlich nicht
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Der £mflaw der Gebirge auf das Klima von Miiieldeutschlaud. 359
unerheblich wärmer: Braunschweig hat 2^,4 » Uefingen 2^9, Han-
nover 8®,0.
Nachdem wir nun die Gründe ftbr die grössere Wärme der Stld-
hänge der Gebirge als von deren Exposition, also einer Wirkung der
Bodenerhelnin«^, abhängig erkannt haben, erübrigt es uns noch, die
Wmtfrveriüiltnisse der Nordseiten zu untersiiclien.
liier finden wir sowohl nördlich vom Thüringer Walde wie nörd-
lich Tom Harze, und zwar in deren Nfthe, Winteimittel, welche wir
biet nicht erwarten sollten; Langensalza hat 2*^,7. Rudoli^tadt 2^,0,
Erfurt 2^0, Weimar 2^1; nördlich vom Harze hat Schwanebeck 2®,5.
Die Exposition kann diesen Effekt nicht liervorbringen, iHu hstens könnte
Rudolstadt liierduich einigermassen beeiuflusst werden, die übrigen Orte
liegen im iiaciieu Tieilaude. Die erwärmenden südlichen Wnide sind
durch die Torgelagerten Gebirge abgehalten und wir sahen, dasa nicht
so gar selten das ThOringer Becken und die Halberstttdter Niederung
zu Sammelbassins erkalteter Gebirgslufk werden.
Die Thatsachen lassen keine andere Erklärung zu. als dass die
vorherrschenden Südwest- und Westwinde, welche ausser der Wärme
auch den grössten Teil des Mitteldeutschland benetzenden Wassergases
herbeifUiren, durch ihr Au&teigen an den Luvseiten der Gebirge einen
ffrossen Teil dieses Wassergases kondensieren und nun getrocknet in
das BSnterland hineinwehen, hinter dem Gebirge, ob mit oder ohne die
direkte Mitwirkung der im ersten Kapitel erw^ähnten lokalen Depres-
sionen , eine abwärts gerichtete Bewe<;imgskomponente erhalten, dem-
gemäss komprimiert und erwärmt werden. Es würde indes heissen,
Üiatsäcblich vorhandene Verhältnisse in ihrer Wirkung Ubertreiben,
wollten wir die höhere Temperatur der im Lee der Gebirge ge-
legenen Gegenden als eine reine Föhnwirkung auffassen; wohl aber
dürft« die Tliatsache nicht zu bestreiten sein, dass die an den Ge-
birgen getrocknete Luft einen nennenswerten Einfluss auf die Be-
wölkung und auf die Niederschläge ausübt, wie wir in den betreffenden
Kapiteln noch des näheren beweisen werden. Infolge geringerer Be-
wdlkung und geringerer Niederschläge kommt die &nnenwirkung auf
die im Lee der Gebu^ gelegeneu Gegenden zu ausgiebigerer Wirksam-
keit, und diese kann nur in einer Erhöhung der Temperatur bestehen.
Die geringere Benetzung des Bodens mit NiederscIilHgen wird ausser-
dem die Verdunstung verringern, wodurch wiederum weniger Wärme
gebunden wird. Für den Winter wird hierdurch aber auch noch
Bewirkt werden, dass eine dünnere Schneedecke abgelagert wird, welche
in der trockeneren Luft schneller Terdunstet und durch den häufigen
Sonnen^^t )h in schneller gesidunolzen wird. Und es ist bekannt, einen
•wie bellt utenJen Einfluss eine Schneedecke auf die Temperatur ausübt.
Die intensive Kälte der Monate Dezember 1870 und Januar 1881 war
wesentlich durch das Vorhandensein einer Uber ganz Deutschland aus-
gebreiteten Schneedecke bedingt.
Der Januar des Jahres 1886 brachte einen derartig augenf&Uigen
Beweis ftlr den ganz ausserordentlichen Einfluss einer Schneedecke
auf die Erniedrigimg der Temperjitnr . da^s die Darstellung derselben
durch eine Karte geboten erscheint. Karte 5 zeigt die Höhe der Schnee-
Foncbuogen zur deuUclwa Landes- und Volkskunde. L 6. 25
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360
Awmaim,
[50
decke Uber Mitteldeutschland am Morgen des 8. Januar 188G, zugleich
die in deraelben Nacht beobachteten Muumalteiu])c raturen. Eine n&here
Beschreibung der Karte dürfte aus dem Grunde überflüssig sein, weil
das Zusammenfallen der niedrigsten Temperatur mit der höchsten Sdmee-
decke ein ausserordentlich deutliches ist: je höher die Schneedecke,
um so niedriger lag die Temperatur. Ausserdem i^iht uns diese
Karte noch ein schönes Bild des durch Bodenkontiguratiun bewirkten
ZusaaunenstrSmens kalter Luft nach der tie&ten Stelle des Thflringer
Beckens, wo die Isoilierme — 25^ den wohl früher TOihanden ge-
wesenen Thüringer See von neuem sichtbar werden lässt.
Die trocknende und die Bewölkimg verringernde Wirkuni^ der
Gebirge finden wir im Sonmier in erheblich geringerem Masse ausgeprägt,
da die in Begleitung von Gewittern fallenden Sommerniederschläge
weniger dordi die Bomnkon^purmtkni beeinfiiisBt werden, als die Nieder-
scUl^^e der flbrigen Jahresieiten. Bs werden daher besonders in heissen
Sommern die charakteristischen Zonen geringerer Niederschläge, wie
wir sie im folgenden linden werden, nicht selten fehlen, oder doch sehr
schwach entwickelt sein. So finden wir die Unterschiede an den Nord-
und Südseiten beider Hauptgebirge wenig bedeutend und von engen
lokalen Verhältnissen, wie ^position, waldlosem, trockenem, dunkel-
farbigem Boden u. s. w. abhängig. Für die nördlich Tom Harz ge-
l^fenen Stationen tritt aiHserdem noch die Wirkung d^i* Meeresn'^e,
diesmal aber im umgekehrten Sinne, also temperatoremiediigend, in
Konkurrenz.
Zur Verwischung dieser thermischen Unterschiede an den Nord-
uud Südrändem der Gebirge trägt auch noch die Thatsache bei, dass
im Sommer weniger die sQdwestiichen als die westiiohen resp. nord-
westlichen Winde zu fiberwiegen pflegen, wodurch die Leeseiten nach
Ost verschoben werden. Jedenfalls ist zu konstatieren, dass im Sommer
nicht selten, wie in ausgezeichneter Weise im Sommer 1885, die Ostränder
der Gebirge erheblichen Regenmangel gegenüber den westlichen und
nordwestlichen liäuderu aufweisen. Die hohe Sommertemperatur von
Sangerhausen, 17^7, könnte vielleicht mitdieser Thatsache in Zusammen-
hang gebracht werden. Andererseits würde sich die auffiUlig niedrige
Sommertemperatur T<m Eisenach aus dem Vorherrschen nordwestlicher
Winde erklären lassen, da bei nordwestlicher Windrichtung die, aller-
dings sehr schmale, Luvseite des Thüringer Waldes bei Eisenach liegen
nmss. Stärkere Bewölkung und häufigere Niederschläge würden in
diesem Falle durch Hinderung der Sonnenemstrahlung die medere Sonnen-
wSrme veranlassen.
Betrachten wir nun noch zum Schluss unserer Erörterungen Ober
den Einflusjf der Gebirge auf die T« mperaturverhältnisse (V\v Aii?nhl der
Sommertage, Frosttage und Eistage sowie die Anzahl der Boden-
fröste.
Einen , Sommertag nennt man in der meteorologischen Termino-
logie einen solchen, dessen Lufttemperatur den Betrag von 25^ enreichi.
Au^ iL r Uebersicht der Sommertage (Tabelle 6) entnehmen wir flbr
unseren Zweck folgendes: im April kommen Sommertage in dem nord-
deutschen Tief lande nicht vor; nur Magdeburg hat zuweilen einen solchen
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51] Der IGmflnn dar 6^»urge auf das Klima von Mitteldeutschlaiid. 361
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362
Assmanu,
[52
au&uweisen. Obwohl eine Zunahme nach dem Sflden hin zu konstatieren
ist, sind doch ganz streng die Luvseiten der Gebirge ausgeschlossen,
da weder Nordhausen noch Salzungen noch Meiningen solche ver-
zeichnet haben. Nur Frankenhausen und Koburg machen eine schein-
bare Ausnahme hiervon, doch haben beide Orte den Vorzug thermisch
günstiger Exposition, hegen auch dem Abhänge der Hauptgebirge femer;
Frankenhausen liegt zumal im Windschutz des gescUossenen Höhen-
zuges der Hainleite. Das Thüringer Be<^en dagegen zeigt eine aus-
gesprochene Disposition für Apzilsommertage. Die Sommortage der
eigenthchen Sommermonate zeigen manche Yerschiedenlieiten in ihrer
Zahl, welche sich auch in der .lahressumme ausspricht. Abgesehen von
den Höhenstationen, unter denen der Inselsberg einen, Gr. -Breitenbach
und Elausthal aber 11 Sommertage aufireisen, ftUt die ganz ausser^
ordentiich geringe Zahl derselben bei Eisenach auf, um so mehr, als
das nahe bena<mbarfce Salzungen fast die doppelte Anzahl auftreist.
Hier haben wir wieder einen deutlichen Einfluss des Gebirges vor uns,
welchen das durch regelmässigen Wechsel von Berg- und Thalwinden
gut ventilierte, tief eingeschnittene Marienthal bei Eisenach in seinen
Temperaturverhältnissen erheblich herabdrückt.
Dass eine mangehde Ventilation aber die Entstehung hoher Sommer-
w'ärme befördert, zeigen uns die windstillen Thäler von Rudolstadt und
Sulza, welche die grösste Zahl der Sommerfeage in Mitteldeutschland, 47,
aufweisen.
Der September ist, abgesehen von den Höhenstatiuueu, noch all-
gemein durch Sommei*tage in geringer Zahl ausgezeichnet, am häufigsten
abermals in Sulza.
Die Uebersicht der Frosttage (Tabelle 7), d. h. der Tage, an welchen
die Temperatur überhaupt unter den Gefrierpunkt herabgegangen ist,
zeigt, dass in den einzelnen Monaten sowohl als in den Jaliressinumen
grosse Diöerenzeii zwischen den verschiedenen Stationen vorhanden sind,
als deren Grund lokale Eigen tümiichkeiteu nachzuweisen sind.
ZunUchst finden wir naturgemSss die Hdhenstationen durch die
zahlreichsten Frosttage ausgezeichnet; auf dem loselsbeige sinkt an fiist
der Hälfte aller Tage das Thermometer unter 0".
Die geringste Zahl der Frosttage hat Braunschweig mit 72. jeden-
falls ebenso wie die niedrigen Werte aller in der norddeutschen Tief-
ebene gelegenen »Stationen ausser Kuurau, durch die Meeresnähe ver-
ursacht, funrau haben wir bd versdhiedenen Gelegenheiten als eine
dui«fa die EigentQmlichkeiten des Moorbodens im Drdmlingsbruche ab-
norme Station geftmden; der Drönding bildet einen kleinen klimatischen
Bezirk für sich. Einen nicht 7.u verkennenden Einfluss der Gebirge
huden wir indes abermals in dem kontinentaler gelegenen, deslialb
weniger durch andere Einflüsse gestörten Thüringen. Die grössere
Eontinentalität und die grossere Keereshfilie bedingen an sich eine Ver»
mehrung der Frosttage« wie wir denn mit der slleinigen rfttselhaftea
Ausnahme von Langensalza überall mehr als lOd Frosttage vorfindeo,
Dass es indes nicht allein die binnenländi.sche Lage ist, welche diese
Zunahme veranlasst, zeigt uns Meiningen, welches, an der Luvseite des
Gebirges liegend, durch Exposition, Windrichtung und stärkere Ven-
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58] Einflott der Oebiige auf das EUma von MitfceldeatBcliland. 863
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Abudmui»
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tiI;\tion begünstijrt, nur *.M) Frostta^j^c im Mittel aufweist. Auch zeij^t
sicii hier der Einfluss d« « Gebirges als Windschutz gegenüber den kalten
nördlichen Luftströmuugon, deren Vorhandensein an Frosttagen in den
meisten FftUem zu konstotieren sem durfte.
Zu bemerken ist noch, da^ss an den meisten Stationen im Mai
Frosttage Torkommen, wShrend der September fast aiunahmaloe firoet-
firei bleibt.
Die Uebersicht der Ei.'<tage (Tabt llt' 8), d. h. nach meteorologischem
Sprachgebrauch solcher Tage, an welchen die Lufttemperatur auch im
Maadmalwerte den Ge&ieipunkt nicht flbersteigt, zeigt gleicfa&Us lokale
EigentOmlichkeiten.
Die gebirgsnäheren Stationen haben hier gegenflber den im
offenen Flachlande liegenden ein gewisses Uebergewirht, was wohl auf
einen Einfluss der von den Gebirgen abströmenden erkalteten Luft, viel-
leicht auch auf eine durch grössere Luflruhe beförderte Neigung zur
Nebelbildung zurflckzufUiren sein dtlrfte. Das Zustandekommen -von
Eistagen kann auf zweierlei Weise stattfinden: entweder bei klarem
Himmel oder bei bedecktem TlimmeL Im ersteren Falle ist der Frost
so streng, dass selbst der Mittagssonnenschein die Temperatur nicht
an den Gefrierpunkt bi ingen kann, wobei in vielen Fällen eine Schnee-
decke höchst wirksame Unterstützung leisten wird, oder dichter Nebel
behindert dM Sonneneinstrahlung überhaupt, wobei dann die Frost-
tempenttur durchaus nicht eine sehr niedrige zu sein braucht Man
kann daher aus der Zahl der Eistage allem keinen Schluss auf die
Strenge der Winter einer Gegend ziehen.
T)ie Differenz zwischen Meiningen und Erfurt, 15 und 26 Tage^
ist wiederum eine charakteristisch grosse, ebenso die zwischen Sakuugeu
und Eiaenach, 14 und 25 ; auffallend ist die geringe Anzahl der Eu-
tage in Rudolstadt.
Der AprU bringt ausserordentlich selten noch Eistage, einmal
aber hatte sogar noch im Mai Eisenach einen solchen; ebenso ist der
Oktober in den niederen Lagen frei von Eistagen.
Die Zahl und zeithche sowie riiumliche Verteilung der Boden-
fröste, deren systematische Beobachtung in unserem Gebiet zuerst iu
grosserem Massstabe ausgefOhrt worden ist, wOrde einer eingehenden
Erörterung wert sein, zumal daftir ein sehr reichhaltiges Material vorliegt.
Gerade die letztere Thatsache aber zwingt uns, von einer tabellarischen
Darstellung abzusehen, da diese in den engeren Rahmen der vorliegenden
Aldiandlung durchaus nicht hineiiig^czwängt werden kann. Wir wollen
daher nur einige der markautebteu Züge aus demselben herausgreifen
und eine subtilere Yerarbeitang einer sp&teren Gelegenheit Torbehalteii.
Die geographische Verteilung der Frosttage zeigt, abgesehen von
den Höhenstationen und den im Drönilingsbruche und dem Fienerbruche
(südlich von Genthin, bei Fienerode) gelegenen Orten, deutlich eine grossere
Anzahl in den gebirgsnahen Niederungen: das obere Werrathal, das Thü-
ringer Becken, die Goldene Aue, die Mulde des nördlichen Uarzvorlandes
haben slmflieh nüehr iJs 140 Tage mit BodenftMen. Da diese Gebiete
rings um die Gebirge verteilt liegen, kann von einem ausschliesslichen
Eiiäuss der Leeseite nicht die Bede sein; wir haben vielmehr hierin guu
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55] Der EinfloM der Oebixge auf dM Küma von Ifitteldentsdilaiid. 365
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allgemein einen Ausdi-uck fUr die überaü unter günstigen Verhältnissen
von den Gebir^shängen absfarSmende, in den ThAlnngen sich ansaaimelnde
erkaltete Gebirgsluft zu erkennen. Jede niliige, heitere Nacht läset
Bergwinde zur Ausbildung gelangen, welche die Niederungen abkühlen.
In zeitlicher Beziehung ist die auffallende Thaisache zu konstatieren,
dass in Mitteldeutschland in jedem Monat Abkühlungen der untersten
Lultschicht unter den Gefrierpunkt vorkommen können.
Der Juli bleibt zwar mit ganz seltenen Ausnahmen (z. B. in Gotha
und Fienerode) froetfrei, nicht aber der Augtuii welcher in Sehwanebeck,
Lengenfeld u. St., Gotha, Berka a. W., Höningen, Hüdburghausen,
femer in Fienerode, Gentliin. Dorst. Kunrau und anth'ren Ortrn inner-
halb der letzten 4 Jahre mehrfach Bodentröste gebracht hat. Iii Fiene-
rode kamen im August 1885 sogar im 4jährigen Mittel 4,7 Nacht-
fröste vor.
Der Juni ist &8t Überall zu Nachtfrösten, wenn auch nur auf
kurze Zeit, disponiert: der durch Hellmanns Untersudnmgen bekannte
KiUterückfall in der Mitte des Juni f&hrt, sobald Aufklaren eintritt,
leicht zum Bodenfrost.
Der zu Nachtfrösten am stärk.s'ten disponierte Ort Mitteldeutsch-
lands ist das schon mehrfach genaimte Fienerode, dessen mittlere Nacht-
frostzahlen hier, obwohl nicht auf Gebiigswirkung sondern auf starker
Ausstrahlung eines sdiwanerdigen Moorbodens beruhend, ihrer Eigen-
tOmliehkeiten wegen genannt werden mögen. Im Mittel von 4 Jahren
kamen dort Bodenfröste, gemessen am Mmimumthermometer 5 cm Uber
Kasensrrund. vor :
Dezember . - i,6 Marz .... 26,0 Juni 5,2 September . G,0
Januar . . . 24,2|April .... 21,2 Juli l,2|Oktober . . 13,2
Februar . . 21,7 |Mai .... 15,5 August . . . 4,7!NoTember . 22,7
im Jahre durchschnitthch 187.
Wie eng lokal diese Erscheinuncr ist, pfeht aus den Verhältnissen
des kaum eine Meile davon enti'emten Uenthin her?or, dessen Jahres-
summe nur 132 beträgt.
Gar manche Einzelheiten der Tempeiaturreriiiltnisse Mittddeiitadi-
lands mttssen hier Obergangen werden, wie die Eni^lrmungswerte des
Erdbodens und die mittleren und absoluten Miwiiwa der Temperatur der
untersten Luftschicht. Als Kunosnm f?ei nur erwähnt, dass ili.- höchste
beobachtete Temperatur des Erilliodciis, an leicht mit Enli- überdecktem
Maximumthermometer abgelesen, 67 \ die niedrigste der untersten Luft-
scliicht aber (am 8. Januar 1886 in Lengenfdd u. St.) — 33^1* be*
tragen hat, so dass in unmittelbarer Nähe der BrdoberflScfae eme extreme
Wärmeschwankung von 100^1 thatsBchlich in Mitteldeutschland Tor-
g^ommen ist.
Fassen wir nun den Einfluss der Gebirge auf die Temjieratur-
verhältnisse in grossen Zügen zusammen, so finden wir als Haupt-
resultate unserer Uutersuchiuig, denn nur diese vermochten wir bei der
Vielseitigkeit unseres Stoffes zu geben, folgendes:
1. Der Einfluss der Gebirge auf die Temperatur ist in
den Jahresmitteln deutlich ausgesprochen und zeigt sich am
schärfsten in engen Thäiern und gebirgsuahen Niederungen.
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57] ^ EmfloH dar Gebirge auf du Klima von Mitteldeiitiohlaad. 367
2. Im Winter kommen unter besonderen atmosphärischen
Bedingungen, vornehmlich bei grosser Lul'truhe und weit-
Terbreiteter Schneedecke, Ansammlungen intensiy erkalteter,
▼on den Gebirgen abstrdmender Lufi in den zwischen den
Gebirgen liegenden Mulden vor, welche jedoch meist nur
verhältnismässig kurze Zeit andauern und die mittlere
Winter-Temperatur dieser Gegenden nicht herabzudrUcken
vermögen.
3. Die Südseiten der Gebirge erhöhen durch ihre gün-
stige Exposition gegen die Sonnenstrahlen und gegen die
warmen Winde des südlichen Quadranten ihre Temperatur
über die ihrer Umgebung.
4. Die Xordsf iten derGeViirge erhalten durch die an der
Luvseite der Gebirge und iiut diesen selbst stattfindende
Kondensation der Niederschläge einen Wärmeüberschuss,
welcher auf fdhnartiges Herabsinken der abgetrockneten
Luftmassen, hierdurch bedingte geringere Bewölkung und
Termehrte Insolation, sowie auf geringere Menge der
Niederschläge zurückzuführen ist.
5. Die Gebirge vergrössern die Wärme Schwankung
in den leewärts gelegenen Niederungen beträchtlich und
geben diesen hierdurch einen kontinentaleren Charakter.
6. Die Luvseiten der Gebirge haben weniger Sommer-
tage als die Leeseiten; besonders arm an diesen sind
nordwärts geöffnete, i^nt ventilierte Thäler.
7. Die Zahl der Frosttage ist an den Südseiten der
Gebirge geringer als an den Nordseiten; die Gebirge
wirken hierbei wesentlich als Windschutz gegen kalte
nördliche Winde.
8. Bodenfröste' kommen rings um die Gebirge in den
Niederungen erheblich häufiger Tor als im Flachlande.
Cm HydromoteoTB«
Wir haben in (Vn voranix^'lienden Kapiteln schon hin und wieder
einige charakteristisclie Erscheinungen der Hydronieteore , wie Bewöl-
kung, Niederschläge u. s. w. gelegentlich erwähnen müssen. Es liegt uns
nun ob, dieselben m ihrer Abhängigkeit von den Gebirgen im Zusammen-
hange zu tt^Ortem.
a. Bewölkung.
Die Meteorologie lehrt, dass die Kondensation des Wasserdampfes
vornehmlich durch Abkühlung der wasser(lnnij)nialtigen Luft unter ihren
Taupunkt eintritt. Unter den in der Atmospliure wirkenden Ab-
kühlungsursachen steht diejenige obenan, welche einer Luftmasse durch
Ausdelmung infolge abnehmenden Luftdrucks W&rme entzieht. Kommt
eine Lufbmasse unter geringeren Druck, so wird durch Ausdehnung
derselben eine Arbeit geleistet; diese Arbeit leistet aber die Winne
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368
[58
der Lull, diiliur eben soviel Wärme verschwindet, ak zur Ausführung
dieser Arbeit gebraucht wird.
Eine jede Luftmasse, welche durch eine Bodenerhebung von ihrer
der Erdoberfläche nahezu parallelen Kichtung naeh oben abgelenkt.
emporgedr;iii<rt \vird, kommt a.hvr hierdnrrli unter geringeren Luftdruck,
erleidet daher nach dem obigen eine Abkühlung, welche im allgemeinen
um so grösser ist, je höher die Lulimasse emporsteigen muss, um das
im We^ stehende JBewegungshindenus zu aberschreiten.
Die erste Stufe der eintretenden Kondensation liefert kleine Wassei^
tröpfchen, welche vermöge ihrer Reibung an der Luft schwebend er»
lialten werden ; diese Tnipfclien bilden eine Wolke.
Wir werden daher, falls eine Luftmaase an einer Bodenerlieljur.'jf
▼on genügender Höhe emporgedrängt wird, um bis zu ihrem Taupunkt
abgelEtthlt werden zu können, stets Wolkeubüdung eintreten sehen.
TJebersdireitet nun aber eine Lnftmasse eine Bodenerhebung, so
wird sie das Bestreben haben, auf der anderen Seite derselben sich
wieder abwärts zu bewegen, besonders wenn, wie wir dies im ersten
Ab.sflmitt sahen, an der Leeseite der Bodenerhebung der Luftdruck ein
geringerer ist als an der TiUvseite. Bei der abwärts gerichteten Be-
wegung kommt aber die Luft wieder unter höheren Luitdruck, wird
daher stärker susammengedrackt, wodurch die zur yormaligen Aus-
dehnung Terbnui^te Wärme wieder disponibel wird, da die bei der
Kompression erfolgende Arbeit ausschliesslich von dem Gewichte der
überlagernden Luftsäule geleistet Avird. Es wird dahw
der niedersinkenden Luftma.sse eintreten.
Diese Erwärmung entfernt aber die Luft von ihrem Dampfsättigungs-
oder Taupunkte, so da^ das Torher zu Nebeltrdpfchen verdiditete Wasser
wieder verdunsten kann. Die beim Auftteigen gebildete Wolke wird
also wieder au%elöst werden und versehwinden. Durch diesen Voigang
erhalten alle ausreichend hohen Bodenerhebungen eine stärker bewölkte
Luvseite und eine weniger bewölkte Leeseite. Die Empordrän irimg der
Luft beginnt aber nicht erst unmittelbar am Fusse eines Gebirges,
sondern schon in beliftchtlicher !Bntfemung vor demselben, da die am
Gebirge emporsteigende Luft einen Druck auf die Uber ihr liegenden
Schichten ausübt, dieselbe also weiter rückwSrts gleichfinlls hebt, noch
ehe diese selbst das Gebirge erreicht haben.
Alle diese hier skizzierten Vorgänge finden wir nun in voller
Deutlichkeit an den Gebirgen Mitteldeutschlands wieder.
Zur leichteren Uebersicht sind die mittleren Bewölkungswerte fbr
den Zeitraum von 1882 bis 1885 in eine Karte (6) eingetragen worden,
indem der Grad der Bewölkung in Prozenten des sichtbaren Hinimds-
gewölbes ausgedrückt wurde. Um aueh die Angaben der nur Morgens
die Bewölkun<^ beobuehtenden Stationen niederer Ordnung verwenden
zu können, wurden die Mittel ausschliesslich aus den Morgennotieruugen
berechnet.
ZunSchst ersehen wir aus unserer Karte, dass Uber dem gebirgigen
Teile Mitteldeutschlands die Bewölkung überall stärker ist als über
dem Tieflande : Harz, Weserberge, Eichsfeld, Thüringer Wald und Ilm-
platte haben über 70 >, der Hochharz sogar Uber 75 >. Die Difierenz
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59] Einfliut der Qebii^ge auf dai Klima von MitteldentsoUaiid. 369
zwischen «lein Hochharz und den höchsten Erhebungen des Thüringer
Waldes hat ihren Grund teils in einem grösseren Wasserdampfreichtiim
der meeresnSheren, am Harz emporsteigenden Luftmassen, teils in der
grosseren HShe dieser Erhebungen.
Femer ])emerken wir, dass am Thüringer Walde sowohl wie am
Harz die Zunahme der Bewölkung auf deren Luvseite schon beträcht-
lich weit rückwärts beginnt : am Thüringer Walde hat schon das Werra-
thal, am Harze die ganze nach Süd und West vorliegende Niederung
über 70"/« Bewölkung. Andererseits sehen wir an der Leeseite die
Grenze Ton 70*/o siä hart den Hanpterhebtmgen der Gebirge an-
schmiegen, wenn nicht, wie im östlichen Teile des Thüringer Beckens,
weitere, wenn auch niedrigere Höhen ein ausreichendes Herabsinken
der Luftmassen verliindern.
Im Lee der liuuptgebirge selbst aber finden wir abgeschlossene
Zonen erheblich germgerer Bewölkung; so im centralen Teile des Thü-
ringer Beckens und in der nördlich bis östiich vom Harz gelegenen
Niederung. Die geringere Bewölkung des westlichen Teiles des Thü-
ringer Beckens ist weniger der Wirkung des Thfliinger Waldes als
dvr d»^s vorn-plagerteii Pluteaus des Obereichsfeldes zuzuschreiben, während
(He Höllen der Ilmplatte den mit westlichen und nordwestlichen Winden
über das Thüringer Becken weggeführten, dort wegen fehlender Boden-
erhebungen nicht zur Verdichtung gelangten Wa88erdani|»f kondensieren.
Man muss sich auch daran erinnern, dass, wie Hann m seiner allge-
meinen Klimatologie durchaus zutreffend bemerkt, an einer Stelle ge-
fallene Niederschläge eine neue Quelle des Wasserdampfes flir die
hinterlief^euden Gegenden werden. So nehmen zwar die Gebirge den
grösseren Teil des zugefllhrten Wasserdampfes fUr sich vorweg, lassen
aber auch in Form von Wasserlaufen und Quellen den Leeseiten einen
grossen Teil des atmosphärischen Wassers zuströmen, wo dieses nun
der Wiederverdunstung verfallt, um bei einer erneuten Kondensations-
gelegenheit auf seinem Weiterw^pe Wolken und Niederschlage zu
bilden.
Auffallend erscheint auch die geringe Bewölkung des Franken-
waldes, welche man nur dadurch erklären kann, dass die Haupterhebuugen
des Thtlringer Waldes und die steilen südwestlichen Randhöhen des
Frankenwaldes selbst den grössten Teil des Wasserdampfes schon eher
zur Verdichtung gebracht haben, ehe derselbe das niedrigere Plateau
des Frankenwaldes bei Meura und Leutenber«^ erreicht.
Mit grosser Deutlichkeit zeigt sich die durch das Brockengel)irge
an seiner Südwestseite bewirkte starke Kondensation des Wasserdampfes
in der geringen Bewölkung yon Bsenburg.
InstruktiTcr noch würde unsere Betrachtung werden, wenn wir auch
die Bewölkung zu den verschiedenen Tageszeiten und in den verschie-
denen Jahreszeiten durch Karten wiedergeben könnten; doch muss aus
äusseren Rücksichten auf diese verzichtet werden.
Die Bewölkung im Winter ist allgemein eine um ca. 10 V stärkere;
die Gebiete geringerer Bewölkung liegen ungefähr an derselben Stelle
wie die im Jahresmittel sichtbaren, nur erscheint das nordöstlich vom
Hans liegende erheblich schmaler, da im Winter die Meeresnahe einen
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370
Assmaan,
[60
grüsstren Kiiitluss auf die Bewölkuug ausübt. Im Frülijiilir und Sommer
ist die Bewölkung allgemein um 10 ^^o geringer als im Jahresmittel;
die Gebiete schwächerer Bewölkung zeigen eine Neigung, in mehrere
kleinere z\i zerfallen, da im Frühjahr die Herrachafk der südwestlichen
Winde meist auf längere Zeit von östlichen und nordöstlichen Luft-
strönmngen unterbrochen wird, im Sommer aber nicht selten lokale
aufsteigende Luftstnime die Bewölkung ohne jede Rücksicht auf die
Gebirge vermehren. Auch verschiebt der im Sommer meist melir west-
liche bis Bordwestticihe Wind die LuTseiten der Hauptgebirge mehr nach
West. Der Herbat ist in seinen BewOlkungsrerhutnissen dem Winter
ziemhch analog.
Die Bewölkung eines grösseren Gebietes mit voller Genauigkeit
wiederzugeben ist eine Aufgabe, welche nur gelingen kann, wenn man
ein ganz ausserordentlich dichtes Beobachtungsuetz zur Verfügung hat,
da die lokalen Unterschiede zwischen Luv- und Leeseite' von Boden-
erhebungen wie im grossen so auch im kleinen herrortreten, sobald
die Höhendifferenzen ausreichende Grösse besitzen. Wir haben daher
in unserer Karte durchaus nicht ein bis in das Detail richtiges Bild
der Bewölkuugsverhältnisse Mitteldeutschlands zu geben gemeint, da
ein solches sicherHch ein erheblich bunteres Aussehen haben würde.
Die tief eingeschnittenen Thaler der nordwestlichen Kettenhöhen, die
hinter OhmgebirgOf Hainleite, KyffhSus«, hinter der Rhön gelegenen
Niederungen haben sicherlich deutlich ausgeprägte üntenehiede gegen
die Luvseiten dieser Höhen aufzuweisen, welche in unserem Kärtchen
verschwinden müssen. Uebrigens wird eine Abstumpfung dieser eng
lokalen Unterschiede durch die Thatsache der rückwärts wirkenden
Kraft des emporgedrängten Luftstromes bewirkt, so dass bei engerer
Lagerung der Thalungen, wie z. B. in den zwischen Weser und Leine
hegenden Kettenhöhen, die Luvseitenbewölkung einer Bodenerhebung die
Leeseite der vorliegenden berührt
b. Miedersehl&ge.
Alles, was einleitend Uber die Kondensation des Wasserdampfes
zu Wolken gesagt worden ist, gilt gleicherweise fdr die Niederschlage,
nur ist es nötig, den Vorgang eine Stufe weiter zu verfolgen.
Sobald Wolkenbildung eingetreten ist. wird ein Teil der zur Ver-
dunstung des Wassers verbrauchten Wärme wieder frei, wirkt also bis
zu einem gewissen Grade der Weiterverdichtung entgegen. Hauptsach-
lich aber wird diese WUnne zur abermaligen AufloÄerung der Luft
und damit zur Vermehrung ihres Auftriebes verbraucht, so dass der
Kondensationsprozess an der Stelle seines Eintritts zwar verzögert, aber
in eine höhere S( hicht verlegt wird. Hierdurch werden schliesshch die
die Wolke konstituierenden Wassertröpfchen grösser und grösser, bis
sie schhesshch, die vereinte Ki-aft der Lufti'eibung und des aufsteigenden
Luftstromes Oberwindend, aus der Luft auf den Erdboden niedmdlen.
Durch das Herausfiülen des von der Luft bisher getragenen Wassers
wird aber diese um ebensoviel entlastet, daher leichter und zum weiteren
Aufsteigen bis zu einer gleich schweren Schicht geneigt
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Der £i&fla88 der Gebirge auf da» Klima von Mitteldeutschland. 371
Unsere Niederschla^skarte (Karte 7), welche diu luittlereu Mengen
der Jahre 1882 — 1885 wiedergibt, hat eine «ewisBe Aehnlichkeit mit der
Bewölkungskarte; und dies mit gutem Recht, da b^de Faktoron die-*
selben Ursachen für ihre Entstellung haben.
Doch zeigt die Xiederschln^'skarte ein grösseres Detail, da eine
Verwischung benachbarter Verhältiiisst'. wie wir sie b» i der liewölkung
sehen, hier nicht in der Natur der Ersclieiuung begrüudet ist. Vielmehr
ist der ge&llene Niederschlag eine durchaus, unter ITnutanden ganz
streng lokale Erscheinung, wie wir nidit selten Tomehnilich )m sommer-
lichen Gewitterregen beobachten k&men, dass die (rrenzzone zwischen
benetztem und trockenpin Boden nur wenige Meter breit sein kann.
Die Wirkung der Gebirge zeigt sich in unserer Karte in einer
ausserordentlich markierten Weise, besonders wenn mau dazu die in unseren
Profilkärtchen gegebenen'Daten zum Vergleich heranzieht, da die Schnitte
Tomehmlich zur Verdeutlichung der uns an dieser Stelle beschSftigenden
Kiederschlagsverliältnisse in der Richtung der vorherrschenden Winde
angelegt sind. Die Lage der trockensten Gebiete Mitteldeutschlands,
der südlichen Börde, des Mansfelder Hügellandes, der GoHenen Aue, der
thüringischen Greuzplatte, ferner der Halle - Leipziger Tief landsbucht,
deren Jahressumme unter 500 mm bleibt, zeigt deutlicher als alle Wind-
registrierungen, dass der hauptsächlichste Regenwind im nördlichen
Mitteldeutschland der West bis Westsüdwest, in Thüringen aber der
Südwest ist.
Dieses Gebiet geringster Niederschläge ist rings umgeben von
einem solchen, in welchem 5 — 000 mm fallen. Dasselbe lehnt sich an die
nordöstlichen Gebirgsränder viel enger an als die erstgenannten. Ueber
dem Mansfelder Hügellande fliessen die den beiden Hauptgebirgen ange-
hörigeu Trockengebiete zusammen, indem sie ostwärts bis über die Elbe
hinausreichen, nach Nord zu aber mit dem Niederscldagsgebiet der
norddeutschen Tiefebene sich vereinigen. In diesem letzteren finden
sich einige Gebiete vermehrter Niederschläge, deren Existenz nicht auf
Gebirgswirkung zurückgeführt werden kann. Vornehmlich ist es wieder
der Dhcömlingsbnidi bei Kunrau, welcher vermöge seiner niederen Luft-
temperatur, welche wir schon oben kennen lernten, aber auch wegen
seines grossen Wasserreichtums ein Kondensationscentrum dgener Art
darstellt. Die Niederscldagsmenge von Kunrau, 008 mm. entspricht
einer solchen, wie sie im Harzgebirge in einer K«)lie von ca. ÖUU ni zu
finden ist. Die östlich von der Elbe markierte Zone stärkerer Nieder-
schlige durfte der relatiT starken Bewaldung jener Gegend gegenüber
der rast waldlosen Börde ihre Entstehung verdanken.
Dagegen ist ftlr die im Anhaltischen markierte Zone si&rkerer
Niederschläge ein geographischer Grund nicht aufzufinden.
.Sehr deutlich aber markiert sich in der .südlichen Altmark das
waidige Gebiet der Kolbitzer und Letzlinger Höhen durch stärkeren
Niederschlag.
Wir haben uns noch femer Rechenschaft zu geben Uber die eigen-
tümliche westwärts gerichtete Vorbuchtung der Cfebiete unter r>00 und
unter OOOmm, welche wir am südöstlichen Harz über der Goldenen
Aue finden. Dieselbe verdankt ihre Entstehung ohne Zweifel dem Höhen-
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372
[G2
zuge, welcher, vom oberen Eichsfelde ausgehend, als ühmgebirge, Düu
und Haixileite die Niederung der (toUicheii wldenen Aue trodmet Leidar
ennangelt gerade der von der Finne durcbechnittene Teil Thüringens
fast gihizlich der Beobachtunguitatioiieii, sonst wllrde höchst wahrschein-
lich das jetzt scheinbar zui^ammenbSngende Trockengebiet in zwti durch
die Finne getrennte zerfallen.
Wie selbst geringfügige Höhenunterschiede von Einfluss auf die
Niederschläge sein können, lehrt uns die Lage des Trockengebietee
Uber der Halle-Leipziger Tieflandsbucht: der geringe Höhenunterschied
von kaum 100 m (s. Profil G) genügt, um die Ober die nördliche Saal-
und Thüringer Grenzplatte hinübersteigenden Luftmassen so häufig über
ihren Taupunkt zu erwärmen, dass hier eine um ca. 100 mm geringere
Niederschlagsmenge zur Ausscheidung kommt als auf den Yorhöheu
selbst
Dasselbe Profil belehrt uns auch Aber den Grund für die ExistenE
eines Gebietes geringerer Niedorsdalige im westUchen Thüringen: zwischen
dem Obereichsfeld und den Heilinger Höhen liegt die von den west-
lichen Höhen um ca. 25(1 m überra<fte Niedenin<r der oberen Unstrut,
welche des Regenschattens dieser Höhen teilhat tit^' wird. Unser Profil
schneidet nur den nördlichsten, schmälsten und am wenigsten tief ein-
gesenkten Teü des ünstrutthales in der Nähe von Dingelstedt, gibt
daher den in Fiage kommenden Betrag der Einseokung nicht ganz
wieder.
Das sttdfistliche Thüringen, durch den Gebirgskamm des Thüringer
Waldes, durcli die vorgehigerteii Parallelhöhen vom Hainich bis zum
Steigerwald, sowie durch die bastionarti^ vorgeschobenen Reinsberge bei
Plauen und Arnstadt gesehtttzt, zeigt sicm dementsprechend ebea&Us als
ein Gebiet relativ geringer Niedtfschlige. Ob die lokale Vermehrung der
Xi( ilerschläge bei KranichfeM iu orographischen Verhältnissen begrflndet
ist. lässt sieh schwer entsclu Klt ii ; doch dürfte es nicht unmöglich sein,
dass die zwischen dein Stt i^t rwald und Riechheimer Berge einerseits,
den Reinsbergen und Grossem Kalm andererseits durchgehende Eiusenkung
zwischen Ichterdiaasen und Eranichfeld, in welcher die Wippra mit
ihren NebenbSchen fliesst, eme lokale Kondensationsschranke an den
Höhen (h r Ilm entstehen lässt.
Oesthch von der Saah^ tritt, o])wohl ein bedeutender Höhenunter-
schied zwisclien der Ilmphitte und der Saalplatte nicht existiert, in der
ganzen Erstreckung der Randhöhen eine Vermehrung der Niederschläge
ein. ]>iese Thatsaoie erweckt den Anschein, ab Uenra die Saale selbst
hier der wassererschöpften Luft wieder neues Wassergas durch Ver-
dunstung, welches nun zur Kondensation kommen könne. Die günstige
Exposition des Saalthaies mit seiner Erstreckung von Südsüdwest nach
Xonlnnrdost ernKiglicht die volle Besoiuiung beider üferränder und
eriiöht dadurch die Temperatur des Thaies erheblich, wie auch aus den
oben mitgeteilten Temperaturmitteln für Rudolstadt und Jena, hervor-
geht und Überdies durch die Tfaatsache des dort vorkommenden Weinbans
bestätigt wird. Die hieraus hervorgehende starke Verdunstung dflrfte
wohl imstande sein, eine reichliche Menge Wassergas zu liefern.
Auch die Leineniederung sehen wir in unserer Karte durch eine
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Der £iiifliias der Gebirg« auf das Klima von Sfitteldeatschlaiid. 373
gewisse ikgcnarmut ausgezeichuet, als deren Grund luis Profil 3 die
wesÜifih Yorgelagerten Höhen des Solling, Profil 5 die sfidweatiiieli be-
herrschenden Höhen des Obereiehsfeldee zeigt.
Das obere Werrathal in seiner ganzen Erstareckung von Vacha
bis Hildburghausen, dazu die Thäler der oberen Itz und Hodach zeigen
in unserer Karte Niederseiiliige von weniger als 60U mm Mächtigkeit.
Der Grund hierfür dürfte unschwer in den nach West und Südwest
vorgelagerten dominierenden Höhen des lihöngebirges sowie in dem
plateanartigen N<Nrdfrftnki8chen Berglande zu miäen sein. Profil 8 gibt
uns Auskimft fiber di betrefifenden Höhenverhältnisse. Es ist je£)ch
wohl zu bemerken, dass die Grenze für GOO mm Niederschlag ganz all-
gemein links von der Werra, also nicht an der am tiefsten einge-
schnitt<^nen, den Abhang des Gebirges begrenzenden Linie liegt: das
bei der Bewölkung ausgesprochene Gesetz, nach welchem die
Kondensation des Waasergaees schon in einer gewissen Ent-
fernung vom Gebirgsabhang erfolgt, gilt auch in Toller Scharf e
für den Niederschlag.
Am Harz würden wir dasselbe gleichfalls in voller Schärfe be-
obachten, wenn nicht am Sinlwi st- und Westabhange desselben das
Stationsuetz ein äusserst weitniasciiiges wäre.
Die Übrigen betrachtlicheren K>denerhebmigen MitteldeutechUmds
'zeichnen sich in völlig deutlicher Weise durch stärkere NiederschU&ge
aus: Sollinger Wald nnd Wesergebirge haben Qber 800 mm, ebenso das
Obereiolisfeld. Dass in den tief eingeschnittenen, auf die vorherrschende
Windrichtung senkrecht verlaufenden Thiilem der nordwestliciieii Ketten-
hohen kleine f eng lokal begrenzte Trockeugebiete im Kegeuschatten
dueer Höhenzuge Yorkommen, erkennen wir ans dem Vorhandensein
einer solchen &ne bei Stadt Oldendorf, wo um ca. 270 mm weniger
Niederschlag läUt als in dem unmittelbar Torliegenden Schiesshaus
am Solling.
Auch der relativ niedrige, aber völlig bewaldete Hrilienzug des
Elm bewirkt eine erhebliche Vermehrung des Niedersclilages an seiner
Luvseite, welche bis Riddagshausen bemerkbar ist. Im Lee, welches
hier, wie oben gesagt, östlich liegt, zeigt sich ein deutlicher Regen«
sdiatten in Gestalt einer tiefen Einlnichtung der Isohyete für 600 mm
bis nach Süpplingen hin. Das Gebiet von G — 800 mm umfasst den
grösseren Teil des nicht tiefländischen Mitteldeutschlands. In dems«'ll>en
zeigen sich vornehmlich die beiden Hauptgebirge, der Harz und der
Thüringer Wald, als Kondensatoren im grossen Massstabe.
Als prinzipiellen Unterschied zwischen diesen selbst haben wir
zonüchst die erheblich grössere Niederschlagsmenge, welche der Harz
an sich kondensiert, zu bemerken. Die isriUsir im Thüringer Walde
beobachtete Niederschlagsmenge erreicht elit^ii IJiMi mni fN^euhans a. R.),
während der Brocken naeli einigen er>t ni neuster Zeit gelunL''« nt n voll-
ständigen Jahresbeobachtungen der Iviederscliliige über 17üU mm ver-
dichtet Das den ganzen Hochharz und das Plateau Ton Klausthal um-
fassende Gebiet von ttber 1400 mm fehlt dem Thüringer Walde gibus-
lieh, ebenso das konzentrisch gelagerte, einen Teil des Plateaus von
Elbingerode umfassende Gebiet von 1200—1400 mm.
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374
Awamann,
Der Kamm des Thüringer Waldes hat in seiner guizeu Aus-
dehnung, soweit es das ftlr solche Zwecke stets zu weitmasch^ Stations-
netz zu erkennen erlaubt, zwischen 1000 und 1200 mm, an beiden Ab-
hängen umgeben von einer im Süden breiteren, im Norden relativ
schmalen Zone von 800 — 1000 mm. Am Harz rinden wir die konzen-
trischen Zonen der gleichen Niederschlagsmengen be.sonrlo7-s hinter dem
Brockengebirge ausserordentlich stark zusammengedrückt als einen Aus-
druck m die bei der Bewdikung schon in amlQger Weise gefundene
Wirkung der mächtigen Kondensation an der LuTseite des BergmassiTefl,
welchem eine entsprechend trockene Leeseite gegenüber lieg^
Die Gründe für die Differenz der Niederschlagsmenge zwischen
Harz und Thüringer Wald liegen auf der Hand und sind durchaus die-
selben, wie die für die analoge grössere Bewölkung sprechenden : wasser-
dampfreichere Luft und girOssere Höhe beim Harz gegenüber dem
niedrigeren, kontinentaleren Thüringer Walde.
£s erübrigt nun noch, die Zahl der Xiederschlagstage ttberiiaupt,
femer die Zahl der Schneetago mv\ der Hageltage zu untersuchen.
Der Betrachtung über die Zahl der Niedersclüagstage müssen wir
leider die Bemerkung voranachickeu, dass es sich nicht hat umgehen
lassen, Yon den Yorscfariften einer &Bt allgemein gültigen Yereinbsrung
abzusehen. Es gilt nämlich mit Recht seit einigen Jahren der Ghrnnd-
satz, als Niedersdilagstage nur solche zu zählen, welche mehr als 0,2 mm
Niederschlagsmenge gehabt haben. Ohne hier auf dii» Berechtigung
dieser Vorschrift einzugehen, möchten wir doch betonen, dass es für
theoretische Untersuchungen durchaus unumgänglich sein würde, ausser
diesen Niedersclilagstagen noch die überhaupt, wenn auch nur Spuren
TOn Niederschlägen aufweisenden Tage zu notieren. Allerdings würde
eine solche Zusammenstellung nur dann wirklichen Wert haben können,
wenn das hierzu verwandte Beobachtungsmaterial von gleicher Zuver-
lässigkeit wäre. Die nachfolgenden Werte sind denmach als aus denen
der Tage mit Niederschlägen überhaupt, ohne Kücksicht auf deren
Menge, gebildete anzusehen.
Die üebersicht der Niederschlagstage (Tabelle 9) zeigt uns zu-
nächst, dass mit der wachsenden Höhe im Gebirge nicht nur die Menge,
sondern auch die Häufigkeit der Niederschlüge zunimmt. Es könnte
hierbei auffallend erscheinen, dass der Inselsberg nur einen Betrag von
108 Niederschhigstagen aufweist, während Gross-Brcitenhach 215, Klaus-
thal 208, Kriurt 204 und Magdeburg deren 203 haben.
Die Erklärung hierfür dürfte wohl hauptsächlich in der grossen
Schwierigkeit der Niederschlagsmessung auf Gipfelstationen, besonders
im Winter, zu suchen sein. Die grosse Windstärke lässt ein den that-
sächliehen Niedersehlagsverhältnissen entsprechendes Ansammeln des
Schnees im Regenmesser nicht zu, häutig treibt ein Windstoss alles das
wieder hinaus, was in Stunden vorher sich angesammelt hatte. Die
Notierung euies Niedwschlagstages kann aber im Winter auf Berggipfeln
meist nur dann geschehen, wenn wirklich Schnee im Hessgefisae ge-
funden worden ist, da sehr häufig, ohne dass thatsftchlich Schnee lallt,
der liegende lockere Schnee durch stürmischen Wind aufgehoben \m(\
verweht wird, ein Vorgang, welchen selbst der aufmerksamste Beobachter
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65]
Der EinfiiiM der Gebiige auf d» KEna m MÜleldeatwiiluid. 375
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26
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376
[66
wenn, wie so häufig, der Gipfel in ^en Wolken steckt, nicht von wirk-
lichem Schneefall zu unterscheiden vermag. Es ist denmach sicherlic h
waiirscheinlicher , diese Abnormität durch Fehler der Beobachtungä-
nettiode richtig zn erklSren, als durch die VemiutaiijKf dass tiiatsSch-
lich der Gipfel des Inselsberges schon obeihiilb der Zone der grSssten
Niederschlagshäufigkeit liege.
Die Häufigkeit der Niederschlagstage in Erfurt und Magdeburg
ist schwer geographisch zu bet^rtlnden, besonders da die entsprechenden
Werte der Bewölkung und Niederschlagsmenge durchaus keine Hand-
habe daf&r bieten. Die kleinen Werte rar Frankrahausen, Langensaln
und Sulza entsprechen der durch gflnstige Exposition gesteigerten Luft-
tempMwbBr, wdche nicht 1^ n die wasserdampfreicfae Luft von ihrem
Sättigungspunkte entfernt. Emen einfachen Zusammenhang der Nieder-
schl^shäutigkeit mit der Bodenkonfiguration, mit den bekannten Ver-
hältnissen der Luv- und Leeseiten vermag man nicht aufzufinden. Man
könnte Tielmehr eher eine Umkehrung der uns aus obigem bekanuten
Verhiltnisse herauslesen, indem die an der Luvseite liegendem Stationen
Koburg und Meiningen erheblich weniger Regentage haben als die im
Lee gelep^enen Stntioneii Rudolst'.idt und Erfurt. Nur Salzungen macht
ge^( n Pjisenach eme Aasnahme hiervon. Man kann das Resultat dieser
Tabelle auch so ausdrücken, dass die Luvseiten der Gebirge eine grössere
Neigung zu starken, aber selteneren Niederschlägen, eine grössere
Niederschlagsdichtigkeit haben als die im Lee hegenden Gegenden,
welchen häufigere, aber schwache Niederschläge eigentOmlich zu sein
scheinen. Schliesslidi lässt sich der Gedanke nicht ganz abweisen,
dass die Häufigkeit der notierten Niederschlagstage im graden Ver-
hältnis zur Aufmerksamkeit und Sorgfalt des Beobachters stehe, und
aus diesem Grunde ist die Übliche Vorschrift, nur solche Tage zu zählen,
an welchen mehr ab 0,2 mm gefaUen ist, sicherlich berechtigt.
Die Tabelle der Schneetage (10) zeigt uns zunächst, dass, abgesehen
Ton den Höhenstationeii, in den Monaten Mai und September nur äusserst
selten Schnee in Mitteldeutscliland zu fallen pflegt. Die Notiz von
Meiningen, welche Schnee im .Juni meldet, steht völlig vereinzelt da.
Die Luv- und Leeseiten der Gebirge stehen im allgemeinen ziemlich
gleich in der Häufigkeit der Schneefalle, nur Erfurt zeichnet sieh durch
etwas grossere Häiägkeit derselben aus.
Bei Stationen, welche nahe dem Leeabhange eines Gebildes liegen,
ist auch die Möglichkeit nicht ausser Acht zu lassen, dass Stürme lockeren
Schnee vom Gehiri^'e aiiflieben, ihn in der Niederung wieder fallen lassen
und hierdurch wirkliche Schneefalle vortäuschen.
In Bezug auf die Häufigkeit der Hagelfälle reicht leider das TeifOg-
bare Beobachtungsmaterial nicht aus, indem trots genauer Instruktion von
rielen Beobachtern Oraupel- imd Hagelfälle identifiziert oder wenigstens
vermischt werden. Die eminent praktische \Vichtigkeit gerade der Unter-
suchuiiiren über Hagelfälle, deren lokales, durch Gebirgszüge begün.*<tigtes
Auftreten in neuerer Zeit vielfach behauptet worden ist, lässt den Wunsch
dringend berechtigt erscheinen, dass denselben eine allgemeine und
strenge Aufinerksamkeit zugewendet werden mOge, um zweüeUooes
Material hierüber zu erhalten.
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67] Der Emflnas der Gebirge auf dM Klima von Ifitteldeatsehlaad. 377
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Anmanii,
[68
Die als Ersatz hierfür melirfach versuchte Benutzung der in den
Haj^elversicherungon niederpfelej^ton Daten hat den grossen Nachteil,
da.ss hierdurch solche Gegenden, welche vorwiegend den Boden zu Wald-,
Hackfrucht- oder Wiesenbau ausnutzen, weniger hagelreich erscheinen
müssen als solche, welche Getreidebau treiben, da eben nur die Hagel-
schäden den Versicherungen bekannt werden. Aus diesem Gründe
ist auch das mehrfach gewonnene Resultat, dass die Gebirgsgegenden
weniger Hagelfalle aufweisen als die Niodeningen , mit Vorsicht auf-
zunehmen, da in den höheren Lagen der Gebirge Getreide cjar nielit
oder nur in geringen Mengen gebaut wird, während die fruchtbaren,
Uimatiech begOnstigten Niederungen vorwiegend Getreidebau zu treiben
pflegen
Fiussen wir abermals die Resultate der Unterauc^UBgen Ober den
Einfiuss der Gebirge auf die Uydrometeore kurz zusammen, so finden
wir folgendes:
1. Die Bcwöikuu^ wird in ganz hervorragender W'eise
durch die Gebirge beemflusst, indem an den LuTseiten «ine
Vermehrung, an den Leeseiten eine starke Yerminderung
derselben zu konstatieren ist.
2. Dit» Znnahmp der Be\V()lkung beginnt an fl»'r Luv-
seite der (lebirge schon in einer gewissen Entfernung vom
Fusse derselben.
3. Im Herbst und Winter ist der Einfiuss der Gebirge
auf die BewSlkung derUmgebunff ein st&rkerer und weniger
örtlich schwankender als im Frühjahr und im Sommer.
4. Das Ilar/f^ebirge hat eine stärkere Bewölkung als
der Thüringer Wald.
5. Die Niederschlagsmengen werden von den Gebirgen
ebenfalls sehr stark beeinflusst, indem die Luvseiten erheb-
lich feuchter sind als die Leeseiten, an welchen sich in
grösserer Entfernung von den Gebirgen ausgeprägte Trocken-
zonen entwickeln. Selbst (geringfügigere Bodenerhebungen
zeigen diesen Einfiuss auf das deutlichste.
6. Die Zunahme der Niederschläge erfolgt an der Luv-
seite der Gebirge schon in beträchtlicher Entfernung vom
Fusse derselben.
7. Die Niederschlagsmengen des Harzgebirges sind be-
trächtlich grösser als die des Thüringer Waldes.
H, Die Zahl der Niederschlagstage zeigt keine von den
Gebirgen direkt abhängige Verteilung; die Niederschhigs-
dichtigkeit scheint an den Luvseiten der Gebirge grösser zu
sein als in den Leeniederungen.
9. Die Zahl der Schneetage zeigt keinen deutlichen Zu-
sammenhang mit der Bodenkonfiguration.
Ueber den £influ8s der Gebirge l^tteldeutschlands auf die Haufig-
^) Dt'r Yetfemer hat in seiner Abhandlung: ,Die Gewitter in Mitteldeutsch-
land", Halle, Verlag von Tausch & Grosse, 1885, den Versuch gemacht. ein»>
Hagelkarte von Mitteldeutschland zu konstruieren, auf welche hier verwiesen sei.
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69] ^ Emflius der tiebirge auf das Kliina yon Mitteldeutschland. 379
keit, Schwere, Gefährlichkeit, sowie auf die Zugrichiung der Gewitter
in dieser Abhandlung zu berichten, isfc, so sehr macSi doraititfe Unter-
suchungen unserem Thema angemessen sein würden, zur Zeit- noch
nicht ausftihrbar, da das speziell fUr Mitfceldeutsehland verwendbare
Material noch zu wenig reichiialtig ist, um diesen verwickelten , oft in
eug lokale Grenzen eingeschlossenen Erscheinungen folgen zu können.
Klimfttiselie Beilrke in MItteldeiitsdilaBd,
Unserem eingangs entwickelten Plane gemäss wollen wir nun zum
Schluss versuchen, eine kurze klimatographisclie Charakteristik « inzelner
besonders hervorstechender Be/irkt- zu geben unter steter Rücksicht-
nahme auf die Wirkung der zugcliürigen Boden-Erhebungen.
Die orographischen YerhSltnisse dieser Bezirke smd auf S. 16 ff.
aosfbhrlich angegeben.
Die Mulde des westlichen Harzvorlandes ist klimatisch
charakterisiert durch Vorherrschen südwestlicher, demnächst aber nord-
westlicher Winde, welche nicht gerade selten, im Jahre 1884 sogar
13 mal, stürmisch wehen. Trotzdem bewirkt der Windschutz der Weser-
berge, besonders des Solling, eine grosse Uftnfigkeit von WindstOlen,
welche im Mittel an 50 Tagen beobachtet werden. Die günstige Ex-
position der Leine-Niederung, ihre Zugänglichkeit gegen südliche Winde,
während der Harz die kalten nördhcheu Winde abhält, bedingen eine
verhältnismässig hohe Temperatur. Besonders warm ist der Soiiuner,
in welchem mittlere Monatsmaxima von fast 25 absolute Maxima von
35 * Torkommen. Andererseits bewirkt die häufig^ Luftrohe im Winter
leicht Ansammlnng kalter Luft, welche Ton allen Seiten m der Leine-
niederung zossmmenstrOmt. Im Januar 1881 kamen Minima Ton
— 24 ° vor.
Die Zahl der Sommertage beträgt gewöhnlich 28 -80, die der
Frosttage 05, während Eistage nur 5 — 8 vorzukonnuen pflegen. Die
Bewdlkung ist im Mittel eine massige, heitere Tage kommen durch-
schnittlich 80—35, trabe dagegen 190 Tor. Die NiederscUagamenge
betrSgt im Mittel wenig über 500 mm; Niederscfalagstage kommen
gegen 150, darunter 33 Schneetage vor.
Die dem Fusse des Harzgebirges näherliegenden Teile haben
grössere Bewölkung und grössere Niederschlagsmengen.
Die Mulde des nördlichen üarzvorlandes ist in ihren klima*
tischen Verhiltnissen zum grossen Teile von der N&he des Heeres
abhängig, wird jedoch auch in erheblicher Weise von dem Harz-
gebirge beeinflusst; der vorherrschende Südwestwind wird ziemlich
häufig von dem Nordwest abgeh'ist, welcher relativ häufig stUrinis( h auf-
tritt: Windstillen sind in den dem Gebirge nahen Halberstädter Becken
ziemlich häufig, seltener in der nördücher hegenden und weniger ge-
schOtzten Aueniedemng. An dem Rande des uebirges treten zuweilen
föhuartige Erscheinungen auf. Die Temperatur des Halberstädter
Beckens ist relativ hoch, während die Aueniederung am Elm etwas
kälter erscheuit. Sommertage kommen durchschnittUch 3Q, Frosttage
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380
AHBimwiPf
[70
Segen 80, Ei.stüge 10 vor. Gharakteriatisch ist für diesen klimatischeD
tesirk die rekÜT geringe Neigung zn etailrer nSdiilicher AnsstnUiing;
Schwanebeck hat z. B. in den letzten 4 Jahren sein abaolntes Tem-
peratorminimüm mit — H^^O erreicht. Die höchste beoboditete Ton-
peratur betrug 33 so dass die mittleren absoluten Extremr noch nicht
4() ° aus einander liegen. Meeresniihe und f?ute Ventilation scheinen
die Hauptgründe für diese geringe Jahressch wankung der Temperatur
zu sein.
Die mittlere Bew()1kting ist infolge der Gebirgswirkung eine
relativ geringe trotz ilrr MeeieanUhe; die Menge der Niederschläge
liegt zwischen 600 und 700 mm und sclieint vom Harz nichl bedeutend
beeinflusst zu sein, die Zahl der Niedersclilagstagc ist ziemlich be-
trächtlich, für Schwanebeck 181, von welchen circa 30 Sclmeetage sind.
Die Braunschw^eiger Niederung verliert durch ihre Meeres-
nfthe schon einen sehr grossen Teil der durch den Harz hervorge-
rufenen Witterungs - Eigentümlichkeiten. Der waldige Höhenzug des
Elm beeinflusst in deutlicher Weise die ihm naheUegenden Gegenden
in Bezug auf Niederschläge, indem er schon in der Oogend von Hraun-
schweig eine Vermehrung derselben hervorruft, während in seinem Lee
eine erheblich trockenere Zone sich findet. Die Zahl der Niederschlags-
iage ist eine ziemlich grosse, die Regendichtigkeit aber going.
Trotz der Meerenge kommen gelegentlich bedeutende Tempe-
raturemiedrigungen vor , wie in Brauuschweig dnmal — 23 " beob-
achtet worden ist ; doch ist diese Erscheinung ausserordentlich selt-en,
80 dass das mittlere absolute Minimum nur — 16 " beträgt. Der höchste
erreichte Temperatur wert betrug 33 ",ö.
Der ndrdlich vom Elm gelegene Teil der Braunschweiger Niede-
rung erschemt in seinen TemperatEunrerh^ltnissen nicht nm>edeiitend
extremer, wie die Aufeeichnungen in Maricnthal erkennen lasseo, dessen
absolutes Minimum und Maximuni 3 .'".8 und — 25 %0, dessen mitfeiere
absolute Extreme 34^3 und — 18,»> betragen.
Es erscheiut nicht unmöglich, dass der nördlich au^enzende,
durch starke Temperaturschwankungen ausgezeichnete kümatuche Be-
zirk dee Drömling einen gewissen Einfluss auf die nftchste Umgebung
in dieser Hinsicht ausübt.
Die klimatischen Verhältnisse der Börde sind vnrnehnilith in
den Bewölkungs- und Niederschlagsverliältnissen vom Harzgebirge ab-
hängig, da sie noch zum grössten Teile in dessen Windschatten liegt.
Die Bewölkung liegt unter 65®/o, die Niederschlagsmengen bleiben fest
allgemein untor 500mm, gehören daher zu den geringsten in Ifitfeel-
deutschland beobachteten. Egeln hat im Mittel nur 469, Hedersleben
481 mm. Die Anzahl der Niederschlagstage ist ziemUch gross (Magde-
burg hat gegen 200) , die Regendichte demnach sehr gering. Schnee
fallt nur an 28 -30 Tagen.
In der Temperatur steht die Börde der Ilalberstädter Niederung
etwas nach, doch sind die 'V^brmeschwankungen ebenftlls nieht be-
sonders grosse. Besonders ist der Winter im allgemeinen relativ mild,
während der Sommer nicht selten Temperaturmanma von über 35 •
bringt/ Sommertage kommen 36—40, Frosttage 80—90, Eistage nur
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71J I>er EinÜus« der Gebirge auf da« iviinia von Mitteldeutsciilaud. 381
18 — 19 vor. Da der Boden der Bftrde nahezu ganiUdi waldlos ist,
emheint die starke Sommerwärme verstiadlich.
Diis Thüringer Becken bildet gewissermassen eine klimatische
Provinz mitten in Deutsclüand , indem es durch seine allseitige Um-
randung mit Bodenerhebungen dem £influss der Umgebung bis zu
einem gewissen Grade entzogen ist. Im Sommer steigt die Temperatur
häufig auf betrftchtliclie Werte, so dass gefegenilieh Maihna von UW
3G ** erreicht werden ; im Winter dagegen bedingt der Zusammenfluss
kalter Tiuft von den Gebirgen nicht selten ein starkes Heral)frt'ht'n der
Temperatur, so dass Minima von — 27 " nicht zu den Seltenheiten ge-
hören, während solche von fast — 29°, wie im Januar 1886 in Langen-
salza, nur selten vorzukommen pflegen. Unmittelbar über dem Erd-
boden gehen die Minimalwerte bis unter — 30* herab, besoaders
wenn der Boden schneebedeckt ist. Dass trotzdem das Jahresmittel
der Temperatur ein relativ hohes ist, wird nur durch die hohe Sommer-
wäiine veranlasst. Die Wärmesch wankmiij ist infolge dieser ausge-
sprochenen Kontinentalität Thüringens eine betriuhtliche ; sie beträgt
zwischen den mittleren absoluten Extremen lür Erfurt 53'*,7, für
Rudolstadt 54*,8, fÖr Langensalza 51*,6. Die mittleren Extreme be-
tragen für Erfurt 13^0 und Frosttage kommen im Thüringer
Becken 110—112, Eistage 23— 26 TOr, während Sommertage im Mittel
40 — 45 Ijcobachtet werden.
Die Bewölkung des Thüringer Bec kens ist eine relativ geringe,
desfdeichen die Summe der jährhchen Niederschläge. Der Thüringer
Wud macht den südöstlichen, das Obere Eichsield den westlichen Teil
Thüringens trocken. Trotzdem ist auch in diesen trockenen Gebieten
die Zidil der Niederschlagstage sehr gross, die Regendichte aber sehr
Idein. Als Schnee fiillt der Niederschlag durchschnittlich an 4() bis
4.^ Tagen. Am Rande des Gebirges kommen gel^enÜich gut aus-
geprä^ Föhnerscheinungen vor.
Das Werrathal stellt gleichfalls einen gut isolierten klimatjaehen
Bezirk dar, dessen EigentOmMehkeit wesenweh durch seine Lage an
der Luvseite eines hohen, dem vorherrschenden Winde rechtwinklig
exponierten Gebirgsrückens bedingt wird. Bewölkung sowohl als
Niederschläge sind relativ bedeutend, letztere fallen vornehmlich in
seltenen aber kräftigen Güssen.
Die günstige Exposition gegen die Somie und die warmen sttd-
lichen Winde Teneihen trotzdem dem Werrathal ziemlich hohe Tem-
peraturen, welche weniger durch hohe Sommerextreme als durch im
allgemeinen massige Winterminima bedingt werden. Das KUma des
Werrathales ist entschieden ein gemässigteres als das des Thüringer
Beckens zu nennen, da die mittleren Maxima 12°,2, die mittleren
Minima 8^2 betragen; die mittlere Jahresschwankung beträgt ftlr
Heiningen nur 8^0, f&r Erfurt dagegen 9^5, ftlr Rudolstadt 10%7.
Heiningen hat nur 25, Salzungen 35 Sommertage gegenüber Rudolstadt
mit 47. Ebenso kommen in Meiningen nur 90, in Rudolstadt 116, in
Erfurt 110 Frosttage, Eistage in Meiningen 15, in Salzungen 14, in
Erfurt aber 26 vor. Schneetage hnt Meiningeu 4U, Erfurt 48.
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382
[72
Diese kui-ze Skizzienmg der hauptsächlichsten klimatischen Be-
zirke Mitteldeutschlaiitls sowie die vorhergehende Untersuchung der
eiiizt'lnen klimatischen Faktoren dürfte beweisen, dass die Gebirge Mittel-
deutschlands in der That einen sehr erheblichen Einfluss auf die Aus-
gestaltung des KUnuu in diMon Gebiete anetiben.
Dieser Tümfliiaa ftussert sich hauptsftcUicli in der Weise, dass
die Luvseiten der Gebirge nebst ihrem nächsten Yorlande
ein limitierteres, die Leoseiten bis auf weite Entfernungen
hin ein excessiveres Klima erhalten. Das Binnenlandsklima
wird daher in ein Küsten- und in ein verstärkt kontinentales
Klima zerspalten; die erheblich grössere Wirkungssphäre
der Gebirge nach ihrer Leeseite hin bedinfft als allgemeines
Besultat der Gebirgswirkung eine Vermehrung der Konti-
nentalität. Andererseits sind die Gebirge selbst für die
Regenbenetzung von erheblichstem Einfluss, indem sie ge-
wissernias sen Fangapparate für den atmosphärischen Wasser-
dampf darstellen.
Digitized by Googl
Der EiuÜuss der Gebirge auf dM SHma von Mitteldeutschland. d8t^
Meli« UmHXkSkw BeolMMktagwtatfitten in liitteldealseUaiid
nlt Angabe ier in ien Kttrtm geliranckttn Abktrsnngen^
nach EUma-BeKirken geordnet
Klinia-Bozirk
Station
Ottf* 1
Abkür/uug
in (Inn
1. Harz.
A. Oberharz,
a. JriaL v. iruuiraiu
1»
o<ns
A
«•
vim.
b. Hochharz
2.
3.
4.
5.
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7.
8.
9.
Eknd
1142
615
774
585
(706)
(550)
(620)
2.
4.
4.
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3.
5.
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Br.
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MhK.
Snbg.
Sch.
Stöb.
Brlg.
B. Unter harz,
a. Plateaa v. Elbin-
gerode
10.
11.
12.
13.
14.
15.
16.
17.
18.
19.
20.
21.
22.
23.
Todtenrode
(450)
(400)
(490)
(640)
(380)
(460)
(260)
(420)
(490)
(537)
(420)
(435)
298
5.
5.
5.
5.
4.
5.
3.
4.
4.
5.
5.
5.
4.
6.
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Vict.
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Rgst.
b. Flatoaa Han-
gerode
Gl Harsrftnder.
ft. weltlicher
24.
25.
26.
27.
840
325
(360)
(220)
4.
2
4.
4.
Hgr.
Hrb.
Sees.
b. nllrdliidiAr
28.
29.
80,
81.
32.
33.
35.
36.
87.
Tlunhiircr .......
Thale
Ballenttedt
(230)
(250)
(280)
(190)
(180)
107
(162)
(220)
200
A
3.
3.
5.
3. .
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4.
4.
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38.
160
4.
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d. tödlicher
:{9.
40.
41.
(170)
222
(260)
3.
2.
6.
Rssl.
Ndha.
Wlkr.
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3S4
Asemann,
TIA
[74
KliiMrBeriik
Nr.
Station
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Ord-
nang
AbkürEimg
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Karten
». BoUingw Wald.
8. Ii«iae'Nied«nuig.
42.
43.
44.
45.
345
150
5.
4.
2.
4.
4.
Fstbg.
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Wreseh.
4. HordirwtlfolM
46.
47.
48.
49.
50.
51.
62.
228
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4.
5.
5.
5.
5.
5.
Hbif.
Stold.
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6. firaonaohweiger
53.
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67.
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Braunschweig .....
LandesbaumMhule ....
62
87
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2.
2.
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4.
6.
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59.
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61.
62.
63.
64.
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VoigtÄclahluna .....
bommerschenbiug ....
128
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190
160
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5.
5.
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4.
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65.
66.
67.
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8. Ohre. Niederung
(DrömlixLg).
68,
69.
70.
Dorst
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43
68
4.
3.
S.
Dst.
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9. Altmark.
a. nfirdliohe
71.
72.
73.
74.
75.
76.
77.
78.
Brunau
Seehauson i/A
(ir. Möhringen
Trfifltedt
26
32
23
49
3.
2.
3.
4.
4.
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Ostbg.
Gr.-Mdhr.
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79.
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4.
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83.
84.
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86.
87.
88.
Hundisburg
Grosü-Ammenslebea . . .
Gross-Rodonsleben ....
Klein-Ottersleben ....
GroM-Waiulebea ....
(70)
54
4.
4.
5.
4.
1.
4
Hdbg.
Anisl.
Gr.-Rdl.
K1.4)tiL
WaL
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76] I>er EinfluM der Gebirge auf das Kliina von MitfceldeafcBchland. 385
Station
Meore«-
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3.
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202
2.
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3.
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11. Hakelinld.
12. Aae-Niedenmg.
18. HalberatAdier
14. Xansfelder
HflgeUand.
16. Thüringische
Chrensplatte.
16. Ooldeae Aat.
17. Hainleite.
104.
105.
100.
107.
108.
109.
110.
III.
112.
119.
120.
121.
122.
123.
124.
125.
126.
127.
128.
129.
130.
181.
182.
133.
184.
108. Hetebom
Seehauson (W.)
Schennke . .
Hadraersleben .
Weateregeln .
Egeln . . .
Bleckcndorf
Wülmirsleben .
Bahrendorf . .
Schönebeck
Hohen-Erxleben
lir i n bürg . .
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Heckliiigeii
Wulferstedt . .
Kunenlebea . .
Barneberg . . .
Altenrode . . .
Sttttterlingenbarg
Was-serleben . .
Hessen . . . .
Badeielebeii . .
SoUanatedt . .
Schwanebeck
Derenburg .
Hederelebea
Hoym . .
Aaäiereleben
118. Gross- Wirschieben .
Gerbstädt .
Erdebom ,
Cröllwitz
Teutschenthal
Morfeburg
Korbetha
MtUsheln
Schönewerda • , .
Mönchpfiffel . . .
Reinsdorf ....
FrankenhanMn . .
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Aumühle ....
Oron*WechBiiiigeii .
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Digitized by Google
886
17«
Klima-Bezirk
Nr.
Station
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höbe
18. Eiohflfeld.
135.
186.
187.
Lengenfeld o. St ...
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139.
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143.
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164.
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157.
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168.
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3.
3.
4.
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4.
4.
3.
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WndL
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26. Nordr&ud des
Thür. Wald«!.
168.
164.
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166.
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171
172.
178.
Rudolstadt
Blankenburg ifVh
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Friedrichrodii .....
Ktm<M*K
217
225
287
253
240
3.
2.
3.
3.
4.
2.
4.
4.
3.
4.
2.
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87. Westnuid,
174.
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3.
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175.
176.
177.
5.
4.
5.
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77] ^ Emflnts der Gebirge anf da« KUma toh
387
Klima-Bezirk
Nr.
Station
M«
höbe
Ord-
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Abkürzung
In den
Karton
K Oberes
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80. Tor der BiOm,
81. Nordfr&nk.
Bergland.
32. Kamm des
Tbflring. Waldes.
88. Frankenwald.
86. SaalpUtte.
36. Halle Leipsiger
Tieflandsbuohi.
87.01
Tieflrad.
178.
179.
180.
181.
182.
183.
184.
185.
186.
187.
188.
189.
190.
191.
192.
193.
194.
195.
196.
197.
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199.
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201.
202.
208.
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206.
206.
207.
208.
209.
210.
211.
212.
2i:i
214.
215.
210.
217.
218.
219.
220.
221.
222.
223.
224.
Salzimgen . .
Meiningen . .
Themar . . .
Hildburghansen
Eisfeld . . .
253
311
Stadt Lengsfeld
Friedelshausen
Rodach . .
Ummerstadt
Coburg . .
Neustadt b/C.
Inselsberg . . .
Oberhof . . . .
Schmücke . . ,
Neustadt a/R. * .
Gro88-Breitenbach
Oberhaan . . .
Katzhfltte . . .
Neuhaas a/K. . .
Menra ....
Sonneberg
Lehesten
Leutenberg
Bucha 461
324
327
906
808
910
801
630
584
434
806
528
302
Jena . . ,
Camburg ,
Nanmbuxg .
WeisMufide
Eiaenberg .
Wetzdon .
Schkölen .
Zschoigola .
Webau . .
Wiedebach .
Zeitz . . .
Lotzen . .
Oetzsch . .
Dürrenbttg
Dölkau . ,
Leipzig .
Gröbers . ,
Halle a/S. .
159
Landsbei^
Düben .
Brachstedt
COnefai .
92
2.
2.
5.
3.
4.
5.
3.
5.
8.
4.
2.
2.
2.
2.
4.
3.
2.
3.
3.
3.
3.
5.
5.
3.
3.
2.
4.
4.
3.
4.
4.
4.
4.
4.
3.
4.
3.
4.
5.
4.
2.
2.
2.
3.
8.
3.
4.
Them.
Hild.
Eisf.
St. Lng.
Frdh.
Kl.Ndlim.
Rod.
Unisi
Nstdt.
Sdint.
Nstdt.
Oblin.
Ktah.
Meur.
Sbg.
Lhst.
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Nmbg.
Weisf.
Eisbg.
Wtzdf.
Schk.
Zflchorg.
Web.
Wdb.
Lts.
Drbg.
D51k.
OrOb.
Ldbg.
Düb.
Brst.
C8ss.
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3g8 AramBim, Der Einflim der Gebirge auf daa Klima von HitteldeixUchlaad. [7(
Klima- Bezirk
Nr.
88. Oeatliche Elb-
ITiedenmg.
225.
226.
227.
228.
229.
230.
231.
Station
233.
234.
235.
236.
237.
238.
239.
240.
241.
242.
243.
244.
245.
246.
847.
848.
Die mit einem
Und. Wstterkonde u.
Glauzig ....
Gröbzig ....
Klein-Paschleben .
Göthen ....
Trebbichau . .
Frasadorf . . .
Qaellendorl . .
Deeeaa ....
Wörtlan ....
Zerbst ....
Badewite . . .
Randau ....
Föthen . . . .
HohennatB . . .
(lörzke . . . .
Hingelsdorf . .
Niegripp . . .
Fienerode . . .
Genthin ....
Bergzow . . .
Parey a./Elbe . .
Ferchland . . .
Jericho w . . ,
Hohenbellin . .
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4.
4.
4.
3.
4.
4.
4.
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4.
3.
4.
4.
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4.
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4.
4.
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4.
3.
4.
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Iii 1^».... ^. «,vu^. Juiuar 1886, muBs e« heiiy|
8. Jwuw; »a'di i»t In den IniwU die »uf Seito a8a beginnende Tabelle gimtüdxer B«obi
■UttoMB ta KtttaMmtMlilMd He. nMh ttamuOuXm.
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und L;ip|)wald.
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Ilöhmsktüa in JiMlnm,, />i> Vertikalhnim
nutrkiren HoriMontälttbständf ron lO Kilometmt .
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LUFTDRUCKMITTEL
der JaJirc 1883, 1RB4- und I88:>.
TurluTrstiu'iiiIi«, xvfpiUiSull^slP
Windrichtung.
ÖsU. von Gri'nnwrirh 12
Grof r»|ih \unl v Waijnrf (■ Drlir% Lcipnü
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H92.
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52
LUFTDRUCKMITTEL
DKH JAHRES ZK ITEIV
auH den JaJiren 1083. iHBt iLiaas.
VX'iiitrr KriilijiiJii-, Suiimiii- Ilri4isl.
760
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HaJdensie'r''-'^
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Ann
DocembtT 1871).
(TimiptTalur-Uui kehiiuigj
r/ U l i c ^2S"
Cfr.'^ Ott.
C'oTblUarH . j<V«
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32^
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52
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NIEDERSCHLAG
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Die weiteren Hefte werden unter anderem lol</«'nd«' Arl)eii<'ii bringen:
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Arbeiten, lAndeermneMnug und Tojiograpbie in Karlaruhe), Die Sntwioklung des Ver-
kehrs und der Verkehrswege am Oberrhein.
Dr. G. Berendi (Königl. Landefgeologe und Frof^nor an der Univenitftt -Berlin), Die nord-
deatuchen rrstaromsystenie.
Dr. A. Bezzeiiberger (Prof. an der Universität Köuigäberg), Die Kariscbe Nehrung.
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Dr. Rw BlfteiuB (Bkwraachwei^, €ber ZngverhAltniase mid Vttbreitimg der YOgel in Deotechland.
Oberiorstmeister Dr. Brn ^'^^TCve iT>iirV.for dpi- Königl. Foretakademie zu Uannöv. Münden),
Die Terbreituug und wirtscLaftliche Bedeutung der i»ichügeren Waldbaumarten inner-
halb DeotMUandi.
Dr. G. Gerlftüd (Prof. an der Univeraitftt Straasbnrg), Über Thalbüdmig in den Vogesen.
Dr. A. Jentzsch (Dozent an der Universität Königsberg). Der Boden Ost- und Westpreuseena.
Dr. 0. M. K an {YtoS. an der Univerntftt Amaterdan), Die Eigentibnlichkeiten des niederUndiachen
Boden».
Dr. A. von Xoeneu (Prof. an der Universität Güttingen), Über die Dislokationen uud Störungen,
«eiche den Bau der denistiieii Ifittelgebixge bedingen. •
Dr. F. Krones Ritter von March 1 and (T'rof. an der rnivcr^-ität Oraz). Die dout^cbe Be-
aiedeiong der Öetlicben Alpeuiünder, insbesondere h>teietmarks, Kärntens und Krains,
flach ihfvn hiftoriechen inicl topiscben yeHdUtnisMD.
Dr. A. Leskien (Prof. an der Univerntit Leipng), Uiiteilnngen über das ansgestorbene Slaven-
tum in Norddeutschland.
Dr. Th. Liebe (Landesgeolopc und Prof. in Gera), Der Zusammenhang zwischen den orogra-
jphischcn und bydiographischen Verhältnissen Ostthüringens und des^ien geologischem
dcfaiditenanfbaii.
Dr. A. MaV'owRky (Prof. an der tedmisdien Hochachnle zu Brünn), Das HAhlengebiet des
Devon in Mähren.
Dr. A. Neb ring (Prof. an der huidwirtscbafÜichen Hochschule zu Berlin), Die diluviale Fauna
DentaeUaads und ihr Veihftltms mr jeteigai Flaima.
Dr. J. 0 1 1 m ti r (Prof an der tcchnisdien Bochsdrale in Bramischireig), Der Boden der nOrd*
liehen Vorlande des Harzes.
Dr.-J. Partsch (Prof. an der Universität Breslau). Die Oder in Schlesitm.
Dr. Fr. Pf äff (Prof. an der Uaiversität Erlangen), Der Aufbau des Fränkischen Jura.
Dr. F. Ratzel (Prof. an der technischen Hochachnle bu BfOndien), Die Scfaneegrenie im Kar*
wendelgebii^e.
Dr. L. Schlesinger (Direktor in Prafi), Die <tliiioK)tri><!ieii VtrhältnisHo Böhmens.
Dr. F. Wabnscbaffe (Dozent an der Universität Berlin), Die Quartärbildungen des nord-
dentsehen Flachhindea nnd ihr EinfliiBB auf die Obei^ldieageBtaltung desselben.
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Aosserdem haben freundlichst ihre Mitwirkung nigesagt die Herren Dr. K. Freihefr von
Pritsch. Prof. «n der Universität Halle; Dr. F. G. Hahn. Prof. an der Universität Königs-
berg; Dr. G. Hellmann, Oberbeamter im Königl. Meteorologischen Institut in Berlin: Tl-iVat
Dr. von 1 n a m a - Sl ern egg . l'rä.'jident der k. k. Statistischen Contral-Komun8.sion und Prof. an
der Universität Wien; Dr. 0. Krümmel, Prof. an dei Universität Kiel ; Dr. F. Löwl, Dozent
an der deutschen Universität Prag; Dr. E. Petri. Prof. an der Universität Bern; Dr. J. Ranke.
Vrot an der UniveraitU Mflnchen; Dr. F. Schreiber, Direktor des KOnigLsftcbs. Meteorolog.
laititnts in Chemnits; Dr. A. Streng, Pro£ an der Univerdtat (Hessen; Dr. F. Wies er, Ftof.
an der ümTersitlt Innsbruck n. a.
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Im gleich«!! V«iige M «nehioi«»:
Anthropo-Geograpliie
Gnmdzflge der Anwendung
der ' '
Erdkunde auf die Geschichte
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Pfeif Mark 10. —
fiaudbucb der Elimatologie
Dr. Julius Hann,
DlNktor dar m«t«orol. Zoatraianiiuu ocd rrofiMi^or an dar JDxüv«nit4t la WIml.
Preis Mark 15. —
Handbuch der Ozeanographie
Prof. Dr. G. von Bogusfawski,
Bamd Jf.
MubUoIm^ ykjBlkilfiebe and chemiflelie BeMiiiihiiMt Ur OmM.
Frei« Mwrk 8. 60.
Handbuoli der Gletscherkunde
von
Dr. Albert Heim,
Protaaaor der fi«<a«gi« •aB(JiweizTiHciu>n rol3^hnttniw and dar Üatveraitit
in Zürich.
Preis Mark 18. 60.
ü&er
2IIIgcmctnc (Eröfunöe.
von
Dr. JTrirtrWi ääI^jL
Druck von Gebrüder Kroner in Stutt|;art.
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(joogle
ejii^miijüiiau
iijiinT^juiiWMniTnmiiL,
iMtlli.U"
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'Forschtmgen
zar deutscilen Landes- und Volkskunde
im Auftityjp dpr
Ceutralkommi^flion für wissenschailliche Land^kunde von Deutschiaud
herausgegeben von
D**' Richard Lehmann,
n ll«aatarl|W.
UftUll
Xvttmte AS Act
Nationalitäten in Tirol
und die
wechselnden Schicksale ihrer Verbreitung
Dr. H. J. Bidermann,
0. ö. Profetsoi der Stati»ttk und dea Staatsrechts an der Univernt&t zu Uraz.
8IUTI0A&T.
YBRLAG VON J. EKGBLHORN.
1880.
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DIE
NATIONALITÄTEN IN TIROL
UND DIE
ISCHUEN SCHICKSALE IHM Y£BMTDli&.
VON
DR H. J. BIDERMANN,
0. ö. ProfeMor der Statistik and dea StMtsiecbt« der k. k. Univenität zu Gras.
STUTTGART.
VEKLAG VON J. ENGELHORN.
1886.
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jDruck TOD a«brä(ler SLrüaer In Stattgtit.
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I n Ii alt.
Seite
Einleitung [5] 393
Littentar TlOJ 898
Q^ognpliiseli geordnete üeb ersiebt des statistiaolieii nad geeeUoht-
liohen Saehveribalte.
A. Romanen unter Deutschen.
I. Lechthal [U] 402
n. Ixmiihal [14] 402
in. Wippthal [18] 406
IV. Pusterthal [191 407
V. Eisackthal (zwischen Franzensfeste und Bozen) [21j 409
VI. Oberes Et^chthal (von Bozen aufwärt«) [22j 410
VII. Bozen und die Zwölf Malgreien [26] 414
VIII. Unteres Etschthal (zwischen Bozen und der Sprachgrenze) [30] 418
B. Deutsche unter Romanen.
I. Das Gebiet der Dolomiten (die Thftler Eneberg, Gröden,
Bnchenttein, Ämpezzo, Fama, Flebu, Gembra und PkunSr) [3G] 424
II. Nona- und Snlzberg [42] 480
in. Das Fersinathal mit den Höhen von Pinö [45] 483
IV. Das Brentathal (Valsugan) und der Gebirgsstook swiioEen
ihm und dem Astii r.tbul»' [51] 439
V. Das ICt.schthal von der .'-^pmch- Im zur Landesgrenze mit
Ausnahme der Städte Trient und Rovereto [56] 444
VI. Die SOdte THent und Rovereto [62] 450
Vn. Sarcathal [69] 457
Vin. Das Ledro- und das Chieeetiial [71] 459
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Inhalt [4
Mm
■trtau]« im «IimIimi SeltalNNftiitto.
T. Die voritiilit in-( h.' Zeit [71] 4&5»
11. Liaie Ausbreitung italienischer Einäüsse gegen Norden (1290
—1480) [72j
m. Dentoche Gegeabeatrebimg«ii wid Erfolge (1480—1580) . . [78] 461
IV. Abernmliges Enqpoi^onimeii der italieniedhep Natioiialit&t
(1530-1650) [74] 462
V. Periode de« Stillstands (1G50-1750) [75] 463
VI. (Jesteigertes Umsichgreifen der Verwelschung (1750—1866) [76] 4o4
Yll. Wirksame Versuche, der Yerwelschuug Einhalt KU tbun(1866ff.) [77j 466
a) Wohnplätze der Juden in Tirol [78| 417
h) Nachwirkungen des Slawentama im laeltbale (and in
denen Versweigungen) . [64] 478
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Einleitung.
Ethnographische For?;chiinjP!;en sind wesentlich erleichtert und ihre
Ergebnisse sind verlässlicher gewurden, seit mau sich gewöhnt hat, die
NatumaHtitt Ton der Kation aoorgfUtig zn unterscheiden. Dieser Untere
schied muss insbesondere auch bei Erörterung der ethnographischen
Verhältnisse Tirols festgehalten werden. Denn die dortige Bevölkerung
ist seit einem Jahrtausende und liinger schon ein so buntes Gemisch
der verschiedenartigsten Nationen, dass es geradezu unmöglich, die
Geschlechterverbände in ihrer Mitte, worunter mau eben die Na-
tionen versteht, streng auseinander zu halten.
Der geistige Typus der BevOlkemn^ dagegen, welchen man
die Nationalität nennt, lässt sich hier wie ttberhaupt weit leichter
und sicherar bestimmen. Nicht bloss von der Gegenwart gilt dies,
sondern auch von der Vergangenheit, wo allerdings der Abstammung
grössere Bedeutung beigelegt und diese daher auch häufiger zum Gegen-
stande besonderer Untersuchungen gemacht wurde. Es sind ja noch
keine fünfzig Jahre, dass, solange eben die ältere Gewerbegesetzgebung
und die Autonomie der Zflnfte bestanden, in manchen Stftdten und
sonaCigen Zunfthezirken nicht bloss Oesterreichs, sondern weit darüber
hinaus nur das Kind deutscher Eltern als zur Aufnahme in ein
Handwerk geeignet angesehen wurde, dass nur dieses dort Geselle und
Meister zu werden hotten durfte. Und auch sonst kam es auf den
Stammbaum vorzeiten weit mehr an als heutzutage. Man denke
doch, um Yon allen hiermit zusammenhängenden Vorrechten des Adels
abzusehen, an die Stammearechte der Yoneit und an die Voraus-
setzungen ihrer Anwendung auf den Einzelnen, der sieh zu ihnen be-
kannte. Man vergegen'w^rtige sich die engherzige Sorge, womit noch
viel später nicht blDsp der Adel und die zünftigen Handwerksgenossen,
sondern auch andere Famiii» n des Bürgerstandes die Reinheit des
Blutes sich zu wahren suchten. Jetzt kümmert sich um Derartiges
kaum mehr die höchste Aristokratie. So Yiele gesellschaftliche Re-
formen da gleich mitwirken, so hat doch auch das im Bewusstsein der
Menschen sich vollziehende Zurücktreten der Nation hinter die Natio-
nalität daran gewiss einen grossen Anteil. Die Wissenschaft wandelt,
indem sie gleichfalls die Nationalität jetzt höher anschlägt als die
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394
[»
Nation, einen ihr durch volkstümliche Anschauungen gewiesenen Weg
und darf sich dabei mit der Gewähr beruhigen, welche gerade das
geläuterte VoLksbewusstsein bietet. Wie diese« dermalen die Tüchtig-
keit des Menschen, der irgendwie in Frage kiunmt, mehr berQchnehtigt
ak dessen Abstanuniusg, so fragt auch der Gelehrte, welchem ethno-
graphische Aufgaben gestellt sind, heutzutage weniger nach dem gene-
tischen Verbände und nach der angestammten körperlichen Beschaffen-
heit, als vielmehr nach dem die Leistungsfähigkeit vor allem
beeinflussenden geistigen Typus. Ihn leitet dabei auch die Er-
kenntnis, dass mit dem Zunehmen und Umsichgreifen <ler Geistes-
bildung das physische Machtelement mehr und mehr an Bedeutung
yerlicrt. Dem Manne der Wissenschail ist es femer nach dem heu-
tigen Stande derselben klar, dass der Begriff der Nation zu sehr
schwankt, um ethnographischen Studien zu Grunde gelegt
werden
In dieser Beziehung sei gleich hier bemerkt, dass von einer
italienischen Kation in demjenigen ausgedehnten Sinne des Wortes,
in welchem man dasselbe zur Bezeichnung einer ethnographischen Ein-
heit gebraucht, nicht die Rede sdn kann. Was man so nennt, existiert
im politischen Leben: es wird aber auch da richtiger das italienische
Staatsvolk genannt. Es kann sogar mit Bestimmthfit behauptet
werden, dass es von der Zeit an, wo die alten Ituler, wenn sie über-
haupt einen Stamm bildeten, als Sprösslinge eines solchen in anderen
Stämmen aufgegangen sind, eine Nation, die diesen Namen zu filhren
berechtifft gewesen wftre, flberhaupt nicht mehr gegeben hat.
Daher weist auch das Beiwort „italienisch" in keiner Hinsicht auf
eine bestimmte Nation, d. h. auf einen eigenartigen Verband von Ge-
schlechtem zurück, sondern es ist entwetler unmittelbar aus dem geo-
graphischen Begriffe von Italien oder aus dem geistigen Typus»
der mit demselben bezeichnet wird, abgeleitet. Dieser letztere entbehrt
eben einer nationalen Grundlage. Er entwuchs keiner solchen, sondern
ist das Erzeugnis einer Kulturentwickelung, welche Menschen von mannig-
faltiger Abstammung das Gepräge einer einheitlichen Nationalität auf-
drückte, die man nunnu lir die italienische nennt, wold nur mit Rücksicht
auf das Gebiet, in welchem sie emporkam imd so zu sagen heimisch ist.
Also steckt auch hinter dieser Benennung eigentlich der geographische
') Ich habe dieser Anschauung Pt-hon im .Tahre 1874 mit den Worten An^-
dmck gegeben: ,Die Stimmung eines Volkes und die jederzeit stark hiervon l>e-
etnfluBBlß öflentliche Meinung wollen heutzutage mehr als je berücksichtigt sein.
Vom Standpunkte der Staatenkunde aus besehen, zerfälK 'lie M('n?rhh<>it nicht
sowohl nach äusseren Kriterien als nach der Sin&esrichtuug in (Jruppeu.'* Poch
setzte ich damals bei: .Gesellt sieh cur gemeinsamen Simiesrichtung aueb noch
ein die rjleichdoukenden umschlingendes Ptaniniesbewu8Btj?ein , so ist, das letztere
mag noch so unentwickelt sein, eine feste Grundlage gegeben, auf welcher das,
was man die Nationalitftt nennt, sieh ansgr^taltet* — Erscheinungen, wddie der
unmittelbaren < !efr,-in\art anfjehören , niarlien es mebr und mehr zweifelhaft, ob
die KationaUtät überhaupt durch das Bewusstsein der Abstammimg bedingt ist»
oder ob nicht ha Oegenteue ihre EzpansiTknft aas dem Vexgesaea dw Ahkonft sidi
erklärt. Mindestens lockert sich immer aaflUIiger der boOglidie histmisclie Zn-
iammenhang.
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7]
IHe Nationaliliteik in Tirol 6«c.
395
Begriff mit dem einzi<?en Unterscliiede, dass er da iiuttelbar, m der
Regel aber, wenn von etwas Itaiieuischem die Hede ist^ unmittelbar
zur Geltung kommt.
Anders verhalt es sicli mit der deutschen Nationalitftt. Ihr
kann ein nationaler XJrspnmg, d. h. die Entstehung inmitten eines
geschloasentti Oeschlechtervorbandes nicht bestritten werden. Das sie
kennzeichnende Beiwort ist dem Eigennamen einer wirklichen Nation
entlehnt, die mit ihr gross j^eworden. Gab es gleich auch unter
den Deutscheu von jeher Uuter8chiede , welche sich vererbten, so dass
die Veredelung der deutschen Nationalität erst allmählich auf sie aus-
gleichend einwirkte, so haben doch deren Trftger schon toh ▼(umherein
an dem geistigen Typus, aus welchem sie sich ^ur heutigen Macht und
Gestalt entwickelte, teilgenommen und gleichmässiger zu deren Ent-
wickelung beigetragen, als dies von den Voreltern der heutigen Italiener,
d. h. der der italienischen Nationalität Angehörenden, in Ansehung dieser
sich nachweisen lässL
Damit soll dem Ruhme der italienischen Nationalit&t und dem
Ansehen derjenigen, weldie sich um dieselbe yerdient machten, nidits
benommen sein. Vielmehr ist es bewunderungswürdig, wie die-
selbe in Ermangelung einer eigentlichen Nation, welche den Keim dazu
in sich truc; und ihr als Stütze hätte dienen krmncn, in verhältnis-
mässig später Zeit entstehen und sich über tin weites (ubit t ausbreiten
konnte, dessen Bewohner dadurch erst zu einer Achtung gebietenden
geistigen Einheit wurden. Man kann eben das Alter der italienischen
Nationalität nicht weiter zurückdatieren als bis zum Aufkommen der
italienischen Schriftsprache. Deshalb ist es auch erst von diesem Zeitp-
punkte an gerechtfertigt, der deutschen Nationalität die italienische
gegenüberzustellen.
In Tirol aber kommen dermalen nur diese beiden Nationali-
täten in Betracht, obschon das dortige Völkergemisch der natio-
nalen Fragmente, die anderswo Träger besonderer Nationalitäten
sind, ungleich mehr aufweist.
Ausser den Rhäto-Romanen und Germanen, die dort zu An-
fang des Mittelalters durch Uire Zahl und politische Stellung hervor-
ragten, sind dort reine und Romano-Slawen, dann spätere Zuwan-
derer aus Nord und Süd, welche teils deutschen, teils romanischen
Stammen entsprossen waren, sowie Israeliten teils der italienischen,
teils der deutschen Nationaliiät anheimgefallen. Bald breitete sich
die eine, bald die andere aus. In dieser Hinsicht können sieben
Perioden unterschieden werden.
Weil jedoch die Wandlungen, welche solchergestalt sich voll-
zogen, nicht in allen Teilen Tirols gleichniässig eintraten und verliefen,
emptiehlt es sich, die eiusclilägigen Thatsachen zunächst in Ver-
bindung mit bestimmten geographischen Gebieten, innerhalb
welcher sie zur Erscheinung gelangten, dem Leser vorzuftlhren
und b( i Begründung obiger Zeitemteihmg sich kurz darauf zu beziehen
oder ))l<>ss durch Schlagworte daran zu erinnern.
Anthropologiselip Betraclitungen sind hier ausgeschlossen. Allein
die Nationalist kann von denjenigen, deren Erbteil sie ist oder welche
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396
Bidermann,
sich zu diesem in Widerspruch setzen, es verleugnen, nicht getremii
werden. Daher ist auf die Abetammung, soweit de dieeiaUs nachwiriEt«
allerdings Rücksicht zu nehmen. Daran darf auch der geänderte
Familiemiame nicht beirren, ausser wonn fest^^teht. dass der Namens-
änderung ein Nationalitätswechsel entspricht. Oft geht aber die erstere
diesem Wechsel weit voraus. In Südtirol zumal zählen die ursprüntrlich
deutöcheu oder doch germanischen (speziell langobardisclien) Familien,
denen im Mittelalter ein italienischer Eigenname aufgedrungen wurde,
nicht bloss nach Hunderten, sondern nach Tansenden. Wer Christian
Schnellers leider unvollendet gebliebene Skizzen «üeber die Zu- und
Familiennamen in Wälschtirol'' ^) zur Hand nimmt, kann sich dsvon
gründlich überzeugen. Viele von diesen Familien hielten im tlbrig^en
noch um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts an der deutschen
Nationalität fest, welche freilich gerade damals unter dem Druck einer
falschen Scham, von der auch geistig hervorragende Menschen befallen
wurden, häufig mit dem noch dentsäen Namen zugleich der Bonumi-
sierung weicht *). Um so gewisser darf angenommen werden , dass
Familien, deren deutsche Namen auch diese für sie gefährhchste Periode
überdauerten, bis dahin in ihrem ganzen Wesen deutsch geblieben
waren, und bei unentstellter Form sind solche Namen auch jetzt noch
sichere Belege einer bis au die Gegenwart heranreichenden deutschen
Vergangenheit, wenn schon ihre jetzigen TrSger vidleicht nicht mehr
der deutschen Nationalifiit sngehdren. Das Segenteil, nSmlich dass
▼erdoutschte Italiener ihren Familiennamen germanisieren, kommt fast
nie vor. Diese Bewandtnis bereitet allen damit nicht Vertrauten, denen -
auch die bezüglichen Abstammungsverhältnisse fremd sind, arge Täu-
schuii^^en, iusofeni sie bei derartitren Familien aus dem Eigennamen
einen Schluss auf die Abstammung zu ziehen sich anschicken, und
in ihr liegt die Ursache, weshalb die Zahl der Italiener in Deutseh-
tirol so leicht überschätzt wird. Umgekehrt wird die Zahl der Deut-
schen im italienischen Landesteile auch in den offiziellen, nach der
Umgangssprache verfassten AiisAveisen offenbar zu <?ering angegeben,
weil d^'utsclie Kinder, die dort zum Erlernen des Ifaiicnischen weilen,
mit Kücksielit auf diesen Zweck in den seltensten Fällen als deutsche,
d. h. als im Umgänge der deutschen Sprache sich bedienende Personen
konskribiert worden sein dQrften. Das italienische Kind, welches, um
deutsch zu lernen, in einer deutschen Familie sich befindet, entgeht
dem gleichen Schicksale in der Regel schon dadurch, dass es von seiner
deutschen T^m^reliunt; trotz dem Zwecke, den seine Anwesenheit hat,
als ein fituidartiges Geschöpf betrachtet und sonach als Italiener an-
gemeldet wird.
Bei Erwachsenen nimmt man es in diesem Punkte deutscherseits
') Separatabdrnck a. d. Boten f. Tir. q. Yorarlb. Iimsbitick 1867.
■•') So vertauschte der aus dt ni Ddifr ( Iu.-t(.i im Nonsln r^-'r treliürüge Rechts-
gelehrte Anton Gigl seinen ererbten Famüieimamen mit dum seine« Geburts-
ortes (Archiv. Trent I, 158). Vom Bmder des Trienter Eanslers, Job. Bentter,
ist bekannt, dass er sich als Kanonikus (schon zu Anfang des vierzelinten Jahr-
hunderts) ZamboQUB (Joannes Boniu) de Tridento nannte. (BoneUi, Monoomta,
pag. 283.)
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Die NatioBAlititeii in Tiiol ele.
397
gleichfalls genauer, insofern sie nicht selber durch Beantwortung der
Frage nach ihrer Umgangssprache die Nationalität, welcher sie sich
zugezählt wissen wollen, zu bezeichnen in der Lage sind. Im
allgemeinen hat die Erhebung der Umgangssprache, wenn sie von
Penon sa Person direkt gesduehi, eben keinen anderen Sinn als die
Torerwähnte Erklärung 'zu provozieren« was freilich bei
^rftchsenen noch einfacher und verlasslicher zu erreichen wäre, wenn
man ihnen die vorerwähnte Erklärung unmittelbar abverlangen würde.
Bei der letzten Volkszählung in Oesterreich ist dieses Mittel nicht
einmal den Erwachsenen gegenüber angewendet worden, und um so
mehr verstand es sich bei den Kindern von aelbrt, dass man m betreff
dieser bei ihrer damaligen ümgebtmg nach der Umgangssprache sidh
erkundigte oder ohne besondere Naiuifiage sie schlechtlun nach dieser
ihrer Umgebung klassifizierte.
Die für das Jahr 1 880 vorliegenden Ergebnisse der also bewerk-
stelligten Erhebungen müssen den nachstehenden Zalilenangaben sclion
darum zu Grunde gelegt werden, weil es befriedigendere Anhaltspunkte
eben nicht gibt Säe sind immerhin den ftlteren statistischen Ausweisen
vorzuziehen, bei deren Zusammenstellung die Willkttr noch einen brei-
teren Spielraum hatte, und es auch nicht sowohl auf die NationaUiät
als vi(>lmolir auf die StammbUrtigkeit abgesehen war. .Tene Angaben
sind dem „Spezial- Ortsrepertorium von Tirol und Vorarlberg" ent-
nommen, welches den 1885 erschienenen achten Band der von der
k. k. Statist. Ceutralkommission in Wien herausgegebenen Nachschlage-
bUcher dieser Art bildet^). Was den Wert derselben vielleicht am
meisten beeinträchtigt, ist, dass die in Tirol weilenden Ausländer in
die betreffenden Rubriken dieser Ortsverzeichnisse nicht angenommen
sind. Denn beide Nationalitäten kommen demzufolge zu kurz und
^'(•rade in Gegenden, wo das Ausserachtbleiben der Ausländer ver-
hältnismässig viel austrägt. Doch hätte diesem Uebelstaude nicht
einmal durch spezielle Inanspruchnahme der k. k. statist. Gentrai-
kommission abgeholfen werden kdnnen, weil bei der letzten Tolks-
zählung die Imgfangssprache der anwesenden AusUnder ttberhmipt
nidit erhoben wurde
Um mich bei den kulturgeschichtlichen Bemerkungen, welche ich
absatzweise den statistischen Angaben folgen lasse, kürzer fassen zu
können und weil die bezügliche Litteratur an sich verdient, ver-
zeichnet zu werden, schalte ich dieselbe hier ein.
Dem Titel nach ünterachaden sieh diese Pnblikationen von den Orts*
repertorien , wnlche die nämliche Kommission ,auf OriindlaiT'e dnr Volkszählung
vom 31. Dezember 1869' herausgab, durch das vorgesetzte Wort näpezial*. Ihre
innere Eiariditang weicht von der der letzteren in vielen Stucken und zwar mxm
Vorteile der Forscher ab.
') Aas der politischen Zuständiekeit auf die Nationalität einen sicheren
Schltus zn ziehen, ist nnmöglich. HM>en ja doch nach dem 1874 zn Rom ge-
druckten Censiraenti) dopli Italiani all' Estero von don in Tirol und Vorarlberg
am 31. Dezember 1871 gezählten italienischen Unterthanen 42 die deutsche Sprache
als ihre Muttersprache bezeichnet! Und wie wollte man in dieser Beziehung die
amreeenden Schweizer, wie die Franzosen, wie aiidi nur die Angehörigen des
nngarischen Fiumaner Gebietes klaflsifixieren!
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398 Buterauum, [10
Der Zweck der vorliegeiideu Schrift ist erreicht, wenn der Leser
sich dadurch in die Lage versetzt sieht, den Gegenstand bei voller
Würdigung beachtenswerter Einzelheiten rasch zu überblicken.
Litteratur.
Das folgende Yerzeichnis von Druckschriften, welche die Natio-
nalitäten in Tirol betreffen, macht niclit auf erschOpfrade VoUslindig-
keit Anspruch, umfasst jedoch so ziemlich alles, was an einschlägigen
Arbeiten bisher ^^Mlruckt wurde mit Ausnahme derjenigen, welche
bloss auf Förderung der Sprachen- und Altertumskunde berechnet
sind. Dass auch Quellenwerke allgemeineren Inhalts und einzelne
Monographieen, in welchen das Thema der Torliegenden Schrift nur
nebenher berührt ist, in dasselbe aufgenommen wurden, bezweckt die
Vereinfachung des Citierais solcher Quellen. Ich verweise auf sie
mittels der den Titt In vorgesetzten Zahlen. Die sicli anschliessenden
Zahlen sind in der lu j^'^el die Seitenzalilen ; nur wenn das Citat aus
drei durch Punkte voneinander getrennten Zahlen besteht, nimmt die
Seitenzahl die dritte Stelle ein und bezeichnet die mittlere Zahl den
Band oder Teil*).
1. Ämbrosi, Francesco, Contribuzione ad ona guida del Trentino. La VaUngaaa.
tiorgo 1879, Giov. Marchetto.
2. Ambrori» Äanoesco. Scrittori ed Artisti Trentmi. Trento 1881.
8. „ „ Tireoio ed ii auo droondario descriito al vi^iatore.
Trento 1881.
4. Angerer, Dr. Johann, Deutsche und Italiener in Südtirol. Bozen 1881.
5. Attlmayr. Friedrich v. . deutschen Kolonien im »ichirge zwischen Trient.
Bassano und Verona. Zeitschr. des Ferdinandeums. '6. Folge., 11. u. 12. Heft.
• Innsbruck 1865 u. 1807.
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della Valle Laganua (s. 1. et a.).
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UHanzc (Irl Popolo Peginese, dirctti nel 1811 al Prefotto di DqMrtiiiMiilto
deir alto Adige. Trento 1800, Marietti.
. Baasettl Tito, Cenni intomo alla dviltA. di Trento. Trento 1857.
9. Baumbaeh, Dr., Kine deutsch* S|u-acliln8d in Welsothtirol. Gartoilaiibe 1873,
Kr. b2 (betritt daa Valsugan).
') Zur Kenntnis eines grossen Tt iles dieser Druckadiriflen l uig^t*^ idi
durch die Güte des dermaligen Vorstehers dep Nationalmuseums .Ferdinandeum"
zu Innsbrudc, Prof. Alphons Huber, welcher mir die der Büchersauuulung
dieses Museams einverleibton, sowdt ich sie nicht ehevor kannto, Bng&ngliöh ge-
macht hat.
^) Die von mir bei Ausarbeitung der vorliegenden Schrift benutzten Archive
und sonstigen Handsdiriftensammlnngen werden iiottols folgender AbkOranngea
berufen :
A. d. M. d. L bedeutet: Archiv des k. k. Ministeriums des Innern in Wien;
BibL Tirol. , Bibliotiheea Tirolensis oder IKpanliana im Ferdinandeom
zu Innsbruck:
B. Stdt-A. , Bozener Stadt- Archiv ;
T. 8t.>A. s Innsbmcker Statthalterd-Archiv;
Innsbr. Stdt.-A. » Innsbrucker Stiidt-Archiv ;
R. d. I. Sch.*A.8. , Register des Innsbmcker Schatz -Archivs (im dortigen
Statth.-Arch.).
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11] Die NationaUtäten in Tixol ete. $99
10. Benvenuti, Luigi, La Cronaca di Folgaria e le Memorie di Pergine e del
Perginese del Decano Don Tommaso Y. BotUa. Trento 1881.
11. Bidermann, Herin. Tgn., Die Italiener im tirolieehen ProvinsEialTerbaade. Inns-
bruck 1874, Wagner.
13. Bidermaon , Herm. Ign. , Die Bonanen und ihre Verlnvitung in Oesterreich.
•"raz 1877.
Id. Bidermann, Herrn, ign., Slavenreste in TiroL Slavische Blätter, Wien 1865.
1. Heft.
14. Bonelli, Benedetto, Notizie ietor. - critiche intomo al M. Addpreto veicoTO.
Vol. I, II. Trento 1760 u. 17Öl.
15. Bonelli. Benedetto, Notizie istor.-cxitiche della Chieea di Trento. (Fortaetsung
des vorhergehenden Werkes, als denen Volume III parte prima ee be-
zeichnet ist.j Trento 1762.
10. Bonelli, Benedetto, Monumenta Ecclebiae Tridentinae, (Schluss des Werkes,
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17. Bottea, Tommaso Vigilio, Cronaca di Folu'iuia. Trento 18U0, Monauni.
18. ■ » 1. Memorie di Fergiue e del Perginese. Trento 1880,
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19. Canii>ell, rhicb. Zwoi BQcher rhiltischer Geschichte. Erstes Buch: Topogr.
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20. ChiuBole, Adanio, Notizie della Valle I.agariiui. Verona 1787.
21. Dahlke. O. , Deutsche Ansiedlungen in Welschtirol. Dentache Warte 1874
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22. Egger, Dr. Joseph, Die Tiroler nnd Yorarlbeiger. Wien n. Teschen 1882.
28. Fabor. Felix. Kvagatoriuni in Terrae Sanctae eic Peregrinationem. Biblioth.
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24. Filos, Francesco, Sopra qualebe punto della storia trentina Disoorsi. Rove-
reto ls':!9. Marchesani.
25. Gar. TommadO, Episodio del medio evo Trentino. Trento 1856, Monuuni.
(Betrifft die altdlentflchen Ansiedlmigen nm Pergine.)
20. (Gar. Tommaso) Calendario Trentino pt r l'anno 18.^4. Trento, Monauni.
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29. Gnesotti, Cipriano, Memorie per servire alla storia delle Giudicarie. Trento 1786.
80. Haller, Jos. Th., Das k. k. Landgericht Enneberg in Tirol. Bdtr. f. Geidl.,
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82. fi(ellwald), F( riedrieb) t., Die Bh&to*R<nnaaen. Ausland, 45. Jahrg., 1872,
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88. Hormayr, Jos. Frhr. v., Geschichte der gefür.steten Grafschaft Tirol. I. Teil,
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34. (Hürniann. Joseph v.) Tirol unter der bajer. Regierung, 1. (^einziger) Band.
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der mitunter boplialtcti TpTn1»'nz überaus rei< h an zutreffenden B»^nii rknTipen.)
35. Inama-bternegg, Dr. Karl Theud. v.. Die Entwickelung der deutschen Alpen-
dörfer. Angsb. Allgem. Ztg. 1875, Beil. 302 n. 303.
86. Kellner. W. . Die italien. Bevölkerung im deutschen Südtirol, Zeitsrhr. der
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88. Ladurner, P. Justinian , Regesten ans tirol. Urkunden. Archiv f. Gesdl. und
Altertumskde. Tirols, Jahrg. I, 1865 bis. Y, 1869. Innsbruck.
89. La Hara, Im GrOdner Thale. WissenschafU. Beil. zur Leipz. Ztg., Jahrg. 1878,
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iO. Leck, Hans, Deutsche Sprachinseln in WekchÜrol, mit einem Vorworte von
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400
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[12
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50. Mupperg, Dr., Reisebericht aus Sadtirol. Korrespondenzbl. des deutschen
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geschichtlichen Bemerkungen. 1., II. Bd. Innsbruck 1847.
69. Staffier, Joh. Jakob, Tirol und Vorarlberg. Statistisch mit geschichtlichem
Bemerkungen. 2. Ausg. Innsbruck 1848.
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Die Nationalitftten in Tirol etc.
401
70. Steub, Ladwig, Drei Sommer in Tirol. München 184t) {2. Aufl. Stuttgart 1871).
Die unten folgenden Citate beziehen sich auf die er.ste Anflsge.
71. Steub, LudwifT, Zur rhätif^chen Ethnologie. Stuttgart 1864.
12. , „ Herbsttage m Tirol. München I8b7.
78. » , Die Entwicklung der dentedwn AlpendOrfer. Angab. AUgem.
Ztg. 1875, Beü. 258—260.
74. Steub, Ludwig, die deutscheu Alpendörfer. Ebenda, 1875, Beil. 328.
75. , , Die Germanisierung Tirols, Vorlesung in der Anthropologischen
( n«?ellschaft in München. (Separatabdruck?) München 1877.
76. Tappeiner, Dr. Franz, Studien zur Anthropologie Tirols und der Sette Comuni
(entUUt auch Geachichtlichea). Imisbnick 1888.
77. Tartarotti, Girolaiiio. Memorie antidie di Bovereto 0 de* Inoghi ciroonTicini
Yenezia 1764, Marco CargnionL
78. Tedni, Franoeeoo dd (Paroeco e Decniio di Pergine), IHnettatione intomo
alle Popolazioni alpine tedeeohe del Tirolo Mendionale e dello stato Yeneto.
Trento 1860, Marietti.
79. (Thaler, Joseph) Der dentidie Anteil dee Bittotni THeni Heransg. too den
Vereinen f. christl. Kunst u. Archäologie in Bozen u. Meran. 1. — 5. Lfrg.,
Brixen 1866—1873 (fortgeseUt von Philipp lieeb u. Karl AU, 1. u. 2. Heft).
Bosen 1880 u. 1881.
80. Tinkhauser, Georg, Beschreibung der Diözese Brixen (fortgüotot Ton Lndwig
Bapp). Brixen, I. Bd. 1855, II. 1879, III. 1880 tf.
81. (Vian, Jos. Ant., Kurat zu St. Ulrich in Grödeu). Gröden, der Grödner und
seine Sprache. Bozen 1864.
82. Weber, Beda, Die Stadt Bozen und ihre Umgebung. Bozen 1849.
83. , , Das Land Tirol. Innsbruck, I. Bd.. 1887, II. 1838, III. 1838.
84. , , Meran und seine Umgebung. Innsbruck 1845.
85. Zingerle, Anton, Das Fersinathal. Wiener Abenduost lalirg. 1877, Nr. 209 S.I
8. auch Bote f. Tir. u. Vorarlb. Jahrg. 1877, Nr. 247 u. 248.
86k Zingerle, Anton, Die deutschen Gemeinden im Fersinathale. Amthors Alpen-
freund Jahrg. 1870. U, 209—215; a anoh den Almaoach ,HerbitblnmeiiS
S. 78 ff. Innsbruck 1870.
87. Zotfci, BaliiMle^ Stozia della VaUe Laganna. T. L, II. Ttento 1883.
88. £in Besuch bei den Cimbem in SüdtiroL Korrespondenzblatt dee AUgem.
deateduD Sdralterefaw, 1884, Maiheft. Berlin Im.
88. Deotoche Alpenbewohuer im Tridentinisdun und YiientiniMdieB. Bote f. Tir.
u. Vorarlb. Jahrg. 1882, Nr. 30-35.
90. Benteche Kolonien im südlichen Tirol. Bote f. Tir. u. Vorarlb. Jahrg. 1821,
Nr. 54 u. 55.
91. Das Deutschtum in den Sfldalpen. Jm neuen Reich" Jahrg. 1877, Nr. 10.
92. Die deutsche Gemeinde in Luserna. Mittheil, des deutsch- österr. Alpenvereins
Jahrg. 1877, Nr. 3 u. 4.
99l Der Sammler f. Geechichte o. Statistik von Tirol, 1.— V. Bd. Innsbruck
180G-1809.
94. Sprachenkampf in den Bergen Tirolf. Angab. AUgem. Zeiftg. Jahrg. 1872,
Beü. 303 u. 304.
95. T. M., Ein Besuch Lusemas. Bote f. Tir. u. Vorarlb. Jahrg. 1880, Nr. 194—197,
199 204 211 229.
96. Tirols VenrelMJhnng. Amthon Alpenfreond Jahrg. 1870, S. 868—866.
Hieilier gehörige Druckschriften, welche nach Abscliluss dieses
Veneichnissc s zur Kenntnis defl Verfassers gelangten, wurden (um die
von obiger Reihenfolge abhängigen Zahlencitate nicht zu verwirren) im
Zusammenhange mit dem Gcgen.stande, den sie betreffen, namhaft ge-
macht. Das Gleiche gilt von Aufsätzen und Büchern, welche nur bei
vereinzelten Anlässen zu erw&lmen waren, ohne daas ihre Anfiiahnie in
das Veneichms durch die dabei leitenden QnmdsfttKe geboten gewesen wäre.
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402
Bidenmum,
[14
i
Geographisch geordnete üebersicht des statistischen
und geschichtlichen Sachverhalts.
A. Romanen onter Deotschen
L Lecliilial«).
Politischer, zugleich Gericbtshezirk Reutte: 3 Italiener, 2 daTon
im Markte Reutte, 1 in der Ortsgemeinde Holzgau Tn geographischer
Beziehung gehören hierher noch die Ortsgemeiuden Pfafflar und Gra-
nuiis de.s Politi'^rlien Bezirkes Imst. sowie die Ortsgemeinde Kaisers
des Politusciien Bezirkes Lau deck. Aber in keiner derselben wurde
ein Romane angetroffen.
Von der Gemeinde Pfafflar geht allerdings die Sage, daes sie
durch Romanen begründet wurde, welche sich aus dem Engadin reli-
giöser Zerwürfnisse halber dahin flüchteten, und dass die hiesige weib-
liche Bevölkerung einst eine der romanischen Tracht der Montav<Mierinnen
ähnliche Kleidung trug (7(». 27). Diese üeberüeferung tiudet an den
romanischen Ortsbenennungeu , welche dort vorkommen : Pfaö'lar =
pabnlar, Futter- oder Weideplatz; BscUabe = pos Tayes, Uber dem
Wasser - einen Halt (CT. 2G4). Allein derartige Benennungen sind
im Lechthale Überhaupt nichts Seltenes (07. 262, 265, 268), ohne dass
man daraus auf neuere Einwanderer, welche sie aufbracliten oder er-
halten halten, zu schliessen berechtigt wäre. Eher könnte auf derartige
Zuzüge aus den vielen romanischen Worten, welche sich im Spracli-
schatee der Lechthaler vorfinden, geschlossen werden (s. solche 05. 238).
Doch ist die heutige Nationalität der Lechthaler kerndeutsch und gilt
dies mOasi von den Pfafflarem, deren Eigennamen gleich denen der
von ihnen bewohnten Bauernhöfe durchgehende deutsch sind (80. 3. 489).
n. Innthal,
Landeshaupt.stadt Innsbruck: 403 Italiener (darunter über
100 Studierende und 70 Soldaten). — Politischer Bezirk (Umgebung)
Innsbruck (mit Ausnahme der Gerichtsbezirke Mieders und Steinach):
35ü Italiener, und zwar in der Stadt Hall 199 (wovon 50 auf die
') Nachstehende statistische Angaben, welche den geschichtlichen Be-
merkungen vorangestellt sind, bexiehen sich bloss auf die einheimische Be-
VÖlkernng, d. h. auf die Oesterreicher.
•) Unter der da.s Haupttlml bezeichnenden üeberschrift sind stete auch die
Seitenthäler zu verstehen, ausser wo das (legcuteil ausdrücklich bemerkt ist oder
die Bes|>rP( hung der Seitenthäler derjenigen des Hauptthales vorangeht.
^) In der Kolfje werden Ort.sp'nu iiiden beziehungsweise Ortschaften als
Wohnaitze von Konuincn nur <hinn iiaiiihatt gemacht, wenn minde-stens ihrer drei
bei der "Volkszählung daselb.st ennittelt wurden oder deren Verteilung bei an sieh
geringer Zahl arxlers nicht ersichtlich gemacht werden kam aU durch Beaeich-
nung der einzelnen Wohnorte.
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15]
Die Nationalisten in Tirol etc.
403
Militärgarnison enttaiien), im Dorie Aniras 5, im Dorte I^radl (Vorort
von Innsbruck) 87, in der Ortsgemeinde Hötting (grösstenteiia auch
Vorort Ton Innsbruck) 24, im Dorfe Mutters 20, im Dofife Wüten
(Vorort von Imubrack) 21. — PolitiBcher Bezirk Schwaz: 38 Italiener,
und zwar im Dorfe Schwaz (nicht im gleichnamigen Markte) 2"). —
Politischer Bezirk Kufstein: 151) Italiener, und zwar in der Stadt
diese«) Namens 5(3 (darunter 20 Soldaten), im Dorfe Zell 7, im Dorfe
Wörgl 10. im Dorfe Wörn^ier Boden 5, in der Ortsgt nieinde Schweich 1 1,
Ortsgemeinde Brandenberg 3, Ortsgemeinde Breitenbach 3, Ortschaft
Voldöpp 4, Ortschaft Thierbach 4. Politischer Bezirk EitzbOchl:
21 Itahener, und zwar im Dorfe St Johann 5, in den Ortsgemeinden
Kitzbüchl und Hochfilzen je 4, in der Ortsgemeinde St. Ulrich —
Politischer Bezirk Imst (mit Ausnahme der Ortsgemeinden Pfatt'lar
und (iramais): 7 Italiener, und zwar im Dorfe Arzl 4, die übri<^en bis
auf einen, der sich im Weiler Pilaiiu:" (des Oetzthales) befand, im Ge-
richtsbezirke Imst am Sitze der Bezirksbehörden. — PoUtischer Bezirk
Landeck (mit Ausnahme der Ortegemdnde Kaisers sowie der dem
Etschthale angehörenden Ortsgemeinden Nauders, Reechen, Graun, Lang-
iaufers und Haid): 102 Italiener, und zwar zu St. Anton am Arlberge 58,
in der Ortsgemeinde Perfuclis (Landeck) ^, in der Ortsgemeinde Zams
28 (bei welchen 3 Ziä'ernansätzen man vor allem an den Arlberger
Bahubau zu denken hat), und in der Ortsgemeinde Uied ü.
Gesamtsumme des Innthaies: 1279.
Die Landeshauptstadt Innsbruck war schon im sechzehnten Jahr-
hunderte der Verwelsihung ausgesetzt. Seit dem Jahre 1515 erwarben
Italiener in betrachtlicher Anzahl daselbst das Bürgerrecht (12. 160,
Note 25). Itnlioiiische Mönche, welche im Jahre löivi sich hier iiieder-
Hesscn , musstt'U zwar nach einem .lahr/,ehnte dius vom liaiide.-^türsteu
Erzherzog Ferdinand ihnen eingeräumte Kloster wieder verlassen (11. 39),
aber der hiesige Hofstaat zählte damals so viele Italiener, welche der
deutschen Sprache gänzlich unkundig waren, dass dieserwegen heim
Gottesdienste besondere Fürsorge getroffen werden musste (11. 30), und
nach WMteren 10 Jahren nahmen zum zweitenmal italienische Mönche
von jenem Kloster Besitz, freilich al)ennals nur auf kurze Z»^it. wo-
gegen die im Herb.ste 15K3 auch aus Italit»n nach Inns})rnrk })enifenen
Kapuziner^ wie F. A. Siunacher in seiner Schrift ^Die Einlührung der
Kapuziner in Nordtirol« (Bzizen 1831) S. 28 ff. enSMt, daselbst festen
Fuss fSassten. Italienische Beamte hatten schon froher bei der tirolischen
Landesbehcirde in Innsbruck Anstellung gefanden (11. 30). Ära
28. Atiiiust 1541* starb hier der k. Hat Hicron. Thremia. Unter der
Regierung der Erzherzorjin Claudia F»'li< it;i> . einer geborenen Prin-
zessin von Toscana aus dem Hause Medicis, kam es sogar der vielen
Italiener wegen, die ihr Gefolge bildeten, zu Beschwerden der bäuer-
lichen Bevölkerung in der Umgebung der Landeshauptstadt (11. 40,
vgl. 22. 70), und nichts ist fbr deren damaliges Uebergewicht am Sitze
der tirolischen Regierung bezeichnender als die italienische Anrede, mit
welf'her sich am 1>. A]»ril IfUO der damals grossjährig gewordene Sfdin
jeuer Erzher/.o;^nii . Ferdinand Karl, bei dieser in Anwesenheit der
Stände des Landes für die Uebertragung der Uegieruugsrechte bedankte
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404
BMwnnMMBi
[16
(Tiroler ErbhuldigungBakten im A. d. M. d. 1., IV., H. 3, Stk. 4,
Tom Jahre 164G). Eine im Jahre 1(555 zu Innsbruck vorgenommene
YoUn^hlung ergab einen starken ProKentsatE itaHenischer Emwofaner,
wozu noch immer der erzherzogliche Ho&taai das stärkst« Kontingent
stellte (12. 160, Note 25). Unter dem vorgenannten Enheneoge und
dessen Bruder Siegmund Franz, der ihm 1662 in der Regierung folg+e,
traten zwar in dieser Beziehung Beschränkungen ein, und F. C. Zoller
rühmt es in seiner .Geschichte der Stadt Iimsbruck" (I. Teil, Inns-
bruck 1816, S. 388) letzterem nach, dass auf seinen Befehl hier
mit Nenjahr 1668 wieder «deutsehe Luft zu wehen* begann. Doch
bedienten sich die Hofbehörden daselbst nach wie vor im inneren Ver-
kehr der italienischen Sprache, was die im I. St.-A. (Wörz'sche Samm-
lung) vorhandene Instruktion für das Hofkontrolloramt vom 17. Juli 1668
beweist. Allerdings fordert diese vom Hofkontrollor, dass er neben der
italienischen auch der deutscheu Sprache mächtig sei; indessen schreibt
sie demselben vor, aJle Auftchreibimgen , dann das Einlaufiaprotdkoll
bloss in italienischer Sprache zu fthren und alle -AnftcSge, die der
Unterschrift des Erzherzogs oder seines Obersthofmeisters bedOrfen,
gleichfalls bloss in letzterer Sprache zu erlassen. Dass gleichzeitig die
Bewerbunjxen italienischer Handelsleute um das Innsbrucker Bürger-
recht ungeschwächt fortdauerten, versteht sich von selbst. Der Stadt-
magistrat musste noch im Jahre 1681 dieselben mit der Befürchtung
abwehren: das deutsche BeT6]kerungseIement laufe geradezu Gefidir,
dadurch verdrängt zu werden. Nicht minder drängten sich italienische
Beamte in die Kandeieii der hiesigen Hofstellen ein. Ihren Höhepunkt
aber erreichten diese fremdartip^en Fiiiif^üsse und die Aufdringlichkeit,
womit sie sich in Innsbruck bemerkbar machten, genau mit Beginn
des achtzehnten Jahrhunderts. Damals mutete die Pohzeideputation der
Uegierung, an deren Spitze Graf Vinciguerra von Arco stand, der
Landeshauptstadt sogar zu, eine italienische Strafiurt mit Anwendung
der sogen. Trappola-Gorda, welches Marterwerkzeug binnen 6 Tagen
am Platzturme aufgesteUt werden sollte, zur Ahndung von Bäckern und
Müllem und anderen Gewerbetreibenden einzuführen. Dies erschöpfle
die Geduld der durchaus . deutsch gesinnten Stadtvertretung, welche am
5. Februar 1700 der Kegierimg darauf erwiderte: Derartiges komme
wohl zu Trient und Rovereto vor, wo «die welsche Spradie und derlei
Sitten eine Absonderung der Statuten von dem turolischen Landeagmotic
bedingen* ; es entstehe jedoch die Frage, ob es sich zieme, ,in Deutsch-
land die sonderen Torturen, so in Welschland bei erhärteten GemOtem
notwendig und üblich sind", in Wirksamkeit zu setzen: zumnl dies ohne
Abänderung der speziellen Landesgesetze überhaupt nicht thunlich sei
(Akt 988 im Innsbr. Stdt-A.}. Darauf hm bheb die Stadt mit solchen
Massregelungen Terschoni Das italienische Beamtentum aber behauptete
sich dMelbst, und der italienische oder vielmehr in neuerer Zeit erst
verwelschte Adel Sfldtirols baute sich hier Paläste, wekdie, in deut-
scher Umgebung ihn festhaltend, freilich Veranlassung wurden, dass er
nach und nach wieder seiner angestammten Nationalität sich zuwendete.
Den erwähnten Beanitcnfaniilien erging es ebenso. Demzufolge hat
Innsbruck , obschon Hauptstadt eines doppelsprachigen Landes , den
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Die NttUonaUt&ten in Tirol ete.
405
fh^utscht'ii riiarakh'r ungescliwiklit beibehalten, und sind die verhältnis-
mäisäig wenigen Italiener in ihrer Mitte, welche diesem w iderstreben, dazu
Tenirteilt, sich ab Fremde zu f&lüeii. Unter den Gemeindewählem der
Stadt befiinden mtk im Jahre 1876 nur 56 unzweifelhafte Italiener. Davon
waren 33 Beamte in Aktivität (12. 160, Note 2:>). Die Zahl der hier
lebenden Familien mit italienischen Namen, wi lclu' als vollkommen ver-
deutscht anzusehen sind, übersteigt in den vornehmeren Bevölkerungä-
kreisen allein '»O nnd beträgt im «ganzen mehr ids 100.
Weit früher als in der Landeshauptstadt hat dort, wo dermalen
die henachbarte Stadt Hall sich erhebt, der Einfluss italienischer Kultur,
und zwar auf vorteilhafte Weise, sich geltend gemacht. Schon im
Jahre 1328 erscheint Arthusius de Florentia als Pächter der hiesigen Saline;
1331 war (Jeno})inus de Rossis (insgemein „Schine von Florenz" ge-
nannt) Salzniaier d. h. Vorsteher daselbst, und noch 5 .lahre später
besass derselbe im nahen Dorfe Thaur einen ihm von <len tiroiischen
Landesfürsten an Zalüungsstatt überlassenen Bauernhof. (Freundsberger
UrkundenYerzeichnis im Ferdinandeum zu Innsbruck, Mskrpt. I, h. 15).
Diese reichen Florentiner brachten die Saline ra.scli i inpor. Nachdem
Hall infoIgedesH n zu einer ansehnlichen Stadt erblüht und der hie-
'^i'^c Handelsverkehr ein sehr reger geworden war. folilte es allinlings
hier nicht an weiteren Zuwandercrn aus Italien (12. KJl, ^»ote 20);
doch der Stadt ein eigenartiges Gepräge autzudrücken, waren diese
ihre Einwohner nicht imstande, und auch heutzutage spielen dieselben
daselbst eine sehr untergeordnete Bolle. — Die Erscheinung, dass im
unteren Innthal e ifiüiener zerstreut Torkonmif n , hängt mit den
hiesigen Forstverliiiltni^st Ti zusammen, welche wohl ancli einzelne Holz-
arbeiter dieser Nationalität bestimmten, hier ihren festen Wohnsitz zu
nehmen. In den Seitentliäleni hat zuweilen der Zufall Haushaltungen
entstehen lassen, deren Gründer italienischer Abkunft waren. So kaufte
laut dem Elitzbüchler Yerfachbuche Nr. 930 im Jahre 1839 ein pensionierter
ZoUamtskontrollor namens Sevignani seinem Sohne das FischergflÜ zu
Waidring, und ini Jahre 1854 war Alexander f'ompaguazzi Besitzer des
Eicher-Guts zu Kirchstcg bei Kufstein (vgl. 12. 102, Note 27). Es birgt
.sich übrigens hinter nran< lien it;ilienisch klingenden Faniilieniianien dieser
Geirend eine uralte deut-( he A listamniung. Die Bauenifaiiiilie Fontana
zu Maurach im Gerichts bezirke Kitzbüchl ist aus der altdeutschen Ge-
meinde Sappada im Venetiamschen eingewandert; die Bauemnamen
Rangediner und Rubisoyer, welche in dortiger Gegend verbreitet sind,
gehören .sogen. „Taurer Familien" an. d. h. solchen, die über das salz-
burgische Tauenigebirge ans der Windisi Ii - Matreier Gegend in jene
Uhersiedelt sind. Die angehlirhe Hesiedelung des Thaies von l'illersee
durch Komancn, welche aus Khätien und >ye>ri(um zwischen den
Jahren 944 und 10.j4 (!) dahin gekommen .sein .sollen, ist trotz der
Details, welche Friedrich Appold in einer von ihm verfiMsten hand-
schriftlichen „Beschreibnog des Landgerichts Kitzbttchl'^ darüber bei-
bringt, eine Fabel.
FondniBgai snr denttdun Land«» vaA YoUnlniBd«. I. 7.
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406
BidermMm,
[18
m. WippttaaL
Hierher gehören vom Politischen Bezirke (Umgebung) Inns-
bruck die Gerichtsbezirke Mieders, wo kein einziger Komane gezählt
wurde, und Stein ach, in welchem 109 Personen sich zur italienischen
Umgangsspradu' Ix'kannttn, und zwar G im Markte Matrei, 27 in der
Ortsgemoinde Mühlbachl, 75 in der Steinacher Gemeindefraktion Maum.
Das sind fast oline Ausnahme Bahnarbeitcr, welche zur Instandhaltung
der Tunnels auf dieser Strecke der Brennerhahn verwendet werden.
Jenseits des Brenners gehört femer hierher vom Politischen Be-
zirke Brizen der Genätshezirk Sterzing mit 213 Italienern, wovon
auf die Ortsgemeinden Jaufenthal, Ratschings und Mareit je 15, auf die
Ortsgemeinde Mittewald (das Dorf dieses Namens, den Weiler Grass-
sti'in und die Bahnstation Franzensfeste) 41, die Stadtgemeinde St^rzing
80 und die Fraktion Tschöfs der Orts<;emeinde Tschöfs -Hied 32 ent-
fallen. In let/tereni Bezirke wirken diesfalls mehrere Ursaclicn zu-
sammen, nänüich liie Erhaltung des Bahnkörpers, Steinbrüche und
andere den Italienern besonders zusagende Erii^erbsgelegenheiten.
Gesamtsumme des Wippthales: 822.
Zu Grassstein war im Jahre 1873 Massimo Zanotta als Stein-
metz etabliert; aber schon im Jahre l')37 lieferte ein Lucio de Sjiaciis
Steine aus den hiesi«^en Brth hen zum Bau der Innshnu ker Burg (1. St.-A.,
Kopeybuch , Entbieten und Bevekli" von ir.37. lU. 242). Die SUidt
Sterzing hatte bereits im Jahi'e 1314 Italiener zu ständigen Einwohnern,
nämlich den Bartolomeus de Florentia, dessen Oheim Lappo und andere
Gesellschafter, die der hiesigen Wechselbank ilire Kapitalien und ihre
Thätigkeit widmeten (12. 131). Am Nordabhange des Brenners finden
wir im Jahre 1338 die Familie Lazari, Verwandte Heinric hs des Lam-
parten, zu Trins fam Eindränge ins Gschnitzthal bi'i Steinaeh) ansä.ssig
und zu l'lruusch, einem Weiler der Ortsgemeinde (iries. begütert ( Wiltener
Urkuudenverzeichnis im Ferdinandeum zu Innsbruck ]^Iskrpt. I, h. ir>).
Die nach Tausenden zählende italienische Arbeiterschaft, welche anlSssIidi
des B;dinl);iui > in den Jahren 18(Jr> — IHüS das Wij)pthal l)elebte, Terior
sich mit der Beendigung dieses Baues bis auf kleine Eolonieen, welche
auch jetzt noch längs der Bahn angetrolten werden. Ihr zuliebe hielt
damah» ein Kooperator an der Pfarre St. Peter in Ellbogen (ober-
halb der Station Patsch) an Sonn- und Festtagen katechetische Vor-
träge in italienischer Sprache f&r die Erwachsenen in der Kirche, fÖr
die Kinder im Schulhause. Auch ein zweiter Chorherr des Stifts Wilteo
befasste sich als Kooperator zu Patsch damals viel mit dem religiösen
Unterrichte solcher Kinder in deren Muttersprache (12. 1()0. Note 24).
Aber, von den (irral)iiisrhriftt ii des Friedliof'^ abj^t sidu n . welchen die
Gemeinde Elllxigcii dieser Arbeitcrbevölkerung zuwies, erinnert jetzt in
dortiger (iegend nichts mehr an die massenhafte Invasion welschen
Wesens, das sich während jener Bauperiode daselbst breit machte.
Aehnlich verhält es sich auch im übrigen Wippthale.
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19]
Die NatiottftUtiUen in Tirol «tc
407
lY. Posterihal.
Politischer Bezirk Brunek (mit Ausnahme des beinahe .lu.sschliess-
hch von Ladinern bewohnten und den nördlichsten Ausläufer des kom-
pakten romanischen Sprachgebiets bildenden Gerichtsbezirks Eneberg) :
42^3 Italiener und Ladiner, welche letzteren hier ohne Zweifei einen
beträchtUchen Zusatz bilden und daher besonders hervorgehoben werden
mOssen Diese 423 Terteilen sich folgendermassetf: Stadt Bmmek 41,
Ortsgemeinde Dietenheim 3(5, Ehrenburg 8, Ellen 4, St. Georgen 3,
Getzenbei^ IC, Oreinwalden 18, Hofem 20, Issing 21, Kiens 10,
St. Lorenzen 0, und zwar in der Fraktion Saalen, Montal 18, Onach 2i),
und zwar 28 im Dorfe dieses Namens, Percha G, Pfalzen 21, Pichlern 5,
St. Siegmuud 20, Terenten 8, Ober-Vientl2 (vom Gerichtsbezirke Brunek,
dem YOistehende Gemeinden samtEch aufhören, fehlt da eine einzige,
nämlich Reischach, in welcher niemand mit italiemacher lesp. Uidinischer
Umganirssprache ermittelt wurde); Gerichtsbezirk Taufers 13, davon
3 zu Ahornach und 2 zu St. Johann, die übrigen einzelnweiso /^r-
streut; Gerichtsbezirk Welsberg 106, und zwar zu Niederdorf 21,
im zugehörigen Weiler Eggerberg 3, in der Ortsgemeinde Olang 6,
Ortsgemeinde Piclü 4, Ortsgemeiude Prags lU, Ortsgemeinde Taisten 3,
Ort.sgemeinde Tohlach 50. (Keine Italiener bezw. Ladiner sind da aus-
gewiesen bei den Ortsgemeinden Antholz, St. Magdalena, St. Martin
m Gsies, Nieder- und Ober-Rasen und Welsbei^.) — Politischer Bezirk
Lienz: 71, und zwar im Gerichtsbezirke Lienz 20, dnvon die relativ
meisten (4) in der Ortsgemeiude Assling; im Gerichtsbezirke Sillian 45,
und zwar 3<) zu Panzendorf (darunter 30 im Sthlosse lloiiifels ein-
quartierte Soldaten), 5 zu Wahlen, je 2 im Markte Sillian und in der
Ortgemeinde Ambach; im Gerichtsbezirk Windisch-Matrei: 6, davon 5
in der gleichnamigen Landgemeinde (im Weiler Mooe).
Gesamtsumme des Pusterthals: 404.
Es ist das eine überraschend «grosse Zalil, welche schleclit zu <ler
Behauptung (1. 0) ]>;isst. dass im ganzen Pu^tfrthale aus.ser 15 italie-
nischen Gewerlisleuteu fast gar keine st;il»ileu Italiener angetroö'en
werden, weil „der Volkscharakter in diesem Thale für die Aufnahme
des italienischen Elements durchaus unempfiinglich* sei. Dies ent-
spricht dem wahren Sachverhalte so wenig, dass vielm^r italienische
und ladinische Dienstboten auch auf den Bauernhöfen von Hochpuster-
thal keine Seltenheit sind, und es dort wenigo grössere Orte gibt, wo
nicht ein paar Familien, dtri-n Stamnivütcr aus Italien einjjft wandert
sind, sich befinden. Als Beispiele nenne ich: die VN amesey (aus Aurouzo
') Allem Anscheine nach wunh'ii Ituliener und Ladiner bei der letzton Volks-
zählung; in Tirol nicht genau oder überhaupt nicht voneinaiul» r uiiti-rschieden.
Sonst hätte die mit rrros«er T'ni*iclit geleitete k. k. Statistische Centralkmiimission
in Wien hei Herausguhe de.^ Si.ezial-Oi-tsrepertoriums für Tirol und VoiarUitTg es
sicher nicht tinterlasien. diesen rnt<>rschied ersichtlich zu machen , wozu ein paar
knne Anmerkunfren und wenige darauf P)t'/.n'jr nehnn'nde Zeichen hingereii ht liahen
Wflrden. Ich selbst sehe hier von den Ladinern im weiteren < Wissenschaft liehen)
Sinne des Wortes ganz ab und verstehe darunter b1o<;s die in Tirol so genannten,
romanisch sprechenden Bewohner der Gerichtsbezirke Eneberg and Kastelrath.
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408
Bidermann»
[20
in Kadober) zu Inniclien, die Vicelli (ursprünglich Vicelligo von eben-
daher) zu Sillian, die Vidal (Vidale aus Forno im Yenetianischen) zu
Niederdorf. Im Dorfe Vierschaeli hat sich sogar im Jahre 1854 eine
italiemsche Biiuemlamilie, d'w des Giaconio Girardi. anstandslos nieder-
gelassen. Und gross ist die Zahl der Ehen, durdi welche in früherer
Zeit Tt.alionerinnen in den Verband von Pusterthaler Familien einge-
treten sind. Im Jahre 1<)41t allein kamen 4 solche Ehen zustande,
welche in die Trauungsmatrikel der »Stiftspfarre Innichen eingetragen
sind. Aher rasch geht die TerdentBchung Tor sich. In der R^el
macht schon die zweite Generation nicht mehr den Eindruck von Ita-
lienern. Um so geringere Bedeutung haben vereinzelte Zusätze, denen
wir in der Geschichte aller ausehnlicheren Orte Pusterthals begegnen,
wie denn z. H. in <h'n Jahren 1580 — 1501 Joli. Ze])hir aus Henjanio
Apotheker zu Brunek. 1701 G. A. Verzi Apotheker zu Innichen. l')79
Dr. M. Gabr. Verzi btadtarzt in Lienz, 1717 Dr. M. Jak. Job. Fon-
tana dessen Nachfolger, um 1710 ein Herr y. Someda aus Primdr
Zolleinnehmer zu Panzendorf (bei Sülian)., 1651 Nikold Passin landes-
fürstlicher Forstmeister für ganz Pusterthal war. Um das Jahr 1022
traten auch mehrere italienische Holzhändler als Piu hter hiesiger Wälder
auf, was anzunehmen gestattet, dass damals Holzarbeiter gleicher Ab-
stammung daselbst sich einnisteten, denen so wie den italienischen
B Sagmeistern", d. h. Leitern von Holzsügeu, mau noch heutzutage dort
häufig begegnet (vgl. 12. 148). Am intensivsten mag der italienische
Einfluss sich zu Lienz unter den Görzer Grafen, welche dort (auf dem
Schlosse Bruck) residierten, geltend gemacht haben. Der ungenannte
Altertuntsfreund , \ve]clier J. G. F. von Kirchmairs Aufzeichnungen zu
eiii' i- Art Pustertliaier Chronik unter dem Titel „ Verzeicliiiis oder Be-
schreibung der Herrscliatt Eueberg und Sonnenburg** ( Hdsehft. tl04 der
Bil)l. Tirol.) verarbeitet hat, berichtet diesfalls zum Jahre 1448: »War
grosses Missvergnügen unter den Teutscheu am GOnsischen Hof, weilen
Graf Johann von Görz sich nu isteiis welscher Bedienten gebrauchet
hatt und die deutschen Ministerialen wenig mehr achtete." Und wirk-
lich erscheinen wenn schon nicht im Jahre 1448 so doch bald darauf
in Urkunden, welche die Görzer Grafen für das Pusterthal ausstellen
liessen, Holbeamte italienischer Katiunalität oder wenigstens solche aus
Gegenden, wo diese heimisch war; so z. B. 1460 Soldaner de Strassoldo
in einer zu Toblach ausgefertigten Urkunde als Kanzler (Oommissio
D. Ciomitis) und 1478 als Il;it des Grafen Leonhard ein Baldesar (Bal-
theser aus Fleims?), an welciien sich die Markgräfin Barbara von Mantua
damals mit einem italienischen Briefe wendete, um des L'^enannteii Grafen
Vermählung mit ihrer Tochter Paula zu betreiben, weklie auch erfolgte
und jenen Einfluss gewiss noch steigerte. Nach der vorerwähnten
Chronik, welche übrigens mit einem grossen TeOe ihres Inhalts zu den
gegründetsten Bedenken Anlass gibt und namentiich viele Verstösse
gegen die richtige Chronologie enthält, haben italienische KultureinflOsse
im Pusterthale schon frühzeitig den Bodenwert erhöhen und Wasser-
gefahr abwenden geholfen. Im Jahre lll.'i(?) soll Antlr»-,! dti Saheiii
die Umgegend von Lienz und im Jahre 1859 da*; Zusainnit nwirk» n der
veuetianischen \Va.sserbaumeister Staniozzi und Simondi den grossen
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Die Nfttionalitaten in Tirol etc.
409
See ol)er Webberg trocken gelegt haben (08. 2. 210, 430). Im Ver-
zeichnisse der Chorherren von Innichen, welches einer derselben, Ign.
Hann, zusammengestellt hat, erscheint beim Jahre 1270 Bonincontro,
Patrizier von Verona, und 1889 Nikolaoa de Biccabona. Eine wesent-
liche Kräftigung hat das deutsche Element in diesen Gegenden dadurch
er£diren, dass im vierzehnten Jahrhundert, wie eine glaubwürdige Sage
berichtet, da.s Thal Tilliach (welches, geographisch genommen, keine
Abzweigung des Pusterthals, sondern den Hintergrund des kärntncrisclien
Gailthals bildet), den Friiiuleru, welche hier ihre Herden zu weiden pÜeg-
ten, entzogen und mit Ankömmlingen aus Deutschland besetzt wurde
(68. 2. 411). Staffier beruft sich auf die Ueberlieferung der Thalbewohner,
welche auch der Meldung in einer handscliriftlichen Chronik der BibL
Tirol., alte Nr. 370, zu Grunde liegt, wo als beiläufige Ansiedluiigszeit
das Jahr 1334 angegeben ist.
y« Eiflaoktlial (swiachm FnuuenalSMte und Bosen).
Hier kommen in Betracht: vom Politischen Bezirke Brixen
der Gerichtsbezirk dieses Namens mit 85 Italienern, wovon 63 auf
die Militärgarnison der Stadt Brixen . 8 auf die Ortsgeni^intle Afers,
14 auf den Markt Mühlbach (nächst dem Eingange ins Pusterthal)
entfallen; ferner vom Politischen Bezirke Bozen die Gerichts-
bezirke Klausen, Sarnthal und zum Teil Eastelruth, sowie die
Ortsgemeinden Ritten, Wangen, Tiers, Welschnofen undEarneid.
Der erstgenannte Bezirk zählt 22 Italiener, die sich auf die Orts-
gemeinde Villnös mit 15, auf die Ortsgemeinde Yillanders mit 5 und
Feithums mit 2 verteilen. Der Gerichtsbezirk Kastelruth ist hier
bloss mit der Ürt«gemeinde Völs und mit der Mehrzahl der Fraktionen
der Ortsgemeinde Kastelruth in Rechnung zu stellen, da von diesen
Gemeindefraktionen die Dörfer Pufels, Rnngaditsch und üeberwasser
bereits zum kompakten ladinischen Sprachgebiete gehören. Sonder*
barerweise enthalten die übrigen keinen einzigen Romanen. In der
Ortsgemeinde Völs wurden 0 gezählt. Im Gerichts bezirke Sarnthal
wohnten 9, davon «> in dem die Umgebung des Hauptorts bildenden
Dorfe Samthein; endlich, was den Bozen er Gerichtsbezirk betrifft, in
der Ortsgemeinde Karoeid 39, im Dorfe Welschnofen 13, in Tiers und
Wangen je einer, auf dem Bitten keiner.
Gesamtsumme des Eisaokthaies: 179.
Die Höhen von Gufidaun und Lajen waren bis ins vierzehnte
Jalirhundert hinein von verein/falten Romanen bewohnt, wie nicht nur
Steub (7*). 430) vermutet, sondern auch unverkennbare Personennamen
beweisen (12. 108, Note 2). Damals lebte auch noch der im Jahre 1286
dahin eingewanderte Eonnd Cavozzo, der im Volksmunde nach seiner
froheren Hehnat «der Lampart " hiess (Stephan r. Mayrhofen, handschrift-
liche Genealogieen der tirolischen Adelsgeschlechter im Ferdinandeum
zu Innsbmck, IV. Bd.). Gleichzeitig, im Jahre 1308. weilte zu Klausen
Cienus Centomile, Faktor florentinischer Kaufleute, insbesondere der
de Rubeiü. Bald daraut waren 3 Höfe zu Salem im Besitze von
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410
Bidennaaii,
[22
Florentineni (Climel s ()e«lerr. Geschichtsforschern, 385). Im Jahre 1374
erwarb ein Botsch (aus der bekannten tiorentiuischcn Familie) das ge-
samte Gericht Kastelrath (38. Re^. 1034) und um das Jahr 1340
ward Amadeus de Florentia^ Sohn des mercator florentinus Guido
de Rossis in der Domkirche zu Brixen begraben Mayerhofen, III. Bd.,
Artikel „Botsch"). Dieser Bischofssitz zopr auch in der Folgezeit Ita-
liener und Ladiner der inanuigfaltigsten Berufe an. namentlich Priester,
so dass das hiesige um seinen deutschen Charakter besorgte Dom-
kapitel Schutzmassregeln dawider ergriff. In den Jahren 1807 — 1876
bestand hier eine Andedlung italienischer Jesuiten, das sogen. Kolle-
gium Fagnuni (12. 150, Note 21). Ursprünglich in Pbdua errichtet,
wurde dasselbe, weil die italienische Regierung es hier nicht länger
duldete, nach Brixen zu dem Zwecke übertragen . junge Italiener in
den Lehrgegenständen eines Obergymnasiums zu unterrichten und sie
in dem damit verbundenen Konvikte zu erziehen. Als diese Lehranstalt
wegen Mangels der gesetzlichen Erfordernisse geschlossen ward, zahlte
sie 85 Zöglinge, wovon 68 ünterthanen des Kdnigreiehs ItfJien waren.
Mit Hinzurec&ung der italienischen Lehrkräfte und der Dienerschaft
nmfasste das ganze Kollegium über 100 Personen italienischer Natio-
nalität. Es galt für ein Vorwerk der letzteren im deutschen Südtirol.
Ein vor langer Zeit schon den Romanen abgenonimeucr Stützpunkt
war, wie der Name besagt, Welschnofen, das samt der Umffegend im
swöUtea oder dreizehnten Jahrhunderte von deuteehen Einwanderern be-
setzt ward (90)
YL Oberes Stsohthal (von Bosen aufvArte).
Es geiiüreu hierher vom Politischen Bezirke (Umgebung)
Bozen die Ortsgemeinden des gleichnamigen GerichtsbezirkB : Gries,
Jenesien, Terlan, Flaaa und Mdlten. Von diesen ist nur die kleine
Gemeinde Flaas ausschliesslich deutsch; Möltcn (1) und Jenesien (2)
sind es nahezu. Desto stärker ist der itahenische Zusatz bei den
übrigen. Er beträgt bei Gries bei Terlan 23.'. Ferner gehören
hierher der ganze Politische Bezirk Meran mit lolü Italienern und
vom Politischen Bezirke Landeck (spezieller vom Gerichtsbezirke
Nauders): die Ortsgemeinden Nauden, Reschen, Graun, Langtanfers und
Haid. Diese 5 Gemeinden zusammengenommen zählen bloss 8 Romanen,
nämlich Nauders 7 und Graun einen. Auch im Glurnser Gerichts-
bezirk, welcher der den Etsehquellen niichstgelegene des Politisclu n
Bezirks Meran ist, koumien bloss 7 Romanen vor, davon 4 im Dorte
Tartsch. Der hieran stossende Gerichtsbezirk Sc hl anders weist^
abgesehen vom Gerichtssitze dieses Namens, dessen 35 Italiener zu-
meist, nämlich mit 30, auf Rechnung der lüesigen Militärgamison zu
setzen sind, bloss ihier 6 auf. Dagegen zählt der Gerichtebezirk
*) Von diesen Einwanderern handelt auch, und zwar auf Grund persönlicher
Bekannt' f'haft mit denm Nachkommen. Prof. V. M. Gredler in seiner BrOtchttrO
^Exkursion auf Joch Grimm", Innsbruck 10tj7.
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28]
Die Nationalitäten in Tirol etc.
411
Merftn deren 938, und zwar der Gerichtssitz 60, das Dorf Ober-
mais 36, das Dorf Mühlbach (Fraktion von Alguiul) 10, das Dorf
Orabsch 10, das Dorf SclK'hina 11, die Ortsgeraeinde Tirol 22, die
Ortsgemeinde Vöran 18, die Ortsgemeinde Unteniiais 129, Burgstall 215,
Gartrazon 2G7. Aus^serdem ist hier der Gericbtsbezirk Passeier mit
ö;J Ittdienem zu verzeichnen, wovon 33 in der ()rt.sgenieiude Kaben-
steiu und 10 iu der Ortsgemeinde St. Leonhard angetroffen wurden.
Den Schlnss macht in der Richtung gegen Bozen der Gerichtsbeztrk
Lana mit 271 Italienern, von welchen am öerichtssitze 103, in der
Ortsgemeinde Marling 45, Tisens 39, Ulten 41, An<lrian 21 und Nals 17
anwesend waren. Auf das langgestreckte Ultf-nthal verteilen sich die
vorerwähnten 41 folgendermasseu : Ortschaft Öt. Gertraud 3, St. Niko-
laus 7, St. Pankraz 14, St. Waliburg 17.
Geaamtsumme des oberen Etschthales: 1619.
Maff nun gleich die Zahl der Anc&ssigen unter diesen TerhSltnis-
mässig sehr klein und noch immer in Abnahme begriffen sein — in der
Ortsgemeinde Lana sollen unter 7G4 Grundbesitzern bloss 0 Italiener,
unter ir>0 Gewerbetreibenden bloss 3; in der Ortsgemeinde Andrian
unter 153 Besitzern 2; in der Ortsgemeinde (largazon unter 13 Ge-
werbetreibenden 3, unter 107 Grundbesitzern 4; iu der Ortsgemeinde
Buigstall bei 11 Gewerbetreiboiden 3, unter 95 Besitzern 5; in der
Ort^emeinde Terlan unter 57 Gewerbetreibenden 2, unter 260 Be-
sitz^ 8; in der Ortsgemeinde Gries unter beiläufig 700 (?) Besitzern 2,
unter 81 Gewerbetreii)enden 7 sich befinden (4. 12, 13): — so ist
doch von einem Rückgange der italienisch Sprechenden da wenig zu
verspüren. Vielmehr Uberst<„'igt das diesbezügliche Ergebnis der letzten
Volkszählung alle Erwartung. Mehrere Jalire zuvor wurde kaum die
^Ifte als im oberen Etschthale vorhanden angenonmien. Man ver^
anschlagte die Zahl der Italiener ffXr Lana, Andrian und Kais zu-
sammen auf 50, für Burgstall auf 70, für Gargazon auf 150, für ülten
auf 20. ftir Terlan auf 50 (12. 147). Bei den offiziellen Vorerliel)ungen
zur „Ethnographie der österreicliis( hen Monarchie" (im Jalire 184G)
wurden die damals hier schon beträclitlichen Ansätze italienischer Ein-
wanderung ganz übersehen. Also lässt sich mit dem früheren Be-
TöUcerungsstuide kein Vergleich ziehen. Wenn aber Lokalkundige
versichern, dass in Burgstall die Hälfte, in Gargazon sogar zwei
Drittel der Bewohner verdeutschte Italiener sind (1. 12). dass man
auch in den Ortschaften Andrian und Nals eine erhebliclie Zalil von
verdeutschten Italienern antrifft, deren Abstammung „in Gestalt, Sprat lie
und Lebensweise" sich offenbart (4. 11), so ist daraus ein sicherer
Schluss auf die Stärke zu ziehen, in welcher das italienische Element
hier vor 30 — 40 Jahren verbreitet war. Immerhin wird Ton der Wahr-
nehmung, dass dasselbe nunmehr hier altnimmt, Notiz zu nehmen sein.
Speziell wurde dieselbe, was den Besitz von Bauernhöfen anbelangt,
zu Burgstall (31. 11, Note) und bei den Gewerbetreibenden in
Meran gemacht, deren italif nischer Prozentsatz seit dem .lahre 1870
bis 1880 von Ö auf 4 sich vermindert hat (4. 10). Desto zahlreicher
sind die Italiener unter den Taglöhnem yertreten, von welchen be-
hauptet wird, dass sie am linken Etschufer von Bozen bis Meran zur
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412
Bidenuann,
[24
Hälfte, am jenseitigen aber zu einem Viertel jener Nationalität
angehören (4. 13). Auffallend bleibt ee trotzdem, dass am Scblusse
des Jahren 1880, wo auch in diesem seines milden Klimas wegen be-
kannten Teile Tirols die Feldarbeiten zumeist ruhen, einzelne Ort-
schaften so stjirk mit Tfali^'iiem bevölkert waren. Es i<t dabei wohl
auch die (^it ptloucnlieil der Nüusberger, ilire Kinder zum Deutsch-
lernen iu diese liegenden zu schicken und daselbst zu verdingen, mit
in Anschlag zu bringen. Von einem Umsichgreifen der italieni-
schen Nationalität kann da freilich nicht die Rede sein. Vielmehr
wird diese im oberen Etschthale häufig von denjenigen, welche sie
dahin mitbrini^en , abgestreift und vollzieht sich so ein Germani-
sierun^sprozess, welcher selbst bei den später wieder in die
alte Heimat Zurückkehrenden andauernde Spuren hinterlässt.
Wir haben es da mit einer Erscheinung zu thuu, welche Jahrhun-
derte alt ist und bei den Bewohnern des Nonsberges näher zu eröitem
sein wird.
Aber auch eine zweite Veranlassung zur Ansammlung von Ita-
lienern in diesen di in Weinbau so günstigen Gegenden, nämlich der
Besitz sogen. Weingüter daselbst seitens italienischer Famihen, darf
nicht übersehen werden. Der Nonsberger Job. Peter Genetti besass zu
Siebeneich (Ortsgemeinde Terlan) schon im Jahre 1732 gun riguardevole
stabile" (41. 120a); 1753 erhielt Graf Paul Bettoni aus Brescia die
gesamte Herrschaft Schönna durch landesfürstliche Verleihung als Pfand-
schilling (79. 419). Zur Zeit des Zustandekommens der theresianischen
Grundsteuerbürlier (1777) gehörte zu Burgstall das Kofigut dem Freiherm
Joseph Priami, der sogen. Mairhof dem Jul. de Quadri, zu Gtirgazon
das Porzenmosgut jenem üralen v. Bettoni, dua Boznergut dem Jakob
Y. Maffei, das WinUgut dem Job. Bombardi, das Rundegg-Anwesen
der Familie Priami -Parayicini. Die Tharonatti und Gunpi waren
bereits zu Anfang des neunzehnten Jahrhunderts zu Nals begütert
Diese Besitzer Hessen mit geringer Ausnahme ilire Güter durch italie-
nische Bauleute bearbeiten und lockten so zuerst eine crrössere Anzahl
von italieniselien Familien in die betreffenden Gegenden. Aber an
einzelnen Einwanderern dieser Nationalität hat es im sogen. Burg-
grafonamte und im Vintschgau auch schon in sehr alter Zeit ni<mt
gefehlt
Namentlich war die Stadt Meran durch lange Jahre ein
Sammelplatz italienischer Münzarbeiter und der bezüglichen Unter-
nehmer, welche teils aus der Lombardei, teils ans Hetrurien her])ei-
kamen. Schon im .lalire 1287 hatte Philipp Tuskhan von Florenz in
Geraeinschaft mit 2 Brüdern das hieiiige Leihhaus (casanam prestiti)
inne (Hormayr, Sämmtl. Werke II, Drk. 49). Im Jahre 1296 er^
scheinen unter den MOnzem zu Meran Tenga Ton Florenz und (als
Silberprobierer) Bonus von Trient (A. f. Gesch. u. Altertumskde.
Tirols, V.. 24. 25), 1 Pagan von Bergamo (f^S. Reg. :W4) , 1312
Nikolaus von Florenz (Chmers Oesterr. Geschiclitsforscher II, 3r>4).
1318 als zu Meran ansässig Arthusius und Philipp von Florenz
(38. Reg. 423), 1301 als Inhaber der hiesigen Münze und Wechsel-
bank GhBTO von Florenz, Sohn des Franziskus von Gasaweckl = Casa
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25]
Die Nationalit&ten in Tirol etc.
418
▼ecchia (Primissers urkundl. KoUektaueen in der Bibl. Tirol, a. N. 2riÄ),
1421 Bartlmä Beltramel von Mailand (A. f. Gesch. u. Altertumsk. Tirols,
y, 41). Im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert geriet das Deutsch-
tarn an manchen Orten des Burggrafenamts in Bedäuffnisse, deren es
sich aber wacker zu erwehren verstand. So bedimg si^ die Oem^de
Ydran im Jahre 1574 vom Möltner PfArrer aus, dass er ihr nur
Priester zusende, welche Deutsche oder weni<]^stens der deutsclien Sprache
mächtig sind (79. 508). Die Stadt Meran nötigte im Jahre 15*10 dera
Churer Bischof Beatus a Porta die Zusage ab, dass er im dortigen
Pfarrhause fortan 3 deutsche Priester unterhalten werde (79. 247),
und im Jahre 1606 fasste der hiesige Gemeinderat den BescUnss, dass
künftig „khain Aidtgenoss, Engadiner, Pundts- Gauer (GxaubflndnerP),
Walch oder Saphoyer'^ zum Bürger daselbst aufgenommen werden sollte
(A. f. Gesch. u. Altertumsk. Tirols, II, 19(3). Nooli energischer lehnte
sich die Pfarrgemeinde Schönna ge<^en die V erwelschung auf. indem
sie ihren der deutscheu Sprache nicht genug mächtigen Seelsorger
Christoph Gampi im Jafaxe 1686 geradezu yertrieb (79. 423).
ISn grosser Teil des oberen Etschthales und einzelne Seitenthäler
waren freilich bis ins sechzehnte Jahrhundert herein von Komanen be-
wohnt. So meldet dies der reformierte Pfarrer von Chur, Ulrich Campell,
in seiner um 1570 verfassten Besehreibung Hochrhiiticns von den Ge-
meinden Taufers, Mals, Burgeis, Laas und Schluderus. Er l'asst
in Mals und Nauders die rhätische (ladinische) Sprache ebenso ge-
briluchlich sein als die deutsche, und behauptet das Gleiche sogar Ton
Partschins bei Meran (19. 3, 4). Danach kann es nicht befremden,
dass zu Latsch im Gerichtsbezirk Schlanders in den Jahren 1321 bis
1337 ein Magister Agnellus de Tridento Pfarror war und den Frances-
chinus Banchis de Placentia zum Nachfolger liatte (10. 280). Es wird
auch im Hinblicke hierauf begreiflich, wie Walgrin von Tarrent an-
§eblich in der zweiten Hälfte des zwölflen Jahrhunderts sich bei Nau-
ers niederlassen und das nach seiner Familie benannte Schloss Tarants-
berg (Dornsberg) erbauen, wie noch vier Jahrhunderte später der Enga-
diner Jos. Mor nach Siberkirchen bei Mals ziehen mochte, und wie im
Jahre 1559 Peter de Barbis, ein Italiener, zu Partschins das Pfarramt
antreten und es bis 1582 l)eklciden konnte. Zu Burgeis wurde noch
im Jahre 1018 in italienischer und ladinischer Sprache gepredigt, und
am 25. Februar 1617 musste der Abt Matthias Lang vom Benediktiner-
Uoster Marienberg der Gemeinde Schlinig rerbieten, bei ihren öffent^
liehen Zusammenkünften eine andere als die deutsche Sjjrache zu ge-
brauchen. Aus welchem Grunde er dies that, lehrt eine Eingabe, die
er im Jahre 1610 an den Tiroler Landesfürsteu Erzherzog Maximilian
richtete, sich wegen des Beharrens der Burgoiser beim < alvinischen (ilauben
damit entschuldigend, dass ihnen mit der katholischen lleligiou schwer
beizukommen sei, weil sie sowohl im PriTatTerkehr als öffentlich
«allein der barbarischen engadinerischen Sprache* sich bedienen. Die
Gemeinde Mals hatte noch vor kurzem eine 1608 angeschaffte grosse
Glocke mit romanischer Inschrift. Aus Taufers im Mtinstcrtliale
verdrängte das Ladinische erst um das Jahr 1700 der Pfarrer 1*. Per-
linger und von Stiifs am Fusse des gleichnaniigea Bergjochs versicherte
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414
Bidemaim»
detii Benediktiner P. Alois FalUr (dessen schon von Hormayr in den
Wien. Jahrb. d. Litteratur Bd. 5. S. 4 benutzte Aufzeichnungen, jetzt
in der Bibl. Tirol. Handschrift Nr. 1019, Torstehenden Angaben zu
Grunde liegen) zu An&ng des neunzehnten Jahrhunderts ein dort ge-
borener Priester, dass er dort Leute kannte, welche noch des Ladini-
schen kundig waren (vgl. 11. 33, Note 2). Und wie an der Schweizer
Grenze das Ladinische, so erhielt sich im Ultentliale das Italienische
noch lange, nachdem das deutsche Volkselement hier zu Ansehen ge-
kommen war, im Gebrauche. An der Huldigung, welche die Thal-
gemeinde im Jabre 1568 dem Erzherzo|p Feaäinand zu St WaUbnrg
foisliete, beteiligten sich, wie die bezügliche Urkunde bezeugt, auch
„Leute welscher Zunge" (79. 704). In neuerer Zeit haben daselbst
die Malapell und die Sorzi aus dem Nons- und Sulzberge sich ange-
siedelt (79. 806). Als(t aurli hier eine rücklüuüij:«' Bewegung, wogegen
im oberen Vintscligiiu Eugudmer nur mehr auf der Fahrt nach den Kapital-
zinaen, welehe ob dort zu fordern baben, sich einzufinden pflegen.
Vn. Bozen und die ZwOlf Malgreien.
Die Stadt Bozen zSblt nach der letzten Volkszählung ohne ihre
Vororte, als was die zu einer besonderen Ortsgemeinde zusammen-
ge&ssten Zwülf Malgreien anzusehen sind, 1142 italienische Einwohner
(darunter HO Soldaten), und mit diesen Vororten H.'iO.
So hoch wagte 4 Jahre zuvor nicht einmal der italienische Kaj>lan
der Bozener Kapitelpi'arre die Zahl derselben anzuscltlagen. Aber es
sind freilich darin viele nur temporär anwesende Bauhaiidwerker und
TaglÖhner begriffen. Die Liste der im Stadtgebiete betriebenen Ge-
werbe vom Jahre 1B80 weist 36 Italiener auf, von welchen 5 Handels-
leute mittlerer und niedriger Kategorie sind, alle übrigen jedoch, mit
Ausnahme eine's f'ivilingenieurs, dfm niedrigen Gewerl)estande ange-
hören. St'it l>^t)0, wo das betrettende Verhältnis zur Gesamtzahl der
Handel- und Gewerbetreiljenden dieser Stadt beiläuhg 0 '^o war, hat
sich dasselbe bis auf ungefähr S'/s ^jo vermindert.
So berechnete mindestens der Tormalige Sekretär der hiesigen
Handels- und (i* wt rbekammer im Jahre 1881 den bezüglichen Anteil
(4. 18). Die Liste der Gemeindewäliler vom Jahre 188.3 enthält unter
788 Wahlberechtigten bloss 55 Italit-n^ r. von welchen 42 dem dritten
(471 Namen umfassenden) Wahlkörper angehörten, während im ersten
und zweiten mehr als die Hälfte aller Italiener aus Beamten bestand.
Von diesen abgesehen, waren der Besdiäfligung nach: 13 Handeltrei-
bende, 1 Hausbesitzer, 2 Offiziere a. D., 1 Arzt, 1 Ingenieur, 1 Ad*
▼okaturskonzipient und der Rest (22) Gewerbetreibende ').
Zur Zeit des Bahnbaues, d. h. in den Jahren 1859—1807, leistete
die österreichische Regierung in Anbetracht der vielen italienisclu n
Arbeiter, welche damals in Bozen und in der Umgebung der Stadt
Ich verdanke diesen Nachweis meinem Freunde Dr. Juliut^ Würz er in
Bozon . der aln Kingoborrner , «'hemaliger ßQrgermeiit^ Und iangjfthrigor Notar
in dieser Stadt deren Bevülkerung genau kennt.
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27]
Die Nationalitlteii in TM etc.
41&
sich aufhielten, aus dem sogen. Religionsfonds einen jährlichen Zuschuss
von 2UU Gulden zur Erhaltung des hier schon seit 185U in der Seel-
sor<re thätiicen italienischen Kaplaus. Aber im Jahre 1807 stdlte das
Kultuäuuuisterium diesen Beitrag ein und olles Rekurrieren wider den
abweiaHchen Bescheid war finicnllofl. Eine kaiBerlicbe Entschliessimg
Tom 9. MStz 1871 mochte den G^egenbestrebungen ein Ende. Aus
den bezOglidien Akten ist zu ersehen, da.ss die italienisdien Predigten
in der sogen, alten Plarrkirelie zu Bozen auf Ersuchen der hier lebenden
Italiener um das Jahr 182i) ihren Anfang nahmen, ein besonderer
Pritster hierzu jedoch erst im oliengenannten Jalire bestellt wurde.
Ein dessen Eortbestand als notwendig erklärendes SchrifUtück vom
20. Februar 1869 trägt 57 Unterschriften, darunter die der Direktionen
zweier Fabriken. Hieraus ist zu entnehmen, daes damals die Zuwande-
rung von Italienern in Bozen eher begtlnstigt als hintangehalt» n wurde.
Man folgte dabei einer bis ins siebzehnte Jahrhundert zurlU kreieliendeu
Tradition, welche mit der Stellung der Stadt als eines der l)edeutend8ten
Handelsplätze und insbesondere mit den Jahrmäi'kteu (Messen), welche
hier stattfanden, zusammenhängt.
Der sogen. Merkantilmagistrat war in der That eine vorwiegend
italieniscbe ^richtung. Zwar sollten in ihm Deutsche und Italiener
gewisscrmassen sich das Gleichgewicht halten und wurde nur zu diesem
Ende dem Bozener Marktricliter David Wapier (dem Ahnherrn der
heutigen Grafen von Sarnthein) iJr. Joh. Baptist Girardi als rechts-
kundiger Beistand adjungiert (I. St.-A., „Geschäft von Hof", lli;J;i,
BL 58); allein in der That herrschte das italienische Element als
das in Handelssachen erfahrenere vor, und vermöffe der italienischen
Sprache, in welcher bis um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts
die kaufmännische Korrespondenz auf dem Bozener Platze geführt zu
werden pflegte (11. '{5- — 4. IG), fand es in Kreise Eingang, die
sonst sich ihm verschlossen. Der Stadtchronist Zobel meldet, dass im
Jahre 172(3 die vornehme Stadtbevölkerung an einer deutschen Oper
sieh ergötste, späteihin aber (1753, 1760, 1775) nur mehr an italie-
nischen OpemTorstellungen GeÜBÜlen femd. Dieselbe war damals nahe
daran, der Stadt ein Gepräge au&udrttcken, das sie um die Mitte des
ftlnfzehnteu Jahrhunderts getragen haben mochte, wo sie, freilich nur
in den Augen der italienischen Mönche, die damals dort lebten, für
eine italienische galt. Der Dominikaner Fr. Felix Faber, der sio
im April 1483 besuchte, vernahm dies dort und erblickte eine Be-
stätigung dessen in dem Umstände, dass dn ihm bekannter Ordens-
bruder zur Zeit, als er in Bozen Ausläufer (cursor) und Prediger war,
kein deutsches Wort verstand (28. 71). Beda Weber hat hmwieder
(82. 18) den Ausspmch gethan: „Die Stadtgemeinde Bozen war von
den ältesten Zeiten l)is zum Jahre 147(5 dergestalt deutsch, dass nach
unzweideutigen Akten des dortigen Archivs gar keine Italiener zum
Bürgerrechte zugelassen wurden." Allein der walire Sachverhalt ist
ein anderer. Gerade das dortige Stadtarchiv enthalt Belege für das
Gegenteil. Ein Statut, welches Erzherzog Siegmund von Tirol im
Jahre 1488 für die hieeigen Jahrmärkte erliess, konstatiert im Absätze 3,
dass ,yil walchen zu Ek>tsen vi! hewser ynd Burgerrecht haben".
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416
Bldennann,
[28
{\\<ft aber bei, dass solche trotzdem „nicht wesenHehen da siezen", d. h.
nicht daselbst ihr Hauswesen halten, und macht ihnen dies zum Vor-
wurfe. Im Absätze 4 erwähnt das Statut abermals, dass „die walchen
daselbs zu Botzan vil hewser an sich kauifen', diese aber nicht selbst
bevobnen, sondern mit Leuten niedrigen Standes, «die weder zu Bat
nocli Gericht preuchig sein", besetzen. Ueber letzteres, nicbt aber ühet
die Ausbreitung der Italiener an sich, hatte die Bürgerschaft beim Erz-
herzog Best liwerdL' geführt, der sohin anordnete, dass <l(Tlei. ihre Häuser
nicht mit [{iUken besitzende Italiener entweder mu h Bozen zu über-
siedeln oder ilire Häuser an Leute zu vermieten haben, welche den
bürgerlichen Obliegenheiten gewachsen sind, widrigen&Us ihnen audi
nicht gestattet sein soll, bei zeitweiliger Ajiweseimeit sich selbst zu
verköstigen, sondern sie wie andere fremde Kaufleute im Wirtsliause
zehren müssten. Also weit entfernt, den Italienern, welche in Bozen
als Bürger leben und den Pflichten solcher persönlich nachkommen
wollten, dies zu verwehren, bestand viehnehr die Stadtgemeinde aul'
deren Verweilen in ihrer Mitte.
Mit dieser Gleneigtheit, Italiener aufzunehmen, steht auch in -vollem
Einklänge, dass die Stadt im Jahre 1473 den Doktor der Medizin
Jakob Fontaneiiis zu ihrem „Leiluuzt" bestellte, dass um das Jahr 1485
Jos. Gudoldi aus Verona hier das Bürgerrecht < nvarli . dessen Sohn
Vinzenz wiederholt zum Bürgermeister der Stadt erwählt wurde (12. 157,
Note 13), und dass e'uw im Jahre 141t.*> von der Familie Orlandini zu
Gunsten der Stadt gemachte Stillung (Alte Buchhaltungsakten im
I. St-A. D. 6. 191) von der Dankbarkeit Zeugnis gibt, mit welcher
einzelne italienische Familien jenes Wohlwollen yergalten. Erst im
Jähre 1524 fasste der Stadtrat (laut Sitzungsprotokoll Bl. 10) den
Beschluss: .,Es soll auch kein Saffoir, Wälsrher noch Annder,
die nicht der teutschen Sprach sein, zu keinem Bur^'-er nicht auf-
genommen noch (ihnen) hie ain Gewerb ausserlialb der Miirkht nit
gestattet werden.'' Indessen soll nicht in Abrede gestellt werden, dasa
diese den Italienern abholde Stimmung bereits um das Jahr 1490 die
Oberhand gewann, und zwar infolge steigender Zuwanderung von Deut-
schen, deren auch F. Faber Erwälmung äut, indem er ihr die Umwand-
lung der Stadt in eine deutsche , als was er sie anerkennt . zuschreibt
(23. 72). Unter den in den Jahren 1480 und 1494 neu aufgenommeneu
20 Bürgern, welche im Stadtbuche verzeichnet sind, ist kein einziger
Italiener, wohl aber erscheinen darunter 2 Bayern und „Meister Her*
mann Parbierer* aus Bingen am Bhein. Mit der Belebung des deut-
schen Bewusstseins durch die An&nge der Reformation wuchs die
keimende Abneigung gegen das undeutsche Wesen, so dass ihr im
Jahre 1514 die italienischen Barfüsser- Mrtnehe, welche seit 1458
das hiesige Franziskam rkloster bewohnten, weichen mussten, um durch
deutsche Konventuaien aus Schwaz im Innthale ersetzt zu werden
(82. 209). An jenem Botsbeschlusse Tom Jahre 1524 wurde in An-
sehung der SaToyer und Italiener 70 Jahre lang festgehalten.
So wies die Gemeindevertretung im Jahre 1532 einen SftToyer
mit 'seinem Gesuche um das Bürgerrecht ab, weil „dieselben Personen
weder zu Sprüchen oder Tagen (d. h. Gerichtssitzungen) zu geprauchen
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29]
Die NationaUtfttcn in Tirol eic.
417
siudt vud aus viel hewe«;lichen Ursachen und Freiheiten". Als im
Jahre 1542 dessenungeachtet Bernhard ßonmai-tin sich mit dem gleichen
Anhegeu meldete, erneuerte der Stadtrat jenen Beschlusa bezfiglich
aller «aiuser teutacher Kaüon" geborenen Personen und schloss er diese
sogar Yom Inwohnenrechte aus. Demgemiss erliess er im Jahre 1508
gegen mehrere Savoyer, welclie hei einem ^wiilschen Doktor" sich auf-
hielten, ein Abschiiöung.sdekret. Am 8. Mai ir)!'.') machte er dagegen
dem Savoyer Michael Martignoy von Augstal in Anbetracht seines vor-
gerückten Alters und der Unwalu-scheinlichkeit, dass er hier mehr
einen Hausstand gründen werde, gegen Erlag einer Auinahmstaxe von
800 Qnlden das Zugeständnis, dass er in Bosen wohnen dtirfe. Nach-
dem derselbe wider Erwartoi sich mit einer BUrgerswitwe yerehelicht
und mit Rücksicht hierauf von der Aufnahmstaxe befreit zu werden
gebeten hatte, widerrief zwar der Stadtrat die ihm erteilte Erlaubnis
nicht, sondern verhielt er ihn im Jahre l'»tMi nur zur Bezahlung der
Taxe; ^iber er verschwur es neuerdings, tSavoyer zuzulassen. Den
Ladinern aus dem Engadin gegenüber ward Übrigens von jeher in
Lesern Punkte Nachsicht gettbt. Dafttr lag Sinen die Stadt mit
Schmalz aus ihrer Heimat zu versorgen, worüber unterm 0. Fel^r. 15G5
mit ihnen ein f()rin]ie]ier Vertrag geschlossen wurde, welchem im Jahre 1 .'»»w
die Beschränkung ihres Aufenthaltsrechts auf zwei Familien ((iel)rüder
Gritti) folgte, denen, allerdings gegen Erfüllung jener \'erpllichtung,
ausser dem Wohnen in der Stadt nun auch „das Schuhllicken toleraudo
gestattet* wurde. Die Ausschliessung der Übrigen vom Aufenthalts-
rechte ward unterm 10. Dezember 1598 erneuert; allein streng wurde
dieses Verbot nie gehandhabt, und man setzte sich sogar (mit Be-
willigung der oberösterreichisehen Kegierung zu Innsbruck) im Jnlire 1002
ül)er das Calvinisclie Bekenntnis, tleni die anwesenden Engadiner
anhingen, hinweg (laut Sitzungsprotokoll von diesem Jahre, Bl. 4 u. 2oJ.
Auch späterbin blieben die protestantischen Schmalzhändler aus dem
Engadin in Bozen unangefochten, so speziell die Handelshäuser Meieher
und Bietti, welche noch im Jahre 1740 dort regelmässig ihre Ge-
schäfte trieben (s. den „Generalauszug" der Stadtakt«! im B. Stdt.-A.
Bl. 183 a). Mehr im allgemeinen machte die Eingenommenheit geL'en
welsche Eiubürgerungsversuche wieder der entgegengesetzten Uesnuiung
Platz, sils der oben erwähnte Merkantilmagistrat zu wachsendem An-
sehen gelangte und die „Matricola della Contrattatione delle Fiere di Bol-
giano' zu einem Ehrenbuche wurde, auf welches die gesamte Bozener
Bürgerschaft mit undeutschem Stolze blickte. Beim Jahre 1058 finden
wir den Handelsmann Bemardin Giovauelli aus Oandino l»ei Bergamo
in diese "Matrikel eingetragen. Er enifthet die Keilie der Italiener,
weiche hier ni neuerer Zeit eine älinliehe Holle s]»ielten, wie sie im
vierzehnten Jahrhundert Uielueren Gliedern der liorentiner Eunuhe
Botsch auch daselbst zu^^efallen war, so namentlich dem Botzo
de Bamborossis, welcher im Jahre 1342 den Bozener Zoll zu Lehen
trug und im Jahre 1368 starb
') Nach dorn K. d. I. .'<ch.-A.r^ (IV. lOS) hatte , Botsch, Zuanens Sohn voa
Florenz", 2 Zollstättea iii Bozen durch Kauf' an siuh gebracht, weiche Erwerbung
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418
Bidttmaim,
[80
Bevor (li*r neue Umschwung eintrat, ftlhrte hier (his italie-
nische Element ein .so bescheidenes Dasein, dass seihst die Au\ve>enheit
der Lehrmeister des berühmten Geigeumachers Jakob Stainer, Paolo
und Kattia Albani, welche in die Zeit um 1640 fällt, ganz in Ver-
gessenheit geraten konnte. — Was endlich die ZwtUf Malgreien (so
von den Gerichtsstätten genannt, deren alte Bezeichnung in späterer
Zeit mwh zur Bezeichnung: von Gemeindeabteilungen diente) . bezw.
die hier ansässigen oder weni<ifstens begüjterten Ttaliem r anbelanrrt, so
machen sie von jeher nur einen verschwindend kleinen Teil ilirer hier
wohnhaften Nationsgenossen aus (vgl. 12. 157, Note 13). Diese sind
der Abkunft nach zumeist Fleimser. Einzelne, bei den Sägen in Part-
schon biBsd^iftigte Arbeiter stanmien aus der venetianischen Provinz
Belluno.
Tin. Unteres fitschthal (zwischen Bozen und der Sprachgrenze).
Vom Polit ischen Bezirke (Umj^^ebung) Bozen gehören hierher
die Ortsgemeiuden Deutschnoien und Leifers, erstere mit 'Jö, letztere
(bei einer GesamtbeTÖlkerung yon 1292 Einwohnern) mit 380 Itafieaem;
femer die ganzen Gerichtsbezurke Neumarkt am linken imd Ealiern
am rechten Ufer der Etsch. Jener zählt 1526, dieser 637 Italiener.
Yon den e'nzelnen Ortsgemeinden schhessen sicli Aldein mit
Montan mit 4 und <ifril] mit 10, als am (lel)irgsabhange gelegen, an
die Berggemeimle I »eutschnolen ; dagegen Brauzoll mit 100 (neben
603 Deutschen), Auer mit 115 (neben 1)21 Deutschen), Neumarkt mit
301 (neben 1435 Deutschen) und Salurn mit «620 (neben 1310 Deut-
schen) der Reihe nach in der Niederung an Leifers, wovon bloss
der Weiler Mazon ober Neumarkt und das Dorf B u c h h o 1 z
(ai Pochi) obt r Salurn (dc^s^n Zubehör es ist) verm(")i>;e ihrer erhöhten
Lage eine Ausnahme maihrn. Im letztgenannten Dorfe halten sich
Italiener (310) und Deutsche {'•V'U')} fast das Gleichgewicht; ebenso im
Dorfe Laag (Laghctto), welches eine Fraktion der Ortsgemeiude Xeu-
markt ist und neben 110 Deutschen 99 Italiener aufvireist. Dagegen
ist die Sprachgrenze gegen das Fleimserthal zu durcli die an dessen
Eingange gelegene Ortsgemeinde Mon tan mit nur 4 Italienern (neben
1005 Deuf seilen) scharf gekennzei( Imtt. Am linken Fit schuf er
liegt dem Fkisse zunäehst die Ortsgemeinde Ep})an mit bloss 66 Ita-
lienern (neben 4680 Deutsdien). Daun folgen die Ortsgemeiuden:
Kaltem mit 57 (neben 3687 Deutschen), wovon auf das Unterdorf
dieses Namens 32 entfallen, Tramm mit 31 (neben 1753 Deutschen),
Kurtatsch mit 55 (neben 2043 Deutschen) , Margreid mit 88 (nebcoi
die Herzogin „OflFmjra" von K&rnten im Jahre 1843 bertatigrte. I>ar8elbe besan
5 Höfe auf dein Ritten, ö in der Pfarre Bozen, Avoitere zu Rontscb. Schenns u. s. w.
(38. Reg, 685. 755). Der oben erwälinte BtrnardLii Giovanelli war ein Sohn
des um das .Tahr 158;^> aus (»andino in die Bozener Gegend eingewanderten Jos ep h
Joanelli, der dtMi Ansitz, li.f^tburg erwari>. Vgl. über diesen als rdch gerOAuntea
Kaufmann Hurters tiescb. Ferdinands Ji., Iii. 126.
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31] Die Nationalititen in Tirol etc. 419
575 Deutschen) und Kurtinig mit -2 (neben 233 Deutschen). Durch
einen Bergrücken von Kaltem abgesondert, erstreckt sich längs der
Etsch die Ortsgemeinde Platten, wo 308 Italienern bloss OU Deutsche
gegenüberstehen, und hinter liurgreid liegt gegen das Oebiige zu die
irtsgemeinde Unter -Fenberg (Favogna di sotto) mit 152 ausschliees-
lich deutschen Einwohnern, welche im Verein mit denen von Kurtinig
hier die Sprachgrenze markieren.
Gesamtsumme des unteren Etschthales: 2'538.
Hier nehmen wir kt iii successives Vorrücken wahr, sondern die
Verbreitungsweise der itiiiieuer gleicht da der Inselbildung und hat
auch besondere Örtliche YerhUtiusse zur Voraussetzung. Vor allem
sind es die der Sumpfluft ausgesetzten Gegenden und dann wieder die
Lenden (Landungsplätze) an der Etsch, welche in Verbindung mit dem
Holzstapel und mit der Znsiunn^enstfUmig der Flösse jene Anziehungs-
kraft übten. Die Schittahrt auf der Ktscii war von jeher eine den
Italienern nicht nur erwünschte, sondern auch sehr geläutige Beschäf-
tigung. Es gilt dies sowohl von den betreüendeu Transportunter-
nehmungen als von der unmittelbaren Besorgung der einzelnen Wasser-
fracht.
Die Flosslend zu BranzoU ging im Jahre 1424 durch Be*
lehnung seitens des Trienter Rischofs von Rudolf von Bellinzona
(dem bekannten Trientner Volkstribun) an Herzog Friedrich von Tirol
Ober (lieg. d. I. Bch.-A.s, III, 295). Sie war also kurz vorher in ita-
lienischen Händen gewesen. Aus dem sechzehnten Jahrhundert liegen
aber auch schon Belege dafür tot, dass «welsdie Schiff leute* im Be-
fahren der Etsch mit Schiffen sich den deutschen tiberlegen zeigten.
Der Verwalter der Landeshauptmannschaft an der Etsch, Ritter Simon
Botsch, Hess durch sie Proben machen, sowohl in Bezug auf die Berg-
fahrt zwischen Trient und Neuniarkt als in Ansehung des Wasser-
transports zviischen Terlau und Neumarkt. Von ersteren Versuchen
meldet er in einem Beridite an die Innsbrucher Hofkammer vom
23. Juni 1560, dass sie geglückt seien (Bibl. Tirol., Handschrift 1155,
III., Bl. 185). Zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts finden wir den
Holzhändler Job. Bapti.st Someda von Claramonte unablässig bemtiht, zwi-
scb'ii Siegmundskron und Branzoll eine regelmä-ssige Schiffahrt ein-
zurichten. Im Juli 1008 erregte es den Unwillen der Gntfertiger zu
Bozen und vieler Besucher der hiesigen Märkte, dass der Vorgenannte
mehrere Schi&ladungen sogar mit Benutzung des Eisackflusses direkt
Ton Bozen weg nach Branzoll befördert und so die LandfrSchter um
Erwerb gebracht hatte. Ihm war es also gelungen, ein schon früher
von einem Italiener namens Bontiol entworfenes Projekt, zu dessen
Beurteilung die Regierung einen Hydrauliker aus Bergamo und den
Hofbaumeister Lucces entsendet hatte, zu verwirklichen (1. St.-A.
„Missiven von Hof", 1003, Bl. ll»:ij 'j. In der „Floss-Ordnung", welclie
Deutsche Etsch «chiffer, die derartiges angeregt oder dazu die Hand
geboten hätten, scheint es gar nicht gegeben zu haben. AI» Simon Botech im
.laluf 1560 dit! oben erwähnten l*rnb< ii vfiaiistaltete, bemOhto mh die Innsbnicker
Hofkanuner, Inn-Schiffer, welche damit hätten in Konkurrenz treten mögen, aof-
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420
Bidennami,
[32
Erzherzog Ferflinmid von Tirol im Jahre ir)84 zu Gunsten einer ita-
lienischen llamlelögesellschaft, die zu Sacco bei Kovereto ihren Sitz
baifce, erlieas, heigst es, dass dieser Gesellschaft seit «unfOrdenklicher'^
Zeit das ausschliessliche Recht zustehe, tod den StapelplfttM Lei-
fers, Branzoll und Ens (Montan^ weg Merkantilholz auf der Etsch
abwärts zu verlüliren. Dies geschah mittels der Flösse, auf welchen
sodann Kanfiuiinnswaren aller Art bis Vercma gehin<rten. Ein Zwang,
die letzteren der Saccoer Gesellschaft anzuvertrauen, bestand ursprüng-
lich nicht; aber dieselbe wusste durch ihre Gescliickliclikeit und Zu-
dringlichkeit (wie es in einem Bericht des Bozener Merkantilmagistrats
vom Jahre 180() an die k. bayr. R^erung heisst) es dahin zu bringen,
dass die Handelsleute mit geringer Ausnahme ihr die Güter zur Beforde-
ning überliessen. Im Jahre 1»I(I4 schlössen »lie Bozener Marktintert ^-^i nten
mit ihr einen ftirnilidien Vertrag darüber ab. Die llegieruug aber
erneuerte die „Floss-Urdnung* in den Jahren 1084, 17ul und 1714,
wodurch sie dieser Gesellschaft mittelbar auch das Monopol des Holz-
handels in jenen Gegenden einräumte, bis im Jahre 1744 deren Spe-
ditionsprivüegium sogar auf alle Eauf^annsgOter, die zwischen Branzoll
und Verona abwärts gin^ren, ausgedehnt wurde. Es versteht sich von
selbst, dass dieselbe allentlial!)en italieni'^elier Faktoren und Ar-
beiter sieh bediente, weh lie an den genannten Urten sich Unterkünfte
mieteten oder eigene Häuser zu diesem Zwecke erbauten. In gestei-
gertem Masse geschah dies von der Zeit an, wo sie auch des sogen.
Rodfuhrwerks zu Lande, welches stationenweise wechselte, sich bemächtigt
hatte. So gab es im Jahre 1735 zu Branzoll 4 italieni.<che Speditions-
geschäfte, welche den Landtransport leiteten, und zahllose Italiener
f uiden teils hier teils an den übrigen Landungsplätzen dauernde Be*
schaftigung.
Einiges scheint zu diesem üebergewieiit der italienischen Natio-
nalität der Umstand beigetragen zu haben, dass zur Zeit, wo die sp&ter
nach Bozen Terlegten Jammarkte noch zu Neumarkt (in Bürge de Egna)
abgehalten wurden, was bis ins dreizehnte Jahrhundert hinein geschah,
am letztgenannten Orte viele romanisehe Kaufleute Häuser für Handels-
zweeke besassen(ad consuetudinem Domorum Merratus Tridenti). Eine
Urkunde vom 29. Juli 1222 (16. r>4) führt die Namen der Betrettendeu
auf, welche (wie lielliua, uxor Venture, Omnibonus Caliari, Milauus,
Petr. Oavicicius, Michelotus, Jacobus filius Barieli) keinen Zweifel
über deren Nationalität lassen (72. 139). Was Salurn betriflft, so er-
scheint hier noch im Jahre 1201 ein Güterbesitzer de genere Roma-
norum (12. 1,^0, Note 1). Die neuerliche Verwelschung dieses Ort«
schreiljt man <leni Ib rabkommen und Anssterlxm der vornehmen deut-
schen Familien zu, welche daselb.st im aelitzehnteu Jahrhundert hau.sten.
E« sind damit die Feigenpuz, Johanueser, Webern, Anderlan, Reiniäch
u. s. w. gemeint. Allein wenn dies wirklich der FaU, dann reicht
jene Erscheinung schon in die Mitte des genannten Jahrhunderts
zutreiben. Allein auch diese Oberlegten lange, ob sie der Sache gewachsen wären,
und l< r r ntemefamendste Idinte es M^ienlich ab, im Etscfalande seinen Aufenthalt
zu nehiuen.
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Die NationaUOten in Tirol elc
421
zurück; denn das Firnibuch der dortigen Plarre enthält eine Seelen-
beschreibimg vom Jahre 1749 uach Häusern, von welchen damals
schon viele Tennietoi waren und manche bereits Italiener (Nr. 6
▼. VescoTi, Nr. 18 Graf Zenobio, Nr. 14 Vüos, Nr. 16 Sirard,
Nr. 17 Tschudat, Nr. 24 Talloy, Nr. 28 Decleva) zu Besitzern hatten.
Unter den Mietparteien befanden sich gleichfalls Italiener in grös-
serer Zahl, ebenso unter den Kolonen und unter der Dienerschaft.
Im Hause des Karl v. Feigenpuz (Nr. 1*J) lebten nicht weniger als
17 Bedienstete, darunter ein Verwalter, der selbst adelig war, ein
80 Jahre alter Franzose (Louis Villedeneuf) aus der Noimandie und
2 Italiener (Jos. Deiladia, Dominik Gasata). Auch im Laitoipergerschen
Hause ^r. 3) dienten neben 8 Deutschen 2 italienische Knechte. —
Fassen wir die Gemeindefraktion Buchliolz ins Auge, welche angeb-
lich erst seit dem Ende des achtzehnten Jahrhunderts Italiener in an-
sehnlicher Men^e beherbergt, so finden wir daselbst im Jahre 1749
von -1 Behuu8uugeu, welche damals den ganzen (jetzt deren 80 zäh-
lenilen) Ort ausmachten, 18 in den Gülden von Italienern. Den Johan-
neserhof z. B. hatte J. Giacomuzzi, den Fennerhof Matthias Saltuari
inne; andere Höfe trugen schon Ton firOher her Benennungen, welche
alten italienischen Besitz verraten, wie Sardagna, Girardin, Gianin,
Thomasi, Dalle Mulle, (ierardi, di Mattio (vgl. 12. 118, Note 1). Nach
und nach gewann das italienische Element daselbst die Oberhand, was
zur Folge hatte, dass diese Fraktion die Lostreunung von Salum an-
strebte, wie aus einer Eingabe Tom 17. Mftrz 1849 eraellt, die zu Iftn-
geren Yerhandlungoi geführt hat.
Nach Dr. Angerers Erhebungen vom Jahre 1880 (4. 25) gab es
in Saluru mit Buchholz und 2 anderen Fraktionen fKnrneid und
Mühlen?) unter 70 Gewerbetreibenden 10, unter 380 tirundbesitzern
182 Italiener, und zwar hierunter sehr viele Auswärtige, d. h. nicht
daselbst ansässige; femer unter 307 Schulkindern 170 Italiener, von
welchen bloss 91 der ansässi^n Bevölkerung angehörten und 78 die
(seit 1860 deutsche) Schule in Buchholz besuchten, deren Gesamt-
frequenz 97 Kinder betrug. — Für die übrigen Ortsgemeinden am
linken Etschufer, welche in der Thalsohle liegen, lieferten jene Er-
hebungen (4. 24) das nachstehende Ergebnis:
Gewerbe-
davon
Grund*
davon
Schul-
davon
treibende:
Italiener:
Italiener:
kinder:'
Italiener
Leifers
48
9
213 *
2r!
265
152
Branzoll
16
8
120
57
179
152
Auer
45
4
225
13
138
134
Neumarkt
84
12
302
54
236
88.
Für die Ansiedelungsgeschichte der Italiener in der Gegend von Lei-
fers ist ein Bericht der Innsbr. Regierung vom 25. August 1579
(I. Si-A., Ferdinandea) beaeichnend, wonach damals dem Fnaaz Par-
thanis zu Bozen im Hose zwischen Auer und Leifers unter der St. Jakobs-
kapelle (im Tschindter Reviere) Grundstflcke im Ausmasse von 20 Joch
zum Reisbau überlassen worden waren. Hierzu dienten auch die^^e
Grundstücke fast ein Jahrhundert liiii'^^ bis sie nämlicli durch Vertrag
des Kameraliirars vom 20. Juni l»»»i5 den Cxenieindeu Auer und Branzoll
Foracbungen zur deuUcben Landes- and VoUttkande. I. 7. 89
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422
Bidermaim,
[34
eingeantwortet wurden (I. St.-A., Kameraischatz- A. , L. 5ti, Nr. 140).
So wie der Eleisbau daselbst olme Zweifel durch Italiener betriebcoi
wurde, so stand dieser Gegend damab weiterer Zuwachs an Italienern
vermöge ein«* Anerbietens bevor, welches im Februar 1679 Dominik
de Avanzinis aus Riva in Verbiiiflung mit Kafael Markus aus Florenz
und dem Trieiitnor Bürger Christian Viscntiii dem genannten Erzherzoge
machte. Diiiuuh sollten zu Bozen ein Seidentilatorium , eine Färberei,
Maulbeerplautaguu und eine Wechselbank zur Korrespondenz mit
ganz Italien und Deutschland errichtet werden« Der Bozner Stadtrat,
welcher die angedeutete Wirkimg vorhersali, sie jedoch vermieden wissen
wollte, sprach sich unterm (3. März 1579 an& entschiedenste gegen
den Vorschlaj]^ aus, welcher darauf hin von der Kpfrioning abgelehnt
wurde. Aber einzelweise kamen Italiener gleichwohl als Seiden-
zücliter in diese liegend, deren Sumpf luft ihnen weniger schadete als
den Deutschen, ohschon von ihnen so gut als von letzteren gilt, was
der Arzt Hippolit Gnarinoni in seinem 1610 gedruckten Buche «Giiuel
der Verwüstung" (S. 423) sagt: die Bewohner von Auer, Neumarkt,
Salnm, St. Michael seien „ein gar wenig uufgeschoBsen , bleyches,
grawes, blödes vnd mehrertheils krankes Volk". Dass wir dabei speziell
auch an Italiener zu denken haben, legt uns Martin Zeiller nahe, in-
dem er, der im Juni 1629, von Trient kommend, diese Gegend durch-
reiste, in seinem .Itinerarium Qermaniae* (S. 345) schreibt, „es gebe
biss auf Pocen in den Dörffem noch alleweil welsche Leuth*. Wer
je als Fremder unter dieser Bevdlkmmg sich bewegte, hat gewiss die
wachsgelben Gesichter der Weiber, welchen höchstens ein paar dunkle
Augen lebhaften Ausdruck verleilien, die hageren Gestalten der Buben
mit schlotternden Beinen und die ermUdet dreinschauenden Männer in
der Erinnerung behalten.
Solche Typen sind da hftutig geworden, seit die Sumpffläcfaen urbar
gemacht wurden, was in der Bozner Stadtau (bei Leifers) vor etwa
50 Jahren seinen Anfang nahm (12. 116, Note 4). — Am jenseitigen
Etschufer lireitet sich die Ortsgemeinde Pfatten (Vadena) au.«?, wo man
der nämlichen Erscheinung begegnet. Allerdings sind unter den hie-
sigen 200 Grundbesitzern bloss 21 Italiener, welche obendrein zumeist
auswärts wohnen, weshalb auch von den 44, durchaus italienischen
Schulkindern im Jahre 1880 bloss 4 der sesshaften Bevölkerung an-
gehörten (4. 24); aber die Bearbeitung der Grundstücke daselbst ist,
besonders im Dorfe Pfatten, nahezu ausschhesslich Italienern über-
tragen, und die anwesenden Gewerbetreibenden waren im Jahre 188'>
sämtlich solche. Mit Recht nennt Dr. An«:^erer, dessen Angaben (4. 32)
hier reproduziert werden, ganz Pfatten »eine grosse Arbeiterkolonie*"
und fügt er bei: »Ausser dem Gemeinde- und Bürgermeisterhause und
einigen grossen Wohngebftuden italienischer Nobili, von der demfitigen
Bevölkerung .palazzi* genannt, findet man dort nur ArbeiterhOtten mit
halbverfallenen Tre ppen, zenissenen Dächern und mit Papier verklebten
Feiisterscheilx'n." Dass man es aber da nicht mit einer Neubildung,
sondern mit einer ins achtzehnte Jahrhundert zurückreichenden Kolonie
zu thun hat, beweist das um 1795 angelegte »Catasto della Frazione
di Pfatten". Damals schon war namentlich die Familie Tevini (jetzt
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85]
Die Nationalitäten in Tirol etc.
423
zu Piglon ansässig) im Besitze Tieler Grundstücke, welche in diesem
Ealaater yeraeidmet «nd, und Y<m «mem Teil doraeIb«n lifiisst es
BL 49: «Diese Qttter and durch Stiftbrief yom 16. Juni 1714 dem
Herrn v.Thanvini8chen(Tevinischen)Fideikommi88 einverleibt.* In neuerer
Zeit haben einzelne deutsche Bozener Fiimilien, wie namentlich die
V. Menz und Ftraumer, ihro hiesigen Besitzim^^on an Italiener, speziell
an die Birti, überlassen, wodurch das italienische Element da gekräftigt
und erweitert wurde. Indessen halten aucii die deutschen Besitzer, welche
bier begütert sind, dnrcbgebends italienisebe Kolonen (Bauleute), und
die durch jene Eigentumswechsel in italienische Hftnde geratenen Hdfe —
der Tedeschgen- oder Pellhamerhof, das Nikolo- oder Ganellenhaus,
der Markolinhof — waren, wie aus diesen ihren Benennungen erhellt,
schon vor Zeiten in solchen Händen. Aehnlich verhält es sich auch
mit Kaltem (12. 121, Note 3; 133, Note 2), Tramiu (12. 133,
Note 2; 159, Note 19), Kurtatsch (s. ebenda), Margreid (s. ebenda)
und Kurtiuig (s. ebenda). Zu Tramin erklärte nod im Jahre 1381
eine Frau die Absicht «Tiyere secundum Curiam Romanam" (38. Reg. 1 1 13).
Um Kurtatsch besassen in den Jahren 1272 — 1283 die Ferandel von
Trient Lehen, welche Nikolaus von Flavon ihnen übertragen hatte
(38. lieg. 104, 123, 165). Den stärksten Anprall italienischer Be-
gehrlichkeit hatte Kaltem zu bestehen, welches erst im Jahre 1(581
das Trientner Statut mit der tirolischen Landesordnuug vertauschte
(55. 5. 124) und 50 Jahre zuvor noch in dem Masse f&r ein geeignetes
Objekt derartiger Bewerbungen galt, dass der Kunzleibeamte Andrea
Qodino im Jahre 1634 mittels eines italienisch geschriebenen Gesuchs um
die Stelle des hiesigen landesfürstlichen Pflegers anhielt. Bald darauf
gelangte der Regierungssekretär Bonetti in den Besitz der Gugend, wo
Später die adeligen Ansitze Ringberg und Ehrenhausen sich erhoben
(68. 2. 808). Am meisten vor derartigem gefeit war binwider die
Ortsgemeinde Eppan, bis in neuerer Zeit der Blosenhof an der nach
Bo/i n führenden Strasse die Zufluchtsstätte italienischer Jesuiten wurde,
(welche indessen rasch wieder denselben verliessen) und das Bedürfnis
nach billigen Arhoitskriiften auch hier italienischen Taglöhnerfaniilien
Eingang verschallte. Dass der Trientner Domherr Jakob de Banissis,
welcher im Jahre 1518 Pfarrer von Eppan war, diesem Orte einen
Sei ehrten Schulmeister zudachte (A. f. Gesch. u. Altertumsk. Tirols,
L 868), hat vielleicht die Einführung italienischen Unterrichts bezweckt,
war jedoch von keiner nachweisbaren Wirkung. Ebenso wenig hat es den
deutschen Charakter der Ortsgemeinde Fenberg alteriert , dass im
oberen Teile derselben mehrere Höfe Eigentum des Grundbesitzers
Joh. Zadra von Mezzolombardo wurden.
Nicht einmal die im Jahre 1774 begonnene Trockenlegung der
Sfimpfe bei Tramin hat auf die BeTÖlkerungsrerhUtnisse der Gegend
zwischen diesem Markte und dem Kälterer See einen wesentlichen Ein-
fluss geübt. Zwar sank dadurch der Spiegel des Sees, wahrend auf der
enisumpften Fläche viele tausend MaiillHM rliiUime gepflanzt wurden, deren
Lauberträgnis Peter von Unterriclitt r im dahre 1829 auf OOUU — 7000
Stärke schätzte. Gerade aber die hierauf basierte Zucht der Seiden-
würmer hielt liier Italiener fest, welche sonst bei verbessertem Klima
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424
BidermaoB,
BeutBchen hfttfcen weichen mfiseen. Und darunter mOgen Familien sich
befunden liaben, deren Voreltern des Reisbaues wegen hieriier be-
rufen wurden, von welcher um das Jahr 1680 in der Traminer Gegmd
betriebenen Kultur das von Botanikern bcobsuhtete Vorkommen der
Reispflanze in derselben noch jetzt Zeugnis ablegt. Wie, von Platten
abgesehen , die Dinge am rechten Etschufer jetzt liegen , veranschau-
licht nachstehende, den Aufzeichnungen Dr. Angerers (4. 23—25) ent-
lehnte Uebersicht:
Gewerbe-
darunt*^ 1
Grund-
darunter
Schnl- danmter
treibende :
Italiener:
besitzer :
Italiener :
kinder: Italiener:
Eppan
160
4 1
1141
r>70 21 »)
Kaltem
138
5 i
1300
30»)
8')
42U 1
Tnunin
65
1200
sämiUeh deutsch
Eurtatech
78
1 1
747
6^)
290 10
Margreid
27
4
97
6
112 11
Kurtinig
5
2
113
21
2.
Damit müssen freilich die diurch die letzte Volkesahlung gewon-
nenen, oben mitgeteilten Zahlen yeiglichen werden.
B. Dentsehe unter BouAnen.
L Das Gebiet der Dolomiten.
(Die Thäler Eneberg, Gröden, Buchensteia, Ampesso, Fassa, Fleims,
Cembra und PrimOr.)
Dieses am weitesten ^'egen Norden gelegene romanische, und
zwar mit geringerer Ausnahme ladinische Sprachgebiet, begreift in sich:
▼cm Politischen Bezirke Bozen (Gericht Kastelruth) die Ort.s-
genieinden St. Ulrich mit 179 Deutschen neben 1090 Romanen, St. Chri-
stina mit 76 Deutschen neben 775 Romanen, und Wolkenstein (mit
12 Deutschen neben 894 Romanen) nebst denEastelrutiier Gememdefink-
tionen Pufels (5 Deutsehe, 137 Romanen), Runggaditsch (4 Dentsehe,
224 Roninm ii) und ITeberwasser (28 Deutsche, 238 Romanen). Diese im
Grödnerthale gelegenen Oertlichkeiten hatten also bei der letzten
Volkszählung 3858 Romanen und bloss \'M Deutsche zu Bewnhiu ni.
Vom Politischen Bezirke Brunek gehört hierher der Gr-
riclitsbezirk Eueberg (ladnii:>ch Mar^, italienisch Marebbe) mit
bloss 69 Deutschen unter 5464 Ladinem. Davon entfiülen ain die
Ortsgemeinde dieses Namens 58 und hienron auf den eine Fraktion
derselben bildenden Qerichtssitz St Vigil 40. Ausserdem wurden in
der Fraktion Plaiken 7 und in der M'pi't zerstreuten Ortsgemeinde Abtei
(Badia) gleichfalls 7 Deutsche angetroifen. Das Ampezzothal, so-
') Zum Teil verdeutscht.
Sämtlich verdeutacht.
*) Zur Hehnahl Angehörige von Taglöhnerfkanflien.
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37] I>ie Nationalitfttea in Tirol ete. 425 *
weit es hier überhaupt in Betracht kommt, ist identisch mit dem Ge-
richtsbezirke Ampezzo, dessen 248 deutsche Bewohner, 52 aus-
genommen, auf Rechnung der Militärgarnisou zu Cortina zu setzen sind.
Er und der Gerichtsbezirk (Thal) Buchenstein (Livmallongo), welcher
im ganzen mir 9 Deutsche — 6 zu Arabba, 3 sni GoUe SfaL Ludft —
aufweist, macben zusammen den Politischen Bezirk Ampezzo
(Hayden) aus, WO 6024 Romanen den 257 Deutchen gegenüberstehen.
Die Tiiäler Fass-a und Fleims entspreclien dem Politisclicn Bezirke
Cavalesc, dessen 2 Uurichtsbezirke sich mit den betretienden Thal-
gebieten decken. Im Gerichtsbezirk Cavalese (Fleimserthal) gibt
es von alters her 2 grösstenteils deutsche Ortsgemeinden, welche frei-
lich an dessen nordwestlichem Grenzsaume und somit auch in der näch-
sten Nachbarschaft des vorwiegend deutschen (unteren) Eischthales
liegen, nämlich: Altrei (Anterivo) mit 430 Deutschen neben 89 Ro-
manen, und Truden (Trodena) mit 481 Deutschen neben 21 Homanen.
Im Markte Cavalese wurden ISG Deutsche (neben 1*J5*J Romanen), im
Dorfe Predazzo 132 Deutsche (neben 2911 Romanen) gezählt; das
waren aber hier bis auf 22 und dort bis auf 60 durchwegs Soldaten.
Die Gesamtsumme der im (Jerid^tsbezirke CaTalese verzeiolmeten Deut-
schen beträgt 1239. Wenn man Ton jenen 2 deutschen Ortsgemeinden
und vom Müitär absieht, gab es also im ganzen von 17 610 Romanen
bewohnten Fleimserthale bloss 101 Personen, die sict zur deutschen
Umgangssprache bekannten. Von diesen lebten 3 zu Moena, 4 zu
Tesero, 2 zu Bosin (Ortsgemeinde Ziaiio) und 1 im Dorfe Castello.
Der Gerichtsbezirk Fassa aber zählte nur ihrer 6. Gleiches gilt
Tom Gerichtsbezirk Oembra, einem Bestandteile des Politischen
Bezirks Trient, und vom Politischen (zugleich Gerichts-)Bezirk
Primör (Primiero). Die 3 letztgenannten Gerichtsbezirke mit einer
einheimischen Ge.samtbevölkerung von 23 971 weisen also zusammen
nur 18 (einheimische) Deutsche auf.
Geaamtsumme des Dolomiten -Gebietes: 1708 Deutsche (neben
d2 456 Bomanen).
Das Thal Eneberg hat sich, von einzelnen Adelsfamilien ab-
gesehen, welche, wie die Ilinkwein, Rost, Prack, Rubatscher, Engelmar
und Kolz, sich daselbst Ansitze erbauten (Resch, Monum. veter. Eccles.
Brixinensis, Brix. 1765, pax'. (51), nie der deutschen Einwanderung er-
schlossen. Aber von der tiei ichtssprache sagt Jos. Th, Haller (3<). 57) :
, sie „ist und war von jeher die deutsche Derselbe versichert auch,
dass das münnUche GMchlecht dieser Sprache grösstenteils hinreichend
kundig sei, dass sie des Verkehrs mit den benachbarten deutschen
Gegenden halber für unentbehrlich gelte und deshalb die Knaben ge-
wöhnlich schon in frühester Jugend als Hirten in deutsche Orte ver-
schickt werdt n. Seit die Volksschulen in Tirol allgemeiner geworden,
nehmen derlei ladinische Knaben dort, wo sie zur Erlernung des Deut-
schen sich aufhalten, auch an dem Schulunterrichte teil, und viele aus
ihnen haben schon zum Besuche Ton Mittelschulen sich emporgeschwungen
(12. 159, Note 22).
Aus früherer Zeit sind Eneberger bekannt, welche mit Hilfe der
deutschen Sprache zu hohen Staatsämtem gelangten, wie namentlich
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Kas^ifin Tunicretschor, vom Faiiüliensitze Turneretsch zu Welsch-EUen
so genannt. Allein die Verfü<riin«^. dass auch an den Volksrhulen des
beteiligten Klerus, sich mit dieser Sprache n&her zu befassen, zurQck-
zuführen ist. Der letztere gibt nämlich der italienischen Sprache, in
WfMier er eine veredelte Form der ladinischen erblickt, den Vorzug.
I)ie bäuerliche Bevölkerung des Thaies dagegen erklärte sich anfangs
mit jener Verfü|jung vollkommen einverstanden. Siehe den Aufsatz „Die
Spraohenfrage in den ladinischen Volksschulen*' in Nr. 10 des , Tiroler
Schulblatts* Tom Jahre 1876 und die pdemiache Erörterung ^Wohin
gehört di» bidinische Volkssprache im Gaderthale?*' in Nr. 104 des
„Boten für Tirol und Vorarlberg" vom Jahre 1876 (Extrabtilag» ).
Wie wenig die Italiener des Mittelalters von nationaler Verwandtschaft
zu den Ladinern Enebergs sich hingezogen fühlten, lehrt das Beispiel
des Nikolaus von Prack, der, als er um das Jalir 1308 aus Verona in
dieses Thal flüchtete, noch den italienischen Familiennamen Cane trug,
jedoch bei Gründung des Ansitzes Asch nichts Eiligeres zu thnn hatte,
als denselben ins Deutsche zu Ubersetzen (Stephan v. Maj-rhofen, hand-
schritll. Genealogien a. a, 0., Art. »Prack"). Die Ladiner des Thaies
Groden zeigten sich gleichfalls bis in die neueste Zeit herauf geneigt,
mit Hilfe der di utschen Sprache deutsche Bildung sich anzueignen.
Die Insassen der Kuratie St. Ulrich bedungen sich unterm 10. März 1013
beim Pfarrer Yon Lajen, dass er ihnen stets nur einen auch der deui^
sehen Sprache kundigen Priester als Seeborser sende (81. 11). Aber
die Verfügung der kompetenten Schulbehörde, dass in Zukunft der
Unterricht in den dortigen Volksscliulen ausschliesslich in dcutsch. r
Sprarhe erteilt werde, hat die Thalbevölkerung unangenelini berührt
und Gegenvorstellungen veranlasst (siehe die Erklärung der 3 (u ineinde-
vorsteher des Thaies in der Extrabeil, zu Nr. 30 des „Boten f. Tirol
u. Vorarlberg" von 1882). Vom Thale Buchenstein ist zwar bekaimt^
dass es wiederholt deutschen Gerichtsherren gehorchte (08. 2. 506).
Auch galt hier ein dem Wesen seines Inhalts wie dem Wortlaute nacJi
deutsches Statut {^^^^. 123), Aber »b'r deutschen Sprache liat sich
die hiesige Bovrilkerung ilessenungeaclitet nie zugewendet, noch haben
je l)eutstlie dieses abgelegene Thal aus freien Stücken sich zum Auf-
enthalt gewählt. Nur als Beamte und als Finanz wachorgaue haben
solche zeitweilig hier gewohnt.
Anders verhält es sich mit dem Fassa thale, für welches der
Brixener Fürstbischof unterm 20. Oktober 1550, als Martin Boymont
zu Payersberg hier sein Hauptmann war. eine Gerichtsonbuing erlios«;
der Artikel 17 bestimmt, dass von den 4 Rednern oder Gerichtsbei>t;iiulen
jederzeit 2 der deutscheu Sprache kundig zu sein hätten, was kaum
verordnet worden wäre, wenn nicht inmitten der ThslbeTdlkerung da-
mals ein BedUrfiiis darnach bestanden haben würde. Und in der That
war dan»»1« unter den Geschworenen des Gerichts Fassa ein Sebastian
Mayr, so wie einer der bereits fungierenden Redner Baptist Gottschalk
hiess (Bote f. Tirol u. Vorarlberg, Jahrg. 1836, Nr. 73 ff.). W^ahr-
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39]
Die Nationalitäten in Tirol etc.
427
scheinlicli haben die deutschen Amtsleote der Brizner Bischöfe: 1451
Job. Mllhlberger, 1490 Leonhard Völser, 1534 Stephan Larcher (53. 2.
186, 187) die Voraussetzungen dafür begünstigt. Seit der Säkulari-
sation des Fürstentums Brixen (1803) gehört das Thal ohne Unter-
brechung grösseren Yerwaltungsverbiinden an, für welclie (Vw itjilienische
Sprnclie Amtssprache war uud ist; daher kam auch die deutsche hier
ganz ausser Gebrauch.
Vom Fleimserthale darf gleiehfaUs behauptet werden, dass
daselbst zu Anfang und um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts
Deutsche in grösserer Anzahl lebten *) oder mindestens die deutsche
Sprache hier verbreitet war, wa.s namentlich vom Hiiuptorte Cavalese gilt
(12. 112, Note 1). Einzelne Worte der Thalsprache, wie: amesc für
Harnisch, schiera für Schar, fodera für Futter, tasia für Tasche, staiiga für
Stange, weisen auf noch ältere germanische Einflüsse hin, und tlie Agrar-
Terfassung des Thaies trägt, namentlich was die Nutzungsrechte an
den Alpen betrifft, Merkmale davon, deren Ursprung vielleicht in die
Langobardenzeit zurUckreicht.
Bis mm Jahre 1839 wechselten sünitliche Alpen (Almen) und
sonstige Triften, welche in einer bestimmten Gebirgshöhe liegen, von
4 zu 4 Jahren zwischen 4 Gruppen von Thalgemeinden, welche Quar-
tieri hiessen und im Jahre 1(354 gebildet worden waren, um das sogen.
Rotieren zwischen den einzeben Nutzungsberechiagten zu vereinfachen.
Im erstgenrumten Jahre wurden jene Flächen versuchsweise unter die
11 Gemeinden des Thaies zur bleibenden Nutzniessung aufgeteilt, und
da während der folgenden 10 Jahre kein Einspruch dagegen erhoben
ward, gewann diese neue Einrichtung im Jahre 1848 feste Gestalt.
Aber das Eigentum daran steht noch immer wie vor einem Jahrtausende
der »Genendgemeinde Fleims* (communita generale di Fiemme) zu,
welche die 11 Thalgemeinden in sich begreift. (Den Ausscbnss der-
selbe bilden die Vorsteher letzterer unter einem von ihnen entweder
aus ihrer Mitte oder sonst aus der Thalbevölkerung gewählten Präsi-
denten: Scario), Sie konnnt jetzt nur mehr als VernKigensgcmeinde in
Betracht. Aber vor Zeiten hatte der Vorsteher des ganzen Thaies
grosse Befugnisse und wälüten ihn die Regolani der 20 Dörfer, ni
welche das Thal damals zerfiel, mit dem Bestände besonderer Wahl-
männer, die von den Stinunberechtigten der 3 Qnartieri, denen der
regfierende Scario nicht angehörte, dazu entsendet wurden. Der ganze
Wahlvorgang trug allerdings mehr ein roinanisches als ein germanisches
Gepräge (so wurde z. B. der Gewühlte unter dem Schalle der grossen
Glocke „al Banco della itagione" proklamiert, und es üind eine Vor-
wahl der Kandidaten statt, unter welchen dann die Gesamtheit der
Wähler zu wählen hatte); allein es ist nicht zu ermitteln, ob ihm ein
uraltes Herkoramen oder nicht vielmehr die zu Anfang des sechzehnten
Jahrhunderts im italienischen Geiste ersonnene Reform des Fleimser
(kmeindewesens zu Grunde lag. Am Eingange des Thaies (zu Capriana,
Aus einer deutsch geschriebenen Eintrulc der Tri entner Bürgerschaft vom
Jahre 1431 (im laadschaftl. Archiv zu Innsbruck, liehältms V. 19/3) erhellt, duss
damals der Friettor Rndolph aut Sachen Pfiurrer im Fleimserthale -war.
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428
Bidermann,
#
[40
Val Florians und Stramentizza) galt bis zum Jahre 1777 die deutsche
Bauoraerbfolge so gut wie noch später in den deutschen Gemeinden
Truden und Altrei (93. 1. 251, Note 49). Zur Auffrischung dt iitschen
Wesens hat da gewiss beigetragen, dass im Jalire 17G6 zur Verhinderung
des Wein- und Branntweins» Innuggels deutsclic Tnvaliden ins Thal ge-
legt wurdeu, und duss im ioigeudeu Jaiire (1707) die Geschäi'tsünua
.Stabinger und Weber* zu Gasfcdlo eine Glasfabrik errichtete. SiAterhin
waren Gerichts- und Forstbeamte die einzigen Beprilsentanten desselben.
Im Ccnibra-(Zimber-)thale hat diese Einwirkung kaum Platz gegriffen
oder höchstens in sehr alter Zeit bestanden. :ils noch die Herren von
liottenburg Lehenti iiger der Herrschaft Segonzauo waren. Nichtsdesto-
weniger scheint es auch hier einst Deutsche gegeben zu haben. Denn
um da« Jahr 1412 war Joh. Zeiss aus Boptingen in Schwaben (16. 284)
und 1521—1533 J. Chr. Naglbeck Pfiurrer ron Gembra (IC. 297) Seit
dem 20. September 1 535, wo der Trientner Fürstbischof die vorgenannte
Herrschaft der freiherrhchen Familie Prato verlieh, verblieb sie bei
dieser Familie bis zum 18. Juni 1821, wo dieselbe auf die Gericht.s-
barkeit Vf r/.it ht leistete (3. 112). Ebenso war das kleine Gericht
Grumes (Grumeis) lange ein Lehenbesitz der Herren v. Barbi, bis im
Jahre 1785 der Dynast von Königsberg, Graf Zenobio , dasselbe an
sich brachte. Seine Verfessung war damals schon durchaus itaUenisch,
und seine Vcit inigung mit der Herrschaft Königsberg änderte hieran
nichts (Bibl. Tirol., Handschr. 1294, III), Dass das Cembrathal eine
Zeit hindurch Raststation der Cimbern gewesen, welche das Gebirge
im Rücken von Verona und Vieenza besetzten, ist zwar mehrseitig be-
hauptet worden, doch fehlt es an Beweisen dafür. Schulen mit deut-
scher ünterrichtsspraehe gibt es zwar nur in den deutschen Ber^-
gemeinden Traden und Altrei; doch f&r Unterricht im Deutschen ist
nunmehr auch zu Malina, Dajano, Varena, Cavalese, Masi, Tesero, Ziano,
Predazzo, Penia, Pozza, Ferra, Campitello, Canazei und Alba gesorgt
(die letztgenannten 6 Orte gehören mm Gerichtsbezirk Fassa, die übrigen
zum Gerichtsbezirk r'avalese). — Je spärlicher die Spuren des Deutsch-
tums gegen die Mündung des Avisio in die Etsch zu werden, desto
reichlicher sind sie ftir einen bestimmten. Zeitabschnitt in der Geechichte
des Thaies Frimör zu finden. Wl^hrend dessen Statut vom Jahre 1376,
ungeachtet das Thal kurz vorho* unter österreichische Herrschaft ge-
kommen war, mit Genehmigung des Bonifaz de Lupis di Parma,' der
damals als Kapitän des Castell della Pietra di Primiero die Podesta-
würde im Thaie bekleidete, ins Leben trat (55<. 8. 79), also damals
der deutsche Einfluss dort sicher noch gering war, belebten es gegen
Ende des f&n&ehnten Jahrhunderts deutsche Bergknappen, £e im
Dienste deutscher ünteniehmer und unter der Obhut deutscher Betg-
richter standen. Den Akten des Innsb. Statth. -Archivs ist darttbtf
folgendes zu entnehmen: Am 18. Dezember 1477 erliess Erzherzog
') Vielleicht hängt das Vorkommeu einer deutschen Bevölkerung um Cembra
mit dsn Berggruben zusammen , welche laufc emem im Jahre 1480 ftlr die Unter-
nehmer ausgofstollten Freibrifft^ des Herzogs Siegniund von Tirol zu ,Wayd ab
Fungsberg' im Gerichte Königsberg sich befanden (U3. 1. 126). Wayd ist wohl
JVkSao, <tetlich yon Webch^HicbaeL
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Die NatHMUÜiateii in Tirol eto.
429
Siegmund von Tirol eine Bergordniing für das , neuerfundene" Bergwerk
in Priraör; 3 Jahre später grub liier Anton v. Rost auf Bleierze, die
er jedoch der Entlegenheit des Thaies halber ins Ausland abzusetzen
gezwungen war, und im Jahre 1482 wurde die laufende Steuer darauf
um die Hälfte herabgesetzt, was auf ungünstige Betriebsverhältnisse
lundentet. Trotsdem war damals das deutsche Element in Primör so
stark, dass die Thaibevölkerung im Jahre 1486 zum Tiroler Landtag
einen deutschen Abgeordneten (Hans Almer von Mezzano) entsendete,
ein Michael Wettinger Wahlmann war und die Wahl unter der Leitung
des Gerichtsverwesers Leonhard Eckhart von ,Wyenn an der Leyt (sie!)*
vor sich ging. In den Jahren 1490 — 1493 klagt der liiesige Berg-
richter O&eofurter Uber schlechte Erzgewinnunff, und im letztgenannten
Jahre scheint es daselbst zu einem Au6tande der Knappen gekommen
zu sein. Denn die Chronik des Haller Salzamts berichtet zu diesem
Jahre: „Ist der Zug ins Primör beschehen der Aerztknappen halber
daselbs." Es hängt wohl damit zusammen, dass das Gerielit Priniör
auf dem Tiroler Landtage von 149(3 durch 2 Italiener (den l\'ter
Marcoli und den Bai-tolom Francischiuelli) verti-eten war (11. 155).
Bald jedoch hob sich wieder der Grubenbetrieb. Eine landesftrstiiche
Konzession vom 4. Juli 1511 begOnstigie die Gewerke am Gämbsberge
in Priniör. In diese Zeit fallt die Existenz eines «Teutschhofs* in
PrinKir. welchen Leonhard Feyrabend dem Kaiser zur Tilgung einer
bchuld abtrat inv] von diesem als Zinsgut zurückerhielt. Kin Bürger
von Hall im Inutliale übernahm als Vormund der Kinder jenes früheren
Besitzers die Bewirtschaftung des Hofes und nahm daselbst seinen
Aufenthalt. Bald darauf (1522) meldete sich ein Italiener, Kaspar
de Johann (?) aus Ferrara, mit dem Anerbieten, diesen Hof, welcher
offenbar den Afittelpunkt des Deutschtums in Primör bildete, durch
Kauf zu erwerben; er wolle, erklärte er, wenn man ihm denselben
unter leichten Bedingungen llberliesse, sich „haushäblich" da nieder-
lassen und den Bergbau betreiben. Den Vermittler machte Matthias
Paumgartner in Primör. Und in der That trug ein Befehl der Inns-
brucker Hofkammer vom 9. Oktober 1522 den landesf&rstUchen Be-
amten dortselbst auf, dem Angebote zu willfahren. Das Jahr zuTor
hatte Hans Ketzer aus Augsburg den Hof samt Zugehör aus dem
Nachlasse des Berchtold Feyrabend erstanden. Damals ging das dortige
Bergriehteraint von Siegmund Göhl an Leonhard den Vingerl \\her und
war Siegmund Schüchtl iandesftirstlicher Pfleger zu Primör. ISocli einmal
flackerte deutscher Unternehmungsgeist daselbst auf. Der Augsbui^g^
Bürger Sebastian Wurmb Hess sich und mehrere Ifitgewerke im
Jahre 1544 mit einer Oml)« zu Raganel belehnen. Aber schon hatten
italienische Holzhändler da Eingang gefunden, und der steigende Preis
des Holzes hemmte den Bergwerksl)etrieb. Im Jalure 1548 befasste sich
mit diesem Geschäfte Dr. Simon Fedricola, 1(503 der durch seine
Scliiilaiirtsprojekte bekannte Joh. Baptist Someda, 1639 eine Gesell-
schaft, deren Hauptteilnehmer PetriceUi, Angeli und Macarini hiessen.
Inzwischen (2. Januar 1568) hatte sich Eizherzog Ferdinand von Tirol
bestimmt gefunden, das silberhaltig^ Bollwerk in Primör dem Simon
Botsch und dessen (zwar nicht genannten, aber ohne Zweifel italienischen)
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430
Bidennami,
[42
^Mitverwandten" unter der Bedingung zu verleihen, dass sie alle
Erzeugni>ise desselben ins Yen ctianische absetzen. Diese Verleihung
bedeutet wohl das Erlöschen des Deutschtums in Primör, an das übrigens
noch gegenwärtig Terschiedene OertUchkeitsDamen dort erinneni, wie
z. B. die zum Dorfe Tonadico gehörigen EinzelhOfe Stzosser, Beizer
und Nichene, der Weiler Calderer, die Berge Arzon (Erz), Sptazzi
(Spitz), Calaita (Kahle Leithe), die Alpen Grugola und Loch u. s. w. ').
Wenn ja die eine oder andere deutsche Knap]ienfaniilie die erwähnten
Besitzweclisel überdauerte, so wich sie später den Jierju^amasken, deren
die Pächter der Frimörer Eiseugruben sich bei deren Bearbeitung zu
bedienen pflegten.
1^ n. Heus- und Snlzberg.
Hierher gehören vom Politischen Bezirke Trient die mei-
sten Ortsgemeinden des Gerichtsbezirks Mezzolombardo (mit 9484 Ro-
manen), in welchen aber bloss 2 Deutsche angetroffen wurden, und der
ganze Politische Bezirk Cles mit 1899 Deutschen (neben 47 595 Ro-
manen). Von diesen «itfallen aber auf dtu Gerichtsbezirk Malb (den
Öulzberg) bloss i). davon 3 auf das Dorf Alal^, den Sitz des Gerichts.
Die übrigen wohnen im Hintergrunde des Nonsberges. wo sie ganze
Ortsgemeinden bilden, dann in der Nähe dieser und im Markte
Cles, dessen 245 Deutsche übrigens zumeist (nämlich 224) als Sol-
daten kein ständiges BevOlkerungselement sind. Von den deutschen
Ortsgemeinden gehört das Dorf Proveis, 436 Deutsche neben 99 Ro-
manen, zum Gerichtsbezirk Cles, welcher auch die nahe dabei gelegene
Ortsgemeinde Runio mit 1») Deutschen (neben 1321 Romanen) in sich
schliesst. Drei andere deutsche Ortsgemeinden: St. Felix, 32(3 Deutsche
neben 4 Romanen, Laurein (Lauregno), 491 Deutsche neben 10 Ro-
manen, und Frauenwald (Senale), 348 Deutsche neben 8 Romanen,
sind Bestandteile des Gerichtobezirks Fondo, in welchem ausserdem am
Gcrichtssitze (Fondo) 7, zu Cavareno 3, zu Romeno 2 und zu Ruffrfe 12
konskribiert wurden. Ausschliesslich deutsch ist die Sinablana benannte
Fraktion von Laurein und. mit Ausnahme einer einziiren Person, deutsch
die Malgasott benannte Fraktion von Fraueuwaid, sowie die ebeudahiu
zuständige Fraktion Unterau.
Oesamtsumme des Nons- und Sulzberges: 1901 Deutsche (neben
57 079 Romanen).
lieber die Entstehung und den Bestand der genannten 4 deut-
schen Ortsgemeindt n des Nonsberges gibt das im Litteratur\'erzeichuisse
unter 79 auigeführte Werk (1. 831 ff.) die besten Aufschlüsse. Sie gelten
'J Montebello (4U. 439, 445) bezeichnet die vielen deutschen Bergknappen,
welche vm 1480 in PritnSr anwesend waren, alt die Gründer des Hanptorti rietm
di Priniiero und meldet, duKs zu seiner Zeit (Ende des a( htzt-hnten JtihrhunderU)
die Wappenscbilde der vomehnu>ten Gewerke in der Pfarrkirche zu Pieve hingen.
Er nennt als solche die Römer von Maretsch (am wddier Boxener Famflie 1555
Jakob Hauptmann in Priniör war), die KaadtB, die Raest (Rort), Sweis (Weiss ?X
Woest(?), Sieyeat (Ney deck?).
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43]
Die Nationalittten in Tirol etc.
431
im allgemeinen ftir Ableger der benachbarten Gemeinden des ültoi-
thales und der G«'meinde Tisoiis im Hauptthalc der Etsch. Nur von
den Proveisern und Laurengern wird behauptet, dass unter ihnen viele
Nachkommen von Bergkna})j)en leben, welche aus entternteren Gegenden
herbeikamen. Dieser Beimischung wird die von der Sprechweise der
beiden anderen Qemeinden abweidiende Mundart und der ▼erschiedene
Körperhabitus der TOfgenannten Qemeindegenossen z\igeschrieben. Die
italienische Bevölkerung des Nonsberges belegt alle Einwohner der
»Deutschgegend", wie diese ihre Wohnsitze selbst nennen, mit dem
Gattungsnamen Cnosseri, was soviel als Bergknappen bedeuten soll.
Einst war jedoch das Wohngebiet der Deutschen im heutigen
Gerichtsbezirke Fondo und auch im Val Somargine, dessen westliche
Abzweigung das Val di Rmno ist (wahrend in der Ostlichen die Ge-
meinde Proveis sich erstreckt), weit ausgedehnter. Davon gibt nicht
nnr der AVeiler Placeri (Platzer) im Val di Rumo, sondern geben auch
bauerliche Familiennamen, wie Larcher 7ai Cavareno, Graif zu Romeno,
Sraelzer zu Marzena (Ortsgemeinde Rumo), Conter zu Livö, Frank zu
Cloz, Blasinger zu Fondo, Kessler zu Malosco bei Fondo u. s. w. ein
beredtes Zeugnis. Die von jeher deutsche Pfarre Prov eis wurde in
älterer Zeit wiederholt durch Seelsorger Tersehen, welche aus Rumo,
Cloz und Fondo gebürtig waren; ebenso wurde die St. Christophs-
kapelle in der Gemeinde St. Felix einst von Sarnonico aus besorgt,
gehörte einst die ganze Gemeinde Proveis zur Pfarre Rumo. und <,'il)t
es noch jetzt deutsche Bauernhöfe im Sprengel der Pfarren Brez und
Revo. Zu Dam bei, das im Jahre 1480 ein Besitztum der später
. gegraften Familie Fuchs war, wurden noch tot kurzem deutsche €to-
briuche beobachtet (58. 2. 207).
Auf dem Schlosse Fondo residierten in älterer und neuerer
Zeit deutsche Machthaber, so um das Jahr 1400 ein Burgherr Namens
Eisenhöver, wider dessen Gewaltthaten die Unterthanen des Schlosses
sich damals beim Landesfürsten in deutscher Spraclie ') beschwerten
(i'rimisser's Kollektaneen in der Bibl. Tirol., Handschrift 253 — alte
Signat. — Urk. 151) und im Jahre 1680 der Pfleger Jakob t. Heufler
(79. 1. 758). Unweit Sarnonico steht die Ruine Mohrenberg, einst
der Sita der gleichnamigen verdeutschten Familie, die sich durch kirchliche
Stiftungen verewigt hat. Darüber hinaus liegt am h'ande des Mendel-
gebirges die Ortsgemeinde Ruttre (Kufredo) , die Heimut des 1704 in
hohem Ansehen verstorbenen Wiener Bürgermeisters Pet. .Jos. Kofier
(41. 98) und noch heutzutage der Standort einer Schule, in wel-
cher die deutsche Sprache gepflegt wird. Von der grltflichen
Familie Arz, deren gleichnamiges Stammschloss einst das Vu di Rumo
*) Da«8 der Gebrauch dieser Sprache nicht etwa nur das Werk eines Schrei-
bers, sondf^ni rltn damaligen BewoliriPm von Fondn -'Hist s^eläufig war. i-rijiht
sich mit tn-osser Wahrscheinlichkeit aus einer gleiclueitigeu Urkunde, die im
, Archirio Trentmo* (II. Bd. , 8. 254) abgednickt ist. Eine im Jahre 1402 dem
Trientner Bischof Geur^j von d< r f lemeinde Fondo (Communitaa villac Fundi) \\hor-
reichte Bittschrift um Bestätigung ihrer alten Statuten trägt nämUcli die Unter-
tefadlft folmder Syndiker; Oeon^ Sohn de* Bott; Florine, Sohn des Julianns;
Hendrich, genannt Robmar, Sohn des Randin.
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482
Bidemuuui,
[44
behütete, ist zwar, dass sie deutschen Ursprungs, nicht in Horn Masse
gewiss, wie von der Familie Spaur, dem ehemaligen Gräfe ngesclilechte
Flavon (über dossfn Anfänge Alb. Jäger in seiner ^Geschichtij der land-
stündischen Veriaäsuug Tirols % i. Bd., S. 180 sich ni diesem Sinne
g^ussert hat); allein sie und die Mehrzahl der Übrigen Dynastetf-
geschlechter des Nonsberges haben die deutsche Abkunft eigent-
lich nie \ rläugnet, wenn schon in neuester Zeit und im siebzehnten
Jahrhunderte einzelne Angehörige dersell)cn zur itulieni-^chen Nationalität
sich bekannten Das zeigt schon ilir ununterbrochenes Erscheinen
auf den Tiroler Landtagen, wo übrigens auch Edelleute aus dem Sulz-
berge von Zeit zu Zeit sich einfanden, welche man als Deutsche be-
zeichnen darf. Speziell gilt dies Ton der im sechzehnten Jahrhunderte
aus Schwaben eingewanderten Familie Heydorf, welche auf dem
Schlosse Ossana hauste (41. 134), dann von Becdkem des Ansitzes
Freienthurm 7m Terzolas, dessen deutsrlier Name schon auf seine
Erbauung durch eine deutsche Familie hinweist. Allerdings wanderten
auch italienische Familien in den Nons- und Sulzberg ein; so (nach
Stephan y. Mayrhofens handschrittl. Genealogie) die Concini ans dem
Mailftndischen um das Jahr 1375 nach CasOcz und Tuenno, die Gentfli
aus der Mark Ancona um 1390 nach Denno und Nano, die Migazzi
aus dem Valtelin um 1420 nach Gogolo. Aber auch sie unterlagen
damals beim Verkehre mit dem schon vorhandenen deutschen Adel der
Germanisation. ( Vgl. unten die Note auf S. 451.)
War ja doch der Haushalt auf manchen Schlössern des Nons-
berges im iQn&elmten Jahrhunderte durch und durch deutsch,
sogar mit Einschluss der Burgwftditer! Als ein durch EHnzelheiten
beglaubigtes Beispiel sei hier das Schloss Alt-Spaur genannt, wi lches
von 1307 — 1450 im Besitze der Familie Reifer und um das Jahr 1460
der Sclianplatz ehelicher Zerwürfnisse war, bei deren Schilderung der
Inn.sbrm ker Archivar Dr. David Schönherr (s. dessen Schrift „Aus dem
Leben des Ritters Christoph Reifer von Alt-Spaur etc.'', Innsbruck 1882,
von Eaufbeuem, mit den Knechten (Gereisigen) Haamhauser aus Hfin-
eben, Brunner aus Landshut, Keutschacher au.s Kärnten, Hilpart von
Hirsberg im Voigtlande, endlich mit einer Magd aus Neunkirchen bei
Rosenheini (in Bayern), welche sämtlich in Reifers Diensten standen.
Es wird daher nicht blo.ss in den Wallfahrten, deren Ziel die Pfarr-
kirche zu Alt-Spaur war, begründet gewesen sein, dass die hiesigen
Pfarrer Ton alters her der deutschen Sprache mftchtig sein mussten
(s. ttb«r diese Forderung und die Torerwähnte Ursache 41. 113). Auch
erklärt es sich hieraus, weshalb ein Kundschaftsbrief über die Leistungs-
pflidit der zur Burg Visiaun (nächst dem Rocchettapasse ober Mezzo-
Lombardo) dienstbaren Unterthanen zu Andalo und Molveno, deren
Gerichtsherr im Jahre 1378 ein Reifer war, damals in deutscher und
lateinischer Sprache ausgestellt ward (R. d. L Sch.-As. IV, 144) und
*) Als der am trü besten in diese <W'^end eingewanderte deutsche Edelmann
iat wohl der im Rufe der Heiliffkeit gestorbene Bomedins «Tur nobüis ex Bavaria
ortu**, der im aehten Jahrhimaerte am Thaur im hmthale suzog, ca befaachtM.
S. 22) uns bekannt macht
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45]
JH» Nfttionalit&ten in Tirol eto.
433
wie Tartarotti (77. 48) auf den Gedanken verfallen konnte, der in
lateinischen Urkunden vorkommende Ausdruck ,campua Kotalianua"
(Ar eine beim Bocchettapasse gelegene Fliehe) rOhre vom deutschen
Worte «Rochihal* her. Ea lebte eben noch im achtzehnten Jahrhmidert
die Erinnenmg an die vielen deutschen Ortsnamen fort, mit welchen
diese Gegend vor Zeiten gleichsam besät war, wie denn z. B. auch
in der Nähe des vorerwähnten Piusses ein Anwesen, welches der Weber-
hof hiess, in einer Urkunde des 1. St.-As. vom 21. April lt)48 er-
schemt. Noch sei aus der Mitte des Nonsberges der Ort Coredo mit
den hier heimiechen Familiennamen Moncher, Widmann und Sicher,
das Dorf Romalo als Sitz der adeligen Familie Clauser und das Dorf
Tavon erwähnt, dessen Sprosse Anton Waldecher (Waldecker) im
Jahre 1490 Richter 7U Königsberg war (11. 155), während dort im
Jahre 1772 ein berüchtigter Strafprozess zwischen dem Bauer Ötancher
und dem Priester Don Ziller sich abspielte (41. 99).
Also fast überall, wohin man im Nonsberge den Blick richtet,
und mehrfach auch im Sulzherge (hierher gehOren noch die Eigennamen
Chreifenberg zu Terzolas und Mal^, Pezen zu CroTiana,' Bischoff zu Pres-
Bon) begegnet man Spuren deutschen Wesens: wenn schon nicht fort-
dauernden Rroiinpen desselben, so doch zum mindesten Resten einer
deutschen Vergangenheit. Dazu kommt, da.ss die bäuerliche Bevölkerung
beider Thäler, die der Volksmuud Berge nennt, seit Jahrhunderten
bestrebt ist, die Bekannftechafl mit der dentsehen Sprache fortan
dadurch zu erneuern, dass sie einen Teil des mSnnlichen Nachwuchses
nach Tisens, Mölten, Jenesien, den Ritten und in andere Gegenden der
Etschregion sendet, wo derselbe in der Regel vom 9. bis zum 15. Lebens-
jahre Hirtendienste verrichtet , wälirenddem aber die deutsche Sprache
erlernt und zumeist fürs ganze Leben sich einprägt. Demzufolge sind
die des Deutscheu kundigen Bauern dort zahlreicher als sonst irgendwo
im italienischen Tirol, die hiesigen deutschen Sprachinseln ausgenommen.
Deutsche Schulen sind ausser der bereits erwähnten zu Ruffir^: zu Lau-
rein, St. Felix, Frauenwald und PrOTeis. Ferner werden in den Volks-
schulen zu Malosco, Fondo, Ronzone und Revo Freikurse fiir Schüler,
welche die deutsche Sprache sich aneignen wollen, gehalten.
m. Das Fendaathal mit 6m. Hohen Ten Vm6,
Dieses Gebiet, welches seiner ethnographischen Vergangenheit
wegen hier als ein Ganzes ht liandelt wird und auch geographisch zu-
sammenhängt, indem es das Verbindungsglied zwischen dem Etscli-
und dem Brentathale bildet, setzt sich aus Bestandteilen des Politischen
Bezirks Trient zusammen, von welchem der Gerichtsbezirk Civez-
zano (das HShengebiet von Pin^) ganz hierher gehört, und dessen
Gerichtsbezirk Pergine mit der Mehrzahl seiner Ort.sgemeinden hier
in Betracht kommt. Der erstgenannte Gericht.sbezirk hatte Ende
1880, wenn man vom Gerichtssit/.o, der zugleich Gamisonsort ist, ab-
sieht, bloss 3 Deutsche zu Bewohnern, welche sich auf die Dörfer
Rizzoiago (Ortsgemeinde Baselga di Pinä), Miola und Montaguana
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434
Bidermaun,
[46
(Ortsgemeiiide Miola) verteilten. Im ganzen zählte er allerdings deren
39 (darunter 36 Soldaten am genannten Hauptorte). Der zweit ge-
nannte Geriditsbezirk erstreckt sich mit seiner nördlichen Hälfte
Uber das Fersinathal, und in diesem liegen fqpezieU fönende Ortn-
gemeinden : Roncojjno . Vigalzano , Vinra<ro , Tanezza, ^ogar^ und
Sta. Orsola ohne alle deutsche Bewohnerschaft, Serso mit 1, Madrano
mit 3 Deutschen, Pergine mit 239 (wobei die 237 deutschen Soldaten
der Qamison im Markte Pergine in Anschlag zu bringen sind), Fale-
sina mit 180 Deutschen (rein deutsch), Frassilongo mit 276 Deut-
schen neben 404 Italienern (und zwar im Dorfe dieses Namens
100 Deutsche neben 288 Italienern, und in der Fraktion Roveda
17«> Deutsche neben 176 Italienern), Fierozzo mit 331 Deutschen
neben 352 Italienern (und zwar im Dorfe St. Feiice 1 73 Deutsche neben
218 Italienern und in der Fraktion St. Franzisko 158 Deutsche neben
134 Italienern), und Palü mit 454 Deutschen (rein deutsch). Anfang
und Ende des Streifens deutscher Ansiedlunffen im Fermnathale sind
also durch rein deutsche Dorfschaften markiert, wobei freilich die
Falesina betreffende Angabe in Zweifel gezogen werden muss.
Gesamtsumme: 1473 Deutsche (neben 10 128 Italienern).
Auf den Höhen von Pine wohnten einst Deutsche Dorf au Dorf,
wenn es schon nicht richtig ist, dass dies noch vor 100 Jahren der
Fall war '). Aber im Jahre 1673 galt es noch von den DOrfem Hiola
und Fatda, wShrend die Mehnnhl dieser Gebirgsbewohner bereits
italienisch sprach (12. 113, Note 1),
Unter den aufrührerischen Bauern, welche im Jahre 1523 Trient
bedrohten, war auch „Christel von Pin«?", und aus dem 1793 ge-
druckten „Memoriale del Magistrato Consolare di Trento sopra il Diritto
di essigere .... la spesa del rilacimento" erhellt (S. 33), dass im
Jahre 1536 Johann Fux Vorsteher (Syndikus) der (Gemeinde Pin^
war. Gewiss gab es hier auch deutsche Bergleute, da um das Jahr 1070
auf dem Berge Gaza hinter dem Lago Santo, unweit der alten Kirche
di Santa Colomba, Spuren von SilhcrLrruben und Reste von Pochwerken
zu sehen waren (M. A. Mariani. Trento, Augusta 1073, pag. 478).
Die Erinnerung an diese deutsche Vergangenheit war noch in Tar-
tarotti so lebhaft, dass er (77. 44) die Ansicht äusserte: ,11 nome
Fatda (di Find) venga del Tedesoo Faichten (d. h. Fichten)*. Vor kurzem
ist das Bewusstsein derselben auch inmitten jener Gebirgsbewolmer der-
gestalt rege geworden, dass der Lehrer Tonioh zu Bedol (einem Dorfe,
das der Abdachung nach, auf der es liegt. ei»x<'ntlich zum Cembrathale
zu rechnen wäre, jedoch dem in Rede stehenden Gebirgsstocke ange-
hört) die seiner Obhut anvertrauten Kinder im Deutschen zu unter-
weisen begonnen hat, in der Schule zu Vigo gleiches geschah (27. Nr. 227)
') Der daran unBchnldige tJriieber diese« Irrtama, der rieh auch in Dr. Mnp-
pergs Aufsatz: ^Bedroht^'s cUmtschcs «Mit" (47. Nr. 19) oiiigeschlichen bat, wcheint
Christ. Schneller zu sein, der in seiner Abbandluns .Deatache und Romanen
in Sadtirol' (Gl. 371) sagt : ^Noch vor kaum hundert Jahren hatte das deatache
Element in Welschtirol eine viel grössere Ausdehnung .... da herrschte die deutsche
Sprfu li»» noch bei dem kräftigen Volke der P i n a i ter im Thale Pin^ ober Trient . . . .*
IVeilich beisst es da «bei' und nicht ^unter".
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«]
Die Nationalitäten in Tirol eto.
435
^ uud HowolU zu Fulda als zu Montagnana (Fraktionen der Ortsgemeinde
Miola) das Yerlaugeu uacli solchem Unterrichte geäussert worden seiu
soll (50. 18). Es soUen noch deutsche FamilifflnaTnen, wie: Stohser,
Sraldi (Oswald), Redl, Slozzeri, unter ihnen yorkommen (-U. 53).
Deutsche Lokalbezeicfanungen aus ihrer Mitte hat uns nebst der Nach-
richt, dass um das Jahr 1 785 alte Leute dort noch deutsch
nach Art der Cimbern sprachen, M. Pezzo aufbewahrt, indem er
(54. 2. 42) schreibt: ,Pine chebbe a questa era delle attempate per-
sone di Cimbrico parlare, e^li eziandio ha ü nome di Purga, Laude,
Eopfel, Lemp, Falda e altn." Wahncheinlich gehörte diese Oegend
TOT Zeiten zur Herrschaft Pergine; denn im Jahre 1376 trug Herzog
Leopold von Oesterreich seinem Hauptmanne zu Pergine auf, die ünter-
thanen aus den i^opsteien von Melan, Zivitzan und Boneyd zu den
üblichen Urbarialleist iingen zu verhalten (R. d. 1. Seh. -As. IV. Bd.,
S. 14 Ij. Unter Boneyd ist da wohl Pineit (Pi^e) zu verstehen'). —
Was das Fersinathal anbelangt, so sind die deutschen Ansiedlungen
im Hintergründe desselben allem Anscheine nach älter als die am
Eingange teils vorhanden gewesenen, teils noch jetzt dort vorfindigen.
Urkundlich geschieht ihrer aller mit Ausnahme Palüs, welches als Zu-
irehör der Herrschaft Caldonazzo da nicht genannt ist, zuerst in dem
\ ertrage Erwähnung, den die (Tesumtgemeinde Pergine (Persines) im
Jahre llOü mit der Stadt Vicenza zu schliessen sich anschickte. Da
enchemen die Seniores et Rectores ViUanim extra Burgum (Posines)
et totius Communis et districtus Persines mit Ausnahme der Pom er-
mani in Ploruts (Fierozzo) de Ariraania Domini (Gundibaldi, Reguli
Castri Persines), und zwar ausser den Vertretern des Burgfleckens Persen,
welche zugleich die Leute von Sivernach (Ziviixnuno) . Vallar und Val
d'ürbano vertraten, — Abgeordnete von Prato (Pradelle), Vierarh ( Viarago).
Porteli (Maso Portolo, Bestandteil der Ortsgemeinde Canezza), Cuuestie
(Ganezza), Brases (Brazzenighe) , Sertz (Serso), Artzenach (ein durch
die Fersina zerstörtes Dorf zwischen Viarago und Canezza) , Madran,
Nogareit (Nogar^), Cantzelin (Oanzolino), Bux (Bus), ÜTarda (Guarda),
Viculzan (Vigalzano), Caxilin (Tiisulino), Co.sta (ein Maso von Vi<!;alzano),
Susate (Susa) , Tanale. Oostasabma (Costasavina) . Riineou (Iloik o<^nio),
Fraxilong (Frassilongo), Robure (Roveda), Hiscla (Ischia), Tenna,
S. Cristoforo (am See von Caldonazzo), \'^^ola, Volchesten (Fale-
sina), Castöneto (Gastagn^), Yolchnaur (val Canoiera, ehemals auch
Valoonaia genannt), und Sta. Caterina (Fraktion von Castagne). Die
Zusammenkunft dieser Gemeindevertreter fand im Kloster üvald (Wald)
statt, welches wenige Schritte weit vom Burgflecken Pergine stand und
nach einem 1854 gerodeten üeliölze, von dem es umgeben war, so
genannt wurde. Der damalige Abt desselben hiess Teutwig. Ebenso
deutsch Idingen die Namen der Abgeordneten: Benedikt, Sohn des
Bumel, lUemar von Ganale, Alhrecht von Susat, Oebrik . . . von Oretung
•) ]^''t]n Weber sagt (83. 2. 500) vmi ihm Pinaitem: „Das Volk ist von
gim/. eigentiunliciier Art. einfach in Sitten und Lebeuäweise, höchst aufrichtig und
wortgetreu im Umgange und Handelsverkehr, von grösserer Tugend als Wortfiille,
80 da8f< Kt'iint'r nicht umsonst den reherrest eines deut sehen, in den VOlker-
Zügen dahin verschlagenen Menschenstammes darin erkennen.*
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436
Bidenouuin,
[48
(Gereidt?), welcher als Mansaitu.s de Hochlait hezeiclinet ist, Halitmar,
Sülm des Xich von Hiscia, Cutuvert (Gudebert V), Sohu des Kauch von
Volclizurige (später Yaiczaig, heutEutage Yignola). Doch feblen aueh
nicht romanische Namens wie: Malebrutus, Sohn des Dietrich von
Yigalzano, Redox, Sohn des Brenta von Castagnd. Unter den Zeagm
ist Benedikt, Sohn des Riprand von Padua als Einwohner von Pergine
(habitator m Burgo Pesines) aufgeführt Die Ariinani von Fierozzo
reichen ihrer Benennung nach in die Langobardenzeit zurück, und dass
auch "Teihiehmer an jener Verschwörung gegen den Schlossherm Gunde-
hald dieses Ursprungs flieh bewiuni waren, beweist die Berufung auf
uralte Geltung langobardischen Rechts in ihrer ICtte, neben welchem
noch die Lex Salica genannt ist als Zeichen späterer Nachschübe.
Vielleicht hängt es damit zusammen, dass die Bewoliner des Berg-
distrikts von Fierozzo bis in die neuere Zeit ihre Sonderstellung be-
haupteten. Sie standen unier dem Pfleger (Rentamtsbeamten), nicht
unter dem Richter, der Hemchidt Pergine (93. 1. 257). JedenftUa iat
die deutsche Bevölkerung daselbst Biter als der Bergbau, dem sie sich
in spftterer Zeit widmete und welcher hödutens Ankss zu ihrer Yer-
mehrung war (10).
Jene deutschen Gemeinden hatten das ganze Mittelalter hindurch
an den zu Pergine gebietenden Hauptleut^*n der Herzoge von Oester-
reich einen festen Rückhalt, welcher bis zum Jahre 1531, wo diese
Herrachaft an das Füntminm Tiient abgetreten wurde, dauerte und
gegen das Ende dieser Periode noch durdi den Aufschwung des hie-
sigen Bergbaues unterstützt ward. Aber schon vor Be^rinn der oster»
reichischen Herrschaft (1363) gab es in Pergine Hauptleute deutscher
Nationalität, so z. B. im Jahre 130(3 den Gerhard Franzenspergher und
1349 den Kunz Zinclo (Concius Zinle) (40. 417). Der vSilbergniben
zu Pergine (argentifodine Berzini in montanis) thut eine Urkunde vom
Jahre 1331 in Verbindung mit dem Bergwerlce auf dem Gebiige Ton
Yillanders ErwShnui^ (66. 66). Als das Dominium Pergine aufhörte,
ein österreichisches Gebiet zu sein, behielt sich Oesterreich im dies-
bezüg-lichen Vertrage vom 12. Januar 1531 gleichwohl vor. dass die
Bergwerke ihm und den Fürstbischöfen von Trient zu gleichen Teilen
zustehen und gemeinschaftlich betrieben werden sollten. Die damaligen
Gewerke, welche um Bestätigung der Bergwerksfreiheiten von 1483
und 1502 baten, hieesen: Stephan Faisl, Peter Pfitecher, Max Stainer,
Peter Prett, Blasius Synndl und Leonhard Hochstrasser (Trientner Lehea-
buch Nr. im Statth.*Archi7e zu Innsbruck). Drei Jahre früher war
auch noch der Aiifrs!)urrjeT "Rürnr^r Hans Ketzer am hiesigen Bergbaue
beteiligt, welcher von nun an rasch in Verfall geriet Zwar fand der
*) S. die im Littt'raturvnrzeichniase unter 2h angeftlhrte Schrift . rleren An-
hang obige Urkunde im Originaltexte enthält und welcher auch einiKe Naniens-
deotnngen, wie ll dass Volchesten Flalesina, Volclinanr Val Canoiera ist»
entnommen sind. Ich hahe Inn Volchnanr ziinlichxt an (Viil) Caorze bei Caldonazzo
Sedacht. Ebenso stammen au» dieser Schrift die das Dorf Arzeuacb und die Lag«
es Klosten Wald betreffenden Notizen. Die Uoclileiteii ist ein Berg südlich von
Caldonazzo, weldier Ort dem Flusagebiete der Brenta aagehftrt, in OM der hihalt
jener Urkunde auch sonst übergreift.
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49] IKe NaiionaUtftten in Tirol etc. 437
Sekretär eiues Kardinallegaten . <ler am Trit-ntner Konzil teilnahm,
An*<elo Mavssarellü, als er im Jalue 1540 Pergine besuchte, auf einem
einzigen Berge 32 Gruben, welche Kupfer- und Bleierze mit einem
durchschnittlichen Silbergehalte von 2 Lot per Zentner lieferten
(C. Giuliani im «Arch. Trent* I, 182); allein 3 Jahre zuvor hatte Franz
von Castellalt, von den Innsltnuker Behörden aufgefordert, sich über
die von den Bauern des Valsiigan angestrebte Freigebung <kr VVald-
uutzung zu äussern, den Bergbau um Pergine als sehr herabgekomnien
geschildert, und nach seiner Angabe waren von den 3 Gewerken, die
denselben überhaupt noch fortsetzten, 2 bereits Italiener^). Frflher
noch hatte im Orte Pergine das deutsche Element dem italie-
nischen weichen müssen. Allem Anscheine nach tragen Seuchen,
welche erstereni arg zusetzten, die meiste Schuld daran. In der zweiten
Hälfte de.s fünfzehnten Jahrhundert.s siedelti n sich Familien aus dem
Vaitelliu, dem Maüäudischen und Bergama.skischen dort an; um wie
viel mehr erst aus der itaUemsehenNaehbaiMhaft! [Drei davon, die Yinci-
guerra, Yenturini und Zecchini, blOhen noch jetzt (18. 14).] Aber noch
eutbehrten die Deutsc lu n des Ortes und des ganzen Pfarrsprengels von
Pergine, der sich mit dem Gebiete der gleichnamigen Herrschaft deckte,
nicht der liel)evollen Fürsorg«- staninivcrwiiiidter Priester. Das Ver-
zt;ichnis der Ptarrcr (18. 84- ^(1), welches Ijeiin .lalire l-UH mit Johann
vou Meran beginnt, beim Jahre 1308 — liiTÜ den liochus aus Deutsch-
land (Rocco dl Alemagna), 1435 — 1444 den Jos, Tanner (Alemanno),
1452 — 1455 den Theodorich Kaschnitz ansLeissnig in der Diözese Meissen,
1401 — 1481 den Steph. Sigfried Taubenmajer aus der Augsburger Diözese
anfuhrt, nennt für die Zeit von 1489 - 1'>'21 den Erzpricstcr Dr. Chri-
stoph Clanier. Dieser, dessen Verdienst auch d<r Bau der l'furr-
kirche ist, bemühte sich während der Pe.st vom Jahre löll, deutsche
Priester um sich zu versammehi, und gewann u. a. als Chorkaplan
den Zacharias Möckelin aus Kempten (in Schwaben), der seine Bereit-
willigkeit zu kommen in einem an den Gemeindesyndikus Jos. Spitzer
gerichteten Briefe zusagte (46. 894), Sein Nachfolger war aber (im
Oktober 1521) ein Mailänder, der Trientner Dompropst Dr. med.
G. B. Baldironi. der sich kaum durch einen Deutschen wird lialn-n
vertreten lajssen, und weiterhin lösten sidi auf diesem Pfarrposteii mit
einziger Ausnahme des Trientner Archidiakons Martin lseyde( k (1530
bis 1556) durchaus Italiener ab (18. 85). Damit ist mehr gesagt,
als mit allen Einzelnnachweisen der Wirkungen. <\\v das iibtii musste.
Indessen bekämpften die Deutschen selbst die ihnen kirchlicherseits
drohende Gefahr. Bergknapp»^! von Fiero//n vtifteten im Jalire K>21
zu Pergine das St. Barbarabeuehzium , worüber nach Einstellung
') Die SchlackenhaldtMi bei Viarugo liess der eht'iuulige Kauiiutirgraf za
Schoniniz in Ungarn, Andr. Vhr. v. Giovanelli, um das Jahr 1667 untenocfaen. Aber
zur Wiederaufnahme der Er/fßrdfrung fand fr H otlpn(>;ir nicht VMnvofjcn. l)<'in
Fallier Bergrevierc stattuteu am U. Juni 1Ü7U der üaupuuaun des ^fcblotit>eä
Telyana, L. Roveretii, ein Trientner Eddmann namens Lmer mid der Priester
M, Ä. Miuiar.i /\\it' dieser a. a, 0. S. 'tUl meldet) einen Besuch ab. bei wcichoin
^ie dort Anbrüche von Bleierz, weiter ubwärta Kupfergruben, die seit beiläuüg
SO Jahren verlassen waren, und Rainen von Röstofen antrafen (vgl. 40. 24 ff.).
VflndnaiiB snr deotielMB Land»»» und ToIUknnde. I. 7. 90
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438
Bidermann,
des Bergbaues die Bcrgdirdrtaon zu Hall im Innthale das Patronat
ausübte, bis im Jahre 1842, xuusb dem Tode des letzten Benefiziateo,
das Stiftung^ vermögen der Marktgemeinde Pefgine für Schulzwecke
eingeantwortet wurde (18. «)5) Vielleicht war es ein Akt ähnlicher
Abwelir. (Im die deutscht' Kirchenbindersdiaft zu Tricnt (societii dei
Irutelli Aiemani in Trcnto) unternahm, indem sie die Petruskapelle zu
Pergine au äicli bracht^e. «Sie beuasä dieselbe im Jahre 1543; das •
Eigentum dsran ging aber bald darauf an die Familie Gulielmi aus
Tessin über (18. 60). Die Deutschen räumten überhaupt in Pergine
den Italieuem nur allmählich das Feld. Dies lehrt das Verzeichnis der
hiesigen Gemeindevorsteher, in welchem noch bei den Jahren 1555,
1558. 15(>1. 15<>4, 15()7 ii. s. w., ja sogar nocb 170«> und 1731 — 1732
unzweiteUiaft deutsche Namen (zuletzt Moar = Maier und Autertoller =
Afienthaler) erscheinen (18. 87 — 90). Die Familieu Lehner (aus Schwaz
im Innthale), Bizer, Ghebel, Spitzer, Bollinger und Hof berger haben
wiederholt aus ihrer Mitte solche Vorsteher hen'orgehen gesehen. So
wurden denn auch noch am Schlüsse des achtzehnten Jalirhunderts bei
der Karlskapelle im Friedhofe zur Fastenzeit einige Predigten in deut-
scher Sprache gehalten {4ü. :595). Desto schneller griff italienisches
Wesen ausserhall> des Marktes um sich. Von der Landgemeinde
(Gastaldie) Viarago, welche ausser diesem Dorfe auch noch die Ort-
schaften Serso, Ganezza, Portole, Mala und Sta. Orsola in sich begriff,
ist bekannt, dass sie im Jahre 1522 auf einmal 35 italienische
Familien, die bereits seit einiger Zeit auf ihrem Gebiete wohnten, in
den Gemeindeverbanrl aufnahm (18. 15). Kein Wunder daher,
dass laut dem Steuerbuche der Herrschaft Pergine vom Jahre 158(1 der
Stand der Dinge damals folgender war: Im Markte Pergine (PersenJ
und der zugehörigen Borfschaft Zivignano (Zivernag) machten, den
Eigennamen der Steueipflichtigen nach zu urteilen, die Italiener be-
reits die Mehrheit aus und sie überwogen auch unter den wohl-
habenderen Besitzern, wenn schon der mit dem grössten Vermögen
Eingeschätzte ein Deutscher war. Von der Umgebung des Marktes
waren die Ortseliaften Koncogno (Koiiggin) und Canzolino (Chanzolin)
ganz oder nahezu ganz italienisch; Serso (Zercz), Viarago (^'^ilrag)
und Gasalino (Ghasalii^ Torwiegend italienisch; Ganezza (Khemietscfa),
Portolo und Madrano halb deutsch, halb italienisch; Yigalzano
(Vigalizan) und Nogare (Nogreid) fast völlig deutsch, und ebenso
Fiilesina (Vali.se), Frassilongo (Gereidt) und Hoveda (Aiclileit). Die
beiden letztgenannten Ortschattcn bildeten eine Prop.stei t\ir sich und
zählten 3-13 fiinwohner. Zu Frassüungo gehörten die Bauernhöfe:
') Im .liihre 1 ")7:i iM^itund noch 7,u Pergine eine Messinghütte, wie aus den
80gen. Bekheimenbüchcrn <1»'h Innsbr. Statth.-Archivs erhellt; im Steuerbuche von
1586 wird sie als «alte Hütt« " emrtUmt, die den Herrn von Segonzano. d. h. der
Frtmilie Trutn i^ohört«' PamaN .steuerte das hern^i-liaflliche UrViar zu Pt-rtrine nach
der gleichen C^uclle jährlich 40 tl. zum Knappenäpitale daüclbst und zur
Altarstiftung bei, welche damit ver))unden war. Zu Fierozzo stand noch im
Jahre 1792 ein ärarische.s Si]bor\verk im Hetrii-bf 1 1«!. 406). Die hiesigen Kn]»f r-
fraben lieferten noch in der ersten Uäifte des lautenden Jahrhunderts einige Aus-
eute und bescfaftftigten 8 Arbeiter (53. 2. 199).
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*1]
Die NationaUttten in Tirol etc.
439
Khestenholz und Kliiitzeuriterhof ; die Namen der Besitzer waren;
Puecher, Scheiffler, Tiiut'ner, Khnrenteuer, Mair, Hessel, Klioni. Kholler,
Am Eckh, tiasserii, Moser, Kiuelier, Holtzer, Läner, Piauetiiel und
Bemabe. Ab Besblndteil der Ortschaft Aidildit enchdnt der Bastel-
hof; ab hiesige Besitzer aber sind genannt: die Puecher, Fdbuer
(PbliSer), Zott, Loczerhaus, Ludtig und Fux. Zu Yigalzano sassen neben
den italienischen Familien di Coppi und Termin: die Theiss, Pruner
und Hansen (letztere 4 Familien und 27 Köpfe stark). Zu Xogar«^
bildeten „die vom Grossenhaus" allein eine 17 Personen zählende Haus-
haltung und erscheinen daneben die Khrebeser, Khanitz, Hais, von
St. Agnes und Jakob Meriot Von Falesina bssen sich keine Detaib
geben, weil diese Ortschaft mit Yignola (Valczurg) zusammen ver-
zeichnet ist. Von den vorgenannten Ortschaften hat am Schlüsse des
achtzehnten Jahrhunderts (hr Schriftsteller Montebello noch Fierozzo,
Frassilongo, Koveda und Falesina (so wie Vignola im Brentathale)
als deutsche anerkannt. Er sagt von ihnen: „conservano il linguaggio
tedesco corrotto" (40. 403). Nach Tee in i (78. 32) bewahrten die
deutsche Sprache im Jahre 1821 ausser Fierozzo und Palü noch
Roveda und Frassilongo; er bemerkt aber, dass noch vor einiger
Zeit (tempo ft) u. a. auch die Bewohner von Falesina, die jetzt
italienisch sprächen, der deutschen Sprache sich bedient hätten.
F. St. dei Bartolomei (7. «)) ])estimmt dies näher dahin, dass zu Fale-
sina bis Ende des sieiizehnten Jahrhunderts das Deutsche Umgangs-
sprache war. Von Viarago führt Schmeller (59. 589, Note) aus einer
Urkunde von 1750 einen Pro^editore Ermon, einen Gastaldo Koner und
andere Triiger deutscher Namen an. Derzeit gibt es deutsche Schulen
zu Frassilongo (Gereidt) , lioveda (Aichleit) , Fierozzo (S. Feiice) , San
Francesco (Ausserberji;) und Palü (Palei). [Letztere Gemeinde hiess vor
Zeiten, als sie noch unter dem gräflich Trappschen Pfleger zu Caldo-
nazzo stand, »St. Magdalena auf Palü" (93. 1. 257.) Freikurse für
Schiller, welche die deutsche Sprache erlernen wollen, bestehen zu Bedol
und Yigo (di Fin^. Ihrer wurde schon oben (S. 484) gedacht
17. Das Brentathal (Valaugan) und der Oebirgwtoek zwischen ihm und
den Aaticothale.
An die nunmehr ganz italienischen Ortsgemeinden Costasavina,
Ischia, Susa, Tenna und Tastagn^ reiht sicli die Ortsgenieinde Vig-
nola mit l'A'A Deutschen neben 200 Italienern. Sie bilden das Queli-
gebiet der Breuta und gehören zum Gerichtsbezirk Pergine. Die
Fortsetzung gegen Süden und Osten ist der Politische Bezirk Borgo,
und zwar zun&chst der Gerichtsbezirk Lerico mit 441 Deutschen
(neben 13 754 Italienern), wovon 431 (neben 215 Italienern) auf die
Ortsgenieinde Luserna, 4 auf die Ortsgemeinde Casotto, je 2 auf da.s
Dorf Pedemonte und auf das Dorf Sta. GiuHana (Fraktion von Levico)
und 1 aui das Dorf Caidouazzo entfallen. Von den lUO Deutscheu
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440
Bideimiuuip
[52
(neben 14 0<>1 Ttaliencni), wclclie der G eri chts})ezirk Borgo aufweist,
enttalleii weitaus iLie meisten (118) auf die üaniisun des Marktes Borgo,
wogegen die OrtsgememdenRonceguo, Ronchi, TeWe, TelTedisopra
und Torcegno rein italienisch sind und das Gleiche von den hier
weiter nicht in Frage kommenden Ortsgemeinden Carzano, Cartelnovo
und Novaledo gilt. Im Gerichtsbezirk Strigno endlich, wozu das
Seitentbal Tessin gehört, wohnten 10 Deutsche (neben 13 452 Italienern),
und zwar 7 zu Tezze (einer Fraktion von Grigno), 5 im Markte Striguo
und 1 zu Vill' Agnedo.
Gesamtsumme: 590 Deutsche (neben 45400 Italienem).
Die Ortsgemeinden Costasavina, Ischia, Susa (einschliesslidi
der Fraktion Canale), Tenna, Castagn^ und Vignola erscheinai
siniitlicli als Teilnehmer an der im Jahre llliti geplanten Unterwerfung
der Gesamtgenieinde Pergine unter die Stadt Vicenza und mögen da-
mals, wenn schon mit romanisierten Langobarden vermengt, ein vor-
wiegend germanisches Gepräge getragen haben. Wenigstens weisen
die deutsdien Namen der fiist ausschliesslich gerade diesen Gemeinden
entnommenen Abgesandte an die Stadt Vicenza auf Germanen hin«
die als Deutsche anzusehen sind. Und nocli im Jahre sassen
zu Vignola (Valczurg), zu Costasavina (Costschabin) und auf dem Kbest-
neiderberge (um Castagni?) fast lauter Deutsdie; ('atiak' war bulb (l. utvi h,
halb italienisch, Susa vorwi^eud itahenisch; die Gemeinden Isclua
(Diisehl) und- Tenna (Then) waren ftat auaschliealidi italienisch (12. 110,
Note 3). Am Gestade des Sees Ton CaldonazEO standen damua neben
2 Masi (il maso d'aqua bona und il maso h'Toldo) der Motzenhof, der
Oeltzerhof, der IManetzer-, der Proner- und der Ungerlehof. Es wohnten
dn (am Khestneider Berge) die Familien Khestenholtzer, Stauder, Perger,
Eekher, Untersteiner. Hos.sler, Pacher. Poscher, Fritz, Greter. Püchler,
Poper, Khlogg, (iiuntiz, Zarethler, Zerchier und Valcanoier. Zu Costa-
savina, wo mehrere Familien Weber, Moser und Schneider lebten, be-
sessen 2 italienische EdeUeute (Romedius de Gristani und Christoph
von Scarpa) einige Grundstücke, gab es aber danrlxn noch ein , Gewelb",
d. h. Kleinhandelsgeschäft der Erben nach Jakol) von Gremoneg (Cre-
moua?), was reclit deutlirli die Art, wie solche Ansiedler festen Fuss
fa.ssten, veranschaulicht. Von jenen deutschen Gemeinden hat bloss
das mehr abseits gelegene Dorf Vignola, aber auch nur zum Teile, die
angestammte Nationalitilt bis jetzt behauptet, wfihrend es um das
Jahr 1811 noch ganz deutsch war, was als eine Nachwirkung des
auch hier einst betriebmen Bergbaues, dessen Hauptobjekt im Jahre 1072
»Stubni Canop* (Knappenstube) hiess (Mariani a. a. O. S. 532), anzusehen
ist. tSchmeller, der das Dorf im .Jahre lS;3;i besuchte, rechnet e*
(äO. 588) zu den „noch deutsch sprechenden Berggenieinden Dass
es auch südlich vom vorgenannten See einst deutsche Ansied-
lungen gab, ist nicht nur durch die mehrerwfthnte Urkunde Tom
Jahre 1D3<>, in welcher «die Hoclileite" als Standort einer ausgedehnten
Ikuernwirtschaft vorkommt, sondern auch durch eine Urkunde vom
•lahre 1270 verbürgt, in welcher als zu Costa (s. w. von Rovcreto) weide-
berechtigt genannt sind: .nmsnadae de Perzina" (Pergine) und daneben
»Maser de Cadonazza" mit .seiner Naciikommeuscluift, femer Rolaud, Kam-
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53]
Die Nationalitftteii in Tirol etc.
441
balrl. WuMu i Waldner?) mit ihren Erben (>>. 2:>lt). Die Herrschaft Cal-
donazzo j^elangte im Jahre 1424 durch Belehnung seitens des Trientner
Bisturas an Herzog Friedrich von Tirol, wobei als Zubehör derselben
3 Teile der Berge Laferon (Lavaroue), Yattar (Vattaro), Coflta und
Centa sowie der St. Ohrietoplueee (der beutle Lago di CaLdonaszo)
bezeichnet sind (R. d. I. Sch.-As. III, 295). Seit 1461 ist sie im Be-
sitze der gräfhehen Familie Trapp, welche, aus Steiermark stammend,
ihre deutschen l'nterthanen dortselbst wenigstens nicht absichtlich durch
italienische ersetzte und solchergestalt das Deutschtum schonte. Dem-
zufolge lebten zu Genta (am Wege nach Lavarone) noch um die Mitte
des achtsehnten Jabibunderts einige deutsch sprechende Familien
(12. 110, Note 3) und wimmelt ee noch jetzt in dortiger Gegend roa
deutschen Lokalnamen, so z. B. im Bereiche der Ortsgemeinde Genta :
Schiri. Huezi, Tonezzeri, Campregheri, Conci (Kunz). Frisauchi. Auch
zu rjilceranica. wo sich ein Pfarrhofsinventar vom .lahre D>7M in
deutscher Sprache erhalten hat ( ">(). 1«)), kommt ein Weiler Kampreglter
vor. Gleiches ^ilt von den Familiennamen, deren es in jedem Orte
dieses Gebiigswinkels als Denkmale deutscher Vergangenheit gibt; so
z. B. zn Caldonazzo die Cuizel, Tieeher und Kien, zu Gastagn^ die
Eicher und 6rett«r, zu Goetasavina die Prudel und Faifer (Pfeifer), zu
Calreranira die Schraid u. s. w. Der zuhöchst gelegene Teil der
ehemaligen Herrschaft Caldonazzo sind die Ortsgemeinden Lavarone,
Luserua, Pedemoute und Casotto. Die beiden letztgenannten, hart
an der Grenze der Sette comuni des vicentiuischeu Gebietes, gf^lten noch
im Jahre 1821 ftr deutsch (78. 31), waren es aber in der Tka,t damals
kaum melir. Mit mehr Berechtigung konnte H. Pezzo (54. 2. 42) im
.1 a h r e 1 7 H :> von der Pfarre Brancafora (P edemont e), worunter er
ohne Zweifel auchCasotto versteht, und von T;avarone sagen: ^persevera
egU Cimbro favellare" -), Seither ist auch diese über weite Alpentiuren
sich erstreckende Ortsgemeinde dem Deutschtum bis auf wenige Fami-
lien, die dasselbe im engsten Familienkreise hegen, entfremdet worden.
Montebello rechnete am Schlüsse des achtzehnten Jahrhunderts so-
wolil Lavaione ak Brancafora zu den deutschen Gemeinden (46. 375).
Aber aus eigener Beobachtung schöpfte er diese Behauptung schwer-
lich. Ebensowenig dürfte Perini (53. '2. 203) seiner persönlichen
Ueberzeugung Ausdruck gegeben haben, indem er Lavarone zu An-
fang der 50er Jahre des laufenden Jalirhunderts den Dörfern zuzüiiite,
welche «conservano ancora l'originario loro dialetto*. Denn Sohmeller
(59. 591) traf hier im Jahre 1833 nur mehr ftitere Leute an, welche
die deutsche Sprache kannten, während die jüngere Generation davon
so gut wie nichts verstand. Unverkennbare Wahrzeichen der Natio-
nalität, welche da einst herrschte, sind indessen die Lokalben*'nTUin^»»ii:
Stengheli, Bertoldi, Sclilagenauf, Sosteri, Oseü, MiUegrobbe (Mühlgraben),
*) Vielleidit trag tat Erbaltunsr deutichen Weuna um Galoeiaaiioa der
ßt r(/i>au auf Vitriolerze bei, welcher nier noch im Jahre 1072 betrieben wurde
(Mariani a. a. 0. S. 532).
') Wenn er dies auch von Genta di Calcemnega (d. h, bei Calceranica) be-
hauptet, 80 wiilt rspricht er damit den Angaben d>- Bartolomeis , der bereits im
Jahre 1763 hier das Deutschtum alt im Erlöschen begriften schildert.
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442
BidemuHun,
[54
Canepelf (Kiiäpple), sämtlich im (Gebiete von Lavarone vorfindig; dauD
Scalceri und Venderle im Gebiete vou Pedemoute. Für die Deutscheu
SBU Lftvarone (Lafiraun) war in Sltever Zeit das hier (al Dud) l>e8tendeiie
Zollamt eine Stütze. Denn dieses Amt war häufig deutschen Be-
amten anvertiaitt. So bekleidete es im Jahre 1582 Sehastian Schulbeck
und noch im Jahre 1804 Job. Paul von Bachmayr. Aber unter der
bald darauf einm'etretenen italienisch - französischen Zwischenregienini»'
machten die deutscheu Funktionäre italienischen Platz und dabei blieb
es weiterhin. Noch belebender und jedenfalls konservativ wirkte einst
die deutsche Naehharschaft jenseits der Grenze ein. Seit dieser Zu-
sammenhang durch das Biindringen italieniRcher Keile unterbrochen ist,
krankt das Deutschtum auf dem Gebirgsstocke zwischen Brenta und
Astiko an tödlicher Vereinsamung. Bloss die Berggemeinde Luserna
hat ^ich noch einige altnationale Lebenskraft bewahrt und schöpft
solche von neuem aus der deutschen Volksschule, welche hier seit
anderthalb Jahrzehnten besteht. Wenden wir nun den Blick wieder
dem Brentathale zu, so fSlttt er vor allem auf den Ort Borgo di Val-
sugana (vor Zeiten «die Wiu^^ Telfiau* genannt) und dessen nörd-
liche Umgebung. Denn an der Gegend tou Levico, welche an die-
jenige von Pergine sich unmittelbar anschliesst, hafi^en mit Ausnahme
etlicher Lokalbenennungen, wie z. B. Monte Zaccon (Zacken). Anhtihe
Visle (Wiesele) und Thal Puisle (1. t)2), keinerlei deutsche Eriune-
nmgen. Desto reicher ist an solchen Borgo, dessen doitsche Be-
▼ttlkerong bis zum Jahre 1514 eines besonderen Seelsorgers sieh er-
freute, der ihr damals entzogen, später auf ihr drini:« ndos Anhalten
von neuem gewährt und um das Jahr 1500 heim ! ( I)ei]iaii<liit limen
der ItalientT vom fürstbischöflichen Ordinariate zu Trient detinitiv ver-
weigert wurde *). Zunächst tnig mau derselben allerdings durch Be-
stellung eines doppelsprachigen Piarrers Rechnung; doch drängten in
das Pfonramt bald Italiener, die dieser Bedingung nicht entsprachen,
sieh wo. *) und damit war auch das Los der dieser Pfarre einveileibten
deutschen Dörfer der Umgebung entschieden. Glücklicherweise war^
die Dörfer Telve (Telffs) und Roncegno fRundtschein) von ihr frühf^r
getrennt worden. So erhielt sich die deutsche Sprache namenthch im
gebirgigen Teile der letztgenannten Gemeinde (auf dem sogen.
Rundtscheiner Berge) bis gegen das Ende des achtzehnten Jahrhunderts.
Der Arzt Dr. Hieron. Bertondelli, welcher zu Borgo seine Praxis ans*
Übte, schreibt in seinem 1665 zu Padua gedruckten «Ristretto della
') Die beiderßcitigcn Pfründen bestanden nach dem bezüglichen Steuerbuche
noch im Jahre 1565 gesondert fort; doch das Register von 1570 spricht bereit«
von beiden, als wUren nie vereint (,Teut«cher vnd welscher Pfarrer in der Wurden
Telffan)\ Uelnigens hatte die Innsbr. Regienmg selbst im Jahi8l560 beim Kauer
diese Vereinigung befürwortet (52. 79).
*) Welche Hebel dabei in Bewegung gesetzt wurden, lehren die im I. St- A.
befindlichen Schreiben der Kardinäle Grangi und Paravicini d. d. 18. Juni und
2. Juli 1604, welche die Bewerbung des Priesters« Cäfare T.npi aus Bergamo um
diese Pfarre beim Tiroler Landesftirsten Erzherzog Maxiualian unterstützten. Das
Erbieten, , deutsche Gesellpriester" halten zu wollen, durch welches ein itsliemsclier
Kompetent um die deutsch»- Tfurre schon im Jahre ISPiQ deren ErlsJUgODg sich lU
sichern suchte (52. 79), gewährte an und Itlr sich wenig Schutz.
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55]
Die Nationalüftten in Tirol etc.
443
Valsugana", S, 30 von Roncegno: Die Höhen daselbst seien von einer
Bevrdkerung bewohnt, welche mehr deutsch als italieniscli spricht und
TOn den Cimbem abstammt (che parlano piü Alemauo che Italiano,
che sono ddla descendenza di Cimbri). 120 Jahre später Terddierto
M. Pezzo (54. 1. 44), die Einwohner von Roncegno hStten ihm auf
die Frage nach ihrer Ahkunft geantwortet: .Bi^r sain Cimhem", und
er habe dort Familiennamen wie Speckar, Lotar. Echar. vorgefnnden.
Ausserdem ttlhi-t er (ebenda 2. aus der liandschrifthchen Abhand-
lung des älteren de' Bartolomei (Simon Peter) ^De Oricntalium
Tyroleiisium praecipue Alpinorum ürigiDibus** , welche dessen Sohn
nanz Stephan im Januar 176B rtm Pergine aus an den Chrafen Karl
Firmian schickte, eine Stelle an, welche den Zusammenhang jener
Bergbewohner mit den Cimhwn h^ont und ihr Deutsdisprechen ausser
Zweifel stellt wogegen von den in der Ebene wohnenden Hinult-
scheiner Bauern rückhaltslos eingestanden wird, dass sie durciiweg der
italienischen Sprache sich bedienen (italice loquuntur) *). Ebenda wird
ferner vom Dorfe Telve mit Wiedergabe dessen, was der Erzpriest^r
der hiesigen Pfimre Gian Franc. Pedri de' Mandeli in einer 1776
zu Yened^p gedruckten Schrift darüher vorgebracht hatte, behauptet,
dass hier, wie einst in Borgo, neben dem italienischen Pfarrer ein
T)eutscher seines Amtes waltete, und wird auf die damals noch dort
Ix stundene .contrada Tedesca" hinijewieseii : aber davon, dass in Telve
noch im Jalire 1770 deutsch gesprochen wurde, ist keine Rede. End-
lich meldet M. Pezzo mit Berufung auf jeuen Erzpriester Yom Dorfe
Torcegno, einer ehemaligen Dependenz der Pfarre Telve, dass dort
Spuren von Cimbem wahrzunehmen seien. Vom Dorfe Konchi (Raut-
perg) wissen wir nur, dass noch im Jahre 158') ungefähr der dritte
Teil aller hiesigen Hofe und Grundbesitzer deutsche Namen trug, was
auch auf dem Kundtscheiner Berge der Fall war, während zu Borgo,
Ober-Telffs und Castelnöff bloss ein Viertel diese Eigenschaft
aufwies (52. 79). Die Gerichtsbarkeit zu Telvana, unter wacher die
vorgenaimten Dörfer und der Markt Borgo standen. Übten Jahrhunderte
lang Deutsche aus, so 1450 Bernhard Gradner, 1454 Leonh. Braideneck,
14.')r) Leonh. Anich, 1459 Otto Honinger, 1462—1652 die Freiherm
von Welsperg.
Beda Weber hat (8:]. 2. 533) noch vor beilftofig 50 Jahren von der
Bevölkerung der 'A hinter dem Dorfe Roncegno rrplp«rfnen Berge (nionte di Tesobo,
wonte di mezzo und .St. Brigittenbergj beliatiput, dass unter ihr die deutsche
Sprache fortlebe, allerdings mit dom&iMtee: .nicht mehr lange wird 68 wlhren,
10 ist die deut.Hche Sjirache ganz vt'r'»rb wunden.'
*) Welchem B<'ilrungni8.se die Deuüschen zu Uundt.-chein ausgesetzt waren,
erhellt aus einem Mandate der Innsbr. Regierung vom 25. Aj)ril 1647 (»Entbieten
und Bevelch*, Bl. 218 im I. St.-A.). womit sie den .Sie«,M)nnul Freiherm von Wclsjperg
beauftragte, die Inhaber de8v:>trällhof8 zuKuudtschein vor den Placke-
reien zu schätzen, welche der Pfarrer Dominik Pallude als Zehntherr mid der
Trientner Bürger Baptista Geraldi als Zinsberechtigter ihnen zufügten. Den ge-
nannten Hof hatten Hans Ringler und dessen Brüder als Lehenträ|[er
iane. — Im Pfiurdorfe Masi di Novaledo bekam Schmeller (59. 590) eine im
Jahrr* 1810 aufgezeichnet« Probe des Dialekte-; vmi Hundtschein, zu Gesicht. Dass
Aber diese damals unmittelbar dem Volksmunde entnommen wurde, ist zu bezweifeln.
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444
Bidwmaiui,
[56
Spfitcrlnn rf.si(li»>rt>'ii frcilidi ItalieiUT U'ils als Ocriclitshorron.
teils als deren Stellvertreter auf dem Schlosse Telvaua, so 1(JÖ2
htB 1661 Michael Fedrigazzi, 1661 die Grafen Jakob und Marino Natali
( Venetianer) , 1662 — 1788, wo das Sebloas Eigentam der Ctemeinde
Borgo wurde, die Familie Giovanelli, welche die Gerichtsbarkeit »rst
im Jahre 1831 dem Laiidesfürsteu heimsaf^te und seit dem Jahre 1727
durch Mitglieder der Familie d'Anna. der reichsten, die es zuletzt im
ganzen Breutathale <;ah. fiusül)te (1. (57). Ebenso war das benachbarte
Schloss Casteilalto bis zum Jahre 1652 in deutscheu Hunden. De:
Letsfce der Familie, welche sich danach nannte, Franz von GasteUali,
war so wenig Italiener der Gesinnung nach, dass seinen Grabstein in
der Pfimrkirche zu Telve (TeliVs) vielmehr eine deutsche Inschrift ziert
und er sich dit Famiii«' Trautmansdorf durch Vfirheiratuni^ einer seiner
Töchter mit einem Mitglied«- derselben zur Nachfolgerin in seinem Be-
sitze erkor (46. 257, 258), welche auch das Schloss bis um die Mitte
des siebzehnten Jahrhunderts festhielt. Daun folgten ihr im Besitze
desselben die Bufb und die Zambelli ans Baasano, welche der damit
verbundenen Gerichtsbarkeit erst im Jahre 1828 sich begaben (1. 65).
Ein drittes Schloss im Valsu^fan. namens Ivano. war sogar vom
Jahre 1412 an. wo Herzog Friedrich von Tirol den Leopold Zobel
zum Hauptniiiim daselbst einsetzte, mit kurzer, durch ()kku))ation sei-
tens der Republik Venedig bewirkter Unterbrechung bis in die neueste
Zeit herauf im Besitze dentscher Adek&milien (der Ghrafen toh Wek-
perg, Altringer und Wolkenstein) (1. 88, 89); allein ftr die Umgebung
dieses Schlosses war dies in nationaler Beziehung gleidigUltig, da die-
selbe doch schon von den ältesten Zeiten her Romanen zu Bewohnern
hatte '). Daher ist auch der im Jahre llJOH getrotieuen Anordnung
der Innsbnicker Kegiennig, «lass alle an die Herrsclmften Telvana und
Ivano zu richtenden Kauzieiexpetiitionen in deutscher Sprache aus-
zufertigen seien (ResoL-Buch in der Bibl. Tirol. Handschrift 1176,
BL 143), höchstens besOglich der erstgenannten Herrschaft einiges Ge-
wicht beizuh'gen. Zu Vignola wird der Unterricht für die oberen
Klassen der Volksschule, zu Luserna durchaus in deutscher Sprache
erteilt.
y. Das Etachthal von der Sprach- bis sur Landeägrenze mit Ananalmn»
der Städte Trient mud Borereto.
An dieser Thalstrecke nehmen teil: vom I'olitischen Bezirk
Trient der Gerichts bezirk La vis mit 87 Deutschen neben 850(3 Ita-
lienern, und zwar Markt Lavis mit 32, Dorf St. Michael (wo eine
auch von Deutschen besuchte landwirtschaftliche Lehranstalt sich be-
findet) mit 45, das Dorf FaSdo mit 8; femer der Oerichtsbezirk
') Auf diese Gegend pa.s-st vollkonjmen, was Aiiil^rosi (1, 16) von der
„popolazione della Valsugana" überhaupt sagt : ,Pare . . . che si sia formata da gent^
venute su pel corso del Brenta e da altre che vennero dalla parte oj[)po!«ta da
ort idente, dove si fece la mescnlanza delle genti itale ooi Cenomam ed altri
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Dk Ibtumalüftteii in Tirol eto.
445
Mf'zzolombardo mit den Ortsgemeinden Wiilschmetz (Mezzo lomb.,
04 i)outsche, 3;i'i4 Italiener), Deutsch-Metz (Mezzo tedesco, '.^2 Deutsche,
1732 Italiener), Aichholtz (Rovere della Luna, 9 Deutsche, 790 Ita-
liener), Gramo (kein Deutscher), SchSffbrack QShYB St. Rocco, 2 DeutscUe,
331 Italiener), Zambana (kein Deutscher) und Fai (kein Deutscher),
zusammen also mit 97 Deutschen (neben 715G Italienern); dann der
Gerichtsbezirk (Umgebung) Trient mit 4 Deutschen neben
12 006 Italienern. Den Abschluss gegen Süden, die Seitenthäler mit
eingerechnet, bildet der gesamte Politische Bezirk Kovereto mit
281 Deutschen neben 50 958 Italienern. Von diesen wenigen Deutscheu
entfallen 215 auf den Gerichtsbezirk (Umgebung) RoTereto, und
zwar auf die Ortsgeraeinden CSalliano 2, Lizzana 7, Marco 5, Sacco
(wo eine grosse Tabakfabrik ist) 40; der Uest jener 215 verteilt sich
auf die Seit! nthäler Folgaria (Vilgreidt) mit 152 (Fraktion Fol-
garia 45, Guardia 5. Mozzomonte 9. Xosellari 4iJ, 8t. Sebastian 2(),
St-nada 24) und Vallarsa mit 9. Die am rechten Ufer der Etsch
gelegenen Gerichtsbezirke Nogaredo und Mori zäldten nur ü,
bezw. 11. Der Gerichtsbezirk Ala endlich war Ende 1880 von
49 einheimischen Deutschen bewohnt, von welchen die Stadt Ala (Grenz-
station) 38 beherbergte f auf die Chrtsgemeinden Avio und Borghetto
aber 0 hezw. 9 entfielen.
Gesamtsumme: 4t)i> Deutsche (neben 79 22(5 Italienern).
Der Nordrand dieses Gebietes fällt mit dem Streifen Landes zu-
sammen, um welchen die deutsche Sprachgrenze im Hauptthale der Etsch
seit ungefUir 130 Jahren zurQckgewichen ist. Die dadurch dem ita-
lienischen Sprachgebiete zugewachsenen Ortsgemeinden sind: am rechten
Ufer der Etsch Aichholtz, Deutsch-Metz, Grumo und Schoff-
bruck; am linken Ufer St. Michael. FaJMlo nnd fjavis. Der Flüchen-
raum, welchen diese 7 Gemeinden einnehmen, beträtet 12<>4;{ österr.
Joche, also 1 '^4 österr. Quadratmeilen = 09 Quadratkilometer. Aller-
dinffs war dieses Cbbiet auch Tor mehr als ISO Jahren der Bevölkerung
nach kein rein deutsches, sondern von jeher auch Wohnsitz von Ita-
lienern. Allein diese machen erst seit der Mitte di s vorigen Jahr-
hunderts hier, besonders am südlichen Saume, die Melirzahl aus, und
eine uralte Uel)erliefening bezeichnet die Nnceniilndung einerseits, die
des Avisio andererseits als nationale Grenzmarken. Das Dorf Aich-
holtz anerkennt Tartarotti in einem Briefe an Muratori d. d. Kove-
reto 13. April 1743 (77. 53) als von Deutschen bewohnt, indem er
schreibt: „Kover^ dallia Luna, rilla sopra Trento .... da' suoi propri
abitanti, che parlano la lingua Tedesca. chiamata Eicholtz*,
und Chiusole (20. 5> thut noch im Jahre 1787 de.sgleichen. Deutsch-
Metz, des-^en (xemeindeakten seit dem Jahre 14t)0 in deutscher Sprache
verfasst wurden (24. 37), büsste seinen deutschen Charakter durch das
Eindrinffen der Nonsberger und durch die vielen Kolonen ein, welche
▼on itwenischen Ghrundherm aus der Trientner Gegend hierher ver-
pflanzt wurden. Im Jahre 175() überwt^n hier, dann zu Schöffbruck
und Aichholtz unter den kleinen Besitzern bereits die Italiener, wo-
gegen im Weiler Grumo, also unmittelbar an der Mündung des Ulz-
(Noce-)flusses in die Etsch die Deutscheu noch in der Majorität
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446
Bldcniuuiiit
[58
waren. Am linken Ufer machte im nchtzehnteu Jahrhmidert das Dort
St. Michael wohl nur mehr auf iiurciireiseude den Eindruck eines
deutschen Orts. Denn ausser den Wirten, welche fast in ununterbrochener
R^enfolge Deutsche waren, und den sogen. Strassengewerben gab es
dort damals bloss im Augustiner Chorherrnstifte Deutsche in ^n « ^rr r
Anzahl. Diese Ansammlung deutscher Priester, welche der franzö-
sischen Zwischenre^ierung im Jahre 1810 zu solehrm Anstosse gereichte,
dass sie den Konvent deshalb („cosi per essei c es.«-;! quasi tutti Tedeschi'
heisst es in der handschriftlichen Geschichte des Klosters von Carlo
Qnunatica) auflöste, wirkte übrigens im weiteren Umkreise erhaltend
auf die deutedie Nationalität. Denn aus ihrer Mitte wurden die Pfarren
Lavis, Pressano, Gioro, Fa6do besetzt. So war z. B. der Chorherr
P. Theobald Larch ans Sterzing (am Brenner) im Tahre 1786 Seel-
soi-ger zu Oiovo. Den Deutschen 7ai La vis kam auch zu statten,
dass, obschon seit 1048 die Brüder Zenobio und s]»Hter die Conti Al-
brizzi aus Venedig das Gericht Königsberg, dem alle diese Orte
gehorchten, innehatten, doch häufig Mi^^lieder der deutschen FamÜie
Schuldhaus von Nevisburg, deren Stammsitz zu Lavis jetzt Eigentum der
italienischen Familie Viero ist, die Hauptmannsstelle auf Schloss Königs-
berg bekleideten. Dies hinderte aber freilirh nicht, dass der nach dem
Avisio (Aviso): Navis, Neves, Nevis genannte Ort. dessen Bevölkerung
um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts ausschliesshch deuUich
sprach (52. 74, 75), nach seiner Zerstörung durch diesen Wildbach im
folgenden Jahrhunderte von Plressano aus mit Italienern besiedelt und
so dns (kutsche Klrinent verdrängt wurde (3. 119). Seither machte
die Entdeutschung des Ortes solche Fortschritte, dass Beda Weber
schon vor ÖO .Jahren durch die „italienische Bauart fest aus Stein",
durch „italienische Sitte in Buden und Kaufläden", durch „italienische
Zutraulichkeit in Ansprache und Neugier" dort auf den Gedanken ge-
bracht wurde, er befinde sich in einer Vorstadt Ton Trient (83. 2. 482).
Nordöstlich von Trient erinnert der Gaüsberg an den einst durch
Deutsche hier betriebenen Bergbau. Von der gegen Pei^gine ZU gd^fenen
Gemeinde Povo (Paho) ist mit «^utem Grunde m vermuten , dass sie
bis ins a( htzehnte .lalirlumdert deutsche oder wenigstens von Deutschen
abstammende Bewohner hatte. Denn die 1792 gedruckten „Documenti
del Comune di Trento d'aver macello pubbl. nel distretto del Comune
di PoTO* machen uns mit vielen dieser (Gemeinde angehörenden Eigen-
namen bekannt, welche deutsches Gepräge tragen: so z. B. beim
Jahre 1538 mit einem Andreas Tophole (StoflFele?), beim Jahre 1691^
mit dem Syndikus Lorenz Frizera (Fritscher V) , beim Jahre 17('9 mit
dem Syndikus Franz Ossel und mit eiiu iu Deputierten der Gemeinde-
fraktioii Pantt^, namens Niculo Giovanni detto Rengo (Renk) ove Migol.
Was diese Vermutung unterstützt, ist die Kundmadiungsart, mittek
welcher am 20. Juli 1609 ein Auftrag der Stadtgemeinde Trient so
PoTO öffentlich verlautbart wurde. Em Notar, zugleich Kanzlist der
Stadt, verlas ihn, d. h. wohl den italienischen Originaltext, und der
Stadtoffizinl Steph. Saxo verkündete ihn sodann in Gegenwart des vor-
erwähnten Ossel und des Tiientner BürLi;er< Georg Paurnfaint. also
woiü in einer vom Originaltexte abweiciienden Sprache. Am entgegen-
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59]
Die NationaHttten in Tirol etc.
447
gesetzten Ufer ilor Etsch. nächst der St. Geort;skirihe ülla Scala
hinter Doss Trent ert(»nte noch um das Jahr 1070 jährlich eine im
Freien gehaltene deutsche Predigt, und zwar am St. Georgstage, wo
die Conl'reria Alemanna (die deutsche Bruderschaft) von Trient pro-
zesräoDBweise dalun zog (11. 31). Steigt man die Tom Yelabache durch-
brauste Schlucht his zum Ursprünge des Baches hinan, so gelangt man
zu den Masi di S. Anna oberhalb Sopramonte. Hier stand noch
um die Mitte des l"ünfzehnten Jahrhunderts ein Augustinerkloster, dessen
Prior im Jahre 144.5 Johann Nachtrausburg war (3. 159). Zu Sopra-
monte selbst sassen freie Leute, welche im Jahre 1256 einen kaiser-
lichen Schutzbrief erhielten (Codex Wangianus, herausg. von Kink, Font.
Rer. Austr., Wien 1852, S. 369). Man wird wohl dahinter Deutsche
Termuten dürfen, denen die hiesige Passsperre anvertraut war.
Ostwärts von Calliano, das schon nahe an Rovereto liegt, erstreckt
sich die Gebirgsgegend Vilgreidt (Folgaria) ^) , deren am Abhänge
des Cometberges befindlicher Hauptort la Villa heisst und weldie
ausserdem die Nachbarschaften (Yicinie) Nosellari , St. Sebastian,
Serrada, Gnardia und Messomonte in sich hegreift. Mit dem Weiler
Nosellari reicht sie an Lavarone, somit an den Gehirgsstock zwischen
dem Brenta- und Asticothale, hinan und berührt sie die italienische
Grenze. Ihre Besiedlung soll, und zwar auf dem Bergrü<ken Costa
Cartwa. zu Anfang des dreizehnten Jjilirhunderts begonnen haben (17. 13).
Ursprünglich nach Volano , wel< hes Dorf /wischen Calliano und Ro-
vereto an der Etsch liegt, eingepfarrt, erhielt sie zwar frühzeitig
schon einen hesonderen Seelsorger, hlieb aber doch in einer ge-
wissen kirchlichen Abhängigkeit von dieser Pfane (17. 120). Unter
den Priestern, welche im Vilgreidt selbst wohnten, begegnen wir beim
Jahre 14(54 einem Wiener (Job. Gehorsam). 1511 einem Augsburger
(Joh. Scensbergher) , 151M) einem aus der Würzburger Diözese zuge-
wanderten Deutschen (Jakob Denck), der ftir die Rechte seiner Pfarr-
kinder gegenüber den Ansprüchen des Herrn von Beseno so kräftig
eintrat, dass die Sehergen des letzteren ihn durch Ermordung besei-
tigten. Indessen hatte der Gebrauch der italienischen Sprache beim
Gottesdienste und bei Gericht schon um das Jahr 15(30 die Oberhand
gewonnen (17. 15). und da die Ehen der Einheimischen wenig fruchtbar,
die Auswandenmgen häufig, die Zuwanderungen aus itahenischen Gegenden
aber zahlreich waren, so vollzog sich die Italienisierung der alten deut-
schen Einwohner rasch, zumal seit dem Jahre 1671 fjuat nur Italiener
da als Seelsorger wirkten, und die einzigen deutschen Nachschübe,
welche eine Zeitlang jenen Abgang ersetzten, nämlich die aus den vicen-
tinischen Sette Comuni immer seltener wurden (17. 170). Als Haus-
sprache hat sich das Deutsche zn St. Sebastian erhalten, wo seit
etwa 7 Jahren auch eine deutsche Volk>s{liule besteht, welche dafür
soigt, dass es daselbst nicht ausstirbt. Auch im Hauptorte La \ illa
wvaäB im Jahre 1879 — 1880 deutscher Unterricht erteilt und stand
Christ. Schneller schreibt (62): Folgareit, v. AtÜmayr (5): Vilgrait; ich
Ir.ilt. niiih bei der Schreibart ,Vilgi* idt* an die StenerbflcSier des sechxehnten
Jahrhonderts, welche in meinem Besitze nnd.
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448
IKdomuuiii»
[60
vor kurzem die Be>j;rün(lun«if einer stabilen deutschen Schule iu Aus-
sicht, da der Gemeindevorsteher Leitenberger dazu die Hand zu bieten
flchien (27, Nr. 281). Von der ehemaligen weiten Verbreitung deot-
echen Volkstume in dieser Gebiigsgegend legen viele Lokalnamen Zeug-
nis ab, welche zerstreut oder audh zu Gruppen vereinigt dort fast
allenthalben angetroffen werden: so z. ß. im Bereiche des Haiijitortes
die Weiler Er.sj)anieri. Ni irliell. Peneri : ferner im Bereiche der Fraktion
Guardia das Dorf ( hidertlial (Oltertlial ?) unweit der Grenze des alten
Burgfriedens, von welchem das Schloss Stein am Callian (i'ietra di Cal-
Eano) umgeben war. Auf der Anichschen Karte von Tirol ist audi
ein Weikr namens Bospocheri nächst dem Schlosse Beseno yerzeicbnet,
und von der Orle^nieinde Besen ello j^ilt es für eine ausgemachte
Sache, dass sie em Ableger der Vilgreidter Deutschen ist (17. 179).
Zu Serrada vernahm der Kreisgerichtsprasideut von Attlmayr noch
im Jahre 18(>2 deutsche Laute aus dem Munde eines älteren \Veil>es
(5. 91), und von den MUhleu zu Guardia erwähnt der Verfasser des
Au&atees «Tirol mit Vorarlberg* im IV. Band der „Gegenwart*
(Leipzig 1850), dass dort deutschsprechende MfiUer und Mahlknechte
sich damals befunden haben sollen. Ebenda wird nach den im
Jahre 1847 gemachten Wahrnehmungen des Professors Gotthard aus
Freising mitgeteilt, dass zu St. Sebastian der von diesen Gebirgs-
bewühuern «Slapero" genannte deutsche Dialekt im häuslichen Ver-
kehre gebrftucbnch war, was axik seither nicht geiadert hat. Zu
Besenello und zu Calliano wirkten im secfaz^nten Jahrhundert
deutsche Priester (52. 76, 77), und an letzterem Orte Avar damals die
Famüie Westerstetten heimisch (20. 170). während in dem dabei
liegenden Schlosse (Pietrn) im Jahre ir)48 Graf Paul Sixt Trautson
geboren ward (Xotizbl. dw k. Akad. d. W. iu Wien. 1. Jahrg., S. 24:^).
Der Ort Volano (Avenion) liiess im Jalire 1204 (52. 7(3, Note 1) und
noch im Jahre 1532 Nussdorf (R. d. I. Sch.*A8. m, 297). Im Jahre 1464
war hier Wolfg. von Mühlbach Pfearer (52. 76, Note 1). Wenn das -
Dorf „Wolaut, teutsch Nosdorf*. dessen ein von Schmeller (59. 570.
Not« 2) citierter Reisender gedenkt, mit Volano identisch ist und der
bezügliche Reiseljericht Glauben verdient war daselbst noch im Jnhre lt)52
die deutsche Sprache allgemeine Umgangssprache. Uebrigeus machte die
Ausbreitung des deutschen Elements bei Calliano nicht am Etschflusse
Halt, sondern es griff ans andere Ufer hinüber.
Im Jahre 1407 war Michael Westerstetten Pfleger zu Nomi
(Tayel der Bevelch von 1496/7, BL 35 im I. St-A.), W iche Buig
sowie an< Ii ( 'avtellbarco Kaiser Max I. 3 Jahre zuvor kautVoise an
sich gclirarlit hatte, freilich nur. um sie loll an Pelegrin de Buxiis-
Castelletti aus Maüaud zu verkaufen (2. 27). Ein Priester Andreas
de Alemania war im Jahre 1440 Rektor der Kirche des beiL Anton
bei Castellbarco (20. 62). Weiter abwirts finden wir am rechten
Etschufer die beiden Hcnxl ft n Castellcorn und Isera vom
Jahre 1400 an ])ei der Tiroler 1 Vmiilie Liechtenstein, welche bLs zu
ihrem im Jahre 17*>8 erfob^^teü Aussterben dieselben iune hatte, worauf
die Grafen Podstatzky-Li« rliten>tt m in deren Besitze folgten (20. 53).
Zur Uerräcliaft Caütellcoru gehörten seit 1509 auch die Dörfer Nomesino
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61]
Die Nationalitäteik in Tirol etc.
449
und Marzano, welche somit vor dem Drucke italieuisclier Gerichtshemi
bewahrt blieben (Jos. v. Sperges, Mist. Nachr. von Castelcorno, Haud-
sehnft 928 der BibL Tirol. S. 28). Das Schloss Stein am Callian
dagegen kam im siebzehnten Jahrhundert an die Freiherren von Fedri-
fazzi und von Gioyanelli (53. 2. 380). imd die Grafen Trapp
atten als Gericlitslicrren zu Beseno mit den Vügreidter Deutschen
von der Zeit an, wo die Republik Venedif^ diese sich huldigen (gemacht
hatte, nichts mehr zu schatfen, wenn sie gleich ihre vorigen Kechte über
dieselben wiederholt ^ur Geltung zu bringen suchten (17. 28, 34, 45). Am
linken Etschnfer schloss sieb an den Bezirk der eben genannten
Gebiigabewohner das Gebiet von Terragnollo, einst (yom Bache Leno,
der zu deutsch Leim hiess) ^im Leym** genannt. Es wird in einer
Aufzeichnung vom Jahre 1532 (52. 77) nebst NorigHo (Orill) und
Saltaria. welches jetzt eine Fraktion von Noriglio ist, den „teutschen
Berg-Commaunern" im Bereiche der Podestaria von Rovereto zu-
gezählt, denen da ausserdem die Gemeinden Trambilleuo (Trumblayt)
und Vallarsa (Vilartz) angereiht erscheinen. Von allen diesen Ge-
meinden gilt, dass ihre Angehörigen zumeist deutschen Ursprungs, aber
dermalen bis auf einige Ortsfremde, die sich in ihrer Mitte aufhalten,
ganzhch italienisiert sind. Von der Gemeinde Terragnollo wissen
wir genau, wie dies zuging. Im „Florilegio scientif.-stor.-letter. del
Tirolo Itahano", welches Buch 185(3 zu Padua gedruckt wurde, ist
nämlich ehie um das Jahr 1820 geschriebene Denkschrift eines Giovam-
pietro Beltnuni abgedruckt % in welcher das Verdienst (?), dies durch
Einschüchterung der Bevölkerung bewirkt, d. h. erzwungen zu haV»eii,
dem Priester Don Leonardo ZaneUa zugeschrieben wird, welcher in der
Zeit von 20 Jahren (beiläufig zwischen 1800 und 1820) das altdeut>che
Idiom zum Schweigen brachte, so dass dessen ^Tod" unmittelbar bevor-
stand (di che noi veggiamo quel tale idioma a tale stato, che in brevis-
simo tempo egli sara morto e sepolto) In der That fristete dasselbe
vor 40 Jahren, wie damals Professor Gotthard aus Freismg konstatierte,
im Bezirke von Terragnollo nur nocli künimerlicli sein Dasein. Zu
Piazza, dem Sitze der Thalpfnrre, K btc damals als der einzige Mann,
der seiner mächtig war, ein Greis von 80 .Jahren, welcher aber noch
der Zeit, wo Jedermann daselbst dentsdi sprach, sich gut erinnerte.
Man besann sich dort auch noch deutiicii des Pfarrers, der .,nur noch
welsch beichten liess und so das Slapero emsig wegfegte" (Gegen-
wart IV, 66). Ein harter Schicksalsschlag, welcher diese Gemeinden
traf, war die im Jahre 1465 erfolgte Verdrängung des deutschen Erz-
priesters Gonobitzer (Giorgio Ganobicev. Tede^i f») aus der Hauptpfarre
ZU Lizzana, wohin sie sämtlich gehörten, und dessen Ersatz durch
den venetiuuischen Patrizier Leonardo Contarini (77. 85). Dies hängt
mit der damahgen Ausbreitung der venetianischen Herrschaft über diese
Gegenden zusammen, welche Ton 1480 — 1509 dauerte und deren Be«
'i füliit >U-n Tit«l .Memoria intorno alla vita e alla morie delia lingoa
dei i)oi)oli <li Tcnag^nullo*.
Hierauf bezieht sieh die Bemerkung Schnit llers (59. 591): er habe ge-
hört, dass in Terra^'nollo (Ifujenigen, die nicht italit Tiisch SSU beichten imstande sein
würdeu, mit Verweigerung der Absolution gedroht sei.
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450
Bidemuuuif
[02
giim durch die Freibriete, welche die Republik den emzehien (ieiueiudeu
erteilte (so au Terraguollo uud Vallarsa uuterm 29. August 1431), an
Trambüleno unterm 18. Januar 1440, an Folgaria unterm 8. No-
vember 1441). s. 87. 1. 310), deutlich gekennzeichnet ist. Wie weifc
aber das Vorhaudeneein einer deutschen Bevölkeiung dort zurückreichte,
ergibt sich aus der am 1>. März 1225 zu Kovereto (in villa Rovredi)
in Gegenwart der Gememdevertreter (in comrauni rcffula) durch den
Schlossherru Jakobiu von Lizzana vollzogenen Bestellung des Man-
fred Ton Lizzana zum Schaffer (TÜlicus), dessen Aufgabe ee war,
den Deutschen und Romanen daselbst, sowohl in der Thalsohle als
naga auf den Bergen, Recht zu sprechen (ad racionem faciendam . . .
in plebatu Lizanae in monte et piano, teutonicis et latinis —
87. 1. 407). Als Walirzeicheu deutscher Vergangenheit, welche dem
Wechsel der Nationalität bisher trotzten, sind hier ihres Namens
wegen zu neuueu: in Trambüleno die Dörfer Möschen, Pozzacchio
(Posehacher?), Toldo; in Terragnollo die Dörfer Baisi (Weiss),
Campen, Dieneri, Mauren, Peltrari, Pergheri, Pueehem, Stedeleri,
Zencheri, Zorreri, sowie die Weiler Gherteri (und Pintereben, welcher
Name bei Perini II, 545 und auf der Anichschen Karte sich findet);
in Vallarsa die Dörfer Cumerlotti, Huspi, Staineri. sowie die Emzeln-
höfe Speccheri, Kida, Arlanch, Norder. — Tief unten im Et^ichthale,
gegen den Ausgang zu, liegt das Städtclieu Alu, unter des^eu Pne-
stem im Jahre 1214 ein l&kon Walland, 1339 ein Pfiurer Dietrich
erscheint (53. 2. 9, 10) und in dessen Nähe das St. Margaretenkloeter
sich befand, dem im .Jahre 1417 Nicolaus de Alemania als Prior mit
Konrad von Schorndorf als Prokurator zur Seite vor<^(»standen ist (52. 7(3).
Am einfachsten erklären sich diese Spuren einer dort bestandenen deut-
schen Seelsorge aus der Nähe der sogen. Tredeci Cumuni im veronesi-
schen Gebiete, welche gleichzeitig bis an die heutigen Grenzgebirge
von Tirol mit Deutschen dicht besetzt waren. Deuteche Sprachkurse
sind an den Yolks^hulen zu Mezzolombardo imd St. Michael eröffnet.
Von der deutschen Schule zu St Sebastian war schon oben (S. 447)
die Kede.
YL Die Städte Trient und Bovereto.
Die Stadt Trient zahlte zu Ende des Jahres 1880 trotz der
1508 Köpfe starken Hilitftrgamison, welche 819 Deutsche in sich begriff^
neben 10 90<3 Italienern bloss 1352 Deutsche, wobei in Anschlag zu
T>rint;»'!i ist, dass die hiesige bischöfliche Diözesnnlehranstalt stets von
Kandidaten des Priesterstandes aus dem deutschen Anteile des Trientner
Bistums besucht wird, und dass die hier zahlreiche Beamtenschaft un-
gefähr zum vierten Teile aus Deutschen besteht. Unter der ansfts*
sigen Bevölkerung der Stadt ist demnach die deutsche Nationalitat
heutzutage so gut wie |far nicht vertreten. Es gibt da kein Dutzend
deutscher lUhgpr von emigem Ansehen und Vermögen, obschou es
nicht an Trägern deutscher Namen fehlt, welche in und bei Trient
reich begütert sind. Die letzteren gehören eben Familien au, welche
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63]
Die NationaUtftten in Tirol etc.
451
dem Deutschtum- enth-emdet sind oder weiiig.stens sicli sell)st liui«(st
nicht mehr zu den Deutschen rechnen, wenn sie gleich mit diesen
noch Fühlung, ja unter ihnen Verwandte haben und deshalb schon des
Oebrauchs der deutschen Sprache sich nicht ganz entschlagen. Im
Mittelalter dagegen und in der neueren Zeit, bis vor etwa zwei Jahr-
hunderten, war ein beträchtlicher Teil der zu Trient ansässigen Be-
völkerung deutsch, und noch im Jahre 1798 gab es hier unter der
Kaufmannschaft hervorragende Firmen, welche nicht nur deutsch klangen,
sondern deren Inhaber auch die deutsche Abkuntl in der Regel nicht
Terleugneteu , so z. B. die Handelshäuser Auckenthaler, Palmer, Ca-
dauner, Oiele, JEtohr, Eberle, Wenser, Permann, Zwifelbaur u. s. w.
(11. 26). Indessen bewirkte doch der internationale Beruf des Kauf-
manns, dass dieser Kreis der Trientner Bürger das Italienische bereit-
willig als Verkehrssprache annahm und sein Nationalbewusstsein dem
Geschäftsinteresse unterordnete. Weniger war dies ))ei <len Wirten,
welche deutsche Gasthöfe hielten, der Fall, und in ihier Glitte mag
noch am längsten die alte Tradition der Trientner Deutschen, welche
im f&n&ehntä und sechzehnten Jahrhundert nicht selten gerade durch
Wirte im Rate der Stadt vertreten waren (12. 113, Note 1) sich be-
l'.unptf't haben. Wenn in neuester Zeit Trient als eine Stadt hingestellt
wurde , für deren ältere Vergangenheit deutsche Einflüsse massgebend
waren, so ist dies eine arge Uebertreibung des wahren Sachverhalts
(42. 206, 2Ü7). Zur Herrschaft sind die Deutscheu hier nie gelangt,
obschon die Trientner FOrstbischöfef deren Residenz sie von den ältesten
Zeiten her war, grossenteils ihre Xationsgenossen waren und erst im
Jahre 1289 ein Italiener, dem die Verbreitung seiner Nationalität am
Herzen gelegen sein mochte, Philipji Bonacolsi aus Mantua, den Trientner
Bischofsstuhl bestieg, auf welcliem ilim im Jahre 1;{()4 ein Venetianer,
Bartholom. Quirini, folgte. Vierzig Jahre .später suchte Joannes de Pistorio
sidi desselben zu bemächtigen; allein es gelang ihm nicht, und ein
alter Katalog dieser Bischöfe legt ihm das FVSdikat «Gortisanus de Tus-
cia* bei. Dann listen sich auf demselben Deutsche oder doch solche
Prälaten, welche keine Italiener waren, bis ins sechzehnte Jahrhundert
hinein ab (IG. 77 Ii*.), und ob Kardinal Bernhard von Cles, ob die vier
Madruzze, ob die Südtiroler, welche im siebzehnten und achtzehnten
Jahrhundert jene Würde bekleideten, sich als Italiener fühlten, das
bedarf erst noch des Nachweises Auch im Trientner Domkapitel
^} Nach einer gütigen Mitteilung meines Herrn Kollegen Dr. Arnold Kitter
von Luscbin- Ebeugreuth. welcher sich das Studium des öst^ rn irliischen Studenten-
tums an ilen italienischen Universitäten zur besontl<4>'n .\ulgal>e geiinitht hat,
Hessen die Angehörigen des Nonaberger Adels sich an den Hochgehulen zu l'adua,
Bologna, Süna u. s. w. regelmlMig in die Matrikeln der deutschen Nation ein-
sclu-'-ibfn . was im «iepensatze zu anderen Uiiterthanen des Fürstentum-^ Trient,
weiche der italieniücheu Nation »ich aggregierten, als Aeusserung des nationalen
Bewontseins in Betracht kommt. Vom Kardinal Ludwig Madmzs ist obendrein
bekannt, dass die deutsche Nution zu Siena ihn wiederholt als Landsmann und
Beschützer ihrer iVngelegenheiteu beiui Papste um seine Vermittlung ang^ing, und
der Kardinal Christoph Madnus machte kein Hehl daraus, dass die deutsche
Sprache ^. in- .Muttersprache" sei (11. .".7. Not* -Ji Auch Kardinal Cles beldeidete
das Amt eines Trotektors der deutschen Nation {bü. 5. 174).
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452
Bidennann,
überwog nicht oft der Zuhl uach das itaiieuische Element. Aber au
Versuchen, diesem daselbst das Uebergewicht zu sichern, hat es aller-
dings nicht gefehlt und was den italienischen Domherrn an nume-
rischer Bedeutung abging, das ersetzten sie durch ihre Rührigkeit und
Gewandtheit Bei allen Fragen , die einen nationalen Beigeschmack
hatten, konnten sie auch auf die Mitwirkung der mächtigsten Bürrfer-
geschlechter der Stadt, ja zuweilen auch der gemeinen Volkskla>>e
rechnen, die sich durch it-alienische Agitatoren leicht zu Aufständen
hinzeissen liess*). In solche FiÜlflii spielte did deutadie BeivQlkerung
^e untergeordnete Rolle, ausser wenn sie der Bewegni^ sich anschlosH,
wie es in der Zeit von 142t) — 1430 gesdu lu n zu sein scheint, wo Deutsche
und Italiener gleichmäüsig durch den Bi-schof Alexander von Masovien
und dessen polnische Umgebung sich bedrückt wähnten Damals
näherten sich die beiderseitigen Nationsgenosson und trewannen solclier-
geätalt die Ueutächen m Trient steigenden Kiulluäs aul die Leitung der
Stadf^^eschftfte Sie Terstirkien si<^ nun auch durch Zuzug von
aussen *) und einzelne aus ihnen genossen die Vorrechte des Adels
Schon untenu 7. September 1507 erhess Kaiser Max I. an geiuen Stadt-
hau ptmann sa Trient den Auftrag, die nsieh Ssterreiehiflchcn Pfrflnden Ittstemen
J'mtisiinen von nnm"' iibziiwehrcn. und ^ald darauf beklafr^^^ fr sich bei der ober-
üttterreicbischen Hegieriung in Innsbruck über «Unordnung und Geschwindigkeit'»
womit diese Priester «einsadringHn richvnterBteen*(1le8o1iitiooenbachin derBibi.Tir.).
*) Dllher bat der Trientner Bischof Ulrich von Liechten.'Jtoin den Kaiser
Hax schon im Jahre 149t>, in Rom zu erwirken, dass sein Uochstifl als .inn der
teutschen Nation*' begriffen und den mit dieser abgeschlossenen Konkordatcai onier»
werfen anerkannt werde (I. St. A. Maximil. IX. 79). Vgl. 16. 109.
*) Die Trientner leisteten zwar der Aufforderung des Volkstribuns Nicold
Rienzi, an der Befreiung Italiens mitzuwirken, im Jahre 1347 keine Folge; aber
zu Anfang des Ittnfzehuten Jahrhunderts empörten sie pich wiederholt, wobei
Rudolf von Bellinzona den FOhrer machte und worüber der Paduaner Kechts-
Selehrte Fr. Zabarelli im .lalirc 1407 ein Gutachten abgab, in welchem e?; heisst:
ie Aufständischen hiltt<'n .\ iva el popolo e d sfj^nore e niora y truditori* ^e-
ruffn. Sit'hf Cl. W. (Jrnf Brandis, Tirol unter Fri< ili irh von Oesterreich, Wien
S. liii rt". (insbt•^i. Urk. 2b). Vgl. da« Werk „l>it' Kirche des heil. Vigilius'* etc,
Bosen 1825, S. 187 Ii'
*l So heisst es in einer Kiiiiralic der Hürgerscliafl von Trif'nt an den Herzog
Friedricli von Tirol von» Jahre 14y*J (l>ei Ju.s. v. Sperges, CoUectanea Tridcntiua,
Bibl. Tir. Handschrift 227, S. 12): die polni.«che Dienerschaft des Bischofs Ale>
xander sei von Hass erfüllt .in rives tani Teutonicos ([uam Italicos".
*) Das ist der richtige Sinn der Erzählung des Fr. Felix Faber (23. 75): ,Non
sunt mniti anni elapsi, quod Theatonid in ilTa dvitate eraat hospites et pauci;
nnnc vero snnt eives i-t urbis rectores". V'j]. 52. 62—65; 4:>. 265 (wo das Empor-
kommen des deut«c)ien Element« den Begünstigungen, welche die Bitschöfe and
deren Vusllen ihm angedeihen Hessen, zuge»icSrieben . jedoch aiHjh lugestaadeB
ynxd, dass in der St. Peteri<kirche im XV. lahrhundert der deutsche ( ;otte>dien.st
seinen Anfang nahm). Aus dem Jahre I4äl erliegt eine deutsch verfaHdte Be-
scbwerdescbrift „der Bui]^ und des Comawns* va Trient im landsdiaftl. ArdiiT
Stt Imihbruck (Behältnis \, 19 3).
*| I m ilas Jahr 1485 machten die Trientner Deutschen geltend: ,(^uoniam
vero modo plures hone^ti viri Alemani cum uxoribu«, liberis et bonis sni» haac
ciritatfm intrarunt" (52. 81).
') So war Anton SchraltfiilMTLror ein Schwager des Anton von Li/rana,
nach dessen Tode lJii?chof Joliann llindt rltaeh im Jahre 1472 ihn mit dem Schlosse
Lizzana und aller Zubehör belehnte (U5. U"^— 152). S[Ater erwarb derselbe auch
die Castellb.irroscben Lehen. Odoricus Scratemparger war schon im Jahre 1407
bischöflicher Kummerer (10. 124).
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65]
Die NationalitiUen In Tirol etc.
453
Aber dieser Aufschwung deutschen Wesens liatte in Trient keine Dauer.
Um das Jalir 1485 zankt»'n sich hier beide Nationalitäten um ihr
numerisches Verhältnis nnd üi)er die Vertretung im Stadtrate, welche
die Deutscheu diesem gemäss beanspruchten, indem sie den vierten
Teil der ganzen StadtbeTdlkemiig auszumachen behaupteten, wogegen
die Italiener dabei nicht auf die Yolkssahl überhaupt sondern auf die
Bilrrrerschaft als solche gesehen wissen wollten und ihre deutschen
Mitbürger bloss für den zwölften Teil derselben gelten Hessen, auch ihnen
vorwarfen, dass sie allesamt Handwerker, daher in den Gesetzen nicht
genug bewandert seien. Letztere erwiderten, dass die Steuerbücher
ihre Behauptung rechtfertigten, wichen jedoch dem die Bürgereigenschaft
betrefiPenden Argumente so gut ans als dem Vorwurfe, &m sie nicht
die erforderliche T^ildung besSssen (52. 87). Und für die damalige Zeit
mag auch diese Einwendung gegründet gewesen sein. Aber um die
Mitte des sechzehnten Jahrhunderts verhielt es sich damit anders. Als
im April ir>()l die österreichische Erzherzogin Eleonore, Hraut des
Herzogs Wilhelm von Mantua, zu Trient verweilte, wohnten einem
Hofbwe bei derselben die dort heimischen Deutschen sowohl
als die Italiener (U Thodeschi et Italiani di Trento) nicht etwa als
blosse Zuschauer, sondern als Tänzer bei. unter welche die Erzherzogin,
selbst mittanzend. "sich mengte („Arch. Trent.* III, IG). Dies schliesst
wohl die Annahme aus. dass jene Deutschen ungebildete Handwerker
oder somst Leute niedrigen Standes waren. Hesass ja doch zu dieser
Zeit ein Zweig der Familie Fugger einen Palast zu Trient : die spätere
casa Zambelli (8. 22). Kurz vorher hatte auch Kaiser Ferdinand I.
war, wegen seines Eintritte in das Gremium des Reichshofrats unter-
handeln lassen, allerdiiifj^s mit Rücksicht auf dessen Vertrautheit mit
der italienischen Sprache (Kopeybuch „Von d. kaysl. Mstt." Bl. 2t>7 im
I. St.-A.). Wenige Jahre später (1585) war der Weinhändler Khrotten-
preuuer zu Trient Hoflieferant (»Gemeine Missiven" von 1585, Anlig.,
im L St-A.).
Aber schon war der Zuzug auswärtiger Deutscher ins Stocken
geraten (52. 71) und dafür drohte die Ge&hr, dass eine Unmenge von
Italienern in und um Trient sich niederlassen würde. Im Jalire 1572
hatte sich nämlich Dominik de Avanzini aus Riva in Verbmdung mit einem
Kaufmanue &ua Lucca der Tiroler Regierung gegenüber anheischig
gemacht, ,biss in ain4aiisent frembder w&ls eher Seidenmacher
gegen Triendt zu bringen". Das Projekt scheiterte an den (Gegen-
vorstellungen der Stadtgemeinde Bozen, welche, um ihr Gutachten dar-
ühi-r niic^errangcn , am 11. März 1572 nicht nur die Nachteile, wehhe
für ihre .lalirmärkte daraus erwachsen mussten . her^'orhob. sondern
auch Zweifel äusserte, „obs thunlich wäre, ain so Li;r<)sse Auzall frembder
walchen in Triendt (daran dem Lande vil gelegen) eiukhomen zu
lassen; dann die Teutschen one das mit den wSlsehen in
Triennt hoch Übersetzt seindt" (B. Stdt.-A. Abtlg. V, 258). Aber
mit dieser Vorsorge, dass das Deuti;chtum hier nicht mehr zurOckge-
drängt werde, war nocli keine Abhilfe geschaffen. Vielmehr bezo*;en
um jene Zeit welsche Barfüssermruu lie das Kloster, welches dort früher
Foracbongen zur deutschen Landes- and Volkskunde. I. 7. 31
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454
Bidsmuuiiif
[66
deutsche Ordensbrüder iniie gehabt hatten (so klagt wenigstens ein
Bericht der Innsbr. Regierung im Missivenbuche von 1585, Bl. C42),
und die Stände Tirols sahen mit Wehmut, wie deutsches Wesen dort
inuDfir mehr in den Hintergrund tni Am 5, August 1596 riefateten
de daher vom Landtage aus an den Eauer Rudolph II. die Bitte,
«insonderheit darob und daran zu sein (inmasscn vnser liebe Altfordem
hierauf alzeit grossen Acht gegeben), damit d&s teutsche Wesen in
Trient nit gar in Abgang komme, sondern vielmehr erhalten undt er-
weitert werde" (Abschriftl. Landtagsprotokolle im landschaftl. Archiv
zu Innsbruck VI. Bd., S. 24). Zwar finden wir noch in gleichzeitigen
Reiseberiehten die Scheidunff der Stadt in ein Quartier der Deutschen
und in eines der Italiener oetont *) ; aber 30 Jahre später geschieht
auch dieses Gegensatzes keine Erwähnung mehr, sondern die Reisenden,
welche damals Trient berührten, schildern die beiden Nationalitäten als
djiselbst vermischt und die Bewohner als durchwegs doppelsprachig
wie auch der Minorit Coronelli, welcher im Frühjahr 1696 dahin kam,
in seinem »Viagsio d'Italia in Inghliterra* (Venedig 1697) S. 123 den
SaehTeihalt sdumert (hanno Tuso promiscno delle dne lingue Italiana
e Tedesca). Wie sehr zum Nachteile des Deutschen dies aich seither
geändert hat, wurde oben bemerkt. Es ist nun wieder altromanisches
Wesen, dem die gotische Okkupation im fünften Jahrhundert so wenig
als die bajovarische im achten und neunten die Lebenskraft raubte,
daselbst zum Durchbruch und die vornehmlich durch den römisch-
katholischen Klerus genihrte lateiniaehe üeberlieferang auf altrömi-
scher Chrmdlage (3. 22, 23) zur Geltung gekommen. Deutscher Gottes-
dienst wird noch in der Markuskirche gehalten durch einmi besonderen
Kaplan, der auch eine ileutsche Schule unterhielti welche nun auf Staats-
kosten selbständig fortbesteht.
In der Stadt Rovereto wurden bei der Volkszählung vom
Jalire 1880 auch so gut wie gar keine ansässigen Deutschen vorge-
funden. Von den 336 Deutschen, die man damals neben 8160 Italienern
hier zählte, waren weitaus die meisten (211) Soldaten und beiläufig ein
Sechstel Staatsbeamte. Allein dass dem damals so war, während in
früherer Zeit die deutsche Nationalität hier eine Achtung gebiet«'nde
Stellung einnahm, das lässt sich hier weder auf eine üeberlieferung
von der Art der in Trient vererbten noch auf eine altrömische Grund-
So sagt Michel de Montaigne, welcher inkJabre 1580 Trient besuchte»
in seinem Journal de Voyage (Rome — Paris — 1775, 1, pag. 135) von dieser
Stadt : ,Cette ville est my partie en ces deus langucs et y nn quartier de ville et
Eghsi! quin nome Allemans et un precheur de leur langue." Faul Hentzner,
welcher im .lahrf 1599 dahin kam, schreibt davon in seinem Ttinerarium (Nürn-
berg 1612. pax. ;iÜO): «Incolae hiyus oppidi Italium versus habitantes Italic» lingua.
Oermaniain versus Gwmanica atöntur."
*) .T. Fl. Pflaumern, Mercurius Italirn«; (Augsb. 1625, pag. 7): .Ab hao
semi-gennana urbe hbet ordiri Itahe descriptionem. Uabitatur a nostris Italisque
promueae etmanet cnique genti patriua «ermo ; sed forme dvesntrarnque oallent." —
Andr. Schott. Ttiner. Ttaline (4. Ausg.. Antworiion Ifi^.'S. ]u\^. 19): ,Utitur civita?
idiomate Germanico et Italico, utpote ex his uationibus conüata, quamquam lou^e
tit major numerus Ttalomm.* Der päpstliche Nuntius 0. Caraffa bemerkt m
seinem Beiii bt'- \om .Tahre 1628 (Arch. f Kunrl'^ f'.Kt- rr. Gegchicht«quellen 28. Bd^
360) von Tnent: »Ivi si parla itaUano e Tedetico, ma piü It&liano'.
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67] Die Nationalitftten in Tirol etc. 455
laf(e zurückführen, sondern ist lediglich die Frucht derjenigen Ein-
richtungen, welche die venetianische Republik hier im fünf-
zehnten Jahriiundert, also in verhältnismässig später Zeit, einer
bis dahin vorwiegend deutschen Entwickelung aufgepfropft
hat Der OrtRovereto erwuchs ans Ansiedlnngen im Burgfrieden des
Schlosses Castelljunk, welches als Dependenz der Tlauptburg Lizzana
sich (l ir-trllt und gleich dieser im zwölften und dreizehnten Jahr-
hundert der nr?«priJnglich deutschen Familie Castellbarco eigen war.
Erst zu Anfang des vierzehnten Jahrhunderts hat Willielni von ^astcll-
barco sich romanischen Einflüssen dergestalt hingegeben, da^s er iür einen
Italiener gdten konnte. Daimds bürgerte sidi Tidkicht zu Boyereto
eine romanische Bevölkerung ein Doch kommen neben ihr auch
Deutsche als Zeugen und im Jahre 1333 Arimani et Arimaniae familiae
hier vor (0. 2G9), was auf die Fortdauer langobardischer üienstbar-
keitsverhäUnisse hinweist. Das Lägerthal (Valle Lagarina), dessen
Hiiuptort llovereto nun bald werden sollte, «gehorchte damals zeitweilig
deutschen Generalkapitänen. Ein solcher war im Jahre 1342 unter
dem Titel eines Vikais der Bitter Mörl aus Kaltem (6. 273). Saum
aber hatten die Yenetianer m Anfang des ittnfiMhnten Jalvhunderts
das Lärrerthal' eingenommen Y so setzten sie zu Bovereto einen Podesta.
ein, welcher einem ihrer Pafriziergeschlechter angehörte. Paul Foscolo,
der im Jahre 1432 dieses Amt antrat, nannte sich zuerst auch „Vallis
Lagaiinae Capitaneus Generalis" (85. 1. 280). Vorher schon (1425)
hatte die Bepublik dieser ihrer städtischen Schöpfung ein Statut erteilt,
welches (in Verbindung mit den Senatsdekreten Ton 1441 und 1478 —
87. 1. 345) den venetianischen Munizipalcharakter auf sie übertrug,
obschon unter den dabei Mitwirkenden bereits ausser dem Podestii und
dem Kanzler (einem Tremoneser) nach venetianischem Muster Sapientes
(Savii) erscht inen , darunter ein IHrico d'AUemagna, ospite all' Aquila
(87. 2. 158). Ganz hatten also auch die Venetianer vorerst noch das
deutsche BerOlkenmgselement in BoTneto nidbt beiseite geschoben.
Indessen war die Emwanderung Ton itedienischen Familien aus dem
älteren Territorium der Republik so stark, daes die Umbildung Boveretos
in eine italienische Stadt mit deren Hilfe rasche Fortschritte machte ■).
Als im Jahre 1487 Erzherzog' Siegmund von Tirol die Stadt belagerte,
that deren Bürgerschaft ieierliclie Gelübde für den Fall, dass sie vor
deutscher Herrschaft bewaln-t bliebe (93. 2. 12'Jj. Nachdem diese im
Jahre 1509 gleichwohl hier festen Fuss gefasst hatte, trat allerdings
ein Bttckschlag ein. Wir finden im Verzeichnisse derjenigen, wdche
') In einer zu Rovereto «sub domo Comunis" im Jahre l:{07 ausgestellten
Urkunde erscheinen als Zeugen: Benaduaius Not. q. Uonüoli de Rovredo, Franc,
q. D. Berte de Calapiiia de Kovredo, Nasimbenns dietm Vicentinos, habitator Sovredi»
Älbertaciiis' BerarinK df' dicto loco (lö. 87).
Zutti (87. 1. :]21) sagt: „Le attrative che preseutava noätra Vallt' (d. h.
das Lftgerthalj a molti ufficiali della repubblica Veneta, fu ({uella che decisc molti
di c^Hi di plantare fra noi stabil dimora e dintro di ««shi molte aitre
famij[(lie venetf vonnero ad accrescer»' la popolaxiune de' nobtri paesi, molte
dl em fiorirono e fioriscono tuttavia e molti noiui di famiglia della nosfara Valle
vanta.no tnttora ori^jinc du V'eneti citt:i«tiiii.* In Rovereto selb.-t erinnern die
St. Markuükirche und die Rialtogasse an die venetianische Vorzeit {iA. 2. 82).
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456 Btdemiaiiii, * [68
die Podestiiwiirdt' daselbst bekleideten (77. 93—98), bei den Jahren 1513,
152G, 1532, 1541, 1540 und 1554 Deutsche genannt, darunter 3 Scliratteii-
berger aus Trient. An einem Darlehen fUr Regierung^izwecke betei-
ligten sieh im Jahre 1552 aus Rovereto: die Hafner, Hae&chmidt,
Gossmeth, Westerstetteu u. 8. w. (Copeybuch , Entbieten und Bevelch*
von 1553 im I. St.-A. 1^1. 73). Aber die Mehrheit der hiesigen Be-
völkenmg widerstrebte der Einverleibung in Tirol. Sie verlanLjte, dass
Kovereto als eine deutsche Reichsstadt an*jesehen und behandelt werde
(87. 2. 119). Als dieser Wunach nicht in Erfüllung ging*), schlug
sie eine ezkem-nationale Richtong ein, indem sie durchaus das Italie-
nische im Verkehr zwischen ihr und der Innsbracker Regierung an-
gewendet wissen wollte *) und sogar die Ausstellung deutscher Zoll-
deklarationen verweigerte (11. 38). Mittlerweile hatten freilich auch
neue Zuzüge von Itaüenern .stattgefunden, denen im sechzehnten Jahr-
hundert nur vereinzelte Einwanderungen von Deutschen, so z. B. der
beiden ►Seidenfabrikanten Johann und l*aul Ferlegher (Verleger) aus
NOrnberg, des Kaspar von Lindegg aus Steiermark (oder, wie die
Familientradition berägt, aus Coblenz am Rhein) zur Seite gingen und
erst im siebzehnten Jahrhundert zahlreichere (die der Handeudente und
Fabriksuntemehmer Volckliamer. Outtliätter und Unterstairicr aus Nürn-
berg, der Kandelperglier aus (Jastelruth, der fSchalckh u. a.) folgten.
Die bereits der Italienisicrung Verfallenen mit eingerechnet, waren gegen
Ende des siebzehnten Jahrhunderts deutsche Familien zu Rovereto nicht
selten. Auf einem Vertrage, den die Stadtgemeinde am 1. August 1683
mit der (tetenreichischen Regierung schloss, sind als Magistratsraie
neben solchen, deren Namen italienisch klingen, unterzeichnet: Mel. liior
Lindegg, Giacomo (xH/er. Giov. Domenico Balther, G. Giacomo Balther,
Andr. von Mitcrniiller. Giov. Haini (11. 42, Note 2). Kurz vorher
(107 Ij hatte ein Roveretaner Bürger namens Oretici für seine Vater-
stadt ein Gymnasium mit deutscher Unterrichtssprache an den unteren
Klasseh gestiftet (IL 50). Es gab da audi eine deutsche Bmdoschsft
mit eigenem Vermögen (52. 77), deutschen Gottesdienst, der in der
Kirche del Sutlragio gehalten wurde (20. 12), und einen besonderen
Kaplan der Nazione Germanica, welches Amt zu Ende des achtzehnten
Jahrhunderts der für Ver]>reitung der deutschen Sprache unter den
Italienern Südtirols sehr thätige Priester Matth. Fi.scher aus Landeck
bekleidete (Almanaco del Trentino pel 1867, pag. 1 1 3). Dasselbe be-
steht noch gegenwärtig stiftungsgemäss fort. Mit der hiesigen Lehrer-
bildungsanstalt ist eine dreiklassige deutsche Uebungsschule für Knaben
') Pi>' Innshrucker Re^ieninp trat demselben schon im .hihrt- 1'?)C} cntppir'^n,
als die ätadt begehrte, bei der Wahl d^ Podestä nicht aut Tiroler betichräakt za
«ein, sondern dasn aach Unterthanen dentBcfaer Reichsf^ebiete in Italien TonddsMa
zu dürfen. Diimals Ijcreit-! ht-dputoto jene Beh?>r(1t' «ItT Stadt, sie sei durch Er-
oberung nicht dem römiscb-deutscbcu Heiche, Houdem der Grafschaft Tirol einver-
leibt (Copeybuch ,An die röm. königl. Majut» von 1536—1588 im I. St-A. Bl 69).
*j In einer Vorstellung an die Tiui-linicker Regierung vom 12. Mür/. lhi>4
erklärt die Studtvertretung, es sei ungerecht, das« man die Roveretaner zwin^
(che noi Latini siamo costretti) . beim Verkehr mit der Hofkammer in Inmhrook
der deutschen .Sprache, die hu- «hirduiiis nicht Terrt&nden (che noi del tntto igno;-
riamo), 8i<^ zu bedienen (87. 2. 119).
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Die Natioaalit&ten in Tirol etc.
457
und Mädchen verbunden. Doch die Hinneigung der {gebildeten Kovere-
taner zur Pflep^e der deutschen Sprache, welche im athtzehnteu Jalir-
hundert sich benierklich machte, wich damals schon der durch Clemens
Vanetti unter ihnen inaugurierten schöngeistigen Bewegung (11. 204),
und kam sie gleich später wieder zum Yorscnein (11. 51), so war sie
doch Yon keiner langen Dauer (11. 52).
7IL Sarcathal.
Hierher gehören vom Politischen Bezirke Tione der Gerichts-
bezirk Stenico mit 9 Deutschen (neben 9780 Italienern), und zwar
4 zu Stenico, 4 im Dorfe Lundo, 1 im Dorfe Fiav^; ferner der Ge-
richtshezirk Tione mit 214 Deutschen (neben 13 975 Italienern).
Diese 214 konzentrieren sich im Städtchen Tione, dessen Garnison
192 dazu beiträgt Vom Politischen Bezirke Riva sind hierher
zu beziehen der Gerichtsbezirk Arco mit 112 Deutschen (neben
9576 Italienern), und zwar 102 in der Stadt Arco, fast sämtlich Kur-
gäste, 5 im Dorfe Vigne (Ortsgememde Romarzollo), 3 im Dorfe Vignole
(Ortsrjemeinde Oltresarca), 1 zu Ceniga (Ortsgemeinde Drö): endlich
der Gerichtsbezirk Riva mit 042 (neben 8498 Italienern', und zwar
513 in der Ortsgemeinde Riva, mit geringer Ausnahme S<jldat*;u (näm-
lich 473), 126 im Dorfe Torbole (Ortsgemeinde Nago), ohne Ausnahme
Soldaten, 2 im Dorfe Tenno, 1 im Dorfe Canale (Ortsgemeinde Yille
del Monte).
Gesamtsumme 977 Deutsche (neben 41 829 Italienern).
So wenig dieses Thal zu deutschen Ansiedhnifren sich eignete,
so erschloss es sich doch Deutschen . welche vortib» r^^cheud sich da-
selbst niederliessen , in alter und neuer Zeit. ErgriH ja doch von der
Rocca di Bregguzzo (bei Bondo unterhalb Tione) ein Hauptmann
des Herzogs Leopold von Oesterreich schon im Jahre 1390 Besitz!
(29. 139). Und zuvor nodi (1380) war Heinrich von Liechtenstein
Vikar des Trientner Fürstbischofs in gan/ .ludicarien (10. 115). Die
Burir Stenico hütete im .bihre 1435 im Auftrage des Trientner Hi-
schois Alexander ein Hauptmann namens Stengler (IT). 1441 Sieg-
mund von Thun (16. 134), der im Jahre 1448 von hier au» auf Befehl
des Herzogs Siegmund yon Tirol die Pfarrsprengel von Rendena, Bono,
Tione und Condino besetzte, 1497 Hans von Weineck (#Tavel d.
Bevelch- von 1496 im L St-A. Bl. 17). Zu Campo, einst Lehen
der Grafen Trapp, die es im Jahre 1470 erliin^^en , sa*^s die Faniilie
Prez von Prezenberg, in welcher die hiesige S( hlosshuuptmannschalt
sich fortgeerbt zu haben scheint. Die Pfarre Lomas (bei Vigo im
Genchtsbezirk Stenico) ging im Jahre 1468 von Konrad Bachmaun an
Joh. Eentsch, einen Priester der Di9zese Merseburg, Uber (16. 286).
Den Posten eines Seelsorgers zu Dro im unteren Sarcathale versah
von 1494 — 1512 der Priester Bertoldus Alemanus aus der Diözese
Regensburg, welcher auch Häuser und Grundstücke daselbst eigen-
tümlich besass (58. 2. 53, 54), also sicher hier wohnte.
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458
BidwnwMBii
[70
Das KoUegiatkapitel zu Arco hatte, je weiter zurück, desto
häufiger Deutsche zu Mitgliedern; so erscheinen: 1284 Arrigo Teuto-
nicus und Federigo Teutonicus, 1289 Henricus Teutonicus, 1300 Gislin-
bertas, qui BiucniuEeriwi (PcNNlwchiHr?) dieitnr, de Campo, 1316 Henricns
Teutonicus, 1330 Hendrichus sive Henricus de Landsperck (58. 2. 8— 13).
Im Jahre 1440 erschwang sich Georg Marsckall TOn Obemdorf in
Bayern, seit 1444 Hofka])lan der Grafen Arco und zuvor Spitalpriester
zu Meran, gar zum Erzpriest er von Arco, in welcher Eigenschaft
er Vorstand des KoUegiatkapitels war (58. 2. 20 — 21). Es deutet dies
auch an, wie lange das genannte Dynastengeschlecht, mindestens in
einzelnen aeiner Sprossen, sich deutsch erhielt Anch die ?ielen deut-
schen Chorherren der Vorzeit hängen ohne Zweifel mit diesem Um-
stände zusammen. Als die Grafen von Arco ihrer deutschen Abkunft
sich nicht mehr besannen, gerieten sie mit den tirolisohen Landes-
fürsten in Konflikt, was zur Folge hatte, dass dirst- die (Tralschaft
Arco mit Beschlag belegten. Damals (1579 — 1014) nahmen im Schlosse
Arco deutsche Hauptlente ihr Standquartier, so Konrad Schiessfl
und später Balthasar Troyer (58. 2. 29), sdbstrerstSndlich Ton deut-
schen Sjriegsknechten begleitet. Laut dem 1604 mit dem Hauptmaone
von Arco landesftirstlicherseits geschlossenen Burghutvertran;^ („Missiv
an Hof* im I. St.-A. Bl. 710) hatte dieser daselbst 20 .redliche, auf-
rechte, teutsche Kriegsleute'' zu unterhalten. Auch im Schlosse I'enede
lair damals eine deutsche Garnison unter Hans Georir von Huimsdorfif
(20. 115). TJebrigens erscheinen zu Arco Theutonici et Latini schon
im Jaltte 1124 als Gewährsmänner (33. 2. 67). Von der Stadt Riva i.st
bekannt, dass unmittelbar, bevor sie in die Hände der Republik Vened^
fiel, in den Jahren 1405- 1436 wiederholt Deutsclir die Würde eine^
Podestä« daselbst bekleideten; so: Jos. Annenberger, Pett'r Limburger,
Paul Rasner, Peter von Salzburg, Ulrich Schrankenpaumer. Auch
schon in älterer Zeit kam dies vor, besonders zu Ende des dreizehnten
und zu Anfang des vierzehnten Jshrhunderts; ebenso nach Vertreibung
der Venetianer, solange Riva noch nicht von den Osterreichischen Fürsten
förmlich an das Bistum Trient zurückgestellt war, in welcher Periode
Joh. von Weineck und Eustach von Neydeck der Stadt vorstanden
(Statuti della cita di Riva, Trento I8()l, 'pag. 221)— 232). Die deut-
schen Hauptleute verfügten dann auch über eine deutsche Besatzung.
Die BUrgersdiaft von Bm dagegeu gehörte wohl jederzeit der itdie-
nischen Nationalitftt an imd als Prototyp fta deren ilteste ReprSseo-
tanten kann der im Jahre 1208 als hier „romana lege vivens" vor-
kommende Jakobin de la Saviola gelten (Codex Wangianus a. a. 0. S. 170).
Noch ist des Schlosses Tenno ober Arco (am Wildbache Varrone) zu
gedenken, welches im Jahre 1210 Aldrighet von Ulten zu Lehen hatte
(16. 133) und wo im Jahre 1441 Georg Viaentainer, 1488 aber Paiikraz
Kuen Hauptmann war (Lichnowsky, Gesch. des Hausee Habsbuigt
VUL Bd., Bag^ 1086).
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Die Nationalitäten m Tirol etc.
459
VnL Das Ledro- und das ChiesethaL
Diese beiden Qrenzgelnete im Südwesten Ton Tirol sind die ein*
sig^ wo keinerlei Spuren deutscher Vergangenheit an^troffen werden,
"Wenn man nicht etwa die Grafen von Lodron als ein deutsches Ge-
schlecht betrachten will, wofür aber die Beweise fehlen, oder das am
11. März 1488 ausgestellte Notariatsin.strunient, womit die Republik
Venedig dem Pankraz Kuen als Bevollmächtigten des Herzogs Sieg-
muad von Tirol infolge eines Friedensschlusses Storo, Condino, Brioue,
Cimego und Gastellert übergab (Lichnowsky , VllL, Regest 1099^),
als ein Denkmal solcher Vergange nheifc gelten ISsst. Somit erübrigt
hinsichtlich derselben nur die Anftlhrang dessen, was die Gegenwart
betrifft.
Der das Ledrothai bildende gleichnamige Gerichtsbezirk
(Bestandteil des Politischen Bezirks Riva) zählte Ende 1880 bloss •
2 Deutsche (neben 4726 ItaHenem); der das Chiesethal umfiEissende
Oeriebtsbesirk Condino (Bestandteil des Politischen Bezirks Tione)
aber zählte 85 (neben 11 794 Italienern), darunter 64 im Dorfe Creto
(bis auf 5 sämtUch Soldaten), 3 im Markte Storo und der Rest (18) im
Dorfe Condino.
Merkmale der einzelnen Zeitobaelinltte ■)•
L Die yoritaUeniadiA Zeit.
Die durch das ^aaze Land verbreiteten romanischen Oertlich-
keitsnamen lassen kernen Zweifel darüber, dass Tirol zur Zeit der
W^mischen Heirschaft seiner ganzen Ausdehnung nach von Romanen,
d. h. von Völkern, denen die lateinische Kultur mr Geprige au%edrOckt
hatte, bewohnt war (22. 1. 33; 71. 67). Die Völkerwanderung brachte
Germanen und Slawen ins Land. Diese Hessen sich zumeist im Drnu-
gebiete nieder (13. 45). Jene besetzten nicht so sehr die nördliclien
uzenden als vielmehr die gegen bilden und Südosten mündenden Thäier
(04. 85—87; 76. 25), namentlieh das Brentathal, wo die GebrSuche
ihrer Kachkommen noch nach einem Jahrtausend an die unmittelbare
Berührung erinnerten, in welche sie bei ihrer Ankunft daselbst mit
Das8 Ortanamen wie Locca, Enguiso und Leuzumo, welche im Ledrothale
Torkommeo, durch ümgeBtaliung der dea<»eheB Worte Laobe» En^ieM, Lenlram
entstanden unil dio liotrofFenden OertUchkeiten einst Sitze von Cimbeni gewesen
■eien, ist eine allzu kühne Vermutung, al« daaa hier damof eingegangen werden
könnte.
') Raummangel zwingt den Yerfiisser. im Naclistehenden die Citato und Zu-
aäUe auf das Notwendigste zu beschränken. £r verweist daher im imgemeiuen
anf die «Geographisch geordnete Ueberricht*^ in welcher die besttgliehen Belege
mit geringer Ausnahme imschwer zu finden sind. Um das Auffinden dortiger Be-
legstellen, von welchen dies nicht gilt, zu erleichtem, wurde die Signatur de» be-
treffenden Absatzes, soweit es überhaupt anging, dem Texte eingeschaltet oder
«mnerkmgffweke enidktlidh gemacht
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4Ö0
Bidenuann,
[72
Tittgern lateinisclier Kultur gekommen sein mussten (33. 1. 1. 141;
7. 15—23).
Und gerade du nach Italien führenden Pässe, an welchen jene
Völkerzüge sich gestaut und demzufolge einen Teil der Menschenmas:<e,
die sie in sich fasston, gleichsam abgelagert liatten, erhielten im Laute
der folgenden fünf bis sechs Jahrliuuderte neue Nachschübe germa-
nischer Abkunft zu Bewohnern (04. 87—92; öl. 371—373).
Es wirkte hier wie in der Schweiz die Politik der damatigen
deutschen Kaiser massgebend ein (11. 17, 18).
Im Norden des Landes dagegen griff die deutsche Koloni<ati< n
nur langsam um sich, so dass es im zwölften und dreizehnten Tuhr-
hundert hier mehr Romanenreste gab als allem Anscheine nach an der
unteren Etsch und auf den Gebirgen zwischen ihr, dem Avisiothale und
Judicarien (71. 28, 129; 72. 129—137, 140, 195). Das geistliche
Fürstentum Trient war damals ohne ünterbrechung Priestern anTertiauti
welche nicht nur für eine kaisertreue Haltung in Eriegsrällen, sondern
auch für eine dem Deutschtum günstige Regierung zu friedenszeiten
Gewähr boten (s. oben S. 451).
. Erst als auf italienischem Boden die geistige Bewegung entstand,
deren Mittelpunkt wh* in Dante zu erblicken gewohnt sind, ward auch
' die Geistiiclikdt und durch sie der Add jener Grenzmarken» des Deut-,
sehen Reiches diesem der Gesinnimg nach entfremdet, somit die Btel-.
lung, welche die hiesige deutsche Bevölkerung bis dahin eingenommen
hatte, gefährdet, ihr Znsammenhang unterbrochen (59. 70G — 7081. uvA
der ihr nun auch geistig ülicrlogene. weil in der Verjüngung begriü'ene
Romanismus gt \\ iiim hierdurch eme unter diesen Umständen doppelt
bedrohliche Anziehungskraft.
IL Srste ▲nabreitang italienischer Kinflftiiiie gegen "Siodi&iL
(1290-1480.)
Kaum hatte die vorerwähnte Neugestaltung begonnen, so gravi-
tierten in jenen Grenzgegenden Tomehme GescUechtor, deren Stemm-
baum deutschen Ursprung aufweist, nach Italien ^e pflegten mit
italienischen Priestern vertrauten Umgang, gingen immer häufiger mit
italif nischen Familien Ehevorhinrhingen ein, unterhielten Fühlung mit
auswilrtigen Parteihäupteni und boten zu Umtrieben die Hand, welchen
zufolge sowohl der Trientner Bischofsstuhl als eine Anzalil von Dora-
herrnstellen im hiesigen Kathedralkapitel Ausländem zugänglich wurden,
deren Bestrebungen keine den Deuischen günstigen Ziele verfolgten
') Ein gewisRprmassi>n typisches Beispiel hierfür bietet das Testament iles
Wilhelm von Oastellbarco vom 13. August 1319 (33. 1. 2. tJOO fl*.). Es ist das der
aftnüiche Edelmann , dessen Gast Dante bei seinem Aufenthalt im Lägerthale ge-
wesen sein soll. s. Adolf Piehler's Aoftats .Dante in Tirol* in Amthoxs »Aipet-
freund« IX. Bd. (187ÖJ, Ö. 356-359.
*) Schon im JaAre 1806 nraaate Jakob von Rottenbnrg, als er (tanMiaani
latinuni Tip^cioTi- ydioma) vor dem von seinen Kanonikern und mehreren KlosteP*
vontändcn ^Boua«racia, Boninsegna) umgebeneu Bischöfe von Trient erschien, sidl
des Odoncus de Goredo alt eines Dolmetecheis bedienen (98. 4. 285).
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73]
Die Nationalisten in Tirol etc.
461
Dazu gesellten sich gleichgesinnte Einwaiulerer weltlichen Standes,
namentlich Beaniteniamilieu und deren Anhang (ß. VI; vgl. ilie Serie
cronologica dei Podeste o Pretori di Trento, Roveredo e Rits, 26.
79 — 122), Gewerbetreibende verschiedendr Art, die aus Italien mit Vor-
liebe nach Trient übersiedelten und florentinische Kapitalisten, welche
TOnui^'sweise in Deutschtirol das aus der Heimat mitij;ebraclite Geld
fruchtbringend anlegten, auch dadurch rasch dort zu Macht und An-
sehen gelangten*). Aber auch Männer der Wiss» iischaft verlegten aus
Italien ihren Wohnsitz ins heutige Tirol, um da im Interesse der neu-
erwachten nationalen Bildung thätig zu sein'). Ein ansehnlicher Teil
der Bttrgerschafb von Trient huldigte der neuen Geistesrichtung und
zeigte sich für Aufstandsveisuche, welche ihre Spitze nicht selten |?egen
die Deutschen kehrten, empflint^dirh. Bald auch drängte sich die Re-
publik Venedig in diese Kreise ein und schürte, schon um sirli das Vur-
driugeu zu erleichtern, die Glut der von ihr vertretenen nationalen Ideen
UI. Deutsche Gegenbestrebungen und Erfolge.
(U80— 1530.)
Die Furcht vor den venetianiachen Anschlägen brachte es dahin,
dass tirolischerseits Vorkehrungen zur Abwehr getroffen wurden.
Erzherzog Siegmund rüstete nidit nur Truppen aus, mit welchen
er den Venetiauern t-ntgigen zog, sondern wendete auch sein Augen-
merk den kirchlichen Natioualitütsverliältnissen der Trientner Diözese
zu, begünstigte die deutschen Bergwerksuntemehmungen in Primdr
und im Yalsugan, bestätigte das Bozener Statut, welches italienische
Emschleicher hintanhielt, und gab damit zu einer in den folgenden
') So die vom tirolischen Herzoge Friedrich unterm 27. Juni 1422 im Hin«
bUeke auf die Entvölkerung der Stadt mit einem Freiheitsbriefe begnadeten Tneh-
macher. an deren Sin'tzo em Rector artis. Konsuln u. s. w. standen, wodurch sie
alB Italiener gekennzeichnet sind; femer die von Augustin de Spinolis aus Genua
gefblurten Seidenweber, welehe im Jabre 1499 ein Privilegium erlangten (Primiwer^s
Collektaneen in der Uilil. Tirol.).
«) S, oben A. U, III, Y, VI, VII.
*) So berichtet St of eil a dalla Croce im «Florilegio scientif.-stor.-letter.
dei Tirolo Italiano* (Padua 185ö) S. 1,S5 von einem , Magister Placentinus, Grani-
maticae Professor, quondam Ser Segondi de Placentia", welcher in einem Testa-
mente der Kli-sabeth von Castellbarco. Tochter des Azzo di Correggio, beim Jahre 1427
alj- in Rovereto lebend erscheint, und knüpft daran die Vermutung, diese Edelfrau
habe ihn mit sich nach Rovereto gebracht, um hier einen Strahl des Lichtes,
welche» damals über die italienischen Städte sich verbreitete , leuchten zu lassen
md 80 den Ort zu verherrlichen.
*) 'An welch leidensL-haftlichen AuHbrüchen das italienische Nationalgefühl
im venetianischen Heere dumal.s sich steigerte, lehrt die Aufforderung zum Zwei-
kampfe mit einem deutschen Krieger, welche Ant. Mar. Sanseverin, der Sohn des
JBefehlshaber» der Republik, im Jahre 1487 vor Rovereto erliess, damit sieh yf-i^c,
um •wieviel die Italiener dvn Deutschen an Tapferkeit überlegen seien (quuntum
belli gloria Itali Germanos antecellant, wie der Geschichtschreiber P. Bembo
schreibt, 93. 2. 195). Die Republik Hess es ni( Iii nn Si hiiiet( lu lworten fehlen, um
italienische Sympaihieen zu verbreiten, aus welchen zunächst sie selbst den grössten
Nutzen sog. So belobte rie nicht nur wiedeibolt (1492, 1501 und 1502) die Rovere-
taner (87. 1. 405). sondern sie überhftofte anch Landgemeinden mit Gnadenbesei-
gungen (87. 1. 310 - 29. 170, 171).
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Bidenuann,
174
40 Jahren mit steigender Strenge angewendeten Maxime den Anstoss,
welche sowohl in Bosen ab in Meian befolgt ward. Sein diesbesttg-
liches Verhalten weckte und belebte auch ohne Zweifel das Verlangen
der Deutechen in Trient nach grösserem Einflüsse auf die Stadivar-
waltung, welchem Wunsche die dortige Statutargesetzgebung, aber nur
vorübergehend, Rechnung trug (52. G8). Maximilian I. und Ferdinand I.
fassten die italienif^clien Wirren in Trient, namentlich die durch geistliche
Pfründenwerber ins Werk gesetzten, noch schärfer ins Auge. Der
Letztgenannte bemichtigte ach sogar gelegentlich des Bauemanfruhn
des ganzen Fürstentums Trient und schickte sich an, es nebst andern
reicfasunniittelbaren Gebieten, welche Maximilian I. den Venetianem
abgerungen hatte, der Gr;iis( liaft Tirol einzuverleiben, wurde jedoch,
was jenes Fürstentum anbelangt, durch die Einsprache des Bischofs Bem-
hai'd von Cles, der zugleich sein Grosskanzler war, hieran gebindert und
begnügte sich mit gewissen Vorbehalten, welche dem deutsdien Elemente
immerhin zu statten kamen (11. 105, 123). In den ersten Jahren
seiner Regierung regte sich dieses anch oder verrilt es wenigstens
noch einige Leben.skraft im Avisio- und Sarcathale, sowie unter Maxi-
milian im Gröflnerthale das Bedürfnis nach deutscher Seelsoi^e sich
geltend gemacht hatte. Im Thale Primör aber f^ing es mit dem Ver-
falle der Bergwerke zu Gnmde und im Fersinathale erlitt e^ aus der
gleichen Ursache eine empfindliche liinbusse.
IV. Abarmaligea Anpinkommen der itaileniadhefli Vatiomslttit.
(1530-1050.)
Die Nachgiebigkeit Ferdmands I. gegenüber den Protesten der
Trientner, auf deren ungestOmes Andringra eben die hiesigen Bischdfe
sich ihm widersetston % hestSrkte diesen Widerstend nnd verleitete aach
die Roveretaner, si* Ii als Ge^nier des Gebrauchs der deutschen Sprache
herrorzuthun *). Auf dem Felde des Verkehres und auch sonst den
Deutschen sich überlegen fiihlend. entwickelten nun die Italiener auch
ausserhalb ihres eigentlichen Wohngebietes eine Rührigkeit, die sie
allenthalben auftauchen und die ihnen gezogeneu Schranken durch-
bredien machte. Italienische Priester folgten diesem Beispiele, stiessen
jedoch gleich denjenigen, in deren Fussstepfen sie traten, bei den mka-
trauischen ^Krolem auf mancherlei Hindernisse'), so dass sie nicht
') Kardinal Christnpli von Madruzz hat dies in eUMm SobreibeB an dat
Innsbrucker U^iment unumwunden eingestanden (11. 37).
*) NatfbtieherweiM wixkto di« auf weitere Kreiw anitocilnnd, mid m lutA
•ich Job. Jakol Römer von ]\raretscb im Jährt» 1555 bewogen, den ihm befrenn-
deton italienischen Doktoren an den welschen Cionfinen zuliebe die turolische
Landesordnnng vom Jahre 1532 ins Lateinieche sa UbersetBen. In der Widmnig
an Kaiser Ferdinand vom 26. April 1556 betont er die Notwondit,'keit , holcher-
geMtalt dieses Gesetzbuch den Kichtem und Unterthanen der dortigen .Ualica
ominia' (lingua germanica carentibns) verständlich sn machfln. (Uk Terdaak» die
Kenntnis seines Elaborats meinem geehrten Herrn Kollegen Prof. Lnadis-flNB-
grenth, welcher eine Abfchrift davon beutst.)
») S. oben S. 403, 413, 416.
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75]
Die NatiomOittteB in Tirol etc.
463
einmiil unter dem Schutze, welchen Erzherzog Ferdinand II. in Tirol
ihnen angedeihen lie.ns, am Innsbrucker Hofe vor Anfeindungen sicher
waren. Doch hielten Höflinge dieser Nationalität letzteren hier stand
und die QegetaeSonDBJdon brachte den Romanismus in den yerschie-
densten Gestalten Aneder zu Ehren, so dass es zum guten Tone gehörte,
italienisch zu sprechen, und es ein Zeichen katholischer Glaubensinnig-
keit war. wenn Priester, die dieser Sprache sich bedienten, begeisterte
Aufnahme fanden ^). Desto leicliter behaupteten sich solche in Gegenden,
wo romanische Dialekte von alters her Üblich waren, ausser wenn diese,
wie an der Schweizer Orenze, zur Verbreitung protestantischer Lehren
dientett, in welchem Falle sie freilich samt den betreffenden P^digem
der Pflege der deutschen Sprache weichen miissten. Und je mächtiger
die Gönnerschaft, deren sich italienisches Wesen damals am Innsbrucker
Hofe erfreute, war, desto kühner hob es im Süden des Landes das
Haupt empor, insbesondere zu Trient. wo nun die Gescliiedenheit der
Nationalitäten einem Gemeugsel Platz machte, in welchem die italie-
nische der Hauptsache nach vorwaltete. Die Stadt Bozen war nahe
daran, dem ninuichen Schicksale zu yerfaUen*).
y. Periode des Stillstands.
(1650-1750.)»)
Bei diesem Entwickelungsstadinm anklangt, hielten beide Nationa-
lituten im Ringkampfe, den sie bis dahin mcht Uoss mit geistigen Mitteln
geführt liatten, gleichsam ermattet innc, und nur in der Landeshaupt-
stadt machten sich Nachschwiiigungen bemerklich, welche von den hie-
sigen Deutschen als Bedrängnisse oder doch als Kränkungen empfunden
wurden (A. II). Im übrigen Lande nisteten sich unter dem Schutze
des Gleichmuts Italiener ein, wie bisher, und erlosch, von niemand
betrauert, der Qebrauch der deutschen Sprache an Orten, wo er bis
dahin schon in steter Abnahme begriffen war. Am duldsamsten erwies
sich damals gegen die ihr anhaffindpu Spuren des Deutschtums die
Stadt Trient, wenigstens bis gegen das Ende des siebzehnten Jahrhun-
derts (11. 29—31).
') Dies achüdert mit lebhaften Farben Beda Weher in seinem Buche
•Tirol nad die Reformation*, Imnbr. 1841. Hptstk. XIX. Vgl. Hermann Sohmied*«
luftor. Roman ^Tior Kanzler von Tirol" (1862).
') Im Tenetianischen Gebiete litt damab deuteohea Wesen durch Verge-
wal^gung , vor weleher auch die ÜrcUieheo Organe nicht sniitolnelireekten. Be-
7,ü>?licli des vom Könige Pipin gestifteten St. Zenoklostors in Verona, das bis zm
Pest vom Jahre 1630 mit dentschen Beaediktinermönchen besetxt war, meldet
diei ZeQler in seinem Itinerarium Italiae (Frankfurt a. M. 1640) 8. 84. Genaner
spricht sich über die Drangsale, welche die Italienisierung dieses Klosters r.uni
Zweck hatten, der letzte Anwalt des deutschen Charakters dieser .Stiftung. P. Markus
Haim, in einem Gesuche an den Erzherzog Leopold von Tirol aus, d. d. 18. Okt. 1G30
(I. 8t.-A. Leopold. A 200).
') Nach Ambrosi (2. 26) «nn periodo di decadimento', und swar schon
▼om Jahre 1600 an.
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Bideimaim,
L76
Tl. Oesteigertos ümsichgreifeii der TemralsclNing^.
(1750—1866.) <)
Während bei den Deutscheu die Abspannung anhielt und sie
stumpf machte gegen dasjenige, was in ihrer Mitte vorging, rafften
sich die Italiener, Tomehmlich aus ökonomischen Orflnden, bald wieder
zu thätigeni Vorgehen auf. Sie gründeten namentlich im Etschtale
neue Ansiedlungen oder erwarben teils kaufweise teils durch Kolonats-
vertriigo Bauenigüter und zwar so zahlreich, wie nie zuvor. Ganze
r)<jrfer iielen dieser nationalen W.indlung anheini Andererseits naiun
nun der Niedergaug des Deutschtums unter den Italienern Südtirols,
besonders in den Städten, einen beschleunigten Yerlaof. Das selbst-
bewusste, von altgewohnter Geistesarbeit begleitete Auftreten der hie-
sigen Italiener wirkte wie das Entfalten eines Banners, um welches
die Halbgebildeten ohne Unters« hied der Abkunft sich scharten, zu-
mal den Deuts« ht n daselbst die italienische Sprache längst ^'■eläufigr
geworden war und die wenigen Bildungsbehelfe, welche densellien in
ihrer Muttersprache dargeboten wurden, keinen Vergleich aushielten mit
dem Ton italienischen raestem geleiteten oder ertdlten Unterrichte
Auf dem jflacheu Lande war dieser vollends von durchgreifender Wir-
kung, wozu im Brenta- und Fersinathale nicht wenig das Erloschen
des regen Wechsel Verkehrs beitrug, in weU hein die hiesigen Deutschen
mit den ^Cimbern'* der vicentinischen Gebirge gestanden hatten und
dessen Spuren .noch M. Pezzo (54. 2. 48) ,all angolo di Treuto'' in
dem Ausspruche dortiger Deutschen vemsiim: sie seien «alle Brüdern,
alle Sbestem*. Viel schadete diesfalls die ital.-französ. Zwischenregierung
von 1810 — 1813 (s. o. S. 446). Deutscher Gottesdienst erhielt sich eher
noch in geschlossenen Orten, als unter der bäuerlichen Bevölkerung, welcher
seit der Vereiniguni^ Venetien^» und der Lombardei mit Oesterreich auch
kein behördlicher Befehl oder Wink zur Hilfe kam. Vielmehr galt es
*) Ambrosi nennt (2. 41 ff.) die Zeit von 1750—1820 «La rioosaa* und
erörtert den Beginn derselben mit spezieller Bezugnahme auf Rovereto.
*) Von den Ursachen dieser Erscheinung bandelt mit grosser Suchkenntiiis
Dr. An gerer (4). Vgl. aber anch die unter 87 dtierto Schrift Ton Matthias
Kooh.
An dieses geistige Uebergewicht kann nicht oft genutf erinnert werden.
Et rdcDt unstreitig ois ins ftnfsämto Jabrbundert ztiHl<». was geschali nidbt
italienischerseits für die Bildung der Jugend in Triont (15. 3. 302). Aren (58. 1. 53,
63. 2. 10), Kovereto (s. oben die Note 3 auf S. 461), Riva (53. 2. 446), ja selbst in
Meinen Örten, wie Pergine (16. 75-80), Tione (29. 188, Note *) n. & w.! Ma^
auch Ruhmrediglieit manche unbed«'utende Schule /.um „Ginniu^io" aufgebauscht
haben, so ist doch nicht zu leugnen, dass es unter den Italienern Tirols um die
Ifitte des ftlnlkdmten Jahrhunderts mehr Gelehrte und mehr zur höheren Bildung
angeleitete Menschen gab als in Deutschtirol hundert Jahre später. Und dieser
Abstand wirkte nach, wieviel auch in Nordtirol späterhin für das Schulwesen ge-
schah (worflber Dr. Jos. Hirn in seinem Buche „Erzherzog Ferdinand 11.", Inns-
bruck 1885, S. 322 ft". Belege bringt). Er erleichterte im Vereine mit dem
Wohlklange der italienischen Sprache dpu Priei^ttTii dif Yollbrinpung des W^-rk»--.
das nicht von ihnen allein begonnen worden war und auch nicht dun h sie aliein
zo Ende geführt ward. Zu T r i e n t gab es übrigens aobon im Jahre 1459 eine
deutsche Volk8s>cliule. an welcher der Magister Joh. Wisser aus München als Lehrer
wu^kte (16. 438, Note).
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77]
Die Nationalillteit in Tirol etc.
465
seitdem für eiii Regieruugsprinzip, die sogen. Welschtiroler, aus deren
Reiht'ii die Staatsgewalt ihre verliisslidist«!! Organe für die Verwaltung
der vor<r<'na7mten zwei Provinzen sich erkor, durch nichts, was sie in
nationaler Beziehung hätte verstimmen können, an ihrer Loyalität zu
beirren, und es konnte in dieser Hinsicht sogar nur von Vorteil sein,
wenn recht viele der Abstanunung gem&u mit deutschen Eigenschaften
ausgestattete Kandidaten des Staatsdienstes, welche gewandt italienisch
sprat hen, sich darboten So vermeinte denn die Regierung, die Ver-
welschung der spärlichen Reste deutscher Einwohnerscliaft in den beiden
südlichsten Kreisen von Tirol eher fiirdern als hindern zu sollen. Zum
mindesten verliielt sie sich passiv, wogegen der italienische Klei-us,
unterstützt von deigenigen, welchen damals schon die Lostremiuug
besagter Gebiete Ton Oesterreich als Ziel vorschwebte, alle Hebel an-
setzte, um die auch ihm lästigen Deutschen so rasch als möi:^Iich dort
verschwinden zu machen. Nicht einmal die Errichtung einer Lehrkanzel
für deutsche Sprache am Trientner Lycpum , welche in dit'se Periode
fällt, ging aus der initiative der Regierung hervor, sondern es gab
dazu der Vertreter der Städte Trient und Riva, Abraham von Schreck,
in der Sitzung des Tiroler Landtags vom 22. April' 1823 den An-
stoss (11. 49).
YIL Wirkaame Yenmohs, der Yerwelsclraiig Einhalt zu thnn.
(1866 ff.)
Mit der Abtretung Venetiens und der Lombardei an das Königreich
Italien sind die Voraussetzungen Air das oben erwähnte Regierungs-
prinzip hinfällig geworden. Bevor noch die erstgenannte Provinz das
Schicksal der anderen teilte, ei-fasste im Frühjahre ISOt) der damalige
Statthalter in Tirol, Fürst Karl Lobkowitz, die veränderte Sachlage und
er säumte nicht, daraus die richtigen Folgeruni;en zu ziehen, indem
er aul Verwendung des Hofrates in Trient, Graten Karl Hohen wai-t,
den deutschen €kmeinden zu Palü, Luserna, Laurein und P^oveis
StaatsbeitrSge zum Unterhalt von Lehrern, die in der deutschen Sprache
unterrichten, erwirkte (5. 13. 58, Note 14) Im folgenden Jahre wurde
M Schon im Jahre 1819 war iL y. Bonelli aus Cavalese Präsident des Zivil-
tnhunalt sa Verona, Fz. 8. y. ünterricbter aan Kaltem Tribunalffprttadent zp
Belluno, Fr. v. On-fici au?» Rovercto Vizx'in-ä^iil^ iit des Ai)p*jllationsf»ericht» zu Mai-
laad, K. Isidor Koner aus Calliano Vizedelegat zu Padua, Ferd. Dordi aus Borgo
di Talmgana Gnbemiahat za Mailand, Jos. v. Luima^teniefiw aus Imubrack
IVibunalspräsident zu Ver >i\ i . K. Jnst. V. Tomeani au8 CSes XNalegat sn üdme
u. s. w. (Bibl. Tir. Hdschft. s. 020).
•) Die erste Anregung dazu soll vom k. k. Schulrat* Anton Stimpel im
Jahn« 1865 gegt in II worden sein. Doch haben sich um die Wiedererweckung des
deutschen Schulwe.sens zu Trient vorher schon die dortigen KapUlne Don Patiss
(72. 175) und Don Wörndle, letzterer vom damaligen liirstbischöflichen Sekretär
MühlbergtT unterstützt, verdient gemacht. Benit^^ im .lahre 1873 besuchten die
dorti«:»- deutsche Privatschule 83 teils männliche, teils wcihlicho Schüler und waren
daiuntor 40. deren Vater und Mutter der italienist hen Nutionulitüt angehörten.
S. die Korresj)ondenz aus Trient in Nr. 14 des ,Bot»*n f. Tirol n. Vordrlber^" vom
Jahr 1873. Von 1818—1826 wurde an der Normalschule zu Trienfc Unterricht im
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[78
hinwieder die Staatssubvention, welche der italienische Kaplan zu Bozen
bezog, eingestellt (A. VII) und im Jahre 180i< die italienische Schule
zu Buchholz in eine deutsche verwandelt (A. VIII). Mittlerweile hatte
sich in Imuibruck ein «Eomitoe zur UntetBUtteung der deutacliMi Sehnkn
in Welechtirol und an der SEmMshgrenae* ^bildet, welchem Beiträge
an Geld und Lehrmitteln sowohl aus Oesterreich als aus dem deutschen
Reiche zuflössen. Kaiser Franz Joseph spendete demselben gleich nach
Beginn seiner Wirksamkeit 000 Gulden ^). Die Regierung fiihr fort, in
jenen Gegenden die Errichtung deutscher Schulen zu begünstigen und
selbst Hand daran zu legen. Sie bedachte mit solchen auch die
Ddrfer Faesilongo (Gereidt) und Roveda (Aichleit) im Ferainathale
und d&s Dorf Ruffrfe auf dem Nonsberge. Später nahm sie sich
ausserdem der Schulen zu St. Sebastian in Vilgreidt (Folgaria), ztt
St. Felix nnd zu San Franzesco (di Fierozzo) im Fersinathale an.
Erstere wurde seit l!^75. die beiden letzteren seit 1878 — 1879 allmählich
verdeutscht. Zu Vignola (im Brentathale) versuchte sie das Gleiche,
drang aber bisher nicht ToUst&ndig damit durch. Mit Beginn des Schul-
jahres 1878—1879 erSffiiete de zu Trient an Stelle der Privatrolks-
schule, welche der hiesige deutsche Ktqilan hielt, eine dreiklassige
deutsche Staats Volksschule, deren Erweiterung zu einer vierklassigen
im Schuljahre 1884 — 1885 erfolgte. Die k. k. Lehrerbildungsanstalt zu
Rüvereto stattete sie im nämhchea Jahre, wo Trient die vorerwähnte
Schule erhielt, mit einer dreiklassigeu deutscheu Uebungsschule für Knaben
und MSdchen aus, mit welcher ein Kindergarten in Verbindung steht.
Dazu kommen deutsche Freikurse an 22 italienischenSchulen WeLsch-
tirols, deren Abhaltung durch Remunerationen aus Staatsmitteln im
Betrage von 25 bis 1*^0 Gulden gesichert ist. Der Gesamtaufwand
fiir das deutsche Schulwesen in den ehemaligen Kreisen Trient und
Kovereto, welchen der österreichische Staat bestreitet, beträgt jährlich
15 000 Childen*). Ausserdem Tcrwendete der 1880 gegrandete
Deutsche Schul verein, dessen Hauptsits Wien ist, bis xnm
IG. Febniar 188() für Schulen Südtirols 34114 fl. 59 kr. (wovon
8054 fl. 91 kr. in Tirol selbst angebracht worden waren) und zwar
Deutschen erteilt, und zwar in 8 Klaasen dersellx^n. Als die Kt'git!runj,' sich cnt-
8chlo88, am dortigen Lyceum eine Lehrkanzel für deutsche Sprache und Litteratur
zu errichten, fimd sie es ftberflUnng, jenen Unterrieht weiter eifeileD ra 1s— gn
(U. 48).
') Das Komitee, welches später den Namen ^Deutsche Schulgeäcllüchaft za
Inndbruck' sich beilegte, hat über sein sehr erspriesslidies Wirken bisher Tier
Berichte, den h'tzten im Talire 1883, durch den Druck veröffentlicht. Dasselbe hat
aich namentlich um die Ausbildung von Lehrern für die fraglichen Schulen und
um die Verbreitimg deutscher Lehrmittel verdient gemacht. Beide Aufgaben Ter>
fol^t es noch go^'cnwärtig. Den Verkehr mit dennuben vermittelt die Wagnenehe
Univeraitätflbuchhandlung zu Innsbruck.
*) üeber Entitehmig. Zwedi und Bedeutung dies«: Anstalten gibt eine jüngst
h(A F. J, GMsner & Coniii. in Innsl'nirk erschienene Broschöre: ,Dafi deutliche
Schulwesen in ItaUenisch-Tirol*, Aufschluss. als deren Verfasser der k. k. Lande»-
9chn1in.'<})ektor Oustav Herr genannt wird. Vgl. audi die BrOrterun^ dieses
(u'^en!<tan<l<'s (durch Reden der .Mitjeordneten Frhr. v. Malfatti und Dr, "W eitlof)
im stcnogr. Protokolle des österr. Uauttes der Abgeordneten, X. Session, Sitxang
(am 3. AprU 1886).
79]
Die NationalitUen in Tirol etc.
467
Tomekmlich zum Zwecke des Neubaues oder der Erwdt^ng von Schul-
liausem (zu St. Jakob bei Leifers. zu Ruffro, Proveis und St. Felix im
Nonsberge, zu Pähl, Aichleit und Gereidt im Fersinathale, zu Lusema,
zu St. Sebastian in Folgaria und mehroris im Thale Enebei^ Auch
der Deutsche Schulverein, dessen Hauptsitz Berlin ist, und ein-
zdne Ortsgruppen desselben (namentlich Bansen, Stattgart und Frank-
iart a. M.) haben in den letat^ Jahren jenen Zweck fördern geholfen *).
Anhang.
a) WoJmplätsd der Jadan in üroL
So Terachwindend klein die jüdischen Bestandtefle der Bevölkerung
Tirols nm jeher sind, so trfigen sie doch das Ihrige sowohl zur Ver^
breitung der italienischen Nationalität als zur Vervollständigung der
deutschen im Lande bei. Und da sie im übrigen ihre Eigenart bei-
behielten, insbesondere der Religion ihrer Väter mit äusserst geringer
Ausnahme treu blieben, so verdienen sie als Besonderheiten auch
spezielle Berücksichtigung. Als Orte, wo sie, freilich in sehr be-
schiSnkter Zahl, anf tirolischem Boden ihre Wohnsitze anschlugen,
smd hier folgende zu nennen:
Borgo di Valsugana. Ein von hier gebfirtiger Jude namens Bene-
dikt Haltpruner war im Jahre 1602 Diener beim jüdischen Kaufmann
May zu Innsliruck (Innsbr. Stdt.-A ). Unterm 18. Februar IGIO
erteilte Erzlierzog Maximilian von Tirol dem liier ansässigen Juden
Benedetti sicheres Geleit auf ein Jahr (I. St.-A., Leop. ö. 11).
Bo^en. Hier waren schon im .Jahre 1525 Juden ein Angriffsobjekt
fUr die aufständischen Bauern und wiu'de namentlich der als Geld-
makler, Pfandleiher und Seidenstickw bekannte Jude Simon, welcher
selbst mit Kaiser Karl V. GFeldgeseh&fte gemacht haben soll, von
ihnen gepltlndert (82. 99). Ein Sohn dieses Simon namens Joseph,
zu Bozen wohnhaft. < rhielt unterm 27. Mai 1548 vom Könige
Ferdinand einen SchutÄbrief für sich und seine Söhne Oerson und
Aron sowie für seinen Eidam Gerscm (I. St.-A., Leop. J. 22).
1551 erscheint auch schon ein hier neu angesiedelter Jude namens
(iffiiilige Mitteilung der Vereinaleitung. Ueldunterstützungen an Schttl-
lehxer wurden nur in verhältnismässig wenigen Fällen vorabfolgt. Zu Leifen er>
mOgliidite der Verr-in dii^ Krntfming eines Kindergartens.
') Näher<>s , aljer nit ist ohne AngaW der betretfeuden Orte, enthält hier-
über dM »Korrespondenzblatt des Deutlichen Schulvereins zu Berlin". Herr Dr.
M. Gehre, dir Virfanper der mir t'f^t während des Druckes der vorliegenden
Arbeit bekannt gewordenen inbaltereichen äcbrift .Die deutschen Sprachinseln in
Oeitmrraidi* (Orowrahain 1886), sch&izt in «nenn an mich gerichteten Antwortr
schreiben die Summe, weldi«^ bisher ans dem Deatmlien Reiche ftr Schnlswecke
usLoh Tirol Üoss, auf beilüutig 5000 Mark.
468
Bidermaiiii,
[80
Abrahnin (Ebenda, Pest-Abthg. XVII, öT), 1618 neben Gers*ou. der
unterm I L Xovfmbcr lt)13 von der Pflicht, das gelbe Kennzeichen
tragen zu niü.ssen, durch den Tiroler Landet^fürsten befreit worden
war, ein Nachkomme des 1 509 durch Kaiser Max I. gefreiten Juden
Salomon von Bassano, der sich Grassini nannte (Ebenda, Leop. J. 22)
und 1(310 als Handelssensal der Hebräer Jeremias Luzzati (Ebenda,
Kopeybuchl,, Causa Domini " von ir>17— 1019, Bl. 448). UmdieseZeit
übte auch schon ein jüdischer Siedelkoch (Traiteur), Elias Moravia,
hier sein Gewerbe, besonders zu Marktzeiten, aus (82, 57). 1678
gab es daselbst bereits 3 jüdische Sensale. Als einer derselben,
Abraham NoTara, starb, bewarb aidi um dessen Stelle Emanuel
Isaak Lewi von Mantua (I. St-A., Pest-Abthg. Vin, 81). Die da-
maligen Bozener Juden gehörten also zumeist oder gar aus-
scliliesslich der italienischen Nationalität an. Im 18. Jahr-
hundert aber änderte sich dies. Zwar lebte hier im Jahre 1783
noch ein Isaak Moravia; aber neben ihm hatten die Familie des
Heinrich Handle, welcher auch 3 Knechte seines Bekenntnisses mit
Hausieren beschäftigte, und Markus Oerson mit 2 Stiefsöhnen in
Bozen ihren Wohn.sitz und letzterer betrieb die jüdische Siedel-
küche (I. St.-A., Puhl. 875, Gub.-Bericht vom 24. Dezbr. 1781).
Die crst^j^cnaiuit*' Familie bewolnite das sogen. Judenhaiis, in welchem
sich tinc Synagoge befand und von dem die Sage geht. Kaiser
Siegmuud habe es um das Jahr 143G zu Gunsten eines veuetia-
nisdien Juden Namens Messaneh privilegiert, weil dieser ihm gegen
die Venetianer mit PlroTiantlieferung beigestanden hatte ^). Später
übersiedelte sie in das von ihr erbaute, jetzt Eberlesche Haus auf
dorn Johannisplatze. Sie besass angeblicli auch den sogen. Juden-
hot Hl Terlan. Ebenso war die Familie Gerson Besitzerin nicht
nur eines Hauses in Bozen, sondern auch anderer Realitäten, was
jedoch im Jahre 1846 durch das lunsbrucker Gubemium als un-
gesetzlich angefochten wurde. Erst ab Amschel Rothschild sich
ins Mittel legte und die Bedrängten auf die deutsche Bundesakte
sich steillen, gab das Gubemium nach. Kurz vorher hatten die
Gebrüder Schwarz aus Hohen embs (in Vorarlberg) sich in Bozen
niedergela.ssen und die Bierbrauerei zu A'ilpian in ihr Eigentum
erworben. Auch sie sollten weichen, erwii'kteu jedoch, durch den
Wiener Banquier Freiherm von Eskeles unterstützt, die Zurück-
nähme ihrer Ausweisung und die grundbflcherliche Intabulierung
jenes Eigentums. Seither ist die Gersonsche Familie im Manns-
stamme ausgestor))en. Gleiches gilt von der Familie Lehmann, und
die in den .sechziger Jaluvn aus Triest daliin gekommene Familie
Hänschel ist wieder fortgezogen, so dass dermalen bloss die Familie
') W'ahi-scht-'inlich ist damit der oben tri'nunnU- .Fude aus Bassano gem^-int. wel-
chem Kaiser Max I,. d. d. Bozen 7. Dezember 15Ö9, w^ea der im damatigen Kri^
gegen die Repultlik Venedig geleisteten Dienste ein »cbatcdekret verlieh (I. St-A..
l^eop. J. 22). Iis hat jedoch nicht den Anschein, als wäre der damit Begnadete
7. II Bozen p e s > Ii a f t g e w o r d 6 n. Das Dekret lautete auch auf alle österreichischen
Länder mit Aufnahme des Erzherzogtums, dami Steiermarks und Kärntens.
81]
Di« NatioDftUtUen in Tirol etc.
469
Schwarz in Bozen das liier ansiissicre Judentum repräsentiert^).
Gleidnvolil i>t die Zahl dt r liiesigeu Juden vom Jahre ISÜil — 1880
geäUegt iL Uli . iiwar von 11 auf 24, wozu noch 19 im politischen
Bezirke (Umgebung) Bozen kommen.
Brixen. Die Erlaubnis, hier zu wohnen, erhielten die Juden .Isak
Gangmans Sun und Samuel, sein swager* Tom Bischof Ulnch
(aus Wien) unterm 11. Norembw 1403 zuerst auf 2 Jahre in An-
betracht (I i Gebrechen, an welchen das hiesige (Tcldleihwesen litt,
und um die Cliristen vor Versündigung (durch Zinsennahme) zu
bewahren. Ausser einem Hause, für das sie 40 Dukaten Miete
zahlten, erhielten sie vom Bischöfe auch ,ain stat, da si Ir tote
Juden lunbegraben", eingeräumt. Das Privilegium (s. den Wort-
laut bei Sinnacher, Beik. z. Oesch. d. bisch. Eirche Säben und
Brixen, VI, 25 if.) erstreckte sich auf ihre Diener und das Hans-
gesinde. Ob sie aber davon Gebrauch machten, ist ungewiss. Dsigegeak
müssen sich um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts Juden in
grösserer Anzahl im Bnxeuer Territorium l)efuiiden haben; denn
unterm 18. DezeuTber 1551 erliess Bisciiuf ChriatopU eine besondere
Judenordnung für die nachgesetzten Obri^^keiten (BibL Tir. HdscbfL
1229 betr. die Territorialrechte der Bnzener Fflrstbischdfe). Im
Jahre 1833 (zur Zeit, wo der Bau der Franzensfeste begann) kauften
die später nach Bozen übersiedelten Gebrüder Schwarz das Brixener
Siechenhaus, um daselbst eine Fabrik zu errichten. Aber trotz der
Gunst, deren sie sich dort erfreuten, verliessen sie im Jahre 1837
die Stadt, um in Bozen als Pächter einer Brauerei sich niederzu-
lassen. Weder im Jahre 1869 noch im Jahre 1880 wurde im
ganzen Politisdien Bezirke Brixen ein Jude gezählt.
Innsbruck. Die älteste hier vorkommende JudenfiEuniilie ist die
der May, als deren bezüglicher Ahnherr wohl Maggio, Sohn des
Salomon, zu betrachten ist, welcher vom Könige Ferdinand einen
Schutzbrief d. d. Augsburg 18. Januar 1544 erhielt (I. St.-A.,
Leop. J. 22). Aber die fortlaufende Keilie der Juden namens
May, welche hier ein Hauswesen hielten, beginnt mit Samuel,
welchem Eizherzog Ferdinand von Tirol am 11. Juni 1578 an
seinem Hoflager zu Innsbruck, oder wo immer dieses sonst wäre,
sich aulzuhalten erlaubte. Derselbe handelte vomehmlicli mit
Samt und -Seide. Neun .Talire später fnntcnn '{. Juli 1587) dehnte
der Er/herzog dessen Schutzdekret aut die Kinder und das Haus-
gesinde aus, zunächst auf 8 weitere Jahre (1. St.-A. Ambr. Samml.
vi, 55). Ntm kaufte derselbe das Haus der Schiesstl am Pickenthore
(Innsbr. Stdt.-A., Stk. 811) und begründete damit die Bezeidinung
«Judengasse*' , welche die dort mOndende schmale Gasse fortan
trug. Ihm folgten Abraham, Marx und Ferdinand May. Daneben
siedelte sich um das Jahr 1602 des Erstgemumteu Schwager, Jakob
') Vorstehende, die neuere Zeit belretfende Angabe BOivie die Kenntnis der
erw&hntea Sage verdankt der Verf. dem Hrn. Ernest Schwan, einem der beiden
nadi Bosen fibersiedelten Brüder dieses Namens.
VomebUBS» dealMÜWD LanJei' ud ToUnkood». L 7. <I2
470
Bidermflan,
[82
G<")7,1 aus Mainz, an. Auch Salomon Witte aus Venedig wollte
m Innsbruck seinen Wolmsitz nehmen. So zahlreich waren daniab
hier die Juden, daes sie mehrere Ohristenhäuser hewohnten, un-
geachtet die Faniilic Maj bis zum Jahre 1673, wo sie den Besitz
auf 4 Jalire verlor, ihr eigenes Haus inne hatte. Die Innsbrucker
Bürgersdiaf't wollte sie in den .Tabren 1GG2 und 1(>Ö7 in ♦^in»»
besondere Bt'bau.suiij^ /.usamiiK'n^fi'Zwüngt wissen und noch 10 .lahro
später war die durtige Stimmung ihnen dergestalt ungünstig, dass
der Kaiser unterm 27. August 167? die Verpftebtang der Tabmodae
an Johann Ferdinand May widerrief (Innsbr. Stdt-A., SQc. 672).
Trotzdem behaupteten .sich Iiier .Juden in gidsserer Angahl. Audi
die 1748 über sie verhängt*' Abschatfting gedieh zu keinem Erfolge.
Laut Gul)orni;ilbericbt vom -54. Dezember 1781 (a. o. a. O.) trab es
in Innsl)rii( k damals allerdings bloss 2 jüdische Famiiicii und /.war
namens Ulleulieimer, bei deren einer es heisst, dass sie aua Frank-
furt a. M. zuzog, aber beide hatten viele Kinder und zaUreicbe
Knechte. Lazar UflPenheimer hatte im Jahre 1765, als da^ kaiser-
liche Hoflager in Innsbruck war, hier gegen eine jährliche Kon-
zessionsgebllbr von 20 Guldm eine SpezereiwarenliandhnifT erricbtt^t;
das Haupt der anderen Familie (Gabriel Utlenlieimer) nahm die
Abwickelung eines Salzspeditionsvertrages zum Vorwand, um liier
gleichfalls das DtnnizO zu nehmoi und Terlegte sich auf den Hausier-
handel Es dauerte kein Jahr, dass ein dritter Familienvater
gleichen Namens (Abraham .Tobann) sich in Innsbruck als Uhreu-
und Seidenhändler hervorthat, und dass ein mit 4 Kindern gesegneter
Jndp namens Abraham Weil in Begleitung eines als Schächter
dienenden Knechts gleichfalls dort sein Domizil aufschlug (Gub.-
Ber. V. 18. März 1782 im 1. St.-A., Puhl. 2(52 '/a). So melirte
sieh daselbst die israelitische Kultusgeraeinde ziudieods. Im
Jahre 1804 zäUte sie 47 bleibend anwesende Mitglieder (93. L 63,
Note 24). Im Jahre 1869 ergab die VolksÄhlung dort (dem
Glaubensbekenntnissen nach) TjO .luden, die vom Jahie 1^80 aber
109. Altansässige Familien gibt es darunter nur wenige: die
Danhauser, Steiner, Friedmann ').
Lienz. Bis zum Jahre 1113 gab »'s hier 2 von Juden bewohnte
Häuser, deren Insassen damals teils hingerichtet, teils vertrieben
wurden. Als 29 Jahre später ein jfldiscber Agent sich hier beim
Jahrmärkte ein&nd, wurde er ausgestftupt (Bibl. TiroL Handschr.
904, 5. Buch S. 83, 6. Buch a 24).
Heran. Die hohe Judenziffer der letzten Volkszählung für den Poli-
tischen Bezirk dieses Namens, nämlich 170 (g^en30 im Jahre 1860),
erklärt sieh vornehmlich aus dem Aufschwünge, welchen die Stadt
Meran nebst ihrer Umgebung als klimaf is(ber Kurort genommen
hat, der gerade zur Winterszeit aucii am meisten von israehtischeu
*) Die Uftenheimer, seit aaderthalb .lahrzehnien durcb eiiie von ihnen
schwunffvoll betrieben«^ Kmi-tstii kfrei und Kizenffinitr kin blicher Paramente be-
kannt, sind, da sie iu ucucrer Zeit Christen geworden und die Volkszählung Juden
nur der Rddgion nadi keimt, in obiger Zahl nicht begriffen.
83] Die NationaUtUen in Tirol etc. 471
Kurgästen hcMicht Ist. Die Zahl der dort unsä.ssi;^'en Juden ist
noch immer .selir i^eriii^. Noch lebt derjenige unter ihnen, welcher
zuerst in Heran sein Domizil nahm: Daniel Biedermaim aus Hohen-
emb«, wohin deamn Voreltem, die sich Lämle naimten, aus Bayern
gekommen waren. Dieser eröffnete dort im Jahre 1824 mit einem
seiner Brüder ein Warengeschäft, dem er im Jahre 1846 ein
Weohselgeschäft beigesellte. Seit dem .Talire 1852 Bürger der
J^tadt und Haiislx'sitzer daselbst, verkautte er im Jahre 1874 beide
Geschäfte einer jüdischen Prager Firma, ausser deren Trägern und
den betreffenden Familien bis in die neueste Zeit herauf blom der
Vorgenannte nebst seiner Haushälterin sieh dort stabil au&ubalten
pflegte ')• Wälirend der sogen. Kursaison finden sich da allerdings
auch jüdische Geschäftsleute ein, die sich mit dem WarenTertriebe
befassen.
Mori. Durch Freibriet' d. d. Trieut, (i. Mära 1554 bestätigte Nikolaus
Freiherr von Madni/.z. Herr der 4 Vikariate, dem Jaco]»in tiol del
<J. Gh^one hel)re(i de Kiva, ^le^sen Erben und Genossen die Keeiitc,
welche sie im Umfang jener 4 Herrschaften, insbesondere zu Mori,
bereits genossen (I. St.-A., Post- Abt XVIII. 82).
Neumarkt. Hier mietete im Jahre 1550 der Jude Abraham, weldier
frOher samt Familie bei seinem Schwager in Bozen gewohnt
hatte, auf Grund eines Schutzdekrefa, da.s ihm K(>nig Ferdinand
als dem Diener seiner Kinder unterm 20. Februar ir)4S ausstellte,
auf drei Jalirr dir Behausung d*'S Grafen Felix von Aren. Als
er im folgenden Jahre die Weisung erhirlt, diesen Ort zu ver-
lassen, weil hier früher nie Juden geduldet wurden seien, .suchte
er das Gegenteil darzuthun, indem er namentlich anflQhrte, dass
gerade sein eigener Schwager, der des Luftwechsels halber später
nach Bozen zog, vor ihm in Neumarkt unangefochten wohnte
(I. St.-A., Pest-Abt. XVII. r.7).
Riva. Die hiesige Judenkolonie bestand allem Ans» Ikmuc nach zumeist
aus flüchtigen Spaniern und IxlrivI» den Druck hebräischer
Werke. Sie blühte um die Mittr des sechzehnten Jahrhunderts.
Es geuügt in dieser Beziehung, auf Carmolis „Annaleu der he-
bräischen Typographie von Riva di Trento*, Frankfurt 1868, hin-
zuweisen. Im Jahre 1880 wurden im Politischen Bezirke Riva
10 Juden gezählt. Uebrigens erscheint schon in dem bei Trient
zu erwähnenden IVozesso vom Jahre 1475 (p. 429) ein Jacobus
de iiippa als Judaeus et Judaeorum fautor.
Trient. Bis zum Jahre 117.". wo hier eine durch die Beschuldigung,
sie hätten ein christliches Kind getötet, motivierte Verfolgung
') Diese Angaben stainnnMi aus dem Munde desjenif^en . den sie betreffen.
Zwan/.if; .liihre lang hat «leix Uir in Mera« nicht »Munial bei Privatpersonen zur
Miete gewohnt, sondern als t'ensionär im (instliet' zur l'ost «.'elcbt, bis es ihm
irelanp. alle Vorurt:<!ile zu besiegen, die seiner Niederla*i8ung dort iuj Wege standen.
I)er N'erfiisser, welcher, einer alten hürgertaniilie Wiens entsprossen, an den diesbezüg-
lirben Krhf'biiniren keinerlei persnnlii li.s Interesse luitte. glaubt das soelx'n HtMiu-rkte
ab eine in sachlicher Beziehung chutuktcriätiächu Thataache liier anHihreu zu sollen.
472
Bidennann,
184
über sie hereinbrach, lebttu hier Juden iu beträchtlicher Menge.
Dea klarsten Beweis daftlr liefern die Akten des damals wider sie
abgeführten Strafprozesses (siehe die AuszOge daraus — Collec-
tanea in Judaeos B. Simonis interönptores — bei Bonelli, 16.
421 ir.J), wo als am 27. Mär/ 1475 zur Haft gebracht folgende
Juden genannt sind: Israi'l filius Saniuelis. Moysos antiqun!< de
Saxonia, Mohär liiius Moysi, Salomon quondam Meudelini de is-
procho, Lasams de Seravaile de Friolo Familius Augeli, Mojses
filios Salomonis de Hozpoch, magister filiorum Tobiae, Isaac filius
Jacob de Vedera Familius Augeli, Brunetta uxor Sanuielis, Vitalis
filius, .... Familius Samuelis, Israel filius Mobar de Brandenburg.
Danach zu urteilen, bestand diese Judenkolonie sowohl aus An-
gehörigen der deutschen als der italienischen Nationalität.
Späterhin fanden sich gewiss nur Anhänger der letzteren hier
ein, wie denn i. B. ein Schutzdekret, womit Kaiser Max L untem
l. Mftrz 1516 zu Bozen dem Juden Emanuel, Sohn des Samson
Judas, für zu Belluno ihm geleistete Dienste belohnte (T. St.-A.
Leop. J. 22). speziell Trient und Verona als die Orte bezeichii«-t.
wo es gelten soll. Im Jahre lS<i{> wurde zu Trieut kein einziger
Jude ge/.iihlt; 1880 lebten dort ihrer zwei.
Wenn im Volkszählnngsoperate von 1880 beim Politischen Be-
zirke Land eck 7 Juden verzeichnet erscheinen, so hängt dies mit ilem
Bau der Arlbergbahn zusammen. Historisch begründet ist dieses \ or-
koimnen da nicht.
bj Nacbwirkongen des Slawentums im Iselth&le
(und in dessen Verzweigungen).
Sind gleich viele Jahrhunderte verflossen, seit man das Puster-
thal und seine Seitenthäler nicht mehr als von Slawen bewohnte Ge-
rrenden betnirlitet lind diese mit Hecht dem Verbreitungsgebiete der
deutschen Nationalität zuzählt, so sind docli hier weder slawis(-he Laut«'
ganz verklungen noch slawische Ixebräuche ganz ausgestorben. Be-
sonders im Iselliiale und in dessen Verzweigungen (den Thälem Kais,
Tefereggen und Virgen) hört man jene noch gegenwartig und leben
letztere bis zur Stunde fort. Freilich sind es nur mehr vereinzelte
Nachklänge, die da in Betracht kommen: aber sie lassen doch das
dortige Gemisch von Slawen und Dentschen als eine besondere Abart
erscheinen, deren hier noch in Kürze ^eihicht werden soll.
Die Iselthaler nennen die Sauerbeeren: Dabernitzen (vom slaw.
dabmiice =: WaldhUgelbeere) , die Hagebutten: Aunitschen (vom slaw.
alnice, dialektisch aunice = rote Kirsche), die Stachelbeeren: Ain«
schlize (vom slaw. oselice. desstm Wurzel os-et auf Stacheliges, Disteln
hinweisf . die Zeitlosen: Perliesken (slaw. perleske), die Eingeweide
toter Tiere: Kn'ih (slaw. drob), «gebratene Rüben: Pötschen (vom
slaw. peci — braten), eine (letreidcharpfe: Koise (slaw. ko/.a, kozolec),
eine Grube : Günne (slaw. kouie), eine abschüssige Wiese : Taber (slaw.
deber), eine Abteilung im Stalle für Kleinvieh: Glutsche (slaw. l^juc),
85]
Die NatumaHtiten in Tirol etc.
478
einen Backtrog: d^^se (russisch: dcza\ ein ijfosrlnvätzif?fs Woib : Mura-
matsche (vom slaw. mermraca = Jammerin, Plausclierin), eiueii Kretin:
Gumpe (vom slaw. gump = Kropf oder identisch mit gurapec = Narr),
eme Spinne: Oragke nach den lan^^en Schenkeln (slaw. krak) u. 8. w.
Manche von diesen Ausdrücken sin(l auch im Pusterthale zu hören, wo
femer der Holndiiih die alawiscbe Benennung TKchogkl (cokel) trägt
und der Tannenzapfen allgemein die Tscliurtsilin heisst (vom slaw.
storz = Nadeliiolzhaiim, Diminutiv: storeiz, im V'olksmunde: stürze).
Wenn im Iselthale das sogen. Sternsingeu (durch Knaben aus-
geführt, welche die heiligen drei Könige vorstellen) «Tdlkdn* und der
dabei Mitwirkende «Töllmer* heisst, so rOhrt dies vom altslowenischen
„teUcOTat" (verkünden, deuten, erklären) her. Ebenso ist die dort ge-
meinübliche Bezeichnung eines Knabenspiels, bei dem zwei Ostereier
aneinander gescbla<;«'n werden, mit dem Worte .Turtsrlien" (in Kärnten
sagt man .turtschehi") eine altslawix lu' llnniniscenz (von trreiti. tercljatij,
und nicht minder gilt dies von dem Brauche, dass am Abend vor Aller-
heiligen Bursche, welche «Groggier* heissen, mit einer Art hölzerner
Zange von Hans zu Haus gehen, wobei sie mit verstellter Stimme um
Krapfen bitten, die man ihnen in die Zange steckt. Denn das Wort
^Gröggeln". was da so viel heisst, als mit zurückgehaltenem Atem
sprechen, entspricht dem sioweniächen »Krigla" = Heiserkeit und die «Sitte
selbst ist undeutsch
Weit bedeutsamer noch als derartige Gebräuche sind die rechts-
historischen Ueberlieferungen, die sich im Iselthale erhalten haben.
Diese verleihen den hiesigen Bauernwirtschafteu das patriarcha-
lisclie Gepräge, dessen der Si elsorger des Kaiser Thaies, Anton Auer,
in einem ^Die Iselthaler** betitelten Aufsatze (Amthnrs Alpenfreund,
V, 1872, S. 22 tl.) und nach seinen Angaben auch .). Mitter-
rutzner (45. 14) Erwähuung thut. Nimmt gleich die Zahl der Bauern-
höfe, auf welchen sie beobachtet werden, gelegentüdi der Verlassabhand-
lungen >te% ab, so halten doch nach der Versicherung des Bezirks-
richters zu Windisch-Mad i i noch manche Bauernfamilim an ihnen fest.
Wir baben es da mit der altslawischen Hauskommunion zu tlinn,
welche von der unter den Deuf. sehen berkrnntnüchen bäuerlichen Erb-
folge und deren wirtschaftlichen Konsot|Uenzen wesentlich abweicht.
Es betrachtet sii'h nämlich die Gesamtheit der lebenden Familien-
glieder als den KigentOmer des Anwesens, und was das einzelne Fa-
milienglied erwirbt, tlirs>f in die Kasse des gemeinsamen Haushalts,
auch wenn die betreffende Beschäftigung keine landwirtschaftliche ist,
sondern ins Gewerbowoson einscidiigt. Daher vereinigt auch die näm-
liche Behausung mrlii. rc Ehepaare mit deren Naclikornnienscliaft, so-
weit diese nicht in der Fremde ihr Fortkomnu n sucht und sich vom
Familienverbande lossagt (»den Abbruch macht"), was jedoch für un-
') Als da« beseiohnet «io selbst Dr. Valentin ITintncr, ikr doch sooft
mit der Anerkennung des slawi8ch«'n Kinflvisses kar)ft . in seinen ^Heiträgm zur
tirolischon Dialcktforächung" (Wien 187HK S. 85 u, 2U7. Alle übrij?«'n oben uiit-
j^et»'iltfn Slawismen hat Davorin T rs t »■ n j ak, der bekannte slo\v('ni>chi' Oe-
lolirtt» (Haiiptpfarrer zu Altonnmrkt Ik'I WindisrlifTriltz) fest^'estellt und dem Verfasser
zum wisäcnscbaftliciien (je brauche Uberantwortet, wotiir ihm hier Dank gesagt sei.
474
IKdermaoii»
[86
j^ehörig gilt. Jeder Ttünoiiiiior an der Gemeinschaft heisst „Mithiiuaer*,
der Vorstelier und Leiter derselben aber wird aVorhäuser" genannt.
Zuweilen ist den iVlitliäusem ein gesonderter Verdienst, den sie sich
durch Dienstleistimgen bei auswärtigen Landwirten ▼erschaffen nnd der
dann zu ihrer eigenen Verfügung steht, gleichsam zugestanden und
dürfen sie au< b eigenes Vieh auf die Koramunalpe treiben. Will ein Mit-
bUnser sirb Vfclieiraten , so ist er dabei an die Zustimmung des Vor-
liiinsers gebuiKieü. Die iilteren üeriebtsbücher enthalten viele, den ge-
schilderten Sachveriiuit l>est;itigeude Eintragungen. So heisst es im
^ Urbargerichtsbuch der Herrschaft Windisch-Matrei auf das Jahr 1557
und 1558* Bl. 57: Hans Pfttrer aufRacell, dem die Wirtschaft daselbst
für die Dauer eines Jahres Ubertragen wurde, soll gehalten sein, seinen
Vetter Blasy samt Weib imd Kind „vmb gesundt rnnd in Allem wie
-iu-h trenürdt'* zu unterhalten, dagegen Blasy ^sol sein Arbait, was er
ruit Zuut III oder sonnst erobert, inn das Haushaben geben vnd
sol mit des Hausen als Wirdts wissen und willen zu zimeru oder
sonst zu arbaaten ausgeen*. Wie aus einem im Jahre 1811 Tom da-
maligen Gerichtspraktikanten Nagele verfassten Berichte (jetzt im Be-
sitze des jubil. k. k. Kanzlisten ünterrainer zu Windisch-Üfotrei) erhellt,
wurde seit Anfang des neunzehnten Jahrbiniderts idanniUssit; von den
Brlit iidcn aul' die Beseitigimg der Koniinunliuusungen hingewirkt und
Vüui Jahre 1804 au namentlich das Eiulieirateu in dieselben geradezu
▼erwehi-t. Daher lösten sich damals zu Windisch-Matrei die weit-
schichtigen Wirtschaften der Bainer, Haizer, Hairacher, Jakober u. A.,
deren Verband 30 — tO Personen in sich schloss, rasch auf, und gab
es im Teferegger Thale im Jahre 1808 nur mehr vier grosse Kommun-
hausungen, nämlich: ..am PIm^s" zu Hoiifgarten . „beim Pichler* ZU
Hof, ^an der iiussern" und ,an der inneren llirl>eu''.
Dagegen lietert die Ende Mai lti8() im Teferegger Thale
vorgenommene , Seelenbeschreibung " (im W.-Hatreior äerichtsarehive,
K<m8istor. Nr. 88 von 1685) viele Beispiele solcher «Hausungen*.
Auf dem Pergler-Gute lebt^'n ausser dem Wirtschaftsftihrer Tho-
mas P., dessen Weibe und Kinde 2 ^Mithäuser" mit ihren Frauen und
7 Kindern; auf dem M e i x n e r -O u te ausser dem Itejahrt^n Wirt^ichatls-
fllhrer und dessen Weibe ein gleichfalls schon ix'tagter , Mithäuser*
samt Frau und des letzteren verheirateter Sohn samt Familie; auf dem
Unterräsner-Gute ausser dem WirtschaftsfUhrer (Andreas Unter-
rSLsner, 37 Jahre alt), dessen Mutter, seinem Weibe und 3 Kindern
1 , Mithäuser", und zwar der G5 Jahre alte Sebastian U. und der
."{0 Jahre alte Hiins V. mit ihren Fiunilien, dann des letzteren 2 Schwe-
stern und 2 angenommene Kinder: auf dem Gute der Familie IMassnig
(Nr. 8 der Hotte Hopfgarteii) ausser dem 84 Jahre alten Wirtschafts-
iQhrer Christoph PI., dessen Sohne und Schwiegertochter mit 7 Kindern
ein 71 Jahre futer Bruder, sein Weib, ein «Unterhalter* Namens Veit PL,
9 Kinder von Söhnen, welche ihres protestantischen Bekenntnisses wegen
ausgewandert waren, und 7 Dienstboten u. s. w.
87]
Die Nutionalifftteii in Tiiol etc.
475
Nachtrag zur Litteratur.
Delitfich, Otto, Ein nesuch bei den deutechen Ctemeiiiden des Feninatbalea.
,Aus allen Weltteilen*, VI., Heft 9.
Zin^erle, Ign. Yinc, Dr., und Delitsch, Otto, Die Dentschen in Südtirol. Ebenda»
III., Heft 5, G.
Zöller, lt., Deutschtum und Ronianentum in Tirol. Ebenda. II., Heft 5.
Vgl. den Aufsatz von Dr. Gr cos „Hücher und kleinere Aufsätze über die Sprach-
grenze in unserem Alpengebief im XV, Bde. der .Zeitschrift des deutschen
und ögterr. AlpenvereiuH* {.Jahrg. 1884, S. 98 ff.), wo auch andere«, was zur
VervoUätäudigung des oben (S. 398—401) gegebeneu Verzeichnissen dient,
au^gefflhii ist.
Demnächst erscheint:
Hell 9. Die ethnologischen Verhältnisse Böhmens, von Dr. L. Schlesinger,
Direktor in Phig.
Die weiteren Hefte werden nnter anderem folgende Arbeiten bringen:
Geh. Rat F. Baer (Urussherzogl. bad. Dliektor des Wasser- und Strassenbaus, der Landeskultur*
Arbfliten, LaadeBvermeniing und Topoffraphie in Karlanihe), JKe EuMcUimg des Yer-
Jcelun mA dar VeriEehnnMfe am ObeixiMui.
Dr. 0. Berendt (Königl. Lande^peologe und Profeaaor an der ünivenitlt Berlin), Sie nord-
deutschen l ' i-itrotnsysjtemo.
Dr. A. B ez z en b o r ^'f r (i'rol. m> dt r riii\(Tsität Königsberg), l'if Kurisolie Nehrung.
Dr. A. H irlin ^'cr (Trof. ;in der Umversiläit Honnl, Alernannisel^ey : < Denzen, Sprache, Eigenart.
Dr. R. Blasius iBrauiischweig), Über Zugverliältnis>;e und Veriireitiuig der Vögel in Deutschland.
Oberforstmeister Dr. Borggreve (Direktor der KönigL Forstakademic zu UannÖv. Münden),
Die Verbreitung und wirtschaftliche Bedeutung der «ichtigeren Waldbaumarten inner-
halb Deatidilands.
Dr. ii, O^rland (PMif.. an der üniverritilt Straseborg), Über Thalbüdung in den Vogesen.
Dr. A. Jentsseh (Dosent an der UniverBitftt KSnigtbeig), Der Boden Oflt> und WestinrettiBens.
Dr. C. M. K an (Pro! an der Univenil&t Anuierdam), Die EigentQmlichkeiten dei niederlladlsidien
Bodens.
Dr. A. von Koonen (Prof. an der Univer.siiät (Böttingen), V)yrr die Dislokationen und StOrongen,
wt'klu' dfü Bau der deutschen Mittelgebirge bedingt u.
Dr. F. Krön es Ritter von Marchland (Prof. an der Universität Graz), Die deut«che Be-
«iedelung der östlichen AlpenlSnder, in.sbe^ondere Steiennarks, Eärnteas und Krains,
nach ihren historischen und topischen Verhältnissen.
Dr. A. L c 8 k i e n (Prof. an der UniTerutM Leipsig), Mitteiinngen Aber da» «isgestorbene Slawen-
tum in Norddeutflchland.
Dr. Th. Liebe (Lundesgeologe und Prot", in üera). Der Zusammenhang zwischen den orogia-
phiiichen und hydrographischen TerMÜtoiwi^ OstUiflringens nnd dessen geologischem
Schichtenaufbaa.
Dr. A. Makowsky (Prof. axt der technisoben Hochsdnde lu Britam), Das HOUengdi>iet' des
Devon in Milhren.
Dr. A. Mehring (Prof. an der landwirtscbaillicheu Hochschule zu Berlin;, Die diluviale Fauna
Deotsduaiids und ihr Verhftltnia cur jetzigen Fanna. .
Dr. J. Partseh (Prof. an der TJniTeraitftt Breslau), Die Oder in Sehleiien.
Dr. Tt. Pfaff (Fh»f. an der Universif&t Erlangen), Der Anlbao des funkischen Jnra.
Dr. F. Ratsei (Phxf. an der technischen Hochsehnle m MOnditti), Die SdmeQgrenze im Kaz^
Wendelgebirge.
Dr. F. Wahnschaffe (Königl. Lan<ledgeologo und Dozent an der Universität Berlin), Die
Quartärbildungen des norddeutschen Flachlandes und ihr Einfluss auf die Oberfläjihen-
gestaltung desselben.
Dr. K. Wein hold (Prof. an der Uiiiversitril lireshiu), 1 l)er die Herkunft der deutschen Schlesier.
Ausserdem haben freundlichst iiue Mitwirkung zugesagt die Hen-en Dr. K. Fri'ilun- von
Fritsch, Prof. an der ruiversitüt Halle; Dr. F. ii. Hahn, Prof. an der ünivereität Königs-
berg; Dr. 6. He 11 mann, Oberbeamter im KSnIgl. Meteorologisdien Institut in Berlin; Hofirat
Dr. Ton InamaoSiernegg, Piftsidentr der k. k. Statistisdien Oentral-Kommiwrion und Prof. an
der UniTexsitftt Wien; Dr. 0. Krümmel. Prof. an der Universität Kiel; Dr. F. Löwl. Dozent
an der deutschen Universität Prag; Dr. F. Petri. Prof. an der Universitilf Bern; Dr. J. Ranke,
Prof. an der Universität München: Dr. P. Schreiber, Direktor des Königl. sächs. Meteorolog.
InpfitntK in Chemnitz; Dr. A. Streng, Prof. an der Universität Giessen; Dr. F. Wieser, Prof.
an der Universität Innsbruck u. a.
Im gleichen Verlage ist erschienea:
Autliropo-Geographie
odar
Grundzüge der Anwendung
der
Erdkunde auf die Geschichte
von
Dr. Friedrieli Ratzel,
fKOtemn» an der technischen Hochnolm]« ttl
Preis Mark 10. — '
Haudbuoh der £limatologie
von
Dr. Julius Hann,
OtMktor d«r neteorol. Zentral ans tait und Profo.sHor ux der UBivemt&t in Wies.
Preis Mark 15. —
Haadbuch der Ozeanographie
von
Prof. Dr. G. von Boguslawski,
MiMUVIMtiaA !■ H]rdrogr*|ihl*cb»a Amt ilrr Kii« (l'ut.cbui AilmlraliUt «ad SateMlW 4ltt
Band I,
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in Zürich.
Preis Uark 13.50.
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Dr. Stfceteiii^ Ka^ri.
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Druck von Gebrüder Kröner in Stuttgart.
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Forsohiin-Ten
POLEOGßAPHlE
DER
CIMBRISCHEN HALBINSEL.
Ein Versuch die Ansiedlungea Nordalbingiens
in ihrer Bedingtheit durch Natur und Geschichte
nachzuweisen
von
Professor Dr. ph. K. JANSEN,
VERLAG
STUTTGART.
VON J. ENGELHOBN.
1886.
Dngk tob CMirtidw MxUnu In 8tiitt|afl
Inhalt.
Vorbemerkung
Einleitung
]. Lage und Bodengestalt der cimbrischen Halbinsel . . .
1. Begrenzung und Gestalt
2. Boden im allgemeinen
3. Niederungen und Erhebungen
4. {-it.' Wässer
5. ZerFichnittenlieit des Bodens
6. Wegenetz
II. Bevölkerung, Städte und btuittt n der cimbrificheu iialbiusel
1. Urgeschichtliches
2. (Jriechisch-röniische Nachrichten
3. Aus- und Einwanderung
4. Fränkische Zeit
5. Srif li.»i«rli.-.ali.sLhe Kaiser
6. Stauhstht' Zeit: erste .Sthauenburger
7. Die Schlacht von Bomhöved und ihre
8. Die Zeiten der Befonnatioii . . .
9. Die neue Zeit
in. Ergebnisse .
1. Bej^icdlungfpfriodcn
2. Verteilung der Bewohner ....
3. Steigerang dee Torkelin
Zur Woitdeat
S«it«
5
5
ikttg und Bechtachreibiing
[8]
8
10
12
19
23
25'
29
31
33
3ti
3!»
42
4Ö
51
57
62
'62
64
73
76
Vorbemerkung.
Dem Griechen bedeutete ^roXig zunächst eine stücUische befestigte
Ansiedluug im Gegensatz zu einer ofienen dörflichen, zugleich aber
auch einen durch Gesetz und Verfassung umsclüossenen Verein von
Meosdiieii im G^Mrensats sEam zenlreaieii und siaaÜosen Dasein. Poleo-
grapfaie iMune ich mühin die DarsteUnng der Stftdto eines geographi*
schien Gebiets nach ihren örtlichen und staatlichen Verhältnissen. Wenn
eine •wissenschaftliche Kunde der mensclilichen Ansiedlungen nur auf
Grundlage genauer Kenntnis des Lfindes und der Geschichte gewonnen
werden kann, so muss eine Püieograjjhie aui Boden-, Stadt- und Volks-
kunde zugleich beruhen.
^ Die Benennung Nordalbingien, seit Einhard von unserem Lande,
fireilidi auch in weiterem Umfang fUr das nordöstlich der Elbe ge-
legene Slayenland und ohne feste B^prensung in Gebrauch, soll TOn
vornherein andeuten, dass ausser der preussischen Provinz Schleswig-
Holstein auch das damit in Natureinheit stehende eutinische, lübsche
und hamburgische Gebiet Gegenstand der Behandlung ist. In gleichem
Sinne konnte die cbnbrische Halbinsel nur als dne Einheii in Betracht
kommen und musste Jtttland wenigstens so weit herangen)^^ weiden,
als e« zum Verstftndnis des eigentUchen Gegenstandes nötig erschien.
Einleitung.
Ein Zug wandernder Menschen bewegt sich nach denselben Ge-
setzen wie ein Fluss. Er sucht niitiiiu ein natürlich gegebenes Bett,
um es sofort zu benutzen oder erst zu gestalten. Seine Richtung geht
also unter allgemeinen und gewöhnlichen Bedingungen auf die ebenen,
in die ThSler, längs der Flüsse, namentlich der grösseren und beherr-
sehenden: wandernde Völker suchen das Meer.
In Bewegung aber ist das Menschengeschlecht von Anfang an
wie das flüssige Element. Nur darin untersdieidet es sich, dass die
Atome desselben, die Einzelmenscben , in kurzen Fristen der Ruhe-
482
[6
punkte, der Haltestellen bedüHoii. Allf iin-nschlichon Ansiedlungen
t>md Pilgerlierbergeu f liegen mithin an den natürlichen oder
kanstliehen Strassen, und ihre Grösse nnd Bedeutung steht mit
der Bedeutung nnd Belebtheit der Strasse im genauen YeniSltnis.
Belegen sein niüsson dieselben an denjenigen Punkten dieser
Linien, welche entweder für Alle die notwendig gegebenen oder ftlr die
grössto Anzahl der Wandernden die be<|uerasten und erwünschtesten
Haltestellen sind. Die Wohnplätze der Menschen werden also
immer un den Halt-, Wende- oder Kreuzpunkten der Strassen
liegen, mithin die gipsten an den Tielfachsten Knotenpunkten des
Verkehrs
Die Bewegung selbst kommt wie in der natüriichen, so m der
Mensrhenwelt /nmal für Menschenmassen nicht ohne eine Nötigung zu-
stande: di( N'iri^rung ist entweder äusserer Art und wird als Zwang
empfunden, oder innerer Art, Trieb oder Beweisgrund.
Erat beide Ursachen zu^eich, die bedingenden, auf der Boden-
gestaltung beruhenden und die erzeugenden, in der Menschenwelt lie-
genden ftiliren durch ihr Zusammenwirken stur Gründung, Verteilung
und Grösse der mensclilif hi ji Niederlassungen überhaupt. Die Boden-
verhältnisse allein, und wären sie die allergünstigsten, können Verkelir
und Verkehrsplätze nicht schallen; gesellschaftliche, staatUche, kirch-
liche Motive der Terschiedensten Art rufen am meisten und kräftigsten
Wanderungen und Anpflanzungen hervor; eine Quelle ein See, der
Fluss das Meer, ein Eldorado ein Paradies, ein Heiligenbild ein Tempel
ziehen Menschenmengen an sich, bahnen Wege zu sich: Richtung aber
und nalt|>unkte des We^es, Belegenheit der Ansiedlungen bestimmt
und bedingt die BeschaÜenheit des Bodens.
*) NUier begrflndet aind diese Sfttse sowie aach die dannif beruhende Ein-
teilung d«r Strassen in meiner Schrift: „Die Bedingtheit dos Verkehrs und der
Ansiedlungen der Menschen durch die Gestaltung der Erdoberfläche.* Kiel 1861.
Uebrigens ist es bemerkenswert, dass die deutsche Sprache in ihren betreffenden
Bezeichnungen eine Erinnerung von dem oben dargelegten Sachverhältnis zu be-
wahren scheint. »Siedeln' kommt ans dem mitt^^lhochdeutschen sidelon, althoch-
deutschen s»"(lal Sitz, Sessel, Wohnsitz, gotisch sitls. In «Dorf* freilich, wie die
Bedeutung des gotischen thMfp — Feldmark ausser Zweifel 8t«llt, tritt die B^-
7i"biing auf die ^VaIl(^^rbewegung zurück; aber nicht ohne Grund, da ein Dorf
hU iiuliepunkt für wandenide Züge nicht in Betracht kommen kniin. Weiler wird
wie das sflddeuteche wll mit vula snsammenhungcn. Flecken beruht auch nur
auf dem Oegnnwitze zur Linie oder zur Fläche. Aber schon iu dem allgemeinsteii
Namen für menschliche .Niederlassungen*: »Ort*, diis in der Wurzel mit Ecke,
Spitze eins ist und an den Ostseeküsten mehrfach i^charf vurtretende Laild8|ntMil
l)e7,eichnet> Darsser Ort. Brüster Ort, Dag5er Ort, scheint tiie Auffassung von einem
•Schneiden zweier Linien zu Grunde zu liegen. Unzweifelhaft aber bedeutet .Stadt*
einen Steh- oder Halteplatz. In ihr volles Licht tritt diese einfache und doch »0
treffende BezeichmmLj durch ihren Gegensatz: der Weg, aus der Wurzel weg =
ziehen, fahren, zusammenhängend mit wehen, wogen, wagen, weichen. Wind, Woge,
Wage, Wagen n. a., ist das, was bewegt and seine Aufgabe nnd Bestimmung in
der Bewegung hat (vgl. Kluge, etymolo^ische.s Wörterbuch). In ivso (sk. v&stn
von der Wurzel vas — weilen, wohnen), liegt der Begriff des Bleibens ^ahd. wis =
mansio) auch an Ornnde; «iXtc, von den Wurzeln par, pel, ple Falle, Verkehr,
Gedrilnge, «kr. pur, puri-s, püram Stadt, Burg, Fe.«ite, Hlsst die Ft.iatlichr' Unrlpntung
mehr hervortreten. Urbs imd oppidum sind in ihrer Grundbedeutung zweifelhaft,
t. Curtiiia.
Poleographie der cunbiieolieB Halbinsel.
483
Ob nun, wie unter gewöhnlic In n und ursprünglichen Verhallaiisaeii,
der Weg den Ort lierbei führt oder der Ort den Zugang hervorruft,
immer werden die Ausiedlungen von den grössten bis zu den kleinsten
hinab End-, Wende- oder Kreuzungspunkte darstellen.
So zahllos die Menge derselben ist, so begrenzt sind ihre Arten.
Die wichtigsten derselben lassen sich fblgendennasaen ordnen:
L Die Wege des Festlandes ergeben:
1. Kreuzungen gleichartiger Festlandsstrassen;
a) an Meerbusenspitzen,
b) an Landengen,
c) au Furten, Fähren, Brücken,
d) an Mittelpunkten geographischer oder politischer Kreise.
2. Kreuzungen ungleichartiger Festlandsstrassen:
a) von Flachlands- und Gebirgswegen,
b) von Eisenbahnen und Landstrassen,
ü. Die Wege verschiedener Media ergeben:
1. Kreuzungen von Fluss- und Festlandswegen :
a) an den stärkeren, uameullich rechtwiukligeu Biegungen
der Flüsse,
b) an den SchiffbarkeitHanfengen und Stufen, namentiidi
der Mündung.
2. Kreuzungen von Landsee- und Fe.«<tlaudswegen :
a) an den Endpunkten langgestreckter, zumal tieteingesenktor
Seen,
b) an der Bfitte ihrer Langseiten.
3. Kreuzungen Ton See- und Festlandswegen:
a) an Meerbusenspiteen,
b) an Meerengen,
c) an den Enden langgestreckter Binnenmeere.
IIL Die Wege auf dem Flüssigen ergeben :
1. Kreuzungen von Fluss wegen mit einander:
a) an den Mündungen der Nebenflüsse,
b) an den schärfen Bi^ngen.
2. Kreuzungen von See- und Flusswegen:
a) an den Mündungen ins Meer,
b) an den Ein- und AasflUssen bei einem Laudsee.
3. Kreuzungen von Seewegen mit einander:
a) an Landzungen und Vorgebirgen, zumal weit Torge-
streckten,
b) an Meerengen.
Sind diese allgemeinen Gesetze für Mensrhen verkelir und Niederlas-
sungen begründet, so werden sie auch in der Besiedlung und den
Hauptplätzen der cimbrischen Halbinsel sich bewähren müssen.
484
Jansen,
[8
L Lage md Bodengestalt der cmibrieohen HslbiaBeh
1. Für (Wo Gestalt u^id Bildunp^ des europäischen Festlandes sind
zwei Binnenmeere von pfrosster Bedeutung: zuerst das südliche, das
den Mittelpunkt der alten Welt gebildet hat und noch Ton den Vdl*
kern d«s Ifittdaltei» als das Meer der Mitte bemiMihnefe wotäm iai;
eodann das affirdlicfae, aus Nord- und Ostsee mit Suren Terschiedenen
Teilen bestehende, das erst seit dem Mittelalter Schauplatz geschieht»
liehen Tit'l>ens -werden koinite. Das südliehe ist das «jrilssere, längere,
tiefer lu den ganzen Kontinent der alton Welt, d. Ii. in drei Weltteile
eindringende; das nördliche leistet für die gernianisehen Länder aber
dennoch dieselben Dienste wie das südliche einst für die griechisch-
romamsehe Welt und jetzt für alle seemSchtigen Nationen der Erde.
Es unterscheidet sich TOn diesem durch die breitere und offenere Ver-
bindung mit dem Ocean, von dem das südliehe Mittelnieer fast abge-
schlossen ist; das nördliche ist nur ein breit beginnender und alhnählich
sich verengernder, wie verflachender Meerbusen des atlantischen Weltmeers.
Zwei Riegel erstrecken sich von dem Körper des Weltteils in
ndrdlioher Richtung durch dasselbe vor: Qrossbtitannien, vof Mensdieu-
gedenken durch emen Meeresarm vom Festland gelöst, eine Scfants-
mauer der flachen Niederungen Norddeutschlands gegen die Wucht der
oceanischen Wogen und die mit dem Festland verbundene niedrige
Halbinsel, welche wir die cim bris che nt'nn<'n.
Diese selbst ist aber wieder ein Teil eines grösseren Ganzen, die
mittlere imd bei weitem längste von den drei Ausbuchtungen der nieder-
deutschen Eflste, deren w^tliche, von der Zuidersee bis zur unteren
Elbe, in sich n04^ wieder durch DoUart und .Tadebusen gegliedert
ist, deren östliche, von der OdermUndung und der Lübeker ') Bucht be-
grenzt, in der Halbinsel Zingst und im Darsser Ort ausläuft, ursprrm«^-
lich wohl ihre letzte Spitze in dem Vorgelju^f Arcona hatte. So bildet
der cimbrische Ghersonnes nach 2sordwesten hin mit der festländischen
Küstenlinie einen lediten, nadi Nordosten einen spitsen WinkeL
In dem ersteren sieht sich, von dem vereinzelten Helgoland abgesehen,
eine Schnur von langgestreckten Ktisteninseln hin, die trockenen Rücken
der weit hinausgehenden, flaeh verlaufenden Watten, Trümmer der
einstigen Küste; in dem anderen breitet sieh eine Gnijiju' grösserer
Inseln aus, durch verschiedene Sunde voneinander und von den benach-
barten Festlanden, durch ein breiteres Fahrwasser von der deutschen
Küste getrennt, einst wohl ohne Zweifel mit dem südwestlichen wie
dem östiichen Festland zusammenhängend.
Die Begrenzung der Halbinsel gegen das Festland ist eine von
der Natur nur zum Teil entschieden ausgesprochene: einerseits durch
das br«'ite Gewässer der Unterelbe bis Hamburg-, andererseits durch die
Lübeker Bucht und die untere Trave bis Lübek; die Verbindungs-
linie zwischen diesen beiden Punkten ISsst sich entweder gerade oder
auf einem Umwege iSngs der unteren und mittleren Bille nach der
0 s.S. 555.
»]
Foleograpliie der cimbhschen HalbinaeL
48&
Trave zu oder mit der Elbe bis nach Lauenburg, mit der Wakenitz
bis nach Rasebnrg zkluik, swii^tti weldien Punkten die Delvenau
nnd der Steknitznnal mit semer Niederung die Lttcke nuhesu aus-
ftllen würde.
T)iese H;in)insel hat in der nicht bloss reichen, sondern auch be-
sonders harmonischen Gliederung des Körpers von Europa eine unver-
kennbare Beziehung zu der griecliischen ; beide zusammen stellen zu
der Bretagne einerseits, Corsica-Sardinien andererseits, zu Grossbritiauieu-
Irland nördlich, Italien-Sicilien Bfldlich die dritte Hauptgliederung dar;
wie Griechenland durch seine Inselwelt nach Kleinasien gewiesen und
▼on Kleinasien selbst fortgesetzt wird, so die cämbriache Halbinsel nach
imd von Skandinavien; das Schwarze Meer mit seinen hintereinander
hegenden Verbindunf?sire wässern erscheint wiederholt in dem Ostsee-
becken mit seinen drei nebeneinander liegenden Sunden oder Belten.
iraurend aber die gneehische Ton dem Körper des Weltteils durch
Gebirge abgeschlossen ist, befindet sich die ombrische mit dem Fest^
lande in engster Wechselbeziehung; die charakteristische Bedeutung der
griechischen steigt bei weiterem Vordringen ins Meer, ' die der cimbri-
sehen nimmt ab.
Ungleich vollends und fast entgegengf^^etzt ist die Gestalt lu id» r
Halbinseln. Während die griechische breit imd kontinental beginnt,
ran in immer reichere Gliederung und YerSstelungen auszulaufen, die
sich durch Inselreihen nach Kleinasien fortsetzen, nimmt die cimbrische
Halbinsel von einer breiteren Basis aus anfiings auch einen Anlauf
zur Verjüngung nnd Gliederung, um dann aber in der Tiördlirhen Hälfte
zu einer nach beiden .Seiten ausladenden, fast doppelten Verbreiterung
überzugehen, die schliesshch in nordöstlicher Richtung mit rascher
Verjüngung in eine hafenlose Spitze Terlauft, ohne Forteetzung durch
hiscJn zu finden. Die Breite der Halbinsel, gemessen zwis<£en der
Westküste von Eiderstedt und der Nordosispitze Ildlstcins, beträgt etwa
22 geogr. M., zwischen Husum und Eckernförde 7 M., zwischen Husum
und Schleswig 4\'3 M.. dagegen zwischen Thors Gab und Grenaae 23 M.
Schon dadurch ergibt sich eine Dreiteilung des Landes geographischer
Natur, die sich zu allen Zeiten auch politisch fühlbar gemacht hat, in eine
breite Basis, eine verengte Bütte und ein plumen-, wenig entwickeltes
Haupt. Die erste hat noch kontinentalen Zusammenhang und Gharaikter,
die zweite ist durch Inseln im Westen und Halbinseln im Osten am
meisten g*'gliedert. das letzte Dritteil in Boden- wie Küstenbildung
eintcirmiger, ein Verhältnis, das Hurch die Belegenheit der drei Teile
zur Achse des betreÖeudeu Mittel meers noch weitere Ausprägung erhält.
Von Bedeutung ist die begrenzende Kflstenlinie.
In genauem Verhältnis zu der sehr allm'ählidien Steigung des
Bodens nach Osten hin verliert sich die Westküste mit sehr flacher
Abdachung in die Nordsee. In Jütland ist sie ohne vorgelagerte Inseln,
scharf begrenzt, dureh eine dreifache Reihe von RitFen abschreekend.
Die schleswigsche Küste begleitet eine Inselzone von fast eines halben
Grades Breite, deren Westgrenze ziemhch genau in der Verlängerung
der jütischen Kttstenlinie liegt. Der Westrand von FanÖ, Röm, Silt,
Amnim, die Eiderstedter Düne Hitzbaak, die Watten Blanoit und
486
Jansen,
[10
BuschsoDd leiten iu gurader NordsQdrichtung nach der Geest des War»
Steuer Landes der sttdelbischen Kttste hinüber. Weite Stii « km sind
zwis( lieii dem Festen und Flüssigen streitig bis tief in die Mitte des
Lauflos hinein ; ein nicht <rnn7. schmaler Saum ist im regelmässig ab-
wechselnden liesitz des einen und des andern ; breite Untieren erstrecken
«ich von wenigen Fuss Wasser betleckt weit ins Meer hinaus, unter-
brochen nur durch die Elb-, die EidermUndung und die Lister Tiefe.
Die Ostkttste dagegen, durchweg hoher über dem Meere und
steiler in dasselbe abfallend, zeigt eine ähnliche Bildung, wie sie den
oceanischen Küsten Englands, den Felsküsten Norwegens. Schottlands,
der Bretagne und des spanischen Nordwestens eigentümlich ist. die
der Förden, d. h. der sriikrecht eimlriugendeu , meist keilförmigen,
teib auch bis zu ilussartiger Länge ausgedehnten Meeresarme, welche
den gaoiEen cunbrischen Osten mit einer Reihe vortrefflicher HIfeii aus-
gestattet hat Dieselbe Bildung, noch erweitert durch die sogen.
N<^ore, enghalsige Nebenbuchtoi der Förden, sowohl in ihrer Längen-
ais Querrichtung, — Windebyer- und Xübelnoor — ^. bedingt die grosse
Zahl von Halbinseln, welche bei aller Kleinheit in Holstein und Schles-
wig landschaftliche und selbst Stammesbesouderheiieu Jahrhunderte
lang erhalten haben: Wagrien, dänischer Wohld, Schwansen, Angeln,
Sundewith, Loit, Ness. Die EüstenentwicUung, zuiAchst Schleswig-
Holsteins, ist daher auch eine günstige: wenn die Länge der Ostküste
48 23 — 71 M., die der Westküste von Sclileswig 20, von Holstein
bis Brunsbüttel 19, bis Hamburg circa 13 Meilen = 58 gerechnet wird,
80 kommen rund 130 M. Küstenlinie auf eine Fläche von rund 30'^ Qu.-
Meilen d. h. etwa 2,ü auf die Qu.-Meile. Auch iu dieser Beziehung ist
Jütland, dessen grosse aber wenig Terkehisföliige Binnenseen nicht wohl
in Rechnung gezogen werden können, SO dass die ganze Westküste als
hafenlos erscheint, weniger begünstigt.
2. Der Roden der < imbrischen Halbinsel, obwohl im alhjfenielnen
eben und einliirmig. bietet doch bei näherer Betrachtung bedeutsame
Unterschiede und wichtige Abschnitte dar. Die SUdhälfte, Schleswig-
Holstein, taucht aus der Nordsee auf mit dem bald breitaren bald schmA-
leren, in Schleswig auch zweimal durch Geestvorspclinge unterbrochenen
Saum der Marsch; durch die ganze Halbinsel zieht sich der flache, jedoch
vielfach von Bodeiurliebungen und Mügelgruppen durchsetzte Heide-
rücken, in Jütland durch einen Flugsandstreifen eingefasst; der höhere,
aus einem buchten- und seenreichen Hügellande bestehende Oststreifen,
der sich in Holstein Uber mehr als ein Drittel des Gebiets bis an die
Kitte hin Terbreitert, setzt sich in Jüthmd über das letzte Drittel za-
sammeuhängend nicht mehr fort.
Die Grenze zwischen dem Alluvium und dem Diluvium muss nach
der Natur der Sache das einstige Meeres-, also jetzige Marschufer sein.
') Wenn die Insel Alsen ihre Förden tind das tiefo Hörnphaff an der West-
küste hat. PO wird das mit ihrer Abdachung von Osten nach Westen nn l mii .l-^;-
bohrenden Gewalt des von Norden kommenden, mehr und mehr eiu^e2 wandten
Strome« nuammenhän^en. Aach Fehmarn hat seine zerrissenen Kfisten im N^niaien ,
Werten und Sflden; die OitkOtte bildet eine geachlonene Linie.
11]
Poleographie der dmbiuelieii Halbingel.
487
Dasselbe erscheint noch jetzt, mehr oder weniger erkennbar« untor dem
Namen Don oder Kleve, Namen, deren Verbreitungsgebiet genau soweit
ausgedehnt ist, wie die bezügliche Bodenbildung, d. h. von Holland bis an
und über die Grenze Jiitlands. Ahir<*>fehen von den vielfaclieu Vorsprüngen
wie Einbuchtungen wird die Linie durch eine Sclmur grosserer und zugleich
ftlterer Ortschaften des Westens beaseidmet: Kipon, Tondem, Bredstedt,
Husum, Lunden, Heide, Meldorf, Itzehoe, Elmäiomf Uetersen, Wedel;
das hohe Ellnifer, auf dem Blankenese, Ottensen, Altona, Hamburg
liegen, ist nichts weiter als eine Fortsetzung des Meeresufer am Flusse
aufwärts.
Die Grenze zwischen dem Geschiebesand und dem Geschiebe-
thon ist zunächst in Jütland Tieliach verschoben und durchsetzt. Das
nördlich vom LümQord gelegene Dreieck, teils flach teib hügelig, im
Norden und West^ von Flugsand umlagert, mit grossen Strecken ge-
hobenen Seebodens, z. B. dem grossen Wildmoor, gehört vorwiegend
dem Geschiebethon an. Der Abschnitt südlich vf)m Liinifjord. zwischen
diesem, dem Mariager-Fjord und dorn Kattcgatt, auch nicht ohne l)e-
deuteude Strecken gehobenen Seebodens, z. B. das kleine Wildmoor mit
den die sogenannten Holme um^benden Niederungen, besteht vorwiegend
aus Geschiebesand, Vom Manager ' bis Über den Ilanders Fjord, die
südlich davon grlrr^ene Hallunsri Ormaae eingeschlossen, westlich bis
nach Viborg wechseln Sand und Lelini. Erst von der Kn1(>-Wik nach
Süden dehnt sich über den Osten des Landes der Geschiebethon mit
seiner wald- und hügelreichen Oberfläche in ähnlicher Weise wie auf
den Inseln und in Sdileswig-Holstein bis m einer Linie westwärts aus,
die zuerst etwa die Mitte des Landes erreicht, dtfnn aber in der Sfld-
richtung mehr und mehr sich der Küste nähert, um sich von Veile an
wieder davon zu entfernen. Von der jütisch-schleswigschen Grenze an
weicht der Westrand des Geschiebethons, von vereinzelten Strecken,
namentHch einem weit ausgreifenden Winkel zwischen Köuigsau und
Nipsau, abgesehn, aufs neue mehr und mehr nach Osten zurück; und
aswar auf der Halbinsel Loit und Sundewith in genauem Parallelismus
mit der ausbiegenden Küste, so dass er sich bei Apenrade, Flensburg
und Schleswig wieder na( Ii Westen, in einigem Abstände um die ge-
nannten Städte herumweud. t. Von da an schlägt seine Linie eine süd-
östliche I?ichtnnf:: oin. bleil)t eben westlich vom Wittensee, östlich von
Rendsburg, aucli östlich von Neumünster, von wo sie bis in die Niede-
rung der Tensfelder Au, südlich vom Südende des Pldner Sees, gerade
ösÜich streicht, um von da wieder in ziemlich gerader Sfldrichtung,
westlich an Segeberg und Oldesloe vorbei und mit manchen Ausbuch-
tungen in westlicher Hirlitnnq' zwisclien Hamburg und Rorf^oilorf an die
Elbe zu gehen, die sie weiter aufwärts nicht nielir erreicht. In bemerkens-
werter Weise wird mithin von ihrer westlichen Grenzlinie auch in Hol-
stein der Parallelismus mit der Eüstenlinie festgehalten.
Die Marsch, wenig Aber dem Meeresspiegel, um Wüster gar
unter dem der Elbe gelegen, hat ihre Eigentümlichkeit im StoflF und
in der Form. Die Form überrascht und zieht an durch die völlig
wagerechte, wie mit dem Tjinenl ^ez(i</t'ne Linie ihres Horizonts und
die gleich wagerechte Ebene ihrer Oberfläche. Der Stofl i^t der sogen.
488
Jansen,
[12
Klai (clay), ein fetter schwerer Thon, der eiDerseita durch die strotzende
Fruchtbarkeit diesen Eflstensaum mit ieinen Weiden und BinderherdeOf
Beinen Raps- und Kornfeldern, der Menge seiner Wohnungen, die wie
ausgesät Ober die ganze Fläche crschdneD, zu einem seltenen Bilde ge-
se^rncf^stcn Wohlstandes macht, andererseits durch die Zähigkeit und
Grundlosigkeit der Bodenart bei Hegen und Winterwetter dem Verkehr
erhebliche Schwierigkeiteu bereitet.
Zusammengesetzterer Art ist der breite Mittelstreifen des
Landes sowohl seiner Form und Oberflifehe, wie seinem Stoffe nach. Zum
grossen Teile Silsswasser-Alluvium, d. h. Moomiederungen und Wiesen,
ist er von Heidewand und Geschiebesand bunt durchsetzt; zwischen Stör
und Eider tritt Gescliiebethon in grösseren Zusammenhängen auf, der
in Schleswig fast völlig fi lilt. Das Bild der Ü1)ertiäche wechselt zwischen
der biuuueu Heide und dtiu fahleu und hnstem Torfmoor, der grüne a
Wiesenniedening und den dunkefai Nadelwaldungen, in der Gesamt-
wirkui^ meist ernst und strenge, oft rauh und ärmlich.
Freundlich und anmutend ist das Aussehndes östlichen Htigel-
1 and es: Weiden. Wiesen nnd Kornfelder, getragen oder durchsetzt
von langgcstreekten Höhenzügen und Buchenwäldern, Flussthälern und
Schluchten, Seebeckeu und Förden, bieten hier durch Form und Farbe
die Bedingungen, welche unter besonders glücklichen Mischungsverhilt-'
nissen Landschaftsbflder von wahrhaft Ubenaschender Liebliäkeit er-
zeugen.
3a. Erhebungen des Bodens fehlen in keiner der drei Zonen ganz.
Während sie aber, von den Inseln Rom. Silt, Amrum, Föhr abgesehn,
in der Marsch nur als Uferränder, im MittelrOcken zugleich als üfer-
räuder und Plateaus, Hügelreihen und Hügelgruppeu vorkommen,
sind sie in dem östlichen Streifen, von kleineren Strecken Ebene oder
Wiesenniederungen abgesehn. die einzige Bodenform.
Das äussersto Ufer des Wattenmeers und der daran sich schliessenden
Marsch bildet eine Kette von Sandbergen, die sich, vom Meere mehr-
fach schmäler oder breiter durchbrochen, von der dänischen Insel Fanö
bis in die Eiderstedter Hitzbank fortsetzt und namentlich an den drei
Stusem Insefai des Wattoimeers, Röm, Silt und Amrum, in ihrer eigen-
tümlichen Qestolt wie Wirkung erscheint. Bestehend aus aufgelag^tem
Flugsande zeigen diese Hügel in ihren Linien und Umrissat, in ihren
Spitzen oder Kuppen. Trichtern und Schluchten die Formen eines Fels-
Gebirges mit überriischender Aehnlichkeit, wie wenn sie ein Relief des-
selben im grossen Massstube durstellen sollten.
3b. Die Erhebungen des Mittelrückens vergegenwärtigen
sich am besten von den westwärts her tief ins Land ausgebreiteten
Niederungen aus.
Wenn nämlich im Osten des Landes das Meer in bedeutender
Tiefe zwischen hohen und festen Ufern meilenweit in scharfer Begren-
zung in das dortige Hügelland eindriiifjrt, zeigen sich im Westen zwei
grössere und mehrere kleinere Einbuchtungen des Meeres oder der
meerartigen Niederungen Ton stumpfwinkligen Umrissen, die in unbe-
stimmbarer Zeit wirkliche Meerbusen Ton ebenso grosser Ausdehnimg
wie meist geringer Wassertiefe gewesen sind: eine Geslalt, welche die-
13]
Poleographie der cimbnaohea Halbinael.
489
selben zu einem «n-ossen Teile in den heiden letzten scliweren Flut-
jähren 1825 und 1855 noch einmal wieder angenommen haben, zu der
flie Anlaufe und Andeutongen in jedem regenreichen Winter zeigen. Die
bedeutendsten bilden die nördlichen Mündungsgebiete der Elbe und ihres
jp*össeren Nebenflusses, der Stör und das gesamte mittlere imd untere
Stromgebiet der Eider mit ihren sililliclien und nördlichen Nebenthälem.
Die grosse Niederung der Elbmarsrh dringt, den GeestrUcken
von Nordoe oder Münsterdorf in zwei Armen umspannend, zwischen Itzehoe
und Horst durch, halb noch Marsch halb Moor und Wiese oder auch
Sand, durch das Thal der Stör in Ostlicher und nordöstlicher Richtung
zunächst bis Kellinghus( n ein. Von hier, wo sie sicli zwischen dem
Uferrand der Stör und den westlichen Ausläufern des Bramstedter
Kückens bis auf eine halbt^ Stunde verengt, setzt sie sich teils in östlicher
Richtung durch die Bram-Aue und deren Quellbiiche bis getr^ n St ge-
berg hin, teils an Breite wachsend in nordöstlicher Kicliiung aul Neu-
münster und weiter nordidMs als Ilohheide auf Nort<»rf zu fort, wo
sie schmiUer wird, um akbald wieder nach beiden Seiten hin auszu-
greifen und unmerklich in die Eidemiederungen bei Bendsburg über-
zugehen.
So erscheint das Gebiet des Geschiebesandes in Holstein in zwei
grössere Plateaus geteilt, ein südöstliches und ein nordwestliches: daserstere
Yon Bramau, Elbe und Elbmarsch begrenzt, nach Osten bis über die Alster,
im Süden sogar bis an die untere BUle fortgesetzt, in der Hauptsache das
alte Stormam; das nordöstlidie, westlich von der Marsch und den an-
grenzenden Mooren, östlich von der Sarlau imd der Stör, südlich von
der Stör- und Elbmarsrh , nördlidi von der Eiderniederung umspannt.
Von Süden, Westen und Norden dringen kleinere Meer- oder Moorbusen
in diese Platte ein, und zwar zwei, breit und tief, oft überschwemmt
und ungangbar, mit besonderer Wirksamkeit: das Thal der Gieselaue
von Norden, das der Holstenaue von Süden; so dass sie zu der Sonderung
in Dithmarschen und »Holsten* die Grundlage bildet.
Den zweiten grossen Moorbusen stellt die untere Eiderebene
dar. Zwischen den Höhen von Heide einer, von Husum andererseits
emdringend, breitet sich derselbe, für das Auge in seiner wirklichen
Natur unverkennbar, in seinem Umfange unübersehbar in östlieher Bidi-
tung bis über Rendsburg in die Nime des Wittenseee, bis an den
Fuss der Hüttener Berge, in nordöstlicher Richtung bis an die Ufer-
höhen der obem Schlei, an die bastionartig vorspringenden Hügel von
Schuby und Hifsby, in nördlicher Richtung endlich durch das weite
Treenethal bis unweit Flensburg aus, um hi» i in die mehr unter-
brochenen Niederungen der kleineren Auen von Mittel- und Nordschles-
wig überzugehen, auf deren baumloflen Flachen der westwftrts Wandernde
alsbald salzgesch^^ngerte Meeresluft zu atmen b^^innt. Die Dünen
der Hitzbank, die von Tating und Garding, der langgestreckte Rücken
von Lunden, halb Dihio halb Geschiebesand, der weithin sichtbare, steil
und hoch aus dem Ei Urthal aufsteigende, sanft nach der Treene ab-
dachende Bergzug von Stapelholm, das Plateau von Erfde und
weiter östlich noch einige kleinere Geestflecke ragen als richtige Inseln
aus der fast wagerechten Flache hervor, die, wie oben erwähnt, südlich
490 Jwmn, [14
vou Ueudsburg mit der grossseu holüteuuschen Tiefebene in unmittel-
barer Verbindung steht.
Die Erhebungen des Bodens aus diesen Niederungen steigen
teils allmählich, teils steiler an. Steil und meist auch verhältnismässig
hoch aufragend erscheinen die Uferränder der Flüsse, beziehent-
lich der Moore oder Marschen und zwar besonders mit unverkenn-
barer Kegelmässigkeit die nördhchen. Das nördliche Elbuter abwärts
von Altona steigt, soweit es westlich läuft, bis Wedel hin steü aus der
Elbe auf^ im Bauisberg bei Blankenese bis' zu 31 9^. Sowie dasselbe sich
ndrdlich wendet, nimmt es mehr und mehr an Höhe ab; schon bei
Eilmshom verschwindet der Don dem oberflächlichen Beobachter fast
ganz. Scharf ausgcjirii^H ist dann der Hand der holstenschen Platte,
vorzugsweise wieder nördlich von der Stör- und Marschniedenmg.
Schon oberhalb Kellinghusen erscheint er nahezu mauerartig, verläuft
abwärts dieses Ortes in eine Senkung, erhebt sich dann aber oberhalb
Itzehoe aus dem Störthale und der Manch Torgebirgsartig als ein
brdter und hoher Buckel, der eine der umfassendsten Femsichten
von der Höhe des Kaiserberges gewährt: süd- und westwärts über die
Elbniederung und Marsch in Hannover hinein, uordwürts über die Ab-
dachung bis an den Rücken vou Ilohenwestedt , ostwärts bis an das
ostholsteinische Ilügelland. Genau dieselbe Bildung und in gleicher
Form wiederholt sich am einstmaligen Nordufer der untersten iSbe, wo
aus der Vertiefung der Burgerau und des Kuden-Sees die steilen, auch
zum Teil waldigen oder buschigen Hölien „der Bnig* und des Edde-
laker Don weithin siehtbjir und weitüberschaut nd emporragen, liebliche
l/HTids()iattsbilder zum Teil nicht ohne einen Anüug vou Komantik
darbietend.
Zum Tiertenmal, um hier Ton dem Stapelholmer Höhenzuge
abzusehn, erscheint ein solches breit in die Niederung Yordringendes
Vorgebirge nördlich der untern Treene in dem Höhenrücken von Usteu-
feld und Schwabstedt. Auch hier wie bei den erstirenannten verlaufen
<lie Hr)hen in der Richtung nach Norden mehr uud mehr in die Ebene,
ohne erhärte Ränder zu bilden. Endlich lässt sich am Norduf<^r der
Sohohimu in dem Laugen Berg, der Breedeau oder des Lohbek, in der
Wanghoi eine ganz iUnüiche Bfldung nachweisen.
Die Übrigen Bodenerhebungen des MittelrQckens sind omegel-
mässig verteilt.
In der südö s tl i e Ii cn Platte von Holstein, dem eigentliclicn
Stormam, erhebt sich zwischen der obern Alster und obern Schmalfelder
Aue ein Massengebirge im kleinen, der sogen. Kisdorfer Wohld bis
zu 272'; zwischen Sämalfelder und Osterau dehnt sich die grossen-
teils bewaldete S^(eberger Heide aus, nach Westen hin anstdlgend.
zuletzt in dem vereinzelten Clausberg; ftlmlich vereinzelt wie der Kis-
dorfer Wohld und noch mehr zusammengedrängt zwischen Ostt-r-Au
und Stör die Boostedter Berge, an die sich in südwestlicher Richtinig
der Ketelviert bei Grosseuaspe imd die Uferhöhen bei Bramstedt
anschliesseu.
In der nordwestlichen Platte und zwar zunächst in deren
(istlicher Hftlfte, dem eigentlichen Holsten, ist eine dem SOdzande
15]
Poleographia der cambriscihen Bidbinsel.
491
an Höhe entsprecheude, jedoch nicht uferai-tig fortlaufendo Erlubuug
des Bodens auch im Norden zu erkennen, der Südriiud der £ider-
niederung, teflweise zwischen did Kel»enb&eheder Eider, Jeven-, Lubner-,
Haler-, Haner- und CKesel-Aue tot- und eingeschoben, von Heinken-
bozstel etwa Ober Hohenwestedt, Todenbüttel imcli Hademamhen.
In Dithmarschen setzt sich die Bürger Platte, die in ihrer westlichen
Hälfte alsbald in die Niederung des Windberger Sees und der Süder
Au absinkt, in ihrem (istlichen Hände in iKirdl jeher Richtung aufs neue
ansteigend über Röst, Arkebeck, Wehubüttei, Teliingstedt aJs ein sehr
ausgesprochener Höhenzug fort, als dessen Fortsetzung jenseit der tiefen
Niederung der Tielen Au die Hügelgruppe Ton Schalkholz, Fahlen und
Dörpling angesehen werden kann, die steil ans der Niederung der
Tielen Au, sanfter aus der Eider aufsteigt und jenseit derselben in der
Geestinsel von Erfde wieder erscheint. In seiner Mitte entsendet jener Zug
einen Zwei^ nach Nordnordost über Bunsoh und einen andern nach
Nordwest bis Nordhastedt.
AusdemschleswigschenMitteIrflcken und seinen weiten Heide-
und MoorflUchen ragen ausser den erwähnten üferhChen nur vereinzelte
und niedrigere Hügel und Bodenanschwellungen hervor. So nördlich
der Niederung des Helligbek die Höhen von Schmedeby, Oeversee,
Sankelmark an der obeni Treene, zwischen welchen der Trä und Sankel-
marker See sich ausbreiten und die Treene mit ihren Zuflüssen sich
hinzidit.
Westwärts von der obersten Meynau breitet sich ein Dünensand-
gebirge aus, das sidi in westlicher Richtung noch dreimal, bei Medelsby,
Westre, Süd-Lügum und Grellsbüll wieder zeigt, dann in die Niederung
des Aventofter Sees absinkt.
Das ganze nördliche Drittel des schleswigschen Mittelrückens hat
im Vergleich zu dem mittleren und südlichen einen höheren und fast
wellenförmigen Boden: so nördlich der Niederung des Lohbeks mit
seinen Nebenbächen (Steensberg 308'), so zwischen den beiden Haupte
Quellflüssen der Nip^-An, der Jarde- oder Ojels-Au und der Granim-
oder Norder-Au, (Fjellumhöi 205'), so endlich nördlich derselben bis
zur Königsau; Erhebungen, die zum Teil auf dem hier westlich weit
Torgreifenden Geschiebethon liegen.
In JQtland nimmt zunächst an der Westküste der Flugsand einen
grösseren Raum ein und dringt nördlich vom Aggerkanal stellenweise
weit in das Innere, bis er die nördliche Spitze ganz überdeckt.
Im Gebiete des dann folgenden Heide- und (if schiebesandes herrscht
bei vereinzelten Erhebungen die Form der Elxne vor: sie nimmt fast
die ganze Westhälfte des südlichen Jütlands bis in die Nähe der süd-
lichen Lüm^ordküsten ein, dehnt sich Ober die westlichen Haiden des
Amts Aalborg aus und setzt sich auch durch den Westen des nördlich
▼om Liimfjord gelegenen Dreiecks fort.
3c, Ein zusammenhängendes, nur durch Seebecken und Förden,
vereinzelte Wiesenniederungen und tiefe Thalsjialten von teilweise gebirgs-
artigem Charakter unterVuochenes Hügelland bildetder aus Geschiebe-
thon bestehende Ostraud der cimbrischen Halbinsel, der zunächst durch
die mehr oder minder tief eindringenden Förden in eine Reihe von
492
Janaen»
[16
Halbinseln zerschnitten wird. So viele Halbinseln, so viele grössere
und kkinere Gruppen Ton Hügeln oder BodeoaiiBchweamigen. Die
liödiflien Erhebungen finden sich beide Male apuf der grossten Breite
der Halbinsel, in Holstein zwischen der Hobwach ter Bucht und dem
lübschem Fahrwasser, der Bungsberg 554', in Jütland nahezu in der
Mitte des Landes selbst die Eiersbavnehöi 547' lioch. In Schleswig
reichen die höchsten Hügel nicht weit über Ü5U' hinauf.
Das östliche HUgelgebiet Holsteins, obwohl gleidunässig
Uber den gesamten Tkonboden ausgebreitet, erlaubt sunftcbst eine Zer-
legung in ein sttdliches Viereck und ein nördliches Dreieck.
Das Viereck lässt sich b^^renzt denktti durch den Wakenitz-
Delvenau-Einschnitt, die Elbe, eine Linie Haraburg-Segeberg und die
.S}>nlte des Warder Sees, welche sich durch den Reiusbek nach der
Klever Au und so nach der untern Trave hin fortsetzt. Die Abdachung
desselben ergabt sich im allgemeinen duieh. den Lauf der Bille und
DelTenau nach Süden, der Wakenitz und Steknita nach Norden, der
Trave erst n:u Ii Süden, dann nach Osten. Die Erhebungen sind durch
das ganze (Tel)iet ungleirhniilssig verstreut; jedoch drangen sich die
h(k hsten Punkte auf einem Striche zusammen, der als südwärts gerichtete
Fortsetzung der Höhenzüge westlich und östHch von der Tensfelder Au
augesehen werden kann: gerade südüch von dem ersteren zieht sich die
Eraebung auf dem östlichen der oberen, dann auf dem westlichen Ufer
der unteren Brandsau hin; der Nehmser Berg und die breite Erhebung
von Blunk bilden das hohe Südufer des weiten QueUmoors der Tens-
felder Au; grade südlich vom Nehraser liegt der 203' hohe Kagelsberg,
weiter südlich in ähnhchen Formen der Segeberger Kalkberg, das ein-
zige anstehende Gestein unseres Landes, 297' hoch, steil aus der um-
Sehenden Ebene an&teigend; weiteihui sefaen der Donnenberg mit dem
dzener See an seinem nördlichen Fusse, der Ton Krems mit dem
Leezener See an seinem südlichen Fusse, der Klingsberg, 250' hoch am
Nordufer der oberen Bestt?, der Bork- und der 283' hohe Bomberg,
die Hü<relreiho in fast gerader öüdrichtung bis an die Ufer der BiLLe
und Elbe fort.
Das oben genannte Dreieck hat seine Spitze in der Halbinsel von
Oioesenbrode; seine Grundlinie ist eine gebogene und ftthrt von der
Spalte des Warder Sees auf die Tensfelder Niederung, von da am
Fusse des Tarbeker Rückens herum nach Bomhöved, einbiegend weiter
bis an den Fuss des Zuges, der von Pretz am Postsee und über den
Botlikamper See auf das obere Eiderthal abwärts Brügge und Bordes-
holm streiclit, führt weiter am Ostufer dieses Thaies längs bis au aie
Viehburger Höhe, jenseit welches schmalen Joches die Spalten des Eider*
thals sofort von der Kieler Förde wieder aufgenommen wird.
Die höchste Bodenerhebung bildet der Bungsbei^ mit seinem
ganzen umgebenden wald))ede(kton Hügelland, fast genau in der
Mitte einer Linie, die als Grundhnie der verengten ostholsteinischen
Halbinsel angesehen werden kann. In nördlicher Richtung setzt sich
mit sehr allmähhcher Abdachung ein Höhenzug über Mönchneversdorf
fort, bald darauf in zwei Aeste geteilt einerseite bis Hansflhn, anderer-
seits bis Nessendorf fort; jenseit der genannten Punkte, im wesentlichen
17]
Poleograpbie der cimbriMsheii l^buuel.
498
jenseit <]er Lutkenburg-Lensahner Landstrasse geht es rascher zur
Küsteuebene hinab.
Auch in südlicher Richtung vom Bungsberg und über Schön-
walde lässt sich ein Zug erkennen, der südlich des letzteren Dorfes
allmählich sinkt, im GtfmnüaEerberg aber noch wieder m 826' aufsteigt.
Nadi Osten, Nord- und Südosten erfolgt die Abdachung so, dima
einerseits die Lütkenburg - Lensahner , andererseits die Schönwaide-
Lensahner Landstrasse den Rand der Kbene bezeichnet , welche dem-
nächst in die Niederung des Wesseeker- und Gniber Sees, der weit
ausgebreiteten Biunengewiisser und Wiesengrüude der Neustädter Bucht
hinabfidli Jenseits jener Niederung stellt das noch heute stets sogen.
jLand" Oldenburg eine waldlose wellenförmige Ebene dar, deren höchster
Punkt mit einer Aussicht bis nach Meklenbui^ ^) der Wüibarg bei Patlos
an der hier steilen Nordwestküste aufragt.
In westlicher Richtung breitet sich mit vielen Kuppen zwischen
200 und 300' das Hügelland unterbrochen nur durch Wusserläufe und
Seen bis an die oben aufgestellte Grenze hin aus. Die Seenreihe vom
Stendorfer bis zum Stocksee liegt insofeme an dem sttdUchen Fasse dieser
bedeutt n dt ren und komiMhkten Bodenerhebung als südlich derselben, von
einzelnen Ausnahmen abgesehen, ein erheblich niedrij^eres Wellenland
sich ausbreitet, das vorzng.sw^eise nur in dem Kücken des Fariner Berges
(442' y) in der steil autsteigenden Halbinsel zwischen Stock- und Plöner
See, in dem Nehmser und dem Grimmeisberg namhaftere Höhen auizeigt.
In nordwestlicher Richtung endlich dacht sich die Bungsberg-
gruppe in eine Senkung ab, die durch den Lauf der Eletkamper Aue
und durch die grosse Futterkamper Wiesenniederung mit dem Sehlen-
dorfer See bezeichnet wird. Aus dieser steigt der Boden gleichmässig
an, besonders merklich am nördhchen Ufer der Kossau. Nr)rdlirli der
Landstrasse Lütkenburg -Kiel, westlich und östlich begrenzt vom See-
lenter- and vom Waternererstorfer Binnensee, nördlich mit den hltch-
sten Kuppen, insonderheit dem Pielsberge, rasch in die Ebene zwischen
Heer und Seelenter See abfallend, drängt sich eine Art Massengebirg
im kleinen zusammen, das an Höhe (145') noch erheblich unter dem
Bungsberg, doch bei seiner schärferen Begrenzung durch Wasserflächen
und engeren Konzentration sich bedeutender darstellt. Südlich der ge-
nannten Landstrasse am ganzen we^tUchen Ufer der Kossau, besonders
ansteigend südöstlich und sOdlich vom Seelenter See, setst sich dieser
Iiütkenburger Gebirgsabschnitt in allmählicher Abdachung \vt stwärts auf
die untere Schwentine und bis zu dem oberen Ende der Kieler Förde fort,
deren östliches Ufer von einer Bodenwelle Vie^'leitet wird, die aus der
Senkung des Doberstorfer und i^assader S(?es mit dem Salzauthale aufsteigt.
Mit dem geschilderten Hügellaude durch das Joch von Viehburg
in schmaler Verbindung, no<di auf holsteinisidiem Boden, aber in un-
mittelbarem Zusammenhang mit der breiten Wölbung des dänischen
Wohld, breitet sich die Westens eer Gruppe aus, sttdwestHch und
.südlieh nach der Nortorfer und Nenmünstersrhen Niedonrng, nördlich
nach dem schleswig-holsteinischen Kanal und den Küsten des Kieler
') s. S. ßSS.
Wendimat&a nr dmilMkaB LoMm^ und TolUkond«. L S.
34
494
Janaen,
[18
1111(1 Eckerulörder Meerbusens abgedacht, östlich durch den langen,
wallartigen Uf'errand links von der Eider zwischen Bordeshohn und
Schulensee scharf begrenzt.
Aehnlich wie £e Westenseer Berge zur Halbinsel des dSnisdieii
Wobld verhalten sich die Hütten er Berge zur Halbinsel Schwansen.
Aus den BodenweUen des Bisten- und Wittensees im Süden^
ganz unvonnittelt aber aus der tiefen Niederung der nberston Sorge
und des Owschhiger Mühlenbaches, will sagen. d»'S einstigen grossen
Meerbusens Südschleswigs, erhebt sich wallartig steil, östlich santler
in die Niederung der Hüttener Au abgedadit, noidwftiis bis an die
Schlei ausgedehnt, ein Hügelzug, der im Scheelsberg 879^ hoch, mehr
als ii^end ein anderer der Halbinsel gebirgsartigen Charakter zeigt.
In norflöstli< !i('r Richtung setzt sich jenseits der genannten Niederung^
die welleuluriuige Bodengestalt, zwischen dem Windebyer Noor und
der Niederung des Ost<^rbeks zu einem schmalen Joch eingeengt, auf
die Halbinsel Schwansen fort
Die grosse Eblbinsel, welche von Anbeginn der Oeschichte ihren
Namen bewahrt hat, Angeln, ist von einer Senkung in der Mitte dureli
Lippingau und Geltinger Bucht in eine nördliche und südliche Hälfte
geteilt, deren südliche ihre höchste ErlH'lmng bei Withki« l ') westlich
von Kuppeln hat, die nördliche bei Quem im Seh. i ^herg (^öö'). Die
Halbinsel Sundewith erhebt sich am höchsten in ihrer Grundlinie, öst-
lich der Landstrasse Flensburg- Apenrade (im Tasteberg), bei Qua» und
Stagehöi, und an ihrer Spitze im DOppelberg 251'. Auch Alsen, ein
erst sehr allmählich abgeschnittener Vorposten Sund l ^vif Iis, kehrt seine
höhere Seite dem Meere zu (Hnibif r<r 2H0'). Entschiedener als Sunde-
with hat die Hallu'nsel Loit ihren Höhepunkt nach der östlichen Küste
zu: den Biaubjerg (302'?).
Entgegen der Regel erscheint eine bedeutende Höhe, 336', dicht
westlich Ton der Gjenner Bucht, der EniTsberg und Shnlioh die hfichste
Erhebung des Herzogtums, die Skanilingsbank 398' unmittelbar west-
lich von der Moswik oder Binderuper Bucht und ihrer Niederung. Ein
Znir hervorragender Kegel lässt sich ausserdem von der untersten
KoMingau bis zur obersten Förde von Hadersleben, dem sogen. Haders-
lebener Damm, sowie am Nordufer derselben verfolgen, unter ihnen die
höchsten und gehäuftesten westlich ron Christianrfeld (Höibjerg 335%
Kobjerg 342').
Wellenffirmig gehoben ist in Jütland v* n der östlichen Zone zu-
nächst die Halbing '! von Friedericia zwischen V'eile und Kolding, am
meisten in der Nähe des Koldinger Fjord. Veile, im tirt t iugeseukten
Wiesenthaie gelegen, ist südlich wie nördlich von Höhen umgeben.
Ton Horsens nach dem SkiTefjord, an seinem östlichen Fusse von
Viborg bis nach Skanderboig durch eine Seenreihe begleitet, streicht ala
Westrand des Gesclnebethons derjenige Höhenzug Jütlands, in dem sich
die höchsten Punkte des Landes tiuden: der Hinimelbjerg und die Eiers-
bavnehöi, beide gegen 550' hoch. Aui' der östlichen Seite des Üebieta
') Das Wort wiih wird hier dasselbe sein wie in Sundewith; s. zur Wort-
dentung S. 553.
19]
Poleographie der dmbriachen DnlboueL
495
der Gutleuau zieht sich ein Kücken auf Aarhus zu; beide Ufer am
Ausgang der Kalöer Bucht sowie der Hiiitcignind derselben sind mit
namhafteren Hügeln bezeichnet: Jelshöi (401'), Ellemandabjerg (317'),
Eald Bamehöi (333'). NOrdlich Aarhus setzt sich die Wasserscheide in
nordiiordwestlicher Richtung auf Randers und in nördlicher auf Mariager
und auf Aalborg fort. Im nördlichen Dreieck zieht sich der sogen. Jydske
Aas mit der Tinghöi und Alleruphöi in nordnord westlicher Richtung
durch das südöstliche Viertel. Ausserdem steigen besonders südlich
nahe und südwestlich weiter von Frederikshavn vereinzelte Hügel aul".
4. Das somit gewonnene Bild von der Oberfl&che des dmbrischeu
Bodens findet eine weitere Verdeutlichung durch eine Uebersicht
seiner Gewässer.
4 a. Bi merkenswert i.st hier vor allem das tiefe Eingreifen der
Nordsee in das Land. Die Wasserscheide zwischen Nord- und (Ostsee
geht von dem Rücken zwischen Steknitz und Delveiiau südwestlich von
Mölln in einer vorwiegend nordwestlichen Richtung auf den Bockberg
ZU und die Mitte des Yormaligeu Alsterkanals zwischen Alster und Beste.
V<m hier an nimmt sie eine nördliche Hauptrichtung bis Bomhöved,
TOn wo sie mit leiser Ablenkung nach Westen über Kirch-Barkau bis
an das oben erwähTitc Vielibur<;er Hügeljoch. d. h. also bis auf wenige
Minuten vom Kieler Meerbusen ausgreitt. Sie begleitet in geringem
Abstände das linke Ufer der Kieler Förde bis etwa Christinenhoh,
wendet sich dami quer durch den dänischen Wohld Üher Hohenlieth auf
den Rocken dicht südlich am Windebyer Noor imd weicht von hier an in
südwestlich Torspringendem Bogen auf den SUdfuss der Hüttener Berge
zurück, ih ren westliche Alidachung sie bis Breckendorf begleitet. Von
hier biegt sie in nordwestlit her Richtung ab. auf die hohen Ufer des
Selker Noor und der obersten Schlei zu, an deren Fuss sie sich an-
schliesst. Auf schmälster Enge zwischen Lürschauer See und der
Niederung des Langsees hindurch und westlich um den Idstedter See
herumgehend, lauft sie .luf die bekannte Höhe vfJii Oberstolk zu, von
da auf Satiui» und wieder der Ostküste zustrebend bis an die Ab-
flachung des S( hers]>erges. Von hier geht sie gerade westlich wieder
zurück . um in äliniic her Weise wie bei der Schlei die Höhen an der
Spitze der Fleusburger Förde zu umspannen und wieder, wie bei der
Kieler Förde, das Nordwestufer his weit hinein in die Halbinsel Sunde-
witfa zu begleiten. Die oben erwähnten Höhen setzen ihr hier eine
Grenze. Im Halbkreis umzieht sie dann die Apenrader Bucht und
dringt aufs neue tief in die Halbinsel Loit vor. Von dort iiord west-
wärts gf'wt-ndt't. unizieiit sie in grösserem Abstände (be Spitze der
Hadersiebener Förde und behält dann eine nördliche Hauptrichtung
auf die Erhebungen bei Christiansfeld zu und mit kleineren Abweichungen
bis an die Grenze des Herzogtums.
In Jütland zidit die Wasserscheide um den Eoldingfjord in ähn-
licher W'eise herum wie an den schleswigschen Buchten, nicht mehr
ganz um den von Veile; sondeni westlich schlägt sie zunüdist bis
nahe dem .'»'). " Parallelkreise eine nördliche. <lann an der vorerwähnten
Erhebung entlang eine nordnordwestliche Richtung ein bis westhch von
Viborg; von da, Viborg umkreisend, wendet sie sich plötzlich scharf
496
Jaaien,
[20
gerade ostwärts bis nahe vor Hauders, eine kurze Strecke nSrdlicli,
dann wieder nord westwärts au liobro vorbei, von wo an sie sich bis
Aalborg ziemlich gerade nordw&rts fortsetzt Im nOrdliclien Drittel
biMet der Jydske Abs den Rflcken, von dem aus in noch entschiedenerer
Weise als schon im Aalborger Amt eine Abdachmig und Entwiesenmg
nach allen vier Scittm stattfindet.
Diese Herrscliafl des Westmeeres Uber das Land zeigt sich noch
deutlicher und greifbarer in dem Eiudringen der Flut in die Elbe bis
4 Meilen Uber Uamburg hinaus, in die Stör bis über Kellinghusen hinaus,
in die Eider bis über Rendsburg hinaus, wo der mittlere Unterschied
zwischen Flut und Ebbe noch 3 beträgt. B» zei* Imender vielleicht
noch Lst die folgende Thatsache, die meines Wissens bisher ganz un-
beachtet geblieben ist: Kaum 1 Meile von der Ostseekttste, auf der
Kiel-Eckernförder Chaussee beweisen die sämtlichen Obstbäume mit
ilirem gegen Westnordwest gekehrten liücken, wie fühlbar noch an
der Sussonten Ostgrenze des Landes der furchtbare Gebieter der West-
see ist, der Aber £e sttdschleswigsche Niederung dah«r fegt
4 b. Aus der nachgewiesenen Abdachung des Landes ergibt sich
die Thatsache, dass die bei weitem länt:rsten und zahlreichsten Flttsae
der Xordsee mittelbar oder unmittelbar /ui'allen mttssen.
Delvenau, Bille, Alster bezeichnen eine südliche, Pinnau und
Krtlckau eine westliche Abdachung Lauenburgs und des südUchen Hol-
steins. Weit ausgreifend dehnt sich das Nete der StörgewBsser bis in
die Nähe von Leezen, Segeherg und BomhÖTed, von Bordesholm und
Nortorf und daim bis an den oben erwähnten Höhenrücken von
Heinkenborstel, Hohenwestcdt und Hademarschen aus. Die Eider, ziem-
lich auf der Mitte der ijeraden Verbindungslinie zwischen NeumUnster
und Tretz im Gute Luhmlorf entspringend, macht sozusagen drei ver-
gebliche Versuche, dem nächsten Meere, der Ostsee, zuzustreben: der
erste endet im Bothkamper See am Fusse der Schdnhorster Hfihen, der
zweite im Schulensee am Fusse des Viehburger Riegels, der dritte im
Flemhuder See , der Senkung vor dem Rücken des dänischen Wohld.
Von da an ergibt sie sich in die Westrichtung. Die Unzahl ilirer
grösseren und klemeren Biegungen zeugt von der Flachheit der oben
geschilderten Tiefebene. Tributpflichiig ist ihr die ganze nördliche Ab-
dachung des eigentiichen Holsteins und Dithmai^ens, welche Ton
vielen Auen durchzogen von Nortorf über Hohenwestedt bis Heide in
ziemlich gleichem Abstände den Hauptfluss begleitet. In Schleswig,
wo sie den Abfluss des Wittensees, aus dem Bistensee die Sorge, aus
dem Träsee die Treene mit Helligbek und Rheider Au links, dem
Jerrisbek rechts aufnimmt, fallt die östliche Grenze ihres Gebiets mit
der Wasserscheide zwischen Ost- und Nordsee zusammen, die westlkhe
dagegra, etwa durch die Höhen bei Flensbui^ und den Uferrand bei
Wanderup, Jörl und Ostenfei rl bezeichnet, begleitet die Treene bis r v h
Schwabstadt in geringem Abstände. Die Eider ist gegenüber ihrer
Länge von etwa 20 Meilen und im Vergleich mit andern berühintcrt ii
Flüssen von mehr als dreifacher Länge, z. B. der Weser, dem tiuadal-
quivir u. a., ein wasserreicher, breiter Fluss schon bei Friedridistadt,
noch mehr bei Tönning Ton gewaltiger Fülle und StrOmung.
21]
Fdeogmpliie der cunbiiscben Halbiniel.
497
Unmittelbar westwärts des westlichen üfer^ der Treenc und des
Jerrisbek entspringen die kleineren Bäche der Arl- und der Sohohnau.
Dagegen dringt das Geäder der Widau, ausgebreitet zwischen den Laud-
stnusBen Flensbuig-Leck eineneita und Apenrade-Lygumkloster mäeter-
seits quer über das Land bis in die Halbinsel Sundewitli ein ; sUdwest-
lidi Yon Tondem erst nachdem von allen Seiten die Quellbäche, deren
grössere Zalil von den Apenrader und Sundewither flöhen in sfidwest-
Hcher Richtung herabkommt, sich vereinigt haben, nimmt die Widuu
aui' Hoyer zu einen uorduordwestlicheu Lauf. Beschränkter iat das
Gebiet der Bredenu, deren bedeutendster QaeUbach in fferader süd-
licher Richtung von HSirup, nidie der Cyelsau, bis nach Lygumkloster
fliesst, wo die Wendung nach Wcvsten beginnt und allraäJilirh in die
gerade nordwestliche übergeht. Dagegen breitet sich das Netz
der Nipsau mit ihren Nebenbächen von dem Fusse des Steensbjerg,
der oben erwähnten Höhen bei Haderslebeu und bei Christiansfeld in
durchweg nordwestlicher lüchtuug wieder fast durch die ganze Halb-
insel aus. Die vielgenannte Königsau ist bemerkenswert durch die
kleine Zahl von NebenflOssen und die tiefe Einsenkung ihres Bettes,
namentlich im Unterlaufe.
In Jütland liegen die Quellen der grösseren Auen der weltlichen
Abdachung bis über die Höhe von Horseus hinaus wie in Schleswig
dicht am \V' estfusse der Wasserscheide, d. b. unweit der Höhen an den
Spitzen der Fdrden. Die sttdlichste der drei hier in Betracht konunendoi,
die Yardeaa, gelangt in einem nach Südwesten gerichteten Bogen
in die lange Bucht von Höi, die mittlere, Skjemaa, westwärts ge-
richtet, in den grossen Küstensee des Kingkjöbingfjord, die dritte,
Storeaa, nordwestlich gewendet, in den Nissumfjord, eine vierte, deren
Quellen denen der vorhergehenden nahe liegen, die Skiveaa, läuft nörd-
lich in den Skivef jord ; da nun auch kleinere Bäche in südlicher Rich-
tung in die Königsau führen, so tritt für die westliche HSlfte des sttd-
lidtön Jtttknd, von der Ostseite abgesehen, eine allseitige Abdachung
hervor.
4c. Nach der Ostseite lassen sich längere Wasserläufe nur in der
holsteinischen und der jütischen Verbreiterung der Halbinsel erwarten.
Die Gudeuaa, emige Meilen nördlich von Veile entspringend, fliesst
in nördlicher Richtung dem Mossee zu, durchzieht die ganze Seenreihe
am Fusse des Himmelbjergs und verlksst den Silkeborg Lang Sö als
ein für Böte und Prahme 11 Meilen lang schiffbarer Fluss. Den Ab-
stand von der O.stkiiste festhaltend, wendet er sich einige Meilen süd-
östlich von \'iborg nach Osten und Nordosten herum und mündet nach
19 Meilen Laufes in den Kandersfjord.
Die Schwentine, dem Südabbange des Bimgsberges entspringend,
deutet in ihrem gerade sQdOichen o^srsten Lau» bis zum Stendorfer
See durch eine Senkung zwischen den Schönwaldt i- und Bergfelder
Höben auf den sehr raschen Abfall des höchsten Buckels der holsteini-
schen Hügellandschaft nach Süden. Ans dem Stendorfer gelangt sie
in den SibV)ersdorfer See, darauf, den Eutiner in seiner westlichen Ecke
kaum berührend, durch den Keller- und Dieksee in das Hauptbecken,
den grossen Flöner See; zwischen dem Uemen Plöner und dem Lanker
498
Jansen,
L22
See tritt sie, stellenweise seeartig yerbmtert, als Flusslauf nieder her-
vor, verlässt den lefastereu bei Pretz, durchfliesst dann anfangs eine offene
Wiesenniederuug, von Rasdorf an aber bahnt sie sieh «wischen hohen und
zum Teil waldbedeckten Ufern »'ino oft sehr enge und «^ebirgsartige
Schlucht bis zum Kieler Busen. Durch di-n grossen Plöner Si e nimmt sie
die gleicbfallä in tiefer und eingeengter Bodeuspalte durch bedeutende
Hdhen nordwärts durchbrech^ide Tensfeldw An, durch den Postsee vom
nördlichen Abhang der BomhOTed-Tarbeker Hdhe her die Depenau,
durch denselben See die ihr parallel, aber in entgegengesetzter Ab-
dacliung vom Fuss der Elmschenhagener Höhe aus dem Wellsee kom-
mende W ellau auf.
Einen sehr eigeulüniiichen, für die Bodenverhältnisse aber bezeich-
nenden Lauf hat die Trave. Sie entsteht eben westlich von dem scharf
abfallenden Westufer der Schwartau, nördlich von Giesselrade, geht in
sQdwestUcher Richtung in den Wardersee, von dem aus sie sich west-
irörts wendet, bis sie auf dir obrn erwähnten Bodenerhebungen unweit
Segeberg stösst. Von hier ))is Oldesloe geht sie südlich, meist in einer
tiefen, oft auch engen Bodensjtalte, die sie von Oldesloe in ostnordöst-
licher Richtung bis nahe vor LUbek leitet, danu aber sich erweitert
und verflacht. Auf einem Laufe von nur 14 Meilen zi^ht dieser von
Oldesloe an bereits fahrbare, von LUbek an schiffbare tiefe und wasser-
reiche Fluss eine grössere Anzahl von Bächen und Seeabflüssen an sich:
von links die zahlreichen Auen, die in der langen Spalte des Wardor-
sees stagnieren, die Heilsau (Cuscriu) hei Keinfeld, die westlich von
Eutin entsprmgende, durchweg in tiefem Wiesenthule iiiessende Schwartau
(Zwartowe) bei den Kesten von Alt-Lübek; von rechts die Brandsau
oberhalb Segeberg, den Abfluss des Leesener und Mözener Sees, die
Beste von der östlichen Abdachung des Kisdorfer Wohlds her, welche
ihrerseits von Süden unweit der Billequellen die Barnitz (Bemeze, Bor-
neze, Sülze) aufnimmt, dann die Steknitz, den Abfluss des Möllner
Sees, verstärkt durch die Steinau, deren Quellen sich mit denen der
Barnitz berühren, endlich den breiten Abtluss des Razeburger Sees,
die Wakenits (Wocnice, Wockence, Wokeniz).
4d. Zahlreich sind, obwohl eine bedeutende Anzahl zu Wiesen und
Mooren aufgewachsen, andere im Aufwachsen sind, noch immer auf der
Halbinsel und l)esonders wiederum auf ihren grössten Breiten, der hol-
steinischen und jütischen, die Seen und zwar sowohl die Küsten- oder
Binuenseen, wie die eigentlichen Landseen. Wie in Jütlaud die längste
und bedeutendste Seenreihe den Fuss der höchsten Erhebung des Landes
begleitet, so haben auch in Holstein die beiden wichtigsten SeenzOge
die unverkennbarste Beziehung zu dem oben vom Bungsberg aus nach
Westen verfolgten HUgelzug. Die Seen von Stendorf, Sibbersdorf, Eutin
und der KeUersee erscheinen wie ein Saum um den Fuss des Bungs-
bergs und seiner nächsten südwestlichen Nachbarberge; auch am Diek-,
Behler-, Schuh- und kleinen Plöner See, am Lanker-, Post- und Both-
kamper See Überhöht das nördliche üfer das sfidliche. Der grosse
Plöner stellt auf der Halbinsel Godau im Süden den nördlidien eben-
bürtige Höhen entgegen, auch der Schmalen- und Stolper See ruhen
in d^ nördlichen Abdachung der entsprechenden Höhe. Wenn so der
23]
Poleographie der ciiubriflcbeu llulbinsel.
499
höchste Racken des holateimscheii Landes südwärts mit einem Kranze
stehender Gewfisser eingefasst ttt, 80 fehlt es selbst, um die Analogie
mit den Alpenseen vollständig zu machen, anch am Nordfusse an einem
solchen nicht. Der Seelenter schiebt sich dicht an den Fuss des Liltken-
burger Berglandes heran, ist mithin im Osten und Süden von be-
deutenden Höhen Uberragt, im Norden von einer wellenförmigen Ebene
begleitet. Genau so hegt der DobevstorfiNr und seine Fortsetzung, der
Passader See Ebenso verzweigt sich der kreuzförmige, Tielannige
Westensee mit dem Flemhuder an dem nördli( lien Abhang der kleinen
Alpeniandschnft, die er als der Yierwaidstädter See Holsteins belebt
und verschönt.
Dieselbe Bodeuform wiederholt sich auch in Schleswig : in ausge-
prägterer Gestalt durch den Witten- und Bisteusee am Fusse der Httttener
Berge und ihrer südlichen Fortsetzung den Buvenstedter Hflgeln an der
Basis der Schwansener Halbinsel, im Lürschauer, Gammelunder und
Sankelmarkrr Sop am Fusse des Anuflcr IMatcaus, im Seegardener und
Hostruper iScc am Fusse des Suntlewith und des westlicli altscli liessenden
Höhenzuges. Der Botischlotter und Aventofter Binnensee sind Reste
einstiger Meeresarme, was der erste nach Dankwerth noch im 17. Jahr-
hundert gewesen sein muss.
5. Diese verschiedenen Gewässer, Meerbusen und EUstenseen,
Flüsse und Landseen, Moore und Niederungen verursachen in ilirem
Zusammenwirken eine Zersclmittenheit des Bodens der Halb-
insel, welche vielfach in der Geschichte des Landes wirksam ge-
worden ist.
Alle vier Herzogtümer, aus denen das Land besteht, sind in der
Hauptsache durch Flussthäler geschieden und begrenzt.
5a. In Holstein trefPen die alten Gaue der Tetraarsgoi, Holcetae
und Sturmarii mit den oben nachgewiesenen natiirlirlifn Hodengebieten
Ditlimarschen, Holsten, l^tonnarn zusammen; Wjigrini und Lauenburg
beruhen zugleich auf laudschattlicher Souderung. Durch die niedrige
und öde Mitte geschieden treten in der sfldlidien Hälfte Schleswigs
der anglische Osten, der friesische Westen scharf auseinander. Unter»
«chieddoser in Bildung wie Bevölkerung ist die nördliche Hälfte. Jüt-
land zeigt trotz grosser Zerschnittenheit die rlem südlichen Teile der
Halbinsel eigentümliche Besonderung und Maimigf'altigkeit nicht.
Aber auch innerhalb der genannten Teile gibt es kürzere
Bodenabschnitte beachtenswerter Art.
Eine völlige Lisel, wenngleich jetzt nur noch durch ein seichteres
und schmäleres Gewässer getrennt, als das flache, an drei Seiten von
Köstenseen zemssene, wahrscheiiüich einst landfeste Fehmarn, ist
das „Land Oldenburg*, durcli dessen oben erwähnte Niederung 1872
der Nordüststurm in rasender Eile eine gewaltige, wallartig abfallende
Flutwelle vom Gruber bis zum Wesseeker See hiuUberjagte. Ein zweiter
') Diese Bodcnveiliältnisae kommen in dem bezüglichen Teil des Strassen-
Uetzes zum klaren Auadruck: die Landstrassen Kiel - LUtkenburg - OldenbuiK und
Kiel -Pretz-Pldn-£atm- Oldenburg Bcblieflsen genau den bOohston Teil des HUgel-
laadee ein.
500
Janien«
[24
Abschnitt von der Kieler Förde durch die Schwentine und die Seen-
reihe bis Eutin fortgesetzt, au mehreren "widitigen Uebergängeii
gangbar, wird zwischen dem Südostende des Steudorier Sees und dem
Neustädter Binnengewässer mit seineu Zuflüssen durch einen schmalen
Istliinus unterbrochen, eine Enge, die eben sfldlieh von Kasseedorf, rich-
tiger Kassiersdorf, überdiea durch den Quellteich der Sierha^rener An
auf eine Viertelstunde zusammengedrängt und durch die Waldung^
Ochsenhals gesperrt ist. Ein sehr schmaler Fuss nur liegt zwischen
dem Schluen- und Traniniersee und dem tief eingesenkten Wiesen-
thal der am 1 uö»e der Lütkeuburger Höhen vorbei in den Binnensee
Ton Nendorf und Watemerendorf mUndenden Eossau; ein AbBcfanitfct
der in südlicher Richtung von dem kleinen und grossen Plfiner See, der
Tensf eider Au, ihrem grossen Quellmoor, das sich in ungangbarer
Niederung nach Süden bis Brandsniühle fortsetzt, — einst ein See von
dem Umfang des Plöner — der Brandsau, der Trave, der Barnitz bis
in die Nähe der Quellen von Bille wie Steinau fortgeführt wird. Eine
Stunde wesUich von dem Uebergangspunkte über die Niederui^ der
Tensfelder Au, getrennt durch den oben erwShnten Taibeker KegcJ,
beginnt mit dem kurzen aber wasserreichen Bornbek und dem Belauer
und Stolper See der Abschnitt der Depenau, die durch den Postsee in
die Schwenthie fliesst. Parallel, aber weiter nördlich fortgesetzt, zieht
das tiefe Wiesenthal der obem Eider von Brügge bis zum Schul« iisee
mit den Brückenpässen Vorde und Hammer; auch der rechte Winkel,
den dasselbe Thal von hier nach dem Wwtensee und von dort nach
dem Flemhuder See und dem Eiderkanal mit sich selber macht, mit dem
Brückenpaos Achterwehr, stellt ein für die Halbinsel Dänischwohld
bedeutsame Zerschneidung des Bodens dar.
Im Westen /cip^t das selbst inselartig abgesonderte Dithmarschen
innerhalb seiner Grenzen weitere nicht bedeutungslose Unterbrechungen
des yerkehrsföhigen Bodens durch ungangbare Niederungen Unter
den grosseren derselben ist die sttdlichiBte die des Windberger Sees mit
der denselben diirchfliessenden Süderau, die zweite die des Fiehler Sees
mit der Miele, deren südlicher ZuHusa zusammen mit der Süderau
den Meldorf-Bargenstedter Höhenzug zu einer vollständigen Insel, den
Rücken von Heide zu einer „Fastinsel " macht, die von Nord nach Süd
gerichtet sowohl in der Höhe von Hemmingstedt, als in der Düne von
Stelle und Lunden eine Fortsetzung findet Die dritte Niederung ist
die der Broklands- und Tielenau, welche mit der Eider zusammen das
nördliche Viertel des Landes zu einer Insel gestalten. So konnte ein
von Osten auf dem Landwege eindringender Feind die alte Hauptstadt
des Landes, Meldorf, entweder — wie 15i)U — nur auf eineni lani^en
Umwege über Frestedt und Windbergen oder durch den getährlichen
Pass der DellbrOcke erreichen, Heide, die spätere Bauptsta&, entweder
nur auf der schmalen Enge der Sflderhamme, durch die «Schanze*
ZAvisihen der zweiten und dritten Niederung oder — wie 1559 — durch
den gleichÜEdls bedenkhchen Engpaas der jäelenbrücke.
Vgl. die lehrreiche AlibniidUing : KoUter. Burgen und Döfte des allen
Dithmarscheus. Meidorier i'rogramui I8ö2 und 185U.
•25]
Foleographie der oimbrächen HalbiiueL
501
5 b. In SchK'swi«^ tritt aus vor allem ein Absrlmitt von über-
ragender geseliichtlicber Bedeutung hervor; gemacht durch die tiefe und
leissende unterste Eider, durch die untere IV^ene, die mit Leichtigkeit
bis HoUingstedt aufwfirts zu einem grossen See erweitert werden kaiui,
— 1850 erweitert war — durch die Niederung der Bheider Au, an
welche sich, um die schmale gangbare Enge zu sperren, das Danewerk
anschliesst, dann durch die oberste Schlei, die grosse Schicibreite, den
sich in sie ergiesseudeu Osterbek, dessen oberster Lauf und Wiesen-
niederung von dem Windebyer Noor, d. h. vom Eckerförder Meer-
busen nur durch einen sehmalen ROcken bei Kochendorf getrennt wird:
eine Stellung, wenn ausreichend besetzt, von um so grösserer Starke, als
sie nach beiden Seiten eine wirksame Flankendeckung zur See und auf
der freien vorliegenden Ebene oÖ'encn Einblick in die Bewegungen des
Feindes frcstattet; eine Stellung von .soU her Bedeutung, dass sie die
Stadt öthk'swig und das Territorium Sdileswig geschuÜen hat. Ein
zweiter nicht unwichtiger Abschnitt, wie der TorerwShnte gegen SUden,
so gegen Norden gerichtet, ist die eben östli(-h vom Lufschauer See
beginnende S[)alte des Langsees mit seiner kleineren westliehen und
^seiner bedeutenderen und wirksameren östlichen Verlängerung durch
den Wedel- oder Wellbek, dessen Niederung bis an den Fuss der
Withkieler Höhe reicht; eine Stellung, 1850 von Willisen gut gewählt,
TOn HtHRst i^inzend verwertet, von Willisen schmählich verlaufen.
Noch emmal wird durch die Bondenan, den TrSsee, die Treene und
den Sankelmarker See die SOdnordstrasse quer durclischnitten. An
Wichtigkeit dem Schlei-Treeneabschnitt nahe kommt der Alsener
Sund mit seiner Verbreiterung der Alsener Förde. Das tief und breit
eingesenkte Bette der Künigsau deutet auf einen einstmaligen Meer-
busen, der selbst bis etwa Kjöbeuhoved d. h. bis in die Mitte des
Landes von Westen her eiMreifend, durch einen noch nachweisbaren
See bei Iljarup und den Koldinger Fjord aufgenommen und durch
die Breite der Halbinsel fortgesetzt die wichtige Scheidung mit bewirkt,
welche staatlich und sittlich die hier aneinander stossenden Bevölke-
rungen trennt'). In Jütland haben die vorhandenen, zum Teil viel
stärkeren Durchschneidungen des Bodens bedeutsamere poUtische Ein-
wirkung nicht gezeigt.
Als Ganzes encheint die cimbrische Halbinsel kaum aus dem Meere
emporgetaucht, im einzelnen auf Schritt und Tritt durch Wasser oder
die verschiedenen Zwischenformen zwischen festem und Flüssigem zer^
schnitten.
(3. Auf der so dargelegten Gestaltung und Lage der cimbrischen
Halbinsel beruht ihr Wegenetz.
An sie heran fthren und zwar zunächst an ihren südlichen
Fuss drei Hanptstras.sen , von denen je zwei Doppelstras m h sind: eine
Doppelstrasse zur See und zu Lande, selbst wieder aus vielen Strängen
zusammengesetzt, von Westen und Südw^st^^n . di(» Elbe und die hol-
ländisch-niederdeutsche Küstenstrasse; eine Doppelstra£>se zur See und zu
') S. Geerz, Geiichichte der geographischen Vermesfiaugen Nortiaibmgieua.
Berlin 1859.
502
Janieii,
[26
Lande, gleichfalls aus vielen zusammengedrängt . von Osten und Nord-
osten, die Lübeker Bucht und die pommern - meklenburgische Küstea-
starasse; endlich dne Landstrasse von Süden, aus einer Unzahl strahlen-
förmig von beiden Seiten zusammenfliessender Nebenwege Terdichtei,
und eine Flussstrasse von Südosten , das weit Terzweigte ElbenetE.
An die Westküste führt, abgesehen von den einst gesuchten
Kinfnhrten in die Knudctiefe nacli Hipen, in die Lister Tiefe nach
lioyer und Tondt-rn. sowie von dem Heverstrom und dvm künstlich
gehaltenen jütischen liaitn Esbjerg, nur noch die Eidermünduug ; an
die OstkOste aus allen Richtungen der halben Windrose so vi^, als
Häfen offenstehen sie au£sunehmen.
Von Norden, d. h. von Skandinavien her, £uid der gerade süd-
wärts gerichtete iVnkomniling auf dem lidcn. schwer umbrandeten Saud-
rücken von Skagen keine wirtliche Stiitte; der skandinavische Verkehr
musste sich, sei es zur See, sei es zu Laude, in die Oststrassen drängen,
in dem südlichen Schweden an Terschiedenen, durch verschiedene Ziel-
punkte bestimmten Pl&tzen sich sammeln, um von da an die Halbinsel
zu gelangen. Den dichtesten und ununterbrochensten Strom des
kehrs musste der durch Sund und Belte nur im Winter öfter ge-
hemmte Landweg über Seeland und Fühnen an sirli /iehon.
Durch das Land selbst erzeugen sieli mit Nutwemlli^keit zwei
Strassen, die an Wichtigkeit und Bedeutung allein und in erster
Linie stehen: eine Querstrasse und eine Längenstrasse. Die
Querstrasse (I) muss das Bestreben haben, der Basis der Halbinsel
80 nahe wie möglich zu kommen; denn die, in jedem langgestreckten
Binnenmeer gegebene, Achsenströmung vo!n Uussersten Nordosten, Riga,
Nowgorod oder Petersburg, bis zum äussersten Südwesten. Amsterdam,
Antwerpen, London, hat notwendig das dringhchste Interesse, eimnal
durch den Riegel der cimbrischen Halbinsel statt um ihn herum zu
gehen und sodann auch, so wenig wie möglich von ihrer Richtung ab-
gelenkt zu werden, d. h. nach möglichst ausgedehnter Benutzimg des
W^assers der Lübeker Bucht und der Trave auf kürzester Linie den
geeigneten Punkt im l^'ahrwasser der Elbe und der Nordsee zu er-
reichen
Dieses Bestreben zeigt seine Stärke in dem vergleichsweise ausser-
ordentlich frühen Versuch Lttbeks, im Einverständnis mit Hambmng,
eine künstliche und zwar eine Wasserstrass. Ii erzustellen, die 1391 —
1398 zwischen Steknitz und Delvenau, d. h. Trave und Elbe in einer
Länge von 80 Meilen bei einem geraden Abstand von 9^» Meilen ge-
*) Begreiflicherweise nicht um etwii noch eine Kinwirkung auf das jetat
zur AusführunR' pflanir''iK]e Nordo8tscekan;il Pn j. kf y-i üben, sondern nur um aus
den gefundenen Verkehrübedinguugeu unserer iieuiiat die sich aufdrängende Folge-
mng vn ziehen, bemerke ich, dam vom theoretiachen Gesichtspniikte ans ftr jenen
Wasscrquerweg gar keine andere Linie in Betracht kommen könnte ah die von
Travemünde nach Hamburg oder auch die von Neustadt durch daA Trave- und
StOrthal nach 8t. Margareten. Der TravonAnder Hafen mag seicht Min, der Kieler
vortrefflich und schon soweit iiu iri l ant . iiu.sserdeni auf ineussischem Gebiete ge-
legen sein : ang^chts der äuuuuen von Zeitgewinn iiir die folg^den Jahrtausende
worden Römer den geraden Weg fObr den besten gehalten haben.
27]
Poleographk der cimbriscbeii Halbinsel.
503
graben oder vertieft wurde und im Jalire 1853 noch immer von rund
()0() Falir/cujfen im Jalire durchmessen zu werden pfie<rft'. Eine zweite
Uuterueiimung , deuiaielben Triebe entsprungen, führte Hamburg 1525
nach langen Anrufen aus, nämlich den sogen. Alstorkanal, eine Yer-
bindung der Trave und Alstor Tennittelst der Beste, aber in so mangel-
hafter Weise, dass die Benutzung desselben bereits nach 25 Jahren
"wieder aufhörte.
Die Längenstrasse (l), bei Koldiiif? oder auch Hudersieben
aus der cirabri*:chen Nordsüd- und der skandinavischen Nordost- und
Ort-Weststrasse vereinigt, muss in möglichst gerader Richtung das Süd**
liehe Thor der Halbinsel zu gewinnen suchen, umgekehrt der durch
dasselbe Thor von Süden einströmende Verkehr, teils gerade nordwärts
sich auf Aalborg und Skageu, teils von Hadersleben oder Kolding ab-
biegend auf Kopeidiagen und Malmö richten. So folgt sie im grossen
und ganzen dem westlichen Kande des Geschiebethons, streift ent-
weder die Spitzen der Förden oder überschreitet sie unter geeigneten
Bedingungen nahe ihrem obem Ende. Von Schleswig an hört der
Parallelismus mit der EUste auf, die von Eckemförde an die Ostrichtung
einschlägt. Die von Norden kommende Verkehrsströmung musste in
ihrer südlich gerichteten Tendenz den geeignetsten und zugleich ge-
legensten Uebergangspmikt über die Eider suchen. Hier kam ihr gewiss
schon in urältester, naeiiwcisbar in der Frankenzeit der Süduordverkehr
von der Elbe her entgegen. Für diesen aber konnte es gegen die
dänische Südgrenze keinen selbstverständlicheren Weg geben, als Am
auf dem Fluss- oder Meeresufer, dem Don oder Kleve, über Wedel,
Uetersen, Elmshorn zunächst? bis Steinburg. Hier hatte man die Wahl,
einen sehr bedeutendin und unsicliern Umweg ins Innere hinein ein-
zuschlügen oder die aus dem kurzen Abstände von etwa 2 Kilometern
einladende Höhe von Nordoe und den waldigen Uferrand von Itzehoe
zu erreichen, d. h. also wie so oft den Uebergang vermittelst eines
natürlichen Schrittsteines in der Niederung zu versuchen. So hatte
man Schleswig gerade nördlich vor sidi, an den Inseln der Eider einen
bequemen Uebergangspunkt und Über Hohenaspe und Hohen westt rlt.
über die Jevenau bei .Tevenstedt l)is dicht vor Kendsburg festen
Boden unter den Füssen von Koss und JNIann.
Als eine durch die Verbreiterung der Halbinsel in Holstein be-
dingte Gabelung der herrschenden Längenstrasse muss schon die von
Flensburg über Missunde nach Eckernförde gerichtete angesehen werden,
entschiedener ist es die von Schleswig an die Eckernförder und Kieler
Bucht, von da ursprünglich wohl Über Bornhöved, Tensfelder Au,
Schlamersdorf, Gnissau, später über l'retz, Plön, Ahrensbök nach Lübek
fülirende Strasse anzusehen (la), die von dort aus teils über Raze-
burg und Mölln nach Lauenburg weiterfährt, teils der meklenburgi-
achen Gestadestrasse entgegen kommt. Demselben Zwecke dient die
aüdüchere Gabelung von IB^dabuig aus ttber Neumttnster und Sege-
Der Kürze wegen sind die natürlich ge^^ebenen Ansiedlungspankte nicht,
wie sie Streag genommen sein sollten, nach ihrer geographischen Belegenheit
anf emeni unangesiedelt gedachten Bodm, sondern nach den T<m ihnen bedingten
Ortschaften aufgeführt.
504
Jansen,
[28
berg (Ib), von da einmal nach Oldesloe. Trittau, Lauenburg und dann
auch über Zarpeu uder lieiuield iiuch Lübek.
Als zweite L&ngenstrasse (2) tesst sich der nord-sQdliGli die
Osikllste begleitende Seeweg ansehen, der mit geringer westlicher Ab-
lenkung durch den kleineu oder mit geringer östlicher Ablenkung durch
den grossen Belt in der bequemen Einfahrt und Tiefe der Kieler Förde
sein Ziel findet , sofort aber auf dem Lande seine Verlängerung sucht.
Dieser Verkelir erzeugt die Nordsüdstrasse über Neumün;jter nach
Hamburg, welche früher die Boostedter Höhen östUch umgehend auf
Schma]&ld, seit 1882 mit westlicher Umgehung auf Bramstedt führt
An dritter Stelle erst, der geringeren Verkehrsiähigkeit des
Westens zu Land und Wasser entsprccLeud, steht die westliche Ge-
stadestrasse (3) , welche von Aalborg an , den Liimfjord westlich und
östlich umgehend, einerseits über Thisted und den Oddesund. anderer-
seits über Viborg nach Holstebro, weiter über Kiugkjöbing und Varde
auf den bequemen Uebergang bei Bipen und von hier dem Bon folgend
über Tündern und Bredstedt nach Husum führt, wo sie in ältester Zeit
durch den Eider-Meerbusen eine Unterbrechung erfuhr und zu einer
Gabelung auf Rendsburg genötigt ward. Allmählich bei zunehmender
Sicherung des Verkehrs durch jene Niederung musste die Strasse sich
über die Eider auf Lunden, Heide, Meldorf fortzusetzen suchen. Hier
war eine zweite Ablenkung von der Sfldriehtung nicht sowohl durch
die Bodenbeschaffenheit, als durch die Richtung des untersten Elbetroms
bedingt und zwar auf Itzehoe wo die westliche Gestadestrasse aub neue
mit der östlichen zusammenläuft.
Nächst der herrschenden Querstrasse zwischen Trave und Elbe
ist der in Lübek sich häufende Verkehr auch auf anderen, nanientiich
nach dem durch mancherlei Beziehungen mit ihm verbuudeueu Dith-
marschen wieder ausgeströmt. So entstand die Strasse Lttbek-Meldorf (II),
und zwar in zwei Linien, einmal über Segebei^, Bramstedt, Steinburg,
Itzehoe, sodann Uber Segeberg, Neumfinster, Hohenwestedt, Hade-
marschen, die sogen, liibsche Trade, welche von Nenniünster an zu-
gleich den ganzen Verkehr aus der \va<?rischen Nordostecke von Lütken-
burg, Oldenburg, Neustadt über l'löu uud Boruhüved an sich zog und
weiterführte. An beide Linien schlössen sich Verästelungen, von Itee-
hoe nach Wilster, Krempe, Glttckstadt, von Meldorf nach Heide und
Tönningen an. Quer durch die ganze Breite der Halbinsel wirkte die
Anziehungskraft Hamburgs auf den Verkehr des ufan/en ristHchen
Wagrien, der von Heiligenhafen über Oldenburg und Kutin oder
Oldenburg und Neustadt in paralleler Kichtung mit beiden Küsten, den
Neustädter Binnensee nördlich und südlich umgehend, sich bewegte,
in Segeberg wieder zusammenfloss, um yon hier entweder in Oldeäoe
Sudl an die Lül)ek-Hamburger Hauptstrasse anzuschliessen (»der gerade-
aus das rechte Ufer der AJisier und so Hamburg zu ezreichen (UL).
Dieselbe hat jahrhundertelang den Umweg Über Hadeiuarschcn und
Haaenui, den einzigen schmalen letbmuH in Dithmanchen hinein passieren mOssen.
Erff um Ende di-s sechzehnten Jiihrhunderts i nfschlosa sich Dithmarschon, den
Dumm durch die Miederung der Holstenuu über Hohenhörn zu schlagen. Die noch
nfthere Chaunee Aber Hoondon iit eist 1857 gebaut.
29]
Poleognphie der dmliriaohen HalbinseL
505
Eine vierte Querstrasse von Bedeutung ist die von Kiel nach dem
Ülh'steu Schitibarkeitsanfang der Eider, Flemhude oder späteren Rends-
burg (IV) , die seit der Erbauung des schleswig-holsteinschen Kanals
(1777 — 84) zugleidi eine Wasserstowse wurde, noch immer von emiji^
Taiuendeii toh Schiffsn benutzt, und in nunmehr absehbarer Zukunft einer
flberaus bedeutsamen Steigerung ihrer Verkehrsfähigkeit en^^en geht.
Die kürzeste aller das Land durchschneidenden Querstrassen ist die von
Schleswig-Husum (V"), deren bequemt' Kürze aber in ihrer erwartungs-
mässigen Wirkung durch die zu nördliche Lage und durch die un-
tiefen Fahrwasser der Schlei und des Ueverstroms schon früh beein-
trächtigt worden ist Aehnlich haben die Querwege von Flensburgs
Tondem und Apenrade-Tondem, deren Lauf den betreffenden Quellflüssen
der Widau parallel sein muss und bei Buhrkall zur Vereinigung führt, in
gleicher Weise auch die Wege Hadersleben-Ripen und Kolding-Ripen
unter der früh beginnenden Versandunir oder Verschlämmung der
Häieu geütten und mehr als örtliche WiciiLigkeit nicht gewonnen; viel-
mehr hat von Flensburg aus der Transitverkehr eine diagonale Richtung
nach Husum und nach der EidermOndung einschlagen müssen. Yon
vorwiegend örtlicher Bedeutung sind die Verkehrslinien der grössereii
Halbinseln, die bei den ^rr>sseren, Wagrien, Angeln, Sundewith, zwei
den KUstenHnien entspnH hcnde Schenkel bilden müssen. Als solche
Winkel, mit der bezüglichen Grundlinie Dreiecke bildend, kommen
zunächst die Strasse Oldenburg-Neustadt-Lübek und Oldenburg-LUtken«
burg-Kiel in Betracht, welche hier durch die Kiel-Rendsburger Quer-
strasse fortgesetzt wird , dann die Chaussee Kappeln-Flensburg imd
Kappeln -Schleswig, endlich der Winkel Sonderburg -Apenrade und
Sonderburg-Flensburg.
In Jütland musste die Hauptverbreiterung der llalltinsel in einer
Sösseren Querstrasse Lemvig-Viborg-Randers-Grenaae und diese letztere
ilbmsel selbst wiederum in einem Winkel Randers-Gxenaae und Aarhus-
Grenaae wirksam werden. Weitere Querstrassen von Aaihus flberSkander-
borg an der Seenreihe entlang auf Ringlgöbing zu und von Horsens
oder Veile ins Innere ersterben gewissermassen im Sande der Heiden;
nur Friedericia und Kolding verbindet schon die Eisenbahn mit dem
neu erbauten Hafen Esbjerg.
n. Bevölkerung, Städte und Staaten der oimbnschen
HalbinseL
1. Von der Bevölkenmg der cimbrischen Halbinsel geben die
stummen Gräber und Geräte aus unbestimmbarer Vorzeit die erste
ebenso sichere wie dunkle und unbestimmte Kunde.
Die Fundorte der Steingräber und der Biesenbetten, in giOsserer
506
Jaiuen,
[80
Ausdebming um Apenrade, auf der Halbinsel Broaker und auf Alsen,
im ganzen mittleren Angeln tmd Ober die Schlei sowohl östlich Tom
Osterbek als abwärts im nördlichen Schwansen, dann zu beiden Seiten
des Kieler Meerbusens, sildlicli vom Westensee, ettdlich und westlich
von den Sclnvontinoseen bis südlicli von Segeberg, um Lütkenburg zwi-
schen Neustadt nnd Lüb(d< , südli( Ii und n()rdlich von der Brökau. an
der Süd- und Ostküste Fehmarns, ausserdem auf Silt, zwischen Rredstedt
und Ilusum, auf dem HaupthöhenrUcken Dithmarschens, iu dem Kerne des
eigentlichen Holsten, in Stormam und Lauenburg verstreut gelegen«
weisen mit grosser Klarheit auf die Bevorzugung des Ostens gegenflber
der gesamten niedrigen Mittelzone und den westlichen Niederungen.
Dasselbe Ergebnis befem und zwar in noch genauerer Ausfilhrun«^
die (Trabhügel, die ziiinlieh gb-ichmässig den ganzen Osten einnehmen,
in Schleswig im Norden, der iütte, dem Süden einen Ausläufer in das
Innere nach dem Westen Torstrecken, auf dem Jerpstedter Rflcken, auf
Süt, Führ, Amrum sporadisch erscheinen, ausserdem aber wieder Ober
den Höhenzug Dithmarschens, über die Holstenplatte und jenseits der
oben nachgewiesenen Uel)ergangsstelle (S. 489) auf Bramstedt zu sich
durch Storinarn l)is an die Grenze des Don verbreiten.
Umengräberft ldcr, aus einer Zeit also, welche von der Beerdigung
zur Verbrennung überging — oder von einem Volke, dem dieser Brauch
eigentümlich war? — finden sich wiederum vorwiegend, obwohl bisher
nur zerstreut, im ganzen Osttn. namentlich in Angeln um den Trasee
und längs der untern Schlei, rund um das ganze obere Viertel der
Schlei bis an den Osterbek, nördlich Rendsburg. Eider aufwürt.s bis an
d«'n \Vitt» nsee, um die obere Kieler Fönb', <be Seiiwentine hinauf bis
an den kk inen Plöner See, in östlicher Richtung von Kiel aus an den
Doberstorfer und nördlich längs des Seelenter Sees, die ganse Lüticen*
buzger Gebirgsgruppe bis an die Kossau mit umfassend, im Land
Oldenburg vom ^V inbarg und Putlos an bis nach Gro.ssen-Brode hin,
dann von Bordesholm bis südlich und westlich über Neumünster liinaus.
westlich vom grossen Plöner See, zwischen Eutin und Neustadt, um
Segeberg und am rechten Ufer der untersten Trave, endlich wieder von
Elmshorn an nach Osten hin zerstreut durch Stormam und Laueuburg.
Im Westen ziehen sie sich in einem gewundenen schmalen Streifen von
dem Ringwalle bei Weddingstedt südlich bis an ilen mehrerwähnten
Don, dann zurückweichend über die Niederung der Holstenau im Bogen
nach dem hoben Störuferrande bei Itzehoe. Im schleswigschen Westen
sind sie und zwar wieder liauptsäcbHch auf den durch Steingräber und
Grabhügel bezeichneten Punkten bisher nur sehr vereinzelt gefunden,
namen^ch in dem eigentlichen Kerne der Insel Silt, auf ganz Amrum,
auf Föhr und beacntenswerterweifle auf der Düne Ta&g> Garding,
auch nördlich davon bis ans Meer.
Wesentlich die nämlichen Gegenden unseres Landes enthalton nwh
die Fundstätten unserer Altertümer. Die ganze «"»stlirbe Zone des
Geschiebethons samt Alsen und dem Südosten Fehmarns ist ein wenig
unterbrochenes Fundfeld der Üteren und jüngeren Steiusachen, der
Bronze- und üisenfferSte; durch die ganze medere Mitte und den
mehrem^nten Halbkreis der Treene-, Eider- und StömiedemDgen
31]
Poleographie der eimbrischen HalbinseL
607
sind ähnliche Sachen nur .selten gt tunden: eben.so nur vt'reinzelt im
schleswighchen \V e.sten, auf mehreren Get'striu ken, aut den drei Inseln
Silt, Amrum, Führ und auf den Marsehiuseln von Garding, Tating,
St. Peter. GehSnft erscheiaen die Fundst&fcten wiedemm 9x3 der Hol-
sten Platte, auf dem ganzen nordsfldlich gestreckten Hanpthöhenznge
Dithmarschens und in der ganzen Umgebung Hamburgs. Hinausgegangen
Ober die son^f von diesen Zeugen der Vorzeit eingehaltenen Grenzen ist
die Revülkerunn-. von dem ii iHc Funde melden, an zwei Btj'Uen: einmal
in südöstlicher Richtung von Burg aus in die Niederung der Wilsterau
bis gegen Wikter hin nnd dann in der Marsch seibat Östiich von Marne.
Feuersteinwerkstätten, zwei auf dem Dithmarscher Höhenzug, und
zirar ziemlich am östlichen Kando des stldlichen Drittels nachgewiesen,
eine am nördliclien Ufer dt s ()ld('ii1)urjürer Grabens, eine im Winkel z\vi-
schen der Kieler Fiirdf und Si hw » utine-Mündung, eine (istlich von Husum
und eine .auf Amrum, Küchenal>t;ille, bisher nur am VVindebyer Noor,
an der mittleren Ostidlste von Silt und nordwärts der Gjenner Bucht
aufgefunden, Hufeisensteine, namentlich am limes Saxonicus, Ton der
ol)eren Bille bis nach der Kieler l-Virde zerstreut, Schah nsteine zerstreut
durch Sundewith und Angeln, südlich der oberen Schlei und in Schwansen
vorkommend: endlich die Runensteine nördlich von Flensburg, in Angeln
und drei nalif zusammen südlich der obeirii Sehlei entdeckt, geben von
dem Dasein und dem Leben der Urbevölkerung weitere, dimkle aber
sicherlich historische Kunde
2. Erzählt von dem nordischen Lande, an dessen Ufern der Bern-
stein gefunden wurde, von den Völkern der ^Scythen", die sich nördlich
an die Kelten schliessen. hat zuerst der civilisierten Welt von damals
ein Mann lie]lenis( hen Blutes, Pytheas aus Massilia, der zur Zeit etwa,
wo Alexander an das Ostende der Welt gelangte, die wunderbaren Aleere
und Inseln des Nordens erforschte. Aber nur Bruchstücke seiner Er-
zählung sind auf uns gekommen. Dann wird uns zuerst wieder, sagen-
haft immerhin aber durchaus wahrscheinlich'), von einer Massenaus-
wanderung berichtet, zu der sich infolge einer grossen Ueberschwemmung
die Cimbern penötij^^t gesehen haben, wt-lche 11:^ v. (Mir. an den nord-
östlichen (irt-nzen des rr»raischen Maclit^^eltiet-s t r>< heinen. Darf man
im Anschluss an ihr ruheloses Wandern nach llo amielmieu, was er-
laubt scheint, dass sie auch vor 113 nirgends nach ihrem Auszug länger
gesessen und nur an dem Widerstand der Bojer eine zeitweilige Hem-
mung gefunden haben, so wflrde dieser etwa um 140 — 130 anzusetzen
Duf; rrangbar g< ■'■vnrrlcno. lialb aus Barbarotilatoin, linlb dorn Griechiscli''n rw-
sauiiueugesetzte Fremdwort prähistorisch and das gleichwertige deutsche vorgeschicht-
Ueh «nth< eine Art contradiotio in adjeoto; denn alle Zurtftnde oder Thatsachen,
von denen wir. \vf'iinfrl''ich duroli stvimino Zeugen, sirlicre Kunde haben, gehören
der tieschichtc an ; was ausserhalb oder vor diesen geschichtlich erkennbaren That-
flachen Hegt, ist ffkr uns Qberhatipt nicht vorhanden. Was gescfaichtlioh irt, ist
nicht vor der Gencin ]it> : was vor der Oeflchidite ist, ist nicht geachiditliclL, Ur>
geschichtlidi sollte uiuu »agen.
*) Strabo (VII , 293) weiss -?on dem Untergang ganzer KlUtenitreeken. Je
weniger geläufig oder denkbar ein solcher Vorgang dem Bf-wolmer von felsenfesten
KQ«tenrändem war, desto sicherer dürfen wir schliessen, dass er nicht auf gVer-
nntong", sondern aof üeberlieferung bemhe.
508
Janaen,
[32
sein. Wir schliesM^ ii alu r aiis rl er Thatsarhe jener Massenauswanderuiicr
infolge einer grossen und verheerenden Flut auf eine nicht inAir aiku
apftrliche, dnrdigeheiide Bevölkerung aller, auch der niedrigeren Teile
des Landes. Denn eine Höhe der Flut anzunehmen, dass die Bewohner
der höheren Gegenden betroffen und vertrieben wären, ist nicht gestattet;
die Cimberii müsson also weni«;stpns zum Teil in den westlichen Moor-
oder Marsclniiederungen gesesst n haben.
Eine mittelbare Bestätig\ing dieser Thateache, dass mindestens
im zweiten und ersten Jahrhundert v. Chr. — seit wie langer Zeit,
vermag niemand abzuschätzen — auch der europiische Norden schon
eine ausreichrade Bevölkerung getragen habe, l'asst sich aus den Be-
richten Casars ttber die Stämme und Heere der Gallier und die Zu-
stände der benachbarten Germanen entnehmen. Die ersto Sei schlarht
auf dem Atlantischen Ocean. von der wir hören, muss aut tine uralte
Uebung der Küsteubewohner nicht bloss Galliens gedeutet werden. Um
so iltff irad allgemeiner in der That muss die ErSndung oder Ver-
wendung der Schiffiiihrt in unserem Lande erscheinen , als sie hier not-
wendiger und unentbehrlicher war als anderswo. Der Angriff des
Drusus auf die Friesen von der See her, sein Kanalbau, die Fahrt des
Tiberius nach Norden bis zur Elbe und in die Elbe hinauf, mut-
masslich bis Hamburg, die mehreren Züge des Germanicus zur See
und fiussaufwärts nach den Schauplätzen seiner Kämpfe lassen zwei-
fellos erkennen, dass das Schiff mcht bloss ein bekanntes, sondern in
jenen Qegenden geradezu das gewöhnliche Bewegungsmittel gewesen ist,
dass die gesamten Küstengebiete der Nordsee bis- weit ins Innere hinein
ihren Verkehr vorwiegend durch Meer und Fluss bewerkstelligt haben.
Von Tacitus erhalten wir dann die ei-sten ausdrückliehen und
ausführlicheren Nachrichten über uusre Halbinsel selbst. Hierbei ist
nun beachtenswert, dass dieser wohl unterrichtete Oewührsmann in
seiner Aufzählung unabsichtlich zwar, aber ebenso unverkennbar die
doppelte Beziehung hervortreten ISsst, die unsre Halbinsel gemäss ihrer
Lage an der norddeutschen Ebene einerseits zu dem friesisch-rheinischen
Südwesten, andererseits dem suevisch- elbischen, später slavisch-elbi-
£chen Osten hat. Tacitus unterscheidet wiederholt auf das bestimmteste
die nordöstlichen Stämme der Deutschoi, denen er den Gesamtnameii
Sueven gibt'), von aUen übrigen Germanen («ceteris Germanis*), för
die er keine gemeinsame Bezeichnung kennt. Diese letzteren zihlt er
in der Ordnung auf, dass er zunächst dem Rheine, dann dem Ocean
folgt. Die letzten, die er in dieser Richtung nennt und zwar hinter
den Chauken — denn die Chatten, Cherusker und Fosen werden als
„seitwärts" (in latere) wohnend bezeichnet — sind die Cimbem, welche
, denselben Vorsprung" (sinus) Deutschlands besetzt hatten, unmittelbar
am Meer (proximi Oceano). Ob die friesische Bevölkerung des halben
westhchen Sclüeswigs ihm als solche unbekannt geblieben oder dort
noch nicht ansässig gewesen ist, läset sich mit Sicherheit nicht erkennen;
Germ. 38: Nunc de Suevis dicendum f^st, quorum non una ut Chattorum
Tencterorumve gens; megorem Germaniae pariem obtinet ... in communeSuevi
»vocantur*.' Cap. 45: Hic Sneviao mdi.
38]
Polet^liapliio der cimbrisoheii Halbinsel.
509
nur will das letztere bei dem seltenen Beliarrungsvermögeu, das diesen
Stamm auszeichnet, wenig denkbar erscheinen.
Zum zweitemiiale gelangfe TacituB mit semer Aufeählung an und
in unsere Halbinsel, indem er von dem ältesten und bedeotradsten
Stamme der Sueven, den Semnonen, elbabwärts in nordwestlicher Rich-
tung an das Baltische Meer kommt und die sie])en ^ durch Wälder oder
Flüsse geschützten'' Stämme nennt, die nur durch die gemeinsame und
feierlich geheimnisvolle Verehruug der Nerthus auf einer „Insel des
Oceans" bemerkenswert seien, llire Wohnsitze werden nicht näher
bestimmt; jedoch gestatten oder ^dem die Worte: et baec quidem
pars Suevorum in secretiora Germaniae porrigitur, sie durch die
ganze Länge der .abgelegenen" cimbrischen Halbinsel ,bindurch-
rrirheiid" anzusehen. Ob die 7 V^ölkerschaften in der Ordnung von
Süden nach Norden aufgeführt sind, wie man freilich nach seiner c. 41
folgenden ausdrücklichen Erkläruiigt erst habe ihm der Rhein als leitender
Faden gedient, jetzt, wo er Ton ißrden zurückkehrt, solle es die DonaUf
«mebmen möchte, ob überhaupt eine bestimmte Reihenft^e zu Grunde
gelegt ist, lässt sich mit Sicherheit nicht ermitteln. Unter allen sind,
zumal bei der scliwankenden Schreibung der meisten Namen, nur Angler
und .lüten, diese aber mit aller Sicherbeit nachzuweisen. Grössere An-
siedlungen werden nicht genannt, dürfen auch bei der grundsätzlichen
Abneigung der Oermanen gegen geschlossene, stadtartige Wohnpiätze
nicht angenommen werden.
3. Aus den folgenden Jahrhunderten liegen zusammenhängende
Nachrichten nicht vor; Andeutungen begegnen, dass die Küstenschiffahrt
in stätigem Betriebe ist. Dasselbe ergibt sieb ans (b^r nächsten wold
verMirgten Thatsache, die uns Ix'Lfct^net, wieder einer Auswanderung
und zwar m grösserem Massstabe als die erste Im Jahre 449, so
eraShlt Beda, ging unter Hengist und Horsa ein grosser Zug yon
Sachsen, Angeln, Friesen und Jttten nach England hinttber. Mag
immerhin in die Mitte des Jahrhunderts eine besonders grosse und
planmässige Auswanderung nach dem herrenlos und haltlos gewordenen
schönen Inselland fallen, dieselbe wird durch einen altüberlieferten See-
verkehr, der hier nur der südwestlich streichenden Küste zu f(jlgen
brauchte, um auf die hellen Kreideklippen von Dover zu stossen , vor-
bereitet und durch Jahrzehnte-, ja jahrhundertelanges Nachwandem fort-
gesetzt und gehalten gewesen sein: eine Wirkung des eigentümlichen
Siedlungstriebes, der den Angelsachsen eigen war und geblieben ist
und der denkwürdige Beginn einer kolonisatorischen Bewegung, welche,
noch weitgreitender als der griecliische Ausdehnnngsdrang, jetzt bereits
nicht bloss die Neue Welt, sondern auch einen guten Teil der übrigen
Erde der angelsScfasischen Basse, d. h. zugleidi dem Christentum, der
Oeeittung, der Freiheit unterworfen hat.
Fand aber eine so bedeutende Entleerung der Halbinsel statt,
0 Beide Wanderungen kOnnen als Belege fllr die Meinung und Ueberlieferung
angesehen werden, dass der urs-prüngHthe Awr Völker auf unserer Halbinsel
von Nurden nach äaden geht. Vgl. Mülieuhof in den «Nordalbingiachen Studien'
Bd. I, 136. 145.
VofMhnngMB TU dnitielMB Laadsg* und Tolkikuidiei. LS. 35
510
Jaaaen«
[34
wie die Xachrieliteii weniger als die ausgedelmten Staatengrüiidungeu
im ganzen südlichen und östlichen England erkennen lassen, so wird
ein alsbaldiger Nacbschub von Nachbar^Olkem Ton Tomherein wahr-
scheinlich. So drängten denn von Norden her die Jükn, vielleicht
selbst gedrangt von nachrückenden Dänen, in das nördHche Schleswig
und zwischen Friesen und Angeln hindurch bis an den unttberschritteuen
Schlei-Treene-Abschnitt naeli. In das bis dahin ganz germanische Hol-
stein werden damals und nicht erst unter Karl dem Grossen die wen-
dischen Wagiren oder Waigem, und zwar, in voller üebereinstimmung
mit den VerkehrsTerhSltniBsen an der WestkOste, zur See eingedrungen
sein. Diese Thatsache geht aus folgenden Umständen mit grOsster
Walirscheinliclikeit. um nicht zu sagen mit Siclicrheit hervor. Die
Slaven waren bei dem Beginn der Völkerwanderung sofort mit in
Bewe*?inig gekommen und den vorwiegend an jener Bewegung sich
beteiligenden suevischen Stämmen in £e Ebenen der Weichsel, Oder
und selbst der Elbe und Saale nadigerQckt Früh fibten sie regen
Seeverkehr und Seeraub in dem ganzen zwischen Skandinavien und
G^ennanien verstreuten Archipel und an seinen Küsten ^). Nur so wird
es erklärlich, wenn wie die suevischen Xcrthusvölker so auch die ver-
schiedenen Shiveii^iämine ein gem«'insanie.s Heib'gtum, den Tempel des
Svautevit, dem die ganze Weudenwelt Tribut zalüte, auf einer Insel
hatten und derselbe auch noch auf einem dem Festlande abgewendeten
Punkte, Arcona, lag*). Die meklenburgische Küste überschaut deutlich
und in lockendster Nähe das ganze Gestade Ostholsteins von der Trave-
mündung bis zum fehmarnschen Sunde; bei sicher berechenbarem Wind
und W«'tfer trug das leichte Schiß' von den diesseitigen zu den jen-
M itij^en Laiulungsplätzeii hinüber, deren es dort mehrere sehr bequeme,
zum Unterschlupf und zur Lauer höchst geeignete gab. Es ist geradezu
undenkbar, dass man diesem kurzen und bequemen den langen und
schwierigen, auch leicht versperrten Umweg längs der Ettste, die Trave
bis zu einer bequemtti üebergangsstelle aufwärts, etwa über Alt-Lübek,
vorgezogen haben sollte. Nicht ohne Bedeutun«^' ist es auch, dnss von
den 1' Pflanzenarten des Landes Oldenburg, welche der übrige Boden
Holsteins entweder nur ganz ausujiiimsweise oder gar nicht trägt, 8 auch
auf meklenburgischer Erde heimisch sind*). Endlich könnte das ge-
feiertste Heiligtum der holsteinischen Wenden, der Wienbarg (Helmold,
slavische Chronik I, 88) uAd die alte Hauptstadt derselben unmöglich
auf jener Insel gelegen gewesen sein, wenn sie dicsellx- ni( ht, wie es
immer einem das Festland beherrschenden Feinde gegenüber ratsam
ist, zuerst in Besitz genommen und den gewiesenen Uebergangspunkt
auf Gestadeinseln (vgl. S. 483, II, 3, b.) in der Mitte der dem Festhmd
zugekehrten Seite befestigt h&tten. Stari-grad, die »alte Burg* beweist
unwidersprechlich, dass die Wenden selbst in ihrem geschichtlichen
') Nach Helmold II. 13 sind die Slaven von allorB li<r dpiu A<.korfv.iu ab-
geneigt, Seeunti'mehniungen zugewendet; ilir Reichtum beruht ganz auf ihren
Schiffen; beim H&userbaii gaben sie sich keine Mühe.
■■'l Nocli 711 Aflanrf von Rrenien Zt'it s< hittte nich , wer von Hamboig nacb
Jumne zur ijec- wollte, in Oldenburg oder in bt hleswig ein (II, 19).
*) Schröder a. Bieraatiki» Tq[iographie I, 82.
85]
Poleographie der cimbnsclicn Halbinsel.
511
Bewusstsein ilire älteste Gescfaidite, soweit sie Uberall in Noidalbingien
spielte, auf diesen Schauplatz Terlcgten. Die Lage der Stadt auf einem
in die Niedernnfj und fast bis an die Brökau Yorspringenden schmalen
Ausläufer des hohen Nordufers, von drei Seiten durch eine leicht üher-
schwemmbare Niederunix, an der vierten durch gewaltige, auch heute
noch wolü erhaltene Erd werke, Burg und Wall geschützt, war um so
fester, als sie sttdlidi der Au, wohin ein Teil der Stadt unzweifelhaft
sich ausgedehnt hat, auch flbeir eine Stellung yeritlgte, die als BrOeken-
köpf dienen konnte, den schmalen Engpass nSmlich zwischen der noch
heute sehr ungangbaren und tiefen Niederung der Johannisdorf er Au
einerseits und der Seebenter Niederung andrerseits, auf welchem in dem
\N inkel der Johannisdorfer Au mit den südlich in diese mündenden
NebenbÜchen das durch seinen Namen als wendisch beurkundete Zub-
bisthoip, heute Sipsdorf, entstand
FäUt aber die Besitzergreifung des Landes Oldenburg, wahrschein-
lich samt Fehmarn, durch die Wagern schon in die zweite Hälfte des
fünften oder den Anfang des seclisten Jahrhunderts, so werden nurh eine
Anzahl anderer Ortschaften zu ungelVihr <,''leich<'r Zeit entstanden sein :
so namentlich in der linken Flanke Daimie und (jirube, in der rechten
Wesseek (Wotzeke), unzweifelhaft alles drei slayische Kamen.
Eine zweite Haltestelle auf ihrem Wege ins Innere fanden die
Wägern in dem Abschnitt der Kossau, der Seen und der Eremper An
mit ihren Zuflüssen, eine bastiouartige, nur über die Höhe von Schön-
walde und durch die Enge von Kassierstorf (Kusseresthorp) zugängliche
Verteidigungsstellung, die wiederum mit drei slavisch benannten An-
siedelmigen in Front und Flanken bezeichnet ist: Plön, Lütkenbuig,
(Alten-) Krempe. Der Pass yon Plön (Plune, Plone) ist nach allen
Anzeichen zu urteilen durch eine zweifache Befestigung geschützt ge-
wesen: einmal durch die wendische Burg, welche den westlichen Ein-
gang auf die Enge zwischen grossrni und kleinem Ph'incr See wehrte,
und die Olseborg oder Alesborg, welche den östliclien Zugaug zwischen
grossem Plöuer- und Behler-See bewachte. Lütjenburg, wie es jetzt
meist sehr yerkehrter Weise geschrieben wird, richtig Lfltkenburg, vor-
mals Luttikenborg oder Lucelenborch, slawisch Liutcha (von ^'ut stiurk?),
war offenbar ein Brückenkopf für die Kossau, die hier von der ost-
westlichen Küstenstrasse Kiel-Oldenburg gekreuzt werden musste. Die
von Hehnold hier ei\vähnte Burg (urbs) wird nicht bei der Kirche, son-
dern niu^s, wie der Augenschein lehrt, auf dem jetzigen Vogelsberge
gelegen haben, einem offenbar küusthchen Hügel auf natürlicher Vor-
arbeit im Norden der Stadt, an dessen Fuss noch heute Reste des
Bui^grabens in den dortigen Teichen geblieben zu sein scheinen. Diese
ganze Höhe hat eine überaus beherrschende Lage und überschaut ausser
den beiden in Bi tradit kommenden Hauptlandstrassen insonderheit auch
den nahen Bmneusee und die ganze Hohwachter Bucht, neben Heiligen-
') Pio nicht unbedeutenden Befestigungen auf dem linken Ufer der .loliamiis-
dorfer Au,^ von denen eben »üdwestlicb von Sipsdorl die auggebaute üufe »iScbanze"
niDgebeB ist, aoUen ans dem SOj&hrigen Kriege stammen. Sie beheirschten die in
Sipidorf zQsammenfttosaenden Stmaen von GOld^utein und von Lensahn.
512
Jausen,
[36
hafen und Eiel den einzigen und in alter Zeit mehr ab jefaet benutzten
LandungsplatK an der Nordseite Holsteins, der unter anderm auch 1113
den dänischeu König Niels seiner Niederlage von dem Weii'li nkönig
Heinrich entget^onführte. Kreni])en oder Krempe war ur<;prnngLicb der
Name einer Bur<jj auf dor noch heute so genannton Insel im N'eustiklter
Binnensee, nach welcher einer von den elf slavischcu bei Hehnold
erwähnten Gauen seinen Namen hatte; für ein seeräuberisches, fehde-
lustiges Volk nach der Land- "wie Seeseite ein besondere wohlgele^^er
Plafas. Zu diesen genannten drei Orten wird das gleiclifalls als Mittel-
punkt eines slavischen Gaues erscheinende Utin mit Fissau (Vyssouve,
Vizzowe, Viscow) an dem Uebergang Aber die Schwentine bald hinzu-
gekommen sein.
Eine dritte und letzte Verschiebung der slavischen Grenze stützte
sidi in der reehien Flanke auf die untere Schwentine und den BrOeken-
ort PretK (Poreze, Paretze), in der linken auf Lflbek, d. h. Alt-LObek
oder Bukowec) mit Razeburg und in der Front auf den Alberg d. h.
Scgebcrg, vielleicht auch OMtsloe. Pietz, der Alberg. Lübek äind
durch ilii'e Namen als ursprünulirli >lavische Plätze gekennzeichnet,
sämtlich auch durch ilire Lage als Brücken- oder Engen-Städte wichtig.
Alt-Lübek, im spitzen Winkel, den hier die Schwartau mit der Trave
macht, gelegen, zu einer Zeit gegründet, wo die Slayen auch diesen
entfemtereu Hafen zu benutzen angefangen hatten, ist erst in der
zweiten Hälfte des achten Jahrhunderts gegen Oldenburg, das nach
Adam von Bremen (IT, 41) noch im Anfang demselben die volkreicLste
Stadt von ganz Slavien war, allmählich em])orgekonimen und für die
nur noch kurze übrige Zeit ilirer Herrschatt Uauptsitz der wagrischen
FOisten geworden.
Endlich werden auch die Landwege die wandernde Slavenwelt
westlich bis an die natüiüche Grenze der Halbinsel, die Wakenitz*
Delvenau-Linio und diirüber hinaus vorgescliolieu haben; Plätze wie
Razeburg, Mölln, Laueuburg können kaum zu irgend einer Zeit, wo
Menschen überhaupt hier gewohnt haben, als nicht vorhanden gedacht
werden
4. Während sich so in den Jahrhunderten der Väkerwanderung
und nach derselben Ostholstein zu einem Vorposten der grossen slavi-
Diesen , alten" (slavischen) Namen des Kalkherges (Heluiohl c. 49 n i\ 14i,
dessen Form freilich nicht ganz feststeht, darauf zu deuten, dass schon die Uiiceien
Anwohner den Salzgehalt des Hegeberger Bodens gekaimt haben, w&re ich sehr
in Ver-nrh'ing, aher wohl docli nicht l»t»nH'htiprt-
^) I»ie in unserem Lande ziemlich zahlreichen Kingwillle, deren Alter und
Herkunft unsicher bleiben mma und sehr verschieden sein kann, häufen sich doch
in beachtenswerter Weise auf dem ganzen «'inst shuasiertcn («ebiete imd an dessen
Grenze; am dichtesten nördlich von den Quellen der Biile, am Nordufer der unteren
Trave, an dem Pass zwischen Behler See and Kossaathal, auf dem ganzen Gruppen-
gcbirge von Lütkenbiirg , Jlstlich von der nntem Schwentine nahe dem Dobers-
torfer üee, um dm obere Eidorthai und südöstlich von Neumünster; auf schleawig-
schem Boden finden sie sieh so sahheich nur um die Spitse der SeMei und in dem
eigentlichen Runipr- der Insel Silt. Verstreut erscheinen ilhnliclie Kiirgen nördlich
von Oldeuburj^, unweit der Elbe oberhalb Hamburg, Osthch der oberen Alfter, bei
Borg, bei Ende, bei Churding, auf Föhr, Sundewitht Alsok und selbst an einer
Stelle der Mmoh sttdlich tob Hojer.
37]
Poleographie der cimbmcben Halbinad.
513
sehen Rasse gesialtete. von dem aus durch ein sehr wohl mögliches,
teilweise sogar verwirklichtes Vordringen nach Westen und bis an die
Nordsee ein Keil mitten durcli die Nord- und Südgermancn ixt'tneben
worden wäre, war die Entwickeiung des deutschen Staates iu der Ge-
stalt der fränkischen Monarchie weit genug gediehen, um von Süden
vontoflsend jedem weiteren Vordringen eme erste entschiedene Schranke
zu ziehen.
Der Zug Karl Härtels im Jahre 734 gegen den Friesenftirsten
Bobo nördlich der jetzigen Zuider See, nach Fredegarii cont. 109
(navali evectione) zu Wasser unternommen, beweist, dass auf Grund
der Bodenverhältnisse der Seeverkehr als der regelmässige fortgedauert
hat. Noch entschiedener geht dasselbe aus der Thatsache hervor, dass
sofort nach der Unterwerfung der Sadisen (785 »tota Saxonia sab-
jugata est*, ann. laur.) der Bremer Erzbischof Willebad es ist, der
mit dem westlichen Nordalbingien in leichtem Seeverkelu- auf der weit-
ragendon Höhe der Meldorfer Tnsel in dem spitzen Winkel zwischen Miele
und Süderau die erste PHanzstätte christlicher Mission in unserem Laude,
die Meldorfer Kirche, erbauen lässt.
Die Fortfilhrung des Saidisenkrieges gegen die Nordalbingier und
gegen, die D&nen, bei welchen der unbeugsame Wittekind Schutz ge-
funden hatte, erforderte vor allen Dingen aber einen sicheren imd mög-
lichst bequemen üebergang über den breiten Elbstrom. Teils durch
die Beschaffenheit beider Ufer, teils durch die Teilung des Fhisses in
zwei Hauptarme war die Linie Hai-bur^-Wilhehnsburg- Hamburg, un-
zweifelhaft in Gebrauch und Uebung, solange Menschen hier verkehrten,
die gegebene. Adam Ton Bremen nennt darum auch sehr richtig (I, 15)
Hammaburg „eine Stadt der Nordalbingicr*, die Karl der Grosse
»damals" (bezieht sich auf das TOrangehende Jahr 804) mit einer Kirche.
natOrlich auch mit einer Buig, ausgästattet und einem gewissen Ueridag
Übergeben habe.
Mit der Befestigung Hamburgs war bei der Fortfülirung des
Krieges gegen die dänische Cbenze die Sicherung des Stör^üeberganges
zugleich notwendig geworden. Durch gradlinige Durchsteehung einer
Halbkreisbiegung der Stör gewann man einen geeigneten Platz für die
Errichtung eiiier Burg, die bis heute in ihrem Namen fortbesteht, in
ihren letzten Bauresten erst nacli der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts
verschwunden ist *). In dem Schutze dieser fränkischen Essefeldo-Burg
entstand 817 auf dem vorgelegenen Geestbuckel von Nordoe die Gella
Welanao des Ebo Ton Rheims und Halitgarius von Gambray, das heutige
^lüii-^terdorf ; flussabwärts unweit eines VorspiiuiLTs des Don, aber doch
in der eigentlichen Marsch Heiligenstedten, eine Kirche, deren Sprengel
') Der Name stammt offenbar von dem in der Goscliidite Ditlnuarschens 80
bedeataam gewordenen Wort« »Hamme", Hemmimg, Sperre, Enge. Ygi. Kolater im
Meldorfer Programm 185^5, S. 21.
') Ob das als Ort der Unterhandlungen zwischen Dilnen und Deutschen P09
erwähnte Badenfliot in dem abwärts an der Stör in der Marsch, freilich auf einer
Erhöhung gelegenen Beidenfleet, ursprünglich Begenflet, also wohl richtiger Beiea-
fleet, so erkennen ist , muss zweifelhaft bleiben. Als wahrscheinlich kann es bei
der Abgelegenheit des Orts und der UnwegBamkeit der Maisch kaum gelten.
514
Jansen,
[38
ursprünglich \scit iiu>^f('. lehnt ins j<'tzif(e Kirchspiel Bramstedt übergriff,
und schüu iu nördlich vorgeschobener Lage Schenefeld, das Adam von
Bremen die Kirche der Holsten nennt. Die vierte Burg, welche Karl der
Grosse und zwar gegen die Linonen grOndete, Hohbuoki, scheint doch,
wenn nicht in dem uralten, auch als Kirch- und Wallfahrtsort früh
berilhniten Dorfe Büchen, Boten, eine gute Meile nördlich der Elbe,
am wahrscheinlichsten in der Nähe von Lauenburtr bei Bucliliorst
(Bokhorstl i^esucht werden zu müssen. Die Einhardsthe Nachrii ht,
Kurl habe ulie Sachsen aus Wigmodieu und den trausalbingischen Gauen
mit Weibern und Kindern ins Fränkische geführt und ihre Wohnptitze
den Obotriten Uberlassen, kann gegenüber den späteren ihatsichuchen
und vcrbüi^^ten Zustanden nur unter der grössten Einschränkung auf
Glauben Anspruch machen. Dagegen wird die Einrichtung des freilich
erst 810 ausdrücklich erwähnten linies Saxonicus oder miu-ca Slavorum
den letzten Jahren Kai'ls des Grossen zuzurechnen sein; eine Grenzlinie,
richtiger wohl ein GzenzgOrtel von Befestigungen, dessen Haehweisuiijg
im einzelnen nach den Angaben Adams Yon Bremen auch durch die
eing( lit Ilde Untersuchung von Beyer 0 nicht ausser allen Zweifel gestallt
ist, der aber im grossen und ganzen eine bis zum Plöner See durch
die Schwentine, von Segeberg bis Oldesloe durch die Trave vorgezeichnete
Richtung vom Kieler Meerbusen gerade südlich bis an die Elbe gehabt
hat, d. h. also den sächsischen Charakter von etwa zwei Dritteilen Holsteins
ausser Frage stellt.
Schon 826 dringt durch fränkischen Einfluss das Christentum und
zwar wieder auf dem westlichen See- und Flusswege auch in das
Herzogtum Schleswig, richtiger damals noch an die Schwelle des
dänischen Landes, den Schlei-Abschnitt vor. Ansgar geht rheinabwäi-tvS
über Doorstede in die Nordsee, läult in die Eider ein, landet im Gebiete
der Friesen, will si^en bei HoUingstedt, und erreicht von da die dBnische
Grenze, um seine nedigt zu beginnen, die trotz vorttbergehender Hern-
nmngen guten Erfolg gehabt zu haben scheint. Bereits 831 ward
Hamburg zur Metropole des Averdciiden oder doch entworfenen Er/stifts
dos Nordens von Ludwig dem Frommen bestimmt. Die Zerstörunir der
Stadt (845) durcli die Normannen konnte die Bedeutung dieses Platzes
nicht auflieben. 850 Yollendete sich der erste Kirchenbau auf schles-
wigschem Boden, den Ansgar zu Ehren der heiligen Maria «bei der
Stadt Schleswig* oder ITeithaby (d. h. wahrscheinlich nicht beim jetzigen
Haddeby oder ursprünghch Haddeboth) errichtete. 860 folgte in Ripen durch
Ansgars Schüler Rimbert ein zweiter Kirchenbau. Beide Städte, Schleswig
und Ripen, haben aber ohne Zweifel lanixe vor der christlichen Zeit
als Hatenorte bestanden und handeln (im elften Jahrliundert) der eine
') Beyer, der hmes .Saxoniae Karls das Grossen, 1877. Da«s die sanft nach
8flden abgedachte, leise gewölbte Ebene zwischen Gönnebek-Tarbek. BomhOved
und Dalldorf ki'incn Anhalt zu ninor (Jn-nzsoheide mt'hr biotot, lehrt der Augen-
schein; auch die unzweifelhaft zum hmea gehörige Höhe von Blank, noch heute
dnrch die westiioli Suren Fora begleitende, nftrdhch nnd nordöstlich nmfanende
Niederung,' u'^ H hützt , erlaubt es schlcchterdin^^s nicht, die Linie des liiuf ^; . wie
Beyer gethau hat, von Brands Mühle auf Dalldorf und so nach Bornhöved zu
rieneD.
39]
Poleographie der cimbriaehen ^dbiiuel.
515
nadiSclavanien, Schweden, Samland, Griechenland (= Russland ; Adam Yon
Bremen IV, 1), der andere nach dem Saxeulande, nach Frisien, nach
En«ifelland, Frankreich, den Mittelmoer-Stiidten nnd selbst dem heiligen
Lande. Tondem, 1017 bereitet ein bekannter Uafeu, mag wenig
jünger sein.
In Jfitlflnd tritt zwar aus dem Dunkel der heidnischen Vorzeit
noch kein grösserer Ort durch bestimmte Zeugnisse hervor ; jedoch wird
mit einiger Sicherheit zu yermuten sein, dass das genaue Centrum des
ganzen Landes, zudem ein wichtiger Wende- und Kreuzunifxpimkt einer
Längen- und einer (^uerstra^sse, Viborg, richtiger ursprünglich Viberg,
in Waldemars II. Erdbuch Wibiärgh (= Weiheberg), schon in ältester
Zeit sowohl als Eultus-Statte wie als Fürsten-Sitz nnd Wahlort be-
standen hat.
5. Die Zeit der sächsischen und salischen Kaiser ist für misere
Halbinsel nicht ohne Bedeutung.
Widukind (I, 10) berichtet, dass Heinrich I. 034 die Dänen, welche
auf ihren Seezügen die Friesen beum-uhigten, überzogen, unterworfen und
ihren König „Chnuba" zur Taufe gezwungen habe. Nach Adam von
Bremen besiegte Heinrich den König Worm oder ürm (= Ooim) und
machte Schleswig, welches jetzt „Heidiba" genannt wird, zur Grenze
seines Reichs, wohin er eine sächsische Kolonie und einen Markgrafen
vorisotzte, d. h. also die weite Ebene zwischen Schlei und Eidor zu
einer schleswigsciien Mark einrichtete: der erste und für Jalirhunderte
letzte Schritt des Deutschtums vorwärts gegen das Dänentum und zu-
gleich unzweifelhaft eine bedeutsame Massregel für die Hebung des
Ortes und für die Entwickelung des ganzen spätem Herzogtums zu
einem seil »ständigen Ganzen. Ottos des Grossen Zug in die cimbrische
Halbinsel und gar bis an die äusserste Spitze Skagens erscheint nicht
genügend bezeugt; an dem vordringenden Einfluss des deutschen lieiches
und der deutschen Mission kann nicht gezweifelt werden. Auf der
Synode von Ingelheim 948 erscheinen Bischöfe von Schleswig, Ripen
imd einer dritten, bei dieser Gelegenheit zuerst henrortretenden Stadt,
welche Widukind Harusa nennt: Aarhus, ursprünglich Arus und in
isländischen Quellen Aros *). Die gleichzeitige Gründung eines Bistums
in Oldenburg beweist wie das Vordringen deutsch -christlichen Geistes
gegen den Nordosten, so auch aufs neue die BedLHitung dieser Insel-
Hauptütudt gegenüber den sämtlichen Nachbarstädten bis zur Teene,
bis wohin sich ihr Sprengel erstreckte. Aber schon Otto TL war
zu einem neuen Zuge gegen das empörte Dänemark genötigt, auf
welchem er das Danewerk erstürmte. Wenn er dann nach Thietmar
(III, 4) ,,unara urbem in bis fmibus (Caesar) aedificans praesidio firmat".
so wird das doch wolü nur von Befcsti-^ungsarbeiten vor und an der
einzigen Stadt dieser Gegenden, nämlich Schleswig, d. h. also von einer
Wiederherstellung der schleswigschen Mark zu rerstehen sein, ilie in
der That ohne Besetzung des oben erwiUmten BOckens bis zum Abschnitt
des Langsees nicht haltbar «ein konnte.
■) Nar}i Trap(.Stati8tisk-toi>o^;r.iplii-:lc lir-HkrivelseafKongerigefcDanmarkVI, 21)
aus Aar, Genetiv von Asl, und Os Mündung.
516
Jansen,
[40
Mit den letzten Jahren Ottos II. beginnt die yerkirohlidning des
deutschen Kaisertums, die Abwendung Ton seiner nationalen Aufgabe;
die Dänen fallen in die sclileswigsche Mark ein, die Obotriten unter
Mistevoi verbrennen Hamburg (983). 1027 findet Konrnd H. sich ver-
anlasst , in Rom dem mächtigen Kanut von Düntmark ohne Schwert-
streich und erkennbare Nötigung die Mark Schleswig zu überlassen und
die Eider als Grenze zu nehmen. Einer neuen Slaven-Ueberschwem-
mung (1032) widerstehen von allen Platzen nur Itzehoe und die bei
dieser Gelegenheit zuerst rtwähnte Bokehi-Burg in Dithniarschen, die
zu der Grafschaft «beider Ufer*, Stade geh<)rte, wohin seine Verkehrs-
wege es wiesen. In bemerkenswertem Parallelismus ragen im west-
lichen Holstein sowie die oben hervorgeliobenen drei nördlichen Uferränder,
so Hamburg, Itzehoe, Bokelnburg und Meldorf aus dem Dunkel der Ui^e-
schichter aus den TrOmmem der cbzistüdien Kultur her?or. 1068 etSoh
sich in dem Kampfe zwischen dem berühmten hochstrebenden Erzbiscbof
▼on Bremen-Hamburg Adalb^, der gewöhnlich in Hamburg residierte,
und dem sächsischen Herzog Ordulf auf demsfUx n Kleve der Elbe,
dem Süllberg (Solionberg) eine Burg, an welche sich in späten r
freihch unbestimmbarer Zeit die Ortschaft Blankenese angelehnt haben
wird. Die Gewissheit, dass die noch heute so vielfach von ihrer ganzen
Umgebung in Art und Sitte gesonderten Emwohner Ton Blankenese,
Dockenhuden und Mtthlenbeig, die kaum noch jetzt aus ihrem Kreise
hinaus heiraten, eingewandert sind, zusammen mit dem Umstände, dass
j'^le Kunde von der Zeit ihrer Einwanderung fehlt, macht es ziemlieh
nicher, dass die Eutstuhuni^ dt-r eigentümlichen Ortschaft um Jahrhundt-rt»-
vor ihrer ersten Erwähnung mi Aufauge des 14. Jahrhunderts anzusetzen
ist. Um dieselbe Zeit (1062) wird zum eratenmale aueh der Razeburg ge-
dacht, die, am westliehen Eingange der Stadt gelegen in ihrem Entstehen
wohl jedenfalls dem ersten Eindringen di r Slaven angehört. 1066 zutrleich
mit dem Sfnr7e Adiillierts ;ils kaiserlichen Vormunds erlagen auch der
christliche ^^ fndentürst (iottsclialk und die christlichen Sitze, nament-
lich wieder das unverwüstliche Hamburg und Oidenbuig der heidnisch-
nationale Partei Das Bistum Oldenburg verschwindet auf fast ein
Jahrhundert 600 Familien verlassen Holstein und siedehi sich im Haize
an. Der Rugier Fürst Kruto, dem aUe nordelbischen Slaven zinspflichtig
werden, errichtet die erste Ansiedlung auf der Halbinsel zwischen Trave
und Wakenitz, die Burg Bukow oder Buku und bezwingt Gottschalks
Sohn Butne in der 1071 zum erstenmale erwähnten Burg Pluue. Aus
dieser Zeit haben wir über die damalige Verwaltungseinteilung des jetzigen
Henogtoms Holstein Ton einem wohl unterrichtäen Manne, dem Dom-
scholaster Adam von Bremen, eme wertvolle und zuverlässige Nach-
richt. Er unterscheidet die Übereibischen Sachsen in drei Völker: „die
ersten am Meer wohnenden sind die Tedmarsgoi, Dithmarsrhen, deren
Mutterkirche zu Meünthorp, Meldorf, ist; die zweiten sind die Holcetae,
Holsten, so genannt nach den Hölzimgen« in denen sie wohnen. Durch ihr
Land fliesst die Sturia (Stör) und ihre Kirche liegt su Scanafeld, Schenefeld.
Die dritten und angesehensten werden Sturmaren genannt*. Die Grenxen
der ersten Völkerschaft sind durch die Natur dermasseu festgestellt,
dass sie vom Süden abgesehn nie schwanken und zweifelhaft werden
41]
Poleograpliie der dmbrisoheu Halbinml.
517
konnten. Diese Südgienze bildete die Xiederunjj^, welche von dem
Einflüsse der Holsten-Au in die Wilster-Au sich nach dem Ku<lenseü
zu erstreckt, Ton da nach der Mbe, der alte sogen. Holstengraben.
Dieses dithmarsische Land kam 1148 mit der Chrafschaft »beider Ufern*,
Stade, an das Erzstift Bremen-Hamburg. Indes scheint die um die-
selbe Zeit geschehene Uebertragung von Meldorf ini das Hnm))Tirger
Domkapitel, ,eo, quod aptior fuit", darauf zu deuten, dass allmählicli
zwischen Dithmarschen und II oistein- Stormam sich auch ein lebhafterer
Landverkehr zu erzeugen begonnen hatte. Die Abgrenzung der beiden
andern Gaue muss, und zwar sowohl die wechselseitige zwiscfaen ihnen
selbst, als die gegen Wagrien, nicht die gegen Laueuburg oder Sadel-
bandia, als sehwankend angesehen werden. Es ist aber TÖllig klar,
da^s dies mit der Tinfürlichen Bodeubescliaft'enheit im engsten Zusammen-
hange steht. Der Kern des eiiuj'eiitliclien Holsten-Landes ist unzweifel-
haft jene von Giesel und Holsten-Au, von Eider und Stör und östlich
von der Sarl-Au abgegrenzte Platte, die oben nachgewiesen ist Im
Osten ging das Land yHolsten* Uber diesen natürlichen Abschnitt um
den „Gau Faldera" (NeumOnster) d. h. um die Ilohhcide, hinaus, welcher
Gau als Grenze gegen Wagrien bezeichnet wird M. In diesen Grenzen
hat sich da.s geographische Ganze in dem Amte Rendsburg, dem
grössten Holsteins und auch heute noch waidreichen, als ein admini-
sfaratiTes 0anze erhalten; Schenefeld mit Hohenaspe, Hademarschen mit
Hohenwestedt sind die echten alt-holstenschen Kirchspiele. Holsten-
Tradht heist in Dithmarschen bis heute die Hademarschener Tracht. Durch
die genannte ursprtinghche Begi"enzung war nun aber eine allmählic-he
Erweiterung keine-wegs aüsgesc blossen. Ans der Natur der Verhält-
nisse und aus einer Anzahl ausdrücklicher oder mittelbarer und unfrei-
wiUigei Zeugnisse geht die Thatsache hervor, die noch heute nicht
aufhört sich immer neu zu wiederholen, dass zuerst der feste und
gesicherte Boden des Landes besetzt und bebaut, dann allmählich unter
dem Drange des wachsenden Bedürfnisses und den AVirkunf^on der Ver-
besserungsbauten, zum Teil erst im zwfdften und dreizehnten .Jahrhundert ^),
in die niedrigeren und unsicheren Niederungen der Moore und Marschen
hinabgestiegen ward. Daher wu^d auch nicht im mindesten die oben
festgestellte Umgrenzung durch den Zusatz Adams von Bremen erschüttert,
dass die Stör durch das Lsad Holsten flösse, noch weniger durch die
Anfe'ählung des dem letzten Jahrhundert des Mittel(ilters angehörigen
bremischen Presbyters, der die Bewohner der Kirchspiele Schenefeld,
Hademarschen, Hohenwestedt, Nortorf, KeUinghusen, liramstedt, Kalten-
kirchen und Bornhöved samt denen der Wilstemiarseii als die echten
Holtsaten bezeichnet. In ähnlicher Weise berulien die Grenzen Stormarns
aaf seinen Bodenverhältnisse und sind sUdlich durch die Elbe, westlich
durch die Niederung der Elbe und Stör, nördlich durch die derBram-
Au gegeben ; näch Osten dehnt sich der Geschiebesand zwar nur bis
zur Alster-Linie aus^ der Unterschied des Oeschiebethons kommt aber
n Helmold 1. 47.
') YgU üaaae Urkunden etc. Nr. 86, wonach die palus Bishorst 1146 Jam
non faro inoolitor halntatore.*
518
[42
auf ethnographi.schem Gebiet nicht zu massgebender Geltuu;; und erst
das Thal der Bille mit dem Sachsenwalde richtet zwischen Sachsen und
Slaveu die Scheide auf. So ist das eigeutliche Stormam zu beschränken
auf die Herrachaft Pinneberg und die Grafschaft Rantzau rechts, die
noch bis nahe uuMer (icMrenwart stormarnsche goiannten Aemter Rein-
bek, Trittau und Tremsbüttel links der Alster, wozu da« Gebiet v(^n
Hamburu^ <H<' umschlossenen Güter und das Kirchspiel Sülfeld liinzu-
zurechiR'ii Mud. Ausserhalb dieser Teilung und für sieh stehen die
Gemeinden der liasehlorler, Kremper und Wilster-Marsch, nach ^'atur,
Besiedelung und Verfiissung jüngere Bildungen. Der ganze Übrige
Osten gehört wiederum in unsicherer und wechsc^der Begrenzung den
slaTiBchen Stämmen, zum grösseren nördlichen Teile aber den Wägern an.
(). Eine bessere Zeit &üe Holstein beginnt mit dem Anfang des
zwölften Jahrhunderts.
Es ist die Zeit, wo der Kampf des Kaisertums mit der Kirche und
in ihm der Kampf der Kaisergewdt mit der Fürsteugewalt zum Nach-
teil der Beichseiidieit als in der Hauptsache völlig entschieden angesehen
werden kann. Der partikulare Zug der Zeit kommt nun aber offenbar
und sehr begreiflicher Weise den einzelnen Landen und dadurch wieder
mittelbar der ganzen Xation sowie der christlichen Gesittung zu gute.
Im ersten Jahrzebiit des Jahrhunderts wird die Grafschaft Hol-
stein-Stormaru Adolf 1. aus dem kräftigen und tüchtigen Gcschlechte
der Schauenburger im Weserthale Terliehen. üm diesdbe Zdt kommt
mit Gottschalks zweitem Sohne Heinrich das Christentum und der
deutsche Einfluss in Wagrien wieder zur Geltung. Gleichzeitig er-
scheinen in der markgräflichen oder herzogricheii Stellung des dänischen
Prinzen Knut Laward in Schleswig und in den Landesversammlungen
zu ürnehüved (Hvoruhöi 1 Meilen südlich von Apenrade) die ersten
deatEeheren Spuren einer territorialen Aussonderung Schleswigs aus
dem Oesamtreiche Dänemark. Die anderthalb Jahrhunderte von der
Thronbesteigung Lothars von Suplinburg bis an das letzte Viertel des
13. Jahrhunderts, mit einem Wort die staufische Periode, d. h. also
die der völligen Ausbildurif^ und Befestigung des Partikularisnnis ist für
die Besiedelung und Sittij^ung der cimbrischen Hidbinsel, insonderheit
ihrer südlichen Hälfte, von ausschlaggebender und dauernder Bedeutung.
Denn noch während Lothars Regierung im Reich, aber Hein-
richs des Stolzen im Herzogtum Sachsen und Adolfs U. in der Graf-
schaft Holstein-Stormarn beginnen unter dem Zusammenwirken von
Scepter und Knimmstab, Sebwert und Kreuz die Vorarbeiten zu der un-
gewrthnlich raschen und gründlichen Ueberwältigung des \\ endentums
im ösLiichen Holstein: die Besetzung des Albergs oder die Gründung
der Siegeburg (Segeberg), an deren Fasse sich Ssbald eine Kirche und
dann ein Kloster erhob, durch Lothar auf Weisung Yicelins, und die
Stiftung des ^ neuen Münsters' in Wipenthorp, slavisch Faldera, des
in seinen Wällen noch heute erhaltenen Klosters Neuraünster (um
1134 oder lllid). Zum wiederholten, aber zum letzten Male hatte
nach Kanut Lawards Tode (1132) das slavische Heidentum unter Pri-
bialaw in Wagrien und Polabien sich erhoben: Heinrich von Badewide,
durch Albrecht den Bären, in den Kämpfen Koniads HL mit Heinrieh
43]
Poleographie der cimbriBdieii HalbiiueL
519
dem Stolzen und dem Leiwen zeitweiligen Herzog von Sarlisen, zeit-
weiliger Graf von lloistein-Storniain. riU litt' einen Uebertall Segebergs
und Falderas 1138 — 1139 durch zwei Feldzüge von solchem Nachdi'uck
nnd 80 durchgreifender Schonungslosigkeit, dass Adolf IL, als er nach
der WiederherstelluBg seines Lehnsherrn in Sachsen 1143 auch in seine
QrafiHshaft zurückkelu-en durfte, dieselbe um Wagrien vergrössert über-
nehmen konnte. Lauenburg mit Ausschluss der südlichen, herzoglich
bleibenden Gebiete, kam als Grafschaft Razeburg an Heinrich von
Badewide. Und nun begann, da diese slavischeu Gebiete durch Tod
oder Vertreibung der Besitzer den Siegern zur herrenlosen Krie^beute
geworden waren, in förderndem Anschiuss an die neu geweckte &reuz-
Zugsbewegung dei it, die an den heidnischen Nachbarn bequemere
Ziele fand, eine Kolonisationsthätigkeit eifrigster und berechnetster
Art, Einen grossen Teil des gewonnenen Laiides nahmen die ritter-
lichen Mannen des (irafen. die 1139 auf eigene Hand losgegaii'jen
waren, in Besitz, namentlich die schönen Gaue des „Landes Oldenburg"
(terra Aldenburg), des Landes Lutikenburg, die terra Plunensis, d. h.
die ganze Gegend, welche von jener Zeit an unter dem Namen der
adligen Güterdistrikte das Kemland d< s Grossgrundbesitzes gebUeben
ist. Die überlebenden, oder sich fügenden Slaven wurden Leibeigene.
Andere Teile kamen in späterer Zeit an Kirchen und Kloster in Lübek
Wismar und Pretz. Ausserdem aber riet Herzog Adolf durch laute
und lockende Aufforderungen Flandern und Friesen, Holländer und
Westphalen ins Land, die er teils in den klösterlich neumOnsterschen
Elbraarschen, teils in den Gauen Süsel, Eutin und bei Oldenburg an-
siedelte. Der heldenmütige Widerstand von 400 Friesen unter einem
Priester Gerlav gegen einen slavischen Ueberfall zei<;t . dass noch
einige Zeit hindurch Bauer wie Priester gefasst sein uiussten, Päug
oder Kreuz mit dem Schwerte zu tauschen.
Plön und Segeberg wurden wieder heraestellt; LUbek, das neue,
an seiner jetzigen Stelle 1143 von Adolf II. gegründet, zeigt in
raschem Aufblühen die Bedeutung seiner Lage wie des nationalen und
religiösen Aufsch^vungs der Zeit. Vicelin, 1140 zum Bischof des laii'^
verödeten Oldenburger Stiftes erhol>en. gründet das Kloster Hageresth»»rp
oder Cuzalin (HögersdortJ bei Segeberg, in Bornhöved und Bosau
Kiichtti, sein Nachfolger Glerold Kirchen in LUtkenburg und Olden-
burg, einen Markt und städtisches Leben in ütin, in welchem Gau
das Oldenburger BLstum mit 300 Hufen ausgestattet wird. Um 1150
kommt als Kirchort Porez, 1151 Oldesloe vor, um llö»; wird eine Kirche
in Alten- Krempe erwähnt: 1158 wird Lübek aus einer gräflich holsteini-
schen eine herzoglich sächsische Stadt des gefürchteten Slavensiegers Hein-
richs des Löwen, die er mit grossen Freiheiten und Vorrechten ausstettet,
zum Sitz des Oldenburger Bistums erhebt und mit dem Dome schmückt.
Im selben Jahre 1158 begabt Herzog Heinrich unter Genehmigung
Kaiser Friedrichs das Bistum Razeburg mit 300 Hufen, um 1178 hat
Bergedorf eine Kirrlie. nm 1181 tritt Travemünde hervor, 1182 entsteht
an Stelle der Erteneburg das Schloss Lauenburg; der See Mulne, 1188
erwähnt, setzt einen Ort gleiches Namens voraus, das „alte Mulne"
in einer Uikunde von 1194 genannt, die kürzlich geschehene Neu-
520
Jansen,
[44
grOndungder Stadt. 1189 stattet Adolf HE. die Gistemenser, «welche
er nach Wagrien gemfen hat,* mit der reich dotierten Ahtei Reinfeld
aus; um 1197 werden Kirchen in Selent (Z:ilentc), Schlamersdorf und
Siiruu , 1190 zum » rstenmal ausdrücklich Rendsburg, um 1200 als
Kircliort Wesenberg, 1219 eine Bur<j^ und 1222 ein Hafen TravemüiKie
erwähnt; in denselben Jiihren entsteht aus unsicheren Anfangen das
Kloster für Benediktinerinnen in Pretz.
Mit dem Osten hält der Westen Reichen Schritt; um 1140 haben
Lunden, Bu.suni , Barmstedt Kirchen, Marne, Elmshorn (1141) sind
als Dörfer vorhanden ; Burg in Dithniarschen hat 1 1 öO eine Kirclie,
llamburir, wo Herzoi^ Bernliarfl von Sachsen zwischen Elbe und Alster
eine ,neue Burg'* i:* >i:ründet und neben dem erzbischöflichen in der
Altstadt seinen Wohnsitz genonimen, das dann die gewöhnliche Re-
sidenz der Schauenburger Ghrafen geworden war, ist um 1150 bereits
den Arabern bekannt. 1200 erscheint Efanshom (Helmeshome), offenbar
ein alter Ort, zum ersteuniale, als Dorf. Hohenwestedti Eellinghusen
(Kerleggeimsen, Schelinghusen?) , 1217 und 1221 zum erstenmale be-
zeugt, werden als grössere Wohnplätze anzusehn sein.
Auch in Schleswig und Jütland zeigt sich in jeuer Zeit „der
Waldemare", wie überhaupt so auf kolonisatorischem Gebiete gesteigertes
Leben.
In Schleswig ist nebwi Ripen Tendern (Lütken-Tondem im Ge-
gensatz zu Mögel-Tondern, vnnnals Thundär, dänisch Tönder) im An-
fang des 11. .Jahrhunderts als llandels]t1at'/ bekannt. Hadersleben, ob-
wohl urkmidlich genannt erst im \:\. .lalirlimidert (Hathärslöf, Haderslev)
kann nicht allzu lange nach Kipen und Tündern, mag eher schon' vor
denselben entstanden sein. Auch Apenrade (Obenroe, dSn. Aabenraa,
zusammenhängend mit einem benachbarten verschwundenen Dorfe Gam-
mcl-Opnör), ebenfalls erst 1257 als Handelsort genannt, wird min-
destens im 12. Jahrhundert bereits bestanden haben. Garding er-
scheint im Anfang des 12. Jahrhunderts als Kapellen-, Tönningen 118l>
als Kirchort. Das Sonderburger ^) Schloss wird für eine Gründung
Waldemars des Grossen (1169) gegen die slayischen Seeräuber ge-
halten, noch älter das Nor burger, das seinen ursprDnglichen Namen
Ais-Slot erst im Gegensatz zu der Sttderburg yenoren haben kann.
Flensburg, gleichfalls um eine Befestigimg und zwar um die Johannis-
kirche herum, in der llusby-IIarde. d. h. in Angeln, entstanden, gegen
die Mitte des 12. Jahrhundi'i-ts schon Sitz einer Knutsgilde, in der
ersten Hälfte des folgenden „grauer** und „schwarzer^ Mönche, darf
mit einiger Sicherheit zu den ältesten Ortschaften des Herzogtums ge-
rechnet werden. Cistercienser und zwar aus dem schwedischen Kloster
Herrisvad kommen 1173 nach Lygum, wohin das von Seem veriegt
wird ; das Guldholmer wird vom Langsee nach Ryde oder Rye im
Glücksburger See ülK-rtragen. Fehmarn, erst seit dem 1 1 . Jahrhundert
Dänemark unterworfen und von Dänemark aus christianisiert, so dass
es mit dem Stifte FUhnen vereinigt werden konnte, hatte dne ge-
') Vgl. Sondentbamen und Nordhaosen; Sondgau und Sund ist nach Klage
die atreng nochdeutsehe Form.
45]
Poleographie der cinibriächen Halbinsel.
021
mischte dftniscli-sIaTisclie Bevölkerung, grOesere Ortschaften aher noch
nicht
In Jütland wird nach Viborg und Aarhus Aalborg, in Waldemars
Erdbucli 1231 Alebui-gh genannt (von goth. alhs, alt.säcbsisch alali =
Tempel y). als einer der ältesten Handels- und Verkehrsplätxe anzu-
sehen sein, ist jedenfalls Adam von Bremen in der zweiten Hälfte des
11. Jahrhimderbs schon hekaiini. Die gewöhnlidie Strasse der nor-
dischen Pilger pflegte auf Aalborg, Ton da nach Viborg, so nach
Schleswig und weiter zu fuhren. Auch Kolding, im Mittelalter
Kaiding, in Waldemars Erdbuch Kaldyng. Kanders. bei Saxo Grania-
ticu.s Kandrusiiim, im Isländischen Randards, in dänischen Diplomen
Raudrus und Kandros, unsicherer Herleitung, und Horsens, in Walde-
mars Erdbuch Horsnaes, sonst auch Horsenaes (von Hors und naes,
Rossnase ?), gehOren alle drei mindestens dem 11. Jahrhundert an,
werden mithin auch von dem Aufiuhwunge der Waldemarschen Zeit
nicht unberührt geblieben sein.
7. Nachdem nämlich an der Südküste der westliehen Ostsee die
unter Heinrich dem Löwen erwachsene deutsche Macht durch liein-
ricks Aechtung und die Zerstückelung dieses ersten Ansatzes eines
grösseren noradeutschen Partikulantaates Temichtet war, dringt das
Danentum, kräftig und rOhrig, wie es alle Zeit gewesen ist, über die
südliche Grenze vor, gewinnt die Ditlimarschen, erobert LUbek, er-
obert IIolstein-Lauenburg und einen Teil von Mekleiil)nr<7 . nnd «b r
angeblich deutsche Kaiser, damals der aufgeklärte ISicilianer Friedrich 11.,
tritt die wiclitigsten Gel^iete des ganzen deutschen Nordens, alle Lande
jenseit der Elbe und der Eide an Waldemar II. ab. Durch den Sieg von
Vohnir iassten die Dünen auch im Osten des baltischen Meeres festen
Fuss. Wiedtf ist es das deutsche Fürstentum, das sich im eigenen
Interesse der nationalen Aufgabe anniinnit. Die wichtige Entscheidungs-
.schlacht von Bornhöved 1227 wirft das Dänentuni fllr immer in seine
Grenzen zurück: Holstein kam an seinen rechtmässigen Herrn. Adolf IV.,
zurück, Lauenburg an Herzog Albert, dessen Sohn Johann Gründer
der tiUishsisch-Ianenburgischen Linie wurde, die hier bis 1689 bestanden
hat; Dithmarschen, die beiden aufbltlhenden Städte Hamburg und Lübek*
dürfen wird» i sich selbst angehören, in freier Entfaltung ihrer Kraft
und unbehinderter Ausbeutung ihrer T-n'^^e sich rüsten, weit über die
engen (irenzen ilirer Gebiet«' hinaus/.utxreileu.
Dabei kommt nun den beiden holsteinischen Städten und den hol-
steinischen Grafen das allseitige, teüs schon erfolgreiche uud fortgesetzte,
teils neu aufgenommene Vordringen des christlichen Germanentums
gegen die heidnischen Slaven, Letten und Esthen und der sehr aus-
gesprochene Drang der Nation an das recht eigenthch doch germa-
nische Meer, die Ostsee, zu statten. Meklenburg war durch Heinrich
den Löwen unterworfen, die Marken durch Albrecht den Bären koloni-
siert, Pommern aut demselben Wege besiedelt, auf den Spuren des Sege-
berger Missionars Meinhard von Hamburger und Wisbyer Eaufleuten
Riga gegründet, Livland erobert, und vom 4. bis 9. .Talirzehnt des
13. Jahrhunderts wurde vom deutschen Fürsten, Ritter, Bürger und
Bauer, Priester und Mönche in seltenem Verein die zähe Kraft des
Janven,
[46
preussischen Heidentums in einem niuhen Lande Ton nnwegBamem Boden
langsam aber sicher und gründlich <(< 1)r()rh(n.
Ein ungemeiner Aufscliwunp: des \'erkelirs zur See musste die
Fol^'e hiervon sein: die äussersten Pole des nordischen Mittelmeers
traten zum erstenmale in Beziehung und eine hohe Blüte besonders
der Endpunkte der Verkehrsbahn entwickelte sich mit überraschender
Schnelle.
Auf diese Steigmmg von Handel und Schiffahrt im nordeuro-
päischen Binnenmeer war die Bd* Vitheit des südeuropäischen Mittel-
meers . 'im Anschluss an die naliezu ununterbrochenen Kreuzzugsbe-
we<^aingen von 1189 bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts, nicht ohne
Einwirkung.
Endlich hat auch in diesem Zeitalter das religiöse Leben seine
"Wirkung auf kolonisatorische Thätigkeit von neuem erwiesen: der Höhen-
punkt der Hierarchie unter Innocens HI. und seinen Nachfolgern, der
neue Aufsclnvnni^ der mönchischen Richtung mit wesentlich veränderten,
sehr praktischen Z^vecken, wie er in den beiden bald so einflussn'irhcn
Orden der Dominikaner und Franziskaner sich kundgibt, sind auch m
unserm Lande und für die Gestalt seiner Andedlungen wirksam ge-
worden. In Lttbek, dem natOrlichen Brennpunkt aller Yerkehnrtrahleii
des Baltischen Meeres, mussten diese verschiedenen Antriebe gesteigertes
Leben wecken.
Nach der Aechtung Heinrichs des Löwen von Kaiser Friedrich
Barbarossa selbst in Besitz genommen und mit einem kaiserlichen
Freibrief begabt (1183), dann eine dänische Besitzung, noch vor der
Bomhövder Schlacht aber durdi einen neuen kaiserlichen Freibrief im
Lager von Parma (Mai 1226) für eine , stets freie und zum kaiser-
lichen Dominium sonderlich gehörende" Stadt erklärt, in ihrem Gebiete
er\\'eitert und «gesichert, mit den wcitf^ehondsten Zollfreiheiten . Erlciclit»—
runden, lioheitsrcchteii ausgestattet, nalnn Lilbek einen kr;tfti<ren An-
teil an dem Kampfe gegen den nordischen Naciibar, ui dein es einen
bedrohlichen Nebenbuhler auf der Ostsee erkennen musste, und gewann
durch den Sieg die volle Freiheit seiner Bewegung zurück. Das Bttndnis
mit Hambuig 1241 sicherte die Transitstrasse von der Mündung der
Trave bis „Hamm^nborg* und „von da durch die ganze Elbe bis in das
Met r*" gef^en störende Gewaltthat und Strassenraub. So wuchs das kleine
rührige Gemeinwesen in kurzer Zeit zu jener Stellung au der Spitze
der deutschen Hansa empor, die es mehrere Jahrhunderte ohne ver-
brieftes Recht einzig und allein kraft seiner Hachimittel und staats-
männischen Klugheit behauptet hat, durch Geld- und Yolkreichtum,
E[rieg8- und Handelsflotte, Pflege der Kunst und des Handwerks die
Kdnigin des dciitsflion, ja des europäischen Nordens.
Mit Notwendigkeit mussto an diesem Aufschwung der gegebene
Ausstraldinigspunkt des baltisclun 1 'urchgangsverkehrs an die uiederlän-
disch-cngli säen Kosten, Hamburg teilnehmen. Obwohl eine gräflich hol-
steinische Stadt und sogar Fürstensitz, erhielt auch Hambuig kaiseiliche
Zollbefreiungen, Fischereigerechtigkeiten und andere Vorteile und er-
freute sicli schon l)ald nach iler Bomhövder Schlacht einra eignen
Stadtrechtes und des Münziegals.
47]
Poleographie der dmbrücheu Halbinsel.
523
Durcli ganz Holstein verbreitet sich, dieser Aufschwung auf dem
Gebiete des Handels imd Verkehrs, der Religion und der Sitte. Das
mittlere Drittel des 13. Jahrhunderts ist die Entstehuiij^s- oder Ge-
staltungszeit der schleswig-holsteinischen Kaufstädte, und die gehäuften,
zum Teil völlig neuen und planmässigen Gründungen von Städten an der
Küste wie im Binnenlande lassen auf das erneute Einströmen einer
zahlreichen Bevölkerung von jenseit der Elbe, aus Fiaudem, Holland,
Kehdingen und aus W estpbalen , Tielleicht auch Hessen sdiliessen.
1286 erhielt FlSn Stadtrecht, 1288 gründete Adolf IV. auf dem alten
Bargplatz die Neustadt von Itzehoe, mit lübschem Rechte bewidmet,
das der Altstadt erst 1:503 zu Teil ward. Zwischen 1283 und V242,
wo sie vom Grafen Joliann 1. ihr Gebiet zugewiesen und 'das lübsche
Recht erhält, ist die HoLstenstadt am Kvle ') nach wohlberechnetem
Bauplan mit regelmässigem Strassennetz entstanden, unter reger Be-
teiligung des holsteinisiäen Adels, aber auch, wie die Namen seiner
Strassen noch heute bekunden, südelbischer Stämme. Eine gleich regel-
mässige Anlage und genau dasselbe Strassennetz zeigt die „Nygenstadt
by der Krempen", Nienkrempe, Nvf^enstadt, Neustadt, deren Stadt-
verfassung dem Jalire 1244 angehören soll, deren Kirche, eine der
schönsten des Landes, im Jahre 1259 erwähnt wird. Die dritte Kauf-
stadt an der holsteinischen Ostkfiste, Hefligenhofen (HeUigenhafen,
HaTcnis erscheint mutmasslich zuerst in der TiUa teutonica Hele-
rikedorp und ist dann um die Mitte des Jahrhunderts mit dem lübschen
Recht Itewidmet worden. Die Kirche wird zuerst 12(i2 genannt. Seit
dem Anlang des 13, Jahrhunderts kommt Veile (Waethlae, Waethel,
Wedel) empor, 1257 ist Apenrade ein Handelsplatz, 1284 hat Flens-
burg, schon länger als villa forensis bezeichnet, städtische Verfassung,
im selben Jahrhundert Horsens das schleswigsche Stadtrecht erhalten;
1288 werden die E lvernförder als oppidani bezeidmet. Kolding, seit
der Mitte des Jahrhunderts als Grenzfeste wichtig, mag seine 1321 von
Cbristopher II. ])est;lt!<^'ten Privilegien um glcirlie Zeit erhalten haben.
Auch im W esteii und im Inneni des Landes entwickelt sich das
städtische Leben. 1243 hat Toudern das lübsche Recht, Hjörriug seine
ersten PriTilegien, um 1250 Meldorf seine städtische Verfassung er-
halten; 1255 erscheinen Krempe, um 12G1 Razeburg und Mölln, 1209
Zarpen (Scerben, Tzerben). dem Kloster Reinfeld gehörig, im selben
Jahr Ripen. 1275 Bergedorf und Lütkenburg. wenig später Wüster und
Eutin, 1290 Boriilj' ved als Städte und zwar meist lübschen Rechtes.
Mit dieser sichtbaren Rührigkeit auf dem Gebiete der norddeutschen
Sonderstaaten treffen die vom romanischen Sflden her rasch fortge-
pflanzten Einwirkungen zusammen, die auf religifieem Gebiete von den
Bettelorden, besonders den beiden berOhmtesten, den Dominikanem
und Franziskanern, ausgingen.
In rascher Folge erstehen in den cimbrischen Herzogtümern von
Ueber den Namen s. snr Wortdeatun^ S. 553.
') Wenn ni- lie pewöhnlicbe mit naes verwandte, bis ,gris nez' herab-
gebende Bezeichnung einer Land6pit2e üt, so wird es, wenngleich portus sacer
Twkommt, sweifelbfSt, ob Have flberbaopt mit Hafen etwas m tbtm hat und nicht
vielleicht da« HaiF meint.
524
Jansen,
[48
1227 bis an und über die Mitte des Jalirbimdeits eine Reihe ron gnind-
besitzenden und Bettelklöstern, mit vereinzelten Ausnahmen im Osten
des Landes, kein einzit^es im dithmarsischen oder firiesiach^ Westen;
in unmittelbarer Nacliwirkuug des von den Zeitgenossen als ungewöhn-
lich schwerwiegend empfundenen Sieges von Bornhöved ward noch 1227
oder 1228 das Nonnenkloster Reinbek, Cistercienser Ordens, von Adolf IV.
selbst gegründet; 1227 das Franziskaner in Hamburg, gleich&Ils Ton
Adolf IV. der heiligen Mazia Magdalena geweiht, von ihm selbst als
Mönch bewohnt; gleichzeitig oder wenig später die Dominikanerklöster
in Lübek und in Hamburg, beide zum Dank für den Bornliöveder Sieg;
die von TladtTslebfii, Tondern, Hipen, Schleswig, gleiches Ordens, das
letzt(>n' auf fall('ii<ltM\v( isf^ aurli der von den Holsten gefeierten Sieg-
verleiherin Manu Miigdaleua ^eweilit. Die Franziskaner erhielten sehoii
1225 einen SitE in LÜbek, im 4. Jahrzehnt dieses Jahrhunderts in
Ripen, in Schleswig, in Tondern; 1260 erst ward das Kieler Kloster fertig.
Gegen die Mitte desselben .hihrhunderts (1235) gründete Heinhdi Ttm
Barmstedt das Nonnenkloster Cistercienser ( )rd('ns in Uetersen, dem er «eine
Burg an der Pinnau und die Hälfte des damaligen Dorfes Assehurg überlies.s,
Heilwig, Adolfs IV. gleichgesinnte Gemahhn, vor 1247 das >iounenklo8tt;r
Harvstehude (Herwardeshuthe). Um dieselbe Zeit entstand durch Ter-
pflanzung der Mönche ans dem gemeinsamen St. Johannisklosfcer in
Lübek das von Cismar; zwischen 124G und 1250 hat das wiederholt
verlegte Nonnenkloster Porez seinen dauernden Platz an jetziger Stelle
erhalten; 1203 das bisherige Ivenfleeter den seinigen in Itzehoe; auch
das des heiligen Johannes bei Schleswig auf dem Hohne muss vor 1250
gestiftet sein. Aehnhch üben in mekrereu der jütischen Städte
ktösterliehe und kirchliche GrOndungen dieser Zeit Emfluss auf die Er-
weiterung der Ansiedelungen. Mit dem Ende des 13. Jahrhnnderfes
sind die geistlichen Stiftungen, von vereinzelten spateren, z. B. Arens-
bnk (13S(;), Me1<l()rf (15. Jahrb.), abgesehen, in der Hauptsache zum
Abscliluss gekommen.
Damit hat neben Adel und Städten ein dritter, der mittelalter-
fiehen Gesellschaft wesentlicher Stand seine Ausbildung und Festsetanmg
auch in den Cerzogtttmem erreicht.
Gemäss der Doppehiatur der katholischen Kirche als einer Heils-
und Sitfcigungsaiistalt und einer weltlichen Madit zugleich haben auch
die kirchlichen Kiiirii htnngen in den einzehien Ländern diese zwiefache
Bedeutung. Während die Bistümer, Domkapitel und Klöster als körper-
schaftliche Grossgruudbesitzer und reiche Pfründner eine massgebende
politische wie sociale Stellung gewinnen, üben sie nicht bloss auf Sitte
und Hecht einen sehr sichtbaren Einfluss aus, sondern sie tragen zu-
nächst im eigenen Interesse zur Bebauung und Ausnutzung des Bodens,
zur Herstellung von Selmtz- und Besserungsbauten, zur Gewinnung
neuer Kulturflächen, mittelbar also zum Aufblülien von Stadt und Land
in sehr erheblichem Umfange bei. Urnen vorzüglich ist auch die Grün-
dung einer Anzahl neuer Kirchen in den letüien Jahrzehnten des 13.
nnd den ersten des 14. Jahrhunderts zu danken, welche meist aus dem
Bedürfnis kleinerer Gemeinden und näherer Kirchwege liervoigegangim
sind; so hat um 1281 Albersdorf in Süder-Ditbmarschen, Hohenaspe auf
49]
Poleographie der cuubriachen HalbinseL
525
Kosten von Hoheuwtstedt eine Kirche erhalten; 128G wird eine Kirche
in Brunsbüttel, auch in Grömitz, 1316 in Bramstedt, 1328 in ÄMnslidk
(Amesboken Adlemest?) erwähnt.
Im Anfang de.^ 14. JahrHunderts kann die Besiedelung der cim-
brischen Halbinsel als wesentlich abgeschlossen gelten. Die politische
Zerteilung des Landes hat sich im begreiflichen Anschluss an die
natürliche Gescluedeulieit der drei Abschnitte des Nordens, der Mitte
und des Südens vollzogen. Zwar erstreckt sich die dünische Ober-
koheifc bis an die Eider. Aber infolge teOs der Wichtigkeit, die Schleswig
als eine Mark gegen den sOdlichen Nachbar hatte, teib des von An-
beginn dieser marl^äflichen oder herzoglichen Stellung trotz naher
und närlistt-r Verwandtschaft sicli ontwickehideu Zustandes dauernder
Sjianuung und Feindschaft zwischen den schleswigschen Herzögen und
den dänischen Königen hat sich das Land südlich der tiefen Furche
der Königsau mehr und mehr von dem Übrigen Norden der Halbinsel
gelöst und zu einem erblichen Herzogtum ausgebildet; eine Sonderung,
die bald in dem aufk miuh uden Namen Schleswig als Bezeichnung des
ganzen Landes sich kundgibt.
Jüthmd und Scldeswig zerfullon nach alter nordischer Weise in
Sysseln, die Sysseln in Ilardeu. d. h. Hundertschaften. Syssehi gibt es nach
Waldemars U. Erdbuch vom Jahre 1231 in Scldeswig drei, das Barwith-,
Elläm- und Istatfaesyssel. Ausserhalb der Sysseleinteilung stehen die frie-
sisdien Utlande, mehrere Inseln, das durcn verschiedene Gegenden zer-
streute Krougut, Höfe, Dörfer, Stadtteile, game Distrikte, die geist-
lichen und adeligen Besitzungen, welche letzteren in früherer Zeit ziemlich
gleichmässig über das ganze Herzogtum zerstreut waren, und die Städte.
In Holstein haben sich zwei nl^äiiti^"^ ausgebildet: der Bauernireistaat
Diihmarschen und die Grafschaft Holstein Diese drei alten unter
dem Namen Holstein vereinigten Gaue sind damals aber bereits so sehr
aus einem Amtsbezirk in ein wirkliches Territorium, Land, übergegangen,
dass Teilungen des Ganzen als eines vilterlichen Erbgrundstücks schon seit
geraumer Zeit (127;^) als gewohnte LTebung galten. Dal)ei wird al)er
doch der Gedankt- der Landest-inheit festgehalten: Gerliard IL, der mit
seinem Anteil und seinem Sitze Plön Wagrien, und Heinrich L, der
mit Rendsburg das alte Holstenhmd darstellt, erhalten 1307 vom sfichsi-
Hchen Herzog Johann entgegen dem sächsischen Lehensrecht die Be-
lehnung zur gesamten Hand. Durch ihre Vögte verwalten sie« soweit
das Mittelalter überhau j>t verwaltet, von den Hauptsclilössem aus die
unter sie gelegten Kirchspiele und begründen so bei fortgesetzter und
wechsehider Teilung die bis auf unsere Zeit gebliebenen Aemter, deren
'J hl den Urkunden d«'.s 12. und l'A. .Tahrhunderts wecksehi dio BozMich-
nungen de.« Lande« ziemlich l/unt. Die Graten nennen sich .sehr oft von Holstein,
Stomiurn . Wagrioi , imd /war auch noch m verschiedener Reihenfolge , oder Hol-
stein und Storaiarn in stehender Ordnung, ara meiftf'n aluT doch, schon seit
Ende des 12. Jahrhunderts, nur (Jrafen von Holstein (Hol.-^atiae, Holt.satiao u. a.,
auch Almtiae); die Namen .Srhauenburg be/,\v. Orlamünde treten wohl hinzu;
der erstere erscheint oft nucl» allein; einig^eunil vertritt auch Wagrien die anderen
Teile mit. Nordalbingien, Transalbingien meint entweder Lauenburg undMekleuburg
mit oder auch Holatelii alleiii.
FoMdhmgtD tav deatiolMii LudM« vad Tolkümodc. L 8. 96
526
Jaiuen,
Amtmänner Vis m unser Jahrhundert als fürstliche Satrapen betrachtet
werden mochten.
Neben den beiden Landen stehen die beiden «Städte* Hamburg
und Lubek mit mehr als ebenbflrtiger Macht; Hamburg gilt noch immer
als eine holsteinische Stadt.
An der Ostsee erzeugt der gesteigerte Handelsverkehr der Hansa,
welche um die Mitte des 14. Jahrhunderts den Höhepunkt ihrer Macht
erreicht, Erweiterungen dürt iicher Ansiedelungen oder Bui'gen zu städtisch
Terwalteten Ortschuten, die aber nam Teil mit dem Ausgai^ des
Hittelalters auf ihren froheren Stand zurQcksinken. 1328 wird wube,
ausdrücklich zuerst erwähnt 12:^2, eine Stadt lübschen Rechtes genannt,
1320 kommen Ratsherren (consnles) auch in Burg auf Fehmarn vor,
Grömitz (slaviseli Grobenetze von gral» Weissbuche), 1 -^22 an das Kloster
Cismar verkauft, mag nicht viel später städtische Verfassung be kommen
haben, in deren Besitz es freilich erst 1440 erwähnt wird. 1436 hat Tön-
ningen einen Bttr^ermdster, sein StadtpriTflegium ist erst von 1590.
Steide, 1404 noch em kleines Dorf, nimmt seit dem Beschlüsse der 8 nörd-
lichen Kirchspiele vom 3. Februar 1447, auf Grundlage eines Land-
rechts ein obei-stes Landesgericht zur L^nterdrückung jeglicher Fehde
herzustellen — zu welchem Gedanken das deutsche Reich sich erst 1495
erhob — und dasselbe an dem Punkte, wo die drei Döfte, denen sie
angehörten, sich berOhrten, an dem Schneidepunkte der nordsOdlichen
Längenstrasse und des ostwestlidien Querweges, «up der Heide* ta
erridkten, „die Heide* also, wie der Dithmarscher bis heute richtig
sagt, nimmt als Sitz des Lan(lps<j:enchts durch den hinzutretenden Markt-
verkehr, dessen frilliore Bedeutung nocli heute durch den ungewöhnlich
grossen Markt})latz Ijezeugt wird, rasch einen solchen AufschwuniX. dass
es bald, obwohl immer nur noch ein Flecken, die alte Landeshauptstadt
flberholte. 1448 trennte sich der zuerst 1252 als Husenbro erscheinende
Ort Husum oder Husen als eigenes Kirchspiel TOn Mildstedt ab und
ward 146.1 zur Stadt erhoben.
Während dieser anderthalb Jahrhunderte waren in dem Verhältnis
der deutsclien Grafschaft Holstein und des dänischen Herzogtums
Schleswig bedeutsame Veränderungen vorgegangen. Obwohl die Tei-
lungen des Territoriums unter die jedesmaligen Söhne fortdauerten,
wie sie seit 1278 in Holstein Sitte geworden waren und nun Hervor^
treten bald zweier, bald mehrerer fürstlicher Linien geführt hatten, als
deren Sitze Itzehoe, Rendsbur'^'. Kid, Plön, Segeberg in wechselnder
Weise erscheinen, weiss dmh l;!2ii der Rendsburger Graf Gcert der
Grosse durch kluge und kräftige Benutzung seiner Verwandtschaft mit
dem schleswigschen Herzogshause imd der damaligen politischen Lage
in Dänemark che Belehnung mit dem Herzogtum Sttderjfitland d. h.
Schleswig zu erlangen. Deutsche Ritter, vorwiegend aus den damals
mächtigen Geschlechtern des holsteinischen Adels, setzen sich besonders
in der südlichen Hälfte des Dststrpifens ff-st, verdrängen die dänische
^Sprache und ölTiien drntschcm Wesen das einst so gut deutsche,
aber seit der Völkerwanderung fast dauisierte Land. Geert bleibt der
erste Erwerber dieses Landes för Deutschland. Seine Söhne hielten trots
manchen Wechsels der Lage den Täterlichen Anspruch fest Elans
51]
Pol6(^raplue der eimbnadien Halbinsd.
527
erwarb am CO. Jahrestage der ersten Belehnung das Herzogtum, das
im Jahre von Geerts Ermordung durch Niels Ebbesen 1310 zum ersten-
male mit deutscher Bezeichnung als Schleswig vorkommt, aufs neue
als ein zwar dänisches^ aber im Gesamthause der Holsten Grafen erb-
liches Fahnenlehen* Und als nun aus einem 80jährigen Kriege das
Ghrafenhaus siegreich herrorgegangen war und 1440 Graf Adolf
Klaus' einziger liberlebender Enkel, zu Kolding das dänische Fahnen-
lehen Schleswig in bündigster und feierlichster Weise zum drittenmale
dem deutscheu Fürstenhause erworben hatte, schien es fiir inmier un-
angefochten im deutschen Besitze bleiben und einer baldigen Germani-
sierung entgegengehen zu mUssen.
8. Aber die Gegenwirkung blieb nicht aus. Der «Rat des Landes*
bot 1460, nm nach dem Aussterben der Holsteinischen Schauenburger
einer Trennung der Lande durch Erbgang vorzubeugen, dem Dänen-
könig Christian I. aus dem Oldenburger Grafenhause die Hand, nicht
bloss Schleswig zurück-, sondern auch Holstein dazu zu gewinnen,
immerliiu unter der feierlichsten Gewähr einer reinen Personalunion der
«auf ewig ungeteilten* beiden Lande mit dem Königreich Dinemark.
Schon unter Christians Sohn Johann I. beginnen trotz der Privilegien
die Teilungen wieder und zerlegen, ohne die Einheit des Landes ansn-
t^sten, jedes der l)eiden Territorien in vieltiu h wechselnder Weise in
eine Anzahl gesonderter Grupjien von Aemtern, die nur vom Gesichts-
punkt der Ausgleichung an Einkünften gemacht zu sein scheinen und
bunt durch beide Herzogtümer zerstreut liegen. Als die Reformation
die grosse Menge geistlidben Gutes zu einem bedeutenden Teile herrenlos
machte und der „Welt" überwies, griflfen Fürsten und Ritterschaft um
die Wette zu. Die schleswig-holsteinischen Ritter, mächtig durch den
Besitz bedeutenden Grund und Bod< ns, der Landstandschaft und ge-
wisser Hoheitsrechte über ihre Uuterthanen, retteten f[\r ihre Körper-
schaft die vier wohl ausgestatteten Klöster Schleswig, l'retz, Itzehoe
nnd Uetersen. Die übrigen Klöster yerwandelten siä meist in forst-
liche Schlösser, ihre Besitzungen in fürstliche Aemter, die nunmehr eine
erhebliche Quote der fürstlichen Landesanteile bilden. 1559 gelingt
es endlicli aucli der verbündeten Fürstengewalt, erstarkt wie sie in-
folge der Keformation überall war, das ireie Dithmarschen zu unter-
werfen und aufzuteilen.
Gegen das Ende des 16. Jahrhunderts beginnen sieh die mehreren
Teile auf zwei Hauptteile abzimmden, einen königlich dänischen und
einen herzoglich gottorpischen , neben denen noch die kleinen Ge-'
biete der sogen, abgeteilten Herren, eine Art privater Fürstentümer,
stehen und auch die Besitzungen von Prälaten und Ritterschaft als
gemeinsamer Anteil für sich verwaltet werden. Die Herrschaft Pinneberg,
ein Besitz der Stammhuie an der Weser, die freie Reichsstadt Lübek stehen
aussen ror. Hamburg konnte noch immer die förmliche Anerkenntmg
einer gleichen Stellung nicht durchsetzen. Der Bischof oder Admini-
strator des Stiftes Lübek suchte gleichfalls und mit wachsendem Er-
folLfe seine Zugehörigkeit zum Lande Holstein zu lösen. Die mehreren
Fürstenschlösser zu Haderslcljen, Xorburg. Augustenburg, Glücksburg,
Gottorp, Plön, Eutin, Reinfeld, die freilich nur kurz bestehende Reichs-
528
Jansen,
[52
grafschaft Rantzau, gebildet, aus dem kleineren Anteil vuii Pinnel)»*rg,
eutUich daa reiclii>ritier»cliatlliche Gut Wellingbüttel, ,terre apparteuaute
au baron de Kurtzrock et imm^diatemeat sounuse ä l'Empire d'AUe-
magne", wie der Grenzpfahl den biedern Hokten meldete, spiegeln den
deutschen Partikulansmus im engen Rahmen eines Temtorinms in be-
zeichnender Weise wieder.
Jene scheinbare Vereinfachung der Zersplitterung beider Lande
durch eine Zweüierrschaft musste über kurz oder lang zu der unver-
meidlichen Entzweiung zwischen zwei an Macht so ungleichen Genossen
führen, die obendrein gemäss dem allgemeinen Znge der Zeit auf Sifir-
kui^ und Ununiächr'dnktheit der f&rstlidien Gewalt eifrig bedacht waren.
Unter die.sen Verhältnissen erwuchsen am Ende des IG. und iiu
Laufe des 17. Jahrhunderts eine Anzahl neuer städtischer Gründungen
teils im königlichen, teils im fürstliclieu Gebiete. l^^H2 Hess Hans der
Jüngere in dem eben erhalteneu Anteü das alte Rjdekloster abbrechen
und ein Schloss, GllUcksburg, in dem schönen Wudsee, den einst die
MSnche zu finden gewnsst hatten, erbauen, um welches sidi dann der
freundliche Flecken erhob. Derselbe erbaute 1509—1604 nahe dem
niedergerissenen Kloster zu Reinfeld ein festes Schloss mit Wa-^ser-
könsten und schönen Gärten, das 1772 wieder verschwunden ist und
1839 ein stattliches Schulhaus zum Nachfolger erhalten hat.
Im Jahre 1616 legte Chiistäaii IV. von Dänemark in seinem An-
teil an Holstein, nach vorangegangener Eindeichimg der BOlowsehen
und Blomeschen Wildnis, am nördlichen Ufer des Rhins, da wo er
in die Elbe mündet, „zur merklichen und ansehnlichen Verbesserung
Unseres Fürstentums Holstein", wie es in der Gründungsurkunde vom
22. März 1617 heis.st, auch „zu melirerer Sekurität", wie sein Sohn
Friedrich in der Bestätigung der städtischen Privilegien sagt, voruehiu-
lich aber wohl aus Handelseifersucht gegen das damals noch schauen-
burgisdie, eben aufkommende Altona und g^en das blQhende, stets
unbotmässige Hamburg, eine Stadt an, die er Glüclcstadt nannte, mit
dem lübschen Hechte, genau so wie es Wüster hatte, und in den zwan-
ziger .Tnliren noch mit weiteren Privih'gien ausstattete, allen Rehgioiis-
bekenntnisseu öflnete, endlich auch zu einer unverächtlichen Festung und
zum Sitz der holsteinischen Regierungskanzlei erhob. Die Stadtgemeinde
konstituierte sich 1620 mit einem Magistrat von zwei ernannten Bürger-
meistern, zwei Batsherren, einem Stadtsekretär und einem Deputierten-
kollegium von acht Männern, in welchem alle drei „Nationen", Hoch-
deut^rlie. Xiederländer, Portuiriesen (Lutheraner, Reformierte, Juden),
vertreten sein sollten. „Gouverm ur" der „Stadt und Feste Glückstadt*
war der Anitnianu von Steiuburg. 1020 folgte der wisseuschatlhch
angeregte und mit den Besserungsbestrebun^en seines königlichen Kol-
legen wetteifernde Herzog Ton Gottorp Friedrich HI. dessen Beispiel
und stellte am 21. Oktober eine Urkunde aus, in welcher er, um seine
Lande ,zu Wohlfahrt und geschwindem Zun(;hmen zu brinp^en". den-
jenigen Persouf^i „remonstrantischer Konfe.ssion", welche, wie er he-
richtet sei, „andere Wohnungen suchen*' und auch wohl in „seine
Fürstentümer und Gebiete" kommen wollten, „um sich Muslich nieder-
zulassen, ihre Religion in Freiheit zu beleben und ihre uegotia und
53]
Poleographie der cimbriachen üalbinseL
529
Handel zu betreiben", „sichern Distrikt zur Wohnung an dem Büder**
ström, an und rand berum den drei Schleusen oder der neuen Führe
vergönnte und anwies". Die Remonstranten sollten die Regierung der
Stadt und exercitium publicum ihrer Religion haben, wie auch die Ein-
wohner augsburgischer Konfession. Diese Rerripi^'i^r? sollte zu einem 1 )rittel
aus fürstlicher Ernennuncf. zu zwei Dritteln aus Kooptation der ernannten
hervorgehen. Den fürstüchen , Statthalter"* ernannte der Fürst, über aus
der „niederländischen Nation*. Ausserdem ward der Stadt Freiheit von
Einquartierung und auf 20 Jahre auch von Steuern und Zöllen ge-
wahrt. Durch eine Urkunde vom 13. Februar 1623 wurde den , Menno-
nisten* „gnädig gewilli<^^t und fürstlich versprochen*, sich „nnpr» hindert,
sicher und kühnlich in Unsre Friedrichstadt zu wohnen Ix ^^eben" zu
dürfen und „jeder Unseren andern zu Friedrichstadt gesessenen Bürgern
und Einwohnern gegebenen Privilegien geuusshaft" sein zu sollen, ohne
ZU Leistung von Eiden, Uebemahme von publica offida oder Gebrauch
von Wehr und Waffen verpflichtet zu sein. 1624, 25. Februar, erging
eine ähnliche «Konzession" zu Gunsten dt r katholischen Gemeinde, da
Friedrichstadt vor allem auf den Handel mit den „regnis Hispaniarum
et ditionibus BelgicLs* angewiesen sei. Weitere ergänzende Erlasse folgten
nach, unter anderen 1706 einer für die Quäker. Das Stadtrecht, eine
für alle VerhSltnisse bis ins eiuEelne ausgeführte Arbeit^ 562 Seiten im
corpus statutorum Slesvicensium, deutsch und holländisch wie die Stiftungs-
urkundet zeigt uns iimiitten eines unumschränkt regierten Fürstentums
das bemerkenswerte Bild einer völligen städtischen Selbstverwaltung.
Dil' neue Anlage dehnt sich als ein rechtzeitiges Viereck zwischen
der Eider und dem untersten aufgestauten Ende der Treene aus, die
in zwei Haupt- und mehreren Seitensträugen durch die Stadt in den
Hauptfluss geleitet wird; mit diesen ihren „Grachten*, ihren baum-
besetzten geraden Strassen, der Form ihrer Bürgersteige bis heute eine
völlig holländische Stadt. Die bald an diesen \V est seehafen geknüpften
Pläne, den persischen Seidenhandel nach Kiel und von da auf gottor-
pischen Strassen über Fried nrhstadt in den westlichen Ocoan zu leiten,
zu welchem Zwecke eine iür gottorpische Verhältnisse grossartige Ex-
pedition nach Persien gesandt wurde, haben sich nicht verwirklicht.
Wie bei Glückstadt zeigte sich hier der fürstliche Wille doch der Macht
der Verhältnisse gegenüber ohnmächtig. Aurli die königliche Schöpfung
Friedrichs III. auf Bersodde am Kleinen Bell, begründet dun Ii einen
Freibrief vom 15. Dezember 1650, Frideru ia, zunächst bestimmt zu
einer wirksamen Zuflucht- und Flankensteliung auf jütischem Boden,
wie Älsen es war auf schleswigschem , hat den weitergehenden Hoff-
nungen seines GrOnders, trotz späterer Freibriefe, besonders CShristians V.
1682, nicht entsprochen.
Dagegen kam durch die seiner Oertlichkeit innewohnende Gewalt
dicht an der westlichen Grenze Hamburgs, dem jetzigen Bek oder
Stadtgraben, vormaligen Alteuaa oder j\ltenau, ein Platz immer wieder
empor, der, im Anfang des 14. Jahrhunderts abgebrannt, gegen die
Mitte des 16. Jahrhunderts unter dem Namen Altona wieder erscheint,
1547 aufe neue durch Feuer zerstört, trotz der Gegenwirkungen der
Hamburger bald auch wieder ersteht und seit 1601 allen Rdigions-
530
Janseu,
[54
genossen geö&et, 1616 bereits als StödÜem bezeidmefc wvd. 1640
ward durch Ausst^ben der schauenburgischen Stammlinie die Herr-
schaft Pinneberg, zu welcher der Ort gehörte, erledigt. Der könig-
liche Mitherzog ging mit dem Tjr>wenanteil davon; zu ihm gehörte
Altona. I»t40, 23. Augiist. verlieh ivönig Friedrich III. dem von der
Herrschaft exiniierten, vielversprechenden Ort sein erstes Stadtprivi-
legium, dem weitere YercfOnstigungen folgten. Durch die aller Gegen-
bemflhtmgen spottende Bedeutung seiner Lage, die Iföbe des damals in
Tollt'ui Auf1»1ühen begriff(Nien Hamburgs, den Zuzug reicher und ge-
schäftätüchtiger Fremden, namentlich portugiesischer Juden \m<] hol-
ländischer Kemonstranten , gewann diese Stadt in wenig Jahrzelinten
einen Wohlstand und eine Volksmenge, denen auch die wiederholten
Brandschatzungen im nordischen Kriege, die Feuersbrunst vom Jahre
1711 und die berflchtigte Verheerung 1713 dtoeh den schwedisdiea
Gkneral Steenbock nichts anhaben konnten.
Durch Altona musste das bereit« 1310 erwähnte, 1548 zu einem
eigenen Kirchorte orhobene Ottensen, dorn bis 1(549 Altona eingepfarrt
war, als Vorstadt je länger desto mehr mit gehoben werden. Auch
Pirnieberg (Bynnenberghe), ursprünglich nur ein festes, im ÜUjährigen
Kriege nicht unbedeutendes Schloss, das 1720 abgebrochen ward, scheint
durch Altonas Emporkommen imd dun^ das Bedürfnis einer kilrzeren
Verbindung Altonas mit Elm.shom geweckt zu sein, hat aber Fleckens-
gerechtigkeit erst 1^2»; erhalten.
Nach entgegengesetzter Richtung wuchs unter gleicher Einwirkung
das ursprüngliche Dorf, dann Schloss, das im Jahr 1(334 erst zu einem
Kirehone eäobene, damals aber auch ab Freistadt für Juden gesuchte
Wandsbeck (richtiger Wansbek) an der Wanse, mit seinem grossen
Nachbar empor.
Bredstedt wiederum, ein alter Ort und schon 1510 als Flecken
bezeiclmet, hat sich trotz der von Thristian IV. 1&62 — 1(333 und
Friedrich III. 1().'')4 erhaltenen Vergünstigungen und Privilegien aus
seiner örtücheu Bedeutung heraus nicht zu erheben vermocht.
Derselben Zeit und zwar der R<>gierung Friedrichs IXL gehfiit
auch Friedrichsort an. Ursprünglich legte zur üeberwiulmng seines
herzoglichen Mitftlrsten TOn Schleswig-Holstein Christian IV. 1632 auf
Priesort, d. h. auf der zur Feldmark des Dorfes Pries gehörenden
Spitze, die den Innern Kieler Meerbusen schliesst, eine Festung au,
die er Christianspries nannte, 1644 aber schon von Torsteuson einge-
nommen sehen musste. Sein Nachfolger Friedrich DL liess die Festmig
1648 schleifen, sp&ter aber (1668) auf der jetzigen Stelle, etw» 250 m
von der früheren entfernt, die durch den Kirchhof bezeichnet ist, wieder
herstellen und nannte sie nunmehr Frierlrichsort. Dass dieselbe je nach
den wechselnden Königen bis zur Regierung Friedrichs V., d. h. also
bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts bald Kriedrichsort, bald Christiaus-
pries genannt worden ist, mag als Unicum und als bemerkenswertes
Zeichen der absolutistischen ZeitstrQmung eme Bemerkung Yerdienen.
Auch die gottorpische Regierung setzte ihre Bestrebungen rar
Hebung des Landes nach dem Sinne und Geiste der Zeit und den fr**!-
tenden AufiEassungen Ton fürstlicher Machtvollkommenheit fort lio
55]
Poleographie dar cimbrischen flAlbüuel.
531
Jahre 1634 hatte eine der furchtbarsten Fluten. <lt>r. n die Ueber-
lieferung gedenkt, in einer einzigen Nacht nicht bloss viele Tauseude
von Menschen und Vieh, sondern auch die ganze reich angebaute,
3 Meilen lange, 2 Meilen breite Insel Nordstrand in ihren Wellen be-
graben. Die kleinere Hälfte derselben tauchte wieder auf, aber in
zwei Toncfinander gerissenen Stücken: das westliehe^ Pellworm, wurde
in den nächsten Jahren von d^ Yerannt^n Ein-vvohneni «Inn Ii neue
Deiche notdürftig geschützt. Das östliche aber bheb einige Jahrzehnte
hindurch unbedeicht; und nun ward eine Massregel verhängt von un-
glaublicher Ungerechtigkeit und Tyrannei: der Herzog Friedrich über-
wies die Insel durch Octroi vom 18. JuU 1052 an eine holländische
Gesellschaft, welehe die Mittel hatte, die Eindeichung und Sichsfung
der Insel dnrchzafllhren, nnd £reie Religionsttbong für Katholiken wie
Hefonnierte, sowie unabhängige GemeindeTerwaltung zugestanden erhielt.
Ohne einen rfrosclien Entschädigung wurden die vom Schicksal sdion
so schwer iieinigcsuchtcn von Haus und Hof getrieben. Der Thränen-
strora, mit dem die Gemeinde die Ankündigung von der Kanzel auf-
nahm, stellte die Summe ihres Widerstandes dar. Der schleswig-hol-
steinische Westen aber hatte wieder einmal seine uralte Beziehung zu
dem ganzen niederdeutschen Küstenlande bewährt, die bis auf den heu-
tigen Tag einen leisen Strom der Wanderung her wie hin fortgenährt hat.
Um dieselbe Zeit suchten die Gottorper ihre Gebiete durch Festungs-
bauten zu sichern und legten namentlich in Tönningen, das erst 1590
unter Johann Adolf städtische Verfassung erhalten hatte, 1044 mit
einem unrerhältnismSsigen Kostenaufwand eine starke Festung an,
welche jedoch die nicht mehr allzu ferne Veigewaltigimg durch den
übennüchtigen Mitherzog zn verhindern nicht imstande war.
Anderer, obwohl zum Teil doch wieder verwandter Art und in
unserin Lande einzig dastehend, eine rechte iSLOlonie und Stätte der
Freiheit, ist die kleine Schleistadt Amis.
Gequält und bedrängt von der Gutsherrschaft des benachbarten
Roest, welche Hoheitsrechto Ober das ursprOngliche Fischerdorf Kap-
peln (genannt von einer St. Nikolauskapelle) gegenüber dem Schleswiger
Domkapitel behauptet und durchgesetzt hatte ') und welche damals,
wie es scheniK mit mehr als gewöhnlicher Willkür Eigentum, soweit
es vorhanden sein konnte, Freiheit und Leben bedrolite und antastete,
gaben 04 Kappeler Familienväter — über 30 waren zurückgetreten —
mit mutigem Entschlüsse Hans und Herd auf, um am 11. Hai 1667
«mit gebogenem Knie und mit au^ereckten Fingern unter blauem
HimmeP ^) dem Herzog Christian Albrecht den lluldigungseid zu leisten
und auf der von demsellien überhissenen damaligen Insel Arnis eine
neue Heimat zu gründen, welche die Mittel ihres Unterhalts einzig und
allein in Fischfang und Schiifahrt zu gewinnen angewiesen war und
gewonnen hat, bis die Lostrennung von Dänemark die Quellen ihres
bescheidenen Wohlstandes abschnitt.
>) Erst lä07 hat die Regierung den Flecken für 186 000 Mark vom Gute
Hoest neigekai^.
*) Tgl. den interesaaiiten Berieht des Pastors Seholi im N. Staatsb. Magadn m,
7S3 ff.
532
Jansen,
Im 18. Jahrhundert kommeii einige Orto zu Flecken empor, einer
wird neu gef^ründet.
Wyk aiit Fr)hr. l)is ins 17. .Talirluanlert ein kleines Fischer-
dorf, Ki.'M von heimatlos gewordenen Bewohnern der durcli die trrosse
Flut zersUirten (Tcbiete angebaut, erhielt 1700 von Herzog lluistiau
August Lostreunuug von der Landschaft und eigene Gerichtsbarkeit.
Ebenso ward Barmstedt, dieser alte Adelssitx einer einst mSchtigen
Familie, 1787 mit Fleckensgerechtigkeit ausgestattet.
Im Jahre 1771 erwarben die niiihrischen Brüder TOn der dä-
nischen Hrgierung unter Christian Vll. zur Zeit der Struenseeschen
Vf'rwaltuug die Erlaubnis, « im Amte Hadersleben eine Niederlassung
zu erbauen, und legten am 1. April 1773 den Grundstein des ersten
Hauses. Der völlig regelmässig angelegte Ort Gbristiansfeld, mit Be*
freiung von Einqnartiennig wie Kriegäienst und Freiheit zu jedem
Gewerbebetrieb ausgestattet, blühte bud zu jenem lieblichen Stlldti hen
cmyior, das den aus Jtltland Herkommenden durch den freundlichen
Sdunuck seiner Gärten und die Ordnung und Sauberkeit eines ganzen
Aeusseru mit so wohithuender Ueberraschuug anmutet.
Dasselbe Jahr, das die letzte grössere Neusiedlung in unserm
Lande entstehen sah, ist auch das, wo eine bedeutsame Bewegung auf
politischem Gebiete zu ihrem Abschluss gelangte.
Das Erstjirken der Fürstenmafht hatte mit Notwendigkeit das
Bestreben nach Vergrösserung und Abnindung des Gebiets erzeugt.
Kine Zersplitterung des Bodens, wie sie die 1 )()ppelherrsehalt zweier re-
gierender Herzüge in zwei gesonderten und einem gemeinschaitlicheii
Anteil und daneben noch mehrerer «abgeteilter Herren* herbeigeführt
hatte, musste den allmfthlich steigenden Ansprüchen an eine geordnete
Verwaltung gegenüber unhaltbar erscheinen. lt)40 hatte der kSnig^
liehe Herzog den grössten Teil der Herrschaft Pinneberg an sich ge-
bracht, 1721 gelang es ihm, den herzoglichen Milfürsten zunächst niu'
thatsächlich aus Schleswig zu verdrängen, 172G vereinigte er die aus
dem kleineren Anteil an der Herrschaft Pinneberg hervorgegangene
Reichsgrafsohaft Rantzau, dann die Herrschaft Noronrg, daa glficks-
buigische AnOe, das «abgeteilte" Herzogtum Plön, endlich 1773 den
ganzen damals sogen, grossfiirstlichen Anteil an Holstein mit dem kö-
niglichen, so dass \719 nur noch das kleine Fürstentum Glücksburg zu
erwerben war, um endlich wieder einmal ein ungeteiltes Scbleswig-
Holsteiu herzustellen, aus dessen Verbände freilich dui'ch Verziclit die
Stadt Hamburg, als Reichsstadt schon 1471 in der Matrikel gefthit
und thaisächlich bestehend und blühend, immer aber noch in einem
unklare Verhältnis zmn Lande Holstein, 1708 ausdrücklich entlassen
worden war. Auch das Stift Liil»ek hatte sicli seit dem 17. Jahr-
bnndert der holsteinischen Staatshoheit thatsa( lili( h ganz entledigt und
ward 18Ü3 als säkularisiertes Fürstentum Eutin oder Lübek der im
Besitz befindlichen jüngeren gottorpischen Linie belassen, 1823 mit
dem Heizogftom Oldenburg in einer Hand vereinigt. 1815 war das
seit 1689 hannöverische kleine Fürstentum Lauenburg unter dänische
Hoheit gekommen, also mit dem Lande vereinigt, zu dem es jeden-
falls geographisch am nächsten gehört. Immer blieben aber noch auf
57]
Poleographie der cimbrnchen fialbinael.
533
so entern Kaum vier verscliiedeno Stantsholieiten iiel)t'iifinander Itf-
stehen: die däiiisch-schleswig-liolsteiuische, die hamburgi.sche , die lü-
belÜBclie und die oldenburgische. Obendrem waren die Gebiete der
letzteren drei Staaten in miärere Parzellen zersplittert; die eutiniscben
wurden erst durch deu Vertrag von 1842 mit Dänemark auf zwei
Hauptgiuppen abgerundet ; lübis( h ausser dem gesclilos-senen Kern um
die Stadt waren 9 kleine Fleckt' iiuurhalb des holsteinischen, lauen-
burgischen und strelitzisclien Gebiets, hamburgisch ausser dem Stamm
4 innerhalb des alten Stormarn, will sagen 1 1 Quadratmeilen in 15 Fetzen
zerrissen. Auch an gemeinschaftliGhem Besitz Hamburgs und Lttbeks,
Amt BiTgedorf, fehlte es nicht. In Schleswig gab es eine Keihe däni-
scher Umsclilossenheiten : Uebcrreste mittelalterlicher Kindlichkeit des
staatlichen Lebens, welche die letzte Neuordnun«^ der Dinire ftir die
hanseatischen Enklaven zu beseitigen noch keine Zeit gefunden, muueriiin
auch kein so dringliches Interesse mehr gehabt hat.
9. Diese neue Zeit beginnt für unsere Halbinsel, wie auf poli-
tischem so auf volkswirtschaftlichem und Verkehrsgebiet, mit dem Jahre
der Julirevolution. Wie urzeitlich bis weit in unser Jahrhundert hinein
die Strassen und die Mitttd des Landverkehrs waren, möge zur besseren
Würdigung der ungewöhnlichen Fortschritte des letzten halben Jahr-
hunderts hier in kurze Erinnerung gebracht werden Den Grund
zum Postwesen als einer staatlichen Eimichtuug legte Christian IV.
durch zwei Verordnui^en vom Jahre 1624. Unter den sieben Posir-
routen, welche l(i25 in Dänemark bestanden, ist auch die von Kopen-
hagen nach Hamburg tlber Middelfart und Kolding. Friedrich III.
richtete auf derselben Route, aber über Assens und Hadersleben, eine
wrichentlich zweimalige, reitende Briefpost ein. welche den Weg in
dremial 24 Stunden zurücklegte und eine wöchentlich einmalige Fahr-
poet Uber Eolding f&r Personen, Gelder und Gflter, nicht für Briefe.
Christian V. ordnete auf dieser Grundlage den Verkehr 1694, so wie
er bis 1830 unverändert bestanden hat; nur von Hamburg besorgten
die Kopenhan'ener Kaufleute auf eigene Rechnung sieb briefliche Nach-
richten noch zweimal wöchentlich mehr. Von Hadei sieben setzte sich
die Route teUs westlich nach Ringkjöping, teüs nördlich nach Aalborg
fort. Christian V. setzte auch bereits die oben charakterisierte Längen-
zweigstrasse von Rendsburg auf Lttbek, sowie die zwischen Hamburg-
Glflckstadt und Glückstadt-Itzehoe in Betrieb. Friedrich IV. zog (1720)
Heide, Husum, Tondem und benachbarte grössere Orte mit hinein.
Eine tägliche und an einigen Tagen selbst doppelte und dreifache Ver-
bindung fand im 18. .lahrhundert allein zwischen Lübek und Ham-
burg statt. Der dänische Staat unterhielt seit 1777 einen reitenden
Boten wöchentlich zweimal, die Si&dte daneben einen fflrachen täglich
und gleichfaUs läßlich, seit 1802 nur dreimal wdchen^ch eine Fahr-
post. Zwischen Kiel und Altona bewegte sich bis 1832 * ine -Dili-
gence" wöchentlich einmal in 24 Stunden und darüber. In Meidorf,
') Vpl. rdiersicht über den Postenj?anff etc. Bericht an d>^ii Fin.nizmini.ster
vom (JeneralpofitUirektor 1862. — Systematische Sammltiog der iiir die lierzogtiimer
Schleswig und Holstein erlassenen . . . Verordnungen und TerfQgungen , Bd. VIII.
534
Jansen,
[58
der alten Hauptstadt des abgelegenen DithmarschenSt wohin 1720 eine
Fahzpoflt Uber Itzehoe Ton Hanwurg in Gang gesetast zu mm aehemi,
jedenfalla aber nidit auf die Dauer, pflegte die Anknoft des Onmibna
von Wrist noch bis in die Mitte dieses Jahrhunderts jedesmal von einer
anst'linlithcn Menge Teilnehmender begrüsst zu werden. In Brief-
verkehr durch reitende Boten stand es mit den versiliiedenen Rich-
tungen an verschiedenen Wochentagen, au denen die Ablieferung nur
zu genau bemessenen Tagesstunden angenommen wurde. Ein Ort von
der Entlegenheit wie Lemwig (etwa 1400 Einw.) konnte Pakete nur
Tiermal im Jahre entsenden und empfangen.
Zur Besorgung des auf diesen Strassen sich bewegenden Verkehrs
^fenilpften im Jahre 1025 im Könip^eich Dänemark M] Poststationen,
deren Zahl erst 1801 auf 82, darunter 15 in Schleswig, 24 in Holstein,
3 in Eutin, Lubek^ Hamburg, 1833 auf 127 sich gehoben hatte. Die
Kosten eines Briefi» beliefen sich nach den Terordnuagen von 1734
und 1779, je nach den Entfernungen innerhalb Elbe und Kdnigsau, tou
1—6 Schilling, 7'»— 45 Pf.; 4 Schilling, 30 Pf. kosteten 14—21 Meilen
noch nach der Taxe von 1818, so dass ein Brief von Wandsbeek
nach Hiiby zu 38 Hbs. d. h. ungefähr 90 Pf. angesetzt ist. Kut-
sprecliend waren die Preise der Personenbeförderung. Ein Reisender be-
zalüt, so beginnt die Verordnung vom 9. Dezember 183G, vom 1. Januar
1837 an: 1. an Postgeld beim Einschreiben (in den HerzogtOmem)
22*/» Rbs. Sdber (keine .Zeichen" !), 2. an Trinkgeld für den Postilloo
auf jeder Station 13 Rbs., 3. Einschreil)efi:ebühr und Wägegeld 13 Rbs.,
4. Litzenbruderfjeld 13 Kbs.. 5. Litzenhrudergeld unterwej^s beim Pferde-
wechsel (> libs. ; so dass dif erste Meile auf circa 20 Schilling ,lübsch*.
d. h. auf M. 1,50 zu stehen kam. Dafür hatte dann der Reisende
nach einem Gurknlar Tom 29. August 1789 auch einen Stuhl mit Leimen
hinten und seitwärts und wenigstens auch ein leinenes Strohkissen, Tor
allem einen haltbaren Waagen zu beanspruchen. Eine Extrapost, auf
der man für einen erheblichen Zuschlag, Schilling die >reilp. seit
1835 4 SchillinLC. eiuen so<;en. < 'haisenstuhl haben konnte), gab es nur
noch in den belebtesten Plätzen; in Kiel z. ß. erst seit 1813. Die
Wege, namentlich in dem schweren Lehmboden Ostholsteins und voll-
ends in der Marsch, waren im Winter teils gar nicht, teils nur mit
äusserster Anstrengung und selbst nicht ohne Gefahr zu passieren.
Wer von Schleswig etwa eine Winterreise nach Hamburg unternahm,
pflegte vorher zum A))en{3malil m trHhen. Rcrüehtigt war, auf-
fallend genug, besondei-s die l)elebteste Landstrasse, zwischen Hamburg
und Lübek. Auf den Heiden, wo in Ermangelung eines Wegekörpers
oder einschliessender Knicke im Osten, begleitender Gräben im Westen
jeder sich seine Wagenspur selbst w&hlte und oft 5->10 und meiir
nebeneinander zu Gebote standen, lag die Möglichkeit des Yerirrens,
zumal bei Schupe. so nahe, dass streckenweise die Richtung durch Ptahle
bezeichnet war und bei Bau- und Boninierlund Leuchtfeuer (1709) nötig
befunden wurden. Als im Jahre 1849 die genieinsame Regierung von
Itzehoe nach Meldorf eine tägliche Eilpost in Betrieb setzte, ge-
hörte, zumal auf der berüchtigten Strecke des Schweinemoors, jenen
»pontes longi* der Hemmingstedter Schlacht, das Umwerfen zu den
59]
Poleographie der dmbnsoben Ualbiusel.
535
allnächtlichen Vorkommnissen Daljei fehlte es an VVegeordnungen,
welche Erhaltung und Besserung der Fahrstrasseu bei grossen Geld-
Bfcrafen den Anü^jern emschürflen, seit mindestens 1711 nicht Nen-
bauten von einiger Bedeutung gehörten kaum in den Gesichtskreis der Zeit.
Lebhafter ist au allen Zeiten zwischen den KUstenstildten der Ver-
kehr zur See gewesen, namentlich einerseits mit den däuisclien Land»-s-
teilen und den gesamten Ustseeküsten, andererseits der auf der Nordsee
durch weit Uberwiegende Vermittlung Hamburgs mit England und
Amenka und der ganzen Welt.
Mit dem 1. Juni 1882 beginnt för den Verkehr und zwar nament-
lich zu Lande auf der cimbrischen Halbinsel eine neue Zeit, die eines
plaumässigen Kunststrassenhaues. „Vom 1. Juni," so kündigt das Kieler
Korrespoudenzbltitt. selbst ein Wetterzeichen des kommenden Frühlings,
welches das Land „mit sich selbst in Korrespondenz zu setzen" ge-
gründet war, mit bewusster Genugthuung an, „wird täglich . . . eine
Diligence nach Altona abgehn und täglich eine ankommen. . . Zu
gleicher Zeit wird mit der Diligence eine Brief^iost verbunden, so dass
man künftig" — es schien einer eigenen Versicherung zu bedürfen —
ataglich nach Haniburg. Altona und dem Auslände Briefe absenden und
Briefe von dort empfangen kann.*
Die erste Chaussee des Landes war in den Jaliren 1830 und 1831
fertig geworden, die von Kiel nach Altona.
1844 schon ward sie durch eine Eisenbahn flberholt, König
Chi-istians VIll. Ostseebahn, am 18. September, seinem Geburtstage,
oWiflnet. der sich 184') die Rendsburg- NeumOnstersche und GlUckstadt-
Elmshorner, 1854 die infolge der dänischen Politik unglaublich verfehlte
Ohrstedt- Rendsburger, eine Zwei l;1 »ahn der Flensburg-Husum-Tönninger
anschlössen. Hatte nämlich die Kiel-Altouaer schon aus Besorgnis unge-
nftgenden Ertrages von Neumünster an statt der geraden südlichen Rich-
tung eine sehr betrftchÜiche Ausbiegung nach Westen gemacht, um den
Verkehr der beiden von Itzehoe an vereinigten cimbrischen Nord-Sttd-
Strre^sen zu fassen, so wurde vollends die gemeinsame Nord-Süd-Strasse
der Ostküste, die zunächst auch nur von Flensburg an gewagt wurde, aus
politischer Berechnung nach dem damals regierenden eiderdänischen System
nicht gerade auf Schleswig-Bendsburg, sondern auf Husum gebaut und
so der NoFd-Sfid-Verkehr zu dem unglaublichen Umwege über Ohrstedt,
etwa eine Meile von Husum, gezwungen, dabei obendrein die schlecht-
gesinnte Stjidt Schleswig weit abseits liegen gelassen; Fehler kurzsichtiger
Parteiwut, die 1809 unter neuen Kosten j^ebessert worden niussten.
So von einem ersten h-rtum ausgehend hat das gegenwärtige
Eisenbahnnetz der ganzen Halbinsel eine von der natürlich gegebenen
vielfach yerschobene Glestalt angenommen.
Die grosse Nord-Süd-Strasse, so gewiesen wie nur möglich, macht
schon in Jütland, am meisten in Holstein begriffs widrige Zickzack-
bewegungen, an denen die Kiel- Altonaer, ein Stück der Kopenhagen-
*) Auch in anderen ouropUifichen Staaten sah es nicht viel Ix'p^er ans. Von
Edinbnrg nach London und zurück rechnete man 12 — 16 Tage; es galt für rat«um,
■ein Testament za machen. Tgl. Jansen: Uwe Jens Lornsen. Kiel 1872.
Jaosen,
[60
Altouaer Liiiie teilnimmt. Dieser Fehler hat neuerdings (1884) die
Bahn Kaltenkirchen- Altona nach sich gezogen, emeSekimdftrbahn, welche
die geforderte Ergänzung Ealtenkirchen-Neumünster aiusichtsloB macht.
T,;nl^i II fnisse der Westküste, die von Rechts wegen mit einer Zweig-
baliii Elmshorn-Itzehoe hätte bejjTonnen werden sollen, ward durch die
ziivorkoninicndc Zwcirrhahii Elmsliorii-dlückstadt verdorben, an welche
sich nun It^chot-Glückstadt anzusdilii -ssen passend fand. Erst 1878
ward sie l»is Heide, erst in diesen Tagen wird sie bis Ripeu fortgeführt.
Die Haujttijuerstrasse, LUbek-Hambnrg, ward erst nach Beseitigung der
dänischen Landeshoheit (1865) möglich. Die oben erwähnten Gabelungen
der herrschenden Längenbahn, Tm Flensburg durch Angeln auf Eckem-
fi)rde und Kiel, die von Schleswit; mit Ausnahme der Strecke Schleswig-
Eckernförde. die von Neunuin>ter auf Lübek, auch auf Oldenburg sind
hergestellt; die von Hendsburg auf Kiel wird neuerdmgs vorbereiteL
Die Lttbek-dithmarsische Querstrasse ist in der Richtung Oldesloe-
KeumUnster'Heide wieder erstanden. Die Qnerbohn Schleswig-Husum,
wenn auch auf einem ümw^e, der eine Querbahn Rendsbui^-Husum
nach sich ziehen wird, ferner die von Flensburg auf Tondem, wieder
auf einem T in\v(M_r,.. die von Kolding nach Rij)en und nacli Esbjerg, die
durch die gnisste Breite Jüthuids von (irenaae über Kanders nach
Viborg und nach Holstebro, endlicli die südlichste, die von Lübek nach
Lauenburg, sind vorhanden. Gkmz Terschoben sind die natürlich gegebnen
Schenkel der beiden Küst( iistrassen auf der ostholsteinischen Halbinsel:
statt der beiden Linien Kiel-LUtkenburg-Oldenburg und Oldenbui^-
Neustadt-Lübek mit einer Gi-undlinie Kiel-Plön-Ahrensbök oder Eutin-
Lübek dreht sich eine Sclilangeidinie von Kiel tll)er Aschberg, Plön,
Eutin, Neustadt nach Oldenburg und eine Zickzackhnie von Lübek
Ober Eutin und Neustadt nach (Hdenbuig.
Es ist zu erwarien, dass das dmbrische Eisenbahnnetz unter weiterer
Entwicklung der Verkehrs- und Ansiedlungsverhältnisse, die seitl8(t:i be-
gonnen hat, noch erhebliche Aenderungen Und Berichtigungen zu erleiden
haben wird. (Vgl. S. 55.'!).)
Denn 18t »3 hatte dem dänischen Wahn und Hohn gegen Deutsch-
land die Stunde geschlagen.
So wie die dänische Politik 1779 an das Ziel ihrer Bestrebungen
gekommen war, Schleswig-Holstein durch Beseitigung aller Kleinfürsten
zu einem Ganzen abzurunden, begann sie ein hartnäckig festgehaltenes,
immerliin zuerst leise gehandhabtes System der Dnnisierung des nach
ihrer Anschiiiuing seit 1721 inkorporierten Schleswig, des nach 180«3
beim Zerfall des deutschen Ileiches gewissermasseu von selbst inkor-
porierten Holstein. Ans dem Schlummer diesen versteckten Versuchen
gegenüber rief die frommen Holsten der unvei^essliche Uwe Jens Lornsen.
Er „determinierte** den AA'illt ii seiner Landsleute, wie er gehoffi, .auf
immer". Was ISls — 1851 misslang, ward 1864 zum guten Ende geführt.
Lauenburg 18<i5, Schleswiir-Ilolstein 18(57 wurden preussich, Preusseu
aber war deutsch geworden: seit 1870 weht eine Fahne und waltet
eine Heichshoheit über die südliche Hälfte der cinibrischeu Halbinsel;
die Partikularstaaten wie im Deutschen Reich Überhaupt, so im Sflden
Holsteins haben ihre Bedeutung verloren.
61]
Poleogi-aphie der dmlwisolieii HalbinieL
537
Eine neue Einteilung des Landes zum Behüte der Verwaltung lind
der Gerechtigkeitspflege trat an die Stelle der alten, die im engen
Anschbiss an die geschichtliche Entwicklung einen Grundstock ältester
Gliederung erhalten hatte.
Das Herzogtum Schleswig zei^el bis 1803 in Aemter oder Land-
sebaften, adeli([e Distrikte und Städte.
Die Ostseite bestand aus den acht Aemtem : Hadersleben (Osteramt),
Apenrade. Sonderburg, Norburg, Flensburg, Gottorp, Hutten, Fehmarn
und der Landschaft Arröe: dazu aus den t'üni Gilterdistrikten: zwei Angler,
je einer von Ödiwanscn und Dänischeni Wohld und der des St. .lohannis-
klosters; die Westseite aus den sechs Aenitern: W^esteramt Haders-
leben, Lygumkloster , Tondern, Bredstedt, Husum, den Landschaften
Stapelbobn, Eidelstedt, Nordstrand, Pellworm. Die Stftdte waren: Haders-
leben, Apenrade, Flensburg, Sclileswig, Eckemförde, Sonderbin u;. Buig
im Osten; Tondern. Hu.sum, Friedrichstadt, Tönning, G^arding im Westen.
Dazu kamen in der Marsch die octroiierten Köge.
Das Herzogtum Holstein hielt zunächst in den beiden Land-
schaften Norder- und SUderdithmarächeu die Grenzen des alten Frei-
staats, im Amte Stemburg die beiden Marschen Wilster und Krempe,
in den Kanzleigütem und den sogen. Wildnissen, der Herrschaft
Herzhorn und dem Itzehoer Gtiterdistrikt die übrigen Marschgemeinheiten,
in der Herrschaft Pinneberg, in der Grafschaft Kantznu gleichfalls histo-
rische Gt'soiidortheiten fest. Reinbek, Trittau, Tremsbüttel waren die
Aemter der östlichen Hälfte des alten Stormarn; auf die beiden grossen
Aemter Rendsburg und Neumünster war das eigentliche alte Holsten
▼erteilt. Wagrien war aufgegangen in die Aemter Kiel, Kronshagen,
Bordesholm, Segc ))c'rg, Plön, Arensbök, Trarenthal, R* intVld, Rethwisch,
Cismar. Ausserhalb dieser zu filnf Gruppen unter je einem Amtmann
in sich zus;inimengeh'<rt»'n Bt>/.irke. einstiger Bestandteile der wechseln-
den türstliL-lien Par/t llt ii. standfii die klösterlichen l)istrikte von Uetersen,
Itzehoe, Pretz, der Itzelioer, Kieler, Pretzer, Oldenburger Güterdistrikt,
die holstein-gottoipiachen FideikommissgQter, die lübschen Güter und die
lUbschen Stadt-Stiftsddrfer, im östlichen Wagrien bunt zerstreut, in der
Marsch wiederum die octroiierten Köge. Städtische Verwaltung hatten:
Wilster, Itzehoe. Krempe, Glückstadt. Altona. Kiel, Liitkenburg. Olden-
burg, Heiligenhaten, Plön, Neustadt, Rendsburg. Segeberg, Oldesloe.
Hamburg, Lübek, Eutin waren die Hauptstädte der Partikularlande.
Das Herzogtum Lauenburg bestand aus vier Aemtem : Schwarzenbek,
Laiienburg, Steinhorst und Razeburg, 22 adeligen Gütern von zum Teil
ungewöhnlichem Um&nge und drei Städten: Lauenburg, Mölln, Razehurg.
Unter Preussen wird Schleswig-Holstein, worin seit 187() auch das
anfangs gesondert verwaltete Lauenburg als Kreis, aber Krt-is H» r/ogtnm
Lauenburg. aufgenonuMtu ward, eine preiissisrhe Prt»viuz. unrrr einer
Provujzialregierung und eiiieui Provinziailandtage; geteilt zum iiehufe
der Verwaltung in 21 , jetzt 22 Kreise, unter denen zwei städtische:
Kiel und Altona. Von den alten Aemtem und Landschaften sind wenig-
stens dem Namen nach eine Anzahl erhalten: Haderslelten, Apenrade,
Sonderburg, Flensburg, Schleswig, Eckemförde, Tomleni. Husum. Eider-
stedt, Kiel, Plön, Oldenburg, Rendsburg, Segeberg, Stormarn, Norder-
588
Jansen,
[62
dithmarschen , SlUlcnlitliiniirsclien. Steinbur«^, Pinneberg, Herzogtum
Laiif-nhurg. Zum Holiutr tUr (uTechtigkeitspflegc bestehen 70 Amts-
gerichte, vertoilt :iuf die drei Landgerichte Flensburg, iuei und Altona,
unter einem Oberlaiulesgericht.
Bedeutende Veränderungen traten durch die Aufnahme in das grosse
südliche Reichszollgebiet und Reichspostgebiet ein in dem ganzen Ver-
kehrswesen, besonders im Warenverkehr. Alte Verbindungen mussten
abgebrochen, neue geknüpft werden. Wo das letztere nicht gelang,
z. B. in Kappeln, in Amis ist Stillstand und Hückgang eingetreten.
Die Zutrkraft der (n-ossKtädte wh'kt bei dem freien und erleiehterteu
Verkehr aul die kieiaereii iiaeliteilig ein; nur au einzelnen runkteu ist
ein Au&chwung bemerkbar. Die BeTöIkenmg hat teils durch das natür-
liche Anwachsen, teils durch Einwanderung erheblich zugenommen;
eine Zuwanderung, welche einigen PlStxen aus den alten preussischen
Provinzen, besondei-s aus Ostpreussen. sodann aber auch aus Schweden und
selbst aus Dänemark einen nicht ganz unl)edeutfiitlen Bruchteil ihrer
arbeitenden Bevölkerung zugeführt hat. Eine Mischung des Sachseu-
stammes mit andern germanischen oder halbgermanischen, slavischen
Elementen, eine der Masse unbewusste Duich&ngung der lutherischen
Kirche des Landes mit «evangelischen", d. h. unierten Bestandteilen^
neben denen Katholiken und Juden zahlreicher werden, eine Verände-
rung auf dem Gebiete der Sitte, endlich eine immerliin nur noch leise,
aber doch wahrnehmbare Zersetzung des niedri deutschen Sprachgebrauchs
sind Folgen jener politischen Veränderung gewesen; Folgen, die an Um-
fang wie Bedeutung weiter sich entwicktBln werden.
ni. Ergebnisse.
1. Die Natur und Lage der cimbriedien Halbinsel liedingt die
Kreuzung zweier Hau]itrichtungen des gesamten Völker- und Menschen-
Verkehrs, der sieh ül»erhaupt je aut ihr bewegt hat, der Wanderungen
sowohl als der Keisen: Nord-Süd, Ost- West. Beide haben notwendig
eine Gegenrichtung: Süd-Nord, West-Ost
"Molche dieser Strömungen jedesmal die ursprüngliche gewesen ist,
lässt sich nicht mit Sicherheit entscheiden; jedoch deuten Zeichen und
Verhiiltnisse allgemeiner Art darauf hin, dass die Einwanderung TOn
Osten und zwar zu See und Lande und die von Norden die frühere,
die von West und Südwest zur See, die von Süden zu Lande die spätere
gewesen ist.
Auf das unzweideutigste bezeugen die Ueberbleibsel der Urzeit
eine Scheidung der Bevölkerung in eine dstliche und eine westlidbe,
eine der Ostsee und eine der Westsee zugewandte, eine dichtere und
eine spärlichere, getrennt durch weite und • unwirtliche Niederungen.
Ausdriu klielie geschichtliche Nachrichten und glaubliche geschicht-
liche Analogien gestatten die Anualime, dass die Halbinsel viele Jahr-
63]
Poleog»phie der cimbriadiai Halbnuel.
589
hunderte, vielleicht Jalirtausende vor Christi Geburt in ihren höheren und
festeren Teilen hewdhnt und au.sreichend bev/ilkert Lrewosen ist. Eine andere
als ,8cythische". d. Ii, germanische Urbevölkerung ist niclit n!i< ]nveisbar.
Im 5. Jahrhundert ist eine skaudinavische Einwanderung von
Norden und eine sUmache Ton Osten mit Sicherheit anzunehmen. Der
erstere der beiden StrSme kommt ieik an der Widau, teils an dem
Abschnitt Schlei-Treene zum Stehen; der zweite macht an der West-
grenze der Insel Land Oldenburg nur vorüber^nluiid Halt und dauert
die folgenden Jahrhundt-rte weiter fort, bis er ungefähr das Gebiet des
Geschiebethous eingenommen hat.
Die zweite £iiiwanderungs- und Besiedlungsperiode, veranlasst
durch die Gestaltung einer romanisch-germanisäen Weltmonarchie,
beginnt mit dem Ende des 8., Anfimg des 9. Jahrhunderts und dehnt
sich in ihren Nachwirkungen Ober das 10. und 11. Jahrhundert aus;
die dritte fällt in das 12., die vierte in das 13.; die fünfte folgt erst
im 17. Jalirhundert.
Die erste betrifft uur den holsteinischen Osten, die zweite den
Westen und Südwesten, die dritte mehr das Innere und das Orenzland
gegen die Ostzone, die vierte vorwiegend ^e Ostkflste, doch auch den
Westen, die letzte spielt, von Friedezida abgesehn, im Westen allein,
DieSlaven bauen vorwiegend Bnrj^en und RriU kenkrjpfe. die Franken
Burgen und Kirchen, das 12. Jahriiundert gleichfalls Burgen, Kirchen
und Klöster, das 13. Kaufstädte und Klöster, das 17. Freistädte. Als
innere Triebfedern erscheinen zunächst das Bedürfnis der Ausbrei-
tung und Landerwerbung, dann nationaler* Gestaltungsdrang, weiter
teils der fiirstlich-partikularistische Zug der deutschen Entwicklung
teils das kräftig aun)lühende Städtewesen, endlich wieder fürstliclie
Reform- und Herr^t lialtsjjolitik : begleitend aber und mitwirkend, oft
selbst bestimmend kuninit in allen drei mittleren Perioden der missio-
narische Drang der katholischen Kirche, in der letzten das religiöse
FreiheitsbedOrfeis der evangelischen in Betracht, das seihst noch den
einzigen verein/eltt n Spätling unter den Ansiedlungen Schleswig-Holsteins
im achtzehnten Jahrhundert, Christiansfeld, erzeugt.
Massgebend aber er<rhf^int in der ersten Periode nationaler IiT^tinlct,
in der zweiten kaiserlich»- Staatsweisheit, in der dritten das ritterliche
und fürstliche Interesse, in der vierten der bürgerliche Thätigkeitsdrang,
in der letzten wieder ilbstliche Politik.
Innerhalb des einmal feststehenden Rahmens der Ansiedlungen
haben im Laufe der Zeit durch Zuwanderung in bestimmte, vorzugs-
weise gesuchte Punkte bedeutende Veränderungen stattgefunden, im
Mittelalter an der Ostsee, in der neueren Zeit an der Westsee, beide
Male aber am Fusse der Halbinsel hervorragende Anhäufungen ver-
kehrender wie sesshafter Menschen veranlasst.
Ton Nationalitäten sind, soweit sie Überhaupt als solche, d. h. als'
grundverschieden angesehen werden können, vorzugsweise nur zwei be-
teihgt, die skandinavisclu- und die deutsche, richtiger die Nord- und
Südgermanen: von den letzteren diejenigen Stihnnie, welche die süd-
westliche Hälfte (h r kontinent^ilen Basis der 1 lalbinstd beNvohnen; von
der östlichen Verlängerung der Basis ist nur vorübergehend die slavische
540
Jansen,
[64
Nation eingedrungen. Die Grenze zwischen den betd»i germanischen
Stäniiiien ist im Westen die untere Widau ins auf den heutigen Tai:
geblieben; im Osten Jahrhunderte hindurch die Schlei und der Eckem-
förder Meerbusen gew<'sen, ciber ni( ht geblieben; nur in der wenig be-
lebten Mitte des Landes springt noch ein dänischer Keil bis zur mittleren
Treene vor, von Friesen und Angeln westlich und östlich überflügelt.
Die ganze Scheidung istak eme geschichtlich entwickelte, nicht nrsprüng-
lichOf Ton wenig grosserer Bedeutung anzusehen, als der Abstand zwischen
andern deutschen Stämmen auch. *
Die Verteilung der Bewohner über das in Rede stehende n«'Vtiet
. ist bis hl Ute im wesentlichen diesrlhe wie in den ersten erkennbaren Urz»it» n.
'2a. Die Bevölkerung häui't sich zunächst in der Läugeurichtuug
auf dem ganzen OstfOfOrtel, und zwar in steigendem Masse je weiter
nach Süden; hftuft sich seit HersteUung und Sicherung der Deiche in
dem Marsch sau rae wiederum, je weiter nach Süden, desto mehr; ist
spärlich und dünn m der grösseren westlichen Hälfte von Jütland süd-
hch des Lümijords, in der Mitte Schleswigs und der nördlichen Mitte
Holsteins. In der südlichen Mitte Holsteins nimmt sie aliniäiilich zu,
steigt dann an der Elbe und um Hamburg herum bis zu einem Grade
der Dichtigkeit, der nirgends sonst mehr, am entferntesten nicht in
Schleswig und Jütland, erreicht wird *
2b. In der Querrichtung treten Wert und Bedeutung der drei
geschichtlich gesonderten Teile der Halbinsel, sei es nach ihrer Be-
legenheit inncrhiilb des Ganzen, s* i t s nach ihrem Boden, in der ver-
schiedenen Dichtigkeit der Bevölkerung sehr sprechend hervor.
Es hat nänüich*):
Fänwohner insgeiamt
Auf die QuadratDV'ib'
Iteflen
1870 bes. 71
1880
18»
|l870bM.Tl
ISB» ) UM
Jfltland . . .
8cb1eswi<,' . .
a) Hrzpt. Hohtfin
b) I.diienliurK
et Kutin . . .
dl IlHinburt;
(ohne Hitzebiitfel)
«) Lubek
Land Holstein .
460
158
ii4
1
778 119
403 568
ri!»a 1 SS
4'.» OfMl
5» 15a
1060218
1048 511
418318
{ 718831
11-»
63571
1264062
400
719801
S4 719
.jll IM
iil UM
1862846
1
1713
2554
1 bis
2271
2647
«Es
■
TOM
M Havn ^PiMiiilatiiin^ Kart over d«'t Dnnske Monarki 1845) unt- r- lu'idct
Gebiete mit weui^^er uls lOOO Einwohueru in Uolstein von der ä^ebei-(;er iieide
spitz snlaofend bu sfldOstHch von Rendsburg, in Schleswig von Treja acb ver-
brt'itimid bis an die Nipsau, in .Tütland mdhr als dif wf>tli(>be Tliilfto. ausgenomiuen
nur die Küsten und Inseln des LümQord and das nördhche Dreieck; sodann Ge-
biete mit mehr «la 2500 Einwohnern in Holstein die Manch und den Osten mit
eiinr Ausnahme zwischen Neustadt. Eutin und Land (^Idenbur^' . in Land Oldi'n-
burg, in Schleswig die sOdlicbe Marsch und die Ualbinüein bis bundewith, von den
Inseln FOhr, Alsen und halb Fehmarn, in Jfltland den Osten bis Aaihos; Gebiete
mit mehr als 4000 nur in Holstein, nilmlich den Elltrand der Marsch, Hamburg.
Labek und Kiel mit Umgebung, namentlich die ProbsteL Alles übrige blieb zwi-
Stilen lOOO und 2500 Einwohnern.
Die folgende Uebersicht ? . ruht teils auf amtlichen Veröffentlichiinrr.-'n.
teils auf freundlichen Mitteilungen der betreffenden statistischen Aemter in Kopen-
(
j ^H)i
Poleogiaphie der cimbrisdien HalbiiiMl.
541
Noch immer also steigt die Bevölkerungsdichtigkeit mit der südlicheren
Lage ; aber der Unterschied zwischen Jütland und Schleswig ist in
rascher Ausgleichung begriffen: hatte Schleswig 1870 noch 841 Men-
schen mehr auf die Quadratmefle, hat es 1880 nur noch 376 mehr
und ist seitdem noch um rund 1 7 000 Einwohner zurückgegangen.
Dagegen hat Jütland mit der Zunahme des holsteinischen Gesamt-
gebietes nicht Schritt gehalten; 1870 hatte das letztere 8772 Menschen
auf die Quadratmeilo melir, 1880 .schon 4241. Die Einwirknn«; der
politischen Veränderungen aui diu Besiedlung der Halbinsel tiitt deut-
Hch heraus. Ffir die Folgezeit ist eine Ueb^ügelung der Mitte durch
die dänische NordhaMte der Halbinsd und ein noch stärkeres Zurück-
treten derselben gegen den Süden zu erwarten; eine UeberflOgelung
des ganzen Schleswig - Holstein aber durch Jütland hegt ausser der
rechnungsmässigen Wahrscheinlichkeit. iG<» Quadratmeilen jütischen
Bodens tragen jetzt rund 1 lOOOOOEinwohuer, 352 Quadratmeilen schles-
wig-holsteinischen Bodens 1 770 000. Die Bedeutung der cimbrischen
Hfdhinael nimmt nach wie Tor ab mit der Entfernung Tom Körper des
Weltteils, die der skandinavischen und griechischen steigt.
2 c. Die Zunahme der Bevölkerung trifft die verschiedenen Teile
und Punkte der Lande in sehr ungleichmässiger Weise; am stärksten
w"-hsen im allgemeinen die Städte. Es hatten^):
•7. IftTl '
[ 18
80
1 1885
landL Bev.
städtUctM 1
atädtuche
iländl. Bev.
atädtiaebe
Jütland ....
677 857
110 262
729 368
319 148
Schleswig . . .
315 830
87 738
806 236
112 082
298 475
102 457
a) Herzoet. Holstein
b) Laaenbarg
3ti3 931
r. 5«o(>o
13 000
1 426 aoo
2di 6SI
437 m
318 006
c) Kutin ....
30 653
3 700
30 571
4 574
30 053
4 666
d. Jliimluirf;
(okne Uiuebüttel)
33 3 16
2'.);) 17!»
3R 38«
410 127
39 767
471411
e) Lübeck ■ . .
r. 10 464
It 701
in :m
67 06.5
Holstein ....
474 384
ÖÖÖÖ34 j
ÖU3 945
760 117
1 517 698
845148
Sehleswig • Holstein
inkL Hamborg etc.
790 2U
678572
1 810281
872199
816178
947605
Auch hier zeigt sich ein Zurückbleiben Schleswigs rrpppn Jütland
und gegen Holstein. JUtlands städtische Bevölkerung bildet zu der
bagen, Oldenburg, Hamburg und LQbek. In Jtitland ist 1885 kenne Zfthluug er-
folgt. Das Jahr 1870 I tziiht sich auf die d&nische, 1871 auf die deutsche Zlihlung.
Unter ,Land Uoletein* ist das hamburgische, lübscbe und eutinisobe Gebiet mit
befiuRi Die Angaben fllr 1885 sind sogen, vorläufige.
') Da.s Verliiiltnis di r ländlichen und Btädtischen Bevölkerung ist hier auf
Grundlage der amtüchon Listen und deren Unterscheidung swiscben Städten und
Flecken einerseits, Laudgt lueinden andererseits bestimmt. Die folgende Tabelle
(S. 543) , in der unterschiedlos alle grösseren Orte mit 2000 Kinwobneni imd ÜM-
ftber zusammengestellt ^ind, muss etA^as andere Ergebnisse liefent.
8o die Angabe des statistischen Bureaus m Kopenhagen. Wie die allzn
grosse Differenz gegen das Ergebnis auf 8eite 543 za erklären ist, vermag icb
nicht zu sagen. Die entsprechende für die schleswigschen und hol.steini.schen Städte
ist klein genug, um »ich aus der Weglassung der Orte unter 2000 Einwohnern zu
erkl&ren.
VoncAraiigsa rar dsvtoehsB LMidts- vmA TolkSlnnAt. I. t. 87
542
JiMsen,
[66
ländlicheü 1870 etwa ein Seclistel, 1880 schon nähert sie sich der
Hälfte; Holsteins städtische BeTölkenmg übersteigt schon 1871 die
läDdliche um rund 100000, 1880 um rund 250 000, 1885 um rund
820 000; in Schleswig ändert sich das Verhältnis wenig: 1870 haben
die Städte etwas mehr als ein Viertel der Landbevölkerung, 1880 und
1885 etwas m»hr als ein Drittel.
Schleswig -Holstein ziisaramen^jrfnommen hat 1871 noch einen Ueber-
schuss der ländhcheu Bevölkerung von rund 170000 Menschen, 1880
bleibt bereits die ländUche gegen die siftdtische um rund 62000, 1885
gar um 131000 zurück.
2d. Die Belegenheit derjenigen Ansiedlungspimkte, in welchen
sich die Bevölkerung in mehr oder minderer Dichtigkeit znsamraendränfrt.
entspricht t]eii oben aufgestellten Gesetzen, wie nachstehende Tabelle 'j
anschauhch machen wird.
Au& schlagendste tritt uns der Zug entgegen, der die Mensdien
an das Element des Lebens und der Bewegung, das Meer, zieht Von
den 72 Städten oder stadtartigen Orten liegen 56 teils am Meere, teils
in wirksamer Verbindung mit ihm, teils doch in seinem Bereiche, nur
16 in der Mittelzone, auch diese fast ausnahmslos an Flüssen oder
Seen. Von ihnen allen kommen auf Holstein allein 11, auf Jütland 5,
das schmalere Schleswig hat keine einzige. Die Zahl ihrer Einwohner
ist gering: 18 haben zwischen 2000 bis über 7000 Einwohner; von
den 3 erheblich grösseren stellt Bendsburg einen wichtigen Flussüber-
gang und eine Strassenkren/img, Neumünster einen Knotenpunkt
mehrerer Wege dar, Wandslxk nährt sich von der nahen Grossstadt.
Von den beiden Gestadezonen übertriflPb die östliche an Zalil der
Niederlassungen die westliche mit 34 gegen 22; dennoch aber an Be-
TÖlkerungsmenge die westliche die Ostliche 1880 mit 597397 gegen
318499 um fast die Hälfte.
Der Flächeninhalt von Schleswig -Holstein zu dem TOn Jütland
verhält sich etwa wie 3:4; die Zahl der Städte aber wie 49 : 21,
d. h. wie 7 : 3. Schleswig, ungefähr V' Jütland, steht an Zahl
der Städte wie G : 1 1 ; wenn man, wie geographisch richtig wäre, Ripeu
zu diesem Herzogtum rechnet, noch etwas günstiger. Holstein, an
Qnadratmeilenzahl zu Jtttiand etwa wie 8 : 8, verh^ sich an Zahl der
Städte wie 39 : 21, d. h. nahezu wie 2 : 1.
In der Grösse der Weststädte jQtlands und Schleswigs zeigt sich ein
gt'wisses Gleichgewicht; jedoch liegt die eine, welche erheblich grösser ist.
nack dem Süden des Landes zu, wo auch die Zahl derselben sich häuft.
In Holstein bleiben von den Wuststädteu nur 4 unter 4000 Einwohnern und
2 unter 6000 Einwohnern; Heide, Itzehoe, Ottensen, Altona, Hamburg
steUm eine wahrhaft reissende Steigerung von rund 7000 zu 10000,
zu 20 000, zu 100 000, zu fast 500 000 dar. Bie Bedeutung des Knoten-
punktes, der Länge und Belebtheit der hier sich Terdichtenden Strassen,
*) Aufgonomm-Mi sind unter die grösseren Orte alle, welche 1885 mindestens
2000 Einwohner luitton. für Jlltlaad, welche sie nach der WahrBcheinlichkeitsrechnunj?
haben innuHtt^n. Di*^ Abgrenzung zwischen Westen, Mitte und Osten ist teils nach
dem Verkaiinis zur Kostet teils, namentUch in Holstein, auch mit nach der Bodenart
und den Verkehrabeiiehungen gelarofFen.
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544 Jansen, 68]
die durch Europa und durch alle Meere führen, fällt mit grosser Deut-
lichkeit in die Augen: der in seiner Art einzige Ansiedlnngspunkt an
der bezeichneten Mbüberganga« und Wendestelle mit seinen rond
GOO OriO Eiinvohnem hat mehr als halb so viel Einwohner wie ganz
Jütland. fast lialb so viel wie das ganze Herzogtum Holstein. 200 000
mehr als «las iranze Ht rznnftum Schleswig, und nur etwas weniger als
den vierten Teil der gunzcu cimbrischen Halbinsel.
Auch an der OstkOste lisst sich eine Zunahme nach SOden in der
Grösse und Bedeutung der Städte nicht verkennen. Aber sie ist hier
zu allen Zeiten eine allmählichere gewesen und hat nach den vor
zwei Jahrzehnten eingetretenen Veränderungen begonnen sich zu ver-
wischen. Aarhus, Flensburg, Eiel, LUbek stellen diese Steigerung dar:
1870 1880 1885
Aarhus 15 075 21 831 29 263
Flensburg . . . . 21 325 30 956 33 009
Kiel 31 747 43 594 51 699
Lttbek 39 743 51055 55 399
2e. Hödist beachtenswert nämlich ist der Aufschwung der jüti-
schen Stödte. Während auch von den kleineren, soweit sie hier
genannt sind, von 1870 — 1880 keine ^nzige zurückgegangen ist, zeigen
eine erhebliche Anzahl der grösseren ein Uberraschendes Wachstum.
Aus dem Nichts hervorgerufen ist der Westseehafen Esbjerg. der von
30 Einwohnern 18(50 auf 1529 Einwolincr 1880 gestiegen war und
jetzt die 2U00 tiberschritten haben wird. Aarhus, 1769 nur noch
4156 Einwohner gross, zählte 1801 deren 4202, 1855 schon 8891,
hatte sich also damals in 86 Jahren verdoppelt; von 11009 im Jahre
1860 ist es 1880 auf 24 831, 1885 auf 29 2(33 gestiegen»), hat sich
mithin in 20 Jahren mehr als verdoppelt, in 25 fast verdreifacht. Hatt«
es von 1860 — 1870 um rund 36 also jährlich etwa um 3'/« V zuge-
nommen, ist es 1870—1880 um 65 «/o, jährlich um ö'/s %, 1880—1885
freilich nur noch um 17,74^1 ^- h. jährh'ch um 3,5 */o gestiegen. Die
bedingenden und erzeugenden Ursachen des Verkehrs und der Ansied-
lungen zeigen sich in diesem Falle mit besonderer Deutlichkeit, l^ie
ersteren beruhen in der Belegenheit der Stadt auf der Mitte d<r dem
Hauptlande des Staates zugewandten Seite, welche Lage seit der Ab-
trennung vom büden gleich der Glitte einer Gestadeinsel wirkt (vgl.
S. 481 I, 1, c u. II, 3, b und Bedingtheit S. 25); ausserdem in den
vergleichsweise gllnstigen Verhältnissen des betreffenden Fahrwassers
und des Hafens; die erzeugenden in dem entschlossenen Willen des däni-
schen Volkes, durch die Verkleinerung des Staatsgebietes sich nicht ent-
muticfpn. sondern nur zu verdoppelten Anstrengungen aufrufen zu lassen
und den skandinavisch-dänischen Handelsverkehr nach Müfrlichkeit von
der Südrichtung durch die entfremdete cimbrische Balbmsel m die Quer-
richtuug zu werfen, um ihn vermittelst eines erstsu schaffenden BaCeoB
an der einzigen einigermassen gOnstigen Stelle des Westmeeres* auf den
Diese Angabe verdanke ich der frenadliehen Mitftnluug des Stadtrats von
Aarhu«, der 1885^ eine Srtliebe Zftliling am dgcnem Antriebe vorgenommen hat.
09]
Poleograpliie der cimbrischeu Halbinsel.
545
geraden Weg nach England zu leiten. So ist der Abstand zwischen
Aarhus und Flensburg, welches in Schleswig genau denselben Punkt
darstellt und tjleiche oder noch günstigere Verkehrsbedingungen hat,
wie Aarhus in Jutland, von 6000 im Jahr 1870 auf rund 4000 herab*
gegangen im Jahre 1885.
Andererseits hat Flensburg Wachstum auch nicht Schritt zu
lialten Termocht mit dem von Sid.
Flensburg hatte an der Blüte des dänischen Handels während des
amerikanischen ünabhängigkeitskarapfes und der Revolutionskriege bis 1807
einen hervorragenden Anteil. Während dalier fast alle kleineren, auf vSchilf-
fahrt und Handel mit dem Norden aufgewiesenen Stiulte Fehles wigs die
Trennung von Dänemark schwer empfunden und meist mit einem sofortigen
oder beifügen Rückgang erkauft haben, konnte Flensburg, gestOst anf alten,
gediegenen und wohl gewahrten Reichtum, sich neue Erwerbswege er-
öffnen. 1769 hatte Flensburg 6842 Einwohner, eine Zahl, die Kiel
erst 1781 erreicht haben wird; 1803 war Flensburg bereits auf 10 666,
lH:i5 auf 12 438 gesti.M^en; 1845 hatte Flensburg 13 443, Kiel 13 572
Emwohuer; 1855 ist Kiel mit 16 218 Einwohnern von Flensburg mit
18875 Uberlioli; 1867 aber schon mit 21707 Einwohnern auf gleicher
Hobe wie jenes mit 21 999, das Militär eingerechnet ihm yoraus; 1870
bereits hat Kiel mit infolge der Einverleibung des Vorortes Brunswik
einen Vorspniujf von rund 10000, 1880 Ton rund 13000, 1885 Ton
rund 18 000 Einwohnern.
Mit dieser Gangart kann auch Lübek niclit Schritt halten. Der
Abstand von 1845, 29 234 gegen 13 572, hat sich 1871 bereits ver-
mindert auf 39 743 gegen 31 747, jetset ist er von rund 8000 auf rund
4000 herabgegangen und unter Hinzurechnung von Garden, dessen Ein-
verleibung in Kiel eine bittere Notwendigkeit sein wird, von Ellerbeck
und Diedrichsdorf, die im Grunde auch als „Vororte" auLresebeu werden
müssen, würde Kiel wohl schon jetzt die alte Hausestadt um mehr als
9000 Einwohner schlagen. Auf der Ostseite scheint also, wenn nicht
besondere Unternehmungen eine Abloakung der eingetretenen Sfardmung
hervomfen sollten, die Bedeutu^g^ Lubeks nach seinen naftOrlichen Yer-
kehrsbedingungen durch die Wirkungen der erzeugenden Yerkehis-
ursachen überwo'Ten.
2 f. Beachtenswert ist feriu r die Thatsache, dass in Schleswig und
Holstein seit 1880 last alle kleineren Städte, soweit sie nicht in
dem Wirkungsbereich einer grösseren liegen oder sonst erzeugender
Verkehrsbedingungen sich eäreuen, im Bflckgange begriffen sind'):
Tondem, Tönning, Hadersleben, Apenrade, Sonderburg, Schleswig,
Kappeln, Heide, Meldorf, Wüster, Glückstadt, Rendsburg, Kellinghusen,
Mölln, Lütkenburg, Oldeuburfj^, TTeiliu^euliafeu , Burg. Pretz, Neustadt.
Segebers^ sind sämtlich zurückgegangen und zwar bis auf Haderskl»en.
Pretz und KeUmghusen, nachdem sie in den Jahren 1871 — 1880 emen
zum Teil erheblichen Auftchwung genommen hatten.
wäre zur Aufklärung der Ursache von grosser Wichtigkeit, den jetzigen
BcTÖlkerungsstand aucli der jütiächen Städte zu kennen, die aber sdhwerÜch aUe
wie Aarhus eine Ortliche Zahlung vorgenommen haben werden.
54G
L70
Ein Warlistum und zwar ein beschleunigtes, zeigen haupisäcblich
nur Kiel und Hamburg, beide mit den üiran Bereiche aogehörigen Ort^n.
Kiel hat seit 1867 die Wirkungen der erzeugenden Verkehrs-
ursachen in ]i()h( m Masse erfahren und somit die in seinen bedingenden
Gegebenheiten ruhende Möglichkeit zur Verwirklichung gelangen sehen
Bis ttber die RefonastioiL Iuhsub wird Kiel, auf die jetzige Altstadt
beBcbribikt, kaum hoher als auf 4 — 5000 Einwohner anzuschlagen sein»
Im Anfang des 17. Jahrhunderts gibt es schon einige Häuserreihen
ausserhall) der nltcn Mauern'), die Anfänge der jetzigen Vorstadt, mit
Fleethöru und Kuliberg. 1781 erst zählt die Stadt 6(567 Einwohner»
die 1803 auf 7(t7r>, 1825 auf 10 035, 1835 auf 1162Ü gestiegen sind.
Die Eröffnung der ersten cimbrischen Eisenbahn 1844 gab einen An-
lass zu rascherem Wachsen, von 13572 (1845) auf 16218 (1855). In
der etwa doppelt beschleunigten Zunahme von 18 695 auf 21 707 in
den Jahren 1864—1867 sind die Wirkungen der preussischen Occu-
pation sichtbar. Der folgende Zeitraum von 1867 — 1875 zeiV^t fm
Wachsen von zusammen rund 42 "/o, d. h. jährlich 5,2 " n : der letzte
von 1875 — 1885 nur noch ein Steigen von 37 246 auf öl 707, d. h. im
Ganzen um rund 88 Vi jährlich um nicht mehr ganz 4%. Wenn die
Stadt also mit Aarhus, das ^ 1870—1880 um 6Vt> jShrlich ge-
wachsen ist, bei all«r Gunst der Verhältnisse keinen Sdiritt zu halten
vermocht hat, so werden die erzeugenden Bedingungen des Verkehrs
dort als noch günsti^'f-re angesehen werden müssen.
Der oben erwähnte, durch die berechnende Entschlossenheit der
Dänen abgezweigte Verkehrsstrom geht vorzugsweise nach England;
denjenigenNord-Sfld-yerkehr aber, der von Hamburg aus nach den ißeder-
landen, Paris, in die grosse Welistr;is>t» ih s Rheins, nach der Schweiz
und Italien weiter geht, kann Kiel niemand nehmen. Dagegen wird
es nach Einrichtunc^ der demnächst zu eröffnenden Route Kopenhagen-
Rostock auch noch dt njenigen Teil des Nord-Süd-Verkehrs abgeben müssen,
der bisher Uber Uamburg oder Lübek eine südöstliche Richtung ein-
') Di<' obige Ausführung ii<t , wie ich dem Herrn Prof. Hahn pcf^enOber
hervorzuheben genötigt bin, mit dem von mir ttber Kiels Lago in meiner Schrift:
, Bedingtheit etc.' Dargelegten in der vollkommensten Uebereinstimmung. Wenn
derselbe (Die Städte der norddeutschen Tiefebene S. 158) meint, ,im Angesicht des
grossen deutschen Kriegshafen» wtirde ich jetzt anders urteilen als 18G1 wo ich
gewarnt haben soll, „auf jene Eigenschaften* (Tiefe, Gerilumigkeit, Verteidigun^-
lilhigkeit) , allzu sanguinische Hofinmigen m bauen," so ksum ich meine Yerwundenm^
nicht bergen, wie wenig aufmerksam er meine Darlegung gelesen hat. Ich weise
hin auf S. 101 : »Wer bedenkt, wa« dieser Winkel der Erde als Teil eines gro-ssen
und mächtigen, freisinnig und hoclihorzi^^ geleitetm Rdchea werden könnte, dem
zittert das Herz entweder vor Freude odi r audi vor — Entsetzen.* Die eut.'^chei-
dende Stelle selbst aber folgt S. 103: «Allein auf seine bequeme Tiefe daher,
auf aemen Umfang, seine Geschüt/theit HoAnilDgen unbegrenzter Art bauen sa
w<dl€n . . . erscheint kühlerer Betrachtung sangumisch.* Pii^ Voranstellung des
Worteg gAllein", seine Hervorhebung durch den Druck konnte es doch für nie
maad nreifelboft lassen, was der Schkswig-Holsteiner von 1861 im Herzen trug
xind wa« er forderte, um die schlummernden Kräfte Kiels in Wirksamkeit ge-setzt
zu sehen: ein Deutschland, eine deutsche Flotte, kurz, die erzeugenden ürsachoi
des Verkehrs forderte er zu den vorläufig , allein* vorhandenen bedingenden hinzu.
Midlt Eurückzunehmen hal>e ii h mein I rfeil, icli darf es als vnll liestätitrf nnsdieB.
*) Vgl. die Abbildung in Bruma und Hogcnbergs Theatiuiu urbium.
71]
PoleograpUe der- cimbriMhen Halbmiel.
547
schlug. Ob und wie weit der nunmehr in sicherer Aussicht stehende
Schift'ahrtskanal auf die Bevölkerungs- und auf die Handelsverhältnisse
wirken wird, bleibt abzuwarten; gewiss ist einmal. <hss ein Steigen
der BeYölkeruDg nicht zugleich immer ein Steigen des Wohlstandes
und wahriiafte Blflte bedeutet, sodann dass Oanst und Ungunst der
natOrlichen Lage durch keine kttnstHchen lüttel ganz ihre Wirksamkeit
verlieren .
Durch die Vorteile seiner natürlichen Verkehrsbedingunjjcn über-
ragt der trrosse Verkehrsbrennpunkt Hamburg mit seinen Trabanten
weitaus alle anderen. Die Kreuzung der Hauptlängenstrasse mit der
Hauptquerstrasse, die Einmündung beider Iiängenstrassen zweiter Ord-
nung (2 und 3)f der Diagonalsfarasse von Burg tmd Oldenburg her (III),
Strahlen, denen genau enisprechende bei Harburg zusammenschiessen,
endlich der End- und Wendepunkt desFIuss- und des Seeverkehrs, Wasser-
strassen, die ihrerseits aus zahllosen Fäden eines bezügbch über Deutsch-
land und über die Welt ausg<'breiteten Netzes zusammengesetzt siiul,
führen in ihrem Zusammenwirken zu Ergebnissen, die einen Vergleicli
mit irgend einem anderen HandelrolatiBe der dnSbrischen Halbinsel nicht
bloss, sondern des europäischen Festlandes nicht mehr zulassen.
Ende des Mittekitters nach verschiedenen Schiitzungen etwa
12—20 000 Einwohner gross, Ende des ir>. Jalirhunderts vielleidit
20 — 30 DUO, wird die Bevölkerung 1700 aul ürundlajje vorliegender
Geburts- und Sterbelisten auf 97 000 berechnet^}. Für 1789 nimmt
Hess eine städtische Beydlkerung TOn 96 000 Einwohnern an, die unter
Begünstigung der damaligen europSischen Verhältnisse in den Jahren
bis 180(3 als rasch anwachsend anzusehen sein wird. Die Folgen der
französischen Besitznahme zeigen sich aber schon in dem Ergebnis einer
1811 vorgenommenen Zählung, das nicht höher ist als rund 100 700
Einwohner. Im Jahre 1821 werden in Stadt und Vorstadt St. Pauli
127 985, 1835 149 520, 1845 166 916, 1855 185 G41, 1865 211038
gezlUilt, 1871 286279, d. h. also in 50 Jahren eine Zunahme Ton rund
110000 Einwohnern, die HSfen und Vororte mitgereclmet Ton rund
172 000. In den 9 Jahren von 1866 bis 1875 ist die Bevölkerung der
Stadt mit Häfen und Vororten von 259 134 auf 348 447 Einwohner,
d. h. um 3*/5 °n jährlich, in den 10 .Tahren von 1875 — 1885 von
348 447 auf 471411, d. h. nur noch um etwa 3'/t > jälirlich ge-
wachsen, ein kleiner Rückgang also andi hior ein^^etreten. I)er be-
deutende Abstand, in dem auch Hamburg gegen die Hauptstadt Jüt-
lands, wenigstens in dem Jahrzehnt von 1870 — 1880 bleibt, wird sich
auch hier mit daraus erklären, dass ein erheblicher Teil des Zuwachses,
den der Kern der grossen Elbstadt eigentlich erzeugt, den umliegenden
Orts( hatten zu gute gekommen ist und kommt, welche grösseren Raum
und leichtere Erwerbsbedingungen bieten, ohne bei der Leichtigkeit des
Verkehrs die Vorteile der Grossstadt zu entbehren.
2 g. Welch ein Abstand des heutigen Nordalbingiens gegen das
▼on etwa dem Anfange unserer Zeitrechnung ! Damals stödtische Ansied-
lungen unbekannt, ja nicht einmal geduldet: jetast ein Zusammendrängen
') Nucb Ireuudlichen Mitteilungen des Hambarger statiätischen iiureatM.
548
jMiMn,
der BevölkerunfT an bestimmten, begünstigten Plätzen, das zn dem
Beieinander- ja Uobereinanderwolmen unter der Erde, über der Erde, in
doppelten biä vier- und fünffachen Schichten geführt hat, Licht, Lu^
Atem Itemmfc, KzimkhdteiL des Leibes und ScbSden der Seele er-
zeugt, AuBwflchee der gesellBchaiÜicheii Ordnung, Bxtreme des Reidi-
toms und der Armut hervorruft, aber eben — ist und bleibt.
Und dieses ausserordentliche, in mancher Hinsicht bedenkliche
Anschwellen der Städte ist erst sehr jungen Datums.
Bis ins 9. Jahrhundert gibt e.s in unserem Lande kaum die
wickelt sich, was man städtisches Leben nennea kann. In den letzten
Jahrhunderten des Mittelalters nehmen zwar Lfibek und Hamburg ftlr
Ost^ und Nordsee-Gebiet beherrschende Stellungen ein ; dennoch werden
sie, nach allen Anhalten zu urteilen, mehr als je 20 — 30000 Einwohner
kaum gehabt haben; die ländlieho Bevölkerung bleibt die weitaus über-
wiegende. Dies Verhältuis dauert trotz allmählicher Zuuaiuue Ham>
burgs bis m unser Jahrhundert, ja bis an und ttber die Mitte desselben
fort 1803 hat Schleswig-Holstein nach der damaligen Zihinng bei
einer Yolkszahl von 604 084 nur 104447, d. h. wenig mehr als ein
Sechstel städtisdirr Bevölkerung, unter Einschluss von Hamburg
(rund 130000 Einwohner), Lübek (rund 30000), Eutin (rund 2."i00),
Lauenburg (rund 3000), nach mutmasslicher Schätzung bei einer Bevölke-
rung von rund 819000 eine städtische von etwa 270000 Einwohnern,
d. h. immer noch nur etwa ein Drittel Selbst 1875 noch, wo Schleswig-
Holstein (107392G) mit Homburg (888C>1S), Labek (58000), Eutin
(34 000) eine Gesamtbevölkerung von 1 555 334 Einwohnern trlif^,
behält die ländliche mit 811 271 gegen die städtische (346016 -f 348447
-f 45 000 +4000 =) 744163 em Mehr von rund 67000 Einwolun-m.
Erst 1880 ist das Verhältnis auch für Schleswig-Holstein umgeschlagen:
die Stftdte haben ein Mehr Ton 62000, 1885 schon von rund 130000!
2 h. Auch diese Erscheinung, nicht bloss bei uns, sondern in der
ganzen civilinerten Welt, bewährt uns von neuem das Wechselverhält-
nis zwischen den „Stätten" und den „Wegen". Die ^Wege'" haben
aber erst seit etwa einem Menschenalter ihre eigentliche Aufgabe und
Bestimmung der Bewegung in einer Weise zu erfüllen angefangen,
dass jetzt erst der ganze Inhalt des Wortes, der wirkliche Tiefsinn der
Sprache in sein voUes, ttbenasohendes Licht su treten beginnt Die
Y( II ri ilung der Verkehrsmittel hat eine Leichtigkeit und Schnelligkeit
der Bewegung ermöglicht, diese zugleich eine Zunahme der Verkehrenden,
eine Ausdehnung des V^-rkehrsgebietes, eine Verlängerung der durch-
messenen Entfernungen und eine Kürzung der bezüglichen, nntwni-
digen Zeitlristen, das» die Kiuwirkung davuu auf die Ualtestätteu niclit
ausbleiben konnte. Wuchs mit der LSnge der Verkehrswege und der
Zeitersparnis der jedesmalige Verkehrsbereich, mussten in entsprechen-
dem Masse die Züge der Verkehrenden dichter und zahlreicher werden.
Städte, die früher als Herbergen in Betracht kamen, mussten iliro Be-
deutung verlieren, zu blossen Anhaltestellen herabsinken, wohl gar den
Verkehr.s.strom au sich vorbeirauschen sehen. Erst in weit grösseren
Entfernungen fand sich eine Stadt, die ftlr den so unendlidi erweitertea
ersten Ansätze städtischer Siedel
Erst im 13. Jahrhundert ent-
78]
' Poleographie der cimbriMli«!! Halbinsel.
549
Vorkehrskreis einen bequemen Mittelpunkt darstellte; hier strömte und
staute sich nun aber auch die bewegliche Menschenmenge in einer Weise
zusammen, dass sie zu ihrer Verpflegung, Ausrüstung, Ausbeutung eine
entsprechende Ansiedlung von iiuhenden hervorrufen musste. Die Strasse,
die in Hamburg zusamniBn laufen, kommen ans allen LSndern Europas,
Amerikas, aneh der andern WeltteQe, London ToUends iel: der Mittelpunkt
eines Wegenetzes, das sich gleichm'äsng ausspannt über die Welt.
3. Es wirrl anf^ebracht erschoinen, diese Steigerung des Ver-
kehrs in mehr audi iiteiider als ausführender Weise durch einige Zahlen-
angaben zu verdeutlichen.
im Jahre 1G25 gab es im dänischen Gesamtstaate 30 Post-
Stationen; 1801 deren in Dänemark 40, Schleswig 15, Holstein 24, im
Ausland (Eutin, Lubek, ftunbüi^) 8, sosanmien 82, d. h. also eine
Steigerung in 17(3 Jahren von etwas mehr als dem Doppelten. 1833
haben Schleswig, Holstein, Tiauenbiirg zusammen 55 Poststationen, 184()
67, 1860 75, ausserdem bereits lOU Briefsammelstellen. Ende 1884 <^ab
es im Bezirke der Oberpoätdirektionen Kiel und Hamburg, soweit nordal-
bingisches Gebiet in Betraebt kommt, 379 + 49 = 428 Postanstalten >).
Briefe wurden in den Herzogtümern 1838 gewechselt 1165768;
1846 1813809, die Postämter im Ausland eingeschlossen. 1884 sind
in den Herzogtümern aufgegeben 27 5(33 803, ein^jec^angen 28203 305,
zusammen rund 56 000 000 Briefe, d. h. in noch nicht 40 Jahren eine
Steigerung um mehr als das Dreissigfache!
Wertsendungen kamen im Cresamtstaat Dänemaik 1838 Über
34 ICniionen, 1846 aber 59, 1860 Uber 115 Hillionen Reichsbankthaler
vor; 1884 sind in den Herzogtümern (Hamburg, Lübek , Eutin einge-
schlossen) Wertsendungen allein aufgegeben 291 708 4(38 Mark, einge-
gangen 236 846079 Mark, Postanweisinif^'en eingezahlt 106 914 704 Mark,
ausgezahlt 83061987, ein Gesamtbetrair v,,ri rund 719 000 000 Mark.
Schätzen wir den Anteil der Herzogtümer an dem Gesamtverkehr
Dänemarks für 1860 auf etwas mehr als ein Drittel, d. h. auf rund
40 Millionen Reichsbankthaler und rechnen den von Hamburg, Lttbek,
Entin, soweit er nicht durch die dänischen Postämter vermittelt sein mag,
noch mit rund 8 Millionen hinzu, d. h. also auf 108 Millionen Mark,
so würde sich in 24 Jahren eine Steigerung von ungefähr dem Sieben-
fachen ergeben.
Am erstaunlichsten ist die Zunahme des PersonenTerkehrs.
1833 noch yerkehrten im dänischen Geeamtstaat mii der Post
nur 8290 Personen*). Die Einfahrung von „Diligencen" auf mehreren
Strassen, die Verbesserung der Warden durch Federn steigerten diese
Zahl in den folgenden Jahren merkbar. 1834 z. B. um 24 */o, auf 10344,
1842 gegen 41 um 61 "/o, auf 41 569 Personen. Die EröfTnung der ersten
Eisenbahn Kiel-Altona 1844 machte sich sofort geltend in einem Sinken
der Zunahme yon 31 auf 7 ^/ft noch im Jahre 1844, obwohl die Erö&ung
') Diese und die folgenden bezÜgUohen Angaben verdanke ich der freund-
lidien Bereitwilligkeit des Herrn Oberpcmdirektorä Hafiftdel in Kiel.
') Urher icbt über den Pottongaog etc Benoht an den Finaninninirter tooi
Oenendpostdirektor 1862.
550
JftnMn,
[74
am 18. September stattiand. DeDDOch beniitztcii 184») schon r)4 7G4
Personen die I'ost; 1800 121 812, davon in den Herzogt iiniern 41241,
also rund der dritte Teil, so dasa liier 1833 etwa 2700, 1840 etwa
21000 werden befördert sein*
1884 war das nordalbingische EieenbahnnetB bereite so entwickeli»
(Iri'^s nur noch 18090 Personen sich auf die Postwagen angewiesen nben.
Dafür beförderten die Eisenbahnen iblgende Zahlen 0:
A. Die Privatbahnen.
1, Schleswig-Brarup C4 753
2. Altona-Kaltenkirchen .... 122000«)
8. Lübek-Travcmünde ...... 157 834
4. Lübek-Büchen 191 429
5. Lübek-Eutin 243 572
6. NeomDnsteT'Tönmng .... 261 401
7. Kiel-Eckernt(irde-FIen.sburg ») . 304 483
8. Holsteinische Marschbahn . . . 46ti f>;U
9. Lübek-Hamburg C7u 190
2 482 596
B. Die Staatabahnen.
10. a) Betriebsamt Flrasburg:
angekommen . 000 900 *) ) , ^oi aaa
a>)gegangen . . 604 700 5 ^ ^
b) Betriebsamt Kiel:
angekommen . 1,015 400 j n na? 7aa
abgegangen. . 1 02230oM ""^"^^
c) Betiiäsamt Hamburg:
7 839 100
dazu . . 2 482 596
Summa . 10 321696
Von 1884 also bis 1884, in einem halben Jahrhundert, ist die
Zahl der dnreh öffentliche Verkehrsmittel beförderten Personen in den
Herzogtflmem von rund 3000 auf rund 10000000 gemM^iaen, d. h,
um mehr als daslhcitausendfache; eine Veränderung, wie sie in allen Jahr-
hunderten unserer Geschichte zum erstemuale eingetreten ist. Qibt
') Nach gütigen Mitteilungen der betreffenden Verwaltungen.
*) Die Buia ist eist am 8. September 1884 eröflhet nnd hat bis sam
81. Dezember 80 474 Per? onen befördert , -nas su der obigem SddLtxaiig fölni.
1885 ist die Zahl der Beförderten 122 (iai gewesen.
') Vom 1. April 1888 bis 1. April 1884. (Letster Bnieht.)
*) Bei der Zusaninienzählunp der Einzelanpaben für di»' l>o,-onderon Sta-
tionen sind die Zelmer nach oben oder unten zu Hunderten abgerundet. Vom Be-
triebiamt Hamburg ist natfiriich nur das holsteiiiiBciie Gebiet in Bedmung gezogen.
75]
Poleographia der dmbrucben HalbiiMel.
551
es, soweit ich sehe, auch keine Angaben, selbst kaum ATihalfspunkte,
um festzustellen, wie viele von jenen 10 000 000 auf verschiedenen Bahn-
strecken zwei-, vielleicht selbst drei- und mebrmal gezählt sind, wie viele
Ton ihnen Landeskinder, wie yiele Auswärtige und bloss dttrch&lirende
sein mögen, immer wird man annehmen dOrfen, dass tSglich in Nordalbin-
gien bei einer Bevölkerong von rund 1 500C 00 Menschen, also vielleicht
1 000 000 Erwachsenen, etwa 20000 auf den Wethen" sind ; ein Wandern
und Wogen der Ansässitjen, . der Grenznachbarn, der ganz Fremden
und Fernen, das auf Cuwohnheiten und Sitten von immer wachsendem
Einflüsse sein muss und verallgemeinert über die Welt, w^ie es zum Teil
schon ist, teils immer mehr wird, Zust&nde in GeseUschafI xaid Staat
herbeiführen muss, von denen eine klare und richtige VorsteUnng noch
nicht zu gewinne ist.
So stellt unsere Halbinsel noch immer wie von jeher eine grosse
Brücke, einen langen Damm durcli das nordische Binnenmeer dar, in
welchem der Längenverkehr die Querbewegung weit tiberragt und im
Vergleidi mit den Torflheigehenden Yölkerb^egungen früherer und
frOhester Jahrhunderte jetzt eine Verkehrsader zwischen Norden und
Sttdoi, Nordosten und Südwesten tragt, deren schwellender Strom keinen
Tag, keine Na( hf mehr unterbrochen gedacht werden kann. In Ueber-
einstimmung mit der Richtung dieses Stromes, die ihrerseits eine not-
wendige Folge der Bodenbeschatfeuheit und der Beziehungen zu den
Nachbarlanden ist, liegt die Vorderseite der Halbinsel in ihrer nörd-
h'chen Hälfte nach Osten und Nordosten, in ihrer südlichen Hälfte nach
Westen und Südwesten gewendet, dt m unbegrenzten Weltmeer zu.
Vom westlichen Ocean her ist die Alte Welt zum erstenmale in unsere
nordische Barbarei eingedrungen, ein gallischer Grieche in das "aus.serste
Thüle. Von Siuhvesten her haben die Kemier /um erstenmale den
Elbstrom befahren; nach Südwesten geht die einzige grosse Massen-
auswanderung unserer Vorfahren, von der wir sichere Kunde haben und
Ton der dauernde Wirkungen unbegrenzten Umfanges ausgegangen sind.
Von Südwesten und zwar wieder zur See kommt uns das Christentum;
im Westen wird selbst die Reformation bei uns zuerst lebendig: Visbeke,
Bockholt, Tast, Heinrich von ZUtphen gehören alle dem Westen an,
der letztere war aus denselben Gegenden, auf demselben Wege ge-
kommen, wie einst die ersten Sendboten des Christentums. Noch immer
geht über den Südwesten unserer Halbinsel ein stetiger Strom regel-
mSssiger Auswanderung in die Welt hinaus. Wie einst an der Bildung
einer Nation von der weltgeschichtlichen Bedeutung der enghschen,
wird das Angelsachsentum an der Gestaltung des Riesenstaates Amerika
einen wesentlichen, ja massgebenden Anteil gewinnen.
552
[76
Zur Wortdeatimg und Bechtschreibiiiig.
1. Ueber die Bezoichnun«^ unserer ciml)rischen Meerbusen, Förden,
lässt sich mit Siclierlieit uicht iiielir sageu, als dass sie nordischer Her-
kunft und nordischen Bereiches ist. Die Sache selbst aber deutet auf
den Begriff des tief Emscimeideiiden, Trennenden , der auch in dem
isländischen Sprichwort : eine Förde mnss' liegen zwischen Feinden, eine
Wik zwischen Freunden, zur unverkennl^ren Geltung kommt. Und
wenn eine cimbri.sche Förde mit ihren zugänglichen Ufern keine Schranke
aufzurichten geartet ist, so liegt an den Steilküsten und ^iebirgs-
wänden der eigentlichen Heimat der Fjorde, Norwegen und Island, die
Sache anders. Bezeichnend heisst darum auch Norwegen FiOrcyOrd
terra sinuum oder vidra sunda lönd latorum fretorum terra ^) ; und
wenn übertragen koma in hardan Qdrd in difficilem sinum i- « . in
angustias venire bedeutet, so muss man geneigt sein, auf eine (Grund-
bedeutung Enge, Spalte oder ähnliches zu schliessen.
2. Die Bezeichnung Wik hat einen bedeutend weitereu Ver-
breitungsbereich; sie kommt an der ganzen Südkflste der Ostsee, auf
dem gesamten niederdeutschen Spiadhgebiet ebenso gut vor wie im
Norden; dass noch Brunswik, so un^flcldich verhochdeutsc lit Braun-
scliweig, Osterwik, noch sichtbarer gelegen in einer Ausbuchtung des
Gebirgs, vielleicht auch Coswig in der zweifellos einst wasserbedeekten
Elbebene hierher gehören, macht ihre Belegenheit, wie die in der Nachbar-
schaft mehrfach vorkommenden Ortsbezeichuungen, die sonst dem nieder-
deutschen Norden mehr eigentümlich sind wie die Endungen -um, -bttttd
und Shnliche wahrscheinlich. Wenn die Bedeutung des Wortes nach seiner
Verwendung ftir stumpfwinklige, schwach ausgeprägte Einbiegungen
der Küste, sei es des Meeres selbst, sei es wie häufig einer Förde oder
eines Biuuengewüssers nicht zweifelhaft sein kann, so wird sich die
Ableitung von weichen als unbestreitbar ansehen lassen Dass damit
der Zusaramenhang des Wortee in seiner i'ctzigen Form als aweiter
Bestandtefl eines Ortsnamens mit dem altsächstsdhen wie Flecken Ticus
wohl bestehen kann, bedarf keiner Bemerkung.
Ein gleichfalls dem Norden und, soweit ich sehe, nur der
cimbrischen Halbinsel in ihrer gnisseren nördlichen Hälfte angehörige
Bezeichnung einer bestimmten Wasserbeckenbilduug ist das Wort Noor,
bisher meines Wissens nicht erklärt. Herr Professor Möbius, an den
ich mich wandte, fand ohne Zweifel sofort den richtigen Weg zu seiner
Deutung in der Thatsache, dass die Heerenge von Gibraltar bei den
alten Normannen als njörva oder nörva sund bezeichnet werde. Das
Mittelmeer ist in der That ein Noor des Weltmeers. Denn sehen wir
die Noore unserer Halbinsel an, wie dns Windebyer, Selker, Haddebyer,
Holmer, NUbeliioor u. a., so tritt bei allen als bezeichnendes Merkmal
*) Bjilsson Lcxicon poetirum antiqiuio lin^ruaf! soptentrionalis.
^ Möbius Altnordischeä Glossar: vik receääua maris von vikja, das nach
Egilsscm audi » fleefcere ist.
77]
Poleographie des cimbrischen Ualbiusel«
558
der Terengte Hak hervor, durch den diese imtergeordneten Wasser*
becken mit dem grösseren Gewässer, der Fdrde, verbunden sind. Das
Wort erscheint im ags. als nearo, idts. als nam, naro, nazawe, ndd.
ndl. als naar. englisch als narrow.
4. Häufig kflirt das Wort with, auch witt geschrieben, in Zu-
sammensetzungen bei Ortsnamen wieder: Sundewith, Handewith, Witt —
lichtiger WitUael. Die Bedeutung ist nicht zweifelhaft: vidr, vidar ist
im Altn. Hob, Baum. Dänisch ist es zu ved, schwedisch zu Täd,
angels. wudu, engl, wood geworden. (Vgl. Vigfusson, An icelandic
engl, dictionary und Möbius, Altnordisches Glossar.) Sundewith ist
mithin der Wald am Sunde, Withkiel der WaldquelL
5. Die Deutung nämlich des Namens Kiel = Quell oder Quell-
sumpf, Quellmoos, d. h. Moor, sehe ich mich veranlasst, teilä gegen
Anzweiflung zu schützen, teils als die meine in Anspruch zu nehmen;
8. Bedingtheit des Verkehrs u. s. w. S. 104 ff., Anm.
Prof. Mullenhof freilich beaeidmete sie, mir gegenüber mündlich,
als unmöglich, wenn ich recht erinnere, wegen der verschiedenen Mes-
sung der Vokale. Junghan? (Jahrbücher für die Landeskunde der Herzog-
tümer etc. IX, 3) findet für die Bestimmung der Grundbedeutung des
Worts .den neuerdings (sie!) gefOfarten KachweiB, dass der Name Eid
in einfacher und zusammengesetzter Form mit unbedeutender Differen-
zierung des Vokals in Schleswig, in Jütland, auf der Insel Mön mehr-
fach vor]<nnime*', doch , wichtiger*. „Ohne Zweifel ist" ihm „der
, Käme ilLiitschen (germanischen), nicht slavischen Ursprungs und älter
ais die Stadt." „Dass nach dem Jahre 1261 sowohl der kleine Kiel
als die Förde den Namen kyl lührten, wird schon durch unser Stadt-
bnch bezeugt; alles andere*, meint er, ^ist Vermutung, unbewiesen
und unbeweisbar."
Der Thatbestand des Sprachgebrauchs ist folgender. Der Name
kvl kommt zuerst in der Urkunde von 1242 vor, in welcher Johann I.
der «Holsteiistadf das lübsche Recht verh Uit und ihr Weichbild bestimmt,
und zwar einmal mit dem Zusatz stagnum , einmal mit scheinbarer
Beziehung auf einen Bach . . . usque in kyl sicut rivus descendit. 1259
wird ein fluvius kyl, 1286 ein parvus flutius kyl genannt; die Felder west-
lich der Stadt, nördlich ansteigend vom Schreventeich, Ähren bis heute
den Namen Kiel-Stein. Der Schreventeich war, ehe seine slidliche Hälfte
zum Wasserbehälter iür die Stadt ausgegraben und seine grossere nörd-
liche Hallte 1883 zu Gärten umgewandelt und ausgelegt wurde, ein
rechtes aMoos* oder Moor, Wiesensumpf, ein seichtes Wasser, toU
Binsen und Bülten, wie sie namentlich im Gebirge mannigfach als
Flussursprünge erscheinen, das noch immer ein muntres BUchlein in
den kleinen Kiel und in die Forde entsendet, freilich zum Teil unter-
irdisch, durchaus nicht, wie Junghans meint, Terschwundeu In
^) Schreventeicb iit , wie die alte Fonn für Bchreyenboni , Greveabom und
die Uebfr.-i t zur rr inhmo ( (vniitis für „des Greven Hagen" Busser Z\v( if« ! st<'lli-n ~
*8 Greven 1 eicb. Mitten in dem 1242 abgegrenzten Kieler Stadtgebiet blieb dieses
Oewiner gräflich , ,.fiikaUsch", landeBfaerrhch und ist erst 1862 von der Stadt er-
woibeD. Es encheiBt mindestens als sdir mflglicb, dass bis 1242 an diesem Mooie
554
Jansen,
[78
Schleswig kuiumt dieselbe Bezeichnung, meist in Zusammensetzungen,
an Oiten älinlicher Bodenbeschaffenheit zehnmal vor, nirgends bezeich-
nender und sprechender als in «Kieteong* an der Flensbui^r Förde,
dem «Quellenanger" , der QueUenwiese. Im Königreich Däneuiark
kommen nach der Topographie von Trap Ortsnamen mit Kiel oder
kjel, kille, kilen, kjelle, kjelUng. kjeld 54 vor, mit dem zweifellos
verwandteu kilde, kjaeld nocli rine stanze Anzahl mehr, darunter solche,
die den Öinu des Wortes deutlich hervortreten lassen: kjeidkjaer (ijuell-
eumpf), kjeldskoT (Brunnenholz), küdal (QneUenthal) n. a. In Nor-
wegen erscheinen an der SUdkÜste ähnliche Bodenformen mit gleichem
Namen. In Deutschland ist der von den „Moosen" der Eifel gespeiste
Nebenfluas der Mosel Kyll, samt Stadtkyll und Kyllburg unzweifel-
haft von demselben Stamme benannt; auch Kelberg im Quellgebiet der
Ahr, Kiiliheim an einem iSebenfluss der Tauber, Kelheim an den Ufer-
h5hen der « moosigen* Donau (Tgl. schwäbisch Brunkell) werden gleicher
Wurzel sein.
lieber die Bedeutung des Wortes habe ich heute nicht mehr wie
ISfU eine begründete , Vermutung", sondern eine zweifellose Gewiss-
heit: kil ist nichts anderes als Quell. Zum Beweise diene, was ich
(Bedingtheit u. s. w. S. lOGj an sprachlichen und sachlichen Analogien
beigebracht habe und was seitdem (1873) durch die Auktorität des Grimm-
schen Wörterbuchs in erwünschtester Weise bestätigt worden ist; die
hier aus Mathesius Sarepta beigebrachten Stellen (. . . ausz einem jeden
kiele, flUszlein, laken oder cistern zu trinken, Sarepta 68 b und . . . den
Ursprung oder die kielen des Schwarzwassers [im säelisischen Erzgebirg],
Sarepta 117 a) deuten Ijereits, wie die Verwendung des Wortes zu Orts-
bezeichnungen, auf ein dem Stamme eigentümliches, sehr begreif licheä
Schillem zwischen den Bedeutungen Sumpf- oder Moosqnell und Quell-
moos, und da jeder Quell sofort m ein «flfiszlein* ttbeigeht, auch zwi-
schen Bachquell und Quellbach.
Ausser dieser Tliatsachc auch noch einige andere zu beweisen,
was ich mir erlaube tür möglich zu halten, wUrdi? nicht dieses Ortes
«ein. Hier nur noch die Antwort auf eine sich aufdrängende Frage:
Fuhrt denn Kiel seinen Namen Quell mit Recht?
1861 schloss ich meine Darlegung mit den Worten: «Wenn daher
Kiel, wie vor einigen Sommern, in Dürre zu verkonunen in Gefahr ge-
raten kann, so muss entweder der Name kil eine contradictio in adjecto
und wie Ukus a non lucendo sein oder die Wttnschelrute fehlen, den
Tersprochenen Queüenschatz zu heben."
Derselbe ist seitdem gehoben. Hart nördlich von jenem oben er-
wähnten Joch, das Nord- und Ostsee-Abdachung scheidet, waren in dem
saftiggranen Wiesengrund, der alsbald in die Förde Übergeht, schon 1844
durch den Bau der Eisenbahn „starkfliessende Quellen" ^) freigelegti
welche täglich rund 1000 cbm schönsten Wassers in den Hafen ent-
dcv Name kil gehaftet hat, das seitdem im (Jogeniatie ziua Stadtgebiet all
*« Greven Teich bezeichnet zu werden begann.
Vgl. P. Chr. Hansen, Schleäwig-HoLatcin , seine Wohlfahrtabeatrebuujfen
and gemeinnOtugen EiAriehtungeik
79]
Poleographie der dunbriscben Halbinael.
555
sendeten. Hier sind nun 1879;S0 acht Brmmeu auf 7 — 8 m Tiefe
durch eini|^e Lehmschicbitea in den Koriilieusand abgesenkt, deren
Ertrag, zwischen 3000 und 4000 cbm täglich, durch Heberohre in einen
Sammelbrunnen bei Garden und von da durch Maechinen in das Haupt-
becken auf der Höhe des Viehburger Rückens gehoben wird. Eine
aweite Quellen wiese, 150 m entfernt, kann über kurz oder lang in
Benutzung genommen werden. Kiel ist die H^^olätenstadt am Wiesen-
quell
6. In der Schreibung habe ich einige Abweichungen Ton der
landläufigen nötig befunden. Eine innere Berechtigung hat sie oft
nicht und dient nur dazu, den Sinn und Ursprung der Benennungen
zu verdunkeln. Wie siclitlich ist Fähr-Bellin das durch eine Fähre
gekennzeichnete Bellini Wer es aber sclireil)f, wie es heisst, gibt An-
stoss. Hier kr»nnten sich die Behfird» ii Vrnlienste erwerben!
Das niederdeutsche Wort tUi- Bach; »Bek" mit ck, d. h. mit
doppeltem k zu schreiben, ist ohne alle Berechtigung; einmal, weil
der Aspirata des Hochdeutschen die niederdeutsche Tennis entspricht
und ein ck auf ein cch führen mtlsste; sodann weil niemand in dem
Worte einen geschärften Vokal spricht.
Auch in LUbek hört man einen langen Vokal. Dazu kommt,
dass der Name, zweifellos slavischeu Stammes, obwohl nach freund-
licher Mitteilung des Herrn Prof. Leslden unsicherer Ableitung (^ubP
lieb — dann wftre die Form lubica — oder lub? Binde), nach ülteater
Schreibung nur in der Form Lubice, Lubike, Lubika oder Luheke er*
acheint.
Meklenburg, von michel (|iEYaX -), l)ei Helmold Mikilenburg,
kann auf richtigem Wege ebensowenig zu einem ck gelangen, das
auch die niederdeutsche Aussprache nicht kennt.
In Pretz halte ich die Scharfung durch ein t fUr richtig, weil
es slavisch Porelje (Ort am Flusse) ist (Leskien), c aber gleich .tsch
ist» Daher auch die alte Schreibung Poretze.
Für Silt, statt des dänisch anklingenden Sylt, spricht sowohl
die alte Schreibung Süd (s. die Urkunde Ktniig Erielis [1241?] bei
Hasse, S. H. L. ilegesteu und Urkunden i, 279), als auch die eigent-
liche, fiiesische Form Sal; friesisch a geht auch sonst in i über, z. B.
stal = slalL
Bemerkung zu S. 5:^(5. Elfn vor Thorschluss fällt mein Blick auf S. 16 f.
der Deakschrifb der Kieler Uandeiakammer Uber den Nordoatsee-Kanal : das Urteil
der Pnuds Aber muer SiaenbahimetB flllt mit dem der Theoxie «Iwmmen.
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THI8 BOOK 18 DUE ON THE IiAST DATB
8TAMPED BELOW
AN INITIAL FINE OF 25 CENTS
WILL BE A88ESSED FOR FAILURE TO RETURN
THI8 BOOK OW THE DATE DUE. THE PENALTY
WILL INCREA8E TO SO CENTS ON THE FOURTH
DAY AND TO fl.OO ON THE 8EVENTH DAY
OVCROUL
NQv 5 — 1942
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LD 31-100in-7,'40(698G»)
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