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Full text of "Die Mecklenburgischen hohenrucken geschiebestreifen"

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LUFTDRUCKMITTEL 

DER  JAHRiCSZKITEK 
aus  den  .TaJiren  inHS.iHßi-  u.mas. 

NViiitiT  Krülijiün-.  Smiinui-  llrrhsl. 


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Die  Mecklenburgischen 
höhenrücken  (geschiebestreifen) 

Christian  Gruber,  Franz  Eugen  Geinitz.  Friedrich  Gustav  Hahn, 
Hermann  Ignaz  Bidermann.  Karl  Jansen,  Richard  Assmann.  ... 


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1703.' 


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FOBSCHÜNGEN 

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ZÜB  DEÜT>SCHI-Is  • 

«r       .    ,  ......... 

LANDES-  ÜND  YOLKSKONDE 

IM  AUFTRAGE  DER 

OENTRALKOMMISSION  FÜR  WISS£NSOUAFTUCHE 
LANDESKUNDE  VON  DEUTSCHLAND 

HBBATreOBGBBffll  VON 

DB.  RICHARD  LEHMANN, 

PSOmaOB  l>Bt  KBDKÜMDB  AM  MB  JUUBBIIB  Zü  MOMHIBB  LV. 


ERSTER  BAND. 

KIT  IS  TAISLN  KASTEN  UND  PROFILE.  SOWIR  EIN£K  KARTRH8KIZZE 
UND  NBHRKRKN  FBOFILGN  IM  TEXT. 


VEKL AG 


STUTTGART. 

VON  J.  ENGELHORN. 
1886. 


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Drudt  ▼Ott  0«brtd«r  Erftur  in  StvttgMt. 


1.  Der  IJodt  ii  Met  kk-iiburf,'.s,  von  Dr.  E.  <!einitz,  ord.  Prot',  der 

MincTdlogiu  und  lifologie  an  der  Universität  Rostock  .... 

2.  Die  oberrhüiniöche  Tiefebene  und  ihre  Kandgebirge,  von 

Dr.  Richard  Lepsin»,  ord.  Prof«  der  Gre<dogie  und  Mineralogie 
«ad  Direktor  der  GroMhm<^l.  heae.  geolog.  Laadesanstalt  in  Dann« 
stadt.   Mit  Tebersichtskarto  des  oberrheinischen  Gebirifsfjystema  . 

3.  Die  Städte  der  Norddeutschen  Tiefe  beut-  in  ihrer  Be- 

ziehung zur  B  o  d  e  n  c  s  t  ii  1 1 11  n  ;jr .  von  Dr.  F.  Ii .  H  a  h  u,  ord. 
Prof.  der  Erdkunde  un  der  L'nivcräität  Königüberg  

4^  Das  M&nchener  Becken.  Ein  Beitrag  i^ur  physikali- 
sclien  Creographie  Sttdbayerns,  von  Chr.  Grnber.  IGt 
1  Kartenskizze  und  2  Profilen  im  Text  

5.  Die  m  e  c  V  1  e  n  b  urgi.sch  en  Höhcnrii'kfu  (Geschiebest  reifen) 
und  ihre  B  e  z  i  e  h  u  n  gen  zur  J  ]  i  s  z  e  i  t ,  von  Dr.  E.  G  e  i  n  i  t  z, 
ord.  Prof.  der  Mineralogie  und  Geologie  an  der  Universiti^t  Hoetock. 
Hit  2  UebersichtKkBrtchen  und  2  Profilen  

G.  Der  Einfluss  der  Gebirge  anf  das  Klima  von  Hittel« 
deutsc  bland,  von  Dr.  med.  et  phil.  R.  Ässm  an  n,  Oberbeamter 
im  Königl.  preuss.  Meteorologischen  Institut  und  Dozent  ttSit  Me- 
teorologie zu  Berlin.    Mit  7  Karten  und  10  Profilen  

I.  Die  Nationalitäten  in  Tirol  und  die  wechselnden  Schick- 
sale ihrer  Verbreitung,  von  Dr.  H.  J.  Bidermann,  ord. 
Prof.  der  Statistik  und  des  Staatsrechts  an  der  UniversitBt  Graz  . 

8.  Poleographie  der  cimbrischen  Halbinsel,  ein  Tersuch 
d  i  e  .\  n  s i  e d  1  u  n  g e n  N o r d  a  1  b  i  n  g  i e n  .s  in  ihrer  Bedittgt- 
heit  durch  Nutur  und  Geschichte  nachzuweisen,  VOn 
Prof.  Dr.  K.  J  a  n  ü  e  n  in  Kiel  


Seite 
1-92 


33—92 


160—214 


215— aio 


311—388 


389—475 


477-S55 


Druckfehlerberichtigung. 

Seite  -ttö  Zeile  is  von  unten  ist  statt  plomen  zn  Isssn:  plwapes. 
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fTmmnifii  iiiiiiir 


AIÜliH,OU""Jt'M.tMiM^ 


ZÜB  DEÜTäO 


HUNGEN 

änteshindTolkskündb 


IM  AUFTRAGE  UND  UNTER  MITWIRKUX«  DER 

CfiNTMIiKOMMlSSlON  FÜR  WI88EN8CHiVFTUCH£  LAND£äKUMD£ 

VON  DEUTSCHLAND 

H£BAÜ8üE(*EltEN  VON  DEREN  SCHRIFTFÜHRER 

D«  ßlCHAl^D  LÜHMAJS'N, 

0»BKtiXB»Xa  ÜMO  POOKMT  AH  »SB  WITBkttvXV  KAIiIi«  Ajk 

ERSTER  BAND. 

HEFT  1. 


DER 


BODEN  MECKLENBURGS 


^  1 


VOK 


^  K  eEINITZ, 


MmUMOIB  TOS  OMKiOnB  AH  Sn  UMIVIMlsXs  MMMOB* 


1 


STUTTaABT. 

yERliAG  VON  J.  ENGELHORN. 

1885. 


inniTrtmmnmi 


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BODEN  MECKLENBURGS 


VON 


D'  E.  QEINITZ, 

uvaauxoott  im»  oBotio«n  ak  osb  mtvaMorS»  aocrocB. 


STUTTGART. 
VERLAG  VON  J.  K  xN  G  H  L  H  ()  il  N. 

1885. 


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Prack  rou  CWbrAder  KrOuer  in  Stuttfurt 


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Mit  der  folgenden  Uebersicht  über  den  geologischen  Bau  Mecklen- 
burgs kommt  der  Verfasser  der  Aufforderung,  einen  Beifarag  zn  den 

, Forschungen  zur  deutschen  Landes-  und  Volkskunde*  zu  liefern,  nm 
so  lieber  nach,  als  er  hofft,  damit  diesen  interessanten  und  schönen 

Theil  des  norf1fieiit?;t'hen  Tieflandes  auch  weiteren  Kreisen  bekannt  zu 
machen,  als  bisher  leider  der  Kall  war.  Zur  Orientirung  über  specielle 
geologische  Arbeiten  über  unser  Gebiet  seien  folgende  Schriften  auf- 
geftlhrt: 

E.  Oelnlt«:  Die  geolo^gehe  Literatur  Heeklenbnrg«  Ut  1878.  Arebiv  des 

Vi  rrini;  der  Freunde  der  Naturgesehichte  in  Mecklenburg.  XXXII.  1878. 
E.  Geinitz:  Beitr^  zur  Geologie  Mecklenburga.    I— VI.    Archiv  XXXIIl. 

1879  —  XXXVin.   1884.   (Auch  separat.) 
E.  Geinitz:  Die  Flötziortnationen  Uecklenboivs.  Mii  geologischer  Karte. 

1883.   Güstrow.   (Archiv  X2UILVIL) 
Anch  will  ich  es  nicht  nnterlftssen ,  an  dieser  Stelle  die  drei  Mlnner  m 
noiinen.  denen  die  Geologie  Meeklenburgs  eine  so  ^ti isho  Zahl  wielitiger  Heobacii- 
tangeu  and  Aufzeichnungen  verdankt:  G.  A.  Brückner,  Ernst  Boll  und 
F.  E.  KQch. 

Eine  topographische  Beschreibung  des  Landes  liegt  nicht  im  Plane 
▼orliegMider  Darstellung  ^) ,  doch  sei  hier  die  grosse  Mannigfaltigkeit 

des  Landschaftscharakters  hervorgehoben,  die  durch  das  iialie  Zusaramen- 
vorkoiTimen  aller  Typen  der  reinen  norddeutschen  (^uartärlandschaft 
beding  ist:  die  ^Moränenlaiidsrhaft"  ist  ebenso  in  den  bewaldeten 
Gegenden  wie  in  den  mit  Fi  ldwirthscliaft  bestellten  Theilen  kenntlich; 
coupirtes  Terrain  durch  isoiirte  oder  zu  Ketten  verbundejie  Hügel,  mit 
kleinen,  von  Wasser  oder  Torf  erfüllten  Kesseln,  Böllen  oder  grösseren 
S>>en  zwischen  sich,  der  Boden  oft  massenhaft  mit  erratischen  Blöcken 
bestreut;  tiefe  romantische  Schluchten,  in  denen  die  dem  Geschiebelehm 
entstammenden  grossen  Blöcke  wild  durcheinander  liegen .  denselben 
landschaftlichen  Charakter  liefernd  wie  die  vom  anstehenden  Graniifels 
der  thüringischen  oder  Harzer  Thäler  losgelösten  Felsblöcke.  Die 
-weiten  Dilnvialplateanfläclien  mit  ihren  rasch  wechselnden  «yerscMessen- 
den*  Bodenarten,  wo  die  dorch  den  Grossgrundbesitz  bedingte  auf 


')  Vergl.  hierüber   £.  fioll,   Abriss   der   mecklenburgischen  Landes- 
kunde. 1861. 

TondraBtni  su  dantsdwii  X*Mid«»-  vad  Tolkdrand«.  LI.  1 


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:        .  V  :  : 

weite  Strecken«  glfTi(j)i;OirjiMge  Eeldbestellung  auf  den  Wanderer  oft  einen 
recht  eintöJjfjCferr^ ßiiiHrnick  aäclife^-'sind  besonders  da,  wo  sie  aus 
dem  , oberen  Gescbiebemergel"  zusammengesetzt  werden,  wie  durch- 
siebt von  den  isolirteu  kleinen  runden  Wasserlöchern ,  die  unten  als 
Solle  beschrieben  sind.  Auch  die  drei  grossen  Haidegebiete  mit  ihrem 
feinen  gelben  Sand,  in  dem  aich  oft  eine  nndttrchdringliche  Schicht  von 
Raseneisenerz I  dem  «Ortstein",  bildet,  liefern  mit  ihren  Dfinenzügen 
interessante,  wenn  auch  oft  eintönige  Landschaftsbilder,  zum  Theil  aber 
auch,  wie  z.  B.  in  der  Ro'^tocker  Haide,  wegen  ihrer  gfinstigen  feuchten 
Lage  präcbtifxen  Baniiiwnolis. 

Mehrfache  isoiirte  oder  zu  Zügen  vereinigte  Berge  erheben  sich 
ans  der  Landschaft;  als  Beispiele  seien  genannt  der  SchSnberg  im 
Kllltzer  Ort  92  m,  Diedrichshäger  Berg  bei  Doberan  130  m,  Schmoks- 
hetg  bei  Teterow  135  m,  Hohe  Burg  bei  Schlemmin  144  m,  Mamitzer 
Bei^  bei  Pnrehim  105  m.  Helpter  Berg  bei  Woldegk  ca.  170  m. 

Die  zahlreichen  grussen  und  kleinen  Seen  mit  iliren  oft  wunder- 
Yollen  bewaldeten  Steilufern  bieten  nach  allen  Kichtuiigeu  hin,  wissen- 
■chaftfidi  wie  vraktlsoh,  das  mannigfaltigste  Interesse,  abgesehen  von 
den  wediselvoUen  Bildern,  die  die  einseinen  Seen  mit  ihren  Inseln, 
ihren  Schlössern  am  Ufer  oder  ihrer  romantischen  Einsamkeit  im 
di'']]fen  Walde  flem  Lunflschafter  vor  Alicen  ffibren.  Die  mannigfachen 
grossen  und  kleinen  FluHsläufe  bieten  in  ihrem  N'erlauf  und  ihren 
eigenthümlichen  ürsprungsgebieten  ein  für  die  norddeutschen  Flüsse 
recht  charakteristisches  Bild,  das  in  seiner  Allgemeinheit  manches  bisher 
rithselhafte  Oberfl&chenphftnomen  erklären  wird Seen  wie  ThaUftufe 
weisen  allermeist  deutlich  auf  den  einstigen  grösseren  Wasserraohtbom 
des  Landes  hin,  die  Seen  durch  ihre  jetzt  trockenen  Uferterrassen  und 
Vorländer,  die  Flusslüufe  durch  ihre  breiten  Sand-  oder  Mooreheiieii, 
welche  den  jetzigen  schmalen  Wasserfaden  hegleiten  oder  einzelne 
Seebecken  zu  einem  einzigen  Stromlauf  vereinigen.  Zahlreich^  Torf- 
moore miterbrechen  den  Znsammenbang  des  Dilnvialplateans  oder 
sdlieben  sich  in  die  Hügelketten  ein. 

Endlich  gewährt  noch  die  Küste  mit  ihrem  senkrechten,  von 
einem  Kranze  von  erratif^chen  Blöcken  umsäumten  Abbruchsufer  (Klint) 
oder  ihren  flache  Moorlaiidschaft  oder  Fhissnitindungen  abgrenzenden 
Dünen  und  mit  ihrem  oft  haffartig  in  das  Land  eingreifenden  Verlauf 
▼ielfaches  Interesse  nnd  mannigfaäie  Schönheiten*). 


1.  DiluTinro. 

Die  fast  ganz   allgemeine   Bedeckung   des  mecklenburgischen 
Landes  wird  von  dem  DüuTinm  nnd  AUoTium  gebildet,  während  die 


^  8.  Beitr.  z.  Geol.  Meckl.  VI.  1884. 

Dr<?8  die  zahlreichen  landpchaftlich  überauB  schönen  Gegenden  Mecklen- 
burgs noch  so  wenig  bekannt  und  aufgesucht  sind,  bat  seinen  wesentlichen  Grund 
in  dem  fiir  Touristen  höchst  unbequemen  Manpel  pausend  gelegener  Gasthäuser,  zum 
Theil  auch  in  der  häufig  betrnohtlichen  Strrckc  weniger  anziehender  Partien 
zwischen  den  besuchenswertheu  (vielfach  im  Privatbesitz  befindlichen)  Punkten. 


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Der  Boden  Keeklenburgi«. 


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llteren  Fonnationen  da,  wo  sie  zu  Tage  treten,  auch  fast  stets  noch 
T<m  einer  geringen  Quartärbedeckung  (Abraum)  tiberzogen  sind. 

Die  Bodenarten  (Gesteine)  des  Quiirtärs,  welche  an  der 
Znsaniniensetzung  des  mecklenburgischen  Bodens  tliexiuehmeu,  sind  die 
folgenden : 

GeBchiebemergel  und  -Lehm,  Thon,  Eies,  Sande, 
Torf,  Moor,  Diatomeenerde,  Hnmnserde,  Wiesenkalk, 
Raseneisenstein,  Kalktnff. 

Die  Bildung  und  Ablagerung  dieser  Gesteine  im  einzelnen  brauche 
ich  hier  nicht  besonders  auseinanderzusetzen;  es  genügt  getj^eiiwärtig 
der  Hinweis  auf  die  nunmehr  allgemein  acceptirte  Glaciaitheone. 

Der  Geschiebemergel  ist  nach  dieser  Theone  das  Ablagerungs- 
prodnct  der  Gnmdmorine  m  skandinavisch-norddentscfaen  InUndglet- 
sehers.  Brist  ein  blaugraues  oder  gelbbraunes,  thonig>kalkiges,  mehr 
oder  weniger  sandreiches  Gestein  von  /äher,  im  feuchten  Znstand  ziem- 
lich plastischer,  im  trockenen  harter  und  bröckeliger  Beschaffenheit,  in 
dem  völlig  regellos  Sand,  Grand,  Gerolle  und  Geschiebe  eingelagert 
sind,  ohne  jegliche  innere  Schichtung.  Von  derselben  physikalischen 
Besdbsffenheit  wie  die  Chrnndmorftne  jedes  heutigen  Gletschers  giebt 
sieh  der  Geschiebemergel  als  das  festgepackte  Zerreibongsproduct  des 
nordischen  und  einheimischen  Felsunteigrundes  zn  erkennen. 

Dort  wo  der  Geschiebemergel  einigermassen  mächtig  ist,  liefert 
er  eine  der  tjesten  Bodenarten,  für  Weizenfelder,  Rübenbau,  Buchen- 
wald geeignet.  Als  , schwerer*  Boden  bedarf  er  vielfach  ausgedehnter 
Drainage.  Oft  ist  er  so  widerskandsf&hig,  dass  er  bei  grösseren  Erd- 
arbeiten, wie  Eisenbahnbanten  n.  dei^l.  mit  Pulver  gesprengt  werden 
muss  («.  B.  bei  Möllenhagen*  1884).  Seine  Mächtigkeit  ist  sehr  ver- 
schieden ,  von  1  dem  bis  zu  20 ,  30  oder  mehr  Metern.  Abgesehen 
von  seinen  grösseren  Blöcken,  Geschieben  und  Gcrölleu  ist  er  in  seiner 
Hauptmasse  verschiedener  Beschafienbeit,  niimhch  bald  mehr  thonig 
oder  lehmig  und  fett,  bald  mehr  sandhaltig  und  ma^er,  schliesslich 
ganz  in  den  unten  erw&hnten  Geschiebesand  und  -Kies  libergehend; 
stets  ist  er  im  frischen  Zustand  durdi  seinen  Kalkgehalt  ausgezeichnet, 
welcher  bedingt  ist  durch  fein  zerriebenes  Kalkmelil  und  grössere 
Kalksteinstücke.  An  der  übertiäche  unterliegt  er  drei  Arten  von 
Umwandlung:  während  er  in  der  Tiefe  von  blaugrauer  Farbe  ist, 
entsprechend  den  in  ihm  enthaltenen  Eisenoxydulsilicaten,  erhält  <nr  in 
der  Mühe  der  Oberiäche  (oft  in  sehr  wedisehaden  Tiefen)  die  lehm- 
gelbe Farbe  durch  hOhere  Oxydation  seines  Eisens.  Eine  weitere 
chemische  Veränderung  tritt  dadurch  ein,  dass  sein  Gehalt  an  kohlen- 
saurem Kalk  durch  da.s  einsickernde  Tagewasser  mehr  und  mehr  ent- 
fernt wird  und  er  dadurch  aus  Mergel  in  Lehm  ubergeht.  Der  Kalk 
wird  meist  in  tiefere  Lagen  gefüiirt  und  hier  häutig  in  unregelmässig 
der  Oberfläche  folgenden  Schichten  oder  Schmitzen  all  weisser  Beschlag 
Ton  Bergmilch  abgesetzt.  Diesem  Process  zufolge  wird  aus  einem 
Mergelboden  allmiihlich  ein  Lehmboden,  der  nun  durch  künstliches 
Auftragen  von  frischem  Geschieberaergel  oder  Kalk  meliorisirt  werden 
mu.Ms;  daher  auf  allen  Feldern  die  zahlreichen  Mergelgruben,  , Mergel- 
kahlen*, an  deren  Abstichen  man   obigen  Process  zur  Genüge  oft 


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beobachten  kann.  Die  dritte  Art  der  l  unvandlunL^  ist  eine  mechanische, 
indem  hier  das  Sickerwasser  die  tenien  Staub-  und  Thontbeile  all- 
mählich weglüUrt  und  aus  dem  fetten  Mergel  ein  immer  magerere», 
bis  sniletzt  sandiges  OeBfcem  herausbildet  Dies  findet  besonders  rasch 
da  statt,  wo  der  Oeschiebemer^l  weniger  micfatig  ist  nnd  einen  san» 
digen  Untergrund  hat 

Die  Blöcke  oder  Geschiebe,  welche  in  wechselnder  Menpje, 
meist  in  sehr  lietriichtlicher  Masse,  in  dem  (ieschiebemergel  eingebettet 
lagern,  smd  von  ganz  besonderem  Werth  in  einem  Laude,  welches 
festes,  SU  Banzwecken  geeignetee  anstehendes  Gesteinsmateinal  nicht 
besitzt.  Allerwärts  werden  daJher  diese  Blöcke,  die  sogenannten  «Felsen*, 
gesanunelt  und  za  Strassen-,  Eisenbahn-  nnd  H&nserbauten  verwerthet. 
Da  wo  der  Geschiebemergel  vom  Wasser  anspjewaschen  wird  ,  wie  an 
der  Seeküste,  wird  das  feinere  Material  weggeführt,  und  die  grossen 
Blöcke  bleiben  an  Ort  imd  Steile  liegen.  Da  nun  die  Küste  immer 
weiter  landeinwärts  rflckt,  erklSrt  si<£  das  Vorkommen  dieser  ,  erra- 
tischen Blöcke*  in  dem  Strandgebiet  nnd  am  Grunde  der  See  sehr 
einfiush.  Genau  ebenso  sind  die  auf  dem  Lande  oft  in  ungeheuren 
Massen  heramliegenden  Blöcke  liefen  gebliebene  Reste  des  Gescliiebe- 
mergels,  dessen  feinere  Theile  vom  Wasser  fortgespült  sind.  Alle 
unsere  erratischen  Blöcke,  gross  und  klein,  sind  also  nicht  als  solche 
isolirt  auf  dem  Eise  aus  dem  Norden  zu  uns  gekommen ,  sondern  als 
Bestandtiieile  der  Grundmorine  und  erst  aus  dieser  herausgewaschen. 
Die  meisten  Blöcke  des  Geschiebemergels  erweisen  sich  als  deutliche 
, Geschiebe",  indem  sie  auf  einer  oder  mehreren  Seiten  mehr  oder 
weniger  glatt  geschlifPene  Flächen  zeigen ,  auf  denen  wieder  scharf 
ausgeprägte  Schrammen,  flache  oder  tiefe,  schmale  oder  breite  Furchen, 
in  paralleler  oder  sich  kreuzender  Richtung  lautend,  eingekratzt  sind. 

Nach  der  Natur  der  Geschiebe  lassen  sich  zwei  Gruppen  derselben 
unterscheiden.  Die  eine,  welche  die  bei  weitem  grOsste  Menge  ge- 
liefert hat,  ist  als  die  der  nordischen  Geschiebe  zu  bezeichnen.  Es 
sind  Granite,  Fel.sitporphyre,  Syenite,  Syenit}»orj)hyre.  Diabase,  Diorite, 
Gabbros,  Porphyrite,  Melaphyre  und  Basalte;  ferner  (Ineisse,  HäUe- 
flinta,  Glimmer-,  Hornblende-,  Augit-,  Chloritochieier ,  Quarzite,  kry- 
staUinische  Kalksteine,  Phyllite,  Thonscluefer;  von  den  Vezsteinerungen 
fahrenden  Schichten  Vertreter  des  Silur  (und  Devon?),  nllmlidh  Sand- 
steine, Thonschiefer,  Kalksteine  (letztere  zum  Theil  local  so  massenhaft, 
dass  Kalkbreunereibetrieb  darauf  lohnte),  der  Trias  (Sandstein  und  Kohle 
vom  sudlichen  Schweden),  des  Jura  (versteinerungsreiche  Sandsteine), 
der  Kreideformation  mit  Feuerstein,  Kreide  und  anderen  verschiedenen 
Kalksteinen,  endlich  des  Tertiär.  Von  fast  allen  diesen  Geschieben, 
soweit  sie  einigermassen  charakteristisch  sind,  konnte  ihre  Heimath 
nachgewiesen  werden  0:  meisten  sind  skandinavischen  Ursprungs 
und  zwar  aus  einem  mehr  oder  weniger  eii«.^  umgrenzten  Bezirk  des 
südlichen  und  mittleren  Schwedens,  während  sowohl  westlichere  als 


')  S.  Beitr.  z.  Geol,  Meckl.  III.— V.  und  N.  Acta  d.  Leup.-Carol.  Acad. 
45.  2,  1882. 


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5] 


Der  Boden  Mecklenburgs. 


5 


östlichere  Gegenden  (Norwegen  resp.  Finnland)  keine  oder  nur  liöchst 
untergeordnete  Vertreter  geliefert  haben.  Der  Transport  dieser  niecklen- 
burgischen  Diluvialgeschiebe  durch  das  Eis  erfolgte  somit  m  nordnordost- 
sfldgQdwestlicher  Richtung.  Der  andere  Theil  der  nordiMfaeii  Oeidhiebe 
sfeBHunt  ans  dem  Östlichen  und  sfldlichen  BSnemark,  sowie  dem  swischen 
diesem  und  der  deutet  hen  Küste  gelegenen  Balticmn ;  es  ist  dies  neboi 
dem  Saltliolinkalk  und  Kreidekalk  von  Faxe  vor  allem  die  weisse 
Schreibkreido  und  der  Feuerstein,  welche  beide  in  enormer  Masse  iin 
norddeutschen  Diliiviinn  liegen. 

Neben  diesem  nordischen  Material,  das  als  skandinavi8ch*»8 
und  baltisches  getrennt  werden  kann,  treten  nun  noch  einheimische 
Geschiebe  auf.  d.  h.  soldie,  die  vom  Gletscher  dem  mecklen- 
burgischen Boden  entnommen  sind.  Dieselben  sind  stets  auf  die 
Nachbarschaft  der  betreffenden  Flöt/formation  localisirt  und  bilden  hier 
zuweilen  dif  Varietät  des  Ge-sciiiebemorgels.  die  man  ah  .  Krosssteins- 
gruri'  bezeichnet.  Dazu  gehören  Muschelkalkgerölle,  Juragerölle  zum 
Theil,  Kreide  und  Feuerstein,  Pläner,  Septarien,  die  sogenannten 
Stemberger  Kuchen,  Terkieselte  HOlzer  zum  TheiL  Nirgends  ist  auch 
hier  ein  Geschiebe  aus  südlicher  oder  Ost-  und  westlicher  Richtung 
darunter.  Eine  einzige  Ausnahme,  die  Bernsteinstiicke,  welche  zuweilen 
im  Geschiebemergel  gefunden  werden,  reducirt  sich  dahin,  dass  diese 
Stücke  leicht  durch  Wasser  verschwemmt  werden  konnten  und  dann 
in  die  Grundmoräne  eingebracht  sind. 

Wo  sich  organische  Reste,  insbesondere  Knochen  von  höheren 
Thiereu,  im  GescUebemergel  finden,  sind  dieselben  ebenfalls  Fremd- 
linge für  denselben,  meist  ans  zerstörten  sedimentüren  Diluvialablage- 
mngen  stanunend. 

Der  GeschiebenuTgel  zeigt  im  normalen  Falle  nirgends  Schichtung. 
Dagegen  ist  er  häufig  nahezu  hurizontal  in  dünnen  Bänken  abge- 
sondert, was  auf  den  gewaltigen  Druck  zurückzuführen  ist,  unter 
dem  die  Grundmoräne  des  riesigen  Gletschers  stand.  Diesem  Druck 
ist  auch  die  grosse  Menge  von  Schichten  Störungen  des  Unter- 
grundes zuzuschreiben,  welche  in  allen  Verhältnissen  ungemein  häufig 
sind.  Von  den  geringen  wellenförmigen  Anfbiegungen  der  unterlagern- 
den Schichten  zu  schleifeaförmi^en  Verbiegungen  und  Stauchungen 
und  zu  grossartigen  mächtigen  Emquetschungen  des  Moranenmateriales 
in  den  Untergrund  lassen  sich  Tausende  von  Beispielen  anführen.  Oft 
ragt  auch  der  Geschiebemergel  buchtenartig  in  Form  von  Biesentöpfen 
in  den  Untergrund  hinein. 

Schliesslich  sei  noch  erwähnt,  dass  auch  dünne  <»der  dickere 
Lagen,  Schmitzen  und  Nester  von  geschichtetem  Sand  oder  Kies  öfters 
miäen  im  ungeschichteten  Geschiebemergel  angetroffen  werden.  Die- 
selben sind  local  durch  Schmelzwasser  angeschlämmte  Theile  der 
Grundmoräne. 

Nächst  dem  Geschiebemergel  sind  es  zwei  andere  Arten  von  Ge- 
steinen, die  das  mecklenburgische  Diluvium  im  wesentlichen  zusammen- 
setzen, nämlich  die  geschichteten  Thune  und  Sande.  Für  sie  ist  der 
Geschiebemergel  gewissermassen  das  Muttergestein,  sie  sind  die  natllr- 
Uchen  Schlämmproduete  desselben.  Demgenuiss  bestehen  sie  aus  g^ian 


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6 


[6 


(IfMiisolhen  Material  wie  die>er,  auch  hier  wieder  vorwiegend  nordischem, 
zurUcktreteud  eiiiheimiächem. 

Die  groben  Schlftmmprodncte  sind  die  Sande,  Orande,  GeröUe 
und  Kiese. 

Der  gemeine  Dilnvialsand,  wegen  seines  Gehaltes  an  Feld- 
spathkörnchon  auch  als  S{)athsand  bezeichnet,  besteht  hauptsächlich  aus 
Körnchen  von  Quarz,  Feldspath  und  zum  Theil  Gümmer,  Augit,  Horn- 
blende, Magneteiäen,  und  ist  in  seiner  ursprünglichen  Beschaifeuheit  stets 
durch  seinen  gewöhnlich  2 — 3  ^jo  oder  auch  mehr  betragenden  Ealkgehalt 
ausgezeichnet.  Der  Chrand  und  die  GerOlle  unterscheiden  sich  von  dem 
Sand  durch  das  grössere  Korn  ihrer  Gemenge,  der  Kies  ist  durch  ungleich- 
massig  wecliselnde  Korngrösse  charakterisirt.  Audi  diese  grobkörnigen 
Sedimente  führen  Kalk,  zuweilen  sind  sie  „unrein",  d.  h.  mit  Lehm 
oder  Thon  vermengt.  Die  iJiluviaisaniie  liefern  in  ihrer  ursj»riiii«fliL'hen 
Beschailenheit  einen  zwar  „leichten",  aber  doch  noch  leidlich  irucht- 
baren  Boden  wegen  ihres  Gehaltes  an  allen  für  die  Pflanzen  brauch- 
baren Mineralnährstoffen.  Das  Sickerwasser  laugt  aber  dieselben  leicht 
aus  und  wandelt  diese  Bodenarten  in  unfruchtbare  um.  Der  Kalkgehalt 
wird  leicht  aus  den  oberen  Partien  durch  das  Wasser  weg£,n'führt  und 
an  anderen  Stellen  wieder  abgesetzt;  daher  die  vielen  Kalkcoiuretionen, 
Incrustationen,  Cunglomeratbildungen  oder  Ausblühun^en  von  Bergmilch 
in  tieferen  Schichten  von  Sandlagem.  Dasselbe  wird  auch  oft  Ton 
Eisen  geliefert. 

Sand,  Grand,  Gerölle  und  Kies  zeigen  durch  ihre  Lagerungs- 
verhältnisse  deutlich  ihren  Absatz  aus  Wasser  an.  Feine  Schichtung, 
Wechsellagerung  aller  möglichen  Varietäten  der  Sande,  discordante 
Parallelstructur ,  Steinpflaster  u.  a.  m.  beobachtet  man  in  schönster 
Form  und  mannigfachster  Ausbildung  an  allen  fHsch  ansgegraben«! 
Au&chlflssen. 

In  den  Sauden  finden  sicli  zuweilen  Knochenreste  diluvialer 
Thiere,  Conchvlicn  sind  bisher  no(  h  nicht  nachgewiesen  worden.  Dünne 
Zwischenschichten  von  Sand ,  die  durch  PÜanzenreste  schwarz  gefärbt 
sind,  trifft  man  zuweilen  in  grösseren  Sandablagerungen.  Von  häu- 
figeren einheimischen  Geröllen  sind  zu  nennen  Braunkohlenstficke,  ver- 
kieselte  Hölzer ,  Conchylien  des  Stemberger  Oligocän  und  Holsteiner 
lÜocSn,  während  reichlich  angehäufte  Bryozoen  der  Kreide  in  dem 
sogenannt«'!!  Korallcnsand  zu  den  nordischen  Fremdlingen  gehören. 

Ein  sehr  feinkörniger  und  oft  stark  thoniger,  gelblicher  McrL'el- 
sand,  „Schlutf",  kommt  häufig  als  Zwischenschicht  in  Sandal)lageruiigen 
vor  oder  ist  der  Begleiter  von  Thonschichten.  Als  »Wellsand"  oder 
»Triebsand*  wird  oft  ein  sehr  feiner,  thonarmer  Sand  bezeichnet,  der 
in  gewissen  Tiefen  häufig  Wasser  fCÜirt. 

Die  Sande  sind  je  nach  ihrer  Beschaffenheit  zu  verschiedenen 
Zwecken  verwerthbar;  aus  den  groben  Gerölllagern  gewinnt  man  Bau- 
und  Strassensteine,  Kies  und  Grand  wird  zu  Dammschüttungen  gesucht, 
der  scharfe  Grand  als  Mauersand,  der  feine  Sand  als  Zusatz  für  den 
Ziegeleibetrieb. 

Der  diluyiale  Thon  (zum  Theil  aSehindel''  genannt)  tritt  nicht 
80  häufig  bis  ganz  zu  Tage,  wird  aber  in  zaUloeen  Gruben  für  die 


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Der  Boden  Heekleiibaivs. 


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Ziegeleien,  Cementfabriken  and  Thonwaareuanlageii  abgebaut.  Er 
bildet  kleine  Zwischenschichten  in  SaiKlnblagerungen  oder  mächtige 
reine  Lager  von  30  m  und  mehr  Mächtigkeit.  Meist  ist  er  frei  oder 
ganz  arm  an  grösseren  Steinen,  stets  etwas  kalkhaltig  und  von  sehr 
verschiedener  Beimengung  au  Sand,  wodurch  Uebergänge  von  dem 
8dilti&and  durch  Bändeiihon  zu  fettem  zfthem  Thon  entmien.  Seine 
Farbe  ist  blaugran  oder  rothbraun  und  gelblich.  Oft  enthält  er  mergelige 
Concretionen  von  derselben  Gestalt  wie  die  LOsapnppen,  ferner  ro£- 
braune  Lettenzwischenschichten. 

Conchvlien  konnten  Uisher  noch  m  keinem  Thonhiifer  auftjetunden 
werden,  eine  Thatsache,  die  um  so  mehr  besondere  Beachtung  verdieat, 
ab  in  den  Nachbarprovinsen  solche  Fände  mehrfach  gemwmt  worden 
sind.  Dagegen  erwies  sich  das  ausgedehnte  Thonlager  Ton  Wendisch 
Wehnii^en  an  der  Elbe  als  eine  diatomeenreiche  Ablagerung,  in  der 
auch  eine  schwarz  gefärbte  Schicht  von  reiner,  thonfreier  Diatomeen- 
erde eingeschaltet  ist^);  der  Hauptbestand  derselben  ist  nach  Cleve 
die  Süsswasserform  MeLosira  lyrata  neben  dem  spärlichen  marinen  Cos- 
einodiseut  sublUis. 

Bas  ZnsammenTorkommen  dieser  Dilnvialaldagerungai  ist  ein 
ungemein  wechselvolles,  und  dadurch  wird  der  rasche  Wechsel  der 
Landschaft  und  der  Bodenarten  bedingt.  Ganz  kurz  sei  noch  über  die 
Gliederung  des  Diluviums  einiges  raitgetheilt.  Auch  in  Mecklen- 
burg kann  man  das  Diluvium  in  zwei  Abtheilungen  gliedern,  dem 
Ober-  und  Unterdiluvium  der  Mark  entsprechend,  welche  zur  Hervor- 
hebung ihrer  stratigraphischen  Ungleichartigkeit  auch  gut  als  Deck* 
und  HauptdiluYinm  bezeichnet  werden  kOnnen. 

Die  bei  weitem  mächtigsten  und  mannigfaltigsten  Ablagerungen 
gehören  dem  H  a  u  p  t  d  i  1  u  v  i  u  ra  an.  Hier  finden  sich  die  genannten 
drei  Gruppen  von  Gesteinen  in  allen  möglichen  Varietäten  in  mannig- 
fachster Wechsellagerung  und  Vertretung,  ohne  dass  mau  berechtigt 
wäre,  noch  weitere  Gliederungen  fthnUch  wie  bei  den  Etagen  der 
Flötzformationen  Torzunehmen.  Jeder  grössere  Aufschluss  durch  Gruben, 
Bahnbauten  u.  dergl.,  Bohrprofile  und  audb  die  Oberfläche  der  Felder 
führen  uns  di^s  Verhältniss  immer  von  neuem  vor.  Lassen  sich  auch 
ftir  manchr  Ablageningen,  wie  z.  B.  für  manche  Geschiebemergel- 
partien, Thoulager  oder  Sande,  ziemlich  weite  Strecken  gleichbleibender 
Ausdehnung  und  Ausbildung  nachweisen,  so  genfigen  sie  doch  nidit 
Sur  Berechtigung  von  Horizontunterscheidungen.  Und  hftujGg  ^enug  ist 
man  überrascht  durch  das  plötzliche  Wechseln  und  gegenseitige  Ab- 
schneiden der  einzelnen  Ablagerungen.  Zu  diesem  Phänomen  gehört 
auch  die  Thatsache,  dass  auf  den  Feldern  die  Bodenarten  oft  rasch 
iverschiessen",  d.  h.  in  ihrer  petrographischen  Beschaffenheit  plötzlich 
we«sbseln,  so  daas  s.  B.  in  einem  sdiweren  Me^elbod^  dnzdne 
grossere  (oder  auch  so  kleine,  dass  sie  kartographisä  nicht  mehr  dar- 
stellbar sind)  Flecken  von  reinem  Sand  auftreten;  ein  zufällig  hier 
entblösstes  Profil  (Drainage,  S'trasseneinschnitt  oder  der<^^l.)  zeigt  dann 
mitten  im  Geschiebemergel  eine  von  unten  heraufgequetschte  oder  ganz 

0  Beitr.  z.  Geol.  Meckl.  I.  S.  40. 


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Geinits, 


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isolirt  ^elepene  Sandschmitze  oder  Sanduest.    Es  wäre  ein  Leichtes, 
noch  zahlreiche  weitere  Beispiele  der  Art  aufzuführen. 

Einige  Beobachtungen  an  Bohrprofilen  ergaben  eine  mehrfiiehe 
Wechsellagerung  Ton  Geflchiebemergel  und  Mdimentären  Diluvial» 
bildnngen :  doch  können  sie  meiner  Ansicht  nach  wegen  der  üngleich- 
miesigkeit  in  den  Lagernngsverhiiltnissen  der  Nachbarschaft  nicht  als 
Beweise  für  die  von  A.  Penck  auch  für  Deutschland  anffenomniene 
Theorie  der  dreifachen  Vergletscherun^-  mit  entsprechenden  Inter- 
gladalieiten  gelten.  Zwei  dieser  wichtigsten  ProiBüle  seien  hier  mii- 
getheilt : 

Bohrloch  in  Probst  Jesar  bei  Lübtheen: 
0 —  1,40  m  Auftrag  und  Fluniusbodenf 

—  2,10  .  gelber  Haidesand, 

— 19,0tJ  ,  oberer  Sand  und  Kies, 

—24,65  „  grauer  Geschiebemergel  mit  Saudeinlagerung, 

— ^25,45  ,  grauer  feiner  Sand, 

— 34,50  „  grauer  geschichteter  Thon, 

—42,00  ,  Sand  und  Kies, 

— 53,90  ,  grauer  sandiger  Geschiebemergel, 

— 62,30  ,  gro])er  Kies. 

— 64,80  ,  grauer  saudiger  Geschiebemergel, 
—97,90  ,  Sande,  Thone  und  Brsimkoble  des  Tertiir. 

Bohrloch  bei  Trebs  in  der  Nähe  von  Lübtheen: 

0—  16,1  m  gelber  Haidesand, 

—  22,4  ,  Saud  und  Kies, 

—  31,2  ,  grauer  Geschiebemergel  zum  Theil  mit  Kies, 

—  36,3  ,  Kies  und  Sand, 

—  49,0  ,  eingequetschter  Tertiftrsand, 

—  S0,7  «  Dilnvialkies, 

—  53,8  „  graner  sandÜger  Geschiebemergel,  ^ 

—  75,1  ,  Kiof. 

—  82,3  ,  grauer  sandiger  Geschiebemergel. 

— 133,1  „  grober  Kies,  wechsellagernd  mit  sandigem  Ge- 
schiebemergel. 

Das  letztere  Bohrloch  ergab  llberdies  die  enorme  Mächtigkeit 
des  Dilnvilinis  von  133  m  fd.  i.  115  m  unter  dem  jetzigen  Ostsee- 
spiegel) :  es  ist  da.s  die  nilclist  dem  Spandauer  Bohrloch  bekannte  grdsste 
Mächtigkeit  des  deutsclien  Diluviums. 

Das  Deckdiluvium  tritt  zwar  gegenüber  der  mäciitigen  und 
mannigiuliigen  Entwickelune  des  Hauptdiluviums  stark  zurück,  ist 
aber  geologisch  wesen  seiner  nSoBgen  discordanten  Ueberlagernng  meist 
gat  zu  unterscheiden  und  in  agronomischer  Beziehung  deshalb  von 
besonderer  Bedeutung,  weil  es  den  fast  allgemeiiieu  Ueberzug  des  Haupt- 
diluviums bildet  und  durch  seine  Eutwickelung  oben  die  Bodenbeschaffen- 
heit wesentlich  htMÜnf^t  oder  wenigstens  lieeintlusst. 

Das  Deckdiiuviuui  ist  als  der  Absatz  des  Kückzugsgletschers  und 
seiner  ScbnelzwSsser  zn  bezetebnen;  es  besteht  im  wesentlichen  ans 

0  Ftötsformat.  Meckl.  6.  114. 


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Der  Boden  Hedcleobafgs. 


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Geschiebemergel  oder  Sauden.  Hiiiifip  sind  seine  Ablagerungen  durch 
einen  Ueichthum  an  Geschieben  ausgezeichnet,  doch  ist  dies  kein  Cha- 
rakteristicuni  desselben,  da  die  Geschiebe  in  grosser  Masse  auch  ebenso 
dam  Hanptdiliifiiim  angehören.  Eine  Veraduedenlieit  in  der  Natur 
der  Geschiebe  ist  nicht  zu  eoustatiren,  ebenso  wenig  eine  grossere 
Häufigkeit  Ton  geschrammten  Geschieben  g^^nüber  denen  im  Haupt- 
dilurium. 

I)er  ,obere''  G  e  s  c  h  i  f  h  p  m  e  r  g  o  1  ist  tlieils  wegen  seiner  den 
Tagewässern  exponirteu  Lage,  tlieils  auch  schon  von  Anfang  an  (wegen 
des  reichlichen  Schmelzwassers  in  der  Grundmoräne  des  Rückzugs- 
gletschers) meist  nicht  so  fett  wie  der  untere,  sondern  sandiger ;  auch 
ist  er  gegenwärtig  meist  von  lehmgelber  Farbe  und  in  seinen  oberen 
Partien  sehr  liäiifig  zu  Lehm  ausgelaugt.  In  diesen  Eigenschaften 
liefert  er  (»iiieii  sehr  guten  BodtMi.  der,  wenn  er  auch  den  , unteren* 
Mergel  nodi  als  Untergrund  hat  oder  in  bedeutender  Mächtigkeit  (die 
bis  3,  sogar  zu  10  m  ansteigen  kann)  vorhanden  ist,  als  schwerer  Boden 
bezeichnet  werden  muss;  wenn  er  in  geringerer  Mächtigkeit  oder  als 
Bedeckung  von  Sand  auftritt,  diesem  an  sich  weniger  werthvollen 
Untergrund  erhöhte  Bonität  verleiht.  Dadurch,  dass  er  nicht  in  gleicher 
Dicke  ausgebreitet  ist.  sondern  oft  rasch  in  allen  Grenzen  schwankt, 
kommt  das  ,Versi  hi«  ssen"  des  Bcidens  mit  zu  Stande. 

An  anderen  Stellen  ist  die  Ablagerung  dieser  Grundmoräne  keui 
Hergel,  sondern  dadurch,  dass  von  Anfang  an  oder  auch  zum  Theil 
duroi  spätere  WegfOhrung  die  feinsten  Theile  diesem  Absatz  fehlen, 
der  sogenannte  Decksand,  Geschiebesand,  Deckkies  abge- 
lagert. E>  ist  dies  ein  mehr  oder  weniger  lehmiger,  ei.senbraim  ge- 
färbter Siind  und  Kies,  in  dem  ordnungslos  Gerolle  und  Geschiebe 
eingestreut  sind.  Zuweilen  sind  letztere  so  massenhaft  vertreten,  dass 
man  von  einem  Steinlager  zu  reden  hat,  in  dem  nur  vereinzelt  zwischen 
den  einzelnen  grossen  Blocken  der  lehmige  Sand  steckt.  In  beiden 
Formen  ist  der  Decksand  wegen  seines  Gehaltes  YOn  etwas  Feinerde 
immerhin  nocli  ein  leidlicher  Boden,  der  allerdings  /n  einem  fast  un- 
fruchtbaren wird,  wenn  der  Decksand  nar  wenig  mächtig  auf  reinem 
Sand  lagert. 

Sind  durch  späteres  Wegwaschen  der  Feintheile  von  dem  Deck- 
diluTium  nur  noch  die  einzelnen  grossen  und  kleinen  Steine  liegen  ge- 
blieben, so  ist  dies  die  ,Ste i nbestreuung",  wie  sie  ungemein  häutig 
auf  altdiluvialem  Untergründe  (Mergel  oder  Sand)  in  allen  Gegenden 
de'!  T.nndes  vorkommt;  dazu  gehOrt  auch  die  Anhäufung  Yon  „erratischen 
Blöcken«. 

Das.s  auch  der  leine  llaidesaud  zu  dem  Oberdiluvium  gehört, 
hat  neuerdings  Berendt  gezeigt  Diese  Ablagerungen  sollen  weiter 
nuten  besprochen  werden. 

In  dem  oberen  oder  Decksand  finden  sich  an  vielen  Stellen  des 
norddeutschen  Diluviums  und  so  auch  in  Mecklenburg  die  eigenthüm- 
lichen,  von  B  e  r  e  n  d  i  als  D  r  e  i  k  a  n  t  e  r  od  er  V  y  r  a  m  i  d  a  I  g  e  s  c  h  i  e  b  e 
bezeichneten,  besser  wohl  als  »Kautengerülle"  zu  benennenden  Gerölle, 
an  denen  zwei  oder  mehrere  Flächen  gerade  abgeschliffen  sind  und  durch 
ihr  Zusammenstossen  scharfe  Kanten  hervorrufen,  wodurch  eine  mehr 


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Qeiniti, 


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oder  weniger  deutliche  Pyriimidenfonn  auf  einer  oder  beiden  Seiten 
entsteht,  die  oft  als  Kunstproduct  angesehen  worden  ist.  Diese  Drei- 
kanter sind  nicht  allgemein  im  Deckdilnvinm  verbreitet,  sondern  nur 
auf  die  Nachbarschaft  p^rösserer  Hiiidestrecken  odfT  juugdiluvialer 
Flussläufe  beschränkt.  Sie  bilden  häuiig  eine  Art  von  Steinpflaster 
unter  dem  feinen  Haidesand.  Ihr  angegebenes  beschrftnktes  Vorkommen 
ist  eine  wohl  zu  beachtende  Thatsache,  die  für  die  Erklärung  ihrer 
Bildungsweise  wichtig  ist.  Sie  sind  dnrdi  « ine  besondere  Art  von 
Wasserbewegung  abgerieben  worden .  durch  das  Abschmelzwasser  des 
Rückzug.Hgletschers  und  nicht  als  Producte  der  vereinigten  Wind-  und 
Sanderosiou,  als  »sandcuttings"  aufzufassen,  wie  dies  Gottsche  ')  (uud 
früher  Meyn)  thut*). 

Der  Qeschiebemergel  des  Deckdiluvinms  bedeckt  die  Haupt» 
dihiTialscbichten  biludg  in  discordanter  Ueberlageruug  und  schneidet 
dieselben  oft  ganz  harf  ab  oder  greift  buchtenartifj  und  mannigfache 
Schichtenstörungen  verursacliend  in  dieselben  ein.  Zuweilen  erscheint 
er  auch  in  seinen  untersten ,  einige  Centimeter  dicken  Partien  auf- 
geschlämmt zu  Bänderthon,  Kies  oder  Sand,  eine  Erscheinung  des  am 
Grunde  befindlichen  Schmelzwassers  der  GrundmorSne. 

Eine  für  die  mecklenburgische  Diluviallandschaft  sehr  charakte- 
ristische Erscheinung  sind  die  das  Land  in  nordwest-südöstlicher  Rich- 
tung parallel  durchziehenden  Geschiebestreifen,  auch  Geröllstreifen 
genannt.  Es  sind  dies  nicht  wallartige  Gesteinsniauorn,  sondern  durch- 
schnittlich ',2  Meile  breite  (zum  Theil  auch  bis  2  Meilen  breite),  nicht 
vdUig  geradhnig  verUufende  Höhenzflge,  die  sich  oft  in  eine  Reihe 
verschieden  hoher  Hügel  auflösen  und  durch  ihre  nnglaubliclie  Menge 
an  Geschieben  und  Geröllen  ausgezeichnet  sind.  Durch  die  weg- 
waschende Arbeit  der  Tagewässer  werden  die  grossen  und  kleinen 
Steine  von  dem  wenigen  sie  umge))enden  Mergel  oder  Sand  befreit 
iwd  gelangen  so  an  die  Oberfläche,  hier  auf  llügelu  wie  in  Thälern 
in  so  grossen  Massen  herumliegend,  dass  sie  oft  der  Feldbestellung 
äusserst  hinderlich  werden,  ja  dieselbe  an  manchen  Stellen  ganz  un- 
mö^ich  machen.  Die  Felder  sehen  in  diesen  Gegenden  wie  übersäet 
ans  mit  den  nnwirtliliclieu  Steinen,  und  man  kann  keinen  Schritt  thun, 
ohne  an  einige  Steine  zu  stossen.  Oft  liegen  die  Steine  auch  noch 
unter  der  mergeligen  Ackerkrume  und  nur  ein  zuiuiliges  Tiefpflügen 
offenbart  hier  zuweilen  den  ungeahnten,  fttr  Wegebauten  trefflich  tw- 
werthbaren  Steinreichthum.  Man  sucht  die  Steine  von  den  Feldern  zu 
beseitigen,  indem  man  sie  zu  Manem  an  Wegen  und  Gdböften  anhäuft, 
sie  in  Gräben  und  Teiche  versenkt  oder  sie  zu  grossen  Haufen  zu- 
sammentr;l<i;t,  die  oft  wie  Hünengräber  aussehen;  ferner  sind  die  Hänser 
dieser  Gegenden  zum  Theil  aus  den  Feldsteinen  gebaut.  In  Mecklen- 
burg laufen  vier  solcher  Streifen  durch  das  .  Land :  der  erste ,  im 
Klfitzer  Ort  beginnend,  zieht  sich  zum  Nordzipfel  des  Schweriner  Sees 


iSedimentargescliiebe  d.  Prov.  Öchleswig-iiolstein.    1883.    S.  Ö. 
Vergl.  hierüber  eine  weitere  demniclutige  Nolls  das  Yerfeners  in  der 
Zeitechr.  der  deotscli.  geol.  Gesellsch. 

*)  Vergl.  auch  £.  Boll:  Zeitachr.  d.  deutsch,  geol.  Gesellsch.  1851.  Taf.  19. 


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Der  Boden  MeeklenbofgB. 


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über  Sternberg,  Alt-Schwerin  durch  den  Müritzsee  ühtT  Fürstenberg 
bis  Oderbers;  hin  (hier  den  Stein  wall  von  Liepe  bildend).  Der  zweite 
Streifen  verläuft  von  Buckow  über  Steinliagen,  Satow,  Warnow,  Zehna, 
Sieinbeck,  Roth»palk  zur  Südspitze  des  Moichiner  Sees,  über  Vieliat 
nOrdlieh  Ton  Waren,  Mdllenhagen  bei  Penzlin  nach  Feldberg.  Ein 
nahe  dabei  gelegener  dritter  Vm^i  l  eginnt  auf  den  Diedrichahiger 
Bergen  bei  Doberan  und  zieht  sich  über  die  Gegend  von  Schwaan  und 
Teterow  zum  Malcliiner  See.  Der  letzte  verläuft  an  der  poimnerschen 
Grenze  aus  der  Gegend  von  Ribnitz  über  Sülz  nach  Deniniiu  und  weiter. 

Da»  Material,  au^  dem  die  Gescbiebestreifeu  bestehen,  ist 
hanptsSchlich  der  Geechiebemergel  reap.  Qeechiebekies  und  Steinpackung, 
zum  Theil  nehmen  auch  Sande  nnd  Kiese  an  ihrer  Znaammenaetziing 
Theil.  Sie  sind  nicht  blos  aus  dem  oberen  Diluvium  xnsamm engesetzt, 
sondern  das  Hauptdilnvium  betheiligt  sich  ebenfalls  wesentlich  mit  an 
ihrem  Aufbau ;  oft  bestehen  gerade  die  höchsten  Hügel  solcher  Reihen 
au»  mäcbtigea  Aufschüttungen  von  Sauden.  Nie  sind  es  mauerartige 
WftUe,  sondern  nur  durch  gewaltige  Steinanh&ufuug  ausgezeichnete 
Horftnenablagerungen.  In  der  Oegoid  der  Qesohiebeatreifen  ist  die 
»Moranenlandschaft''  mit  ihren  Seen,  Kesseln  und  Söllen  stets  ausge- 
zeichnet entwickelt. 

Zum  Theil  werden  diese  Hügelzü^e  der  Geschiebestreifen  i>euk- 
recht  durchbrochen  von  Flussthäleru  oder  Seen,  die  Streifen  betheiligen 
sieh  an  der  Zusammensetzung  des  mralisch-baltischen  Höhenzuges. 
Hinter  den  einzelnen  Streifen  liegen  ebenfalls  häufig  grössere  oder 
kleinere  Seen  (z.  B.  der  Krackower,  Flauer  See  u.  a.).  Häufig  ist 
auch  die  Gegend,  welche  hinter,  d.  Ii.  südwestlich  von  einem  Geschiebe- 
streifen liegt,  dadurch  ausgezeichnet,  dass  hier  vom  Hügelzuge  her  die 
Steine  immer  kleiner  und  spärlicher  werden,  bis  sie  schliesslich  ganz 
Terschwinden  und  der  Haide  Platz  machen.  Sehr  schön  lässt  sich  dies 
s.  B.  beobachten  auf  dem  Wege  von  Yoürathsruhe  am  Sfidende  des 
Malchiner  Sees  Über  Cramon  znr  Nossentiner  Haide.  „ 

Zur  Erklärung  der  Bildung  dieser  eigenartigen,  Asar-ähnlichen 
Geschiebestreifen  hat  man  drei  Möglichkeiten.  Bereu  dt  hebt  hervor, 
da.'>..s  der  Druck  der  zurückweichenden  Eisdecke  in  dem  eben  ver- 
la^seuen  Terrain  eine  dem  Rande  des  Gletschers  parallele  Erhebung, 
ein  Emporpressen  des  noch  plastischen  durchfeuchteten  Bodens  Ter- 
unaehen  konnte.  Auch  als  Anhäufiingsmassen  von  Endmoränen  des 
Blldcsugsgletschers  kann  man  die  Geschiebestreifen  deutm.  Nach 
meinen  weiteren  Untersuchungen  scheint  es  mir  aber  nicht  ausreichend 
und  zum  Theil  nicht  nöthig.  die.se  Erklärungsweisen  in  Anspruch  zu 
nehmen.  Vielmehr  sind  hiernach  die  Geschiebestreifen  anzusehen  als 
der  Moränenschutt,  der,  sich  an  den  das  Land  zu  versehiedener  Höhe 
in  Nordwest-Sfidost-Richtung  durchquerenden  Bodenwellen  des  Flötz- 
gebirgsuntergrundes  stauend,  hier  auf-  und  angelagert  worden  ist.  In 
der  That  fallen  die  Aiiliäiifiingen  des  erratischen  Materiales,  die  Ge- 
schiebestreifen, zu>amuien  mit  dem  Auftreten  der  Flötzformatiouen. 

Auch  die  al.s  „Kames"  oder  ,Eskers*  bezeichneten  isülirteu 
Geröllhagel  finden  sich  in  Mecklenburg,  z.  .B.  bei  Gnoyen,  wie  an 
anderer  Stelle  ausflOhrlicher  gezeigt  werden  solL 


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12 


Oeinitc, 


[12 


Der  topooraphische  Charakter  der  mecklenburgischen  Landschaft 
wird  denniHch  durch  die  beiden  Factoren  bedingt:  Kern  oder  Unter- 
grund durch  das  Flötzgebirge,  Oberfläi heuforraen  durch  die  Glacial- 
fh&tigkeit  und  Erosion  des  Qnartörs. 

2*  FlStrformatloneii. 

Im  Anschhiss  an  das  sim  Immi  Flrörterte  seien  hier  die  Vorkomm- 
nisse der  vordilnvialeii.  als  Flötzformutiunen  bezeichneten  Ablaf?erun<^ft'n 
erwähnt,  soweit  dieselben  als  nutzbare  Mineralien  für  die  Kenniniss 
des  mecUenburgischen  Bodens  von  Wichtigkeit  sind. 

Man  trifft  in  Mecklenburg  sieben  hanptsScbliche  parallele  Er- 
hebungen des  Flötzgebirgsuntergrundes,  welche  alle  der  hercynischen 
G eb  i  r  pi^ri c  h  f  u  11  g  folgend,  in  Südost-Nord wf.st-Riclitung  das  Land 
durch(|ueren  und  an  resp.  auf  welche  sich  die  geächiebereichen  Glacial- 
maasen  besonders  reichlich  abgelagert  haben. 

Die  älteren  Formationen,  die  aus  dem  Untergrund  von  Mecklen- 
burg anstehend  bekannt  sind,  sind  Dyas,  Jnra,  Kreide  und  Tertiftr. 

A.  Dyas. 

Bei  dem  Flecken  Lübtheen,  8  km  südlich  vom  Bahnhof  Pritzier 
an  der  Berlin-Hamburger  Bahn,  liegt  der  seit  langen  Jahren  in  Abbau 

befindliche  Gypsberg  als  eine  bis  20  m  über  den  Meeresspiegel  sich 
erhebende,  von  Diluvial-  und  Haidesand  bedeckte  Kuppe.  Im  Jahre 
182')  fand  man  den  Gypi^  unter  dem  Sande  auf  und  errichtete  später 
einen  sich  immer  mehr  entwickelnden  Abbau  auf  den  Gyps,  der  als  treu- 
liches Material  zu  Düngezwecken  und  zu  Fusssböden  sehr  gesucht  wird. 

Wegen  des  stockfSrniigen  Auftretens  findet  der  Abbau  in  der  Art 
statt,  dass  man  in  den  H<  i  u;  von  oben  herab  einen  Steinbruch  angel^ 
hat.  der  den  rundlichen  Theil  des  Gypses  al  liutzmauer  stehen  lässt 
und  ailjälirtich  weiter  nach  der  Tiefe  geht.  Der  starke  Wasserzuflnss 
(ca.  cbm  j»ro  Minute)  erfordert  die  dauernde  'i'hiitigkeit  eines  Pump- 
werkes, nach  dessen  Einstellen  sich  bald  der  Bau  mit  Wasser  füllt 
und  somit  in  den  Zeiten,  zu  denen  nicht  gebrodien  wird,  ein  tiefer 
Teich  die  Stelle  des  Gypsbruches  einnimmt. 

Der  Oyps  hat  eine  heU-  bis  dunkelgraue  Farbe,  nnregelmassig 
dunkel  durciiadert,  und  ist  von  mittlerem  Korn,  meist  derb,  doch  auch 
dünn  geschiefert.  Nach  unten  geht  er  in  Anhydrit  über.  An  den 
Seiten  gewahrt  man,  dass  d«*r  Gyps  von  dunkelgrauem  Dolomit  bedeckt 
ist,  und  diesem  ist  häufig  tertiärer  Septarienthon  aufgelagert.  Auch  die 
in  der  Nachbarschaft  angefahrten  Bohrungen  ergaben  vielfach  dieselbe 
üeberlagerung.  An  dem  Gypsstock  und  seiner  Bedeckung  ist  das 
Diluvium  als  Sand  und  zum  Theil  auch  als  Geschiebemergel  an-  und 
aufgelagert. 

Das  Vorkommen  von  Salzquellen  in  dem  Gypsbruch  und  in  der 
weiteren  Umgebung  liess  schon  längst  auf  das  Vorhandensein  von 
Steinsalz  unter  dem  Oyps  schhessen.  In  der  That  ist  auch  durch 
die  neueren  Tiefbohrungen  in  jener  Gegend  das  Dasein  eines  mächtigen 


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Der  Boden  Mecklenbnfgs. 


13 


Sieinsalzlagers  unter  dem  Gyps  nachgewiesen.  Ein  Bohrloch  am  Rande 
des  0  vp:>bnirhp.s  erg'ab  in  -VIl  m  Tiefe  Steinsalz,  welclies  hei  477  m  noch 
nicht  durchftuukeu  war.   Das  hierbei  gefuudeue  Proüi  ist  folgendes: 
0—  22,33  m  Sand, 
22,33—135,00  ,  grauer  und  weisser  Gyps,  oben  zerklüftet, 
135,00—288,36  »  bl&nlicher,  grauer  und  weuser  Gyps  und 

Anhydrit, 

288,36 — 327,40  „  grauer  Mergel  mit  rothen  und  weissen  Salz- 
körnern in  dunklen  Thonlagen, 

327.40-477,08  ^  Steinsalz. 

Auch  Abraumsalze  sind  aufgefunden  worden,  ohne  jedoch  bis 
jefert  zu  einer  teehniBchen  Yerwertfaung  gelangt  zn  sein. 

Durch  das  Vorhandensein  von  Salzquellen  und  den  im  Gjps- 
gebirge  so  häufigen  Erdfällen  (Pingen)  ist  die  Ausdehnung  des  Lüb- 
theener  Gyps-  resp.  Salzlagers  mit  ziemlicher  Sicherheit  auf  eine  Strecke 
von  42  km  nachgewiesen ;  dabei  hat  sich  herausgestellt,  dass  das  Dyas- 
lager  von  Lübtheen,  der  , Lübtheener  Gebirgszug^,  in  Ostsüdost- VVest- 
Dordwesi-Richtaiiff  streieht 

Zu  diesem  Gebirgszug  gehört  auch  die  jetzt  unverwerthete,  ziem- 
lich starke  Soolquelle  von  Sülze  bei  Conow,  17  km  südöstlich 
von  Lübtheen  gelegen.  In  der  Zeit  zwischen  1307  und  1320  wurde 
dort  eine  Saline  eingerichtet;  später  verfallen,  wurde  sie  in  der  Mitte 
des  17.  Jahrhunderts  (1052)  wieder  aufgenommen,  jedoch  nur  mangel- 
haft Terwaltet  und  endlich  im  Jahre  1746  gelegt. 

Neben  diesem  Dyaszug  finden  sich  noch  vier,  gteichfialls  in  der 
hercynischen  Richtung  streichende,  die  tlieils  durch  Salzquellen,  theik 
durch  Erdialle  sich  kenntlich  machen.    Ks  sind  dies  die  folgenden: 

1.  Sülsdorf — Suiten  südlich  Schwerin — Sülsdorf  bei  Schönberg 
( — Segeberg  in  Holstein). 

2.  Sülten  bei  Brüel — Silz  bei  Nossentin. 

3*  Neuenkirchen — Bfltzow — Schüeffimberg — ^Franzensberg — Sfilten 

bei  Stavenhagen. 
4.  Ribnitz — Sülz — Golchen— Wittenbom. 

Bei  Sülten  zwischen  Brüel  und  Sternberg  war  schon  im  Jahre 
1222  ein  Salinenbetrieb  ^):  ebenso  war  bei  Neuenkirchen  unweit 
Schwaau  wahrscheinlich  früher  eine  Salzsiederei;  im  16.  Jahrhundert 
aoU  bei  Bibnitz  und  1170  in  Selz  bei  Golchen  eine  Saline  in  Betrieb 

gewesen  sein.  Die  gegenwärtig  einzige  noch  in  Betrieb  befindliche 
aline  findet  sich  in  dem  an  der  pommerschen  Grenze  befindlichen 
Städtchen  Sülze.  Die  Quelle  enthält  ähnlich  wie  die  von  Sülz  bei 
Conow  einen  beträchtlichen  Gehalt  an  Kahum  und  Magnesium.  Die 
älteste  Urkimde^),  welche  von  den  Soolquellen  bei  Sülz  spricht,  ist 
vom  Jahre  1243,  wo  schon  die  Benutzung  der  Soolquellen  von  den 
Toifahren  erw&hnt  wird.   Seitdem  war  hier  &st  dauernd  eine  Salz- 


•)  V'ergl.  die  geschichtlichen  Notizen  von  Lisch,  Jahrb.  d.  Ver.  f.  meckl. 
Qochichte.    Schwerin  1846. 

^)  iS.  Koch,  Geschichte  der  Saline  su  SiUs.  Lisch'a  Jahrb.  f.  mecki.  Gesch. 
1846.    t>.  'J7. 


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14 


Oeinitx^ 


[14 


siederei  im  Betrieb.  Seit  1822  ist  daselbst  eiu  Soolbad  errichtet, 
welches  hauptsächlich  für  scrophulöse  Kinder  benutzt  wird.  Im  Jahre 
1882'83  prnducirte  das  Salzwerk  1  514  100  kg,  von  denen  1  170  400  kg 
Speiaesalz  und  97  800  kg  zu  anderen  Zwecken  verwendetes  !Salz  im 
Lande  blieben,  während  das  übrige  nach  Pommern  Termndt  wnrde. 
Die  Prodndaon  des  Jahres  1883/84  betrag  1 447  400  kg,  das  versteuerte 
Salz  (1 264  400  kg)  lieferte  einen  Steuerertrag  von  151  725  M.  Auch 
pine  chemische  Fabrik  ward  1^28  daselbst  gegründet  zur  Verarbeitung 
der  ziemlich  beträchtlichen  Mutterlauge  u.  a.  m.,  mosste  jedoch  bald 
wieder  eingehen. 

B.  Jura. 

Zwischen  dem  Dobbertiner  und  Goldberger  See  im  mittleren 
Mecklenburg^  wnrdf  in  einer  Thonprube  die  Juraformation  entdeckt, 
ein  blaiirrraiier  fetter  Thon  mit  einer  grossen  Menge  von  rundlichen, 
brodfürmigen  Kalkconcretionen,  bedeckt  von  Diluvialmassen ;  ausserdem 
in  starker  Schichtenverdröckung  ein  bitumenreicher  sandiger  Posidonien- 
schiefer.  In  leteterem  finden  sich  charakteristische  Yersteinernngen  des 
oberen  Lias.  Die  Ealkooncretionen  sind  durch  ihren  Reichthum  an 
Versteinerungen  (Fische,  Ammoniten,  Krebse,  Tnsectwi,  Fflansen)  ans- 
gezeichnet,  welche  dem  obersten  Lias  angehrirfn. 

Die  Funde  von  In.secten  in  dem  Juni  von  Dobbertin .  welche 
bisher  einige  40  verschiedene  Arten  in  wuhlerhaltenen  zahlreichen 
Exemplaren  geliefert  haben,  sind  in  mannigfacher  Besiehung  von 
hohem  Interesse,  auch  schon  deshalb,  weil  sie  die  einzigen  derartig 
reichen  Funde  in  ganz  Deutschland  sind.  £s  sind  neben  einigen  Käfern 
▼orwiegend  Nenropteren  und  Orthopteren,  welche  meist  am  Wasser  zu 
leben  pflegen.  Es  war  also  hier  zur  Zeit  des  obersten  Lias  eine 
Meeresbucht  an  einem  Festland  resp.  Inselland;  damit  stimmt  auch 
der  Fnnd  von  Landpflanzen  flberein. 

Technisch  wird  der  Thon  zn  einem  lebhaften  Ziegeleibetrieb  ver- 
wer&et,  der  Schiefer  hat  noch  keine  Verwendung  analog  den  warttem- 
berger  Oelsrhiefern  icfefunden.  Nur  hat  man  seinen  hohen  Gehalt  an 
Bitumen  (er  ])reiint  mit  leuchtender  Flamme  an  der  Kerze  an)  zum 
Schwärzen  und  Glanzbrennen  der  Dachsteine  versuchsweise  benutzt.  — 

Besonders  im  östlichen  Mecklenburg  finden  sieh  nnier  denDilnvial- 
gpschieben  in  sehr  grosser  Menge  JnragerOlle  mit  sehr  zahlreichen 
Versteinerungen  des  mittleren  Jura.  Da  in  den  nordöstlich  hiervon 
geleirencn  Gegenden  Pommerns  der  braune  Jura  ansteht,  so  ist  die 
Annalime  berechtigt,  dass  diese  mecklenburgischen  Geschiebe  und 
GerüUe  aus  jenen  Gegenden  stammen.  In  der  That  zeigt  eine  Karte, 
auf  der  die  Yerbreitang  dieser  GeröUe  eingetragen  wird  dass  sie 
sich  hauptsächlich  da  finden,  wo  fiberhaupt  Gesddebe  reichlich  ange- 
häuft sind,  nämlich  im  Gebiete  der  oben  erwähnten  Geschiebestreifen, 
und  dass  sie  nicht  so  wie  die  tertiären  Sternberger  Gesteine  auf  ein 
beschränktes  Gebiet  localisirt  sind.  Man  kann  also  nicht  annehmen^ 
dass  der  braune  Jura  in  Mecklenburg  ansteht. 


0  Flötiformat  Heckl.  TW.  8. 


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15j  Der  Boden  Mecklenburgs.  *  15 

C.  Kreide. 

Die  KrtMilctormation  tritt  in  Mecklenburg  an  sehr  zahlrMichen 
Stf'llen  auf  und  liefert  technisch  verwerthbare  Gesteine  in  dem  Kreide- 
kalk zu  Bau-  und  Düngekalk,  in  den  Thonen  zu  Thonwaaren-  und 
Cementfabriken,  in  dem  Pläner  zu  vorzüglichem  Bau-  und  Düngekalk 
mid  in  den  Phosphoriten  günstiges  Material  fttr  chemiseh-teehniBGhe 
Yerwerthung.  Der  Plänersandstein  ist  zu  nnrdn  nnd  durch  den 
Glacialdrurk  zu  stark  zertrümmert,  als  dass  er  zu  Mauersteinen  Ver- 
wendung finden  könnte. 

Folgende  vier  geologische  Altersstufen  konnten  in  den  verschie- 
denen mecklenburgischen  Kreide  Vorkommnissen  durch  Versteinerungen 
oonslatirt  werden: 

1.  Cenoman  oder  Unterer  Pläner  (z.  6.  bei  Gielow  und  Moltcow 
am  Malchiner  See). 

2.  Mittlerer  Pläner  oder  Unteres  Turon  (Plänerzug  von  Karenz 
bei  Lübtheen  und  von  Brunshuupten  bei  Doberan). 

8.  Oberes  Turon,  Scaphites  Geinitzi-Schichten.  (,Die  meisten 
Vorkommnisse  Ton  Feuerstein  fQhrender  Schreibkreide,  mit 
untergeordneten  Thonen.) 

4.  Oberes  Senon  vom  Alter  der  Rügen*8Ghen  Kreide  (Feuerstein 
führenrip  Kreide  im  Klützer  Ort). 

Das  mecklenhiirgische  Kreidegebirge  besteht  aus  fünf  parallelen 
Zügen,  die  in  Südost-Kordwe.st-Streichrichtung  durch  das  Land  laufen: 

1.  Earenzer  Pläner  und  Grünsand,  zum  Lübtheener  Gebirgszug 
gehörig. 

2.  Pläner-  und  Kreidezug  von  Silbeck  in  Holstein — Klützer  Ort— 
Nossentin — Poppentin — Gotthun  am  Müritzsee  -  Fürstenberg. 

3.  Planer-  und  Kalkzug  von  Cismar  in  Holstein— Neuhof  bei  Zehna 
— Jabel  —  Moltzow. 

,  4.  Plänerzug  von  Heiligenhafen  in  Holstein — Brunshaupten  und 
Brodhagen  bei  Doberan — Teterow — ^Basedow,  Gielow  imd  Len- 
schentin  bei  Malchin — Nedemin. 

5.  Kreideztig  von  Warnemünde — Kösterbeck — Saroow — Glempe- 
r\oyr — Salow—  Wittenbom. 

Der  Pläner  von  Karenz  und  von  Brunsiiaupteu  enthält  ziemlich 
häufig  Phosphoritknollen,  welche  für  eine  techniche  Verwerthung  (zu 
Düngemateiialien)  recht  brauchbar  wSren.  Diese  beiden  Stellen  sind 
als  die  bis  jetzt  bekannten  westlichsten  Ausl&ufier  der  grossen  mittel- 
europäischen Phosphoritzone  zu  betrachten,  die  sich  von  Central- 
mssland,  Simbirsk ,  Woronesch,  Desnaquellen  nach  der  oberen  Kreide 
Schonens,  Seelands  und  Jütland  erstreckt 

D.  Tertiär. 

Die  Tertiärformation  mit  ihren  nutzbaren  Gesteinen:  Braunkohle, 
Tlum,  Sand,  Alaunerde  ist  in  Mecklenburg  besonders  in  der  südlichen 


^)  S.  FlöUlormat.  Meckl.  S.  59. 


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16 


Geinits, 


[16 


Hälfte  ziemlich  weit  verbreitet.    Ihr  ^geologisches  Alter  ist  wie  du 
im  übrigen  Norddeutschlnnd  oligocän  und  miocän. 

Am  besten  aufgeschlosseu  sind  die  Tertiärvorkommnisse  im  süd- 
westlichen Haidegebiet  Mecklenburgs,  wo  der  schon  in  alten 
Zeiten  mit  einem  besonderen  Namen,  »Wanzeberg*,  beseichnete  HOhen- 
eomplex  der  Gegend  von  Malliss  und  Bockup  in  unmittelbarem  Zu* 
sammenhang  mit  der  Ltibtheener  Gegend  stehend  das  Tertiär  des 
.Ltibtheener  Gebirgszuges"  bildet. 

Von  Malliss  über  Conow  und  sodann  in  nordwestlicher  Richtung 
wieder  bis  Lübtheen  ist  ein  Lager  von  mitteloligocänem  Septarien- 
thon  nachgewiesen,  welches  hier  ein  deutliches  Nordwest-Slidost- 
Streichen  und  ein  Südwest-Einfällen  hat.  In  ihm  finden  sich  zahlreiche 
charakteristische  Conchylien,  femer  g^t  ausgebildete  Gypskrjstalle  und 
die  grossen,  oft  1  m  im  Durchmesser  haltenden  Kalkconcretiotien.  die 
„Septarien"  oder  ('ementsteine ,  die  jetzt  noch  als  werthios  hei  Seite 
geschafft  werden,  sich  aber  zur  Cenientfabrikation  vorzüglich  eignen. 
Das  Thonlager  wird  gegenwfirtig  in  einer  gromartig  betriebenen  Thon- 
grube, der  «Neuen  Msllisser  Ziegelei",  abgebaut  und  zu  einer  bedeu- 
tenden Zie^elindustrie  verwerthet.  In  dem  Jahre  vom  1.  März  1883 
bis  i'O.  September  1884  wurden  daselbst  12  188  000  Stück  21  cm  lange 
Ziegel  gebrannt  und  im  Sommer  durchschnittlich  17."),  im  Winter 
95  Arbeiter  beschäftigt.  Der  Transport  der  Steine  wird  durch  den 
bis  ans  Werk  geffihrton  Arm  des  Eldekanab  wesentli^  erleichtert. 

Das  Braunkohlenlager  von  Malliss  und  Bockup  gehOrt  dem 
südwestlichen  Abfall  desselben  Höhenrückens  an  und  lagert  coni  rm 
mit  derselben  Streich-  nn<l  Fallrichtung  auf  dem  Septarienthon.  Es 
gehört  theils  den  von  reinen  glacialen  Diluvialmassen  bedeckten 
Höhen  an,  theils  aber  auch  der  tiefer  gelegenen  jungdiluvialeu  Haide, 
welche  das  hier  von  schroffeu  Absturzufern  begrenzte  alte  Eidethal 
einnimmt. 

Die  Lagerungsverhältnisse  sind  hier  ziemlich  r<'(;elmiissig,  die 
Schichten  fallen  sehr  flach  nach  Südwest  ein.  Nach  dem  Fallenden 
(bei  Bockup)  nimmt  sowohl  die  .Mächtigkeit  der  Flötze  (es  sind  deren 
zwei)  als  auch  der  Zwischenraittel  und  des  Hangenden  zu.  Das  Lie- 
gende und  Hangende  wird  von  Gliminersand  und  Thon  gebildet, 
schliesslich  lagert  auf  den  Massen  noch  ein  harter,  an  miocSnen  Gon- 
chjlien  flberaus  reicher  Sandstein,  der  bekannte  „  Hock uper  Sandstein*. 
Zur  näheren  Orientirung  sei  ein  Bohrprofil  mitgetheilt: 

0  — -  1     m  Haidesantl. 

1  —  2,8  „  GeschielM'HKrgel, 
2,3 —  8,0  „  Dilii vialsand, 

8,0 —  8,9  ,  Bockuper  Sandstein, 

8,9—16,7  ,  grauer  Tertiärsand,  wechselnd  mit  Thon  und 

Alaunerde, 
16,7 — 18,6  ,  ol>ert's  Brsinnkohlenflötz, 
18,0 — 41,5  „  Glimmersand  und  Alauuerde, 
41,5 — 40,5  ,    unreine"  Kohle, 

46,5—49,0  „  unteres  Braunkohlenflötz ,  darunter  Thon  und 
Sand. 


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Der  Boden  MeeUenborgs. 


17  ♦ 


Diü  hier  geförderte  Braunkohle  ist  von  dunkelbrauner  erdiger 
Beschaffenheit;  sie  zerfült  an  der  Luft  in  kleineckige  Sfcfieke.  Neben 
der  Mulm-  nnd  ErdkoUe  findet  sich  liftnfig  BlKUerkoble  mit  sehr  viel 
Lignit,  verkohltem  Holz. 

Eine  Analyse  der  Braunkohle  TOn  Schulze  (Arch.  f.  meckl. 
Landesk.  1855.  S.  669)  er^ab: 

58,85  Kohlenstoff, 
5,04  Wasserstoff, 
0,66  StiekstofP, 
34,15  SaueTsbxflf, 
1,30  Asche. 

Hierbei  ist  der  geringe  Aschengehalt  bemerkenswerth. 

In  dem  Braunkohlenbergwerk  zu  Malliss  wurden  im  Jahre  1883 
14  860  000  kg  Braunkohlen  im  Werth  von  58  700  Mark  gewonnen; 
im  Jahre  1882  12  550  000  kg  (im  Werth  von  62  750  Mark);  1873 
betrag  die  Plrodactioii  nnr  5  761000  kg,  im  Jebr  1878  dagegen 
19484  000  kg.  Das  Werk  beech&fldgte  im  Jahr  1882  dnrchedbmttUch 
d5  Arbeiter  täglich. 

Seit  dem  Jahre  1817  wurden  bei  Bockup  (in  der  Nachbarschaft 

von  Malliss  gelegen)  Bohrversuche  auf  Braunkohlen  angestellt,  die  auch 
nach  üeberwindung  einiger  äusserer  Schwierigkeiten  bald  zur  Anlage 
eines  Bergwerkes  „Zeche  Friedrich  Franz^  führten,  welches  auf  Kosten 
der  Grosäerzoglichen  Kammer  betrieben  wnrde;  da  aber  die  Kohlen 
zn  wenig  Absatz  fanden,  wurde  das  Werk  1888  aufgegeben,  und  erst 
1851  übernahm  eine  Actiengesellschaft  den  Betrieb  von  neuem,  wdehe 
den  Besitz  18G2  an  eine  Commanditgesellschaft  tibertrug;  diese  ver- 
kaufte es  1873  an  die  Mallisser  Gewerkschaft,  welche  den  Betrieb 
bedeutend  erweiterte.  Der  jetzige  Betrieb  schliesst  sich  an  die  alten 
Bauten  an  und  erfolgt  durch  einen  Schacht  und  einen  Stollen,  der  Art, 
dass  der  Schacht  das  Oberflfttz  erreicht  nnd  der  Stollen  Tom  Eldekanal 
her  das  ITnterfl6tK  abbaut 

Die  ,  Alauner  de'  aus  dem  Hangenden  der  Kohle,  die  bei 
Bockup  am  Absturz  des  Eldethales,  bei  Malliss  in  den  Alaunbergen  u.  s.  w. 
zu  Tage  ausgeht,  lieferte  im  16.  Jahrhundert  das  Material  zu  einer 
Alaunsiederei  bei  Malliss,  welche  aber  im  Jahre  170!)  ,das  Schicksal 
vieler  derartiger  iiulu»triellen  Unternehmungen  in  Mecklenburg  theilte 
und  eingingt  (Boll). 

Die  weissen  Olimmersande  der  dortigen  Braunkt^nformaticii 
WOTden  zur  Glas&brikation,  su  Zwecken  der  TOpfer  und  Ziegler  n.  a. 
Terwendet. 

In  nordwestlicher  Richtung  von  Malliss  wurde  im  Gebiete  des 
Lübtheener  Gebirgszuges  bei  Hohen  Woos  1879  und  1880  und  bei 
Trebs,  sowie  in  Lübtheen  die  Braunkohle,  zum  Theil  in  bedeutender 
Mächtigkeit  und  auch  in  zwei  Flötzen  aufgefunden.  Das  Bohrloch  bei 
Trebs  (im  Kamdohl)  ergab  ferner  unter  der  Kohle  eine  Ablagerung 
TOn  GHmniersand,  in  welcher  sieb  zahlreiche  miocäne  Conchylien 
befinden.  Durch  diesen  Fund  ist  das  geologische  Alter  der 
mecklenbnrgischen  Braunkohle  als  miocän  erwiesen,  im  Gegensata 


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18 


Geinilz, 


zu  dem  höheren,  oligocäuen  Alter  der  Braunkohlen  in  den  südlicheren 
Theflen  des  norddeutschen  TieflAndes. 

Alaunthone  und  Glimmersande  treten  ausserdem  an  vielen  Stellen 
des  erwähnten  Areales  zu  Tage  nnd  werden  fOr  Ziegeleien  n.  a.  ver* 
wendet. 

Im  mittleren  M  e  <  k  1  n  b  u  r ist  das  Tertiär  nahe  der  Ober- 
fläche au  vielen  Orten  nutgelimden.  Brauukohleulager  wurden  bei 
Pritz  (zwischen  Stemberg  und  Dobbertin),  sowie  beiParehim  dnrch 
Bohrung  in  nicht  beträchäicher  Tiefe  nachgewiesen;  doch  findet  an 
beiden  Orten  kein  Abbau  statt. 

Tm  östlichen  Mecklenburg  findet  sicli  nnr  n<uh  ilas  Oligocän, 
in  den  mächtigen  Lagern  von  Septarienthon  der  l  nigelinng  von  Mal- 
chiUf  Neubrandenburg,  Treptow  und  Friedland;  ziemlich 
bedeutende  Ziegeiden  benutzen  diese  Lageik 

Das  nördliche  Mecklenburg  ist  frei  von  Tertiär,  war  also  ein 
Ereidefestland  zu  dieser  Periode. 

Eines  specifisch  mecklenburgischen  Tertiürge.steines  sei  hier  noch 
Erwähnung  gethan.  der  sogenannten  ^Sternberger  Kuchen*.  Es 
sind  dies  Bruch-  und  Koilstücke  eines  noch  nicht  anstehend  aufgefun- 
denen Lagers,  die  sich  in  diluvialen  Kies-  und  Mergellagem  inner- 
halb eines  eng  begrenzten  Districtes  finden;  ihr  Hauptgebiet  ist  auf 
die  Umgebung  von  Sternberg  beschränkt:  von  der  Ost-  und  Nordseite 
des  Schweriner  Sees,  Warin,  Warnow,  östlich  von  Sternberg.  West- 
grenze des  Dobbertiner  Sees,  Crivit/,  nach  der  Süd.spitze  des  Sclnvoriner 
Sees.  Daneben  sind  noch  einige  wenige  i.solirte  Fundpunkte  vorhanden. 
Die  Stemberger  Kuchen  sind  recht  verschiedener  Art:  feinkörnige 
hell|rraue  bis  dunkle  kieseUge  Kalksteine,  gelbgraae  bis  weisse  kalk- 
haltige Sandsteine,  oft  reich  an  Glimmer  und  Glaukonit,  oder  feste 
oder  lockere  eisenschüssige  Sandsteine,  endlich  auch  kalkige  oder  eisen- 
haltige Cnnglonierate  und  schliesslich  sogenannte  .Eisensteinscherben", 
von  tniirlK'Ui  oder  festem  eisens<']iTissigt'ni  Sandstein  Iiis  zu  reinem 
glänzendem  Brauneiseuerz  in  Platten  uiler  dosenfürmige  Geoden  über- 
gehend. Die  massenhaft  in  den  Stemberger  Kuchen  enthaltenen  Con- 
chylien  sind  entweder  mit  ihrer  Kalkschale  oder  nur  als  Steinkeme 
erhalten,  bei  den  abgerollten  Stfuken  treten  sie  häufig  auf  der  Ober- 
fläche etwas  hervor  nnd  haben  durch  ihr  eigenthümliches  Aussehen 
alsdann  dem  Gestein  die  alte  volksthümliche  Bezeichnung  verliehen. 
Nach  dem  geologischen  Alter  sind  diese  Versteinerungen  als  ober- 
oligoeän  bestimmt  (Karsten,  Koch,  Wiechmann). 

3.  Postglaeiale  Ablagernngeu. 

Kehren  wir  zurück  zu  den  eigentlichen  Diluvialabsätzen.  Wir 
sahen,  wenn  wir  Ton  allen  SinzeUragen  absehen,  dass  dieselben  aul- 
zufessen  sind  ak  die  Absitze  des  Gletschers  und  seiner  Schmelzwässer 

während  der  sogenannten  Eiszeit.  Der  Abschluss  dieser  (ein-  oder  zwei- 
maligen) Vergletschornng  Xorddeutschlands  kann  als  die  , Abschmelz- 
periode* bezeichnet  werden,  die,  als  postglacial  dem  jüngsten  Dilu- 


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19] 


Der  Boden  Mecklenbargs. 


19 


vium  angehörend,  in  die  .Jetztzeit,  das  Alluvium,  hinübergreift  und 
daher  znm  Theil  schon  zum  Altalluvium  zu  rechnen  ist. 

Dieser  Zeit  de»  Abschmelzens  des  DilaTialgletschers  gehört  in 

Mecklenburg  (und  gleichfalls  im  übrigen  Norddeutschland)  TOr  allem 
die  Herausbildung  der  heutigen  Wasserlilufe ,  Niederungen  und  Seen 
an,  .soweit  dieselben  nicht  schon  durch  Glacialthätigkeit ,  prüglaciale 
Erosion  oder  Configuration  des  Flötzgebirgskernes  mehr  oder  weniger 
scharf  vorgezeichnet  waren. 

Nor  Inirz  sei  hier  dieser  Vorgang  angedeutet. 

Durch  die  im  grossen  und  ganzen  ziemlich  plötzliche  Vermeh- 
rung der  Abschmelzwässer  wurde  das  bisher  vom  Eis  bedeckte  Land 
der  verhältnissmässig  plötzlichen  Einwirkung  von  stromHchnellenartig 
hf  we Litern  Wasser  ausgesetzt  und  in  folgenden  verschiedenen  Formen 
erüdirt  : 

Durch  strudelnde  Wässer  (zum  Theil  auch  schon  unter  dem  Eis, 

durch  ,Gletsrhermühlen")  wurde  der  Boden  zu  den  riesentopffthnlichen 
sSöUen"  aufgewühlt.  Dies  sind  die  zu-  und  abflusslosen,  ziemlich 
kleinen  kreisrunden ,  trichterfx^rmigen ,  verschieden  tiefen  Löcher ,  die 
^^'ie  Erd^iille  zu  Tausenden  den  (Teschiebemergelboden  des  norddeutsclien 
Tieflandes  durchsieben,  und  die  cisternenartig  meist  das  ganze  Jalir 
llher  mit  Wasser  erflQU  sind'). 

War  hei  dieser  Strudelhewegung  reicUicheres  Wasser  Torhanden, 
so  wurde  ein  grösserer  Fleck  ausgearheitet  und  es  entstanden  die 
i.vnlirten  Kesselseen  mit  steilen  Rändern  und  beträchtlicher  Tiefe  oder 
flacheren  Depressionen  von  irrr»ssprfMn  Umfange,  die  gleichfalls  in 
grosser  Menge  das  Diluviaiplateau  unterbrechen,  theils  von  Wasser 
erfUlt,  ab  Sheen  oder  Teiche,  theils  zu  Moorflächen  vertorft. 

War  noch  reidüicheres  Wasser  Torhanden,  so  floss  dasselbe  nicht 
eindfoch  Uber  den  Rand  der  ausgearbeiteten,  isolirten  Vertiefoi^  Aber, 
sondem  verschaffte  sich  durch  Erosion  einen  in  seiner  Form  spater 
conserviiteu  Abfiuss.  Diese  Abflüsse  haben  folgende  verschiedene 
Formen : 

Flache  Thaldepressionen,  die  theils  nur  im  Diluvialboden  ein- 
gesenkt  sind,  tbeik  auch  Alluvialahsatze  fthren.   Oft  liegen  in  ihren 

<  1 1  ren  Regionen  reihenförinig  hinter  einander  einige  SöUe.    Zu  ihrer 

Hildung  bedurfte  es  nicht  langer  Zeit,  sie  entstanden  gewissermassen 
durch  ein  einmalij^e?^  Ausschlämmen:  demgemäss  sind  sie  auch  sehr 
allgemein  verbreitet  und  haben  keinen  lange  dauernden  Wasserlauf 
gefülirt.  iiäutig  hegt  eine  Anzahl  solcher  Depressionen  dicht  neben 
einander,  ohne  je  durch  eine  Erosionswirknng  in  Verbindung  getreten 
zu  sein. 

31it  grösseren  Thälern  stehen  sehr  liäufig  in  seitlicher  Verbindung 
kurze,  oft  nur  amphitheatralisch  oder  kesseltormicr  gestaltete  Seiten- 
schluchten, in  denen  nur  durch  Stauung  am  Hauptthal  alluviale  Moor- 
oder Torfbildung  ermöglicht  wurde. 

Waren  an  einer  SteOe  reichlichere  oder  andauerndere  OewKssor 


0  8.  die  Daxatellung  im  VI.  Beitrag  zur  Geol.  Meekl.  1884. 
*}  Beitr.  s.  Geol,  MeeU.  I.  1879.  8.  54. 


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20 


L20 


Torhanden,  ao  bahnten  sich  dieselben  einen  Weg  durch  ein  echtes, 
häufig  Ton  Steflnfem  begrenztes,  znm  Theü  sehr  tiefes  Erosionsäial, 
das  später  von  Alluvionen  angefüllt  werden  konnte. 

Der  Beginn  dieser  Thäer  ist  fast  stets  in  einem  oder  mehreren 
oberhalb  gelegenen  Thalkesseln  oder  flachen  Depressionen  zu  finden. 
Dieser  Thalbeginn  mit  kurzem  Quellenlauf,  bei  dem  also  nach  einem 
oder  mehreren  Thalkesseln  mit  folgendem  sehr  kurzem  Erosionsthai 
naeh  gnns  koner  Entfenrang  alsbald  der  ganze  Flnsslaaf  in  seiner 
fertigen  Breite  nnd  Tiefe  ersdieint,  ist  fOr  die  Flfisse  nnd  Bftche,  sowie 
deren  Reste,  die  Seen,  Mecklenburgs  und  Überhaupt  des  gesammten 
norddeutschen  Tieflandes  charakteristisch. 

Da  die  Abschmelzwässer  das  Diluvialplateau  gleichzeitig  an  sehr 
verschiedenen  Stellen  bearbeiteten,  so  mussten  viele  der  genannten 
Bodendepressionen  in  sehr  nahe  Nachbarschaft  kommen  und  konnten 
sieh  aueh  die  Wasserscheiden  hanflg  sehr  nahe  zosanunenlegen. 

Die  Sehmekw&sser  erodiiten  aber  nicht  blos  den  Boden,  sondern 
sie  schwemmten  auch  ans  demselben  Theile  wep .  um  sie  auf  ihrem 
Laufe  in  anderer  Form  alsdann  wieder  abzusetzen.  Die  Thalsande, 
zum  Theil  die  Steine  der  »Steinbestreuung*,  ein  Theil  von  Wiesen- 
thonen u.  a.  gehören  zu  diesen  Absätzen  des  Altallu viums,  die 
man  snm  Thml  sogar  noch  sum  Jongdiht^nm  zihlt. 

Als  dann  später  bei  zunehmender  Trockenheit,  d.  h.  Eisbefreiung 
die  Wasser  allmählich  versiegten,  wurden  die  einst  von  dem  Wasser 
einp^enommenen  Niederungen  ganz  oder  theilweise  von  den  eigentlichen 
Alluvialabsätzen,  Flusssand,  Lehm,  Wiesenkalk,  Torf  und  Moor- 
erde eingenommen.  Dieselben  bedecken  entweder  die  altalluvialen 
Bildungen  oder  ruhen  direct  auf  den  diluvialen  Gesteinen;  eine  Alters- 
grenze zwischen  Alt-  und  Jung-AUuvium  ist  häufig  ungemein  schwierig. 

Zu  den  wichtigsten  Ablagerungen  des  Altalluviums  gehört  der 
Haidesand.  Di(»ser  findet  sich  in  Mecklenburg  in  folrronden  drei 
grossen  Arealen,  welche  mehr  oder  weniger  deutlich  als  grosse  weite 
Thalebeuen  noch  kenntlich  sind:  das  zum  Elbthal  gehörige,  von  der 
Eide,  Bfignits  und  Sude  durchfiossene  im  Sfidwesten,  das  grösste;  so- 
dann das  zwischen  dem  Goldberger  und  Fleesen-See  in  der  Mitte  des 
Landes  nnä  die  Rostock-Ribnitzer  Haide  am  Ostoeestrand,  bis  zum 

Darsser  Ort  sich  hinziehend. 

Das  Haidegebiet  im  Südwesten  des  Landes  wird  von  der  Elbe 
abgeschnitten  von  der  Gegend  von  Boitzenburg  bis  südöstlich  von 
Bttmitz.  Neusfcadt,  Ludwi^ust,  Grabow,  Eldena  ^  Dömitz,  Lübtheen, 
•  Hagenow  sind  die  bekamrtesten  Orte,  die  im  Gebiet  dieser  Haide 
liegen.  Sehr  deutlich  ist  zu  beobaehten,  dass  sieh  dasselbe  aus  folgen- 
den breiten  Thalläufen  znsararaensetzt,  zwischen  denen  insel-  und 
zungenfbrmige  Rücken  von  niedriger  Erhebung  die  alten  Ufer  dar- 
stellen, welche  von  älteren  Gesteinen,  Diluvium  oder  Flötzgebirge. 
zusanmiengesetzt  werden,  oft  aber  auch  schon  von  einer  dünnen  Decke 
des  Haidesandes  Aberzogen  worden  sind:  es  sind  die  Th&ler,  welche 
heute  noch  von  den  Flüssen  Elbe,  Eide,  Bögnitz,  Sude,  Schaale  und 
Boitze  durchflössen  werden.  Die  erste  sammelt  in  ihrem  nach  Nord- 
west gerichteten  Lauf  die  übrigen  aus  Nordost  zufliessenden  Thäler 


# 

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21] 


Der  Boden  Meckleaborgs. 


21 


auf.  Letztere  haben  eine  sehr  bedeutende  Breite  gegenüber  einem  im 
Yerhältoiss  nur  kurzen  Lauf.  Das  Eide-  und  liögnitzthal ,  soweit  es 
dem  Haide^ebiet  angehört,  beginnt  in  der  Gegend  von  Parebim,  bei 
Neustadt  mit  der  grossen  Lewitzniederung  südlich  vom  Schweriner 
See  in  Verbindung  stehend.  Südlich  von  Parchim  nimmt  auch  die  nur 
zum  kleineren  Theil  zu  Mecklenbirfg  i^ehörige  Haidethalebene  der 
Locknitz  ihren  Anfang.  Mit  der  isenstiidter  Haide  steht  in  Quer- 
Yerbiuduug  das  bei  Hagenow  Torbeilaufende  Haidetlial  der  Sude,  das 
in  der  Gegend  afidweetlidi  Ton  Schwerin  seinen  An&ng  hat.  Weiter 
im  Westen  verlaufen  die  geringfügigen  Thäler  der  Schaale  nnd  Boitze. 
Becht  charakteristiacfa  ist  die  häufige  Ablenkung  dieser  Seitenflüsse 
vor  ihrer  Mündung  zu  einem  der  Eibe  parallelen  nordwestlich  «gerich- 
teten Lauf:  solche  Kniee  finden  sich  erst  im  eigentlichen  Elbthal,  also 
nach  der  geologischen  Einmündungssteile.  Sie  sind  sehr  autiiiliig 
bei  der  Löcknitz,  alten  Blde  und  Rögnitz,  die  sogar  noch  einen  weiteren 
Parallelarm,  die  Eralnke,  abgegeben  hat. 

Recht  trefi'end  schildert  Koch  den  Charakter  dieser  Haideebene 
mit  folgenden  Worten ') :  „Es  giebt  kaum  einen  grösseren  Contrast,  als 
wenn  man  die  reizenden  Umgebungen  tschwerins  verlassend  südwärts 
sich  wendet  und  in  raschem  Wechsel  des  Landschaftscharakters  plötzlich 
die  anabsehbare  Ebene  vor  sich  hat;  der  Name  der  .Haideebene' 
wird  dem  gerechtfertigt  erscheinen,  der  noch  jetzt  weite  Flfidien, 
namentlich  zwisdien  Hagenow  und  Ludwigslust,  vor  sich  sieht,  die 
kaum  eine  andere  Vegetation  darbieten  als  Haidekraut.  Die  weitläufig 
gelegeneu  Dorfscliaften ,  fast  ohne  Ausnahme  alte  VVendensitze,  stets 
an  feuchten,  für  Wiesengründe  günstigen  Steilen  aufgeführt,  bestellten 
nur  die  unmittelbar  benachbarten  Theile  der  Feldmark,  so  dass  meilen- 
weite Flächen  als  .sogenannte  Gonimnnionweide  nnbenntat  lagen,  nur 
sehlechten  Schafsorten  kümmerliche  Nahrung  liefernd.  In  den  letzten 
Jahren  hat  allerdings  durch  den  Aufschwung  der  Landwirthschaft  u.  a.  m. 
die  Haideebene  ihren  (/harakter  sehr  bedeutend  verändert  ..."  Neben 
den  sumpfigen  tiachen  Niederungen,  den  mühsam  bebauten  Kornfeldern 
und  Gärten  trilft  mau  im  wesentlichen  vorwaltend  nur  Haidekraut  und 
vor  aUem  trockene  Kieferwaldungen  von  m&cbtiger  Ansdehnnng. 

Der  Boden  ist  der  feine,  gelbliche  oder  weisse,  «mahlende*  Sand, 
der  bei  trockenem  Wetter  da.s  Gehen  nnd  Fahren  so  erschwert. 
Grössere  Steine,  Geschieben  oder  Kieslagern  entsprechend,  fehlen  voll- 
ständig. Nur  auf  den  randlichen  oder  inseltormigen  Bodenerhebungen 
kommen  dieselben  aus  den  Diluviailageru  zu  Tage  und  werden  natür- 
lich hier  ebenso  wie  die  brauchbaren  Bodenarten  des  DihiTinms  (Lehm 
oder  Eies)  eifrig  gesammelt,  am  zu  Hftnserbauten,  Wegebesserung  u.  dergL 
verwandt  zu  werden.  Die  oberste  Decke  des  Bodms,  wo  der  flüchtige 
Sand  nicht  unmittelbar  zu  Tage  tritt,  bildet  ein  saurer  kohligharziger 
Humusboden.  Unter  dieser  folgt  eine  1  —  2  Fuss  mächtige,  oft  auch 
viel  geringere  Lage  von  grauem  Sand,  auf  dem  sehr  aligemein  ein 
braungelber,  oft  stoinartig  erhirteter,  mehr  oder  minder  eisenschfissiger 


0  Archiv  für  LaodeskQnde  in  den  Qroesbenoethflmern  Meeklenbaig.  1855. 
8.  652. 


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22 


[22 


k^aüd,  die  sogenanute  Fuchserde  lagert.  Diese  ist  es  besonders, 
welche  m  dem  Haidesandgelnet  die  grosee  Unfirachtbftrkeife  bedingt 

Mit  der  Bildung  dieses  branngelben  hnmoeen  Sandes  steht  die 
Bildung  des  Baseneisenerzes  (auch  Klump,  Ortstein,  Ur  genannt) 

in  Zusammenhang.  Von  eisenschüssigem,  lockerom  o<lor  festem  Sand 
linden  sich  dabei  alle  llebergänj^f^zu  dem  braunen  glänzenden,  porösen 
und  doch  ziemlich  festen  Erz.  Eine  Analyse  von  Raseueisen  aus  der 
Haide  (Schuhe  1859)  ergab: 

46,752  PjOj 
20,158  H.O 
24,630  Sib.. 
0,272  Al^füg 
4,778  Mn^Og 
0,143  CaOOj, 
0,011  MgO 
2,078  PgOg 
0,r>7S  BaO. 

Besonders  rein  tindet  sich  das  Kaseneisenerz  auf  den  Feldmarken  Grebs, 
Bresegard,  Glaisin. 

Die  alten  Einwohner  des  Landes  haben  das  Erz  ausgeschmolzeu, 
wie  man  ans  den  zahlreichen  Schlacken  ersehen  kann,  die  noch  heute 
auf  den  Feldern  gefunden  werden.  Das  Ausschmelzen  erfolgte  an  offenen 
Feuern;  bei  der  UnvoUkommenheit  des  Betriebes  blieben  die  Schlacken 
noch  sehr  eisenreich  (30 — 40  ^o).  Nach  Lisch  ^)  erfolgte  die  erste 
Eisenverhüttung  historischer  Zeiten  im  Jahre  1282  zu  Stavenhagen. 
Später  wurden  folgende  Eisenwerke  eingerichtet,  die  aber  alle  nur 
einen  sehr  kurzen  Bestand  hatten:  1.  zu  Ghrabow  1518;  2.  Disensehmdz- 
hfitte,  Hammer-  und  Blechschmiede  zu  Neustadt  1 544 ;  3.  Eisenschmelz* 
hütte  (1570)  und  Frischhammer  zu  Neustadt  1574 — 8(3;  4.  Anlagen 
Herzog  Christophs  1573;  5.  Herzog  Adolph  Friedrichs  I.  Anlagen  zu 
Dömitz  und  Neustadt  1600;  0.  Eisenwerke  zu  Wittenberg  und  Zarren- 
tin 1614;  7.  Eisenhütten  zu  Neustadt  1647,  1661,  1703;  8.  Eisen- 
werke bei  Dömitz  1755 — 70.  Gegenwärtig  benutzt  man  das  Basen- 
eisenerz nur  noch  als  Baumaterial,  namentlich  wegen  des  Mangels  an 
Qesdiieben  und  Gevö]]*')u  Sehr  hübsch  sehen  die  Gehöftemauern  und 
die  massiven  Gel)äu(le.  Ställe  oder  Wohnhäuser  ans  durch  den  Con- 
trast  der  dunklen  grossen  Erzblöeke  mit  dem  weissen  Mörtel  dazwischen 
oder  den  helbrothen  Ziegelsteinen  der  Pfeiler;  auch  sollen  sich  die 
inneren  Bftnme  solcher  Gebäude  durch  srosse  Trockenheit  auszeichnen. 
Wenn  sich  ein  neues  chemisches  Verfiuiren,  aus  dem  Baseneisenstein 
die  Phosphdrsäure  leicht  und  in  brauchbarer  Verbindung  darzustellen, 
als  pruktist  h  1)0 währt,  so  steht  diesen  Mineralvorkommnissen,  die  jetzt 
nur  dem  Ackerbau  lästig  sind,  eine  grosse  Zukunft  bevor. 

Das  Gebiet  des  Haidesandes  ist  nicht  durchaus  eben,  sondern  man 
trifft  ungemein  häußg  kleine  oder  langgezogene,  isolirte  oder  in  Läugs- 
oder  Parallelreihen  angeordnete  Hfigelrfläen  oft  Ton  sehr  Steuer 
Böschung  nud  bedeutender  Höhe,  welche  vom  Wind  zusammengewehte 


>)  LiMh,  Jahrb.  d.  Vereins  f.  meekl.  Qeeoh.  VU.  1842.  6.  51—156. 


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23] 


Der  Bod«n  Heckleabargs. 


23 


D  li  11 V  11  darstellen.  In  den  grossen  Waldungen  und  auf  Feldern  siÖBst 
mau  ausserordentlich  häufig  auf  diese  Höhen,  die  uns  oft  nach  einer 
Ausrodung  oder  Umpflügung  wieder  daa  alte  Bild  der  anfimchtbareii 
DfinenkadBehaft  vor  Augen  finhren.  Aueh  auf  die  alten  üfer  und 
Liseln  der  Haide  ist  der  Thalsand  durch  wandernde  Dttnen  hinauf- 

rweht  und  hat  dadurch  sein  Areal  um  ein  Boleutendes  ver<^rössert. 
B.  kann  man  dies  an  den  von  Tertiär  und  Hauptdiluvium  gelnldeten 
Bockuper  Bergen,  dem  Steilabhaug  des  Eidethaies,  sowie  an  den  Mal- 
lisser  Tertiärufem  sehr  schön  beobachten. 

Neben  diesen  Dllnenhügeln  unterbrechen  noeh  einzelne  andere 
Höhen  die  Haideebene.  Es  sind  dies  Inseln  oder  Ufer  der  Thal- 
länfe,  aus  Geschiebemergel,  Diluviul^anden  oder  Thonen,  Tertiär,  Kreide 
oder  G  vps  bestehend.  Auf  ihnen  zeigt  oft  die  oberste  Diluvialbedeckung, 
der  Geschiebesand,  dieselbe  Ausbildung  wie  auch  in  den  Gegenden, 
welche  dem  Beginn  der  genannten  Thäler  benachbart  sind  (z.  B.  die 
Gegend  bei  Parchim) ;  er  enthält  n&nüich  hier  an  der  Grenze  nach  dem 
Hauptdiluvium  einen  auffälligen  Beichthum  an  den  sonderbar  geschlif- 
fenen harten  GeröUen,  die  man  als  Dreikanter  bezeichnet  hat. 
Ihr  Vorkommen  in  Mecklenburg  ist  ganz  besonders  auf  die  Grenz- 
regionen der  stidwestlichen  Haide  beschränkt.  Sie  haben  ihre  Ge.stalt 
einer  eigenthünüichen  Beweguugsform  des  plötzlich  uod  in  grosser  Fülle 
auftretenden  Schmelzwassers  zu  Terdanken. 

Geologisch  kann  man  als  einen  Theil  dieser  Haide  die  grosse 
Lewitzniederung  betrachten,  welche  sich  yom  Südende  des  Schwe- 
riner Sees  in  einer  Länge  von  3  Meilen  und  einer  grössten  Breite  von 
ca.  1  Meile  bis  Neustadt  erstreckt.  Die  moorige,  frülier  zum  errössten 
Theil  völlig  unzugängliche,  jetzt  von  zahllosen  Kanälen  entwässerte 
Niederoni^  ist  als  ein  anateoeknender  See  «iftii&ssen,  dessen  Terrain 
theÜB  Haidesand,  theils  Yertorfungsproducte  einnehmen.  (VergL  die 
eingehende  Schilderung  dieses  interessanten  Gebietes  von  Fromm  und 
Struck.    Arch.  f  raeckl.  Landeskunde.   18G6.   S.  113  f) 

Das  zweite  Haidegebiet  Mecklenburgs  zieht  sich  vom  Nordufer 
des  Fleesensees  (Nossentiner  Haide)  südhch  vom  Krackower  See  nach 
Dobbertm  hin  und  zeichnet  sich  durch  eine  grössere  Anzahl  Ton  Seen 
und  Torfiiiederungen  aus.  Es  ist  fisst  durchgängig  Ton  Wald  und  zwar 
meist  Kiefern  bestanden.  Auch  hier  können  wir  von  seinen  Grenzen 
her  den  Üebergang  aus  der  oberdiluvialen  ,Steinbe:streuung*  allmählich 
in  den  steinfreien  feinen  Sand  des  eigentlichen  Haideareales  auf  dem 
Wege  z.  B.  von  Vollrathsruhe  südwestlich  vom  Malchiner  See  nach 
Nossentiner  Hütte  sehr  schön  verfolgen.  Am  Südrande  bei  Jabel  fand 
ich  ein  grosses  EantengerSUe. 

Endlich  das  dritte  Gebiet  ist  nicht  mehr  vollständig  erluiUeii,  weü 
die  Ostsee  in  ihrem  heutigen  Küstenverlauf  diis  Areal  abgeschnitten 
hat.  Es  ist  die  Rostocker,  Gelbensander  und  Kibnitzer  Haide.  Die 
herrschende  Bodenart  dieses  Gebietes  ist  ein  sehr  feiner,  hell  ocker- 
gelber, zum  Theil  auch  rostbraun,  aber  auch  weisshch  gefärbter  Saud 
Ton  sehr  gleichbleibender  Beschaffenheit,  f&r  welche  auch  der  Orts- 
und Reviername  , Gelbensande "  eine  sehr  charakteristische  Bezeichnung 
ist.  Ganz  allgemein  ist  dieser  Sand  in  seinen  oberen  Partien  folgender« 


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24 


[24 


nuMsen  umgewandelt,  ünter  einer  yeiechieden  dicken  Hnmiuloedeckiuig 

folgt  ein  ca.  20—40  cm  mächtiger  graner,  durch  Humus  geförbter 
Sand,  als  ^Bleisand"  bezeichnet;  dieser  lagert  auf  einer  fast  völlig 
zusammeubängenden ,  gewöhnlich  20 — 25  cm  mächtigen  Schiclit  von 
, Ortstein",  einem  festen  harten  Gestein  von  rostbrauner  Farbe,  be- 
stehend aus  Sand,  der  durch  Humus  und  etwas  Eisen  zu  solchen  festen 
Maasen  verbunden  ist,  dass  dieselben  nur  sebwer  sn  durehstossen  sind 
und  Ton  den  Baumwurzeln  nur  ganz  ausnahmsweise  durchdrungen 
werden.  Darunter  folgt  dann  der  gewöhnliche  gelbe  Haidesand.  Die 
Ortsteinschicht  ist  für  den  Arkerbetrieb  sehr  störend,  dagegen  ist  sie 
in  der  niedrig  und  im  Seeklima  gelegenen  Rostocker  Haide  für  die 
Forstcuitur  von  huber  Bedeutung.  Sie  verhindert  das  Eindringen  des 
Wassers  in  grossere  Tiefen  und  erbitt  dadurcb  dem  Boden  eine  erbeb- 
liche Feuchtigkeit;  durcb  den  langjfibrigen  Bestand  bat  sich  an  der 
Oberflache  die  ungewöhnlich  mächtige  Humusschicht  ang^esammelt,  die 
mit  dem  Sand  gemengt  den  günstigen  Boden  für  ppäcbh'ge  Nadelholz- 
und  Buchenstämme  bildet.  Die  mächtigen  Wurzeln  jener  Bäume  breiten 
sich  alle  fast  ohne  Ausnahme  über  der  Ortsteinschicht  aus,  nur  in  seltenen 
FSUen  gelinst  es  einer  Wurzel,  hier  durchzudringen.  Damit  stehen 
audi  die  nidit  seltenen  Windbrflche  in  Zusammenhang,  durcb  welche 
das  mächtige,  flach  in  einander  verfilzte  Wurzelwerk  ausgehoben  wird» 
Binnendünen  sind  auch  in  dieser  Haide  nicht  selten.  Im  übrigen  ist 
das  Terrain  flach  zu  nennen,  mit  nur  geringen  Bodenerhebungen,  welche 
einem  Hervortreten  des  älteren  Diluviums  entsprechen.  In  den  flachen 
Bodendepressionen,  die  besonders  im  westlicben  Tbeil  der  Haide  häufiger 
sind,  tritt  sehr  leicht  Versumpfung  und  Vertorfung  ein.  Daher  ist 
unser  Gebiet  von  zahlreichen  grossen  und  kleinen  Torfmooren  durch- 
zogen ,  die  mit  einander  nicht  oder  nur  durch  künstliche  Gräben  in 
Verbindung  stehen.  Der  Wechsel  von  schönem  Wald  mit  diesen  Wiesen 
verleiht  dieser  Gegend  neben  der  Lage  am  Seestrand  jenen  landschaft- 
lichen Beiz,  der  von  den  zahlreichen  Sommerfrischlern  in  neuerer  Zeit 
immer  mehr  gewfirdigt  wird. 

Das  genannte  Haidegebiet  erstreckt  sich  vom  Breitling  östlich 
von  Warnemünde  in  nordöstlicher  Richtung  nach  Ribnitz.  Hier  wird 
es  bei  Dierhagen  von  den  Torfwiesen  abgegrenzt,  welche  den  einstigen 
weiteren  Lauf  des  llecknitzthales  kennzeichnen.  Das  hier  nach  Nord- 
osten sich  anreihende  Fischland  mit  seinen  Steilufern  besteht  aus  dilu- 
Tialem  Gescbiebemergel,  dem  noch  in  der  Mächt^keit  bis  zu  einigen 
Metern  derselbe  Haideeand  aufj^lagert  ist;  nach  der  nördlichsten  Spitze 
der  mecklenborgisch-pommerschen  Küste,  dem  Darsser  Ort,  verläuft 
die  Haide  weiter  und  jeder,  der  einmal  eine  Wanderung  durch  die 
Kiefernwälder  und  Torfiiird Inningen  dieses  Landtheiles  zu  dem  Seebad 
Prerow  unternommen  hat,  wird  zur  Genüge  die  öde  Haidesandlandschaft 
kennen  gelernt  haben,  um  zum  zweiten  Mal  nicht  ohne  Noth  wieder 
dahin  zu  gehen.  Wegen  des  Anschnittes  durch  die  See  ist  bei  noch 
fehlender  genauer  Kartendarstellung  der  Zusammenhang  dieser  Haide 
mit  altalluvialen  Thallänfen  zur  Zeit  noch  nicht  völlig  klargelegt. 

Ein  kleines  vierten  Haidegebiet  durchläuft  die  Kisenbnhn  dicht 
sAdöstiich  von  Güstrow   in  dem  geologischen.  Ursprungsgebiet  des 


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25] 


Der  Boden  HeekleDborgt. 


2S 


R^cknitzthales  bei  Klues.  Auch  hier  sind  Dünenzüge,  Fuchserde, 
Kiefernwaldiiiig  die  duurakteiifitischexi  Eigenthfimlich keiten  der  Land- 
schaft. 

Wir  haben  in  den  mächtigen  Ablagerungen  von  Uaidesand  oder 
»Thaband*  die  Aba&tze  der  breiten  mftch^en  Strtnnl&iife  a-kaxuit,  deren 
Wassennaesen  dnieh  das  Abechmeken  des  Gletechers  geliefert  wurden. 

Nach  Versiegen  der  Wassermengen  wurde  ein  ^osser  Theil  dieser  Sande 
trocken  ffelecrt  und  konnte  zum  Theil  durch  die  Atmosphärilien  um- 
gearbeitet werden;  in  Niederungen  bildeten  sich  stehende  Gewässer, 
welche  Torfbildung  einleiten  konnten.  Die  spärlichen  Reste  von  flies- 
aendem  Wasser,  genährt  durch  Quellen  oder  Seen,  dnrchfliesaen  jetzt 
all  schwache  Wasserarme  die  weiten  Saad-Thalebenen  nnd  setzen  neue 
AllnTionen  ab. 

Tn  den  schmäleren  Wasserläufeu  müssen  wir  dieselVicn  Ablage- 
rungen finden.  Ihre  Profile  zeUfen  uns  das  Altersverhältniss  derselben. 
Wenn  auch  nicht  überall  alle  Ablagerungen  gebildet  wurden,  so  macht 
sich  doch  in  diesen  Thälem  als  sehr  allgemein  geltende  Aufeiuander- 
folge  die  Dreifirliedernng  bemerklMur:  tu  nnterst  Flnsssand,  darauf 
Moorerde  und  Wiesenkalk,  darüber  Torf. 

Die  in  bedeutender  Tiefe  solcher  Thäler,  wie  z.  B.  im  Warnow- 
thal,  in  ziemlicher  Mächtigkeit  auftretenden  Flusssande  (zu  unterst 
in  Kie.s  übergehend)  sind  somit  allermeist  von  dem  gleichen  Alter  wie 
der  Haidesand.  Zuweilen  bilden  sie  die  alleinigen  Sedimente  der  Thal- 
linfe,  dabei  oft  reoente  Condiyliensclialen  einschliessend ;  meist  aber 
and  sie  in  beträchtlicher  Mächtl^eit  verhüllt  Ton  Torf  und  Moor 
(zum  Theil  mit  Wiesenkalk).  Ein  treffliches  Beispiel  dieser  Lage- 
rung bietet  das  untere  Warnowthal.  Bei  Rostock  trafen  vielfach  Boh- 
rungen und  Fundirungen  folgendes  Profil: 

1—  4  m  Torf  (obenj, 

2 —  8  9  Hoomde,  zum  Thefl  mit  Wiesenkalk, 

darunter  feiner,  grauer  Sand,  nach  unten  in  Kies  fibergehend. 
Bine  Probe  der  imter  dem  eigentlichen  Rasentorf  liegenden  sandigen 
Moorerde  aus  der  Tiefe  von  5  m  im  Warnowthal  am  Rostocker  Bahn- 
hof zeugt  nach  Untersuchung  von  Früh^)  durch  die  zahlreichen  und 
t  erhaltenen  Formen  von  Diatomeen,  insbesondere  durch  die  mannig- 
tigen  Skeletttheile  des  Sfisswasserschwammes  und  die  hinfigen  üeber- 
reste  von  Nymphaea  von  einem  stOlstehenden,  siemlich  ruhigen  Ge- 
iHtoser.  in  welchem  Riedgräser  und  wohl  auch  Phragmites  communis 
ihre  Halme  erlKjlM  u;  die  auf  dorn  Untergrund  aufruhende  Vegetation 
enthielt  auch  Laubmoose,  später  scheinen  die  Gräser  die  Oberhand 
gewonnen  zu  haben. 

Die  erwähnte  Dreigliederung  entspricht  den  natürlichen  Yerhält- 
mssm.  Bei  reichlich  und  stark  strömendem  Wasser  wurde  der  Sand 
abgeliefert;  als  Product  des  langsamer  und  weniger  reichlich  fliessen- 
den Wasserf^  wurde  die  Moorerde  (Diatomeenerde)  abgelagert, 
eine  Bildung,  die  noch  heute  vor  sich  geht;  hier  entfaltete  sich  gleich- 
zeitig ein  üppiges  Leben  von  Süsswasser-  und  Sumpf-Conchjlien  und 


0  8.  Qeiniti,  Beitr.  YL  t.  Qeol.  Xeckl.  18M.  8.  84. 


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26  Qeinits,  [26 

Diatomeen;  als  das  Wasser  allmählich  weiter  versiet^tc  bildete  sich 
auf  diesem  Untergrund  in  dem  mehr  stagnirendeu  äumptigeii  W  a^äer 
der  Torf. 

Daher  finden  wir  fest  unter  jedem  der  hierher  gehörigen  Torf- 
lager, allerdings  in  sehr  wechselnder  Mächtigkeit,  eine  mehr  oder 
weniger  sandige  Moorerde  von  verscliiedenem  petrographischem  Ver- 
halten ,  in  der  sich  liehen  den  vertorften  oder  humificirten  Pflanzen- 
resten sehr  häufig  Schulen  von  Sumpfconchylien  und  kleinen  Ostracoden, 
sowie  in  grosser  Fülle  Diatomeenpanzer  finden.  Vielfach  ist  solche 
Moorerde,  «Modder*  hier  ffenannt,  demzufolge  auch  direct  als  Infusorien- 
erde zu  bezeichnen.  Auch  hierfür  liefert  das  Wamowtiial  bei  Rostock 
treffliche  Belege.  Bei  dem  Bau  der  neuen  Schleuse  vor  dem  Mühlen- 
tb'»r  zu  Rostock  hat  ni;in  diese  Erde  unter  1 — 2  ni  Torf  in  einer 
Miiciitigkeit  bis  zu  8  ni  au^'etrüü'en ;  darunter  folgt  erst  diM-  für  Ftin- 
diruugsarbeiten  sichere  Flusssand.  Die  Moorerde,  hier  unter  dem 
WassemiTean  stehend  nnd  daher  reich  mit  Wasser  imprägnirt,  bildet 
eine  zähflüssige  schmierige  Masse,  welche  von  dem  auflagernden  Torf 
in  die  Abstiche  hineingetrieben  wird  und  dem  Bau  der  SchiffiSahrts- 
schleu.se  ungeahnte  und  kostspielige  Schwieri'_rkeiten  verursachte. 
Petrographisch  dieser  Moorerde  sehr  nahe  stehend  und  auch  dem  Alter 
nach  ihr  äquivalent  sind  die  Absätze,  die  sich  noch  heute  vielfach  am 
.Omnde  der  Flüsse  bilden,  die  sogen.  ,Baggermodde*,  die  uatfirfich 
local  mannig&ltige  Beimengongen  enthalten  kann.  Auch  in  ihr  sind 
Diatomeen  äusserst  häufig.  Sie  bildet  sich  also  dort  noch  weiter,  wo 
wegen  des  darüber  befindlichen  Wassers  eine  eigentliche  Torfbildnng 
noch  unmöglich  ist. 

Neben  der  Diatomeenerde  üudet  sich  in  Thalläufen  zuweilen  auch 
noch  Wiesenkalk  unter  dem  Torf. 

Tor^  damnter  häufig  Wiesenkalk,  sodann  Wiesenthon  oder  Sand, 
bildet  ni^t  allein  die  letzte  AnsfCQlnng  sehr  zahlreicher  alter  Fluss- 
läufe .  sondern  erfüllt  auch  die  mannigfachen  isolirten  Bodendepres- 
sionen; diese  Bildungen  mögen  daher  gemeinschaftlich  besprochen 
werden. 

Als  Abweichung  von  der  oben  erwähnten  Regel  in  der  Lagerungs- 
folge der  AUnvialbildungen  sei  noch  angefahrt,  dass  auch  zuweilen 

Wechsellagerung  derselben  stattfindet  und  anch  nochmalige  Sand- 
bedeckung des  Torfes  öfters  beobachtet  wird. 

Bisweilen  macht  sich  am  alten  Ufersaum  eine  deutliche  Terrassen- 
laudschaft  bemerkbar. 

Der  Wiesenkalk  tritt  theils  als  Zwischenlage  in  Moorerde, 
theib  und  zwar  häufiger  fiber  derselben  direct  unter  dem  Torf  auf. 
Er  ist  meist  von  graulich  weisser  Farbe,  oft  durch  Beimischung  orga- 
nischer Stofie  mehr  grau,  durch  Eisenoxydhydrat  zuweilen  gellilich ;  ini 
feuchten  Zustand  bildet  er  eine  plastische  schmierige  Masse,  getrocknet 
ein  krümeliges,  sehr  feinerdiges  Material.  In  verschiedener  Menge 
liegen  in  ihm  Süsswasserconchylien  (Bythinia,  Valvata,  Fianorbis, 
Limnea,  Gyclas,  Pisidium  n.  a.),  ferner  Diatomeen  nnd  zuweflen  grössere 
vertorfte  Pflanzenstengid.  Durch  immer  mehr  Aufnahme  von  vertorften 
\Pflanzentii6ilen  geht  er  oft  rasch  in  reinen  Torf  über.   Wohl  in  den 


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27] 


Der  Boden  MecUenbai^t. 


27 


meisten  Fällen  ist  der  Wiesenkalk  das  Product  der  Kalkabeclieidiiiig 

durch  Charen  am  Grundp  der  (Tewüsser.  Seine  Zusamniensetzung  ist 
durch  die  sehr  wechselnden  mechanischen  Beimenguntfen  oder  chemischen 
Verunreinigungen  sehr  starken  Schwankungen  unterworfen .  zuweilen 
ist  er  sandig,  zuweilen  mergelig,  oft  ist  er  wieder  fast  völlig  chemisch 
reiner  kohlensuirer  Kalk. 

Wiesenkalk  findet  sich  recht  weit  verbreitet  und  bildet  häufig 
recht  ausgedehnte  und  bis  einige  Meter  mächtige  Lager,  die  bei  nicht 
zu  bedeutender  Tiefe  mit  Vortheil  abgebaut  werden.  Um  einige  Bei- 
spiele zu  nennen,  kommt  er  bei  Roggow  (östlich  von  Güjstrow),  bei 
Dobbertiu,  im  Uamper  Moor  im  Schweriner  See,  bei  Gnoyen,  Krackow, 
Crivits,  im  Wamowthal,  in  den  Wolftberger  See  wiesen  Ostlich  Ton 
Boetock,  bei  Jaebitx  im  Dossethalt  Yipperow  am  Müritssee  n.  s.  w.  in 
grösseren  Lagern  vor.  Oft  sieht  man  die  Wiesenkalklager  am  Grunde 
von  Seen  sich  noch  weiter  bilden,  so  im  Schallsee.  im  Tollense-See, 
Müritzsee  u.  a.  a.  0.  Man  benutzt  den  Wiesenkalk  theils  durch 
directes  Aufstreuen  als  Düngemittel,  freilich  mit  verschiedenem  Erfolg, 
tiieüs  wird  er  gebrannt  lus  Dfinge-  nnd  Bankalk  verwendet;  da1i«i 
stricht  man  erst  die  feuchte  Masse  in  Formen  ähnlich  den  Ziegel- 
steinen. Zahlreiche  Ziegel-  ond  Kalkhfitten  yersorgen  das  Land  mit 
diesen  Producten.  Auch  zur  Cementfabrikation  wird  er  verwerthet; 
in  der  grossen  Cementfabrik  bei  Schwerin  wird  der  ganz  reine  Wiesen- 
kaik  vom  iiamper  Moor  mit  dem  Thon  vom  Ziegelwerder  im  Schweriner 
See  gemiacbi. 

Anch  in  isolirten  TorfsOllen  ist  häufig  der  Untergrund  des  Torfes 
solcher  Wiesenkalk,  zuweilen  auch  Thon. 

Torf.    .T.  Früh     unterscheidet  folgende  Arten  von  Torfmooren. 

1 .  Wiesi'imioor  bildet  sich  a)  in  Seen  mit  kalkreichem  Wasser, 
b)  auf  Alluviaigebieten  von  Flüssen  oder  in  localeu  Versumpfungen, 
wo  die  Oberfläche  fortwährend  oder  wiederholt  durch  hartes  Wasser 
befenehtet  wird.   Diese  Moore  bedfirfen  eines  Eallrantergrandes. 

2.  Hochmoor,  auf  Thonuntergrand,  a)  in  Seen  und  Teichen  mit 
kalk  freiem  Wasser,  b  auf  kalkfreien,  TOn  Wasser  berieselten  fioden- 
depressionen  entstehend. 

3.  Mischmoor;  auf  (oft  nur  sehr  geringer)  Unterlage  von  ilasen- 
moor  entwickelt  sich  Hochmoor,  oder  letzteres  bildet  auch  nur  eine 
ganz  geringe  Decke  auf  mächtigem  Basenmoor. 

4.  Algentorf,  von  gallertartiger  Beschaffenheit,  ans  Sllsswasseralgen 
gebildet  =  Torfschiefer,  Lebertorf. 

In  Mecklenburg  sind  am  zahlreichsten  vorhanden  und  zeigen  die 
grö.s.ste  Ausdehnung  die  Wiesenmoore.  Sie  dehnen  sich  in  den 
alten  Fiussthäleru  zu  deu  Seiten  des  heutigen  Wasserlaufes  aus  oder 
nehmen  das  ganze  Thal  ein,  bilden  die  grfinen  Flachen  der  einst  Jim 
Wasser  erftUten  SöUe,  Kessel  und  Depressionen,  nms&muen  die  Seen 
oder  nehmen  deren  Flächen  auch  ganz  ein,  gehören  also  nicht  nur  den 
Thälern  an,  sondern  finden  sich  auch  in  der  hochgelegenen  Moränen- 
landschaft. Ihre  Oberfläche  ist  eben  und  niedrig.  Die  Mächtigkeit  ist 


*)  Torf  and  I>opplerit.  Zürich  1888.  Oinertation. 


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28 


Qehiita, 


[28 


recht  wechselnd,  l — 5  m  gewöhnlich,  in  manchen  Stellen  aber  auch 
beträchtlich  mehr.  Ihre  Masse  ist  braun  oder  schwarz  und  dicht.  Oft 
enthält  sie  Bamnstftmme,  Aeste  und  Wnrseln  ▼on  Eieben,  Birken,  auch 
wohl  Kiefern  und  Buchen,  auch  Blätter  und  Früchte.  Als  Beispiel  sei 
eine  mikroskopische  Analyse  eines  Torfes  aus  der  Warnowniederung 
bei  Rostock  initg-etheilt  (Früh):  vorherrschend  sind  Hadizellen  von 
Cyperaceen  und  Gramineen,  dann  Farne  aus  der  Gruppe  der  Polypo- 
diaceen  (schön  vertorfte  Treppen-  und  Netzgefasse,  Sporen,  Sporaugien, 
Hohselleu),  endfieh  Samen  TOn  Jnncagiueeu,  Pc^enkOrner  von  Gräsern 
nnd  Pinns,  Tereinselte  Colonien  kleiner  einzelliger  Algen.  Die  Vege- 
tation, welche  diese  Torfe  gebildet  hat,  ist  oft  recht  mannigfaltig  und 
zeiß^  nicht  selten  eine  Aenderung  in  den  verschiedenen  aufeinander 
folgenden  Niveaus.  Oft  giebt  sich  dabei  sehr  schöne  feine  Schichtung 
zu  erkennen.  Nach  der  Beschreibung  von  F.  Koch  ist  das  Torfmoor, 
welches  die  Wasserscheide  zwischen  der  Trebel  und  Recknitz  bei  Sülz 
bildet  nnd  sich  deutlich  von  dem  Wiesenmoor  der  Recknits  abhebt, 
ein  Hochmoor  (Mischmoor).  In  dem  nutei  t- n  Tbeile  besteht  ee  ans 
einer  'S — -4  m  mächtigen  lockeren  moosigen  Masse,  im  oberen,  mehr 
aus  den  Kesten  von  Haidekraut  gebildeten,  ist  der  Torf  compacter  und 
dunkel  und  enthält  zahlreiche  Baumstämme .  besonders  Wurzelstöcke 
▼on  Kiefern;  dieselben  nehmen  eine  bis  3'  mächtige  Schicht  ein  und 
kommen  oft  in  drei&cher  Veberlagernng  vor;  Aber  ihnen  erhebt  sich 
noch  ca.  1  m  Torf.  In  den  untersten  Lagen  vieler  Torfmoore  finden 
sich  nordische  Pflanzen,  wie  Salix  polaris,  Betula  nana  u.  a.,  als  An- 
klänge an  die  niedrige  Temperatur  des  Schlusses  der  Eiszeit. 

Oft  sind  die  Torfmoore  von  einer  schwarzen  trockenen  loh- 
artigeu  Erde  bedeckt,  wie  sie  sich  besonders  auf  Wegen  innerhalb  des 
Möores  dnrch  Fahren  und  Geben  bildet.  Sehr  hftofig  lagert  der  Torf 
anf  Wiesenkaik,  und  stellenweise  geht  letaterer,  wie  Boll  bereits 
hervorhebt,  sogar  allmählich  in  unteren  über;  auch  wo  dies  nicht  der 
Fall  ist,  finden  sich  hier  oft  vereinzelte  Gehäuse  der  Snnipfconchylien. 

Neben  den  verschiedenartigen  und  verschieden  häufigen  mecha- 
nischen Beimengungen  (Sand  u.  a.)  enthält  der  Torf  oft  einen  beträcht- 
lichen Aschengehalt,  der  besonders  dnrch  die  Menge  an  kohlenaanrem 
Kalk  bemerkenswerih  ist.  BolP)  berechnete,  dass  ans  dem  Torfirtiche 
des  Jahres  1850  bei  Malchin  mit  den  6  968  000  Stück  oder  »Soden* 
Torf  Tentner  kohlensaurer  Kalk,  90  Ctr.  kohlensaure  Magnesia, 

210  Ctr.  Gyps  und  210  Ctr.  Kieselsäure  in  der  Torfasche  gefördert 
sein  müssten.  Sehr  häufig  enthalten  die  Torfmoore  grosse  Mengen 
Ton  Eisen,  das  sieh  in  ^rm  von  braunem  Eisenoxjdhjdrat  in  den 
Tor^^ben  und  Moifisten  ausscheidet  nnd  steOenweise  die  Gewässer 
mit  einer  irisirenden  Ilaut  bezieht,  oder  die  Betten  der  Wasserlfinfe 
mit  brauner  oder  blutrother  Ausscheidung  bedeckt;  das  Wasser  der 
aus  solchen  Mooren  kommenden  Bäche  erscheint  wie  mit  Blut  ver- 
imreinigt.  Der  Torf  selbst  ist  dabei  in  den  oberen  Lagen  bröckelig 
imd  zu  harten  rostbraunen  Stückchen  aufgelöst.  Zuweilen  sind  solche 
Torflager  auch  dnrch  Vorhandensein  Ton  Viviamt,  pliosphonanrem 


0  Anh.  d.  Ver.  d.  Nat.  MeeU.  ZZI.  1M8.  S.  45. 


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29J 


Der  Boden  Hecklenbiifgs. 


29* 


Eisen,  ausgezeichnet,  der  in  gewiaser  Tiefe  und  Mächtigkeit  bis  ca.  1  m 
das  Lager  intensiv  blau  färbt. 

Häutig  trifft  man  in  der  Tiefe  von  Torflagern  die  sogen.  ,Torf- 
leber*  oder  Baggertorf,  eine  dnnkd  oder  kdler  Inrmime,  vom  Waeaer 
so  ^prägnirte  Masse,  dass  sie  wie  ScUanun  anseinandeifliessli  und  auf 
der  Schaufel  nickt  gehalten  werden  kann.  Sie  stellt  eine  vOUig  in 
Humnsstbffe  nTnf?e wandelte  Torfsubstanz  dar,  die  beim  Trocknen  20 
einer  harten  homogenen  Masse  von  putem  Brennwerth  wird. 

Etwas  Verschiedenes  ist  der  Papiertorf,  Torfschiefer  oder 
Lebertorf.  Derselbe  wnrde  bisher  an  vier  yerschiedenen  Stellen  nnter 
norqialera  Mooe-  nnd  Rasentorf  gefbnden.  Er  ist  im  feachten  Zustand 
elastisch  und  homogen,  von  leberbrauner  Farbe;  dabei  zeigt  er  sdiSn 
die  Neigung,  in  parallelen  Flüchen  leichter  zerreissbar  zn  sein.  Beim 
Trocknen  wird  er  dunkler,  hart  und  zerblättert  in  oft  papierdünne 
Lagen.  Der  Torfschiefer  oder  Lebertorf  gehört  zur  Gruppe  der  aus 
Sfisswasseralgen  gebildeten  Algentorfe,  die  im  Wasser  gallertartig  und 
elastisch  werden. 

üeber  die  Verbreitung  des  Torfes  in  Mecklenburg  kann  ich 
hier  nicht  der  Art  reden,  dass  ich  alle  Funde  rubricirt  aufzähle.  Nach 
dem  einffangs  Gesagten  müssen  wir  den  Torf  als  eine  der  häufigsten 
AUuvialbildungen  der  Oberfläche  in  allen  oben  aufgezählten,  durch  die 
Abschmelzwässer  gelielerten  Bodenumformungen  finden.  So  giebt  ea 
denn  auch  im  VerbSltoiss  nur  wenig  Feldmarken,  die  nicht  ihr  Torf- 
lager besSssen.  Die  Millionen  Stück  Torf,  die  alljährlich  gestochen 
werden,  zu  schätzen,  wäre  eine  interessante  Arbeit.  Zu  Hunderten 
sind  die  Torfstiche  verbreitet ,  von  ganz  primitiven ,  nur  bei  momen- 
tanem Bedarf  benutzten  Öticlien  ^)  zu  grossartigen,  maschinell  betriebenen 


')  Tcbcr  die  primitive  Fabrikation  des  Backtorfes,  wie  sie  auch  heute  noch 
•tattfindet,  berichtet  Boll  recht  instructiv :  Nachdem  der  Torfbrei  auf  dem  Flatze, 
wo  die  Arbeit  vorgenommen  werden  eoU,  gleichmäsBig  aasgebreitet  worden  ist, 
beginnen  die  Arbeiter,  ihn  zu  „pedden",  d.  h.  mit  den  Fussen  zu  treten  und 
darchzakneten.  Nach  dem  wird  die  ganze  zerarbeitete  Maase  auf  dem  (trockenen, 
am  Rande  des  Moores  gelegenen)  Lagerplatz  aasgeebnet,  wie  ein  colosaaler  Kuchen, 
von  der  Dicke,  von  welcher  die  TorCitiloke  werden  sollen.  Hit  Schuhen  oder  mit 
Brettern  nnd  Schaufeln  wird  er  noch  panz  glatt  und  eben  bearbeitet.  Bevor  sie 
diese  Maaae  in  Stücke  von  der  Form  und  Urosse  der  Ziegelsteine  zerlegen,  machen 
sie  eine  Pause  \on  eia  paar  Tagen,  damit  sie  einige  GkMBlistenz  gewinne,  und 
die?»"  /wicclienzeit  muss  je  nnch  'h  r  Witterung  abpernessen  werden.  Ist  die  Hasse 
noch  zu  weich,  so  würde  die  Zerlegung  nichts  hellen,  deun  alles  würde  wieder 
zusammenfliessen ;  wollte  man  aber  damit  zu  lange  warten,  so  würde  der  grase 
Kuchen  anfangen  «ich  zu  zerspalten  und  rissig  zn  werden.  Zuerst  «erden  Langs- 
iinieu  durchgebchuiiten  in  einem  Absland  von  9  —  10  Zoll,  so  lang  jedes  einzelne 
Torfstäck  werden  soll,  und  aufdieeeWeiM  das  Ganze  in  „B&nke*  getheilt.  Nach 
einer  a!>ernialip[en  Paase  von  einigen  Tagen  fschreitet  man  dann  zu  den  Quer- 
achnilleii.  die  iii  den  engeren  Abstanden  der  Breite  der  Torfstucke  gemacht  werden. 
NaehdeiD  diese  nun  ihrer  Vnrm  nach  fertig  sind^  geht  es  an  das  Au.s trocknen  der> 
selben,  welches  mit  grosser  V^orsicht  geschehen  muss.  Die  Torfstücke  müssen  erst 
ein  wenig  auf  die  lange  Kante  und  neben  einander  gelegt  werden;  nachdem  sie 
8—14  Tage  in  der  bezeichneten  Stellung  verblieben  sind  und  etwas  Festigkeit 
erlangt  haben,  beginnt  das  „Ringen".  Dies  besteht  darin,  dass  man  die  schon 
nemlich  reifen  Torfsoden  zu  kleinen  Kegeln  so  über  einander  legt,  daas  sie  nur 
nlt  den  Enden  auf  einander  fhaeen  nnd  diM  mdgUehst  groaie  Zwiadkenriame 


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30 


[30 


Anlagen.  Der  Torf  wird  vor  allem  als  Brenimuiterial  benutzt,  und  es 
gielit  wohl  kaum  einen  Hanshalt  in  Mecklenburg,  wo  er  nidit  mehr 
oder  weniger  Benutzimg  fände.  Man  benutzt  ihn  zn  diesem  Zweck 
entweder  so,  wie  er  im  Lager  sich  findet,  wobei  natm^^emies  die  unteren 
Partien  besjserer  Qualität  sind  als  die  oberen ,  oder  man  vermengt  ^ie 
verschiedenen  Sorten  eines  und  desselben  Lagers  durch  Press-  und 
Mengmaschinen  und  erhält  so  ein  gleichmässiges  Material.  In  neuerer 
Zeit  werden  auch  die  oberen,  znm  Brennen  nntanglichen  lockeren 
Maasen,  der  «Torfinnll",  als  Siren,  zvl  Dtlngnng,  ab  Desinfectionsmittel, 
Füllungsmaterial  von  Fussböden  oder  Wänden  tt.  a.  benutzt.  Zur  Her- 
stellung sticksk)ftlialtiger  Diin^eniittel  könnte  er  in  chemisch-technischer 
Industrie  verwendet  werden,  doch  haben  bisher  die  Berechnungen  hier- 
bei nicht  den  genügenden  Gewinn  in  Aussicht  steilen  können.  Der 
dem  Torf  beigemengte  Yivianit  kann  f&r  ShnHcfae  technische  Zwecke 
fldir  wohl  eine  gOnstige  Yerwerthung  finden.  Der  unter  dem  Torf 
lagernde  Wiesenkalk  £ftt,  wie  oben  gezeigt,  seinen  von  alters  her 
bekannten  Werth. 

Zuweilen  sammeln  sich  unter  den  Tort  lagern  Gase,  die  aus 
der  Zersetzung  des  Lagers  gebildet  werden,  in  grösserer  auffälliger 
Menge  an;  die  Erscheinung  der  IrrUchter  ist  selten  beobachtet 
worden. 

Wie  sich  bei  dem  Vertorfungsprocess  auch  häufig  auf  dem  Wasser 
schwimmende  Torfdecken  oder  Torfinseln  bilden  können,  hat  Boll 
(a.  a.  0.  S.  2<)  {'.)  an  einiLTen  Beispielen  sehr  anschaulich  geschildert. 
Solche  Stellen  sind  ebenso  wie  die  Moore  mit  mächtigem  Schlamm  unter 
dem  Torf  sehr  lästig  für  Bauten  von  Eisenbahn-  oder  Chausseedämmen, 
indem  sie  in  ihren  Tiefen  oft  erschreckende  Massen  tod  Schfltfcungs- 
material  verschlingen. 

Schliesslich  ist  noch  eines  Alluvialabsatzes  Erwähnung  zu  thun, 
nämlich  des  Kalktuffes.  Derselbe  findet  sich  in  Her  bekannten 
Ausbildung  und  häufig  mit  den  bekannten  Thier-  und  Pflanzen- 
eiuschlüssen  an  mehreren  Stellen  des  Landes  und  verdankt  seine 
Bild^nng  der  Anslaugung  von  kohlensanrem  Kalk  der  benadibarten 
Höhen,  der  theils  aus  I  n  Diluvialabsätzen,  theik  aucli  ans  Kreide- 
massen geliefert  wird.  Zum  Theil  ist  oder  war  auf  Grund  solcher 
Vorkommnisse  auch  eine  Kalkbrennerei  eingerichtet  und  m  Betrieb, 
so  z.  B.  bei  Nemerow  am  ToUense-See,  am  Haidberg  bei  Teterow, 
bei  Malchin  u.  s.  f. 

In  den  Dilnvial-  und  AllnTialablagerungen  Mecklenburgs  sind 
bisher  Reste  Ton  folgenden  Säugethieren  aufgefunden:  Mammuth, 
Urochs,  Bison,  Rind,  Riesenhirsch,  R^nthier,  Hirsch,  Reh,  Zioge,  Schaf» 
Pferd,  Schwein,  Biber,  Hund,  Fuchs,  Wolf,  Höhlenbär. 

An  prähistorischen  Funden  ist  Mecklenliurg  tmgemein 
reich,  deren  Kenntniss  wir  vor  allem  den  Aufzeichnungen  und  Samm- 
lungen Lisch^s  verdanken.    Eiinzelfande  von  Stein-  und  Bronae- 


zwii^chcn  ilint  ti  bleiben ;  die  Kegel  sind  inwendig  bohl,  und  in  dieser  Aufsteilnngs- 
wei^e  kann  der  Wind  am  besten  die  Aaetrocknoag  ToUendeo.  (Areh.  d.  Ver.  d. 
Nat.  Meckl.  1868.  S.  92.) 


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31] 


Der  Boden  Mecklenburgs. 


31 


gerüthen,  Dolmen,  Kegelgräber,  Steinsetzungen,  Opfersteine,  Pfahl- 
bmttes,  wendische  Borg- und  Ringwälle,  Opferplätze,  Umenfelder  n.  a.  ol 
nnd  in  grosser  Zahl  Aber  das  Land  Terstrent.  Viele  der  sogen.  Wenden- 
niederlassnngen  geben  uns  Zeugniss  von  dem  Wasserreichthom  des 
Landes  nooli  in  fiistorisclier  Zeit. 

Neben  den  \  eränderungen  der  Obertiäche,  die  durch  allmähliche 
natürliche  oder  künstliche  Entwässerung  in  grossartigem  Massstabe 
verorsacht  worden  sind,  hat  das  Land  an  den  KUstenstrichen  dardi 
die  sftcnlare  Landsenknng  bedeutende,  vom  Theil  noch  in  die 
Gegenwart  reichende  Veränderungen  erlitten.  Historische  Notizen,  der 
dauernde  Abbruch  der  Ufer  durch  dir  See  und  das  Vorkommen  von 
Torfmooren  am  Meeresgrund  vor  den  Dünen  sind  die  Beweise  der 
erwähnten  Senkung  Häufig  findet  man  am  Strande  nach  grösseren 
Wellenbewegimgen  des  Meeres  (im  Frühjahr  oder  nach  Sturmfluthen) 
grosse  losgerissene  Schollen  Ton  Torf  aasgeworfen,  wie  grosse  erra- 
tische Blöcke  am  Strand  liegend.  Daneben  findet  man  in  allen  Grössen 
Torfstücke,  die  wie  harte  Strandkiesel  durch  die  Bewegung  im  Wasser 
am  Strand  zu  runden  Torfgeröllen  abgerollt  sind.  Auch  nach  mikro- 
>-kopi^^cher  Prüfun^^  ergiebt  sich  da.s  Material  dieser  TorfgerÖlle  als 
identisch  mit  dem  aus  den  Torfmooren  hinter  der  Düne  vom  Festland 
entnommenen  Matmal;  es  ist  Rasenmoor,  Sllsswassertorf  nnd  nicht 
ans  Seetang  gebildet.  Zuweilen  hat  man  Gelegenheit,  den  unter  der 
Dfine  befindliehen,  gepressten  Torf  zu  beobachten,  welcher  nach  der 
Bezeichnung  ForchharameT's  als  „Martörv"  unterschieden  ist;  auch 
dieser  ist  YöUig  übereinstimmend  mit  dem  Torf  der  dahinter  gelegenen 
Moore. 

Durch  die  Kfiste  ist  das  Land  gewissermassen  willklirlich  ab- 
geschnitten; wir  können  danach  drei  verschiedene  Typen  der  Ufer- 
rander  unterscheiden,  nämlich  1,  Steilufer  oder  Klint,  ein  steiler  Ab- 
bnich  des  Diluvialplateaus  oder  eines  Flötzgebirgszuges,  mit  schmalem 
steinigem  Strand,  2.  flache  Senkung  des  Diluvialbodens,  entsprechend 
einer  muldenartigen  Tiefang  des  Plateaus,  und  3.  Abschnitt  von  Alluvial- 
depreasionen  (isolirte  Tomnoore  oder  alte  ElnssthiÜer) ;  beide  lebst- 
gonnnte  Klistentypen  haben  einen  breiteren,  simdigen  Strand,  auf  dem 
sich  Dünen  erheben.  Die  Dünenlandschaft  ist  oft  ungemein  charak- 
teristisch ausgeprägt;  die  Schichtung  der  Düne,  ihr  steiler  Abfall 
nnrh  der  Landseite,  ihre  parallelen  Vorwellen  am  Strand,  auch  ihr 
Vorwärtsschreiten  gegen  das  hinterliegende  Land,  die  Ueberwehung 
der  hinter  ihr  liegenden  Wiesen ,  das  Heraufsteigen  auf  ein  niedriges 
Abbmchufer  n.  a.  m.  sind  in  mannigfachen  Bildern  Tertreten,  wenn  auch 
die  immer  nur  gwinge  Höhe  (10  m  werden  selten  überschritten)  und 
Ausdehnung  schon  es  bedinfrt .  dass  die  Landschaft  nie  den  öden  nnd 
trostlosen  Charakter  gewinnt,  wie  er  von  anderen  Gestaden  bekannt 
ist.  Im  „Heiligen  Damm"  bei  Doberan  haben  wir  den  Abschluss 
einer  Alluvialniederung  gegen  die  See  durch  einen  aus  Rollsteinen 
aud^l^eschOtteten  Ufer  wall.    Durch  die  Landsenkung  ist  auch  die 


')  £.  Geinita,  Zeitschr.  d.  dentach.  geoL  Ges.  188d.  8.  301. 


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32  Geiiiitz,  Der  Boden  Mecklenburgs.  .  £32 

eigenthümfiche  trichter-  oder  haffartige  M flndung  der  Bäche 

und  Flüsse  bedlngl,  wie  sie  z.  B.  in  der  Wismar'schen  Bacht  oder  im 
Breitling  bei  Warnemflnde  vorliegt.  Die  mecklenburgische  (wie  wohl 
überhaupt  die  ganze  norddeutsche)  Ostseeküste  verdankt  ihre  Con- 
figuration  im  Grossen  wie  im  Kleinen  dem  Zusammenwirken  der 
beiden  Kräfte:  Erosiouswirkung  der  glacialen  Schmelzwässer  und 
sicnlaie  Senkung  des  Balüemiui;  tfe  Htodungstrichter,  Forden,  Hälfe, 
Strandaeen  u.  dergL  sind  nicht  das  Product  yon  QletecherenMum  oder 
Meereeemhrflehen  *). 


»)  S.  Beitr.  VI.  z.  Gcol.  Meckl.  1884.  Taf.  2. 


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Im  gleichen  Veriftge  ill;  erachienen: 


Aütliropo-Geograpliie 


oder 


GnindsQge  der  Anwendung 


der 


Erdkunde  auf  die  Geschichte 


von 


Dr.  Friedrich  Ratzel, 

ProfaMor  an  der  t^cbnUchen  Bocbfichule  In  HttttclMB. 
Preis  Mark  10.  - 


Handbuch  der  Elimatologie 


von 


Dr.  Julius  Hann, 

MNlifee»  4«r  meteorol.  Zeatr«l«Datalt  und  Profesnor  an  der  UaiveratUl  In  Wiau. 

Preis  Mark  15. 

Handbuch  der  Ozeanographie 


Ton 


Prof«  Dr.  6.  von  Boguslawsk^ 

I  Amt  4m  lalt.  iaoiMlMn  MailnUl«.  «nA 


Jiand  I. 

Kiumliche,  phyBlluüiMhe  nnd  cbemische  Bescliaffenheit  der  OietB«. 

Preis  Mark  8.  50. 


Handbuch  der  Gletscherkunde 

von 

Dr.  Albert  Heim, 

Frafeanof  ter  CI«olocto  «aSdmeixeriBcfaen  Polytedodkm  und  d«r  tUnfarenHit 

in  Zürich. 

Preis  Mark  1 3  ',0. 


tn 


IttenmÜ^an^lg  gemetoerftftnblid^en  Kloctrasen 

Aber 

2Utgmeme  €r6f un6e. 

Dr.  Jvielrririi  £i(1^«L 

$tcid  SDtari  6.  - 


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OiMk  von  OMIar  Ki«net  in  StutigMt.  Digitized  by  GoOglc 


Jt»*orscftunire 

B^Md '  HefV- 


DIE 


OBEBRHEMSCflE  TIEFEBENE 


UND  IHRE 


RANDGEBIRGE 


VON 


G.  RICHARD  LEPSIUS, 

o.  PnrfeSMr  der  Geologie  und  Hineralo^^ie  an  der  tf'cbnischen  Hochschale  nnd  Direktor  dar 
grosaherzoglich  hessiHcbeu  geologUcheu  i^mdesanatalt  zu  Daimstadt. 


HU  einer  Uebersichtskarte  des  oberrheinischen  Gebirgssysten^s. 


ÖTUTTGAKT. 
YERLAG  VON  J.  ENGELHOBN. 

1885. 


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L  Einleitimg. 


Eine  der  aQfßillendsieii  Ersclieraiiiigeii  in  der  Oberflftcbeng^estal- 
tang  Ton  Deutschland  ist  die  Tiefebene,  wel<  lic  der  Rhein  durchströmt 

in  seinem  Mittellaufe  von  Basel  bis  Mainz.  Während  das  ganze  übrige 
südliche  Deutschland  aus  Hochflächen  und  Gebirt^en  besteht  und  im 
Gegensatze  zu  dem  norddeutschen  Tieflande  als  ein  Hocliland  zu  be- 
zeichnen ist,  senkt  sich  zwischen  die  vier  Gebirge  Schwarzwald, 
Vogesen,  Odenwald  und  Haardt  eine  langgestreckte  Tiefebene  von 
mehr  als  10  000  Quadratkilometer  Oberfläche  ein,  deren  mittlere  Höhe 
über  dem  Meere  nnr  150  m  beträgt,  während  die  umliegenden  Ge- 
birge bis  zu  Höhen  von  fast  1500  m  aufragen.  Diese  tiefe  T.affc  der 
oberrheinischen  Ebene  und  der  Schutz,  welchen  ihr  die  begleitenden 
Gebirgsketten  gewähren,  bedingen  das  milde  Klima  dieser  bevorzugten 
Laadsfcrecken,  bedingen  auch,  zugleidli  mit  den  Anschwemmungen,  mit 
denen  der  Bhein  die  Oberfläche  der  Tiefebene  und  die  Vorhügel  der 
Randgebirge  bedeckt  hat,  die  grossentheils  reiche  Fruchtliiirkt  it  ihrer  Ge- 
filde. Gehört  doch  der  nördliche  Thcil  der  Ulieinebene  und  die  srhmalen 
Uferstriche  längs  des  untern  Rheintliales  zn  den  wenigen  Gegenden 
Deutschlands,  deren  mittlere  Januartemperatur  über  CG.  liegt  Daher 
denn  anch  in  der  oberrheinischen  Tiefebene  nnd  an  den  Thalgefaängen 
des  Mittdrheins  die  besten  Weine  wachsen.  Ah  Ludwig  XlY.  von 
der  Höhe  der  Zabemer  Steige  zum  ersten  Male  herabblickte  auf  die 
gesegnete  Ebene  zu  seinen  Füssen,  rief  er  ans:  ,quel  beau  jardiu"; 
dieses  Wort  des  französifschen  Kcinifrs  gilt  nicht  allein  vom  Elsass, 
sondern  ist  auch  bezeichnend  für  die  meisten  übrigen  Theile  der  ober- 
nnd  mitteliheinischen  Tiefebene  und  der  Qebirgsabhänge  längs  ihrer 
Chrenzen. 

Vier  Heilen  breit  und  vierzig  Meilen  lang  erstreckt  sich  diese 

Ebene  über  zwei  und  einen  halben  Breitengrad  bis  zum  fünfzigsten 
Parallelkreis,  der  gerade  durch  Mainz  schneidet.  Mitten  hindurch  fliesst 
der  mächtige  Kheinstrom ,  in  der  weiten  Ebene  trotz  seiner  Wasser- 
fülle nur  wie  ein  silberglänzender  Faden  von  den  Gebirgsabhängen  aus 
anzuschauen. 


0  SiebfrJ.  Hann,  Handbuch  der  Klimatologie,  S.  473  ff.  Stnltgart  1888. 


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36 


Lepsias^ 


[4 


Dass  die  oberrheinische  Tiefebene  in  ihrer  eigenartigen  Erschei- 
nung im  südwestdeutsclien  Gebirgslande  eine  ganz  besondere  geologische 
Geschichte  bis  zu  ihrer  jetzigen  Gestaltiing  durchlaufen  haben  rnnss, 

wird  einem  Jeden  einleuchten,  der  gewohnt  ist,  über  die  Beziehungen 
der  äusseren  Oberflächenformen  zn  dem  inneren  Bau  der  festen  Brd- 
kruste nachzudenken,  pjin  Pr()V)lpni  der  mechanischen  Genloufie  liecft  vor 
uns.  Noch  .sind  wir  nicht  im  Stande,  da.s.selbe  völlig  zu  lösen,  da  hierzu 
noch  die  genauen  geologischen  Aufnahmen  des  ganzen  Gebietes  zu  aller- 
meist fehlen.  Aber  bei  der  OrOsse  des  Torliegenden  Problems  ersdieint 
es  schon  wichtig  und  fördernd,  tiber.sichtlich  zusammenzufassen,  wie 
weit  unsere  Kenntnisse  von  der  Ent^t  !  ing  der  oberrheinischen  Tief- 
ebene und  ihrer  Kandi^ebirge  durch  du-  l>i.-herigen  Arbeiten  der  rhei- 
uischeu  Geologen  bereits  vorgeschrittea  smd. 


Die  oberrheini.sche  Tiefebene  ist  keineswegs  ein  vom  Rheine 
ausgewaschenes  Thal :  so  mächtiff  der  .stolze  lihein  dahinfluthet.  würde 
es  ihm  doch  nicht  möglich  gewesen  .sein,  ein  vier  Meilen  breites  Thal 
in  das  Gebirgslaud  des  südwestlichen  Deutschlands  einzufurchen.  Wie 
ein  solches  nur  vom  Flusse  gebildetes  Thal  sich  gestaltet,  das  sehen 
wir  am  Rheinthale  unterhalb  des  Binger  Loches,  wo  sich  der  Strom  durch 
die  eigene  Kraft  des  fliessraden  Wassers  bis  nach  Bonn  hin  durch  das 
Seliiefergebircro  eine  schmale,  vielfach  gewundene  und  scharf  einije- 
sclmittene  Thalfurclie  im  Laufe  der  Zeiten  gegraben  hat.  Dort  unter- 
halb Bingen  erkennen  wir  die  eigenartigen  Formen  eines  Erosions- 
Thaies,  wie  es  Tom  Flusse  in  ein  Gebirge  eingeschnitten  wird. 

Vielmehr  ist  die  oberrheinische  Tiefebene  eine  weit  klafiSende  und 
tiefe  Spalte  der  festen  Erdkruste,  eine  Spalte,  welche  längst  vorhanden 
war,  ehe  der  Rhein  geboren  ward,  eine  Spalte,  welche  dieser  Strom, 
als  er  sich  in  dieselbe  ergcssen  hatte,  nicht  nur  nicht  tiefer  ausfurchte, 
sondern  vielmehr  mit  dem  mitgeschleppten  Schutt  der  Gebirge  ganz 
bedeutend  auffüllte  und  zuschüttete. 

Diese  Anschauung  von  der  allgemeinen  Entstehung  der  ober- 
rheinischen Tiefebene  ist  bereits  von  den  «rsten  Geologen,  welche  die 
Randgebirge  beiderseits  der  liheinebene  genauer  untersuchten,  ge- 
wonnen wf»rden;  sie  wurde  von  allen  späteren  Forschern  imr  bestätigt. 
Freilich  über  die  be.sondere  Art  und  Weise  und  über  die  Zeit  dieser 
Entstehung  gingen  die  Meinungen  der  Gelehrten  sehr  weit  auseinander 
und  richteten  sieh  naturgemSsiB  nach  dem  jeweiligen  Stande  der  geo- 
logi^^  i  ]  1  t  u  Wissenschaft;, 

In  dem  berühmten  und  für  alle  späteren  geologischen  Arbeiten 
am  Rheine  rrrundlegenden  Werke,  den  „Geognostischen  rinri.ssen  der 
Rheinländer  zwischen  Basel  und  Mainz,  nach  Beobachtungen  ent- 
worfen, auf  einer  Reise  im  Jahre  1823  gesammelt  sprachen  die 
drei  Verfasser  C.  yon  Oeynhausen,  H.  von  Dechen  und  H.  von  La 
Bodie  bereits  die  richtige  Ansicht  Über  die  Entstehung  der  ober- 


0  Zwei  Bände.  Eraen  1825. 


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5] 


Die  oberrheinische  Tiefebene  und  iiire  Raadgebirge. 


37 


rheinischen  Tiefebene  klar  aus:  .Das  Rheinthal  von  Basel  bis  Mainz 
ist  so  wenig  durch  eine  Auswaschung  oder  Zerstörung  des  Gesteins 
entstanden  t  class  im  Oegentheil  später  noch  eine  WiederansfOllung 
stattgefunden  hat",  und  «wenn  nnn  aber  das  Rheinthal  von  Basel  bis 
Mainz  nicht  durch  Auswaschung  entstanden  sein  kann,  so  verdankt 
dasselbe  soine  Bildung;  derselben  Ursache,  welche  die  Vogesen  und 
den  JSrhsvarzwald  emporhob,  und  ist  daher  von  gleichem  Alter,  wie 
jene  beiden  tiebirgszüge"  (I.  S.  24  und  25).  Also  schon  im  Jahre 
1828,  m  einer  ZeiC  wo  die  Geologie  noch  in  ihrer  ersten  Entwieklnng 
stand,  freiiieh  in  Deutschland  unter  der  energischen  Einwirkung  eines 
Leopold  von  Buch,  erkannten  jene  drei  reisenden  Qeognosten  mit 
genialem  Blicke  den  ursächlichen  Zusammenhang  zwischen  der  Rhein- 
ebene  und  ihren  Randgebirgen !  Allerdings  die  tieferen  Ursachen  der 
(iebirgs-  und  Spalten-bildenden  Kräfte  konnten  damals  noch  nicht 
ergrttndet  werden;  sind  wir  doch  auch  heute  in  der  Erkenntniss  dieser 
letiten  Ursachen  von  einer  endgültigen  und  allgemein  befriedigenden 
Lösung  noch  weit  genug  entfernt. 

Die  crennrnostischen  Verhältnisse  in  den  Vogesen  und  im  Elsass 
hatte  zuerst  Philipp  Voltz  In^'^t'nieiir  en  chef  des  miues  in  Strass- 
burg,  in  ausgezeichneter  Weise  studirt,  sodass  er  bereits  jenen  drei 
Reisenden  im  Jahre  1823  nach  ihrer  eigenen  Aussage  (Vorrede  S.  III) 
«mündlich  und  schriftlich  viele  wichtige  Bemerkungen  mittheilen 
konnte*  Auf  Voltz^  objektiTe  und  sichere  Beobachtungen  stutzten 
sich  auch  vielfach  die  späteren  Ausführungen  des  bekannten  fran- 
zosi^ichen  Ooologen  Elie  de  Beaumont.  Unter  den  verschiedeiien 
Gebirgssystenieii ,  welche  dieser  hervorrageml»'  (leiehrte  in  seinen 
.Recherches  sur  q^uelques-unes  des  revolutions  de  la  surtace  du  globe" 
aufgestellt  hatte ^  war  eines  der  wichtigsten  das  , Systeme  du  Rhin*, 
welches  die  Gebirge  Schwarzwald,  Vogesen,  Odenwald  und  Haardt 
urafasste;  die  Revolution,  welche  diese  Gebirge  und  die  Rheinspalte 
dazwischen  entstehen  Hess,  sollte  ein;/etreten  sein  naeli  der  Ablagerung 
des  Vogesen-Sandsteins  und  vor  der  Ablagerung  des  Voltzien-Sand- 
steins ;  um  zugleich  diese  grosse  Revolution  zwischen  zwei  Forma- 
tionen erscheinen  zu  lassen,  schloss  Ehe  de  Beaumont  die  Permische 
Formation  und  also  auch  die  paläozoische  Epoche  mit  dem  Vogesen- 
Sand-tein,  welcher  jetzt  als  mittlerer  Bunter  Sandstein  angesehen 
wird,  und  befTnnn  den  Bunten  Sandstein  iiiid  die  Trias-Formation  mit 
dem  Voltzien-Sandstein ,  welcher  nunnieiir  als  olierer  Bunt-Sandstein 
gilt.  Dieser  Annahme  des  damals  leitenden  l'ariser  Geologen  folgten 
nicht  allein  die  meisten  übrigen  im  Elsass  und  in  den  Vogesen  später- 
hin arbeitenden  Geologen,  wie  Thirria,  Hogard,  de  Billy,  Daubr^e, 


*)  Nicht  zu  verwechseln  mit  dem  jüngeren  Geologen  Fried  rieh  Volts 
in  Hains,  dessen  Schriften  über  das  Hainter  Becken  in  den  Jahren  1851'*  1853 
enehienen. 

')  Siehe  anch  Ph.  Voltc^  G^ognosie  des  denx  d^partements  da  Rhin,  In 
Anfachl  atrr  r.  Nniivcllr  (le5cripfu»ii  «k-  l  Alsacc.    Strassburg  1820—1828. 

*)  Zuerst  erächienen  in  den  Annaled  des  sciences  naturelles^  tome  XVIIl, 
Paria  1829;  dann  weiter  ansgeftthrt  in  einem  Artikel  de«  Dictionnaire  nniverael 
d'hiatoire  natnreUe.  Paris  1849. 


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38 


Lepsius, 


[6 


Delbos,  Küchhii-Sclilumberger  uuii  Jacquot  sonderu  auch  einige 
deutsche,  auf  dem  badisdien  Bheimifer  aufiielinieiide  Oedoffen,  vor 
allen  Fr.  Sandberger  in  seiner  geologischen  Beschreibung  aer  Um- 
gegend von  Baden-Baden^)  und  in  späteren  Aufsätzen 

Tn  dem  grossartig  angfleL'tcn  und  mustergültig  au-rrt^f nlirten  Werke, 
dem  Texte  zur  geologischen  Karte  von  Frankreich,  welches  Anfang  der 
vierziger  Jahre  erschien,  stammt  die  vorzüghche  Beschreibung  der 
Yogesen  aus  der  Feder  Elie  de  Beaumont's^).  Daselbst  stellt  dieser 
geniale  Forscher  seine  Ansidit  Ton  der  Entstehung  der  Bheinebene 
zwischen  Schwarzwald  und  Vogesen  in  dem  hier  wiederg^ebenen  Dia- 
gramm dar  (Expl.  I.  pag.  437): 


yoflBMO.     Bbelnebflim.  Sdiwaitwild. 


Wie  bereits  angedeutet,  ist  die  allgemeine  Erklärung,  welche 
dieser  schematiscben  DarsteUung  Elie  de  Beaumonfs  zu  Grunde  liegt, 
nämlich  der  zwischen  den  aufgekippten  Rändern  eingesunkenen  Kliein- 
ebene,  auch  jetzt  noch  die  massgebende.  Nur  darin  irrte  Elie  de  Beau- 
mont.  (l:iss  er  die  Entstehung  der  Rhein-Versenkung  zwischen  den 
R;ui(]gel)irgt'n  bereits  in  die  Zeit  vor  Ablagerung  des  Bunten  banü- 
steius  verlegte.  Gegen  diese  unrichtige  Zeitbestimmung  des  grossen 
Ereignisses  hatten  sich  schon  frühzeitig  einige  französische  Geologen 
ausgesprochen:  so  Bozet  in  seiner  originellen  Beschreibung  der  Süd- 
Togesen  und  Contejean  in  der  geologischen  Beschreibung  des  Canton 
Montbeliard 

*)  E.  Thirria,  Statistique min^ralogiqne  et  gLologiiiue  du  dipartement  dir 

)S  Haulc-SaüiK.'.     üosanriui  ISo;'. 

U.  Jüogard,  Deacription  min^ralogiqae  et  geologiq^ue  des  r^ioDs  grani- 
tique  et  ar^nae^e  dn  Systime  des  Vosgea.  Atcc  Atlas  de  12  fenilles  et  nne  carte 

geologiquc.    K[)in!il  1837. 

K.  de  Billy,  Eaquisse  de  la  g^ologie  du  departement  des  Yosges.  Aunales 
de  la  soci^td  d'Ämulatioti  des  Vosge».  IRIiO. 

A.  Danbröc,  Dc-criplii'H  (^'t'olnu i,| ,.(  mineralc^que  da  d^partement 
da  Baa-Khin.    Mit  Karte  und  Profilen.   i?txaäsburg  1852. 

J.  Delbos  ei  KÖehlin-Schlnmberger,  Description  geolugiijiie  et 
miniralogiquc  du  dipartcment  du  Haut-Rhin.    2  vol.    Mit  Atlas.    Colmar  IS»!»;. 

E.  Jacquot,  0.  Terquem  et  Bnrr^,  Description  min^ralogique  et 
giologiqne  du  d<^partement  do  la  Moselle.  Mit  Atla«.   Paris  1868. 

')  In  den  lit  itriigm  zur  Stati.^tik  der  inneren  Vemraltaog  des  Grosehersog- 
Urams  Baden.    Heft  XI.    Carlsruhe  18t)l. 

•)  Zur  Urgeschichte  des  Schwarzwaldes.  Verhandl.  der  natnrforsch.  Geaell- 
schafl  in  Basel  1877  um!  in  der  Zeitschrift  «Das  Ausland*  1870. 

*)  F.xplication  (le  la  carte  g^ologiqnc  de  la  France  par  Dufr^noy  et  Elie 
de  Hcauniont.    Tome  1,  pag.  207.  chapitre  V:  Les  Vosges.    Paris  1841. 

^)  Rozet,  Description  geologiqne  de  la  rägton  möridionsle  de  Is  cbatne 
des  Vosges.    Mit  geologischer  Karte.    Paris  1834. 

Ch.  Contejean,  Esquisse  dune  description  phyeique  et  g6ologique  de 
Parrondissenicnt  de  Montbeliard.  Ans  den  Meni.  de  la  80C.  d'imnlation  de  Hont- 
b61iard.  2.  serie,  I.  vol.,  pag.  41->13ii.  Paris  1862. 


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Die  oberrbeiuische  Tielebeue  und  ihre  Raadgebirge. 


S9 


Mit  Bezug  auf  diese  Streitfraffe  aber  die  Zeit  der  Entstehung 
des  .Rhein-Systems*  ')  stellte  die  philosophische  Fakultät  der  neu  ge- 
grflndeten  UniTersität  Strassburg  im  Jahre  1873  eine  Preisanfgabe 
mit  der  Fraije:  ,lst  der  Vogesen-Sandstein  vom  Bunten-Sandstoin  zu 
trennen?",  eine  Fraeo .  welche  auf  Grund  der  stratigraphischon  Ver- 
hältnisse dieser  Sandsteine  in  den  Vogesen  unbedingt  zu  verneinen 
war  Endlich  hat  W.  Benecke  in  seinem  Werke  über  die  Trias 
in  Elsass-Lothringen  und  Luxemburg  (Strassburg  1877)  in  einem 
Schlusskapitel  die  verschiedenen  Ansichten  über  diese  Frage  noch 
einmal  zusammengefasst  (S.  794 — 823)  unter  der  Ueberschrift:  ,Elie 
de  Beaumont's  Hypothese  von  der  Hebung  der  Vor;es«'ti  nach  Ab- 
la<rerung  des  Vogesen-Sandsteins* :  B<*net  ke  hat  durch  diese  klaren  und 
trelieudeu  Darlegungen  wohl  endgültig  Elie  de  Beaumont's  Hypothese 
beseitigt  und  die  Zeit  der  Entstehung  von  Yogesen  und  Schwarzwald 
in  eine  viel  jüngere  Epoche  verwiesen. 

Freilich  können  wir  damit  die  Frage  Über  Zeit  und  Weise  der 
Ent.-tehung  des  oberrheinisclien  Gebirgssystems  noch  nicht  als  gelöst 
betrachten;  dazu  müs^jen  erst,  wie  gesagt,  die  in  Elsass-Lothringen 
und  Hessen  fortschreitenden,  leider  in  Baden  immer  noch  nicht  be- 
gonnenen geolMpschen  Spezialaufnahmen  fertig  vorliegen.  Wie  weit 
bisher  unsere  ^nntnisse  fiber  das  »Rhein-System''  gefördert  wurden, 
wollen  wir  in  den  folgenden  Abschnitten  unserer  Abhandlung  be- 
trachten 


')  Leopold  V.  Buch)  Ueber  die  ecognostiscben  Systeme  von  DeatoclilaDd. 
Ein  8eikr«iben  an  den  Oeli.  Rath  t.  Leonhard,  in  t.  Leonhard*«  mineralogiBchem 
Taschenbuch  für  das  Jahr  1824.  S.  501-50'!.  Mit  Karte.  Frankfurt  a.  M.  1824. 
Auch  in  L.  v.  Buch  s  gesammelteu  Werkeu^  Band  Ul.,  S.  218.    Berlin  1877. 

*>  Ans  der  prftmurtcn  Preisarbeit  veröffentlichte  der  VerAMser  einen  Annng 
mit  Kartenskizze  und  Profilen  in  der  Zeiteehrift  der  deuteehen  geolog.  OeeellscC 
Jahrg.  1875,  ä.  83  ff. 

*)  Aqmw  der  bereits  genannten  Uteratnr  erwfthnen  wir  hier  noch:  die 
wichtigen  Abhandlungen  zur  geologischen  Spezialkarte  vr»ii  Elsass-Lothringen, 
Binde  1—1 V,  Strassburg  1875 — 1884  i  daraus  Jenes  oben  citirte  Werk  von  Benecke 
ober  die  Trias;  dann  A.  Andreae.,  Ein  Beitrag  zur  Kenntniss  des  Elsftsser  Ter> 
tiar?.  in  Band  II.  Heft  3,  18S:'.~18S{;  D  r  s  e  1 !.  «• .  Der  Dilavialsand  TOn  Hangea- 
bieteu  im  Unter- Elüasti,  io  Baud  111^  lieft  2,  1884. 

Femer:  ErliMiterangen  aar  geologischen  Karte  der  Umg^nd  von  Strassbnrg, 
bearbeitet  von  G.  Schamacher.  Mit  geologischer  Karte  im  Jlassstabe  1 : 25 000. 
Strassburg  1883. 

FQr  Hessen:  B.  Lepsins,  Ueber  die  dilnyiale  Entstehung  der  Rhein« 
Versenkung  zwischen  DarmsUult  nnd  Mainx.  Zeitsehr.  d.  deutsch,  geolog.  Qcsellseli^ 
Jahrg.  1880,  S.  672. 

R.  Lepsins,  Das  Mainzer  Becken,  geologisch  besehrieben.  Mit  geologischer 

Üebersichtpkart.'  in  1  :  100  000.    Darmstadt  1884. 

Für  Baden  siud  bisher  einige  geologische  Karten  mit  Beschreibung  ver- 
dffentlicht  worden  in  den  «Beitrilgen  snr  Statistilc  der  inneren  Verwaltung  des 
Grossherzogtlmras  Baden".    11  Hefte.    Carlsruhe  1858—1873. 

Ferner:  W.  Benecke  und  £.  Cohen.  Geognostiscbe  Beschreibung  der 
Umgegend  von  Heidelberg.  Mit  swei  geologischen  Karten  in  1  :  50  000.  Strass- 
borg  P74  l'^'=!l. 

U.  Eck,  (ieognostische  ICarte  der  Umgegend  von  Lahr.  Mit  Profilen  und 
Erllnteruugen.   Lahr  1884. 

Für  W ürtte m Ii e r^'  er.icliienen  bereits  44  Bliittt  r  der  gfognostischen  Spezial- 
karte  im  Massstob  1 : 50  000  mit  Begleitworten.  Stuttgart  18b5— 1883.   (Forts,  f.  S.) 


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40 


LepeiuB, 


[8 


IL  Orographisohe  Uebersicht. 

(Siehe  die  Kertensklue  auf  Tafel  I.) 

Das  oberrheinische  Gebirgssystem  umfasst  die  Gebirge  Vogesen, 
Schwarzwald,  Odenwald  and  Haardt  und  die  inmitten  derselben 
liegende  Tiefebene.  Diese  verschiedenen  Landestheile  des  südwestlichen 
Deutschlands  gehöreu  deswtMjen  zu  ein  und  demselben  Gebirgtssvstem, 
weil  sie  der  gleichen  ursiiciilichen  Kraft  ihre  Entstehung  verdanken; 
wir  werden  Mben,  worin  wir  die  gleichzeitig  wirkenden  Kräfte  er- 
kennen. Die  ünsseren  Grenzen  des  oberrheuiiechen  Gebirgssystems 
reichen  zum  Theil  weit  über  die  Grenzen  jener  genannten  Gebirge 
hinaus;  indessen  wtirde  nns  hier  eine  Erörterung  über  den  Umfang 
des  Systems  zu  weit  führen,  da  wir  uns  liier  nur  mit  den  inneren, 
wichtigsten  Theilen  des  Systems  beschäftigen  wollen.  Betrachten  wir 
inerst,  wie  die  yier  Randgebirge  der  oberrheinischen  Tiefebene  ftnsser- 
Hch  uneem  Blicken  sich  darstellen. 


1.  Die  Yogesen. 

Die  Yogesen  richten  ihre  Bergzüge  von  SSW  nach  NNO,  oder 
genauer  in  N  25  ^  0.  Dire  höchsten  Hohen  liegen  im  sfidlichen  Theile 

des  Gebirges,  in  dem  festgefügten,  aus  krystallinen  Gesteinen  nnd  paläo- 
zoischen Formationen  gebildeten  Beichenstock,  welcher  nnch  Süden 
getreu  die  weite  Lücke  von  BeHnrt  (,1a  trouee  de  Belforf*  oder  ,die 
Burgundische  \  ülkcrpforte*")  steil  und  unvermittelt  abbricht.  Nach  Norden 
hin  nehmen  die  Höhen  des  Gebirges  allmählich  ab  und  gehen  ohne  scharfe 
Grenze  in  die  Sandstein-Plateaus  der  Haardt  Uber.  Der  zweite  auf- 
fallende Charakter  in  der  äusseren  Gestalt  der  Vogesen  bekundet  sich 
darin,  dass  dieselben  auf  ihrer  Ostseite  noch  steiler  als  gen  Süden 
zur  tiefgelegenen  Rheinebene  abstürzen  und  dabei  unmittelbar  über 
der  let/temi  ilire  höchsten  Höhen  besitzen,  während  «;ie  sich  nach 
Wesleii  gauii  ullmuhlich  verflachen  in  die  burgmidisch-luLhnngische 
Hochebene. 

Die  absoluten  Höhenzahlen  lassen  diese  Verhältnisse  am  schärf- 
sten hervortreten:  in  der  Rheinebene  liegt  Cohuar  in  195  m,  Schlett- 
stadt  in  178  m,  Hagenau  in  140  m  über  dem  McfM-f-;  dagogf'u  erreicht 
lit  inirpmont  an  der  Mosel  393  m,  E})inal,  obwohl  es  Ijereits  weit  ab- 
wärts im  Moselthale  liegt,  noch  oii  ui,  Saarburg  in  Lothringen 
292  m  Höhe.  Dabei  steigt  man  s.  Q.  Ton  dem  1866  m  hohen  Hohneck, 
der  anf  der  Wasserscheide  des  Gebirges  zwischen  Colmar  nnd  Epinal 


Sodann:  Die  gcognostische  Proflliran^  der  wflrttetnberf^Bchen  Eisenbahn» 
liniei],  von  0.  Fraas.    Drei  Lieferungen.    StnttK.itt  l'^S:'»— 1RS5. 

0.  F  r  a  a  B .  Gengnostische  B«ficbreibung  vou  Württemberg,  Baden  und  Uohen- 
sollem.   Stuttgart  1882. 


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Die  oberrheinische  Tiefebene  und  ihre  Kandgebirge. 


41 


steht,  zu  der  nur  20  km  eutfernten  RheiDebene  bis  zu  200  m  herab, 
wSlirend  man  in  entgegengesetzter  Richtung  von  der  Mosel  bis  nach 
Nancy  etwa  fünfmal  so  weit,  nämlich  fast  100  km  weit  Tom  Hohneck 
ans  hina])steiL;en  mtiss,  um  die  gleiche  Höhe  von  200  m  Aber  dem 

Meere  zu  erreichen. 

Bei  niiberer  Besichti<;nnrr  theilt  sich  die  Gebirgsmasse  der  Vo- 
geseu  iu  drei  von  SO  nach  ^nW  aufeinander  folgende  und  au  Höhe 
in  dieser  Bichtnng  abnehmende,  parallele  Bergzüge  (siehe  das  hinten 
beigegebene  Kärtchen). 

Der  mittlere  dieser  Längszflge  ist  der  Hauptkamm  des  südlichen 
Belchen-Massivs  und  trennt  als  Wasserscheide  dieZnnfisse  des  Douhs.  der 
Saöne.  Mosel  und  Menrthe  von  denjenigen  derill,  welciie  von  der  Burj^nui- 
di&chen  1' forte  an  bis  unterhalb  Strassburg  alle  VogesenabÜilsse  dem  Rhein 
TOnvegnimmt.  Dieser  Kamm  hBlt  sichanf  einer  mittleren  Höhe  von  llOOm. 
Er  beginnt  im  Sflden  mit  dem  steilen  Vorgebirge  der  Planche  des  helles 
fiUes  1150  m  und  zieht  über  die  breiten  Rftcken  des  Elsässer  Beleben 
12 -'  i  m,  des  Rothenbach  1319  m,  dos  oben  genannten  Ilolnieck  1306  m 
bis  zu  den  Hautes  Chanmes  de  Pairis  130(5  m.  Weiter  nördlich  erlei- 
det der  Kamm  durch  das  iu  leichter  zerfallende  Schiefer  eingeschnittene 
WeüerChal  eine  tiefe  Einsenkang  in  der  Steige  bis  auf  600  m,  um 
sich  jenseits  noch  einmal  in  dem  breiten  Granitstock  des  Hochfeldes 
(Champ  du  feu)  bis  auf  1095  m  zu  erheben 

Diesem  S'i)  km  laiiL'f'n  Hauptkainme  der  Vogesen  ist  südöstlich 
ein  kürzerer,  parallel  f^erichteter  Bergzug  vorgelagert,  welcher  des- 
wegen nicht  mit  dem  mittleren  Kamme  vereinigt  werden  kann ,  weil 
seine  Berge  zum  Theil  höher  sind  als  diejenigen  des  letzteren.  Seine 
Richtung  bezeichnen  die  mächtigen  Pfeiler  des  Bärenkopfes  1078  m, 
des  Rossberges  llOö  m  und  des  Gebweiler  (oder  Snlzer)  Beleben 
142»3  m,  des  höchsten  Berges  der  Vogesen ,  um  60  m  niedriger  als 
der  höchste  Punkt  des  oberrheinischen  Gehirgssystems,  des  Feldberges 
drüben  im  Schwarzwalde-).  Mit  dem  Kleinen  Beleben  {oder  Kahlen 
Wasen)  1274  m  endigt  dieser  vorderste  Bergzug. 


^)  Allerdings  trennt  Kosenbusch  (Die  öleiger  Schiefer^  Abhandlung  zur 
geolor,'.  Spezialkarte  Ton  Klsast-Lothringen  ^  Band  I,  8.  80)  nach  dem  Vorgange 
von  Dechen  niul  Klic  il  c  H  e  ii  ii  in  o  n  t  (Ins  Massiv  des  Hochfeldes  als  ein  bc- 
aoodereä  Glied  der  üesamrotvogeeen  ab,  weil  dasselbe  von  der  Kammlinie  der 
Sfid vogesen  darch  das  breite  wetlerthal  getrennt  sei.  Indessen  hebt  Rosen bnsch 
seihst  licrvor.  (lui^s  das  IIochfeM  „genau  iu  iler  Strt'ii  liriclituiiy:  iler  Kaniitiliiiie  der 
ÖüdTogesen"  UeRe.  Das  Vorhandensein  der  leicht  erodirbaren  ächiefer  im  Weile r- 
thal  und  anf  der  Steige  ist  doch  gegenöber  der  von  der  allgemeinen  Gcbirg.- 
erhebung  ahliiuigigcn  Stieichrichtmivr  «ier  I5t'rgkiin)nie  nur  eine  zunUlige  und 
eecandi^re  Erscheinung,  was  auch  daran  zu  erkennen  ist,  dass  die  Triastafcln  west- 
lieh dieser  fiinsenknng  in  ihrem  Streichen  Iceine  Einwirlcnng  derselben  erweisen. 

-)  In  Bezug  iuif  die  in  dieser  Abliandlung  angegebmen  Höhenzulilen  bemerke 
ick,  dass  es  bekanntlich  eine  Seltenheit  ist,  wenn  für  em  und  denselben  Berg  in 
den  Terschiedenen  besten  geograf^hischen  Handbächern  die  gleiche  Höhenzahl  an« 
gegeben  wird,  da  die  zu  ürunde  gelegten  Materialien  von  sehr  verschiedener 
Genauigkeit  zu  sein  ptlegen.  Ich  habe  mich  bemüiit,  für  die  vorliegende  Abhand- 
lung möglichst  sichere  Zahlen  za  sammeln,  und  habe  stets  die  Landeskarten,  nicht 
Zahlen  aus  Büchern,  dafür  benutzt.  Für  die  bayerische  Pfalz  i.st  es  besonders 
schwierig,  richtige  Uöhenzahlea  au  gewinnen :  denn  die  Pfälzer  Karte  in  1 : 50  000 


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42 


Lepsius, 


Lio 


An  diesen  Eckpfeilern  des  Belcbenstockes  muss  naturgemSss  die 
Denudation  nnd  Erosion  stärker  wirken  nnd  rascher  nagen  als  an 
dem  mittleren  Gebirgskamme,  da  der  letztere  nur  von  zwei,  jene 

vorgeschobenen  Rf-r^e  aber  von  drei  Seiten  angegriffen  werden ;  noch 
dazu  bestehen  diese  zunächst  über  der  Kheinebene  liegenden  lit  ige 
zum  grossen  Theil  aus  leichter  zerstörbaren  Gesteinen  (nämhch  aus 
Grauwacken  nnd  Thonschiefern)  als  die  Wasserscheide,  deren  m^st 
granitische  Gesteine  langsamer  zerstört  und  abgetragen  werden; 
ciidHch  muss  an  diesen  schroff  ansteigenden  Bergen,  von  denen  der 
höchste  von  142(3  m  auf  eine  Entfernung  von  8  km  bis  auf  die  Tiefe 
von  2(50  ni  Cfebweiler)  abstürzt,  die  Abtragung  (Um-  OberHäche 

viel  energischer  vor  sich  gehen,  als  an  den  Bergen  mitt<?n  im  Ge- 
birge Wenn  trotzdem  die  höchste  Erhebung,  der  Gebweiler  Beleben, 
hart  am  äusseren,  südöstlichen  Rande  des  Gebirges  liegl^,  so  erklärt 
sich  dieser  innere  Widerspruch  nur  aus  der  Art  und  Weise  der  Auf- 
richtung des  ganzen  Gebirgssystems,  auf  welche  wir  unten  näher 
einzugehen  ha})en. 

Während  die  l)ei(lt'ii  ersten  Züge  dem  krvstallinen  Belchenstock 
augehörten,  fällt  der  dritte,  am  meisten  auch  Westen  gelegene 
Bergzug  seiner  ganzen  Länge  nach  in  das  ausgedehnte  Suidstdn- 
gebiet  der  Vogesen.  Er  beginnt  im  Süden  auf  dem  Plateau  an  der 
oberen  Mosel  und  Meurthe;  als  erster  hervorragender  Berg  ist  dort 
etwa  der  Noyemont  !••')()  m  bei  Oerardmer  anzuführen.  Daun  iVdgt 
eine  lange  Sand^tt  iiiketie  vom  Ormont  Sil»)  m  bei  St.  Die  an  über 
die  Hautes  Chaumes  933  m  bei  Plaine  (zu  unterscheiden  von  den 
oben  genannten  Hautes  Obaumes  de  Pairis  des  mittleren  Kammes) 
bis  zum  Donon  1010  m,  Prancey  1007  m  und  Schneeberg  90.3  m:  von 
dort  senkt  sich  der  Kamm  allmählich  bis  ZU  101  m  Meereshöhe  bei 
Pfalzburg  auf  der  Zaberner  Steige .  um  jenseits  durcli  das  Sandstein- 
Plateau  von  Bitsch  einzutreten  in  di»'  Haardt.  Des  öfteren  wird 
dieser  westliche  Bergzug  von  Flüssen  und  i*ässen  quer  durchschnitten, 
da  die  Sandsteine  einer  viel  rascheren  Zerstörung  anheimfallen,  als 
die  Granite  und  Grauwacken  des  Beichenstockes.  Die  Bichtung  dieses 


bietet  nur  wenige  Zahlen  nnd  swar  diete  in  bayerischen  Rathen !  Für  die  Höhe  dea 

Donnersbern-f's .  liöolisten  I!t'ri:jos  der  bayoriscli»^n  Pfalz,  (Inden  pioh  z.  B.  die 
l'ulgenden  Angaben:  K lüden.,  Uandb.  der  Erdkunde  1875,  II,  6.  107:  Gä8,0in; 
Onthe- Wagner,  Lehrb.  der  Oeogr.  1879,  S.  781:  684  ro;  Nenmann^t  geogr. 
Lex.  des  deutschen  Roirhcs  IS^i;;.  I.  S.  217:  7l?J  m:  Ritter's  {jeo^^r.  Lex.  1. 
ä,  444:  Ö89  m;  Laspeyrcs,  ZeiUchr.  d.  Ucutäch.  geol.  Ges.  1867,  Ö.  800:  OSO  m 
nnd  691  m;  Reymann's  Spezielkarte,  Blatt  Worms:  666,5  m;  Stiel er'a  Hand- 
atla.«.  Knrte  Nr.  30:11:  m;  Giinjbel.  Geo^rr;ost.  Verluiltiiisse  der  Pfalz  18(>.'>. 
ä.  15 :  GUI  in :  die  bayer.  Generalstabskarte  der  Pfalz  in  1 : 50  000,  Blatt  Lauter- 
ecken; 288,1  bayer.  Ruthen.  Man  hat  also  nntcr  diesen  10  Angaben  die  Wahl; 
die  Mnioritiit  spridit  für  HOl  in,  welolie  /alil  drfinial  wioderkeliit .  wfilirend  alle 
anderen  Angaben  untereinander  dilTeriren,  und  zwar  von  000,5  m  bis  722  m. 

')  Ger  1  and.  Die  Gletseherspnren  der  Vogesen,  Verhandl.  des  4.  deutschen 
Geograpliontar'cs  zu  .MüiuIumi.  Merlin  l^^^i,  .«^atit  S.  101  fferade  im  (Ji'pt'iisatz 
ZU  der  oben  ausgedprocheocn  Anbicht,  dass  der  mittlere  Vogesenkamm  deswegen 
niedriger  als  der  Oebwetler  Reichen  sei,  weil  er  durch  die  ettdwestUch  benm« 

ziehenden  Regen  und  Wetter  stärker  denn  ^rf  winlen  W&TC  als  jener  Eckpfeiler. 
Der  Geologe  kann  dieser  Meinung  nicht  beipllichten. 


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Die  oberriieiniBcüe  Tiefebene  und  ihre  Randgebirge. 


43 


Kammes  ist  parallel  den  ersten  beiden  in  N  25  °  0;  seine  Länge  TOm 
Nojemont  bis  zur  Zaberner  Steige  beträgt  80  km.  KSrdlieh  der 
tiefsten  Senkung  dee  Kammes  bei  Pfalzbnrg  imd  Lfitzelstein,  welcher 

drüben  die  ebenso  tiefe  Einsenkung  des  Kraichgaues  zwischen  Schwarz- 
wal(]  u!i(l  Odenwald  entspritlit,  sollte  man  nicht  niphr  von  Vorlesen 
syirechi'n :  das  ^Bitsclit-r  Land^  ( Pavs  d«-  Kitsch  )  gehört  bereits  zur 
Haardt.  Die  Entfernung  dieses  westiiclien  Bergzuges  vom  mittleren 
Hauptkamme  der  \  ogcsen  beträgt  durchschnittlich  10  km,  d.  h.  eben- 
soTiel  wie  die  zwischen  dem  leteteren  uud  dem  südöstlichen  Bergzuge ; 
»eine  Hohe  liält  sich  in  900  his  1000  m^  erst  gegen  die  Zaberner  Senke 
hin  nimmt  dieselbe  ansehnlich  bis  auf  400  m  ab. 

Während  die  beiden  erstgenaimten  Bergzüge  durch  mehrere 
Querrioo"«'!  verbunden  oine  fcstgofiigte  Masse  und  das  Hauptnias^^iv 
des  Gebirges  ausnia(lii  n.  .sodabs  wir  sie  nach  dem  Vorgange  Elie 
de  Beaumont's  unter  dem  Namen  des  ^  Beichenstockes "  zusammen- 
fassten,  ist  der  dritte,  nordwestliche  Bergzug  der  Vogesen  von  den 
beiden  ersten  scharf  getrennt,  sellwt  von  dem  Funkte,  wo  die  Wasser- 
scheide TOm  mittlert  ii  auf  diesen  westlichen  Gebirgskamm  Übergeht, 
bei  Saales:  ein  scliroffes  nehüngo  wendet  dieser  Sandstein/.ug  dem 
Belchensttx ke  zu.  während  er  nach  Westen  allmählich  in  das  niedere 
Plateau  iil>ergeht. 

Die  Wasserscheide  des  Gcliirges  läuft  im  südlichen  Theile  der 
\  ogesen  vom  Elsüsser  Beiehen  an  über  den  mittleren  Kamm  bis  zum 
Climout  974  m,  biegt  dann  nach  Westen  aus  und  sinkt  auf  dem  Pass 
bei  Saales  zu  558  m  Höhe  hinab,  um  dann  wieder  in  die  Hauptstreich- 
richtung des  Gebirges  in  NNO  und  auf  den  dritten,  nordwestlichen 
Kamm  einzulenken.  Vom  Passe  bei  Saales  strömt  nach  SSW  in  der 
Verwerfung  zwischen  dem  zweiten  und  dritten  Zuge  die  Fave  nach 
St.  Die  am  Ormont  zur  Meurthe  hin,  nacli  NNO  in  der  Fortsitzmig 
desselben  Bruches  die  Breusch,  die  sich  in  ihrem  unteren  Laufe  um 
das  Nordende  des  Hauptkammes,  den  Nordabhang  des  Hochfeldes, 
nach  Osten  zum  Rheine  hin  herumwendet.  Weiter  nördlich  fliesst  die 
Zorn  an&ngs  längs  der  Westseite  des  dritten  Gebirgsk minies,  um 
ihn  dann  in  der  Zaberner  Senke  (fuer  zu  durchbrechen  nnd  nach  Osten 
in  die  Kheinebene  hinauszutreten,  gerade  wie  jenseits  der  Neckar  erst 
den  Ostrand  des  Schwarz waldes  umtliesst,  aber  sciiliesslich  quer  den 
Gebirgskamm  zur  Rheinebene  hinaus  durdischneidet. 

Von  grossem  Interesse  ist  die  südliche  Fortsetzung  der  Wasser- 
scheide südlich  der  Vogesen  zwischen  Mfilhausen  und  Beifort:  hier 
scheiden  sich  die  Gewässer,  welche  dem  Khein  und  der  Nordsee  zu- 

f^iessen,  von  denen,  welche  durch  die  Uhone  in  das  Mittelmeer  ge- 
langen: wir  stehen  also  hier  auf  der  primären  ^Vasserscheide  des 
europäischen  Continents.  Für  die  innere  Strm  tiir  der  \  ogesen  ist  es 
von  Bedeutung,  dass  diese  AVasserscheide  auf  der  Burgundischen  Pforte 
nicht  am  Stldende  des  mittleren  Hauptkammes  der  Vogesen,  am  Elsasser 
Beleben  ansetzt,  sondern  von  diesem  Berge  sich  zunäclist  östlich  zum 
S&dende  des  ösÜichen  Bergzuges,  zum  Bärenkopfe  begiebt  und  erst 
Ton  diesem  Berge  aus  in  die  Senke  hinabsteigt.   Auch  hieran  ist  zu 


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44 


Lepsin«, 


[12 


erkeuuun,  dass  der  östliche  Bergzug,  der  Ostrand  der  Vogesen,  von 
Yornherein  die  höchste  Erhebung  des  Gebir^  war. 

Die  grosse  Yölkerpforte  zwischen  den  Vocresen  und  dem  Schweizer 
Juragebirge  hat  eine  Breite  TOn  etwa  30  km  oder  4  geographischen 
Meilen,  also  diescU»-'  I^n'ito.  wie  die  oberrheinische  Tiefebene.  In  der 
That  i?5t  die  Hurunindische  Pforte  topoirraphisch  und  geologisch  die 
durch  das  Juragebirge  resp.  durch  (iuä  Aipeusystem  etwaa  nach  West 
verschobene  sfldliche  Fortsetzung  der  Rheinebene.  Der  niedrigste 
Punkt  der  Wasserscheide  liegt  bei  Dammerkirch  im  Col  de  Valdieu 
850  m  hoch,  also  nur  100  m  über  dem  Rheinspiegel  bei  Basel,  jedoch 
700  m  unter  dem  nächsten  Vogesenberge,  dem  Bärenkopfe. 

• 

2.  Der  Sehwanwald. 

Betrachten  wir  nun  das  den  Vogesen  gegenüberliegende  Rand- 
gebirge  der  Khoinebene.  den  Schwarzwald,  m  finden  wir  dort  eine 
ähnliche  ;lu.ssore  Gebirgsform  wie  hier,  nur  dass  d«'r  Steilhang  des 
Schwarzwaldes  nach  Westen,  die  Üache  Abdacimng  desselben  nach 
Osten  gerichtet  ist.  Im  einzelnen  treten  manche  Unterschiede  in 
dem  Aufbau  beider  Gebirge  hervor,  im  grossen  und  ganzen  aber  ist 
der  Schwarz wald  das  getoeue  Abbild,  der  symmetrisäe  Gegenflfigel 
der  Vogpspii. 

Per  Sfhwarzwald  richtet  seine  Kiininio  parallol  den  Bergzügpn 
der  Vogesen  in  NNÜ;  er  hat  seine  liin  listen  Höhen  ebenfalls  mi 
Süden  und  näher  dem  westüchen  als  dem  östlichen  Gebirgsrande. 
Er  sondert  sich  wie  die  Vogesen  in  zwei,  auch  äusserlich  leicht  kemit- 
liche  Theile,  das  krystalline  Grundgebirge  der  Beleben  und  das  manteU 
formig  um  diesen  Kern  lagernde  Sandsteingebirge :  im  einzelnen  lassen 
sich  beide  Theile  in  mehrere  parallele  Bergzüge  gliedern,  welche  den 
soeben  besprochenen  Zügen  der  Vogesen  parallel,  in  der  allgemeinen 
Streichrichtuug  des  oberrheinischen  Systems  in  N  -5"  0  verlaufen. 

Im  Sehwarzwalde  steht  der  höchste  Berg,  der  Feldberg,  auf  dem 
mittleren  Gebirgskamme,  welcher  im  Gebiete  des  krvstallinen  Grund- 
gebirges zugleich  die  Wasserscheide  darstellt  und  dem  mittleren 
Vogesenkamm  entspricht.  Dieser  Hauptbergzug  des  Schwarzwnldcs 
bc^ginnt  im  Süden  mit  dem  Hohen  Mohr,  nordöstlich  über  Schoj  t  in  ini 
im  Wiesenthaie,  mit  einer  absoluten  Höhe  von  iiSO  m;  er  läuft  dann  über 
den  Rohrkopf  1161  m,  den  Hochkopf  1265  m,  den  Bldssling  1312  nt, 
das  Herzogenhorn  1417  m  zum  Feldberg  1495  m.  Von  dem  breiten 
Rücken  des  Feldberges  sinkt  die  Höhe  des  Gebirgskammes  zum  Pass 
über  dem  H(")llentlial  Ins  auf  012  ni  herab,  um  jenseits  'wieder  anzu- 
steigen Zinn  iloch.strass  (oder  Hohlen  Graben)  \'2'M  ni  und  weiter  zu 
gehen  über  die  Ecke  1004  m  bei  Furtwangen  zum  Brend  llöO  m  und 
Rosseck  1148  m.  Das  obere  Gutaehthal  zwischen  Triberg  und  Hom- 
berg begrenzt  diesen  Hauptzug.  Durchschnittlich  hält  sieh  dieser 
Kamm  des  Belchenstr»c1:,.s  in  liOOm  Höhe,  steigt  im  Feldberg  bis 
fast  auf  löOO  m  und  lallt  im  llöllenthalpas.s  l)is  auf  012  m. 

Nahe  diesem  mittleren  Hauptkamme  des  Schwarzwaldes  zeichnet 


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Die  oberrheinisdie  Tiefebene  und  ihre  Randgebirge. 


45 


sich  noch  weiter  östlich  ein  vortjelagerter  Bergzug  &u.s,  der  im  Süden 
mit  den  weit  nuch  Süden  bis  an  den  Uhein  durchziehenden  Höhen  des 
Vor  Waldes  östlich  über  dem  Wehrathai  bei  Homberg  mit  1035  m  ein- 
setzt; er  zieht  fiber  den  Bützberg  1210  m  und  Habsberg  1209  m  am 
Schluchsee  zum  Hochfirst  1101  m  bei  Neustadt,  an  dessen  Nordfuss  die 
Gutach  (Wutach)  in  enger  Schlucht  diesen  Bergzug  durchbricht.  Ueber  den 
Steinbühl  1139  m  am  SchoUachthal  und  den  Kesselberg  1009  m  gelangt 
dieser  östlii  he  Zug  auf  dit>  1  )()nau-IUi<'in-Was8erscheide  im  Sonimeraupass 
877  m  bei  Triberg,  dem  niedrigsten  Pass  der  Wasserscheide,  welcher 
im  Tmmel  toh  der  Schwarzwaldbahn  durchfahren  wird.  Jenseits  be- 
ginnen die  zusammenhängenden  Sandsteinhöhen  im  Windkopf  045  m 
und  Brielkopf  882  m;  schon  die  Schramberger  Haardt  748  m  bei 
Schiltach  streicht  mit  den  Triastafeln  des  Mantels  mehr  in  nördlicher 
Richtung. 

Westlich  des  Hauptkammes  zur  liheinebeue  hin  tulgt  ein  dritter 
paralleler  Bergzug;  derselbe  beginnt  im  Sflden  mit  dem  Schlöttleberg 
965  m  bei  Eandem,  zieht  auf  den  Belchen  1415  m,  nächst  dem  Feld- 
berg die  höchste  Erhebung  des  Schwarzwaldes,  und  läuft  über  den 
Erzkasten  1280  m,  den  Kandel  l_M:{m,  den  Rohrhardts])erg  1144  in, 
den  Grossen  Hnndskopf  052  m  bei  Pft^rsthal  bis  auf  den  Kniebis 
973  m.  Ueber  das  obere  Murgthal  hinaus  lässt  sich  dieser  Zug  noch 
in  das  Sendsteinplateau  bis  auf  den  Hohloh  991  m  und  den  Rösberg 
886  m  bei  Gemsbach  Terfolfifen.  Dieser  Tordere  Bergzug  des  Schwarz- 
waldes wird  durch  zwei  Thäler  tief  zers(  Imitten,  w«dche  von  dem 
Hauptkamra  herabkommen,  das  Dreisamthal,  dessen  Sohle  hin  Zarten 
oberhalb  Freiburg  'M^)  ni  tief  liegt,  und  dann  durch  das  Kinzigthal 
bei  Wohach  in  240  in  Tiefe.  Die  Länge  des  ganzen  Zuges  vom 
Schlöttleberge  bis  zum  Kniebis  beträgt  gegen  100  km,  und  die  Kichtung 
desselben  streicht  in  N  25*  0,  der  Hanptrichtnng  des  oberrheinischen 
Gebirgssystems. 

Noch  weiter  westlich  von  diesem  dritten  Bergzuge  des  Schwarz- 
wald»*s  ♦  rheben  sich  am  Steilhange  zur  Rheinebene  noch  einige  be- 
sonders liervorragende  Bergkuppen,  welche  zum  Theil  bereits  dem  an 
der  Kbeinspalte  abgesunkenen  Gebirgsrande  augehören,  zum  Theil  noch 
als  Ausl&ufer  jenes  Zuges  zu  betrachten  sind.  Von  diesen  Aussen- 
gliedern nennen  wir  den  Blauen  1107  m,  den  Schönberg  040  m  bei 
Freiburg,  den  Hünersedel  746  m,  den  Rauhkasten  041  m  und  den 
Steinfirst  002  m,  welche  Berge  sämmtlich  auf  abgesunkenen  Gebirgs- 
streifen  liei^eu;  endlich  die  Sandsteinreste  des  Mooswaldes  878  m  und 
der  Horm.sgnnde  1100  m,  welche  durch  Erosion  vom  östlichen  Haupt- 
kamme abgesondert  liegen.  Es  entsprechen  diese  Vorposten  den  isolirten 
Kuppen,  welche  drüben  in  den  Vogesen  gleichfalls  nahe  über  der  Rhein- 
ebene vor  dem  Hauptkamme  liegen,  wie  der  Hohnack  080  m  über 
Colmar  (nicht  zu  verwechseln  mit  dem  Hohneck  auf  der  Kammlinie), 
der  Alteuberg  880  m,  der  Ungersberg  905  m  imd  der  MenneLstein 
819  m  fiber  Barr  bei  Strassburg  gelegen. 

Die  Wasserseheide  des  Schwarzwaldes  scheidet  ebenso  wie  die- 
jenige der  Vogesen  zumeist  Gewisser,  welche  ein  und  demselben  Flusse, 
dem  Rheine  zufliessen;  nur  die  kurze  Strecke  des  mittleren  Gebirgs- 


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46 


LepsioA, 


kammes  vom  Hocli?itiass  an  über  die  lixjsseck  b»M  P'urtwangeii  und  den 
Kesselberg  bis  zum  Sommeraupasse  bei  Triberg,  eine  Strecke  von 
el^a  80  km  Länge,  trennt  die  Zufifisse  der  Donau,  Brege  nnd  Brigach 
und  also  des  Schwarzen  Meeres  von  den  Znflflssen  des  Rheins  nnd 
der  Nordsee.  Hier  stehen  wir  znm  stweiten  Male*anf  der  primären 
eiirop;iis(]ipn  Wasserscheide,  so  dass  demnach  die  genannte  Strecke 
auf  dem  Scliwarzwalde  jener  noch  kürzeren  in  den  Südvogesen  vom 
Elsässer  Belchen  bis  zum  Bärenkopfe  entspricht,  in  welcher  sich  die 
Rheinzuflfisse  Yon  denjenigen  der  Rhone  acheiden. 

Wenn  nnn  auch  einerseits  die  Mosel,  Heurthe  nnd  Saar,  andrer- 
seits die  Wutach  und  der  Neckar  in  ihrem  Unterlaufe  Hüninitlich  in 
ein  und  denselben  Strom,  den  Rhein,  einmünden,  so  bleiben  doch  die 
mittleren  (Tebirgskämme  der  Randgebir«?e  auch  ihre  Hauptwasser- 
scheiden, weil  die  Verhältnisse  des  Unterlaufes  dieser  Flüsse  nicht  mass- 
gebend sind  für  die  Wasserscheiden  im  oberen  Lauf  derselben.  Durch 
die  eigeuthtlmlichen  hydrographischen  Verhältnisse  im  Stromgebiete 
des  Rheins  durchbredicn  die  Zuflüsse  öfters  die  Hauptwasserscheiden 
der  Randgebirge  im  oberrheinischen  Gebirgssysteme,  wie  es  bei  der 
Zorn  in  den  Vogesen,  beim  Neckar  im  Odenwalde  der  Fall  ist. 

Die  Hauptwasserscheide  des  Schwarzwaldes  beginnt  auf  dem  Vor- 
walde über  Säckingen,  vereinigt  aich  im  Hochkopf  mit  dem  mittleren 
Gebirgskanune  nnd  bleibt  anf  diesem  bis  znm  Bosseck,  Ton  wo  an  sie 
sich  wieder  östlich  dem  dritten  Bergzuge  zuwendet  und  fiber  den 
Kesselberg  und  Sommeranpass  Übertritt  anf  die  Sandsteinsfige  des 
Mantels. 

3.  Die  Haardt 

Den  Vogesen  schliesst  sich  im  Norden  ohne  scharfe  Ghrenze,  doch 
nach  einer  fast  ebenso  tiefen  Senke  wie  drflben  zwischen  Schwarzwald 

und  Odenwald ,  das  Gebirge  der  Haardt  an ,  welches  im  Ganzen  den 
Platcaucharaktcr  eines  jeden  ausgedehnteren  Sandsteingebirges  trägt, 
ähnlich  dem  hinteren  Odenwald  oder  dem  Spessart.  Wie  in  den  Vo- 
gesen liegt  auch  in  der  Haardt  die  höchste  Erhebung  unmittelbar 
über  dem  steilen  Abbruch  zur  Rheinebene.  Hier  Yerlluft  am  Osfennde 
des  Gebirges  eine  Bergkette,  welche  im  Hanptstreichen  des  ober- 
rheinischen Systems  sich  in  NNO  richtet.  Im  Süden  beginnt  dieser 
Zu'_r  mit  dem  isolirten  Hd  -liwalde  bei  Wörth,  der  bis  zu  '»1^  m  an- 
steigt, sich  also  441  m  über  dem  Hheinspiej^el  bei  Lnntf^rbnr«;  (  1()7  m) 
erhebt.  Dann  folgen  der  Trifels  457  m  und  Hohenberg  öoö  m  bei 
Annweiler,  der  Teufelsberg  003  m,  Schänzel  616  m  und  der  Gnwse 
Kalmit  681  m,  der  hOchste  Berg  der  Haardt;  endlich  der  Hohe  Wein- 
bieth  555  ra  bei  Neustadt  und  der  Peterskopf  497  m  bei  Dürkheim. 

Dieser  äussere  Bergzug  hat  eine  Länge  von  05  km.  An  drei 
Stellen  wird  er  von  grösseren  Rheinzuflüsseu  durchschnitten:  von  der 
Lauter  bei  W^eissenburg,  von  der  («Queich  bei  Landau  und  vom  Speyer- 


')  „Haardt*  bedeutet  Wald;  daher  die  Beteichnang  „Haardtwald",  wie  sie 
zuweilen  fttr  dieses  Gebirge  gebraucht  wird,  eine  Tautologie  ist 


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15] 


Die  oberrheiniBche  Tiefobene  und  ihre  Randg^birge. 


47 


bach  bei  Neustadt.  Diese  drei  Fliis.-e  (Inrchsclineideu  das  Sandstein- 
gebirge  bis  auf  das  unterliegende  GnmdL^ebirge ,  welches  auch  läiitrs 
der  hüchsteu  Erhebuug  .des  Gebirges  an  den  unteren  Berggehüugen 
swiBchen  der  Qaeioh  und  dem  Speyerbaeh  flberall  m  Taffe  tritt  Der 
Ostfoss  der  Haardt  in  der  Vorderpfalz  Hegt  etwa  in  200  m,  während 
der  Kordwestrand  von  Göllheim  nach  St.  Ingbert  eine  mitÜere  Hohe 
▼on  235  m  hositzt. 

Ein  zweiter  Bergzug  zieht  15  km  weiter  westlich  mitten  durch 
die  Haardt:  er  setzt  an  im  eingesunkenen  Hügellande  zwischen  Zabern 
mid  Hagenau  mit  dem  Bastberg  329  m  bei  Buchs weiler,  tritt  in  das 
Gebirge  ein  mit  dem  Plonn  413  m  bei  Offweiler,  zieht  ttber  den  Grossen 
Winterberg  577  m  bei  Niederbronn,  den  Grossen  Byberg  bei  Dahn 
zum  Eschkopf  012  m  auf  die  Frankeiiwoide,  welcher  Kücken  in  der 
mittleren  Haardt  dominirt  und  zugleich  die  Wasserscheide  bildet;  dieser 
Zug  bleibt  dann  auf  der  Wasserscheide  im  Waltersber«:^  4r),"  m  und  im 
Heiligenberg  bei  Hochspeyer  und  endigt  im  Stumpfwaide  bei  Güliheim. 

Erst  der  dritte,  westlichste  Bergzug  der  Haardt  bildet  die  Fort- 
setzung (]»'s  Kammes  der  nördlichen  Vogesen,  welcher,  wie  erwähnt, 
direkt  über  den  tiefen  Einschnitt  des  Zornthides  in  das  Hochland  von 
Bit<f  h  nVtergeht.  Die  einst  als  Strassenkunstwerk  berühmte  Zaberner 
St^iige  erreicht  eine  Höhe  von  10  J  ni:  in  dieser  Höhe  etwa  bleiben 
die  Bergzüge  in  dem  ausgedehnten  Sandsteinpiateau  des  Westrichs ; 
nur  die  höästen  Kuppen  strecken  sich  etwas  höher.  Der  Sattel  der 
Strasse  Ton  Bnehswcnler  über  Lützelstein  nach  Saamnion  liegt  mit 
395  m  zwar  um  0  m  niedriger  als  der  Gebirgskamm  aof  der  Ziwemer 
?^tra«tse:  er  entfernt  sich  aber  auch  ansehnlich  weiter  vom  abgewnsrhonrn 
östlichen  Gebirgsrande ;  diesem  Rande  stehen  der  höhere  Hünenberg 
419  m  bei  Neuweiler  und  der  Euglischberg  393  m  bei  Ingweiler  näher. 
Weiter  nach  Norden  zieht  dieser  Bergzug  über  den  Sarreinberg  484  m 
bei  Oötzenbrfick,  den  Hohen  Kopf  443  m  bei  Bitsch,  den  Kirchberg 
387  m  bei  Pirmasens  und  endigt  in  der  Sickinger  Höhe  475  m  zwischen 
Kaiserslautern  und  Landstnlil. 

Der  Nordrand  der  Haardt  streicht  parallel  dem  gegenüberliegen- 
den Hunsrück  in  ONO  von  Göllheim  über  Kaiserslautern  und  Homburg 
bis  nach  Saarbrficken. 

Die  Lange  des  westlichen  Bergzuges  der  Haardt  Ton  der  Zabemer 
Steige  bis  auf  die  Sickinger  Höhe  beträgt  77  km;  rechnen  wir  hinzu 
die  Fortsetzung  desselben  durch  die  Saudsteinvogesen  bis  auf  das  Plateau 
an  der  oberen  Mosel,  so  erreicht  dieser  fortlaufende  Bergzng  eine  Länge 
von  100  km.  Yogesen  und  Haardt  zusammen  sind  etwa  200  km  lang, 
während  der  östliche  Gebirgsrand  der  Rheinebene,  Schwarzwald  und 
Odenwald,  noch  um  70  km  langer  ist. 

4.  Die  beiden  Senken  bei  Zabern  und  im  Kraichgan. 

Wie  wir  gesehen  haben,  bleibt  der  verbindende  Bergkaiuru 
zwischen  Yogesen  und  Haardt  in  der  Strecke  von  Pfalzburg  bis  Lfitzel- 
stein  mit  4(M)  m  Meereshöhe  nur  wenig  unter  den  Höhen  des  Bitscher 


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48 


LepsiuSf  • 


[16 


und  Westricher  Hochiandes;  jedoch  erhebt  sich  der  höchste  Berg  der 
Haardt,  der  Grosse  Kalmil,  um  280  m  fiber  denselben.  Zu  dies^ 
Sandsteinzuge  westlich  fiber  Zabern  ist  geologisch  das  tiefer  ein- 
gesunkene Uflgelland  zwischen  Zabern  und  FIa«):enau  als  «gleich werthig 
hinzuzurechnen.  Unter  dieson  Unistäiidon  ist  der  Unterschied  zwischen 
der  ZalxTiior  Lücke  und  (icr  Seukinig  drüben  iui  Kriiicb^au  nicht  so 
bedeutend,  als  er  t<jpograj)hiscli  aui  den  ersten  Blick  erscheinen  künnte. 
Die  abgesunkenen  Juraschichten  in  den  Verbergen  bei  Lan^enbr&cken 
entsprechen  den  gleichen  Schichten  im  Zabem-Hagenauer  HOgellande. 

Der  Gebirgskamni  östlich  oberhalb  der  LangenbrÜckener  Senke 
tritt  zwar  äusserlich  nicht  so  scharf  hervor  als  derjenige  bei  Zalu  rn. 
weil  ihm  der  abgebrochene  yteilhiuicr  fehlt;  auch  liegt  er  nicht  auf  Bunt- 
sandstein, sondern  auf  Muschelkalk  und  Keuper,  besitzt  aber  immerhin 
eine  mittlere  Höhe  von  >V2h  m,  gegen  4ü0  m  drüben  bei  Zabern. 

Ebenso  wie  in  der  Zabemer  Senke  die  Wasserscheide  weit  nach 
Westen  von  der  Bheinebene  entfernt  liegt,  so  weicht  auch  im  Kraich- 
gau  zwischen  Schwarz wald  und  Odenwald  die  Wasserscheide  etwas 
nach  Osten  aus:  dieselbe  zieht  sich  aus  dem  Xordrande  des  Schwarz- 
waldes von  Dobel  722  m  ül>er  den  VVartberg  44l>  ni  bei  Pforzheim, 
den  Scheuelberg  383  m  bei  xMaulbronu  zur  Grossen  Haardt  330  m  und 
erreicht  unterhalb  Neckarelz  den  Neckar,  um  sich  jenseits  im  hinteren 
Odenwald  weiter  fortzusetzen. 

Ein  zweiter  vorderer  Bergzng  in  der  Kraichgauer  Senke  läuft 
westlich  des  erstgenannten  und  näher  der  Kheineltene  vom  Nussbaum 
3211  m  bei  Bretteu  zum  Kreuzberg  332  m  bei  Klsenz  und  Eichelber«x 
328  m  (der  Steins! >erg  335  m  etwas  östlich  des  Eichelberges  ist  eine 
aufgesetzte  Basaltkuppe),  erreicht  den  Hohberg  260  m  bei  Sinsheim 
und  tritt  jenseits  in  den  Sandstein-Odenwald  ein. 

5.  Der  Odenwald. 

Im  Odenwalde  richten  sich  die  Bergztige  etwas  mehr  gegen  K 
als  in  den  anderen  drei  Randgebirgen  der  Bheinebene:  während  das 
Streichen  der  Kämme  in  den  letzteren  in  N  25  "  0  geht,  verläuft  das- 
selbe im  ndetiwalde  mehr  in  N  15*0.  Am  deutliclisten  tritt  dieses 
Streichen  in  dem  Bergzuge  hervor,  welcher  die  vorderen  Hcdien  der 
Kraichgauer  Senke  nach  Norden  fortsetzt:  er  zieht  durch  den  Stüber 
Centwald  zum  Auberge  516  m  bei  Eberbach ,  setzt  dann  Aber  den 
Neckar  weiter,  an  der  aufgesetzten  Basaltknppe  des  Katzenbuckels 
()28  m,  i1  Mii  liöchsten  Berge  des  Odenwaldes,  westlich  vorüber,  auf 
die  Sensbacher  Höhe  558  m,  den  Krähberg  548  m  bei  Bct  i  felden,  den 
Baurück  550  m  bis  zum  .Tairdhaus  Eulbach  505  m  und  darüber  hinaus 
bis  an  den  Main.  Der  scharte  N-S  gerichtete  Einschnitt  westlich 
dieses  Zuges  liegt  zumeist  in  einer  Verwerfung  und  Bruchlinie,  in 
welcher  nach  S  der  Gammebbach,  nach  N  die  Mümling  abläuft; 
auf  der  Passhöhe  400  m  zwischen  beiden  Bächen  entspringen  in  Beer- 
felden starke  Quellen,  welche  aus  den  westlich  gelegenen,  in  0  ab- 
fallenden Sandateinhöhen  gespeist  werden. 


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17] 


IHe  oberrheinische  Tiefebene  und  ihre  Sandgebirge. 


49 


Dieser  östliche  Theil  des  Odonwaldcs ,  der  -hintere  Odenwaki", 
Fetzt  sich  zusammen  ans  mehreren  in  X  15  o  0  streichenden  Sandstein- 
zügen, welche  im  ganzen  ein  Hochplateau  von  durchschnittlich  450  m 
Meereshöhe  bilden;  der  Spessart  ist  die  unmittelbare  Fortsetzung  des 
hinteren  Odenwaldes,  nur  getrennt  durch  den  Main,  welcher  sich  quer 
durch  r]ie  S'andstcinifige  nein  Bett  grub. 

Der  Rheinebene  näher  zieht  am  Westrande  des  Sandstein- 
plateaus ein  Bergzut^  von  Wiesloch  herauf  über  die  ersten  Höhen  am 
Südende  des  vorderen  Odenwaldes  auf  den  Köni<j;.stuiil  507  m  bei 
Heidelberg,  dann  über  dea  Neckar  zum  Haidenbuckel  523  m,  über 
den  Hardeberg  582  m  und  Kottenberg  550  m  bei  Siedelsbrunn ,  die 
Walpurgiskapelle  521  m  bei  Weschnitz,  den  Morsberg  517  m,  die 
Böllsteiner  Höhe  407  m ,  den  Heidelberg  364  m  bis  auf  den  Klotze- 
berg  350  m  bei  Umstadt. 

Im  vorderen  Odenwalde  zwischen  der  Bergstrasse  einerseits  und 
den  Thälern  der  Weschnitz  und  Gersprenz  andrerseits,  in  dem  das 
kryttaUine  Grundgebirge  Torherrscht,  macht  sieh  die  Aufkippung  der 
Gebirgsränder  längs  der  Rheinebene  besonders  kenntlich  in  dem  Berg« 
zuge,  welcher  mit  dem  Auerbacher  Schlossberge  350  m  und  dem  dicht 
über  der  Rheinebene  aufraffenden  Melibocus  510  m  beginnt,  über  den 
Frankenstein  424  m  nach  Norden  fortsetzt  und  in  den  Berufen  östlich 
Darmstadt,  im  Dommerberg  280  m,  der  Ludwigseiche  289  m  und  in 
der  Wasserscheide  gegen  Offenbach  am  Main  hin  ausläuft.  Die  höchsten 
Höhen  des  vorderen,  krystallinen  Odenwaldes  liegen  auf  dnem  weiter 
Östlich  streichenden  Zuge  in  der  Seidenbucher  Höhe  598  m  und  in 
der  weiter  in  NNO  gelegenen  Neunkircher  Höhe  591  m. 


Die  Tier  Randgebirge  der  oberrheinischen  Tiefebene  zeigen 
demnach  im  allgemeinen  die  folgenden  Verhältnisse.  Der  Beichenstock 

der  Vogesen  besitzt  im  Südosten  und  dicht  über  der  Rheinebene  seine 
höchste  Höhe  mit  142()  m  und  nine  Kammhöhe  von  1300  m  Meereshrdie. 
Das  •'h-nndgebir^'e  des  Schwarzwaldes  liat  seine  höchste  Erliebung  mit 
14l'.'>  m  mehr  inmitten  seiner  Breite,  näher  dem  Süd-  als  dem  Nordende 
seiner  Länge,  und  einen  weniger  geschlossenen  Kamm  als  die  Yogesen, 
▼on  1200—1400  m  Höhe. 

Die  Sandsteinrücken  der  westlichen  Vogesen  von  900 — 1000  m 
Höhe  verl)inden  sich  durch  einen  Sandsteinzug  von  400  m  Höhe  mit 
dem  Plateau  der  Haardt,  deren  höchster  Berg,  wie  in  den  Vogesen, 
dicht  am  östlichen  Gebirgsrande  mit  (iSl  m  Höhe  steht;  die  Horli- 
kiimme  des  Westricher  Hinterlandes  besitzen  400 — 500  m  Höhe.  Der 
«regenfiberliegende  Odenwsld  ist  einerseits  durch  eine  etwas  flachere 
Tind  breitere  Senke  von  325  m  Höhe  der  Wasserscheide  vom  Schwarz- 
walde getrennt,  andrerseits  dem  äusseren  Anschein  nach  (aber  nicht 
geologisch)  etwas  weniger  hoch  gehoben  als  die  Haardt;  der  höchste 
Berg  des  Odenwaldes  liegt,  wie  im  Schwarzwalde,  mehr  inmitten  des 
Gebirges  und  hat  eine  Höhe  von  028  m;  die  Trennung  in  einen 
krystallinen  Kern  mit  Höhen  von  500  m  am  westlichen  Rande  und 
fast  600  m  in  der  Mitte  und  in  einen  östlich  gelegenen  und  scharf 

VovMlniOfm  mr  dfvtaolMii  LaadM-  vnA  Volkskoiide.  Z.  9.  4 


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50 


Lepsiiu, 


[18 


abgesetzten  Saudsteinmantel  mit  Plateaus  von  4r)() — .'»Od  ni  Höhe  tritt 
im  Odeuwaide  ebeaso  deutlich  hervor  als  im  Schwurzwaide  und  iu  den 
Yogesen,  während  in  der  Haardt  die  Unterlage  des  Sandsteins,  das  kry- 
staUine  Grundgebirge,  nur  in  den  tiefeten  Thaleinschnitten  su  Tage  tritt 

6.  Die  Eheinebene. 

Die  zwischen  diesen  Gebirgen  abgesunkene  Rheinebene  endlich 
dacht  sich  allm&hlich  mit  dem  StrorogeföUe  nach  Norden  zu  ab,  Ton 

250  m  Meereshöhe  im  Süden  bis  80  m  im  Norden ,  also  im  ganzen 
170  m  auf  eine  Liinge  der  Ebene  von  Basel  bis  Miunz  von  280  kra. 
Das  Gefälle  des  Rheins  in  dieser  Strecke  ist  bekanntlich  verhältniss- 
mässig  gering  und  beträgt  ,von  Basel  bis  Ötrassburg  ungefähr  107  m, 
von  da  bis  Mannheim  45  m  und  von  da  bis  Mainz  15  m;  es  ist  also 
in  den  oberen  Gegenden  um  vieles  stärker  wie  in  den  unteren  Theilen 
der  Tiefebene.  Man  kann  annehmen,  dass  das  starke  Gefälle  von  Basel 
bis  zum  Einfluss  der  Murg  (bei  Rastatt)  reicht  und  wenigstens  ra 
beträgt,  von  da  bis  Mainz  aber  nur  noch  31  m*  (von  Dechen  1.  c.  1SlI5 
S.  25).  Zum  Vergleich  sei  aufrt'tuhrt,  dass  der  Rhein  vom  Bodensee 
bis  Basel  auf  eine  Länge  von  etwa  112  km  150  m  und  von  Bingen 
bis  Bonn  auf  150  km  um  33  m  f&llt. 

Der  Feldberg  ragt  1200  ra,  der  Gebweiler  Beleben  1221  ni,  der 
Katzenbuckel  532  m  und  der  Grosse  Kalmit  580  m  über  den  Rhein- 
.«ipiegel  empor;  die  beiden  nördlichen  Randgebirge  sind  also  etwas 
weniger  als  halb  so  hoch  als  die  ])eiden  südlich  gelegenen.  Die  (Te- 
birgsliuie  längs  der  Westseite  der  Rheinebene  sinkt  von  1420  m  im 
Gebweüer  Beleben  bis  auf  400  m  in  der  Zabemer  Senke ,  also  um 
1026  m,  und  erhebt  sich  dann  wieder  um  281  m  bis  681  m  im  Grossen 
Kalmit.  Auf  der  Ostseite  sinkt  die  gleiche  Linie  von  1495  m  im 
Feldberg  um  1 1 70  m  bis  auf  die  Kraichgauer  Senke  und  hebt  sich 
zum  Katzenbuckel  wieder  um  303  ni  —  Hrdienunterschiede,  gegen  welche 
die  Abdachung  der  Rheiuebcne  von  Basel  hin  Mainz  mit  107  m  gering- 
fügig erscheint. 

7.  Die  äusseren  Orenien  der  ?ier  fiandgebirge. 

Ziehen  wir  endlich  noch  die  Höhen  des  Aussenrandes  der 
vier  Gebirge  in  Betracht.  Diese  Linie  des  Aussenrandes  ist  allerdings 
nur  mehr  oder  weniger  willkfirlich  zu  ziehen,  da  die  äussere  Abdachung 
des  Gebirges  eine  ganz  allmfthliehe  ist  und  eine  scharfe  Chrenze  gegen 

die  anstossenden  Hochebenen  nur  an  wenigen  Punkten  gegeben  ist. 
Nehmen  wir  als  Grenze  diejenigen  Gebiete,  in  denen  der  Charakter 
des  Waldgebirges  übergeht  in  das  bebaute  Hache  Hoch-  oder  Hügel- 
land, so  erhalten  wir  für  den  Schwarzwald  als  östliche  Grenzlinie  etwa 
die  folgende:  rom  Bbein  oberhalb  Waldsbut  längs  des  Thaies  der 
Wutach  hinauf  nach  Blumberg  708  m,  dort  über  die  Wasserscheide 
in  740  m  Höhe  zur  Donau  nach  Donaneschingen  680  m,  dann  die 


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19] 


Die  oberrhciniBclie  Tiefebene  nnd  ihre  Randgebirge. 


51 


ßrigach  hinauf  nach  Villingen  m,  wieder  über  die  primäre  euro- 
päische Wasserscheide  in  7(30  m  Höhe  hinüber  zum  Neckar;  weiter 
an  der  alten  Hönierstrasse  entlang  auf  dem  jilatten  Kücken  zwischen 
Neckar  und  Eschach  ca.  1)50  m  hoch  und  um  Neckar  hinab  bis  Horb, 
hier  über  die  Wasserscbeide  in  575  m  zur  Nagold  und  endlich  dies 
Flüsscben  hinab  bis  Pforzheim;  die  Wasserscheide  zum  Rhein  liegt 
hier  in  nur  300  m  Höhe.  Eine  srdche  Linie  von  Waldshut  bis  IM'orz- 
heim  würde  durchschnittlich  eine  Uöho  des  (istlichen  Schwarzwaldraiides 
von  *)'»()  m  ergeben:  jedoch  würde  dieselbe  im  Süden  höher  als  im 
Norden  liegen,  da  die  Wasserscheiden  bei  Douaueschingen  in  740  m, 
bei  Yillingen  in  769  m,  dagegen  bei  Horb  in  575  m  nnd  bei  Pforzheim 
in  9ßO  m  Höhe  sich  befinden. 

Als  Ostgrenze  des  Odenwaldes  wn'irde  etwa  die  Strasse  von 
Neckarelz  über  Auerbach,  Buchen,  Walldürn  im  Baulande  nach  Werth- 
heira  am  "Main  anzusehen  sein  ;  hier  liegt  die  Wasserscheide  zwischen 
Neckar  und  Main  in  430  m  Meereshühe. 

Die  westliche  Umrandung  der  Vogesen  tritt  noch  weniger  dent- 
lieh  als  die  Östliche  Grenze  des  Schwarzwaldes  henror:  sie  würde  etwa 
durch  die  Orte  Faucognej  364  m,  Remiremont  393  m,  Bruyeres  (>()1  ra, 
Raun  TKtape  285  m,  Cirey  les  Forges  309  m  zu  bezeichnen  sein,  dann 
zur  Saar  hinüber  nach  Saarburg  202  m  und  quer  nach  NNO  über  die 
flachen  Plateaus  weiter  als  westliche  Grenze  des  Ilaardtgebirges  über 
Kauweiler  283  m,  Ganeweiler  3ü0  m,  Lorenzen  230  m,  Rohrbach  350  m, 
endlich  das  BickenthiJ  hinab  nach  Zweibriicken  217  m  nnd  Homburg 
233  m  verlanfen.  Die  Wasserscheiden  dieser  Begrenzungslinie  liegen 
im  Süden  zwischen  den  Quellflüssen  der  Mosel  und  Meurthe  in  050  m, 
weiter  nördlicli  zur  Saar  hinüber  in  450  m.  dann  auf  dem  Plateau 
w«  -tlirh  der  Haardt  in  350  ra.  Im  ganzen  würde  demnach  das  Hoch- 
land westlich  der  Vogesen  und  der  Haardt  um  etwa  100  m  niedriger 
sein  als  dasjenige  ösIMdi  Tom  Schwarzwald  nnd  Odenwald;  die  west- 
liche Grenzlinie  sinkt  ziemlich  gleichmassig  nach  Korden  zu  mehr  nnd 
mehr  ab,  die  Ostliche  steigt  ans  dem  Neckunhale  wieder  auf  zur  Wasser- 
scheide gegen  den  Main. 

Eine  der  eigenthümlichsten  Erscheimuigcn  im  Stromgebiete  des 
Rheines  ist  der  Verlauf  der  Rhein-ZuHüsse:  Neckar  und  Main,  Mosel, 
Zorn  und  Saar  durchschneiden  quer  Gebirgskämme  und  Plateauhöhen, 
welche  nach  den  äusseren  topographischen  Kiveaubeziehungen  scheinbar 
nur  dadurch  überwunden  werden  konnten,  dass  die  Flüsse  einst  bergauf 
Üoft-n;  so  bricht  z.  B.  der  Neckar  nicht  an  der  tiefsten  Stelle,  in  der 
Kraicligauer  Senke,  durch  den  Gebirgsrand  hinaus  zur  Rheiuebene.  sondern 
hat  Berge  des  südlichen  Odenwaldes  durchschnitten,  welche  mehr  als 
200  m  höher  sind,  als  die  Wasserscheide  ju  jeuer  Senke.  Solche 
hydrographischen  Batiisel  sind  topographisch  unlOsbar;  nur  aus  der 
geologischen  Geschichte  der  Gebirge  werden  sie  entziffert.  Die  mecha- 
nische Geologie  weist  nach,  dass  die  jetzigen  NiveanverhiUtnisse  der 
Oebirge  gegen  die  Hoch-  und  Tiefebenen  in  früheren  Zeiten  andere 
waren,  dass  sie  bedeutende  Veränderungen  im  Laufe  der  Erdgeschichte 
erlitten,  während  gleichzeitig  die  Bäche  und  Flüsse  unablässig  beschäftigt 
waren,  ihre  Fnrdien  in  die  ErdobeiflSche  altentiialben  zu  ziehen.  Aus 


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52 


[20 


den  meist  complicirten  Wirkungen,  welche  durch  die  Gleichzeitigkeit 
der  mechanischen  Gebirgs-Bewegungeu  und  der  Erosion  der  Flüsse, 
sowie  durch  die  uumterluNMdiene  Folge  und  die  lauge  Daner  beider 
Eraeheiiuiiigeii  TeruzBacht  wurden,  lassen  sich  allein  die  mannigMtigen 
Bathsel  der  Hydrographie  lOsen  und  erklftren. 


UL  Der  geologische  Bau. 

Die  bLslier  betrachtete  äussere  Gestalt  der  Rheinebene  und  ihrer 
Kandgebirge  ist  abhängig  von  der  inneren  Structiu:  derselben  und  nur 
ans  der  Erkenntniss  dieses  geologischen  Baues  TerstSndlidi.  Als 
seciiuJäres  Formelement  der  Oberfläche  kommt  dann  die  abtragende, 
einschneidende  und  auffüllende  Thätigkeit  des  fliessenden  Wassers 
hinzu,  welche  die  innere  Strnctnr  der  Berge  und  Ebenen  oberflächlich 
verwischen,  aber  nicht  verändern  kann,  und  welche  stets  jenem  geo- 
logischen L  actor  die  massgebende  Stellung  überlassen  muss. 

Zwei  scharf  Ton  einander  getrennte  Schichtensysteme  lagern  im 
südwestlichen  wie  im  übrigen  Deutschland  discorduit  Qber  einander: 
(las  krystalline  und  paläozoische  Grundgebirge  wird  ungleichförmig 
bedeckt  von  den  unter  sich  concordanten  Schichten  der  Trias?-  und 
Jura-Formationen.  Jenes  Grundgebirge  umfasst  die  azoischen  Schiefer. 
Gneiss,  Glimmerschiefer  und  Urthonschiefer  mit  ihren  granitischea 
Eruptivgesteinen,  sowie  die  Silnr-  nnd  DeTon-Schiehteii  und  die 
SteinkoUenformation.  Das  jüngere  Schichtensystem  beginnt  mit  den 
CoDglomeraten  und  Sandsteinen  des  Oberen  Rdtliliegenden.  Im  Ver- 
laufe der  Steiiikohlenzeit  vollzocr  sich  allmählich  in  den  damaligen 
coutineutalen  Strecken  des  a\ östlichen  und  südwestlichen  Deutschlands 
eine  allgemeine  Zusammenstauung  des  Grundgebirges:  es  entstanden 
die  langhinziehenden,  in  ONO  streicihenden  Falten  des  rheinischen 
Schiefergebirges;  andi  noch  die  Schichten  der  productiven  Steinkohle 
in  den  Becken  von  Aachen,  an  der  Ruhr  und  von  Saarbrücken  uiussten 
den  gleichen  Bewegungen  nachgeben.  Gleichzeitig  und  in  Folge  dieser 
Bewegungen  ergossen  sidi  aus  den  aufgerissenen  Erdspalten  grosse  Massen 
von  Lava,  welche  in  tlen  1  ornien  der  Melaphyre  und  Porphyre  er- 
kalteten. Erst  gegen  das  Ende  der  Kothliegeudeu  1  urmation  sanken 
die  continentalen  Strecken  Deutschlands  mit  allen  anf  ihrer  Oberfliche 
befindlichen  Beiden,  Thälem  und  Ebenen  unter  den  Meeresspiegel  und 
wurden  dann  zunächst  durch  die  Geröll-  und  Sandmassen  des  Ob^en 
Äothliegenden  iilterschüttet  und  nivellirt. 

Die  Meeresbedeckung  dauerte  nun  ununterbrochen  fort  bis 
zur  Zeit  nach  der  Ablagerung  der  Oberen  Juraformation.  Während 
sich  aber  in  den  Heeren  anderer  Gebiete  die  ganze  mächtige  Reihe 
der  Kreide-  und  der  ältesten,  eocänen  Tertiär-Schichten  absetzte, 
wurde  und  blieb  das  sfidwestUche  Deutschland  wiederum  Contineni 


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Die  obenrheiniaelM  Tiefebene  und  ihre  Randgebirge. 


53 


Erst  das  tnitteloligocäno  Meer  brach  von  Süden  herein  ül)er  dio  da- 
mals in  ilirer  Entstehung  begriffenp  Rheinversenkiing.  Wir  erkennen 
daher  m  unserem  Gebiete  eine  zweite  discordante  Ue})erlugerung, 
welche  geschah  nach  langer  eontinentaler  ünterbreebung:  die  ob'go- 
cSnen,  jungtertiären  imd  diluvialen  Schichten  bedecken  ungleichförmig 
das  Grundgebirge  und  die  Trias-  und  Jara-Formationen.  Wir  wollen 
mm  sehen,  welche  Rolle  diese  drei  von  einander  scharf  getrennten, 
aber  in  sich  einheitlich  gefügten  Schichten?ysteme,  Gruml «Gebirge,  Trias 
und  Jura,  Tertiär  und  Diluvium,  in  dem  Aufbau  des  obc^rrheinischen 
Oebirgssystems  spielen. 

A.  Das  Grundgebirge. 

Das  krystalline  und  paläozoische  Grundgebirge,  wclclio«;  in  allen 
vier  Randgebirgen  der  Kheinebene  den  Kern  der  munteltoriiiig  um- 
lagernden Schale  \)  von  jüngeren  Formationen  bildet,  ist  bisher  noch 
verhiUtnissmässig  am  wenigsten  untersucht  worden;  wir  können  den 
Aufbau  desselben  daher  nur  an  einigen  Beispielen  erläutern.  Die  einst 
auch  an  der  Oberflüche  zusammenhängenden  Strecken  des  Grundge- 
birges treten  jetzt  im  .südwestlichen  Deutschland  nur  noch  zu  Tage  in 
den  Beichenstöcken  von  Schwurzwald  und  Vogesen,  in  dem  vorderen 
Odenwalde  längs  der  Bergstrasse  und  in  den  tiefsten  Einschnitten  am 
Ostrande  der  Haardt.  In  allen  vier  Gebieten  herrschen  Gneisse  und 
Oranite  Tor;  Glimmerschiefer  und  Phyllite  finden  sich  untergeordnet 
in  den  Vogesen.  Die  Silurformation  wurde  bisher  nicht  nachgewiesen. 
Granwacken  und  Thonschiefer  sind  in  den  Vogesen  weit  verbreitet, 
auch  linden  sie  sich  in  Schwarzwald  und  Haardt:  man  bezeichnete  sie 
frtlher  als  ,Uebergangsgebirge",  eine  unbestimmte  Bezeichnung,  die 
noch  von  Werner  aus  dem  vorigen  Jahrliundert  stammt;  das  Alter 
derselben  ist  auch  jetzt  zum  Theil  noch  nicht  erkannt  worden,  zum 
anderen  Theil  wurden  sie  durch  Funde  von  Yersteinenmgen  als 
devonisch,  zum  grössten  Theil  aber  als  unter -carbonisch  (Kulm)  be- 
stimmt. Productive  Steinkohle  (Oberes  Carbon)  wurde  bisher  in  den 
Vogesen  nur  in  der  Umgegend  des  Leberthaies  bei  Schlettstadt  und 
im  Schwarzwaid  an  vereinzelten  Orten  nachgewiesen.  Es  interessirt 
uns  hier  allein  die  Lagerung  der  Schichten  des  Grundgebirges,  da  wir 
nur  aus  derselben  den  Bau  der  Gebirgskeme  erkennen  können. 

1.  Im  Schwarzwalde. 

Das  Grundgebirge  des  Schwarzwaldes  besteht  zum  grosseren  Theil 
aus  Gneiss.  Drei  Granitstöcke  durchbrechen  und  umgrenzen  die 
(ineissflSohen:  der  eine  derselben  nimmt  die  südlichen  Berge  des 


Ein  Ausdruck,  den  bereits  Peter  Merian  anwendet  in  seiner  wichtigen 
GcogDMttoehen  Uebenicht  des  sttdlichen  Sehwsnwaldes,  S.  188.  Basel  1881. 


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54 


Lepüiu, 


[22 


Sciiwarzwaldes  ein  und  zieht  vom  Blauen  über  den  Hochkopf  zum 
Hoehfirst  bei  Neustadt  an  der  Wntacfa;  dieser  Gramtsng  trennt  den 

Gneiss  des  Vorwaldes  von  den  grossen,  zusammenhängende  GneisiK 
gebieten,  welche  vom  Beleben  und  Feldberg  bis  nach  OfTenburg  und 

Oppenau  rpiVlien.  Auf  der  Grenzo  zwischen  diesem  Granitzug  und  dem 
nördlicli  anhebenden  Gneisse  zieht  sicli  eine  henierkenswerthe  Zone  von 
Kulm-Grauwauken  und  -Thonachiefern  quer  durch  den  Schwarzwald  von 
Westen  nadh  Osten.  Audi  umsehliesst  der  Oranit  mehrere  einzelne 
Ghieissschollen.  Ein  zweiter  Granitzng  tritt  bei  Triberg  auf  und  reicht 
Über  Hornberg  bis  Schiltach  und  Alpirsbacb.  wo  der  Granit  unter  der 
Sandsteindecke  von  der  Oberfläche  verschwindet.  YAn  drittes  Graniff^ebiet 
finden  wir  im  Nordwesten  der  Gneissfläcben:  es  nimmt  den  ganzen  nijrd- 
lichen  Theil  des  Schwarzwülder  Grundgebirges  ein.  von  Ottenburg  bis 
Achem  nach  Gemsbach  und  bis  ins  Enzthal  nach  Wildbad  hinüber. 

üeber  die  Structur  dieser  krystallinen  Massen  des  Gtrundgebirgea 
im  Schwarzwalde  sind  wir  noch  wenig  unterrichtet;  jedoch  l&sst  sich 
bereits  so  viel  erkennen: 

1.  Die  Schirhteu  des  Grundgebirges  bilden  im  allgemeinen  ein 
System  von  aufgebrochenen  und  abrasirten  Falten,  welche  vorherrschend 
von  WSW  nach  ONO,  zuweilen  auch  in  NO  und  in  0  streichen;  die 
Flügel  der  Falten  fallen  in  der  Regel  in  NNW  oder  NW,  weniger 
häufig  in  SSO  oder  SO  ein  und  zwar  meistens  mit  steilen  Winkeln. 

2.  Das  so  ursprOnglich  gefaltete  Grundgebirge  wurde  später  bei 
Entstell de«:  oberrheinischen  G ebirgssystems  in  einzelne  Stufen 
tuiVltVinnit;  zerbrochen,  welche  im  aligemeinen  Streichen  dieses  Systems 
nach  NNO  gegeneinander  verworfen  liegen,  so  dass  sie  aUseits  unter 
der  Triasdedce  yon  der  Oberfläche  des  Gebirges  Terschwinden. 

Das  Streichen  der  älteren  Falten  des  Grundgebirges  geht  parallel 
dem  Streicben  des  rheinischen  Schiefergehirges  und  demjenigen  des 
Alpensystem«:,  «soweit  das  letztere  südlich  am  oberrheinischen  Gebirgs- 
system  vorüberzieht.  Der  spätere  staffeiförmige  Abbruch  der  einzelnen 
Streifen  in  der  Hichtung  NiS  O  entstand  gleichzeitig  mit  dem  Embruch 
der  BhdnTersenkung  und  wurde  massgebend  fttr  die  äussere  Gestalt 
des  Schwarzwaldes. 

Die  „im  Kleinen  stark  gebogenen,  gewundenen  und  geknickten 
Schichten"  des  Gncisses  lassen  nicht  allein  im  sfidlichen  Schwarzwalde, 
wie  Peter  Merian  a.  a.  0.  S.  73  angiebt,  sondern  auch  in  den  übrigen 
Theilen  des  Grundgebirges  das  Fallen  und  Streichen  der  Gneisse  schwer 
erkennen^).   Doch  herrscht  im  allgemeinen  ein  ONO-Streichen  mit 


Vogelgcpan  g  in  ?einrr  vortrefTlichen  Beschreibung  des  Gneiasgebietes 
der  Umgegend  von  Triberg  (Curlsruiie  1872,  S.  47^  giebt  es  auf,  „irgend  welche 
Gesetzmässigkeit  in  der  Stellang  der  Sehichten  nnd  in  der  Richtung  der  Sehiefe- 
rong"  der  Gneisse  zu  flnden. 

Fr.  Sa ndb erger  sagt  darüber  in  seiner  geologischen  Beschreibung  der 
Umgegend  von  Badenweiler  (Carlsrulve  1858,  S.  18):  ,Die  Sehiefemng  des 
Gneisses  lässt  keine  bestimmte  Richtung  auf  weitere  Strecken  erkennen.)  im  all- 
gemeinen scheint  die  Gneissmasse  hora  G  (von  \V  nach  O)  zu  streichen."  An 
einer  anderen  Stelle,  nämlich  in  der  geologischen  Beschreibung  der  Umgegend 
der  Renchbftder  (Carlsrabe  1863,  S.  27)  spricht  sich  Fr.  Sandberger  folgender- 


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23] 


Die  oberrheinische  Tiefebeoe  und  ihre  Randgebirge. 


55 


nördlichem  Einfallen');  gelegentlich  wird  das  Streichen  ein  mehr  öst- 
Irahes  oder  nontOsUicnes  und  das  Falleii  ein  sttdlidies^.  Die  grossen 
und  gegen  den  Tangentialschub  ypn  SSO  her  spr&de  sich  Yerbaltenden 
Oranitstöcke  hahen  an  ihren  Grenzen  besonders  starke  Verstauchmigen 

und  Störungen  in  der  Lap^ernn^  der  Gneisse  hervorgernfen. 

In  den  verschiedenen  Partien  von  jüngeren  Thonschiefern  nnd 
Grauwacken,  welche  zwischen  Gneiss  und  Granit  eingeklemmt  liegen, 
iSsst  sich  Streichen  und  FaUen  tmd  die  allgemeine  Stnictur  des  Grund'- 
gebirges  leiehier  erkennen  als  in  den  Gneissen,  weil  dieselben  dent- 
ucher  geschichtet  sind  als  diese. 

Durch  den  südlichen  Schwarzwald  streichen  von  WSW  hvi  l^aden- 
weiler  über  Schönau  nach  ONO  bei  Lcnzkircli  ansehnliche  Partien  von 
Grauwatken,  Thonsebiefern  und  Congloweraten,  der  Unteren  Stein- 
kohlenformation (Kuhn)  angehörig  und  dünne  Anthracitlager  enthaltend; 
die  grösseren  Verbreitungsgebiete  derselben  beschreibt  schon  Peter 
Merian  (a.  a.  0.  1831,  S,  100—132)  genau,  später  wies  Fromherz») 
nach,  dass  diese  Schichten  nicht  drei  von  einander  getrennte  Ab- 
lagerungen, sondern  einen  zusammenhängenden,  aher  sehr  dislocirten 
Zug  ((lUT  durch  das  Gebirge  von  Badenweiler  bis  Lenzkircli  bilden, 
nur  mit  einer  Unterbrechung  durch  Granit  zwischen  dem  Thal  von 
Menzenschwand  nnd  der  Aha. 

Das  Streichen  der  Schichten  in  diesem  Kulmzuge  richtet  sich  im 
al^meinen  in  0  bis  ONO,  das  Fallen  ist  ein  steiles  (70 — 80°)  und 
unregelmässig  durch  die  starke  Zusammenstauchung  der  Schichten 
zwischen  der  südlichen  Granit-  und  der  nördlichen  Gneisszone*). 
Interessant  ist  die  Ueberkippung  des  Gneisses  am  Nordrande  der 
Schönauer  Schieferpartie,  wie  sie  Merian  beschreibt  im  Wiesentfaal 
swischen  den  Dörfern  Gschend  und  Todtnau  und  westlich  davon  in 
einem  Seitenthal  der  Wiese  zwischen  Uzenfeld  und  Wieden,  während 
längs  des  Südrandes  derselben  Partie  die  Schiefer  dem  Granite  einfach 
auflagern.  Eine  solche  mechanische  Ueberkippung  der  Schichten  und 
Ueberschiebmig  des  Gneisses  über  Kulmschiefer  durch  Druck  von  SSO 


massen  aus:  „Dass  die  Lagerang  der  GneisM  meistens  eine  wellenförmige^  mit 
bald  steileren^  bald  flacheren  Sätteln  und  Mulden  ist,  lässt  sich  ausser  vielen 
kleinen  Profilen  in  allen  Thcilen  des  Gebietes  beweisen."  Jedoch  giebt  Sand- 
berger  dabei  nichts  über  die  Richtung  des  Streichens  und  Fallens  an.  bezieht 
sie!)  vielmehr  nur  auf  das  eine  von  ihm  gezeichnete  Profil  Taf.  I.  3,  welches  ober- 
h.ilb  Peterathai  zwischen  Böstenbach  und  Mauren  verschiedene  Sättel  und  fluiden 
des  Gneisses  mit  NW-8t reichen  zwischen  zwei  Granitztigen  darstellt.  Wie  sich 
diese  üneisspartie  mit  NW-Streichen  gegen  die  übrige  Masse  des  Schwarzwälder 
Grundgebirges  mit  vorherrscliendem  ONO-Streichen  verhUt,  iat  naeh  den  bisher 
vorliegenden  geringen  Angaben  nicht  zu  erkennen.  Eine  genaue  geologische 
Kartirang  des  Schwar/.walde.s  auf  der  Grundlage  der  vorzUglich  ausgeführten 
badischen  Karten  im  Massstabe  1:25000  wflrde  aneh  ttber  die  Lagerung  der 

Schwarzwälder  Gneisse  Licht  verbreiten. 

»)  P.  Merian  a   a.  ().  S.  7:5  und  130. 

')  H.  Eck.  (ii  >K'iH>sti<«che  Karte  der  Umgegend  TOn  Lahr,  S.  80.  Lahr  1884. 

»)  N.  Jahrh.  tiir  Min.  1817.  S.  813. 

*)  Siehe  auch  über  die  Verhältnisse  bei  Badenweikr  die  geologische  Be- 
schreibung der  Umgebungen  dieiea  Badeortes  von  Fr.  Sandberger  a.  a.  0. 
1858,  8.  17. 


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56 


LejpftioB, 


[24 


her  entspricht,  der  Faltenbildnng  und  den  Ueberschiebuugen ,  wie  sie 
in  den  Gebirgasystemen  nördlich  und  südhch  untjeres  oberrheinischen 
Systems,  im  DeTon  des  rheinischen  Schiefergebirges  und  in  den  nörd- 
lichen Randzonen  der  Alpen  häufig  vorkommen  unter  dem  gleichen 
Streichen,  durch  denselben  Süddruck  hervorgerufen. 

Jüngeren  Ursprungs  dürften  die  Yerwerfunpren  dieses  Kulmziij^es 
sein,  welche  die  bedeutenden  Niveauuntersdiiede  in  der  Richtung  des 
Streichens  hervorgerufen  haben;  jedoch  sind  hierüber  die  Unter- 
suchungen noch  dürftig:  es  scheint  der  Granit  des  Blanen  bereits  zu 
den  längs  der  Rheinebene  abgesunkenen  Partien  des  Schwarzwaldes  zu 
gehören,  da  die  Schieferpartie  bei  Badenweiler  auf  dem  Nordabhang 
des  Blauen  um  mehr  als  .300  m  tiefer  liegt  als  die  östliche  Fortsetzung 
derselben  auf  der  Sirnitz  am  Beleben  in  lllG  m  Meereshöhe. 

Hier  sei  bemerkt,  dass  die  Annahme  einer  Bergkette  quer  durch 
den  Schwarzwald  von  WSW  nach  ONO  vom  Blauen  über  die  Simita 
zum  Beleben  und  Feldberg  und  zum  Hochfirst  bei  Neustadt,  wie  sie 
Peter  Merian  (a.  a.  0.  S.  12)  und  nach  ihm  andere  Autoren  ziehen, 
nicht  dem  inneren  Bau  des  Gebirges  entspricht:  der  Blauen  stellt 
südlich  des  Kulmzupes,  ist  Granit  und  liegt  wahrscheinlich  in  einem 
spät  abgesunkeneu  Gebirgstheile;  im  Beleben  trifft  Granit  auf  Gneiss; 
der  Feldberg  besteht  aus  echtem  Schwarzwälder  Gneiss,  der  nördlich 
der  grossen  Kulmpartie  bei  Todtnau  liegt;  der  Oranit  des  Hochfirstes 
endlich  befindet  sich  mit  seinen  beiderseitigen  verworfenen  Buntsand- 
steinresten bereits  im  östlich  absinkenden  Stufenlande.  Für  die  Rich- 
tung der  Bergketten  in  nnsern  Gebirgen  sind  mass<xebend  die  erst  spät 
entstandenen  NNO-Verweri\aigeu;  ob  von  der  älteren  ONO-Richtung 
des  Grundgeljirges  noch  Spuren  an  der  Oberfläche  in  ostnordüstlich 
laufenden  Bergketten  flbrig  gebUeben  sind,  müssen  erst  genauere  Auf- 
nahmen nachweisen. 

Die  kleine  Kulmschiefer-Scholle  bei  Hofen,  östlich  von  Kandem, 
scheint  nach  ^lerian's  BeschreiVinnf^  (a.  a.  0.  S.  102)  durch  mehrere 
Verwerfungen  stark  zerrüttet  /u  sein,  so  dass  eine  vorherrschende 
Streichrichtung  schwer  zu  erkennen  ist. 

Am  Ostrande  des  Grundgebirges  im  Schütadithale  unterhalb 
Schramberg  stehen  am  Granit  und  unter  dem  Bothliegenden  und  Bunt- 
sandstein zu  Tage  Thonschiefer  und  Sandsteine  der  Steinkohlenfor- 
mation mit  Pflanzenabdrücken  und  Kohlenschnüren;  die  Schichten  dieser 
carbonischen  Lager  erweisen  die  })rimäre  Streichrichtung  des  Grund- 
gebirges von  W  nach  0  mit  N-  und  S-Fallen  von  20—30°,  während 
die  discordant  auflagernde  Triasdec^e  das  jüngere  Streichen  des  ober- 
rheinischen Systems  in  N  aufweist  0> 

Eine  grössere  Ausdehnung  gewinnen  Reste  der  Steinkohlenfor- 
mation zwischen  Lahr  und  OfVLii))ur(j  in  den  bereits  zur  Rheinspalt« 
absinkenden  Gebirgsstreifen;  Sandsteine,  Conglomerate  und  Schiefer- 
thone  mit  anthracitischen  Trümern  streichen  von  Diersburg  nach 
Berghaupten  in  ONO  bis  NO  und  fallen  mit  steilen  Winkeln  von 


0  E.  V. Paulas,  Begleiiworte sar  gcognostischen  Speeislkarte  tod  Wdrttem- 
ber^,  Atlasblatt  Oberndorf,  S.  8->10.  Stattgart  1875. 


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26J 


Die  oberrheinische  Tieiebeae  uud  ihre  Kaudgebirge. 


57 


50—90^  in  NW  oder  in  SO  ein.  Die  ganze  Partie  ist  stark  ver- 
qnetocht,  so  dass  die  wohl  einst  znsammeimftngenden,  bis  10  m  starken 

KuiileuSötze  in  viele  einzelne  anskeilende  Trümer  in  der  Richtung 
des  .Streichens  aiiseinandergezogen  wurden.  Die  Kohlenmulde  wird 
umschlossen  von  Gneissen,  welche  dasselbe  Falh^n  nnd  Streichen  be- 
sitzen, wie  die  Steinkohlenschichten  an  der  Grenze  ^egen  jene.  Dabei 
tritt  auch  wieder  der  bemerkenswerthe  Umstand  ein,  das.s  durch  den 
starken  Sfiddmck  die  Mnlde  an  der  NW-0renze  überkippt  ist,  so  dass 
die  Gneisse  dort  die  eingeklemmten  Steinkohlenschichten  überlagenif 
während  die  SO-Grenze  zwischen  beiden  Gesteinen  flach  nordwesÜieh 
einfallt*).  Auch  im  Streichen  erlitt  die  Kohlenmulde  Verstauchungen. 
Niicli  den  in  den  Schichten  bei  Diersburg  uud  Berghaupten  vorkom- 
menden Pflanzen  ist  diese  Ablagerung  nach  H.  Eck  jünger  als  die 
Knlmbildungen  von  Badenweüer^Lenskirch  und  gehört  der  nnteren 
pfoductiven  Steinkdile  an. 

In  der  Fortsetzung  der  Streirhrichtung  nach  NO  findet  sich  in 
Hinterohlsbach  bei  Gengenbacli  bis  hinüber  in  den  Hesselbach,  der 
ZOT  Rench  fliegst,  200 — 300  m  höher  eine  Mulde  von  Sandsteinen  uud 
Thonschiefern  der  oberen  produotiven  Steinkohle,  concordant  überlagert 
Ton  Unterem  BoÜiliegenden,  das  von  jenem  schwer  abzutrennen  isi 
(H.  Eck  a.  a.  0.  S.  64),  eine  üeberlagenmg,  wie  sie  im  Becken  Ton 
Saarlurflcken  in  gleicher  Weise  vorkommt.  Die  Schi(  l^tfu  lagern  anf 
Crneiss  und  Granit  und  sind  wie  jene  bei  Diersburg  muldenförmig  zn- 
samiuengeschoben  mit  NO-Streiclien. 

Eine  dritte  Scholle  von  Schichten  aus  der  oberen  productiven 
Steinkohle  ist  unter  dem  Porphyr  und  auf  Gneiss  am  Rinkhofe  im 
Lieibachihale  bei  Oppenan  in  eben^aUs  ca.  600  m  Höhe  erhalten,  nnd 
zwar  liegt  auch  diese  Partie  in  der  ONO-Streichriehtimg  der  OhJs- 
bacher  Mulde  2). 

Wir  erkennen  in  diesen  drei  Resten  von  Schichten  aus  der  Stein- 
kohlenzeit, dass  auch  hier  bei  Lahr  und  Otfenburg  das  GrundfTrebirtje 
in  Falten  durch  Druck  aus  SSO  zusammengeschoben  wurde,  dais  .so- 
gar, ebenso  wie  im  sfldliehen  Schwarzwald  bei  Todtnau,  am  Kordrande 
der  Mulde  eine  Ueberkippung  des  unterlagernden  Gneisses  über  die 
Kohlenschichten  stattgefunden  hat.  Auch  streichen  diese  Steinkohlen- 
mulden in  ähnlicher  Weise  wie  diejenigen  von  Badenweiler-Lenzkirch 
nahe  der  Siidgrenze  eines  grösseren  Granitmassives  hindurch  und 
parallel  der  m  ONO  verlaufenden  Grenze  zwischen  Granit  und  Gneiss, 
dem  letzteren  aufgelagert.  Die  TJeberkippimg  der  Schichten  vor  der 
Graiiitgrenze  veranlasste  hier,  wie  in  zahlreichen  ähnlichen  Fällen,  die 
nnrichtige  Vorstellung,  als  ob  der  Granit  durch  .seine  Eruption  die 
stärkere  Faltung  und  Verstauchung  der  Gneisse  bewirkt  hätte.  Ur- 
sächlich für  die  bedeutenderen  Störungen  in  seiner  Nähe  ist  der  Granit 


')  V.  Dechen,  Oeynhausen  und  La  Roche,  1825,  I,  S.  246.  Eine 
genaae  Beschreibung  dieses  Vorkommens  giebt  M.  Eck,  Geognoatische  Karte  der 
ümgegend  von  Lahr  1884,  S.  :34— 6ö. 

'l  Fr.  Sand  berger.  Geologische  Besckreibung  derümg^end  der  Rench* 
Inder,  &  17.   Carisruhe  1863. 


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58 


Lepeius, 


[26 


allerdings,  hier  wie  in  allen  anderen  FSllen,  aber  nicht  durch  seine 

Eruption,  sondern  dadurch,  dass  das  spröde  Granitmassiv  durch  den 
mechanischen  Druck  bei  der  Faltung  des  Grundgebirges  nicht  zusam- 
men f^epresst  werden  konnto,  und  daher  die  faltbaren  geschichteten  Ge- 
steine der  Umgebung  des  Granitstoc  kes  um  so  stärker  verstaueht  wurden. 

Weiter  südlich  von  diese  in  Zuge  sind  zu  Hoheugeroldseck  bei 
Lahr  nnter  Porphyr  nnd  anf  Gneise  Sandsteine  und  Sdueferthone  anf- 
geschlossen  und  erbohrt,  welche  H.  Eck  (a.  a.  0.  S.  72)  nach  den  darin 
vorhandenen  Pflanzenresten  ebenfalls  zur  oberen  productiven  Steinkohle 
(Ottweiler  Schichten  des  Saarbrückener  Beckens)  rechnet;  ans  der  ver- 
worrenen Lagerung  ist  keine  vorherrschende  Streichrichtuug  zu  ent- 
nehmen. 

Am  nördlichen  Ende  des  Schwarzwilder  Grundgebirges  erscheinen 
in  den  zur  Rheinebene  absinkenden  Gebirgstheilen  der  Umgegend  von 

Baden-Baden  mit  Gneiss  und  Granit  unter  den  discordant  überlagern- 
den Schichten  des  Oberen  Rothliegenden  und  des  ßunt^andsteins  ein- 
zelne Reste  von  Thonschiefern  des  „Uebergangsgebirges",  und  wieder- 
um eine  ziemlich  ausgedehnte  Mulde  des  oberen  Carbon. 

Das  ganze  Absenkungsgebiet  der  Umgegend  Ton  Baden-Baden 
mit  seinen  zahlreichen  Verwerfungen  ist  höcnst  charakteristisch  in 
seiner  geologischen  Structur  und  recht  geeignet  für  die  Entzifferung 
der  jüngeren,  tertiären  Ein])rüclie  der  Rheinversenkung.  Bisher  be- 
sitzen wir  nur  die  geologische  Beschreibung  der  Gegend  Yon  Baden 
von  Fr.  Sandberger  vom  Jahre  18<)1. 

Die  Thonschiefer  des  «Uebergungsgebirges*  sind  ihrem  Alter 
nach  unbekannt,  da  in  ihnen  bisher  keine  Versteinerungen  gefunden 
Avurden;  ihrer  petrographischen  Beschaffenheit  nach  gleichen  sie  den 
Schiefern  des  Weilerthales  in  den  Vogesen  (siehe  unten);  auch  zeigen  sie 
am  Granit  eine  ähnliche  Contactzone  mit  Hornstein,  Adinolschiefer  etc., 
wie  sie  ans  dem  Weilerthale  von  Rosenbuscli  beschrieben  wurde. 
Diese  dunkelgrauen  Thonschiefer  streichen  nach  8andberger  (S.  40) 
in  ONO  (N  60«  0)  und  fallen  mit  50—88 <>  in  SSO  ein;  sie  treten  in 
Baden  selbst,  dann  weiter  nordöstlich  bei  Bbersteinburg  über  Granit 
auf  und  zeigen  sich  noch  bis  nach  Gaggenau  hinüber  ins  Murgihal, 
wo  sie  in  der  Nähe  einer  Gneissscholle  ebenfalls  südlich  einfallen.  In 
letzterer  Partie  bei  Gaggenau  enthalten  die  Schiefer  feinkörnige  Kalk- 
steine. Es  liegt  kein  Grund  vor,  diese  Schiefer  für  devonisch  zu  er- 
klären, wozu  Sandberger  (a.  a.  0.  S.  51)  neigt. 

Bei  Baden  werden  diese  Siteren  Thonschiefer  discordant  über* 
lagert  von  groben  Sandsteinen  und  Schieferthonen  mit  Steinkohlen- 
flötzen  der  oberen  productiven  Steinkohle  (Ottweiler  Schichten),  welche 
sich  unter  dem  Rothliegenden  und  Porphyr  nach  S  l)is  Steinbach  und 
Geroldsau,  nach  NO  bis  gegen  Gernsbach  verbreiten.  In  nächster 
Umgegend  der  Stadt  Baden  und  bei  Umwegen  sind  die  Eohlenschichten 
sehr  zerrfittet  durch  die  jüngeren  Brüche  nahe  der  Rheinebene.  Bei 
Malschbach  fallen  sie  in  NW  ein.  Oberhalb  Baden  im  Oosthale  an 
der  Seelarh  fallon  sie  in  NXW  mit  28"  ein;  von  01)(M-beuren  ziehen 
sie  dann  ununterbrochen  liinüber  nach  Gernsbach,  indem  sie  mit 
15 — 50°  N  vom  Granit  abfallen  (Sandberger  a.  a.  0.  S.  40). 


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27] 


Die  oberrheinische  Tiefebene  und  ihre  Randgebirge. 


59 


Wir  erkennen  demnach  auch  bei  Baden  in  der  Lairerung  der 
Thonaehiefer  und  der  Stemkohleiifleliiehteii  trote  der  q»2tteren  Zerrfittvmg, 
die  gerade  hier  am  Kordende  des  Grundgebirges  sehr  bedeutend  i^ 

eine  ältere,  ursprünf^lich  Todbaadene  Streichrichtung  in  0  bis  XO.  Im 
GeiT'^nsatz  zu  der  Zerreissung  und  Absenkung  der  jüngeren  Flötzfor- 
mationen  des  Mantels  wurden  die  Scliicbten  des  Grundgebircres  im 
Schwarzwalde  durch  einen  Süddruck  zusammengefaltet  und  luehr  oder 
weniger  steil  aufgerichtet,  in  der  gleichen  Weise,  wie  die  Devoiifor- 
mation  des  Diederrheiniscbeii  Schiefergebirges. 

Diese  grosse  SchichtenznsammenfaLiumg  des  Grundgebirges  er- 
reichte ihr  Ende  vor  Abliig:ernng  des  oberen  rotlilieg^enden  Sandsteins, 
da  dieser  und  die  jttnjieren  Formationen  über  die  Mulden  und  Ruttel 
der  Gneisse  und  Thouschiefer  discordant  fibergreifen;  wami  dieselbe 
ihren  Anfang  genommen,  läsat  sich  jetzt  noch  nicht  bestimmen;  wahr- 
eeheinlich  wirkte  der  stauende  Sflddmck  bereits  lange  Zeiten,  da  die 
Gänge  der  Granite  und  der  älteren  Porphyre  im  8<£warzwalde  schon 
Beziehungen  zu  dieser  alten  Gebirgsbewegung  zeigen.  Jedenfalls  wurden 
auch  die  Schichten  der  Steinkohle  und  des  unteren  Bothliegenden  noch 
mit^efaltet. 

Die  zweite  grosse  Schichtenstör un^,  welche  zur  Tertiärzeit  im 
sfidwesdielien  DeutschUind  das  oberrheinische  Gebirgssjstem  entstehen 
liess,  zerbrach  auch  das  Grundgebirge  des  Schwarzwaldes  in  Stufen 
und  Tafebi,  welche  im  allgemeinen  in  NNO  und  normal  dazu  in  OSO 
aneinander  verworfen  wurden.  Die  Wirkungen  dieser  Bewegung  sind 
scharf  ausgeprägt  in  den  Tafelbrüchen  der  Trias-  und  Jura- Formationen 
rings  um  den  Schwarzwald;  das  Grundgebirge  des  Schwarz waldes  je- 
doch  kennen  wir  noch  zu  wenig,  um  den  verlauf  von  Verwerfungen 
parallel  der  Rheinspalte  oder  senkrecht  dazu  angeben  zu  können. 

2,  Im  Odenwalde. 

Im  Odenwalde  tritt  das  krystalline  Grundgebirge  hervor  in  den 
Bergen,  welche  zwischen  der  Bergstrasse  einerseits  und  dem  Weschnitz- 

und  Gersprenzthale  andrerseits  1)is  zu  HOh^  von  508  m  ü])er  dem 
Mt  ere  und  etwa  500  m  über  dem  Rheine  sich  erheben.  Die  Gneisse, 
weiche  den  grösseren  Theil  dieses  Gebirges  einnelimen,  erweisen  im 
allgemeinen  ein  regelmässiges  Streichen  in  ONO  bis  NO,  also  parallel 
dem  Taunuskamme.  Natürlich  nehmen  die  Schichten  der  verschieden- 
artigen Gneisse,  unter  denen  Hornblende-Plagioklasgneisse  vorwiegen, 
nicht  einen  so  lirnaren  Verlauf,  wie  Ludwig  denselben  auf  den 
Sectionen  Worms,  £rbach  und  Kossdorf  der  hessischen  K arten bliitter 
7f»irhnet;  auch  fügen  sich  die  Granitstöcke  nicht  so  prleichfÖrmifj  in  den 
\  erband  der  Gneisse  ein.  Dennoch  scheint  das  NO-  bis  ONO-Streicheu 
vor  zuherrschen  bei  steilem  S-  und  Is -Fallen.  Diese  Sfcreichrichtuug 
ist  z.  B.  deutlich  ausgeprägt  in  dem  fast  4  km  langen  Zuge  Ton 
Marmorlagern,  welche  in  mehreren  bis  zu  40  m  mächtigen  Trümern 
im  Streichen  der  Gneisse  N  00*'  0  (hora  4)  von  Bensheim  oberhalb 
Auerbach  hindurchziehen  bis  hinauf  zum  Felsberg  bei  Hochstätten; 


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ÖO 


[28 


die  Trümer  feilen  mit  den  Qneissen  60 — 70^  in  SSO  ein.  Auch  an 
mehreren  anderen  Stellen  des  vorderen  Odenwaldes,  so  auf  dem  Meli« 

bocus.  dann  in  den  Bergen  sfidlith  von  Darmstadt  und  nalie  der  Ost- 
greuzc  der  Gneisse  im  Gersjtrenzthale  bei  Brensbach  liegen  Marmor- 
trüiuer  im  Streichen  der  üueisse. 

Zu  beiden  Seiten  des  Gersprenzthaies  sind  die  Gneisse  typischer 
ansgebfldet  als  an  der  Bergstrasse,  wo  die  grobkörnigen  Homblende- 
Plagioldasgneisse  in  mächtigen  Stöcken  vorherrschen ;  aber  die  scharfe 
Grenze ,  welche  Ludwig  auf  Section  Erbach  zeichnet  zwischen  den 
angelflich  versohiedenarti^en  Gneissen  westlich  und  östlich  des  Gerspreuz- 
thal»'-:,  ist  in  Wirklichkeit  niebt  vorhanden.  Vom  Gersprenzthalc  sind 
die  Gueisse  oberßäclüich  zu  verfolgen  nach  !NNO  über  Hering  uud 
Gross-Ümstadt  nnd  nnter  dem  MaindilnTinm  hindurch  nach  Asdhaffen- 
bnrg;  sie  zeigen  in  diesem  ganzen  Gebiete  stets  ein  ONO-Streichen. 

Marmortrömer  sind  aus  den  Gneissen  des  Schwarzwaldes  nur 
von  einer  Stelle  bekannt:  am  linken  Kinzigufer  oberhalb  Offenburg 
am  Gaiskopi'e  eutdeckte  Platz  ^)  eine  l)is  8  cm  mächtige  Schicht  körnigen 
Kalkes  in  Begleitung  von  Wollastonit,  Granat,  Yesuvian,  Schwefelkies, 
Titanit,  grünem  Augit,  Quars  etc.,  wie  bei  Auerbach;  die  Schicht  fiUlt 
mit  dem  umgebenden  Gnetsse  50^  in  NW  ein;  in  der  N&he  dieses 
Punktes  fond  H.  Eck  *)  später  noch  zwei  andere  Trflmer  des  Marmors, 
deren  einer  bis  16  cm  mächtig  war.  Ein  grösseres  Marmorlasrer  schliesst 
der  Gneiss  von  Markirch  in  den  Vogesen  ein,  welches  von  P.  Groth 
genau  beschrieben  wurde  Diese  verschiedenen  Punkte  sind  die 
einzigen  im  Gnmdgebirge  des  oberrheinischen  Systems,  die  his  jetzt 
bekannt  wurden :  ihrer  petrographisch-mineralogiechen  Aushfldung  und 
ihrer  Lagerung  nach  verhalten  sie  sich  nahezu  gleichförmig. 

Ob  die  Gneisse  im  Odenwalde  abrasirte  Falten  oder  einfach  auf- 
gekippte Schichten  darstellen,  lässt  sich  jetzt  noch  nicht  sagen:  jeden- 
falls folgen  sie  dem  allgemeinen  ONO -Streichen  des  krystallinen 
Grundgebirges  im  Schwarzwalde  und  dürften  einfach  als  die  nördliche 
Fortsetzunff  des  letzteren  anzusehen  sein.  Im  Kraichgau  und  sttdlich 
Ton  Heidelberg  wird  das  verbindende,  I unterlagernde  Grundgebirge 
von  den  Tria«-  und  Juraschichten  überdeckt.  Bei  Heidelberg  schneidet 
der  Neckar  den  Buntsandstein  durch  bis  zur  granitischen  Unterlage, 
gerade  wie  drüben  die  Biiclie  der  Haardt. 

Jüngere  Schichten  als  die  Gneisse  sind  bisher  aus  dem  krystallinen 
Theil  des  Odenwaldes  nicht  bekannt  geworden;  discordant  Uber  die 
einst  denudirten  Schichtenköpfe  des  Gneisses  lagerten  sich  die  Sand- 
steine und  Conglomerate  des  oberen  Kothliegenden,  über  welchem  bei 
Heidelherrr  und  längs  des  Ostrandes  der  Buntsandsteinflächen  noch 
schwach  entwickelter  Zechstein  sich  einstellt,  welcher  im  Schwarzwalde 
und  linksrhemisch  fehlt. 


')  Ph.  Platz,  Beschreibung  der  Umgegend  von  Lahr  nad  Offenbiuqg, 

t>.  7.    OarlsruUe  1807. 

*)  HL  Eck  a.  a.  O.  1884,  S.  32. 

^)  Das  Gneissgebipt  von  Mnrkirrli  im  Ober-Elsass.    Ahlinndl.  znr  geolog. 
äpezialkarte  von  fileass-Lothringen,  Band  I,  S.  393.   ätrassburg  1877. 


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29] 


Die  oberrheiniiehe  Tiefebene  und  ihre  Handgfebirge. 


61 


Das  krvstalliiie   ürundf'ebirtrt*  des  vorderen  Odenwaldes  ist  in 

* 

seinen  nördlichsten  Ausläufern  zwischen  Darmstadt  und  Offenbach  von 
dein  südöstlichen  Theile  des  rheinischen  Schiefergebirges,  dem  Taunus, 
nur  durch  eine  30  km  breite  Bedeckung  Ton  oberem  Bothliegenden, 
tertiären  und  diluvialen  Schichten  getrennt,  eine  Zwischenzone,  welche 
etwa  dieselbe  Breite  wie  die  ßheinebene  zwischen  Darmstadt  und  Mainz 
besitzt.  Die  nördhchsten  krystalliuen  Gesteine  bei  Darmstadt  und 
Messel  sind  Hornblende-Gneisse ,  Diabase  und  (Ti-anite,  welche  von 
Melaphyr  und  oberem  Kothliegeuden  discordant  überlagert  werden.  Die 
südlichsten  Gesteine  des  Grundgebirges  am  Sfldrande  des  Taunus  sind 
balbkrystalline  Sedimente,  welche  oonoordant  unter  den  untersten  ver- 
steinerungsffthrenden  Schichten  des  Unter-Devon  hegen  und  mit  steilem 
SSO -Fallen  unter  das  obere  liothliorrendo  bei  Lorsbach  zwischen 
Wiesbaden  und  Frankfurt  in  die  Tiefe  absinken.  Wir  werden  unten 
bei  Besprechung  des  Grundgebirges  der  Haardt  und  seiner  Verbindung 
mit  dem  Hunsrück  auf  diese  Verhältnisse  östlich  der  Bheinspalte  Be- 
siehung nehmen. 

3.  In  den  Yogesen. 

Der  Beichenstock  der  Yogesen  enthftlt  neben  Gneissen  und  grani- 
tischen Gesteinen  die  uns  aus  dem  Schwarz walde  bereits  bekannten 
Grauwacken  und  Thonschiefer  der  Steinkohlenformation  in  viel  be- 
deutenderer Ausbreitunfj  als  im  Grundpfebirge  jenseits  des  Rheins. 
Der  Gneiss  in  den  Yogesen  beschränkt  sich  auf  die  Umgegend  von 
Urbeis  NVV  Colmar  und  das  Leberthal  W  Schlettstadt.  Die  letztere 
Partie  ist  ziemlich  ausgedehnt  und  yon  P.  Groth  0  eingehend  beschrieben ; 
sie  enthalt  die  oben  erwähnten  Marmorlager  bei  Markirch.  Im  All- 
gemeinen streichen  die  beiden  von  Groth  im  Leberthale  unter- 
schiedenen Gneisse  parallel  dem  Granitzutje  vom  Bressoir  nach  Kesten- 
hülz  in  X  G't'^  O  mit  40"  X\V- Fallen;  liei  den  häutigen  localen 
Schichtenstoruugen  und  Knickungen  schwankt  das  Streichen  von  0 
bisN,  das  Fallen  ist  gelegentlich  flacher  bis  25^  oder  steiler  bis  9b  ^; 
auch  sind  einige  Gneisssättel  vorhanden  oder  abradrte  Falten  mit 
Einfallen  in  NW  und  in  SO.  Der  ältere,  graue  Gneiss  \(m  Markirch 
enthält  vorwiegend  dunklen  Magnesiaglimmer,  ist  dünuschiefrig  und 
djcktiasrig  und  dürfte  den  weitverbreiteten  Schwarz wälder  Gneissen  ent- 
sprechen ,  während  Groth's  jüngerer  Granat^Gneiss  bisher  aus  dem 
Schwarzwalde  noch  nicht  mit  Siiäerheit  erkannt  wurde  Im  Granat- 
Gneisse  bei  Markirch  lagert  Hornblende-PlagioklasgneisSf  welcher  früher 
von  Delbos  und  Köchlin-Schlumberger,  ähnhch  wie  an  der  Bergstrasse, 
ab   Diorit  bezeichnet  wurde;  mit  den  Gneissen  in  den  Yogesen 


')  a.  a.  0.  Siehe  ausserdem:  Delbos  et  Köchlin-Schlumberger, 
Description  g^ologique  et  niineralogique  du  departement  du  Hniit-Rhin.  I,  8.  140 
bis  149  und  II.  S.  '2^9—290.  Colmar  1866,  und  Beaecke,  AbdM  der  Geologe 
von  Elsaas-Lothnngeu ,  S.  4 — 8.    Strassburg  1878. 

*)  Siehe  H.  Bck  a.  a.  0.  1884^  8.  88. 


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62 


Lepsitts, 


[30 


erscheinen  mächtige  Stücke  von  Granit,  Sjenit,  Diorit  und  Diabas,  in 
gleicher  Weise  wie  im  SehwarzwaMe  und  im  Odenwalde. 

Eine  grosse  Ansdehnmig  gewimien  in  den  Yogesen  Thonschiefer 
und  Grauwacki  ii ,  welche  zum  Theil  als  devonisch,  zum  andern  Theü 

als  carhonisch  duicb  Ver^^tf■^nprungen  charakterisirt  sind,  deren  fprösserer 
Theil  aber  keine  Versteinerungen  enthält .  so  dass  ihr  Alter  noch 
nicht  bestimmt  werden  kann;  Benecke  hält  die  letzteren  auch  für 
paläozoisch. 

Am  besten  bekannt  sind  bis  jetzt  die  Schiefer  im  Weiler*  nnd 

Andlanthale  bei  Schlettstadt  ^) :  dort  liegen  zunächst  Phyllitgneisse, 

Glimmerschiefer  nnd  Phyllite  mit  eingelagerten  talkigen  Schiefern 
und  Quarziten  concordant  auf  den  echten  Gneissen  von  Urbeis  :  dann 
folgen  mächtige  Thonschiefer,  durchl)roc]ien  von  Graniten;  eudhch 
concordant  über  diesen  ein  mächtiges  System  von  Grauwacken  und 
Thonschiefem,  welche  auf  der  Nordseite  des  Hochfeldes  im  Brensch- 
thale  Kalklager  mit  devonischen  Versteinerungen  (Korallen,  Crinoiden 
nnd  Brachiopoden)  einschliessen.  Wir  haben  hier  im  Weüer-  und 
Brenschthale  ein  sehr  mächtiges  System  von  Schichten  vor  uns.  welch»' 
etwa  den  Schichten  am  Südrandc  des  Taunus  mit  ihren  L^hyliitgii-  issHii. 
Phylliten  und  versteineruugsführeuden  unterdevonischen  Schiefern  und 
Orantracken  oder  den  Formationen  am  Nordwestrande  des  rheinischen 
Schiefergebirges  in  Belgien  entsprechen,  nur  dass  wir  hier  in  den 
Vogesen  noch  als  Unterlage  der  Phyllite  echte  Gneisse  kennen  lernen. 

Diese  ganze  Schichtengmppe  von  den  Phylliten  bis  hinauf  zum 
Devon  streicht  im  Allgemeinen  in  ONO,  „wenn  schon,  zumal  in  der 
Nähe  der  eingeschalteten  Granitmassen,  grössere  und  kleinere  Ab- 
weichungen dnrchans  nicht  selten  sind;  trciz  der  ni^t  unbedentenden 
Schwankongen,  welche  oft  anf  enf^em  Ranm  neben  einander  als  förm- 
liche ,  sogar  lii<*  und  da  senkrechte  Knickungen  im  Streichen  der 
Schichten  beolnichtet  werden  können,  ist  die  allgemeine  Streichrich- 
tung ziemlich  rcirehnässig,  nahezu  ONO  Iiis  WSW,  wie  sie  schon 
von  Elie  de  Beaumont  zu  N  55^  O  angegeben  wurde/  (Koscnbusch 
S.  91  nnd  93.)  Dabei  sind  die  Schichten  von  Süden  her  äteil  auf- 
gekippt, so  dass  die  ältesten  Schichten  im  Sfiden  zum  Vorschein 
kommen  und  alle  Schichten  bald  senkrecht  stehen ,  bald  in  steilen 
Wiiikt'hi  nacli  NW  oder  in  SO  einfallen:  die  Schiefer  sind  „gemein- 
scliat't]i(  Ii  aus  urs{)rünglich  horizontaler  Ijagernn«;'  zu  einem  Systeme 
von  mannigtach  aufgerichteten,  sattel-  und  miiidenrörmig  gebogenen 
und  überkippten  Schichten  zusammengepresst" .  Der  faltende  Druck 
kam  ans  SSO.  Wir  erkennen  also  Her  in  den  Schiefem  am  Hoch- 
felde ganz  die  gleiche  Lagerung  der  Schichten,  wie  sie  das  nieder- 
rheinische System,  das  rheinische  Schiefergobirge,  beherrscht,  eine 
Lagerung,  wie  wir  sie  im  Grundgebirge  des  Schwarzwaldes  gleichfalls 
vorfand» 'u. 

im  Süden  des  Weilerthaies  sind  zu  beiden  Seiten  des  Leber- 
thales  einige  Beste  von  Gbauwacken  Aber  den  Gneissen  erhalten,  welche 


*)  H.  Rosenbasch,  Die  Steiger  Schiefer.  Abhandl.  aar  geolog.  Spesial» 
karte  von  Elsass-Lotbringeii.  Band.  I.  Strassbni^  1877. 


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Die  oberrheiniiche  Tiefebene  und  ihre  Randgebirge. 


63 


auch  im  allgemeinen  in  ONO  streichen  und  inXNW  einfallen,  Schollen 
von  ehemals  n:rös.sert'r  A  usdehnung,  welche  den  jüngeren  Grauatgneissen 
nicht  ganz,  aber  , ungefähr  concordant"  (P.  öroth  S.  477)  auf- 
lagern. Wir  erkennen  ans  diesen  Verhältnissen,  dsss  die  Faltnng  der 
Chieisse,  Grauwacken  imd  Thonschiefer  erst  lange  nach  Ablagenmg 
der  devonischen  Schichten  des  Brenschtlmlea  TOr  sich  ging. 

In  den  südhchen  Vogesen  verbreiten  ^\ch  Grauwacken  und 
Thonschiefer  von  Luxeuil  hinauf  zu  der  Planche  des  belies  filles, 
südlich  entlang  am  Elsüsser  Belchen  im  Thal  der  Savoureuse  und 
steigen  nach  NO  hinanf  auf  den  Bärenkopf  sfidlich  des  Dollerthales; 
ein  anderer  Theil  zielit  nOrdlieh  des  Elsftsser  Belehens,  der  am  Qxanit 
besteht,  über  den  Col  de  Bnssang  734  m  und  durch  das  Thurthal  hinauf 
zum  Gehweiler  Belchen  und  zum  Kahlen  Wasen  und  reicht  nach 
Norden  hinüber  bis  ins  Münsterthal  Die  jedenfalls  verschieden- 
artigen Schichten  dieses  grossen  Gebietes  sind  bisher  noch  nicht  von 
einander  getrennt;  an  Yersteinerungen  wurden  zahlreiche  Abdrficke 
Ton  fossilen  Pflanzen  *)  nnd  eine  B«ihe  interessanter  marin»  Hollnskra 
nnd  Korallen bei  Thann  und  Niederburbach  (5  km  S  Thann)  gefunden, 
welche  die  dortitjen  Schiefer  und  Grauwacken  zum  Kulm  stellen; 
auch  lagern  bei  Thann  häufig  Schmitzen  von  Anthracit  zwischen  den 
Grauwacken.  Jedenfalls  sind  auch  ältere  Schichten  als  carbonische 
unter  diesen  Gebilden  der  Südvogesen  vorhanden,  wie  z.  B.  die  ge- 
legentlieh auftretenden  PhyUite  beweisen. 

Die  südlichsten  Ausläufer  des  Grundgebirges  der  Yogesen  sind 
die  beiden  lang  in  ONO  gestreckten  Rücken  des  Salbert  und  Arsot,  zu 
beiden  Seiten  der  Savoureuse  einige  Kilometer  nördlich  Beifort  gelegen ; 
diese  beiden  Berge  bestehen  auf  einer  Strecke  von  10  km  Länge  aus 
Thonschiefem ,  welche  regelmässig  in  ONO  streichen  und  zumeist  in 
NNW  fiülen;  am  Hont  Salbert  sdieint  anch  der  Sfldflflgel  der  Falte 
erhalten  zn  sein  (Delbos  et  Edchlin  I,  S.  48). 

In  dem  grossen  Gebiet p  (hr  Grauwacken,  Schiefer  und  Con- 
glomerate  im  südlichen  Theih'  «b  s  Relchonstockes  sind  die  Lagerungs- 
verhältuisse  verworren,  besonders  dnrrh  zalilreiche  Einschaltungen  von 
Eruptivgesteinen,  Porphyren,  Meiaphjren  und  Diabasen,  deren  spröde 
Massen  dem  Oebirgsdruck  weniger  nachgeben  konnten  als  die  meist 
dflnnschiefirigen  Oranwacken;  noch  dazu  wurden  die  alteren  Granite 
zwischen  und  neben  den  Grauwacken  heraufgeschoben.  Stellt  man 
sich  die  zahlreichen  AngaV»en,  welche  Delbos  uiul  Kfu'hlin-Schlum- 
Iteruer  a.  a.  0.  I,  S.  34  — 113  über  Fallen  und  »Streiclien  der  Grau- 
wacken macheu,  übersichtlich  zusammen,  so  ergiebt  sich  bereits  erstens 
ein  vorherrschendes  NO -Streichen,  wie  es  diese  Autoren  auch  in  dem 
zweiten  Bande  ihres  Werkes  S.  288  benrorheben,  nnd  zweitens,  dass 
das  hanfig  wechselnde  Fallen  nach  NW  und  SO  wiederholte  Falten  an- 


Dcllios  et  K  ö  c  Ii  I  i  n  -  S  c  hl  u  m  b  e  rge  r  a.  a.  0.  I,  S.  31— II-"?. 
J.  K  »» c  h  1  i  n-S  c  hiu  m  be  rger  et  W.  P.  Schi  in  per,  Memoire  sur  le 
terrsin  de  transition  des  Votges.   Strassburg  1802. 

')  G.  Meyer,  Beitrag'  zur  Kenntniss  des  Culm  in  den  südlichen  Vogesen. 
Abbandl.  zur  geolog.  Spezialkarte  von  Elsasd-Luthringea.  Band  III,  üelt  1,  S.  93 
und  95.  Strusborg  1884. 


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04 


LepsiuS) 


[32 


deutet,  deren  genauere  Lage  festzusetzen  den^äteren  Spedalaufnahmen 
Torb^alteu  bleibt.  Einen  ersten  glücklichen  versudi,  die  verschiedenen 
Falten  der  Grauwacken  in  Beziehung  zu  einander  zu  setzen,  machte 
kürzlich  G.  Mov^r  (a.  a.  0.  1884):  er  erkannte  in  den  Doller-,  Bur- 
bach- und  Thur-Thiilern  fünf  Mulden  und  Sättel,  welche  ziemlich 
I  regelmässig  in  NO  streichen;  das  Fallen  ist  öfter  steil  und  vertikal  als 
flach,  wie  schon  die  Angaben  von  Delbos  und  Eöchlin-Sdilumberger 
beweisen. 

Endlieh  hetheiligen  sich  an  der  Zusammenseteung  des  Grund- 
gebirges der  A^ogesen  noch  einige  auf  den  älteren  Schichten  iil>riiT- 
gebliebene  Rpsto  von  prodnrtivem  Steinkohlengebirge,  gerade  wie  im 
Schwarzwaldt' ;  rs  ^in*l  Scliulleu  von  Sandsteinen  (Arcosen),  Conglome- 
raten,  Schielern  mit  einigen  Kalkbänken  und  mit  jetzt  zumeist  ab- 
gebauten SteinkohlenflStzen  von  geringer  Mächtigkeit,  welche  in  der 
Umgegend  des  Leber-  und  Weilerthaies  die  dortigen  älteren  Thon- 
sehiefer,  sowie  Gneiss  und  Granit  discordant  überlagern.  Wegen  der 
geringen  Ausdehnung  der  einzelnen  Reste  des  einst  grösseren  Beckens 
ist  eine  regelmässige  Lagerung  nicht  mehr  wahrzunehmen  (vergl. 
Delbos  und  Köchlin-ScMumberger  I,  S.  198  und  11,  S.  209).  Doch 
scheinen  die  Schichten  weniger  stark  gefaltet  zu  sein,  als  die  filteren 
Thonschiefer  und  Gneisse;  sie  werden  wiederum  discordant  Ton  dem 
oberen  Rothliegenden  und  dem  Vogesen-Sandstein  überdeckt.  Wir 
erkennon  an«  dio^;on  Verhältnissen,  dass  in  dem  Grundgebirge  der 
Voge.sen  die  Faltung  und  Aufki}){)ung  der  älteren  marinen  Ablagerungen 
bis  zum  Kulm  bereit«  ziemUch  weit  vorgeschritten  war,  ehe  diese 
jüngsten  Schichten  der  oberen  Steinkohle  in  Sflmpfen  und  Landseen 
des  alten  Continents  zum  Absätze  gdangten. 


4.  In  der  Haardt. 

Während  das  krystalline  Grundgebirge  im  Schwarzwalde  noch 
bis  zu  Höhen  von  1405  m,  in  den  Vogesen  bis  142(3  m,  im  Odenwald 
bis  zu  598  m  fiber  dem  Meeresspiegel  aufragt,  kommt  es  unter  den 

Buntsandsteinen  der  Haardt  durchschnittlich  nur  Iiis  230  m,  an  zwei 
Stellen  bei  Albersweiler  und  am  Schieferkopf  bei  Hambach  bis  etwa 
400  m  Höhe  zu  Tage.  Das  Nord^ndo  Ach  Grundgebirges  in  den 
Vo<zesen  lieiyt  am  Nordfuss  de.s  lloc]itelde.s  im  Breuschthale  bei 
Schirineck.  Nachdem  dort  die  Grauwacken  und  Thonschiefer  unter 
der  Rothliegenden  und  Trias-Decke  yerschwunden  sind,  finden  sich 
weiter  nördlich  die  ersten  Spuren  des  Grundgebii^s  wieder  im  Jiger- 
thal  bei  Niederbronn :  hier  tritt  Hornblondegranit  hervor  am  Fusse 
des  Windsteiner  S(  lilussbcrges  imd  auf  demselben  Reste  vom  Stein- 
kohlengebir^e .  in  einer  Höhe  von  etwa  280  m  Sodann  treüen  wir 
das  Grundgebirge  wieder  am  Ostabhauge  der  höchsten  Haardt-Krhebuug 


')  Sielie  über  das  Jägerthal :  Daubr^e,  Description  geologitjue  et  inin&^- 
logiqne  da  döpartemeDt  du  Bas-Rhia,  S.  2ä,  73,  82.  Strassbarg  1852. 


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Die  oberrheiniache  Tiefe1>ene  und  ihre  Handgebirge.  65 


von  TT^'is^^enburg  an  über  Landau  bis  Neustadt;  auck  in  Dürkheim  ist 
es  nuch  erbolirt  worden. 

Die  Lauter  hat  oberhalb  Welssenburg  bei  dem  Dorfe  Weiler 
den  Bnntsandsiein  des  Kammes  durcligescbmtten  bis  auf  das  Grund- 
gebirge und  hat  ein  kleines  Gebiet  desselben  freigelegt.  Die  kürzlidh 
erschienene  Stndie  von  G.  Linck^)  bietet  eine  treffliche  Beschreibung 
dieses  interessanten  Vorkommens:  nach  derselben  sind  hier  devonische 
Sclucter  und  Grauwacken  in  einer  abrnsirten  Falte  zusammengepresst, 
so  dass  die  Schichten  in  ONO  streichen  und  östlich  an  der  Khein- 
spalte  bei  Weiler  in  70®  NNW,  weiterhin  senkrecht  und  westlich  am 
Krrazweg  75*^  in  SSO  fallen.  Die  Schichten  der  Falte  sind  zam 
TheU  fiberkippt;  auch  Verschiebungen  und  Knickungen  der  Sdiichten 
nnd  Faltelung  der  Schiefer  sind  öfters  zu  beobachten.  Der  zusammen- 
faltende Druck  wirkte  demnach  auch  hier  wie  im  ganzen  bisher  be- 
trachteten Grundgebirge  von  SSO  her.  Ausser  Porphyriten  und  Minetten, 
welche  als  EruptiTdecken  den  Schiefern  einlagern,  sind  hier  bei  Weiler 
keine  anderen  Gesteine  des  Grandgebirges  aufgeschlossen.  Der  Abbrach 
der  Schichten  zur  Rheinveraenkung  verläuft  in  N  15"  0  gerade  duzt^ 
Dorf  Weiler.  Hier  schneiden  sich  also  die  beiden  Gebirgssysternc,  d:\!^ 
l'unirere  oberrheinisclie  und  das  ältere  niederrheinische  Sjstem,  in  einem 
VVmkel  von  50  "  (N  15"  O  und  N  05"  0). 

Weiter  nördlich  längs  des  Abhanges  der  Haardt  finden  wir  wieder 
einen  bedeutenderen  Aufschlnss  des  Grundgebirges  in  dem  tiefen  Ein- 
schnitt des  Queichbaches  oberhalb  Landaa  in  den  grossen  Steinbrüchen 
im  Gneiss  bei  Albersweiler.  Eine  genauere  Beschreibung  dieser  Vor- 
kommnisse an  der  Haardt  fehlt  uns  bisher  noch;  in  der  kurzen  Ueber- 
sicht  der  geognostischen  Verhältnisse  der  Pfalz-)  giebt  Giunbel  nur 
an,  dass  „die  Lagerung  der  Gneisse  bei  Albersweiler  sehr  verworren 
durch  starke  Biegungen  und  gangartiges  Eingreifen  der  Granite*  sei. 
Femer  zeigen  mäk  Granite  bei  Weiher,  bei  Rhodt,  an  der  Ludwigs- 
höhe und  am  Fuss  der  Haardt  bis  gegen  St.  Martin  bei  Edenkoben  hin. 
Grauwackon  erwähnt  Gümbel  über  dem  Gneiss  von  Albersweiler,  aus 
den  Sieiniiriuhen  am  Öchiei'erkopf  bei  Hambach  und  aus  dem  Xeu- 
stadter  Thale;  hier  oberhalb  Neustadt  zeige  die  Lagerung  der  Thon- 
schiefer und  Grauwacken  Tielfiiche  Störungen.  H.  Lauhmann*)  er- 
wähnt, dass  die  Grauwacken  bei  Neustadt  mit  34^  in  N  23''  W 
einfellen,  also  dasselbe  Streichen  in  0X0  oder  genau  N  67 0  wie 
an  der  Lauter  oberhalb  Weissenburg  liesitzen;  Laubmann  berichtet 
aurb .  da.ss  dieselben  Thonschiefer ,  welche  bei  Neustadt  anstehen,  im 
Bohrloch  des  Maxbrunnens  zu  Dürkheim  unter  dem  Buntsandstein  in 
330  m  erbohrt  wurden.  Nach  dem  Profil,  welches  H.  Ott  fiber  die 
Bohrungen  zu  Dürkheim  gab*),  liegt  das  Bohrloch  bereits  in  einer 


')  G.  Linck.  Geognostisch-petrogrnphische  Beechreibung  des  Grauwackea- 
gebietes  von  Weiler  bei  Weissenburg.    Band  III,  Heft  1.    Strassbnrg  1884. 

*)  Separat- Abdruck  aus  „Bavaria*,  IV.  Band,  2.  Abtheilung,  S.  25.  Mtin- 
ciica  IHüT). 

U.  L  a  u  b  m  a  n  n ,  Dürkheim  mit  seiner  Umgebung  (geolog.  Bescbreibang) 
in  PoUichia,  25.-27.  Jahresbericht,  8.  72—158.   Dürkheim  18G8. 

*)  Heinrieh  Ott,  Ueber  den  Ursprang  der  Dörkheimer  Solquellen.  Pol- 

7oTMliratm  tnr  daatidMB  Landet-  vmä  Tollakande.  T,  t,  5 


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66 


Lepsios, 


[34 


zur  Rheinspalte  Iiin  abgesunkenen  Banteandsteiustufe ;  Dürkheim  liegfc 
126  m  über  dem  Meere. 

Endlich  wurden  noch  weiter  nördlich  bei  Battenberg  so  zaiilreiclie 
lose  Blöcke  von  Gneiss  und  Granit  gefunden,  dass  wohl  auch  dort  noch 
diese  Gesteine  nahe  unter  dem  Tertiär  vorhanden  sind ;  dies  wäre  der 
nördlichste  Punkt  in  der  Haai  dt,  an  welchem  das  Grundgebirge  hervortritt. 

Dagegen  schliesst  sich  nun  nördlich  au  die  Haardt  das  Saar- 
brlickener  Kohlenbecken  an,  welches  seiner  Lagerung  nach  mit  znm 
Gnmdgehir;^^'  /u  rechnen  ist  und  uns  daher  Aufschluss  darüber  geben 
kann,  wie  sich  das  Grundgebirge  des  oberrheinischen  Systems  anordnet 
an  den  Südrand  des  niederrheinischen  Systems. 

Wir  erinnern  daran,  dass  wir  iu  ibni  \'ngeseu  bereits  productives 
Steiukühlengebirge  kennen  lernten,  welches  discordant  die  älteren 
Formationen  des  CFrundgebirges  Überdeckte;  jedodi  folgt  dasselbe,  wie 
wir  schon  im  Sdiwarzwalde  erkannten,  noch  denselben  zusammen- 
faltenden Bewegungen  TOn  SSO  her,  welchen  bereits  alle  älteren 
Schichten  unterworfen  waren.  Die  Schichten  der  productiven  Stein- 
kohle, und  fügen  wir  gleich  hinzu,  ebenfalls  die  im  Saarbecken  darauf 
toigeuden  beiden  unteren  Abtheilungeu  der  iiothlie^endeu  Formation 
(Enseler  und  Lebacher  Stufen),  sind  mit  ihren  StemkohlenflOtzen  in 
Binnengewässern,  nicht  in  einem  Heere  abgelagert,  während  die  untere 
Steinkohlenformation  (Kulm)  und  die  oberen  Rothliegenden  Saadsteine 
mit  allen  folgenden  Stufen  der  Trias-  und  Jura-Forniationen  marine 
Gebilde  sind.  Nachdem  nun  die  älteren  azoinchen  und  paläozoischen 
Sciiichten  des  Grundgebirges  continentale  Landstrecken  wurden  und 
Yon  ^0  her  aufgerichtet  und  gefaltet  worden  waren,  bildeten  sich 
in  einigen  tieferen  Einsenkungen  der  Oberflidie  dieses  Gontinenta 
Landseen  und  Sümpfe,  in  denen  sich  die  Steinkohlen  und  ihre  Zwischen- 
niitt(4  absetzten;  der  grösste  dieser  Landseen  in  unserer  Gegend,  der 
am  längsten  bestanden  hat,  war  derjenige,  welcher  die  damals  >^cbon 
tiefe  Einsenkung  zwischen  den  steilen  Devoufalten  des  Hunsrück  und 
dem  Grundgebirge  der  Haardt  bedeckte. 

Nach  Ablagerung  der  oberen  Steinkohlen-  und  der  unteren  und 
mittleren  Hothliegenden  Formation  wirkte  der  SSO-Druck  weiter  fort 
und  faltete  auch  noch  diese  Gebilde,  so  dass  das  Saar-Nahe-Becken  und 
längs  des  Nordrandes  des  rheinischen  Srbiefergebirges  das  Aachener  und 
Ruhrbecken  gleichfalls  noch  in  dem  Sinne  des  niederrheinischen  Systems 
in  ONO  streichende  Mulden  und  Sättel  mit  zahlreichen  Verwerfungen  im 
Streichen  und  Fallen  der  Schichten  zusammengeschoben  wurden.  Die 
Falten  des  productiven  Steinkohlengebirges  und  der  imteren  Bothliegen- 
den  Stufen  konnten  aber  in  Folge  dieser  späteren  Bew^^ungen  nicht 
mehr  so  steil  aufgerichtet  und  scharf  gefaltet  werden,  wie  die  älteren 
Formationen  vom  (Tueiss  an  bis  zum  Devon  und  zum  Kulm.  Daher  sehen 
wir  bereits  iu  den  Vogesen,  dass  die  Schichten  der  oberen  Steinkolile 
mit  flacheren  Winkeln  einfallen,  als  die  unterlagernden  Gnetsse  nnd 
Grauwacken,  und  dass  die  Schichten  der  productiven  Steinkohle  und  des 


lichia.  40.-42.  Jahresbericht,  S.  59— 72.  Mit  geologiBehen  PnilOeii.  Tafel  L 
Dürkbeim  X884. 


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35J 


Die  obenrlMinisch«  Tiefebene  vad  ihre  Randgebirge. 


67 


unteren  und  mittlereu  KolliliegenJen  discordant  übergreifen  über  die 
früher  entstandenen  und  steileren  Falten  der  älteren  Formationen. 

Auf  die  fnedellen  Nachweise  dieser  LagerungsverbSlinisse  im  Saar- 
Xahe-Beckra  können  wir  hier  nidit  eingehen^);  dieses  Saar-Nahe- 
Gebirge')  oder  Saarbrückener  Kohlenbecken  bildet  ein  selbständiges 
Zwischenglied  zwischen  dem  rlieiiiischen  Schiefergeltirp^e  und  dem  ober- 
rheinischen Gebirgssystem  oder  zunächst  zwischen  Hunsrück  nnd  Haardt. 

Das  Grundgebirge,  welches  wir  am  Ostrande  der  Haardt  zu  Tage 
treten  sahen,  erscheint  nicht  mehr  am  Nordrande  desselben  Gebuwes. 
Eine  sehr  bedeutende  Verwerfung  in  der  Richtung  von  St  Arold  in 
Lothringen  über  Merlenbach,  Forbach,  Malstatt  bei  Saarbrücken  nach 
St.  Ingbert,  Wellesweiler  bis  Ober-Bexbach  hat  den  Siidfiügel  des 
bteinkolilensattels  abgeschnitten  und  neben  die  untersten  Scliichten  der 
productiven  (obereiij  Steinkohlenformation  den  Bunten  Sandstein  ge- 
worfen. Südlich  dieser  Verwerfung  wurde  z.  B.  bei  St.  Ingbert  die 
prodnctiTe  Steinkohlenformation,  welcbe  kanm  2  km  nördliä  dieser 
Stadt  in  ihren  untersten  Schichten  an  der  Oberfläche  liegt,  erst  in 
lo8  m  Tiefe  erbohrt,  unter  202,5  m  Bunt-Sandstein  und  255,5  m  Koth- 
liegendem  Sandstein;  bei  Mittel-Bexbach  wurde  das  Kolilengebirge  in 
238  m  Tiefe  angetroffen^).  In  Lothringen  wurde  die  Steinkohlen- 
formation südlich  der  Verwerfung  zwischen  St.  Avold  und  Forbach 
im  Bosseltlial  in  588  m  Tiefe  noen  nicht  erreichtf  während  nnr  700  m 
nördlich  dieses  Bohrloches  im  Hocbwalde  bei  Merlenbach  dieselbe  schon 
in  173,7  m  erbohrt  wnrde*). 

Die  Bohrlöcher  an  der  Pfälzer  Grenze  bei  St.  Ingbert  und  Bex- 
bach beweisen  jedoch  wenigstens,  dass  südlich  der  grossen  Verwerfung 
daö  productiye  Steinkohlengebirge  unter  dem  Rothliegendeu  noch  vor- 
handen ist,  wShrend  wir  gesehen  haben,  dass  50  km  weiter  OstJich  Ton 
Bexbach  am  Ostrande  der  Haardt  Aber  dem  Gmndgeburge  nicht  allein 
die  productive  Steinkohle,  sondern  auch  die  im  Saar-Nahe-Becken  so 
mächtin-f'n  linmischen  Schichten  der  Rothliegenden  Formation  voll- 
ständig fehlen.  Das  Liegende  der  productiven  Steinkohle  im  Saar- 
brückener Becken  ist  noch  nicht  erbohrt  worden. 

Die  Verwerfung  von  St.  Avold-Forbach-Bexhach  zieht  ziemHch 
geradlinig  im  Streichen  des  niederrheinischen  Systems,  in  N  55^  0, 
weiter  über  Reichenbach  nnd  am  Donncrsljerg  vorbei  bis  nach  Alzey 
und  Oppenheim  am  Rhein,  wo  sie  die  in  NNO  verlaufende  Bheinspalte 
in  spitzem  Winkel  durchschneidet^). 

'i  Sielie  Weiss  und  LasjM'yros,  Geognostische  Urbfrsichtskarte  dea 
kohlenrührenden  Sa&r-Rhein-Gebietes,  Berlin  1868^  und  Laspeyres,  Kreuznach 
and  Dflrkhefm  a.  d.  Haardt  Zeitoefar.  d.  deutsch,  geol.  GeseUseh.  1807,  Band  19, 
&  803—022.    Mit  Profiltafcl. 

G  um  bei  a.  a.  0.  1865,  S.  15  macht  mit  Recht  darauf  aufmerluam,  dass 
der  Ueintte  Theil  des  Saarbrttckener  Kohlenbeckens  auf  PflUser  Gebiet  flUlt  nnd 
daher  die  Benennung  „Pfälziscli-iSaarbrüikVclies  Kolilengebirge*  nnpassend  sei. 
Allerdings  liegt  der  höchste  Berg  dieses  Gebirges ,  der  Donnersberg  &il  m,  noch 
auf  Pftlcer  Gebiet 

\)  Gümbol  a.  a.  0.  S.  28. 

*)  Benecice,  Abriss  der  Geologie  von  Elsass-Lothringen,  1878,  S.  21. 
OB*  LepsiaS)  Ites  Xabuer  Becken,  geologisch  beschriebai,  S.  173. 
Darmstadt  1883. 


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68 


Lepsius, 


[36 


Wir  haben  demnaeh  im  Yerkuf  unserer  üntersudrong  erkannt, 
dasB  die  vier  Randgebirge  der  oberrheinischen  Tiefebene  ein  Grund- 
gebirge enthalten,  welches  vor  der  neuen  Meeresfiberfluthung  su  Beginn 

(1er  Zeit  dt  s  oberen  Rothliegenden  einem  weitausgedehnten,  in  sich  fest 
zusaniuienhängenden  Coutiueut  angehörte.  Diesem  Contineut  fohlte  noch 
vollständig  die  Rheinversenkung  und  fehlten  Gebirgszüge  von  der  liich- 
tung  und  der  Form  der  jetzt  im  südwestlichen  Deutischland  vorhandenen 
Gebirge;  vielmehr  werden  die  Berge  dieses  Gontinentes  mit  ihren 
Kämmen  in  der  Streichnchinng  ihrer  Formationen,  nämlich  in  OKO 
gerichtet  gewesen  sein. 

B.  Die  Trias-  und  Jitra-Tafeln. 

Nachdem  nun  dieser  Continent  in  ganz  Deutschland  zu  Anfang  der 
Bildimg  des  oberen  Rothliegenden  Conglomerates  wieder  vom  Meere  bedeckt 
worden  war.  lafj^^rten  sich  während  eines  sehr  langen  Zeitraumes  in  diesem 
Meere  die  Foruiutionen  des  oberen  Rothliegenden,  des  ZechRtein^.  drs 
Buntsandsteins,  Muschelkalkes  und  des  Keupers,  sowie  fast  die  sämmt- 
Uchen  StufSsn  der  Juraformation  ruhig  und  aUndhlich  ah.  Ohne  jede 
Schiditenstörung,  ohne  einen  einzigen  Ausbruch  der  Erdlava  ging  diese 
ganze  lange  Zeit  der  Meeresbedeckung  für  Deutschland  vorüber.  Die 
Gesteinsbeschaffenheit  der  genannten  Formationsstufen  bleibt  in  Folge 
dieses  ununterbrochenen  Al)i«atzes  in  einem  grossen  Meere  über  weite 
Strecken  hin  nahezu  gleich:  der  Muschelkalk  in  Lothringen  sieht 
ebenso  aus  wie  derjenige  an  den  Bindern  der  Bheinehene  und  wie  in 
Schwaben  und  Franken;  der  Lias  dehnt  sich  ohne  wesentliche  Ah* 
weichung  seiner  Gesteine  und  seiner  Fauna  gar  fiber  den  grOssten 
Theil  von  Europa  aus. 

Erst  zu  iv'ginn  der  Kreidezeit  trat  das  Meer  vom  südwestlichen 
Deutschland  zurück:  die  Jurakalke  erschienen  an  der  Oberfläche  des 
neuen  Oontinentes.  Nun  erst  wurden  diejenigen  Bewegungen  in  unserem 
Gebiete  eingeleitet,  welche  in  ihrem  langen  Fortgange  und  in  ganz 
allmShlidier  Wirkung  die  oberrheinische  Tiefebene  und  ihre  Rand- 
gebirge als  endliches  Resultat  zu  Stande  brai  Ilten.  Nicht  plötzlich  und 
auf  einen  Guss  entstand  dies  neue  Gebirgssystem  mit  seinem  NNO- 
Streichen,  sondern  von  kleinen  Anfangen  an  und  durch  unzäbligemal 
wiederludte  kleine  Absenkungen  und  geringe  Einbrüche  der  Schichten- 
oompleze.  Koch  heute  sind  diese  Bewegungen  im  Sinne  des  ober- 
rheinischen Gebirgssjstems  nicht  zur  Ruhe  gekommen,  wie  die  häufige 
Erdbeben  in  der  Rheinebene  Ix' weisen. 

In  dem  Grundgebirge  erkannten  wir  eine  Lagerung  der  Schichten, 
welche  durch  Zusammeuschub  und  durch  tangentialen  Druck  von  SSO  her- 
▼orgerufen  worden  war.  Die  neuen  Bewegungen  von  der  Kreidezeit  an 
bis  heilte,  weit  entfernt  davon,  die  Schichten  ausammenzuschieben,  haben 
dieselben  vielmehr  in  der  Rhcinspalte  mitten  auseinander  gebrochen  und 
sie  in  den  übrigen  Theilen  des  Systems  tafel-  und  stufenförmig  neben 
einander  absinken  lassen.  Die  Wirkung  dieser  tafelförmigen  Zerstücke- 
lung der  Erdkruste  erkennen  wir  am  deutlichsten  in  der  Lagerung  der 


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37) 


Die  obcrrbeiiitoehe  Tiefebene  mid  Ihre  Randgebirge. 


69 


aljgewoifenen  Trias-  und  Jnrascbichten,  viie  sie  die  stehen  gebliebenen 
Kerne  des  Grundgebirges  mantelfönnig  amhtOlen  und  an  deaaelben 

abgesunken  liegen. 

In  seinem  geistvollen  Werke  ,I)as  Antlitz  der  Erde*  nennt 
Suess  die  Brüche  zwischen  solchen  absinkenden  Schichtentafeln 
.Tafelbrflche*,  eine  sehr  treffende  Bezeichnung  dieser  Art  Ton  Brficben 
im  Gegensatz  zn  den  Faltenbrücben,  nnd  setat  zugleich  den  funda- 
mentalen Unterschied  von  tangentialen,  zusammenschiebenden  und  Ton 
vertical  absinkenden  Bewegungen  im  Erdgewölbe  klar  auseinander 
(S.  142 — 189).  Daselbst  kennzeichnet  Suess  die  stehen  eehliebenen 
Grundstöcke  von  Scbwarzwald,  Vogesen,  Odenwald  und  Haardt  als 
sHiNTste*,  Yon  äeam  allseits  die  Trias-  und  Jnratafeln  absinken 
(S.  167  und  265).  Rings  tun  diese  Horste  »ToUzieht  sich  die  Ab- 
trennung der  mesozoischen  Tafeln  vom  alten  Gebirge  in  mehr  oder 
minder  dem  Gebirgsrande  parallelen  Brüchen,  welche  häufig  TOn  Quer- 
brächen  rechtwinkelig  gekreuzt  werden*  (S.  257). 

Oestlich  des  Schwarzwaldes  und  Odenwaldes  brach  das  grosse 
friakiseh-schwäbische  Senkungsfeld  ein,  wie  die  «eingebrochene  SSs- 
decke  eines  entwässerten  Teidies*  (8.  253);  westlich  der  Vogesen  nnd 
der  Haardt  sinken  die  Tafeln  ebenso  ab  zu  dem  nordiranzflsischen 
Senkungsfelde,  dessen  Mitte  das  Pariser  Becken  einnimmt. 

Mitten  zwischen  diesen  beiden  vertical  absinkenden  und  dabei 
treppenturmig  zerbreehenden  grossen  Trias-  und  Jura-Tafelgebieten 
bfieben  als  Brücken  oder  , Horste"  zwischen  dem  Alpensystem  und 
dem  niederrheinischen  System  die  beiden  Grundgebirgskettni  auf  bei- 
den Seiten  der  Rheinebene  stehen.  "Weshalb  dieselben  nicht  mit  den 
beiderseitigen  Senkungsfeldern  in  die  Tiefe  sanken,  lässt  sich  schwer 
erklären.  Vielleicht  giebt  die  La^e  der  Brücken  einen  Anhalt:  hier  be- 
findet sich  die  kürzeste  Kntlernung  zwischen  dem  in  der  Schweiz  weit 
tangential  nach  Norden  geschobenen  und  dabei  gerade  dort  am  stärksten 
gefalteten  Alp  ensjstem  und  dem  grossen  MassiT  des  rheinischen  Schiefer- 
gebirges; wie  zwischen  den  beiden  Backen  eines  Schraubstockes  wur- 
den die  Horste  festgehalten  von  Norden  und  Süden  her,  während  östlich 
und  wf'^tlich  der  Brücken  genügend  Kaum  war,  um  dasselbe  Grund- 
gebirge mitsammt  den  darauf  befindlichen  Trias-  und  .Turntafeln  in  die 
Tiefe  absinken  zu  lassen.  Wahrscheinlich  sind  die  beideu  nachbarlichen 
Gebirgssjsteme  auch  daran  schuld,  dass  die  Horste  am  Sfid-  und  Nord- 
rande höher  liegen  als  in  der  Mitte,  indem  zugleich  dem  höheren 
Alpensjsteme  die  grössere  Höhe  der  Brücken  im  Süden  und  die  weitere 
Entfernung  der  mittleren  Einsenkungen  (Zabern-Liuifrenbrückpn)  nach 
Norden  entspricht.  Auch  würdo  sich  auf  diesf  Weise  zugleich  «t- 
klüren,  weshalb  die  östliche  Brücke,  Schwarzwaid  und  Odenwald,  und 
das  fr&nkisch-sehwftbische  Senkimgsfeld  rerhSltnissrnfissig  hoher  stehen 
als  die  westliche  Brücke,  Yogesen  und  Haardt,  und  das  lothringische 
Senkungsfeld;  westlich  ist  mehr  Raum  zwischen  den  Alpen  (resp.  dem 
Centralplatean  Ton  Frankreich)  und  dem  niederrheinischen  System,  als 
im  Osten. 


')  Eduard  Suess,  Das  Antlitz  der  Erde,  I.   Prag  1883-1885. 


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70 


Lepains, 


[38 


Der  Horst  bracli  seiner  Länge  nach  niittpii  auf  und  tlieilte  sich 
in  zwei  Brücken:  eine  4  Meilen  breite  und  4<)  iMeilen  lanpe  Spalte 
entstand  von  Basel  bis  Mainz,  in  welche  die  Trias-  und  Juratat'eln 
embraclien,  so  daas  sie  jeizfc  in  Stficken  den  inneren,  dem  Blieine  zu- 
gewandten Rändern  der  stehen  gebfiebenen  Brtteken  des  Omndgebirgee 
steil  aufgerichtet  oder  Üach  yerworfen  anlagern. 

Die  bisherigen  Arbeiten  und  geologischen  Aufnahmen  der  um 
die  Kerne  des  oberrheinischen  Gebirgssyst^'infs  stufenförmig  nieder- 
gesunkenen Schalen  der  Trias-  und  Juraiaieiu  lassen  bereits  eine 
grosse  Anzahl  von  Spalten  nnd  Verwerftingen  erkennen,  welche  das 
grosse  Bmcfanetz  der  Senkongsfelder  Ensammenseteen Einige  der 
wichtigsten  wollen  wir  anführen,  um  daran  zu  zeigen,  in  welcher 
Weise  die  Trias-  un  l  Tut  atafein  die  oben  gekennzeichneten  Grundstöcke 
der  vier  Randgebirge  umlagern. 

Die  Richtung,  nach  welcher  hin  die  zerbrechenden  Tafeln  ab- 
sinken, ist  natürlich  im  allgemeinen  abhängig  von  ihrer  Lage  gegen 
die  in  NNO  streichenden  Horste:  nach  OSO  fidlen  die  Stufen  in 
Schwaben  und  Franken,  nach  WNW  in  Lothringen;  gegen  OSO  brechen 
die  abgestürzten  Formationen  nieder  am  Kusse  der  Vogesen  und  der 
Haardt,  gegen  WNW  am  Rande  des  Schwarzwaldes  und  des  Oden- 
waldes;  das  krystalline  Grundgebirge  sinkt  natürlich  unter  den  Trias- 
uud  Juraschichten  in  gleichem  Sinne  mit  denselben  treppenförmig  in 
die  Tiefe;  ja  auch  in  den  Horsfem  selbst  wirkten  die  tertiiren  und 
diluvialen  Bewegungen  in  der  gleichen  Weise,  so  dass  Theile  der- 
selben ebenfalls  stufenförmig  von  den  Hauptkämmen  in  0  und  W  ab- 
brechen und  gegen  einander  verworfen  liegen. 

Im  einzelnen  jedoch  unterliegt  die  vorherrscliciule  Fallrichtung 
der  Tafeln  nach  den  Senkungäielderu  hin  bedeutenden  Abweichungen, 
besonders  aus  folgenden  Grflnden:  jede  der  beiden  Brficken  bädet 
keinen  einzelnen,  durch  das  ganze  Gebirgssystem  durchstreichenden 
Kamm,  sondern  besteht  aus  mehreren,  in  NNO  streichenden  Parallel-' 
Zügen,  welche  mit  verschiedenen  Längen  an  den  Rändern  der  vier  ge- 
trennten Horste  zickzackfbrmig  abbrechen.  Deswegen  läuft  die  Rhein- 
ebene  nicht  durchweg  geradlinig  in  NNO,  sondern  springt  oft  mit 
BueUen,  in  denen  dimn  die  Schiäten  besonders  stark  zerrfittet  liegen, 
gegen  die  Kämme  der  Horste  hinein.  Die  Grundursache  dieser  quer 
gerichteten  Abbrüche  der  in  NNO  streichenden  Kämme  und  der  V>oi<Iea 
Senken  bei  Zabern  und  im  Kraichgau,  sowie  des  Süd-  und  Nordrandes 
der  Gebirge  berulit  darin,  dass  das  Grundgebirge  ein  anderes  Streichen 
besitzt  als  dasjenige  ist,  welches  die  jüngeren  Bewegungen  beherrscht : 

')  Ausser  den  bereit«  citirten  Werken  heben  wir  hier  hervor: 

Deffner  und  Fraae,  Die  Jura- Versenkung  bei  Lnnpenbrücken.  Geo- 
gnoatische  Monographie.  N.  Jahrb.  für  Mineral.  1859,  S.  1  u.  Mit  geologischer 
Karte.  Stuttgart  1859. 

Ben  ecke  nnd  Cohen,  Geognostische  Beschreibung  der  Umgegend  ▼on 
Heidelberg.    Mit  2  geol.  Karten.    Strassburg  1881. 

G.  Bleicher,  Essai  de  geologie  compsrte  des  Pyr6n£e>f  du  plateau  central 
et  des  Vosges.    Inaug.-Di,«?.    Colmar  1870. 

F.  Schal  ch,  Beitrage  zur  Kenntuiss  der  Trias  am  südustlicheu  iScinvarz- 

walde.  Inaog.*DiM.  Schaohaasen  187S. 


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Die  oberrheiniBche  Tiefebene  und  ihre  Bandgebirge. 


71 


das  gefaltete,  in  ONO  streichende  Grundgebirge  zerbricht  leichter 
parallel  seinem  Streichen  und  parallel  seinen  Falten,  als  in  der  neuen 
NNO-Richtung  des  jüngeren  Gebirgssystems. 

Aus  diesen  Ghrllnden  überzieht  rieh  das  oberrheinische  Gebirge* 

System  mit  einem  Netz  von  Brüchen,  welche  vorherrschend  im  Haupt- 
streichen des  Systems  in  NXO  und  senkrecht  zu  dieser  Richtung 
verlaufen,  welche  aber  durch  die  Querbrüche  des  Grundgebirges  je 
nach  der  Lage  der  absinkenden  Tafeln  von  jener  Hauptrichtung  mehr 
oder  weniger  abgelenkt  werden.  Wenn  es  dabei  auch  gelegentlich 
vorkommen  kann,  dass  das  Streichen  der  jüngeren  BrQche  dem  Sfareiehen 
des  Grandgebirges  parallel  wird,  so  unterscheiden  sich  die  Ursachen 
dieser  ähnlichen  Wirkungen  doch  sehr  scharf  von  einander:  jene  Be- 
wegung der  paläozoischen  Zeit  schob  die  von  ihr  betrotfeuen  Schichten 
zusammen,  die  jünprere  Bewegung  der  tertiären  Zeit  riss  im  Gegen- 
theil  die  Schichten  auseinander. 

1.  Am  Südrande  des  Schwarzwaldes. 

Die  Bergketten  des  Schwarzwaldes  brechen  an  ihrem  Sfldrande 
nicht  geradlinig  in  die  Tiefe,  sondern  in  zwei  Absätzen:  der  Dinkel- 
berg und  die  Sandsteinhölien  nördlich  der  unteren  AViese  zwischen 
Schopflieim  und  Kandern  bestehen  aus  fast  liorizontal  liegenden  Trias- 
tafeln, welche  mit  ostwestlichem  Bruche,  also  ungefähr  parallel  der 
oben  beschriebenen  Falte  von  Badenweiler  bis  Schönau,  südlich  vor 
den  letzten  Hdhen  der  beiden  Kimme  des  Feldbergs  nnd  des  Bolchens 
abgesunken  sind;  nur  längs  des  Bmches  sind  die  Schichten,  wie  so 
häufig  bei  Tafelbrüchen,  ein  wenig  geschleppt,  d.  h.  sie  fallen  eine 
kurze  Strecke  weit  vom  Grundgebirge  ab  nach  Sfidon.  Am  Ostrande 
trennt  ein  Längsbruch  in  der  Hauptrichtung  des  Systems  die  abgesun- 
kene Triastafel  des  Dinkelberges  vom  Gneiss  des  Vorwaldes,  welcher 
Vla^  der  Wohra  nach  Sfiden  vorspringt  bis  an  den  Bhein:  eist  hier 
zwischen  Säckingen  und  Waldshut  endigt  mit  ostwestlichem  Querbrache 
der  östlichste  S&eifen  des  Grandgebirges. 

2.  Am  Ostraade  der  Bhelnebene. 

Längs  dem  der  Kheinebene  zugewandten  Abhänge  des  Schwarz- 
waldes brachen  die  Trias-  und  Juraschichten  zumeist  regelmässig  mit 
Verwerfungen  in  derNNO-Hauptrichtung  am  Grundgebirge  oder  gleich- 
zeitig mit  mehr  oder  weniger  breiten  S&eifen  des  Grandgebirges  selbst 

zur  geöffneten  Spalte  nieder;  dabei  finden  sich  die  grössten  Störungen 
mit  steiler  Abschleppung  der  Schichten  in  der  Nähe  der  Hauptbrüche 
zwischen  Trias  und  krystallinem  Grundgebir«;«  ,  während  westlich  der 
Hauptbrüche  zumeist  die  Trias-  und  Juratafeln  fast  horizontal  lagern, 
wie  z.  B.  in  dem  breiten  Jurahügellande  zwischen  Kandern,  Isteiu 
and  MilUheim. 

Bei  Freibnrg  begegnen  wir  einer  tieferen  Einbuchtung,  in  welcher 
die  abgesonkenen  Trias-  nnd  Jurastufen  schneller  und  steiler  direkt 


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72 


Lepsins, 


[40 


am  Fasse  des  westlichen  Hanptkammes  des  Grundgebirges  in  die  Tiefe 
sinken:  dieser  tiefere  Einbruch  der  Schichten  in  der  Rheinebene  ver- 
ursachte das  Ausströmen  der  ErdlaTa  in  dem  Vulkane  des  Kaiserstuhls 

am  Bhein. 

Charakteristisch  für  die  Lagerung  der  abgeworfenen  Schichten 
ist  der  Bau  des  SchCnberges ')  sfidlich  Freiburg  und  seiner  Parallel- 
kette, des  Toniberges  bei  Thiengen:  die  Trias-  und  Jnraschxcbten  beider 
Berge  streichen  parallel  der  Hauptrichtung  in  NNO  und  fallen  von  den 
Verwerfungen  ab  nach  WNW  dem  Rheine  und  dem  Kaiserstiihl  zu. 

Nördlich  der  Freiburp^er  Bucht  ist  der  ganze  Oebirp^sstreilVu  zwi- 
schen Emmeudingen  uud  Üfl'enburg  gegen  die  Rheinebeue  abgesunken*); 
nicht  nur  die  Trias-  und  Jurastreifen,  sondern  auch  breite  Streifen 
des  Cbrundgebirges  brechen  Tom  Hanptkamme  treppenförmig  an  ein- 
ander zur  Tiefe.  Die  genanen  Annahmen  von  H.  Eck  in  der  Umgegend 
von  Lahr  weisen  mehrere  parallele  Verwerfungen  im  Hauptstreichen 
des  Gebirges,  nämlich  in  NXO  nach,  zwischen  denen  die  Tafeln  hori- 
zontal, oder  schwach  geneigt  nach  W  lugern. 

Bei  Baden  und  Gernsbach  bricht  der  grössere  Tlieil  des  Schwara- 
wftld^  Grundstockes  qner  xnm  Streichen  des  Gebirges  in  ONO  ab; 
wir  finden  znnScfast  vor  den  abgeschnittenen  Eftmmen  die  niedersinken- 
den Formationen  in  stark  verworfener  Lagerung,  so  dass  z.  ß.  am 
Nordfiisse  der  Ebersteinburg  f^egen  Knppenheim  zu  eine  grössere  Partie 
Muschelkalk  mit  Verwerfungen  eingekeilt  liegt  zwischen  den  westlichen 
Buntsaudstein-Höhen  uud  den  paläozoischen  Schiefern  und  Rothliegeu- 
den  Gonglomeraten  der  Ostseite. 

In  diesem  Umbrüche  der  Rheinspalte  bei  Baden  b^pnnt  die  breiie 
und  für  den  Ban  des  oberrheinischen  Gebirgssystems  wichtige  Senke 
des  Kraichgaues  zwischen  Schwarzwald  und  Odenwald.  Von  Baden 
brechen  die  Tafeln  allmählich  nieder  bis  zu  den  relativ  am  tiefsten 
eingesunkenen  Jurastreifeu  bei  Laugenbrückeu.  Diese  Schollen  haben 
aehon  lange  die  Aofinerksamkeit  der  Geologen  erregt:  denn  sie  sind 
die  letzten  Beste  der  Jnradecke,  welche  einst  Tor  den  tertiären  Brfichen 
und  vor  der  Denudation  der  continentalen  Strecken  das  ganze  südwest- 
liche Deutscliland  bedeckten.  Das  erkannten  schon  Deffner  und 
Fraas,  und  mit  Recht  rühmt  Suess  in  sein»  in  umfassenden  Werke 
(Anthtz  der  Erde  I,  S.  250j,  dass  diese  beiden  Forscher  bereits  im 
Jahre  1859  ^e  Entstehung  der  eingekeilten  Jurascholle  von  Langen- 
brflcken  richtig  erkannt  hfttten.  vom  Nordende  des  Sehwarzwädea 
bis  zur  Senkungsmittellinie  Langenbrficken  -  Mühlhausen  sinken  die 
Tafeln  statfelformig  nieder,  so  dass  die  SO-Seite  jeder  Verwerfung 
stets  die  relativ  höhere  ist;  nördlich  der  Mittellinie  der  Senke  findet 
natürlich  das  Umgekehrte  statt:  hier  steigen  die  Stufen  zum  Südrande 
des  Odenwaldes  auf,  so  dass  immer  die  NW-Seite  jeder  Verwerfung 
die  höhere  wird. 


*)  Carl  FroiuhtTz,  Geognostische  Beschreibung  des  Schönbergs  bei  Frei- 
barg.    Mit  Profiltafel.    Üniversitäta-Programni.    Freiburg  1837. 

H.  Eck.  rmg»-pend  von  Lahr.  1884.  Ph.  Platz,  Oeologiache  B«flchrei- 
buDg  der  Uragebungeii  von  Lahr  und  ütTenburg.    Carisrube  1867. 


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Die  oberrhefnische  Tiefebene  und  ihre  Randgebifi^. 


73 


Da  die  ganze  Kraichgauer  Senke  quer  zu  den  Zügen  des  ober- 
rheini-chen  Ge})irgssystems  und  parallel  zum  Streichen  des  Grund- 
gebirj^es  verlauft,  so  richtet  sich  die  Mittellinie  der  Senke  in  N  50  °  0 
und  die  derselben  parallelen  Hauptverwerfungen  in  NO,  indem  die  Tafeln 
zwischen  dem  in  NNO  liegenden  Odenwalde  und  dem  in  SSW  liegenden 
Sehwarswalde  niedersinken  müssen.  Docli  streieht  eine  Hauptverwer- 
ftuig,  die  von  Vl^statt,  über  Oestringen  bis  in  den  Buntsandstein  bei 
Spechbach  (Bem  i  ki*  und  Cohen  a.  a.  0.  S.  (iOl)  in  N  37"  0,  also 
mehr  im  Hauptstreichen  der  Gebirge,  als  in  dem  der  Senke.  Die 
mit  den  Hauptverwerfungen  entstellenden  Qnerbrfiche  streichen  natür- 
lich senkrecht  zn  jenen,  also  in  KW  bis  WNW;  in  dieser  Richtung 
Terläufl  z.  B.  die  Verwcnrfung  im  Angelbachthale,  wo  die  beiden  Ränder 
des  Querbruches  so  zu  einander  stehrn.  dass  Ix'i  Wicslodi  die  NO- 
Seite  höher  liegt  als  die  SW -Seite,  dagegen  oberhalb  im  Thale  schon 
bei  Waldangeloch  die  Schichten  beiderseits  des  Bruches  in  gleiches 
Kireau  zu  stehen  kommen. 

Auch  die  Nahe  der  Bheinspalte  macht  sich  geltend  in  dieser 
Senke,  z.  B.  in  der  Verwerfung,  welche  von  Nussloch  in  N  6^  0 
oberhall»  Lfinien  und  über  den  Speiererhof  nach  Heidelberg  zwischen 
Eönigstuhi  und  Geisberg  hinflnrch zieht;  der  Westrand  der  Verwerfung 
sinkt  ab  zur  Rheinebene  (^Htiuckc  und  Cohen  a.  a.  0.  1881,  S.  002). 

Doch  sind  wir  hiermit  schon  am  Kujide  des  Odenwaldes  ange- 
langt, an  dem  nur  wenige  Reste  der  abgesunkenen  Schichten  zn  Tage 
geben.  Einige  Bontsandstein-Schollen  ragen  zwischen  Grossachsen  und 
tVeinheim  am  Fusse  der  Granitberge  hervor;  die  Starkenburg  liei 
Heppenheim  steht  auf  einer  an  Gneissen  hängengebliebenen  Buntsand- 
-teinkuppe;  und  in  Darmstadt  sinken  Conglomerute  und  Letten  des 
oberen  Kothliegenden  mit  nord.südlich  gericliteter  Verwerfung  am 
Granit  nach  W  unter  das  DiluTium  in  die  Tiefe. 

Der  Abbruch  des  Grundgebirges  an  der  Bergstrasse  verläuft  auch 
nicht  geradlinig,  sondern  mit  einem  stumpfen  Winkel  am  Melibocus; 
in  der  Ecke  südlich  vorgelagert  diesem  neuen  gegen  W  mehr  vor- 
springenden Kamme  haben  sicli  die  Scholien  des  Bunten  Sandsteins  und 
der  oUgocänen  Meeressande  bei  Heppenheim  erhalten. 

3*  Am  Sftdraode  der  Yogesen. 

Betrachten  wir  nun  zuerst  den  Innenrand  der  Vdgesen  und  der 
Haardt,  ehe  wir  die  östliche  Abdachung  des  Schwarzwaldes  und  des 
Odenwaldes  kennzeichnen,  so  erkennen  wir  dort  denselben  Zickzack- 
ftrmigen  Verlauf  der  Abbmcblinie  an  der  Kheinversenkung  und  ähn- 
liche Buchten  wie  am  inneren  Rande  der  östlichen  Gebirge.  Der 
Beichenstock  der  Vogesen  bricht  im  Süden  an  der  Bnrgundischen 
Pforte  in  der  Richtung  ONO  parallel  zum  Streichen  des  Grundgebirges 
ab:  längs  des  Südrandes  der  oben  erwähnten  letzten  Falte  des  Grund- 
gebirges im  Mont  Salbert  und  Arsot  bei  Beifort  fallen  sämmtlicbe 
Fotmaftumen  vom  oberen  Botfaliegenden  dnrch  die  Trias  bis  zum  oberen 
Jnn  ab  nach  SSO,  also  im  gleichen  Sinne  mit  dem  Qrnndgebirge, 


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74 


Lepdtu, 


[42 


indessen  discordant  über  demsellien  und  mit  bedeutend  flacheren  Winkeln . 
Dabei  macht  man  hier  wie  überall  die  Beobachtung,  dass  spröde 
Schichten  wie  der  Buutsandstein  tiacher  einfallen  (hier  am  Mont  Arsot 
mit  10 — 15  als  die  &ltbaren,  dünnen  Schichten  des  Mnaefaelkalkee 
und  des  Eenpers,  die  Ober  dem  Bonisandstein  daselbst  mit  32^  in 
SO  abfallen.  Die  massigen  Korallenkalke  des  oberen  Jura  bei  Beifort 
verhalten  sich  auch  wieder  spröde  und  brechen  daher  mit  drei  Längs- 
verwerfungen staffelförmin"  nach  SO,  mit  Winkeln  von  anfangs  30" 
beim  Fort  de  la  Miotte  und  von  6®  in  der  zweiten,  südlichen  Stufe  bei 
Perouse;  schon  bei  Danjoutin  liegen  die  Tafeln  fast  horizontal  —  also 
eine  Lagerung  der  abgesunkenen  Tafeln  mit  Schleppung  am  Grund- 
gebirge wie  &fiben  im  sfldlichen  Schwarzwald  zwischen  Kandern  mid 
Schopfheim.  Nördlich  der  Falte  der  Bergkette  Salbert-Arsot  füllt  das 
obere  Rothliegende  die  Einsenkung  bis  zum  höheren  Anstieg  des  Ge- 
birges bei  Giromagny,  und  zwar  liegt  dasselbe  fast  horizontal  über 
den  Köpfen  der  mit  50  ^  und  steiler  einfallenden  paläozoischen  Schiefer 
bei  Sermamagny  (Delbos  et  Köchlin-Schlumberger  a.  a.  0.  18G7, 
II,  S.  291).  Hier  am  südlichen  Abbruch  der  Vogesen  beherrschen 
demnach  die  Richtungen  des  Gnmdgebirges  auch  diejenigen  der  viel 
jüngeren  Tafelabbrüche  des  oberrheinischen  Gebirgssystems,  weil  das 
letztere  überhaupt  im  Sfiden  wie  im  Norden  endigt  parallel  dem 
Streichen  des  Alpensjstems  und  des  niederrheinischen  Sohiefergebirges. 


4.  Am  Westrande  der  Bheinebene. 

Längs  des  Ostabhanges  der  Vogesen  und  der  Haardt  dagegeu 
sinken  die  niederbrechenden  Trias-  and  Jnratafeln  ein&ch  an  den  NNO 
streichenden  ESmmen  na^^  OSO  in  die  Rheinspalte  ein;  nnr  an  den 

Umbiegungen  und  in  den  Baditen  des  Gebirgsrandes  complidren  sich 
die  Brüche  und  Verwerfungen  zwischen  den  Tafelstücken.  Zwei 
Buchten  sind  hier  von  besonderer  Wichtigkeit:  diejenige  von  Wintz- 
felden,  welche  die  Ecke  zwi^cluMi  dem  Nordende  des  südöstlichsten 
Bergkammes  und  dem  mittleren  Hauptkamme  ausfüllt,  und  die  Bucht 
Ton  Hntraig,  welche  Tor  dem  Nordende  dieses  zweiten  Hauptkammea 
fainfiberleitet  zu  dem  letzten  westlichen  Kamme.  Da  dann  die  Haardt 
wiederum  bedeutend  gegen  Osten  vorspringt,  so  entsteht  nördlich  von 
dem  St(jrunfrc!frebiet  von  Mutzig  eine  grössere  Bucht  bis  nach  Zabern, 
Ingweiler  und  Wörth  hin. 

Die  Bucht  von  Wintzfelden  ist  besonders  dadurch  interessant,  dass 
in  derselben  aui  Fuss  der  höchsten  Bergkette  der  Vogesen  die  sämmt- 
lichen  Schichten  der  Trias  und  auch  noch  der  Lias  mit  miToriaderter 
Mächtigkeit  und  ohne  jeden  petrographischen  Wechsel  hart  am  Granit 
des  Kleinen  Beleben  abschneiden:  der  Lias  von  Wintzfelden  ist  derselbe 
wie  derjenige  in  Lothringen  ond  in  Schwaben.  Von  einem  Meeresarme 


0  Siehe  Delbos  aiidKöeMin-Sehlaiiiberger;  Bleieher  a.  «.0.  1870, 
bes.  pL  IV,  profil  13;  und  R.  Lepsin»  a.  s.  0.  1875,  Tat  VI,  Profil  & 


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43] 


IK«  oberrheiniflche  Tiefeben«  und  ihre  Bandgebirge. 


75 


des  Liasmeeres,  welcher  hier  zwischen  Vogesen  und  Schwarzwald  hin- 
durchreichte,  kann  keine  Rede  sein;  weder  diese  beiden  Gebirge  noch 

die  Rheinspalte  existirteu  zur  Liaszeit 

Der  Kleine  Belchen  hat  eine  absolute  Höhe  von  1274  ni;  rechnen 
wir  die  Mächtigkeit  der  Trias  und  des  Lias  in  der  Bucht  von  Wintz- 
felden  zu  400  m  so  ergiebt  sich  eine  Höhe  des  Verwerfungssprunges 
von  llUO  m,  hm  ca.  500  m  Meereshöhe  des  Lias  bei  Wintzfelden; 
gegen  die  Höhe  des  stldliGh  anfragenden  GrcMuen  oder  Gebwdler 
Belchens  erhöht  sich  der  Abbruch  noch  um  150  m  Sprunghöhe  der 
Verwerfnng:  d.  h.  vor  jenen  grossen,  tertiären  Bewegungen  und  Sen- 
kungen, welche  das  oberrheinische  Gebirgssjstem  und  die  Kheinspalte 
entstehen  liesstMi.  befand  sich  der  Lias,  welcher  jetzt  in  der  Bucht  von 
Wintzfelden  laijert,  im  Verhältniss  zum  Grundgebirge  des  Beichenstockes 
um  1250  m  hoher  als  jetzt,  wo  er  in  ca.  500  m  Meereshöhe  liegt. 
Wenn  nun  das  Grandgebirge  des  Beichenstockes  gar  nicht  höher  ge- 
hoben, d.  h.  gar  nicht  weiter  Tom  Mittelpunkt  der  Erde  entfernt 
wurde,  als  vor  Entstehung  des  oberrheinischen  Grebirgssystenis,  was 
wahrscheinlich  ist,  so  würde  sich  dt  r  Lias  von  Wintzfelden  seit  Anfang 
der  Tertiärzeit  um  1250  m  gesenkt,  d.  h.  um  diesen  Betrag  sich  dem 
Mittelpunkt  der  Erde  genähert  haben. 

Die  einzelnen  Stücke  der  zerbrochenen  Triastafeln  sind  in  der 
Bucht  von  Wintzfelden  durch  Verwerfungen  von  einander  getrennt,  welche 
zumeist  in  NJSÜ  und  senkrecht  dazu  verlaufen;  die  Tafeln  zwischen 
d^u  Verwerfimgan  neigen  sich  mit  yerschiedenen  Winkehi  im  allge- 
meinen zur  Rheinspalte  hin  oder  liegen  horizontaL  Nur  die  innerste 
Tafel  mit  der  Liasscholle  zunächst  der  grossen  Verwerfungsspalte  am 
Chranit  fällt  gegen  den  Granit  zu  ein:  diese  Beobachtung  lässt  sich  häufig 
bei  Tafelbrüchen  maelien,  dass  nämlirh  die  Tafel  zunächst  an  einer  grossen 
Verwerfungsspalte  gegen  diese  einfüllt').  Diese  Erscheinung  erklärt 
sich  aus  der  Mechanik  der  Tafelbrüche:  Tafelbrüche  setzen  stets  ein 
Auseinanderweichen  der.  stehenbleibenden  Horste  oder  erhobenen  Theile 
des  Grundgebirges  Toraus;  sonst  mflssten  die  einsinkenden  Tafeln  ge- 
fiJtet  werden,  was  sie  nicht  sind.  Dabei  wird  häufig  am  meisten 
Raum  bleiben  unmittelbar  am  Abhang  des  stehenbleibenden  Horstes 
und  daher  die  nächste  au  der  Verwerfung  anlietrende  Tafel,  statt  wie 
die  übrigen  Tafeln  nach  aussen  vom  Grundgebirge  ab,  nach  innen  zu 
einfallen,  nach  dem  mechanischen  Gesetze,  welches  die  Tafelbrüche 
beherrscht,  dass  nämlich  .die  Schichtentafeln  sich  einfach  dahin  neigen, 


Siehe  über  diese  nunmehr  abgetbaae  Frage  Benecke,  Trias  in  Eisaas* 
Lotbringen  1877,  S.  794-032. 

*)  Allerdings  geben  Delbos  und  Köcblin-Schlumberger  I,  8.  225, 
251,  274,  277,  283  im  ganzen  nur  370  —390  m  für  die  Trias  im  Ober-Elsass  an; 
das  dOrfie  aber  entschieden  zu  wenig  sein.  Daubr^e  rechnet  für  die  Trias  im 
Unter-£la88  570— COO  m,  siehe  a.  a.  0.  1852,  S.  87,  116,  12(j,  132. 

*)  Z.  B.  an  der  grossen  Yerwerfung  am  Granitstoek  des  Adamello  in  SÜd- 

tirol  sinkt  gewöhnlich  die  letzte  Triastafel  gegen  den  Granit  ein:  siehe  R.  Lep- 
sias.  Das  westliche  Südtirol,  S.  73  und  222,  Berlin  1878,  und  Suess,  Das 
AntHta  der  Erde,  1885,  I,  S.  815. 


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Leptius, 


[44 


wo  €2tt  Raum  es  gestattet"  Diese  Erscheinung,  dass  die  nächste  Tafel 
an  der  Hanpt^erwerfang  gegen  das  Onmdgebirge  zn  einfftUi,  kommt 

übrigens  am  Ostrande  der  Vogesen  öfter  Tor was  am  besten  beweist, 
dass  die  jEUieinspalte  dadurch  entstanden  ist«  dass  das  Grundgebirge 
der  Vogesen  sich  nach  Westen  etwas  von  demjenigen  des  Schwarz- 
waldes entfernt  hat.  Die  Anlagerung  der  abgesunkenen  Trias-  und 
Jura-Schollen  am  Inuenrand  des  Schwarzwaldes  ist  noch  nicht  so  genau 
untersucht,  um  uns  Beispiele  für  diese  wichtige  Erscheinung  darbieten 
zu  können. 

Die  Umbiegung  des  Ostabhanges  der  Vogesen  an  der  Bucht  von 
Wintzfelden  geschieht  bei  Raffach,  so  dass  Ton  hier  ab  nach  Korden 
der  Rand  des  Gehircres  mehr  in  NS-Rirhtnnrr  verläuft.  Längs  der 
Verwerfungen  am  Grundgel »irire  zwischen  der  Bucht  von  Wintzfelden 
und  derjenigen  von  Mutzig  sinken  die  Triastafeln  rasch  in  die  Tiefe,  so 
dass  die  Vorberge  nur  eine  schmale  Zone  bilden.  Auf  dieser  Strecke 
zeigt  sich  die  interessante  Erscheinung,  dass  Uuigs  der  HanptTerwerfunff 
am  Granit  und  an  den  paläozoischen  Granwacken  Muschelkalk  und 
Juraoolithe  umgewandelt  sind  in  Eieselgesteine;  Kieselsaure  hat  den 
kohlensauren  Kalk  nächst  der  Verwerfunffpspalte  vollständit?  verdrängt; 
zugleich  hat  sich  Schwerspath  und  Flussspath  ausgeschieden.  Diese 
Verkieselung  der  Kalke  ist  zu  beobachten  auf  einer  Strecke  von  40  km 
von  Bergheim  über  Kestenholz  bis  Truttcnhausen  und  Kosheim  *).  Die 
Hanptrerwerfung  stretcbt  auf  dieser  Linie  parallel  dem  Oebirgskamme 
in  N  22 "  0 ;  der  siüficirte  Muschelkalk  fÜlt  Ton  Bergbeim  nach  Orsch- 
weiler  bei  Schlettstadt  mit  85«  in  0  22    S  ein. 

Der  Hauptkamm  der  Vocre^en  endigt  im  Norden  mit  dem  breiten 
Rücken  des  Hochfeldes  und  bricht  dann  quer  ab  am  Magel-  und 
Breuschthale  mit  zahlreichen  Verwerfungen  zwischen  Ottrott  und 
Urmatt;  von  hier  läuft  der  Gebirgsrand  wieder  nach  NNO,  am  Ab- 
hang der  Hohen  Struth  über  Oberhaskich  nach  Gossweiler.  Dann 
sinken  die  Triastafeln  noch  weiter  nach  Westen  ein  bis  nach  Rein- 
hardsmflnster,  nnd  erst  dort  erreichen  wir  unmittelbar  den  Abhamr  des 
dritten,  am  meisten  niirli  Westen  zu  gelegenen  Vogesenkarames.  Diese 
mehrfachen  Umbi«'!j;nngen  des  Gebirgsrandes  und  die  beiden  gegen  die 
Uheinspalte  vorsprin<i;enden  Winkel  })ei  <)ttr<itt  und  Cossweiler  bewirken 
eine  ausserordentUch  gestörte  Lagerung  der  Trias-  und  Juratafeln, 
welche  an  dem  anfragenden  Gebirge  in  den  Yorhügeln  zwischen 
Mutzig,  Haslach,  Wasselnheim  und  &bem  in  viele  Stficke  zerbrochen 
liegen. 

Ueber  den  genaueren  Verlauf  der  zahlreichen  Tafelbrüche  in 
diesem  abgesunkenen  Gebiete  sind  wir  noch  nicht  hinreichend  unter- 


')  0.  Fraas,  Genlogisches  Profil  der  Schwarzwaldhahn  von  ZuflTenhausen 
nach  Calw.  Württ.  JaUres hefte  1876,  S.  12Ö.  Siehe  auch  Suesa,  Das  AatliU 
der  Erde  I,  S.  257. 

0  Ausser  in  der  Bucht  von  Wintzfelden  auch  z.  B.  bei  Niedermorsweier 
nnd  Kienzheim  bei  Colmar,  im  Becken  von  Mutzig  bei  liiederhaslach  etc.,  siehe 
die  Profile  bei  Bleicher  1870  und  Ben  ecke  1877. 

'i  Siehe  Delbos  et  K ö c h Ii n  - Schlttu b erger  1866,  I  8.  264  und 
Daabree,  Ites-Rhin  1852,  8,  825—328. 


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45] 


Die  oberrheiiiische  Tiefebene  und  ihre  Randgebirge. 


77 


richtet;  mit  Ausnahme  der  nächsten  Umgebung  von  Haslach  und 
Mutzig  ^)  fehlen  uns  die  Specialaufnahnien  dieser  Gegend.  Mit  derselben 
beginnt  die  weite  Bucht  von  Zaberu-Buchaw eiler,  welche  der  Senkung 
des  Gebiiges  zwiBchen  Yogesen  imd  Haardt  OstHch  vorliegt  und  der 
LaogenbrllckeDer  Yeraenknng  jenseits  des  Bheines  zwischen  Schwarz- 
wald nnd  Odenwald  en&pri<£t. 

Längs  des  Ostrandes  des  Grundgebirges  der  Yogesen  brachen 
bisher  die  Trias-  und  Juratafeln  so  rasch  in  die  Tiefe  der  Rheinspalte, 
dass  sich  die  Verwerfnngsspalten,  mit  Ausnahme  der  Bucht  von  Wintz- 
felden,  auf  einen  schmalen  Streifen  von  Vorbergen  beschränkten.  Vom 
ßreuschthale  an  vertheileu  sich  die  Längsbrüche  auf  den  breiten  Kaum 
zwischen  einer  Linie,  welche  in  direkter  Fortsetzung  der  sfidlichen 
Hanptrerwerfung  von  Mölsheim  fiber  Truchtersheim,  l^mmenheim  nnd 
Schweighau .sen  nach  Lobsann  und  Weissenbnrg  verläuft,  um  hier  am 
Ortrande  der  Haardt  in  derselben  Richtung  in  NNO  weiterzuziehen, 
und  einer  zweiten  Linie,  welche  den  Ostfuss  des  Zaberner  Sandstein- 
gebirges von  Reinhardsmünster  über  Nenweiler  nach  Ingweiler  in 
gleicher  NNO-Richtung  begleitet.  Zwischen  diesen  beiden  Haupt- 
Terwerfongen  liegen  zahlreiche  andere  Verwerfungen,  welche  die  Trias- 
und  Juratafehi  stufenförmig  nnd  die  kleineren  Sprünge  allmählich  zur 
Tiefe  absinken  lassen*). 

In  diesem  Hügellande  ragt  der  Bastberg  bei  Bnchsweiler  am 
höchsten  auf  bis  zu  320  m  über  dem  Meere,  nur  70  m  niedriger  als 
der  Sandsteinkamm  bei  Pfalz)>iirf]:.  Der  obere  Theil  «If^s  Bastberges 
besteht  aus  eocänen  Süsswasserkalken  und  mitteloligocäuen  Conglo- 
meraten.  welche  zwar  discordant  über  den  unterlagernden  Jurakalken 
liegen,  aber  auch  ihrerseits  wiederum  i-nie  gestörte  Lagerung  zeigen 
und  dadurch  beweisen,  dass  die  Bewegungen  im  oberrheinischen  Ge- 
birgssysteme  erst  nach  Ablagenmg  dieser  Tertiärschichten  ihr  Maxirnnm 
erreichten. 

Bei  Hagmian  durchteufte  ein  Bohrloch  von  290  m  Tiefe  noch 
nicht  die  jüngeren  tertiären  Schichten,  welche  rlio  Rlioinebene  unter 
dem  Diluvium  erfüllen;  die  Bergwerke  und  Bohrungen  bei  Lobsann 
haben  die  dortigen  tertiären  Schichten  bis  in  150  m  'liefe  erschlossen, 
ohne  die  Unterlage  derselben  zu  erreichen.  Wir  erkennen  daraus,  dass 
die  Trias-  nnd  Juraschichten,  welche  das  Htigelland  von  Bnchsweiler  und 
Worth  bilden,  fisäich  der  Yerwerfnng  Mol£eim-Weissenburg  in  grosse 
Tiefen  abgesunken  sind. 

Längs  des  Nordrandes  der  weiten  Zabemer  Bucht  wendet  sich 
dar  Abbruch  des  Sandstein-Plateaus  von  Ingweiler  wieder  zurück  über 
Niederbronn  in  ONO  nach  Weissenburg  hinüber.  Der  Hochwald 
springt  an  der  Ecke  vor  der  ümbiegung  des  Gebirgsrandes  mit  Ver- 
werfungen weit  heraus  nach  Süden;  westlich  neben  diesem  Buutsand- 


')  Benecke  a.  a.  0.  1877.  Geologische  Karte  der  Umgebunfxon  von  Mutzig. 
*)  Siebe  R.  Lepsius,  Beiträge  zur  Kenntniss  der  Juralonnation  im  Unter- 
EbsM,  8.  80  ff.  and  Skisse  nnd  Profile  anf  Tafel  I.  Leipzig  1875. 


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78 


Lepsius, 


[46 


steinzuge  dringt  der  Muschelkalk  grabenartig  noch  weit  in  KNO  in 

das  Gebirge  bei  Lembach  ein. 

Wie  wir  bereit8  erwähnten,  entspricht  die  Zaberner  Bncht  geo- 
logisch genau  der  Kraichgauer  Versenkung:  die  Mittellinie  und  die 
Ränder  der  beiden  Senken  liegen  in  der  üiS'O-Kichtung  des  Streichens 
des  Grundgebirges  und  parallel  dem  Südabhange  des  Taunus  und 
Huusrück.  Die  Keste  von  Jura-  und  Tertiärschichten  nehmen  auf  der 
ebSssischen  Seite  noch  einen  viel  grosseren  Bamn  ein,  als  oof  der 
Imdischen.  Der  Gebirgskamm  bei  Zabern  tritt  schärfer  und  deutlicher 
hervor,  als  derjenige  von  Pforzheim  bis  Neckarelz,  weil  jener  ao8 
spröde  brüchigem  Snndstoin  besteht,  dieser  aus  Muschelkalk  undKeuper- 
mergeln,  in  denen  sich  die  treppeuiormigen  Verwerfungen  mehr  aus- 
gleichen. 

Am  Ostraude  der  Haardt  i»t  die  Lagerung  der  am  Gebirgsraude 
abgemtschten  Trias-  nnd  Juraschollen  nodi  eiäiAcher,  als  Ift^  der 
Vogesen:  die  grosse  Verwerfungsspalte  zieht  von  Weissenburg  in  KNO 
über  Bergzabern  nach  Neustadt,  biegt  bei  Forst  mehr  in  N  nm  und 
lünft  ü])er  Dürkheim  nach  Grünstadt,  wo  die  Klieinspalten  auf  die 
mittelrheinischen  Vorlagen  des  niederrheinischen  Gebirgssystems  auf- 
treffen. Zerbrochene  Tafelstücke  des  Musclitdkalkes  liegen  an  der 
Verwerfmig  niedergesunken  von  Weissenburg  an  bis  nach  Neustadt; 
auch  noch  bei  Grfinstadt  fi^nd  Oflmbel  Spuren  desselben  (a.  a.  0. 1865, 
S.  53).  Der  tiefere  Einschnitt  der  Queich  bei  Landau  entblösst  auch 
noch  Keupermergel  und  Lias.  Im  übrigen  in  I  es  die  Tertiärschichten, 
welclie  die  Vorhügel  am  Gebirgsabhang  bilden,  dif'  seihst  auch  noch 
an  den  Bewegungen  des  oberrheinischen  Systems  theiluahnien. 

Im  Bereich  der  Vogesenspalto  geschahen  zur  Tertiärzeit  nur  an 
drei  Punkten  Ausbrüche  von  Erdlaven:  es  sind  das  die  Busalte  von 
Beichenweier  zwischen  Colmar  und  Schlettstadt  im  Oberelsass,  dann 
zwisidien  WOrth  und  Reichshofen  im  ünterelsass,  und  endUch  bei  Forst 
in  der  Pfalz;  am  letzteren  Orte  ist  die  Basaltmasse  ziemlich  bedeutend, 
an  den  beiden  ersten  Punkten  gering.  Diesen  Ausbrüchen  an  der 
Vogesenspalte  entsprechen  diejenigen  an  der  Schwarzwald-Verwcrfung,- 
im  Schönberg  und  im  Bromberg  bei  Freiburg  im  Breisgau,  im  Steins- 
berg bei  Sinsheim  und  bei  Auerbach  an  der  Bergstrasse. 

Während  im  ganzen  Gebiete  der  Vogesen  und  der  Haardt  kein 
einziger  Basaltansbruch  bekannt  ist,  finden  sich  deren  mehrere  im 
östlichen  Randgebirge,  zum  Theil  gerade  auf  den  höchsten  Höhen: 
nämlich  am  Oberhaustein  bei  Hornberg  in  lü.")!  m  Meereshöhe,  dann 
bei  Neckarbischoffsheim  und  Neckarelz  und  im  Katzenbuckel  in  (328  ni 
Höhe:  mit  dt  iii  luisshero-  hei  Darmptadt  beginnen  dann  die  zahlreichen 
Basaltausbrüche  am  unteren  Main  und  im  Vogelsberge.  Als  wichtigstes 
Merkzeichen  einer  tiefgreifenden  Störung  im  Erdgewölbe  steht  aber 
mitten  in  der  Bheinebene  und  Tor  dem  Einbrüche  der  Freiburger  Bucht 
da  }  reits  erw&hnte  vulkanische  Gebirge  des  Kaiserstuliles.  Indessen 
scheinen  jene  vereinzelten  Basaltausbrüche  alteren  Datums*  zu  sein, 
als  die  Entstehung  des  Eaiseratuhl-Vulkanes. 


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47] 


Die  oberrbeimsche  Tiefebene  nnd  ibre  &andgebirge. 


79 


5.  Die  äussere  Abdachung  des  Schwarzwaldes. 

Was  nun  die  äuneren  Abdachungen  der  Randgebirge  betrifft,  so 

neigen  sich  im  allgemeinen  die  Trias-  und  Juratafeln  g^anz  allmählich 
nach  OSO  zum  schwäbisch-fränkischen  Senkungsfelde  vom  Schwarz- 
wild und  Odenwald  ab  und  auf  der  anderen  Seite  ebenso  flach  in 
^V2s  W  nach  Lothringen  hinein.  Dabei  brechen  die  Tafeln  mit  Längs- 
verwerfuugeu  treppeniormig  aneinander  ab.  Vortrefflich  sind  diese 
Tafelbrüche  in  Schwaben  Ton  0.  Fraas  in  den  Ton  ihm  yeröffentlichten 
fiisenbahnprofilen  dargestellt  nnd  beschrieben^):  «Die  heutige  Ober- 
flSchenbildung  des  Landes  erscheint  hienach  als  das  Resultat  treppen* 
ftnniger  Einsenkungen  der  Schichten,  welche  zwischen  dem  Sdiwarz- 
walde  und  dem  Xockar  statthatten.*  Am  schnellsten  auf  einander 
folgen  die  Verwertungen  zwischen  den  niederbrechenden  Tafeln  am 
büdostraude  des  hohen  Schwarzwaldes  am  oberen  Neckar  und  im  Gebiet 
der  Donauquellflüsse,  wo  die  Schwäbische  Alp  nahe  steht;  je  weiter 
nadd  Norden,  am  so  breiter  lagern  sich  die  einzelnen  Tafeln  in  dem 
Hflgellande  am  mittleren  Neckar. 

Die  Umbrechung  der  Tafeln  um  das  Nordende  des  Schwarzwilder 
Grundgebirges  bringt  wesentliche  Unregelmässigkeiten  im  Streichen 
der  absinkenden  Trias:  indessen  treten  einerseits  die  aus-  und  ein- 
springenden Winkel  des  Grundgebirges  nicht  so  deuthch  als  am  Innen- 
rande  der  Gebirge  hervor,  weil  die  Verwerfuugssprünge  nicht  so  hoch 
wie  dort  werden;  andererseits  ist  die  Beschreibung  der  Lagerung  in 
den  Begleitworten  der  wtirtfcembergischen  geologischen  Karten  von 
£.  Paulus  noch  zu  wrnig  ausgiebig,  um  ein  klfures  Bild  des  Bruch- 
netzes der  Triastafeln  östlich  des  Schwarzwaldes  entwerfen  zu  können. 

In  den  vielfach  gegen  einander  verworfenen  Triastafeln  von 
Schwaben  entstellt  zwischen  dem  südlich  angrenzenden  Senkungsfelde 
der  Tiefschweiz  und  der  nördlich  vorliegenden  Kraichgauer  Senke,  also 
zwischen  dem  Rhein  bei  seinem  Dnrchbmch  durch  den  Jura  oberhalb 
Waldshut  und  dem  Neckar  ein  breiter  Sattel,  welchen  bereits  Vogel- 
gesang  in  seiner  werthvnllen  geologischen  Beschreibung  der  Umgegend 
TOn  Triberg  und  Donanescliingen  kennzeichnete  (a.  u.  0.  1872,  S.  9 — 11). 
Nach  Vogelgesang  fallen  die  Trias-  und  Juratafeln  im  Wutachgebiet 
in  OSO  ein  bis  zu  einem  Sehitiit«^nsattel ,  auf  welchem  die  Wasser- 
scheide zwischen  Wutach  und  Donau  hegt.  Die  Donau  benutzt  eine 
flache  Schichtenmulde,  in  welcher  nach  E.  Paulus,  Blatt  Schwen- 
ningen auch  eine  Verschiebung  der  Schichten  gegen  einander  statt- 
findet, um  durch  die  Jurakette  quer  durchzubrechen.  Ein  zweiter 
Sattel  entspräche  der  Wasserscheide  zwischen  Donau  tmd  Neckar:  von 
hier  an  nach  Norden  fallen  die  Tafeln  inelir  gegen  ONO  ein ,  um 
allmählich  die  Wendung  um  das  Grundgebirge  bis  zur  Kraichgauer 
Senke  auszuführen. 


0  0.  Fraas,  Die  geognostische  Profilirung  der  wiirttembergischen  Eisen- 
bslinliiiien.  Stottgart,  1.  Uefg.  1883  ;  2.  Liefe.  1884  ;  3.  liefg.  1885,  mit  Profilen 
in  Farbendrack;  und  Wärtt  Jahnshefte  1870. 


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80 


Lepsiua, 


I 


Auf  dem  Donausattel  streichen  die  Schichten  nach  Yogelgesang 
ziemlich  genau  nordsttdüch.   Der  Abfall  der  Stnfen  nach  O  gieht  sie» 

in  folgenden  Höhenzahlen  zu  erkennen:  der  Buntsandstein  erreicht 
auf  dem  Griindgehirge  im  Kesselberg  bei  Triberg  1026  m,  die  obere 
Grenze  des  Muschelkalkes  auf  dein  Donansattel  7HS  ni ,  des  Keupers 
791  m  und  des  Jura  östlich  über  Donauescliingen  1'42  m.  Zugleich 
beweisen  diese  Zahlen  das  rasche  Niederbrechen  der  Tafeln  gegen  O 
mit  Verwerfungen :  denn  da  die  Schichten  dieser  Tafeln  nur  mit  wenigen 
Graden  einfallen^  würden  die  obigen  HOhenyerhSlioiaae  der  vier  Schichten- 
grappen ,  die  nach  Fraas  zwischen  Yillingen  und  Tuttlingen  eine  Ge- 
sammtmächtigkeit  von  1354  m^)  besitzen,  nicht  möglich  sein  ohne  die 
treppenfbrmigen  Abbrüche  der  immer  tiefer  einsinkenden  Tafeln. 

Nördlich  des  Douausattels  sinken  die  Triastafeln  allmählicli  immer 
mehr  nach  NO  ab,  du  diesell)en  um  den  nördliclien  Theil  des  Schwarz- 
wälder Grundgebirges  von  Freudenstadt  über  Wildbad  nach  Ettlingen 
henunschwenken  mtlssen,  um  zur  tie&ten  Stelle  der  Senke  bei  Langen- 
brficken  zu  gelangen.  Aus  dem  reichen  Material,  welches  für  die 
Construction  des  Tafehiet/.es  in  Stuttgart  vorhanden  isii  bieten  Regel- 
mann*). Bach  ^)  und  Fraas  '  i  einiges.  Fraas  zählt  eine  Heihe  der 
wiclitig.sten  Längsverworfuiigen  auf  (a.  a.  O.  S.  '2'2  If .  I ;  er  liebt 

dabei  mit  Recht  hervor,  dass  im  Sandfsteingebiet  der  Enz  und  Nagold 
die  Verwerfungen  schwer  zu  erkennen,  dagegen  in  den  höheren  Stufen 
der  Trias  wegen  der  zahlreichen  leichtkennthchen  Horizonte  besser  zu 
constaturen  sind^).  Vom  Donausattel  an  nach  Norden  und  Nordosten 
auf  Stuttgart  zu  führt  Fraas  die  folgenden  Hauptverwerfungen  an, 
aeben  denen  zahlreiche  andere  Verwerfungen  die  Thas  durchsetzen: 


')  Nach  Fraas^  üeoguostische  fieschreibung  von  Württemberg  etc.  1882 
berechnen  sich  die  Uiditigkeiten  im  rinselnen: 

Buntsandstein   .   .   .  loG  m 

Muschelkalk  .    .    .    .  1<J0  m 

Lettenkühle  ....  30  u 

Kenper    ....   .  444  m 

Tria*:  820  m 

Lins    50  m 

Brauner  Jura    .    .    .  220  m 

Weisser  Jura    .   .   .  204  m 

Jura:    584  m 

Dabei  dürrte  vielleicht  der  Buntsandstein  zu  gering  gerechnet  seiOf  d&  er  im 

Schwarzwalde  wohl  an  400  m  mächtig  wird. 

^)  Trigonometrische  Hohenbestimmun^en  und  Notiien  Ober  den  Oebirgsbau, 

in  den  Wiirttcml^cr^isoln'n  JrUirtMiclierii  1H77,  S.  35. 

^)  Uegleitworle  imu  Ailasblatt  Böblingen  18t>8. 

*)  In  den  TortreffUchen  Eisenbahnprollen  and  in  der  geognostiseheo  Be- 

SchreibunfT  von  Württemberg  18>'2. 

^)  Dasselbe  findet  statt  im  Rheinischen  Schiefergebirge ^  wo  im  Devun  die 
Yerwerftingeii  schwer  so  beobachten  sind,  dagegen  in  der  aoflageimden  Trias  mausen» 
haft  erscheinen,  obwohl  natürlich  die  Verwerfungen  nicht  nur  durch  die  Trias, 
sondern  ebenso  lahlreieh  durch  das  Devon  setzen  (siebe  U.  Grebe,  lieber  das 
Ober>Rothliegendft,  die  Trias,  das  TerUilr  und  DiluTium  in  der  Trier*achen  G^fend, 
und  Ueber  die  Trias-Mulde  zwischen  dem  llunsrück  und  Eifel-Devoo.  Jahrb.  der 
k.  preuss.  geolog.  Landesanstalt.   Berlin  1882  und  1884). 


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49]  oberrheinische  Tiefebene  und  ihre  lUndgebirge.  81 


1.  von  Yülingeu  über  Möachweiler  und  Königsfeld  nach  Schram- 
berg;  streicht,  in  N  ir, "  W; 

2.  von  Dorahan  über  Lossburg  nach  (jhribtophsthal  bei  Freuden- 
sMt;  siareicht  in  N  30«  W; 

3.  Ton  Schopfloch  an  Dornstoiten  Torbei  nach  Hallwangen ;  streicht 
in  N  45«  W; 

4.  im  Schönbiuh  a)  von  Bebenhün^cn  ül>or  Hildrizhansen  nach 
Ehningen,  h)  von  (jrla.-hütte  bei  AN'aldcnhuch  nacli  Steinenbronn,  c)  die 
^Oj^se  Verwerfung  von  Aich  nach  Kohr  und  Vaihini^en,  weh^he  die 
Grenze  gegeu  die  Filder  bildet;  alle  drei  Verwertungen  streichen  in 
N  45«  W; 

5.  zwischen  den  Fildern  und  dem  Schurwalde  verlSuft  eine  Ver- 
werfung von  Plochingen  östlich  über  dem  Neckarthale  nach  Unter- 
tiirkheim  und  setzt  sicli  fort  von  Münster  bei  Cannstatt  Ober  Stammheim 
und  Schwielirrdiii^^on  ]>is  nacli  Vaihingen  an  der  Enz;  diese  42  km 
lange  Verwerfung  ätrei«  lit  in  N  T)!)"  W : 

zwischen  Calw  luul  W  eil  der  Stadt  zieht  bei  Althengstett  eine 
Verwerfung  gleichfalls  in  N  5U"  W. 

Wir  erkennen  aus  diesen  Angaben,  dass  die  Triastafeln,  je  weiter 
sie  sich  vom  Donausattel  nach  NO  entfernen,  um  so  mehr  ihr  an- 
föngliches  NNW-Streichen  in  NW  umwenden,  um  das  Nordostende 
des  Schwarzwaldes  mantelförmig  bis  zur  Kraichgauer  Senke  zu  um- 
gehen: dabei  ist  im  allgemeinen  die  Tafel  auf  der  NO-Seite  der 
Verwerfung  gegen  die  SW-Seite  nbjresninken .  so  dass  die  Bahn  von 
Freudenstadt  (7lil  m)  nach  Stuttgart  (241)  m;  immer  jüngere  Schichten 
rom  Bunten  Sandstein  bis  hinauf  zum  Lias  durchschneidet. 

Von  Querverwerfungen  heben  wir  diejenige  im  Schönbuch  hervor, 
welche  von  Bebenhausen  nach  Aich  in  N  oO»  0  verläuft.  Parallel 
diesen  Querverwerfungen  streicht  der  Steilhang  der  Rauhen  Alp :  der- 
selbe ist  fa-^t  (1urrh;iii'^  fin  Resultat  der  Erosion  durch  die Neckarzuflüsso. 

Im  !j:ios.st*u  und  (ganzen  ist  demnach  die  Lagerung  der  Trias- 
tafeln m  tiem  schwäbischen  Hügellande  mehr  beherrscht  von  der  tiefen 
Einsenknng  parallel  dem  Streichen  des  Grundgebirges  zwischen  Schwarz- 
wald und  Odenwald,  ab  von  dem  Hauptstreichen  des  oberrheinischen 
Gebiigssystems. 

6.  Die  äussere  Abdachung  des  Odeuwaides. 

Während  wir  bereits  einigermassen  über  den  Bau  der  schwäbischen 
Triastafeln  am  Ostrande  des  Schwarzwaldes  orientirt  sind,  mangeln 
bis  jetzt  fast  vollständig  die  Nachrichten  über  die  Lagerung  der  Trias 
östlich  vom  nriiinigebirge  des  Odenwaldes.  Das  weitausgedehnte  Sand- 
steinplateau des  hinteren  Odenwaldes  zwischen  Neckar  und  Main  scheint 
im  allgemeinen  aus  einer  lieihe  von  Talein  zu  bestehen,  welche  durch 
Verwerfungen  in  NNO -Richtung  von  einander  getrennt  sind:  die 
einzelnen  Tafelbrüche  bewirken  aber  meist  nicht  eine  tiefere  Lage  des 
Ostflflifels  an  der  Verwerfimg,  wie  in  Schwaben,  sondern  umgekehrt 
eine  Erhebung  der  Ost-  über  die  Westseite:  z.  B.  fallen  die  Sandsteine 

ForaDknogeii  tat  deutteben  Lude*»  und  Volkakvnde.  Li.  6 


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82 


Lepsin«, 


[50 


zwischen  der  oberen  Gersprenz  und  der  Mümling  fliirli  in  OSO  prepcn 
Michelstadt  zu  ein,  so  daäs  ein  Profil  in  dieser  Richtung  vom  Grund- 
gebirge bei  ReicheUheim  enfe  den  Zechsiein,  dann  die  Stufen  des 
mächtigen  BnntBandsteins,  bei  Steinbach  auch  den  oberen  Bantsandrtein 
durchachneidet  und  im  Münilingthale  endlich  noch  den  Wellenkalk  an- 
trifft. Oestlich  von  Miclidstadt  und  Erhai  !i  zieht  eine  Verwerfung 
von  bedentendnr  Sprunirhöhe  in  NNO  hindurch,  welche  am  Westfuss 
des  Krähhcr»^''» 'S  den  unteren  Bunten  Sandstein  in  d  is  Niveau  des  Muschel- 
kalkes tjffwoitcn  hat.  Wiederum  fallen  dann  im  Krähberge  die  Sand- 
steine regelmässig  in  OSO  znm  Schöllenbach  hin. 

In  den  Hauptrerwerftingen  des  hinteren  Odenwaldee  laufen  die 
Bäche  nach  N  und  S  ab :  «^o  die  Gersprenz,  Mtlmling  und  Mudau  in  den 
Main,  Weschnitz,  Finkenbach,  Gammelsbach,  Sensbach,  Itterbach  in 
den  Neckar.  Die  einseitij:fe  Anfkippuji^  der  Tafeln  bewirkt,  da.-js  die 
Höhen  der  ganz  fladi  in  O  bis  OSO  einfallenden  Bunten  Sandsteine 
zwischen  den  A't  rwf rfungen  in  den  von  W  nach  0  auf  einander 
folgenden  Zügen  last  gleich  hoch  bleiben,  im  Durchschnitt  von  450  m 
Meereshöhe,  und  dass  der  hintere  Odenwald  ini  ganzen  als  ein  f^eich- 
förmiges  Sandsteinplatean  erscheint,  obwohl  hier  die  Tafeln  ebenso 
zerstückelt  sind,  wie  in  Schwaben. 

7.  Die  äussere  Abdachung  von  Yogesen  und  Haardt. 

Die  westliche  Abdachung  dsr  Yogesen  und  der  Haardt  verläuft 
nun  weit  einfacher  und  regelmässiger  als  diejenige  der  Gegenseite  in 
Schwaben  und  Franken.  Bs  ist  dies  verständlich  bei  der  NNO-Richtung 

des  oberrheinischen  Gebirgssystems:  wahrend  dn'il)cn  im  Schwarzwalde 
die  Bergzüg*'  des  Grundgebirijres  in  sj)itzen  ^Vinkeln  auf  fH»'  in  NO  zur 
Kraichirauer  .Senke  ubsinkciwleu  Triastat'tdn  auftreffen,  streicht  diesseits« 
der  lange  Westkamm  fast  ununterbrochen  vom  Hochplateau  der  oberen 
Mosel  über  die  obere  Saar  bis  zum  Westrich  in  der  NNO-llichtung 
gleichförmig  hindurch.  Von  diesem  Kamme  fallen  die  Triastafeln  regel- 
mässig nach  WNW,  in  derselben  Weise  einzeln  aufgekippt  mit  steilen 
Ost-  und  flachen  Westabhängen  wie  drüben  im  hinteren  Odenwalds. 
Benecke  giebt  in  seinem  Abriss  der  (icolo'^np  von  Elsass-Lothringen 
(187S  S.  lor»  ff.)  eine  allgemeine  Uebersicht  tler  Triaszüge  in  Deutsch- 
Lothringen  :  ,l)it'  /.onenartige  Aufeinanderfolge  der  Formationen  von 
den  V  ogeseu  uacii  der  Mosel  hin  veranlasste  einen  wiederholten  Wechsel 
von  Depressionen  und  erhöhten  Rücken,  je  nach  der  leichteren  oder 
schwereren  Yerwitterharkeit  der  Gesteine.  Die  Rttcken  liegen  wallartig 
mit  dem  steilen  Abfall  gegen  die  Yogesen  und  bilden  nach  Westen  ein 
Glacis.* 

Die  Triastafeln  in  Lothringen  setzen  sich  /nnächst  vom  östlichen 
Vogesen-  und  Haardtkamme  n\>  einer  Verwerfung,  die  ancii  im  Sand- 
steiugebicte  von  Pirmasens  ül>cr  Bitsch  bis  ins  obere  Zornthal  in  der 
Haaptrichtung  von  NNO  nach  SSW  zu  verfolgen  ist.  Dann  folgt 
nach  Westen  ein  scharf  hervortretender  Muschelkalkzug  von  den 
Höhon  westlich  fiher  Saarburg  an  in  NNO,  östlich  an  Saarunion  vorbei 


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51] 


Die  oberrbeiniscbe  Tiefebene  and  ihre  Kandgebirge. 


83 


nach  fiolirlcich  und  aul  Z\veil)iii(krti  zu;  duran  sclilicsst  sich  wenilieh 
die  Set'iinieileriin<r  der  Keupermerg«*!  in  dersell)('n  NNO-Kichtung  von 
Avricourt  au  der  französischen  Grenze  bis  nach  Saargemünd  hin;  die 
SeUle  entwässert  diese  Niederunff  nach  S,  die  Saar  nach  N.  Der 
nächste  Wall  von  Chftteau-Salins  über  Grosstönchen  nach  Yahl-Ebersing 
gehört  zum  oberen  Keuper. 

Von  diesem  letzteren  Zuge  an  macht  sich  gegen  die  Mosel  bei 
Metz  hin  mehr  und  mehr  die  NO-  bi;^  ONO-Kichtung  des  nieder- 
rheinischen  Systems  geltend,  welches  nürdluh  an  dieser  Gegend  mit 
der  grossen,  bereits  erwähnten  Verwerfimg  vou  St.  Avold  über  For- 
bach und  Bexbach  bis  zum  Donnersberge  abschneidet. 

An  der  Mosel  bei  Metz  und  Diedenhofen  streichen  die  BergzQge 
wieder  nordsüdlich ;  doch  werden  sie  häufig  gequert  von  den  in  NO  bis 
ONO  verlaufenden  Verwerfungen  des  niederrheinischen  Systems.  In 
der  yS-Kichtung  streicht  z.  B.  die  vou  Steinniann  angegebene  Ver- 
wertung vou  Aniauvillers  nach  l{oml)arh  in  deiu  Plateau  westlich  über 
Metz  So  weit  nach  Westen  erstreckt  sich  aber  nicht  die  Wirkung 
des  oberrheinischen  Gebirgssystems;  denn  wir  befinden  uns  bei  Metz 
bereits  in  den  Gebieten  nOrdlich  der  das  oberrheinische  System  ab- 
grenzenden Verwerfungsliuie  St.  Avold-Bexbach.  Die  Wirkungen  sind 
indessen  hier  deswegen  ähnliche  wie  in  der  Westal)dachvuig  der  Vo- 
gesen  und  der  Haardt,  weil  die  Umgegend  von  Metz  ebenfalls  zu 
d«'tn  gr<isseu  Senkuugsfelde  zu  rechneu  ist,  dessen  Mitte  das  Pariser 
Becken  euiuimmt. 

Benecke  vergleicht  den  Verlauf  der  Höhenzüge  in  Lothringen  mit 
der  Gestalt  eines  liegenden  Z,  da  die  Triastafeln  zunächst  westUch  der 
Vogesen  und  der  Huirdt  in  NNO  parallel  dem  oberrheimschen  System 
streichen .  dann  weiter  westlich  anfangs  mit  NO-,  endlich  bei  Metz 
mit  N'Streichen  um  die  SW-Scke  des  Kheinischen  Schiefergebirges 
umlenken. 

Diks  interessante  Brucliuetz,  welches  Grebe  aus  der  Trias  der 
unteren  Saar  und  Mijsel  so  trefflich  gekennzeichnet  hat  (a.  a.  0.  1882 
und  1884),  gehdrt  vollständig  in  den  Bereich  des  niederrheinischen 
Systems. 

C.  Die  terüftren  Ablagerungen  in  der  oberrheinischen 

Tiefebene. 

Die  Lagerung  der  abgestOrzten  Trias-  und  Jura-Tafeln  an  den 

beiderseitigen  Gebirgsrändem  längs  der  Vogesen-  und  sidi  /wald- 
Spalten  hat  \ms  bereits  l^lar  '^i  Tnadit.  dass  die  oberrheinische  Tief- 
ebene dadurch  entstanden  ist.  dass  das  Grundgebirge  in  der  NNO- 
Hi(  liTnti;^^  des  Systems  auseinanderVmu  h  und  die  Formationen  zwischen 
den  Horsten  in  grosse  Tiefen  versanken.  Der  Einbruch  der  Schichten 


*)  ü.  Stein  mann,  Geologischer  Fuhrer  der  Umgegend  von  Metz.  Skizze 
der  Verwerfongen  auf  6.  10.  MeU  1880. 


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84 


LepsiiM, 


[52 


in  die  Rheiiispaltt?  <;es(liiili  zwar  wie  jedes  derartige  Ereigniss  plötz- 
lich, aber  das  Endresultat  deüselbun,  wie  wir  es  heute  vor  um  sehen, 
wnrde  nicht  auf  einmal  erreicht,  sondern  erst  durch  eine  sebr  grosse 
Reihe  einssehier  Eiinbrflche,  welche  am  Anfange  der  Tertiärzeit  be* 
gannea  mid  sich  bis  in  die  jetzige  Zeit  fortsetzten.  Am  Anfang  der 
Tertiärepoche  befanden  aidi  in  der  wahrscheinlich  sehr  flach  ein- 
gesenkten  Kheinebene  nur  einige  wenige  ansgedelnite  Landseon,  einer 
z.  B.  bei  Burhsweiler  Ith  Unterelsass  ;  dieser  Biu  lisweiler  See  vertiefte 
und  vergrösserte  sieb  bedeutend  in  der  untendigotänen  Zeit,  wo  in 
demselben  die  bis  300  m  mächtigen  Schichten  von  Lobsann  und  Pechel- 
bronn  abgelagert  worden 

Znr  mitteloligocänen  Zeit  war  jedoch  die  Versenkung  schon  so 
weit  gediehen,  dass  das  Meer  in  die  Rheinebene  einbrach  und  sich 
über  die  rr^mA^  p]bp!ie  zwischen  den  Gebirgen  verbreitete :  von  Räders- 
dorl  in  der  l'tirt  im  (H)erelsa^•s  und  von  I>ürra('h  luid  Stetten  im 
Wiesenlliai  bei  Basel  an  bis  binab  nach  Heppeiilieim  an  der  Berg- 
strasse und  bis  nach  Alzey  in  Rheinliessen,  sowie  längs  des  SUdrandes 
des  Taantts  kennen  wir  die  Sande  nnd  Gonglomemte  des  mitteloligo- 
cftnen  Meeressandes.  Eine  noch  stärkere  Vertiefung  des  Meeres  in 
der  Rheinebene  beweist  die  mächtige  Ablagerung  des  darauffolgenden 
Septarienthones,  welcher  gleichfalls  von  Sentheim  im  Oberelsass  durch 
das  ünterelsass  bis  an  die  Nahe  und  bis  in  die  Wettfran  zu  finden  i>t. 

In  den  oberen  Tbeil  der  Septarieiitb(nie  geiitiren  die  i>cliieter- 
thüue  mit  Fischresten,  welche  im  Oberelsass  eine  ziemliche  Verbreitung 
besitzen.  Dann  folgen  in  der  ganzen  Bheinebene  bis  in  das  Mainzer 
Becken  feinkSmige  oberoHgocSne  Meeressande  nnd  Mergelscbiefer,  welche 
zum  Unterschied  von  den  älteren  «Alzejer  Meeressanden"  die  , Els- 
heimer Meeressande'  heissen;  sie  werden  nach  ihrem  häufigen  Gehalt 
an  fossib'n  Blättern  mucIi  Blättersaiulslcine  «jfenannt. 

Mit  den  überlagernden  Cyrenenniergeln  beginnt  die  Aussüssung  des 
Meeres.  Der  Cerithienkalk  imd  der  jüngere  Litorinellenkalk  des  Mainzer 
Beckens  lagerten  sich  bereits  in  einem  geschlossenen  Landsee  ab,  welcher 
nur  am  Mittelrbein,  in  Rheinbessen,  in  der  Wetteran  und  in  der  Pfelz  bis 
na(  b  Landau  hin  sieb  ausdehnte.  Gleichaltrige  Bildungen  in  Oberbaden, 
bei  Müllheim,  Auggen,  Schliengen,  Kleinkems,  Istein  und  im  Tullinger 
Bei^  bei  Basel  gehören  nK'br  der  schweizerischen  Facies  des  Miocän  an. 
Wahrscheinlich  tlossen  dieve  Seen  nach  S^V  ab,  jedenfalls  nicht  nach  N, 
da  wohl  in  der  Schweiz  und  im  Centralplateau  von  Frankreich,  aber 
nicht  in  Norddeutschlaud  oder  am  Niederrhein  eine  ähuhche  miocäne 
Fauna  Torbanden  ist.  Die  jüngste  tertiäre  Bildung  der  Rbeinebene 
sind  die  fluviatilen  Sande  mit  Resten  von  Dinotherinm,  Mastodon  und 
anderen  Landsäugethieren ,  wie  sie  von  dem  Schweizer  Jura  an  bis 
hinab  ins  Mainzer  Becken  und  bis  auf  das  Pbitean  des  rheinischen 
Schiefergebirges  in  grosser  Verbreitung  vorkoinnieii.  Erst  mit  dem  Be- 
ginn der  Diluvialzeit,  also  mit  der  Einwanderung  des  Menschen  in 


')  Siehe  für  das  elsässer  Tertiär  A.  Andreae,  Beitrag  zur  Kenntniss  des 
elsilsBer  Terti&rB.  Straasburg  1883-1884.  Für  das  mittelrheinische  Tertiär  R.  Le  p- 
sias.  Das  Uaimer  Becken,  geologisch  besehrielMiL  Dannstadt  1888. 


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53] 


Die  oberrheinische  Tfetebene  ODd  ihre  Randgebiige. 


85 


Enri)])a.  brach  der  Rhein  durch  die  Juratafeln  unterhalb  des  Bodensees 
und  ht  nutzte  die  grosse  Spalte  zwisclien  Vogesen  und  Schwjirzwald, 
um  nach  Norden  abzufliessen.  Der  Kliein  füllte  mit  seinem  Schutte  die 
Kheinebene  so  weit  aus,  doas  die  diluvialen  Sande  und  Schotter  über 
der  tertiären  Unterlage  zumeist  50 — 100  m  mächtig  angehäuft  liegen; 
nur  an  einigen  Stellen  wie  bei  Kolbeheim  und  TmchterBheim  bei  Strass- 
burg,  im  Büchelberg  bei  Lauterburg  in  der  Pfalz  (Andreae  a.  a.  0. 
1884,  S.  227)  und  auf  dem  Steinmarkt  bei  Bauschheim  zwischen  Gross- 
geraii  und  Mainz  taucht  das  Tertiär  auch  mitten  in  der  Kheinebene 
an  die  Oberfläche  aus  dem  Diluvium  liervor. 

Uns  interes.sirt  hier  besonders  die  Lagerung  der  tertiären  Schichten 
in  ibrem  Yerhältniss  zum  oberrheinischen  System.  Da  erkennen  wir 
znent,  daes  die  Unterlagen,  das  Liegende  des  Tertiärs  längs  der 
Rheinebene  verschiedenartig  ist.  In  Oberbaden  lagern  die  mittel- 
oligocänen  l\;ilk<ande  bei  Lörrach  und  am  Schloss  Rötteln  auf  der  aus- 
trefiirclitpii  OberÜäche  der  Jnra-Kalke  und  -Oolithe,  deren  Material 
die  (ieröile  dieses  tertiären  Meeressaudes  eninonimen  sind;  die  Ver- 
werfungen, weiche  hier  den  Oolith  neben  den  Muschelkalk  de.s 
Dinkelberges  warfen,  sind  offenbar  erst  später  als  der  mitteloligocäne 
Meeressand  entstanden:  denn  sonst  mtlsste  der  letztere  auch  andere 
GerQlle,  ab  nur  Juragerölle,  er  müsste  Tor  allem  auch  Schwarz- 
waldgerölle  enthalten,  was  nicht  der  Fall  ist  Die  Meeressande  bei 
Lörrach  liegen  in  321  m  absoluter  llölie. 

In  gleicher  Weise  überd ecken  ooeiino  Thone  mit  Bohnerzen  und 
obereocäner  Melauienkalk  zwischen  istein,  Schlienpen  und  Kanderi,i 
die  ausgewaschene  Oberfläche  der  oberen  und  uateren  weissen  Jura- 
kalke der  am  Schwarzwälder  Grundgebirge  abgesunkenen,  ziemlich 
horizontal  lagernden  Schollen  in  400 — 450  m  Höhe.  Die  Bohnerzbildung 
ist  hier  ganz  die  gleiche  wie  auf  der  schwäbischen  Alp  und  im  Schweizer 
Jura;  zur  Zeit  als  diese  limnischen  eocänen  Schichten  sich  ablaLferten, 
konnte  die  Absenkung  der  Juratafehi  um  die  Horste  herum  noch 
kaum  be*;omien  haben  :  jedenfalls  war  das  Grundgebirge  des  Schwarz- 
waldes zur  Zeit  noch  niclit  entblösst. 

Weiter  nßrdlieh  treflfen  wir  die  mitteloligocänen  Kalksande  und 
GoDglomerate  ausser  bei  Schliengen,  MüUheim,  Oberweiler,  Stauten 
a.  a.  O,  auch  auf  der  höchsten  Höhe  des  640  m  hohen  Schönberges 
bei  Freiburg  und  an  dem  VVestabhang  desselben:  die  Unterlage  des 
Tertiär  ist  hier  ebenfalls  tlieils  Oolith  des  braunen  Jura ,  theils  noch 
jünirerer  Jurakalk,  wie  in  ganz  Oberbadeu,  und  die  Gerölle  desselben 
besteben  zumeist  aus  diesen  Jurakalken,  zuweilen  aus  Liaskalk,  selten 
aus  Muschelkalk;  aber  man  findet  keine  Gerölle  Ton  filteren  Ge- 
steinen. Der  ausgezeichnete  DarsteUer  der  geologischen  VerhSltoisse 
des  Schönberges,  Karl  Fromherz  (a.  a.  0.  1837,  S.  3(>)  satrt  am  Schlüsse 
seiner  Abhandlung:  „Wenn  es  sich  endlich  darum  handelt,  die  geo- 
logische Epoche  der  vulkanischen  Hebung  des  Schönberirps  zu  be- 
stimmen ,  so  rauss  ich  mich  hier  auf  die  Bemerkung  beschränken, 
dass  diese  Hebung  augensclieinlich  erst  nach  der  Ablagerung  der 
tertiären  Conglomerate  erfolgte.  Das  Vorkommen  dieser  Conglomerate 
auf  dem  hdchsten  Gipfel  des  Schdnberges  in  einer  Höhe  von  2000  Fuss 


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86 


[54 


«nd  die  Aufriclituii^'  drr  Schichten  ')  dieser  tertiären  Felsarten  am 
Steinenweg  bei  Ebringen  setzt  jene  Thatsache  ausser  Zweifel."  Wir 
sprechen  nach  unseren  jetzigen  Anschauungen  nun  weder  tou  einer 
^Tulkanischeii  Hebung*  noch  von  einer  Hebung  flberhaupt,  sondern 
sehen  in  der  steilen  Stellung  der  Tertiärschichten  am  Schönberg  eine 
Folge  des  Absiiikens  der  Schollen  in  die  Rheins))alte.  .TtMlenfalls  fareffen 
wir  auch  hier  b(M  Fr<'i]tnr«r  noch  keine  Gerölle  des  (ilrundLrebirges-  in 
den  oligocänen  Congi(jnu>raten  an  und  linden  diese  selbst  in  einer 
Höhe  über  dem  Meere  von  04(3  m. 

Endlich  wurden  die  mitteloligocäneu  Kalksande  auch  bekannt  auf 
dem  Schntterlindenberg  bei  Lahr,  wo  sie  gldcbfalls  auf  dem  Oolitfa 
des  braunen  Jura  aufliegen  und  mit  8 — 16**^,  an  einer  Stelle  auch 
mit  10^')  in  W  einfallen;  sie  lagern  dort  in  100  200  m  absolater 
Hölle.  l)ies(>  Kalksande  bestehen  nach  Walchner^)  fast  ganz  ans  den 
Oolithkörnern  ihrer  Unterlage. 

Gehen  wir  norli  wiMter  nördlich,  so  tindcii  wir  bei  lTl)statt  und  Malsch 
imKraichgau  mitteleotaneSüsswasserkalke  aufgelagert  aut  unterem  brau- 
nen Jura  (HurdliBonae-SandBtein);  es  sind  Schichte  von  demselben  Alter 
wie  diejenigen  drüben  auf  dem  äastberg  bei  Buchswefler  im  Unterelsass. 
Die  Lagerung  der  Schichten  ist  schlecht  aufgeschlossen:  dodi  sagt 
Benecke  (a.  a.  O.  S.  OOl):  .in  horizontaler  Lage  verblieben  der  Kalk- 
sandstein von  Ubstatt  und  die  jüntreron  Tertiärbildungen. "  Sodann 
begegnen  wir  bei  Grossaclisen  einer  einzelnen  an  d<'r  Hanptverwerfung 
abgesunkenen  Scholle  von  mitteloligocänem  Meeressande,  welche  unter 
Löss  und  nahe  einer  ebenfalls  niedergesunkenen  Partie  Buntsandstein 
zu  Tage  tritt  Endlich  hangt  eine  abgerissene  Tafel  des  mitteloligo- 
cänen  Meeressandes  am  Gneiss  in  den  Vorbergen  bei  Heppenheim  an 
der  Bergstrasse;  nördlich  daneben  steht  die  Starkenburg  auf  einem 
Rest  von  Bnntsandstein  '').  Hier  nun  besteht  der  Ifrtiäre  Sand«t<^in 
zumeist  aus  Trümmertheilfu  der  granitischen  (icsteiiir  des  Grund- 
gebirges, an  welchem  die  Scholle  liegt;  wir  erkennen  liieraus,  dass  an 
der  Borgstrasse  bereits  das  kristalline  Grundgebirge  eiitblösist  war,  als 
das  mitteloligocäne  Meer  die  Rheinebene  bedeckte.  Dieser  tertiäre 
Sandstein  lagert  bei  Heppenheim  in  300  m  absoluter  Höhe. 

Für  die  linke  Kheinseite  heben  wir  aus  der  eingehenden  Dar- 
stellung des  elsiisser  Tertiär  von  .\ndreae  die  folgenden  hier  in  Betracht 
kommeiidcn  l'unktc  liervor.  Die  eocänen  Kalke  in  der  l^nigegend  von 
Buchsweiler  im  I  iitrrelsass  und  zu  Morvillars  bei  Beltort  lagern  wie 
diejenigen  bei  Klcinkems  in  Oberbaden  und  bei  Ubstatt  und  Malsch 
im  Kraichgau  auf  Oolithen  und  Kalken  des  braunen  Jura.  In  diesen 
Schichten  gibt  uns  nichts  kund,  dass  die  Rheinspalte  bereits  Yorlianden 
war.  Zur  Zeit  des  obersten  Eocän,  als  sich  der  Melanienkalk  im  Sündgau 


')  Die  Schichten  lallen  nach  WNW  ein. 
*)  Eck  a.  8.  O.  1883.  S.  101. 
'1  Platz  a.  a.  0.  1807,  S.  44. 

*)  Walcliticr.  Ut'biT  das  Vorkommen  von  Grobkalk  am  westlichen  Kande 
des  Schwarzwaldes,  in  Leonh.  Zeitschr.  für  Min.  1827.  II  Ö.  241—240. 
^)  R.  LepsiuB,  Mainter  Becken  1883,  S.  40. 


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55]  oberrhcinimslie  Tiefebene  und  ihre  Bandgebirge.  87 


ablagerte,  scheint  sich  da.s  schweizer  Molassemeer  dem  Elflass  von 
Süden  her  genähert  zu  haben. 

Zur  unteroligücänen  Zeit  entstanden  die  200  bis  300  m  mächtigen 
Aspluli-,  Petrol-  und  Braunkohlen-führenden  Mergel  und  Kalke  in 
dem  Gebiet  zwischen  Bagenau,  Wörth  und  Weissenbnrg  im  Unter- 
elsass  nnd  bei  Altkirch  im  Sundgau,  brackische  Schichten;  auch  in 
ihnen  finden  wir  keine  Andeutung,  dass  die  Schichtenstörungen  des 
obttrrheinischeii  Systems  bereits  begonTioTi  hätten. 

Erst  mit  der  weit  über  die  Grenzen  des  südwestlichen  Deutschlands 
ansgedehnteu  allgemeinen  Senkung  zu  Anfang  der  mitteloligocänen  Zeit 
scheinen  die  ersten  Tafelbrüche  im  Sinne  des  oberrheinischen  Systems 
entstanden  zu  sein;  denn  tou  nun  an  finden  wir  Klistenbildungen 
längs  der  Linien,  welche  jetzt  ungefähr  durch  die  Vogesen-  und 
Schwarzwald-Spalten  gezogen  sind.  Besonders  treten  grobe  StrandgeröU- 
raassen  an  der  ganzen  Länge  der  Yogesenspalte  auf:  die  bis  30  (in. 
ja  bis  5(1  em  grossen  Strandfjerölle  des  mitteloligocänen  Meeres  lagern 
zu  Oltingen  bei  F^rtrt  im  Oherelsass  auf  unterem  weissen  Jurakalk 
(Astartien)  und  bestehen  selbst  fast  ganz  aus  diesen  Jurakalken;  eben- 
so bei  Beifort  und  Montb^liard.  Bei  Rödern  und  Leimbach  S  Thann 
und  zu  Sulz  bei  Gebweiler  sind  die  Strandgerölle  ebenfalls  den  Jura- 
kalkeu,  aber  auch  dem  Muschelkalk,  dem  Voltzien-  und  Yogesen- 
Sandstein  entnommen ;  dagegen  fehlen  vollständig  Gerölle  von  Granit 
oder  Grauwacke,  welche  Gesteine  dort  jetzt  di<*  Rer<re  jenseits  der 
Verwerfung  bilden.  Auf  dem  416  m  hohen  Hullenberg  und  über 
liudacii  in  ca.  390  m  Höhe,  dann  bei  Pfalienheim  und  auf  dem  350  m 
hohen  Letzenberg  bei  Tflrkheim  liegen  die  mächtigen  Gonglomerate 
des  mitteloligocänen  Meeres  auf  braunem  Jurakalke;  aus  diesem  Kalke 
stammen  auch  die  meisten  Gerölle  selbst,  daneben  finden  sich  selten 
Gerölle  aus  der  Trias,  niemals  die  Granite  und  Grauwacken  des  Grund- 
gebirges. Zu  Beblenheim  bei  Colmar  bestehen  die  mitteloli<r<n  iinen 
Meeresstrandgerölle  aus  Vogesensandsteiu ,  Muschelkalk  nnd  .luni- 
oolithen;  bei  Ittersweiler,  auf  der  350  m  hohen  Gloriette  bei  Barr 
und  bei  Bemhardsweiler  vorwiegend  aus  braunen  Jurakalken «  am 
letzteren  Orte  auch  aus  eocSnem  Sflsswasserkalk.  Auf  dem  Bischen- 
berg 360  m  bei  Obere]) ulicim  lagern  die  Conglomerate  auf  eocänem 
SOsswasserkalk ;  die  Gerölle  derselben  sind  Juraoolithe,  selten  Bunt- 
sandsteine. Die  mächtigen  Strandgerölle  auf  dem  Scharrachberg  31 )!  m 
bei  Wcdxheim  bestehen  vorwiegend  ans  Juraoolithen ;  daneben  kommen 
solche  aus  Muschelkalk ,  selten  aus  Voltzien-  und  Vogesensandsteiu 
vor.  Der  329  m  hohe  Bastberg  bei  Buchsweiler  trägt  über  den 
Oolithen  nnd  Kalken  des  oberen  braunen  Jura  die  eocänen  Braun- 
koUenmergel  und  Süsswasserkalke ;  auf  diesen  lagern  machtige  Massen 
von  mitteloligocänen  StrandgeröUen ,  die  siimmtlich  den  Oolithen  und 
Kalk  (Ml  des  braunen  Jura  entnonunen  sind;  die  tertiären  Schichten 
fallen  hier  mit  0 — Itj**  in  NNO  ein. 

Bis  hieriier  lagern  die  mitteloligocänen  Schichten  stets  anf  der 
ausgefurchten  Oberflüche  der  Kalktafeln  des  braunen  Jura,  wie  in 
Baden,  nicht  auf  älteren  Formationsstnfen;  nur  im  Sundgau  und 
dann  noch  weiter  sfidlich  im  Schweizer  Jura  lagern  sie  auf  noch 


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88 


Lepsitts, 


[56 


jüngeren  Stufen,  auf  den  Kalken  des  weissen  Jura.  Aber  am  Ab- 
hänge der  Haardt  und  im  Mainzer  Becken  wird  das  anders:  schon 
bei  Wdrtii,  bei  Gonsteti  und  Weissenbnrg  liegen  die  mitteioligoc&nen 
Conglomerate  auf  Lias  und  anf  Muschelkalk;  auch  zeigen  eich  keine 

Jnragerölle  mehr,  sondern  fast  lauter  Muschelkalkgerolle ;  ebenso  zn 
Leinweiler  bei  Landau  (Andreas  IT  S.  71).  Das  Profil  von  Lobsann 
(zwischen  Wörth  und  Weissenhnrg)  zeiLTt ,  dass  die  eocänen  Petrol- 
schichten,  die  Conglomerate  des  niitteloliiiociiiien  Alzeypr  Meeressandes 
und  die  ebenfalls  mitte loligocäneu  Septarienthone  mit  voller  Mächtigkeit 
an  der  Verwerfung  am  Vogesensandstein  der  Haardt  abstossen;  die  Sep- 
tarienthone  fallen  sogar  etwas  gegen  die  Verwerfung  ein,  was  wir  oben 
(S.  73)  als  ein  Kennzeichen  der  Tafelbrüche  längs  der  Vogesenspalte 
hervorhoben.  Die  Mächtigkeit  der  drei  tertiären  Stufen  bei  Lobsann 
ist  mit  ;iOO  m  noch  nicht  durchbohrt;  der  Vogesensandstein  des  Hoch- 
waldes steht  .l'H)  m  über  Lo])sann  empor;  die  Mächtigkeit  der  oberen 
Trills  (Voltzien-Sandstein,  Mnsclielkalk  und  Keuper)  ist  im  Lnterelsass 
nach  Daubr^  anf  175  m«  diejenige  des  Jura  bis  zum  oberen  braunen 
Jura  auf  135  m  zu  schätzen:  rechnet  man  diese  Zahlen  zusammen, 
so  ])eträgt  die  Sprunghöhe  der  Verwerfung  zwischen  dem  Hochwald 
und  Lt)bsann  mindestens  910  m.  Diese  Verwerfung  ist  nun  sicher  erst 
nach  dem  Absatz  des  Septarientliones  (wahrsclieinlich  sehr  viel  später) 
entstanden:  die  Hheinebene  bei  W'eissenburg  hat  sich  denmach  seit 
der  oligücäneu  Zeit  im  Verhältnis«  gegen  die  stehengebliebenen  Ilorste 
noch  um  wenigstens  910  m  gesenkt. 

Im  Mainzer  Becken  nun  lagern  die  mitteloligocänen  Meereseande 
auf  den  Rotliliegenden  Sandsteinen;  am  Hunsrück  und  am  Taunus  end- 
lich auf  den  Qrauwacken  des  devonischen  Schiefernde] »irf?es. 

Wir  erkennen  daraus,  dass  die  nördlichen  Gebiete  der  ){ heinebene 
noch  lan<(e  Zeit  ('ontinent  waren  und  denudirt  wurden  bis  auf  das 
Grundgebirge  (bei  Heppenheim  bis  auf  d("n  Gneiss),  ehe  das  mittel- 
•oligocäne  Meer  auch  in  diese  Gegenden  von  Süden  her  einbrach, 
w&hrend  dasselbe  im  südlichen  Theile  der  Rheinebene  schon  längst  die 
Felsen  des  braunen  Jura  überspülte.  Die  Grundgebirge  der  Vogesen 
und  des  Schwarzwaldes  waren  damals  noch  nicht  entblösst :  denn  keine 
Granit-  und  Grauwackengerölle,  sondern  nur  Jura-  und  TriasgerÖlle 
bildeten  die  Conglomerate  an  der  Küste  des  f)linv)tänen  Meeres. 

Auch  noch  untrüghcliere  Zeiclieu  der  Brandung  des  tertiären  Meeres 
finden  sich  längs  dieser  dauuiligen  Küstenlinie:  ausgewaschene  und  ab- 
gespülte Felsen  der  Grauwacken  und  Quarzite  am  Taunusrande  (z.  B. 
nahe  Schloss  Vollraths  bei  Oestrich)  und  der  Rothliegenden  Sandsteine, 
Melaphyre  und  Porphyre  in  Rheinhessen.  Audi  sitzen  häufig  noch  ganze 
Aiisterncolonien  fest  an  den  Porphyrfelsen  nahe  der  ehemaligen  Küste. 
Im  Elsass  aber  erwähnt  Daubree  auch  Bohrlöcher  von  liohrmuscheln 
am  Strande  des  initteh)li^'()(  änen  Meeres  in  den  Jurakalken  und  im 
Muschelkalke  bei  Wörth,  am  Kleinen  Bastberge  bei  Buchsweiler,  am 
Scharrachberg  und  Dreispitz  bei  Molsheim,  bei  Barr  und  bei  Bliensch- 
weiler. 

Die  miocänen  Süsswasserbildungen  haben  eine  geringere  Ver- 
breitung in  der  Rheinebene,  als  die  oligocänen  Meeresabsätze;  in  den 


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Die  oberrheinische  Tiefebene  und  ihre  Randgebirge. 


89 


Cerithieükalkeu  und  Litoriuellenkalken  bemerken  wir  keine  Anzeichen 
TOD  bedeatendeo  SiÖnuiffeii.  Doch  werden  audi  wShrend  dieser  Zeit 
die  Absenkungen  fnNigeeäritten  sein;  am  stärksten  jedoch  woU  wShrend 
der  pliocänen,  jfln^rten  Tertiärzeit,  wo  bereits  die  grossen  Seen 
aus  der  Rheinebene  verschwunden  waren  und  nur  Fhissabsätze  sich 
bildeten.  Am  Anfang  der  Diluvialzeit  waren  jedenfalls  schon  die 
fTnindffebirge  von  Vogesen  und  Schwarzwald  fast  ebenso  entblösst  von 
den  ehemala  überlagernden  Trias-  und  Jurastufen,  wie  jetzt:  denn  in 
den  dilnvialen  Couglomeraten  der  Rheinebene  finden  wir  die  Qranite 
nnd  Grauwacken  der  Grundgebirge  ebenso  wie  Triasgerölle.  Die 
dflnvialen  Gletscher  in  den  Beichenstöcken  fanden  die  Thäler,  in 
welchen  sie  hinabglitten,  nicht  viel  weniger  ausgehöhlt  vor,  als  sie 
jetzt  sich  darstellen.  Dazu  brachte  der  Klioin  alpine  Gerolle,  die  vor 
der  diluvialen  Zeit  nirgends  in  den  älttren  Al>Ia<j:erungen  des  ober- 
rheinischen Gebirgssjstems  vorkommen.  Auch  während  der  Diluvial- 
seit  sanken  die  Trias-,  Jura-  und  Terti&rtafeln  in  der  Bheinspalte 
noch  tiefer,  indem  gleichzeitig  der  Rhein  mit  dem  mitgefUhrten  Sand, 
Kies  und  Schlick  die  absinkende  Fläche  wieder  aufiMllte.  Hundert 
Meter  mächtig  liegen  */.  B.  die  diluvialen  Rheinablagerungen  zu  Gries- 
heim in  der  Ebene  westlich  bei  Darmstadt,  und  sie  enthalten  noch 
in  ihren  tiefsten  Schichten  Flussmuscheln  und  Flussschnecken,  wie  sie 
zur  diluvialen  Zeit  am  Rheine  lebten. 

Noch  heute  geben  uns  die  sahireichen  Erdbeben  in  der  ober- 
und  mittelrheinischen  Tiefebene  kund,  dass  diese  Bewegungen  im 
Simie  des  oberrheinischen  Gebirgssystems  noch  nicht  zur  Ruhe  ge- 
kommen sind;  jedesmal  wenn  eine  durch  die  Senkungen  entstandene 
Spannung  im  Erdgewölbe  ausgelöst  wird,  lassen  die  Ein})rüche  den 
Boden  unter  unseren  Füssen  erzittern.  Dagegen  erhuiben  die  Schutz- 
dämme, welche  jetzt  den  Strom  seiner  ganzen  Länge  nach  von  Basel 
bis  Mainz  yon  der  ihn  umgebenden  Ebene  abschliessen ,  dem  Rhein 
nicht  mehr,  die  allmählich  tiefer  smkenden  Flächen  der  Tiefebene  mit 
seinem  Schlicke  aufzufüllen;  in  Folge  dessen  werden,  besonders,  am 
Mittelrhein,  die  Ueberschwemmungen  bei  der  Hochfluth  immer  gefahr- 
hcher  und  bedrohen  immer  weitere  Gebiete,  so  dass  in  fliesen  Gegen- 
den schon  ernsthch  die  Frage  erörtert  wird,  ol)  es  nicht  thunlich  wäre, 
zu  dem  holländischen  Poldersystem  überzugehen,  den  Getreidebau  in 
den  Niederungen  in  der  Nähe  des  Rheines  wieder  au&.ugebea  und,  wie 
frfiher  Yor  dem  Bau  der  Dämme,  zur  Wiesencultur  nnd  zur  Viehzucht 
zurückzukehren. 

Dieselbe  Erwägung,  die  wir  aus  der  geologischen  Geschichte  des 
oberrheinischen  Gebirgssystems  gewonnen  haben ,  nämlich  dass  die 
Ra.ndt;ebirge  der  Rheinebene  durch  langsames  aber  lange  andauerndes 
Absinken  der  Trias-  und  Juratafeln  sowie  des  Tertiärs  entstanden 
sind,  giebt  uns  auch  die  richtige  Erklärung  des  eigenthümlichen  Ver- 
laufes der  Fltlsse  im  Stromgebiete  des  Rheines:  der  Neckar,  der  Main, 
die  Zorn,  die  Mosel,  die  Saar,  die  Nahe  und  der  Rhein  selbst  konnten 
deswegen  die  Gebirge,  durch  welche  ihr  Unterlauf  geht,  durchfliessen 
nnd  durchschneiden .  weil  ehemals  die  Landstrecken  ihres  oberen  und 
mittleren  Laufes  in  einem  höheren  Niveau  als  jetzt  sich  befanden.  In 


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90  Upsius,  [58 

der  langen  Zeit  vom  jüngsten  Tertiär  an  durch  das  Diluvium  bis  in  die 
jetzige  Pf^riode  war  das;  südwestlichf  Deutschland  ein  Continent,  auf 
welchem  Flüsse  ihr  Bett  eingruben ;  wälirend  derselben  Zeit  sanken  die 
Schichtentafebi  in  der  Rheinebene  sowie  in  dem  schwäbisch-fränkischen 
und  in  dem  lothringischen  Seukungsfelde  immer  tiefer  ab,  sodass  sie 
sich  xran  in  einem  bedeutend  tioferen  Niveau  im  VerHlltniBS  zu  den 
weniger  tief  abgesunkenen  oder  stehengebliebenen  Horsten  Sehwars- 
wald,  Vogesen,  Odenwald  nnd  Haardt  befinden. 


Sc  hl  aas. 

üeberblicken  wir  noch  einmal  die  dargelegten  Verhältnisse  der 
oberrlieinischen  Tiefebene  und  ihrer  Kandgebirge,  so  lassen  sieh  die 
Resultate  unserer  Betrachtungen  in  die  folgenden  Sätze  kurz  zu- 
sammenfassen : 

1.  Das  krystaUine  und  palftotoisehe  Gnmdgebirgef  waches  in  den 
Kernen  der  Bandgebirge  zu  beiden  Seiten  der  Rheinebene  zu  Tage 

tritt,  wurde  am  Ende  der  Steinkohlenzeit  durch  tangentialen  Druck  von 
SSO  her  in  zahlreiche  Falten  mit  ONO-Streichen  zusammengeschoben. 

2.  Von  der  Ablagerung  des  oberen  Rotbliegenden  an  h'is  zur  Zeit 
der  oberen  Jura-Formation  war  das  südwestliche  Deutschland  vom 
Meere  bedeckt:  Schicliten  von  1200 — 1500  m  Mächtigkeit  lagerten  sich 
während  dieser  langen  Zeit  ohne  jede  Störung  allmählich  Aber  dem 
Grundgebirge  ab. 

3.  Während  der  Kreidezeit  wurde  das  südwestliche  Deutschland 
wiederum  Continent  und  blieb  es  bis  zur  neuen  Ueberfluthung  durch 
das  mitteloligocäne  Meer. 

4.  Von  der  Tertiärzeit  an  bis  jetzt  bildete  sich  das  im  allgemeinen 
in  NNO  streichende  oberrheinische  Gebirgssy stem  heraus:  rings 
um  die  weniger  tief  einsinkenden  oder  stehenbleibenden  Horste  brachoA 
die  Formationen  in  viele  Tafeln  auseinander  und  sanken  mehr  und 
mehr  nieder  östlich  in  dem  schwäbisch-fränkischen,  westlich  in  dem 
lothringischen  Senkungsfelde  und  mitten  zwischen  den  Horsten  in  die 
aulldaffende  Rheinspalte. 

5.  Quer  durch  die  Ramlgebirge  entstand  eine  Senkung  in  der  ONO- 
Richtung  des  Grundgebirges,  östlich  im  Kraichgau  zwischen  Schwarz- 
wald und  Odenwald,  westlich  im  Zabemer  Hügellande  zwischen  Vogesen 
und  Haardt 

6.  Die  ersten  grösseren  Bewegungen  im  Sinne  des  oberrheini- 
schen Gebirgssystems  s))rechen  sich  aus  in  der  Küstenbildung  des  mittel- 
oligocänen  Meeres.  Dieses  Meer  drang  von  Süden  her  in  die  ent- 
stehende Tiefebene  ein.  verbreitete  sich  allmählich  bis  zum  Mittelrhein- 
gebiet und  blieb  als  ein  Meeresarm  in  Verbindung  mit  dem  schweizerischen 
und  norddeutschen  Meere  bis  zur  oberoligocänen  Zeit,  wo  die  Aus- 
sflssung  des  Wassers  in  der  Rheinebene  begann. 


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Die  oberrheiniadie  Tiefebene  und  ihre  Randgebirge.  9I 


7.  Am  meisten  beigetragen  /nr  jetzigen  Gestaltung  des  ober- 
rheinischen Gebirgssystems  hat  die  jüngste  Tertiärzeit. 

8.  Auch  während  der  Diluvialzeit  dauerte  die  Absenkung  der 
oberrheinischen  Tiefebene  tort.  Zu  Anfang  dieser  Zeit  brach  der  Kheiu 
in  die  Tieföbene  eis  lud  flUlte  dieselbe  in  der  Folge  fortdauernd  mit 
seinem  Schotter  aof  ,  so  daas  die  d^uvialen  Bhein<%ande  und  -Kiese 
jetrt  bis  zn  100  m  m&ditig  die  abgesunkenen  Tafeln  der  filieren  For- 
mationen bedecken. 

9.  Noch  jetzt  nehmen  die  Bewegungen  im  oberrheinischen  Ge- 
birgssystem  ihren  Fortgang,  wovon  die  Erdbeben  uns  Kunde  geben. 

10.  Wenigstens  um  2500  m  sind  die  Trias-  und  Jurataiein  in 
der  Bheinebene  swischen  den  höchsten  Theilen  von  Schwarswald  und 
Vogesen  von  der  Tertiftneit  an  bis  jetzt  niedergesunken. 


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Inhalt 


I.    Einleitung   [3]  35 

Q.   Orogrsphische  Uebersicht   [8]  40 

1.  Die  Vogesen  .    .    .    !   [8]  40 

2.  Der  ßchwariwald   [12]  44 

8.  Di«  Haardt   [14]  46 

4.  Die  beiden  Senken  bei  Zabeni  and  im  Kraickigaa  .  .  .  [15]  47 

5.  Der  Odenwald    .  ^   [16]  48 

6.  Die  Rheinebene  .    '   [18]  oO 

7.  Die  äusseren  Grenien  der  vier  Randgebii^ge   [18]  50 

III.    Der  ppologischp  Ban   [20]  52 

A.  Das  ürundgebirge   [21]  53 

1.  Im  Schwanwalde  .   .   .   .  •   [21J  53 

2.  Im  Odenwalde   [27]  59 

8.  In  den  Yogeaen   [29]  6t 

4.  In  der  Haardt   [32]  64 

B.  Die  Trias-  und  Jura-Tafeln   [36]  68 

1.  Am  Siidrande  des  Schwarzwaldes   [39]  71 

2.  Am  üstrande  der  Rheinebene   [39]  71 

8.  Am  Sfldrande  der  Vogesea   [41]  73 

4.  Am  Weslrande  der  Rheinebene   [4Sf\  74 

5.  Die  änaaere  Abdaehnng  des  Schwanwaldet   [47]  79 

6.  Die  änaaere  Abdaehnng  dee  Odenwaldes    [49]  81 

7.  Die  äassere  Abdachung;  von  Vogesen  und  Haardt    .        .  [50]  82 

C.  Die  tertiären  Ablagerungen  in  der  oberrheinischen  Tiefebene  [51]  88 
Schlus«   [58]  90 


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I 


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25 


1:  Wier?  IV.  techn.  Hoc^ism^^ 


FTmtmtmmmnmTffnTimnmffmm^ 


Forsclumgcn 

zur  dentsehen  Landes-  und  Volkskunde 

tm  Auftrage  der 

CeiitraIk<«uiii8rioii  für  wiMenediaftliche  Landeskunde-  von  Demtaehland 

henuiagegeliea  von 

l^gl  D'-  Richard  Lehmann, 

Profmor  d«r  JSrdkoad*^  an  d«r  AkMlemie  su  Münster  i;W. 

JBrster  Band, 
Heft  3. 


DIE  STÄDTE 


Norddeutschen  Tiefebene 


IN  IHRER  E 


«8  ZDB 


Boden  gestaltung. 


F.  G.  HAHN. 

der  Eidkimd«  ui  der  Pnlvewitftt  Leipsig. 


STUTTGABT, 
VERLAG  VON  J.  BNiSELHORN. 

188Ö. 


LfifkXß:  u  m  1  rniiTmirnninrnq 


illiiiim»JllllUUl)UI'Mn""«f»"''"H«lMUtM"UUt"UM'lll"M"'"'H»»'"f> 


IlllllltllUlllrJ  • 


PROSPEKT. 


'fj^^^ie  ..F(»r.s(  liuiigeii  zur  deutschen  Landes-  und  Volkskunde*'  wollen  dazu  heltVii, 
»^^Idie  heiniisclieu  landes-  und  volkskuudlichen  Studien  zu  fordern,  indem  n^ie  auj 
UBb  allen  Gebieten  derselben  bedeutendere  und  in  ihrer  Tragweite  über  ein  blosi 
(Srtliches  Interesse  hinausgebende  Themata  herausgreifen  und  darttb^  knrzere  wissen- 

8chaftllclie  Abhandlungen  hervorragender  Fachmänner  bringen.  Sie  woll» n  fVriuT  aut 
solche  Weise  zugleich  dahin  wirken,  dass  die  l>»  züoTichen  in  den  rerschiedenen  Teilet 
unsore^J  Landes  betriebenen  Forschungen  melir,  als  dies  bisher  meist  der  Fall  war 
unter  einander  in  Verbinduucr  kommen.  Endlich  wollen  sie  auch  dazu  beitragt  n, 
das  Interesse  für  diese  Studien  in  den  hölier  gebiideteu  Kreisen  unseres  Voikes  leb« 
hafter  anzuregen  und  allgemeiner  zu  machen. 

In  r&umlicher  Beziehung  werden  sie  sich  keineswegs  auf  das  Gebiet  des  Dentsches 
Reiches  beschränken,  sondern  soweit  auf  mitteleuropäischem  Boden  von  geschlossener 
Yolksgemeins(  haften  die  deutsche  Sprache  gerch  t  wird,  soweit  soll  sich  auch,  ohii< 
Rücksicht  auf  staatliche  Grenzen,  der  (it  siihtskreis  unserer  Sammlung  nusdehnen 
Da  aber  die  wissenschaltliche  Betrachtung  der  Landesnatur  die  Weglassuug  einzebiei 
Teile  aus  der  physischen  Einheit  Mitteleuropas  nicht  wohl  gestatten  \vtirde,  so  sollen 
auch  die  von  einer  nichtdeutschen  Bevölkerung  eingenonmienen  Gegenden  desselbeil 
samt  ihren  Bewohnern  mit-znr  Berücksichtigung  gelangen.  Es  werden  demmach  aussei 
dem  Deutschen  Reiche  auch  die  Länder  des  cisleithaiiischen  Oesterreichs  abgesehen 
Ton  (T  ili/icn.  Bukowina  und  Dalmatien,  femer  die  ganze  Schweiz,  Luxembui^, 
Niederlande  und  Belgien  in  den  Rahmen  unseres  L^nternehraens  hineingezogen  werden. 
Ausserdem  .sollen  nocli  die  Sachsen  Siebenbürf^ens  mit  berücksichtigt  werden  uml 
auch  Arbeiten  über  die  grosseren  deutscheu  \'olksiusehi  des  russischen  Reiches  nich; 
ausgeschlossen  sein. 

In  sachlicher  Hinsicht  lassen  wir  die  Landes^  und  Volkskunde  in  weitem  Slime. 
Ks  werden  demnach  ebensowohl  Arlxiten  über  Bau  und  Belief  des  Bodens,  fibet 
fossile  Schätze  desselben  und  ihre  Verwertung.  Über  Klima  und  Hydrographie, 
Pflanzen-  und  Tierverhreitunsj^.  wie  ül»er  die  antliropologLschen  und  etlmologischen 
Verhältnisse  der  Bewohner,  ihre  Mundarten,  iiu'e  rännilirhe  A'erteilung  und  deren 
Dichte,  ihr  Wirtschaftslebeu  und  dessen  natürliche  und  örtliche  Bedingungen,  ihre 
Sagen,  Sitten,  Bi&uche  u.  s.  w.  hier  Aufiiahme  finden  kennen  und  auch  Landesver- 
messung, Kartographie  und  Geschichte  der  Geographie  in  angemessener  Weise  zur 
Berüi  ksichtigung  gelangen.  Durch  Verbindung  mit  zalüreichen  namhaften  Fach- 
gelehrten ist  dafür  gesorgt,  dass  thatsächlich  schon  in  näherer  Frist  eine  grösser*-  Zalü 
dieser  verschiedenen  (Tehiete  zur  Bearl)eitnng  gelangen  wird.  Gleichwohl  wird  daduri  h 
keineswegs  ein  Chaos  heterogener  Sp»'zialar)>eiten  entstehen.  Der  leitende  Gedankt! 
in  allen  Einzelarbeiten,  da»  innere  Band,  das  sie  trotz  des  mannigfaltigsten  Stoffes 
doch  unter  einander  zusammenhalten  wird,  bleibt  eben,  abgesehen  von  der  Ctemein-' 
samkeit  der  räumlichen  Umgrenzung,  die  wechiielseitige  innere  Beziehung  der  ein- 
zelnen Gegenstände  unter  einander.  So  wird  der  geologische  Bau  einer  Landschaft 
nicht  behandelt  werden,  ohne  dass  zugleich  die  dadurch  bedingte  Gestaltung  des 
Reliefs  und  Zusammensetzung  des  l^odens  erörtert  und  die  Folgerungen  mindestens 
angedeutet  wenleu,  welche  sich  wiederum  aus  diesen  beiden  Faktoren  für  die  auf 
diesem  Boden  hausende  organische  Welt,  ganz  besonders  aber  für  die  Gestaltung  deis 
wirtschaftlichen  Daseins  der  Menschen,  ergeben.  So  wird  ferner  der  Vegetaticms- 
Charakter  einer  Gegend  hier  nur  erörtert  weiden  kSmien  im  Zusammenhang  einer- 
seiis  uiit  den  ursächlicli  einwirkenden  natürlich«!  Faktoren,  wie  Rdief  und  petoo- 
graphischer  Charakter  des  Bodens,  Temperatur-  mid  Bewässerungsverhälbiissc  u.  o.. 
anderer.seits  mit  seiner  Beeinflussung  der  übrigen  Lehewelt,  i^nn/  besonders  der 

menschlichen  Existenzbedingungen  u.  s.  w.   Und  in  analoger  Weise  werden  Abhand- 
niiA«*  Wi«4tt»li<il^«lAl«Am  ^^ber  \  olki^ar^  VnlIrttwMifiMU««»«*  V/^ttifltüiSfiLbyhiwi^ 


"S  -V  ■ 

DIE  STÄDTE 


DER 

N0EDDEUT8CHEN  TIEFEBENE 

IN  IIÜtfiR  BEZIEHUNG  ZUR 


BODENGESTALTÜNG. 


VON 


F.  ö.  HAHN, 

PAOFEIMÜB  l>£B  EKOKDNDE  AJt  DEB  CSIVEUalTAT  LEIPZIU. 


STUTTGART. 

VEllLAG  VON  J.  ENÖELHOKN. 

1885. 


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Druck  von  Otbrädsr  Krtatr  In  Stnttgm. 


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Inhalt. 


Seite 

Einleitung  [Ö]  »7 

Waiult-nu)«,'  duirli  NorrldentM  liland  von  Loiy.zijf  bis  zur  Ostsee  S.  ffi] 
iü.  üedtutuug  iltr  Te'mimfoniien  ISorddeuUchlands  für  die  Be- 
siedelung  8.  [8]  100.  Aufgaben  und  Grenzen  der  ge<^prapbi8chen 
Siedelungslefare  S.  [8]  100. 

Ereter  Abschnitt  [10]  102 

Die  Flu.ssniederungen  und  Sümpfe  unseres  Gebietes  S.  [10]  102. 
IKe  Uebergangsstellcn  und  ihre  militäri^jche  Bedeutung  S.  [12]  104. 
Die  Brückenstftdte  S.  [13J  105.  Die  Spree  S.  [141  106.  Lübben 
S.  [Vy]  107.  Cöpenick  S.  [15]  107.  Berlin  S.  [IG]  l*i^.  Brandenburg 
S.  [10]  III.  Havcllx-rtr  S.  [19]  III.  Breslau  S.  [20]  112.  Bartsch  und 
Prosua  S.  [21]  11;',.  Die  Netze  S.  [22J  114.  Die  Weicli^el  [2:1]  115. 
Ermeland  .S.  [23]  11-5.  Leij.zig  und  Halle  S.  [24]  II»"-.  .Magdeburg 
S.  [25]  117.  Die  Moorgrbiete  de.^  Nordwestens  S.  [2»;)  118.  liremen 
S.  [27]  119.  Die  oldenburgifichen  Moore  S.  [27]  119.  Die  Fehn- 
colonien  S.  [28 1  120.  Papenburg  S.  [29]  121.  Flussvereinigungen 
im  Flathlanil»'  und  ihre  Bedeutung  S.  [•^()]  122.  Festungsstädtc  an 
Flu88vereiuigungen  S.  131]  123.  Flusskrümmungen  ä.  [33]  125. 
Die  Alle  nnd  ihre  üferstädte  8.  [341  126. 

Zweiter  Abschnitt  [35]  127 

Die  norddeutschen  HOhenrOcken  S.  [35]  127.  Der  Fläming  S.  [36] 
128.  Die  Lüneburger  Haide  und  das  Innere  Holsteins  S.  [36]  128. 
Seenreichthum  der  Höhenzüge  S.  [:57]  129.  Typen  der  Städte  an 
I^andseen  S.  [38]  130.  Malaien  S.  [39j  131.  Mecklenburgische  See- 
ort.- S.  [40]  132.  Holsteinische  Seeorte  S.  [41]  133.  Die  Ränder 
dt  r  H.'ihen/.äge  iiti'l  ihri-  l?edt  utuiig  S.  [42]  134.  Randstädte  S.  [43] 
135.  Elbing  S.  [44J  i3ü.  Dan/.ig  S.  [44]  136.  Stettin  S.  [45]  137. 
Magdeburg,  Braunschweig  und  Hannover  S.  [45j  137.  Marsch 
und  Geest  S.  [47]  130.  Orte  am  Geestrand  in  Schle.swig- Holstein 
S.  [48]  140.  An  der  unteren  Elbe  und  in  Ostfriesland  ä.  [50]  142. 
Fruchtbarkeit  und  SOdtevertheilong  S.  [52]  144.  Bannwteiial 
S.  [52]  144.  Mineralachfttze  S.  [53]  145.  Stanfart  8.  [54]  146. 


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96 


Inhalt 


[4 


Seite 

Dritter  Abschnitt  *  [55j  147 

Küstoutypen,  welche  in  Dout.schhmd  vorkommen,  S.  [ob]  147.  Die 
0.«it«ieeküste  und  ihre  Städt«'  in«  All^joiuoincni  S.  [oH]  lAS.  Riga 
S.  [57]  149.    Memel  S.  [08]  löO.    Könij?sl)erg  8.  15u.    Das  • 

Frische  Haff  (.j'j]  l-M.  Daiizi-,'  und  die  Weichsehniinduiig 
S.  [r)!ij  l-M.  .Stettin  und  die  Odenuiludmif^en  8.  |<)0]  l.')2  Die 
Küste  Hiuieii>unuuerns  S.  [02]  lö4.  (Jreifswald  und  Stralj'und 
S.  pi]  1"»').  Kugen  S.  [tj2]  154.  Rostock  und  Wi.inar  S.  [(H]  15t;. 
Lübeck  S.  [♦>')]  1")7.  Die  Schleswig-Holsteinischen  Föhrden  ^.  [iJ-^j 
157.  Kiel  Js.  158.  Die  üchlei  Ü.  |_U7j  159.  Die  deichtVeien 
Strecken  an  der  Nordsee  8.  [68]  1CK>.  Flossmllndungen  und  Städte 
.1'.  ler  Nordsee  S.  [im]  161.  Wilhelnishafen  S.  [70]  1G2.  Knul.<n 
fe.  1701  lt>2.  Bremen  und  seine  Vorhäfen  ö.  |71J  liiS.  Hamburg 
und  (fie  Elbe  S.  [72]  164.  Hamburgs  Beziehung  zur  Küsten« 
gestaltung  S.  [74]  166.  Hamborg  und  Lübeck  8.  [75]  167. 


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» 


Einleitung. 

Treten  wir  aus  der  fruchtbaren  Gegend  von  Leipzig  und  Halle 
in  nordöstlicher  Richtung  eine  Wanderung  durch  die  norddcntsrhe 
Ebene  an .  so  verlassen  wir  die  leicht  wellenförmigen .  ertnigrt  ichen 
Ebenen,  welche  jene  Städte  auf  der  Ostseite  umgeben,  sehi*  bald.  Schon 
VeTOr  wir  die  Mulde  kreuzen,  betreten  wir  zwischen  Tauehft,  Delitzsch, 
Düben  und  Eflenbnrg  leichten  sandigen  Boden  mit  einzelnen  Torge- 
Behobenen  Kiefernwäldern.  Rasch  nimmt  mit  dt  r  Tnite  des  Bodens  Zahl 
nnd  Volksmenge  der  Dörfer  ab.  Jenseits  der  Mulde  erreichen  wir  die 
Dtlhener  Haide,  einen  der  grö.ssten  zusammenhängenden  Waldhezirkr 
der  mittleren  El))lihider.  Nur  einzelne  Lichtungen  tragen  hier  l)örli  r 
oder  kleine  Städte,  es  giebt  aljtr  auch  weite  Strecken,  namentlich  au 
der  anhaltischen  Grenze  und  zwischen  DUben,  Schmiedeberg  und  Chr&fen- 
hajnichen,  in  denen  selbst  solche  Lichtungen  ganz  fehlen.  Bei  Eem- 
berg  ei  l  .  i(  hen  wir  den  Beginn  der  Elbniederung,  überschreiten  den 
Strom  selltst  und  müssen  jetzt  den  niedrigen,  aber  geographisch  durchaus 
niclit  uinvir hti'j-eii  Rücken  des  PMäniing  übersteigen.  Noch  am  An- 
fang unseres  .laluhunderts  wurde  (Kr  Fläming  sehr  wenig  beachtet. 
Zur  Zeit,  als  Hermann  Berghaus  seine  Wanderungen  durch  die  Mark 
Brandenburg  antrat  (1815),  zeigten  die  besten  damals  vorhandenen 
Karten  so  geringe  Andeutungen  jenes  Landrück^s,  dass  der  Reisende 
nördlich  von  Wittenberg  ein  ganz  ebenes  Land  zu  finden  erwartete 
Aiirli  die  Sotzmann'sche  Karte  vom  ITerzogthum  Magdeburg  und  den 
ben:i(  hl. arten  Ländeni  zeigt  an  Stelle  des  Fläming  nur  einige  ganz  un- 
vermittelt aufsteit;eiule  Bergkuppen.  Der  Fläming  zeichnet  sich  a]u>r 
wenigstens  an  seinem  Südrande  und  auf  der  Höhe  seines  Rückens  durcli 
fast  gänzliche  Abwesenheit  eigentlicher  Gipfel  aus.  Daneben  ist  die 
Armuth  an  fliessenden  Gewässern  sowie  an  grösseren  stehenden  Wasser- 
becken sofort  bemerkbar.  An  kleineren  Tümpeln  und  Teichen  fehlt 
e.s  jedoch  nicht  ganz,  ebenso  ist  die  Waldarmuth  des  Fläming  noch 
nicht  so  gross,  als  sie  häufig  dargestellt  wird.  Der  mittlere,  am  meisten 
besuchte  Theil  d»-^  Fläming  längs  der  Berlin- Anlialtischen  Eisenbahn 
ist  freilich  gerade  der  waldloseste.    Reichlich  vertreten  sind  auf  dem 


')  Berghaus,  Landbuch  der  Mark  Brandeuburff,  Band  1,  Brandenburg  1854» 
8.  592  ff. 


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98 


6] 


Fläming  nur  «,'(»l('<^''f'ntH(  Ii  xom  Wassor  iroftllltc  Sflihicliten  und  Trocken- 
thäler,  wi'lclic  <l('r  Fliuniiighewolmer  wohl  liununrlii  nennt,  nach  Ber'_'- 
haus'  Vermutliung  (a.  a,  U.  S.  5G7)  au>  dem  Grunde,  weil  das  rasch 
abfliesseude  und  bisweilen  wie  im  Karst  versinkende  Wasser  einen 
dumpfen  Schall  Terureacht.  Die  Etörfer  des  Fläming  liegen  in  ziem- 
li(  h  grossen  Abständen  von  einander,  Städte  fehlen  auf  der  Höhe  selbst 
durchaus.  Der  Nordrand  des  Fläming  ist  etwas  schärfer  ausgeprägt, 
hier  giebt  es  Gipfel  wie  den  HagolslM  ig  liei  Beizig,  den  Golnil)erg 
zwisclien  .Jüterl)og  und  Baruth  und  nicht  wenige  andere,  welche,  von 
dee  niedrigen  Landschaften  an  der  Notte,  Nuthe  und  Plaue  aus  gesehen, 
sehr  hervortreten. 

Wir  verlassen  den  Fläming ,  von  dessen  Höhe  wir  vorwärts  bis 
zu  den  Havelgegenden  und  rih  kwärts  bis  zum  IVtersberg  sehen  konnten, 
und  betreten  waldiges,  sehr  flaches  Land,  welches  uns  sofort  durch 
seinen  weit  grösseren  AVas^erreichthum  auffällt.  Mfigen  wir  die  alte 
Heerstrasse  über  Treut'iil»rit  t7,'ii  oder  die  Eisenbahn  über  Lnckeiiwalde 
eingeschlagen  haben,  innner  wenlen  wir  —  im  ersten  Falle  bei  Beelitz 
und  nochmals  bei  Saarmund,  im  zweiten  Falle  bei  Trebbin  eines 
jener  höchst  aufTalligen  und  ftir  den  landschaftlichen  Charakter  der 
norddeutschen  Tiefebene  so  bezeichnenden  alten  Flussthäler  zu  jiassiren 
haben,  welche  meist  in  ostwestlicher  Richtung  das  Tiefland  durchziehen. 
Bisweilen  werden  sie  von  grösseren  Flüssen  und  Strönu^i  streckenweise 
beinit/.t,  meist  aber  eiitlialten  sie  nur  einen  kleinen,  langsam  tliessenden, 
nicht  selten  mit  verschiedenen  Flussgebieten  in  Verbindung  stehenden 
Wasserlauf,  dessen  geringe  Grösse  zu  den  Kaumverhältuissen  des  Thaies 
in  sofort  bemerkbarem  Missverhältniss  steht.  Einige  ermangeln  jeg- 
lichen fliessenden  Gewässers  und  enthalten  nur  sumpfige  Wiesen,  da- 
zwischen Teiche  und  Seen.  In  unserem  Fall  haben  wir  es  bei  Trebbin 
lind  Saarmund  mit  der  Nut  he.  l»ei  Beelitz  mit  einem  westlichen  Zu- 
flüsse derse]})en  zu  tliuii,  welelier  nach  \Vesten  hin  in  der  Verlängerung 
des  alten  Thaies  auch  mit  der  l'lane  und  hierdurch  mit  der  Havel  bei 
Brandenburg  in  Verbindung  steht.  Die  geologische  Bedeutung 
dieser  erloschenen  Thäler  zu  erörtern,  ist  diesmal  nicht  unsere  Auf- 
gabe ;  ihre  Bedeutung  für  ^'erkehrswege  und  Siedelungen  dagegen  wird 
uns  weiterhin  noch  mehrfach  beschäftigen. 

Für  jetzt  ersteigen  wir  von  Trebbin  oder  Saarmund  aus  eine 
kleine,  zwischen  die  alten  Thalläufe  einijeschaltete  Diluvialinsel,  die 
Landschaft  Teltow,  auf  welcher  uns  zwischen  Lichterfelde  und  Britz 
schon  eine  Anzahl  der  kleinen  runden  oder  ovalen,  über  das  Plateau 
yershreuten  TUmpel  auffallen,  denen  wir  bald  noch  häufiger  begegnen 
werden.  Wir  flberschreiten  dann  das  im  Verhältniss  zur  mässigen  Wasser- 
menge seines  Flusses  offenbar  ebenfalls  viel  zu  breite  Spreethal,  welches 
Viif^r  auch  nichts  anderes  ist.  :ils  ein  Stück  eines  vom  südlichen  Polen  bis 
zur  Alier,  Weser  und  .lalide  zu  vertolgenden  erloschenen  Flusslaufes, 
und  sehen  uns  jenseits  auf  einem  neuen ,  diesmal  etwas  grösseren 
Diiuvialplateau,  der  Landschaft  Ba  r  n  i  m  ^ ).   Hier  ganz  besonders  bilden 


')  Die  Kurte  Girurd's  zu  seinem  Buche:  Die  norddeutsche  Ebeue  zwischen 
Elbe  und  Weiehsel,  Berlin  1855»  ist  hierzn  no^  immer  mit  Nutien  su  gebraudioi. 


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7] 


Die  Sadte  der  norddeutschen  Tiefebene. 


99 


jt_-ne  kleinen  Seen .  Tümpel  und  Kolke  einen  Hciu|)U:liar;ikterzug  der 
Laudscliut't.  Sie  sind  bald  reihenweise  aiigeurduet,  bald  gauz  uiiregel- 
mSssig  auf  den  Hoehebenen  zerstreui.  Die  neuen  deutsdien  General- 
stabskarten lassen  gerade  diese  kleinen  Wasserbecken  in  ihrer  gewal- 
tigeii  Anzabl  sehr  scharf  und  deutlich  hervortreten.  In  geologischer 
Beziehung  sind  diese  Tümpel,  wie  Berendt  ^)  gezeigfc  hat,  weit  wichtiger, 
als  man  bis  in  die  neueste  Zeit  unnuhin.  für  unsere  Zwecke  werden  sie 
aber  nur  dann  bedeutsam,  wenn  sie  grösseren  Umfang  erreichen.  Aber 
auch  eigentliche,  von  diesen  Tümpeln  wohl  zu  unterscheidende  Seen 
werden  im  nördlichen  Theile  des  Landes  Barnim  schon  häutiger,  und 
nach  TJeberschreitong  eines  neuen  Thallaufes,  welchen  der  Finowkanal 
zur  Ver)»indung  der  Havel  mit  der  Oder  benutzt  hat,  stehen  wir  am 
Sudrande  einer  neuen  Landhöhe,  wt-Mier  man  wegen  ihres  Seenreich- 
1  ;>n<  iferailezu  den  Namen  der  mecklenl)urL(isch-pommer'schen  Seenplatte 
'j;c;^eben  hat.  Der  landschiiftliche  Charakter  dieser  nur  einen  Theil  des 
grossen  Landrückens,  welcher  den  Südrand  der  Ostsee  von  Litthauen 
bis  Schleswig-Holstein  und  Jütland  umgiebt,  bildenden  Seenplatte  ist  in 
den  belehrenden  Schriften  des  mecklenburgischen  Geographen  Boll  sehr 
gut  geschildert  worden  Auch  hier  sind  die  Blätter  der  neuen  Reichs- 
karte (besonders  Nr.  117  Güstrow,  l&O  Goldberg  u.  a.)  mit  grösster 
Anerkennung  zu  nennen.  Klar  zeigen  sie  das  wirre  Durcheinander 
der  kleinen  Höhenzüge  und  einzelnen  oft  wie  Maulwurfsliaufen  grup- 
pirteu  Berge,  welche  den  Rücken  des  Plattau.s  bedecken,  der  zahl- 
reichen regellosen  Flussläufe  und  Trockeuthäler ,  der  massenhaft  auf- 
tretenden kleinen  Kolke  und  grösseren,  unregelmässig  gestalteten  Seen. 

Auch  diese  Karten  beweisen,  dass  die  Landschaften  des  nord* 
deutschen  HöhenrUckens  weit  davon  entfernt  sind,  ein  so  einförmiges 
Bild  zu  bitten,  wie  der  Süddeutsche  bisweüen  annimmt.  Jrder,  wer 
den  mittleren  und  östlichen  Theü  Mecklenburgs  aus  eii^ener  Ausehauung 
kennt,  wird  von  der  reichen  Abwechslung  zwischen  Thiilern  und  Höhen 
flberrascht  gewesen  sein,  die  er  dort  fand.  Einförmig  und  noch  flacher 
ab  die  firuätboren  Landschaften  an  der  Saale  und  Elster,  in  denen 
wir  unsere  Wanderung  begannen,  sind  dagegen  diejenigen  Striche 
Vorpommerns,  welche  wir,  etwa  bei  Neubrandenburg  oder  Demmin 
von  der  Landhöhe  herabsteigend ,  jetzt  noch  zu  durchwandern  haben, 
um  das  Meer  zu  erreichen,  (rnisscrc  Seen  finden  sich  hier  selten, 
auch  Waldungen  treten  sehr  zurück,  fruchtbare  Ackerflächen  und  Wiesen 
Uberwiegen  durchaus.  So  erreichen  wir  endlich  die  hier  flache  KUste 
der  Ostsee. 

Wir  haben  auf  unserem  W^^  schon  eine  ganze  Anzalil  der 
charakteristischen  Landschaftsformen  der  norddeutschen  Ebene  vorläufig 
kennen  gelernt.  Wir  sahen  die  fruchtbaren,  l)ald  wellenf(irmigen,  bald 
ganz  flachen  Ebenen,  die  mit  Nadelwäldern  bedeckten  Sandgebiete, 
die  kaiüen  und  wasserarmen  Höhen  ebenso  wie  die  an  Seen  und 
Waldungen  reichen  ausgedehnten  LandrUcken,  die  breiten  sumpfigen 


')  Zoitachrift  der  Deutsch.  Geolog.  Gesellschaft  Bd.  22,  1880,  S.  56  und 
Tat  VII.  Jaiurbuch  der  Eönigl.  Preuss.  Geolog.  Landesanütalt  Bd.  1,  1880,  S.  279. 
')  Besonders  ia  der  ,  Mecklenbmgichea  Landeskunde",  Wismar  1861. 


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100 


Hahn, 


[8 


ThSler  noch  Torhandener  oder  erlofichener  FlUsse.  Um  das  Bfld  voll- 
st im  di:  /u  niilclion,  werden  wir  aus  dem  deutschen  Nordwesten  noch 
die  HaideUi  die  Moore  und  die  Mar^clu  n.  nus  dtm  Nordostoi  die  aus- 
ffedflinten,  nicht  blos  an  Thäler  geknüpft»  n  Siimplwaldunp^en ,  endlidi 
Ktistenlandschaften  wie  die  Kreideklippen  Kii^tns.  die  8trundsecn,  La- 
gunen und  Haffe  Preussens  und  J^tninierus ,  die  Dünen  der  Kurisehen 
Nehrung  und  der  hinterpommer'schen  Küste,  die  Föhrden  Holsteins  und 
Schleswigs,  zuletzi  die  einförmigen  eingedeichten  Küsten  der  Kordsee 
hinzuzufügen  hahen. 

Die  Höhendifferenzen  aller  dieser  Landschaftsfoimen  sind  nament- 
lich im  Westen  der  Elbe  sdir  bescheiden,  Erhebungen  von  10<*-  IHOm 
über  dem  Meeresspiegel  gelttn  schon  als  nn^flnilit  lie  Berge  und  Land- 
marken  und  werden  in  den  Landesbeschreilningt  n  sorgfiiltig  verzeichnet. 
Aber  die  einfadien  Gegensätze  zwischen  Landhöhe  und  Niederung  sind 
in  ihrer  Art  nicht  weniger  auf  die  Grflndung,  das  Wachsthnm  und  die 
gegenwartige  Vertheilung  der  Ortschaften  Ton  Einflnss  gewesen,  als 
die  Bergmassen  und  Thäler  der  A\]m\  oder  der  deutschen  Mittel- 
gebirge. Nur  ist  in  der  norddeutschen  Ebene  nicht  sowohl  die  Höhen- 
lage selbst  das  Bestimmende,  als  vielmehr  die  Amderuiigen  in  der 
Zusammensttyiing  und  Ertragsfahigkeit  des  Bodtns.  uelelie  oft  an  ge- 
ringfiigige  Hoheudifl'erenzen  geknüpft  sind.  Ferner  >pielt  in  der  Tief- 
ehene  die  Begehharkeit  des  Terrains  eine  grosse  Rolle,  aher  in  anderer 
Weise  als  etwa  in  den  Alpen.  Wie  in  den  Alpenlandem  die  Pässe 
die  Uebersdireitung  der  Gebirgsketten  vermitteln,  giebt  es  auch  im 
Tieflande  zahlreiche  und  in  ihrer  Art  nicht  minder  wichtige  Passe. 
Es  sind  die  Streifen  trockenen,  für  Kriegszüge  und  Hnnddskarawnneii, 
für  rhausseen  und  Eisenbahnen  zugiinglidien  Bodens  zwischen  Stcn. 
Sümpfen  und  1  hissniederungen.  Wir  werden  uns  bald  näher  mit 
ihnen  zu  beschäftigen  haben.  Bei  Berficksichtigung  dieser  Satze  und 
nach  ihrer  Prüfung  an  Beispielen  kann  man  sich  der  Uebeizeugun^ 
nicht  Terschliessen ,  dass  Ansiedlungen  und  Verkehrswege  in  dem  an- 
scheinend so  einfadmi  norddeutschen  Tieflande  sogar  noch  strenger 
von  ihrer  Naturumgebung  abliü!i^''en  als  in  den  Gebirgslündern.  Nur 
muss  man  sich  bei  diesen  Untersudnmgen  vor  einer  Uebersehreitung 
der  Grenzen  der  Geographie  gegen  die  Gesdiidite  hüten.  Die  Ver- 
theilung, das  Wo  und  bis  zu  einem  gewissen  Grade  auch  die  Anlage, 
den  Qrundplan,  die  Physiognomie  der  Städte,  das  Wie  können  wir 
allerdings  meist  auf  geogi'apliisdie  Momente  zurückfüJiren.  Die  natilr- 
liclien  Vorzüge,  welche  der  Situation  einer  Stadt  anhalten,  sind  aber 
von  der  Bevölkerung  nicht  immer  in  gleicher  Weise  benutzt  worden. 
Die  Bedeutung,  Grösse  und  Verkehrsstelluiig  einer  Stadt  in  den  ver- 
schiedenen Perioden  der  Geschichte  ist  daher  nur  zu  euiem  Theil  das 
Ergebniss  physisch-geographischer  Verhältnisse,  zu  einem  anderen  und 
oft  grösseren  Theile  aber  aus  dem  Gange  historischer  Ereignisse  abzu- 
leiten, deren  nähere  Erforschung  und  Darstellung  dem  Geographen 
nicht  obliegt.  Wir  dürfen  auch  nicht  annehmen,  dass  eine  bestimmte 
geographische  Eigenthündidikeit  einer  Stadtpositi<m  immer  in  demselben 
Sinne  gewirkt  liabe;  feste  gesicherte  Lage  z.  B.  erwies  sich  in  iinrnbigen 
Epochen  wohltlmtig  und  fordernd,,  in  friedlichen  vid  eher  naditlieiiig. 


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91  Sie  Stftdte  der  norddeatFcheB  Tiefebene..  ...  101 

Diejcnifxen  Städte  vccrcltii  am  ^H-horsten  eine  einfliissrciilie  Stellung' 
Ijebaiipttn ,  welclie  so  reich  an  jj;Kit:v:  ],'\ii^<  lie,«:  ^'o^KÜ^Vii- yi«p<  liif  (lf  n('r 
Art  sind,  dass  die  wechselnden  An^prüclie  und  Verkelirshedürinii^fc.e 
alter  mtd  neuer  Zeit  gleicbmassig  befriedigt  werden  können.  Es  wird 
dann  bald  der  eine,  bald  der  andere  Vorzug  der  Stadt  mehr  in  den 
T(»dei^nuKl  rücken.  Wird  eine  solche  Stadt,  auch  noch  durch  den 
frang  der  Geschichte  hegünstigt  und  werden  die  Vortheile  ihrer  Lage 
klar  erkannt  und  riehtif^  "iM  inifzt.  so  entwickeln  sich  Ansiedlungen,  wie 
w  sie  in  unstrtni  (i(l>ietf  weise  in  Berlin  und  Hnnihurg  be- 

sitzen. Sind  nur  einzelne  begünstigende  Momente  vorhanden,  ho  werden 
Perioden  des  Aufsteigena  mit  aoläen  des  StiBstandes  oder  Sinkens  ab- 
wediseln,  je  nachdem  jene  Momente  gerade  Werth  besitzen  oder  gering 
geachtet  werden.  Besonders  energische  Anstrengungen  der  Bewohner 
oder  grosse  Begllnstigungen  durch  die  Landesregierung  können  jedoch 
auch  einer  solchen  Stadt  noch  eine  nehtungswerthe,  wenn  audi  iii<  ht  aus- 
Klilii;/ut  li»  ii(le  Stellung  verschafitn.  lUiss  es  daneben  eine  ISlenge  von 
kleinen  Ötüdten  iu  Norddeutschland  giebt,  welche  kaum  irgend  welchen 
natOrHchen  Vorzug  ifir  sich  in  Anspruch  nehmen  und  darum  auch  wohl 
nie  eine  sehr  mS^ge  Bedeutung  überschreiten  können,  versteht  sich 
Ton  selbst.  Auch  der  ausdauerndsten  Mühe  eines  Regenten  würde  es 
nicht  gelingen,  sagt  Bernhard  v.  Cotta  mit  Recht  Dingelstädt  oder 
Breiteiibach  in  Tliilringen.  Altenberg  oder  Marienberg  in  Sachsen  in 
Städte  ersten  Hanges  zu  verwandeln. 

Es  kann  allerdings  vorkommen,  dasä  Städte  auf  so  zu  sageu 
geographisch  unzulässigem  Platze  gegründet  werden,  wenn  eine  t&t» 
kräftige  Regierung  einen  ganz  bestimmten  Zweck  dort  erreichen  will. 
Dieser  Zweck  kann  in  der  That,  wenn  auch  nach  Besiegung  sehr  grosser 
Schwierigkeiten,  schliesslich  erreicht  werden,  die  Blüthe  einer  solchen 
Stadt  wird  jedoch  fast  immer  eine  einseitige  bleiben.  Fülle  dieser  Art 
werden  wir  nur  sehr  wenige  zu  betrachten  halnn.  Andererseits  aber 
ist  es  iu  Xorddeutschland  auch  nur  sehr  selten  vorgekommen,  dass  eine 
Position,  welche  der  Geograph  als  höchst  günstig  bezeichnen  muss, 
Willig  unbenutzt  geblieben  ist 

Manche  Geographen,  welche  sich  mit  diesen  Fragen  beschäftigt 
haben,  wie  u.  A.  der  anregende  J.  G.  Kohl,  legten  zu  viel  Gewicht 
auf  die  weitere  Umgebung  der  zu  besprechenden  Stadt,  auf  ihre  Be- 
ziehungen zu  ausserdc  iitsf  li(  n.  selbst  aussereuropäischen  Ländcni  und 
liesseu  die  Untersuchung  des  Bauplatzes  der  Stadt  und  der  näheren 
Umgebung  mehr  als  wünschenswerth  zurücktreten.  Die  Gründuns  und 
erste  Entwicklung  einer  Ansiedlung  wurde  aber  weit  mehr  durch  kleine 
Eigenthümliclikeiten  des  Baujdatzes.  «  tAva  eine  hohe  sichere  L'ferstelle, 
einen  kleinen  See,  an  den  sich  die  Stadt  anlehnen  konnte  u.  A.  bestimmt 
al?«  durch  Rücksiehti  ii  auf  Beziehungen,  an  welche  wohl  jetzt,  aber  nicht 
schon  vor  Jahrhunderten  g(  dneht  Averden  konnte.  IManehe  Städte  waren 
trefflich  zu  Verkehrsmitteipuukten  kleiner  Kreise  geeignet,  traten  aber 
zurück,  als  ganz  neue  grossartigere  Yerkehrsbahnen  geöffiiet  wurden; 
andere  filhrten  lange  eine  bescheidene  Existenz,  bis  die  Gegenwart  die 


))  Beatschlands  Boden  Bd.  2,  Leipzig  1854.  8.  10. 


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102  .•  :  üahn,  [10 

•  •  •• 

grossen  VortkiAi^,«  .ü^rör.Lage,  orkairiit-'  nii'l  benutzt*-,  wt-lche  bei  dem 
eugereu  G!^clil&^-taiy«  \fLi*gi5?i*^*;itir  Jahrhuuderte  unbeachtet  bleiben 
musste.  Als  Städte,  welche  sowohl  für  den  örtlichen  als  für  den  Fem- 
verkehr gleich  trefflich  geeignet  waren,  können  Torläofig  hier  wieder 

Berlin  und  Hamburg  genannt  werden.  Ich  halje  im  Allgemeinen  mehr 
Gewicht  auf  die  Betrachtung  der  ])liysis(  hen  Verhältnisse  des  Bauplatzes 
und  der  näliereu  L^niLreliuni,^  der  berucksiclitigten  Städte  gelegt  und  die 
sogenannte  Weltstellung"  der  Stadt  luir  au>iiahms\vt.Mse  gestreift.  Uebri- 
geus  liegt  l)ei  Erörterungen  der  let^tt-ren  Art  die  Grefuhr  immer  recht  nahe, 
in  allgemeine,  schon  khngende,  aber  inhaltslose  Betrachtungen  za  rer^ 
fallen.  Das  Terrain  der  Stadt,  der  Boden  und  die  Gewässer  ihrer  Um- 
gebung müssen  filr  den  Geographen  immer  die  Gnmdlage  der  weiteren 
Untersuchung  bleil>en,  historisclit'  Tnat-^arlien  und  Notizen  dürfen  in 
geographischen  Werken  nicht  um  ihrer  sel!»st  willen,  sondern  nur  zur 
Erläuterung  der  Wirkimg  jdivsisrher  VerhäUiii^>e  auf  die  Entstehung 
und  Entwicklung  der  betreffenden  6tadt  herangezogen  werden. 

Im  Rahmen  einer  kurzen  Abhandlung  können  selbstverständlich 
nur  die  Grundgesetze,  welche  die  Beziehungen  der  grösseren  Ort- 
schaften und  wichtigsten  Verkehrswege  Norddeutschlands  zu  den  Terrain- 
formen  bestimmen,  aufgesucht  und  durch  einige  Hauptbeispiele  erläutert 
werden.  Es  wird  sich  licr;in'->l"rllen .  d;iss  bei  aller  Mannichfalti'jfkeit 
der  einzelnen  Erseheinuiiuru  diese  ürundgesetze  weder  sehr  zahlreich 
noch  besouder.s  verwickelt  sind. 


Erster  Abschnitt. 

Als  die  grössten  Verkehrshindernisse  in  der  norddeutschen  Tiefebene 
konnten  stets  die  SUmpfe  und  Moore  betrachtet  werden.  Unter  diesen 
waren  ^vi(  der  die  Sflmpfe  in  den  FlussthSlem  am  lastigsten,  da  sie  nicht 

wie  die  Flächenmoore  unigjingen  werden  konnten,  sondern  an  dazu  ge- 
eigneten Punkten  wolil  oder  übel  gekreuzt  weivlcn  mussten.  Jedenfalls  war 
die  Uebersclu'citung  der  dm  Fluss  eiin  alinicnden  .Suni])fstreifen  oder  der 
moorigen,  jetzt  flusslosen  Thäler  schwerer  und  aufhältlicher  als  die  des 
Flusros  selbst,  zumal  wir  bedenken  müssen,  dass  es  noch  am  Schlüsse 
des  Mittelalters  beinahe  an  aQen  ReguUrungs-  und  Entwftsserungsarbeiten 
fehlte  und  die  Transportmittel  und  der  Zustand  <lcr  Wege  etwa  auf 
der  Stufe  .standen,  wie  heute  im  nfirdlichen  Russland.  Noch  im  18.  Jahr- 
hundert, kurz  vor  dem  Beginn  der  grossen  Uegulirung  einiger  der  ge- 
fährlichsten und  ödesten  Sumpfnieih  rungf'n  unter  Friedrich  Wilhelm  I. 
und  Friedrich  IL,  wird  die  Niederung  des  Oderbruches  zwischen  Küstrin 
und  Schwedt  als  ein  gewaltiges,  von  zahlreichen  regellosen  Flussarmen 
durchzogenes  Sumpfland  geschildert,  welches  zweimal  jährlich,  um  die 
Fastenzeit  und  in  d<  i  Glitte  des  Sommers,  tief  unter  Wasser  gesetzt 
wurde  ^).   Nach  jeder  Ueberschwemmung  zeigten  sich  grosse  Verande- 


^  Berg  haus,  Londbaoh  der  Mark  Brandenburg,  Bd.  8,  Brandenburg  1850» 
8.  45  ff. 


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Di6  Städte  der  norddeutächeu  Tieiebeue. 


103 


ruDgen  in  der  Bicktang  und  Wassermenge  der  einzelnen  Flussarme. 
Aber  auch  Epidemien  unter  den  Bewohnern  der  nicht  zalilreielien,  auf 
den  wenigen  Höhen  gelegenen  und  gegen  d:is  Wassor  durcli  Deiche 
und  Wälle  nach  Möglich1\eit  n<»cli  mehr  g(  ■^irlu  rti  n  l)<irlrr  begannen 
dann  autzutreten.  Nur  im  Winter  kruiiit»-  *Hc  Niederung  eiiiii^ermassen 
bequem  pasisirt  werden,  sonst  gab  e.s  nur  ganz  wenige  Verbindungswege, 
Ton  denen  nicht  leicht  abgewichen  werden  konnte.  Sogar  die  alte 
Hauptstrasse  von  Berlin  nach  der  Neumark  stand  streckenweise  je  nach 
der  Jahreszeit  unter  Wasser.  Aehnlich  sah  es  im  Wartlic-  und  Xetze- 
l»ruch  aus').  Das  Wartht_'])iurh  war  eine  „fast  unbekannte  Wilstenei'*, 
T\ie  Ber«rhiui<  a.  a.  ().  sagt,  in  welcher  fast  nur  der  Fhiss  selbst  als 
Strasse  benutzt  werden  konnte.  Drirt'er  lagen  nur  ganz  vereinzelt  auf 
etwas  gescliutztereu  Stellen.  Am  unwegsamsten  war  das  untere  Bruch, 
nahe  der  Vereinigung  der  Warthe  mit  der  Oder.  Unzugänglich  war 
aach  der  grösste  Theil  des  Netzebruches,  über  welches  nur  wenige  aus 
Baumstämmen  und  Pfahlwerk  hergestellte  Ue])ergiinge  fülirten,  ebenso 
das  ()l)rabruch.  die  Bartschniederung  und  andere  Sumpfslriche. 

Da^  lehrreiche  Kärtchen,  welches  Otto  Delitsch  ül)er  die  alten 
Flu«:stiiäler  Norddeutschlands  znsanmiengestellt  hat,  zeigt  uns  die  grosse 
Zahl  die.ser  Thäler  deutlich  genug  -).  Weichsel,  Netze,  W  arthe,  Uder, 
Spree,  Havel,  Schwarze  und  Weisse  Ekter,  Ohre,  Aller  und  Weser  be- 
natzen streckenweise  diese  Thäler;  wo  sie  es  thun,  bekommen  sie 
Neigung  zur  Zerfaserung  in  zahlreiche  Arme,  zur  Bildung  von  Alt- 
wasj^em  und  Bayous;  sie  nehmen  geradezu  einen  mississippiartigen 
Charakter  an.  Auch  kleine  F'lüsse.  wie  /.  B.  die  Fuhne  zwischen  Halle 
und  Kothen,  konnten  durch  ilu'  breites,  suinjdiges  Thal  wiclitige  Terrain- 
absclmitte  und  Ijedeutende  Hindernisse  namentlich  für  Truppeumärsche 
werden. 

Wohl  sind  jetzt  viele  dieser  sumpfigen  Niederungen  regulirt  und 
entwässert  worden.  Wo  sich  einst  die  Wüsteneien  des  Warthebruches 
ausdehnten,  wohnen  jetzt  zahlreiche  Men.schen  in  Einzelhöfen  und  ge- 
schlossenen D«>rfern,  das  OdnrVinieh.  die  Dbraniederung  und  viele  andere 
haben  eine  neue  (b-stalt  angenoniinen  und  sind  viel  leicliter  zugänglich 
geworden.  Trotzdem  bleibt  noch  sehr  viel  zu  thun  übrig.  Das  Oderbruch 
ze^  im  Norden  und  Westen  der  sogenannten  ^Insel  Neuenhagen") 
noch  Reste  der  froheren  Wüstenei;  ähnlich  steht  es  im  Warthebruch 
mit  der  immer  besonders  öden  Strecke  von  Sonnenburg  bis  Küstrin, 
Zwischen  Sonnenburg  und  der  Oder  liegt  noch  jetzt  kein  einziges  Dort 
Olli  r  einzelne  Ansiedlung:  Wiesen,  feuchte  W  älder,  Seen  als  Beste  ab- 
gt'storbt  in  1-  Flussarme  erinnern  an  den  frülieren  Zustand.  Die  l)eiden 
Spreewäider,  die  Lewitz  in  Mecklenburg,  Theile  des  Drömliug  in  der 
noTinz  Sachsen  sind  nur  die  bekanntesten  einer  noch  immer  sehr 
grossen  Reihe  ahnUcher  Brüche  und  Niederungen.   Es  ist  auch  nicht 


')  Berghauä  Bd.  'S,  S.  89  u.  ö. 
Deutschlands  Oberflächenform,  Breslau  1880,  Tafel  I. 

•)  Eine  Insel  wurde  dicsos  kleine,  in  das  Bruch  hineinragende  bandstück 
«rst  im  18.  Jahrhumlert  durch  die  Anlegung  des  neuen  Durchstiches  zwischen 
Glietzen  und  llohcnsathen. 


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104 


Hahn, 


[12 


ZU  orwarton  (und  aus  nietrorologischen  (irimdcn  «owie  aus  Rücksielit 
auf  die  höchst  interessante  Fauna  und  Flora  der  Sihni)le  für  den  Geo- 
graplien  auch  gar  nicht  einmal  erwünscht),  dass  diese  Sümpfe  in  ab- 
sehbarer Zeit  sämmtlich  urbar  gemacht  werden;  die  aufzuwendenden 
Mittel  würden  sehr  bedeutende  sein  und  die  Resultate  wobl  nicht  Überall 
80  günstige  und  lohnende  wie  im  Oder-  und  Warthebrucb. 

Auch  für  unsere  heutigen  Verkehrswege  sind  die  Sümpfe  der  Fluss* 
niederungen  noch  keineswegs  zu  unterschätzende  Hindernisse.  Eisen- 
balnun  und  I.andstrassen  können  ilincn  nicht  gnnz  aus  dem  Wege  gehen, 
machen  aber  gern  Umwege,  um  wenigstens  die  schwierigsten  Stellen 
zu  vermeiden.  Die  Dammschüttungen  und  Brückenbauten  in  diesen 
Niederungen  gehören  immer  zu  den  kostspieligsten  und  aufhSltUchsten 
Bauten.  Dies  zeigte  sich  bei  dem  Bau  der  Chauss^Cf  welche  die  Hark 
mit  der  Provinz  Posen  verbinden  sollte.  Man  hatte,  trotzdem  andere 
Richtungen  möglich  gewesen  wären,  den  AVeg  von  Kü'-friii  durch  den 
ol)en  erwälinten  Theil  des  Warthebruches  auf  Sonnenburg  gewälilt,  um 
die  Festung  Küstrin  nieht  zu  unigtdien.  Nun  niusste  al)er  ein  langer 
und  hoher  Damm  aufgeschüttet  und  mehrfache  liegulirungsarbeiten  au 
den  Hussen  vorgenommen  werden,  welche  von  der  Regierung  för  wichtig 
genug  gehalten  wurden,  um  in  einer  eigenen  Abhandlung  beschrieben 
zu  werden  Den  Cisenbahnen  boten  schon  die  kleineren  Thalniede- 
rungen (oft  Fliesse  genannt;  ih  r  Name  bezi<  lit  sich  bald  auf  die 
Wasserader  selbst,  bald  auf  das  ganze  Thal)  Schwierigkeiten  genug  zu 
überwinden.  Als  im  .bilirc  1S4<)  die  Starganl-Poseiicr  F^isenbahn  ang»'b  <:t 
wurde,  versank  am  Uebergaiige  über  das  Wutziger  Fliess  bei  Woldeii- 
berg  der  aufgeschüttete  Erddamm  so  beharrlich,  dass  bis  zur  Tiefe  von 
memr  als  40  m  ein  fester  haltbarer  Boden  erst  künstlich  geschaffen 
werden  musste.  An  einem  benachbarten  Fliess,  dem  Merenthiner *), 
mussten  20  Monate  lang  2 — 3<>0  Arbeiter  mit  Schüttung  eines  festen 
Damraes  «birdi  den  immer  wieder  nachgebenden  Moorboden  bescliüff iüft 
werden.  1  )er  Moorboden  und  eine  darunter  Itetindliche  MergelseliK  iit 
quollen  zu  beiden  Seiten  des  Dammes  hoch  auf  und  befanden  .sich  nat  Ii 
Vollendung  des  Baues  5 — 6  m  Über  dem  Niveau  des  Sumpfes,  unter 
dem  sie  sonst  verborgen  waren').  Nur  dies  eine  Beispiel  aus  emer 
grossen  Reihe  vorhandener  wollte  ich  anfbhren. 

Jedenfalls  geht  aus  diesen  Erörterungen  hervor,  dass  diejenigen 
Punkte,  an  denen  der  Uebergang  über  so  hinderliebe  Terrainformen 
leichter  ist  als  an  anderen  Stellen,  für  unsere  Zwecke  ganz  besonder-? 
wichtig  sein  werden  und  dass  ferner  diese  Uebergangsstellen  durci» 
lange  ZeitriLume  hindurch  ihre  Bedeutung  bewahren  müssen.  Denn  ein 
Abweichen  von  dem  trockeneren  und  bequemeren  Pfade  zwischen  Sümpfen 
ist  noch  schwerer  denkbar  als  das  Abweichen  von  einem  einmal  als 


')  Buuau^^fl^hnlngen  des  Preusüi!*chen  Staat»^  Rd.  1,  Rerlin  1^42.  S.  143  ff., 
aut  Karte.  Dieses  Werk  ist  ein  Vorliinfer  der  bekannten,  auch  reiches  geoj^pbi- 
■ehee  Material  besonders  in  hydrog^rn]ihi8clier  Beziehung  bietenden  Zeitschzilt  ftr 
Bauwesen.   Einiges  auch  bei  n*<rghaii,s  n.  a.  O.,  Bd.  8,  8.  S3  ff. 

^)  Reymann'.s  Spezialkarte  Blatt  til, 

')  Odebrecht  in  den  Monatüberickten  der  Berliner  Gesellsehait  für  Erd- 
kunde. Neue  Folge,  Bd.  6^  1848—1849,  8.  115  ff. 


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Die  Stildte  der  norddentscfaen  Tiefebene. 


105 


InMii.  hliar  t  rkaimteu  Gebirgspass.  Durch  Spren^juni^en  uml  maiicherlt'i 
Kun>tliautfii  kann  eine  neue  (}»'))irgs.strasse  hergestellt  und  dit;  ältere 
in  diu  6chatteu  gejjtellt  werden;  ganze  Gebii'gsketten  können,  wie  ge- 
nde  die  G^^uwart  zeigt,  diirckbonrt  und  so  der  Verkehr  ganzer  Alpen- 
linder nmgistaliet  werden.  Dagegen  hat  man  sich  kaum  je  dazu  eni- 
schlos-ien,  einen  vorhandenen  Pass  durch  Sumpthiederungen  aufzugeben 
uA  iliiuclu  u  und  in  grösserer  Entfernung  mit  vieler  Mühe  einen  neuen 
irotkeuen  und  sicheren  Weg  zu  bahnen.  Ancli  heute  wird  man  dies 
nur  da  ausführen,  wo  ganz  besonders  wiciitige  Interessen  auf  dem  I,- 
stehen.  Die  l>e\ölkeruiig  der  nurddeutscheu  Tiefebene  ist  aber  nur 
selten  so  dicht,  um  so  schwierige  Bauten  erwQuscht  oder  nothwendig 
m  machen.  Selbst  in  der  Nahe  der  grössten  StSdte  reichen  die  vOr- 
handenen  oft  in  sehr  alte  Zeit  zurückgehenden,  wenn  auch  vom  Fuss- 
und  Saumpfjid  allmählich  zur  Chausst^e  und  Eisenbahn  gewordenen 
Ueliergänge  meist  noch  aus,  wie  die  langen  brückenlosen  Strecken  der 
Spree  und  Havel  in  der  Mark  Brandenburg,  der  unteren  Elbe.  (k»r 
Unter weser  uud  auderer  Flüsse  zeigen.  Wulil  konnten  iu  früheren 
Jahrhunderten  Rttoksichten  auf  die  Sicherheit  yor  fdndlichen  Angriffen 
n  einer  VemachlSssigung  des  bequemeren  aber  minder  sicheren  Ueber- 
ganges  über  ein  Luch  oder  Flless  führen.  Soltald  aber  friedlichere 
Zeiten  eintraten,  brach  sich  der  Verkehr  wieder  .seine  gewohnte  Bahn, 
ujid  die  Wold  sichere,  aber  weniger  günstii;  gelegene,  etwa  üeber- 
iRliweinmungen  ausgesetzte  Strasse  verödete  wieder.  Es  entspannen  sich 
iu  Krieg^zeiten  in  der  norddeutschen  Tiefebene  sehr  häutig  Kämpfe  um 
Behauptung  uud  Eroberung  der  Ueberg'äuge  über  die  Flusst^ler,  welche 
ZQ  ganzen  Landschaften  den  SchlOssel  bildeten.  Daher  die  häufige 
Wiederkehr  von  Schlachten  und  Gef^n  Ilten  an  der  gleichen  Uebergangs- 
>telle.  Besonders  auffällig  ist  dies  in  den  an  da.s  Deutsche  Reich  un- 
mittelbar angrenzenden  polnischen  Landschaften,  deren  physische  Xatur 
niit  der  Xorddeutschlands  fast  völlig  übereinstimmt  und  namentlich  die 
ofterwähnten  alten  Thalrinneu  iu  reiclilicher  Menge  aufzuweisen  hat, 
£b  genflgt,  an  die  Namen  Pultusk  (Schiachten  1703  und  1806),  Ostro- 
lenka  (1807  und  1831)  und  die  zahlreichen  westrussischen  Orte  zu  er- 
umem,  bei  denen  es  sowohl  auf  dem  Hinwege  als  auf  dem  Rückzüge 
der  nrrn.s.  n  französischen  Armee  im  Jahre  1812  zu  Gefechten  kam. 
Auch  bei  den  oft  wiederholton  Kämpfen  um  Leipzig  spielte  die  Lage 
•lieser  Stadt  an  einem  brauchbaren  Üebergangspuukte  über  die  weiter 
abwärts  wie  aufwärts  schwerer  zu  kreuzenden  Thäier  der  ELster  und 
Fleisae  eine  wichtige  Rolle. 

Dass  llberhaupt  an  üebergangspunkten  über  Flttsse  und  Thaler 
gern  Ortschaften  entstehen  mu>-t<  u.  bedarf  keines  Beweises.  Der 
tebergang  war  meist  mit  Aufenthalt  verknttpft,  bisweilen  mus.ste  man 
ta^'o-,  >'elbst  wochenlang  auf  eine  Besserung  der  Was.ser-  «xb  r  Eisver- 
bältuisse  warten^).   Da  wurden  ächutzhäuser  iUr  die  Karawanen,  ilire 


')  Dies  geschah  an  der  W»'ic'hsol  noch  bis  zur  Erbauuir_'  !•  r  Diis*  havier 
Brücke  1ÖÖ7,  an  der  Memel  bei  Tilsit  noch  bis  in  das  letzte  Jahrzehnt.  Uekaunt 
iit  die  Schwierigkeit  de«  Elbflberganges  zwischen  Hamburg ,  und  Harburg  vor  der 
Eib&onng  der  gnnen.  Brücken. 


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lUü 


Uahn, 


[14 


Zug-  und  Lastthiere  und  Waaren  noihweadigf  Handwerker  siedelten 
sich  an,  und  zuletzt  kam  auch  ein  Schanzwerk  mit  Besatzung  zur 
Deckung  des  Ueberganges  sowie  eine  Kirc-lio  (xU  r  Kapelle  hinzu. 

Welche  Vorzüge  mussten  a!)er  die  zum  Uebergauf^  geeigneten 
Oertlichkeiten  bieten?  Diejenigen  Stellen  waren  oft'enbar  die  günstigsten, 
an  denen  die  Breite  des  Thal»  s  niöglielist  gering  war.  Mun  sm  lite,  so 
weit  es  irgend  ging,  auf  trockenem  holiem  Lande  an  den  Fluss  heran- 
zukommen, und  wir  finden  deshalb  mit  merkwürdiger  Regelmüssigkeit 
yiele  in  das  Sumpfland  der  Thftler  Torspringende  Halbinseln  mit  ge- 
wöhnlich sehr  a1t<  n  Städten  und  Ortschaften  besetzt.  Am  gOnsti^ten 
ist  es,  wenn  beide  Üt'er  des  Thaies  einengende  Vorsprtinge  zeigen, 
doch  wurde  auch  schon  fH<*  günstige  Gestaltung  nur  eines  Ufers  selten 
unlu  nutzt  gelassen.  Waren  Inseln  im  Fluss.  so  konnten  sie  den  Ueber- 
gang  dann  sehr  erleicliteni,  wenn  sie  nicht  all/.u  niedrig  und  auch  nicht 
zu  gross  waren.  Umströmte  ein  Fluss  eine  sehr  ausgedehnte  Insel,  so 
wurde  die  Ueberschreitung  der  beiden  Hauptarme  durch  einen  anzu- 
langen Zeitraum  getrennt,  und  konnte  nicht  mehr  wohl  unter  dm 
Schutze  und  mit  den  Httlfemitteln  einer  und  derselben  Ansiedlung  aus- 
geführt werden.  Man  passirt  lieber  einmal  einen  etwas  breiteren  Strom 
als  heute  den  ersten  Arm  und  morgen  oder  übermorgen  vmter  Wieder- 
holung des  ganzen  umständlichen  l'roces.ses  den  zwtiten.  Anders  lag 
die  Sache,  wenn  die  Insel  so  klein  war,  ddua  beide  Stromarme  etwa 
im  Verlauf  eines  halben  Tages  fiberschritten  werden  konnten,  dann 
konnte  die  Arbeit  gleichsam  durch  eine  einzige  Anstrengung  bewältigt 
werden;  die  Wassermasse  des  Stromes  aber  war  doch  in  erwünschter 
Weise  gethcilt.  Eine  kleinere  Insel  konnte  an(  Ii  <lun  li  eine  Ansied- 
lung ganz  ausgefüllt  und  ausserdem  gut  vertlieidigt  werden.  Noch 
unter  dem  Schutz  der  Mauern  und  Stadtthore  konnte  die  Uebei-schreitung 
der  beiden  Flussarme  vollzogen  werden,  die  durch  Anlage  von  Brücken- 
kSpfen  am  anderen  Ufer  oft  noch  mehr  gesichert  wmxle.  Sehr  Tor- 
theilhaft  war  es,  wenn  eine  beiderseitige  Einschnürung  des  Thaies  durch 
trockene  Höhen  mit  einer  günstig  gelegenen  Insel  zusammentraf;  wir 
werden  bald  einen  solchen  Fall  kennen  lernen.  Nachtheilig  war  allzu 
niedrige,  üeberschwemmungen  ausgesetzte  Lage  der  Insel,  noch  mein* 
ihre  Zersplitterung  in  eine  Keihe  all/u kleiner  Bruchstücke  und  Eilande. 
Hie  und  da  konnte  auch  eine  Furth  im  Flusse,  eine  Stein-  oder  Kies- 
bank den  Uebergang  erleichtem,  jedoch  lockte  dieser  Umstand  allein 
selten  einen  wichtigen  Handelsweg  herbei,  wenn  sich  nicht  andere  Vor* 
zOge  damit  vereinigten. 

Nach  diesen  zur  Verständigung  nothwendigen  Betrai  htungen  müssen 
wir  uns  einigen  der  lehn"eichsten  Heispiele  zuwenden.  Betrachten  wir 
zimächst  den  Lauf  der  Spree  vom  Spreewalde  ab.  1  >er  gnj.ssere  ,.()bere 
Sj^reewald"  ist  von  dem  weniger  au»gedehuten  unteren  nur  durch  einen 
ziemlich  schmalen  Isthmus  getrennt.  Dieser  Isthmus  war  froher  noch 
schmiler  %  jederzeit  aber  auf  einer  40  km  langen  Strecke  (von  Peitz 
bis  zum  Prahmsee,  oder,  wenn  man  will,  bis  Beeeiow)  der  einzige  wiik- 


>)  Berghaus,  Landbuch  Bd.  3,  S.  646. 


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Die  Slädte  der  oorddeutschen  Tiefebene. 


107 


lieh  braii<liV>art'  T'eber;i:aiijif.  Hii'rlicr  zitlfen  denn  aufli  von  i)<t  und 
West  mfhicre  Strassen'],  hier  entstand  die  Stadt  Lübben,  in  ilirer 
Anlage  noch  durch  die  hier  stattfindende  milssige  Inselbildung  der  Spree 
»wie  dnrcli  die  Richtung  des  Ton  Südwest  kommenden  und  sich  hier  mit 
der  Spree  rereinigenden  Flfisschens  Berste  begünstigt  Vielfache  Oefechte 
und  Bestürmungen  während  des  dreissigjährigen  Krieges  bezeugen  die 
strategische  Wichtigkeit  des  „Passes  von  Ltil)ben''.  Das  südöstlich  von 
Lübheri  am  Westrande  des  Oberen  Spreewaldes  gelegene  Lübbenau 
ist  uur  eine  Kandstadt  (vergl.  den  nächsten  Al>s<  Iniitt)  und  )>eherrscht 
keinen  Thalübergaug.  Unterhalb  Lübbeus  zeigt  uns  die  Frankfurt- 
Leipziger  Eanstsfamase ,  welche  die  hier  weit  nach  Osten  ausbiegende 
Spree  noch  zweimal  ttherschreiten  muss,  zwei  weitere  Uebergangspunkte 
beiTrebatsch  und  Beeskow^),  welche  beide  sein-  merkliche  Aehn- 
lichkeit  mit  der  Gegend  von  Lübben  haben  und  schon  lange  vor  der 
Zeit  der  Kunststrassen  einen  bescluMdenen  örtlichen  Verkehr  vermittelt 
haben.  Dass  nicht  an  jeder  dieser  llebergangsstellen  eine  Stadt  ent- 
stand, ist  bei  der  wenig  dichten  Bevölkerung  des  wald-  und  sumpf- 
rachen  Landes  nicht  aufSftUig. 

Kur  zweimal  noch,  bevor  wir  Berlin  erreichen,  zeigt  das  Spree- 
thal aufl^ige  Pässe.  Zuerst  nach  eiin  r  längeren,  nur  von  ganz  kleinen 
Dörfern  und  einzelnen  Häusern  schwach  belebten  Strecke  bei  Fürst en- 
walde.  Hier  treten  südlich  die  wichtigen  Kauenberge  bis  auf  kaum 
1  km  an  den  Strom  heran.  Auch  im  Norden  rückt  gerade  hier  das 
Iiüdersdorf-Müücheberger  Hügelland,  em  Theil  des  Plateaus  von  Barnim, 
niher  an  die  Spree,  hldbt  jedoch  immer  noch  2 — 2*/t  km  dayon  ent^ 
femt  Die  aus  Nord  und  Süd'  bei  FOrstenwalde  zusammenlaufenden 
und  hier  die  Spree  kreuzenden  Strassen  sind  wiederum  sehr  auf!ßdlig. 
Das  nächste  Stück  des  Spreelaufes  konnte  weder  zu  Ansiedlungen 
reizen  noch  Strassen  heraTv/iehen ,  es  ist  eine  noch  dichtbewaldete, 
gegen  Nordwest  von  grösseren  Seen  «Inrchsetzte  Gegend,  welche  die 
ziemlich  gewundene  Spree  hier  durchzieht.  Erst  bei  Cöpenick  hören 
^  Seen  und  Flusstheiltmgen  plötzlich  auf;  hier  finden  wir  denn  auch 
eme  der  ältesten  und  in  früherer  Zeit  wichtigsten  Städte  der  Mark, 
welche  jedoch,  wie  sich  gleich  zeigen  wird,  nicht  ohne  geographischen 
Grund  hinter  Berlin  so  weit  zurückgeblieben  ist.  Cöpenick  war  haupt- 
•sächlich  ein  strategisdi  wiclitiger.  gegen  Angriffe  gut  gesicherter  Platz. 
Die  Lage  auf  einer  Spreeinsel  ermöglichte  sowohl  die  Beherrschung 
des  Spreeverkehrs,  der  durch  den  hier  in  den  südlichen  Spreearm 
(Wendische  Spree)  einmündenden  D  ah mefluss  eine  besondere  Wichtig- 
keit hatte,  füs  die  Ueberwachung  der  den  Fluss  kreuzenden  Handels- 
zQge,  die  jedenfalls  die  Insel  berühren  mussten.  Brückenköpfe,  die  sich 
spater  zu  Aveitläufigen  Vorstädten  herausbildeten,  lagen  an  beiden  Spree- 
ui'em  sowie  aui'  der  Kordspitze  der  grossen,  die  Müggelberge  tragenden 


')  In  Lübben  kreuzen  sich  die  wichtigen  Landstra^sen  von  Berlin  nach  (lörlits 
nnd  von  Frankfurt  (Oder)  nach  Leipzig,  ^rstere  hält  sich  jedoch  immer  westlich 
*0n  beiden  Tln-ilen  des  Spri-^  wnlrlr^  und  Überschreitet  die  ^pree  hier  nicht. 

Bei  dem  grösseren  Dorfe  Trebat«ch  liegt,  durch  die  Spree  von  ihm  ge- 
trennt, der  kleine  Ort  Sabrod,  in  dessen  Namen  vieUeicht  das  damische  brod  = 
Ueberfohr  steckt  Dies  würde  auf  frühe  Benutcung  dieses  Passes  deaten. 


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108 


Ualin, 


[16 


lusel  zwischen  den  beiden  Spreearmen.  Indessen  waren  die  Flussarme 
bei  Cöpenick  zu  breit  (noch  »eeartig)  zur  l^equemen  Ueberschreitung 
das  unmittelbar  angrenzende  Terrain  ist  meist  niedrig  und  die  ganze 
Situation  der  Stadt  der  Hntwicklung  eines  grossen  Handels-  und  Ver- 
krhrsplatzes  jedenfalls  nicht  hervorras^end  gOnstig.  Sobald  daher  die 
Rücksicht  auf  die  cfesicherte  und  gli  ii  lizeitig  zur  üeberwachung  geeignete 
Lnj^e  nicht  iiitlir  <lie  ausschla<rfrclnnde  war,  verlor  die  Inselstadt  dtu 
grössten  Theil  ilii'er  einstigen  Bedeutung.  Unterhalb  Cöpenicks  bleibt 
das  Thal  über  eine  Meile  laug  flach,  und  die  Uöhenränder  treten  hier  weit 
zurOck.  Diese  Strecke  ist  noch  immer  wenig  belebt,  wenn  audi  die 
unmittelbare  NSbe  der  Qrossstadt  manche  kleinere  Ansiedlung  hervor- 
gerufen bai 

So  erreichen  vnr  endlich  B e rli n.  Jeder,  der  die  Umgegend  von 
Berlin  und  die  Stadt  selbst  mit  einiger  Aufmerksamkeit  durclnvandert 
hat,  muss  den  Gegensatz  des  nie<lrigen  Alluvialgebietes  des  Spreethaies 
und  der  beiderseitigen  Diluvialhöheu  im  Süden  und  Norden  der  Stadt 
rasch  bemerken.  Wir  lernten  schon  oben  diese  Höhen  als  die  Land- 
schaften Tdtow  und  Barnim  k«  tinen.  Die  Generalstabskarte  zeigt  uns 
aber,  dass  gerade  bei  Berlin  die  Höhenränder  sich  am  meisten  nähern. 
Der  Nordrand  des  Teltow  zieht  sich  von  den  hNillbonjen  bei  RixdoH 
über  den  Kreuzberg  gegen  ^^'illnersdorf  hin.  Der  Südrand  des  Barnim 
reidit  noch  mehr  in  die  Strassen  des  heutigen  Berlin  hinein,  die  nörd- 
lichen und  nordöstlichen  Stadttheile  liegen  schon  auf  Diluvialboden  und 
zeigen  stark  ansteigende  Strassen  Die  Spree  aber,  welche  auf  der 
ganzen  Strecke  von  der  Mündung  des  MüUroser  Kanales  bis  zur  Ver- 
einigung mit  der  Havel  nach  Karrer's  Ausdruck  «im  erborgten  Bette'' 
fliesst.  d.  h.  das  alte,  tur  sie  viel  zu  breite  Oderthal  benutzt,  bildet 
hier  eine  Insel  von  mä.ssiger  Gnisse.  Die  Insel  aber  war  nicht  ganz  flach, 
.sondern  hatte  einen  Hügel  aufzuweisen,  der  gegen  die  grösseren  Ueber- 
schwemniuügen  jedenfalls  Schutz  gewälirte.  Wii-  müssen  doch  wohl 
den  Namen  der  Ansiedlung,  welche  auf  dieser  Insel  entstanden  war, 
Cöln  oder  Kölln  mit  der  bekannten  slavischen  Bezeichnung  Kobn,  Golm 
oder  Köllen  für  einen  einzelnen,  aus  .sumpfiger  Umgebung  heraus- 
r^enden  Hügel  in  Verbindung  bring<'n.  Erleichtert  wurde  hier  die 
Stromüberschreitung  und  die  Bebauung  der  Insel  noch  durch  den  Um- 
stand, dass  zwei  Landzungen,  von  den  Höhen  des  Barnim  und  des 
Teltow  ausgehend,  sich  dem  Südende  der  Insel  Cöln  selir  näherten^). 
In  der  That  ist  auch  die  Insel  weit  frtther  an  der  SOdspitze  als  im 
nördlichen  Theil  bebaut  worden.  Jenseits  des  rechten  Spreearmes  aber 
entstand  ein  Brttckenkopf,  der  erste  Kern  des  späteren  Berlin.  Die 


^)  Jetzt  sind  Brflcken  und  lange  Dämme  Torhanden. 

Vgl.  Karrer,  Dn-  Hoden  der  Hauptstädte  Kii  ipas,  Wien  1881,  daselbst 
den  Diirchschuitt  auf  b.  44  u.  45.  Für  eiuliUäUcher«j  btudien  ist  Lossen,  Der 
Boden  von  Berlin,  Berlin  1879,  mit  seinen  zahlreichen  DorehBchnitten  unent- 
behrlich. 

Fidicin,  Hauiitmoniente  aus  der  (beschichte  Berlins,  Berlin  18Ö8,  mit 
lehrreicher  Karte.  Daselbst  8.  0  auch  über  den  Namen  Cöln.  Vgl.  auch  die 
Karten  zu  Klöden's  Werk:  Ueber  Pintatehiuig,  Alter  Und  früheste  Oesdiichte  der 
Städte  Berlin  und  Kölln,  Berlin  1839. 


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Die  Städte  der  norddeutacben  Tiefebene. 


109 


Lii^c  (Ir  1  )<>ppfl>ta<lt  Berlin-Cöln  war  für  den  Verkehr  eine  günstige, 
die  Sicherung  gegen  Feinde  aber  minder  vollkommen  als  bei  Cöpenick, 
Spandau  oder  Brandenburg,  da  die  Spreeinsel  hier  nicht  so  wie  bei 
jenen  Orten  durch  breite  seeartige  Flussanne  umgeben  war.  So  konnte 
Berlin  erst  in  friedlicheren  Zeiten  und  unter  dem  Sdmt/e  einer  starken 
Refficrung  die  grossen  Vorzüge,  welche  ihm  sch<jn  die  Beschaffenheit 
der  allernächsten  Umgebung  gewälirte,  voll  ausnutzen. 

Zu  diesen  Vorzügen  kamen  aber  noch  andere,  welche  in  der  ^'er- 
lutiiuug  (ier  Tliiiler  und  der  trockenen  höheren  Striche  in  der  Mark 
tief  begründet  sind Die  Stelle,  an  welcher  die  Annftherung  zwischen 
Teltow  und  Barnim  stattfindet,  war  für  den  gesammten  von  Süd  und 
BDdwest  nach  Norden  und  Nor<losten  gehenden  Verkehr  der  gebotene 
üebergangsjjunkt  über  die  Sj)ree-Havellinie,  der  nur  dann  von  seinen 
viel  ungünstiger  gelegenen  Xel)enV)uhlern  in  den  Sciiatteu  gestellt  wurde, 
wenn  ilie  politischen  Verhältnisse  mehr  auf  Sicherheit  ak  auf  Bequem- 
lichkeit und  Kürze  des  Weges  zu  sehen  zwimgeu. 

Denken  wir  uns,  wir  kommen  wie  auf  unserer  einleitenden  Wan- 
denmg  vom  Flftming  herab  und  haben  die  OdermUndungen  oder  Vor- 
pommern zum  Ziel,  so  werden  wir  uns  gewiss  nicht  in  die  sumpf-^ 
*een-  und  flussreichen  Landschaften  im  Südosten  Berlins  (heutiger  Kreis 
Beeskow -Storkow)  verlocken  lassen,  um  dann  Ikm  Fürstenwalde  oder 
Bee'ikow  nlüll<^;lln  die  S|u-'  e  /n  überx  hreiten.  Noch  viel  weniger  aber 
werden  wir  uns  der  LandschalL  Za ucli-Belzig  zuwenden.  Da  hätten 
wir  zanachst  mehrere  besonders  breite  Thäler  zu  überschreiten  und  würden 
bei  Brandenburg  den  flATelübergang  unternehmen.  Der  Lauf  der  Harel 
würde  uns  zwingen,  oberhalb  Spandaus  diesen  breiten,  seenreichen  Fluss 
luxh  ein  zweites  Mal  zu  überschreiten,  um  unsere  Kichtung  nicht  ganz 
zu  verlieren.  Schlagen  wir  aber  den  mittleren  Weg  ein.  so  gelangen  wir, 
nachdem  bei  Trebbin  das  letzte  Suinpfthal  überscliritten  ist,  auf  dem 
trockenen  Boden  der  Landschaft  Teltow  au  die  Spree,  wo  wir  den  beque- 
meren üebergaug  bei  Berlin  dem  Tiel  beschwerlicheren  bei  Cöpenick  sicher 
vorziehen  werden.  Jenseits  können  wir  dann  auf  ziemlich  langer  Strecke 
die  gleichfalls  tr-xkene  Landschaft  Barnim  benutzen.  Aber  auch  wenn 
wir  von  der  Elbe  l)ei  Magdeburg  herkämen  und  die  Oder  etwa  bei  Frank- 
furt erreichen  wollten,  würde  der  Sjn*eeübergang  bei  Berlin  für  uns 
der  vurtheilliafter^te  sein,  um  dann  die  alte  Berlin-Frankfurter  Land- 
fetrasse zu  verlblKeu,  welche  nicht  ohne  Giiiud  deu  weiten  Umweg  über 
Hfinchebeiv  ma^fte,  wo  sich  ihr  fast  immer  trockener  guter  Baugrund 
bot  Der  verkehr  innerhalb  des  westlichen  Theiles  der  Mark  war  so- 
mit in  ganz  bemerkenswerther  Weise  auf  den  Spreepass  Ton  Berlin 
angewiesen. 


*)  Schon  vor  ujehr  ah  40  .Taln  en  luit  Kl  öden  die  geof^raphische  Lage  Ber- 
liM  in  dem  eben  genannten  Hiulie  S.  17—30  mit  richtigem  geographiBcheni  Dlick 
«Ärt^rt,  Man  vgl.  hcine  Tafel  I.  Die  Ausführungen  bei  Kohl  (Die  geographische 
Lage  der  Haui)t.sti\dte  Kuroi>aV.  Leip/iLT  l.**74.  S.  :{M  ff.)  ontfernen  K\rh  bisweilen 
aUzmreit  von  der  rein  geograpliischen  TeiTainbetraciuung  und  wollen  zu  viel  be- 
woiiieD.  Kohl  versucht  hier,  wie  auch  sonst  mehrfach,  rein  historische  Entwick- 
lungen geographisch  zu  begründen. 

Wonüaatgtn  rar  d«nt«chen  L»odM*  und  VoUuka&de.  I.  8.  8 


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110 


Halm, 


Auch  in  der  Zeit  der  Eisenbahnen  ist  das  Zusammentreten  der 
Schienenwege  in  den  trockenen  Strichen  nördlich  und  sOdlich  von 

Berlin   (  In  auffallig,  so  viel  wir  auch  hierbei  der  Grossstadt,  welche 

di«'  ]*]iseiil)ahnen  herbeizog,  ihrerseits  wiedw  zurechnen  können.  Aber 
es  fehlt  den  von  H»  rlin  aiiscrehenden  Bahnen  an  solchen  A^erhindungs- 
linien.  wie  sie  die  Bulinnetze  um  f.ondon  und  l*ari.s  reichlich  aul'zuweisen 
haben.  Die  Havel  ist  von  Oranienljurg  bis  Spandau  und  wieder  von 
Spandau  bis  Rathenow '),  die  Spree  sogar  von  Berlin  bis  Cottbus  ohne 
jeden  Eisenbahnübergang.  Man  vergleiche  damit  die  zahlreichen  Eisen- 
Dahnbrücken,  welche  über  Seiin  .  Marne  und  Themse  in  einem  Umkreise 
von  etwa  -jOkni  um  Paris  oder  L<Mldon  geschlagen  sind.  Freihch  würde 
eine  Kingbahn,  Wfklie  Berlin  etwa  in  10—50  km  Ab>tiind  umgäbe,  mit 
grossen  Schwierigkeiten  7.u  kiimpfen  haben.  Zalilreiciie  Brücken-  und 
Danmibauteu  wären  in  dem  nicht  einmal  dicht  bevölkerten  Lande  nöthig. 

Dürfen  wir  die  Bedeutung  Berlins  für  die  Mark  mit  vollem  Recht 
aus  der  Yertheilung  der  Wasserlaufe  und  LandhShen  ableiten,  so  müssen 
wir  uns  doch  hüten,  auch  die  Bedeutung  der  Stadt  für  die  gesammte 
norddeutsche  Ebene  oder  gar  für  das  Deutsche  Reich  nur  auf  geo- 
gr;t])his('he  ^lomente  zurückzuftihren.  Wir  dürfen  nur  soviel  sagen,  dass 
Berlin  dnnli  die  geographischen  Verhältnisse  st-iner  Umgt  lnmg  nicht 
daran  verhindert  wurde,  staatlicher  Mittelpunkt  des  Deutschen  Kelches 
zu  werden.  Hätten  es  die  Verhältnisse  mit  sich  gebracht,  dass  Cöpenick, 
Spandau,  Potsdam  oder  Brandenburg  an  die  SSelle  Berlins  als  Haupt- 
stadt getreten  wäre,  so  wäre  durch  die  Energie  der  Fürsten  und  die 
Bi  f  ri<  1<s;inik^t  der  Bewohner  die  Entwicklung  einer  Grossstadt  auch 
dort  dun  liaus  möglidi  Lr^-wesfu.  nur  würden  die  Schwierigkeiten  und 
Hindernisse,  welche  Bauplatz  und  nächste  Umgcliung  einer  bedeutenden 
Vergrösserung  der  genannten  Städte  entgegenstelk  n,  schwerer  und  laug- 
samer zu  überwinden  gewesen  sein  als  in  Berhn.  Statt  der  zusammen* 
hängenden  Masse  Berlins,  welche  jetzt  aus  dem  Spreetbale  auf  die 
rei(£lich  Platz  bietenden  Höhen  des  Teltow  und  Barnim  hinaufsteigt, 
würden  wir  es  dann  mit  weit  ausgedehnten,  durch  grosse  Wassei-flächen 
getrennten  Städteanlagen  nach  Art  von  Boston.  Storkholm  oder  Peters- 
burg zu  tliun  haben.  Eine  solche  Zersplitterung  bietet  wohl  manche 
Vortheile,  wenn  es  sich  um  eine  Stadt  mit  Seeverkehr  handelt,  iin 
Binnenlande  würden  aber  die  !Xachtheile  —  namentlich  die  schwierigere 
Heranftihrung  der  Bahnlinien  —  gewiss  sehr  überwiegen. 

Unterhalb  Berlins  treten  sorort  die  Hdhenränder  wieder  zurück, 
der  Fluss  strömt  zw  ischen  feuchten  Wiesen  hin.  Eine  rasch  vorüber- 
gehende nochmalige  Einengung  des  Thaies  zwischen  der  Nordspitze 
des  Gnmewaldes  und  di'u  unerheblichen  Höhen  hei  Haselhoi-st  bleibt 
wirkungslos,  da  die  Spree  hier  keine  Erleichterung  des  Uebergangs 
bietet  und  die  Zugäuge  von  beiden  Seiten  versteckt  und  weniger  bequem 
liegen.  So  wird  die  Vereinigung  der  Spree  mit  d&c  Havel  erreicht, 
welche  durch  die  Wasserfestimg  Spandau  bezeichnet  wird.  Spandau 


Die  HavelbrOdcen  bei  Potsdam  admeidai  nur  ein  weit  nach  Sftd  ans* 

biegendes,  ^eearti^  erweitertes  Stfick  des  Flusses  ab  und  sind  nicht  als  ,Ü^Mr* 
gftnge*  in  unserem  Sinne  zu  rechnen. 


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Die  Stftdte  der  norddentschen  Tiefebene. 


111 


wird  mit  den  übrigen  nicht  e1)en  zahlreichen  norddeutschen  Städten, 
welche  an  Zusaninienflüssen  j^rr)sserer  >itrr)me  lie'ren,  zu  l)etrachten  sein, 
für  jetzt  setzen  wir  unsere  Fuhrt  noch  auf  der  Havel  eine  Strecke  tbrt 
und  überzeugen  uns  sehr  l)ald,  dass  die  hier  wie  fast  auf  ihrem  ganzen 
Lauf  sehr  breite  seeartige  Havel  zu  keiner  Zeit  eine  Rolle  als  stSdte- 
anlockender  Fluss  gespielt  haben  kann.  Potsdam,  in  einer  an  Wäldern, 
Hligeln  und  Seen  sehr  reichen  Gei^^end  ziemlich  versteckt  gelegen,  ist 
eine  der  alten  Grenzfesten  Albrechts  des  Bären  an  der  Nutlie-  und 
Havellinit'.  V.<  h;\t  seine  gegenwärtige  Bedeutung  lediglich  der  Vorliebe 
der  hrauilt  nlaHL,n>ch-preussis(hen  Herrscher  für  diese  Stelle  der  Havel- 
uter  zu  verdanken.  Säiumtliche  Wohugebäude  Potsdams  wurden  von 
Joachim  I.  an  bis  auf  den  König  Friedrich  Wilhelm  II.  auf  Kosten 
der  Eurftirsten  und  Könige  hergestellt Geographische  Momente  sind 
hier  nicht  vorhanden.  Auf  der  Weiterfahrt  berühren  wir  noch  mehrere 
unbedeutende  Städte,  darunter  die  Inselstadt  Werdrr.  welche  schon 
durch  ihre  Lage  andeutet,  dass  Sicherung  gegen  Angrilfe  und  daneben 
etwa  noch  der  Fischfang  in  der  Havel  das  Ziel  der  ersten  Ansiedler 
gewesen  ist.  Die  Lage  von  Brandenburg  erinnert  uns  wieder  an 
Cöpenick.  l^randenburg  ist  als  Uebergangsort  Aber  das  Haveltfaal  ent- 
schieden nidit  sehr  gOnstig  gelegen.  Nur  im  Norden  treten  Höhen  bis 
in  die  Nähe  des  Stromes,  im  Süden  dehnen  sicli  anselmliche  Wieseii- 
flikhen  ans,  durch  welche  sich  nur  im  Südwesten  ein  ganz  schmaler 
Zug  unbedeutender  Erhebungen  hinzieht,  an  den  sich  die  von  Branden- 
burg nach  Ziesar  führende  LandstrassL-  anlehnt.  Ein  Uebergang  bei 
Brandenburg  erschien  wenig  ratlisam  (s.  o.),  da  man  gegen  Westen 
und  Osten  nochmals  die  Havel,  gegen  Norden  aber  das  nocb  schwerer 
zu  flberschreitende  havelländische  Luch  zu  passiren  hatte.  Es  konnte 
somii  nur  der  Gang  der  rein  histori^  1  i  Begebenheiten,  bei  denen  die 
vorzügliche  strategische  Lat^e  der  den  Flus.slauf  belierrschenden 
IhmI-  und  Halbinsclstadt  schwer  in  das  Gewicht  tiel,  an  Brandenburg 
Zeitweilig  eine  liangstellung  und  Macht  übertragen,  lUr  welche  ein 
verkehrsgeographischer  Grund  nicht  vorlag. 

Jene  ungünstige,  inselai  tige  Gestaltung  des  auf  drei  Seiten  von  der 
Havel,  tas£  der  vierten  von  dem  eben  erwähnten  Luch  eingeschlossenen 
eigentlichen  Havellandes  Hess  auch  die  noch  Übrigen  kleinen  Passorte 
an  der  Havel  wenig  Verkehrsbedeutung  gewinnen,  trotzdem  Plaue 
einen  leidlich  guten  U*'l>erLcang  an  einer  der  seltenen  Stellen,  wo  die 
Havel  schmäler  ist  und  an  beiden  Seiten  von  Höhen  eingerahmt  wird, 
darbietet  und  auch  iiatiienow  desselben  Vortheils  nicht  ganz  ermangelt. 
Zwischen  Rathenow  und  Havelbei^  lenkt  die  Havel  in  die  von  Osten 
kommende  Senke  des  Luch  ein.  Diese  Strecke  ist  besonders  unwirth- 
li<  h.  Havelberg  selbst  litgt  pliysisch  wie  politisch  schon  ausser- 
lialb  der  Landschaft  Havellan«!  und  wird  zur  Priegnitz  geredmet.  Es 
ist  geographisch  sownhl  als  Fiand-  wie  als  Brückenstadt  zu  Itezeichnen. 
Havelbej^  liegt  zum  Theil  auf  den  hier  ganz  nahe  au  die  Havel  heran- 


Derghaus  a  a.  0.  Bd.  1,  S.  532,  woselbst  da.>«  Einzelne  höchst  ausfÜlirlidi 
daigesteUt  wird. 

f 

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112 


Hahn, 


[20 


rückenden  Hr.licn  der  Pi  ironit/.  /um  Tlioil  auf  der  sehr  scharf  lit-rvor-  ' 
tretendrii  { vitlK-icht  künstlich  in  ilirm  rinnsst-n  noch  regehn;is>ijjr,.r 
gesttilteien ':')  llavehnsel,  welche  die  \Vassei-menge  de«  Flusses  iu  er-  ' 
wOnschter  Webe  theilt  und  auf  längerer  Strecke  die  einzige  ihrer  Art 
ist.  Am  südlichen  Havelufer  fehlt  eme  unmittelbar  herantretende  Höhe, 
die  Stadt  hat  hier  auch  keine  Vorstädte.  Da  jedoch  weiter  südlich 
(an  der  Stnke,  die  der  Plaue'sche  Kanal  benutzt,  lufrinnend)  ein  san- 
di<jer,  mit  Nadelholz  ])estandener  Rü"  k«'n  die  Nifdriunrren  der  Havt-l 
und  der  fast  parallel  mit  ihr  fHes>.  udcn  Elhe  ti  t  iml.  war  hier  eine 
nicht  ganz  zu  verachtende  Gelegenheit  geboten,  auf  trockenem,  über- 
schwemmungsfreiem  Boden  nach  Norden  vorzudringen.  Jener  Rücken 
hmt  sich  anfänglich  naher  an  der  Havel,  biegt  aber  bei  Eamem  mehr 
nach  Westen  ab.  um  bei  dem  Städtchen  Sandau  aufzubahren.  So  weist 
er  gerade  auf  den  durch  Insel  und  wenigstens  einseitigen  Höhenrand 
begünstigten  Pass  von  Havelberg  bin.  Wnr  aber  die  Havel  hier  pas- 
sirt,  so  bot  sich  nun  auf  dem  me(  kleiihiiigiM  lieii  H<ihenrücken.  zu  dem 
die  Priegnitzhöhen  orogruphisch  sdion  gehören,  ein  nicht  allzu  schwie- 
riger und  namentlich  von  grösseren  Flussthalem  freier  Weg  bis  iu  das 
Gebiet  der  Wamow  dar. 

Die  Brücken stä dt  ('.  wie  wir  sie  kurz  nennen  Avollen,  lassen 
sifh  nun  nicht  IjIos  in  der  Mark,  die  wir  eines  besonders  wichtigen 
Beispieles  halber  zuerst  l>etriiten,  .sondoni  auch  in  den  übrigen  nord- 
d<'uts(di«'n  Landschaften  nachweisen.  Natüiliih  ist  nicht  ausführbar, 
sie  alle  hier  zu  betrachten,  nur  einige  besouilers  charakLeriütische  Bei- 
spiele aus  dem  Nordosten  und  Nordwesten  der  Tiefebene  sollen  noch 
erörtert  werden. 

Bleiben  wir  zunächst  an  der  Oder  stehen,  so  ist  es  nicht  zu 
verkennen,  dass  bei  Breslau  ähnliche  Vorzüge  zusammentreffen 
wie  bei  Berlin.  Die  ^)der  ist  von  lirieg  l»iv  «xcgen  Breslau  diivli 
ihr  breitis  Thal  und  ihre  zahlreiclieii  Arm»'  und  Altwasser  wiiul: 
passirbar,  von  Ohl  au  ab  tliesst  auch  noch  der  gleichnamige  kleine 
Fluss  in  cproeser  Nahe  der  Oder,  nur  durch  eine  wenig  hervortretende 
Kette  kleiner  Sandhügel  von  ihr  getrennt  Bei  Breslau  mündet  die 
Ohlau  endlich  in  die  Oder  ein,  gleichzeitig  erfolgt  hier  eine  allerdings 
nicht  bedeutende  Verschraälerung  des  ganzen  TJiales  und  «  in  Heran- 
treten von  nieilrigen.  aber  doch  niclit  ganz  eintlusskoen  Hügeln  auf 
lieiden  Seiten.  Auch  Inseln,  wt'lchr  «Ini  Uebergang  erleichterten,  waren 
vorhanden,  und  auf  diesen  ist  die  älteste  bUidtanlage  entstaudeu,  die 
sich  dann  zuerst  nach  Süden,  später  und  sparsamer  nach  Norden  weiter 
entwickelte.  Unterhalb  Breslaus  befindet  sich  erst  bei  Dvhernfurth 
wieder  eine  kleine  In.sel  in  der  Oder,  und  charakteristisch  genug  ist 
auch  D3'hernfurth  ein  in  sehr  früher  Zeit  wichtiger  Uebergangspuukt 
von  Biibnicn  und  Mäliifu  nach  den  Bernsteinländern  des  Xordostens 
gewesen').  Kr  liot  l'.rr^lau  gegenül>er  noch  den  \  ortheil .  da>s  .lie 
Flüsse  Lohe,  Weistniz  und  \Veida,  welche  die  Annähemug  an  Breslau 
immerhin  etwas  erschwerten,  hier  nicht  mehr  hindernd  in  den  Weg 


*)  Sadowski,  Die  HandelBstrassen  der  Griechen  und  BOmer  durch  das 
Flussgebiet  der  Oder  etc.»  deutsche  Anagabe,  Jena  1877.  8.  9. 


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Die  Städte  der  norddeatschen  Tiefebene. 


113 


traten.  Wir  lenien  daraus  wiederum,  da.'^s  -wir  die  alle  Xacliliarstädtc 
Oberra<rende  Entwicklung  Breslaus  nicht  ohne  ^\  cittTt.s,  viclleiclit  nicht 
eiunial  zum  grösseren  Theile  der  günstigen  geographischen  Lage  zu- 
schreiben dürfen.  Jedenfalls  domimrt  Breslau  die  OderUbergänge  nicht 
derart  wie  Berlin  die  Spree-Hayellime. 

Auch  weiter  abwärts  finden  wir  an  der  übrigens  auffallend  stadte* 
armen  Oder  noch  einige  sehr  markirte  Uebergangspunkte,  wie  Crossen 
und  iranz  besonders  Frankfurt.  Bei  Frankiurt  hat  die  Oder  das  alte 
Ost- VVesttlial ,  welches  sie  von  der  01)raniündung  an  benutzt,  endlich 
verlassen  und  flies.st  in  .schmälerem  Thal  zwischen  hohen  Ui'eru.  Bei 
Frankfurt  ist  der  Abstand  zwischen  den  Thalrändem  am  geringste  tind 
die  Bedeutung  dieser  Stelle  ist  um  so  grösser,  als  unweit  nördlich  Ton 
der  Stadt  bei  Lebus  und  Beitwein  schon  der  Beginn  des  uns  be- 
reits bekannten  Oderbruches  liegt.  £s  ist  auch  nicht  zu  Ubersehen, 
dass  ebenso  wie  westlich  von  Frankfurt  der  Barnim  eine  trockene 
Bahn  bot,  östlich  die  von  Rümpfen  und  Thälern  ziemlich  freie,  hoch- 
gelegene Landschafl  Sternberg  eine  bequeme  Bahn  bis  weit  in  das 
alte  Polen  eröfinete.  Die  Obra  war  auf  diesem  Wege  bei  Bomst  nicht 
schwer  zu  überschreiten,  und  auch  die  Warthe  ^t  gerade  ostwärts 
Ton  Frankfurt  bei  Moschin  eine  sumpfige  Thalniederung  verlassen  und 
kann  bei  Posen,  aber  auch  noch  an  einigen  anderen,  weiter  abwärts 
lie^^enden  Stellen  überschritten  werden.  So  bietet  sicli  hier  in  der 
Tliat  von  der  Elbe  bei  Magdeburg  über  Berlin,  Müncheberg,  Frank- 
furt,  Bomst,  Posen  und  weiter  über  die  zwar  seenreiche,  aber  nicht 
sehr  sumpfige  Gegend  von  Gnesen  eine  natürliche  Verkehrssti'asse  bis 
zur  Weicbsu  und  Brahe,  welche  in  unserer  Zeit  durch  die  MSrkisch- 
,  Posener  und  Posen-Thom-Bromherger  Eisenbahn  wieder  angesucht 
imd  neu  belebt  wurde. 

Die  zalüreichen  kleinen  Flüsse  im  nördlichen  Mittelschlesien  und 
im  südlichen  Posen  sind  auch  meist  von  ansehnlichen  Sumpfstrichen 
eingerahmt  und  waren  nur  an  bestimmten  Stellen  für  die  älteren  Hun- 
delsstrassen  zu  überschreiten.  Grössere  Städte  sind  jedoch  nicht  au 
diesen  PSssen  entstanden,  was  nicht  auffallen  darf,  da  alle  Ton  Polen 
bewohnten  Landstriche  zahlreiche  kleine,  aber  nur  sehr  wenig  grös- 
sere Städte  aufzuweisen  hnbm.  Ein  histiges  Hinderniss  war  und  ist 
zum  Theil  noch  heute  die  Bartsch,  ein  Zufluss  der  Oder,  welcher 
aber  der  allgemein  in  der  norddeutschen  Ebene  herrselieiiden  Kegel 
zufolge  mit  seinen  (^uellbächen  nahe  an  den  Tystlichen  Nachbartiuss,  die 
Prosna,  heranreicht.  Die  Prosna  hat  hier  einen  Zufluss  von  Westen, 
den  Olobok.  Ph>sna,  Olobok  und  QueUgegend  der  Bartsch  bilden 
nun  einen,  in  der  jüngsten  Vergangenheit  sdlerdings  stark  veränderten 
und  viel  zugänglicher  gemachten  Suinj)f ') .  der  früher,  >vie  die  unten 
citirte  Karte  angibt,  nur  zwischen  den  (Quellen  der  oigentliehen  Bartsch 
und  dem  Laute  einer  anderen,  zum  Olobok  fiies.senden  Bartsch  (Stry- 
Z(»wer  Bartscli)  überschritten  werden  konnte.  Am  Passe  selber  liegt 
kfcin  grosserer  Ort,  nur  das  Dorf  Chyno  wa.   Dagegen  linden  wir  süd- 


BOTinaims  Specialkarte  Blatt  114  u.  183.  Die  neuen  Generalstabskarten 
tt>er  dieie  Gegend  liegen  nocb.  nicht  tcmt. 


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114 


Hahn, 


[22 


lieh  von  ihm,  an  der  Zuiriings.stra.sse ,  eine  Reihe  kleiner  Städte,  wie 
Kempeu,  Schild berg  und  Mixstadt,  nördlich  aber  eine  etwas 
grössere  mit  dem  bedeatungsvoUen  Namen  Ostrowo  » InseL  In  der 
That  liegt  Ostrowo  auf  einem  nicht  grossen,  aber  sehr  aufiäUigren  insd- 
artigen  Stück  wasserfreien  Landes  z\W8chen  den  Flussthälem.  Sehr 
zahlreiche  Strassen  vereinigen  sich  hier  von  allen  Richtungen.  Dieser 
Pass  von  Chyuowa  und  O.strowo  scheint  mir  widitiger  als  der  Ton 
Sadowski  a.  a.  0.  S.  10  erwähnte  Pass  von  Herrnstadt. 

Aehnlich  wie  die  Bartsch  mit  ihren  Quellbächen  sich  der  Prosna 
nähert,  greift  auch  die  obere  Ketse  weit  in  das  Qebiet  der  Weichsel 
und  ihres  Zuflusses,  der  Brahe,  ein.  Die  Netze,  der  polnische  mi,  wie 
sit^  w(dd  genannt  wird,  war  noch  selnverer  zu  überschreiten  als  die 
Bartsch  Gegenwärtig  ftlhren  von  der  Biegung  unterhalb  der  Küddow- 
niHndung  bis  zum  Anschlusspunkt  des  Broni]>erger  Kanals  (bei  Nukel) 
vviclitigere  Verkehrswege  nur  l»ei  Usch  an  der  Küddowinünduug,  bei 
Dziembowü  (Schneidemülil - Poseuer  EisenbahuJ,  bei  Samotschin 
und  bei  Nahel  Ober  das  meist  sehr  breite  Neizethal,  also  im  ganzen 
nur  an  vier  Stellen.  Ich  möchte  kaum  annehmen,  dass  der  Uebergang 
bei  Usch  an  der  Küddow  so  alt  und  so  wichtig  gewesen  ist,  wie  Sa- 
dowski a.  a.  0.  S.  15  bemerkt.  Das  Thal  ist  hier  kaum  weniger  breit 
als  an  anderen  Stellen,  und  im  Norden  des  Pii'^-je«^  wiirde  man  direkt 
in  die  Wälder  und  Eintiden  Poninierellens  gelaugt  sein,  welche  zu  keiner 
Zeit  einen  grösseren  Verkehrsplatz  oder  eine  etwas  dichtere  Bevölkerung 
enthielten.  Die  Stadt  SchneidemOhl,  jetzt  als  Knotenpunkt  von 
sechs  Bahnlinien  von  einiger  Bedeutung,  war  immer  nur  klein  und 
höchstens  als  BriU  kenstadt  für  den  die  Koddow  in  ostwestlicher  Rich- 
tung kreuzenden  Verkehr  vor  der  Eisenbahnzeit  zu  nennen. 

Von  dt  r  Biegung  bei  Nakel  fülirt  eine  Thalsenke  zur  Weichsel 
herüber,  weh  he  in  ilu'em  östlichen  Theil  von  der  Brahe  benutzt  wird. 
Wir  haben  es  hier  mit  einem  Stück  des  alten  Weichsellaufes  zu  thun, 
in  welchem  Brahe  und  Netze  gleichsam  niur  als  Gäste  verweilen.  Ge« 
rade  das  Stttck  aber,  welches  sich  die  Brahe  angeeignet  hat,  ist  nicht 
so  breit  und  sumpfig  als  der  Rest.  Sandhüg(  I,  die  ausser  in  der  näch- 
sten Umgebung  der  Stadt  Brom  berg  dicht  mit  Nadelholz  bestanden 
sind,  erheben  sich  zu  beiden  Seiten  des  Thaies.  Diese  Gegend  er- 
scheint geographiscli  als  der  bequemste  Annäherungspunkt  an  die 
Weichsel  für  den  von  Süd  und  Südwest  Kommenden.  Wir  werden  viel 
eher  hier  als  bei  Usch  an  der  Küddow  die  Stätte  eines  alten  Verkehrs- 
platzes zwischen  Süd  und  Nord  suchen  dürfen.  Hier  lag  in  der  That, 
an  der  Einmündung  der  Brahe  in  die  Weichsel,  die  Feste  Wyszogrod 
und  etwas  weiter  an  der  Brahe  herauf  der  üebergangsort  Bydgoszcz. 
Heute  finden  wir  an  letzterer  Stelle  das  rasch  aufblühende  Brom  berg. 
welches  den  Verkehr  von  Westen  nach  Osten  (Warthe — Netze — Brom- 
berger  Canal — Weichsel)  und  von  Norden  nach  Süden  (Eisenbahn  Danzig — 
Bromberg — Posen)  zu  vermitteln  hat.  Wenn  auch  das  Wiedererwachen 
des  hst  ganz  verfallenen  Bromberg  gegen  das  Ende  des  18.  Jahr» 


Karte  des  Deutsehoi  Reiches  Blatt  222,  228,  224»  225. 


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23] 


Die  SOdte  der  norddeutschen  Tiefebene. 


115 


huudtrts  zunächst  das  Verdienst  der  preussischen  Regierung  ist.  ist 
docli  auch  die  Lage  dies»  r  Stadt  physisch  eine  ungemein  günstige  zu 
ueuueu.  Das  benachbarte  Thorn,  vortheilhaft  au  dum  hohen  üfer- 
nnde  der  Weichsel  selbst  gelegen,  nimmt  «a  den  Yortheilen  der  Brom- 
berger  Gegend  noeh  Theil  und  bildet  dazu  ein  Glied  in  der  froher 
erwähnten  Verkehrslinie  Ton  Berlin  über  Frankfurt  und  Posen  zur 
Weichsel.  Es  giebt  aber  noch  einen  anderen  Grund,  welcher  den  von 
West  und  Südwest  kommenden  Verkehr  gerade  diesem  Theile  der 
WeichseUinie  zuliihrte.  Die  Weichsel  war,  abgesehen  von  <len  Zeiten 
des  Eisganges  und  der  Ueljerschwemmungen,  auf  der  Strecke  von  Thorn 
bis  gegen  die  Montauer  S|>itze  hin  ziemlich  leicht  zu  überschreiten, 
da  festes  Land  in  zum  Theü  unerwartet  schroffen  Wänden  theils  un- 
mittelbar an  den  Strom  herantritt,  theils  wenige  Kilometer  davon  ent- 
fernt ist*).  Ging  man  auf  der  genannten  Strecke  über  den  Strnm,  so 
betrat  man  wieder  ein  ziemlich  ausgedehntes  hochliegendes  und  trockenes 
Gebiet,  das  Kulmerland.  Der  Fluss  Ossa  theilt  diese  Landschaft 
in  einen  grösseren  südlichen  und  einen  kleineren  nördlichen  Theil ;  er  ist 
kein  grosses  Hindemiss,  da  er  an  den  Quellen  umgangen  und  noch 
leichtar  auf  mehreren  Pässen  zwischen  Rehden  und  Lessen  gekreuzt 
werden  kann  Die  Ostgrenze  des  trockenen  Gebietes  wird  im  All- 
gemeinen ilurch  die  Sümpfe  an  der  Drewenz,  durch  die  zwischen  Strass- 
burg,  Deutscli-Eylau  und  Sualfeld  sich  hinziehende  Grupjie  ];inLrL''estreckter 
Seen,  endlich  durch  das  Thal  des  kleinen  Flusses  Sorge  gebildet.  Die 
Sorge  aber  fällt  in  den  Drausensee  südlich  von  Elbing. 

Der  Gegensatz  zwischen  dem  Kulmerland  und  den  östlich  an- 
grenzenden auch  heute  noch  als  schwer  gangbar  geltenden  Strichen 
ist  ein  sehr  scharfer.  So  Lst  es  nicht  wunderbar,  dass  das  Kulmerland, 
'  in  welchem  der  Verkehr  nach  allen  fUchtungen  hin  leicht  war,  tai  nicht 
allzu  kleinen  wohlgel)auten  Städten  reicher  wurde  als  Masuren  im  Osten 
und  Pommerellen  im  Westen.  Hier  konnte  mit  Recht  ein  neu  ent- 
standener Schienenweg  die  ,  W  e  i  c  h  s  e  1  s  t  ä  d  t  e  b  a  h  n "  genannt  werden. 
Sie  berührt  auf  einer  Strecke  von  nur  154  km  (einschliesslich  der  17  km 
langen  Stichbahn  nach  Kulm)  die  Städte  Thorn,  Kulmsee,  Kulm, 
Graudenz,  Garnsee,  Marienwerder,  Stuhm  und  Marienburg  ^.  Die 
Krei.se  Thom,  Kulm,  Graudenz,  Rosenberg,  Marienwerder  und  Stuhm 
zählen  zusammen  18  Städte.  Nordöstlich  vom  Kulmerland  und  nur 
durch  eine  schmale  Fluss-  und  Seelinie  davon  getit mit,  liegt  das  eben- 
t'allM  meist  trockene  Ermeland.  Um  aus  dem  Kulmerland  nach  Erme- 
land  zu  gelangen,  kreuzte  man  am  besten  die  Sorge,  bevor  sie  in  die 
SOmpfe  am  Drausensee  gelangt,  etwa  bei  der  alten,  bezeichnender 
Weise  viel  umkämpften  Pa.ss-  und  Festungs.stadt  Ohristburg,  über- 
schritt bei  Preussisch  -  Holland  die  Weske  imd  stand  nun  schon  auf 
dem  wenig  v^n  Snmpfniederungen  und  Seen  unterbrochenen  Acker- 
und  Waldboden  Ermelands,  auf  dem  es  leicht  war,  die  PregeiUber- 


')  Kai-tp  dos  P.nitschon  Reiches  Blatt  10:1. 

0  Der  durch  seinen  seltsamen  Lauf  ausgezeichnete  Fluss  Liebe,  an  welchem 
Biesenbnrg  und  M»ri0nwerder  liegen,  ist  noeh  Idekter  m  ftbenehrnteii. 
*)  Muienbnrg  mid  Elbing  gehören  in  das  xAchcte  Gi^itel. 


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116 


Bahn, 


[24 


Ränge,  von  deren  wichtigstem  erst  -piiter  die  R<'fle  sein  kann,  zu  «ff- 
wiuueu.  Der  Pass  zwischen  dem  Drauseusee  und  der  Elbinger  Höhe, 
welchen  Sadowski  (a.  a.  0.  S.  23  f.)  für  wichtu^r  halt,  erscheint  in 
physischer  Beziehung  weniger  geeignet,  da  auf  diesem  Wege,  wenn 
man  westlich  von  der  Sorge  blieb  und  bei  Elbing  den  Abfluss  des 
Drausensees  überschritt,  ein  Stück  der  Niederung  zu  durchziehen  war, 
welches  mindestens  in  der  älteren  Zeit  gewiss  w  t  ii'ir  si(  lier»'ii  Boden 
bot.  Dass  die  Gegend  des  heutigen  Elbing  früli  eine  l»e«kutende 
Ansiedluug  aufzuweisen  hatte,  ist  allerdings  nicht  zu  bestreiten,  für 
diese  war  nnd  ist  aber  der  Verkehr  zwischen  den  HaÜgegenden  und 
dem  südlichen  Binnenlande  (Obeillndisch^  Kanal!)  wichtiger  als  der 
Vi  rlct  hr  zwischen  Südwest  und  Nordost.  Tn  neuester  Zeit  hat  sich  die 
üstbahn,  um  Marienburg  und  Elbing  nicht  unberührt  zu  lassen,  in  die 
jetzt  allerdings  gegen  die  Zeit  vor  Ankunft  der  Orden^n'ttt  r  völlig  um- 
gestaltete Niederung  gewagt  und  überschreitet  W'ei«  lisd  und  Nogat 
auf  zwei  bekannten  Brücken,  die  Niederung  selbst  auf  langen  i>ümmen. 

Wir  haben  Yon  den  Landschaften  an  der  Spree  und  der  Havel 
bis  an  den  Pregel  eine  Zöne  trockener  wegsamer  Gebiete  mit  sonstigen 
FlussÜbergängen  verfolgt  und  uns  überzeugt,  dass  eine  nicht  unbe- 
deutende Zalil  grösserer  und  kleinerer  Städte  der  günstigen  Lage  in 
der  Nähe  jener  Uebergänge  einen  grossen  Theil  ihrer  BlUthe  Ter- 
danken. 

Aber  auch  bei  Leipzig,  das  wir  auf  dem  Wege  nach  dem 
nordwestlichen  Theil  der  Tiefeb^e  doch  nicht  flbergehen  wollen, 
macht  sich  dieser  Umstand  geltend.  Bei  Leipzig  vereinigen  sich  die 
ziemlich  breiten  auenreichen  Thäler  der  Pleisse  und  der  Weissen  Elstor 

zu  einem  einzigen  von  solcher  Breite,  dass  wir  sofort  vermuthen,  es 
sei  ftlr  die  darin  fliessende  Weisse  Elster  nicht  eigentlich  bestimmt. 
Li  der  That  belehrt  uns  der  Text  zur  geologischen  Specialkarte  Sa<  h- 
sens  ,  dass  wir  es  hier  mit  dem  alten  M  u  1  d  e  1  a  u  f  zu  thun  haben, 
dessen  Spuren  von  Grimma  Uber  das  ebenfalls  sehr  breite  obere  Parthen- 
Üial  nach  Naunhof  und  von  da,  in  mehrere  Arme  getheilt,  bis  Leipzig 
verfolgt  werden  können.  Gerade  zwischen  der  Stadt  Leipzig  und  dem 
westlichen  Vororte  Lindenau  erfährt  nun  das  Thal,  in  welchem  Elster 
und  Pleisse  noch  getrennt,  aber  nur  durch  einen  schmalen,  meist  mit 
Hausern  bedeckten  Auenstreifen  geschieden,  neben  einander  herfliessen, 
eine  massige  Einschnürung,  die  auf  der  geologischen  Karte  schärfer 
hervortritt  als  auf  der  orographischen  Die  Scheidelinie  zwischen 
dem  Alluvium  der  Flussaue  und  dem  Diluvialboden  der  Hdhen  ver- 
läuft an  der  Wt'stgrenze  der  inneren  Stadt  von  Leipzig.  Dass  die 
Flussauen  dt  r  Leipziger  Gegend  dem  Verkehrsleben  früherer  Zfift  n 
ein  sehr  ernstes  flinderniss  entgegenstellten,  l>eweist  noch  die  Schlacht- 
periode des  <\tober  1818.  Heinrich  Aster  würdigt  in  der  geographi- 
schen Einleitung  zu  seinem  kriegsgeschichtlichen  Werk  die  Niederungen 
westlich,  südwestlich  und  besonders  nordwestlich  von  Leipzig  selir 


^)  ErliVuterungen  zur  Section  Naunhof.  Leipzig  1881,  S.  26  ff. 
*)  Geolog.  Spedalkarfce  des  Königreichs  Sachsen«  Blatt  10»  11. 


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25] 


Die  Städte  der  norddeutecben  l^efebene. 


117 


riclifi<i^  und  lu'l)t  besonders  die  ^'osse  Scltcnlioit  l)niu(h])arer  Ueber- 
gäiige  hervor.  Noch  die  Eisenbahnhaut«-]!  der  iieiiostoii  Zeit  sind  durch 
diese  Terraiiibeschatfenheit  vielfacli  erschwert  worden ;  die  von  Leipzig 
nach  Zeitz  ftQirende  Linie  benutzt,  soweit  es  geht,  den  Bahnkörper  der 
Siteren,  direkt  nach  Westen  führenden  Strecke  und  umgeht  dann  die  Aue 
in  weit  nach  Westen  ausgreifendem  Bogen  Auch  heute  noch  ist  wenig- 
stens zur  Zeit  grösserer  Ueberschwemmunffen  das  1813  viel  genannte 
,Defile'  von  Lindenau",  d.  h.  »1er  Damm,  auf  welchem  die  nach  Westen 
föhrende  }le«  rsh-a^se  den  ikm  h  nicht  aufgefüllten  und  bebauten  Theil 
der  Aue  überschreitet,  iiul  •  iner  ziemlich  langen  Strecke  der  einzige 
nicht  überfluthete  Uebergang.  Man  wird  also  in  früherer  Zeit  um  so 
lieber  die  Gelegenheit  ergriffen  haben,  den  AuenObergang  etwas  abzu- 
kürzen-). Dazu  kam  noch  die  sehr  feste  uml  ge  sicherte  Lage  des 
alten  Leipzig  hart  am  Auenrande  und  nach  Norden  noch  durch  die 
hier  einmündende  Parthe  gedeckt.  Es  waren  daher  wrdil  mehr  diese 
L'mstände  als  die  weiten  wellenförmigen  Ebenen  um  Leipzig  —  die 
ja  auch  anderen  Gegenden  nicht  fehlten,  —  welche  kriegführende  Heere 
so  oft  gerade  bei  Leipzig  zusammentreffen  liessen.  Auch  Heinrich  Aster 
(a.  a.  0.  S.  10,  11)  nennt  die  TenainTerhSltnisBe  um  Leipzig  solche, 
wie  sie  vorzugsweise  eine  sich  Tertheidigende  Armee  braucht,  und 
denkt  dabei  an  die  Thalniederungen  der  drei  Flüsse. 

Was  aber  den  friedlichen  Verkehr  betrifft,  so  ist  anzuerkennen, 
dass  historische  Ereignisse  und  menschliche  Thatkraft  das  rasche  Wachs- 
thum und  die  Blüthe  der 'Stadt  Leipzig  doch  mehr  gelordert  haben 
als  eine  einmal  gegebene  Natuilage.  War  auch  bei  Leipzig  der  beste 
Uebergangspunkt  Uber  Elster  und  Pleisse,  so  blieb  im  Westen  doch 
immer  noch  der  Terrainabschnitt  des  Saaltiiales  zu  bewältigen.  Dieser 
war  nicht  zu  umgehen,  wohl  aber  der  TJebergang  bei  Leipzig  in  dem 
Falle  ülierflüssig,  wenn  man  YOn  Düben,  Eilenbnrn;  oder  ^^'nrzen  nicht 
erst  auf  Leipzig,  sondern  direkt  auf  den  Saaleübergang  Ixn  dem  benach- 
barten Halle  vorging.  Ich  glaube  kaum ,  dass  man  den  Halle'schen 
Saaleübergang  für  so  schwierig  hielt,  um  deshalb,  wie  Delitsch  a.  a.  0. 
8.  13  u.  14  meint,  lieber  Ober  Leipzig  zu  gehen.  Die  Saale  blieb 
etwa  bei  Mersebui^  oder  Weissenfeis  für  Jeden,  der  westwärts  über 
Le  ipzig  liinauffiugehen  dachte,  doch  noch  zu  kreuzen,  und  die  dortigen 
Ueberträni^e  sind  nicht  wesentlich  bequemer  als  der  bei  Halle.  Viel- 
mehr war  der  ^rrosse  Fluss  gerade  ein  A'ortheil  für  das  auch  sonst 
geographisch  mannichfach  bevorzugte  Halle,  und  es  ist  um  so  be- 
merkens-  und  anerk ennens werther ,  dass  Leipzigs  Bewolmer,  durch 
die  ThUtigkeit  der  Regierungen  vielikch  begünstigt,  diese  Bevorzugung 
zu  einem  sehr  grossen  Theile  wieder  ausgeglichen  haben. 

Eine  BrUckenstadt  mit  allen  uns  nun  schon  hinreichend  bekannten 
Kennzeichen  der  TiH^xo  ist  auch  Magdeburg.  Oberhalb  der  Stadt  ist 
gegen  Schönebeck  grosse  Breite  des  Thaies,  Bildimg  von  Nebenarmen 


')  VoQ  Mn(  kern  unterhalb  Leipzig  bis  Ammendcnf  bei  Halle  Wild  das  Klater^ 
thal  von  Eisenbahnen  nicht  überschritten. 

*)  Vgl.  Otto  Delitsch  bei  Hasse:  Die  Stadt  Leipzig  und  ihre  Umgebung, 
Leipng  1878.  &  13  u.  U. 


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118 


Hahn, 


[26 


und  Altwassern  /u  ln.'inerken ;  dieselbe  Erscheinun!.''  tritt  ;ni(li  unter- 
halb Magdeburufs  zwischen  der  Neustadt  und  der  nhreniüinlung  auf. 
Nur  bei  der  Stadt  selbst  reicht  steües  Ufer  bis  au  den  Fluss,  wie  mau 
in  den  zur  Elbe  stark  geueigten  Strassen  des  alteren  Stadttheiles  dea^ 
lieh  walinielimen  kann.  Auch  im  Osten  streift  eine  trockenere  Zone 
gerade  bei  Magdelnirg  an  die  Elbe.  Passende  Inseln  fehlen  auch  nicht, 
während  älinliche  aufwärts  und  abwärts  auf  weiter  Strecke  nicht  vor- 
kommen. Magdeburg  ist  für  die  Elbe,  was  Frankfurt  für  die  Oder, 
und  srlüiesst  sich  der  oben  besprochenen  Reihe  der  uordoatdeutschen 
BrUckeustädte  ah»  letztes  westlichstes  Glied  au. 

Wenden  wir  nns  jetzt  dem  äussersten  Kordwesten  der  Tiefebene 
zu,  so  sehen  wir  hier  nicht  mehr  so  sehr  die  Thäler  als  Tielmefar  die 
ausgedehnten  Mo or  <^^e biete  die  Wegsamkeit  des  Landes  beeinflussen. 
Die  Flüsse  werden  hier  sogar  von  den  Ortschaften  aufgesucht,  da  sie 
hänfi'^  von  sclnnalen  Sandstreifeii  begleitet  werden.  w»'lehe  eine  sichere 
Veri)Uidung  zwischen  den  Mooren  hinrliirch  ernnigliclien.  Aber  auch 
fern  von  den  Flüssen  giebt  es  einzelne  festere  Steilen,  die  die  Fläche 
des  Moore«  theilen,  und  diese  Stellen  sind  seit  alter  Zdt  von  den  An- 
siedlem sorgfältig  ausgewählt  worden.  Die  Moorpftsse  sind  noch 
viel  constanter  als  die  Pässe  über  die  Flussthiller  der  Mark  und  des 
Xordostens;  wer  würde  auch  neue  Wege  durch  das  Bourtanger  Moor, 
die  oldenburgischen  und  Diepholzer  Moore  balmen  wollen .  um  sich 
daran  anz  u  s  i  d  e  1  n  V ')  Die  spärliche  Bt'vtilkcrung  reichte  mit  den 
vorhandenen  Strassen  ebenso  wie  mit  den  Wolmplätzeu,  die  nur  höchst 
selten  zu  grösseren  Siftdten  anwuchsen,  Tollkommen  aus.  Nur  in  Eri^^ 
Zeiten  yersuchte  man  hier  und  da  in  die  Moore  selbst  einzudringen,  wie 
die  eigenthümlichen  Bolilwege,  deren  Reste  an  verschiedenen,  ziemlich 
weit  auseinander  liegenden  Punkten  gefunden  wurden,  bezeugen.  Fried- 
rich von  Alten,  dem  wir  eine  werthvolle,  von  einer  Karte  begleitete 
Monographie  über  die  Bohlwege  verdanken  ,  schreibt  diese  Bauten 
durchweg  römischer  Thätigkeit  zu.  Doch  sind  auch  in  späterer  Zeit 
noch  Terdnzelte  Bohlwege  iheils  hei  den  Örtlichen  Fehden  der  Friesen, 
theils  zur  schwachen  Verbesserung  einiger  gar  zu  ungenügender  Yer- 
bindungen  zwischen  den  Moororten  hergestellt  worden. 

Unter  denjenigen  Städten  nun,  welche  Moorpässen  einen  grösseren 
oder  geringeren  Theil  ilirer  Bedeutung  verdanken,  nenne  ich  zuerst 
Bremervörde.  DitM-r  Ort  ist  zunächst  wiclitig  als  einer  der  wenigen 
guten  Uebergangspunkte  über  die  Oste.  Dann  aber  sind  die  Geest- 
streifen zwischen  den  hier  sehr  ausgedehnten  Mooren  so  Terthdlt,  dass 
der  Yerkehr  eines  ziemlich  grossen  Landestheiles  den  Pass  vonBremervdrde 
benutzen  muss.  Die  zahlreichen  Landstrassen,  welche  sich  dort  kreuzen, 
halten  sich  sehr  genau  an  die  Geestrücken  und  überschreiten  nur  ein- 
zelne kleinere  Moorstreifen.  Die  Strasse  von  Bremervörde  nach  Oster- 
holz umgeht  so  das  gro.sse  Teufelsmoor  im  Westen ,  die  Strasse  nach 
Zeven  thut  dasselbe  im  Osten,  die  Strasse  nach  Neuhaus  kann  einen 


')  Leber  eine  doch  vorkommende,  ganz  clmrakteristische  Auitnahme  siebe 
weiter  unten. 

*)  Die  Boblwege  im  HenogÜiam  Oldenburg»  Oldotbiug  1879. 


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27] 


Die  8t841e  da  norddeutsohen  Tiefebene. 


119 


Gee.strückeii  zwischen  der  Oste  und  den  Sünipien  des  Iliidehischen 
Siethlundes  Itenut/.en.  Alle  aber  liäiii^en  genall  von  den  Bodenverhiilt- 
nLssen  ab  und  kömiteu  iiicht  beliebig  verlegt  werden.  Blieb  über  das 
▼Ott  den  lebhaften  Elb-  und  Wesermftrschen  weit  entfernte  Bremer- 
Torde  ^)  immer  klein,  so  erwies  sich  eine  Ansiedlung  auf  einem  anderen 
Geeststreifen  zwischen  den  Mooren  an  der  Weser  viel  entwicklungs- 
fiUiiger. 

Dies  ist  H  reinen.  Wir  wollen  e.s  dahingestellt  sein  lassen,  ob 
der  Nunie  Bremen  wirklich  von  dem  Stannne  „brim''  herkommt,  der 
einen  i^chmalen,  scharf  begrenzten  (Terrain- J Rand  bezeiclmen  soll;  jeden- 
fails  ist  festzuhalten,  dass  das  östliche  Ufer  der  Weser  von  der  Mün- 
dung der  Aller  bei  Verden  bis  zu  der  Yereinigping  von  Wflnune  und 
Hamme  oberliillt  Vegesack  von  einem  nicht  breiten,  aber  stellenweise 
durch  seine  Höhe  auffallenden  Geeststreifen  begleitet  wud .  welcher 
eine  trockene  Verl»in«liinLr  liiny^s  des  wichtigen  Flusses  erniiiglichte. 
Die  Landstrasse  von  \  erden  nacli  Bremen  sowie  später  die  Eisenbahn 
von  Hannover  nach  Bremen  und  Geestemünde  folgen  diesem  Geest- 
streifen. An  seinem  nördlichen  Ende  bei  Burg  und  Lesum  ist  der 
Streifen  sehr  schmal,  dn  wichtiger  Pass  führt  OMr  die  Lesum,  wie  die 
Tcreinigte  Hamme  und  Wümme  genannt  wird,  zu  einem  en^egen- 
kommenden  Geestrücken.  Dass  sich  die  grössere  Ansiedlung  nicht 
hier,  sondern  an  der  ansehnlicheren  Weser  entwickelte,  ist  begreiflich. 
Warum  man  aber  gerade  die  Stelle  gewählt  hat,  wo  jetzt  Bremen  steht, 
lässt  sich  durch  geographische  Thatsachen  nicht  ganz  entscheiden. 
Dicht  am  Strom  sich  erhebende,  zu  jenem  Geestzug  gehörende  Hügel, 
welche  sich  bei  Wanderungen  durch  das  ältere  Bremen  noch  bemerk- 
lich machen,  femer  die  immerhin  auffällige  Zunahme  der  Schiff  barkeit 
des  Stromes  von  der  Gegend  von  Bremen  ab  mögen  die  erste  Ver- 
anlassniig  gegeben  haben.  Das  Terrain  ist  durch  die  Bebauini.;"  sowie 
zalUreiche  Weserdurclistiche  hier  gnn/,  verändert  worden.  Eine  Brücken- 
stadt im  Sinne  der  trülier  betrachteten  ist  Bremen  jedenfalls  nicht,  da 
auf  dem  westlichen  Wesenifer  sich  auf  ziemlich  weite  Entfernung  nur 
flache,  Yon  Qrftben  durdizogene  Wiesen  und  Weiden,  aber  kerne  Geest- 
hohen finden').  (Ueber  Bremens  Beziehungen  zum  Meere  Ab- 
schnitt m). 

Wer  den  Eisenbahnweg  von  Oldenburg  nach  Leer  und  dem  nörd- 
lichen Holland  einschlägt,  streift  bald  nach  der  Abfahrt  den  Nordrand 
der  grossen  oldeuburgischen  Moore,  welche  sich  hier  von  den  Flüssen 
Yehne,  Soeste  und  Mfurka  in  langsamem  Lauf  durchzogen,  viele  Stunden 


Dieser  Punkt  ist  j^tlorh  in  mehreren  Krief?en  wichtig  geworden,  zuletzt  im 
siebenjährigen,  (iuthe,  Die  Lande  Braunschweig  und  Hannover,  Hannover  1807» 
8.  50^  Amn. 

*)  Outhe  a.  a.  0.  S.  Hl,  Anm. 

')  Die  Kisenbahnen,  welche  noth wendig  die  grosse  Handelsstadt  berühren 
nraseten,  hftben  gleicliwoh]  die  Wesermarschen  ober-  und  unterhalb  Bremens  mit 

Brücken  übersetzt.  Rein  geographisch  betrachtet  wörde  übrigens  das  «b-iu  M»'*re 
noch  nähere  Vegesack  sich  bei  seiner  vortheilhaften  La^xe  hart  am  Strom  und 
doch  auf  hohem  Uferrand  ebenso  gut  zur  Grosdstudb  entwickeln  können  als 
Bfeoieii» 


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120 


[28 


weit  nach  Südwesten  ausdehnen.  Es  ist  eine  der  au  Orten  und  Strassen 
ärmsten  Gegenden  des  ganzen  Keiches.  Ansiedlungen  sind  hier  nur 
auf  den  schmalen  Landstrdfen  möglich,  welche  die  Flüsse  —  jedoch 
nicht  stets  —  einrahmen,  mit  den  Nachbarorten  ist  die  yerbrndung- 
eine  sehr  schwierige.  Bis  in  unser  Jahrhundert  hinein  waren  die  FlOsse 
die  einzigen  Verkehrsstrassen;  an  der  Marka  hatte,  wie  Schacht  an> 
führt  jeder  Hausbesitzer  sein  Scliiff',  auf  dem  er  zur  Ems  hinabfuhr, 
um  dort  Torf  zu  verkaufen  und  ihm  nöthige  Waaren  dafür  zurückzu- 
bringen. Die  Gemeinden  Scharrel,  Ramsloh  uud  Strückliugen,  aUe  an 
der  Marka,  bilden  das  Sagterland,  in  dem  sich  in  Folge  der 
schwierigen  Verbindungen  mit  der  Aussenwelt  noch  manche  eigenthdm- 
liehe  Sitten  sowie  Reste  der  friesischen  Sprache  erhalten  haben. 

In  neuester  Zeit  hat  man  allttdings  b^jonnen,  auch  Landwege 
auf  den  fteeststreifen  an  den  Flüssen  anzulegen,  und  so  ist  das  einsame 
Sagterland  jetzt  nach  Südosten  mit  der  kk^'nen,  einen  Landrücken  an 
der  Soeste  einnehmenden  Stadt  Frieso vtlie,  der  einzigen  dt>  eigent- 
lichen Moorgebietes,  und  dadurch  mit  dem  hügeligen  Süden  Oldenburgs, 
nach  Nordwesten  mit  der  Gegend  Ton  Leer  yerbunden.  Viele  benadi- 
harte  Moorgebiete  haben  aber  seit  Anfang  des  Jahrhunderts  nur  wenige 
Veränderungen  in  der  Wegsamkeit  erfaliren 

Westlich  von  der  Marka  finden  sich  als  Vorposten  des  Hohen 
HUmmeling  noch  einzelne  sandige  trockene  Rücken,  auf  deren  einem 
sich  dm  Dorf  Esterwege  mit  der  Ruine  einer  Tempelherrenburg  und 
sogar  Ton  einem  kleinen  Gehölz  umgeben  erhebt.  Noch  weiter  gegen 
Südwest  beginnt  dann  schon  der  Hflmmeling  selbst  mit  seinen  haide- 
und  waldbedeckten  Kuppen. 

Auch  in  den  übrigen  Theilen  der  deutschen  Moorgebiete  sind  die 
Ortschaften  vorzugsweise  an  die  Geeststreiten  —  westlich  der  Ems  viel- 
fach Tanifen  «benannt  —  geknüpft.  So  läuft  die  Strasse  von  Nord- 
horn (am  Rande  des  grossen  Bourtanger  Moores)  nach  der  holländischen 
Grenzfestung  Coevorden  auf  einer  Tange  entlang,  die  streckenweise  der 
Sanddamm  heisst;  zahlreiche  Ortschaften  zeichnen  diesen  von  fast 
menschenleeren  Strichen  umgel>enen  Damm  aus. 

Es  giebt  jedot  li  eine  Culturmcthode  in  den  Moorgebieten,  welcJie 
die  Besiedelungsverhältnissp  merklich  verändern  und  unter  günstigen 
Verhältnissen  sogar  neue  Städte  schaffen  kann.  Ich  meine  die  Felin- 
colonien^).  Die  Fehnwirthschalt  beruht  darauf,  dass  von  dem  nächsten 
Flusse  aus  ein  Kanal  rechtwinklig  in  das  Moor  vorgetrieben  wird,  der 
lange  Zeit  als  einziger  Zugangsweg  zu  den  Häusern  der  Colonisten 
dienen  muss.  Die  Colonisten  wohnen  zu  beiden  Seiten  des  Hauptkanals, 
so  dass  die  ältesten  Höfe  dicht  am  Flusse,  die  jüngsten  am  £ndpunkt 


')  Petermann 's  Mitth,  1883,  S.  10. 

')  Man  verfrl.  'n  in  noner,  gänzlich  umgearbeiteter  Ausgabe  er- 

Bchienenc  Rlatt  5:5  dor  l-if  viuarm  sehen  Karte  mit  ältereii  AiiNi.'al)en  desselben  Hlattes. 

')  Die  Schreibart  ^Veen''  würde  holländisch  sein.  1  rl  i  i-  die  Fehncolonien 
zu  vergleichen  u.  \.  de  Vries  und  Pocken,  0^itfriesland.  Kinden  IS^l.  bpsond*»rs 
S.  31  ff.;  dann  Die  Moorgebiete  des  Herzogthums  Bremen,  Berlin  1877, 
mit  lehrreicher  Karte.  Dies  sind  nur  einige  der  am  IdditMten  sogltaiglidMn 
aeaeren  Schriften. 


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29] 


Die  St&dte  der  norddeutocboi  Tiefeben«. 


121 


<1es  Kanals  tief  im  Innern  liegen.  Unter  Hinterwieken  versteht  nnm 
Kanäle,  welche  parallel  mit  dem  Hauptkanal  in  das  Moor  eindringen, 
unter  ibiwieken  Verbinduug»kanäle  zwischen  dem  Uauptkaual  und  den 
Hmterwieken.  Die  Colomsten  entfernen  auf  ihrem  Gebiete  den  Torf 
bis  auf  den  Uuter<ri-und,  um  auf  diesem  dann  Ackerfelder  und  Wiesen 
anzuletren,  Avelehe  hei  sorgfältiger  Cultur  und  Düngung  reeht  guten 
Ertrag  liefern.  Die  Fehncolonien  sind  verhältnissmilssig  nocli  nicht  alt, 
im  Jahre  lt>33  wurde  von  vier  Enidt'ner  Bürgern  das  .sogen.  Grosse 
Fehn,  das  erste  der  ostfriesisclitu  Fehne  angelegt.  Es  liegt  hei 
Timmel  gerade  östUch  von  Emden.  Man  sieht  leicht  ein,  dass  die 
Fehne  die  Besiedelungsverhftltnisse  einer  Gegend  wesentlich  ändern 
k<">nnen.  auf  jeder  guten  topographischen  Karte  Ostfrieslands  treten  die 
Fehne  scharf  hervor*).  Hart  an  der  Grenze  Ostfrieslands  liegt  die  für 
den  Geographen  wichtigste  Frlinculonie.  nänilioh  Papenhurg.  Tm 
Jahre  iriTö  fanden  sich  liier  nur  sieben  Häuser  und  ein  verl'allenes 
.Schloss,  181)0  wurde  der  aufgeblühte  Fehnort  zur  Stadt  erhoben.  Papen- 
burg hatte  1880  U73G  Einwohner  und  besass  1882  nicht  weniger  als 
126  eigene  Seesduffe,  während  Emden  (1881)  nur  83  besass').  Der 
Plan  der  Stadt  zeigt  noch  ganz  deutlich  die  Entstehungsweise  Papen- 
burgs an,  wir  können  den  Hau})tkanal,  die  Inwieken  und  Hinterwieken 
sehr  gut  unterscheiden,  fast  »5  km  weit  erstrecken  sich  die  hiluser])eset7.en 
Kanüle  der  eigenartigen  Stadt  in  das  M<nn-  hinein.  Wir  haben  hier 
ein  wichtiges  Beispiel,  dass  nicht  nur  die  Lage,  sondern  auch  die 
Physif)gnomie  einer  Stadt  durch  eine  eigenthümliche,  freilich  nur  diesen 
Hoorgebieten  angehörende  Culturmethode  bestimmt  werden  kann.  Eine 
so  grossartig  entwickelte  Fehncolonie  wie  Papenburg  finden  wir  ni(  ht 
weiter  vor,  grosse  stadtälmliche  stundenweit  sich  hinziehende  Ansied- 
lungen  aber  noch  mehrfach.  Wenn  in  den  letzten  Jahrzehnten  nicht 
.*^o  zahlreiche  Fehnkolonien  angelegt  wurden  als  Iriiher  und  wenn  da- 
nel)en  die  alr»^  unvollkommene  ^)  B ran d(  U  1<  ur  trotz  aller  Bemühungen 
der  liegieruugen ,  Vereine  und  einzelner  Personen  noch  fortl)esteht,  so 
ist  die  Veranlassung  wohl  in  der  immerhin  grossen  Eostspiehgkeit  der 
ersten  Anlage  des  Fehns  zu  suchen.  Ausserdem  sind  die  besten  den 
Flüssen  l^lchsten  Angriffspunkte  nach  und  nach  vergeben  worden;  je 
weiter  man  aber  in  das  Moor  vordringt,  desto  schwieriger  und  theurer 
wird  die  Anlage. 

Das  zweite  Hauptgebiet  der  Fehncolonien  ist  in  den  Mooren  des 
Herzogthums  Bremen  zu  suchen,  wo  diese  Betriebs-  und  Siedelungs- 
methode  zuerst  1720  in  den  Aemtem  LiUenthal  und  Osterholz  auftaucht^). 
Noch  in  den  Jahren  1855  und  1856  wurden  in  den  Aemtem  Osterhof 
und  BremerTörde  neue  Fehncolonien  eingerichtet.  Zu  einer  Entstehung  - 


'1  V^'l.  auch  die  zu  de  Vries  und  Focken's  Werk  gehörige  Karte,  sowie 
die  ganz  neutin  Sectionen  37,  52  u.  ö3  der  Keymann'sehen  Karte. 

Allfirdinga  waren  die  Emdener  Schifte  dafür  grösser.    Die  88  Emdener 
Schiffe  hatten  zu^^ammpn  21.1^4  Ki'Lri-t.  rtünioii.  di'-  12*1  aus  l'npenburg  nur  19.044. 

')  Vgl.  Robcher,  Natioualökuuoiiii.k  deü  Ackerbaues,  10.  AuÜ.,  Stuttgart  1SS2, 
8.  79.  80  (in  Amn.  14). 

*)  Moorgebiete  des  Henogthums  Bremen,  S.  21. 


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122 


Hahn, 


neuer  Städte  ist  es  liier  bis  jetzt  uoch  nicht  gekommen,  wtun  auch  die 
in  der  früher  so  gefürchteten  Gegend  des  Teufelsmoores  erzielten  Resultate 
bedeutende  zu  nennen  sind. 

J.  G.  Kohl  meint,  dass  der  Punkt,  wo  zwei  Flüsse  sii  Ii  vereinigen, 
ein  lilr  den  Stiidtebiiu  si-lir  rrpschitkter  sei  Dieser  Satz  kann  nicht 
allgemein  als  richti*^  anerkannt  werden,  es  zeigt  sich  vielmehr,  dass 
weniL'^tt-ns  im  1'i<  fT,in<lc.  und  ganz  besonders  im  norihh-utschen,  Flu>s- 
veremigungeu  ia.st  niemals  einen  günstigen  Baunlat/.  iür  grössere  Au- 
siedlungen  darbieten.  Sie  sind  zu  sehr  von  Ueberschwemmungen  be- 
droht, sind  oft  weithin  Ton  feuchten  Wiesen  und  Laubwalätreifen 
umgeben,  wShrend  die  Strecken  festeren  Bodens,  die  bisher  f&r  uns  so 
wichtig  waren,  nur  selten  gerade  an  die  Flussvereinignngen  des  Tiif- 
landes  lierantreten.  Dazu  k(mimt  die  grosse  VeränderhcliKcit  dt"^  Fahr- 
wassers und  der  Flüsse  ülu  rhaupt  in  der  Nähe  der  Vereini^un;^.  sowie 
der  oft  V)emerkbare  ^Mangel  guten  Trmkwassers  und  die  nicht  selten 
ungünstigen  GesundheitsrerhJÜtnisse  Wo  uns  Iddnere  Karten  grosse 
Stäte  hart  an  der  Gabel  zweier  bedeutender  TieflandsflOsse  zeigen, 
finden  wir  bei  Heranziehung  topographischer  Blätter  meist,  dass  die 
Stadt  doch  nicht  genau  an  der  Vereinigung  liegt.  Khartum  —  um 
nur  einige  der  bekanntosten  wenn  auch  unser  Odtirt  nicht  berührenden 
Beispiele  anzuiülu'en  -  liegt  nicht  an  der  Vereini;4^uiig  der  beiden  Nil- 
arme  selbst,  sondern  um  Blauen  Nil,  noch  über  ö  km  von  der  Mündung 
entfernt*).  St  Louis  beherrscht  ebenfalls  nicht  genau  die  Yerdnigung 
des  Mississippi  mit  dem  Missouri,  sondern  Hegt  am  Mississippi,  der 
schon  20  engl.  Meilen  weiter  oben  den  Missouri  aufgenommen  hat. 
Wo  man  doch  die  Vereinigung  aufgesucht  hat.  muss  man  auch  die 
grossen  Nachtlieile  mit  in  den  Kauf  nehmen.  Der  Platz,  auf  welchem 
die  Messe  von  Nishnij-Nowgorod  abgehalten  wird,  liegt  auf  der 
flachen  Landspitze  zwischen  Wolga  und  Oka  und  wh'd  bei  hohem 
Wasserstande  von  den  Finthen  der  beiden  FlOsse  fibersehwemmt,  ob- 
wohl man  sich  bemOht  hat,  durch  künstliche  Aufhöhimg  diesem  üebel- 
stände  abzuhelfen^).  Ganz  anders  verhillt  es  sich  selbstverständlich  mit 
Flu88vereinigungen  in  Bergländem;  hier  sind  dicht  an  die  beiden  FlOsse 
angelehnte  Städte  häufig  und  ihre  Anlage  TortheiUiaft,  es  genügt  an 
Pas  sau,  Co  b  lenz,  Lyon  etc.  zu  eriunern. 

Wenden  wir  nun  das  Gesagte  auf  die  norddeutsche  Tiefebene  au, 
so  dürfen  wir  nicht  erwarten,  an  den  zahlreichen  Flussrereinigungen 
derselben^)  grössere  Städte  zu  finden.  Während  die  Weichsel  auf  der 


0  Verkehr  und  Anaiedlongen  der  Hauchen,  Dreaden  und  Leipsig  1841, 
Seite  481. 

*)  Die  VorttieHe,  iHreldie  die  Yeoieinigung  zweier  Flflaae  f&r  Handel  nnd 

Srhifftahrt  bietet,  könn*>n  anoli  aus  einigttr  £ntfenimig  von  der  Veretaigongaetdle 
fmt  ebenso  gut  verwertliet  werden. 

*)  Peterniann*8  Mittb.  1884,  Taf.  8. 

*)  Man  vergl.  den  .'fchönen  Plan  der  Stadt  in  Banlekor^  Russland,  1.  Aufl., 
S.  ;M8.  sowie  die  lehrreicben  Ansichten  bei  Ragosin,  Die  Wolga,  2.  Bd.,  Peters- 
burg 1881,  S.  1  u.  120. 

^)  Die  Tin  ilung  eines  Flus8es  in  mdirere  Arme,  wie  bei  der  Montaner 
Spitze,  verhält  sich  offenbar  ganz  ähnlich. 


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31] 


Die  ät&dte  der  norddeutBchen  Tiefebene. 


12a 


deutschen  .Strecke  au  Stüdteu  nicht  arm  ist,  bleibt  der  Montauer  Spitze, 
dem  Trennungspunkt  der  Weichsel  und  Xogat,  aus  gutem  Grunde  jede 
grossere  Ansiedlting  fem,  denn  gerade  hier  ist  eine  Statte  fortwähren- 
der V«faridrnmt:eii.  die  theUs  durch  die  Hochfluthen  und  Eisgänge,  theils 
aber  auch  durch  die  Bürger  der  Städte  Danzig  und  Elbing  venirsacht 
wurden,  welche  sich  in  vergangenen  Jahrhundei-ten  oft  Ixniühten,  die 
in'i'»>>»'re  Wassernieiig»-  gerade  ihrer  Heimathstadt  zur  Hebung  des  Stroni- 
verkehrs  zukommen  zu  lassen,  und  den  Stromai'm  des  üeguers  mich 
Möglichkeit  Teratopften  oder  abdämmten.  Passarge  hat  den  Kampf 
um  die  Montaner  Sjntze  in  einem  interessanten  Abschnitt  seines  der 
besseren  Reiseliteratur  angeh()rigen  und  durch  die  hinziigitilgten  Quellen- 
nachwt  isc  auch  wisstnschattlich  verwerthbaren  Scliriftchens  sehr  an- 
schaulich l)eschriehen  V).  Städtelos  ist  auch  <]vv  TrHiurnngspunkt  der 
Danziger  und  der  jetzt  fast  völlig  trockenen  Elljiiiger  Weu  hsel.  ()l>glei(  Ii 
gerade  hier  ein  kleiner  Hügel,  das  sogenannte  Danziger  Haupt,  die  Ein- 
förmigkeit der  Niederung  unterbricht.  Das  Delta  des  Niemen  wird  Ton 
der  Stadt  Tilsit  beherrscht,  Tilsit  aber  liegt  mehr  als  10  km  aufwärts 
10m  Trennungspunkt  .In-  beiden  Hauptrunn  Ifuss  und  Gilge. 

Warthe  und  Netze  vereinigen  sich  in  einer  weiten  Bruch-  und 
Wiesenlandschaft.  Es  scheint  nie  ein  grösserer  Ort  hier  gelegen  zu 
haben,  wenn  aucli  das  benachbarte  Schloss  Zantoch  eine  gewisse  Be- 
deutung gehabt  haben  mag*).  Es  hatte  übrigens  nur  einen  wenig 
bequemen  Wartheaberguug  zu  decken,  mit  der  Flussvereinigimg  als 
solcher  aber  sicherlich  nichts  zu  thun. 

Am  Zusammenfliuss  der  Oder  und  Warthe  finden  wir  die  Festimgs- 
stadt Kü  strin.  Festungen  siedeln  sicli  gern  an  Flussvereinigungen  an, 
hefsonders  wenn  die  Vertheidigungsfiihigkeit  der  Gegend  durch  ^Silmjife, 
vielleicht  auch  durcli  die  Miitrüchkeit.  ein  grö.sseres  Gebiet  vorübergelu  nd 
unter  Wasser  zu  setzen,  noch  erhöht  wird.  So  gewimit  man  einen 
guten  Stützpunkt  für  die  Vertheidigung,  mid  der  Verkehr  auf  bdden 
itidmen  wird  Überwacht  und  beherrscht.  Die  militärischen  Interessen 
überwogen  stets  bei  Kflstrin;  auch  die  sechs  Bahnlinit  n,  welche  man 
hier  zusammenführte,  um  die  wichtige  Fi  stungs^tadt  nicht  zu  umgehen, 
werden  die  Stadt  kmnn  zu  einer  für  das  benachbarte  Frankfurt  bedroh- 
Ucheu  Verkehrslirdie  ansteigen  lassen. 

Ganz  in  dieselbe  Kategorie  wie  Küstrin  gehört  auch  Spandau  au 
der  Spree  und  Hayel.  Bereits  oben  wurde  erörtert,  dass  die  Verkdirs- 
strassen  der  Mark  Brandenburg  bei  Berlin  zusammenlaufen  mussten; 
über  Spandau  konnten  nur  diejenigen  Handelszüge  und  Kriegsexpeditionen 
gehen,  welche  in  das  Havelland  selbst  eindringen  wollten.  War  aber 
die  Hedtiitung  des  I'unktes  für  den  Landverkehr  nicht  sehr  gross,  sy 
ist  die  SchiftTahrt  auf  Havel  und  Spree  doch  eine  lebhafte  iin<l  die 
Sicherung  dieser  Flüsse  durch  eine  pa.ssend  gelegene  Festung  sehr  an- 
gezeigt. Wie  alle  Städte,  welche  auf  beschränkten  Bauplatz  angewiesen 
und  dazu  noch  Ton  Festungs wällen  umgeben  sind,  besitzt  auch  Spandau 


Passar^^e.  Aus  dem  Weichi<eldelta,  Berlin  1657,  S.  224  IT» 
*)  Sadowski,  Handelastrassen,  S.  12. 


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124 


Hahn. 


[32 


ziemlich  entfernte,  weitliiutige  Vorstädte,  namentlich  gegen  Norden  und 
gegen  Südosten,  wo  der  häoaer&eie  Raum  zwischen  denselben  und 
den  westlichen  Erweiterungen  von  Charlottenburg  immer  kleiner  wird. 
Der€kdanke  Iit-<rt  nahe,  dass  einst  Spandau  gleichsüm  mir  die  Citud eile 
des  grossen  imter  dem  Namen  Berlin  zusammengefassten  Städtecomplexes 
sein  wird. 

An  der  Elbe  sehen  wir  uns  verirehlich  nach  Flusf>mündungst!iihtMi 
um.  Die  Havehnündung  i.st  von  Havclberg  weit  entfernt,  die  klenie 
Stadt  Werben,  aber,  welche  der  MOndung  gegenüber  am  linken  SSb- 
ufer,  wenn  aucli  nicht  unmittelbar  am  Strom  hegt,  ist  nur  eine  Rand- 

statlt  (vgl.  den  nächsten  Abschnitt)  und  steht  zur  Havelmündung  kaum 
in  Beziehung.  Auch  an  der  Mündung  der  Saale,  welche  von  grossen 
Wie<ontlächen  niriijel»en  wird,  liat  si(  h  Ivcinc  grn«Jsere  Ansiedlung  ent- 
wickt  lt;  selbst  I  )r)rfer  fehlen  in  unniitt»  ll)arrr  Xälic  des  Zusammenflusses. 

An  der  Mündung  der  Mulde  linden  wir  in  KÜnsiiger  strategischer 
Lage  die  kleine  Stadt  Rosslau,  der  wohl  zumeist  die  Überwachung  der 
SchiffiPahrt  auf  den  beiden  Flüssen  oblag;  sie  lehnt  sich  an  den  Rand 
des  schon  zum  Fläming  aufsteigenden  Hügellandes.  Das  benachbarte 
Dessau  ist  nur  als  lirückenstadt  der  Mulde  zu  Ijetrachten;  bei  eigener 
Durchwanderung  der  (iigt  iid  sowie  auch  mit  Hülfe  guter  Karten  ent- 
deckt man  baM,  dass  der  von  Ost  nach  West  gehende  \  erkehr  die 
Mulde  am  vortheilhaftesteu  bei  Dessau  kreuzte,  da  man  unterhalb  rasch 
in  das  Gebiet  der  ElbQberschwemmuugen,  oberhalb  ftir  eine  Strecke 
von  mehr  als  15  km  in  eine  gleichfalls  sumpf-  und  waldreiche  Gegend 
gelangte').  In  neuester  Zeit  ist  aber  bei  Des-au  ein  wirkliclu  r  Miln- 
dungsort  im  Entstehen,  dies  ist  Wall witzhafen,  etwa  halbwegs 
zwisclien  Dessau  und  Kosslau  sehr  günstig  an  der  Elbe,  einem  Mün- 
dungsarm tb  r  Mulde  und  der  Eisenbahn  gelegen.  Wie  weit  sich  das 
niedrige  Deituland  liier  zur  Anlage  eines  grösseren  Wohuplatzes  eignet, 
muss  tinh  allerdings  noch  zeigen. 

Die  Weser  verhalt  sich  nicht  anders  wie  die  grösseren  östlichen 
Ströme.  Die  Allermündung  ist  als  städtelos  zu  betrachten,  da  Verden 
sich  ähnlich  zu  Aller  und  AVeser  stellt  wie  Dessau  zu  Mulde  und  Elbe. 
Es  liegt  auf  einem  äliidichen  Geestrncken  wie  Bremen  an  der  alten 
Handelstrasse  von  Bremen  nach  Minden  ^).  Von  ö<ler  Gegend  ist  die 
Mündung  der  Leine  in  die  Aller  umgeben,  ebenso  städtelos  ist  der  Eintiuss 
der  für  den  Handelsverkehr  älterer  Zeit  nicht  unwichtigen  Oker.  Nur  ein 
Dorf  Namens  Müden  findet  sich  hier,  dessen  Name,  angeblich  die  platt- 
d«  iitsche  Form  für  Münden,  noch  an  mehreren  Flussmündungen  wieder- 
kehrt, wie  z.  B.  an  der  Vereinigung  von  Wietze  und  Oertze  nördlich 
von  ^'<1I<'.  Diese  letztere  Allerstadt  bezeichnet  einen  >nchtigen  Fluss- 
übergang, dann  abt-r  auch  einen  für  die  Vergangenheit  wichtigen  Scliiff- 
fahrtsab.schnitt,  indem  hier  die  Aller  durch  die  Fuse  und  die  Lachte 
eine  namhafte  Verstärkung  erfährt.    Für  die  neuere  Zeit  hat  dieser 


')  Im  30jiihrig*'n  Kriege  fanden  wicbtiffe Kämpfe  an  der  Dessauer  Brücke  statt. 
*)  Vgl.  über  die  bu^'e  von  Verden:  Gnthe,  Die  Lande  Brannachwmg  und 
Hannover,  Hannover  1807,  S.  129. 


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33] 


Die  Städte  der  norddeutschen  Tiefebene. 


125 


Abschnitt  il»'r  Schitt'Uaikcit  seine  Bedeutung  fast  völlig  verloren.  Aus 
diesem  Grunde,  dann  aber  auch  in  Folge  staatlicher  Veränderungen  ist 
Celle  gänzlich  hinter  Hannover  zurUc^eblieben.  An  der  Ems  finden 
steh  zwei  StSdte,  die  zu  einmündenden  >iebeüflassen  in  Beziehung  stehen 
könnten,  nämlich  Meppen  und  Leer.  Jedoch  sind  sowohl  Hasse 
als  Leda  nicht  von  solclier  Wichtigkeit,  dass  man  ihrer  Mündung  eine 
grosse  Anziehinigskratt  in  dem  sonst  menschenarmen  Lande  zuschreil)en 
könnte.  Es  ist  vielmehr  auch  hier  ein  längs  der  Ems  verlaufender 
Düuenzug,  welcher  bequemes  Vordringen  nach  Norden  eruKigliclitu  und 
den  Ort  des  Haaseflberganges  bestimmte.  Hanptstrasse*  und  Eisenbahn 
folgen  ihm  auf  weiter  Strecke. '  Bei  Leer  finden  wir  bei  näherer  Be» 
trachtung,  dass  die  Stadt  gar  nicht  an  einem  der  beiden  sich  hier  ver- 
einigenden Flüsse  liegt,  sondern  vielmehr  auf  einer  kleinen  Erhöhung  zwi- 
>' li»'n  den  F'Iüsseii.  W  ahrscheinlich  hat  die  gesicherte  Lage  dieser  Anhöhe 
zuerst  die  Blicke  auf  sicli  gezogeu.  Guthe  (a.  a.  0.  S.  21)0)  l>elehrt  uns 
zudem,  da.ss  die  Bewohner  von  Leer  bis  zur  Mitte  des  vorigen  Jahr- 
hunderts kaum  Gebrauch  von  der  vortheilhaften  Position  ihrer  Stadt 
nahe  an  der  Grenze  der  See*  imd  Flussschifffahrt  gemacht  haben  und 
das8  gerade  der  älteste  Theil  der  Stadt  am  fernsten  von  den  Flussufem 
liegt.  So  erwies  sich  auch  hier  die  Flussrereinigung  nicht  als  bestimmend 
lur  die  Entstehung  einer  Stadt. 

Am  deutschen  Niederrhein  endlich  sehen  wir  in  der  Fe.stimg 
Wesel  au  der  Münduiig  der  Lippe  noch  einmal  ein  Seitenstück  zu 
KOatrin  und  Spandau.  Wesel  ist  eine  echte,  den  Einfluss  des  bedeuten- 
den Nebenflusses  beherrschende  Festungsstadt,  hat  aber  daneben  auch 
maunichfache  Industrie  sowie  Antheil  an  der  Rheinschifffahrt.  Hier 
wie  in  Küstrin  kreuzen  sich  sechs  wichtige  Bahnlinien  innerhall)  des 
Festungsrayons.  Kuhrort  wäre  trotz  der  nahen  Einmündung  dei-  Ruhr 
»  in  unbedeutender  Ort  geblieben,  wenn  nicht  die  Verschitfung  der  reichen 
Kolilenschätze  des  iiuhrbeckens  hinzugekommeu  wäre.  So  stieg  die 
Einwohnerzahl  der  Stadt  von  nur  1443  im  Jahre  1816  auf  9130  im 
Jahre  1880.  Ruhrort  hat  jetzt  den  grdssten  Flusshafen  des  deutschen 
Beiches,  und  vielerlei  Industrien  und  Transportgewerbe  haben  sidi  in 
dem  gewissermassen  mit  den  englischen  Städten  Sunderland  und  Shields 
zu  vergleichenden  Kohlenhafen  entwickult. 

Auch  die  Krümmungen  gni^serer  Flüsse  haben  im  Tief  lande 
nicht  denjenigen  Eiufluss  auf  die  Städtelage  wie  im  Berglande.  Im 
Berglande  finden  wir  sehr  häufig  starke  Flusskrümmungen  von  Städten 
eingenommen,  ich  erinnere  nur  an  die  Stadt  Bern  auf  ihrer  von  drei 
Seiten  von  der  Aare  umströmten  Halbinsel  Das  benachbarte  Freiburg 
nimmt  an  der  Saane  eine  ganz  ähnli<  In  Lage  ein.  Es  sind  vorzugs- 
weise Bücksichten  auf  die  Sicherheit,  weiche  eine  solche  Wahl  bestimmen 


')  Alf»  eigentlich*'  liiim- iii;n'iize  de.-i  Seevorkelu>  kann  Ixvsser  Papenliur  g 
beseichnei  werden. 

*)  Etwas  unterliiill»  H.'ins  -rlineiilt  t  Aare  eine  nocli  j^rössere  auftiill irrere 
Hnlbiut«el  heraus,  welche  aber,  wie  man  leicht  sieht,  ihrer  unregelmä.s.«jijfen  Form 
halber  weniger  zQ  einet  Stadtanlage  geeignet,  auch  weniger  gesichert  war,  als  die 
Halbinsel  von  Bem. 

Foracliiuigen  nr  drataehen  Landn*  und  VoUukuode.  LS.  9 


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126 


Hahn, 


[34 


können.  Ffir  den  Verkehr  kann  eine  Lage  wie  die  von  Bern  kaun 
ab  gOnsdg  bezeichnet  werden:  die  Strassen  können  die  Stadt  nur  anf 

einer  Seite  bequem  erreichen,  auf  il*  n  ainlt  ich  sind  sie  zu  bedeuten- 
den Brüc'Venbauten  gezwungen.  Die  Ei.seiibalnien  nähern  sich  fast  alle 
der  Stadt  Bern  nur  auf  «grossen  Umwe^'en.  da  man  sich  nicht  ent- 
8<liliessen  konnte,  die  Aare  «itter  als  einmal  für  Eisenbahnzwecke  zu 
überbrücken.  Dieser  Umstand  hat  es  luitveraulaäst,  dass  die  Buudes- 
kauptstadt  Bern  nicht  ein  so  bedeutender  Bahnknoten  geworden  ist  wie 
Ölten,  Solothum  oder  Biel. 

Im  Flachlande  treffen  nun  die  Stiulte  an  den  Flusskrünimungen 
dieselben  Nachtheile  wie  im  Berglande,  ohne  dass  sie  dafür  die  Vorzüge 
einer  besonders  gesicherten  Lage  gent'issen.  Daneben  ist  noch  der  oft 
mangelnde  gute  Bau^niind,  die  an  den  Krünmnnigen  besonders  grosse 
V  eränderlichkeit  der  Flüsse  u.  s.  w.  in  ganz  ähnlicher  Weise  wie  bei 
den  FluBsrereiniguugen  in  Anschlag  zu  bringen.  Die  Erscheinung,  dasa 
Flusskrttmmungen  im  Tieflande  der  Städte  ermangehi,  ist  denn  auch 
in  Norddeutschland  eine  so  allgemeine,  dass  es  gar  nicht  nothwend^ 
erscheint,  »lie  deutschen  Flüsse  in  dieser  Hinsicht  einzeln  zu  besprechen. 
An  allen  Flüssen  der  Tiefel>ene  werden  die  gerade  verlaufenden  Strom- 
strecken den  stark  gekrümmten  gegenülx  r  eiitsi  Iiieden  bevorzugt.  Die 
einzige  wichtigere  Ausnahme  ist  die  ganz  moderne  (irossstadt  Düssel- 
dorf am  Rhein,  welche  an  der  convexen  Seite  einer  gröaseren  ErOm- 
mung  liegt.  Das  Aofblohen  Dflsseidorfs,  anfänglich  durch  politische 
Verhältnisse  veranlasst,  hängt  in  der  neueren  Zeit  mit  der  Entwicklung 
des  Elberfeld-Dortnmnder  Industrie-  und  Bergbaubezirkes  zusammen. 
Für  diesen  öffnete  sich  in  dem  Thal  der  Düssel.  welches  bei  Vohwinkel 
nur  wenige  Kilonieter  vom  Wupperthal  entfernt  ist.  nelxii  der  Ivnlir 
ein  zweiter  leidlich  bequemer  Ausgang  nach  dem  iÜiem,  deu  eine  der 
iUtesten  deutschen  Eisenbahnen  (DOsseldorf— £iberfeld)  benuiste.  Hit 
der  Gestaltung  des  Rheinlaufes  auf  der  Strecke  von  Cöln  bis  zur 
Ruhrmündung  hat  Düsseldorfs  Aufblühen  wi  iiig  zu  thun. 

Sehr  charakteristisch  ist  es  dagegen,  dass  dla,  wo  die  norddeutschen 
Flüsse  in  tief  eiliges*  linittenen  vieli/ewnndenen  Tliälern  fliessen  und  sich 
dem  Charakter  der  Hergflüsse  niilu  rn.  auch  sotort  an  Bern  erinnernde 
Halbinselstädte  auftreten.  Diiis  ist  der  Fall  bei  dem  ostpreussischen 
FlusB  Alle.  Schon  im  Pregeithale  fallt  uns  auf,  dass  die  Stidte  Tapiau 
und  Wehlau  entgegen  unserer  Mher  erörterten  Regel  hart  an  Fluss- 
vereinigungen resp.  -theilungen  liegen;  wir  sehen  aber  sofort,  dass  der 
Pregel  von  ziemlich  steilen  Höhen  rändern  eingefasst  wird,  jene  Aus- 
nahmen daher  ifanz  wohl  begründet  sind.  Gehen  wir  an  d(^r  ^VUe 
liiiiiuif.  so  erblicken  wir  bald  die  Stadt  Alienburg  in  sehr  benierkeiis- 
werilier  Lage  auf  einer  etwas  erhöhten  Halbinsel,  welche  im  Westen 
Ton  der  Alle,  im  Süden  gleieh&Us  von  der  Alle  und  dem  hier  ein- 
mündenden Omet,  im  Norden  von  der  Schweine  begrenzt  wird.  Nur 
im  Osten  bleibt  ein  sehmaler  Zugang  offen,  auf  den  verschiedene  durch 
Omet  und  Schweine  eingeengte  Strassen  uiul  Wege,  die  aus  dem  Osten 
kommen,  hinfiihren.  Auf  einer  ähnlichen  Halbinsel  des  linken  Ufers, 
die  durch  einen  Bach  noch  schärfer  herausgehobi  u  ist,  liegt  die  Stadt 
Fried  lau  d,   noch   weiter  aufwäi-ts   wieder  auf  dem  rechten  Ufer 


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Die  Städte  der  norddeutschen  Tiefebene. 


127 


Schippen  beil.  dieses  besonders  an  Bern  erinnernd.  Auch  bei  Schippen- 
mündet  ein  Seitenfluss,  der  Guber,  in  die  Alle.  Bartenstein, 
Heil.sberjj;  und  Gutstadt  i^ind  weniger  auffallend,  dagegen  ist  wieder 
Allensteiu  auf  einer  Flusshalbiusel  angelegt,  aber  später  daiüber  hinaus- 
gewachsen. So  zeigt  sich  an  der  meist  zwischen  hohen  Ufern  fliessen- 
den, emem  Tieflandsstrom  wenig  ähnliehen  Alle  sofort  jener  Einflnss 
starker  Stromkrümmimgen ,  der  hei  den  Ohrigen  StrOmen  unseres  Ge- 
hietes  yermisst  wird. 


Zweiter  Abschnitt* 

Wenn  auch  eigentliche  Gebirge  m  unserem  Gd»!'  fe  nicht  vor- 
kommen, so  fehlen  beträchtliche  Höhenunterschiede  doch  keineswegs. 
Völlige  Ebenen  sind  sel]>st  in  den  Kilstengegenden  nicht  sehr  häutig, 
nur  etwa  die  Marschen,  die  Mündunj^s^eluete  der  Weichsel  und  des 
Niemen,  sowie  einzelne  Striche  Vorpommerns  können  als  solche  an- 
gefbhrt  werden.  Aber  auch  die  Marschen  werden  von  einzelnen  Geest- 
hügeln unterbrochen,  das  Niemendelta  hat  zerstreute  sandige,  f&r  die 
Besiedeluug  nicht  unwiclitige  Reihen  aufzuweisen,  und  im  Weichseldelta 
macht  sich  von  den  beiden  Hauptstromrinnen  der  Weichsel  und  Nogat 
an<  eine  leichte  Senkung  des  Bo(lt>ns  nach  der  iMitte  d'-r  Niederung 
benierklcir.  wo  die  ^^  asserläufe  T  i  e  g  e  und  Sc  Ii  we  ute  su  li  entwickelt 
haben.  Diese  Senkung  erklärt  sich  unschwer  durch  die  grössere  An- 
häufung der  Sedimente  in  der  Nähe  der  Hauptarme. 

Zwei  grosse  Landrücken  durchziehen  das  norddeutsche  Tief- 
land, welche  man  früher  wohl  als  den  uralisch -baltischen  und  den 
aralisch-karpathischen  Höhenzug,  jedoch  ohne  innere  Berechtigung,  be- 
zeichnete. Sie  sind  nicht  so  geschlossen ,  wie  sie  die  älteren  Karten 
darstellen,  zerfallen  vielmehr  in  »  ine  Heilie  einzelner  Landhöhcn,  welche 
durch  Thäler  und  oft  nicht  unbedeutende  Niederungen  von  einander 
getrennt  sind),  so  dass  Flüsse  und  Kanäle  die  beiden  Züge  kreuzen 
können.  Der  sQdliche  Zug,  den  wir  im  weitesten  Sinne  vom  östlichen 
Oberschlesien  bis  zur  Wingst  bei  Cuxhaven  verfolgen  können,  ist  häu- 
figer und  stärkt  r  unterbrochen  als  der  iK'h-dliche,  welcher  in  Masuren 
in  das  Reich  eintritt,  um  dann  di(  Ovtsi  elüTuler  l)is  Nordschleswig  und 
über  dif*  Keichsgrenze  nach  .lütiand  hinein  zu  durchziehen.  Ausserdem 
unterscheiden  wir  noch  Höhen  zwi.schen  dem  nördlichen  Zuge  und  der 
Ostseeküste,  Hohen  zwischen  beiden  Zügen  und  endlich  Höhen  zwischen 
dem  sfldlichen  Zuge  und  dem  deutschen  Hittelgebirge.  AUe  diese  Höhen 
treten  meist  als  Landrücken,  als  niedrige  Plateaus  auf;  eigentliche  Hügel- 
gruppen finden  sich  selten,  wirkliche  kleine  Ketten  noch  seltener.  Die  Be- 
ziehungen, welche  zwischen  diesen  Erhebungen  und  der  Vertheilung  der 
Städte  obwalten,  lassen  sich  nun  leicht  auf  wenige  Hauptsätze  zurückführen. 

Zunächst  ist  zu  merken,  dass  eine  Aldiiingigkeit  der  Städtelagen 
TOn  einzelnen  Berghöhen,  wie  sie  in  Mittelitalien,  Sicilien  und  Griechen- 
land so  oft  zu  beobachten  ist,  in  Korddeutschland  nicht  vorkommt. 
In  jenen  Ländern  suchte  man  der  Sicherheit  halber  gern  sdiwer  zu- 


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128 


Hahn, 


[36 


»fiintjliclie  und  ol)en  geringen  luiuni  bietende  Berge  aut  und  nahm  die 
gru.sseii  isuchtheile,  welche  mit  einer  solchen  Lage  yerknüpft  sind,  in 
den  Kauf;  im  nördlichen  Deutschland  sind  auch  die  wenigen  jenen 
italienischen  Beiden  etwa  zu  vergleichenden  Hügel  unbenutzt  geblieben, 
da  sich  auf  Flussinseln,  zwischen  SUmpfen.  und  besonders  an  den  bald 
zu  besprechenden  Landscen  strategisch  günstige  Positionen  in  mehr 
als  genügender  Zahl  l>oten. 

Betrachten  wir  aber  die  Scheitel  der  langgestreckten  nord- 
deutschen Höhenzüge,  so  werden  wir  bald  wahrnehmen,  dass  die  Ver- 
theilung  der  Städte  auf  denselben  durchaus  keine  gleichmassige  ist. 
Sehr  stadteann  ist  im  Ganzen  der  südliche  Zug;  auch  die  Dörfer 
liegen  hier  in  weit  grössere  Abständen  als  auf  dem  nördlichen  Rücken. 
Der  Grund  dieser  Erscheinung  scheint  mir  darin  zu  liegen,  dass  der 
südliche  Zug  im  Allgemeinen  wasscrärmer  ist  und  namentlich  der  zahl- 
reichen Land  Seen  des  nördlichen  so  gut  wie  völlig  entbehrt.  Der 
südliche  Zug  stellt  sich  meist  als  ein  Terraiulundeniiss  dar.  das  mau 
seiner  Wasserarmuth  imd  seiner  Sandstrecken  halber  möglichst  rasch 
durchzog,  wo  auch  kein  besonders  wichtiges  Bodenerzeugniss,  kein 
zur  Vertiieidigung  oder  Deckung  eines  wichtigen  Passes  geeigneter 
Terrainabschnitt  zur  Ansiedlung  und  zum  Verweilen  anlocken  konnte. 
So  fehlen  Städte  völlig  auf  dem  iiücken  des  Fläming.  Alle  an 
diesem  Hr)1irnzuge  vorhandenen  Städte  liegen  bei  genauerer  Betrach- 
tung nicht  aut  der  Höhe,  sondern  schon  an  den  Abhängen,  es  sind 
Randstädte  (s.u.),  wieZiSsar,  Beizig,  Zahna,  Seyda,  Jüter* 
bog,  Dahme,  Luckau  un'd  manche  andere.  Der  sogenannte  Lausitzer 
Grenzwall,  die  östliche  Fortsetzung  des  Fläming  und  das  schlesische 
Katzengebirge  verhalten  sich  ganz  ül)ereinstimmend. 

Ganz  besonders  arm  an  Städten  und  überhaupt  grösseren  Wohn- 
plät/.en  ist  das  Innere  der  Lüneburg  er  Haide.  Ks  ist  auch  wenijjf 
Aniass  zu  einer  grossen  Verdichtung  der  Bevölkerung  hier  gegeben, 
da  der  durchschnittlich  nicht  reichlich  lohnende  Boden  und  namenÜicfa 
der  grosse  Bedarf  an  Haide  zur  Streu  für  den  einzelnen  Besitzer  ein 
grosses  Wirthschiiftsgebiet  zur  Xothwendigkeit  macht Dazu  kommt 
auch  wohl  noch  die  in  der  nordwestdeutschen  Bevölkerung  verbreitete 
Abneigung  gegen  stäiltisdie  Bauweise.  Indessen  wäre  es  nicht  richtig, 
da,  wo  wenig  Städte  liegen,  auch  Mangel  an  gesclilossenen  Dörfern  zu 
erwarten:  gerade  die  Landdrostei  Lünel>urg  hat  geschlossene  Dörfer 
und  wenig  Städte,  das  MOnsterland  dagegen  Einzelhöfe  und  daneben 
ziemlich  zahlreiche  kleine  Städte.  Die  an  Städten  ärmste  Haideland- 
schaft wird  durch  eine  die  Städte  Hotenburg,  Soltau,  Walsrode,  Hude- 
milhlen,  Celle,  Gifhorn,  Brohme,  Wittingen,  Salzwedel.  Lüchow.  Dannen- 
berg, LünelHirg.  Win^'-n .  Hnrburg.  iiiixtehndc .  Harsefeld  und  Zeven 
verbindende  Linie  umschrieben,    in  diesem  grossen  liaume  liegt  nur 


')  Ueber  den  starken  Verbrauch  il-r  ll  iido  Ter^.  das  für  die  Kenntniss 
der  Lüneburger  Haide  überhau{)f  \vi(litiLr.'  \\frkrbcn  von  W.  Peters.  Die  Heid- 
fläclien  Norddeutschlanda,  j^ekrönte  l'rei.sschritt,  Haunuver  1862.  Uebrigens  werden 
die  Verhältniflse  dieser  Haidegegenden  in  vielen  Schriften  mit  zu  grellen  Farben 
geschildert. 


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37] 


Die  St&dte  der  'norddeatBchen  Tiefebene. 


129 


die  Stadt  Uelzen  an  der  Ilmenau.    Die  Position  von  Uelzen  ist 

jjeo^rraphisch  kaum  zu  het^lnden;  eine  Thahvcitung  der  Ilmenau,  von 
der  initlie  a.  a.  ().  S.  'J5  spricht,  ersclieint  in  dmi  aiicli  sonst  iM  quem 
zugängliihen  Thal  dieses  Flusses  nicht  so  wicliti^^.  um  finr  ^M<'>s«<cre 
Ansiedluut'  heruiizuzielieu.  Immerhin  i&t  es  bemerkeuswurth,  da-ss  das 
Thal  der  fimenau  nicht  nur  im  Mittelalter,  sondern  auch  heute  von  der 
wichtigen  Route  Hamburg — Frankfurt  a/M.,  einer  der  bedeuteamsten,  die 
es  in  Mitteleuropa  giebt,  durchzogen  wird.  Jetzt  wird  diese  Eiseiihahu- 
»trasse  in  Uelzen  von  der  von  Stendal  nach  Bremen  führenden  gekreuzt, 
welche  die  Haide,  olnu-  sich  an  1)estimmte  Bodenwellen  oder  Gewässer 
anzulehnen,  ziemlieli  gt-radlinig  durchzieht. 

Nicht  so  umi'angreich  ist  ein  in  seiner  Naturbe^chaÖ"enheit  sehr 
ähnliches  stSdtdoses  Gebiet  in  Holstein,  also  auf  don  nördlichen  Hdhen* 
zuge.  Es  liegt  zwischen  Hamburg-Altona,  Oldesloe,  Segeberg  und  den 
heiderseitigen  KüstenstUdten .  Nur  N  e  u  m  ü  n  s  t  e  r  und  K  e  n  d  s  b  U  r  g 
finden  sich  hier.  Letzteres  ist  t  ine  übrigens  nicht  bedeutende  Brttcken- 
stadt  an  der  Eider,  welche  ursprünglich  auf  zwei  Eiderinseln  lag,  .sich 
dann  aber  nach  beid«'n  l'fern  des  Flusses  ausgclireitet  hat  ').  Bis  zur 
Mitte  unseres  Jahrhunderts  galt  Kendshnrg  als  starke  Festung.  2seu- 
mttnster  liegt  weder  an  einem  wichtigen  Uebergangspunkt  noch  an 
einem  Terrainabschnitt  in  einer  ziemlich  einförmigen,  Haidecharakter 
tragenden  Ebene.  Die  Stadt  ist  um  ein  wichtiges  Klonter  entstanden; 
dass  später  hier  Avichtige  Handelsstrassen  zusammentrafen,  hat  sie  keinen 
Besonderheiten  ihrtr  Lage,  sond»'rn  nur  dem  Unistande  zu  verdanken, 
dass  auf  dem  menschen-  und  d<»rtarmen  Haidt  riU  ken  ein  Stützpunkt, 
wie  ihn  das  Kloster  und  der  um  dasselbe  entstandene  Ort  bot,  schon 
an  sich  gern  benutzt  und  von  den  Handelswegen  (Lübeck — Dithmarschen 
und  Hambuig— Kiel)  aufgesucht  wurde.  Jetzt  ist  Neumflnster  der  wich- 
tigste Bahnlmoten  der  ganzen  cimbrischen  Halbinsel  geworden,  sechs 
Linien  vereinigen  sich  hier. 

Ganz  andere  Erscheinungen  tiiiden  wir  auf  dem  bei  weitem  grös- 
seren seenreichen  Theil  des  nördlichen  Höhenzuges.  Die  Seen, 
dereu  Gestalt  meist  eine  sehr  unregeluiässige  ist,  boten  zalilreiche,  sich 
wenigstens  durch  ihre  Sicherheit  empfehlende  Bauplätze ;  auch  der  Fisch- 
reichthimi  vieler  derselben  mag  häufig  anziehend  gewirkt  haben.  Später 
fireilii  h.  als  die  RUcksicht  auf  die  Sicherheit  nicht  mehr  überwog,  litten 
gerade  die  Seeorte  schwer  unter  ihrer  nun  hervortretenden  ungünstigen 
Verkehrslage.  Chau<s.'en  und  Eisenbahnen  konnten  die  versteckt  ;nif 
Halbinseln  oder  Insehi  gelegenen  kleinen  Städte  nur  schwer  t  rn  i(  lu  n. 
Bei  der  grossen  Anzahl  der  Seen,  der  auf  weiter  Strecke  gleichturmigen 
Bodcnbesehaffenheit  des  Landes  und  dem  Mangel  an  besondei»  wiSeh-»- 
tigen,  anderen  Gegenden  fehlenden  Producten  gab  es  für  eine  solche 
kleine  Seestadt  wenig  Möglichkeiten,  eine  grössere  Bedeutung  als  viele 
benachbarte  zu  gewinnen.  Diese  Städte  blieben  deshalb  früh  in  ihrer 
Entwicklung  stehen,  und  manche  haben  an  Einwohnerzahl  sogar  ver- 


')  Auülübrlicb  dargeätellt  bei  Schröder,  Topographie  der  üerzogtbümer 
Hobtein  and  Laneaburg,  Oldenbmrg  in  Holstein  18^,  Bd.  2,  S.  886. 


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130 


Hahn« 


[38 


loren,  da  die  Masse  der  Bevölkerung  sich  lieber  den  lohnenderen  Erwerb 
versprecheudeu  Gros.sstädten  zuwendet  Schon  Bergbaus  bat  in  seiner 
Scbildenmff  der  Stadt  Teupitz*)  ^esen  Städtetjpus  treffend  charak- 
terisirt.  Teupitz  hatte  17r>0  nur  258,  1800  erat  372,  1850  530  und 
1880  immer  erst  Gl  :>  Kiuwohner;  von  1750 — 1800  wurden  nur  6,  Ton. 
1800 — l^oO  ^ar  nit  ht  ein  einziges  Haus  neu  f(el)aut.  Dabei  ist  Teupitz 
noch  durch  die  schüi'bare  Verbindung'  seines  Sees  mit  der  Thilime 
und  hierdurch  mit  der  Spree  etwas  günstiger  gestellt  als  viele  andere 
Seeorte. 

Es  lassen  sich  nun  unter  diesen  Seeansiedlungen  folgende  Typen 

unterscheiden : 

1 .  Die  Stadt  liegt  am  Ende  eines  länglichen  Sees,  gewöhnlich  da, 
wo  der  Ein-  oder  Ansfluss  des  den  See  ])assirenden  Wa^serlaufes  sich 
befindet.  Viele  Seen  der  norddeutschen  Seegebiete  haben  gegen  'früher 
au  Umfang  sehr  verloren,  die  Stadt  liegt  deshalb  häuhg  jetzt  von 
dem  Ende  des  Sees  etwas  entiernt,  oder  es  ist  auch  der  ganze  See 
trocken  gelegt  worden  und  erloschen,  so  dass  seine  Stelle  nur  noch 
durch  eine  Wieseniläche  bezeichnet  wird 

2.  Die  Stadt  liegt  auf  einer  Halbinsel,  welche  entweder  in  den 
See  liinein  vorspringt  oder  durch  zwei  in  das  Land  eingreifende  schmale 
Bui  hteii  (K  s  Sees  gel)ildet  wird.  Zuweilen  hegt  auf  der  Halbinsel  — 
welche  oit  nichts  ist  als  eine  durch  Anschwenimung  oder  künsthclie 
Verbindung  iandfest  gewordene  Insel  —  nur  das  Schloss  oder  das 
Kloster,  an  welches  sich  die  spätere  Stadt  anlehnte,  wahrend  die 
Häuser  der  Stadt  verschiedene  Punkte  des  Seeufers  in  der  Nachl^ar- 
ßchaft  besetzen.  Dadurch  entstehen  weiträumige  Ortschaften,  welche 
mit  ihren  durch  fiärten  und  Felder  unterbrochenen  Strassen  weit  mehr 
Platz  einnehmen,  als  man  nach  ihrer  geringen  Einwohnerzahl  er- 
warten sollte. 

3.  Die  Stadt  liegt  aul  einem  Isthnms  zwischen  zwei  Seen.  Die 
Zahl  der  Seen  ist  so  gross  und  sie  liegt  n  oft  so  dichtgeschaart,  dass 
dieser  Fall  keineswegs  zu  den  seltenen  gehdrt.  Offen])ar  wurde  hier 
die  Vertheidigung  besonders  erleichtert;  wuchs  aber  die  Stadt  an,  so 

bildete  sie  eine  langgestreckte,  oft  sehr  scluualf.  nur  von  einer  oder 
•zwei  Strassen  gebildete  Häusernienge,  welche  schw  ci'  zu  Ul)ersehen  und 
von  den  jenseits  der  Seen  belegenen  Acker-  und  VV'eidestücken  oft  weit 
entfernt  war. 

4.  Die  Stadt  kann  endlich  ganz  auf  einer  Insel  des  Sees  (oder 
seeartiger  Flusserweiterungen)  liegen.  Dieser  Fall  ist  nicht  selu*  häufig, 
da  die  rein  insulare  Lage  der  Stodt  sehr  bald  fOhlbare  Unbeqaemlich- 


Landbuch  der  Maxk  Brandenburg,  Bd.  2,  S.  524.  Tenpitx  liegt  allerding« 

nicht  auf  dem  nnrtllirhcn  Höht'nzug'e,  sondern  in  einer  Senkung  am  Niirdrando  des 
südlichen  (im  Kreise  Teltow),  kann  aber  ganz  gut  a\s  Beispiel  einer  solchen  zurück- 
gebliebenen Seeansiedlung  gelten.   In  PreuMen,  Pommern  und  Mecklenburg  fehlt« 
C8  nicht  un  Seitenstfidcen  sn  Teupiti,  wenn  anch  die  neueste  Zeit  hier  vieles  ge- 
bessert hat. 

')  Bei  grösseren  Seen  liegt  auch  wohl  an  jedem  Ende  eine  Stadt.  Gans 
kreisf&Timge  Seen,  bei  denen  jeder  Punkt  des  Ofen  dch  gleich  gut  cur  Besiedelung 
«ignety  sind  bei  uns  sdir  selten. 


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39] 


Die  Stildte  der  norddeutschen  Tiefebene. 


IBl 


keiten  mü  sich  brachte  und  auch  die  Sicherheit  dann  eine  fragliche 

war,  wenn  sich  der  Soe  mit  Eis  ühorzot;. 

A\  as  Kolli  über  die  Aiisiedhiiiixeu  an  Landseen  mittht  ilt.  ist  für 
uns  ohne  Bedeutung,  da  Kohl  nur  grössere  Seen  und  liiinieunieere 
heranzieht  Nur  beiläufig  bemerkt  er  S.  3U8 ,  Aum.  1 ,  dass  auch 
kleinere  Seen  der  malerischen  Lage  oder  auch  der  durch  sie  gewährten 
leichteren  VerÜieidigung  gegen  Feinde  wegen  oft  stark  um])aut  werden. 

Wir  können  nicht  jeden  nonhleutschen  Landsee  hier  besprechen, 
nur  einige  besonders  charnktoristisrlio  Seeiref^enden  sollen  kurz  erörtert 
Averden.  Die  Landschaft  Masuren  ist  durch  ihren  Heichthum  an 
Laudseen  der  verschiedensten  Grösse  und  Gestalt  ausgezeichnet.  Die 
vorhandenen  Städte  zeigen  sich  eng  an  die  Seen  geknüpft.  Zwar  liegt 
nicht  an  jedem  See  eine  Stadt,  das  w&re  bei  ihrer  ^prossen  Anzahl  nicht 
möglich,  wohl  aber  liegt  hier  fast  jede  Stadt  an  einem  See.  Die  Stadt 
Johannisburg  entspricht  dem  ersten  der  aufgestellten  Fälle,  sie 
liegt  kaum  1  km  von  dem  starkgemmdenen  Warschausee.  gerade  da, 
wo  der  l*ischekfluss  denselben  verlassen  hat:  der  Zwischenraum  zwi- 
•schen  Sta<lt  und  Sre  wird  von  sumpfigem  Wiesenland  eingenommen. 
Auch  die  benachbarte  kleine  Stadt  Jiialla  hat  eine  ähnliclie  Lage  wie 
Johannisburg;  der  flache  Sumpfboden  nördlich  von  der  Stadt,  durch 
wdichen  sich  mehrere  Dämme  als  Winterwege  nach  dem  auf  einer  höheren 
Stelle  inselartig  liegenden  Dorfe  Oblewen  ziehen,  kann  nur  als  ein  altor 
fcseegrund  aufgefasst  werden.  Die  Stadt  Lyck  liegt  am  gleichnamigen 
See  an  der  östlichen  Langseite.  Auf  einer  Insel  im  See,  der  Stadt 
gegenüber,  tindet  sich  das  Scldoss  Lyck.  und  im  Anschluss  an  dieses 
ifet  die  städtische  Ansiedlung  entstanden,  welcher  die  Schlossinsel  gleich- 
zeitig einen  Ueberffang  über  den  See  gewährt  Schmale,  langgestreckte 
Seen  verhalten  sich  in  ihren  Einwirkungen  auf  die  Besiedelung  ofl  wie 
breite  Flüsse.  Wir  bemerken  noch  die  Stadt  Oletzko  auf  einer  Hoch* 
fläche  zwischen  dem  grossen  (>let/.ko»*r  See  und  dem  Thale  des  kleinen 
Flusses  Lega;  fenier  das  ganz  besonders  interessante  Lotzen  auf  einem 
Isthmus  zwischen  dem  Löwentin-  und  dem  vielverzweigten  Mauersee. 
iJer  Isthmus  von  Lotzen  ist  einer  der  wichtigsten  Zugänge  in  das  öst- 
liche Masurenland,  da  sfidlich  Ton  ihm  ausgedehnte,  mit  Seen  unter- 
niLsdite  Sumpfwälder,  nördlich  eme  Reihe  grösserer  Seen  namentlich 
den  Marscli  von  Trttp])en  erschweren.  Die  Landstrasse  von  Königsberg 
nach  .I(i1i;uinisburg  und  der  russischen  Grenze,  sowie  die  Eisen]>ahn 
Ton  Königsberg  nach  Lyck  (und  weiter  nach  dem  südwestlichen  Kuss- 
land) benutzen  diesen  Pass.  dessen  Bedeutung  durch  die  Festungswerke, 
welche  die  Höhen  nordwestlich  von  der  Stadt  bedecken,  noch  erhöht 
worden  ist. 

Eine  langgestreckte  Kette  meist  schmaler  Seen  sdeht  sich  rou 
der  kleinen  Stadt  Klieiii  nach  Süden  bis  weit  in  die  Johannisburger 
Haide  hinein.  Die  Stadt  Rhein  ist  auf  dem  Isthmus  zwischen  dem 
Nordende  dieser  Seegruppe  und  einem  kleineren  isolirten  See  zu  l)eiden 
Seiten  des  Terbindenden  Gewässers  erbaut,  also  gleichzeitig  Brücken- 


*}  Verkehr  nnd  Anriedlimgen,  S.  301  ff. 


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132 


Hahn, 


[40 


und  Isthmusstadt.  Noch  aulttilli^er  ist  die  Lage  von  Nikolaikcn  zu 
beiden  Seiten  des  hier  stiu'k  verschmälerten  Sees.  Viele  Strafji<en  und 
Wege  führen  Ton  beiden  Seiten  auf  diesen  Uebergaiig>puiikt  zu. 

Gleichfalls  zwischen  zwei  langgestreckten  Seen  liegt  Sensbnrg 
an  einem  wichtigen  Strassenfibergang,  der  aber  doch  unbequemer  zu 
erreichen  ist  als  der  Pass  Ton  L(")tzen.  Weiter  nu  rkeu  wir  uns  noch 
die  Seeorte  Orteisburg  und  Passenheim.  I>er  schninle  See,  an 
welchem  Ortelshurg  sich  lang  hinzieht,  ist  in  der  Mitte  durch  eine 
Brücke  überschritten.  l*assenheim  liegt  nicht  auf  der  »ehr  charakten- 
stisclieu,  weit  in  den  Kalbensee  vorspringenden  südlichen  Halbinsel» 
sondern  im  Hintergründe  einer  Bucht;  die  Halbinsel  scheint -sich  wegen 
ihres  unebenen  Bodens  weniger  zur  Stadtanlage  geeignet  zu  haben  ala 
ähnliche  Terrainformen  bei  vielen  anderen  Seen. 

Weiter  westlich  wandernd  tretfen  vnr  an  der  Orenze  von  Ost- 
und  Wcstpreusscii  mehrere  Städte  des  Halbinseltv|)us.  So  ist  l)eutsch- 
Eylau  auf  einer  Halbinsel  in  den  oberen  Geserichsee  hinau>>gebaut 
Riesenburg  und  Stuhm  haben  Isthmen  zwischen  zwei  Seen  sehr 
geschickt  benutzt  Namentlich  Stuhm  war  eine'  wichtige  Burg  der 
Ordensritter,  um  welche  sich  die  Stadt  angesiedelt  hat.  Viele  der 
kleinen  ost-  und  westpreussi<(  hen  Städte  sind  im  Anschlttss  an  die 
Ordensburgen  entstanden,  die  ( h  densritter  haben  die  Terrainverhältnisse 
des  Landes  für  ihre  Burg-  und  StUdtegründungen  meist  sehr  glücklich 
benutzt  und  die  am  meisten  gesicherten  und  zugleich  die  Verbindimgeu 
beherrschenden  Stellen  rasch  herausgefunden. 

Versetzen  wir  uns  Ton  hier^  um  dieses  Kapitel  nicht  zu  sehr  aus» 
zudehnen,  gleich  in  die  Seelandschaften  Mecklenburgs,  so  finden  wir 
dort  die  Seeorte  des  ersten  und  dritten  Ty}ius  besonders  zahlreich  ver- 
treten. Da  liegt  Wesenberg  am  Südende  des  Woblitzsees,  Mirow 
und  Woldegk,  das  erste  am  Südost  ende,  das  zweite  an  der  Westseite 
von  Seen,  deren  Spiegel  in  historischer  Zeit  viel  an  Umfang  verloren 
haben.  Neustrelitz  lehnt  sich  an  die  Ostseite  des  Zierkersees,  eines 
der  wenigen  fast  runden  norddeutschen  Seen.  Vielüiush  sind  die  mecklen- 
burgischen Seeorte  zugleich  BrUckenorte  ftlr  die  aus  den  Seen  kommen- 
den Flüsse. 

So  liegt  der  wichtige  Strassen-  und  Bahnknotenpunkt  Xeubranden- 
bürg  kaum  einen  Kilometer  vom  unteren  Ende  des  Tollensesees  am 
gleichnamigen  Fluss.  Da  unterhalb  der  Stadt  sein*  bald  wieder  Sumpf- 
und  Bruchland  im  ToUensethal  beginnt,  war  der  Pass  von  Neubranden- 
burg für  die  von  Ost  nach  West  Mecklenburg  durchziehenden  Routen 
gar  nicht  zu  umgehen.  Auch  die  Stettin— Hamburger  Bahnlinie  hat  ihn 
aufgesucht.  Verfolgen  wir  diese  Linie  in  der  Kichtung  nach  Hambui^, 
so  treffen  ^vir  bald  die  Stadt  Malchin  in  ganz  ähnlicher  Lage  an  der 
Peene  zwischen  dem  Malcliiner  und  dem  Cummerower  See.  Auch  der 
Pass  von  Malchin  ist  schwierig  zu  umgehen.  Wir  merken  noch  Plau 
am  Austritt  der  Eide  aus  dem  grossen  Plauer  See,  Goldberg  am 
Ausfluss  der  Hfldenitz  aus  dem  Goldberger  See  und  Malchow  an  einer 
schmalen  Stelle  des  Malchower  Sees.  Letztere  Stadt  hat  nicht  nur  eine  im 
See  liegende  Insel  besetzt,  sondern  sich  auch  noch  auf  beiden  Ufern 
ausgebreitet 


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41]  Die  Stftdte  der  norddeutschen  Tiefebene.  13S 

ZuLlreidu'  intM  klt  nbiirgische  Städte  haben  sich  an  mehrere  nahe 
bei  einander  litgeiide  Seen  angelehnt.  Fürstenl» erg  Hegt  auf  einem 
Tou  der  Havel  in  mehreren  Armen  von  West  nach  Ost  durclizogeueu 
lithmus,  welcher  östlich  vom  Baalensee  und  Schwedtsee,  westlich  yom 
Röbüiisee  begrenzt  wird.  Die  Landstrasse  und  die  Berlin-Strakunder 
Eisenbalm  benutzen  diesen  Päse,  un  da^  nach  Ost  und  West  hier  ganz 
besonders  entwickelte  Seengebiet  zu  durchschneiden').  Penzlin  (west- 
lich vom  Tollensesee)  beherrscht  einen  ähnlichen  Pa.ss  inmitten  von 
mh'i  kleinen  Seen.  Auch  Waren  am  Nordende  des  Müritzsees  ist 
zwi^clien  die>en  und  einen  nördlicheren  kleinen  See  eingeschaltet.  Da 
der  Müritzsee  den  Wegen  ein  so  grosses  Hindernis«  entgegenstellt, 
dringen  sich  dieselben  um  so  mehr  an  seinen  Spitzen  zusammen,  und 
so  ist  auch  Waren  ein  Strassenknoten  geworden,  imd  in  allernächster 
Zeit  wird  es  einer  der  wichtigsten  Brenninmkte  des  sich  jetzt  stark 
tergrofisemden  mecklenburgischen  Eisenbahnnetzes  werden. 

Mit  Uel»er<rehung  einiger  l^leinerer  Städte  erwähne  ich  dann  noch 
Schwerin,  weh  hes  östlich  an  den  grossen,  sonst  al»er  städtearmen 
Schweriner  See  grenzt  und  westhch,  südlich  und  nördlich  von  einer 
ganzen  Kette  kleinerer  Seen,  die  zum  Thefl  von  den  Häusern  der  Stadt 
oocb  berOhrt  werden,  umgeben  wird.  Diese  Seen  sind  der  Faule  See, 
der  westlich  dur(  h  ein  sumpfiges  Thal  mit  dem  langen  schmalen  Neu* 
mOhler  See  verbundene  Ostorfer  See,  der  Lankow  er  See,  der 
Medeweger  See.  der  Ziegelsee  und  der  Heidensee.  Der  Ziegelsee 
flrinsrt  mit  einem  Golfe,  (h  in  IMatFenteich,  und  der  SchAveriner  See  mit 
dem  Buig&ee  und  dem  sogenannten  Beutel  noch  besonders  tief  in  das  Stadt- 
gebiet ein.  Das  Schloss  entstand  auf  der  Insel  zwischen  Schwerinersee 
und  Burgsee,  der  älteste  Theil  der  Stadt  zwischen  dem  Burgsee  und 
dem  Pfaffenteich.  Die  Lage  war  für  die  Yertheidigung  eine  imgemein 
günstige,  die  um  das  ganze  Stadtgebiet  sich  herumziehenden  Seen» 
welche  die  Stadt  wie  eine  Inselstadt  erseheinen  lies-^^eii.  haben  jedoch 
Schwerin  verhindert,  ein  ebenso  wichtiger  Strassen-  und  Bahnknoten 
zu  werden,  wie  manche  kleinere  Stadt  des  mecklenburgischen  Landes. 

Halbinselstädte  giebt  es  im  Gebiet  der  mecklenburgischen  Seen- 
platte nicht  Tiele,  erwähnenswerth  sind  nur  etwa  Dob bertin  am 
Dobbertiner-  und  Röbel  am  Müritzsee. 

Höchst  auffällig  ist  dann  wieder  die  Lage  von  Ratzeburg.  Der 
Keni  der  Stadt  befindet  sich  auf  einer  grossen  Insel  des  Ratzeburger 
Sees.  Vorstädte  liegen  auf  dem  ö-tlidien  und  dem  früh  besiedelten 
Westlichen  LTfer,  von  letzterem  aus  streckt  sich  eine  Halbinsel  der  Stadt- 
insel  entgegen.  Man  beachte  auch  die  Lage  des  nahen  Mölln  auf 
einer  fast  bis  an  das  gegenfiberliegende  Ufer  reichenden  Halbinsel  des 
Möllnersees.  Da  dieser  See  nicht  sehr  um&ngreich  ist,  hat  er  die 
KLsenbahn  nicht  zu  einem  Umweg  gezwung^  und  wird  Ton  ihr  auf 
einem  Damme  überschritten. 

Im  (iebiete  der  grossen  Seen  Ostholsteins  haben  wir  endlich  die 
Stadt  Eutin  als  eine  Isthmusstadt  zwischen  dem  grossen  und  kleinen 


*)  Man  Tgl.  hierzu  das  Blatt  215  der  Karte  des  Deutachen  Reidies. 


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134 


[48 


Eutinersee  und  das  an  Schwerin  erinnernde  Plön  zu  erwähnen.  Es 
wird  von  dem  grossen  utkI  kleinen  Plönersee.  dem  Trammersee  und 
Schöhsee  umgeben.  Plön  lehnte  sich  wie  Schwerin  an  ein  festes  Schloss 
an,  hatttf  aber  hinnchtlich  der  LandTerbindimgen  mit  denselben  Nach- 
theilen  zu  kämpfen  wie  jenes.  Landstrassen  und  die  ein/ige  hier  vor- 
ilheifüfarende  Msenbahn  niUssen  theils  auf  D&mmen  die  Buchten  der 
kleinen-Ti  Rppn  überschreiten,  theils  mit  grossen  Umwegen  die  schmalen 
Landzungen  zwischen  den  Seen  aufsuchen. 

Wir  verlassen  hier  die  Landseeii  und  die  Scheitel  der  norddeutschen 
Höhenzüge,  um  noch  die  Abfälle  derselben  gegen  das  niedrigere  Land 
zu  untersuchen.  Es  leuchtet  ein,  dass  an  den  Rändern  der  HdhenzOge 
fast  stets  Aenderungen  in  der  Beschaffenheit  und  Zusammensetzung  des 
Bodens  eintreten  werden.  Dunit  ändert  sieh  aber  auch  die  Ertrags- 
tVihigkeit  und  die  BenutzungswtM<p.  Ebenso  wie  schon  im  Waldbau  die 
(irenze  /wischen  Höhenzug  und  tiefliegender  Ebene  sich  s*'br  liriiifig 
durch  jjlöt /liehen  Wechsel  des  Bestandes  zu  erkennen  giebt.  iht  aut  den 
Höhen  in  der  Kegel  Nadelwald,  in  der  Tiefe  —  wenn  sie  nicht  allzu 
sandig  ist  —  Laubwald  Torhenscht,  ist  dies  in  noch  höherem  Grade 
bei  dem  em])findlicheren  Ackerbau  der  Fall.  So  kann  eine  an  sich 
unerhebliche  Höhendifferenz  die  Grenze  zwischen  gutem  und  kärglich 
lohnendem  l^xtdeii  \m<\  damit  zwischen  grösserer  [)irlite  und  Wolilhaben- 
heit  der  Brw  ( »liru  r  und  schwach  besiedelten,  ärmlichen  Strichen  werden. 
Ueberail  aljer,  uo  (Tebiete  verschiedener  Anbauweisen  und  Bodenerzeug- 
nisse zusammentreöen ,  ist  Gelegenheit  zum  Austausch  und  damit  zur 
Entwicklung  von  Verkehrsplätzen  gegeben. 

Dazu  kommt,  dass  auch  die  Land-  und  Wasserwege  an  der  Grenze 
zwischen  Höhe  und  Tiefebene  gewöhnlich  eine  Veränderung  erleiden, 
welche  Aufenthalt  und  dadurch  auch  wieder  Ansiedlung<Mi  hervoiTuft. 
Die  Landwege  zwar  werden  sich  durch  die  TTrdienziige  nicht  immer  be- 
irren lassen,  aber  sie  zielien  docli,  so  lange  sie  können,  am  Rande 
eines  solchen  Kückens  hin,  dadurch  gerade  hier  Leben  und  Verkehr 
befördernd  und  hervorruÜBnd.  Audi  &  ISsenbohnen  machten  nament- 
lich in  den  ersten  Jahrzehnten  der  Eisenbahnzeit  gern  Umwege «  um 
den  be.scheidencn  aber  d\o  SteigungsverMltntsse  doch  oft  unangenehm 
beeinflussenden  norddeutschen  Höhenzügen  aus  dem  Wege  zu  gehen 
oder  sie  doch  an  der  becjnemsten  Stelle  zu  überschreiten.  M;ui  erinnere 
sich  an  den  Umweg  der  Berlin-Anhaltischen  EisenVcilin  zwisi  hen  H.  rlin 
und  Wittenberg,  um  einen  günstigen  i  iämwigübergung  zu  gewmnen, 
femer  an  den  Umweg  der  Ostbahn  zwischen  B3bing  und  Brannsbeiig 
zur  Vermeidung  der  Elbinger  Höhe  und  zahlreiche  ähnlidbe  Fälle. 

Beeonders  ist  aber  der  Uebergang  in  die  Tiefebenen  bei  den 
Wasserwegen  zu  beachten.  Vielfach  reicht  die  Schitlbarkeit  eines 
Gewässers  gerade  bis  an  den  Rand  eines  Hölienzuges  hinan;  hier  ent- 
stand dann,  wenn  man  einmal  den  Fluss  als  Verkehrsstrasse  zu  benutzeTi  e^e- 
lernt  hatte,  ein  L  mladeplatz  für  Waaren  und  hier  uud  da  auch  Aufenthalt 
ftlr  die  Reisenden  selbst.  Es  kommt  auch  vor,  dass  die  Schiffbarkeit  eines 
Gewässers  beim  Durchbruch  durch  einen  wenn  tack  unbedeutenden 
Höh^urOcken  eine  Torübergehend e  Hemmung  oder  Minderung  erfahrt, 
indem  eine  Barre  oder  ein  Felsriff  das  Strombett  durchsetzt  oder  das 


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Die  Städte  der  norddeutschen  Tiefebene. 


135 


Fahrwasser  auf  eine  srlniinlc  Kinne  beschränkt.  Auch  an  solchen  Stellen 
eutstehen  wohl  AusiedlunLK  ii .  tlii  "las  Fahrwasser  ijeaulsichtigt  und  im 
Stande  gehalten,  die  Fahrzeuge  durch  die  schwierige  Stelle  hindurch- 
geleiiet  oder  auch,  wo  dies  nicht  angeht,  die  Waaren  auf  kleinere  Schiffe 
umgeladen  werden  mfissen.  Es  werden  auch  gern  Mühlen  an  solchen 
Punkten  angelegt.  So  zog  eine  dem  Rande  der  Tiefebene  wenigstens 
sehr  nahe  gelegene  Stadt,  nämlich  Hameln,  einen  grossen  Theil  ihrer  Ein- 
nnlimen  ans  der  Durchleitnng  der  SchitFe  durch  das  soo-pnannte  Hanielnsche 
Loch,  die  getürchtetste  Stelle  der  ganzen  Weser  von  ßremeji  bis  Münden 

Mehrere  der  norddeutschen  Hr)henzüge  sind  an  ihren  Abhängen 
TOü  einer  sehr  deutlich  hervortretenden  Stüdtereihe  begleitet,  am  meisten 
da,  wo  auf  dem  Scheitel  des  Zuges  selbst  die  AnzaM  der  Stftdte  sehr 
gering  ist.  So  werden  das  schlesische  Katzengebirge,  der  Lausitzer 
Orenzwall  und  der  Fläming  von  zahlreichen  Randstädten  umgeben  (s.  o.). 
Es  sind  am  K atzen ijebirge  Trebnitz.  Prausnitz.  Stroppen  li.  a.;  am 
Lausitzer  Greuzwall  Neustädtel,  Freystadt.  Naumburg  am  Bober.  Summer- 
feld,  Forst,  Spremberg.  Alt-Döbern,  Kalau:  am  Fläming  Luckau,  Dahme, 
Jüterbog,  Treueubrietzeu ,  Niemegk,  Beizig,  Ziesar  als  nördliche 
Randstadte  zu  bezeichnen.  SQdliche  Randsfödte  sind  am  Fläming  u.  a. 
Möckern,  Leitzkau  (auch  noch  das  schon  höher  liegende  Lol)urg  ).  Zerlest, 
Coswig.  Wittenberg.  Zahna,  Jessen,  Schweinitz.  Schlieben.  Kirchhain, 
Finsterwalde.  Senftenberg,  Hoverswerdri  sind  die  wi(  htigsten  südlichen 
Kandstädte  des  L  a  n  s  i  t  z  e  r  (i  r  e  ii  z  w  a  1 1  e  s :  am  K  a  t  z  e  n  e  1 » i  i"  g  e 
mr»chten  etwa  Wohlau.  üels,  Bernstadt  und  Xamslau  als  Städte  des 
Siidraudes  mit  einigem  Rechte  zu  bezeichnen  sein. 

Andere  Randst&dte  finden  sich  am  Saume  der  frflher  besprochenen 
Vreiten  Flussthäler.  Sie  sind  von  den  BrUckenstädten  sehr  wohl  zu 
unterscheiden,  da  bei  ihnen  nicht  die  Möglichkeit  des  Ueberganges  über 
das  Thal,  sondern  nur  die  Lage  hart  am  Thalraiide  das  Htstimmende 
i>t.  Diese  Laire  erm<>;xli<"ht  es,  sich  nicht  nur  gegen  Feinde  hiniänglicli 
zu  sichern  i  besondt-iN  \s  t  ini  mim  auch  noch  die  vom  Flusse  abgewendete 
Kflckseite  der  Stadt  mit  W  all  und  Graben  uragiebt),  sondern  auch  in 
der  Flossniederung  Aecker,  Wiesen  und  Weiden  zu  übersehen  und  zu 
bewirthschaften.  ohne  dass  die  Stadt  sdbst  den  in  der  Flussebene  leicht 
mO^^lichen  Schädigungen  ausgesetzt  wird.  An  der  Weichsel  gehören 
Kulm  und  Marienwerder,  dann  aber  auch  das  hart  am  Rande  der 
Niederung  liegende  Marien  bürg  zu  diesen  Handstädten.  Die  Lage 
Ton  Marienburg  ist  in  der  That  eine  sehr  bedeutungsvolle.  Das  rechte 
Ufer  der  Nogat  ist  hier  noch  ziemlich  hoch  (20 — 80  ni)  und  gestattet 
eben  sehr  guten  UeberbUck  über  die  ganze  Niederung,  in  welcher  bis 
T^irsdiau,  Danzig  und  Elbing  kein  Höhenzug,  kaum  ein  vereinzelte 
Hügel  dem  Blick  entgegentritt.  Die  Gegend  von  Marienini rg  ist  aber 
auch  gerade  die  des  letzten  Herantretens  der  südöstlichen  Höhen  an 
den  Fluss,  weiter  abwärts  an  der  Nny-at  würde  man  vergebens  nach 
einem  ähnlichen  die  Niederung  beherrsi  hendeu  Bauplatze  suchen  (Elbing 
8.  u.).    Xui  nebenbei  sei  angedeutet,  das.s  die  Lage  Marieuburgs  auch 


^  Gnthe,  Die  Lande  Brannachweig  und  Hannover,  8.  4d4. 


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130 


Hahn, 


[44 


eine  leicht^'  \'t  il>iniluiig  mit  allen  Tlu-ik-ii  (k-s  au>üi  «leimten  Ordens- 
lunde^  ermöglulite,  zumal  sich  im  Kückeu  von  ^liinenburg  die  Irüiier 
erwähnten  trockenen  und  wegsamen  Landsfanche  des  Eulmerlandes  hin- 
ziehen. 

Aber  auch  Elhing  und  Daiizig  sind  echte  Randstädte  an  der  Grenz- 
scheide zwi.schen  Höhe  und  Niederung.  Es  läs.st  sich  kaum  ein  schärferer 
Gegensatz  denken  als  der  zwischen  den  Hügellandsdiaftm  der  bei  Tninz 
2<^1  m  Höhe  erreichenden,  von  zahlrei(  In  n  raschtlics>L'uden  Bächen  und 
l  iüsschen  durchfurchten  und  stark  bewaldeten  Elbinger  Höhe  und  dem 
fast  TöUig  ebenen  {a.  jedoch  am  Anfang  des  Abschnittes)  waldlosen 
aber  dicht  mit  Ortschaften  fibersäten  Niedertmgslande.  Die  Sstlicheii 
Vorstädte  von  Elbing  liegen  schon  auf  den  Vorvtuf.  n  der  Höhe,  die 
westlichen  jenseits  des  Elbingflusses  auf  Niederungsliudcn.  Die  Verkehrs- 
wege EUniigs  sind  schon  mehrfach  berührt  worden,  die  Eisenbahnen, 
welche  die  inneren  Tlicilt-  des  Weichselwerders  lange  ^^  streng  geniied«  n 
haben,  berührten  auch  Elbing  bisher  nur  mit  eiuer  allerdings  besonders 
wichtigen  Linie.  Begehen  wir  uns  jetzt  auf  das  linke  Ufer  der  Weichsel, 
so  bemerken  wir  im  Vorfibergeben  die  früher  nur  als  Randstadt,  seit 
Vollendung  der  ostpreussischen  H€'iuptlandstra>se  und  zumal  seit  Erbau- 
ung der  Ostbahn  auch  als  Brückenstadt  zu  bezeichnende  Stadt  Dirschau. 
Strasse  und  Eisenbahn  wurden  wohl  deshalb  mit  grossen  Kosten  und 
vieljähriger  Ar})eit  durdi  den  südlichsten  Theil  der  Niederung  ge- 
führt, weil  bei  einem  südlicheren  Weichselübergang  (unter  Ersparung 
der  Nogatbrücke)  nur  kleinere  Orte  von  der  Bahn  berührt  wSren,  Elbing 
aber  und  das  jetzt  durch  eine  kurze  Zweigbahn  angeschlossene  Danag 
allzuweit  seitab  gelassen  wären.  Durch  die  Nogatbrücke  ist  auch  Harien- 
bürg,  jedoch  in  geringerem  Grade,  zur  Brtickenstadt  geworden. 

Die  Lage  von  Danzig  entspricht  in  ludiem  (Jrade  derjenigen  von 
Elbing.  Unmittelbar  westlic  h  von  Danzig  erheben  sich  ansehnliche  Hügel, 
auf  denen  ein  Theil  der  wichtigen  I)anziger  Festungswerke  errichtet 
ist.  Die  Stadt  liegt  genau  au  der  nordöstlichen  Ecke  des  ganzen  Hügel- 
hmdes,  welches  den  Lauf  der  Weichsel  hegleitet  hatte  und  sich  von  Danzig 
ab  im  allgemeinen  der  Meeresküste  parallel  nach  Nordwesten  wendet. 
Oestlich  und  südristlich  \nn  Danzig  dehnen  sich  sofort  die  weiten  von 
Weichsel  und  Mottlau  dun  lizogenen  Ebenen  des  Werder^  ans.  Nördlich 
von  der  IStadt  beginnen  bald  die  hier  und  damit  Waldung  bedeckten  Sand- 
felder und  Dünen  der  Küste.  Da  die  eigentliche  Stadt  Danzig  nur  einen 
kleinen  Kaum  einnimmt,  ziehen  sich  hier  wie  bei  alleu  f  estungsstädten 
Vorstädte  weit  hinaus.  Sie  liegen  theils  südlich  ^on  der  Stadt  am  Bande 
des  HfigeUandes  (Petershagen,  Alt-Schottland  und  das  weit  entfenite 
aber  noch  zum  Stadtkreise  gehörende  St.  Albrecht)  theils  nordwestlich 
an  der  Fortsetzung  des  Höhenabfalls  (Ncu-Schottland,  Langfuhr),  theils 
ziehen  sie  sich  in  Thalrinnen  zwischen  den  Hügeln  bergan  (Neugarten. 
Schidlitz,  Theile  von  Langfuhr).  In  der  Niedeiiing  liegen  durchaus 
keine  eigeutlichen  Vororte  Danzigs,  ebensowenig  in  den  DUneugegendenr 


')  Erxi  in  neuester  Zeit  geht  man  an  die  Auslührung  einer  von  der  Dirschau- 
Marienburger  Strecke  abzweigenden  und  sieh  nach  Nord  gegen  Neateich  und  Tiegen* 
faof  wendenden  Stichbahn. 


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45] 


Die  Stidte  der  norddeutsch«!  Tiefebene. 


1S7 


(über  I)anzi«;s  Vorhafen  und  BezicluniLicn  zum  Meere  s.  u.),  dai^egen 
hat  die  Stadt  hier  einen  grossen  Theil  ilire.s  Grundliesitzes  (I)anziger 
Rieselfelder  östlich  von  WeichselmUnde,  Waldungen  auf  der  Danziger 
und  Friscfaen  Nehrung  weit  nach  Osten  reichend).  So  ist  die  Stadt  am 
Rande  ihrer  sichemden  Höhen  den  GMahren  der  Kiederun^  fast  gänz- 
lich entrückt,  vermag  aber  die  Ebenen  gut  zu  übersehen  und  Theile 
derselben  für  sich  auszunutzen.  Wiederum  der  Lage  von  Danzig  ähn- 
lich ist  die  von  Stettin.  r)io  eigentliche  Stadt  und  ihre  durch  die 
Aufhebung  der  Festung  intiglich  gewordenen  Erweiterungen  nach  Ost  und 
Nord  liegen  auf  der  Höhe,  die  sogenannte  Lastadie  und  Silbervviese  schon 
auf  tiefliegenden  Oderinseln;  auch  der  südliche  Vorort  Oberwieck  ist  zwi- 
schen den  Al)hang  des  Plateaus  und  den  Hauptarm  der  Oder  eingezwängt 
und  deshalb  ziemlich  eng  gel)aut.  Die  übrigen  Vororte  Stettins,  welche 
jetzt  nur  noch  theil  weise  als  solche  zu  erkennen  sind,  da  sie  in  die 
neuangelegtt^n  an  Gnis^t'  das  alte  Stettin  weit  übertretfeiiden  Theile  der 
Stadt  hineingezogen  wurden,  liegen  sämmtlich  auf  der  Höhe,  nordwest- 
lich und  besonders  nördlich  von  der  Stadt,  wo  sie  sich  mit  Fabriken 
und  Schiffbanplatzen  untermischt  fast  5  km  weit  auf  dem  Höhenrande 
enÜang  ziehen.  In  der  Niederung  der  Oder  liegt  kein  besonderer  Vor- 
ort, an  der  AufflnUndimg  der  Dunzig,  Ptniitz  und  Reglitz  in  dengrossen 
Damni'schen  See  stehen  kaum  einzelne  Hauser.  OeLfcn  Südost,  jenseits 
der  kleinen  Reglitz,  beginnt  das  grosse  Stettiner  Elsbrueh,  eine  tief- 
liegende Waldung.  Nur  die  Landstras.se  und  die  beiden  Eisenbahnen  nach 
Stargard  und  Kü.strin  durchziehen  nicht  ohne  Mühe  das  sumptige  Land, 
um  den  entfernten  Östlichen  Thalrand  zu  gewinnen. 

Wir  überschreiten  wiederum  die  Elbe.  Die  Randstädte  des  Harzes 
Abgehen  wir  für  diesmal  ebenso,  wie  wir  die  RandsiÄdte  des  Kiesenge])irges 
als  unserer  Aufgal)e  schon  femer  liegend  übergangen  haben.  Wohl 
aber  muss  daran  erinnert  werden,  dass  die  drei  Orossstädte  Magdeburg, 
Braunschweig  und  Hannover  in  gewissem  Sinne  gleichfalls  als 
Randstädte  aufzufassen  sind.  Das  fruchtbare,  hügelige,  hier  und  da 
noch  von  kleinen  Berg^zügen  mit  anstehendem  Gestein  unterbrochene 
Ackerbaugebiet  erreicht  ziemlich  genau  in  der  Nahe  der  drei  genannten 
Städte  seine  Nwdgrenze.  Diese  Grenze  verläuft  von  Hannover,  in  dessen 
Nähe  wir  noch  erhebliche,  auch  für  den  Geologen  wichtige  Höhen  er- 
blicken, ostwäi-ts  etwas  südlich  von  Lehrte,  dem  bekannten  Bahnknoten, 
über  Peine,  nahe  vor  den  nördlichen  Tlioren  von  Braunschweig  V{ud)ei, 
dann  auf  Oebisfelde,  Neuhaidensleben  und  erreicht  die  Eibe  etwas  süd- 
lich* Ton  der  OhremUndung  unterhalb  Magdeburgs.  Nördlich  von  der 
eben  gezogenen  Linie  herrschen  Wald,  Haide,  hier  und  da  auch  Sümpfe, 
der  Boden  ist  fast  durchweg  von  geringerer  Güte  als  in  den  südlicheren, 
niit  Ausnahme  jener  klriiuMi  Gebirgszüge  fast  waMlosni  Strichen.  Pie 
Dichtigkeit  der  Bevölk»  i  iiiig  sinkt  bei  Ueberschreitung  jener  (Trenzlinie 
sofort  auffallend.  Man  vergleiche  folgende,  nach  den  Ergebnissen  der 
Zählung  von  1880  aufgestellte  kleine  Tafel: 


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138  Hahn,  [46 

Südlich  von  jentr  (irenzf.  |  Nördlich  von  derselben. 

(Abgesehen  von  kleinca,  durch  die  nothwendi^e  Benutzung  politischer  Be> 

xirke  veranlassten  Aliweichungen.) 

Kreis  Hannover- Land  ....  90 

Hildesheim  142 

i>         1     •  i  205 

,     Mmunschweig    .    .    .   <  ^„ 

,    HL«hu-,tt'at    73 

,  Neuhaidensleben  .  .  .  82 
,    Wolmirstedt     ....  7:i 


Krei»  Fallingbostel   22 

.  Celle   37 

«  Gifhorn   29 

,  Salzwedel   42 

,  (tardelegen   38 

»  Stendal   61 


Mittel  88.     I  Mittel  38. 

Diese  Zalilt  n.  welche  dem  Text  zu  Ksivensteins  Bevri]kt'run<j:skarte  des 
Deutschen  iieiclies  (im  Atlas  zu  dem  bekamiten  NeumaiiH  '-i  hen  T.exiknii, 
Leipzig  188Ü)  eutuoiuiuen  sind,  bezeichnen  die  Seeleii/ulil  aul  dem 
Quadratldk)iiieter.  Die  Sordae  sind  bo  ao&el&lirt;,  dass  jedesmal  zwei 
räumlich  benachbarte  Kreise,  einer  des  sQaliehen  und  einer  des  nOrd* 
liehen  Gel)ietes,  einander  gegenübergestellt  sind.  Bei  Braunschweig  ist 
in  der  ersten  Angabe  die  Stadt  mit  eingerechnet,  bei  der  zweiten  je- 
doch nicht.  Für  den  Mittehveiih  ist  natürlich  nur  die  zweite  Zalil 
heran^e/.(»gen.  l)ie  Differenz  zwisclien  den  Zahlen  für  die  Kreise 
Wohuirstedt  und  Stendal  ist  nur  gering;  der  EinÜuss  der  wieder  besser 
bebauten,  wenn  auch  der  Magdeburger  Börde  nicht  gleichzustellenden 
Altmark  macht  sich  hier  geltend«  Dass  an  der  Grenze  so  yerschieden 
besiedelter  und  bebauter  Landstriche  Austau.sch  und  Verkehrsplätze  guten 
Boden  fanden,  versteht  sich  von  selbst.  Es  ist  auch  nicht  auffallend, 
dass  von  den  drei  hier  in  Betracht  kommenden  Städten  Ma«jde1nng 
mit  seiner  günstigen  Lage  an  einem  Elbiibergang  und  am  B<'gnni  .l«  s 
früher  ausführlich  besprochenen  2saturweges  nach  dem  Osten  die  grösste 
Bedeutung  erlangte.  Hannover,  durch  die  Leine  audi  noch  einiger- 
massen  gefördert,  ist  allerdings  durch  politische  Verfa^tnisse  mehnach 
seta  begflnstigt  worden,  hatte  al^er  daneben  den  grossen  natürlichen 
Vorzug  eines  breiten  offenen  Weges  nach  Süden  durch  das  Leinethal. 
Von  Güttingen  aus  war  der  T'ebergang  znr  Fulda  nicht  schwer,  und 
für  den  weiteren  Weg  nacli  ►'Süden  bot  sicli  jt  ne  von  der  Main-Weserl»alm 
benutzte  Senke  zwischen  Vogelsberg  und  dem  Ostmnde  des  sogenannten 
Rheinischen  Schiefergebirges,  welche  genau  auf  das  Nordende  der  grossoi 
oberrheinisGhen  Tiefebene  zuführt.  Braunschweig  hatte  nur  die  un- 
bedeutende, einst  aber  doch  zur  Schifffahrt  benutzte  Oker  zur  Verfügung, 
und  im  Süden  die  hemmende  Masse  des  Harzgebirges.  Es  ist  sonach 
nicht  zu  verwundern,  wenn  das  in  früherer  Zeit  durch  mancherlei  ver- 
kehrspolitische Massregeln  sehr  gehobene  Braunschweig  allmäldich  von 
Hannover  und  noch  viel  mehr  von  Magdeburg  überholt  wwde^).  In 
neuester  Zeit  hat  jedoch  Braunschweig  durch  die  Betriebsamkeit  seiner 
Einwohner  und  den  blühenden  Anbau  der  reichen  sOdlichen  und  sOd- 
östlichen  Umgegend,  welche  in  Braunschweig  ihren  Hittelpunkt  sieht,' 
den  Verlust  zum  Theü  wieder  ersetzt;  die  Verkehrswege  nach  Süden 


M  Ytrl.  Zcitschr.  für  wissenschafÜ.  Geographie,  Bd.  1,  1880,  S.  27  ff.,  mit 

dem  Diagramm  auf  8.  31. 


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Die  Städte  der  norddeutschen  Tiefebene. 


139 


(Qber  Hui-zburg  iimaus)  und  direct  uach  Xordeii  fehlen  der  Stadt  jedocli 
iiodi  immer. 

Wir  mfissen  uns  jeizt  aber  der  eigenartigsten  Gruppe  von  Rand- 

stridteii  zuwenden,  welche  sich  im  Westen  der  Elbe  entdecken  lässt; 
dies  sind  die  Stildte  an  der  Grenze  von  Geest  und  Marsch.  Die 
Marsch  ist  fast  in  jeder  Beziehuii«^  das  Gegeiitheil  der  Geest.  „Die 
Marsch/  sagt  Bernhard  v.  Cotta  in  einer  Itekannttn  klassisc  hen  Stelle, 
die  ich  hier  auiühreu  möchte  „ist  niedrig,  flach  und  eben,  die  Geest 
Iiocli,  uneben  und  minder  firuditlMur.  Die  Manch  ist  kahl  und  TGlüg 
InuudIos*),  die  Geest  stellenweise  bewaldet,  die  Marsch  zeigt  nirgends 
Saud  und  Haide,  sondern  ist  ein  ununterbrochener  fetter,  höch.st  frucht- 
Urer  Erdstrich*),  Acker  an  Acker,  Wiese  an  Wiese;  die  Geest  ist 
haidig.  sandig  und  nur  stellenweise  beliaut.  Die  Marsch  ist  von  Deichen 
und  schnurgeraden  Kanälen  durchzogen,  ohne  Quellen  und  FHisse*),  die 
Geest  hat  Quellen,  Bäche  und  Ströme."  Jeder  wer  diese  für  den  Geo- 
graphen überaus  anziehende  Grenzlinie  zwischen  Marsch  und  Geest  selbst 
besttdit  hat,  wird  diese  Worte  Cotta's  mit  den  in  den  Anmerkungen 
Toigetragenen  Einschränkungen  bestätigt  gefunden  haben.  Es  versteht 
sich  nun  von  selbst,  dass  mit  jenen  Gegensätzen  der  Landesnatur  auch 
solche  der  Bewirthschaftung,  Besiedlnng.  Bevölkenmgsdichte  und  Wohl- 
habenheit verbunden  sind.  Der  Gegensatz  zwischen  Marsch  und  Geest 
beherrscht  tliaisäcliiich  auch  die  Lebens-  und  Erwerbsverhältnisse  der 
Dordwestdeutschen  Bevölkerung  weit  mehr,  als  man  sich  im  Binnen- 
lande  wohl  vorstellt 

Was  die  Ansiedlungen  betrifft,  so  ist  der  Boden  der  eingedeichten 
Marschen,  welcher  nur  durch  regste  menschliche  Thätigkeit  und  unaus> 
gesetzte  Verbesserung  der  schtitzendeii  T)eiche  semen  hohen  Werth  er- 
langt und  bewahrt  hat,  ottenbar  keni  günstiger  Bauplatz  für  grössere 
Ortschaften  oder  gar  Städte.  Man  sucht,  wo  es  irgend  angeht,  einen 
wenigstens  etwas  über  das  allgemeine  Niveau  der  Mars(£  eihOhten 
Bsaplatz  für  Haus  und  Hof  zu  gewinnen,  um  einerseits  der  immer 
möghchen  Ueberschwemmungsgefalir 1  »esser  ssu  entgehen,  andererseits 
aber  nichts  von  dem  werthvoUen  zu  Wiesen  und  Feldern  zu  benutzen- 
den Boden  mit  Häusern  zu  verhauen.  Es  tinden  sich  nun  wenigstens 
in  einem  Theil  der  Marschen  einzelne  sandige  Erhöhungen,  die  aber 
nur  selten  so  viel  Baum  bieten,  dass  ein  grösserer  Ort  darauf  Platz 
findet;  nur  einige  Gehöfte  können  sich  hier  zusammendrängen.  An 


')  Deutschlands  Boden.  Leipzig  1858.  Bd.  1,  8.  151,  §  308. 

'  i  Die  Mancbbaueni  haben  indessen  jetst  zuweilen  kleine  W&ldchen  an 

ibr^Q  Höfen. 

*)  Wo  man,  wie  im  Hadeln^scfaea  Siethlande,  die  Marschen  zu  früh 
cingerleicht  bat.  treten  nVior  leicht  Versumpfungen  ein  nnd  dadurch  minder  firadit* 
baie  Strecken  zwischen  die  besseren. 

*)  Dies  iat  nicht  (nim  richtig',  es  giebt  in  den  Hanehen  allerdings  von  der 
Oeef«t  herabkommende  klrii  <>  Flüss«-.  nur  sind  sie  meist  SO  regolirt  und  unter  Auf- 
iicbt  gehalten,  das»  »ie  Kanülen  gleichen. 

'-)  Man  vergl.  die  grosse  Kute  bei  Müller,  Besdneibnn^  der  Stonnfluthen 
am  3.  nnd  4.  Februar  182').  Hannover  1825,  welche  das  an  jenen  Tagen  aber> 
schwemmte  Marschgebiet  zeigt. 


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140  Hahn,  1^48  ! 

I 

einzelnen  Stellen  sind  diese  kleinen  Hügel  auch  wohl  kUustlichen  Ur-  ! 
Sprungs^  dann  aber  meist  nur  für  ein  einziges  OehSft,  selten  ftlr  mehrere 
besfcinmit.    Dass  man  so  grosse  Hflgel  (Warfe  oder  Wurthen)  auf- 
geworfen habe,  um  ganze  Ortschaften  imd  Städte  in  Sicherheit  daraoi 

anzulegen,  ist  nicht  wahrscheinHch,  wenn  auch  J.  C.  Hekelius  in  euvr 
Beschreibung  der  Wassertluthen  «ler  Jahre  1717  uud  171>^')  meint, 
man  habe  „Hügel  aufgeworiten ,  auf  weldie  man  sich  .sauibt  .seinem 
Yieh  reteriret,  wenn  etwa  das  Wasser  angekommen,  wie  mau  denn  noch 
heut  zu  Tage  hin  und  wieder  solche  HOgel  sieht  und  die  Flecken  und 
Dörtfer  sind  auch  mehrentheils  auf  .solche  erbauet  worden.*  Hekelius 
hielt  wohl  wie  manche  Murschbewohner  alle  diese  Ueinen  Geestinsdn 
in  der  Marsch  für  künstlich  aufgeworfen. 

\\  o  jedoch  ilie  Marsch  nicht  allzubreit  ist,  da  werdi'u  die  grösseren  < 
Ortschaften  .sehr  gern  auf  dem  Kande  der  Geest  errichtet.  Sie  liegen 
dort  in  Sicherheit,  nehmen  nur  weniger  werth vollen  Boden  weg,  uud 
die  Ländereien  in  der  Marsch  lassen  sich  vom  Höhenrande  aus  ebenso- 
gut übersehen  und  beherrschen  als  bequem  bewirthschaften.  Da  eme 
geringe  Breite  der  Mai-sch  aber  fast  an  der  ganzen  deutschen  Nordsee- 
küste di«'  Hegel  ist,  .so  ist  die  Lage  der  Städte  auf  dem  Geei^trande 
eine  ganz  allgemeine,  weder  bei  Wan<lerungen  an  Ort  und  Stelle  noch 
hei  dem  Studium  guter  topographischer  Karten  zu  übersehende  Er- 
adieuiung,  die  sofort  von  den  Geographen  hervorgehoben  wunle.  ids 
man  begonnen  hatte,  nicht  mehr  ausschliesslich  auf  «Merkwürdigkeiten" 
und  Gewerbthätigkeit  der  Städte,  sondern  auch  auf  ihre  Beziehungen 
zur  Landesnatur  zu  achten*).  Wir  treten  nun  eine  kurze  Wanderang 
durch  diese  Randstädte  zwischen  Mars(  h  und  Geest  an  und  beginnen 
im  äussersten  Norden.  Noch  jenseits  der  deutschen  Grenze  erblicken 
wir  genau  an  dem  Geestsaume  die  Stadt  Hipen,  deren  Bedeutung  noch 
durch  ihre  Lage  auf  eiuer  Insel  der  Ripener  Au  uud  an  dem  letzten 
günstigen  üebergangspunkte  Uber  diesen  Fluss  erhöht  wird.  Ripen  ist 
immer  einer  der  wichtigst«i  Orte  dieses  Theiles  der  Küste  gewe^sen,  in 
ziemlich  weiter  Entfernung  findet  sich  kein  Ort  von  ähnlicher  '^^e 
und  Verkehrsbedeutung.  Höver  liegt  auf  einem  rings  von  Marsch- 
wiesen  nnigebenen  Geesthügel  unweit  des  Meeres.  Von  Höver,  wo  die 
eigentlichen  Deiche  erst  recht  beginnen,  weicht  der  Geestrand  bogen- 
förmig in  das  Lmere  des  Landes  zurück,  er  lässt  sich  über  Mögelton- 
dem  bis  in  die  nOrdliche  Umgebung  von  Tondem  verfolgen.  Tondefn 
selbst  bildet  eine  Ausnahme  unter  diesen  Randstädten,  da  es  nur  auf 
emer  äusserst  geringftigigen  Bodenerhebung  liegt.  Man  hat  diese  Lage 
wohl  gewählt,  um  von  der  Seeschifffahrt  Nutzen  ziehen  zu  können. 
Das  Meer  war  im  Mittelalter  viel  leichter  von  Tondern  aus  zu  er- 
reichen als  heute  Der  ungünstige  Bauplatz  hat  jedoch  der  Stadt 
wohl  grösseren  Schaden  gebracht  als  die  Seeschifffahrt  Nutzen,  zuiii- 


Wieder  abgedmckt  bei  de  Vries  und  Focken,  Ostfrieshmd,  Emden  188L 

43eite  46. 

*)  Tgl.  z.  B.  Mendelssohn,  Das  germantsehe  Europa,  Berlin  1836,8.250 f. 
Schrö'lor.   Topographie  des  Hersogthnms  Schleswig,  Oldenbnig^  in 
Uolsiein  1854,  Ö.  541  f. 


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Die  Sadte  der  norddeutschen  Tiefebene. 


141 


reiclie  Ueberscliwcmmungen  bei  SturmHuthen  werden  gemeldet  ,  deren 
eine  im  Jahre  Hiir)  die  Stadt  dem  Unterganfr^'  ^«'hr  nahe  l>racht«. 
Melleicht  häTi;x<  ii  auch  die  zahlreichen  Pestepidomirii,  von  denen  Ton- 
dem  im  IG.  und  17.  Jahrhundert  heimgesucht  wurde,  mit  der  niedrigen 
Lage  der  Stadt  zusammen. 

Der  Geestraad,  der  östlich  Ton  Tondern  nocli  weit  in  das  Innere 
des  Landes  hmeingreift.  wt  ndct  sich  südlich  vom  Flusse  Suderau  wieder 
der  Westküste  zu;  wir  bemerken  auf  ihm  die  grösseren  Orte  Süder- 
lügiini.  Braderup.  Leck,  und  namentlicli  Bredstedt.  Während 
iu  der  <istlichen  l  iiiLft  lniii«;  von  Bmlstedt  nocli  Höhen  von  42  —  44  m 
vorkommen,  dehnen  .sich  westlich  die  von  den  Deichen  umgebenen  Kooge 
mranterbrodien  bis  zum  Heeresufer  aus.  Auch  Husum  ist  eineRand- 
sUdt;  nördlich,  und  sfldUch  vom  Fluss  Husumer  Au  zieht  sich  je  ein 
Vorsprung  der  Geest  in  die  Marsch  hin  ji.  auf  dem  nördlichen  liegt 
die  Stadt  Husum,  auf  dem  südlichen  das  Dorf  Hödeniis.  Oestlich 
von  Husum  lie^ren  Höhen  von  12 — 22  m,  westlich  wieder  die  Marsch. 
Husum  ist  gleichzeitig  letzter  Brückenpunkt  an  der  Husumer  Au. 

An  der  Ostgrenze  der  Marschlandschaft  Eiderstedt  tritt  der 
Gfeestrand  ivieder  weiter  zurück,  mehrfach  grenzen  grosse  Moore  an 
die  Harsch  und  nur  einzelne  Geestinseln  erbten  sich  dazwischen.  So 
namentlich  an  dem  Moorfluss  Treene.  Unter  den  Städten  und  Flecken 
Eiderstedts  und  der  ostwärts  angrenzenden  kleinen  Landschaft  Sfapel- 
holm  bemerken  wir  zunächst  das  «ranz  moderne  F  r  i  e d  r  ic  h  s  t  a  d  t. 
eiue  Festungsstadt  an  der  Vereiniguncr  von  Treene  und  Eider,  also  ganz 
mit  Küstriu ,  Spandau  und  Wesel  zu  vergleichen  Sie  wurde  erst 
1621  gegründet  und  hat  als  Festung  im  Kriese  von  1850  eine  Rolle 
gespielt,  jetzt  sind  die  Befestigungen  wieder  beseitigt  worden.  Auch 
xönning  steht  nicht  zur  Geestgrenze  in  Beziehung,  es  hat  eine  niedrige 
Lage  und  ist  deshalb  wie  Tondern  öfters  von  Uebei-fluthungen  heim- 
L'^^-iiidit  worden.  Im  17.  und  18.  .Lihrhundert  hat  Tönning  als  Sperr- 
h  -tuiig  für  die  Eidermündung  mehrfache  Angriffe  und  Belagerungen 
durchzumachen  gehabt,  ist  aber  jetzt  schon  lange  entfestigt.  Im  west- 
Hchen  Theile  des  eigentlichen  Eiderstedt  macht  sich  ein  niedriger,  in 
^eeer  flachen  Landschaft  aber  doch  auffallender  Geestrllcken  bemerk- 
lich; er  tritt  zuerst  am  .Tunkernhof  westlich  vou  Kotzenbüll  auf 
und  zieht  sich  dann  nach  Westen  bis  Ording  iu  der  Xähe  der  Land- 
spitze Xackh(»rn  fort.  Auf  diesem  sehr  stark  besiedelten  Hcdienzuge 
zieht  sich  die  Land.strasse  hin.  auf  ihm  liegt  auch  die  nicht  unwichtige 
Stadt  Gar  ding.  Schnider  (a.  a,  0.  S.  \M\  bezeugt  ausdrücklich, 
dass  dieser  sandige  Höhenzug,  Gaardesand  genannt,  die  Veranlassung 
tm  Erbauung  einer  Ansiedlung,  zunächst  eines  Dorfes,  an  dieser  Stelle 
gewesen  ist. 

Wir  überschreiten  die  Eider  und  gelangen  in  die  Landschaft 
Dithmarschen,  wo  uns  zunächst  ein  ähnlicher  dichtbebauter  Geest- 


')  .Tedoeh  ist  Friedrielistadt  ursprün)»licli  nicht  zur  Ft,»«tung  bestimmt  ge- 
«■f*sen  und  erst  1850  J)etesti«?t  worden.  Die  inr  Verthoidifjunj?  höchst  günstige 
Lage  der  Stadt  lies.s  aber  ein  solche.«^  .Schicksal  vürau«i.seheu ,  sobald  sicli  Kriegs- 
«ragniaae  in  der  Nilbe  abhielten. 

F«ndianfm  sar  dMtaeihen  LatidM-  und  Yolktkniide.  t.  9.  10 


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142 


Hahn, 


[50 


streiten  wie  hei  Oardiii^  aullVillt.  Er  führt  V(»ii  1)  a  h  r  cii  m  n  rt  h  unweit 
der  Eider  gerade  nach  Süden  auf  Weddingstedt  und  Heide  zu ;  er  bddet 
die  Grenze  zwischen  der  Marsch  und  grossen  Moorgegenden,  erhebt  sich 
bis  zu  10m  und  tragt  eine  wichtige  Landstrasse  sowie  zalüreiche  Ort- 
schaften, «hnunter  den  Flecken  Lunden.  Heide  .selbst  liegt  auf  dem 
Geestrande  liart  an  der  Marsch,  »hr  Flecken  Hemniingstedt  auf 
einem  Ausläufer  der  Gfost,  th  r  nur  fhucli  eint  n  Lran/  schmalen  Hürk»  n 
mit  dem  grossen  Gee^(L••t'llit't  zusannnenhüntjrt.  Uann  ioiirt  ]M«  lilorf 
aui  und  au  den  letzten  Ausläufern  eines  anderen,  von  Ost  nach  West 
streifenden  Geestzuges.  Von  hier  an  kommt  eine  ziemlich  grosse  Zahl 
Ton  Ortsnamen  vor,  die  mit  -donn  zusammengesetzt  sind :  Elpersbfltteler- 
doiiii.  Michaelisdonn  u.  a.  Donn  hedeutet  nichts  anderes  als  einco 
schmalen  langgestreckten  Hcihenrücken.  Man  spricht  von  Donnketton, 
dem  Ponnraufle.  DonnansitMllungen  u.  .s.  w.  \).  Mr»glicherwei.se  hängt 
das  ^\(t^l  mit  Düne  zu>ummen.  Ausser  Beziehung  zum  Geestrande 
stehen  in  dieser  Gegend  W  essel  b  uren,  eine  auceblich  der  Fischerei 
halber  angelegte  grössere  Ansiedlun^  in  der  Mars(£  selbst,  und  Marne, 
ein  gleichfalls  ganz  in  der  Marsch  hegender  Ort,  der  wie  andere  durch 
üeberschwemmungen  und  Seuchen  srinr  ungeeignete  Lage  zu  bUssen  hatte. 

Sehr  markirt  ist  wieder  die  Lage  der  Stadt  Itzehoe.  Nord- 
östlich von  der  Stadt  dehnt  sich  ein  echtes  Ge»-.t]dateau  aus.  es  ent- 
hält Höhen  bis  zu  72  m,  die  bekannte  L(j(  kstedter  Haide  mit  ihrem 
Artillerieschiesyplatz  gehört  ihm  au.  Im  Westen,  Südwesten  und  Osten 
Ton  Itzehoe  herrscht  die  Marsch,  welche  hier,  zum  Theil  Ton  Sttmpfen  und 
Mooren  b^leitet,  wieder  weit  in  das  Land  eingreift  Gerade  sfldHch 
von  der  Stadt  aber,  auf  dem  Südufer  der  St<5r,  hebt  sich  noch  einmal 
eme  nicht  unbedeutende  Geestinsel  aus  der  Marsch;  es  sind  die  mit 
Haide  und  etwas  W  ald  bede{  kten .  den  Geologen  wegen  ihrer  Kreide- 
brüche wohll)ekannten  Höhen  von  Lägerdorf.  So  besitzt  Itzehoe  eine 
höchst  eigenthündiche  Lage,  zumal  die  Stör  zwischen  diesen  beiden 
HOgelmassen  noch  starke  KrOmmungen  hat  und  eine  auiÜBdlende  Insel 
bildet.  Auf  dieser  Insel  entstand  die  Burg,  an  welche  sich  die  Stadt 
anschloss,  die  aber  bald  auch  das  Norduf»  r  der  Stör  in  Besitz  nahm 
und  sich  an  den  Abhängen  des  oben  angeführten  Geestj)lateaus  hinan- 
zog -).  Itzehoe  ist  scmach  gleichzeitig  Hnndstadt  und  Hrückenstadt. 
Oestlich  von  Itzehoe  merken  wir  noch  die  liandstudt  Kelliughusen 
auf  einer  sehr  auffälligen,  weit  siclitbaren  Geestecke. 

Hamburg  und  seine  Umgebuns  dem  letzten  Abschnitt  vor- 
behaltend,  gehen  wir  auf  das  linke  Elbufer  Aber  und  tr^en  dort  Yon 
Harburg  abwärts  an  der  Elbe  entlang  eine  ganze  Reihe  von  Ortsdriften 
genau  an  der  Marsch-  und  Gee.stgrenze.  Ziniädi^^t  liegt  das  ebenialls 
im  nächsten  Abschnitt  noch  einnuil  zu  Iterührendc  Harburg  selbst 
genau  an  der  Grenze  der  hier  sehr  hügeligen  und  stark  bewiddeten 
Geest  gegen  die  Elbmarschen,  Buxtehude  liegt  an  der  Este  auf 
einer  Geestzunge,  die  sich  in  die  Marsch  hinein  erstreckt.  Die  Namen 


')  Schröder.  Topographie  der  Herzogthümer  Holstein  und  Lauenburg, 
Oldenburg  in  Holstein  1850,  Bd.  2.  8.  568  und  an  anderen  Stellen. 
')  Viele  Einzelheiten  bei  Schröder  a.  a.  0.  Bd.  2,  S.  9. 


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51J 


Die  Städte  der  norddeutBchen  Tiefebene. 


143 


dtr  Thore  dieses  Ortes:  Geest-,  Marsch-  und  Moorthor')  sind  ebenso 
bezeichnend  wie  die  politische  Eintheilung  dieser  Gegend  in  einen 
Stiuler  Marse  hk reis  und  Stader  G<'estkreis.  Horneburg  an  der  Lühe 
hat  eine  iilinlielie  Lage  wie  lUixteliude,  und  Stade  selbst  beherrscht 
(Itn  AusU  iLt  der  Schwinge  aus  den  hier  bis  20  m  lioheii  Geesthügeln. 
Auch  viele  tod  den  grösseren  Dörfern  an  der  unteren  Elbe  haben  sidi 
an  den  Geestrand  angelehnt,  wie  Altenwalde  bei  Cnzhaven  und  zahl- 
reiche andere.  Die  Dichtigkeit  der  Bevölkt  rung  ist  in  der  ]\T;iisch 
selbstverständlich  viel  grösser  als  in  der  Geesl  (Stader  Marschkreis 
7'  Kiuw.  auf  den  Quadratkilometer,  im  Geestkreise  nur  Ii'),  Städt'^ 
ftr'hlen  aber  gänzlich,  all«-  An^^iedlungon  ziehen  sich  incilmhing  ;in  den 
(meijjt  etwas  erhöhten)  l  lern  der  Elbe  und  der  zahircichtii  einmündenden 
Flflflse,  sowie  an  den  Kanälen,  endlich  auf  schmalen,  weniger  durch 
die  Höhendifferenz  als  durch  die  veränderte  Bodenbeschaffenheit  hervor- 
tretenden Rücken  durch  die  an  einzelnen  Stellen  unter  dem  Meeres- 
niveau liegenden  Marschen  hin.  Zwischen  jenen  diclitbewohnten  Häuser- 
r»  ihen  sind  die  mit  vielen  Obstbäumen  bestandentm  Flächen  fast  gänz- 
lich un>i<-dhings  frei.  an<  Ii  einzelne  (ielirifte  finden  sich  hier  sehr  selten. 

Aucii  in  Oldenburg  und  Ostlricsland  können  wir  unseren  liaud- 
stSdten  nochmals  begegnen.  Im  Gebiet  der  Jahde  zieht  sich  eine 
schmale  Sandzunge  nordwärts,  auf  deren  letzten  Höhen  die  Stadt 
Varel  liegt.  Auch  die  Land.strasse  von  Oldenburg  nach  dem  Jever- 
lande benutzt  diesen  bisweilen  durdi  kleine  Hügel  ausgezeichneten 
Kücken,  die  Eisenbahn  nach  Wilhelnishat'en  hält  sich  dagegen  etwas 
ostlicher.  Auch  Jever  seihst  liegt  auf  einem  in  die  Marsch  hinaus- 
sehenden und  diese  beherrschenden  Vorspruug  der  wenig  umtungreichen 
jeverlandischen  Gteest. 

Von  den  Städten  Qstfiieslands  li^  Au  rieh  auf  emem  sehr 
inarkirtMi  Geestrücken,  der  allerdings  mehr  von  Moor-  als  von  Marsdi- 
liuul  begrenzt  w ird ,  Witt  ni  und.  Esens  und  Norden  dagegen  auf 
VorsprOngen  der  Geest  in  die  Marsch.  Auch  im  Rheiderland,  wie 
die  kleine,  östlich  von  der  Ems  und  nördlicli  \ "m  Dollart  begrenzte 
Landschaft  genannt  wnd,  machen  die  Geeststreilen  ihren  Einfluss  noch 
geltend.  Von  Süden  her  zieht  sich  die  Spitze  des  Bourtangermoores 
in  die  Landschaft,  zu  beiden  Seiten  von  je  einem  sandigen  Streifen,  einor 
Tange  begrenzt,  welche  sich  über  die  Spitze  des  Moores  hinaus  noch 
in  »las  Marscldand  fortsetzen.  Auf  dem  östlichen  dieser  Sandstreifen, 
und  zwar  nahe  am  Ende,  liegt  die  Stadt  Weener,  auf  dem  west- 
lichen Bunde-).  So  können  wir  diese  Gruppe  von  Kandstädfcen  bis 
in  den  äussersten  Nordwesten  des  Keiches  verfolgen. 

Die  geologischen  Verhältnisse  des  Bodens  haben  in  der 
norddeutschen  Tiefebene  nur  äusserst  selten  einigen  Einiluss  auf  die 
Vertheüung  der  Städte  ausgeübt.  Beeinflusst  werden  kann  die  Be- 
siedehmg  einer  Landschaft  durch  das  Vorkommen  nutzbarer  Mineralien, 


')  Gut  he  a.  a.  0.  S.  107. 

Die  Karte  zu  de  Vries'  oben  genanntem  Buche  zeigt  diese  Verhuitnisse 
höcbt  deatUch. 


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144 


Hahn, 


[52 


reUurttii  (Bausteine)  und  iVlineralqueilen ;  ebt'ii?>()  durch  die  VVasser- 
armutfa  mukcher  Bodenarten  und  durch  den  verschiedenen  Grad  der 
Fruchtbarkeit^  welcher  den  Verwitterungsproducten  der  einzehien  Fek- 
artetl,  der  -Miu.  naniiti'n  Ackerkrume  zukoimnt. 

Der  letzte  Punkt  ist  durch  frühere  Betraclitungen  schon  im 
Wesentlichen  erledigt:  wir  salien.  i\h>>a  überall  die  Städte  nicht  iffrade 
in  den  besonders  fnichtban  ii  Strichen,  sondern  an  ihrem  Uaude  auf- 
geblüht sind.  Es  kann  noch  hinzugefügt  werden,  dass  gerade  in  sehr 
fruchtbaren  Gegenden  wie  in  der  Magdeburger  Bürde  zwischen  Magde- 
burg, Bemburg  und  Halberstadt  auch  die  Dörfer  nicht  zahh*eich,  dafbr 
aber  gross  und  stadtähnlich  sind.  Man  wollte  möglichst  wenig  des 
guten  Bodens  bebauen.  Die  grosse  Zahl  der  wüsten  Dorfstellen  in 
der  Börde  erklärt  sich  nicht  iiusschliesslich  durch  die  Verwüstunjren 
des  ^Ojährijxcii  Krie'^es,  sondern  ist  vielfach  darauf  zurückzuführen, 
dass  die  Bewuiiner  kleinerer  Dörfer  diese  verliessen  und  sich  in  deu 
grösseren  mit  ansiedelten,  um  ihre  Ackerflächen  zu  erweitern.  Das 
weite  Auseinanderliegen  der  Dörfer  verursacht  im  Verein  mit  der  Baum- 
losigkeit  und  der  Einturmigkeit  iler  unabsehbaren  Zuckerrübenfelder 
den  öden  Land.schaftscharakter  dieses  Landstriches  am  Nordrande  des 
Harzes  und  an  der  unteren  Beule,  welcher  schon  dem  Durchreisenden, 
noch  mehr  aber  dem  aufmerksam  beobachtenden  Fusswanderer  un- 
angenehm entgegentritt.  Die  grossen  Landstra-ssen  Ijerühren  so  selten 
ein  Dorf,  dass  die  gerade  hier  ungewöhnlich  grosse  Zahl  der  ganz 
einsam  an  der  Heers&»se  liegenden  Gasthöfe  und  alten  Poststationen 
dadurch  erklärlich  vsinl.  Wer  diese  Gegend  nicht  selbst  durchwandert 
hat,  UKige  sie  nach  den  Messti.schl)lätteru  dos  Generalstabes  studiren 

Wasserarme  Bodenschichten  hal)en.  ab(jesehen  von  den  sch<m 
besprochenen  Höhenrücken  (h's  Fläming  und  des  I.aiisitzer  Grenzwalle.s, 
wohl  nirgends  in  unserem  Gebiete  die  Entstehung  von  Städten  erschwei-t; 
▼iel  lästiger  war  stets  dßr  allzugrosse  Reichtiium  an  Wasserläufen,  wie 
froher  gezeigt  wurde.  Jenseits  der  Grenze  der  Tiefebene  macht  sieh 
die  Wasserarmuth  gewisser  Schichten  der  Trias  schon  im  Thüringer 
Hügelland  sehr  benierklich,  noch  mehr  die  des  süddeutschen  Jurazoges 
und  des  Sintfeldes  sü<llich  von  Paderborn. 

Was  die  Bausteine  anl)etritl't ,  so  möchte  i<  Ii  weiiiirstens  fOr 
unser  Gebiet  iliren  Emlluss  auf  btädtelage  und  Städteentwickiung  nicht 
allzu  hoch  veranachlflgen.  Die  Wohnhäuser  unserer  Städte  waren  im 
Mittelalter  und  vielfach  noch  später  aus  sehr  einfochem  und  leichtem 
l&terial  hergestellt;  Berghaus'  Brandenburgisches  Landbuch  berichtet 
an  vielen  Stellen  von  der  späten  und  seltenen  Erbauunir  b(»ssercr. 
namentlich  niu^siver  Häuser  in  selbst  nicht  ganz  kleinen  Städten.  Für 
die  ört'entlichen  Gebäude  aber,  die  Schhisser,  KUister  und  Kirchen.  h;it 
mau  schon  sehr  früh  gutes  Baumaterial  aus  weiter  Ferne  herbeigesciiaüi. 
So  ist  die  sehr  alte  Kirche  des  kleinen  Ortes  Blexen  an  der  Weser- 
mündung aus  schottischen  Basaltblöcken  und  Sandsteinquadem  aus  dem 
Teutoburger  Walde  errichtet,  die  Kirche  zu  Wremen  im  Lande  Wursten 


')  Nr.  2237,  2288,  2309,  2310.  2311  n.  a. 


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53] 


Die  Städte  der  norddeutschen  Tiefebene. 


145 


gleichfalls  aus  schottischen  TiiiTsteiBen  erbaut.  Wurden  die  Bausteine 
tHr  die  Kinhon  so  kleiner  Orte  aus  weiter  Ferne  bezogen,  so  werden 
grö.sjjere  (iemeinweseu  durcli  ihre  Kntfcrnung  von  einem  Bruche  pas- 
senden (iesteines  sicher  nicht  Vf)n  der  Erriclitunj;  <jr<>sserer  Bauten 
abgeschreckt  worden  sein.  Ausserdem  hallen  die  e  r  r  a  t  i  s  c  h  e  n  B 1  ö  c  k  e, 
wdche  namentlich  in  Mecklenburg  und  Pommern,  aber  auch  im  Nord- 
westen stark  ausgebeutet  wurden,  manche  Lttcke  decken.  An  der 
Ostsee  mussten  und  müssen  noch  heute  sogar  die  auf  dem  Meeres- 
kunde liegenden  Blöcke,  welche  durch  das  grosse  skandina^nsch-nord- 
deutsche  Inlandeis  oder  in  t  iir/ehun  Fallen  dunh  moderne  Eisfelder 
der  Ostsee  dahin  gebracht  wurden,  Material  zu  allerlei  Bauten  liefern. 
Es  versteht  sich  von  selbst,  dass  Menge,  Güte  und  petrographische 
BeschafFenbeit  der  verwendeten  Bausteine  die  Physiognomie  der  Kirchen 
einer  Gegend  oder  selbst  die  Bauweise  ganzer  Städte  sehr  beeinflussen 
können.  So  ist  der  Backsteinban  der  Ostseeländer  und  der  Mark  und 
•lie  Verwendung  von  Feldsteinen  in  emigen  Marschländern  auf  die  geringe 
V»'rl»reitung  besseren  Materials  zurückzuführen.  W  ar  aber  eine  An- 
>iedlung  sonst  günstig  gelegen  oder  ein  i'latz  von  hervorragender 
strategischer  Bedeutung,  so  hat  die  schwierigere  Beschallung  des  Bau- 
materades  eine  weitere  Entwickhing  gewiss  nur  wenig  aufgehalten.  Man 
befaalf  sich  mit  weniger  guten  Steinen,  mit  Backsteinen,  Lehm  oder 
Holz  so  lange  und  so  weit  es  ging;  war  die  Verwendung  guter  Bau- 
steine aus  wichtigen  riründeii  nicht  mehr  ZU  umgehen,  so  wusste  man 
sie  sich  auch  zu  vers(  liaiien. 

Es  wurden  Aveiter  n  u  t z  b  a  r  e  M  i  n  e  r  a  1  i  e  n  und  Mineralquellen 
erwähnt.  Letztere  sind  in  der  norddeutschen  Tiefebene  nicht  ganz  80 
selten,  wie  man  bei  der  geologischen  Beschaffenheit  derselben  erwarten 
sollte,  die  Landbflcher  und  Ortsbeschreibungen  wissen  auch  in  der  Mark, 
in  Pommern  und  Mecklenburg,  selbst  in  Holstein  und  Preussen  eine 
Menee  derselben  aufzuzählen.  Ich  erinnere  nn  Bmmstedt  in  Hol- 
stein, wo  sieli  vier  Mineralquellen  finden,  von  tlemii  zwei  eisenhaltig, 
eine  schweteilialtig  und  die  vierte  eine  Salziiuelie  ist  *).  Mehrmals 
zogen  diese  Quellen  eine  grosse  Anzahl  fremder  Benutzer  au,  zuletzt 
noch  1840.  Der  Flecken  Bramstedt  gewann  manchen  VoHhdl  durch 
den  Besuch  der  Quellen,  indessen  verlor  sich  der  Ruhm  ihrer  Heil- 
wirkungen immer  sehr  bald  wieder. 

Aus  der  Mark  nenne  ich  Gleissen  in  der  Landschaft  Sternberg 
mit  seinen  Eisenquellen;  die  auch  ausstiliall)  der  Mark  bekannten 
Quellen  von  Freienwalde,  die  von  \S  alilmberg  und  Erman  unter- 
^  Buchte  Eisenquelle  des  Luisenbades  bei  Berlin  und  die  Quellen  in 
der  Uckermark,  namentlich  bei  Prenzlau  und  Gerswalde*).  Viele 
der  schwächeren  Quellen  sind  Oberhaupt  niemals  zu  medicinischen 
Zwecken  benutzt  worden,  andere  haben  eine  kurze  Blfithezeit  im  17. 
oder  18.  Jahrhundert  durchgemacht  und  sind  dann  nach  Vt  rbr<--cni!!g 
und  Abkürzung  der  Wege  zu  den  wirksameren  und  schöner  gelegenen 


')  Schröder.  Tomographie  des  Herzogthuius  Holstein  f tc ,  Dd.  1,  S.  253. 
')  Hödisfc  aosfOhrhcb  beechrieben  bei  Berghans,  Landbuch,  Bd.  1,  S.  137  ff. 


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146 


HAhn. 


[54 


(hit'Uen  anderer  Tlieile  Mitt.'lpurMpas  vf)llstiiiidi«(  in  VerLressenbeit  ge- 
ratlieii.  Sie  hatteu  die  KuLwickluag  benachbarter  Städte  eine  Zeit  lang 
mitgefördert,  bestimmendeii  Emflnss  auf  GrOndung  oder  AnfblOhen  einer 
Stadt  hat  keine  einzige  erlangt. 

Auch  die  meisten  der  zahlreichen  Salzquellen  haben  die  Blüthe- 
zeit  ihrer  medicinischen  und  technischen  Verwerthung  wolil  hinter  sich; 
von  den  einst  zuhlrtMcheren  mecklenburj^ischen  Salinen  ist  nach  Geinitz  ') 
nur  noch  die  in  Siil/r  an  der  pomnierscheu  Grenze  im  Betrieb.  Ebenso 
haben  rommern,  Brandenburg,  die  Elbländer,  auch  der  Nordwesten 
zaUreiche  entweder  ganz  erloschene  oder  nur  noch  zu  Badezwecken 
benutzte  Salzwerke  aumnreiaen;  seibat  noch  im  Stromgebiet  des  Pregels, 
bei  Wehlau  findet  sich  die  alte  preussische  Saline  Ponnau*).  Die 
ffegen  frülier  so  sehr  erleichterten  Verbimhinp^en  mit  fenien.  grösseren 
Salinen.  <^anz  Ijesondcrs  aber  die  Entdeckung  und  Ausbeutung  der  grossen 
Sleinsalzlager  hat  der  Benutzung  so  vieler  ärmerer  Soolquellen  ein  Ende 
gemacht. 

Dagegen  ist  das  Steinsalz  allerdings  Ton  wesentlichem  Einflnss 
auf  die  Entwicklung  imd  NeugrUndung  einzelner  SiSdte  gewesen.  Vor 
allem  ist  hier  an  das  Steinsalzlager  von  Stassfurt  und  Leopoldshall  za 

erinnern.  Stassfurt  war  bis  in  unser  Jahrhundert  eine  kleine  BrUcken- 
stadt  an  der  Bode,  die  in  den  Kriegsereignissen  des  13.  Jahrhunderts 
eine  Rolle  spielte,  im  Verkeiii-^lid>en  jedoch  nicht  hervortrat.  Die  im 
Jahre  1857  begonnene  Ausbeulung  des  Steinsalzes  und  die  Verarbei- 
tung der  Kalisalze  hat  zur  Entstehung  einer  Menge  von  industrieUen 
Etablissements  Anlass  gegeben  und  £e  Einwohnerzahl,  die  181«)  nur 
1G44  betrag,  auf  12194  un  Jahre  1880  steigen  las.sen.  Da  das  Stein- 
8alzlager  auch  auf  unmittelbar  angrenzendem  anhaltischen  Geliiet  erlxdirt 
wurde,  entwickelte  sich  dort  der  (lJ^8<t)  3184  Einwohner  zälilende  Ort 
Leopolds  hall,  dessen  Industrie  sich  der  von  Stassfurt  ganz  ausclüie>st. 
Eben  jetzt  steht  die  Erhebung  von  Leopoldshali  zur  Stadt  bevor.  Stass- 
furt und  Leopoldshall  bilden  bis  jetzt  die  einzigen  Bei8|nele  eines  so 
weit  gehenden  Einflusses  von  Mineralschätzen  auf  städtische  Ansied- 
lungen  innerhalb  der  norddeutschen  Tiefebene*).  In  unserem  Gebiet 
wenigstens  hat  da.s  Steinsalz  der  sonst  obenan  stehenden  Kolile  und 
dem  Eisen  den  Rang  in  dieser  Bezieimng  abgelaufen.  Die  Braunkohle 
ist  wohl  filr  einzelne  (»egenden  des  Tieflandes,  die  sich  jedoch  vom 
Südrande  desselben  fast  sämmthch  nicht  weit  entfernen,  wichtig  ge- 
worden, wirkte  jedoch  nicht  städtebildend.  Die  Steinkohle  reicht  nur 
im  südlichsten  Theü  des  Regierungsbezirkes  Münster  in  das  eigentliche 
Tiefland  hinein  und  hat  dort  im  Kreise  RecklinghaiHen  die  Beviilki  mng  * 
stark  anwachsen  lassen.  Die  erst  1845  entstandene  Kohlen-,  ludustrie- 


Heft  1  dieser  Sammlung,  S.  13. 
*)  Die  Provinx  Pt^uBsen,  Geschichte  ihrer  CuHur  and  Beschreibung  ihrer 

land-  und  furfitwirthschaftlichen  Verhältnisse,  Königs])erg  8.  109. 

')  V.  Dechen.  Die  nutzbaren  Mineralien  und  Gebirgsarten  im  Deutschen 
Reiche,  Berlin  1873,  S.  m. 

*)  Um  .Schönebeck  zeigt  sich  eine  ähnliche  Fabrikthatigkeit .  dodi  war 
das  Anwachsen  dieser  Salzstadt  nicht  ao  rasch  wie  das  von  Stassturt 


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Die  Stftdte  der  norddeutschen  Tiefebene. 


147 


und  Eisenbalmstadt  Oberhausen  im  Rei^Ierungsbezirk  Düsseldorf  liegt 
*:chon  so  nahe  am  Kunde  des  Berglaiides,  da.ss  man  sie  nur  in  Verbin- 
duntf  mit  diesem  betrachten  kann.  Wrdlte  man  Oberhausfii  trotzdem 
<len  Städten  des  Tietlandes  anscliliessen,  so  würde  es  Stasslurt  an  rascher 
Eutwickluug  miudesteus  gleichkommen.  Oberhauseu  hob  sicli  in  der  Zeit 
von  d5  Jahren  auf  16680  Einwolmer,  Stassfurt  Yon  1855  (kurz  vor 
Beginn  des  Abbaues)  bis  1880  von  2760  auf  die  oben  erw&hnte  Zahl 
Ton  12  194. 

Alle  anderen  mineralischen  Pnnhicte  haben  :iuf  die  Städteentwick- 
lunir  der  Tiefebene  keinen  nennenswerthen  Kintiuss  geübt.  Auch  das 
Uaseneisenerz  macht  keine  Ausnahme,  (ieinitz  hat  die  kurze  Lebens- 
dauer der  zahlreichen  mecklenburgischen  bis  in  das  13.  Jahrhundert 
zurückreichenden  Eisenwerke  übersichtlich  zusammengestellt^).  Ob  die 
bereits  in  den  Topographien  und  geographischen  Wörterbüchern  an- 
geführte Petroleum-Ortschaft  Oelheim  am  Südrande  der  Lüneburger 
Haide  wirklich  dauernden  Bestand  haben  oder  gar  ZU  einer  Stadt  an- 
wachsen wird,  bleibt  wohl  noch  abzuwarten. 


Dritter  Äbschniti. 

Der  letzte  Abschnitt  dieser  Untersuchungen  wird  sich  noch  mit 

den  Beziehungen  der  Küstenp^estaltung  zu  der  Vertheilung  der  nord- 
deut,«<chen  Städto  zu  beschäftigen  haben.  Von  den  zehn  Kiistentypen, 
wekhe  ich  vor  kurzem  aufzustellen  versucht  habe-  i.  kommen  in  unserem 
Gebiete  nur  fünf  vor.  Der  normannische  Küstentypus  findet  sich 
nur  in  den  Kreideklippen  Rügens  und  einigen  Partien  der  Steilufer 
des  Samlandes  vertreten ,  zu  den  Städten  tritt  er  nicht  in  Beziehung. 
Wichtiger  sind  die  noch  übriffen  vier  Typen.  Der  cimbrische  be- 
herrscht die  ganze  Ostkflste  Sdoleswig-Holsteins,  der  ostpreussische 
■wird  durch  die  Nehrungen  und  Raffe  Preussens,  der  friesische  durch 
die  deutschen  Nordseeküsten,  der  gas  conische  durch  grössere  Strecken 
der  hinteq)ommerschpn  und  mecklenburgischen  Küste  vertreten. 

Die  deutschen  Küsten  können  daneben  auch  in  natürliche  und 
künstliche  oder  besser  in  geregelte  und  unberührt  gelassene  eingetheflt 
werden.  An  den  geregelten  oder  künstlichen  Küsten,  welche  stets  Flach- 
küsten sind,  hat  der  Mensch  durcli  Deich-  und  Dammbauten  das  flache 
Marschland  beschützt  und  dadurch  die  Physiognomie  der  ganzen  Küsten- 
linie wesentlich  v(^rändei"t.  A?i  \\9W  natürlichen  Küsten  waren  keine  Deich- 
bauten erforderlicli,  hier  hat  die  Küste,  abgesehen  von  einzelnen  Eingrirt'en 
an  Flussmündungen  und  Häfen,  ihre  natürliche  Physiognomie  bewalirL 
Fast  die  ganze  deutsch«;  NordseekUste  ist  als  künstliche  Küste  zu  be- 
zeichnen, die  sehr  beschränkten  Ausnahmen  werden  unten  anzufOhren 
sein.  An  der  Ostsee  wiederum  herrscht  der  andere  Typus  durchaus  vor. 


»}  A.  a.  0.  S.  22. 

^  Zeitschrift  fBr  wiasemchaflL  Geogiaphiep  Bd.  5^  S.  245  ff. 


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148  Hahn.  [5$ 

Die  Küsten  DeiitscLeii  Ueiehes  sind  im  iillireineiiRii  filr  die 
Besiedt'hmg  uiciit  günstig  zu  ueuiieu.  ^»iigeuds  fijideu  sich  so  städt^i- 
reiche  Ettstenstrecken  wie  etwa  in  Ligurien.  IJm  so  mehr  ist  anzu* 
erkennen,  dass  die  sich  dennoch  darbietenden  günstigeren  Positionen  so 
geschickt  liiid  zum  Theil  irlänzend  verwertliet  wurden. 

Uebersclmuen  wir  die  deutsche  OstseekOste  mit  Hinzuziehung 
der  Küste  Kurlands  und  Livlands  iiacli  ilnei-  alltremeinen  Anordnung, 
so  bemerken  wir  sofort  eine  Reihe  von  grossen  Buchten,  welche  in 
das  Land  eingreifen.  Der  liigaische  Meerbusen  zwischen  Cap  Spint 
und  Lfiserort  erOfl&iet  die  Reihen  bei  LUserort,  noch  deutlicher  bei  Stensort» 
beginnt  eine  zweite  grosse  aber  flache  Bucht,  die  gewöhnlich  nach  der  Stadt 
Dun  zig  benannt  wird.  Sie  reicht  bis  Rixhöft;  die  widerstandsfaliigeren 
Schichten  des  Samhindes.  welche  den  Vorsprung  Brüsterort  bilden,  be- 
wirken whi'v  eine  Theilung  dieser  Buclit  in  einen  grösseren  nördlichen 
und  k!i  ineren  südlichen  Tlieil  (Menieler  und  eigentliche  l)anziger 
Buchtj.  Von  Riidiöft  bi.s  Arcona  rechnen  wii*  die  flache  Pommer'sehe 
Bucht,  Yon  Arcona  bis  zur  Nordspitze  Fehmarns  die  Mecklenburger 
oder  Lübecker  Bucht.  Es  fäUt  nun  sofort  auf,  dass  die  Zahl  der 
grösseren  StUdte  an  jeder  dieser  Buchten  eine  sehr  geringe  ist,  dass 
mehrfach  eine  diestr  Städte  die  übrigen  weitaus  überflügelt  hat  und 
dass  die  Ltiise  dieser  wichtigen  Ansicd hingen  unverkennbar  an  die  Ein- 
mündung der  grösseren  Flüsse  gekniijill  ist.  Es  lässt  sich  sogar  eine  Be- 
•  Ziehung  zwischen  der  Grösse  der  Städte  und  dem  Umfange  des  betreö'eu- 
den  Flus^bietes  nachweiBen.  In  der  KShe  der  Flussmfindungen  dringt 
sich  der  verkehr  zwischen  dem  Meere  und  dem  Hinterlande  zusammen; 
je  tiefer  der  Meeresgolf  in  das  Land  eingreift,  desto  weiter  landeinwärts 
wird  auch  der  Uebergangsplatz  zwischen  Land-  und  Seeverkehr  nach 
einem  längst  erkannten  OJesetze  das  freilic  h  keineswegs  für  alle  Küsten- 
typen, doch  aber  lür  die  in  Deutscldand  ^ orkommenden  gilt,  angelegt 
werden.  Mündet  mehr  als  ein  grösserei-  l'luss  in  einen  Golf,  so  werden 
meist  auch  mehrere  Städte  bestäen,  welche  jedoch  durch  mannichfeche 
Besonderheiten  des  Bodens  und  der  hydrographischen  Verhältnisse  aus 
der  unmittelbaren  Nähe  der  Flussmündung  oder  gar  des  Flusses 
überhaupt  verdrängt  und  doch  auf  den  Fluss  und  seine  Mündung 
angewiesen  sein  kramen.  Auch  wird  man  nicht  Lrcnide  die  unmittel- 
barste Nähe  des  Mcerrs  ;nifsuchen,  es  ist  \iu>  virl»ii  (iründen  der 
Punkt  am  Unteriauie  des  Flusses  vortheühaiter,  an  weichem  die  See- 
schiffe Halt  machen  und  ihre  Last  den  Flussschiffen  Übergeben  mUssen. 
Vielfach  ist  auch  eben  dieser  Punkt  der  letzte,  an  welchem  der  Fluss 
bequem  Überschritten  werden  kann.  Die  Strecken,  welche  von  den  ^lün- 
dungen  grösserer  Flüsse  zu  sehr  entfenit  sind,  werden  nur  wenige  und  tast 
durcnweg  kleine  Städte  aufzuweisen  haben.  Selbst  verständ]i<  Ii  sind  alle 
diese  Regeln  nicht  etwa  von  Anfang  an  von  den  An>^iedlern  und  Städte- 
gründem  erkannt  und  befolgt  worden.  Aber  die  allgemeine  Anordnung 
und  die  Beschaffenheit  der  Küste,  die  Vertheilung  und  Grösse  der 


')  Vgl.  Kohl.  Vcik'lii  \iinl  An^iedluogen,  S.  364  ff.;  andi  Schneider, 
Bie  Siedelungen  an  Meerbusen,  Halle  1883. 


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57] 


Die  Stftdte  der  norddeatsoheii  Tiefebene. 


14» 


einniünderiden  Ströme  lialien  iliren  Eiiifluss  trotz  aller  noch  so  hoch  an- 
ziuchiagenden  Einwirkiiiij^rn  der  Viilker-  und  Ortsi^csc  liic  lite  so  nach- 
drücklich und  unaVilässi;^^  geltend  ^^'emacht,  dass  ungeachtet  aller  Zer- 
gtüruugeu  und  Unterdrückungen  an  den  günstigsten  Plätzen  immer 
wieder  städtisches  Leben  aiublühte.  Solide  Ansiedlimgen  dagegen, 
welche  gleichsam  an  gBographisch  unstatthaften  Punkte  errichtet  ware  n, 
haben  am  Ii  durch  die  grössten  Opfer  nicht  über  eine  mässige  Höhe 
hinrtusgeht)l)en  werden  künnen.  Eine  kurze  Durchmusterung  der  Ostsee- 
;g^dte  wird  uns  zahlreiche  Beis]»i»'l<-  tiir  die  eben  aufge.stillten  Sätze 
Torfiihren.  In  den  1\  i  ira  i  sc  hen  (xolt  münden  an  grösst  reu  Flüssen 
nur  die  weit  aus  dem  Innern  Kusslands  kommende  Düna  mit  iliren  un- 
mittdbaren  Nachbarn,  der  Aa  Ton  Wohnar  und  der  Aa  von  Mitau; 
feiner  die  Pernau.  An  der  Hflndung  der  Düna  und  der  beiden  Aa 
greift  der  Golf  am  ti(  f>ten  in  den  liier  so  nias>igen  Continent  hinein, 
hier  am  weitaus  niiuhtigsten  der  geKannten  Flüsse  erwuchs  die  Sfadf 
KiL'u,  die  wichtigste  zwischen  Petersburg  und  Königsberg.  Sie  liegt 
jede«  Ii  nicht  umiiittelhar  an  der  Mündung  des  Fhisses,  sondern  15  km 
flus»autN\  ärts.  Da  aber  die  Seeschiüe  der  älteren  Zeit  alle  bis  Riga 
hinauffahren  konnten,  war  ein  eigentlicher  Vorhafen  hier  nicht  in  dem 
Haasse  wie  bei  anderen  Ostseestildten  erforderlich.  Dttnamünde  diente 
nur  ab  Sperrfort  und  Zollstätte.  Erst  die  Ansprüche  der  neuesten  Zeit 
haben  hier  oder  genauer  bei  Bolderaa  Hafenanlagen  für  die  grössten 
See^chitfe  entstehen  lassen.  Bf)lderaa  bezeichnet  zugleich  die  Mündung 
der  Aa  von  Mitau.  Die  Aa  von  \\ Olmar,  obwohl  auch  eine  Strecke 
weit  schifi'bar,  ist  der  Düna  zu  naiie,  als  dass  an  ihr  eine  gjjössere  von 
Riga  unabhängige  Stadt  gedeihen  könnte.  Auch  Pernau  würde  ein 
wenig  bedeutender  Ort  sein,  wenn  sein  kleiner  Fluss  allein  dastände; 
da  er  aber  durch  den  See  AVirz  und  den  Embach  mit  dem  ganzen  Peipn-- 
gebiet  in  Verbindung  tritt,  ist  Pernau  der  Seehafen  \\\r  einen  ziemlich 
grossen  Theil  des  nördliclien  Livlands.  Mit  der  Erl»auinig  einer  Ei.sen- 
balm  zwischen  Riga  und  Dorpat  werden  sieli  die  Verhältnisse  alter  etwas 
zu  L'iigunsteu  Pernaus  verschieben.  Die  übrigen  Uferorte  des  Kiguischen 
Meerbusens  sind  ganz  unbedeutend. 

Wir  passiren  den  Landvorsprung  Stensort  und  treten  in  den  zu- 
nächst sehr  schwach  ausgeprägten  Memeler  Golf  ein.  Hier  ist  der 
Xiemen  der  Hauptfluss.  der  jed(ii(  li  nieht  direc  t  in  die  offene  See, 
sondern  in  das  Kurische  Haff  ausniü!i<]rt.  Das  weitiUutiirf'  Delta  des 
Xienieu  und  die  ganze  Ost-  und  Südküste  des  Hatts  sind  zu  Ansied- 
lungen  wenig  geeignet  und  ermangeln  in  der  That  aller  städtischen 
WohnplStze.  Die  Bedeutung  des  bis  weit  in  die  russischen  Gouveme» 
meuts  Minsk  und  Grodno  hineinreichenden  Kiemen  liess  aber  trotzdem 
Mündungsstädte  entstehen.  Die  eine  derselben,  Tilsit,  liegt  an  der 
Wurzel  des  Deltas,  eine  nicht  seltene  Erscheinung,  sobald  das  Delta 
selbst  keinen  geeigneten  H;iuplatz  darbietet.  Tilsit  kann  allenfalls  uoeh 
als  Seestadt  bescheideii>teii  Hanges  l)etrachtet  werden,  da  es  dureh 
Dampfer,  welche  das  Kurische  Hati',  den  Pregel,  einige  Arme  des 
Kiemendeltas  und  verbindende  Kanäle  beßihren,  mit  Memel  und  Königs- 
berg in  Verbindung  steht.  Jedoch  liegt  der  grössere  Theil  seiner  Be- 
deutung in  dem  Verkehr  mit  dem  Innern  des  Landes. 


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150 


Halm, 


[68 


Der  eigeiitlidie  Seeliafon  dos  Kuri.scheii  Halles  und  der  Xieineii- 
luumluijgeii  ist  Memtd.  Bei  Meiiitd  eutstijht  durch  die  Anndlieruug  der 
Nordspitze  der  Kurischen  Nehrung  an  das  FesÜand  eine  flnssutige 
Meeresstrasse,  so  dass  Hemel  den  wenigen  Meerengenstädten  des  Reiches 
zugerechnet  werden  kann Es  kreuzen  sich  bei  Memel  drei  Verkehrs- 
bahnen.  Die  erste  kommt  von  Tilsit  )ier  (sei  es  auf  dem  Hati"  oder 
auf  dem  Landwon^c  über  Hoidekrug)  und  geht  an  d«'r  Mt^-resküste  ent- 
lang nach  Norden,  kurz  vor  l*olangen  die  russische  Grenze  üljerschreitond. 
Die  zweite  hat  vüu  Königsberg  aus  den  Weg  über  die  Nelirung  ein- 
geschlagen, kreuzt  bei  Memel  den  Ausfluss  des  Haffes  und  vereinigt 
eich  nun  mit  der  ersten.  Besonders  der  Brie^DOstverkehr  schlug  tot 
der  Zeit  der  Eisenbahnen  gern  den  Weg  über  die  Xelirung,  Stemel 
und  Pohingen  ein.  Drittens  endhch  l)ietet  der  bei  Memel  einmündende 
Flnss  Dange  eine  kurze  durch  die  Nähe  der  Zollgrenze  noch  besi^nders 
erschwerte  B.ihn  in  die  nächsten  Binnenlandschaften  dar.  »So  vereiiiiirte 
sich  hier  mehrcres.  um  eine  Stadt  von  müssiger  Grösse  aufblühen  zu 
lassen.  Vorübergehend  wurde  der  Verkehr  Memels  und  anderer  ost- 
preussischer  Seestädte  sehr  gesteigert,  als  während  des  Erimkrieges 
die  benacli1»arten  russischen  Häfen  nicht  l)enutzt  werden  konnten.  Dieser 
gelegentliclie  Vortheil  wird  jedoeh  durt  Ii  •lic  grosse  Nähe  der  (Irenze 
und  den  Mangel  einer  directen  Eisenbahnverl>indung  über  dieselbe  mehr 
als  aufgewogen.  Auf  der  einförmigen  Küstenstrecke  nördlich  von  Memel 
sehen  wir  noch  den  russischen  Hafenplatz  Li  bau.  Für  Libau  lassen 
sich  weit  weniger  geographische  Momente  geltend  machen  als  fUr  MemeL 
Es  Hegt  weder  an  einer  bemerkenswerthen  Einbiegung  der  Kfiste,  noch 
mündet  hier  ein  wi<  lifiuer  Fluss.  Nur  eine  Art  Lagune,  der  sogenannte 
„Kleine  See"  dient  als  Hafen,  zwis(dien  ihm  und  dem  Meere  liegt  die 
Stadt.  Es  ist  bekannt,  dass  sich  die  russische  Regierung  seit  einigen 
Jahrzehnten  grosse  Mühe  triebt,  Libau  trotz  der  wenig  günstigen  geo- 
graphischen Verhältnisse  emporzuheben;  eine  wichtige  Bahnlinie,  welche 
▼on  Libau  fiast  schnurgerade  bis  Charkow,  Itostow  und  Wladikawkas  das 
sndlidie  Russland  durchschneidet,  bietet  einen  grossen  Vortheil,  auf  den 
Memel  verzichten  muss.  Noch  nördlicher  als  I.iban  liegt  der  kleine 
Hafen  Windau,  der  zw^ar  noch  keine  weitreichende  Bahnlinie,  al)er  doch 
eine  bescheidene  Kanalverl)indung  des  gleichnamigen  Flüsschens  mit 
dem  Gebiet  tles  Xiemen  für  sich  anfühi'en  kann. 

Wii"  gehen  zum  südlichen  Theil  unseres  Golfes  über.  Wieder 
zeigt  hier  die  KUstenbildung  ein  Haff  und  eine  Nehrung,  beide  sind 
aber  wesentlich  milder  und  zugänglicher  als  die  DOnenwUste  der  Kuri- 
schen Nehrung  und  die  stets  flache  sumpfige  Küste  des  Kmischen 
Haft'es.  Zwei  wichtige  Ströme,  Weichsel  und  Pregel.  münden  hier. 
Beide  sind  durch  Städte  von  ansehnli<  her  Grösse  ausgezeichnet.  Der 
Pregel  hat  zwar  kein  so  grosses  Gebiet  wie  der  Niemen,  beherrscht 
aber  doch  einen  wichtigen,  fruchtbaren  und  recht  gut  bebauten  Theil 
des  mittleren  Ostpreussens.  Die  Pregelstadt  Königsberg  ist  sowohl 
BrOdcen-  als  MOndungsstadt   Sie  diente  nrsprOnglich  als  Ghrenzfeste 


Ausser  Memel  namentlich  noch  Stnüsuid  und  Sonderbmg. 


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59] 


Die  Stftdte      norddeutschen  Tiefebene. 


151 


und  Bri'K  ktMikojtf  gegen  ilas  Samlund.  Mehrere  kleine  Hügel  erleicli- 
tertoii  Aubau  und  Vertlieidigung,  eine  klt  iiif  liist  l  im  l'rrgcl  den  Ueber- 
gang').  p]in  anderer  i'uiikt  hätte  nicht  Irirlit  gcwidilt  werden  können, 
denii  immittelbar  oberhalb  von  der  Stadt  beginnt  lür  eine  weite  Strecke 
die  Bildung  langgestreckter  Inseln  mit  nassem  Wiesenboden,  unterhalb 
aber  folgt  sogleich  das  ausgedehnte  die  Mündung  umgebende  Wiesenland. 
Hier  kreuzte  sich  der  Weg  ans  dem  trockenen  gangl)aren  Ermeland  (Ab- 
.H'liuitt  1)  nacli  dem  Sandand  mit  der  Wasserstrasse  des  Pregel.  Königs- 
berg l>ililrt  tiTn«-r  eine  (ireii/e  der  IMeor-  und  F]iis>;s(  ]nii'tahrt.  Es  können 
noch  See.schiti'e  bis  Kr»üii(sl»rr;^  hinaul'i;i'laiiut  ii.  icdocli  nur  bis  /u  -l  ni 
Tiefgaug;  tiefergellende  müssen  einen  Theil  ilirer  Ladung  in  i'iliau 
lüDchea,  oder,  wenn  sie  Eönigsbeig  seewärts  verlassen,  sich  bis  Pillau 
«if  Begleit  kühnen  nachbringen  lassen*).  Pillau  ist  also  Königsbergs 
Vofliafen  und  Vorfestung;  es  liegt  auf  dem  nördlichen  Theil  der  Frischen 
X*^lining  unmittelbar  nördlich  von  dem  Verbindungstief  mit  der  otienen 
See  in  einer  sandigen  Gegeml.  Da  es  Bahnverl»indung  besitzt,  werden 
manche  tiir  das  Biixueuland  bestimmte  VVaaren  schon  hier  au  die  Eisen- 
bahn abgegeben. 

Das'  Frische  Haff  hat  eine  Anzahl  kleiner  Hafenplätze  au&uweisen, 
>  1  Ix  zum  Theil  unmittelbar  am  Ufer  liegen.  So  finden  wir  Tolkemit 
und  Frauenburg  am  Rande  der 'Elbinger  Höhe  gegen  das  Haff,  beide 
hiW-n  nur  kleine  Häfen  und  sehr  geringen  Schiflsverkehr.  Im  Norden 
litif.n  nocli  Brandenburg  an  der  Mündung  des  Frisching.  da  wn  die 
alle  Berhn- Königsberger  Poststrasse  das  Haß' berührt,  und  Fisch  hausen 
Btt  der  SüdkUste  des  Samlaudes.  Brauusberg  an  der  Passarge  hat 
nur  wenige  Beziehungen  zum  7  km  entfernten  Meere,  es  verkehrt  mehr 
mit  dem  Binnenlande,  wohin  auch  seine  Eisenbahnen  weisen.  Auch 
Elbing  steht  mit  der  See  nur  in  schwacher  Verbindung,  das  soge- 
iiiiniite  Elbinger  Fahrwasser  führt  zum  Haft",  eine  complieirte  und 
beschwerliche  Kanalverbindung  zur  Weichsel  und  nach  Danzig^).  Auch 
dag  Elbiuger  Fahrwasser  ist  au  einigen  Stellen  sehr  eng,  der  ganze 
Verkehr  wird  als  „nicht  gerade  bedeutend**  bezeichnet*).  Dass  Elljing 
aber  daf&r  an  wichtigen  binnenländischen  Verkehrsstrassen  Theil  nimmt, 
ist  schon  früher  erwähnt  worden.  Da  Nogat  und  Elbinger  Weichsel 
nicht  mehr  als  Zugänge  zur  See  betrachtet  werden  kr>nnen,  ist  jetzt 
Danzig  die  einzige  Mündungsstadt  der  Wei(  h-rl.  Seine  Lage  am  Rande 
«ler^öhen  von  Pommerellen  ist  s(  hon  cluirakterisirt  worden.  Näher  mit 
<ier  Stadt  an  das  Meer  heranzugehen  wäre  weder  der  Terrainverhältnisse 
noch  der  Sicherheit  halber  rathsam  gewesen.  Gleichwolil  liegt  die  Stadt 
dem  Heere  noch  so  nahe,  dass  ihre  Thflrme  als  Seezeichen  benutzt 
werden  kdnnen.  Als  Vorhäfen  dienen  Weichsel  münde  und  Neufahr- 
wasser;  ersteres  ist  befestigt  und  deckt  die  £iniiihrt.  Fast  alle  grösseren 


*)  Da  Königsberg"  einen  pjrossen  Raum  einnimmt  und  noch  viel  Gärten  und 
Uib^Miate  Plätze  in  seinen  Mauern  einschliesst,  fehlen  hier  die  sonst  lür  Festungs- 
ttidte  so  bezeichnenden  uuägedehnten  Vororte  last  gän/lich. 

*)  Segelhandburh  Ii n-  die  Ostsee.  Hd.  2.  Herlin  18^1.  123. 

•)  Passarge,  Aus  dem  Weichaeldeltu.  Berlin  1857,  b.  231  ff. 
8«gdhaiidbQ€li,  Bd.  %  8.  134. 


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I 


152  Hahn.  [60 

Schiffe  TnOs55en  in  X.  nt'nlirw  asscr  fwekhes  oft  sclileclithin  als  Danzij^er 
liheile  bezeichnet  winl)  Ihih  muehen.  We.sthch  von  Danzig  bot  das 
rasch  zu  bewaldeten,  .schwachbewohnten  Höhen  ansteigende  Land,  der 
Mangel  wichtiger  Verkehrswege  nach  dem  Innern  und  das  Ton  Sand* 
b&nken  nicht  freie  Fahrwasser  der  Putziger  Wiek  wenig  Veranlassung 
zur  Anlage  von  Hafenpliitzen.  Putzig  dient  nur  d^  beMihiinktesten 
örtlichen  Verkehr.  Autfallend  ist  <lie  Aiisiedlung  an  der  Spitze  der 
Halbinsel  Heia,  da  die  sandige  und  zum  Theil  mit  AVald  bedeckte 
Halbinsel  wohl  nie  einen  guten  Verbindungsweg  nacli  dem  Festlande 
daibot.  Walirscheinlich  ist  die  öfters  wiederholte  Angabe,  das  heute 
sehr  unbedeutende  Heia  sei  einst  eine  grosse  Handelsstadt  gewesen, 
eine  ebenso  giimdlose  Sage  wie  die  Tradition  Ton  Vineta  und  Shnliche 
Terkehrsgeographische  ^lythen 

Die  Pomni »'v'--(  lie  Bucht  reicht  von  Hixhöft  bis  Arcona  auf 
Hü  gen.  Auch  in  ihr  linden  wir  gegenwärtig  die  gWisste  Stadt  in  der 
innersten  Kinltuchtung  des  Golfes  und  gleichzeitig  an  der  Mündung  des 
grössten  Flusses.  Wir  haben  Stettin  als  Raudstadt  schon  kennen  ge- 
lernt. Was  seine  Beziehungen  zur  KOste  und  zur  ganzen  Pommer'schen 
Bucht  betriflFl,  so  sind  dieselben  erst  in  neuerer  Zeit  recht  wichtig  ge- 
worden. 181G  zählte  Stettin  erst  24  000  Kinwohner.  *  Man  sieht  leicht» 
dass  Stettin  wtdil  für  den  grösseren  'l'heil  Fonimems  einen  passenden 
iViitralpunkt  bildet,  die  Entfernung  von  der  See  ist  aber  so  bedeutend 
und  die  Sclnvierigkeiten  der  zum  Theil  engen  und  gewundenen  \Va.sser- 
strassen  so  gruss,  dass  die  ganze  Energie  der  Regierung  und  der 
Stadt  selbst  daför  eintreten  musste,  um  Stettin  durch  Verbesserung 
seiner  Zufahrtsstrassen  und  Hafeneinrichtungen  auf  die  heute  erreichte 
sehr  rühmliche  Stufe  zu  heben.  Fahren  wir  von  Stettin  nach  der  See  zu, 
80  gelangen  wir  durch  die  sogenannte  Enge  Oder  an  den  nördlichen 
sehr  industriellen  Vororten  Stettins  vorül)er  in  die  KTmigsfahrt.  wieder 
Durchstich  von  der  Engen  Oder  zum  sogeiunuitt  n  K  n  ni  ee  1  ström  ge- 
nannt wird  (auf  ültereu  Specialkarteu  noch  nicht  angegel»en).  Der  gro.sse 
Damm'sche  See  bleibt  dabei  rechts  liegen,  er  wird  vom  Seeverkehr  fast 
gar  nicht  berOhrt.  Der  Kameeistrom  bringt  uns  bald  in  den  sogenannt«  n 
Dammsnsch,  ein  breites  Gewässer,  in  welchem  auf  kurze  Zeit  alle 
Oderarme  wieder  vereinigt  sind.  Es  folgt  eine  neue  Dn  itheihmg  des 
Stromes,  wir  schlagen  den  (istlichsten  Arm.  die  Weite  Strewe  ein  und 
erreichen  das  i*ai)euwasser,  eine  südliche  Ausbuchtung  des  grogsen 
Stettiuer  Haifes.  Drei  Wege  führen  aus  dem  Haff  in  dius  offene  Meer, 
von  denen  aber  der  Ostliche  so  gut  wie  gar  nicht,  der  westliche  auch 
wenig  in  Betracht  kommt.  So  bleibt  uns  der  mittlere  Weg  durch  diÄ 
Swine  Übrig,  und  auf  ihm  erreichen  wir  endlich  bei  SwinemOnde  das 
Ende  dieser  Wasserstrasse,  der  complicirtesten,  Avelche  irgend  eine  der 
gr<")sseren  deutsehen  Seestädte  mit  «lem  offenen  Meere  verbindet.  ^^  ir 
bemerkten  auf  unserem  ^Vege  mehrere  für  Ansiedlungen  anscheinend 
geeignete  Punkte  au  den  Stromtrennungen  und  Wiedervereinigungen- 


')  Vgl  Segelhandbach  Bd.  2.  S.  loi ;  femer  Aber  Heia  Schumanii,  Geolog. 
Wanderungen  durch  Altpreuneo,  Königsberg  1869»  S.  80  ff. 


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Die  Stftdte  der  norddeutsdieii  Tiefebene. 


153 


Näheres  Studium  der  örtlicheu  Verhältnisse  überzeuijt  uns  indes^r-n  '^tot'^. 
dass  i\n^<  niedrige  sumpfige  Wiesenland  kaum  vu\  gün>tig('r  liauplatz 
geuiinnt  werden  durt'.  Auch  ist  die  Bevölkerung^  der  mit  ausgedehnteu 
Waldungen  bedeckten  Ufergebiete  des  Hafifs  und  des  Papeuwossers 
eine  noch  wenig  zahlreiche.  Nur  einige  Zwischenhafen  und  kleine 
Ladep^tze  haben  sich  zwischen  Stettin  und  Swinemünde  entwickelt,  wie 
Pdlitz  an  der  Lar])e.  einem  kleinen  Seitenarm  der  Engen  Oder, 
Stepenitz  an  d«  r  Oststite  des  Papenwassers  und  einige  noch  kleinere 
PlStze.  Sie  verlialten  sieli  zu  Stettin  t-twa  wie  Brakt'  odrr  HlsHetli  zu 
Bremen,  erreielu-n  aber  bei  weitem  uiciit  die  Wichtigkeit  jener  Weserorte. 
£s  möge  hier  gleich  der  Städte  an-  der  SOdwestkUt^te  des  Hafts  und  den 
dortigen  Flfissen  gedacht  werden.  Das  kleine  Neuwurp  an  der  Grenze 
2wi.schen  grossem  und  kleinem  Haff  au  einer  Bucht  gelegen,  ist  nur 
ein  Ladeplatz  für  das  Holz  der  hier  besonders  ausgedehnten  Forsten, 
üeckermünde  und  Anclam  entsprechen  an  Bedeutung  genau  der 
Orüs-«»-  ilirer  Flüsse.  Beide  liegen  nicht  unmittelbar  am  Ufer.  Uecker- 
müude  an  der  Uecker,  wenig  über  2  km  vom  Haft"  entfernt,  betreibt 
iwar  etwas  Seeschifffahrt,  erhebt  sich  aber  nur  wenig  über  jene  Oder- 
stidte  zwischen  Stettin  und  dem  Hafif.  Anclam,  mehr  als  7  km  Tom 
Ufer  an  der  Peene  hat  zwar  noch  weniger  Seeverkelu*  als  Ueckermünde, 
iüt  aber  in  seinen  Beziehungen  zum  Binnenlande  viel  widitiger  als  jenes. 
Ks  ist  eine  Brückenstadt  für  den  Landweg  von  Stettin  nach  \  orpommem 
und  der  letzte  bequeme  Uebergangspunkt  über  die  Peene,  bevor  dieselbe 
<iüs  HaÖ'  erreicht. 

Wir  kehren  in  das  Haff  zurQck.  Je  weiter  eine  auf  Seeverkehr 
angewiesene  Stadt  vom  offenen  Meere  entfernt  und  je  schwieriger  der 
iusserweg  dorthin  ist,  desto  grössere  selbständige  Bedeutung  wird  der 
Vorhafen  für  sich  in  Anspruch  nehmen  können.  So  ist  auch  Swine- 
münde,  der  eigentliche  Vorhafen  Stettins  an  der  Swine,  lebhaft  empor- 
geblüht, allerdings  nicht  lediglich  durch  die  (iunst  seiner  Lage,  sondern 
vornehmlich  durch  die  unablässige  Thätigkeit  der  preussischen  Kegie- 
rung  Wäre  die  Peene  schon  am  Aulaug  des  18.  Jahrhunderts  ganz 
in  preussischem  Besitz  gewesen,  so  hätten  sich  die  Anstrengungen  viel- 
leicht dorÜiin  gewandt ;  so  aber  galt  i  >.  jenen  noch  halb  schwedischen 
Wasserweg  durch  die  ganz  preussische  S^vine  möglichst  zu  ersetzen. 
Swinemünde  besitzt  jetzt  auch  eine  allerdings  etwas  weitläufige  Bahn- 
verbindung mit  dem  Binnenlande  und  wird  vielleicht  noch  eine  zweite 
(über  die  Insel  W'ollin)  erhalten.  Mit  der  wachsenden  Bedeutung  der 
Swine  mussten  die  Peene  und  vollends  die  sehr  ungünstige  Dievenow 
an  Verkehr  einbOssen;  die  Dievenowstädte  Kamm  in  und  Wo  11  in 
haben  den  Kampf  fast  gänzlich  aufgegeben'),  die  Peenestadt  Wolgast 
dagegen  setzt  ihn  noch  rüstig  fort  und  hat  sich  ein  kleines,  aber  von 
Stettin  unabhängiges  Verkehrsgebiet  erhalten.  Pt  enemünde  ist  nicht 
al^  Vorhafen  Wolgasts  zu  betrachten,  sondern  dient  nur  als  Zoll-  und 
L"<'t>»:ii5tation  (Segeihandbuch  Bd.  2,  S.  10). 


Mau  vergi.  hierzu  Paul  Lehmann,  Poauuems  Küäte  vou  der  Dieveuow 
bis  mm  DsiM,  Breslau  1878i  bes.  8.  22  «.  23. 
*)  Segelhaadbnch  Bd.  2,  S.  67  u.  68. 


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154 


[62 


\\\'ii(lt  n  wir  uns  von  diest  iii  ceiitriilt  n  Tlicile  der  Stettiner  Bucht 
noch  emjual  an  die  Ivüsic  Hintcr[)oimiieni8  zurück.  bemerken  wir 
hier  einen  auffallenden  Mangel  grösserer  Städte,  aber  ein  ziemlich  häu- 
figes Vorkommen  von  Seehäfen  dritten  und  vierten  Ranges.  Grössere 
Seestädte  sind  hier  auch  nie  ht  zu  erwarte  n,  da  die  Küste  auf  der  langen 
Strecke  von  der  Dievenow  bis  KLxluilt  keinen  V)esonders  guten  Halen 
darbietet  und  überhau})t  keinen  sofort  auttallenden  und  ftir  den  Ver- 
kehr witlititren  Al>schnitt  zeigt.  Dazu  kommt,  dass  nwh  das  Hinter- 
land im  Cianzeu  genommen  nur  eine  müssige  Fruchtbarkeit  besitzt. 
Der  Charakter  des  Landes  und  der  Landwirthschaft  ist  weithin  der 
nämliche,  die  Berölkeningsdichte  ist  auch  in  der  Nähe  der  Kttste  nicht 
l>edeutend  und  sinkt  im  Innern  in  den  an  Wäldern  und  Haiden  reichen 
Kreisen  Kummclsburg,  Sclilochau  und  Könitz  noch  mehr. 

Die  Hafenstädte  sind  last  sänimtlich  an  die  kleinen  Flüsse  ge- 
knüpft, welche  auf  dieser  Strecke  münden.  Der  Küstensaum  selbst  ist 
für  Städte  meist  wenig  geeignet.  „Aus  Seen,  Sümpfen  und  Tori'brücheu 
setzt  sich  das  Landsc&ftshild  der  hinterpommer'schen  Küste  zusammen", 
sagt  Paul  Lehmann  in  einer  neueren  Arheit  flher  diese  so  hemerkens- 
werthe  und  doch  so  wenig  besuchte  und  selten  heschriehene  Kflste 
Dazu  kommen  dann  noch  die  Dünen. 

Die  Städte  Herren  deshalb  eine  kleine  Strecke  stromaufwärts.  Es 
münden  hier  die  Uega,  Persante,  Grabow,  Wipj)er,  Stolpe, 
Lupow,  Leba  und  Piusnitz.  Grabow  und  Wipper  haben  eine  ge- 
meinschiÄliche  Mllndung.  Kur  Piasnitz  und  Lupow  haben  keine  S£iidt 
aufiEUweisen;  an  der  Lupowmfindung  liegt  jedoch  das  Fischerdorf  Howe. 
Eigentliche  Seelüifm  sind  jetzt  noch  Kolberg  mit  dem  ganz  nahen  Vor- 
hafen Kolbergermünde  an  der  Persante,  Rügenwalde  mit  l?ilgenwalder- 
münde  an  der  Wipper,  Stolpmünde  an  der  Stolpe  und  allenfalls  noch 
Leba  am  gli'ichnamigen  Flusse  zwischen  Lebasee  und  Sarbskersee. 
Dotii  ist  Leba's  maritime  Bedeutunj^  ganz  gering,  ein  neuer  Halen 
aber  beabsichtigt^}.  Stolpmfinde  ist  nicht  etwa  der  Vorhafen  von 
Stolp,  einer  reinen  Binnenstadt,  su  welcher  keine  Seeschiffe  hinauf- 
gelangen  können,  sondern  ein  selbständiger  kleiner  Seeplatz,  dessen 
Hafen  aber  auch  zu  wünschen  übrig  lässt .  da  ihn  die  Stolpe  und  die 
Küstenstrr)mnnir  zu  versanden  streben  (SegeDiandb.  Bd.  2,  S.  l';0. 
Am  wic•htlf;^tt  n  unter  allen  diesen  Plätzen  ist  Kolberg,  weil  >ein 
Hafen  der  relativ  beste  an  der  ganzen  Küsteustrecke  ist.  Stadt  und 
Hafen  waren  deshalb  stark  befestigt,  der  letztere  ist  es  noch  jetzt 
TTebrigens  hat  auch  gewerbliche  Thätigkeit  sowie  Eolbergs  Eigenschaft 
als  Sool-  und  Seebad  grossen  Antheil  an  dem  in  neuester  Zeit  rascheren 
Aufblühen  der  Stadt;  der  Schifi'sverkehr  im  Hafen  umfasst  jedoch  vor- 
wiegend nur  Küstenfahrer.  Erhaschen  ist  K  ega  mün  de,  der  Vftrhaten 
von  Treptow.  Lelmiann  macht  diirauf  aufmerksam,  dass  dieser  st  h  -n 
im  14.  Jahrhundert  ver.sandendc  Haien  niemals  bedeutend  gewesen  sem 
kann  *).   Woher  sollte  auch  im  Kittelalter  ein  so  starker  Verkehr  an 


•)  Zeitsclirift  der  Berl.  Gesellschalt  für  Erdkunde  Bd.  19,  1884,  S.  385. 
Lfhmunn  a.  a.  0.  S.  ;i85.    Vgl.  Sogelhandhuch  Bd.  2,  S.  97. 
Zeitschrift  der  BerL  Gesellschaft  ftlr  lilrdkande  Bd.  19,  1884,  S.  3i4  f. 


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63J 


Die  SlAdie  der  norddeutschen  Tiefebene. 


155 


der  Kflste  Pommems  kommen ,  wie  ihn  die  Vertheidiger  der  dort  be- 
sonder^ zahlreich  auftauchenden  verkehr.^gcogrnjilii.schen  Stildtesagen 
annehnitii  musstenr'  Das  Land  war  weit  wcnintr  antje^niut  als  heute, 
die  Verkehrswege  ganz  unentwickelt,  die  öHentliche  Sicherlieit  oit  ge- 
lährdet,  die  Bevölkerung  des  ganzen  Küstengebietes  gewiss  wenig 
atUreich. 

In  Vorpommern  erscheinen  zwei  Stellen  vor  anderen  zu  Städte- 

anl.igtn  geeignet,  der  innerste  Winkel  des  Greifswalder  Boddens,  das 
Diinische  Wieck  genannt,  und  die  Ufer  des  Sundes  zwischen  Rügen 
und  <hm  Festlande.  Nur  ein  kleiner  Fhiss  mündet  in  das  Diinisdie 
Wieck,  es  ist  die  Ryck  oder  der  Kyckgraben,  weldier  durch  den 
Schwedengrabeu  mit  dem  Gebiet  der  Peene  in  Verbindung  steht. 
Hier  liegt  Greifswald  etwa  3  Ion  vom  offmien  Meere  und  dem  kleinen 
Vorhafen  Greifswalder  Wieck  entfernt.  Der  Greifswalder  Bodden 
ist  ein  ziemlidi  beschwerliches  Fahrwasser  und  die  maritime  Bedeutung 
(m-ifswalds  nicht  allzu  gross.  Im  Jahre  ISTl*  zählte  man  in  Oroifs- 
wrdd  und  Wieck  zusammen  nur  S2  aiisgt^hiuh-iie  und  114  eingelaufene 
Seescliiffe  ^).  Die  fruchtbare  Umgebung,  die  Lage  dir  Sta<lt  an  der 
Torpommerschen  Ivüstenstrasse,  sowie  die  früher  wichtigen  Salzwerke 
und  schliesslich  auch  die  Universität  haben  zusammen  mehr  zu  dem 
iuiineihin  bemerkbaren  Aufblühen  der  Stadt  he^etragen,  als  die  Nahe 
des  Meeres.  Nur  lilr  die  Verbindung  mit  dem  östlichen  Theile  Rügens 
ist  der  Greifswalder  Hafen  jetzt  von  einiger  Wichtigkeit. 

Stralsund  ist  die  zweite  der  deutschen  Meerengenstiidte, 
wichtig  durch  die  Verbindung  mit  dem  fruchtbaren  Rügen  und  der 
schwedischen  Südküste,  sehr  gesichert  durch  seine  wasserreiche  Um- 
gebung. Die  Insel  Dänholm  erleichtert  den  Uebergang  nach  Rflgen. 
Stralsund  hat  einen  erheblich  grösseren  Schi&rerkdur  als  Greifswald, 
seine  Einwohnerzahl  ist  aber  nur  wenig  rascher  gewachsen.  Die  Insel 
Rügen  und  ihre  Hesicfb  lung  winl  schon  von  Kohl  fr(>rtert -).  Sie 
^'ehört  in  die  Zahl  derjenigen  Inseln,  l»ei  denen  Inneres  und  Küsten 
von  ungefähr  gleicher  Zugänglichkeit  und  Anbaulahigkeit  sind.  Ist 
nun  eine  solche  Insel  nicht  gar  zu  gross,  dann  genügt  ein  Hauptort 
nahe  der  Mitte  tmd  wenige  andere  an  den  Küsten.  So  ist  es  in  der 
Tbat  auf  Rügen.  Die  CentraLstadt  Bergen  wird  von  dem  Kranze  der 
der  Küste  näheren  Flecken  und  Städtchen  Garz,  Putbus,  Sagard 
lind  Gingst  umgeben.  Alb-  sind  der  mässigen  Gnissc  der  InseP) 
entsprechend  nur  sehr  bescheidene  Ansiedlungen.  Keiner  der  Randorte 
liegt  jedoch  unmittelbar  an  der  Küste.  Sagard  kann  gleichzeitig  als 
Centraiort  des  fast  selbständigen  Inseltheiles  Jasmund  betrachtet  werden. 

Mecklenburgs  Küsten  zeigen  drei  bemerkenawerthere  Küsten- 
einsehnitte.   Der  erste  ist  zum  Tnefl  noch  Pommern  zugehörig  und 


•)  Segelhandbuch  Bd.  2.  S.  26. 

Verkehr  und  Ansiedlungen  S.  2t)3  f. 

^  Es  -venteht  sich  von  selbst,  dass  unter  ganz  besondert'n.  im  Deutschen 
Reich  nicht  vorkommenden  Verhftltnisspn  auch  eine  ganz  kleine  liisd  eine  grössere 
Stadl  enthalten  kann.  Dann  ist  aber  nicht  die  Grösse  der  Insel  du»  Musägebende, 
•ondeni  ihre  Beneboog  zu  Mnem  naheUegenden  Festlznde  oder  einer  anderen  Insel. 


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156 


Halm, 


[M 


wird  durch  die  uinl'ani^reichen  Hatte  und  Hodd«  n.  in  deren  innersten 
AVinkel  (Kibnitzer  See)  die  Recknitz  mündet.  )ji zeicliuet.  Die  Stadt 
Ribnitz  kann  jedoch  kaum  als  Seestadt  betrachtet  werden,  ebenso- 
wen'ig  wie  ihre  preussische  Nachbarstadt  Dammgarten.  Beide  er- 
halten durch  den  KecknitzUbergang  einige  Bedeutung  und  waren  lange 
wichtige  Zoll-  und  Febergangsplätse  an  der  proussisch-mecklenburgischen 
Grenze.  Die  Nelirun«?  zwischen  dem  Hiltnitzer  St-e  und  dem  oftenen 
Meer  ist  das  sogenannte  Fi  sc  Iii  and.  ein  liiiutig  geschilderter,  von  einer 
rein  seemännischen  lievölkerung  ht-wohnter  Strich.  In  der  (lestaltuug 
der  Küste  ist  liier  nichts  zu  finden,  was  die  Bewohner  gerade  dieses 
abgelegenen  Gebietes  so  entschieden  auf  das  Seeleben  hinwiese;  wir 
werden  auch  hier  uns  vor  einer  Ableitung  der  Neigungen  und  Ab- 
neigungen der  Bevölkerung  aus  der  Landesbeschafienlirit  einigermassen 
zu  boten  haben.  Fcbrigens  kommen  auch  weit  im  Binnenhmde .  wo 
der  Anblick  der  See  gänzHch  wegfSillt,  Landstriche  und  Ortschaften 
vor,  deren  Bewohner  dem  Seedienst  vor  anderen  lieschjitl:igungen  den 
Vorzug  geben  und  sich  auch  gut  dazu  eignen.  Ein  solches  Gebiet 
liegt  z.  B.  in  der  Nähe  von  Oldenburg  bei  6rüp])enbQhren. 

Der  zweite  wichtige  Küsteneinschnitt  wird  durch  den  Mündungs- 
golf der  Warnow  gebildet.  Wir  haben  es  hier  sclion  mit  Bildungen 
zu  thun,  welche  zu  den  sclileswig-holsteinisclien  Frdirden  überleiten. 
Gerade  da,  wo  die  Warnow  in  den  Miindunur>gi)lf  eintritt,  hat  sich  die 
Stadt  Rostock  angesiedelt,  gleiclizeitig  die  letzte  Üebergangsstelle 
über  den  nun  seeartig  werdenden  Fluss  und  die  Grenze  der  Seeschifffahrt 
gegen  das  Binnenland  bezeichnend.  Der  gute  Hafen  von  Rostock  ist 
um  so  wichtiger^  als  er  auf  der  Strecke  von  Stralsund  bis  Wismar 
einzig  da.steht.  Vorhafen  ist  das  Städtchen  Warnemünde  an  der 
eigentlichen  Mündun«^  der  WaiTiow.  Rostock  und  AVarnemünde  >iud 
das  Ausgangsthor  für  das  ganze  «östliche  und  mittlere  Mecklenburu. 
sowie  für  einige  Gegenden  der  n«irdliclien  Mark.  Die  Stadt  Kostuck 
hatte  lauge  Zeit  nur  eine  einzige  Eisenbahnlinie  zur  Verftlgimg,  Warue- 
mflnde  war  ganz  ohne 'Bahnanschluss.  Die  letzten  Jahre  haben  den 
Ausbau  des  mecklenbuigischen  Bahnnetzes  mächtig  gefördert  und  auch 
Rostock  nicht  nur  die  Verbindung  mit  seinem  Vorhafen,  sondern  auch 
noch  zwei  andere  Linien  gebracht;  eine  weitere  nach  Stral>und,  welche 
die  letzte  wichtige  Lücke  im  Netz  der  deutschen  Küstenbahnen  aus- 
füllen wird ,  ist  im  Bau.  Während  der  Sommermonate  vermittelt 
der  von  Berlin  aus  jetzt  leicht  zu  erreichende  Hafen  von  Rostock  auch 
einen  wichtigen  Theil  des  Personenverkehrs  nach  den  naheliegenden 
dänischen  Inseln. 

Wismar  endhch  li^  an  einer  noch  auffälligeren  Bucht  als 
Rostock,  so  n;\hf^  am  Meer,  dass  es  keine**  ^^>rll:lft'ns  bedarf.  Unirij<s. 
Lage  und  Bauplan  der  Stadt  erimiern  sehr  an  Kostock .  doch  ist  der 
Hafen  weniger  ))e(iuem.  Er  ist  nach  Aussage  des  Segelhandbuches 
(Bd.  1 ,  S.  184)  nur  ein  kün.stlich  ausgetiefter  Graben.  Wismar  ent- 
behrt eines  grosseren  binnenwarts  führenden  Gewässers;  zwischen  die 
grossen  Plabse  Rostock  und  Lübeck  einge.schaltet,  i.st  .sein  eigenes 
Vwkehrsgebiet  nur  gering.  Ausserdem  haben  mancherlei  nichtgeo- 
graphische Umstände  die  Entwicklung  der  Stadt  lange  aufgehalten. 


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65] 


Die  Stftdte  der  norddeutschen  Tiefebene. 


157 


Ih'e  Stadt  Lülieck,  mit  der  wir  den  wostlirlisieii  Winkel  der 
grosjien  mecklenburgischen  oder  lübischt  ii  Bucht  erreichen,  wurde  keines- 
W€^  durch  hervorragend  günstige  nähere  Umgebung  auf  die  hohe 
RaoflBtnfe  gehoben  f  weldie  sie  knge  Zeit  einnahm.  Die  Entfernung 
der  Stadt  vom  ofPenen  Meere  ist  bedeutend,  das  Fahrwasser  der  Trave 
Im  zum  Vorhafen  Travemünde  stark  gewunden  und  trotz  sehr 
energischer  Verbessenmgen  stellenweise  so  cn«;.  dass  die  Beir^  ^-iiung 
zweif-r  Schiffe  schwierig  wird  Das  Zusammentreffen  mehrerer  kleiner 
Flusslitute  im  innersten  Winkel  der  Lübecker  Bucht  (Trave.  Wakenitz, 
btepeiiitz,  Schwartau)  scheint  früi»  /u  Ansiedlungen  gelockt  zu  haben; 
AltpLQheck,  der  Vorläufer  der  heutigen  Stadt,  kg  der  See  etwas  naher 
tn  der  MOndung  der  Schwartau  in  die  Trave  in  niedriger,  aber  nicht 
ungihistitrt'r  Gegend  *).  Das  neue  Lübeck  besetzt  eine  sehr  auffallige 
Halbinsel,  welche  von  Wakenitz  und  Trave  umgeben  wird.  Vortheile 
dieser  Lage  waren  die  grosse  Sicherheit  in  dieser  last  insularen  Position, 
sowie  die  Möglichkeit,  zahlreiche  Seeschiffe  ankern  zu  lassen.  Wirk- 
lich zum  Anlegeplatz  verwendet  werden  jedoch  nur  die  (iewUsser  au 
der  Westadte  der  Stadt  Die  Lttbeeker  Kriegsschiffe  zur  Zeit  der 
Hansa  lagen  weiter  abwärts  im  Stau,  einer  heute  seichten  Bucht  in  der 
Xülie  der  sogenannten  Herrenfähre Schattenseiten  in  der  Lage  von 
Lübeck  waren  die  beschwerliche  Verbindung  mit  dem  Meere  (s.  o.) 
und  die  Beschränktheit  des  I^nuplatzes,  welcbf  mit  der  Zeit  durch 
Anlt'^mntj:  von  Vorstädten  und  Häusergruppen  jenseits  der  Jtlüsse  aus- 
geglichen werden  musste  ■*). 

Wir  betreten  nun  das  Gebiet  der  schleswig-holsteinischen 
FShrden*).  Diese  KUstenstrecke  begünstigt  die  Entstehung  zahl- 
reicher, wenn  auch  nicht  immer  grosser  Städte  ungemein.  Die  Ftihrden 
sind  für  Seeschiffe  meist  gut  zu  befahren,  einige  derselben  gehören  zu 
den  besten  Häfen  Kuropas.  T)ie  rier  leiten  der  Besiedelung  viel  we- 
niger Hindernisse  in  den  W  e^  als  die  oft  sandigen  und  sumpfij^en 
Küsten  Preussens  und  Pommerns.  Die  mässig  ansteigenden  Ulerhügel 
smd  ungemein  fruchtbar.  Wenn  wir  auch  in  den  Marschländereien  an 
der  Westküste  Striche  von  ähnlicher  Fruchtbarkeit  finden,  so  sind  dort 
doch  der  Küstencharakter  und  die  ganzen  Anbauverhältnisse  des  Msirsch- 
landes  der  Städteentwicklung  viel  feindlicher  als  in  der  begünstigten 
Zon."  des  Geschiebethons .  welche  der  Ostküste  entlan«;  zieht  und  die 
K'dinlen  zunächst  umhiebt.  In  ihr  Ketjel  liegt  der  Hauptort  einer, 
jeden  Pöhrde  tief  im  Hintergrunde,  gleichsam  an  der  ^^  urzei  dersell»en, 
da,  wo  der  Landtransport  endet  und  der  Verkehr  der  Seeschiffe  begimit, 
gleichzeitig  aber  auch  die  der  Küste  entlang  führende  Strasse  die  Fdhrde 


'i  SefrelhanUbuch  Bd.  1,  471. 

Näheres  bei  Schröder,  Toi>ographie  der  Herzogäidmer  Holstein  etc. 
Bd.  2.  ff. 

')  Segelhandbuch  Bd.  1,  8.  472. 

*)  Man  TergL  Aber  Lfibecks  Lage  auch  die  weiter  unten  sum  Vergleich  mit 
Hambuff?  einf^efüg^ten  Bemerkunfjcn. 

Hier  zu  vergleichen:  Jansen,  Die  Bedingtheit  des»  Verkehrs  und  der 
Aniiedltnigen  der  Menschen  durch  die  Gestaltung  der  Erdoberfladie,  nachgewiesen 
u  der  cimbrischen  Halbinsel,  Kiel  1861. 

Pomtilittagen  sar  deatadken  Lsodct*  und  Tolkakoiide.  Lt.  11 


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168 


Uabn, 


berülireii  musijj.  Zeigt  die  Fülirde  abwechsehul  Eiusclmürungeu  uud  Er- 
weiterungen, 80  kann  die  EOstenstrasse  eine  Einschnarung  benutzen, 
um  die  Föbrde  näher  am  Meere  zu  ttberschreiten ;  häufig  findet  auch 

der  Seeverkehr  an  einer  solchen  V(  rt  nirnnu'  seine  Grenze  und  ist  vom 
innersten  Theil  der  Föhrde  ausgeschlossen.  Dann  zieht  sich  aucli  die 
llauptansiedinni;  von  dem  hi<  r  l)edeutunf;siosen  Kmh'  der  ganzen  Fölirde 
an  diese  wichtige  UeV»(^'rs(  hri.'ilunLrs-  und  Undadestcik».  In  l)eiden  Fäll^^n 
))leil)t  OS  aber  gewuhniii  Ii  nicht  bei  e  i n  e  r  Ansiedluug,  auch  die  üheralJ 
zugänglichen  und  anbauföfaigen  Uferstrecken  der  Föhrde  zwischen  Haupt- 
ort und  Meer  sind  noch  von  Ortschaften,  bisweilen  sogar  kleinen  Städten, 
besetzt. 

Wenn  wir  die  Küste  von  Lin)eck  bis  zur  dänischen  Grenzf  ver- 
folgen, tn^ffen  wir  zuerst  Ix  i  XciistmU  eine  allerdings  wenig  onl- 
wickelte  Föhrde.  an  welcher  dir  r^tadt  der  zweiten  oben  aut'gt'st»dlt»n 
Kegel  sehr  genau  folgt.  Auch  der  Gruber  See  ist  ah»  eine  uuregel- 
mässig  gestaltete,  th^weise  verlandete  Föhrde  zu  betrachten;  das  Dori 
Grube  entspricht  Neustadt  in  seiner  Beziehung  zur  Föhrde,  nur  dass 
hier  von  SeescJiifffahrt  keine  Hede  mehr  sein  kann.  Heiligenhafen 
ist  ausnahmsweise  keine  Fcihrdenstadt .  dir  vorliegende,  sehr  zerrissene 
Insel  Graswarder  l)ietet  dem  kleinen  llnfm  der  Stadt  jedoch  einen 
Schutz,  der  an  der  einförmigen  Küsteustrecke  vom  Felimarusunde  bis 
zur  Kieler  Föhrde  sonst  maugelt. 

Kiel  selbst  zeigt  ganz  die  normale  Form  der  Föhrdenstadte,  es 
umgiebt  mit  den  Vororten  Gaarden  und  Ellerbeck  den  Kopf  der  Föhrde 
und  steigt  auch  an  den  umliegenden  Hölim  hinauf,  Jansen  hat  die 
zaldreichen  sich  in  uud  bei  Kiel  kreuzenden  Verkehrswege  meist  richtig 
charakterisirt  V).  Unter  ihnen  ist  für  die  Gegenwart  die  grosse  AVelt- 
stnisse  von  Paris  üImt  Lütticli.  Vcnloo,  Münster.  Bremen.  Hamburg 
Kiel  nach  Uüuemark  und  Schweden  um  wichtigsten  geworden;  sie 
weicht  so  wenig  von  der  geraden  Linie  ab,  dass  ihr  sicher  keine  Gon- 
'  currenzbahn  erwachsen  wi^.  Aber  auch  die  Beschaffenheit  der  Föhrde 
selbst,  ihre  Tiefe,  Geräumigkeit  und  leichte  Verfcheidiginigsfahigkeit 
sichert  Kiel  die  grössten  \'ortheile  vor  den  anderen  Föhrdenstädteu. 
JanscTi.  der  l'^'U  srlirieb.  warnte  noch  davor,  auf  itn»-  KiLTtuschaften 
«Irr  l'<"»]irdt'  allzu  ^aiiguiiMsclu'  Hottnnngen  zu  l)auen  und  Inrh  «li»^  leichte 
Verbindung  mit  Dänemark  iür  Kiels  wii*ksauisteu  Vorzug.  Im  Angesicht 
des  grossen  deutschen  Kri^hafens  Kiel  w^Urde  er  jetzt  gewiss  anders 
urtheilen.  Die  Kieler  Föhrde  zeigt  nahe  am  Eiugang  eine  leichte  Ein» 
schnilrung,  welche  jedoch  nicht  erheblich  genug  ist.  um  hier  eine 
Brückenstadt  hervorzurufen;  nur  die  schon  \{V.V2  angelegte  kleine  Festung 
Fri»  <l  rirhsort  schützt  in  Verbindunir  mit  den  Werken  auf  dem  iiol- 
steniiselien  Ufer  (b  ii  Kiiiti'ang  in  die  Föhrde, 

Eckern  forde  ist  wieder  ein  gutes  Beis]>iel  für  den  zweiten 
Typus  der  Föhrd^tädte,  es  hat  sich  den  üebergangspunkt  Ober  die 
schmale  Wasserstrasse,  welche  die  weite  Aussenföhxde  und  das  als  ihre 
Fortsetzung  zu  betrachtende,  aber  Seeschiffen  nicht  zu^^n^cheWindeb  j- 


*)  Die  Bedingtheit  de»  Verkehrs  etc.  S.  lul  ft. 


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Die  Städte  der  norUdeutbchen  Tiefebene. 


159 


Noer  verbindet,  erwählt.  Bei  Eckemförde  wird  diese  Wasserstrasse  Ton  ^ 
dem  nordwärts  ziehenden  Landweg©  und  neuerdings  von  der  Kiel-Flens-  ' 
bur^er  Eisenbalm  gekreuzt.  Ein  grosser,  ihr  eigenthünilieher  Vortheil 
für  ih'e  E<  kcnitorder  Hafenhiuht  ist  ihre  seltfiio  Eishedeckung:  zu  Zeiten, 
Wo  die  KieK-r  und  Flensl)urger  Ffdirde  zuweilen  wochenlang  zugefroren 
wareu,  hatte  nuiu  natli  Aussage  des  Segelhaudhuches  (Bd.  1,  S.  405) 
in  Eckemförde  offenes  Wasser. 

üngewöhnlich  weit  greift  die  Schlei  oder  Schleswiger  Föhrde 
in  das  Land  ein.  Die  halbmondförmig  gebaute  Stadt  Schh  .swi^r  unigiebt 
da^  Binnenende  der  Föhrde.  Hätte  die  Schlei  keine  schmäleren  über- 
.»chrt  itltare!!  Stellen,  so  wäre  sie  ein  schweres  llinderniss  für  die  östliche 
Kü^tenNtta>-e .  mehrfache  Eins(  hnürungen  schaHeii  jed'Kli  ebenso  viele 
UeW^gaug^|>uukte.  Solche  sind  au  der  Stexwiger  Enge  (wenig 
benutzt^,  bei  Missunde,  wo  die  Schlei  nur  75  m  breit  ist,  bei  Amis 
and  bei  Kappeln.  Die  drei  letztgenannten  Punkte  sind  durch  kleine 
Städte  und  Vorhäfen  ftlr  Schleswig  bezeichnet.  S(  hl  ei  münde  am 
Eingang  in  die  Schlei  ist  nur  eine  Lootsen-  und  Leuchtfeuerstation, 
kein  Hafenplatz.  T)ie  Eisenbalm  von  Kiel  nach  Flensburg,  welche  sich 
mit  der  Schlei  irLjeiidwie  abfinden  nmsste.  hat  zum  Uelier<x;uiLr  keine 
jener  schmäleren  Stellen  aufgesucht,  sondern  überschreitet  die  Sclilei 
zwischen  Missunde  und  Amis  da,  wo  die  beiden  Halbinseln  Grosses 
ondKleinesNiss  em  nördliches  Seitenbecken  der  Sclilei,  das  Lind- 
auer Noer,  fast  ganz  umscliliessen.  So  war  nicht  nur  die  hier  ziem- 
lich breite  Schlei,  sondern  auch  das  Lindauer  Noer  zu  kreuzen.  Rück- 
Mthien  auf  Einhaltung  einer  möglichst  geraden  Hichtini'j.  sowie  auf 
'lie  Wassertiefen  in  der  Scbb'i.  welche  bei  Mi.>-sunde.  Ka|i|teln  und  Arnis 
grösser  sind  als  an  der  gewiildten  Stelle  und  den  Bau  des  Dammes 
nnd  der  Brttcke  erschwert  haben  wflrden,  veranlassten  wohl  zur  Wahl 
dieser  breiteren  Stelle.  FöhrdenOberbrackungen  durch  Eisenbahnen  finden 
«nch  auch  in  Jütland  (Limfjord)  und  viel  grossartiger  an  der  Ostkfiste 
Schottlands  (Taybrückc  bei  Dundee). 

Die  Flensburger  Föhrde  ist  sehr  unregelmUssig  «gestaltet 
und  vielverzweigt.  Flensburg  selbst  umtrieltt  wiedf-r  den  K(»jd'  der 
löhrde,  deren  überall  gutbebaute  Ufer  noch  einige  kleine  Vorhäfen 
und  ZoUstStten  wie  Holnis  und  Ekensund  aufzuweisen  haben. 
Kkeusund  ist  gleichzeitig  Brückenort  an  der  schmalen  gleichnamigen 
Einfahrt  in  das  Nflbelnoer,  jenes  in  der  Kriegsgeschichte  des 
lahres  18t)4  oi\  genannte  Seiten<^ew'ässer  der  Flensburger  Föhrde. 
r>it  Halbinsel  Sunde  witt  trägt  keine  städtiseht  n  Ansiedlun«?en ,  die 
\  t-rhälf ni-^^e  sind  zu  klein  und  die  Entfernung  von  dem  \  erkehrs- 
inittelpuukt  Flensburg  zu  gering,  um  diese  vortreli  iu  litn  Positionen 
recht  Terwerthen  zu  können.  Nur  die  bekannten  Schanzen  erhoben 
«ich  hier  und  machten  die  Spitze  der  Halbinsel  gegen  den  Alsensund 
zu  einem  klassischen  Punkte  fiir  die  neuere  Kriegsgeschi(  lite.  Am 
Alsensund  selbst,  und  zwar  auf  dem  Inselufer  (nicht  wie  bei  Memel 
und  Stralsund  auf  der  Festlandscite)  liegt  die  lt  f/(e  i|er  deutschen 
.Meerea^enstädte.  das  kleine  S  o  n  d  e  r  1»  u  r  g.  Eine  Scliitllirücke  kuinite 
hier  über  den  nur  237  m  breiten,  aber  verhältnissmässig  tiefen  und 
von  kleineren  Schiffen  dem  Weg  um  die  Insel  gern  vorgezogenen  Sund 


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160 


Hahn, 


[68 


geschlagen  wenleii.  Die  übrigen  Stütlte  und  Flecken  der  Insel,  welche 
Jausen  (a.  a.  ().  OO)  durchaus  normal  vertlii  ilt  schienen,  sind  noch 
kleiner  als  Sonderburg,  viele  sehr  günstige  Städtelagen,  wie  z.  B.  aia 
HöruphafiP,  blieben  ganz  unbenutzt  Apenrade  liegt  ganz  normal  am 
Kopfe  seiner  Föhrde,  Hadersleben  wieder  ist  BrQckenstadt  an  einer 
schinalen  Wasserstrasse  zwischen  der  eigentlichen  Hadersleber  Föbrde 
und  dem  nur  2ni  tiefen  Hadersleber  „Damm". 

Zwischen  den  beiden  Ffdirden  von  Apenrade  und  Hadersiebon  ist 
eine  recht  günstige  Po-^itioii  unbenutzt  geblieben.  Ks  ist  die  tiefe  und 
gut  zugängliche  Bucht  von  ü  j  enn  er,  eine  echte  Föhrde,  die  nur  nicht 
so  tief  in  das  Land  hineingeht  wie  die  übrigen.  Das  Segelhandbuch 
beurtheilt  Bd.  1,  S.  361  die  Gjenner  Föhrde  sehr  gflnstig,  sie  bietet 
grösseren  Schiffen  gute  Ankerplätze  und  ist  durch  die  Torliegende  Insel 
Barsoe  gegen  östliche  Winde  geschützt.  Keine  andere  der  benach- 
barten Föhrden  wird  in  dieser  Weise  durch  eine  ganz  nahe  vorliegende, 
aber  doch  nicht  hinderliche  Insel  gedeckt.  Im  Hintergnindf-  der  Föhrde 
liegt  noch  die  kleine,  schwach  hügelige  Insel  Kaloe,  ganz  lür  einen 
Stadtkern  geeignet.  Aber  es  findet  sich  jetzt  hier  nur  ein  ganz  un- 
bedeutender Anlegeplatz  mit  wenigen  Häusern.  Auch  das  Iandemw9rt8 
liegende  Dorf  Gjenner,  nach  welclu  ni  die  Föhrde  ^^nannt  wird,  benutzt 
den  Haft  11  fast  nur  zur  Torfrerschiffung  h.k  b  Aeroe  und  Alsen  ').  Viel 
gereditft  rt iutcr  ist  die  Veniachrässigimg  der  Bucht  von  Heilsminde 
an  der  dänischen  Grenze,  da  sie  ziemlich  Hach  ist  und  eines  Schutzes 
durch  eine  vorliegende  Insel  entbehrt.  Der  innerste  Theii  dieser  Föhrde, 
der  Heilsmindesee,  kommt  fUr  den  Seeverkehr  Uberhaupt  nicht  in  Be- 
tracht An  der  Wasserstrasse  zwischen  Innen-  und  Aussenföhrde  hat 
sich  neuerdings  ein  kleiner  Brücken-  und  Grenzort,  Heilsminde,  der 
in  einen  deutschen  und  einen  dänischen  Ortstheil  zerfällt,  angesiedelt. 

Die  Betrachtung  der  jütischen  Küsfnistrecke  liegt  ausserhalb 
unserer  Aufgabe,  man  sieht  jedoch  leieiit.  dass  auch  die  jütischen 
Föhrden.städte  .sich  nach  den  oben  angegebenen  Kegeln  richten.  Kol- 
ding, Veile,  Horsens  und  Hobro  sind  Beispiele  für  die  erste,  Rauders 
und  Aalborg  für  die  zweite  Form.  Da  gegen  Norden  die  Föhrden 
seltener  auftreten,  finden  wir  auch  föhrdenfreie  Kostenstrecken  durch 
Hafenstädte  belebt,  wie  Aarhuus,  Saeby  und  FrederikshaTn  zeigen. 

Es  sind  noch  die  Städte  der  Nordsee  zu  betrachten.  Die  deutsche 
Strecke  der  Nordsee  hat  fast  dur«  liw»  *^»-  »  ine  kihistliche.  d.  h.  eine  durch 
Deiche  geschützte  Küste.  Eine  Ausiiitliiiie  machen  nur  folgende  Strecken: 

1.  Von  der  dänischen  Grenze  bis  Hoyer.  Mehrmals  tritt  hier  Steilufer 
auf  wie  bei  der  MOndung  der  Bredeau,  bei  Jerpstedt  und  bei  £mmerle8^ 
aber  auch  die  Flachküstenstrecken  sind  nidit  eigentlich  eingedeicht. 

2.  Bei  Hattstedt  und  Scliobidl  nördlich  von  Husum.  Auf  kurzer  Strecke 
tritt  hier  eme  Geestinsel  nahe  an  das  Meer.  Eine  ganz  kurze  Dünen- 
strecke findet  si<  Ii  auch  im  äussersten  Westen  von  Eiderstedt  hei 
St.  l'«'ter.  I.  A\  estlieh  von  Cuxhaven  bei  Duhnen  tritt  der  Gee.*<t- 
streiien  der  Wingst  oder  Wurster  Haide  auf  einer  Stiecke  von  ükm 


')  Schröder»  Topographie  des  HenogthanM  SchlMwig,  S.  175. 


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60] 


Die  St&dte  der  norddeotedieii  Tiefebene. 


161 


an  die  See,  so  da.ss  liier  die  Deiche  unterbrochen  werden  konnten. 
h.  Nördlich  von  Varel  am  Jahdebusen  springt  bei  Dangast  ein  schmaler 
Geeststreit'eu  gegen  die  Küste  vor.  Die  deichiose  Küstenstrecke  beträgt 
jedoch  kaum  2  km.  Wenig  weiter  Badi  Südwest  setM  die  Deiche  auf 
kurzer  Strecke  am  Hügel  Wulfsgast  nochmals  aus  Diese  deich- 
Gebiete  wirken  jedoch  auf  die  Vertheilung  städtischer  Ortschaften 
nirgends  nachweisbar  ein.  Der  ganze  Kest  der  Küste  aber  ist  unge- 
mein stüdtefeindlicli.  Ausserhalb  des  Deiches  würden  die  Städte  ohne 
jeden  Schutz  gegen  das  Meer  sein,  hinter  den  Deichen  wäre  ihre  Ver- 
bindung mit  dem  Meere  eine  beschränkte  und  beschwerliche.  Auch  haben 
wur  schon  früher  gesehen,  dass  das  Innere  der  Marschen  ein  sehr  un- 
gern gewählter  Bezirk  für  süldtische  Ansiedlungen  ist. 

Um  so  wichtiger  sind  aber  die  Mündungen  der  nordwestdeutschen 
Flüsse.  An  ilinen,  wenn  auch  nicht  immer  unmittelbar  an  der  See- 
küste, erheben  sich  die  Ansiedlungen,  welche  den  Verkehr  zwischen 
dem  Innern  des  Reiches  und  der  Küste,  sowie  nach  den  überseeischen 
Ländern  zu  vermitteln  haben.  Die  Flüsse,  welche  hier  in  Betracht 
kommen,  sind  die  Eider,  die  Elbe,  die  Oste,  die  Medem,  die  Weser, 
die  Geeste,  die  Jahde,  die  kleinen  Wasserl&nfe  des  Harlingerlandes,  be- 
H'uders  Harle  und  Bense,  endlich  die  Ems.  Jedem  dieser  Flüsse  ent- 
spricht eine  Mündungsstadt,  und  »  s  nniss  sofort  auffallen,  in  wie  enger 
Beziehung  Grö's'se  des  Flussi^olnt  tts.  Länge  des  Laufes  und  Bedeutung 
der  zugehörigen  Stadt  mit  einander  stehen.  Die  grössten  Flüsse  Elbe, 
Weser  und  Ems  haben  auch  die  grössten  Städte,  und  soweit  Eider, 
Olie,  Medem,  Harle  und  Bense  hinter  jenen  Strömen  zurückstehen,  so 
sehr  werden  auch  die  kleinen  Mündungsstädte ')  Tönning  an  der  Eider, 
NeuhauB  an  d^  Oste.  Ottemdorf  an  der  Medem,  Wittmund  an  der  Harle 
und  Esens  an  der  Bense  von  Hamburg,  Bremen  und  Emden -Leer- 
Papenburg  übertrotfen.  Von  den  genannten  Städten  bedürfen  Tönning, 
Neuhaus,  Otterndorf,  Willielnishaven  und  die  Enisstüdte  keines  A'or- 
bafens.  während  Hamburg,  Bremen,  Wittmund  und  Esens  einen  solchen 
besitzen.  Die  Eiderstadt  Tönning  haben  wir  schon  kennen  gelernt. 
Neuhaus  und  Ottern dorf  sind  für  den  Wasserverkehr  des  durch 
Eisenbahnen  noch  wenig  aufgeschlossenen  Innern  der  Landdrostei  Stade 
?on  nicht  zu  unterschätzender  Bedeutung,  namentlich  das  erstere.  Bei 
Otterndorf  ist  die  sich  ausweitende  Mündung  der  Medem  als  Ottem- 
dorler  Hafen  bezeichnet;  vielleiclit  entwickelt  sich  hier  ein  Vorhafen, 
zumal  der  Hadeln'sche  Kanal  die  Stadt  Ottemdorf  nicht  berührt. 
Dieser  Kanal  fuhrt  aber  zur  Geeste  hinüber  und  ist  wichtiger  als  die 
kleine  schi£fbare  Strecke  der  Medem ').  Als  Seehafen  kommt  Ottem- 
dorf kaum  in  Betrachi 


')  lät  auf  der  neuen,  elwni  •'rschieuenen  Ausgabe  der  Reymami*8clien  Karte, 
i}«ction  37,  nicht  mehr  verzeichnet. 

*)  Ich  nenne  Hündimgastftdte  solche  Orte,  welche  aa  der  binnenlBadisdieD 

*hein>-  dof  Seeverkehrs  Hegen,  ohne  Rücksicht  darauf,  ob  sie  an  der  Eüste  selbst 
oder  eine  Strecke  flussaufwürts  betindlieli  sind. 

*)  Vgl.  Die  Moorgebiete  dea  Herzogthums  Bremen,  Berlin  1877 «  8.  29,  31 
and  die  wichtage  Karte. 


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162 


[70 


Wilhelm  sha  v  ou  hat  mit  dem  kleineu  Flüsschen  .Jaiidc  )  selbst- 
verständlich wenig  zu  thun.  Der  Jahdebusen,  einst  einem  Arme  der 
Weser  zum  Auefluss  dienend,  aber  erst  seit  1218  in  seiner  heutijafen 
Gestalt  vorhanden  -),  Avar  schon  von  Napoleon  I.  zur  Anlage  einer  wich- 
tigen Eü8tenbei'e8tigung  ins  Auge  gefasst  worden.  Aber  erst  1853 
wurde  mit  der  Erwerbung  eines  kleinen ,  spater  vergr<"i>^s(  rt<'U  olden- 
burgischen Terrains  «lurdi  Prcussen  der  Antnng  zur  Anlegung  des 
heutigen  Kriegshai'ens  genuielit.  Die  Schwierigkeiten,  wekhe  beim  Bau 
des  Hafens  und  der  Einrichtung  des  ganz  neu  anzulegenden  Ortes  zu 
Oberwinden  waren,  müssen  sehr  bedeutend  genannt  w^en.  Wenn  sie 
trotzdem  in  verhältnissm&ssig  kurzer  Zeit  besiegt  wurden,  so  haben  w  ir 
hier  ein  seltenes  Beispiel  einer  auf  wenig  gUnst^em,  sumpfigem  und 
des  Trinkwassers  antanglich  entbehrendem  Terrain  begründeten  An- 
siedlung^l.  Wilhelmshaven  hatte  iHi^o  schon  12rt<'2  Einwohner.  Neben 
dem  Kriegshafen  ist  auch  ein  Handelsliafen  angelegt  worden.  Der  (  Jrund- 
plau  der  Stadt  konnte  ganz  regelmässig  durchgefühi-t  werden,  fast  alle 
Strassen  kreuzen  sich  in  rechtem  Winkel.  Merkwürdig  ist  es,  dass 
noch  1867  der  Geograph  Guthe  (a.  a.  0.  S.  159)  nur  GeestemQnde 
und  das  Knock  bei  £mden  als  passende  und  wUnschenswerthe  Punkte 
für  Erriclitung  des  neuen  deutschen  Kriegshafens  an  der  Nordsee  l»e- 
zeichnet.  nicht  iil)er  den  .lahdebusen.  Ueber  diesen  heisst  es  S.  i2H  mir 
kurz,  dass  dort  die  preussische  Knme  einen  »Seehafen  anzulegen  beab- 
sichtige, dessen  Bau  aber  nur  langsam  vorwärts  sclireite.  Die  Eisenbahn- 
verbindungen Wilhehnshavens  sind  Uber  Oldenburg^OsnabrQck  und  Jever- 
Emden  ausreichend,  auffallig  ist  noch  die  LOcke  zwischen  Jahde  und 
Unterweser  (zwischen  Varel  und  Elsfleth  oder  Nordenhamm).  An 
ansserdeutschen  Seitenstücken  zu  unserem  neugegründeten  wichtigen 
Hafen  nenne  ich  Esbjerg  in  Jütland  und  La  Nouvelle  in  Rüd- 
frankreich,  beide  erst  in  neuester  Zeit  gegründet,  an  Bedeutung  aber 
hinter  Wilheluishaven  weit  zurückstehend. 

An  der  Ems  finden  wir  die  drei  MOndungsstädte  Emden,  Leer 
und  Papenburg,  von  denen  die  beiden  letzten  in  anderem  Zusammen- 
hange schon  früher  besprochen  Avurden.  Emden  ist  keineswegs  als 
Vorhafen  seiner  Nachbarstädte  zu  betrachten,  es  hat  selbständige  Ver- 
kehrsent\vicklun{jr.  Die  Lage  von  Emtlen  wird  durch  emen  ungemein 
geräumigen  (wohl  nicht  küiistliclien |  Hrdliii^el  bedingt,  der  sich  hart 
an  der  einst  hier  vorbeifliessenden  Lais  erhob  \\  enn  man  das  lehr- 
reiche historische  Kärtchen  betrachtet,  welches  de  Yries  und  Pocken 
S.  346  bieten,  so  sieht  man,  wie  ungünstig  sich  die  Beziehungen  der  Stadt 
Emden  zur  Ems  im  Laufe  der  Jahrhunderte  gestaltet  haben.  Die  Ver- 
bindung mit  der  weit  von  der  Stadt  zurückgew  ichenen  Ems  nniss  j<'tzt 
durch  einen  auch  nicht  allen  Anfordenmgen  genügenden  Kanal  aui- 


')  Neuerdings  auch  ohne  h  geschrieben, 

')  Zeitschrift  der  Berl.  Gesellschaft  f&r  Erdkünde  Bd.  16,  1861,  S.  168, 

und  Talel  9. 

')  N'ähoifs  bei  Kot  ken  und  de  Vries,  Ostfrieslaud ,      387,  wo  auch  der 
Plan  der  Stailt  naolizuschen  ist. 

'*)  (iuthe.  Braunschweig  und  Hannover,  S.  210. 


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71] 


Die  Städte  der  norddeutschen  Tiefebene. 


163 


recht  erhalten  Averflen;  der  Vorsehlag  Unthc's  (a.  a.  O.  8.  21  :V).  am 
Knofk  ciiipn  Vorhateii  für  Eiii(l<*u  zu  erritliteii  uinl  <lit'<t'ii  oveiitut41 
dorcli  ciiieu  Kaual  mit  der  Stadt  zu  verbindeu,  ist  uocli  uicht  au.sgeiülut. 
Wittmund  und  Esens  sind  nothwendig  auf  VorMfiui  angewiesen,  da 
die  kleinen  Flttsse  des  Harlingerlandes,  Harle  und  Bense,  allzu  unbe- 
deutend sind.  Für  Wittmund  dient  Carolinensiel  (daneben  X^'u- 
harlingersiel),  iur  Esens  Bensersiel  als  Vorhafen.  Von  diesen  kleinen 
VorhätVn  ist  ('arolinnisiel  der  wichtijjrstf.  dem  auch  ein  Theii  des  Ver- 
kehrs mit  den  trieM-i-hen  Inseln  zu  Gute  kommt. 

Es  bleiben  noch  Hamburgs  und  Bremens  Beziehungen  zum  Meere 
zur  Betrachtung  Qbrig.  Audi  hier  bestätigt  sich  der  Satz,  dass  die 
Tollten  desto  bedeutsamer  werden,  je  unbequemer  die  Wasserstrasse 
zum  Huuptorte  des  Mündungsgebietes  ist.  Bremen  war  wegen  der 
schwierigen  Fabrbarkeit  des  oft  wechselnden  Fahrwassers  von  seinen 
Vorhäfen  stets  sehr  abhängig.  Als  Vorhäfen  dienten  lange  die  kleinen, 
mtist  oldenburgischen  Orte  an  der  linken  Weserseite,  wie  Elsfleth. 
Brake  und  andere,  sowie  das  von  den  Bremern  am  Einfluss  der  Lesum 
(also  auf  dem  rechten  Ufer)  erst  im  17.  Jahrhundert,  als  das  BedOrf- 
niss  nach  einem  eigenen  Winterhafen  immer  sförk^  wurde,  angelegte 
Vegesack  Der  letztgenannte  Ort  konnte  jedoch  wenigstens  im  Sehiff- 
fahrtsverkehr  mit  .seinen  oldenlmrgi sehen  Gegenorten  nicht  gleichen 
Schritt  halten.  Man  sieht  leiclit  ein.  dass  emplindliche  Naclitheile  ent- 
stehen können,  wenn  dii-  X'orliäfen  einer  grossen  Handelsstadt  ganz  oder 
theilweise  in  den  Händen  eines  fremden,  wenn  aucli  l)efreundeten  Staates 
and.  £rst  im  laufenden  Jahrhundert  hat  Bremen  einen  eigenen  Vor- 
hafen erlangt,  welcher  der  See  nahe  genug  liegt,  um  jene  oldenburgischen 
Flussorte  weit  zu  übertreflfen.  Nahe  an  der  MUndung  der  Geeste  tritt  . 
noch  einmal  ein  schmaler  Geeststreifen  an  das  östliche  Ufer  der  Weser 
iunm.  Dieser  für  Befestigungen  nicht  ungeeignete  Punkt  wurde  von 
ver>t  iiiedeneii  Kegierungeii  zu  diesem  Zweck  in  Betracht  gezogen.  Die 
Stillteuburg,  welche  die  bremischen  Erzbischöfe  im  Anfang  des  1.').  Jahr- 
hnnderts  hier  erbauten,  erfreute  sich  keines  langen  Daseins,  ebensowenig 
wie  ein  schwedisches  Fort,  das  im  Jahre  1673  gegründet  wurde  ^. 
Xajjoleon  I.  wollte  hier  durch  eine  Batterie  die  AVes(  reinfahrt  sichern. 
Erst  der  Bremer  Bürgermeister  Smidt  ersah  1827  diesen  Platz  zur 
Aiihige  eines  eigenen  bremischen  Vorhafens.  W  ir  haben  hier  ein  be- 
nu  rkenswerthes  Beispiel  für  eine  mit  vollstem  Verständniss  und  richtiger 
Bcimtzung  der  physischen  Verliältnisse  durchgetiihrte  Städtegründung 
dar  neuesten  Zeit.  Das  Ostufer  der  Weser  wurde  gewählt,  weil  das- 
selbe weniger  leicht  Ton  Eisschollen  umlagert  werden  kann,  wenn  bei 
Östlichen  Winden  Eisbildung  in  der  Wesermtindung  erfolgt.  Auch  fand 
sich  im  östlichen  Fahrwasser  der  Weser  eine  grössere  Tiefe  als  an  der 
oMtplMiriri^chen  Küste.  Die  (leeste  bot  zuglei(  h  eine  bequeme  Wasser- 
verKiiidiHig  mit  dein  Lande  zwischen  Weser  und  Elbe.  S'>  ist  Bremer- 
huten  gleichzeitig  Mündungsstadt  der  Ueesle  und  Vorhuten  von  Bremen. 


*)  Gathe  a.  a.  0.  S.  148. 
')  Gut  he  a.  a.  0.  8.  155  f. 


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104 


Hahn» 


1?^ 


Geestemünde  wurde  von  der  hannöTerschen  Regierung,  welche  auch 
auf  ihrem  Gebiete  einen  Weserhafen  zo  haben  wünschte,  hinzugefügt 

und  Ijildet  jetzt  mit  Breinerhafen  einen  einzigen  grossen  Hafenort.  dem 
sich  Geestendorf  im  SUden  und  der  ältere  Geestflecken  Lehe  oder 
Bremerlehe  im  Xon^'ii  l)iild  anschliessen  werden. 

Von  besoiidririii  gtMt^raithischeai  Interesse  ist  die  Strlhin^-  Ham- 
burgs zu  seinem  Strome  und  ziuii  Meere.  Wir  haben  uns  zu  frwjea, 
welche  natttrlichen  Vortiheile  der  Bauplatz  too  Hamburg  für  die  Ent- 
wicklung einer  Stadt  bot  und  welche  geographischen  Verhältnisse 
es  waren,  die  in  der  Folge  gerade  diese  Stadt  Uber  viele  benachbarte 
Seestiidtc  nnporhoben.  Zunächst  fallen  uns  aueli  hier,  wie  in  so  vielen 
früher  Ijetruchteten  Fällen,  trockene  Geest«trecken  auf,  welche  die  An- 
nähenmg  an  den  Fluss  auf  beiden  Seiten  gerade  hier  sehr  erleichterten. 
Auf  der  Südseite  sind  es  die  ansehnlichen,  theilweise  bewaldeten  Har- 
burger  Höhen,  welche  zwischen  den  Manchen  an  der  Seeve  imd 
Luhe  und  denen  des  ^ Alten  Landes ^  an  den  Fluss  herantreten.  Im 
Korden  nähert  sich  der  Geestrand  der  Elbe  zunächst  zwischen  den 
Flüsschen  Bille  und  Alster,  er  .setzt  sich  dann  über  Altona  und  Ottensen 
zu  den  bekannten  Bergen  von  Blankenese  fort,  um  kui*z  vor  Wedel, 
wo  die  weite  Haseldorfer  Maisch  beginnt,  in  das  Binnenland  zurückzu- 
wflicben.  Weiter  abwSrts  treten  nie  wieder  die  GeeethSben  in  ähnlicher 
Weise  an  die  Elbnfer  b^ran,  auch  aufwärts  mttssten  wir  bis  zu  der 
uralt<?n  Uebergangsstelle  bei  Artlenburg* (40  km  oberhalb  Hamburgs) 
zurückgehen,  um  ähnliche  Verhältnisse  zu  finden  ').  Der  Pass  von  Artlen- 
burg würde  aber  schon  viel  zu  weit  von  der  Nordsee  entfernt  sein,  nii; 
mit  der  Uebergangsstelle  bei  Hamburg,  wo  der  Abstand  der  Geesträuder 
allerdings  9500  m  beti-ägt,  wetteifern  zu  können. 

Nun  ist  bei  Hamburg  das  nördliche  Ufer  der  Elbe  vor  dem  sQd- 
liehen  durch  mehrfache  Vorzttge  ausgezeichnet.  Zunächst  ist  die  Norder- 
elbe ein  besseres  Fahrwasser  als  die  Harburg  berührende  Süderelbe. 
Es  münden  fenier  hier  zwei  kleine  FlUsse.  die  Bille  und  die  Alster. 
von  denen  die  Aister  durch  die  seeartige  Erweiterung^  nahe  an  iler 
Müuduug  einen  guten  Schutz-  und  Winterhaien  für  die  Flussschüie  dar- 
bot. Die  Stadt  Hamburg  erwuchs  nun  zuerst  hart  an  der  Alster  auf 
der  schmalen  Geestzunge,  welche  Elbe  und  Alster  trennt.  Von  der 
Ell)e  sell)st  war  sie  zunächst  noch  durch  eine  später  eingedeidite  und 
besiedelte  Marschfläche  getrennt,  ein  neuer  Beweis,  dass  es  ursprüng- 
lich nicht  die  Lage  in  der  Näli*-  der  zinii  Weltmeer  fillirendon  grossen 
Wasserstrasse,  sondern  der  günstigen  Baugrund  bietende  Geestrücken, 
der  hier  erleichterte  ElbUbergaug  und  das  Wasserbecken  der  Aister 
waren,  welche  gerade  hier  zur  Begrfindung  ein«  Ortschaft  anreizteii. 
Die  in  der  Elbmarsch  belegenen  Stadttheile  Haniburgs  unterscheideD 
<u-h  v.nch  heute  in  Plan  und  Physiognomie,  wie  jeder  zugeben  wird, 
der  Hamburg  autmerksani  durchwandert  bat.  sehr  scharf  von  denjeni'jr»'U 
auf  der  Geesthühe.   lu  der  Marsch  gab  es  noch  1870  Strassen,  welche 

'l  l  t'lHT  die  Artleiiljurger  Fiihrstelle.  wo  ilie  l»r'iil<'rs<'itiijen  Gfe^strilnder  .'•ich 
bis  auf  fast  15U0iu  nüheru,  vgl.  Uamburg  iu  naturhistorischer  und  mediciuiscber 
Benehong,  Hamburg  1876,  8.  2  f. 


73J  Die  St&dte  der  norddeutMben  Tiefebene.  1(35 

bei  den  hrK-hsteii  Stiirmfluthen  bis  2.34  m  unter  Wasser  standen,  und 
bewohnte  Keller,  in  denen  unter  gleichen  Verhältnissen  dsis  Wasser  l)is 
3,5  m  anwuchs Nur  allniählicli  ist  H!iiiil>nr^'  an  die  Elbe  heran- 
jjerflckt.  llarl>urtr,  die  Statlt  des  Südulers,  liatt<  weder  einmündende 
Nebenflüsse  noch  ein  su  günstiges  Fahnvasser  und  konnte  höchstens 
eine  zur  Vertikeidigung  etwas  besser  geeignete  Lage  fOr  sich  geltend 
machen,  da  der  Hflgelzug,  an  den  sich  Harburg  lehnt,  schärfer  hervor- 
tritt als  der  Geestrücken  im  Stadtgebiet  von  Hamburg.  Die  Vortheile, 
Wf-Idip  Hamburg  von  der  Natur  gewährt  wnrrlen.  suchte  später  die 
Kegieriuig  Hannovers  der  Stadt  Harbur«;  durch  kostspielif^e  Bauten 
gleichfalls  zu  verschafien,  doch  hat  der  Erfolg  den  Erwaitungen  im 
Allgemeinen  nicht  entsprochen. 

Die  Oeesthöhen  der  Elbufer  konnten  wobl  die  AnnSherung  an  den 
Fluss  erleichtern,  aber  der  Uebei^ang  selbst  blieb  immer  noch  lästig 
geniiL'.  Wir  müssen  ältere  Karten  zu  Hathe  ziehen,  um  die  alte  Topo- 
gRiiihie  der  Elbinseln,  welche  von  der  heutigen  sehr  abweicht,  zu  ver- 
stehen^). Die  Zahl  der  Elbinseln  und  der  zu  überschreitenden  Arme 
war  im  17.  Jahrhundert  noch  wesentlich  grosser  als  heute,  wo  kieniere 
bueln  zu  umfengreicberen  Maasen  vereinigt  und  eine  Anzabl  kleinerer 
Stromarme  erloschen  sind.  Aber  auch  noch  im  19.  Jahrhundert  blieb 
dar  Elbflbergang  Tor  der  Erbauung  der  grossen  EisenbahnbrUcken  sdbr 
unsicher  imd  beim  Eisgange  sogar  gefährlich.  Aeltere  und  neuere  Karten 
s^twie  eigene  Durchwanderung  der  Gegend  überzeugen  uns  jedoch,  dass 
der  Uebergang  bei  Hamburg  immer  noch  am  leichtesten  möglich  war; 
elbabwärts  lösen  sich  die  Inseln  in  immer  kleinere  Bruchstücke  auf 
and  verschwinden  endlich  ganz,  um  dem  ungetheilten,  nun  sur  üeber- 
schreitung  schon  zu  mächtigen  Strom  Platz  zu  machen,  aufirärts  hindert 
die  breite  Marschebene  mit  ihren  früher  spärlidm  und  beschwerlichen 
Wf'gen.  Der  Flussübergang  bei  Hamburg  kann  also  wohl  '1er  letzte 
vor  der  Mündung  genannt  werden.  Der  ganze  Verkehr  zwischen  Bremen, 
Lübeck  und  der  östhchen  Ostsee,  zw^ischen  den  liheinlanden,  Osnabrück, 
Bremoi  und  Kiel  sowie  den  skandinavischen  Staaten,  endlich  zwischen 
Norwegen,  Schweden,  Jfltland,  Schleswig  und  Lüneburg,  Hannover, 
Hessen,  Frankfurt  a./M.  wurde  auf  diesen  Uebergang  hingddtet.  Das 
Eisenbahnnetz  der  Gegenwart  lässt  dies  noch  deutlich  genug  erkennen. 
Hamburg'  wäre  wegen  seines  wichtigen  p]lbüberganges  aucli  dann  noch 
ein  bedeutender  Verkelirsnuttelpunkt,  wenn  die  Nordsee  der  Schifffahrt 
verschlossen  oder  ein  unermessliches  Weltmeer  ohne  lockende  Gegen- 
kOsten  wäre. 

Hambui^  ist  aber  auch  ftbr  den  Verkehr  auf  der  Elbe  selbst 
dn  weit  wichtigerer  Grenzort  zwischen  Fluss-  und  Seeschifffahrt,  als 
Bremen  dies  ftir  die  Weser  ist.  Die  Elbe  selbst  ist  der  Weser  gegen- 
über in  fast  allen  Beziehimgen  im  Vortheil.  Die  Weser»chü£fahrt  reicht 


')  Man  vergl.  Karte  1  u.  2  d"s  genaantea.  in  manchen  Abschnitten  reiche 
geo^rraphi^che  Belehrung  bringende  Werkel,  aneb  den  Holxschnitt  auf  Ö.  15  und 

dazu  Text  8.  W. 

^)  Di<>  erste  K.iiic  im  Werk  «Hamburg  etc.*  (s.  o.)  zeigt  die  Elbinteln,  wie 
■ie  zu  Anfang  des  17.  Jahrhunderts  waren. 

Foncbnogen  zur  deatschen  Lande*,  and  Volkskaade.  I.   3.  12 


166 


Hahn. 


[74 


kinnn  his  in  ih\<  nürdliclu-  Ilt'sseii.  die  Ell)e  «luiretren  beherrscht  mit 
ihren  Xeh(iiHiis>«  ii  iiocli  einen  anselinhVhen  Theil  von  Sachsen  un«i 
Bölnuen.  Sie  steht  mit  Oder  und  Weichsel  durch  die  märkischen  Kaual- 
linieii  in  Verbrndung,  während  die  Weser  nur  auf  ^ich  selbst  angewiesen 
ist.  Ist  auch  die  Elbe,  wie  alle  deutschen  Flüsse  vom  Ideal  einer 
Wasserstrasse  ziemlich  weit  entfernt,  so  fehlen  ihr  doch  so  nufiVillige 
S(  hitlTahrtshindrrnisse.  wie  sie  an  der  u  eser  zwischen  Minden  und  Karls- 
halen namentlicli  bei  Harn«  In  vorkommen.  Vor  allem  aber  ist  die  K'tzte 
wichtigste  Strecke  der  Elbe  von  Hamburg  l>is  Cuxhaven  viel  brauch- 
barer als  das  entsprechende  Stück  der  Weser  von  Bremen  bis  zum 
Meere,  so  viele  Mtthe  man  sich  auch  stets  mit  der  Verbesserung  des 
Fahrwassers  in  der  Unterweser  «gegeben  ]i;ir.  ()))i^]eich  125  km  von  der 
offenen  See  entfernt,  ist  Hamburj.^  doch  so  sehr  Seestadt,  dass  nur 
Wf'ni«^'»'  der  aUergrössten  Schiffe  nicht  mit  volh/r  Ladunir  bis  Hamburg 
huijiu flehen  oder  von  da  aust'aliren  kfinnen.  Haniijuri^  bezeicluiet  tur 
die  Elbe  thatsächlich  die  Grenze  der  Seeschilltalirt  gegen  den  Flussver- 
kehr, wahrend  diese  Grenze  an  der  Weser  schon  bei  Bremerhafen, 
höchstens  (für  kleine  Seeschiffe)  bei  den  oben  erwähnten  kleinen  olden- 
burgischen Uferorten  zu  suchen  ist.  Die  Vorhäfen  Hamburgs  stehen 
SWR  diesem  Gnmde  an  selbständiirer  Bedeiituntr  >veit  hinter  dem  pressen 
imd  blühenden  Vorliaten  Hremeiis  zurück.  Hamburg  zunächst  finden  sich 
Brunshausen  und  Glücksta<lt.  ersteres  nahe  an  der  Stelle  einer  plüt2- 
lichen,  merkbaren  Tiefenzuualime  des  Falu*wasäers,  letzteres  an  der  ge- 
wöhnlichen Grenze  der  Eisbedeckung  des  Flusses  in  normalen  Wintern. 
Doch  sind  beide  Vorhäfen  nicht  sehr  erheblich.  Xeuhaus  und  Ottern- 
dorf (s.  o.)  können  kaum  als  Vorhäfen  ftlr  Hamburg  bezeichnet  werden. 
D;i«s  endlich  auch  ('uxhaven  filr  Hamburg  nicht  eine  ^jolelif  l^iMleutiniLr 
besitzen  kann,  wie  Bremerhafen-deesteniünde  für  Bremen.  Iteweist  >ch()U 
der  Umstand,  da.ss  erst  in  neuester  Zeit  eine  Eisenbahnlinie  die  Elb- 
mflndung  erreicht  hat,  während  die  Wesermttndung  schon  längere  Zeit 
sogar  zwei  (nach  Geestemflnde  und  dem  oldenburgischen  Kordenhamm) 
au&uweisen  hatte.  Wäre  das  BedOrfiouw  nach  einer  EisaibahnTeibin- 
dung  fiir  Cuxhaven  so  dringend  gewesen,  so  würde  es  gewiss  allen  ent- 
gegenstehenden Sclnvieriirkeiten  zum  Tiotz  auch  viel  t'rülier  befriedigt 
worden  sein.  Nur  für  die  Zeiten  strengen  Frostes  kann  die  Bahnver- 
bindung mit  der  Elbmündung  für  Humburg  entscheidend  wichtig  werden, 
im  Uebrigen  dient  die  Linie  hauptsächlich  der  Abkürzung  der  Fahrt 
nach  Helgoland  und  ist  fÜr  die  Küstenvertheidigung  wichtig. 

Noch  andere  Momente  kommen  hinzu,  um  Hamburgs  Uebergewicht 
über  seine  Niichbarstildt«'  /n  verstärken.  Die  Küstenstrecke  von  der 
Knismündung  bis  /ur  Kllie  bildet  mit  der  Westküste  der  ('imbrischeii 
llalbmsel,  von  kleineu  Lnregelmä.ssigkeiten  abgesehen,  naliezu  eiueu 
rechten  Winkel.  Eine  Stadt,  die  gerade  im  Scheitel  des  Winkels 
oder  demselben  nahe  liegt,  wird  einen  grossen  Theil  des  Trakehres 
beider  Schenkel  zu  sich  heranziehen  können,  falls  die  örtlichen  Verhält- 
nisse nur  einigermassen  günstig  sind.  Sind  dieselben  so  ungewöhnhch 
vortheilhaft  wie  bei  Hamburg  und  der  ganzen  Elbmündnng.  dann  wir«! 
es  den  Häfen,  weUhe  vom  Sclieitel  des  Winkels  weiter  entttTiit  >iml. 
sehr  schwer  werden,  einen  Theil  des  Verkehrs  ttir  sich  zu  behaupten. 


75] 


IKe  St&dte  der  norddeutedien  Tiefebene. 


167 


Tm  so  anerketiiien>:werther  ist  die  hohe  Bedeutang,  welche  das  nur 

»iunli  die  wein«^  <;ünstige  Weser  unttTstützte  Bremen  noch  immer  he- 
Wiihrt  hat.  l)as  Hinüber jifi'eifeu  Haniburisxs  in  die  A'erkclirs'/.onc  BronnMis 
ist  allerdings  auch  durch  die  hinge  Zeit  ungewölmlicli  uuisiaudlichen 
Kisenbahuverbindungen  zwischen  beiden  grossen  Städten  erschwert  worden. 
Mnaste  man  doch  last  drei  Jahrzehnte  nach  Vollendung  der  aus  dem 
^nenlande  nach  Hamburg.  Harburg  und  Bremen  ftthrenden  Eisen- 
bahnen noch  den  grossen  Umweg  über  Lüneburg,  Hannover  und  Verden 
fitHchlagen.  wenn  man  nur  von  Harburg  nach  Bremen  gelungen  wollte. 
Vor  H<'rst«dhmg  des  ElbUbergangs  bei  Lauenburg  füliiti'  die  einzige 
durthgehende  Schieuenverbindung  zwischen  Haiiii)urg  und  Bremen  .-sogar 
fäatit  Magdeburg,  Braunschweig  und  Hannover '). 

Viel  deutlicher  zeigt  sich  die  Abhängigkeit  von  Hamburg  an  dem 
«Ilderen  Schenkel  des  Winkels,  der  Westküste  Schle.swig-Holsteins  und 
.Tntlands.  Hier  ist  —  an  einer  sillerdings  !s»dn"  iingCmstii,''  grstulteten 
Küste  —  kein  einziger  Ort  auch  nur  t-ntb-rnt  mit  llanil)urg  zu  ver- 
gleichen. Die  eben  jetzt  im  Bau  begritlene  Bahn  von  Töiming  nach 
Kipen,  welche  das  Schlus^^stUck  in  der  langen  Linie  der  westcimbrischen 
Kfistenbahn  (von  Hamburg  bis  in  den  Norden  JQtlands)  bilden  wird, 
kann  mir  den  Erfolg  haben,  die  Beziehungen  der  kleinen  Städte  im 
westlichen  Holstein,  Schleswig  und  JttÜand  zu  Hamburg  noch  viel  enger 
za  knüpfen. 

Man  .sieht  leieht.  dass  auch  Lübeck  im  Scheitel  ^eines  recliten 
Winkels  liegt,  welchen  die  Ostküste  Schleswig-Holsteins  mit  der  mecklen- 
bmgisch-pommerschen  KOste  bildet  Die  Antwort  auf  die  Frage,  warum 
Labeck  jetzt  nicht  eine  ähnliche  Rolle  spielt  wie  Hamburg,  kann  nicht 

schwer  fallen.  Zunächst  i.st  die  nähere  Umgebung  und  der  Baujdatz 
Lübecks,  wie  wir  frülier  sahen,  nicht  so  vortheilhaft  für  die  Entwick- 
lung einer  umfangreichen  Stadt  als  der  Bauplatz  von  Hamburg.  I)ie 
Trave  war  im  Vergleich  zur  Elbe  nur  eine  dürftige  Wa.s.ser.strasse  zum 
Meere.  Wenn  nun  Lübeck  gleichwohl  eine  Zeit  lang  die  massgebende 
Stadt  im  westlichen  Theile  der  Ostsee  und  darQber  hinaus  war,  so  haben 
nirht  blos  geschichtliche,  geographischer  For.schung  fernliegende  Ent- 
wicklungen dahin  geführt,  sondern  diese  Ut'berlegenheit  Lübecks  hatte 
auch  einige  geographische  Gründe.  Lübecks  (iegenküsten,  die  dilnisclien 
Inseln  und  das  südliche  Schweden,  waren  nahe  und  lockende  Ziele  für 
den  Ostseeverkehr  der  Hansazeit.  Haniburg  hatte  keine  älmlichen  Gegeu- 
kflsten  au£euweisen,  da  der  Verkehr  mit  England  besser  und  leichter 
über  die  niederlän^schen  und  flandrischen  HSfen  yermitfcelt  wurde.  Als 
aber  der  nordamerikani.sche  Coutinent  aus  dem  Dunkel  i  n  [  tauchte 
und  die  ganze  kaum  übersehbare  Weite  des  überseeischen  \  n  kchrs 
offen  stiuid,  da  war  die  Nordseeküste  als  die  der  neum  W(4t  zugewandte 
weitaus  im  Vortheil:  die  skandinavischen  Länder  und  Kussiand  verblassten 
Itlr  lange  Zeit  vor  der  amerikanischen  Gegenküste  der  Nordseehäfeu. 
£nt  in  neuester  Zeit  beginnen  mit  der  jetzt  rascher  Torschreitenden 


'i  Noch  heate  besteht  zwischen  Cuxhaven  und  Bremerhafen  keine  directe 
Bahnverbindong. 


168 


Hahn,  Die  Städte  der  norddmt«cheii  Tiefebene. 


[76 


AiifscWiessiing  und  Entwickluiii;  der  Ostseeländer  ülx  rliaujtt  auch  die 
deutschen  ( )stseehiit"t'ii  wieder  krilttiger  in  den  Weltverkehr  einzuf^reiten, 
und  Lübeck,  begünstigt  durch  seine  Lage  am  Scheitel  jenes  rechten 
Winkels  der  Ontseeküsten,  wird  noch  einer  neuen,  wenn  auch  jener 
alteren  wohl  nicht  gleichkommenden  BlQthezeit  entgegensehen  können. 

T"''nsere  Wanderung  überzeugte  uns,  dass  die  Bevr»lkerung  der  nord- 
(leut<(  hm  Tit  l'ehene  die  geographisch  günstigen  Positionen  wohl  auszu- 
nutzen versteiit  und  selbst  da,  wo  die  von  der  Natur  gebotenen  Vortheile 
gering  und  die  Schwierigkeiten  gross  sind,  rttstig  bemüht  ist,  den  Kampf 
gegen  Wellen  und  Ströme ,  gegen  Sumpf  und  Sand  au&unehmen  und 
zu  einem  guten  Ende  zu  führen. 


.  ^  i.Lo  l  v  Google 


♦ 


stets  den  lüiiereu  Zusaiumeiiliang  aufzusuchen  .streben,  welcher  besteht  zwischen 
jenen  und  der  Landesnatnr,  sowie  der  Ethnographie  und  Geschichte.  So  wird  bei 
aller  Mannigfaltigkeit  der  Gegenstände  und  Gesichtspunkte  immer  wieder  hervor- 
treten, daea  alle  diest*  Arbeiten  nur  verschiedenartige  Gerüst-  und  Bau.stücke  sind 
zu  dem  einen  Werke  der  wissenschaftlichen  Erforsc  Itint-jf  des  heimischen  Landes  und 
Volkes  in  ilirer  Eigenai-t  und  iln-en  Wechselbeziehungen. 

Schon  durch  diese  leitenden  Gesichtspunkte  ist  ausgeschius.sen,  dass  ehie  hier  zur 
Veröffentlichung  gelangende  Arbeit  jemals  zu  derjenigen  Kategorie  von  Sonder- 
arbeiten gehören  kann,  deren  Interesse  der  Natur  der  Sache  nach  ausschliesslich  auf 
einen  ganz  engen  Kreis  von  Speziali.^^ten  beschränkt  sein  muss.  Dfiartige  Ai*beiten 
müssen  vielmehr  den  einzelnen  Fachorganen  der  betreifenden  Forst  hungsgebiote 
überlassen  ))leiben.  Auch  'wird  ferner  in  Behnndlungsweise  und  r)arstellung  «tets, 
soweit  der  tiegenstand  irgend  es  zulässt,  darauf  Bedaclit  genommen  werden,  dass  nicht 
nur  die  unmittelbaien  Facligenosseu  des  Verfassers,  sondern  aucli  ein  grösserer  Kreis 
wissenschaftlich  (Sebildeter  die  Sache  verstehen  und  ftbr  die  betreffenden  Studien  ein 
Interesse  gewinnen  kann.  Damit  aber  denjenigen,  welche  diesen  Studien  weiter  nach- 
zugehen wQnschen,  hierfür  auf  alle  Weise  der  Weg  geebnet  und  der  Eintritt  erleichtert 
werde,  soll  stets  di^  wichtigere  einschlägige  Litteratur  namhaft  gemacht  und.  soweit 
es  thunlich  ist,  zugleich  auf  diejenigen  Momente  ausdrücklich  hingewiesen  werden,  unf 
die  es  für  weitere  Forschung  iu  dem  beregten  Gebiete  vornehndich  ankonmien  muss. 

ünsere  Sammlung  erscheint  in  zwanglosen  Heften  von  ungefalu:  2  bis  höchstens 
5.  Bogen;  jedes  Heft  wird  eine  vollständige  Arbeit  (ausnahmsweise  von  kürzeren 
auch  mehrere)  enthdten  und  für  sich  käuflich  sein.  Eine  entsprechende  Anzahl  von 
Heften  wird  jedesmal  zu  einem  Bande  vereinigt,  und  wird  im  Jahre  etwa  ein  Band 
im  Umfange  von  10—45  Bogen  erscheinen.  Der  Preis  eines  solchen  wird  ungeiahr 
It) — 18  Mark  betragen. 

Bisher  sind  erschienen: 

lieft  1.  Der  Boden  Mecklenburgs,  vou.Dr.  E.  Geinitz,  o.  Prof.  der  ilineralogie 
und  Geologie  an  der  Univ.  Rostock.   32  Seiten.   Preis  80  Pfennig. 

Heft  2.  Die  oberrheinische  Tiefebene  und  ihre  Randgebirge,  von  Dr. 

Richard  Leps  i  n  - .  ord.  Prof.  der  Geologie  und  Direktor  der  Grossherzoglich 
hessisrhon  geologischen  Landesanstalt  in  Darmstadt.  Mit  Uebersichtskarte 
des  o)>errheinisch<'n  Gebirgssystems,    ÖS  Seiten.    Preis  M.  2.  — 

Heft  3.  Die  Städte  der  Ntirddeutachen  Tiefebene  iu  ihrer  Beziehung 
Sur  Bodengestaltung,  von  Dr.  F.  G.  Hahn,  Professor  der  Erdkunde 
an  der  Universitilt  Leipzig.   76  Seiten.   Preis  M.  2.  — 

DenrnKchst  erscheint: 
Heft  4.  Der  Einfluss  der  Gebirge  auf  das  Klima  von  Mitteldeutschland, 

von  Dr.  R.  As s mann,  Vorsteher  der  Wetterwarte  in  Magdeburg. 

Die  weiteren  Hefte  werden  namentlich  von  den  folgenden  HeiTcn  Beiträge  ent- 
halten: Dr.  G.  Berendt,  Königl.  Landesgenloge  und  Prof.  a.  d.  Univ.  Berlin;  Dr.  K. 
Freiherr  vonFrit<ch.  Prof.  a.  d.  Univ.  Hülle;  Dr.  E.  Geinitz.  Prof.  a.  d.  Univ. 
Ro.stock;  Dr.  F.  G.  Hahn,  Prof.  a.  d.  Univ.  Leipzig;  Dr.  G.  Helhnann,  Vorstand 
d.  Königl.  meteorolog.  Instituts  zu  Berlin;  Prof.  Dr.  K,  Jansen  in  Kiel;  Dr.  A. 
Jentzsch,  Dozent  a.  d.  Univ.  Königsberg  i/Pr. ;  Hoirat  Dr.  von  Inama-Sternegg, 
Präsident  d.  k.  k.  statist.  Centraikommission  und  Prof.  a.  d.  Univ.  Wien;  Dr.  0.  M. 
Kan,  Prof.  a.  d.  Univ.  Amsterdam:  Dr.  A.  v.  Koenen.  Prof.  n.  d  T^niv.  Göttingen; 
Dr.  F.  Kroues  Ritter  von  Marchland.  Prof.  a.  d'  Univ.  Graz;  l)r.  O.  Krümmel, 
Prof.  a.  d.  Univ.  Kiel;  Dr.  A.  Freiherr  von  Lasaulx,  Prof.  a.  d.  Univ.  Bonn;  Dr. 
F.  Löwl,  Dossent  a.  dL  deutsch.  Univ.  Prag;  Dr.  K.  H.  Lübben,  Physikus  in  Walters- 
hausen; Dr.  A.  Hakowsky,  Prof.  a.  d.  techn.  Hochschule  zu  BrOnn;  Dr.  J.  Ottmer, 
Prof.  a.  d.  techn.  HocKschiüe  zu  Braunschweig;  Dr.  J.  Partsch,  Prof.  a.  d.  Univ. 
Breslau:  Dr.  E.  Petri,  Dozent  a.  d.  Univ.  B(^rn:  Dr.  Fr.  Pfaff.  Prof.  a.  d.  Univ. 
Krlangen;  Dr.  .1.  Ranke.  Prof.  a.  d.  Univ.  München;  Dr.  Fr.  Ratzel,  Prof.  a.  d.  techn.- 
Hochüchule  zu  München:  Dr.  A.  Streng,  Prof.  a.  d.  Univ.  Gics.sen:  Dr.  F.  Wakn^gle 

ur  T.aTl<lMa 


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Im  glt'icheu  Verlage  ist  enschienen : 

Anthropo-Geograpliie 

oder 


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ßrundzOge  der  Anwendung 

der 

Erdkunde  auf  die  Geschichte 


«Oft 


Dr.  Friedrich  Ratzel, 

■a  der  tccbtiinr  hcri  HocbaelmlA  In 
Preis  Mark  IQ.  — 


Handbuch  der  Elimatologie 

von 

Dr.  Julius  Hann, 

Plrektor  der  meteorol.  ZpntrnlunxtHlt  und  ?r  .t.^.or  an  der  UniTeraitit  In  Wien. 

I'rt  16  Mark  15.  — 


Handbuch  der  Ozeanographie 

von 

Pref.  Dr.  G.  von  Boguslawski, 

mi ItWf mrtaafl  im  IIr<lTOffr»|>hiMl)«n  Amt  d«r  KftI».  d*ut>cl>rn  Adnirtllitt  und  lafi 
«AaaalcB  der  HydrocrapU«  nitd  nu-itinea  HeteorolofU*. 

Band  J« 

Sliuülolie,  phjsikiUscIie  nnd  clieTin<^che  BctehaAili«itl«r 

Freis  Mark  b.  50. 


Handbuch  der  Gletscherkunde 


von 


Dr.  Albert  Heim, 


Professor  der  Geologie  am  s<:hwriz<'insrhfn  rolv-technikam  und  der  Universität 

in  Zmifli. 

Freia  Mark  13. 50. 


tn 


über 

2ingcntcinc  (£röfun6c. 

von 

Dr.  MmMii  Ma^U 


Diuck  von  G*bnid«r  Krtoar  in  Stuttgatt. 


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Forschungen 

!Ii  zur  deutsclicü  Landes-  und  Volkskunde 


im  Aaftra4;e  der 

CentralkommimioiL  Ar  wuaaischaAlidie  Landeskunde  von  Deutschland 


ly-  Bi<diard  Lebaiaiiii» 

X}r$ter  Band. 
Heft  4. 


Das 


Müncliener  Becken. 


Ein  Beitrag  zur 


physikalischen  Geographie  Südbayerns 


von 


CHR.  GBUBEB. 


STUTTGART. 
VERLAG  VON  J.  ENGELUORK. 

1885. 


s 


it'  Forschungen  zur  dcutscluii  Ljindes-  und  Volkskunde"  sollen  dazu  helfen, 
ihr  beinn' .sehen  landes-  und  volkskundlichen  Studien  /u  lordern,  indem  sie  au* 
allen  Gebieten  derselben  bedeutendere  und  in  ihrer  Tragweite  über  ein  bloss 
örtliches  Intoressa  binausgelieude  Themata  herausgreifen  und  darüber  kürzere  wissen- 
schaftliche Abhandlun^n  hemmragender  Fachmtoner  bringen.  Sie  beecbrSnken  sich 
dal>ei  nicht  ailf  das  Gebiet  des  Dentschen  Reiches,  sondern  soweit  auf  niitteleurop:uscbem 
Boden  von  geschlossenen  Volksjj;emeinschaften  die  deutsclie  Sprache  geredet  wird, 
soweit  soll  sich  auch,  obne  Hikksicbt  auf  >^taatliche  Grenzen,  der  Gesichtskreis  unserer. 
Sammlung  ausdehnen.  Da  aber  die  wiNsensehaftliche  Betrachtung  der  Lande.sn;itiir  diej 
AVeglassung  eiuzehier  Teile  axus  der  physischen  Einheit  Mitteleuropas  nicht  wolü  ge- 
statten wüide,  80  sollen  aucb  die  von  einer  nichtdeutschen  BeT(fIkerimg  eingenommeneai 
Gegenden  desselben  samt  ihren  Bewohnern  mit  zur  Berücksichtigiing  gelangen.  £« 
werden  demnach  ausser  dem  Deutschen  Reiche  auch  die  Länder  des  cisleithaniscben 
Oesterreichs  abgesehm  von  Galizien.  Bukowina  und  Dalmatien,  ferner  die  ganze; 
Schweiz,  T.uxouiburg,  die  Niederlande  und  Belgien  in  den  Rahmen  unseres  Unter-, 
nehmeiL^  hnieuigezogen  werden.  Ausserdem  aber  sollen  noch  die  Sachsen  Sielteu-' 
bUrgeuä  mit  berücksichtigt  werden  und  auch  Arbeiten  über  die  grösseren  deutschen 
YoUcsinseln  des  russischen  Reiches  nicht  ausgeschlossen  sein. 

Wir  fassen  die  Landes-  ni.  l  \''olk.slnmde  hier  in  weitestem  Sinne.  Es  werden 
demnach  ebensowohl  Arbeiten  über  Bau  und  Relief  des  Bodens,  über  fossile  Schätae 
desselben  und  ibre  Verwertung,  ttl)fr  Klima  und  Ilydrogniidue.  l*tlauzi-ii-  uivV 
Tierverl>reitung.  wie  üljer  die  anthropologischen  und  ethnoloniNchen  Verliältui.>M-' 
der  Bewohner,  ihre  Mundarten,  ilure  r'auniliche  Verteilung  und  deren  Dichte,  ihr 
Wirtschaftsleben  und  dessen  natürliche  und  Ortliche  Bedmgungen,  ihre  Sagen,  Sitten, 
Bräuche  u.  s.  w.  hier  Aufnahme  finden  und  auch  Landesvermessung,  Kartographie 
und  Geschichte  der  Geograjdiie  in  angemessener  Weise  zur  Berücksichtigung  gtTangen. 
Doch  wird  dadurcb  gleii  liwuli]  keineswegs  ein  Chaos  heterogener  Spezialarbciton 
entstehen.  Sondern  wie  niannigtaltig  auch  iunner  die  Themata  der  einzelnen  Arbeit«:-ii 
sein  mögen,  so  bleibt  doch  als  leitender  Gedanke  des  Ganzen,  der  sie  alle  durch- 
dringen und  wie  ein  inneres  Band  miteinander  verschlingen  soll,  abgesehen  von 
der  Gemeinsamkeit  der  räumlichen  Unujrenzung,  die  wechs&eitige  innere  Beziehung 
der  einzelnen  Gegcmstände  untereinander.  So  wird  der  geologische  Bau  einer  Land- 
schaft nicht  behandelt  werden,  olme  dass  zugleich  die  dadurch  bedingte  Gestaltung 
des  Reliefs  und  Zusammensetzung  des  Bodens  erörtert  und  die  Folgerungen  minde- 
stens angedeutet  werden,  welche  sich  wiederum  «aus  diesen  beiden  Faktoren  fiir  (Ii- 
auf  diesem  Boden  hausende  orgauische  Welt,  ganz  besonders  aber  für  die  Gestaltoiig 
des  wirtschafiilichen  Daseins  der  Menschen,  ergeben.  So  wird  femer  der  V^^tations- 
charakter  einer  Gegend  hier  nur  erörtert  werden  können  im  Zusammenhang  einer- 
seits mit  den  ursächlich  einwirkenden  natOrlidien  Faktoren,  wie  Relief  und  petro- 
grapliiscber  (liarakter  d"s  Bodens.  Temj)eratur-  und  Bewilsserungsvcrhältnisse  u.  a.. 
andererseits  mit  seiütr  Heeinllussung  der  übrigen  Lebewelt,  ganz  besonders  der 
mensc  hlichen  Existenzbedingungen  u.  8.  w.  Und  in  analoger  Weise  werden  Abhand- 
lungen über  Wirtschaftsleben,  über  Volksart,  Yolksverteüung,  Volksbewegung  u.  a. 
stets  den  inneren  Zusammenhang  aufzusuchen  streben,  welcher  besteht  zwiechfin 
jenen  un<l  der  Landesnatur,  sowie  der  Ethnographie  und  Geschichte.  So  wird  bei 
aller  Mannigfaltigkeit  der  Gegenstände  und  Gesichtspunkte  immer  wieder  hervor- 
treten, dass  alle  diese  Arbeiten  nur  versebiedenartige  Gerüst-  und  Bau.stücke  sind 
zu  dem  einen  Werke  der  wissenschaftlichen  Erforschung  des  heimischen  Landes  undi 
"^olkes  in  ihrer  Eigenart  und  ilureu  Wechselbeziehmiireu.  ^  ^j^lo  l  y  Google  I 


DAS 


MÜNCHENEß  BECKEN. 


EIN  BEITRAQ  ZDK 

PHYSIKAUSCHEN  GEOGRAPHIE  SÜDBAYERNS 

VON 

CHB.  GRÜBE 


Mit  einer  Kafteiufkizze  und  zwei  l*rojHen, 


9 


VERLAG 


STUTTItAKT. 

VON  J.  £NQ£LMORN. 
1885. 


• 


Druck  voa  a*brtdAr  Krtaer  In  ttuttfaM. 


« 


.  ^  i.L^  l  v  Google 


Inhalt. 


Seite 

L  Zar  Einleitung  [5-12]  178—180 

1.  Di«  geographiBclie  Sftualion  des  Mflnchener  Beekens    ...[&]  178 

2.  t^nvirrriizung  und  Oberfl&diengeatalt   16]  174 

a.  Geoiogüicher  Aufbau   [10]  178 

n.  Monographische  Betrachtung  der  Moor*  und  Heideland- 
schaften an  der  mittleren  Isar  [12—31]  180—200 

4.  Lineamente  und  Anaddmung  d«r  Moorlandechaften  an  der  mitt- 
leren Isar   [12]  180 

5.  Die  EnietehunifBurBaeben  der  Hflndmier  Hoore.  Eigenart  der 

Hocli-  und  Wiesenmoore.    Moorrihnlicho  Bildungen  ....  [15]  188 

6.  Uebcr  die  Bildung  der  südbaj  erischen  Moore  überhaupt.  Klassi- 
fikation denelbcn   [J4]  192 

7.  Die  Heiden  nSrdlick  von  Httnchen   [28J  196 

III.  Die  Isar  im  Münchoner  Becken  [32—46]  200—214 

8.  Charakter  ihres  Thalweges;  Uferränder  und  Alluvionen    .    .  ['.i2\  200 

9.  WaaserfUmmg   [34J  202 

A.  Aus  den  Pegelurkunden   [84J  202 

B.  Periodische  iSchwankungen  de»  Wasserstandes    .  .   .  [3()J  204 

C.  Zunahme  der  Wanerknien  swisehen  einselnen  Pegd- 

orten   [371  205 

J).  Berechnung  den  Wassertransportes   l38]  20ü 

10.  GeflUle,  Geschwindigkeit,  Breite  und  Tiefe,  sowie  ihre  AV 
hängigkeit  vom  W^asserstande   [40]  208 . 

11.  Die  Gewässer  in  den  Müncbener  Mooren.    Vergleich  ihrer 
chemischen  Beschaffenheit  und  Temperatur  mit  jeuer  der  Isar  [43]  211^ 


L  Zur  Emleitmig. 
1«  Die  gaognpliiflelie  Sitnatioii  des  MOadieiier  Beckens. 


Es  ist  eiiuT  <l«'r  eit^eiiartijjfsttMi  Züge  in  «Ut  topischen  Aiisfj«'staltung 
der  bedeutenderen  Flussthilkr  des  Alpenvorlandes,  dass  ihi*  Mittelstück 
auf  jenem  selbst  durch  eine  beckenartige  Ausweitung  von  auffallend 
regelmässiger  Anlage  ausgezeichnet  erscheint.  So  wurde  aus  der  Mitte 
Sodbayems  im  Gebiete  der  Isar  das  Hüncbener  Becken  gelöst  Nur 
25  km  von  dessen  Westrand  entfernt  lagert  die  schmale  Senke  zwischen 
Lech  und  Wertach ;  an  der  Iiier  thut  sich  um  Memmingen  and  am  Inn 
von  Gnrs  bis  Schärding  ein««  aa^ohnliche  Thalung  auf.  in  ibrpn  Aus- 
inas.sen  tritt  letztere  durchaus  nicht  hinter  den  fast  zirkelrundeu  Kessel 
von  Rosenheim  zurück,  welchen  Professor  Albrecht  Penck  als  centrale 
Depression  des  Inngletschets  cbarakterisiert  >).  Dieser  ist  an  der  Sslzach 
die  mSchtige  Eintiefctng  um  Sakbnzg,  am  Lech  jene  von  FOssen  analog; 
im  Bereiche  der  westlichen  Hälfte  des  alten  Isai^letschers  entsprechen 
ihr  Mumauer  Moor.  Stafiel-  und  Aramersee,  weiter  im  Ostt  ii  Wakhcns(Ms 
Kochelsee,  Ostersee,  Wünnsee  und  schliesslich  das  ausgetrocknete  Doppel- 
becken im  Isarthale  selbst. 

Während  aber  diese  Depressionen  entweder  unmittelbar  am  Fasse 
des  Gebirges  oder  dodi  nicht  weit  von  demselben  entfernt  auftreten  und 
▼on  einer  Reihe  kleinerer,  mit  Teichen  oder  Mooren  erfüllter  Mulden 
innerhalb  der  unverletzten  Moränenlandschaft  umralimt  werden,  setzen 
die  nördlicher  jjelegenen  Thalweiten  ausnahmslos  t-rst  am  Rande  der 
kt/ti  rni  ein.  Und  zwar  erscheinen  sie  keiltormig  hineingedrängt  in  die 
uucli  der  Donau  ausgebreiteten,  vorwiegend  tertiären  Hügekeilien. 
Olaciale  Schotter  umranden  dieselben  auf  weite  Strecken,  bedecken  an 
zahlreichen  Stellen  ihre  Sohlen  und  so  unterliegt  es  bei  dem  engen 


*)  Penck,  Dr.  Albr.:  Die  YergMatAiienaig  der  dentschen  Alpen,  ihr«  Ur^ 

»acht  n .  p.  rio(lT>cho  Wiedorkehr  und  ihr  Kififlyw  auf  die  Bodeagettaltinig.  Ge- 
krönte Preifluchrift   Leipzig  1882.  S.  337. 


.  ^  i.Lo  l  v  Google 


174 


Grober, 


Anschlu.ss  dieser  Gebilde  an  ihre  südliche  üinp^ebung  keinem  Zweifel, 
dass  die  Ausprägung  üiier  heutigen  ]*hysiognomie  durch  Erosion  Üies- 
senden  Wassers  mit  den  Wirkungen  der  Eissseit  auf  die  ReliefrerhSltnisse 
der  Donauhochebene  in  Verbindung  gebracht  werden  muss. 

Auch  in  ihrem  geographischen  Charakter  finden  sich  wesentliche 
XJebereinstiraraun^en ;  sie  stellen  vorzugsweise  sanft  nach  Norden  und 
Nordosten  geneigte  Geröllebenen  dar,  deren  Aussehen  Moore  und  Heiden 
alieuthalben  beeinflussen.  Morphologisch  sind  diese  Thalweilungen 
ebensowenig  vom  Übrigen  Thalweg  der  FlOsse  zu  trennen,  denen  sie 
zugehören,  als  de  etwa  Tereinzelte  Erscheinungen  in  jenem  reprilsentieren. 
Denn  eben  der  ununterbrochene  Wechsel  von  Einenj^mjiir  und  Verbreite- 
rung ist  das  auffallendste  Merkmal  unserer  heiniat liehen  Rinnsale.  Es 
kommt  hierdurcli  eine  jedem  Kenner  der  Alpentliiller  wohllx  kannt*^  Art 
von  Kosenkranzform  zustande,  welche  die  Bildungsgeschichte  dieser 
natürlichen  Kanäle  und  die  bei  ihrer  Ausnagung  wirksamen  Faktoren 
getreu  wiederspiegelt,  sowie  feste  Anhaltipuäcte  für  eine  naturwahre 
ErkUirung  des  Werdens  derselben  bietet.  Wirft  man  z.  B.  auch  nur 
einen  raschen  Blick  auf  den  Thalweg  der  Isar,  so  treten  in  ihm  nach 
den  enpren  Schluchten  des  Quellgebiet^s  die  kleineren  Kessel  von  Mitten- 
wald und  Krün  entgegen:  ihnen  folgt  der  tiefe  Liingseinriss  in  den 
Hauptdolomit,  dessen  Mitte  die  Rissmündung  bezeichnet.  Er  wiederum 
setzt  sich  im  Tölzer  und  hierauf  im  Königsdorfer  Becken  fort  Kurz 
nachdem  der  Fhiss  die  Loisaeh  angenommen,  wird  er  aufs  neue  in  einer 
cauonartigen  Rinne  gesammelt,  die  sich  erst  bei  Thalkirchen  in  das 
Münchener  Becken  auflöst.  Zuletzt  dehnt  sich  das  Isarbett  noch  einmal 
bei  seinem  Ausgang  nach  der  Donau  zu  einer  gerilumigen  Kiesniedemng 
aus,  welcher  Landau  und  Plattling  angehören. 

Man  erkennt  hieraus,  dma  sich  die  1485  Quadratkilometer  um- 
fassende Thalweitung,  deren  Ceafarum  die  Hauntstadt  Bayetns  einnimmt 
und  auf  welche  wir  im  folgenden  unsere  fietraditung  einachrlnken 
müssen,  nicht  gewaltsam  loslösen  lässt  vom  Thal  weg  der  Isar  QberhaHpi, 
vielmehr  mit  der  lieiitigen  plastischen  Ausgestaltung  desselben  in  engem 
organischem  Zusammenhange  steht.  Dabei  wird  freilich  andererseits 
auch  anerkannt  werden  müssen,  dass  die  Landschaft  um  München  in- 
folge ihrer  Situation,  Umgrenzung  und  ihres  geographischeu  Charakters 
auä  als  mehr  oder  minder  scharf  abgeschlossenes  Ganzes  entgegentritt, 
dem  vor  allem  die  Einflüsse  des  Grundwassers  in  den  Quartbnchottem 
ein  eigenartig  individuelles  GeprSge  aufdrücken. 

2.  Umgrenzu^  und  Oberfläehengestali. 

Das  MOnehener  Becken  repräsentiert  sich  als  eine  70  km  lan^Bpe 
Thalsenke,  deren  Durchmesser  zwischen  40  und  10  km  schwankt,  im 
Mittel  jedoch  25  km  beträgt.    Seine  zwar  schmucklose,  nichtsdesto- 

wenifj!;er  aber  äusserst  klar  hervortretende  Umrandung  hebt  sich  durch- 
sclimttiicli  12  m  über  den  Spiegel  der  Isar.  Dieselbe  wird  im  Süden 
durch  die  Schuttwälle  der  Endmoränen  des  Is^rsletschers,  im  Osten  und 
Westen  von  ebenso  aufgebauten  glacialen  ^igelkomplezen  gebfldet. 


^  j  i.Lo  l  v  Google 


7J  Das  Müncbener  Becken.  X75 

iriUirend  sich  im  Norden  ein  ichmaler  Sifcreifen  TertÜr  anlegi  An  seinem 
oberen  Rande  biegt  unser  Gebiet,  wie  die  Nordgrenze  der  unverletzten 
Moränenland^chaft  auch,  weit  gegen  das  Gebirge  hin  aus.  Seinen 
südlichsten  Punkt  erreicht  es  jenseits  Holzkirchen,  indem  sich  dasselbe 
gleich  einer  breiten  stumpfen  Bucht  zwischen  die  Ablagerungen  des 
Inn-  und  Isargletschers  drängt.  Dort  kommt  seine  Sohle  700  m  hoch 
zu  Uegen,  wBhniid  sie  doch  an  ihrem  nördlichen  Ende  hia  auf  412  m 
herabsteigt  Im  Durchschnitt  fftUt  sie  8 — 4  m  auf  den  Kilometer;  die  ganze 
Landschaft  besitzt  somit  die  Neigung  eines  nicht  allzu  steilen  Schuttkegels, 
Gegen  ihre  Mitte  hin  hebt  sie  sich,  wie  Weiss  ')  schon  erkannte,  liln^'s 
der  Isar  schildförmig  12 — 15  ra  hoch  über  das  Niveau  der  liänder,  was 
bei  iler  Frage  nach  den  Höhenverhältnissen  der  Moore  und  Heiden  um 
Erding,  Dachau,  Schieissheim  und  Garching  auf  Grund  authentischer 
Messimgen  eingehender  nachzuweisen  ist  m  fibrigen  aber  dehnt  sich 
unsere  Thalweitnng  von  Hoh^irchen  bis  Ifoosbnrg,  von  der  Amper  zur 
Darkm  als  t  ine  sanftgeneigte  Schräge  aus,  ohne  von  wesentlichen  Auf- 
ragungen durchsetzt  zu  werden.  Nur  Isar,  Würm,  Amper.  Gleisenthal 
und  Teufelsgraben  haben  tiefere  Furchen  in  sie  gezogen;  hier  und  dort 
erheben  sich  auch  breite  La^er  aus  Löss,  so  besonders  am  Ostufer  des 
Hauptflusses  und  bei  Solhi  m  der  Nfthe  von  Grosshessebhe  oder,  wie 
in  den  Hooieo,  istdiwte,  aus  Lehm  und  GerSUe  aufj^febaute,  meist  unier 
10  m  hohe  Einzelerhebungen,  welche  indes  den  Gesammtcharakter  der 
ialtenlos  erscheinenden  Fläche  nicht  sn  unterbrechen  oder  gar  zu  modi- 
Üzieren  vermögen. 

Gleisenthal  und  Teufelsgraben*)  reichen  mit  ihren  oberen 
L'artieen  beträchtlich  in  die  innere  Moräneulaudschaft.  Beide  gehören 
der  sQdfichen  Yerräugeruug  des  Beckens  su,  und  zwar  markiert  die 
in  breitem  Bogen  von  Süden  nacb  Westen  geschwungene  Eintiefuug 
des  Teufelsgrabens  ungefähr  den  Ausgang  desselben.  Sie  reihen  sich 
den  f?rössten  Trockenthälern  des  Alpenvorlandes  an  und  zeigen  neben 
einzelnen  Unterschieden  in  ihrer  topischen  Ausgestaltung  eine  Reihe 
auffallender  Aehnlichkeiten.  Im  G^ensatze  zum  Thalweg  der  Isar 
wurden  Teufelsgraben  und  Gleiseniliu  aussehliesdich  in  fluTio-glaciale 
Sehotter  eingenagt  Ihre  Sohle  erreicht  niemals  den  impermeabeln 
TertünnergeX  auf  welchem  jene  ruhen;  sie  befindet  sich  unter  anderem 
im  oberen  Gleisenthal  ir>ni  über  diesem.  Auch  der  allgemeine  Grund- 
wasserstrom der  Hochebene,  dessen  Spiesrel  hier  ä  -0  m  über  dem  Flinz 
zu  liegen  kommt,  wurde  iu  beiden  Kiimsalen  nur  an  je  einem  Punkte  an- 
geschnitten. Den  starkgeneigten  Boden  von  Teufelsgraben  und  Gleisenthal 
—  sein  GeftUe  betrBgtbis  zu  0,0046  —  bildet  zuoberst  eine  stellenweise 
5  m  tielb  Bfecklehmschicht,  deren  Mächtigkeit  nach  Norden  stetig  ab- 
nimmt Sie  unterscheidet  sich  in  nichts  voif  jener  fruchtbaren  zähen  Lehm- 
httlle,  welche  die  Eintiefüngen  zwischen  den  SchutthOgeln  der  Moräneoland- 


J.  H.  WeisB:  Sfidbayerns  OberflRohe  nach  ihrer  ftimereii  Gestalt.  Geo- 
gnOBtisch-topographisch  entworfen  im  Jahre  IRir,,    München  1820,  S.  188  u.  189. 

')  lieber  diese  Benencuii^  hat  Hauptuuum  L.  Dürr  einige  Vermutungen 
auägcüurodicn  in  Moiiein  Tortrage:  üeber  das  Gebiet  swiiehai  Anmer  nnd  Maag^ 
m,  Bea.  SV  Allgem.  Zig.  1877,  Nr.  8»-85. 


Ornber, 


[8 


schalt  aUenÜhalbeii  überzieht.  Am  mtonsivsten  kam  dieselbe  in  den 
beckenartig  ausgeweiteten  Depressionen  zum  Niederschlag,  welche  am 
Eingang  zu  den  TrocktMithiilern  sich  ausbreiten.  In  ilinen  ruhen 
chanikteristisch  ausgeprägte  und  zugleicli  (iic  ganze  Mulde  voll  ein- 
nehmende Hochmoore.  Ausserdem  Imiert  am  Südende  des  TeufeLsgrabem» 
der  äuBserat  amnutig  stillgelegene  Eirch-  mid  Hackenaee.  Zwar  ver* 
zeichnen  noch  die  neuesten  Karten  des  bayeriadien  Generalstabe  auch 
im  Gleisentliid  einen  Teich ;  derselbe  iat  indes  heute  bis  auf  kaum  kennt- 
liche Spuren  vrrsclnvundon.  Er  war,  ohne  eine  tiefere  Furche  aus- 
zufüllen, nur  Sammelpunkt  atniosphärilischen  Wassers  auf  den  undurch- 
lässigen Lehm-  und  Saiuliaj^eni  der  Sohle,  dadurch  aber  den  zahllosen 
Weihern  verwandt,  welche  im  Gebiet  früherer  Vergletscherung  allerorts 
zerstreut  sind,  vor  unseren  Augen  hesti&ndiff  an  üm£u^  verlieren  und  sich 
zu  Hochmooren  umwandeln  oder  auch  gänjuüch  verschwinden.  Schliesslich 
gehört  beiden  Trockenrinnen  noch  ein  schmaler,  tr^[er  Wa.sserfaden 
eigentümlich  zu.  Er  wird  im  Gleisenthal  vom  Deiningor  Filz,  im  Teufels- 
graben vom  Kirch-  und  Hackensee  aus  genälirt  und  verschwindet  nach 
einigen  Kilometern  wieder  im  Schotter.  Ebenso  verhält  sich  im  be- 
nachbarten Föggenbeurer  Trockenthal  der  Thanninger  Bach. 

In  der  Plastik  ihrer  ThakSnder  zeigen  Gleisenthal  und  Teufels- 
graben  wesentliche  Unterschiede.  Anfangs  erscheinen  sie  bis  00  m  tief 
in  die  Moränenlaudschaft  eingesenkt;  jedocli  vemiindert  sieh  die  Höhe 
ihrer  Steilgehänge  stetig  mit  iltreni  Verlaut  nach  Norden  und  Ost<'n. 
Während  sich  aber  das  Gleisenthal  als  scharfer,  ungegliederter  Eim-i>N 
repräsentiert,  dessen  Uferwände  auf  eine  Länge  von  10  km  und  nur 
50 — 100  m  Ton  einander  entfernt  gleichförmig  nach  Nordosten  weiter- 
ziehen, zeigt  der  Teufelsgral )en  eine  Anzahl  von  Thalstufen,  welche» 
ohne  ein  zununmenhängendes  System  zu  bilden,  öfters  dreifach  über- 
einanderlagem  und  denselben  bis  zu  seiner  Einmündung  in  das  Mang- 
fallgebiet begleiten.  Diese  Trockenrinne  stellt  nicht  das  einheithche 
Gebilde  dar,  als  welches  das  Gleisenthal  auf  den  ersten  Bück  hin  er- 
scheint; sie  hängt  stftrker  mit  ihrer  Umgebung  zusammen,  und  mehrere 
Flutungslinien  bezeugen,  dass  dieselbe  ihre  Wassermassen  erst  nach 
Norden  sandte,  ehe  sie  rechtwinkelig  gegen  den  Inn  zu  umbog.  Das 
gesamte  Relief  des  ohne  die  Kirc]is<'er  Mulde  2(>  km  langen  und  zwi- 
schen .')0  und  150  m  breiten  Teufelsgruhens  läs.st  vernintt  n.  dass  er  an- 
dauernd im  Dien-ste  einer  zeitweise  verschieden  grosst  n.  sich  alkuälilieh 
vermindernden  Sti-ömung  stand.  —  Professor  Dr.  von  Zittel  wies  in  seiner 
akademischen  Rede  «Ueber  Gletschererscheinungen  auf  der  bayerischen 
Hochebene"  ')  mit  zuerst  daraufhin,  dass  die  Trockenthäler  des  südlichen 
Alpenvorlan<les  als  Abzugskanäle  der  Schmelzwasser  ei.szeitlicher  Gletscher 
zu  betrachten  seien.  Professor  Dr.  Penck  begründete  diese  Ansicht^), 
indem  er  ausführte,  dass  aus  den  flurch  Gletschererosion  geschatlenen 
Depressionen  stets  ein  tief  einschneidender  Kanal  nach  aussen  fülirt, 
dessen  Bildung  wahrend  des  GletscherrOckzuges  begann  und  wdcher 


')  Sitzungsberichte  der  köiiigl.  bayer.  Akademie  der  Wissenschaften.  Mathem.- 
physikalische  Klasse.    München  1874,  S.  2r»2. 

*)  Die  VergUtschenuig  der  deutBchen  Alpen,  S.  179. 


0] 


Das  Münchener  Becken. 


177 


diejenigen  Wasser  nach  aussen  zu  führen  hatte,  die  sich  beim  Ab- 
schmelzen der  Gletscher  im  Bereiche  jener  Depression  sammelten.  »Da 
sich  nim  seiiiher  besonders  im  laargebiete  die  hydrographisehen  V^- 
bftltniase  mehr&ch  änderten,  wurden  mehrere  einzelne  Depressionen  mit^ 
einander  verknüpft  und  werden  nunmehr  durch  die  Isar  entwässert, 
w-ilirend  früher  eine  jede  durch  ihren  eigenen  Kanal  drainicrt  ward. 
Daiier  sind  einzelne  dieser  Kanäle  ausser  Betrieb  gesetzt  und  erscheinen 
heute  ab  Trockenthäler.  Die  Trockeuthäler  sUdüsthch  von  München, 
das  Qlelsaiiihal  b«.  Deisenhofen  und  der  Teufelsgraben  von  Hobskuraben 
sind  Kaidile,  durch  welche  einst  die  Depressionen  des  Deininger  Filzes 
und  KircKsees  entwässert  wurden  und  zwar  die  letztere  nicht  wie  heute 
nach  der  Isar  zu,  sondern  nach  dem  Tnn  hin". 

llireni  landschaftlichen  Charakter  nach  reihen  sicli  jene  alten  Kinn- 
sale dem  tiefen  Einschnitt  der  Isar  zwischen  der  Loisachmündung  und 
Thalkirchen  an.  Die  geographische  Eigenart  des  letzteren  hat  Professor 
Dr.  Ratsd  bei  Gelegenheit  einer  Schildening  der  Umgebung  MOndiens 
in  wenigen  markanten  Strichen  trefflich  gezeichnet.  Wer  jemals  durch 
ein  solch  vereinsamtes,  schattensattes  Trockenthal  gewandert,  wenn  es 
den  sich  verfjirbenden  Laubmantel  des  Spätsommers  eng  um  seine 
Schultern  geschlungen,  wird  dort,  unbeengt  von  jedem  menschlichen 
Treiben,  ein  zu  wenig  gepriesenes  Stück  der  Schönheit  erkannt  haben, 
welche  den  weiten  unoinehnlichen  Hügelgruppen  und  Bbenen  auf  dj» 
SchweDe  zum  Gebirge  hin  durch  fliessendes  Wasser  gegeben  ward. 

Schliesslich  seien  auch  hier  noch  jene  gemeinsamen  Züge  erwälint, 
die  bei  einem  vergleichenden  Blick  auf  die  Gesamtform  der  Thal- 
wege am  Beginn  des  Mittellaufes  der  Isar  hervortreten.  Durch  ihre 
gleichartige  Architektur  wurden  tiir  sie  eine  Heilie  vereinigender  Momente 
gegeben.  Allen  gehört  eine  söhlige  Weitung  an :  der  Isar  das  aua- 
ge&Dclmete  Dopp^becken,  welches  nunmehr  den  Königsdorfer  Filz  birgt, 
der  Würm  und  Amper  ihre  gleichnamigen  Seen,  dem  Gleisenthal  die 
Mulde  des  Deininger  Hochmoores,  dem  Teufelsgraben  jene  um  den 
Kirchsee.  Am  n<>rdhchen  Ende  dieser  Depressionen  setzt  eine  mächtig 
entwickelte  Thalsciilucht  ein.  Sie  reicht  im  Gebiete  des  Hauptflusses 
von  Schäftlarn  bis  an  Grosshesselohe,  an  der  Kinne  der  W^ürm  von 
Leutstetten  bis  nnterhalb  der  Bahnstation  Hflhlthal,  im  Anq>erÜial  be- 
HchrSnkt  sich  dieselbe  auf  die  Umgegend  von  Wfldenrott,  im  Gleisen- 
thal zieht  sie  bis  Deisenhofen,  im  Teufelsgraben  bis  Grub  an  der  Mang- 
tall.  Haben  sich  die  scharfen  Konturen  dieser  Einschnitte  gemässigt, 
jso  weitet  sich  die  Thiilsohle  aus,  die  üfennaueni  verheren  von  ihrer 
Höhe  und  senken  sich  meist  in  Stufen  herab,  um  endlicli  als  un- 
p.cheiubare  Ränder  in  der  Müncheuer  Ebene  zu  verschwinden.  Dies  tritt 
an  der  Isar  unterhalb  Thalkirchen,  an  der  Wflrm,  Amper  und  dem 
Gleisenthal  bei  den  zuletxt  angegebenen  Punkten  auf  ihren  Flanken  ein. 


Mflnchen  in  natarwimenscbafUicher  und  medizinischer  Beziehung.  Ftthrer 

für  die  Teilnehmer  der  .'0.  Vorsaininluiig  d  '':t<chor  Natnrfor-<lier  und  Aerzte. 
München  1877,  S.  139  if.  —  Wir  selbst  haben  dm  Gleisenthal  im  .Auäland**  Nr.  4  u.  5, 
Jahrg.  188^  beaduieben. 


178 


Gruber, 


Lio 


S.  Geologischer  Anfbai. 

Der  geologische  Auf  hau  uuseres  Gebietes,  welcher  durch  Professor 
Dr.  Albrecht  Penck  eine  ebenso  mustergültige  Untersuchung  als  anschau- 
lidie  Schilderung  erfulir  (S.  282 — 290  semeB  Werkes  nher  die  Y ergletsche- 
rung  der  deutschen  Alpen),  erscheint  in  hohem  Grade  einfach.  Er  findet 
sich  allenthalben  an  den  Gehängen  der  tieferen  Thäler  sowie  in  zahl- 
reichen Kiesgruben  mannigfacli  und  klar  aufgesclilossen.  Es  sind  mächtige 
Schotteraidagerungen  fluvio - glacialeu  Charakters,  die  hier,  dreifach 
abgestuft,  entgegentreten.  Auf  die  nur  2U — 00  cm  tiefe  Decke  des 
obersten  Eluviums  %  welche  die  seichte  Ackerkrume  des  (Gebietes  darstellt, 
folgt  eine  Schicht  losen,  bunt  gemengten  EalkgerOUs,  das  reich  mit  kry- 
stallinischen  RoUsteinMi  aus  den  Centralalpen  sowie  mit  tertiären  und 
diluvialen  Bruchstücken  vermischt  und  stets  von  Bändern  festgefilgten 
Schwemmsandes  durchzogen  ist.  Wer  na<  h  einem  Besuch  der  Bavaria 
und  Rulimeshalle  einige  Schritte  gegen  W  e>ten  geht,  wird  jene  mächtige 
Kiesbank  bis  15  m  hoch  sich  absenken  »eheu.  In  ihrem  Aufbau  zeigt 
sie,  wie  auch  die  fokenden  Ablagerungen  last  immer;  die  ausgesprochene 
dJdcordante  Flarallelstruktur,  sowie  eine  beständige  WechfleUagerung 
gröberen  und  feineren  Materials. 

Ein  schmaler  Streifen  bi-aunen  Yerwittenmgslehms  trennt  jenen 
.unteren  Glacialschotter"  von  einer  zweiten,  durchschnittlich  weniger 
mächtigen  GeröUschicht ,  die  Penck  als  ^mittleren  liegenden  Schotter" 
bezeichnet.  Petrogra^hisch  stimmt  sie  mit  dem  ersteren  überein,  er- 
scheint aber  gewöhnhch  yon  kleinerem  Korn  und  häufiger  leicht  rer- 
kittet.  Ihre  Oberfläche  wurde  stelloiweise  durch  Erosion  angegriÖen, 
hat  daher  schwache,  leicht  gebogene  Eintiefungen,  was  darauf  hin- 
weist, dass  sich  zwischen  die  Ablagerung  beider  Etagen  eine  Pause 
von  beträchtlicher  Dauer  einschob.  HiertKlr  liefern  auch  geologische 
Orgeln  einen  deutlichen  Beweis.  Es  sind  langgestreckte,  trichter- 
förmige Einhohrungen,  gross  und  klein  dicht  aneinandergereiht.  Sie 
errei<men  eine  Länge  von  7 — 8  m;  ihr  kreisförmiger  Durchmesser  ist 
am  oberen  Ende  1  — 1,5  m  weit  ausgespannt,  Teren^t  sich  aber  all- 
mählich,  um  den  Schlot  stumpf  endigen  zu  lassen.  \oni  gewöhnlichen 
Grau  ihrer  Umgehung  heben  sie  sich  durch  die  Ausfüllung  mit  dunklem 
Yerwitterungslehni  deutlich  ab.  Im  Gleisenthal,  in  welchem  dieselben 
am  mannigfaltigsten  entfaltet  wurden,  kommen  häufig  zwei  Reihen  von 
Orgeha  in  Tersoiiedenen  GkrGUschichten  tibereinander  zu  stehen.  Dort 
fehlt  auch  dftera  die  Scheidewand  zwischen  einzelnen  von  ihnen,  so  dass 
sie,  gegenseitig  verschmolzen,  ein  ungewöhnlich  breites  Profil  bei  ge- 
ringer Tiefe  erhielten.  Entblösst  man  die  Ohei-fläche  des  festverkitteten 
Schotters,  so  erscheint  sie  ungemein  stark  zersetzt  und  mit  napfttiruiigeu 
Eintiefungen  wie  übersäet.  Man  erinnert  sich  beim  Anblick  dieser  eigeu- 
tUmHchen  Korrosionsförm  *)  an  die  Schratten  auf  den  Ealkplateaus  der 
Alpen.  Gleich  den  Lehmlagen  zwischen  den  Schottern  führen  sie  auf 
Verwitterung  zurOck.   Dieselben  sind  Produkte  chemischer  Erosion 

h  Eine  vorwiegend  aus  Kalkgeroileu  entätaudene  Verwitterungsscbicht. 
^  Eorronon  ist  luer  Auflockmmg  und  Zenetznng  feiten  GemiiiH. 


Das  Mflnohen^  Becken. 


179 


und  dadurch  entstanden .  dns.s  die  konkaven  Stellen  der  rauhen  Ober- 
fläche jener  Ablagerungen  einem  stärkeren  Eiufluss  der  Atmasphärilien 
und  ihrer  zemagendea  imd  auflockemden  Wirkungen  ausgesetzt  waren. 
Die  Bildung  Shi&her  Vertiefiingen  geht  übrigenB  noch  heute  besttndig 
vor  sich.  Das  jfingste  Eluvium  breitet  sich  höchst  ungleichmässig 
gegen  die  Tiefe  aus;  man  beobachtet  an  demselben  überall  kleine  zapfen- 
artige Einsclmitte  oder  Säckclien  verschiedenster  Form,  welche  sich  m 
den  , unteren  Glacialschotter"  senken  und  nichts  anderes  als  den  Ani'ang 
geologischer  Orgeln  darstellen. 

Dem  mitüeren  liegenden  Schotter  folgt  nach  einer  dritten  Lage 
von  Verwitterungslehm  endlich  als  unterstes  und  mSchtigstes  Glied  die 
diluviale  Nagelfluh.  Auch  sie  kam  unter  Mitwirkung  von  Gletschern 
zustande  und  fuhrt  nt  lM  ii  lokal  j^ekritzten  Geschieben  krvstallinische 
Rollstücke,  wenn  auch  in  «geringem  Masse.  Diese  Schicht  stellt  in  der 
Kegel  nur  feste  Gesteiuspartieen  dar;  ihr  Material  ist  unter  sich  durch 
ein  Ccment  aus  spätigem  Kalk  zu  einem  Konglomerat  verbunden.  Dass 
letsteres  bereite  vor  Eintritt  der  jüngsten  Vergletscherung  vorhanden 
war,  beweist  die  Auffindung  von  öletecherschliffen  auf  dar  Nagi  Ifluh, 
Im  Gebiete  des  Münchener  Beckens  wurde  dieselbe  bis  zu  einer  Höhe 
von  25  m  aufgehäuft;  sie  bedeckt  überhaupt  das  nordalpine  Vorland 
zusammenhänj^end  in  weiter  Ausdehnung  und  reicht  zwischen  Iller  und 
Lech  sogai'  bis  an  die  Donau.  Ihr  gehören  auch  meist  die  vorliin  er- 
vrthnten  Schlote  zu. 

Wie  wir  mehrfach  andeuteten,  charakterisieren  sich  die  Schotter^ 
ablagerungen  im  Alpenvorlande  als  echte  Glacialanschwemmungen.  Es 
sind  umgelaf^erte  Moränen,  also  Sdnittmaterial,  d;is  von  rrlptsTdiem  aus 
dem  Gebirge  auf  die  Hochebene  gebrai  ht  und  hier  durch  W  asser  weiter 
ausgebreitet  und  verfrachtet  ward.  Diese  Annahme  allein  erklärt  die 
geognostische  Zusammensetzung  sowie  die  ganze  Art  der  Anlagerung 
dieser  Schichten,  deren  Gliederung  zugleich  als  Beweis  ftlr  eine  mehr- 
malige Wiederkehr  der  Eisaeit  gilt  Uebrigens  folgen,  wie  erwartet 
werden  muss,  die  drei  Etagen  von  Kies  nicht  allerorts  regelmässig  auf- 
einander. Die  diluviale  Nagelfluh  tritt  in  unserem  Gebiete  zwar  selten 
direkt  zutage;  dagegen  fehlt  stellenweise  der  mittlere  liegende  Schotter, 
und.  der  untere  Glacialschotter  ruht  häutig  unmittelbar  auf  dem  Tertiär. 

Leteteres  wurde  mnerhalb  des  MOnchener  Beckens  am  tieftlen  durch 
die  Erosion  der  Isar  angeschnitten  und  zwar  nur  in  sdnen  höchsten 
Partieen.  der  oberen  Sflsswassermolasse,  weichen«  leicht  zersetzbaren  und 
auiziüockemdeu,  sandigen  und  mergehgen  Gesteinsschichten  von  braun- 
tfelber  bis  graugrüner  Färbung,  an  deren  Auftrctin  meistenteils  Quell- 
ergtisse  gebunden  erscheinen,  lieber  ilire  Beschattenheit  haben  besonders 
eine  Keüie  Bohrungen  im  Gleisenthal  orientiert,  welche,  von  der  Sohle 
an  gerechnet,  bis  su  einer  Tiefe  von  beinahe  50  m  reichen  und  deren 
Resultate  ergaben,  dass  sich  zwischen  die  imterste  Schotterschicht  und 
den  Tertiärmergel  gewöhnlich  eine  Lage  wirigemengten  Gerölles  mit 
mergeliger  Zwischenraasse  oder  kompakten  Schwemnisnndes  von  0.5 — 7  ni 
Höhe  einschiebt.  Letzterer  ist  aus  gröberen  und  tcnieren  Bändern  zu- 
sammengesetzt imd  gleicht  nach  seiner  Bescluitfenheit  vollständig  den 
sandigen  Strafen  in  den  obeven  Seliotlem.  Die  MdaaBe  selbst  lagert 


.  ^  i.L^  l  v  Google 


180 


Grober, 


hier  zwischen  18  und  41  m  Tiefe.  Sie  ist,  wie  auch  der  ihr  unmittel V)jir 
auflagernde  Tertiärsand,  für  Wasser  in  hohem  Grade  undurchdringlich. 

So  setzt  sich  denn  der  Boden  unserer  Thalweitung  aus  zwei  wesent- 
lich verschiedenen  Gesteinsarten  zusammen :  einer  Gruppe  eng  zusammen- 
gehöriger, wasserdurchlässiger  Geröllablagerungen  und  einer  stark 
sandigen  Merixelschichte  (Flinz),  welche  iilr  da^  eingesickerte  Wasser 
impermeabel  erscheint.  Daneben  findet  sich  an  emigen  Stellen  und  zwar 
vor  allem  am  östlichen  Uochufer  der  Isar  von  jenseits  Berg  am  Laim 
hia  Oherföhring  Löss,  hier  em  interglaciales  Ahaataprodukt  Über  dem 
obersten  ESeslager;  im  Thal  des  Flusses  seihst  aber  sieht  sich  an 
schmaler  Streifen  junger  AUuvionen  über  dem  Tertiär  weiter.  An  die 
Erkenntnis  dieser  Verhältnisse  werden  wir  anzuknüpfen  haben,  wenn  im 
folgenden  die  geographische  Ausgestaltung  des  Münchener  Beckens  ge- 
schildert, sowie  die  den  dortigen  Moor-  und  Heide bilduugen  zu  Grunde 
liegenden  Ursachen  erörtert  werden  sollen. 


n.  Monographische  Betrachtimg  der  Hoor-  und  Heide- 
landsohaften  an  der  mittleren  Isar. 

4.  Idneftmente  uiiI  Avsdehnnng  der  MoorlftBdsebaften  an  der 

mittlerea  Isar. 

Abgesehen  von  der  Teilung  des  Münchener  Beckens  durch  den 
scharf  eingeschnittenen  Thalweg  der  Isar  treten  aus  seiner  Physiognomie 
zwei  Züge  dentUeh  markiert  herror:  die  obere  Hftlfte  dessellMn  er- 
scheint als  mächtiges,  stellenweise  Ton  lOssbedeckten  Aufragnngen 
durchsetztes,  im  ganzen  aber  wenig  ertragffthiges  Kieslager;  in  seinen 
nnt'^rpn  Teilen  hinfxepren  breitet  sich  ein  weites,  zweigegliedertes 
Qiit'Umoor  ans,  zwisciien  welchem  die  ausgetrockneten  Striche  der  so- 
genannten Garchinger  Heide  auftauchen. 

WShrend  dieser  Moorlandschafi  im  Westen,  Norden  und  Osten 
eine  leicht  erkennbare  ümgrenzung  eigen  ist,  scUiesst  sie  sich  gegen 
Süden  unvermittelt  den  Schotterflächen  an,  die  als  verwaschene  Mo- 
ränenlandschaft am  Rande  des  Gebietes  früherer  Vergletscheningen 
lagern.  Dieselbe  endigt  aber  nach  dieser  Richtuncr  nicht  breit  und 
stumpf,  sondern  hat  ähnlich  wie  das  Münchener  Becken  überhaupt 
zwei  Verlängerungen  auf  beiden  Seiten  des  Flusses.  Dadurch  erreicht 
das  Moor  in  seinen  östlichen  Partieen  bei  Riem,  in  seinen  wesÜichein 
bei  Freiham,  Germering  und  Buchheim  die  Breite  Ton  Mflnchen,  w8h- 
rend  sich  die  eigentlichen  Hauptkompleze  der  Moorwiesen  erst  5  bis 
<>  km  nördlich  von  hier  auszubreiten  beginnen.  f^Okra  weit  erstrecken 
sich  jene  im  Westen,  38km  im  Osten  der  Isar;  dort  endigen  sie 
unmittelbar  vor  Freising,  hier  in  der  Volkmannsdorfer  Au  bei  Moos- 
burg. Beide  entfalten  in  der  Linie  Neuching- Schieissheim -Dachau 
ihre  grOsste  Breite  von  18  km  und  ersdieinen  an  ihren  unteren  Ans- 


^  j  i.Lo  l  v  Google 


Da«  Münchener  Becken. 


181 


"Die 

Verteilung  der  Moore  und  Heiden  im  Münchener  Becken, 

mit  Angabe  der  (irunilwaäserfaorizontalen  und  Kulturuntemehmungen  (unter  Be- 
nutzung der  Grund  wi\«senue88ungen  Niedermeyer 's  und  Thiem's,  sowie  einer 
Karte  Drescher 's  über  die  Kultunersuche  in  Oberbayem  entworfen). 

Haüsstab  1  :  400  000. 


Kvdluirn  uirr  100  Schlurrn 
.   .   UMtrr  10    .  , 


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j 


182 


Graber, 


gäugen  bis  auf  2  km  eingeengte  —  Im  allgemeinen  charakterisiert 
sich  die  Oberfläche  der  Moore,  gleich  jener  der  ganzen  Thal- 
weitiincf  überhaupt,  als  ungestörte,  nordnordöstlich  genei;^te  schiefe 
Ebene,  deren  Abfall  sich  zu  2,5 — 3m  auf  den  Kilometer  berechnet, 
mithin  das  Gefalle  der  Isar  fast  um  das  Doppelte  übertnÜ't.  Die  Höhe 
der  tfidlichen  AnnlSiifer  des  Erdinger  Moores  schwankt  zwischen  522 
und  Silin.  Riem  hat  522,  Domach  517,5,  Aschfaeim  511,1,  Kirch- 
heim 511,4  m  ab  Terrainkote.  Bezeichnet  man  den  Nordrand  der 
Landschaft  dnrcli  eine  Linie,  welche  iu  der  Höhe  des  Nnll])unktes  des 
Moosburger  IsurjieLrels  nach  Osten  verläuft,  so  erhält  man  im  Mittel  412  m. 
Es  ergeben  sich  also  110  m  als  Höhendifferenz  für  die  38  km  entfernten 
Ausgangslinien  des  Moores.  Den  gleichen  Abfall  beobachtet  man  an 
den  Dachan-Schleissheinier  Moorstrichen.  Germering,  an  ihrem  süd- 
lichsten Punkt,  liegt  580  m,  das  30  km  gegen  Nordosten  von  ihm  ge- 
l^^e  Pulling  450  m  hoch.  Den  Charakter  einer  nach  der  Theorie 
ausgebreiteten,  ungefalteten  Fläche  trägt  indes  die  untere  Hälfte  der 
Sohle  des  Mtinchener  Beckens  trotzdem  nicht.  Man  erkennt  dies  aus 
den  Resultaten  einer  ßeihe  von  Nivellements,  welche  die  oberste  Bau- 
behörde Bayerns  im  H&rs  1879  anf  dem  Gebiete  des  Erdinger,  Pro- 
fessor Kremer  auf  jenem  des  mittleren  Dachan^ScUeissheimer  Ifoorea 
ansfOhren  Hess Konstruiert  man  einen  Querschnitt  zwischen  der 
unteren  Dorfen  und  Amper,  so  fiillt  besonders  auf,  dass  die  Terrain- 
koten des  Erdinger  Moores  häufig  unter  jene  des  Isarspiegels  bei 
Mittelwasser  treten.  Es  findet  dies  im  ganzen  Striche  z wisch on  Hall- 
bergmoos und  Oberdin^  statt.  Sein  tiefster  Punkt  unweit  der  Gtall- 
ach  liegt  2,97  m  niednger  als  der  benachbarte  Fluss.  Auch  in  den 
Linien  Freising — Schweig  und  Freising — Berglen  verhalten  sich  aus- 
gedehnte Gebiete  in  ähnlicher  Weise,  und  zwar  steigt  der  tiefste  Punkt 
innerlialb  der  ersteren  innerhalb  der  letzteren  1.7:'7m  unter 

die  Obertiäche  der  Isar.  Wir  haben  darin  mit  die  deutlichste  Illustra- 
tion zu  der  Behauptung,  dass  der  Fluss  über  seine  eigenen  Schutt- 
bänke weiterroUt,  ein  Verhalten,  das  in  den  Werdeprozess  der  an- 
grenzenden Moorlandschaften  tief  eingreift. 

Im  ganzen  erscheint  also  die  Oberfläche  des  Erdinger  Moores 
als  sanftwellige,  leicht  konkav  gekrtlmmte  Schräge.  Jenseits  der  Isar, 
deren  Spiegel  hier  bei  mittlerem  Wasserstand  eine  Höhe  von  40G— 448  m 
zei«jt,  hebt  sich  das  Terrain  infolge  von  Schotteranhanfiin^  stetig  bis 
auf  488  m,  um  bei  Lohhot  unvermittelt  auf  472  m  zu  lallen.  Das 
Gebiet  des  Dachau — Schleissheimer  Moores  hat  gleich&Us  eine  mulden- 


')  Die  letztere  Arbeit  wurde  gemäss  eines  Beschlusses  der  Kömiwi—ion  Ar 

Kultivierung  der  Moore  und  grösser»')!  Otnlungen  in  Bayern  1850  vot^nommen. 
Man  zerlegte  zu  diosem  Zweck  eine  27  üöO  Morgen  (14,67  Morgen  =  5  ha)  um- 
fiuaende  Fläche  in  Quadrate  von  400Flli8  (114,28  m)  Seite.  Die  LOnge  der  nivellierten 
Linien  betrug  230  ."^tunden.  die  der  zur  Kontrolle  nivellierten  Unifänge  42  Stunden. 
Ini  ganzen  wurden  071(J  Höhenpunkte  bestimmt;  aus  diesen  wurden  Horizontal- 
kurvt  n  von  1—3  Fuss  (28  — 85  cm)  vertikaler  Erhebung  für  die  Moorfläche  konstruiert. 
Zur  Krforschung  des  Untergrundes  wurden  :348  Bohrversuche  angestellt,  12  chemische 
Anahsen  von  Bodenarten  und  4  solche  von  Gewässern  vorgenommen.  Ein  auf 
die  HOhenverh&ltiii«se  bezu^ehmender  Teil  dieser  sehr  wertvollen,  noch  unbenQtBtea 
Fonchimgen  liegt  in  der  Registratur  des  landwirtschaftliehen  Vereins  von  Bsyera. 


15] 


Das  Mflnchefier  Becken 


183 


artige  Eintiefnng  gegen  seine  Mitte  hin.  Die  Höhenkurven  biegen 
am  Ost-  und  Westrande  dieser  Landschaft  ein  wenig  auf,  gegen  die 
Amper  zu  wird  ihr  Verlauf  unruliiger,  sonst  aber  ziehen  sie  ohne 
wesentUche  Störungen  und  in  regelmässigen  AltstSnden  weiter.  Dagegen 
fUlt  auf,  dass  diese  Hälfte  des  Mfinchener  Mooigebietes  in  ihren 
mittleren  und  oberen  Partieen  Tielfacli  höher  zu  liegen  kommt  als 
die  an  der  Dorfen  gelegenen  Komplexe  des  Erdinger  Moores,  eine 
I^scheinung,  welche  sich  zwanglos  auf  den  intensiveren  Gerölltrans- 
port im  Würm-  und  Anipergebiet  während  der  Glacialzeit  zurück- 
«  tühren  lässt. 

Trotedem  die  Moore  des  Mfinchener  Beckens  als  abgerundete,  in 
sich  geschlossene  Landschaften  Ton  einheitlichem,  überall  deutlich 
heraustretendem  Typus  erscheinen,  schwanken  die  Angaben  über  ihre 
Ausdehnung  in  auffallend  widersprechender  Weise.  Und  zwar  trägt 
hieran,  wie  es  scheint,  weniger  die  in  ihnen  versuchte  Kultivations- 
arbeit  und  ihre  Fortschritte,  als  vielmehr  die  Art  der  Ausmessung 
nnd  Zertsilung  dieser  Gebiete  die  Schuld.  Wihrend  unter  anderem 
Zierl  die  Grösse  der  Moore  an  der  mittleren  Isar  allein  zo  182  288  Morgen 
(2,94  Mrg.  =  1  ha)  Teranschlagte,  nahmen  nach  den  damaligen  forst- 
amtlichen Mitteilungen  die  Torfmoore  in  ganz  Oberbayern  mit  Einschluss 
des  Salinendistrikte«  nur  1 18  OtlT  Morgen  ein.  Auf  Grund  eingehender 
Berechnung  erhielten  wir  als  GesamttiÜcheuinhalt  des  Dachau-Schleiss- 
heimer  und  Erdiuger  Moores  46000  ha.  Nach  den  Aktenangaben 
der  Kommission  flir  die  Knitor  der  Moore  entfollen  hierron  auf  die 
kleinere  Hälfte  westlich  des  Flusses  21 600  ha,  auf  die  grossere  Öst- 
lich Ton  ihm  mithin  25000  ha. 

Diese  sehr  ansehnlichen  Flächen  für  agrikulturelle  Zwecke  mehr 
und  mehr  auszunützen,  ist  man  von  staatlicher  nnd  privater  Seite  aus 
besonders  seit  den  Untersuchungen  Professor  Kremers  eifrig  bedacht. 
Ein  Blick  auf  die  Uebersichtskarte  der  seit  1853  ausgeftihrten  KnU 
turen  in  Oberhayem  zeig:t  mit  Ausnahme  der  Umgebung  Rosenheims 
vaaA  des  Chiemsees  in  keinem  anderen  Gebiete  so  viele  und  dicht  zu- 
sammenhängende Unternehmungen  nach  dieser  Richtung,  als  eben  im 
Münchener  Becken.  In  der  That  berechnet  sich  auch  der  Strich, 
welcher  hier  seit  1860  mit  neuen  oder  verbesserten  Kulturanlagen 
versehen  wurde,  auf  nicht  weniger  als  13815  ha,  für  überbayem 
flberhaupt  (also  mit  Einschluss  des  Donaumoores)  beträgt  die  gleiche 


Zahl  22510,  und  fOr  die  81  Jahre  von  1853—1884  49  011ha. 

5.  Die  Entstehangsursachen  der  Münchener  Moore.  Eigenart  der 
HMh-  wi4  Wtoeenmoore.  MMnrlknliclM  BiMnagea, 


Die  Abhingigkeit  der  geographischen  Ausgestaltung  des  Münchener 
Beckens  von  seiner  geognostischen  Struktur  zeigt  sich  in  keinem  anderen 
Gebiete  desselben  anschaulicher,  als  im  Bereiche  der  Moor-  und  Heide- 
wiesen. Wir  sahen,  dass  den  oberen  und  mittleren  Teil  unserer  Hoch- 
ebene breite  Gerölllager  fluvio-glaciaieu  Ursprungs  weithin  decken, 


wei<^  meist  locker  aufgeschüttet 


184 


Gruber, 


Xagelfluh  verkittet  erscheinen,  für  die  Tagtisgewässer  nicht  imper- 
meabel sind.  Die  abnoBpliSriBcheii  NiedemhlSge  Tennögeti  deshalb 
ungehindert  in  dieselben  einzudringen  und  sickern,  verstärkt  durch 
ansehnli(^he  Partieen  Ton  Quell-,  Fluss-  und  Seewasser,  dureh  sie  nach 

der  Tiefe  hin. 

Es  gelanpfen  somit  sehr  beträchtliche  Wassermengen  bis  auf  die 
stark  undurchlässige  K^chicht  der  tertiären  oberen  Süsswa^sermoksse. 
Hier  werden  sie  Ton  weiterem  Eindringen  zurückgehalten,  gesammelt, 
und  fliessen  nun  auf  der  Sohle  des  Hinzes  als  Grundwasser  in  den 
Schottern  abwärts.  Ausser  dieser  der  gesamten  Hochfläche  angehörigen 
unterirdischen  Strömung  besitzt  jedes  Thal  sein  eigenes  Grundgewässer, 
das  sich  in  den  vom  einzehien  Flusse  niedergelegten  Allnvinnen  weiter- 
bewegt. Innerhalb  der  iMünchener  Terrassenstufen  treten  .sogar  o  Ströme 
auf.  Der  oberste  von  ihnen  fliesst  in  den  Kiesmassen,  welche  Bavaria 
und  Ruhmeshalle  tragen  und  dem  allgemeinen  Plateau  angehören.  Sein 
Verlauf  ist  gleich  jenem  der  analogen  mächtigen  Strömung  auf  der 
östlichen  Isarseite  so  regelmässig,  dass  sich  die  Horizontalkurren  des- 
selben oft  geradezu  der  Abdachung  des  Terrains  anscUiessen.  Ein 
anderer  Zweig  bewegt  .sich,  dnrch  vier  Flinzriicken  zerteilt  und  in 
einer  grösseren  Anzahl  uiuldenförmiger  Emtiefungen  gesammelt, 
5 — 15  m  tiefer  auf  den  mittleren  Terrassenebenen  Münchens.  Inner- 
halb der  dritten  Terrasse,  durch  welche  die  meisten  der  Stadtbäche 
sich  hinziehen,  stehen  viele  Brunnen  sichtlich  unter  dem  Einfluss  des 
Kückstaues  der  Isar,  deren  AUuvialschottem  ebenfalls  ein  Grundwasser- 
ström  zukommt. 

Richtung  und  Geschwindigkeit  der  Grundwasserströmungen  sind 
von  der  Konfiguration  ihrer  Sohle  abhängig,  weich'  letztere  allenthalben 
in  breiten  Wälenlinien  weiterzieht  und  stdlenweise  durch  Erosion  stark 
beeinflusst  erscheint;  sie  werden  aber  zugleich  auch  durch  die  grössere 
oder  ^'oringere  Dichtigkeit  der  dem  Flinz  auflagernden  SchotterbSnke 
mitbestimmt.  Im  allLrcmeinen  geht  die  Neigung  des  erst^Ten  von 
Südsüdost  zu  Nordnordwest  und  ist  etwas  geringer  als  diejenige  der 
Kiesschichten.  Auch  das  Gefälle  des  Grundwa.ssers  bleibt  hinter  jenem 
der  Oberfläche  etwas  zurück.  So  neigt  sich  die  Sohle  des  Mün- 
chener Beckens  auf  der  30  km  langen  Strecke  zwischen  ThaUdrchen 
tmd  Pulling  1*  i  Fk  i^iug  um  73  m,  während  die  Grundwasserhonzon- 
talen  nur  eine  Ditferenz  von  04  m  zeigen;  am  entgegengesetzten 
Ufer  der  Isar  fällt  das  Terrain  in  der  ebenfalls  30  km  langen 
Linie  Holzkirchen-Aschheim  um  182,  das  Grundwasser  nur  um  97  m. 
Im  allgemeinen  lässt  sich  erweisen,  das.s  letzteres  bei  je  einem  Kilo- 
meter Entfernung  nach  Norden  2 — 3  m  an  Höhe  verlieri  Auf  diese 
Zahlen.  «Iben  die  beständigen  Schwankungen  des  Grundwasserspiegels 
keinen  irgendwie  l)eträchtlichen  Einfluss.  zeigen  sich  unabhängig 

vom  Sinken  oder  Steigen  der  Isar  und  sind  durchaus  nicht  annueller 
Natur,  sondern  gehen  in  grösseren,  für  heute  noch  nicht  genau  bestimm- 
baren Perioden.  Herr  Geheimrat  von  Pettenkofer,  der  gründlichste 
Kenner  dieser  Verhältnisse,  hat  dieselben  in  der  Zeit  vom  August  1856 
bis  September  1878  für  die  nahe  am  Sttdende  des  £rdinger  Moores 
gelegenen  Ortschaften  Berg  am  Laim  zu  3,61—8,83,  Straastarndering 


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17] 


Das  Milucheaer  Becken. 


185 


zu  4,77 — 4,70  und  Kirchtruderiiig  zu  4,80m  gefunden;  au  anderen 
SteUen  eirachten  sie  taai  die  doppelte  HSbe,  stets  aber  ohne  wesent- 
liche Veriindeningen  in  der  Stromrichtnng  als  Folge  zu  haben. 

Die  Mächtigkeit  der  Grundwasser  und  Flins  überlast  rnden  Ge- 
röllschichten  nimmt  vom  Rande  der  Vorberge  an  gegen  Norden  konstant 
ab.  Im  Gebiet  des  Müncbener  Beckens  berechnet  sich  der  Höhen- 
unterschied zwisdien  der  Terrainoberfiiiche  und  dem  Spiegel  der  8  bis 
lOm  tiefen  unterirdischen  Strömung  auf  der  rechten  Isarseite  bei  Holz- 
kirchen  zn  85,  bei  Oberwarngau  za  51,  bei  Sanerlach  zn  40,  bei 
Otterfiog  zu  20 ,  bei  Perlach  zn  4  m.  Unmittelbar  am  Rande  des 
Erdinger  Moores  ist  derselbe  so  gering,  dass  sich  die  Koten  des  Grund- 
wasserspiegels mit  jenen  des  Terrains  £ast  decken,  wie  folgende  An- 
gaben beweisen: 

UQhe  des 
Terntiiu 

Bei  Dornach  517,5  m 

Bei  Daglfing   51()..'in 

Bei  Aschheim  511,1m 

Bei  Johanniskircheii   510,0  m 

An  der  Vordermühle   506,9  m 

Oestlich  Ton  Unterföhring  am  Gleisenbach  502,9  m 
An  der  Hintermtihle   500,0  m 


Höhe  des 
Gnmdwaaaers 

516.3  m 
5 1 5,0  m 
51U,3  m 
508,8  m 
506,0  m 

502.4  m 
499,0  m*). 


Die  gleichen  Verhältnisse  wiederholen  sich  auf  der  Hochebene  des 
hnken  Isarnfers.  In  Fiixstenried,  nördlich  Yon  Mfinchen,  wird  das 
Grundwasser  22  m,  in  Obersendling  19,  in  Mittersendling  12,  an 

der  Bavaria  10—11,  auf  dem  Marsield  am  Ende  der  Karlsstrasse  im 
Miincliener  Stadtgebiet  7,  gegenüber  dem  Zeughaus  (>,  bei  Kbenan 
sCdlich  von  München  nur  noch  M.5.  vor  Moosach  1,5  ni  hoch  über- 
lagert. In  der  Gegend  von  Ludwigsfeld  endlich  tritt  es  zu  Tage  und 
fliesst  nach  Norden  in  Form  sehr  wasserreicher  Bäche  weiter. 

So  ist  denn  durch  die  allmählich  bis  znm  Grundwasserspiegel  ab- 
nehmende Mächtigkeit  der  quartftren  GerOllschichten  die  wesentlichste 
£ntstehungsursache  des  grossen  Doppelmoores  an  der  mittleren  Isar 


Idealer  L&ngenschniit  durch  das  MOnchener  Becken. 


zwanglos  gegeben  und  zugleich  erkannt,  wie  eng  g^  nt  tisih  die  Moor- 
landschaften um  Erding,  Freising,  Schleis.sheim  und  Dachau  zusammen- 
gehören. Würden  die  Schottermassen  an  den  Südrändern  der  Moore 
um  wenige  Meter  höher  aufgehäuft  sein,  so  wäre  damit  auch  die  Grenze 


')  Die  Messungen  besiehen  rieh  auf  das  Jahr  1870. 
FondiwigtB  so«  dmtidMB  Land—'  vad  TolUknirfe   X.  4. 


14 


180 


Gruber, 


1.18 


zwischen  Tersumpftem  nnd  anbaufiLhigem  Gebiete  entsprechend  yer- 
schoben  worden.    Hier  entscheiden  .sogar  oft  nur  einige  Decimeter 

Kiesüberlagerung  mehr  oder  weniger  über  den  Kulturwert  ausgedehnter 
Fläclion.  IhVse  Thatsache  wird  uns  bei  der  Frage  nach  den  Ent- 
.steliungsurstu'hen  der  von  den  Mooren  umschlossenen  Heidestriche  in 
extremer  Ausprägung  entgegentreten.  —  Die  Abhängigkeit  der  Moor- 
bildung vom  Grundwasser^  welche  in  den  Berichten  der  Kommission 
fflr  WasRerversorgung  nnd  Kanalisation  Mflnchens  neuerdings  in  ans- 
gezeichneter  Weise  durch  Baurat  Salbach  und  Ingenieur  Thiem  ile- 
monstriert  ward,  hat  übrigens  Professor  Zierl  bereits  1839  im  Ceutral- 
blatt  des  laud  wirtschaftlich  »Ml  Vereins  für  Hävern  endgültig  nach  sie  wiegen. 
,Der  \\  asserüberflnss  de.s  1  )arhau-Freisuiger  Moores."  schreil)t  er  dort, 
»entsteht  durch  Durchsick  er  uug  aus  dem  Untergrund.  Alles  Wasser, 
was  von  den  höheren  Stellen  eingesaugt  wird,  was  ans  den  BSchen 
nnd  vielleicht  auch  Seen  durchsickert,  kommt  bis  zu  der  Mergelschichte 
(dem  Flinz),  wird  Ton  hier  zurückgedrängt  und  soweit  fortgeführt,  bis 
es  in  den  Mooren,  als  den  tiefsten  Stellcii.  wieder  zum  Vf)rschein 
kommt.  Diest's  lehrt  der  unmittelbare  Anblick  und  das  \'erhiiltnis  der 
Brunnen.  Sie  werden  um  so  seichter,  je  mehr  man  sich  dem  Moore 
nähert,  wo  endlich  das  Niveau  der  Brunnen  mit  dem  des  Moores  zu- 
sammenfÜUt.  Das  Steigen  und  Fallen  des  Wassers  in  den  Brunnen, 
was  man  hier  den  Hügel  nennt,  steht  in  genauem  Zusammenhange  mit 
der  Menge  des  W^assers,  das  auf  den  Mooren  zum  Vorschein  kommt.* 
Noch  vor  /ierl  erwähnte  schon  W^eiss,  der  geistvolle  Topograph  aus 
dem  Anfiuij^  unseres  Jahrhunderts,  dass  die  zwischen  Mosach  und  ünter- 
schleissheim  auftretenden  Quellen  durchgesickertes  Isarwasser  seien, 
welches  an  den  unteren  ändern  eines  vermeintlich  vom  Flusse  selbst 
gebildeten  Geachiebekegels  wieder  zum  Vorschein  komme 

Der  ungehinderte  Ausfluss  von  Grundwasser  rief  nun  allerdings 
nicht  allein  die  Moore  des  Münchener  Beckens  hervor.  FJiespen  jenen 
doch  .v;owohl  von  ilirer  östlichen  als  westlichen  Umrandinifj  eine  solch* 
stattliche  Anzahl  von  Quellen  zu,  dass  0.  Sendtner  den  von  ihnen 
gelieferten  Kalksiuter  allein  für  die  Entstehung  der  Erdinger  Moor- 
huidschaft  verantwortlich  machte*)*  Femer  dringen  ansehnliche  Par- 
tieen  der  in  der  Isar  gesammelten  Gewässer,  ähnlich  wie  nachge- 
wiesenermaassen  in  der  Würm  von  Percha  ab,  direkt  durch  die  stark 
porösen  Alluvionen  nach  den  Moorebenen  hin,  welche  auf  weite  Strecken 
unter  ihren  Spiegel  zn  liegen  kommen;  an  anderen  Stellen  ))pwirken 
sie  eine  Stavuing  des  unterirdischen  Stroms  und  erleichtern  ihm  dadurch 
eine  ausgiebige  Durchfeuchtung  der  Oberfläche  des  Bodens.  Franz 
von  Paula  Schrank  hat  die  letztere  Beobachtung  in  fiberzengender 
W^eii^e  schon  vor  beinahe  einem  Jahrhundert  lOr  seine  Theorie  von  der 
Entstehung  des  Donaumoores  bei  Neuburg  verwertet.  Endlich  ist  zu 
betonen,  dass  die  Moorwiesen  unter  regelmässigen  und  starken  lieber- 


')  Südbayum8  Oberfliichc  nach  ihrer  äusseren  Gestaltung,  S.  189. 
')  Die  Yegetationsverhältnisse  Südbayems  nach  den  Gruncbätsea  d^  Pflanzen- 
geographie.  Manchen  1854,  S.  (S82. 


lyj  Das  Mimchener  Becken.   ^  137 

^hwemmonffen  ihrer  in  einem  engmaschigen  Netze  auf  faltenlosem 
Terrain  hinffiessenden  Bache,  vor  allem  der  Mosach  nnd  Dorfen,  leiden. 
Ans  diesem  Gmnde  zeigen  .sich  auch  die  am  lueisten  vermoorten  and 
am  8chwei*sten  /.n  kultivierenden  Gebiete  um  Rande  jener  Gewässer. 

Fassen  wir  all'  dies  zusammen,  so  ergiebt  sich,  d;is-^  dio  pfrossen 
Muoitliiclieu  des  Münchener  Beckens  als  echte  Quellmoore,  wenn 
auch  nicht  vom  einfachsten  Typus,  zu  bezeichnen  sind.  Sie  empfangen 
ihre  Wassermenge  hauptsächlich  ans  dem  Untergrund  nnd  zwar  vor- 
wiegend durch  den  Ausfluss  einer  mächtigen  Grund wasserströmung. 
Ihrer  geographischen  Situation  nach  müssen  dieselben  jenen  Mooren 
angereiht  werden,  welche  Albrecht  Fenck  als  Thalmoore  bezeichnet, 
und  zwar  um  so  mehr,  als  ihnen  die  Isar  selbst  tributär  wird.  Thal- 
moore lagern  mit  geringen  Ausnahmen  jenseits  des  Gebietes  früherer 
Vergletscherung  in  den  weiten,  flachen  Kiesniedemngen  aller  bedeu- 
tenderen sftdhayerischen  Flfisse.  Sie  zeigen  indes  wesentliche  Ver- 
schiedenheiten untereinander,  und  ihre  Entstehung  erseheint  stets  von 
mehreren  Ursachen  zugleich  abhängig,  was  allein  schon  ihre  Lage 
sowie  die  Beschatfenheit  ihres  Untergrundes  bedingt.  Die  gleichen 
Faktoren,  welche  neben  dem  Grundwasser  bei  Erzeugung  des  Erdinger 
und  Dachau- Schleisssheimer  Moores  thätig  sind,  nehmen  auch  an  der 
Bildung  der  unter  analogen  VerhSitnissett  auftretenden  Quellmoore  in 
der  Tnalweitung  unterhalb  Augsburg  und  auf  den  SchotterflSchen  nm 
Memmingen  Teil.  Von  letzterem  bezeugt  Otto  Sendtner  ausdrücklich, 
dass  es  dio  Eigentümlichki'iten  der  (^)uellmoore  —  er  nennt  letztere 
Wiesenmoore  —  mit  am  an.^gesprochensten  dar.stellt. 

Trotzdem  aber  vermochte  auch  dieser  Gelehrte  die  jenen  Er- 
scheinungen insge.samt  zu  Grunde  liegende  Hauptursache  nicht  endgültig 
festzusteUen,  irregeleitet  durch  den  gerade  in  den  Moorebenen  an  der 
mittleren  Isar  weithin  verbreiteten  amorphen  kohlensauren  Kalk,  den  sog. 
Alm.  Sendtner  führt  ihn  ausschliesslich  auf  die  den  Moorründern  entflies- 
senden  QuellergOsse  zurück,  während  er  in  Wirklichkeit  gW'^^stenteils  ein 
Absatzprodukt  de.s  von  Süden  her  anströmenden  und  zu  Tage  getretenen 
Grundwassers  ist.  Dieses  nahm  während  seines  langen  Laufes  in  den 
GerßUschichten  eine  Menge  kohlensauren  Kalkes  auf,  von  welchem  es 
nach  bekannten  Gesetzen  bei  der  Berfihmng  mit  atmosphärischer  Luft 
einen  Teil  wieder  abgibt.  Jener  Niederschlag  bildet  in  frischem  Zu- 
stande eine  breiige,  gmraose  Masse,  im  trockenen  einen  mürben,  leichten 
nnd  rauhen  Sand  von  weisser  oder  gelblicher  Farltf.  Häufig  b«»(ro<rnpt 
er  in  seichten  Schichten  von  einigen  Centinietern  MärhtiLxlo  it :  wir 
bemerkten  ihn  aber  auch  an  mehreren  Steilen  der  östlichen  Moorliälfte 
in  Lagen  von  1 — 1,20  m  Hohe,  und  fanden  denselben  Oberhaupt  hier 
öfter  als  im  gegenüberliegenden  Dachau-Schleissheimer  Moor.  An  der 
Goldach  sah  ihn  Sendtner  5  m  hohe  HOgel  zusammensetzen  nnd  zu 
Tuff  verhärtet. 

Da  nun  der  Alm  in  hohem  Grad«'  wasserundurchlässig  »'rscheint 
und  die  einmal  erhaltene  Feuchtigkeit  für  lange  Zeit  zurückhält,  glaubte 
Sendtoer  annehmen  zu  können,  dass  er  den  Mooren  auf  Kiesniedemngen 
eine  impermeable  Unterlage  verleihe  und  gelangte  hierdurch  zu  folgenden 
Behauptungen:  Ursprfin^che  Moorbildung  findet  sich  auf  Kies  nur 


188 


Gruber, 


[20 


dann,  wenn  dieser  von  Alm  bedeckt  wird;  Alm  begleitet  jede  Wiesen- 
moorbildnng;  in  allen  Füllen  ist  jeder  Wiesenmoorbildung  Almbildnng 

vonin^eganp;en.  Die  Mögliclikeit,  dass  Moor  und  Alm  eine  gemeinsame 
()u<'lle  haben  könnten,  faml  w  überhaupt  nicht  für  nötig  zu  dis- 
kutieren. Auch  eine  .sehr  geUHUc  Kenntnis  der  Schrift  Zierls:  Ueber 
die  Gewinnung  und  Benützung  des  Torfes  in  Bayern  (München,  1839, 
102  S.)  leitete  ihn  nicht  auf  die  so  offSsnliegende  Grondnnache  der 
Entstehung  unserer  Thalfiächenmoore.  Um  eine  ihrer  sekundären 
Wirkungen  klarzulegen  und  zu  allgemeiner  Geltung  zu  bringen,  Hess 
er  ibre  eigenen  Wirkungen  aufhören,  nachdem  „die  durch  die  Per- 
mealHlität  des  Gesteins  eriiioL'^Iichte  Almbildung  die  Obertiiiche  ganz 
oder  teilweise  verschlossen  hat.  Nur  die  von  jener  befreiten  iStrecken 
m^en  noch  als  ursprünglidie  Sii^ermoore  gelten*.  Nun  leugnen  wir 
gewiss  nicht,  dass  Alm  in  ähnlicher,  ja  Terstärkter  Weise  wie  Torf 
durch  seine  wasserhaltende,  wasseranziehende  Kraft  die  Fortcrzeugun|^ 
von  Qnellmooren  unterstützt.  Er  ist  aber  nicht  imstande,  jene  auch 
nur  vorzugsweise  allein  zu  bilden,  unterliegt  vielmehr  selbst  der  steten 
Erneuerung  durch  ansfliessendes  Grundwasser. 

Sendtners  Aliutheorie  erfuhr  denn  auch  sofort  nach  dem  Er- 
scheinen der  „VegetationsTerhältnisse  SOdbajems*  einen  energische 
Widerspruch  durch  Professor  Dr.  Fraas welcher  auf  Grund  eigener 
Studien  die  Thatsache  konstatierte,  da>>  sich  amorpher  kohlensaurer 
Kalk  ebensowenig  überall  in  der  Unterlage  unserer  Wiesenmoore 
findet,  als  er  den  Hochmooren  fehlt.  Ihm  erschien  derselbe  überhaupt 
nicht  impermeabel,  deswegen  könne  auf  ihm  auch  kein  Moor  wachsen; 
ausserdem  betonte  Fraas,  dass  der  Alm  der  Landwirte  ebenso  ver- 
schieden sei,  als  der  amorphe  kohlensaure  Kalk  der  Mineralogen« 
Endlich  suchte  er  noch  zu  beweisen,  dass  aof  den  Lehm-  und  Thon- 
schichten des  Fichtelgebirges  ebensogut  Wiesenmoore  entstehen  kQnnen, 
als  auf  dem  Kalkgerrtll  oder  dem  Alm  Südl)averns. 

Leider  verliess  dieser  ( >  t  h'lntc  bei  Begründung  si-iner  Gegen- 
sätze zu  Sendtner  allzuhüutig  (ieu  Ton  objektiver  Kritik.  Zudem 
verlor  er  selbst  in  seinen  Behauptungen  das  richtige  Mass,  wie  denn 
der  Satz,  dass  Alm  nicht  impermeabel  sei,  in  dieser  allgemeinen 
Fassung  geradezu  irrtümlich  erscheint.  Dagegen  haben  wir  anderer- 
seits die  Be()))achtnng  bestätigt  gefunden,  dass  W^iesenmoorbildung  und 
das  Vorkommen  von  ani(»ri»hem,  kohlensaurem  Kalk  durchaus  nicht 
notwendig  im  Zu.sammenbang  stehen  müssen.  AV)gesehen  von  der 
That>sache,  dass  in  den  auf  Tertiärsand  ruhenden  W^iesenmooren  Süd- 
bayerns Alm  nur  stellenweise  angetroffen  wird,  wie  auch  Sendtner 
zugeben  muss,  liefern  eine  stattliche  Reihe  von  Bohrversuchen  und 
Schürfungen  im  Gebiet  der  Moorlandschaften  nördlich  von  Mfinchen 
die  über/eiitfon(]^teii  Beweise  hierfür.  Professor  Kremer.  dessen  sorg- 
fälti'je  Arbeiten  über  die  Reliefgestaltung  der  Moorhälfte  zwischen 
Garc  liijiger  Heide  und  Dachau  wir  bereits  zu  erwähnen  hatten,  fand 


Fruas,  Dr.  J.:  Beitrug  2ur  Kritik  der  Ve^etatiunsverhäitnisse  Südbayems 
von  0.  Sendtner.  Zentralblatt  des  landwirtachafUichen  YereinB  in  Bayern,  1854. 
8.  321— m 


^  j  i.Lo  l  v  Google 


21] 


Das  Mflnehener  Becken. 


189 


hier  bei  110  Bohrungen  kaum  in  V«  Fällen  Alm.  In  21  Schürf- 
jrrnben.  wclrho  nelt'£r'"nlieit  der  von  dor  obersten  Baubeltörrle  in 
München  juisLCelulirteu  Nivellements  in  der  Mittt>  dos  Erdiii^er  Moores 
ausgeworfen  wurden,  iund  sich  Torf  nur  zweimal  m  der  ^siihe  von 
Schweig  und  am  Lohmühlbach  auf  Alm,  dagegen  achtmal  direkt  auf 
Kies  rabend.  Nach  den  wenigen  Fjrofilen  Tbiema  bat  das  Moor  bei 
Daglfing  lodkeren  Kies  als  Untergnmd  und  bedeckt  am  Fohringerbach 
fino  50  cm  mächtige  Lehmschicht,  welche  ihrerseits  wieder  einer 
•.•.20  in  li'  hi^ii  Kiesbank  aufsitzt.  Wir  selbst  haben  an  1 1  Punkten 
des  luittieieii  nn<l  unteren  Erdinger  Moores  Aufschlüsse  beobachtet, 
von  denen  ebenfalls  fünf  der  Meinung  Sendtners  widersprechen.  Da 
die  Schicbtenfolge  in  mehreren  derselben  die  geognostische  Zusammen- 
setzung des  Moornntergmndes  Ostlidi  der  Isar  charakteristisch  auf- 
geschlossen darlegt,  geben  wir  dieselbe  in  einfachen  Zeichnnngen 
wieder  *). 


Bodenprotile  iu»  Erdiuger  Moor. 

BM  JM  An  der  B*I 

Zragannoo«.  SKooiIiuiIdb.  Alteoli.  Schwaigs 


Von  den  auf  Kiesniederungen  der  Flussthäler  ruhenden  Quell- 
mooren bat  man  seit  Zierl  die  in  impermeablen  Mulden  liegenden 
Hochmoore  —  jener  Autor  nennt  sie  Kessehnoore  —  scharf  untcr- 
.«chieden.  Sendtner  versuchte  später  mit  einem  grossen  Aufwand  von 
Gelehrsamkeit  nnd  Flei.«;.s  den  OeL'"«'ns!it/  zwischen  beiden  !mf]i  liin- 
sichtlich  ihrer  Ptlunzendecke  im  emzeliien  zn  jirüfen  und  durzuieL:'  ri. 
Es  gelang  ihm,  nachzuweisen,  dass  von  Arten  (darunter  1-7 
eigentfimUche)  22,(i  V  den  Hochmooren  und  47,3  ^/o  den  Wiesenmooren 
charakteristisch  sind,  30,1  ^/o  oder  100  Arten  aber  beiden  gemeinsam 
ZQgebören. 

')  Die  deu  Torf  hier  und  anderwärts  0,40 — 1  m  hoch  Ijedockoade  Erdschicht 
iflt  auffallend  am  an  HineralbestandteUen.  Nimmt  man  mit  Vogel  das  Terhllltnis 

der  organischen  Subtstanzen  /.u  (1>mi  mineralischen  in  fruchtbarem  Boden  wi6  1 : 2 
an»  so  ergiebt  sich  dasselbe  für  Torf  erde  wie  5  :  2. 


190 


Graber, 


[2-2 


Dieses  Verhältnis  führt  uns  wieder  zurück  auf  die  Bescliaflfon- 
heit  des  Untergrundes  genannter  Moorformen  \md  bestätigt ,  das;  die 
Verschiedenheit  beider  in  erster  Linie  eben  hier  zu  suchen  ist.  Professor 
Dr.  Vogel,  welcher  über  die  Genesis  der  südbayerischen  Moore  mebr- 
mala  Tor  der  Akademie  der  Wissenschaften  zn  München  s{)rach,  hebt 
diesen  Umstand  in  seiner  Arbeit:  ,Hochmo()rbildung  im  Wiesenmoor* 
öfters  hervor.  Er  betont  aber  auch  zugleich,  dass  sich  niclit  nur  in 
der  Ziisjiinuiensetziint;  der  Unterlage,  sondern  inidi  in  }pwv  (lt>r  das 
Moor  bedeckenden  Erdschichten,  des  Torti  -^  und  des  I Ortwassers  be- 
deutende Unterschiede  ergeben,  wciclie  unzweifelhaft  bezeugen,  dass 
in  den  auf  Thon  lagernden  Mooren  Kieselerde,  in  denjenigen  ant 
Idesigen  ThalfiKchen  hingef^en  Kalk  Torberrscht,  die  ersteren  demnach 
als  Kiesel-,  die  letzteren  als  Kalkmoore  zu  betrachten  sind,  was  auch 
schon  dnrcli  Sendtner  fest^^estellt  ward  „Nicht  das  Mass  des  Wasser- 
vorrats,  auch  nicht  die  jdiysikalischen  Eigenschaften  des  Untergrundes, 
deren  Modifikationen  in  beiden  Verhältnissen  gleichen  Umfang  haben, 
entscheidet  die  Verschiedenheit,  sondern  allein  das  chemische  Element.*" 

Letzteres  erscheint  denn  auch  als  die  Hanptnrsache  der  wesent- 
lichen Differenzen  zwischen  Hoch-  und  Wicsenmoorflora,  welche  von 
mehreren  Autoren  vielleidit  zu  scharf  theoretisch  aufgefittst  wurde. 
Der  Untergrund  unserer  Moortlächen  erleidet  stellenweise  einschnei- 
dende Aenderungen.  Mitten  im  Gebiete  der  Quellmoore  tatu-hen  ein- 
zelne lehmbedeckte  Striche  auf,  welche  eine  Reihe  charakteristischer 
Vertreter  der  Vegetation  auf  Hochmooren  tragen.  So  fimd  Sendtner 
ostlich  der  Isar  zwischen  Schdn  und  Birkeneck  eine  mit  Eriophorum 
▼aginatum  und  Va(;cinium  oxycoccos  tlberzc^ene  Stelle.  Am  sfidlichen 
Ausgang  des  Schleissheimer  Moores  sah  er  Arnica  raontana  sowie 
Callnna  vulgaris  und  weiter  nördlich  unter  anderem  wieder  Vaccinitini 
oxycoccos  und  Carex  limosa.  Dr.  Eisenbart  verzeichnet  in  dimiselbeii 
Gebiete  Sphagnum  subsecundum  und  Sphagnum  cuspidatum;  Professor 
Fraas  aber  erklftrt,  er  hStte  hier  ausserdem  Leersia  orizoides,  Rhyn- 
diospora  alba,  Orchis  angustifolia  und  Thysselinum  palustre  angetroffen. 
Endlich  entdeckte  Dr.  Vogel  im  sogenannten  Schwarzholz  Avestsüd- 
•westlicli  von  Scldeissheim  eine  Oase  mit  Sphagnen;  wir  selbst  haben 
an  dem  gleiclien  Orte  zwar  nicht  letztere  selbst,  aber  Vaccinium 
imd  Betula  humiUs  in  prächtigen  Exemplaren  gesammelt. 

Zählen  alle  erwähnten  Pflanzen  den  eigenartigen  Formen  der 
Hochmoore  zu  —  selbst  Betula  humilis  gehört  mehr  ihnen  als  jenen 
der  Quellenmoore  an  —  so  lässt  sich  auch  andererseits  beweisen,  dass 
der  Charakter  des  Sphagnetums  unter  dem  EinÜuss  kalkreicher  Ge- 
wässer wesentlit  ]i  geändert  wird.  Fa>t  alle  Moore  an  Flnssufern  sind 
selbst  aut  thouiger  Unterlage  Wiesenmoore,  sobald  sie  Ueberschwem- 


*)  öitzuugdbenchtc  der  königl.  baver.  Akatleiuie  cler  W'i>seiiscliat'teu.  matbeui.- 
pliys.  Klasse.  1866,  I,  S.  15  ff. 

'■')  AäcIic  von  ITochiiioorirras  crgal»  bei  der  Analyse  <">'2"  o.  A.-cIh-  von  Wi»  i^en- 
iiioorgraa  i{4V  Kieselerde.  In  Asche  von  Hochnioortort  landen  sieh  12— 30"ü,  in 
jener  von  Wieaeninoortorf  durchschnittlich  2— 5^'o  dessdben  Minerals.  Torferde 
d.T  l'nchinonre  entliint  im^refälir  die  4-  oder  5foclie  Menge  an  Kieselerde,  welche 
deijunigeu  der  Wieseiuuuuru  zukommt. 


^  j  i.Lo  l  v  Google 


23] 


Da«  Müncbener  Becken. 


191 


mungen  ausj^esetzt  sind.  Es  ist  eine  längst  bekannte  Erscheinung, 
daas  kalkhaltige  Bäche,  welche  durch  Hochmoore  fliessen,  längs  ihrer 
Bander  der  Sphagnen  und  der  Pinus  pumilio  entbehren,  ebenso  wie 
nach  nnserer  Meinmig  jene  yereinzelten  Stellen,  an  denen  die  imper- 
meable Thonnnterlage  merklich  unterbrochen  wird. 

So  greift  also  die  Pflanzenwelt  der  Wiesenmoore  hier  und  dort 
auf  das  Gebiet  der  Sphagneta  über,  umgekehrt  geliörcn  nher  auch 
jenen  eine  Anzahl  inselförmig  umrandeter  Stelleu  an,  welche  Huchmoor- 
pflaiizeu  tragen  Dies  beweist  uns,  dass  der  ins  Einzelne  gehende 
floriatische  Unterschied  beider  Formen  wenn  auch  intensiv,  doch  nicht 
aÜKQ  allgemein  oder  ansschliessend  hervortritt.  Damit  ist  aber  keines- 
wegs die  Yerschiedenlieit  jener  in  ihrer  landschaftlichen  Physiognomie 
geleugnet,  die  niemand  entgehen  konnte,  welcher  auch  nur  vorüber- 
geliend  das  weithin  baumlose  Siidende  der  Miinchener  Moore  und  eine 
Partie  der  waldigen  Filze  in  der  Nähe  liosenheims  gesehen.  Zierl 
schon  machte  darauf  aufmerksam,  wie  auch  das  Volk  jene  Differenz 
durch  die  Bezeichnung  der  Hochmoore  mit  Filz  (Ried) v  und  diejenige 
der  Wiesenmoore  mit  Moos.  PI.  Moser  zum  Ausdruck  bringt,  Be- 
nennungen, welche  eben.so  häufig  in  der  Moorlitteratur  als  auf  den 
Karten  des  bnyer.  Oenoralstuhs  entgegentreten.  Bekanntlich  wird  der  Ge- 
sarathabitus  der  Filze  durch  Sphagnenrasen,  Vertreter  der  Flora  unserer 
Heiden  und  Wälder  aus  Pinus  pumilio,  jener  der  Moser  durch  Cype- 
raceen,  Polster  aus  Hjpnen  und  kräftige  Bestände  der  Pinus  sylvestris 
vorzugsweise  bestimmt. 

Da  der  Gegensatz  beider  Moorformen  an  der  Hand  von  Spezial- 
floren im  einzelnen  hier  nicht  näher  zu  bestimmen  ist,  möchten  wir  an 
dieser  Stelle  noch  auf  das  verschiedene  Mass  der  Vermoorung  in 
einem  und  demselben  Gebiete  aufmerksam  nuuhen.  Eine  Abstufung 
des  Feuchtigkeit«grades  innerhalb  so  weiter  Landschaften,  wie  es  die 
Moore  zwischen  Dorfen  und  Amper  sind,  ergiebt  sich  schon  a  priori 
aus  der  früher  skizzierten  Art  ihrer  Entstehung.  Die  Mächtigkeit 
der  Kiesdecke  Ober  d^m  Grundwasserstrom,  so  seicht  sie  auch  sein 
mag.  schwankt  hit-r  mehr,  dort  weniger  nach  der  HTilie.  lässt  des- 
wegen au(  h  l>aM  grössere,  bald  geringere  Wassermengen  zum  Ausfluss 
gelangen.  Ihre  allmähliche  Abnahme  vermittelt  zugleich  einen  klar 
ausgesprochenen  IJebergang  zwischen  den  eigentlichen  Moorflächen 
und  den  sie  im  Süden  begrenzenden  fruchtbareren  GerSlUagem.  £r 
ist  durch  eine  2 — 3  Kilometer  breite  Zone  feuchter,  sumpfiger,  bereits 
an  sauren  Gräsern  reicher  Wiesen  (, Hardtwiesen ")  repräsentiert,  moor- 
ähnlichen Erscheinungen,  wie  sie  besonders  häufig  zwi^^rhen  den 
Moränen  auftreten,  auf  denen  aber  der  eigenartigen  Moorveg»  tation  nur 
wenig  liaum  gegönnt  ist,  falls  sie  der  Dünger  überhaupt  nicht  giiiizlich 
vertrieb.  Dieselben  sind  jedoch  auch  mitten  im  Bereich  ausgeprägter 
Moorkomplexe  selbst  um  so  leichter  zu  beobachten,  als  sie  allenthalben 
der  Landwirt  bereits  in  seinen  Besitz  genommen.   Sie  unterscheiden 


')  Ein«?  Reihe  üiuleror  liierlier  jjeliorist^r  Beispiele  fiticrt  .T.  .1.  Früli  in 
sein'^r  Schrift:  ,1'eber  Torfe  iin<l  Dopplerite.*  Kint' nnnero^'-»'iictischc  Studie.  Zürich, 
Verlag  von  J .  Wurster  &  Cie.    1883.   88  b.   S\   Mit  emer  Tafel. 


192 


Gruber, 


[24 


sich  Jils  eine  Art  Kulturwieseu  in  auffallender  Weise  von  den  Gras- 
ebenen und  Torflandschaften  längs  der  Moorbäche.  Im  Verein  mit  den 
karg  zerstreuten,  einem  ftrm]i<£en  Ackerimu  zugänglichen  Strecken 
mindern  dieselben  den  einförmig  monotonen  Gharaläer  unserer  Gebiete, 
indem  sie  im  kleinen  eine  Reihe  mannigfach  gruppierter  und  ver- 
schieden abgetönter  Bilder  in  die  geräumigen  Weiten  des  Moores 
hineinlegen. 

Eine  andere  Art  moorähnlicher  Erscheinungen  tritt  sehr  häutifj 
im  Alpengebirge  entgegen.  Dort  hnden  sich  auf  Gipfeln  und  kleineren 
Plateaus  (Hochfelln,  Geigelstein,  Daumen),  ähnlich  wie  in  den  polaren 
Regionen  der  Erde  auch,  echte  Torfbildungen,  ohne  dass  eigentliches 
Moor  anzutreffen  ist.  Sie  entstehen  gleich  wie  die  mächtigen,  meist 
dem  Kalk  unmittelbar  auflagernden  Modt  ianhäufnngen  der  Berghänge 
(Prof.  Dr.  Ratzel  beobachtete  am  Karwendelstock  eine  solrbe  u.  a.  noch 
in  2300  m  Höhe)  unter  dem  Einliuss  tortwährender  Feuchtigkeitszufuhr 
aus  der  Atmosphäre,  welche  die  Erzeugung  starker  Moospolster  bedingt, 
die  mit  den  in  ihnen  wachsenden  Vaccinien  und  Heidekräutern  sowie 
den  Generationen  älterer,  abgestorbener  Pflanzen  eine  torfartige  Sub- 
stanz geben.  Ihre  einzelnen  Bestandteile  führt  Sendtner  (S.  645  seines 
Werkes)  an. 


6.  Ueber  die  Bildung  der  .südbayerischen  Moore  überhaapt. 

Klassifikation  derselben. 

Wenn  wir  zum  Schluss  unserer  Betrachtung  Aber  die  Moore  des 
Miinchener  Beckens  einen  Blick  auf  die  Genesis  der  sfidbayerischen 
Moorlandschaften  überhaupt  werfen  wollen,  so  ist  vor  allem  der  den 
vermoorten  Gebieten  an  der  mittleren  Isar,  dem  unteren  Lech  und  der 
liier  näch.st  verwandten  Moore  längs  der  Donau  sowie  der  kleineren 
Flüsse  der  Hochebene  zu  gedenken.  Das  Thal  des  mächtigen  Grenz- 
stroms  zwischen  Süd-  und  Nordbayem  repräsentiert  sich  von  Ulm  bis 
Vilshofen  als  breite  Senke,  welche  durch  die  Einschnürungen  bei  Stepp- 
berg und  Abbach  in  :l  grosse  Weitungen  zergliedert  wird.  Walther  *) 
nennt  diese,  ohne  damit  den  geringsten  Anhalt  für  ihren  geographischen 
Ciiarnktor  zu  geben,  obere,  mittlere  und  untere  Donauebene.  Die 
lieitlen  t  isteren  tretten  auf  den  nordöstlichen  Lauf  des  Flusses  und 
zeigen  »ich  auüälieud  reich  an  Mooren:  Ulmer  Ried,  Donau- Ried,  die 
Ueberreste  der  Moore  in  dem  Mündungsgebiet  des  Lech,  sowie  end- 
lich das  grosse  Donaumoor,  welches  von  Neuburg  aus  gegen  die  Paar 
hinzieht,  lagern  ihm  auf  dieser  Strecke  an.  Nachdem  aber  die  Donau 
die  hart  an  sie  herandrängenden  Juraränder  verlassen  und  sich  von 
Regen.sbnrg  weg  gegen  Südosten  nach  den  Ausläufern  des  ostbayerischen 
Grenzgebirges  gewendet,  gehören  ihr  in  Bayern  nur  noch  die  Moore 
bei  Deggendorf  und  Plattling  zu. 


')  Walther,  Fr.  W.:  Topi.«ihe  Geographie  von  Bayern.    München,  Verlag 
der  litterariecb-artiitischen  Anstalt  1844.  S.  120  ff. 


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25] 


Dm  Mfincbeiier  Bedran. 


193 


Diose  iingleicho  Verteihine^  beruht  in  demselben  Masso  auf  der 
o(mj1( lu'isfhen  Vusgestaltung  des  Thalbodens  selbst  und  seiner  Umgebung 
ah-  auf  der  Kutwickeiuug  der  Zutiussverhültuisse,  die  im  nordwestiicbeu 
Teile  der  Hochebene  mteneiYer  aiisgeprägt  enehemen  als  im  nor^^* 
liehen  imd  durch  die  GerOUftlhrang  des  Hauptstromes  wesentlich  beein- 
flusst  werden.  Die  letztere  Thatsache  besonders  war  nicht  zu  über- 
sehen und  tritt  daher  in  allen  Schriften  zur  bedeutenden  Litteratur  über 
das  Neuburger  Donaumoor  seit  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts  ent- 
gegen. Wenn  auch  Schrank  Aretin  Stengel  Riedl,  Lutz,  Kling, 
Pechmann  ■•)  und  Sendtner  irrtümlicherweise  das  Donaumoor  auf  der 
Sohle  eines  abgelaufenen  Sees  sich  aufbauen  lassen,  so  fanden  sie  es 
doch  fiKr  nötig,  die  Wirkungen  der  rückgeschwellten  Flusswasser  bei 
der  Frage  nach  der  steten  Forterhaltung  desselben  heranzuziehen.  Am 
überzeugendsten  haben  Schrank,  Walther  und  Sendtner  hierfür  gesprochen; 

erwähnen  auch,  <lass  die  Donaumoore  niemals  unmittelbar  an  das 
jetzige  Ufer  des  Stromes  grenzen  und  dieser  besonders  zwischen  Ingol- 
stadt und  Neuburg  nirgends  die  Spur  einer  ehemaligen  Moorbildung 
entblltost  —  eine  Thatsache,  welche  den  deutlichsten  Hinweis  auf  die 
Entstehung  dieser  Oebiete  enthüU.  Indem  der  Fluss  mit  nicht  allzu- 
grossem  Gefälle  über  seine  AUuvionen  wegfliesst,  wird  je  nach  dem 
Pegelstande  ein  grösserer  oder  geringerer  Teil  seines  eigenen  Wassers 
gezwungen  ^^eit^värts  durchzTisickern.  Zugleich  versperren  die  Geröllab- 
lagerungen  den  zufliesseudcn  klemeren  Gewässern  die  Einmündung. 
Diese  werden  infolgedessen  zurttckgestaut  und  durchfeuchten  um  so 
stärker  den  Thalgrund,  als  sie  häufig  reranlasst  sind,  der  Richtung 
ihres  Hauptflusses  eine  Strecke  zu  folgen.  Die  Schotterstufen  und 
Ki<:'slȊnke  unmittelbar  an  der  Donau,  der  Paar  und  dem  Lech,  ffir  dessen 
unterste  Partieen  analoge  V'erliäitnisse  bestimmend  wirken,  verhindern 
aber  zugleich  die  MoorVulduug,  bis  an  jene  Flüsse  seihst  fortzuschreiten, 
wie  es  im  Münchener  Becken  teilweise  ja  ebenfalls  geschieht. 

Es  sind  demnach  auch  hier  die  Wirkungen  von  Grundwasser  in 
Gerollflächen,  welche  tief  in  die  Geschichte  der  Erzeugung  der  Moore 
eingreifen.  Nur  strömt  jenes  nicht  direkt  aus  der  Kiesschicht  von 
Süden  gegen  Norden  aus,  sondern  erscheint  als  in  der  Thalsenke  gegen 
die  Hochel)ene  hin  zurückgedrängtes  Flusswasser.  Ausser  ihm  tragen 
die  reiclien  Quellergüsse,  welche  den  Rändern  der  30 — 100  m  tief  unter 
ihrer  Umgebung  eingebetteten  Donaumoore  entsfoOmen,  wesentlich  zu 


')  Schrank.  Fmm  von  Paula:  Nuturhistorische  und  ökonomische  Briefe 
über  das  Donauinoor.  Nebst  einer  Euptotafel.  Manaheim,  bei  Schwan  n.  Q<Stz. 
1795.   211  8.  4". 

Aretin,  (Jeorj,'  Freiherr  von:  AktenmiU^ij^e  Donaumoorkultuimüchichte. 
Herausge^^eben  von  der  kurfürstlichen  Donanmoorkulturkommiasion.  Nebgt  einer 
Kupfertafcl.    Mannlieini.  hei  Schwan  u.  CJßtz.    1795.    4  " 

*)  Stengel,  Stcjthan  FrL-iheiT  von:  Die  Austruckiumg  des  Donaunioores. 
München.  .1.  Lindner.    17<)J.    22  S.  4». 

*)  Pech  mann.  Ifeinrich  Fn'ili-'iT  von:  Oeschichte  der  Au-trocknung  und 
der  Kultur  des  Lonauiuouros  in  Bayern.  Mit  einer  Karte  des  Donaunioorts.  Mün- 
chen, Stuttgart,  Tübingen.  J.  G.  Cotta.  1832.  156  S.  8*.  —  Die  geogiaphiech 
wichtige  Litteratur  übrr  ili«'  Moore  S'ildbayerns  übcrlianjit  liaben  wir  in  df-m  .Tahros- 
bericht  der  Geographiächeu  Gesellschaft  zu  München  lür  18Ö4  zusammengestellt. 


194 


Graber, 


[26 


ihrem  Bcj^tehen  bei.  Da  nun  dieselben  aucli.  wie  wir  aus  einer  vor- 
treö'lichen ,  leider  noch  nicht  zur  Veröffentlichung  gelangten  Arbeit 
Albrecht  Pencks  zur  Geologie  der  Donaubocbebene  ersalieii,  meist  auf 
Sand  und  jenem  Lehmboden  ruhen,  welcher  die  AUnvionen  der  Donau 
und  des  Lech  von  Augsbni^  an  bedeckt,  so  muss  selbst  jcfle  Ueber- 
schwemmnng  dazu  beitragen,  den  Charakter  dieser  Landsclmften  dort 
im  ganzen  unverändert  fortzuerhalten,  \vo  der  Fluss  noch  nicht  korrigiert. 

Die  Donaunioore  führen  also  insgesamt  in  erster  Linie  auf  die 
Durchfeuchtung  des  Thalbodens  mit  rückgestautem  und  durchgesickertem 
Flusswasser,  sodann  auf  den  grossen  Quellenreiebtum  der  ihnen  nahe- 

felegenen  HUgelsaume,  endlich  auf  die  geringe  Neigung  der  ganzen 
lusBweitung  flberbaupt  und  die  hierdurch  begünstigten  Ueberschwem- 
mungen  zurück. 

Welch  grossen  Eintiuss  letztere  auf  Versumpfung  und  Moor- 
bildung haben,  tritt  in  den  Thälern  einzelner  Flüsschen  entgegen, 
welche  auf  dem  Alpenvorlande  ihren  Ur^^pruiig  nehmen.  Sie  sind 
ihrerseits  durch  geringes  GefUle,  stark  ausgeprägten  Serpentinenlaui 
und  häufige  Stauungen  des  Wassers  Teranlasst;  ferner  unterstQtzen 
die  mehr  oder  minder  stark  impermeablen,  lehmig-sandigen  An* 
schwemmungen  dieser  Ttewässer  die  Verraoorung  ihres  Bettes.  Am 
deutlichsten  findet  .»uh  das  Wesen  dieser  TufiUrationsmuore  liings  der 
Vils  bis  zu  ihrem  Dunlibruche  nach  der  Donau,  ferner  an  der  lliu, 
Isen  u.  B.  w.  ausgeprägt. 

Alle  bisher  genannten  Moore  gehören  durchaus  der  nördlichen 
Zone  der  Doimuhochebene  an.  Ihnen  .stehen  die  ausf,n:>dehnten  Gruppen 
jener  Moorflücheu  entgegen,  welche  dem  Bereiche  der  Moränen  und 
dem  Gebirge  angelKuen  Auf  die  Unterscheidung  zwischen  Mooren 
innerhalb  und  aus.serhalb  der  Moränenlandschaft  hat  zuerst  Albrecht 
Penck  hinge wie.-en,  als  er  in  seinem  Werk  über  die  Vergletscherung 
der  deutschen  Alpen  schrieb:  „Wenn  man  die  Moore  auch  im  MorSnen- 
berdehe  als  erloschene  Seen  ansehen  darf,  so  ist  es  doch  nicht  ge- 
stattet, dasselbe  von  den  übrigen  Mooren  der  Hochebene  zu  behaupten. 
Diese  letzteren  '^ind  samt  und  sonders 'Phalmoore;  sie  werden  bedingt 
durch  einen  ausserordentlich  hohen  ( nundwasserstiind.  Die  Moore  des 
Gletschergebietes  sind  hingegen  durchweg  liuclimoore." 

Was  den  spezifischen  Charakter  vermoorter  Striche  auf  den 
Moränen  anlangt«  so  haben  sie  zwei  wesentliche  Zfige  gemeinsam:  sie 
ruhen  in  lelunbedeckten  Mulden  \md  empfangen  ihren  Wasserreichtum 
direkt  durch  die  Atm<>s{»luirilien,  sind  demnach  im  gewöhnlichen  Sinne 
Filze.  Ihre  Entstehung  fiihrt  meist  auf  den  Untergang  grösserer  ruhen- 
der Gewäs.ser  zurück.  Daher  begleiten  sie  allenthalben  die  Ränder  der 
heutigen  Vorlandseeu,  nehmen  die  Sohlen  ausgetrockneter  Depressionen 
ein,  welche  durch  glaciale  EisstrSme  in  die  Hochebene  und  ihre 
ThaluDgen  weithin  eingeschnitten  wurden,  und  laffem  in  mannigfoltigster 
Grösse  und  Form  zwischen  den  eiszeitlichen  Schottermassen  versenkt: 


')  Die  äussere  oder  verwat^chene  MoränenlauiUchaft  entbehrt,  mit  Ausnahme 
des  Haspelmoores,  jeder  Moorbildung. 


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27] 


Das  Mttnchener  Becken. 


195 


allüberall  Zeugen  eines  früher  ungleich  grösseren  Wasserreichtums  auf 
dem  Alpenvorland»'  als  hento. 

Die  Moore  des  Gebirges  unterscheiden  wir  am  natürlichsten  nach 
ihrer  Lage  an  Gehängen,  auf  Gipfeln,  Pässen,  Plateaus  u.  s.  w.  An 
ihrer  Entetehung  nehmen  eine  Reihe  von  Ursachen  gewöhnlich  mehrfach 
kombiniert  teil  und  zwar  Tor  allem:  gehinderter  Abflnse  des  Wassers, 
intensive  Quellergüsse,  unregelmässig  starke  Wasserzufuhr ,  Moderan- 
häufiiiig  (Waldmoorbildunir),  Fähigkeit  des  Wassers,  sicli  durch  Kapil- 
larattraktioii  nacli  liöheren  Lagen  zu  verbreiten,  Fähigkeit  der  Ver- 
witterungsschichten, Feuchtigkeit  aus  der  Atmosphäre  zu  absorbiereu 
und  zorftohsnhalten,  Rückgang  der  Oebirgsseen. 

In  nachstehender  üebersicht  versuchen  wir  am  Schlüsse  unserer 
Betrachtangen  über  die  Moore  Südbayerns  eine  Klassifikation  derselben 
unter  wesentlich  geographischen  Gesichtspunkten  zu  geben. 

Klattifikatfon  der  sQilliayeritehen  Moore. 

A.  Moore  nordlich  der  Mor&nenlandschafb:  Thalflftcfaenmoore. 

Hauptnrsachen  ihrer  Entstehung: 

1.  ausfliessendes  Grundwasser:  Qnellmoore  (typisch  hierfür:  die 

Moore  des  Münchener  Beckens); 

2.  nickgestautes  und  durchsickerndes  Flusswasser  bei  starkem  (Jiiellen- 
reichtum  der  Tlialsenke  und  geringer  Neigung  ihrer  Sohle:  Stau- 
uioore  (typiscli  hierfür:  die  Moore  längs  der  Donau); 

3.  Durchfeuchtung  der  Thalebene  infolge  trägen  Gefälles,  starken 
Serpentinenlaufes  und  regelmässiger  TJeberschwemmui^en  des  ihr 
zugehörigen  Flusses:  Infiltrationsmoore  (typisch  hierfür:  die 
Moore  an  der  Vils,  Ilm  u.  s.  w.). 

B.  Mooire  der  Mortoonlandnohaft ;  Kuldenmoore. 

1.  Moore  am  ilande  und  den  Ausgängen  der  Vorlandseen  (typisch 
hierfür:  die  Moore  am  Kochel-  und  Chiemsee); 

2.  Moore  in  den  Depressionen  eiszeitlicher  Gletscher:  Ueberbleibsel 
untergegangener  See  II  (typisch  hierfür:  Murnauer  Moor,  Hoch- 
und  Pangerfilz  im  Rosenheimer  Becken,  die  Moore  am  oberen 
Fiiii'j'aTig  df-r  <,'rr)sseren  Trockeiithiiler) : 

;i.  Moore,  eingesenkt  zwischen  die  Scliutthiigel  der  IM« ii;iiienland- 
schaft:  meist  Leberreste  der  Moränen-  oder  , l  unMiliungs- 
seen*,  oder  auch  gewöhnliche  Hochmoore  auf  Blocklehm  ruhend. 
(Allerorts  in  der  MorSnenlandschafb  zerstreut,  besonders  im  Ge- 
biet des  Inngletschers  bei  Wasserburg)  ^). 


M  Einen  nusg'Pzeiclm'  ten  r*'l»erlili(k  ülier  f»inen  f»rossen  Teil  der  Moorland- 
•chalt^-n  Siidliayerns  erhält  man  durch  die  neuesti«.  sehr  instruktive  Karte  fiber  die 
gfeolojii*'('hen  VerhSitnisae  de»  KreiMS  01i»'ilFa\ ♦■rn  von  Oherhertrdirektor  Dr.  von 
(iiinilM  l.   iKrste  H  -ilat'*'  zu  dem  im  Juni  d.  J.  erschienenea  Werk:  «Die  Land- 

wirttichutt  in  Obcrbuyeru''.) 


.  ^  i.L^  l  v  Google 


196 


Grnber, 


[28 


C.  Moore  des  Gebiiges. 

1.  Moore  an  Btighimgea  (Moore  am  Schlappolt  und  Böigen  im 
Algäa,  am  Wendelstein,  Untersberg) ; 

2.  ^loore  auf  Bergj^npfelii ,  Borgplateaus  und  Pässen  (Moore  am 
Gipfel  des  Hochfelln,  der  Eibelspitze  und  des  Geigelstein,  auf 
der  P(  (  hschneit  bei  Traunstein,  dem  Blomberg  bei  Tölz,  dem 
Seefelder  Pass  u.  s.  w.) : 

;i.  Moore  auf  dem  Boden  von  Zirken  sowie  an  Stelle  ausgetrockneter 

oder  als  Begleiter  noch  bestehender  Qebirgsseen  (sehr  häufig; 

Beispiel  hierfür:  das  Moor  am  Zireiner  See,  vorderes  Sonnen- 

wendjoch,  Tirol); 
4.  Moore  auf  der  Solile  von  Thalweitungen  der  Gebirgsflüsse  und 

-Bliche  (z.  B.  Moor  au  der  Aurach  östlich  von  Neuhaus,  Schliersee* 

gebiet j 

7.  Die  Heiden  nördlich  Ton  Mflnchen. 

Mit  den  Moorgebieten  zeigen  sich  in  Sfldbayem  eine  Reilie  von 
Heideliuidschaften  örtlich  sowohl  als  genetisch  eng  verbunden.  Zwischen 
Erdinger  und  Dachau-Schleissheimcr  Moor  lagern  am  linken  Ufer  der 
Isar  auf  eine  Länge  von  2'J  km  die  mageren  Geiilde  der  Garchinger 
Heide.  Weiter  weltlich  drängt  sich  das  Lecbfeld  hart  an  die  Moore 
des  unteren  Lech.  Längs  der  Wertach  wechseln  mehrfach  yersumpfte 
Kiesniedenmgen  mit  trockenen  Naturwiesen;  für  die  Umgebung  Mem- 
mingens  aber  wurde  dieselbe  Beobachtung  bereits  in  den  konBOgra- 
phischen  Mitteilungen  von  1748  aufgezeichnet.  Unvermerkt  endif^en 
die  Quellmoore  in  den  ihnen  angelagerten  Heidestrecken.  So  geht 
jenes  von  Erding  au  seinem  unteren  Ende  rasch  in  die  Volkmanns- 
dorfer  An  Uber;  wer  sich  ihm  aber  von  Süden  her  nähert,  hat  nur 
das  sehmale  Gebiet  zu  ttberschreiten,  welches  noch  auf  Karten  des 
18.  Jahrhunderts  als  , Perlacher  Heidt"  benannt  ward,  und  steht  als- 
dann unmittelbar  am  Eingang  zu  demselben.  Doch  auch  mitten  in 
den  Mooren  selbst  finden  sieh  einzelne  zerstreute  Plätze,  denen  ein 
ausgesproeliener  heideartiger  Charakter  eigen  ist,  so  unter  anderem 
bei  llullbergmoos  und  Ebing.  Aehnliche  Erscheumngen  treten  in 
grösseren  Auen  wie  bei  Puppling  auf,  wo  der  Fluss  hier  den  Flinz 
blosslegte  und  dadurch  starke  Quellen  schuf,  während  er  nahe  daran 
denselben  so  hoch  mit  seinen  Schottern  bedeckte,  dass  jede  ergiebige 
DMrcbfiMiclitung  der  Oberfläche  <;e]iiin]ert  wird.  Der  Wechsel  von 
versunipt'teti.  moorartigen  mid  ausser^ew  rilmlieli  trockenen  Tartieen  ist 
überhaupt  in  den  Thalweitungen  aller  L^eschiebereichen  Flüsse  der 
Hochebene  häufig  zu  beobachten,  am  ausgejjrügtesten  vielleicht  nahe  der 
IsarmOndung  bei  Plattling. 

Der  klare  Zusammenhang  von  zwei  in  ihrer  geographischen 
Bigenart  so  wesentlich  yerschiedenen  Gebieten,  wie  Moore  und  Heiden 


')  Als  liöchstes  AI,  in!"  in  Siidbii  vern  palt  bisher  das  Rohxmoos  am  Joch  Windeck 
unter  dem  hoheu  Ifen  im  Algäu,  etwa  1540  m. 


29J 


Das  Müuchuuer  Becken. 


197 


es  sind,  führt  uns  noch  einmal  auf  die  gtuguostische  Struktur  des 
Mftaichener  Beckens  und  der  ihm  analogen  Bildungen  zurück.  Wir 
hoffSen  ihn  am  kürzesten  durch  ein  Resum^  unserer  kürzlich  erschie- 
nenen Mitteilungen  über  die  sogenannte  Garchinger  Heide  zu  erklären 
Diese  erstreckt  sich  inmitten  einer  bunten  Al)\\  ecliselung  von  Wald- 
arilage  und  Ackerfeld  glatt  ausgespannt  zwischen  Neutreimann  und 
Puppling  bei  Freisiug  parallel  mit  der  Isar  nach  Nordnordosten  hin. 
Ihr  gesamtes  Areal  liest  sich  heute  auf  annähernd  1000  ha  Yer- 
anscUagen.  Die  Oberfl&che  der  Heide  trägt  eine  20—30  cm  tiefe 
Schicht  kiesigen  Verwitterungslehms,  welche  ihrerseits  auf  einer  Ge- 
röllbank aus  helleren  und  dtnikleren  Kalken,  jMolassesandsteinen  und 
krvstallinischen  KolLstückeii  nilit.  Die  ganze  Aufschüttung  charakteri- 
sii'i  t  sicli  iniverkeunbur  als  liuvio-giacial:  sie  wurde  mitten  auf  die  in 
der  Müucheuer  Thalweitung  sich  auskeilenden  unteren  Glacialschotter, 
denen  sie  zngehört,  als  segmentartig  gegen  den  Flnss  und  die  Moore 
hin  gewölbter  Schattkegel  abgelagert,  der  sich  im  Mittel  12 — 15  m  über 
jene  erhebt.  Seine  Mächtigkeit  betragt  bei  Garching  nahe  am  Flusse 
5  m;  im  rTebi<'te  der  Ileidewiesen  nimmt  sie  um  mehr  als  20  m  zu, 
lim  am  Westrand  derselben  rasch  bis  auf  3  m  zu  sinken.  Am 
oberen  Eingang  zur  Heidelandschaft  wurde  der  Kies  25  m  hoch  auf- 
gehäuft, an  ihrem  Nordende  kaum  4 — 5  m. 

Die  Hanptorsache  der  Moorbildung  im  Mfinchener  Becken  er- 
kannten wir  darin,  dass  die  Schicht  der  Quartärgerölle  über  der 
Sohle  des  Grundwassers  von  sehr  geringer  Mächtigkeit  ist.  Infolge- 
de>isen  decken  sich  die  Grundwasserspiegelkoten  mit  den  Koten  des 
Terrams;  die  unterirdische  Strömung  kann  also  mehr  oder  minder  zu 
Tage  treten,  in  einzelnen  dicht  uebeneiuander  iiiessenden  Bächen  in- 
dividnell  werden.  Stellen  nun,  an  welchen  die  GerOlle  weniger  seicht 
herrortreten ,  also  in  grösserer  Hohe  den  wasserführenden  Tertiär- 
mergel decken,  haben  naturgemäss  hierunter  nicht  zu  leiden  (siehe 
den  Längeiischnitt  durcli  das  MüucIhmut  l'»  *  ken  iS.  [17]  185).  was  das 
ganze  Gebi«'t  df'r  sorjfiiannten  Garchinger  Heide  schlagend  beweist. 
Die  unterirdische  Strömung  i.st  hier  mächtig  überdeckt;  sie  tliesst 
stellenweise  an  20  m  tief  unter  den  Naturwiesen.  Hierdurch-  ist  jede 
ausgiebige  Dnrchfeuchtung  der  Oberfl&che  yerhindert;  zudem  er- 
mangelt dieselbe  der  Zufltisse  von  Quellen  oder  von  Isarwasser.  Da 
aber  die  ganze  Landscliaft  leicht  porös  aufgeschüttet  wurde  und  die 
friu'litbare.  atmosphärilische  Feuclitigkeit  länger  an  sich  haltende  Krume 
des  Kulturlandes  nur  in  Sjiuren  trägt,  so  vermögen  aucli  die  Tag»'s- 
gewiisser  fast  wirkungslos  bis  zum  Viiuz  einzudringen.  Erwähnt  doch 
schon  Schönleutner*),  dass  zwar  die  wasseransaugende  Kraft  des  Heide- 
bodens, der  fiber  60  ^  abschwemmbaren  Kiesel-  und  Kalksand  enthält, 
42  ^/o  betrfigt,  derselbe  aber  in  Wirklichkeit  äusserst  geringe  Mengen 


')  Jahresbericht  rler  Geo<;rai>his('li»^n  (iescllschaft  in  München  Tür  1H84, 
S.  24— :iO. 

-1  Sfhönleutner,  Max:  }>i'richt  über  die  Bewirtschaftimj;  der  königl. 
bayer.  Staatsgüter  zu  Schieissheim,  Fürstenried  und  Weihenstephau  im  Juhre  isiU 
bis  1820.  Mönchen  1822.  4*. 


198 


Gruber, 


Feuchtigkeit  aufbewahrt  —  eine  Thatsache,  welche  zur  Entdwhung  der 
Heide  ebeuso  wesentlich  beitrug,  als  der  gehinderte  Ausfluss  von 

Grundwasser. 

Das  Interesse,  wekhe>-  die  Mtinchener  Heifleland.schaft  dem  Geo- 
graphen bietet,  tritt  in  der  Litteratur  vollständig  zurück  hinter  die 
Diskussion  über  ein  Problem,  das  sie  dem  Prähistoriker  aufwirft.  Die- 
selbe erscheint  nämlich  allenthalben  bedeckt  mit  den  unTerwischbaren 
Spuren  eines  uralten  Ackerbaus,  langen,  flachen  Beeten  von  3 — 15  m 
Breite ,  die  aneinandergelegte  Segmente  riesirr«  r  Cylinder  darstellen 
und  deren  gewölbter  Rücken  sich  lieute  noch  1'»,  ja  '»0  cm  über  die 
Furche  erliebt.  Auf  manchen  dieser  Bitange  steht  bereits  wieder  Wald, 
andere  sind  bei  Anlegung  neuer  Ackergründe  untergegangen.  Die  An- 
siedelungen finden  sich  ausnahmslos  im  Bereiche  des  alten  Hochäcker- 
gebietes und  erscheinen  urkundlich  sehr  frOhe:  Mosadi  im  Jahre  860, 
Neufahrn  (Niwivara)  834,  Eching  (Echinga)  819,  Schieissheim  (Slires- 
heim)  775  und  Mintraching  (Munirihingas)  704.  Um  jede  dieser  Ort- 
schatten dehnt  sich  im  Ring  oder  fächerartig  die  heutige  Flur  und 
liess  von  den  alten  Ackcrspnren  meistenteils  nur  die  Ränder  übrig, 
woraus  man  mit  Recht  folgerte,  dass  die  letzteren  älter  sind  als  die 
Siedelungen  aus  frfihbajuwarischer  Zeif)* 

Die  Yielumstrittene  Frage  nach  dem  Alter  jener  prähistorischen 
Kulturreste,  deren  Ursprung  bald  in  die  Zeit  der  römischen  InTasion 
Südbayems,  bald  vor  dieselbe  verlegt  wird-),  tritt  für  uns  liinter  die 
Erwägung  zurück,  aus  welchen  Gründen  das  Heidegebiet  in  früherer 
Zeit  anbau-  und  ertragfähig  gewesen  sein  könne,  ja  sogar  wahrschein- 
lich eine  umfangreiche  Latifundien  Wirtschaft  zuliess? 

Sendtner,  m  dessen  botanischen  Schriften  überall  ein  aufrichtiges 
Interesse  f&r  die  wirtschaftlichen  Verhältnisse  der  Donauhochebene  und 
alle  Anregungen  zu  deren  Verbesserung  entgegentritt,  und  nach  ihm 
vor  allem  Franz  S.  Hartmann  führen  diese  eigennrtifje  Thatsache  auf 
ausgedehnte  Entwaldung  und  hierdurch  erfolgte  VerrinL^erunfr  der  Nieder- 
schläge zurück.  Der  zuerst  genannte  Forscher  sprach  seine  Ansicht 
in  nachstehenden  Sätzen  ans:  , Anfangs,  ehe  noch  die  Waldungen 
gänzlidi -verschwunden  waren,  war  die  Fruchtbarkeit  hier  allgemein 
so  bedeutend,  dass  gerade  die  an  und  für  sich  trockeneren  Bodenarten 
der  Kultur  günstiger  waren  als  der  schwere  Lehmboden.  Was  aus- 
nahmsweise nasse  Jahrgänge  in  unseren  Tagen  sind,  das  war  damals 
der  normale  Zustand.  Also  waren  die  Kieslager,  mit  reicher  Üamm- 
erde  beladen,  unter  dem  Einfluss  grösserer  Feuchtigkeit  ein  ebenso 


')  Nach  den  vortretilichen  Aui'uahmen  der  Hochäcker  zwischen  München, 
Freising  und  Dachan,  welche  J.  Diem  vornahm  nnd  die  er  in  einem  lO.G  qm  mn- 
fB«end«  n  Kiirt^  nlnlil  (1  ;  ."iOCO)  darstellte,  waren  im  .lahre  1870  noch  10;W8  bayer. 
Morgen  in  ihrem  Urzustände  za  erkennen.  VgL  32.-35.  Jahresbericht  des  hiator. 
Vereins  Ton  Oberbayem. 

Die  rt.'iche  Anzahl  von  Schriften  und  Abhandlungen  hierüber  hat  Prof. 
Fr.  Ohlenschlager  im  Jahresbj'ridit  der  AlrmdiriHT  Geograph,  (iesellschaft  filr 
18SS>^  S.  107  u.  I(j8,  .sorgfältig  zusaiuniengestellt.  l  nttr  ihnen  sind  besonders  die 
Arbeiten  August  Hartmann 's  (Zur  Hochädwrfnige.  Oberbayer.  Acdliv,  85.  Bd.) 
mit  vielen  latteraturangaben  zur  Orienüemng  empfehlenswert 


^  j  i.Lo  l  v  Google 


31] 


Das  Müncbener  Becken. 


Ihichtbares  Land  in  Oberbajern,  als  die  Lehm-  und  Tiiungiünde  in 
Nioderbayeni.  Im  Moder  der  Waldungen  waren  die  unorganischen 
Stoffe  seit  Jahrhunderten  oder  wer  weiss  von  welcher  Urzeit  her  aaf- 
gespeichert.    Als  später  der  Abtrieb  alles  Gehölzes  die  Nebel  nnd 

atmosphärischen  Niederschläge  verminderte,  vielleicht  schon  auf  das 
jetzige  Mass  zurückführte,  gebrach  es  dein  Boden  solange  nicht  an 
der  notwendigen  Feuchtigkeit,  als  die  Huniusreste  hinreichten.  Die 
Verujinderung  beider  ging  Hand  in  Hand  und  machte  mit  einem- 
male  dem  Getreidebaa  ein  Ende.  Trockener  Moder  ist  ein  Spiel  des 
Windes.  War  die  Gegend  berölkert,  so  war  dies  allein  schon  Grund 
genng,  die  Bewohner  zu  yeranlassen,  nach  anderen  Wohnsitzen  sich 
umzusehen." 

Gegenüber  diesen  Ausführungen,  deren  Grundzug  wir  nicht 
angreifen,  welche  aber  von  einigen  Unwahrscheinlichkeiteu  beft'eit 
werden  mfissen,  mdchten  wir  fragen,  ob  in  Wahrheit  angenommen 
werden  kSnne,  dass  mit  der  Entwaldung  dieses  schmalen  Gttrtels  tiefer- 
gehende Modifikationen  der  Niederschlagsmengen  verbmiden  waren. 
Die  Heide,  fast  gänzlich  durch  Moor,  Moorfelder  und  Wasserarme  ein- 
geschlossen, nimmt  naturgemäss  an  <leu  reichen  Niederschlägen  ihrer 
Umgebung  teil.  Dieselbe  ist  gewiss  keine  meteorologische  Erscheinung. 
Auch  ist  daran  zu  zweifeln ,  ob  lange  und  dicht  aufgehäufte  Moder- 
massen  so  rasch  nnd  in  so  intensiTor  Weise  als  Ranb  des  Windes  Ter- 
schwinden,  wie  unser  Gewährsmann  will. 

Wir  glauben  vielmehr  an  eine  wirkhche  Erfahrung  erinnern  zu 
dürfen  :  Jede  von  der  Kidtur  nicht  beeinflusste  Wiesenflora  auf  den 
südbayerischen  Ueröiitiächen  erscheint  nach  dem  Urteil  der  Botaniker 
von  dürftiger  Beschaffenheit.  In  wie  viel  .stärkerem  Masse  mussten 
die  jahrhundertelang  sich  selbst  überlasseneu  Pflanzen  auf  dem  stark 
porBsen  Boden  der  Heidelandschaft  nnd-  bei  den  geringen  zurfickge- 
kssenen  Nahrungsstoffen  ein  ärmliches,  trockenes  Aussehen  erbeten! 

Erst  in  den  jüngsten  Jahrzehnten  begann  man  wieder,  dem 
sterilen  Geröllkegel  durch  Arbeit  und  Düngung  Ackerboden  abzuringen. 
Vor  50  Jahren  noch  betrat  der  Botaniker,  wenn  er  Adonis  iiolen 
wollte,  einige  Ackerlängen  hinter  dem  Dorfe  Gurchmg  die  unberührte 
Heide.  Jetzt  geht  man  eine  betrSchtUche  Strecke,  um  den  gewUnschten 
Platz  an  erreichen.  In  gleicher  Weise  rttcken  Wald  nnd  Flur  jeden 
Sommer  im  Süden  und  Westen  vor.  Wir  haben  die  Thatsache  nicht 
zu  verteidigen,  dass  dem  oberbayerischen  Ranern  ein  gewisser  natür- 
licher Konservatismus  anhaftet.  Aber  auf  dem  Gebiete  der  Agrikultur 
durchbricht  er  denselben  oftmals  still  und  mit  wahrem  Erfolg.  Seine 
Thätiffkeit  geniesst  von  aussen  her  wenig  Unterstützung,  und  doch  nützt 
derselbe,  die  Verbültnisse  bedScbtig  erwägend,  jeden  anbaunngsföhigen 
Strich  allmählich  sorgsam  aus.  Sdlange  man  nicht  grossartige  üeber- 
rieselungen  ins  Werk  setzt,  wird  sein  Vorschreiten  im  Gebiete  der 
Münchener  Heidelandschaft  genügen.  Denn  er  ist  in  der  That  Kolo- 
nisator in  der  eigenen  Heimat. 


200 


Gruber, 


L32 


in.  Die  Isar  im  Müncheuer  Becken. 

8.  Charakter  des  Thalweges.   Ailaviooen  and  Uferränder. 

Die  Isar  trägt  im  Gebiete  des  Mflnchener  Beckens  den  Charakter 

des  Bergstroms  noch  toU  und  uneingeHchräukt  an  sich.  Während  sie 
aber  nach  Sinlm  p^egen  die  Loisachniündung  hin  von  grossarti^en 
Ilochufern  wild  und  enp;  znsammengeschndrt  wird,  öffnet  si<  Ii  ilir  Thal 
jenseits  Grosshesselohe  zu  breit  entwickelten  Terrassenstiifen,  welche  sich 
allmählich  nach  Norden  zu  abdachen  und  deren  Ausläufer  sich  erst  am 
Rande  des  Srdinger  Moores  und  der  Garchinger  Heide  Terlieren 
In  der  Physiognomie  des  Flussbettes  zeigen  sich  indes  kaum  merkHehe 
AenderuDgen.  Zwar  nimmt  demselben  von  der  Maximiliansbrfli^e  in 
München  ab  eine  Korrektionslinie  auf  10  km  Entfernung  seine  im- 
sirliere  Gestalt  und  macht  gewaltsame  Ausbrüche  sowie  ständige  Lauf- 
Verschiebungen  unmöglich.  Kachdeni  aber  der  Fluss  die  künstlicliou, 
45  bis  (30  m  voneinander  entfernten  Ufersäume  verlassen,  rollen  seine 
Wasser  wieder  in  wirr  yerschlungenen  Netzen,  aus  denen  heraus  sich 
die  Hauptader  in  bald  ost-  bald  westwärts  geschwungener  Linie  stärker 
markiert,  nach  Nordnordosten  weiter.  Die  kiesige  Einöde  des  Strom- 
bettes mit  den  uinvgehnä.ssig  ausgebreiteten  Flusspartieen  erinnert  an 
die  weiten  GerölllHger  um  Wolfratlishausen.  Am  Ausgang  der  Kor- 
rektion bei  Ismanning  lagern  überhaupt  die  grössten  Alluvionen  während 
des  ganzen  Mittellaufs  der  Isar.  Die  innerhalb  der  regulierten  Fluss- 
strecken konzentrierte  Wasserkraft  treibt  nämlich  hei  faUendem  Hoch- 
wasser die  Geschiebefrachten  durch,  ohne  Schotterbänke  liegen  zu  lassen. 
Nachdem  sich  aber  die  Isar  aufs  neue  in  altgewohnter  Weise  zersplittert, 
gelangen  diese  in  um  so  bedeutenderen  Massen  zur  Ablagerung.  Auf 
Grund  sorgfältiijster ,  zu  liydroterhnisclien  Zwecken  vorgenommener 
Autnalimen  beatiniuilen  wir  die  Grösse  der  am  meisten  ausgedehnten 
Alluvionen  in  der  Nähe  der  Moor-  und  Heidelandschaften  und  fanden 
fOr  den  Sommer  1878  folgende  Zahlen: 

Kie«bank  b  i  Flächeninhalt 

m  m  na 

Ismanning  rechts    ....  1200  2'n>  24 

Ebing   <M)0  l.M)  13,5 

Kchertshof   400  125  5 

,    000  200  12 

Dümeck   650  200  13 

  000  150  9 

Garching  Unks   700  250  17,5 

Erching   200  75  1,5 

  400  100  4^). 

^)  Näheres  hiedi)*er  sowie  über  die  Mflnchener  Temusenatofen  in  onaerer 
SrhiM-TimiT :  \^c\>  I-urtlml  zwisclion  (\<'v  Lnisiu  li-  und  Ainpereinmündung.  Jahres- 
bericlit  der  Cieograpluhclieu  liesellschuft  iu  München  für  1Ö79 — IbÖO,  6.  107  tf. 

*)  Die  Rolkteine  besitzen  hier  im  Dnrchschnilii  eine  lAage  von.  6  cm,  bei  4  cm 
Breite  nnd  2 — Sem  Dicke.  Unter  210  derselben  &nden  wir  nur  8  kryatallinische 


33J  Manchener  Becken.  201 

Vim  diesen  ruhelos  bewegten,  stetig  Tom  Fluss  angenagten  und 
verschobenen  SchotteiflSchen  nnterscfaeiden  sich  allerurts  die  Auen. 
Dieselben  repräsentieren  Terlandete  Allnvionpii  und  erscheinen  bald  als 
Inseln  rintrs  vom  Wasser  umspült,  bald  als  Halbinseln  dem  Uferrand 
angegliedert.  Mit  ihrem  buschigen  Gehölz  ans  Grauerlen.  Weiden, 
Birken,  Föhren  und  zwerghaftem  Unterholz  verleihen  sie  dem  Fiuss- 
bette  ein  eigenartig  wechselvolles  Gepräge,  besonders  im  Gegensatz  zu 
den  mit  hellen  EalkroUaiteinen  fibergoesenen  Teilen  des  Thalweges.  Wir 
haben  auehfttr  sie  in  unserem  Gebiete  authentische  G rössenangaben  zu 
gewinnen  Tersncht,  welche  in  folgender  Uebersicht  wiedergegeben  sind: 

^  I^Dge      Breite  Fl&cheniiihalt 

m  m  ha 

Achering  links   100  500  3 

,        rechts     ....  300  300  9 

Garching  links   1500  400  60 

Ebing   5000  600  300 

Freieing  rechts   2000  450  00 

,      links   1800  200  36. 

Ueber  den  GesamtÜächeninhalt  der  dem  Isarthale  zugehörigen 
Gedungen  fehlt  jede  direkte  und  zuverlfissige  Messung.  Es  uess  sich 
indes  ans  den  Akten  des  Flnssbanamts  Mfinchen  ein  Bild  von  der  be- 

ttPiehtlichen  Ausdehnung  jener  Landstreifen  gewinnen,  welche  dem  Flusse 
durch  Korrektionsbauten  an  einzelnen  Stellen  seines  Mittellaufes  abge- 
rungen wurden.  Dieses  erlaubt  nun  einesteils  einen  allgemeinen  Schluss 
qnf  die  Grösse  der  bestämlig  unter  der  Herrschaft  der  Isnr  stt'henden, 
brach  gelegenen  Flächen,  andernteils  erhalten  wir  durch  jene  Aus- 
masse  ein  sicheres  Verhftltnis  von  der  Grösse  des  eigentlichen  Ge- 
wiesers und  der  die  Physiognomie  seines  Rinnsals  in  so  wesentlichen 
Zfigen  bestimmenden  Geröllanhäufungen.  Infolge  der  .Flneskorrcktion 
abwärts  von  der  Maximiliansbriicke  in  München  wurden  am  Ende  (h  s 
.Tahre.H  1883  zwischen  Ober-  und  Unterföhring^  links  der  Isar  auf 
2,2  km  Entfernung  60,100  ha,  rechts  derselben  auf  4,1  km  dagegen 
nur  28,960  ha  Anlandimgen  verzeichnet,  da  hier  die  auslaufenden 
Hochnfer  den  Elnss  in  unmittelbarer  Nähe  begleiten  und  eine  grossere 
Ausdehnung  seines  Inundationsgebietes  Terhindern.  Es  treffen  somit 
auf  3,15  km  mittlere  Lauf  länge  im  ganzen  95,000  ha  einstweilen  für 
die  Forstkultur  brauchbares  Gebiet.  Da  aber  die  Korrektionsbreite 
hier  00  m  ausmacht,  so  stellt  sich  das  Verhältnis  der  Grösse  der 
Wasserfläche  zu  jener  der  Anlanduugeu  innerhalb  der  erwähnten 
Strecke  wie  18,000  zu  95,060  ha  oder  rund  wie  1  : 5.   Somit  war 


und  tertiäre  BmchMtQcke;  alle  übrigen  bestanden  aus  sehr  verschiedenen  nord- 
alpinen  Kalken.  Ueber  die  Bewegung  der  AHuvionen  innerhalb  der  seit  wenigen 
Jahren  nicht  mehr  in  gerader  Lmie,  Bondem  in  stark  geschwongeaen  Bogen  weiter^ 
geführten  Korrektion  haben  wir  die  inleres^ante  Beobachtung  zu  verzeichnen,  dass, 
entgegen  den  Studien  Grebenaus  am  Rhein,  sich  hier  die  Kiesbänke  Uber  die 
konvese  Seite  des  Fluasnftn  wegbewegen  und  amwchlieealich  in  die  ironkave  in 

liegen  konirnfn. 

Foncbtmgea  zax  dentaüivn  L«ndeii>  und  VoUwkunde.  L  4.  15 


.  ^  i.L^  l  v  Google 


202 


Gruber, 


[84 


die  den  Flius  vor  seiner  Begnlierang  in  breitem  Bogen  nmrandende 

kiesige  Einöde  fünfmal  grösser  als  er  selbst.  Oberhalb  Freising  wurden 
bei  Grüneck  dem  Isarbette  auf  1,(3  km  Entfernung  beiderseits  29,440  ha 
Land  weggenommen  ,  so  dass  liei  einer  Korrektionsbreite  von  <)2,5  m 
die  Gewässer  unseres  Flusses  bei  mittlerem  Wasserstand  nur  den  dritten 
Teil  des  ilaunies  einnehmen,  welcher  ihrem  Thalweg  überhaupt  auf 
der  Karte  zugewiesen  wird.  Dieaee  Verhältnis  gilt  im  Durchschnitt 
füt  den  gesamten  Mittellauf;  es  Terrbgert  sich  in  den  unteren  Thal- 
strecken um  so  mehr,  je  stärker  mit  Abnahme  der  Gerolle  die  ste- 
rilen ,  höchstens  von  einer  leichten  Grasnarbe  bedeckten  Kiesflächen 
hinter  die  Auen  zurücktreten.  Im  allgemeinen  jedoch  nehmen  die 
Gedungen  nicht  nur  längs  der  Isar,  sondern  auch  an  allen  aus  den 
Alpen  durch  die  Hochebene  strömenden  Flüssen  so  bedeutende  Areale 
ein,  dass  wir  dem  Ausspruch  W.  Riehl'a  zustimmen  mfissen,  wonadi 
fttr  die  Landwirtschaft  in  SiidViayem  durch  die  Korrektion  von  Iiier, 
Lech,  Isar  und  Inn  allein  mehr  Itaum  gewonnen  werden  könnte,  als 
durch  die  sorgfältigste  Austrocknung  der  gesamten  Moore. 

Der  flache  Saum,  welcher  die  Isar  abwärts  von  München  bis  zu 
ihrem  Eintritt  in  die  nördliche  Hügellandschai't  der  bayerischen  Hoch- 
ebene umrandet,  erreidit  in  der  Konrektionalinie  6,  ausserhalb  derselben 
dagegen  höchstens  2  m  Höhe  Ihn  deckt  nicht  das  heitere,  breite 
Grün  dichter,  mit  Ahornen  und  Fichten  vennisditer  BuchenbestSnde, 
wie  den  hoi  lianstrebenden  Thaleinschnitt  gegen  das  Gebirge  hin;  hier 
verrät  ein  einfacher,  oft  schmaler,  allenthall)en  bunt  und  schmucklos 
mit  Strauchwerk  durchsetzter  Uferwald  den  mageren  Unterginrnd.  Und 
doch  erfreut  auch  er  an  dieser  Stelle,  wo  nur  das  leitende  Ruder  der 
Flösse  mit  schwachen  Schlagen  die  Aber  den  nahen  Moor-  und  Heide- 
wiesen brütende  Stille  unterbricht.  Sparsam  zerstreute,  dunkel  glänzende 
Altwasser  zerteilen  ihn,  in  der  tiefen  Ruhe  des  Schattens  ein  will- 
kommener Gegtiisatz  zu  den  schnelldräugenden ,  lichtgrüuen  Wellen. 
—  Vor  Freising  nimmt  die  Isar  aufs  neue  ein  künstlicher  Kanal  von 
2480  m  Länge  und  70  m  Breite  auf.  Nachdem  sie  ihn  wieder  verlassen, 
baut  sich  ein  ungegliedertes,  12 — 15  m  hohes,  lehmig-sandiges  Oe- 
hftnge  an  ihrer  Westseite  auf,  wfthrend  ihren  östlichen  Band  auch 
ferner  Moorebenen  bis  zur  Volkmannsdorfer  Au  begleiten.  Erst  unter- 
halb Oberhummel  vermag  sich  der  Fluss  gegen  die  Amper  hin  auszu- 
breiten, welche  ihm  in  sumpfiger,  von  abgeschnittenen  Nebenarmen 
stark  durchfurchter  Thalung  zuströmt. 

9.  Wassertransport  der  Isar. 

A.  Aua  den  Pegeloikondeii. 

Ehe  wir  uns  der  Berechnung  des  Wassertransportes  der  Isar  zu- 
wenden, sind  aus  der  Geschichte  der  hier  in  Betracht  kommenden  Pegel 


*)  Im  Süden  von  München  fanden  wir  luittels  Kivellexnents  die  Uöhe  des 
eigentlichen  Steilufers  bei  SdiAftlam  so  79»  zwischen  HOllrkigelkreiit  und  Palladk 
TO  48.  bei  Orosihenelolie  su  89  ra. 


35] 


Das  Müucheuer  Becken. 


203 


sowie  der  Ablesung  des  Wasserstandes  an  denselben  einige  Tbatsacben 
zn  berflbren,  dnrcb  welche  die  faktische  Bedentang  des  auf  diesem 
Wege  erhaltenen  Zahlenmaterials  fttr  Schlüsse  auf  die  Wassermenge 

und  deren  perioJisclie  Schwankungen  klargelegt  wird. 

Längs  des  gesamten  Thalweges  der  Isar  stehen  in  Mittenwald  (2), 
Tölz,  am  Bnmnenbause  oberhalb  Grüiiwald,  hei  Grosshesselohe  (selbst- 
registriereudj ,  Bogenhausen,  Freising,  Muusburg,  Hofham,  nahe  dem 
Mazwdire  in  Landshnt,  nnterlmlb  desselben,  zu  Din^lfing,  Landau 
und  Plattiing  in  ihrer  Lage  amtlich  genau  bestimmte  Wasser- 
messer.  Die  Aufschreibungen  reichen  an  mehreren  derselben  bis  in 
das  erste  Viertel  dieses  Jahrhunderts  zurück.  Ihr  Wert  erweist  sich 
indes  nach  unserer  Ueberzeugung,  abgesehen  von  einigen  langandauern- 
den Unterbrechungen,  in  früheren  Jahren  durchgehend  als  sehr  appro- 
zimatir.  Hierzu  kommen  Ungleichheiten  bei  Eiunivellierung  der  Knll- 
pankte  mehrerer  Pegel,  welche  sich  nach  notwendig  gewordenen 
Umsetzungen  herausstellten.  Endlich  beeinflusst  die  Art,  wie  die  Isar 
ihre  Alluvionen  verfrachtet  und  regelmässig  umlagert,  sowie  ihre 
innerhalb  der  regulierten  Flussstrecken  stellenweise  unverhUltiilsmässig 
gesteigerte  Erosionskraft  wesentlich  den  Stand  des  Wasserspiegels. 
So  steht  der  Pegel  bei  Freising  am  Ausgang  einer  Korrektion  zur 
Sicherung  der  dortigen  Rrttcke,  ako  an  einem  Punkte,  wo  be- 
deutende Eiesbanke  ziur  Ablagerung  kommen.  Diese  stauen  das 
Wasser  um  den  Pegel  her,  und  er  zeigt  deshalb  in  den  letzten  drei 
Jahrzehnten  einen  höheren  Wasserstand  als  früher.  In  der  Periode  von 
1826 — 51  hetnitr  die  Summe  der  höchsten  Winterwasserstände  hier 
22,18  ra,  zwischen  1852  und  ISTli  aber  35,62  m ;  die  mittlere  Höhe 
derselben  war  in  dem  ersten  Zeitraum  1,305,  im  «weiten  1,425  m. 
Von  1826—1851  ergab  msk  als  die  Summe  der  höchsten  Sommer- 
wasserstände 39,26  m,  von  1852 — 1876  hingegen  52,38  m  ;  die  mittlere 
Höhe  der  höchsten  Sommowasserstände  betrug  währond  der  ersten 
Periode  2,066 ,  in  der  anderen  2,095  m.  Ferner  ergaben  die  Auf- 
schreibungen am  Freisinger  Pegel  eine  grössere  Wasserhölie  als  an 
demjenigen  von  Moosburg  In  Wahrheit  aber  ist  das  Verhältnis 
umgekehrt  Es  erklärt  sich  dieser  Fall  (wenn  wir  nicht,  wozu  kein 
Grund  Torhanden  ist,  annehmen  wollen,  dass  die  Nullpunkte  der  in 
Vergleich  gesetzten  Wasserstandsmesser  nicht  korrespondieren)  dahin, 
das*  ilie  lokale  Erosion  um  den  erstgenannten  Pegel  weniger  rasch 
fortst  hn  itet  als  am  letzteren,  was  abermals  auf  die  Situation  beider 
zurückgeführt  werden  nuiss. 

Die  einschneidendsten  Aenderungen  in  der  Höhenlage  des  Wasser- 
spiegels aber  ergaben  sich  am  Pegel  zu  Bogenhausen.  Er  liegt  lieute 
1500  m  unterhalb  des  Anfanges  der  EorreUionslinie  und  8500  m  vor 
dem  Ende  derselben.  Die  Flussregulierung  wurde  1849  mit  einer 
"Noriiiulbreite  von  72.96  m  für  Mittelwasser  begonnen;  185S  erachtete 
man  dieselbe  als  zu  gross  und  engte  den  Fluss  auf  43,78  m  ein.  Was 


*)  Der  amtlich  festgesetzte  Mittclwaaserstand  lieträc^t  filr  Freising  +  1,17,  für 
Hoosliurg  -f  0,66  m.  Zwischen  beiden  Orten  sind  der  Isar  eine  Anzahl  von  Moor- 
bftcfaen,  D«N»dert  die  Doxfen,  tributftr. 


204 


Gruber, 


[30 


jenem  dadurch  an  Breite  verloren  ging,  ersetzte  er  sich  durch  rasche 
Vertiefung,  so  dass  nach  den  neuesten  Berechnungen  die  Sohle  des 
Flusses  seitdem  um  beinahe  5  m  niedriger  zu  liegen  kommt.  Die 
Senkung  des  Wasserspiegels  hat  man  mit  Bezug  auf  die  Zeiträume 
von  1820—1851  und  1851— 187Ü 

fOr  Hochwasser  auf   0,647  m, 

,  Mittelwasser  ,   1,067  , 

,  Nieder  Wasser  »  1,115  , 

im  Durchschnitt  berechnet. 


B.  Periodiiohe  SehwaokaBgeD  dea  WaMeratandea. 

Zwei  Momente  sind  es  besonders,  welche  sich  aus  den  langen 
Reihen  der  Pegelbeobachtungen  und  graphischen  Darstelhmgen  über 
die  Wasserstäniit»  der  Isar  an  den  verschiedensten  Punkten  ihres  Laufes 
scharf  markiert  abheben:  ein  Beharrungsätand  für  Niederwasser  im 
Dezember,  Jannar  nnd  Febmar,  der  aber  aehr  hfinfig  auch  in  den 
NoTember  nnd  MSrz  hinftbergreift,  nnd  sodann  eine  Periode  hohen 
Wasserstandes  während  des  Mai  und  Juni^).    Diese  Erscheinungen 
hängen  streng  mit  den  ntmosphilrisrhen  Vorgängen  in  den  Quell-  und 
Zuflussgebieten  zusamimii.    Im  Spätherbst  und  Winter,  wo  sich  die 
Niederschläge  als  Schnee  auf  den  Bergen  sammeln,  muss  die  Isar  samt 
den  ihr  zufliessenden  Gewässern  meist  klein  und  unansehnlich  zu  Thal; 
wenn  aber  im  Hai  dieser  stabil  gewesene  mächtige  Wasserrorrat  In 
den  grossen  Kreislauf  gezogen  wird,  wird  die  in  der  kalten  Jahres- 
zeit versäumte  Abfuhr  in  wenigen  Wochen  nachgeholt.  W^ährend 
des  Sommers  imd  Herbstes  erfolgen   anf  jenen  gewaltigen  Wasser- 
transport uuregeimässig  und  vereinzelt  auitretende,  nichtsdestoweniger 
aber  häufig  sehr  bedeutende  Hochwasserstände  nach  heftigen  Ge- 
wittern nnd  andanemden  B«gengüssen,  welche  indes  gewöhnlich  rasch 
wieder  sinken Daher  zeichnet  sich  auch  das  Sommerhalbjahr  durch 
ein  fortwährendes  Aufwallen  und  Zurücksinken  der  Isar,  durch  eine 
oharakteri.stische  Bewegung  in  den  Pegelständcn  aus.  wobei  natürlich 
nicht  zu  übersehen  ist,  dass  in  den  meist  trockenen  Monaten  des  Nacli- 
sommers   und    })eginnenden    Herbstes  (August,    September,  Anfang 
Oktober)  eine  fast  konstante  Wasserhöhe  oft  während  einiger  Wochen 
anfhritt.  Umgekehrt  hat  die  lange  Niederwasserperiode  ebenfalls  ihre 
Unterbrechungen,  welche  entweder  auf  grössere  Niederschll^e  oder  par- 
tielle, durch  föhnartige  Winde  Ternrsachte  Schneeschmelze  znrfickffihren. 


')  Beide  kongruieren  mit  der  Verteil mig  der  Niederschläge  überhaupt,  welche 
nach  den  Angaben  v.  Bezolds  (Das  Klima  von  Oberbayem.  zweiter  Artikel  der 
Denkschrift:  ,Die  Landwirtschaft  im  Regierungsbezirk  Oliorliaycrn",  25 — 44. 
München  1885)  in  München  für  den  Dezember  'M .  Januar  liü,  März  46,  dagegen 
für  den  Mai  92  und  für  den  Juni  118  mm  betragen. 

-)  Da.«»  grösste  bis  heute  lipobachtcte  Hochwasser  fantl  nach  einem  andanemden 
Gewitterregen  am  2.  August  1851  statt;  dai«alö  zeigte  der  Bogenbauser  Pe^ei 
4,80  m  Ober  Null.  Auch  im  Juli  dieses  Jähret  aidiwoU  die  Isar  bi>  so  dem  nngewOoii- 
lieh  hohen  Stand  von  -|-  0,62  m  bei  Mttnchen  bd. 


37] 


Das  Mttnchener  Becken. 


205 


Sie  kommen  in  den  verschiedeusteu  Winternionateii  zur  Beobachtung, 
«ind  aber  im  allgememen  weniger  auMlend. 

Um  ermüdende  Zahlenreih  en  SU  Yermeiden,  haben  wir  in  der 

nachstehenden  Uebersicht  die  mittleren  Höhen  der  höchsten  Sommer- 

nnd  Winterwasserstihule  zwischen  Mittenwald  und  Freising,  sowie  ihr 
Verhältnis  zum  amtlich  festgesetzten  Mittelwasserstand  nach  Perioden 
zusammengelasst,  da  hierdurch  der  Gang  der  Wasserführung  der  Isar 
iu  grossen  allgemeinen  Zügen  mit  am  deutlichsten  gekennzeichnet  wird. 


Pegel  so 

AmUlch 

ter  Mittel- 
wassorstuid 

Mlttlpr»'  Hühv  cler 
hürlmscn  Wluter- 

1 

INItttliTO  Höhe  der 
höchs'en  Sommer- 
waoserstinde 

Differenz  der  iiiilt- 

ler«»n  Hübeu  der 
höchiiten  Sommer- 
u.  WlnterwMser- 
1  ttinte 

1825,50 

1851/76 

1825/50 

i  1851/76 

1825/50 

1851/76 

Mitten wald  (Pe- 
gel a.d.  Mühl- 
brücke)  .  .  . 

+  0,39 

m 

0,002 

m 

0,504 

m 
0,948 

m 

1,020 

m 

0,346 

m 

0,510 

Tölz  

+  0,44 

1829/50 

1,295 

1851/7G 
1,032 

1829/50 
1,892 

1851/70 
1,534 

182950 
0,597 

1851/76 
0,502 

Orflnwald  .  .  . 

+  0,87 

1852/76 
1,465 

1852/76 
1,980 

1852,76 
0,515 

Freising  .... 

+  1,17  1 

182Ö51 
1,305 

1852/76 
1,425 

1R2G/51 
2,000 

I852rrt3 

2,  im  i 

1826/51 
0,761 

1852  76 
0,700 

Was  die  niedricrsten.  mittleren  und  höchsten  Jahreswasserstände 
im  Ober-  und  Mittelhuif  des  Flusses  anlan^rt,  so  ergaben  sich  dieselben 
in  dem  Vierteljalirhundert  von  1851  — 1870 

für  Mitteuwald  zu  .    .    .    ?0,151;  0,473  u.  0,900m. 
,   Tök  ,  .    .   ?— 0,015;  0,413  ,   1,021  , 

.  GrOowald  «...  0,115;  0,667  ,  2,056  , 
,  Freising     ,  .   .    .     0,119;  0,671  ,  2,170  , 

C.  Zunahme  der  WaaserhOhen  BwiaoheD  einielnen  Pegelorten. 

Eine  wissenschaftlich  genügende  Bestimmung  der  Zunahme  des 
Wasserstandes  zwischen  den  verMhiedenen  Pegelorten  unseres  Gebietes 

M  Ks  ist  kaum  notig,  an  dieser  Stolle  auf  dfii  -ein-  relativon  Wert  (1*m- 
aperiodischen  Wasserhöhen"  hinzuweiaen ,  sofern  diese  btreng  nach  dem  Kalender 
geniexHene  Monat«-  oder  Qaartahnitte  darstellen.  Tlrftgt  sich  ersterer  doch  selbst  aiit 
eine  Berechnuiij,'  il*'r  mittleren  Wasserstilndo  für  this  Jahr  über.  Pifsp  Zahlen 
können  nach  der  ganzen  Art,  wie  ein  Floss  seine  Wassenuengen  verfrachtet,^  ge- 
wöhnlich nicht  als  die  richtige  Signatar  der  WaeserliShe  in  der  Zeit  erodieinen, 
für  welche  sie  gelten  sollen.  Daher  m  Ii  lug  auch  schon  Grebenau  vor.  statt  nach 
mathematisch  genau  fixierten  Zeiträumen  zu  gehen,  einen  absolut  höchsten  und 
afaaoliit  niedrigsten,  einen  arithmetiflch  mittleren  Waasercrtand,  einen  durchschnitt- 
lich höchsten  Wasserstund  nach  der  ITiuiptjahrepzt  it .  einon  WasseiNtand  für  die 
V^^etationsmonate  (letzterer  schwankt  im  wesentlichen  um  den  Sommerwasserstandj. 
sowie  endUdi  einen  BehairangswassentaDd  ansufthren. 


206 


Gruber, 


138 


kann  selbstredend  ma  auf  Grand  der  Resultate  langjähriger  Beobach- 
tungen geschehen,  deren  genereller  Charakter  ephemere  Säwankungen 

und  TJnsicherheiten  verwischt.  Nach  den  Aufschreibungen  zwischen 
1851  und  1870  gestaltet  sich  das  Verhältnis  der  Steigerung  der  Wasser- 
höhen von  Tölz  bis  Freising  folgeudermassen : 

a)  für  Hochwasser  wie      .    .    10,21  :  20,56  :  21,70, 

allgemein  wie     .    .    .    16  :  21  :  22, 

b)  für  Mittelwasser  wie     .    .    41,3  :  60,7  :  67,1, 

aUgemein  wie    .   .   .   41  :  67  :  67, 

c)  fttr  Niederwasser  wie  .   .   5,1 : 11,5  : 11,9, 

allgemein  wie    ...   5  : 12  : 12. 

Die  Zunahme  ist  nicht  fOr  die  Mittel  aller  Wasserstände  eine  gleiche; 
femer  spielt  dieselbe  im  Grunde  nur  zwischen  Tölz  und  Grünwald.  Sie 
wird  auf  dieser  Strecke  fast  ansschliesslich  durch  dio  Einmündung  der 
Loisach  verursacht.  Von  ürüHwald  bis  Freising  ändert  sich  das  Ver- 
hältnis wenig,  da  der  Isar  auf  dieser  Strecke  kein  wesentlicher  ZuHuss 
tributär  ist.  Ninunt  man  die  MittelwaaserstSnde  zum  Ausgangspunkt 
einer  Berechnung,  so  hetrftgt  die  Steigerung  swischen  den  beaMidmeten 
Punkten  allgemein  2:3;  für  Hochwasser  ist  sie  4:5,  für  Xieder- 
wasser  1  : 2.  Ans  diesen  Ziffern  ergibt  sich,  dass  der  Einfluss  der 
Loisach  auf  die  Hochwasserstände  ungleich  geringer  ist  als  auf  Mittel- 
und  Niederwasser.  Es  lässt  sich  veran^rblagen,  dass  sie  durchschnitt- 
lich      bis       zum  Wasserquantum  des  liuuptflusses  liefert. 

Versucht  man  die  gleiche  Rechnung  f&c  dieselbe  Zeit  und  die 
nämlichen  Orte  auch  auf  Sommer-  und  WintCTwasBerstiüide  anzuwendeni 
so  erhUt  man  die  nachstehende  Uebersicht: 

Tölz    Cninwald  Freising 
Wiiiterwasserstand : 

12,95  :  U,65  :  20,66, 
allgemein  18     :  15     :  21; 

Somnierwasserstand : 
10,32  :  19,80  :  20,95, 
allgemein  10      :  20      :  21. 

An  den  so  wesentlirh  verschiedenen  Wasserständen  bei  Tölz  und 
Grünwald  ist  sofort  wieder  die  starke  Wirkung  der  Loisach  in  der 
regenreicheren  Zeit  zu  erkennen.  Während  des  Winters  bedingen  die 
auf  der  Ebene  mehr  denn  in  den  Bergen  bewegten  Niederschlage  den 

grösseren  Untersdtiied  zwischen  den  Pegelhöhen  zu  Grtinwald  und 

Freising.  Im  Sommer,  der  Zeit  des  mittleren  und  hohen  Wasserstandes, 
sehen  wir  das  Verhältnis  '^ich  ungofVihr  zu  r>:10:ll  umändern,  und 
damit  nähert  es  sich  wieder  den  aus  den  mittleren  Jabresständen  be- 
rechneten Angaben. 

D.  Berechnung  des  Wassertransportes. 

Die  Au&eidbnuneen  der  Wasserhöhen  unserer  Isar  in  den  Pegel- 
urkunden sind  zuglei<m  als  Basis  fttr  die  Berechnung  ihres  Wasser- 
transportes Ton  einschneidender  Bedeutung.  Bekanntlich  steht  die  ab- 

^  j  i.Lo  l  v  Google 


39] 


Das  Müiichener  Becken. 


207 


geführte  Wassermasse  im  geometriBehen  VerhältniB  zum  Pegelstand 
und  liisst  sich  aus  letzterem  mit  Hilfe  von  Messungen  über  Geschwindig- 
keit und  Querprofilsfl'ache  des  Wassers  genau  bestimmen.  Zur  Be- 
rechnung der  Abflussmeugen  in  längeren  Perioden  bedarf  es  vorerst 
der  sicheren  Feststellung  des  Mittelwasserstandes  während  der  fraglichen 
Zeiträume,  sodami  aber  der  sorgfältigen  Bestimmnng  des  Wasser- 
transportes bei  jenem. 

Unter  den  wenigen  befriedigenden  Messungen  der  Wasserabfahr  in 
südbajerischen  Flüssen  stehen  diejenigen,  welche  Herr  Bauamtsassessor 
Bücking  1878  an  der  Isar  bei  Oberf(>hring  ausführte,  mit  in  vorderster 
Linie.  JDen  uns  zur  Verfügung  gestellten  Akten  entnehmen  wir,  oline 
das  Yerfidiren  der  Messung  hier  berücksichtigen  zu  kdnnen,  nach- 
folgende Zahlen: 

Für  das  Winterrierteljahr  (Januar  bis  März)  ergaben  sich  als 
Mittel  aller  Ablesungen  am  Wassermesser  zu  Bogenhausen  —  2,33  m. 
Da  bei  diesem  Pegelstande  t)4  chm  in  der  Sekunde  abtliessen,  so 
wurde  der  Wassertransport  für  die  Ol  TnuM'  des  ersten  i^iartals  1878 
zu  497  6(54  OUU  cbui  augenommeu.  —  Im  Frühlingsvierteljahr  zeigten  die 
Wasserslinde  eine  durehschnittlicbe  Höhe  von  —1,07  m.  Auf  diese 
Ablesung  treffen  196  cbm  Abfuhr  f&r  die  Sekunde ,  somit  f{lr  den 
ganzen  Zeitraum  1541 030  400  cbm.  —  Das  Sommervierteljahr  hatte 
einen  mittleren  Wasserstand  von  — 1,39  m;  dieser  bestimmt  in  dor 
Sekunde  eine  Abflussmenge  von  147  cbm,  in  92  Tagen  also  eine  solche 
von  1227273000  cbm.  —  Während  des  Herbstvierteljahres  endlich  war 
der  durchschnittliche  Pegektand  —  2,34  m;  in  der  Sekunde  passierten, 
wie  im  Winter,  64  cbm  Wasser,  im  Quartal  584323200  cbm.  Die  Oe- 
samtsumme der  AbfluBsmenge  im  bezeichneten  Jahre  muss  somit  zu 
3800291200  cbm  veranschlagt  werden.  Dabei  fehlten  der  Isar  aber  an 
der  Messstelle  noch  die  im  Schwabingerbach  konzentrierten  Stadtbäche. 
Jener  zeigt  eine  ziemlich  konstante  Wassermniigc  von  1 1  cbm  pro  Se- 
kunde und  liefert  demnach  jährlich  340  8Ü0  000  cbm ;  diese  zur  vorhin 
euMcketten  Gesamtsumme  gezSbli,  erlilUi  man  für  Mflnchen  räne  Ab* 
flussmenge  tou  4147187200  oder  rund  4150  Millionen  Kubikmeter'). 

Unsere  Zusammenstellung  lehrt,  dass  die  Isar  nicht  weniger  als 
drei  Viertel  ihrer  jährlichen  Fracht  an  Wasser  im  Frühling  und  Sommer 
(April  bis  Oktober)  und  nur  ein  Viertel  während  des  Herbstes  und 


')  At>  Quellziiflüssen  erhiilt  dio  Tsar  in  unserem  Oohietp  niif  ilirtT  rechten 
Seite  420,  aul'  ihrer  linken  (500  Sekundt-nUter.  Von  «Tstercn  »'nt l.ilh'ii  allein  auf 
den  6  km  langen  Atuläufer  d««  Hochufers  zwischen  Högenhausen  un<l  ( )l»'riühring 
280,  von  letzteren  auf  die  10  km  lange  Strecke  Höllriegelkreut-Thalkirchcn  inehr 
als  ti'JU  •'^ekundeuliier.  Zum  Vergleich  sei  angeführt,  dass  der  Inn  1878— löTy  bei 
Reiitach.  11,5km  unter  Kufstein,  nach  den  im  ersten  Teil  der  ^Hydrologischen 
Untersuchungen  an  den  öffentlichen  Flössen  Bayerns*  mitgeteilten  Messungen 
11  842,02  Mill.  cbm  Wasser  abführte,  demnach  fast  dreimal  so  viel  als  die  Isar  bei 
Mflnchen.  Allerdings  betrftgt  sein  Flossgebiet  mit  der  Salzach  auch  26  045qkm, 
wovon  bis  zum  Reisacher  E'egel  9635,8  <ikm  entfallen,  während  das  ganze  (lebiet 
de«  Isar^tems  9039,  das  des  Lech  samt  Wertach  4328,  der  liier  2227  qkm  aus- 
macht Die  WasMnnenge  der  Denan  fiuid  man  für  I^edorwaMer  bei  DonanvOrUi 
zu  123,7  und  12.'. 1.  bei  Nenbnrg  zu  i?T^.4.  bei  Ingolstadt  zu  ,329.3:  am  Lech  bd 
Kaofering  zu  40,5U  und  170,  bei  Schwabstadel  zu  71,ö  äek.-Kubikmeter. 


.  ^  i.L^  l  v  Google 


208 


Grttb«r, 


[40 


Winters  ablührt.  In  ihr  kommt  der  Typus  jener  Flü.sse  klar  aus- 
geprägt zur  Erscheinung,  welche  einen  grossen  Teil  ihres  Wassers 
durch  Regen  erhalten,  deren  bedentondstes  Hochwasser  aber  infolge 
der  Schneeschmelze  entsteht  0-  Gleichen  Charakter  tragen  alle  den 
Alpra  nach  Korden  entströmenden  Gewässer,  und  eben  er  bezeugt  wie 
wenig  andere  ihrer  Merkmale  die  Abhängigkeit  derselben  Tom  Uoch- 
gebir<^e  in  anschaulichster  Weise. 

Da  frühere  Messungen  des  Wassertransports  der  Isar  zum  Vergleich 
fdiloi die  Pegelbeobachtuugen  in  unserem  Qebiete  aber  nicht  ohne 
weiteres  als  Grundlage  für  Scblfisse  vom  Wasserstand  anf  das  Wasser- 
qnantiini  dienen  können,  welche  längere  Zeiträume  in  Betracht  ziehen, 
so  müssen  wir  für  jetzt  wenigstens  noch  die  interessante  Frage  olFen 
lassen,  ob  eine  allgemeine  Zunahme  oder  Reduktion  der  in  der  Isar 
gesammelten  Wassermassen  innerhalb  der  jüngsten  Dezennien  stattfand. 
Auch  .theoretische  Berechnungen"  über  die  Mengen  der  in  diesem 
Gebiete  wirklich  zum  Abfluss  gelangenden  Niederschlage  kOnnen  hier 
nicht  zum  Yergleich  herangezogen  werden.  Mit  Sicherheit  I2sst  sich 
dagegen  erweisen,  dass  der  Wert  des  für  ein  vereinzeltes  Jahr  fest- 
gestellten Diirchflnssquantiims  von  höchst  iflutiver  Natur  ist.  Sind 
doch  einem  Jahre  mehr  Hoch-,  einem  anderen  nielir  Nieder-  oder 
Mittelwasserstände  eigen;  in  ersterem  wird  die  Abiuhr  grössere  Dimen- 
sionen erreichen  als  im  letzteren.  Solche  Zuckimgen  der  zu  Thal  ge- 
brachten Wasserqnantitftten  liegen  in  der  Natinr  der  hydrographi- 
schen Elemente.  Hinsichtlich  der  von  uns  erwähnten  1878  aus- 
geführten Messungen  muss  daher  bemerkt  werden ,  dass  dieses  Jahr 
mit  Bezunr  anf  die  Wasserstände  einem  mittleren  Diirchschnittsjahr  nahe- 
kam. Leider  ist  es  ferner  unmönrlfch,  ein  Verhältnis  der  an  verschiedenen 
Punkten  des  Thalweges  der  Isar  zum  Durchfluss  gelangenden  Mengen 
selbst  nur  für  Mittel-  oder  Niederwasser  zu  konstmieren,  weil  eben  jede 
andere  Messung  bis  zur  Stunde  mangelt.  Es  bestätigt  sich  daher  auch 
nach  dieser  Richtung  hin  die  Wahrheit  der  Behauptimg,  dass  wir  that- 
sächlich  erst  am  Anfang  der  -\rbeiten  /n  einer  Hydrologie  Südbayems 
stehen  und  dass  keine  andere  Erscheinung  des  Alpenvorlandes  mehr  der 
Erforschung  bedarf  als  das  fliessende  Wasser,  welches  der  gesamten  Physio- 
gnomie jenes  Gebietes  so  eigenartige  und  bedeutungsvolle  Züge  aufprägt. 

10.  Gefälle,  Geschwindigkeit^  Breite  und  Tlefe^  sowie  ihre 
Abhiagigkeit  Tom  Wasserstaiide. 

Tn  strengem  Zusammenhange  mit  den  WasserständHii  nnd  fort- 
während durch  sie  moditiziert  stehen  Gelalle,  Geschwindigkeit,  Breite 


'j  A.  WoeYkof:  Flüsse  und  Laiulseeu  als  Produkte  dos  Klimas.  Zcit^chr. 
der  Gesellach.  f.  Erdkunde  zu  Berlin.  20.  Bd..  2.  Heft.  S.  92. 

Nur  f'ine  Angabe,  welcher  aber  kein  allzu  fjrosser  Wert  beizulegen  ist,  er- 
hielten wir  noch  vom  Assistenten  de«  Münchener  FluHsltauanit«  Hoehholzer.  Er 
bestimmte  den  Abfluss  willireufl  eines  Hochwassers  nahe  der  Grosshesseloher  Brücke 
7,u  54  00(»  Kiil>ikfu8S  pro  Sekuii  l'  :  »'in  and-rer  faml  ihn  wleichzi'if  i>:  zu  (iO  000  Kubik- 
luss.  Nach  der  gewöhnlichen  Annuhm«  lührt  die  obere  Isai-  zwischen  30  und  1000, 
die  untere  svischen  60  und  1200,  ein  Hocbwaseer  ungefiUiT  700  Sek.>Kalnkmetar  ab. 


Daa  Mtbieliener  Becken. 


209 


und  Tiefe  eines  Flusses.  Das  Gefälle  der  Isar  ward  bereits  durch 
Riedl  0  ^Tiiit  Inbejjjriff  der  Erdstrahlenbrechuntr  auf  den  wahren 
Gesichtskreis  pebraclit."  Später  bestimmte  Herr  Oberbergdirektor 
Dr.  von  Gürabel -)  dasselbe  und  zwar,  wie  Riedl,  für  das  ganze 
Langenprofil.  In  neuester  Zeit  endlich  suchte  das  Flussbauamt  zu 
Mfinehen  auf  Grund  tod  NiTellements  mOglichBt  sichere  Angaben  nach 
dieser  Richtoag  hin  zu  gewinnen,  und  wir  verzeiclinen  im  folgenden 
die  für  ganx  Terachiedene  Stollen  erhaltenen  Beeultato. 


Strecke 

Länge 
derselben 
m 

Absolutes 
Gefälle 
m 

Relatives 
Gefille 
im  Meter 

Von  Mittenwald   bis   zur  Husei- 

Von  München  bis  Freising  .  , 
Zwischen  Freisiug  n.  Tuching 

3000 
84  280 

700 

660 

17,700 
62,732 
0,809 
0,591 

0,00592 
0,00183 
0,00115 
0,000909. 

Rauscht  die  Isar  bei  Mittenwald  mit  dem  echten  Gefälle  eines 
Berghaches,  1  :  200,  dahin,  so  fliesst  sie  unterhalb  Mfinehen  nur  mehr 
mit  einem  solchen  von  1  :  500,  um  es  bis  Moosburg  gar  auf  1  : 600, 

an  dt  r  Mündung  auf  1  :  1500  zu  Terringern.  Die  dem  Lauf  des  Flusses 
vom  Gebirt:»'  lipr  dnreb  die  Vorbor^e  ziirEliene  entsprecliende  Verringe- 
rung des  Gefälles  wird  indes  durcli  die  Beweglichkeit  der  Alluvionen  und 
die  Höhe  des  Pegelstandes  fortwiilirend  beeinflusst.  Gelegentlich  der 
Wassermessungen  bei  Oberföhriug  schwankte  dasselbe  z.  B.  zwischen 
0,00125  und  0,00184  m. 

lieber  die  Geschwindigkeit  der  Isar  erhielten  wir^  für  die 
Linie  Tdlz — Moosburg  nachstohende  Exgebniuse: 


Länge 

Absolute  Ge- 

Relative  Ge- 

Strecke 

in 

8ch  windigkeit 

schwindigkeit 

km 

m 

im  Meter 

38,25 

101,440 

0,00205 

GrOnwald-Mflnchen  (stein.  Brflcke) 

14 

29,587 

0,00211 

Mtlnehen-Bogenhausen  .... 

2,50 

8,795 

0,00252 

31,50 

58,480 

0,00192 

18 

28,245 

0,00157. 

Auch  in  dieser  Zusammenstellung  soll  nur  ein  durchschnitt- 
liches YerhiUtnis  skizziert  sein,  da  f&r  die  Isar  nachgewiesen  werden 
kann,  wie  sehr  die  Geschwindigkeit  gleich  dem  Ge&lle  je  nach  dem 


')  Biedl.  Adrian  von:  Stromatlas  von  Bayern.   Text  hierzu.  Mün- 
chen 1^.  8.  120. 

*)  Gfimbel.  Dr.  C.W. :  Gcoprnostische  Beschreibung  des  bayenachen  Alpen« 
gebirges  und  seineo  Vorlandes.   Gotha  S.  36. 


210 


Graber, 


[42 


Pegelstande  variiert.  Während  in  der  Nähe  Oberföhrings  z.  B.  am 
14.  Januar  1879  die  absolute  Geschwindigkeit  1,185  betrup^ .  ^var  sie 
bei  Mittelwasser  im  Oktober  1878  1,449  und  1,884,  bei  Hochwasser 
am  4.  September  aber  2,111.  BekanntUdi  Indert  dch  die  Geeehwindig- 
keit  selbst  ümerhalb  eines  und  desBelben  Profils  infolge  der  Reibung 
des  Wjissers  an  den  Rändern  und  der  Sohle  des  Bettes  in  ansehn- 
lichem Grade.  Die  Untersuchungen,  welche  in  der  Korrektionslinie 
nördlich  von  München  angestellt  wurden  und  aus  denen  wir  in  nach- 
stehender Tabelle  die  instruktivsten  Einzelheiten  darstellen,  lehren,  dass 
sich  erstens  die  mittlere  Geschwindigkeit  im  ganzen  Profil  des  Flusses, 
wie  auch  die  mittlere  Oberfl&ehen-  und  mittlere  Sohlengeschwindigkeit 
bei  Hochwasser  noch  einmal  so  hoch  stellt  als  bei  Nieder wasser,  und 
dass  zweitens  die  mittlere  Sohlengeschwindigkeit  hinter  der  mittleren 
Geschwindigkeit  im  ganzen  Profil  ungefähr  um  das  Doppelte  zurückbleibt. 


Geschiriiidiglceitanesmiigen  bd  Ober- 
fithrisg  im  Jahre  1878 

1. 

2. 

3. 

4. 

Messung 

Nieder^ 
wasser 
m 

Mittelwasser 
m 

Hodi- 

w  aaser 
m 

1.  Mittlere  Geschwindigkeit  im 
ganzen  Profil  .              .  . 

2.  GrOsste   Geschwindigkeit  im 

3.  Mittlere  Oberflächengeschwin- 

4.  Grosste  Oberflächengeschwin- 

5.  Mittlere  Sohlengeschwindigkeit 

6.  Mittlere  Tiefe  

1,19 

1,67 

1,37 

1,63 
0,60 
0,89 

1,45 

2,02 

1,69 

2,00 
0,98 
1»17 

1,88 

2,43 

2,21 

2,43 
1,12 
1,70 

2,11 
2,70 

2,50 

2,67 
1,22 
2,29. 

Die  Unbeständigkeit  des  Fhissliettes  der  Isar,  seine  Abhängig- 
keit von  den  Hochwasserfluteu  und  die  durch  letztere  verursachten 
häufigen  Umlegungen  desselben  Terleihen  den  Angaben  Aber  Breite 
und  Tiefe  keine  Sicherheit.  Jene  haben  vielmehr  ansserhalb  der 
regulierten  Strecken  stets  nur  die  Bedeutung  von  Sch&tznngen  und 
bezeichnen  keinesfalls  dauernde,  sondern  stets  nur  Torübergehende 
Werte.  Was  das  Anwachsen  des  Flusses  vom  Gebirge  her  anlantrt, 
so  bieten  uns  hierfür  die  Korrektionenbreiten  einige  Anhaltspunkte, 
wobei  aber  zu  erwähnen  ist,  dass  die  Entfernung  der  künstlichen  Ufer- 
r&nder  nicht  immer  dem  durchschnittlichen  Wassertransport  der  Isar 
entsprechend  geführt  ward.  Sie  beträgt  bei  Mittenwald  25  ni, 
München  40 — 00  m ,  bei  Freising  70  m ;  für  Moosburg  ist  dieselbe 
zu  75  ra  berechnet.  An  allen  anderen  Stellen  aber,  wo  das  Wasser 
sich  frei  über  die  Sohle  des  Thaies  ergiessen  kann,  nimmt  es  auf 
Kosten  der  Tiefe  und  Konzentration  einen  viel  breiteren  Raum  ein, 
den  es  wiDkflrlich  und  lannisch  bald  hier,  bald  dort  anschneidet  Im 


^  kj  i^Lo  l  v  Google 


Das  Müucheuer  Becken. 


211 


Gebiete  des  Münchener  Beckens  siebt  man  den  Fluss  ansserbalb  seiner 

Hochufer  nie  in  einer  einzigen  A»l<  r  voUgesamraelt.  Hüiifi«,^  strömt 
er  80 — 90  m  breit  und  dann  durchschnittlich  2  m  tief  nach  Norden 
weiter,  umschlnngen  von  mehreren,  wenn  auch  unscheinbaren  Neben- 
armen. Oettcr  zerteilt  er  sich  vollständig  in  2  oder  3  Kinnen  von 
wenig  verschiedener  Grösse;  dann  scheinen  die  Gewässer  bei  niedrigem 
Stand  zwischen  den  GerOUflichen  sn  Terschwinden,  in  weiche  sie  sich 
1 — 1,5  m  tief  eingraben.  Um  so  kiWger  kommen  sie  dagegen  wäh- 
rend der  Frühlings*  und  Sommerhochwasser  zur  Geltung;  eine  michtig 
hinfliitende  Wassermasse  überströmt  jetzt  nicht  sowolil  die  weit  aus- 
gebreitete Thalsohle,  sondern  tritt  häutig  über  dieselbe  hinaus,  bis  zu 
2  m  die  Ränder  der  Steil ni er  tnipor  oder  über  den  sie  begleitenden 
Saumwald  weg  gegen  Moor  und  Heide  hin. 

Die  Tiefe  der  Isar  berechnet  sich  bei  Mittenwald  im  Durchschnitt 
zu  0,7,  bei  Töla  sn  1,2,  bei  München  zu  weniges  über  2  m.  Die 
Annahme  Grebenaus,  dass  die  Breite  des  Flusses  seine  Tiefe  um  das 
20 — 25  fache  übertrefTe,  mag  für  die  reguherten  Strecken  im  allge- 
meinen Geltung  haben.  Wissenschaftlicher  Wert  aber  wird  ihr  um 
so  weniger  zugesprochen  werden  können,  als  das  hier  angezogene 
Yerhältnis  wiederum  durchaus  vom  Wasserstand  abhängig,  mithin  sehr 
unstet  erscheint.  Es  liegen  uns  Beobachtungen  Tor,  die  klar  bezeugen, 
in  welchem  Grade  innerhalb  der  Münchener  Korrektionslinie  beim  An- 
steigen des  Wassers  die  Breite  hinter  der  Tiefe  zurückbleibt.  Wir  fanden 
dieselben  interessant  rrenug,  um  sie  hier  mitzuteilen,  obsclion  natür- 
lich zugegeben  werden  muss,  dass  sie  nur  für  eine  Stelle  Geltung 
besitzen,  an  welcher  sich  der  Fluss  nicht  frei  entfalten  kann. 


Zeit  der  Messiuig 

Stand  des 
Bosenhaoser 
Pegeb 

AbfluBs- 

men^e  pro 
Sekumle 
cbm 

Verhältnis 
der  Breite 
mir  Tiefe 

—  2,77 

89 

39,4 

23.  Oktober  1878   

-  2,81 

64 

30,8 

28.  August  1878   

—  1,64 

122 

21.1 

209 

16,8. 

lt.  Die  Gewässer  in  den  Müuchener  Mooren.  Yergleich  Ihrer  « 
chemlBclien  BesehtlTtiiheit  und  Tempmtnr  mit  jener  der  Isar. 

Die  Wasseradern,  welche  den  Thalflächenmooren  nfirdlich  von 
München  zugehören  und  in  die  Einförmigkeit  ihrer  Landschaft  allent- 
halben frische,  angenehm  lebenditje  Züge  bringen,  tragen  nach  ihrer 
Entstehung  und  ihrem  Ger^anitcharakter  wesentlich  andere  Merkmale, 
als  wir  sie  eben  am  nahegelegenen  Hanptfluss  fenden. 

Sie  spannen  sich  gleich  einem  engmaschigen  Netz  fiber  die  Moor- 
ebenen hin  und  umsäumen  die  braungrünen  Naturwiesen  wie  mit  schmalen 
SUberbändem.  Im  Gebiete  des  Erdinger  Moores  lassen  dieselben  fünf 


.  ^  i.L^  l  v  Google 


212 


Graber, 


[44 


kl'  inore  Systeme  erkennen:  das  des  Seebach,  Schörgenbach,  der  Goldach, 
Dorten  und  iSempt;  dem  Dachaii-Schleissheimer  Moor  gehören  vor  allem 
Gröben-  uud  Kaltenbach  sowie  die  Mosach  an.  So  gross  nun  auch 
die  Zahl  jener  Gruudwasaerergfisse  ist,  in  ihrer  auffallenden  Entwicke- 
luiig  spricht  sich  allenthalben  die  Gldohartigkeit  Ihres  Wesens  ans. 
Meist  entquellen  sie  ani  Kande  oder  inmitten  des  Moores  in  ansehnlicher 
(  trösse.  Ihren  Verlauf  kennzeichnet  ein  steter  Wechsel  der  Breite  des 
Bettes,  das  hier  auf  l — 2  m  verengt  \m<]  nicht  ferne  davon  zu  S — *>  m 
ausgezogen  erscheint.  Einige  derselben,  wie  Seebach  und  Goldnch. 
schwinden  eine  längere  Strecke  vor  ihrer  Einmündung  sichtlich  zusammen, 
andere  wurden  mit  klinsUich  ^ezogenenEanSlen  in  Verbindung  gesetst  and 
erzeugen  hierdurch  eine  Reihe  Ton  Bifurkationen.  Das  Bett  der  Moor- 
bUche  ist  durchaus  regelmässig  angelegt :  sie  haben  steile  aber  niedrige 
Uferränder,  welche  die  nach  anhaltenden  Niedersclilägen  meist  ein- 
tretenden Ueberschwemmungen  in  lioliem  (rrade  begünstigen.  Die  durch- 
schnittliche Tiefe  derselben  schwankt  bei  dem  ziemlich  gleichbleibenden 
Staude,  wie  er  vom  Juli  bis  September  gewöhnlich  beobachtet  wird, 
zwischen  0,30  und  1,20m.  Lichtbraun,  klar  und  durchdehtig  ist  die 
Farbe  ihres  Wassers;  ihm  gleichen  die  von  Kalkniedmchl^fen  und 
Algen  dunkel  gefärbten  Gerölle  ihrer  Sohle. 

Die  Herkunft  der  Moorhäche  vom  Grnndwasserstrom  der  Hoch- 
ebene, über  dessen  allgemeine  Neigung  gegen  Nordnordosten  wir  auf 
Seite  [lÜ]  184  einige  Angaben  mitteilten,  sowie  der  beträchtliche  Abfall 
der  Sohle  des  unteren  Hflnchener  Beckens  yerleiheu  denselben  ein  an- 
sehnliches Qefäll.  Schon  y.  Riedl  bezeichnet  letzteres  «approzimatiT  als 
gross";  wir  haben  es  im  allgemeinen  zu  0,0012 — 0,0018  relatiy  yer- 
anschlagt. 

Ueber  den  Wassertransport  dieser  Gewässer  fehlen  mit  wenigen 
vereinzelten  Ausnahmen  grüudhche  Messungen.  Es  ist  dies  um  so 
mehr  zu  beklagen ,  als  von  letzteren  aus  ein  zuverlässigerer  Schluss 
auf  die  Qesamtgrösse  der  «unterirdischen  StrOmung"  versucht  werden 
kffnnte,  wie  ihn  theoretische  Betrachtungen  zulassen.  Thiem  berech- 
nete die  Wassermenge  des  Seebachs  bei  Aschheim  im  Juni  1870  y.u 
0,70,  einige  Kilometer  nördlicher  an  der  Hinterniiilile  zu  1,27  cbm  für 
die  Sekunde.  Wir  selbst  fanden  mittels  Schwimmer  die  Quantität  der 
Dorleu  in  den  Moorwiesen  westlich  von  Niederneiching  bei  Mittel- 
wasser zu  2,0,  1880  bei  Hochwasser  zu  2,9  cbm  in  der  Sekunde. 
2  km  nOrdlich  yom  Dachau-Schleissheimer  Kanal  führte  der  Kalten- 
graben anfangs  Mai  dieses  Jahres  0,*>.  der  weiter  im  Osten  fliessende 
kräftigere  Wasserfaden  dagegen  1,3  cbm  ab.  Diesen  Angaben  lässt  sich 
im  allgemeinen  noch  beifügen,  dass  die  Wasserstände  der  Moorbäche 
während  des  Jalires  nur  relativ  geringen  Schwankungen  unterliegen 
(im  Maximum  kaum  1  m);  durchschnittlich  kommt  die  Mehrzahl  dem 
Seebach  bei  Aschheim  gleich. 

Was  endlich  die  äemische  Zusammensetzung  der  Grundwasser- 
ergfisse  in  den  Mooren  um  Mönchen  anlangt,  so  ergaben  die  Analysen 
wesentliche  Unterschiede  zwischen  ihnen  luid  den  südlicher  gelegenen 
Quellen.  Infolge  der  seichten  Schotterüberlagerung  gelangt  die  unter- 
irdische Strömung  mit  den  obersten  Bodenschichten  allenthalben  in 


45] 


DaH  Münchener  Becken. 


213 


Berflhning.  Diese  werden,  um  ihre  agrikuItnreUe  Ausnützung  möglich 
sn  machen,  einer  inienriTen  Veninreinigung  ausgesetzt,  welche  sich 
aoeh  auf  das  Grundwasser  überträgt.  Dasselbe  besitzt  deshalb  hier 
einen  hohen  Gehalt  von  Chlor  und  Sjilpetersänre ,  der  ihm  sonst 
in  viel  geringerem  Majisse  zukommt.  So  fand  man  den  Rückstand 
eines  (Grundwassers  des  Dachau-Schleissheimer  Moores  (bei  Mosach) 
za  300  mg  im  Liter;  darunter  waren  10,G  Chlor,  78  Salpetersäure, 
119,8  Kalk,  1,40  EohlenaSure.  QneDwasser  ans  dem  sfldlichsten  Teile 
der  Erdinger  Moorlandschafb  ergal)  270  mg  Rückstand  und  zwar  5,0 
Chlor,  31,3  Salpetersäure,  96,5  Kalk,  1,45  Kohlensäure.  Auch  die  bis 
an  30  m  hoch  überlagerten  Grundwasserergüsse  in  der  Nähe  Gross- 
hesselohes hatten  einen  Rückstand  von  270  mg:  unter  diesen  war 
Chlor  aber  nur  mit  2,8,  Salpeter  mit  4,0,  Kalk  hingegen  wiederum 
mit  86,8,  Kohlensänre  mit  1,55  mg  Tertreten.  Fflr  «hw  Wasser  der 
Isar  fimden  Br.  Bmnner  und  Dr.  Emmerich,  welche  eine  Torfareffliche 
Abhandlung  über  die  chemische  Beschaffenheit  desselben  verOffent- 
lirhtpn  oberhalb  Münchens  folgende  Zahlen,  die  sich  anf  Messungen 
im  Februar  und  April  1875  beziehen:  Abdampfuugsrückstand  0,2195 
und  0,2103:  Lösungsrückstand  0,0745  und  0,0716;  Kalkgehalt  0.0809 
und  0,0t)9ö;  Chlor  0,0014  und  0,0011;  Salpetersäure  0,0005  und  0,0001; 
Kohlensänre 0,0820  nnd 0,0590 ;  organische  Substanzen  0,0194  und  0,0265 ; 
SQspendierte  Teile  0,0027  nnd  0,0280.  Bei  Garching,  12  km  unter  Mün- 
chen geschöpftes  Isarwasser  ergab:  Abdampfungsrückstand  0,2220  und 
2,010;  Lösungsrückstand  <  1,0760  und  0,0670:  Kalkgehalt  0,0801)  und 
0.071:.;  Kohlensäure  0,0820  und  0,0740:  Chlor  0,0014  und  0,0013; 
Salpetersäure  0,0005  und  0,0U01;  organische  Substanzen  0,0253  und 
0,0398;  suspendierte  Teile  0,0044  nnd  0,0382  g  im  Liter.  In  diesen  An- 
gaben Üegt  der  kraftigste  Beweis  dafSr,  dass  das  Isarwasser  wShrend  des 
Durchflusses  durch  München  weder  bezüglich  seines  Kalkgehaltes  noch 
in  Hinsicht  auf  die  gelösten  und  suspendierten  Stoffe  überhaupt  wesent- 
liche Veränderungen  erleidet.  In  einer  Probe,  welche  unterhalb  Gar- 
ching hei  Hochwasser  genommen  worden  war,  konnte  ein  Unterschied 
gegenüber  dem  Isarwasser  oberhalb  der  Stadt  überhaupt  nicht  nach- 
gewiesen werden.  Die  Zunahme  der  Rückstände  Ton  Tölz  bis  Plattling 
betrug  29,7  und  38  mg.  Parallel  mit  der  Vermehrung  oder  Verminderung 
der  läckstandsmeoge  gehen  die  Schwankungen  des  Kalkgehalts,  dessen 
Menge  auch  zum  regelstand  in  umcrf'knhTt  proportionalem  Verlililfnis 
steht.  Der  höchste  Kalkgehalt  (85,5  mg)  fand  sieh  bei  selir  niedrigem, 
der  geringste  (55,5  mg  pro  Liter)  bei  sehr  hohem  Wasserstand. 

Ko<m  bedeutendere  Unterschiede  als  nach  ihrer  chemischen  Kon- 
sfcitntioii  zeigen  Isar-  nnd  Grundwasser  in  den  TemperatnnrerhSltnissen. 
Letssterem  ist  im  allgemeinen  die  mittlere  Jahrestein}»erati]r  Münchens 
eigen  (7,50"  C);  seine  Wärme  spielt  zwischen  7  und  11  "  und  unterliegt 
um  so  grös«=ercn  Schwankungen,  je  seichter  die  Schotterdecke  über  ihm 
ist.  Die  Temperatur  des  Isarwassers  dagegen  bewegt  sich  von  1 — 20" C. 
Sein  Minimum  tüilt,  wie  vorauszusehen,  meist  mit  demjenigen  der 


*)  ZeitMhr.  f.  Biologie^  Jahrg.  1878,  S.  199  ff. 


214 


Uruber,  Das  Müncheuer  Becken. 


[46 


Luft  zusammen,  mid  zwar  in  den  Dezember  nnd  Jannar;  das  Mazimmn 
gehört  dem  Juli  an.  Konsfauite  Tttnperatmrai  sind  meist  nur  während 
eini<rer  Wochen  dea  Spfttoommers,  dann  aber  auch  vereinzelt  im  Verlauf 

der  lanf^en  Niederwasserperiode,  welclior  fiberhanpt  die  gerin<]ff;ton  Tem- 
peraturscliwuiikungen  angehöreu,  zu  beobachten;  Hochwasser  bedingen 
in  der  Regel  eine  rasche  Temperaturerniedrigung.  Eisbildung  zeigt 
sich  an  der  Isar  infolge  ihres  bedeutenden  Gefälles  und  der  hier- 
durch bedingten  Geschwindigkeit  nnr  in  geringem  Masse.  Sa  ist  eine 
selten  wied  rkehrende  Ausnahme,  wenn  sich  im  Gebiete  des  Mfindiener 
Beckens  eine  Eiv^'cke  über  die  ßinne  des  eigentlichen  Flusses  oder 
seiner  Haiiptader  von  einem  Ufer  zum  anderen  spannt.  Dagegen  bildet 
sich  regelmässig  im  Dezember,  Januar  und  Februar  dünnes  Grundeis; 
dann  entbehren  auch  die  Alluvioueu  und  Känder  des  Bettes  nicht  der 
achmSIeren  oder  breiteren  Biakaaten,  zwisdien  welchen  das  klein  ge- 
wordene Gewisser  rastlos  nnd  ungestört  seinen  Ereislanf  yollf&hrt. 

Zum  Schlüsse  sei  noch  angeführt,  dass  nach  einer  Beobachtung 
T.  Bezolds  während  des  Obcrlaufo^  die  o.«twestlich  ziehenden  Thal- 
strecken der  Isar  (^Hinterautliul  und  Linie  Krün — Fall)  etwas  wärmere 
Temperaturen  zeigen  als  die  siidiiördlich  verlaufenden  Partieen  (Schar- 
nitz—  Krün,  Fall — Tölz).  Denn  letztere  liegen  vormittags  lanse  im 
Schatten  der  OstHchen,  nachmittags  zeitig  in  jenem  der  weswchen 
Berge;  die  ersteren  dagegen  geniessen  die  Sonnenstrahlen  wenigstens 
auf  der  nach  Süden  blickenden  Abdachung  vom  Morgen  bis  zum  Abend. 
Keine  Stelle  der  meridional  gelegenen  Thaklisclniitte  aber  scheint  in- 
folge sehr  steilen  Ansteigens  der  ihr  vorgelagerten  südlichen  Berg- 
ketten während  de^  Winters  einige  Zeit  der  Besonnung  gänzUch  be- 
nnbt  zu  sein. 


Durch  diese  leitenden  ( Jesichtspunkte  ergiei)t  .sich  ganz  von  sell).st ,  diiss  die 
hier  zur  Veröffeuthchmig  gelangenden  Arbeiten  sich  nie  bloss  an  den  engeren  Kreis 
dftr  SpesialTeitreter  der  verschiedeiien  Fäeher  wenden  können,  denen  sie  sunächsfc 
entstammen,  sondern  stets  aach  mehr  oder  minder  weit  über  denselben  hinaus  ein 

Interesse  in  Anspruch  nehmen  dürfen.  Es  wird  aber,  bei  aller  strengen  Wissen- 
schaftlichkeit des  Inhalts,  anch  in  Behandhmgsweise  und  Darstellung  stets,  soweit 
der  Gegenstand  irgend  es  zulässt,  darauf  Bedacht  genommen  werden,  dass  ausser  den 
uuinittelbaren  Fuchgenosseu  der  Veriasser  zugleich  ein  grösserer  Kreis  wissenseliatt- 
lich  Gebildeter  ihren  Erörterungen  mit  Verständnis  imd  Interesse  tolgcii  kann. 


Unsere  Sammlung  erscheint  in  zwanglosen  Ilefitj^n  von  ungefähr  2  bis  höchstens 
')  Bogen:  jt^dc*^  lieft  wird  eine  vollstUndigo  Arbeit  (ausnahmsweise  von  kürzereu 
auch  mehrere)  enthalten  mid  lür  sieh  käuflich  sein.  Eine  entsprechende  Anzahl  von 
Heften  wird  jedesmal  zu  einem  Bande  vereinigt,  und  wird  im  Jahre  etwa  ein  Band 
im  Umfange  von  40 — 45  Bogen  erscheinen.  Der  Preis  eines  solchen  wird  ungeföhr 
16—18  l&k  betragen. 

Bisher  sind  erschienen: 

Heft  1.  Der  Boden  Mecklenburgs,  von  Dr.  E.  Geiuitz,  o.  Prof.  der  Mineralogie 
und  Geologie  an  der  Univ.  Rostock.    32  Seiten.    Preis  80  Pfennig. 

Heft  2.  Die  oberrheinische  Tiefebene  und  ihre  Bandgebirge,  von  Dr. 
Richard  Lepsius,  ord.  Prof.  der  Geologie  und  Direktor  der  GrossherzogUch 
hessischen  ^logischen  Landesanstalt  in  Barmstadt.  Mit  Uebersiohtskarte 
des  oberrhemischiBn  Gebirgssystems.   58  Seiten.   Preis  M.  2.  — 

Heft  3.  Die  Städte  der  Korddeutschen  Tiefebene  in  ihrer  Beziehung 
zur  Bodengestaltung,  von  Dr.  F.  G.  Hahn,  Professor  der  Erdkunde 
an  der  Umrersitiit  Königsberg  i/Pr.   7ü  Seiten.   Preis  M.  2.  — 

Heft  4.  Das  Münehener  Becken.  Ein  Beitrag  zur  physikalischen  Geo- 
graphie Sudbayerns,  yon  Chr.  Gruber.   46  Seiten.   Preis  K.  1.  60. 

Unter  der  Presse  befindet  sich  (durch  Herstellung  der  Tafeln  etwas  verspät  et): 

Heft  5.  Der  Einfluss  der  Gebirge  auf  das  Klima  yon  Mitteldeutschland, 
Ton  Dr.  med.  &  phil.  B.  Assmann. 

Die  weiteren  Hefte  werden  namentlich  yon  den  folgenden  Herren  Beitrage  ent- 
halten: Dr.  6.  Berendt,  Königl.  Landesgeologe  und  Prof,  a.  d.  Univ.  Berlin;  Dr.  K. 
Freiherr  von  Frit.sch,  Prof.  a.  d.  Univ.  Halle;  Dr.  E.  Geinitz,  Prof.  a.  d.  Univ. 
Rostock;  Dr.  F.  G.  Hülm.  Prof.  a.  d.  Univ.  K(>ni;4slterg  i  Pr;  Dr.  G.  Hellniann. 
Mitglie«!  des  Königl.  Stati.-^t.  Bureaus  in  Berlin;  l*role-s>or  Dr.  K.  .jan.st-n  in  Kiel; 
Dr.  A.  Jentzsch,  Dozent  a.  d.  Univ.  Königsberg  iPr.;  Hofrat  Dr.  von  Inama- 
Sternegg,  Präsident  d.  k.  k.  statist  Gentrs&ommission  und  Ptof.  a.  d.  Univ.  Wien; 
Dr.  C.  M.  Kan,  Prof.  a.  d.  Univ.  Amsterdam;  Dr.  A.  y.  Koenen,  Prof.  a.  d.  Univ. 
Göttingen;  Dr.  F.  Krones  Ritter  von  Marchland,  Plfof.  a.  d.  Univ.  Graz;  Dr.  0. 
Krünunel,  Prof.  a.  d.  Univ.  Kiel;  Dr.  A.  Freiherr  von  Lassnnlx,  Prof.  a.  d.  Univ. 
Bonn;  Dr.  A.  Leskien,  Prof.  a.  d.  Univ.  Lei]»zig:  Dr.  F.  LTiwI,  Dozent  a.  d.  deutsch. 
Univ.  Pnig;  Dr.  A.  Makowsky,  Prof.  a.  d.  techn.  Hochschule  zu  Brüini;  Dr.  A. 
Nehring,  Prof.  a.  d.  landwirtschaftl.  Hochschule  zu  Berlin;  Dr.  J.  Ottmer,  Prof.  a.  d. 
techn.  Hochschule  zu  Braunschweig;  Dr.  J.  Partsoh,  Prof.  a.  d.  Uniy.  Breslau;  Dr.  E. 
Petri,  Dozent  a.  d.  Univ  Btrn;  Dr.  Fr.  Pfaff.  Prof.  a.  d.  Univ.  Erlangen;  Dr. 
J.Ranke,  Prof.  a.  d.  Univ.  München;  Dr.  Fr.  Ratzel,  Prof.  a.  d.  techn.  Hochschule 
zu  München;  Dr.  P.  Schreiber,  Direktor  des  Königl.  sächs.  meteorolog.  In.stitut.-^ 
in  Chemnitz;  Dr.  A.  Streng.  Prof  a.  d.  Univ.  Giessen;  Dr.  F.  Wahnschaffe, 
Assistent  bei  der  Königl.  geolog.  Landesanstalt  zu  Berlin;  Dr.  K.  Wein  hold,  Prof. 
ft.d.Uiiiy.  Breslau;  Dr.  F.  Wieser,  Prof.  a.  d,  Uniy.  Innsbruck.     .     _  yöGogl 


Verlag  von  Tausch  &  Grosse  in  JtliiUe  (U  S, 


VORLESUNGEN 
Hülfsmittel  und  Methode 

des 

Geographischen  Unterrichts 

Vi  Hl 

Db.  RICHARD  LEHMANN, 

ProiiMOT  dm  Oeognphte    4.  AkaduBie  so  MflMtor 


Alle  die  miuuugfiiltigeii  theoretischen  und  praktischen  Fragen, 
welche  sich  an  den  geographischen  ünierriehi  und  seine  Httlfsmittel 
knfipfen,  werden  in  dem  Buche  einer  Umgehenden  sachlichen  SrwE- 
gung  uniensogenf  und  so  wird  dasselbe  gerade  durch  dieses  konkrete 
Eingehen  namentlioh  ftr  Stndiereode  imd  Lehrer  der  GeograpUe 
ein  Ratgeber  sein,  wie  solcher,  trotz  der.  in  neuerer  Zeit  ziemlich 
lebhaft  gewordenen  Th&tigkeit  auf  dem  Gebiete  der  Reform  des  geo- 
graphischen Unterrichts  und  Stadiums,  bisher  nicht  existierte. 

Das  Buch  wird  einen  Gesamtumfang  Ton  circa  24  Bogen  nebst 
artistischen  Beilagen  erhalten  und  in  Heften  Ton  in  der  Hegel 
je  4  Bogen  erscheinen,  von  denen  das  erste  soeben  erschienen  ist, 
die  übrigen  dann  in  etwa  sechswöchentlichen  Zwischenräumen  folgen. 
Der  Preis  beträgt  für  Abonnenten  85  Pfennig  pro  Bogen,  und 
verpflichten  wir  uns,  falls  der  Umfang  wider  Erwarten  noch  über 
24  Bilgen  hinausgehen  sollte,  diesen  Ui-berschuss  den  Herren  Abtai- 
nenten  gratis  zu  liefern,  so  dnss  der  (it&iiiiitpreis  des  ganzen  Buches 
keinesfalls  0  Mark  übersteigen  k.ciui. 

Xach  Erscheinen  der  let::l€n  Lh  feruny  uird  der  Preis  erhöht. 

Lieferiuig  1  (4  Bogen)  Preis  M.  1.  — 


Omek  von  Oal>rüd«r  Krtoer  In  Slattgurt. 


Seuxd-Heftf  S'- 


DIB 

Mecklenburgischen  Höhenrücken 

(GESCHIEBESTEEIFEN) 

VSD  IHBE 

BEZIEHUNGEN  ZUR  EISZEIT 

VON 

D»-  P.  B.  ÖBINITZ, 

t 

MU  snvei  UeberaUIUskürtchen  und  zwei  J^ojUcn» 


YEBLAG 


STÜTTGAKT. 

VON  J.  ENeELHORN. 

188Ü. 


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Inhalt. 


Einleitung   [5—8]  219-222 

L  0te  Getobiebestreifen  [8—66] 


6escMebe8ti«ifiBnIV:  PAel—HagebSk— GHAon— Qaalits  — War- 
now  —  üpaU — SothnMdk  —  Pananhenhiigwi — Mttitenhagan  — 

Feldberg  .  ,  

Geachiebestreifen  V :  Klütser  Ort  —  Moidentiii  —  Sfcemberg  —  Kai- 
row  —  Poppentin  —  RecUin  —  W^enberg  —  Fürstenberg     .  , 

GeschiebeM reifen  VI:  Brothener  Ufer?  — Ivendorf  —  Schwanbeck  — 
Mühlen  Kichsen  —  Rugensee  —  Retgendorf  —  Kamin  —  Frauen- 
mark  —  Lübz  —  Stuer  —  Bütow  

6e8chiel)e?<trpifen  VII:  Ratzeburg  —  Buchholz  —  Wahrholz  — 
Schwerin  —  Pinnow  —  Parchim  —  Mamitzer  Berge    .    .   -  . 

GeMhiebertreifen  VIII:  ZaRentan-VaUiilm^NeDliof-- Witten- 
burg —  Granzin  —  Loosen  —  Wamow  

Geaduebestreifen  IX:  ö allin  —  Lübtheen  —  Conow — Böck  .    .  . 

Geaeiiiebecfereilien  X:  Laaenbnxg—Boisenlraxg^Wendiach— Weh- 
ningen   

Geschiebestreifen  III:  Diedrichshäger  Berge  —  Ivendorf — Neu 
Bukow  —  Satow  —  Schwaan  —  Sobnooloberg — Tefcerow  —  Mal- 
chin —  Neubrandtmbiirg  —  Helpt  

Geechiebstreifen  II :  Warnemünde  —  Rostock  —  Tesain  —  Dargun — 
Friedland — firtthmer  Berge  

Gescliiebestrpifra  I:   Fisrhland  -  Saal  -  Riboita  — Süls  — Loita? 

Geschiebestreifen  in  Pommern  und  Rügen  

Oeednebeateeifen  in  der  Lttneborger  Heide  

Geschiebestreifen  in  Schleswig-Holstein   ,    .  . 

Orographische  Gestaltung  Mecklenburgs    .   .   .   . '  

BnMseliQi^  des  baltiBehen  HSbenrflckau  


[81  222 

[12]  288 

[29]  248 

[31]  245 

371  251 

25;^ 

[42]  256 

[48]  257 


52 
56 
58 
59 
60 
61 
641 


20H 
270 
272 
273 
274 
275 
278 


U.  Die  Landstriche  Bwiiehen  den  Gescbiebestreifen  [67—91]  281—305 

1.  Die  unterdilunalen  8andheidegebieto  avieeben  Getefaiebe- 

streifen  IV  u.  V  [67]  281 

a)  NoMentiner  Heide  [69]  283;  b)  Karower,  Wooster  und 
Schwinzer  Heide  [70]  284;  c)  Pobbertiner  Heide  [71] 
285;  d)  Turloffer  Heide  [72]  286;  e)  Wariner  Mulde  [72] 
286:  0  die  Sedimente  ha  Wimuur  n.  b.  f.  [73]  287; 
g)  die  Heideeaodg^bieto  bei  Waien,  Fbderow  n.  s.  H  [78]  287 


218 


Inhalt 


Sdte 


2.  Bas  Land  zwischen  Geachiebeatreifen  V  u.  VI 

3.  Das  Laml  zwischen  GoschiebeHtreifen  VT  u.  VIT  . 

4.  Das  Land  zwischen  Geschiebestreifen  IV  u.  III  , 

5.  Das  Land  zwischen  Geschiebestreifen  III  u.  11 

6.  Die  südwestliche  Heide  (jungdiluvialer  Thalsand) 
die  Lewitztniedening  

7.  Die  Rottook-Bibnitser  Heide,  «Um  FiecUand  und  der  Dans 


[75 

289 

29a 

294 

82' 

29t) 

83 

297 

302 

.8» 

803 

lU.  Die  Besiehniigeii  snr  Eisseit  (91—90]  805-310 


Entstehung  der  Geschiebestreifen  

Geschiebestreifen,  die  Endmoränen  der  letzten  Vereisung  .  .  . 
Sedimente  hinter  den  Geschiebestreifen  von  «oberdiluvialem*  Alter 
Inteiiglacialseit  


91 
91 
92 
96 


305 
305 
306 
810 


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Einleitnng. 


Nachdem  meine  geologischen  OrientMnmgsarbeiten  in  Mecklenburg 
nunmehr  masa  gewireen  Abschluss  erlangt  haben,  ist  das  Material  voll- 
stänflij]^  genug,  um  eine  übersichtliche  Darstellnng  der  schon  mehrfach  ') 
angedeuteten  Verhältnisse  der  mecklenburgischen  Geschieb  e- 
sfcreifen  (von  Boll  als  „öeröllstreifen"  bezeichnet)  zu  ermöglichen. 
Wenn  auch  durch  eine  specielle  geologische  Landesaufnahme  einzehie 
Vorkommiiiese  noch  bemier  bekaimt  werden  und  ibr  ZueammenliMig 
vielleicht  richtiger  erkannt  werden  wird,  so  zOgere  vsk  doch  nicht,  jebst 
die  schon  lange  geplante  Darstellung  zu  geben,  um  so  mehr,  als  die  ein- 
gehende Schilderung  einen  Beitrag  zu  manchen  wichtigen  Fragen  der 
Olacialgeologie  liefern  muss,  insbesondere  zu  den  Fragen  einer  mehr- 
maligen Vereisung  Norddeutschlands  und  der  Gliederung  des  Diluviums. 
Aach  für  die  Praxis  wird  die  genane  Angabe  der  Blockvoikommnisse 
und  des  Auftretens  des  Meigelbodens  von  Wichtigkeit  sein.  Zugleich 
bilden  die  folgenden  Mitteilungen,  die  eine  Uebersieht  tiber  die  geo- 
lofrischen  Grundlagen  der  topographischen  Verhältnisse  Mecklenburgs 
geben,  den  ersten  Teil  einer  i)ald  t'oigenden  Abhaudiung  Uber  die  Seen 
imd  Fluäsläufe  Mecklenburgs. 

Die  Geschiebestreifen  bilden  eine  ftlr  die  mecklenburgiBche 
DilQTiallandschaft  sehr  charakteristische  Erscheinung,  die  sich  aber 
auch  in  den  übrigen  Gel)i('t. n  (\o<  deutschen  Balticums,  wenn  erst  die 
Aufmerksamkeit  auf  sie  gelenkt  ist,  sicher  in  grosser  Ausdehnung  nach- 
weisen lassen  wird  und  zum  Teil,  wie  auf  Üügen  und  bei  Liepe  un* 
weit  Oderbei^,  bereits  bekannt  ist. 


0  Boll:  Creognoflie  der  deutschen  Ostseeländer  1846,  S.  107;  Arch.  f. 
tneeklenb.  Laadetkonde  1855,  S.  345;  Zeitschr.  der  deutach.  geol.  Ges.  1851, 

Taf.  19;  Abrisa  der  mecklenb.  Landeskimdt'  18H1,  S,  i:i  f.  —  rJeiiiit  /, :  Beitr.  1. 
xor  Geol.  Mecklenb.  1879,  S.  48-54;  U.  1880,  S.  15;  Der  Boden  Mecklenböisi, 
in  Forsch,  z.  deutsch.  Landetk.  I.  1885,  S.  10. 


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220 


Geiniti» 


Es  sind  Höhenzüge,  zum  haltischen  Höhenrücken  gehöng,  welche 
aus  einer  Anzahl  verschieden  hoher,  oft  kaum  über  dem  nachbarlichen 
Plateau  erhabener,  und  oft  in  ihrer  Aneinanderreihung  schwer  zu  glie- 
dernder Hü^el  zusammengesetzt,  in  einer  Breite  von  etwa  '/* — 2  Meilen 
dae  Land  im  allgemeinen  in  nordwest-sfidMieher  Richtung  durch- 
ziehen, zuwdien  auch  durch  „Ausläufer"  oder  , Querriegel "  miteinander 
in  Verbindung  tretend,  imd  häufig  durch  „Moränenlandschaft*',  immer 
aber  durch  einen  bedeutenden  iteichtum  an  grossen  nordischen  Ge- 
schieben ausgezeichnet  sind. 

Die  Geschiebestreifen  sind  anzusehen  als  der  au  Geschieben 
besonders  reiche  Morftnenachutt  Torwiegend  des  „oberen'',  teil- 
weise anch  des  „unteren*^  Diluviums,  der  oft  an  den  das  Land  zu 
▼enefaiedener  Höhe  in  nordwestlidi-sQdjtetiich^  Richtung  durch- 
querenden Bodenwellen  des  Flötzgebirgsuntergninder?  gestaut  inid  hier 
auf-  und  angelagert  worden  ist.  Vielfach  fallen  nämlich  die  Anhiiuhnigen 
des  erratischen  Materiales  zusammen  mit  dem  Hervortreten  der  Flötz- 
formationen  aus  der  sonst  sehr  mächtigen  Diluvialbeschüttung  des  nord- 
deutschen Tieflandes. 

Das  Oberflächenmaterial,  aus  dem  die  Geschiebestreifen  bestehen, 
ist  demgemäss  hauptsächlich  der  Geschiebemergel  resp.  Blockkies  oder 
die  Steinbestreinmg  des!o1)eren  oder  Deckdilu>'iums,  zum  Teil  nehmen  auch 
Rande  und  Kiese  an  ihrer  Zusammensetzung  teil.  Das  Deckdihnnura 
hat  hierbei  gewölmlich  eine  Mächtigkeit,  die  von  0,5  bis  5  m  schwankt, 
ein  gegenflber  der  Mftchtigkeit  des  Hav^t»  oder  tjnterdihiTinms  aof- 
fftUig  zurOcktretender  Wert  Die  allermeisten  Geschiebe,  kiTstallinttche 
Massengesteine  und  Schiefer,  wie  versteinerungsführende  Sedimentgesteine, 
welche  zu  den  verschiedensten  Zwecken  vom  Dilnviallioden  aufgesammelt 
werden,  entstammen  dieser  Decke,  was  für  andere  Fragen  über  Heimat 
der  Geschiebe  u.  a.  m.  von  Wichtigkeit  ist.  Auch  da.s  untere  oder 
Hauptdiluvium  beteiligt  sich  oft  wesentlich  mit  an  dem  Aufbau  der 
Gesäliebestreifen,  oft  bestehen  gerade  die  hUkhateii  Hügel  solcher  Reihen 
aus  mftditigen  Aufschfittungen  von  unteren  Kiesen  und  Sanden. 

Niemals  sind  es  mauerartige  "Wälle,  sondern  mehr  oder  weniger 
breite,  schai-fer  oder  undeutlieli  aligesetzte,  durch  gewaltige  Steinan- 
häufimg ausgezeichnete  Moränenablagerungen.  Oft  liegen  die  Steine 
noch  unter  der  lehmigen  oder  lehmig-kiesigen  Ackerkrume  und  gelangen 
erst  durch  Tiefflügen  oder  Ausgraben  (,,Ausbuddeln")  zu  Tage.  In 
anderen  Fällen  brin^  die  ffpfllende  Thätigkeit  der  TagewSsser  die  grossen 
und  kleinen  Steine  an  die  Oberfläche,  indem  sie  den  umgebenden  Mei^ajel, 
Lehm  oder  Sand  fortführt.  Dies  hat  zu  der  Auffawsung  geführt,  dass 
die  Steine  im  Boden  „wachsen".  Endlich  erfolgt  die  Isolierung  der 
Blöcke  aus  dem  Geschiebemergel  am  Meeresstrand  durch  das  Ausspülen 
vermittelst  der  Wellen;  daher  der  Strand,  wo  sein  Abbruchsufer  einen 
Geschiebestieifen  anschneidet,  Ton  massenhaften  Stöcken  umsäumt  ist, 
die  weit  in  das  Meer  hinausreiehen.  Ebenso  zeigen  einige  Binnenseen 
an  ihrem  Choind  Anhäufungen  von  ausgewaschenen  Blöcken.  Sämtliche 
unserer  „erratischen  Blöcke'*  sind  somit  niclit  anf,  sondern  mit  und 
unter  dem  Gletscher  zu  uns  gelangt,  sie  entstammen  der  Grund- 
ni  oräne. 


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»1 


Die  mecklenburgischeii  Höhe&rackeii  etc. 


221 


In  den  Gegenden  der  Geschiebestreifen  liegen  vielfach  die  Steine, 
einige  Meter  im  Ihirchinesser  bis  herab  zu  Kopfgrösse  und  noch  kleiner, 
oft  mit  ScUififlBelien  und  Schrammfln,  in  so  grossen  Massen. auf  den 
Feldern,  auf  Hügeln  wie  in  Thälem.  dass  die  Gegend  wie  beschüttet 
oder  überstreut  erscheint  mit  diesen  Blöcken  und  die  Felder  oft  aus  der 
Ferne  aussehen,  als  ob  eine  Schafherde  darauf  weidete.  Zuweilen  ist 
ihre  Menge  der  Ackerbestellung  äusserst  hinderlich ,  ja  an  manchen 
Stellen  macht  sie  dieselbe  ganz  unmögüch.  Man  sucht  die  Steine, 
die  sogenannten  ,  J'elsen",  zu  beseitigen,  indem  man  sie  sa  cyklopisclien 
Kauern  iSngs  der  Wege,  Umgrenzen  und  um  die  Gehöfte  anhäuft,  sie 
in  Giftben  und  Sölle  yersenkt,  in  den  Boden  eingräbt,  oder  sie  zu 
grossen  kegelftirraigen  Haufen  zusammenträgt ;  femer  sind  die  Häuser 
dieser  Gegenden  zum  Teil  aus  den  Feldsteinen  erbaut  und  nirm  |)flastert 
lange  Strecken  Wege;  weiter  hat  sich  die  Industrie  dieser  Vurkonimnisse 
bereits  vielfach  bemächtigt,  indem  man  die  Steine  zu  Pflaster-  und  Bau- 
steinen schll^^  oder  ssn  Qiausseematerial  verwendet,  so  dass  in  manchen 
IHsfarikten  durch  die  Kultur  allmählich  der  ursprüngliche  Charakter 
mehr  und  mehr  verlorai  geht.  Auch  durch  prähtötorische  Steinbauten 
sind  solche  Gegenden  ausgezeichnet,  Dolmen  und  Hünengräber,  Stein- 
kränze und  Opferplätze  sind  in  den  Gebieten  der  Geschiebestreifen  in 
oft  überraschender  Menge  vorhanden. 

Fast  stets  ist  auch  die  „Moränenland schaft*^  Im  Gebiet  der 
Qeschiebestreifen  noch  deutiich  entwickelt:  Ein  stark  coupiertes  Tenrain, 
mit  zahllosen  Kuppen,  Hügeln,  BergrÜckoi  und  Bodenwellen,  zwischen 
denen  flache,  grössere  und  kleinere  Depressionen  oder  tiefe  Löcher  und 
Kessel,  Sölle,  Pfuhle,  Seen,  Thäler  und  Schlucliten  in  verschiedenstem 
Niveau  eingesenkt  sind,  mit  grossen  und  kleinen  Wasserflächen  oder 
Torfmooren.  Vielfache  Buchen wulduiigeu,  helle  Wasserspiegel  oder 
dunkle  im  Walde  gelegene  Seen  und  Teiche,  kleine  ringsumschlossene 
Torfkessel  oder  .weite  Wiesenniederungen  und  Koppeln,  die  zahlreichen 
Steinblöcke  auf  dem  Boden ,  die  schöne  Femsidit  von  den  Höhen, 
malerisch  gelegene  Gehöfte  und  Schh'Jsser.  oder  auch  gerade  die  Ein- 
samkeit an  iuideren  Stellen  u.  a.  m.  verleihen  dieser  Moräiienlandschaft 
zumeist  ein  überaus  anziehendes,  mannigfaltiges,  Uberraschend  schönes  Bild. 

Zuweflen  ist  aber  auch  inmitten  eines  Geschiebestreifens  ein  Teil 
desselben  durch  die  Denudation  der  Gletscherschmelzwässer  mehr  oder 
weniger  verwischt  worden  und  andere  Streifen  sind  fast  in  ihrem  ge- 
samten Verlaufe  derartig  verundeutlicht,  dass  sie  bisher  als  solche  über- 
haupt nicht  erkannt  worden  sind. 

Boll  erwähnt  drei  Geschiebestreilen  in  Mecklt uliurg ;  in  meinen 
bisherigen  Angaben  habe  ich  vier  mitgeteilt.  Es  sind  dies  die  besonders 
in  die  Ai^en  springenden.  Durch  die  detaillierten  Aufnahmen  habe  ich 
nun  in  Mecklenburg  zehn  parallele  Geschiebezüge  nachweisen 
können,  von  denen  einzelne  vielleicht  als  zn8ammengelir>rige  Nebenz^e 
später  kombiniert  werden  müssen.  Mit  ziemlii^  gleichen  Distanzen, 
wie  sie  in  Mecklenburg  von  den  einzelnen  Streifen  innegehalten  werden, 
wurden  weiter  im  Nordosten,  in  Pommern  mit  Rügen,  und  im  Südwesten, 
in  der  Lttnebuzger  Heide,  je  drei  solcher  Züge  konstatiert 

Auf  dem  Uebersichtskärtchen  habe  ich  die  einzelnen  Streifen 


222 


Oeiiiiti, 


[8 


Mecklenburgs  von  Nordosten  nach  Südwesten  laufend  numeriert  und 
anschliessend  die  drei  der  Lüneburger  Heide.  Im  Text  hin  ich  fast 
durchgängig  sehr  austXÜiriich  in  die  Detailbeschreibuug  eingegangen; 
eine  Orientierung  über  die  m^eflllizteii  LokaHÜton  ü  an  der  £uid 
der  neuen  Generalstabskarten  zu  empfehlen,  doch  gmllgt  fttr  die  Orts- 
namen auch  die  alte  Engelsche  Karte  Ton  Mecklenburg  im  Massstab 
1:850000  (Rostock,  Tiedemann  Nachf.). 

Die  Detailbeschreihung  beginne  ich  mit  dem  am  augenfälligsten 
und  typischsten  ausgebildeten  Geschiebestreifen  und  verfol^-o  zunächst 
die  nam  Sfidwesten  liegenden  Paralielzüge,  um  zuletzt  die  uudeuthchen 
und  Ton  mir  noch  am  wenigaten  ausnlhrlich  besuchten  Streifen  im 
Nordosten  anzuschliessen. 


L  Die  GtoscliiebestreifeiL 

IT.  GMdiielieBtreifen:  ,»P56l  —  HagebSk  —  Glashi  —  Qaillti  ^ 
Wwnioir  — üp«U  'B4itli8pftlk— PansdieiilugCB — Kollenhasen  ~ 

Feldbergc". 

Die  Insel  PihA  nördlich  Wismar,  die  sich  mit  einer  Erhebung 
bis  zu  27,5  ni  ühor  den  Meeresspiegel  dor  Wismarschen  Bucht  vorlagert, 
zeigt  wenig  ausgeprägt  den  Charakter  der  Moräneniandsclmft,  einzelne 
cjklopische  Mauern  bei  den  Gehöften  deuten  das  Vorhandensein  von 
Blöcken  in  dem  sandiglehmigen  Boden  an.  Der  sOdliche  Teil  der  Insel 
ist  arm  an  Geschieben  zu  nennen.  Am  5 — 10  m  hohen  Klint  erkennt 
man  unter  blockarmem  Deckgeschiebemergel,  der  bis  5  m  Mächtigkeit 
erlangt,  feinen  Spatsand.  Erst  am  Leuchtturm,  in  der  Mitte  des  West- 
strandes, werden  die  ausgewaschenen  Blöcke  häufiger,  und  wt  itfr  nörd- 
lich tritt  hier  an  dem  10 — 13  m  hohen  Klint  in  verschiedener  Höhe 
auch  der  blaue  untere  Oeschiebemergel  als  Liegendes  des  Deckmergels 
herror,  zum  Teil  yon  diesem  Shnliä  wie  an  der  Stoltera  bei  Warne- 
münde durch  Sandschichten  getrennt;  oft  ist  hierbei  zu  beobachten,  dass 
der  3 — 0  ni  miieliticfe  obere  Menj^el  reichlichere  und  grössere  Geschiel)e 
enthält,  als  der  untere.  Auch  nach  der  flachen  kleinen  Insel  Langen- 
werde r  setzen  die  Blöcke  auf  dem  flachen  Seeboden  in  grosser  Menge 
fort.   In  letzter  Zeit  sind  viel  Steine  hier  vom  Strand  abgefahren  worden. 

Nordwestlich  liegt  vor  der  Insel  eine  Untiefe,  der  «Hahnenberg*, 
mit  reichlichen  Blöcken.  Westlich  finden  wir  die  kleine  niedrige  Insel 
Liepe,  welche  ein  auf  Sand  und  Sclilick  ruhendes  Strandgerölle  zeigt 
und  von  welcher  auch  weiter  westlich  zum  lüUizer  Ort  ein  Steinlager 
als  Untiefe  fortsetzt. 

Wir  können  hiernach  die  Insel  Pöel  als  den  etwa  7  km  breiten 
nordwestlichen  Beginn  des  Ctoschiebestreifinis  betrachten,  der  nach  Westen 


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9] 


Die  mecklenbnrgischen  HöhenrOcken  etc. 


223 


hin  durch  die  später  umgeschlemmten  Steinanhäufunt^en  bei  Lieps  mit 
dem  benachbarten  Streifen  in  nahe  Berührung  tritt. 

Die  Blöcke  setzen  von  hier  über  den  Breitling,  an  dessen  steilen 
Lehmnfem  (grosser  Wiek,  Damekow)  zahlreiche  grosse  Blöcke 
au  «^gewaschen  Hegen.  Das  Terrain  steigt  allmählich  zu  40 — 50  m  Höhe 
nach  Osten  an  (Lisch ow.  0  km  von  der  Ostküsto  von  F*öel):  dieses 
Gebiet  bis  zur  Wismar-Doheraner  Bahn  besteht  aus  oberem  Mergel  und 
aus  unteren  Sanden,  die  Steinmauern  in  Drevesk irchen,  Alt-Bukow 
u.  8.  w.  zeigen  die  Fortsetzung  des  Geschiebebtreitons  an.  Zwischen 
FOel  und  Wismar  liegt  die  kleine  Insel  Walfisch,  bestehend  ans  mäch- 
tigem (unteren)  Gesäiebemergel  mit  reichen  ausgewaschenen  Blöcken. 

Der  Bahnbau  von  Doberan  nach  Wismar  schnitt  quer  durch  den 
CJeschiebestreifen  und  liefert«  folgende  Aufschlüsse: 

Nach  einem  etwa  4  km  breiten  lleidesandareal,  aus  wohigeschich- 
teten  feinen  Spatsandeu  mit  vereinzelter  Steinbestreuung  bestehen<i,  das 
sich  bei  Questin  und  Panzow  sttdlidi  von  Neu-Bukow  hinzieht,  beginnt 
in  der  G^end  von  Alt-Bukow,  bei  Teschow,  Yogelsang,  Lischow, 
Hagebok.  das  Mergelgebiet  des  Geschiebestreifens.  Der  Bronnen  bei 
Haltestelle  Teschow,  im  Niveau  von  etwa  45  m  Meereshöhe  angesetzt, 
durchsank  2  m  Torf  und  28  m  grauen  (?  oberen)  Geschiebemergel,  dessen 
Liwreudes  weisser  Spatsand  ist.  Die  südlich  folgenden  Bahneinschnitte, 
in  dem  50 — 65  m  hohen  Terrain,  zeigten  bei  Yogelsang  oberen  Mergel 
in  der  Ifibshtigkeii  von  einigen  Metern,  discordtuit  zum  Teil  mit  sack- 
artigen Einbuchtungen  Spatsond  mit  Bänderthon  oder  Kies  überlagernd 
und  diese  Sedimente  oft  in  zusammengeschobene  Stellung  bringend,  an 
seiner  unteren  Grenze  auch  häufig  zu  Sand  oder  Bänderthon  ausge- 
schlenmit.  Auch  treten  zuweilen  Kuppen  der  unteren  Kiese  bis  zu 
Tage,  nur  seitliche  Anlagerung  des  Deckmergels  zeigend.  Erst  bei 
Lischow  und  Hagebök  beginnt  der  Deckmerffel  sich  durch  grosseren 
Reichtum  an  Geschieben  auszuzeichnen;  sein  Niveau  ist  hier  dasselbe 
wie  in  dem  eben  beschriebenen  nördlichen  Anfang  des  Geschiebestreifens, 
etwa  5'» — 'i5  m.  Hier  ruht  der  obere  unmittelbar  auf  d(?m  unteren 
Mergel;  der  Brunnen  in  Station  Hagebök  musste  M)  m  grauen  Mergel 
durch^itoäsen,  ehe  er  auf  6nnd  kam  (Unterkante  des  Mergels  etwa  8  m 
Uber  Ostseespiegel).  In  einem  südlich  folgenden  Einschnitt  bei  Neu- 
burg tritt  in  dem  52  m  hohen  Blicken  wieder  der  Kies  herauf,  unter 
Blocklehmbedeckung.  Westlidi  hiervon,  in  Neu  bürg  selbst  (Höhe  30  m), 
•waltet  der  Spatsand  vor,  ringsum  aber  von  Gebieten  des  strengen  Deck- 
mei^els  umgeben.  Der  Einschnitt  an  der  Station  Kartlow  entblösste 
unteren  Sand  und  Kies  unter  wenig  mächtitjer  Bedeckung  von  blockreichcm 
Deckmergel;  daneben  lagerte  der  Deckmergel  ohne  Sandzwischenschichten 
auf  gram»lauem  unteren  Mergel;  der  Brunnen  traf  unter  3  m  gelbem 
lehmigen  Sand  (Oberdflurium)  auf  20  m  blauen  unteren  Meigel,  dessen 
Liegendes  wieder  Sand  ist  (Unterkante  des  unteren  Mergels  etwa  10  m 
über  0). 

Auch  der  Einschnitt  bei  Rohlstorf  ergab  in  irleicher  Weise 
mächtigen  Deckmergel,  der  unten  durch  Aufschlemnumg  Schichtung 
zeigt,  mit  grossen  Blöcken,  auf  Kies  und  Sand  lagernd.  Der  bald 
folgende  traf  Kies  unter  Bedeckung  von  blockreichem  sandigen  Deck- 


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224 


Geinitz, 


[10 


mergel.  Der  EinschmU  durch  den  50  m  hohen  Rficken  Bfidlich  HornS' 
torf  traf  Blockmergel,  auf  blauem  Thon.  Die  benachbarte  Kiesgrube 
an  der  HornHtorfer  Scheide  zeigt  in  15  m  Meereshohe  wohlgeschichteten 

Kies  un<l  Sand  mit  kaum  merklicher  Deckkiesüberlagerun^. 

r)ie  IJalui  durchläuft  nach  dem  AngeMirten  hier  den  Geschieht'- 
streiten  in  einer  Breite  von  circa  12  km.  Wir  sahen,  daas  derselbe  die 
Meereshöhe  von  50 — 60  m  hat,  und  dass  er  aiu  blockreichem  oberen 
Geschiebemergel  der  Hauptsache  nach  gebildet  wird,  der  aber  selten 
bedeutende  Mächtigkeit  In  sitzt  und  t^ils  auf  unteren  Sauden  und  Thon, 
teils  auf  unt^^rem  <i(>s(  liit-bemergel  discordant  aufsitzt .  seine  Unterlage 
vielfach  in  ihrer  Lagerung  gestört  liat,  häufig  an  seiner  unteren  Grenze 
aufgeschlemmt  ist;  durch  Aufquetschung  oder  auch  ohne  dies  durch  Zu- 
rücktreten des  Deckdiluviums  gelangten  auch  öfters  die  unteren  Sande 
zu  Tage. 

Die  eben  genannte  Gegend  kann  als  die  westliche  Abdachung  der 
eich  im  Südosten  anschliessenden  Höhen  betrachtet  werden,  welche  einen 
vielfach  coupierten,  zum  Teil  ziemlich  steilen  Höhenzug  bilden,  Ober 
Nantrow,  Madsow,  Zarnekow,  Züsow  laufend  und  nach  Südost 
weiter  zur  Hohen  Burg  von  Sc  hie  mm  in,  westlich  Bützow,  sich  er- 
streckend. Seine  Höhen  betragen  85,  95—105  m.  Oestlich  schliessen 
sich  daran  die  Höhen,  von  50—110  m  wechselnd,  welche  die  coupierte 
Landschaft  des  Messtischblattes  Kirch -Mulsow  bilden,  mit  den  Orten 
Steinhagen,  Kirch -Mulsow,  Bälieliii.  Glasin,  Tüzen,  Kospn- 
ha^cn  u.  s.  w.  Prächtig  ist  hier  (]io  Moräuenlandschaft  entwickelt, 
mit  zahllosen  Sollen,  Torf  kesseln  und  kleineu  Moränenseen;  der  Boden 
besteht  aus  meist  vorherrschendem,  einige  Meter  mächtigem  oberen 
Geschiebemergel  mit  massenhaften  Blöcken;  besonders  auf  der  Feldmark 
Glasin  finden  sich  zahllose  cyklopische  Mauern  um  die  Wege,  ein- 
zelne Schläge,  Gehöfte  u.  s.  w.,  femer  sind  in  dieser  Gegend  unzählige 
HünerHjräVM  r  u.  a.  m.;  zu  dem  neuen  Chausseebau  werden  die  frei  herum- 
liegenden oder  lit  unter  der  Oberfläche,  in  Lehm  oder  sandi<,'er  Stein- 
packung eingehüllten  Blöcke  sehr  leicht  gewonnen.  Mitten  nii  Block- 
gebiet finden  sich  auch  Stellen,  an  denen  der  Reichtum  an  Geschieben 
sich  stark  Termindert  (/.  B.  bei  Neu  Bah  st,  Warnkenhagen,  Poors- 
torf  u.  a.).  1^  sonders  da  wo  die  Erosion  und  Evorsion  in  das  Plateau 
eingeschnitten  liat,  treten  auch  die  Grand-,  Sand-  und  Schluffthonr  des 
L  nterdiluviunis  hervor,  unter  noch  geringer  Bedeckung  von  oberem  Ge- 
scliiebemergel  oder  dessen  Vertreter,  dem  Deckkies  oder  der  Moränen- 
steinpackung,  zum  Tdl  in  starker  Schitditenstörung,  oft  aber  auch  völlig 
ungestört.  Auch  auf  hohen  Kuppen  tritt  der  untere  Sand  zu  Tage, 
entweder  als  aufgequetschtes  Lager  oder  auch  in  horizontaler  ungestörter 
Lagerung,  zum  Teil  von  Idosscr  Steinbestreuung  bedeckt.  Auch  hier 
sieht  man  das  imtere  Diluvium  in  gleiches  Niveau  aufsteigen  vnc  das 
Deckdiluvium,  die  Hölienrücken  bestehen  nicht  wie  ICndmoränen  aus 
Material  des  Deckdiluviums,  das  etwa  auf  eine  gleichmässig  ausgebreitete 
Unterlage  des  HauptdiluTiums  aufgeschflttet  wäre.  Der  obwe  Mergel 
ruht«  wie  erw&hnt,  teils  ein&ch  auf  seinem  Untergrund,  ohne  denselbüsn 
in  seiner  Lagerung  gestört  zu  haben,  und  ist  hierbei  häufig  in  seinen 
unteren  Partien  bei  etwa  ^fi  m  Dicke  zu  Sand  oder  sandigem  Lehm 


llj  Die  meckkuburgiscben  Höhenrücken  etc.  225 

ausgesdüemmt,  teils  hak  er  starke  lokale  Sehichtenstörungen  hervor^ 
geralen.  Seine  Mächtigkeit  ist  dnrchsclmittilicli  8 — 5  m,  Tielfach  auch 
noch  weniger. 

Dif  rfprrpnrl  voTi  MoltcTiow.  ü  1  r  1  k 0 11  Ii 0 f ,  AVarn kenhagen  zeigt 
neben  unteren  Sandrn  noch  vorwie^^eiid  strengen  oberen  Mergel,  aber 
ohne  besonderen  Steinreichtum,  so  da.ss  man  hier,  bei  einer  Höhe  von 
70 — 75  m,  die  sich  weiter  östlich  zu  50  m  abdacht,  den  nordöstlichen 
Anfang  des  Geschiebestreifens  suchen  kann;  die  Höhe  westlich  von 
Warnkenhagen  und  Tüzen  gehört  mit  ihrem  grossen  Blockreiditain 
mid  der  Moränenlandschafk  schon  völlig  zum  Geschiebestreifen. 

Von  Tüzen  und  Poorstorf  läuft  ein  nordoststreichender  Rücken 
oder  breite  Hügelreihe  mit  über  115  m  Meereshöhe  über  die  Orte 
Pasee,  Koseuhagen,  Horst,  bei  Gerdshagen  sich  zu  90  und  80  ni 
abdachend,  hier  nach  der  70  m  hohen  MoritaienlaiLdschaft  ron  Satow 
laufend,  welche  bereits  dem  anderen  schmalen  Parallel-Qeschiebestreifen, 
der  über  Neu  Bukow  läuft,  entspricht.  Per  erwähnte  breite  Hohen- 
zii*?  kann  danach  entweder  als  Querriegel  und  nordöstlicher  Ausläufer 
aiit'^^efasst  werden,  oder  als  ein  Rest  des  gesamten,  von  Nordwest  nach 
Südost  resp.  hier  Nordnordwest  nach  Südstidost  laufenden  breiten  Ge- 
schiebestreifens, der  bei  der  Erosion  stehen  geblieben  ist,  während  in 
seiner  nordostlichen  Abdachung  eme  Ecke  herausgehöhlt  wurde. 

Für  die  erstere  Aufhsrong  spricht  auch  das  gleiche  Verhalten  des 
südlichen  Parallelzuge8,  der  an  entsprechender  Stelle  bei  Schimm  einen 
nördlichen  Ausläufer  entsendet  fs.  u.);  der  erstgenannte  Ausläufer  ist 
der  von  Boll  (Abriss  d.  meckl.  Landesk.  1861,  S.  247}  erwähnte,  von 
den  Schlemminer  Bergen  ausstrahlende  dritte  Zweig. 

Bei  Glasin  schliesst  sich  in  südösÜicher  Biditung  ein  sehr  deut- 
licher schmaler  HöhenrOcken  an,  der  Ober  Strameuss,  hier  im  Hohen 
Berg  die  Höhe  von  101m  erreichend.  Kätcrhagen,  Jabelitz  zu  den 
Schlemminer  Bergen  führt.  Der  schmale,  mir  ttwu  3 — 4  km  breite 
Zug  besteht  aus  einzclnon.  oft  als  schmale  seJir  rem  von  Nordwest 
nach  Südost  streichende  Kücken  ausgebildeten  Hügeln,  von  blockreichem 
oberem  Geschiebemergel  mit  bald  darunter  vortretenden  unteren  Sanden 
gebildet  Isolierte  Sölle  und  Torf  kessel  sind  auch  hier  die  typischen 
Begleiter  der  Moränenlandschaft.  Zwischen  Gr.  T  es  sin,  am  Tessiner 
See,  75  m,  und  dem  aus  blockarmem,  wenig  mächtigen  Deckmergel  mit 
unterem  Feinsand  bestehenden  Kronsberg  bei  Lüdersdorf  hat  der  Zug 
seiiK  LTfisste  Verenginig,  etwa  2*2  km,  alsbald  verbreitert  er  sich  bei 
Hermaiinshagen,  Jabelitz,  Göllin  zu  etwa  5  km. 

Hier  schliessen  sich  die  Schlemminer  Berge  an;  der  Anschluss 
mit  dem  Geschiebestreif«^,  die  Linie  Eatelbogen-Strameuss,  und 
ihre  [)arallelen  Höhen,  in  nordwestlicher  Richtung  laufend,  werden  von 
P>nll  (Abriss  1861.  S.  24<))  als  erster  . Auslihifer"  von  dem  .Knoten- 
punkt" der  Schlemminer  Berge  bezeichnet.  In  fltr  Mitte  zwischen 
Lübberstorf  und  Lüdersdorf  östhch  von  Neukloster  erreicht  das 
Sandgebiet,  welches  sUdhch  unseres  Geschiebestreifens  sich  ausdehnt 
(s.  u.),  sein  Ende  und  tritt  zunächst  blockreicher  sandiger  Deckmergel, 
oft  sehr  wenig  mürhtig  den  unteren  Sand  l)e(le(.k(Mi(l.  zur  Herrschaft. 
Der  Mergelboden  wird  mächtiger  und  die  Blöcke  mehren  sich  im  Neu- 


226 


[12 


klosterer  Forst  zwischen  Lttbberstorf  und  Göll  in,  wo  sich  einzelne 
bis  00  m  hohe  Kuppen  neben  den  massenhaften  Torfkesseln  und  Söllen 
der  75 — 80  m  hohen  Moränenlandschaft  t-rheben.  Eine  4  m  tiefe  Grube 
nahe  dem  östlichen  Waldrand  bei  (iöllin  zei^'t  eine  lehmige  kiesige 
Steinpackung  von  massenhaften  grossen  und  kleinen  Blöcken.  Auf  den 
Feldern  der  Dorfechaften  Oöllin,  Jabelitz,  Olambeck  und  Qualitz 
sind  so  massenbafte  Blöcke  vorhanden,  dass  sie  ausser  zu  ffitoif^banten 
zu  breiten  Mauern  längs  der  Wi'<^v  und  Grenzen  aufgehäuft  sind.  SöUe 
und  Torfkpssel  vereinigen  sich  damit  zur  Herstellung  der  Moränenland- 
schaft, diese  erreicht  in  den  Kuppen  der  Schlemminer  Berge  nebst  den 
tiefen  Kesseln  und  Thälem  ihren  Glanzpunkt. 

Die  Schlemminer  Berge  mit  den  einzelnen  als  Langer,  Bruns, 
Hei,  Rag  Berg,  Hohe  Burg,  Egg  Berg  bezeichneten  Hdhenpunkten  ▼on 
130 — 145  m  Erhebung  stellen  einen  Teil  dee  in  der  Umgebung  von 
Schlemmin  100  m  hohen  Mergelplateaus  dar.  Zahllose  tiefe  isolierte  Kessel 
und  längere  tiefe  Thalkessel  durchfurchen  dieselben  und  schneiden  ins- 
besondere die  lanfjen  von  Südwest  nach  Nordost  verlaufenden  schmalen 
Eückeu  heraus,  deren  Hache  Gipfel  mit  den  erwähnten  Namen  bezeichnet 
sind;  in  diesem  nordöstlichen  Sireichen  d«r  einzeben  Blicken  braucht 
man  indes  nicht  ein  erzgebirgisches  Streicfasystem  des  Flötzkemea  aus- 
gedrückt zu  finden,  sondeni  dieselben  sind  nur  als  Reste  der  lirosion 
zu  betrachten.  Die  znlilreichen  losen  Blöcke,  div  den  Bergen  neben 
den  tielen  Schluchten  einen  seltenen  landschaftlichen  iieiz  verleihen,  ifaben 
früher  Veranlassung  zu  Bauten  von  Ilünengräbem ;  der  höchste  Punkt, 
die  Hohe  Burg,  zeigt  uns  einen  wohlerhaltenen  Ringwall  (vgl.  auch  die 
Schilderung  Ton  Boll,  Abriss  1861,  S.  245). 

Oestiich  bis  Kurzen  Trechow  finden  wir  noch  coupiertes  Terram, 
das  rasch  zu  40 ni  herabsteigt,  öfters  gelangt  der  untere  Sand  hier  zu 
Tage,  obgleich  der  blockreiche  mehr  oder  weniger  sandige  Deckmergel 
noch  herrscht.  Zwischen  Kurzen  Trechow  uud  Neuend orf  sind 
zahlreiche  Blöcke  im  Deckkies,  einer  merglig  sandigen  Steiupackung 
enthalten,  der  auf  unteren  Sauden,  oft  bis  8  m  MSchtigkeit  la^^ert  Ein 
weiterer  Abfall  des  Dfluvialplateaus  bis  Bfitzow  zeigt,  dass  die  teÜiche 
Orenze  des  Cteschiel)estreifens  nunmehr  überschritten  ist.  Dieser  Teil  ent- 
aprichtdera  , zweiten  Ausläufer"  der  Schlemminer  Berpe  (Boll,  a.  a.O.S.247); 
es  sind  die  steil  nach  dem  Warnowthal  abfallenden  hohen  Berge  der 
Qualitzer  und  Kühner  Forsten,  mit  den  Orten  Kurzen  Trechow, 
Katelbogen  und  Baumgarteu,  welche  das  östliche  Ende  des 
Schiebestreifens  darstellen.  Auch  auf  den  Höhen,  nicht  nur  an  den 
Thalabschnitten,  «rkennt  man  hier  die  Beteiligung  der  unteren  Sande 
am  Bau  jener  Berge,  indem  ihre  Schichten  oft  nur  von  geringem  Deck- 
mergel überlagert,  in  ungestörter  oder  lokal  gestörter  Schichtung  viel- 
fach  zu  Tage  treten. 

Hier  wendet  sich  der  Geschiebestreifeii  nacii  Süden.  Bei  Wen- 
dorf tritt  massenhafte  Steinbestreuung  der  Eiesfelder  am  nördlichen 
Wamowgehftnge  auf,  cyklopische  Mauern  sind  häufig.  Schependorf, 
Qualitz,  Laase,  Mankmoos,  mit  stark  coupiertem  Terrain,  das  noch 
bis  80  m  anstei^^t,  gehören  zu  dem  Geschiebestreifen,  der  sich  hier  mit 
einer  Breite  von  1  Meile  nach  Süden  zieht. 


18] 


Die  mecklenburgischen  üöbenrücken  etc. 


227 


Bei  Eickhof,  westlich  der  Eisenbahnstation  Warnow,  ist  der 
trefflich  in  die  Augen  springende  Thalbeginn  des  unteren  Warnow- 
Unfes  zu  sehen,  im  ösüichen  Grenzgebiet  unseres  Geschiebestreifens, 

dtf  hier  die  Höhe  von  50m  besitzt,  bei  Eickelberg  aber  noch  zu 
80  m  aufsteigt.  Die  vielfach  kurzen  Seitenkessel  und  die  steil  abfallenden 
Ränder  des  amphitheaterartigen  Thalbeginnkessels  zeigen  bei  Eick  ho t 
das  Normalprofil:  auf  den  unteren  Sanden  lagert  auch  hier  noch  bei 
20 — 30  m  eine  1  m  mächtige  Decke  mächtiger  Moränensteinpackung  mit 
gesehiammften  nordischen  Blöcken,  die  teils  auf  den  Feldern  herum  rer- 
streut  liefen,  teils  zu  Starassenbautoi  in  kleinen  Kuhlen  oder  auf  den 
Feldern  „ausgebuddelt*^  werden.  Das  sumeist  aus  oberem  Geschiebelehm 
bestehende  Plateau  bei  Eickelberg,  von  zahllosen  Söllen,  Torflöchem 
und  kleinen  Seen  unterbrochen  (typische  Moränenlandschaft),  ist  von 
massenhaften  Blöcken  überstreut.    Die  Steine  verschwinden  ziemlich 

S lötzlich  in  der  im  Westen  folgenden  60  m  hohen  Sandgegend  von 
fr 088  Labenz  (s.  u.). 

Bei  Klein  Raden  sUdlich  Eickhof  herrscht  sandige  Steinpackung 
von  geringer  M'dchtigkeit,  aber  mit  bedeutendem  Blockreichtum  vor, 
untere  Sande  bedeckend  und  diese  ziiin  Teil  in  ihrer  Lagerung  störend; 
zum  Teil  tritt  der  Sand  zu  Ta^e,  zum  Teil  wird  er  auch  von  mächtigem 
Blocklehiu  überdeckt.  Blocknmuern ,  SöUe,  kleine  Seen  smd  hier  auf 
dem  etwa  40  m  hohen  Plateau  typische  Zeichen  der  Horftnenlandschaft. 

Bis  in  die  Gegend  der  Sternberger  Burg  erstreckt  sich  der 
Blockreichtum.  Gross  Radejn  im  Nordosten  davon,  gehört  bereits  zum 
Gebiet  ausserhalb  des  Greschiebestreifen.s.  der  hier  also  eine  kleine  Zunge 
nach  Süden  bis  kurz  vor  Stemberg  entsendet. 

Im  Norden  gehört  die  Gegend  von  Warnow  noch  zu  dem  Gebiet. 
Eine  Grube  bei  der  Station  Warnow,  am  südlichen  Gehänge  des  breiten 
Wamowihales  in  25m  Höhe  gelegen,  zeigt  den  Typus  der  durch  die 
Schmelzwässer  ausgewaschenen  Moränenlandschaft,  nämlich  auf  unteren 
Sanden  und  Kiesen  eine  1 — 2  m  mächtige  lehmigkiesige  Steinpackung 
mit  normaler  Entwicklung  des  Moränenschuttes.  Die  Saudfelder  der 
Abhänge  sind  mit  massenhaften  Steinen  überstreut.  Nach  dem  40  m 
hohen,  von  Sollen  und  Torlkesselu  durchbrochenen  Plateau  bei  Schlockow, 
Klein  Raden,  Buchenhof  herrscht  der  strengere  Mergel  vor,  mit 
massenhaften  Geschieben. 

Die  Kiesgruben  an  der  Bahn  dsÜich  von  Warnow  geben  daa 
Ende  des  Streifens  an;  circa  Im  steinreicher,  brauner  Deckkies,  zum 
Teil  noch  geschichtet,  lagert  auf  flach  wellig  gebogenen  Schichten  von 
unteren  Sanden  und  Kiesen,  unter  denen  auch  Thonlagen  auftreten. 

Von  Eickhof,  Warnow,  Buchenhof  wendet  sich  der  Geschiebestreifen 
mehr  nach  Osten  und  streicht  in  ostsUdOstlicher  Richtung  nach  Gros» 
Upahl.  Der  deutlich  zum  Teil  ziemlich  schroff  nach  Nordosten  zum 
Nebelthal  und  weniger  steil  nach  Südwesten  abfallende  Bergzug  erhebt 
sich  zu  50  und  60m.  vielfach  auch  70  und  bei  Boitin  und  Gross 
Upahl  über  80ni  erreichend.  Die  Geilend  südwestlich  von  Tarnow^ 
Pruzen  und  Häger  fei  de  kann  als  das  nordösthche  Ende  des  Geschiebe- 
Streifens  gehen,  Lübzin,  Buchow,  Lenzen  als  diesQdwestlicfae  Grenze, 
so  dass  mer  eine  Breite  Ton  nur  etwa  4 — 5  km  Torliegt 


228 


Oeiaits, 


Die  60 — 80m  hohe  Gegend  von  Gross  Upahl  ist  wieder  die 
typische  Moränenlandschaft,  mit  zahllosen  tiefen  AesselUf  Sdllen,  der 
gteilufirigen  Wanne  des  UpaUer  Sees  u.  a.  m.   Ausserordentttch  viel 


Mauern  u.  dergl.  benützt.  Eine  Grube  iiuf  der  80  m  hohen  Kuppe 
hinter  dem  Hof  Gross  Upalil  zei<rt  '>  m  «gelben  Blocklehm ,  unter  und 
neben  dem  Feinsandschichten  heraufgequetsi  lit  sind;  die  Brunnenbuhrung 
ergab  unter  dem  oberen  bis  zu  30  m  Mächtigkeit  grauen  unteren  Ge- 
MEiebemergd.  da  aUnich«  Enidortaeke  fthrt,  .uf  thomgoa  Sind 
lagerad. 

In  dem  Lahn  witzer  Forst  am  Sudende  des  Upaliler  Sees  wird 
der  Geschiebestreifen  von  steinreichem  Deckkies  gebildet,  der  in  geringer 
Mächtigkeit  auf  unteren  Sauden  lagert;  bis  Garden  dauert  die  St«in- 
bestreuung  auf  dem  Sandboden  an,  auch  mit  inselartigem  Auftreten 
Ton  BlockmergeL  Im  Süden  schliesst  sich  dann  das  Sandgebiet  mit 
demselben  Niveau  an. 

Bei  Klein  Upahl  und  Gerdshagen  OsÜich  vom  TJpahler  See 
ist  gleicherweise  eine  enorme  Fülle  an  grossen  Blöcken  in  dem  bis 
100m  ansteigenden  stark  coupierten  Terrain  vorhanden,  nördlich  vor 
dem  Hof  Genlsliagen  endigt  der  Geschiebesti  t  ifen  in  der  Höhe  von  90  m. 
und  das  Land  dacht  sich  von  da  ziemlich  rasch  nach  Norden  ab,  daä 
Sfldende  ist  heieits  südlich  Tom  Dorf  an  der  Lohmener  Ghrense.  —  Von 
Upahl  erstreckt  sich  in  südwestlicher  Richtung  ein  an  Blöcken  stellen- 
weise recht  reicher  Höhenzug  (73,  65,  55  m)  als  Ausläufer  des  Geschiebe* 
Streifens  über  Lenzen,  Bolz,  Borkow  bis  in  die  Gegend  von  Gä<i^elow 
unweit  Sternliei«^  auf  eine  Länge  von  circa  8  km,  um  sich  dort  dem 
Sterubexger  Geschiebestreifeu  beträchtÜeh  zu  nähern.  Sein  Boden  ist 
yielfach  von  Sollen  und  Evorsionsseen  unterbrochen ;  er  besteht  teils  aus 
sfarengem  oberem  Geschiebemetgel,  teils  aus  Sauden  mit  Steinbestreiiuiig. 
Seine  beiden,  sehr  flach  abgäichten  Abhinge  führen  in  reine  Spat- 
sandgegenden hinüber. 

lieber  Neuhof,  Zehna.  Beilin,  Steinbeck,  Marienhof,  Tessin 
verläuft  nun  der  Geschiebestreifen  mit  einer  Höhe  bis  70  und  80  m 
nach  Grabow  und  Charlottenthal  nördlich  von  Kiakow.  Am 
ndrdlichen  raschen  Abfall  imd  in  der  südlichen,  ziemlich  gleich  hoch 
gelegenen  Landschaft  sind  die  Sedimente  des  Hauptdiluviums,  als  Sande 
und  Thone,  entwickelt  (s.  Beitr.  VII  z.  GeoL  Meckl.  1885,  S.  59), 
auf  denen  der  bl<>(  kführende  Deckkies  oder  die  ihn  vertretende  Steiu- 
bestrt'uunt?  inuntr  mehr  zurücktritt,  je  weiter  man  sich  von  dem  Ge- 
schiebestreifen entfernt.  So  ist  noch  bei  Kleisten  und  Kirch-Kogel, 
in  der  Nähe  von  Dobbertin,  eine  enorm  reiche  Steinbestreuung  auf  dem 
70  m  hohen  Sandgebiet  zu  gewahren,  die  in  Sandgruben  oft  aJs  normale 
Moränensteinpackung  von  1,5  — Im  Mächtigkeit  auf  unteren  Sauden  zu 
beobachten  ist.  Mau  hat  dies  Ge])iet  als  südwestliche  Ausweitung  des 
Geschiebestreifens  zu  Ijetrachten.  welche,  seitliche  Hfidegebiete  treimend. 
über  den  Dobbertmer  Lias  zu  dem  südlichen  Pai'alleizug  von  Stemberg- 
Karow  hinläuft  (s.  u.j. 

An  die  typische  ICoranenlandschaft  in  der  dO — 75  m  hoch  ge- 
legenen Gegend  nördlich  vom  Krakower  See,  bei  Ah r  ens hage  n,  Ko  ppe- 


umher  und  sind  zu  cyklopisch^ 


15] 


Die  mecUenburgiacben  HöhenrQckeii  etc. 


229 


low,  Kucheln! iss,  mit  Blockmergel-  oder  Deckkiesboden,  auf  unteren 
Granden  oder  Mergel  lagernd  —  mit  ihren  zahlreichen  Sollen,  Kesseln, 
Schfaichteii,  Thalbeginnen  zu  den  Depressionen  dee  ndrdlichen  Kiakower 
Sees,  isolierten  Kuppen,  massenhaften  Blöcken  (cyklopische  Mauern!), 
hier  von  dem  Kombinationethal  der  Nebel  durchbrochen  —  schlies.st 
sich  im  Süden  bis  Serrahn  und  Neu  Zietlitz  der  blockreirlio  Deckkies 
und  seine  bis  1  in  mächtige  Steinpackung  als  südliches  Ende  des  Ge- 
schiebestreifens an. 

Bei  Alt  Sammit  auf  der  wesUidieii  und  bei  Zietlitz  auf  der 
0stUcheii  Seite  des  Eraikower  Sees  finden  wir  auf  dem  gleich  hohen 
Terrain  nach  Süden  wandernd  eine  immer  spärlicher  werdende  Stdn- 
bestreuung  auf  unterdiliivi.ilen  Sanden ,  wck-he  letztere  alsl)ald  zur 
alleinigen  Herrschaft  in  der  breiten  südlich  anschliessenden  Ueid^egend 
gelangen. 

Oestlich  setzt  sich  der  Streifen  in  die  Gegend  vom  Thalbeginn 
des  Malchiner  Sees  fort  (s.  Beitr.  z.  OeoL  MeckL  I,  1879,  S.  48  f.). 

Langhagen  und  Rotlispalk  liegen  am  nördlichen  Beginn  des 
Geschiebestreifens,  dessen  Höhe  hier  70 — 90m  beträfet,  während  das 
nördlich  vorlagemde  Plateau  etwa  70 — 50  m  Höhe  hat ,  mit  mannig- 
fachem Wechsel  allmählich  flach  nach  Norden  abfallend.  Wie  an  den 
neuen  Bahnprofileu  gezeigt  (Beitr.  z.  Geol.  Meckl.  1885),  gehört 
Dersentin  schon  zum  Aussengebiet,  wo  der  Deckmergel  gegen  die' 
Sande  und  Thone  oder  den  unteren  Mevffel  zurttcktritt  oder,  wie  weiter 
nördlich,  sich  durch  Blockarmut  auszeiimnet.  Prächtig  unverftndert  ist 
die  Moränenlandschaft  bei  Krevtsee  und  Klein  Luckow  erhalten, 
wo  die  massenhaften  Blöcke  auf  den  „Knirkbergen"  zum  Teil  noch  jede 
intensive  Kultur  hindern  (Knirk-Wachholder),  Schlossgrubenhagen, 
Steinhagen,  Hallalit,  Kirchgrubenhagen,  VoUrathsruhe,  Gross 
Behberg,  Blllcherhof  sind  die  Orte  dieses  bei  Vollrathsnihe  zu 
100 m  ansteigenden  Moränengebietes,  bei  denen  man  die  Glacialland- 
Schaft  mit  am  schönsten  in  Mecklenburg  beobachten  kann.  Die  massen- 
haften grossen  Blöcke,  oft  von  enormer  Grösse,  sind  zu  cyklo[)isclien 
Mauern  oder  Hügeln  angehäuft,  in  die  Solle  versenkt,  zu  Haus-  und 
Pfla^terbauteu  verwendet,  und  doch  liegen  die  Felder  immer  noch  viel- 
&eh  wie  flbeniet  damit.  Der  Boden  irt  zwar  Torwiegend  oberer  Block* 
meigel  oder  sein  Vertreter  der  Deckkies,  doch  treten  aueh  oft  die 
unteren  Sande  und  Grande,  zuweilen  audi  unterer  Mergel  hoch  zu  Tsge. 

Wandert  man  von  Vollrathsruhe  südwärts,  so  bemerkt  man  am 
Abfall  des  Höhenzuges  hinter  dem  Cramoner  Buchengehöl/.  eine  Al)- 
nahme  zunächst  in  der  Grösse  und  alsdann  in  der  Zahl  der  Steine,  welche 
die  Felder  bedecken,  und  gelangt  allmählich  in  das  reine  Sandgebiet 
der  Nossentiner  Heide. 

Bei  Burg  Schlitz  und  Karstorf  ist  ebenfalls  noch  Blockreich- 
tum zu  bemerken;  so  können  wir  hier  den  Nordrand  des  Streifens  an- 
geben, der  sich  in  Burg  Schlitz  zu  103  m  erhebt.  Die  Breite  des  Ge- 
schiehestreil'ens  wäre  somit  hier,  zwischen  Burg  Schlitz  und  VoUrathsruhe, 
gerade  1  Meile.  Nach  Boll  soll  sich  von  liothspalk  über  Burgschlitz 
und  Hohen  Demzin  ein  nordöstlicher  Auslftnfer  nach  Fehns  torf  (III) 
abzwe^|mi* 


.  ^  i.L^  l  v  Google 


230 


BeiBülow  am  Norduler  dea  Makhiner  Sees  treten  auch  ziemlich 
viele  Blöcke  in  dem  Mergelboden  auf,  so  daae  liier  ein  HenbrQcken 
zum  nördlich  vorlageraden  Geechiebestreifen  durch  die  Sandgegend  ran 
Olaaow  angebahnt  ist 

Kimmelir  lässt  sich  der  Geschiebestreifeu  deutlich  weiter  nach 
Osisüdostcii  verfolgen;  dabei  nimmt  er  eine  grössere  Breite  an.  Seine 
Details  wurden  schon  früher  an  den  Aufschlüssen  der  Malchin- Warener 
Bahn  beschrieben  (Beitr.  z.  Geol.  Meckl.  I,  1879,  S.  48  f.).  Die  Orte 
Klockain,  Moltzow,  Rambow,  Tresaow,  Hinrichshagen,  Saps* 
hagen,  Marxhagen,  Piiuschenhagen,  Sophienhof,  Hagenow, 
Sommerstorf,  Klein  Vieliat  liegen  inmitten  der  typischen  Geschiebe* 
Streifenlandschaft,  in  der  wiederum  nicht  allein  der  blockreiche  obere 
Mergel  oder  die  ausgewaschenen  erratischen  Blöcke  und  der  Deckkies 
herrschen,  sondern  auch  das  Unterdiluvium  oft  zu  Tage  tritt.  Das 
Terrain  steigt  im  Norden  und  Süden  allmfthlich  an,  bei  Marxhagen  ist 
die  grOeate  Höhe  von  125  m,  die  lOOm-Kunre  niadit  sich  in  dieser 
Gegend  noch  häufig  geltend.  Von  der  Eisenbahn  aus  kann  man  auf 
den  Feldern  bis  Falkenhagen  den  grossen  Blockreichtum  walirnehmen. 

Sch  wiiikciidorf  und  Langwitz  sind  insofern  als  nördliche  Aus- 
läufer zu  betrachten,  als  hit  r,  an  der  Südgrenze  der  Basedower  Heide, 
innerhalb  der  auch  weiter  südlich  noch  folgenden  unteren  Granddiüirikle 
lokal  bedeutende  Blockanhftufnngen  im  oberen  Mecgel  auftreten.  Audi 
bei  Rothenmoor  tritt  oberer  Mergel,  thet  mit  weniger  Steinen,  zum 
nördlichen  Grenzgebiet  gehöi^  auf. 

Bei  Vielist,  Schwenzin,  Warenshof.  Falkenhagen  unweit 
"Waren  ist  die  südliche  Grenze  bereits  überschritten;  hier  tritt  der  untere 
band,  zum  Teil  mit  Grand  zur  Herrschaft,  zum  Teil  noch  von  stein- 
reichem Decktiea  dlian  fiberlagert,  der  eine  dichte  Steinbestreuung  der 
Sandfelder  Terursacht.  Die  m&chtige  Sandablagerung  in  dem  Bahnein- 
schnitt am  Südrande  des  Warener  Buchenwaldes  zeigt  ein  Ab&Den 
der  Sandschichten  nach  Süden,  von  dem  Höhenzug  des  Geschiebesireifens 
ab.  Analog  war  am  nördlichen  Parallelstreifenrand  am  Hainholz  bei 
Malchin  der  Sand  neben  flacher  Schichtenwölbung  im  allgemeinen  von 
nördlichem  Einfallen,  also  auch  ab  von  dem  Geschiebestreilen. 

Der  (Jeschiebeetreübn  hat  hier  (zwischen  Grabowhöfe  und  Tresaow 
reep.  Langwitz)  eine  Breite  von  8 — 13  km. 

Südlich  davon  reiht  sich  das  unterdiluvialc  Sandareal  von  Waren, 
Federow,  JaV>el,  Nossentin,  wo  auch  die  oberdiluviale  Steinbestreuung 
mehr  und  melir  zurücktritt;  nur  in  Jabel  tritt  an  der  Südgrenze  dieses 
Sandgebietes  am  Bahnhof  eine  bedeutende  Blockanhäufung  im  (oberen) 
Mergel  auf^  der  hier  auf  dem  Kreidekalk  lagert.  — 

Aus  der  Gegend  von  Panschenhagen  sieht  sieh  der  Geachiebe- 
streifen  nach  Möllenhagen.  Ich  habe  hier  teilweise  nur  seine  südwest- 
liche Grenzpartie  verfolgt,  an  die  sich  eine  wdte  Sandg^end  von  dem 
Typus  der  Lüneburger  Heide  anschliesst. 

Bei  Schwastorf  und  Knrgow  sieht  man  in  dem  coupierten,  von 
Tiden  Sölleu  und  Torfwauueu  (m  deren  einer  die  Peeue  bei  Schwastort 
ihren  Ursprung  nimmt)  unterbrochenen  Tenain  wieder  die  nonnale 
blockreiche  MorSnenlandschaft,  hier  als  an  der  sttdlichen  Grenze  schon 


17] 


Die  meeklenburgiMhen  Htthenyackeii  etc. 


281 


mit  vorherrschendem  Sandboden  des  Unterdihiviiinis,  der  erst  melir  nörd- 
lich dem  Deckmergelboden  Platz  macht.  Der  EisenbuhnemaciiuitL  bei 
Kargo w  zeigt  vorzüglich  schön  das  Profil:  0,5—1  m  rostbrauner  unge- 
Bchichteter  sehr  steinreicher  Deckides  und  Steinpackung  mit  einzekeu  sehr 
grossen  Blöcken,  scharf  abgesetzt  von  dem  darunter  lagernden,  in  mannig- 
facher Wechsellagerung  geschichteten  Grand,  Spatsand  und  Geriille  des 
Haiiptdihiviums.  An  dem  Landweg  zwischen  Kargow  und  Sch  wastorf 
sehen  wir  nieist  den  unterdiluvialen  gelblichen  Saiul  bis  zui"  OberHäche 
treten,  nur  von  massenhaften  Steinen  und  Blocken  Ijestreut,  die  zu 
Mauern  oder  kegelförmigen,  oft  Ton  Buschwerk  bewachsenen  Hügeln 
enffehftnft  sind  oder  in  die  Sölle  und  Kuhlen  versenkt  werden. 
Von  der  Eisenbahn  aus  sieht  man  auf  dem  80  m  hohen  Terrain  viele 
dieser  an  Hilnengrilber  erinnernden  Hügel.  In  Schwastorf  tritt  der 
Geschiebemergel  auf,  als  unterer  zu  bez«'i(hnen.  oft  von  geschichtetem 
Grand  und  Sand  bedeckt;  nördlich  von  luer  sind  oft  die  kuppenartigen 
Bodenerhöhungen  aus  schwerem  Lehm  zusammengesetzt,  während  die 
tieleren  Partien  ans  sandigem  Deckkies  oder  gar  unterdiluvialem  Sand 
best I  hell.  Die  cyklopischen  Mauern,  die  aus  „Felsen"  gebauten  Häuser 
untl  das  Pflaster  der  Strassen  in  jenen  Dörfern  weisen  auf  den  Ge- 
schiebcrt  irlitnni  dt-r  Gegend  hin.  Im  Norden  gehrtren  die  Orte  Sciilön, 
Ueberendt-,  i'orgelow,  Schönau  u.  a.  in  das  (Jebiet  des  Geschiebe- 
ötreifens,  hier  wolil  mit  herrschendem  Mergelboden.  Schmachthageu 
beseichuet  die  westliche  Grenze  gegen  Waren  hin.  An  der  sOdlichen 
Grenze  von  Kazgow  zeigt  die  massenhafte  Steinbeschüttung  di  s  circa 
75  m  hohen  Terrains,  welche  auf  kurze  Entfernung  nach  Fede row 
unter  VerkleiTif-ning  der  Steine  bald  gänzlich  auf  dem  gleich  hohen 
Sandgebiet  zurücktritt,  das  Südende  des  Gcschiebestreiiens  an. 

Nach  Boll  streicht  der  Geschiebestreifen  nun  weiter  über  Gross 
und  Klein  Dratow,  Eickhof,  Kockow  nach  Möllenhagen. 

.  Bei  Station  MOllenhagen  besteht  das  95  m  hohe  Terrain  aus 
blockreichem  gelbem  Deck-Geschiebemergel  von  circa  3 — 5  m  Mächtig- 
keit, dem  zuweilen  gebogene  Thonzwisclienschichten  eingeschaltet  sind. 
Der  Einschnitt  in  dem  Wald,  wo  sich  der  Heilierbrrg  zu  ll7.r>  m  Hohe 
erhebt,  zeigte  zähen  dunkelbhuigrauen  Gcscliiebemergei,  i>edeckt  von 
circa  3 — 5  m  gelbem  oberen,  zum  Teü  auch,  besonders  am  westlichen 
-  Anfang  des  Einschnittes,  von  Kies  und  Sand  angelagert  Die  massen- 
haften Blöcke,  welche  den  Boden  bedecken,  sind  auch  hier  zu  den 
diarakteristischon  Hügeln  zusammengelesen  oder  in  die  zahllosen  SöUe 
versenkt.  Sehr  schön  entbhi^ste  iuu  h  der  Einschnitt  ein  einige  Meter 
tiefes  Turflager  ( VValdtorf I.  welches  einen  trichterlörmig  in  den  Deck- 
mergei  eingearbeiteten  alten  Soll  ausgefüllt  hat. 

Nach  Osten  hin  erstreckt  sich  von  Marin  über  Penzlin  ein 
ebenes  -  «Stromschnellengebiet*. 

Der  GJeschiebestreifen  setzt  (nach  BoU)  fort  über  Ottenheide, 
Ankershagen,  Kratzeburg,  Peccatel,  Adamsdorf,  Peutsch  nach 
Hohenzieritz,  l^sadcl  in  dns  Gebiet  des  Thalbeginnes  der  Tollense. 
Wenn  ^lan  von  Penzlin  siidwürts  nach  Neu-strelitz  wandert,  durchquert 
man  den  Geschiebestreifen  auf  seine  Breite  von  (i  km;  das  Terrain 
steigt  von  55  bis  zu  85  m  an.   In  der  an  Söllen,  Torfkessehi  und 

FoiMbuicn  sw  dmitidMB  LaadM*  «ad  ToUakiuid«.  hb.  17 

.  ^  i.L^  l  v  Google 


2S2 


Geiiiits, 


[18 


Seen  reiclien  Dockiiier|T;elgegend  trifit  mau  zuerst  bei  Christenhol', 
nordwestlicli  Prillwitz,  auf  den  Blockreichtum,  bald  erscheinen  die 
cyklopischen  Mauern  ab  Weee-  und  Gehöfteinfassungen  bei  Hohen- 
Zieritz.  Die  Sandgrube  sadtieli  Hohenzieritz  zeigt  1 — 2,  auch  3  m 
michtigeii  blrx  k reichen  sandigen  Deckmergel  in  55  m  Hdhe,  auflagernd 
auf  rasch  wechsellagemden  Sanden  und  Granden,  am  Gehänge  des 
Kückens  auch  nur  Decksand,  lehmig  mit  roher  Schichtung.  Bis  nach 
Weisdin  tritt  auf  dem  mannigfach  coupierten,  im  allgemeinen  etwas 
niedrigeren  (60 — 75  m,  zum  Teil  über  auch  bis  94  m  hohen)  Terrain 
mehr  und  mehr  der  unterdfluviale  Sandhoden  zur  0eltmig,  hei  Blumen* 
holz  noeh  mit  ziemlich  reichlicher  Steinhestrenung  (nier  mit  Drei- 
kantem).  Bei  Weisdin  treten  die  Blöcke  ganz  zurttck,  ao  daaa  schon 
nördlich  davon  die  Grenze  <les  Streifens  anzugeben  ist. 

Die  Breite;  im  weiteren  Verfolg  ist  wegen  der  ausgedehnten  Be- 
forstung  nicht  leicht  zu  konstatieren.  Der  Geschiebestreifen  setzt  in 
südöstlicher  Richtung  ununterbrodien  durch  den  Forst  Blumenhageu 
fort,  hier  meist  mit  sandigem  Boden.  In  dem  Eeulenberg  nördlich  von 
Thurow  erreicht  das  Terrain  die  Höhe  von  138  m.  In  dem  tiefen 
Bahneinschnitt  6  km  östlich  von  Neustrelitz  sieht  man  eine  Fülle 
grosser  Blöcke  auf  den  Abhängen,  dem  Deckkies  entstammend,  der  hier 
die  unteren  Sande  überlagert.  Südlich  hiervon,  an  der  Waldgrenze 
neben  der  Chaussee  werden  in  Üuchen  Kiesgruben  zahlreiche  Blöcke 
(darunter  -vid  Sflurkalk)  fttr  Straasenbau  »ausgebuddelt* :  1 — 2  m  feiner 
gelber  Heidesand  bedeckt  hier  einen  groben  braunen,  roh  gesehichteten 
Kies,  der  eine  mehrere  Meter  mächtige  Steinpackung  bildet,  an  der 
Grenze  z>vischen  Haupt-  und  Deckdiluvium«  Das  Terrain  ist  hier  80 
bis  105  m  hoch. 

Boll  gibt  hier  die  Orte  Thurow  und  Cammin  an.  Oestlicli 
Zinow  zeigt  eine  in  85  m  Höhe  angelegte  Grube  am  Saum  des  Forstes 
Dianenhof  1,5  m  oberen  Hergel  mit  einzelnen  grossen  Blöcken,  auf- 
lagernd auf  horizontalen  Bänderthonschicht« n :  im  Forst  selbst  herrscht 
ein  stark  coupiertes  Terrain.  Erst  bei  Carpin  tritt  grösserer  Block- 
reichtum in  2  m  starkem  Deckmergel  auf,  sUdUch  davon  herrscht  der 
unterdiluviale  Feinsand,  stellenweise  von  grossem  Blockrt'i(  htum  bedeckt. 
Bei  Goldeubaum  sind  wir  mitten  in  der  Blockanhäutung,  die  dem 
nur  1  m  oder  noch  -weniger  m&chtiffen  Decklehm  entstammt,  so  dass 
&st  durchgangig  feiner  Sandboden  nerrscht,  mit  einer  enormen  FQlle 
von  Blöcken  bestreut.  Diese,  zum  Teil  3  m  im  Durchmesser  haltend, 
sind  oft  so  massenhaft,  dnss  sie  der  Feldbestellung  fast  unilberwindliche 
Hindernisse  bieten.  So  ist  das  Areal  um  den  Hünberg  ein  wüstes, 
von  Blöcken  bestreutes  Sandfeld,  wo  Hünengräber,  Dolmen  und  spätere 
Steinhaufen  neben  den  cjklopischen  Mauern  längs  der  Wege  ein  ganz 
eigenartiges  Bild  darbietra.  Der  Forst  LUttenhagen  mit  den  «Stein* 
bergen*,  die  Steinmühle,  Bergfeld  u.  a.  0.  sind  weiter  mit  einem 
ausserordentlichen  Blockreichtum  gesegnet,  der  teils  auf  Feinsandboden, 
teils  in  strengem  oberen  Geschiebemergel  sich  befindet. 

Von  hier  aus  gelangen  wir  in  die  berühmte  steinreiche  und  land- 
schaftlich schöne  Gegend  von  Feldberg.  Bei  LUttenhagen  treffen 
wir  den  blockreichen  strengen  Mergel  des  Deckdiluriums,  das  coupierte. 


19] 


Die  mecUentrargUclien  HOhenrQeken  ete. 


233 


von  Sollen  und  Seen  durchsetzte  Terrain  setzt  bis  Foldberg  und 
Nt'uliof  fort,  in  einer  Hcihe  von  120,  bis  zu  140  ra  iu  den  Rosenbergt  n 
zwiäclieu  beiden  geuanut^eu  Orten  ansteigend.  An  den  Gehängen  der 
durch  Evornoii  nmimigfach  herausmoddlierton  Bttcken  ixiflfe  rann  bloek- 
reichen  Deckkies  oder  Hlockbesireuung  der  unteren  Sande:  auch  südlich 
▼on  Feldbttg,  bei  Neu  ho  f  undCarwitz  tritt  viel£udi  der  feine  Spat- 
sand zu  Tage,  mit  derselben  enormen  Blot  klwstreuuiig.  Die  Orte  der 
Umgebung  von  Feldberg.  Neuhof,  Carwitz,  Thomsdorf,  ('onow. 
Wittenhageu,  Tornowhof,  Schlicht,  Lichtenberg,  Wrecheu 
zeigen  alle  in  ungeheurer  Fülle  die  grossen,  oft  einige  Meter  im  Durch- 
meMor  haltenden  ^rratisehen  Blocke,  die  an  cyklopischen  Mauern  um 
die  Gehöfte  und  Wege  aufgehäuft  oä.er  zu  Steinhaufen  zusammengetnigen 
sind  oder  zu  Pflaster  und  Häuser-  und  Kirchenbauten  verwertet  wer- 
de!}. Ihre  Fülle,  m  den  WfUdeni  oft  {?..  H.  !)ei  Weudorf)  wie  Fels- 
nieere  in  Granitgebirgeu  erscheinend,  verleiht  der  au  sich  scliou  so 
schönen  Landschaft  noch  weitere  romantische  lieize. 

Das  Terram  ist  hier  die  normale  Moranenlandschaft,  nördlich  von 
Feldberg  im  Wendoifer  Forst  bis  zu  166  m  ansteigend,  meist  tou 
oberem  Geschiebemergel  gebildet,  der  in  einer  bis  5  m  betragenden 
Mächtigkeit  untere  Sande  oder  Bänderthon  (n]or  :iuch  unteren  Mergel 
bedeckt,  zum  Teil  aber  auch  durch  blosse  bteiubeschüttung  aui'  unteren 
banden  vertreten  ist. 

Im  Süden  werden  bei  Mechow  die  Steine  immer  kleiner,  bei 
Lychen  sollen  sie  Tersehwinden.  Im  Norden  ist  der  Blockreiditum 
im  Deckmergel  bei  Wendorf  noch  unverändert,  tritt  bei  Neugarten 
und  Grauenhagen  zurück,  erscheint  aber  auf  dem  125  m  hohen  Gloin- 
berg  bei  Göhren  norhmals  auf  dem  unteren  Sand  und  Kies,  um  als- 
dann nach  Woldegk  zu  fast  ganz  zurückzutreten.  Die  Bre  ite  des  Ge- 
schiebestreifens ist  denmach  iu  der  Umgegend  von  Feldberg,  an  eniigen 
Stellen  aUerdings  durch  kurze  gesduebearme  reep.  -freie  Striecken  unter- 
brochen, in  nordnordfiatlicher  bis  sUdsadwestliaier  Richtung  gemessen 
etwa  18—20  Kilometer. 

Wie  Boll  angibt,  setzt  sich  von  hier  der  Ge.schiebestreifen  in 
südöstlicher  Richtung  weiter  fort  durch  die  Uckermark  über  Brü.sen- 
walde,  Mahlendorf,  Warthe,  Schönemark,  Güstow,  Prenzlau, 
Bertikow,  Seehausen,  Gerswalde,  Blumberg,  Fredenwalde, 
Willmersdorf,  SteinhQfel,  Alt-Temmen,  -Ringenwalde  bis  nach 
Schwedt  an  der  Oder. 


T.  Oeschfebestreifen:  „Kliltier  Ort  —  Hoidentln  —  Stornberg  — 
Karow — Popiieiitln  — -  Beehlin  —  Wesenberg  —  Fftrstenberg.^ 

Der  an  einer  Stelle  fast  40m  hohe  Klint  des  ,KlUtzer  Ortes* 
(mit  welchem  Namen  der  Küstenstrich  zwischen  dem  Da.ssower  Binnen- 
see (istlich  Lübeck  und  der  Wohlenberger  Wiek  westlich  Wismar  be- 
zeiclmet  wird)  zeigt  zwischen  lieth wisch  bei  Boltenhagen  (Gross 
Klotz  HOred)  und  Brook  und  Schwansee  in  gleicher  Weise  wie 


234 


Geinitz, 


[20 


der  Stoltero-KUnt  bei  Warnemtlnde  einen  von  massenhaffen,  mftditigen 
erratischen  Blocken  umsäumten  Strand,  dessen  Blockreichtiun  weit  be- 

deute-nder  ist  als  bei  Warnemünde,  zum  Teil  allerdings  wohl  nur  des- 
halb, weil  seit  Jahren  zum  Scluitz  des  T'fors  gegen  die  Wellen  die 
Blöcke  nicht  weggenommen  werden.  Der  durch  den  Buchenbestaud 
seiner  Hölien  und  die  schönen  Aussichten  auf  das  Meer  und  die  hol- 
steinsche  Küste  landschaftlich  ausgezeichnete  Klint  besteht  auch  hier 
ans  mäehtigem,  grauen,  unteren  Geechiebemereel,  der  toh  oberem 
gelben  Uergel  in  der  Mächtigkeit  von  einigen  Metern  bedeckt  wird, 
an  dessen  unterer  Grenze  oft  Zwischenschichten  von  Sauden  und  Bänder- 
thon auftreten,  die  von  dem  Deckmergel  vielfach  in  ihrer  Lagerung 
stark  gesWirt  erscheinen;  zum  Teil  tritt  auch  der  Deekmergel  stark 
zurück  und  es  erscheinen  bei  Vorherrschen  der  unteren  Sande  in  dem 
Klint  die  amphitheatralisch  zurücktretenden  ^Nischen* 

Den  mächtigen  Entwickelungen  der  Sande  zwisdien  den  Geschiebe- 
mergelwelien  des  Strandes  entsprechen  auch  im  Hinterlande  Unter- 
brechungen des  blockrcichen  Mergelbodens  durch  Sandgebietr ,  so  da^s 
nicht  ein  einheit]i<  lier  Geschiebestn-ifen  von  Iii  lim  Bi-eite  vorliegt, 
sondern  derselbe  in  einige  parallele,  unter  einander  auch  wohl  diagonal 
verbundene  Einzelstareifen  zerfiült.  Der  im  Kltttzer  Ort  hervortretende 
Rficken  von  Senonkreide  ist  vom  gesamten  Diluvium  mit  Sauden, 
Thonen  und  oberem  und  unterem  Geschiebemergel  beschüttet  worden. 
Gebiete,  in  denen  die  unterdiluvialen  Sedimentärbildungen  vorbcrrscbf  n. 
finden  sich  überall  inmitten  des  normalen  Geschiebestreifens.  Kmi«;e 
Beispiele  seien  aufgeführt:  Bei  dem  südlichen  Ausbau  zu  Warnken- 
hugen  in  45  m  Höhe  tritt  feiner  Spatsand  und  Kies  innerhalb  des 
Deckmergelgebietes  auf.  Die  Kalkgrube  am  nördlichen  Gehänge  des 
Hohen  Schönberges  zeigt  bei  80m  die  Ejreide  bedeckt  von  gelbem 
Geschiebeniergel  mit  zahlreichen  schön  geschrammten  Blöcken,  in  der- 
selben Weise  wie  alle  Kreidevorkommnisse  des  Klützer  Ortes.  Nach 
der  H()he  zu  tritt  dazwischen  ein  Iiis  3  m  mächtiges  Lager  von  ge- 
scliichtetem  Blockkies,  ein  „uuterdüuviales*'  Gerölllager;  die  Spitze  des 
92,3m  hohoa  Schdnbei^es  wird  aus  Kies  und  Sand  mit  Gerölllagem 
gebildet,  der  von  etwa  1  m  um  geschichtetem  Deckkies  noch  überdeckt  ist. 

Das  dahinter  liegende  70 — 80  m  höbe,  aV)er  rasch  zu  60  und  40  m 
abfallende  Gebiet  zwi.schcn  Hohenschönl»erg.  Kalkhorst.  Ranken- 
dorf.  Goldebeck,  in  einer  Breite  von  etwa  (>  km,  ist  die  eigentliche 
Moräuenlandschaft.  Die  zahllosen  SöUe,  Kessel  und  Schluchten  sowie 
grösseren  Torfinoore ,  die  massenbafben  grossen  Steine  auf  dem  Boden 
(in  Kalkborst  gibt  es  Blöcke  von  6  cbm  (Grösse),  die  prächtigen  Bucben- 
waldungen  verleihen  auch  hier  dem  Lande  den  Reiz  der  Gebirg.sland- 
Schaft ;  In  deni  Parke  von  Kalkborst  ist  denn  auch  durch  geschickte 
Benutzung  resp.  Konservierung  der  ursprünglichen  Verhältnisse  ein 
reizendes  Bild  der  Gebirgsgegend  iixiert. 

Auch  hier  herrscht  nicht  lediglich  der  obere  Blockmergel,  sondern 
es  treten  auch  blockaime  Mergelpamen  und  grössere  oder  kleinere  Sand- 


')  Vgl.  £.  Geinitz:  VU.  Beitr.  z.  Geol.  Mecklenb.  1885.  8.  57  u.  S. 


Digitized  by  Go  ^v,.^ 


Die  medclenbargiKheii  H^^henrftcken  etc. 


236 


lager  liier  zu  Tage.  Bei  Rankondorf  werden  die  Blöcke  zum  Teil 
auch  vou  dem  unteren  Mergel  und  von  Deckkies  geliefert,  welch  letzterer 
oft  eise  dOnne  Lage  auf  unteren  Ghranden  bildet  Bei  Ktthlenstein, 
inmitten  der  coupierten  Landschaft  tritt  feiner  Spatsand  mit  thonigen 
Zwischenschichten  in  mannigfachen  VerwerfiaDgeil,  zum  Teil  noch  mit 
gering^er  Mergolbodeckung  zu  Ta^e. 

Bei  KliUz  uii'l  Hofzumft' 1  de,  wo  sicli  aus  der  westlirli  LCi  leL,'eiien 
Moräuenlandiscliait  eine  weite  Niederung  von  nur  10  m  Meerc.shöhe  ent- 
wickelt, die  itt  dem  Bottenhiger  Thal  ftthrt,  ist  der  Blockreichtum 
Terschwuuden  und  es  treten  Sande  und  ein  mächtiges  Lager  von  Bänder- 
thon zu  Tage,  stellenweise  noch  von  hlockarmem  sandigen  Mergel  be- 
deckt. Die  Mi'u  litiLrkcit  rliesor  sedimentären  Ablagerungen  erhellt  aus 
der  artesi.-ichen  Brunnenbolinni^  in  Schlosa  Bothmer,  welche  unter 
Ackererde,  Decklehm,  «»:ell»eiii  Sand  und  blauem  steinfreien  Thon  bei 
60  m  Tiefe  eisenschüssigen  Saud  antraf,  aus  dem  ein  bis  47'  Uber  Tage 
an&pnidelnder  mächtiger  Wassersiarahl  angezapft  wurde. 

Im  Westen  bezeichnen  Vogtshagen  und  Ii  oij ^enstorf  mit 
sandigem  r>ecklehmboden  und  häufig  hervortretenden  hori/rmtal  ge- 
lagerten Feinsanden  das  Ende  des  (rescbiebestreifens;  allerdiii^'^s  sind 
hier  auch  noch  vereinzelte  Blöcke  und  die  Ortscbaften  haben  einzelne 
cyklopische  Mauern,  indes  ist  die  eigentliche  liäuligkeit  verschwunden. 

Der  Geschiebestreifen  setzt  sich  in  sQdastlicher  Richtung  fort  Uber 
die  Orte  Grevenstein,  Pohnstorf,  Moor,  Welzin,  Gutow,  Küssow. 

Eine  Kiesgrube  an  der  Grevensteiner  Windmühle,  circa  50m 
hoch,  zeigt  steil  nach  Rüden  einfallende  verworfene  Schichten  von  Kies 
und  Sand  mit  kalkreichen  Öchlulfzwischenlagen,  angelagert  und  zwischen- 
gekeilt Biocklelmi,  der  oben  zum  Teil  sedimeutiert  ist.  Bei  Welzin 
sehen  wir  eine  strenge  Steinpackung  2  m  n^ichtig,  auf  hSnfig  au&e- 
richtetem  Sand  und  Ghrand.  Eine  interessante  Erscheinung  tritt  bei 
Ranke  11  dorf  und  bei  Rolofshagen  auf:  in  einer  Kiesgrube  östlich 
von  lliinkendorf  lagert  M  m  geschichteter  Kies  auf  blockreicheni  Lehm, 
und  wird  selbst  von  wenig  Deckkies  überlagert ;  in  der  Sandgrube  an 
der  Chaussee  nördlich  von  Rolofshagen  ist  unterdiluvialer  Grand  und 
Sand  TOn  mächtiger  kiesiger  Steinpackung  bedeckt  und  diese  salbst 
nodniuds  von  geschichtetem  Qrand  Uberlagert,  auf  dem  (bis  0,5  m)  wenig 
nük^tiger,  gelber  blockarmer  Geschiebelehm  folgt  Wir  erkennen  hier 
wie  aucb  bei  Grevenstein  eine  mehr  oder  weniger  weit  durchgeführte 
Sedimentierung  der  Gnmdmoräne  des  oberen  Geschiebeiners^els. 

Unter  bedeutender  Verschinälerung  und  mit  Zurücktreten  des 
Blockreichtums  wendet  sich  von  Küssow — Rolofshagen  der  bis  55  m 
hohe  Cteschiebestreifen  mehr  in  östlicher  Richtung  tlber  Warnow, 
Hoikendorf,  Jassewitz,  Jamal«  Gressow,  Hamberge,  so  dass 
die  Gegend  von  Grevesmühlen  Btstam  in  das  sQdliche  normiue  Spatsand- 
gebiet fällt. 

Alsdann  biegt  der  Geschiebestreifen,  als  deutlich  sichtbarer  Höhen- 
rücken von  00 — 80  m  Höhe,  im  Papenberg  bei  Luttersdorf  zu  92  m 
ansteigend,  noch  circa  8 km  breit  nach  Sfldosten,  Ober  Krönkenhagen, 
Lntterstorf,  Beidendorf,  Stieten,  nach  Moidentin  bei  Mecklen- 
burg sfldlich  Wismar:  In  der  Kiesgrube  am  Kirchhof  Ton  Beidendorf 


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286 


Geinita, 


[22 


sind  unterdiluvinle  Grunde  und  Kies,  im  iill<^'fiiu'inen  von  liorizontuhr 
Lagerung,  von  Deckkies  bis  zu  Im  MHcLügkoit  überlagert,  der  zum 
TeÜ  eine  dichte  Stdnpaekong  darstellt 'mit  grossen,  oft  gesehnunmten 
Blöcken.  In  einer  nahe  dabei  nördlich  gelegenen  Kiesgrube  sind  die 
in  ihrer  Lagerung  mehr  gestörten  Kies-  und  Grandechichten  teils  von 
Steinpackunt?  und  lehmigem  Deckkies,  teils  von  strengem  Ges(:lnel)elelim 
bedeckt,  der  in  breiten  riesentopt'artigen  Buchten  in  den  Grand  ein- 
greift; bisweilen  tiudeu  sich  auf  dem  Geschiebelehm  noch  Nester  von 
StoiinpfiGkung.  SOdEch  Ton  Hoidentin  ist  eine  grosse  Kiesgrube  an 
der  Eisenbahn  in  Betrieb,  die  an  einem  etwa  15m  hohen  Anfischlnss 
in  mannigfacher  Weduellagerung  Kies,  Grand,  Sand  und  Schluffsand 
in  fast  horizontaler  Lagerung  mit  unbedeutenden  Verwerfungen  abbaut. 
Diese  unteren  Sande  sind  bedeckt  von  ungeschichtetem,  V  s  — 3  m  mächtigem 
Deckkies  von  ausserordentlich  grossem  Reichtum  an  Blöcken,  das  Normal- 
bild einer  grandigen  Moräne  darstellend. 

Am  Ostofer  des  jetzt  Tertorften  Dambecker  Sees  ist  lings  der 
Eisenbahn  bei  Wendisch  Rambow  und  Nalidin  das  Ende  des  Ge- 
Schiebestreifens  in  der  reichen  Steinbestreuung  der  unteren  Sande  zu 
erkennen.  Der  Forst  bei  Kleinen  zeioi  noch  blockreichen  strengen 
Geschiebemergel ;  dagegen  treffen  wir  au  der  Nordspitze  des  Schweriner 
Sees,  am  Wallensteingraben  und  dem  Lousteuer  See  sowie  bei  Hohen 
Viecheln  den  reinen  unterdiluTialen  Feinsand  zn  Tage  getreten. 

Nach  Norden  kann  man  das  allmähliche  Anreichem  der  Stein- 
bestieuung  auf  den  Feldern  nach  Moid entin  hin  verfolgen.  In  Hohen 
Viecheln  herrscht  der  feine  Saud,  doch  tritt  am  Steilufer  des  Schweriner 
Sees  der  Geschiebemergel  auf.  Weiter  östlich  reiht  sich  das  Sandgebiet 
von  Ventschow  an,  welchem  der  Deckgeschiebemergel  teils  überhaupt 
nicht  mehr,  teils  qpirlich  oder  nur  von  SteinbeBtreuung  vertreten,  er* 
halten  ist. 

Oestlich  von  hier  tritt  eine  Unregelmässigkeit  in  dem  Verlauf  des 
Geschiebestreifens  auf,  durch  wel(ht"  sowohl  die  beiden  benachbarten 
Geschiebestreifen  als  auch  an  nndt  l  er  Stelle  die  südlich  von  ihnen 
gelegenen  Öandterritorien  in  Vnl»iiuli]ii«r  treten. 

Oestlich  von  Hohen  Vieche  in  folgt  die  von  Sauden  und  Thonen 
des  unteren  Dflnviums  eingenommene  Gegend  von  Ventschow,  Bibow 
und  Blankenberg,  welche  an  letärterem  Orte  mit  der  Sandg^^d  von 
Neu  kl  oster  und  War  in  zusammenfliesst.  Fleckenweise,  wie  z.  B. 
bei  Bibow,  tritt  auch  hier  der  obere  Mergel  in  etwas  bedeutenderer 
Mächtigkeit  auf,  zuweilen  ragt  aruli  der  untere  oline  Sandbedeckimg 
hervor,  aber  beide  sind  arm  an  Blöcken,  das  herrschende  Gestein  Lst 
der  feine  Spatsand,  zum  Teil  mit  Steinbestreuung. 

An  die  sich  bei  60  m  erhebende  Gegend  von  Moidentin  lehnt  sich 
im  Osten  bei  Moltow.  Kleekamp,  Tarzow,  Schimm  eine  südsüd- 
westlich-nordnordöstlich streichende  Höhe  an,  die  zunächst  bis  70  m  über 
dem  Meere,  bei  Schimm  zu  80  m  ansteigt  und  im  weiteren  nordöstlichen 
Verlauf  über  Fahren  nach  Zurow  sich  in  dem  Windmühlenberg 
nMlidi  von  Zurow  zu  102  m  erhebt,  um  alsdami  swisehen  Goldebee 
und  Nevern  bald  auf  60  m  abzudachen. 

Auf  der  «Steinkoppel*  bei  Schimm,  7  hm  Östlich  von  Moidentm, 


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23] 


Die  meddenbiitgiBehaii  HOhenrQckeD  etc. 


287 


finden  wir  in  enormer  Miisse  <^'ros?e  erratisciie  Blckke  zu.samniengehUuft, 
zum  Tt'il  im  Boden  unter  ganz  geringer  Erdbedecdvung  liegend,  eine 
Morünenstempackung  bildend,  die  auf  gemeinem  band  und  Grand  des 
Hauptdiluviiuns  auflagert.  Grosse  cyklopische  Stemmauem  um  die 
Koppel,  Anhäufangen  längs  der  Wege,  bedeutende  Entnalimen  für  die 
PflasfceruDgen  in  Wismar  haben  zwar  viel  w^^eraiunt,  aber  noch  nicht 
vermocht,  den  Moränencharakter  zu  verwischen.  Auch  bei  Tarzow, 
Moltow  und  Trams  ist  noch  ein  l)edeutender  Steinreichtum  zu  be- 
merken. Hier  liegen  zalilreiche  kleine  Seen  und  Torfmoore  neben 
Sollen  in  dem  oft  kiesigen,  coupierten  Terrain.  Die  nördliche  Umge- 
bung von  Zurow  ist  eben&IIs  sehr  reich  an  Steinen,  blockreicmer 
oberer  Mergel  oder  lehmiger  Deckkies  bilden  die  Felder  und  den  Gipfel 
des  Windmühlenberges. 

Zwischen  Goldebee  und  Tatow  ist  dieser  nordöstliche  Höhenzug 
nur  durch  eine  circa  4  km  breite,  auf  50  m  herabsinkende  nordwestlich 
laufende  Bodendepression  von  dem  nördlich  verlaufenden  Geächiebe- 
sfare^sn  «POel-Fddberg*  gefarennt 

Nach  Westen  dacht  sieh  der  Streifen  in  die  blockarmen  Sand- 
oder Deckmergelgebiete  laugsam  ab,  nach  Osten  erfolgt  die  Abdachung 
zu  dem  Sandgebiet  von  Neukloster- Warin  rascher.  Der  Südabfall  des 
Streifens  bei  Kleekamp  undJesendorf  zeigt  sehr  schön  das  allmäh- 
liche Verschwinden  der  zuerst  sehr  reichen  Steinbestreuuug  auf  den 
immer  mehr  bei  Yentschow  und  Dämelow  zur  Geltung  kommoiden 
feinen  unterdilnyialen  Sand. 

In  der  an  Seen  und  Depressionen  besonders  reichen  ümgegend 
von  Bibow  und  Blankenberg  ist  der  weitere  Verlauf  unseres  Ge- 
schiebestreifens nur  undeutlich  zu  verfolgen: 

Zwischen  dem  Wariner  und  Bibower  See,  bei  Nisbill  und  Hasen- 
winkel, herrschen  nur  die  Sedimente  des  Unterdiluviums,  feiner  Sand 
und  BänderÜion.  In  südlicher  Richtung  7on  Trams  und  Jesendorf 
treffen  wir  bei  Dämelow  und  Neuhof  lehmigen  Decksand  oder  block- 
armen Deckmergel.  Erst  bei  Jarchow  und  Holdorf  westlich  von 
Brüel  treffen  wir  wieder  auf  grösseren  Blockreichtnm  des  oberen 
Mergels,  der  in  wechselnder  Mächtigkeit  den  unteren  Feinsand  bedeckt. 

Ueber  B  u  c  h  h o  1  z  nach  Retgendorf  zieht  «ich  in  westlicher  Rich- 
tung von  hier  ein  65 — 85  m  hoher  blockreicher  Rücken  zum  Sdnreriner 
See,  als  Querxiegel  oder  westlicher  Auslaufer  von  unserem  Geschiebe- 
streifen nach  dem  südlirh  folgenden  Streifen  VI. 

Die  50 — 70  m  hohe  Gegend  zwischen  Ooh  hen  und  Brüel,  mit 
Decklehmboden  oder  Sand  mit  Steinbestreuung  und  den  zahlreichen 
eigentümlichen  tiefen  runden  Kesseln,  die  trocken  oder  als  kleine  Seen, 
zum  Teil  wie  Pingen  den  Boden  durchsieben  und  dieser  Sandgegend 
einen  s^  eigenartigen  Habitus  yerleihen,  kann  als  sttdOstliche  Fort- 
setzung des  Geschiebestreifens  von  Jarchow  aus  betrachtet  werden. 

Nördlich  von  Brüel  dacht  sich  der  Mergelboden  allmählich  zu  dem 
Thon-  und  Sandgebiet  von  Blankenberg  ab.  Nordöstlich  von  Brüel  aber 
zeigt  sich  bei  Penzin,  au  der  Bahn  in  circa  55  m  Höhe  gelegen,  in 
dem  Gebiet  der  Sande  und  Thone  ein  2 — 4  m  mächtiges  kiesiges  Stein- 
lager, lokal  auch  zu  Decklehm  fibergehend,  unteren  Sand  und  Kies  als 


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238 


GeinitB, 


[24 


nonnaler  Moi^enschutt  überziehend.  Nur  kaum  8  km  breit  trennt 
diese  Mor&ne  das  Sandgebiot  der  Gegend  von  Friedrichswalde  und 
liiibfn/  von  dem  Geschiebestreifen  IV  bei  Eickelberg:  auch  nach 
Osten  ^i'ht  also  hier  ein  ^Ausläufer"  oder  Querriegel  ab.  Südlich  folgt 
Sand  mit  Steinbestreuung  in  dem  Sültener  Forst,  und  bei  Weiten- 
dorf wird  der  Anschluss  an  den  Brfleler  Sieinzug  erreicht 

Hier  durchbricht  in  südwestlich -nordds weher  Richtung  den 
Geschiebestreifen  das  schmale  tiefe  Wamowthal,  wekhes  die  ErosionB- 
vcrbiTvhinir  mehrerer  hinter-  und  nebeneinander  gelegener  Evoraons- 
kessel  darstellt. 

In  südöstlicher  Bichtimg  macht  sich  immer  mehr  der  unterdiluviale 
Sandboden  geltend,  das  grosse  Eaarzer  Holz  und  die  Gegend  von 
Sternberg  zusanunensetsend.  Das  stark  coupierte,  ron  SöUen  und 
tiefen  Kesseln  und  kleinen  Seen  unterbrochene  Terrain  zeigt  durch  ine 
massenhafte  Steinbestreuung  die  Zugehörigkeit  ZU  unserem,  hier  bis 
60  m  hohen  Geschiebestreifen. 

Das  stark  coupierte  Decksaiidgel)i»'t  westlich  von  der  Stadt  Stern- 
berg, mit  40 — 60  m  Meereshöhe,  zeigt  sehr  steinreichen  Decksaud, 
zum  Teü  in  Steinpackung  übergehend,  auf  unterem  Sand  und  Grand; 
in  dem  Deckkies,  der  oft  die  Felder  mit  kopfgrossen  SteingerOllen  wie 
ttberriLet  erscheinen  lässt,  liegen  h'wr  neben  den  nordischen  Gerollen, 
immer  gegen  diese  stark  zurücktretend,  die  bekannten  ^Stemberger 
Kuchen".  Diese  Landschaft  erstreckt  .sich  hier  mit  südlicher  Ablenkung 
von  Sternberg  über  Kobrow,  Schönfeid  nach  Stieten  auf  eine 
Breite  von  etwa  6  km,  im  Wahrsberg  bei  Stemberg  zu  66,5  m  auf- 
steigoid.  Im  Süden,  bei  Demen  und  Buerbeck  entwickelt  sich  all- 
mählicb  der  reine  Spatsandboden  mit  immer  kleiner  und  spärlicher 
werdender  Bestreuunff  von  Steinen,  nur  lokal  mit  etwas  blockarmem 
Deckmergel;  in  gleicher  Weise  verschwinden  die  Gerolle  im  Norden  in 
dem  reinen  Sand-  oder  steinarmen  Mergelboden. 

In  südöstlicher  Richtung  folgt  ein  Höhenzug  durch  den  Turloffer 
Forst  nach  Ruest  und  Techentin,  mit  einer  70 — 90  m  betragenden 
Erhebung,  hauptdkhlidhi  aus  Sauden,  zum  Teil  auch  aus  oberem  Ge- 
schiebemergel zusammengesetzt,  aber  ohne  viel  Steine.  Viele  tiefe  Solle 
und  Kessel  zeichnen  diese  Gegend  aus.  Nördlich  hiervon  breitet  sich 
die  Heide  des  feinen  uuterdiluvialen  Sandes  von  l)al)el,  Klein  Pritz, 
Schiowe,  Dobbin  aus,  welche  ihrerseits  im  Norden  noch  von  einem 
Ausl&ufer  des  Stemberger  Geschiebestreifens  abgegrenzt  wird,  der  bei 
Borkow  mit  dem  Upahler  Zug  in  BerQhrung  tritt  (s.  oben). 

Zwischen  Augzin  und  Mühlenhof  bei  Mesthn  sehen  wir  in  dem 
blockarmen  Deckmergel-  resp.  Sandgebiet  einen  schmalen  deutlich  von 
Nordwest  nach  Südost  streichenden  Höhenrücken  von  8()  m  Erhebung 
als  parallel  dem  Streifen  von  Techentin  laufende  Moräne,  die  wir 
nach  ihrer  Oberflächenbeschaffenheit  gut  als  Endmorftne  bezeichnen 
könnten. 

Als  breiter,  70— 90  m  hoher,  von  seiner  nördlichen  und  südlichen 
Umgebung  sich  wenig  abhebender  Rücken  zieht  sich  der  Geschiebe- 
streifen ans  der  Techentiner  tiegend  wieder  in  der  alten  südöstlichen 
Richtung  über  Seelstorf,  Diestelow,  Penzlin  in  die  Gegend  süd* 


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25] 


Die  meckieuboiigiBChen  Höhenrücken  etc. 


239 


lieh  Ton  Karow.  An  seiner  Nordseite  ist  der  Dobbertiner,  Goldberger 
und  Damerower  See  gelegen,  im  Norden  von  dem  unterdiluTialen  Heide- 
sandareal begrenzt,  im  Süden  2Um  Teil  in  Deckrat'rgellandschaft. 
Letztere,  bei  Zidderich,  Goldberg,  Wendisch  Waren  tiihrt  keinen 
auffälligen  ßlDckreichtom,  gehört  also  schon  zum  Nordende  des  Ge- 
schiebfstreitVns. 

Auf  dem  80  m  hohen  Hellberg  bei  Dobbertin  zwischen  dem 
Dobbertiner  und  Goldberger  See,  wo  bebumÜich  der  LissÜion  und' 
Posidonienadiiefer  zu  Tage  kommt,  herrscht  im  allgemeinen  (als  Be- 
schüttung von  unterem  grauen  Geschiebemergel  oder  von  dem  Liasthon) 


zusammensetzt,  doch  tritt  hier  lokal  auch  >)lockreicher  oberer  Geschiebe- 
mergel auf.  Auch  am  Westufer  des  Goldberger  Sees  tritt  gelber  Ge- 
schiebemergel auf  und  ebenso  am  Lfischowsee.  Doch  ist  dies  Vor- 
kommen von  Geschiebemergel  innerhalb  des  Spatsandgebietes  ein  iso- 
liertes, oder  Ton  unserem  Zuge  bei  Wendisch  Waren  und  Goldberg  nadi 
Norden  abgezweigtes  Areal  zu  nennen,  an  welches  sich  in  nordöstlicher 
Richtung  die  massenliafte  Steinbostreuung  von  Kleis  ton  unschliesst, 
die  mit  dem  nördlichen  Upahl- Grabower  Geschiebestreifen  in  nahe 
Berührung  tritt. 

Eine  Kiesgrube  bei  Diestelow  zeigt  auf  horizontalen  Schichten 

▼on  Grand  und  Sand  konform  aufgelagert  1  m  m'ächtigen  lehmigen  un- 
geschichteten Deckkies,  die  Hauptkontur  des  Hügels  bildend.  An 
anderen  Stellen  ist  der  obere  Geschiebemergelf  welcher  die  Bodenart 
des  Geschiebestreitens  bildet. 

Bei  Karow  trifft  man  auf  das  Grenzgebiet  der  nördlich  vorge- 
lagerten Heide.  Der  Bahneinschnitt  südlich  vom  Bahnhof  Karow  zeigte 
in  70  m  Höhe  2  m  machtigen  sandigen  Deckmergel  mit  zahli>  uhen 
grossen  HlrK  ken,  auflagenid  auf  feinem  Spatsand  mit  dfinnen  Thon- 
zwischensrlnchten.  Auf  den  südlich  hiervon  gelegenen  Feldern  bei 
Leisten  und  Zarchlin  treten  noch  verschiedene  Blöcke  aus  dem  Sand- 
resp.  sandigen  Mergelboden  hervor,  der  Bahneinschnitt  an  der  Leister 
Lanke  (70  m  Htfhe)  lieferte  eboifiüls  sehr  bkMskxeichen  gelben  sandigen 
Geschiebemergel  auf  feinem  Sand  lagernd,  und  eine  benachbarte  Kies- 
grube zeigt  gering  mächtigen  Deckkies  auf  Sand  mit  Thonlagen.  Wäh- 
rend bei  Zarchlin  der  Geschiebemergel  herrsciit,  aber  arm  an  Blöcken, 
Tinterlagert  von  unterem  Geschiebemergel,  zeigt  die  Geirend  von  Plaue r- 
hagen  und  Quetzin  Sand  mit  reicher  Steinbestreuung.  Nach  Flau 
zu  kommt  allein  der  Sand  zur  Geltung,  nur  am  Bahnhof  Plan  trat  noch- 
mals bloekreicher  sandiger  oberer  Mergel  auf  Sand  lagernd  ein;  sfldlich 
der  Stadt  finden  sich  mächtige  Kies-  und  Sandlager,  so  z.  B.  in  dem 
92  m  hohen  Kalüschenberg,  westlich  von  welchem  auch  nochmals 
sandiger  Blockmergel  mit  nnterlagerndem  Steinptlaster  den  Kies  bedeckt 
(wohl  eine  Brücke  zu  dem  südwestlich  folgenden  Parallelzug,  s.  u.). 

OestUch  von  Leisten  und  Karow  zieht  sich  der  Geschiebestreifen 
in  bedeutender  Verengung  Uber  Alt  Schwerin  und  Jürgenshof^ 
Sparow  und  Xossentin  auf  die  Südseite  des  Pleesen.sees  hinttber. 
Der  nördliche  Teil  des  Flauer  Sees,  der  Tauch ow-  und  Krebssee  ge- 
hdren  zum  T«l  in  sein  Gebiet   Seine  Breite  ist  hier  nur  3 — 4  km, 


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240 


Geinitz, 


[26 


seine  Höhe  beträgt  80 — 95  m  und  zeigt  nach  Norden  und  Süden  in  die 
folgenden  Ssiuddistrikte  der  Nossentiner  Heide  und  der  Malchower  Ge- 
gend keine  bemerkenswerten  Abdachungen. 

Teils  nur  mehr  oder  weniger  dichte  Steinbestreuung ,  teils  wenig 
mächtiger  Deckkies,  teils  auch  1 — 2  m  mächtiger  oberer  Blockmei^el, 
auf  unteren  Sanden  lagernd,  bildet  hier  wieder  den  Boden  des  Streifens. 
Die  Eisenbahneinschnittc  südöstlich  von  Alt  Schwerin  entblössten  sehr 
deutlich  diese  Verhältnisse.  Das  Seeufer  bei  Jürgenshof  und  der 
bis  93  m  hohe  Planer  Werder  sollen  den  blockreichen  Mergel  zeigen. 
In  der  nur  noch  zum  Teil  steinbestreuten  Sandgegend  bei  Sparow, 
Silz  und  Nossentin  tritt  lokal  der  blockreiche  Geschiebemergel  auf 
der  hier  anstehenden  Kreide  auf,  oft  nur  in  geringer  Mächtigkeit,  viel- 
fach in  Schichtenstörungen  mit  seinem  Untergrund  verbunden.  Lra 
Süden  triflFt  man  inmitten  des  herrschenden  Sandes  noch  vereinzelte  auf- 
fällige Blockvorkommnisse  im  Deckkies  bei  Petersdorf  und  Lenz,  am 
Südufer  des  den  Planer-  und  Fleesensee  westlich  von  Malchow  ver- 
bindenden Petersdorfersees  (vielleicht  gehört  dazu  auch  die  ,Steeneck* 
am  Plauersee  gegenüber  Plan). 

lieber  den  Fleesensee  setzt  der  Geschiebestreifen  quer  nach 
den  Kreidebergen  von  Göhren  am  Südufer  des  Sees;  doch  sind  mir 
keine  Angaben  bekannt  über  etwa  vorhimdene  Blöcke  auf  dem  Grund 
des  Sees;  Fromm  und  Struck  erwähnen  nur*),  dass  der  See  ,fast 
durchweg  festen  Sand"  besitzt. 

Westlich  und  südlich  von  Göhren  herrscht  Spatsand,  zum  Teil 
auch  oberer  Mergel,  aber  ohne  erheblichen  Geschiebereichtum.  Zwischen 
Penkow  und  Uoez  tritt  man  in  die  coupierte,  an  Sollen  reiche  Mergel- 
landschaft des  Geschiebestreifens  ein,  die  sich  bis  90  m  erhebt,  im  Nor- 
den aber  noch  nach  dem  Göhren — Poppentiner  Kreiderücken  zu  lOOra 
ansteigt.  Unmittelbar  hinter  den  Kreideerhebungen  sieht  man  oft,  z.  B. 
bei  Blücher,  mächtige  Sandablagerungen,  vor  und  hinter  ihnen  oft  block- 
reichen Deckmergel  auf  Sanden,  also  auch  hier,  auf  dem  Streifen 
Göhren,  Blücher,  Poppentin,  Sembzin,  Hinrichsberg,  Sietow, 
Gotthun,  das  gesamte  Diluvium  entwickelt.  Am  Nordostabfall  des 
Höhenzuges  sehen  wir  bei  Grabenitz  und  Klink  die  Sande  und  zum  Teü 
Thon  in  mächtiger  Ablagerung  und  können  zugleich  auf  dem  Weg  von 
Sembzin  über  Klink  nach  Waren  das  Verschwinden  der  Steine  an  der 
Oberfläche  beobachten.  Der  Nordrand  des  Streifens  ist  ziemlich  sicher 
durch  die  am  Südwestufer  des  Kölpinsees  bei  Wendhof  und  Neu- 
Grabenitz  ausgewaschenen  Blöcke  angegeben;  Fromm  und  Struck*) 
bemerken  nämlich  hierüber  folgendes:  „An  der  Südwestküste  des  Cölpin- 
sees  bei  Wendhof  und  Neugrabenitz  liegen  sehr  viele  Geröllsteine,  die 
auch  mehrere  Ruthen  weit  ins  Wasser  hineingehen,  aber  nicht  durch 
dasselbe  fortsetzen,  sondern  vielmehr  in  gleicher  Richtung  landeinwärts 
gehen.  Diese  Richtung  ist  eine  solche,  dass  sie,  in  sehr  schwachem 
Bogen  fortgesetzt,  gerade  auf  den  nördlichsten  durch  die  MUritz  strei- 
chenden Geröllstreifen  stossen  würde." 


*)  Arch.  mecklenb.  Lnndcsk.  1865,  S.  135. 
»)  Ebenda. 


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27] 


IHe  meddenlMii^giMhen  HShenradceii  efcc 


241 


Ueber  die  Verbindung  dieses  und  des  nördlichen  Par;illelzu<<e.s 
durch  die  müchtigeu  Blockvorkommniase  bei  Jabel  ist  schon  oben  (IV) 
Mifcteilimg  gemacht. 

Den  sorgfältigen  üntenuchimgen  von  Fromm  imd  Struck  ver- 
danken wir  di(  Xiirlirichten  Uber  das  weitere  FortsetEen  des  Geschiebe- 
streifens durch  die  Müritz.  Sie  unterscheiden  vier  ,Ger6ll8treifeii''t 
welche  als  TTntiefen  den  See  durchqueren  ^j: 

1.  Der  nördlichste  Streifen  beginnt  als  unmittelbare  Fortsetzung 
des  Poppentin — Sietower  Gesdiiebestxeifens  am  nordwestlichen  Ufer  bei 
Sembzin,  mit  einer  bis  zur  Sietower  Lanka  reichenden  Breite ,  4 — ^9^ 
Wasserhöhe  über  sich,  und  setzt  sich  ,  unzweifelhaft  unter  dem  Wasser 
fort*  (ir  Wasserhöhe)  in  westtistlicher  Richtung  oberhalb  des  Kederank 
am  östlichen  Ufer,  welches  Wesselshop  gensmnnt  wird,  wieder  heraus- 
tretend. ,I)ie  Steine  in  ihm  liegen  so  nahe  und  sind  meistens  so  gross, 
dass  man  das  Aufstossen  auf  sie  iühll,  wenn  man  ein  Senkblei  von 
betriehtliehem  Gewichte  schnell  hinablilMt.* 

2.  ,Ein  /weiter  Geröllstreifen  beginnt  am  östlichen  Ufer  hart  an 
der  nördlichen  Einbiegung  des  Rederank  in  die  MUritz^  wo  das  Hinnen- 
feld lit'gt,  und  wendet  sich  von  Nordost  nach  Südwest  in  solcher  Rich- 
tung, dass  er  in  seiner  Verlängerung  auf  das  Vorgebirge  Steinhorst 
(bei  Ludorf  am  westlichen  Ufer  der  Müritz)  treä'eu  würde.  Bis  zum 
dritten  Teil  der  Breite,  vom  Rederank  Her,  haben  wir  ihn  verlblgt  und 
hierbei  u.  a.  einen  Stein  von  16'  im  Durchmesser  gefunden.  Wahr» 
scheinlich  setzt  auch  dieser  Streifen  durch  das  ganze  Becken  fort,  denn 
am  Vorgebirge  Steinhorst  findet  sich  gleichfalls  eine  beträchtliche  Ab- 
lagerung grosser  erratischer  GeWUle.** 

3.  „Ein  dritter  schmaler  Streifen  ist  östlich  von  Ludorf  am 
sogenannten  Kopf  angedeutet,  dessen  Verlauf  zweifelhaft  ist.* 

4.  «Ein  vierter,  in  dem  sich  ein  Stein  von  circa  14'  Durchmesser 
befindet,  geht  um  das  ganze  hohe  Ufer  des  Klopzower  Eatenortes  hemm 
und  streift  nahe  am  östlichen  Seeufer  bis  nach  Reblin  hin  fort;  er  lässt 
sich  nicht  weiter  verfolgen." 

Bei  Eintragung  obiger  Befunde  in  die  Karte  und  Berücksichtigung 
der  nicht  sicher  nachweisbaren  Fortsetzungen  der  vier  Streiten  in  nord- 
ISstticher  Richtung  erscheint  es  naturgemfisser,  hier  einen  einzigen,  das 
Becken  der  Müritz  in  nordnordwest  -  sttdsüdöstlicher  Richtung  durch- 
ziehenden l)reiten  Geschiebestreifen  anzunehmen,  der  vielleicht  in  seinem 
nördlichen  Teile  einen  Ausläufer  nacli  Osten,  zum  Rederank  und  Hinnen- 
feld entsendet.  Dieser  Zug  wünle  genau  der  südöstlichen  Fortsetzung 
der  Poppeutiner  Kreide  entsprechen. 

In  der  Tfaat  habe  ich  auf  dem  nordöstlichen  Ufer  der  MOritz,  in 
der  Umgebung  des  Rederank,  bei  Federow,  Müritzhof,  Schwarzenhof, 
keine  Spur  von  Steinen  oder  Blöcken  auf  den  flachen  Feinsand-Distrikten 
aufgefunden;  hier  herrscbt  auf  weite  Strecken  der  feine  gelbe  Sand  der 
Heide,  erst  nach  Nordosten  mit  SteinV)estreuung  sich  an  den  nördlichen 
Parallelzug  anschliessend.   Die  Ziegelei  Müritzhof  beutet  ein  unterdilu- 


*)  Aycb.  meeklenb.  Landeak.  1864,  S.  6.  Mit  einer  Karte. 


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242 


Ueinitz, 


[28 


viales  Lager  von  Bänderthon  aus«  der  in  einer  Meereshühe  von  circa 
63  m  von  0,5 — 1  m  tüluTuden  Sandschichteii  bedeckt  ist 

In  direkter  südöstlicher  Fortsetzung  der  von  der  Sietower  Lanke 
über  den  Ludorfer  Kopf  nach  dem  Klopzower  und  Rechliner  Ufer  lau- 
fenden (ioröllennhilufun^  triöTt  man  bei  Roggentin  und  Leppin  eine 
schmale,  nur  zwischen  Holter  Mühle  und  Hof  Roggentin,  d.  i.  iu  eiuer 
Breite  von  li  km,  sich  bemerkbar  machende  Blockanhäufuug ,  dem 
höchstens  1  m  nUtohtigen  Deckkies,  selten  dem  Decklehm  entstammend. 
In  der  Kotzqwer  Heide  südlich  hiervon  tritt  noch  etwas  Steinbestreumig 
auf  dem  feinen  unterdiluvialen  Sand  auf.  (Der  von  Struck  a.  a.  O. 
beschriebene  „Steintan//  bei  Klopzow  bestätigt  wieder  die  Beobachtung, 
dass  die  prähistorischen  Steiiiil'  nkinäler  an  die  geschiebercichen  Gegen- 
den gebunden  sind  und  gewisäerniasäen  als  Leitfosäilien  der  Geachiebe- 
streifen  gelten  kdnnen.) 

Weiter  Östlich  träft  man  auf  dem  80  m  hohen'  Kienhont  an  der 
Qualzower  Ziegelei  mitten  in  der  trostlosen  Sandgegend  von  Babcke 
und  Mirow  in  einer  ziemlich  blockreichen  Deck-Ge.scliiebemergelkuppe 
auf  die  Fortsetzung  des  schmalen  unbedeutenden  Geschiebe.streifens. 
Nördlich  und  südlich  iat  auf  eine  ganz  kurze  Erstreckung  noch  Stein- 
beatreuung  des  Sandes  vorhanden. 

In  südöstlicher  Verllagenrng  sollen  bei  der  üseriner  Mühle, 
zwischen  dem  Useriner-  und  Qiossen  Labussee,  südwestlich  von  Neu- 
strelitz,  sich  Steine  bemerkbar  raachen  und  tritt  auf  der  Höhe  des  zu 
81  m  aufsteigenden  Wörlandberges  bei  Wesenberg  Steinbestreuung 
auf.  In  den  beiden  Ziegeleigruben  östlich  der  »Stadt  Wesenberg  finden 
wir  steinreichen  oberen  Geschiebemergel,  allerdings  arm  an  grossen 
Blöcken,  zum  Teil  auf  BSnderthon  lagernd.  Zwischen  hier  und  Ahrens- 
berg  gewahrt  man  auf  den  Feldern  eine  reiche  Stein-  und  Block- 
bestreunngf  meist  dem  Deckkies  «itstammend,  zum  Teil  auch  dem  Deck- 
lehm. Am  Sndufer  des  Drewensees  sieht  man  im  Forst  Wildhof  noch 
ziemlich  reichlich  Steine  auf  dem  Sand,  und  in  der  Nähe  des  Forst- 
hofee  Drewiu  tritll  mau  uochmai»  m  einer  kleinen  Grube  auf  ziemlich 
steinreichen  oberen  C^chiebelehm.  Hiw  in  der  Kfthe  wurden  auch  von 
Oörner  viele  der  schönen  Huschelkalkgeschiebe  (in  dem  Decksand)  ge- 
fbnden^  welche  im  Neustrelitzer  Museum  aufbewahrt  sind. 

1(  Ii  habe  die  weitere  Fortsetzung  des  Gescliiebcstreifens  durch  dit- 
ausgedehnten  Waldungen  des  südöstlichen  Mecklenburg -Strelitz  nicht 
weiter  verfolgen  können.  Boll  gibt  an,  dass  er  in  südöstlicher  Rich- 
tung zwischen  FUrstenberg  und  Dannenwalde,  Joachimsthal  und 
Alt  KUnkendorf  bis  in  die  Gegend  von  Oderberg  veriäuft.  Hier 
ist  es  der  von  Berendt  und  Remels  näher  bekannt  gemachte  Geschiebe- 
wall von  Liepe  zwischen  Oderberg  und  Eberswalde,  welcher  die  un- 
mittelbare Fortsetzung  unseres  Geschiebestreitens  darstellt 


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29] 


Die  mecklenburgicchen  H&haufloken  ekc 


243 


Tl.  Gesehiebestreifen:  ^Brothener  Ufer?  —  Ivendorf  —  Schwan* 
beek  —  Mäblen  Kichsen  —  Rogensee  —  Retgendorf  ^  Karnin  — 
Fraiieiijnark  —  Lttbz  —  Staer  —  BAtow^, 

Dieser  Zug  tritt,  vielftich  weit  weniger  dentlich  hervor  als  dio 
beiden  vorigen;  seineu  Verlauf  habe  ich  nicht  ganz  kontinuierlich  ver- 
folgen können. 

LängH  des  .Brothener  Ufers*  nördlich  von  Travemünde  findet 
man  ahnlich  wie  am  Eltttaer  Ort  «  ine  grosse  Menge  zum  Teil  sehr 
schön  geschrammter  grosser  Go^jchiebe  aus  dem  hier  klintartig  abge- 
brot henen  unteren  und  ()i>eren  Ueschiebemergel  herausgewaschen.  Der 
obere  Mergel  hat  oft  mehr  Geschiebe  als  der  untere;  bis  '6  m  mächtig 
igt  er  zmn  Teil  auch  sehr  zurücktretend  oder  verschwindet  auch  ganz, 
mid  es  tritt  alsdann  der  untere  Sand,  der  an  vielen  Stellen  fthnfichot 
wemi  auch  nicht  so  schöne,  Schichten  Störungen  in  seinen  zwischen  bei- 
den Mergeln  eingelagerten  Massen  zeigt«  als  Tagesbedeckung  des  unteren 
Mergels  auf. 

Geht  man  am  Ufer  der  Trave  südwärt«  von  Travemünde,  so  trifft 
man  bald  bei  Ivendorf  massenhafte  Blöcke  aus  dem  oberen  Geschiebe- 
mergel  herausgewaschen.  Eine  Kiesgrube  an  der  Bahn  zeigt  hier 
mächtigen  steinreichen  Deckkies.  Bis  Dummerstorf  zeigt  das  Ufer 
blockreichen  oberen  Mergel  m  mächtig,  auf  oft  ausserordentlich  mäch- 
tigen unteren  Sainlen.  deren  Liegendes  grauer  unterer,  thoniger,  block- 
armer Mergel  ist,  «lit  iil»er  auch  gänzlicli  vei^eliwinden  können  und  dann 
den  oberen  Mergel  auf  unterem  lagern  lassen.  An  melu-eren  Stelleu 
wird  auch  Deckkies,  der  als  mächtige  Steinpackung  auftritt,  in  Kies- 
gruben abgebaut.  Aehnliches  zeigt  ebe  Kiesgrube  bei  WaldhuseUt 
landeinwärtsS,  wo  roh  geachichteter  lehmiger  Deckkies  in  1  m  Mächtig- 
keit auf  horizontalen  unteren  Banden  und  Grandt  ii  lagert.  In  dem 
Deckkies  des  Travenfers  finden  sich  viele  der  grUnen  Glaukonitpläiier- 
Sandsteine  von  Heiligeuhafeu-Brunshaupten. 

Der  G^Bchiebestreifen  setzt  wahrscheinlich  am  Grund  des  Das- 
sowersees  fort.  Bei  Schwanbeck  unweit  Dassow  tritt  oberer  Lehm 
auf,  mit  einigen  Blöcken,  während  die  Gegend  nördlich  von  Dassow  frei 
davon  ist;  südlich  von  Schwanbeck,  nach  Kleinfeld  und  Schönberg  hin,^ 
verschwinden  au(  h  .sehr  bald  die  Geschiebe.  Die  2<)  m  hoch  gelegene 
Ziegeleigrube  von  Öchwanbeck  zeigt  diskordant  auf  (i.stlich  einfallenden 
Grand-  und  Sandschichton  strengen,  blockreichen  Geschiebemergel  in 
einer  Mächtigkeit  von  1  m,  die  sich  auch  auf  0  reduzieren  kann. 
Zwischen  Schwaubeck  und  Sdmstorf  ist  der  Lehmboden  ausserordent- 
lich reich  an  Geschieben 

Das  nächste  Weiter.sfreirhen  des  Geschiebezuges  konnte  ieh  bis- 
her nicht  genügend  verfolgen,  ich  njuss  niidi  bescheiden,  einige  I 'unkte 
anzuführen:  Bei  Hanshageu  nordöstlich  von  Kehna  treten  wenig  Blöcke 
in  dem  2  m  mäclitigen,  in  Biesentö^en  in  unteren  Sand  eingreifenden 
oberen  Mergel  auf.   Bei  Rflting,  Wttstenmark,  Mtthlen-Eichsen 


*}  VgL  Boll,  AbriH  d.  meddcnb.  LMidesk.  8.  360. 


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244 


GeinikB, 


[ao 


und  Gross  Eichsen.  an  dem  Thale  der  Stepiiitz,  zeigt  das  'lO — tjt)  m 
hohe  Plateau  mehrfach  im  oberen  Merkel  resp.  Deckkies  ziemlich  reich- 
liche Blöcke  t  die  sttdwesilich  nach  Vietlttbbe  yerschwinden,  sich  aber 

ostwärts  nach  Moltenow,  Schönhof  und  Dallieudorf  fortseteen. 
Ueberall  liat  das  obere  Diluvium  nur  geringe  Mächtigkeit,  meist  unter 

3  m,  gewöhnlich  nur  1  — 2  m.  Dalliendorf  bildet  eine  Verbindung  nach 
dem  vorigen  Parallelzug,  indem  4  km  östlich  davon,   durch  Hie  Dam- 


Wendisch  Bambow  sich  hier  ansehliesst.  Südlich  hierfon  sduiesst 
sich  die  steinreiche  Gegend  von  Rugensee  und  Lflbstorf  am  Schweriner* 
see  an.  In  Bu^ensee  treffisn  wir  3  m  Idimige  Steinpackung,  auch  Block- 

mei^el,  cyklnpische  Mauern  u.  s.  f. 

Auf  der  (Jstseite  des  Schweriner  Sees  findet  man  bei  Ketgen- 
dorf  in  flachen  Lehmgruben  0,5 — 1,5  m  mächtigen  oberen  Mergel  oder 
Deekkies  mit  grossem  Reichtum  an  Blöcken.  Nördlich  bei  Schlags- 
dorf treten  die  Blöcke  zurflck,  im  Sflden  sind  sie  noch  bei  Cambs 
in  wechselnder  Menge  vorhanden.  Auch  weiter  südlich,  bei  Zittow 
und  Langen-Br ätz  treffen  wir  noch  viel  Steine  auf  den  Feldern,  in 
cyklopisrheii  Mauern  u.  s.  w.,  die  aus  dem  blockreichen  Deckmergel 
oder  Deekkies  stammen,  der  hier  1 — 2  m  mächtig  unteren  Grand  und 
Sand  Uberlagert.  Das  hier  bis  60  m  ansteigende  Plateau  wird  bei  der 
lUchenberger  MOhle  bei  Kamin  von  der  Wamow  durchschnitten  in 
tiefem  Erosionsthal;  die  Höhe  desselben  zeigt  hier  eine  ganz  enorme 
Steinbestreuung,  die  Thalwände  den  unterlagemden  mächtigen  Hauptsand. 

Zur  Aufsuchung  flor  nördlichen  (trenz«'  gehen  wir  nördlich  und 
nordöstlich  nach  Kleefeld,  wo  im  Deckmergcl  die  Steine  noch  reich- 
Uch  sind,  und  Brahlstorf  und  Liessow,  wo  ebenso  wie  südlich  von 
Buehholz  die  Steine  in  dem  Mergelboden  surQcktreten.  Hier  bei 
Buchholz  nach  Jarchow  hin  scheint  in  dem  herrschenden  oberen  Gte- 
schiebemergel  das  Oebiet  unseres  Oeschiebestreifens  mit  dem  nördlich 
vorgelagerten  zusammenzufliessen.  Bei  Buehholz  finden  sich  noch  zahl- 
reiche Blöcke  im  Deckmergel. 

Nach  Südosten  scheiden  sich  die  beiden  Streifen  besser  vouemauder. 
Bei  Eeez,  Nutteln,  Qustävel,  Zaschendorf  und  Müsselmow 
treten  die  Steine  auf  dem  Ton  Söllen,  Seen  und  Thallftufen  untere 
})rochenen,  aus  Deckmergel  und  unteren  Sauden  zusammenge.^etzten 
Plateau  melir  zurück,  wenn  auch  in  den  Dr>rfem  noch  einige  cyklnpische 
Mauert)  das  Vorhandensein  einiger  erratischer  Blöcke  auf  den  Fluren 
andeuten. 

Sudöstlich  von  Kamin  liegt  K  ritz ow  mit  einer  ausserordentlichen 
FfiUe  von  Blöcken,  welche  dem  Deckkies  entstammen,  der  auch  als 

dichte  Steinpackung  meist  nur  bis  0,5  m  mächtig  die  unteren  Grande 
und  Sande  bedeckt;  das  stark  coupierte  Terrain  ist  von  vielen  Sollen 
und  Kesseln  unterbrochen,  es  hat  eine  von  f)0 — 80  m  wechselnde  Meeres- 
höhc.  Bei  Vorbeck,  Augustenhof  und  Basthnrst  treffen  wir  eben- 
falls massenhafte  Blöcke  oder  dichte  Steinbestreuuug  auf  dem  hier  zu 
Tage  tretenden,  40 — 45  m  hoch  gelegenen  SpatsandbodoL 

Bei  Kladow-Gftdebehn  an  der  Wamow  haben  wir  Sand  mit 
Steinbestreuung,  und  eine  Sandgrube  zeigt  auf  mächtigem  gelben  Spat- 


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Die  meddenbiugiMiheii  HdheDrücken  ete. 


245 


sanrl  «'ine  horizontale  0,2.')  m  diokf  Stein packung,  welche  noch  von  1,5  m 
feinem,  horizontal  geschichtetem  Grand  überdeckt  ist. 

Im  Westen  schliesst  sich  hier  jenseits  des  Warnowdiirchbraches 
der  Steimreiclitam  toh  Petersberg  und  Pinnow  an,  eine  Verbindung 
snm  sttdlich  folgenden  Streifen  anbahnend. 

lieber  den  weiteren  südiistlichon  Verlauf  kann  ich  Tiii  ht  eingcliond 
berichten.  In  der  Umgebung  von  Crivitz  ist  Deckkies  resp.  Stein- 
bestreuung  auf  dem  unteren  Sand  wahrzunehmen,  ohne  der  Landschaft 
den  Charakter  des  Geschiebestreifens  zu  verleihen.  In  Zapel  trifft  man 
oroese  Blöcke;  auch  in  dem  Eichholz  bei  Crivitz  ist  steinreicher  Deck- 
kies in  1  m  Mächtigkeit  als  Bedeckung  von  fettem  Thon.  In  Frauen- 
mark und  Severin  sUdö.stlich  Crivitz  zeigen  reiche  Steinmauern  den  Ge- 
schiebestroifen  an.  Wahrscheinlich  gehört  auch  Grt  bbin  mit  dazu, 
wo  in  flachen  Torfdepres.sionen  die  Warnow  ihren  Ursprung  nimmt. 

Weiter  im  Südosten  treiien  wir  bei  Luthe  ran  uudLübz  (östlich 
von  Parchim)'  den  Geschiebestreifen  wieder  an:  bei  Lutheran  seifft  der 
Bahneinschnitt  auf  feinem,  gelbem  Spatsand  1 — 2  m  sandigen  Bloodehm 
mit  zahlreichen  grossen,  oft  schön  geschrammten  Geschieben.  In  der 
Lehmgrube  an  der  Chaussee  hinter  Lutheran  erreiclit  der  Blocklehm 
eine  Mächtigkeit  von  circa  i  m;  auch  hier  unterlagert  ilin  Spatsand. 
OestUch  Yon  Lübz  bis  vor  Brook  tritt  der  Sand  mehr  zu  Tage  unter 
geringer  BlocUefambedeckimg,  das  Terrain  zeigt  aber  noch  reiche  Stein- 
bestreuung.  Der  Geechiebestreifen,  der  hier  von  dem  Eldethal  durch- 
quert wird,  hat  hier  eine  Breite  von  circa  5  km. 

Nach  Südosten  habe  ich  den  Streifen  bis  Stuer  nirht  verfolgt ; 
ich  gebe  demnach  seinen  vermutlichen  Verlauf  auf  der  Karte  nur  mit 
Strichen  an.  In  Stuer  am  Südzipfel  des  Flauer  Sees  iiudet  man  einen 
grossen  Reichtum  an  Blöcken,  sowohl  in  dem  mächtigen  oberen  Ge- 
sdnebemeigel,  als  auch  in  dem  unteren  und  zum  Teil  in  den  unteren 
Oertülagem.    Der  Blockreichtnm  setzt  nördhch  fort  bis  Suckow. 

Von  hier  setzt  der  Stein-  und  Blockreichtum  in  südöstlicher  Rich- 
timg  fort  über  Hogeez,  Finken.  Leizen,  Bütow,  (Karabs.  Melz, 
Priborn?)  nach  den  Seen,  die  sich  an  den  Südzipfel  der  Müritz  an- 
schliessen.  Bei  Rogeez  und  Alt  Stuer  hat  man  den  Typus  der  block- 
nkhen  MorBoenlandschaft,  auch  Dammwolde  im  Sfiden  zeigt  noch  in 
dem  lehmigen  Deckkies  oder  im  Deckmergcl  sehr  viel  Steine. 

Der  Geschiebestreifen  scheint  weiter  nach  Südosten  in  die  Gegend 
von  Zechlin  zu  verlaufen. 


VII.  Geschiebestreifen:  ^Batzebarg  —  Bachholz  —  Wahrholf  — 
Sehwerlo  —  Pinnow  —  Parehiin  —  flamltier  Berge^. 

Dieser  Zug  läuft  zum  Teil  sehr  nahe  neben  dem  vorigen. 

Bei  Ratze  bürg  beginnt  mit  stark  coupiertem  Terrain  (südlicher 
Thalbeginn  des  Sees)  der  blockreiche  Geschiebemergel,  der  sich  wahr- 
scheinlich weiter  muniworts  fortsetzt. 

Nach  Südosten  bei  Salem  und  Kogel  herrscht  nur  Spatsand 


a 

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246 


Geinits, 


[32 


von  Heidetypus,  zum  Teil  mit  wenig  Steinbestreuung,  erst  bei  See- 
dorf am  äcbaalsee  beginnt  der  Blockreichtum  der  Gegend  von  Zarren- 
tin (s.  u.)> 

In  dem  weiteren  Verlauf  des  Streifens  habe  ich  znnSchsl  bis  in 
die  Gegend  von  Gadebusch  eine  Lücke  aus  Hangel  an  Beobachtungen 
lassen  müssen. 

Nördlich  von  Gadebusch  bei  Buchliolz  besteht  das  üO— ()5  m 
hohe  Plateau  aus  oberem  Geschiebemergel  ohne  erheblich  viel  Steine. 

Bei  Wahr  holz,  nordwestlich  von  Schwerin,  erscheint  der  Ge- 
schiebestreifen auf  einem  80— 90  m  hoben  Pkteau,  das  als  schmaler, 
drca  2 — 3  km  breiter  Rücken  von  Südwesten  nach  Nordosten  zwischen 
Ilerren-Steiufeld  und  Gottmannsforde  nach  Nienmark  verläuft,  im  Hütten- 
berg die  Höhe  von  9G  m  erreichen»!,  im  Südwesten  bei  Rosenhagen  und 
Gross  Brütz  im  Gadebuscher  Berg  90  m  hoch.  Auf  der  GO  m  hohen, 
rasch  zu  bü  m  ansteigenden  Wasserscheide  zwischen  den  ThiUeru  des 
KeomQhlersees  nnd  der  Stepnits  triffl;  man  bei  Wahrholz  auf  hori- 
zontalen oder  flach  geneigten  Schichten  von  unterem  Grand  und  Sand 
eine  0,5 — 1,5  m  mächtige  Bedeckung  von  lehmig  kiesiger  Steinpackung; 
Thalkessel  und  Sidle,  zahlreiche  Blöcke  auf  den  lehmigen  Sauden  bieten 
das  Bild  der  ecliten  Moränenlandschaft. 

Nach  Süden  daclit  sich  das  70  m  hohe  Deckmergelplateau  bei 
Gross  Brtttz  und  Gottesgabe  nach  Grambow  sehr  allmählich  ab, 
im  Qrambower  Moor  eine  Niederung  Ton  48  m  Höhe  bildend.  Die 
Blöcke  reichen  bis  Grambow,  während  sie  bei  Wittenförden  stark 
zurücktreten  und  hier  der  2 — 3  m  mächtifre  Deckmergel  olme  erheblichen 
Blockreichtum  feuien  Sand,  Grand  und  Kies  des  Hauptdiluviums  bedeckt. 

Der  schöne  Flusssee,  Neuraühler  See,  zeigt  in  seinen  Erosions- 
aufschltlssen  den  Bau  des  Plateaus,  oberer  Mergel  bis  höchstens  3m 
nü&chtig  auf  unteren  Senden.  Zwischen  dem  NeumOhler  und  Lankower 
See,  wo  der  Mühlenberg  zu  70  m,  h  r  Weinberg  zu  86  ra  ansteigt, 
treffen  wir  sandij^ien  Decklehm  mit  zahlreichen  Blöcken,  bei  Neumühlen 
bis  zur  Sudspitze  des  Lankower  Sees  massenhafte  Steinbestreuun<^''  der 
Felder,  in  der  Lehmgrube  der  grossen  Ziegelei  blockreichen  Deeklehm. 

Weiter  linden  wir  in  der  westlichen  Vorstadt  von  Schwerin  nördlich 
Tom  Ostorf  er  See,  bei  der  NeumQhle,  am  Galgeuberg,  am  neuen  Kirchlutf 
und  in  den  hier  gelegenen  Gärten,  in  der  sogenannten  Schweriner  Schweiz, 
in  ganz  ausgezeichneter  Form  die  typische  Moitoenlandschaft  mit  den 
zahlreichen  tiefen  Sollen  und  Kesseln  nnd  mit  massenhafter  Blockbe- 
streuung.  Am  (TnlLjenber«?  zeigen  einige  Kiesgruben  mächtige  horizontal 
geschichtete  Grande  und  Sande  mit  Kiesschmitzen,  bedeckt  von  1 — 3  m 
ungeschichtetem  rostbraunem  Blockkies,  in  einer  anderen  Kiesgrube 
sind  die  unteren  Sande  mehrfach  in  ihrer  Lagerung  gestört  und  zum 
Teil  von  Blockraergel  bedeckt.  Vielfach  werden  auf  den  Feldeni  die 
grossen  Steine,  „Felsen".  .Mn^tLfdniddelt"  und  man  erkennt  hier  in  ver- 
schiedenen Meeresliöheu  die  uoiniale  Moränensteinpackuug. 

Auch  in  der  eigentlichen  W'estvorstadt  Schwerins  trifft  man  oft 
einige  Blöcke  in  dem  oberen  Geschiebemergel,  der  hier  unmittelbar  auf 
grauem,  unterem  aufsitzt  (so  dass  die  Brunnen  hier  erst  bei  60'  (18  m) 
Tiefe  wasserhaltigen  Sand  antreffen). 


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Die  mecklenburgischeu  Höhenruckeu  etc. 


247 


Die  niedriger  gelegenen  Teüe  der  alton  Stadt  zeigen  nur  Sand, 

der  auch  südlich  der  Stadt  herrscht,  vielfach,  wie  vor  Zippendorf  und 
bti  Ostorf,  noch  von  Blockkies  oder  Geröl Hullern  bedeckt,  oiltr  aiuli. 
wie  bei  MUss  am  SUdui'er  des  äees,  von  steinreichem  oberen  üeschiebe- 
mergel. 

Durch  den  südlichen  Teil  des  Schweriner  Sees  setzt  das  Stein- 
lager nach  Ostsüdost  fort,  wie  einzelne  groese  Steine,  .der  grosse  Stein*, 

im  See  und  der  blockreiche  Deckmergel  im  Kaninchen-  nnd  Ziegelwerder 
zeigen.  Gleichfalls  eine  weitere  östliche  Fortsetzung  trifft  man  am  Südost- 
ufcr  des  Sees  Iki  Rabensteinfeld.  Die  romantischen  Steilufer  des 
Srhwcriner  und  des  Piniiower  Sees  zeitigen  hier  mächtisxc  Moriinenablage- 
ruugen,  Blocklehm  und  Blockkies  iu  einigen  Metern  Maclitigkeit ,  auf 
untren  Sauden  oder  auf  unterem  Geschiebanergel  lagernd.  Die  zahl- 
rdchen  grossen  Geschiebe  dieser  Ablagerungen  wurden  seiner  Zeit  mit 
SU  dem  stolzen  Bau  des  Schweriner  Schlosses  verwendet. 

Der  Steinreichtum  setzt  nr»rdlich  nach  Gör  slow  fort  und  reicht 
östlich  bis  Pinnow  und  Petersberg.  Während  die  niedrige,  bis  4()  ni 
hohe  Gegend  von  Pinnow  nur  feinen  Spatsand  mit  unbedeutender  Klein- 
atembes&eunng  zeigt,  treffen  wir  auf  dem  stekoi  gebliebenen  Plateau- 
rest,  der  in  dem  Petersberg  dieselbe  Höhe  von  67  m  bat  wie  die  Ufer 
von  Rabensteinfeld,  noch  zahlreiche  Steine  und  Blöcke,  dem  Deckkies 
entstammend,  der  hier  in  geringer  Mächtigkeit  die  unteren  Sande  be- 
achüttet.  Djls  Wamowthal  und  seine  abgeschwemmten  Uferhöhen  trennen 
bei  Augustenhof  das  Gebiet  unseres  Gescliiebestreifens  von  dem  nörd- 
lich vorgelagerten,  offenbar  aber  nur  durch  die  später  erfolgte  Erosion, 
▼or  welcher  beide  Geachiebeanhäufungen  hier  in  Verbindung  gestanden 
haben. 

Südlich  vom  Pinnower  See  herrschen  die  Blöcke  noch  in  dem 
iiabensteinfelder  Forst,  der  einen  keilförmigen  Plateaurest  zwischen  dem 
Störtbal  von  Müss  und  der  Zietlitzer  Niederung  bildet.  An  l)ei<]cii 
Steilufern  sind  die  unteren  Saude  und  Kiese  angeschnitten,  zum  Teil 
mit  Schicbtenbiegungen,  unter  einer  Bedeckung  von  1 — 8 — 5  m  mächtigem 
daenschüssigen ,  zum  Teil  geschichteten  groben  Deckkies  (unter  desseii 
grossen  Blöcken  häufig  die  Sternberger  Sandsteine  vorkommen). 

Die  ^ich  in  südöstlicher  Richtung  anschliessende  etwa  40  m  hoch 
fjeletrene  Kbene  von  Zietlitz  und  Suckow  weist  an  Zahl  und  Grösse 
zurücktretende  Steinbestreuung  auf;  sie  ist  als  eine  durch  Abschwem-. 
mung  gelieferte  ünterbrechuug  des  GeschiebeBfareifens  insofern  anzu- 
sehen, als  auf  den  jenseitigen  Höhen  bei  Göhren,  Settin  und  Tramm 
sOdlieh  Ton  Crivitz,  der  Blockreichtum  fort>rtzt.  In  der  Lehmgrube 
des  66  m  hohen  Lelimlterijes  bei  Göhren  tritt  der  untere  blockreiche 
Geschiebemergel  hervor,  zum  Teil  von  dünnen  Kies-  und  Sandschmitzen 
und  weiter  von  0,5 — 1  m  oberem  Mergel  bedeckt,  an  dessen  unterer 
Grenze  ein  Steinpflaster  hegt.  Die  Felder  zeigen  massenhafte  Stein- 
beatreuung:  auch  bei  Settin  haben  wir  untere  Sande  mit  reicher  Stein* 
beatreuung;  dasselbe  in  Göhren  und  Tramm. 

Die  Nordgrenze  des  Streifens  läuft  bis  hierher  in  grosser  Nähe 
von  dem  als  Sudt^renze  angenommenen  Distrikt  des  vorigen  Parallel- 
streifens, möglicherweise  auch  mit  ihr  verschwommen. 

FoHMhungen  tax  dentacbeB  Landes-  und  Volkskunde.  I.  5.  18 


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248 


0«miti, 


[a4 


Etwas  deutlicher  markiert  sich  die  Südgrenze  unseres  Geschiebe- 
sfroifens;  wir  wandern  zu  ihrer  Auffindung  sUdwefltwSrte  von  Schwccin: 
Der  deutlich  ausgeprägte,  nordwestlich  streichende  Edhenrücken  von 

Wittenfijrden  zeigt  zwischen  Neumühle  und  Rogahn  nur  unbedeutende 
Steinbedeckung;  dagegen  beginnt  bei  Klein  R  ogahn  in  der  Höhe  von 
70 — 5r>  m  die  Steiiihedeckung  in  dem  Decklehm,  wenn  auch  nicht  in 
hervorragender  Massenhaftigkeit.  Weiter  zeigt  die  Kiesgrube  in  Gross 
Rogahn  0,5 — 2m  mächtigen  sehr  steinreichen  Deckkies,  resp.  lehmige 
Stempackung  auf  Kies  und  Orand;  im  Dorfe  sehen  wir  mSchtige  cy- 
kU>pi8che  Mauern.  Die  Blöcke  setzen  in  wechselnder  Menge  fort  Uber 
Stralendorf  nach  WalsmOhlen,  wo  1 — 2m  mächtige  lehmige  Stein- 
packung Sand  mit  Thonscliichten  bedeckt,  mit  grossen  Blöcken,  ferner 
weitfq-  nach  D  ü m  m  e  rh  ü 1 1  e,  wo  ebenso  wie  in  Walsmiüilen  viele  Blöcke 
aul  den  lehmigen  Feldern  liegen  und  mächtige  cykio^jische  Mauern,  das 
stark  coupierte  Terrain  u.  a.  m.  die  MorSnenlandschaft  anzeigen.  Zttlow, 
Dummer,  Perl  in  sind  durch  gleiche  Massen  von  Blöcken  ausgezeichnet. 
Das  Deckdiluvium  ist  meist  wenige  Meter  müchtiger  oberer  Mingel  oder 
auch  Blückkies,  auf  Ovntvlen  und  Sanden  des  Hauptdüuviums lagernd, 
zuweilen  mit  starker  Schiclitenstöruug. 

Die  Trennung  von  dem  nördlichen  Teil  des  Geschiebestreifens 
durch  da»  Gramhower  grosse  Moor  ist  wohl  nicht  bedeutend  genug, 
um  hier  zwei  selbstöndige  Streifen  anzunehmen. 

Südlieh  vom  Dümmer  See  ist  auch  noch  bei  Parum  reiche  Block- 
anhaul'ung  zu  konstatieren  .  meist  in  leliniigem  Deckkies,  der  sich  zum 
Teil  auch,  wie  in  den  Parunier  Bergen,  m  Nestern  von  Blockmergel 
gestaltet.  Bei  Schossin  und  Mühlen beck  ist  der  Blockreichtum  noch 
nicht  erschöpft;  zwischen  beiden  Orten  zieht  sich  ein  schmaler  Rücken 
mit  Steinpackung  in  nordwestlicher  Richtung  hin,  der  sich  mit  60m 
Hohe  schön  aN  Morilne  von  dem  niedrigen  Terrain  abhebt. 

Bei  Mühlenbeck  und  der  Sudenmühle  kann  man  in  dem 
50 — 45  m  hohen  (al»ges(  hw(>mmten)  Sand  mit  geringer  Steinbestreuung 
das  Ende  der  Geseliie))eanhiiufung annehmen;  nördlich  davon,  bei  Kothen- 
dorf führt  uns  eine  Steinbestreuung  des  Sandbodens  zurück  zu  der 
bhockreidien  Deckmergelgegend  von  Walsmühlen. 

Auch  die  Eisenbahn  zwischen  Haffenow  und  Schwerin  ftlhrt  dem 
Reisenden  den  Uebergang  aus  der  süäichen  Heide  in  das  Oebiet  des 
Geschiebestreifens  recht  deutlieh  vor  Augen.  Von  ITa'jenow  aus  der 
Heideebene  kommend  findet  nifui  bald  hinter  dem  Aulialt  Zaclmn  sj)Ur- 
liche  Steinbestreuung  auf  dem  ISaudboden,  die  alsbald,  bei  Lehmkuhlen 
und  Holthusen  zu  immer  reicherer  Beschüttunff  sich  herausbildet. 

Dasselbe  gewahrt  man  in  der  weiten  Sandebene,  die  sich  wie  ein 
isländischer  „Sandr*  ')  südlich  von  Schwerin  in  dem  Forst  Buchbolz 
und  den  Fluren  nördlich  von  Sülstorf  und  Sültcn  ausbreitet.  Aus  der 
spärlichen  Steinbestreuung  bei  Sülstorf,  einem  steinarmen,  nur  bis  0,3  ni 
mächtigen  Decksand  entstammend,  gelangt  man  bei  Buch  holz  oder 
Plate  in  reiche  Stein-  und  Blockbeschüttung  der  dortigen  unteren 


>)  Vgl.  Keilhack:  Tgl.  Beob.  an  iillad.  OletMher*  vu  nordd.  Dilavial'Ab- 
lagerangen.  Jährt»,  d.  preun.  geoL  L.  A.  1883.  8.  162. 


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35] 


Die  mecklenbiugischen  HöhenrQckeii  etc. 


249 


Saude,  aus  der  sich  auch  mehrfach  lelimiger  Kies  uud  Deckmergel 
entwickelt.  * 

Der  Geschiebestreifen  hat  somit  swischeii  Schwerin  und  Param 
resp.  zwischen  Ziegelwerder  und  HolthuBen  die  bedeutende  Breite  Ton 

16  resp.  1 1  km. 

JSiullich  vou  Sülteu  erln'ht  sich  bei  Rastow  ein  isoliertes  block- 
reiches  Gebiet  schwach  au.s  der  Saiidiebene ,  das  als  südöstliche  Fort- 
setzung von  Perlin — Parum  gelten  kaun.  Ziegeleigruben  zeigen  block- 
reidien  oberen  Oeschiebemergel  in  der  Mftchtigkeit  Ton  einigen  Metern, 
zum  Teil  untere  Sande  und  Grande  mit  starker  Schichtenaufbiegung, 
zum  Teil  unteren  Mergel  und  Tlion  bedeckend.  Durch  Auswitterung 
und  Ausschlämmung  i.st  er  häufig  zu  Deckkies  umgewandelt,  an  den 
Gehängen  der  tiacheu  40  —45  m  hohen  Kuppen  findet  man  daher  vSand 
mit  reicher  Steiiibestreuung.  Besonders  schön  ist  ein  Auischluss  am 
WindmQhlenberg.  Unterer  Gtoechiebemergel,  blauer  Thon,  Sehluffsand 
sind  mehr&di  in  einander  gestaucht  durch  oberen  Geschiebemei^el;  zum 
Teil  lagert  an  diesra  Massen  mächtiger  Spatsand  und  Kies,  auf  welchem 
l)t(k>;and  mit  einem  unteren  Steinpflaster  (liier  viele  Dreikanter)  folgt; 
diese  Decksandmassen  sind  von  Nordwesten  her,  d.  h.  von  der  aus 
LUbesse  nach  Südwesten  verlaufenden  Thahiiederung  her,  an  den  Berg 
angelagert  In  weiterer  Entfernung  zeigt  sich  an  der  Abdachung  dieser 
Erhöhung  nur  Sand  mit  Kleinstembestreuung  in  gemeinen  Heidesand 
übergehend.  Auch  bei  Ortkrug  herrscht  wenig  Decksand  mit  kleinen 
Steinen,  zu  derselben  Landschaft  von  Sülten  im  Norden  hinüberleitend. 

Oestlich  folgt  hier  das  scharf  in  das  Plateau  eingeschnittene  Stör- 
thal mit  der  sich  daran  anschliessenden  weiten  Niederung  der  Lewitz. 
Diese  bildet  eine  Unterbrechung  des  Geschiebestreifens,  dessen  Blöcke 
und  Steine  erst  auf  den  oben  erwihnten  östlichen  Höhen  bei  TnumUf 
Göhren  u.  s.  w.  südlich  von  Crivitz  wieder  erscheinen. 

In  südöstlicher  Verlängerung  dieses  Zweiges  trifft  man  bei  Raduhn 
und  Garwitz  nördlich  Spomitz  ausserordentlich  reiche  Steinbcschüttung 
der  SandfeldtT,  einem  nur  wenig  mächtigen  braunen  steinigen  Deck- 
kies entstammend,  der  untere  Grande  bedeckt.  Südlich  davon  treten 
die  Steine  zurQck,  das  alte  weite  Eidethal  hat  hier  ofPenbar  das  Deck- 
diluvium  entfernt.  Die  Steinbestreuung  dauert  mit  einigen  lokalen 
Unterbrechungen  ostwärts  bis  Möderitz  unweit  Parchim. 

Bei  Parchim  findet  sich  nördlich,  nordöstlich  und  westlich  auf 
fh'in  grossen  Feld  ziemlich  reichliche  Steinbestreuung  auf  nntfreii  Sauden, 
zum  Teil  auch  blockreicher  Deckmergel  bis  zu  4  m  Mächtigkeit ;  es  wird 
hier  eine  Annäherung  zu  dem  Zuge  VI  erstrebt.  SQdlich  von  Parchim 
tritt  an  den  Abhängen  des  Buchholzes  an  Blöcken  reicher  Deckmergel 
in  ziemlich  beträchüicher  Dicke  resp.  massenhafte  Steinbestreuung  auf. 

Westlich  von  Parchim  zeigt  sich  eine  reiche  Steinbestreuung  auf 
Sand,  di»'  Erhebung  des  Sonnenberges  zeigt  vielfach  Rlockmergel  des 
T)erkdihiviuui.s,  nach  We.sten  treten  an  der  Bahn  iimiitteü  des  ein- 
furiuigeii  Sandes  mit  mehr  oder  weniger  Steinbestreuung  bei  Spomitz 
grosse  und  ziemlich  häufige  Blöcke  in  Deckgeschiebemergel  auf  als 


Von  hier  aus  Iftsst  sich  der  Geschiebestreifen  in  ausgeprägterer  Form 


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250 


Geinitz, 


Terfolgen.  An  den  bis  108  m  hohen  Sonnenherg  schliessen  deh  die  hau 
126  m  ansteigenden  hohen  Rflcken  bei  Kiekindemarb-.  Dieselben 

bestehen  aus  Deckmergel  oder  Deckkies  an  ihrer  Oberfläche  und 
tilliren  vielfacli  <frf>sse  lilr»cke.  Der  Haiiptreichtum  an  Blöcken  und 
Steinen  ist  aber  an  dem  zu  70 — ijO  m  absteigenden  südwestlichen  Al)- 
t'all  dieses  Kückens  bei  Steinbeck,  Granzin,  Stolpe  und  Barkow, 
auch  hier  hauptsilclilich  dem  Deckkies  entstammend,  der  iu  geringer 
MSchtigkeit  die  unteren  Sande  bedeckt  Bei  Granzin  wird  unter- 
diluvialer Grand  und  Sand  diskordant  von  0,25  m  braunem  Decksand 
überlagert,  dessen  untere  Grenze  ein  Steinpflaster  mit  Kantengeröllen 
(Dreikant€rn)  ist.  Blockmauern  und  Strassenpflastrr  .sind  liebst  Stein- 
häusern auch  hier  »chon  da^  oberflächliche  Anzeichen  de»  Güächiebe- 
streifens. 

Repzin  und  Herzfeld  sind  hier  die  sttdlichoi  Punkte  der  6e- 

Bchiebeanhäufung,  hier  finden  sich  noch  reichliche  Blöi^e;  sfldUch  davon 
entwickelt  sich  in  der  nur  40  m  hoch  gelegenen  Gegend  der  Heide- 
mnd  mit  wenig  und  endlich  ganz  zurücktretender  Steinbi'stremin«j. 

Den  weiteren  (istlichen  V  erlaut"  kann  man  sehr  schön  aut  einer 
Exkursion  von  Parcbim  südwärts  nach  Maruitz  verfolgen.    Bei  Slate 
und  in  den  Slater-Tannen  hmacht  in  dem  60 — 70  m  hohen  Terrain  nur 
feiner  Hauptsand,  der  alsbald  nOrdlicb  von  Zachow  Steinbestreuung 
und  bis  1  m  mächtige  Steinpackung  von  Deckkies  zeigt;  hier  treten 
vereinzelte  Dreikanter  auf,  die  bei  Poitendorf  in  grosser  Fülle  und 
Schcinheit  entwickelt  sind.    Bei  Zachow  beginnt  der  Hauptreichtimi 
an  Steinen,  die  zum  Teil  zur  Ermöglichung  der  Feldkultur  eingegraben 
werden,  im  Übrigen  zu  verscliiedeneu  Bauzwecken  seit  Jahren  abge- 
sammelt werden.    Poitendorf,  Tessenow,  Poltnitz,  Jarchow 
sind  die  folgemlni  Orte  mit  reicher  Steinbestreuung  (darunter  Drei- 
kanter) auf  Sand  oder  mit  blockreichem  Deckmergel,  der  zum  Teil  an 
seiner  unteren  Grenze  gegen  den  Sand  hin  rohe  Schichtung  zeigt  (z.  B. 
bei  Poltnitz);  das  Terrain   st»  igt   hier  zu   1(I0   und         m,  einzelne 
Kuppen  bis  zu  150  m.    Weitir  tinden  wir  bei  Meierstorf,  Leppiu 
und  Marnitz  (?  Suckow)  gleichfalls  massenhafte  BlScke,  meist  aus 
mächtigem  Deckmergel,  zum  Teil  auch  aus  Deckkies,  der  wenig  machtig 
unteren  Sand  überlagert.  Hier  finden  sidi  viele  der  als  läsensteinscherben 
bezeichneten  Sternberger  OberoligocUn-Konkretionen  im  Deckdiluviuni : 
Dreikanter  sind  häufig.  Block  mauern.  Felsenhiluser,  gepflasterte  Strassen 
in  den  Dörfern  und  um  dieselben,  sowie  tiefe  Solle  und  Kessel  in  dem 
coupierten  Temm  kennzeichnen  die  Moränenlandschaft. 

In  den  Marnitzer  Bergen  treffen  wir  längs  aller  Wege  massen- 
haft die  oft  sehr  grossen,  schön  geschrammten  Blöcke  zu  Mauern  zu- 
sammengetragen: teils  herrscht  hier  der  untere  Sand,  teils  strenger 
Mergel.  Der  ITSm  hohe  Kuhner  Berg  ist  ähnlich  wie  die  nachbar- 
lichen Reiher-  und  Priemerberge  ein  spitzer  Kegel  von  unteren  Sauden 
mit  Decksaudbeschüttun^  von  geringer  Mächtigkeit.  Am  Südabfall  der 
Berge,  bei  Ruhn  und  Drefahl  herrschen  ebenso  wie  an  den  übrigen 
Flanken  massenhafte  Bhicke.  An  dem  etwa  GO  m  hochgelegenen  Ab&U 
zwischen  Drefahl  und  Panipin  ist  in  der  allmäbUch  zurücktretenden 
Steinbestreuung  das  Südende  des  Geschiebestreifens  erreicht  Die  Dörfer 


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37] 


Dio  mecklenburgischen  HöhenrQeken  etc. 


251 


Pampin  und  Platschow  an  der  Laudesgrenze  haben  immer  noch 

BlockniiiiR'ni. 

Sehr  wahrscheuiijtii  iäutt  der  Geschiebestreifen  Yon  hier  weiter 
in  sOdflsUicher  Bichtang  Über  Sagaat  und  Putlitc  in  die  Priegnitz 
hinein. 

Der  beschriebene  Geschiebestreifeii  Yll  hat  nach  obigen  Mittei- 
lungen an  einigen  Stellen  eine  ausserordentliche  Breite,  bis  zu  2^8 
Meilen,  an  anderen  Stellen  scheint  er  sicli  in  zwei  Parallelzütre  aiif/.u- 
lüsen ;  oft  ist  er  durch  grossen  Bitu  kreichtuni  in  seiner  Moräneuiand- 
schaft  ausgezeichnet,  im  übrigen  tritt  er  weniger  markiert  aui'  als  die 
Streifen  IV  und  V. 

Koch  weiter  südwestlich  lassen  sich  noch  drei  Gteschiebestreifen 
erkennen,  die  aber  in  ihrem  Verlauf  nur  inselartig  aus  den  alluvialen 
breiten  Heidesanddistrikten  der  in  südwestlicher  Richtung  zum  Elbthal 
laufenden  Thäler  hervortreten:  zum  Teil  sind  sie  nur  durch  Blockan- 
iiiiuluugen  angedeutet,  die  sogar  oft  noch  von  einer  Heidesanddecke 
Oberzogen  sind;  doch  fiadet  sich  zuweilen  audi  noch  ausgeprägte  Motinen- 
landecnaft  koiuerviert. 


Till.  6e8«Meb68trelfeii :  „ZarreDÜn  —  Talluhn  —  Nesbof  — 
Wittenburg  —  Oransin  —  Loosen  —  Warne  wt^* 

WahrscheinUch  bei  Mölln  beginnend  TerliUift  ein  breiter  Ge- 
sohiebestreifen  bei  der  Umgegend  von  Zarrentin  am  sQdHchen  Schaal- 

ßte  nach  Südosten. 

Sein  nördlicher  Anfang  in  jeuer  Gegend  hegt  bei  Zecher  am 
Westufer  des  ScbaalseeB.  Die  Fäder  sind  hier  mit  grossen  BUcken 
beetreut,  grosse  Steinmauern  laufen  längs  der  Wege,  am  Steilufer  des 
Sees  trifft  man  in  der  alten  Kiesgrube  wohl  geschichteten  S])at8and  und 
Kies  mit  Bedeckung  von  blockreichem  sandigem  Geschiebelehm  von  ge- 
ringer Mächtigkeit.  Die  an  Sollen  reiche  coupierte.  (iO  m  hohe  Deckmergel- 
gegend nördlich  von  Zarrentin  ist  sehr  reich  an  Blöcken  des  oberen 
Diluviums,  von  denen  das  Rostocker  Museum  Herrn  Apotheker  Brath« 
Zarrentin  eine  ausserordentlich  reiche  und  Tollstandip^  petrographische 
S:iiiimlung  verdankt.  Das  Steilufer  des  Schaalsees  zeigt  hier  2  m  Block- 
lelmi  auf  unterem  Sand  und  Kies.  Die  Sandgrube  am  Südende  des 
Sees  eutblösst  wohlgeschichteten  Feinsand  mit  wechsellagernden  GeWill- 
lagem,  bedeckt  von  1  2  m  sandigem  Blocklehra,  der  auf  der  Höhe  an 
der  Chaussee  zu  1,5  m  mächtigem  blockreichem  Deckkies  wird. 

Sttdlich  Ton  Zarrentin  hwradit  bei  der  Schaalmflhle  und  bei 
Kölzin  noch  Steinbestreuung  auf  dem  40  m  hohen  flachen  Sandterrain 
<Schaalestromschnellengebiet),  die  weiter  bei  Pamprin  ganz  zurück- 
tritt; doch  finden  sich  in  jenen  Orten  noch  einzelne  cyklopische  Mauern, 
auch  waren  dort  früher  schöne,  jetzt  vernichtete  Steinsetzungen  vorhanden. 

Ein  ganz  besonderer  Reichtum  au  grossen  Blöcken  ist  westUch 
und  sttdweetiich  von  Zurentin  bei  Lüttow  und  Yalluhn  vorhanden. 
Das  45 — 35  m  hohe,  meist  sandige,  lokal  auch  sandiglehmige  Teiram, 


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252 


[38 


(It's.sen  Dörfer  mächtige  cvklopischo  Mauern  und  auf  den  Feldern  Stein- 
Iwiufen  haben,  wo  zum  Teil  auch  die  , Felsen"  eingegraben  wurden, 
zeigt  teils  1  m  mächtigen  Jiteiureichen  Deckkies  auf  unteren  Sauden 
oder  BlocUdim  auf  Thaii,  teils  auch  unter  gewöhnlichem  Decksand  Ton 
r  Dicke  die  dichte  Steinpaclnmg  des  oberdiluvialen  Hoiftnenschuttes. 
In  Schadeland  findet  eich  strenger  Blocklehm. 

Getrennt  durch  die  breite  Boizemoomiedening  erheben  sich  welt- 
lich von  hier  die  bis  80  m  ansteigenden  Segralmer  Berge  bei  Gudow, 
eine  aus  Sanden  und  Kiesen  bestehende,  mit  weni^  Deckkies  oder  Block- 
lehm bedeckte  Au&chttttung  wahrscheinlich  auf  einem  Ildtagehirgskem. 

Oestlich  Ton  Zairentin  treffen  wir  jenseits  des  Schaalsees  eine 
weitere  Fortsetzung  des  Geschiebestreifens:  nördlich  der  Schaahntlhle 
treten  auf  dem  Sandboden  bei  Schaliss  und  Bant  in  zahlreiche  Blöcke 
auf  (die  zahlreichen  Kegelgräber  im  Schalisser  Forst  enthalten  im 
Inneren  Steinsetzungen),  der  Weg  nach  Boissow  und  Neuhof  ist  besetzt 
Ton  grossen  Blockmauem,  in  Neuhof  herrscht  der  blockreiche  Deck- 
geschiebemergeh  Das  Terrain  zeigt  keinen  auffälligen  Höhenzug,  etwa 
nach  Nordosten,  sondern  ist  auf  weite  Strecken  TOn  der  40 — 55  m  Kurve 
beherrscht. 

Ich  habe  bis  jetzt  die  zwischen  dieser  und  der  östlich  davon 
gelegenen  Moriiiu  nlandschaft  von  Dümmer  liegende  Gegend  nicht  be- 
suchen können,  also  einen  etwaigen  Zusanuneuhang  mit  dem  nördlichen 
Geschiebestreifen  Vn  nicht  konstatieren  kOnnen;  ein  irgend  bemerkbarer 
in  dieser  Richtung  streichender  Höhenzug  ist,  wie  gesagt,  nicht  vor- 
handen, das  Terrain  steigt  mit  mehrfachen  Unterbrechungen  von  De- 
pressioneDi  und  der  Schildcniederung  allmählich  zu  60  m  an. 

Bei  Karft  im  Süden  werden  die  Blöcke  im  sandigen  Decklehm 
seltener,  im  Dorfe  findet  man  aber  noch  viel  Blockmauem.  Die  Felder 
zwischen  hier  und  Wittenburg  sowie  bei  Waschow  (45  m  hoch) 
zeigen  Spatsand  mit  geringer  Steinbestreuung ,  entstammend  dem  nur 
0,5 — 1  m  nichtigen  Deckssnd  oder  Decklehm.  Eine  ^eegrube  an  der 
Chaussee  vor  Wittenburg  enthält  in  den  mit  Sauden  und  Granden 
wechsellagernden  Geröllschichten  des  llauptdiluviums  viele  grosse  Gerolle, 
in  dem  diskordant  darauf  lagernden  Geschiebelehm,  der  zum  Teil  in 
geschichteten  Deckkies  Ubergeht,  ßndeu  sich  nicht  erheblich  viele  Blöcke. 
Weiter  nach  der  Stadt  hin  tritt  ein  Thonlsger  nahe  an  die  Oberfi&cbe, 
dasselbe,  welche  südlich  in  der  Wittenburger  Forst  fOi  Ziegeleibetrieb 
abgebaut  wird.  In  der  Gegend  südlich  von  Wittenburg  herrscht  auf 
kurze  Strecken  der  steinarme  Heidesand  mit  geringer  Steinbestreuung. 
In  der  <>()  m  hoch  gelegenen  Thongrube  am  Kunde  der  Wittenburger 
Forst  lagert  V»  —  1  m  Decksand  auf  dem  Bäuderthon;  an  der  unteren 
Grenze  des  l^des  hegen  Terdnzelt  oder  in  grösserer  FOlle  grosse 
Blöcke,  darunter  auch  einige  sehr  grosse  Dreikanter.  Bei  Bobzin 
finden  sich  viele  Blöcke  auf  dem  55 — 60  m  hohen  Sandterrain:  ebenso 
auf  dem  nach  Hagenow  zu  40  m  abgedachten  Gebiet  bei  Zapel.  Im 
Helmer  Forst,  der  bis  CO  m  aufsteigt,  tritt  Sand  mit  Steinl)estreuung 
auf,  und  der  Heidberg  bei  Helm  (Ö4  m)  zeigt  auf  (tertiärem ?)  Glimmer- 
sand wenig  Decksand  mit  Steinen,  zum  Teil  noch  mit  sdur  grossen 
Blöcken.   Von  hier  aus  sfldlich,  nach  Hagenow  hin,  tritt  die  Stem- 


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39] 


Die  mecklenborgischea  HOhflaurttcken  ete. 


253 


bestreuung  mehr  und  mehr  zurück  und  macht  der  reinen,  steinarmen 
Heide  Platz. 

SOdlidi  Ton  Wittenburg  yemrate  ich  bei  ESrcbow  und  Setzin 
Geschiebeanbäufung;  in  letzterer  Gegend  erhebt  sich  ein  bis  80  m  hoher 
Rücken  von  kurzer  ostwestlicher  Erst  reckung.  Toddin  und  Pätow, 
östlich  davon  gelegen ,  besitzen  Blockmauem ,  bei  Toddin  werden 
gebogene  Haupisandschichten  von  0,5 — 1  m  lehmigem  Decksand  über- 
lagert, an  dessen  unterer  Grenze  oft  Steine  (und  Dreikanter)  alt»  Ptlaster 
liegen;  lokal  treten  auch  5  m  tiefe  Buchten  yon  blockreicheni  Deck- 
geschiebemergel auf. 

In  ettcUSetlicher  und  südlicher  Richtung  ist,  soweit  meine  Beob- 
achtungen reichen,  der  Zu^j  unterbrochen  durcli  die  Heideebene  der 
Sude.  Erst  der  Looseuer  Berg,  östhch  von  Lübtheen,  '>')  m  hoch,  zeigt 
an  der  Windmühle  sehr  steinreichen  Deckkies,  zum  Teil  geschichtet, 
1 — 2  m  auf  horizotalen  Eies-  und  Ghrandschichten  lagernd.  Bei  Loosen 
herrscht  Sand  mit  Steinbestreuung,  im  Dorf  trifft  man  Blockmauem. 
In  Loosen  wurde  durch  zwei  Bohrungen  ein  nahe  der  Oberfläche  lie- 
gendes, 87  resp.  42'  mächtiges  Alaunerdelager  mit  Sand  und  Thon- 
schichten erbolu-t  Koch*)  bezeichnet  diese  Erliebung  am  rechten 
Ufer  der  Rögnitz,  mit  den  Ortschaften  Loosen  und  Krenzlin,  Picher 
im  Osten,  Kamm,  Quast,  Hohen  Woos  im  Westen,  als  gLooseuer 
Berg*.  Der  Östliche  Teil  desselben  mit  zum  Teil  steinreichem  Dflu- 
Tium  auf  Ttfti&r,  zum  Teil  von  Heidesand  Abdreht,  gehört  sicher  zur 
südöstlichen  Fort.setzung  des  hier  besprochenen  Geschiebestreifens,  der 
südliche  Teil  lehnt  sich  an  den  folgenden  Parallelzug  an,  ohne  eigent- 
liche scharfe  Grenze. 

Südöstüch  folgen  diluviale  Höhen  bei  Glaisin«  linkseitig  der 
Bögnitz,  und  Dadow  Östlich  Ton  Eldena,  welche  die  Fortsetsung  des  Ton 
den  breiten  Flusslftufen  Tielfseh  unterbrochenen  (^eschiebestreirons  dar» 
steUen. 

Tn  der  Gegend  südlich  Grabow  und  bei  Warnow  wird  dieser 
Streiten  auf  mecklenburgisches  Gebiet  austreten. 


IX.  GeseUebestreifeu :  „Gallin  —  Lttbtlieea  ^  Godow—-  Böck^. 

Verniutlicli  nur  als  Parallelstreif  zum  vorigen  gehörig,  verläuft 
nahe  bei  diesem  aus  der  Gegend  zwisclien  Zarrentin  und  Boizenburg 
über  den  Lübtheener  Gebirgszug  ein  weiterer  Geschiebestreifen,  ebenso 
wie  sein  nördlif^er  Nachbar  nur  stellenweise  deutlich  2U  erkenne,  viel- 
fach von  Heidesand  unterbrochen  oder  verdeckt,  so  dass  nur  inselartige 
Erhöhungen  aus  der  Heide  heraustreten,  welche  die  Fortsetzung  des 
Geschiebestreifens  verraten.  Dadurch,  dass  zuweilen  die  Blöcke  von  etwa 
1  m  alluTialem  Heidesand  bedeckt  werden,  wird  dort  der  Charakter  der 


2  Vgl.  Brückner,  Grund  und  Boden  Mecklenburgs  1825,  S.  66. 
*)  In  der  anschanlicAien  Schilderung  dieser  DüuviaUnBelii  io  der  Hnde. 
Zatichr.  d.  deatocfa.  geoL  O«.  1856^  &  274. 


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254 


[40 


j\[oriirienlandschaft  völliff  odor  teilweise  verwischt.  Fasst  man  beide 
Streifen  als  einen  einzigen  auf,  der  nur  eine  flache  Niederung  in  seinem 
Verlaufe  hat,  so  beträgt  seine  Gesamtbreite  20  km  (zwischen  Neuhof  und 
Lttttennuurk)  bis  16  km  (swiacben  Krenzlin  und  Bockup). 

Sein  nordwestlich^'  Beginn  in  Mecklenburg  lässt  sicli  sehr  deut- 
lieh  auf  einer  Exkursion  von  Boizenburg  nacli  Zarrentin  konstatieren, 
bei  der  man  die  gesamte  Breite  des  Streifens  durchläuft. 

Bei  Schwarte w  am  Boizeufer  bedeckt  ein  hr»cli.steus  V* 
mächtiger  Decksand  mit  einzelnen  grossen  Steinen  und  Dreikantem 
horizontal  gelagerten  unteren  Send  und  Schluff.  Nördlich  da?on  tritt 
ziemlich  blockreicher  Beckmeigel  circa  5m  mächtig  auf.  Bis  Greese 
trifft  man  mehr  oder  weniger  reichliche  Steinbestreuung.  Der  Haupt- 
reichtum an  Steinen  aber  beginnt  bei  Lüttenmark  und  setzt  Ober 
Greven  fort.  In  Lüttenmark  tritit  man  viele  Blockmauern,  die  grosse 
Sandgrube  am  Tlialabhaug  xeigt  Steinbedeckuug  und  lehmigen  Deck- 
kies auf  Spatsand ,  die  Höhe ,  die  vom  Forst  Chreren  ostwärts  zu  90  m 
ansteigt,  führt  massenhafte  Block-  imd  Steinbestreuung  auf  dem  Sand- 
boden, dem  einzelne  LehmsteUen  unteraiengt  sind.  Beekendorf  und 
Bennin  südlich  davon,  femer  Granzin  und  Gallin  sind  in  gleicher 
Weise  ausserordenthch  |ü:esepiet  mit  Blöcken.  Eine  Lehmgrube  an  der 
Scheide  von  Granzin  und  Sternsruh  zeigte  1,5m  festen  Deck- 
geschiebemergel,  unten  mit  einem  Steinpflaidier  gegen  Thon  mit  untere 
Hegendem  Hauptgeschiebem^el  getrennt,  weiteihin  aber  nur  geringen 
lehmigen  Decksand  auf  mächtiger  werdendem  Thon,  der  wohl  als  Aua- 
schlemmprodukt des  Deckgeschiebemergels  gelten  kann.  In  Stern  s- 
ruh  ebenfalls  1,5  m  mächtiger  oberer  Geschiebemergel  nut  unterer 
Blockpflasterung.  Oft  herrscht  auch  reiner  Deckkies,  liier  und  bei 
Nieklitz  mit  massenhaften  Blöcken,  die  vielfach  zur  besseren  Beacke- 
rung in  den  Feldern  vergraben  wurden. 

Nach  Pamprin,  Kogel  und  Camin  hin  treten  mit  einer  Ab- 
dachung auf  40 — 35  m  die  Blöcke  völlig  zurück,  nur  Kleinsteinbestreuung 
der  San«lfel(ler  herrscht  hier  ist  die  Grenze  gegen  den  nur  circa 
•t  km  entlernten  nördliclien  Zan-entiner  Geschiebestreifen,  mit  dem  aber 
wohl  zwischen  Nieklitz,  Gallin  und  Yalluhn  ein  Verschmelzen 
stattfindet. 

Im  Südosten  begümt  nadi  der  steinarmen  Gegend  v<m  Kogel  bei 
Camin  wieder  Steinbestreuung  im  sandigen  und  dann  strenge  Deck- 
lehm, in  Camin  treffen  wir  einzelne  Steinhäuser  und  -Mauern.  Bei 
Goldenbow  ist  der  herrschende  Spatsand  von  vielen  Blöcken,  darunter 
prächtigen  Kantengeröllen,  bedeckt,  ^»'ach  Y eilahn  hin  verringert  sich 
die  Steinmenge.  Erst  bei  Goosfeld  mit  einer  MeereehÖhe  von  50  m 
trifft  man  reiche  Steinbestreuung  (Dreikanter),  di^  bei  Dttssin  zurück- 
tritt, dagegen  im  Westen  bei  Brahlstorf  und  Damraereez  noch  reich- 
lich aufzutreten  sch(>int  (Trennung  vom  nördlichen  Zuj??  bei  Vellahn). 

Bei  Melkiiof,  nahe  der  Eisenbahn  bei  Brahlstorf  gele;,'eii.  wird 
am  Abfall  des  hier  zu  60  m  sich  erliel)enden  Terrains  auf  weissem 
Glimmersand  lagernd  noch  eine  2  m  dicke  Decksandschicht  getroffen 
mit  viden  Steinen  (Dreikantem);  alsdann  folgt  die  weite  Heidesand- 
ebene dee  Sudethales  bis  nach  Lübtheen.  Hier  macht  sich  als  Hervor- 


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41] 


Die  mecUenbiurgiioheii  Hfthenrflokeii  etc. 


255 


ragung  aus  der  Heide  der  niedri^'e  „LuUtheener  Gebirgszug**  ^) 
geltend,  als  Stock  f"ür  Ablagennif?  des  Ge.scliielu'streit'ens. 

Am  Oypslterg  von  Lül>theen  tindcn  sich  die  Blöcke  des  Deck- 
diluviunis  zum  Teil  von  lieidesuud  überweht,  die  Blockmauer  am  Kirch- 
hof mid  andere  ,Fel8eii-*yerwendungeii  zeigen  das  ziemlich  häufige 
Vorkommen  der  Öeschiebe  in  der  Umgebung. 

Im  Süden  erstreckt  sich  bei  Jessenitz  das  von  Heidesand  und 
DCmen  besetzte  Thal  dnr  Rn<^m\7..  welches,  parallel  d»>r  VAlw.  jft/t  d:is 
von  dem  ehemaligen  Elbstrom  durchfloäseue  Thal  mit  der  Krainke  zu- 
sammen teilt. 

Im  Sfidosten  schliesst  sich  der  40 — 50  m  hohe  Rficken  an ,  aui 
dem  aus  der  allgemeinen  Heidesandbedeckung  an  einzelnen  Stellen  bei 

Ramm,  Trebs,  Quast.  Jabel,  Hohen  Woos  das  Diluvium  resp. 
Tertiär  zum  Vorschein  kommt  und  die  Stein-  auch  ßlockbedecku^g 
♦l^n  Geschie1)estreifpn  bezeichnet,  der  teils  vom  oberen  Geschieberaergel, 
teils  vom  I)ecksaiid  (mit  Dreikiiiitirn)  zusammengesetzt  ist.  Schon 
Koch  betont  schart  a.  a.  ().  das  Zusammeuvorkommen  des  eigentlichen 
Pflu^ums  mit  dem  Flötzgcbirgskem  im  (Gegensatz  ffa  der  alluTialen 
Hdde,  und  ich  brauche  hier  nidit  mehr  ausführlich  herrorzuheben,  dass 
der  Geschiebestreifen  hier  in  genetischem  Zusammenhang  mit  dem 
Hervortreten  der  Flötzgebirgswelle  steht. 

Das  Vorkommen  an  diesen  Orten  wird  durch  folgende  Aufschlüsse 
charakterisiert:  in  der  Lehmkulile  am  Rammer  Berg  lagert  auf  block- 
reichem Oeschiebemergel  0,5  m  gelber  Heideeand,  an  seiner  unteren 
Grenze  mit  Stempflaster.  Die  Lehmgrube  bei  Hohen  Woos  zeigt  unter 
Flugsand  lehmigen  Deckkies  und  Sand,  dann  von  kleinem  Steinpflaster 
bedeckt  thonigen  Geschiebemergel,  der  auf  Tertiärthon  lagert;  ähnlich 
ist  es  in  der  grossen  nachbarliclien  Ziegeleithougrube,  wo  der  Heide- 
sand 0,3  m,  der  Lehm  resp.  Biockkies  U,2 — 0,7  m  mächtig  ist  und  auf 
0,5  m  Sand  lageii,  der  den  Miocänthon  bedeckt. 

Sfld5stli(£  von  hier  treffen  wir  jenseits  des  hier  aus  Nordosten 
kommenden  Rögnitzthales  bei  Grebs,  Conow,  Karenz.  Malk  (von 
Koch  als  «Karenzer  Berge"  unterschieden)  und  bei  Malliss  und 
Bockup  auf  die  Verlängerung  unseres  Geschiebestreifens.  Das  Terrain 
Lst  40 — 50m  hoch,  steigt  aber  im  Steinberg  htn  Karenz  zu  71m  an. 
Bei  Conow  herrscht  blockreicher  Deckmergel,  zum  Teil  einige  Meter 
m9chtig  Blockmauem  in  den  Dörfern  und  an  den  Strassen;  sowie  aus- 
geackerte Geschiebe  deuten  den  Geschiebereichtum  der  Gegend  an. 
An  den  meisten  Stellen  waltet  nur  dünner  Geschiebelehm  oder  meist 
Derkkies  vor,  der  unteren  Sand  bedeckt,  oft  lagert  auf  dem  Deckkies 
oder  seinem  Vertreter,  dem  Steinpflaster  mit  Kautengeröiien,  noch  feiner 
Flugsand  mit  Ortsteinbildung,  so  besonders  schön  bei  Grebs.  Die  SUd- 
westgrenze  des  Streifens  bildet  hier  die  scharfe  Ecke  des  42  m  hohen 
Gkdgenberges  bei  Sc  hie  sin,  die  sich  plötzlich  aus  der  Heidethalebene 
hervorhebt.  Hier  tritt  uns  lehmiger  Deckkies  mit  viel  Steinen  in  einer 


')  Vgl.  F'.  Of^initz.  Flötzfonn.  Mecklenl».  und  Koch,  Die  anstehenden 
Formationen  der  Gegend  von  Dömitz.  Zeitächr.  d.  deutsch,  geoh  ties.  1856» 
&  249  t,  Taf.  12. 


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256 


Oeinits» 


[42 


Märlitigkeit  von  3  m  entgegen ,  unteren  Sand  und  Grand  über- 
lagernd. 

Von  hier  nach  Bockup  geht  man  auf  der  Plateauhöhe,  die  mit 

steilem  Absturz  nach  dem  Heidethale  TOn  Bad  den  fort  undHeiddorf 
abfüllt.  In  der  Lehmgrube  am  Abhänge  nördlich  Raddenfort  (25  bis 
30  m)  ist  ein  2 — 3  m  mächtiger  Geschiebemergel  aufgeschlossen ,  der 
von  Sand  bedeckt  wird,  mit  dünnem  Steinpflaster  an  der  Grenze  und 
Einbuchtungen  nach  unten  iu  den  Mergel.  Die  Bockuper  Thougrube 
adf  der  HSie  (42  m)  zeigt  auf  dem  Hiodliithoii  1 — 2  m  Blocudmi 
reep.  Deckkies ,  zum  Teil  mit  oberem  Steinpflaster  und  Ton  0,5 — 1  m 
Heidesand  Qberweht.  BeiMalliss,  nördlich  davon,  zeigen  Sandgruben 
unteren  Kies,  zum  Teil  auf  tertiärem  Glimmersand,  mit  Bedeckung  von 
Deckkies  oder  riesentopt'artig  eingreifendem  (d)ereni  Blocklehm;  das 
Deckgebirge  der  Braunk(dilengru))en  ist  Deckkies  mit  Ureikantem  unter 
Ueidesand.  Auch  die  grosse  Ziegeleigrube  von  Malliss,  am  Abhang 
zum  Eldethale,  zeigt  grosse  (Geschiebe  in  dem  hangenden  oberen 
schiebeniergel  resp.  dessen  Vertreter,  dem  Deckkies.  Bei  Karenz  und 
Malk  lagert  geschiebereicher  Deckinergel  oder -Kies  auf  unteren  Granden 
resp.  tertilirem  Alimmersand  und  Thon.  Auch  die  Wiesenniederungen. 
bei  Göhren  unweit  Eldena  führen  häutig  noch  grosse  Blöcke. 

Im  Norden  schliessen  sich  hier  die  geschiebereicheu  Gegenden  von 
Glaisin  u.  s.  w.  an  (s.  o.),  vielleicht  zu  demselben  Zug  gehörig. 

Jenseits  der  Eide  trifft  man  auf  die  zu  46  m  ansteigende  Er- 
hebung bei  Böck  mit  der  Fortsetzung  des  Mallisser  Tertiars und 
in  die  Gegend  von  Dadow  (s.  o.). 


X.  Geschiebestreifen :  ^Lanenbnrg  —  Boisenbnrg — Wendisch 

Wehningen^. 

Das  hohe,  GO — 70  m  sicherhebende  Diluviulplateau,  welches  zwischen 
Lauenburg  und  den  Vierbergen  bei  Boizenburg  von  dem  breiten 
Stecknitzthal  durchbrochen  wird  und  welches  dem  Andringen  des  Elb- 
stromes seine  steilen  Abbruchsufer  entgegensetzt,  zeigt  in  der  hoch- 
interessanten Gegend  von  Lauenburg  und  Buchhorst  auf  den  inaimijcr- 
fachen  Ablagerungen  des  Unterdiluviunis  und  Tertiärs  da.s  Deckdiluviiuii 
als  iJecksand  oder  meist  als  l)eckgeschiel)enicrgel  in  einer  Mächtigkeit 
von  1 — 5  und  mehr  Metern.  Vielfach  liegen  in  ihm  zahlreiche  grosse 
Blocke,  im  Mergel  geschrammt,  im  Decksand  auch  als  Dreikanter,  zum 
Teil  auch  als  dichte  Steinpac  kung :  wir  erkennen  hier  einen  steinreichen 
Horibienabsatz.  Sein  Liegendes  zeigt  oft  sehr  bedeutende  Schichten- 
Störungen.  Die  Oberfläche  ist  abgesehen  von  den  tiefen  Erosionsseiten- 
schluchten von  S<)Ilen  und  Kessehi  vielfach  durchsiebt.  Die  nördliche 
Ausdehnung  der  Geschiebeablagerung  habe  ich  nicht  verfolgt 

Weiter  östlich  nach  Boizenburg  zu  erkennt  man  die  Fortsetramg. 


*)  Vgl.  Koch  a.  a.  0.  S.  273. 


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43] 


Die  meckleaburgischen  Höhenrücken  etc. 


257 


Bei  Horst  sieht  man  in  der  10m  hohen  Tenasee  des  Thaies  schffn 

die  Umarbeitung  des  Bodens  durch  den  alten  Strom:  braoner  und 
weisser  Spatsand  mit  diskordanter  Purallelstruktur  wird  von  einem 
horizontal  laufenden  Steinpflaster  bedeckt,  auf  dem  noch  0,5m  unge- 
schichteter bräunlicher  Alluvialthalaand  folgt.  Die  54  m  hohen  Vier- 
berge zeigen  au  ihren  Gehängen  unteren  Sand  mit  Steinbeatreuung;  das 
bis  Boizenbnig  folgende  Abbruchsufer,  welches  dem  bis  66  m  an- 
stehenden Plateau  entspricht,  zeigt  reiche  Blöcke  am  Elbstrand  aus- 
gewaschen aus  dem  blockreichen  oberen  Geschiebemergel,  der  in  be- 
deutender Mächtigkeit  (5 — 10  m)  miteren  Sand  oder  weiterhin  steinannen 
unteren  Geschieberaergel  bedeckt. 

Im  iSüdeu  grenzen  hieran  die  weiten  Marschniederungen  des  Elb- 
thales. 

Im  Nordwesten  reihen  sieh  die  oft  sehr  steinreichen  rechtsextigen 
Elbnfer  bis  unterhalb  Himiburg  hier  an. 

Südlich  von  Bockup  liegt,  von  dem  LUbtheener  Gebirgszug  durch 
eine  weite  steinlose  Heidesandebene  getrennt,  die  bis  33  ni  aufsteigende 
Erhebung  von  Wendisch  Wehningen  we.stlich  Dömitz  an  der 
Elbe.  Die  Felder  zeigen  hier  Sand  mit  reicher  Stembestreuung ,  gute 
Dreikanter  sind  sdir  hünfig.  Bei  anderer  Gelegenheit  *)  habe  ich  das 
interessante  Thonlager  mit  seiner  bituminösen  Diatomeenerde  und  den 
Schichtenstörungen  beschrieben.  Das  Hangende  bildet  hier  ein  mächtiger 
Blockmergel. 

Es  ist  möglich,  dass  die  flache  Gegend  zwischen  hier  und  Neu- 
haus, welche  die  der  Elbe  parallel  laufenden  Thüler  der  Krainke  und 
Rdgnits  trennt,  sich  als  deniidierter  Kern  des  nadi  Boizenburg  laufenden 
Geschiebestreifens  darstellt 


III.  Geschiebestreifen:  „DiedrichshSger  Berge  —  lyendorf 
Nenbiikow  —  Satow  —  Sehwaan  —  Schniooksberg  —  Teterow  — 
Malchin  —  Kenbrandenbarg  —  Uelpi^. 

Von  diesem  Zuge  fehlen  noch  einzehie  genaue  Begehungen  und  ist 
daher  an  einigen  Stellen  die  Abgrenzung  nicht  ganz  sicher  festgestellt. 

Das  ni<mt  ganz  10  m  Hdhe  erreidiende  iJ>bruchsufer  der  Ostsee 
westlich  YOTtt  Heil  Ilgen  Damm  bis  Fulgen  entblfiest  oberen  und  unteren 
Geschiebemergel,  zum  Teil  mit  Sandablagerungen  zwischen  beiden;  dem- 
gemäss  ist  hier  der  Sfrand  umsäumt  von  vielen  ausgewaschenen  Blöcken. 
Weiter  we.stlicli  x.wisdien  Fulgen  und  Arendsee  wird  das  üfer  immer 
niedriger  und  hat  auf  grössere  Strecken  den  Spatsand  eutblösst,  so  da.ss 
hier  eine  Unterbrechiui|p  der  Blockanhäufung  erscheint. 

Die  Landschaft  hmter  dem  Klint,  zunächst  der  bis  zu  28  m  an- 
stdgende  flache  Biücken  zwischen  den  beiden  breiten  Thalniedermigen, 


')  I.  Beitrag  z.  Qeol.  Mecklenb.  1879,  S.  40  f. 


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258 


Gdniti, 


[44 


ist  bis  Doberan  hin  nicht  durch  Blockreichtiim  ausgezeichnet;  im  Dorfe 
BrunsliaupteD  laufen  hinge  grosse  cjklopii^che  iMueni  au  den  Wegen 
und  um  die  HSfe«  am  Rande  des  Fulgenbachthales  tritt  in  Klein-  und 

Hinter-Bollhagen  mit  ihren  Blockraauern  strenger,  lilockreicher  oberer 
Mergel  in  bedeutender  Mächtigkeit  auf,  als  Bedeckung  des  auch  hier 
vielfach  zu  Tage  tn  ten<h'n  feinen  Sanch^s  und  Thonsandes.  Noch  aut- 
tälJiger  ist  das  Hervortreten  und  Vorherrschen  des  iSpat*<audes  (mit 
untergeordnetem  Kies,  zum  Teil  auch  in  seiner  Deckkiesüberschüttung 
einheimieche,  aus  den  sOdlicb  gelegenen  Höhen  tnasportierte  GerOlIe 
ftlkraad!)  am  linken  Gehänge  desselben  Thaies,  wo  dieser  Sandstreifen 
von  Arendsee  über  Brunshaupteu,  Wittenbeck,  Brodhagen  zum 
Kellerswald  hei  Doberan  führt,  bis  m  einer  Höhe  von  et^va  40  m  hin- 
aufreit lund.  Aber  auch  hier  leliit  der  bli •ckreiche  Deckmergel  nicht 
völlig;  sowohl  bei  Brunshaupten  als  bei  Brudhagen  tritt  er  in  mächtiger 
Entwiekelung  auf. 

Nach  diesem  unterbrechenden  Sandstreifeu  folgt  weiter  nach  Westen 
zu  der  schaff  markierte,  zu  128  m  ansteigende  Höhenzug  der  Diedrichs- 
hagener Berge  mit  dem  hier  zu  Tage  tretenden  glaukonitischen  Pläner. 
Auf  dem  Bergrücken,  der  bekauntli(;h  ein  ausgeprägtes  nordwestliches 
Streichen  hat,  ist  der  obere  Mergel  nur  fleckenweise  mit  bedeutendem 
Qesefaiebereiekium  als  Auf-  und  Anlagerung  entwickelt,  in  den  anderen 
Stellen  kommt  teils  der  anstehende  Plftn^,  teils  Spatsand  su  Tage. 
Von  den  ^wältigen  Schieb tenstdrungen,  die  hier  drä  Pläner  und  das 
Hauptdiluviiim  betroften  haben,  ist  schon  bei  anderer  Gelegenheit 
berichtet 

Bei  dem  Bastorfer  Leuchtturm  (78  m)  und  auf  dem  bis  50  m 
herabsteigenden  Plateau  bei  Hohen  Niendorf  und  Mechelsdorf 
bildet  sandiger  Diluvialmergel  den  Hauptbestand  des  von  SOUen  durch- 
setzten Bodens,  doch  gelangt  hier,  z.  B.  im  Bastorfer  Holm  bei  80  m 
Höhe,  vielfach  der  Spatsand  zu  mächtiger  Ausdehnung  und  ist  auch 
der  Mergelboden  nicht  durch  eine  grosse  Zahl  erratischer  Blöcke 
ausgezeichnet.  Wichmannsdorf,  in  der  Höhe  von  100  m  gelegen, 
dürfte  die  südwestliche  Grenze  des  Blockgebietes  bezeichnen.  Im  Wich- 
mannsdoifer  Holz  imd  in  der  Etthlung  bei  Diedrichshagen,  in 
Diedrichshagen  selbst,  femer  am  mrdabbang  oberhalb  Bruna- 
haupten,  bei  Ober  Steffenshagen  u.  s.  w.  sind  au£GUlige  Bergkuppen 
mit  tiefen  Kesseln  und  Schluchten,  zalilreiche  grosse  erratische  Blöcke, 
Mergelboden,  aber  auch  Sand  und  Kies  auf  und  neben  dem  Pläner,  die 
Typen  der  Moränenlandschaft  unseres  (ieschicbestreifens. 

Unterhalb  Diedrichshagen  und  Jennewitz  beginnt  das  sand- 
und  bloekBrmwe  Deckmergelgebiet  des  sttdlichen  Abfalles,  das  sidi  nach 
der  Kröpelin  er  Gegend  fortoetzt  (s.  u.). 

In  südöstlicher  Richtung  folgt  die  geschieberei(  he  Gegend  von 
Reddelich,  Doberan,  Althof.  In  Reddelich  zeigen  schon  die 
<  vklopischen  Mauern  der  Gehöfte  und  \\  ege  den  Reichtum  des  Mergel- 
bodens an  Geschieben  an.  Die  Ausschachtungen  am  Bahnhof  zu  Doberan 


*)  FlMsfonn.  Mecklenb.  S.  54. 


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45] 


Die  mecklenburgischen  Höhenrücken  etc. 


259 


uud  die  Befuude  der  hüdlichen  Höhen  ergaben  müciuige  ßlockauhäuiuiig 
auf  ThoDf  Sand  und  Kiesen  des  UnterdäuTinms  % 

Die  DorCschaften  Stalow,  Glashagen,  Hohenfelde,  Althof, 
Ivendorf,  Konow,  Hastorf,  Hanstorf,  Beinshagen,  Heiligen- 
hagen, Bölkow  bezeichnen  den  weiteren  südöstHchen  Verlauf  dos 
Ge^chiebestreifens,  der  hier  eine  Höhe  von  40 — 8U  ni  hat,  mit  stellen- 
weiser Erniedrigung  zu  20  m  und  Erhebung  zu  über  100  m.  Sehr 
deutliche  Einblicke  in  den  Bau  jener  Gegend  ermd^chte  der  Ghaussee- 
baa  zwischen  Doberan  und  Schwaan  in  den  Jahren  1882  und  1883. 
Die  dabei  gewonnenen  Einschnitte  ergaben  ebenso  wie  die  übrigen  Auf- 
schlösse der  Nachbarschaft,  dass  der  „ Geschiebestreifen "  nicht  etwa  eine 
mächtige  Anhäufung  geschiebereichen  oberen  Mergels  ist,  sondern  dass 
in  gleicher  Meereshöhe  mit  ihm  auftretend  und  manniglach  zu  Tage 
tretend^  in  den  bekannten  glacialen  Schichtenstörungen  mit  ihm  verbun- 
den, die  unteren  Sande,  zum  TeQ  auch  Thone,  eben&Us  an  der  Ober- 
flachenziisammensetzung  jener  G^end  sich  wesentlich  beteiligen.  Nirgeiidn 
ist  der  Charakter  einer  Endmoräne  ausgeprägt,  wohl  aber  •]•  rjeiiige  der 
an  Sollen  und  Kesseln  reichen  G  run  dmoränen -  Ti an  d  s c  ha f  t. 

Dem  sfiehen  beschriebenen  Diedrichshagen -Ivendorfer  Geschiebe- 
Streifen  parallel  läuft  westlich  von  Kröpelin  ein  4  km  breiter  Neb en- 
xug,  den  ich  als  Neu  Bukow-Satower  Geschiebestreifen  bezeichne. 

Bei  Alt  und  Neu  Gaarz  tritt  das  Diluvialplateau  mit  steilem, 
zum  Teil  21  ra  hohem  Ufer  an  die  Ostsee.  Viele  ausgewaschene  Blöcke 
umsäumen  den  StraTid.  lU  r  Wismar-Rostocker  Eisenbabnbau  durchschnitt 
sehr  schtin  diesen  Nebenzug  mit  seinen  beiderseitigen  Sandah^n  eiizuii^en 
Nachdem  am  Bahnhof  Kröpelin  und  noch  westlich  davon  noch  mach- 
tiger (5 — 8  ni)  blockreicher  oberer  Geschiebemergel  und  dessen  Blpck- 
bestreuung  angetroffen  war,  als  westlicher  Ausläirfer  des  Diedrichshä^ 
Geschiebezuges,  tritt  am  "Westenbrügger  Holz  bei  Sandhagen  der  ferne 
zu  Heidesand  abgeschlemmte  Spatsand  auf,  zunächst  noch  mit  reich- 
licher Steinbestreuung  (rohe  Dreikanter),  und  erst  nach  der  etwa  4  km 
breiten  Sandunterbrechung  kommt  bei  Neu  Jörnstorf  und  Lehnenhof, 
bis  Neu  Bukow  reichend,  der  block  reiche  Deckmergel  in  1 — 2  m 
Iföchtigkeit  oder  sein  Yertreter,  der  Deckkies,  in  einer  Höhe  Ton  25 
bis  30  m  wieder  zur  Geltung.  Hinter  Neu  Bukow  folgt  dann  ein 
Spatsandareal  in  40—45  m  lUihe,  bei  d^  Panzower  Tannen,  4  km 
breit,  diesen  Nehenstreifen  TOn  dem  westlich  bei  Alt  Bukow  begin- 
nenden Pöeier  abgrenzend. 

Im  Nordwesten  bilden  Russow  und  Zweedorf  die  Verbindung 
nach  Gaarz.  Nach  Südosten  wendet  sieh  der  Streifen  Ober  Satow, 
um  sich  weiterhin  mit  dem  Hauptzng  zu  rereinigen. 

So  trifft  man  bei  Schmadebeck  sttdlich  von  Kröpelin  einen  be- 
trächtlichen Blockreichtum,  aus  sehr  wenig  mächtigem  I>eckkies  .stam- 
mend, der  mit  Dreikantem  und  Blöcken  oft  dicht  gepackt,  ungefähr 
horizontal  lagernden   unteren  Sand  überlagert  oder  auch  die  reiche 


')  Vgl.  Geinitz,  VII.  Beitrag  z.  Geol.  Mecklcnb.  1885.  S.  52. 
*)  Vgl.  Geiniti,  YIL  Beitrag  s.  Geol.  Meckienb.  S.  45—47. 


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260 


Geinitz, 


L46 


Steinbesfareuimg  der  Felder  rersorgt;  auf  der  Höbe,  die  zn  80  m  ansteigt, 
herrscht  oberer  Blockmergel.  Bei  Siemen,  südöstlich  von  liier,  finden 
sich  zahlreiche  Blöcke  in  dem  oberen  Mergel.  Oestlich  tritt  über  Hei- 
ligenhagen bereits  die  Verbindung  mit  dem  Hauptstreifen  ein.  Hier 
schliesst  sich  direkt  im  Süden  die  0.")— 75  ra  hohe  Deckmergelgegend 
von  Gerdühageu,  Satow  und  Miekeuhageu  an,  mit  zahlreichen 
groBBOi  Blöcken,  tiefen  isolierton  Moor^  und  Seekesseln.  Von  hier 
stammt  die  hauptsachlich  aus  dem  Deckdiluvium  zusammengebiBchte 
Geschiebesammlung,  welche  das  Rostodci  r  Museum  dem  verstorbeneii 
Pastor  Vortisch  verdankt.  Auch  hier  hat  der  Deckmergel  nur  die 
Mächti<^keit  von  i)J^  —  '>  m;  er  lagert  auf  unteren  Banden,  unter  denen 
zum  Teil  noch  unterer  Geschiebeniergel  hervora-itt;  der  Deckmergel  ist 
oft  fein  horizontal  gebankt  und  enthält  nicht  immer  sehr  viel  Blocke. 

Sttdin^rts  von  hier,  bei  Jürgenshagen  und  Neukirchen  bis 
Btitzow,  treten  die  Blöcke  immer  mehr  zurück,  es  herrscht  noch  Deck- 
mergel, oft  aber  unterbrochen  von  Spatsan<l.  Erst  nordwestlich  von 
Bützow  kommen  bei  Kurzen  Trt'chow  die  Blöcke  wieder  zur  Geltung, 
als  östliche  Ausläufer  des  SrhlcinmiiK  r  Geschiebestrcifens. 

Zwischen  Bölkow  und  Fulirenholz  setzt  der  nunmehr  vereinigte 
Geschiebestreifen  Uber  das  Thal  des  Waidbaches;  nördlich  von  Nien- 
hüsen treten  in  der  Höhe  von  25  m  massenhafte,  besonders  durch  den 
rhuuseebau  im  Winter  1882 — 1883  geforderte  Blöcke  aus  dein  Lfelben 
Deckge.schiebeniergel  zu  Tajj^e.  Dieser  Blockreichtum  zieht  sieh  fort 
über  Ziesendorf  nach  Bröbberow  und  Gross  Grenz;  dicht  bei 
Bröbberow  wurde  auf  den  10 — 15  m  hoch  gelegenen  Feldern  an  den 
Uferh<$hen  des  Waidbaches  unter  der  dOnnen  Aekerkrume  ein  unge- 
ahnter Reiditnm  an  Blöcken  durch  einfaches  «Ausbuddeln*,  d.  h.  Heraus- 
heben ans  dem  Ackerboden  gewonnen  und  für  den  Chausseebau  Ter» 
wertet.  Die  rrrossfu  Blöcke  lagern  in  einer  dichten  eisenbraunen, 
kiesigen  Stoinpackung  von  einer  Min  htit^keit  von  1  m  auf  Spatsand;  es 
war  eni  tyi»is(  her  sandiger  Moräneuabsatz  von  derselben  Beschaffenheit 
wie  bei  Schwerin,  bei  Eickhof,  bei  Liepe  u.  a.  0. 

Weiter  abwftrts  macht  sich  bei  Schwaan  nur  der  rdne  Spatsand 
geltend,  so  dass  hier  eine  Unterbrechung  des  (Jeschiebestreifens  zu  kon- 
statieren ist.  Hier  tritt  das  mächtige  und  ausgedehnte  Diluvialthon- 
lager von  Schwaan.  Wiendorf,  Viegeln  und  VValirstorf  unter  den 
Sanden  hervor  und  waltet  an  den  übrigen  Stellen  der  feine,  oft  thonige 
Sand,  oder  wie  bei  Benitz  der  grobe  Kies  und  Grand  vor;  dabei  tritt 
in  der  genannten  Gegend  lokal  auch  noch  der  obere  Geschiebemergel 
auf,  aber  nur  zum  Teil  mit  etwas  bedeutenderem  Blockgehalt. 

Die  durch  vielfache  Lücken  unterbrochene,  auch  im  Übrigen  sich 
nicht  durch  auffallige  Oberfläthenbeschaf^enheit  auszeichnende  südöst- 
liche Fortsetzung  des  Geschiebestreifens  lässt  sich  etwa  durch  folgende 
Punkte  fixieren: 

Bei  den  Östlichen  Ausbauen  zu  Wiendorf,  nahe  dem  Sprenzor 
Thal,  tritt  ein  steinreicher  Blocklehm,  zum  Teil  auch  Deckkies  in  be- 
deutender Mächtigkeit  auf,  mit  seinem  SjiatMind-Untergrund  zum  Teil 
schmale  Grenzrücken  zwisdien  den  nachbarlichen  Tliiilern  bildend,  die 
als  Reste  des  hier  30 — 40  m  hohen  Plateaus  erkannt  werden.  Oesthch 


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47] 


Die  mecklenbttrgischen  Höhenrücken  etc. 


261 


hiervon,  bei  Säbel,  Striesdorf,  Dolgen,  Lautuw,  tritt  zwar  viel- 
fiMdi  sof  dem  Sand  der  Deckmergel  in  bedeutender  Bfitohtigkeit  auf, 
S5lle  und  einzelne  eiratiscbe  Blöcke  sind  häufig,  aber  ein  besonderer 
Blockreichtnm  ist  nicht  vorhanden:  wir  haben  Mer  das  nördliche  Rand- 
gebiet in  einer  Meereshöhe  Ton  45  m,  im  Dolgener  Beig  auch  bis  zu. 
71  TD.  anschwellend. 

Ein  grösserer  Blockreichtum  nördlich  von  hier,  bei  Prisanue- 
witz,  gehört  wahrscheinlich  bereits  zum  nördlichen  Rostocker  Parallel- 
zag  (s.  u.). 

6  kni  südlich  von  Schwaan  triflFfc  man  in  Kassow  am  rechten 
Wamowufer  eine  reiclilichere  Steinbestreuung  auf  dem  unteren  Sand, 
und  im  Dorfe  viele  Blöcke;  östlich  und  südlich  davon,  bei  Mistorf, 
Augustenruh,  Lüssow  timlen  sich  vereinzelte  Blöcke,  wenig  reiche 
Steinbestreuung  auf  feinem  Spatsand,  oder  blockarmer  l — 3  m  mächtiger 
oberer  Gbschiebemergel  auf  dem  85  m  hohen  Platean,  ohne  den  Charakter 
des  Gescliiebestreifens  zu  zeigen.  Südlich  dacht  sich  das  Plaieau  zu 
dem  Nebelthal  von  Güstrow  ab,  w'ilirind  bei  Güstrow  die  nordöst- 
lich laufende  breite  Thalrinne  des  Recknitzflusses  beginnt,  deren  beider- 
seitige Uferhöhen  bei  Sarmstorf  und  Spoitendorf  zum  Teil  Klein- 
steinbestreuuug  zeigen. 

Jenseits  des  necknitBäulee  findei  man  bei  Laage  die  FcHiBetzung 
des  Nordrandes  unseres  Oeschiebestreifens  angedeutet: 

Die  tiefen  Einschnitte  am  Bahnhof  Laage  entblössten  einen  an 
Mächtiixkf  it  vielfach  wechselnden  (0,0 — 4 — S  m).  sehr  blockreicheii  oberen 
Geschiebemergel,  der  unter  mannigfachen  grossartigen  Verdrückungen 
rasch  wechsellagenide  untere  Sande  und  Kiese,  auch  Thonsande  und 
unteren  Geschiebemergel  bedeckt,  auch  vielfach  in  Buchtenform  in  seinen 
Untergrund  eingreifend.  Südlich  von  Laage  durchläuft  die  neue  Eisen- 
bahn bei  Lissow,  Corleput,  Knegendorf,  Piaatz  das  oft  vielfach 
durchfurchte  Diluvialplateau  mit  Sauden  und  Steinbestreuung,  wehho 
letztere  oft  ziemlich  reich  ist  und  auch  in  Blocklehm  (z.  B.  bei  Lissow) 
ü>)ergeht;  vereinzelte  Dolmen,  z.  B.  bei  Piaatz,  sind  auch  hier  wieder  zu 
treätu.  Bei  Mierendorf  lagert  0,5  m  sandiger  Decklehni  mit  Steinsohle 
auf  unteren  Sauden  und  Kiesen,  andererseits  trifft  man  unter  ESnbuch- 
ttugen  von  Decklehm  die  Sande  in  schleifenartigen  Biegungen  zusammen- 
geschoben. Bei  Recknitz  tritt  am  Recknitss^l-Ufer  in  15  m  Meeres- 
höhe ein  bis  3  m  mächtiger  sandiger  oberer  Blocklehm  auf  feinem 
Spatsand  auf. 

Südlich  vou  Laage  erhebt  sich  der  gebirgige  Hügelkompiex  des 
Schmooksberges  bei  Lflningsdorf  zu  einer  Höhe  von  135  ra.  Je 
nachdem  man  den  Berg  Ton  Korden  oder  Süden  und  Südosten  besteigt, 

erhält  man  einen  ganz  Terschiedenen  Eindruck,  da  er  kein  vöUig  iscdierter 
Berg  ist,  sondern  in  ähnliclier  Weise  wie  der  Heidberg  l)ei  Teterow 
u.  a.  ni.  zu  dem  nachbarlichen  Phiteau  in  engste  Bezieluiiig  tritt.  Die 
Spitze  und  der  Hauptteil  des  Gehänges  besteht  aus  Sund  und  Kies, 
stellenweise  mit  vielen  Steinen,  oft  von  grosser  Unfruchtbarkeit  des 
Bodens;  am  nordwestiichen  Abfall  besteht  sein  Boden  aus  Geschiebe- 
luergel,  hier  zum  Teil,  z.  B.  nach  der  Pölitzer  Grenze  und  am  Drölitzer 
Ab&ll,  mit  isolierten  oder  zu  Reihen  geordneten  SöUen  und  der  wilden 


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202 


Geioits, 


[48 


Moräiieiilandscliaft In  DrÖliiz  u.  a.  0.  trifft  man  häufige  Blöcke  an 
den  Flanken  des  Berges.  In  einer  Mergelgrube  am  Hofe  Pölitz  ist 
ein  an  Blöcken  reicher  Geschiebemergel  (Deckmergel)  in  irrossartig'e 
Schii  liteiistörung  mit  nachharlichem  Kies  und  Grand  getreten.  Aus 
allen  bisherigen  Beobachtungen  ergibt  sich,  dass  der  obere  Geschiebe- 
mergel an  den  Seiten  des  Berges  Torkommt,  wShrend  er  auf  seiner 
Spitze  fehlt  und  höchstens  durch  Steinbestreuung  yertreten  ist ;  vielleicht 
büdete  also  die  von  „unterem"  Sand  aufgeschüttete  Spitze  eine  von  der 
«ober«!!**  Grundmoräne  fast  freie  Erlief )iing,  ähnlich  wie  bei  anderen 
Bergen  (z,  B.  Helpter-  und  Ruhnerberg). 

Südlich  und  südwestlich  vom  Schmocksberg  treifeu  wir  noch 
emige  andere  isolierte  Erhebungen  und  Berge,  deren  Zusammenhaiiff 
erst  durch  die  neuen  MesstischbUtter  ganz  aufgeklärt  werden  wir£ 
Sie  zeichnen  sich  meist  dadurch  aus,  dass  sie  bis  zur  Spitze  aus  ^un- 
ten'n"  Sauden  und  Kiesen  zusammengesetzt  sind,  am  (Ifh'ange  aber 
auch  zuweilen  mäehtiye  Mertjelbedorkung  zeii^en:  wnhix  lieinlich  sind 
es  ähnliche  Diluvialauthäufungeu  auf  einem  Flcitzgebirgbkern,  wi«-  •/.  B. 
die  Höhen  des  Schönberges  im  Klützer  Ort  oder  der  Sonuenbeig  bei 
Parchim  u.  a.  Vielleicht  kann  man  sie  als  «Ausläufer*  oder  Yerbin* 
dungsglieder  der  l)ena(  h))arten  Geschiebestreifen  auffitssen. 

Am  Ahrens berg  bei  lieinshagen,  ösÜich  Güstrow,  treten  einige 
auffällig  spitzkegelfi)rmi;^n>  Kieserhebungen  aus  dem  steinbestreuten 
Sandboden  her\'or,  die  wohl  kaum  allein  als  Keste  des  I'lateaus  gelten 
dürfen,  sondern  vielleicht  schon  vom  Wasser  selbst  zu  ihrer  i  orm  auf- 
getttimt  worden  sind. 

Die  landschaftlich  recht  aufiälligen,  weil  sich  den  nachbar- 
lichen Wassemiveaus  ziemhch  bedeutend  erhey)enden  Höhen  östlich  von 
Güstrow,  der  Haidberg,  Priemer,  Mestersberg  u.  s.w..  bestehen 
gleich  dem  benachbarten  Diluvialplateau  aus  Sauden  oder  blockarmem 
Deckmergel.  Ihre  isolierten  Kuppen  sind  die  bei  der  Erosion  und 
Evorsion  stehengebliebenen  Beste  des  Plateaus,  Ton  welchem  sie  sich 
in  ihrer  50 — 58  m  betragenden  höchsten  Erhebung  gegenüber  der 
Meereshöhe  des  Plateaus  von  25 — 45  und  mehr  Meter  auch  nicht  be- 
sonders abheben. 

In  dem  östlich  folgenden  Vietgester  Revier  treten  ähnliche 
Höhen  auf  mit  75 — 80  m  Meereserhebung. 

Ein  bemerkenswerter  Reichtum  an  Geschieben  ist  auf  jenen  Höhen 
nicht  zu  konstatieren,  dagegen  finden  wir  B.  bei  den  Bahneinschnitten 
von  Ahrensberg  an  die  mächtigen  Spathsandht^  häufig  blockreichen 
oberen  Geschiebemergel  angelagert. 

Oestlich  von  diesen  Höhen  entltlrissic  die  neueEisenbahn  bei  Vi  etfjest 
und  Laieudorf  blockreiciicn  Deckmergel  des  liier  ca.  3H  m  Indien  Plateaus. 

Südlich  von  LaK  ndorl  steigt  das  Land  über  VogeL^aug  und  Lübsee 
alsbald  zu  dem  südlichen  Hauptgeschiebestreifen  von  Both^palk  an.  In 
den  Laiendorfer  Blockanhäufungen  scheint  eine  Verbindung  der  beiden 
parallelen  ZQge  angestrebt  zu  sein. 


>)  \-^\.  an  li  K   r],.  Arch.  d.  Ver.  f.  Mat. Meddenb.  1884  (88)«  8.255^  und 

die  ächildurungen  vou  Boll  a.  a.  0. 


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Die  mecklenbnrguchen  HShenrttcken  etc. 


263 


In  südöstlicher  Richtung  vom  SchmofiTcslu  rg  durchschreiten  wir 
die  vielfacli  conpierte,  von  Sollen  und  Seen  durclisotzto  Landschaft  von 
Schlieffenberg,  Koge.  Zierstorf  u.  a.,  in  der  unterdiluviale  Kiese 
und  Sande  vorherrscheu ,  oberer  Geschiebemergel  aber  nicht  gänzlich 
fehlt,  jedoch  ohne  erheblichen  Blockreichtum.  In  direkter  Verlängerung 
der  lunrdweatlich-eOdöfltiiGheii  Liaie  folgen  die  Höhen  der  Heidberge 
bei  Teterow.  Wie  der  Schmooksberg,  so  bestehen  auch  diese  bis 
102  m  hohen  Rücken  oben  aus  Sand  und  Geröl Hagem  mit  geringer 
Deckdiluviiilüberlageruug .  und  erst  an  den  Abhängen  tritt  mächtiger, 
Ott  bU)ckreicher  oberer  Geschiebeniergel  auf 

Der  Eiseubahubau  zwischen  Teterow  und  Gnoyen  durchschnitt 
hier  zum  Tefl  die  Nordflanke  des  Geechiebestreifeiis.  Bei  Thflrkow 
zeigen  die  unt^rdiluvialen  SandhUgel  Steinbestreuung  des  Dcckdiluviume; 
der  Einschnitt  längs  des  Holzes  entblösste  Spat*  und  Schluffsand  mit 
—0.8  m  lehmigem  Sand  darauf,  der  ziemlich  viel  Blöcke  enthält, 
zum  Teil  auch  mächtiger  wird  und  in  Decklehm  übergeht,  z.  B.  bei 
Todendorf.    Weiter  nördlich  folgt  blockarmes  Terrain. 

Bei  Teterow  ist  die  Fortseisang  des  Gesdiiebesfareifens  deutlich 
zu  gewahren.  Nach  Bolls  Mitteflung*)  wurde  etwa  im  Jahre  1845 
«bei  Teterow*  für  daa  Ghausseebau  ein  mächtiges  Blocklager  bloss* 
gelegt,  „in  welchem  die  einzelnen  Bl  'u  ke  durcli  braunen,  eisenschüssigen 
Sand  miteinander  verkittet,  wie  ein  dichtes  Mauerwerk  aufeinander  gepackt 
erschienen"  (auflailige  Analogie  mit  Bröbberow  bei  Schwaan  s.  o.). 
Bei  Niendorf  und  Teschow  finden  wir  steinreiche  Felder  mit  dichter 
Steinbeschttttnng,  viele  grosse  Blocke  auf  Idunigen  KieshOgeln  in  dem 
40 '80  m  hohen  Plateau.  Blockreicher  DecSnnergel  auf  Spatsand 
lagernd  geht  weiter  nach  Wendischhagen  und  Bristow  am  nord- 
östlichen Miikhiner  See.  Auch  bei  Kemplin  birgt  der  Deckmergol, 
in  der  Tlnaigrube  nur  0,5  m  mächtig  auf  Bänderthon  lagernd,  mehrfach 
grosse  Geschiebe.  Auf  dem  Septarienthon  von  Pisede  ist  stellen  weise 
sehr  blockreieher  Deckmergel  auf-  und  angelagert  Dagegen  bestdit 
der  hier  zu  108  m  anftteigende  Harkenberg  an  seinem  Qi^el  ähnlich 
wie  der  Schmooksberg  nur  aus  Sauden,  und  erst  an  seinem  Gehlnge 
kommt  der  Blocklehm  zur  Gelhmg. 

Nordwestlich  vom  Harkenl)erg  linden  wir  einen  Höhenzug,  der 
eich  aus  lolgeuden  aus  dem  etwa  80  ra  hohen  Plateau  aufragenden, 
mehr  oder  weniger  isolierten  Bergen  susammensefaEt:  Boben-Berg  mit 
105,5m,  Schlanker  Berg  125  m,  Hardt-Berg  bei  Pohnstorf  122  m 
u.  a.  m.  Auch  der  Hardt-Berg  /.oigt  auf  seinem  Gipfel  nur  Sand  und 
kleinen  Kies,  erst  an  dem  Aldiang  kommen  Hltic^ke  und  gering  mäch- 
tiger Deckmergel.  Westlich  ist  diese  Berggruppe  bei  Mistorf  durch 
herrschenden  Spatsand  von  dem  eigentlichen  Teterower  Geschiebe- 
streifen getrennt ;  auch  an  seinem  nördlichen  raschen  Abfall  bei  Pohnstorf 
ist  kein  Geschiebestreifen^us  zu  g^ewahren. 

Die  Breitenansdehnung  Iftsst  sich  hier  auf  einer  Wanderung  nach 


Vgl.  Geinitz,  1.  Beitrat  z.  Geol  Meckleab.  1S79,  S.  29,  61. 
Abiin  d.  mecUeiib.  LanMfc.  1861,  8.  291. 
VonAvagm  nur  dMMhm  Laad»  vnd  TolkAana«.  L  ft.  19 


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264 


Geuoiti» 


[50 


Neukaien  feststellen.  Am  Wege  zwischen  Markow  und  Hagens- 
ruhni,  sowie  vor  Barnitz  zeigt  eine  reiche  Steiiibestreuung  dt-r  Sand- 
felder, zuweilen  uiit  Deckmergelboden,  längs  des  breiten  Thallaules  die 
(Müiche  Grenze  der  Geechiebeaiih&iiftmg  an. 

Jenseits  des  breiten  Torf-  und  S^thales  des  Malcliiner  und  Onm- 
merower  Sees  setzt  auch  unser  Geschiebestreifen  fort. 

Die  Umgebung  Ton  Malchin  wird  hier  liauptsiUhlich  aus  zu  Ta«xo 
tretenden  unti^ren  Sauden  gebildet,  nur  untergeordnet  tritt  Deckgesehiebe- 
lehm  mit  auf.  Bei  Duckow  nimmt  blockreicher  oberer  Mergel  an 
der  ZusammensetEung  des  hier  40  m  liohen  Plateaus  TeiL'  Das  Hain- 
lioli  bei  Malchin  besteht  am  Nordnmd  der  HOhe  aus  Spatsand,  der 
auch  noch  in  der  Höhe  von  24m  bei  der  Gielower  Mühle  auftritt. 
Auf  dem  [üit  ken  kommt  stellenweise  auch  Blo(  kniergel  zur  Geltung; 
in  den  Kalkgruben  am  Hainholz  ist  mächtiger,  oft  Idockreicher  Ge- 
scliiebemergel  auf  dem  l'läuerkalk  abgehigert.  Auch  unterhalb  Leuschen- 
tin finden  wir  steinreichen  Geschiebemergel  zum  Teil  in  seinen  imteren, 
gegen  den  Spatsand  grenzenden  Partien  mit  roher^  vom  Schmelzwasser 
geEeferter  Schichtung. 

Weiterhin  habe  ich  den  Verlauf  des  Ge.schiebestreifens  zwischen 
Malchin  und  Neubrandenburg  noch  nicht  eingehend  studieren  können. 
Die  Ei8enV)ahn  läuft  öfters,  z.  B.  zwischen  Staveuhagen  und  Mölln, 
hier  auf  dem  sollreichen  Deckmergelplateau  hin. 

In  der  Gegend  Ton  Neubrandenburg  sind  die  Geschiebe- 
anhäufungen wieder  recht  schön  zu  beohachten.  Die  Mak hiner  Eisen- 
bahn läuft  kurz  vor  Neubrandenburg  längs  des  tiefen  Erosionsthalcs 
des  Melliner  Baches  in  zum  Teil  recht  ( liaiaktf  ristisrher  M(»ränenland- 
schatl.  Der  Bau  der  SUdbahn  entblösste  in  dem  ersten  Einschnitt  des 
Westufers  der  grossen  Tollenseniederung  bei  Broda  unteren  Sand  und 
Eies  mit  östlitmem  Ein&llen,  der  auf  der  PUteauhöhe  Ton  Decklehm 
überlagert  ist,  in  welchem  zahlreiche  grosse  C^chiebe  vorkommen. 
Der  lange  Einschnitt  durch  das  60  m  hohe  Plateau  südlich  Weit  in 
zeigte  oberen  und  unferen  Idot  kr(  ichen.  plattiL'  nl>i,n>sonderten  Geschiebe- 
mergel ,  })ei(h^  zu%v(  ili'i)  durch  eine  <>.')  m  du  ke  »Sandschicht  getrennt. 
Mit  wechselnden  Vorkommnissen  reicht  der  l)k>ckreiche  obere  Geschiebe- 
mergel westlich  bis  Wulkenzin,  Malliu  und  Kruckow,  coupiertes 
Terrain,  SdUe,  EiesrUcken,  Morftnenlandschaft  zeigen  auch  hier  den 
Geschiebestreifen  an. 

Auch  djiK  schöne,  ludie  Brodaer  nordwestliche  Ufer  des  Tollense- 
sees bei  Belved«'re,  N<  iibrandenburg,  hat  d^n  Blockmergid  ange- 
schnitten; auch  hier  kann  man  Sandein-  und  Auflagerungen  beob- 
achten; das  Ufer  ist  umsäumt  von  zahlreichen  grossen  ausgewaschenen 
erratischen  Blöcken. 

Am  Ostufer  waltet  im  Nemerower  Holz  zunächst  der  feine 
untere  Sand  vor,  do(  h  zeigen  die  Höhen  des  ()0 — 75  m  hohen  Plateaus 
flu  iifalls  das  zum  Teil  l)lo(  kn  ich«'  Deckdiluvium,  und  an  den  hohen  Ufer- 
steilen  nördlich  Nenicr«tw  tritt  der  Dcckmcrgcl  auch  ;in  den  See  heran. 

üestlich  vor  der  Stadt  erhebt  sich  ids  eine  durch  das  aus  Südost 
kommende  Uftthlthal  und  das  aus  Ost  zur  ToUense  strdmende  IHttzethal 
aus  dem  Plateau  herausgeschnittene  Zunge  der  Galgenberg.  Die 


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61] 


Die  meoUenbnrgisdien  Höhenrficäai  eta 


265 


hier  angesclinittene  Wand  zeigt  in  beträchtlicher  Mächtigkeit  dt-u  Sep- 
tarientlion  meist  innig  mit  nordischem  Moränenmaterial  vermengt  nnd 
schliesslich  von  blauem  reinem  Gescliiebemergel  bedeckt.  Aiü  diesem 
lagert  in  bedeutender  Dicke  Spatsand  und  Grand,  zum  Teil  auch  in 
acnöner  SchichtenstOnmg  unter  Bloddehm.  Die  bis  58  m  hohe  Platrau- 
Oberfläche  zeigt  vorwiegend  Sand  mit  untergeordnetem  Deddehm,  weiter 
östlich  und  nördlich  tiberwiegt  die  Sandlandschaft  immer  melir.  Auch 
hier  am  Galgenberg  ist  ein  selir  bedeutender  Reichtum  an  grossen 
Blöcken  in  dem  oberen  Ot  schiebemergel  zu  konstatieren.  Auf  der  Höhe 
jenseits  des  Mühl-  oder  Lindthaies  (62  m)  finden  wir  über  der  hintersten 
Hoble  reiche  Steinbestrenung  auf  Sand  und  Kies.  Bei  Wohersin 
nördlich  von  Neubrandenburg  finden  sich  auch  viele  Steine. 

Südlich  von  Neubrandenburg  trelfen  wir  bei  Gross  Nemerow 
und  Rowa  auf  dem  bis  90  m  hohen  Mergelplateau  mit  zahlreichen  SdUen 
die  Landschaft  des  Gesrlncbestreifens. 

Die  tiefen  Kessel  bei  S  targar d,  in  den  unteren  Sand  einge- 
arbeitet, die  Wegeanschnitte  von  Sand  mit  buchtenartig  eingreifendem 
oberen  Blockmergel  u.  a.  bezeichnen  den  Fortlauf  des  Geschiebestreifens 
nach  Stargard,  welcher  sich  von  hier  auch  noch  südlich  verbreitert. 
Am  oberen  Ende  von  Stargard  tritt  bis  8  m  mächtiger  gelber,  ZUm  TeU 
etwas  sandiger  oberer  Geschiebemergel  auf. 

l.)en  weiteren  südöstlichen  Verlauf  des  Geschiebestreifens  über 
Cölpin-Petersdorf  habe  ich  noch  nicht  konstatieren  können.  Doch 
tritt  er  nördlich  Ton  Woldegk  in  den  GehSngen  des  Helpter  Berges 
irieder  auf. 

Sudlich  Ton  Woldegk  sendet  der  parallele  Zug  IV  Ins  nach 
Graut^nliagen  und  Göhren  einen  verbindenden  Ausiäufir  in  nord- 
r.stlicher  Richtung.  Die  direkte  Umgebung  von  Woldegk  enthält 
nicht  viel  Blöcke  in  dem  bis  zu  (im  Dicke  anwachsenden  Deckmergel. 

Nördlich  der  Stadt  erhebt  sich  aus  dem  zur  Woldegker  und 
Helpter  Heide  mit  120 — 130  m  au&teigenden  Terrain  der  170  m  hohe 
Helpter  Berg  als  schmaler,  langer,  nordöstlich  streichender  Rücken 
in  ganz  ähnlic  iu  r  Weise  wie  die  Hohe  Burg  bei  Sclilemmin,  an  seinen 
Abhängen  und  auf  der  HCihe  mit  vielen  isolierten  Torfsöllen.  Die  Ober- 
fläche ist  meist  aus  oberem  Geschiebelehm  mit  reichlichen  Blöcken  ge- 
bildet, welche  ausgeackert  oder  im  Walde  durch  Ausrodung  freigelegt 
werden;  unter  dem  Beckmergel  tritt  feiner  Spatsand  herror.  Audi 
das  nördlich  nach  Helpt  bis  120m  abfallende  Gebiet  von  strengem 
Deckmergt'l  ist  noch  reich  an  Blöcken,  im  Osten  schliesst  sich  die  Um- 
gebung von  Mildenitz  in  gleicher  Beziehung  an. 

Dietger  Geschiebestreifen  ist  ausgezeichnet  durch  melirere  isolierte 
bedeutende  Erhebungen,  die  aus  unterdiluvialen  Sandbeschüttungen  be- 
stehen und  wahrscheinlich  resp.  sicher  nachgewiesen  einen  nerYor- 
tretenden  Kern  von  Flötzgebirge  besitzen.  Zuweilen  sind  auch  diese 
Kuppen  etwas  TOr  die  Linie  des  Streifens  herausgerückt. 


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266 


Geiiiite, 


[52 


IL  öeschiebestreifen :  „Warneiiiüude  —  Rostock  —  TeflSin  — 
Darguu  —  Friedland  —  Bröhmer  Berge^. 

Im  wesÜichen  Tefle  des  bis  18  m  hohen  Abbrachsufers  der  Stol- 
tera  bei  Warnemünde  tritt  der  an  grossen  Geschieben  sehr  reiche 
obere  Diluviahnergel  in  beträchtliclicr  Mächtigkeit  (bis  8  m)  direkt  auf 

dem  unteren  läppernd  auf.  während  woitcr  rystlidi  nach  Warnemünde  hin 
sich  viclfjich  tSpatsand  und  Thon  dazwischen  einschiebt ').     Djis  hier 
klintartig   von    der  See  abgebrochene   flache  nach  Jsorden  geneigte 
Diluvialplateau  erreicht  bald,  an  der  Chrenze  zwischen  Diedrichshagen 
und  Elmenhorst,  die  Höhe  Ton  20 — 24  m,  um  bald  wieder  auf  10, 
ja  auch  5  m  (bei  Evershagen)  zu  sinken  und  alsdann  bei  Sievershai:^en 
wieder  auf  20  und  24  ni  nir/iisteigen.    Diese  Gegend  zeij^t  den  Boden 
des  ,DeckmerjS2;els* :  blorki  t  lt  hen  «gelben  Geschiebemergel,  vieh-  ausire- 
wascliene  erratische  Blöcke,  die  auch  in  den  Dörfern  zu  den  charakte- 
ristischen cjklopischen  Mauern  verwendet  sind  (z.  B.  in  Lichten- 
hagen, Elmenhorst,  Diedrichshagen),  zidilreiche  SöUe.  Nur 
untergeordnet  tritt  Spatsand  und  Kies  hervor.    Nach  Westen  Terflai^t 
das  Terrain  und  der  Charakter  des  Geschiebestreifens  tritt  zurück,  an 
der  Ehnenlmrster  Scheide  sinkt  das  Ufer  bis  auf  2  m  tief,  um  alsbald 
wieder  anzusteigen  und  am  Rethwisclier  Hol/,  i;{  m  Höhe  zu  erreichen, 
von  da  wieder  rasch  zur  Niederuog  des  Couveuter  See.s  bei  Börgerende, 
nordöstlich  Doberan,  sinkend.    Der  Boden  bei  Elmenhorst  zeigt 
zahlreiche  Blöcke,  der  ganze  Klint  ist  von  Blöcken  umsäumt,  die  aus 
dem  anstehenden  <)l)eren  und  zum  Teil  unteren  Geschiebemergel  ;uis- 
gewaschen  sind.    Di»'  Rlockiiiauern  in  Rethwisch  und  eine  Geschiebe- 
lehmgrube am  unteren  Ende  des  Dorfes  Börgerende  sowie  die  zahl- 
losen Solle  in  der  südlich  vom  Klint  gelegenen  Landschaft  l>ekundeii, 
dass  das  Ende  der  Deckgeschiebemei^el- Ablagerung  erst  hier,  am  Ost- 
raiide  der  breiten,  durch  den  « Heiligen  Damm*  abgeschlossenen  Reth- 
Wischer  Niederung  zu  suchen  ist.    Das  flache  Diluvialplateau  besteht 
zwar  nicht  durchgängig  aus  dem  oberen  Mergel,  sondern  lässt  auch 
vielfach  die  unteren  Sande  zu  Tage  treten  (besonders  im  östlichen  Teil), 
auch  ist  eine  eigentliche  „Moränenlandschaft'*  nicht  entwickelt;  doch 
können  wir  diesen  Distrikt  immerhin  als  „ Geschiebestreif en"  bezeichnen; 
wir  würden  sonach  seine  Breite  längs  des  Klintes  (wie  ich  das  «Ab- 
bruchsufer*  nennen  möchte)  auf  etwa  8  km  anzugeben  haben. 

Der  südöstliche  Verlauf  ergibt  sich,  zunächst  längs  der  Ostgrenze, 
folgendermassen:  wie  erwähnt,  schiebt  sich  am  östlichen  Klint  der 
Stolteiii  mächtiger  Sand  zwischen  den  oberen  und  unteren  Mergel; 
vielfach  tritt  dabei  der  obere  vollständig  zurück.  Die  am  Strand  aus- 
gewaschenen Blöcke  yerschwinden  an  jenen  Stellen,  so  dass  man  längs 
des  Klintes  erst  nach  2,5  km  von  seinem  östlichen  An&ng  in  das  Oe- 
biet  der  zunächst  spärliclien  Blöcke  gelangt.  Das  südlich  von  hier 
gelegene,  flache  und  niedere  Plateau  hat  vorwiegend  den  oberen  Mezgel, 
stellenweise  aber  auch  Spatsand  darunter  hervortretend. 

*)  Vgl.  auBflkbrUche  Betehieibiutg  und  AuBonuna  der  Stolten  im  VIL  Bettr. 
s.  Oeol.  MeeUeab.  1885. 


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58] 


Die  mecUenlimgiMditii  HöhmrOck«:!  eic. 


267 


Am  Südrand  der  Breitlingiiiederuug  tiiiden  sich  bei  üross  Klein, 
Petersdorf  und  Peez  zahlreiche  grosse  Blöcke  aus  dem  Gescliiebe- 
mergel  ausgewascheii;  em  breites  Steinlager  setzt  quer  duich  den  Wutdow- 
ström  bei  Gross  Klein  als  Verbindung  der  beiderseitigen  Steinaus- 
Waschungen.  In  Lütten  Klein  ist  der  blockreiche  obere  Mergrl 
aufgeschlossen,  die  Blockmauern  des  Dorto>  und  die  nfi(hl);irli<'1i<'n  Sr»lle 
entsprechen  dem  Geschiobestreiten.  Auch  die  neue  Kisenbuim  hat 
zwischen  Schniurl  und  Marienehe  den  blockreichen  oberen  eut- 
blösst,  neben  welchem  zum  Teil  auch  schon  Kies  und  Sand  auftritt 

Am  Ostufer  der  Wamow  tritt  der  Qeschiebestreifen  TÖUig  zurQck. 
Zunilclist  im  Norden  breitet  <u  \i  die  Hostocker  Heide  aus,  und  in  dem 
flachen,  5 — 10  m  holieii  Terrain  l>ei  Krunimondorf  tritt  Sand  und  stellen- 
weise der  sandige,  al»er  lilockannc  ol)ere  Mergel  auf.  Der  letztere 
zieht  sieb,  oft  mit  Sandbedeckung,  weit  nach  Osten  hin.  die  zablroichen 
Solle  und  tiacheu  Depresssioneu  zeigen  hier  das  Gren/.geluet  au,  wo 
sich  die  Schmelzwässer  zu  stromschnellenartiger  Th'atigkeit  entfolten 
konnten.  In  Teutenwinkel  mit  seinen  Blo^mauem  hat  der  obere 
Mergel  noch  einige  Bedeutung.  Viei  Dierkow  und  Bartelsdorf  macht 
sich  dagegen  der  untere  Sand  und  Kies  geltend,  analog  den  westlich 
beiderseits  der  Wamow  unterhalb  Rostock  gelegenen  Orten  (lehlsdorf 
und  Bramow.  In  Gehlsdort  treffen  wir  am  VVaruowuier  block- 
reichen unteren,  bedeckt  Ton  oberem  Mergel  und  diesen  noch  unter 
einer  HoUe  von  Heidesand.  Der  Charakter  der  Moränenlandschaft  ist 
hier  uitLrends  entwickelt. 

Der  bis  hierher,  unterhalb  Rostock,  verfolgte  östliche  Teil  des 
Geschiebestreifens  hat  nach  Obigem  eine  ^/^  ringe  Meereshöbe.  die  sich 
auf  ö — 20,  auch  24  m  belauft;  an  seiner  Zusammensetzung  nimmt 
wesentUchen  Anteil  der  obere  Geschiebemergel,  doch  beteiligen  sich  auch 
der  untere,  sowie  Spatsand  und  bei  Wamemtinde  ein  Kreidekem. 

Die  westliche  Grenze  des  Streifens  verläuft  von  RethwiH<  b  und 
Börgerende  ungefähr  über  die  Orte  Admannshagen,  Allers- 
hairen,  Lambrechtshagen  nach  Klein  Sehwass  und  Wilsen, 
so  dass  hier  bis  zur  W  arnow  eine  Breite  von  0 — 7  km  ersdieint.  Audi 
hier  tritt  zuweilen  innerlialb  »eines  Gelnetes  der  untere  Sand  hervor 
und  nicht  Überall  treten  die  Geschiebe  besonders  häufig  ab  erratische 
Blöcke  auf  den  Boden. 

Einen  guten  Einblick  in  den  Bau  des  Streifen-  i  liloss  die 
Rostock -T^oberaner  Eiseuljahn.  Es  erg.ib  -irli  hier  sehr  deutlich  eine 
Zerteilung  des  blockreichen  Streifens  in  zwei  parallele,  durch  ein  breites 
Sandgebiet  getrennte  Areale.  Das  westliche  ist  bei  Sc hwuss  besonders 
reich  an  Blöcken,  sein  Gteschiebemergelboden  setzt  bis  Parkentin  über 
Allershagen  fort;  alle  Dörfer  haben  hier  ihore  cyklopischen  Mauern. 

Von  Bramow  bei  Rostock  her  zieht  sich  Uber  Barnstorf,  die 
Barnstorfer  Anlagen  nach  Biestow  und  westlich  sowie  südwestlich  vor 
der  Stadt  Rostock  (die  Warneniiinder  Bahn  durchläuft  dies  Gebiet 
ZNvischen  Bramow  und  dem  Rostocker  Kirchhof)  ein  gleich  hoch  ge- 
legenes flaches  Gebiet  von  feinem  Uauptdiluvial-Spatsand  in  ungefähr 
nord-sttdlicher  Richtung.  Auf  demselben  liegen  nur  ganz  untergeordnet 
einz^e  grössere  Blöäe  (z.  B.  an  der  Verbindungsstrasse  zwischen 


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268 


[54 


Barnstorfer  Anlagen  und  Doberaner  Chaussee)  oder  tritt  in  Buchten 
konserviert  der  obere  Geschiobemergel  auf,  oft  schöne  Schichtenstdrungen 

des  feinen  unteren  Sandes  und  seiner  thonigen  Zwischenschichten  ver- 
ursachend. Solclier  geschiebereicher  Deckmerge!  ist  u.  a.  <s\\f  anfjre- 
deckt  wordt  n  durcli  die  Hiiisthnitte  hinter  dem  £ixerciersciiuppen  und 
aut  den  Feldern  südöstlich  vom  Kirchhof. 

Die  Ecke  des  DihivialpkteauB,  auf  der  die  Stadt  Rostock  steht, 
gehört  dem  oberen  und  unteren  Qeechiebemergel  an,  zwischen  denen 
häufig  wechselnd  mächtige  Lager  von  Sanden  vorkommen. 

Oestlich  der  Oherwamow,  von  dem  Weissen  Kreuz  an  über  Bartels- 
dorf u.  s.  w.  herrschen  die  unteren  Sande  und  Kiese  gegenüber  dem 
Deckmergel  derart  vor,  dass  hier,  östlich  der  Stadt  Rostock,  mit  dem 
zu  20  m  ansteigenden  Phiteau  das  östliche  Ende  des  Geschiebestreifens 
anzunehmen  ist 

Südlich  vor  der  Stadt  Rostock  haben  die  Arbeiten  für  den  neuen 
Bahnhof  und  andere  Einschnitte  den  oberen,  zuweilen  sandigen  Geschiebe- 
mergel mit  reichlichen  Blöcken  entblösst,  der  oft  bedeutend  mächtig  auf 
Spatsand  und  Kies  lagert.  Der  Balmbau  bei  Gragetopshof,  Sil- 
demow und  Dalwitzhof  förderte  auf  der  Plateauhöhe  von  20m  eine 
enorme  Menge  grosser  Blöcke,  die  nur  unter  einer  dQnnen  Ackerkrume 
▼erborgen  waren.  Eine  Erinnerung  an  die  durch  lange  Kultur  und 
nicdrigi"  Lage  ziemlich  verwischte  Moränenlandschaft  rufen  hier  die  Solle, 
Torf-  und  Seekessel  noch  wach.  Der  scharfe  Vorspnmg,  den  hier  das 
Warnowtlial  umfliegst,  gehört  dem  Geschiebestreifen  an;  sein  Hoden  ist 
hier  der  untere  Sand  und  Kies,  bedeckt  und  gestört  durch  den  bis 
mehrere  Meter  mächtigen  blackr«ichen  Deckmergel  resp.  dessen  Beete, 
die  Steinbestrettung.  Auch  auf  der  üferhöhe  von  Papendorf  tritt  nodi 
1  m  mächtiger,  an  saonen  geschrammten  Blöcken  reicher  oberer  Mergel 
als  Bedeckung  von  Kies  auf. 

Weiter  nuch  Südwesten  waltet  Sandgebiet  vor,  als  .^fhlliche  Fort- 
setzung des  Braniovv-Biestower  Sandes;  hier  tritt  auch  bei  Polchow  und 
Wahrstorf  der  unterdiluviale  Thon  in  Zusammenhang  mit  dem  Lager 
bei  Schwaaa  in  beträchtlicher  Mächtigkeit  zu  Tage,  viel&eh  noch  von 
Deckmergel  überlagert.  Auf  dem  gegen  40  m  hohen  Plateau  nördlich 
von  Pölchow,  bei  Niendorf,  Gross  Stove,  Kritzemow,  Wilsen  bis 
Klein  Sdiwass,  ist  zwar  der  Deckmergelhoden  vorwiegend  und  tniden 
sich  Srdlt'  und  grössere  Tortkessel  in  ungeheurer  Anzahl,  doch  tritt  der 
Blockreichtum  zurück;  noch  weiter  westlich  findet  sich  bei  Fahren- 
holz in  dem  vorherrschenden  Sandterrain  noch  oberer  Geschiebemergel 
konserviert,  mit  Schichtenstörungen  seines  Kiesuntergnmdes. 

Jenseits  der  Wamow  tritt  in  der  Gegend  von  Kessin,  Köster- 
beck und  Hohen  Srhwurfs  .sowie  bei  Niex  gegenüber  Papendorf 
stark  coupiertes  Terrain  auf,  zum  Teil  mit  nicht  sehr  mächtigem  oberen 
Blockmergel,  der  den  unteren  Sand  und  Kies  bedeckt  oder  in  Buchten 
eingreift  (z.  B.  bei  Niex),  oft  mit  vielen  schön  geschrammten  Geschieben. 
Der  Sand  kommt  an  den  üfergehän^n  tmd  weiter  auf  den  Höhen  zur 
Geltung,  so  dass  alsbald  der  eintönige  Sandboden  des  hohen  Plateaus 
vorherrscht,  allerdings  auch  hier  noch  zuweilen  von  Deckmergelpartien 
unterbrochen.  Die  Höhe  des  Sigualberges  bei  Kösterbeck  (60  m)  besteht 


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55] 


Die  meeklcabargiioheii  HOhenrtlokeii  ete. 


haupteUchlich  ihh  feinem  Spatsand  mit  untei^eorduetem  Deckmergel, 
die  niedrigeren  Punkte,  auch  im  Thale  bei  Kösterbeck  und  Beselin, 
zeigen  oft  reiche  Stein-  und  BloekhtMleckun«^  auf  unterdikiviiileni  Sand 
und  Ki«'s  <)(k'r  mächtigen  oberen  (icsc  }ii(.'l.)»*iin.'rgel.  l);is  liO — ti')  m  hohe 
Plateau  bei  Fresendorf  besteht  aus  thouigem  unteren  Feinsand, 
dem  luer  leichlidi  grosse  Blöcke  des  weggespülten  Deckdiluviums  auf- 
lagern; die  zahlreichen  isolierten  Torfdepressionen  und  SfiUe,  sowie  die 
tidfen  Thalbeginne  und  Schluchten  gehören  der  Moränenlandschafl  zu. 

Hier  schliessen  sich  mm  östlich  bis  Tessin  die  grossen  Torf- 
niederungen von  W  o  1  f  s  b  e  r  g  und  G  ö  1  d  e  u  i  t  z  an,  einstige  grosse  Seen, 
und  lassen  die  Fortsetzung  des  Geschiebestreiteoss  ehr  undeutlich  erkennen. 

Im  BQdflD  ist  die  Chrenze  ehra  hei  EaTeUtorf  (Deckmergel, 
Blockmanem,  SöOe  u.  a.)  su  suchen;  ein  grösserer  Blockreichtam  in 
dem  bis  2  m  mächtig  auf  unterem  Grand  und  Geschid>anergel  lagern- 
den Deckmergel  in  dem  Bahneinschnitt  bei  Pris  a  nne  wi  tz,  sQdlich 
von  Kavelsti^rf,  bildet  einen  südhchen  Zipfel  des  Streifens.  Im  Osten 
geben  Petschow,  Niekrenz,  Horst  die  Fortsetzung  nach  Südosten  an. 

In  der  Garend  von  Tessin  ist  das  Plateau  rechts  der  Eecknitz- 
niederung  bei  Vilz  ▼ielfach  durchfurcht  und  zu  Belagen  modelliert,  die 
aus  unteren  Sanden  und  Kies  bestehen,  mit  zahlreichen  grossen  und 
kleinen  Steinen  bestreut,  lokal  auch  Reste  von  Deckmergel  enthalten. 
3.5  km  südlich  von  Tessin  zeigt  ein  schöner  an  der  Chaussee  gelegener 
Dolmen  auf  dem  Sand{)lateau  die  einstige  Verwertung  der  Blockbe- 
deckuug  in  jener  Gegend. 

Die  G%AU8see  zwischen  Tessin  und  Gnoyen  f&hrt  uns  nicht  die 
Charaktere  des  Geschiebestreifens  vor  Augen,  meist  durchläuft  sie  ein 
steinarmes  Spatsandplateau.  Nördlich  von  ihr  keffen  wir  bei  Samow 
die  dort  zu  Tajze  tretende  Kreide  von  wenig  mächtigem  Blockraergel 
überlagert.  Westlich  von  Gnoyen  dun  hliluft  die  Eisenbahn  bei  Boddin 
einen  moränenarti^en  Rücken,  aus  Spatsund  und  Grand  mit  mächtiger, 
blockreicher  Gesdiiebekiealthenchllttung  bestehend.  Eine  grosse  Lemn- 
grube  sQdlich  von  Gnoyen  an  der  Chaussee  baut  einen  circa  5  m 
mächtigen,  nicht  sehr  blockreichen  oberen  Geschiebemo^gel  ab.  Auch 
die  Chaussee  zwischen  Gnoyen  und  Dargun  bietet  keine  Aufschlüsse 
über  einen  charakteristischen  Geschiebestreifen,  meist  ist  es  Deckmergel- 
plateau  ohne  viel  Steine,  zum  Teil  auch  Feinsand. 

Die  zahlreichen  Blöcke,  die  zu  Mauern  angehäuft  oder  zu  anderen 
Ballten  yerwerfcet  die  nördliche  Stadt  Dargun  auszeichnen,  geben  uns 
einflü  Anhalt,  dass  hier  der  Oi  st  hiebestreifen  seine  Fortsetzung  nimmt, 
die  nach  Südwesten  etwa  bis  Kützerhof  reicht,  nach  Südosten  durch 
mehrfache  Blöcke  bis  Upost  noch  konstatiert  wurde. 

Nach  Nordosten  habe  ich  den  Streifen  noch  nicht  weiter  verfolgen 
können,  ebenso  fehlen  mir  Beobachtungen  über  seinen  Verlauf  nach 
SOdosten  durch  das  hier  weit  eindringende  Gebiet  von  Pommern.  Ob 
die  von  Boll  angeführten  Ereidepui&te  Peselin  und  Clempenow, 
Gel  che  n  nördlich  von  Treptow  zu  dem  Streifen  gehören  oder  einen 
divergierenden  Seiteuzweig  zu  dem  nördlichsten  Streifen  bilden,  kann 
ich  ebenfalls  zur  Zeit  nicht  entselieiden. 

In  südösthcher  Verlängerung  des  besprochenen,  zum  Teil  freilich 


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270 


(ieinitz, 


[50 


nur  lOckenliaft  imtersachten  GeschiebestreifeziB  «Warnemünde — Bostock — 
Dargun"  treffen  wir  wieder  in  der  Gegend  von  Friedland  reiche 

Blockanbäufuugen. 

Auf  dem  flachen,  zu  45  m  sieh  erht^jenden  Plateau  von  Salow, 
westlich  Friedland,  trifft  man  die  Kreide  unter  Geschiebemergel,  der 
seinen  Untergrund  Tiel&ch  stark  zusammengeschoben  hat  und  der  sich 
durch  esnen  grosse  Reichtum  an  grossen ,  oft  schOn  geschrammten 
"BLöcken  auszeichnet.  In  dem  niedriger  gelegenen  Areal  nach  Friedland 
zu  kommt  mächtiger  unterer  Feinsand  zu  Tage.  Die  Stadtmauern  von 
Friedland  sind  ebenso  wie  die  von  Neiibraiidenburg  nus  «Felsen* 
i^'ebaut  und  weisen  wie  dort  auf  die  Hiuili^ktit  von  Blöcken  in  un- 
mittelbarer Umgebung  der  Stadt  hin.  Südlich  von  hier  macht  sich 
swischen  Sadelkow  undOenzkow  auf  dem  45— 55  m  hohen  Terrain 
ein  bedeutender  Blockreichtum  geltend  und  weiter  liisst  sich  der  Ge- 
schiebestreifen in  di(  sfnrk  eoupierte  Gegend  der  Bröhmer  Berge 
vei'folgen,  wo.  wieder  durch  einzelne  Sanddistrikte  unterbrochen,  der 
von  erratischen  Blöcken  oft  völlig  übersiUe  Boden  des  oberen  Geschiebe- 
mergols  vorwaltet;  cyklopische  Maueni  in  den  Dörfern,  wie  z.  B.  in  J  at  zke, 
Brehm,  Heinriehswalde,  Matzdorf  u.  a.,  an  den  Wegen  ange- 
häufte riesige  Blocke,  Sölle  und  Torfkessel,  stark  ooupiertes  Terrain, 
geben  hier  wieder  das  typische  Bild  der  Morftnenlandschaft.  Das  Terrain 
steigt  hier  im  Bröhmer  WaM  bi<  1^2  m  an,  ohne  aber  eigentliche  Berg- 
spitzen zu  hiMf-n;  die  Kieferwaldungen  zeigen,  dass  auch  hier  vit'lfa<h 
der  untere  »Sand  zu  Tage  tritt.  Die  Kreide-  und  Septarienthon- 
vorkommuisse  sUdlich  von  Wittenborn,  von  blockreichem  Deckmergel 
Überlagert,  erweisen  auch  hier  wieder  einen  Kern  von  8lterem  Gebirge 
in  dieser  Bodenerhebung.  Die  grösste  Höhe  liegt  bei  Matzdorf  mit 
149  m.  Der  sehr  ausgeprägt  nordweststreichende  Hölienzug  fällt  bei 
G ehren  steil  ;ib  y.w  »b^r  weiten  Niederung  des  Gnlo?ibecker  S«'»»^  und 
der  grossen  Friedliuulcr  \Vic>e.  Aucii  die  Sandicldcr  bei  (iehren  liegen 
noch  voller  Steine,  uud  unter  dem  lU'  mächtigen  Turf  der  grossen 
Friedteader  Wiese  finden  sich  nach  Boll  häufig  grosse  Steine 

Ueber  weitere  Vorkommnisse  von  Blockanhäufungen,  die  einer 
bedeutenden  Breitenausdehnung  unseres  Oeschiebestreifens  bis  Friedland 
eni<?prechen ,  liegen  Mitteilungen  von  Boll  vor  bezüglich  seines  nörd- 
üchen  Streifens  (1). 


!•  Geschiebestrelfen:  ^Fischlaud  —  Saal  —  Blbuitz  —  Sülz  — 

Loitzi« 

Bei  dem  Kirchdorf  AVustrow  auf  dem  Fischland  erhebt  sich  das 
Land  aus  dem  niederen  Heidesaiid  und  Moorboden  bis  über  20  m,  um 
alsdann  an  der  Landesgrenze  bei  Ahrenshoop  wieder  zur  Heidesiunl- 
iiiederung  des  Darsser  Ortes  hcral>zusinken.  Der  Klint  (Abbruchsufer I, 
von  zahlreichen  grossen  ausgewaschenen  Blöcken  umsäumt,  zeigt  hier 


■)  Abriüs  1661,  S.  13. 


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Die  uiecklenburgiächoi  HöhenrQ«^«!!  etc. 


271 


unteren  grauen  Gescliiebemergdf  meist  von  gelbem  oberen  bedeckt,  und 
auf  diesem  nocli  den  1  —  5  m  mächtigen  Heidesand  mit  seiner  Oi*tstein- 
bildung.  ZwiscluMi  Itciden  Gcschit'henicrgehi  triff  sclft-u  etwas  Sand  und 
auch  i't'tft'r  blauer  Tlion  auf.  Beide  Mer^^el  führen  einen  {jjossen  Keich- 
tum  an  Blöcken,  zuin  Teil  auch  so  massenhaft  Ki'eidestückeu,  dass  eine 
Lo]nlm(H&ie  Torliegt,  einem  nachbarlichen  Kreidekem  entmsrechend. 

Das  jenseitige  Stdlnfer  des  Saaler  Boddens  zeigfc  bei  Saal  Gre- 
schiebemerfrel  und  viele  aus  demselben  ausgewaschene  Blöcke. 

Südlirh  vou  liier  treffen  wir  den  Geseliiebestreifen  in  der  Gegend 
vonHibnitz,  indem  hier  der  gescliiebereiclie  Deckmergel  zur  Geltung 
kommt.  In  der  Gegend  von  Freudenberg  sind  die  (ie.Mliiebe  nicht 
besonders  häufig,  dagegen  finden  sich  in  der  sich  südlich  anschliessen- 
den hügeligen  Landschaft  yon  Tressentin  und  Jankendorf  viele 
errafisebe  Bldcke,  in  den  Dörfern  cyklopische  Mauern.  Der  blockreiche 
Geschiebeniergel  oder  seine  Vertreter,  Deckkies  und  mächtige  Steinbe- 
streuung  auf  unterdiluvialejii  Kies,  treten  in  südöstlicber  Fortsetzung  auf 
den  linksseitigen  Hfihen  des  Greiiztliales  der  Re»  kiiitz  bei  Marlow, 
Schulenbur^  u.  s.  f.  auf.  Südlich  vor  der  Stadt  Sülz  triÜ't  mau 
beim  Abstieg  in  das  Thal  Hergelboden  mit  einzelnen  grossen  Btöcken, 
im  Untergrund  Spatsand. 

Vorstehende  Daten  ergänzen  die  Angaben  BolVs.  nach  welchen 
der  Geschiebestreifen  erst  bei  Sülz  beginnen  soll,  l  iii-  <lie  Fortsetzung 
'bs  Streifens  kann  ich  nun  nur  die  weiteren  Mitteilungen  lio  1  Ts hier 
anlüliren.  Danach  zieht  er  sich  „durch  Pommern  an  der  mecklen- 
burgischen Orenze  entlang  zwischen  Demmin  und  Loitz  hindurch 
über  Daberkow,  Wietzow,  Glempenow  und  Spantekow,  berflhrt 
beiDischley,  Ramelow,  Br esew itz  und  Friedland  die  nördliche 
Grenze  von  Mecklenburg -Strelitz.  durch.schneidet  in  grosser  Breite  die 
Friedland-Anklamer  Thaussee.  setzt  dann  über  Neuensund,  Klepels- 
hageu  u.  s.  w.  bis  in  die  Gegend  zwischen  l'asewalk  und  Frenz- 
lau  fort* 

Eingehender  bespricht  Boll  die  Fortsetzung  des  Streifens  in  seiner 

.rweogiio>ir  <].  deutMb.  Ostseeländer"  1840,  S.  108:  ,F(dgende Ort.^chaften 
(nach  der  Gegend  zwischen  Demmin  und  Loitz)  sind  mir  aus  diesem 
Streifen  bekannt:  Karnitz.  -Tahiikow,  Waldhof,  Mederow,  Toitz, 
Stedorf.  C^uitzerow.  N'olschow,  Kadow,  Toitin,  Padderow, 
Kagenow,  Priemen,  Daberkow,  Wietzow,  Steinmocker,  Spante- 
kow, Bresewitz,  Ramelow;  mit  seinem  SUdrande  streift  er  dann 
die  Stadt  Friedland,  durchschneidet  in  grosser  Breite  die  P^iedland- 
Anklamer  Chaussee,  läuft  sodann  auf  Putzar  und  die  Bröhmer  Berge 
zu  und  erfüllt  endlich  das  ganze  Dreieck  zwischen  Prenzlau,  Pase- 
Wiilk  nnd  Brüssow.  indem  er  bei  der  erstgenannten  Stadt  mit  dem 
zweiten  Streifen  (Steinhagen  — MöUeuiiagen  —  Schwedt)  zuaammenstösst/ 
Die  Torstehenden  Angaben  Bolls  lassen  erkennen,  dass  unser 
6e«chiebestreifen  I  mit  der  gewöhnlichen  Richtung  nach  Südosten  in 
die  Gegend  südlich  von  Anklam  föuft;  die  Vorkommnisse  bei  Clempe- 


Areh.  f.  Luudeiik.  iu  Mecklenb.  1855,  ä.  345. 


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272 


Geiuitz, 


[58 


now  und  Fnedland  sind  zu  dem  Streifen  II  zu  zSlilen,  der  am  Galen- 
becker See  mit  dem  vorigen  nabe  zusammenrückt.  Bereits  oben  wurde 

gezeigt,  dass  Streifen  II  und  III  am  Helpter  Berge  sich  sehr  niheni 
und  aucli  IV  hier  einen  nördlichen  Ausläufer  von  Feldberg  aus  vor- 
s(  hiebt.  Dllher  die  Angabe  Boll«,  dass  in  der  Oe<7ond  von  Prenzlau 
diese  (Tt'.s(  hi«'hestreitt'n  zusammenstossen.  Eine  .sptM  iclle  Untersuchung 
der  Verhaltnisse  in  Vorpommeni  wird  vielleicht  ergeben,  dass  in  jener 
Gegend  eine  ümlenkung  der  Streifen  aus  der  nordwest-sfldOetlichen  in 
westOstliche  Richtung  stattfindet 


Die  C^eschiebestreifen  sind  durchaus  nicht  auf  Mecklenburg  be* 
schränkt,  sondern  finden  sich  auch  in  den  ost-  und  westwärts  gelegenen 
Teilen  des  norddeutschen  Tieflandes,  wenn  sie  auch  dort  erst  noch  einer 
genaueren  Darstellung  harren.  Ganz  kurz  seien  die  wenigen  mir  bisher 
genau  bekannt  gewordenen  Punkte  ausserhalb  Mecklenburgs  erwSlmt. 

Geschiebestreiltn  in  Pommern  und  Rügen. 

Die  nördlich  an  der  äussersten  Spitze  des  DarsserOrts  gelegene 
flache  kleine  Insel  besteht  aus  Geschiehemergel;  liier  am  Strand  und 
am  Darsser  Leuchtturm  titiden  sich  die  sonst  am  Darss  und  Zingsi 
fehlenden  grösseren  IStraudgerölle. 

Oesthch  von  hier  trifft  man  auf  der  Boddenfahrt  von  Prerow 
nach  Stralsund  nach  den  flachen  Sand-  und  Moorwiesenf  welche  ein  in 
die  Augen  springender  Beweis  f&r  die  säkulare  Senkung  der  Eflste  sind, 
erst  bei  dem  „Bock"  und  der  Ecke  von  Zaren z in  wieder  Steilufw 
mit  Geschiebt'inergfl  und  bei  Stralsund,  wie  besonders  der  alten 
Fähre  steib'  Mergelabbruchsufer  mit  vielen  ausgewaschenen  Blöcken. 

Diese  Orte  gehören  einem  oder  zwei  Geschiebestreifen  an. 

Auch  die  Insel  Rügen  zeigt  vielfach  den  Charakter  der  Geschiebe- 
streifen. 

Biner  derselben  wird  am  Baakenberg  auf  Hiddensöe  beginnen, 
bei  Bergen  am  schönen  Rugard  treffen  wir  den  Charakter  der  ge- 
schieberoicheu  Moränenlandscluift,  und  wahrscheinlich  wird  si<h  der 
Streifen  südöstlich  über  Futbus,  die  Inseln  Vilm  und  Stubl)er 
nach  der  Gegend  von  Wolgast  verfolgen  lassen,  oder  auch  von  Vilm 
nach  Sudosten  Uber  die  Tcrschiedenen  Untiefen  des  C^reifswalder  Boddens 
und  die  Sadspitze  von  Mönchsgut  nach.der  Greifswalder  Oie  laufen 

Einen  zweiten  Geschiebestreifen  liat  BolP)  (als  seinen  vierten 
Streifen)  beschrieben:  dersell)e  beginnt  auf  VVittow,  nördlich  Ton 
Puttgarten  an  der  Küste  und  geht  bis  Nobbin,  wo  er  erst  beim  Beginn 
des  saudigen  Küstenstriches  der  Schabe  verschwindet  und  da,  wo  der 
Sand  aufhört,  an  der  westlichen  Spitze  von  J  asm  und,  bei  König  s- 


')  Vgl.  ilif  Tiefenkartf  ck-s  Greildwalder  BoddüiiB  von  E.  Boruhölt:  .Der 
Gniftwalder  Bodden".    Dissoi-tation.    GreifswalH  180$. 
*)  Geogn.  d.  d.  Ostaeel.         S.  108. 


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59] 


Die  mecklenburgiaohen  HOhenracken  etc. 


273 


hörn,  wieder  zum  V'orscheiu  kommt.  Von  hier  aus  folgt  er  dem  Ver- 
lauf der  Jasmundischen  KQste  (und  setzt  auf  dem  Plateau  fort),  bis  er, 
abermals  durch  die  Schmale  Heide  tmterbrocheii,  wieder  in  dem  Stein- 
rack,  dem  Granit  z er  0  rt  und  dem  Göhren  sehen  Hövt  zum  Vor- 
schein kommt.  Sodann  taucht  er  nochmals  bei  der  Greifs  walder 
Oie  auf  und  geht  dann  auf  das  Festland  von  Hinterpommern  ül)er. 
—  Vielleicht  ist  aber  dieser  südliche  Teil  noch  zum  vorigen  gehörig 
imd  läuft  dieser  äuäseräte  Zug  von  Jasmund  aus. 

Geschiebestreifen  in  der  LUneburger  Heide. 

Von  ganz  besonderem  Interesse  ist  es,  dass  auch  noch  w titer 
südwärts  von  der  mecklenburgischen  Seenplatte  nicht  allein  im  Mccklen- 
bui^er  Heidegebiet  (s.  o.),  sondern  auch  jenseits  der  Elbe,  in  der  Lüne- 
burger Heide,  in  dem  Areal,  welches  vielfach  als  von  der  „zweiten 
Yereieung"  freigeblieben  anffeeehen  wird,  aidi  die  Qeeehiebestreifen  zeigen. 

In  der  unmittelbaren  Umgebung  der  Stadt  Lüneburg  finden  wir 
auf  und  an,  sowie  in  KlQft^n  in  dem  anstehenden  Gebirge  TOU  Qjpe, 
Muschelkalk,  Keuperthon,  Kreide  und  Tertiär  zahlreiche  grosse  diluviale 
Geschiebe  im  (Tcschiebemert^ei  und  Deckkies  anj^ehilnft.  Die  vielfachen 
Schichtenstörungen  des  Flötzgebirgsuntergrundes  durch  den  Geschiebe- 
mergel sind  bekannt.  Auch  hier  zeigt  sich  ein  unterer  und  ein  oberer 
Hergel,  oft  durch  Sand  und  Thonachichten  von  einander  getrennt. 
Auch  nördhch  von  Lüneburg  findet  sidx  bei  Scharenbeck  unter- 
diluvialer Mammuthkies  mit  Steinbestreuung.  Näher  an  Lüneburg  trifft 
man  bei  Erbstorf  eine  block-  und  steinreiche  Gegend,  f)  —  (5  km  süd- 
lich Lüneburg  trifft  mau  nach  der  normalen  Heide  in  derMelbecker 
Heide  auf  dem  wohlgeschichteten  unteren  Saud  und  Grand  0,5 — 1  m 
Deckkiee,  oft  auf  den  Höhen  mit  reichen  und  grossen  Blöcken,  ganz 
wie  in  den  südmecklenlmrgischen  im  Sandterritorium  gelegenen  Oe- 
se hiebestreifen;  nachbarliche  Höhen  südlich  Melbeck  zeigen  sogar 
Geschiebemergelboden  mit  Buchen-  und  Weizenl»e>tand. 

Etwa  1>  km  südöstlicli  von  Lüneburg  ist  Vastorf  reich  an  Steinen 
mit  Mergel-  und  Decksandboden.  Noch  weiter  finden  sich  in  derselben 
Richtung  zwischen  Beyensen  und  Göhrde  massenhafte  Steine. 

Wir  können  diese  Orte  zn  einem  XI.  Geschiebesfareifen  «Lflneburg — 
Vaaforf — Göhrde  vereinigen. 

Ihm  parallel  liuift  ein  anderer  (Xü),  durch  folgende  Vorkommnisse 
angedeutet: 

Nach  P.  Engelhardt')  finden  sich  bei  Grevendorf  an  der 
Luhe,  südwestlich  von  Lüneburg,  zahlreiche  erratische  Blöcke,  und 
weiter  abwftrts  (nach  Nordosten)  ist  die  Heide  bei  den  Ortschaften 
Dehnsen,  Etzen  bis  nach  Wohlenbüt  tel  , mit  dner  grossen  Menge 
von  Steinblöcken  bedeckt,  so  dass  sie  stellenweise  zu  wahren  Steinfeldern 
ausartet".  Ebenso  findet  sich  nach  Mitteilung  von  Dr.  Sprengell-Lüne- 
burg  noch  bei  Amelinghausen  Lehmboden  mit  massenhafter  Stein- 

0  Ueber  da«  Gebiet  dea  LnbefluMeB  in  der  Lttnebntgar  EMde.  DiiaertatiOD. 
Rostock  1879.  8.  25>  26. 


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274 


Qeinitey 


[60 


puckuiig.  Jeue  Gegend  enthält  zahlreiche  steiuerue  prähistorische  Be- 
grabnisstStteii. 

Südöstlich  davon  treffen  wir  in  dem  Deckkies,  der  den  unteren 

öescliieberaergel  und  den  diatorneenreichen  Süsswasserkalk  von  Westert 
Weyhe  bei  I'^olzen  üherlagert,  liäiifi^  reiche  Steinbestreu img. 

Die  Feldmark  Esterholz,  ♦>  km  südöstlich  vou  Uelzen,  tilhrt 
oberen  Gesuhiebelehui  mit  masseuhatten  Steinen,  Sehr  grosse  Blöcke 
liegen  «if  den  ablauen  Beigen*  bei  Holzen,  sfldlich  Uäzen. 

Wenn  sich  in  der  Gegend  Yon  Ebstorf  die  gleichen  Verhaltaisse 
hernusst eilen,  so  haben  wir  hier  einen  ziemlich  ToUkonunen  nordwest* 
südöstlich  laufenden  „Geschiebestreifen". 

Siidlicli  davon  isf  in  der  Heide  Hüdlicli  von  <  )beroli«' ein  dritter  (Xlll.) 
Zug  angedeutet  durch  die  sehr  reiche  Steiubestreuung  auf  den  flachen 
Kuppen,  die  sich  aus  der  Ueidesandebene  erheben,  z.  B.  bei  Lutter- 
loh. Bei  Ober-  und  Nedderobe  lagort  Deckkies  mit  reichlichen 
Blöcken  und  schönen  Kantengeröllen  auf  dem  Spatsand,  der  seinerseits 
die  berühmte  Diatomeenerde  überdeckt.  In  den  Gehöften  treffen  wir 
cyklopische  Maueni. 

Nordwestlich  davon  liegt  das  (^uellgebiei  der  Luhe,  zugleich  eine 
liuuptwasserscheide  in  der  Lüneburger  Heide.  Es  ist  dies  der  Voss- 
und  Johannwarsberg  bei  Timmerloh.  Von  dem  Boden  jenor  Bficken 
sagt  Engelhardt'),  dass  er  »aus  grobem,  mit  vielen  G^eschieben  unter- 
mischtem Diluvialsand  lu  steht"  ^^ecksand)  und  dass  „die  Geschiebe 
zum  Teil  eine  erstaunliche  Grösse  erreichen"  :  westlich  von  den  II  ölen 
Timmerloh  findet  sich  in  einem  Kieferwald  ein  über  30a  grossem 
Steiuield  mit  Blöcken  bis  1  cubm  Inhalt. 

Der  von  Engelhar  dt  geschilderte  Verfolg  des  Luheflusses  zeigt, 
dass  von  dieser  Geschiebeanhanfiing  (XIII)  bis  zu  der  bei  Dehnsen 
(Xn)  eine  Unterbrechung  durch  steinannen  resp.  steinfreien  Heidesand 
vorliegt,  also  die  Annahme  zweier  getrennter,  paralleler  Geschiebezüge 
sich  bestätigt. 

Geschiebestreifen  in  Holstein. 

Bei  der  landschaftlichen  und  geologischen  Uebereinstimmung  der 

Gegenden  der  Holstinner  Seen  (z.  B.  bei  Plön,  Eutin  u.  s.  f.)  mit  denen 
Mecklenburgs  ist  eine  Fortsetzung  der  mecklenburgischen  Geschiebe- 
streifen nach  Holstein  zweifellos.  Ich  gehe  niclit  näher  liierimf  ein,  da 
mir  genauere  eigene  Untersuchungen  jener  Gegtiidt  n  trhlen. 

In  Schleswig-Holstein  liegen  die  Verhältnisse  ähnlich,  wie  iu 
den  beschriebenen  Gegenden,  wenn  auch  aus  der  Beschreibung  von 
Meyn^)  zunächst  nur  ein  einziger  nordnordwest-sfidsüdösthch  lau- 
fender Ibihenrücken  mit  Oberdiluvium  (Deckmergel)  vom  Charakter 
der  mecklenburgischen  Geschiebestreifen  vorkommt;  an  diese  Seenplatte 


')  A.  11.  O.  S.  17,  18. 

*)  Mfyn:  Die  Bodenverhältnisse  der  Provinz  Schloswiff-Üolstein.  Mit  geol. 
Uflbenichtskarte  von  Schletw^Holstein.  Abband!,  s.  geol.  BpeaaUcarte  von  PrenneD, 
HL  8.  Berlin  1882. 


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«] 


Die  meddeDbiugiMdieii  HOheorfleken  etc. 


275 


schliesst  sich  iwh  Wv^i^^n  ganz  analopf  den  unten  zu  beschreihenden 
Sandgegenden  hinter  ileii  (xeschiebestreiten  ein  „Sandrückcn",  die  hohe 
Geest,  mit  folgender  Heidesandebene  (Vorgeest)  und  Sandmarsch;  (end- 
hch  folgt  am  Meeresrand  im  Werten  noch  die  Marsch).  (VergL  auch 
die  Bemerkung  hierzu  von  Berendt,  a.  a.  0.  S.  32).  —  Aus  der 
ileynschen  Karte  kami  man  auch,  wenn  man  die  Verhältnisse  von 
Meddenbnrg  im  Gedächtnis  hat,  leicht  einen  von  der  Meynschen  Dar- 
legung insofern  etwas  abweirlienden  Thatbestand  herauslesen,  als  man 
mehrere,  s  üd  (Jstl  i(  Ii  -  tiord  westlich  laufende  (i  es  (hiebe  st  reifen 
mit  ilireu  hiuterücgeuden  Sandarealen  annehmen  konnte,  statt  des 
einzigen  nordsüdlich  laufenden  Gürtels;  der  «mitteldiluviale* 
Deckmei^el  findet  sich  nämlich  mehr&ch  weit  im  Westen,  innerhalb 
der  westlichen  Sandzone  Meyns,  und  umgekehrt  der  Decksand  in  der 
Seenplatte.  Obijflf'ich  diese  V'erliältnisse  erst  noch  genau  untersucht 
werden  müssen,  halte  ich  doch  die  oben  angedeutete  Vermutung  iUr 
sehr  wahrscheinlich.  — 

Zur  besseren  fJeheiakdit  sind  die  einzelnen  «Geschiebestreifen"  noch 
auf  eine  kkiDflire  Uebersichtskarte  B  emgetragen,  mit  der  ungefähren 
Angabe  ihres  Streichens.  Es  zeigt  sich,  dass  die  10  Zage  in  Mecklen- 
burg im  allgemeinen  einen  nordwest  -  südöstlichen  Verlauf  hal>en, 
aber  nicht  völlig  geradlinig  gehen,  sich  zuweilen  verzweigen,  ver- 
engen und  verbreitern,  und  ferner,  dass  sie  seitliche  Ausläufer  ent- 
senden, die  zu  geschlossenen  Querriegelu  zwischen  zwei  benachbaiteu 
Streifen  werden  kdhineni  Vom  Streifen  IX.  bis  zum  III.  hin  liegt  eine 
besonders  auffällige  Kette  Ton  solchen  Verbindungsgliedern,  die  fast 
wie  Reste  eines  Bogens  erscheinen,  dessen  Centrum  im  Norden,  in 
Schleswig,  liegt.  Bemerkenswert  ist  ferner  die  ziemlich  gleiche  Distanz 
aller  Streifen  untereinander.  Nochmals  muss  hervorgehoben  werden, 
dass  die  einzelnen  Geschiebestreifen,  auf  der  Karte  als  breite  Bänder 
angegeben,  nicht  einen  einheitlichen  Bücken  darstellen,  sondern  Reihen 
hinAer-  und  nebenetnamder  gelegener  Hügel  oder  mok  gar  keine  Boden- 
erhebungen sind.  — 


Die  Geschiebestreifen  Mecklenburgs  stehen  in  engster  Beziehung 
zu  der  orographischen  Gestaltung  des  Landes.  Diese  YerhSltnisse 
lind  seit  den  Darstellungen  von  E.  Boll  *)  noch  nicht  wieder  genauer 
nntersocht;  eine  endgültige  Erkenntnis  wird  erst  nach  YeröflPenuichung 

der  von  Herrn  Kamnioringenieur  W,  Peltz- Schwerin  zusammengestellten 
schönen  Höhenschichtenkarte  Mecklenburgs  möglich  sein.  Holls  Be- 
schreibungen beruhten  nicht  vollständig  auf  eigener  Anschauung,  sie 
werden  mehrfache  Berichtigungen  erfahren  müssen. 

Es  sei  zunftchst  kurz  die  Bolls'che  Darstellung  referiert: 
Nach  Boll  ist  die  mecklenburgische  Seenplatte  ein  niedriger 
Landrücken,  der  mit  seinen  nach  beiden  Seiten  abgehenden  Ausläufern 
eine  Breite  von  etwa  9  Meilen  einnimmt;  sdne  Hauptachse  liegt  ungefähr 


*)  VgL  Boll:  Abciis  der  mecklenh.  Landeakonde  1861. 


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276 


Geinitat, 


[62 


in  einer  von  Schwedt,  an  der  Oder  zur  Mitte  des  Schweriner  Sees  ge- 
zogenen Linie.  Auf  seinem  Scheitel  soll  er  eine  weite,  flache  mulden- 
förmige Einsenkung  zeigen,  in  welcher  sich  die  Hauptmasse  der 
Seen  befindet.  „Im  übrigen  ist  die  Oberflächengestalt  dieses  Land- 
rückens sehr  ungleichmässig,  indem  er  sich  bald  zu  wellenförmigen 
Hügelreihen  oder  knppenformigen  H^Hien  erhöht,  bald  auf  grössere 
Strecken  völlig  flach  erscheint."  Seine  Ränder  im  Norden  und  Süden, 
welclie  3*/»  Meilen  voneinander  entfernt  sind,  bilden  die  Höhenlinien 
Feldbcrg  ^  Knase  —  Manhagen  —  Bothspalk  —  Zehna  —  Eikelberg  — 
Qreyesmtthlen  —  Hoher  Schönberg  bei  KlQte,  resp.  im  Sflden  Zehdemcker 
Berg  bei  FOrstenberg  —  Wesenbeig — Woldzegarten — Lübz — Banun  — 
Schwerin  —  Roggendorf. 

.Der  nördliche  Abfall  des  Kückens  entsendet  in  nordöstlicher 
Richtung  noch  mehrere  Ausläufer,  zu  denen  z.  B.  die  Helpter  Berge, 
der  Hartberg  bei  Pohnstorf,  der  Schmooksberg  bei  Lüuiugsdurf,  die 
Schlemminer  und  DiedrichshSger  Berge  gehören.*  Man  sollte  ver- 
muten (und  in  der  That  ist  dieser  Intun  vorgekommen),  dass  hier  ein 
erzgebirgisches  Nordoststreichuhgssjstem  sich  an  da.s  herc^misehe  noxd- 
westlich  gerichtete  anschlösse;  jene  „Ausläufer"  sind  aber  meistens  nur 
durch  Erosion  stehen  gebliebene  kleine  oder  grosse  Reste  von  .selb- 
ständigen, ebenfalls  uordw^estiich  streichenden  Höhenzügen,  wie  dies  u.  a. 
aus  den  Untersuchungen  des  in  ihnen  auftretenden  Fldt^ebirges  sicher 
hervorgeht;  zum  Teil  sind  es  (z.  B.  bei  Pohnsdoif  und  Helpt)  zwischen 
Schmelzwasserrinnen  stehen  gebliebene  Reste  des  Diluvialplateaus,  zum 
Teil  al)er  scheint  sich  der  Sloränenschutt  in  der  That  un  ihnen  nach 
nordöstlicher  Richtung  abgezweigt  zu  haben  (vgl.  Kärtchen  B.). 

Die  Landschaft  nördlich  der  Mulde  zerlegt  Boll  (zum  Teil 
ziemlich  willkürlich)  in  5  Gebiete,  nämlich  in  den  Küstenstrich  zwischen 
der  Dassower  Binnensee  und  der  Sfldsjpitze  der  Wismarsdien  Bucht, 
in  das  Gebiet  der  Schlemminer  und  Diednchsh&ger  Barge,  die  «Becknitz- 
ebene",  die  Quellengebiete  der  IVenr  und  Tollense.  Ton  diesen  Ge- 
bieten gehören  die  })eideTi  erstt-n  zum  Diluvialplateau,  in  den  drei  letzten 
machen  sich  breite;  alluviale  Heidesand-  und  Torfebenen  geltend,  aus 
denen  sich  die  Plateaureste  wie  Berge  erheben.  Daher  lassen  sich 
diese  Randgebiete,  abgesehen  von  ihren  breiten  alluvialen  Thalrinnra, 
nicht  Ton  der  Eih*  l  ung  der  Seenplatte  trennen,  sie  sind  nur,  und  auch 
dies  nur  zum  Teil,  der  flachen  Nordabdachung  der  Platte  zugehörig. 
Bolls  ungenügende  Auitassin!<r  erklärt  sich  daraus,  dass  er  diese  Ge- 
biete meist  nicht  ans  eigener  Anschauung  kannte.  Er  erklärt  aber 
selbst  (a.  a.  0.  S.  244),  das»  unter  seiner  Bezeichnung  ,Hügeii-eihen  und 
deren  Verzweigungen"  nicht  immer  scharf  markierte  Höhenzuge  zu  ver- 
stehen sind,  sondern  breite,  meist  nur  schwach  gewölbte  LandrOcken. 
So  fOhrt  er  in  dem  zweiten  Randgebiet  noch  zwei  „Ausläufer"  an,  die 
resp.  aus  der  Gegend  zwischen  Warin  und  Hohen  Yiecheln  nach 
Kras.sow —  Züsow  —  Kin  h  - Mulsow  und  bei  Eikelberg —  Katelbogen  — 
Schlemminer  Berge  verlaufen.  Die  „Wariner  Mulde erklärt  er  als 
durch  Umrandung  von  zwei  derartigen  Höhenrücken  gebildet.  —  Unter 
der  Bezeichnung  „Recknitz-Ebene"  iasst  Boll  einen  sehr  verschieden- 
artig gestalteten,  durchaus  nidit  einheiÜichen,  ihm  selbst  meist  unbe- 


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63] 


Die  mecklenburgtichen  Höhenrücken  etc. 


277 


kannten  Landesteil  zusammen,  der  vom  Wanu»wtlial  zwisdien  Schwuau 
und  BUtzow,  den  Thälern  Heiliger  Damm  Parkentin  -  Schwaan  im 
Westen,  dem  Recknite  Trebelthal  im  OsUn  und  der  Gegend  sQdfich 
BUsow — Gflstrow — Teterow — Cnmmerower  See  abgegrenzt  wird.  Diese 
, Ebene"  ist  aber  ein  zwar  im  allgemeinen  niedrig  gelegener  Teil  des 
Diluvialplateaus  (mit  mehrf  ron  breiten  Alluvialtliäloni)  von  der  Meerea* 
höhe  20 — 40  m,  in  dem  aber  vielfach  Ansfhweliungen  bis  Uber  lOOm 
auftreten,  im  allgemeinen  eine  langsame  Abdachung  nach  Nord  und 
Nordost  zeigend;  eine  einheitliche  Ebene  ist  sie  nicht.  Mehrere  breite 
ThSler  durclikreusen  den  Landteflf  ihre  breiten  Wiesenflächen  haben 
wahrscheinlich  den  Anlass  gegeben  zu  der  irrigen  Auffassung,  als  sei 
das  Ganze  eine  von  inselartigen  Erhebungen  unterbrochene  Ebene.  — 
Das  <)nf'll»'ngebiet  der  l'eene  wird  als  eine  Bcr^Inndschaft  bezeichnet; 
dieselbe  ist  durch  den  raschen  Wechsel  von  Thalbe^iunen  und  Thälern 
iu  der  MoränenlandÄchaft  bedingt.  Der  hier  angegebene  »Muldenrand ** 
ist  unser  Geschiebestreifen  IV.  —  Das  Quellengebiet  der  Tollense  ver« 
einigt  nach  Boll  die  Charaktere  der  Recknitzebene  und  des  Peenecjuell« 
pebietes;  nach  unseren  Untersuchungen  gehört  es  zum  nämhchen 
Streifen  IV.  Hier  sind  die  „Ausläufer"  auch  als  durch  die  Fluss-  und 
Wiesenthäler  gesonderte  Reste  des  Plateaus  erkannt.  Die  hohen  Berge 
an  der  üstgrenze  (Helpter,  Bröhmer  Berg)  gehören  einem  hercynisch 
stniehenden  Hötzgebirgszug  an. 

«Auch  der  Büdrand  des  ROckens  entsendet  einige  Ausläufer  in 
sOdwestlicher  Richtung.*  Als  wichtigste  werden  die  Parchimer  und 
Mamitzer  Berge  genannt,  iinix'deutendere  zweigen  sich  zwischen  dem 
Schweriner  See  und  dem  Schaalsee  ab.  Zum  Teil  sind  es  auch  hier 
Teile  der  normalen,  nordwestlich  laufenden  Geschiebestreifen. 

Der  südliche  Muldenrand  zeigt  ein  allmähliches  Abfallen  nach 
Sfidwest  zu  der  Meereshöhe  von  40  und  20  m  herab  und  ist  zum  Teil 
ein  sehr  hügeliges  Land,  in  dem  sich  mehrere  isolierte  Berge  erheben, 
die  Reste  des  Plateaus  mit  hercynisch  streichendem  Gebirgskern  sind» 
Die  l)erleutenflsten  Höhen  sind  Her  Ronnenberg  bei  Parchim  und  der 
Rulmer  Berg  bei  Marnitz.  von  denen  wn d.  r  ausstrahlende  „Ausläufer'** 
verzeichnet  werden.  Die  breiten  Heidesandtliüler,  welche  die  IsoUerung 
der  Ton  Boll  als  „schwach  ausgeprägte  Ausläufer*  angeführten  Land- 
rücken verursacht  haben,  werden  unten  besprochen;  sie  werden  als  die 
„südwestliche  Heideebene "  bezeichnet.  Boll  trennt  das  südliche  Rand- 
gebiet der  Mulde  in  die  drei  Teile:  Parchimer  und  Mamitzer  Bei^e, 
Ueideebeue  und  Gebiet  der  Schaale  und  Boize. 

Die  Mulde  und  ihre  Ränder  zerlegt  er  in  fünf  Gebiete:  das 
Qnellengebiet  der  Harel,  das  der  Eide  und  die  grossen  Seen,  das  der 
Wamow,  der  Stepnitz  und  Waknitz  und  das  GeWet  des  Schweriner  Sees. 
,Da  der  sicli  nach  Nordwest  allmählich  senkende  Boden  der  Mulde 
selbst  ansehnlii  Ii  hoch  liegt,  so  machen  sicli  die  Händer,  von  innen 
aus  gesehen,  nur  wenig  bemerk]i( h, '*  Im  Innern  der  Mulde,  deren 
Boden  als  nicht  gleichmässig  konkave  Flüche,  sondern  mehr  oder  weniger 
hügelig  angegeben  wird,  ist  ein  grosses  Sandgebiet;  doch  ist  dasselbe 
nidit  einheit]^,  sondern  durch  vielfache  Mergelareale  und  Gkschiebe- 
streüen  in  mehrere  isolierte  Distrikte  geteilt.   „In  den  Vertiefungen 


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278 


[64 


des  unebenen  Muldenbodeiis  li:il)on  sich  die  (iewä>ser  zu  grossen  innl 
kleineren  Landseen  gesaniiinlt ,  deren  Zahl  so  ansehnlich  ist,  dass  wir 
wenigstens  ^5  aller  mecklenburgischen  »Seen  hier  antreÖeu"  Weuii 
wir  weiter  yernehmen,  dass  beide  Ränder  der  Mulde  von  gGeröUstreifen* 
begleitet  werden,  so  ist  der  Irrtum  leicht  begreiflich,  annmebmen,  dass 
Mecklenburg  von  zwei  parallelen  Endmoränen  in  südöstlich -nordwest- 
licher Richtung  durchquert  wird,  zwischen  denen  ein  Sandgebiet  liegt, 
in  welchem  die  Gewilsser  zu  Seen  aufc^estaut  worden  seien. 

Leirt  man  sicli  nach  den  iMe.sstis(lil)lättern  der  neuen  General- 
stabskarte Querprohle  durch  das  Land  in  nordsüdlicher  oder  nordost- 
sttdwestlicher  Richtung  Ober  den  Landrflcken  hinweg  (vgl.  Tafel  1), 
so  zeigt  sich,  dass  die  Seenplatte  nicht  so  einfach  gebaut  ist,  wie  de 
nach  der  BoUschen  Darstellung  scheint,  sondern  dass  sie  aus  mehrerea 
Wellen  besteht,  die  aus  Diluviulanhiiufuncren  auf  Flötzgebirgskernen  ge- 
bildet sin  l.  Die  „Mulde"  wird  nach  Boll  im  XonlwMst  vom  Geschiebe- 
streifeu  IV  und  zum  Teil  (im  Nordwesten)  von  \ ,  mi  Süden  von  VI  be- 

grenast,  in  ihrem  Inneni  Iftuft  als  Mittelerhebung  der  Streifen  V ;  die  ndrd- 
ch  und  südlich  gelegenen  Landstriche  enthalten  in  mehrfilehem  "Wwhael 
weitere  Bodenwellen,  die  zum  Teil  höher  als  die  der  „Mulde"  au&teigen. 
Jede  der  Bodenwellen  besitzt  eine  von  Flussläufen.  Seen  und  verscbie- 
denen  Erosionsformen  vielfach  unterbrochene  OberHäche.  Vor  resj).  hinter 
ihnen  finden  sich  die  diluvialen  Sandanhäufungen  und  die  Längsthäler. 

Ueber  die  Entstehung  des  baltischen  UühenrUckens  herr- 
schen noch  manche  unklare  Meinungen,  was  wesentUeh  seinen  Grund 
hat  in  (]•  I  nii<jreuügenden,  nur  teilweisen  Kemitnis  der  betreffeuden 
geologischen  Verhältnisse;  mit  blossen  geographischen  Spekulationen 
kommt  man  hier  nicht  zum  Ziel. 

Man  weiss,  dass  auf  dem  „Landrücken"  einzelne  Höhenzüge  ver- 
laufen, die  durch  besonderen  Reichtum  au  erratischen  Blöcken  und 
durch  Vorwiegen  der  oberdiluvialen  Gnmdmorine  ausgezeichnet  sind. 
Boll  spricht  von  zwei  den  mecklenburgischen  Landrflcken  als  Ränder  ab- 
grenzenden „Geröllstreifen*.»  Seine  Angaben  sind  vielfach  missver- 
standen worden,  dass  man  von  Asar-ähnlichen  hohen  Steinmauern  spra<  Ii 
welche  das  Land  durdizielien.  Auch  anderwärts  in  Norddeutschland 
sind  dieselben  Beobachtungen  gemacht. 

Vor  allem  ist  in  dieser  Frage  das  Faktum  herrorzuheben,  dass 
die  Höhenzuge  und  Geschiebeanhäufungen  nicht  ein  und  dieselbe 
BiMung  sind,  wenn  sie  auch  natui^mftss  räumlich  meist  zusammenfalle 
Da  wo  die  Beobachtungen  es  gestatteten,  ist  liäufig  als  Kern 
der  „Geschiebe streifen",  oft  zu  Tage  tretend,  oft  aber  auch  mächtig 
vom  Diluvium  beschüttet,  eine  Erhebung,  Gebirgs falte  älteren  Ge- 
birges, nachgewiesen^).    Zuweilen  liegt  diese  Flötzgebirg.serhebung 


A.  a.  0.  S.  890. 

^)  Girard:  Die  norddeutsche  Ebene  1855,  S.  82. 

')  E.  (leiuit/-:  I.  lioitr.  z.  Geol.  Mecklenb.  1879.  Die  Flötzformaiionen 
Meddenbuigs  1883.  —  Lüddecke,  üeber  Moränenseen,  1881,  S.  34,  schreibt  allei- 
dinps  den  Ausspruch  Girards  aus  dem  Jahre  IRr).",  noch  ab.  da,-)H  Rstlu  h  der  Elbe 
die  Erhebungen  keinen  Zusammenhang  unter  sieb  oder  mit  anderen  Gebirgssystemen 
erirannen  lauen. 


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<i5j  I^ie  meckleaburgischen  Höhenrücken  etc.  279 

aber  auch  etwas  nördlich  Yor  dem  Geflohiebestreifen  (z.  B.  in  den 
Diedrichshäger  Bergen). 

Wie  finiher  p^ezeigt^),  ist  der  Faltemvurt"  des  Flötzgebirges  in 
Mecklenburg  iiucb  den  bislier  möglichen  Beoljachtungen  walirsclieinlich 
allein  nach  dem  hercyniscbeu  Gebirgss^stem  gebildet.  Obgleich 
dieser  ein&che  Bau  fast  zu  ein&ch  etschemt,  habe  ich  doch  bisher 
(mit  Ausnahme  vielleicht  der  noch  undeutlichen  Lagerung  des  Tert&rs 
und  der  Krdde  bei  Malchin)  noch  nirgends  den  Beweis  für  das  Dasein 
des  erzgehirgischen  Systems  auffinden  können;  ich  muss  dies  liier  noch- 
niais  betonen,  da  Andere,  obgleich  mit  den  lokalen  Verhältnissen  un- 
bekannt, doch  dasselbe  behaupten  zu  sollen  glaubten 

Eine  Folge  dieses  einfachen  Gebii^sbaues  ist  uucli  die  sehr  charak- 
teristische Richtung  der  mecklenburgischen  Flussttöler,  die  als  sfldosi- 
nordweatliche  breite  LUngenthiUer  und  als  südwest-nordö.stliche  schmale 
Querthiiler  oder  am  Aljfall  des  Höhenrückens  als  Südwest  -  nordcJsthch 
und  nordost  -  südwesthch  gerichtete  lireite  (ilotscherstrombetten  ver- 
laufen und  dadurch  die  zahlreichen  rechtwinkelig  aufeinander  stos- 
seudeu  Thaleckeu  büden  und  das  Land,  besonders  ausserhalb  der  Seen- 
platte, in  welcher  die  «ETorsion*  Yorherrschte  und  die  Erscheinung 
▼erandeutlichte ,  in  quadratische  Stücken  serlegen.  (Vgl.  Uebersichts- 
kartchen.)  Diese  R«gelmilssigkeit  Teranlasste  Boll  sggar,  nach  den 
damalirr^n  j?e< »logischen  Anschauungen  diese  nordöstlichen  und  nord- 
westlichen Linien  als  Risse  zu  erklären,  welche  durch  «platonische 
Hebungen  entstanden'^  seien  ^). 

Wenn  wir  nun  in  den  Bodenwelleu  Falten  der  alteren  Formationen 
erkennen,  oft  in  so  regelrechter  Weise  susammengeschoben,  dass  man 
▼on  niederen  „  Gebirgszügen*  (z.  B.  Lübtheener,  Diedrichshäger,  Poppen- 
tiner  u.  a.)  reden  kann,  so  ist  die  Erkläriinii;  derselben  als  Aufpres- 
sungeu  des  Bodens  durch  den  Druck  der  Eismassen  längs  des  Fusses 
de»  zurückweichenden  Diluvialgletschers  "^j  sicherlich  ohne  weiteres  zu 
verwerfen. 

Die  mecklenburgische  «Seenplatte*  besteht  aus  mehreren 

ungefähr  parallelen,  im  hercynischen  System  streichenden 

Flötzgebirgsfalten,  an  und  auf,  re.sp.  auch  hinter  denen  Mo- 
ränenschutt und  Sediniente  des  Diluviums  aufgeschüttet  sind, 
di*'  zuweilen  aui  Ii  als  Querriegel  die  naclibarlichen  (Tet)irgs- 
züge  verbinden.  Dieser  Höhenrücken  verdankt  also  seine  Ent- 
stehung der  Kombination  der  beiden  Faktoren:  Oebirgsfaltung 


Geinitz:  FlöUform.  Mecklenb.  1883,  I.  Beitr.  z.  Ueol.  Mecklenb.  1879, 

Seite  95. 

^)  Vgl.  Klockmann:   T)ir  i^eognost.  Verhtlltn.  der  Gegend  von  Schwerin, 
Arch.  Nat.  Mecklenb.  Bd.  36,  1882,  b,  1Ö4  f.;  v.  Könen  in  dem  Referat  über  «Die 
ilOtsfonn.  Mecklenb.'.   Nene«  Jahrb.  f.  Min.  u.  s.  w.  1884,  II.,  ä.  336. 
Abriss  d.  mecklenb.  Landesk.  1861,  8.  b. 

*)  Vgl.  Berendt:  Zeitachr.  d.  d.  geol.  «ie.s.  1879,  8.  15;  Wahnschaffe, 
ebenda  1882,  S.  579;  Penck:  Mittheil.  d.  Ver.  f.  Erdk.  Leipzig  1879.  S.  13.  — 
Dagegen  ist  Löwl  (Ueber  Thalbildung  18 '^4 ,  S.  109)  richtig  geneigt,  ,die  Ent- 
stehung des  baltiachen  LaiidrQokens  mit  eaoften  Schictitenfaltungen  in  Verbindang 
7>u  bringen.* 

TofMluHMtM  aar  draiMlMtt  LMte-  und  ToUnkaade.  t.  9.  IM) 


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280 


GeinitBr 


[00 


der  ältereu  Formationen  und  Beschüttung  durch  das  nordische 
Diluvium  — 

Ehe  wir  ohne  weiteres  unsere  Geschiebestreifen  als  Endmoränen 
erklflren,  vergegenwärtigen  wir  uns  nochmals  ihren  geologischen 
Bau  und  die  Zu8animeasetzuug  der  zwischen  ihnen  gelegeneu  Landes- 
teile. Wir  werden  hierbei  die  Fragen  über  Gliederung  unseres  Dilu- 
viums und  über  die  ein-  und  mehrmalige  Vereisung  Norddeutschknds 
fördern. 

In  der  voraufgehenden  Detailhcschreihnng  fler  einzelnen  Geschiebe- 
streifeu  ist  gezeigt,  dass  die  Geschiebestreiien  mit  ilneni  selir  wechselnden 
Aufsteigen  über  den  Meeresspiegel  durch  die  Blockauhüufuug  fast  durch- 

äängig  des  sogenanntsB  oberen  Düunums  ausgezeidmet  siiäi  dass  aber 
ieses  nicht  die  ganze  Erhebung  wallartig  oder  endmorftnenartig 
zusammensetzt,  sondern,  fast  ausnahmslos  nur  eine  u'  niz  dünne  Decke 
bildet  von  1  —  .  sehr  scKeii  8  m  MUchtif^keit .  sehr  häufig  auch  nur 
0,5  oder  noch  weniger  mächtig  und  vielfach  auch  nur  als  blosse  Stein- 
bestreuung  erhalten.  Die  Unterlage  des  oberen  oder  Deckdiluviums 
bildet  das  Haupt-  oder  untere  Diluvium  mit  seinen  Sonden  und  Granden 
oder  GerOlUagem,  oder  als  Thon  oder  auch  als  unterer  Geschiebemergel 
ausgebildet ;  in  selteneren  Fällen  ragt  auch  das  tkltere  Gebilde  unmittelbar 
unter  das  Deckdiluvium,  hier  al)er  meistens  an  einigen  Stellen,  besonders 
an  den  Flauken,  auch  mit  initerdiluvialen  An-  oder  Auflageiimgen. 
Dieser  Untergrund  von  Unterdiluvium  oder  Flötzgebirge  ist  es,  welelu-r 
alle  die  Bodenreliefs  der  Geschiebestreifen  bildet.  Aui  ihm,  sowohl  aui 
der  Hdhe  als  an  den  Gehängen^  ist  das  obere  Diluvium  als  eine  Decke 
ausgebreitet  Nur  bei  den  spitzen,  hohen  Erhebungen  treflkn  wir 
hiervon  zuweilen  eine  Ausnahme,  indem  diese  entweder  ganz  frei  oder 
nur  mit  einer  sehr  dünnen  De«  kr  fies  Oberdiluviums  bedeckt  sind,  wahrend 
dieses  i  rst  an  den  Flanken  zur  eigentlichen  Entwickelung  gelangt.  Eine 
andere  scheinbare  Ausnahme  ist  djus  Zuiücktreten  des  Deckdiluviums 
an  flachen  oder  steileren  Gehängen  gegenüber  dem  mlchtigein  Eni- 
wickeltsein  auf  den  Höhen ;  dies  hat  seinen  Grund  in  der  denudierenden 
Thätigkeit  der  Gewässer,  welche  vielfach  erst  jene  Gehinge  durch 
Erosion  oder  Evorsion*)  geschaffen  haben. 


S.  auch  Geinitz:  Ueb«r  die  Entatehnn^  d.  meeklenb.  Seen.  Areh.  f.  Nat. 

Heckl.  1885,  S.  2. 

')  Ueber  die  besoudere  Art  von  Erosion,  die  als  a^voreion'  bezeichnet 
wud,  vgl.  E.  Geinits:  üeber  die  Bntatehnng  d.  meeklenb.  Seen.  Areh.  t.  Nat 
NecUenb.  18S5,  8.  9. 


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67] 


Die  mecklenburgischen  Uühenrücken  etc. 


281 


ü.  Die  Landstriche  zwischen  den  Geschiebestreifen. 

Zur  weiteren  Erkeuutnis  der  \  erhültuiöse  bedarf  es  noch  der 
Schilderung  der  zwischen  den  einzelnen  Geschiebestreifeu 
l^elegenen  Landstriche.  Üm  nicht  allzusehr  ins  Detul  eingehen  zu 
müssen,  können  hierbei  nur  einzelne  Gebiete,  die  uls  die  vmcliiedenea 
Typen  gelten  können,  specieller  beschrieben,  die  übrigen  nur  flüchtig 
erwähnt  werden:  eine  f?enaue  Kenntnis  derselben,  besonders  in  ihrer  Ab- 
grenzung, wird  erst  durch  die  geologische  Uebersichtskartienmg  Mecklen- 
burgs ermögUcht  werden  können. 

Diese  Landstriche  zwischen  den  Geschiebestreifen  gehören  drei 
Typen  der  Diluviallandschaft  an,  nämlich:  1)  der  nach  der  gegen- 
wärtigen Klassifikation  als  unterdiluvial  bezeichneten  Sand- 
heide (analog  der  Lüneburger  Heide),  2)  einem  gemischten  Typus, 
wo  neben  den  unteren  Sunden  das  Oberdiluvium  als  Mergel  oder  Deck- 
kies in  grösserem  Masse  auttritt,  6)  der  juugdiluvialeu  oder  alt- 
alluvialen  Thalsand-Heide. 

Die  Wasserl&ufe,  Seen,  Moore  u.  a.  alluviale  Bodenumfbrmungen 
werden  hierbei  nicht  besprochen. 

Wie  oben  gezeigt,  entwickelt  si(  Ii  hinter  den  einzelnen  Getchiebe- 
streifen  oft  sehr  ausge])rägt  eine  von  unterdiluvialen  Sunden  gebildete 
Heideebene.  Diese  unterdiluviale  Sandheide  ist  zwar  vielfacli  etwas 
niedriger  gelegen  als  das  Gebiet  der  nachbarlichen  Geschiebezüge,  in- 
deesen  ist  dies  nicht  die  Regel,  sondern  oft  besitzen  sie  eine  gleiche 
Heereshöhe  mit  diesen;  oft  ist  auch  das  Gebiet  der  GeschiebezUge,  da 
wo  sie  sich  verengen,  gleichfalls  mehr  oder  woiiger  als  Heide  zu  be- 
zeichnen, nur  durch  die  reiche  Steinbestreuung  Ton  der  nozmalen  zu 
unterscheiden. 

1.  Die  anterdiluvialen  Sandheidegebiefe  zwischen  Geschiebe- 
Streifen  IV  oud  Y. 

Von  diesen  (und  zum  Teil  den  nachbarlichen)  Sandgebieten  macht 
Boll*)  folgende  Mitteilung:  „Im  Innern  der  Mulde  finden  wir  ein 
grosses  Sandgel>iet.  welches  im  Südosten  dieselbe  anliiiiglich  bis  zur 
Müritz  hin  in  ihrer  ganzen  Breite  erfüllt,  von  der  Nordspitze  der  Müritz 
an  sich  aber  etwas  verschmälert,  wobei  es  bis  nach  Sternberg  seine 
nordwestliche  Erstreckung  am  nördlichen  Muldenrande  entlang  beibe- 
Idüt,  von  dort  aber  eine  südwestliche  Richtung  nach  Crivitz  und  zum 
Pinnowersee  einschlägt"  (hier  Gebiet  zwischen  V  und  VI):  „im  ElOtzer 
Ort  taucht  der  Sand  wieder  an  dem  nördlichen  Muldenrande  auf." 
.Der  slnvivrhe  Name  pczik.  welcher  Sand  Itcdcutet,  taucht  innerhalb 
dieses  (iebietes  nocli  nielirfach  in  korrumpierten  L<»kaiiiainen  auf,  wie 
z.  B.  in  Peetsch  bei  Mirow,  Peutsch  bei  Penzlin,  dem  Peutschsee  bei 
FQrstenberg  u.  s.  w.,  auch  in  anderen  Sandgegenden  des  Landes  trefPen 
wir  diesen  Namen  wieder,  z.  B.  in  Peez,  nördlich  von  Rostock,  Peetsch 


')  Abriss  d.  mecklenb.  liaodesk.  S.  319. 


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282 


Geioibc, 


68] 


unweit  BUtzow,  iß  dem  Peetsohsee  in  der  Xiihe  von  Plau."  Auch 
deutsche  Namen  wie  Sandkrui;.  Srmdhagen,  Sandl'eld,  Sandhof.  Gelben- 
sande, sind  in  den  Sandrrehieten  häuli^'c  fharaktoristis(  lie  Hezeichnungen, 
sowie  in  den  Ge.schiebe.streifen  im  Gegensatz  wieder  rlic  Namen  Stein- 
hagen, Steinfeld,  Steiuhorst  u.  a.  zu  finden  sind.  „I)tr  Uebergaiig 
des  Sandgebietes  zu  dem  nordwärts  der  Mulde  gelegenen  Lebm- 
gebiete  wird  durch  Kiesboden  vermitt»  It. -  .Die  nördliche  Grenz- 
linie dieses  Saudgebietes  verläuft  üImm-  Laven,  JBLOldenbof,  Bergfeld. 
Turow,  Weisdin,  Peutsch.  Adamsdorf,  Liepon.  Pieversdorf,  Bomhof, 
Borksee.  Gross  Dratow.  Wan-n.  Sandkrug,  Hiii^cnow,  Alt  Gaarz,  Kriuiz, 
Cramon,  Hohen  Wangelin,  Liepen,  Gross  Bäbeliu,  Serrahn,  Charlotten- 
thal, Klein  Tessin,  Eleui  Bresen,  Lohmen,  Lenzen,  Buchow,  Stemberg, 
Sagedorf  (wo  der  Sand  der  „Warmer  Mulde*  sich  abzweigt),  Weiiendorf, 
Eaazz,  Jülchendorf,  Samelow,  Augustenhof  nach  Pinnnw;  die  Süd- 
gren^e  /ichf  sich  nm  östlichen  und  nördliclien  Ufer  der  Müritz  ei  t- 
lanir.  folgt  dann  den  anderen  grossen  Seen  hi^  Malchow  und  geht  daraut 
üi)er  Karow.  Goldberg,  Dobhertin,  Dobbin,  Dinnies,  Wamekow,  Stieten, 
Müggenl)urg,  Bamin,  Crivitz  gleichfalls  nach  Pinnow.  Diese  Grenzen 
umfldhdiessen  zugleich  den  grössten  zusammenhängenden  Distrikt  der 
meckle n burgischen  Sandflora." 

Die  Physiognomie  dieses  Sandstriches  scliildert  Boll  an  anderer 
Stelle')  folgenderniassen :  ,Die  ol)ere  (diluviale)  Sandschicht  überdeckt 
in  ununterbrochenem  Zuge  in  Me<;klenburg-Strelitz  einen  Kaum  von 
etwa  10 — 12  Quadratmeilen,  in  Mecklenburg-Schwerin  aber  von  ungefalir 
20 — 24  Quadratmeilen.  Es  sind  dies  öde,  traurige  Flüchen,  in  welchen 
die  Dörfer  weit  zerstreut  liegen;  vergebens  sucht  man  hier  nach  dem 
frischen  erquickend«!  Grün  eines  Laubwaldes,  nur  ausgedehnte  Nadel- 
holzwaldungen kommen  vor;  der  Ackerbau  gedeihet  hier  mir  notdürftig, 
und  grosse  Bäume,  wo  der  Sand  zu  steril  ist,  sind  noch  immer 
aller  Kultur  entzogen'*  (jetzt  fast  durchgängig  beforstet);  «statt  der 
fippigen  Getreide-,  Raps-  und  Kleefelder  anderer  mecklenburgischer 
Gegenden  gedeihet  hier  nur  kümmerlicher  Roggen,  Hafer  und  besonders 
Buchweizen,  und  die  Brachfelderbedecken  sich  mit  einem  dichten  grauen 
Flor  von  Mäuseklee  (Trifolium  arvense),  welcher  in  den  fruchtbareren 
Gegenden  des  Landes  nie  in  so  grossen  Massen  und  so  üppig  vorkommt.  * 

Nicht  überall  ist  die  Heidelandschaft  so  öde  und  unfruchtbar,  wie 
es  nach  obiger  klaren  Schilderung  scheinen  möchte.  Durch  die  vielen 
Seen  und  Moore,  die  Bach-  und  Flusslftufe  u.  a.  erhftlt  die  Landschaft 
oft  einen  wunderbaren  Reiz,  eine  Wanderung  durch  die  meilenweiten 
„Tannen" -Forstungen,  die  hauptsächlich  Kiefern  fVihren,  führt  uns  Ober 
Hügelrücken  und  durch  Niederungen  oft  an  romantisch  gelegene,  düstere 
Seen  und  Schluchten,  der  reiche  Wildstand  bietet  weiter  mannigfache 
Reize.  So  erquickend  eine  einsame  Wanderung  aber  auch  durch  die*e 
DfluTialheiden  ist,  so  wird  sie  doch  auch  oft  recht  ermfldend,  wenn 
man  in  den  Glebieten  der  Binnendünen  in  drückender  Sommerhitw  die 
Gegend  des  .mahlenden'  und  stäubenden  Sandes  durchstreift. 


')  Goognostische  Wanderongen  durch  Meoklabuig.  Aich.  f.  Landesk,  in 
Meckleab.  1855,  S.  343. 


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09] 


Die  meckleDborgiacben  Höhenrücken  etc. 


283 


Sehr  instruktiv  war  mir  ein  Vergleich  dieser  inecklenburgischen 
DUuvialheidei)  mit  der  Lüneburger  Heide,  den  ich  durch  mehrere 
unmittelbar  aneinander  geschlossene  Exkursionen  aii-^tellen  konnte. 
Üal>ei  ergiil>  sieh  bis  luif  rinige  lokal  bedingte  Diti'ereiizeu  die  vrilliire 
Uebereinstimmung  im  landüchattlichen  wie  geologischen  Charakter 
beider  Heidegebiefce.  Auch  die  Lüneburger  Heide  ist  ja  nicht  der  Öde 
Landstrich,  als  der  er  vielfach  angesehen  wird,  sondern  bietet  die 
mannigfaltigsten  Abwechselungen  von  Hügel  und  Thal,  Sand  und  Moor 
oder  Gewässer,  urifl  auch  in  ihr  verlauten  blockreiclu-  Geschiebe- 
streifen", otl  mit  gutem  Mergelboden.  Ihr  Hauptcharakter  beruht  auf 
den  weiten  und  oft  mächtigen,  wohigeschichteten  Ablagerungen  der 
nnterra  Dihivialsande:  dasselbe  ist  der  FaU  in  den  mecklenbui^sehen 
DüuTialheiden.  Der  Unterschied  zwischen  beiden  beruht  nur  m  dem 
Vorwalten  der  Düuvialsande  und  dem  Zurücktreten  der  Geschiebestreifen 
in  der  Lüneburger  Heide,  während  in  Mecklenburg  die  Sandstrecken 
bald  wieder  von  den  in  jeder  Beziehung  reichen  Geschiebe.streifen  voll 
und  ganz  abgelöst  werden;  durch  iliie  Höhenlage  bedingt  ist  ferner  ihre 
Führung  von  Seen,  welche  in  der  Lüneburger  Heide,  fehlen  aber  durch 
Moomiederungen  ersetzt  sind,  welche  denselben  ürspnmg  haben  wie  die 
S»  1 11.  <l:ilier  gecdogisch  dasselbe  Bild  darstellen  (auf  einer  Karte,  wo  die 
Seen  blau  und  die  Moorniederungen  grOn  bezeichnet  sind,  wUrde  dies 
ganz  prägnant  in  die  Augen  springen). 

A.  Kossentiner  Heide. 

Am  besten  lernt  man  die  Heide  kennen  auf  einer  mehrfachen 
Durchquerung  des  Distriktes,  z.B.  von  Vollrathsruh  e  über  Cramon 

nach  Nossentin,  von  da  zurück  nach  Sparow  und  Alt  Schwerin 
und  in  nördlicher  Richtung  nach  Dobbin  und  Serrahn.  sodann  von 
Krakow  wieder  südlich  überBosaow  nach  Karow  und  weiter  nord- 
westlich durch  die  Wooster  und  Schwinzer  Heide  nach  Dobbertin. 
Wir  durchkreuzen  dabei  die  grossen  Areale  der  Nossentiner  Heide, 
der  Karower,  Wooster  und  Schwinzer  Heide,  die  von  zusam- 
menhängenden Kiefervväldera  besetzt  sind  un<l  teils  zum  Besitz  der 
Klöster  Dobbertin  und  Malchow,  teils  zur  gro.ssherzoglichen  Verwal- 
tung gehören.  Nach  Nordwest  wie  nach  Südost  setzen  sich  die  Forsten 
weiter,  und  man  kann  in  dieser  Richtung  meilenweit  iumier  im  ein- 
samen Forst  gehen,  höchstens  kurze  Lichtungen  passierend;  Ortschaften 
liegen  nur  am  Rande  der  Heide;  so  erstreckt  sich  der  Forst  von  Dabei 
im  Nordwesten,  wo  sich,  nach  Nordwesten  von  ganz  unbedeutenden 
Lichtun^'"eTi  unterbrochen,  die  Forsten  bei  Sternberg  anschliessen ,  nach 
Jabel  unweit  Waren  im  Südoüteu  ununterbrochen  in  einer  Länge  von 
circa  45  km. 

Oben  wurde  schon  der  Uebergang  aus  dem  Geschiebestreifen  in 
das  Sandgebiet  bei  Cramon  erwähnt.  Der  Gesehiebestreifen  hat  bei 
Hallalit  und  Vollrathsruhe  eine  Meereshöhe  von  70 — 90  m,  an 
den  Cramoner  Buchen  bis  100  ni:  die  Landschaft  südlich  davon  dacht 
sich  etwas  ab.  zu  75 — (35  m:  doch  trifft  man  bei  Hohen  Wangelin 
noch  Erhebungen  von  über  80  m.    Die  eigentliche  beforstete  Nossen- 


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284 


Gexnits, 


[70 


tinor  Heide  hat  dieselbe  Meeresliöhe.  70—80  m.  Der  Gescl)i('})f' reich- 
tiiui  des  Streifens  IV  liegt  ausser  den  grösseren  Erhebungen  somit  in 
gleicher  Meeresliöhe. 

Bei  Cramon  üi  ein«  Abnahme  der  Steine,  eodaim  eine  Yer- 
kleineruDg  derselben  zu  bemerken,  weiter  trifft  man  nur  noch  Stein- 
bestreuung,  die  schliesslich  in  der  Heide  ganz  zurücktritt;  in  der  Heide 
herrsclit  feiner  und  scharfer  Sand  des  Unterdiliiviunis,  in  den  oberen 
La<^en  oft  gelb  gef}lrl>t.  fast  durchgängig  von  einer  verschwindend  dünnen 
Schicht  Decksand  überlagert.  Zahlreiche  Kessel  und  Wannen,  voll 
Wasser  als  grosse  und  kleuie  Seen,  oder  voll  Torf,  isoliert  oder  durch 
Depressionen  verbimden,  treten  hier  auf.  Im  sUdiichen  Gebiet  finden 
wir  zahlreiche  DOnen  aufgeweht,  z.  B.  bei  Nossentiner  Htttte. 

Nach  dem  über  12  km  breiten  Sandgebiete  kommt  bei  Sparow, 
Silz  und  Nossen t in  der  (Teschiel)Ostr«'ifen  \'  mit  einer  Höhe  y<m 
80 — 9()  m,  auch  !>')  m;  hier  tritt  ih  r  Det  kmcrgel  nur  in  Kesten  erhalt^u 
auf,  das  Sandgebiet  reicht  über  ilm  nach  Süden  hinüber  in  die  Mal- 
chower Gegend,  und  nur  die  aufinerksame  Beachtung  des  Block«  und 
Steinreichtums  der  Sandstellen  und  der  Mergelilecken  zeigt  die  wahre 
Grenze  von  zwei  Sandge])ieten  an.  In  dem  Gebiet  des  Geschiebestreifens 
tritt  hier  die  Kreide  zu  Thljo  und  zeigt  das  untere  Diluvium  ausser  Spat- 
sand aucli  grobe  (leröUlagcr  unter  und  neben  dein  oberen  Blocklehm. 

Die  Südgreuze  der  Heide  wird  im  Osten  dmeh  den  fiachufrigeu 
Fleesen-  und  Cölpinsee  gebildet  Bei  Jabel  am  Cölpin  trafen  wir  ein 
isoliertes  Blockrorkommnis  als  wahrscheiidichen  sfidUoien  AuslSufer  von 
IV.  Hier  tritt  zwischen  Jabel  und  Hagen ow  eine  bedeutende  Ver- 
engun«^'-.  vit  lleicht  sogar  Abschnürung  des  Sandgebietes  auf. 

Beachtung  verdient  noch  die  Ausbreitung  der  Dünen  in  die.seui 
Teile.  Die  Dünen  finden  sich,  abgesehen  von  •Mir/»  lnf  n  isolierten  Vor- 
kommnissen im  Inneren  der  Heide,  vorzugsweise  au  deren  Südrand. 
Sie  beginnen  bei  Jabel  am  Nordiand  der  grossen  Waaserfliche  des 
Cölpin,  finden  sich  wieder  bei  Nossentiner  Hütte,  westlidi  hiervon, 
und  ziehen  sich  von  hier  nach  Westen  zum  Alt  Schweriner  See,  welchen 
sie  beiderseitig  innsäumen. 

Eine  Wamltiung  von  Alt  Schwerin  längs  des  Alt  Schweriner 
Sees  nach  Norden  tühii  uns  den  feinen  gelben  Heidesandboden,  der 
nur  gutes  Lupinenland  ist,  stellenweise  auch  ganz  brach  als  Schafweide 
liegt,  vor  Augen.  Das  Westufer  des  Sees  hat  eine  Reihe  kurzer  DOnen. 
Im  Glaver  Forst  an  der  Nordspitze  des  See.s  finden  wir  den  feinen 
und  scharfen,  horizontal  geschichteten  Spatsand  von  wenig  Grand  be- 
deckt, aus  dem  sich  lokal  Steinbestreuung  entwickelt,  die  in  dem  70 — ^T.^m 
liohen  Gebiet  an  der  Rederank  und  bei  Glave  (östlich  vom  Südende 
des  Krakower  Sees)  reichlicher  wird  und  bei  Do b bin  durch  weitere  An- 
reicherung zu  dem  Beginn  des  Streifens  IV  bei  Zietlitz  mit  derselben 
Meereshöne  hinleitet.  Die  Heide  hat  hier  eine  Breite  Ton  circa  14  km. 

B.  Kaiower,  Wooster  ond  Schwinier  Heide. 

Das  Nord-  und  SUdende  dieses  Heideabschnittes  wurde  oben  beim 
IV.  und  V.  G^eschiebestreifen  besprochen.   Im  Norden  wie  im  Sudan 


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Die  meddeiilniigiBchen  HShenrUcken  etc. 


285 


finden  sich  unter  dem  stark  zurücktretenden,  als  Deckkies  entwickelten 
Oberdiluvium  mächtige  untwliluvijilc  Sund»  nicht  sowohl  als  feiiiHi-  Spat- 
sand,  sondern  als  Kiese  und  (Tnuide  iius^rel>ü«iet,  denen  natürlich  ahcr 
auch  feine  Sande  eingeschaltet  sind;  auch  Thon  t'elili  nicht.  Hei  Krakow 
and  die  Lager  vielfach  seitlich  zusammenge|>res8t;  diskordante  Parallel- 
struktur  spricht  hier  ftar  eine  starke  Waseerbewegung.  Bei  Neu 
S  am  mit  tritt  die  Steinbestreuung  auf  dem  hier  horizontal  geschichteten 
feinen  gelben  Spatsand  zurück.  In  der  Mitte  der  Heide  finden  wir 
nur  feinen  gelben  Sand  mit  verschwindendem  Decksaiid.  Hier  liorren 
neben  zahlreichen  kleinen  Kesseln  und  Mooren  mehrere  grosse  Seen  mit 
flachen  Ufern,  so  der  Damerower  See,  der  jetzt  abgelassene  uud  vertorfte 
grosse  Serrahn  und  der  Ooldberger  See  am  Sttdrande.  An  ihren  Ufern 
und  in  den  flachen  ebenen  Gegenden  der  Heide  sind  zahlreiche  Dünen 
aufgeweht,  oft  (wie  z.  B.  am  Hahnenhorst  und  an  der  Meileiche) 
scu  grotesken  Hügeln  sich  erhebend. 

Die  Breite  der  Heide  zwischen  Karow  und  S  am  mit  beträgt 
iu  nurd.südlicher  Richtung  10 — 12  km,  zwischen  Sa m mit  und  Wen- 
disch Waren  in  nordost-sOdwestlidier  Richtung  gemessen  9  km.  Die 
Meereshöhe  dieser  ziemlich  ebenen  Heiden  beträgt  60—65  m,  auch 
ober  70  m  ansteigend;  im  allgemeinen  liegt  sie  iil>o  «  iuige  Meter  tiefer 
als  die  im  Norden  und  Süden  laufenden  Geschiebestreifen. 

Eine  detaillierte  Schilderung  der  Heide  würde  hier  zu  w-eit  führen; 
es  sei  nur  hervorgehoben,  dass  gerade  diese  Heide  sehr  typisch  aus- 
gebildet ist.  In  ihren  niederen  sumpfigen  Teilen  geht  aus  dem  feinen 
gelben  Sand  grauer  und  schwarzer  humoser  Sand  henror,  auf  dem  sich 
dann  Torf  entwickelt;  an  anderen  Stellen  kann  man  die  durch  Humus 
hervorgerufene  „Ortsteiu' -Bildung  verfolgen,  welche  den  Sand  gelb  und 
rostbraun  färbt;  RaseneLsenerz  ist  hier  selten,  fast  ganz  fehlend. 

Am  östlichen  und  nördlichen  Rand  des  Goldberger  Sees  zieht  sich 
die  Heide  nach  Do b bertin.  Hier  erhebt  sich  der  Hellberg  zu  80  m. 
Die  auf  den  Liasthon  aufgeschütteten  unteren  Feinsande  haben  hier 
eine  Mächtigkeit  von  11  m. 

Durch  die  etwa  70  m  hoch  gelegene  reiche  Steinbestreuung  bei 
Kleisten  (auf  unteren  Sauden  und  Gerölle  lagernd)  wird  die  Heide  hier 
stark  verengt  und  von  der  im  Nordwesten  folgenden  abgeschnürt  (s.  o. 
S.  [14]  228). 

C.  Dobbertiner  Heide. 

Von  hier  aus  erstreckt  sich  die  Heide  unter  Verengung  nach 
Westen:  es  geboren  in  ilir  Gebiet  die  Gegenden  nördlich  von  Do])hertin, 
bei  S  p  e  n  d  i  n ,  D  o  b  b  i  n ,  K 1  ii  d  e  n  bis  L  U  h  n  w  i  t  z ,  die  Klädener  und 
Schlower  Forsten.  Ich  möchte  diesen  Teil,  der  zu  verschiedenen  Be- 
sÜEtÜmem  gehört,  unter  dem  Namen  «Dobbertiner  Heide"  zusam- 
menfasse Ihre  HShe  ist  wechselnd,  durchschnitÜich  bis  60  m.  Mehrere 
Seen  und  Torfmoore  liegen  in  ihr.  Bei  Lfthnwitz  finden  wir  eine 
Ausweitung  zu  der  früheren  Breite  von  circa  7  km.  Zum  Teil  tritt  in 
ihr  auch  (unterer?)  Geschiebemergel  auf,  so  am  Woseriner  See,  Am 
Pritzer  See  tritt  zwischen  Borkow  uud  Ruest-Dinuies  (s.  o.)  eme 
neue  Verengung  auf  etwa  3  km  ein. 


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286 


Qeiiiite, 


[72 


B.  TorloffiBr  Haide. 

Westlich  vom  Pritsser  See  liegt  bei  Dabei  und  Foisthof  Turloff 
ein  kleiner  Distrikt  von  gelbem  feinem  Heidesand,  an  seinen  Rändern 

mit  Steinbestreuung,  den  ich  als  ^Turloff er  Heide"  abgrenzen  wilL 
Sein  Niveau  ist  50 — 60  m;  viel&ch  ist  er  Ton  breiten,  flachufrigra 
Torfniederungen  unterbrocli eii . 

Dadurch,  dass  der  (uNcliiebestreitcn  V  sich  hier  von  Stern berj^ 
aus  in  mehr  südlicher  Richtung  wendet  und  seine  00  m  hohen  Kücken 
nur  reiche  Steinbestreuung  auf  unteren  Sauden  zeigen  (z.  6.  Stieten, 
Kobrow  u.  8.  f.),  ist  er  von  Boll  übersehen  worden  und  das  Sand* 
gebiet  von  hier  aus  Uber  den  Streifen  hinweg  nach  Westen  fortgesetzt 
dargestellt,  mit  den  Südgrenzen  Wamekow -Barnin. 

Tn  Wahrheit  aber  setzt  es  nördlich  fort  über  Sternberg, 
Sagestort,  Loiz,  Gross  Raden,  Göruow  nach  der  ^Wariner 
tfuMe*,  zwxiM^heD  Penzin  und  Eickelberg  60 — 65  m  hoch,  eine  Ein- 
engung auf  8  km  erfahrend. 

B.  Waviner  Mulde. 

Die  Wariner  Mulde,  um  den  Boll  sehen  Ausdruck  bcizubelialten, 
ist  also  die  unmittelbare  Fortsetzung  der  besprochenen  Heide  zwischen 
Gteschiebestreifen  IV  und  Y.  Die  „Mulde*  wird  nach  BolP)  von  zwei 
Hllgelauslftufera  der  Sehlemminer  Berge  umschlossen;  «dieselbe  zieht 
sich  in  der  Länge  von  3  Meilen  von  Bäbelin  aus  ganz  gerade  in  der 
Uichtung  von  Norden  nach  Süden  herunter,  bis  sie  bei  Brüel  in  die 
grosse  Mulde  des  Landrückens  einmündet;  sie  ist  anfangs  nur  sehr 
schmal ,  erweitert  sich  aber  etwivs  nach  Süden  zu.  Ihre  Bodenverhält- 
nisse zeigen  mit  denen  der  grossen  Mulde  eine  auiiallende  Aehnliclikeit, 
Sie  enthät  sieben  nicht  unbetrichtUche  Seen,  von  denen  der  Neukloster- 
See,  der  Warmer^,  der  Glamm-  und  der  Tempziner  See  alle  in  gerader 
Linie  von  Norden  nach  Süden  liegen  und  in  eben  dieser  Richtung  von 
einem  Bache  durchflössen  werden ,  welcher  sich  südwärts  von  Brüel  in 
die  Wamow  ergiesst;  drei  andere  Seen  liegen  in  der  Mündung  der 
Mulde  zienüich  weit  zu  beiden  Seiten  von  dem  Tempziner  See  entfernt, 
nämlich  im  Westen  der  Bibower^  und  Hoffelder  See  imd  im  Osten  der 
Labenzer  See.* 

Von  Norden  und  Osten  ist  die  Mulde  deutlich  durch  den  Pöeler 

Streifen  und  seine  südliche  Unibiegung  in  die  Schlomminer  Berge,  im 
Osten  durch  den  Höhenzug  Moltow-Zurow  abgegrenzt  und  das  Terrain 
fällt  von  diesen  zu  80 — 100  und  einmal  zu  140  m  sich  erhebenden 
Höhen  auf  ein  Niveau  von  60—40  m;  indes  ist  der  Boden  der  Mulde 
keineswegs  eine  Ebene,  sondern  von  vieUachen  HOgeln  und  Rtlckeu 
besetzt;  neb«n  den  genannten  grossen  Seen  liegen  hier  auch  viele 
kleinere  Wasser-  und  Torfkessel.  Meist  erfolgt  die  Abdaduing  ziem- 
lich rasch,  doch  finden  sich  auch  mehrfach  Vorstufen;  aiicli  das  Zurück- 
treten der  Steine  findet  rasch  statt  (s.  die  Schilderungen  im  ersten  Teil). 

n  Abrin  d.  tneckleab.  Landesk.  8.  8M. 


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73] 


Die  meeUenbnrgieehen  HOheturBckoi  etc. 


287 


Meist  treffen  wir  feinen  Sand  an,  so  bei  Labenz,  Friedriehs- 
waldf  und  in  den  zwischen  Blankenberg^  und  Xeukloster  aus- 
gedehnten Forsten:  doch  tinden  sicli  auch  Kies-  und  (icrölllatrer,  ho 
rings  um  Neukloster  (nördliches  liuudgebietlj,  uut"  denselben  telilt  nie 
eine  dOnne  Bes<^1ltbing  von  Decksand  resp.  zuweilen  auch  saudigem 
Decklehm.  Im  südlichen  Teil  der  Mulde  treten  auch  mächtige  oder 
dünnere  Thonhiger  in  und  unter  dem  Sand  auf,  welche  die  Ziegeiden 
von  Warin,  Bliinkenberg,  Penzin  u.  a.  versorgen:  die  oberen  Thon- 
schichten in  ihrer  Wechsellafjerunf,'  mit  S|)atsand  sind  meist  sehr  sandig, 
als  „Schluff*,  die  unteren,  mäclitigen  Lager  erst  reiner  Bäuderthon. 
Die  Lagerung  i«t  teils  flach  gewölbt,  fast  horizontal,  teils  steiler  auf- 
gerichtet oder  mehrfach  gebogen.  Auch  hier  im  SUden  findet  sich 
eine  dünne  obere  Decksand-  resp.  Deckmergel-Üeherlagenmg,  ohne  viel 
Geschiebe. 

In  dem  siMlirlicn  und  südwestlichen  Teil  finden  wir  in  den  nur 
2o — m  hohen  (it^tnden  von  Blankenberg  und  Biebow  ein  Lebtr- 
greifen  des  Sandluudes  über  den  hier  schmalen,  niederen  und  undeut- 
lichen Geschiebestreifen  Y  nach  der  hinter  diesem  gelegenen  Sandregion 
▼on  BrQel  und  Ventschow  (s.  u.),  eine  Thatsache,  die  mit  der  vorher 
erwähnten  Reichen  Beobachtung  in  der  Gegend  sfldlich  Yon  Sternberg 
die  Mutma-ssung  zu  l^estätiijen  scheint,  dass  die  genannten  Querriegel 
der  (ies(  Iii»  iM  strriti'u  eint  iii  älteren  Geächiebezug  entsprechen,  der  in 
ostwestiichem  Bogen  verlauten  ist. 

F.  Die  Sedimente  bei  Wismar  u.  s.  f. 

Im  Nordwesten  ist  die  Wariner  Mulde  fast  gänzlich  durch  den 
Zurower  Rücken  abgeschnflrt  von  den  weiter  nach  Wismar,  Bolten- 

hagen  und  ViUA  sich  erstreckeu<len  Sedimttitdistrikten.  Diese  können 
nicht  mehr  als  Heide-  liezeiclinet  werden,  indem  in  ihrem  wechselnd 
ht'ch  ^^'•elegenen,  im  allgemeinen  sich  zur  Ostsee  abdachenden  Terrain 
*i(  Ii  neben  den  Diluviaisedimenten  auch  oberer  und  unterer  Geschiebe- 
Diergel  ziemlich  häufig  findet  Ausgedehnte  Thonlager  treffen  wir  bei 
Wismar  und  Bothmer  nahe  der  OberflSche,  in  Bothmer  den  artesi- 
schen Brunnen  veranlassend. 

G.  Die  HeidegeUete  bei  Waren,  Federow,  HeostrelitB  n.  b.  1 

Im  Anschlüsse  an  die  zuerst  besprochene  Nossentiner  Heide  zieht 
sich  von  der  auf  Kreide  lagernden  Blockanhüuf'ung  bei  Jabel  nach 
Südosten  zwischen  den  Geschiebestreifen  IV  und  V  ein  ununterbrochenes 
unterdiluviales  Heidesandgebiet  Uber  Waren,  Neustrelitz  ttber  die 
Qckermärkische  Grenze  hinaus. 

Auch  hier  ist  der  Heidetypus  normal  entwickelt,  meilenweit  zu- 
sammenhängende „  Tannen ''-l'orsten  mit  spärlichen  Ortschaften  bedecken 
den  Boden. 

Bis  Waren  besteht  das  05 — 75  m  hohe  Terrain  aus  wohlge- 
schichteten Sauden  und  Granden  mit  0,5  bis  höchstens  1  m  Deckkies- 


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288 


GeiaitK, 


[74 


beschüttuug  Die  Stadt  ^Varon  lit'trt  auf  emeni  aus  müclitif^eii 
Diluvialsanden  besteheudeu  Pass  zwisclieu  der  Müritz  und  dem  Tiel- 
Warensee;  der  bis  84  m  hohe  Windm Uhlenberg  an  der  Stadt  zeigt  in 
sernen  Steilwinden  Sand  und  Grand  in  diskordanier  Parallelstraktur 
unter  Decksand.  Beachtenswert  ist  die  Lagerung  der  Sande  nördlich 
Ton  Waren  am  Abfall  des  Geschiebestreifens:  liier  fallen  die  Schichten 
nach  Süden*),  also  vom  Höhenzug  ab  nach  dv.m  Sandgobiet ,  während 
sie  am  Balmliof  und  in  sowie  südlii  h  der  Stadt  horizontal  lagern. 

Der  Sand  zieht  sich  hier  südwärts  über  die  sich  bis  74  m  er- 
hebende, einst  von  einer  berühmten  prShistorisGfaen  Ansiedelung  gezierte 
Landenge  zwischen  dem  Müntz-  und  Cdlpinsee  Uber  Eidenburg  und 
Klink  nach  Sembzin  und  Grabenitz.  Am  Mtiritzufer  bei  Klink 
treffen  wir  unter  dem  feinen  Sand  in  der  Meereshöhe  von  circa  65  m 
ein  untcrdihiviaies  1'honlagcr.  Die  Breite  des  Sandstreifens  ist  liier  i>  km. 

Südlich  von  Waren  sehen  wir  am  Norduler  des  Feisnecksees 
wenigstens  20  m  mächtige  horizontale  Sandschichten  das  über  80  m 
hohe  Land  bilden. 

Das  folgende  Gebiet  des  flachen  Ostufers  der  Müritz  mit  den 
flachen  seithclien  Seen,  die  Gegend  von  Federow  u.  s.  f.,  bestehen 
aus  demselben  gelben  feinen  Sand,  in  den  Niederungen  hunios .  oft  zu 
Dünen  aufgeweht.  In  seinen  ol)eren  Lagen  bildet  sich  liäutig  Rasen- 
eisen, Ortstein,  der  den  Ertrag  der  Felder  erheblich  beeinträchtigt.  Bei 
Müritzhof  tritt  am  Seeufer  in  der  Höhe  bis  65  m  derselbe  bhue  Thon 
zu  Tage  wie  gegenüber  bei  Klink,  sein  Hangendes  ist  der  honzontal 
gelagerte  feine  Spatsand.  Nur  am  randlichen  Gebiet  der  Heide,  bei 
Kargow,  finden  sich  statt  der  Feinsande  auch  grobe  Gerölle  mit  vor- 
zUglidier  diskordauter  l'arallelstruktur  (s.  o.).  Die  Steinbestreuung  wird 
je  weiter  nach  der  Mitte  je  kleiner  und  spärhcher,  wie  man  bei 
Federow  gut  beobachten  kann.  Wo  ausnahmsweise,  wie  bei  Müritz- 
hof, die  Forsten  neben  den  Tannen  auch  Buchen  und  Eichen  tragen, 
hat  dies  seinen  Grund  teils  in  der  niederen,  sumpfigen  Lage,  teils  in 
dem  Thongchalt  der  Sande. 

Von  hier  aus  erweitert  sich  das  Sandge})iet  nach  Südosten  zu  den 
von  Boll  angegebenen  beiderseitigen  Grenzen,  mit  etwa  12  km  Breite. 
Ein  Weg  von  Federow  über  Scnwarzenhof,  Speck,  nach  Babke 
oder  12^  der  Waren-NeustretitEer  Eäsenbahn  führt  uns  in  die  Normal- 
beide,  wo  der  feine  gelbe  Sand  herrscht,  zuweilen  mit  Steinbestreuung, 
oft  zu  losem  Dünensand  aufgeweht,  fast  lediglich  mit  Kiefernbeständen 
und  nur  durch  die  zahlreichen  grossen  und  kleinen  Evorsionskessel  dem 
Auge  eine  sonst  nicht  geahnte  landschaftliche  Abwechselung  bietend. 
Die  Meereshöhe  ist  70 — 80  m. 

Mit  gleicher  Breite  und  etwas  bedeutenderer  Höhe  folgt  dann  das 
Neustrehtzer  Sandgebiet.  Besonders  die  Umgebung  von  Neustrelitz 
ist  trotz  des  herrschenden  Sandes  doch  von  besonderer  landschaftlicher 
Schönheit,  wiederum  auf  Grund  der  vi«>1«'n  Seen  und  des  mannigfachen 
coupierten  Terrains.    Ausgedehnte  iueteriorste  sind  auch  hier  das 


>)  Vgl.  VII.  Beitr.  z.  Geol.  Mecklenb.  1885,  S.  32. 
*)  Vgl.  I.  Beitr.  s.  Geol.  Mecklenb.  S.  52. 


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Die  mecklenbiirgigchett  Hftbeniflclceii  etc. 


289 


Charakteristikum  der  menschenleeren  Gegend  ;  auf  den  steinbestreuten 
Fildern  Luptnm,  Roggen,  Kiurtoffeln,  längs  der  Wege  die  genügsame 

Pappel. 

Nach  Norden  ist  die  Begrenzung  durch  den  Geschiebestreiien  IV 
ziemlich  deutlich,  im  Ostgebiet  sogar  sehr  typisch,  nach  Süden  dagegen 
weniger  scharf,  da  hier  die  unteren  Sande  ihre  Herrschaft  behalten. 
Daher  ist  auch  von  Boll  die  Grenze  hier  nicht  genau  angegeben. 

Unterer  Geschiebemergel,  Thone,  Gerölle  treten  vereinzelt  auch  hier 
neben  dem  herrschenden  feinen  oder  schärferen  Spatsand  auf ;  obere 
Steinbestreuun<^  fehlt  «gleichfalls  nicht.  Zuweilen  .sind  Dünen  aufgeweht. 
Eine  Exkursion  in  dtm  weiteren  Umkreis  von  Neustrelitz  ist  zur 
Orientierung  über  die  genannten  Verhältnisse  sehr  instruktiv. 

Bei  Koldenhof,  Läven  undCarwitz  herrschen  schon  diegroboi 
und  feinen  unteren  Sande  noch  i  it  Deckkies  oder  Blockbestreuung; 
Südrand  des  Feldberger  Gescliiebestreifens. 


2.  Das  Land  zwinchen  Geschiehestreiten  Y  und  Yl. 
(Sandheide  und  gemischter  Typus.) 

SUdUch  vom  Ge.<9chiel)estreifen  V  ist  nicht  mehr  eine  so  zusammen- 
hängende Heide  wie  nördlich. 

Im  Südosten  des  Landes  erstreckt  sich  östlich  der  Mflritz  eine 
Heide,  sehr  ähnhoh  der  Torher  besprochenen  der  Umgegend  von  Neu- 
strditK,  und  mit  ihr  häufig  Uber  den  wenig  markierten  Geschiebestreifen 
zusammenflie«:sen(l.  Am  bekanntesten  ist  hier  die  Gegend  von  Mirow 
und  W  e  s  e  n  b  e  r  g. 

Aus  der  ungefähr  75  m  hohen  sandigen  Gegend  des  Geschiebe- 
streifens  bei  Drevm  gelangt  man  im  Westen  zwischen  Ahrensberg 
und  Wesenberg  an  den  105  m  hoben  Rothen  Moorberg,  an  dessen  Sand- 
gehingen noch  bei  60  m  Blöcke  und  Steine  liegen.  Oestlich  vor  Wesen- 
berg bezeichnet  eine  grosse  Ziegelei^rubo  in  circa  80  in  H(")he  etwa 
den  Beginn  de.«?  Sandgebietes.  Hier  sehen  w  ir  <^pll)<'n  Fein.siiiid,  circa  2 
oder  mehr  Meter  mächtig,  mit  einer  Stein.sohle  (Dreikanter)  auf  5  m 
gelbem,  blockarmem  (unterem)  Geschiebemergel,  der  seinerseits,  mit 
Sandzwischenlage,  machtigen  flach  nach  We^n  einfaHenden  Bänder^ 
thoii  überlagert.  Die  80  m'  hohe  westliche  und  südliche  Umgebung 
Ton  Wesenberg  besteht  aus  unterem  Sand  zum  Teil  mit  Steinbestreuung; 
weiter  westlicli  nucli  Mirow  senkt  sich  (Ins  Niveau  zu  05 — ^70  m  und 
herrscht  der  feine  gelbe,  oft  von  Dünen  bedeckte  Sand:  in  dem  Forst 
uahe  bei  Wesenberg  wird  in  flachen  Gruben  ein  dem  Sand  eingeschaltetes 
Lager  yon  blauem,  fettem,  oben  magerem  Thon  abgebaut.  Die  aus- 
geddmten  Forsten  zeigen  den  feinen,  abgeschwemmten  Sand  fast  ganz 
ohne  Steine.  Bei  Mirow  lierrschen  dieselben  Verhältnisse;  eigentüm- 
liche hohe  Dünen  sind  ))ei  Mirowdorf  am  Mirower  See  aufgetUrmL 
Nach  Süden  erstreckt  sich  dasselbe  weite  ebene  Sandgebiet  in  die 
sogen.  .Sandpro bstei".  Erst  bei  Schwarz  steigt  da«  Terrain  wie- 
der zu  80  und  mehr  Meter  Höhe,  indem  es  sich  dem  folgenden  Ge- 


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290 


OeinitB, 


[76 


schiebestreifen  nähert.  Zahlreiche  Seen  sind  in  dem  besprorliouen 
Gebiet  teils  als  isolierte  Wannen,  teils  vom  Typus  der  „Fliissseeu". 
Auch  beträchtliche  Erhebungen  treten  bisweilen  aui,  so  der  105  m  hohe 
Sprotzsche  Bm  bei  Retzow. 

Den  nördOicli^  Rand  erreichen  vmr  Ober  Qualzow  mit  einer 
Höhe  Ton  75  mit  Sand  und  .Schluff"  unter  geringer  Steinbeetreuung, 
oder  westHch  davon  bei  Leppin  und  Roggentin,  wo  auf  dem  70m 
hohen  Sandboden  die  massenhaften  Blöcke  sehr  plöt/.licli  erscheinen. 
Die  südliche  Grenze  habe  ich  nicht  aufgesucht;  die  ungeialire  Breite 
des  SandstrichM  kann  m  14      angegeben  werden. 

Die  Ostseite  der  Mflrits  mit  den  Orten  Krümmel,  Qaarz^), 
Vietzen  bis  vor  Rechlin  gehört  ebenfalls  zu  diesem  Sandgebiet. 

Derselbe  feine  Sand  findet  sich  auf  der  Westseite  der  südlichen 
Müritz,  in  der  Priborner  Heide,  bei  Vipperow,  Spitzkuhn,  bis 
nach  Ludorf  und  Röbel.  In  Vipperow  wird  am  Seeufer  in  circa  05 m 
Höhe  ein  diluviales  Thonlager  abgebaut,  bei  dem  feiner  gelber  Spat- 
sand auf  BSnderthon  lagert  Bei  Röbel  treffen  wir  auf  grObere  Sande, 
dem  Kordrand  entsprechend. 

Gleichfalls  ein  ausgedehntes  Sandgebiet  li^^  östlich  vom  Flauer 
See,  zum  Teil  sclioii  mit  inselartifjen  Vorkommnissen  von  Geschiebe- 
mergel oder  wenigstens  Deekkies.  Am  Xordrand  liegt  die  Mal  che  wer 
Umgebung.  Die  80  m  hohe  Landecke  zwischen  dem  nördlichen  Plauer- 
und  dem  Petersdorfer  See  zeigt  im  Biestorfer  Forst  heizschend  Feinsand, 
zum  Teil  mit  Blockmergelbedeckung,  am  Erebssee  in  dem  85  xn  hohtti 
Sttdrand  des  Geschiebeefareifens  mit  reicher  Steinbesireuuiig.  Auch  die 
unmittelbare  Umgebung  von  Malchow  zeigt  horizontal  geschichteten 
Feinsand  und  S(  hlulf  mit  diskordant  parallel  struiertcm  Grand,  bedeckt 
von  0,5  m  steiuarmeni  Decksand  resp.  Deckmergel,  der  noch  von  Flug- 
sand bis  zu  1  m  Mächtigkeit  flberweht  ist.  Die  70  m  hohe  Ecke,  welche 
den  Fleesensee  Ton  dem  Malchower  See  bei  der  Ziegelei  Ton  Laschen- 
dorf abgrenzt,  besteht  aus  feinem,  steinfreiem  gelbem  Sand:  südlich  und 
südöstlich  davon  finden  sich  in  derselben  Höhe  noch  1 — 2  m  mächtige 
Deckgeschiebeniergelreste  auf  dem  in  diskordanter  Parallelstruktur  wohl- 
geschichteten Sand  und  Grand.  Auch  bei  Kloster  M alchow,  südlich 
davon,  herrscht  trotz  Ansteigens  des  Terrains  auf  95m  der  Sand  und 
Eies  mit  reichlicher  Steinbesti^ung,  zum  TeU  noch  Deckmergelreston. 
Aehnlich  südlich  davon  an  der  Klo.stermühle.  Weiter  bis  Petersdorf 
und  Lenz  am  Planer  See  ist  Sand  der  Boden  der  Kiefernwälder,  zum 
Teil  mit  Lehmbedeckung  oder  inselartigen  Auilageninjjen  von  unterem 
Mergel.  Fast  ununterbrochen  setzt  hier  das  Saudgebu  r  mit  Steigung 
zu  100m  und  mehi-  nach  Süden  fort  über  Satow  und  Kogel  bis 
Rogeez  und  Stuer,  hier  an  den  steinreichen  Streifen  VI  storaend. 

Am  Bahnhof  Plan  tritt  isoliert  der  blockreiche  obere  Geschiebe- 
meigel  in  der  Hübe  von  circa  70  m  auf.  Südlich  Tor  der  St;i<lt  fliHk  ii 
wir  an  dem  92  m  hohen  Ealüschenberg  grobe  Kiese  und  Meigei,  noch 


')  lieber  die  interessanten  i^rilhistorißclion  Niederlassungen  in  jener  Ge^'end 
vgl.  u.  a.  Fromm  u.  Struck:  Die  Müntz.  Arch.  f.  Landesk.  Meckienb.  lb<>4» 
Seite  88. 


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77] 


Die  meckienburgiüchen  Höhenrücken  etc. 


291 


weiter  sflcUich  steigt  das  Terram  bald  bei  Gneysdorf  zu  100  und 

115  m,  hier  den  Streifen  VI  erreichend.  Nördlich  von  Flau  kommt  in 
dem  75— 80m  hohen  Plateau  der  feine  Sand  zur  Herrschtet,  bis  er 
nördlich  von  Quetzin.  unweit  Karow,  nahe  der  Ghrenze  Yon  Streifen 
V,  groben  Kitson  weicht. 

In  dem  westlich  von  Plan  gelegenen  etwa  70 — 75  m  hohen  Plateau 
lauft  das  Eldethal  als  einfaches  Lüugeuthal.  IHe  Stelnbestrenmig  der 
losen  Sande  bei  Planerhagen  zeigt  eine  nördliche  Verengung  an. 
Westlich  sehen  wir  bei  Euppentin  (60 — 70 ra)  den  feinen  Spatsand 
unter  ganz  geringer  Bedeckung  von  lehmigem  Decksand.  Bei  Brook, 
östlich  von  Lübz,  hegt  in  der  Meereshöhe  von  (55 — 70  m  die  Grenze 
des  Streifens  VI,  mit  3  m  mäclitigom  Blocklehm  auf  Kies,  welch  letzterer 
dicht  daneben  in  dem  zu  90  m  aufsteigenden  Wohmsberg  als  geschichteter 
lehmiger  Orand,  Ton  ganz  wenig  oberem  Mergel  bedeckt,  eine  selb- 
ständige Kuppe  bildet.  Aber  auch  westlich  bis  jenseits  LiiVr/,  also 
inmitten  des  Geschiebestreifens,  kommt  der  feine  Sand,  zum  Teil  auch 
Grand  des  , Unterdiluviums",  stets  zur  Herrschaft  unter  meist  nur 
2—4  m  blockreichem  Deckgeschiebemergel;  dabei  ist  das  Terrain  mannig- 
fach wechselnd  zwischen  (30  und  100  m. 

IHe  Gegend  nördlich  von  hier,  gewöhnlich  55 — 65m  hoch,  bis 
zum  Goldberger  See  ist  von  vielen  klemen  Seen  und  zahllosen  Sollen 
durchsetzt  und  bietet  das  Bild  der  kombinierten  vielfach  wechselnden 
Vorkommnisse  von  Sand  und  Deckmergel.  Am  nördlichen  Rand  herrschen 
gleichfalls  grobe  Grande  und  Kiese  vor,  z.  B.  bei  Diestelow  (s.  o.). 

Es  folgt  in  weiterem  Verlauf  nach  Nordwesten  ein  70 — 80  m  hohes 
Plateau  teils  aus  blockannem  oberem  Geschiebemergel,  teils  aus  Sauden 
bestehend,  bei  Seelstorf,  Hflhlenhof,  Mestlin,  Lenschow, 
Niendorf,  P restin  (u.  s.  f.),  wo  der  Heidetypus  fehlt  und  das  ge- 
wöhnliche, fast  möchte  ich  sagen  langweilige,  Diluvialplateau  sich  zeigt. 
Am  südlichen  Hand  dieses  Bistriktes  läuft  der  obere  Teil  der  Wamow 
bis  Prestin. 

Den  beiden  korrespondierenden  knieförmigeu  Biegimgen  von  Ge- 
sduebestreifen  Y  und  VI,  resp.  bei  Stembeig  und  Eritzow  (s.  o.)  ent- 
spricht ein  westliches  Ausweichen  des  Sandgebietes  nach  Barnin  zu. 
verbunden  mit  einem  Uebergreifen  über  den  Streifen  V  nach  der  Tur- 
lolFer  Heide  und  über  Yl  nach  der  Chvitzer  und  Pinuower  Gegend; 
vergl.  auch  oben  Boll  s  Darstellung. 

Von  dem  block-  und  steinreichen  aber  wenig  mächtigen  Deck- 
kiee  der  Gegend  sfldlich  Ton  Stemberg  bei  Stietä  und  Dannhusen, 
mit  60  m  Meereshöhe,  kommt  man  bei  Demen  in  denselben  Sand,  aber 
mit  zurücktretender  Steinbestreuung,  die  indes  nicht  i^uizUch  fehlt.  Dies 
bleibt  beiderseitig  des  Wamowthales  bei  Mttggenbnrix  unweit  Barnin. 
Plateauhöbe  circa  50  m.  Zum  Teil  kommt  auch  grober  Kies  vor.  Stld- 
lich  steigt  das  Terrain  zu  00— 70  m  und  südlich  Barn  in  auf  80  m, 
doch  bleibt  der  Sandboden  längs  des  Baminsees  und  greift  Über  den 
schmalen  Geschiebestreifen  VI  nach  der  Grivitzer  Gegend  hmüber. 

Von  Demen  nördlich  und  nordwestiich  kommen  wir  durch  die  aas- 
gedehnten Forsten  von  Venzkow,  Jülchendorf,  Schönlage,  mit 
55 — 80  m  Höhe,  in  die  Gegend  von  Brttel.   Im  Westen  läuft  bei 


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292 


Oanite, 


[78 


Kladow,  Augustenbof,  Basthorst.  Wendorf  die  Qfreoze  gegen 
Streifen  VI,  überall  ilunli  rficlie  Steiiibe^treuung  auf  dem  verschieden 
hohen  unteren  Sand  charakterisiert.  Im  Osten  isit  die  Grenze  der  eben 
genannte  Stern berg- Stieten er  Zug  V.  In  dem  Gebiet  herrscht  nicht 
fulein  der  gemeine  Spatsand,  immer  mitDecksaud-Sieinbestreuung,  sondern 
es  kommt  aucb,  wie  bei  Jfllcliendorf,  Schönlage  u.  a.  Kies  und 
auch  Bänderthon  vor.  In  Schön  läge  ergab  eiue  Bninnenbohning  80' 
unteren  Sand  und  Ries,  d.  i.  bis  auf  eine  Tiefe  von  circa  5  m  unter  den 
Oatseespiegel.    Viele  Kessel  und  kleine  Seen  sind  hier. 

Die  Gegend  von  SchTtnl  ii<j:e ,  Kaarz.  Necheln,  südlich  des 
Wamowthule.s  vonBrüel  im  iUateau  ÖO—  7U  m  hochgelegen,  zeigt  unteren 
Fenuand  und  groben  Chrand  mit  Kies,  meist  unter  Dedcaand.  m  Westen 
und  Nordwesten  wird  sie  von  den  steinbestreuten  Sauden  und  dem 
blockarmen  Deckmergel  bei  Wendorf,  Gustävel  u.  s.  w.  abgesehlosaai. 
Charakteristisch  ist  für  diese  Gegend ,  dass  in  den  beiden  hier  nahe 
zusammentretenden  Geschiebestreifen  mit  ihrer  coupierten  Landschaft 
die  unteren  Sande  mit  Blockbestreuung  zu  Tage  treten.  Daneben 
kommt  aber  auch  der  obere  Oeschiebemergel  vor,  und  auch  in  dm 
Zwischengebiet  finden  wir  den  gemischten  Typus,  unteren  Sand  und 
Deckmergel  das  Diluvialplateau  zusammensetzend. 

Am  nord(ist1i(hen  Knde  des  Schweriner  Sees  ist  in  der  Gegend 
von  Ventschow  und  A  It-Schlagsdorf  wieder  ein  kleines  sandreiches 
Areal,  welches  mit  der  „\\ariner  Mulde"  zusammeniliesst.  Das  von 
hübschen  runden  Seekesseln  unterbrochene  Saudgebiet,  oft  mit  geringer 
Steinbestreuung,  bildet,  durch  die  Erosion  isoliert,  einen  sUdwc»t-nord- 
östlich  laufenden,  bis  GO  m  hohen  schmalen  Rücken,  der  die  Wasser- 
scheide zwischen  Schweriner  See  und  dem  Zufluss  von  Schlagsdorf- 
Dämelow  zum  Neuhöfer  See.  somit  zwischen  Nord-  und  Ostsee,  bildet. 
Die  umgebenden  Plateaus  der  Geschiebestreifen  haben  dieselbe  Höhe. 

Nordwestlich  vom  Schweriner  See  findet  sich  in  dem  Zwischen- 
gebiet  semischtes  DOuvium,  neben  den  unteren  Sinden  auch  steinamier 
oberer  Mergel.  So  ist  die  Umgegend  von  GrevesmUhlen  ein  circa 
50  m  hohes  Plateau  von  unteren  Banden,  häufig  mit  Deckkies,  oft  auch, 
besonders  nahe  den  Streifen  V  und  VI,  als  grobe  Kieslager  entwickelt. 
An  der  n<jrdlichcn  Grenze,  bei  Santow  und  Hamberge,  ist  in  gleichem 
Niveau  der  horizontal  gelagerte  oder  lokal  stark  gestörte  Grand  von 
1— 3  m  lehmigem  Decksand  überlagert,  der  in  seinen  unteren  Partien 
als  Steinpackimg  ausgebildet  ist  und  weiterhin  in  steinigen  Deckmergel 
mit  unterer  Steinpackuiiij:  ü1)ergeht.  Südlich,  in  der  Mitte  des  Ge- 
bietes, findet  sich  in  den  Wotcnitzer  Tannen  hauptsächlich  Fein- 
sand und  thoniger  „Schluffsand'* .  bis  bei  Wotenitz  und  Kastahn 
schon  der  2 — 3  ni  mächtiffe  o])ere  Mergel  auftritt,  der,  z.  B.  I>ei 
Upahl,  untere  Graude  und  ^jande  bedeckt  und  vielfach  in  ihrer  Lage- 
rung gestört  hat.  Die  Breite  des  Grevesmöhlener  Sandgebietes  ist  hier- 
nach etwa  5  km. 

Weiter  nordwestlich  sieht  man  bei  Pohnstorf  und  Roggens- 
torf an  der  Grenze  des  Kalkhorster  Geschiebestreifens  bei  :iO-  4n  m 
Höhe  feinen  Sand  und  Grand ,  zum  Teil  in  aufgericliteter  Stellung, 
unter  Deckkies  von  0,5 — Im  Mächtigkeit.    In  dem  Geschiebeatreiten 


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79] 


Die  mecklenburgiscbeu  Höhenrücken  etc. 


29S 


selbst  herrschen  vielfach  die  imteren  Sende  und  steigen  im  Hohen 
Schönberg  zur  Höhe  von  02  m  an  (s.  o.). 

In  und  um  die  Stadt  Schönberg  herrschen  Sande^  zum  Teil  mit 
Tlion;  die  Brunnen  der  Stadt  liefern  in  grosser  Tiefe  Springquelleo» 
wahrscheinlich  auf  Grund  eines  tiefen  Thonlagers. 

Auch  die  Genend  von  Dassow  führt  (bei  Wilmsturfj  feineu 
Sand,  zum  Tefl  mit  Steinbestremmg,  zum  Teil  auch  mit  UocIaHniiem 
Mergel  bedeckt. 


8.  Das  Land  iwiaeheii  OMcUebeBtreifen  TI  vnd  TIL 

(Gemischter  Typus.) 

Auch  südlich  vom  Geschiebestreifen  VI  sind  Sandgebiete  vorhanden, 
zum  TeU  auch  mit  Mergelinseln.  Bei  Massow,  Ja(?bitz  und  Damm- 
wolde treffen  wir  den  feinen  Sand  in  der  Höhe  von  80 — 90  m,  nach 
dem  Runde  zu  mit  Steinbestreuung  und  mit  Granden .  südlich  ziemlich 
frei  von  Steinen.  Hier  ist  eine  llaseneisensteinschicht  nahe  der  Ober- 
fläche, etwa  in  0,2  m  Tiefe,  typisch  für  den  unfruchtbaren  Heideboden; 
über  ihr  ist  der  Sand  häufig  als  die  rostbraune  Fuchserde  ausgebildet. 
Bei  Marienhof  unweit  Danunwolde  finden  sich  noch  rohe Eisenschlackso 
auf  den  Feldern  als  Zeugen  der  früheren  Schmelzhtttten,  welche  das 
Raseneisenerz  verarbeiteten. 

Der  Sand  scheint  sich  weiter  nordwestlich  Über  die  100  m  \io\m 
Clegrad  von  Priborn,  nördlich  von  Meyenburg,  und  die  Retzower 
Taimen  fortzusetsBoi. 

In  dem  Geschiebestreifen  VH  der  Umgegend  von  Parchim  treffen 
wir  sehr  all^^emein.  wenn  auch  nicht  ausnalmislns,  (Sonnenberg,  Marnitzer 
Berjr.  auch  am  Buchliolz.  hei  Möderitz  u.  s.  f.)  unter  dem  blockreichen 
Deckdiluvium  die  unteren  JSaiide  und  Kieshiger;  auch  die  niedriger  ge- 
legenen nördlichen  Gegenden  zeigen  hauptsächlich  untere  Sande,  so  bei 
Slate,  Siggelkow,  Paarsch  u.  s.  w.,  nur  an  den  Rftndem  mit 
Steinbestreuung  (hier  KantengerÖlle  oder  Dreikant^jr).  Das  Buchhols 
und  das  nördliche  Stadtfeld  bilden  blockreichere  inselartige  Partien,  Yon 
Deckmergel  in  dem  hier  etwa  7  km  breiten  Sandzwischengel)iet,  welches 
zu  dem  nördlichen  Geschiebestreiien  Vi  (bei  Lübz)  kaum  merklich  an- 
steigt (60— 70  m). 

In  dem  Ruhner  Berg  steigt  der  untere  Sand  mit  verschwindendem 
Decksandüberzug  bis  zur  höchsten  Höhe  von  178  m. 

Westlich  von  Parchim  herrscht  bis  in  die  Gegend  von  Spornita 
der  grobe  und  feine,  meist  strinbcstreute  Sand,  ebenso  nördlich  von 
Parchim  auf  den  öden  Feldern  oder  in  den  Tannenwaldungen:  Darge- 
lütz,  Domsühl  sind  die  Orte,  welche  jene  Landschaft  recht  gut  präsen- 
tieren. Das  Plateau  ist  60-  70,  auch  80  m  hoch.  Oberer  Geschiebelehm 
ist  nicht  gandich  ausgeschlossen,  meist  aber  V* — ^Vs™  DecUaes  an 
dw  Oberfläche. 

In  der  Gegend  von  Crivitz  treten  die  beiden  Ge.scliiebestreifen 
ziemlich  nahe  zusammen;  da  hier  weiter  hauptsächlich  die  unteren  Sande 


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294 


Geinitz, 


[80 


herrschen,  nur  mit  Steinhestreuung  iles  Deckkieses  in  den  Geschiebe- 
zü«?en.  auch  die  Plateauhöhen  keine  erhel)hchen  Differenzen  zeipren.  so  hebt 
sich  der  Saudzug  wenig  ab.  Bei  Barnin.  Kladow  viTsrhniilzt  das 
Sand-  und  Kiesgebiet  mit  dem  nördlichen;  liier  treten  z.  Ii.  im  Eich- 
holz  bei  Crivitz  und  bei  Kladow  auch  unterdüufiale  Thonlager  auf. 
Das  Terrain  liegt  60— 80  m  hoch. 

PinnoWf  Petersberg,  Augustenhof.  Vorbeck  bis  Langen 
Brflfz  zeigen  gleichfalls  in  verschiedener,  im  Petersberg  zu  'ißni  an- 
steigender Plateauhöhe  die  feinen  unteren  Saude  resp.  zum  Teil  Kies- 
lager  uuter  Steinbestreuuug  oder  Deckkieü,  durch  deren  reiches  Auf- 
treten die  Geschiebestreifen  entstehen. 

Die  geschiebereiche  Gegend  von  Schwerin  hat  besonders  im 
Westen  der  Stadt,  am  NeumQhler  Soe  u.  s.  w.,  Kies-  und  Sandunter- 
grund.  Die  unteren  Sande,  zum  Teil  auch  tlionhaltig.  treten  nördlich 
auf  dem  üO  m  hohen  Plateau  reichlich  auf",  daneben  auch  oft  noch  vom 
blockarmen  Deckmergel  bedeckt;  da.s  tragliche  Gebiet  ist  somit  vom 
gemischten  Typus. 

Derselbe  setzt  sich  westlich  fort;  an  der  südlichen  Grenze  treffen  wir 
bei  Vietlübbe  undGadebusch  den  feinen,  oft  thonigen  mahlenden  Sand. 

4.  Dm  Lud  zwischen  Gesebiebestreifen  IV  und  III. 

Der  Landstrich  nördlich  vom  Geschiebestreifen  IV  zeigt  vielfach 
den  gemischten  Typus. 

In  dem  nordwärts  strebenden  Zij)fel  der  Bhxtkanhäufung  von  Feld- 
berg  triflft  man  am  Xordende  des  Iwucinsees  bei  Li(  htenberg  in  der 
Meereshöhe  von  120  m  den  feinen  Sand  mit  unterlugerndem  Bänder- 
thon. Nördlich  davon  findet  sich  am  Eude  des  Geschiebezuges  bei 
Grauenhugeu  mächtiger  Kies  mit  Blockbestreuung,  auf  den  höheren 
Plateau|pebieten  mit  DeckmergeL  üeber  Woldegk  bis  zum  Helpter 
Berg  büdet  fast  durch^^lngig  der  obere  Geschiebemergel  den  Boden, 
meist  sehr  blockarm :  m  Woldegk  bedeckt  er  mit  2  m  Mächtigkeit, 
durch  Kieslager  getrennt,  den  unteren  Mergel,  der  wieder  Bänderthon 
überdeckt.  Am  Kirchhof  kommt  feingeschichteter  Sand  und  Grand 
unter  2  m  Decklehm.   Der  Helpter  Berg  enthält  vielfach  feinen  Sand. 

Die  Umgebung  von  Neubrandenburg  hat  vielfach  die  unteren 
Sande  und  Kiese  in  ihrer  Geschiebestreifemandschafb.  SttdwSrts  ge- 
langen vrir  gleichfalls  zu  Sauden  und  zu  Deckmergel. 

Die  Kiesgruben  und  Spatsande  l)ei  Helle,  Wrodow.  Lapitz. 
Puchow,  Penzlin  und  die  vereinzelten  (Teschiebemergelpartien  jener 
Gegenden  zeigen  auch  hier  im  nämlichen  Niveau  mit  den  Streifen  IV 
und  III  den  gemischten  Diluvialbodeu. 

Sodlich  von  Malchin  finden  wir  mächtige  Entwichelung  der 
unteren  Sande  und  Grande.  Am  Hainhob  mächtige  feine  Sande  mit 
Granden,  nordwärts  d.  i.  vom  Geschieberücken  wegeinfallend.  Der  ganze 
Forst  bis  Basedow,  G e s s i n  und  L i e p e n .  die  .sogenannte  Base- 
dower Heide,  zeigt  nieist  Feinsand,  in  Basedow  horizontal  mit  tlio- 
uigen  Zwischenschichten,  am  Basedower  Theerofen  in  dem  66  m  hohen 
Rücken  machtige  Gerölllager  in  diskordanter  Parallelstruktur  Ton  mäch- 


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Die  nieeUenbnigiieheii  Hfthenrttck«!  eto. 


295 


tigern  Blockkies  bedeckt;  liier  ist  die  südliche  Grenze  nahe;  hvi  Schwin- 
kendorf.  schon  im  G«'l)iHt  des  Geschiehestreifens,  kommen  noch  mächtige 
untere  Sande  und  Graude  in  65  m  Höhe  vor.  In  jenem  Gebiet  lehlt 
das  Deckdiluvium  nicht,  oft  macht  sich  der  obere  Mergel  sogar  selir 
stark  gleitend.  Südwestlich  yon  Malchin  zeigt  der  25  m  hohe  Rücken, 
der  zwischen  dem  Peenethal  und  dem  B^isedower  Thal  stehen  gehliehen 
ist,  untere  Sande  mit  Deckkies-  und  Lehmbeschttttungf  auf  welcher 
noch  ungeschichteter  Decksand  aufgespült  ist. 

Auch  am  Kempliner  und  {'istdcr  Ufer  trct*ii  Sande  und 
Kiese  unter  dem  Decklehm  auf;  bei  ll^mplin  tiudet  sich  in  30  m  Höhe 
ein  Litffer  von  ^Lnderthon. 

Kordlich  treffen  wir  bei  Hohen-Mistorf  feinen  Sand  zum  Teil 
ohne  Deckmergel,  und  an  diesen  schliesst  hei  Hagensruhm  die  Sand- 
landschaft,  die  zu  dem  PTardthcrf,'  aufsteigt. 

Bei  Teterow  lierrschen  Santle  und  Kiese.  Der  hohe  Heidberg 
setzt  sich  aus  unteren  GeröUen  zusammen,  an  und  auf  welchen  der 
obere  Gesehiebelehm  lagert.  Sudwestlich  von  hier  ist  die  starke  Qudle 
▼on  Köthel,  auf  m£htigem  unterem  Thon  flieesend,  bei  ungefähr 
30  m  Höhe  zu  erwähnen.  Auch  amRadenerSee  steht  ein  müiimtiges 
Thonlager. 

Durch  die  Geschiebemergel  und  viel  Sand  und  Kies  haltende  Gegend 
von  Laiendorf,  südUch  und  nördlich  deren  reichlich  Sand  herrscht, 
wird  nach  Westen  ein  Abschluss  erzielt. 

Die  obenerwähnten  Kuppen  zwischen  hier  und  Ottstrow,  femer 
die  Gegend  von  Niegleve  führen  untere  Sande,  zum  Teil  auch  Grande, 
oft  mit  Mergelbedeckung. 

Die  Gegend  von  Güstrow  zeigt  wieder  sehr  schön  die  Herr- 
schaft der  unterdiluvialen  Sediniente  zwischen  den  Geschiei)estreifen, 
wiewohl  auch  hier  das  Deckdiluvium  als  Geschiebemergel  oder  Deckkies 
nicht  ausgeschlossen  isi  An  der  Bahn  nadi  ^«kow,  an  der  Chaussee 
nach  Zehna  u.  s.  w.  kann  man  deutlich  den  »heblichen  Abfall  vom 
südlichen  Geschieljesti  t  if*  n  IV  nach  Norden  zum  Neboltlial  verfolgen. 
Unter  Zurücktreten  der  Blr)rke  gewahrt  man  auch  hier  zunächst  grobe 
Grande  und  Kiese  im  Unterdiluviuni  und  weiterhin  die  feineren  Sande 
vorherrschend,  bei  Hoppeurade  auch  ein  Th()nla;^n  r.  welches  sich  nörd- 
lich bis  Güstrow  hinzieht,  mit  einer  Muldenlagtrung.  Es  fehlen  aber 
auch  in  der  Mitte  nicht  die  groben  Kiese  und  der  Deckmergel,  wie  an 
den  Schneiderbergen  und  an  der  Gleviner  Burg  bei  Güstrow  zu  sehen. 
Jenseits  der  Nebel  wiederholt  sich  der  allgemeine  Typus  in  uragekelirter 
Folge,  erst  feine  Sande  und  Thon,  weiter  Kiese  mit  reicherer  Stein- 
bestreuung  bei  Annäherung  an  den  10— ÖUm  hohen  nördlichen  Ge- 
schiebestreifen bei  Spoitendorf  u.  s.  f.  In  der  Mitte  dieser  Sandmulde 
sehen  wir  östlich  Tor  Güstrow  in  den  Röwer  Tannen  typische,  so- 
genannte AUuTialheide,  feinen  gelben  Sand  mit  Ortsteinbildung,  humos 
in  niederen  Lagen,  mit  hohen  Dünenaufwehungen.  Es  ist  das  die  circa 
12  ni  holie  von  der  Eisenbalm  durchlaufene  Gegend  zwischen  dem  Inselsee 
und  der  Ijn  itcn  Thalniederung  der  Recknitz,  wo  sich  der  l)reite  Alluvial- 
«trum  seinen  Thalsand  aus  den  nachbarhchen  Diluvialsanden  aufge- 
arbeitet hat. 

FoiMhaagm  s«r  dralMlNii  LandM-  nad  VoUnkund«.  LS.  81 


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I 


296  Gemitit  [82 

Dasselbe  witderliolt  sich  in  noch  «j^rössereni  Massstab  bei  der 
Einmünduugsstelle  der  Nebel  in  das  Wamowthal  südlich  Bützow,  wo 
sich  bei  Langensee  aus  den  unteren,  zum  Teil  steinbeetreuten  Senden 
die  alluviale  Eeideeandebene  der  ^Mäcker^*  und  Vierburg-Waldung 
entwickelt.  In  weiterer  nördlicher  und  südlicher  Umgebung  folgen 
nach  den  beiden  Geschiebestreif«  n  öde  Saiidgegenden  von  Peetsch  und 
Zernin  im  Süden,  wo  dann  der  Kies  von  Waruow  als  IlinUberleiter 
zum  Gesckie bestreiten  in  20  m  Höhe  folgt  und  im  Norden  der  Saud 
von  Wolken,  Oetteliu  bis  ziu:  Genend  tou  Schwaau;  ebenso  ist 
auf  dem  linken  Ufer  der  Wamow  bei  Bfltzow,  Horst,  Friedriche- 
hof, Kambs,  Vorbeck  bis  Schwaan  der  Sand  herrschend.  Der  Beck- 
mergel und  der  Deckkies  sind  hier  nicht  völlig  ausgeschlossen,  doch 
herrscht  in  diesen  (legenden  der  Sand,  besonders  feiner  und  thoniger, 
bei  weitem  vor;  juicii  Thonlager  treten  auf.  In  einer  7m  hohen  insel- 
artigeu  Sauderhuhung  inmitten  des  Waruowthaies  zwischen  Zerniu 
und  Rtthn  oberhalb  Butzow  trifft  man  auf  dem  abgeschwenmiten  irohl- 
geschichteten  unteren  Spatsand  und  Schluffsand  0/2  m  ungeschichteten 
Decksand  und  auf  diesem  in  scharfem  diskordantem  Absate  noch  0,4  m 
gdben  Flusssand. 

Nordwestwärts  am  Nordabfall  der  Schlemm  in  er  Beriet'  n;i(  h  der 
Gegend  südlich  von  Satow  setzen  die  Sande  fort,  auch  hier  nicht  ohne 
Deckmergelpartieen.  Endlich  war  auch  in  der  Gegend  von  Neubukow 
der  Sand  weit  verbreitet,  sowohl  als  Unterlage  des  Geschiebeetreifens 
ab  auch  in  der  Zwischeng^nd;  so  z.  B.  charakteristisch  in  der  Heide 
Ton  Questin  und  Panzow^). 

5.  Das  Land  iwlaelieii  GMchlebestrelfen  III  und  IL 

(Gemischter  Typus.) 

Am  Nordabhang  des  III.  Geschiebezuges  treten  bei  Doberan 
ebenso  wie  am  Südabfall  bei  Kröpelin  Sandmassen  in  grosser  Menge 
auf:  Feinsand,  Thon  und  grober  Kies,  oft  von  Deckmergel  oder  von 

Deckkies  (iberlagert,  in  dem  zum  Teil  ein  südnördlicher  Geschiebetrans- 
port des  Brunshauptner  Planers  zu  konstatieren  ist  (Althof,  Bruns- 
haupt en);  vgl.  auch  die  Notiz  über  die  kleinen  Heirlcareale  von  Sand* 
hagen  bei  Neubukow  im  Vll.  Beitr.  z.  (ieol.  Mecklenb.  S.  .'>. 

Auch  in  kleinereu  Partieeu  finden  sich  innerhalb  des  Geschiebe- 
streifens der  Stoltera  untere  Sande  und  Thon  zwischen  den  beiden  Ge* 
SChiebeniergclu  (vgl.  VII.  Beitr.  z.  Gen].  I\[t(klenb.). 

Südlich  von  Rostock  dehnt  sich  ein  heideähnlicher  Sauddistrikt 
über  die  Barnstorfer  Tannen  und  Biestow  nach  der  0.  .r,  nd  von 
Schwaan  aus,  in  gleichem  Niveau  mit  den  abgrenzenden  Ueschiebe- 
streifeu  11  und  111;  oberes  Diluvium  fehlt  nicht. 

In  gleicher  Weise  findet  sich  das  Diluvium  in  Sand-  und  Kies* 
resp.  Thonablagerungen  mit  mehr  oder  weniger  zurOcUretendem  Ober- 
diluvium  (Geschiebemergel  und  Decksand)  in  südöstlicher  Fortsetzung; 


')  Vgl.  Vll.  Beitr.  s.  Geol.  HecUenb.  S.  7. 


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83] 


Die  meddenbiirgiMheii  fiSlieottrQckeii  elc. 


297 


es  nia«!  cfenttf^en.  als  Beispiele  nur  die  Gegenden  zwischen  Köster- 
beck und  Hohen- Sprenz  bei  Rostock,  von  Liiage,  Thürkow  nörd- 
lich Teterow,  Neukaien  am  Cumiuerower  See,  Friedland  u.  a.  zu 
nennen. 

6.  Die  südwestliche  Heide.    (Jungdiluvialer  Thulsand.) 

Die  „südwestliclu  Ht  idt clione"  Mecklenburgs  ist  zwar  melirfach 
geschildert  worden  doch  telilt  noch  fino  eingehende  geologische  und 
geographische  Darstellung,  scjgar  ihre  Grenzen  sind  noch  nicht  genau 
angegeben;  auch  an  dieser  Stelle  kann  wegen  Rauniuiangelü  nur  ilir 
Typus  dmeli  einige  Mitteilungen  bekannt  gemacht  werden  und  muss 
eine  aosftlhrlic^e  Schilderung  auf  später  verschoben  werden.  Im  Osten 
ist  die  etwa  30  Quadratmeilen  grosse  Heideebene  nach  Bolls  Schilde* 
rung  von  dm  Mamitzer  und  Parchimer  Bergen  abgegrenzt,  die  natür- 
liche Siidgreiizc  bildet  die  Elbe,  die  westliche  Grenze  liegt  in  einer  von 
Schwerin  über  Klein  Kogahn,  Stralendori',  Toddin,  VVarlitz,  Goldenitz, 
Pritzier,  Melkhof,  DUssin,  Brahlsdori'  gezogenen  Linie,  im  Norden  lehnt 
sie  sich  an  den  Sfldrand  des  den  Schweriner  See  enthaltenden  Mulden- 
gtOckes  an.  -Die  Heideebene  ist  arm  an  S«  eii  und  Teichen,  wird  aber 
▼on  mehreren  Flüssen  durchschnitten,  welche  in  sehr  weiten,  ziemlich 
parallelen,  von  Nordost  nach  Südwest  sich  erstreckenden  und  nur  wenig 
üi  er  ihren  Wassei-^}ne<ii  l  sich  erhebenden  Thälern  dahintliessen  und 
nur  durch  unbedeutende,  luselartig  aus  der  Ebene  sich  erhebende  Boden- 
anschwellungen voneinander  getrennt  sind.*  Diese  Flüsse  sind  die  Eide 
imd  Stör,  die  Rögnitz  mit  der  Krainke  und  die  Sude;  ihnen 
parallel  laufen  noch  im  Westen  die  S  c  h  a  a  1  e  und  Bo  i  z  e  mit  ähnUchem 
f'harakter.  Von  den  zum  Teil  sehr  tretlenden  Schilderungen  Kochs 
und  Bolls  sei  zunächst  nocli  einiges  mitgeteilt:  in  landschaftlicher 
Hinsicht  ist  die  Heide  eine  traurige  Einöde  von  ausgedehnten  Kiefern- 
forsten,  spärlichen  Ortschaften  mit  wenig  und  änmichem  Ackerhau; 
irOher  war  das  Gebiet  nodi  viel  reicher  an  Waldmigen  als  jetzt.  In 
diesen  die  deutschen  Ansiedler  wenig  anlockenden  Gegenden  haben  sich 
die  Wenden  in  Mecklenburg  am  längsten  gehalten;  die  H<  i  nitj-f 
noch  zahlreiche  slavische  Ortsnamen.  Auch  die  Ritterschaft  iiut  wenig 
darnach  getrachtet,  hier  Landbesitz  zu  erwerben,  daher  haben  sich  hier 
die  vielen  Bauemdörfer  erhalten  (oft  noch  mit  der  sonst  im  Mecklen- 
burgischen unbekannten  Art  der  Gehöflsanordnung);  kein  Teil  unseres 
Landes  trägt  ein  so  wenig  ritterschafüich-aristokratisches  Gepräge  wie 
dieser;  darin  bildet  er  z.  B.  zu  dem  „Quellengebiet  der  Peene*  und 
anderen  Geschiebestreifengebieten  den  äussersten  Gegensatz.  „Will 
man  daher  das  Thun  und  Treiben  unserer  Bauern,  Büdner  und  Häusler 
mehr  im  grossen  kemieu  lernen,  so  muss  mau  sie  in  diesen  einsam 
gelegenen,  wenig  vom  Verkehr  mit  der  flbrigen  Welt  berOhrten  Dörfern 
der  Heideebene  aufsuchen.  Dort  trifft  man  auch  nodi  vieUiÜtig  jene 
alten  Bauemgehdfle,  in  denen  Menschen  und  Vieh  unter  einemDache 

')  Vgl.  F.  £.  Koch:  Arch.  Nat.  Mecklenb.  Vli,  1853,  S.  17  f.;  Zeitschr.  d. 
d.  eeol.  Ges.  1856.  S.  249  f.  E.  Boll:  Abriaa  1861.  S.  358  f. 


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298 


Qeinitz, 


[84 


leben,  mit  derselben  baulichen  Eimichtuug,  wie  sie  noch  zu  Anfang 
dieses  Jahrhunderts  f&st  überaU  in  den  mecuenburgischen  Bauemdörfem 
zu  finden  war.    Sie  bestehen  aus  einem  grossen,  von  Holz  und  Lehm 

(zuweilen  auch  von  Raseneisenstein)  aufgeführten  und  mit  Stroh  ge- 
deckten Gebäude  olinc  Schornstein,  aus  welchem  der  Hauch  durch  (die 
an  der  Seite  des  liolu  n,  mit  dem  Pferdekopfpaar  gezierten  Giebels  be- 
findliche) Thür  und  iJucii  abziehen  muss  ..." 

Die  geologische  Zusammensetzung  der  Heide  wül  ich 
zunächst  eben&lls  nach  der  Darstellung  Ton  Koch  und  Boll,  aber 
ohne  die  daran  geknüpften  Spekulationen,  mitteilen.  Die  diluWalen 
Schichten  der  Heideflächen  bestellen  aus  manniLTfuch  wechselnden 
Lagern  eines  irlininierreichen  feinen  Sandes;  darüber  pflegt  die  ver- 
rufene Fuchserde  (Ur)  zu  lagern,  ein  braungelber,  stark  eisenschüssiger 
und  bisweilen  sieinartig  verhärteter  Sand,  der  das  Material  abgibt  zur 
Bildung  des  in  grosser  Menge  in  allen  Niederungen  der  Heideebene 
Torkommenden  RaseneiBensteins  ,*  die  (>])erste  Docke  des  Bodens  bildet 
im  allgemeinen  ein  saurer,  kohlig -harziger  Humusboden;  stellenweise 
tritt  aber  aucli  auf  grösseren  Strecken  der  feine  und  flüchtige  Sand 
zu  Tage,  teil.s  selltstäiidige  an.st'liiiHchc  Hü<X('l!4"ni})peu ,  Dünen  bildend, 
teils  den  insularen,  mit  uordi.schem  Düuvmm  überdeckten  Boden- 
auschwellungen  angelagert;  «ersteres  ist  z.  B.  in  der  Httgelkette  der 
Fall,  die  sich  längs  des  südlichen  Eidearmes  und  der  Elbe  von  Polz 
nach  Dömitz  hinzieht,  desgleich^  mit  der  Httg)]<iruppe  bei  Broda, 
während  z.  B.  die  dem  Wehninger  Berge  anpfelagerten  Sandiriass»»n 
wie  auch  die  bei  Lübtheen  und  Raddenfort  auftretenden  als  Beispieh- 
der  zweiten  Art  anzusehen  sind.  Endlich  aber  bedeckt  der  Saud  in 
diesem  Gebiete  auch  sehr  grosse  Flächen,  wie  z.  B.  bei  Stolpe,  Neustadt, 
Dreekrögen,  Moraas,  Pampow  o.  s.  w.* 

„Vor  30  —  40  Jahren*)  war  diesem  Sande  in  <ler  Heideebene 
noch  vöUig  freier  Spielraum  gegeben.  Auf  den  l)ewegUchen  Feldern, 
z.  B.  bei  Bockup,  Wendisch  -  Wehningen ,  Belsch  ii.  a. .  trül>ten  bei 
trockenem  Sturrae  auf  halbe  Meilen  weit  gelbe  Sandwolkeu  die  Luft 
bis  zu  einer  Höhe  von  mehr  als  100^,  und  der  Landmann  war  ge- 
nötigt, seine  Felder  durch  Anpflanzung  von  ,Tannen*  g^g^ii  "Ver^ 
aandung  zu  schützen;  aber  auch  diese  konnten  nur  unter  einer  Decke 
von  Tannenreiseni ,  mit  denen  die  ganz  jungen  Pflanzen  überkleidet 
werden  mussten,  Wurzel  fa.ssen.  Ein  kleines  Loch  in  der  schwachen 
Narbe  solcher  Samlfeldor  erweiterte  der  Sturm  oft  binnen  wenigen 
Jahren  zu  einem  walueu  Sandsee,  aus  dem  noch  einzeln  stehende 
Bänke,  gleich  Inseln,  von  4 — 6'  Höhe  hervorragten,  als  Merkzeichen, 
wie  gross  die  Masse  des  weggeführten  Sandes  gewesen  war.  An  diesen 
Bänken  sah  man  denn  auch  deutlich,  wie  dünne  Schichten  von  Damm- 
erde wohl  drei-  bis  viermal  und  auch  noch  öfter  mit  mehr  als  fuss- 
dicken Sandlagen  wechselten,  und  wie  also  dieselbe  Stelle  schon  mehrere 
Male  das  Schicksal  der  Versandung  erlitten  hatte." 

Koch  unterscheidet  im  Heidegebiet  folgende  Bildungen:  l)  die 


1)  Boll  a.  a.  0.  8.  390. 
")  Ebenda  S.  363. 


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85] 


Die  mecUenbingudien  HOhemrBckeii  etc. 


299 


Gebiete  der  Flussalluvionen,  Marsch.  Tiut  oder  Bruch;  2)  das  Heide- 
gebiet, damals  von  ihm  als  tertiär  angehehen;  das  Gebiet  der  uor- 
di.scheu  Geschiebeformation ;  4)  die  älteren  Flötzformationen. 

Da  eine  eingehende  Beschreibiing  der  Heide  hier  nicht  möglich 
ist,  so  irollen  wir  versuchen,  das  Land  auf  einer  Wanderung  von 
Schwerin  nach  Süden  und  Südwest  zur  Elbe  hin  kennen  zu  lernen. 

Oben  wurde  (Ö.  -U)  n;ezeij^,  wie  sich  von  dem  Geschiebe- 
stnifen  VII  südlich  Schwerin  bis  Pampow  und  Holthusen  all- 
luiililich  da.s  Saudgebiet  imter  Verschwmden  der  Steinbestreuuug  ent- 
wickelt und  im  Südwest  bei  Zachnn  und  Hagenow  die  Sandheide  kommt, 
miter  aUmÄhlicher  Abdachung  des  Terrains  von  00  zu  40  und  25  m.  Aus 
den  weiten,  flachen  Mf)ordcpre.ssionen  zwischen  Rogahn  und  Pampow, 
südlich  von  Stralendorf  und  von  Walsraühlen  u.  a.  entwickeln  sich 
flache  südwestlich  lautende  Thäler,  so  das  der  Sudo. 

Oestlich  von  Hagenow  dehnt  sich  das  Saudgebiet  mit  weiten 
Mooren  in  den  flachen  Niederongen ,  oft  auch  ac&m  mit  einzelnen 
Dtlnen,  nach  Kirch-Jesar,  Hagenower  Heide,  Morass,  Isasnitz, 
Fahrhinde,  Dreekrögen  in  die  Oefrend  von  Neustadt  und  Lud- 
wigslust aus.  In  ilim  liegt  hei  Kastow  das  oben  beschrifbene  Stein- 
gebiet. Südöstlich  setzt  der  Sand  l>is  unterhalb  der  Kuhner  Berge  fort. 
Es  wird  von  den  Tiiäleru  der  Kognitz,  Eide  und  Lfiekuitz  parallel  der 
Sude  durchflössen.  Der  Sand  ist  überall  der  feiue  gelbe,  oft  Ortstein 
und  Raseneisenerz  filhrende  Heidesand  oder  meist  horizontal  geschichteter 
Spatsand  und  Grand  mit  bis  1  m  mächtigem  Decksand.  Das  ebene 
Terrain  liegt  meistens  etwa  30  m  über  dem  Meer.  Der  Decksand  oder 
seine  Kleinsteinbestreuung  herrscht  im  Norden  vor,  verschwindet  aber 
weiter  nach  Süden:  im  Norden,  in  der  Gegend  vom  Südende  des  St  liwe- 
riner  Sees,  herr-scht  der  feine  Sand,  zum  Teil  auch  Kies,  unter  wenig 
n^htigem  Deckdfluvium.  An  der  56  m  hohen  ünterdiluvialerhehung 
hei  Rastow  Ist  auf  dem  Deckmergel  und  Decksand  noch  reiner  Sand 
▼on  dem  nordö.stlich-südwesthch  laufenden  Kraaker  Thal  angelagert. 

Nördlich  vor  Hagenow  tritt  unter  dem  Sand  und  dem  Deck- 
geschiebeniergel  l)ei  circa  2r»  -  30  m  Höhe  blauer  Bänderthon  hervor; 
und  alsbald  sclüiesst  sich  westlich  und  nordwestlich  der  oben  beschriebene 
undeutliche,  aber  hKufig  blockreiche  Cleschiebestimfen  VJü  an  (Pätow, 
Granzin,  Helm),  wobei  sich  das  Terrain  alsbald  zu  40  und  60  m  er- 
hebt; hier  heiTscht  zwar  ebenfalls  der  untere  Sand,  aber  mit  stein- 
reichem Decksand  oder  DeckmprL'fl  Ix'dfM  kt,  auch  als  grober  Kies 
au.sgebildet,  so  dass  der  Heidecharakter  zurücktritt  (s.  o.  S.  38).  Süd- 
lich von  Wittenburg  treöen  wir  bei  60  m  den  gelben  Heidcsand  mit 
Ortsteinbildung  als  wenig  mächtige  Bedeckung  mit  Dreikantersohle  auf 
dem  Bindertim  (nördlicher  Rand  des  Streifens  Vlll). 

Südlich  von  hier  gelangt  wieder  die  gelbe,  in  den  Niederungen 
fschwarze  und  graue  Sandheide  mit  zahlreichen  Dünen  in  dem  zu  40 
und  20  m  abfallenden  Terrain  zur  Geltung,  vom  Sud»  r]ial  durchflössen, 
bis  Lübtheen,  Redefin,  Belsch.  Krenzlin  u.  s.  w. 

Hier  und  in  den  weiter  südwärts  folgenden  Gegenden  und  nach 
Sfldost  in  die  Gegend  von  Eldena  forts^zend,  herrscht  ttberaü  der 
Heidesand,  in  Niaierungen  mit  Raseneisenstein,  in  trockenen  Stellen 


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800 


Odnits, 


[86 


mit  massenhafton  Düiienkuppen.  Das  Terrain  wechselt  dabei  vielfach 
uud  mau  erkeuut  hier  sehr  klar,  dass  die  Heide  sich  zusammeu- 
setzi  aus  den  breiten,  von  Thalsand  erfüllten  Thalebenen 
der  obengenannten  Flüsse  und  ihrer  SeitenthSler  und  den  von  ihnen 

quer  durchbrochenen  nnd  dadurch  als  Südwest -nordöstll(  Ii  strei- 
chende flache,  inselarti«;*'  Erhr)liungen  erscheinenden  Geschie)>e  st  reifen 
VIII  und  IX,  welche  wep'n  ihrer  geringen  Erhebung  noch  von  einer 
dünnen  Decke  Flugsandes  üherweht  sind. 

Als  Belege  dieser  Auffassung  seien  die  Gegenden  von  Lübtheen 
und  Malliss  angeführt. 

Der  15 — 20  m  hohe  Gypsherg  von  Lübtheen  li^  am  Südrande 
des  Geschiehestreifens  IX,  der  sich  östlich,  immer  von  Heidesand  und 
Dünen  bedeckt,  bei  Kamm  zu  40m  erhebt.  Südlich  dacht  sich  das 
Terrain  cranz  flacli  /u  der  normalen,  an  Dünen  reichen  Heide  des  hier 
schon  dem  Eibthaic  puraik-ien  Rögnitzthales  bei  Trebs  und  Jessenitz 
ab,  in  der  Moomiedenmg  mit  10  m  Hdhe. 

Die  dortigen  Bohrungen ')  zeigten  die  Mächtigkeit  und  Beschaffen- 
heit der  Sande  an. 

Am  Gypsherg  ?ind  dem  Gyps  echte  unterdiluviale  Saude  und  Kiese 
angelagert;  diese  sind  von  wechselnd  mächtigem  Heidesand  liedeckt. 

In  Lübtheen  (VI)  hat  der  gelblichgraue  Heidesand  die  Mächtigkeit 
von  8,2  m,  darunter  folgen  grauer  Sand,  fisiner  und  grober  Kies  mit 
Oer5llen  und  feiner  und  scharfer  glimmerhaltiger  Sand  bis  zur  Tiefe 
TOO  25,5  m,  d.  i.  circa  10  m  unter  dt  ui  Ostscespiegel.  auf  Tertiärsand 
lagernd.  Das  Bohrprofil  (IT)  in  Pro])st  Jesar  bei  Lübtheen  (ebenfalls 
circa  17  ra  Meereshöhe)  zeigte  1,2  m  gelben  Heidesand  auf  grauem 
leinem  und  grobem  Sand  und  Kies,  mit  19  m  Mächtigkeit  auf  Geschiebe- 
mergel, Sauden  und  Thon  in  Wechsellagerung.  Die  Bohrungen  am 
See  von  Probst  Jesar,  in  der  Meereshöhe  von  20  m  angesetzt,  zeigten 
3  m  gelben  Heidesand  auf  ß  m  wasserhaltigem,  grauem  feinem  Sand,  der 
bis  30  m  Tiefe  Diluvialkiese  und  Sande  mit  Thoneinlagerungen  bedeckt. 
Bohrloch  (V)  im  Lübtheener  Forst,  südlich  von  Lübtheen  fMeereshöhe 
circa  18m),  traf  14,3  m  gelben,  unten  grauen  feinen  Sand  auf  mäch- 
tigen unteren  Sanden,  die  bei  42,8  m  Tiefe  Geschiebemergel  bedecken. 
Das  Bohxloch  (I\^  bei  Trebs  zeigte  16,1  m  gelblich  grauen  feinen 
Heidesand  auf  6,3  m  grobem,  grauem  Sand  und  Eies,  der  in  ca.  13  m 
Meerestiefe  auf  Geschiebemergel  ruht.  Das  in  anderer  Beziehung 
wichtitje  Bohrloch  im  Kamdolil  bei  Trebs  flll)  hatte  15,7m  gelblichgrauen 
feinen  Sand  (Heidesand)  auf  Kies,  Sand  und  Thon  von  23,3  m  Mächtig- 
keit getroffen. 

Die  durchschnittlich  25 — 30  m  hohe  ebene  (legend  sEwischen  Lnd- 
vigslust  nnd  Eldena,  Malliss,  zeigt  fest  durchgängig  den  Heidesand,  an 

der  Mde  mit  Dünen  besetzt,  auf  dem  Plateau  mit  flachen  Moomiede- 
rungen  und  weiten  flachen  Thälern;  dabei  finden  sich  im  Gebiete  des 
hier  durchquerenden  Geschieliestreifens  IX  fla<'he,  bis  50  m  ansteigende 
Erhebungen  von  Diluvium,  Tertiär  und  Kreide,  z.  B.  bei  Loosen, 


»)  I.  Beitr.  z,  Geol.  Meckleub.  löTü,  b.  12,  ti4.   Flötzform.  Mecklenb.  1883, 
S.  110—116. 


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87] 


Die  meddoibiirgiflchen  HOhtiirlleken  ate. 


301 


Hohen  Woos,  Karenz,  Malk,  Gonow,  Malliss,  Bockup,  Böck 

(s.  oben). 

Einen  ganz  vorzüglichen  Einbhck  in  die  oben  gekennzeichnete 
Natur  der  «Heideebene*  erhält  man  auf  einem  Gang  von  Malliss  nach 
Bockup  und  Schlesin  ndrdlich  Dömitz:  in  der  grossen  Ziegeleigrube 

von  Malliss  sieht  man  in  circa  40  m  Höhe  etwa  3  m  mächtigen  oberen 
Blorkmergel  auf  dem  SeptiirifMithon  aufpfelagert.  dem  auf  der  Höhe  Heide- 
sand ioU/L  iih  Uebonvehung;  nördlich  davon  trifft  mau  den  unteren  Sand 
bei  den  Mailisser  Abbauen  an  der  Chaussee  und  weiter  in  den  Karenzer 
Bergen,  mit  Dreikantem  und  Decksand.  In  der  rasch  zu  25  m  Höhe  sttd- 
lieh  der  Ziegelei  ahstOrzenden  Ebene  der  Eide  lagert  mi&chtiger  gelber 
feiner  Heidesand  mit  seinen  Danen.  Von  hier  kann  man  südwestlich  llngs 
der  40  m  Kurve  gehend  die  Grenze  des  steinigen  Diluvialsandes  gegen 
den  in  der  Tiefe  (25  m)  lagernden  feinen  Heidesand  verfolgen  bis  nach 
Bockup,  unterwegs  auf  der  Höhe,   bei  Malliss  selbst  oder  nördlich 
nach  Conow,  die  unteren  Saude  oder  Kieslager  in  schöner  diskordauter 
Pandlebchichtung  mit  oberer  Stein-  und  Dreikanterbestrenung  beob- 
achtend, bis  man  an  der  Ziegelei  von  Bockup,  wo  der  Signalberg  zu 
48  m  ansteigt,  am  selben  steilen  Uferrand  der  sich  hier  nach  Westen 
wendenden  breiten  Thalebene  die  Miocänthone  mit  ihrer  Unterdiluvial- 
lu  deckung  scharf  abgeschnitten  sielit,  in  der  25  — 15  m  hohen,  weiten, 
überraschend  schön  sich  dem  Auge  darbietenden  Thalebene  von  Radden- 
fort, Heiddorf  u.  s.  w.  den  ÜDinen  gelben,  mahlenden,  zu  riesigen  Dttnen 
aufgewehten  Heidesand  (mit  Raseneisenttzbfldung)  Tor  sich;  aber  auch 
auf  die  Höhe  ist  der  gelbe  Heidesand  bereits  tfewandert;  wir  finden  ihn 
als  eine  l — 2  m  dicke  Schicht  den  älteren  Ablagerungen  nuf<?eweht. 
Dieselbe  Beobachtung  wiederholt  sich,  wenn  wir  von  lufr  westlich  über 
Schlesin  zu  dem  tialgenberg  gehen;  auf  dem  40—45  m  hohen  Plateau 
unterdihiTiale  Kiese  und  Sande,  zum  Teil  oberer  Mergel,  am  Bande  mit 
Heidesand  bedeckt,  welcher  unten  im  Thal  allein  herrscht.   Der  42  m 
hohe  Galgenberg  bildet  die  scharfe  Ecke  zwischen  Aex  hier  ostwestlich 
laufenden  Thal  ebene  und  dem  von  Nordnordost  kommenden  l^ögnit/thal. 

Südlich  von  diesem  scharfen  Hand  breitet  sich,  wie  ersviÜmt,  wieder 
eine  normale  Thalsandheide  aus;  die  Orte  Raddenfort,  Heiddorf, 
Kalliss,  Schmölen,  Lenzen,  Heidhof,  Woosmer,  Junker  Weh- 
ningen u.  a.  m.  liegen  in  ihr.  Tefls  ein&che  Sandebenen,  15  m  hoch 
gelegen,  teils  mächtige  Dünen,  besonders  längs  der  üferritnder,  teils  auch 
weite  Moor-  oder  Sumpfniedwungen  setzen  sie  zusammen. 

Aus  dieser  Heideebene  erhebt  sich  bei  Wendisch  Wehningen  am 
Elbufer  der  Diluvialberg  mit  m  Höhe  als  inselförmiger  Rest  des 
Geschiebestreifens  X,  ringsum,  bei  Broda  unweit  Dömitz,  im  Forst 
Heidhof,  bei  Junker  Wehningen,  von  HeidesaaddUnen  umgeben,  auf  der 
Höhe  mit  diskordant  angelagertem  Deckmmd,  dessen  gute  Dreikanter 
sehr  häufig  sind.  Der  Kern  besteht  ans  unterem  Oeschiebemergel,  dessen 
Hangendes  unterdiluviale  Diatomeenerde,  Thon  und  Sand  ist,  mit  denen 
zusammen  er  durch  den  oberen  Geschiebemergel  mannigfach  ver- 
staucht ist. 

Wir  haben  also  den  eigentlichen  Heidesand  als  echten  „Thal- 
sand* erkannt,  und  es  ist  kaum  noch  ndtig,  die  frohere  Amdeht  zu 


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302 


Geinits, 


widerlegen,  dass  er  tertiären  Alters  sei.  Seine  , kohlig-harzige "  Be- 
sdiaffeime^  an  der  Obevflilche  hängt  nicht  mit  zen&ten  tertiiren 
Braiinkohleiilageni  zuMunmeii,  aondm  ist  auf  junge  Ortsteinbildiiiig 

äun  h  sauren  Humus  zurückzuführen,  wie  sie  besonders  durch  Erika  ver- 
anlasst in  allen  Heidcsaiulcii  mehr  oder  weniger  reichlich  vorkommt  (z.  B. 
Kostocker  Heide,  Miicker  Im  i  Biitzow,  Heide  östlich  Güstrow,  Diluvial- 
heiden bei  Karow,  Wittenberg  u.  s.  f.). 

In  echten  unterdüuvialen  Sandablagerungen  der  Höhen  finden 
sich  allerdings  zuweilen  Sande,  welche  ziemlich  reichlich  aus  der 
Nachbarschaft  tertiäre  Sande  aufgenommen  und  dadurch  eine  von  der 
gewöhnlichen  abweichende  petrographische  Beschaffenheit  erlangt  haben, 
so  z.  B.  bei  Helm,  Bobzin,  Melkhof,  vielleicht  auch  bei  Malliss 
u.  a.  0.  Doch  sind  diese  Sande,  von  Deckrliluvium  Uberlagert,  st-ts 
etwas  anderes  als  untere  Thalheidesande.  V  on  ejuer  postgiaciaieu  Hebung 
der  Geschiebeatreüen-Areale  kann  natOrlicfa  auch  keine  Rede  sein. 

Dass  die  Dfinen  hauptsächlich  an  den  Rändern  der  alten  Tbiler 
Torkommen,  ist  schon  melirfach  erwähnt;  höchst  instruktive  und  groß- 
artige Dünenbildungen  linden  sich  u.  a.  V>ei  Jabel,  Holien  Woos, 
Heidhof,  Bockup,  Woosmer;  f'trncr  bei  Lenzen  (von  der  Bahn 
aus  zu  beobachten),  dann  in  der  Sudeuiederuug  bei  Gothmann  unweit 
Bonenburg  u.  s.  w. 

Auf  die  eigentfimliche  Ablenkung  der  unteren  Läufe  der  Löckniis, 
R<')goitK  und  Sude  in  eine  dem  Elbthal  parallele  Richtung  soll  an  anderer 
StaUe  angegangen  werden« 

Die  Lewitouedenmg. 

Wie  sich  im  Südwesten  Ton  Schwerin  am  flachen  Abfall  des  Ge- 
schiebestreifens Vn  die  weiten  flachen  Moomiederungen  in  dem  unteren, 
steinbestreuten  Sandboden  entwickeln  (Pampow  u.  a.)  und  die  Thal- 
beginne von  südwestwärts  laufenden  breiten  Thäleni  darstellen,  die 
ilirerseits  zur  Bildung  der  .Heideebene"  führen,  in  derselben  Art,  nur 
weit  gewaltiger,  ist  auch  im  Südosten  des  Schweriner  Sees  eine  solche 
Niederung  Torhanden,  die  hochinteressante  Lewitzniederung.  Eine 
ausführliche  Schilderung  derselben  muss  fÖr  die  spätere  Arbeit  über 
die  postglacialen  Wasserläufe  Mecklenburgs  vorbehalten  bleiben;  jetzt 
sei  nur  knrz  das  Wesentliche  mitgeteilt.  Wir  verdanken  eine  eingehende 
Beschreibung  (mit  Karte)  der  Arbeit  von  Fromm  und  Struck'), 
während  Bolls  Darstellungen  hierüber  ungenügend  sind. 

Unmittelbar  an  der  Sttdbucbt  des  Schweriner  Sees  (mit  dnem 
firosionsthal)  begmnend,  erstreckt  sie  sich  zwischen  hier  und  Neustadt 
in  einer  grössten  Länge  von  3  und  einer  grössten  Breite  von  circa 
1 '/»  Meilen.  Durch  das  über  1  km  breite,  scharf  in  dem  «10  m  hohen 
Plateau  zum  Niveau  von  40  m  erodierte  Störtlial  bei  Müess  mit  dem 
Schwerinersee  in  Verbindung,  ferner  im  Osten  durch  die  breite,  weuiffer 
scharf  begrenzte  Niederung  bei  Pinnow  westlich  Crivitz  zu  dem  Ge- 


Besebreibiiiig  dei  Slörbeckens,  I)  Die  Lewituuedenmg»  Aroh.  f.  Laadeak. 
Meeklenb.  im»  8.  113  a.  325. 


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Die  mecUenbiuguclieii  HOhenrttc^en  etd 


SOS 


schiebe^treifen  ^'eöffhet,  begiimt  die  eigentliche  Lewitzniedorung,  wie 
auch  Boll  richtiger  als  Fromm  und  Struck  annimmt,  bei  Banzkow, 
mit  fladien,  aus  abgeschwemmten  unteron  Sanden  bestehenden  nördlichen 
Rändern,  welche  in  jene  beiden  nördlichen  Zipfel  allmShlich  anslaufen. 
Die  seitlichen  Grenzen  sind  recht  deuÜidi  ausgeprägt :  im  Westen  durch 
die  steilen,  weiter  südlich  mehr  verflachenden  Ufer  von  Plate,  Banz- 
kow, M  i  r  o  \\  .  0  ()  1  d  »"  n  s  t  ä  d  t .  D  r  e  e  k  r  ö  g  e  n ,  W (5  b  b  e  1  i  n ;  im  Osten 
durch  die  Höhen  von  .Suckow,  Göhren,  Bahlenbüschen,  Tramm,  Klinken, 
Garwitz,  Matzlow.  Die  Südgreuze  wird  von  Fromm  und  Struck  über 
Dütschow,  Brenz  nach  Neustadt,  Wöbbelin  gezogen. 

Vom  Schweriner  See  fliesst  die  Stör  in  die  Niederung,  bei  Neu- 
stadt tritt  die  zwischen  Matadow  und  Dütschow  einmündende  Eide  wieder 

nach  Süden  ans-. 

Die  Nieilcrung  ist  eine  iin<^eführ  35  m  hoch  gel-  Lreiie  Ebene,  von 
Wiesen,  Briu  lieu,  Waldung  und  Torfmooren  mit  ganz  zurücktretenden 
Aeckem  eingenommen,  öfters  -von  wenig  höheren  fiodaumachwelluiigen 
unterbrochen.  Erst  durch  die  der  jüngsten  Vergangenheit  angehörigen 
zahlreichen  Kanal-  und  Entntaerungsbauten  ist  ihre  Kultivierung  mög- 
lich geworden:  bis  dahin  war  sie  eine  grosse,  fast  ununterbrochene 
Sumpf-,  Bruch-  und  Waldfläche,  im  südlichen  Teil  voller  ausgedehnter 
Moorsümpfe;  ihr  W^ildreichtum  (Lewitz  ==  wen<lis(]i  „Jagdrevier")  wurde 
schon  Ton  den  Wenden  nach  Möglichkeit  ausgenutzt.  Die  Eide  und 
Stör  Tenirsaehten  häufige  üeberschwemmungeii. 

Wie  die  nachbarlichen  Plateauhöhen  unter  gleichzeitiger  Abdachung 
nach  Süden  den  allmählichen  Uebergang  aus  dem  Gescliiebestreifen  in 
steinbestreute  Sandhochüüchen  und  feindsandige  Heide  zeigen  (s.  o.).  so 
erkennt  man  auch  in  der  Niederung  den  Uebergang  aus  den  abge- 
schwemmten Granden,  Kiesen  und  Sanden  (z.  B.  bei  Suckow,  Zietlitz) 
in  gemeinen  scharfen  «Seesand*,  wie  er  die  Hauptmasse  der  Niederung 
bildet  (Friedrichsmoor),  und  klemsteinbestrente  flache  Sandkuppen, 
und  weiter  in  den  feinen  gelben  und  grauen,  zu  Dünen  aufgewehten 
Heidesand  im  Süden,  bei  Wöbbelin,  Hohe  wisch,  Neustadt.  Bei 
Neustadt  und  Ludwi^r^slust  schliesst  sich  dann  die  oben  be- 
sprochene »südwestliche  Heideebene "  mit  ihren  Geschiebestreifen-Inseln 
unmittelbar  an.  — 

Auch  südlich  der  Zarrentiner  Gegend  sind  hinter  den  Geschiebe- 
streifen Sande  entwickelt,  nur  zunftdist  häufig  durch  die  Blockan- 
häufungen unterbrodien  und  wenig  zum  Ileidetypus  gelangt  und  mehr 
den  gemischten  Typus  zeigend.  Doch  sind  in  dem  unteren  Boize-  und 
Schaaiethal  Sandebeueu  vorhanden,  von  denen  auch  Boll  erwähnt,  dass 
«6  ganz  denselben  Charakter  wie  in  der  östlich  sich  anscUiessenden 
Hddeebene  zeigen;  so  in  der  Gegend  zwischen  Brahlstorf  und  Boizen- 
burg oder  »adi  nördlich  daTon  bei  Vellahn,  Gresse  u.  s.  f. 

1.  Die  ]lo8toek*Blbiiltter  Heide ,  das  Fischland  nnd  der  Bme. 

Nordöstlich  von  Rostock  erstreckt  sich,  vom  Seestrund  und  der 
Wamow  und  im  Süden  etwa  Ton  der  Rostock -Ribnitzer  Chausee  be- 
grenzt, ein  zusammenhüngendes  Heidegebiet,  welches  als  jungdiluyial  zu 


304 


Geinits, 


[90 


bezeichnen  ist  und  mit  dem  der  südwestlichen  Heide  viel  Aehuiich- 
keit  zeigt.  Es  ist  fast  lediglidi  befontet  imd  umlust  die  Bostocker, 
die  grosshenogliche  G-elbensander  und  die  Ribnitzer  Heide. 

Seine  südliche  Grenze  ist  wenig  deutlich.  Das  40 — 50  m  hohe 
gemischte  Diluvial})latt'aii  östlich  von  Rost<M  k  flacht  sich  ganz  allmäh- 
lich nach  Norden  zu  circa  20—1.')  m  ab;  die  Orte  Stuthof,  Hövers- 
hagen, Willershageu,  liibnitz  zeigen  blockarmen  oberen  Geschiebe- 
lehm, zum  Teil  auch  wenig  untere  Sande  in  dem  Niveau  von  circa  10 
bis  15  m,  meistens  noch  mit  einer  0,5 — l  m  dicken  Bedeckung  von 
Heidesand,  dessen  Dasein  dem  Feldbau  recht  hinderlich  ist,  dagegen 
für  den  schönen  Buchenbestand  in  der  südwestlichen  Ecke  der  Hostocker 
Heide  nicht  nachteilifj  ist.  Also  ein  eigentlicher  Uferranfl  fehlt  hier. 
Ein  ähnliches  Uebergreiteu  des  Sandes  als  dünne  Decke  diluvialer  Ab- 
lagerungen ist  im  Westen  am  Warnowufer  bei  Oldendorf  und  Gehls- 
dorf und  im  Osten  in  der  Ribnitzer  Gegend  zu  beobaditen.  Im 
Norden  ist  die  Hdde  von  dem  gegenwärtigen  Strand  gewissermassen 
willkfirlich  aligoschnitfcen,  ihr  Gebiet  reicht  auf  den  Ostseegrund  weiter 
hinaus.  Abgesehen  von  zwei  unbedeutenden  B:u  lilUufen  mit  ganz 
Hachen  Ufern  enthält  sie  keine  Thäler.  Dagejict  n  liiilien  sich  in  fiaiheu 
Bodensenken  weite  Torfmoore  gebildet.  Das  Terrain  liegt  5 — 15  m 
ttber  der  See,  nach  Osten  etwas  ansteigend. 

Der  Boden  wird  von  feinem  gelbem  Sand  gebildet,  der  zuweilen 
zu  kleinen  DOnen  aii%eweht  ist.  Seine  Mächtigkeit  ist  mehrere  MetOTt 
dnrli  fehlen  genauere,  über  5  ni  Tiefe  gehende  Bohrprofile.  In  ganz 
frischen  Abbrüdien  kann  man  fiiiie  Schichtung,  zum  Teil  mit  diskor- 
danter  Parallelstruktur  beobachten.  Sehr  typisch  ist  die  Ortsteinbildung, 
die  in  der  Tiefe  von  0,3  —  0,5  —  1  m  stattfindet  und  fast  durchgängig 
aller  Orten  folgendes  Profil  liefert:  auf  dem  gelben  Heidesand  0,2  bis 
0,5  m  Ortätein  als  feste  zusammenhängende  eisenbrauue  Schicht«  von 
verkittetem  Sand  mit  saurem  Humus  und  wenig  Eisen,  darauf  circa 
0.;^  m  grauer  humoser,  seines  Eisengehaltes  beraubter  Sand,  wegen 
seiner  Farbe  sogenannter  Bleisand,  und  darauf  oft  je  nach  der  T^age  in 
Niederungen  noch  reiner  Humus  oder  Torf.  Die  Baumwurzeln  ver- 
mdgen  nur  ausnahmsweise  die  Ortsteinschicht  zu  durchdringen,  daher 
überall  flaches,  weit  in  der  Horizontale  verzweigtes  Wurzelwerk  und 
häufige  Windbrüche;  daher  aber  auch  in  den  niedrig  gelegenen,  feuchten 
Stellen,  auch  vom  Seeklima  begünstigt,  ein  bei  dem  schlechten  Boden 
Ui>erraschend  ü])pi<>;('r  Forstbestand,  ni^ht  allein  von  Nadelholz,  sondern 
auch  von  Eichen  und  Buchen. 

Nur  an  wenigen  SteUen  tritt  in  der  Mitte  der  Heide  die  Untere 
läge  des  Sandes,  ab  G^chiebemeigel  oder  Eieslager,'  in  kleinen  Kuppen 
ntdie  an  die  Oberfläche. 

Von  einer  breiten  sandigmoorigen  Niederung  bei  Dierhagen,  die 
als  Fortsetzung  des  Ribnitzer  Recknitzthaies  gelten  kann,  unterbrochen, 
setzt  der  Heidesand  nordusthch  nach  dem  Fischland  weiter,  bei 
Wustrow  zunächst  noch  allein  herrschend,  alsdann  bei  der  Erhebung 
des  Landes  nördlich  von  Wustrow  und  bei  Nienhagen  und  Alten- 
hagen immer  noch  die  1 — 4  m  dicke  Decke  der  dortigen  Geschiebe- 
mergel  und  unteren  Sande  dildend  und  auch  hier  vorzOglich  schön  die 


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Die  mecklenbai^cheii  HShenrftcken  etc. 


305 


Ortatembüdung  mit  dem  ilcimit  zusaninienhüngenden  «rrellen  Farbenwechael 
von  schneeweiss  zu  gell),  braun,  rot  und  schwarz  zeigend. 

Von  Ahrenshoop  an  zeigt  der  flache  Darss  bis  Prerow  nur 
den  reinen  lieideöaud,  mit  seinen  Moorsumpfeu  und  dem  mahlendeu 
Suid  ffewiss  jedem  Wanderer  miTergessUch. 

Die  flache  Insel  Zingst  Bcfalieast  sicli  mit  gleicher  Beschaffraheit 
im  Osten  an. 


Die  anderen  Gebiete  iiördlic  h  des  Geschiebestreifens  II  zeigen  teils 
den  gemischten  Typus  mit  reichlichen  untoren  Sanden,  t^ils  entwickeln 
■  sie,  z.  B.  am  Gahlenbeckersee,  auch  weiter  alluviale  Moor-  und  Saud- 
uiederuugen. 


m  Die  Beziehungen  zar  Eiszeit. 

Was  die  Entstehung  der  Geschiebestreifen  anlangt,  so  geht 
aus  den  oben  mitgeteilten  Beobachtungen  über  ihren  geologischen  Bau 
(s.  S.  64)  hervor,  dass  dieselben  nicht  den  Endmoränen  moderner  Glet- 
scher gleich  sind;  vielmehr  sind  sie  zu  bezeiclinen  als  die  geschiebe- 
reichen Grundmoräuenabsiitze  des  sogenannten  oberen  Dilu- 
rinms')«  welche  nur  in  geringer  Mächtigkeit  (0 — 8  m)  auf 
schon  vorhandenen  Bodenerhebungen  des  UnterdiluTiums 
und  Fl5tzgebir<^es  auf-  und  angelagert  worden  sind.  Dennoch 
ist  es  w^en  der  Analogie  mit  den  in  Skandinavien  -)  als  Endmoränen 
bezeichneten,  unseren  Geschiebestreiten  entsj)reclieudeu  Höhenzügen  wohl 
gerechtfertigt f  auch  unsere  Gesehiebestreifen  als  Endmoränen 
oder  endmoränenartige  Anhäufungen  der  Gnmdmoräne  der  letzten 
Vereisung  Norddeutschlands  zu  bezeichnen.  Aehnlich  ist  auch 
die  Deutung,  welche  Berendt  dem  mecklenburgisch -pommerisch- 
preussischen  Höhenzni^e  gibt'),  indem  er  sagt:  „Wo  diese  Rückschritte 
des  Gletschereises  laugsamer  erfolgten,  wo  längere  Zeit  Stillstände 
stattfanden  oder  wo  gar  gleichzeitig  anderweitige  Bewegungen  in 
der  festen  Erdrinde  überhaupt  stattfanden,  da  konnten  diese  Aufquel- 
lunffen  (nämlich  durch  den  Gletscherrand  heryorgerufen)  auch  bedeu- 
tender und  nachhaltiger  werden;  da  mussten  sich  aber  auch  andererseits 
Anhäufungen  des  Schlammes  und  der  Geschiebe,  mit  einem  Worte,  da 


*)  Vgl.  I.  Beitr.  z.  (ieol,  Mecklenb.  1871*.  S.  54:  ...  „läset  die  Gemshiebe- 
itreifen  nicht  als  blosse  Schuttwälle  einer  Endmoräne  erscheinen." 

*)  Heiland:  lieber  die  glacialen  Bildungen  der  norddeutschen  Ebene. 
ZeitBchr.  d.  d.  geol.  Ges.  1879,  S.  68  f.,  S.  105.  —  De  (leer:  Lieber  die  zwt'ito 
AnabreituDg  des  skandinavischen  Landeises.  Zeitschr.  d.  d.  geol.  Ges.  1885,  S.  177 
(Ueberaetzung  des  schwedischen  Aufsatzes  in  Geol.  Fören.  FörhandL  VII,  1884» 
S.  }:',»;— 466).  —  .\»'hnlich  fiir  Jütland  nntl  Schleswig  von  Johnstrop  ange- 
noxmnen:  Oversigt  Over  d.  geogn.  Forhold,  i  Danmark  1882. 

*)  Zeitsolir.  d.  d.  geol.  Ges.  1879,  S.  18. 


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306  Gebito,  [92 

niussten  sich  vollständige  End  ni  o  r  ü  n  e  n  bilden. "  Letztere  Auf- 
fassung weicht  von  der  meinen  nur  darin  ah,  dass  ich  die  Erhehnn«^en 
des  Bodens,  (He  Höhen  von  Flötzgebirgswellen  und  unterem  Diluvium 
ak  bereits  fertig  ounehme  und  uicht  durch  Aufquellen  am  Rande  des 
ROckzugsgletschers  «ntstaaden  erkläre. 

Ein  sehr  beachtenswertes  Analogon  fiir  die  Auffassung  der  „Ge- 
schiebestreifen" als  ,,Endmor'änenartige  Anliäufungen  der  Grundmoräne" 
liff^  ni  die  quer  zur  Be\ve».'uri!:{srirhtung  des  Inlandeises  gestellten,  hoch 
gek'genen  (irundmoriinen  -  Absätze  vor  den  eisfreien  ,,Niniatakker''  in 
Grönland.  (Vgl.  Kornerup,  in  Meddelelser  om  Grönland  I,  1879, 
S.  133,  Tab.  V,  jy  und  !>".)  — 

Meine  Untersuchungen  naben  nun  ergeben,  dass  in  Mecklenburg 
nicht  bloss  drei,  sondern  zehn,  in  ziemlich  gleichen  Entfer- 
nungen voneinander  gelegene,  solcher  Endmoränen  exi- 
stieren und  dass  auch  die  im  Nordost  und  Südwest  angrenztnden  Ge- 
biete dieselben  Eudmoräuen,  mit  ziemlich  denselben  Distanzen,  besitzen. 
Letztere  Thatsaehe  verdient  besonderer  Blrwähnung  gegenüber  anderen 
AttsfDhrungen  Klockmanns  die  allerdings  beäite  von  Wahn- 
schaffe*) zum  Teil  korrigiert  sind. 

"Weiter  hat  sich  er^'eben,  dass  hinter  jeder  dieser  ,.End- 
moränen'  ein  breiter  Sti  t  ifen  liegt,  teils  in  demselben  Niveau 
wie  jener,  teiJs  niedriger  gelegen,  zum  Teil  auch  mit  grösseren  Er- 
hebungen, in  welchen  die,  als  oberer  Geschiebemergel  oder  Deck- 
sand oder  Steinbestareuung  entwickelte  Grundmorftne  mehr  oder 
weniger  stark  zurücktritt  oder  ^anz  fehlt  und  in  wdchem 
im  normalen  Falle  die  Verhältnisse  der  „Bandr^-El^  rif n ')  und 
der  Thals  a  n  d  -  II  e  i  d  c  e  b  e  n  e  n  sich  ent  wickeln.  1  )iesell)en  Verhält- 
nisse tindt-n  sich  nacli  De  Geers  Schilderungen  auch  im  Norden 
und  nach  Kornerup  in  Grönland,  wo  sich  die  Sandebentu,  „Sand- 
sletter^S  vor  dem  Rande  des  Binneneises  ausbreiten.  (Vgl.  Meddd. 
GrOnl.  I,  Tab.  V,  Fig.  A'  und  A''.)  Diese  Sanddistrikte  sind  bei  den 
höhl  r  fjel.  <r(  lu  11  mittleren  Geschiebestreifenarealen,  welche  die  Wasswr- 
scheide  oder  die  eigeiitliehe  Seenplatte  bilden,  nur  zu  den  Sandr-Ehenen 
mit  randiicher  Steinbestreuung  ausgebildet,  ohne  grössere  Stroniläufe, 
sondern  mit  den  zahllosen  isolierten  oder  perlschnurartig  aneinander 
gereihten  Seen  und  Mooren;  dieselben  zeigen  genau  den  nämlichen 
Charakter  wie  die  Geesthöhen  der  Lflnebuiger  Heide.  An  den  altoQ 
nördlichen  und  sQdlichen  Abdachungen  —  auf  welche  NB.  weiterhin 
wieder  <lie  Höhen  von  Kügen  einerseits  und  von  der  Llineburger  Heide 
andererseits  folgen  —  an  diesen  Abhängen  haben  sich  aus  den  ge- 
neigten Sandr-Ebenen  weiterhin  die  echten  feiusandigen  Thahsand-Heide- 
ebenen  der  breiteren  Flussthäier  entwickelt. 

In  vielen  der  Decksandablagerungen  fanden  sich  die  „D  r  e  i  k  an  t  e  r'* 
oder  „Kantengerdlle*^  als  Zeugen  der  einstigen  Thätigkeit  der 


V)  Die  aüdl.  Vorbreitun^^cnze  des  oberen  Ceschieb6mei]gela  etc.  Jahrb.  d. 

preuss.  geol.  LiindoHunst.  f.  Berlin,  S.  238— 20t). 

*|  Kefeiat  hierüber  im  N.  .Tiihrb.  f.  Min.  188ö.  II.,  S.  323. 

^1  Von  K.  Koilliark  <:Mscliil(b'rt  in:  Vgl.  Beob.  an  islftnd.  Gletscher-  und 
uorUdeutechen  Diluviulubla|;eruugen.  Jahrb.  d.  pr.  geol.  L.-A.  f.  1883,      159 — 


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93] 


Die  mecklenburgiBCben  Höhenrücken  etc. 


307 


Abschmelzwässer ;  ihre  Bildungsweise  ist  kürzlich  von  Berendt  sehr 
anacbaidich  erkl&rt  worden'),  und  ich  kann  seiner  Deutung  nur  voll- 
ständig beistimmen. 

Die  obigen  Untersuchungen  bestätigen  auch  den  von  Berendt*) 
aUBgesprochenen  Satz,  dass  „Heidesand  und  Thalsand  einerseits''  (welche 
übrigens  völlig  identische  Bildungen  sind  und  von  denen  ersterer,  wie 
gezeigt,  nicht  bloss  eine  altalluviale  Uniränderung  der  Nord-  und  der 
Ostsee  ist),  „Geschiebesand  und  GeröUbestreuung  andererseits  als  gleich- 
seitige Bildungen  zu  erkennen"  sind.  — 

In  den  Öeschiebestreifen  finden  sich  unter  einer  sehr  dünnen,  oft 
zu  blosser  Steinbestreuung  liorabsinkendon  I)«»fko  von  „()berdilu\ium* 
abgesehen  von  dem  älteren  Kern,  der  teils  von  Flötzgebirge,  teils  von 
echtem  Unterdiluvium,  nämlich  unterem  Geschiebemergel  oder  unteren 
Sanden  und  Thonen  gebildet  wird,  fast  immer  noch  Sedimente,  aller- 
meist Sande,  doch  auch  Thone,  die  man  nach  der  bisher  Üblichen 
BSassifikation  als  unterdiluvial  bezeichnet  hat.  Auch  die  skandinavi- 
schen Endmoränen  sind  im  Inneren  oft  geschichtet*)  und  zeigen  die 
Sedimente  hier  auch  zuweilen  Schichtenstörungen. 

Die  hinter  den  einzelnen  Geschiebestreifen  gelegenen  sandrartigen 
ebenen  Flächen  und  ebenso  die  innerhalb  und  ausserhalb  derselben  be- 
findlichen Sandkegel  bestehen  aus  Sanden,  Granden  oder  Kiesen,  die 
man  als  unterdiluvial  bezeichnet,  und  sind  bedeckt  von  einer  mehr  oder 
weniger  dünnen,  sich  meistens  scharf  von  ihnen  aMu  benden  Decke  des 
olterdiluvialen  Decksandos  oder  auch  nur  der  Steinbestreuung:  nur  zu- 
weilen muss  man  diesen  Decksand  als  die  oberste  durch  Verwittennig 
resp.  durch  die  Kultur  umgewandelte  Decke  der  unteren  Sande  be- 
trachten, nicht  als  eine  fremde  diskordante  Ueberlagerung.  Man  muss 
naturgemäss  diese  «Sandr*  als  die  Absitze  der  Ton  dem  jeweiligen 
Gletscherrand  in  grossen  Massen  abströmend«!  SchmebEi^sser  betrachten, 
wt'ldic  das  nordische  Gesteinsmaferial  je  nach  der  wachsenden  Ent- 
ferrnin^  von  der  endmoränenartigen  (ilacialanhäufimg  der  Geschiebe- 
streifen als  Kies  und  Grande  (mit  diskordanter  Parallelstruktur)  oder 
feinen  Spatsand  oder  endlich  feinsten  Heidesand  ausbreiteten.  Alle 
diese  Sandmassen  sind  also  nahezu  gleichalterige  Bildungen 
mit  den  Grundmoränen  absetzen  des  oberen  Diluviums,  auf  die- 
selbe Ursache  zurückzuführen,  nUmlicli  das  Y orschreiten ,  periodische 
Stehenbleiben  und  Abschmelzen  des  nordischen  Gletschers  zu  ein  und 
derselben  Periode;  sie  verhalten  sich  genau  ebenso  wie  die  ganz  all- 
gemein unter  der  eigentlichen  Grundmoräne  von  sogenanntem  unterem 
Ueschiebemergel  konstatierten  Sand-  und  Gerölllager,  die  wir  meistens 
auch  nicht  als  präglacial  zu  bezeichnen  haben  (vgl.  meine  Ausführung 
hierQber  in  Zeitschr.  d.  d.  g.  Ges.  1881,  S.  568).   Wir  müssen  dem- 


')  Geachiebe-Dreikanier  oder  Pynunidai-Geschiebe.  Jahrb.  d.  pr.  geol.  L.-A.  für 
1884,  8.  201-210. 

^  Die  Sande  im  norddontsrhon  Tieflande  und  die  grosst^  diluviale  Abschmelz- 
periode.  Jahrb.  d  pr.  geol.  L.-A.  für  1881,  S.  482—495 ;  Zeitschr.  d.  d.  geol.  Ges. 
1882.  a.  207. 

^1  De  G Oer  a.  a.  0.  S.  ISO  f.  Warum  diene  Sedimente  im  Meere  abge- 
lagert und  geschichtet  sein  solleOi  ist  mir  nicht  klar. 


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308 


GeiuiU, 


[94 


gemäss  die  bisher  Übliche  Klassifikation  in  dieser  Beriehimg 
indem  und  können  die  obengenannten  Sande,  Grande  und  Kiese 
der  „Sandr"  nicht  mehr  als  nUnterdiluTial"  bezeichnen,  denn 
sie  gehören  ihrer  Bildung  nach  zum  „Oberdiluvium*'  oder 
„Deckdiiuvium".  Wenn  wir  mit  Berendt  schon  die  viele  Meter 
mächtigen  feinen  Thal-  und  Heidesande  ak  juugdiluvial  erkannt  haben, 
so  mfissen  wir  ebenso  die  grilbertti  Sandr-Araike  ans  der  nSheren  Um- 
grenzung der  Gesofaiebestra&n  als  gleichaltaige  Faciesbüdungen  be- 
trachten, niclit  abor  bloss  die  gegenüber  ihrer  Mächtigkeit  versch?mi- 
dende  Steinbestreuung  und  den  dünnen  Decksand  als  alleiniges  Aoqui- 
vab'nt  der  Heidesando  erklären.  Diese,  das  bisherige  , Oberdiluvium" 
darstellend,  sind  ebenso  wie  die  in  den  Gegenden  mit  „gemischtem 
Typus"  insel-  und  zungenförmig  in  den  Sandr-Gebieten  auftretenden  Ab- 
lagerungen von  normalem  obeiram  Geschiebemergel  dadurch  ssu  erUSien, 
dass  der  Gletscherrand  nicht  ein  fOat  allemal  sich  auf  eine  bestimmte 
Grenzlinie  zurückzog,  sondern  mehrfach  oscillierend  wieder,  ganz  oder 
in  Zungen,  sich  etwns  vorschob  und  dabei  seiiie  Grundniortine  als  dünne 
oberste  I)»'rke  (Uli  fast  gleielialterigen  Sedinientiii  aulset/.te. 

Als  die  Gruudniuräucn-Ablagerungen  solcher  zuugeniörmiger  Aus- 
läufer oder  auch  der  zungenförmig  nach  SQden  ausgebuchteten  und 
dadurch  nicht  mehr  einfachen  GrenzUnie  des  jeweiligen  Gletscherrandes 
können  vielleicht  auch  die  oben  im  ersten  Teil  mehrfach  konstatierten 
Moränen-Querricgel  oder  -Ausläufer  betrachtet  werden,  so  dass  man  in 
ihnen  nicht  ein  älteres  Moränensystem  zu  suchen  braucht. 

Durch  die  Zuziehung  eines  grossen  Teiles  der  bisher  alo 
unterdiluvial  bezeichneten  Sedimente  (haupträcUich  Sande,  aber 
auch  häufig  Thone)  zum  OberdiluTium  wird  auch  die  bisher  aufföUig 
geringe  Mächtigkeit  des  letzteren  erheblich  yermehrt.  Sei  es,  dass  man 
dasselbe  als  Produkt  einer  selbstihuligen  zweiten  Vereisung  erklärt  oder 
als  Ablagerungen  während  des  Endes  der  einzigen  Eiszeit  —  in  jedem 
Fall  mu.sste  die  geringe,  V*  ^^^^  höchstens  8  oder  10  m  betragende 
Mächtigkeit  dieses  „Oberdiluviums''  auffallen,  welches  doch  im  Stande 
war,  ebenso  massenhafte  und  grosse  Geschiebe  aus  dem  Norden  herbei- 
zubringen wie  das  bis  über  100  m  mächtige  Unterdiluvium. 

Die  als  notwendig  erkannte  Al)l(»sung  eines  beträchtlichen  Teiles 
von  Sedimenten  aus  der  bisherigen  Abteihmg  des  Unt^rdiluviums  ')  wird 
nun  freilieh  wegen  der  petrographischen  (ileiehiieit  oder  Aehnlichkeit 
mit  denen  des  echten  Unterdiluviums  viel  Schwierigkeiten  im  einzelnen 
Falle  bereiten;  vielleicht  wird  man  aber  auch  merbei  einige  petro- 
flraphisch  «leitende*  Mineral-  oder  Gesteinsgemengteile  finden.  Zunäclist 
kum  man  auch  stratigraphisch  noch  nicht  so  eiäach  die  Grenze  ziehen, 
dass  etwa  nlh>s.  was  über  dein  .vmteren  Geschiebemergel"  ruht,  als  zum 
Deckdiluviuin  gehörig  m  betrachten  ist.  — 

Die  Geschiebestreifen  sind  als  endmoräuenartige  Anhäufungen  von 
Glacialschutt  anerkannt.  Femer  ist  es  erkannt,  daas  dieselben  am  Ab- 


')  Zu  einer  gleichen  Autiudsung  ist  auch  Keilliack  in  seiner  mir  kürzlich 
SOgSgangenen  Untenuchang  über  die  Lagerung-sverhiUtnis^e  den  Diluviums  von 
Lauenlrarg  a.  E.  gekommen.  Vgl.  Jahrb.  d.  pr.  g.  L.-A.  für  lb^4  (B«rlin  Ifiib)»  S.  2ö8. 


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95] 


Die  tnecklaibargiachen  Hdhenrttcken  etc. 


309 


schluss  der  Vereisung  Norddeutäclilands  abgesetzt  worden  sind.  Es 
fragt  sich  nun,  ob  diese  Endmoränen  den  Abschluss  der  einzigen  Eis- 
zeit oder  der  zweiten,  Oberhaupt  letzten  Yerdaung  darstellen.  De  Geer 
nimmt  ftr  Skandinavien  zwei,  durch  eine  Intcwgladalzeit  getrennte, 
Vereisungen  an  und  erklärt  seine,  mit  den  unseren  oben  verglichenen, 
Endmoränen  als  der  letzten  Eiszeit  angehörig.  Das  Gleiche  ist  in 
Nordamerika  der  Fall. 

Die  mecklenburgischen  und  nächstbenachbarten  Geschiebestreilen 
haben  keine  entecheiaende  Thateache  zur  Frage  der  mehrfochen  Ver- 
eisung geliefert.  Die  Frage,  ob  die  oben  genannten  Querriegel  oder 
Ausläufer  als  Reste  von  früheren,  etwas  anders  liuifanden  Endmoränen 
zu  befrachten  sind,  ist  zum  mindesten  offen  zu  lassen,  mit  mehr  Wahr- 
scheinlirhkeit  jedoch  zu  verneinen.  Je  weiter  nach  Norden,  je  deut- 
hcher  müssen  die  echten  Endmoränen  ausgebildet  sein,  einmal  wegen 
der  Nihe  des  Gletecherbeginnes,  wo  inteninTere  Moranenablagerungen 
zu  erwartoi  sind,  so^uin  auch  wegen  der  kOizeren  Zoi,  die  über  sie 
verstrichen  ist  und  noch  weniger  DenudationsTerwischungen  erlaubt«. 
Bei  uns  tragen  diese  Moränenanhäuftingeii  des  periodisch  zui-ückge- 
wiclicnen  01et>-clierrandes  schon  mehr  den  Charakter  der  Grundmoräne; 
nocli  weiter  südlich,  in  der  Lüneburger  Heide,  sind  die  Geschiebestreifen 
teilweise  noch  undeuthcher.  Und  noch  südlicher,  bis  zum  Rande  des 
noirdiBchen  Diluviums  Oberhaupt,  werden  sie  naturgemSss  immer  Ter- 
waschener,  schliesslich  überhaupt  gar  nicht  zur  Entwickdung  ge- 
kommen sein.  Doch  sind  auch  dort,  in  Sach.sen  durch  neuere  Funde 
von  ,.Dreikantem"  Spuren  vernmtlicher  alter  nordwestlich  -  südöstlich 
laufender  MoränenzUge  aufgefunden,  nämlich:  Copitz  a.  Elbe — Dippels- 
dorf —  Buchholz  und  iS'tolpen  —  iiadeburg  —  Zschorna. 

Wenn  wir  also  an  der  Oberfläche  unseres  Dfluviimis  in  ziemlich 
gleidieai  AbslAnden  endmoranenartige  Ablagerungen  finden,  die  nach 
Norden  zu  immer  deutlicher  werd  n.  s  o  brauchen  wir  aus  diesem 
Grunde  nicht  eine  zwei-  oder  mehrfache  Gletscherbedeckung  anzu- 
nehmen: und  auch  etwaige  sich  kreuzende  oder  abschneidende  Moränen- 
züge können  durch  zimgeuförmige  Ausläufer  des  Gletscherrandes  erklärt 
wwden.  Auf  ahnliche  Weise  können  auch  die  verschiedenen  Schrammen- 
sjsteme  auf  dem  Untergründe  ihre  Erk^rung  finden.  (Vgl.  such  die 
im  gegenwärtigen  InlaiideiB  Grönlands  sich  kreuzenden,  durch  Vnter- 
grundsklippen,  die  sogenannten  Nunatakker,  abgelenkten  Qletscheranne 
mit  ihren  oft  einander  entgegenstehenden  Moränenzügen :  Korner up, 
Meddelelser  om  Grönland  1,  1870,  -S'.  186  u.  f„  Tab.  V.) 

Für  die  Annahme  einer  Interglacialzeit  wird  die  überall')  durch- 
fthrhare  Trennung  des  Diluviums  in  ein  unteres  und  oberes,  femer  die 
Diskordanz  und  häufige  Sdlichtenstöning  zwischen  beiden  und  endlich 
das  Auftreten  mächtiger,  oft  fossilführender  Sedimente  zwischen  dem 
oberen  und  unteren  fJeschiebemergel  nngefülirt.  Hierin  liegt  der  Schwer- 
punkt <lieser  Autias>uiig  und  ich  gestehe,  thi>s  e^  leichter  ist,  alle  diese 
Erscheinungen  durch  Annahme  einer  Interglacialzeit  zu  erklären,  als. 


Vgl.  auch  das  schön  aut'gt'bchlossene  Profil  an  der  Stoltera  bei  Wame- 
mOnde,  YIL  Beitr.  z.  Qeol.  Meoklenb.  1885. 


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310  Geinitz,  Die  meckleaborgischen  Höhenrücken  etc. 


wie  ich  es  kürzlieii  vi  rsuclite  auf  die  subglacialeu  und  bei  Oscilla- 
tionen  des  Gletschers  heiroigeiufenen  Sedimentierangen  währaid  einer 

einzigen  Eiszeit  zurUckzuflÜiren. 

Zmaäch.st  abgesehen  von  den  faunistisrl  in  und  floristischen  Ver- 
hältnissen der  Sedimente  möclite  ich  aucli  heute  tiocIi  die  Fra«^e  be- 
jahen, ob  es  niot^Heh  ist.  dass  bei  immer  tortdaneriHleni  Ei.s-  und 
Moränenuachschub  zwischen  zwei  oder  mehr,  fast  durchgängig  zu  kon- 
statierenden, ungeschicliteten  Moränenbänken  mächtige  Sedimente  ab-- 
gelagert  werden  konnten  und  diese,  sowie  die  an  anderen  Stellen  von 
der  oberen  unmittelbar  bedeckte  untere  Moränenbank  durch  die  obere 
in  ihrer  ursprünglichen  Lagerung  und  Schichtung  auch  gestaucht  und 
gefaltet  werden  konnte.  Nicht  nur  tinden  sich  häutig  Schmitzen  und 
dünne  Schichten  von  Sand,  Kies  oder  Thon  innerhalb  der  Geschiebe- 
luergelbänke,  oft  von  weiter  Ausdehnung,  oder  sind  die  Geschiebemassen 
an  ärer  unteren  Grenze  ausgeschlemmt  zu  Bftnderthon,  Sand  oder  Eies, 
sondern  die  Tiefbohrungen  haben  auch  vielfach  nicht  nur  zwei  von 
Sedimenten  getrennte  Gesehieb(Miiergelbänke  nachgewiesen,  sondern  drei 
oder  vierfache  solche  Wiederholungen,  die  jedent'allH  nicht  auf  zufällige 
Schmitzen  oder  ^n  rade  zufällig  getroffene  Auskcilungen  einer  einzigen 
Mergeibank  zurückgeiiihrt  werden  können.  l)ass  wir  die  Diskordanz 
und  Schichtenstorungen  gerade  zwischen  dem  sogenannten  oberen  Dilu- 
vium und  dem  Haupt-  oder  TTnterdiluTium  so  oft  beobachten,  hat  seinen 
Grund  in  der  uns  zugänglicheren  Lage  jener  Partien  nahe  der  Oberfläche; 
bei  den  tieferen  Bänken  wird  wohl  dasselbe  zu  erwarten  sein. 

Da.ss  sich  auch  Süsswasser-  und  sogar  marine  Ablagerungen  mit 
tierischen  und  pflanzlichen  Bewohnern,  die  sogenannten  interglacialen 
Bildungen  (Diatomeenerde,  Wiesenkalk,  Torf  u.  a.)  durch  Zufbllung  Ton 
see-  imd  flussartigen  Depressionen  inmitten  der  glacialen  und  sub- 
i^lacialen  Absätze  einer  einzigen  Eiszeit  bilden  können,  suchte  ich  kürz- 
lich narliztnveisen  Dagegen  erhob  Keilhaek^)  in  seiner  Unter- 
suchung des  interglacialen  Torflagers  von  Lauenhurg  das  gewichtige 
Bedenken,  dass  die  jenes  Torflager  bildenden  höheren  Pflanzen  einem 
milderen  Klima,  demselben  wie  es  jetzt  dort  herrscht,  entsprechen. 

Wenn  sich  solche  faunistische  und  fioristische  Bedenken  noch  weiter- 
hin erheben,  so  wird  man  natürlich  nicht  mehr  /.u  eisfreien  «Oasen' 
seine  Zuflucht  nehmen  dürfen,  sondern  voll  der  Annahme  zweier  durch 
eine  wärmere  Inteiglacialzeit  getrennter  Eiszeiten  zustimmen  müssen. 

Anmerkung.  Nach  Ahschluss  vorstehender  Arbeit  kommt  mir  die  Notiz 
von  Bereu  dt  (Zeitschr.  d.  d.  i^eo].  Ges.  1885>  S.  804)  zu,  in  welcher  gezeigt  wird. 
dftSB  der  Joammsthal-Oderberger  Gesohiebewall  unterdiluTialen  Amn  ist. 

Dies  ist  eine  willkommene  Bestätigung  meiner  Dant/iingen,  nach  welchen  unsere 
I JeHchiebestreifen  nicht  bloss  von  oberdiluvialem  Gescbaebemergel  oder  Deckkies 
gebildet  werden,  sondern  alte  Bodenwellen  darstellen,  welche  von  gering  mächtigem 
aber  blockreichem  Oberdiluvium  bedeckt  werden;  dasselbe  ist  bei  dem  Oderberirer 
iicschiebewall  der  Fall,  wo  auch  das  Oberdila^'ium  nicht  ganz  fehlte  so  dass  diese 
Bodenwelle  nicht  eine  Insel,  sondern  eine  Untiefe  für  die  .zweite'  Vereisung  bUdete. 


')  Ueber  die  Entstehung  Her  mecklenb.  Seen.  Arch.  f.  Nat  Hecklenb.  1885»  S.  S. 
A  KaUt.  d.  mecklenb.  üeen,  1885,  S.  12. 

*)  Uebor  ein  intoighunales  Torflager  im  DilaTimn  von  Lanenbnrg  an  der 
Elbe.  Jahrb.  d.  pr.  geol.  L.-A.  ftr  1884,  S.  211—288. 


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Uebersicktskart  en 

der  Gesdiek'slreii'en  (  Eiiduioraneii)  laMecldenLurij. 


mm 


inmiraiiaiiiijfjjDiiifflaB 


4 
X 


Forechxm^en 


zur  deutschen  Landes-  und  Volkskunde 

im  Anftrapp  Jer 

Centraikommission  für  wiasenBchaltliclie  Landeskunde  von  Deutachland 

D**-  Bichard  Lehmann, 

Sfdkimd»  «B  dar  Atodanl«  wa  Mflaflar  ftw. 


Heft  6> 


Dar 


Einfluss  der  Gebirge 


auf  das 


Klima  von  Mitteldeutschland 


TOD 


Dr.  R.  ASSMANN, 

'  OhMhMuuter  im  KösigL  prenra.  Meteoroloig.  Inatiuit  und  Dozent  für  Meteorologie  za  Berlin. 


■it  10  FrolltoB  wid  7  Übenriehtskarten. 


STUTTGART. 
VERLAG  VON  J.  JSNGELHORN. 

1886. 


uiiftiimi 


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ie  ,,Forscliiiiigon  zur  deuts-clien  Landes-  und  Volkskunde"  sollen  div/.u  helfen, 
die  heimischen  landes-  und  volkskundlichen  Stndien  zu  fordern,  indem  sie  aus 
lallen  Gebieten  derselben  bedeutendere  und  in  ihrer  Tragweite  über  ein  bloss 
örtliches  Interesse  hinausgehende  Themata  herausgreifen  und  darüber  wi^enschaft- 
lich«  Abhandlungen  herroimgender  FaehmSimer  bringen.  Sie  beeelurinken  sich  da- 
bei  nicht  auf  das  Oebiet  des  Deutschen  Reiches,  sondern  so  weit  auf  mitteleurop'aLschem 
Boden  von  gesclilossenen  Volksgeraeinschaften  die  deutsche  Sprache  geredet  wird, 
so  weit  soll  sich  auch,  ohne  Rücksicht  auf  staatliche  Grenzen,  der  Ge.sichtskreis  unserer 
Sammlung  ausdehnen.  Da  aber  die  wissenschaftliche  Betraclitung  der  Laudciinatur  die 
Weglassuug  einzelner  Teile  aus  der  j[>hyäidchen  Einheit  Mitteleuropas  nicht  wohl  ge- 
fltftiton  würde,  so  sollen  auch  die  y<m  einer  mehideutochen  Bev(fl]cemng  eingaiommenen 
Gegenden  demelben  samt  ihren  Bewohnern  mit  zur  Berücksichtiiping  geiangoa.  Es 
werden  demnach  ausser  dem  Deutschen  Reiche  auch  die  Länder  des  cisleithamadken 
Oesterreichs,  abgesehen  von  Galizien,  Bukowina  imd  Dahnatien,  ferner  die  ganz* 
Schweiz,  Luxemburg,  die  Niederlande  und  Belgien  in  den  Rahmen  unseres  Unter- 
nehmens hineingezogen  werden.  Ausserdem  aber  sollen  die  Saclisen  Siebenbürgeus 
mit  berttcksiditigfe  werden  und  aucb  Arbeiten  Uber  die  grösseren  deutschen  Ydks- 
inseln  des  Russischen  Beichies  nicht  aosgeschlossen  sein. 

Unsere  Sammlung  er.sch(>int  in  zwani^lnsen  Heften  von  ungefähr  2  bis  höchstens 
5  Bogen;  jedes  Heft  enÜiält  eine  voUstündige  Arbeit  (ausnahmsweise  von  kürzeren 
auch  mehrere)  und  ist  für  sich  käufhch.  Eine  entsprechende  Anzahl  von  Heften  wird 
jedesmal  zu  einem  Bande  vereinigt,  und  v^rd  im  Jahre  etwa  ein  Band  im  Umfange 
Ton  40 — 45  Bogen  erscheinen.  Der  Preis  eines  solchen  wird  ungefthr  16—18  Mark 
betragen» 

Bisher  sind  erodiienen: 

Hsft  1.  P(M  I^ifli'ii  Mecklenburgs,  von  Dr.  E,  Heinitz,  ord.  Prof,  der  Mineralogie «nd 
Geologie  an  d>'T  ThiivorsitÄt  Rostock.    1885.    32  Seiten.    Preis  80  Pfaunig. 

Heft  2.  Di«'  0  b  I  1  1  Ii  I  i  M  i  s  eil  e  Tiefebene  und  ihre  Randgebirge,  von  I)r.  Richard 
LepHiUK.  ord.  Prof.  der  Geologie  und  Direktor  der  Grosaherzoglich  hcssiachen  geo- 
logis(  hen  Landesanstalt  in  Darnistadt.  Mit  UebersiobtBkaite  des  obonrheinischen  Cto- 
birgsHjHic'Uis.    1885.    58  Seiten,    l'reis  M.  2.  — 

Heft  9.  Die  Stftdte  der  Korddevtffchen  Tiefebene  in  ihr«r  B«iiehang  zur 
B 0 d  e  II  rr e ä t a  1 1 u  11 1: .  von  Dr.  F.  G.  Ha h  n .  ord.  Fwt.  der 'Eedkonde  an  der  Uni* 
vorsität  Königsberg?.    löH.').    76  Seiten.    Preis.  M.  2.  — 

Heft  4.  Das  MüQchener  Becken.  £iuBeitrag  zur  physikalischen  Geographie 
Sttdbayerne,  TOB  Cdr.  Oraber.   1885.  46  Seiten.  PkeieM.1. 60. 

Heft  5.  Die  in e c kl  (■  n b  u  r K i H ch en  Höh en r ü k en  (Geschiebestreifen)  und  ihre 
Beziehungen  zur  Eiszeit,  von  Dr.  E.  Geinitü.  ord.  Prof.  der  Mineral  Offie  und 
(ieologie  an  der  Universität  Rostock.  Mit  zwei  Uebersichtskärtchen  und  zwei  Profilen. 
1886.    96  Seiten.    Preis  M.  3. 10. 

Heft  6.  Der  E  i  n  f  1  u  s  s  der  Gebirge  auf  das  Klima  von  Mitteldeutschland,  von 
Dr.  med.  et  phil.  R.  Assmaun,  Oberbeamter  iui  KdnigL  preuss.  Meteorologischen 
Institut  in  Berlin.  Mit  7  Karten  und  10  Proffleu.  1886.  78  &  Ma  IL  5.  50. 

Demnftebst  erseheinen: 

Heft  7.   Die  Na  tionalit&ten  in  Tirol  und  die  wechselnden  Schicksale  ihrei 

Verbrcitunj»,  von  Dr.  H.  ,1.  Bid ermann,  Prof.  an  der  Univereität  Graz,  und 

Heft  8.  Poleograpbie  der  ciiubrischen  Halbinsel,  ein  Versuch,  die  A.nsiede 
langen  Schleswig-Holsteins  in  ihrer  Bedingtheit  durch  Natur  nnc 
Geschichte  nachiuirei^en,  von  Prof.  Dr.  K.  Jansen  in  KieL 


t«r*n»s«ii 

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DEK  EINFLÜSS  DER  GEBIRGE 


auf  das 


Klima  von  Mitteldeutschland. 


Von 


Dr.  med.  et  phil.  R.  Assmann, 

ObwbMOkter  im  Königl.  PreaMiioheii  Meteorologiaelieo  Institut  so  BmUd  and  DM«iit  fBr 


Mit  Mehn  Ftofiten  tmd  sieben  UeberHchtakarten. 


STUTTGABT. 
VERLAG  VON  J.  ENGELHORN. 

1886. 


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VnA  vom  Oebrtflwr  Krtaer  In  Bhrtigart. 


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Inhalt. 


Seite 


Eiiilf.'itunß'  

Das  lioobachtunjjfiniubjriiil  

Das  lii'obachtunjfiif^ebiet  

Das  Bodenrelief  von  Mitteldeutachland  

Die  klimatischen  VerhilltniRse  von  Mitteldeutschland  in  ihrer  Abhängig- 
keit von  dt'n  Bodenn  hcbungen   .    .  . 

A.  Luftdruck  und  Winde  

B.  Temperaturverhältnisse  

C.  Hjdronieteore  

a.  Bewölkung  

b.  Niederschläge  

KUmatisdie  Bedrke  in  liitteldeiitBdiluid  


6 
7 

8J 

17 
18 

;io 

57 

60] 


31  :> 
31»; 

317 
818 

327 
328 
34.-) 
367 
367 
370 
d79 


YtmiUkaiB  dar  MbIa  «id  Kaitsi. 


Zehn  Profile  des  mitteldeutschen  Bodenreliefs. 

Karte  1.    Luftdruckmittel  der  Jahre  1884  und  1885  und  Windrichtungen. 

Kart^  2.    Luftdnirknnttel  der  Jahreszeiten  aus  den  Jahren  1883,  1884  und  1885. 
Karte  3.   Aul  den  Meeresspiegel  reduzierte  vierjilhr.  Temperaturmittel  1882—1885. 
Karte  4.  Anf  den  [Meeresspiegel  redmierte  Mitteltemperataren  det  Deaember  1879 

(Temperatur-Umkeh  rnn  : 
Karte  5.    Schneehöhen  und  .Miniiuiilteuijjeraturen  am  8.  Januar  1886. 
Karte  6.    Jahresmittel  der  Bewölkung  morgens  in  Prozenten. 
Karte  7.  Niederschlag  in  den  Jahren  1882,  1888,  1884  und  1885. 


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Einleitnng. 

Das  KUniA  eines  Landes  ist  nicht  allein  Ton  seiner  grösseren 
oder  geringeren  Entfemung  vom  Meere  oder  von  seiner  Höhenlage 
Ober  dem  Spiegel  desselben  abhängig,  sondern  wird  rik  Ii  beeinflusst 
von  Faktoren,  welche  diircli  eine  gewisse  mehr  oder  weniger  starke 
Femwirkung  die  dem  Lande  sonst  eigentümlichen  Verhältnisse  ab- 
indem.  Das  Meer,  wie  jede  andere  Quelle  sriSsseren  Wassergas- 
reichtumes  der  Luft,  äussert  seinen  Einfluss  nicht  nur  auf  die  ihm 
selbst  zugehjbigen  Luftmassoi,  sondern  wirkt,  vornehmlich  dnrdh  Ver- 
niittelung  Ton  Luftströmungen,  in  die  Ferne  auf  seine  weitere  Um- 

ehnlich,  aber  doch  in  maunigfach  anderer  Weise,  wirken 
Bodenerhebungen  auf  die  ihnen  benadibarten  Landstriche  ein,  indem 
sie  denselben  ein  eigentOmliches,  8tren|f  örtliches  GkprSge  verleihen. 

Besonders  chanikteristisch  wird  dieser  Emfluss  der  Gebirge  dann,  wenn 
die  Unterschiede  der  Höhenverhiiltm'sse  auf  kleinem  Gebiete  bedeutende, 
wenig  durch  Uebergänge  vermittelte  sind.  Unter  diesen  Umständen 
können  verhältnismässig  unbedeutende  aber  aus  der  Tiefebene  un- 
mittelbar aufsteigende  Höhenzüge  eine  grössere  Wirkung  auf  ihre  Um- 
gebung ansahen  als  hohe  Gebirge,  wäche  in  sanfter  Böschung  aus- 
Uufen. 

Befinden  sich  aber  auf  einem  räumlich  nicht  zu  weit  ausgedehnten 
Gebiete  mehrere  Bodenerhebungen  mit  steilen  Rändern  und  zwischen 
ihnen  Flach-  oder  Tiefländer  in  erheblicher  Ausdehnung,  so  kompli- 
zieren sich  die  Erscheinungen,  indem  die  Wirkungen  des  einen  Höhen- 
zuges die  des  andern  beeinflussen.  Es  entstehen  auf  diese  Weise  klima- 
tische Bilder  von  mosaikartiger  Mannigfaltigkeit  und  scheinlKin  r  Un- 
entwirrbarkeit, bei  welchen  die  Aussonderung  der  auf  dieselbe  Ursache 
zurück fUlirbaren  Erscheinungen  erlieldidien  SchwieriL^keiten  begegnet. 

Der  Versuch,  aus  einem  derartigen  bunten  WCtttibilde  einmal 
dtu  markantesten  Faktor,  den  Einfluss  der  Bodenerhebungen,  auszu- 
sondern und  dessen  Wirkungen  ttberall,  wo  sie  unzweifi&aft  auftu- 
decken  sind,  nachzuspüren,  dürfte  teils  ein  meteorologisches  Interesse 
beanspruchen,  teils  auch  einen  gewissen  ge<^raphischen  Wert  haben. 
Ein  meteorologisches  Interesse  wesentlich  aus  dem  Grunde,  dasa  man 


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316 


AQMinft.iwi^ 


[6 


die  krumme  der  mamiigfaQbea  Wittenmgserscheinungen  durch  Aus- 
sondeniBg  des  gmieni8eEii.fHiGhaDL  Faktors  «Qebirgs Wirkung"  nicht  un- 
we8enfiu£  Terem&Glien  würde;  ein  geographischefl,  da  die  eoigftltige 
Duichforachung  der  l>eia:effenden  Gebiete  imstande  sein  dttrfte,  manche 

neue  oder  doch  weniger  beachtete  Erscheinung  ans  Licht  zu  siehen, 
oder  bekAunte  einer  veränderten  Deutung  zu  unterwerfen. 

Das  Beobacktuisgiiiftterial. 

Als  Grundbedingung  für  ein  derartiges  Unternehmen  ist  das 
Vorhandensein  zahlreicher  gut  verteilter  und  sicher  bedienter  Beob- 
achtiiiigaafaitioiien  zu  IjeaeM&ien,  denn  es  handelt  sich  hierbei  aus- 
schUesdich  um  Lokalstudien.  Die  zur  Zeit  vorhandene  Anzahl  der 
Ton  Staats  weg«i  eingerichteten  meteorologischen  Stationen  im  mittlsfren 
Deutschland  ist  auch  nicht  im  entferntesten  für  diesen  Zweck  aus- 
reichend; sie  ist  kaum  imstande,  ein  allf'cnieines  Bild  der  Witterungs- 
verhältnisse zu  geben.  Für  Detailuntersuchungen  aber  bedarf  man 
eines  sehr  viel  dichteren  Netzes  von  Beobachtungsstationen.  Zwar  wird 
der  für  solche  Zwecke  ideale  Grad  der  Yollkommeuheit  juemals  zu 
erreichen  sein,  indem  ein  solcher  die  Besetzung  jedes  HOgeb,  jedes 
Bergabhanges,  jedes  Thaies,  jedes  Waldes,  jeder  Wasseransammlui^ 
u.  s.  w.  mit  einer  meteorologischen  Station  zur  Voraussetzung  haben 
würde;  docli  ist  es  nicht  zu  bezweifeln,  dass  eine,  wenn  auch  entfernte 
Annäherung  an  diesen  idealeu  Zusumd  für  die  Erforschung  der  ein- 
schlägigen VerhSltnisse  Ton  erheblichem  Vorteil  sein  mOsste.  Ausser 
dem  Königreiche  PMssen  befinden  sich  die  grosseren  Bundesstaaten 
Deutschlands  fast  sämtlich  auf  einem  derartigen  Oiganisationsstapd- 
punkte,  dass  die  Vornahme  von  Detailuntersuchungen  möglich  und  er- 
folgreich ist.  Wir  brauchen  nur  an  die  betreffenden  Arbeiten  der 
königi.  bayenschen  Centraistation  zu  erinnern. 

In  Preussett  ist  es  allein  in  der  ftovinz  Sadisen  nnd  denn 
NachbailSndem,  sowie  in  der  Uckermark  ausfUurbar,  derartige  Unter- 
suchungen vorzunelmien,  da  hier  auf  dem  Wege  privater  Vereinigung  ein 
System  von  Beobachtungsstationen  entstanden  ist,  welches  an  Zahl  und 
Vollständigkeit  zwar  noch  weit  davon  entfernt  ist,  allen  Ansprüchen 
zu  genügen,  immerhin  aber  mit  denen  des  übrigen  Deutschlands  wohl 
in  die  Schranken  zu  treten  vermag. 

Der  durch  den  Verfiuser  duser  Abhandlung  im  Jahre  1881  be- 
gründete , Verein  für  landwirtschaftliche  Wetterkunde"  hat  in  der 
Provinz  Sachsen,  den  Herzogtümern  Anhalt  und  Braunschweig,  sowie 
den  thüringischen  Gro.ssherzog-,  Herzog-  und  Fürstentümern  im  Laufe 
von  vier  Jahren  die  Aufzeichnungen  von  247  meteorologischen  Stationen 
zur  Verfügung  gehabt,  unter  welchen  auch  die  der  Mehi-zahl  der  ni 
diesem  Gebieto  Hegenden  Stationen  des  königi.  preussischen  meteoro- 
logischen Instituts  sich  befinden. 

£b  liegt  in  der  Natur  der  Sache,  dass  innerhalb  eines  derartig 
grossen  Beobachtercorps,  welches  durch  keinen  diacqplinaren  Rinflos« 


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7]        Der  EbfloM  der  Oebiige  anf  da«  KHma  m  Hitteldeatoclilaiid.  317 


zusammeiigehalten,  sonderu  allein  durcli  seinen  freien  Willen  und  sein 
Interesse  an  der  Sache  zur  nicht  mühelosen  Mitarbeit  veranias.st  wird, 
Schwankungen  iu  der  Stationszahl  und  in  der  VoUständigkeit  der  Beob- 
adikmgeii  vorkommen  mlteseii,  daher  denn  Iflckenloee  Aaizeioluiiui|^n 
dnrdiaus  nicht  von  allen  247  Stationen  Torliegen.  Eine  sorgfältige, 
stets  wiederholte  Kritik  der  Aufzeichnungen  und  Ausschaltung  der  un- 
zuverlässigen h:it  indes  dazu  geftlhrt,  dass  ein  nicht  unbeträchtlicher 
Grundstock  dunhaus  zuverlässigen  Materiales  vorhanden  ist,  w»'lche> 
ohne  jede»  Bedenken  zu  allen  Untersuchungen  verwandt  werden  kann. 

Bei  allen  sosammenfassenden  ünieraudbungen,  bei  welchen  Mittel 
oder  Summen  im  folgenden  auftreten,  sind  fast  auss(  hliesslich  iQcken- 
loee  and  wenigstens  'fier  ToUe  Jahre  umfassende  Beobachtungsreihen 
verwandt  worden.  Nur  in  iranz  wenigen  Fällen  wurden  Interpt^lntionen 
angewandt,  wenn  z.  B.  durch  einige  wenige  Tagesbeobaciitimtri n  das 
Mittel  oder  die  Summe  eines  ganzen  Jahres  zur  Unvolktäudigkeit  ge- 
hraeht  wurde.  Es  wurden  in  derartigen  F&Uen  sunSchst  die  sonstigen 
Au&eichnnngen  der  betreffenden  Station  in  ein  Verhältnis  zu  denen 
der  nächstgelegenen,  möglichst  ähnliche  klimatist lie  Bodinginigen  dar- 
bietenden gebracht,  dann  die  Werte  des  ('ntsj)rechenden  Zeitabschnittes 
früherer  Jahre  untereinander  ver<?lichen  und  auf  Grund  dieser  beiden 
soi^altig  festgestellten  Proportionen  interpohert. 


Dm  Beobachtungsgebiet. 

Mitteldeutschland,  in  welches  unser  obengenanntes  Beobachtungs- 
gebiet des  Yereinee  tSa  landwirtsehafyiehe  Wetterkimde  fUlt,  ist,  ab- 
gesehen  Ton  semer  starken  Besetzung  mit  meteorologiscfaeii  Stationen, 

verm(jge  seiner  Bodenkonfiguration  ganz  besonders  geeignet ,  als 
Objekt  für  Untersuchungen  über  den  Einfhiss  der  Gebirge  auf  das 
Khma  zu  dienen.  Es  besteht  in  seinem  nördliciien  Theile  aus  fast  völlig 
ebenem  Tiefland,  der  grossen  norddeutschen  Tiefebene  angehörig;  es 
besitz  rasser  zwei  kompakten,  steil  aufragenden  OebiigBaiSoken,  dem 
Bam  und  dem  Thüringer  Walde,  8ahlrei<^e  kleinere  Erhebungen,  welche 
im  allgemeinen  der  von  Südost  nach  Nordwest  streichenden  Faltungs- 
rirhtun<r  folt^en.  Zwischen  denselben  finden  wir  ziemlich  ebene  oder 
inuldtntörmige  Plateaus,  wie  das  Unter-Eichsfeld,  die  Ilniplatte,  Saal- 
platte  und  das  Thüringer  Becken,  von  ausgedehnten  Flussniederungen 
durchzogen,  welche  an  der  oberen  und  mittleren  Saale  sowie  an  der 
unteren  Unstrat  und  oberen  Ihn  nur  schmal,  an  der  mittleren  Unstrut 
und  an  der  Helme  als  „Goldene  Aue'  flSchenartig  ausgebreitet  sind. 
Zwischen  der  unteren  Saale,  Mulde  und  mittleren  Elbe  und  dartlber 
hinaus  breitet  sich  fast  ebenes  Flachland  aus,  welches  nach  Nord  und 
Nordost  allmählich  zur  norddeutschen  Tiefebene  herabsinkt. 

Die  oben  erwälmte  Vorbedingung  für  eine  sorgfältige  klimato- 
logische  ünteranehung  lokaler  Erscheinungen,  ein  reichhaltiges  Beob- 
achtongsmaterial,  zwingt  uns,  für  unseren  Zweck  den  Begriff  «Mittel- 
dentscÜand*  in  einem  etwas  anderen  als  dem  rein  geographischen 


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318 


[8 


Sinne  zn  umgrenzen,  indem  wir  im  Norden  die  ^anzo  Provinz  Sachsen 
dazu  rechnen,  im  Südosten  dagegen  das  Königreich  Sachsen  ausschliessen. 
Zwar  ist  das  Königreich  Sachsen  in  vorzüglicher  Weise  meteorologisch 
organirifiri,  doch  treten  hier  die  in  mancher  Beziehung  abweichenden 
Beohachtanga-MeÜioden  und  -Zeiten  einer  Vereinigung  mit  unseren  Auf- 
zeichnungen hemmend  in  den  Weg.  Die  Grenzlinie  Itlr  unseren  Be- 
griff «Mitteldeutschland*  .soll  daher  durch  folgende  Punkte  gegeben 
sein :  Salzwedel,  Hannover,  die  Weser  entlang,  im  braunschweigischen 
Kreise  Holzminden  noch  etwas  auf  deren  linkes  Ufer  übergreifend,  die 
Werra  entlang  bis  zu  ihrer  Quelle,  femer  Koburg,  dann  entlang  der 
Grenze  dis  K()nigreidis  Sachsen  durch  Zeitz,  Leipzig,  westlich  von 
Düben,  Wittenberg,  Brandenburg,  über  Seehausen  in  der  Altmark 
zurück  nach  Salzwedel.  Dieses  Gebiet  fasst  die  <_ranze  Pro%nnz  Sachsen, 
die  thüringischen  Staaten,  die  Herzogtümer  Anhalt  und  Braunschweig 
mit  einem  Flächenraum  von  circa  45  000  4km  in  sich. 


Das  Bodenrelief  tou  Mitteldeatschland. 

Der  Zweck  der  Torliegenden  Untersochung  erhebcht  iniYlhfdant 
eine  Schilderung  des  Bodenreliefe  unseres  Gebietes,  unterstfitzt  Ton  der 

beigegebenen  Orientierungskarte.  Letztere  enthSli  alle  nennenswerten 
Bodenerhebungen  Mitteldeutschlands,  deren  hervorragendste  Hfilicn  in 
Metern  angegeben  sind,  ausserdem  die  t\lr  unseren  Zweck  wichtigen 
khmatischen  Bezirke;  ferner  finden  sich  sämtliche  meteorologische  Sta- 
tionen, deren  Beobachtungsmaterial  im  folgenden  Verwendung  gefunden 
hat,  Teraeichnet,  ihre  Namen  aber  aus  ätummangel  stark  abgekflnt 
Die  norddeutsche  Tiefebene,  welche  in  der  nördlichen  Altmark 
eine  Meereshölie  von  2')  8.")  m  besitzt,  erhebt  sich  in  der  Richtung 
nach  Sud  zu  nur  äusserst  allinTtliüfli.  .so  dass  Gardelegen  und  Branden- 
burg noch  nicht  50,  Magdeljurg  54,  Hannover  58  m  über  dem  Meere 
Hegen.  Abgesehen  von  einigen  geringfügigen  Bodenerhebungen  bei 
Brunau  in  der  Altmark,  wo  der  Dolchauer  Berg  eine  Höhe  von  98  m 
(relative  Höhe  über  der  nächsten  Umgebung  circa  <55  m)  erreicht,  und 
der  Hügelkette  der  Hell  berge,  welche  nordwestlich  von  Ghirdelegen 
bis  m  1()0  m  (relativ  11 U  m)  sich  erheben,  .sowie  der  bis  137  m  reichenden 
Hüijelreiheu  in  dem  grossen  Forstreviere  bei  Kolliit/,  und  Letzlingen 
in  der  südlichen  Altmark  ist  die  nördlichste  erheblichere  Bodemmschwel- 
lung  durch  den  Höhenzug  des  Elm  gegeben,  welcher,  bis  zu  327m 
(relativ  circa  240  m)  ansteigend,  von  Schöningen  aus  in  nordw»tlicher 
Richtung  .streicht,  eine  Länge  von  23,  eine  Breite  von  8  km  hat  und 
völlig  bewaldet  ist.  Im  Nordftstcn  wird  der  Elm  flankiert  durch  den 
Lappwald,  welcher  sich  nordsüdlich  von  We+'erlincfen  bis  Uber  Helm- 
stedt hinaus  erstreckt  und  Höhen  bis  214  m  aufweist;  Dorm  und  Elz 
sind  kleine,  gesonderte  Erhebung^en  zwischen  Elm  und  Lappwald.  Sttd- 
westlich  vom  Elm  und  mit  ihm  gleichstreichend  befindet  sich  der  iso- 
lierte Höhenrücken  der  Asse  mit  Höhen  bis  220  m  (relativ  150m),  an 
welchen  sich  westlich  der  Oderwald  (bis  180  m),  weiter  westlich  ein 


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Der  Einfln»  der  Gebirge  auf  das  KUma  von  Ifittddeatachland.  319 


langer  und  schmaler  Höhenzug;  ansckliesst,  welcher,  im  allgemeinen  west- 
lich bis  nordwestlich  streichend,  bis  an  das  Deistergebirge  bei  Hannover 
herttnreicht.  Dieser  HSheazug  wird  durch  die  Wasserl&nfe  der  Innerste, 
Aue,  Lumme,  Leine  mehrfach  quer  duxchhrochen  und  zerfällt  hierdurch 
in  eine  Anzahl  getrennter  Erhehungen,  welche  zum  Teil  nicht  un- 
bedeutende relative  Hrdien  gegen  die  zwischenliegenden  Niederungen 
aufweisen.  Zur  Charakterisierung  dieser  Verhältnisse  führen  wir  nur 
die  Namen  der  Hauptabschnitte  mit  deren  Maximalhöhen  an.  An  den 
Oderwald  schliesst  sich  nach  Wert  au  der  Hamberg  bei  Salzgitter 
(267  m),  weiterhin  folgen  der  Hardeweg,  Elberberg  (233  m),  Lesser- 
holz, Vorholz,  die  Eggen  (274m),  Sauberge  (822m),  Reesberg, 
Tosmerberg  (295  ni),  Escherberg  mit  dem  Hildesheimer  und 
Gronauer  Holz;  ersteres  liegt  um  200 m  über  der  Flussniederung 
der  Innerste  bei  Hildesheim.  Der  Osterwald  steigt  bis  398  m  und 
liegt  um  324  m  über  der  Leineniederung.  Der  Borgberg  vermittelt 
den  Uebergang  zum  Deister.  Von  dieser  HOgelkette  zweigen  sich  nach 
Süd  einzeme  Bergrücken  ab,  wie  der  Heinberg  (308m)  und  die 
Harplage.  Nach  der  Weser  zu  reiht  sieh  ein  System  von  Ketten- 
höhen an,  welche  streng  von  Nordwest  nach  Südost  streichen ;  dieselben 
smd  in  vier  parallelen  Zügen  angeordnet. 

Die  östlichate  Reihe  wird  gebildet  durch  die  Siebenberge  und 
Verberge  (421  resp.  342  m),  den  Sackwald  und  den  Rflcbsn  des 
Heberberges  bei  Gandersheim  (308  m);  die  zweite  Reihe  besteht  aus 
dem  Thüsterberge  (445  m),  Küll  und  Duingerberge  (283  m),  femer 
aus  der  Kette  des  Reuberg.  Steinberg,  Oberberg,  Tödingsberg 
(348  m)  und  des  Seit  er  (3S0m);  letzterer  fällt  28U  m  steil  nach  dem 
Leinethal  ab.  Die  dritte  Reihe  besteht  aus  dem  Lauensteiner  Berg 
(405  m),  dem  Ith,  dem  Hils  (460  m)  und  dem  Eifas,  wozu  noch  der 
Vogeler  am  rechten  Ufer  der  Weser  zu  rechnen  ist.  Die  weetlichsto 
und  bedeutendste  Erhebung  dieses  Systems  ist  der  Solling,  dessen 
Hrihen  bis  r)15  m  ansteigen.  Das  Bett  der  Weser  liegt  bei  Höxter 
circa  liO  ni  hoch,  so  dass  die  relative  Höhe  des  Solling  425  m  betrilgt. 

An  beiden  Ufern  der  Weser  ziehen  Höhenzüge  von  ähnlicher 
Erhebung,  wie  der  Bramwald  und  Reinhardts  wall  (468  m),  welche 
ostwSrte  in  Verbindung  stehen  mit  dem  Gdttingerwalde  (bis  438  m), 
mich  Südost  aber  in  das  vielfach  zerklüftete  Hochplateau  des  Ober- 
Eichsfeldes  übergehen;  letzteres  erreicht  im  Hohen  Stein  500  m. 

VomGöttingerwalde  gehen  zwei  ErheVmngssysteme  aus:  im  Norden 
der  schmale  und  flache  Rücken  des  Rothenberges  (circa  200  m), 
welcher  in  der  Gegend  von  Scharzfeld  an  den  Harz  sich  anlehnt,  und 
die  nicht  unbetriditlichen  Kuppen  des  Unter-Eichsfeldes;  in  den 
Gleichen  erreichen  dieselben  428  m.  Ein  ostwärts  streichender  Höhenzug 
von  circa  400  ni  Höhe  verbindet  dieselben  mit  dem  Ohmgebirge, 
welches  im  Barnberge  und  der  HaurTtder  KJippe  Höhen  von  519 
resp.  524  m  erreicht.  Nach  Ost  zu  setzt  sich  dasselbe  in  die  Bleiche- 
rüder Berge  fort,  welche,  405  m  hocli.  mit  dem  durch  die  Wipper 
getrennten,  bis  517  m  hohen  Dfln  die  sogenannte  Eichsfelder  Pforte 
bilden. 

Zwischen  Werra  und  Fulda  schiebt  sich  der  ausgedehnte  Kau- 


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'620 


[10 


funger  Wald  ein,  welcher  im  SOden  im  Hohen  Meissner')  einen 
kompakten  Oehirgsstock  mit  einer  Hdhe  von  751  m  (relatiT  circa  500  m) 

bildet.  Das  ganze  Gebiet  zwischen  Werra  Und  Fulda  ist  ein  Plateau, 
dessen  l)edeutendere  Eüh^m  im  Süden  liegen,  WO  daeselbe  Sur  Hohen 
Khüu  mit  *J50  ra  auschwillt. 

Vom  Ober-Eichst'elde  aus  ziehen  zwei  schmale  und  lange  Höhen- 
züge ostwärts :  der  nördliche  heisst  zuerst  D  ü  n  und  geht  weiterhin  in 
die  oetsfldodtv^&rte  streidiende  waldige  Bergkette  der  Hainleite  über, 
welche  30  km  lang  und  circa  465  m  hoch  ist.  Nördlich  von  donelben, 
durch  das  Wipperthal  getrennt,  streicht  der  flachere  Höhenzug  der 
Wind  leite  (bis-  8r>lin),  welcher  nach  einer  niedrigeren  Einsattelung 
in  den  abj^t  rumleten  (ieliirjrsstock  des  Kyffhäuser  (470  ni)  übergeht. 
Oesthch  vom  lJurchbruch  der  Unstrut  durch  die  Hainleite  bei  der 
Sachsenburg  —  Thfiringer  Pforte  genannt  —  setzt  sich  der  HShenzug 
unter  dem  Namen  Schmttcke  (386  m)  und  Finne  (357m)  bis  an  die 
Saale  fort.  Der  Schmücke  und  Finne  nordwärts  Torgelagert  finden  wir 
die  Hohe  Schrecke  (302m),  welche  als  eine  Fortsetzung  der  Wind- 
leit€  und  des  Kyft'häusers  anzusehen  ist.  Von  dieser  durch  die  Unstrut 
getrennt,  zieht  die  Wüste  nordostwärts ,  um  im  Mansfelder  See-  und 
Sebirgskreise  mit  den  östlichen  Anelänfem  des  Harzgcljirgee  zu  Ter- 
schmäsen. 

Allmählich  erniedrigt  sich  das  Plateau,  in  welches  der  Bhn  nach 
Südost  und  Ost  hin  iiiisläuft,  bis  auf  circa  110  m  Meereshöhe,  nur  von 
unbedeutenden  Erhebungen  überragt.  Nach  dem  Thal  der  unteren 
Unstrut  hin  ist  die  Höhe  jedoch  meist  noch  über  200  m ,  während  das 
Unstrutthal  selbst  bei  seiner  Einmündung  in  das  Saalthal  wenig  über 
100  m  Höhe  hat 

Die  Saale  bildet  zwischen  Korbetha  und  Halle  die  Sstliche  Grenze 
dieses  Plateaus,  wälirend  nördlich  von  Halle  eine  vorgelagerte  Erhebung, 
das  Steinkohlengebirge  von  Wettin.  das  rechte  Ufer  der  Saale 
bis  gegen  Hernburg  hin  begleitet.  Die  Höhen  dieser  Erhebung,  wenn  auch 
an  sich  unbedeutend,  sind  doch  wegen  der  umuittelbareu  Nachbarschaft 
des  Tieflandes  relatiT  wichtig.  Das  Flusebett  der  Saale  liegt  bei  Halle 
75 ,  bei  Bemburg  55  m  über  dem  Meeresspiegel ;  die  Höhen  bei  Gie- 
bichenstein  betragen  135,  bei  Wettin  bis  zu  174m;  der  Petersberg 
hat  241  und  der  nach  Ost  zu  isoliert  Torgeschobene  Schwarzenberg 
bei  Niemberg  128  m  Höhe. 

Westlich  von  der  Eibe  zieht  ein  flacher  Höhenrücken  von  Barby 
bis  in  die  Nahe  tod  Neuhaidensieben  mit  Hfihen  bis  180  m;  welcher 
nach  Ost  gegen  da«  hinterliegende  Tiefland  ziemlich  steil  (mn  cirea 
90— 100  m)  abfällt 

Zwischen  Schwanebeck  und  Dardesheim  erhebt  sich  der  bewaldet* 
Rücken  des  II  u  y  w  a  1  d  e  s  bis  zur  Höhe  von  308  m ;  zwischen  Oster- 
wick undHombuig  der^Fallstein  (212  m).  Die  Spiegelsberge  (204  m) 

')  Der  Hohe  Meissner  ist  ein  faat  völlig  isolierte?«  Bergiuasaiv,  welches  sich 
vorzüglich  zur  Kmchtung  einer  meteorologischen  Hochätation  eignen  würde.  Die* 
seihe  dürfte  ein  wichtiges  Verbindungsglied  zwischen  dem  Brocken  und  dem  Inaeb- 
bergc  bilden;  der  Yogelsber^  zwischen  Giosson  und  Fulda  wftide  dann  weiter 
die  VerbindoBg  nach  den  rheinischen  Gebirgen  herstellen. 


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11]  .    ^  EinfliiM  der  Gebirge  auf  das  Klüna  von  Mitteldeaticbland.  321 

und  der  Hoppelberg  (3U5m)  stellen  gesonderte  Erhebungen  nord- 
teÜich  Tom  lun  tot. 

Vom  Ober-Eichsfdde  gelit  ausser  dem  im  Torigen  yerfolgten 

Höhenzuge  ein  zweiter  aus,  welcher  zunächst  sQdÖstlich,  später  östlich 
unter  dem  Namen  Hainich  in  der  Hohe  von  450 — 470m  bis  an  die 
Nesse  streicht  und  hier  wiederum  in  zwei  Teile  zerfallt.  Der  südlich»' 
zieht  weiter  in  ostsüdöstlicher  Richtunf(,  bildet  bei  Gotha  den  434  ni 
(gegen  das  Thal  der  Leina  IGüm)  hohen  Krähnberg)  fernerhin  den 
markiertoll  Hfthenrflekeii  der  Seeberge  (bis  411  m),  weitoriiizi  die 
Drei  Gleichen  hvi  Mühlberg  (859,  404,  414m)  und  schliesst  sieh  im 
Grossen  Tambuch  den  Plauenschen  HOhen  und  Reinsbergen  bei 
Arnstadt  an,  welche  über  000  m  emporsteigen  und  in  direkter  Be- 
rührung mit  dem  Thüringerwald-Gebirge  stehen.  Auch  östlich  von  der 
Jim  zeigt  sich  eine  Fortsetzung  dieses  dem  Hauptgebirge  parallelen 
Höhenzuges,  indem  aaf  einem  breiteren  Blicken  kuppen  wie  der 
Singerb  er  ff  bei  Paulinzelle  (582  m)  nnd  der  Kalm  bei  Stadt-Remda 
(546  m)  angesetzt  sind. 

Der  zweite  vom  Hainich  abgehende  Höhenzug  trennt  sich  von 
demselben  am  Alten  Berge  ( is?  m)  bei  Gross-Behringen,  nimmt  als  circa 
350m  hoher  gerundeter  Holienrücken  den  Namen  der  Haart-Berge 
an  nnd  begleitet  die  Nesse  auf  ihrem  rechten  Ufer.  Bei  Buzg-Tonna 
erhebt  sich  der  Rttcken  wieder  über  400  m  unter  dem  Kamen  der 
Fahnerschen  Höhe  (Abtsberg  411  m)  und  bei  Alach  an  der  Quelle 
der  Nesse  unter  dem  Namen  der  Alacher  Höhe  bis  circa   'VAO  ni. 

Die  wilde  Gera  durchbricht  bei  Erfurt  in  einem  engen  Tliule 
diesen  Höhenzug,  dessen  östUche  Fortsetzung  nun  den  Namen  Steiger 
(845  m)  führt  und  nach  Ost  bis  Uber  400  m  ansteigt. 

Ndlrdlich  von  diesem  Höhenzuge  breitet  sieh  die  fruchtbare  Fluss- 
niederung  der  Gera  und  der  ünstrut  aus  —  allen  Anzeichen  nach  ein 
alter,  durch  die  Arbeit  der  Flüsse  zugeschütteter  See.  Der  Steiger 
schliesst  sich  mit  dem  Kiechheinier  Berge  (513m)  bei  Kranichfeld 
an  den  obengenannten  Höhenzug,  weicher  vom  Hainich  ausgeht,  an 
und  verläuft  mit  diesem  zusanunen  in  das  ebene  Hochplateau  der  lim- 
platte. 

Nördlich  von  der  Unstrutniederung  steigt  das  Land  zu  mässig 
gewellten  Hügeln  an,  welche  den  Namen  der  Heilinger  Höhen  führen. 
Auch  dieser  verhältnismässig  unbedeutende  Höhenzug  bildet  bei  Weissensee 
eine  gegen  das  Unstrutthal  circa  80  m  abfallende  vorgeschobene  Rand- 
eihebung,  welche  den  Namen  der  Weissenburg  (208  m)  führt. 

Jenseits  der  ünstrut  bei  Weroingshausen  tritt  dieser  Rttcken  als 
Bei^iter  der  Gramme  wieder  herror  und  schwillt  nördlich  von  Weimar 
zum  Grossen  und  Kleinen  Ettersberge  (481  resp.  300  m)  an,  wel- 
cher, als  isolierter,  um  250  m  das  Ihnthal  ülierragendor  Gebirgsrücken 
d.'ks  linke  Ufer  der  unteren  Ilm  bildet  und,  aUmähiich  an  Höhe  ver- 
lierend, bei  Sulza  mit  der  Finne  zusammentrifRi. 

äne  weitere  Ftoallelerhebung  des  Thürmgerwaldes  finden  wir  im 
steil  abfallenden^  scharfkantigen  Rücken  des  Hörseiberges  bei  Eisenach, 
welcher  bis  486m  ansteigt,  die  Hörsel  auf  ihrem  rechten  Ufer  begleitet 
und  einerseits  in  ein  H^elplateau  xwischen  Nesse  und  Hörsel  mit  dem 


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322 


Ammaim, 


390m  hohen  Kahmberge  ausläuft,  andererseits  auf  der  linken  Seite 
der  Nesse  die  Vorhdhen  des  Hauptgebirges  bei  Waltenhansen  und 

Priedrichsroda  bildet. 

Die  dem  Thüringer-  und  Frankenwald- Gebirge  südlich  vorge- 
lagerten Höhen  werden  wir,  da  sie  einer  selbständigen  Gliederung 
nahezu  entbehren »  am  besten  mit  der  Darstellung  des  Gebirges  selbst 
verbinden. 

FOr  diese  Darstellung  sei  noch  Torweg  bemerkt,  dass  es  nicht  in 
unserem  Plane  liegt,  eine  Elimatologie  der  Gebirge  selbst  zu  geben, 

sondern  nur  deren  Einfluss  auf  ausserhalb  liegende  oder  doch  minde- 
stens selbst  nicht  gebirgsartii^e  (Tehiete  y.n  iintcr;^nchen :  demnach  ist  im 
folgenden  von  einer  eingehenderen  Beschi-eibung  der  Gebirge  selbst 
vollkommen  abgesehen  worden  und  glauben  wir,  dem  Zwecke  unserer 
Au%abe  Genflge  za  leisten,  wenn  wir  die  allgemeinen  Höhen-  und 
Streichungsverhältnisse  andeuten  und  dieselben  in  Verbindung  mit  dem 
hintfflpliegenden  niedrigeren  Lande  betrachten.  Doch  Avollen  wir,  um 
unsere  Untersuchung  nicht  gnr  tu  srhr  einzuschnüren,  überall  dort,  wo 
auch  die  Hereinziehung  der  Verliiiltnisse  gebirgigen  Terrains,  z.  B.  der 
Neigungen  der  südlicht»n  (Jebirgsränder  in  Beziehung  zu  der  Sonnen- 
einstrahlung, Ton  Wichtigkeit  werden  sollte,  nicht  dem  oben  aufgestellten 
Princip  zuhebe  von  derartigen  Betrachtungen  absehen. 

Der  ThOringerwald  sondert  sich  mit  einer  breiten  Wurzel  aus 
dem  Fichtel-  und  Erzgebirge  ab,  wobei  er  unter  dem  Namen  Franken- 
wald ein  breites  Hochplateau  von  circa  5—600  m  mittlerer  Erhebung 
bildet,  welchem  mehrfach  Gebirj^skuppen  h'is  zu  8<)<)  m  Höhe  aufgesetzt 
sind.  Sein  südwestlicher  Abfall  ist  ein  durchaus  steiler  und  fa.st  uu- 
yermittelter,  während  nach  Ost  und  Nordost  eine  wenig  meiUiche  Ab- 
dachimg  durch  das  Voigtländische  Gebirge  und  nach  der  Saalpiatie  liin 
stattfindet.  Die  durchströmenden  Gewässer  habm  meist  ti^e  Thaler 
mit  steilen  Rändern  eingeschnitten. 

Zwischen  Lobenstein  und  Lichtenberg  beginnt  mit  dem  720  ni 
hohen  Culm  die  ei-ste  Andeutung  eines  Gebirgskammes ,  welcher  nun 
weiterhin  unter  zahlreichen  Windungen  nach  Nordwest  Terl&uft  und 
erst  in  der  Gegend  von  Eisenach  von  seiner  mittleren  MeereshÖhe  Ton 
circa  750  m  abfallt. 

Im  südöstlichen  Teile  des  Gebirges,  dem  Frankenwalde,  zeigt  der 
Kamm  eine  viel  beträchtlichere  Entwickelung  von  Umbiegungen,  als 
im  nordwestlichen  Teile.  Die  Kammkuppen  nehmen  von  Südost  aus 
im  allgemeinen  an  Höhe  zu:  der  Wetzstein  bei  Lehesten  hat  815  m, 
die  Höhen  bei  Igelshieb  831,  der  dem  Kamm  nach  Sadwest  etwas  vor- 
gelagerte Kieferle  868,  der  Wurzelberg  bei  Katzhütte  866m.. 

Y<m  der  Linie  Eisfeld  -  Saalfeld  an  nimmt  das  Gebirge  einen 
anderen  Charakter  an.  Die  trotz  des  gewundenen  Kammes  vorhandene 
plat^auartige  Konfiguration  verschwindet,  an  ihre  Stelle  tritt  die  Grup- 
pierung der  Bodenerhebungen  um  eine  stark  ausgeprägte  centrale  Leiste^ 
zugleidh  yerschmSlert  sich  das  Gebirge  in  der  lUchtung  von  Sfldwest 
nach  Nordost  ganz  erheblich.  Die  Haupterhebungen,  welche  bis  dahin 
vorwiegend  ileiii  südwt'stHrhtii  Teile  des  Gebirges  angehört  hatten, 
rücken  mit  dem  Kamme  nunmehr  in  die  Mitte  desselben,  der  bis  dahin 


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I 


I>er  EiafliuB  der  Gebirge  auf  das  KUma  von  Hitteldeutsohland.  323 


steile  Abfall  nach  Süd  vertiiicht  sich  mehr  und  mehr  durch  Vorhöhen, 
während  der  Nordostrand  des  Gebirges  jetzt  der  steilere  wird. 

Der  sQdöetliche  Teil  des  eigentiichen  Thüringerwaldes  enthält 
nordöstlich  von  Suhl  einen  Haupistock  des  Kammes  und  zugleich  die 
MaximaUiöheii  des  Gebirges:  der  Finsterberg  hat  938,  der  Schnee- 
kopf 075.  der  Beerberg  983m.  Verfolgen  wir  den  Kamm  weiter 
nach  Nordwest,  so  finden  wir  den  Donnershauk  mit  H93  m,  welcher 
nach  Süd  zu  durch  einen  vorgelagerten  iiölienzug,  den  Grossen  Her- 
manneberg  (870  m)  und  den  Rupp-Berg  (850  m)  flankiert  wird. 
Hierdurch  wird  zugleich  an  dieser  Stelle  ein  steilerer  Abfidl  nach  Sfid 
herwgebracht ,  welcher  bei  Zella  und  Suhl  fast  400  m  beträgt.  Von 
hier  an  nähert  sich  der  Kamm  mit  seinen  Haupthöhen  mehr  dem  nörd- 
hchen  Kunde  des  (iebirges  und  schwillt  im  Inselsberge  noch  einmal 
zu  91  Gm  Höhe  an.  Von  hier  an  verringert  sich  die  mittlere  Kammhöhe, 
welche  bis  dahin  Uber  700  m  betragen  hatte,  schnell  auf  600,  spater 
500  m.  Der  Kamm  findet  sein  Ende  im  ESichelberg  (341  m)  bei 
HdrscfaeL 

Der  Südwestrand  des  Thüringerwald -Gebirges  liesteht  im  allge- 
meinen aus  einer  allmählichen  Abdachung  der  durch  zalilreiche  Wasser- 
läufe, welche  rechtwinklig  zum  Kamm  gerichtet  sind,  in  Rippen  zer- 
schnittenen Vorhöhen.  Doch  treten  auch  mehrere  gesonderte,  mit  dem 
Gebirge  selbst  kaum  zusammenhängende  Erhebungen  auf,  wie  der 
Leimke  (336  m)  bei  Ober -Ellen,  der  Hilmes  berg  (458  m)  und  die 
Harth  bei  Marksuhl,  der  Krayenberg  (429m)  hart  an  der  Werra 
und  der  Winterkasten  (383m)  bei  Salzungen.  Im  Grossen  und 
Kleinen  Dolmar  (740  u.  572  m),  dem  Schorn  (574  m),  dem 
Schneeberg  (087  m),  dem  Mittelberg  bei  Schleusingen  (5ö8  m) 
treten  diese  Yorberge  so  selbständig  auf,  dass  sie  den  Kamm  des 
Hauptgebirges  voUstlndig  verdecken. 

Weiter  nach  Südost  finden  wir  einzelne  namhafte  Randhöhen  den 
Steilabfall  des  Frankenwaldes  noch  kräftiger  hervorheben.  Der  Bless- 
berg  bei  Kisfeld  liegt  z.  B.  mit  einer  Höhe  von  8M4m  um  volle  430  m 
über  der  benachbarten  WeiTaniederung  bei  Eisfeld,  der  Uauenstein 
liegt  mit  820  m  um  ebenso  viel  über  der  Sohle  des  Itsthales  bei 
Schalkau.  Bei  Sonneberg  betragt  der  Steilabfall  noch  circa  800  m  und 
verflacht  sich  von  hier  aus  weiter  bei  allgemeiner  Höhenabnahme  des 
Gebirges  selbst;  dodi  stellen  die  dem  Main  zufflhrenden  Flussthäler 
bei  Kronach  nocii  sehr  tiefe  und  steilwandige  Einschnitte  dar.  Mup- 
perg  und  Culm  bei  Neustadt  a.  d.  Heide  (4(31  m),  der  Eckartsberg 
und  die  Teste  bei  Koburg  (432  u.  452  m)  erheben  sich  circa  150  bu 
180  m  über  die  benachboiten  FlussthUer. 

Auf  dem  linkm  Ufer  der  Werra  sind  noch  zu  nennen  die  Höhen 
bei  Römhild  (TTrosser  und  Kleiner  Gleichberg  u.  040  m),  der 
Heilige  Berg  südlich  von  Meiningen  f.^OO  ni).  Durch  den  Bless- 
berg  (045  m)  südlich  von  Salzungen  treten  nun  die  Höhen  „Vor  der 
Rhön*  an  die  W^erra  heran.  Das  Khöngebirge  selbst  soll  zwar 
uuerem  Plane  nach  ausserhalb  unserer  Betrachtungen  bleiben,  doch 
werden  wir  nicht  umhin  können,  uns  an  dessen  Existenz  und  Lage  zu 
erinnern,  wenn  wir  seine  Wirkungen  in  der  Werramulde  bemerken  worden. 


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324 


Das  Hurzgebirge  stellt  nach  den  meisterhaften  Beschreibungen 
▼on  Heinrich  Credner  (Uebersicht  der  geognostiscben  Verhältnisse 
Thfirmgens  und  des  Harzes,  Gotiia  184H)  den  Abschnitt  einer  EDipse 
dar,  deren  beide  Brennpunkte  mit  den  HanjiterhebtnigBcaKbren  des  Harzes, 
dem  Brocken  und  dem  Rammberge,  zusammenfallen.  Der  fast 
gradlinige  nordnordtistliche  Rand  des  Gebirges  ersriieint  als  eine  Sehne 
dieser  Ellipse,  gleichlaufend  mit  ihrer  grossen  Achse.  Die  allgemeine 
Erstreckung  des  Harzgebij^es  fallt  äehr  nahe  mit  der  des  Thüriuger- 
waldes  zusammen,  indem  sie  die  Bichtimg  von  Westoordwest  nadi 
Ostsüdost  innehält.  Aehnlich  dem  ThUriiigerwalde  geht  der  sQd* 
'  östliche  Teil  des  Qebirges  in  ein  an  Höhe  abnehmendes,  Ton  tiefen 
Erosionsthälem  zerschnittenes  Hochplateau  über.  Die  fundamentalen 
Unterschiede  beider  Gebirge  beruhen  indes  darauf,  dass  der  Harz  ein 
völlig  selbständiges,  ausser  aller  Verbindung  mit  anderen  Erhebungs- 
sjratemen  stehendes  Massengebirge  ist,  dass  femer  der  plateanartige 
Charakter,  welcher  nur  dem  südöstlichen  Teile  des  ThOringerwildes, 
dem  Frankenwalde,  eigentümlich  ist,  im  Harz  durchaus  vorwiegt,  be- 
sondere aber  in  dem  fast  völligen  Fehlen  jeder  die  Konfiguration  des 
Gebirgsaufbaues  beeinflussenden  Kammbildung. 

Zugleich  liegt  der  Harz,  was  in  Bezug  auf  seine  relativen  Höhen- 
Toihiltnisse  nicht  unwichtig  ist,  auf  einer  Basis,  wekhe  um  circa  70  m 
niedriger  ist  als  die  des  Thflringerwaldes;  ihre  Meereshöhe  ist  am 
Nordnnde  circa  190,  am  Sudrande  circa  220  m. 

Diese  Thatsache  der  niedrif^^eren  nördlichen  Basis  des  Harles, 
welche  übrigens  beim  Thüringerwalde,  entsprechend  der  allgemeinen 
nach  Südwest  wachsenden  Erhebung  Deutschlands,  ebenfalls  vorhanden 
ist,  verursacht  in  Verbindung  mit  der  Lage  der  höchsten  Erhebungen 
am  Nordrande  des  Harses  die  Erscheinung,  dass  der  Nordrand  dieaes 
Gehirges  einen  viel  imposanteren  Anblick  darbietet  sJs  der  durch  Vor- 
höhen mehr  verdeckte  Südabfall.  Zugleicli  aber  werden  hierdurch,  wie 
wir  des  weiteren  sehen  werden,  die  Erscheinungen  des  , Windschattens" 
viel  markiertere. 

Der  südöstliche  Teil  des  Harzes  steigt  von  Sangerhausen  und  den 
Mansfeldischen  Kreisen  (drca  200 — 250  m)  an  aUmShlich  zum  Plateau 

von  Harzgerode  in  ein  a  100  m  Meereshöhe  an;  da.sselbe  ist  durch 
die  tiefen  Flussthäler  der  Eine,  Wipper  und  Selke  zerschnitten.  Zwei 
beträchtliche  Kuppen  finden  wir  diesem  Plateau  aufgesetzt  in  Form  der 
isolierten  Erhebungen  des  Rammberges  (537  m)  und  des  Auer- 
berges (570  m). 

Hieran  scfaliesst  sich  ein  sweites,  um  circa  100  m  hdheres  Plateau, 
welches  die  Städte  Stiege,  Elbingerode,  Hasselfelde  und  Bennekenstem 
tri^  1^  ^eichfalls  durch  tiefe  Flussthäler,  besonders  die  der  Kalten, 
Warmen  und  Rapp-Bode,  zerklüftet  ist.  Im  westlichen  Teile  des  Harzes, 
dem  überharz,  linden  wir  abermals  ein  Plateau,  welches  circa  570  m 
Meereshöhe  hat,  von  der  Innerste  bis  300  m  tief  eingeschnitten  ist 
und  die  Stüdte  Klausthal  und  Zellerfeld  trägt 

Zwischen  den  heiden  letzten  Plateaas  nun  erheht  sich  das  Brocken- 
^ebirge,  bestehend  aus  den  bedeutenden  Kuppen  des  Wurmberges 
(1000  m)  mit  dem  Grossen  und  Kleinen  Winterberge  (930  und 


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Der  y.infln^  der  Qetkirge  anf  daa  Klima  von  Mitteldeatachland*  325 


880  m),  dem  kegeltormigen  Trümmerhaufen  der  Achtermauusliöhe 
(925  m),  dem  langgestreckten  Sattel  des  Grossen  KSnigsberges 
(1080  m),  des  Rehberges  und  Grossen  Sonnenberges  (894  resp. 
840  m)  und  den  Hohneklippen  (906m),  in  deren  Mitte  der  Brocken 
selbst  in  der  Höhe  von  1141m  mit  seinen  beiden  nach  Nordwest  und 
Südost  vorgeschobenen  Schultern,  dem  Kleinen  Brocken  (circa  1000  m) 
und  der  Heinrichshöhe  (1035  m).  Der  eigentliche  Brocken  ist  nach 
Sfldosl  von  dem  Stocke  des  Wnrmberges  durch  das  tiefe  Thal  von 
Scfalnft  vnd  Schierke,  welches  mit  steilen  Böschungen  nm  550  m  einge- 
schnitten ist,  getrennt,  während  er  nach  Nord  zu  seinen  stdlsien  Ab- 
fall nach  Ilsenburg  hat;  derselbe  beträgt  auf  7  km  Entfemunj?  circa 
000  m.  Hoch  an  der  westlichen  und  südwestlichen  Seite  des  Brockens  tritt 
abermals  eine  Plateaubildung  in  dem  850m  hohen  Brock enfelde  auf. 

Der  Südrand  des  Harzes  sowohl  wie  sein  Südwest-  und  Nordwest- 
nnd  TeiMert  den  Plafceancharakter  Tollstiadig.  Derselbe  besteht  viel- 
mehr ans  isolierten,  durch  tiefe  FlussÜläler  getrennten  Bergrücken  und 
Kuppen,  unter  welchen  der  weit  vorgeschobene  Ravenskopf  (755  m), 
der  ebenso  hohe  Stöberhay  und  der  Grosse  Knollen  (700  m)  be- 
sonders zu  nennen  sind.  Der  einzige  kammartige  Höhenzug  des  Harzes 
wird  durch  den  mit  grundlosen  Mooren  bedeckten  Bruchberg  (900  m) 
und  den  Acker  (880  m)  gebildet,  wdcher  das  Brockengebirge  mit  den 
stidwestlichen  RandhShen  verbindet. 

Der  ganze  West-  and  Nordrand  des  Hanes  ist  steil  und  fäUt 
nahezu  unvermittelt  von  einer  niittler^  Höhe  Tcm  500 — 550  m  nach 
der  circa  200  m  hohen  Niedenmg  ab. 

Die  dem  Nordrande  unmittelbar  vorliegenden  Erhebungen  sind 
ausser  dem  isolierten  Sendsteinfelsen  des  Regensteines  (298  m)  und 
der  Teufelsmauer  zwischen  Thale  und  Blankenburg  für  unsere  Untere 
snchu Ilgen  ohne  Wichtigkeit.  Der  südliche  Harzrand  wird  indes  nach 
der  r>arstellung  Crediiers  durch  einen  schmalen  Höhenzug  begleitet, 
welcher  sich,  vom  Gebirge  selbst  durch  einen  steilen,  wandartigen  Ab- 
fall getrennt,  über  die  südhche  Ba.sis  des  Harzes  um  circa  160  m  er- 
hebt Der  Kobnstein  bei  Nordhausen  und  der  Eulenberg  bei  Steina 
(42dm)  gehfiren  diesem  Walle  an. 

Nach  der  Durchmusterung  der  ftir  unseren  Zweck  wichtigeren 
Bodenerhebungen  erübrigt  nur  noch  die  kurze  Schilderung  der  von 
dif'sen  Erhebungen  umrandeten  oder  durchzogenen  tiefer  gelegenen 
Landstriche,  da  diese  es  hauptsächlich  sind,  in  welchen  sich  die  wich- 
tigsten Erscheinungen  der  Gebirgseüiflüsse  abspielen. 

Naiuigemiss  werden  unsere  Untersuchungen  sich  mehr  mit  den 
relatirai  Höhenyerhältnissen  zwischen  Hochland  und  Tiefland  zu  be- 
schäftigen haben,  als  mit  den  absoluten  Höhenlagen  über  dem  Meeres- 
spiegel. Zwar  sind  Tjuftdnick  und  Teni])eratur  von  der  absoluten  Er- 
hebung durchaus  abhängig,  aber  andere  klimatische  Faktoren  und  unter 
ümen  die  für  unseren  Zweck  ullerwichtigsten ,  wie  Wind  und  Nieder- 
schlag, hingen  von  der  relativen  Erhebung  Uber  die  nfthere  und  fernere 
Umgegend  viel  stärker  ab,  als  von  der  absoluten  über  dem  Meere. 

Es  erschien  demnach  im  Interesse  der  Anschaulichkeit  geboten, 
eine  Reihe  Ton  Profilen  beizugeben,  w^che  nach  den  für  uns  wiimtigsten 


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320 


Amnann, 


[16 


Kichtuugen  angelegt  wordeu  sind.  Die  Profile  1,  2,  4  u.  5,  letzteres 
nur  in  dem  den  &tz  betreffenden  Tefle,  aind  der  Sehnlwandkarte  der 
Provinz  Hannover  Ton  H.  Gnthe,  Kassel  1883,  entnommen,  die  fibrigen 
sind  neu  entworfeu. 

Massgebend  für  die  Schnittrichtung  war  zunächst  die  Richtung 
der  vorherrschenden  Winde,  Süd -Südwest  bis  Nordwest,  ferner  die 
StreichuDgsrichtung  der  Bodenerhebungen,  durch  welche  Quer-  und 
Lingsscbmtte  gelegt  mirden;  endlich  wurden  die  filr  charalctorigfeiBche 
G^genttberstellung  Ton  Hoch-  und  Tiefland  geeignetsten  Stellen  aus- 
gewählt. 

Die  Reduktion  der  Längen  auf  ein  Fünftel  der  für  ilie  Höhen 
verwandten  Masse  Hess  sich  aus  äussscren  Gründen  nicht  umgehen, 
obwohl  dadurch  das  natUrhche  Bild  bedeutend  beeinträchtigt  werdeu 
mu8s.    Die  Längen  sind  von  10  zu  10  km  abgeteilt 

Die  an  und  zwischen  den  Oebirgen  liegenden  rebtiTen  Tieflinder 
fassen  wir  der  besseren  Uebersicht  wegen  zu  folgenden  Gruppen  zn* 
sammen : 

1.  Die  Mulde  des  westlichen  Harzvorlandes,  durch  Profil  3 
dargestellt.  Zwischen  dem  Sollingerwalde  und  Hon  die  Weser  be- 
gleitenden Höhenzügen  breitet  sich  dieselbe  bis  an  den  Westrand  des 
Harzes  aus,  liegt  circa  300 m  unter  der  Höhe  des  SoUing  und  den 
westlichen  Randbergen  des  Harzes  und  wird  von  der  Leine  durchflössen. 
Sie  ist  ein  welliges  Hügelland  und  wii*l  im  Norden  von  den  Ketten 
der  Ha^7.vorber^^f^  deren  Profil  Nr.  1  ilarstellt,  im  Süden  durch  den 
(iÖttingerwuld  uml  lU-n  Rücken  <]»  .s  Hothenber|tfes  abgeschlossen. 

2.  Die  Mulde  des  nördlichen  Harzvoriandes,  durch  i^rotil  5  im 
letzten  Teile  dargestellt.  Sie  reicht  vom  Nordrande  des  Harzes,  welcher 
sie  um  450m  ttberri^,  bis  zum  Höhenzuge  des  Elm,  dessen  Racken 
um  150— 180  m  Uber  derselben  liegt.  Im  Westen  ist  sie  durch  die  nord- 
westlichen HarzYorberge ,  nordöstlicli  durch  die  flache  Bodenanschwel- 
lung bei  Seehausen,  östlich  durch  die  Erhebung  des  Hakehvaldes 
begrenzt.  Durch  den  Höhenzug  des  Huywaldes  zerfällt  sie  in  die 
Halberstädter  Mulde,  welche  nach  Nordost  kontinuierliGh  in  die 
Bodeniedwung  übergeht,  nach  Südost  sich  an  die  Einsenknng  bei 
Frose  und  Aschersleben  anschliesst,  und  in  die  Aueniederuug,  welche 
von  der  Asse  bis  Aschersleben  reicht  und  sich  mit  der  Bodeniederung 
vereinigt. 

i3.  Die  Braunschweiger  Niederung,  begrenzt  vom  Üderwaid 
im  Süden,  dem  Elm  im  Osten,  nach  Nord  und  Nordost  in  die  Ohre- 
und  Alleniiederung  des  Drifmling  und  in  die  norddeutsche  Tiefebene 
Ubergehend.  Im  Osten  bilden  die  HöhenzQge  bei  Neuhaldttislebeii,  im 
Nordosten  die  bei  Gardelegen  die  Grenze. 

4.  nie  Börde,  ein  thiches  Hügelland,  zwischen  der  Bode  und 
der  Elbe  gelegen:  ihr  ganzer  West-  und  SUdraud  wird  von  der  tiefer 
hegenden  Bodeniederuug  gebildet. 

5.  Das  Ob  er  sächsische  Tiefland  zwischen  Saale  und  Elbe, 
im  Südwesten  begrenzt  durch  die  Höhen  des  Wettiner  Plateaus  von. 
Könnern  bis  Halle,  nach  Sfld  in  die  Halle-Leipziger  Tieflands- 
Bucht  übergehend. 


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» 


17]       Der  Einflnas  der  Gebirge  auf  dae  EUma  von  Mitteldentflclilaiid.  327 

«3.  Die  Goldene  Auo.  von  dor  südliclien  Vorkette  des  Harzes 
im  Norden,  von  der  Wiudleite  und  dem  Kyöliäusergebirge  iin  SUden 
be^prenzt,  Ton  der  Helme  durchflössen  und  bis  an  den  nördlichen 
"Winkel  der  Unstmt  bei  Ariern  reichend.   Sie  gebt  Uber  in  die 

7.  Frankenhausener  Niederung,  vom  Südrande  des  Kyff- 
liiiusers  bis  Memleben  reichend,  von  der  mittleren  Unstrut  durchströmt, 
im  Süden  durch  die  Hainleite  und  Hohe  Schrecke  begrenzt. 

8.  Die  Helbe-ünstrut-Niederung,  im  Norden  von  der  Hain- 
leite und  Schmücke,  au  der  oberen  Unstrut  durch  die  Heilinger  Hohen, 
im  Sflden  durch  die  Haartberge  und  Fabnerscbe  Höbe  begrenzt.  Sie 
erstreckt  dch,  aUmüblicb  scbmSler  werdend,  die  Unstrut  aufwärts  bis 
Mühlhausen. 

9.  Die  Gera-Niederung  nördlich  von  Erfurt,  bei  Gebesee  und 
Werningshausen  mit  «Ut  Unstnit-Niedming  zusammenhängend,  im  Süd- 
westen und  Süden  durch  die  Alacher  Höhe  und  den  Steigerwaid,  im 
Osten  durch  den  Grossen  Ettersberff  umrandet. 

Die  unter  8  u.  9  genannten  Niederungen  bilden  den  tiefsten  Teil 
dea  Thüringer  Beckens,  dessen  weat-östlidu  s  l'rofil  wir  in  Nr.  0  u.  7, 
in  Südwest  -  nordöstlicher  Richtung  in  \r.  S  sehen.  Seine  Randhr»hon 
bestehen  aus  dem  Eichsfelde  und  Hainich  im  Westen,  dem  Dün,  der 
Hainleite,  Schmücke  und  Finne  im  Norden  und  Nordosten,  dem  Gros.seu 
Ettersbeige  und  der  Omplatte  im  Osten  und  den  dem  lliflringerwalde 
parallelen  Yorbergen  im  Süden.  Als  letzte  Niederung  ist  noch  zu 
nennen : 

10.  Das  Werrathal'in  seinem  ganzen  Umfange  von  Eisfeld  bis 
Vacha,  südhch  von  den  Ibilu-n  vor  der  Khrm,  ni'irdhch  von  den  Vorhöhen 
des  Thüringerwaldes  begrenzt.  Seine  Breite  beträgt ,  ausser  bei  Eis- 
feld und  Meiningen,  nur  einige  Kilometer.  Profil  8  stellt  dessen  Ver- 
hSltnis  zu  beiden  begrenzenden  Gebirgen  dar. 


Die  klimatischen  Verhältnisse  von  Mitteldeutschland 
in  ihrer  Abhängigkeit  von  den  Bodenerhebungen. 

Wir  werden  im  folgendmi  das  vorhandene  Material  zur  Unter- 
suchung des  Einflusses  der  Bodenerbebungen  auf  das  Klima  in  der 
Weise  disponieren,  dass  wir  die  klimatischen  Faktoren  als  EintfMlungs- 
princip  zu  Grunde  h'geu  und  diesen  die  Betrachtung  der  einzidnen  geo- 
graphiächen  Bezirke  unterordueu,  soweit  der  Zweck  unserer  Arbeit  uud 
das  Material  es  gestatten.  Zwar  lassen  sieb  bei  dieser  Metbode  Wieder- 
hohioffen  nicht  ganz  Termeiden,  indem  die  Witterungsfaktoren  selbst 
▼iel&ä  voneinander  abhängig  sind,  wie  Wind  und  Luftdruck,  Nieder- 
schlag mv]  Temperatur:  doch  erschien  uns  der  andere  Weg,  die  geo- 

ronehimgeu  zur  deuUcben  Laadn-  und  ToUukande.  I.  6.  22 


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828 


[18 


Graphischen  Bezirke  als  Einteilungsprincip  aufzustellen,  an  demselben 
Fehler  der  Wiederhohm<^en  in  noch  höherem  Masse  zu  leiden.  Den  un- 
leufjbaren  Vorteil  einer  dra.sti scheren  und  anschaulicheren  Wiedergabe 
der  Meteoration  einer  Gegend,  welcher  der  letzteren  Methode  eigen  ist, 
werdra  wir  in  ein«r  zusammen&ssenden  Uebendeht  am  Scfabuse  diewr 
Arbdt  uns  zu  nutase  zu  machen  Teranchen. 

Vorweg  dOrfte  die  Erläuterung  einiger  h&ufig  wiederkehrenden 
Ausdrücke  am  Platze  sein. 

Man  nennt  die  Luvseite  eines  Gebirges  diejenige  Seite,  welche 
von  einer  Luftströmung  rechtwinklig  oder  doch  auuähemd  rechtwinklig 
getroffisn  wird.  Die  gegenüberliegende,  der  direkten  Windwirkung  ent- 
zogene Sdte  heiiflt  die  Leeseite;  man  sagt  auch,  ein  Ort  liege  «im  Lee* 
eines  Gebirges.  Durch  einen  Vergleich  der  Luftströmungen  mit  den 
Lichtstrahlen  ist  der  Ausdrnrk  „WindschnftcTi"  entstanden,  welcher, 
wären  die  Wimllialinen  in  \Virklichkeit  streng  horizontal  genchtct,  eine 
unbegrenzte  Erstreckuiig  in  das  Hinterland  haben  niüsste.  In  der  Wirk- 
lichkeit aber  ist  der  Windschatten  durch  die  an  sich  überall  vorhandenen 
auf-  nnd  abwärts  gerichteten  Bewegungskomponenten  der  LuftstrQme 
sowohl  als  auch  <lur(;h  die  »hinter  einem  Gebirge*  eifolgmide  Abw&rts- 
neigUDg  der  Windbahneu  auf  einen  mehr  oder  weniger  grossen,  von  der 
relativen  Höhe  und  horizontiilen  Erstreckung  des  Gebirges  ebenso  wie 
von  den  lto<_rleitenden  Luttdruckverhältnissen  in  weiter  Umgebung  ab- 
hängigen ivuuui  eingeengt. 

A.  Lnftdmök  und  Winde. 

Der  Luftdruck  wird  von  Hann  mit  vollem  Recht  in  seinem 
Handbuche  der  Klimatologie  als  ein  klimatischer  Faktor  von  «unier- 
geordneter  Bedeutung*  bezeichnet.  In  der  That  ist  derselbe  für  klimato- 
graphische  Zwecke  genügend  erörtert,  wenn  man  seine  allgemeinen 
Wcurte  bekannt  gibt.  Für  unseren  Zweck  dürfte  derselbe  je£)ch  von 
»  inor  erheblich  gnisseren  Wichtigkeit  sein,  da  wir  nicht  eine  Kliniato- 
graphie  zu  geben  beab.siclitigen,  sondern  eine  wesentlich  theoretische 
Untersuchung  des  Einflusses  örtlicher  Eigentümlichkeiten  des  Bodeu- 
relie&  auf  me  Gestaltung  der  kEmatiBehen  Faktors.  Erst  die  Ein- 
wirkung der  hierdurch  beeinflussten,  vielfiEudi  lokal  umgestalteten  Fak- 
toren auf  die  nähere  oder  fernere  Umgebung  der  Störungsursache  wird 
Objekt  kliinatofrrajjhischer  Darstelhnig  werden. 

Wir  werden  ini  folgenden  noch  oft  Geh'ijrenheit  haben  wahr- 
zunehmen, dass  ein  gi'osser,  wenn  nicht  der  grüsste  Teil  der  Gebirgs- 
wirkungen  mit  den  Verhältnissen  der  Luftströmungen,  des  Windes, 
susammenhfingt.  Die  oben  erläuterten  Bezeichnungen  «Luvseite,  Lee- 
seite, Windscliatti  n,  Hinterland*,  welchen  wir  in  unseren  Ausführungen 
auf  Schritt  und  Tritt  begegnen  werden,  beziehen  sich  ausschliesslich 
auf  das  Verhältnis  zwischen  Luftströmmig  und  Bodenerhebung.  Es 
erschien  dalier.  um  Wietlerhulungen,  wo  immer  möglich,  zu  venneiden, 
ratsam,  diese  beide  Faktoren,  Luftdruck  und  Wind,  in  ein  Kapitel  zu- 
sammenzu&Bsen. 

Die  Meteorologie  lehrt  das  innige  Verhältnis  zwischen  Luftdruck 


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Der  Einilusä  dpr  Gebirge  auf  das  Klima  von  Mitteldeutschland.  329 


und  Wind  ak  ein  kausales  zu  betnushten:  Wind  entsteht  nur  dort,  wo 
ein  Unterschied  im  Luftdruck  an  verschiedenen  Orteu  vorhanden  ist, 
und  zwar  strömt  die  unter  st&rkerem  Druck  stehende  Luft  nach  dem 
Orte  niederen  Drucks,  von  eim*fT<'n  komplizierteren  Fällen  abgesehen, 
ausnahmslos  hin.  »Solange  diejenigen  Scliichten  der  Luft,  in  welchen 
der  Lulldruck  gleich  ist  —  isobarisclie  Flächen  genannt  —  horizontal 
sind,  befindet  sich  die  Ldft  im  Zustande  des  Gleichgewichtes  und  voll- 
kommenster Ruhe.  Die  auf  einem  Berggipfel  lagernde  Luft  wird  keinen 
Grund  zum  Abfliessen  nach  unten  erhalten,  sohmge  der  von  ihr  an 
dieser  Stelle  ausgeübte  Dnn  k  ffleit  Ii  ist  dem  in  einer  nach  allen  Seiten 
horizontal  verlaufenden  Ebene.  Findet  jedoch  die  geringste  Aendening 
dieses  Gleichgewichtszustandes  statt,  indem  der  Druck  an  irgend  einer 
Stelle  dieser  Horizontal -Ebene  entweder  abnimmt  oder  zunimmt,  so 
wird  ein  Verharren  der  Luftschichten  in  der  Ruhelage  sofort  unmOg- 
li(h.  es  wird  eine  Ausgleichung  der  Drucke  beginnen,  welche  nur 
darin  bestehen  kann,  dass  vom  Orte  höheren  Luftdrucks  ein  Lufttrans- 
port nach  dem  Orte  niedrigeren  Luftdrucks  so  lange  stattfindet,  bis 
die  vorliergehende  Ruhelage  wieder  erreicht  ist. 

Betrachten  wir  nun  zunächst  die  Luftdruckverhältnisse  in  unserem 
erbiete.  Die  allgemeine  Luftdruckverteilung  über  Europa  ist  eine  der^ 
artige,  dass  im  Jahresmittel  ein  deutlich  ausgeprägtes  Gefälle  in  den 
unteren  Luftschichten  von  Süd  nach  Nord  vorhanden  ist.  Die  in  Mittel- 
europa in  annähernd  gleicher  Hiclitung  verlaufende  allgemeine  Ab- 
dachung des  Landes  von  dem  Alpcnwalle  bis  an  die  Küsten  der  Nord- 
und  Ostsee  ist  demnach  im  grossen  und  ganzen  dem  diesem  Druck- 
unterschiede entsprechenden  Abfluss  der  Luftmassen  günstig,  da  die 
Reibung  der  Uber  die  Erdoberfläche  hinfliessenden  Luft  durch  ein  gleich- 
gerichtetes Gefälle  des  Grundes  olme  Zweifel  verringert  werden  muss. 
Wäre  Mitteleuropa  ein  durchaus  ebenes,  von  Süd  nach  Nord  geneigtes  Land, 
so  würde  der  Einfluss  dieser  Neigung  zweifellos  ein  nicht  unhedentender 
sein;  in  Wahrheit  treten  dagegen  die  Bodenerhebungen  Deutschlands  als 
Hemmnisse  dieses  Druckausgleiches  auf.  Sie  werden  Verzögerungen  rein 
örtlicher  Art  für  doiselben  abgeben  mflssen,  indem  sie  eine  Bewegungs- 
differenz hervorrufen  zwischen  den  im  Norden  der  Gebirge  liegenden 
Luftraassen  und  denen,  welche  von  Süd  her,  dem  allgemeinen  Aus- 
gleichsstrom folgend,  gegen  die  Gehiru"»'  anfluteu.  So  wird  eüie  von 
lokalen  Verhältnissen  abhängige  Uuterbreclmng  der  gleichmässigen 
Luftdruckabnabme  von  Sttd  nach  Nord  eintreten  müssen,  welche  sich 
als  Vermehrung  des  Druckes  an  der  Südseite  und  als  Verminderung 
desselben  an  der  Nordseite  der  Gebirge  darstellt. 

Betrachten  wir  nun  darauf  hin  unser  Mitteldeutschland. 

Die  beiden  vornehmlich  in  Frage  kommenden  Gebirge .  der 
Thüringerwald  un<l  der  Harz,  müssten ,  sollte  unsere  oben  entwickelte 
Anschauung  eine  Begründung  in  den  thatsächlichen  Verhältuis.sen  finden, 
eine  Differenz  der  mittleren  Barometersfönde  an  ihren  Nord-  und  Süd- 
seiten zeigen.  In  der  That  scheint  diese  DifTerenz  vorhanden  zu  sein. 
Wir  sagen  allerdings  nur  , scheint"  vorhanden  zu  sein,  da  bei  der 
Kleinheit  der  betretenden  Unterschiede  eine  strenge  Kritik  leicht  zu 
der  Behauptung  kommen  könnte,  dass  diese  Uuterscluede  nur  aui  einer 


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330 


Assniaim, 


[20 


Täuschung  beruhen,  herTorgemfen  durch  die  bei  grOmerer  Entfernung 

vom  Meere  und  stärkerer  Erhebung  iiher  dasselbe  allerdings  nicht 
fortzuleii^ende  Unsicherheit  der  Heduktion  der  Barometerstiinde  auf 
den  Moeresspiogel. 

Dem  iat  zu  entgegnen ,  da:>ä  einerseits  die  Reduktionen  sämtlich 
mit  der  grössteu  Soi^^t  oiadi  Tabellen  auagef&brt  wurden,  welche 
unter  Berttcksichtigung  sowohl  der  mittleren  Temperatur  der  zwischen 
dem  Beobaclitungsorte  und  dem  Meeresniveau  zu  denkenden,  als  auch 
der  zur  Zeit  fler  Beobachtung  herrschenden  Lufttemperatur  für  jede 
Station  besonders  berechnet  sind  und  in  giiiiz  kleinen  Wertintervallen 
fortschreiten,  dass  femer  aber,  worauf  wir  noch  grösseren  Wert  legen 
möchteUf  eine  Reihe  anderer  Erscheinungen  dafUr  spricht,  dass  die  im 
folgenden  anzugebenden  Druckdifferenzen  einer  gewissen  Realitftt  nicht 
entbehren. 

Trägt  man  die  auf  Meeresniveau  reduzierten  Jahresmittel  des 
Luftdrucks  in  Karten  ein  und  zieht  die  diesen  Werten  entsprechenden 
Isobaren ,  so  findet  man  sowohl  nördlich  vom  Harze  wie  nördlich  vom 
Thtlringerwalde  tiefe  Ausbuchtungen  der  Isobaren  nach  Süd  oder  Südost 
zu,  welche  örtlichen  Gebieten  niederen  Luftdrucks  nordöstlich  von  beiden 
Ctebirgen  entsprechen. 

Zur  Konstruktion  dieser  Isobaren  sind,  wie  wir  noch  glauben 
betonen  zu  müssen,  ausscliliesslicli  die  An<?aben  solcher  Stationen  ver- 
wandt, deren  Barometer  durch  sorgiiilti^a^  \  ergleichunt^  mit  den  Normal- 


oder durch  Vermittelung  von  Reisekontrollbarometem  die  Möglichkeit 

von  irgendwie  erheblichen  Instrumentalfehlem  ausschliessen.  Es  musste 
daher  eine  Reihe  von  Stationen  zweiter  Ordnung  unberücksichtigt  bleiben, 
bei  welchen  diese  Erfordernisse  nicht  zutrafen.  Es  worden  die  Auf- 
zeiclmungen  folgender  Stationen  lienutzt: 

Klausthal,  Nordhauseu,  Braunschweig,  Kunrau,  Magdeburg,  Bern- 
burg, Korbeliui,  Erfurt,  Sulza,  Eisenadi,  Sidzungen,  Memingen,  Insels* 
brag,  Gross-Breitenbach,  Jena  und  Dessau. 

Die  Aufzeichnungen  dieser  Stationen  dürfen  als  möglichst  ein- 
wiirfsfrei  igelten  und  wurden  demnach  zur  Konstruktion  der  mittleren 
Isobaren  der  Jahre  IB;-!;!,  1S84  u.  188.'i  benutzt,  soweit  das  Beob- 
achtungsmaterial lückenlos  vorlag,  und  wurde  ferner  eine  Vereinigung 
der  dreijährigen  lückenlosen  Autzeichnuugen  zu  einer  Mittelkarte  aus 
diesen  drei  Junen  bewirkt.  Obgleich  neun  Stationen  yierjährige  Ittcken* 
lose  Au&eichnungen  darboten,  erschien  es  doch  bei  dem  wesentlidi. 
fTcographischen  Charakter  dieser  Frage  wichtiger,  sechszehn  Stationen 
mit  nur  dreijährigen  Mitteln  zur  Konstruktion  der  Isobaren  zu  ver- 
wenden, da  die  Länge  der  Beobachtungsreihen  liei  diesen  auf  denselben 
Zeitraum  bezogenen  Untersuchungen  erhebliche  Umgestaltungen  der 
Resultate  nicht  herronufaDi  kann.  Leider  musste,  was  im  uiteresse 
der  möglichsten  Sicherung  der  Resultate  zu  bedauern  ist,  wegen  un-> 
zureichender  Ermittelung  der  Barometerkorrektionen  das  vorhandene 
Material  der  Stationen  Gardele^a^n.  Torsran.  Malle  a.  S.,  Sangerhausen, 
Langensalza.  Heiligenstadt,  Güttingen.  Kassel,  Hannover,  ferner  Weinnir, 
Arnstadt,  Koburg  und  Neustadt  bei  Koburg,  wegen  Unvollstäudigkeit 


entweder  an  Ort  und  Stelle 


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Der  Einfliuä  der  Gebirge  auf  das  Küma  von  MitteldeuUcliland.  331 


der  Aufzeichnuiiffen  das  der  Stationen  Brocken,  Uefiugeu,  Soimenbeiger 
Forstihaus,  Que&nbturg,  Alezisbad,  SalzwedeU  Frankenhausen,  Sondeis- 
bausen, Artern.  Oberhof  iiml  Rudolstadt  unberücksichtigt  bleiben. 

Die  folgende  Tabelle  gibt  die  benutzten  Jahresmittel  vollständig  an. 


Tabelle  1.  Mittelwerte  dei  L«flin«ks,  aif  den  Keeresaplefel  rednslerL 


StetlOMtt 

Meeres- 
höhe 
zn 

1882 

1883 

188i 

1885 

lUittei 

•US 

1883-85 

MittPl 
1882-85 

Klau-tlli;1  

594 

761.9 

761,0 

7t;2.i 

701,1 

701.:  5 

221 

7ti2,t> 

761,0 

702,9 

70Ü,Ö 

761,8 

762,0 

86 

761.S 

760,3 

762,0 

760,0 

760,8 

760,9 

760,5 

701,9 

759,7 

760,7 

54 

761,8 

760,7 

702,1 

700,0 

700,9 

761,1 

77 

761,0 

762,3 

760,1 

761,1 

118 

702,5 

701.2 

762,4 

700.3 

701,3 

761,6 

190 

702.7 

761,3 

703,0 

700,7 

701,7 

761,9 

134 

761.0 

762.0 

760,5 

761,2 

Fi-i'ii,lrli  

240 

701,4 

702,8 

700,5 

701.0 

253 

701,5 

702,6 

760,5 

761,6 

311 

762,4 

760,0 

762,8 

759.6 

760,8 

761,4 

Inj^elsberg  

900 

701.S 

7t;2.0 

700.4 

701.0 

GrosB-Hreitenbach  .... 

646 

703,2 

702,1 

703,2 

701.0 

702.1 

702.2 

159 

763,0 

761,7 

702,6 

760,1 

761,4 

701,8 

62 

761.2 

762,2 

760,1 

761,2 

Tragen  wir  diese  Werte  tOr  die  Jabre  1888,  1884  u.  1885  zu 
dieijübrigen  Mitteln  vereinigt  in  eine  Karte  ein,  so  bemerken  wir 

folgendes :  Die  Isobare  761  mm  zeigt  eine  tiefe  Ausbuchtung ,  welche 
sich  östlich  von  TTannover  in  südlicher  Hichtuiig  bis  an  den  Nordrand 
des  Harzes  uiui  ostlich  bis  über  die  Elbe  vorschiebt  und  von  hier  aus 
nordwärts  wenig  östlich  von  Magdeburg  parallel  der  Elbe  diese  abermals 
kreuzt.  In  analoger  Weise  sehen  wir  £e  Isobare  702  nun,  vom  Südwest- 
rande  des  Harzes  ausgebend,  in  sfldöstlicber  Ricbtung  nabe  bei  Nord- 
hausen und  Erfurt  verlaufend,  dann  umbiegend  in  weetlicber  Ricbtung 
die  Werra  übersdireitend  und  den  westlichen  Thüringerwald  umfassend 
län^s  dessen  Kamm  nach  Hüdost,  später  nach  Nordost  vorlaufen. 
Zwischen  Rhön  und  Tiiüringerwnld  crschciut  ein  wegen  der  geringen 
Anzahl  der  verlügbareu  Stationen  allerdings  fragliches  kleines  Gebiet, 
welcbes  von  der  Isobare  761  umseblossen  ist. 

Dieses  Isobarenbüd  ist  nun  aber  der  Ausdruck  iiir  die  wahr- 
scheinliche Exi.stenz  zweier  Gebiete  niederen  Luftdrucks,  deren  eines 
nördhch  vom  Harz,  d'-nii  anderes  nördlich  vom  Tliürincrerwalde  liojjt, 
während  im  Südwesten  des  Harzes  ein  Gebiet  relativ  höhereu  Luftdrucks 
augedeutet  ist. 

Ebenso  würde  die  gescblossene  Isobare  um  Meiningen  bemm  ein 
eng  umgrenztes  Gebiet  niederen  Luftdrucks  repräsentieren. 

Dei-  Vorfasser  ist  weit  davon  entfernt,  sieh  gegen  jeden  Zweifel 

an  der  Kealität  der  genannten  Erscheinung  zu  verschliessen.  Man 
könnte  sicherlich  dagegen  einwenden,  dass  vielleicht  nur  die  Unsicherheit 


• 


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332 


Auäutanu, 


[2-2 


der  Reduktionen  auf  das  MeeresniTeau  in  Verbindung  mit  leicht  mög^ 
liehen  Ablesungsfehlem  und  Instrumentalfelilem  diese  Erscheinungen  vor- 
trmsrlite,  dass  nuch  die  Wiederholung  in  mehreren  Jahren  durch  die  Wieder« 
hoiuug  der  felilerhatteii  Methode  zustande  käme. 

Gegen  diese  Auffassung  und  für  die  Thatsüchlichkeit  der  ge- 
sduldertoi  Luftdruckvert^ilung  scheint  uns  jedoch  folgendes  zu 
sprechen. 

Die  Hauptgründe  der  Unsicherheit  liegen  sonst  in  sdlchem  Falle 

in  der  vielfach  nur  aus  banmietrischeu  Ilrilu  ninessungen  bekannten 
Höhenlage  einer  Station .  wodurch  selbstverstüiidiiLli  ein  bedenklic  her 
circuhis  vitio.sus  entstehen  könnte,  und  in  dem  Vorhandensein  von  In- 
strumentalfehlern. 

Diese  beiden  Grflnde  dürften  in  unserem  Falle  nahezu  gänzlich 
ausser  Rechnung  gestellt  werden  kOnnen:  die  Höhenlagen  sind  sämtlich 
durch  Nivellement  bekannt  —  nur  der  Inselsberg  ist  nicht  Eisenbahn- 
station, aber  als  Ort  eines  trigonometrischen  Signales  wohl  als  genau 
in  seiner  Höhenlage  l)estimmt  zu  betrachten  —  und  die  Instrumente 
sind .  sorgt  iUtig  justiert  und  verglichen.  Ferner  ist  die  Höhenlage  der 
bei  weitem  massgebendsten  Stationen  eine  nur  mfissige  und  mit  Aus- 
nahme von  Elausthal,  Qross-Breiienbach  und  Inselsberg  300  m  nicht 
nennenswert  übersteigende,  da  Meiningen  mit  311m  dieser  vom  inter- 
nationalen Meteorologenkonfrress  zu  Wien  im  Jahre  1873  gezofrenen 
Grenze  für  die  UnbedeukUciikeii  der  Reduktion  auf  Meeresniveau  ganz 
nahe  liegt. 

Zur  weiteren  Sicherung  des  gefundenen  Resultates  glaubte  der 
Verfasser  bei  der  Neuheit  desselben  alle  irgend  möglichen  Garantieen 

herbeischaffen  zu  sollen. 

Die  Betrachtung  der  Isobarenkarte  lehrt,  dass  es  vor  allen  andern 
die  Stationen  Klausthal.  Nordhausen  (man  sehe  in  der  Tabelle  die  kon- 
stante grosse  Druckditterenz  dieser  beiden  Orte)  und  Gross-Breitenbach 
sind,  welche  die  Isobaren  in  ihre  stark  gekrtlmmten  Bahnen  hinein- 
zwängen. Da  zwei  derselben  Höhenstatioaien  sind,  lag  der  Oedanke 
nahe,  dass  fehlerhafte  Meereshöhe  dersdben  die  Reduktion  der  abge- 
lesenen Bamnieterstiiiule  namhaft  beeinflussen  könnte. 

Zur  Feststellung  dieser  Verhältnisse  unternahm,  der  Verfasser 
Revisionen  und  Feststellung  der  Meereshöhen  der  genannten  Süitionen. 
Die  Barometerkorrektionen  wurden  durch  Vergleichung  mit  einem  sorg- 
föltig  vor  und  nach  der  Reise  justierten  Reisebarometer  festgestellt, 
ausserdem  aber  diirch  eine  Reihe  simultaner  Barometerablesungen  in 
der  Höhe  der  Schienenoberkante  der  entsj)rechenden  Bahnhöfe  und  an 
den  Stationen  selbst  die  Ih'diendifferenz  beider  Punkte  ermittelt.  Da  die 
Meereshr)he  der  Schienenoberkante  von  den  betreifenden  Eisenbahn- 
direktionen auf  Ersuchen  des  Verfassers  genau  augegeben  wurde,  diese 
auch  wegen  des  sorgfältig  ausgeftlhrten  Nivellements  des  Bahnkörpers 
als  durchaus  TerlUsslich  gelten  kann,  konnte  hieraus  unter  genauer 
Bei-ücksichtigung  aller  Kautelen  eine  genaue  Ermittelung  der  Meeres- 
höhe der  betretenden  Stationsbarometer  gewonnen  werden.  Diese  Fest- 
stellungen erjraben .  dass  die  Meere.-^höhe  des  Barometers  in  Klausthal 
594,1m,  also  um  2  m  höher  als  bisher  angenommen,  die  des  Baiometers 


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Der  F.influs»  der  Gebirge  auf  das  Klüua  von  Mitteldeutschland.  333 


in  Nordhausen  221,03  m,  also  nahezu  mit  der  frOher  bekannten  (222  m) 
flbereinstinimendf  war,  w&hr^d  in  Gross -Breitenbacli  das  Barometer 

durch  Wohnungswechsel  des  BeobachtOTS  um  18  in  höher  auf<^oli*ängt 
sich  zeigte,  als  in  den  früheren  Jahren,  so  dass  dlf  Meereshöhe  des- 
selben jetzt  mit  048,13  m  in  Rechnung  zu  stellen  ist.  Dieser  Wechsel 
der  Höhe  ist  jedoch  erst  im  letzten  Jalire  eingetreten,  so  dass  die 
Reduktionen  der  früheren  Ablesungen  als  ziemlich  korrekt  zu  gelten 
haben.  Die  in  obiger  Tabelle  angegebenen  Bfittelwerfce  berficksichtigen 
die  ermittelten  Korrektionen 

Als  fernere  Stütze  für  die  Thatsächlichkeit  des  Vorhandenseins 
kleiner  Gebiete  niederen  Luftdrucks  im  Lee  der  beiden  Haupt «^ebirge 
Mitteldeutschlands  kann  noch  die  Betraclitung  dienen,  dass  die  Ver- 
teilung des  Luftdrucks,  wie  sie  unsere  Karte  zeigt,  durchaus  nicht  als 
eine  ein&die  Funktkm  der  Höhenlage  erscheint.  Wäre  dies  der  Fall 
nnd  die  wahre  Luf!:druckabnahme  von  Sud  nach  Nord  eine  völlig  gleich- 
massige,  Ton  lokalen  Einflüssen  vdllig  freie,  so  müsste  die  Differenz 
der  Barometerstände  zwischen  höherem  und  tieferem  Terrain  eine  nach 
allen  Seiten  gleiclimässige  sein,  d.  h.  es  müsste  niederer  Luftdruck 
nicht  nur  au  den  Nordseiteu  der  Gebirge,  sondern  rings  um  dieselben 
henun  TOihaiiden  sein,  während  Gebi&  relatiT  hohen  Lufldracks  im 
Süden  der  Bodeneihebungen  nicht  vorhanden  sem  könnten.  Femer 
würde,  da  Beduktionsmethode  und  die  verwandten  Instrumente  während 
des  dreijähri?en  Zeitraumes  von  — ISPn  unverändert  geblieben  sind, 
eine  gi-össerc  Aehnlichkeit  der  Luftdruckbilder  der  einzelnen  Jahre 
hervortreten  müssen,  wenn  der  Grund  ihrer  Existenz  allein  in  der 
Methode  läge.  Die  Konstruktion  der  einzelnen  Jahreskarten  sngt  aber, 
dass  dieselben  von  Jahr  zn  Jahr  nicht  unerheblich  variieren,  sowohl 
was  Gestalt  als  was  Ausdehnung  betrifft. 

Um  jedoch  unseren  Resultaten  norli  '  '"•  ('  grössere  Sicherheit  zu 
verleihen,  ist  eine  Gruppierung  der  Luttdruckmittel  nach  den  Jahres- 
zeiten vorgenommen  worden.  Würden  die  gefundenen  Luftdruck- 
differenzen ihren  Grund  haben  in  unrichtigen,  zur  Reduktion  benutzten 
Temperaturwerten  der  zwischen  dem  Beobachtungsort  und  dem  Meeres- 
niveau zu  denkenden '  Luftsäule ,  so  w^ürde  eine  beträchtliche  Differenz 
in  den  verschiedenen  Jahreszeiten,  besonders  zwischen  Winter  und 
Sommer,  hervortreten  müssen,  da  die  Teniperaturabnahme  mit  der 
Höhe  im  Winter  und  Sommer  sehr  verschiedene  Werte  repräsentiert, 
zu  Zeiten  während  des  Winters,  wie  w  ir  dies  weiter  unten  des  ^«ähereu 
sdben  wevden,  sogar  völlig  in  ihr  Gegenteil,  eine  Temperatuizunahme 
mit  der  Höhe,  verkehrt  wird.  Die  Erscheinung  würde  also  je  nach 
den  Jahreszeiten  bald  verschwinden,  bald  wieder  erscheinen  müssen. 
Dies  ist  nun  aber  thatsächlich  niclit  der  Fall,  wie  die  folgende  Tabelle 
und  die  Karte  zeigen,  vielmehr  linden  wir  die  lokalen  Depressionen  zu 
allen  Jalireszeiten  wieder. 


*)  Diese  and  andere  im  Verlauf  der  Arbeit  tiHÜg  gewoTctanen  firmittelungen 
tragen  einen  Teil  der  Schuld  an  der  YenSgerong  des  Earscheineiis  der  vorUegenden 
Abhandliuig. 


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334  Assmann, 


Tkbelle  2.    •  Inftdrackmlttel  ier  JahraBieiieB. 


Mlti«!  aas  1883,  1881, 

1886 

Mlttol 

aus  imi. 

iKfcS.  18M.  lfS85 

^  Winter 

Früh- 

Sommer 

Herbst 

Winter 

Früh» 

Sommer 

.  Herbst 

Klausthal  

TG1.9 

700.1 

(<)l,--> 

701,0 

703,6 

760,4 

701.0 

760,3 

Nordhausen  .... 

763,0 

700,5 

701,9 

761,7 

764,a 

760,9 

761,4 

761,3 

BraoBschveig    .  .  . 

761,7 

759,8 

mm  A  «  A 

761,2 

760,8 

768,8 

760,1 

760,5 

760,0 

Kunniu  

761,b 

7.'i9,8 

760,9 

760,5 

— 

— 

Magdeburg  .... 

761,9 

700,0 

761,0 

760,7 

763,4 

760,5 

760,5 

760,0 

768,8 

760,0 

761,8 

761,0 

— ^ 

Korbetha  

/59,8 

701,3 

701.4 

704,3 

700.4 

700,9 

700,7 

Erfurt  

7ü2,U 

<b0,2 

761,8 

761,7 

764,6 

760,8 

761,4 

760,9 

Sulza  

762,1 

759,7 

761,6 

761.5 

4  U_..J 

<  01,0 

761,7 

— 

— 

708,0 

700.1 

761,5 

701,8 

Meiningen  .... 

762,6 

759,2 

701,0 

701,3 

704,3 

759,9 

760.8 

760,6 

Ingelsberg  

703,0 

700,3 

701.0 

701.0 

GroHä-Breitenbach  .  . 

703.6 

700,2 

701.4 

701,9 

765,3 

761,0 

761,1 

701,2 

702,7 

700,3 

701,0 

701,4 

764,5 

761,0 

761,3 

760,6 

768,2 

759,9  1 

761,5 

761,1 

Je  unerwariet^,  tot  all^  Dingen  aber  je  unwahrsclidiilicher  ein 
neues  Ergebnis  von  Untersuchungen  ist,  um  eo  grösser  ist  die  Pflicht, 
alle  irgendwie  möglichen  Beweise  für  oder  gegen  dasselbe  herbei- 

zuschafl'en. 

Aus  diesem  Grunde  wurde  f(lr  das  in  Frag^e  .stchondo  Resiilhit 
unserer  Untersuchungen  ein  Beweisrtveg  eingeschlagen,  wciciier  davon 
ausgeht,  dass  die  ünsicheilieit  der  zurBedu£ion  avf  Meeresniveau  ver- 
wandten Lufttemperaturen  nahesu  unwirksam  gemacht  werden  kSnne 
durch  Reduktion  der  Barometerstände  auf  em  mittleres  Niveau.  Und 
in  der  Tliat  mnssto  liierdurdi.  wenn,  wie  -wir  nachgewiesen  hal'ieii.  die 
Meereshöhen  in  den  zulässigen  Felilergrenzen  bekannt  sind,  der  einzige 
noch  mögliche  Fehler  zum  grössten  Teile  eliminiert  werden. 

Wenn  wir  die  Reduktion  der  Barometerstände,  welche  au  einer 
600  m  hohen  Station  beobachtet  worden  sind,  auf  das  HeeresniTeau 
ausführen,  stellen  wir  die  mittlere  Temperatur  jener  600  m  hohen  Luft- 
schicht in  der  Weise  in  Rechnung,  djiss  wir  einen  aus  der  Erfahrung 
abgeleit<»ten  Faktor  für  die  Abniilime  der  Lufttemperatur  nach  oben 
verwenden.  Derselbe  ist  im  Mittelwerte  =  0*^,5  pro  100  m,  d.  h.  man 
nimmt  an,  dass  eine  100 m  über  dem  Meeresniveau  liegende  Station 
wegen  ihrer  höheren  Lage  um  0^5  lädter  sei  ak  eine  etwa  senkrecht 
unter  ihr  zu  denkende  Station.  Eine  Station  in  600  m  Höhe  wQrde  dem- 
nach lim  0  X  0*'..')  =  8^,0  kälter  sein. 

Ist  dieser  Faktor  O^Jy  pro  100  m  aber  unrichtig,  was  er  bei  dem 
Fehlen  direkter  Beobachtungen  wohl  sein  kann,  zumal  eng  lokale  Unter- 
schiede zwischen  zwei  benachbiut*;u ,  aber  verschieden  gelegenen  Sta- 
tionen schon  konstatiert  worden  sind,  dann  muss  der  Fehler  mit  der 
Mächtigkeit  der  in  Frage  kommenden  Luftschicht  wachs«D.  Würde 
z.  B.  für  eine  000  m  hoho  Station  der  Faktor  nicht  0*,5,  sondern  "",7 
sein,  so  würden  statt  der  im  ersteren  Falle  in  Rechnung  gestellten  8^0 
mm  4^,2  verwandt  werden  müssen,  wodurch  schon  ein  Fehler  von 


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Der  Einflnss  der  Gebirge  auf  das  Eliinft  rcn  Müteldeutflchland.  335 


circa  *).:{  nmi  in  den  auf  das  Meer  reduzierten  Barometerstand  hinein- 
gebracht werden  würde. 

Würden  wir  da<?etren,  statt  auf  Meeresniveau,  auf  ein  mittleres 
Niveau f  z.  B.  ÜUCm,  reduzieren,  so  würde  derselbe- fehlerhafte  Tem- 
peraturfiEiktor  nur  0^6  bei  der  Hitteltemperatur,  bei  dem  Barometer- 
stände aber  weniger  als  0,1  mm  ausmachen.  Haben  wir  eine  Aiwaihl 
Stationen,  welche  in  sehr  verschieden  n  M  r  Ii ")hen  liegen,  so  werden 
wir  durch  Kt'iluktion  der  Harometerstände  auf  ein  mittlere^  Niveau 
die  UU8  unrichtiger  Ansetzung  der  Temperaturabuahme  hervorgehenden 
Fehler  möglichst  einengen. 

Die  AusftÜmmg  der  Reduktion  sämtlicher  in  Frage  kommender 
Barometerstände  auf  ein  mittleres  Niveau  von  800  m  ergibt  nun  einen 
■  Verlauf  ih  r  T  ohargi,  welcher  mit  dem  in  Karte  1  wiedergegebenen 
nahezu  identisch  ist.    Eine  Wiedergabe  derselben  mnss  indes  aus  &U8-* 
seien  Gründen  unterbleiben. 

Es  ist  jedenfalls  anzunehmen,  dass  durch  dieses  Zusammeafallen 
der  beiden  Isobarenbilder  die  Thatsächlichkeit  der  gefundenen  lokalen 
Depressionen  an  den  Nord-  und  Nordostseiten  der  beiden  Hauptgebirge 
Mitteldeutschlands  eine  erhebliche  Stütze  erhalt. 

Nach  alle  dem  Gesatrtcn  werden  wir  nicht  umhin  können,  die 
ThatviicliHclikeit  des  Vorliandenseins  kleiner  Gebiet»'  niederen  Luft- 
drucks nn  Norden  oder  Nordosten  des  Harzes  und  Thüringerwaldes, 
wahrscheinlich  auch  eines  solchen  zwischen  der  Rhön  und  dem  Thü- 
ringerwalde, anzunehmen. 

Wir  haben  nun  noch  die  Frage  zu  erOrteni,  welches  die  Gründe 
für  das  Auftreten  dieser  lokalen  Depressionen  sein  könnten. 

Wir  sahen  ölten  bei  der  Betrachtung  der  nll<jfemoiiien  mittleren 
Luftdruckverhältnisse  von  1  )eutschhind .  dass  unser  zu  uutersucliendos 
Gebiet  auf  einem  allgemeinen  Druckabhange ,  welcher  von  Süd  nach 
Nord  geneigt  ist,  liegt.  Dieser  Abhang  setzt,  da  fortwShrend  infolge 
seines  Vorhandenseins  Luft  in  der  Tiefe  von  Süd  nach  Nord  fliesst, 
die  Existenz  eines  oberen,  entgegengerichteten  Ausgleichstromes  mit 
Notwendigkeit  voraus,  um  den  fortwährenden  Luflverlust  in  der  Tiefe 
zu  decken.  An  Stellen,  welclie  du  freien  Abfluss  der  Luttmassen  in 
der  Nähe  des  Erdbodens  behmderu,  also  an  Bodenerhebungen,  muss 
dieser  Druckabgang  notwendigerweise  ein  steilerer  sein,  als  dort,  wo 
diese  Behinderung  nicht  stattöndet.  Er  bildet  also  an  Oebürgen,  deren 
Längsrichtung  senkrecht  auf  den  allgemeinen  Gradienten  steht,  Stufen, 
Terrassen,  an  welchen  eine  schnellere  Drnrknbnjilnive  auf  Iteschränkt^m 
Gebiet  statthndet,  als  der  allgemeinen  1  )ruckal»nahme  entspricht.  Denn 
wenn  die  den  Druck  eraiedrigende  Ursache  auf  der  ganzen  Sti'ecke 
ungetalir  gleichmässig  wirkt,  wie  das  bei  der  StrSmux^  in  der  Höhe 
der  Fall  ist,  welche  durch  das  Ctebhrge  nicht  direkt  beeinflusst  wird, 
so  wird  im  Schutze  einer  die  untere  Zuströmung  behindernden  Schranke 
der  Luftdnick  sinken,  bis  über  der  Schranke  selbst  oder  neben  ilir  der 
untere  Gradient  so  stark  geworden  ist.  dass  die  Zufuhr  wieder  der 
Abfuhr  das  Gleichgewicht  hält  —  es  wird  also  ein  neuer  Gleich- 
gewichtszustand erstrebt  und  erreicht. 

Den  hauptsächlichsten  Einfluss  aber  auf  das  Zustandekommen 


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836  AsBinaim,  [26 

dieser  Gclticte  niederen  Luttdrucks  dürfte  die  Tliatsaclie  hüben,  dass 
jahraus  jahrein  die  vorwiegend  benutzten  Zugstrassen  der  iuirometrisolien 
Depressionen  nördlich  von  unseren  Gebirgen  vorbeiiiüiren.  Eine  jede 
nördlich  von  den  Gebirgen  TorOberziehende  Depression  eniiedxigt  an 
deren  Nordabhängen  den  Luftdruck  schneller  und  starker  als  an  deren 
Sudseite,  da  die  nördlich  lagernde  Luft  kein  Hindernis  zum  Abströmen 
nach  der  Depression  liin  hat,  während  die  südlichen  Luftmassen  zu- 
nächst den  (iebirgswall  ersteigen  und  übersteigen  müssen,  um  sich 
dem  allgemeinen  zur  Depression  hin  gerichteten  Strome  anzuscliliessen. 
Wir  finden  diese  Thatsache  zu  einem  mächtigen  und  allbekannten 
Phänomen  an  den  Nord-  und  SQdrändem  der  Alpen  und  ähnlich  an 
fast  allen  höheren  Gebirgen  der  gemässigten  und  kalten  Zonen  unter 
dem  Namen  „Föhn"  ausgebildet.  Wenn  tiefe  Depressionen  vom  TCnnal 
aus  lieranrücken,  pumpen  sie  nach  der  allgemein  acceptierteu  Dar- 
stellung von  Hann  die  nach  Nord  offenen  Alpenthäler  aus.  deren  Luft 
ihrem  Aspirationszuge  ohne  weiteres  zu  folgen  vermag,  wülirend  das 
Gebirge  ds  Bewegungshemmung  ftbr  die  Luftmassen  der  anderen  Seite 
wirkt.  So  wird  der  Luftdruck  im  Norden  der  Gtebirgskämme  sinken, 
dadurch  a])er  die  über  den  Kamm  herüberkommende  Luft  von  ihrem 
horizontalen,  der  Depression  zuijerichteten  We^e  abgelenkt  wer<len  und 
zur  Ausfüllung  des  Geljietes  niederen  Luftdrucks  nach  unten,  und  /.w  ar 
wegen  der  erheblichen  Druckunterschiede  mit  grosser  Vehemenz,  und 
wegen  Zunahme  des  auf  ihr  lastenden  Drucks  bei  der  Abwärtsbewegung 
durch  Kompression  stark  ttwärmt,  strömen.  Ziehen  starke  Depressionen 
über  das  Mittelmeer,  während  im  Norden  hoher  Luftdruck  lagert,  dann 
tritt  in  den  südliehen  Alpenthäh'rn  Nordiohn  ein. 

Gerade  diese  Thatsache  der  auf  beiden  Seiten  der  Alpen  auf- 
tretenden Föhnerscheinungen  zeigt  uns,  weshalb  die  Druckabnahnie, 
weldie  wir  bei  unseren  deutschen  Mittelgebirgen  an  deren  Nordseite 
konstatierten,  nicht  auch  an  den  Al^en  auftraten  kann.  Die  Alpen 
liegen  nicht  auf  einem  einseitig  geneigten  Druckabhang,  sondern  auf 
einem  Kücken  hohen  Luftdrucks,  von  wehhem  aus  der  Dru(k  nach 
beiden  Seiten,  nach  Nord  wie  nach  Süd,  nahezu  ijleieh  st;uk  abnimmt. 
Daher  sehen  wir  auch  den  Föhn,  diesen  Ausdi-uck  für  die  Existenz 
lokaler  Luildruckvermiaderung ,  nur  dann  eintreten,  wenn  an  einer 
Seite  des  Gebirges  hoher,  an  der  anderen  niederer  Luftdruck  herrscht. 
Bei  unseren  mitteldeutschen  Gebirgen  aber  gehört  es  zu  den  Ausnahmen, 
dass  der  LuftdriK  k  südlich  von  denselben  geringer  ist  als  im  Norden. 
Ist  nun  thatsiu  hlioh .  wie  der  Föhn  l»eweist,  eine  Bodenerhei)ung  im- 
stande, im  gegeljeuen  Einzellalle  Druckditferenzen  zwischen  den  beiden 
Seiten  eines  Gebirges  zu  ei-zeugen,  dann  liegt  kein  Grund  vor,  es  für 
unwahrscheinlich  zu  halten,  dass  derselbe  ^rgang,  in  geringerer  In* 
tensität  fast  Tag  fOr  Tag  wirksam,  einen  konstanten  almlichäi  Effekt 
hervorbringen  werde. 

Wir  sind  im  Verlaufe  der  obigen  Erörtenmgen  über  die  Ein- 
wirkung der  Gebirge  auf  die  Luftdruckverhältnisse  in  Mitteldeutschland 
fast  von  selbst  auf  die  Nennung  des  von  der  Luttdruckverteilung  ab- 
hängigsten klimatischen  Faktors,  den  Wind,  gekommen.  6elin|;e  es 
uns,  nachzuweisen,  dass  die  Windrichtung  in  den  von  den  supponierten 


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27]       Der  Einflnas  der  Oebixge  auf  da«  KUma  ▼on  Mitteldentschlaiid.  337 


lokalen  Dejiressionen  eingenommenen  Gebieten  eine  von  der  all;^emeinen 
mittleren  ^Strömung  abweichende,  und  zwar  in  dem  Sinne  der  ange- 
nommenen Druckunterachiede  abweichende  ist,  so  würde  unserer  An- 
nahme eine  sehr  wesentEche  Stötse  hierans  enraduen. 

Es  wurden  m  diesem  Zwecke  fXkr  sämtliche  in  unserem  Oebiet 
liegende  Stationen  die  in  den  3  Jahren  1881,  1882  und  1883  beob- 
achteten Windrichtungen  in  Proeenten  der  Gesamt -Beobachtungen  be- 
rechnet und  nach  Quadranten  gruppiert.  Um  ein  übersichtliches  Bild 
über  diese  Verhältnisse  zu  erlangen,  wurden  die  vorherrschenden 
und  die  zweithäufigsten  Windrichtungen  in  die  Karte  I.  der  drei- 
jährigen mittleren  Isobaren  mit  ein^tragen.  Die  Torheirschenden 
Winde  <\ni[  durch  einen  blauen,  die  zweithäufigsten  durch  einen 
roten  Pfeil  gekennzeichnet. 

Diese  Karte  lelirt  uns,  dass  nahezu  ausnahmslos  die  vorherrschende 
"Windrichtung  dem  südwestlichen  Quadranten  angehört,  also  dem  grossen 
und  allgemeinen  Gefälle  des  Luftdrucks  über  Central -Europa  folgt. 
Von  einer  Ablenkung  im  Sinne  der  supponierten  lokalen  Druck- Yer- 
minderungen  ist  nirgends  eine  Andeutung  Torhanden,  wenn  man  von 
den  geringfügigen,  durch  die  Erstreckung  von  Flussthälern  oder  durch 
benachbarte  Boden -Erhebungen  mechanisch  bewirkten  Ablenkungen 
absieht,  wie  wir  sie  in  Sontlersliausen  und  Frankenhausen  finden,  wo 
eine  rein  westliche  Richtung  vorherrscht. 

Seh^  wir  uns  dagegen  die  Anordnung  der  zweithäufigsten  Wind« 
richtungen  an,  so  finden  wir,  dass  dieselben  von  anderen  als  den  dem 
allgemeinen  Gefalle  zugehörigen  Ursachen  beeinflusst  werden.  Wir 
finden  z.  B.  als  zweithäufi'^'ste  Dichtungen  in  Hannover  und  Braun- 
scliweig  Nordwest,  mi  Marienthal  (am  Elm)  dagegen  Südost,  in  Magde- 
burg und  Gardelegen  Ostsüdost.  Dieses  Arrangement  macht  den  Ein- 
druck, sls  sei  es  durch  die  zwischen  diesen  Stati<men  geftmdene  lokale 
Depression  herrorgerufen. 

Durchmustern  wir  die  Gegend  der  andt  rtu  thüringischen  Depres- 
sion, so  sehen  wir  auch  dort  eine  einer  cykloualen  ziemlich  ähnliche 
Anordnung,  indem  Nord  hausen  Nordost,  Sondershausen  Nordwest,  Halle 
Südost  und  Saugerhausen  wieder  Nordost  als  zweithäutigste  Kichtung 
zeigen. 

Längs  des  gan^n  Nordrandes  des  ThOringerwaldes  finden  wir 
einen  gleichmässigen  Nordwest,  welcher  allerdings  sich  in  eine  cyUonale 

Anordnung  nicht  ganz  streng  einfügt;  doch  könnte  man,  da  diese 
Richtung  mit  der  Streichungs  -  Richtung  des  Gebirgswalles  zusamnien- 
fällt,  auch  hier  an  eine  mechanische  Ablenkung  durch  denselben  denken. 
Diese  gebirgsnahen  Stationen  werden  übrigens  wesentlich  durch  den 
WeehsM  zwischen  Berg-  und  Thalwind  beemfiusst. 

Wir  finden  somit  aus  dem  Arrangement  der  Windrichtungen  zwar 
keine  direkten  Beweise  für  die  Existenz  lokaler  Aspirations  -  Centren, 
sehen  jedoch,  dass  die  zweithäufigsten  Windrichtungen  in  einer  Wei^c 
angeordnet  sind,  dass  sie  von  lokalen  Verhältnissen  stark  beeiuüusst 
erscheinen. 

Die  Berg-  und  Thalwinde,  auch  Nacht-  und  Tagwinde 
genannt,  stellen  bekanntlich  den  (Gebirgen  eigentQmliche,  durch  sie 


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338 


Anmann, 


[28 


sel^>sf  venirsnrbfo  periodische  Luftströmung;' 'u  «Inr,  welche  von  nicht 
geringt-r  klimuti.scher  BedeutunjJT  für  die  VentihLtion  der  Thiili  r  sowohl, 
als  auch  der  den  tiebirgsründeni  beuaclilüirLeu  Niederungen  sind. 
Tiefe,  den  Torhemclieiiclen  Winden  naheza  gSnzlich  enbsogene  TUUer 
wttrden  sicherlich  eine  gesundheitsgefäbrlicfae  Stagnation  ihrer  Luft 
mit  den  daraus  hervorgehenden  Folgen  der  Anhäufung  von  Schädlich- 
keiten aller  Art  erleiden  niüt^-sen,  wenn  nicht  diese  lokale  Cirkulation 
thätig  wäre,  welche  während  des  Tages  die  Luft  der  Thäler  ber<?- 
aufwürts  gegen  die  Höhen,  während  der  Nacht  die  reinere  Luit 
der  Höhen  bergabwärts  in  die  Niederungen  fUhrfc.  'V^  dOrfen  daher 
in  dieser  Thateache  eine  hOchst  wichtige  Wirkung  der  Ckbirge  er- 
kennen, welche  auch  bis  auf  eine  gewisse  Kntfemung  liin  den  gebirgs- 
nahen  Niederungen,  besonders  denen  der  Leeseite,  staubfreie  und  kühh  rp 
Wald-  und  Bergluft  zu  teil  werden  lässt.  Während  der  wärmeren 
Jahreszeit  ruht  an  windstillen  Tagen  die  Luftcirkulation  in  den  Ebenen 
nahezu  gänzlich,  da  die  durch  Erwärmung  allein  auftretende,  wesent- 
lich aufwärts  gerichtete  Bewegung  der  Luft  nicht  als  Wind  empfunden 
wird;  die  Nacht  bringt  dann  über  dem  hocherwärmten  Erdhoden  ge- 
meinhin auch  keine  aÜgemeine  abwärts  gerichtete  Bewegung,  sondern 
hrKhstens  ein  Aufhören  des  Aufsteigens  der  L\ift  zustande:  die  gebirgs- 
nulieu  Ebenen  und  die  Thäler  erhalten  indes  nun  den  erfrischenden, 
abkühlenden  Hauch  des  Gebirges,  welcher  allerdings  die  Wärmeschwau- 
kung  dieser  Gegenden  zwischen  Tag  und  Nacht  nicht  unbetrftchtlich 
erhöht  und  dadurch  zur  gelegentlichen  Erkältungsursache  wird,  aher 
das  Nervensystem  der  Menschen  wohlthätig  erfrisdit  und  der  Vegetation 
durch  Abkülilung  der  untersten  Luftschichten  zur  Bildung  von  Tan 
verhilft,  welcher  sie  befähigt,  eine  längere  Zeit  des  liegenmangela  ohne 
Schaden  zu  ertragen. 

Andererseits  ist  wahrend  des  Winters  diese  lokale  Luftcirkulation 
die  Veranlassung  einer  intensiveren  Erkaltung  der  Thaler  und  gebirgs- 
nahen  Niederungen,  indem  der  Nachtwind  den  Abfluss  der  an  den 
Gfltirgshiingen  erkalteten  liuft  und  deren  Ansammlung  in  den  Niede- 
rungen befördert;  Avir  werden  diese  Thatsache  l)esonders  dnit  driitlK  h 
ausgeprägt  finden,  wo  eine  Mulde  vou  allen  Seiten  durch  bedeutendere 
GebirgshShen  umrandet  ist,  so  dass  der  Zufluss  der  nächtlich  erkalteten 
Luft  von  allen  Seiten  her  stattfinden  kann.  So  zeigt  das  Thflringer 
Becken  im  ganzen,  die  Goldene  Aue,  die  Leine-Ni«  ih  rung,  die  Mulde 
des  nördlichen  Harzvorlimdes  gelegentlich  diese  Erscheinung  in  voller 
Deutlichkeit.  Allerdings  l»ewirkt  die  am  Tage  auch  während  des 
Winters  erfolgende  Bewegung  der  Luft  gegen  die  Gebirge  hin  eine 
Abschwächung  oder  Aufhebung  dieser  Ansammlung  kalter  Luftseen  in 
den  Mulden,  doch  ist  iHÜbrend  der  Zeit  des  niedrigsten  Sonnenstandes 
die  Insol;Lfi()n> Wirkung  eine  so  kuTze  und  geringe,  besonders  wenn 
eine  Schneedecke  die  Sonnenwärme  vom  Erdboden  abhält,  dass  als 
He<uliiit  der  Gebirgswinde  doch  eine  stärkere  Abkühlung  der  Thäler 
und  Niederungen  zu  konstatieren  ist.  Bei  der  überwiegenden  Länge 
der  winterlichen  Nacht  weht  auch  der  Nachtwiud  eine  erheblich  längere 
Zeit  als  der  auf  wenige  Stunden  eingeengte  Tagwind. 

In  den  gebiigsnahen  Gegenden  Mitteldeutschlands  finden  sich  die 


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Der  Eiuüusä  der  Gebirge  auf  das  Klima  von  Mitteldcutäclilaud.  339 


Gfebiigswinde  in  durchans  charakteristischer  Weise  Tor,  wenn  man  die 
Perioden  heiterer  und  stiller  Witterung  für  sich  betrachtet.  Es  zeigt 
sich  sowohl  am  Hai-z  als  am  Thüringer  Walde  eine  dciitlicho  Umkehr 
der  Windrichtungen  vom  Tage  zur  Nacht.  Selbst  in  <!<  n  vierjährigen 
Monatismitteln  der  Häutigkeit  der  einzelnen  Windrichtungen  findet  sich 
eine  deutliche  Tendenz  des  Windes  vor,  am  Morgen  und  Abend  vom 
Gebirge  her  zu  wehen,  am  Mittag  aber  Tom  Gebirge  abzudrehen,  also 
mehr  oder  weniger  .schräg  gegen  dasselbe  anzuwehen.  Allerdings 
wird  die  grosse  und  allgemeine  Cirkulation  der  Luft,  welche  besonder« 
am  Ilar/^'ehirge  eine  ausgesprochene,  dem  grossen  (^eflille  gegen  Nord 
gehorchende  ist.  in  den  Mittelwertt^n  durch  diese  lokalen  Winde  nicht 
erheblich  alteriert  werden  können,  zu  deren  Zustandekommen  eine  ge- 
rade im  nördlichen  Deutschland  selten  vorhandene  Luftruhe  notwendig 
ist;  doch  erhalt  man  eine  zweifellose  Andeutung  hierfür,  wenn  man 
die  zweithSiifigsten  Windrichtungen  der  Terschiedenen  Tageszeiten  mit 
emander  vergleicht. 

So  hndeu  wir  z.  B.  für  Klausthal  im  April  auM  vierjährigen 
Mittelwerten  die  vorherrschende  Windrichtung  morgens  Ost,  mit- 
tags Südost,  abends  wieder  Ost;  die  zweithäufigste  Richtung  ist  für 
denselben  Monat  morgens  Südost,  mittags  Südwest,  abends  wiedor 
Südost.  Am  Westraude  des  Harzplateaus  gelegen,  bekommt  Klausthal 
seinen  Berg^vind  aus  dem  Striche  zwischen  Nordost  und  Südost,  seinen 
Thalwind  zwischen  Süd  und  Nordwest.  Wir  sehen  in  beiden  Fällen 
den  Wind  zum  Mittag  vom  Gebirge  abdrehen,  abends  wieder  daliin 
zurückkehren. 

Nordhausen  hat  vermöge  seiner  Lage  am  Sttdrande  des  Harzes 
seinen  Bergwind  aus  einem  Striche  zwischnn  Nordwest  und  Nordost, 
seinen  Thalwind  zwischen  West  und  Südost,  Die  allgemeine  grosse 
Luftbewegung  aus  Südwest  und  \V»>st.  welcher  Nordhausen  vollständig 
offen  liegt,  unterdrückt  die  lokale  Cirkulation  vollständig,  so  dass  sie 
m  den  Mittelwerten  der  vorherrschenden  Winde  nicht  zu  finden  ist. 
Wohl  aber  tritt  sie  benror  in  den  Mitteln  der  zweithauflgsten  Wind- 
richtungen: im  Dezember  ist  die  zweithäufigste  Richtung  moi^ens  Nord- 
ost, mittags  We«;t,  abends  Nordost;  im  März  morgens  Nordwest,  mit- 
tags West,  abends  Nordost;  im  Juni  morgens  Nordwest,  mittags  West, 
abends  Nordwest.  Auch  hier  sehen  wir  das  charakteristische  Abdrehen 
des  Windes  vom  Gebirge  zur  Ikiittugszeit, 

Schwanebeck  hat  vermöge  seiner  Lage  nordnordöstlich  vom 
Han  seinen  Bergwind  aus  einem  Striche  zwischen  Westsüdwest  und 
Sudost»  seinen  Thalwind  zwischen  Nordwest  und  Ost.  Die  Lage  Schwane- 
becks im  Lee  des  Harzes  würde  an  sich  eine  grössere  Luftruhe  und 
damit  eine  Begünstigung  lokaler  Cirkulation  befördern,  wenn  nicht  die 
Nähe  der  durch  starke  Luftbeweguug  ausgezeichneten  norddeutschen 
Niederung  diese  günstige  Wirkuns  des  Gebirges  mehr  als  kompen- 
sierte. Ausserdem  entwickeln  sich  an  den  lUndem  eines  Gebirges 
lokale ,  einwärts  weisende  Luftströmung^,  welche  die  Reinheit  der 
Bilder  spezifischer  Gebirgswinde  wohl  zu  verwischen  geeignet  sind. 
Trotzdem  finden  wir  einige  Andeutungen  datür,  diuss  auch  in  Schwane- 
beck unter  günstigen  Verhältnissen  ein  Abdrehen  des  Windes  vom  Gebirge 


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340 


[30 


zur  Mittagszeit  stattfindet.  Im  Januar-Mittel  herrscht  morgens  der  Südwest 
(Bergwind),  mittags  der  West,  abends  der  Südost  (Bertrwind)  vor;  der 
West  ist  zwar  für  Schwanebeck  nicht  als  Thal  wind  autzutussen.  ist 
aber  duck  vom  Gebirge  erheblich  weiter  abgedreht  als  die  beiden 
anderen  Winde.  Im  Januar  ist  morgens  Südwest,  mittags  Ost,  abends 
Südost  am  häufigsten ;  der  Ost  ist  für  den  Nordostraud  des  Harzes  ent- 
schiedener Thalwind.  Unter  dt  ti  zweithäufigsten  Windrichtungen  finden 
wir  im  März  einen  schönen  Beweis  für  unsere  Betrachtung:  morgens 
weht  Südwest  (Bergwind) ,  mittags  Nordost  freiner  Thalwnnd) ,  abends 
West.  Ebenso  im  Mai:  moi^eus  Südwest,  mitt^igs  Nordwest,  abends 
West;  nnd  im  Juni  morgens  SOdwest,  mittags  l^rdost,  abends  West. 

Die  deutliche  Ausprägung  der  Gebirgswinde  in  Schwanebeck, 
welches  30  km  Tom  Gebirge  entifemt  liegt,  gibt  zugleich  einen  Beweis 
für  unsere  oben  aufgestellte  Behauptung,  dass  diese  lokale  Cirkulation 
sich  bis  auf  die  umgebenden  Niederungen  erstreckt,  obwohl  sie  am 
und  im  Gebirge  selbst  iliren  eng  lokalen  l'rsprung  hat.  Die  Aspiration, 
welche  ein  Gebirge  am  Tage,  die  Propulsion,  wekihe  es  wlhmid  der 
Nacht  auf  die  umliegenden  Luftmassen  ausQlit,  wirkt  weithin  in  die 
Ferne ,  so  dass  wir  mit  Tollem  Recht  die  Gebirgswinde  als  einen  von 
den  Bodenerhebungen  umnittidbar  abhängigen  klimatischen  Faktor  VOn 
mehr  als  lokaler  Bedeutung  zu  l)etrachten  haben. 

Es  lässt  sich  nicht  verkennen ,  dass  das  Harzgebirge  vermöge 
seiner  meeresnahen  Lage  weniger  gut  zur  Auffindung  lokaler  Cirku- 
lationen  geeignet  ist  als  ein  kontinentaler  gelegenes  Gebirge  wie  z.  B. 
der  Thüringer  Wald.  Und  in  der  That  finden  wir  hier  auch  die  ge- 
nanntr  rt  Krs(  Ii  einungen  erheblich  reiner  und  deutlicher  entwickelt,  so 
dass  wir  nur  ungern  aus  äusseren  Gründen  auf  die  Darstellung  dieser 
Verhältnisse  ver/.i(  ht(>n. 

Betrachten  wir  nun  noch  in  kurzen  W  orten  die  Verhältnisse  der 
Windstärke  in  ihrer  Abhängigkeit  von  den  Gebirgen.  Abgesehen 
TOn  der  hier  nicht  zur  Betrachtung  heranzuziehenden  allgemein  gros- 
seren Windstärke  an  den  höher  gelegenen  Gel)irgsstationen  werden  wir 
einen  EintluNS  der  Bodenerhebungen  wosentlirh  darin  zu  finden  haben, 
dass  di»'  (TelnrgstliüU  r  und  gebirgsnahen  Niederungen  tinerseits  einen 
Schutz  gegen  die  Ut  ltigkeit  bestimmter,  durch  lokale  Lageuverhältnisse 
bedingter  Winde  gemessen,  andererseits  eine  Vermehnnig  der  Wind- 
stärke eintritt,  wenn  tiefe  Thäler  dem  Torherrschenden  Winde  eine 
trichterförmige  Oefinung  zukehren,  während  si«  an  ihrem  anderen 
Ende  mehr  und  mehr  verengt  werden.  Es  tritt  in  diesem  letzteren 
Falle  eine  Zusammendrängung  <ler  in  die  weitere  Oefihung  eingepressteti 
Luft  ein,  welche,  da  die  propulsive  Kraft  fortwirkt,  die  Wirkung  der 
Verengerung  ihres  Strombettes  nur  durch  Vennehrung  ihrer  Sfcrom^e* 
schwindigkeit  auszugleidien  yenaag.  Die  nach  Sfldwmt  und  West  sich 
öffiienden  Har/thäler  der  Oder.  Lutter,  Sieber,  Lonau  und  Söse  .sowie 
das  Thal  zwiselien  Gittelde  und  Gi*und  sind  durchaus  geeignet,  derartige 
Erscheinungrn  nicht  selten  autzuweisen,  und  liegen  auch  in  der  That  ge- 
legentliche Ein/elbeobachtungeii  dieser  Art  vor;  leider  fehlen  indes  hier 
noch  systematische  Aufzeichuungon  gänzlich. 

Der  Windschutz  eines  Gebirges  muss  sich  Tomehmlich  darin  ans- 


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Der  Emflun  der  Gebirge  auf  daa  Klima  von  Mitieldeutaclilaiid.  841 


drücken,  dass  die  stärksten  Winde  nicht  vom  Gebirge  her.  soiKhrn 
gegen  dasselbe  anwehen;  doch  sind  hierbei,  wie  wir  weiter  unten  seilen 
werden,  die  nördlichen  Gebirgsrander  auszunehmen,  an  welchen  sich 
föhnarfige  Winde  «ntwickeln. 

Bestehende  Ueine  Tabelle  zeigt  die  Richtung  der  stärksten  Winde 
für  Klausthal,  Nordhansen  und  Schwanebeck  in  den  yerschiedenen 
Jahreszeiten. 

Winter  FrOl^ahr        Sommer  Herbst 

Klausthal      Weat-Sttdwest  Ost-Nozdost  Sttd-Sfidwest  West-Sttdwest  * 
Nordhansen       Südwest        Südwest       S&dwest  Südwest 
Sdiwanebeck        Nord  West        Nordwest  West. 

Wir  ersehen  daraus,  wie  für  Klausthal  die  stärksten  Winde  vor- 
wiegend aus  einem  Striche  zwischen  Süd-Südwest  und  West-Südwest, 
für  Nordliausen  konstant  aus  Südwest,  für  Schwanebeck  aber  zwischen 
W^est  und  Nord  wehen.  Der  W^indschutz  des  Harzes  äussert  sich 
demnach  für  Schwanebeck  in  der  Weise,  dass  die  an  sich  stärksten 
Südwestlichen  Winde  so  viel  an  Stärke  einbttssen,  dass  die  im  allge- 
meinen absolut  schwfidieren  Strömungen  ein  Uebergewicht  ihrer  Si&rke 
erhalten. 

Die  Erscheinung  des  durch  die  rb-ltirfjo  aiisrrenVtten  Winds(  lintzes 
führt  uns  zur  Erörterung  der  in  derselben  Weise  hervorgeruieueu 
Windstilleu. 

Wir  sehen  zmülchst,  dass  nicht  nur  die  freigelegenen  Höhen- 
stationen sehr  wmig  Windstillen  notieren,  sondern  dass  die  Stationen 

der  gebirgsfemen  Ebenen,  wie  Torgau,  Halle,  Magdeburg,  ausser- 
ordentlich selten  ohne  bewegte  Luit  sind.  Genauere  Betrachtung  lehrt 
uns  aber  Gegenden  kennen,  welclie,  weil  gegen  die  vorherrschenden 
Winde  abgeschlossen,  einen  so  beträchtlichen  Ueichtum  au  \\  indstillen 
haben,  dass  diese  Thatsache  ak  ein  wichtiger  klimatischer  Faktor 
für  die  betreffende  Gegend  anzusehen  ist.  Wir  finden  z.  B.  Jena 
mit  37,2  %t  aller  Notierungen  windstill,  Kassel  mit  40  **  o ,  Rudolstadt 
mit  4:}. .'3  Den  Grund  haben  wir  ausschliesslich  in  dem  Vorhanden- 
sein von  Bodenerhebungen  zu  suchen,  welche  den  vorherrschenden 
Winden  den  Weg  verlegen.  Kassel  ist  durch  den  nach  Südwest  und 
West  vorgelagerten  Habichtswald,  Rudolstadt  durch  den  ganzen,  be- 
trikditiich  hohen  Südostteil  des  Thüringer  Waldes  (rgl.  Profil  9  u.  10) 
gegen  Südwest^  gegen  West  und  Nordwest  durch  die  nicht  unbeträcht- 
lichen Höhen  rler  siidlirhen  Ilmplatte  ganz  ausserordentlich  geschützt. 
Jena  aber  liegt  in  dem  tiefen  Einschnitte,  welchen  die  Saale  in  das 
Plateau  der  Ilmplatte  eingegraben  hat,  gegen  Südwest  und  West  Yöllig 
geschützt. 

Ans  der  ferneren  Reihe  der  sich  durch  häufige  Windstillen  aus- 
zeichnenden Stationen  füllt  uns  noch  Klausthal  auf,  welches  trotz  seiner 
hohen  Lage  12,7"  .,  Windstillen  meldet.  Eine  Erklärung  dieser  merk- 
würdigen Erscheinung  lii^st  sich  ohne  weiteres  nicht  wohl  geben,  doch 
ist  anzunehmen.  das<  Khmsthal  dem  Steilabfall  des  Harzes  auf  seiner 
Luvseite  noch  ualie  genug  liegt,  um  noch  innerhalb  desjemgen  Gebietes 
ZU  sein,  welches  infolge  der  ^npordrilngung  der  Luftmassen  Ton  noch 
nicht  wieder  horizontal  gewordenen  Luftströmen  ttberweht  wird.  Ausser- 


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342 


[32 


dem  ist  zu  bedenken,  dass  nanieutlidi  an  Gel)irgen  die  Luftströnmii'^^^n, 
!><ilia1i]  ein  allLrenieinor  und  fjfrossor  Gradient  fehlt,  als  lokale  Bei;^'-  und 
Tlialwiiide  uultrcteu.  l)iesell>f'n  weiden  sieh  auf  einer  ziemlich  ebenen 
Piateaufläche,  wie  es  diejenige  ist,  auf  welcher  Klausthal  liegt,  weit 
weniger  äussern  als  an  den  Abhangen  und  in  den  Niederungen.  Auch 
dürfte  zur  Erklärung  dieser  häufigen  Windstillen  vieUeicht  die  That- 
sache  mit  herbeizuziehen  sein,  dass  die  Beobachtungstermine  8  Uhr 
morgens  und  8  Uhr  abends  in  fast  allen  denjenioren  Fällen,  in  welchen 
diese  lokalen  Gebirfrswinde  wehen .  ziemlich  nalie  mit  den  Zeiten  des 
Windwechsels  zusammenfallen.  Berg-  und  Thalwind,  deshalb  eben  auch 
als  Nachts  und  Tagwind  bezeichnet,  wechseln  miteinander  ab  in  der 
Weise,  dass  der  am  Tage  bergaufwärts  wehende  Thal  wind  am  Abend 
abflaut  und  noch  eine  Periode  der  AVindstiUe  in  den  während  der  Nacht 
l>ergabwärts  wehenden  Nachtwind  über<^oht.  welcher  abennals  am  Morgen 
schwach,  schliesslich  still  wird,  um  dem  Tagwind  zu  weichen.  Im  Sommer 
wird  der  Abendwind  Wechsel,  also  die  zwischenliegende  Stiilenperiode, 
gegen  8  Uhr  abends,  im  Winter  der  Morgeuwindwechsel  gegen  8  Uhr 
morgens  eintreten,  daher  leicht  eine  grössere  Ansahl  von  Windstillen 
vortäuschen  können,  als  sie  in  d^  That  im  Laufe  des  Tages  herrschen. 
Der  Mittagswind  ist  aber  nn  Gebirgsstationen  häufig  der  schwächste 
des  ganzen  Tages,  da  die  im  Spiel  der  auf-  und  absteigenden  Lull- 
ströme aus  der  Ebene  heraufgedruugenen  Luftmassen  ihre  geringere, 
durch  Reibung  behinderte  Geschwindigkeit  mitbringen.  Doch  dürfte 
Elaustiial  noch  nicht  hoch  genug  gelegen  sdn,  um  hierdurdi  beeinflnsst 
zu  werden. 

Einen  deutlichen  Einfluss  der  Gebirge  auf  die  Windverhältnisse 
von  Mitteldeutschland  ^v^irde  man  auch  aus  einer  Statistik  der  Stürme 
erkennen  können.  Leider  reicht  für  diese  Untersuchungen  das  verfüg- 
bare Material  zur  Zeit  noch  durchaus  nicht  zu  mid  müssen  dieselben 
daher  einer  späteren  Gelegenh^t  vorbehalten  bleiben. 

Wir  dürfen  jedoch  das  Kapitel  vom  Luftdruck  und  Winde  nicht 
schliessen.  ohiw  einer  Erscheinung  Erwähnung  gethan  zu  haben,  deren 
erste  Konstatierung  auf  Grund  des  dichten  Stationsnetzes  in  Mittel- 
deutschland durch  den  Verfasser  bewirkt  worden  ist.  Es  ist  dies  der 
Föhn  in  den  deutschen  Mittelgebirgen. 

Unter  denselben  begünstigenden  Umstünden,  unter  welchen,  wie 
wir  schon  oben  erwähnten,  in  den  nördlichen  Alpenthälern  Föhn  ent- 
steht, also  infolge  der  einseitigen  Abführung  der  Luft,  wie  sie  durch 
barometrische  Depressionen,  welclie  den  Kanal  kreuzen,  hervorgerufen 
wird,  können  wir  auch  an  den  nördlichen  Abhängen  und  Thälem  des 
Harzgebirges  und  des  Thüringer  Waldes  die  charakteristischen  Föhu- 
erscheinungen,  wenn  «ach  sdbstredend  in  abgeechw&diter  Intensit&t, 
wahrnehmen.  Einer  der  charahtmstischesten  derartigen  Fälle  trat  am 
1.  Januar  1883  ein  und  wurde  vom  Yertaaser  persönlich  in  Wernigerode 
beobachtet.  Da  derselbe  als  Muster  fUr  alle  übrigen  analogen  Er- 
scheinungen dienen  kann,  sei  derselbe  etwas  ausführlicher  erörtert. 

Am  L  Januar  lag  westlich  von  Schottland  eine  Depression  von 
745  mm  Tiefe,  welche  einen  Eeü  niederen  Luftdrucks  südöstlich  bis  in 
die  Gegend  Ton  Hannover  vorgetrieben  hatte;  im  südlichen  Frankreich 


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Der  Einfliu»  der  Gebirge  auf  das  KUma  too  MitteULeutflchlaad.  348 


und  im  südlichen  Centraieuropa  lagen  zwei  getrennte  Gebiete  hohen 
Luitdrucks.  Im  Laufe  des  Tages  fiel  das  Barometer  im  Nordwest  um 
fiist  10  mm,  stieg  dagegen  in  SüddeutscUand  um  mehrere  Ifillimeter. 
Durch  diese  fortst  hreitende  Yentärkuog  der  Druckdifferenz  wurde  ein 
starker  Gradient  nach  Nord  zu  erzeugt,  welchem  folgend  die  Luftmaasen 
Norddeutschlands  leicht  und  ohne  Hindernis,  diejenigen  von  Mitt<>l(Ieutsch- 
land  und  besonders  die  südlich  vor  den  (Tel)irgeu  lagernden  nur  zögernd 
und  iungsumer  nach  der  Depression  liiu  abströmten.  Hierdurch  ent- 
stand eine  LuftverdUnnung  an  den  Nordrandem  ^et  quer  zur  Strömung 
sich  erstreckenden  beiden  Gebirge  Harz  und  Thüringer  Wald,  welche 
dazu  führen  musste,  daas  die  den  Kamm  Übersteigenden  Luftmasseiif 
statt  horizontal  dem  zur  Depression  hin  gerichteten  Znp^e  zn  folgen, 
mit  grosser  Gescluvindigkeit  abwärts  stürzten  und  bei  diesem  Sturz  in- 
folge zunehmender  Kompression  erwärmt  wurden.  Da  sie  bei  üu-em 
Aufsteigen  an  der  Luvseite  des  Gebirges  infolge  der  zunehmenden  Ab- 
kflhlung  durch  abnehmenden  LuftdrucK  den  grOssten  Teil  ihres  Wasser- 
gases durch  Kondensation  verloren  hatten,  nmssten  sie  im  Lee  relativ 
trocken  ankommen  und  infolgedessen  die  Differenz  der  Temperatnr- 
änderungen  mit  der  Höhe .  wie  sie  zwischen  feuchter  und  trockener 
Luft  besteht,  zu  enier  beträchtlichen  Zunahme  der  Leeseiten- Temperatur 
ausnutzen. 

So  herrschte  um  8  Ühr  abends  in  Nordhausen  (in  222  m  HShe) 

eine  Temperatur  von  7  ",5,  auf  dem  Brocken  (1 142  m)  5",5,  in  Wernigerode 
(rirra  210  m)  aber  beobachtete  der  Verfasser  selbst  13^5.  Der  Wind 
war  Südwest,  in  Nordhauseu  massig,  auf  dem  Brocken  stark,  in  Wernige- 
rode bei  klarem  Himmel  stürmisch,  in  kurzen  heftigen  Böen  wehend.  In 
Nordliausen  und  auf  dem  Brocken  fiel  ziemlich  starker  liegen. 

Unser  Profil  5  kann  uns  in  seinem  mittleren  Teile  dazu  dienen, 
die  einschlägigen  Verhältnisse  zu  verfolgen,  wo])ei  wir  natürlich  ni(*ht 
vei^essen  dürfen,  dass  der  Höhenmassstab  der  Profile  ein  anderer  ist 
als  der  '1er  Läntr«'.  Von  Nordhausen  aus  in  222  in  TTrdu' .  im  Profil 
der  Lage  von  Scluirzteld,  welches  etwas  westlicher  liegt,  entsprecliend, 
stieg  feuchte  Luit  mit  der  Temperatur  von  7  ",5  an  der  Luvseite  des 
Gebirges  in  die  Höhe.  Da  die  Luft  nahezu  mit  Wassergas  gesättigt 
war,  wie  der  am  ganzen  Tage  herrschende  feuchte  Nebel  und  die  relative 
Feuchtigkeit  von  99"»  bewies,  so  bedurfte  es  nur  eines  geringfügigen 
Aufsteigens.  um  das  Wassertj-as  zur  Verdichtung  zu  bringen.  Alle  auf 
der  Luvseite  des  Gebirges  liegenden  Stationen  meldeten  100 ''o  relative 
Feuchtigkeit  und  Hegen,  auch  der  Brocken  ebenso.  Dieser  die  ganze 
Luvseite  einnehmenden  Dampfsftttigung  ist  es  auch  zuzuschreiben,  dass 
die  Abnahme  der  Temperatur  mit  wachsender  Höhe  so  ausserordentlich 
langsam  erfolgte,  dass  dieselbe  bis  zur  Brockenhöhe  nur  2*^,  also  bei 
einer  Höhendifferenz  von  92<»m  nur  um  0",2  auf  100  m  betnig.  Auf 
diesem  Wege  muss  jedoch  die  aufsteigende  Luft  den  grössten  Teil 
ihres  Wassergasgehaltes  durch  Kondensation  eingebUsst  haben,  so  dass 
sie,  in  doi  luftverdttnnten  Eaum  nördlich  vom  Brockengebirge  mit 
Vehemenz  niederstürzend,  die  Temperaturzunahme  trockener  Luft  er- 
fahren konnte.  Auf  diesem  abwärts  g^diteten  Wege  von  930  m  Höhe 
wurdt  die  Luft  durch  Kompression  um  volle  8"  erwärmt,  was  einer 

Fonduatm  sur  dmitMlMs  LMidM-  and  VoUnkunda.  I.  &  24 


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344 


A—maim» 


[34 


Zuiuihnie  von  U'',84  aut  100  m  entspricht.  Leider  liess  sicli  die  relative 
Feuchtigkeit  iu  VVernigerode  nicht  feststellen,  doch  belehrte  der  heitere 
Himmel  darüber,  dass  sie  jedenfalls  aemlich  weit  vom  Sattigungspankte 
entfernt  lag.  Die  Wäniic  war  in  Wernigerode  ^ne  geradezu  frappante 
und  drückende.  Aelinliclie  Ersclieinungen  der  Konipressionserwär- 
mung  wurden  auch  in  Bailenstedt  beobachtet,  woselbst  10 ".5  notiert 
wurden,  während  gleichzeitig  Quedlinburg,  weiches  dem  Gebirgsabfiedi 
etwas  ferner  liegt,  nur  G^8  hatte. 

Am  Thüringer  Walde  Z6i|[ten  sich  analoge,  wenn  auch  weniger 
intensive  Erscheinungen:  Meinrngen  (311m)  hatte  8^0,  fiahnmgen 
(253  m)  S'*,  !,  während  auf  der  Nordseite  Eisenach  (275  m)  ^^0,  Arn- 
stadt (287  m)  lO'Vi,  Erfurt  (l!t7m)  HM»,  Rudolstadt  (217m)  12".2 
beobachteten.  Die  Gebirgsstationen  Grossbreitenbach,  Oberhof  und 
Inselsberg  hatten  gleichzeitig  8  ",9,  8",0,  7",2,  sodass  eine  noch  viel 
langsamere  Temperaturabnahme  nach  oben  vorhanden  war,  als  an  der 
Luvseite  des  Harzes.  Dagegen  betrug  die  Erwärmung  der  nieder- 
strömenden Luft  durch  Kompression  im  Lee  des  Gebirges  zwischen  dem 
Inselsberg  und  Sal/ungen  fast  4*^  bei  einer  HTihendifferenz  von  ()30  m. 
was  einer  Zunahme  von  0'',()4  auf  100  m  enb^pricht;  zwischen  Gross- 
breitenbach und  Rudolstadt  betrug  diese  Wärmezunahme  0*^,8  auf  lOO  m. 

Gleichzeitig  wurden  auch  vom  Nordrande  der  Alpen  Föhnerschei- 
nungen (Friedrichshafen)  gemeldet. 

Aehnliche  Verhältnisse  traten  am  22.  Januar  1884  an  den  Nord- 
rändem  beider  Gebirge  auf,  als  eine  tiefe  und  grosse  Depression  sich 
über  die  nördlirbe  Nordsee  hinwegbeweorte.  Hier  hatten  die  Rand- 
stationen des  Har/es  heftige  vStürme  bei  tTockenem  Wetter,  während 
auf  dem  Gebirge  selbst  bei  massigem  W  inde  Schnee  und  Hegen  in 


Ein  sehr  interessanter  Föhn  trat  am  1.  Februar  1885  am  Thfi- 
ringerwalde  nnd  zwar  abermals  gleichzeitig  mit  einem  schweren  Föhn- 
sturm in  Trogen,  Glarus  und  Basel  auf.  Auf  die  nähere  Beschreibung 
dieses  interessanten  Phänomens  müssen  wir  indes  hier  verzichten,  ver- 
weisen vielmehr  auf  die  bezüglichen  Angaben  in  Nr.  4  der  vom  Ver- 
fasser herausgegebenen  meteoix>lofftBchen  Monatsschrift  .das  Wetter*, 
n.  Jahrgang  S.  72,  wo  eine  ausflmrliche  Angabe  der  betreffenden  Ver- 
hältnisse zu  finden  ist. 

Für  den  Zweck  unserer  Arbeit  würde  es  neben  der  Konstatierung 
dieser  exquisiten  Gebirgswirkung  darauf  ankommen  festzustellen,  ob 
fohnartige  Erscheinungen  derartig  häufig  an  unseren  Gebirgen  vor- 
kommen, dass  sie  imstande  wären,  einen  namhaften  Einfluss  auf  das 
Klima  der  Hinterländer  oder  auch  nur  einzelner  Thaler  auszuüben,  wie 
es  von  einigen  der  nördlichen  AlpenthUler.  z.  B.  dem  Illthal  bei  Blu- 
denz  (Vorarlberg)  konstatiert  worden  ist.  Bludenz  hat  in  jedem  Jahr 
insgesamt  einen  Monat  lang  Föhn,  sodass  eine  deutliche  Temjx  rahir- 
erhöhung  dieses  Thaies  anderen  gegenüber  hierdurch  bewirkt  wnrd,  was 
sich  auch  iu  der  Vegetation  ausspricht 


*)  Ueber  die  FOhneracheinangen  in  den  Alpen  vgl.  Hann,  Handbncfa  der 
Klimatologie  S.  208  ff. 


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Der  fimflim  der  Gebirge  «nf  cUw  KUma  von  Mitteldeutediland.  345 


Für  unsere  erheljlich  iiieflri<reren  Gebirge  kann  der  EiVekt  natur- 
geinäää  nur  ein  bedeutend  scliwiU  herer  sein,  sodass  ähnliche  Verhültnisse, 
wie  in  Bludenz,  nicht  zu  bemerken  sein  können.  Ausserdem  wird  eben 
auch  wegen  der  geringen  Intensität  die  Eracheiiiiiiig  häufig  unbeachtet 
bleiben  mttssen,  oder  kann  wenigstens  nicht  mit  aller  Schärfe  nach- 
g(  ^Viesen  werden.  Aus  den  letzten  Jahren  sind  ausser  den  angefllhrt^^n 
hauptsächlich  noch  die  Tage  vom  27.  November  1881,  17.  Deceniher  1881, 
30.  Januar  18H;{,  20—24.  November  1883,  1.  Februar  1884  als  solclie 
zu  nennen,  an  welchen  deutlichere  l'öhuartige  ErscheLnungeu  zu  be- 
obachten waren.  Wir  werden  jedoch  später  in  dem  Kapitel  yon  dem 
Fiintluss  der  Gebirge  auf  die  Hydrometeore  sehen,  wie  eine  wiclitige 
Erscheinung  des  Föhns,  die  geringere  Bewölkung  und  geringere  Regen- 
menge an  der  Nordseite  der  Gebirge  eng  mit  den  erörterten  Differenzen 
des  Luiklrucks  an  den  verschiedenen  Seiten  der  Gebirge  zusammeu- 
hüugt  und  sich  auf  weite  Entfernungen  hin  zeigt. 

Fassen  wir  zum  Schluss  dieses  ersten  Kapitels  Ober  den  Kinfiuss 
der  Gebirge  auf  die  Luftdruck-  und  Windverhältnisse  von  Mitteldeutsch- 
land  unsere  Resultate  zusammen,  so  finden  wir  folgendes: 

1.  Nördlich  vom  Harzgebirge  und  dem  Thüringer  Walde 
zeigen  sich  in  den  Jahres-  und  Jahreszeiten-Mitteln  kleine 
Gebiete  niederenLuftdruckes,  welche  zwar  die  Hauptströmung 
der  Luft  nicht  abzulenken  vermögen,  wohl  aber  die  übrigen, 
weniger  konstanten  und  starken  Windrichtungen  in  der  Weise 
beeinflussen,  dass  diejenigen,  welche  ihrem  Aspirationszuge 
folgen,  die  zweithiiiifigsten  werden. 

2.  Die  Gebirgswinde  treten  in  den  mitteldeutschen  Ge- 
birgen in  voller  Deutlichkeit  auf  und  erstrecken  ihren  Eiu- 
fluss  bis  in  die  gebirgsnaheu  Niederungen. 

3.  Die  stärksten  Winde  sind  fttr  die  gebirgsnahen  Gegen- 
den diejenigen,  welche  nicht  vom  Gebirge  herkommen. 

4.  Die  Gebirge  beeinflussen  die  Ventilation  mancher 
Thäler  und  Niederungen  in  der  Weise,  dass  Windstillen  eine 
ausserordentliche  Häufigkeit  erreichen. 

5.  In  den  nördlichen  Thälern  und  Rändern  der  beiden 
Hanptgebirge  Mitteldeutschlands  kommen  deutlich  ausge- 
prägte föhnartige  Erscheinungen  zur  Winterszeit  vor. 

B.  Temperatorverhiltnirae. 

Es  kann  nicht  Zweck  der  vorliegenden  Arbeit  sein,  nur  diejenig»*n 
Faktoren  zu  betrachten,  bei  welchen  ein  starker  und  augenfälliger  £in- 
fluss  der  Gebirge  hervortritt,  vielmehr  müssen  wir  auch  festzustellen 
suchen,  auf  welche  klimatischen  Elemente  die  Bodenerhebungen  keinen 

oder  nur  einen  geringen  und  gelegentlichen  Einfluss  ausüben.  Letzteres 
wird  um  so  mehr  utitig  sein,  wenn  dieses  Resultat  des  geringen  Eintlusses 
ein  unerwartetes  und  der  gewöhnlichen  Anschauung  widersprechendes  ist. 

Li  dieser  Lage  befinden  wir  uns  bei  der  Erörterung  der  Tem- 
peraturverhältnisse, deren  Abhängigkeit  von  den  Bodenerhebungen  ohne 
eingehendere  Befarachtung  als  eine  sehr  bedeutende  angesehen  wird. 


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346 


Ammann, 


Zweifellos  ist  dies  auch  im  holieii  Masse  der  Fall,  wenn  wir  deu  Be- 
griö'  , Klima  von  JVlitteldtutscliiaad"  m  semem  weitesten  Sinne  fassen, 
so  dass  darunter  z.  B.  auch  die  von  der  Höhenlage  der  einzelneii  G^^den 
oder  Orte  direkt  abhängiflen  YerhSltniBse  oder  die  Einflüsse  der  Ex- 
position eines  Ortes  g^^ttoer  der  Sonneneinstrahlung  verstanden  werden. 
Suchen  wir  da<::^egt'n  in  enf^erer  Begrenzim^^  unseres  Themas  nur  den 
Kintluss  testzustellen,  welchen  die  Gehirge  nicht  auf  sich  selbst,  simderii 
auf  ihre  nähere  und  fernere  Umgebung,  auf  Mitteldeut,schlaud  ais  Ganzes 
ausüben,  eo  werden  wir  nur  T^iftltiiinnlBag  dttrftige  Besnltate  bei  den 
Temperaturverhältnissen  finden. 

Ehe  wir  jedoch  an  diese  Untersuchung  selbst  herangehen,  ist  es 
notwendig,  Uber  das  benutzte  Beobachtungsmatenal  zu  berichten  und 
dessen  ZuviM-lässigkeit  zu  bestimmen. 

Jeder  Meteorologe  weiss,  dass  die  Bescliuüung  völlig  einwurfs- 
freien Temperaturmai^ials  zu  den  schwierigsten  Auigabeu  gehört,  welche 
die  praktische  Beobaditnng  kennt  Die  Sdiwierigkeiten  der  An&teUung 
von  Thermometern,  welche  weder  von  der  Sonne,  noch  von  reflektierter 
Wärme  getrolFen,  dabei  aber  dein  Luftwechsel  genügend  ausgesetzt 
werden  sollen,  welche  in  möglichst  gleicher  Höhe  über  dem  Erdboden 
fern  von  allen  künstlichen  W'Urniec^uellen,  gegen  Regen  geschützt  au- 
gebracht sein  sollen,  werden  uui-  an  sein-  wenigen  Stationen  als  völlig 
Überwunden  angesehen  werden  dürfen. 

In  unserem  BeobachtungSgebiete  finden  wir  Aufstellung(  n  (h  r  vei> 
schiedensten  Art  und  in  allen  möglichen  Höhen  über  dem  Erdboden 
vor.  trotzdem  überall  in  der  möglichsten  Weise  Rücksicht  auf  die  be- 
kannten Desiderate  einer  guten  Aufstellung  genommen  worden  ist. 
Dasselbe  ist  von  den  Beobachtungszeiten  zu  sagen,  welche  in  Ofaciiem 
Arrangement  Tertreten  sind  —  hier  kann,  was  man  sich  nicht  scheuen 
darf,  auszusprechen,  nur  der  Zwang  Abhilfe  schaffen.  Solange  die 
mühsamen  und  opfervollen  met«  i<  »logischen  Beobachtungen  allein  auf 
dem  guten  Willen  der  Beobachter  beruhen,  so  lange  wird  es  nicht  ge- 
lingen, die  Prinzipien  der  korrekten  Beobachtung  als  das  einzige  und 
unweigerhche  Erfordernis  bei  der  Einrichtung  von  Stationen  und  Be- 
stellung Ton  Beobachtern  gelten  zu  lassen  und  Yon  der  Bequemlichkeit 
in  Oeitiichkeit  und  Zeit  völlig  Abstand  zu  nehmen.  Und  dies  kann 
nur  auf  zwei  Wegen  erreicht  werden,  dem  Wege  der  Besoldung  der 
Beobachter,  wie  es  im  Königreich  Bayern  zum  grossen  Segen  der  Saelie 
üblich  ist .  oder  indem  man  die  Beol)achtungeu  Beamten  oder  solchen 
Persönlichkeiten  überträgt,  welche  durch  irgend  eine  disciplinare  Ge- 
walt zur  Vernachlässigung  der  Bequemlichkeitsrücksichten  gezwungen 
weiden  kOnnen.  Wenn  man  an  massgebender  Stelle  diejenigen  Beru&- 
klassen,  welche  naturgemäss  der  Witterungsbeobachtung  am.  nSchaten 
stehen,  also  die  Land-  und  Forstwirte,  für  die  Uebertragung  von  Be- 
obachterposten ins  Auge  fassen  würde,  .so  würde  sich  mit  Leichtigkeit 
ein  grosser  Schritt  nach  vorwärts  in  dieser  Richtung  thun  lassen:  der 
Staat  verpachte  keine  Domäne  mehr  ohne  die  Bediugimg,  dass  eine 
meteorologische  Station  nach  Vorschrift  des  Centralinatitutes  dort  er- 
richtet werde  und  setze  eine  Konventionalstrafe  fest  fOx  VemachlässiT 
gung  der  Beobachtungen;  der  Staat  rerlange  Ton  jedem  Oberförster 


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Der  EinflmM  der  Gebirge  auf  das  KUma  von  Mitteldeatschland.  347 


die  Errichtung  und  Instandhaltung  einer  Station  in  seinem  Revier, 
deren  Beobachtungen  unter  seiner  Oberaulaicht  und  N  erautwortlichkeit 
zn  erfolgen  haben,  und  man  wird  binnen  kurzem  gegen  1500  meteoro- 
logische Stationen  im  preussischen  Staate  haben,  bei  welchen  die  Korrekt- 
heii  der  Beobachtungen  einziger  Zweck  ist. 

Bass  es  möglich  ist.  auf  diesem  Wege  das  gewtinsclit»«  Ziel  zu 
erreichen,  beweisen  die  einschlägigen  V  erhiiltnisse  im  Herzogtum  liraun- 
schweig,  wo  durch  die  Energie  eines  Mannen,  welcher  in  der  Lage  ist, 
die  Fombeamien  fitr  seine  WAnsehe  dienshdlUg  zn  madien,  ^n  Corps 
TOn  Beobachtern  unter  den  herzoglichen  ObenÖrstCTn  entstanden  ist, 
deren  Au&eichnungen  dem  Ideale  sehr  nahe  kommen. 

Man  verzeilie  dem  Verfasser  diese  a})s<  h\veifenden  Betrachtungen, 
welche  sich  unwillkürlich  autdrängen,  wenn  man  den  aus  den  verschie- 
densten Rücksichten  entsprungenen  Metliodenreichtum  in  unserem  Ge- 
biete vor  Augen  hat. 

Zur  DanteUung  der  Temperaturrerhftltnisse  Von  Mitteldeutschland 
suditen  wir  alles  Material  zu  verwerten,  dessen  wir  habhaft  werden 
konnten,  beschränkten  uns  daher  nicht  auf  die  dem  Vereine  für  land- 
wirtschaftliche Wetterkunde  angeliörigen  Aufzeichnungen,  sondern  xoiren 
auch  die  in  den  Jahrbüchern  der  preussischen  Statistik  niedergelegten 
Daten,  soweit  sie  unser  Gebiet  betreffen,  in  den  Kreis  uniserer  Unter- 
suchung hinein.  Da  das  Königlich  preussische  meteorologische  Centrai- 
institut erat  seit  dem  Jahre  1882  eine  steigende  Yermehrung  seiner 
Beobachtungsstationen  vorgenommen  hat,  war  es  schwer  thunHch,  auf 
einen  längeren  Zeitraum  für  unsere  Zwecke  zurtlckzugreifen,  zumal  auch 
die  Beobachtungen  des  Vereines  ftir  landwirtschaftliche  Wetterkunde,  in 
der  Mitte  des  Jahres  1881  begonnen,  im  Jahre  1882  zuerst  vollständige 
Jahresresuliate  geben  konnten.  So  and  denn  im  wesentlichen  die  Airf- 
seichnungen  der  Jahre  1882,  1883,  1884  und  1885  unseren  Betrach- 
tungen zu  Grunde  gelegt  worden. 

Da  wir  uns  die  verhältnismässig  geringe  Beweiskiiift  derartig 
kurzer  Zeiträume  nicht  verhehlen,  auch  die  T<'mperaturverhältnisse  jener 
vier  Jahre  einseitig  abnorme,  d.  h.  durch  aubserordentiich  milde  Winter 
ausgezeichnete  waren,  vemMshtmi  wir  diesen  Handel  durch  Berechnung 
der  6jährigen  Mittel  von  allen  verwendbaren  Stationen  soviel  als  m0g- 
Kch  au>/.uglcichen.  In  diese  Reihe  kam  dann  der  sehr  kalte  Januar  1881 
und,  da  die  Jahresmittel  für  das  metcorologisrlic  Jahr,  welches  mit 
dem  Dezember  beginnt,  gebildet  wurden,  an(li  noch  der  noch  kältere 
Dezember  1879  hinein,  so  dass  die  hieraus  resultierenden  Mittelwerte 
den  normalen  näher  kommen  als  die  einseitig  abnorm  beeinfiitösteu 
der  vier  letzten  Jahre.  Bs  kommt  noch  hinzu,  dass  deren  Wärmever- 
haltnisse  allein  auch  deshalb  nicht  als  normale  Werte  gelten  können, 
weil  der  März  188.'?  eine  so  niedrige  Temperatur  in  Mitteldeutschland 
hatte,  wie  dies  ganz  ausserordentlich  selten  vorzukommen  pflegt,  z.  B. 
in  Magdeburg  innerhalb  der  letzten  öO  Jahre  nur  4mal  geschehen  ist. 

Trotz  aller  der  angeführten  Bedenken  erschienen  uns  die  vor- 
handenen Temperaturwerte  fttr  unseren  speziellen  Zweck,  welcher  ja 
keine  absoluten  kÜmatologischen  Masse,  sondern  ausscliliesslich  Relativ- 
zahlen verlangt,  ausreichend,  zumal  die  zur  Verwendung  kommenden 


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848 


L38 


Augabi- u  sich  alle  auf  deuselben  Zeitraum  beziehen  oder  doch  iu  Be- 
ziehung gebraclit  WOTden  sind. 

in  Bezug  auf  letztere  Thatsache,  dass  eine  Reduktion  soieher 
Benbacbiongardhoi,  welche  kleinere  Taicken  aufwiesen,  oder  auch 
s( »Klier,  von  welchen  nur  5-  oder  3jährige  Reihen  vorlagen,  auf  voll- 
ständige 0-  und  4jährige  Mittel  ausgeführt  werden  musste.  ist  es  noch 
uuBere  Pflicht^  iu  wenigen  Worten  die  hierbei  zur  Verwendung  gelaugt« 
Methode  daizustellen. 

Fehlten  einer  Beobachtnngsreihe  eine  oder  einige  Einzelbeob- 
achtungen oder  ganze  Monatemittel .  so  wurden,  wenn  möglich,  zwei 
benachbarte,  in  ilinü  T/iuren Verhältnissen  möglichst  älmhche  Stationen 
in  der  Weise  zur  Ergänzung  der  fehlenden  Werte  herangezogen ,  dass 
die  Difterenzen  der  vorhandenen  Angabe  für  die  entsprechende  Zeit- 
einheit, meist  also  für  einen  Monat,  ermittelt,  und  dass  vermittelst 
dieser  die  fehlenden  Angaben  nach  den  Torbandenen  Aufeeiebnungen 
der  Vergleichsstationen  ergänzt  wurden.  In  zweifelhaften  Fällen  ^vurde, 
wie  dies  Prof.  Hann  in  seiner  mustergültigen  Darstellung  der  Tempe- 
raturverhältnisse <ler  östcrreidiischen  Alpenländer  (M.  Teil)  vorschreibt, 
einer  Station  ähnlicher  Lage  aber  weiterer  Entfernung  der  Vorzug  ge- 
geben vor  einer  solchen  in  grosser  Nähe  aber  unähnlicher  Lage,  so  dass 
also  Qipfel  mit  Gipfel,  Thal  mit  Thal,  Sfldbang  mit  Sttdhang  Teiglicben 
und  der  Erglln/ung  unterzogen  wurde 

Um  ein  Beispiel  der  Methode  anzuführen,  mOge  die  Ergänzung 
der  für  Koburg  fehlenden  Reihe  des  Jahres  1882  aus  den  Aufzeich- 
nungen von  Meiningen  kiu-z  ;ingege1)en  werden.  Beide  Stationen  liegen 
am  westUchen  Abhänge  von  Bodenerhebungen,  welche  circa  450m 
hoch  sind,  Meiningen  m  811,  Koburg  in  824  m  Seehdbe,  beide  dstlicb 
von  einem  Wasserlaufe,  Werra  und  Itz,  in  einem  massig  breiten,  von 
sanft  abfallenden  Höhenzügen  cingefassten  Flussthale,  beide  Stationen 
nicht  auf  der  Thalsohle,  sondern  auf  einer  kleinen  Anhöhe  über  der- 
selben. Die  grosse  Aehulichkeit  der  Verhältnisse  erlaubte  hier  die 
Ergänzung  der  Beobachtungen  eines  ganzen  Jahres,  zumal  ohne  die- 
selbe die  Station  Koburg  gänzlich  hätte  aus  der  Reihe  der  zu  betrach- 
tenden gestrichen  werden  müssen,  was  wepen  der  geringen  Anzahl  der 
Stationen  südlich  vom  Thflringer  Walde  em  entscUedener  Verlust  ge- 
wesen sein  würde. 

Die  Jahre  1S!^3.  1884  und  ISS,')  lagen  von  beiden  Stationen  vollstänilig 
vor.  So  wurde  nun  der  Januar  1883  von  Koburg  mit  dem  Januar  1883 
von  Meiningen  verghcheu.  wobei  sich  zeigte,  dass  Koburg  em  um  0'',3 
niedrigeres  ICittel,  — 0^8  gegen  —  0^5  gehabt  hatte;  der  Januar  1884 
hatt«  in  Koburg  2^2,  in  Meiningen  2^^)  als  Mitteltemperatur,  also 
gleichfalls  0°,3  weniger  Wärme.  In  dieser  Weise  ^vurde  nun  der  Schluss 
gezoffen,  dass  überhaupt  der  Januar  in  Koburg  um  ()°,3  kälter  zu  sein 
j)riegt  als  in  Meiningen.  Da  nun  der  Januar  1882  in  Meiningen  eine 
Mitteltemperatur  von  — 0",7  aufwies,   wmde  unter  Berücksichtiguug 


')  Die Temperaturverbältnisse  der  Oesterreichiächcu  Alpeuländer  von  J.  Haan, 
Sitsnngsberichte  der  KaiBerl.  Akademie  der  WiBsenachaften  Bd.  Xdl,  1885,  II.  Ab- 
tettung.  Joni. 


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39]       ^  EinfluM  der  Oebicge  auf  das  Klima  von  Mitteldeutschland*  349 

der  gefundenen  mittleren  Januarkorrektion  von  —  0",3  für  Koburg  ein 
Januarmittel  von  —  1°,0  angenommen.  Die  weitere  Fortsetzung  dieses 
YerfaliTeiis  auf  das  ganze  Jahr  zeigte  indes,  dass  es  dnrcbaus  figJsch 
sein  vrürde,  diese  Korrektion  von  —  0*,3  fdr  das  ganze  Jahr  als  gültig 
zu  betrachten  und  demnach  ZU  Terfiiliren.  Es  zdgte  sich  vielmehir 
folgende  Korrektionsreihe : 
Dezember        Januar         Februar  März  April  Mai 

—  0«4       —  0",3       —  0",4        —  0",3         0»,4         —  0»,6 
Juni  Juli  August        Stptembor       Oktober  November 

—  0°,1       iO»0       +ü»,l        +0»,1       —  0«,3       —  0°,8. 

Eohurg  ist  also  in  den  Monaten  Juli,  August  und  September  etwas 
wänner,  sonst  aber,  und  am  meisten  im  November,  etwas  kälter  als 
Meiningen.  Bei  derarti<r  ausgeführten  Erj^änzungen  wird  sowohl  eine 
von  den  unvermeidiiciieu  Jieobachtungs-  und  Aufstellungsfehieru  nicht 
wesentMcih  abweichende  (Genauigkeit  erzielt,  ab  audi  die  Erhaltung  des 
Charakters  der  lokalen  Verhältnisse  der  ergänzten  Station  bewirkt. 

Da  w^ir  in  vorliegender  Abhandlung  nicht  eine  ausschliesslich  für 
Fachmeteorologen  bereclinefo  Arbeit  zu  liefern  haben,  wird  die  Angabe 
der  Reduktionsmethode  hiermit  genügend  ausgeführt  sein ;  ein  fach- 
wissenschaftliches Werk  mUsste  womöglich  die  sämtUchen  Korrektionen 
sdhst  wiedergeben. 

Aus  demselben  Grunde  sehen  wir  hier  ab  von  der  Wiedergabe 
der  Monatsmittel  sämtlicher  Stationen,  gel)on  vielmehr  in  folgender 
Tabelle  3  die  4j;ihrigen  Monatsmittel  und  Mittel  der  Jahreszeiten  und 
Jahre  einer  Arrzalil  ausgewählter,  für  unseren  Zweck  günstig  gelegener 
Stationen  aus  den  Jahren  1882  —  1885,  dazu  die  Mittel  der  Jahre  und 
Jahreszeiten  nach  Reduktion  auf  das  Meeresniveau.  Zum  Vergleich 
dieser  Werte  mit  einer  etwas  längeren  Reihe  sind  in  der  letzten  Spalte 
die  Ojährigen,  gleichfalls  auf  Meer  reduzierten  Jahresmittel  Ton  1880 
bis  1885  wiedergegeben  worden. 

Die  Gruppieriing  der  Stationen  ist  nach  klimatischen  Bezirken 
erlülgt.  wodurch  örtliche  Zusammengeliörigkeit  und  Aehnlichkeit  der 
zu  einem  Bezirke  gehörigen  Lagenverhältnisse  gewahrt  worden  sind.  Wir 
gewinnen  hierdurch,  da  besonders  die  Bodeneihebung  das  leitende 
Prinzip  für  die  Gruppierung  gewesen  ist,  auch  ans  den  Tabellen  sdbst 
die  Möglichkeit  einer  Beurteilung  der  Beziehungen  der  Temperaturen 
zu  den  Gebirgen. 

Eine  Darstellung  dieser  Verhültuisse  durch  Karten,  wie  man  sie 
wohl  für  geraten  halten  könnte,  hat  insofern  grosse  Schwierigkeiten, 
als  bei  der  vielfach  eng  lokalen  Beeinflussung  der  betreffenden  Werte 
durch  eigene  Höhenlage  oder  Lage  in  einem  tiefen,  die  Intensität  und 
Dauer  der  Besonnung  erheblich  modifizierenden  Thale  oder  an  einem 
Bergabhang  die  Tsotlierraen  einer  kartographischen  Darstellung  zwischen 
den  Stationen  willkürlich  angeordnet  werden  mUssteu,  sollte  nicht  die 
ffauze  Karte  in  lauter  Einzelgebiete  zerfallen. 

AU  idlgeiiHHiie.  Rmdt^  des  er<ri»n  TeOes  der  Mh«n 
dass  die,  abgesehm  TOn  dem  stark  lokal  beeinflussten  Eunrau,  nördlichste 
Station  dieser  Reihen,  Braunschweig,  ein  um  0^9  höheres  Jahresmittel 
hat  als  die  südlichste  unserer  Stationen,  Koburg;  ersterer  Ort  hat  Ö^,9, 


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350 

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41]      Der  Einflaaa  der  Gebirge  auf  da«  Klium  von  MitteldetttscUaad.  851 


letzterer  nur  8^,0  im  4jährigen  Mittel.  Trotzdem  Koburg  um  volle 
2  Breitengrade  südlicher  liegt  als  Brauuschweig,  macht  doch  die  höhere 
Lage  von  Eoburg  den  theimiacheii  Vorteil  der  sOdlicliereii  Breite  mehr 
als  wett.  Die  höchsten  Jahresmittel  finden  wir  mit  9^,1  ni  Schwane- 
beck und  Dessau,  aLso  Stationen,  welche  im  Flachlande  gelegen  sind. 
Die  niedrigsten  Werte  geben  uns  die  Gebirgsstationen .  von  welchen 
der  ln^el:sl)»*rg,  da  die  Heihen  \om  Brocken  leider  nnvoll.standig  sind, 
mit  4",3  obenan  steht.  Eine  dreijährige  Keihe  ergab  für  den  Brocken  2^3. 
Durchmiutem  wir  in  grossen  Zflgen  die  Mittel  der  Monate,  so  finden 
wir  den  Dezemher  nur  auf  den  Höhenstationen  unter  0^  wlhrend 
der  Januar,  von  den  Gebirgsorten  abgesehen,  fast  in  allen  südlidi 
vom  Harze  gelegeneu  Stationen  seine  Mittelwänne  unter  dem  Gefrier- 
punkt hat. 

Dasä  es  nicht  die  Höhenlage  allein  ist,  welche  diese  niedrigeren 
Werte  herrorruft,  sehen  wir  aus  dem  Vergleich  der  Stationen  Kor^ 
betha  ( —  0^3)  und  Schwanebeck  (0^7),  weläe  nahezu  gleiche  Meeres- 
hohe  haben;  noch  deutlicher  zeigt  sich  dieses  bei  Erfurt  ( —  0",7)  und 
Langensalza  (0",:{),  trotzdem  I  tztere  Station  etwas  höher  liegt  als 
erstere.  Der  Januar  ist  in  Erfurt  ebenso  kalt  wie  in  Koburg,  trotzdem 
letzterer  Ort  um  128  m  höher  liegt. 

Wir  sehen  also,  dass  ausser  der  Höhenlage  eines  Ortes  noch 
andere  Faktoren  Einfluss  auf  die  TemperaturreräliDisse  ausflben,  als 
deren  wichtigsten  wir  bei  den  meisten  nOrdHch  vom  Harz  gelegenen 
Stationen  die  Meeresnähe,  bei  den  übrigen  Orten  aber  die  durch  die 
Bodenkftnfigiiration  bedingten  YerhiiUiiisse  der  Exposition  gegen  die 
•Sonne  und  gegen  vorherr-schende  ^Vinde  zu  nennen  haben. 

Wie  schon  aus  der  Tabelle  bis  zu  einem  gewissen  Grade  ersicht- 
lich ist,  wfirde  eine  kartographische  Darstellung  der  Mitteltemperaturen 
zeigen,  wie  die  Temperatur  mit  wachsender  Meereshöhe  abnimmt,  und 
insofern  könnte  sie  unserem  Zwecke  dienlich  sein,  die  IsoÜiannen  würden 
mit  den  Isohypsen  nahezu  zusammenfallen :  doch  wollen  wir  nirlit  diese 
bekannte  Thatsache,  sondern  den  Einfluss  der  Gebirge  auf  die  Temperatur 
der  Luigebuug  untersuchen,  und  zu  diesem  Zweck  werden  unsere  Mittel- 
werte Oberhaupt,  wenn  wir  nicht  den  Einfluss  der  eigenen  Höhenlage 
der  Stationen  ausschalten,  unbrauchbar  sein. 

Zwar  darf  man  sich  nicht  verhehlen,  dass  durch  eine  Reduktion 
auf  den  Meeresspiegel,  denn  liiernm  kann  es  sich  nur  handeln,  die  that- 
siithlichen  Verhiiltnisse  nur  uimühernd  getrotlen  werden  können,  welche 
herrschen  würden,  wemi  mau  jede  Station  als  im  Niveau  des  Meeres  lie- 
^nd  sich  denken  wollte,  da  der  Betrag  der  Temperaturabnahme  mit  der 
Höhe  eine  stark  lokale  Erscheinung  ist.  In  trockener  Luft  betragt  dieselbe 
mit  voller  QesetemSssigkeit  1  '^.O  auf  100  m ;  an  den  Luvseiten  der  Qe- 
birge  und  in  den  meeresnahen  Gebirgen  beträgt  sie  sehr  viel  weniger 
als  an  den  trocknen  Leeseiten  oder  an  kontinentaleren  Erhebungen. 
Trotzdem  ist  es,  um  ein  Bild  des  Einflusses  der  Gebirge  auf  ihre  Um- 

Sebung  zu  erlangen,  notwendig,  mittelst  eines  gemeiuschaiUichen  Re- 
uktionsfiEiktors  den  Einfluss  der  eigenen  Höhenlage  der  Stationen  zu 
eliminieren.  Als  diesen  Faktor  haben  wir  den  für  unsere  Verhältnisse 
der  Wahrheit  am  nächsten  kommenden  von  0^5  auf  100  m  Erhebung 


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352 


A— mana, 


[42 


angenommen  und  demuacb  die  in  den  letzten  Spalten  der  Tabelle  ver- 
zeichneten Jahres-  und  Jahreszeitenmittel  erhalten. 

Die  Eintragung  dieser  vom  Einfluas  der  eigenen  Höhenlage  befreiten 
Temperaturwerte  in  Karten  wQrde  in  Übersichtlicher  Weise  die  übrigen 

thermisch  wirksamen  Faktoren  veranschaulichen.  Wir  gehen  daher,  da 
der  dieser  Arbeit  gesteckte  Ualinien  eine  weitere  Detaillierung  nicht 
erlaubt,  die  Kai'te  der  reduzierten  Jaliresmittel  (Karte  3)  wieder,  während 
wir  in  betreff  der  Jahreszeiteumittel  auf  die  Tabelle  verweisen  müssen. 

Wir  bemerken  zunSchst  in  dieser  Reihe,  dass  eine  grosse  Gleich- 
mftssigkeit  der  Werte  eingetreten  ist .  sodass  von  einem  in  die  Augen 
springenden  Eintiuss  der  Bodenerhebungen  auf  die  Temperatnrvertei- 
lung  nicht  die  Rede  zu  sein  scheint. 

Sehen  wir  uns  die  Kurte  und  Tabelle  etwas  näher  an,  so  tinden 
wir  mit  emein  Mittel  unter  U°  folgende  Stationen,  welche  wir  nach 
ihren  Mittelwerten  ordnen  wollen: 

Klausthal  8^5  (592  m),  Kunrau  8»,7  (63  m),  Sulza  8^8  (134  m), 
Inselsberg  8^8  (906  m).  Eisenach  8^8  (275  m).  Die  gleiche  Mittel- 
temperatiir  von  S^'.S  hat  die  wegen  einiger  Lticken  in  der  Tabelle  nicht 
mit  aufgeführte  Station  Katzhütte  (VM  ni).  Wir  sehen  zunächst  hier- 
aus, dass  es  nicht  ein  unrichtiger  Keduktionsfaktor  sein  kann,  welciier 
das  Mittel  erniedrigt,  da  es  ule  Expositionen  und  Hdhenlagen  sind, 
welche  diese  Temperaturabweichungen  zeigen.  Würde  man  die  Thot- 
sache,  dass  die  Hdhenstationen  als  zu  kalt  erscheinen,  für  sich  betrachten, 
so  würde  man  zu  dem  Schluss  kommen,  dass  ein  grösserer  Faktor 
als  0*^,5  in  Anwendung  hätte  kommen  müssen,  um  Uebereinstimmuug 
mit  der  Umgebung  zu  erzielen.  Es  würde  hieraus  ein  geringerer  Wasser- 
gasgehalt derjenigen  Luftschichten  hervorgehen,  welche  jene  Gipfel- 
und  Hdhenstationen  umspülen,  wahrend  wir  doch  wissen,  dass  dieselben 
zum  Teil  in  derjenigen  Zone  liegen,  welche  das  iiiti^te  Wasser  in 
Gestalt  von  Wolken  enthalten.  Doch  ist  der  wirkliclie.  absolute  Wasser- 
gasgehalt in  grösseren  Höhen  ein  geringerer  als  in  tieleren  Lagen, 
für  1000  m  Höiie  beträgt  derselbe  nach  Hann  nur  0,73,  wenn  man  den 
in  0  m  vorhandenen  gleich  1,00  setzt.  Hauptsächlich  dürfte  aber  der 
an  den  Hdheostationen  stets  rege  Luftwechsel  zur  Erklärung  der  niederen 
Temperaturen  heranzuziehen  sein,  sowie  die  wegen  häufigez«r  Benetzung 
des  Erdbodens  und  auch  wegen  des  verminderten  Luftdrucks  verstärkt« 
Verdunstung,  welche  durch  Bindung  der  Wärme  abkülilend  wirkt. 
Hinzu  kommt  noch  der  beträchtliche  Wiirnieunterschied,  welcher  dadurch 
entsteht,  dass  im  Frühjahr  die  höheren  Lagen  noch  eine  Schneedecke 
tragen,  welche  ihrerseits  durch  Yerstftrkung  der  Ausstrahlung  und  durch 
Behinderung  der  Bodeninsolation  wärmehemmend  wirkt. 

Diese  Thatsachen  könnten  uns  die  niedere  Temperatur  der  Höh^- 
stationen  ausreichend  erklären,  nicht  aber  die  der  tiefer  gelegenen 
Stationen. 

Geht  man  bei  KatzhUtte  auf  die  lokalen  Verhältnisse  zurück,  so 
findet  man  leicht  den  ErUämngsgrund  für  'seine  niedere  Temperatur 
und  zwar  in  einer  direkten  Wirkung  des  Qebirges.  Katzhütte  liegt 
eingekeilt  zwischen  hohen  und  steilen  Bergen  im  oberen  Thüle  der 
Schwarza;  südwestlich,  südlich  und  südöstlich  liegen  die  höchsten  Er- 


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43]      Der  Einfluas  der  Gebirge  auf  das  Klima  von  IfitieldentMbland.  853 


hebungen  des  Gehirgskammes  an  <lit xt  Stelle,  der  Wurzel))erg  (860  m) 
und  die  Kursdorfer  Kuppe  (780  lu)  vorgela<^ort,  welche  um  40U  ra  das 
Thal  von  Katzhütte  überragen.  Die  Wirkung  dieser  Hciheii  auf  das 
Thal  von  Katzhütte  muss  zunächst  die  seiu,  daas  sie,  besouder^j  wühi'end 
des  Winters,  dieBesonnung  des  Thaies  für  biBtrftchUiche  Zeit  ftusschliessen. 
Bei  der  Steilheit  der  südlichen  WSnde  des  Thaies  wird  bei  niedrigstem 
Sonnenstande  im  Dezember  j^ogar  eine  Reihe  von  Wochen  vorkommen, 
an  welchen  die  Sonne  überluuipt  nicht  in  Kutzhütte  scheint,  da  die 
Sonne  auf  dem  51  ®  nördlicher  Breite  zu  dieser  Zeit  nur  eine  Mittags- 
höhe von  14*^,5  erreicht,  wodurch  eiu  Berg  von  400  m  relativer  Höhe 
seinen  Schatten  bis  auf  eine  Bntfemung  von  1,4  km  werfen  wQide. 
Das  Sdiwarzathal  hat  aber  an  dieser  Stelle  ^e  sehr  Tiel  geringere  Breite, 
sodass  nicht  nur  die  Thalaohle,  sondern  auch  ein  Teil  der  gegenüber- 
liegenden nördlirh(  II  ]^ori,'wand  dauernd  beschattet  bleiben  muss.  So- 
gar im  Xovenilu  r  und  Januar  beträgt  diese  Schattenlänge  noch  über 
1  km,  so  dass  Katzhütte  durch  diesen  Mangel  winterlicher  Sonnenbestrah- 
hlDg  eine  Art  Polarnacht  aufzuweisen  hat.  Während  dieser  Zeit  sinkt 
durch  Ansstrahlung  die  Temperatur  nicht  allein  wShrend  der  Nacht 
sondern  auch  zur  Tagzeit,  und  so  finden  wir  denn  in  KatzhQtte  das 
mittlere  Minimum  des  Jahres  188:3  mit  r,0,  das  von  1884  mit  P,8, 
während  das  benachbarte  3ßO  ni  höher  gel<'g»'n<'  N»^iihaus  am  Renn- 
steig nur  ein  solches  von  2**,4  erreicht.  Vergleichen  wir  die  mittleren 
Minima  der  5  Monate  November  bis  März  an  beiden  Stationen,  so 
finden  wir  für  Eatashtttte  —  4",0,  fOr  Neuhaus  a.  R.  —  3^,6  und  wenn 
wir  Neuhaus  auf  die  Höhe  von  Katzhütte  reduzieren,  ftir  orsteres  nur 

—  1",6,  sodass  Katzhüttc  um  3'*,3  kälter  ist  als  letzteres. 

Als  ferneren  Grund  für  ilic  nirdore  Temperatur  von  Katzhtitte 
haben  wir  die  Thatsacho  anzusehen,  dass  dieses  an  einem  Zusaninien- 
flubs  mehrerer  tiefer  Thäler  liegt,  in  welchen  die  nächtlich  an  den  Berg- 
abhftngen  erkaltete  Luft  yermöge  ihrer  Schwere  zusammenströmt,  dort 
einen  See  eiskalter  Luft  bildend,  wo  die  Thalung  eine  Stagnierung 
derselben  durch  Erschwerung  des  Abflusses  und  mangelnde  Ventilation 
büdet 

^Vlr  halten  die  \  erliiiltnisse  von  Katzhüttc  aus  dem  Grunde  etwas 
weiter  ausgeführt,  um  ein  charakteristisches  Beispiel  der  Gebirgswirkung 
auf  das  Sjima  zu  geben  —  allerdings  nur  eine  Wirkung  eines  eng 
nmgrenasten  Bezhrkes. 

Achnliches  würden  wir,  falls  der  zur  VerfOgung  stehende  Raum 
di»'s  §rlaubte.  noch  an  vielen  Stellen  finden  können.  Pie  nicdt  rp  Mittel- 
teniperatur  von  Eisniacli  rrklärt  sich  z.  B.  aus  demselben  Grunde,  da 
das  von  steilen  Wänden  eingefasste  Marienthal,  in  welchem  die  Station 
bis  vor  weniger  Zeit  lag,  ebenfalls  .von  einem  Strome  eiskalter  Luft 
in  der  Wintemnt  in  seinen  tieferen  Lagen  durchflössen  wird. 

Die  in  der  Tabelle  4  aufgeführten  absoluten  Minima  zeigen  ferner, 
wie  beträchtlich  diese  Abkühlung  unter  diesen  Verhältnissen  werden  kann. 

Katzhütte  erreichte  im  Mittel  ein  absolutes  Minimuni  von  —  20",8, 
Eisenach  ein  solches  von  —  20 ",0;  im  Jahre  1881  wurden  in  Eisenach 

—  26*,9,  in  Jena  — 27'',6,  in  Meiningen  — 26",5,  in  Langensalza 

—  25*,2,  m  Kassel  —  26*,6,  in  Schloiheim  —  25*,2,  in  Sondenhausen 


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354  Assmann,  [44 

Tubelle  ^  Mittlere  absointe  Maxima  und  Minima. 


Minima 


Difforenx 


Sonnenberg  . 
Klausthal  .  . 
Nordhausen  . 
Bmunschweig 
Kunrau  .  . 
Magdeburg 
Beniburg  .  . 
Schwanebeck 


Langensalza  .  . 
Erfurt  .... 
Sulza  .... 
Weimar  .  .  . 
Rudolstadt  .  . 
Kisenach  .  .  . 
Salzungen  .  . 
Meiningen 
Küburg  .  .  . 
Inselsberg  .  .  . 
GroHB-Breitenbach 
KatzhOtte  .  .  . 
Jena  .... 
Dessau  .... 


28,5 

-20.9 

49,4 

29,0 

-  15.5 

44,5 

31,8 

-  15.7 

47.5 

-Iti.O 

47.9 

32.8 

-13.9 

4Ö.7 

33,7 

- 13,9 

47.6 

-14.0 

47,6 

32,4 

- 13,5 

45.9 

-  13.5 

46,4 

33,H 

-  1»J,0 

49.0 

33,4 

-18,2 

51.6 

-20,4 

53,7 

32,M 

-  IBJI 

50,8 

-  18.9 

50,4 

3:],8 

-  20.»j 

54,8 

-  20.6 

53.0 

ai.4 

-17.4 

49,5 

-18,4 

49.8 

33,7 

-  18,0 

51.7 

2»5.0 

-  15,7 

41,0 

29.3 

- 16,5 

45,8 

31.3 

-  20.8 

.52,1 

-  20.3 

.54.9 

32,t> 

-12.4 

45.0 

—  erreicht.  Das  niedrigste  bislang  beobachtete  Minimum  wurde 
am  iL  .Januar  1880  in  Langensalza  mit  —  28", 8,  in  Erfurt  mit  —  27", 5, 
in  Sulza  mit  — 24  ",5.  in  Frankenhausen  mit  — 24  ",0  verzeichnet. 

Vergleichen  wir  hiermit  die  absoluten  Minima  von  Gross-Breiten- 
bach ,  welches  in  ti^^O  m  Meere.shöhe  nahe  dem  Kamm  des  Thüringer 
Waldes  liegt,  so  finden  wir  dessen  mittleres  absolutes  Minimum  nur  —  1(>  ".5, 
das  niedrigste  Mininmm  in  ü  Jahren  überhaupt  nur  —  11|^4  betragen. 

Durchmustern  wir  die  Reihe  der  mittleren  absoluten  Minima  in 
unserer  Tabelle,  so  finden  wir  solche  von  unter  — 20"  aus.schliesslich 
an  Stationen,  welche  in  Thälem,  und  zwar  in  Gebirgsthälern  oder  ge- 
birgsnahen  Niederungen  liegen,  denn  auch  Jena  liegt  noch  im  Bereiche 
des  von  den  erkalteten  Nordabhängen  des  Thüringer  und  Franken- 
Waldes  das  Saalthal  abwärts  fliessenden  kalten  Luflstromes.  Nur 
die  Station  Sonnenberger  Forsthaus  scheint  eine  Ausnahme  von  dieser 
R^gel  zu  machen,  da  diese  trotz  der  bedeutenden  Meereshöhe  von 
774  m  ein  mittleres  absolutes  Minimum  von  —  20 ",0  hat.  Allein  hier 
gibt  uns  ebenfalls  wieder  die  Oertlichkeit  Aufschluss:  das  Sonnenberger 
For.sthaus  liegt  in  einer  weiten  Mulde  am  Fusse  des  eigentlichen  Brocken- 
gebirges, welche  der  Grosse  Sonnenberg  und  Rehberg  abscliliessen,  auf 
einem  schwarzen ,  die  Ausstrahlung  stark  befcirdernden  Bruche ,  über 
welchem  die  vom  Brocken  und  den  anderen  genannten  Höhen  abflies- 
sende  kalte  Luft  einen  förmlichen  See  bildet.  Diese  Gegend  muss 
demnach  trotz  ihrer  hohen  Lage  der  Niederung  zugezählt  werden. 

Von  den  vorher  genannten,  sich  durch  niederes  Jahresmittel  aus- 


Der  EmfltoM  der  Gebirge  auf  das  Klima  toh  Uitteldeutechlaiid.  855 


zeichnenden  Stationen  bliebe  nur  noi  h  Kunniii  der  Erklärung  dieser 
Abnormität  bcdUrftii?.  Bei  Kunniu  kommt,  wie  wir  f»bf'n  schon  sahen, 
keinerlei  üebirgswirkung  in  Frage,  vielmehr  ist  hier  nur  die  starke 
AusBtnhluiig,  welche  dem  schwanmi  Moorboden  eigoi  ist,  und  die 
wärmebindende  Knit  der  reichlidien  Yerdiuietang  zur  £rkl&nuig  heran- 
zuziehen. 

Die  Diskussion  aller  Einzelheiten  der  gegebenen  Daten  in  den 
Tabellen  würde,  (jbwohl  sicherlich  manches  Interessante  und  für  unseren 
Zweck  Wichtige  bergend,  uns  viel  zu  weit  führen  und  muss  einer 
Detaflbearbeitung  an  anderer  Stelle  vorbehalten  bleiben. 

Um  allgemeinere  Gesichtspunkte  zu  gewinnen,  wollen  wir  die 
Karte  der  auf  Meeresniveau  reduzierten  Jahresuiittel  in  Verbindung 
mit  don  in  folgender  Tabelle  5  wiedergegebenen  mittleren  Maxima  und 
ilniima  der  Lufttemperatur,  sowie  der  in  Tabelle  ;3  gegebenen  redu' 
zierten  Jahreszeitenmittel  einer  kurzen  Betrachtung  unterwerfen. 

Ausser  den  schon  für  sich  im  Zusammenhange  besprochenen  Jahres- 
mitteln unter  9  ^  finden  wir  in  unserer  Karte  allgemein  die  Temperatur 
zwischen  9  und  1 0  °  liegend. 

Mit  grosser  Deutlichkeit  zeigt  aber  unsere  Karte  ferner,  dass 
Temperaturen  über  {♦".5  aussclüiesslich  in  den  im  Lee  von  Gebirgen 
gelegenen  Niederungen  vorkommen,  während  die  Abhänge  der  Luv- 
seiten der  Gebirge  trotz  ilirer  gUnstigeu  Exposition  gegen  Besomiung 
und  warme  Winde  eine  etwas  niedrigere  Mittelt^peratur  haben. 
Nördlich  von  den  Gebirgen  Harz,  Thüringer  Wald  und  auch  Rhön 
finden  sich  also  Gebiete  mit  einem  unverkennbaren  thermischen  Ueber- 
gewicht  gegenüber  ihrer  Umgebung. 

Die  Tabelle  der  mittleren  Maxima  und  Miiiima  der  Lufttemperatur 
lelirt  uns  folgendes:  Die  mittleren  Maxima  sind  im  Lee  der  Ge- 
birge durchschnittlich  höher  als  an  deren  Luvseite.  Beispiele 
geben  Braunschweig — Nordhausen,  Erfurt — Meiningen,  Rudolstadt — 
Meiningen  ab.  Die  mittleren  Minima  sind  im  Lee  des  Thüringer 
Waldes  nirlit  unix'triichtlich  niedriger  als  an  dessen  Südseite, 
am  Hurz  dagegen  verringert  sich  dieser  Unterschied,  da  hier  der  Ein- 
fluss  der  grösseren  Meeresnähe  die  Wirkungen  des  Gebirges  verwischt. 
AlsBeiBpiele  vergleiche  man  die  mittleren  Mimnm.  vonHeiniugen  mit  denen 
von  Erfort,  Jena  imd  Rudolstadt,  iriUirend  zwischen  Nordhausen  und 
Braunschwe^  ein  weniger  grosser  Unterschied  zu  konstatieren  ist. 

Auch  aus  den  in  der  let/trn  Spalte  der  Tabelle  verzeichneten  mitt- 
leren Jahresmaxima  und  Minima  wird  man  diesen  Unterschied  zwischen 
den  Süd-  und  Nordseiten  der  Gebirge  mit  voller  Deutlichkeit  erkennen. 
Koch  markanter  aber  zeigt  sich  die  thermische  Differenz  der  gegenüber- 
liegjNiden  Gebirgsränder  durch  die  folgende  kleine  Tabelle,  welche  die 
Differenzen  der  mittleren  .Jahresextreme  zum  Ausdruck  bringt. 

Hier  sehen  wir  die  mittlere  Jahresschwankung  von  Nordliausen  7",H, 
von  Braunschweig  7°,8,  von  Neuhaidensieben  8",3,  von  Magde})urg  H",t5 
betragen ,  so  dass  trotz  der  grös-seren  Meeresnähe  der  neirdlich  ge- 
legenen Stationen  ein  Einfluss  des  Gebirges  unverkennbar  ist.  Fehlt 
jedoch  dieser  Einfluss  der  Meeresn&he,  dann  wird,  wie  wir  an  den 
beiden  Seiten  des  kontinentaler  gelegenen  ThQringer  Waldes  sehr  schön 


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356 


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47]  Einflosa  der  Gebirge  anf  das  Klima  von  MitteldeutBchland.  $57 


bemerken  könueri,  die  Diii'erenz  eine  erlieblieh  grössere :  Meiningen  luit 
eine  Jahresschwankung  von  8*^,0,  die  im  Lee  des  Gebirges  liegende 
Station  Erfurt  eine  solche  Ton  9^5,  Jena  von  9*,6,  Rudolstadt  Ton 
10^7,  so  dass  letztere  ()it  eine  um  2^7  grossere  Schwankung  auf- 
weist, als  das  an  der  Luvseite  gelegene  Meiningen. 

Wir  können  ans  dieser  Tabelle  den  allgemeinen  Satz  ableiten, 
dass  die  Gel»ir^re  Mitteldeutschlands  den  Teniperatnrverhiilt- 
nissen  ihrer  im  Lee  gelegenen  ^iiederungeu  einen  erlieblich 
kontinentaleren  Charakter  yerleihen. 

Das  gleiche  Resultat  können  wir  auch  der  Tabelle  der  mittleren 
absoluten  Extreme  entnehmen,  deren  Differenzen  z.  B.  für  Meiningen 
49",8,  für  Salzungen  4^»^5,   fÖr  Eisenach  aber  53  ",<>,  für  Langen- 
salza r)r,6,  für  Erfurt  53°,?,  für  Kudolstadt  54^8,  für  Jena  54 
betragen. 

Durchmuatem  wir  in  Tabelle  8  die  reduzierten  Wintennittel, 
80  finden  wir  zum  Teil  die  schon  in  den  Jahreanitteln  bemerkten  Er- 
scheintmgen  der  oberen  kalten  Gebirgsthäler  wieder,  während  die  Höhen 
relativ  milde  Temperaturen  zeigen.  So  hat  der  Inselsbeig  ein  Mittel 
von  2",9,  während  Sulza  1",?  und  Eisenach  1  °,8  haben. 

Auffallend  erscheint  es  jedoch,  dass  der  Effekt  der,  wie  wir  oben 
sahen,  durch  Abströmen  erkalteter  Luft  an  den  Berghängen  bewirkten 
temperaturerniedrigenden  Gebirgswirkung  ein  so  eng  lokaler  ist,  dass 
wir  nicht  vielmehr  rings  um  die  Gebirge  berum  grosse  Seen  kalter 
Luft  im  Winter  wahrnehmen  können. 

In  der  That  kommen  diese  Verhältnisse  zu  Zeiten  in  ganz  ausser- 
ordentlicher Entwickelung  zur  Beobachtung,  wie  uns  die  beigegebene 
Karte  4  beweist,  welche  die  auf  Meeresuiveau  reduzierten  Monats- 
mittel des  ausserordentlich  kalten  Dezember  1879  zeigt.  Hier  finden 
wir  eine  Höhenschichtenkarte  vor  uns,  aber  in  umgekehrter  Anordnung: 
auf  den  Gebirgen  ist  die  Temperatur  selbst  im  Monatsmittel  um  volle 
3°  höher  als  in  den  Niederungen  rings  um  die  Gebirge.  In  der 
Börde  und  Altmark  stellt  »-in  See  kalter  Luit  von  enier  Temperatur  von 

—  5  im  ganzen  Tliünnger  Becken  ein  solcher  von  unter  —  7  süd- 
lich und  südwestlich  vom  ThOringer  Walde  aber  ein  solcher  Ton  unter 

—  r>  ^  Das  sind  ausgezeichnete  Fälle  von  Gebirgswirkung,  da  es  eben 
die  Gebirge,  die  Bodenerhebungen  überhaupt  sind,  welche  die  Aufstauung 
dieser  s»  Invcren  Luftmassen  ermöglichen  und  zum  grossen  Teile  durch 
Ausstrahlung  an  ihren  Abhängen  da«  Er.sat/.niiiteriül  für  die  durch  fort- 
üchreiteade  Zusammeuziehung  au  Volumen  abnehmenden  Luftmassen 
erkaltet  zuf&hren.  Doch  sind  diese  Falle,  obwohl  nicht  gerade  so  ausser- 
ordentlich selten,  dock  nicht  imstande,  in  längeren  Zeiträumen  erkenn- 
bare Spuren  zu  hinterlassen,  da  die  Hauptbedingung  fUr  deren  Zustande- 
kommen, die  möglichst  vitllkomuieue  Luftruhe.  wie  ^^ie  im  Tentrum  einer 
grossen  Anticyklone  vorkommt,  nicht  eben  häuliLr  ertüilt  wird. 

Sehen  wir  uns  aber  nach  den  Gründen  um,  weshalb  wir,  wie 
unsere  Wintertabelle  zeigt,  lings  um  die  Gebirge  verhältnisnmss^  hohe 
Mitteltemperaturen  finden,  so  müssen  wir  zunächst  die  verschiedenen 
Seiten  der  Gebirge  voneinander  trennen. 

Die  Sadhänge  aller  Bodenerhebungen  werden  stets  von  den 


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358 


[48 


Souueuätralüen  unter  einem  steileren  Winkel  getroffen  alä  das  ebene 
Land  und  noch  mehr  als  die  Nordhänge. 

Da  die  Intensität  der  Sonnenstrahlung  nach  einem  bekannten 
Gesetz  dem  Sinus  der  Sonnenhöhe  proportional  ist,  so  müssen  also  sanft 

geneigte  Sii(lal)lr,uiL'"e.  M-elcbe  znr  Zeit  der  grös.sten  Luftwiirme  von  den 
Soiineustralileu  seiikreeht  getroii'en  werden,  einen  erheblichen  Würme- 
überschuss  gegen  ilire  minder  begünstigte  Umgebung  erlangen.  Daäs 
die  wirkliche  Sonnenhöhe  hierbei  noch  von  Einfluss  ist,  dass  also  nicht 
z.  B.  eine  nach  Ost  gelegene  senkrechte  Bergwand  bei  Sonnenau%ang 
dieselbe  Menge  W'ärrae  zuj^estralilt  erhält,  als  eine  um  Mittag  senkrecht 
getroffene  Berglehne,  da  doch  der  Einfallswinkel  der  Strahlen  in  beiden 
Fällen  ein  rechter  ist,  erklärt  sich  aus  der  grfis.seren  Wärmeabsorjjtion, 
welche  die  Sonnenstrahlen  auf  ihrem  längeren  Wt-ge  durch  die  At- 
mosphäre bei  tieferem  Sonnenstande  erleiden.  Die  öüdhänge  der  Ge- 
birge werden  also  intenaiTer  bestrahlt  als  alle  anderen  Expositionen. 
Hierzu  kommt  noch,  dass  die  aus  dem  südlichen  Quadranten  her- 
kommenden Luftströmungen  im  allgemeinen  eine  höhere  Temperatur 
besitzen  als  die  von  Nord  her  wehenden.  Beide  Faktoren,  Sonnen- 
strahlun«!^  und  Winde,  vereinigen  .><ich,  um  den  SUdliängen  der  Gebirge 
einen  Temperaturüberschuss  über  die  Nordhänge  zu  verleihen.  Die 
schon  oben  erwähnte  ISngere  Beschathmg  der  Nordhänge  im  Winter 
wirkt  ausserdem  noch  in  derselben  Richtung. 

So  sehen  wir  Salzungen  und  Meiningen,  obwohl  dem  erkältenden 
Eintluss  des  Gebirges  naheliegend,  doch  erhehli<  h  wärmer  als  Eisenach 
und  lludolstadt;  Frankenhausen,  obwohl  in  der  zu  starker  Ausstrahlung 
neigenden  Goldenen  Aue  gelegen,  ist  infokre  seiner  Exposition  an  dem 
Südabhang  des  Eyffhäuser-Gebirges  im  Wintermittel  um  0**5  wSnntf 
als  Korbetiia,  welches  die  an  den  Abhängen  des  Saalthaies  erkaltete 
Winterluft  erhält;  derselbe  Einfluss  erhöht  auch  die  Wintertemperatur 
von  Sondershausf  !!  über  die  seiner  T^mgebung,  trotzdem  es  durch  den 
südlich  vorgelagerten  ]^er<xrücken  der  Hainleite  gegen  die  Erwärmung 
durch  südliche  Wiu(U  li;!  schützt  ist. 

Sondershausen  liegt  aber  nicht  an  der  Nordseite  der  Hainleite, 
sondern  an  dem  Sttdabhange  der  dieser  parallel  verlaufmden,  durdi 
die  Hainleite  nicht  erheblich  beschatteten  Windleite,  verdankt  daher 
seinen  relativ  milden  Winter  hauptsächlich  <ler  intensiveren  Sonnen- 
wirkung. Das  Thal  von  Sonderslmusfu  ist  zunuü  vermöge  seiner  Er- 
streckung  von  West  nach  Ost  den  vorherrschenden  Winden  leicht  zu- 
gänglich, dalier  gut  ventiliert,  wodurch  einer  Ansammlung  kalter,  vom 
Noi3hange  der  Hainleite  abfliessender  Luft  wirksam  vorgebeugt  wird. 

Auch  Nordhausen  und  Gtöttingen  sind  verhältnismässig  warm  im 
Winter  infolge  ihrer  südhchen  resp.  südwestlichen  Exposition  und  ge- 
nügender Ventilation  ihrer  Thalungen.  Doch  dürfen  wir,  je  mehr  wir 
uns  dem  nördlichen  Deutschland  näheni,  die  dortiLren  Stationen  nicht 
mehr  in  Beziehung  bringen  mit  solchen,  welche  südlicher  gelegen  sind. 
Denn  hier  tritt  ein  neuer  Faktor  in  Wirksamkeit,  welcher  m  Bezug 
auf  seine  Wirkung  in  die  Feme  den  Einfluss  der  Gebirge  weit  hinter 
sich  lässt,  das  ist  das  Meer.  Wir  finden  deshalb  die  der  nord- 
deutschen Tiefebene  angehörigen  Stationen  im  Winter  sämtlich  nicht 


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Der  £mflaw  der  Gebirge  auf  das  Klima  von  Miiieldeutschlaud.  359 


unerheblich  wärmer:  Braunschweig  hat  2^,4 »   Uefingen  2^9,  Han- 
nover 8®,0. 

Nachdem  wir  nun  die  Gründe  ftbr  die  grössere  Wärme  der  Stld- 
hänge  der  Gebirge  als  von  deren  Exposition,  also  einer  Wirkung  der 
Bodenerhelnin«^,  abhängig  erkannt  haben,  erübrigt  es  uns  noch,  die 
Wmtfrveriüiltnisse  der  Nordseiten  zu  untersiiclien. 

liier  finden  wir  sowohl  nördlich  vom  Thüringer  Walde  wie  nörd- 
lich Tom  Harze,  und  zwar  in  deren  Nfthe,  Winteimittel,  welche  wir 
biet  nicht  erwarten  sollten;  Langensalza  hat  2*^,7.  Rudoli^tadt  2^,0, 
Erfurt  2^0,  Weimar  2^1;  nördlich  vom  Harze  hat  Schwanebeck  2®,5. 
Die  Exposition  kann  diesen  Effekt  nicht  liervorbringen,  iHu  hstens  könnte 
Rudolstadt  liierduich  einigermassen  beeiuflusst  werden,  die  übrigen  Orte 
liegen  im  iiaciieu  Tieilaude.  Die  erwärmenden  südlichen  Wnide  sind 
durch  die  Torgelagerten  Gebirge  abgehalten  und  wir  sahen,  dasa  nicht 
so  gar  selten  das  ThOringer  Becken  und  die  Halberstttdter  Niederung 
zu  Sammelbassins  erkalteter  Gebirgslufk  werden. 

Die  Thatsachen  lassen  keine  andere  Erklärung  zu.  als  dass  die 
vorherrschenden  Südwest-  und  Westwinde,  welche  ausser  der  Wärme 
auch  den  grössten  Teil  des  Mitteldeutschland  benetzenden  Wassergases 
herbeifUiren,  durch  ihr  Au&teigen  an  den  Luvseiten  der  Gebirge  einen 
ffrossen  Teil  dieses  Wassergases  kondensieren  und  nun  getrocknet  in 
das  BSnterland  hineinwehen,  hinter  dem  Gebirge,  ob  mit  oder  ohne  die 
direkte  Mitwirkung  der  im  ersten  Kapitel  erw^ähnten  lokalen  Depres- 
sionen ,  eine  abwärts  gerichtete  Bewe<;imgskomponente  erhalten,  dem- 
gemäss  komprimiert  und  erwärmt  werden.    Es  würde  indes  heissen, 
Üiatsäcblich  vorhandene  Verhältnisse  in  ihrer  Wirkung  Ubertreiben, 
wollten  wir  die  höhere  Temperatur  der  im  Lee  der  Gebirge  ge- 
legenen Gegenden  als  eine  reine  Föhnwirkung  auffassen;   wohl  aber 
dürft«  die  Tliatsache  nicht  zu  bestreiten  sein,  dass  die  an  den  Ge- 
birgen getrocknete  Luft  einen  nennenswerten  Einfluss    auf  die  Be- 
wölkung und  auf  die  Niederschläge  ausübt,  wie  wir  in  den  betreffenden 
Kapiteln  noch  des  näheren  beweisen  werden.    Infolge  geringerer  Be- 
wdlkung  und  geringerer  Niederschläge  kommt  die  &nnenwirkung  auf 
die  im  Lee  der  Gebu^  gelegeneu  Gegenden  zu  ausgiebigerer  Wirksam- 
keit, und  diese  kann  nur  in  einer  Erhöhung  der  Temperatur  bestehen. 
Die  geringere  Benetzung  des  Bodens  mit  NiederscIilHgen  wird  ausser- 
dem die  Verdunstung  verringern,  wodurch  wiederum  weniger  Wärme 
gebunden   wird.    Für  den   Winter  wird   hierdurch   aber  auch  noch 
Bewirkt  werden,  dass  eine  dünnere  Schneedecke  abgelagert  wird,  welche 
in  der  trockeneren  Luft  schneller  Terdunstet  und  durch  den  häufigen 
Sonnen^^t  )h  in  schneller  gesidunolzen  wird.    Und  es  ist  bekannt,  einen 
•wie  bellt  utenJen  Einfluss  eine  Schneedecke  auf  die  Temperatur  ausübt. 
Die  intensive  Kälte  der  Monate  Dezember  1870  und  Januar  1881  war 
wesentlich  durch  das  Vorhandensein  einer  Uber  ganz  Deutschland  aus- 
gebreiteten Schneedecke  bedingt. 

Der  Januar  des  Jahres  1886  brachte  einen  derartig  augenf&Uigen 
Beweis  ftlr  den  ganz  ausserordentlichen  Einfluss  einer  Schneedecke 
auf  die  Erniedrigimg  der  Temperjitnr .  da^s  die  Darstellung  derselben 
durch  eine  Karte  geboten  erscheint.    Karte  5  zeigt  die  Höhe  der  Schnee- 

Foncbuogen  zur  deuUclwa  Landes-  und  Volkskunde.  L  6.  25 


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360 


Awmaim, 


[50 


decke  Uber  Mitteldeutschland  am  Morgen  des  8.  Januar  188G,  zugleich 
die  in  deraelben  Nacht  beobachteten  Muumalteiu])c  raturen.  Eine  n&here 
Beschreibung  der  Karte  dürfte  aus  dem  Grunde  überflüssig  sein,  weil 
das  Zusammenfallen  der  niedrigsten  Temperatur  mit  der  höchsten  Sdmee- 
decke  ein  ausserordentlich  deutliches  ist:  je  höher  die  Schneedecke, 
um  so  niedriger  lag  die  Temperatur.  Ausserdem  i^iht  uns  diese 
Karte  noch  ein  schönes  Bild  des  durch  Bodenkontiguratiun  bewirkten 
ZusaaunenstrSmens  kalter  Luft  nach  der  tie&ten  Stelle  des  Thflringer 
Beckens,  wo  die  Isoilierme  —  25^  den  wohl  früher  TOihanden  ge- 
wesenen Thüringer  See  von  neuem  sichtbar  werden  lässt. 

Die  trocknende  und  die  Bewölkimg  verringernde  Wirkuni^  der 
Gebirge  finden  wir  im  Sonmier  in  erheblich  geringerem  Masse  ausgeprägt, 
da  die  in  Begleitung  von  Gewittern  fallenden  Sommerniederschläge 
weniger  dordi  die  Bomnkon^purmtkni  beeinfiiisBt  werden,  als  die  Nieder- 
scUl^^e  der  flbrigen  Jahresieiten.  Bs  werden  daher  besonders  in  heissen 
Sommern  die  charakteristischen  Zonen  geringerer  Niederschläge,  wie 
wir  sie  im  folgenden  linden  werden,  nicht  selten  fehlen,  oder  doch  sehr 
schwach  entwickelt  sein.  So  finden  wir  die  Unterschiede  an  den  Nord- 
und  Südseiten  beider  Hauptgebirge  wenig  bedeutend  und  von  engen 
lokalen  Verhältnissen,  wie  ^position,  waldlosem,  trockenem,  dunkel- 
farbigem Boden  u.  s.  w.  abhängig.  Für  die  nördlich  Tom  Harz  ge- 
l^fenen  Stationen  tritt  aiHserdem  noch  die  Wirkung  d^i*  Meeresn'^e, 
diesmal  aber  im  umgekehrten  Sinne,  also  temperatoremiediigend,  in 
Konkurrenz. 

Zur  Verwischung  dieser  thermischen  Unterschiede  an  den  Nord- 
uud  Südrändem  der  Gebirge  trägt  auch  noch  die  Thatsache  bei,  dass 
im  Sommer  weniger  die  sQdwestiichen  als  die  westiiohen  resp.  nord- 
westlichen Winde  zu  fiberwiegen  pflegen,  wodurch  die  Leeseiten  nach 
Ost  verschoben  werden.  Jedenfalls  ist  zu  konstatieren,  dass  im  Sommer 
nicht  selten,  wie  in  ausgezeichneter  Weise  im  Sommer  1885,  die  Ostränder 
der  Gebirge  erheblichen  Regenmangel  gegenüber  den  westlichen  und 
nordwestlichen  liäuderu  aufweisen.  Die  hohe  Sommertemperatur  von 
Sangerhausen,  17^7,  könnte  vielleicht  mitdieser  Thatsache  in  Zusammen- 
hang gebracht  werden.  Andererseits  würde  sich  die  auffiUlig  niedrige 
Sommertemperatur  T<m  Eisenach  aus  dem  Vorherrschen  nordwestlicher 
Winde  erklären  lassen,  da  bei  nordwestlicher  Windrichtung  die,  aller- 
dings sehr  schmale,  Luvseite  des  Thüringer  Waldes  bei  Eisenach  liegen 
nmss.  Stärkere  Bewölkung  und  häufigere  Niederschläge  würden  in 
diesem  Falle  durch  Hinderung  der  Sonnenemstrahlung  die  medere  Sonnen- 
wSrme  veranlassen. 

Betrachten  wir  nun  noch  zum  Schluss  unserer  Erörterungen  Ober 
den  Einflusjf  der  Gebirge  auf  die  T« mperaturverhältnisse  (V\v  Aii?nhl  der 
Sommertage,  Frosttage  und  Eistage  sowie  die  Anzahl  der  Boden- 
fröste. 

Einen  ,  Sommertag nennt  man  in  der  meteorologischen  Termino- 
logie einen  solchen,  dessen  Lufttemperatur  den  Betrag  von  25^  enreichi. 

Au^  iL  r  Uebersicht  der  Sommertage  (Tabelle  6)  entnehmen  wir  flbr 
unseren  Zweck  folgendes:  im  April  kommen  Sommertage  in  dem  nord- 
deutschen Tief  lande  nicht  vor;  nur  Magdeburg  hat  zuweilen  einen  solchen 


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51]       Der  IGmflnn  dar  6^»urge  auf  das  Klima  von  Mitteldeutschlaiid.  361 


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au&uweisen.  Obwohl  eine  Zunahme  nach  dem  Sflden  hin  zu  konstatieren 
ist,  sind  doch  ganz  streng  die  Luvseiten  der  Gebirge  ausgeschlossen, 

da  weder  Nordhausen  noch  Salzungen  noch  Meiningen  solche  ver- 
zeichnet haben.  Nur  Frankenhausen  und  Koburg  machen  eine  schein- 
bare Ausnahme  hiervon,  doch  haben  beide  Orte  den  Vorzug  thermisch 
günstiger  Exposition,  hegen  auch  dem  Abhänge  der  Hauptgebirge  femer; 
Frankenhausen  liegt  zumal  im  Windschutz  des  gescUossenen  Höhen- 
zuges der  Hainleite.  Das  Thüringer  Be<^en  dagegen  zeigt  eine  aus- 
gesprochene Disposition  für  Apzilsommertage.  Die  Sommortage  der 
eigenthchen  Sommermonate  zeigen  manche  Yerschiedenlieiten  in  ihrer 
Zahl,  welche  sich  auch  in  der  .lahressumme  ausspricht.  Abgesehen  von 
den  Höhenstationen,  unter  denen  der  Inselsberg  einen,  Gr. -Breitenbach 
und  Elausthal  aber  11  Sommertage  aufireisen,  ftUt  die  ganz  ausser^ 
ordentiich  geringe  Zahl  derselben  bei  Eisenach  auf,  um  so  mehr,  als 
das  nahe  bena<mbarfce  Salzungen  fast  die  doppelte  Anzahl  auftreist. 
Hier  haben  wir  wieder  einen  deutlichen  Einfluss  des  Gebirges  vor  uns, 
welchen  das  durch  regelmässigen  Wechsel  von  Berg-  und  Thalwinden 
gut  ventilierte,  tief  eingeschnittene  Marienthal  bei  Eisenach  in  seinen 
Temperaturverhältnissen  erheblich  herabdrückt. 

Dass  eine  mangehde  Ventilation  aber  die  Entstehung  hoher  Sommer- 
w'ärme  befördert,  zeigen  uns  die  windstillen  Thäler  von  Rudolstadt  und 
Sulza,  welche  die  grösste  Zahl  der  Sommerfeage  in  Mitteldeutschland,  47, 
aufweisen. 

Der  September  ist,  abgesehen  von  den  Höhenstatiuueu,  noch  all- 
gemein durch  Sommei*tage  in  geringer  Zahl  ausgezeichnet,  am  häufigsten 
abermals  in  Sulza. 

Die  Uebersicht  der  Frosttage  (Tabelle  7),  d.  h.  der  Tage,  an  welchen 
die  Temperatur  überhaupt  unter  den  Gefrierpunkt  herabgegangen  ist, 
zeigt,  dass  in  den  einzelnen  Monaten  sowohl  als  in  den  Jaliressinumen 
grosse  Diöerenzeii  zwischen  den  verschiedenen  Stationen  vorhanden  sind, 
als  deren  Grund  lokale  Eigen tümiichkeiteu  nachzuweisen  sind. 

ZunUchst  finden  wir  naturgemSss  die  Hdhenstationen  durch  die 
zahlreichsten  Frosttage  ausgezeichnet;  auf  dem  loselsbeige  sinkt  an  fiist 
der  Hälfte  aller  Tage  das  Thermometer  unter  0". 

Die  geringste  Zahl  der  Frosttage  hat  Braunschweig  mit  72.  jeden- 
falls ebenso  wie  die  niedrigen  Werte  aller  in  der  norddeutschen  Tief- 
ebene gelegenen  »Stationen  ausser  Kuurau,  durch  die  Meeresnähe  ver- 
ursacht, funrau  haben  wir  bd  versdhiedenen  Gelegenheiten  als  eine 
dui«fa  die  EigentQmlichkeiten  des  Moorbodens  im  Drdmlingsbruche  ab- 
norme Station  geftmden;  der  Drönding  bildet  einen  kleinen  klimatischen 
Bezirk  für  sich.  Einen  nicht  7.u  verkennenden  Einfluss  der  Gebirge 
huden  wir  indes  abermals  in  dem  kontinentaler  gelegenen,  deslialb 
weniger  durch  andere  Einflüsse  gestörten  Thüringen.  Die  grössere 
Eontinentalität  und  die  grossere  Keereshfilie  bedingen  an  sich  eine  Ver» 
mehrung  der  Frosttage«  wie  wir  denn  mit  der  slleinigen  rfttselhaftea 
Ausnahme  von  Langensalza  überall  mehr  als  lOd  Frosttage  vorfindeo, 
Dass  es  indes  nicht  allein  die  binnenländi.sche  Lage  ist,  welche  diese 
Zunahme  veranlasst,  zeigt  uns  Meiningen,  welches,  an  der  Luvseite  des 
Gebirges  liegend,  durch  Exposition,  Windrichtung  und  stärkere  Ven- 


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58]  Einflott  der  Oebiige  auf  das  EUma  von  MitfceldeatBcliland.  863 


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tiI;\tion  begünstijrt,  nur  *.M)  Frostta^j^c  im  Mittel  aufweist.  Auch  zeij^t 
sicii  hier  der  Einfluss  d«  «  Gebirges  als  Windschutz  gegenüber  den  kalten 
nördlichen  Luftströmuugon,  deren  Vorhandensein  an  Frosttagen  in  den 
meisten  FftUem  zu  konstotieren  sem  durfte. 

Zu  bemerken  ist  noch,  da^ss  an  den  meisten  Stationen  im  Mai 
Frosttage  Torkommen,  wShrend  der  September  fast  aiunahmaloe  firoet- 
firei  bleibt. 

Die  Uebersicht  der  Ei.'<tage  (Tabt  llt'  8),  d.  h.  nach  meteorologischem 
Sprachgebrauch  solcher  Tage,  an  welchen  die  Lufttemperatur  auch  im 
Maadmalwerte  den  Ge&ieipunkt  nicht  flbersteigt,  zeigt  gleicfa&Us  lokale 
EigentOmlichkeiten. 

Die  gebirgsnäheren  Stationen  haben  hier  gegenflber  den  im 
offenen  Flachlande  liegenden  ein  gewisses  Uebergewirht,  was  wohl  auf 
einen  Einfluss  der  von  den  Gebirgen  abströmenden  erkalteten  Luft,  viel- 
leicht auch  auf  eine  durch  grössere  Luflruhe  beförderte  Neigung  zur 
Nebelbildung  zurflckzufUiren  sein  dtlrfte.  Das  Zustandekommen  -von 
Eistagen  kann  auf  zweierlei  Weise  stattfinden:  entweder  bei  klarem 
Himmel  oder  bei  bedecktem  TlimmeL  Im  ersteren  Falle  ist  der  Frost 
so  streng,  dass  selbst  der  Mittagssonnenschein  die  Temperatur  nicht 
an  den  Gefrierpunkt  bi  ingen  kann,  wobei  in  vielen  Fällen  eine  Schnee- 
decke höchst  wirksame  Unterstützung  leisten  wird,  oder  dichter  Nebel 
behindert  dM  Sonneneinstrahlung  überhaupt,  wobei  dann  die  Frost- 
tempenttur  durchaus  nicht  eine  sehr  niedrige  zu  sein  braucht  Man 
kann  daher  aus  der  Zahl  der  Eistage  allem  keinen  Schluss  auf  die 
Strenge  der  Winter  einer  Gegend  ziehen. 

T)ie  Differenz  zwischen  Meiningen  und  Erfurt,  15  und  26  Tage^ 
ist  wiederum  eine  charakteristisch  grosse,  ebenso  die  zwischen  Sakuugeu 
und  Eiaenach,  14  und  25 ;  auffallend  ist  die  geringe  Anzahl  der  Eu- 
tage  in  Rudolstadt. 

Der  AprU  bringt  ausserordentlich  selten  noch  Eistage,  einmal 
aber  hatte  sogar  noch  im  Mai  Eisenach  einen  solchen;  ebenso  ist  der 
Oktober  in  den  niederen  Lagen  frei  von  Eistagen. 

Die  Zahl  und  zeithche  sowie  riiumliche  Verteilung  der  Boden- 
fröste, deren  systematische  Beobachtung  in  unserem  Gebiet  zuerst  iu 
grosserem  Massstabe  ausgefOhrt  worden  ist,  wOrde  einer  eingehenden 
Erörterung  wert  sein,  zumal  daftir  ein  sehr  reichhaltiges  Material  vorliegt. 
Gerade  die  letztere  Thatsache  aber  zwingt  uns,  von  einer  tabellarischen 
Darstellung  abzusehen,  da  diese  in  den  engeren  Rahmen  der  vorliegenden 
Aldiandlung  durchaus  nicht  hineiiig^czwängt  werden  kann.  Wir  wollen 
daher  nur  einige  der  markautebteu  Züge  aus  demselben  herausgreifen 
und  eine  subtilere  Yerarbeitang  einer  sp&teren  Gelegenheit  Torbehalteii. 

Die  geographische  Verteilung  der  Frosttage  zeigt,  abgesehen  von 
den  Höhenstationen  und  den  im  Drönilingsbruche  und  dem  Fienerbruche 
(südlich  von  Genthin,  bei  Fienerode)  gelegenen  Orten,  deutlich  eine  grossere 
Anzahl  in  den  gebirgsnahen  Niederungen:  das  obere  Werrathal,  das  Thü- 
ringer Becken,  die  Goldene  Aue,  die  Mulde  des  nördlichen  Uarzvorlandes 
haben  slmflieh  nüehr  iJs  140  Tage  mit  BodenftMen.  Da  diese  Gebiete 
rings  um  die  Gebirge  verteilt  liegen,  kann  von  einem  ausschliesslichen 
Eiiäuss  der  Leeseite  nicht  die  Bede  sein;  wir  haben  vielmehr  hierin  guu 


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55]      Der  EinfloM  der  Oebixge  auf  dM  Küma  von  Ifitteldentsdilaiid.  365 


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allgemein  einen  Ausdi-uck  fUr  die  überaü  unter  günstigen  Verhältnissen 
von  den  Gebir^shängen  absfarSmende,  in  den  ThAlnngen  sich  ansaaimelnde 
erkaltete  Gebirgsluft  zu  erkennen.  Jede  niliige,  heitere  Nacht  läset 
Bergwinde  zur  Ausbildung  gelangen,  welche  die  Niederungen  abkühlen. 

In  zeitlicher  Beziehung  ist  die  auffallende  Thaisache  zu  konstatieren, 
dass  in  Mitteldeutschland  in  jedem  Monat  Abkühlungen  der  untersten 
Lultschicht  unter  den  Gefrierpunkt  vorkommen  können. 

Der  Juli  bleibt  zwar  mit  ganz  seltenen  Ausnahmen  (z.  B.  in  Gotha 
und  Fienerode)  froetfrei,  nicht  aber  der  Augtuii  welcher  in  Sehwanebeck, 
Lengenfeld  u.  St.,  Gotha,  Berka  a.  W.,  Höningen,  Hüdburghausen, 
femer  in  Fienerode,  Gentliin.  Dorst.  Kunrau  und  anth'ren  Ortrn  inner- 
halb der  letzten  4  Jahre  mehrfach  Bodentröste  gebracht  hat.  Iii  Fiene- 
rode kamen  im  August  1885  sogar  im  4jährigen  Mittel  4,7  Nacht- 
fröste vor. 

Der  Juni  ist  &8t  Überall  zu  Nachtfrösten,  wenn  auch  nur  auf 

kurze  Zeit,  disponiert:  der  durch  Hellmanns  Untersudnmgen  bekannte 
KiUterückfall  in  der  Mitte  des  Juni  f&hrt,  sobald  Aufklaren  eintritt, 
leicht  zum  Bodenfrost. 

Der  zu  Nachtfrösten  am  stärk.s'ten  disponierte  Ort  Mitteldeutsch- 
lands ist  das  schon  mehrfach  genaimte  Fienerode,  dessen  mittlere  Nacht- 
frostzahlen  hier,  obwohl  nicht  auf  Gebiigswirkung  sondern  auf  starker 
Ausstrahlung  eines  sdiwanerdigen  Moorbodens  beruhend,  ihrer  Eigen- 
tOmliehkeiten  wegen  genannt  werden  mögen.  Im  Mittel  von  4  Jahren 
kamen  dort  Bodenfröste,  gemessen  am  Mmimumthermometer  5  cm  Uber 
Kasensrrund.  vor : 

Dezember  .  -  i,6  Marz  ....  26,0  Juni  5,2  September  .  G,0 

Januar  .  .  .  24,2|April ....  21,2  Juli  l,2|Oktober  .  .  13,2 

Februar  .  .  21,7 |Mai  ....  15,5  August  .  .  .  4,7!NoTember  .  22,7 
im  Jahre  durchschnitthch  187. 

Wie  eng  lokal  diese  Erscheinuncr  ist,  pfeht  aus  den  Verhältnissen 
des  kaum  eine  Meile  davon  enti'emten  Uenthin  her?or,  dessen  Jahres- 
summe nur  132  beträgt. 

Gar  manche  Einzelheiten  der  Tempeiaturreriiiltnisse  Mittddeiitadi- 
lands  mttssen  hier  Obergangen  werden,  wie  die  Eni^lrmungswerte  des 
Erdbodens  und  die  mittleren  und  absoluten  Miwiiwa  der  Temperatur  der 
untersten  Luftschicht.  Als  Kunosnm  f?ei  nur  erwähnt,  dass  ili.-  höchste 
beobachtete  Temperatur  des  Erilliodciis,  an  leicht  mit  Enli-  überdecktem 
Maximumthermometer  abgelesen,  67 \  die  niedrigste  der  untersten  Luft- 
scliicht  aber  (am  8.  Januar  1886  in  Lengenfdd  u.  St.)  —  33^1*  be* 
tragen  hat,  so  dass  in  unmittelbarer  Nähe  der  BrdoberflScfae  eme  extreme 
Wärmeschwankung  von  100^1  thatsBchlich  in  Mitteldeutschland  Tor- 
g^ommen  ist. 

Fassen  wir  nun  den  Einfluss  der  Gebirge  auf  die  Temjieratur- 
verhältnisse  in  grossen  Zügen  zusammen,  so  finden  wir  als  Haupt- 
resultate unserer  Uutersuchiuig,  denn  nur  diese  vermochten  wir  bei  der 
Vielseitigkeit  unseres  Stoffes  zu  geben,  folgendes: 

1.  Der  Einfluss  der  Gebirge  auf  die  Temperatur  ist  in 
den  Jahresmitteln  deutlich  ausgesprochen  und  zeigt  sich  am 
schärfsten  in  engen  Thäiern  und  gebirgsuahen  Niederungen. 


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57]       ^  EmfloH  dar  Gebirge  auf  du  Klima  von  Mitteldeiitiohlaad.  367 

2.  Im  Winter  kommen  unter  besonderen  atmosphärischen 
Bedingungen,  vornehmlich  bei  grosser  Lul'truhe  und  weit- 
Terbreiteter  Schneedecke,  Ansammlungen  intensiy  erkalteter, 
▼on  den  Gebirgen  abstrdmender  Lufi  in  den  zwischen  den 
Gebirgen  liegenden  Mulden  vor,  welche  jedoch  meist  nur 
verhältnismässig  kurze  Zeit  andauern  und  die  mittlere 
Winter-Temperatur  dieser  Gegenden  nicht  herabzudrUcken 
vermögen. 

3.  Die  Südseiten  der  Gebirge  erhöhen  durch  ihre  gün- 
stige Exposition  gegen  die  Sonnenstrahlen  und  gegen  die 
warmen  Winde  des  südlichen  Quadranten  ihre  Temperatur 
über  die  ihrer  Umgebung. 

4.  Die  Xordsf  iten  derGeViirge  erhalten  durch  die  an  der 
Luvseite  der  Gebirge  und  iiut  diesen  selbst  stattfindende 
Kondensation  der  Niederschläge  einen  Wärmeüberschuss, 
welcher  auf  fdhnartiges  Herabsinken  der  abgetrockneten 
Luftmassen,  hierdurch  bedingte  geringere  Bewölkung  und 
Termehrte  Insolation,  sowie  auf  geringere  Menge  der 
Niederschläge  zurückzuführen  ist. 

5.  Die  Gebirge  vergrössern  die  Wärme  Schwankung 
in  den  leewärts  gelegenen  Niederungen  beträchtlich  und 
geben  diesen  hierdurch  einen  kontinentaleren  Charakter. 

6.  Die  Luvseiten  der  Gebirge  haben  weniger  Sommer- 
tage als  die  Leeseiten;  besonders  arm  an  diesen  sind 
nordwärts  geöffnete,  i^nt  ventilierte  Thäler. 

7.  Die  Zahl  der  Frosttage  ist  an  den  Südseiten  der 
Gebirge  geringer  als  an  den  Nordseiten;  die  Gebirge 
wirken  hierbei  wesentlich  als  Windschutz  gegen  kalte 
nördliche  Winde. 

8.  Bodenfröste' kommen  rings  um  die  Gebirge  in  den 
Niederungen  erheblich  häufiger  Tor  als  im  Flachlande. 

Cm  HydromoteoTB« 

Wir  haben  in  (Vn  voranix^'lienden  Kapiteln  schon  hin  und  wieder 
einige  charakteristisclie  Erscheinungen  der  Hydronieteore ,  wie  Bewöl- 
kung, Niederschläge  u.  s.  w.  gelegentlich  erwähnen  müssen.  Es  liegt  uns 
nun  ob,  dieselben  m  ihrer  Abhängigkeit  von  den  Gebirgen  im  Zusammen- 
hange zu  tt^Ortem. 

a.  Bewölkung. 

Die  Meteorologie  lehrt,  dass  die  Kondensation  des  Wasserdampfes 
vornehmlich  durch  Abkühlung  der  wasser(lnnij)nialtigen  Luft  unter  ihren 
Taupunkt  eintritt.  Unter  den  in  der  Atmospliure  wirkenden  Ab- 
kühlungsursachen steht  diejenige  obenan,  welche  einer  Luftmasse  durch 
Ausdelmung  infolge  abnehmenden  Luftdrucks  W&rme  entzieht.  Kommt 
eine  Lufbmasse  unter  geringeren  Druck,  so  wird  durch  Ausdehnung 
derselben  eine  Arbeit  geleistet;  diese  Arbeit  leistet  aber  die  Winne 


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368 


[58 


der  Lull,  diiliur  eben  soviel  Wärme  verschwindet,  ak  zur  Ausführung 
dieser  Arbeit  gebraucht  wird. 

Eine  jede  Luftmasse,  welche  durch  eine  Bodenerhebung  von  ihrer 
der  Erdoberfläche  nahezu  parallelen  Kichtung  naeh  oben  abgelenkt. 
emporgedr;iii<rt  \vird,  kommt  a.hvr  hierdnrrli  unter  geringeren  Luftdruck, 
erleidet  daher  nach  dem  obigen  eine  Abkühlung,  welche  im  allgemeinen 
um  so  grösser  ist,  je  höher  die  Lulimasse  emporsteigen  muss,  um  das 
im  We^  stehende  JBewegungshindenus  zu  aberschreiten. 

Die  erste  Stufe  der  eintretenden  Kondensation  liefert  kleine  Wassei^ 
tröpfchen,  welche  vermöge  ihrer  Reibung  an  der  Luft  schwebend  er» 
lialten  werden  ;  diese  Tnipfclien  bilden  eine  Wolke. 

Wir  werden  daher,  falls  eine  Luftmaase  an  einer  Bodenerlieljur.'jf 
▼on  genügender  Höhe  emporgedrängt  wird,  um  bis  zu  ihrem  Taupunkt 
abgelEtthlt  werden  zu  können,  stets  Wolkeubüdung  eintreten  sehen. 

TJebersdireitet  nun  aber  eine  Lnftmasse  eine  Bodenerhebung,  so 
wird  sie  das  Bestreben  haben,  auf  der  anderen  Seite  derselben  sich 
wieder  abwärts  zu  bewegen,  besonders  wenn,  wie  wir  dies  im  ersten 
Ab.sflmitt  sahen,  an  der  Leeseite  der  Bodenerhebung  der  Luftdruck  ein 
geringerer  ist  als  an  der  TiUvseite.  Bei  der  abwärts  gerichteten  Be- 
wegung kommt  aber  die  Luft  wieder  unter  höheren  Luitdruck,  wird 
daher  stärker  susammengedrackt,  wodurch  die  zur  yormaligen  Aus- 
dehnung Terbnui^te  Wärme  wieder  disponibel  wird,  da  die  bei  der 
Kompression  erfolgende  Arbeit  ausschliesslich  von  dem  Gewichte  der 
überlagernden  Luftsäule  geleistet  Avird.  Es  wird  dahw 
der  niedersinkenden  Luftma.sse  eintreten. 

Diese  Erwärmung  entfernt  aber  die  Luft  von  ihrem  Dampfsättigungs- 
oder  Taupunkte,  so  da^  das  Torher  zu  Nebeltrdpfchen  verdiditete  Wasser 
wieder  verdunsten  kann.  Die  beim  Auftteigen  gebildete  Wolke  wird 
also  wieder  au%elöst  werden  und  versehwinden.  Durch  diesen  Voigang 
erhalten  alle  ausreichend  hohen  Bodenerhebungen  eine  stärker  bewölkte 
Luvseite  und  eine  weniger  bewölkte  Leeseite.  Die  Empordrän irimg  der 
Luft  beginnt  aber  nicht  erst  unmittelbar  am  Fusse  eines  Gebirges, 
sondern  schon  in  beliftchtlicher  !Bntfemung  vor  demselben,  da  die  am 
Gebirge  emporsteigende  Luft  einen  Druck  auf  die  Uber  ihr  liegenden 
Schichten  ausübt,  dieselbe  also  weiter  rückwSrts  gleichfinlls  hebt,  noch 
ehe  diese  selbst  das  Gebirge  erreicht  haben. 

Alle  diese  hier  skizzierten  Vorgänge  finden  wir  nun  in  voller 
Deutlichkeit  an  den  Gebirgen  Mitteldeutschlands  wieder. 

Zur  leichteren  Uebersicht  sind  die  mittleren  Bewölkungswerte  fbr 
den  Zeitraum  von  1882  bis  1885  in  eine  Karte  (6)  eingetragen  worden, 
indem  der  Grad  der  Bewölkung  in  Prozenten  des  sichtbaren  Hinimds- 
gewölbes  ausgedrückt  wurde.  Um  aueh  die  Angaben  der  nur  Morgens 
die  Bewölkun<^  beobuehtenden  Stationen  niederer  Ordnung  verwenden 
zu  können,  wurden  die  Mittel  ausschliesslich  aus  den  Morgennotieruugen 
berechnet. 

ZunSchst  ersehen  wir  aus  unserer  Karte,  dass  Uber  dem  gebirgigen 
Teile  Mitteldeutschlands  die  Bewölkung  überall  stärker  ist  als  über 
dem  Tieflande :  Harz,  Weserberge,  Eichsfeld,  Thüringer  Wald  und  Ilm- 
platte haben  über  70  >,  der  Hochharz  sogar  Uber  75  >.  Die  Difierenz 


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59]  Einfliut  der  Qebii^ge  auf  dai  Klima  von  MitteldentsoUaiid.  369 


zwischen  «lein  Hochharz  und  den  höchsten  Erhebungen  des  Thüringer 
Waldes  hat  ihren  Grund  teils  in  einem  grösseren  Wasserdampfreichtiim 
der  meeresnSheren,  am  Harz  emporsteigenden  Luftmassen,  teils  in  der 
grosseren  HShe  dieser  Erhebungen. 

Femer  ])emerken  wir,  dass  am  Thüringer  Walde  sowohl  wie  am 
Harz  die  Zunahme  der  Bewölkung  auf  deren  Luvseite  schon  beträcht- 
lich weit  rückwärts  beginnt :  am  Thüringer  Walde  hat  schon  das  Werra- 
thal,  am  Harze  die  ganze  nach  Süd  und  West  vorliegende  Niederung 
über  70"/«  Bewölkung.  Andererseits  sehen  wir  an  der  Leeseite  die 
Grenze  Ton  70*/o  siä  hart  den  Hanpterhebtmgen  der  Gebirge  an- 
schmiegen, wenn  nicht,  wie  im  östlichen  Teile  des  Thüringer  Beckens, 
weitere,  wenn  auch  niedrigere  Höhen  ein  ausreichendes  Herabsinken 
der  Luftmassen  verliindern. 

Im  Lee  der  liuuptgebirge  selbst  aber  finden  wir  abgeschlossene 
Zonen  erheblich  germgerer  Bewölkung;  so  im  centralen  Teile  des  Thü- 
ringer Beckens  und  in  der  nördlich  bis  östiich  vom  Harz  gelegenen 
Niederung.  Die  geringere  Bewölkung  des  westlichen  Teiles  des  Thü- 
ringer Beckens  ist  weniger  der  Wirkung  des  Thfliinger  Waldes  als 
dvr  d»^s  vorn-plagerteii  Pluteaus  des  Obereichsfeldes  zuzuschreiben,  während 
(He  Höllen  der  Ilmplatte  den  mit  westlichen  und  nordwestlichen  Winden 
über  das  Thüringer  Becken  weggeführten,  dort  wegen  fehlender  Boden- 
erhebungen nicht  zur  Verdichtung  gelangten  Wa88erdani|»f  kondensieren. 
Man  muss  sich  auch  daran  erinnern,  dass,  wie  Hann  m  seiner  allge- 
meinen Klimatologie  durchaus  zutreffend  bemerkt,  an  einer  Stelle  ge- 
fallene Niederschläge  eine  neue  Quelle  des  Wasserdampfes  flir  die 
hinterlief^euden  Gegenden  werden.  So  nehmen  zwar  die  Gebirge  den 
grösseren  Teil  des  zugefllhrten  Wasserdampfes  fUr  sich  vorweg,  lassen 
aber  auch  in  Form  von  Wasserlaufen  und  Quellen  den  Leeseiten  einen 
grossen  Teil  des  atmosphärischen  Wassers  zuströmen,  wo  dieses  nun 
der  Wiederverdunstung  verfallt,  um  bei  einer  erneuten  Kondensations- 
gelegenheit auf  seinem  Weiterw^pe  Wolken  und  Niederschlage  zu 
bilden. 

Auffallend  erscheint  auch  die  geringe  Bewölkung  des  Franken- 
waldes, welche  man  nur  dadurch  erklären  kann,  dass  die  Haupterhebuugen 
des  Thtlringer  Waldes  und  die  steilen  südwestlichen  Randhöhen  des 
Frankenwaldes  selbst  den  grössten  Teil  des  Wasserdampfes  schon  eher 
zur  Verdichtung  gebracht  haben,  ehe  derselbe  das  niedrigere  Plateau 
des  Frankenwaldes  bei  Meura  und  Leutenber«^  erreicht. 

Mit  grosser  Deutlichkeit  zeigt  sich  die  durch  das  Brockengel)irge 
an  seiner  Südwestseite  bewirkte  starke  Kondensation  des  Wasserdampfes 
in  der  geringen  Bewölkung  yon  Bsenburg. 

InstruktiTcr  noch  würde  unsere  Betrachtung  werden,  wenn  wir  auch 
die  Bewölkung  zu  den  verschiedenen  Tageszeiten  und  in  den  verschie- 
denen Jahreszeiten  durch  Karten  wiedergeben  könnten;  doch  muss  aus 
äusseren  Rücksichten  auf  diese  verzichtet  werden. 

Die  Bewölkung  im  Winter  ist  allgemein  eine  um  ca.  10  V  stärkere; 
die  Gebiete  geringerer  Bewölkung  liegen  ungefähr  an  derselben  Stelle 
wie  die  im  Jahresmittel  sichtbaren,  nur  erscheint  das  nordöstlich  vom 
Hans  liegende  erheblich  schmaler,  da  im  Winter  die  Meeresnahe  einen 


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370 


Assmaan, 


[60 


grüsstren  Kiiitluss  auf  die  Bewölkuug  ausübt.  Im  Frülijiilir  und  Sommer 
ist  die  Bewölkung  allgemein  um  10  ^^o  geringer  als  im  Jahresmittel; 
die  Gebiete  schwächerer  Bewölkung  zeigen  eine  Neigung,  in  mehrere 
kleinere  z\i  zerfallen,  da  im  Frühjahr  die  Herrachafk  der  südwestlichen 
Winde  meist  auf  längere  Zeit  von  östlichen  und  nordöstlichen  Luft- 
strönmngen  unterbrochen  wird,  im  Sommer  aber  nicht  selten  lokale 
aufsteigende  Luftstnime  die  Bewölkung  ohne  jede  Rücksicht  auf  die 
Gebirge  vermehren.  Auch  verschiebt  der  im  Sommer  meist  melir  west- 
liche bis  Bordwestticihe  Wind  die  LuTseiten  der  Hauptgebirge  mehr  nach 
West.  Der  Herbat  ist  in  seinen  BewOlkungsrerhutnissen  dem  Winter 
ziemhch  analog. 

Die  Bewölkung  eines  grösseren  Gebietes  mit  voller  Genauigkeit 
wiederzugeben  ist  eine  Aufgabe,  welche  nur  gelingen  kann,  wenn  man 
ein  ganz  ausserordentlich  dichtes  Beobachtungsuetz  zur  Verfügung  hat, 
da  die  lokalen  Unterschiede  zwischen  Luv-  und  Leeseite'  von  Boden- 
erhebungen wie  im  grossen  so  auch  im  kleinen  herrortreten,  sobald 
die  Höhendifferenzen  ausreichende  Grösse  besitzen.  Wir  haben  daher 
in  unserer  Karte  durchaus  nicht  ein  bis  in  das  Detail  richtiges  Bild 
der  Bewölkuugsverhältnisse  Mitteldeutschlands  zu  geben  gemeint,  da 
ein  solches  sicherHch  ein  erheblich  bunteres  Aussehen  haben  würde. 
Die  tief  eingeschnittenen  Thaler  der  nordwestlichen  Kettenhöhen,  die 
hinter  OhmgebirgOf  Hainleite,  KyffhSus«,  hinter  der  Rhön  gelegenen 
Niederungen  haben  sicherlich  deutlich  ausgeprägte  üntenehiede  gegen 
die  Luvseiten  dieser  Höhen  aufzuweisen,  welche  in  unserem  Kärtchen 
verschwinden  müssen.  Uebrigens  wird  eine  Abstumpfung  dieser  eng 
lokalen  Unterschiede  durch  die  Thatsache  der  rückwärts  wirkenden 
Kraft  des  emporgedrängten  Luftstromes  bewirkt,  so  dass  bei  engerer 
Lagerung  der  Thalungen,  wie  z.  B.  in  den  zwischen  Weser  und  Leine 
hegenden  Kettenhöhen,  die  Luvseitenbewölkung  einer  Bodenerhebung  die 
Leeseite  der  vorliegenden  berührt 

b.  Miedersehl&ge. 

Alles,  was  einleitend  Uber  die  Kondensation  des  Wasserdampfes 
zu  Wolken  gesagt  worden  ist,  gilt  gleicherweise  fdr  die  Niederschlage, 

nur  ist  es  nötig,  den  Vorgang  eine  Stufe  weiter  zu  verfolgen. 

Sobald  Wolkenbildung  eingetreten  ist.  wird  ein  Teil  der  zur  Ver- 
dunstung des  Wassers  verbrauchten  Wärme  wieder  frei,  wirkt  also  bis 
zu  einem  gewissen  Grade  der  Weiterverdichtung  entgegen.  Hauptsach- 
lich aber  wird  diese  WUnne  zur  abermaligen  AufloÄerung  der  Luft 
und  damit  zur  Vermehrung  ihres  Auftriebes  verbraucht,  so  dass  der 
Kondensationsprozess  an  der  Stelle  seines  Eintritts  zwar  verzögert,  aber 
in  eine  höhere  S(  hicht  verlegt  wird.  Hierdurch  werden  schliesshch  die 
die  Wolke  konstituierenden  Wassertröpfchen  grösser  und  grösser,  bis 
sie  schhesshch,  die  vereinte  Ki-aft  der  Lufti'eibung  und  des  aufsteigenden 
Luftstromes  Oberwindend,  aus  der  Luft  auf  den  Erdboden  niedmdlen. 
Durch  das  Herausfiülen  des  von  der  Luft  bisher  getragenen  Wassers 
wird  aber  diese  um  ebensoviel  entlastet,  daher  leichter  und  zum  weiteren 
Aufsteigen  bis  zu  einer  gleich  schweren  Schicht  geneigt 


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Der  £i&fla88  der  Gebirge  auf  da»  Klima  von  Mitteldeutschland.  371 


Unsere  Niederschla^skarte  (Karte  7),  welche  diu  luittlereu  Mengen 
der  Jahre  1882 — 1885  wiedergibt,  hat  eine  «ewisBe  Aehnlichkeit  mit  der 
Bewölkungskarte;  und  dies  mit  gutem  Recht,  da  b^de  Faktoron  die-* 
selben  Ursachen  für  ihre  Entstellung  haben. 

Doch  zeigt  die  Xiederschln^'skarte  ein  grösseres  Detail,  da  eine 
Verwischung  benachbarter  Verhältiiisst'.  wie  wir  sie  b»  i  der  liewölkung 
sehen,  hier  nicht  in  der  Natur  der  Ersclieiuung  begrüudet  ist.  Vielmehr 
ist  der  ge&llene  Niederschlag  eine  durchaus,  unter  ITnutanden  ganz 
streng  lokale  Erscheinung,  wie  wir  nidit  selten  Tomehnilich  )m  sommer- 
lichen Gewitterregen  beobachten  k&men,  dass  die  (rrenzzone  zwischen 
benetztem  und  trockenpin  Boden  nur  wenige  Meter  breit  sein  kann. 

Die  Wirkung  der  Gebirge  zeigt  sich  in  unserer  Karte  in  einer 
ausserordentlich  markierten  Weise,  besonders  wenn  mau  dazu  die  in  unseren 
Profilkärtchen  gegebenen'Daten  zum  Vergleich  heranzieht,  da  die  Schnitte 
Tomehmlich  zur  Verdeutlichung  der  uns  an  dieser  Stelle  beschSftigenden 
Kiederschlagsverliältnisse  in  der  Richtung  der  vorherrschenden  Winde 
angelegt  sind.  Die  Lage  der  trockensten  Gebiete  Mitteldeutschlands, 
der  südlichen  Börde,  des  Mansfelder  Hügellandes,  der  GoHenen  Aue,  der 
thüringischen  Greuzplatte,  ferner  der  Halle  -  Leipziger  Tief  landsbucht, 
deren  Jahressumme  unter  500  mm  bleibt,  zeigt  deutlicher  als  alle  Wind- 
registrierungen, dass  der  hauptsächlichste  Regenwind  im  nördlichen 
Mitteldeutschland  der  West  bis  Westsüdwest,  in  Thüringen  aber  der 
Südwest  ist. 

Dieses  Gebiet  geringster  Niederschläge  ist  rings  umgeben  von 
einem  solchen,  in  welchem  5 — 000  mm  fallen.  Dasselbe  lehnt  sich  an  die 
nordöstlichen  Gebirgsränder  viel  enger  an  als  die  erstgenannten.  Ueber 
dem  Mansfelder  Hügellande  fliessen  die  den  beiden  Hauptgebirgen  ange- 
hörigeu  Trockengebiete  zusammen,  indem  sie  ostwärts  bis  über  die  Elbe 
hinausreichen,  nach  Nord  zu  aber  mit  dem  Niederscldagsgebiet  der 
norddeutschen  Tiefebene  sich  vereinigen.  In  diesem  letzteren  finden 
sich  einige  Gebiete  vermehrter  Niederschläge,  deren  Existenz  nicht  auf 
Gebirgswirkung  zurückgeführt  werden  kann.  Vornehmlich  ist  es  wieder 
der  Dhcömlingsbnidi  bei  Kunrau,  welcher  vermöge  seiner  niederen  Luft- 
temperatur, welche  wir  schon  oben  kennen  lernten,  aber  auch  wegen 
seines  grossen  Wasserreichtums  ein  Kondensationscentrum  dgener  Art 
darstellt.  Die  Niederscldagsmenge  von  Kunrau,  008  mm.  entspricht 
einer  solchen,  wie  sie  im  Harzgebirge  in  einer  K«)lie  von  ca.  ÖUU  ni  zu 
finden  ist.  Die  östlich  von  der  Elbe  markierte  Zone  stärkerer  Nieder- 
schlige  durfte  der  relatiT  starken  Bewaldung  jener  Gegend  gegenüber 
der  rast  waldlosen  Börde  ihre  Entstehung  verdanken. 

Dagegen  ist  ftlr  die  im  Anhaltischen  markierte  Zone  si&rkerer 
Niederschläge  ein  geographischer  Grund  nicht  aufzufinden. 

.Sehr  deutlich  aber  markiert  sich  in  der  .südlichen  Altmark  das 
waidige  Gebiet  der  Kolbitzer  und  Letzlinger  Höhen  durch  stärkeren 
Niederschlag. 

Wir  haben  uns  noch  femer  Rechenschaft  zu  geben  Uber  die  eigen- 
tümliche westwärts  gerichtete  Vorbuchtung  der  Cfebiete  unter  r>00  und 
unter  OOOmm,  welche  wir  am  südöstlichen  Harz  über  der  Goldenen 
Aue  finden.  Dieselbe  verdankt  ihre  Entstehung  ohne  Zweifel  dem  Höhen- 


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372 


[G2 


zuge,  welcher,  vom  oberen  Eichsfelde  ausgehend,  als  ühmgebirge,  Düu 
und  Haixileite  die  Niederung  der  (toUicheii  wldenen  Aue  trodmet  Leidar 
ennangelt  gerade  der  von  der  Finne  durcbechnittene  Teil  Thüringens 
fast  gihizlich  der  Beobachtunguitatioiieii,  sonst  wllrde  höchst  wahrschein- 
lich das  jetzt  scheinbar  zui^ammenbSngende  Trockengebiet  in  zwti  durch 
die  Finne  getrennte  zerfallen. 

Wie  selbst  geringfügige  Höhenunterschiede  von  Einfluss  auf  die 
Niederschläge  sein  können,  lehrt  uns  die  Lage  des  Trockengebietee 
Uber  der  Halle-Leipziger  Tieflandsbucht:  der  geringe  Höhenunterschied 
von  kaum  100  m  (s.  Profil  G)  genügt,  um  die  Ober  die  nördliche  Saal- 
und  Thüringer  Grenzplatte  hinübersteigenden  Luftmassen  so  häufig  über 
ihren  Taupunkt  zu  erwärmen,  dass  hier  eine  um  ca.  100  mm  geringere 
Niederschlagsmenge  zur  Ausscheidung  kommt  als  auf  den  Yorhöheu 
selbst 

Dasselbe  Profil  belehrt  uns  auch  Aber  den  Grund  für  die  ExistenE 
eines  Gebietes  geringerer  Niedorsdalige  im  westUchen  Thüringen:  zwischen 
dem  Obereichsfeld  und  den  Heilinger  Höhen  liegt  die  von  den  west- 
lichen Höhen  um  ca.  25(1  m  überra<fte  Niedenin<r  der  oberen  Unstrut, 
welche  des  Regenschattens  dieser  Höhen  teilhat tit^'  wird.  Unser  Profil 
schneidet  nur  den  nördlichsten,  schmälsten  und  am  wenigsten  tief  ein- 
gesenkten Teü  des  ünstrutthales  in  der  Nähe  von  Dingelstedt,  gibt 
daher  den  in  Fiage  kommenden  Betrag  der  Einseokung  nicht  ganz 
wieder. 

Das  sttdfistliche  Thüringen,  durch  den  Gebirgskamm  des  Thüringer 
Waldes,  durcli  die  vorgehigerteii  Parallelhöhen  vom  Hainich  bis  zum 
Steigerwald,  sowie  durch  die  bastionarti^  vorgeschobenen  Reinsberge  bei 
Plauen  und  Arnstadt  gesehtttzt,  zeigt  sicm  dementsprechend  ebea&Us  als 
ein  Gebiet  relativ  geringer  Niedtfschlige.  Ob  die  lokale  Vermehrung  der 
Xi(  ilerschläge  bei  KranichfeM  iu  orographischen  Verhältnissen  begrflndet 
ist.  lässt  sieh  schwer  entsclu  Klt  ii ;  doch  dürfte  es  nicht  unmöglich  sein, 
dass  die  zwischen  dein  Stt  i^t  rwald  und  Riechheimer  Berge  einerseits, 
den  Reinsbergen  und  Grossem  Kalm  andererseits  durchgehende  Eiusenkung 
zwischen  Ichterdiaasen  und  Eranichfeld,  in  welcher  die  Wippra  mit 
ihren  NebenbSchen  fliesst,  eme  lokale  Kondensationsschranke  an  den 
Höhen  (h  r  Ilm  entstehen  lässt. 

Oesthch  von  der  Saah^  tritt,  o])wohl  ein  bedeutender  Höhenunter- 
schied zwisclien  der  Ilmphitte  und  der  Saalplatte  nicht  existiert,  in  der 
ganzen  Erstreckung  der  Randhöhen  eine  Vermehrung  der  Niederschläge 
ein.  ]>iese  Thatsaoie  erweckt  den  Anschein,  ab  Uenra  die  Saale  selbst 
hier  der  wassererschöpften  Luft  wieder  neues  Wassergas  durch  Ver- 
dunstung, welches  nun  zur  Kondensation  kommen  könne.  Die  günstige 
Exposition  des  Saalthaies  mit  seiner  Erstreckung  von  Südsüdwest  nach 
Xonlnnrdost  ernKiglicht  die  volle  Besoiuiung  beider  üferränder  und 
eriiöht  dadurch  die  Temperatur  des  Thaies  erheblich,  wie  auch  aus  den 
oben  mitgeteilten  Temperaturmitteln  für  Rudolstadt  und  Jena,  hervor- 
geht und  Überdies  durch  die  Tfaatsache  des  dort  vorkommenden  Weinbans 
bestätigt  wird.  Die  hieraus  hervorgehende  starke  Verdunstung  dflrfte 
wohl  imstande  sein,  eine  reichliche  Menge  Wassergas  zu  liefern. 

Auch  die  Leineniederung  sehen  wir  in  unserer  Karte  durch  eine 


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Der  £iiifliias  der  Gebirg«  auf  das  Klima  von  Sfitteldeatschlaiid.  373 


gewisse  ikgcnarmut  ausgezeichuet,  als  deren  Grund  luis  Profil  3  die 
wesÜifih  Yorgelagerten  Höhen  des  Solling,  Profil  5  die  sfidweatiiieli  be- 
herrschenden Höhen  des  Obereiehsfeldee  zeigt. 

Das  obere  Werrathal  in  seiner  ganzen  Erstareckung  von  Vacha 
bis  Hildburghausen,  dazu  die  Thäler  der  oberen  Itz  und  Hodach  zeigen 
in  unserer  Karte  Niederseiiliige  von  weniger  als  60U  mm  Mächtigkeit. 
Der  Grund  hierfür  dürfte  unschwer  in  den  nach  West  und  Südwest 
vorgelagerten  dominierenden  Höhen  des  lihöngebirges  sowie  in  dem 
plateanartigen  N<Nrdfrftnki8chen  Berglande  zu  miäen  sein.  Profil  8  gibt 
uns  Auskimft  fiber  di  betrefifenden  Höhenverhältnisse.  Es  ist  je£)ch 
wohl  zu  bemerken,  dass  die  Grenze  für  GOO  mm  Niederschlag  ganz  all- 
gemein links  von  der  Werra,  also  nicht  an  der  am  tiefsten  einge- 
schnitt<^nen,  den  Abhang  des  Gebirges  begrenzenden  Linie  liegt:  das 
bei  der  Bewölkung  ausgesprochene  Gesetz,  nach  welchem  die 
Kondensation  des  Waasergaees  schon  in  einer  gewissen  Ent- 
fernung vom  Gebirgsabhang  erfolgt,  gilt  auch  in  Toller  Scharf e 
für  den  Niederschlag. 

Am  Harz  würden  wir  dasselbe  gleichfalls  in  voller  Schärfe  be- 
obachten, wenn  nicht  am  Sinlwi  st-  und  Westabhange  desselben  das 
Stationsuetz  ein  äusserst  weitniasciiiges  wäre. 

Die  Übrigen  betrachtlicheren  K>denerhebmigen  MitteldeutechUmds 
'zeichnen  sich  in  völlig  deutlicher  Weise  durch  stärkere  NiederschU&ge 
aus:  Sollinger  Wald  nnd  Wesergebirge  haben  Qber  800  mm,  ebenso  das 
Obereiolisfeld.  Dass  in  den  tief  eingeschnittenen,  auf  die  vorherrschende 
Windrichtung  senkrecht  verlaufenden  Thiilem  der  nordwestliciieii  Ketten- 
hohen  kleine  f  eng  lokal  begrenzte  Trockeugebiete  im  Kegeuschatten 
dueer  Höhenzuge  Yorkommen,  erkennen  wir  ans  dem  Vorhandensein 
einer  solchen  &ne  bei  Stadt  Oldendorf,  wo  um  ca.  270  mm  weniger 
Niederschlag  läUt  als  in  dem  unmittelbar  Torliegenden  Schiesshaus 
am  Solling. 

Auch  der  relativ  niedrige,  aber  völlig  bewaldete  Hrilienzug  des 
Elm  bewirkt  eine  erhebliche  Vermehrung  des  Niedersclilages  an  seiner 
Luvseite,  welche  bis  Riddagshausen  bemerkbar  ist.  Im  Lee,  welches 
hier,  wie  oben  gesagt,  östlich  liegt,  zeigt  sich  ein  deutlicher  Regen« 
sdiatten  in  Gestalt  einer  tiefen  Einlnichtung  der  Isohyete  für  600  mm 
bis  nach  Süpplingen  hin.  Das  Gebiet  von  G — 800  mm  umfasst  den 
grösseren  Teil  des  nicht  tiefländischen  Mitteldeutschlands.  In  dems«'ll>en 
zeigen  sich  vornehmlich  die  beiden  Hauptgebirge,  der  Harz  und  der 
Thüringer  Wald,  als  Kondensatoren  im  grossen  Massstabe. 

Als  prinzipiellen  Unterschied  zwischen  diesen  selbst  haben  wir 
zonüchst  die  erheblich  grössere  Niederschlagsmenge,  welche  der  Harz 
an  sich  kondensiert,  zu  bemerken.  Die  isriUsir  im  Thüringer  Walde 
beobachtete  Niederschlagsmenge  erreicht  elit^ii  IJiMi  mni  fN^euhans  a.  R.), 
während  der  Brocken  naeli  einigen  er>t  ni  neuster  Zeit  gelunL''«  nt  n  voll- 
ständigen Jahresbeobachtungen  der  Iviederscliliige  über  17üU  mm  ver- 
dichtet Das  den  ganzen  Hochharz  und  das  Plateau  Ton  Klausthal  um- 
fassende Gebiet  von  ttber  1400  mm  fehlt  dem  Thüringer  Walde  gibus- 
lieh,  ebenso  das  konzentrisch  gelagerte,  einen  Teil  des  Plateaus  von 
Elbingerode  umfassende  Gebiet  von  1200—1400  mm. 


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374 


Awamann, 


Der  Kamm  des  Thüringer  Waldes  hat  in  seiner  guizeu  Aus- 
dehnung, soweit  es  das  ftlr  solche  Zwecke  stets  zu  weitmasch^  Stations- 
netz zu  erkennen  erlaubt,  zwischen  1000  und  1200  mm,  an  beiden  Ab- 
hängen umgeben  von  einer  im  Süden  breiteren,  im  Norden  relativ 
schmalen  Zone  von  800 — 1000  mm.  Am  Harz  rinden  wir  die  konzen- 
trischen Zonen  der  gleichen  Niederschlagsmengen  be.sonrlo7-s  hinter  dem 
Brockengebirge  ausserordentlich  stark  zusammengedrückt  als  einen  Aus- 
druck m  die  bei  der  Bewdikung  schon  in  amlQger  Weise  gefundene 
Wirkung  der  mächtigen  Kondensation  an  der  LuTseite  des  BergmassiTefl, 
welchem  eine  entsprechend  trockene  Leeseite  gegenüber  lieg^ 

Die  Gründe  für  die  Differenz  der  Niederschlagsmenge  zwischen 
Harz  und  Thüringer  Wald  liegen  auf  der  Hand  und  sind  durchaus  die- 
selben, wie  die  für  die  analoge  grössere  Bewölkung  sprechenden :  wasser- 
dampfreichere  Luft  und  girOssere  Höhe  beim  Harz  gegenüber  dem 
niedrigeren,  kontinentaleren  Thüringer  Walde. 

£s  erübrigt  nun  noch,  die  Zahl  der  Xiederschlagstage  ttberiiaupt, 
femer  die  Zahl  der  Schneetago  mv\  der  Hageltage  zu  untersuchen. 

Der  Betrachtung  über  die  Zahl  der  Niedersclüagstage  müssen  wir 
leider  die  Bemerkung  voranachickeu,  dass  es  sich  nicht  hat  umgehen 
lassen,  Yon  den  Yorscfariften  einer  &Bt  allgemein  gültigen  Yereinbsrung 
abzusehen.  Es  gilt  nämlich  mit  Recht  seit  einigen  Jahren  der  Ghrnnd- 
satz,  als  Niedersdilagstage  nur  solche  zu  zählen,  welche  mehr  als  0,2  mm 
Niederschlagsmenge  gehabt  haben.  Ohne  hier  auf  dii»  Berechtigung 
dieser  Vorschrift  einzugehen,  möchten  wir  doch  betonen,  dass  es  für 
theoretische  Untersuchungen  durchaus  unumgänglich  sein  würde,  ausser 
diesen  Niedersclilagstagen  noch  die  überhaupt,  wenn  auch  nur  Spuren 
TOn  Niederschlägen  aufweisenden  Tage  zu  notieren.  Allerdings  würde 
eine  solche  Zusammenstellung  nur  dann  wirklichen  Wert  haben  können, 
wenn  das  hierzu  verwandte  Beobachtungsmaterial  von  gleicher  Zuver- 
lässigkeit wäre.  Die  nachfolgenden  Werte  sind  denmach  als  aus  denen 
der  Tage  mit  Niederschlägen  überhaupt,  ohne  Kücksicht  auf  deren 
Menge,  gebildete  anzusehen. 

Die  üebersicht  der  Niederschlagstage  (Tabelle  9)  zeigt  uns  zu- 
nächst, dass  mit  der  wachsenden  Höhe  im  Gebirge  nicht  nur  die  Menge, 
sondern  auch  die  Häufigkeit  der  Niederschlüge  zunimmt.  Es  könnte 
hierbei  auffallend  erscheinen,  dass  der  Inselsberg  nur  einen  Betrag  von 
108  Niederschhigstagen  aufweist,  während  Gross-Brcitenhach  215,  Klaus- 
thal 208,  Kriurt  204  und  Magdeburg  deren  203  haben. 

Die  Erklärung  hierfür  dürfte  wohl  hauptsächlich  in  der  grossen 
Schwierigkeit  der  Niederschlagsmessung  auf  Gipfelstationen,  besonders 
im  Winter,  zu  suchen  sein.  Die  grosse  Windstärke  lässt  ein  den  that- 
sächliehen  Niedersehlagsverhältnissen  entsprechendes  Ansammeln  des 
Schnees  im  Regenmesser  nicht  zu,  häutig  treibt  ein  Windstoss  alles  das 
wieder  hinaus,  was  in  Stunden  vorher  sich  angesammelt  hatte.  Die 
Notierung  euies  Niedwschlagstages  kann  aber  im  Winter  auf  Berggipfeln 
meist  nur  dann  geschehen,  wenn  wirklich  Schnee  im  Hessgefisae  ge- 
funden worden  ist,  da  sehr  häufig,  ohne  dass  thatsftchlich  Schnee  lallt, 
der  liegende  lockere  Schnee  durch  stürmischen  Wind  aufgehoben  \m(\ 
verweht  wird,  ein  Vorgang,  welchen  selbst  der  aufmerksamste  Beobachter 


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65] 


Der  EinfiiiM  der  Gebiige  auf  d»  KEna  m  MÜleldeatwiiluid.  375 

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VorMbiiBfen  nr  dentacbm  Ltodet-  und  Tollwknnde.  L  0. 


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376 


[66 


wenn,  wie  so  häufig,  der  Gipfel  in  ^en  Wolken  steckt,  nicht  von  wirk- 
lichem Schneefall  zu  unterscheiden  vermag.  Es  ist  denmach  sicherlic  h 
waiirscheinlicher ,  diese  Abnormität  durch  Fehler  der  Beobachtungä- 
nettiode  richtig  zn  erklSren,  als  durch  die  VemiutaiijKf  dass  tiiatsSch- 
lich  der  Gipfel  des  Inselsberges  schon  obeihiilb  der  Zone  der  grSssten 
Niederschlagshäufigkeit  liege. 

Die  Häufigkeit  der  Niederschlagstage  in  Erfurt  und  Magdeburg 
ist  schwer  geographisch  zu  bet^rtlnden,  besonders  da  die  entsprechenden 
Werte  der  Bewölkung  und  Niederschlagsmenge  durchaus  keine  Hand- 
habe daf&r  bieten.  Die  kleinen  Werte  rar  Frankrahausen,  Langensaln 
und  Sulza  entsprechen  der  durch  gflnstige  Exposition  gesteigerten  Luft- 
tempMwbBr,  wdche  nicht  1^ n  die  wasserdampfreicfae  Luft  von  ihrem 
Sättigungspunkte  entfernt.  Emen  einfachen  Zusammenhang  der  Nieder- 
schl^shäutigkeit  mit  der  Bodenkonfiguration,  mit  den  bekannten  Ver- 
hältnissen der  Luv-  und  Leeseiten  vermag  man  nicht  aufzufinden.  Man 
könnte  Tielmehr  eher  eine  Umkehrung  der  uns  aus  obigem  bekanuten 
Verhiltnisse  herauslesen,  indem  die  an  der  Luvseite  liegendem  Stationen 
Koburg  und  Meiningen  erheblich  weniger  Regentage  haben  als  die  im 
Lee  gelep^enen  Stntioneii  Rudolst'.idt  und  Erfurt.  Nur  Salzungen  macht 
ge^(  n  Pjisenach  eme  Aasnahme  hiervon.  Man  kann  das  Resultat  dieser 
Tabelle  auch  so  ausdrücken,  dass  die  Luvseiten  der  Gebirge  eine  grössere 
Neigung  zu  starken,  aber  selteneren  Niederschlägen,  eine  grössere 
Niederschlagsdichtigkeit  haben  als  die  im  Lee  hegenden  Gegenden, 
welchen  häufigere,  aber  schwache  Niederschläge  eigentOmlich  zu  sein 
scheinen.  Schliesslidi  lässt  sich  der  Gedanke  nicht  ganz  abweisen, 
dass  die  Häufigkeit  der  notierten  Niederschlagstage  im  graden  Ver- 
hältnis zur  Aufmerksamkeit  und  Sorgfalt  des  Beobachters  stehe,  und 
aus  diesem  Grunde  ist  die  Übliche  Vorschrift,  nur  solche  Tage  zu  zählen, 
an  welchen  mehr  ab  0,2  mm  gefaUen  ist,  sicherlich  berechtigt. 

Die  Tabelle  der  Schneetage  (10)  zeigt  uns  zunächst,  dass,  abgesehen 
Ton  den  Höhenstationeii,  in  den  Monaten  Mai  und  September  nur  äusserst 
selten  Schnee  in  Mitteldeutscliland  zu  fallen  pflegt.  Die  Notiz  von 
Meiningen,  welche  Schnee  im  .Juni  meldet,  steht  völlig  vereinzelt  da. 
Die  Luv-  und  Leeseiten  der  Gebirge  stehen  im  allgemeinen  ziemlich 
gleich  in  der  Häufigkeit  der  Schneefalle,  nur  Erfurt  zeichnet  sieh  durch 
etwas  grossere  Häiägkeit  derselben  aus. 

Bei  Stationen,  welche  nahe  dem  Leeabhange  eines  Gebildes  liegen, 
ist  auch  die  Möglichkeit  nicht  ausser  Acht  zu  lassen,  dass  Stürme  lockeren 
Schnee  vom  Gehiri^'e  aiiflieben,  ihn  in  der  Niederung  wieder  fallen  lassen 
und  hierdurch  wirkliche  Schneefalle  vortäuschen. 

In  Bezug  auf  die  Häufigkeit  der  Hagelfälle  reicht  leider  das  TeifOg- 
bare  Beobachtungsmaterial  nicht  aus,  indem  trots  genauer  Instruktion  von 
rielen  Beobachtern  Oraupel-  imd  Hagelfälle  identifiziert  oder  wenigstens 
vermischt  werden.  Die  eminent  praktische  \Vichtigkeit  gerade  der  Unter- 
suchuiiiren  über  Hagelfälle,  deren  lokales,  durch  Gebirgszüge  begün.*<tigtes 
Auftreten  in  neuerer  Zeit  vielfach  behauptet  worden  ist,  lässt  den  Wunsch 
dringend  berechtigt  erscheinen,  dass  denselben  eine  allgemeine  und 
strenge  Aufinerksamkeit  zugewendet  werden  mOge,  um  zweüeUooes 
Material  hierüber  zu  erhalten. 


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67]      Der  Emflnas  der  Gebirge  auf  dM  Klima  von  Ifitteldeatsehlaad.  377 


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378 


Anmanii, 


[68 


Die  als  Ersatz  hierfür  melirfach  versuchte  Benutzung  der  in  den 
Haj^elversicherungon  niederpfelej^ton  Daten  hat  den  grossen  Nachteil, 
da.ss  hierdurch  solche  Gegenden,  welche  vorwiegend  den  Boden  zu  Wald-, 
Hackfrucht-  oder  Wiesenbau  ausnutzen,  weniger  hagelreich  erscheinen 
müssen  als  solche,  welche  Getreidebau  treiben,  da  eben  nur  die  Hagel- 
schäden  den  Versicherungen  bekannt  werden.  Aus  diesem  Gründe 
ist  auch  das  mehrfach  gewonnene  Resultat,  dass  die  Gebirgsgegenden 
weniger  Hagelfalle  aufweisen  als  die  Niodeningen ,  mit  Vorsicht  auf- 
zunehmen, da  in  den  höheren  Lagen  der  Gebirge  Getreide  cjar  nielit 
oder  nur  in  geringen  Mengen  gebaut  wird,  während  die  fruchtbaren, 
Uimatiech  begOnstigten  Niederungen  vorwiegend  Getreidebau  zu  treiben 
pflegen 

Fiussen  wir  abermals  die  Resultate  der  Unterauc^UBgen  Ober  den 
Einfiuss  der  Gebirge  auf  die  Uydrometeore  kurz  zusammen,  so  finden 

wir  folgendes: 

1.  Die  Bcwöikuu^  wird  in  ganz  hervorragender  W'eise 
durch  die  Gebirge  beemflusst,  indem  an  den  LuTseiten  «ine 
Vermehrung,  an  den  Leeseiten  eine  starke  Yerminderung 

derselben  zu  konstatieren  ist. 

2.  Dit»  Znnahmp  der  Be\V()lkung  beginnt  an  fl»'r  Luv- 
seite der  (lebirge  schon  in  einer  gewissen  Entfernung  vom 
Fusse  derselben. 

3.  Im  Herbst  und  Winter  ist  der  Einfiuss  der  Gebirge 
auf  die  BewSlkung  derUmgebunff  ein  st&rkerer  und  weniger 
örtlich  schwankender  als  im  Frühjahr  und  im  Sommer. 

4.  Das  Ilar/f^ebirge  hat  eine  stärkere  Bewölkung  als 
der  Thüringer  Wald. 

5.  Die  Niederschlagsmengen  werden  von  den  Gebirgen 
ebenfalls  sehr  stark  beeinflusst,  indem  die  Luvseiten  erheb- 
lich feuchter  sind  als  die  Leeseiten,  an  welchen  sich  in 
grösserer  Entfernung  von  den  Gebirgen  ausgeprägte  Trocken- 
zonen entwickeln.  Selbst  (geringfügigere  Bodenerhebungen 
zeigen  diesen  Einfiuss  auf  das  deutlichste. 

6.  Die  Zunahme  der  Niederschläge  erfolgt  an  der  Luv- 
seite der  Gebirge  schon  in  beträchtlicher  Entfernung  vom 
Fusse  derselben. 

7.  Die  Niederschlagsmengen  des  Harzgebirges  sind  be- 
trächtlich grösser  als  die  des  Thüringer  Waldes. 

H,  Die  Zahl  der  Niederschlagstage  zeigt  keine  von  den 
Gebirgen  direkt  abhängige  Verteilung;  die  Niederschhigs- 
dichtigkeit  scheint  an  den  Luvseiten  der  Gebirge  grösser  zu 
sein  als  in  den  Leeniederungen. 

9.  Die  Zahl  der  Schneetage  zeigt  keinen  deutlichen  Zu- 
sammenhang mit  der  Bodenkonfiguration. 

Ueber  den  £influ8s  der  Gebirge  l^tteldeutschlands  auf  die  Haufig- 


^)  Dt'r  Yetfemer  hat  in  seiner  Abhandlung:  ,Die  Gewitter  in  Mitteldeutsch- 
land", Halle,  Verlag  von  Tausch  &  Grosse,  1885,  den  Versuch  gemacht.  ein»> 
Hagelkarte  von  Mitteldeutschland  zu  konstruieren,  auf  welche  hier  verwiesen  sei. 


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69]       ^  Emflius  der  tiebirge  auf  das  Kliina  yon  Mitteldeutschland.  379 


keit,  Schwere,  Gefährlichkeit,  sowie  auf  die  Zugrichiung  der  Gewitter 
in  dieser  Abhandlung  zu  berichten,  isfc,  so  sehr  macSi  doraititfe  Unter- 
suchungen unserem  Thema  angemessen  sein  würden,  zur  Zeit- noch 
nicht  ausftihrbar,  da  das  speziell  fUr  Mitfceldeutsehland  verwendbare 
Material  noch  zu  wenig  reichiialtig  ist,  um  diesen  verwickelten ,  oft  in 
eug  lokale  Grenzen  eingeschlossenen  Erscheinungen  folgen  zu  können. 

Klimfttiselie  Beilrke  in  MItteldeiitsdilaBd, 

Unserem  eingangs  entwickelten  Plane  gemäss  wollen  wir  nun  zum 
Schluss  versuchen,  eine  kurze  klimatographisclie  Charakteristik  « inzelner 
besonders  hervorstechender  Be/irkt-  zu  geben  unter  steter  Rücksicht- 
nahme auf  die  Wirkung  der  zugcliürigen  Boden-Erhebungen. 

Die  orographischen  YerhSltnisse  dieser  Bezirke  smd  auf  S.  16  ff. 
aosfbhrlich  angegeben. 

Die  Mulde  des  westlichen  Harzvorlandes  ist  klimatisch 
charakterisiert  durch  Vorherrschen  südwestlicher,  demnächst  aber  nord- 
westlicher Winde,  welche  nicht  gerade  selten,  im  Jahre  1884  sogar 
13  mal,  stürmisch  wehen.  Trotzdem  bewirkt  der  Windschutz  der  Weser- 
berge, besonders  des  Solling,  eine  grosse  Uftnfigkeit  von  WindstOlen, 
welche  im  Mittel  an  50  Tagen  beobachtet  werden.  Die  günstige  Ex- 
position der  Leine-Niederung,  ihre  Zugänglichkeit  gegen  südliche  Winde, 
während  der  Harz  die  kalten  nördhcheu  Winde  abhält,  bedingen  eine 
verhältnismässig  hohe  Temperatur.  Besonders  warm  ist  der  Soiiuner, 
in  welchem  mittlere  Monatsmaxima  von  fast  25 absolute  Maxima  von 
35  *  Torkommen.  Andererseits  bewirkt  die  häufig^  Luftrohe  im  Winter 
leicht  Ansammlnng  kalter  Luft,  welche  Ton  allen  Seiten  m  der  Leine- 
niederung  zossmmenstrOmt.  Im  Januar  1881  kamen  Minima  Ton 
—  24  °  vor. 

Die  Zahl  der  Sommertage  beträgt  gewöhnlich  28  -80,  die  der 
Frosttage  05,  während  Eistage  nur  5 — 8  vorzukonnuen  pflegen.  Die 
Bewdlkung  ist  im  Mittel  eine  massige,  heitere  Tage  kommen  durch- 
schnittlich 80—35,  trabe  dagegen  190  Tor.  Die  NiederscUagamenge 
betrSgt  im  Mittel  wenig  über  500  mm;  Niederscfalagstage  kommen 
gegen  150,  darunter  33  Schneetage  vor. 

Die  dem  Fusse  des  Harzgebirges  näherliegenden  Teile  haben 
grössere  Bewölkung  und  grössere  Niederschlagsmengen. 

Die  Mulde  des  nördlichen  üarzvorlandes  ist  in  ihren  klima* 
tischen  Verhiltnissen  zum  grossen  Teile  von  der  N&he  des  Heeres 
abhängig,  wird  jedoch  auch  in  erheblicher  Weise  von  dem  Harz- 
gebirge beeinflusst;  der  vorherrschende  Südwestwind  wird  ziemlich 
häufig  von  dem  Nordwest  abgeh'ist,  welcher  relativ  häufig  stUrinis(  h  auf- 
tritt: Windstillen  sind  in  den  dem  Gebirge  nahen  Halberstädter  Becken 
ziemlich  häufig,  seltener  in  der  nördücher  hegenden  und  weniger  ge- 
schOtzten  Aueniedemng.  An  dem  Rande  des  uebirges  treten  zuweilen 
föhuartige  Erscheinungen  auf.  Die  Temperatur  des  Halberstädter 
Beckens  ist  relativ  hoch,  während  die  Aueniederung  am  Elm  etwas 
kälter  erscheuit.   Sommertage  kommen  durchschnittUch  3Q,  Frosttage 


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380 


AHBimwiPf 


[70 


Segen  80,  Ei.stüge  10  vor.  Gharakteriatisch  ist  für  diesen  klimatischeD 
tesirk  die  rekÜT  geringe  Neigung  zn  etailrer  nSdiilicher  AnsstnUiing; 
Schwanebeck  hat  z.  B.  in  den  letzten  4  Jahren  sein  abaolntes  Tem- 
peratorminimüm  mit  —  H^^O  erreicht.  Die  höchste  beoboditete  Ton- 

peratur  betrug  33 so  dass  die  mittleren  absoluten  Extremr  noch  nicht 
4()  °  aus  einander  liegen.  Meeresniihe  und  f?ute  Ventilation  scheinen 
die  Hauptgründe  für  diese  geringe  Jahressch wankung  der  Temperatur 
zu  sein. 

Die  mittlere  Bew()1kting  ist  infolge  der  Gebirgswirkung  eine 

relativ  geringe  trotz  ilrr  MeeieanUhe;  die  Menge  der  Niederschläge 
liegt  zwischen  600  und  700  mm  und  sclieint  vom  Harz  nichl  bedeutend 
beeinflusst  zu  sein,  die  Zahl  der  Niedersclilagstagc  ist  ziemlich  be- 
trächtlich, für  Schwanebeck  181,  von  welchen  circa  30  Sclmeetage  sind. 

Die  Braunschw^eiger  Niederung  verliert  durch  ihre  Meeres- 
nfthe  schon  einen  sehr  grossen  Teil  der  durch  den  Harz  hervorge- 
rufenen Witterungs  -  Eigentümlichkeiten.  Der  waldige  Höhenzug  des 
Elm  beeinflusst  in  deutlicher  Weise  die  ihm  naheUegenden  Gegenden 
in  Bezug  auf  Niederschläge,  indem  er  schon  in  der  Oogend  von  Hraun- 
schweig  eine  Vermehrung  derselben  hervorruft,  während  in  seinem  Lee 
eine  erheblich  trockenere  Zone  sich  findet.  Die  Zahl  der  Niederschlags- 
iage  ist  eine  ziemlich  grosse,  die  Regendichtigkeit  aber  going. 

Trotz  der  Meerenge  kommen  gelegentlich  bedeutende  Tempe- 
raturemiedrigungen  vor ,  wie  in  Brauuschweig  dnmal  —  23 "  beob- 
achtet worden  ist ;  doch  ist  diese  Erscheinung  ausserordentlich  selt-en, 
80  dass  das  mittlere  absolute  Minimum  nur  —  16 "  beträgt.  Der  höchste 
erreichte  Temperatur  wert  betrug  33  ",ö. 

Der  ndrdlich  vom  Elm  gelegene  Teil  der  Braunschweiger  Niede- 
rung erschemt  in  seinen  TemperatEunrerh^ltnissen  nicht  nm>edeiitend 
extremer,  wie  die  Aufeeichnungen  in  Maricnthal  erkennen  lasseo,  dessen 
absolutes  Minimum  und  Maximuni  3 .'".8  und  —  25 %0,  dessen  mitfeiere 
absolute  Extreme  34^3  und  —  18,»>  betragen. 

Es  erscheiut  nicht  unmöglich,  dass  der  nördlich  au^enzende, 
durch  starke  Temperaturschwankungen  ausgezeichnete  kümatuche  Be- 
zirk dee  Drömling  einen  gewissen  Einfluss  auf  die  nftchste  Umgebung 
in  dieser  Hinsicht  ausübt. 

Die  klimatischen  Verhältnisse  der  Börde  sind  vnrnehnilith  in 
den  Bewölkungs-  und  Niederschlagsverliältnissen  vom  Harzgebirge  ab- 
hängig, da  sie  noch  zum  grössten  Teile  in  dessen  Windschatten  liegt. 
Die  Bewölkung  liegt  unter  65®/o,  die  Niederschlagsmengen  bleiben  fest 
allgemein  untor  500mm,  gehören  daher  zu  den  geringsten  in  Ifitfeel- 
deutschland  beobachteten.  Egeln  hat  im  Mittel  nur  469,  Hedersleben 
481  mm.  Die  Anzahl  der  Niederschlagstage  ist  ziemUch  gross  (Magde- 
burg hat  gegen  200) ,  die  Regendichte  demnach  sehr  gering.  Schnee 
fallt  nur  an  28  -30  Tagen. 

In  der  Temperatur  steht  die  Börde  der  Ilalberstädter  Niederung 
etwas  nach,  doch  sind  die  'V^brmeschwankungen  ebenftlls  nieht  be- 
sonders grosse.  Besonders  ist  der  Winter  im  allgemeinen  relativ  mild, 
während  der  Sommer  nicht  selten  Temperaturmanma  von  über  35  • 
bringt/  Sommertage  kommen  36—40,  Frosttage  80—90,  Eistage  nur 


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71J        I>er  EinÜus«  der  Gebirge  auf  da«  iviinia  von  Mitteldeutsciilaud.  381 

18 — 19  vor.  Da  der  Boden  der  Bftrde  nahezu  ganiUdi  waldlos  ist, 
emheint  die  starke  Sommerwärme  verstiadlich. 

Diis  Thüringer  Becken  bildet  gewissermassen  eine  klimatische 
Provinz  mitten  in  Deutsclüand ,  indem  es  durch  seine  allseitige  Um- 
randung mit  Bodenerhebungen  dem  £influss  der  Umgebung  bis  zu 
einem  gewissen  Grade  entzogen  ist.  Im  Sommer  steigt  die  Temperatur 
häufig  auf  betrftchtliclie  Werte,  so  dass  gefegenilieh  Maihna  von  UW 
3G  **  erreicht  werden ;  im  Winter  dagegen  bedingt  der  Zusammenfluss 
kalter  Tiuft  von  den  Gebirgen  nicht  selten  ein  starkes  Heral)frt'ht'n  der 
Temperatur,  so  dass  Minima  von  —  27 "  nicht  zu  den  Seltenheiten  ge- 
hören, während  solche  von  fast  —  29°,  wie  im  Januar  1886  in  Langen- 
salza, nur  selten  vorzukommen  pflegen.  Unmittelbar  über  dem  Erd- 
boden gehen  die  Minimalwerte  bis  unter  — 30*  herab,  besoaders 
wenn  der  Boden  schneebedeckt  ist.  Dass  trotzdem  das  Jahresmittel 
der  Temperatur  ein  relativ  hohes  ist,  wird  nur  durch  die  hohe  Sommer- 
wäiine  veranlasst.  Die  Wärmesch wankmiij  ist  infolge  dieser  ausge- 
sprochenen Kontinentalität  Thüringens  eine  betriuhtliche ;  sie  beträgt 
zwischen  den  mittleren  absoluten  Extremen  lür  Erfurt  53'*,7,  für 
Rudolstadt  54*,8,  fÖr  Langensalza  51*,6.  Die  mittleren  Extreme  be- 
tragen für  Erfurt  13^0  und  Frosttage  kommen  im  Thüringer 
Becken  110—112,  Eistage  23— 26  TOr,  während  Sommertage  im  Mittel 
40 — 45  Ijcobachtet  werden. 

Die  Bewölkung  des  Thüringer  Bec  kens  ist  eine  relativ  geringe, 
desfdeichen  die  Summe  der  jährhchen  Niederschläge.  Der  Thüringer 
Wud  macht  den  südöstlichen,  das  Obere  Eichsield  den  westlichen  Teil 
Thüringens  trocken.  Trotzdem  ist  auch  in  diesen  trockenen  Gebieten 
die  Zidil  der  Niederschlagstage  sehr  gross,  die  Regendichte  aber  sehr 
Idein.  Als  Schnee  fiillt  der  Niederschlag  durchschnittlich  an  4()  bis 
4.^  Tagen.  Am  Rande  des  Gebirges  kommen  gel^enÜich  gut  aus- 
geprä^  Föhnerscheinungen  vor. 

Das  Werrathal  stellt  gleichfalls  einen  gut  isolierten  klimatjaehen 
Bezirk  dar,  dessen  EigentOmMehkeit  wesenweh  durch  seine  Lage  an 
der  Luvseite  eines  hohen,  dem  vorherrschenden  Winde  rechtwinklig 
exponierten  Gebirgsrückens  bedingt  wird.  Bewölkung  sowohl  als 
Niederschläge  sind  relativ  bedeutend,  letztere  fallen  vornehmlich  in 
seltenen  aber  kräftigen  Güssen. 

Die  günstige  Exposition  gegen  die  Somie  und  die  warmen  sttd- 
lichen  Winde  Teneihen  trotzdem  dem  Werrathal  ziemlich  hohe  Tem- 
peraturen, welche  weniger  durch  hohe  Sommerextreme  als  durch  im 
allgemeinen  massige  Winterminima  bedingt  werden.  Das  KUma  des 
Werrathales  ist  entschieden  ein  gemässigteres  als  das  des  Thüringer 
Beckens  zu  nennen,  da  die  mittleren  Maxima  12°,2,  die  mittleren 
Minima  8^2  betragen;  die  mittlere  Jahresschwankung  beträgt  ftlr 
Heiningen  nur  8^0,  f&r  Erfurt  dagegen  9^5,  ftlr  Rudolstadt  10%7. 
Heiningen  hat  nur  25,  Salzungen  35  Sommertage  gegenüber  Rudolstadt 
mit  47.  Ebenso  kommen  in  Meiningen  nur  90,  in  Rudolstadt  116,  in 
Erfurt  110  Frosttage,  Eistage  in  Meiningen  15,  in  Salzungen  14,  in 
Erfurt  aber  26  vor.    Schneetage  hnt  Meiningeu  4U,  Erfurt  48. 


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382 


[72 


Diese  kui-ze  Skizzienmg  der  hauptsächlichsten  klimatischen  Be- 
zirke Mitteldeutschlaiitls  sowie  die  vorhergehende  Untersuchung  der 
eiiizt'lnen  klimatischen  Faktoren  dürfte  beweisen,  dass  die  Gebirge  Mittel- 
deutschlands in  der  That  einen  sehr  erheblichen  Einfluss  auf  die  Aus- 
gestaltung des  KUnuu  in  diMon  Gebiete  anetiben. 

Dieser  Tümfliiaa  ftussert  sich  hauptsftcUicli  in  der  Weise,  dass 
die  Luvseiten  der  Gebirge  nebst  ihrem  nächsten  Yorlande 
ein  limitierteres,  die  Leoseiten  bis  auf  weite  Entfernungen 
hin  ein  excessiveres  Klima  erhalten.  Das  Binnenlandsklima 
wird  daher  in  ein  Küsten-  und  in  ein  verstärkt  kontinentales 
Klima  zerspalten;  die  erheblich  grössere  Wirkungssphäre 
der  Gebirge  nach  ihrer  Leeseite  hin  bedinfft  als  allgemeines 
Besultat  der  Gebirgswirkung  eine  Vermehrung  der  Konti- 
nentalität.  Andererseits  sind  die  Gebirge  selbst  für  die 
Regenbenetzung  von  erheblichstem  Einfluss,  indem  sie  ge- 
wissernias  sen  Fangapparate  für  den  atmosphärischen  Wasser- 
dampf darstellen. 


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Der  EiuÜuss  der  Gebirge  auf  dM  SHma  von  Mitteldeutschland.  d8t^ 


Meli«  UmHXkSkw  BeolMMktagwtatfitten  in  liitteldealseUaiid 
nlt  Angabe  ier  in  ien  Kttrtm  geliranckttn  Abktrsnngen^ 

nach  EUma-BeKirken  geordnet 


Klinia-Bozirk 

Station 

Ottf*  1 

Abkür/uug 

in  (Inn 

1.  Harz. 
A.  Oberharz, 
a.  JriaL  v.  iruuiraiu 

1» 

o<ns 

A 
«• 

vim. 

b.  Hochharz 

2. 
3. 
4. 
5. 
6. 
7. 
8. 
9. 

Eknd  

1142 
615 

774 

585 

(706) 

(550) 

(620) 

2. 
4. 
4. 
2. 
3. 
5. 
4. 
& 

Br. 

Schrf. 
MhK. 
Snbg. 
Sch. 
Stöb. 
Brlg. 

B.  Unter  harz, 
a.  Plateaa  v.  Elbin- 
gerode 

10. 
11. 

12. 
13. 
14. 
15. 
16. 
17. 
18. 
19. 
20. 
21. 
22. 
23. 

Todtenrode  

(450) 
(400) 
(490) 
(640) 
(380) 
(460) 
(260) 
(420) 

(490) 
(537) 
(420) 

(435) 
298 

5. 
5. 
5. 
5. 
4. 
5. 
3. 
4. 
4. 
5. 
5. 
5. 
4. 
6. 

Kh. 
Rüb. 

Wied. 
Hsf. 

Nstdt. 
Gtbg. 
Brtat. 
Allr. 
Vict. 

Todt. 
Rgst. 

b.  Flatoaa  Han- 
gerode 

Gl  Harsrftnder. 
ft.  weltlicher 

24. 
25. 
26. 

27. 

840 

325 
(360) 

(220) 

4. 

2 

4. 
4. 

Hgr. 
Hrb. 
Sees. 

b.  nllrdliidiAr 

28. 

29. 
80, 

81. 

32. 
33. 

35. 
36. 
87. 

Tlunhiircr  ....... 

Thale  

Ballenttedt  

(230) 
(250) 
(280) 
(190) 
(180) 

107 

(162) 
(220) 
200 

A 

3. 

3. 

5. 

3.  . 

Q 

4. 
4. 
8. 

Hbff. 

Stpbg. 

Ib. 

Bkbg. 
Lgst. 

Bau. 

e.  Mlicher 

38. 

160 

4. 

iSngh«. 

d.  tödlicher 

:{9. 
40. 
41. 

(170) 
222 
(260) 

3. 
2. 
6. 

Rssl. 
Ndha. 
Wlkr. 

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3S4 

Asemann, 

TIA 

[74 

KliiMrBeriik 

Nr. 

Station 

h6be 

Ord- 
nang 

AbkürEimg 
m  don 
Karten 

».  BoUingw  Wald. 

8.  Ii«iae'Nied«nuig. 

42. 

43. 
44. 
45. 

345 
150 

5. 
4. 
2. 
4. 
4. 

Fstbg. 

NUun. 
Wreseh. 

4.  HordirwtlfolM 

46. 

47. 
48. 
49. 
50. 
51. 
62. 

228 

5. 
4. 
5. 
5. 
5. 
5. 
5. 

Hbif. 

Stold. 
Schold. 

OtM. 

HLch. 

Bodst. 
Lchtog. 

6.  firaonaohweiger 

53. 
54. 
55. 
56. 
67. 
68. 

Braunschweig  ..... 
LandesbaumMhule  .... 

62 
87 
86 

2. 
2. 
2. 
5. 
4. 
6. 

Üfg. 

Lbsch. 
Rddgh. 
Cmp. 

t*  Elm  a.  Halm« 
•tadNr  Hota. 

59. 
60. 
61. 
62. 
63. 
64. 

6nM8>Itobde  

VoigtÄclahluna  ..... 

bommerschenbiug  .... 

128 
143 
190 
160 

6. 

5. 
5. 
4. 
4. 
4. 

Gr.Rd. 

Voigt. 
SppL 

Sschbg. 
Umdt 

7.  HUdaoätober 
HOlMn. 

65. 
66. 
67. 

52 

3. 

4. 

o 

Wfl. 

Fleh. 
Nhldb. 

8.  Ohre. Niederung 
(DrömlixLg). 

68, 
69. 
70. 

Dorst  

Calvörde  

43 
68 

4. 
3. 
S. 

Dst. 
Clv. 

9.  Altmark. 

a.  nfirdliohe 

71. 

72. 
73. 
74. 
75. 
76. 
77. 
78. 

Brunau   

Seehauson  i/A  

(ir.  Möhringen  

Trfifltedt  

26 
32 
23 

49 

3. 
2. 
3. 
4. 
4. 
4. 
2. 
4w 

Btz. 

Bm. 
Seeh. 
Ostbg. 
Gr.-Mdhr. 

Tnt 

b.  sttdliche 

79. 
80. 
81. 
82. 

o^i  

4. 

5. 
4. 
4. 

LdU. 
En. 
Sehr. 
Rog. 

10.  Bted«. 

83. 
84. 
86. 
86. 
87. 
88. 

Hundisburg  

Grosü-Ammenslebea  .  .  . 
Gross-Rodonsleben  .... 
Klein-Ottersleben  .... 

GroM-Waiulebea  .... 

(70) 
54 

4. 
4. 
5. 
4. 
1. 
4 

Hdbg. 

Anisl. 
Gr.-Rdl. 
K1.4)tiL 

WaL 

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76]      I>er  EinfluM  der  Gebirge  auf  das  Kliina  von  MitfceldeafcBchland.  385 


Station 


Meore«- 
höhe 

Ord- 

1  ADkarnng 

In  dun 

1  Kuian 

4. 

heeu. 

(150) 

4. 

bchorm- 

4. 

Hl. 

4. 

\V  eg. 

DO 

4. 

Eg. 

4. 

Bckdf. 

3. 

Wolm. 

4. 

Bdf. 

3. 

Schub. 

76 

4. 

Hnl. 

77 

2. 

Bembfif. 

92 

3 

TT  l  XUU. 

4. 

8tuf. 

8. 

neu. 

— 

4. 

Mbr. 

4. 

Wir. 

8. 

TT  

Hm. 

4. 

Bbg. 

— 

5. 

Alt. 

4. 

SÜbg. 

4. 

WaagL 

— 

5. 

Hbs. 



3. 

BL 

3. 

Schit 

110 

2. 

0 

Dhir 

LXVXkm 

Hm 

4. 



4. 

Gr.-Wl. 

K 

Gbst. 

4 

Edb. 



3. 

Crlw. 

4. 

leut. 

4. 

118 

Mchln. 

4. 

fecnonw. 

 ^ 

3. 
4. 

Mnchpf. 
Redl. 

ISO  {'>\ 

o 
O. 

131 

2. 

Art. 

3. 

Aum. 

3. 

Gr.-We. 

202 

2. 

805 

3. 

Imr. 

11.  Hakelinld. 


12.  Aae-Niedenmg. 


18.  HalberatAdier 


14.  Xansfelder 
HflgeUand. 


16.  Thüringische 
Chrensplatte. 


16.  Ooldeae  Aat. 


17.  Hainleite. 


104. 
105. 
100. 
107. 
108. 
109. 
110. 
III. 
112. 


119. 
120. 
121. 
122. 

123. 
124. 
125. 

126. 
127. 
128. 
129. 
130. 
181. 
182. 

133. 
184. 


108.  Hetebom 


Seehauson  (W.) 
Schennke    .  . 
Hadraersleben  . 
Weateregeln  . 
Egeln     .    .  . 
Bleckcndorf 
Wülmirsleben  . 
Bahrendorf .  . 
Schönebeck 
Hohen-Erxleben 
lir  i  n  bürg    .  . 
"VVarniiidorf .  . 
StaiSfifurt    «  . 
Heckliiigeii 


Wulferstedt  .  . 

Kunenlebea  .  . 

Barneberg  .  .  . 

Altenrode  .  .  . 
Sttttterlingenbarg 

Was-serleben  .  . 

Hessen   .  .  .  . 

Badeielebeii  .  . 

SoUanatedt  .  . 


Schwanebeck 
Derenburg  . 
Hederelebea 
Hoym    .  . 
Aaäiereleben 


118.    Gross- Wirschieben  . 


Gerbstädt  . 
Erdebom  , 
Cröllwitz 
Teutschenthal 


Morfeburg 

Korbetha 

MtUsheln 


Schönewerda  •  ,  . 
Mönchpfiffel  .  .  . 
Reinsdorf  .... 
FrankenhanMn    .  . 

Artem  

Aumühle  .... 
Oron*WechBiiiigeii  . 


bnnienrode . 


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886 


17« 


Klima-Bezirk 

Nr. 

Station 

Meert.'s- 
höbe 

18.  Eiohflfeld. 

135. 
186. 
187. 

Lengenfeld  o.  St  ... 

4. 

2. 

3. 

Dglst. 
Lfio. 

19.  bafFiuger 
WaM. 

138. 

204 

2. 

80t  B«iliB0cr 
SOImb. 

139. 
140. 
141. 

226 

4. 

3. 
4. 

Krn. 

Schi. 
Gr.-Er. 

81.  Helbe-Unstr.. 
Kiodemag. 

143. 
144. 

145. 

jHemml«ben  

201 

1- 

2. 
3. 
3. 

4. 

Grs. 
HmL 

146. 
147. 
148. 
149. 

WiBd.*Holsliaa«en   .  .  .  ■ 

195 
196 

3. 
3. 

3. 

Tftk 
WUih. 

88.  Owtl.  Thflr. 
84.  nmthAL 

150. 

161. 

1.52. 

ioo. 

Buttfitädt  

184 
228 

4. 

2. 
2. 
4. 

Btät. 

Sls. 

Krf. 

86.  SttdL  Thflr. 
HoohflAche. 

164. 
155. 
15ti. 
157. 
158. 
159. 
160. 
161. 
168. 

OesteriMbriagsn  

3. 
3. 
4. 
3. 

3. 
4. 
4. 
4. 
3. 

Wik. 

^n8df. 

WndL 
FnL 
Bnst. 

m. 

6Ui. 
Otfeb. 

26.  Nordr&ud  des 
Thür.  Wald«!. 

168. 
164. 

1G5. 
166. 
167. 
168. 

170. 
171 
172. 
178. 

Rudolstadt  

Blankenburg  ifVh  

Cmwinkfl 

Friedrichrodii  ..... 

Ktm<M*K  

217 

225 

287 

253 

240 

3. 
2. 
3. 
3. 
4. 
2. 
4. 
4. 
3. 
4. 
2. 

Saalf. 

Bkbg. 
SUliu. 
Ihn. 

Crw. 

Ohrd. 

Frdr. 

Lch. 

87.  Westnuid, 

174. 

f 

3. 

Bka. 

175. 
176. 
177. 

5. 
4. 
5. 

Möhr. 
Ast. 
Scfamlk. 

Digitized  by  Google 


77]      ^  Emflnts  der  Gebirge  anf  da«  KUma  toh 


387 


Klima-Bezirk 


Nr. 


Station 


M« 

höbe 


Ord- 

nong 


Abkürzung 
In  den 
Karton 


K  Oberes 
thaL 


80.  Tor  der  BiOm, 


81.  Nordfr&nk. 
Bergland. 


32.  Kamm  des 
Tbflring.  Waldes. 


88.  Frankenwald. 


86.  SaalpUtte. 


36.  Halle  Leipsiger 
Tieflandsbuohi. 


87.01 


Tieflrad. 


178. 
179. 
180. 
181. 
182. 

183. 
184. 
185. 

186. 
187. 
188. 
189. 

190. 
191. 
192. 
193. 
194. 
195. 
196. 
197. 
196. 

199. 

m 

201. 
202. 

208. 
204. 
206. 
206. 

207. 
208. 
209. 
210. 
211. 
212. 

2i:i 
214. 
215. 
210. 
217. 
218. 
219. 
220. 

221. 

222. 
223. 
224. 


Salzimgen  .  . 
Meiningen  .  . 
Themar  .   .  . 

Hildburghansen 
Eisfeld   .    .  . 


253 
311 


Stadt  Lengsfeld 
Friedelshausen 


Rodach  .  . 
Ummerstadt 

Coburg  .  . 
Neustadt  b/C. 


Inselsberg  .  .  . 
Oberhof  .  .  .  . 
Schmücke  .  .  , 
Neustadt  a/R.  *  . 
Gro88-Breitenbach 
Oberhaan  .  .  . 
Katzhfltte  .  .  . 
Neuhaas  a/K.  .  . 
Menra  .... 


Sonneberg  

Lehesten  

Leutenberg  

Bucha  461 


324 

327 

906 
808 
910 
801 
630 
584 
434 
806 
528 


302 


Jena  .  .  , 
Camburg  , 
Nanmbuxg  . 
WeisMufide 

Eiaenberg  . 
Wetzdon  . 
Schkölen  . 
Zschoigola  . 
Webau  .  . 
Wiedebach  . 


Zeitz  .    .  . 

Lotzen  .  . 

Oetzsch  .  . 
Dürrenbttg 

Dölkau  .  , 
Leipzig  . 

Gröbers  .  , 

Halle  a/S.  . 


159 


Landsbei^ 
Düben  . 
Brachstedt 
COnefai  . 


92 


2. 
2. 
5. 
3. 
4. 

5. 
3. 
5. 

8. 
4. 

2. 
2. 

2. 
2. 
4. 
3. 
2. 
3. 
3. 
3. 
3. 

5. 
5. 

3. 
3. 

2. 
4. 
4. 
3. 

4. 

4. 
4. 
4. 
4. 
3. 

4. 

3. 
4. 
5. 
4. 
2. 
2. 
2. 

3. 
8. 
3. 
4. 


Them. 
Hild. 
Eisf. 

St.  Lng. 
Frdh. 
Kl.Ndlim. 

Rod. 
Unisi 

Nstdt. 


Sdint. 
Nstdt. 

Oblin. 
Ktah. 

Meur. 

Sbg. 
Lhst. 
Ltbg. 
Beb. 


Cmbg. 
Nmbg. 
Weisf. 

Eisbg. 

Wtzdf. 

Schk. 
Zflchorg. 

Web. 

Wdb. 


Lts. 

Drbg. 
D51k. 

OrOb. 


Ldbg. 
Düb. 
Brst. 
C8ss. 


Digitized  by  Google 


3g8  AramBim,  Der  Einflim  der  Gebirge  auf  daa  Klima  von  HitteldeixUchlaad.  [7( 


Klima- Bezirk 


Nr. 


88.  Oeatliche  Elb- 
ITiedenmg. 


225. 
226. 
227. 
228. 
229. 
230. 
231. 


Station 


233. 
234. 
235. 
236. 
237. 
238. 
239. 
240. 
241. 
242. 
243. 
244. 
245. 
246. 
847. 
848. 


Die  mit  einem 
Und.  Wstterkonde  u. 


Glauzig  .... 
Gröbzig  .... 
Klein-Paschleben . 
Göthen  .... 
Trebbichau  .  . 
Frasadorf  .  .  . 
Qaellendorl  .  . 
Deeeaa  .... 

Wörtlan  .... 
Zerbst  .... 
Badewite  .  .  . 
Randau  .... 
Föthen  .  .  .  . 
HohennatB .  .  . 
(lörzke  .  .  .  . 
Hingelsdorf  .  . 
Niegripp  .  .  . 
Fienerode  .  .  . 
Genthin  .... 
Bergzow  .  .  . 
Parey  a./Elbe  .  . 
Ferchland  .  .  . 
Jericho  w  .  .  , 
Hohenbellin    .  . 


a5 


4. 

4. 
4. 
3. 
4. 
4. 
4. 
2. 

4. 
3. 
4. 
4. 
4. 
4. 
4. 
4. 
4. 
4. 
4. 
4. 
5. 
4. 
3. 
4. 


Abknrzi 
In  ( 
KMrtnj 


Wr 


und  La 


Hb 


SttUonen  inliAmii  aWhi  da 
B5lMB*ABgalwa  sind  nur  MigenliiwH 


MtU«WBttM  Am  Ttreln 


DraokMilMriMriflhtfgaiif. 


In  Kart«  5.  Schnei-hölio  r.iid  MlniuialtornporatTiri'ii  am 


Iii  1^»....  ^.  «,vu^.   Juiuar  1886,  muBs  e«  heiiy| 

8.  Jwuw;  »a'di  i»t  In  den  IniwU  die  »uf  Seito  a8a  beginnende  Tabelle  gimtüdxer  B«obi 
■UttoMB  ta  KtttaMmtMlilMd  He.  nMh  ttamuOuXm. 


Digitized  I 


)ogIe 


i-ittridt  Inntr-.rtf 


KJnnifti  iurf/  QtinUuibiUTf 

ITi  Jitk'tM-  W:il(l  unil  Haj'z  zwischen  Höxter  und Üuedliiibiu'u. 


und  L;ip|)wald. 


'  _TSBirin  ^er  ~C"re!ii«platte 


0  K. 


Umplatt«-  ^—^wä\ 

VtY.f.V 


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llpckeii 


1  i 


ii:f»r  Bocken 


Ilöhmsktüa  in  JiMlnm,,  />i>  Vertikalhnim 
nutrkiren  HoriMontälttbständf  ron  lO  Kilometmt . 


ro  E.N.r. 


P  r  a  n  Ii  e  n  -  W  .1  1  <1 


S.£. 


Gaogle 


Digitizeö  by  LiC  Ogle 


»VI. 


LUFTDRUCKMITTEL 

der  JaJirc  1883, 1RB4-  und  I88:>. 
TurluTrstiu'iiiIi«,  xvfpiUiSull^slP 
Windrichtung. 


ÖsU.  von  Gri'nnwrirh  12 


Grof  r»|ih  \unl    v   Waijnrf  (■  Drlir%  Lcipnü 


Google 


H92. 


10 


52 


LUFTDRUCKMITTEL 

DKH  JAHRES  ZK  ITEIV 
auH  den  JaJiren  1083.  iHBt  iLiaas. 

VX'iiitrr  KriilijiiJii-,  Suiimiii-  Ilri4isl. 


760 


782 


HaJdensie'r''-'^ 
Höhen 


32 


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10 


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(isLI.  von   (1  r »' piiwirli  12 


d  by  Go4igle 


ÖslJ.  von  Grp»>nwirh  12 


CroJra|ih.  Anal       Wngnrr  t  Orbra.  Lripalg 


Goo^ 


SV*. 


 10  

MITTELTEMPERATUREN 

Ann 

DocembtT  1871). 

(TimiptTalur-Uui  kehiiuigj 


r/   U  l  i  c  ^2S" 


Cfr.'^  Ott. 


C'oTblUarH .  j<V« 


o 


i  Hiudc\i 


32^ 


In"  - ftVil irr 


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52 


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Hu 


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^4       -70       Wil  "^Bi 


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tk  ,  

/Aiiiirl>i| 


''Mr^  >iVtarab)>YliMLit 


5*0    '1  10  ^ 


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31- 


Jfryt.o 


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91 


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10 


\5L  o  r  ^oT  1^  li  it  U 

U         üsLL  x'on   Groonvrich  12 


I 


Grntraph. Alis)   ▼  Wagnrr     Dflir».  l,riji»iC 


d  by  Goo 


lO  

 r  ~~ — ^— — 

SCHNEEHÖHEN^ 
MINI  MALTEMPERATUREN 

am  ßJanuai'  1R86. 

r — 1  gansUch  sciineeTm  B»a  1 5  30  cm. 
qO  2  cm.  Hi3o-so  . 

2-15    '  ■■90  C3u.u.mc]xr. 


^l'ö  r  d  lieh  e 


Ctr\ 


plbiUfrB.  JT^ 


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(isU.  von   ()  r  o  r  nwich  12 


Cro|r«{ULAn«t.  r.  Wagnrr  r  Orb»,  Lriimtg. 


Googl 


 10  

Jalirrsmlttrl  der 

BEWÖLKUNG  MORGENS 

in  l'roceiilni . 


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S  a    d  /  /  <•  hce~ 


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A\na  e  r  li/i  y     ^  .  oj 


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&rogra|i)L  Aiiat^  r  Wagnrr    Drbri  I.ripslJ 


Digitized  by  G( 


N9  7. 


NIEDERSCHLAG 

in  den  Jaliren  luui',  ims,  108  +  un  d  1883 

[Züfa0-5OU  mm.      ■ilOOO-1300  mm. 

LU.too-ooo  '       Hlisoo-Koo  ' 

CZJeoo-aoo  "  iK)o-noa  • 

■iSOO-lOOC        IBüber    1700  • 


A  Vi 


OsU.  von  GrePiTwicK  IZ 


Grograph.  Anjl   *•  Wagnrr  ^  Drbri  LrlpziC 


d  by  GoOQle 


Die  weiteren  Hefte  werden  unter  anderem  lol</«'nd«'  Arl)eii<'ii  bringen: 

Geb,  Kat  F.  Baer  (Grossherzogl.  bad.  Direktor  des  Wasser-  uud  btrastienbauä,  der  Laadeskultui^ 
Arbeiten,  lAndeermneMnug  und  Tojiograpbie  in  Karlaruhe),  Die  Sntwioklung  des  Ver- 
kehrs und  der  Verkehrswege  am  Oberrhein. 

Dr.  G.  Berendi  (Königl.  Landefgeologe  und  Frof^nor  an  der  Univenitftt -Berlin),  Die  nord- 

deatuchen  rrstaromsystenie. 

Dr.  A.  Bezzeiiberger  (Prof.  an  der  Universität  Köuigäberg),  Die  Kariscbe  Nehrung. 

Dr.  A.  Birlinger  (Prof.  «n  der  ünimritftt  Bonn),  AlemamuecheB:  Giensep,  Sprache,  ESgenwrt. 

Dr.  Rw  BlfteiuB  (Bkwraachwei^,  €ber  ZngverhAltniase  mid  Vttbreitimg  der  YOgel  in  Deotechland. 

Oberiorstmeister  Dr.  Brn  ^'^^TCve  iT>iirV.for  dpi-  Königl.  Foretakademie  zu  Uannöv.  Münden), 
Die  Terbreituug  und  wirtscLaftliche  Bedeutung  der  i»ichügeren  Waldbaumarten  inner- 
halb DeotMUandi. 

Dr.  G.  Gerlftüd  (Prof.  an  der  Univeraitftt  Straasbnrg),  Über  Thalbüdmig  in  den  Vogesen. 

Dr.  A.  Jentzsch  (Dozent  an  der  Universität  Königsberg).  Der  Boden  Ost-  und  Westpreuseena. 

Dr.  0.  M.  K  an  {YtoS.  an  der  Univerntftt  Amaterdan),  Die  Eigentibnlichkeiten  des  niederUndiachen 

Boden». 

Dr.  A.  von  Xoeneu  (Prof.  an  der  Universität  Güttingen),  Über  die  Dislokationen  uud  Störungen, 

«eiche  den  Bau  der  denistiieii  Ifittelgebixge  bedingen.  • 
Dr.  F.  Krones  Ritter  von  March  1  and  (T'rof.  an  der  rnivcr^-ität  Oraz).  Die  dout^cbe  Be- 

aiedeiong  der  Öetlicben  Alpeuiünder,  insbesondere  h>teietmarks,  Kärntens  und  Krains, 

flach  ihfvn  hiftoriechen  inicl  topiscben  yeHdUtnisMD. 

Dr.  A.  Leskien  (Prof.  an  der  Univerntit  Leipng),  Uiiteilnngen  über  das  ansgestorbene  Slaven- 

tum  in  Norddeutschland. 

Dr.  Th.  Liebe  (Landesgeolopc  und  Prof.  in  Gera),  Der  Zusammenhang  zwischen  den  orogra- 
jphischcn  und  bydiographischen  Verhältnissen  Ostthüringens  und  des^ien  geologischem 
dcfaiditenanfbaii. 

Dr.  A.  MaV'owRky  (Prof.  an  der  tedmisdien  Hochachnle  zu  Brünn),  Das  HAhlengebiet  des 

Devon  in  Mähren. 

Dr.  A.  Neb  ring  (Prof.  an  der  huidwirtscbafÜichen  Hochschule  zu  Berlin),  Die  diluviale  Fauna 
DentaeUaads  und  ihr  Veihftltms  mr  jeteigai  Flaima. 

Dr.  J.  0 1 1  m  ti  r  (Prof  an  der  tcchnisdien  Bochsdrale  in  Bramischireig),  Der  Boden  der  nOrd* 

liehen  Vorlande  des  Harzes. 

Dr.-J.  Partsch  (Prof.  an  der  Universität  Breslau).  Die  Oder  in  Schlesitm. 

Dr.  Fr.  Pf  äff  (Prof.  an  der  Uaiversität  Erlangen),  Der  Aufbau  des  Fränkischen  Jura. 

Dr.  F.  Ratzel  (Prof.  an  der  technischen  Hochachnle  bu  BfOndien),  Die  Scfaneegrenie  im  Kar* 

wendelgebii^e. 

Dr.  L.  Schlesinger  (Direktor  in  Prafi),  Die  <tliiioK)tri><!ieii  VtrhältnisHo  Böhmens. 

Dr.  F.  Wabnscbaffe  (Dozent  an  der  Universität  Berlin),  Die  Quartärbildungen  des  nord- 
dentsehen  Flachhindea  nnd  ihr  EinfliiBB  auf  die  Obei^ldieageBtaltung  desselben. 

Dr.  K.Weiahold  (Prof.  aa  der  IMveraitftt  Brestan),  über  die  Herkunft  der  dentschen  Sdilener. 

Aosserdem  haben  freundlichst  ihre  Mitwirkung  nigesagt  die  Herren  Dr.  K.  Freihefr  von 

Pritsch.  Prof.  «n  der  Universität  Halle;  Dr.  F.  G.  Hahn.  Prof.  an  der  Universität  Königs- 
berg; Dr.  G.  Hellmann,  Oberbeamter  im  Königl.  Meteorologischen  Institut  in  Berlin:  Tl-iVat 
Dr.  von  1  n a  m  a  -  Sl  ern  egg .  l'rä.'jident  der  k.  k.  Statistischen  Contral-Komun8.sion  und  Prof.  an 
der  Universität  Wien;  Dr.  0.  Krümmel,  Prof.  an  dei  Universität  Kiel ;  Dr.  F.  Löwl,  Dozent 
an  der  deutschen  Universität  Prag;  Dr.  E.  Petri.  Prof.  an  der  Universität  Bern;  Dr.  J.  Ranke. 
Vrot  an  der  UniveraitU  Mflnchen;  Dr.  F.  Schreiber,  Direktor  des  KOnigLsftcbs.  Meteorolog. 
laititnts  in  Chemnits;  Dr.  A.  Streng,  Pro£  an  der  Univerdtat  (Hessen;  Dr.  F.  Wies  er,  Ftof. 
an  der  ümTersitlt  Innsbruck  n.  a. 


Digitized  by  GoO' 


Im  gleich«!!  V«iige  M  «nehioi«»: 


Anthropo-Geograpliie 


Gnmdzflge  der  Anwendung 

der       '  ' 

Erdkunde  auf  die  Geschichte 


Dr.  Friedrich  RatZBli 

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Dr.  Julius  Hann, 

DlNktor  dar  m«t«orol.  Zoatraianiiuu  ocd  rrofiMi^or  an  dar  JDxüv«nit4t  la  WIml. 

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Bamd  Jf. 

MubUoIm^  ykjBlkilfiebe  and  chemiflelie  BeMiiiihiiMt  Ur  OmM. 

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Dr.  Albert  Heim, 

Protaaaor  der  fi«<a«gi«  •aB(JiweizTiHciu>n  rol3^hnttniw  and  dar  Üatveraitit 

in  Zürich. 

Preis  Mark  18.  60. 


ü&er 

2IIIgcmctnc  (Eröfunöe. 

von 

Dr.  JTrirtrWi  ääI^jL 


Druck  von  Gebrüder  Kroner  in  Stutt|;art. 


Digitiz6<f  by 


(joogle 


ejii^miijüiiau 


iijiinT^juiiWMniTnmiiL, 


iMtlli.U" 


i 


'Forschtmgen 

zar  deutscilen  Landes-  und  Volkskunde 

im  Auftityjp  dpr 

Ceutralkommi^flion  für  wissenschailliche  Land^kunde  von  Deutschiaud 

herausgegeben  von 

D**'  Richard  Lehmann, 

n  ll«aatarl|W. 


UftUll 


Xvttmte  AS  Act 


Nationalitäten  in  Tirol 


und  die 


wechselnden  Schicksale  ihrer  Verbreitung 


Dr.  H.  J.  Bidermann, 

0.  ö.  Profetsoi  der  Stati»ttk  und  dea  Staatsrechts  an  der  Univernt&t  zu  Uraz. 


8IUTI0A&T. 
YBRLAG  VON  J.  EKGBLHORN. 

1880. 


f [  I  <  ] :  1  Ol  LI  ■iniimTiimnni^iiiiiiiiiiiiMiiümiüüiJüiuiuiiiiiiiiHMIIIIIimill^ 


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Digiti.  0  Uy  i^ioogle 


DIE 


NATIONALITÄTEN  IN  TIROL 

UND  DIE 

ISCHUEN  SCHICKSALE  IHM  Y£BMTDli&. 


VON 

DR  H.  J.  BIDERMANN, 

0.  ö.  ProfeMor  der  Statistik  and  dea  StMtsiecbt«      der  k.  k.  Univenität  zu  Gras. 


STUTTGART. 

VEKLAG  VON  J.  ENGELHORN. 

1886. 


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jDruck  TOD  a«brä(ler  SLrüaer  In  Stattgtit. 


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I  n  Ii  alt. 


Seite 

Einleitung   [5]  393 

Littentar   TlOJ  898 

Q^ognpliiseli  geordnete  üeb ersiebt  des  statistiaolieii  nad  geeeUoht- 

liohen  Saehveribalte. 

A.  Romanen  unter  Deutschen. 

I.  Lechthal   [U]  402 

n.  Ixmiihal   [14]  402 

in.  Wippthal   [18]  406 

IV.  Pusterthal   [191  407 

V.  Eisackthal  (zwischen  Franzensfeste  und  Bozen)   [21j  409 

VI.  Oberes  Et^chthal  (von  Bozen  aufwärt«)   [22j  410 

VII.  Bozen  und  die  Zwölf  Malgreien   [26]  414 


VIII.  Unteres  Etschthal  (zwischen  Bozen  und  der  Sprachgrenze)   [30]  418 
B.  Deutsche  unter  Romanen. 


I.  Das  Gebiet  der  Dolomiten  (die  Thftler  Eneberg,  Gröden, 

Bnchenttein,  Ämpezzo,  Fama,  Flebu,  Gembra  und  PkunSr)  [3G]  424 

II.  Nona-  und  Snlzberg   [42]  480 

in.  Das  Fersinathal  mit  den  Höhen  von  Pinö   [45]  483 

IV.  Das  Brentathal  (Valsugan)  und  der  Gebirgsstook  swiioEen 

ihm  und  dem  Astii  r.tbul»'   [51]  439 

V.  Das  ICt.schthal  von  der  .'-^pmch-  Im  zur  Landesgrenze  mit 

Ausnahme  der  Städte  Trient  und  Rovereto   [56]  444 

VI.  Die  SOdte  THent  und  Rovereto   [62]  450 

Vn.  Sarcathal   [69]  457 

Vin.  Das  Ledro-  und  das  Chieeetiial   [71]  459 


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Inhalt  [4 

Mm 

■trtau]«  im  «IimIimi  SeltalNNftiitto. 

T.  Die  voritiilit  in-(  h.'  Zeit   [71]  4&5» 

11.  Liaie  Ausbreitung  italienischer  Einäüsse  gegen  Norden  (1290 

—1480)   [72j 

m.  Dentoche  Gegeabeatrebimg«ii  wid  Erfolge  (1480—1580)  .  .  [78]  461 
IV.  Abernmliges  Enqpoi^onimeii  der  italieniedhep  Natioiialit&t 

(1530-1650)   [74]  462 

V.  Periode  de«  Stillstands  (1G50-1750)   [75]  463 

VI.  (Jesteigertes  Umsichgreifen  der  Verwelschung  (1750—1866)  [76]  4o4 
Yll.  Wirksame  Versuche,  der  Yerwelschuug  Einhalt  KU  tbun(1866ff.)  [77j  466 

a)  Wohnplätze  der  Juden  in  Tirol   [78|  417 

h)  Nachwirkungen  des  Slawentama  im  laeltbale  (and  in 

denen  Versweigungen)    .   [64]  478 


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Einleitung. 


Ethnographische  For?;chiinjP!;en  sind  wesentlich  erleichtert  und  ihre 
Ergebnisse  sind  verlässlicher  gewurden,  seit  mau  sich  gewöhnt  hat,  die 
NatumaHtitt  Ton  der  Kation  aoorgfUtig  zn  unterscheiden.  Dieser  Untere 
schied  muss  insbesondere  auch  bei  Erörterung  der  ethnographischen 
Verhältnisse  Tirols  festgehalten  werden.  Denn  die  dortige  Bevölkerung 
ist  seit  einem  Jahrtausende  und  liinger  schon  ein  so  buntes  Gemisch 
der  verschiedenartigsten  Nationen,  dass  es  geradezu  unmöglich,  die 
Geschlechterverbände  in  ihrer  Mitte,  worunter  mau  eben  die  Na- 
tionen versteht,  streng  auseinander  zu  halten. 

Der  geistige  Typus  der  BevOlkemn^  dagegen,  welchen  man 
die  Nationalität  nennt,  lässt  sich  hier  wie  ttberhaupt  weit  leichter 
und  sicherar  bestimmen.  Nicht  bloss  von  der  Gegenwart  gilt  dies, 
sondern  auch  von  der  Vergangenheit,  wo  allerdings  der  Abstammung 
grössere  Bedeutung  beigelegt  und  diese  daher  auch  häufiger  zum  Gegen- 
stande besonderer  Untersuchungen  gemacht  wurde.  Es  sind  ja  noch 
keine  fünfzig  Jahre,  dass,  solange  eben  die  ältere  Gewerbegesetzgebung 
und  die  Autonomie  der  Zflnfte  bestanden,  in  manchen  Stftdten  und 
sonaCigen  Zunfthezirken  nicht  bloss  Oesterreichs,  sondern  weit  darüber 
hinaus  nur  das  Kind  deutscher  Eltern  als  zur  Aufnahme  in  ein 
Handwerk  geeignet  angesehen  wurde,  dass  nur  dieses  dort  Geselle  und 
Meister  zu  werden  hotten  durfte.  Und  auch  sonst  kam  es  auf  den 
Stammbaum  vorzeiten  weit  mehr  an  als  heutzutage.  Man  denke 
doch,  um  Yon  allen  hiermit  zusammenhängenden  Vorrechten  des  Adels 
abzusehen,  an  die  Stammearechte  der  Yoneit  und  an  die  Voraus- 
setzungen ihrer  Anwendung  auf  den  Einzelnen,  der  sieh  zu  ihnen  be- 
kannte. Man  vergegen'w^rtige  sich  die  engherzige  Sorge,  womit  noch 
viel  später  nicht  blDsp  der  Adel  und  die  zünftigen  Handwerksgenossen, 
sondern  auch  andere  Famiii»  n  des  Bürgerstandes  die  Reinheit  des 
Blutes  sich  zu  wahren  suchten.  Jetzt  kümmert  sich  um  Derartiges 
kaum  mehr  die  höchste  Aristokratie.  So  Yiele  gesellschaftliche  Re- 
formen da  gleich  mitwirken,  so  hat  doch  auch  das  im  Bewusstsein  der 
Menschen  sich  vollziehende  Zurücktreten  der  Nation  hinter  die  Natio- 
nalität daran  gewiss  einen  grossen  Anteil.  Die  Wissenschaft  wandelt, 
indem  sie  gleichfalls  die  Nationalität  jetzt  höher  anschlägt  als  die 


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394 


[» 


Nation,  einen  ihr  durch  volkstümliche  Anschauungen  gewiesenen  Weg 
und  darf  sich  dabei  mit  der  Gewähr  beruhigen,  welche  gerade  das 
geläuterte  VoLksbewusstsein  bietet.  Wie  diese«  dermalen  die  Tüchtig- 
keit des  Menschen,  der  irgendwie  in  Frage  kiunmt,  mehr  berQchnehtigt 
ak  dessen  Abstanuniusg,  so  fragt  auch  der  Gelehrte,  welchem  ethno- 
graphische Aufgaben  gestellt  sind,  heutzutage  weniger  nach  dem  gene- 
tischen Verbände  und  nach  der  angestammten  körperlichen  Beschaffen- 
heit, als  vielmehr  nach  dem  die  Leistungsfähigkeit  vor  allem 
beeinflussenden  geistigen  Typus.  Ihn  leitet  dabei  auch  die  Er- 
kenntnis, dass  mit  dem  Zunehmen  und  Umsichgreifen  <ler  Geistes- 
bildung das  physische  Machtelement  mehr  und  mehr  an  Bedeutung 
yerlicrt.  Dem  Manne  der  Wissenschail  ist  es  femer  nach  dem  heu- 
tigen Stande  derselben  klar,  dass  der  Begriff  der  Nation  zu  sehr 
schwankt,  um  ethnographischen  Studien  zu  Grunde  gelegt 
werden 

In  dieser  Beziehung  sei  gleich  hier  bemerkt,  dass  von  einer 
italienischen  Kation  in  demjenigen  ausgedehnten  Sinne  des  Wortes, 
in  welchem  man  dasselbe  zur  Bezeichnung  einer  ethnographischen  Ein- 
heit gebraucht,  nicht  die  Rede  sdn  kann.  Was  man  so  nennt,  existiert 
im  politischen  Leben:  es  wird  aber  auch  da  richtiger  das  italienische 
Staatsvolk  genannt.  Es  kann  sogar  mit  Bestimmthfit  behauptet 
werden,  dass  es  von  der  Zeit  an,  wo  die  alten  Ituler,  wenn  sie  über- 
haupt einen  Stamm  bildeten,  als  Sprösslinge  eines  solchen  in  anderen 
Stämmen  aufgegangen  sind,  eine  Nation,  die  diesen  Namen  zu  filhren 
berechtifft  gewesen  wftre,  flberhaupt  nicht  mehr  gegeben  hat. 

Daher  weist  auch  das  Beiwort  „italienisch"  in  keiner  Hinsicht  auf 
eine  bestimmte  Nation,  d.  h.  auf  einen  eigenartigen  Verband  von  Ge- 
schlechtem zurück,  sondern  es  ist  entwetler  unmittelbar  aus  dem  geo- 
graphischen Begriffe  von  Italien  oder  aus  dem  geistigen  Typus» 
der  mit  demselben  bezeichnet  wird,  abgeleitet.  Dieser  letztere  entbehrt 
eben  einer  nationalen  Grundlage.  Er  entwuchs  keiner  solchen,  sondern 
ist  das  Erzeugnis  einer  Kulturentwickelung,  welche  Menschen  von  mannig- 
faltiger Abstammung  das  Gepräge  einer  einheitlichen  Nationalität  auf- 
drückte, die  man  nunnu  lir  die  italienische  nennt,  wold  nur  mit  Rücksicht 
auf  das  Gebiet,  in  welchem  sie  emporkam  imd  so  zu  sagen  heimisch  ist. 
Also  steckt  auch  hinter  dieser  Benennung  eigentlich  der  geographische 


')  Ich  habe  dieser  Anschauung  Pt-hon  im  .Tahre  1874  mit  den  Worten  An^- 
dmck  gegeben:  ,Die  Stimmung  eines  Volkes  und  die  jederzeit  stark  hiervon  l>e- 
etnfluBBlß  öflentliche  Meinung  wollen  heutzutage  mehr  als  je  berücksichtigt  sein. 
Vom  Standpunkte  der  Staatenkunde  aus  besehen,  zerfälK  'lie  M('n?rhh<>it  nicht 
sowohl  nach  äusseren  Kriterien  als  nach  der  Sin&esrichtuug  in  (Jruppeu.'*  Poch 
setzte  ich  damals  bei:  .Gesellt  sieh  cur  gemeinsamen  Simiesrichtung  aueb  noch 
ein  die  rjleichdoukenden  umschlingendes  Ptaniniesbewu8Btj?ein ,  so  ist,  das  letztere 
mag  noch  so  unentwickelt  sein,  eine  feste  Grundlage  gegeben,  auf  welcher  das, 
was  man  die  Nationalitftt  nennt,  sieh  ansgr^taltet*  —  Erscheinungen,  wddie  der 
unmittelbaren  <  !efr,-in\art  anfjehören ,  niarlien  es  mebr  und  mehr  zweifelhaft,  ob 
die  KationaUtät  überhaupt  durch  das  Bewusstsein  der  Abstammimg  bedingt  ist» 
oder  ob  nicht  ha  Oegenteue  ihre  EzpansiTknft  aas  dem  Vexgesaea  dw  Ahkonft  sidi 
erklärt.  Mindestens  lockert  sich  immer  aaflUIiger  der  boOglidie  histmisclie  Zn- 
iammenhang. 


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7] 


IHe  Nationaliliteik  in  Tirol  6«c. 


395 


Begriff  mit  dem  einzi<?en  Unterscliiede,  dass  er  da  iiuttelbar,  m  der 
Regel  aber,  wenn  von  etwas  Itaiieuischem  die  Hede  ist^  unmittelbar 
zur  Geltung  kommt. 

Anders  verhalt  es  sicli  mit  der  deutschen  Nationalitftt.  Ihr 
kann  ein  nationaler  XJrspnmg,  d.  h.  die  Entstehung  inmitten  eines 
geschloasentti  Oeschlechtervorbandes  nicht  bestritten  werden.  Das  sie 
kennzeichnende  Beiwort  ist  dem  Eigennamen  einer  wirklichen  Nation 
entlehnt,  die  mit  ihr  gross  j^eworden.  Gab  es  gleich  auch  unter 
den  Deutscheu  von  jeher  Uuter8chiede ,  welche  sich  vererbten,  so  dass 
die  Veredelung  der  deutschen  Nationalität  erst  allmählich  auf  sie  aus- 
gleichend einwirkte,  so  haben  doch  deren  Trftger  schon  toh  ▼(umherein 
an  dem  geistigen  Typus,  aus  welchem  sie  sich  ^ur  heutigen  Macht  und 
Gestalt  entwickelte,  teilgenommen  und  gleichmässiger  zu  deren  Ent- 
wickelung  beigetragen,  als  dies  von  den  Voreltern  der  heutigen  Italiener, 
d.  h.  der  der  italienischen  Nationalität  Angehörenden,  in  Ansehung  dieser 
sich  nachweisen  lässL 

Damit  soll  dem  Ruhme  der  italienischen  Nationalit&t  und  dem 
Ansehen  derjenigen,  weldie  sich  um  dieselbe  yerdient  machten,  nidits 
benommen  sein.  Vielmehr  ist  es  bewunderungswürdig,  wie  die- 
selbe in  Ermangelung  einer  eigentlichen  Nation,  welche  den  Keim  dazu 
in  sich  truc;  und  ihr  als  Stütze  hätte  dienen  krmncn,  in  verhältnis- 
mässig später  Zeit  entstehen  und  sich  über  tin  weites  (ubit  t  ausbreiten 
konnte,  dessen  Bewohner  dadurch  erst  zu  einer  Achtung  gebietenden 
geistigen  Einheit  wurden.  Man  kann  eben  das  Alter  der  italienischen 
Nationalität  nicht  weiter  zurückdatieren  als  bis  zum  Aufkommen  der 
italienischen  Schriftsprache.  Deshalb  ist  es  auch  erst  von  diesem  Zeitp- 
punkte  an  gerechtfertigt,  der  deutschen  Nationalität  die  italienische 
gegenüberzustellen. 

In  Tirol  aber  kommen  dermalen  nur  diese  beiden  Nationali- 
täten in  Betracht,  obschon  das  dortige  Völkergemisch  der  natio- 
nalen Fragmente,  die  anderswo  Träger  besonderer  Nationalitäten 
sind,  ungleich  mehr  aufweist. 

Ausser  den  Rhäto-Romanen  und  Germanen,  die  dort  zu  An- 
fang des  Mittelalters  durch  Uire  Zahl  und  politische  Stellung  hervor- 
ragten, sind  dort  reine  und  Romano-Slawen,  dann  spätere  Zuwan- 
derer  aus  Nord  und  Süd,  welche  teils  deutschen,  teils  romanischen 
Stammen  entsprossen  waren,  sowie  Israeliten  teils  der  italienischen, 
teils  der  deutschen  Nationaliiät  anheimgefallen.  Bald  breitete  sich 
die  eine,  bald  die  andere  aus.  In  dieser  Hinsicht  können  sieben 
Perioden  unterschieden  werden. 

Weil  jedoch  die  Wandlungen,  welche  solchergestalt  sich  voll- 
zogen, nicht  in  allen  Teilen  Tirols  gleichniässig  eintraten  und  verliefen, 
emptiehlt  es  sich,  die  eiusclilägigen  Thatsachen  zunächst  in  Ver- 
bindung mit  bestimmten  geographischen  Gebieten,  innerhalb 
welcher  sie  zur  Erscheinung  gelangten,  dem  Leser  vorzuftlhren 
und  b(  i  Begründung  obiger  Zeitemteihmg  sich  kurz  darauf  zu  beziehen 
oder  ))l<>ss  durch  Schlagworte  daran  zu  erinnern. 

Anthropologiselip  Betraclitungen  sind  hier  ausgeschlossen.  Allein 
die  Nationalist  kann  von  denjenigen,  deren  Erbteil  sie  ist  oder  welche 


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396 


Bidermann, 


sich  zu  diesem  in  Widerspruch  setzen,  es  verleugnen,  nicht  getremii 
werden.  Daher  ist  auf  die  Abetammung,  soweit  de  dieeiaUs  nachwiriEt« 
allerdings  Rücksicht  zu  nehmen.  Daran  darf  auch  der  geänderte 
Familiemiame  nicht  beirren,  ausser  wonn  fest^^teht.  dass  der  Namens- 
änderung ein  Nationalitätswechsel  entspricht.  Oft  geht  aber  die  erstere 
diesem  Wechsel  weit  voraus.  In  Südtirol  zumal  zählen  die  ursprüntrlich 
deutöcheu  oder  doch  germanischen  (speziell  langobardisclien)  Familien, 
denen  im  Mittelalter  ein  italienischer  Eigenname  aufgedrungen  wurde, 
nicht  bloss  nach  Hunderten,  sondern  nach  Tansenden.  Wer  Christian 
Schnellers  leider  unvollendet  gebliebene  Skizzen  «üeber  die  Zu-  und 
Familiennamen  in  Wälschtirol''  ^)  zur  Hand  nimmt,  kann  sich  dsvon 
gründlich  überzeugen.  Viele  von  diesen  Familien  hielten  im  tlbrig^en 
noch  um  die  Mitte  des  sechzehnten  Jahrhunderts  an  der  deutschen 
Nationalität  fest,  welche  freilich  gerade  damals  unter  dem  Druck  einer 
falschen  Scham,  von  der  auch  geistig  hervorragende  Menschen  befallen 
wurden,  häufig  mit  dem  noch  dentsäen  Namen  zugleich  der  Bonumi- 
sierung  weicht  *).  Um  so  gewisser  darf  angenommen  werden ,  dass 
Familien,  deren  deutsche  Namen  auch  diese  für  sie  gefährhchste  Periode 
überdauerten,  bis  dahin  in  ihrem  ganzen  Wesen  deutsch  geblieben 
waren,  und  bei  unentstellter  Form  sind  solche  Namen  auch  jetzt  noch 
sichere  Belege  einer  bis  au  die  Gegenwart  heranreichenden  deutschen 
Vergangenheit,  wenn  schon  ihre  jetzigen  TrSger  vidleicht  nicht  mehr 
der  deutschen  Nationalifiit  sngehdren.  Das  Segenteil,  nSmlich  dass 
▼erdoutschte  Italiener  ihren  Familiennamen  germanisieren,  kommt  fast 
nie  vor.  Diese  Bewandtnis  bereitet  allen  damit  nicht  Vertrauten,  denen  - 
auch  die  bezüglichen  Abstammungsverhältnisse  fremd  sind,  arge  Täu- 
schuii^^en,  iusofeni  sie  bei  derartitren  Familien  aus  dem  Eigennamen 
einen  Schluss  auf  die  Abstammung  zu  ziehen  sich  anschicken,  und 
in  ihr  liegt  die  Ursache,  weshalb  die  Zahl  der  Italiener  in  Deutseh- 
tirol  so  leicht  überschätzt  wird.  Umgekehrt  wird  die  Zahl  der  Deut- 
schen im  italienischen  Landesteile  auch  in  den  offiziellen,  nach  der 
Umgangssprache  verfassten  AiisAveisen  offenbar  zu  <?ering  angegeben, 
weil  d^'utsclie  Kinder,  die  dort  zum  Erlernen  des  Ifaiicnischen  weilen, 
mit  Kücksielit  auf  diesen  Zweck  in  den  seltensten  Fällen  als  deutsche, 
d.  h.  als  im  Umgänge  der  deutschen  Sprache  sich  bedienende  Personen 
konskribiert  worden  sein  dQrften.  Das  italienische  Kind,  welches,  um 
deutsch  zu  lernen,  in  einer  deutschen  Familie  sich  befindet,  entgeht 
dem  gleichen  Schicksale  in  der  Regel  schon  dadurch,  dass  es  von  seiner 
deutschen  T^m^reliunt;  trotz  dem  Zwecke,  den  seine  Anwesenheit  hat, 
als  ein  fituidartiges  Geschöpf  betrachtet  und  sonach  als  Italiener  an- 
gemeldet wird. 

Bei  Erwachsenen  nimmt  man  es  in  diesem  Punkte  deutscherseits 


')  Separatabdrnck  a.  d.  Boten  f.  Tir.  q.  Yorarlb.   Iimsbitick  1867. 

■•')  So  vertauschte  der  aus  dt  ni  Ddifr  (  Iu.-t(.i  im  Nonsln  r^-'r  treliürüge  Rechts- 
gelehrte Anton  Gigl  seinen  ererbten  Famüieimamen  mit  dum  seine«  Geburts- 
ortes (Archiv.  Trent  I,  158).  Vom  Bmder  des  Trienter  Eanslers,  Job.  Bentter, 
ist  bekannt,  dass  er  sich  als  Kanonikus  (schon  zu  Anfang  des  vierzelinten  Jahr- 
hunderts) ZamboQUB  (Joannes  Boniu)  de  Tridento  nannte.  (BoneUi,  Monoomta, 
pag.  283.) 


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Die  NatioBAlititeii  in  Tiiol  ele. 


397 


gleichfalls  genauer,  insofern  sie  nicht  selber  durch  Beantwortung  der 
Frage  nach  ihrer  Umgangssprache  die  Nationalität,  welcher  sie  sich 
zugezählt  wissen  wollen,  zu  bezeichnen  in  der  Lage  sind.  Im 
allgemeinen  hat  die  Erhebung  der  Umgangssprache,  wenn  sie  von 
Penon  sa  Person  direkt  gesduehi,  eben  keinen  anderen  Sinn  als  die 
Torerwähnte  Erklärung  'zu  provozieren«  was  freilich  bei 
^rftchsenen  noch  einfacher  und  verlasslicher  zu  erreichen  wäre,  wenn 
man  ihnen  die  vorerwähnte  Erklärung  unmittelbar  abverlangen  würde. 
Bei  der  letzten  Volkszählung  in  Oesterreich  ist  dieses  Mittel  nicht 
einmal  den  Erwachsenen  gegenüber  angewendet  worden,  und  um  so 
mehr  verstand  es  sich  bei  den  Kindern  von  aelbrt,  dass  man  m  betreff 
dieser  bei  ihrer  damaligen  ümgebtmg  nach  der  Umgangssprache  sidh 
erkundigte  oder  ohne  besondere  Naiuifiage  sie  schlechtlun  nach  dieser 
ihrer  Umgebung  klassifizierte. 

Die  für  das  Jahr  1 880  vorliegenden  Ergebnisse  der  also  bewerk- 
stelligten Erhebungen  müssen  den  nachstehenden  Zalilenangaben  sclion 
darum  zu  Grunde  gelegt  werden,  weil  es  befriedigendere  Anhaltspunkte 
eben  nicht  gibt  Säe  sind  immerhin  den  ftlteren  statistischen  Ausweisen 
vorzuziehen,  bei  deren  Zusammenstellung  die  Willkttr  noch  einen  brei- 
teren Spielraum  hatte,  und  es  auch  nicht  sowohl  auf  die  NationaUiät 
als  vi(>lmolir  auf  die  StammbUrtigkeit  abgesehen  war.  .Tene  Angaben 
sind  dem  „Spezial- Ortsrepertorium  von  Tirol  und  Vorarlberg"  ent- 
nommen, welches  den  1885  erschienenen  achten  Band  der  von  der 
k.  k.  Statist.  Ceutralkommission  in  Wien  herausgegebenen  Nachschlage- 
bUcher  dieser  Art  bildet^).  Was  den  Wert  derselben  vielleicht  am 
meisten  beeinträchtigt,  ist,  dass  die  in  Tirol  weilenden  Ausländer  in 
die  betreffenden  Rubriken  dieser  Ortsverzeichnisse  nicht  angenommen 
sind.  Denn  beide  Nationalitäten  kommen  demzufolge  zu  kurz  und 
^'(•rade  in  Gegenden,  wo  das  Ausserachtbleiben  der  Ausländer  ver- 
hältnismässig viel  austrägt.  Doch  hätte  diesem  Uebelstaude  nicht 
einmal  durch  spezielle  Inanspruchnahme  der  k.  k.  statist.  Gentrai- 
kommission abgeholfen  werden  kdnnen,  weil  bei  der  letzten  Tolks- 
zählung  die  Imgfangssprache  der  anwesenden  AusUnder  ttberhmipt 
nidit  erhoben  wurde 

Um  mich  bei  den  kulturgeschichtlichen  Bemerkungen,  welche  ich 
absatzweise  den  statistischen  Angaben  folgen  lasse,  kürzer  fassen  zu 
können  und  weil  die  bezügliche  Litteratur  an  sich  verdient,  ver- 
zeichnet zu  werden,  schalte  ich  dieselbe  hier  ein. 


Dem  Titel  nach  ünterachaden  sieh  diese  Pnblikationen  von  den  Orts* 

repertorien ,  wnlche  die  nämliche  Kommission  ,auf  OriindlaiT'e  dnr  Volkszählung 
vom  31.  Dezember  1869'  herausgab,  durch  das  vorgesetzte  Wort  näpezial*.  Ihre 
innere  Eiariditang  weicht  von  der  der  letzteren  in  vielen  Stucken  und  zwar  mxm 
Vorteile  der  Forscher  ab. 

')  Aas  der  politischen  Zuständiekeit  auf  die  Nationalität  einen  sicheren 
Schltus  zn  ziehen,  ist  nnmöglich.  HM>en  ja  doch  nach  dem  1874  zn  Rom  ge- 
druckten Censiraenti)  dopli  Italiani  all'  Estero  von  don  in  Tirol  und  Vorarlberg 
am  31.  Dezember  1871  gezählten  italienischen  Unterthanen  42  die  deutsche  Sprache 
als  ihre  Muttersprache  bezeichnet!  Und  wie  wollte  man  in  dieser  Beziehung  die 
amreeenden  Schweizer,  wie  die  Franzosen,  wie  aiidi  nur  die  Angehörigen  des 
nngarischen  Fiumaner  Gebietes  klaflsifixieren! 


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398  Buterauum,  [10 

Der  Zweck  der  vorliegeiideu  Schrift  ist  erreicht,  wenn  der  Leser 
sich  dadurch  in  die  Lage  versetzt  sieht,  den  Gegenstand  bei  voller 
Würdigung  beachtenswerter  Einzelheiten  rasch  zu  überblicken. 

Litteratur. 

Das  folgende  Yerzeichnis  von  Druckschriften,  welche  die  Natio- 
nalitäten in  Tirol  betreffen,  macht  niclit  auf  erschOpfrade  VoUslindig- 

keit  Anspruch,  umfasst  jedoch  so  ziemlich  alles,  was  an  einschlägigen 
Arbeiten  bisher  ^^Mlruckt  wurde  mit  Ausnahme  derjenigen,  welche 
bloss  auf  Förderung  der  Sprachen-  und  Altertumskunde  berechnet 
sind.  Dass  auch  Quellenwerke  allgemeineren  Inhalts  und  einzelne 
Monographieen,  in  welchen  das  Thema  der  Torliegenden  Schrift  nur 
nebenher  berührt  ist,  in  dasselbe  aufgenommen  wurden,  bezweckt  die 
Vereinfachung  des  Citierais  solcher  Quellen.  Ich  verweise  auf  sie 
mittels  der  den  Titt  In  vorgesetzten  Zahlen.  Die  sicli  anschliessenden 
Zahlen  sind  in  der  lu  j^'^el  die  Seitenzalilen ;  nur  wenn  das  Citat  aus 
drei  durch  Punkte  voneinander  getrennten  Zahlen  besteht,  nimmt  die 
Seitenzahl  die  dritte  Stelle  ein  und  bezeichnet  die  mittlere  Zahl  den 
Band  oder  Teil*). 

1.  Ämbrosi,  Francesco,  Contribuzione  ad  ona  guida  del  Trentino.  La  VaUngaaa. 

tiorgo  1879,  Giov.  Marchetto. 

2.  Ambrori»  Äanoesco.  Scrittori  ed  Artisti  Trentmi.   Trento  1881. 

8.  „  „      Tireoio  ed  ii  auo  droondario  descriito  al  vi^iatore. 

Trento  1881. 

4.  Angerer,  Dr.  Johann,  Deutsche  und  Italiener  in  Südtirol.    Bozen  1881. 

5.  Attlmayr.  Friedrich  v. .         deutschen  Kolonien  im  »ichirge  zwischen  Trient. 

Bassano  und  Verona.  Zeitschr.  des  Ferdinandeums.  '6.  Folge.,  11.  u.  12.  Heft. 
•        Innsbruck  1865  u.  1807. 

6.  ^aroni  di  Cavulcal  ö,  Ch  nicntc),  Idea  della  ftoiria  e  d^e  oomraetadini  antiche 

della  Valle  Laganua  (s.  1.  et  a.). 

7.  Bartolome!,  Fr.  Stefano  dd,  Cenni  intonao  al  carattere,  ai  costumi  ed  atte 

UHanzc  (Irl  Popolo  Peginese,  dirctti  nel  1811  al  Prefotto  di  DqMrtiiiMiilto 
deir  alto  Adige.   Trento  1800,  Marietti. 
.  Baasettl  Tito,  Cenni  intomo  alla  dviltA.  di  Trento.  Trento  1857. 

9.  Baumbaeh,  Dr.,  Kine  deutsch*  S|u-acliln8d  in  Welsothtirol.  Gartoilaiibe  1873, 

Kr.  b2  (betritt  daa  Valsugan). 


')  Zur  Kenntnis  eines  grossen  Tt  iles  dieser  Druckadiriflen  l  uig^t*^  idi 
durch  die  Güte  des  dermaligen  Vorstehers  dep  Nationalmuseums  .Ferdinandeum" 
zu  Innsbrudc,  Prof.  Alphons  Huber,  welcher  mir  die  der  Büchersauuulung 
dieses  Museams  einverleibton,  sowdt  ich  sie  nicht  ehevor  kannto,  Bng&ngliöh  ge- 
macht hat. 

^)  Die  von  mir  bei  Ausarbeitung  der  vorliegenden  Schrift  benutzten  Archive 
und  sonstigen  Handsdiriftensammlnngen  werden  iiottols  folgender  AbkOranngea 

berufen : 

A.  d.  M.  d.  L  bedeutet:  Archiv  des  k.  k.  Ministeriums  des  Innern  in  Wien; 
BibL  Tirol.         ,         Bibliotiheea  Tirolensis  oder  IKpanliana  im  Ferdinandeom 

zu  Innsbruck: 

B.  Stdt-A.  ,         Bozener  Stadt- Archiv ; 

T.  8t.>A.  s        Innsbmcker  Statthalterd-Archiv; 

Innsbr.  Stdt.-A.     »  Innsbrucker  Stiidt-Archiv  ; 

R.  d.  I.  Sch.*A.8.  ,         Register  des  Innsbmcker  Schatz -Archivs  (im  dortigen 

Statth.-Arch.). 


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11]  Die  NationaUtäten  in  Tixol  ete.  $99 

10.  Benvenuti,  Luigi,  La  Cronaca  di  Folgaria  e  le  Memorie  di  Pergine  e  del 

Perginese  del  Decano  Don  Tommaso  Y.  BotUa.  Trento  1881. 

11.  Bidermann,  Herin.  Tgn.,  Die  Italiener  im  tirolieehen  ProvinsEialTerbaade.  Inns- 

bruck 1874,  Wagner. 

13.  Bidermaon ,  Herm.  Ign. ,  Die  Bonanen  und  ihre  Verlnvitung  in  Oesterreich. 

•"raz  1877. 

Id.   Bidermann,  Herrn,  ign.,  Slavenreste  in  TiroL   Slavische  Blätter,  Wien  1865. 
1.  Heft. 

14.  Bonelli,  Benedetto,  Notizie  ietor.  -  critiche  intomo  al  M.  Addpreto  veicoTO. 

Vol.  I,  II.    Trento  1760  u.  17Öl. 

15.  Bonelli.  Benedetto,  Notizie  istor.-cxitiche  della  Chieea  di  Trento.  (Fortaetsung 

des  vorhergehenden  Werkes,  als  denen  Volume  III  parte  prima  ee  be- 
zeichnet ist.j    Trento  1762. 
10.    Bonelli,  Benedetto,  Monumenta  Ecclebiae  Tridentinae,    (Schluss  des  Werkes, 
statt  in  ital.  Sprache  in  lateinischer  verfasst.)    Trento  17<1''). 

17.  Bottea,  Tommaso  Vigilio,  Cronaca  di  Folu'iuia.    Trento  18U0,  Monauni. 

18.  ■  »  1.      Memorie  di  Fergiue  e  del  Perginese.   Trento  1880, 
Monauni. 

19.  Canii>ell,  rhicb.  Zwoi  BQcher  rhiltischer  Geschichte.    Erstes  Buch:  Topogr. 

Beschreiltung  \ün  Hohenrhätien,  deutsch  von  Konradin  von  Mohr.  Chur  1851. 

20.  ChiuBole,  Adanio,  Notizie  della  Valle  I.agariiui.    Verona  1787. 

21.  Dahlke.  O. ,  Deutsche  Ansiedlungen  in  Welschtirol.  Dentache  Warte  1874 

VI.  Bd.,  S.  193  .ff. 

22.  Egger,  Dr.  Joseph,  Die  Tiroler  nnd  Yorarlbeiger.  Wien  n.  Teschen  1882. 

28.   Fabor.  Felix.  Kvagatoriuni  in  Terrae  Sanctae  eic  Peregrinationem.  Biblioth. 
d.  litter.  Ver.  zu  Stuttgart,  Ii.  Bd.,  1843. 

24.  Filos,  Francesco,  Sopra  qualebe  punto  della  storia  trentina  Disoorsi.  Rove- 

reto  ls':!9.  Marchesani. 

25.  Gar.  TommadO,  Episodio  del  medio  evo  Trentino.   Trento  1856,  Monuuni. 

(Betrifft  die  altdlentflchen  Ansiedlmigen  nm  Pergine.) 
20.    (Gar.  Tommaso)  Calendario  Trentino  pt  r  l'anno  18.^4.    Trento,  Monauni. 

27.  Gehre.  l)r.  M.,  Aus  Südtirol.  ChemniUer  Tagblatt  1882,  zweite  BeiL,  Nr.  217, 

227,  231.  239. 

28.  Oimmer,  E.,   Dentaehe  im  Nonsberge.    Amthon  Alpenfreund  IX,  1878, 

S.  100-142. 

29.  Gnesotti,  Cipriano,  Memorie  per  servire  alla  storia  delle  Giudicarie.  Trento  1786. 
80.   Haller,  Jos.  Th.,  Das  k.  k.  Landgericht  Enneberg  in  Tirol.   Bdtr.  f.  Geidl., 

Ptati.st.  etc.  von  Tirol  u.  Vorarlb.,  VI.  Bd  . 
31.    (Dr.  Iledinger?)  Aus  den  Bergen  an  der  deutschen  Sprachgrenze  in  Südtirol. 
Stuttgart  1880. 

82.  fi(ellwald),  F( riedrieb)  t.,  Die  Bh&to*R<nnaaen.  Ausland,  45.  Jahrg.,  1872, 

Nr.  3  u.  4. 

88.    Hormayr,  Jos.  Frhr.  v.,  Geschichte  der  gefür.steten  Grafschaft  Tirol.    I.  Teil, 
1   Alithlg.    Tübingen  180C.    2.  Abthlg.,  Tübingen  1808. 

34.  (Hürniann.  Joseph  v.)  Tirol  unter  der  bajer.  Regierung,  1.  (^einziger)  Band. 

Aarau  1816.  (Abschn.  IV,  Ueber  den  Charakter  der  Einwohner,  ist  trota 
der  mitunter  boplialtcti  TpTn1»'nz  überaus  rei<  h  an  zutreffenden  B»^nii  rknTipen.) 

35.  Inama-bternegg,  Dr.  Karl  Theud.  v..  Die  Entwickelung  der  deutschen  Alpen- 

dörfer.   Angsb.  Allgem.  Ztg.  1875,  Beil.  302  n.  303. 

86.  Kellner.  W. .  Die  italien.  Bevölkerung  im  deutschen  Südtirol,  Zeitsrhr.  der 

Gesellsch.  f.  £rdkunde  in  Berlin  Bd.  XIX,  Berlin  1884,  S.  316-319.  (Eine 
ital.  Uebersetsung  dieses  Anftatses  bracht«  das  BoÖett  della  8oc.  Geogr. 
Ital.,  Ser.  II.  Vol.  X,  pag.  545  sqn.) 

87.  Koch,  Matthias,  K^ise  in  Tirol.   Karlsruhe  1846  (erörtert  S.  106—126  die 

deutsche  Sprachftage  in  Sttdtirol). 

88.  Ladurner,  P.  Justinian ,  Regesten  ans  tirol.  Urkunden.    Archiv  f.  Gesdl.  und 

Altertumskde.  Tirols,  Jahrg.  I,  1865  bis.  Y,  1869.  Innsbruck. 

89.  La  Hara,  Im  GrOdner  Thale.  WissenschafU.  Beil.  zur  Leipz.  Ztg.,  Jahrg.  1878, 

Nr.  31. 

iO.   Leck,  Hans,  Deutsche  Sprachinseln  in  WekchÜrol,  mit  einem  Vorworte  von 
Dr.  Hedinger.   Stuttgart  1884. 


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400 


Bidenntan, 


[12 


41.  Haffei,  Jacop'  Ant.,  Peiiodi  utorid  e  Topografia  delle  valU  di  Non  e  Sole. 

RoToredo  1805,  HardiMMii. 

42.  Malfatti,  Bartolomeo,  Dogli  idinmi  parlati  anticamente  nel  Trentino  e  dei 

dialetti  odier&i.  li^tratto  dal  Giornale  di  filolo^  romansa  (Aprilbeft  toh 
1878,  S.  119—189).  Roma  •.  a..  Em.  Loflsdier. 
48.  Halfatti ,  Bartolomeo ,  Libro  di  CittadinaoM  di  TreoUi.   Arddvio  ftor.  per 
Trieste         Vol.  1,  pag.  239  sequ. 

44.  Mazetti,  Antonio,  Delle  antiche  Relasioni  fra  Cremona  «  TntAo.  Mila&o  1881, 

RiTolta. 

45.  Hitterrutzner,  Job.  Cbrys.,  Slavischea  a.  d.  östlichen  Posterihale.   29.  Frogc 

des  k.  k.  Gymnaa.  zu  Brixen.    Brixen  1879. 

46.  Ifontebello,  G.  Andrea,  Notizie  itor.-topogr.  e  raligioie  doUa  ValBogaiia.  Bore* 

reto  17'J3,  Marchesani. 

47.  Mupporg,  Dr.  (recte:  Dr.  A.  H.  Lötz  in  Frankfurt  a.  M.),  Bedrohted  deutsches 

<lut.    Hadische  Landes-Zeitung  1878,  Nr.  5  —  19. 

48.  Ilupperg,  Dr.,  Gren7>)ericht  aus  alten  Gebieten  deutscher  Zunge.  NOmbergcr 

Korrespondent  Jahr^.  1881,  Nr.  422—485. 

49.  Happerg,  Dr.,  Proveia  im  deutachen  Nonsberge.    Am  allen  Weltteilen, 

VIII.  .lahrg..  9.  Heft. 

50.  Mupperg,  Dr.,  Reisebericht  aus  Sadtirol.    Korrespondenzbl.  des  deutschen 

ochulvereins  zu  Berlin,  April-  und  Jaliheft  1882. 

51.  Mupperg,    Dr.,   Streifzütr«'  durcb  Svldtirol  und  Cimbrisoh* Italien.  Beiblatt 

der  Neuen  Frankfurter  Fresse  1877,  Nr.  179  u.  180. 

52.  Patigler,  Joseph,  Beschwerdesehriften  der  Drateehen  sn  Trienl  «md  der  Oe* 

meinden  im  Stadtbi  zirlco  wider  die  italienischen  Konsuln.    Zeitachr.  des 
Ferdinandeums,  III.  Folge,  28.  Heft,  S.  53  ff.   Innsbruck  1884. 
58.  Perini,  Agostino,  Statistica  dei  Trentbo.   Vol.  I,  II.  Tremto  1858., 

54.  Pezzo,  Marco ,  Novis.simi  illustrati  Monumenti  de'  Cimbri  ne*  monti  Veroneii, 

Vicentini  e  di  Trento,  Tom.  I,  II.    Verona  1785. 

55.  Rapp,  Joseph,  üeber  das  vaterländische  Statutenwesen.   Beitr.  zur  Gesch., 

Statistik  etc.  von  Tirol  u.  Vorarll  *-!  ^' ,  IIL  Bd.  Innshmck  1827;  V.  Bd^ 
ebenda  1829;  VIII.  Bd.,  ebenda  1834. 

56.  Bohrer,  Joseph,  üeber  die  Tiroler.  Ein  Beitrag  zur  österr.  Völkerkunde.  Wien  1796. 

57.  Bofinatscha,  P.  Pirmin,  Ueher  UniHning  und  Wesen  der  romani.schen  Sprache. 

Programm  des  k.  k.  Gymnasiums  SU  Merail  f.  1853.  Innebrack  1853.  (Zum 
Teile  geschichtlichen  Inhalts.) 

58.  Santoni,  Francesco.  Cataloghi  formati  sopra  originali  DocnmMiti.   (II.  Teil 

des  Werkes  ,Deir  origine  ecc.  delle  chiese  parrochiali  ecc",  betrifft  die 
kirchl.  u.  polit.  Verhältnisse  der  Grafschaft  Arco.)  Trento  17so,  Munauni. 

59.  Sohmeller,  J.  A.,  Ueber  die  sogen.  Cimbem  der  VII.  u.  XIII.  Commune  aof 

den  venedischen  Alpen.  Abh.  d.  k.  bajner.  Akad.  d.  Wiasensch.  L  KL,  H.  Bd., 
3.  Abthar.,  S.  657  ff. 

60.  SohneUer,  Christian,  Die  Ladiner.  Attdand  44.  Jahrg.,  1871,  Nr.  41. 

61.  «  ,       Deutsche  und  Romanen  in  Sfldtirol  mul  Tenetieii.  Peter> 
manns  Geo^.  Mitth.  23.  Bd.,  1877,  S.  365—385. 

68.  Sefandler,  Christian,  Aof  den  grtnen  H6hen  von  Folgareit  (in  seinem  Buche 

„Skizzen  u.  Kulturbildor  a.  Tirol*.  Innsbruck  1877). 

63.  Schneller,  Christian,  Das  Lagerthal  in  Öüdtirol  u.  sein  öetl.  Gebirge.  Oesterr. 

Bevne  Jahrg.  1865,  I.  Bd.,  8.  196—210. 

64.  Schneller,  Christian,  Südtirol  in  seinen  geogr. ,  ethnogr.  u.  geschichtl.-polit. 

Verhältnissen.  Oesterr.  Revue  Jahrg.  1867,  1.  llefl  S.  101—116,  2.  Heft 
8.  76-95,  8.  Heft  S.  26—43. 

65.  SchneÜer.  Christian.  Der  tiroUsdie  Lechgaa.   Oesterr.  Benie  Jahrg.  1864» 

I.  Bd.,  S.  220-244. 
G6.    Sperges,  .Toseph  v..  Tirolische  Bergwerksgeschichte.    Wien  1765. 
67.   Spiehler.  Antnii.  Das  Lechthal.  Geschichtl.  u.  kulturelle  Studien.  Zeitsehr.  d. 

deutsch,  u.  österr.  Alpenvereins  .Talir<7.  Salzburg  188:^ 

08.    Staffier,  Job.  Jakob,  Das  deutsche  Tirui  und  Vorarlberg.  Topographisch  mit 

geschichtlichen  Bemerkungen.    1.,  II.  Bd.    Innsbruck  1847. 

69.  Staffier,  Joh.  Jakob,  Tirol  und  Vorarlberg.   Statistisch  mit  geschichtlichem 

Bemerkungen.   2.  Ausg.   Innsbruck  1848. 


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Die  Nationalitftten  in  Tirol  etc. 


401 


70.  Steub,  Ladwig,  Drei  Sommer  in  Tirol.  München  184t)  {2.  Aufl.  Stuttgart  1871). 

Die  unten  folgenden  Citate  beziehen  sich  auf  die  er.ste  Anflsge. 

71.  Steub,  LudwifT,  Zur  rhätif^chen  Ethnologie.    Stuttgart  1864. 
12.        ,  „       Herbsttage  m  Tirol.   München  I8b7. 

78.       »         ,      Die  Entwicklung  der  dentedwn  AlpendOrfer.  Angab.  AUgem. 

Ztg.  1875,  Beü.  258—260. 

74.  Steub,  Ludwig,  die  deutscheu  Alpendörfer.    Ebenda,  1875,  Beil.  328. 

75.  ,  ,       Die  Germanisierung  Tirols,  Vorlesung  in  der  Anthropologischen 
( n«?ellschaft  in  München.    (Separatabdruck?)    München  1877. 

76.  Tappeiner,  Dr.  Franz,  Studien  zur  Anthropologie  Tirols  und  der  Sette  Comuni 

(entUUt  auch  Geachichtlichea).  Imisbnick  1888. 

77.  Tartarotti,  Girolaiiio.  Memorie  antidie  di  Bovereto  0  de*  Inoghi  ciroonTicini 

Yenezia  1764,  Marco  CargnionL 

78.  Tedni,  Franoeeoo  dd  (Paroeco  e  Decniio  di  Pergine),  IHnettatione  intomo 

alle  Popolazioni  alpine  tedeeohe  del  Tirolo  Mendionale  e  dello  stato  Yeneto. 
Trento  1860,  Marietti. 

79.  (Thaler,  Joseph)  Der  dentidie  Anteil  dee  Bittotni  THeni  Heransg.  too  den 

Vereinen  f.  christl.  Kunst  u.  Archäologie  in  Bozen  u.  Meran.  1. — 5.  Lfrg., 
Brixen  1866—1873  (fortgeseUt  von  Philipp  lieeb  u.  Karl  AU,  1.  u.  2.  Heft). 
Bosen  1880  u.  1881. 

80.  Tinkhauser,  Georg,  Beschreibung  der  Diözese  Brixen  (fortgüotot  Ton  Lndwig 

Bapp).    Brixen,  I.  Bd.  1855,  II.  1879,  III.  1880  tf. 

81.  (Vian,  Jos.  Ant.,  Kurat  zu  St.  Ulrich  in  Grödeu).    Gröden,  der  Grödner  und 

seine  Sprache.    Bozen  1864. 

82.  Weber,  Beda,  Die  Stadt  Bozen  und  ihre  Umgebung.    Bozen  1849. 

83.  ,        ,     Das  Land  Tirol.    Innsbruck,  I.  Bd..  1887,  II.  1838,  III.  1838. 

84.  ,        ,     Meran  und  seine  Umgebung.    Innsbruck  1845. 

85.  Zingerle,  Anton,  Das  Fersinathal.   Wiener  Abenduost  lalirg.  1877,  Nr.  209  S.I 

8.  auch  Bote  f.  Tir.  u.  Vorarlb.  Jahrg.  1877,  Nr.  247  u.  248. 

86k  Zingerle,  Anton,  Die  deutschen  Gemeinden  im  Fersinathale.  Amthors  Alpen- 
freund Jahrg.  1870.  U,  209—215;  a  anoh  den  Almaoach  ,HerbitblnmeiiS 
S.  78  ff.    Innsbruck  1870. 

87.  Zotfci,  BaliiMle^  Stozia  della  VaUe  Laganna.  T.  L,  II.  Ttento  1883. 


88.   £in  Besuch  bei  den  Cimbem  in  SüdtiroL  Korrespondenzblatt  dee  AUgem. 

deateduD  Sdralterefaw,  1884,  Maiheft.  Berlin  Im. 
88.  Deotoche  Alpenbewohuer  im  Tridentinisdun  und  YiientiniMdieB.  Bote  f.  Tir. 

u.  Vorarlb.  Jahrg.  1882,  Nr.  30-35. 

90.  Benteche  Kolonien  im  südlichen  Tirol.   Bote  f.  Tir.  u.  Vorarlb.  Jahrg.  1821, 

Nr.  54  u.  55. 

91.  Das  Deutschtum  in  den  Sfldalpen.    Jm  neuen  Reich"  Jahrg.  1877,  Nr.  10. 

92.  Die  deutsche  Gemeinde  in  Luserna.   Mittheil,  des  deutsch- österr.  Alpenvereins 

Jahrg.  1877,  Nr.  3  u.  4. 
99l  Der  Sammler  f.  Geechichte  o.  Statistik  von  Tirol,  1.— V.  Bd.  Innsbruck 

180G-1809. 

94.  Sprachenkampf  in  den  Bergen  Tirolf.  Angab.  AUgem.  Zeiftg.  Jahrg.  1872, 

Beü.  303  u.  304. 

95.  T.  M.,  Ein  Besuch  Lusemas.  Bote  f.  Tir.  u.  Vorarlb.  Jahrg.  1880,  Nr.  194—197, 

199  204  211  229. 

96.  Tirols  VenrelMJhnng.  Amthon  Alpenfreond  Jahrg.  1870,  S.  868—866. 

Hieilier  gehörige  Druckschriften,  welche  nach  Abscliluss  dieses 
Veneichnissc  s  zur  Kenntnis  defl  Verfassers  gelangten,  wurden  (um  die 
von  obiger  Reihenfolge  abhängigen  Zahlencitate  nicht  zu  verwirren)  im 
Zusammenhange  mit  dem  Gcgen.stande,  den  sie  betreffen,  namhaft  ge- 
macht. Das  Gleiche  gilt  von  Aufsätzen  und  Büchern,  welche  nur  bei 
vereinzelten  Anlässen  zu  erw&lmen  waren,  ohne  daas  ihre  Anfiiahnie  in 
das  Veneichms  durch  die  dabei  leitenden  QnmdsfttKe  geboten  gewesen  wäre. 


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402 


Bidenmum, 


[14 

i 


Geographisch  geordnete  üebersicht  des  statistischen 
und  geschichtlichen  Sachverhalts. 

A.  Romanen  onter  Deotschen 
L  Lecliilial«). 

Politischer,  zugleich  Gericbtshezirk  Reutte:  3  Italiener,  2  daTon 
im  Markte  Reutte,  1  in  der  Ortsgemeinde  Holzgau  Tn  geographischer 
Beziehung  gehören  hierher  noch  die  Ortsgemeiuden  Pfafflar  und  Gra- 
nuiis  de.s  Politi'^rlien  Bezirkes  Imst.  sowie  die  Ortsgemeinde  Kaisers 
des  Politusciien  Bezirkes  Lau  deck.  Aber  in  keiner  derselben  wurde 
ein  Romane  angetroffen. 

Von  der  Gemeinde  Pfafflar  geht  allerdings  die  Sage,  daes  sie 
durch  Romanen  begründet  wurde,  welche  sich  aus  dem  Engadin  reli- 
giöser Zerwürfnisse  halber  dahin  flüchteten,  und  dass  die  hiesige  weib- 
liche Bevölkerung  einst  eine  der  romanischen  Tracht  der  Montav<Mierinnen 
ähnliche  Kleidung  trug  (7(».  27).  Diese  üeberüeferung  tiudet  an  den 
romanischen  Ortsbenennungeu ,  welche  dort  vorkommen :  Pfaö'lar  = 
pabnlar,  Futter-  oder  Weideplatz;  BscUabe  =  pos  Tayes,  Uber  dem 
Wasser  -  einen  Halt  (CT.  2G4).  Allein  derartige  Benennungen  sind 
im  Lechthale  Überhaupt  nichts  Seltenes  (07.  262,  265,  268),  ohne  dass 
man  daraus  auf  neuere  Einwanderer,  welche  sie  aufbracliten  oder  er- 
halten halten,  zu  schliessen  berechtigt  wäre.  Eher  könnte  auf  derartige 
Zuzüge  aus  den  vielen  romanischen  Worten,  welche  sich  im  Spracli- 
schatee  der  Lechthaler  vorfinden,  geschlossen  werden  (s.  solche  05.  238). 
Doch  ist  die  heutige  Nationalität  der  Lechthaler  kerndeutsch  und  gilt 
dies  mOasi  von  den  Pfafflarem,  deren  Eigennamen  gleich  denen  der 
von  ihnen  bewohnten  Bauernhöfe  durchgehende  deutsch  sind  (80. 3. 489). 

n.  Innthal, 

Landeshaupt.stadt  Innsbruck:  403  Italiener  (darunter  über 
100  Studierende  und  70  Soldaten).  —  Politischer  Bezirk  (Umgebung) 
Innsbruck  (mit  Ausnahme  der  Gerichtsbezirke  Mieders  und  Steinach): 
35ü  Italiener,  und  zwar  in  der  Stadt  Hall  199  (wovon  50  auf  die 


')  Nachstehende  statistische  Angaben,  welche  den  geschichtlichen  Be- 
merkungen vorangestellt  sind,  bexiehen  sich  bloss  auf  die  einheimische  Be- 
VÖlkernng,  d.  h.  auf  die  Oesterreicher. 

•)  Unter  der  da.s  Haupttlml  bezeichnenden  üeberschrift  sind  stete  auch  die 
Seitenthäler  zu  verstehen,  ausser  wo  das  (legcuteil  ausdrücklich  bemerkt  ist  oder 
die  Bes|>rP(  hung  der  Seitenthäler  derjenigen  des  Hauptthales  vorangeht. 

^)  In  der  Kolfje  werden  Ort.sp'nu  iiiden  beziehungsweise  Ortschaften  als 
Wohnaitze  von  Konuincn  nur  <hinn  iiaiiihatt  gemacht,  wenn  minde-stens  ihrer  drei 
bei  der  "Volkszählung  daselb.st  ennittelt  wurden  oder  deren  Verteilung  bei  an  sieh 
geringer  Zahl  arxlers  nicht  ersichtlich  gemacht  werden  kam  aU  durch  Beaeich- 
nung  der  einzelnen  Wohnorte. 


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15] 


Die  Nationalisten  in  Tirol  etc. 


403 


Militärgarnison  enttaiien),  im  Dorie  Aniras  5,  im  Dorte  I^radl  (Vorort 
von  Innsbruck)  87,  in  der  Ortsgemeinde  Hötting  (grösstenteiia  auch 
Vorort  Ton  Innsbruck)  24,  im  Dorfe  Mutters  20,  im  Dofife  Wüten 
(Vorort  von  Imubrack)  21.  —  PolitiBcher  Bezirk  Schwaz:  38  Italiener, 
und  zwar  im  Dorfe  Schwaz  (nicht  im  gleichnamigen  Markte)  2").  — 
Politischer  Bezirk  Kufstein:  151)  Italiener,  und  zwar  in  der  Stadt 
diese«)  Namens  5(3  (darunter  20  Soldaten),  im  Dorfe  Zell  7,  im  Dorfe 
Wörgl  10.  im  Dorfe  Wörn^ier  Boden  5,  in  der  Ortsgt  nieinde  Schweich  1 1, 
Ortsgemeinde  Brandenberg  3,  Ortsgemeinde  Breitenbach  3,  Ortschaft 
Voldöpp  4,  Ortschaft  Thierbach  4.  Politischer  Bezirk  EitzbOchl: 
21  Itahener,  und  zwar  im  Dorfe  St  Johann  5,  in  den  Ortsgemeinden 
Kitzbüchl  und  Hochfilzen  je  4,  in  der  Ortsgemeinde  St.  Ulrich  — 
Politischer  Bezirk  Imst  (mit  Ausnahme  der  Ortsgemeinden  Pfatt'lar 
und  (iramais):  7  Italiener,  und  zwar  im  Dorfe  Arzl  4,  die  übri<^en  bis 
auf  einen,  der  sich  im  Weiler  Pilaiiu:"  (des  Oetzthales)  befand,  im  Ge- 
richtsbezirke Imst  am  Sitze  der  Bezirksbehörden.  —  PoUtischer  Bezirk 
Landeck  (mit  Ausnahme  der  Ortegemdnde  Kaisers  sowie  der  dem 
Etschthale  angehörenden  Ortsgemeinden  Nauders,  Reechen,  Graun,  Lang- 
iaufers  und  Haid):  102  Italiener,  und  zwar  zu  St.  Anton  am  Arlberge  58, 
in  der  Ortsgemeinde  Perfuclis  (Landeck)  ^,  in  der  Ortsgemeinde  Zams 
28  (bei  welchen  3  Ziä'ernansätzen  man  vor  allem  an  den  Arlberger 
Bahubau  zu  denken  hat),  und  in  der  Ortsgemeinde  Uied  ü. 
Gesamtsumme  des  Innthaies:  1279. 

Die  Landeshauptstadt  Innsbruck  war  schon  im  sechzehnten  Jahr- 
hunderte der  Verwelsihung  ausgesetzt.  Seit  dem  Jahre  1515  erwarben 
Italiener  in  betrachtlicher  Anzahl  daselbst  das  Bürgerrecht  (12.  160, 
Note  25).  Itnlioiiische  Mönche,  welche  im  Jahre  löivi  sich  hier  iiieder- 
Hesscn ,  musstt'U  zwar  nach  einem  .lahr/,ehnte  dius  vom  liaiide.-^türsteu 
Erzherzog  Ferdinand  ihnen  eingeräumte  Kloster  wieder  verlassen  (11.  39), 
aber  der  hiesige  Hofstaat  zählte  damals  so  viele  Italiener,  welche  der 
deutschen  Sprache  gänzlich  unkundig  waren,  dass  dieserwegen  heim 
Gottesdienste  besondere  Fürsorge  getroffen  werden  musste  (11.  30),  und 
nach  WMteren  10  Jahren  nahmen  zum  zweitenmal  italienische  Mönche 
von  jenem  Kloster  Besitz,  freilich  al)ennals  nur  auf  kurze  Z»^it.  wo- 
gegen die  im  Herb.ste  15K3  auch  aus  Italit»n  nach  Inns})rnrk  })enifenen 
Kapuziner^  wie  F.  A.  Siunacher  in  seiner  Schrift  ^Die  Einlührung  der 
Kapuziner  in  Nordtirol«  (Bzizen  1831)  S.  28  ff.  enSMt,  daselbst  festen 
Fuss  fSassten.  Italienische  Beamte  hatten  schon  froher  bei  der  tirolischen 
Landesbehcirde  in  Innsbruck  Anstellung  gefanden  (11.  30).  Ära 
28.  Atiiiust  1541*  starb  hier  der  k.  Hat  Hicron.  Thremia.  Unter  der 
Regierung  der  Erzherzorjin  Claudia  F»'li<  it;i> .  einer  geborenen  Prin- 
zessin von  Toscana  aus  dem  Hause  Medicis,  kam  es  sogar  der  vielen 
Italiener  wegen,  die  ihr  Gefolge  bildeten,  zu  Beschwerden  der  bäuer- 
lichen Bevölkerung  in  der  Umgebung  der  Landeshauptstadt  (11.  40, 
vgl.  22.  70),  und  nichts  ist  fbr  deren  damaliges  Uebergewicht  am  Sitze 
der  tirolischen  Regierung  bezeichnender  als  die  italienische  Anrede,  mit 
welf'her  sich  am  1>.  A]»ril  IfUO  der  damals  grossjährig  gewordene  Sfdin 
jeuer  Erzher/.o;^nii .  Ferdinand  Karl,  bei  dieser  in  Anwesenheit  der 
Stände  des  Landes  für  die  Uebertragung  der  Uegieruugsrechte  bedankte 


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404 


BMwnnMMBi 


[16 


(Tiroler  ErbhuldigungBakten  im  A.  d.  M.  d.  1.,  IV.,  H.  3,  Stk.  4, 
Tom  Jahre  164G).  Eine  im  Jahre  1(555  zu  Innsbruck  vorgenommene 
YoUn^hlung  ergab  einen  starken  ProKentsatE  itaHenischer  Emwofaner, 
wozu  noch  immer  der  erzherzogliche  Ho&taai  das  stärkst«  Kontingent 
stellte  (12.  160,  Note  25).  Unter  dem  vorgenannten  Enheneoge  und 
dessen  Bruder  Siegmund  Franz,  der  ihm  1662  in  der  Regierung  folg+e, 
traten  zwar  in  dieser  Beziehung  Beschränkungen  ein,  und  F.  C.  Zoller 
rühmt  es  in  seiner  .Geschichte  der  Stadt  Iimsbruck"  (I.  Teil,  Inns- 
bruck 1816,  S.  388)  letzterem  nach,  dass  auf  seinen  Befehl  hier 
mit  Nenjahr  1668  wieder  «deutsehe  Luft  zu  wehen*  begann.  Doch 
bedienten  sich  die  Hofbehörden  daselbst  nach  wie  vor  im  inneren  Ver- 
kehr der  italienischen  Sprache,  was  die  im  I.  St.-A.  (Wörz'sche  Samm- 
lung) vorhandene  Instruktion  für  das  Hofkontrolloramt  vom  17.  Juli  1668 
beweist.  Allerdings  fordert  diese  vom  Hofkontrollor,  dass  er  neben  der 
italienischen  auch  der  deutscheu  Sprache  mächtig  sei;  indessen  schreibt 
sie  demselben  vor,  aJle  Auftchreibimgen ,  dann  das  Einlaufiaprotdkoll 
bloss  in  italienischer  Sprache  zu  fthren  und  alle  -AnftcSge,  die  der 
Unterschrift  des  Erzherzogs  oder  seines  Obersthofmeisters  bedOrfen, 
gleichfalls  bloss  in  letzterer  Sprache  zu  erlassen.  Dass  gleichzeitig  die 
Bewerbunjxen  italienischer  Handelsleute  um  das  Innsbrucker  Bürger- 
recht ungeschwächt  fortdauerten,  versteht  sich  von  selbst.  Der  Stadt- 
magistrat musste  noch  im  Jahre  1681  dieselben  mit  der  Befürchtung 
abwehren:  das  deutsche  BeT6]kerungseIement  laufe  geradezu  Gefidir, 
dadurch  verdrängt  zu  werden.  Nicht  minder  drängten  sich  italienische 
Beamte  in  die  Kandeieii  der  hiesigen  Hofstellen  ein.  Ihren  Höhepunkt 
aber  erreichten  diese  fremdartip^en  Fiiiif^üsse  und  die  Aufdringlichkeit, 
womit  sie  sich  in  Innsbruck  bemerkbar  machten,  genau  mit  Beginn 
des  achtzehnten  Jahrhunderts.  Damals  mutete  die  Pohzeideputation  der 
Uegierung,  an  deren  Spitze  Graf  Vinciguerra  von  Arco  stand,  der 
Landeshauptstadt  sogar  zu,  eine  italienische  Strafiurt  mit  Anwendung 
der  sogen.  Trappola-Gorda,  welches  Marterwerkzeug  binnen  6  Tagen 
am  Platzturme  aufgesteUt  werden  sollte,  zur  Ahndung  von  Bäckern  und 
Müllem  und  anderen  Gewerbetreibenden  einzuführen.  Dies  erschöpfle 
die  Geduld  der  durchaus . deutsch  gesinnten  Stadtvertretung,  welche  am 
5.  Februar  1700  der  Kegierimg  darauf  erwiderte:  Derartiges  komme 
wohl  zu  Trient  und  Rovereto  vor,  wo  «die  welsche  Spradie  und  derlei 
Sitten  eine  Absonderung  der  Statuten  von  dem  turolischen  Landeagmotic 
bedingen* ;  es  entstehe  jedoch  die  Frage,  ob  es  sich  zieme,  ,in  Deutsch- 
land die  sonderen  Torturen,  so  in  Welschland  bei  erhärteten  GemOtem 
notwendig  und  üblich  sind",  in  Wirksamkeit  zu  setzen:  zumnl  dies  ohne 
Abänderung  der  speziellen  Landesgesetze  überhaupt  nicht  thunlich  sei 
(Akt  988  im  Innsbr.  Stdt-A.}.  Darauf  hm  bheb  die  Stadt  mit  solchen 
Massregelungen  Terschoni  Das  italienische  Beamtentum  aber  behauptete 
sich  dMelbst,  und  der  italienische  oder  vielmehr  in  neuerer  Zeit  erst 
verwelschte  Adel  Sfldtirols  baute  sich  hier  Paläste,  wekdie,  in  deut- 
scher Umgebung  ihn  festhaltend,  freilich  Veranlassung  wurden,  dass  er 
nach  und  nach  wieder  seiner  angestammten  Nationalität  sich  zuwendete. 
Den  erwähnten  Beanitcnfaniilien  erging  es  ebenso.  Demzufolge  hat 
Innsbruck ,  obschon  Hauptstadt  eines  doppelsprachigen  Landes ,  den 


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Die  NttUonaUt&ten  in  Tirol  ete. 


405 


fh^utscht'ii  riiarakh'r  ungescliwiklit  beibehalten,  und  sind  die  verhältnis- 
mäisäig  wenigen  Italiener  in  ihrer  Mitte,  welche  diesem  w  iderstreben,  dazu 
Tenirteilt,  sich  ab  Fremde  zu  f&lüeii.  Unter  den  Gemeindewählem  der 
Stadt  befiinden  mtk  im  Jahre  1876  nur  56  unzweifelhafte  Italiener.  Davon 
waren  33  Beamte  in  Aktivität  (12.  160,  Note  2:>).  Die  Zahl  der  hier 
lebenden  Familien  mit  italienischen  Namen,  wi  lclu'  als  vollkommen  ver- 
deutscht anzusehen  sind,  übersteigt  in  den  vornehmeren  Bevölkerungä- 
kreisen  allein  '»O  nnd  beträgt  im  «ganzen  mehr  ids  100. 

Weit  früher  als  in  der  Landeshauptstadt  hat  dort,  wo  dermalen 
die  henachbarte  Stadt  Hall  sich  erhebt,  der  Einfluss  italienischer  Kultur, 
und  zwar  auf  vorteilhafte  Weise,  sich  geltend  gemacht.  Schon  im 
Jahre  1328  erscheint  Arthusius  de  Florentia  als  Pächter  der  hiesigen  Saline; 
1331  war  (Jeno})inus  de  Rossis  (insgemein  „Schine  von  Florenz"  ge- 
nannt) Salzniaier  d.  h.  Vorsteher  daselbst,  und  noch  5  .lahre  später 
besass  derselbe  im  nahen  Dorfe  Thaur  einen  ihm  von  <len  tiroiischen 
Landesfürsten  an  Zalüungsstatt  überlassenen  Bauernhof.  (Freundsberger 
UrkundenYerzeichnis  im  Ferdinandeum  zu  Innsbruck,  Mskrpt.  I,  h.  15). 
Diese  reichen  Florentiner  brachten  die  Saline  ra.scli  i  inpor.  Nachdem 
Hall  infoIgedesH  n  zu  einer  ansehnlichen  Stadt  erblüht  und  der  hie- 
'^i'^c  Handelsverkehr  ein  sehr  reger  geworden  war.  folilte  es  allinlings 
hier  nicht  an  weiteren  Zuwandercrn  aus  Italien  (12.  KJl,  ^»ote  20); 
doch  der  Stadt  ein  eigenartiges  Gepräge  autzudrücken,  waren  diese 
ihre  Einwohner  nicht  imstande,  und  auch  heutzutage  spielen  dieselben 
daselbst  eine  sehr  untergeordnete  Bolle.  —  Die  Erscheinung,  dass  im 
unteren  Innthal e  ifiüiener  zerstreut  Torkonmif n ,  hängt  mit  den 
hiesigen  Forstverliiiltni^st  Ti  zusammen,  welche  wohl  ancli  einzelne  Holz- 
arbeiter dieser  Nationalität  bestimmten,  hier  ihren  festen  Wohnsitz  zu 
nehmen.  In  den  Seitentliäleni  hat  zuweilen  der  Zufall  Haushaltungen 
entstehen  lassen,  deren  Gründer  italienischer  Abkunft  waren.  So  kaufte 
laut  dem  Elitzbüchler  Yerfachbuche  Nr.  930  im  Jahre  1839  ein  pensionierter 
ZoUamtskontrollor  namens  Sevignani  seinem  Sohne  das  FischergflÜ  zu 
Waidring,  und  ini  Jahre  1854  war  Alexander  f'ompaguazzi  Besitzer  des 
Eicher-Guts  zu  Kirchstcg  bei  Kufstein  (vgl.  12.  102,  Note  27).  Es  birgt 
.sich  übrigens  hinter  nran<  lien  it;ilienisch  klingenden  Faniilieniianien  dieser 
Geirend  eine  uralte  deut-(  he  A listamniung.  Die  Bauenifaiiiilie  Fontana 
zu  Maurach  im  Gerichts  bezirke  Kitzbüchl  ist  aus  der  altdeutschen  Ge- 
meinde Sappada  im  Venetiamschen  eingewandert;  die  Bauemnamen 
Rangediner  und  Rubisoyer,  welche  in  dortiger  Gegend  verbreitet  sind, 
gehören  .sogen.  „Taurer  Familien"  an.  d.  h.  solchen,  die  über  das  salz- 
burgische Tauenigebirge  ans  der  Windisi  Ii  -  Matreier  Gegend  in  jene 
Uhersiedelt  sind.  Die  angehlirhe  Hesiedelung  des  Thaies  von  l'illersee 
durch  Komancn,  welche  aus  Khätien  und  >ye>ri(um  zwischen  den 
Jahren  944  und  10.j4  (!)  dahin  gekommen  .sein  .sollen,  ist  trotz  der 
Details,  welche  Friedrich  Appold  in  einer  von  ihm  verfiMsten  hand- 
schriftlichen „Beschreibnog  des  Landgerichts  Kitzbttchl'^  darüber  bei- 
bringt, eine  Fabel. 


FondniBgai  snr  denttdun  Land«»  vaA  YoUnlniBd«.  I.  7. 


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406 


BidermMm, 


[18 


m.  WippttaaL 

Hierher  gehören  vom  Politischen  Bezirke  (Umgebung)  Inns- 
bruck die  Gerichtsbezirke  Mieders,  wo  kein  einziger  Komane  gezählt 
wurde,  und  Stein  ach,  in  welchem  109  Personen  sich  zur  italienischen 
Umgangsspradu'  Ix'kannttn,  und  zwar  G  im  Markte  Matrei,  27  in  der 
Ortsgemoinde  Mühlbachl,  75  in  der  Steinacher  Gemeindefraktion  Maum. 
Das  sind  fast  oline  Ausnahme  Bahnarbeitcr,  welche  zur  Instandhaltung 
der  Tunnels  auf  dieser  Strecke  der  Brennerhahn  verwendet  werden. 
Jenseits  des  Brenners  gehört  femer  hierher  vom  Politischen  Be- 
zirke Brizen  der  Genätshezirk  Sterzing  mit  213  Italienern,  wovon 
auf  die  Ortsgemeinden  Jaufenthal,  Ratschings  und  Mareit  je  15,  auf  die 
Ortsgemeinde  Mittewald  (das  Dorf  dieses  Namens,  den  Weiler  Grass- 
sti'in  und  die  Bahnstation  Franzensfeste)  41,  die  Stadtgemeinde  St^rzing 
80  und  die  Fraktion  Tschöfs  der  Orts<;emeinde  Tschöfs -Hied  32  ent- 
fallen. In  let/tereni  Bezirke  wirken  diesfalls  mehrere  Ursaclicn  zu- 
sammen, nänüich  liie  Erhaltung  des  Bahnkörpers,  Steinbrüche  und 
andere  den  Italienern  besonders  zusagende  Erii^erbsgelegenheiten. 

Gesamtsumme  des  Wippthales:  822. 

Zu  Grassstein  war  im  Jahre  1873  Massimo  Zanotta  als  Stein- 
metz etabliert;  aber  schon  im  Jahre  l')37  lieferte  ein  Lucio  de  Sjiaciis 
Steine  aus  den  hiesi«^en  Brth  hen  zum  Bau  der  Innshnu  ker  Burg  (1.  St.-A., 
Kopeybuch  , Entbieten  und  Bevekli"  von  ir.37.  lU.  242).  Die  SUidt 
Sterzing  hatte  bereits  im  Jahi'e  1314  Italiener  zu  ständigen  Einwohnern, 
nämlich  den  Bartolomeus  de  Florentia,  dessen  Oheim  Lappo  und  andere 
Gesellschafter,  die  der  hiesigen  Wechselbank  ilire  Kapitalien  und  ihre 
Thätigkeit  widmeten  (12.  131).  Am  Nordabhange  des  Brenners  finden 
wir  im  Jahre  1338  die  Familie  Lazari,  Verwandte  Heinric  hs  des  Lam- 
parten, zu  Trins  fam  Eindränge  ins  Gschnitzthal  bi'i  Steinaeh)  ansä.ssig 
und  zu  l'lruusch,  einem  Weiler  der  Ortsgemeinde  (iries.  begütert  ( Wiltener 
Urkuudenverzeichnis  im  Ferdinandeum  zu  Innsbruck  ]^Iskrpt.  I,  h.  ir>). 
Die  nach  Tausenden  zählende  italienische  Arbeiterschaft,  welche  anlSssIidi 
des  B;dinl);iui  >  in  den  Jahren  18(Jr> — IHüS  das  Wij)pthal  l)elebte,  Terior 
sich  mit  der  Beendigung  dieses  Baues  bis  auf  kleine  Eolonieen,  welche 
auch  jetzt  noch  längs  der  Bahn  angetrolten  werden.  Ihr  zuliebe  hielt 
damah»  ein  Kooperator  an  der  Pfarre  St.  Peter  in  Ellbogen  (ober- 
halb der  Station  Patsch)  an  Sonn-  und  Festtagen  katechetische  Vor- 
träge in  italienischer  Sprache  f&r  die  Erwachsenen  in  der  Kirche,  fÖr 
die  Kinder  im  Schulhause.  Auch  ein  zweiter  Chorherr  des  Stifts  Wilteo 
befasste  sich  als  Kooperator  zu  Patsch  damals  viel  mit  dem  religiösen 
Unterrichte  solcher  Kinder  in  deren  Muttersprache  (12.  1()0.  Note  24). 
Aber,  von  den  (irral)iiisrhriftt  ii  des  Friedliof'^  abj^t  sidu  n .  welchen  die 
Gemeinde  Elllxigcii  dieser  Arbeitcrbevölkerung  zuwies,  erinnert  jetzt  in 
dortiger  (iegend  nichts  mehr  an  die  massenhafte  Invasion  welschen 
Wesens,  das  sich  während  jener  Bauperiode  daselbst  breit  machte. 
Aehnlich  verhält  es  sich  auch  im  übrigen  Wippthale. 


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19] 


Die  NatiottftUtiUen  in  Tirol  «tc 


407 


lY.  Posterihal. 

Politischer  Bezirk  Brunek  (mit  Ausnahme  des  beinahe  .lu.sschliess- 
hch  von  Ladinern  bewohnten  und  den  nördlichsten  Ausläufer  des  kom- 
pakten romanischen  Sprachgebiets  bildenden  Gerichtsbezirks  Eneberg) : 
42^3  Italiener  und  Ladiner,  welche  letzteren  hier  ohne  Zweifei  einen 
beträchtUchen  Zusatz  bilden  und  daher  besonders  hervorgehoben  werden 
mOssen  Diese  423  Terteilen  sich  folgendermassetf:  Stadt  Bmmek  41, 
Ortsgemeinde  Dietenheim  3(5,  Ehrenburg  8,  Ellen  4,  St.  Georgen  3, 
Getzenbei^  IC,  Oreinwalden  18,  Hofem  20,  Issing  21,  Kiens  10, 
St.  Lorenzen  0,  und  zwar  in  der  Fraktion  Saalen,  Montal  18,  Onach  2i), 
und  zwar  28  im  Dorfe  dieses  Namens,  Percha  G,  Pfalzen  21,  Pichlern  5, 
St.  Siegmuud  20,  Terenten  8,  Ober-Vientl2  (vom  Gerichtsbezirke  Brunek, 
dem  YOistehende  Gemeinden  samtEch  aufhören,  fehlt  da  eine  einzige, 
nämlich  Reischach,  in  welcher  niemand  mit  italiemacher  lesp.  Uidinischer 
Umganirssprache  ermittelt  wurde);  Gerichtsbezirk  Taufers  13,  davon 
3  zu  Ahornach  und  2  zu  St.  Johann,  die  übrigen  einzelnweiso  /^r- 
streut;  Gerichtsbezirk  Welsberg  106,  und  zwar  zu  Niederdorf  21, 
im  zugehörigen  Weiler  Eggerberg  3,  in  der  Ortsgemeinde  Olang  6, 
Ortsgemeinde  Piclü  4,  Ortsgemeiude  Prags  lU,  Ortsgemeinde  Taisten  3, 
Ort.sgemeinde  Tohlach  50.  (Keine  Italiener  bezw.  Ladiner  sind  da  aus- 
gewiesen bei  den  Ortsgemeinden  Antholz,  St.  Magdalena,  St.  Martin 
m  Gsies,  Nieder-  und  Ober-Rasen  und  Welsbei^.)  —  Politischer  Bezirk 
Lienz:  71,  und  zwar  im  Gerichtsbezirke  Lienz  20,  dnvon  die  relativ 
meisten  (4)  in  der  Ortsgemeiude  Assling;  im  Gerichtsbezirke  Sillian  45, 
und  zwar  3<)  zu  Panzendorf  (darunter  30  im  Sthlosse  lloiiifels  ein- 
quartierte Soldaten),  5  zu  Wahlen,  je  2  im  Markte  Sillian  und  in  der 
Ortgemeinde  Ambach;  im  Gerichtsbezirk  Windisch-Matrei:  6,  davon  5 
in  der  gleichnamigen  Landgemeinde  (im  Weiler  Mooe). 

Gesamtsumme  des  Pusterthals:  404. 

Es  ist  das  eine  überraschend  «grosse  Zalil,  welche  schleclit  zu  <ler 
Behauptung  (1.  0)  ]>;isst.  dass  im  ganzen  Pu^tfrthale  aus.ser  15  italie- 
nischen Gewerlisleuteu  fast  gar  keine  st;il»ileu  Italiener  angetroö'en 
werden,  weil  „der  Volkscharakter  in  diesem  Thale  für  die  Aufnahme 
des  italienischen  Elements  durchaus  unempfiinglich*  sei.  Dies  ent- 
spricht dem  wahren  Sachverhalte  so  wenig,  dass  vielm^r  italienische 
und  ladinische  Dienstboten  auch  auf  den  Bauernhöfen  von  Hochpuster- 
thal  keine  Seltenheit  sind,  und  es  dort  wenigo  grössere  Orte  gibt,  wo 
nicht  ein  paar  Familien,  dtri-n  Stamnivütcr  aus  Italien  einjjft  wandert 
sind,  sich  befinden.   Als  Beispiele  nenne  ich:  die  VN  amesey  (aus  Aurouzo 


')  Allem  Anscheine  nach  wunh'ii  Ituliener  und  Ladiner  bei  der  letzton  Volks- 
zählung; in  Tirol  nicht  genau  oder  überhaupt  nicht  voneinaiul»  r  uiiti-rschieden. 
Sonst  hätte  die  mit  rrros«er  T'ni*iclit  geleitete  k.  k.  Statistische  Centralkmiimission 
in  Wien  hei  Herausguhe  de.^  Si.ezial-Oi-tsrepertoriums  für  Tirol  und  VoiarUitTg  es 
sicher  nicht  tinterlasien.  diesen  rnt<>rschied  ersichtlich  zu  machen ,  wozu  ein  paar 
knne  Anmerkunfren  und  wenige  darauf  P)t'/.n'jr  nehnn'nde  Zeichen  hingereii  ht  liahen 
Wflrden.  Ich  selbst  sehe  hier  von  den  Ladinern  im  weiteren  <  Wissenschaft  liehen) 
Sinne  des  Wortes  ganz  ab  und  verstehe  darunter  b1o<;s  die  in  Tirol  so  genannten, 
romanisch  sprechenden  Bewohner  der  Gerichtsbezirke  Eneberg  and  Kastelrath. 


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408 


Bidermann» 


[20 


in  Kadober)  zu  Inniclien,  die  Vicelli  (ursprünglich  Vicelligo  von  eben- 
daher) zu  Sillian,  die  Vidal  (Vidale  aus  Forno  im  Yenetianischen)  zu 
Niederdorf.   Im  Dorfe  Vierschaeli  hat  sich  sogar  im  Jahre  1854  eine 
italiemsche  Biiuemlamilie,  d'w  des  Giaconio  Girardi.  anstandslos  nieder- 
gelassen.   Und  gross  ist  die  Zahl  der  Ehen,  durdi  welche  in  früherer 
Zeit  Tt.alionerinnen  in  den  Verband  von  Pusterthaler  Familien  einge- 
treten sind.    Im  Jahre   1<)41t  allein  kamen  4  solche  Ehen  zustande, 
welche  in  die  Trauungsmatrikel  der  »Stiftspfarre  Innichen  eingetragen 
sind.    Aher  rasch  geht  die  TerdentBchung  Tor  sich.    In  der  R^el 
macht  schon  die  zweite  Generation  nicht  mehr  den  Eindruck  von  Ita- 
lienern.   Um  so  geringere  Bedeutung  haben  vereinzelte  Zusätze,  denen 
wir  in  der  Geschichte  aller  ausehnlicheren  Orte  Pusterthals  begegnen, 
wie  denn  z.  H.  in  <h'n  Jahren  1580 — 1501  Joli.  Ze])hir  aus  Henjanio 
Apotheker  zu  Brunek.  1701  G.  A.  Verzi  Apotheker  zu  Innichen.  l')79 
Dr.  M.  Gabr.  Verzi  btadtarzt  in  Lienz,  1717  Dr.  M.  Jak.  Job.  Fon- 
tana dessen  Nachfolger,  um  1710  ein  Herr  y.  Someda  aus  Primdr 
Zolleinnehmer  zu  Panzendorf  (bei  Sülian).,  1651  Nikold  Passin  landes- 
fürstlicher Forstmeister  für  ganz  Pusterthal  war.    Um  das  Jahr  1022 
traten  auch  mehrere  italienische  Holzhändler  als  Piu  hter  hiesiger  Wälder 
auf,  was  anzunehmen  gestattet,  dass  damals  Holzarbeiter  gleicher  Ab- 
stammung daselbst  sich  einnisteten,   denen   so  wie  den  italienischen 
B Sagmeistern",  d.  h.  Leitern  von  Holzsügeu,  mau  noch  heutzutage  dort 
häufig  begegnet  (vgl.  12.  148).   Am  intensivsten  mag  der  italienische 
Einfluss  sich  zu  Lienz  unter  den  Görzer  Grafen,  welche  dort  (auf  dem 
Schlosse  Bruck)  residierten,  geltend  gemacht  haben.    Der  ungenannte 
Altertuntsfreund ,  \ve]clier  J.  G.  F.  von  Kirchmairs  Aufzeichnungen  zu 
eiii'  i-  Art  Pustertliaier  Chronik  unter  dem  Titel  „ Verzeicliiiis  oder  Be- 
schreibung der  Herrscliatt  Eueberg  und  Sonnenburg**  ( Hdsehft.  tl04  der 
Bil)l.  Tirol.)  verarbeitet  hat,  berichtet  diesfalls  zum  Jahre  1448:  »War 
grosses  Missvergnügen  unter  den  Teutscheu  am  GOnsischen  Hof,  weilen 
Graf  Johann  von  Görz  sich  nu  isteiis  welscher  Bedienten  gebrauchet 
hatt  und  die  deutschen  Ministerialen  wenig  mehr  achtete."    Und  wirk- 
lich erscheinen  wenn  schon  nicht  im  Jahre  1448  so  doch  bald  darauf 
in  Urkunden,  welche  die  Görzer  Grafen  für  das  Pusterthal  ausstellen 
liessen,  Holbeamte  italienischer  Katiunalität  oder  wenigstens  solche  aus 
Gegenden,  wo  diese  heimisch  war;  so  z.  B.  1460  Soldaner  de  Strassoldo 
in  einer  zu  Toblach  ausgefertigten  Urkunde  als  Kanzler  (Oommissio 
D.  Ciomitis)  und  1478  als  Il;it  des  Grafen  Leonhard  ein  Baldesar  (Bal- 
theser  aus  Fleims?),  an  welciien  sich  die  Markgräfin  Barbara  von  Mantua 
damals  mit  einem  italienischen  Briefe  wendete,  um  des  L'^enannteii  Grafen 
Vermählung  mit  ihrer  Tochter  Paula  zu  betreiben,  weklie  auch  erfolgte 
und  jenen  Einfluss  gewiss  noch  steigerte.    Nach  der  vorerwähnten 
Chronik,  welche  übrigens  mit  einem  grossen  TeOe  ihres  Inhalts  zu  den 
gegründetsten  Bedenken  Anlass  gibt  und  namentiich  viele  Verstösse 
gegen  die  richtige  Chronologie  enthält,  haben  italienische  KultureinflOsse 
im  Pusterthale  schon  frühzeitig  den  Bodenwert  erhöhen  und  Wasser- 
gefahr abwenden  geholfen.    Im  Jahre  lll.'i(?)  soll  Antlr»-,!  dti  Saheiii 
die  Umgegend  von  Lienz  und  im  Jahre  1859  da*;  Zusainnit  nwirk»  n  der 
veuetianischen  \Va.sserbaumeister  Staniozzi  und  Simondi   den  grossen 


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Die  Nfttionalitaten  in  Tirol  etc. 


409 


See  ol)er  Webberg  trocken  gelegt  haben  (08.  2.  210,  430).  Im  Ver- 
zeichnisse der  Chorherren  von  Innichen,  welches  einer  derselben,  Ign. 
Hann,  zusammengestellt  hat,  erscheint  beim  Jahre  1270  Bonincontro, 
Patrizier  von  Verona,  und  1889  Nikolaoa  de  Biccabona.  Eine  wesent- 
liche Kräftigung  hat  das  deutsche  Element  in  diesen  Gegenden  dadurch 
er£diren,  dass  im  vierzehnten  Jahrhundert,  wie  eine  glaubwürdige  Sage 
berichtet,  da.s  Thal  Tilliach  (welches,  geographisch  genommen,  keine 
Abzweigung  des  Pusterthals,  sondern  den  Hintergrund  des  kärntncrisclien 
Gailthals  bildet),  den  Friiiuleru,  welche  hier  ihre  Herden  zu  weiden  pÜeg- 
ten,  entzogen  und  mit  Ankömmlingen  aus  Deutschland  besetzt  wurde 
(68. 2. 411).  Staffier  beruft  sich  auf  die  Ueberlieferung  der  Thalbewohner, 
welche  auch  der  Meldung  in  einer  handscliriftlichen  Chronik  der  BibL 
Tirol.,  alte  Nr.  370,  zu  Grunde  liegt,  wo  als  beiläufige  Ansiedluiigszeit 
das  Jahr  1334  angegeben  ist. 

y«  Eiflaoktlial  (swiachm  FnuuenalSMte  und  Bosen). 

Hier  kommen  in  Betracht:  vom  Politischen  Bezirke  Brixen 

der  Gerichtsbezirk  dieses  Namens  mit  85  Italienern,  wovon  63  auf 
die  Militärgarnison  der  Stadt  Brixen .  8  auf  die  Ortsgeni^intle  Afers, 
14  auf  den  Markt  Mühlbach  (nächst  dem  Eingange  ins  Pusterthal) 
entfallen;  ferner  vom  Politischen  Bezirke  Bozen  die  Gerichts- 
bezirke Klausen,  Sarnthal  und  zum  Teil  Eastelruth,  sowie  die 
Ortsgemeinden  Ritten,  Wangen,  Tiers,  Welschnofen  undEarneid. 
Der  erstgenannte  Bezirk  zählt  22  Italiener,  die  sich  auf  die  Orts- 
gemeinde Villnös  mit  15,  auf  die  Ortsgemeinde  Yillanders  mit  5  und 
Feithums  mit  2  verteilen.  Der  Gerichtsbezirk  Kastelruth  ist  hier 
bloss  mit  der  Ürt«gemeinde  Völs  und  mit  der  Mehrzahl  der  Fraktionen 
der  Ortsgemeinde  Kastelruth  in  Rechnung  zu  stellen,  da  von  diesen 
Gemeindefraktionen  die  Dörfer  Pufels,  Rnngaditsch  und  üeberwasser 
bereits  zum  kompakten  ladinischen  Sprachgebiete  gehören.  Sonder* 
barerweise  enthalten  die  übrigen  keinen  einzigen  Romanen.  In  der 
Ortsgemeinde  Völs  wurden  0  gezählt.  Im  Gerichts  bezirke  Sarnthal 
wohnten  9,  davon  «>  in  dem  die  Umgebung  des  Hauptorts  bildenden 
Dorfe  Samthein;  endlich,  was  den  Bozen  er  Gerichtsbezirk  betrifft,  in 
der  Ortsgemeinde  Karoeid  39,  im  Dorfe  Welschnofen  13,  in  Tiers  und 
Wangen  je  einer,  auf  dem  Bitten  keiner. 
Gesamtsumme  des  Eisaokthaies:  179. 

Die  Höhen  von  Gufidaun  und  Lajen  waren  bis  ins  vierzehnte 
Jalirhundert  hinein  von  verein/falten  Romanen  bewohnt,  wie  nicht  nur 
Steub  (7*).  430)  vermutet,  sondern  auch  unverkennbare  Personennamen 
beweisen  (12.  108,  Note  2).  Damals  lebte  auch  noch  der  im  Jahre  1286 
dahin  eingewanderte  Eonnd  Cavozzo,  der  im  Volksmunde  nach  seiner 
froheren  Hehnat  «der  Lampart "  hiess  (Stephan  r.  Mayrhofen,  handschrift- 
liche  Genealogieen  der  tirolischen  Adelsgeschlechter  im  Ferdinandeum 
zu  Innsbmck,  IV.  Bd.).  Gleichzeitig,  im  Jahre  1308.  weilte  zu  Klausen 
Cienus  Centomile,  Faktor  florentinischer  Kaufleute,  insbesondere  der 
de  Rubeiü.    Bald  daraut  waren  3  Höfe  zu  Salem  im  Besitze  von 


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410 


Bidennaaii, 


[22 


Florentineni  (Climel  s  ()e«lerr.  Geschichtsforschern,  385).  Im  Jahre  1374 
erwarb  ein  Botsch  (aus  der  bekannten  tiorentiuischcn  Familie)  das  ge- 
samte Gericht  Kastelrath  (38.  Re^.  1034)  und  um  das  Jahr  1340 
ward  Amadeus  de  Florentia^  Sohn  des  mercator  florentinus  Guido 
de  Rossis  in  der  Domkirche  zu  Brixen  begraben  Mayerhofen,  III.  Bd., 
Artikel  „Botsch").  Dieser  Bischofssitz  zopr  auch  in  der  Folgezeit  Ita- 
liener und  Ladiner  der  inanuigfaltigsten  Berufe  an.  namentlich  Priester, 
so  dass  das  hiesige  um  seinen  deutschen  Charakter  besorgte  Dom- 
kapitel Schutzmassregeln  dawider  ergriff.  In  den  Jahren  1807 — 1876 
bestand  hier  eine  Andedlung  italienischer  Jesuiten,  das  sogen.  Kolle- 
gium Fagnuni  (12.  150,  Note  21).  Ursprünglich  in  Pbdua  errichtet, 
wurde  dasselbe,  weil  die  italienische  Regierung  es  hier  nicht  länger 
duldete,  nach  Brixen  zu  dem  Zwecke  übertragen .  junge  Italiener  in 
den  Lehrgegenständen  eines  Obergymnasiums  zu  unterrichten  und  sie 
in  dem  damit  verbundenen  Konvikte  zu  erziehen.  Als  diese  Lehranstalt 
wegen  Mangels  der  gesetzlichen  Erfordernisse  geschlossen  ward,  zahlte 
sie  85  Zöglinge,  wovon  68  ünterthanen  des  Kdnigreiehs  ItfJien  waren. 
Mit  Hinzurec&ung  der  italienischen  Lehrkräfte  und  der  Dienerschaft 
nmfasste  das  ganze  Kollegium  über  100  Personen  italienischer  Natio- 
nalität. Es  galt  für  ein  Vorwerk  der  letzteren  im  deutschen  Südtirol. 
Ein  vor  langer  Zeit  schon  den  Romanen  abgenonimeucr  Stützpunkt 
war,  wie  der  Name  besagt,  Welschnofen,  das  samt  der  Umffegend  im 
swöUtea  oder  dreizehnten  Jahrhunderte  von  deuteehen  Einwanderern  be- 
setzt ward  (90) 


YL  Oberes  Stsohthal  (von  Bosen  aufvArte). 

Es  geiiüreu  hierher  vom  Politischen  Bezirke  (Umgebung) 
Bozen  die  Ortsgemeinden  des  gleichnamigen  GerichtsbezirkB :  Gries, 
Jenesien,  Terlan,  Flaaa  und  Mdlten.  Von  diesen  ist  nur  die  kleine 
Gemeinde  Flaas  ausschliesslich  deutsch;  Möltcn  (1)  und  Jenesien  (2) 
sind  es  nahezu.  Desto  stärker  ist  der  itahenische  Zusatz  bei  den 
übrigen.  Er  beträgt  bei  Gries  bei  Terlan  23.'.  Ferner  gehören 
hierher  der  ganze  Politische  Bezirk  Meran  mit  lolü  Italienern  und 
vom  Politischen  Bezirke  Landeck  (spezieller  vom  Gerichtsbezirke 
Nauders):  die  Ortsgemeinden  Nauden,  Reschen,  Graun,  Langtanfers  und 
Haid.  Diese  5  Gemeinden  zusammengenommen  zählen  bloss  8  Romanen, 
nämlich  Nauders  7  und  Graun  einen.  Auch  im  Glurnser  Gerichts- 
bezirk, welcher  der  den  Etsehquellen  niichstgelegene  des  Politisclu  n 
Bezirks  Meran  ist,  koumien  bloss  7  Romanen  vor,  davon  4  im  Dorte 
Tartsch.  Der  hieran  stossende  Gerichtsbezirk  Sc  hl  anders  weist^ 
abgesehen  vom  Gerichtssitze  dieses  Namens,  dessen  35  Italiener  zu- 
meist, nämlich  mit  30,  auf  Rechnung  der  lüesigen  Militärgamison  zu 
setzen  sind,  bloss  ihier  6  auf.    Dagegen  zählt  der  Gerichtebezirk 


*)  Von  diesen  Einwanderern  handelt  auch,  und  zwar  auf  Grund  persönlicher 
Bekannt' f'haft  mit  denm  Nachkommen.  Prof.  V.  M.  Gredler  in  seiner  BrOtchttrO 
^Exkursion  auf  Joch  Grimm",  Innsbruck  10tj7. 


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28] 


Die  Nationalitäten  in  Tirol  etc. 


411 


Merftn  deren  938,  und  zwar  der  Gerichtssitz  60,  das  Dorf  Ober- 
mais 36,  das  Dorf  Mühlbach  (Fraktion  von  Alguiul)  10,  das  Dorf 
Orabsch  10,  das  Dorf  SclK'hina  11,  die  Ortsgeraeinde  Tirol  22,  die 
Ortsgemeinde  Vöran  18,  die  Ortsgemeinde  Unteniiais  129,  Burgstall  215, 
Gartrazon  2G7.  Aus^serdem  ist  hier  der  Gericbtsbezirk  Passeier  mit 
ö;J  Ittdienem  zu  verzeichnen,  wovon  33  in  der  ()rt.sgenieiude  Kaben- 
steiu  und  10  iu  der  Ortsgemeinde  St.  Leonhard  angetroffen  wurden. 
Den  Schlnss  macht  in  der  Richtung  gegen  Bozen  der  Gerichtsbeztrk 
Lana  mit  271  Italienern,  von  welchen  am  öerichtssitze  103,  in  der 
Ortsgemeinde  Marling  45,  Tisens  39,  Ulten  41,  An<lrian  21  und  Nals  17 
anwesend  waren.  Auf  das  langgestreckte  Ultf-nthal  verteilen  sich  die 
vorerwähnten  41  folgendermasseu :  Ortschaft  Öt.  Gertraud  3,  St.  Niko- 
laus 7,  St.  Pankraz  14,  St.  Waliburg  17. 

Geaamtsumme  des  oberen  Etschthales:  1619. 

Maff  nun  gleich  die  Zahl  der  Anc&ssigen  unter  diesen  TerhSltnis- 
mässig  sehr  klein  und  noch  immer  in  Abnahme  begriffen  sein  —  in  der 
Ortsgemeinde  Lana  sollen  unter  7G4  Grundbesitzern  bloss  0  Italiener, 
unter  ir>0  Gewerbetreibenden  bloss  3;  in  der  Ortsgemeinde  Andrian 
unter  153  Besitzern  2;  in  der  Ortsgemeinde  (largazon  unter  13  Ge- 
werbetreibenden 3,  unter  107  Grundbesitzern  4;  iu  der  Ortsgemeinde 
Buigstall  bei  11  Gewerbetreiboiden  3,  unter  95  Besitzern  5;  in  der 
Ort^emeinde  Terlan  unter  57  Gewerbetreibenden  2,  unter  260  Be- 
sitz^  8;  in  der  Ortsgemeinde  Gries  unter  beiläufig  700  (?)  Besitzern  2, 
unter  81  Gewerbetreii)enden  7  sich  befinden  (4.  12,  13):  —  so  ist 
doch  von  einem  Rückgange  der  italienisch  Sprechenden  da  wenig  zu 
verspüren.  Vielmehr  Uberst<„'igt  das  diesbezügliche  Ergebnis  der  letzten 
Volkszählung  alle  Erwartung.  Mehrere  Jalire  zuvor  wurde  kaum  die 
^Ifte  als  im  oberen  Etschthale  vorhanden  angenonmien.  Man  ver^ 
anschlagte  die  Zahl  der  Italiener  ffXr  Lana,  Andrian  und  Kais  zu- 
sammen auf  50,  für  Burgstall  auf  70,  für  Gargazon  auf  150,  für  ülten 
auf  20.  ftir  Terlan  auf  50  (12.  147).  Bei  den  offiziellen  Vorerliel)ungen 
zur  „Ethnographie  der  österreicliis(  hen  Monarchie"  (im  Jalire  184G) 
wurden  die  damals  hier  schon  beträclitlichen  Ansätze  italienischer  Ein- 
wanderung ganz  übersehen.  Also  lässt  sich  mit  dem  früheren  Be- 
TöUcerungsstuide  kein  Vergleich  ziehen.  Wenn  aber  Lokalkundige 
versichern,  dass  in  Burgstall  die  Hälfte,  in  Gargazon  sogar  zwei 
Drittel  der  Bewohner  verdeutschte  Italiener  sind  (1.  12).  dass  man 
auch  in  den  Ortschaften  Andrian  und  Nals  eine  erhebliclie  Zalil  von 
verdeutschten  Italienern  antrifft,  deren  Abstammung  „in  Gestalt,  Sprat  lie 
und  Lebensweise"  sich  offenbart  (4.  11),  so  ist  daraus  ein  sicherer 
Schluss  auf  die  Stärke  zu  ziehen,  in  welcher  das  italienische  Element 
hier  vor  30 — 40  Jahren  verbreitet  war.  Immerhin  wird  Ton  der  Wahr- 
nehmung, dass  dasselbe  nunmehr  hier  altnimmt,  Notiz  zu  nehmen  sein. 
Speziell  wurde  dieselbe,  was  den  Besitz  von  Bauernhöfen  anbelangt, 
zu  Burgstall  (31.  11,  Note)  und  bei  den  Gewerbetreibenden  in 
Meran  gemacht,  deren  italif  nischer  Prozentsatz  seit  dem  .lahre  1870 
bis  1880  von  Ö  auf  4  sich  vermindert  hat  (4.  10).  Desto  zahlreicher 
sind  die  Italiener  unter  den  Taglöhnem  yertreten,  von  welchen  be- 
hauptet wird,  dass  sie  am  linken  Etschufer  von  Bozen  bis  Meran  zur 


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412 


Bidenuann, 


[24 


Hälfte,  am  jenseitigen  aber  zu  einem  Viertel  jener  Nationalität 
angehören  (4.  13).   Auffallend  bleibt  ee  trotzdem,  dass  am  Scblusse 

des  Jahren  1880,  wo  auch  in  diesem  seines  milden  Klimas  wegen  be- 
kannten Teile  Tirols  die  Feldarbeiten  zumeist  ruhen,  einzelne  Ort- 
schaften so  stjirk  mit  Tfali^'iiem  bevölkert  waren.  Es  i<t  dabei  wohl 
auch  die  (^it  ptloucnlieil  der  Nüusberger,  ilire  Kinder  zum  Deutsch- 
lernen iu  diese  liegenden  zu  schicken  und  daselbst  zu  verdingen,  mit 
in  Anschlag  zu  bringen.  Von  einem  Umsichgreifen  der  italieni- 
schen Nationalität  kann  da  freilich  nicht  die  Rede  sein.  Vielmehr 
wird  diese  im  oberen  Etschthale  häufig  von  denjenigen,  welche  sie 
dahin  mitbrini^en ,  abgestreift  und  vollzieht  sich  so  ein  Germani- 
sierun^sprozess,  welcher  selbst  bei  den  später  wieder  in  die 
alte  Heimat  Zurückkehrenden  andauernde  Spuren  hinterlässt. 
Wir  haben  es  da  mit  einer  Erscheinung  zu  thuu,  welche  Jahrhun- 
derte alt  ist  und  bei  den  Bewohnern  des  Nonsberges  näher  zu  eröitem 
sein  wird. 

Aber  auch  eine  zweite  Veranlassung  zur  Ansammlung  von  Ita- 
lienern in  diesen  di  in  Weinbau  so  günstigen  Gegenden,  nämlich  der 
Besitz  sogen.  Weingüter  daselbst  seitens  italienischer  Famihen,  darf 
nicht  übersehen  werden.  Der  Nonsberger  Job.  Peter  Genetti  besass  zu 
Siebeneich  (Ortsgemeinde  Terlan)  schon  im  Jahre  1732  gun  riguardevole 
stabile"  (41.  120a);  1753  erhielt  Graf  Paul  Bettoni  aus  Brescia  die 
gesamte  Herrschaft  Schönna  durch  landesfürstliche  Verleihung  als  Pfand- 
schilling (79.  419).  Zur  Zeit  des  Zustandekommens  der  theresianischen 
Grundsteuerbürlier  (1777)  gehörte  zu  Burgstall  das  Kofigut  dem  Freiherm 
Joseph  Priami,  der  sogen.  Mairhof  dem  Jul.  de  Quadri,  zu  Gtirgazon 
das  Porzenmosgut  jenem  üralen  v.  Bettoni,  dua  Boznergut  dem  Jakob 
Y.  Maffei,  das  WinUgut  dem  Job.  Bombardi,  das  Rundegg-Anwesen 
der  Familie  Priami -Parayicini.  Die  Tharonatti  und  Gunpi  waren 
bereits  zu  Anfang  des  neunzehnten  Jahrhunderts  zu  Nals  begütert 
Diese  Besitzer  Hessen  mit  geringer  Ausnahme  ilire  Güter  durch  italie- 
nische Bauleute  bearbeiten  und  lockten  so  zuerst  eine  crrössere  Anzahl 
von  italieniselien  Familien  in  die  betreffenden  Gegenden.  Aber  an 
einzelnen  Einwanderern  dieser  Nationalität  hat  es  im  sogen.  Burg- 
grafonamte  und  im  Vintschgau  auch  schon  in  sehr  alter  Zeit  ni<mt 
gefehlt 

Namentlich  war  die  Stadt  Meran  durch  lange  Jahre  ein 
Sammelplatz  italienischer  Münzarbeiter  und  der  bezüglichen  Unter- 
nehmer, welche  teils  aus  der  Lombardei,  teils  ans  Hetrurien  her])ei- 
kamen.  Schon  im  .lalire  1287  hatte  Philipp  Tuskhan  von  Florenz  in 
Geraeinschaft  mit  2  Brüdern  das  hieiiige  Leihhaus  (casanam  prestiti) 
inne  (Hormayr,  Sämmtl.  Werke  II,  Drk.  49).  Im  Jahre  1296  er^ 
scheinen  unter  den  MOnzem  zu  Meran  Tenga  Ton  Florenz  und  (als 
Silberprobierer)  Bonus  von  Trient  (A.  f.  Gesch.  u.  Altertumskde. 
Tirols,  V..  24.  25),  1  Pagan  von  Bergamo  (f^S.  Reg.  :W4) ,  1312 
Nikolaus  von  Florenz  (Chmers  Oesterr.  Geschiclitsforscher  II,  3r>4). 
1318  als  zu  Meran  ansässig  Arthusius  und  Philipp  von  Florenz 
(38.  Reg.  423),  1301  als  Inhaber  der  hiesigen  Münze  und  Wechsel- 
bank GhBTO  von  Florenz,  Sohn  des  Franziskus  von  Gasaweckl  =  Casa 


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25] 


Die  Nationalit&ten  in  Tirol  etc. 


418 


▼ecchia  (Primissers  urkundl.  KoUektaueen  in  der  Bibl.  Tirol,  a.  N.  2riÄ), 
1421  Bartlmä  Beltramel  von  Mailand  (A.  f.  Gesch.  u.  Altertumsk.  Tirols, 
y,  41).  Im  sechzehnten  und  siebzehnten  Jahrhundert  geriet  das  Deutsch- 
tarn  an  manchen  Orten  des  Burggrafenamts  in  Bedäuffnisse,  deren  es 
sich  aber  wacker  zu  erwehren  verstand.  So  bedimg  si^  die  Oem^de 
Ydran  im  Jahre  1574  vom  Möltner  PfArrer  aus,  dass  er  ihr  nur 
Priester  zusende,  welche  Deutsche  oder  weni<]^stens  der  deutsclien  Sprache 
mächtig  sind  (79.  508).  Die  Stadt  Meran  nötigte  im  Jahre  15*10  dera 
Churer  Bischof  Beatus  a  Porta  die  Zusage  ab,  dass  er  im  dortigen 
Pfarrhause  fortan  3  deutsche  Priester  unterhalten  werde  (79.  247), 
und  im  Jahre  1606  fasste  der  hiesige  Gemeinderat  den  BescUnss,  dass 
künftig  „khain  Aidtgenoss,  Engadiner,  Pundts- Gauer  (GxaubflndnerP), 
Walch  oder  Saphoyer'^  zum  Bürger  daselbst  aufgenommen  werden  sollte 
(A.  f.  Gesch.  u.  Altertumsk.  Tirols,  II,  19(3).  Nooli  energischer  lehnte 
sich  die  Pfarrgemeinde  Schönna  ge<^en  die  V  erwelschung  auf.  indem 
sie  ihren  der  deutscheu  Sprache  nicht  genug  mächtigen  Seelsorger 
Christoph  Gampi  im  Jafaxe  1686  geradezu  yertrieb  (79.  423). 

ISn  grosser  Teil  des  oberen  Etschthales  und  einzelne  Seitenthäler 
waren  freilich  bis  ins  sechzehnte  Jahrhundert  herein  von  Komanen  be- 
wohnt. So  meldet  dies  der  reformierte  Pfarrer  von  Chur,  Ulrich  Campell, 
in  seiner  um  1570  verfassten  Besehreibung  Hochrhiiticns  von  den  Ge- 
meinden Taufers,  Mals,  Burgeis,  Laas  und  Schluderus.  Er  l'asst 
in  Mals  und  Nauders  die  rhätische  (ladinische)  Sprache  ebenso  ge- 
briluchlich  sein  als  die  deutsche,  und  behauptet  das  Gleiche  sogar  Ton 
Partschins  bei  Meran  (19.  3,  4).  Danach  kann  es  nicht  befremden, 
dass  zu  Latsch  im  Gerichtsbezirk  Schlanders  in  den  Jahren  1321  bis 
1337  ein  Magister  Agnellus  de  Tridento  Pfarror  war  und  den  Frances- 
chinus  Banchis  de  Placentia  zum  Nachfolger  liatte  (10.  280).  Es  wird 
auch  im  Hinblicke  hierauf  begreiflich,  wie  Walgrin  von  Tarrent  an- 

§eblich  in  der  zweiten  Hälfte  des  zwölflen  Jahrhunderts  sich  bei  Nau- 
ers  niederlassen  und  das  nach  seiner  Familie  benannte  Schloss  Tarants- 
berg  (Dornsberg)  erbauen,  wie  noch  vier  Jahrhunderte  später  der  Enga- 
diner Jos.  Mor  nach  Siberkirchen  bei  Mals  ziehen  mochte,  und  wie  im 
Jahre  1559  Peter  de  Barbis,  ein  Italiener,  zu  Partschins  das  Pfarramt 
antreten  und  es  bis  1582  l)eklciden  konnte.  Zu  Burgeis  wurde  noch 
im  Jahre  1018  in  italienischer  und  ladinischer  Sprache  gepredigt,  und 
am  25.  Februar  1617  musste  der  Abt  Matthias  Lang  vom  Benediktiner- 
Uoster  Marienberg  der  Gemeinde  Schlinig  rerbieten,  bei  ihren  öffent^ 
liehen  Zusammenkünften  eine  andere  als  die  deutsche  Sjjrache  zu  ge- 
brauchen. Aus  welchem  Grunde  er  dies  that,  lehrt  eine  Eingabe,  die 
er  im  Jahre  1610  an  den  Tiroler  Landesfürsteu  Erzherzog  Maximilian 
richtete,  sich  wegen  des  Beharrens  der  Burgoiser  beim  <  alvinischen  (ilauben 
damit  entschuldigend,  dass  ihnen  mit  der  katholischen  lleligiou  schwer 
beizukommen  sei,  weil  sie  sowohl  im  PriTatTerkehr  als  öffentlich 
«allein  der  barbarischen  engadinerischen  Sprache*  sich  bedienen.  Die 
Gemeinde  Mals  hatte  noch  vor  kurzem  eine  1608  angeschaffte  grosse 
Glocke  mit  romanischer  Inschrift.  Aus  Taufers  im  Mtinstcrtliale 
verdrängte  das  Ladinische  erst  um  das  Jahr  1700  der  Pfarrer  1*.  Per- 
linger  und  von  Stiifs  am  Fusse  des  gleichnaniigea  Bergjochs  versicherte 


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414 


Bidemaim» 


detii  Benediktiner  P.  Alois  FalUr  (dessen  schon  von  Hormayr  in  den 
Wien.  Jahrb.  d.  Litteratur  Bd.  5.  S.  4  benutzte  Aufzeichnungen,  jetzt 
in  der  Bibl.  Tirol.  Handschrift  Nr.  1019,  Torstehenden  Angaben  zu 
Grunde  liegen)  zu  An&ng  des  neunzehnten  Jahrhunderts  ein  dort  ge- 
borener Priester,  dass  er  dort  Leute  kannte,  welche  noch  des  Ladini- 
schen  kundig  waren  (vgl.  11.  33,  Note  2).  Und  wie  an  der  Schweizer 
Grenze  das  Ladinische,  so  erhielt  sich  im  Ultentliale  das  Italienische 
noch  lange,  nachdem  das  deutsche  Volkselement  hier  zu  Ansehen  ge- 
kommen war,  im  Gebrauche.  An  der  Huldigung,  welche  die  Thal- 
gemeinde im  Jabre  1568  dem  Erzherzo|p  Feaäinand  zu  St  WaUbnrg 
foisliete,  beteiligten  sich,  wie  die  bezügliche  Urkunde  bezeugt,  auch 
„Leute  welscher  Zunge"  (79.  704).  In  neuerer  Zeit  haben  daselbst 
die  Malapell  und  die  Sorzi  aus  dem  Nons-  und  Sulzberge  sich  ange- 
siedelt (79.  806).  Als(t  aurli  hier  eine  rücklüuüij:«'  Bewegung,  wogegen 
im  oberen  Vintscligiiu  Eugudmer  nur  mehr  auf  der  Fahrt  nach  den  Kapital- 
zinaen,  welehe  ob  dort  zu  fordern  baben,  sich  einzufinden  pflegen. 

Vn.  Bozen  und  die  ZwOlf  Malgreien. 

Die  Stadt  Bozen  zSblt  nach  der  letzten  Volkszählung  ohne  ihre 
Vororte,  als  was  die  zu  einer  besonderen  Ortsgemeinde  zusammen- 

ge&ssten  Zwülf  Malgreien  anzusehen  sind,  1142  italienische  Einwohner 
(darunter  HO  Soldaten),  und  mit  diesen  Vororten  H.'iO. 

So  hoch  wagte  4  Jahre  zuvor  nicht  einmal  der  italienische  Kaj>lan 
der  Bozener  Kapitelpi'arre  die  Zahl  derselben  anzuscltlagen.  Aber  es 
sind  freilich  darin  viele  nur  temporär  anwesende  Bauhaiidwerker  und 
TaglÖhner  begriffen.  Die  Liste  der  im  Stadtgebiete  betriebenen  Ge- 
werbe vom  Jahre  1B80  weist  36  Italiener  auf,  von  welchen  5  Handels- 
leute mittlerer  und  niedriger  Kategorie  sind,  alle  übrigen  jedoch,  mit 
Ausnahme  eine's  f'ivilingenieurs,  dfm  niedrigen  Gewerl)estande  ange- 
hören. St'it  l>^t)0,  wo  das  betrettende  Verhältnis  zur  Gesamtzahl  der 
Handel-  und  Gewerbetreiljenden  dieser  Stadt  beiläuhg  0 '^o  war,  hat 
sich  dasselbe  bis  auf  ungefähr  S'/s  ^jo  vermindert. 

So  berechnete  mindestens  der  Tormalige  Sekretär  der  hiesigen 
Handels-  und  (i*  wt  rbekammer  im  Jahre  1881  den  bezüglichen  Anteil 
(4.  18).  Die  Liste  der  Gemeindewäliler  vom  Jahre  188.3  enthält  unter 
788  Wahlberechtigten  bloss  55  Italit-n^  r.  von  welchen  42  dem  dritten 
(471  Namen  umfassenden)  Wahlkörper  angehörten,  während  im  ersten 
und  zweiten  mehr  als  die  Hälfte  aller  Italiener  aus  Beamten  bestand. 
Von  diesen  abgesehen,  waren  der  Besdiäfligung  nach:  13  Handeltrei- 
bende, 1  Hausbesitzer,  2  Offiziere  a.  D.,  1  Arzt,  1  Ingenieur,  1  Ad* 
▼okaturskonzipient  und  der  Rest  (22)  Gewerbetreibende  '). 

Zur  Zeit  des  Bahnbaues,  d.  h.  in  den  Jahren  1859—1807,  leistete 
die  österreichische  Regierung  in  Anbetracht  der  vielen  italienisclu  n 
Arbeiter,  welche  damals  in  Bozen  und  in  der  Umgebung  der  Stadt 

Ich  verdanke  diesen  Nachweis  meinem  Freunde  Dr.  Juliut^  Würz  er  in 
Bozon .  der  aln  Kingoborrner ,  «'hemaliger  ßQrgermeiit^  Und  iangjfthrigor  Notar 
in  dieser  Stadt  deren  Bevülkerung  genau  kennt. 


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27] 


Die  Nationalitlteii  in  TM  etc. 


41& 


sich  aufhielten,  aus  dem  sogen.  Religionsfonds  einen  jährlichen  Zuschuss 
von  2UU  Gulden  zur  Erhaltung  des  hier  schon  seit  185U  in  der  Seel- 
sor<re  thätiicen  italienischen  Kaplaus.  Aber  im  Jahre  1807  stdlte  das 
Kultuäuuuisterium  diesen  Beitrag  ein  und  olles  Rekurrieren  wider  den 
abweiaHchen  Bescheid  war  finicnllofl.  Eine  kaiBerlicbe  Entschliessimg 
Tom  9.  MStz  1871  mochte  den  G^egenbestrebungen  ein  Ende.  Aus 
den  bezOglidien  Akten  ist  zu  ersehen,  da.ss  die  italienisdien  Predigten 
in  der  sogen,  alten  Plarrkirelie  zu  Bozen  auf  Ersuchen  der  hier  lebenden 
Italiener  um  das  Jahr  182i)  ihren  Anfang  nahmen,  ein  besonderer 
Pritster  hierzu  jedoch  erst  im  oliengenannten  Jalire  bestellt  wurde. 
Ein  dessen  Eortbestand  als  notwendig  erklärendes  SchrifUtück  vom 
20.  Februar  1869  trägt  57  Unterschriften,  darunter  die  der  Direktionen 
zweier  Fabriken.  Hieraus  ist  zu  entnehmen,  daes  damals  die  Zuwande- 
rung von  Italienern  in  Bozen  eher  begtlnstigt  als  hintangehalt»  n  wurde. 
Man  folgte  dabei  einer  bis  ins  siebzehnte  Jahrhundert  zurlU  kreieliendeu 
Tradition,  welche  mit  der  Stellung  der  Stadt  als  eines  der  l)edeutend8ten 
Handelsplätze  und  insbesondere  mit  den  Jahrmäi'kteu  (Messen),  welche 
hier  stattfanden,  zusammenhängt. 

Der  sogen.  Merkantilmagistrat  war  in  der  That  eine  vorwiegend 
italieniscbe  ^richtung.  Zwar  sollten  in  ihm  Deutsche  und  Italiener 
gewisscrmassen  sich  das  Gleichgewicht  halten  und  wurde  nur  zu  diesem 
Ende  dem  Bozener  Marktricliter  David  Wapier  (dem  Ahnherrn  der 
heutigen  Grafen  von  Sarnthein)  iJr.  Joh.  Baptist  Girardi  als  rechts- 
kundiger Beistand  adjungiert  (I.  St.-A.,  „Geschäft  von  Hof",  lli;J;i, 
BL  58);  allein  in  der  That  herrschte  das  italienische  Element  als 
das  in  Handelssachen  erfahrenere  vor,  und  vermöffe  der  italienischen 
Sprache,  in  welcher  bis  um  die  Mitte  des  neunzehnten  Jahrhunderts 
die  kaufmännische  Korrespondenz  auf  dem  Bozener  Platze  geführt  zu 
werden  pflegte  (11.  '{5- — 4.  IG),  fand  es  in  Kreise  Eingang,  die 
sonst  sich  ihm  verschlossen.  Der  Stadtchronist  Zobel  meldet,  dass  im 
Jahre  172(3  die  vornehme  Stadtbevölkerung  an  einer  deutschen  Oper 
sieh  ergötste,  späteihin  aber  (1753,  1760,  1775)  nur  mehr  an  italie- 
nischen OpemTorstellungen  GeÜBÜlen  femd.  Dieselbe  war  damals  nahe 
daran,  der  Stadt  ein  Gepräge  au&udrttcken,  das  sie  um  die  Mitte  des 
ftlnfzehnteu  Jahrhunderts  getragen  haben  mochte,  wo  sie,  freilich  nur 
in  den  Augen  der  italienischen  Mönche,  die  damals  dort  lebten,  für 
eine  italienische  galt.  Der  Dominikaner  Fr.  Felix  Faber,  der  sio 
im  April  1483  besuchte,  vernahm  dies  dort  und  erblickte  eine  Be- 
stätigung dessen  in  dem  Umstände,  dass  dn  ihm  bekannter  Ordens- 
bruder zur  Zeit,  als  er  in  Bozen  Ausläufer  (cursor)  und  Prediger  war, 
kein  deutsches  Wort  verstand  (28.  71).  Beda  Weber  hat  hmwieder 
(82.  18)  den  Ausspmch  gethan:  „Die  Stadtgemeinde  Bozen  war  von 
den  ältesten  Zeiten  l)is  zum  Jahre  147(5  dergestalt  deutsch,  dass  nach 
unzweideutigen  Akten  des  dortigen  Archivs  gar  keine  Italiener  zum 
Bürgerrechte  zugelassen  wurden."  Allein  der  walire  Sachverhalt  ist 
ein  anderer.  Gerade  das  dortige  Stadtarchiv  enthalt  Belege  für  das 
Gegenteil.  Ein  Statut,  welches  Erzherzog  Siegmund  von  Tirol  im 
Jahre  1488  für  die  hieeigen  Jahrmärkte  erliess,  konstatiert  im  Absätze  3, 
dass  ,yil  walchen  zu  Ek>tsen  vi!  hewser  ynd  Burgerrecht  haben". 


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416 


Bldennann, 


[28 


{\\<ft  aber  bei,  dass  solche  trotzdem  „nicht  wesenHehen  da  siezen",  d.  h. 
nicht  daselbst  ihr  Hauswesen  halten,  und  macht  ihnen  dies  zum  Vor- 
wurfe. Im  Absätze  4  erwähnt  das  Statut  abermals,  dass  „die  walchen 
daselbs  zu  Botzan  vil  hewser  an  sich  kauifen',  diese  aber  nicht  selbst 
bevobnen,  sondern  mit  Leuten  niedrigen  Standes,  «die  weder  zu  Bat 
nocli  Gericht  preuchig  sein",  besetzen.  Ueber  letzteres,  nicbt  aber  ühet 
die  Ausbreitung  der  Italiener  an  sich,  hatte  die  Bürgerschaft  beim  Erz- 
herzog Best  liwerdL'  geführt,  der  sohin  anordnete,  dass  <l(Tlei.  ihre  Häuser 
nicht  mit  [{iUken  besitzende  Italiener  entweder  mu  h  Bozen  zu  über- 
siedeln oder  ilire  Häuser  an  Leute  zu  vermieten  haben,  welche  den 
bürgerlichen  Obliegenheiten  gewachsen  sind,  widrigen&Us  ihnen  audi 
nicht  gestattet  sein  soll,  bei  zeitweiliger  Ajiweseimeit  sich  selbst  zu 
verköstigen,  sondern  sie  wie  andere  fremde  Kaufleute  im  Wirtsliause 
zehren  müssten.  Also  weit  entfernt,  den  Italienern,  welche  in  Bozen 
als  Bürger  leben  und  den  Pflichten  solcher  persönlich  nachkommen 
wollten,  dies  zu  verwehren,  bestand  viehnehr  die  Stadtgemeinde  aul' 
deren  Verweilen  in  ihrer  Mitte. 

Mit  dieser  Gleneigtheit,  Italiener  aufzunehmen,  steht  auch  in  -vollem 
Einklänge,  dass  die  Stadt  im  Jahre  1473  den  Doktor  der  Medizin 
Jakob  Fontaneiiis  zu  ihrem  „Leiluuzt"  bestellte,  dass  um  das  Jahr  1485 
Jos.  Gudoldi  aus  Verona  hier  das  Bürgerrecht  <  nvarli .  dessen  Sohn 
Vinzenz  wiederholt  zum  Bürgermeister  der  Stadt  erwählt  wurde  (12.  157, 
Note  13),  und  dass  e'uw  im  Jahre  141t.*>  von  der  Familie  Orlandini  zu 
Gunsten  der  Stadt  gemachte  Stillung  (Alte  Buchhaltungsakten  im 
I.  St-A.  D.  6.  191)  von  der  Dankbarkeit  Zeugnis  gibt,  mit  welcher 
einzelne  italienische  Familien  jenes  Wohlwollen  yergalten.  Erst  im 
Jähre  1524  fasste  der  Stadtrat  (laut  Sitzungsprotokoll  Bl.  10)  den 
Beschluss:  .,Es  soll  auch  kein  Saffoir,  Wälsrher  noch  Annder, 
die  nicht  der  teutschen  Sprach  sein,  zu  keinem  Bur^'-er  nicht  auf- 
genommen noch  (ihnen)  hie  ain  Gewerb  ausserlialb  der  Miirkht  nit 
gestattet  werden.''  Indessen  soll  nicht  in  Abrede  gestellt  werden,  dasa 
diese  den  Italienern  abholde  Stimmung  bereits  um  das  Jahr  1490  die 
Oberhand  gewann,  und  zwar  infolge  steigender  Zuwanderung  von  Deut- 
schen, deren  auch  F.  Faber  Erwälmung  äut,  indem  er  ihr  die  Umwand- 
lung der  Stadt  in  eine  deutsche ,  als  was  er  sie  anerkennt .  zuschreibt 
(23.  72).  Unter  den  in  den  Jahren  1480  und  1494  neu  aufgenommeneu 
20  Bürgern,  welche  im  Stadtbuche  verzeichnet  sind,  ist  kein  einziger 
Italiener,  wohl  aber  erscheinen  darunter  2  Bayern  und  „Meister  Her* 
mann  Parbierer*  aus  Bingen  am  Bhein.  Mit  der  Belebung  des  deut- 
schen Bewusstseins  durch  die  An&nge  der  Reformation  wuchs  die 
keimende  Abneigung  gegen  das  undeutsche  Wesen,  so  dass  ihr  im 
Jahre  1514  die  italienischen  Barfüsser- Mrtnehe,  welche  seit  1458 
das  hiesige  Franziskam  rkloster  bewohnten,  weichen  mussten,  um  durch 
deutsche  Konventuaien  aus  Schwaz  im  Innthale  ersetzt  zu  werden 
(82.  209).  An  jenem  Botsbeschlusse  Tom  Jahre  1524  wurde  in  An- 
sehung der  SaToyer  und  Italiener  70  Jahre  lang  festgehalten. 

So  wies  die  Gemeindevertretung  im  Jahre  1532  einen  SftToyer 
mit 'seinem  Gesuche  um  das  Bürgerrecht  ab,  weil  „dieselben  Personen 
weder  zu  Sprüchen  oder  Tagen  (d.  h.  Gerichtssitzungen)  zu  geprauchen 


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29] 


Die  NationaUtfttcn  in  Tirol  eic. 


417 


siudt  vud  aus  viel  hewe«;lichen  Ursachen  und  Freiheiten".  Als  im 
Jahre  1542  dessenungeachtet  Bernhard  ßonmai-tin  sich  mit  dem  gleichen 
Anhegeu  meldete,  erneuerte  der  Stadtrat  jenen  Beschlusa  bezfiglich 
aller  «aiuser  teutacher  Kaüon"  geborenen  Personen  und  schloss  er  diese 
sogar  Yom  Inwohnenrechte  aus.  Demgemiss  erliess  er  im  Jahre  1508 
gegen  mehrere  Savoyer,  welclie  hei  einem  ^wiilschen  Doktor"  sich  auf- 
hielten, ein  Abschiiöung.sdekret.  Am  8.  Mai  ir)!'.')  machte  er  dagegen 
dem  Savoyer  Michael  Martignoy  von  Augstal  in  Anbetracht  seines  vor- 
gerückten Alters  und  der  Unwalu-scheinlichkeit,  dass  er  hier  mehr 
einen  Hausstand  gründen  werde,  gegen  Erlag  einer  Auinahmstaxe  von 
800  Qnlden  das  Zugeständnis,  dass  er  in  Bosen  wohnen  dtirfe.  Nach- 
dem derselbe  wider  Erwartoi  sich  mit  einer  BUrgerswitwe  yerehelicht 
und  mit  Rücksicht  hierauf  von  der  Aufnahmstaxe  befreit  zu  werden 
gebeten  hatte,  widerrief  zwar  der  Stadtrat  die  ihm  erteilte  Erlaubnis 
nicht,  sondern  verhielt  er  ihn  im  Jahre  l'»tMi  nur  zur  Bezahlung  der 
Taxe;  ^iber  er  verschwur  es  neuerdings,  tSavoyer  zuzulassen.  Den 
Ladinern  aus  dem  Engadin  gegenüber  ward  Übrigens  von  jeher  in 
Lesern  Punkte  Nachsicht  gettbt.  Dafttr  lag  Sinen  die  Stadt  mit 
Schmalz  aus  ihrer  Heimat  zu  versorgen,  worüber  unterm  0.  Fel^r.  15G5 
mit  ihnen  ein  f()rin]ie]ier  Vertrag  geschlossen  wurde,  welchem  im  Jahre  1  .'»»w 
die  Beschränkung  ihres  Aufenthaltsrechts  auf  zwei  Familien  ((iel)rüder 
Gritti)  folgte,  denen,  allerdings  gegen  Erfüllung  jener  \'erpllichtung, 
ausser  dem  Wohnen  in  der  Stadt  nun  auch  „das  Schuhllicken  toleraudo 
gestattet*  wurde.  Die  Ausschliessung  der  Übrigen  vom  Aufenthalts- 
rechte ward  unterm  10.  Dezember  1598  erneuert;  allein  streng  wurde 
dieses  Verbot  nie  gehandhabt,  und  man  setzte  sich  sogar  (mit  Be- 
willigung der  oberösterreichisehen  Kegierung  zu  Innsbruck)  im  Jnlire  1002 
ül)er  das  Calvinisclie  Bekenntnis,  tleni  die  anwesenden  Engadiner 
anhingen,  hinweg  (laut  Sitzungsprotokoll  von  diesem  Jahre,  Bl.  4  u.  2oJ. 
Auch  späterbin  blieben  die  protestantischen  Schmalzhändler  aus  dem 
Engadin  in  Bozen  unangefochten,  so  speziell  die  Handelshäuser  Meieher 
und  Bietti,  welche  noch  im  Jahre  1740  dort  regelmässig  ihre  Ge- 
schäfte trieben  (s.  den  „Generalauszug"  der  Stadtakt«!  im  B.  Stdt.-A. 
Bl.  183  a).  Mehr  im  allgemeinen  machte  die  Eingenommenheit  geL'en 
welsche  Eiubürgerungsversuche  wieder  der  entgegengesetzten  Uesnuiung 
Platz,  sils  der  oben  erwähnte  Merkantilmagistrat  zu  wachsendem  An- 
sehen gelangte  und  die  „Matricola  della  Contrattatione  delle  Fiere  di  Bol- 
giano'  zu  einem  Ehrenbuche  wurde,  auf  welches  die  gesamte  Bozener 
Bürgerschaft  mit  undeutschem  Stolze  blickte.  Beim  Jahre  1058  finden 
wir  den  Handelsmann  Bemardin  Giovauelli  aus  Oandino  l»ei  Bergamo 
in  diese  "Matrikel  eingetragen.  Er  enifthet  die  Keilie  der  Italiener, 
weiche  hier  ni  neuerer  Zeit  eine  älinliehe  Holle  s]»ielten,  wie  sie  im 
vierzehnten  Jahrhundert  Uielueren  Gliedern  der  liorentiner  Eunuhe 
Botsch  auch  daselbst  zu^^efallen  war,  so  namentlich  dem  Botzo 
de  Bamborossis,  welcher  im  Jahre  1342  den  Bozener  Zoll  zu  Lehen 
trug  und  im  Jahre  1368  starb 


')  Nach  dorn  K.  d.  I.  .'<ch.-A.r^  (IV.   lOS)  hatte  , Botsch,  Zuanens  Sohn  voa 
Florenz",  2  Zollstättea  iii  Bozen  durch  Kauf'  an  siuh  gebracht,  weiche  Erwerbung 


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418 


Bidttmaim, 


[80 


Bevor  (li*r  neue  Umschwung  eintrat,  ftlhrte  hier  (his  italie- 
nische Element  ein  .so  bescheidenes  Dasein,  dass  seihst  die  Au\ve>enheit 
der  Lehrmeister  des  berühmten  Geigeumachers  Jakob  Stainer,  Paolo 
und  Kattia  Albani,  welche  in  die  Zeit  um  1640  fällt,  ganz  in  Ver- 
gessenheit geraten  konnte.  —  Was  endlich  die  ZwtUf  Malgreien  (so 
von  den  Gerichtsstätten  genannt,  deren  alte  Bezeichnung  in  späterer 
Zeit  mwh  zur  Bezeichnung:  von  Gemeindeabteilungen  diente) .  bezw. 
die  hier  ansässigen  oder  weni<ifstens  begüjterten  Ttaliem  r  anbelanrrt,  so 
machen  sie  von  jeher  nur  einen  verschwindend  kleinen  Teil  ilirer  hier 
wohnhaften  Nationsgenossen  aus  (vgl.  12.  157,  Note  13).  Diese  sind 
der  Abkunft  nach  zumeist  Fleimser.  Einzelne,  bei  den  Sägen  in  Part- 
schon biBsd^iftigte  Arbeiter  stanmien  aus  der  venetianischen  Provinz 
Belluno. 


Tin.  Unteres  fitschthal  (zwischen  Bozen  und  der  Sprachgrenze). 

Vom  Polit  ischen  Bezirke  (Umj^^ebung)  Bozen  gehören  hierher 
die  Ortsgemeiuden  Deutschnoien  und  Leifers,  erstere  mit  'Jö,  letztere 
(bei  einer  GesamtbeTÖlkerung  yon  1292  Einwohnern)  mit  380  Itafieaem; 
femer  die  ganzen  Gerichtsbezurke  Neumarkt  am  linken  imd  Ealiern 
am  rechten  Ufer  der  Etsch.  Jener  zählt  1526,  dieser  637  Italiener. 
Yon  den  e'nzelnen  Ortsgemeinden  schhessen  sicli  Aldein  mit 
Montan  mit  4  und  <ifril]  mit  10,  als  am  (lel)irgsabhange  gelegen,  an 
die  Berggemeimle  I  »eutschnolen ;  dagegen  Brauzoll  mit  100  (neben 
603  Deutschen),  Auer  mit  115  (neben  1)21  Deutschen),  Neumarkt  mit 
301  (neben  1435  Deutschen)  und  Salurn  mit  «620  (neben  1310  Deut- 
schen) der  Reihe  nach  in  der  Niederung  an  Leifers,  wovon  bloss 
der  Weiler  Mazon  ober  Neumarkt  und  das  Dorf  B  u  c  h  h  o  1  z 
(ai  Pochi)  obt  r  Salurn  (dc^s^n  Zubehör  es  ist)  verm(")i>;e  ihrer  erhöhten 
Lage  eine  Ausnahme  maihrn.  Im  letztgenannten  Dorfe  halten  sich 
Italiener  (310)  und  Deutsche  {'•V'U')}  fast  das  Gleichgewicht;  ebenso  im 
Dorfe  Laag  (Laghctto),  welches  eine  Fraktion  der  Ortsgemeiude  Xeu- 
markt  ist  und  neben  110  Deutschen  99  Italiener  aufvireist.  Dagegen 
ist  die  Sprachgrenze  gegen  das  Fleimserthal  zu  durcli  die  an  dessen 
Eingange  gelegene  Ortsgemeinde  Mon  tan  mit  nur  4  Italienern  (neben 
1005  Deuf  seilen)  scharf  gekennzei(  Imtt.  Am  linken  Fit  schuf  er 
liegt  dem  Fkisse  zunäehst  die  Ortsgemeinde  Ep})an  mit  bloss  66  Ita- 
lienern (neben  4680  Deutsdien).  Daun  folgen  die  Ortsgemeiuden: 
Kaltem  mit  57  (neben  3687  Deutschen),  wovon  auf  das  Unterdorf 
dieses  Namens  32  entfallen,  Tramm  mit  31  (neben  1753  Deutschen), 
Kurtatsch  mit  55  (neben  2043  Deutschen) ,  Margreid  mit  88  (nebcoi 


die  Herzogin  „OflFmjra"  von  K&rnten  im  Jahre  1843  bertatigrte.  I>ar8elbe  besan 
5  Höfe  auf  dein  Ritten,  ö  in  der  Pfarre  Bozen,  Avoitere  zu  Rontscb.  Schenns  u.  s.  w. 
(38.  Reg,  685.  755).  Der  oben  erwälinte  BtrnardLii  Giovanelli  war  ein  Sohn 
des  um  das  .Tahr  158;^>  aus  (»andino  in  die  Bozener  Gegend  eingewanderten  Jos ep h 
Joanelli,  der  dtMi  Ansitz,  li.f^tburg  erwari>.  Vgl.  über  diesen  als  rdch  gerOAuntea 
Kaufmann  Hurters  tiescb.  Ferdinands  Ji.,  Iii.  126. 


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31]  Die  Nationalititen  in  Tirol  etc.  419 

575  Deutschen)  und  Kurtinig  mit  -2  (neben  233  Deutschen).  Durch 
einen  Bergrücken  von  Kaltem  abgesondert,  erstreckt  sich  längs  der 
Etsch  die  Ortsgemeinde  Platten,  wo  308  Italienern  bloss  OU  Deutsche 

gegenüberstehen,  und  hinter  liurgreid  liegt  gegen  das  Oebiige  zu  die 
irtsgemeinde  Unter -Fenberg  (Favogna  di  sotto)  mit  152  ausschliees- 
lich  deutschen  Einwohnern,  welche  im  Verein  mit  denen  von  Kurtinig 
hier  die  Sprachgrenze  markieren. 

Gesamtsumme  des  unteren  Etschthales:  2'538. 
Hier  nehmen  wir  kt  iii  successives  Vorrücken  wahr,  sondern  die 
Verbreitungsweise  der  itiiiieuer  gleicht  da  der  Inselbildung  und  hat 
auch  besondere  Örtliche  YerhUtiusse  zur  Voraussetzung.  Vor  allem 
sind  es  die  der  Sumpfluft  ausgesetzten  Gegenden  und  dann  wieder  die 
Lenden  (Landungsplätze)  an  der  Etsch,  welche  in  Verbindung  mit  dem 
Holzstapel  und  mit  der  Znsiunn^enstfUmig  der  Flösse  jene  Anziehungs- 
kraft übten.  Die  Schittahrt  auf  der  Ktscii  war  von  jeher  eine  den 
Italienern  nicht  nur  erwünschte,  sondern  auch  sehr  geläutige  Beschäf- 
tigung. Es  gilt  dies  sowohl  von  den  betreüendeu  Transportunter- 
nehmungen als  von  der  unmittelbaren  Besorgung  der  einzelnen  Wasser- 
fracht. 

Die  Flosslend  zu  BranzoU  ging  im  Jahre  1424  durch  Be* 

lehnung  seitens  des  Trienter  Rischofs  von  Rudolf  von  Bellinzona 
(dem  bekannten  Trientner  Volkstribun)  an  Herzog  Friedrich  von  Tirol 
Ober  (lieg.  d.  I.  Bch.-A.s,  III,  295).  Sie  war  also  kurz  vorher  in  ita- 
lienischen Händen  gewesen.  Aus  dem  sechzehnten  Jahrhundert  liegen 
aber  auch  schon  Belege  dafür  tot,  dass  «welsdie  Schiff leute*  im  Be- 
fahren der  Etsch  mit  Schiffen  sich  den  deutschen  tiberlegen  zeigten. 
Der  Verwalter  der  Landeshauptmannschaft  an  der  Etsch,  Ritter  Simon 
Botsch,  Hess  durch  sie  Proben  machen,  sowohl  in  Bezug  auf  die  Berg- 
fahrt zwischen  Trient  und  Neuniarkt  als  in  Ansehung  des  Wasser- 
transports zviischen  Terlau  und  Neumarkt.  Von  ersteren  Versuchen 
meldet  er  in  einem  Beridite  an  die  Innsbrucher  Hofkammer  vom 
23.  Juni  1560,  dass  sie  geglückt  seien  (Bibl.  Tirol.,  Handschrift  1155, 
III.,  Bl.  185).  Zu  Anfang  des  siebzehnten  Jahrhunderts  finden  wir  den 
Holzhändler  Job.  Bapti.st  Someda  von  Claramonte  unablässig  bemtiht,  zwi- 
scb'ii  Siegmundskron  und  Branzoll  eine  regelmä-ssige  Schiffahrt  ein- 
zurichten. Im  Juli  1008  erregte  es  den  Unwillen  der  Gntfertiger  zu 
Bozen  und  vieler  Besucher  der  hiesigen  Märkte,  dass  der  Vorgenannte 
mehrere  Schi&ladungen  sogar  mit  Benutzung  des  Eisackflusses  direkt 
Ton  Bozen  weg  nach  Branzoll  befördert  und  so  die  LandfrSchter  um 
Erwerb  gebracht  hatte.  Ihm  war  es  also  gelungen,  ein  schon  früher 
von  einem  Italiener  namens  Bontiol  entworfenes  Projekt,  zu  dessen 
Beurteilung  die  Regierung  einen  Hydrauliker  aus  Bergamo  und  den 
Hofbaumeister  Lucces  entsendet  hatte,  zu  verwirklichen  (1.  St.-A. 
„Missiven  von  Hof",  1003,  Bl.  ll»:ij  'j.    In  der  „Floss-Ordnung",  welclie 


Deutsche  Etsch «chiffer,  die  derartiges  angeregt  oder  dazu  die  Hand 
geboten  hätten,  scheint  es  gar  nicht  gegeben  zu  haben.  AI»  Simon  Botech  im 
.laluf  1560  dit!  oben  erwähnten  l*rnb<  ii  vfiaiistaltete,  bemOhto  mh  die  Innsbnicker 
Hofkanuner,  Inn-Schiffer,  welche  damit  hätten  in  Konkurrenz  treten  mögen,  aof- 


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420 


Bidennami, 


[32 


Erzherzog  Ferflinmid  von  Tirol  im  Jahre  ir)84  zu  Gunsten  einer  ita- 
lienischen llamlelögesellschaft,  die  zu  Sacco  bei  Kovereto  ihren  Sitz 
baifce,  erlieas,  heigst  es,  dass  dieser  Gesellschaft  seit  «unfOrdenklicher'^ 
Zeit  das  ausschliessliche  Recht  zustehe,  tod  den  StapelplfttM  Lei- 
fers,  Branzoll  und  Ens  (Montan^  weg  Merkantilholz  auf  der  Etsch 
abwärts  zu  verlüliren.  Dies  geschah  mittels  der  Flösse,  auf  welchen 
sodann  Kanfiuiinnswaren  aller  Art  bis  Vercma  gehin<rten.  Ein  Zwang, 
die  letzteren  der  Saccoer  Gesellschaft  anzuvertrauen,  bestand  ursprüng- 
lich nicht;  aber  dieselbe  wusste  durch  ihre  Gescliickliclikeit  und  Zu- 
dringlichkeit (wie  es  in  einem  Bericht  des  Bozener  Merkantilmagistrats 
vom  Jahre  180()  an  die  k.  bayr.  R^erung  heisst)  es  dahin  zu  bringen, 
dass  die  Handelsleute  mit  geringer  Ausnahme  ihr  die  Güter  zur  Beforde- 
ning  überliessen.  Im  Jahre  1»I(I4  schlössen  »lie  Bozener  Marktintert  ^-^i  nten 
mit  ihr  einen  ftirnilidien  Vertrag  darüber  ab.  Die  llegieruug  aber 
erneuerte  die  „Floss-Urdnung*  in  den  Jahren  1084,  17ul  und  1714, 
wodurch  sie  dieser  Gesellschaft  mittelbar  auch  das  Monopol  des  Holz- 
handels  in  jenen  Gegenden  einräumte,  bis  im  Jahre  1744  deren  Spe- 
ditionsprivüegium  sogar  auf  alle  Eauf^annsgOter,  die  zwischen  Branzoll 
und  Verona  abwärts  gin^ren,  ausgedehnt  wurde.  Es  versteht  sich  von 
selbst,  dass  dieselbe  allentlial!)en  italieni'^elier  Faktoren  und  Ar- 
beiter sieh  bediente,  weh  lie  an  den  genannten  Urten  sich  Unterkünfte 
mieteten  oder  eigene  Häuser  zu  diesem  Zwecke  erbauten.  In  gestei- 
gertem Masse  geschah  dies  von  der  Zeit  an,  wo  sie  auch  des  sogen. 
Rodfuhrwerks  zu  Lande,  welches  stationenweise  wechselte,  sich  bemächtigt 
hatte.  So  gab  es  im  Jahre  1735  zu  Branzoll  4  italieni.<che  Speditions- 
geschäfte, welche  den  Landtransport  leiteten,  und  zahllose  Italiener 
f  uiden  teils  hier  teils  an  den  übrigen  Landungsplätzen  dauernde  Be* 
schaftigung. 

Einiges  scheint  zu  diesem  üebergewieiit  der  italienischen  Natio- 
nalität der  Umstand  beigetragen  zu  haben,  dass  zur  Zeit,  wo  die  sp&ter 
nach  Bozen  Terlegten  Jammarkte  noch  zu  Neumarkt  (in Bürge  de  Egna) 

abgehalten  wurden,  was  bis  ins  dreizehnte  Jahrhundert  hinein  geschah, 
am  letztgenannten  Orte  viele  romanisehe  Kaufleute  Häuser  für  Handels- 
zweeke  besassen(ad  consuetudinem  Domorum  Merratus  Tridenti).  Eine 
Urkunde  vom  29.  Juli  1222  (16.  r>4)  führt  die  Namen  der  Betrettendeu 
auf,  welche  (wie  lielliua,  uxor  Venture,  Omnibonus  Caliari,  Milauus, 
Petr.  Oavicicius,  Michelotus,  Jacobus  filius  Barieli)  keinen  Zweifel 
über  deren  Nationalität  lassen  (72.  139).  Was  Salurn  betriflft,  so  er- 
scheint hier  noch  im  Jahre  1201  ein  Güterbesitzer  de  genere  Roma- 
norum (12.  1,^0,  Note  1).  Die  neuerliche  Verwelschung  dieses  Ort« 
schreiljt  man  <leni  Ib  rabkommen  und  Anssterlxm  der  vornehmen  deut- 
schen Familien  zu,  welche  daselb.st  im  aelitzehnteu  Jahrhundert  hau.sten. 
E«  sind  damit  die  Feigenpuz,  Johanueser,  Webern,  Anderlan,  Reiniäch 
u.  s.  w.  gemeint.  Allein  wenn  dies  wirklich  der  FaU,  dann  reicht 
jene  Erscheinung  schon  in  die  Mitte  des  genannten  Jahrhunderts 


zutreiben.  Allein  auch  diese  Oberlegten  lange,  ob  sie  der  Sache  gewachsen  wären, 
und  l<  r  r  ntemefamendste  Idinte  es  M^ienlich  ab,  im  Etscfalande  seinen  Aufenthalt 

zu  nehiuen. 


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Die  NationaUOten  in  Tirol  elc 


421 


zurück;  denn  das  Firnibuch  der  dortigen  Plarre  enthält  eine  Seelen- 
beschreibimg  vom  Jahre  1749  uach  Häusern,  von  welchen  damals 
schon  viele  Tennietoi  waren  und  manche  bereits  Italiener  (Nr.  6 
▼.  VescoTi,  Nr.  18  Graf  Zenobio,  Nr.  14      Vüos,  Nr.  16  Sirard, 

Nr.  17  Tschudat,  Nr.  24  Talloy,  Nr.  28  Decleva)  zu  Besitzern  hatten. 
Unter  den  Mietparteien  befanden  sich  gleichfalls  Italiener  in  grös- 
serer Zahl,  ebenso  unter  den  Kolonen  und  unter  der  Dienerschaft. 
Im  Hause  des  Karl  v.  Feigenpuz  (Nr.  1*J)  lebten  nicht  weniger  als 
17  Bedienstete,  darunter  ein  Verwalter,  der  selbst  adelig  war,  ein 
80  Jahre  alter  Franzose  (Louis  Villedeneuf)  aus  der  Noimandie  und 
2  Italiener  (Jos.  Deiladia,  Dominik  Gasata).  Auch  im  Laitoipergerschen 
Hause  ^r.  3)  dienten  neben  8  Deutschen  2  italienische  Knechte.  — 
Fassen  wir  die  Gemeindefraktion  Buchliolz  ins  Auge,  welche  angeb- 
lich erst  seit  dem  Ende  des  achtzehnten  Jahrhunderts  Italiener  in  an- 
sehnlicher Men^e  beherbergt,  so  finden  wir  daselbst  im  Jahre  1749 
von  -1  Behuu8uugeu,  welche  damals  den  ganzen  (jetzt  deren  80  zäh- 
lenilen)  Ort  ausmachten,  18  in  den  Gülden  von  Italienern.  Den  Johan- 
neserhof  z.  B.  hatte  J.  Giacomuzzi,  den  Fennerhof  Matthias  Saltuari 
inne;  andere  Höfe  trugen  schon  Ton  firOher  her  Benennungen,  welche 
alten  italienischen  Besitz  verraten,  wie  Sardagna,  Girardin,  Gianin, 
Thomasi,  Dalle  Mulle,  (ierardi,  di  Mattio  (vgl.  12.  118,  Note  1).  Nach 
und  nach  gewann  das  italienische  Element  daselbst  die  Oberhand,  was 
zur  Folge  hatte,  dass  diese  Fraktion  die  Lostreunung  von  Salum  an- 
strebte, wie  aus  einer  Eingabe  Tom  17.  Mftrz  1849  eraellt,  die  zu  Iftn- 
geren  Yerhandlungoi  geführt  hat. 

Nach  Dr.  Angerers  Erhebungen  vom  Jahre  1880  (4.  25)  gab  es 
in  Saluru  mit  Buchholz  und  2  anderen  Fraktionen  fKnrneid  und 
Mühlen?)  unter  70  Gewerbetreibenden  10,  unter  380  tirundbesitzern 
182  Italiener,  und  zwar  hierunter  sehr  viele  Auswärtige,  d.  h.  nicht 
daselbst  ansässige;  femer  unter  307  Schulkindern  170  Italiener,  von 
welchen  bloss  91  der  ansässi^n  Bevölkerung  angehörten  und  78  die 
(seit  1860  deutsche)  Schule  in  Buchholz  besuchten,  deren  Gesamt- 
frequenz 97  Kinder  betrug.  —  Für  die  übrigen  Ortsgemeinden  am 
linken  Etschufer,  welche  in  der  Thalsohle  liegen,  lieferten  jene  Er- 
hebungen (4.  24)  das  nachstehende  Ergebnis: 


Gewerbe- 

davon 

Grund* 

davon 

Schul- 

davon 

treibende: 

Italiener: 

Italiener: 

kinder:' 

Italiener 

Leifers 

48 

9 

213  * 

2r! 

265 

152 

Branzoll 

16 

8 

120 

57 

179 

152 

Auer 

45 

4 

225 

13 

138 

134 

Neumarkt 

84 

12 

302 

54 

236 

88. 

Für  die  Ansiedelungsgeschichte  der  Italiener  in  der  Gegend  von  Lei- 
fers  ist  ein  Bericht  der  Innsbr.  Regierung  vom  25.  August  1579 
(I.  Si-A.,  Ferdinandea)  beaeichnend,  wonach  damals  dem  Fnaaz  Par- 
thanis  zu  Bozen  im  Hose  zwischen  Auer  und  Leifers  unter  der  St.  Jakobs- 
kapelle (im  Tschindter  Reviere)  Grundstflcke  im  Ausmasse  von  20  Joch 
zum  Reisbau  überlassen  worden  waren.  Hierzu  dienten  auch  die^^e 
Grundstücke  fast  ein  Jahrhundert  liiii'^^  bis  sie  nämlicli  durch  Vertrag 
des  Kameraliirars  vom  20.  Juni  l»»»i5  den  Cxenieindeu  Auer  und  Branzoll 

Foracbungen  zur  deuUcben  Landes-  and  VoUttkande.   I.    7.  89 


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422 


Bidermaim, 


[34 


eingeantwortet  wurden  (I.  St.-A.,  Kameraischatz- A. ,  L.  5ti,  Nr.  140). 
So  wie  der  Eleisbau  daselbst  olme  Zweifel  durch  Italiener  betriebcoi 
wurde,  so  stand  dieser  Gegend  damab  weiterer  Zuwachs  an  Italienern 

vermöge  ein«* Anerbietens  bevor,  welches  im  Februar  1679  Dominik 
de  Avanzinis  aus  Riva  in  Verbiiiflung  mit  Kafael  Markus  aus  Florenz 
und  dem  Trieiitnor  Bürger  Christian  Viscntiii  dem  genannten  Erzherzoge 
machte.  Diiiuuh  sollten  zu  Bozen  ein  Seidentilatorium ,  eine  Färberei, 
Maulbeerplautaguu  und  eine  Wechselbank  zur  Korrespondenz  mit 
ganz  Italien  und  Deutschland  errichtet  werden«  Der  Bozner  Stadtrat, 
welcher  die  angedeutete  Wirkimg  vorhersali,  sie  jedoch  vermieden  wissen 
wollte,  sprach  sich  unterm  (3.  März  1579  an&  entschiedenste  gegen 
den  Vorschlaj]^  aus,  welcher  darauf  hin  von  der  Kpfrioning  abgelehnt 
wurde.  Aber  einzelweise  kamen  Italiener  gleichwohl  als  Seiden- 
zücliter  in  diese  liegend,  deren  Sumpf luft  ihnen  weniger  schadete  als 
den  Deutschen,  ohschon  von  ihnen  so  gut  als  von  letzteren  gilt,  was 
der  Arzt  Hippolit  Gnarinoni  in  seinem  1610  gedruckten  Buche  «Giiuel 
der  Verwüstung"  (S.  423)  sagt:  die  Bewohner  von  Auer,  Neumarkt, 
Salnm,  St.  Michael  seien  „ein  gar  wenig  uufgeschoBsen ,  bleyches, 
grawes,  blödes  vnd  mehrertheils  krankes  Volk".  Dass  wir  dabei  speziell 
auch  an  Italiener  zu  denken  haben,  legt  uns  Martin  Zeiller  nahe,  in- 
dem er,  der  im  Juni  1629,  von  Trient  kommend,  diese  Gegend  durch- 
reiste, in  seinem  .Itinerarium  Qermaniae*  (S.  345)  schreibt,  „es  gebe 
biss  auf  Pocen  in  den  Dörffem  noch  alleweil  welsche  Leuth*.  Wer 
je  als  Fremder  unter  dieser  Bevdlkmmg  sich  bewegte,  hat  gewiss  die 
wachsgelben  Gesichter  der  Weiber,  welchen  höchstens  ein  paar  dunkle 
Augen  lebhaften  Ausdruck  verleilien,  die  hageren  Gestalten  der  Buben 
mit  schlotternden  Beinen  und  die  ermUdet  dreinschauenden  Männer  in 
der  Erinnerung  behalten. 

Solche  Typen  sind  da  hftutig  geworden,  seit  die  Sumpffläcfaen  urbar 
gemacht  wurden,  was  in  der  Bozner  Stadtau  (bei  Leifers)  vor  etwa 
50  Jahren  seinen  Anfang  nahm  (12.  116,  Note  4).  —  Am  jenseitigen 
Etschufer  lireitet  sich  die  Ortsgemeinde  Pfatten  (Vadena)  au.«?,  wo  man 
der  nämlichen  Erscheinung  begegnet.  Allerdings  sind  unter  den  hie- 
sigen 200  Grundbesitzern  bloss  21  Italiener,  welche  obendrein  zumeist 
auswärts  wohnen,  weshalb  auch  von  den  44,  durchaus  italienischen 
Schulkindern  im  Jahre  1880  bloss  4  der  sesshaften  Bevölkerung  an- 
gehörten (4.  24);  aber  die  Bearbeitung  der  Grundstücke  daselbst  ist, 
besonders  im  Dorfe  Pfatten,  nahezu  ausschhesslich  Italienern  über- 
tragen, und  die  anwesenden  Gewerbetreibenden  waren  im  Jahre  188'> 
sämtlich  solche.  Mit  Recht  nennt  Dr.  An«:^erer,  dessen  Angaben  (4.  32) 
hier  reproduziert  werden,  ganz  Pfatten  »eine  grosse  Arbeiterkolonie*" 
und  fügt  er  bei:  »Ausser  dem  Gemeinde-  und  Bürgermeisterhause  und 
einigen  grossen  Wohngebftuden  italienischer  Nobili,  von  der  demfitigen 
Bevölkerung  .palazzi*  genannt,  findet  man  dort  nur  ArbeiterhOtten  mit 
halbverfallenen  Tre  ppen,  zenissenen  Dächern  und  mit  Papier  verklebten 
Feiisterscheilx'n."  Dass  man  es  aber  da  nicht  mit  einer  Neubildung, 
sondern  mit  einer  ins  achtzehnte  Jahrhundert  zurückreichenden  Kolonie 
zu  thun  hat,  beweist  das  um  1795  angelegte  »Catasto  della  Frazione 
di  Pfatten".    Damals  schon  war  namentlich  die  Familie  Tevini  (jetzt 


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85] 


Die  Nationalitäten  in  Tirol  etc. 


423 


zu  Piglon  ansässig)  im  Besitze  Tieler  Grundstücke,  welche  in  diesem 
Ealaater  yeraeidmet  «nd,  und  Y<m  «mem  Teil  doraeIb«n  lifiisst  es 
BL  49:  «Diese  Qttter  and  durch  Stiftbrief  yom  16.  Juni  1714  dem 

Herrn  v.Thanvini8chen(Tevinischen)Fideikommi88  einverleibt.*  In  neuerer 
Zeit  haben  einzelne  deutsche  Bozener  Fiimilien,  wie  namentlich  die 
V.  Menz  und  Ftraumer,  ihro  hiesigen  Besitzim^^on  an  Italiener,  speziell 
an  die  Birti,  überlassen,  wodurch  das  italienische  Element  da  gekräftigt 
und  erweitert  wurde.  Indessen  halten  aucii  die  deutschen  Besitzer,  welche 
bier  begütert  sind,  dnrcbgebends  italienisebe  Kolonen  (Bauleute),  und 
die  durch  jene  Eigentumswechsel  in  italienische  Hftnde  geratenen  Hdfe  — 
der  Tedeschgen-  oder  Pellhamerhof,  das  Nikolo-  oder  Ganellenhaus, 
der  Markolinhof  —  waren,  wie  aus  diesen  ihren  Benennungen  erhellt, 
schon  vor  Zeiten  in  solchen  Händen.  Aehnlich  verhält  es  sich  auch 
mit  Kaltem  (12.  121,  Note  3;  133,  Note  2),  Tramiu  (12.  133, 
Note  2;  159,  Note  19),  Kurtatsch  (s.  ebenda),  Margreid  (s.  ebenda) 
und  Kurtiuig  (s.  ebenda).  Zu  Tramin  erklärte  nod  im  Jahre  1381 
eine  Frau  die  Absicht  «Tiyere  secundum  Curiam  Romanam"  (38.  Reg.  1 1 13). 
Um  Kurtatsch  besassen  in  den  Jahren  1272 — 1283  die  Ferandel  von 
Trient  Lehen,  welche  Nikolaus  von  Flavon  ihnen  übertragen  hatte 
(38.  lieg.  104,  123,  165).  Den  stärksten  Anprall  italienischer  Be- 
gehrlichkeit hatte  Kaltem  zu  bestehen,  welches  erst  im  Jahre  1(581 
das  Trientner  Statut  mit  der  tirolischen  Landesordnuug  vertauschte 
(55.  5.  124)  und  50  Jahre  zuvor  noch  in  dem  Masse  f&r  ein  geeignetes 
Objekt  derartiger  Bewerbungen  galt,  dass  der  Kunzleibeamte  Andrea 
Qodino  im  Jahre  1634  mittels  eines  italienisch  geschriebenen  Gesuchs  um 
die  Stelle  des  hiesigen  landesfürstlichen  Pflegers  anhielt.  Bald  darauf 
gelangte  der  Regierungssekretär  Bonetti  in  den  Besitz  der  Gugend,  wo 
Später  die  adeligen  Ansitze  Ringberg  und  Ehrenhausen  sich  erhoben 
(68.  2.  808).  Am  meisten  vor  derartigem  gefeit  war  binwider  die 
Ortsgemeinde  Eppan,  bis  in  neuerer  Zeit  der  Blosenhof  an  der  nach 
Bo/i  n  führenden  Strasse  die  Zufluchtsstätte  italienischer  Jesuiten  wurde, 
(welche  indessen  rasch  wieder  denselben  verliessen)  und  das  Bedürfnis 
nach  billigen  Arhoitskriiften  auch  hier  italienischen  Taglöhnerfaniilien 
Eingang  verschallte.  Dass  der  Trientner  Domherr  Jakob  de  Banissis, 
welcher  im  Jahre  1518  Pfarrer  von  Eppan  war,  diesem  Orte  einen 

Sei  ehrten  Schulmeister  zudachte  (A.  f.  Gesch.  u.  Altertumsk.  Tirols, 
L  868),  hat  vielleicht  die  Einführung  italienischen  Unterrichts  bezweckt, 
war  jedoch  von  keiner  nachweisbaren  Wirkung.  Ebenso  wenig  hat  es  den 
deutschen  Charakter  der  Ortsgemeinde  Fenberg  alteriert ,  dass  im 
oberen  Teile  derselben  mehrere  Höfe  Eigentum  des  Grundbesitzers 
Joh.  Zadra  von  Mezzolombardo  wurden. 

Nicht  einmal  die  im  Jahre  1774  begonnene  Trockenlegung  der 
Sfimpfe  bei  Tramin  hat  auf  die  BeTÖlkerungsrerhUtnisse  der  Gegend 
zwischen  diesem  Markte  und  dem  Kälterer  See  einen  wesentlichen  Ein- 
fluss  geübt.  Zwar  sank  dadurch  der  Spiegel  des  Sees,  wahrend  auf  der 
enisumpften  Fläche  viele  tausend  MaiillHM  rliiUime  gepflanzt  wurden,  deren 
Lauberträgnis  Peter  von  Unterriclitt  r  im  dahre  1829  auf  OOUU  —  7000 
Stärke  schätzte.  Gerade  aber  die  hierauf  basierte  Zucht  der  Seiden- 
würmer hielt  liier  Italiener  fest,  welche  sonst  bei  verbessertem  Klima 


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424 


BidermaoB, 


BeutBchen  hfttfcen  weichen  mfiseen.  Und  darunter  mOgen  Familien  sich 
befunden  liaben,  deren  Voreltern  des  Reisbaues  wegen  hieriier  be- 
rufen wurden,  von  welcher  um  das  Jahr  1680  in  der  Traminer  Gegmd 

betriebenen  Kultur  das  von  Botanikern  bcobsuhtete  Vorkommen  der 
Reispflanze  in  derselben  noch  jetzt  Zeugnis  ablegt.  Wie,  von  Platten 
abgesehen ,  die  Dinge  am  rechten  Etschufer  jetzt  liegen ,  veranschau- 
licht nachstehende,  den  Aufzeichnungen  Dr.  Angerers  (4.  23—25)  ent- 
lehnte Uebersicht: 


Gewerbe- 

darunt*^ 1 

Grund- 

darunter 

Schnl-  danmter 

treibende  : 

Italiener: 

besitzer  : 

Italiener : 

kinder:  Italiener: 

Eppan 

160 

4  1 

1141 

r>70       21  ») 

Kaltem 

138 

5  i 

1300 

30») 
8') 

42U  1 

Tnunin 

65 

1200 

sämiUeh  deutsch 

Eurtatech 

78 

1  1 

747 

6^) 

290  10 

Margreid 

27 

4 

97 

6 

112  11 

Kurtinig 

5 

2 

113 

21 

2. 

Damit  müssen  freilich  die  diurch  die  letzte  Volkesahlung  gewon- 
nenen, oben  mitgeteilten  Zahlen  yeiglichen  werden. 


B.  Dentsehe  unter  BouAnen. 

L  Das  Gebiet  der  Dolomiten. 

(Die  Thäler  Eneberg,  Gröden,  Buchensteia,  Ampesso,  Fassa,  Fleims, 

Cembra  und  PrimOr.) 

Dieses  am  weitesten  ^'egen  Norden  gelegene  romanische,  und 
zwar  mit  geringerer  Ausnahme  ladinische  Sprachgebiet,  begreift  in  sich: 
▼cm  Politischen  Bezirke  Bozen  (Gericht  Kastelruth)  die  Ort.s- 
genieinden  St.  Ulrich  mit  179  Deutschen  neben  1090  Romanen,  St.  Chri- 
stina mit  76  Deutschen  neben  775  Romanen,  und  Wolkenstein  (mit 
12  Deutschen  neben  894  Romanen)  nebst  denEastelrutiier  Gememdefink- 
tionen  Pufels  (5  Deutsehe,  137  Romanen),  Runggaditsch  (4  Dentsehe, 
224  Roninm  ii)  und  ITeberwasser  (28  Deutsche,  238  Romanen).  Diese  im 
Grödnerthale  gelegenen  Oertlichkeiten  hatten  also  bei  der  letzten 
Volkszählung  3858  Romanen  und  bloss  \'M  Deutsche  zu  Bewnhiu  ni. 

Vom  Politischen  Bezirke  Brunek  gehört  hierher  der  Gr- 
riclitsbezirk  Eueberg  (ladnii:>ch  Mar^,  italienisch  Marebbe)  mit 
bloss  69  Deutschen  unter  5464  Ladinem.  Davon  entfiülen  ain  die 
Ortsgemeinde  dieses  Namens  58  und  hienron  auf  den  eine  Fraktion 
derselben  bildenden  Qerichtssitz  St  Vigil  40.  Ausserdem  wurden  in 
der  Fraktion  Plaiken  7  und  in  der  M'pi't  zerstreuten  Ortsgemeinde  Abtei 
(Badia)  gleichfalls  7  Deutsche  angetroifen.    Das  Ampezzothal,  so- 


')  Zum  Teil  verdeutscht. 

Sämtlich  verdeutacht. 
*)  Zur  Hehnahl  Angehörige  von  Taglöhnerfkanflien. 


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37]  I>ie  Nationalitfttea  in  Tirol  ete.  425  * 

weit  es  hier  überhaupt  in  Betracht  kommt,  ist  identisch  mit  dem  Ge- 
richtsbezirke Ampezzo,  dessen  248  deutsche  Bewohner,  52  aus- 
genommen, auf  Rechnung  der  Militärgarnisou  zu  Cortina  zu  setzen  sind. 
Er  und  der  Gerichtsbezirk  (Thal)  Buchenstein  (Livmallongo),  welcher 
im  ganzen  mir  9  Deutsche  —  6  zu  Arabba,  3  sni  GoUe  SfaL  Ludft  — 
aufweist,  macben  zusammen  den  Politischen  Bezirk  Ampezzo 
(Hayden)  aus,  WO  6024  Romanen  den  257  Deutchen  gegenüberstehen. 
Die  Tiiäler  Fass-a  und  Fleims  entspreclien  dem  Politisclicn  Bezirke 
Cavalesc,  dessen  2  Uurichtsbezirke  sich  mit  den  betretienden  Thal- 
gebieten decken.  Im  Gerichtsbezirk  Cavalese  (Fleimserthal)  gibt 
es  von  alters  her  2  grösstenteils  deutsche  Ortsgemeinden,  welche  frei- 
lich an  dessen  nordwestlichem  Grenzsaume  und  somit  auch  in  der  näch- 
sten Nachbarschaft  des  vorwiegend  deutschen  (unteren)  Eischthales 
liegen,  nämlich:  Altrei  (Anterivo)  mit  430  Deutschen  neben  89  Ro- 
manen, und  Truden  (Trodena)  mit  481  Deutschen  neben  21  Homanen. 
Im  Markte  Cavalese  wurden  ISG  Deutsche  (neben  1*J5*J  Romanen),  im 
Dorfe  Predazzo  132  Deutsche  (neben  2911  Romanen)  gezählt;  das 
waren  aber  hier  bis  auf  22  und  dort  bis  auf  60  durchwegs  Soldaten. 
Die  Gesamtsumme  der  im  (Jerid^tsbezirke  CaTalese  verzeiolmeten  Deut- 
schen beträgt  1239.  Wenn  man  Ton  jenen  2  deutschen  Ortsgemeinden 
und  vom  Müitär  absieht,  gab  es  also  im  ganzen  von  17  610  Romanen 
bewohnten  Fleimserthale  bloss  101  Personen,  die  sict  zur  deutschen 
Umgangssprache  bekannten.  Von  diesen  lebten  3  zu  Moena,  4  zu 
Tesero,  2  zu  Bosin  (Ortsgemeinde  Ziaiio)  und  1  im  Dorfe  Castello. 
Der  Gerichtsbezirk  Fassa  aber  zählte  nur  ihrer  6.  Gleiches  gilt 
Tom  Gerichtsbezirk  Oembra,  einem  Bestandteile  des  Politischen 
Bezirks  Trient,  und  vom  Politischen  (zugleich  Gerichts-)Bezirk 
Primör  (Primiero).  Die  3  letztgenannten  Gerichtsbezirke  mit  einer 
einheimischen  Ge.samtbevölkerung  von  23  971  weisen  also  zusammen 
nur  18  (einheimische)  Deutsche  auf. 

Geaamtsumme  des  Dolomiten -Gebietes:  1708  Deutsche  (neben 
d2  456  Bomanen). 

Das  Thal  Eneberg  hat  sich,  von  einzelnen  Adelsfamilien  ab- 
gesehen, welche,  wie  die  Ilinkwein,  Rost,  Prack,  Rubatscher,  Engelmar 
und  Kolz,  sich  daselbst  Ansitze  erbauten  (Resch,  Monum.  veter.  Eccles. 
Brixinensis,  Brix.  1765,  pax'.  (51),  nie  der  deutschen  Einwanderung  er- 
schlossen. Aber  von  der  tiei  ichtssprache  sagt  Jos.  Th,  Haller  (3<).  57) : 
,  sie  „ist  und  war  von  jeher  die  deutsche Derselbe  versichert  auch, 
dass  das  münnUche  GMchlecht  dieser  Sprache  grösstenteils  hinreichend 
kundig  sei,  dass  sie  des  Verkehrs  mit  den  benachbarten  deutschen 
Gegenden  halber  für  unentbehrlich  gelte  und  deshalb  die  Knaben  ge- 
wöhnlich schon  in  frühester  Jugend  als  Hirten  in  deutsche  Orte  ver- 
schickt werdt  n.  Seit  die  Volksschulen  in  Tirol  allgemeiner  geworden, 
nehmen  derlei  ladinische  Knaben  dort,  wo  sie  zur  Erlernung  des  Deut- 
schen sich  aufhalten,  auch  an  dem  Schulunterrichte  teil,  und  viele  aus 
ihnen  haben  schon  zum  Besuche  Ton  Mittelschulen  sich  emporgeschwungen 
(12.  159,  Note  22). 

Aus  früherer  Zeit  sind  Eneberger  bekannt,  welche  mit  Hilfe  der 
deutschen  Sprache  zu  hohen  Staatsämtem  gelangten,  wie  namentlich 


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Kas^ifin  Tunicretschor,  vom  Faiiüliensitze  Turneretsch  zu  Welsch-EUen 
so  genannt.    Allein  die  Verfü<riin«^.  dass  auch  an  den  Volksrhulen  des 


beteiligten  Klerus,  sich  mit  dieser  Sprache  n&her  zu  befassen,  zurQck- 

zuführen  ist.  Der  letztere  gibt  nämlich  der  italienischen  Sprache,  in 
WfMier  er  eine  veredelte  Form  der  ladinischen  erblickt,  den  Vorzug. 
I)ie  bäuerliche  Bevölkerung  des  Thaies  dagegen  erklärte  sich  anfangs 
mit  jener  Verfü|jung  vollkommen  einverstanden.  Siehe  den  Aufsatz  „Die 
Spraohenfrage  in  den  ladinischen  Volksschulen*'  in  Nr.  10  des  , Tiroler 
Schulblatts*  Tom  Jahre  1876  und  die  pdemiache  Erörterung  ^Wohin 
gehört  di»  bidinische  Volkssprache  im  Gaderthale?*'  in  Nr.  104  des 
„Boten  für  Tirol  und  Vorarlberg"  vom  Jahre  1876  (Extrabtilag» ). 
Wie  wenig  die  Italiener  des  Mittelalters  von  nationaler  Verwandtschaft 
zu  den  Ladinern  Enebergs  sich  hingezogen  fühlten,  lehrt  das  Beispiel 
des  Nikolaus  von  Prack,  der,  als  er  um  das  Jalir  1308  aus  Verona  in 
dieses  Thal  flüchtete,  noch  den  italienischen  Familiennamen  Cane  trug, 
jedoch  bei  Gründung  des  Ansitzes  Asch  nichts  Eiligeres  zu  thnn  hatte, 
als  denselben  ins  Deutsche  zu  Ubersetzen  (Stephan  v.  Maj-rhofen,  hand- 
schritll.  Genealogien  a.  a,  0.,  Art.  »Prack").  Die  Ladiner  des  Thaies 
Groden  zeigten  sich  gleichfalls  bis  in  die  neueste  Zeit  herauf  geneigt, 
mit  Hilfe  der  di  utschen  Sprache  deutsche  Bildung  sich  anzueignen. 
Die  Insassen  der  Kuratie  St.  Ulrich  bedungen  sich  unterm  10.  März  1013 
beim  Pfarrer  Yon  Lajen,  dass  er  ihnen  stets  nur  einen  auch  der  deui^ 
sehen  Sprache  kundigen  Priester  als  Seeborser  sende  (81. 11).  Aber 
die  Verfügung  der  kompetenten  Schulbehörde,  dass  in  Zukunft  der 
Unterricht  in  den  dortigen  Volksscliulen  ausschliesslich  in  dcutsch.  r 
Sprarhe  erteilt  werde,  hat  die  Thalbevölkerung  unangenelini  berührt 
und  Gegenvorstellungen  veranlasst  (siehe  die  Erklärung  der  3  (u  ineinde- 
vorsteher  des  Thaies  in  der  Extrabeil,  zu  Nr.  30  des  „Boten  f.  Tirol 
u.  Vorarlberg"  von  1882).  Vom  Thale  Buchenstein  ist  zwar  bekaimt^ 
dass  es  wiederholt  deutschen  Gerichtsherren  gehorchte  (08.  2.  506). 
Auch  galt  hier  ein  dem  Wesen  seines  Inhalts  wie  dem  Wortlaute  nacJi 
deutsches  Statut  {^^^^.  123),  Aber  »b'r  deutschen  Sprache  liat  sich 
die  hiesige  Bovrilkerung  ilessenungeaclitet  nie  zugewendet,  noch  haben 
je  l)eutstlie  dieses  abgelegene  Thal  aus  freien  Stücken  sich  zum  Auf- 
enthalt gewählt.  Nur  als  Beamte  und  als  Finanz wachorgaue  haben 
solche  zeitweilig  hier  gewohnt. 

Anders  verhält  es  sich  mit  dem  Fassa thale,  für  welches  der 
Brixener  Fürstbischof  unterm  20.  Oktober  1550,  als  Martin  Boymont 
zu  Payersberg  hier  sein  Hauptmann  war.  eine  Gerichtsonbuing  erlios«; 
der  Artikel  17  bestimmt,  dass  von  den  4  Rednern  oder  Gerichtsbei>t;iiulen 
jederzeit  2  der  deutscheu  Sprache  kundig  zu  sein  hätten,  was  kaum 
verordnet  worden  wäre,  wenn  nicht  inmitten  der  ThslbeTdlkerung  da- 
mals ein  BedUrfiiis  darnach  bestanden  haben  würde.  Und  in  der  That 
war  dan»»1«  unter  den  Geschworenen  des  Gerichts  Fassa  ein  Sebastian 
Mayr,  so  wie  einer  der  bereits  fungierenden  Redner  Baptist  Gottschalk 


hiess  (Bote  f.  Tirol  u.  Vorarlberg,  Jahrg.  1836,  Nr.  73  ff.).  W^ahr- 


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39] 


Die  Nationalitäten  in  Tirol  etc. 


427 


scheinlicli  haben  die  deutschen  Amtsleote  der  Brizner  Bischöfe:  1451 
Job.  Mllhlberger,  1490  Leonhard  Völser,  1534  Stephan  Larcher  (53.  2. 
186,  187)  die  Voraussetzungen  dafür  begünstigt.  Seit  der  Säkulari- 
sation des  Fürstentums  Brixen  (1803)  gehört  das  Thal  ohne  Unter- 
brechung grösseren  Yerwaltungsverbiinden  an,  für  welclie  (Vw  itjilienische 
Sprnclie  Amtssprache  war  uud  ist;  daher  kam  auch  die  deutsche  hier 
ganz  ausser  Gebrauch. 

Vom  Fleimserthale  darf  gleiehfaUs  behauptet  werden,  dass 
daselbst  zu  Anfang  und  um  die  Mitte  des  sechzehnten  Jahrhunderts 
Deutsche  in  grösserer  Anzahl  lebten  *)  oder  mindestens  die  deutsche 
Sprache  hier  verbreitet  war,  wa.s  namentlich  vom  Hiiuptorte  Cavalese  gilt 
(12.  112,  Note  1).  Einzelne  Worte  der  Thalsprache,  wie:  amesc  für 
Harnisch,  schiera  für  Schar,  fodera  für  Futter,  tasia  für  Tasche,  staiiga  für 
Stange,  weisen  auf  noch  ältere  germanische  Einflüsse  hin,  und  tlie  Agrar- 
Terfassung  des  Thaies  trägt,  namentlich  was  die  Nutzungsrechte  an 
den  Alpen  betrifft,  Merkmale  davon,  deren  Ursprung  vielleicht  in  die 
Langobardenzeit  zurUckreicht. 

Bis  mm  Jahre  1839  wechselten  sünitliche  Alpen  (Almen)  und 
sonstige  Triften,  welche  in  einer  bestimmten  Gebirgshöhe  liegen,  von 
4  zu  4  Jahren  zwischen  4  Gruppen  von  Thalgemeinden,  welche  Quar- 
tieri  hiessen  und  im  Jahre  1(354  gebildet  worden  waren,  um  das  sogen. 
Rotieren  zwischen  den  einzeben  Nutzungsberechiagten  zu  vereinfachen. 
Im  erstgenrumten  Jahre  wurden  jene  Flächen  versuchsweise  unter  die 
11  Gemeinden  des  Thaies  zur  bleibenden  Nutzniessung  aufgeteilt,  und 
da  während  der  folgenden  10  Jahre  kein  Einspruch  dagegen  erhoben 
ward,  gewann  diese  neue  Einrichtung  im  Jahre  1848  feste  Gestalt. 
Aber  das  Eigentum  daran  steht  noch  immer  wie  vor  einem  Jahrtausende 
der  »Genendgemeinde  Fleims*  (communita  generale  di  Fiemme)  zu, 
welche  die  11  Thalgemeinden  in  sich  begreift.  (Den  Ausscbnss  der- 
selbe bilden  die  Vorsteher  letzterer  unter  einem  von  ihnen  entweder 
aus  ihrer  Mitte  oder  sonst  aus  der  Thalbevölkerung  gewählten  Präsi- 
denten: Scario),  Sie  konnnt  jetzt  nur  mehr  als  VernKigensgcmeinde  in 
Betracht.  Aber  vor  Zeiten  hatte  der  Vorsteher  des  ganzen  Thaies 
grosse  Befugnisse  und  wälüten  ihn  die  Regolani  der  20  Dörfer,  ni 
welche  das  Thal  damals  zerfiel,  mit  dem  Bestände  besonderer  Wahl- 
männer, die  von  den  Stinunberechtigten  der  3  Qnartieri,  denen  der 
regfierende  Scario  nicht  angehörte,  dazu  entsendet  wurden.  Der  ganze 
Wahlvorgang  trug  allerdings  mehr  ein  roinanisches  als  ein  germanisches 
Gepräge  (so  wurde  z.  B.  der  Gewühlte  unter  dem  Schalle  der  grossen 
Glocke  „al  Banco  della  itagione"  proklamiert,  und  es  üind  eine  Vor- 
wahl der  Kandidaten  statt,  unter  welchen  dann  die  Gesamtheit  der 
Wähler  zu  wählen  hatte);  allein  es  ist  nicht  zu  ermitteln,  ob  ihm  ein 
uraltes  Herkoramen  oder  nicht  vielmehr  die  zu  Anfang  des  sechzehnten 
Jahrhunderts  im  italienischen  Geiste  ersonnene  Reform  des  Fleimser 
(kmeindewesens  zu  Grunde  lag.  Am  Eingange  des  Thaies  (zu  Capriana, 


Aus  einer  deutsch  geschriebenen  Eintrulc  der  Tri  entner  Bürgerschaft  vom 
Jahre  1431  (im  laadschaftl.  Archiv  zu  Innsbruck,  liehältms  V.  19/3)  erhellt,  duss 
damals  der  Friettor  Rndolph  aut  Sachen  Pfiurrer  im  Fleimserthale  -war. 


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428 


Bidermann, 


# 

[40 


Val  Florians  und  Stramentizza)  galt  bis  zum  Jahre  1777  die  deutsche 

Bauoraerbfolge  so  gut  wie  noch  später  in  den  deutschen  Gemeinden 
Truden  und  Altrei  (93.  1.  251,  Note  49).    Zur  Auffrischung  dt  iitschen 
Wesens  hat  da  gewiss  beigetragen,  dass  im  Jalire  17G6  zur  Verhinderung 
des  Wein-  und  Branntweins»  Innuggels  deutsclic  Tnvaliden  ins  Thal  ge- 
legt wurdeu,  und  duss  im  ioigeudeu  Jaiire  (1707)  die  Geschäi'tsünua 
.Stabinger  und  Weber*  zu  Gasfcdlo  eine  Glasfabrik  errichtete.  SiAterhin 
waren  Gerichts-  und  Forstbeamte  die  einzigen  Beprilsentanten  desselben. 
Im  Ccnibra-(Zimber-)thale  hat  diese  Einwirkung  kaum  Platz  gegriffen 
oder  höchstens  in  sehr  alter  Zeit  bestanden.  :ils  noch  die  Herren  von 
liottenburg  Lehenti  iiger  der  Herrschaft  Segonzauo  waren.  Nichtsdesto- 
weniger scheint  es  auch  hier  einst  Deutsche  gegeben  zu  haben.  Denn 
um  da«  Jahr  1412  war  Joh.  Zeiss  aus  Boptingen  in  Schwaben  (16.  284) 
und  1521—1533  J.  Chr.  Naglbeck  Pfiurrer  ron  Gembra  (IC.  297)  Seit 
dem  20.  September  1 535,  wo  der  Trientner  Fürstbischof  die  vorgenannte 
Herrschaft  der  freiherrhchen  Familie  Prato  verlieh,  verblieb  sie  bei 
dieser  Familie  bis  zum  18.  Juni  1821,  wo  dieselbe  auf  die  Gericht.s- 
barkeit  Vf  r/.it  ht  leistete  (3.   112).     Ebenso   war  das  kleine  Gericht 
Grumes  (Grumeis)  lange  ein  Lehenbesitz  der  Herren  v.  Barbi,  bis  im 
Jahre  1785  der  Dynast  von  Königsberg,  Graf  Zenobio ,  dasselbe  an 
sich  brachte.  Seine  Verfessung  war  damals  schon  durchaus  itaUenisch, 
und  seine  Vcit  inigung  mit  der  Herrschaft  Königsberg  änderte  hieran 
nichts  (Bibl.  Tirol.,  Handschr.  1294,  III),    Dass  das  Cembrathal  eine 
Zeit  hindurch  Raststation  der  Cimbern  gewesen,  welche  das  Gebirge 
im  Rücken  von  Verona  und  Vieenza  besetzten,  ist  zwar  mehrseitig  be- 
hauptet worden,  doch  fehlt  es  an  Beweisen  dafür.    Schulen  mit  deut- 
scher ünterrichtsspraehe  gibt  es  zwar  nur  in  den  deutschen  Ber^- 
gemeinden  Traden  und  Altrei;  doch  f&r  Unterricht  im  Deutschen  ist 
nunmehr  auch  zu  Malina,  Dajano,  Varena,  Cavalese,  Masi,  Tesero,  Ziano, 
Predazzo,  Penia,  Pozza,  Ferra,  Campitello,  Canazei  und  Alba  gesorgt 
(die  letztgenannten  6  Orte  gehören  mm  Gerichtsbezirk  Fassa,  die  übrigen 
zum  Gerichtsbezirk  r'avalese).  —  Je  spärlicher  die  Spuren  des  Deutsch- 
tums gegen  die  Mündung  des  Avisio  in  die  Etsch  zu  werden,  desto 
reichlicher  sind  sie  ftir  einen  bestimmten.  Zeitabschnitt  in  der  Geechichte 
des  Thaies  Frimör  zu  finden.  Wl^hrend  dessen  Statut  vom  Jahre  1376, 
ungeachtet  das  Thal  kurz  vorho*  unter  österreichische  Herrschaft  ge- 
kommen war,  mit  Genehmigung  des  Bonifaz  de  Lupis  di  Parma,'  der 
damals  als  Kapitän  des  Castell  della  Pietra  di  Primiero  die  Podesta- 
würde  im  Thaie  bekleidete,  ins  Leben  trat  (55<.  8.  79),  also  damals 
der  deutsche  Einfluss  dort  sicher  noch  gering  war,  belebten  es  gegen 
Ende  des  f&n&ehnten  Jahrhunderts  deutsche  Bergknappen,  £e  im 
Dienste  deutscher  ünteniehmer  und  unter  der  Obhut  deutscher  Betg- 
richter  standen.    Den  Akten  des  Innsb.  Statth. -Archivs  ist  darttbtf 
folgendes  zu  entnehmen:  Am  18.  Dezember  1477  erliess  Erzherzog 

')  Vielleicht  hängt  das  Vorkommeu  einer  deutschen  Bevölkerung  um  Cembra 
mit  dsn  Berggruben  zusammen ,  welche  laufc  emem  im  Jahre  1480  ftlr  die  Unter- 
nehmer ausgofstollten  Freibrifft^  des  Herzogs  Siegniund  von  Tirol  zu  ,Wayd  ab 
Fungsberg'  im  Gerichte  Königsberg  sich  befanden  (U3.  1.  126).  Wayd  ist  wohl 
JVkSao,  <tetlich  yon  Webch^HicbaeL 


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Die  NatHMUÜiateii  in  Tirol  eto. 


429 


Siegmund  von  Tirol  eine  Bergordniing  für  das  , neuerfundene"  Bergwerk 
in  Priraör;  3  Jahre  später  grub  liier  Anton  v.  Rost  auf  Bleierze,  die 
er  jedoch  der  Entlegenheit  des  Thaies  halber  ins  Ausland  abzusetzen 
gezwungen  war,  und  im  Jahre  1482  wurde  die  laufende  Steuer  darauf 
um  die  Hälfte  herabgesetzt,  was  auf  ungünstige  Betriebsverhältnisse 
lundentet.  Trotsdem  war  damals  das  deutsche  Element  in  Primör  so 
stark,  dass  die  Thaibevölkerung  im  Jahre  1486  zum  Tiroler  Landtag 
einen  deutschen  Abgeordneten  (Hans  Almer  von  Mezzano)  entsendete, 
ein  Michael  Wettinger  Wahlmann  war  und  die  Wahl  unter  der  Leitung 
des  Gerichtsverwesers  Leonhard  Eckhart  von  ,Wyenn  an  der  Leyt  (sie!)* 
vor  sich  ging.  In  den  Jahren  1490 — 1493  klagt  der  liiesige  Berg- 
richter O&eofurter  Uber  schlechte  Erzgewinnunff,  und  im  letztgenannten 
Jahre  scheint  es  daselbst  zu  einem  Au6tande  der  Knappen  gekommen 
zu  sein.  Denn  die  Chronik  des  Haller  Salzamts  berichtet  zu  diesem 
Jahre:  „Ist  der  Zug  ins  Primör  beschehen  der  Aerztknappen  halber 
daselbs."  Es  hängt  wohl  damit  zusammen,  dass  das  Gerielit  Priniör 
auf  dem  Tiroler  Landtage  von  149(3  durch  2  Italiener  (den  l\'ter 
Marcoli  und  den  Bai-tolom  Francischiuelli)  verti-eten  war  (11.  155). 
Bald  jedoch  hob  sich  wieder  der  Grubenbetrieb.  Eine  landesftrstiiche 
Konzession  vom  4.  Juli  1511  begOnstigie  die  Gewerke  am  Gämbsberge 
in  Priniör.  In  diese  Zeit  fallt  die  Existenz  eines  «Teutschhofs*  in 
PrinKir.  welchen  Leonhard  Feyrabend  dem  Kaiser  zur  Tilgung  einer 
bchuld  abtrat  inv]  von  diesem  als  Zinsgut  zurückerhielt.  Kin  Bürger 
von  Hall  im  Inutliale  übernahm  als  Vormund  der  Kinder  jenes  früheren 
Besitzers  die  Bewirtschaftung  des  Hofes  und  nahm  daselbst  seinen 
Aufenthalt.  Bald  darauf  (1522)  meldete  sich  ein  Italiener,  Kaspar 
de  Johann  (?)  aus  Ferrara,  mit  dem  Anerbieten,  diesen  Hof,  welcher 
offenbar  den  Afittelpunkt  des  Deutschtums  in  Primör  bildete,  durch 
Kauf  zu  erwerben;  er  wolle,  erklärte  er,  wenn  man  ihm  denselben 
unter  leichten  Bedingungen  llberliesse,  sich  „haushäblich"  da  nieder- 
lassen und  den  Bergbau  betreiben.  Den  Vermittler  machte  Matthias 
Paumgartner  in  Primör.  Und  in  der  That  trug  ein  Befehl  der  Inns- 
brucker Hofkammer  vom  9.  Oktober  1522  den  landesf&rstUchen  Be- 
amten dortselbst  auf,  dem  Angebote  zu  willfahren.  Das  Jahr  zuTor 
hatte  Hans  Ketzer  aus  Augsburg  den  Hof  samt  Zugehör  aus  dem 
Nachlasse  des  Berchtold  Feyrabend  erstanden.  Damals  ging  das  dortige 
Bergriehteraint  von  Siegmund  Göhl  an  Leonhard  den  Vingerl  \\her  und 
war  Siegmund  Schüchtl  iandesftirstlicher  Pfleger  zu  Primör.  ISocli  einmal 
flackerte  deutscher  Unternehmungsgeist  daselbst  auf.  Der  Augsbui^g^ 
Bürger  Sebastian  Wurmb  Hess  sich  und  mehrere  Ifitgewerke  im 
Jahre  1544  mit  einer  Oml)«  zu  Raganel  belehnen.  Aber  schon  hatten 
italienische  Holzhändler  da  Eingang  gefunden,  und  der  steigende  Preis 
des  Holzes  hemmte  den  Bergwerksl)etrieb.  Im  Jalure  1548  befasste  sich 
mit  diesem  Geschäfte  Dr.  Simon  Fedricola,  1(503  der  durch  seine 
Scliiilaiirtsprojekte  bekannte  Joh.  Baptist  Someda,  1639  eine  Gesell- 
schaft, deren  Hauptteilnehmer  PetriceUi,  Angeli  und  Macarini  hiessen. 
Inzwischen  (2.  Januar  1568)  hatte  sich  Eizherzog  Ferdinand  von  Tirol 
bestimmt  gefunden,  das  silberhaltig^  Bollwerk  in  Primör  dem  Simon 
Botsch  und  dessen  (zwar  nicht  genannten,  aber  ohne  Zweifel  italienischen) 


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430 


Bidennami, 


[42 


^Mitverwandten"  unter  der  Bedingung  zu  verleihen,  dass  sie  alle 
Erzeugni>ise  desselben  ins  Yen ctianische  absetzen.  Diese  Verleihung 
bedeutet  wohl  das  Erlöschen  des  Deutschtums  in  Primör,  an  das  übrigens 
noch  gegenwärtig  Terschiedene  OertUchkeitsDamen  dort  erinneni,  wie 
z.  B.  die  zum  Dorfe  Tonadico  gehörigen  EinzelhOfe  Stzosser,  Beizer 
und  Nichene,  der  Weiler  Calderer,  die  Berge  Arzon  (Erz),  Sptazzi 
(Spitz),  Calaita  (Kahle  Leithe),  die  Alpen  Grugola  und  Loch  u.  s.  w.  '). 
Wenn  ja  die  eine  oder  andere  deutsche  Knap]ienfaniilie  die  erwähnten 
Besitzweclisel  überdauerte,  so  wich  sie  später  den  Jierju^amasken,  deren 
die  Pächter  der  Frimörer  Eiseugruben  sich  bei  deren  Bearbeitung  zu 
bedienen  pflegten. 

1^  n.  Heus-  und  Snlzberg. 

Hierher  gehören  vom  Politischen  Bezirke  Trient  die  mei- 
sten Ortsgemeinden  des  Gerichtsbezirks  Mezzolombardo  (mit  9484  Ro- 
manen), in  welchen  aber  bloss  2  Deutsche  angetroffen  wurden,  und  der 
ganze  Politische  Bezirk  Cles  mit  1899  Deutschen  (neben  47  595  Ro- 
manen). Von  diesen  «itfallen  aber  auf  dtu  Gerichtsbezirk  Malb  (den 
Öulzberg)  bloss  i).  davon  3  auf  das  Dorf  Alal^,  den  Sitz  des  Gerichts. 
Die  übrigen  wohnen  im  Hintergrunde  des  Nonsberges.  wo  sie  ganze 
Ortsgemeinden  bilden,  dann  in  der  Nähe  dieser  und  im  Markte 
Cles,  dessen  245  Deutsche  übrigens  zumeist  (nämlich  224)  als  Sol- 
daten kein  ständiges  BevOlkerungselement  sind.  Von  den  deutschen 
Ortsgemeinden  gehört  das  Dorf  Proveis,  436  Deutsche  neben  99  Ro- 
manen, zum  Gerichtsbezirk  Cles,  welcher  auch  die  nahe  dabei  gelegene 
Ortsgemeinde  Runio  mit  1»)  Deutschen  (neben  1321  Romanen)  in  sich 
schliesst.  Drei  andere  deutsche  Ortsgemeinden:  St.  Felix,  32(3  Deutsche 
neben  4  Romanen,  Laurein  (Lauregno),  491  Deutsche  neben  10  Ro- 
manen, und  Frauenwald  (Senale),  348  Deutsche  neben  8  Romanen, 
sind  Bestandteile  des  Gerichtobezirks  Fondo,  in  welchem  ausserdem  am 
Gcrichtssitze  (Fondo)  7,  zu  Cavareno  3,  zu  Romeno  2  und  zu  Ruffrfe  12 
konskribiert  wurden.  Ausschliesslich  deutsch  ist  die  Sinablana  benannte 
Fraktion  von  Laurein  und.  mit  Ausnahme  einer  einziiren  Person,  deutsch 
die  Malgasott  benannte  Fraktion  von  Fraueuwaid,  sowie  die  ebeudahiu 
zuständige  Fraktion  Unterau. 

Oesamtsumme  des  Nons-  und  Sulzberges:  1901  Deutsche  (neben 
57  079  Romanen). 

lieber  die  Entstehung  und  den  Bestand  der  genannten  4  deut- 
schen Ortsgemeindt  n  des  Nonsberges  gibt  das  im  Litteratur\'erzeichuisse 
unter  79  auigeführte  Werk  (1.  831  ff.)  die  besten  Aufschlüsse.  Sie  gelten 


'J  Montebello  (4U.  439,  445)  bezeichnet  die  vielen  deutschen  Bergknappen, 
welche  vm  1480  in  PritnSr  anwesend  waren,  alt  die  Gründer  des  Hanptorti  rietm 

di  Priniiero  und  meldet,  duKs  zu  seiner  Zeit  (Ende  des  a(  htzt-hnten  JtihrhunderU) 
die  Wappenscbilde  der  vomehnu>ten  Gewerke  in  der  Pfarrkirche  zu  Pieve  hingen. 
Er  nennt  als  solche  die  Römer  von  Maretsch  (am  wddier  Boxener  Famflie  1555 
Jakob  Hauptmann  in  Priniör  war),  die  KaadtB,  die  Raest  (Rort),  Sweis  (Weiss ?X 
Woest(?),  Sieyeat  (Ney deck?). 


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43] 


Die  Nationalittten  in  Tirol  etc. 


431 


im  allgemeinen  ftir  Ableger  der  benachbarten  Gemeinden  des  ültoi- 
thales  und  der  G«'meinde  Tisoiis  im  Hauptthalc  der  Etsch.  Nur  von 
den  Proveisern  und  Laurengern  wird  behauptet,  dass  unter  ihnen  viele 
Nachkommen  von  Bergkna})j)en  leben,  welche  aus  entternteren  Gegenden 
herbeikamen.  Dieser  Beimischung  wird  die  von  der  Sprechweise  der 
beiden  anderen  Qemeinden  abweidiende  Mundart  und  der  ▼erschiedene 
Körperhabitus  der  TOfgenannten  Qemeindegenossen  z\igeschrieben.  Die 
italienische  Bevölkerung  des  Nonsberges  belegt  alle  Einwohner  der 
»Deutschgegend",  wie  diese  ihre  Wohnsitze  selbst  nennen,  mit  dem 
Gattungsnamen  Cnosseri,  was  soviel  als  Bergknappen  bedeuten  soll. 
Einst  war  jedoch  das  Wohngebiet  der  Deutschen  im  heutigen 
Gerichtsbezirke  Fondo  und  auch  im  Val  Somargine,  dessen  westliche 
Abzweigung  das  Val  di  Rmno  ist  (wahrend  in  der  Ostlichen  die  Ge- 
meinde Proveis  sich  erstreckt),  weit  ausgedehnter.  Davon  gibt  nicht 
nnr  der  AVeiler  Placeri  (Platzer)  im  Val  di  Rumo,  sondern  geben  auch 
bauerliche  Familiennamen,  wie  Larcher  7ai  Cavareno,  Graif  zu  Romeno, 
Sraelzer  zu  Marzena  (Ortsgemeinde  Rumo),  Conter  zu  Livö,  Frank  zu 
Cloz,  Blasinger  zu  Fondo,  Kessler  zu  Malosco  bei  Fondo  u.  s.  w.  ein 
beredtes  Zeugnis.  Die  von  jeher  deutsche  Pfarre  Prov  eis  wurde  in 
älterer  Zeit  wiederholt  durch  Seelsorger  Tersehen,  welche  aus  Rumo, 
Cloz  und  Fondo  gebürtig  waren;  ebenso  wurde  die  St.  Christophs- 
kapelle in  der  Gemeinde  St.  Felix  einst  von  Sarnonico  aus  besorgt, 
gehörte  einst  die  ganze  Gemeinde  Proveis  zur  Pfarre  Rumo.  und  <,'il)t 
es  noch  jetzt  deutsche  Bauernhöfe  im  Sprengel  der  Pfarren  Brez  und 
Revo.  Zu  Dam  bei,  das  im  Jahre  1480  ein  Besitztum  der  später 
.  gegraften  Familie  Fuchs  war,  wurden  noch  tot  kurzem  deutsche  €to- 
briuche  beobachtet  (58.  2.  207). 

Auf  dem  Schlosse  Fondo  residierten  in  älterer  und  neuerer 
Zeit  deutsche  Machthaber,  so  um  das  Jahr  1400  ein  Burgherr  Namens 
Eisenhöver,  wider  dessen  Gewaltthaten  die  Unterthanen  des  Schlosses 
sich  damals  beim  Landesfürsten  in  deutscher  Spraclie  ')  beschwerten 
(i'rimisser's  Kollektaneen  in  der  Bibl.  Tirol.,  Handschrift  253  —  alte 
Signat.  —  Urk.  151)  und  im  Jahre  1680  der  Pfleger  Jakob  t.  Heufler 
(79.  1.  758).  Unweit  Sarnonico  steht  die  Ruine  Mohrenberg,  einst 
der  Sita  der  gleichnamigen  verdeutschten  Familie,  die  sich  durch  kirchliche 
Stiftungen  verewigt  hat.  Darüber  hinaus  liegt  am  h'ande  des  Mendel- 
gebirges  die  Ortsgemeinde  Ruttre  (Kufredo) ,  die  Heimut  des  1704  in 
hohem  Ansehen  verstorbenen  Wiener  Bürgermeisters  Pet.  .Jos.  Kofier 
(41.  98)  und  noch  heutzutage  der  Standort  einer  Schule,  in  wel- 
cher die  deutsche  Sprache  gepflegt  wird.  Von  der  grltflichen 
Familie  Arz,  deren  gleichnamiges  Stammschloss  einst  das  Vu  di  Rumo 


*)  Da«8  der  Gebrauch  dieser  Sprache  nicht  etwa  nur  das  Werk  eines  Schrei- 
bers, sondf^ni  rltn  damaligen  BewoliriPm  von  Fondn  -'Hist  s^eläufig  war.  i-rijiht 
sich  mit  tn-osser  Wahrscheinlichkeit  aus  einer  gleiclueitigeu  Urkunde,  die  im 
,  Archirio  Trentmo*  (II.  Bd. ,  8.  254)  abgednickt  ist.  Eine  im  Jahre  1402  dem 
Trientner  Bischof  Geur^j  von  d<  r  f  lemeinde  Fondo  (Communitaa  villac  Fundi)  \\hor- 
reichte  Bittschrift  um  Bestätigung  ihrer  alten  Statuten  trägt  nämUcli  die  Unter- 
tefadlft  folmder  Syndiker;  Oeon^  Sohn  de*  Bott;  Florine,  Sohn  des  Julianns; 
Hendrich,  genannt  Robmar,  Sohn  des  Randin. 


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482 


Bidemuuui, 


[44 


behütete,  ist  zwar,  dass  sie  deutschen  Ursprungs,  nicht  in  Horn  Masse 
gewiss,  wie  von  der  Familie  Spaur,  dem  ehemaligen  Gräfe ngesclilechte 
Flavon  (über  dossfn  Anfänge  Alb.  Jäger  in  seiner  ^Geschichtij  der  land- 
stündischen  Veriaäsuug  Tirols  %  i.  Bd.,  S.  180  sich  ni  diesem  Sinne 
g^ussert  hat);  allein  sie  und  die  Mehrzahl  der  Übrigen  Dynastetf- 
geschlechter  des  Nonsberges  haben  die  deutsche  Abkunft  eigent- 
lich nie  \  rläugnet,  wenn  schon  in  neuester  Zeit  und  im  siebzehnten 
Jahrhunderte  einzelne  Angehörige  dersell)cn  zur  itulieni-^chen  Nationalität 
sich  bekannten  Das  zeigt  schon  ilir  ununterbrochenes  Erscheinen 
auf  den  Tiroler  Landtagen,  wo  übrigens  auch  Edelleute  aus  dem  Sulz- 
berge von  Zeit  zu  Zeit  sich  einfanden,  welche  man  als  Deutsche  be- 
zeichnen darf.  Speziell  gilt  dies  Ton  der  im  sechzehnten  Jahrhunderte 
aus  Schwaben  eingewanderten  Familie  Heydorf,  welche  auf  dem 
Schlosse  Ossana  hauste  (41.  134),  dann  von  Becdkem  des  Ansitzes 
Freienthurm  7m  Terzolas,  dessen  deutsrlier  Name  schon  auf  seine 
Erbauung  durch  eine  deutsche  Familie  hinweist.  Allerdings  wanderten 
auch  italienische  Familien  in  den  Nons-  und  Sulzberg  ein;  so  (nach 
Stephan  y.  Mayrhofens  handschrittl.  Genealogie)  die  Concini  ans  dem 
Mailftndischen  um  das  Jahr  1375  nach  CasOcz  und  Tuenno,  die  Gentfli 
aus  der  Mark  Ancona  um  1390  nach  Denno  und  Nano,  die  Migazzi 
aus  dem  Valtelin  um  1420  nach  Gogolo.  Aber  auch  sie  unterlagen 
damals  beim  Verkehre  mit  dem  schon  vorhandenen  deutschen  Adel  der 
Germanisation.    (  Vgl.  unten  die  Note  auf  S.  451.) 

War  ja  doch  der  Haushalt  auf  manchen  Schlössern  des  Nons- 
berges im  iQn&elmten  Jahrhunderte  durch  und  durch  deutsch, 
sogar  mit  Einschluss  der  Burgwftditer!  Als  ein  durch  EHnzelheiten 
beglaubigtes  Beispiel  sei  hier  das  Schloss  Alt-Spaur  genannt,  wi  lches 
von  1307 — 1450  im  Besitze  der  Familie  Reifer  und  um  das  Jahr  1460 
der  Sclianplatz  ehelicher  Zerwürfnisse  war,  bei  deren  Schilderung  der 
Inn.sbrm  ker  Archivar  Dr.  David  Schönherr  (s.  dessen  Schrift  „Aus  dem 
Leben  des  Ritters  Christoph  Reifer  von  Alt-Spaur  etc.'',  Innsbruck  1882, 


von  Eaufbeuem,  mit  den  Knechten  (Gereisigen)  Haamhauser  aus  Hfin- 
eben,  Brunner  aus  Landshut,  Keutschacher  au.s  Kärnten,  Hilpart  von 
Hirsberg  im  Voigtlande,  endlich  mit  einer  Magd  aus  Neunkirchen  bei 
Rosenheini  (in  Bayern),  welche  sämtlich  in  Reifers  Diensten  standen. 
Es  wird  daher  nicht  blo.ss  in  den  Wallfahrten,  deren  Ziel  die  Pfarr- 
kirche zu  Alt-Spaur  war,  begründet  gewesen  sein,  dass  die  hiesigen 
Pfarrer  Ton  alters  her  der  deutschen  Sprache  mftchtig  sein  mussten 
(s.  ttb«r  diese  Forderung  und  die  Torerwähnte  Ursache  41.  113).  Auch 
erklärt  es  sich  hieraus,  weshalb  ein  Kundschaftsbrief  über  die  Leistungs- 
pflidit  der  zur  Burg  Visiaun  (nächst  dem  Rocchettapasse  ober  Mezzo- 
Lombardo)  dienstbaren  Unterthanen  zu  Andalo  und  Molveno,  deren 
Gerichtsherr  im  Jahre  1378  ein  Reifer  war,  damals  in  deutscher  und 
lateinischer  Sprache  ausgestellt  ward  (R.  d.  L  Sch.-As.  IV,  144)  und 


*)  Als  der  am  trü besten  in  diese  <W'^end  eingewanderte  deutsche  Edelmann 
iat  wohl  der  im  Rufe  der  Heiliffkeit  gestorbene  Bomedins  «Tur  nobüis  ex  Bavaria 
ortu**,  der  im  aehten  Jahrhimaerte  am  Thaur  im  hmthale  suzog,  ca  befaachtM. 


S.  22)  uns  bekannt  macht 


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45] 


JH»  Nfttionalit&ten  in  Tirol  eto. 


433 


wie  Tartarotti  (77.  48)  auf  den  Gedanken  verfallen  konnte,  der  in 
lateinischen  Urkunden  vorkommende  Ausdruck  ,campua  Kotalianua" 
(Ar  eine  beim  Bocchettapasse  gelegene  Fliehe)  rOhre  vom  deutschen 
Worte  «Rochihal*  her.  Ea  lebte  eben  noch  im  achtzehnten  Jahrhmidert 
die  Erinnenmg  an  die  vielen  deutschen  Ortsnamen  fort,  mit  welchen 
diese  Gegend  vor  Zeiten  gleichsam  besät  war,  wie  denn  z.  B.  auch 
in  der  Nähe  des  vorerwähnten  Piusses  ein  Anwesen,  welches  der  Weber- 
hof hiess,  in  einer  Urkunde  des  1.  St.-As.  vom  21.  April  lt)48  er- 
schemt.  Noch  sei  aus  der  Mitte  des  Nonsberges  der  Ort  Coredo  mit 
den  hier  heimiechen  Familiennamen  Moncher,  Widmann  und  Sicher, 
das  Dorf  Romalo  als  Sitz  der  adeligen  Familie  Clauser  und  das  Dorf 
Tavon  erwähnt,  dessen  Sprosse  Anton  Waldecher  (Waldecker)  im 
Jahre  1490  Richter  7U  Königsberg  war  (11.  155),  während  dort  im 
Jahre  1772  ein  berüchtigter  Strafprozess  zwischen  dem  Bauer  Ötancher 
und  dem  Priester  Don  Ziller  sich  abspielte  (41.  99). 

Also  fast  überall,  wohin  man  im  Nonsberge  den  Blick  richtet, 
und  mehrfach  auch  im  Sulzherge  (hierher  gehOren  noch  die  Eigennamen 
Chreifenberg  zu  Terzolas  und  Mal^,  Pezen  zu  CroTiana,'  Bischoff  zu  Pres- 
Bon)  begegnet  man  Spuren  deutschen  Wesens:  wenn  schon  nicht  fort- 
dauernden  Rroiinpen  desselben,  so  doch  zum  mindesten  Resten  einer 
deutschen  Vergangenheit.  Dazu  kommt,  da.ss  die  bäuerliche  Bevölkerung 
beider  Thäler,  die  der  Volksmuud  Berge  nennt,  seit  Jahrhunderten 
bestrebt  ist,  die  Bekannftechafl  mit  der  dentsehen  Sprache  fortan 
dadurch  zu  erneuern,  dass  sie  einen  Teil  des  mSnnlichen  Nachwuchses 
nach  Tisens,  Mölten,  Jenesien,  den  Ritten  und  in  andere  Gegenden  der 
Etschregion  sendet,  wo  derselbe  in  der  Regel  vom  9.  bis  zum  15.  Lebens- 
jahre Hirtendienste  verrichtet ,  wälirenddem  aber  die  deutsche  Sprache 
erlernt  und  zumeist  fürs  ganze  Leben  sich  einprägt.  Demzufolge  sind 
die  des  Deutscheu  kundigen  Bauern  dort  zahlreicher  als  sonst  irgendwo 
im  italienischen  Tirol,  die  hiesigen  deutschen  Sprachinseln  ausgenommen. 
Deutsche  Schulen  sind  ausser  der  bereits  erwähnten  zu  Ruffir^:  zu  Lau- 
rein, St.  Felix,  Frauenwald  und  PrOTeis.  Ferner  werden  in  den  Volks- 
schulen zu  Malosco,  Fondo,  Ronzone  und  Revo  Freikurse  fiir  Schüler, 
welche  die  deutsche  Sprache  sich  aneignen  wollen,  gehalten. 

m.  Das  Fendaathal  mit  6m.  Hohen  Ten  Vm6, 

Dieses  Gebiet,  welches  seiner  ethnographischen  Vergangenheit 
wegen  hier  als  ein  Ganzes  ht  liandelt  wird  und  auch  geographisch  zu- 
sammenhängt, indem  es  das  Verbindungsglied  zwischen  dem  Etscli- 
und  dem  Brentathale  bildet,  setzt  sich  aus  Bestandteilen  des  Politischen 
Bezirks  Trient  zusammen,  von  welchem  der  Gerichtsbezirk  Civez- 
zano  (das  HShengebiet  von  Pin^)  ganz  hierher  gehört,  und  dessen 
Gerichtsbezirk  Pergine  mit  der  Mehrzahl  seiner  Ort.sgemeinden  hier 
in  Betracht  kommt.  Der  erstgenannte  Gericht.sbezirk  hatte  Ende 
1880,  wenn  man  vom  Gerichtssit/.o,  der  zugleich  Gamisonsort  ist,  ab- 
sieht, bloss  3  Deutsche  zu  Bewohnern,  welche  sich  auf  die  Dörfer 
Rizzoiago  (Ortsgemeinde  Baselga  di  Pinä),   Miola  und  Montaguana 


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434 


Bidermaun, 


[46 


(Ortsgemeiiide  Miola)  verteilten.  Im  ganzen  zählte  er  allerdings  deren 
39  (darunter  36  Soldaten  am  genannten  Hauptorte).  Der  zweit  ge- 
nannte Geriditsbezirk  erstreckt  sich  mit  seiner  nördlichen  Hälfte 
Uber  das  Fersinathal,  und  in  diesem  liegen  fqpezieU  fönende  Ortn- 
gemeinden  :  Roncojjno .  Vigalzano ,  Vinra<ro  ,  Tanezza,  ^ogar^  und 
Sta.  Orsola  ohne  alle  deutsche  Bewohnerschaft,  Serso  mit  1,  Madrano 
mit  3  Deutschen,  Pergine  mit  239  (wobei  die  237  deutschen  Soldaten 
der  Qamison  im  Markte  Pergine  in  Anschlag  zu  bringen  sind),  Fale- 
sina  mit  180  Deutschen  (rein  deutsch),  Frassilongo  mit  276  Deut- 
schen neben  404  Italienern  (und  zwar  im  Dorfe  dieses  Namens 
100  Deutsche  neben  288  Italienern,  und  in  der  Fraktion  Roveda 
17«>  Deutsche  neben  176  Italienern),  Fierozzo  mit  331  Deutschen 
neben  352  Italienern  (und  zwar  im  Dorfe  St.  Feiice  1 73  Deutsche  neben 
218  Italienern  und  in  der  Fraktion  St.  Franzisko  158  Deutsche  neben 
134  Italienern),  und  Palü  mit  454  Deutschen  (rein  deutsch).  Anfang 
und  Ende  des  Streifens  deutscher  Ansiedlunffen  im  Fermnathale  sind 
also  durch  rein  deutsche  Dorfschaften  markiert,  wobei  freilich  die 
Falesina  betreffende  Angabe  in  Zweifel  gezogen  werden  muss. 

Gesamtsumme:  1473  Deutsche  (neben  10  128  Italienern). 

Auf  den  Höhen  von  Pine  wohnten  einst  Deutsche  Dorf  au  Dorf, 
wenn  es  schon  nicht  richtig  ist,  dass  dies  noch  vor  100  Jahren  der 
Fall  war ').  Aber  im  Jahre  1673  galt  es  noch  von  den  DOrfem  Hiola 
und  Fatda,  wShrend  die  Mehnnhl  dieser  Gebirgsbewohner  bereits 
italienisch  sprach  (12.  113,  Note  1), 

Unter  den  aufrührerischen  Bauern,  welche  im  Jahre  1523  Trient 
bedrohten,  war  auch  „Christel  von  Pin«?",  und  aus  dem  1793  ge- 
druckten „Memoriale  del  Magistrato  Consolare  di  Trento  sopra  il  Diritto 
di  essigere  ....  la  spesa  del  rilacimento"  erhellt  (S.  33),  dass  im 
Jahre  1536  Johann  Fux  Vorsteher  (Syndikus)  der  (Gemeinde  Pin^ 
war.  Gewiss  gab  es  hier  auch  deutsche  Bergleute,  da  um  das  Jahr  1070 
auf  dem  Berge  Gaza  hinter  dem  Lago  Santo,  unweit  der  alten  Kirche 
di  Santa  Colomba,  Spuren  von  SilhcrLrruben  und  Reste  von  Pochwerken 
zu  sehen  waren  (M.  A.  Mariani.  Trento,  Augusta  1073,  pag.  478). 
Die  Erinnerung  an  diese  deutsche  Vergangenheit  war  noch  in  Tar- 
tarotti  so  lebhaft,  dass  er  (77.  44)  die  Ansicht  äusserte:  ,11  nome 
Fatda  (di  Find)  venga  del  Tedesoo  Faichten  (d.  h.  Fichten)*.  Vor  kurzem 
ist  das  Bewusstsein  derselben  auch  inmitten  jener  Gebirgsbewolmer  der- 
gestalt rege  geworden,  dass  der  Lehrer  Tonioh  zu  Bedol  (einem  Dorfe, 
das  der  Abdachung  nach,  auf  der  es  liegt.  ei»x<'ntlich  zum  Cembrathale 
zu  rechnen  wäre,  jedoch  dem  in  Rede  stehenden  Gebirgsstocke  ange- 
hört) die  seiner  Obhut  anvertrauten  Kinder  im  Deutschen  zu  unter- 
weisen begonnen  hat,  in  der  Schule  zu  Vigo  gleiches  geschah  (27.  Nr.  227) 


')  Der  daran  unBchnldige  tJriieber  diese«  Irrtama,  der  rieh  auch  in  Dr.  Mnp- 

pergs  Aufsatz:  ^Bedroht^'s  cUmtschcs  «Mit"  (47.  Nr.  19)  oiiigeschlichen  bat,  wcheint 
Christ.  Schneller  zu  sein,  der  in  seiner  Abbandluns  .Deatache  und  Romanen 
in  Sadtirol'  (Gl.  371)  sagt  :  ^Noch  vor  kaum  hundert  Jahren  hatte  das  deatache 
Element  in  Welschtirol  eine  viel  grössere  Ausdehnung  ....  da  herrschte  die  deutsche 
Sprfu  li»»  noch  bei  dem  kräftigen  Volke  der  P  i  n  a  i  ter  im  Thale  Pin^  ober  Trient . . .  .* 
IVeilich  beisst  es  da  «bei'  und  nicht  ^unter". 


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«] 


Die  Nationalitäten  in  Tirol  eto. 


435 


^  uud  HowolU  zu  Fulda  als  zu  Montagnana  (Fraktionen  der  Ortsgemeinde 
Miola)  das  Yerlaugeu  uacli  solchem  Unterrichte  geäussert  worden  seiu 
soll  (50.  18).  Es  soUen  noch  deutsche  FamilifflnaTnen,  wie:  Stohser, 
Sraldi  (Oswald),  Redl,  Slozzeri,  unter  ihnen  yorkommen  (-U.  53). 
Deutsche  Lokalbezeicfanungen  aus  ihrer  Mitte  hat  uns  nebst  der  Nach- 
richt, dass  um  das  Jahr  1  785  alte  Leute  dort  noch  deutsch 
nach  Art  der  Cimbern  sprachen,  M.  Pezzo  aufbewahrt,  indem  er 
(54.  2.  42)  schreibt:  ,Pine  chebbe  a  questa  era  delle  attempate  per- 
sone  di  Cimbrico  parlare,  e^li  eziandio  ha  ü  nome  di  Purga,  Laude, 
Eopfel,  Lemp,  Falda  e  altn."  Wahncheinlich  gehörte  diese  Oegend 
TOT  Zeiten  zur  Herrschaft  Pergine;  denn  im  Jahre  1376  trug  Herzog 
Leopold  von  Oesterreich  seinem  Hauptmanne  zu  Pergine  auf,  die  ünter- 
thanen  aus  den  i^opsteien  von  Melan,  Zivitzan  und  Boneyd  zu  den 
üblichen  Urbarialleist iingen  zu  verhalten  (R.  d.  1.  Seh. -As.  IV.  Bd., 
S.  14 Ij.  Unter  Boneyd  ist  da  wohl  Pineit  (Pi^e)  zu  verstehen').  — 
Was  das  Fersinathal  anbelangt,  so  sind  die  deutschen  Ansiedlungen 
im  Hintergründe  desselben  allem  Anscheine  nach  älter  als  die  am 
Eingange  teils  vorhanden  gewesenen,  teils  noch  jetzt  dort  vorfindigen. 
Urkundlich  geschieht  ihrer  aller  mit  Ausnahme  Palüs,  welches  als  Zu- 
irehör  der  Herrschaft  Caldonazzo  da  nicht  genannt  ist,  zuerst  in  dem 
\  ertrage  Erwähnung,  den  die  (Tesumtgemeinde  Pergine  (Persines)  im 
Jahre  llOü  mit  der  Stadt  Vicenza  zu  schliessen  sich  anschickte.  Da 
enchemen  die  Seniores  et  Rectores  ViUanim  extra  Burgum  (Posines) 
et  totius  Communis  et  districtus  Persines  mit  Ausnahme  der  Pom  er- 
mani  in  Ploruts  (Fierozzo)  de  Ariraania  Domini  (Gundibaldi,  Reguli 
Castri  Persines),  und  zwar  ausser  den  Vertretern  des  Burgfleckens  Persen, 
welche  zugleich  die  Leute  von  Sivernach  (Ziviixnuno) .  Vallar  und  Val 
d'ürbano  vertraten,  —  Abgeordnete  von  Prato  (Pradelle),  Vierarh  ( Viarago). 
Porteli  (Maso  Portolo,  Bestandteil  der  Ortsgemeinde  Canezza),  Cuuestie 
(Ganezza),  Brases  (Brazzenighe) ,  Sertz  (Serso),  Artzenach  (ein  durch 
die  Fersina  zerstörtes  Dorf  zwischen  Viarago  und  Canezza) ,  Madran, 
Nogareit  (Nogar^),  Cantzelin  (Oanzolino),  Bux  (Bus),  ÜTarda  (Guarda), 
Viculzan  (Vigalzano),  Caxilin  (Tiisulino),  Co.sta  (ein  Maso  von  Vi<!;alzano), 
Susate  (Susa) ,  Tanale.  Oostasabma  (Costasavina) .  Riineou  (Iloik  o<^nio), 
Fraxilong  (Frassilongo),  Robure  (Roveda),  Hiscla  (Ischia),  Tenna, 
S.  Cristoforo  (am  See  von  Caldonazzo),  \'^^ola,  Volchesten  (Fale- 
sina),  Castöneto  (Gastagn^),  Yolchnaur  (val  Canoiera,  ehemals  auch 
Valoonaia  genannt),  und  Sta.  Caterina  (Fraktion  von  Castagne).  Die 
Zusammenkunft  dieser  Gemeindevertreter  fand  im  Kloster  üvald  (Wald) 
statt,  welches  wenige  Schritte  weit  vom  Burgflecken  Pergine  stand  und 
nach  einem  1854  gerodeten  üeliölze,  von  dem  es  umgeben  war,  so 
genannt  wurde.  Der  damalige  Abt  desselben  hiess  Teutwig.  Ebenso 
deutsch  Idingen  die  Namen  der  Abgeordneten:  Benedikt,  Sohn  des 
Bumel,  lUemar  von  Ganale,  Alhrecht  von  Susat,  Oebrik  . . .  von  Oretung 

•)  ]^''t]n  Weber  sagt  (83.  2.  500)  vmi  ihm  Pinaitem:  „Das  Volk  ist  von 
gim/.  eigentiunliciier  Art.  einfach  in  Sitten  und  Lebeuäweise,  höchst  aufrichtig  und 
wortgetreu  im  Umgange  und  Handelsverkehr,  von  grösserer  Tugend  als  Wortfiille, 
80  da8f<  Kt'iint'r  nicht  umsonst  den  reherrest  eines  deut  sehen,  in  den  VOlker- 
Zügen  dahin  verschlagenen  Menschenstammes  darin  erkennen.* 


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436 


Bidenouuin, 


[48 


(Gereidt?),  welcher  als  Mansaitu.s  de  Hochlait  hezeiclinet  ist,  Halitmar, 
Sülm  des  Xich  von  Hiscia,  Cutuvert  (Gudebert  V),  Sohu  des  Kauch  von 
Volclizurige  (später  Yaiczaig,  heutEutage  Yignola).  Doch  feblen  aueh 
nicht  romanische  Namens  wie:  Malebrutus,  Sohn  des  Dietrich  von 
Yigalzano,  Redox,  Sohn  des  Brenta  von  Castagnd.  Unter  den  Zeagm 
ist  Benedikt,  Sohn  des  Riprand  von  Padua  als  Einwohner  von  Pergine 
(habitator  m  Burgo  Pesines)  aufgeführt  Die  Ariinani  von  Fierozzo 
reichen  ihrer  Benennung  nach  in  die  Langobardenzeit  zurück,  und  dass 
auch  "Teihiehmer  an  jener  Verschwörung  gegen  den  Schlossherm  Gunde- 
hald  dieses  Ursprungs  flieh  bewiuni  waren,  beweist  die  Berufung  auf 
uralte  Geltung  langobardischen  Rechts  in  ihrer  ICtte,  neben  welchem 
noch  die  Lex  Salica  genannt  ist  als  Zeichen  späterer  Nachschübe. 
Vielleicht  hängt  es  damit  zusammen,  dass  die  Bewoliner  des  Berg- 
distrikts von  Fierozzo  bis  in  die  neuere  Zeit  ihre  Sonderstellung  be- 
haupteten. Sie  standen  unier  dem  Pfleger  (Rentamtsbeamten),  nicht 
unter  dem  Richter,  der  Hemchidt  Pergine  (93.  1.  257).  JedenftUa  iat 
die  deutsche  Bevölkerung  daselbst  Biter  als  der  Bergbau,  dem  sie  sich 
in  spftterer  Zeit  widmete  und  welcher  hödutens  Ankss  zu  ihrer  Yer- 
mehrung  war  (10). 

Jene  deutschen  Gemeinden  hatten  das  ganze  Mittelalter  hindurch 
an  den  zu  Pergine  gebietenden  Hauptleut^*n  der  Herzoge  von  Oester- 
reich einen  festen  Rückhalt,  welcher  bis  zum  Jahre  1531,  wo  diese 
Herrachaft  an  das  Füntminm  Tiient  abgetreten  wurde,  dauerte  und 
gegen  das  Ende  dieser  Periode  noch  durdi  den  Aufschwung  des  hie- 
sigen Bergbaues  unterstützt  ward.  Aber  schon  vor  Be^rinn  der  oster» 
reichischen  Herrschaft  (1363)  gab  es  in  Pergine  Hauptleute  deutscher 
Nationalität,  so  z.  B.  im  Jahre  130(3  den  Gerhard  Franzenspergher  und 
1349  den  Kunz  Zinclo  (Concius  Zinle)  (40.  417).  Der  vSilbergniben 
zu  Pergine  (argentifodine  Berzini  in  montanis)  thut  eine  Urkunde  vom 
Jahre  1331  in  Verbindung  mit  dem  Bergwerlce  auf  dem  Gebiige  Ton 
Yillanders  ErwShnui^  (66.  66).  Als  das  Dominium  Pergine  aufhörte, 
ein  österreichisches  Gebiet  zu  sein,  behielt  sich  Oesterreich  im  dies- 
bezüg-lichen  Vertrage  vom  12.  Januar  1531  gleichwohl  vor.  dass  die 
Bergwerke  ihm  und  den  Fürstbischöfen  von  Trient  zu  gleichen  Teilen 
zustehen  und  gemeinschaftlich  betrieben  werden  sollten.  Die  damaligen 
Gewerke,  welche  um  Bestätigung  der  Bergwerksfreiheiten  von  1483 
und  1502  baten,  hieesen:  Stephan  Faisl,  Peter  Pfitecher,  Max  Stainer, 
Peter  Prett,  Blasius  Synndl  und  Leonhard  Hochstrasser  (Trientner  Lehea- 
buch  Nr.  im  Statth.*Archi7e  zu  Innsbruck).  Drei  Jahre  früher  war 
auch  noch  der  Aiifrs!)urrjeT  "Rürnr^r  Hans  Ketzer  am  hiesigen  Bergbaue 
beteiligt,  welcher  von  nun  an  rasch  in  Verfall  geriet    Zwar  fand  der 


*)  S.  die  im  Littt'raturvnrzeichniase  unter  2h  angeftlhrte  Schrift .  rleren  An- 
hang obige  Urkunde  im  Originaltexte  enthält  und  welcher  auch  einiKe  Naniens- 
deotnngen,  wie  ll  dass  Volchesten  Flalesina,  Volclinanr  Val  Canoiera  ist» 

entnommen  sind.   Ich  hahe  Inn  Volchnanr  ziinlichxt  an  (Viil)  Caorze  bei  Caldonazzo 

Sedacht.  Ebenso  stammen  au»  dieser  Schrift  die  das  Dorf  Arzeuacb  und  die  Lag« 
es  Klosten  Wald  betreffenden  Notizen.  Die  Uoclileiteii  ist  ein  Berg  südlich  von 
Caldonazzo,  weldier  Ort  dem  Flusagebiete  der  Brenta  aagehftrt,  in  OM  der  hihalt 
jener  Urkunde  auch  sonst  übergreift. 


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49]  IKe  NaiionaUtftten  in  Tirol  etc.  437 

Sekretär   eiues   Kardinallegaten .   <ler   am  Trit-ntner  Konzil  teilnahm, 
An*<elo  Mavssarellü,  als  er  im  Jalue  1540  Pergine  besuchte,  auf  einem 
einzigen  Berge  32  Gruben,  welche  Kupfer-  und  Bleierze  mit  einem 
durchschnittlichen  Silbergehalte   von  2  Lot   per  Zentner  lieferten 
(C.  Giuliani  im  «Arch.  Trent*  I,  182);  allein  3  Jahre  zuvor  hatte  Franz 
von  Castellalt,  von  den  Innsltnuker  Behörden  aufgefordert,   sich  über 
die  von  den  Bauern  des  Valsiigan  angestrebte  Freigebung  <kr  VVald- 
uutzung  zu  äussern,  den  Bergbau  um  Pergine  als  sehr  herabgekomnien 
geschildert,  und  nach  seiner  Angabe  waren  von  den  3  Gewerken,  die 
denselben  überhaupt  noch  fortsetzten,  2  bereits  Italiener^).  Frflher 
noch  hatte  im  Orte  Pergine  das  deutsche  Element  dem  italie- 
nischen weichen  müssen.    Allem  Anscheine  nach  tragen  Seuchen, 
welche  erstereni  arg  zusetzten,  die  meiste  Schuld  daran.    In  der  zweiten 
Hälfte  de.s  fünfzehnten  Jahrhundert.s  siedelti  n  sich  Familien  aus  dem 
Vaitelliu,  dem  Maüäudischen  und  Bergama.skischen  dort  an;  um  wie 
viel  mehr  erst  aus  der  itaUemsehenNaehbaiMhaft!  [Drei  davon,  die  Yinci- 
guerra,  Yenturini  und  Zecchini,  blOhen  noch  jetzt  (18.  14).]  Aber  noch 
eutbehrten  die  Deutsc  lu  n  des  Ortes  und  des  ganzen  Pfarrsprengels  von 
Pergine,  der  sich  mit  dem  Gebiete  der  gleichnamigen  Herrschaft  deckte, 
nicht   der  liel)evollen  Fürsorg«-  staninivcrwiiiidter  Priester.     Das  Ver- 
zt;ichnis  der  Ptarrcr  (18.  84-   ^(1),  welches  Ijeiin  .lalire  l-UH  mit  Johann 
vou  Meran  beginnt,  beim  Jahre  1308 — liiTÜ  den  liochus  aus  Deutsch- 
land (Rocco  dl  Alemagna),  1435 — 1444  den  Jos,  Tanner  (Alemanno), 
1452 — 1455  den  Theodorich  Kaschnitz  ansLeissnig  in  der  Diözese  Meissen, 
1401  — 1481  den  Steph.  Sigfried  Taubenmajer  aus  der  Augsburger  Diözese 
anfuhrt,  nennt  für  die  Zeit  von  1489  -  1'>'21  den  Erzpricstcr  Dr.  Chri- 
stoph Clanier.    Dieser,  dessen  Verdienst  auch  d<r  Bau  der  l'furr- 
kirche  ist,  bemühte  sich  während  der  Pe.st  vom  Jahre  löll,  deutsche 
Priester  um  sich  zu  versammehi,  und  gewann  u.  a.  als  Chorkaplan 
den  Zacharias  Möckelin  aus  Kempten  (in  Schwaben),  der  seine  Bereit- 
willigkeit zu  kommen  in  einem  an  den  Gemeindesyndikus  Jos.  Spitzer 
gerichteten  Briefe  zusagte  (46.  894),    Sein  Nachfolger  war  aber  (im 
Oktober   1521)   ein   Mailänder,    der  Trientner  Dompropst  Dr.  med. 
G.  B.  Baldironi.    der  sich  kaum  durch  einen   Deutschen  wird  lialn-n 
vertreten  lajssen,  und  weiterhin  lösten  sidi  auf  diesem  Pfarrposteii  mit 
einziger  Ausnahme  des  Trientner  Archidiakons  Martin  lseyde(  k  (1530 
bis  1556)  durchaus  Italiener  ab  (18.  85).    Damit  ist  mehr  gesagt, 
als  mit  allen  Einzelnnachweisen  der  Wirkungen.  <\\v  das  iibtii  musste. 
Indessen  bekämpften  die  Deutschen  selbst  die   ihnen  kirchlicherseits 
drohende  Gefahr.    Bergknapp»^!  von  Fiero//n  vtifteten  im  Jalire  K>21 
zu  Pergine   das    St.  Barbarabeuehzium ,    worüber    nach  Einstellung 


')  Die  SchlackenhaldtMi  bei  Viarugo  liess  der  eht'iuulige  Kauiiutirgraf  za 
Schoniniz  in  Ungarn,  Andr.  Vhr.  v.  Giovanelli,  um  das  Jahr  1667  untenocfaen.  Aber 
zur  Wiederaufnahme  der  Er/fßrdfrung  fand  fr  H  otlpn(>;ir  nicht  VMnvofjcn.  l)<'in 
Fallier  Bergrevierc  stattuteu  am  U.  Juni  1Ü7U  der  üaupuuaun  des  ^fcblotit>eä 
Telyana,  L.  Roveretii,  ein  Trientner  Eddmann  namens  Lmer  mid  der  Priester 
M,  Ä.  Miuiar.i  /\\it'  dieser  a.  a,  0.  S.  'tUl  meldet)  einen  Besuch  ab.  bei  wcichoin 
^ie  dort  Anbrüche  von  Bleierz,  weiter  ubwärta  Kupfergruben,  die  seit  beiläuüg 
SO  Jahren  verlassen  waren,  und  Rainen  von  Röstofen  antrafen  (vgl.  40.  24  ff.). 
VflndnaiiB  snr  deotielMB  Land»»»  und  ToIUknnde.  I.  7.  90 


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438 


Bidermann, 


des  Bergbaues  die  Bcrgdirdrtaon  zu  Hall  im  Innthale  das  Patronat 
ausübte,  bis  im  Jahre  1842,  xuusb  dem  Tode  des  letzten  Benefiziateo, 

das  Stiftung^ vermögen  der  Marktgemeinde  Pefgine  für  Schulzwecke 
eingeantwortet  wurde  (18.  «)5)  Vielleicht  war  es  ein  Akt  ähnlicher 
Abwelir.  (Im  die  deutscht'  Kirchenbindersdiaft  zu  Tricnt  (societii  dei 
Irutelli  Aiemani  in  Trcnto)  unternahm,  indem  sie  die  Petruskapelle  zu 
Pergine  au  äicli  bracht^e.  «Sie  beuasä  dieselbe  im  Jahre  1543;  das  • 
Eigentum  dsran  ging  aber  bald  darauf  an  die  Familie  Gulielmi  aus 
Tessin  über  (18.  60).  Die  Deutschen  räumten  überhaupt  in  Pergine 
den  Italieuem  nur  allmählich  das  Feld.  Dies  lehrt  das  Verzeichnis  der 
hiesigen  Gemeindevorsteher,  in  welchem  noch  bei  den  Jahren  1555, 
1558.  15(>1.  15<>4,  15()7  ii.  s.  w.,  ja  sogar  nocb  170«>  und  1731  —  1732 
unzweiteUiaft  deutsche  Namen  (zuletzt  Moar  =  Maier  und  Autertoller  = 
Afienthaler)  erscheinen  (18.  87 — 90).  Die  Familieu  Lehner  (aus  Schwaz 
im  Innthale),  Bizer,  Ghebel,  Spitzer,  Bollinger  und  Hof  berger  haben 
wiederholt  aus  ihrer  Mitte  solche  Vorsteher  hen'orgehen  gesehen.  So 
wurden  denn  auch  noch  am  Schlüsse  des  achtzehnten  Jalirhunderts  bei 
der  Karlskapelle  im  Friedhofe  zur  Fastenzeit  einige  Predigten  in  deut- 
scher Sprache  gehalten  {4ü.  :595).  Desto  schneller  griff  italienisches 
Wesen  ausserhall>  des  Marktes  um  sich.  Von  der  Landgemeinde 
(Gastaldie)  Viarago,  welche  ausser  diesem  Dorfe  auch  noch  die  Ort- 
schaften Serso,  Ganezza,  Portole,  Mala  und  Sta.  Orsola  in  sich  begriff, 
ist  bekannt,  dass  sie  im  Jahre  1522  auf  einmal  35  italienische 
Familien,  die  bereits  seit  einiger  Zeit  auf  ihrem  Gebiete  wohnten,  in 
den  Gemeindeverbanrl  aufnahm  (18.  15).  Kein  Wunder  daher, 
dass  laut  dem  Steuerbuche  der  Herrschaft  Pergine  vom  Jahre  158(1  der 
Stand  der  Dinge  damals  folgender  war:  Im  Markte  Pergine  (PersenJ 
und  der  zugehörigen  Borfschaft  Zivignano  (Zivernag)  machten,  den 
Eigennamen  der  Steueipflichtigen  nach  zu  urteilen,  die  Italiener  be- 
reits die  Mehrheit  aus  und  sie  überwogen  auch  unter  den  wohl- 
habenderen Besitzern,  wenn  schon  der  mit  dem  grössten  Vermögen 
Eingeschätzte  ein  Deutscher  war.  Von  der  Umgebung  des  Marktes 
waren  die  Ortseliaften  Koncogno  (Koiiggin)  und  Canzolino  (Chanzolin) 
ganz  oder  nahezu  ganz  italienisch;  Serso  (Zercz),  Viarago  (^'^ilrag) 
und  Gasalino  (Ghasalii^  Torwiegend  italienisch;  Ganezza  (Khemietscfa), 
Portolo  und  Madrano  halb  deutsch,  halb  italienisch;  Yigalzano 
(Vigalizan)  und  Nogare  (Nogreid)  fast  völlig  deutsch,  und  ebenso 
Fiilesina  (Vali.se),  Frassilongo  (Gereidt)  und  Hoveda  (Aiclileit).  Die 
beiden  letztgenannten  Ortschattcn  bildeten  eine  Prop.stei  t\ir  sich  und 
zählten  3-13  fiinwohner.     Zu  Frassüungo  gehörten  die  Bauernhöfe: 


')  Im  .liihre  1  ")7:i  iM^itund  noch  7,u  Pergine  eine  Messinghütte,  wie  aus  den 
80gen.  Bekheimenbüchcrn  <1»'h  Innsbr.  Statth.-Archivs  erhellt;  im  Steuerbuche  von 
1586  wird  sie  als  «alte  Hütt«  "  emrtUmt,  die  den  Herrn  von  Segonzano.  d.  h.  der 
Frtmilie  Trutn  i^ohört«'  PamaN  .steuerte  das  hern^i-liaflliche  UrViar  zu  Pt-rtrine  nach 
der  gleichen  C^uclle  jährlich  40  tl.  zum  Knappenäpitale  daüclbst  und  zur 
Altarstiftung  bei,  welche  damit  ver))unden  war.  Zu  Fierozzo  stand  noch  im 
Jahre  1792  ein  ärarische.s  Si]bor\verk  im  Hetrii-bf  1 1«!.  406).    Die  hiesigen  Kn]»f  r- 

fraben  lieferten  noch  in  der  ersten  Uäifte  des  lautenden  Jahrhunderts  einige  Aus- 
eute  und  bescfaftftigten  8  Arbeiter  (53.  2.  199). 


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*1] 


Die  NationaUttten  in  Tirol  etc. 


439 


Khestenholz  und  Kliiitzeuriterhof ;  die  Namen  der  Besitzer  waren; 
Puecher,  Scheiffler,  Tiiut'ner,  Khnrenteuer,  Mair,  Hessel,  Klioni.  Kholler, 
Am  Eckh,  tiasserii,  Moser,  Kiuelier,  Holtzer,  Läner,  Piauetiiel  und 
Bemabe.  Ab  Besblndteil  der  Ortschaft  Aidildit  enchdnt  der  Bastel- 
hof; ab  hiesige  Besitzer  aber  sind  genannt:  die  Puecher,  Fdbuer 
(PbliSer),  Zott,  Loczerhaus,  Ludtig  und  Fux.  Zu  Yigalzano  sassen  neben 
den  italienischen  Familien  di  Coppi  und  Termin:  die  Theiss,  Pruner 
und  Hansen  (letztere  4  Familien  und  27  Köpfe  stark).  Zu  Xogar«^ 
bildeten  „die  vom  Grossenhaus"  allein  eine  17  Personen  zählende  Haus- 
haltung und  erscheinen  daneben  die  Khrebeser,  Khanitz,  Hais,  von 
St.  Agnes  und  Jakob  Meriot  Von  Falesina  bssen  sich  keine  Detaib 
geben,  weil  diese  Ortschaft  mit  Yignola  (Valczurg)  zusammen  ver- 
zeichnet ist.  Von  den  vorgenannten  Ortschaften  hat  am  Schlüsse  des 
achtzehnten  Jahrhunderts  (hr  Schriftsteller  Montebello  noch  Fierozzo, 
Frassilongo,  Koveda  und  Falesina  (so  wie  Vignola  im  Brentathale) 
als  deutsche  anerkannt.  Er  sagt  von  ihnen:  „conservano  il  linguaggio 
tedesco  corrotto"  (40.  403).  Nach  Tee  in  i  (78.  32)  bewahrten  die 
deutsche  Sprache  im  Jahre  1821  ausser  Fierozzo  und  Palü  noch 
Roveda  und  Frassilongo;  er  bemerkt  aber,  dass  noch  vor  einiger 
Zeit  (tempo  ft)  u.  a.  auch  die  Bewohner  von  Falesina,  die  jetzt 
italienisch  sprächen,  der  deutschen  Sprache  sich  bedient  hätten. 
F.  St.  dei  Bartolomei  (7.  «))  ])estimmt  dies  näher  dahin,  dass  zu  Fale- 
sina bis  Ende  des  sieiizehnten  Jahrhunderts  das  Deutsche  Umgangs- 
sprache war.  Von  Viarago  führt  Schmeller  (59.  589,  Note)  aus  einer 
Urkunde  von  1750  einen  Pro^editore  Ermon,  einen  Gastaldo  Koner  und 
andere  Triiger  deutscher  Namen  an.  Derzeit  gibt  es  deutsche  Schulen 
zu  Frassilongo  (Gereidt) ,  lioveda  (Aichleit) ,  Fierozzo  (S.  Feiice) ,  San 
Francesco  (Ausserberji;)  und  Palü  (Palei).  [Letztere  Gemeinde  hiess  vor 
Zeiten,  als  sie  noch  unter  dem  gräflich  Trappschen  Pfleger  zu  Caldo- 
nazzo  stand,  »St.  Magdalena  auf  Palü"  (93.  1.  257.)  Freikurse  für 
Schiller,  welche  die  deutsche  Sprache  erlernen  wollen,  bestehen  zu  Bedol 
und  Yigo  (di  Fin^.   Ihrer  wurde  schon  oben  (S.  484)  gedacht 


17.  Das  Brentathal  (Valaugan)  und  der  Oebirgwtoek  zwischen  ihm  und 

den  Aaticothale. 

An  die  nunmehr  ganz  italienischen  Ortsgemeinden  Costasavina, 
Ischia,  Susa,  Tenna  und  Tastagn^  reiht  sicli  die  Ortsgenieinde  Vig- 
nola mit  l'A'A  Deutschen  neben  200  Italienern.  Sie  bilden  das  Queli- 
gebiet  der  Breuta  und  gehören  zum  Gerichtsbezirk  Pergine.  Die 
Fortsetzung  gegen  Süden  und  Osten  ist  der  Politische  Bezirk  Borgo, 
und  zwar  zun&chst  der  Gerichtsbezirk  Lerico  mit  441  Deutschen 
(neben  13  754  Italienern),  wovon  431  (neben  215  Italienern)  auf  die 
Ortsgenieinde  Luserna,  4  auf  die  Ortsgemeinde  Casotto,  je  2  auf  da.s 
Dorf  Pedemonte  und  auf  das  Dorf  Sta.  GiuHana  (Fraktion  von  Levico) 
und  1  aui  das  Dorf  Caidouazzo  entfallen.     Von  den  lUO  Deutscheu 


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440 


Bideimiuuip 


[52 


(neben  14  0<>1  Ttaliencni),  wclclie  der  G eri chts})ezirk  Borgo  aufweist, 
enttalleii  weitaus  iLie  meisten  (118)  auf  die  üaniisun  des  Marktes  Borgo, 
wogegen  die  OrtsgememdenRonceguo,  Ronchi,  TeWe,  TelTedisopra 
und  Torcegno  rein  italienisch  sind  und  das  Gleiche  von  den  hier 
weiter  nicht  in  Frage  kommenden  Ortsgemeinden  Carzano,  Cartelnovo 
und  Novaledo  gilt.  Im  Gerichtsbezirk  Strigno  endlich,  wozu  das 
Seitentbal  Tessin  gehört,  wohnten  10  Deutsche  (neben  13  452  Italienern), 
und  zwar  7  zu  Tezze  (einer  Fraktion  von  Grigno),  5  im  Markte  Striguo 
und  1  zu  Vill'  Agnedo. 

Gesamtsumme:  590  Deutsche  (neben  45400  Italienem). 

Die  Ortsgemeinden  Costasavina,  Ischia,  Susa  (einschliesslidi 
der  Fraktion  Canale),  Tenna,  Castagn^  und  Vignola  erscheinai 
siniitlicli  als  Teilnehmer  an  der  im  Jahre  llliti  geplanten  Unterwerfung 
der  Gesamtgenieinde  Pergine  unter  die  Stadt  Vicenza  und  mögen  da- 
mals, wenn  schon  mit  romanisierten  Langobarden  vermengt,  ein  vor- 
wiegend germanisches  Gepräge  getragen  haben.  Wenigstens  weisen 
die  deutsdien  Namen  der  fiist  ausschliesslich  gerade  diesen  Gemeinden 
entnommenen  Abgesandte  an  die  Stadt  Vicenza  auf  Germanen  hin« 
die  als  Deutsche  anzusehen  sind.  Und  nocli  im  Jahre  sassen 
zu  Vignola  (Valczurg),  zu  Costasavina  (Costschabin)  und  auf  dem  Kbest- 
neiderberge  (um  Castagni?)  fast  lauter  Deutsdie;  ('atiak'  war  bulb  (l.  utvi  h, 
halb  italienisch,  Susa  vorwi^eud  itahenisch;  die  Gemeinden  Isclua 
(Diisehl)  und- Tenna  (Then)  waren  ftat  auaschliealidi  italienisch  (12. 110, 
Note  3).  Am  Gestade  des  Sees  Ton  CaldonazEO  standen  damua  neben 
2  Masi  (il  maso  d'aqua  bona  und  il  maso  h'Toldo)  der  Motzenhof,  der 
Oeltzerhof,  der  IManetzer-,  der  Proner-  und  der  Ungerlehof.  Es  wohnten 
dn  (am  Khestneider  Berge)  die  Familien  Khestenholtzer,  Stauder,  Perger, 
Eekher,  Untersteiner.  Hos.sler,  Pacher.  Poscher,  Fritz,  Greter.  Püchler, 
Poper,  Khlogg,  (iiuntiz,  Zarethler,  Zerchier  und  Valcanoier.  Zu  Costa- 
savina,  wo  mehrere  Familien  Weber,  Moser  und  Schneider  lebten,  be- 
sessen 2  italienische  EdeUeute  (Romedius  de  Gristani  und  Christoph 
von  Scarpa)  einige  Grundstücke,  gab  es  aber  danrlxn  noch  ein  , Gewelb", 
d.  h.  Kleinhandelsgeschäft  der  Erben  nach  Jakol)  von  Gremoneg  (Cre- 
moua?),  was  reclit  deutlirli  die  Art,  wie  solche  Ansiedler  festen  Fuss 
fa.ssten,  veranschaulicht.  Von  jenen  deutschen  Gemeinden  hat  bloss 
das  mehr  abseits  gelegene  Dorf  Vignola,  aber  auch  nur  zum  Teile,  die 
angestammte  Nationalitilt  bis  jetzt  behauptet,  wfihrend  es  um  das 
Jahr  1811  noch  ganz  deutsch  war,  was  als  eine  Nachwirkung  des 
auch  hier  einst  betriebmen  Bergbaues,  dessen  Hauptobjekt  im  Jahre  1072 
»Stubni  Canop*  (Knappenstube)  hiess  (Mariani  a.  a.  O.  S.  532),  anzusehen 
ist.  tSchmeller,  der  das  Dorf  im  .Jahre  lS;3;i  besuchte,  rechnet  e* 
(äO.  588)  zu  den  „noch  deutsch  sprechenden  Berggenieinden Dass 
es  auch  südlich  vom  vorgenannten  See  einst  deutsche  Ansied- 
lungen  gab,  ist  nicht  nur  durch  die  mehrerwfthnte  Urkunde  Tom 
Jahre  1D3<>,  in  welcher  «die  Hoclileite"  als  Standort  einer  ausgedehnten 
Ikuernwirtschaft  vorkommt,  sondern  auch  durch  eine  Urkunde  vom 
•lahre  1270  verbürgt,  in  welcher  als  zu  Costa  (s.  w.  von  Rovcreto)  weide- 
berechtigt genannt  sind:  .nmsnadae  de  Perzina"  (Pergine)  und  daneben 
»Maser  de  Cadonazza"  mit  .seiner  Naciikommeuscluift,  femer  Rolaud,  Kam- 


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53] 


Die  Nationalitftteii  in  Tirol  etc. 


441 


balrl.  WuMu  i  Waldner?)  mit  ihren  Erben  (>>.  2:>lt).  Die  Herrschaft  Cal- 
donazzo  j^elangte  im  Jahre  1424  durch  Belehnung  seitens  des  Trientner 
Bisturas  an  Herzog  Friedrich  von  Tirol,  wobei  als  Zubehör  derselben 
3  Teile  der  Berge  Laferon  (Lavaroue),  Yattar  (Vattaro),  Coflta  und 
Centa  sowie  der  St.  Ohrietoplueee  (der  beutle  Lago  di  CaLdonaszo) 
bezeichnet  sind  (R.  d.  I.  Sch.-As.  III,  295).  Seit  1461  ist  sie  im  Be- 
sitze der  gräfhehen  Familie  Trapp,  welche,  aus  Steiermark  stammend, 
ihre  deutschen  l'nterthanen  dortselbst  wenigstens  nicht  absichtlich  durch 
italienische  ersetzte  und  solchergestalt  das  Deutschtum  schonte.  Dem- 
zufolge lebten  zu  Genta  (am  Wege  nach  Lavarone)  noch  um  die  Mitte 
des  achtsehnten  Jabibunderts  einige  deutsch  sprechende  Familien 
(12.  110,  Note  3)  und  wimmelt  ee  noch  jetzt  in  dortiger  Gegend  roa 
deutschen  Lokalnamen,  so  z.  B.  im  Bereiche  der  Ortsgemeinde  Genta : 
Schiri.  Huezi,  Tonezzeri,  Campregheri,  Conci  (Kunz).  Frisauchi.  Auch 
zu  rjilceranica.  wo  sich  ein  Pfarrhofsinventar  vom  .lahre  D>7M  in 
deutscher  Sprache  erhalten  hat  (  ">().  1«)),  kommt  ein  Weiler  Kampreglter 
vor.  Gleiches  ^ilt  von  den  Familiennamen,  deren  es  in  jedem  Orte 
dieses  Gebiigswinkels  als  Denkmale  deutscher  Vergangenheit  gibt;  so 
z.  B.  zn  Caldonazzo  die  Cuizel,  Tieeher  und  Kien,  zu  Gastagn^  die 
Eicher  und  6rett«r,  zu  Goetasavina  die  Prudel  und  Faifer  (Pfeifer),  zu 
Calreranira  die  Schraid  u.  s.  w.  Der  zuhöchst  gelegene  Teil  der 
ehemaligen  Herrschaft  Caldonazzo  sind  die  Ortsgemeinden  Lavarone, 
Luserua,  Pedemoute  und  Casotto.  Die  beiden  letztgenannten,  hart 
an  der  Grenze  der  Sette  comuni  des  vicentiuischeu  Gebietes,  gf^lten  noch 
im  Jahre  1821  ftr  deutsch  (78.  31),  waren  es  aber  in  der  Tka,t  damals 
kaum  melir.  Mit  mehr  Berechtigung  konnte  H.  Pezzo  (54.  2.  42)  im 
.1  a h r e  1  7 H :>  von  der  Pfarre  Brancafora  (P edemont e),  worunter  er 
ohne  Zweifel  auchCasotto  versteht,  und  von  T;avarone  sagen:  ^persevera 
egU  Cimbro  favellare"  -),  Seither  ist  auch  diese  über  weite  Alpentiuren 
sich  erstreckende  Ortsgemeinde  dem  Deutschtum  bis  auf  wenige  Fami- 
lien, die  dasselbe  im  engsten  Familienkreise  hegen,  entfremdet  worden. 
Montebello  rechnete  am  Schlüsse  des  achtzehnten  Jahrhunderts  so- 
wolil  Lavaione  ak  Brancafora  zu  den  deutschen  Gemeinden  (46.  375). 
Aber  aus  eigener  Beobachtung  schöpfte  er  diese  Behauptung  schwer- 
lich. Ebensowenig  dürfte  Perini  (53.  '2.  203)  seiner  persönlichen 
Ueberzeugung  Ausdruck  gegeben  haben,  indem  er  Lavarone  zu  An- 
fang der  50er  Jahre  des  laufenden  Jalirhunderts  den  Dörfern  zuzüiiite, 
welche  «conservano  ancora  l'originario  loro  dialetto*.  Denn  Sohmeller 
(59.  591)  traf  hier  im  Jahre  1833  nur  mehr  ftitere  Leute  an,  welche 
die  deutsche  Sprache  kannten,  während  die  jüngere  Generation  davon 
so  gut  wie  nichts  verstand.  Unverkennbare  Wahrzeichen  der  Natio- 
nalität, welche  da  einst  herrschte,  sind  indessen  die  Lokalben*'nTUin^»»ii: 
Stengheli,  Bertoldi,  Sclilagenauf,  Sosteri,  Oseü,  MiUegrobbe  (Mühlgraben), 


*)  Vielleidit  trag  tat  Erbaltunsr  deutichen  Weuna  um  Galoeiaaiioa  der 

ßt  r(/i>au  auf  Vitriolerze  bei,  welcher  nier  noch  im  Jahre  1072  betrieben  wurde 
(Mariani  a.  a.  0.  S.  532). 

')  Wenn  er  dies  auch  von  Genta  di  Calcemnega  (d.  h,  bei  Calceranica)  be- 
hauptet, 80  wiilt  rspricht  er  damit  den  Angaben  d>-  Bartolomeis ,  der  bereits  im 
Jahre  1763  hier  das  Deutschtum  alt  im  Erlöschen  begriften  schildert. 


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442 


BidemuHun, 


[54 


Canepelf  (Kiiäpple),  sämtlich  im  (Gebiete  von  Lavarone  vorfindig;  dauD 
Scalceri  und  Venderle  im  Gebiete  vou  Pedemoute.  Für  die  Deutscheu 
SBU  Lftvarone  (Lafiraun)  war  in  Sltever  Zeit  das  hier  (al  Dud)  l>e8tendeiie 
Zollamt  eine  Stütze.  Denn  dieses  Amt  war  häufig  deutschen  Be- 
amten anvertiaitt.  So  bekleidete  es  im  Jahre  1582  Sehastian  Schulbeck 
und  noch  im  Jahre  1804  Job.  Paul  von  Bachmayr.  Aber  unter  der 
bald  darauf  einm'etretenen  italienisch  -  französischen  Zwischenregienini»' 
machten  die  deutscheu  Funktionäre  italienischen  Platz  und  dabei  blieb 
es  weiterhin.  Noch  belebender  und  jedenfalls  konservativ  wirkte  einst 
die  deutsche  Naehharschaft  jenseits  der  Grenze  ein.  Seit  dieser  Zu- 
sammenhang durch  das  Biindringen  italieniRcher  Keile  unterbrochen  ist, 
krankt  das  Deutschtum  auf  dem  Gebirgsstocke  zwischen  Brenta  und 
Astiko  an  tödlicher  Vereinsamung.  Bloss  die  Berggemeinde  Luserna 
hat  ^ich  noch  einige  altnationale  Lebenskraft  bewahrt  und  schöpft 
solche  von  neuem  aus  der  deutschen  Volksschule,  welche  hier  seit 
anderthalb  Jahrzehnten  besteht.  Wenden  wir  nun  den  Blick  wieder 
dem  Brentathale  zu,  so  fSlttt  er  vor  allem  auf  den  Ort  Borgo  di  Val- 
sugana  (vor  Zeiten  «die  Wiu^^  Telfiau*  genannt)  und  dessen  nörd- 
liche Umgebung.  Denn  an  der  Gegend  tou  Levico,  welche  an  die- 
jenige von  Pergine  sich  unmittelbar  anschliesst,  hafi^en  mit  Ausnahme 
etlicher  Lokalbenennungen,  wie  z.  B.  Monte  Zaccon  (Zacken).  Anhtihe 
Visle  (Wiesele)  und  Thal  Puisle  (1.  t)2),  keinerlei  deutsche  Eriune- 
nmgen.  Desto  reicher  ist  an  solchen  Borgo,  dessen  doitsche  Be- 
▼ttlkerong  bis  zum  Jahre  1514  eines  besonderen  Seelsorgers  sieh  er- 
freute, der  ihr  damals  entzogen,  später  auf  ihr  drini:«  ndos  Anhalten 
von  neuem  gewährt  und  um  das  Jahr  1500  heim  !  (  I)ei]iaii<liit  limen 
der  ItalientT  vom  fürstbischöflichen  Ordinariate  zu  Trient  detinitiv  ver- 
weigert wurde  *).  Zunächst  tnig  mau  derselben  allerdings  durch  Be- 
stellung eines  doppelsprachigen  Piarrers  Rechnung;  doch  drängten  in 
das  Pfonramt  bald  Italiener,  die  dieser  Bedingung  nicht  entsprachen, 
sieh  wo.  *)  und  damit  war  auch  das  Los  der  dieser  Pfarre  einveileibten 
deutschen  Dörfer  der  Umgebung  entschieden.  Glücklicherweise  war^ 
die  Dörfer  Telve  (Telffs)  und  Roncegno  fRundtschein)  von  ihr  frühf^r 
getrennt  worden.  So  erhielt  sich  die  deutsche  Sprache  namenthch  im 
gebirgigen  Teile  der  letztgenannten  Gemeinde  (auf  dem  sogen. 
Rundtscheiner  Berge)  bis  gegen  das  Ende  des  achtzehnten  Jahrhunderts. 
Der  Arzt  Dr.  Hieron.  Bertondelli,  welcher  zu  Borgo  seine  Praxis  ans* 
Übte,  schreibt  in  seinem  1665  zu  Padua  gedruckten  «Ristretto  della 


')  Die  beiderßcitigcn  Pfründen  bestanden  nach  dem  bezüglichen  Steuerbuche 
noch  im  Jahre  1565  gesondert  fort;  doch  das  Register  von  1570  spricht  bereit« 
von  beiden,  als  wUren  nie  vereint  (,Teut«cher  vnd  welscher  Pfarrer  in  der  Wurden 
Telffan)\  Uelnigens  hatte  die  Innsbr.  Regienmg  selbst  im  Jahi8l560  beim  Kauer 
diese  Vereinigung  befürwortet  (52.  79). 

*)  Welche  Hebel  dabei  in  Bewegung  gesetzt  wurden,  lehren  die  im  I.  St-  A. 
befindlichen  Schreiben  der  Kardinäle  Grangi  und  Paravicini  d.  d.  18.  Juni  und 
2.  Juli  1604,  welche  die  Bewerbung  des  Priesters«  Cäfare  T.npi  aus  Bergamo  um 
diese  Pfarre  beim  Tiroler  Landesftirsten  Erzherzog  Maxiualian  unterstützten.  Das 
Erbieten,  , deutsche  Gesellpriester"  halten  zu  wollen,  durch  welches  ein  itsliemsclier 
Kompetent  um  die  deutsch»-  Tfurre  schon  im  Jahre  ISPiQ  deren  ErlsJUgODg  sich  lU 
sichern  suchte  (52.  79),  gewährte  an  und  Itlr  sich  wenig  Schutz. 


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55] 


Die  Nationalüftten  in  Tirol  etc. 


443 


Valsugana",  S,  30  von  Roncegno:  Die  Höhen  daselbst  seien  von  einer 
Bevrdkerung  bewohnt,  welche  mehr  deutsch  als  italieniscli  spricht  und 
TOn  den  Cimbem  abstammt  (che  parlano  piü  Alemauo  che  Italiano, 
che  sono  ddla  descendenza  di  Cimbri).  120  Jahre  später  Terddierto 
M.  Pezzo  (54.  1.  44),  die  Einwohner  von  Roncegno  hStten  ihm  auf 
die  Frage  nach  ihrer  Ahkunft  geantwortet:  .Bi^r  sain  Cimhem",  und 
er  habe  dort  Familiennamen  wie  Speckar,  Lotar.  Echar.  vorgefnnden. 
Ausserdem  ttlhi-t  er  (ebenda  2.  aus  der  liandschrifthchen  Abhand- 
lung des  älteren  de'  Bartolomei  (Simon  Peter)  ^De  Oricntalium 
Tyroleiisium  praecipue  Alpinorum  ürigiDibus** ,  welche  dessen  Sohn 
nanz  Stephan  im  Januar  176B  rtm  Pergine  aus  an  den  Chrafen  Karl 
Firmian  schickte,  eine  Stelle  an,  welche  den  Zusammenhang  jener 
Bergbewohner  mit  den  Cimhwn  h^ont  und  ihr  Deutsdisprechen  ausser 
Zweifel  stellt  wogegen  von  den  in  der  Ebene  wohnenden  Hinult- 
scheiner  Bauern  rückhaltslos  eingestanden  wird,  dass  sie  durciiweg  der 
italienischen  Sprache  sich  bedienen  (italice  loquuntur)  *).  Ebenda  wird 
ferner  vom  Dorfe  Telve  mit  Wiedergabe  dessen,  was  der  Erzpriest^r 
der  hiesigen  Pfimre  Gian  Franc.  Pedri  de'  Mandeli  in  einer  1776 
zu  Yened^p  gedruckten  Schrift  darüher  vorgebracht  hatte,  behauptet, 
dass  hier,  wie  einst  in  Borgo,  neben  dem  italienischen  Pfarrer  ein 
T)eutscher  seines  Amtes  waltete,  und  wird  auf  die  damals  noch  dort 
Ix  stundene  .contrada  Tedesca"  hinijewieseii :  aber  davon,  dass  in  Telve 
noch  im  Jalire  1770  deutsch  gesprochen  wurde,  ist  keine  Rede.  End- 
lich meldet  M.  Pezzo  mit  Berufung  auf  jeuen  Erzpriester  Yom  Dorfe 
Torcegno,  einer  ehemaligen  Dependenz  der  Pfarre  Telve,  dass  dort 
Spuren  von  Cimbem  wahrzunehmen  seien.  Vom  Dorfe  Konchi  (Raut- 
perg)  wissen  wir  nur,  dass  noch  im  Jahre  158')  ungefähr  der  dritte 
Teil  aller  hiesigen  Hofe  und  Grundbesitzer  deutsche  Namen  trug,  was 
auch  auf  dem  Kundtscheiner  Berge  der  Fall  war,  während  zu  Borgo, 
Ober-Telffs  und  Castelnöff  bloss  ein  Viertel  diese  Eigenschaft 
aufwies  (52.  79).  Die  Gerichtsbarkeit  zu  Telvana,  unter  wacher  die 
vorgenaimten  Dörfer  und  der  Markt  Borgo  standen.  Übten  Jahrhunderte 
lang  Deutsche  aus,  so  1450  Bernhard  Gradner,  1454  Leonh.  Braideneck, 
14.')r)  Leonh.  Anich,  1459  Otto  Honinger,  1462—1652  die  Freiherm 
von  Welsperg. 

Beda  Weber  hat  (8:].  2.  533)  noch  vor  beilftofig  50  Jahren  von  der 
Bevölkerung  der  'A  hinter  dem  Dorfe  Roncegno  rrplp«rfnen  Berge  (nionte  di  Tesobo, 
wonte  di  mezzo  und  .St.  Brigittenbergj  beliatiput,  dass  unter  ihr  die  deutsche 
Sprache  fortlebe,  allerdings  mit  dom&iMtee:  .nicht  mehr  lange  wird  68  wlhren, 
10  ist  die  deut.Hche  Sjirache  ganz  vt'r'»rb wunden.' 

*)  Welchem  B<'ilrungni8.se  die  Deuüschen  zu  Uundt.-chein  ausgesetzt  waren, 
erhellt  aus  einem  Mandate  der  Innsbr.  Regierung  vom  25.  Aj)ril  1647  (»Entbieten 
und  Bevelch*,  Bl.  218  im  I.  St.-A.).  womit  sie  den  .Sie«,M)nnul  Freiherm  von  Wclsjperg 
beauftragte,  die  Inhaber  de8v:>trällhof8  zuKuudtschein  vor  den  Placke- 
reien zu  schätzen,  welche  der  Pfarrer  Dominik  Pallude  als  Zehntherr  mid  der 
Trientner  Bürger  Baptista  Geraldi  als  Zinsberechtigter  ihnen  zufügten.  Den  ge- 
nannten Hof  hatten  Hans  Ringler  und  dessen  Brüder  als  Lehenträ|[er 
iane.  —  Im  Pfiurdorfe  Masi  di  Novaledo  bekam  Schmeller  (59.  590)  eine  im 
Jahrr*  1810  aufgezeichnet«  Probe  des  Dialekte-;  vmi  Hundtschein, zu  Gesicht.  Dass 
Aber  diese  damals  unmittelbar  dem  Volksmunde  entnommen  wurde,  ist  zu  bezweifeln. 


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444 


Bidwmaiui, 


[56 


Spfitcrlnn  rf.si(li»>rt>'ii  frcilidi  ItalieiUT  U'ils  als  Ocriclitshorron. 
teils  als  deren  Stellvertreter  auf  dem  Schlosse  Telvaua,  so  1(JÖ2 
htB  1661  Michael  Fedrigazzi,  1661  die  Grafen  Jakob  und  Marino  Natali 
( Venetianer) ,  1662 — 1788,  wo  das  Sebloas  Eigentam  der  Ctemeinde 
Borgo  wurde,  die  Familie  Giovanelli,  welche  die  Gerichtsbarkeit  »rst 
im  Jahre  1831  dem  Laiidesfürsteu  heimsaf^te  und  seit  dem  Jahre  1727 
durch  Mitglieder  der  Familie  d'Anna.  der  reichsten,  die  es  zuletzt  im 
ganzen  Breutathale  <;ah.  fiusül)te  (1.  (57).  Ebenso  war  das  benachbarte 
Schloss  Casteilalto  bis  zum  Jahre  1652  in  deutscheu  Hunden.  De: 
Letsfce  der  Familie,  welche  sich  danach  nannte,  Franz  von  GasteUali, 
war  so  wenig  Italiener  der  Gesinnung  nach,  dass  seinen  Grabstein  in 
der  Pfimrkirche  zu  Telve  (TeliVs)  vielmehr  eine  deutsche  Inschrift  ziert 
und  er  sich  dit  Famiii«'  Trautmansdorf  durch  Vfirheiratuni^  einer  seiner 
Töchter  mit  einem  Mitglied«-  derselben  zur  Nachfolgerin  in  seinem  Be- 
sitze erkor  (46.  257,  258),  welche  auch  das  Schloss  bis  um  die  Mitte 
des  siebzehnten  Jahrhunderts  festhielt.  Daun  folgten  ihr  im  Besitze 
desselben  die  Bufb  und  die  Zambelli  ans  Baasano,  welche  der  damit 
verbundenen  Gerichtsbarkeit  erst  im  Jahre  1828  sich  begaben  (1.  65). 
Ein  drittes  Schloss  im  Valsu^fan.  namens  Ivano.  war  sogar  vom 
Jahre  1412  an.  wo  Herzog  Friedrich  von  Tirol  den  Leopold  Zobel 
zum  Hauptniiiim  daselbst  einsetzte,  mit  kurzer,  durch  ()kku))ation  sei- 
tens der  Republik  Venedig  bewirkter  Unterbrechung  bis  in  die  neueste 
Zeit  herauf  im  Besitze  dentscher  Adek&milien  (der  Ghrafen  toh  Wek- 
perg,  Altringer  und  Wolkenstein)  (1.  88,  89);  allein  ftr  die  Umgebung 
dieses  Schlosses  war  dies  in  nationaler  Beziehung  gleidigUltig,  da  die- 
selbe doch  schon  von  den  ältesten  Zeiten  her  Romanen  zu  Bewohnern 
hatte  ').  Daher  ist  auch  der  im  Jahre  llJOH  getrotieuen  Anordnung 
der  Innsbnicker  Kegiennig,  «lass  alle  an  die  Herrsclmften  Telvana  und 
Ivano  zu  richtenden  Kauzieiexpetiitionen  in  deutscher  Sprache  aus- 
zufertigen seien  (ResoL-Buch  in  der  Bibl.  Tirol.  Handschrift  1176, 
BL  143),  höchstens  besOglich  der  erstgenannten  Herrschaft  einiges  Ge- 
wicht beizuh'gen.  Zu  Vignola  wird  der  Unterricht  für  die  oberen 
Klassen  der  Volksschule,  zu  Luserna  durchaus  in  deutscher  Sprache 
erteilt. 


y.  Das  Etachthal  von  der  Sprach-  bis  sur  Landeägrenze  mit  Ananalmn» 

der  Städte  Trient  mud  Borereto. 

An  dieser  Thalstrecke  nehmen  teil:  vom  I'olitischen  Bezirk 
Trient  der  Gerichts  bezirk  La  vis  mit  87  Deutschen  neben  850(3  Ita- 
lienern, und  zwar  Markt  Lavis  mit  32,  Dorf  St.  Michael  (wo  eine 
auch  von  Deutschen  besuchte  landwirtschaftliche  Lehranstalt  sich  be- 
findet) mit  45,  das  Dorf  FaSdo  mit  8;  femer  der  Oerichtsbezirk 

')  Auf  diese  Gegend  pa.s-st  vollkonjmen,  was  Aiiil^rosi  (1,  16)  von  der 
„popolazione  della  Valsugana"  überhaupt  sagt :  ,Pare  . . .  che  si  sia  formata  da  gent^ 
venute  su  pel  corso  del  Brenta  e  da  altre  che  vennero  dalla  parte  oj[)po!«ta  da 
ort  idente,  dove  si  fece  la  mescnlanza  delle  genti  itale  ooi  Cenomam  ed  altri 


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Dk  Ibtumalüftteii  in  Tirol  eto. 


445 


Mf'zzolombardo  mit  den  Ortsgemeinden  Wiilschmetz  (Mezzo  lomb., 
04  i)outsche,  3;i'i4  Italiener),  Deutsch-Metz  (Mezzo  tedesco,  '.^2  Deutsche, 
1732  Italiener),  Aichholtz  (Rovere  della  Luna,  9  Deutsche,  790  Ita- 
liener), Gramo  (kein  Deutscher),  SchSffbrack  QShYB  St.  Rocco,  2  DeutscUe, 
331  Italiener),  Zambana  (kein  Deutscher)  und  Fai  (kein  Deutscher), 
zusammen  also  mit  97  Deutschen  (neben  715G  Italienern);  dann  der 
Gerichtsbezirk  (Umgebung)  Trient  mit  4  Deutschen  neben 
12  006  Italienern.  Den  Abschluss  gegen  Süden,  die  Seitenthäler  mit 
eingerechnet,  bildet  der  gesamte  Politische  Bezirk  Kovereto  mit 
281  Deutschen  neben  50  958  Italienern.  Von  diesen  wenigen  Deutscheu 
entfallen  215  auf  den  Gerichtsbezirk  (Umgebung)  RoTereto,  und 
zwar  auf  die  Ortsgeraeinden  CSalliano  2,  Lizzana  7,  Marco  5,  Sacco 
(wo  eine  grosse  Tabakfabrik  ist)  40;  der  Uest  jener  215  verteilt  sich 
auf  die  Seit!  nthäler  Folgaria  (Vilgreidt)  mit  152  (Fraktion  Fol- 
garia  45,  Guardia  5.  Mozzomonte  9.  Xosellari  4iJ,  8t.  Sebastian  2(), 
St-nada  24)  und  Vallarsa  mit  9.  Die  am  rechten  Ufer  der  Etsch 
gelegenen  Gerichtsbezirke  Nogaredo  und  Mori  zäldten  nur  ü, 
bezw.  11.  Der  Gerichtsbezirk  Ala  endlich  war  Ende  1880  von 
49  einheimischen  Deutschen  bewohnt,  von  welchen  die  Stadt  Ala  (Grenz- 
station) 38  beherbergte  f  auf  die  Chrtsgemeinden  Avio  und  Borghetto 
aber  0  hezw.  9  entfielen. 

Gesamtsumme:  4t)i>  Deutsche  (neben  79  22(5  Italienern). 

Der  Nordrand  dieses  Gebietes  fällt  mit  dem  Streifen  Landes  zu- 
sammen, um  welchen  die  deutsche  Sprachgrenze  im  Hauptthale  der  Etsch 
seit  ungefUir  130  Jahren  zurQckgewichen  ist.  Die  dadurch  dem  ita- 
lienischen Sprachgebiete  zugewachsenen  Ortsgemeinden  sind:  am  rechten 
Ufer  der  Etsch  Aichholtz,  Deutsch-Metz,  Grumo  und  Schoff- 
bruck;  am  linken  Ufer  St.  Michael.  FaJMlo  nnd  fjavis.  Der  Flüchen- 
raum,  welchen  diese  7  Gemeinden  einnehmen,  beträtet  12<>4;{  österr. 
Joche,  also  1  '^4  österr.  Quadratmeilen  =  09  Quadratkilometer.  Aller- 
dinffs  war  dieses  Cbbiet  auch  Tor  mehr  als  ISO  Jahren  der  Bevölkerung 
nach  kein  rein  deutsches,  sondern  von  jeher  auch  Wohnsitz  von  Ita- 
lienern. Allein  diese  machen  erst  seit  der  Mitte  di  s  vorigen  Jahr- 
hunderts hier,  besonders  am  südlichen  Saume,  die  Melirzahl  aus,  und 
eine  uralte  Uel)erliefening  bezeichnet  die  Nnceniilndung  einerseits,  die 
des  Avisio  andererseits  als  nationale  Grenzmarken.  Das  Dorf  Aich- 
holtz anerkennt  Tartarotti  in  einem  Briefe  an  Muratori  d.  d.  Kove- 
reto 13.  April  1743  (77.  53)  als  von  Deutschen  bewohnt,  indem  er 
schreibt:  „Kover^  dallia  Luna,  rilla  sopra  Trento  ....  da'  suoi  propri 
abitanti,  che  parlano  la  lingua  Tedesca.  chiamata  Eicholtz*, 
und  Chiusole  (20.  5>  thut  noch  im  Jahre  1787  de.sgleichen.  Deutsch- 
Metz,  des-^en  (xemeindeakten  seit  dem  Jahre  14t)0  in  deutscher  Sprache 
verfasst  wurden  (24.  37),  büsste  seinen  deutschen  Charakter  durch  das 
Eindrinffen  der  Nonsberger  und  durch  die  vielen  Kolonen  ein,  welche 
▼on  itwenischen  Ghrundherm  aus  der  Trientner  Gegend  hierher  ver- 
pflanzt wurden.  Im  Jahre  175()  überwt^n  hier,  dann  zu  Schöffbruck 
und  Aichholtz  unter  den  kleinen  Besitzern  bereits  die  Italiener,  wo- 
gegen im  Weiler  Grumo,  also  unmittelbar  an  der  Mündung  des  Ulz- 
(Noce-)flusses  in  die  Etsch  die  Deutscheu  noch  in  der  Majorität 


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446 


Bldcniuuiiit 


[58 


waren.    Am  linken  Ufer  machte  im  nchtzehnteu  Jahrhmidert  das  Dort 
St.  Michael  wohl  nur  mehr  auf  iiurciireiseude  den  Eindruck  eines 
deutschen  Orts.  Denn  ausser  den  Wirten,  welche  fast  in  ununterbrochener 
R^enfolge  Deutsche  waren,  und  den  sogen.  Strassengewerben  gab  es 
dort  damals  bloss  im  Augustiner  Chorherrnstifte  Deutsche  in  ^n  «  ^rr  r 
Anzahl.    Diese  Ansammlung  deutscher  Priester,  welche  der  franzö- 
sischen Zwischenre^ierung  im  Jahre  1810  zu  solehrm  Anstosse  gereichte, 
dass  sie  den  Konvent  deshalb  („cosi  per  essei  c  es.«-;!  quasi  tutti  Tedeschi' 
heisst  es  in  der  handschriftlichen  Geschichte  des  Klosters  von  Carlo 
Qnunatica)  auflöste,  wirkte  übrigens  im  weiteren  Umkreise  erhaltend 
auf  die  deutedie  Nationalität.  Denn  aus  ihrer  Mitte  wurden  die  Pfarren 
Lavis,  Pressano,  Gioro,  Fa6do  besetzt.   So  war  z.  B.  der  Chorherr 
P.  Theobald  Larch  ans  Sterzing  (am  Brenner)  im  Tahre  1786  Seel- 
soi-ger  zu  Oiovo.     Den  Deutschen  7ai  La  vis  kam  auch  zu  statten, 
dass,  obschon  seit  1048  die  Brüder  Zenobio  und  s]»Hter  die  Conti  Al- 
brizzi  aus  Venedig  das  Gericht  Königsberg,  dem  alle  diese  Orte 
gehorchten,  innehatten,  doch  häufig  Mi^^lieder  der  deutschen  FamÜie 
Schuldhaus  von  Nevisburg,  deren  Stammsitz  zu  Lavis  jetzt  Eigentum  der 
italienischen  Familie  Viero  ist,  die  Hauptmannsstelle  auf  Schloss  Königs- 
berg bekleideten.    Dies  hinderte  aber  freilirh  nicht,  dass  der  nach  dem 
Avisio  (Aviso):  Navis,  Neves,  Nevis  genannte  Ort.  dessen  Bevölkerung 
um  die  Mitte  des  sechzehnten  Jahrhunderts   ausschliesshch  deuUich 
sprach  (52.  74,  75),  nach  seiner  Zerstörung  durch  diesen  Wildbach  im 
folgenden  Jahrhunderte  von  Plressano  aus  mit  Italienern  besiedelt  und 
so  dns  (kutsche  Klrinent  verdrängt  wurde  (3.  119).    Seither  machte 
die  Entdeutschung  des  Ortes  solche  Fortschritte,  dass  Beda  Weber 
schon  vor  ÖO  .Jahren  durch  die  „italienische  Bauart  fest  aus  Stein", 
durch  „italienische  Sitte  in  Buden  und  Kaufläden",  durch  „italienische 
Zutraulichkeit  in  Ansprache  und  Neugier"  dort  auf  den  Gedanken  ge- 
bracht wurde,  er  befinde  sich  in  einer  Vorstadt  Ton  Trient  (83.  2.  482). 
Nordöstlich  von  Trient  erinnert  der  Gaüsberg  an  den  einst  durch 
Deutsche  hier  betriebenen  Bergbau.  Von  der  gegen  Pei^gine  ZU  gd^fenen 
Gemeinde  Povo  (Paho)  ist  mit  «^utem  Grunde  m  vermuten ,  dass  sie 
bis  ins  a(  htzehnte  .lalirlumdert  deutsche  oder  wenigstens  von  Deutschen 
abstammende  Bewohner  hatte.   Denn  die  1792  gedruckten  „Documenti 
del  Comune  di  Trento  d'aver  macello  pubbl.  nel  distretto  del  Comune 
di  PoTO*  machen  uns  mit  vielen  dieser  (Gemeinde  angehörenden  Eigen- 
namen bekannt,    welche  deutsches  Gepräge  tragen:    so  z.  B.  beim 
Jahre  1538  mit  einem  Andreas  Tophole  (StoflFele?),  beim  Jahre  1691^ 
mit  dem  Syndikus  Lorenz  Frizera  (Fritscher V) ,  beim  Jahre  17('9  mit 
dem  Syndikus  Franz  Ossel  und  mit  eiiu  iu  Deputierten  der  Gemeinde- 
fraktioii  Pantt^,  namens  Niculo  Giovanni  detto  Rengo  (Renk)  ove  Migol. 
Was  diese  Vermutung  unterstützt,  ist  die  Kundmadiungsart,  mittek 
welcher  am  20.  Juli  1609  ein  Auftrag  der  Stadtgemeinde  Trient  so 
PoTO  öffentlich  verlautbart  wurde.    Em  Notar,  zugleich  Kanzlist  der 
Stadt,  verlas  ihn,  d.  h.  wohl  den  italienischen  Originaltext,  und  der 
Stadtoffizinl  Steph.  Saxo  verkündete  ihn  sodann  in  Gegenwart  des  vor- 
erwähnten Ossel  und  des  Tiientner  BürLi;er<  Georg  Paurnfaint.  also 
woiü  in  einer  vom  Originaltexte  abweiciienden  Sprache.   Am  entgegen- 


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59] 


Die  NationaHttten  in  Tirol  etc. 


447 


gesetzten  Ufer  ilor  Etsch.  nächst  der  St.  Geort;skirihe  ülla  Scala 
hinter  Doss  Trent  ert(»nte  noch  um  das  Jahr  1070  jährlich  eine  im 
Freien  gehaltene  deutsche  Predigt,  und  zwar  am  St.  Georgstage,  wo 
die  Conl'reria  Alemanna  (die  deutsche  Bruderschaft)  von  Trient  pro- 
zesräoDBweise  dalun  zog  (11.  31).  Steigt  man  die  Tom  Yelabache  durch- 
brauste Schlucht  his  zum  Ursprünge  des  Baches  hinan,  so  gelangt  man 
zu  den  Masi  di  S.  Anna  oberhalb  Sopramonte.  Hier  stand  noch 
um  die  Mitte  des  l"ünfzehnten  Jahrhunderts  ein  Augustinerkloster,  dessen 
Prior  im  Jahre  144.5  Johann  Nachtrausburg  war  (3.  159).  Zu  Sopra- 
monte selbst  sassen  freie  Leute,  welche  im  Jahre  1256  einen  kaiser- 
lichen Schutzbrief  erhielten  (Codex  Wangianus,  herausg.  von  Kink,  Font. 
Rer.  Austr.,  Wien  1852,  S.  369).  Man  wird  wohl  dahinter  Deutsche 
Termuten  dürfen,  denen  die  hiesige  Passsperre  anvertraut  war. 

Ostwärts  von  Calliano,  das  schon  nahe  an  Rovereto  liegt,  erstreckt 
sich  die  Gebirgsgegend  Vilgreidt  (Folgaria)  ^) ,  deren  am  Abhänge 
des  Cometberges  befindlicher  Hauptort  la  Villa  heisst  und  weldie 
ausserdem  die  Nachbarschaften  (Yicinie)  Nosellari ,  St.  Sebastian, 
Serrada,  Gnardia  und  Messomonte  in  sich  hegreift.  Mit  dem  Weiler 
Nosellari  reicht  sie  an  Lavarone,  somit  an  den  Gehirgsstock  zwischen 
dem  Brenta-  und  Asticothale,  hinan  und  berührt  sie  die  italienische 
Grenze.  Ihre  Besiedlung  soll,  und  zwar  auf  dem  Bergrü<ken  Costa 
Cartwa.  zu  Anfang  des  dreizehnten  Jjilirhunderts  begonnen  haben  (17.  13). 
Ursprünglich  nach  Volano ,  wel<  hes  Dorf  /wischen  Calliano  und  Ro- 
vereto an  der  Etsch  liegt,  eingepfarrt,  erhielt  sie  zwar  frühzeitig 
schon  einen  hesonderen  Seelsorger,  hlieb  aber  doch  in  einer  ge- 
wissen kirchlichen  Abhängigkeit  von  dieser  Pfane  (17.  120).  Unter 
den  Priestern,  welche  im  Vilgreidt  selbst  wohnten,  begegnen  wir  beim 
Jahre  14(54  einem  Wiener  (Job.  Gehorsam).  1511  einem  Augsburger 
(Joh.  Scensbergher) ,  151M)  einem  aus  der  Würzburger  Diözese  zuge- 
wanderten Deutschen  (Jakob  Denck),  der  ftir  die  Rechte  seiner  Pfarr- 
kinder gegenüber  den  Ansprüchen  des  Herrn  von  Beseno  so  kräftig 
eintrat,  dass  die  Sehergen  des  letzteren  ihn  durch  Ermordung  besei- 
tigten. Indessen  hatte  der  Gebrauch  der  italienischen  Sprache  beim 
Gottesdienste  und  bei  Gericht  schon  um  das  Jahr  15(30  die  Oberhand 
gewonnen  (17.  15).  und  da  die  Ehen  der  Einheimischen  wenig  fruchtbar, 
die  Auswandenmgen  häufig,  die  Zuwanderungen  aus  itahenischen  Gegenden 
aber  zahlreich  waren,  so  vollzog  sich  die  Italienisierung  der  alten  deut- 
schen Einwohner  rasch,  zumal  seit  dem  Jahre  1671  fjuat  nur  Italiener 
da  als  Seelsorger  wirkten,  und  die  einzigen  deutschen  Nachschübe, 
welche  eine  Zeitlang  jenen  Abgang  ersetzten,  nämlich  die  aus  den  vicen- 
tinischen  Sette  Comuni  immer  seltener  wurden  (17.  170).  Als  Haus- 
sprache  hat  sich  das  Deutsche  zn  St.  Sebastian  erhalten,  wo  seit 
etwa  7  Jahren  auch  eine  deutsche  Volk>s{liule  besteht,  welche  dafür 
soigt,  dass  es  daselbst  nicht  ausstirbt.  Auch  im  Hauptorte  La  \  illa 
wvaäB  im  Jahre  1879 — 1880  deutscher  Unterricht  erteilt  und  stand 


Christ.  Schneller  schreibt  (62):  Folgareit,  v.  AtÜmayr  (5):  Vilgrait;  ich 
Ir.ilt.  niiih  bei  der  Schreibart  ,Vilgi*  idt*  an  die  StenerbflcSier  des  sechxehnten 
Jahrhonderts,  welche  in  meinem  Besitze  nnd. 


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448 


IKdomuuiii» 


[60 


vor  kurzem  die  Be>j;rün(lun«if  einer  stabilen  deutschen  Schule  iu  Aus- 
sicht, da  der  Gemeindevorsteher  Leitenberger  dazu  die  Hand  zu  bieten 
flchien  (27,  Nr.  281).  Von  der  ehemaligen  weiten  Verbreitung  deot- 
echen  Volkstume  in  dieser  Gebiigsgegend  legen  viele  Lokalnamen  Zeug- 
nis ab,  welche  zerstreut  oder  audh  zu  Gruppen  vereinigt  dort  fast 
allenthalben  angetroffen  werden:  so  z.  ß.  im  Bereiche  des  Haiijitortes 
die  Weiler  Er.sj)anieri.  Ni  irliell.  Peneri :  ferner  im  Bereiche  der  Fraktion 
Guardia  das  Dorf  (  hidertlial  (Oltertlial  ?)  unweit  der  Grenze  des  alten 
Burgfriedens,  von  welchem  das  Schloss  Stein  am  Callian  (i'ietra  di  Cal- 
Eano)  umgeben  war.  Auf  der  Anichschen  Karte  von  Tirol  ist  audi 
ein  Weikr  namens  Bospocheri  nächst  dem  Schlosse  Beseno  yerzeicbnet, 
und  von  der  Orle^nieinde  Besen ello  j^ilt  es  für  eine  ausgemachte 
Sache,  dass  sie  em  Ableger  der  Vilgreidter  Deutschen  ist  (17.  179). 
Zu  Serrada  vernahm  der  Kreisgerichtsprasideut  von  Attlmayr  noch 
im  Jahre  18(>2  deutsche  Laute  aus  dem  Munde  eines  älteren  \Veil>es 
(5.  91),  und  von  den  MUhleu  zu  Guardia  erwähnt  der  Verfasser  des 
Au&atees  «Tirol  mit  Vorarlberg*  im  IV.  Band  der  „Gegenwart* 
(Leipzig  1850),  dass  dort  deutschsprechende  MfiUer  und  Mahlknechte 
sich  damals  befunden  haben  sollen.  Ebenda  wird  nach  den  im 
Jahre  1847  gemachten  Wahrnehmungen  des  Professors  Gotthard  aus 
Freising  mitgeteilt,  dass  zu  St.  Sebastian  der  von  diesen  Gebirgs- 
bewühuern  «Slapero"  genannte  deutsche  Dialekt  im  häuslichen  Ver- 
kehre gebrftucbnch  war,  was  axik  seither  nicht  geiadert  hat.  Zu 
Besenello  und  zu  Calliano  wirkten  im  secfaz^nten  Jahrhundert 
deutsche  Priester  (52.  76,  77),  und  an  letzterem  Orte  Avar  damals  die 
Famüie  Westerstetten  heimisch  (20.  170).  während  in  dem  dabei 
liegenden  Schlosse  (Pietrn)  im  Jahre  ir)48  Graf  Paul  Sixt  Trautson 
geboren  ward  (Xotizbl.  dw  k.  Akad.  d.  W.  iu  Wien.  1.  Jahrg.,  S.  24:^). 
Der  Ort  Volano  (Avenion)  liiess  im  Jalire  1204  (52.  7(3,  Note  1)  und 
noch  im  Jahre  1532  Nussdorf  (R.  d.  I.  Sch.*A8.  m,  297).  Im  Jahre  1464 
war  hier  Wolfg.  von  Mühlbach  Pfearer  (52.  76,  Note  1).  Wenn  das  - 
Dorf  „Wolaut,  teutsch  Nosdorf*.  dessen  ein  von  Schmeller  (59.  570. 
Not«  2)  citierter  Reisender  gedenkt,  mit  Volano  identisch  ist  und  der 
bezügliche  Reiseljericht  Glauben  verdient  war  daselbst  noch  im  Jnhre  lt)52 
die  deutsche  Sprache  allgemeine  Umgangssprache.  Uebrigeus  machte  die 
Ausbreitung  des  deutschen  Elements  bei  Calliano  nicht  am  Etschflusse 
Halt,  sondern  es  griff  ans  andere  Ufer  hinüber. 

Im  Jahre  1407  war  Michael  Westerstetten  Pfleger  zu  Nomi 
(Tayel  der  Bevelch  von  1496/7,  BL  35  im  I.  St-A.),  W  iche  Buig 
sowie  an<  Ii  (  'avtellbarco  Kaiser  Max  I.  3  Jahre  zuvor  kautVoise  an 
sich  gclirarlit  hatte,  freilich  nur.  um  sie  loll  an  Pelegrin  de  Buxiis- 
Castelletti  aus  Maüaud  zu  verkaufen  (2.  27).  Ein  Priester  Andreas 
de  Alemania  war  im  Jahre  1440  Rektor  der  Kirche  des  beiL  Anton 
bei  Castellbarco  (20.  62).  Weiter  abwirts  finden  wir  am  rechten 
Etschufer  die  beiden  Hcnxl  ft  n  Castellcorn  und  Isera  vom 
Jahre  1400  an  ])ei  der  Tiroler  1  Vmiilie  Liechtenstein,  welche  bLs  zu 
ihrem  im  Jahre  17*>8  erfob^^teü  Aussterben  dieselben  iune  hatte,  worauf 
die  Grafen  Podstatzky-Li«  rliten>tt m  in  deren  Besitze  folgten  (20.  53). 
Zur  Uerräcliaft  Caütellcoru  gehörten  seit  1509  auch  die  Dörfer  Nomesino 


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61] 


Die  Nationalitäteik  in  Tirol  etc. 


449 


und  Marzano,  welche  somit  vor  dem  Drucke  italieuisclier  Gerichtshemi 
bewahrt  blieben  (Jos.  v.  Sperges,  Mist.  Nachr.  von  Castelcorno,  Haud- 
sehnft  928  der  BibL  Tirol.  S.  28).  Das  Schloss  Stein  am  Callian 
dagegen  kam  im  siebzehnten  Jahrhundert  an  die  Freiherren  von  Fedri- 

fazzi  und  von  Gioyanelli  (53.  2.  380).  imd  die  Grafen  Trapp 
atten  als  Gericlitslicrren  zu  Beseno  mit  den  Vügreidter  Deutschen 
von  der  Zeit  an,  wo  die  Republik  Venedif^  diese  sich  huldigen  (gemacht 
hatte,  nichts  mehr  zu  schatfen,  wenn  sie  gleich  ihre  vorigen  Kechte  über 
dieselben  wiederholt  ^ur  Geltung  zu  bringen  suchten  (17.  28,  34,  45).  Am 
linken  Etschnfer  schloss  sieb  an  den  Bezirk  der  eben  genannten 
Gebiigabewohner  das  Gebiet  von  Terragnollo,  einst  (yom  Bache  Leno, 
der  zu  deutsch  Leim  hiess)  ^im  Leym**  genannt.  Es  wird  in  einer 
Aufzeichnung  vom  Jahre  1532  (52.  77)  nebst  NorigHo  (Orill)  und 
Saltaria.  welches  jetzt  eine  Fraktion  von  Noriglio  ist,  den  „teutschen 
Berg-Commaunern"  im  Bereiche  der  Podestaria  von  Rovereto  zu- 
gezählt, denen  da  ausserdem  die  Gemeinden  Trambilleuo  (Trumblayt) 
und  Vallarsa  (Vilartz)  angereiht  erscheinen.  Von  allen  diesen  Ge- 
meinden gilt,  dass  ihre  Angehörigen  zumeist  deutschen  Ursprungs,  aber 
dermalen  bis  auf  einige  Ortsfremde,  die  sich  in  ihrer  Mitte  aufhalten, 
ganzhch  italienisiert  sind.  Von  der  Gemeinde  Terragnollo  wissen 
wir  genau,  wie  dies  zuging.  Im  „Florilegio  scientif.-stor.-letter.  del 
Tirolo  Itahano",  welches  Buch  185(3  zu  Padua  gedruckt  wurde,  ist 
nämlich  ehie  um  das  Jahr  1820  geschriebene  Denkschrift  eines  Giovam- 
pietro  Beltnuni  abgedruckt  %  in  welcher  das  Verdienst  (?),  dies  durch 
Einschüchterung  der  Bevölkerung  bewirkt,  d.  h.  erzwungen  zu  haV»eii, 
dem  Priester  Don  Leonardo  ZaneUa  zugeschrieben  wird,  welcher  in  der 
Zeit  von  20  Jahren  (beiläufig  zwischen  1800  und  1820)  das  altdeut>che 
Idiom  zum  Schweigen  brachte,  so  dass  dessen  ^Tod"  unmittelbar  bevor- 
stand (di  che  noi  veggiamo  quel  tale  idioma  a  tale  stato,  che  in  brevis- 
simo  tempo  egli  sara  morto  e  sepolto) In  der  That  fristete  dasselbe 
vor  40  Jahren,  wie  damals  Professor  Gotthard  aus  Freismg  konstatierte, 
im  Bezirke  von  Terragnollo  nur  nocli  künimerlicli  sein  Dasein.  Zu 
Piazza,  dem  Sitze  der  Thalpfnrre,  K  btc  damals  als  der  einzige  Mann, 
der  seiner  mächtig  war,  ein  Greis  von  80  .Jahren,  welcher  aber  noch 
der  Zeit,  wo  Jedermann  daselbst  dentsdi  sprach,  sich  gut  erinnerte. 
Man  besann  sich  dort  auch  noch  deutiicii  des  Pfarrers,  der  .,nur  noch 
welsch  beichten  liess  und  so  das  Slapero  emsig  wegfegte"  (Gegen- 
wart IV,  66).  Ein  harter  Schicksalsschlag,  welcher  diese  Gemeinden 
traf,  war  die  im  Jahre  1465  erfolgte  Verdrängung  des  deutschen  Erz- 
priesters  Gonobitzer  (Giorgio  Ganobicev.  Tede^i  f»)  aus  der  Hauptpfarre 
ZU  Lizzana,  wohin  sie  sämtlich  gehörten,  und  dessen  Ersatz  durch 
den  venetiuuischen  Patrizier  Leonardo  Contarini  (77.  85).  Dies  hängt 
mit  der  damahgen  Ausbreitung  der  venetianischen  Herrschaft  über  diese 
Gegenden  zusammen,  welche  Ton  1480 — 1509  dauerte  und  deren  Be« 


'i       füliit  >U-n  Tit«l  .Memoria  intorno  alla  vita  e  alla  morie  delia  lingoa 

dei  i)oi)oli  <li  Tcnag^nullo*. 

Hierauf  bezieht  sieh  die  Bemerkung  Schnit  llers  (59.  591):  er  habe  ge- 
hört, dass  in  Terra^'nollo  (Ifujenigen,  die  nicht  italit  Tiisch  SSU  beichten  imstande  sein 
würdeu,  mit  Verweigerung  der  Absolution  gedroht  sei. 


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450 


Bidemuuuif 


[02 


giim  durch  die  Freibriete,  welche  die  Republik  den  emzehien  (ieiueiudeu 
erteilte  (so  au  Terraguollo  uud  Vallarsa  uuterm  29.  August  1431),  an 
Trambüleno  unterm  18.  Januar  1440,  an  Folgaria  unterm  8.  No- 
vember 1441).  s.  87.  1.  310),  deutlich  gekennzeichnet  ist.  Wie  weifc 
aber  das  Vorhaudeneein  einer  deutschen  Bevölkeiung  dort  zurückreichte, 
ergibt  sich  aus  der  am  1>.  März  1225  zu  Kovereto  (in  villa  Rovredi) 
in  Gegenwart  der  Gememdevertreter  (in  comrauni  rcffula)  durch  den 
Schlossherru  Jakobiu  von  Lizzana  vollzogenen  Bestellung  des  Man- 
fred Ton  Lizzana  zum  Schaffer  (TÜlicus),  dessen  Aufgabe  ee  war, 
den  Deutschen  und  Romanen  daselbst,  sowohl  in  der  Thalsohle  als 
naga  auf  den  Bergen,  Recht  zu  sprechen  (ad  racionem  faciendam  . .  . 
in  plebatu  Lizanae  in  monte  et  piano,  teutonicis  et  latinis  — 
87.  1.  407).  Als  Walirzeicheu  deutscher  Vergangenheit,  welche  dem 
Wechsel  der  Nationalität  bisher  trotzten,  sind  hier  ihres  Namens 
wegen  zu  neuueu:  in  Trambüleno  die  Dörfer  Möschen,  Pozzacchio 
(Posehacher?),  Toldo;  in  Terragnollo  die  Dörfer  Baisi  (Weiss), 
Campen,  Dieneri,  Mauren,  Peltrari,  Pergheri,  Pueehem,  Stedeleri, 
Zencheri,  Zorreri,  sowie  die  Weiler  Gherteri  (und  Pintereben,  welcher 
Name  bei  Perini  II,  545  und  auf  der  Anichschen  Karte  sich  findet); 
in  Vallarsa  die  Dörfer  Cumerlotti,  Huspi,  Staineri.  sowie  die  Emzeln- 
höfe  Speccheri,  Kida,  Arlanch,  Norder.  —  Tief  unten  im  Et^ichthale, 
gegen  den  Ausgang  zu,  liegt  das  Städtclieu  Alu,  unter  des^eu  Pne- 
stem  im  Jahre  1214  ein  l&kon  Walland,  1339  ein  Pfiurer  Dietrich 
erscheint  (53.  2.  9,  10)  und  in  dessen  Nähe  das  St.  Margaretenkloeter 
sich  befand,  dem  im  .Jahre  1417  Nicolaus  de  Alemania  als  Prior  mit 
Konrad  von  Schorndorf  als  Prokurator  zur  Seite  vor<^(»standen  ist  (52.  7(3). 
Am  einfachsten  erklären  sich  diese  Spuren  einer  dort  bestandenen  deut- 
schen Seelsorge  aus  der  Nähe  der  sogen.  Tredeci  Cumuni  im  veronesi- 
schen  Gebiete,  welche  gleichzeitig  bis  an  die  heutigen  Grenzgebirge 
von  Tirol  mit  Deutschen  dicht  besetzt  waren.  Deuteche  Sprachkurse 
sind  an  den  Yolks^hulen  zu  Mezzolombardo  imd  St.  Michael  eröffnet. 
Von  der  deutschen  Schule  zu  St  Sebastian  war  schon  oben  (S.  447) 
die  Kede. 


YL  Die  Städte  Trient  und  Bovereto. 

Die  Stadt  Trient  zahlte  zu  Ende  des  Jahres  1880  trotz  der 
1508  Köpfe  starken  Hilitftrgamison,  welche  819  Deutsche  in  sich  begriff^ 
neben  10  90<3  Italienern  bloss  1352  Deutsche,  wobei  in  Anschlag  zu 

T>rint;»'!i  ist,  dass  die  hiesige  bischöfliche  Diözesnnlehranstalt  stets  von 
Kandidaten  des  Priesterstandes  aus  dem  deutschen  Anteile  des  Trientner 
Bistums  besucht  wird,  und  dass  die  hier  zahlreiche  Beamtenschaft  un- 
gefähr zum  vierten  Teile  aus  Deutschen  besteht.  Unter  der  ansfts* 
sigen  Bevölkerung  der  Stadt  ist  demnach  die  deutsche  Nationalitat 
heutzutage  so  gut  wie  |far  nicht  vertreten.  Es  gibt  da  kein  Dutzend 
deutscher  lUhgpr  von  emigem  Ansehen  und  Vermögen,  obschou  es 
nicht  an  Trägern  deutscher  Namen  fehlt,  welche  in  und  bei  Trient 
reich  begütert  sind.    Die  letzteren  gehören  eben  Familien  au,  welche 


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63] 


Die  NationaUtftten  in  Tirol  etc. 


451 


dem  Deutschtum-  enth-emdet  sind  oder  weiiig.stens  sicli  sell)st  liui«(st 
nicht  mehr  zu  den  Deutschen  rechnen,  wenn  sie  gleich  mit  diesen 
noch  Fühlung,  ja  unter  ihnen  Verwandte  haben  und  deshalb  schon  des 
Oebrauchs  der  deutschen  Sprache  sich  nicht  ganz  entschlagen.  Im 
Mittelalter  dagegen  und  in  der  neueren  Zeit,  bis  vor  etwa  zwei  Jahr- 
hunderten, war  ein  beträchtlicher  Teil  der  zu  Trient  ansässigen  Be- 
völkerung deutsch,  und  noch  im  Jahre  1798  gab  es  hier  unter  der 
Kaufmannschaft  hervorragende  Firmen,  welche  nicht  nur  deutsch  klangen, 
sondern  deren  Inhaber  auch  die  deutsche  Abkuntl  in  der  Regel  nicht 
Terleugneteu ,  so  z.  B.  die  Handelshäuser  Auckenthaler,  Palmer,  Ca- 
dauner,  Oiele,  JEtohr,  Eberle,  Wenser,  Permann,  Zwifelbaur  u.  s.  w. 
(11.  26).  Indessen  bewirkte  doch  der  internationale  Beruf  des  Kauf- 
manns, dass  dieser  Kreis  der  Trientner  Bürger  das  Italienische  bereit- 
willig als  Verkehrssprache  annahm  und  sein  Nationalbewusstsein  dem 
Geschäftsinteresse  unterordnete.  Weniger  war  dies  ))ei  <len  Wirten, 
welche  deutsche  Gasthöfe  hielten,  der  Fall,  und  in  ihier  Glitte  mag 
noch  am  längsten  die  alte  Tradition  der  Trientner  Deutschen,  welche 
im  f&n&ehntä  und  sechzehnten  Jahrhundert  nicht  selten  gerade  durch 
Wirte  im  Rate  der  Stadt  vertreten  waren  (12.  113,  Note  1)  sich  be- 
l'.unptf't  haben.  Wenn  in  neuester  Zeit  Trient  als  eine  Stadt  hingestellt 
wurde ,  für  deren  ältere  Vergangenheit  deutsche  Einflüsse  massgebend 
waren,  so  ist  dies  eine  arge  Uebertreibung  des  wahren  Sachverhalts 
(42.  206,  2Ü7).  Zur  Herrschaft  sind  die  Deutscheu  hier  nie  gelangt, 
obschon  die  Trientner  FOrstbischöfef  deren  Residenz  sie  von  den  ältesten 
Zeiten  her  war,  grossenteils  ihre  Xationsgenossen  waren  und  erst  im 
Jahre  1289  ein  Italiener,  dem  die  Verbreitung  seiner  Nationalität  am 
Herzen  gelegen  sein  mochte,  Philipji  Bonacolsi  aus  Mantua,  den  Trientner 
Bischofsstuhl  bestieg,  auf  welcliem  ilim  im  Jahre  1;{()4  ein  Venetianer, 
Bartholom.  Quirini,  folgte.  Vierzig  Jahre  .später  suchte  Joannes  de  Pistorio 
sidi  desselben  zu  bemächtigen;  allein  es  gelang  ihm  nicht,  und  ein 
alter  Katalog  dieser  Bischöfe  legt  ihm  das  FVSdikat  «Gortisanus  de  Tus- 
cia*  bei.  Dann  listen  sich  auf  demselben  Deutsche  oder  doch  solche 
Prälaten,  welche  keine  Italiener  waren,  bis  ins  sechzehnte  Jahrhundert 
hinein  ab  (IG.  77  Ii*.),  und  ob  Kardinal  Bernhard  von  Cles,  ob  die  vier 
Madruzze,  ob  die  Südtiroler,  welche  im  siebzehnten  und  achtzehnten 
Jahrhundert  jene  Würde  bekleideten,  sich  als  Italiener  fühlten,  das 
bedarf  erst  noch  des  Nachweises      Auch  im  Trientner  Domkapitel 


^}  Nach  einer  gütigen  Mitteilung  meines  Herrn  Kollegen  Dr.  Arnold  Kitter 
von  Luscbin- Ebeugreuth.  welcher  sich  das  Studium  des  öst^  rn  irliischen  Studenten- 
tums  an  ilen  italienischen  Universitäten  zur  besontl<4>'n  .\ulgal>e  geiinitht  hat, 
Hessen  die  Angehörigen  des  Nonaberger  Adels  sich  an  den  Hochgehulen  zu  l'adua, 
Bologna,  Süna  u.  s.  w.  regelmlMig  in  die  Matrikeln  der  deutschen  Nation  ein- 
sclu-'-ibfn .  was  im  «iepensatze  zu  anderen  Uiiterthanen  des  Fürstentum-^  Trient, 
weiche  der  italieniücheu  Nation  »ich  aggregierten,  als  Aeusserung  des  nationalen 
Bewontseins  in  Betracht  kommt.  Vom  Kardinal  Ludwig  Madmzs  ist  obendrein 
bekannt,  dass  die  deutsche  Nution  zu  Siena  ihn  wiederholt  als  Landsmann  und 
Beschützer  ihrer  iVngelegenheiteu  beiui  Papste  um  seine  Vermittlung  ang^ing,  und 
der  Kardinal  Christoph  Madnus  machte  kein  Hehl  daraus,  dass  die  deutsche 
Sprache  ^.  in-  .Muttersprache"  sei  (11.  .".7.  Not*  -Ji  Auch  Kardinal  Cles  beldeidete 
das  Amt  eines  Trotektors  der  deutschen  Nation  {bü.  5.  174). 


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452 


Bidennann, 


überwog  nicht  oft  der  Zuhl  uach  das  itaiieuische  Element.  Aber  au 
Versuchen,  diesem  daselbst  das  Uebergewicht  zu  sichern,  hat  es  aller- 
dings nicht  gefehlt und  was  den  italienischen  Domherrn  an  nume- 
rischer Bedeutung  abging,  das  ersetzten  sie  durch  ihre  Rührigkeit  und 
Gewandtheit  Bei  allen  Fragen ,  die  einen  nationalen  Beigeschmack 
hatten,  konnten  sie  auch  auf  die  Mitwirkung  der  mächtigsten  Bürrfer- 
geschlechter  der  Stadt,  ja  zuweilen  auch  der  gemeinen  Volkskla>>e 
rechnen,  die  sich  durch  it-alienische  Agitatoren  leicht  zu  Aufständen 
hinzeissen  liess*).  In  solche  FiÜlflii  spielte  did  deutadie  BeivQlkerung 
^e  untergeordnete  Rolle,  ausser  wenn  sie  der  Bewegni^  sich  anschlosH, 
wie  es  in  der  Zeit  von  142t) — 1430  gesdu  lu  n  zu  sein  scheint,  wo  Deutsche 
und  Italiener  gleichmäüsig  durch  den  Bi-schof  Alexander  von  Masovien 
und  dessen  polnische  Umgebung  sich  bedrückt  wähnten  Damals 
näherten  sich  die  beiderseitigen  Nationsgenosson  und  trewannen  solclier- 
geätalt  die  Ueutächen  m  Trient  steigenden  Kiulluäs  aul  die  Leitung  der 
Stadf^^eschftfte  Sie  Terstirkien  si<^  nun  auch  durch  Zuzug  von 
aussen  *)  und  einzelne  aus  ihnen  genossen  die  Vorrechte  des  Adels 

Schon  untenu  7.  September  1507  erhess  Kaiser  Max  I.  an  geiuen  Stadt- 
hau ptmann  sa  Trient  den  Auftrag,  die  nsieh  Ssterreiehiflchcn  Pfrflnden  Ittstemen 

J'mtisiinen  von  nnm"'  iibziiwehrcn.  und  ^ald  darauf  beklafr^^^  fr  sich  bei  der  ober- 
üttterreicbischen  Hegieriung  in  Innsbruck  über  «Unordnung  und  Geschwindigkeit'» 
womit  diese  Priester  «einsadringHn  richvnterBteen*(1le8o1iitiooenbachin  derBibi.Tir.). 

*)  Dllher  bat  der  Trientner  Bischof  Ulrich  von  Liechten.'Jtoin  den  Kaiser 
Hax  schon  im  Jahre  149t>,  in  Rom  zu  erwirken,  dass  sein  Uochstifl  als  .inn  der 
teutschen  Nation*'  begriffen  und  den  mit  dieser  abgeschlossenen  Konkordatcai  onier» 
werfen  anerkannt  werde  (I.  St.  A.  Maximil.  IX.  79).    Vgl.  16.  109. 

*)  Die  Trientner  leisteten  zwar  der  Aufforderung  des  Volkstribuns  Nicold 
Rienzi,  an  der  Befreiung  Italiens  mitzuwirken,  im  Jahre  1347  keine  Folge;  aber 
zu  Anfang  des  Ittnfzehuten  Jahrhunderts  empörten  sie  pich  wiederholt,  wobei 
Rudolf  von  Bellinzona   den  FOhrer  machte  und  worüber  der  Paduaner  Kechts- 

Selehrte  Fr.  Zabarelli  im  .lalirc  1407  ein  Gutachten  abgab,  in  welchem  e?;  heisst: 
ie  Aufständischen  hiltt<'n  .\  iva  el  popolo  e  d  sfj^nore  e  niora  y  truditori*  ^e- 
ruffn.    Sit'hf  Cl.  W.  (Jrnf  Brandis,  Tirol  unter  Fri<  ili  irh  von  Oesterreich,  Wien 
S.  liii  rt".  (insbt•^i.  Urk.  2b).    Vgl.  da«  Werk  „l>it'  Kirche  des  heil.  Vigilius'*  etc, 
Bosen  1825,  S.  187  Ii' 

*l  So  heisst  es  in  einer  Kiiiiralic  der  Hürgerscliafl  von  Trif'nt  an  den  Herzog 
Friedricli  von  Tirol  von»  Jahre  14y*J  (l>ei  Ju.s.  v.  Sperges,  CoUectanea  Tridcntiua, 
Bibl.  Tir.  Handschrift  227,  S.  12):  die  polni.«che  Dienerschaft  des  Bischofs  Ale> 
xander  sei  von  Hass  erfüllt  .in  rives  tani  Teutonicos  ([uam  Italicos". 

*)  Das  ist  der  richtige  Sinn  der  Erzählung  des  Fr.  Felix  Faber  (23.  75):  ,Non 
sunt  mniti  anni  elapsi,  quod  Theatonid  in  ilTa  dvitate  eraat  hospites  et  pauci; 
nnnc  vero  snnt  eives  i-t  urbis  rectores".  V'j].  52.  62—65;  4:>.  265  (wo  das  Empor- 
kommen des  deut«c)ien  Element«  den  Begünstigungen,  welche  die  Bitschöfe  and 
deren  Vusllen  ihm  angedeihen  Hessen,  zuge»icSrieben .  jedoch  aiHjh  lugestaadeB 
ynxd,  dass  in  der  St.  Peteri<kirche  im  XV.  lahrhundert  der  deutsche  ( ;otte>dien.st 
seinen  Anfang  nahm).  Aus  dem  Jahre  I4äl  erliegt  eine  deutsch  verfaHdte  Be- 
scbwerdescbrift  „der  Bui]^  und  des  Comawns*  va  Trient  im  landsdiaftl.  ArdiiT 
Stt  Imihbruck  (Behältnis  \,  19  3). 

*|  I  m  ilas  Jahr  1485  machten  die  Trientner  Deutschen  geltend:  ,(^uoniam 
vero  modo  plures  hone^ti  viri  Alemani  cum  uxoribu«,  liberis  et  bonis  sni»  haac 
ciritatfm  intrarunt"  (52.  81). 

')  So  war  Anton  SchraltfiilMTLror  ein  Schwager  des  Anton  von  Li/rana, 
nach  dessen  Tode  lJii?chof  Joliann  llindt  rltaeh  im  Jahre  1472  ihn  mit  dem  Schlosse 
Lizzana  und  aller  Zubehör  belehnte  (U5.  U"^— 152).  S[Ater  erwarb  derselbe  auch 
die  Castellb.irroscben  Lehen.  Odoricus  Scratemparger  war  schon  im  Jahre  1407 
bischöflicher  Kummerer  (10.  124). 


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65] 


Die  NationalitiUen  In  Tirol  etc. 


453 


Aber  dieser  Aufschwung  deutschen  Wesens  liatte  in  Trient  keine  Dauer. 
Um  das  Jalir  1485  zankt»'n  sich  hier  beide  Nationalitäten  um  ihr 
numerisches  Verhältnis  nnd  üi)er  die  Vertretung  im  Stadtrate,  welche 
die  Deutscheu  diesem  gemäss  beanspruchten,  indem  sie  den  vierten 
Teil  der  ganzen  StadtbeTdlkemiig  auszumachen  behaupteten,  wogegen 
die  Italiener  dabei  nicht  auf  die  Yolkssahl  überhaupt  sondern  auf  die 
Bilrrrerschaft  als  solche  gesehen  wissen  wollten  und  ihre  deutschen 
Mitbürger  bloss  für  den  zwölften  Teil  derselben  gelten  Hessen,  auch  ihnen 
vorwarfen,  dass  sie  allesamt  Handwerker,  daher  in  den  Gesetzen  nicht 
genug  bewandert  seien.    Letztere  erwiderten,  dass  die  Steuerbücher 


ihre  Behauptung  rechtfertigten,  wichen  jedoch  dem  die  Bürgereigenschaft 
betrefiPenden  Argumente  so  gut  ans  als  dem  Vorwurfe,  &m  sie  nicht 
die  erforderliche  T^ildung  besSssen  (52.  87).  Und  für  die  damalige  Zeit 

mag  auch  diese  Einwendung  gegründet  gewesen  sein.  Aber  um  die 
Mitte  des  sechzehnten  Jahrhunderts  verhielt  es  sich  damit  anders.  Als 
im  April  ir>()l  die  österreichische  Erzherzogin  Eleonore,  Hraut  des 
Herzogs  Wilhelm  von  Mantua,  zu  Trient  verweilte,  wohnten  einem 
Hofbwe  bei  derselben  die  dort  heimischen  Deutschen  sowohl 
als  die  Italiener  (U  Thodeschi  et  Italiani  di  Trento)  nicht  etwa  als 
blosse  Zuschauer,  sondern  als  Tänzer  bei.  unter  welche  die  Erzherzogin, 
selbst  mittanzend. "sich  mengte  („Arch.  Trent.*  III,  IG).  Dies  schliesst 
wohl  die  Annahme  aus.  dass  jene  Deutschen  ungebildete  Handwerker 
oder  somst  Leute  niedrigen  Standes  waren.  Hesass  ja  doch  zu  dieser 
Zeit  ein  Zweig  der  Familie  Fugger  einen  Palast  zu  Trient :  die  spätere 
casa  Zambelli  (8.  22).   Kurz  vorher  hatte  auch  Kaiser  Ferdinand  I. 


war,  wegen  seines  Eintritte  in  das  Gremium  des  Reichshofrats  unter- 
handeln lassen,  allerdiiifj^s  mit  Rücksicht  auf  dessen  Vertrautheit  mit 
der  italienischen  Sprache  (Kopeybuch  „Von  d.  kaysl.  Mstt."  Bl.  2t>7  im 
I.  St.-A.).  Wenige  Jahre  später  (1585)  war  der  Weinhändler  Khrotten- 
preuuer  zu  Trient  Hoflieferant  (»Gemeine  Missiven"  von  1585,  Anlig., 
im  L  St-A.). 

Aber  schon  war  der  Zuzug  auswärtiger  Deutscher  ins  Stocken 
geraten  (52.  71)  und  dafür  drohte  die  Ge&hr,  dass  eine  Unmenge  von 
Italienern  in  und  um  Trient  sich  niederlassen  würde.  Im  Jalire  1572 
hatte  sich  nämlich  Dominik  de  Avanzini  aus  Riva  in  Verbmdung  mit  einem 
Kaufmanue  &ua  Lucca  der  Tiroler  Regierung  gegenüber  anheischig 
gemacht,  ,biss  in  ain4aiisent  frembder  w&ls  eher  Seidenmacher 
gegen  Triendt  zu  bringen".  Das  Projekt  scheiterte  an  den  (Gegen- 
vorstellungen der  Stadtgemeinde  Bozen,  welche,  um  ihr  Gutachten  dar- 
ühi-r  niic^errangcn ,  am  11.  März  1572  nicht  nur  die  Nachteile,  wehhe 
für  ihre  .lalirmärkte  daraus  erwachsen  mussten .  her^'orhob.  sondern 
auch  Zweifel  äusserte,  „obs  thunlich  wäre,  ain  so  Li;r<)sse  Auzall  frembder 
walchen  in  Triendt  (daran  dem  Lande  vil  gelegen)  eiukhomen  zu 
lassen;  dann  die  Teutschen  one  das  mit  den  wSlsehen  in 
Triennt  hoch  Übersetzt  seindt"  (B.  Stdt.-A.  Abtlg.  V,  258).  Aber 
mit  dieser  Vorsorge,  dass  das  Deuti;chtum  hier  nicht  mehr  zurOckge- 
drängt  werde,  war  nocli  keine  Abhilfe  geschaffen.  Vielmehr  bezo*;en 
um  jene  Zeit  welsche  Barfüssermruu  lie  das  Kloster,  welches  dort  früher 
Foracbongen  zur  deutschen  Landes-  and  Volkskunde.  I.  7.  31 


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454 


Bidsmuuiiif 


[66 


deutsche  Ordensbrüder  iniie  gehabt  hatten  (so  klagt  wenigstens  ein 
Bericht  der  Innsbr.  Regierung  im  Missivenbuche  von  1585,  Bl.  C42), 
und  die  Stände  Tirols  sahen  mit  Wehmut,  wie  deutsches  Wesen  dort 
inuDfir  mehr  in  den  Hintergrund  tni  Am  5,  August  1596  riefateten 
de  daher  vom  Landtage  aus  an  den  Eauer  Rudolph  II.  die  Bitte, 
«insonderheit  darob  und  daran  zu  sein  (inmasscn  vnser  liebe  Altfordem 
hierauf  alzeit  grossen  Acht  gegeben),  damit  d&s  teutsche  Wesen  in 
Trient  nit  gar  in  Abgang  komme,  sondern  vielmehr  erhalten  undt  er- 
weitert werde"  (Abschriftl.  Landtagsprotokolle  im  landschaftl.  Archiv 
zu  Innsbruck  VI.  Bd.,  S.  24).  Zwar  finden  wir  noch  in  gleichzeitigen 
Reiseberiehten  die  Scheidunff  der  Stadt  in  ein  Quartier  der  Deutschen 
und  in  eines  der  Italiener  oetont  *) ;  aber  30  Jahre  später  geschieht 
auch  dieses  Gegensatzes  keine  Erwähnung  mehr,  sondern  die  Reisenden, 
welche  damals  Trient  berührten,  schildern  die  beiden  Nationalitäten  als 
djiselbst  vermischt  und  die  Bewohner  als  durchwegs  doppelsprachig 
wie  auch  der  Minorit  Coronelli,  welcher  im  Frühjahr  1696  dahin  kam, 
in  seinem  »Viagsio  d'Italia  in  Inghliterra*  (Venedig  1697)  S.  123  den 
SaehTeihalt  sdumert  (hanno  Tuso  promiscno  delle  dne  lingue  Italiana 
e  Tedesca).  Wie  sehr  zum  Nachteile  des  Deutschen  dies  aich  seither 
geändert  hat,  wurde  oben  bemerkt.  Es  ist  nun  wieder  altromanisches 
Wesen,  dem  die  gotische  Okkupation  im  fünften  Jahrhundert  so  wenig 
als  die  bajovarische  im  achten  und  neunten  die  Lebenskraft  raubte, 
daselbst  zum  Durchbruch  und  die  vornehmlich  durch  den  römisch- 
katholischen  Klerus  genihrte  lateiniaehe  üeberlieferang  auf  altrömi- 
scher  Chrmdlage  (3.  22,  23)  zur  Geltung  gekommen.  Deutscher  Gottes- 
dienst wird  noch  in  der  Markuskirche  gehalten  durch  einmi  besonderen 
Kaplan,  der  auch  eine  ileutsche  Schule  unterhielti  welche  nun  auf  Staats- 
kosten selbständig  fortbesteht. 

In  der  Stadt  Rovereto  wurden  bei  der  Volkszählung  vom 
Jalire  1880  auch  so  gut  wie  gar  keine  ansässigen  Deutschen  vorge- 
funden. Von  den  336  Deutschen,  die  man  damals  neben  8160  Italienern 
hier  zählte,  waren  weitaus  die  meisten  (211)  Soldaten  und  beiläufig  ein 
Sechstel  Staatsbeamte.  Allein  dass  dem  damals  so  war,  während  in 
früherer  Zeit  die  deutsche  Nationalität  hier  eine  Achtung  gebiet«'nde 
Stellung  einnahm,  das  lässt  sich  hier  weder  auf  eine  üeberlieferung 
von  der  Art  der  in  Trient  vererbten  noch  auf  eine  altrömische  Grund- 


So  sagt  Michel  de  Montaigne,  welcher  inkJabre  1580  Trient  besuchte» 
in  seinem  Journal  de  Voyage  (Rome  —  Paris  —  1775,  1,  pag.  135)  von  dieser 
Stadt  :  ,Cette  ville  est  my  partie  en  ces  deus  langucs  et  y  nn  quartier  de  ville  et 
Eghsi!  quin  nome  Allemans  et  un  precheur  de  leur  langue."  Faul  Hentzner, 
welcher  im  .lahrf  1599  dahin  kam,  schreibt  davon  in  seinem  Ttinerarium  (Nürn- 
berg 1612.  pax.  ;iÜO):  «Incolae  hiyus  oppidi  Italium  versus  habitantes  Italic»  lingua. 
Oermaniain  versus  Gwmanica  atöntur." 

*)  .T.  Fl.  Pflaumern,  Mercurius  Italirn«;  (Augsb.  1625,  pag.  7):  .Ab  hao 
semi-gennana  urbe  hbet  ordiri  Itahe  descriptionem.  Uabitatur  a  nostris  Italisque 
promueae  etmanet  cnique  genti  patriua  «ermo ;  sed  forme  dvesntrarnque  oallent."  — 
Andr.  Schott.  Ttiner.  Ttaline  (4.  Ausg..  Antworiion  Ifi^.'S.  ]u\^.  19):  ,Utitur  civita? 
idiomate  Germanico  et  Italico,  utpote  ex  his  uationibus  conüata,  quamquam  lou^e 
tit  major  numerus  Ttalomm.*  Der  päpstliche  Nuntius  0.  Caraffa  bemerkt  m 
seinem  Beiii  bt'-  \om  .Tahre  1628  (Arch.  f  Kunrl'^  f'.Kt-  rr.  Gegchicht«quellen  28.  Bd^ 
360)  von  Tnent:  »Ivi  si  parla  itaUano  e  Tedetico,  ma  piü  It&liano'. 


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• 


67]  Die  Nationalitftten  in  Tirol  etc.  455 

laf(e  zurückführen,  sondern  ist  lediglich  die  Frucht  derjenigen  Ein- 
richtungen, welche  die  venetianische  Republik  hier  im  fünf- 
zehnten Jahriiundert,  also  in  verhältnismässig  später  Zeit,  einer 
bis  dahin  vorwiegend  deutschen  Entwickelung  aufgepfropft 
hat  Der  OrtRovereto  erwuchs  ans  Ansiedlnngen  im  Burgfrieden  des 
Schlosses  Castelljunk,  welches  als  Dependenz  der  Tlauptburg  Lizzana 
sich  (l  ir-trllt  und  gleich  dieser  im  zwölften  und  dreizehnten  Jahr- 
hundert der  nr?«priJnglich  deutschen  Familie  Castellbarco  eigen  war. 
Erst  zu  Anfang  des  vierzehnten  Jahrhunderts  hat  Willielni  von  ^astcll- 
barco  sich  romanischen  Einflüssen  dergestalt  hingegeben,  da^s  er  iür  einen 
Italiener  gdten  konnte.   Daimds  bürgerte  sidi  Tidkicht  zu  Boyereto 
eine  romanische  Bevölkerung  ein       Doch  kommen  neben  ihr  auch 
Deutsche  als  Zeugen  und  im  Jahre  1333  Arimani  et  Arimaniae  familiae 
hier  vor  (0.  2G9),  was  auf  die  Fortdauer  langobardischer  üienstbar- 
keitsverhäUnisse  hinweist.     Das  Lägerthal  (Valle  Lagarina),  dessen 
Hiiuptort  llovereto  nun  bald  werden  sollte,  «gehorchte  damals  zeitweilig 
deutschen  Generalkapitänen.    Ein  solcher  war  im  Jahre  1342  unter 
dem  Titel  eines  Vikais  der  Bitter  Mörl  aus  Kaltem  (6.  273).  Saum 
aber  hatten  die  Yenetianer  m  Anfang  des  ittnfiMhnten  Jalvhunderts 
das  Lärrerthal' eingenommen  Y  so  setzten  sie  zu  Bovereto  einen  Podesta. 
ein,  welcher  einem  ihrer  Pafriziergeschlechter  angehörte.    Paul  Foscolo, 
der  im  Jahre  1432  dieses  Amt  antrat,  nannte  sich  zuerst  auch  „Vallis 
Lagaiinae  Capitaneus  Generalis"   (85.  1.  280).    Vorher  schon  (1425) 
hatte  die  Bepublik  dieser  ihrer  städtischen  Schöpfung  ein  Statut  erteilt, 
welches  (in  Verbindung  mit  den  Senatsdekreten  Ton  1441  und  1478  — 
87.  1.  345)  den  venetianischen  Munizipalcharakter  auf  sie  übertrug, 
obschon  unter  den  dabei  Mitwirkenden  bereits  ausser  dem  Podestii  und 
dem  Kanzler  (einem  Tremoneser)  nach  venetianischem  Muster  Sapientes 
(Savii)  erscht  inen ,  darunter  ein  IHrico  d'AUemagna,  ospite  all'  Aquila 
(87.  2.  158).    Ganz  hatten  also  auch  die  Venetianer  vorerst  noch  das 
deutsche  BerOlkenmgselement  in  BoTneto  nidbt  beiseite  geschoben. 
Indessen  war  die  Emwanderung  Ton  itedienischen  Familien  aus  dem 
älteren  Territorium  der  Republik  so  stark,  daes  die  Umbildung  Boveretos 
in  eine  italienische  Stadt  mit  deren  Hilfe  rasche  Fortschritte  machte  ■). 
Als  im  Jahre  1487  Erzherzog'  Siegmund  von  Tirol  die  Stadt  belagerte, 
that  deren  Bürgerschaft  ieierliclie  Gelübde  für  den  Fall,  dass  sie  vor 
deutscher  Herrschaft  bewaln-t  bliebe  (93.  2.  12'Jj.    Nachdem  diese  im 
Jahre  1509  gleichwohl  hier  festen  Fuss  gefasst  hatte,  trat  allerdings 
ein  Bttckschlag  ein.   Wir  finden  im  Verzeichnisse  derjenigen,  wdche 

')  In  einer  zu  Rovereto  «sub  domo  Comunis"  im  Jahre  l:{07  ausgestellten 
Urkunde  erscheinen  als  Zeugen:  Benaduaius  Not.  q.  Uonüoli  de  Rovredo,  Franc, 
q.  D.  Berte  de  Calapiiia  de  Kovredo,  Nasimbenns  dietm  Vicentinos,  habitator  Sovredi» 

Älbertaciiis'  BerarinK  df'  dicto  loco  (lö.  87). 

Zutti  (87.  1.  :]21)  sagt:  „Le  attrative  che  preseutava  noätra  Vallt'  (d.  h. 
das  Lftgerthalj  a  molti  ufficiali  della  repubblica  Veneta,  fu  ({uella  che  decisc  molti 
di  c^Hi  di  plantare  fra  noi  stabil  dimora  e  dintro  di  ««shi  molte  aitre 
famij[(lie  venetf  vonnero  ad  accrescer»'  la  popolaxiune  de'  nobtri  paesi,  molte 
dl  em  fiorirono  e  fioriscono  tuttavia  e  molti  noiui  di  famiglia  della  nosfara  Valle 
vanta.no  tnttora  ori^jinc  du  V'eneti  citt:i«tiiii.*  In  Rovereto  selb.-t  erinnern  die 
St.  Markuükirche  und  die  Rialtogasse  an  die  venetianische  Vorzeit  {iA.  2.  82). 


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456  Btdemiaiiii,    *  [68 

die  Podestiiwiirdt'  daselbst  bekleideten  (77.  93—98),  bei  den  Jahren  1513, 
152G,  1532,  1541,  1540  und  1554  Deutsche  genannt,  darunter  3  Scliratteii- 
berger  aus  Trient.    An  einem  Darlehen  fUr  Regierung^izwecke  betei- 
ligten sieh  im  Jahre  1552  aus  Rovereto:  die  Hafner,  Hae&chmidt, 
Gossmeth,  Westerstetteu  u.  8.  w.  (Copeybuch  ,  Entbieten  und  Bevelch* 
von  1553  im  I.  St.-A.  1^1.  73).    Aber  die  Mehrheit  der  hiesigen  Be- 
völkenmg  widerstrebte  der  Einverleibung  in  Tirol.   Sie  verlanLjte,  dass 
Kovereto  als  eine  deutsche  Reichsstadt  an*jesehen  und  behandelt  werde 
(87.  2.  119).    Als  dieser  Wunach  nicht  in  Erfüllung  ging*),  schlug 
sie  eine  ezkem-nationale  Richtong  ein,  indem  sie  durchaus  das  Italie- 
nische im  Verkehr  zwischen  ihr  und  der  Innsbracker  Regierung  an- 
gewendet wissen  wollte  *)  und  sogar  die  Ausstellung  deutscher  Zoll- 
deklarationen verweigerte  (11.  38).     Mittlerweile  hatten  freilich  auch 
neue  Zuzüge  von  Itaüenern  .stattgefunden,  denen  im  sechzehnten  Jahr- 
hundert nur  vereinzelte  Einwanderungen  von  Deutschen,  so  z.  B.  der 
beiden  ►Seidenfabrikanten  Johann  und  l*aul  Ferlegher  (Verleger)  aus 
NOrnberg,  des  Kaspar  von  Lindegg  aus  Steiermark  (oder,  wie  die 
Familientradition  berägt,  aus  Coblenz  am  Rhein)  zur  Seite  gingen  und 
erst  im  siebzehnten  Jahrhundert  zahlreichere  (die  der  Handeudente  und 
Fabriksuntemehmer  Volckliamer.  Outtliätter  und  Unterstairicr  aus  Nürn- 
berg, der  Kandelperglier  aus  (Jastelruth,  der  fSchalckh  u.  a.)  folgten. 
Die  bereits  der  Italienisicrung  Verfallenen  mit  eingerechnet,  waren  gegen 
Ende  des  siebzehnten  Jahrhunderts  deutsche  Familien  zu  Rovereto  nicht 
selten.  Auf  einem  Vertrage,  den  die  Stadtgemeinde  am  1.  August  1683 
mit  der  (tetenreichischen  Regierung  schloss,  sind  als  Magistratsraie 
neben  solchen,  deren  Namen  italienisch  klingen,  unterzeichnet:  Mel.  liior 
Lindegg,  Giacomo  (xH/er.  Giov.  Domenico  Balther,  G.  Giacomo  Balther, 
Andr.  von  Mitcrniiller.  Giov.  Haini  (11.  42,  Note  2).    Kurz  vorher 
(107  Ij  hatte  ein  Roveretaner  Bürger  namens  Oretici  für  seine  Vater- 
stadt ein  Gymnasium  mit  deutscher  Unterrichtssprache  an  den  unteren 
Klasseh  gestiftet  (IL  50).  Es  gab  da  audi  eine  deutsche  Bmdoschsft 
mit  eigenem  Vermögen  (52.  77),  deutschen  Gottesdienst,  der  in  der 
Kirche  del  Sutlragio  gehalten  wurde  (20.  12),  und  einen  besonderen 
Kaplan  der  Nazione  Germanica,  welches  Amt  zu  Ende  des  achtzehnten 
Jahrhunderts  der  für  Ver]>reitung  der  deutschen  Sprache  unter  den 
Italienern  Südtirols  sehr  thätige  Priester  Matth.  Fi.scher  aus  Landeck 
bekleidete  (Almanaco  del  Trentino  pel  1867,  pag.  1 1 3).  Dasselbe  be- 
steht noch  gegenwärtig  stiftungsgemäss  fort.   Mit  der  hiesigen  Lehrer- 
bildungsanstalt ist  eine  dreiklassige  deutsche  Uebungsschule  für  Knaben 


')  Pi>'  Innshrucker  Re^ieninp  trat  demselben  schon  im  .hihrt-  1'?)C}  cntppir'^n, 
als  die  ätadt  begehrte,  bei  der  Wahl  d^  Podestä  nicht  aut  Tiroler  betichräakt  za 
«ein,  sondern  dasn  aach  Unterthanen  dentBcfaer  Reichsf^ebiete  in  Italien  TonddsMa 
zu  dürfen.  Diimals  Ijcreit-!  ht-dputoto  jene  Beh?>r(1t'  «ItT  Stadt,  sie  sei  durch  Er- 
oberung nicht  dem  römiscb-deutscbcu  Heiche,  Houdem  der  Grafschaft  Tirol  einver- 
leibt (Copeybuch  ,An  die  röm.  königl.  Majut»  von  1536—1588  im  I.  St-A.  Bl  69). 

*j  In  einer  Vorstellung  an  die  Tiui-linicker  Regierung  vom  12.  Mür/.  lhi>4 
erklärt  die  Studtvertretung,  es  sei  ungerecht,  das«  man  die  Roveretaner  zwin^ 
(che  noi  Latini  siamo  costretti) .  beim  Verkehr  mit  der  Hofkammer  in  Inmhrook 
der  deutschen  .Sprache,  die  hu-  «hirduiiis  nicht  Terrt&nden  (che  noi  del  tntto  igno;- 
riamo),  8i<^  zu  bedienen  (87.  2.  119). 


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69] 


Die  Natioaalit&ten  in  Tirol  etc. 


457 


und  Mädchen  verbunden.  Doch  die  Hinneigung  der  {gebildeten  Kovere- 
taner  zur  Pflep^e  der  deutschen  Sprache,  welche  im  athtzehnteu  Jalir- 
hundert  sich  benierklich  machte,  wich  damals  schon  der  durch  Clemens 
Vanetti  unter  ihnen  inaugurierten  schöngeistigen  Bewegung  (11.  204), 
und  kam  sie  gleich  später  wieder  zum  Yorscnein  (11.  51),  so  war  sie 
doch  Yon  keiner  langen  Dauer  (11.  52). 


7IL  Sarcathal. 

Hierher  gehören  vom  Politischen  Bezirke  Tione  der  Gerichts- 
bezirk Stenico  mit  9  Deutschen  (neben  9780  Italienern),  und  zwar 
4  zu  Stenico,  4  im  Dorfe  Lundo,  1  im  Dorfe  Fiav^;  ferner  der  Ge- 
richtshezirk  Tione  mit  214  Deutschen  (neben  13  975  Italienern). 
Diese  214  konzentrieren  sich  im  Städtchen  Tione,  dessen  Garnison 
192  dazu  beiträgt  Vom  Politischen  Bezirke  Riva  sind  hierher 
zu  beziehen  der  Gerichtsbezirk  Arco  mit  112  Deutschen  (neben 
9576  Italienern),  und  zwar  102  in  der  Stadt  Arco,  fast  sämtlich  Kur- 
gäste, 5  im  Dorfe  Vigne  (Ortsgememde  Romarzollo),  3  im  Dorfe  Vignole 
(Ortsrjemeinde  Oltresarca),  1  zu  Ceniga  (Ortsgemeinde  Drö):  endlich 
der  Gerichtsbezirk  Riva  mit  042  (neben  8498  Italienern',  und  zwar 
513  in  der  Ortsgemeinde  Riva,  mit  geringer  Ausnahme  S<jldat*;u  (näm- 
lich 473),  126  im  Dorfe  Torbole  (Ortsgemeinde  Nago),  ohne  Ausnahme 
Soldaten,  2  im  Dorfe  Tenno,  1  im  Dorfe  Canale  (Ortsgemeinde  Yille 
del  Monte). 

Gesamtsumme  977  Deutsche  (neben  41  829  Italienern). 

So  wenig  dieses  Thal  zu  deutschen  Ansiedhnifren  sich  eignete, 
so  erschloss  es  sich  doch  Deutschen .  welche  vortib»  r^^cheud  sich  da- 
selbst niederliessen ,  in  alter  und  neuer  Zeit.  ErgriH  ja  doch  von  der 
Rocca  di  Bregguzzo  (bei  Bondo  unterhalb  Tione)  ein  Hauptmann 
des  Herzogs  Leopold  von  Oesterreich  schon  im  Jahre  1390  Besitz! 
(29.  139).  Und  zuvor  nodi  (1380)  war  Heinrich  von  Liechtenstein 
Vikar  des  Trientner  Fürstbischofs  in  gan/  .ludicarien  (10.  115).  Die 
Burir  Stenico  hütete  im  .bihre  1435  im  Auftrage  des  Trientner  Hi- 
schois  Alexander  ein  Hauptmann  namens  Stengler  (IT).  1441  Sieg- 

mund von  Thun  (16.  134),  der  im  Jahre  1448  von  hier  au»  auf  Befehl 
des  Herzogs  Siegmund  yon  Tirol  die  Pfarrsprengel  von  Rendena,  Bono, 
Tione  und  Condino  besetzte,  1497  Hans  von  Weineck  (#Tavel  d. 
Bevelch-  von  1496  im  L  St-A.  Bl.  17).  Zu  Campo,  einst  Lehen 
der  Grafen  Trapp,  die  es  im  Jahre  1470  erliin^^en ,  sa*^s  die  Faniilie 
Prez  von  Prezenberg,  in  welcher  die  hiesige  S( hlosshuuptmannschalt 
sich  fortgeerbt  zu  haben  scheint.  Die  Pfarre  Lomas  (bei  Vigo  im 
Genchtsbezirk  Stenico)  ging  im  Jahre  1468  von  Konrad  Bachmaun  an 
Joh.  Eentsch,  einen  Priester  der  Di9zese  Merseburg,  Uber  (16.  286). 
Den  Posten  eines  Seelsorgers  zu  Dro  im  unteren  Sarcathale  versah 
von  1494  — 1512  der  Priester  Bertoldus  Alemanus  aus  der  Diözese 
Regensburg,  welcher  auch  Häuser  und  Grundstücke  daselbst  eigen- 
tümlich besass  (58.  2.  53,  54),  also  sicher  hier  wohnte. 


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458 


BidwnwMBii 


[70 


Das  KoUegiatkapitel  zu  Arco  hatte,  je  weiter  zurück,  desto 
häufiger  Deutsche  zu  Mitgliedern;  so  erscheinen:  1284  Arrigo  Teuto- 
nicus  und  Federigo  Teutonicus,  1289  Henricus  Teutonicus,  1300  Gislin- 
bertas,  qui  BiucniuEeriwi  (PcNNlwchiHr?)  dieitnr,  de  Campo,  1316  Henricns 
Teutonicus,  1330  Hendrichus  sive  Henricus  de  Landsperck  (58.  2.  8—  13). 
Im  Jahre  1440  erschwang  sich  Georg  Marsckall  TOn  Obemdorf  in 
Bayern,  seit  1444  Hofka])lan  der  Grafen  Arco  und  zuvor  Spitalpriester 
zu  Meran,  gar  zum  Erzpriest  er  von  Arco,  in  welcher  Eigenschaft 
er  Vorstand  des  KoUegiatkapitels  war  (58.  2.  20 — 21).  Es  deutet  dies 
auch  an,  wie  lange  das  genannte  Dynastengeschlecht,  mindestens  in 
einzelnen  aeiner  Sprossen,  sich  deutsch  erhielt  Anch  die  ?ielen  deut- 
schen Chorherren  der  Vorzeit  hängen  ohne  Zweifel  mit  diesem  Um- 
stände zusammen.  Als  die  Grafen  von  Arco  ihrer  deutschen  Abkunft 
sich  nicht  mehr  besannen,  gerieten  sie  mit  den  tirolisohen  Landes- 
fürsten in  Konflikt,  was  zur  Folge  hatte,  dass  dirst-  die  (Tralschaft 
Arco  mit  Beschlag  belegten.  Damals  (1579 — 1014)  nahmen  im  Schlosse 
Arco  deutsche  Hauptlente  ihr  Standquartier,  so  Konrad  Schiessfl 
und  später  Balthasar  Troyer  (58.  2.  29),  sdbstrerstSndlich  Ton  deut- 
schen Sjriegsknechten  begleitet.  Laut  dem  1604  mit  dem  Hauptmaone 
von  Arco  landesftirstlicherseits  geschlossenen  Burghutvertran;^  („Missiv 
an  Hof*  im  I.  St.-A.  Bl.  710)  hatte  dieser  daselbst  20  .redliche,  auf- 
rechte, teutsche  Kriegsleute''  zu  unterhalten.  Auch  im  Schlosse  I'enede 
lair  damals  eine  deutsche  Garnison  unter  Hans  Georir  von  Huimsdorfif 


(20.  115).  TJebrigens  erscheinen  zu  Arco  Theutonici  et  Latini  schon 
im  Jaltte  1124  als  Gewährsmänner  (33.  2.  67).  Von  der  Stadt  Riva  i.st 
bekannt,  dass  unmittelbar,  bevor  sie  in  die  Hände  der  Republik  Vened^ 
fiel,  in  den  Jahren  1405-  1436  wiederholt  Deutsclir  die  Würde  eine^ 
Podestä«  daselbst  bekleideten;  so:  Jos.  Annenberger,  Pett'r  Limburger, 
Paul  Rasner,  Peter  von  Salzburg,  Ulrich  Schrankenpaumer.  Auch 
schon  in  älterer  Zeit  kam  dies  vor,  besonders  zu  Ende  des  dreizehnten 
und  zu  Anfang  des  vierzehnten  Jshrhunderts;  ebenso  nach  Vertreibung 
der  Venetianer,  solange  Riva  noch  nicht  von  den  Osterreichischen  Fürsten 
förmlich  an  das  Bistum  Trient  zurückgestellt  war,  in  welcher  Periode 
Joh.  von  Weineck  und  Eustach  von  Neydeck  der  Stadt  vorstanden 
(Statuti  della  cita  di  Riva,  Trento  I8()l,  'pag.  221)— 232).  Die  deut- 
schen Hauptleute  verfügten  dann  auch  über  eine  deutsche  Besatzung. 
Die  BUrgersdiaft  von  Bm  dagegeu  gehörte  wohl  jederzeit  der  itdie- 
nischen  Nationalitftt  an  imd  als  Prototyp  fta  deren  ilteste  ReprSseo- 
tanten  kann  der  im  Jahre  1208  als  hier  „romana  lege  vivens"  vor- 
kommende Jakobin  de  la  Saviola  gelten  (Codex  Wangianus  a.  a.  0.  S.  170). 
Noch  ist  des  Schlosses  Tenno  ober  Arco  (am  Wildbache  Varrone)  zu 
gedenken,  welches  im  Jahre  1210  Aldrighet  von  Ulten  zu  Lehen  hatte 
(16.  133)  und  wo  im  Jahre  1441  Georg  Viaentainer,  1488  aber  Paiikraz 
Kuen  Hauptmann  war  (Lichnowsky,  Gesch.  des  Hausee  Habsbuigt 
VUL  Bd.,  Bag^  1086). 


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Die  Nationalitäten  m  Tirol  etc. 


459 


VnL  Das  Ledro-  und  das  ChiesethaL 

Diese  beiden  Qrenzgelnete  im  Südwesten  Ton  Tirol  sind  die  ein* 
sig^  wo  keinerlei  Spuren  deutscher  Vergangenheit  an^troffen  werden, 

"Wenn  man  nicht  etwa  die  Grafen  von  Lodron  als  ein  deutsches  Ge- 
schlecht betrachten  will,  wofür  aber  die  Beweise  fehlen,  oder  das  am 
11.  März  1488  ausgestellte  Notariatsin.strunient,  womit  die  Republik 
Venedig  dem  Pankraz  Kuen  als  Bevollmächtigten  des  Herzogs  Sieg- 
muad  von  Tirol  infolge  eines  Friedensschlusses  Storo,  Condino,  Brioue, 
Cimego  und  Gastellert  übergab  (Lichnowsky ,  VllL,  Regest  1099^), 
als  ein  Denkmal  solcher  Vergange nheifc  gelten  ISsst.  Somit  erübrigt 
hinsichtlich  derselben  nur  die  Anftlhrang  dessen,  was  die  Gegenwart 
betrifft. 

Der  das  Ledrothai  bildende  gleichnamige  Gerichtsbezirk 
(Bestandteil  des  Politischen  Bezirks  Riva)  zählte  Ende  1880  bloss  • 
2  Deutsche  (neben  4726  ItaHenem);  der  das  Chiesethal  umfiEissende 
Oeriebtsbesirk  Condino  (Bestandteil  des  Politischen  Bezirks  Tione) 
aber  zählte  85  (neben  11  794  Italienern),  darunter  64  im  Dorfe  Creto 
(bis  auf  5  sämtUch  Soldaten),  3  im  Markte  Storo  und  der  Rest  (18)  im 
Dorfe  Condino. 


Merkmale  der  einzelnen  Zeitobaelinltte  ■)• 

L  Die  yoritaUeniadiA  Zeit. 

Die  durch  das  ^aaze  Land  verbreiteten  romanischen  Oertlich- 
keitsnamen  lassen  kernen  Zweifel  darüber,  dass  Tirol  zur  Zeit  der 
W^mischen  Heirschaft  seiner  ganzen  Ausdehnung  nach  von  Romanen, 

d.  h.  von  Völkern,  denen  die  lateinische  Kultur  mr  Geprige  au%edrOckt 
hatte,  bewohnt  war  (22.  1.  33;  71.  67).  Die  Völkerwanderung  brachte 
Germanen  und  Slawen  ins  Land.  Diese  Hessen  sich  zumeist  im  Drnu- 
gebiete  nieder  (13.  45).  Jene  besetzten  nicht  so  sehr  die  nördliclien 
uzenden  als  vielmehr  die  gegen  bilden  und  Südosten  mündenden  Thäier 
(04.  85—87;  76.  25),  namentlieh  das  Brentathal,  wo  die  GebrSuche 
ihrer  Kachkommen  noch  nach  einem  Jahrtausend  an  die  unmittelbare 
Berührung  erinnerten,  in  welche  sie  bei  ihrer  Ankunft  daselbst  mit 


Das8  Ortanamen  wie  Locca,  Enguiso  und  Leuzumo,  welche  im  Ledrothale 
Torkommeo,  durch  ümgeBtaliung  der  dea<»eheB  Worte  Laobe»  En^ieM,  Lenlram 

entstanden  unil  dio  liotrofFenden  OertUchkeiten  einst  Sitze  von  Cimbeni  gewesen 
■eien,  ist  eine  allzu  kühne  Vermutung,  al«  daaa  hier  damof  eingegangen  werden 
könnte. 

')  Raummangel  zwingt  den  Yerfiisser.  im  Naclistehenden  die  Citato  und  Zu- 
aäUe  auf  das  Notwendigste  zu  beschränken.  £r  verweist  daher  im  imgemeiuen 
anf  die  «Geographisch  geordnete  Ueberricht*^  in  welcher  die  besttgliehen  Belege 
mit  geringer  Ausnahme  imschwer  zu  finden  sind.  Um  das  Auffinden  dortiger  Be- 
legstellen, von  welchen  dies  nicht  gilt,  zu  erleichtem,  wurde  die  Signatur  de»  be- 
treffenden Absatzes,  soweit  es  überhaupt  anging,  dem  Texte  eingeschaltet  oder 
«mnerkmgffweke  enidktlidh  gemacht 


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4Ö0 


Bidenuann, 


[72 


Tittgern  lateinisclier  Kultur  gekommen  sein  mussten  (33.  1.  1.  141; 
7.  15—23). 

Und  gerade  du  nach  Italien  führenden  Pässe,  an  welchen  jene 
Völkerzüge  sich  gestaut  und  demzufolge  einen  Teil  der  Menschenmas:<e, 
die  sie  in  sich  fasston,  gleichsam  abgelagert  liatten,  erhielten  im  Laute 
der  folgenden  fünf  bis  sechs  Jahrliuuderte  neue  Nachschübe  germa- 
nischer Abkunft  zu  Bewohnern  (04.  87—92;  öl.  371—373). 

Es  wirkte  hier  wie  in  der  Schweiz  die  Politik  der  damatigen 
deutschen  Kaiser  massgebend  ein  (11.  17,  18). 

Im  Norden  des  Landes  dagegen  griff  die  deutsche  Koloni<ati<  n 
nur  langsam  um  sich,  so  dass  es  im  zwölften  und  dreizehnten  Tuhr- 
hundert  hier  mehr  Romanenreste  gab  als  allem  Anscheine  nach  an  der 
unteren  Etsch  und  auf  den  Gebirgen  zwischen  ihr,  dem  Avisiothale  und 
Judicarien  (71.  28,  129;  72.  129—137,  140,  195).  Das  geistliche 
Fürstentum  Trient  war  damals  ohne  ünterbrechung  Priestern  anTertiauti 
welche  nicht  nur  für  eine  kaisertreue  Haltung  in  Eriegsrällen,  sondern 
auch  für  eine  dem  Deutschtum  günstige  Regierung  zu  friedenszeiten 
Gewähr  boten  (s.  oben  S.  451). 

.  Erst  als  auf  italienischem  Boden  die  geistige  Bewegung  entstand, 
deren  Mittelpunkt  wh*  in  Dante  zu  erblicken  gewohnt  sind,  ward  auch 
'  die  Geistiiclikdt  und  durch  sie  der  Add  jener  Grenzmarken»  des  Deut-, 
sehen  Reiches  diesem  der  Gesinnimg  nach  entfremdet,  somit  die  Btel-. 
lung,  welche  die  hiesige  deutsche  Bevölkerung  bis  dahin  eingenommen 
hatte,  gefährdet,  ihr  Znsammenhang  unterbrochen  (59.  70G — 7081.  uvA 
der  ihr  nun  auch  geistig  ülicrlogene.  weil  in  der  Verjüngung  begriü'ene 
Romanismus  gt  \\  iiim  hierdurch  eme  unter  diesen  Umständen  doppelt 
bedrohliche  Anziehungskraft. 

IL  Srste  ▲nabreitang  italienischer  Kinflftiiiie  gegen  "Siodi&iL 

(1290-1480.) 

Kaum  hatte  die  vorerwähnte  Neugestaltung  begonnen,  so  gravi- 
tierten in  jenen  Grenzgegenden  Tomehme  GescUechtor,  deren  Stemm- 
baum deutschen  Ursprung  aufweist,  nach  Italien       ^e  pflegten  mit 

italienischen  Priestern  vertrauten  Umgang,  gingen  immer  häufiger  mit 
italif  nischen  Familien  Ehevorhinrhingen  ein,  unterhielten  Fühlung  mit 
auswilrtigen  Parteihäupteni  und  boten  zu  Umtrieben  die  Hand,  welchen 
zufolge  sowohl  der  Trientner  Bischofsstuhl  als  eine  Anzalil  von  Dora- 
herrnstellen  im  hiesigen  Kathedralkapitel  Ausländem  zugänglich  wurden, 
deren  Bestrebungen  keine  den  Deuischen  günstigen  Ziele  verfolgten 

')  Ein  gewisRprmassi>n  typisches  Beispiel  hierfür  bietet  das  Testament  iles 
Wilhelm  von  Oastellbarco  vom  13.  August  1319  (33.  1.  2.  tJOO  fl*.).  Es  ist  das  der 
aftnüiche  Edelmann ,  dessen  Gast  Dante  bei  seinem  Aufenthalt  im  Lägerthale  ge- 
wesen sein  soll.  s.  Adolf  Piehler's  Aoftats  .Dante  in  Tirol*  in  Amthoxs  »Aipet- 
freund«  IX.  Bd.  (187ÖJ,  Ö.  356-359. 

*)  Schon  im  JaAre  1806  nraaate  Jakob  von  Rottenbnrg,  als  er  (tanMiaani 
latinuni  Tip^cioTi-  ydioma)  vor  dem  von  seinen  Kanonikern  und  mehreren  KlosteP* 
vontändcn  ^Boua«racia,  Boninsegna)  umgebeneu  Bischöfe  von  Trient  erschien,  sidl 
des  Odoncus  de  Goredo  alt  eines  Dolmetecheis  bedienen  (98.  4.  285). 


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73] 


Die  Nationalisten  in  Tirol  etc. 


461 


Dazu  gesellten  sich  gleichgesinnte  Einwaiulerer  weltlichen  Standes, 
namentlich  Beaniteniamilieu  und  deren  Anhang  (ß.  VI;  vgl.  ilie  Serie 
cronologica  dei  Podeste  o  Pretori  di  Trento,  Roveredo  e  Rits,  26. 
79 — 122),  Gewerbetreibende  verschiedendr  Art,  die  aus  Italien  mit  Vor- 
liebe nach  Trient  übersiedelten  und  florentinische  Kapitalisten,  welche 
TOnui^'sweise  in  Deutschtirol  das  aus  der  Heimat  mitij;ebraclite  Geld 
fruchtbringend  anlegten,  auch  dadurch  rasch  dort  zu  Macht  und  An- 
sehen gelangten*).  Aber  auch  Männer  der  Wiss»  iischaft  verlegten  aus 
Italien  ihren  Wohnsitz  ins  heutige  Tirol,  um  da  im  Interesse  der  neu- 
erwachten  nationalen  Bildung  thätig  zu  sein').  Ein  ansehnlicher  Teil 
der  Bttrgerschafb  von  Trient  huldigte  der  neuen  Geistesrichtung  und 
zeigte  sich  für  Aufstandsveisuche,  welche  ihre  Spitze  nicht  selten  |?egen 
die  Deutschen  kehrten,  empflint^dirh.  Bald  auch  drängte  sich  die  Re- 
publik Venedig  in  diese  Kreise  ein  und  schürte,  schon  um  sirli  das  Vur- 
driugeu  zu  erleichtern,  die  Glut  der  von  ihr  vertretenen  nationalen  Ideen 

UI.  Deutsche  Gegenbestrebungen  und  Erfolge. 

(U80— 1530.) 

Die  Furcht  vor  den  venetianiachen  Anschlägen  brachte  es  dahin, 
dass  tirolischerseits  Vorkehrungen  zur  Abwehr  getroffen  wurden. 
Erzherzog  Siegmund  rüstete  nidit  nur  Truppen  aus,  mit  welchen 
er  den  Venetiauern  t-ntgigen  zog,  sondern  wendete  auch  sein  Augen- 
merk den  kirchlichen  Natioualitütsverliältnissen  der  Trientner  Diözese 
zu,  begünstigte  die  deutschen  Bergwerksuntemehmungen  in  Primdr 
und  im  Yalsugan,  bestätigte  das  Bozener  Statut,  welches  italienische 
Emschleicher  hintanhielt,  und  gab  damit  zu  einer  in  den  folgenden 

')  So  die  vom  tirolischen  Herzoge  Friedrich  unterm  27.  Juni  1422  im  Hin« 
bUeke  auf  die  Entvölkerung  der  Stadt  mit  einem  Freiheitsbriefe  begnadeten  Tneh- 
macher.  an  deren  Sin'tzo  em  Rector  artis.  Konsuln  u.  s.  w.  standen,  wodurch  sie 
alB  Italiener  gekennzeichnet  sind;  femer  die  von  Augustin  de  Spinolis  aus  Genua 
gefblurten  Seidenweber,  welehe  im  Jabre  1499  ein  Privilegium  erlangten  (Primiwer^s 
Collektaneen  in  der  Uilil.  Tirol.). 

«)  S,  oben  A.  U,  III,  Y,  VI,  VII. 

*)  So  berichtet  St of eil a  dalla  Croce  im  «Florilegio  scientif.-stor.-letter. 

dei  Tirolo  Italiano*  (Padua  185ö)  S.  1,S5  von  einem  , Magister  Placentinus,  Grani- 
maticae  Professor,  quondam  Ser  Segondi  de  Placentia",  welcher  in  einem  Testa- 
mente der  Kli-sabeth  von  Castellbarco.  Tochter  des  Azzo  di  Correggio,  beim  Jahre  1427 
alj-  in  Rovereto  lebend  erscheint,  und  knüpft  daran  die  Vermutung,  diese  Edelfrau 
habe  ihn  mit  sich  nach  Rovereto  gebracht,  um  hier  einen  Strahl  des  Lichtes, 
welche»  damals  über  die  italienischen  Städte  sich  verbreitete ,  leuchten  zu  lassen 
md  80  den  Ort  zu  verherrlichen. 

*)  'An  welch  leidensL-haftlichen  AuHbrüchen  das  italienische  Nationalgefühl 
im  venetianischen  Heere  dumal.s  sich  steigerte,  lehrt  die  Aufforderung  zum  Zwei- 
kampfe mit  einem  deutschen  Krieger,  welche  Ant.  Mar.  Sanseverin,  der  Sohn  des 
JBefehlshaber»  der  Republik,  im  Jahre  1487  vor  Rovereto  erliess,  damit  sieh  yf-i^c, 
um  •wieviel  die  Italiener  dvn  Deutschen  an  Tapferkeit  überlegen  seien  (quuntum 
belli  gloria  Itali  Germanos  antecellant,  wie  der  Geschichtschreiber  P.  Bembo 
schreibt,  93.  2.  195).  Die  Republik  Hess  es  ni(  Iii  nn  Si  hiiiet(  lu  lworten  fehlen,  um 
italienische  Sympaihieen  zu  verbreiten,  aus  welchen  zunächst  sie  selbst  den  grössten 
Nutzen  sog.  So  belobte  rie  nicht  nur  wiedeibolt  (1492,  1501  und  1502)  die  Rovere- 
taner  (87.  1.  405).  sondern  sie  überhftofte  anch  Landgemeinden  mit  Gnadenbesei- 
gungen  (87.  1.  310  -  29.  170,  171). 


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462 


Bidenuann, 


174 


40  Jahren  mit  steigender  Strenge  angewendeten  Maxime  den  Anstoss, 
welche  sowohl  in  Bosen  ab  in  Meian  befolgt  ward.  Sein  diesbesttg- 
liches  Verhalten  weckte  und  belebte  auch  ohne  Zweifel  das  Verlangen 
der  Deutechen  in  Trient  nach  grösserem  Einflüsse  auf  die  Stadivar- 
waltung,  welchem  Wunsche  die  dortige  Statutargesetzgebung,  aber  nur 
vorübergehend,  Rechnung  trug  (52.  G8).  Maximilian  I.  und  Ferdinand  I. 
fassten  die  italienif^clien  Wirren  in  Trient,  namentlich  die  durch  geistliche 
Pfründenwerber  ins  Werk  gesetzten,  noch  schärfer  ins  Auge.  Der 
Letztgenannte  bemichtigte  ach  sogar  gelegentlich  des  Bauemanfruhn 
des  ganzen  Fürstentums  Trient  und  schickte  sich  an,  es  nebst  andern 
reicfasunniittelbaren  Gebieten,  welche  Maximilian  I.  den  Venetianem 
abgerungen  hatte,  der  Gr;iis( liaft  Tirol  einzuverleiben,  wurde  jedoch, 
was  jenes  Fürstentum  anbelangt,  durch  die  Einsprache  des  Bischofs  Bem- 
hai'd  von  Cles,  der  zugleich  sein  Grosskanzler  war,  hieran  gebindert  und 
begnügte  sich  mit  gewissen  Vorbehalten,  welche  dem  deutsdien  Elemente 
immerhin  zu  statten  kamen  (11.  105,  123).  In  den  ersten  Jahren 
seiner  Regierung  regte  sich  dieses  anch  oder  verrilt  es  wenigstens 
noch  einige  Leben.skraft  im  Avisio-  und  Sarcathale,  sowie  unter  Maxi- 
milian im  Gröflnerthale  das  Bedürfnis  nach  deutscher  Seelsoi^e  sich 
geltend  gemacht  hatte.  Im  Thale  Primör  aber  f^ing  es  mit  dem  Ver- 
falle der  Bergwerke  zu  Gnmde  und  im  Fersinathale  erlitt  e^  aus  der 
gleichen  Ursache  eine  empfindliche  liinbusse. 

IV.  Abarmaligea  Anpinkommen  der  itaileniadhefli  Vatiomslttit. 

(1530-1050.) 

Die  Nachgiebigkeit  Ferdmands  I.  gegenüber  den  Protesten  der 
Trientner,  auf  deren  ungestOmes  Andringra  eben  die  hiesigen  Bischdfe 
sich  ihm  widersetston  %  hestSrkte  diesen  Widerstend  nnd  verleitete  aach 

die  Roveretaner,  si*  Ii  als  Ge^nier  des  Gebrauchs  der  deutschen  Sprache 
herrorzuthun  *).  Auf  dem  Felde  des  Verkehres  und  auch  sonst  den 
Deutschen  sich  überlegen  fiihlend.  entwickelten  nun  die  Italiener  auch 
ausserhalb  ihres  eigentlichen  Wohngebietes  eine  Rührigkeit,  die  sie 
allenthalben  auftauchen  und  die  ihnen  gezogeneu  Schranken  durch- 
bredien  machte.  Italienische  Priester  folgten  diesem  Beispiele,  stiessen 
jedoch  gleich  denjenigen,  in  deren  Fussstepfen  sie  traten,  bei  den  mka- 
trauischen  ^Krolem  auf  mancherlei  Hindernisse'),  so  dass  sie  nicht 


')  Kardinal  Christnpli  von  Madruzz  hat  dies  in  eUMm  SobreibeB  an  dat 
Innsbrucker  U^iment  unumwunden  eingestanden  (11.  37). 

*)  NatfbtieherweiM  wixkto  di«  auf  weitere  Kreiw  anitocilnnd,  mid  m  lutA 
•ich  Job.  Jakol  Römer  von  ]\raretscb  im  Jährt»  1555  bewogen,  den  ihm  befrenn- 
deton  italienischen  Doktoren  an  den  welschen  Cionfinen  zuliebe  die  turolische 
Landesordnnng  vom  Jahre  1532  ins  Lateinieche  sa  UbersetBen.  In  der  Widmnig 
an  Kaiser  Ferdinand  vom  26.  April  1556  betont  er  die  Notwondit,'keit ,  holcher- 

geMtalt  dieses  Gesetzbuch  den  Kichtem  und  Unterthanen  der  dortigen  .Ualica 
ominia'  (lingua  germanica  carentibns)  verständlich  sn  machfln.  (Uk  Terdaak»  die 
Kenntnis  seines  Elaborats  meinem  geehrten  Herrn  Kollegen  Prof.  Lnadis-flNB- 
grenth,  welcher  eine  Abfchrift  davon  beutst.) 
»)  S.  oben  S.  403,  413,  416. 


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75] 


Die  NatiomOittteB  in  Tirol  etc. 


463 


einmiil  unter  dem  Schutze,  welchen  Erzherzog  Ferdinand  II.  in  Tirol 
ihnen  angedeihen  lie.ns,  am  Innsbrucker  Hofe  vor  Anfeindungen  sicher 
waren.  Doch  hielten  Höflinge  dieser  Nationalität  letzteren  hier  stand 
und  die  QegetaeSonDBJdon  brachte  den  Romanismus  in  den  yerschie- 
densten  Gestalten  Aneder  zu  Ehren,  so  dass  es  zum  guten  Tone  gehörte, 
italienisch  zu  sprechen,  und  es  ein  Zeichen  katholischer  Glaubensinnig- 
keit war.  wenn  Priester,  die  dieser  Sprache  sich  bedienten,  begeisterte 
Aufnahme  fanden  ^).  Desto  leicliter  behaupteten  sich  solche  in  Gegenden, 
wo  romanische  Dialekte  von  alters  her  Üblich  waren,  ausser  wenn  diese, 
wie  an  der  Schweizer  Orenze,  zur  Verbreitung  protestantischer  Lehren 
dientett,  in  welchem  Falle  sie  freilich  samt  den  betreffenden  P^digem 
der  Pflege  der  deutschen  Sprache  weichen  miissten.  Und  je  mächtiger 
die  Gönnerschaft,  deren  sich  italienisches  Wesen  damals  am  Innsbrucker 
Hofe  erfreute,  war,  desto  kühner  hob  es  im  Süden  des  Landes  das 
Haupt  empor,  insbesondere  zu  Trient.  wo  nun  die  Gescliiedenheit  der 
Nationalitäten  einem  Gemeugsel  Platz  machte,  in  welchem  die  italie- 
nische der  Hauptsache  nach  vorwaltete.  Die  Stadt  Bozen  war  nahe 
daran,  dem  ninuichen  Schicksale  zu  yerfaUen*). 

y.  Periode  des  Stillstands. 

(1650-1750.)») 

Bei  diesem  Entwickelungsstadinm  anklangt,  hielten  beide  Nationa- 
lituten im  Ringkampfe,  den  sie  bis  dahin  mcht  Uoss  mit  geistigen  Mitteln 
geführt  liatten,  gleichsam  ermattet  innc,  und  nur  in  der  Landeshaupt- 
stadt machten  sich  Nachschwiiigungen  bemerklich,  welche  von  den  hie- 
sigen Deutschen  als  Bedrängnisse  oder  doch  als  Kränkungen  empfunden 
wurden  (A.  II).  Im  übrigen  Lande  nisteten  sich  unter  dem  Schutze 
des  Gleichmuts  Italiener  ein,  wie  bisher,  und  erlosch,  von  niemand 
betrauert,  der  Qebrauch  der  deutschen  Sprache  an  Orten,  wo  er  bis 
dahin  schon  in  steter  Abnahme  begriffen  war.  Am  duldsamsten  erwies 
sich  damals  gegen  die  ihr  anhaffindpu  Spuren  des  Deutschtums  die 
Stadt  Trient,  wenigstens  bis  gegen  das  Ende  des  siebzehnten  Jahrhun- 
derts (11.  29—31). 


')  Dies  achüdert  mit  lebhaften  Farben  Beda  Weher  in  seinem  Buche 
•Tirol  nad  die  Reformation*,  Imnbr.  1841.  Hptstk.  XIX.  Vgl.  Hermann  Sohmied*« 

luftor.  Roman  ^Tior  Kanzler  von  Tirol"  (1862). 

')  Im  Tenetianischen  Gebiete  litt  damab  deuteohea  Wesen  durch  Verge- 
wal^gung ,  vor  weleher  auch  die  ÜrcUieheo  Organe  nicht  sniitolnelireekten.  Be- 

7,ü>?licli  des  vom  Könige  Pipin  gestifteten  St.  Zenoklostors  in  Verona,  das  bis  zm 
Pest  vom  Jahre  1630  mit  dentschen  Beaediktinermönchen  besetxt  war,  meldet 
diei  ZeQler  in  seinem  Itinerarium  Italiae  (Frankfurt  a.  M.  1640)  8.  84.  Genaner 
spricht  sich  über  die  Drangsale,  welche  die  Italienisierung  dieses  Klosters  r.uni 
Zweck  hatten,  der  letzte  Anwalt  des  deutschen  Charakters  dieser  .Stiftung.  P.  Markus 
Haim,  in  einem  Gesuche  an  den  Erzherzog  Leopold  von  Tirol  aus,  d.  d.  18.  Okt.  1G30 
(I.  8t.-A.  Leopold.  A  200). 

')  Nach  Ambrosi  (2.  26)  «nn  periodo  di  decadimento',  und  swar  schon 
▼om  Jahre  1600  an. 


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464 


Bideimaim, 


L76 


Tl.  Oesteigertos  ümsichgreifeii  der  TemralsclNing^. 

(1750—1866.)  <) 

Während  bei  den  Deutscheu  die  Abspannung  anhielt  und  sie 
stumpf  machte  gegen  dasjenige,  was  in  ihrer  Mitte  vorging,  rafften 
sich  die  Italiener,  Tomehmlich  aus  ökonomischen  Orflnden,  bald  wieder 

zu  thätigeni  Vorgehen  auf.  Sie  gründeten  namentlich  im  Etschtale 
neue  Ansiedlungen  oder  erwarben  teils  kaufweise  teils  durch  Kolonats- 
vertriigo  Bauenigüter  und  zwar  so  zahlreich,  wie  nie  zuvor.  Ganze 
r)<jrfer  iielen  dieser  nationalen  W.indlung  anheini  Andererseits  naiun 
nun  der  Niedergaug  des  Deutschtums  unter  den  Italienern  Südtirols, 
besonders  in  den  Städten,  einen  beschleunigten  Yerlaof.  Das  selbst- 
bewusste,  von  altgewohnter  Geistesarbeit  begleitete  Auftreten  der  hie- 
sigen Italiener  wirkte  wie  das  Entfalten  eines  Banners,  um  welches 
die  Halbgebildeten  ohne  Unters«  hied  der  Abkunft  sich  scharten,  zu- 
mal den  Deuts«  ht  n  daselbst  die  italienische  Sprache  längst  ^'■eläufigr 
geworden  war  und  die  wenigen  Bildungsbehelfe,  welche  densellien  in 
ihrer  Muttersprache  dargeboten  wurden,  keinen  Vergleich  aushielten  mit 
dem  Ton  italienischen  raestem  geleiteten  oder  ertdlten  Unterrichte 
Auf  dem  jflacheu  Lande  war  dieser  vollends  von  durchgreifender  Wir- 
kung, wozu  im  Brenta-  und  Fersinathale  nicht  wenig  das  Erloschen 
des  regen  Wechsel  Verkehrs  beitrug,  in  weU  hein  die  hiesigen  Deutschen 
mit  den  ^Cimbern'*  der  vicentinischen  Gebirge  gestanden  hatten  und 
dessen  Spuren  .noch  M.  Pezzo  (54.  2.  48)  ,all  angolo  di  Treuto''  in 
dem  Ausspruche  dortiger  Deutschen  vemsiim:  sie  seien  «alle  Brüdern, 
alle  Sbestem*.  Viel  schadete  diesfalls  die  ital.-französ.  Zwischenregierung 
von  1810 — 1813  (s.  o.  S.  446).  Deutscher  Gottesdienst  erhielt  sich  eher 
noch  in  geschlossenen  Orten,  als  unter  der  bäuerlichen  Bevölkerung,  welcher 
seit  der  Vereiniguni^  Venetien^»  und  der  Lombardei  mit  Oesterreich  auch 
kein  behördlicher  Befehl  oder  Wink  zur  Hilfe  kam.    Vielmehr  galt  es 

*)  Ambrosi  nennt  (2.  41  ff.)  die  Zeit  von  1750—1820  «La  rioosaa*  und 
erörtert  den  Beginn  derselben  mit  spezieller  Bezugnahme  auf  Rovereto. 

*)  Von  den  Ursachen  dieser  Erscheinung  bandelt  mit  grosser  Suchkenntiiis 
Dr.  An  gerer  (4).  Vgl.  aber  anch  die  unter  87  dtierto  Schrift  Ton  Matthias 
Kooh. 

An  dieses  geistige  Uebergewicht  kann  nicht  oft  genutf  erinnert  werden. 
Et  rdcDt  unstreitig  ois  ins  ftnfsämto  Jabrbundert  ztiHl<».   was  geschali  nidbt 

italienischerseits  für  die  Bildung  der  Jugend  in  Triont  (15.  3.  302).  Aren  (58.  1.  53, 
63.  2.  10),  Kovereto  (s.  oben  die  Note  3  auf  S.  461),  Riva  (53.  2.  446),  ja  selbst  in 
Meinen  Örten,  wie  Pergine  (16.  75-80),  Tione  (29.  188,  Note  *)  n.  &  w.!  Ma^ 

auch  Ruhmrediglieit  manche  unbed«'utende  Schule  /.um  „Ginniu^io"  aufgebauscht 
haben,  so  ist  doch  nicht  zu  leugnen,  dass  es  unter  den  Italienern  Tirols  um  die 
Ifitte  des  ftlnlkdmten  Jahrhunderts  mehr  Gelehrte  und  mehr  zur  höheren  Bildung 
angeleitete  Menschen  gab  als  in  Deutschtirol  hundert  Jahre  später.  Und  dieser 
Abstand  wirkte  nach,  wieviel  auch  in  Nordtirol  späterhin  für  das  Schulwesen  ge- 
schah (worflber  Dr.  Jos.  Hirn  in  seinem  Buche  „Erzherzog  Ferdinand  11.",  Inns- 
bruck 1885,  S.  322  ft".  Belege  bringt).  Er  erleichterte  im  Vereine  mit  dem 
Wohlklange  der  italienischen  Sprache  dpu  Priei^ttTii  dif  Yollbrinpung  des  W^-rk»--. 
das  nicht  von  ihnen  allein  begonnen  worden  war  und  auch  nicht  dun  h  sie  aliein 
zo  Ende  geführt  ward.  Zu  T  r  i  e  n  t  gab  es  übrigens  aobon  im  Jahre  1459  eine 
deutsche  Volk8s>cliule.  an  welcher  der  Magister  Joh.  Wisser  aus  München  als  Lehrer 
wu^kte  (16.  438,  Note). 


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77] 


Die  Nationalillteit  in  Tirol  etc. 


465 


seitdem  für  eiii  Regieruugsprinzip,  die  sogen.  Welschtiroler,  aus  deren 
Reiht'ii  die  Staatsgewalt  ihre  verliisslidist«!!  Organe  für  die  Verwaltung 
der  vor<r<'na7mten  zwei  Provinzen  sich  erkor,  durch  nichts,  was  sie  in 
nationaler  Beziehung  hätte  verstimmen  können,  an  ihrer  Loyalität  zu 
beirren,  und  es  konnte  in  dieser  Hinsicht  sogar  nur  von  Vorteil  sein, 
wenn  recht  viele  der  Abstanunung  gem&u  mit  deutschen  Eigenschaften 
ausgestattete  Kandidaten  des  Staatsdienstes,  welche  gewandt  italienisch 
sprat  hen,  sich  darboten  So  vermeinte  denn  die  Regierung,  die  Ver- 
welschung  der  spärlichen  Reste  deutscher  Einwohnerscliaft  in  den  beiden 
südlichsten  Kreisen  von  Tirol  eher  fiirdern  als  hindern  zu  sollen.  Zum 
mindesten  verliielt  sie  sich  passiv,  wogegen  der  italienische  Klei-us, 
unterstützt  von  deigenigen,  welchen  damals  schon  die  Lostremiuug 
besagter  Gebiete  Ton  Oesterreich  als  Ziel  vorschwebte,  alle  Hebel  an- 
setzte, um  die  auch  ihm  lästigen  Deutschen  so  rasch  als  möi:^Iich  dort 
verschwinden  zu  machen.  Nicht  einmal  die  Errichtung  einer  Lehrkanzel 
für  deutsche  Sprache  am  Trientner  Lycpum ,  welche  in  dit'se  Periode 
fällt,  ging  aus  der  initiative  der  Regierung  hervor,  sondern  es  gab 
dazu  der  Vertreter  der  Städte  Trient  und  Riva,  Abraham  von  Schreck, 
in  der  Sitzung  des  Tiroler  Landtags  vom  22.  April'  1823  den  An- 
stoss  (11.  49). 


YIL  Wirkaame  Yenmohs,  der  Yerwelsclraiig  Einhalt  zu  thnn. 

(1866  ff.) 

Mit  der  Abtretung  Venetiens  und  der  Lombardei  an  das  Königreich 
Italien  sind  die  Voraussetzungen  Air  das  oben  erwähnte  Regierungs- 
prinzip hinfällig  geworden.  Bevor  noch  die  erstgenannte  Provinz  das 
Schicksal  der  anderen  teilte,  ei-fasste  im  Frühjahre  ISOt)  der  damalige 
Statthalter  in  Tirol,  Fürst  Karl  Lobkowitz,  die  veränderte  Sachlage  und 
er  säumte  nicht,  daraus  die  richtigen  Folgeruni;en  zu  ziehen,  indem 
er  aul  Verwendung  des  Hofrates  in  Trient,  Graten  Karl  Hohen wai-t, 
den  deutschen  €kmeinden  zu  Palü,  Luserna,  Laurein  und  P^oveis 
StaatsbeitrSge  zum  Unterhalt  von  Lehrern,  die  in  der  deutschen  Sprache 
unterrichten,  erwirkte  (5.  13.  58,  Note  14)      Im  folgenden  Jahre  wurde 

M  Schon  im  Jahre  1819  war  iL  y.  Bonelli  aus  Cavalese  Präsident  des  Zivil- 
tnhunalt  sa  Verona,  Fz.  8.  y.  ünterricbter  aan  Kaltem  Tribunalffprttadent  zp 

Belluno,  Fr.  v.  On-fici  au?»  Rovercto  Vizx'in-ä^iil^  iit  des  Ai)p*jllationsf»ericht»  zu  Mai- 
laad, K.  Isidor  Koner  aus  Calliano  Vizedelegat  zu  Padua,  Ferd.  Dordi  aus  Borgo 
di  Talmgana  Gnbemiahat  za  Mailand,  Jos.  v.  Luima^teniefiw  aus  Imubrack 

IVibunalspräsident  zu  Ver  >i\  i .  K.  Jnst.  V.  Tomeani  au8  CSes  XNalegat  sn  üdme 
u.  s.  w.  (Bibl.  Tir.  Hdschft.  s.  020). 

•)  Die  erste  Anregung  dazu  soll  vom  k.  k.  Schulrat*  Anton  Stimpel  im 

Jahn«  1865  gegt  in  II  worden  sein.  Doch  haben  sich  um  die  Wiedererweckung  des 
deutschen  Schulwe.sens  zu  Trient  vorher  schon  die  dortigen  KapUlne  Don  Patiss 
(72.  175)  und  Don  Wörndle,  letzterer  vom  damaligen  liirstbischöflichen  Sekretär 
MühlbergtT  unterstützt,  verdient  gemacht.  Benit^^  im  .lahre  1873  besuchten  die 
dorti«:»-  deutsche  Privatschule  83  teils  männliche,  teils  wcihlicho  Schüler  und  waren 
daiuntor  40.  deren  Vater  und  Mutter  der  italienist  hen  Nutionulitüt  angehörten. 
S.  die  Korresj)ondenz  aus  Trient  in  Nr.  14  des  ,Bot»*n  f.  Tirol  n.  Vordrlber^"  vom 
Jahr  1873.  Von  1818—1826  wurde  an  der  Normalschule  zu  Trienfc  Unterricht  im 


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466 


[78 


hinwieder  die  Staatssubvention,  welche  der  italienische  Kaplan  zu  Bozen 
bezog,  eingestellt  (A.  VII)  und  im  Jahre  180i<  die  italienische  Schule 
zu  Buchholz  in  eine  deutsche  verwandelt  (A.  VIII).  Mittlerweile  hatte 
sich  in  Imuibruck  ein  «Eomitoe  zur  UntetBUtteung  der  deutacliMi  Sehnkn 
in  Welechtirol  und  an  der  SEmMshgrenae*  ^bildet,  welchem  Beiträge 
an  Geld  und  Lehrmitteln  sowohl  aus  Oesterreich  als  aus  dem  deutschen 
Reiche  zuflössen.  Kaiser  Franz  Joseph  spendete  demselben  gleich  nach 
Beginn  seiner  Wirksamkeit  000  Gulden  ^).  Die  Regierung  fiihr  fort,  in 
jenen  Gegenden  die  Errichtung  deutscher  Schulen  zu  begünstigen  und 
selbst  Hand  daran  zu  legen.  Sie  bedachte  mit  solchen  auch  die 
Ddrfer  Faesilongo  (Gereidt)  und  Roveda  (Aichleit)  im  Ferainathale 
und  d&s  Dorf  Ruffrfe  auf  dem  Nonsberge.  Später  nahm  sie  sich 
ausserdem  der  Schulen  zu  St.  Sebastian  in  Vilgreidt  (Folgaria),  ztt 
St.  Felix  nnd  zu  San  Franzesco  (di  Fierozzo)  im  Fersinathale  an. 
Erstere  wurde  seit  l!^75.  die  beiden  letzteren  seit  1878 — 1879  allmählich 
verdeutscht.  Zu  Vignola  (im  Brentathale)  versuchte  sie  das  Gleiche, 
drang  aber  bisher  nicht  ToUst&ndig  damit  durch.  Mit  Beginn  des  Schul- 
jahres 1878—1879  erSffiiete  de  zu  Trient  an  Stelle  der  Privatrolks- 
schule,  welche  der  hiesige  deutsche  Ktqilan  hielt,  eine  dreiklassige 
deutsche  Staats  Volksschule,  deren  Erweiterung  zu  einer  vierklassigen 
im  Schuljahre  1884 — 1885  erfolgte.  Die  k.  k.  Lehrerbildungsanstalt  zu 
Rüvereto  stattete  sie  im  nämhchea  Jahre,  wo  Trient  die  vorerwähnte 
Schule  erhielt,  mit  einer  dreiklassigeu  deutscheu  Uebungsschule  für  Knaben 
und  MSdchen  aus,  mit  welcher  ein  Kindergarten  in  Verbindung  steht. 
Dazu  kommen  deutsche  Freikurse  an  22  italienischenSchulen  WeLsch- 
tirols,  deren  Abhaltung  durch  Remunerationen  aus  Staatsmitteln  im 
Betrage  von  25  bis  1*^0  Gulden  gesichert  ist.  Der  Gesamtaufwand 
fiir  das  deutsche  Schulwesen  in  den  ehemaligen  Kreisen  Trient  und 
Kovereto,  welchen  der  österreichische  Staat  bestreitet,  beträgt  jährlich 
15  000  Childen*).  Ausserdem  Tcrwendete  der  1880  gegrandete 
Deutsche  Schul  verein,  dessen  Hauptsits  Wien  ist,  bis  xnm 
IG.  Febniar  188()  für  Schulen  Südtirols  34114  fl.  59  kr.  (wovon 
8054  fl.  91  kr.  in  Tirol  selbst  angebracht  worden  waren)  und  zwar 


Deutschen  erteilt,  und  zwar  in  8  Klaasen  dersellx^n.  Als  die  Kt'git!runj,'  sich  cnt- 
8chlo88,  am  dortigen  Lyceum  eine  Lehrkanzel  für  deutsche  Sprache  und  Litteratur 
zu  errichten,  fimd  sie  es  ftberflUnng,  jenen  Unterrieht  weiter  eifeileD  ra  1s— gn 
(U.  48). 

')  Das  Komitee,  welches  später  den  Namen  ^Deutsche  Schulgeäcllüchaft  za 
Inndbruck'  sich  beilegte,  hat  über  sein  sehr  erspriesslidies  Wirken  bisher  Tier 
Berichte,  den  h'tzten  im  Talire  1883,  durch  den  Druck  veröffentlicht.  Dasselbe  hat 
aich  namentlich  um  die  Ausbildung  von  Lehrern  für  die  fraglichen  Schulen  und 
um  die  Verbreitimg  deutscher  Lehrmittel  verdient  gemacht.  Beide  Aufgaben  Ter> 
fol^t  es  noch  go^'cnwärtig.  Den  Verkehr  mit  dennuben  vermittelt  die  Wagnenehe 
Univeraitätflbuchhandlung  zu  Innsbruck. 

*)  üeber  Entitehmig.  Zwedi  und  Bedeutung  dies«:  Anstalten  gibt  eine  jüngst 
h(A  F.  J,  GMsner  &  Coniii.  in  Innsl'nirk  erschienene  Broschöre:  ,Dafi  deutliche 
Schulwesen  in  ItaUenisch-Tirol*,  Aufschluss.  als  deren  Verfasser  der  k.  k.  Lande»- 
9chn1in.'<})ektor  Oustav  Herr  genannt  wird.  Vgl.  audi  die  BrOrterun^  dieses 
(u'^en!<tan<l<'s  (durch  Reden  der  .Mitjeordneten  Frhr.  v.  Malfatti  und  Dr,  "W  eitlof) 
im  stcnogr.  Protokolle  des  österr.  Uauttes  der  Abgeordneten,  X.  Session,  Sitxang 
(am  3.  AprU  1886). 


79] 


Die  NationalitUen  in  Tirol  etc. 


467 


Tomekmlich  zum  Zwecke  des  Neubaues  oder  der  Erwdt^ng  von  Schul- 
liausem  (zu  St.  Jakob  bei  Leifers.  zu  Ruffro,  Proveis  und  St.  Felix  im 
Nonsberge,  zu  Pähl,  Aichleit  und  Gereidt  im  Fersinathale,  zu  Lusema, 
zu  St.  Sebastian  in  Folgaria  und  mehroris  im  Thale  Enebei^ Auch 
der  Deutsche  Schulverein,  dessen  Hauptsitz  Berlin  ist,  und  ein- 
zdne  Ortsgruppen  desselben  (namentlich  Bansen,  Stattgart  und  Frank- 
iart  a.  M.)  haben  in  den  letat^  Jahren  jenen  Zweck  fördern  geholfen  *). 


Anhang. 

a)  WoJmplätsd  der  Jadan  in  üroL 

So  Terachwindend  klein  die  jüdischen  Bestandtefle  der  Bevölkerung 
Tirols  nm  jeher  sind,  so  trfigen  sie  doch  das  Ihrige  sowohl  zur  Ver^ 

breitung  der  italienischen  Nationalität  als  zur  Vervollständigung  der 
deutschen  im  Lande  bei.  Und  da  sie  im  übrigen  ihre  Eigenart  bei- 
behielten, insbesondere  der  Religion  ihrer  Väter  mit  äusserst  geringer 
Ausnahme  treu  blieben,  so  verdienen  sie  als  Besonderheiten  auch 
spezielle  Berücksichtigung.  Als  Orte,  wo  sie,  freilich  in  sehr  be- 
schiSnkter  Zahl,  anf  tirolischem  Boden  ihre  Wohnsitze  anschlugen, 
smd  hier  folgende  zu  nennen: 

Borgo  di  Valsugana.  Ein  von  hier  gebfirtiger  Jude  namens  Bene- 
dikt Haltpruner  war  im  Jahre  1602  Diener  beim  jüdischen  Kaufmann 
May  zu  Innsliruck  (Innsbr.  Stdt.-A  ).  Unterm  18.  Februar  IGIO 
erteilte  Erzlierzog  Maximilian  von  Tirol  dem  liier  ansässigen  Juden 
Benedetti  sicheres  Geleit  auf  ein  Jahr  (I.  St.-A.,  Leop.  ö.  11). 

Bo^en.  Hier  waren  schon  im  .Jahre  1525  Juden  ein  Angriffsobjekt 
fUr  die  aufständischen  Bauern  und  wiu'de  namentlich  der  als  Geld- 
makler, Pfandleiher  und  Seidenstickw  bekannte  Jude  Simon,  welcher 
selbst  mit  Kaiser  Karl  V.  GFeldgeseh&fte  gemacht  haben  soll,  von 
ihnen  gepltlndert  (82.  99).  Ein  Sohn  dieses  Simon  namens  Joseph, 
zu  Bozen  wohnhaft.  <  rhielt  unterm  27.  Mai  1548  vom  Könige 
Ferdinand  einen  SchutÄbrief  für  sich  und  seine  Söhne  Oerson  und 
Aron  sowie  für  seinen  Eidam  Gerscm  (I.  St.-A.,  Leop.  J.  22). 
1551  erscheint  auch  schon  ein  hier  neu  angesiedelter  Jude  namens 


(iffiiilige  Mitteilung  der  Vereinaleitung.  Ueldunterstützungen  an  Schttl- 
lehxer  wurden  nur  in  verhältnismässig  wenigen  Fällen  vorabfolgt.  Zu  Leifen  er> 
mOgliidite  der  Verr-in  dii^  Krntfming  eines  Kindergartens. 

')  Näher<>s ,  aljer  nit  ist  ohne  AngaW  der  betretfeuden  Orte,  enthält  hier- 
über dM  »Korrespondenzblatt  des  Deutlichen  Schulvereins  zu  Berlin".  Herr  Dr. 
M.  Gehre,  dir  Virfanper  der  mir  t'f^t  während  des  Druckes  der  vorliegenden 
Arbeit  bekannt  gewordenen  inbaltereichen  äcbrift  .Die  deutschen  Sprachinseln  in 
Oeitmrraidi*  (Orowrahain  1886),  sch&izt  in  «nenn  an  mich  gerichteten  Antwortr 
schreiben  die  Summe,  weldi«^  bisher  ans  dem  Deatmlien  Reiche  ftr  Schnlswecke 
usLoh  Tirol  Üoss,  auf  beilüutig  5000  Mark. 


468 


Bidermaiiii, 


[80 


Abrahnin  (Ebenda,  Pest-Abthg.  XVII,  öT),  1618  neben  Gers*ou.  der 
unterm  I  L  Xovfmbcr  lt)13  von  der  Pflicht,  das  gelbe  Kennzeichen 
tragen  zu  niü.ssen,  durch  den  Tiroler  Landet^fürsten  befreit  worden 
war,  ein  Nachkomme  des  1 509  durch  Kaiser  Max  I.  gefreiten  Juden 
Salomon  von  Bassano,  der  sich  Grassini  nannte  (Ebenda,  Leop.  J.  22) 
und  1(310  als  Handelssensal  der  Hebräer  Jeremias  Luzzati  (Ebenda, 
Kopeybuchl,,  Causa  Domini "  von  ir>17— 1019,  Bl.  448).  UmdieseZeit 
übte  auch  schon  ein  jüdischer  Siedelkoch  (Traiteur),  Elias  Moravia, 
hier  sein  Gewerbe,  besonders  zu  Marktzeiten,  aus  (82,  57).  1678 
gab  es  daselbst  bereits  3  jüdische  Sensale.  Als  einer  derselben, 
Abraham  NoTara,  starb,  bewarb  aidi  um  dessen  Stelle  Emanuel 
Isaak  Lewi  von  Mantua  (I.  St-A.,  Pest-Abthg.  Vin,  81).  Die  da- 
maligen Bozener  Juden  gehörten  also  zumeist  oder  gar  aus- 
scliliesslich  der  italienischen  Nationalität  an.  Im  18.  Jahr- 
hundert aber  änderte  sich  dies.  Zwar  lebte  hier  im  Jahre  1783 
noch  ein  Isaak  Moravia;  aber  neben  ihm  hatten  die  Familie  des 
Heinrich  Handle,  welcher  auch  3  Knechte  seines  Bekenntnisses  mit 
Hausieren  beschäftigte,  und  Markus  Oerson  mit  2  Stiefsöhnen  in 
Bozen  ihren  Wohn.sitz  und  letzterer  betrieb  die  jüdische  Siedel- 
küche (I.  St.-A.,  Puhl.  875,  Gub.-Bericht  vom  24.  Dezbr.  1781). 
Die  crst^j^cnaiuit*'  Familie  bewolnite  das  sogen.  Judenhaiis,  in  welchem 
sich  tinc  Synagoge  befand  und  von  dem  die  Sage  geht.  Kaiser 
Siegmuud  habe  es  um  das  Jahr  143G  zu  Gunsten  eines  veuetia- 
nisdien  Juden  Namens  Messaneh  privilegiert,  weil  dieser  ihm  gegen 
die  Venetianer  mit  PlroTiantlieferung  beigestanden  hatte  ^).  Später 
übersiedelte  sie  in  das  von  ihr  erbaute,  jetzt  Eberlesche  Haus  auf 
dorn  Johannisplatze.  Sie  besass  angeblicli  auch  den  sogen.  Juden- 
hot Hl  Terlan.  Ebenso  war  die  Familie  Gerson  Besitzerin  nicht 
nur  eines  Hauses  in  Bozen,  sondern  auch  anderer  Realitäten,  was 
jedoch  im  Jahre  1846  durch  das  lunsbrucker  Gubemium  als  un- 
gesetzlich angefochten  wurde.  Erst  ab  Amschel  Rothschild  sich 
ins  Mittel  legte  und  die  Bedrängten  auf  die  deutsche  Bundesakte 
sich  steillen,  gab  das  Gubemium  nach.  Kurz  vorher  hatten  die 
Gebrüder  Schwarz  aus  Hohen embs  (in  Vorarlberg)  sich  in  Bozen 
niedergela.ssen  und  die  Bierbrauerei  zu  A'ilpian  in  ihr  Eigentum 
erworben.  Auch  sie  sollten  weichen,  erwii'kteu  jedoch,  durch  den 
Wiener  Banquier  Freiherm  von  Eskeles  unterstützt,  die  Zurück- 
nähme  ihrer  Ausweisung  und  die  grundbflcherliche  Intabulierung 
jenes  Eigentums.  Seither  ist  die  Gersonsche  Familie  im  Manns- 
stamme ausgestor))en.  Gleiches  gilt  von  der  Familie  Lehmann,  und 
die  in  den  .sechziger  Jaluvn  aus  Triest  daliin  gekommene  Familie 
Hänschel  ist  wieder  fortgezogen,  so  dass  dermalen  bloss  die  Familie 


')  W'ahi-scht-'inlich  ist  damit  der  oben  tri'nunnU-  .Fude  aus  Bassano  gem^-int.  wel- 
chem Kaiser  Max  I,.  d.  d.  Bozen  7.  Dezember  15Ö9,  w^ea  der  im  damatigen  Kri^ 
gegen  die  Repultlik  Venedig  geleisteten  Dienste  ein  »cbatcdekret  verlieh  (I.  St-A.. 
l^eop.  J.  22).  Iis  hat  jedoch  nicht  den  Anschein,  als  wäre  der  damit  Begnadete 
7.  II  Bozen  p e  s  >  Ii  a  f  t  g  e  w  o  r  d  6 n.  Das  Dekret  lautete  auch  auf  alle  österreichischen 
Länder  mit  Aufnahme  des  Erzherzogtums,  dami  Steiermarks  und  Kärntens. 


81] 


Di«  NatioDftUtUen  in  Tirol  etc. 


469 


Schwarz  in  Bozen  das  liier  ansiissicre  Judentum  repräsentiert^). 
Gleidnvolil  i>t  die  Zahl  dt  r  liiesigeu  Juden  vom  Jahre  ISÜil — 1880 
geäUegt  iL  Uli  .  iiwar  von  11  auf  24,  wozu  noch  19  im  politischen 
Bezirke  (Umgebung)  Bozen  kommen. 

Brixen.  Die  Erlaubnis,  hier  zu  wohnen,  erhielten  die  Juden  .Isak 
Gangmans  Sun  und  Samuel,  sein  swager*  Tom  Bischof  Ulnch 
(aus  Wien)  unterm  11.  Norembw  1403  zuerst  auf  2  Jahre  in  An- 
betracht (I  i  Gebrechen,  an  welchen  das  hiesige  (Tcldleihwesen  litt, 
und  um  die  Cliristen  vor  Versündigung  (durch  Zinsennahme)  zu 
bewahren.  Ausser  einem  Hause,  für  das  sie  40  Dukaten  Miete 
zahlten,  erhielten  sie  vom  Bischöfe  auch  ,ain  stat,  da  si  Ir  tote 
Juden  lunbegraben",  eingeräumt.  Das  Privilegium  (s.  den  Wort- 
laut bei  Sinnacher,  Beik.  z.  Oesch.  d.  bisch.  Eirche  Säben  und 
Brixen,  VI,  25  if.)  erstreckte  sich  auf  ihre  Diener  und  das  Hans- 
gesinde. Ob  sie  aber  davon  Gebrauch  machten,  ist  ungewiss.  Dsigegeak 
müssen  sich  um  die  Mitte  des  sechzehnten  Jahrhunderts  Juden  in 
grösserer  Anzahl  im  Bnxeuer  Territorium  l)efuiiden  haben;  denn 
unterm  18.  DezeuTber  1551  erliess  Bisciiuf  ChriatopU  eine  besondere 
Judenordnung  für  die  nachgesetzten  Obri^^keiten  (BibL  Tir.  HdscbfL 
1229  betr.  die  Territorialrechte  der  Bnzener  Fflrstbischdfe).  Im 
Jahre  1833  (zur  Zeit,  wo  der  Bau  der  Franzensfeste  begann)  kauften 
die  später  nach  Bozen  übersiedelten  Gebrüder  Schwarz  das  Brixener 
Siechenhaus,  um  daselbst  eine  Fabrik  zu  errichten.  Aber  trotz  der 
Gunst,  deren  sie  sich  dort  erfreuten,  verliessen  sie  im  Jahre  1837 
die  Stadt,  um  in  Bozen  als  Pächter  einer  Brauerei  sich  niederzu- 
lassen. Weder  im  Jahre  1869  noch  im  Jahre  1880  wurde  im 
ganzen  Politisdien  Bezirke  Brixen  ein  Jude  gezählt. 

Innsbruck.  Die  älteste  hier  vorkommende  JudenfiEuniilie  ist  die 
der  May,  als  deren  bezüglicher  Ahnherr  wohl  Maggio,  Sohn  des 
Salomon,  zu  betrachten  ist,  welcher  vom  Könige  Ferdinand  einen 
Schutzbrief  d.  d.  Augsburg  18.  Januar  1544  erhielt  (I.  St.-A., 
Leop.  J.  22).  Aber  die  fortlaufende  Keilie  der  Juden  namens 
May,  welche  hier  ein  Hauswesen  hielten,  beginnt  mit  Samuel, 
welchem  Eizherzog  Ferdinand  von  Tirol  am  11.  Juni  1578  an 
seinem  Hoflager  zu  Innsbruck,  oder  wo  immer  dieses  sonst  wäre, 
sich  aulzuhalten  erlaubte.  Derselbe  handelte  vomehmlicli  mit 
Samt  und  -Seide.  Neun  .Talire  später  fnntcnn  '{.  Juli  1587)  dehnte 
der  Er/herzog  dessen  Schutzdekret  aut  die  Kinder  und  das  Haus- 
gesinde aus,  zunächst  auf  8  weitere  Jahre  (1.  St.-A.  Ambr.  Samml. 
vi,  55).  Ntm  kaufte  derselbe  das  Haus  der  Schiesstl  am  Pickenthore 
(Innsbr.  Stdt.-A.,  Stk.  811)  und  begründete  damit  die  Bezeidinung 
«Judengasse*' ,  welche  die  dort  mOndende  schmale  Gasse  fortan 
trug.  Ihm  folgten  Abraham,  Marx  und  Ferdinand  May.  Daneben 
siedelte  sich  um  das  Jahr  1602  des  Erstgemumteu  Schwager,  Jakob 


')  Vorstehende,  die  neuere  Zeit  belretfende  Angabe  BOivie  die  Kenntnis  der 
erw&hntea  Sage  verdankt  der  Verf.  dem  Hrn.  Ernest  Schwan,  einem  der  beiden 
nadi  Bosen  fibersiedelten  Brüder  dieses  Namens. 

VomebUBS»      dealMÜWD  LanJei'  ud  ToUnkood».  L  7.  <I2 


470 


Bidermflan, 


[82 


G<")7,1  aus  Mainz,  an.  Auch  Salomon  Witte  aus  Venedig  wollte 
m  Innsbruck  seinen  Wolmsitz  nehmen.  So  zahlreich  waren  daniab 
hier  die  Juden,  daes  sie  mehrere  Ohristenhäuser  hewohnten,  un- 
geachtet die  Faniilic  Maj  bis  zum  Jahre  1673,  wo  sie  den  Besitz 
auf  4  Jalire  verlor,  ihr  eigenes  Haus  inne  hatte.  Die  Innsbrucker 
Bürgersdiaf't  wollte  sie  in  den  .Tabren  1GG2  und  1(>Ö7  in  ♦^in»» 
besondere  Bt'bau.suiij^  /.usamiiK'n^fi'Zwüngt  wissen  und  noch  10  .lahro 
später  war  die  durtige  Stimmung  ihnen  dergestalt  ungünstig,  dass 
der  Kaiser  unterm  27.  August  167?  die  Verpftebtang  der  Tabmodae 
an  Johann  Ferdinand  May  widerrief  (Innsbr.  Stdt-A.,  SQc.  672). 
Trotzdem  behaupteten  .sich  Iiier  .Juden  in  gidsserer  Angahl.  Audi 
die  1748  über  sie  verhängt*'  Abschatfting  gedieh  zu  keinem  Erfolge. 
Laut  Gul)orni;ilbericbt  vom  -54.  Dezember  1781  (a.  o.  a.  O.)  trab  es 
in  Innsl)rii(  k  damals  allerdings  bloss  2  jüdische  Famiiicii  und  /.war 
namens  Ulleulieimer,  bei  deren  einer  es  heisst,  dass  sie  aua  Frank- 
furt a.  M.  zuzog,  aber  beide  hatten  viele  Kinder  und  zaUreicbe 
Knechte.  Lazar  UflPenheimer  hatte  im  Jahre  1765,  als  da^  kaiser- 
liche Hoflager  in  Innsbruck  war,  hier  gegen  eine  jährliche  Kon- 
zessionsgebllbr  von  20  Guldm  eine  SpezereiwarenliandhnifT  erricbtt^t; 
das  Haupt  der  anderen  Familie  (Gabriel  Utlenlieimer)  nahm  die 
Abwickelung  eines  Salzspeditionsvertrages  zum  Vorwand,  um  liier 
gleichfalls  das  DtnnizO  zu  nehmoi  und  Terlegte  sich  auf  den  Hausier- 
handel Es  dauerte  kein  Jahr,  dass  ein  dritter  Familienvater 
gleichen  Namens  (Abraham  .Tobann)  sich  in  Innsbruck  als  Uhreu- 
und  Seidenhändler  hervorthat,  und  dass  ein  mit  4  Kindern  gesegneter 
Jndp  namens  Abraham  Weil  in  Begleitung  eines  als  Schächter 
dienenden  Knechts  gleichfalls  dort  sein  Domizil  aufschlug  (Gub.- 
Ber.  V.  18.  März  1782  im  1.  St.-A.,  Puhl.  2(52 '/a).  So  melirte 
sieh  daselbst  die  israelitische  Kultusgeraeinde  ziudieods.  Im 
Jahre  1804  zäUte  sie  47  bleibend  anwesende  Mitglieder  (93.  L  63, 
Note  24).  Im  Jahre  1869  ergab  die  VolksÄhlung  dort  (dem 
Glaubensbekenntnissen  nach)  TjO  .luden,  die  vom  Jahie  1^80  aber 
109.  Altansässige  Familien  gibt  es  darunter  nur  wenige:  die 
Danhauser,  Steiner,  Friedmann  '). 

Lienz.  Bis  zum  Jahre  1113  gab  »'s  hier  2  von  Juden  bewohnte 
Häuser,  deren  Insassen  damals  teils  hingerichtet,  teils  vertrieben 
wurden.  Als  29  Jahre  später  ein  jfldiscber  Agent  sich  hier  beim 
Jahrmärkte  ein&nd,  wurde  er  ausgestftupt  (Bibl.  TiroL  Handschr. 
904,  5.  Buch  S.  83,  6.  Buch  a  24). 

Heran.  Die  hohe  Judenziffer  der  letzten  Volkszählung  für  den  Poli- 
tischen Bezirk  dieses  Namens,  nämlich  170  (g^en30  im  Jahre  1860), 
erklärt  sieh  vornehmlich  aus  dem  Aufschwünge,  welchen  die  Stadt 
Meran  nebst  ihrer  Umgebung  als  klimaf is(ber  Kurort  genommen 
hat,  der  gerade  zur  Winterszeit  aucii  am  meisten  von  israehtischeu 

*)  Die  Uftenheimer,  seit  aaderthalb  .lahrzehnien  durcb  eiiie  von  ihnen 
schwunffvoll  betrieben«^  Kmi-tstii  kfrei  und  Kizenffinitr  kin  blicher  Paramente  be- 
kannt, sind,  da  sie  iu  ucucrer  Zeit  Christen  geworden  und  die  Volkszählung  Juden 
nur  der  Rddgion  nadi  keimt,  in  obiger  Zahl  nicht  begriffen. 


83]  Die  NationaUtUen  in  Tirol  etc.  471 

Kurgästen  hcMicht  Ist.  Die  Zahl  der  dort  unsä.ssi;^'en  Juden  ist 
noch  immer  .selir  i^eriii^.  Noch  lebt  derjenige  unter  ihnen,  welcher 
zuerst  in  Heran  sein  Domizil  nahm:  Daniel  Biedermaim  aus  Hohen- 
emb«,  wohin  deamn  Voreltem,  die  sich  Lämle  naimten,  aus  Bayern 
gekommen  waren.  Dieser  eröffnete  dort  im  Jahre  1824  mit  einem 
seiner  Brüder  ein  Warengeschäft,  dem  er  im  Jahre  1846  ein 
Weohselgeschäft  beigesellte.  Seit  dem  .Talire  1852  Bürger  der 
J^tadt  und  Haiislx'sitzer  daselbst,  verkautte  er  im  Jahre  1874  beide 
Geschäfte  einer  jüdischen  Prager  Firma,  ausser  deren  Trägern  und 
den  betreffenden  Familien  bis  in  die  neueste  Zeit  herauf  blom  der 
Vorgenannte  nebst  seiner  Haushälterin  sieh  dort  stabil  au&ubalten 
pflegte  ')•  Wälirend  der  sogen.  Kursaison  finden  sich  da  allerdings 
auch  jüdische  Geschäftsleute  ein,  die  sich  mit  dem  WarenTertriebe 
befassen. 

Mori.  Durch  Freibriet'  d.  d.  Trieut,  (i.  Mära  1554  bestätigte  Nikolaus 
Freiherr  von  Madni/.z.  Herr  der  4  Vikariate,  dem  Jaco]»in  tiol  del 
<J.  Gh^one  hel)re(i  de  Kiva,  ^le^sen  Erben  und  Genossen  die  Keeiitc, 
welche  sie  im  Umfang  jener  4  Herrschaften,  insbesondere  zu  Mori, 
bereits  genossen  (I.  St.-A.,  Post- Abt  XVIII.  82). 

Neumarkt.  Hier  mietete  im  Jahre  1550  der  Jude  Abraham,  weldier 
frOher  samt  Familie  bei  seinem  Schwager  in  Bozen  gewohnt 
hatte,  auf  Grund  eines  Schutzdekrefa,  da.s  ihm  K(>nig  Ferdinand 
als  dem  Diener  seiner  Kinder  unterm  20.  Februar  ir)4S  ausstellte, 
auf  drei  Jalirr  dir  Behausung  d*'S  Grafen  Felix  von  Aren.  Als 
er  im  folgenden  Jahre  die  Weisung  erhirlt,  diesen  Ort  zu  ver- 
lassen, weil  hier  früher  nie  Juden  geduldet  wurden  seien,  .suchte 
er  das  Gegenteil  darzuthun,  indem  er  namentlich  anflQhrte,  dass 
gerade  sein  eigener  Schwager,  der  des  Luftwechsels  halber  später 
nach  Bozen  zog,  vor  ihm  in  Neumarkt  unangefochten  wohnte 
(I.  St.-A.,  Pest-Abt.  XVII.  r.7). 

Riva.  Die  hiesige  Judenkolonie  bestand  allem  Ans»  Ikmuc  nach  zumeist 
aus  flüchtigen  Spaniern  und  IxlrivI»  den  Druck  hebräischer 
Werke.  Sie  blühte  um  die  Mittr  des  sechzehnten  Jahrhunderts. 
Es  geuügt  in  dieser  Beziehung,  auf  Carmolis  „Annaleu  der  he- 
bräischen Typographie  von  Riva  di  Trento*,  Frankfurt  1868,  hin- 
zuweisen. Im  Jahre  1880  wurden  im  Politischen  Bezirke  Riva 
10  Juden  gezählt.  Uebrigens  erscheint  schon  in  dem  bei  Trient 
zu  erwähnenden  IVozesso  vom  Jahre  1475  (p.  429)  ein  Jacobus 
de  iiippa  als  Judaeus  et  Judaeorum  fautor. 

Trient.  Bis  zum  Jahre  117.".  wo  hier  eine  durch  die  Beschuldigung, 
sie  hätten  ein  christliches  Kind  getötet,  motivierte  Verfolgung 


')  Diese  Angaben  stainnnMi  aus  dem  Munde  desjenif^en .  den  sie  betreffen. 
Zwan/.if;  .liihre  lang  hat  «leix  Uir  in  Mera«  nicht  »Munial  bei  Privatpersonen  zur 
Miete  gewohnt,  sondern  als  t'ensionär  im  (instliet'  zur  l'ost  «.'elcbt,  bis  es  ihm 
irelanp.  alle  Vorurt:<!ile  zu  besiegen,  die  seiner  Niederla*i8ung  dort  iuj  Wege  standen. 
I)er  N'erfiisser,  welcher,  einer  alten  hürgertaniilie  Wiens  entsprossen,  an  den  diesbezüg- 
lirben  Krhf'biiniren  keinerlei  persnnlii  li.s  Interesse  luitte.  glaubt  das  soelx'n  HtMiu-rkte 
ab  eine  in  sachlicher  Beziehung  chutuktcriätiächu  Thataache  liier  anHihreu  zu  sollen. 


472 


Bidennann, 


184 


über  sie  hereinbrach,  lebttu  hier  Juden  iu  beträchtlicher  Menge. 
Dea  klarsten  Beweis  daftlr  liefern  die  Akten  des  damals  wider  sie 

abgeführten  Strafprozesses  (siehe  die  AuszOge  daraus  —  Collec- 
tanea  in  Judaeos  B.  Simonis  interönptores  —  bei  Bonelli,  16. 
421  ir.J),  wo  als  am  27.  Mär/  1475  zur  Haft  gebracht  folgende 
Juden  genannt  sind:  Israi'l  filius  Saniuelis.  Moysos  antiqun!<  de 
Saxonia,  Mohär  liiius  Moysi,  Salomon  quondam  Meudelini  de  is- 
procho,  Lasams  de  Seravaile  de  Friolo  Familius  Augeli,  Mojses 
filios  Salomonis  de  Hozpoch,  magister  filiorum  Tobiae,  Isaac  filius 
Jacob  de  Vedera  Familius  Augeli,  Brunetta  uxor  Sanuielis,  Vitalis 
filius,  ....  Familius  Samuelis,  Israel  filius  Mobar  de  Brandenburg. 
Danach  zu  urteilen,  bestand  diese  Judenkolonie  sowohl  aus  An- 
gehörigen der  deutschen  als  der  italienischen  Nationalität. 
Späterhin  fanden  sich  gewiss  nur  Anhänger  der  letzteren  hier 
ein,  wie  denn  i.  B.  ein  Schutzdekret,  womit  Kaiser  Max  L  untem 
l.  Mftrz  1516  zu  Bozen  dem  Juden  Emanuel,  Sohn  des  Samson 
Judas,  für  zu  Belluno  ihm  geleistete  Dienste  belohnte  (T.  St.-A. 
Leop.  J.  22).  speziell  Trient  und  Verona  als  die  Orte  bezeichii«-t. 
wo  es  gelten  soll.  Im  Jahre  lS<i{>  wurde  zu  Trieut  kein  einziger 
Jude  ge/.iihlt;  1880  lebten  dort  ihrer  zwei. 

Wenn  im  Volkszählnngsoperate  von  1880  beim  Politischen  Be- 
zirke Land  eck  7  Juden  verzeichnet  erscheinen,  so  hängt  dies  mit  ilem 
Bau  der  Arlbergbahn  zusammen.  Historisch  begründet  ist  dieses  \  or- 
koimnen  da  nicht. 

bj  Nacbwirkongen  des  Slawentums  im  Iselth&le 
(und  in  dessen  Verzweigungen). 

Sind  gleich  viele  Jahrhunderte  verflossen,  seit  man  das  Puster- 
thal und  seine  Seitenthäler  nicht  mehr  als  von  Slawen  bewohnte  Ge- 
rrenden  betnirlitet  lind  diese  mit  Hecht  dem  Verbreitungsgebiete  der 
deutschen  Nationalität  zuzählt,  so  sind  docli  hier  weder  slawis(-he  Laut«' 
ganz  verklungen  noch  slawische  Ixebräuche  ganz  ausgestorben.  Be- 
sonders im  Iselliiale  und  in  dessen  Verzweigungen  (den  Thälem  Kais, 
Tefereggen  und  Virgen)  hört  man  jene  noch  gegenwartig  und  leben 
letztere  bis  zur  Stunde  fort.  Freilich  sind  es  nur  mehr  vereinzelte 
Nachklänge,  die  da  in  Betracht  kommen:  aber  sie  lassen  doch  das 
dortige  Gemisch  von  Slawen  und  Dentschen  als  eine  besondere  Abart 
erscheinen,  deren  hier  noch  in  Kürze  ^eihicht  werden  soll. 

Die  Iselthaler  nennen  die  Sauerbeeren:  Dabernitzen  (vom  slaw. 
dabmiice  =:  WaldhUgelbeere) ,  die  Hagebutten:  Aunitschen  (vom  slaw. 
alnice,  dialektisch  aunice  =  rote  Kirsche),  die  Stachelbeeren:  Ain« 
schlize  (vom  slaw.  oselice.  desstm  Wurzel  os-et  auf  Stacheliges,  Disteln 
hinweisf  .  die  Zeitlosen:  Perliesken  (slaw.  perleske),  die  Eingeweide 
toter  Tiere:  Kn'ih  (slaw.  drob),  «gebratene  Rüben:  Pötschen  (vom 
slaw.  peci  —  braten),  eine  (letreidcharpfe:  Koise  (slaw.  ko/.a,  kozolec), 
eine  Grube :  Günne  (slaw.  kouie),  eine  abschüssige  Wiese :  Taber  (slaw. 
deber),  eine  Abteilung  im  Stalle  für  Kleinvieh:  Glutsche  (slaw.  l^juc), 


85] 


Die  NatumaHtiten  in  Tirol  etc. 


478 


einen  Backtrog:  d^^se  (russisch:  dcza\  ein  ijfosrlnvätzif?fs  Woib :  Mura- 
matsche  (vom  slaw.  mermraca  =  Jammerin,  Plausclierin),  eiueii  Kretin: 
Gumpe  (vom  slaw.  gump  =  Kropf  oder  identisch  mit  gurapec  =  Narr), 
eme  Spinne:  Oragke  nach  den  lan^^en  Schenkeln  (slaw.  krak)  u.  8.  w. 
Manche  von  diesen  Ausdrücken  sin(l  auch  im  Pusterthale  zu  hören,  wo 
femer  der  Holndiiih  die  alawiscbe  Benennung  TKchogkl  (cokel)  trägt 
und  der  Tannenzapfen  allgemein  die  Tscliurtsilin  heisst  (vom  slaw. 
storz  =  Nadeliiolzhaiim,  Diminutiv:  storeiz,  im  V'olksmunde:  stürze). 

Wenn  im  Iselthale  das  sogen.  Sternsingeu  (durch  Knaben  aus- 
geführt, welche  die  heiligen  drei  Könige  vorstellen)  «Tdlkdn*  und  der 
dabei  Mitwirkende  «Töllmer*  heisst,  so  rOhrt  dies  vom  altslowenischen 
„teUcOTat"  (verkünden,  deuten,  erklären)  her.  Ebenso  ist  die  dort  ge- 
meinübliche Bezeichnung  eines  Knabenspiels,  bei  dem  zwei  Ostereier 
aneinander  gescbla<;«'n  werden,  mit  dem  Worte  .Turtsrlien"  (in  Kärnten 
sagt  man  .turtschehi")  eine  altslawix  lu'  llnniniscenz  (von  trreiti.  tercljatij, 
und  nicht  minder  gilt  dies  von  dem  Brauche,  dass  am  Abend  vor  Aller- 
heiligen Bursche,  welche  «Groggier*  heissen,  mit  einer  Art  hölzerner 
Zange  von  Hans  zu  Haus  gehen,  wobei  sie  mit  verstellter  Stimme  um 
Krapfen  bitten,  die  man  ihnen  in  die  Zange  steckt.  Denn  das  Wort 
^Gröggeln".  was  da  so  viel  heisst,  als  mit  zurückgehaltenem  Atem 
sprechen,  entspricht  dem  sioweniächen  »Krigla"  =  Heiserkeit  und  die  «Sitte 
selbst  ist  undeutsch 

Weit  bedeutsamer  noch  als  derartige  Gebräuche  sind  die  rechts- 
historischen Ueberlieferungen,  die  sich  im  Iselthale  erhalten  haben. 

Diese  verleihen  den  hiesigen  Bauernwirtschafteu  das  patriarcha- 
lisclie  Gepräge,  dessen  der  Si  elsorger  des  Kaiser  Thaies,  Anton  Auer, 
in  einem  ^Die  Iselthaler**  betitelten  Aufsatze  (Amthnrs  Alpenfreund, 
V,  1872,  S.  22  tl.)  und  nach  seinen  Angaben  auch  .).  Mitter- 
rutzner  (45.  14)  Erwähuung  thut.  Nimmt  gleich  die  Zahl  der  Bauern- 
höfe, auf  welchen  sie  beobachtet  werden,  gelegentüdi  der  Verlassabhand- 
lungen  >te%  ab,  so  halten  doch  nach  der  Versicherung  des  Bezirks- 
richters zu  Windisch-Mad  i  i  noch  manche  Bauernfamilim  an  ihnen  fest. 
Wir  baben  es  da  mit  der  altslawischen  Hauskommunion  zu  tlinn, 
welche  von  der  unter  den  Deuf. sehen  berkrnntnüchen  bäuerlichen  Erb- 
folge und  deren  wirtschaftlichen  Konsot|Uenzen  wesentlich  abweicht. 
Es  betrachtet  sii'h  nämlich  die  Gesamtheit  der  lebenden  Familien- 
glieder als  den  KigentOmer  des  Anwesens,  und  was  das  einzelne  Fa- 
milienglied erwirbt,  tlirs>f  in  die  Kasse  des  gemeinsamen  Haushalts, 
auch  wenn  die  betreffende  Beschäftigung  keine  landwirtschaftliche  ist, 
sondern  ins  Gewerbowoson  einscidiigt.  Daher  vereinigt  auch  die  näm- 
liche Behausung  mrlii.  rc  Ehepaare  mit  deren  Naclikornnienscliaft,  so- 
weit diese  nicht  in  der  Fremde  ihr  Fortkomnu  n  sucht  und  sich  vom 
Familienverbande  lossagt  (»den  Abbruch  macht"),  was  jedoch  für  un- 


')  Als  da«  beseiohnet  «io  selbst  Dr.  Valentin  ITintncr,  ikr  doch  sooft 
mit  der  Anerkennung  des  slawi8ch«'n  Kinflvisses  kar)ft .  in  seinen  ^Heiträgm  zur 
tirolischon  Dialcktforächung"  (Wien  187HK  S.  85  u,  2U7.  Alle  übrij?«'n  oben  uiit- 
j^et»'iltfn  Slawismen  hat  Davorin  T rs  t  »■  n  j  ak,  der  bekannte  slo\v('ni>chi' Oe- 
lolirtt»  (Haiiptpfarrer  zu  Altonnmrkt  Ik'I  WindisrlifTriltz)  fest^'estellt  und  dem  Verfasser 
zum  wisäcnscbaftliciien  (je brauche  Uberantwortet,  wotiir  ihm  hier  Dank  gesagt  sei. 


474 


IKdermaoii» 


[86 


j^ehörig  gilt.  Jeder  Ttünoiiiiior  an  der  Gemeinschaft  heisst  „Mithiiuaer*, 
der  Vorstelier  und  Leiter  derselben  aber  wird  aVorhäuser"  genannt. 
Zuweilen  ist  den  iVlitliäusem  ein  gesonderter  Verdienst,  den  sie  sich 
durch  Dienstleistimgen  bei  auswärtigen  Landwirten  ▼erschaffen  nnd  der 
dann  zu  ihrer  eigenen  Verfügung  steht,  gleichsam  zugestanden  und 
dürfen  sie  au<  b  eigenes  Vieh  auf  die  Koramunalpe  treiben.  Will  ein  Mit- 
bUnser  sirb  Vfclieiraten ,  so  ist  er  dabei  an  die  Zustimmung  des  Vor- 
liiinsers  gebuiKieü.  Die  iilteren  üeriebtsbücher  enthalten  viele,  den  ge- 
schilderten Sachveriiuit  l>est;itigeude  Eintragungen.  So  heisst  es  im 
^  Urbargerichtsbuch  der  Herrschaft  Windisch-Matrei  auf  das  Jahr  1557 
und  1558*  Bl.  57:  Hans  Pfttrer  aufRacell,  dem  die  Wirtschaft  daselbst 
für  die  Dauer  eines  Jahres  Ubertragen  wurde,  soll  gehalten  sein,  seinen 
Vetter  Blasy  samt  Weib  imd  Kind  „vmb  gesundt  rnnd  in  Allem  wie 
-iu-h  trenürdt'*  zu  unterhalten,  dagegen  Blasy  ^sol  sein  Arbait,  was  er 
ruit  Zuut  III  oder  sonnst  erobert,  inn  das  Haushaben  geben  vnd 
sol  mit  des  Hausen  als  Wirdts  wissen  und  willen  zu  zimeru  oder 
sonst  zu  arbaaten  ausgeen*.  Wie  aus  einem  im  Jahre  1811  Tom  da- 
maligen Gerichtspraktikanten  Nagele  verfassten  Berichte  (jetzt  im  Be- 
sitze des  jubil.  k.  k.  Kanzlisten  ünterrainer  zu  Windisch-Üfotrei)  erhellt, 
wurde  seit  Anfang  des  neunzehnten  Jahrbiniderts  idanniUssit;  von  den 
Brlit iidcn  aul'  die  Beseitigimg  der  Koniinunliuusungen  hingewirkt  und 
Vüui  Jahre  1804  au  namentlich  das  Eiulieirateu  in  dieselben  geradezu 
▼erwehi-t.  Daher  lösten  sich  damals  zu  Windisch-Matrei  die  weit- 
schichtigen Wirtschaften  der  Bainer,  Haizer,  Hairacher,  Jakober  u.  A., 
deren  Verband  30 — tO  Personen  in  sich  schloss,  rasch  auf,  und  gab 
es  im  Teferegger  Thale  im  Jahre  1808  nur  mehr  vier  grosse  Kommun- 
hausungen,  nämlich:  ..am  PIm^s"  zu  Hoiifgarten .  „beim  Pichler*  ZU 
Hof,  ^an  der  iiussern"  und  ,an  der  inneren  llirl>eu''. 

Dagegen  lietert  die  Ende  Mai  lti8()  im  Teferegger  Thale 
vorgenommene  , Seelenbeschreibung "  (im  W.-Hatreior  äerichtsarehive, 
K<m8istor.  Nr.  88  von  1685)  viele  Beispiele  solcher  «Hausungen*. 
Auf  dem  Pergler-Gute  lebt^'n  ausser  dem  Wirtschaftsftihrer  Tho- 
mas P.,  dessen  Weibe  und  Kinde  2  ^Mithäuser"  mit  ihren  Frauen  und 
7  Kindern;  auf  dem  M  e i  x  n e  r -O  u  te  ausser  dem  Itejahrt^n  Wirt^ichatls- 
fllhrer  und  dessen  Weibe  ein  gleichfalls  schon  ix'tagter  , Mithäuser* 
samt  Frau  und  des  letzteren  verheirateter  Sohn  samt  Familie;  auf  dem 
Unterräsner-Gute  ausser  dem  WirtschaftsfUhrer  (Andreas  Unter- 
rSLsner,  37  Jahre  alt),  dessen  Mutter,  seinem  Weibe  und  3  Kindern 
1  , Mithäuser",  und  zwar  der  G5  Jahre  alte  Sebastian  U.  und  der 
."{0  Jahre  alte  Hiins  V.  mit  ihren  Fiunilien,  dann  des  letzteren  2  Schwe- 
stern und  2  angenommene  Kinder:  auf  dem  Gute  der  Familie  IMassnig 
(Nr.  8  der  Hotte  Hopfgarteii)  ausser  dem  84  Jahre  alten  Wirtschafts- 
iQhrer  Christoph  PI.,  dessen  Sohne  und  Schwiegertochter  mit  7  Kindern 
ein  71  Jahre  futer  Bruder,  sein  Weib,  ein  «Unterhalter*  Namens  Veit  PL, 
9  Kinder  von  Söhnen,  welche  ihres  protestantischen  Bekenntnisses  wegen 
ausgewandert  waren,  und  7  Dienstboten  u.  s.  w. 


87] 


Die  Nutionalifftteii  in  Tiiol  etc. 


475 


Nachtrag  zur  Litteratur. 

Delitfich,  Otto,  Ein  nesuch  bei  den  deutechen  Ctemeiiiden  des  Feninatbalea. 

,Aus  allen  Weltteilen*,  VI.,  Heft  9. 
Zin^erle,  Ign.  Yinc,  Dr.,  und  Delitsch,  Otto,  Die  Dentschen  in  Südtirol.  Ebenda» 

III.,  Heft  5,  G. 

Zöller,  lt.,  Deutschtum  und  Ronianentum  in  Tirol.    Ebenda.  II.,  Heft  5. 

Vgl.  den  Aufsatz  von  Dr.  Gr  cos  „Hücher  und  kleinere  Aufsätze  über  die  Sprach- 
grenze in  unserem  Alpengebief  im  XV,  Bde.  der  .Zeitschrift  des  deutschen 
und  ögterr.  AlpenvereiuH*  {.Jahrg.  1884,  S.  98  ff.),  wo  auch  andere«,  was  zur 
VervoUätäudigung  des  oben  (S.  398—401)  gegebeneu  Verzeichnissen  dient, 
au^gefflhii  ist. 


Demnächst  erscheint: 

Hell  9.  Die  ethnologischen  Verhältnisse  Böhmens,  von  Dr.  L.  Schlesinger, 
Direktor  in  Phig. 

Die  weiteren  Hefte  werden  nnter  anderem  folgende  Arbeiten  bringen: 

Geh.  Rat  F.  Baer  (Urussherzogl.  bad.  Dliektor  des  Wasser-  und  Strassenbaus,  der  Landeskultur* 
Arbfliten,  LaadeBvermeniing  und  Topoffraphie  in  Karlanihe),  JKe  EuMcUimg  des  Yer- 
Jcelun  mA  dar  VeriEehnnMfe  am  ObeixiMui. 

Dr.  0.  Berendt  (Königl.  Lande^peologe  und  Profeaaor  an  der  ünivenitlt  Berlin),  Sie  nord- 
deutschen l '  i-itrotnsysjtemo. 

Dr.  A.  B  ez  z  en  b  o  r  ^'f  r  (i'rol.  m>  dt  r  riii\(Tsität  Königsberg),  l'if  Kurisolie  Nehrung. 

Dr.  A.  H  irlin  ^'cr  (Trof.  ;in  der  Umversiläit  Honnl,  Alernannisel^ey :  <  Denzen,  Sprache,  Eigenart. 

Dr.  R.  Blasius  iBrauiischweig),  Über  Zugverliältnis>;e  und  Veriireitiuig  der  Vögel  in  Deutschland. 

Oberforstmeister  Dr.  Borggreve  (Direktor  der  KönigL  Forstakademic  zu  UannÖv.  Münden), 
Die  Verbreitung  und  wirtschaftliche  Bedeutung  der  «ichtigeren  Waldbaumarten  inner- 
halb Deatidilands. 

Dr.  ii,  O^rland  (PMif..  an  der  üniverritilt  Straseborg),  Über  Thalbüdung  in  den  Vogesen. 
Dr.  A.  Jentsseh  (Dosent  an  der  UniverBitftt  KSnigtbeig),  Der  Boden  Oflt>  und  WestinrettiBens. 

Dr.  C.  M.  K  an  (Pro!  an  der  Univenil&t  Anuierdam),  Die  EigentQmlichkeiten  dei  niederlladlsidien 

Bodens. 

Dr.  A.  von  Koonen  (Prof.  an  der  Univer.siiät  (Böttingen),  V)yrr  die  Dislokationen  und  StOrongen, 

wt'klu'  dfü  Bau  der  deutschen  Mittelgebirge  bedingt  u. 

Dr.  F.  Krön  es  Ritter  von  Marchland  (Prof.  an  der  Universität  Graz),  Die  deut«che  Be- 
«iedelung  der  östlichen  AlpenlSnder,  in.sbe^ondere  Steiennarks,  Eärnteas  und  Krains, 
nach  ihren  historischen  und  topischen  Verhältnissen. 

Dr.  A.  L  c  8  k  i  e  n  (Prof.  an  der  UniTerutM  Leipsig),  Mitteiinngen  Aber  da»  «isgestorbene  Slawen- 
tum in  Norddeutflchland. 

Dr.  Th.  Liebe  (Lundesgeologe  und  Prot",  in  üera).  Der  Zusammenhang  zwischen  den  orogia- 
phiiichen  und  hydrographischen  TerMÜtoiwi^  OstUiflringens  nnd  dessen  geologischem 
Schichtenaufbaa. 

Dr.  A.  Makowsky  (Prof.  axt  der  technisoben  Hochsdnde  lu  Britam),  Das  HOUengdi>iet'  des 

Devon  in  Milhren. 

Dr.  A.  Mehring  (Prof.  an  der  landwirtscbaillicheu  Hochschule  zu  Berlin;,  Die  diluviale  Fauna 
Deotsduaiids  und  ihr  Verhftltnia  cur  jetzigen  Fanna. . 

Dr.  J.  Partseh  (Prof.  an  der  TJniTeraitftt  Breslau),  Die  Oder  in  Sehleiien. 

Dr.  Tt.  Pfaff  (Fh»f.  an  der  Universif&t  Erlangen),  Der  Anlbao  des  funkischen  Jnra. 

Dr.  F.  Ratsei  (Phxf.  an  der  technischen  Hochsehnle  m  MOnditti),  Die  SdmeQgrenze  im  Kaz^ 
Wendelgebirge. 

Dr.  F.  Wahnschaffe  (Königl.  Lan<ledgeologo  und  Dozent  an  der  Universität  Berlin),  Die 
Quartärbildungen  des  norddeutschen  Flachlandes  und  ihr  Einfluss  auf  die  Oberfläjihen- 

gestaltung  desselben. 

Dr.  K.  Wein  hold  (Prof.  an  der  Uiiiversitril  lireshiu),  1  l)er  die  Herkunft  der  deutschen  Schlesier. 

Ausserdem  haben  freundlichst  iiue  Mitwirkung  zugesagt  die  Hen-en  Dr.  K.  Fri'ilun-  von 
Fritsch,  Prof.  an  der  ruiversitüt  Halle;  Dr.  F.  ii.  Hahn,  Prof.  an  der  ünivereität  Königs- 
berg; Dr.  6.  He  11  mann,  Oberbeamter  im  KSnIgl.  Meteorologisdien  Institut  in  Berlin;  Hofirat 
Dr.  Ton  InamaoSiernegg,  Piftsidentr  der  k.  k.  Statistisdien  Oentral-Kommiwrion  und  Prof.  an 
der  UniTexsitftt  Wien;  Dr.  0.  Krümmel.  Prof.  an  der  Universität  Kiel;  Dr.  F.  Löwl.  Dozent 
an  der  deutschen  Universität  Prag;  Dr.  F.  Petri.  Prof.  an  der  Universitilf  Bern;  Dr.  J.  Ranke, 
Prof.  an  der  Universität  München:  Dr.  P.  Schreiber,  Direktor  des  Königl.  sächs.  Meteorolog. 
InpfitntK  in  Chemnitz;  Dr.  A.  Streng,  Prof.  an  der  Universität  Giessen;  Dr.  F.  Wieser,  Prof. 
an  der  Universität  Innsbruck  u.  a. 


Im  gleichen  Verlage  ist  erschienea: 


Autliropo-Geographie 


odar 


Grundzüge  der  Anwendung 

der 

Erdkunde  auf  die  Geschichte 


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Druck  von  Gebrüder  Kröner  in  Stuttgart. 


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Forsohiin-Ten 


POLEOGßAPHlE 

DER 

CIMBRISCHEN  HALBINSEL. 


Ein  Versuch  die  Ansiedlungea  Nordalbingiens 

in  ihrer  Bedingtheit  durch  Natur  und  Geschichte 

nachzuweisen 

von 

Professor  Dr.  ph.  K.  JANSEN, 


VERLAG 


STUTTGART. 
VON  J.  ENGELHOBN. 
1886. 


Dngk  tob  CMirtidw  MxUnu  In  8tiitt|afl 


Inhalt. 


Vorbemerkung  

Einleitung  

].  Lage  und  Bodengestalt  der  cimbrischen  Halbinsel      .    .  . 

1.  Begrenzung  und  Gestalt   

2.  Boden  im  allgemeinen  

3.  Niederungen  und  Erhebungen  

4.  {-it.' Wässer  

5.  ZerFichnittenlieit  des  Bodens  

6.  Wegenetz  

II.  Bevölkerung,  Städte  und  btuittt  n  der  cimbrificheu  iialbiusel 

1.  Urgeschichtliches  

2.  (Jriechisch-röniische  Nachrichten  

3.  Aus-  und  Einwanderung   

4.  Fränkische  Zeit  

5.  Srif  li.»i«rli.-.ali.sLhe  Kaiser  

6.  Stauhstht'  Zeit:  erste  .Sthauenburger  

7.  Die  Schlacht  von  Bomhöved  und  ihre 

8.  Die  Zeiten  der  Befonnatioii    .   .  . 

9.  Die  neue  Zeit  

in.  Ergebnisse   . 

1.  Bej^icdlungfpfriodcn  

2.  Verteilung  der  Bewohner  .... 

3.  Steigerang  dee  Torkelin 
Zur  Woitdeat 


S«it« 

5 
5 


ikttg  und  Bechtachreibiing 


[8] 
8 
10 
12 
19 
23 
25' 

29 

31 
33 
3ti 
3!» 
42 
4Ö 
51 
57 
62 
'62 
64 
73 
76 


Vorbemerkung. 


Dem  Griechen  bedeutete  ^roXig  zunächst  eine  stücUische  befestigte 
Ansiedluug  im  Gegensatz  zu  einer  ofienen  dörflichen,  zugleich  aber 
auch  einen  durch  Gesetz  und  Verfassung  umsclüossenen  Verein  von 
Meosdiieii  im  G^Mrensats  sEam  zenlreaieii  und  siaaÜosen  Dasein.  Poleo- 
grapfaie  iMune  ich  mühin  die  DarsteUnng  der  Stftdto  eines  geographi* 
schien  Gebiets  nach  ihren  örtlichen  und  staatlichen  Verhältnissen.  Wenn 
eine  •wissenschaftliche  Kunde  der  mensclilichen  Ansiedlungen  nur  auf 
Grundlage  genauer  Kenntnis  des  Lfindes  und  der  Geschichte  gewonnen 
werden  kann,  so  muss  eine  Püieograjjhie  aui  Boden-,  Stadt-  und  Volks- 
kunde zugleich  beruhen. 

^  Die  Benennung  Nordalbingien,  seit  Einhard  von  unserem  Lande, 
fireilidi  auch  in  weiterem  Umfang  fUr  das  nordöstlich  der  Elbe  ge- 
legene Slayenland  und  ohne  feste  B^prensung  in  Gebrauch,  soll  TOn 
vornherein  andeuten,  dass  ausser  der  preussischen  Provinz  Schleswig- 
Holstein  auch  das  damit  in  Natureinheit  stehende  eutinische,  lübsche 
und  hamburgische  Gebiet  Gegenstand  der  Behandlung  ist.  In  gleichem 
Sinne  konnte  die  cbnbrische  Halbinsel  nur  als  dne  Einheii  in  Betracht 
kommen  und  musste  Jtttland  wenigstens  so  weit  herangen)^^  weiden, 
als  e«  zum  Verstftndnis  des  eigentUchen  Gegenstandes  nötig  erschien. 


Einleitung. 

Ein  Zug  wandernder  Menschen  bewegt  sich  nach  denselben  Ge- 
setzen wie  ein  Fluss.  Er  sucht  niitiiiu  ein  natürlich  gegebenes  Bett, 
um  es  sofort  zu  benutzen  oder  erst  zu  gestalten.  Seine  Richtung  geht 
also  unter  allgemeinen  und  gewöhnlichen  Bedingungen  auf  die  ebenen, 
in  die  ThSler,  längs  der  Flüsse,  namentlich  der  grösseren  und  beherr- 
sehenden:  wandernde  Völker  suchen  das  Meer. 

In  Bewegung  aber  ist  das  Menschengeschlecht  von  Anfang  an 
wie  das  flüssige  Element.  Nur  darin  untersdieidet  es  sich,  dass  die 
Atome  desselben,  die  Einzelmenscben ,  in  kurzen  Fristen  der  Ruhe- 


482 


[6 


punkte,  der  Haltestellen  bedüHoii.  Allf  iin-nschlichon  Ansiedlungen 
t>md  Pilgerlierbergeu f  liegen  mithin  an  den  natürlichen  oder 
kanstliehen  Strassen,  und  ihre  Grösse  nnd  Bedeutung  steht  mit 
der  Bedeutung  nnd  Belebtheit  der  Strasse  im  genauen  YeniSltnis. 

Belegen  sein  niüsson  dieselben  an  denjenigen  Punkten  dieser 
Linien,  welche  entweder  für  Alle  die  notwendig  gegebenen  oder  ftlr  die 
grössto  Anzahl  der  Wandernden  die  be<|uerasten  und  erwünschtesten 
Haltestellen  sind.  Die  Wohnplätze  der  Menschen  werden  also 
immer  un  den  Halt-,  Wende-  oder  Kreuzpunkten  der  Strassen 
liegen,  mithin  die  gipsten  an  den  Tielfachsten  Knotenpunkten  des 
Verkehrs 

Die  Bewegung  selbst  kommt  wie  in  der  natüriichen,  so  m  der 
Mensrhenwelt  /nmal  für  Menschenmassen  nicht  ohne  eine  Nötigung  zu- 
stande: di(  N'iri^rung  ist  entweder  äusserer  Art  und  wird  als  Zwang 
empfunden,  oder  innerer  Art,  Trieb  oder  Beweisgrund. 

Erat  beide  Ursachen  zu^eich,  die  bedingenden,  auf  der  Boden- 
gestaltung beruhenden  und  die  erzeugenden,  in  der  Menschenwelt  lie- 
genden ftiliren  durch  ihr  Zusammenwirken  stur  Gründung,  Verteilung 
und  Grösse  der  mensclilif  hi  ji  Niederlassungen  überhaupt.  Die  Boden- 
verhältnisse allein,  und  wären  sie  die  allergünstigsten,  können  Verkelir 
und  Verkehrsplätze  nicht  schallen;  gesellschaftliche,  staatUche,  kirch- 
liche Motive  der  Terschiedensten  Art  rufen  am  meisten  und  kräftigsten 
Wanderungen  und  Anpflanzungen  hervor;  eine  Quelle  ein  See,  der 
Fluss  das  Meer,  ein  Eldorado  ein  Paradies,  ein  Heiligenbild  ein  Tempel 
ziehen  Menschenmengen  an  sich,  bahnen  Wege  zu  sich:  Richtung  aber 
und  nalt|>unkte  des  We^es,  Belegenheit  der  Ansiedlungen  bestimmt 
und  bedingt  die  BeschaÜenheit  des  Bodens. 


*)  NUier  begrflndet  aind  diese  Sfttse  sowie  aach  die  dannif  beruhende  Ein- 

teilung  d«r  Strassen  in  meiner  Schrift:  „Die  Bedingtheit  dos  Verkehrs  und  der 
Ansiedlungen  der  Menschen  durch  die  Gestaltung  der  Erdoberfläche.*  Kiel  1861. 
Uebrigens  ist  es  bemerkenswert,  dass  die  deutsche  Sprache  in  ihren  betreffenden 
Bezeichnungen  eine  Erinnerung  von  dem  oben  dargelegten  Sachverhältnis  zu  be- 
wahren scheint.  »Siedeln'  kommt  ans  dem  mitt^^lhochdeutschen  sidelon,  althoch- 
deutschen s»"(lal  Sitz,  Sessel,  Wohnsitz,  gotisch  sitls.  In  «Dorf*  freilich,  wie  die 
Bedeutung  des  gotischen  thMfp  —  Feldmark  ausser  Zweifel  8t«llt,  tritt  die  B^- 
7i"biing  auf  die  ^VaIl(^^rbewegung  zurück;  aber  nicht  ohne  Grund,  da  ein  Dorf 
hU  iiuliepunkt  für  wandenide  Züge  nicht  in  Betracht  kommen  kniin.  Weiler  wird 
wie  das  sflddeuteche  wll  mit  vula  snsammenhungcn.  Flecken  beruht  auch  nur 
auf  dem  Oegnnwitze  zur  Linie  oder  zur  Fläche.  Aber  schon  iu  dem  allgemeinsteii 
Namen  für  menschliche  .Niederlassungen*:  »Ort*,  diis  in  der  Wurzel  mit  Ecke, 
Spitze  eins  ist  und  an  den  Ostseeküsten  mehrfach  i^charf  vurtretende  Laild8|ntMil 
l)e7,eichnet>  Darsser  Ort.  Brüster  Ort,  Dag5er  Ort,  scheint  tiie  Auffassung  von  einem 
•Schneiden  zweier  Linien  zu  Grunde  zu  liegen.  Unzweifelhaft  aber  bedeutet  .Stadt* 
einen  Steh-  oder  Halteplatz.  In  ihr  volles  Licht  tritt  diese  einfache  und  doch  »0 
treffende  BezeichmmLj  durch  ihren  Gegensatz:  der  Weg,  aus  der  Wurzel  weg  = 
ziehen,  fahren,  zusammenhängend  mit  wehen,  wogen,  wagen,  weichen.  Wind,  Woge, 
Wage,  Wagen  n.  a.,  ist  das,  was  bewegt  and  seine  Aufgabe  nnd  Bestimmung  in 
der  Bewegung  hat  (vgl.  Kluge,  etymolo^ische.s  Wörterbuch).  In  ivso  (sk.  v&stn 
von  der  Wurzel  vas  —  weilen,  wohnen),  liegt  der  Begriff  des  Bleibens  ^ahd.  wis  = 
mansio)  auch  an  Ornnde;  «iXtc,  von  den  Wurzeln  par,  pel,  ple  Falle,  Verkehr, 
Gedrilnge,  «kr.  pur,  puri-s,  püram  Stadt,  Burg,  Fe.«ite,  Hlsst  die  Ft.iatlichr'  Unrlpntung 
mehr  hervortreten.  Urbs  imd  oppidum  sind  in  ihrer  Grundbedeutung  zweifelhaft, 
t.  Curtiiia. 


Poleographie  der  cunbiieolieB  Halbinsel. 


483 


Ob  nun,  wie  unter  gewöhnlic  In  n  und  ursprünglichen  Verhallaiisaeii, 
der  Weg  den  Ort  lierbei führt  oder  der  Ort  den  Zugang  hervorruft, 
immer  werden  die  Ausiedlungen  von  den  grössten  bis  zu  den  kleinsten 
hinab  End-,  Wende-  oder  Kreuzungspunkte  darstellen. 

So  zahllos  die  Menge  derselben  ist,  so  begrenzt  sind  ihre  Arten. 
Die  wichtigsten  derselben  lassen  sich  fblgendennasaen  ordnen: 

L  Die  Wege  des  Festlandes  ergeben: 

1.  Kreuzungen  gleichartiger  Festlandsstrassen; 

a)  an  Meerbusenspitzen, 

b)  an  Landengen, 

c)  au  Furten,  Fähren,  Brücken, 

d)  an  Mittelpunkten  geographischer  oder  politischer  Kreise. 

2.  Kreuzungen  ungleichartiger  Festlandsstrassen: 

a)  von  Flachlands-  und  Gebirgswegen, 

b)  von  Eisenbahnen  und  Landstrassen, 
ü.  Die  Wege  verschiedener  Media  ergeben: 

1.  Kreuzungen  von  Fluss-  und  Festlandswegen : 

a)  an  den  stärkeren,  uameullich  rechtwiukligeu  Biegungen 
der  Flüsse, 

b)  an  den  SchiffbarkeitHanfengen  und  Stufen,  namentiidi 
der  Mündung. 

2.  Kreuzungen  von  Landsee-  und  Fe.«<tlaudswegen : 

a)  an  den  Endpunkten  langgestreckter,  zumal  tieteingesenktor 
Seen, 

b)  an  der  Bfitte  ihrer  Langseiten. 

3.  Kreuzungen  Ton  See-  und  Festlandswegen: 

a)  an  Meerbusenspiteen, 

b)  an  Meerengen, 

c)  an  den  Enden  langgestreckter  Binnenmeere. 
IIL  Die  Wege  auf  dem  Flüssigen  ergeben : 

1.  Kreuzungen  von  Fluss  wegen  mit  einander: 

a)  an  den  Mündungen  der  Nebenflüsse, 

b)  an  den  schärfen  Bi^ngen. 

2.  Kreuzungen  von  See-  und  Flusswegen: 

a)  an  den  Mündungen  ins  Meer, 

b)  an  den  Ein-  und  AasflUssen  bei  einem  Laudsee. 

3.  Kreuzungen  von  Seewegen  mit  einander: 

a)  an  Landzungen  und  Vorgebirgen,  zumal  weit  Torge- 
streckten, 

b)  an  Meerengen. 

Sind  diese  allgemeinen  Gesetze  für  Mensrhen verkelir  und  Niederlas- 
sungen begründet,  so  werden  sie  auch  in  der  Besiedlung  und  den 
Hauptplätzen  der  cimbrischen  Halbinsel  sich  bewähren  müssen. 


484 


Jansen, 


[8 


L  Lage  md  Bodengestalt  der  cmibrieohen  HslbiaBeh 


1.  Für  (Wo  Gestalt  u^id  Bildunp^  des  europäischen  Festlandes  sind 
zwei  Binnenmeere  von  pfrosster  Bedeutung:  zuerst  das  südliche,  das 
den  Mittelpunkt  der  alten  Welt  gebildet  hat  und  noch  Ton  den  Vdl* 
kern  d«s  Ifittdaltei»  als  das  Meer  der  Mitte  bemiMihnefe  wotäm  iai; 
eodann  das  affirdlicfae,  aus  Nord-  und  Ostsee  mit  Suren  Terschiedenen 
Teilen  bestehende,  das  erst  seit  dem  Mittelalter  Schauplatz  geschieht» 
liehen  Tit'l>ens  -werden  koinite.  Das  südliehe  ist  das  «jrilssere,  längere, 
tiefer  lu  den  ganzen  Kontinent  der  alton  Welt,  d.  Ii.  in  drei  Weltteile 
eindringende;  das  nördliche  leistet  für  die  gernianisehen  Länder  aber 
dennoch  dieselben  Dienste  wie  das  südliche  einst  für  die  griechisch- 
romamsehe  Welt  und  jetzt  für  alle  seemSchtigen  Nationen  der  Erde. 
Es  unterscheidet  sich  TOn  diesem  durch  die  breitere  und  offenere  Ver- 
bindung mit  dem  Ocean,  von  dem  das  südliehe  Mittelnieer  fast  abge- 
schlossen ist;  das  nördliche  ist  nur  ein  breit  beginnender  und  alhnählich 
sich  verengernder,  wie  verflachender  Meerbusen  des  atlantischen  Weltmeers. 

Zwei  Riegel  erstrecken  sich  von  dem  Körper  des  Weltteils  in 
ndrdlioher  Richtung  durch  dasselbe  vor:  Qrossbtitannien,  vof  Mensdieu- 
gedenken  durch  emen  Meeresarm  vom  Festland  gelöst,  eine  Scfants- 
mauer  der  flachen  Niederungen  Norddeutschlands  gegen  die  Wucht  der 
oceanischen  Wogen  und  die  mit  dem  Festland  verbundene  niedrige 
Halbinsel,  welche  wir  die  cim  bris  che  nt'nn<'n. 

Diese  selbst  ist  aber  wieder  ein  Teil  eines  grösseren  Ganzen,  die 
mittlere  imd  bei  weitem  längste  von  den  drei  Ausbuchtungen  der  nieder- 
deutschen Eflste,  deren  w^tliche,  von  der  Zuidersee  bis  zur  unteren 
Elbe,  in  sich  n04^  wieder  durch  DoUart  und  .Tadebusen  gegliedert 
ist,  deren  östliche,  von  der  OdermUndung  und  der  Lübeker  ')  Bucht  be- 
grenzt, in  der  Halbinsel  Zingst  und  im  Darsser  Ort  ausläuft,  ursprrm«^- 
lich  wohl  ihre  letzte  Spitze  in  dem  Vorgelju^f  Arcona  hatte.  So  bildet 
der  cimbrische  Ghersonnes  nach  2sordwesten  hin  mit  der  festländischen 
Küstenlinie  einen  lediten,  nadi  Nordosten  einen  spitsen  WinkeL 
In  dem  ersteren  sieht  sich,  von  dem  vereinzelten  Helgoland  abgesehen, 
eine  Schnur  von  langgestreckten  Ktisteninseln  hin,  die  trockenen  Rücken 
der  weit  hinausgehenden,  flaeh  verlaufenden  Watten,  Trümmer  der 
einstigen  Küste;  in  dem  anderen  breitet  sieh  eine  Gnijiju'  grösserer 
Inseln  aus,  durch  verschiedene  Sunde  voneinander  und  von  den  benach- 
barten Festlanden,  durch  ein  breiteres  Fahrwasser  von  der  deutschen 
Küste  getrennt,  einst  wohl  ohne  Zweifel  mit  dem  südwestlichen  wie 
dem  östiichen  Festland  zusammenhängend. 

Die  Begrenzung  der  Halbinsel  gegen  das  Festland  ist  eine  von 
der  Natur  nur  zum  Teil  entschieden  ausgesprochene:  einerseits  durch 
das  br«'ite  Gewässer  der  Unterelbe  bis  Hamburg-,  andererseits  durch  die 
Lübeker  Bucht  und  die  untere  Trave  bis  Lübek;  die  Verbindungs- 
linie zwischen  diesen  beiden  Punkten  ISsst  sich  entweder  gerade  oder 
auf  einem  Umwege  iSngs  der  unteren  und  mittleren  Bille  nach  der 


0  s.S.  555. 


»] 


Foleograpliie  der  cimbhschen  HalbinaeL 


48& 


Trave  zu  oder  mit  der  Elbe  bis  nach  Lauenburg,  mit  der  Wakenitz 
bis  nach  Rasebnrg  zkluik,  swii^tti  weldien  Punkten  die  Delvenau 
nnd  der  Steknitznnal  mit  semer  Niederung  die  Lttcke  nuhesu  aus- 
ftllen  würde. 

T)iese  H;in)insel  hat  in  der  nicht  bloss  reichen,  sondern  auch  be- 
sonders harmonischen  Gliederung  des  Körpers  von  Europa  eine  unver- 
kennbare Beziehung  zu  der  griecliischen ;  beide  zusammen  stellen  zu 
der  Bretagne  einerseits,  Corsica-Sardinien  andererseits,  zu  Grossbritiauieu- 
Irland  nördlich,  Italien-Sicilien  Bfldlich  die  dritte  Hauptgliederung  dar; 
wie  Griechenland  durch  seine  Inselwelt  nach  Kleinasien  gewiesen  und 
▼on  Kleinasien  selbst  fortgesetzt  wird,  so  die  cämbriache  Halbinsel  nach 
imd  von  Skandinavien;  das  Schwarze  Meer  mit  seinen  hintereinander 
hegenden  Verbindunf?sire wässern  erscheint  wiederholt  in  dem  Ostsee- 
becken mit  seinen  drei  nebeneinander  liegenden  Sunden  oder  Belten. 
iraurend  aber  die  gneehische  Ton  dem  Körper  des  Weltteils  durch 
Gebirge  abgeschlossen  ist,  befindet  sich  die  ombrische  mit  dem  Fest^ 
lande  in  engster  Wechselbeziehung;  die  charakteristische  Bedeutung  der 
griechischen  steigt  bei  weiterem  Vordringen  ins  Meer, '  die  der  cimbri- 
sehen  nimmt  ab. 

Ungleich  vollends  und  fast  entgegengf^^etzt  ist  die  Gestalt  lu  id»  r 
Halbinseln.  Während  die  griechische  breit  imd  kontinental  beginnt, 
ran  in  immer  reichere  Gliederung  und  YerSstelungen  auszulaufen,  die 
sich  durch  Inselreihen  nach  Kleinasien  fortsetzen,  nimmt  die  cimbrische 
Halbinsel  von  einer  breiteren  Basis  aus  anfiings  auch  einen  Anlauf 
zur  Verjüngung  nnd  Gliederung,  um  dann  aber  in  der  Tiördlirhen  Hälfte 
zu  einer  nach  beiden  .Seiten  ausladenden,  fast  doppelten  Verbreiterung 
überzugehen,  die  schliesshch  in  nordöstlicher  Richtung  mit  rascher 
Verjüngung  in  eine  hafenlose  Spitze  Terlauft,  ohne  Forteetzung  durch 
hiscJn  zu  finden.  Die  Breite  der  Halbinsel,  gemessen  zwis<£en  der 
Westküste  von  Eiderstedt  und  der  Nordosispitze  Ildlstcins,  beträgt  etwa 
22  geogr.  M.,  zwischen  Husum  und  Eckernförde  7  M.,  zwischen  Husum 
und  Schleswig  4\'3  M..  dagegen  zwischen  Thors  Gab  und  Grenaae  23  M. 
Schon  dadurch  ergibt  sich  eine  Dreiteilung  des  Landes  geographischer 
Natur,  die  sich  zu  allen  Zeiten  auch  politisch  fühlbar  gemacht  hat,  in  eine 
breite  Basis,  eine  verengte  Bütte  und  ein  plumen-,  wenig  entwickeltes 
Haupt.  Die  erste  hat  noch  kontinentalen  Zusammenhang  und  Gharaikter, 
die  zweite  ist  durch  Inseln  im  Westen  und  Halbinseln  im  Osten  am 
meisten  g*'gliedert.  das  letzte  Dritteil  in  Boden-  wie  Küstenbildung 
eintcirmiger,  ein  Verhältnis,  das  Hurch  die  Belegenheit  der  drei  Teile 
zur  Achse  des  betreÖeudeu  Mittel meers  noch  weitere  Ausprägung  erhält. 

Von  Bedeutung  ist  die  begrenzende  Kflstenlinie. 
In  genauem  Verhältnis  zu  der  sehr  allm'ählidien  Steigung  des 
Bodens  nach  Osten  hin  verliert  sich  die  Westküste  mit  sehr  flacher 
Abdachung  in  die  Nordsee.  In  Jütland  ist  sie  ohne  vorgelagerte  Inseln, 
scharf  begrenzt,  dureh  eine  dreifache  Reihe  von  RitFen  abschreekend. 
Die  schleswigsche  Küste  begleitet  eine  Inselzone  von  fast  eines  halben 
Grades  Breite,  deren  Westgrenze  ziemhch  genau  in  der  Verlängerung 
der  jütischen  Kttstenlinie  liegt.  Der  Westrand  von  FanÖ,  Röm,  Silt, 
Amnim,  die  Eiderstedter  Düne  Hitzbaak,  die  Watten  Blanoit  und 


486 


Jansen, 


[10 


BuschsoDd  leiten  iu  gurader  NordsQdrichtung  nach  der  Geest  des  War» 
Steuer  Landes  der  sttdelbischen  Kttste  hinüber.  Weite  Stii  «  km  sind 
zwis(  lieii  dem  Festen  und  Flüssigen  streitig  bis  tief  in  die  Mitte  des 

Lauflos  hinein ;  ein  nicht  <rnn7.  schmaler  Saum  ist  im  regelmässig  ab- 
wechselnden liesitz  des  einen  und  des  andern ;  breite  Untieren  erstrecken 
«ich  von  wenigen  Fuss  Wasser  betleckt  weit  ins  Meer  hinaus,  unter- 
brochen nur  durch  die  Elb-,  die  EidermUndung  und  die  Lister  Tiefe. 

Die  Ostkttste  dagegen,  durchweg  hoher  über  dem  Meere  und 
steiler  in  dasselbe  abfallend,  zeigt  eine  ähnliche  Bildung,  wie  sie  den 
oceanischen  Küsten  Englands,  den  Felsküsten  Norwegens.  Schottlands, 
der  Bretagne  und  des  spanischen  Nordwestens  eigentümlich  ist.  die 
der  Förden,  d.  h.  der  sriikrecht  eimlriugendeu ,  meist  keilförmigen, 
teib  auch  bis  zu  ilussartiger  Länge  ausgedehnten  Meeresarme,  welche 
den  gaoiEen  cunbrischen  Osten  mit  einer  Reihe  vortrefflicher  HIfeii  aus- 
gestattet hat Dieselbe  Bildung,  noch  erweitert  durch  die  sogen. 
N<^ore,  enghalsige  Nebenbuchtoi  der  Förden,  sowohl  in  ihrer  Längen- 
ais Querrichtung,  —  Windebyer-  und  Xübelnoor  — ^.  bedingt  die  grosse 
Zahl  von  Halbinseln,  welche  bei  aller  Kleinheit  in  Holstein  und  Schles- 
wig landschaftliche  und  selbst  Stammesbesouderheiieu  Jahrhunderte 
lang  erhalten  haben:  Wagrien,  dänischer  Wohld,  Schwansen,  Angeln, 
Sundewith,  Loit,  Ness.  Die  EüstenentwicUung,  zuiAchst  Schleswig- 
Holsteins,  ist  daher  auch  eine  günstige:  wenn  die  Länge  der  Ostküste 
48  23  —  71  M.,  die  der  Westküste  von  Sclileswig  20,  von  Holstein 
bis  Brunsbüttel  19,  bis  Hamburg  circa  13  Meilen  =  58  gerechnet  wird, 
80  kommen  rund  130  M.  Küstenlinie  auf  eine  Fläche  von  rund  30'^  Qu.- 
Meilen  d.  h.  etwa  2,ü  auf  die  Qu.-Meile.  Auch  iu  dieser  Beziehung  ist 
Jütland,  dessen  grosse  aber  wenig  Terkehisföliige  Binnenseen  nicht  wohl 
in  Rechnung  gezogen  werden  können,  SO  dass  die  ganze  Westküste  als 
hafenlos  erscheint,  weniger  begünstigt. 

2.  Der  Roden  der  <  imbrischen  Halbinsel,  obwohl  im  alhjfenielnen 
eben  und  einliirmig.  bietet  doch  bei  näherer  Betrachtung  bedeutsame 
Unterschiede  und  wichtige  Abschnitte  dar.  Die  SUdhälfte,  Schleswig- 
Holstein,  taucht  aus  der  Nordsee  auf  mit  dem  bald  breitaren  bald  schmA- 
leren,  in  Schleswig  auch  zweimal  durch  Geestvorspclinge  unterbrochenen 
Saum  der  Marsch;  durch  die  ganze  Halbinsel  zieht  sich  der  flache,  jedoch 
vielfach  von  Bodeiurliebungen  und  Mügelgruppen  durchsetzte  Heide- 
rücken, in  Jütland  durch  einen  Flugsandstreifen  eingefasst;  der  höhere, 
aus  einem  buchten-  und  seenreichen  Hügellande  bestehende  Oststreifen, 
der  sich  in  Holstein  Uber  mehr  als  ein  Drittel  des  Gebiets  bis  an  die 
Kitte  hin  Terbreitert,  setzt  sich  in  Jüthmd  über  das  letzte  Drittel  za- 
sammeuhängend  nicht  mehr  fort. 

Die  Grenze  zwischen  dem  Alluvium  und  dem  Diluvium  muss  nach 
der  Natur  der  Sache  das  einstige  Meeres-,  also  jetzige  Marschufer  sein. 


')  Wenn  die  Insel  Alsen  ihre  Förden  tind  das  tiefo  Hörnphaff  an  der  West- 
küste hat.  PO  wird  das  mit  ihrer  Abdachung  von  Osten  nach  Westen  nn  l  mii  .l-^;- 
bohrenden  Gewalt  des  von  Norden  kommenden,  mehr  und  mehr  eiu^e2 wandten 
Strome«  nuammenhän^en.  Aach  Fehmarn  hat  seine  zerrissenen  Kfisten  im  N^niaien , 
Werten  und  Sflden;  die  OitkOtte  bildet  eine  geachlonene  Linie. 


11] 


Poleographie  der  dmbiuelieii  Halbingel. 


487 


Dasselbe  erscheint  noch  jetzt,  mehr  oder  weniger  erkennbar«  untor  dem 
Namen  Don  oder  Kleve,  Namen,  deren  Verbreitungsgebiet  genau  soweit 
ausgedehnt  ist,  wie  die  bezügliche  Bodenbildung,  d.  h.  von  Holland  bis  an 
und  über  die  Grenze  Jiitlands.  Ahir<*>fehen  von  den  vielfaclieu  Vorsprüngen 
wie  Einbuchtungen  wird  die  Linie  durch  eine  Sclmur  grosserer  und  zugleich 
ftlterer  Ortschaften  des  Westens  beaseidmet:  Kipon,  Tondem,  Bredstedt, 
Husum,  Lunden,  Heide,  Meldorf,  Itzehoe,  Elmäiomf  Uetersen,  Wedel; 
das  hohe  Ellnifer,  auf  dem  Blankenese,  Ottensen,  Altona,  Hamburg 
liegen,  ist  nichts  weiter  als  eine  Fortsetzung  des  Meeresufer  am  Flusse 
aufwärts. 

Die  Grenze  zwischen  dem  Geschiebesand  und  dem  Geschiebe- 
thon  ist  zunächst  in  Jütland  Tieliach  verschoben  und  durchsetzt.  Das 
nördlich  vom  LümQord  gelegene  Dreieck,  teils  flach  teib  hügelig,  im 
Norden  und  West^  von  Flugsand  umlagert,  mit  grossen  Strecken  ge- 
hobenen Seebodens,  z.  B.  dem  grossen  Wildmoor,  gehört  vorwiegend 
dem  Geschiebethon  an.  Der  Abschnitt  südlich  vf)m  Liinifjord.  zwischen 
diesem,  dem  Mariager-Fjord  und  dorn  Kattcgatt,  auch  nicht  ohne  l)e- 
deuteude  Strecken  gehobenen  Seebodens,  z.  B.  das  kleine  Wildmoor  mit 
den  die  sogenannten  Holme  um^benden  Niederungen,  besteht  vorwiegend 
aus  Geschiebesand,  Vom  Manager '  bis  Über  den  Ilanders  Fjord,  die 
südlich  davon  grlrr^ene  Hallunsri  Ormaae  eingeschlossen,  westlich  bis 
nach  Viborg  wechseln  Sand  und  Lelini.  Erst  von  der  Kn1(>-Wik  nach 
Süden  dehnt  sich  über  den  Osten  des  Landes  der  Geschiebethon  mit 
seiner  wald-  und  hügelreichen  Oberfläche  in  ähnlicher  Weise  wie  auf 
den  Inseln  und  in  Sdileswig-Holstein  bis  m  einer  Linie  westwärts  aus, 
die  zuerst  etwa  die  Mitte  des  Landes  erreicht,  dtfnn  aber  in  der  Sfld- 
richtung  mehr  und  mehr  sich  der  Küste  nähert,  um  sich  von  Veile  an 
wieder  davon  zu  entfernen.  Von  der  jütisch-schleswigschen  Grenze  an 
weicht  der  Westrand  des  Geschiebethons,  von  vereinzelten  Strecken, 
namentHch  einem  weit  ausgreifenden  Winkel  zwischen  Köuigsau  und 
Nipsau,  abgesehn,  aufs  neue  mehr  und  mehr  nach  Osten  zurück;  und 
aswar  auf  der  Halbinsel  Loit  und  Sundewith  in  genauem  Parallelismus 
mit  der  ausbiegenden  Küste,  so  dass  er  sich  bei  Apenrade,  Flensburg 
und  Schleswig  wieder  na(  Ii  Westen,  in  einigem  Abstände  um  die  ge- 
nannten Städte  herumweud.  t.  Von  da  an  schlägt  seine  Linie  eine  süd- 
östliche I?ichtnnf::  oin.  bleil)t  eben  westlich  vom  Wittensee,  östlich  von 
Rendsburg,  aucli  östlich  von  Neumünster,  von  wo  sie  bis  in  die  Niede- 
rung der  Tensfelder  Au,  südlich  vom  Südende  des  Pldner  Sees,  gerade 
ösÜich  streicht,  um  von  da  wieder  in  ziemlich  gerader  Sfldrichtung, 
westlich  an  Segeberg  und  Oldesloe  vorbei  und  mit  manchen  Ausbuch- 
tungen in  westlicher  Hirlitnnq'  zwisclien  Hamburg  und  Rorf^oilorf  an  die 
Elbe  zu  gehen,  die  sie  weiter  aufwärts  nicht  nielir  erreicht.  In  bemerkens- 
werter Weise  wird  mithin  von  ihrer  westlichen  Grenzlinie  auch  in  Hol- 
stein der  Parallelismus  mit  der  Eüstenlinie  festgehalten. 

Die  Marsch,  wenig  Aber  dem  Meeresspiegel,  um  Wüster  gar 
unter  dem  der  Elbe  gelegen,  hat  ihre  Eigentümlichkeit  im  StoflF  und 
in  der  Form.  Die  Form  überrascht  und  zieht  an  durch  die  völlig 
wagerechte,  wie  mit  dem  Tjinenl  ^ez(i</t'ne  Linie  ihres  Horizonts  und 
die  gleich  wagerechte  Ebene  ihrer  Oberfläche.    Der  Stofl  i^t  der  sogen. 


488 


Jansen, 


[12 


Klai  (clay),  ein  fetter  schwerer  Thon,  der  eiDerseita  durch  die  strotzende 
Fruchtbarkeit  diesen  Eflstensaum  mit  ieinen  Weiden  und  BinderherdeOf 
Beinen  Raps-  und  Kornfeldern,  der  Menge  seiner  Wohnungen,  die  wie 

ausgesät  Ober  die  ganze  Fläche  crschdneD,  zu  einem  seltenen  Bilde  ge- 
se^rncf^stcn  Wohlstandes  macht,  andererseits  durch  die  Zähigkeit  und 
Grundlosigkeit  der  Bodenart  bei  Hegen  und  Winterwetter  dem  Verkehr 
erhebliche  Schwierigkeiteu  bereitet. 

Zusammengesetzterer  Art  ist  der  breite  Mittelstreifen  des 
Landes  sowohl  seiner  Form  und  Oberflifehe,  wie  seinem  Stoffe  nach.  Zum 
grossen  Teile  Silsswasser-Alluvium,  d.  h.  Moomiederungen  und  Wiesen, 
ist  er  von  Heidewand  und  Geschiebesand  bunt  durchsetzt;  zwischen  Stör 
und  Eider  tritt  Gescliiebethon  in  grösseren  Zusammenhängen  auf,  der 
in  Schleswig  fast  völlig  fi  lilt.  Das  Bild  der  Ü1)ertiäche  wechselt  zwischen 
der  biuuueu  Heide  und  dtiu  fahleu  und  hnstem  Torfmoor,  der  grüne a 
Wiesenniedening  und  den  dunkefai  Nadelwaldungen,  in  der  Gesamt- 
wirkui^  meist  ernst  und  strenge,  oft  rauh  und  ärmlich. 

Freundlich  und  anmutend  ist  das  Aussehndes  östlichen  Htigel- 
1  and  es:  Weiden.  Wiesen  nnd  Kornfelder,  getragen  oder  durchsetzt 
von  langgcstreekten  Höhenzügen  und  Buchenwäldern,  Flussthälern  und 
Schluchten,  Seebeckeu  und  Förden,  bieten  hier  durch  Form  und  Farbe 
die  Bedingungen,  welche  unter  besonders  glücklichen  Mischungsverhilt-' 
nissen  Landschaftsbflder  von  wahrhaft  Ubenaschender  Liebliäkeit  er- 
zeugen. 

3a.  Erhebungen  des  Bodens  fehlen  in  keiner  der  drei  Zonen  ganz. 
Während  sie  aber,  von  den  Inseln  Rom.  Silt,  Amrum,  Föhr  abgesehn, 
in  der  Marsch  nur  als  Uferränder,  im  MittelrOcken  zugleich  als  üfer- 
räuder  und  Plateaus,  Hügelreihen  und  Hügelgruppeu  vorkommen, 
sind  sie  in  dem  östlichen  Streifen,  von  kleineren  Strecken  Ebene  oder 
Wiesenniederungen  abgesehn.  die  einzige  Bodenform. 

Das  äussersto  Ufer  des  Wattenmeers  und  der  daran  sich  schliessenden 
Marsch  bildet  eine  Kette  von  Sandbergen,  die  sich,  vom  Meere  mehr- 
fach schmäler  oder  breiter  durchbrochen,  von  der  dänischen  Insel  Fanö 
bis  in  die  Eiderstedter  Hitzbank  fortsetzt  und  namentlich  an  den  drei 
Stusem  Insefai  des  Wattoimeers,  Röm,  Silt  und  Amrum,  in  ihrer  eigen- 
tümlichen Qestolt  wie  Wirkung  erscheint.  Bestehend  aus  aufgelag^tem 
Flugsande  zeigen  diese  Hügel  in  ihren  Linien  und  Umrissat,  in  ihren 
Spitzen  oder  Kuppen.  Trichtern  und  Schluchten  die  Formen  eines  Fels- 
Gebirges  mit  überriischender  Aehnlichkeit,  wie  wenn  sie  ein  Relief  des- 
selben im  grossen  Massstube  durstellen  sollten. 

3b.  Die  Erhebungen  des  Mittelrückens  vergegenwärtigen 
sich  am  besten  von  den  westwärts  her  tief  ins  Land  ausgebreiteten 
Niederungen  aus. 

Wenn  nämlich  im  Osten  des  Landes  das  Meer  in  bedeutender 
Tiefe  zwischen  hohen  und  festen  Ufern  meilenweit  in  scharfer  Begren- 
zung in  das  dortige  Hügelland  eindriiifjrt,  zeigen  sich  im  Westen  zwei 
grössere  und  mehrere  kleinere  Einbuchtungen  des  Meeres  oder  der 
meerartigen  Niederungen  Ton  stumpfwinkligen  Umrissen,  die  in  unbe- 
stimmbarer Zeit  wirkliche  Meerbusen  Ton  ebenso  grosser  Ausdehnimg 
wie  meist  geringer  Wassertiefe  gewesen  sind:  eine  Geslalt,  welche  die- 


13] 


Poleographie  der  cimbnaohea  Halbinael. 


489 


selben  zu  einem  «n-ossen  Teile  in  den  heiden  letzten  scliweren  Flut- 
jähren  1825  und  1855  noch  einmal  wieder  angenommen  haben,  zu  der 
flie  Anlaufe  und  Andeutongen  in  jedem  regenreichen  Winter  zeigen.  Die 
bedeutendsten  bilden  die  nördlichen  Mündungsgebiete  der  Elbe  und  ihres 
jp*össeren  Nebenflusses,  der  Stör  und  das  gesamte  mittlere  imd  untere 
Stromgebiet  der  Eider  mit  ihren  sililliclien  und  nördlichen  Nebenthälem. 

Die  grosse  Niederung  der  Elbmarsrh  dringt,  den  GeestrUcken 
von  Nordoe  oder  Münsterdorf  in  zwei  Armen  umspannend,  zwischen  Itzehoe 
und  Horst  durch,  halb  noch  Marsch  halb  Moor  und  Wiese  oder  auch 
Sand,  durch  das  Thal  der  Stör  in  Ostlicher  und  nordöstlicher  Richtung 
zunächst  bis  Kellinghus( n  ein.  Von  hier,  wo  sie  sicli  zwischen  dem 
Uferrand  der  Stör  und  den  westlichen  Ausläufern  des  Bramstedter 
Kückens  bis  auf  eine  halbt^  Stunde  verengt,  setzt  sie  sich  teils  in  östlicher 
Richtung  durch  die  Bram-Aue  und  deren  Quellbiiche  bis  getr^  n  St  ge- 
berg  hin,  teils  an  Breite  wachsend  in  nordöstlicher  Kicliiung  aul  Neu- 
münster und  weiter  nordidMs  als  Ilohheide  auf  Nort<»rf  zu  fort,  wo 
sie  schmiUer  wird,  um  akbald  wieder  nach  beiden  Seiten  hin  auszu- 
greifen und  unmerklich  in  die  Eidemiederungen  bei  Bendsburg  über- 
zugehen. 

So  erscheint  das  Gebiet  des  Geschiebesandes  in  Holstein  in  zwei 
grössere  Plateaus  geteilt,  ein  südöstliches  und  ein  nordwestliches:  daserstere 
Yon  Bramau,  Elbe  und  Elbmarsch  begrenzt,  nach  Osten  bis  über  die  Alster, 
im  Süden  sogar  bis  an  die  untere  BUle  fortgesetzt,  in  der  Hauptsache  das 
alte  Stormam;  das  nordöstlidie,  westlich  von  der  Marsch  und  den  an- 
grenzenden Mooren,  östlich  von  der  Sarlau  imd  der  Stör,  südlich  von 
der  Stör-  und  Elbmarsrh ,  nördlidi  von  der  Eiderniederung  umspannt. 
Von  Süden,  Westen  und  Norden  dringen  kleinere  Meer-  oder  Moorbusen 
in  diese  Platte  ein,  und  zwar  zwei,  breit  und  tief,  oft  überschwemmt 
und  ungangbar,  mit  besonderer  Wirksamkeit:  das  Thal  der  Gieselaue 
von  Norden,  das  der  Holstenaue  von  Süden;  so  dass  sie  zu  der  Sonderung 
in  Dithmarschen  und  »Holsten*  die  Grundlage  bildet. 

Den  zweiten  grossen  Moorbusen  stellt  die  untere  Eiderebene 
dar.  Zwischen  den  Höhen  von  Heide  einer,  von  Husum  andererseits 
emdringend,  breitet  sich  derselbe,  für  das  Auge  in  seiner  wirklichen 
Natur  unverkennbar,  in  seinem  Umfange  unübersehbar  in  östlieher  Bidi- 
tung  bis  über  Rendsburg  in  die  Nime  des  Wittenseee,  bis  an  den 
Fuss  der  Hüttener  Berge,  in  nordöstlicher  Richtung  bis  an  die  Ufer- 
höhen der  obem  Schlei,  an  die  bastionartig  vorspringenden  Hügel  von 
Schuby  und  Hifsby,  in  nördlicher  Richtung  endlich  durch  das  weite 
Treenethal  bis  unweit  Flensburg  aus,  um  hi»  i  in  die  mehr  unter- 
brochenen Niederungen  der  kleineren  Auen  von  Mittel-  und  Nordschles- 
wig überzugehen,  auf  deren  baumloflen  Flachen  der  westwftrts  Wandernde 
alsbald  salzgesch^^ngerte  Meeresluft  zu  atmen  b^^innt.  Die  Dünen 
der  Hitzbank,  die  von  Tating  und  Garding,  der  langgestreckte  Rücken 
von  Lunden,  halb  Dihio  halb  Geschiebesand,  der  weithin  sichtbare,  steil 
und  hoch  aus  dem  Ei  Urthal  aufsteigende,  sanft  nach  der  Treene  ab- 
dachende Bergzug  von  Stapelholm,  das  Plateau  von  Erfde  und 
weiter  östlich  noch  einige  kleinere  Geestflecke  ragen  als  richtige  Inseln 
aus  der  fast  wagerechten  Flache  hervor,  die,  wie  oben  erwähnt,  südlich 


490  Jwmn,  [14 

vou  Ueudsburg  mit  der  grossseu  holüteuuschen  Tiefebene  in  unmittel- 
barer Verbindung  steht. 

Die  Erhebungen  des  Bodens  aus  diesen  Niederungen  steigen 
teils  allmählich,  teils  steiler  an.  Steil  und  meist  auch  verhältnismässig 
hoch  aufragend  erscheinen  die  Uferränder  der  Flüsse,  beziehent- 
lich der  Moore  oder  Marschen  und  zwar  besonders  mit  unverkenn- 
barer Kegelmässigkeit  die  nördhchen.  Das  nördliche  Elbuter  abwärts 
von  Altona  steigt,  soweit  es  westlich  läuft,  bis  Wedel  hin  steü  aus  der 
Elbe  auf^  im  Bauisberg  bei  Blankenese  bis'  zu  31 9^.  Sowie  dasselbe  sich 
ndrdlich  wendet,  nimmt  es  mehr  und  mehr  an  Höhe  ab;  schon  bei 
Eilmshom  verschwindet  der  Don  dem  oberflächlichen  Beobachter  fast 
ganz.  Scharf  ausgcjirii^H  ist  dann  der  Hand  der  holstenschen  Platte, 
vorzugsweise  wieder  nördlich  von  der  Stör-  und  Marschniedenmg. 
Schon  oberhalb  Kellinghusen  erscheint  er  nahezu  mauerartig,  verläuft 
abwärts  dieses  Ortes  in  eine  Senkung,  erhebt  sich  dann  aber  oberhalb 
Itzehoe  aus  dem  Störthale  und  der  Manch  Torgebirgsartig  als  ein 
brdter  und  hoher  Buckel,  der  eine  der  umfassendsten  Femsichten 
von  der  Höhe  des  Kaiserberges  gewährt:  süd-  und  westwärts  über  die 
Elbniederung  und  Marsch  in  Hannover  hinein,  uordwürts  über  die  Ab- 
dachung bis  an  den  Rücken  vou  Ilohenwestedt ,  ostwärts  bis  an  das 
ostholsteinische  Ilügelland.  Genau  dieselbe  Bildung  und  in  gleicher 
Form  wiederholt  sich  am  einstmaligen  Nordufer  der  untersten  iSbe,  wo 
aus  der  Vertiefung  der  Burgerau  und  des  Kuden-Sees  die  steilen,  auch 
zum  Teil  waldigen  oder  buschigen  Hölien  „der  Bnig*  und  des  Edde- 
laker  Don  weithin  siehtbjir  und  weitüberschaut  nd  emporragen,  liebliche 
l/HTids()iattsbilder  zum  Teil  nicht  ohne  einen  Anüug  vou  Komantik 
darbietend. 

Zum  Tiertenmal,  um  hier  Ton  dem  Stapelholmer  Höhenzuge 
abzusehn,  erscheint  ein  solches  breit  in  die  Niederung  Yordringendes 

Vorgebirge  nördlich  der  untern  Treene  in  dem  Höhenrücken  von  Usteu- 
feld  und  Schwabstedt.  Auch  hier  wie  bei  den  erstirenannten  verlaufen 
<lie  Hr)hen  in  der  Richtung  nach  Norden  mehr  uud  mehr  in  die  Ebene, 
ohne  erhärte  Ränder  zu  bilden.  Endlich  lässt  sich  am  Norduf<^r  der 
Sohohimu  in  dem  Laugen  Berg,  der  Breedeau  oder  des  Lohbek,  in  der 
Wanghoi  eine  ganz  iUnüiche  Bfldung  nachweisen. 

Die  Übrigen  Bodenerhebungen  des  MittelrQckens  sind  omegel- 
mässig  verteilt. 

In  der  südö s tl  i  e Ii  cn  Platte  von  Holstein,  dem  eigentliclicn 
Stormam,  erhebt  sich  zwischen  der  obern  Alster  und  obern  Schmalfelder 
Aue  ein  Massengebirge  im  kleinen,  der  sogen.  Kisdorfer  Wohld  bis 
zu  272';  zwischen  Sämalfelder  und  Osterau  dehnt  sich  die  grossen- 
teils  bewaldete  S^(eberger  Heide  aus,  nach  Westen  hin  anstdlgend. 
zuletzt  in  dem  vereinzelten  Clausberg;  ftlmlich  vereinzelt  wie  der  Kis- 
dorfer Wohld  und  noch  mehr  zusammengedrängt  zwischen  Ostt-r-Au 
und  Stör  die  Boostedter  Berge,  an  die  sich  in  südwestlicher  Richtinig 
der  Ketelviert  bei  Grosseuaspe  imd  die  Uferhöhen  bei  Bramstedt 
anschliesseu. 

In  der  nordwestlichen  Platte  und  zwar  zunächst  in  deren 
(istlicher  Hftlfte,  dem  eigentlichen  Holsten,  ist  eine  dem  SOdzande 


15] 


Poleographia  der  cambriscihen  Bidbinsel. 


491 


an  Höhe  entsprecheude,  jedoch  nicht  uferai-tig  fortlaufendo  Erlubuug 
des  Bodens  auch  im  Norden  zu  erkennen,  der  Südriiud  der  £ider- 
niederung,  teflweise  zwischen  did  Kel»enb&eheder  Eider,  Jeven-,  Lubner-, 
Haler-,  Haner-  und  CKesel-Aue  tot-  und  eingeschoben,  von  Heinken- 
bozstel  etwa  Ober  Hohenwestedt,  Todenbüttel  imcli  Hademamhen. 

In  Dithmarschen  setzt  sich  die  Bürger  Platte,  die  in  ihrer  westlichen 
Hälfte  alsbald  in  die  Niederung  des  Windberger  Sees  und  der  Süder 
Au  absinkt,  in  ihrem  (istlichen  Hände  in  iKirdl jeher  Richtung  aufs  neue 
ansteigend  über  Röst,  Arkebeck,  Wehubüttei,  Teliingstedt  aJs  ein  sehr 
ausgesprochener  Höhenzug  fort,  als  dessen  Fortsetzung  jenseit  der  tiefen 
Niederung  der  Tielen  Au  die  Hügelgruppe  Ton  Schalkholz,  Fahlen  und 
Dörpling  angesehen  werden  kann,  die  steil  ans  der  Niederung  der 
Tielen  Au,  sanfter  aus  der  Eider  aufsteigt  und  jenseit  derselben  in  der 
Geestinsel  von  Erfde  wieder  erscheint.  In  seiner  Mitte  entsendet  jener  Zug 
einen  Zwei^  nach  Nordnordost  über  Bunsoh  und  einen  andern  nach 
Nordwest  bis  Nordhastedt. 

AusdemschleswigschenMitteIrflcken  und  seinen  weiten  Heide- 
und  MoorflUchen  ragen  ausser  den  erwähnten  üferhChen  nur  vereinzelte 
und  niedrigere  Hügel  und  Bodenanschwellungen  hervor.  So  nördlich 
der  Niederung  des  Helligbek  die  Höhen  von  Schmedeby,  Oeversee, 
Sankelmark  an  der  obeni  Treene,  zwischen  welchen  der  Trä  und  Sankel- 
marker  See  sich  ausbreiten  und  die  Treene  mit  ihren  Zuflüssen  sich 
hinzidit. 

Westwärts  von  der  obersten  Meynau  breitet  sich  ein  Dünensand- 
gebirge aus,  das  sidi  in  westlicher  Richtung  noch  dreimal,  bei  Medelsby, 
Westre,  Süd-Lügum  und  Grellsbüll  wieder  zeigt,  dann  in  die  Niederung 
des  Aventofter  Sees  absinkt. 

Das  ganze  nördliche  Drittel  des  schleswigschen  Mittelrückens  hat 
im  Vergleich  zu  dem  mittleren  und  südlichen  einen  höheren  und  fast 
wellenförmigen  Boden:  so  nördlich  der  Niederung  des  Lohbeks  mit 
seinen  Nebenbächen  (Steensberg  308'),  so  zwischen  den  beiden  Haupte 
Quellflüssen  der  Nip^-An,  der  Jarde-  oder  Ojels-Au  und  der  Granim- 
oder  Norder-Au,  (Fjellumhöi  205'),  so  endlich  nördlich  derselben  bis 
zur  Königsau;  Erhebungen,  die  zum  Teil  auf  dem  hier  westlich  weit 
Torgreifenden  Geschiebethon  liegen. 

In  JQtland  nimmt  zunächst  an  der  Westküste  der  Flugsand  einen 
grösseren  Raum  ein  und  dringt  nördlich  vom  Aggerkanal  stellenweise 
weit  in  das  Innere,  bis  er  die  nördliche  Spitze  ganz  überdeckt. 

Im  Gebiete  des  dann  folgenden  Heide-  und  (if  schiebesandes  herrscht 
bei  vereinzelten  Erhebungen  die  Form  der  Elxne  vor:  sie  nimmt  fast 
die  ganze  Westhälfte  des  südlichen  Jütlands  bis  in  die  Nähe  der  süd- 
lichen Lüm^ordküsten  ein,  dehnt  sich  Ober  die  westlichen  Haiden  des 
Amts  Aalborg  aus  und  setzt  sich  auch  durch  den  Westen  des  nördlich 
▼om  Liimfjord  gelegenen  Dreiecks  fort. 

3c,  Ein  zusammenhängendes,  nur  durch  Seebecken  und  Förden, 
vereinzelte  Wiesenniederungen  und  tiefe  Thalsjialten  von  teilweise  gebirgs- 
artigem  Charakter  unterVuochenes  Hügelland  bildetder  aus  Geschiebe- 
thon bestehende  Ostraud  der  cimbrischen  Halbinsel,  der  zunächst  durch 
die  mehr  oder  minder  tief  eindringenden  Förden  in  eine  Reihe  von 


492 


Janaen» 


[16 


Halbinseln  zerschnitten  wird.  So  viele  Halbinseln,  so  viele  grössere 
und  kkinere  Gruppen  Ton  Hügeln  oder  BodeoaiiBchweamigen.  Die 
liödiflien  Erhebungen  finden  sich  beide  Male  apuf  der  grossten  Breite 

der  Halbinsel,  in  Holstein  zwischen  der  Hobwach ter  Bucht  und  dem 
lübschem  Fahrwasser,  der  Bungsberg  554',  in  Jütland  nahezu  in  der 
Mitte  des  Landes  selbst  die  Eiersbavnehöi  547'  lioch.  In  Schleswig 
reichen  die  höchsten  Hügel  nicht  weit  über  Ü5U'  hinauf. 

Das  östliche  HUgelgebiet  Holsteins,  obwohl  gleidunässig 
Uber  den  gesamten  Tkonboden  ausgebreitet,  erlaubt  sunftcbst  eine  Zer- 
legung in  ein  sttdliches  Viereck  und  ein  nördliches  Dreieck. 

Das  Viereck  lässt  sich  b^^renzt  denktti  durch  den  Wakenitz- 
Delvenau-Einschnitt,  die  Elbe,  eine  Linie  Haraburg-Segeberg  und  die 
.S}>nlte  des  Warder  Sees,  welche  sich  durch  den  Reiusbek  nach  der 
Klever  Au  und  so  nach  der  untern  Trave  hin  fortsetzt.  Die  Abdachung 
desselben  ergabt  sich  im  allgemeinen  duieh.  den  Lauf  der  Bille  und 
DelTenau  nach  Süden,  der  Wakenitz  und  Steknita  nach  Norden,  der 
Trave  erst  n:u  Ii  Süden,  dann  nach  Osten.  Die  Erhebungen  sind  durch 
das  ganze  (Tel)iet  ungleirhniilssig  verstreut;  jedoch  drangen  sich  die 
h(k  hsten  Punkte  auf  einem  Striche  zusammen,  der  als  südwärts  gerichtete 
Fortsetzung  der  Höhenzüge  westlich  und  östHch  von  der  Tensfelder  Au 
augesehen  werden  kann:  gerade  südüch  von  dem  ersteren  zieht  sich  die 
Eraebung  auf  dem  östlichen  der  oberen,  dann  auf  dem  westlichen  Ufer 
der  unteren  Brandsau  hin;  der  Nehmser  Berg  und  die  breite  Erhebung 
von  Blunk  bilden  das  hohe  Südufer  des  weiten  QueUmoors  der  Tens- 
felder Au;  grade  südlich  vom  Nehraser  liegt  der  203'  hohe  Kagelsberg, 
weiter  südlich  in  ähnhchen  Formen  der  Segeberger  Kalkberg,  das  ein- 
zige anstehende  Gestein  unseres  Landes,  297'  hoch,  steil  aus  der  um- 

Sehenden  Ebene  an&teigend;  weiteihui  sefaen  der  Donnenberg  mit  dem 
dzener  See  an  seinem  nördlichen  Fusse,  der  Ton  Krems  mit  dem 
Leezener  See  an  seinem  südlichen  Fusse,  der  Klingsberg,  250'  hoch  am 
Nordufer  der  oberen  Bestt?,  der  Bork-  und  der  283'  hohe  Bomberg, 
die  Hü<relreiho  in  fast  gerader  öüdrichtung  bis  an  die  Ufer  der  BiLLe 
und  Elbe  fort. 

Das  oben  genannte  Dreieck  hat  seine  Spitze  in  der  Halbinsel  von 
Oioesenbrode;  seine  Grundlinie  ist  eine  gebogene  und  ftthrt  von  der 
Spalte  des  Warder  Sees  auf  die  Tensfelder  Niederung,  von  da  am 
Fusse  des  Tarbeker  Rückens  herum  nach  Bomhöved,  einbiegend  weiter 
bis  an  den  Fuss  des  Zuges,  der  von  Pretz  am  Postsee  und  über  den 
Botlikamper  See  auf  das  obere  Eiderthal  abwärts  Brügge  und  Bordes- 
holm  streiclit,  führt  weiter  am  Ostufer  dieses  Thaies  längs  bis  au  aie 
Viehburger  Höhe,  jenseit  welches  schmalen  Joches  die  Spalten  des  Eider* 
thals  sofort  von  der  Kieler  Förde  wieder  aufgenommen  wird. 

Die  höchste  Bodenerhebung  bildet  der  Bungsbei^  mit  seinem 
ganzen  umgebenden  wald))ede(kton  Hügelland,  fast  genau  in  der 
Mitte  einer  Linie,  die  als  Grundhnie  der  verengten  ostholsteinischen 
Halbinsel  angesehen  werden  kann.  In  nördlicher  Richtung  setzt  sich 
mit  sehr  allmähhcher  Abdachung  ein  Höhenzug  über  Mönchneversdorf 
fort,  bald  darauf  in  zwei  Aeste  geteilt  einerseite  bis  Hansflhn,  anderer- 
seits bis  Nessendorf  fort;  jenseit  der  genannten  Punkte,  im  wesentlichen 


17] 


Poleograpbie  der  cimbriMsheii  l^buuel. 


498 


jenseit  <]er  Lutkenburg-Lensahner  Landstrasse  geht  es  rascher  zur 

Küsteuebene  hinab. 

Auch  in  südlicher  Richtung  vom  Bungsberg  und  über  Schön- 
walde lässt  sich  ein  Zug  erkennen,  der  südlich  des  letzteren  Dorfes 
allmählich  sinkt,  im  GtfmnüaEerberg  aber  noch  wieder  m  826'  aufsteigt. 
Nadi  Osten,  Nord-  und  Südosten  erfolgt  die  Abdachung  so,  dima 
einerseits  die  Lütkenburg  -  Lensahner ,  andererseits  die  Schönwaide- 
Lensahner  Landstrasse  den  Rand  der  Kbene  bezeichnet ,  welche  dem- 
nächst in  die  Niederung  des  Wesseeker-  und  Gniber  Sees,  der  weit 
ausgebreiteten  Biunengewiisser  und  Wiesengrüude  der  Neustädter  Bucht 
hinabfidli  Jenseits  jener  Niederung  stellt  das  noch  heute  stets  sogen. 
jLand"  Oldenburg  eine  waldlose  wellenförmige  Ebene  dar,  deren  höchster 
Punkt  mit  einer  Aussicht  bis  nach  Meklenbui^  ^)  der  Wüibarg  bei  Patlos 
an  der  hier  steilen  Nordwestküste  aufragt. 

In  westlicher  Richtung  breitet  sich  mit  vielen  Kuppen  zwischen 
200  und  300'  das  Hügelland  unterbrochen  nur  durch  Wusserläufe  und 
Seen  bis  an  die  oben  aufgestellte  Grenze  hin  aus.  Die  Seenreihe  vom 
Stendorfer  bis  zum  Stocksee  liegt  insofeme  an  dem  sttdUchen  Fasse  dieser 
bedeutt  n dt  ren  und  komiMhkten  Bodenerhebung  als  südlich  derselben,  von 
einzelnen  Ausnahmen  abgesehen,  ein  erheblich  niedrij^eres  Wellenland 
sich  ausbreitet,  das  vorzng.sw^eise  nur  in  dem  Kücken  des  Fariner  Berges 
(442' y)  in  der  steil  autsteigenden  Halbinsel  zwischen  Stock-  und  Plöner 
See,  in  dem  Nehmser  und  dem  Grimmeisberg  namhaftere  Höhen  auizeigt. 

In  nordwestlicher  Richtung  endlich  dacht  sich  die  Bungsberg- 
gruppe in  eine  Senkung  ab,  die  durch  den  Lauf  der  Eletkamper  Aue 
und  durch  die  grosse  Futterkamper  Wiesenniederung  mit  dem  Sehlen- 
dorfer See  bezeichnet  wird.  Aus  dieser  steigt  der  Boden  gleichmässig 
an,  besonders  merklich  am  nördhchen  Ufer  der  Kossau.  Nr)rdlirli  der 
Landstrasse  Lütkenburg -Kiel,  westlich  und  östlich  begrenzt  vom  See- 
lenter-  and  vom  Waternererstorfer  Binnensee,  nördlich  mit  den  hltch- 
sten  Kuppen,  insonderheit  dem  Pielsberge,  rasch  in  die  Ebene  zwischen 
Heer  und  Seelenter  See  abfallend,  drängt  sich  eine  Art  Massengebirg 
im  kleinen  zusammen,  das  an  Höhe  (145')  noch  erheblich  unter  dem 
Bungsberg,  doch  bei  seiner  schärferen  Begrenzung  durch  Wasserflächen 
und  engeren  Konzentration  sich  bedeutender  darstellt.  Südlich  der  ge- 
nannten Landstrasse  am  ganzen  we^tUchen  Ufer  der  Kossau,  besonders 
ansteigend  südöstlich  und  sOdlich  vom  Seelenter  See,  setst  sich  dieser 
Iiütkenburger  Gebirgsabschnitt  in  allmählicher  Abdachung  \vt  stwärts  auf 
die  untere  Schwentine  und  bis  zu  dem  oberen  Ende  der  Kieler  Förde  fort, 
deren  östliches  Ufer  von  einer  Bodenwelle  Vie^'leitet  wird,  die  aus  der 
Senkung  des  Doberstorfer  und  i^assader  S(?es  mit  dem  Salzauthale  aufsteigt. 

Mit  dem  geschilderten  Hügellaude  durch  das  Joch  von  Viehburg 
in  schmaler  Verbindung,  no<di  auf  holsteinisidiem  Boden,  aber  in  un- 
mittelbarem Zusammenhang  mit  der  breiten  Wölbung  des  dänischen 
Wohld,  breitet  sich  die  Westens eer  Gruppe  aus,  sttdwestHch  und 
.südlieh  nach  der  Nortorfer  und  Nenmünstersrhen  Niedonrng,  nördlich 
nach  dem  schleswig-holsteinischen  Kanal  und  den  Küsten  des  Kieler 


')  s.  S.  ßSS. 

Wendimat&a  nr  dmilMkaB  LoMm^  und  TolUkond«.  L  S. 


34 


494 


Janaen, 


[18 


1111(1  Eckerulörder  Meerbusens  abgedacht,  östlich  durch  den  langen, 
wallartigen  Uf'errand  links  von  der  Eider  zwischen  Bordeshohn  und 
Schulensee  scharf  begrenzt. 

Aehnlich  wie  £e  Westenseer  Berge  zur  Halbinsel  des  dSnisdieii 
Wobld  verhalten  sich  die  Hütten  er  Berge  zur  Halbinsel  Schwansen. 

Aus  den  BodenweUen  des  Bisten-  und  Wittensees  im  Süden^ 
ganz  unvonnittelt  aber  aus  der  tiefen  Niederung  der  nberston  Sorge 
und  des  Owschhiger  Mühlenbaches,  will  sagen.  d»'S  einstigen  grossen 
Meerbusens  Südschleswigs,  erhebt  sich  wallartig  steil,  östlich  santler 
in  die  Niederung  der  Hüttener  Au  abgedadit,  noidwftiis  bis  an  die 
Schlei  ausgedehnt,  ein  Hügelzug,  der  im  Scheelsberg  879^  hoch,  mehr 
als  ii^end  ein  anderer  der  Halbinsel  gebirgsartigen  Charakter  zeigt. 
In  norflöstli<  !i('r  Richtung  setzt  sich  jenseits  der  genannten  Niederung^ 
die  welleuluriuige  Bodengestalt,  zwischen  dem  Windebyer  Noor  und 
der  Niederung  des  Ost<^rbeks  zu  einem  schmalen  Joch  eingeengt,  auf 
die  Halbinsel  Schwansen  fort 

Die  grosse  Eblbinsel,  welche  von  Anbeginn  der  Oeschichte  ihren 
Namen  bewahrt  hat,  Angeln,  ist  von  einer  Senkung  in  der  Mitte  dureli 
Lippingau  und  Geltinger  Bucht  in  eine  nördliche  und  südliche  Hälfte 
geteilt,  deren  südliche  ihre  höchste  ErlH'lmng  bei  Withki«  l  ')  westlich 
von  Kuppeln  hat,  die  nördliche  bei  Quem  im  Seh.  i  ^herg  (^öö').  Die 
Halbinsel  Sundewith  erhebt  sich  am  höchsten  in  ihrer  Grundlinie,  öst- 
lich der  Landstrasse  Flensburg- Apenrade  (im  Tasteberg),  bei  Qua»  und 
Stagehöi,  und  an  ihrer  Spitze  im  DOppelberg  251'.  Auch  Alsen,  ein 
erst  sehr  allmählich  abgeschnittener  Vorposten  Sund l  ^vif Iis,  kehrt  seine 
höhere  Seite  dem  Meere  zu  (Hnibif  r<r  2H0').  Entschiedener  als  Sunde- 
with hat  die  Hallu'nsel  Loit  ihren  Höhepunkt  nach  der  östlichen  Küste 
zu:  den  Biaubjerg  (302'?). 

Entgegen  der  Regel  erscheint  eine  bedeutende  Höhe,  336',  dicht 
westlich  Ton  der  Gjenner  Bucht,  der  EniTsberg  und  Shnlioh  die  hfichste 
Erhebung  des  Herzogtums,  die  Skanilingsbank  398'  unmittelbar  west- 
lich von  der  Moswik  oder  Binderuper  Bucht  und  ihrer  Niederung.  Ein 
Znir  hervorragender  Kegel  lässt  sich  ausserdem  von  der  untersten 
KoMingau  bis  zur  obersten  Förde  von  Hadersleben,  dem  sogen.  Haders- 
lebener  Damm,  sowie  am  Nordufer  derselben  verfolgen,  unter  ihnen  die 
höchsten  und  gehäuftesten  westlich  ron  Christianrfeld  (Höibjerg  335% 
Kobjerg  342'). 

Wellenffirmig  gehoben  ist  in  Jütland  v*  n  der  östlichen  Zone  zu- 
nächst die  Halbing  '!  von  Friedericia  zwischen  V'eile  und  Kolding,  am 
meisten  in  der  Nähe  des  Koldinger  Fjord.  Veile,  im  tirt  t  iugeseukten 
Wiesenthaie  gelegen,  ist  südlich  wie  nördlich  von  Höhen  umgeben. 
Ton  Horsens  nach  dem  SkiTefjord,  an  seinem  östlichen  Fusse  von 
Viborg  bis  nach  Skanderboig  durch  eine  Seenreihe  begleitet,  streicht  ala 
Westrand  des  Gesclnebethons  derjenige  Höhenzug  Jütlands,  in  dem  sich 
die  höchsten  Punkte  des  Landes  tiuden:  der  Hinimelbjerg  und  die  Eiers- 
bavnehöi,  beide  gegen  550'  hoch.   Aui'  der  östlichen  Seite  des  Üebieta 


')  Das  Wort  wiih  wird  hier  dasselbe  sein  wie  in  Sundewith;  s.  zur  Wort- 
dentung  S.  553. 


19] 


Poleographie  der  dmbriachen  DnlboueL 


495 


der  Gutleuau  zieht  sich  ein  Kücken  auf  Aarhus  zu;  beide  Ufer  am 
Ausgang  der  Kalöer  Bucht  sowie  der  Hiiitcignind  derselben  sind  mit 
namhafteren  Hügeln  bezeichnet:  Jelshöi  (401'),  Ellemandabjerg  (317'), 
Eald  Bamehöi  (333').  NOrdlich  Aarhus  setzt  sich  die  Wasserscheide  in 
nordiiordwestlicher  Richtung  auf  Randers  und  in  nördlicher  auf  Mariager 
und  auf  Aalborg  fort.  Im  nördlichen  Dreieck  zieht  sich  der  sogen.  Jydske 
Aas  mit  der  Tinghöi  und  Alleruphöi  in  nordnord westlicher  Richtung 
durch  das  südöstliche  Viertel.  Ausserdem  steigen  besonders  südlich 
nahe  und  südwestlich  weiter  von  Frederikshavn  vereinzelte  Hügel  aul". 

4.  Das  somit  gewonnene  Bild  von  der  Oberfl&che  des  dmbrischeu 
Bodens  findet  eine  weitere  Verdeutlichung  durch  eine  Uebersicht 
seiner  Gewässer. 

4  a.  Bi  merkenswert  i.st  hier  vor  allem  das  tiefe  Eingreifen  der 
Nordsee  in  das  Land.  Die  Wasserscheide  zwischen  Nord-  und  (Ostsee 
geht  von  dem  Rücken  zwischen  Steknitz  und  Delveiiau  südwestlich  von 
Mölln  in  einer  vorwiegend  nordwestlichen  Richtung  auf  den  Bockberg 
ZU  und  die  Mitte  des  Yormaligeu  Alsterkanals  zwischen  Alster  und  Beste. 
V<m  hier  an  nimmt  sie  eine  nördliche  Hauptrichtung  bis  Bomhöved, 
TOn  wo  sie  mit  leiser  Ablenkung  nach  Westen  über  Kirch-Barkau  bis 
an  das  oben  erwähTitc  Vielibur<;er  Hügeljoch.  d.  h.  also  bis  auf  wenige 
Minuten  vom  Kieler  Meerbusen  ausgreitt.  Sie  begleitet  in  geringem 
Abstände  das  linke  Ufer  der  Kieler  Förde  bis  etwa  Christinenhoh, 
wendet  sich  dami  quer  durch  den  dänischen  Wohld  Üher  Hohenlieth  auf 
den  Rocken  dicht  südlich  am  Windebyer  Noor  imd  weicht  von  hier  an  in 
südwestlich  Torspringendem  Bogen  auf  den  SUdfuss  der  Hüttener  Berge 
zurück,  ih  ren  westliche  Alidachung  sie  bis  Breckendorf  begleitet.  Von 
hier  biegt  sie  in  nordwestlit  her  Richtung  ab.  auf  die  hohen  Ufer  des 
Selker  Noor  und  der  obersten  Schlei  zu,  an  deren  Fuss  sie  sich  an- 
schliesst.  Auf  schmälster  Enge  zwischen  Lürschauer  See  und  der 
Niederung  des  Langsees  hindurch  und  westlich  um  den  Idstedter  See 
herumgehend,  lauft  sie  .luf  die  bekannte  Höhe  vfJii  Oberstolk  zu,  von 
da  auf  Satiui»  und  wieder  der  Ostküste  zustrebend  bis  an  die  Ab- 
flachung des  S(  hers]>erges.  Von  hier  geht  sie  gerade  westlich  wieder 
zurück .  um  in  äliniic  her  Weise  wie  bei  der  Schlei  die  Höhen  an  der 
Spitze  der  Fleusburger  Förde  zu  umspannen  und  wieder,  wie  bei  der 
Kieler  Förde,  das  Nordwestufer  his  weit  hinein  in  die  Halbinsel  Sunde- 
witfa  zu  begleiten.  Die  oben  erwähnten  Höhen  setzen  ihr  hier  eine 
Grenze.  Im  Halbkreis  umzieht  sie  dann  die  Apenrader  Bucht  und 
dringt  aufs  neue  tief  in  die  Halbinsel  Loit  vor.  Von  dort  iiord west- 
wärts gf'wt-ndt't.  unizieiit  sie  in  grösserem  Abstände  (be  Spitze  der 
Hadersiebener  Förde  und  behält  dann  eine  nördliche  Hauptrichtung 
auf  die  Erhebungen  bei  Christiansfeld  zu  und  mit  kleineren  Abweichungen 
bis  an  die  Grenze  des  Herzogtums. 

In  Jütland  zidit  die  Wasserscheide  um  den  Eoldingfjord  in  ähn- 
licher W'eise  herum  wie  an  den  schleswigschen  Buchten,  nicht  mehr 
ganz  um  den  von  Veile;  sondeni  westlich  schlägt  sie  zunüdist  bis 
nahe  dem  .'»'). "  Parallelkreise  eine  nördliche.  <lann  an  der  vorerwähnten 
Erhebung  entlang  eine  nordnordwestliche  Richtung  ein  bis  westhch  von 
Viborg;  von  da,  Viborg  umkreisend,  wendet  sie  sich  plötzlich  scharf 


496 


Jaaien, 


[20 


gerade  ostwärts  bis  nahe  vor  Hauders,  eine  kurze  Strecke  nSrdlicli, 
dann  wieder  nord westwärts  au  liobro  vorbei,  von  wo  an  sie  sich  bis 
Aalborg  ziemlich  gerade  nordw&rts  fortsetzt  Im  nOrdliclien  Drittel 
biMet  der  Jydske  Abs  den  Rflcken,  von  dem  aus  in  noch  entschiedenerer 
Weise  als  schon  im  Aalborger  Amt  eine  Abdachmig  und  Entwiesenmg 
nach  allen  vier  Scittm  stattfindet. 

Diese  Herrscliafl  des  Westmeeres  Uber  das  Land  zeigt  sich  noch 
deutlicher  und  greifbarer  in  dem  Eiudringen  der  Flut  in  die  Elbe  bis 
4  Meilen  Uber  Uamburg  hinaus,  in  die  Stör  bis  über  Kellinghusen  hinaus, 
in  die  Eider  bis  über  Rendsburg  hinaus,  wo  der  mittlere  Unterschied 
zwischen  Flut  und  Ebbe  noch  3  beträgt.  B»  zei*  Imender  vielleicht 
noch  Lst  die  folgende  Thatsache,  die  meines  Wissens  bisher  ganz  un- 
beachtet geblieben  ist:  Kaum  1  Meile  von  der  Ostseekttste,  auf  der 
Kiel-Eckernförder  Chaussee  beweisen  die  sämtlichen  Obstbäume  mit 
ilirem  gegen  Westnordwest  gekehrten  liücken,  wie  fühlbar  noch  an 
der  Sussonten  Ostgrenze  des  Landes  der  furchtbare  Gebieter  der  West- 
see ist,  der  Aber  £e  sttdschleswigsche  Niederung  dah«r  fegt 

4  b.  Aus  der  nachgewiesenen  Abdachung  des  Landes  ergibt  sich 
die  Thatsache,  dass  die  bei  weitem  länt:rsten  und  zahlreichsten  Flttsae 
der  Xordsee  mittelbar  oder  unmittelbar  /ui'allen  mttssen. 

Delvenau,  Bille,  Alster  bezeichnen  eine  südliche,  Pinnau  und 
Krtlckau  eine  westliche  Abdachung  Lauenburgs  und  des  südUchen  Hol- 
steins. Weit  ausgreifend  dehnt  sich  das  Nete  der  StörgewBsser  bis  in 
die  Nähe  von  Leezen,  Segeherg  und  BomhÖTed,  von  Bordesholm  und 
Nortorf  und  daim  bis  an  den  oben  erwähnten  Höhenrücken  von 
Heinkenborstel,  Hohenwestcdt  und  Hademarschen  aus.  Die  Eider,  ziem- 
lich auf  der  Mitte  der  ijeraden  Verbindungslinie  zwischen  NeumUnster 
und  Tretz  im  Gute  Luhmlorf  entspringend,  macht  sozusagen  drei  ver- 
gebliche Versuche,  dem  nächsten  Meere,  der  Ostsee,  zuzustreben:  der 
erste  endet  im  Bothkamper  See  am  Fusse  der  Schdnhorster  Hfihen,  der 
zweite  im  Schulensee  am  Fusse  des  Viehburger  Riegels,  der  dritte  im 
Flemhuder  See ,  der  Senkung  vor  dem  Rücken  des  dänischen  Wohld. 
Von  da  an  ergibt  sie  sich  in  die  Westrichtung.  Die  Unzahl  ilirer 
grösseren  und  klemeren  Biegungen  zeugt  von  der  Flachheit  der  oben 
geschilderten  Tiefebene.  Tributpflichiig  ist  ihr  die  ganze  nördliche  Ab- 
dachung des  eigentiichen  Holsteins  und  Dithmai^ens,  welche  Ton 
vielen  Auen  durchzogen  von  Nortorf  über  Hohenwestedt  bis  Heide  in 
ziemlich  gleichem  Abstände  den  Hauptfluss  begleitet.  In  Schleswig, 
wo  sie  den  Abfluss  des  Wittensees,  aus  dem  Bistensee  die  Sorge,  aus 
dem  Träsee  die  Treene  mit  Helligbek  und  Rheider  Au  links,  dem 
Jerrisbek  rechts  aufnimmt,  fallt  die  östliche  Grenze  ihres  Gebiets  mit 
der  Wasserscheide  zwischen  Ost-  und  Nordsee  zusammen,  die  westlkhe 
dagegra,  etwa  durch  die  Höhen  bei  Flensbui^  und  den  Uferrand  bei 
Wanderup,  Jörl  und  Ostenfei  rl  bezeichnet,  begleitet  die  Treene  bis  r  v  h 
Schwabstadt  in  geringem  Abstände.  Die  Eider  ist  gegenüber  ihrer 
Länge  von  etwa  20  Meilen  und  im  Vergleich  mit  andern  berühintcrt  ii 
Flüssen  von  mehr  als  dreifacher  Länge,  z.  B.  der  Weser,  dem  tiuadal- 
quivir  u.  a.,  ein  wasserreicher,  breiter  Fluss  schon  bei  Friedridistadt, 
noch  mehr  bei  Tönning  Ton  gewaltiger  Fülle  und  StrOmung. 


21] 


Fdeogmpliie  der  cunbiiscben  Halbiniel. 


497 


Unmittelbar  westwärts  des  westlichen  üfer^  der  Treenc  und  des 
Jerrisbek  entspringen  die  kleineren  Bäche  der  Arl-  und  der  Sohohnau. 
Dagegen  dringt  das  Geäder  der  Widau,  ausgebreitet  zwischen  den  Laud- 
stnusBen  Flensbuig-Leck  eineneita  und  Apenrade-Lygumkloster  mäeter- 
seits  quer  über  das  Land  bis  in  die  Halbinsel  Sundewitli  ein ;  sUdwest- 
lidi  Yon  Tondem  erst  nachdem  von  allen  Seiten  die  Quellbäche,  deren 
grössere  Zalil  von  den  Apenrader  und  Sundewither  flöhen  in  sfidwest- 
Hcher  Richtung  herabkommt,  sich  vereinigt  haben,  nimmt  die  Widuu 
aui'  Hoyer  zu  einen  uorduordwestlicheu  Lauf.  Beschränkter  iat  das 
Gebiet  der  Bredenu,  deren  bedeutendster  QaeUbach  in  fferader  süd- 
licher Richtung  von  HSirup,  nidie  der  Cyelsau,  bis  nach  Lygumkloster 
fliesst,  wo  die  Wendung  nach  Wcvsten  beginnt  und  allraäJilirh  in  die 
gerade  nordwestliche  übergeht.  Dagegen  breitet  sich  das  Netz 
der  Nipsau  mit  ihren  Nebenbächen  von  dem  Fusse  des  Steensbjerg, 
der  oben  erwähnten  Höhen  bei  Haderslebeu  und  bei  Christiansfeld  in 
durchweg  nordwestlicher  lüchtuug  wieder  fast  durch  die  ganze  Halb- 
insel aus.  Die  vielgenannte  Königsau  ist  bemerkenswert  durch  die 
kleine  Zahl  von  NebenflOssen  und  die  tiefe  Einsenkung  ihres  Bettes, 
namentlich  im  Unterlaufe. 

In  Jütland  liegen  die  Quellen  der  grösseren  Auen  der  weltlichen 
Abdachung  bis  über  die  Höhe  von  Horseus  hinaus  wie  in  Schleswig 
dicht  am  \V' estfusse  der  Wasserscheide,  d.  b.  unweit  der  Höhen  an  den 
Spitzen  der  Fdrden.  Die  sttdlichste  der  drei  hier  in  Betracht  konunendoi, 
die  Yardeaa,  gelangt  in  einem  nach  Südwesten  gerichteten  Bogen 
in  die  lange  Bucht  von  Höi,  die  mittlere,  Skjemaa,  westwärts  ge- 
richtet, in  den  grossen  Küstensee  des  Kingkjöbingfjord,  die  dritte, 
Storeaa,  nordwestlich  gewendet,  in  den  Nissumfjord,  eine  vierte,  deren 
Quellen  denen  der  vorhergehenden  nahe  liegen,  die  Skiveaa,  läuft  nörd- 
lich in  den  Skivef jord ;  da  nun  auch  kleinere  Bäche  in  südlicher  Rich- 
tung in  die  Königsau  führen,  so  tritt  für  die  westliche  HSlfte  des  sttd- 
lidtön  Jtttknd,  von  der  Ostseite  abgesehen,  eine  allseitige  Abdachung 
hervor. 

4c.  Nach  der  Ostseite  lassen  sich  längere  Wasserläufe  nur  in  der 
holsteinischen  und  der  jütischen  Verbreiterung  der  Halbinsel  erwarten. 

Die  Gudeuaa,  emige  Meilen  nördlich  von  Veile  entspringend,  fliesst 
in  nördlicher  Richtung  dem  Mossee  zu,  durchzieht  die  ganze  Seenreihe 
am  Fusse  des  Himmelbjergs  und  verlksst  den  Silkeborg  Lang  Sö  als 
ein  für  Böte  und  Prahme  11  Meilen  lang  schiffbarer  Fluss.  Den  Ab- 
stand von  der  O.stkiiste  festhaltend,  wendet  er  sich  einige  Meilen  süd- 
östlich von  \'iborg  nach  Osten  und  Nordosten  herum  und  mündet  nach 
19  Meilen  Laufes  in  den  Kandersfjord. 

Die  Schwentine,  dem  Südabbange  des  Bimgsberges  entspringend, 
deutet  in  ihrem  gerade  sQdOichen  o^srsten  Lau»  bis  zum  Stendorfer 
See  durch  eine  Senkung  zwischen  den  Schönwaldt  i-  und  Bergfelder 
Höben  auf  den  sehr  raschen  Abfall  des  höchsten  Buckels  der  holsteini- 
schen Hügellandschaft  nach  Süden.  Ans  dem  Stendorfer  gelangt  sie 
in  den  SibV)ersdorfer  See,  darauf,  den  Eutiner  in  seiner  westlichen  Ecke 
kaum  berührend,  durch  den  Keller-  und  Dieksee  in  das  Hauptbecken, 
den  grossen  Flöner  See;  zwischen  dem  Uemen  Plöner  und  dem  Lanker 


498 


Jansen, 


L22 


See  tritt  sie,  stellenweise  seeartig  yerbmtert,  als  Flusslauf  nieder  her- 
vor, verlässt  den  lefastereu  bei  Pretz,  durchfliesst  dann  anfangs  eine  offene 
Wiesenniederuug,  von  Rasdorf  an  aber  bahnt  sie  sieh  «wischen  hohen  und 

zum  Teil  waldbedeckten  Ufern  »'ino  oft  sehr  enge  und  «^ebirgsartige 
Schlucht  bis  zum  Kieler  Busen.  Durch  di-n  grossen  Plöner  Si  e  nimmt  sie 
die  gleicbfallä  in  tiefer  und  eingeengter  Bodeuspalte  durch  bedeutende 
Hdhen  nordwärts  durchbrech^ide  Tensfeldw  An,  durch  den  Postsee  vom 
nördlichen  Abhang  der  BomhOTed-Tarbeker  Hdhe  her  die  Depenau, 
durch  denselben  See  die  ihr  parallel,  aber  in  entgegengesetzter  Ab- 
dacliung  vom  Fuss  der  Elmschenhagener  Höhe  aus  dem  Wellsee  kom- 
mende W  ellau  auf. 

Einen  sehr  eigeulüniiichen,  für  die  Bodenverhältnisse  aber  bezeich- 
nenden Lauf  hat  die  Trave.  Sie  entsteht  eben  westlich  von  dem  scharf 
abfallenden  Westufer  der  Schwartau,  nördlich  von  Giesselrade,  geht  in 
sQdwestUcher  Richtung  in  den  Wardersee,  von  dem  aus  sie  sich  west- 
irörts  wendet,  bis  sie  auf  dir  obrn  erwähnten  Bodenerhebungen  unweit 
Segeberg  stösst.  Von  hier  ))is  Oldesloe  geht  sie  südlich,  meist  in  einer 
tiefen,  oft  auch  engen  Bodensjtalte,  die  sie  von  Oldesloe  in  ostnordöst- 
licher Richtung  bis  nahe  vor  LUbek  leitet,  danu  aber  sich  erweitert 
und  verflacht.  Auf  einem  Laufe  von  nur  14  Meilen  zi^ht  dieser  von 
Oldesloe  an  bereits  fahrbare,  von  LUbek  an  schiffbare  tiefe  und  wasser- 
reiche Fluss  eine  grössere  Anzahl  von  Bächen  und  Seeabflüssen  an  sich: 
von  links  die  zahlreichen  Auen,  die  in  der  langen  Spalte  des  Wardor- 
sees  stagnieren,  die  Heilsau  (Cuscriu)  hei  Keinfeld,  die  westlich  von 
Eutin  entsprmgende,  durchweg  in  tiefem  Wiesenthule  iiiessende  Schwartau 
(Zwartowe)  bei  den  Kesten  von  Alt-Lübek;  von  rechts  die  Brandsau 
oberhalb  Segeberg,  den  Abfluss  des  Leesener  und  Mözener  Sees,  die 
Beste  von  der  östlichen  Abdachung  des  Kisdorfer  Wohlds  her,  welche 
ihrerseits  von  Süden  unweit  der  Billequellen  die  Barnitz  (Bemeze,  Bor- 
neze,  Sülze)  aufnimmt,  dann  die  Steknitz,  den  Abfluss  des  Möllner 
Sees,  verstärkt  durch  die  Steinau,  deren  Quellen  sich  mit  denen  der 
Barnitz  berühren,  endlich  den  breiten  Abtluss  des  Razeburger  Sees, 
die  Wakenits  (Wocnice,  Wockence,  Wokeniz). 

4d.  Zahlreich  sind,  obwohl  eine  bedeutende  Anzahl  zu  Wiesen  und 
Mooren  aufgewachsen,  andere  im  Aufwachsen  sind,  noch  immer  auf  der 
Halbinsel  und  l)esonders  wiederum  auf  ihren  grössten  Breiten,  der  hol- 
steinischen und  jütischen,  die  Seen  und  zwar  sowohl  die  Küsten- oder 
Binuenseen,  wie  die  eigentlichen  Landseen.  Wie  in  Jütlaud  die  längste 
und  bedeutendste  Seenreihe  den  Fuss  der  höchsten  Erhebung  des  Landes 
begleitet,  so  haben  auch  in  Holstein  die  beiden  wichtigsten  SeenzOge 
die  unverkennbarste  Beziehung  zu  dem  oben  vom  Bungsberg  aus  nach 
Westen  verfolgten  HUgelzug.  Die  Seen  von  Stendorf,  Sibbersdorf,  Eutin 
und  der  KeUersee  erscheinen  wie  ein  Saum  um  den  Fuss  des  Bungs- 
bergs und  seiner  nächsten  südwestlichen  Nachbarberge;  auch  am  Diek-, 
Behler-,  Schuh-  und  kleinen  Plöner  See,  am  Lanker-,  Post-  und  Both- 
kamper  See  Überhöht  das  nördliche  üfer  das  sfidliche.  Der  grosse 
Plöner  stellt  auf  der  Halbinsel  Godau  im  Süden  den  nördlidien  eben- 
bürtige Höhen  entgegen,  auch  der  Schmalen-  und  Stolper  See  ruhen 
in  d^  nördlichen  Abdachung  der  entsprechenden  Höhe.    Wenn  so  der 


23] 


Poleographie  der  ciiubriflcbeu  llulbinsel. 


499 


höchste  Racken  des  holateimscheii  Landes  südwärts  mit  einem  Kranze 
stehender  Gewfisser  eingefasst  ttt,  80  fehlt  es  selbst,  um  die  Analogie 

mit  den  Alpenseen  vollständig  zu  machen,  anch  am  Nordfusse  an  einem 
solchen  nicht.  Der  Seelenter  schiebt  sich  dicht  an  den  Fuss  des  Liltken- 
burger  Berglandes  heran,  ist  mithin  im  Osten  und  Süden  von  be- 
deutenden Höhen  Uberragt,  im  Norden  von  einer  wellenförmigen  Ebene 
begleitet.  Genau  so  hegt  der  DobevstorfiNr  und  seine  Fortsetzung,  der 
Passader  See Ebenso  verzweigt  sich  der  kreuzförmige,  Tielannige 
Westensee  mit  dem  Flemhuder  an  dem  nördli(  lien  Abhang  der  kleinen 
Alpeniandschnft,  die  er  als  der  Yierwaidstädter  See  Holsteins  belebt 
und  verschönt. 

Dieselbe  Bodeuform  wiederholt  sich  auch  in  Schleswig :  in  ausge- 
prägterer Gestalt  durch  den  Witten-  und  Bisteusee  am  Fusse  der  Httttener 
Berge  und  ihrer  südlichen  Fortsetzung  den  Buvenstedter  Hflgeln  an  der 
Basis  der  Schwansener  Halbinsel,  im  Lürschauer,  Gammelunder  und 

Sankelmarkrr  Sop  am  Fusse  des  Anuflcr  IMatcaus,  im  Seegardener  und 
Hostruper  iScc  am  Fusse  des  Suntlewith  und  des  westlicli  altscli liessenden 
Höhenzuges.  Der  Botischlotter  und  Aventofter  Binnensee  sind  Reste 
einstiger  Meeresarme,  was  der  erste  nach  Dankwerth  noch  im  17.  Jahr- 
hundert gewesen  sein  muss. 

5.  Diese  verschiedenen  Gewässer,  Meerbusen  und  EUstenseen, 
Flüsse  und  Landseen,  Moore  und  Niederungen  verursachen  in  ilirem 
Zusammenwirken  eine  Zersclmittenheit  des  Bodens  der  Halb- 
insel, welche  vielfach  in  der  Geschichte  des  Landes  wirksam  ge- 
worden ist. 

Alle  vier  Herzogtümer,  aus  denen  das  Land  besteht,  sind  in  der 
Hauptsache  durch  Flussthäler  geschieden  und  begrenzt. 

5a.  In  Holstein  trefPen  die  alten  Gaue  der  Tetraarsgoi,  Holcetae 
und  Sturmarii  mit  den  oben  nachgewiesenen  natiirlirlifn  Hodengebieten 
Ditlimarschen,  Holsten,  l^tonnarn  zusammen;  Wjigrini  und  Lauenburg 
beruhen  zugleich  auf  laudschattlicher  Souderung.  Durch  die  niedrige 
und  öde  Mitte  geschieden  treten  in  der  sfldlidien  Hälfte  Schleswigs 
der  anglische  Osten,  der  friesische  Westen  scharf  auseinander.  Unter» 
«chieddoser  in  Bildung  wie  Bevölkerung  ist  die  nördliche  Hälfte.  Jüt- 
land  zeigt  trotz  grosser  Zerschnittenheit  die  rlem  südlichen  Teile  der 
Halbinsel  eigentümliche  Besonderung  und  Maimigf'altigkeit  nicht. 

Aber  auch  innerhalb  der  genannten  Teile  gibt  es  kürzere 
Bodenabschnitte  beachtenswerter  Art. 

Eine  völlige  Lisel,  wenngleich  jetzt  nur  noch  durch  ein  seichteres 
und  schmäleres  Gewässer  getrennt,  als  das  flache,  an  drei  Seiten  von 
Köstenseen  zemssene,  wahrscheiiüich  einst  landfeste  Fehmarn,  ist 
das  „Land  Oldenburg*,  durcli  dessen  oben  erwähnte  Niederung  1872 
der  Nordüststurm  in  rasender  Eile  eine  gewaltige,  wallartig  abfallende 
Flutwelle  vom  Gruber  bis  zum  Wesseeker  See  hiuUberjagte.    Ein  zweiter 

')  Diese  Bodcnveiliältnisae  kommen  in  dem  bezüglichen  Teil  des  Strassen- 
Uetzes  zum  klaren  Auadruck:  die  Landstrassen  Kiel  -  LUtkenburg  -  OldenbuiK  und 
Kiel -Pretz-Pldn-£atm- Oldenburg  Bcblieflsen  genau  den  bOohston  Teil  des  HUgel- 
laadee  ein. 


500 


Janien« 


[24 


Abschnitt  von  der  Kieler  Förde  durch  die  Schwentine  und  die  Seen- 
reihe bis  Eutin  fortgesetzt,  au  mehreren  "widitigen  Uebergängeii 
gangbar,  wird  zwischen  dem  Südostende  des  Steudorier  Sees  und  dem 
Neustädter  Binnengewässer  mit  seineu  Zuflüssen  durch  einen  schmalen 
Istliinus  unterbrochen,  eine  Enge,  die  eben  sfldlieh  von  Kasseedorf,  rich- 
tiger Kassiersdorf,  überdiea  durch  den  Quellteich  der  Sierha^rener  An 
auf  eine  Viertelstunde  zusammengedrängt  und  durch  die  Waldung^ 
Ochsenhals  gesperrt  ist.  Ein  sehr  schmaler  Fuss  nur  liegt  zwischen 
dem  Schluen-  und  Traniniersee  und  dem  tief  eingesenkten  Wiesen- 
thal  der  am  1  uö»e  der  Lütkeuburger  Höhen  vorbei  in  den  Binnensee 
Ton  Nendorf  und  Watemerendorf  mUndenden  Eossau;  ein  AbBcfanitfct 
der  in  südlicher  Richtung  von  dem  kleinen  und  grossen  Plfiner  See,  der 
Tensf eider  Au,  ihrem  grossen  Quellmoor,  das  sich  in  ungangbarer 
Niederung  nach  Süden  bis  Brandsniühle  fortsetzt,  —  einst  ein  See  von 
dem  Umfang  des  Plöner  —  der  Brandsau,  der  Trave,  der  Barnitz  bis 
in  die  Nähe  der  Quellen  von  Bille  wie  Steinau  fortgeführt  wird.  Eine 
Stunde  wesUich  von  dem  Uebergangspunkte  über  die  Niederui^  der 
Tensfelder  Au,  getrennt  durch  den  oben  erwShnten  Taibeker  KegcJ, 
beginnt  mit  dem  kurzen  aber  wasserreichen  Bornbek  und  dem  Belauer 
und  Stolper  See  der  Abschnitt  der  Depenau,  die  durch  den  Postsee  in 
die  Schwenthie  fliesst.  Parallel,  aber  weiter  nördlich  fortgesetzt,  zieht 
das  tiefe  Wiesenthal  der  obem  Eider  von  Brügge  bis  zum  Schul«  iisee 
mit  den  Brückenpässen  Vorde  und  Hammer;  auch  der  rechte  Winkel, 
den  dasselbe  Thal  von  hier  nach  dem  Wwtensee  und  von  dort  nach 
dem  Flemhuder  See  und  dem  Eiderkanal  mit  sich  selber  macht,  mit  dem 
Brückenpaos  Achterwehr,  stellt  ein  für  die  Halbinsel  Dänischwohld 
bedeutsame  Zerschneidung  des  Bodens  dar. 

Im  Westen  /cip^t  das  selbst  inselartig  abgesonderte  Dithmarschen 
innerhalb  seiner  Grenzen  weitere  nicht  bedeutungslose  Unterbrechungen 
des  yerkehrsföhigen  Bodens  durch  ungangbare  Niederungen  Unter 
den  grosseren  derselben  ist  die  sttdlichiBte  die  des  Windberger  Sees  mit 
der  denselben  diirchfliessenden  Süderau,  die  zweite  die  des  Fiehler  Sees 
mit  der  Miele,  deren  südlicher  ZuHusa  zusammen  mit  der  Süderau 
den  Meldorf-Bargenstedter  Höhenzug  zu  einer  vollständigen  Insel,  den 
Rücken  von  Heide  zu  einer  „Fastinsel "  macht,  die  von  Nord  nach  Süd 
gerichtet  sowohl  in  der  Höhe  von  Hemmingstedt,  als  in  der  Düne  von 
Stelle  und  Lunden  eine  Fortsetzung  findet  Die  dritte  Niederung  ist 
die  der  Broklands-  und  Tielenau,  welche  mit  der  Eider  zusammen  das 
nördliche  Viertel  des  Landes  zu  einer  Insel  gestalten.  So  konnte  ein 
von  Osten  auf  dem  Landwege  eindringender  Feind  die  alte  Hauptstadt 
des  Landes,  Meldorf,  entweder  —  wie  15i)U  —  nur  auf  eineni  lani^en 
Umwege  über  Frestedt  und  Windbergen  oder  durch  den  getährlichen 
Pass  der  DellbrOcke  erreichen,  Heide,  die  spätere  Bauptsta&,  entweder 
nur  auf  der  schmalen  Enge  der  Sflderhamme,  durch  die  «Schanze* 
ZAvisihen  der  zweiten  und  dritten  Niederung  oder — wie  1559  —  durch 
den  gleichÜEdls  bedenkhchen  Engpaas  der  jäelenbrücke. 


Vgl.  die  lehrreiche  AlibniidUing :  KoUter.  Burgen  und  Döfte  des  allen 
Dithmarscheus.   Meidorier  i'rogramui  I8ö2  und  185U. 


•25] 


Foleographie  der  oimbrächen  HalbiiueL 


501 


5  b.  In  SchK'swi«^  tritt  aus  vor  allem  ein  Absrlmitt  von  über- 
ragender geseliichtlicber  Bedeutung  hervor;  gemacht  durch  die  tiefe  und 
leissende  unterste  Eider,  durch  die  untere  IV^ene,  die  mit  Leichtigkeit 
bis  HoUingstedt  aufwfirts  zu  einem  grossen  See  erweitert  werden  kaiui, 
—  1850  erweitert  war  —  durch  die  Niederung  der  Bheider  Au,  an 
welche  sich,  um  die  schmale  gangbare  Enge  zu  sperren,  das  Danewerk 
anschliesst,  dann  durch  die  oberste  Schlei,  die  grosse  Schicibreite,  den 
sich  in  sie  ergiesseudeu  Osterbek,  dessen  oberster  Lauf  und  Wiesen- 
niederung von  dem  Windebyer  Noor,  d.  h.  vom  Eckerförder  Meer- 
busen nur  durch  einen  sehmalen  ROcken  bei  Kochendorf  getrennt  wird: 
eine  Stellung,  wenn  ausreichend  besetzt,  von  um  so  grösserer  Starke,  als 
sie  nach  beiden  Seiten  eine  wirksame  Flankendeckung  zur  See  und  auf 
der  freien  vorliegenden  Ebene  oÖ'encn  Einblick  in  die  Bewegungen  des 
Feindes  frcstattet;  eine  Stellung  von  .soU  her  Bedeutung,  dass  sie  die 
Stadt  öthk'swig  und  das  Territorium  Sdileswig  geschuÜen  hat.  Ein 
zweiter  nicht  unwichtiger  Abschnitt,  wie  der  TorerwShnte  gegen  SUden, 
so  gegen  Norden  gerichtet,  ist  die  eben  östli(-h  vom  Lufschauer  See 
beginnende  S[)alte  des  Langsees  mit  seiner  kleineren  westliehen  und 
^seiner  bedeutenderen  und  wirksameren  östlichen  Verlängerung  durch 
den  Wedel-  oder  Wellbek,  dessen  Niederung  bis  an  den  Fuss  der 
Withkieler  Höhe  reicht;  eine  Stellung,  1850  von  Willisen  gut  gewählt, 
TOn  HtHRst  i^inzend  verwertet,  von  Willisen  schmählich  verlaufen. 
Noch  emmal  wird  durch  die  Bondenan,  den  TrSsee,  die  Treene  und 
den  Sankelmarker  See  die  SOdnordstrasse  quer  durclischnitten.  An 
Wichtigkeit  dem  Schlei-Treeneabschnitt  nahe  kommt  der  Alsener 
Sund  mit  seiner  Verbreiterung  der  Alsener  Förde.  Das  tief  und  breit 
eingesenkte  Bette  der  Künigsau  deutet  auf  einen  einstmaligen  Meer- 
busen, der  selbst  bis  etwa  Kjöbeuhoved  d.  h.  bis  in  die  Mitte  des 
Landes  von  Westen  her  eiMreifend,  durch  einen  noch  nachweisbaren 
See  bei  Iljarup  und  den  Koldinger  Fjord  aufgenommen  und  durch 
die  Breite  der  Halbinsel  fortgesetzt  die  wichtige  Scheidung  mit  bewirkt, 
welche  staatlich  und  sittlich  die  hier  aneinander  stossenden  Bevölke- 
rungen trennt').  In  Jütland  haben  die  vorhandenen,  zum  Teil  viel 
stärkeren  Durchschneidungen  des  Bodens  bedeutsamere  poUtische  Ein- 
wirkung nicht  gezeigt. 

Als  Ganzes  encheint  die  cimbrische  Halbinsel  kaum  aus  dem  Meere 
emporgetaucht,  im  einzelnen  auf  Schritt  und  Tritt  durch  Wasser  oder 
die  verschiedenen  Zwischenformen  zwischen  festem  und  Flüssigem  zer^ 
schnitten. 

(3.  Auf  der  so  dargelegten  Gestaltung  und  Lage  der  cimbrischen 
Halbinsel  beruht  ihr  Wegenetz. 

An  sie  heran  fthren  und  zwar  zunächst  an  ihren  südlichen 
Fuss  drei  Hanptstras.sen ,  von  denen  je  zwei  Doppelstras m  h  sind:  eine 
Doppelstrasse  zur  See  und  zu  Lande,  selbst  wieder  aus  vielen  Strängen 
zusammengesetzt,  von  Westen  und  Südw^st^^n .  di(»  Elbe  und  die  hol- 
ländisch-niederdeutsche Küstenstrasse;  eine  Doppelstra£>se  zur  See  und  zu 


')  S.  Geerz,  Geiichichte  der  geographischen  Vermesfiaugen  Nortiaibmgieua. 
Berlin  1859. 


502 


Janieii, 


[26 


Lande,  gleichfalls  aus  vielen  zusammengedrängt .  von  Osten  und  Nord- 
osten, die  Lübeker  Bucht  und  die  pommern  -  meklenburgische  Küstea- 
starasse;  endlich  dne  Landstrasse  von  Süden,  aus  einer  Unzahl  strahlen- 
förmig von  beiden  Seiten  zusammenfliessender  Nebenwege  Terdichtei, 
und  eine  Flussstrasse  von  Südosten ,  das  weit  Terzweigte  ElbenetE. 

An  die  Westküste  führt,  abgesehen  von  den  einst  gesuchten 
Kinfnhrten  in  die  Knudctiefe  nacli  Hipen,  in  die  Lister  Tiefe  nach 
lioyer  und  Tondt-rn.  sowie  von  dem  Heverstrom  und  dvm  künstlich 
gehaltenen  jütischen  liaitn  Esbjerg,  nur  noch  die  Eidermünduug ;  an 
die  OstkOste  aus  allen  Richtungen  der  halben  Windrose  so  vi^,  als 
Häfen  offenstehen  sie  au£sunehmen. 

Von  Norden,  d.  h.  von  Skandinavien  her,  £uid  der  gerade  süd- 
wärts gerichtete  iVnkomniling  auf  dem  lidcn.  schwer  umbrandeten  Saud- 
rücken von  Skagen  keine  wirtliche  Stiitte;  der  skandinavische  Verkehr 
musste  sich,  sei  es  zur  See,  sei  es  zu  Laude,  in  die  Oststrassen  drängen, 
in  dem  südlichen  Schweden  an  Terschiedenen,  durch  verschiedene  Ziel- 
punkte bestimmten  Pl&tzen  sich  sammeln,  um  von  da  an  die  Halbinsel 
zu  gelangen.  Den  dichtesten  und  ununterbrochensten  Strom  des 
kehrs  musste  der  durch  Sund  und  Belte  nur  im  Winter  öfter  ge- 
hemmte Landweg  über  Seeland  und  Fühnen  an  sirli  /iehon. 

Durch  das  Land  selbst  erzeugen  sieli  mit  Nutwemlli^keit  zwei 
Strassen,  die  an  Wichtigkeit  und  Bedeutung  allein  und  in  erster 
Linie  stehen:  eine  Querstrasse  und  eine  Längenstrasse.  Die 
Querstrasse  (I)  muss  das  Bestreben  haben,  der  Basis  der  Halbinsel 
80  nahe  wie  möglich  zu  kommen;  denn  die,  in  jedem  langgestreckten 
Binnenmeer  gegebene,  Achsenströmung  vo!n  Uussersten  Nordosten,  Riga, 
Nowgorod  oder  Petersburg,  bis  zum  äussersten  Südwesten.  Amsterdam, 
Antwerpen,  London,  hat  notwendig  das  dringhchste  Interesse,  eimnal 
durch  den  Riegel  der  cimbrischen  Halbinsel  statt  um  ihn  herum  zu 
gehen  und  sodann  auch,  so  wenig  wie  möglich  von  ihrer  Richtung  ab- 
gelenkt zu  werden,  d.  h.  nach  möglichst  ausgedehnter  Benutzimg  des 
W^assers  der  Lübeker  Bucht  und  der  Trave  auf  kürzester  Linie  den 
geeigneten  Punkt  im  l^'ahrwasser  der  Elbe  und  der  Nordsee  zu  er- 
reichen 

Dieses  Bestreben  zeigt  seine  Stärke  in  dem  vergleichsweise  ausser- 
ordentlich frühen  Versuch  Lttbeks,  im  Einverständnis  mit  Hambmng, 
eine  künstliche  und  zwar  eine  Wasserstrass.  Ii  erzustellen,  die  1391 — 
1398  zwischen  Steknitz  und  Delvenau,  d.  h.  Trave  und  Elbe  in  einer 
Länge  von  80  Meilen  bei  einem  geraden  Abstand  von  9^»  Meilen  ge- 


*)  Begreiflicherweise  nicht  um  etwii  noch  eine  Kinwirkung  auf  das  jetat 
zur  AusführunR'  pflanir''iK]e  Nordo8tscekan;il  Pn  j.  kf  y-i  üben,  sondern  nur  um  aus 
den  gefundenen  Verkehrübedinguugeu  unserer  iieuiiat  die  sich  aufdrängende  Folge- 
mng  vn  ziehen,  bemerke  ich,  dam  vom  theoretiachen  Gesichtspniikte  ans  ftr  jenen 
Wasscrquerweg  gar  keine  andere  Linie  in  Betracht  kommen  könnte  ah  die  von 
Travemünde  nach  Hamburg  oder  auch  die  von  Neustadt  durch  daA  Trave-  und 
StOrthal  nach  8t.  Margareten.  Der  TravonAnder  Hafen  mag  seicht  Min,  der  Kieler 
vortrefflich  und  schon  soweit  iiu  iri  l  ant .  iiu.sserdeni  auf  ineussischem  Gebiete  ge- 
legen sein :  ang^chts  der  äuuuuen  von  Zeitgewinn  iiir  die  folg^den  Jahrtausende 
worden  Römer  den  geraden  Weg  fObr  den  besten  gehalten  haben. 


27] 


Poleographk  der  cimbriscbeii  Halbinsel. 


503 


graben  oder  vertieft  wurde  und  im  Jalire  1853  noch  immer  von  rund 
()0()  Falir/cujfen  im  Jalire  durchmessen  zu  werden  pfie<rft'.  Eine  zweite 
Uuterueiimung ,  deuiaielben  Triebe  entsprungen,  führte  Hamburg  1525 
nach  langen  Anrufen  aus,  nämlich  den  sogen.  Alstorkanal,  eine  Yer- 
bindung  der  Trave  und  Alstor  Tennittelst  der  Beste,  aber  in  so  mangel- 
hafter Weise,  dass  die  Benutzung  desselben  bereits  nach  25  Jahren 
"wieder  aufhörte. 

Die  Längenstrasse  (l),  bei  Koldiiif? oder  auch  Hudersieben 
aus  der  cirabri*:chen  Nordsüd-  und  der  skandinavischen  Nordost-  und 
Ort-Weststrasse  vereinigt,  muss  in  möglichst  gerader  Richtung  das  Süd** 
liehe  Thor  der  Halbinsel  zu  gewinnen  suchen,  umgekehrt  der  durch 
dasselbe  Thor  von  Süden  einströmende  Verkehr,  teils  gerade  nordwärts 
sich  auf  Aalborg  und  Skageu,  teils  von  Hadersleben  oder  Kolding  ab- 
biegend auf  Kopeidiagen  und  Malmö  richten.  So  folgt  sie  im  grossen 
und  ganzen  dem  westlichen  Kande  des  Geschiebethons,  streift  ent- 
weder die  Spitzen  der  Förden  oder  überschreitet  sie  unter  geeigneten 
Bedingungen  nahe  ihrem  obem  Ende.  Von  Schleswig  an  hört  der 
Parallelismus  mit  der  EUste  auf,  die  von  Eckemförde  an  die  Ostrichtung 
einschlägt.  Die  von  Norden  kommende  Verkehrsströmung  musste  in 
ihrer  südlich  gerichteten  Tendenz  den  geeignetsten  und  zugleich  ge- 
legensten Uebergangspmikt  über  die  Eider  suchen.  Hier  kam  ihr  gewiss 
schon  in  urältester,  naeiiwcisbar  in  der  Frankenzeit  der  Süduordverkehr 
von  der  Elbe  her  entgegen.  Für  diesen  aber  konnte  es  gegen  die 
dänische  Südgrenze  keinen  selbstverständlicheren  Weg  geben,  als  Am 
auf  dem  Fluss-  oder  Meeresufer,  dem  Don  oder  Kleve,  über  Wedel, 
Uetersen,  Elmshorn  zunächst?  bis  Steinburg.  Hier  hatte  man  die  Wahl, 
einen  sehr  bedeutendin  und  unsicliern  Umweg  ins  Innere  hinein  ein- 
zuschlügen  oder  die  aus  dem  kurzen  Abstände  von  etwa  2  Kilometern 
einladende  Höhe  von  Nordoe  und  den  waldigen  Uferrand  von  Itzehoe 
zu  erreichen,  d.  h.  also  wie  so  oft  den  Uebergang  vermittelst  eines 
natürlichen  Schrittsteines  in  der  Niederung  zu  versuchen.  So  hatte 
man  Schleswig  gerade  nördlich  vor  sidi,  an  den  Inseln  der  Eider  einen 
bequemen  Uebergangspunkt  und  Über  Hohenaspe  und  Hohen westt  rlt. 
über  die  Jevenau  bei  .Tevenstedt  l)is  dicht  vor  Kendsburg  festen 
Boden  unter  den  Füssen  von  Koss  und  JNIann. 

Als  eine  durch  die  Verbreiterung  der  Halbinsel  in  Holstein  be- 
dingte Gabelung  der  herrschenden  Längenstrasse  muss  schon  die  von 
Flensburg  über  Missunde  nach  Eckernförde  gerichtete  angesehen  werden, 
entschiedener  ist  es  die  von  Schleswig  an  die  Eckernförder  und  Kieler 
Bucht,  von  da  ursprünglich  wohl  Über  Bornhöved,  Tensfelder  Au, 
Schlamersdorf,  Gnissau,  später  über  l'retz,  Plön,  Ahrensbök  nach  Lübek 
fülirende  Strasse  anzusehen  (la),  die  von  dort  aus  teils  über  Raze- 
burg  und  Mölln  nach  Lauenburg  weiterfährt,  teils  der  meklenburgi- 
achen  Gestadestrasse  entgegen  kommt.  Demselben  Zwecke  dient  die 
aüdüchere  Gabelung  von  IB^dabuig  aus  ttber  Neumttnster  und  Sege- 

Der  Kürze  wegen  sind  die  natürlich  ge^^ebenen  Ansiedlungspankte  nicht, 
wie  sie  Streag  genommen  sein  sollten,  nach  ihrer  geographischen  Belegenheit 
anf  emeni  unangesiedelt  gedachten  Bodm,  sondern  nach  den  T<m  ihnen  bedingten 
Ortschaften  aufgeführt. 


504 


Jansen, 


[28 


berg  (Ib),  von  da  einmal  nach  Oldesloe.  Trittau,  Lauenburg  und  dann 
auch  über  Zarpeu  uder  lieiuield  iiuch  Lübek. 

Als  zweite  L&ngenstrasse  (2)  tesst  sich  der  nord-sQdliGli  die 
Osikllste  begleitende  Seeweg  ansehen,  der  mit  geringer  westlicher  Ab- 
lenkung durch  den  kleineu  oder  mit  geringer  östlicher  Ablenkung  durch 
den  grossen  Belt  in  der  bequemen  Einfahrt  und  Tiefe  der  Kieler  Förde 
sein  Ziel  findet  ,  sofort  aber  auf  dem  Lande  seine  Verlängerung  sucht. 
Dieser  Verkelir  erzeugt  die  Nordsüdstrasse  über  Neumün;jter  nach 
Hamburg,  welche  früher  die  Boostedter  Höhen  östUch  umgehend  auf 
Schma]&ld,  seit  1882  mit  westlicher  Umgehung  auf  Bramstedt  führt 

An  dritter  Stelle  erst,  der  geringeren  Verkehrsiähigkeit  des 
Westens  zu  Land  und  Wasser  entsprccLeud,  steht  die  westliche  Ge- 
stadestrasse (3) ,  welche  von  Aalborg  an ,  den  Liimfjord  westlich  und 
östlich  umgehend,  einerseits  über  Thisted  und  den  Oddesund.  anderer- 
seits über  Viborg  nach  Holstebro,  weiter  über  Kiugkjöbing  und  Varde 
auf  den  bequemen  Uebergang  bei  Bipen  und  von  hier  dem  Bon  folgend 
über  Tündern  und  Bredstedt  nach  Husum  führt,  wo  sie  in  ältester  Zeit 
durch  den  Eider-Meerbusen  eine  Unterbrechung  erfuhr  und  zu  einer 
Gabelung  auf  Rendsburg  genötigt  ward.  Allmählich  bei  zunehmender 
Sicherung  des  Verkehrs  durch  jene  Niederung  musste  die  Strasse  sich 
über  die  Eider  auf  Lunden,  Heide,  Meldorf  fortzusetzen  suchen.  Hier 
war  eine  zweite  Ablenkung  von  der  Sfldriehtung  nicht  sowohl  durch 
die  Bodenbeschaffenheit,  als  durch  die  Richtung  des  untersten  Elbetroms 
bedingt  und  zwar  auf  Itzehoe wo  die  westliche  Gestadestrasse  aub  neue 
mit  der  östlichen  zusammenläuft. 

Nächst  der  herrschenden  Querstrasse  zwischen  Trave  und  Elbe 
ist  der  in  Lübek  sich  häufende  Verkehr  auch  auf  anderen,  nanientiich 
nach  dem  durch  mancherlei  Beziehungen  mit  ihm  verbuudeueu  Dith- 
marschen  wieder  ausgeströmt.  So  entstand  die  Strasse  Lttbek-Meldorf  (II), 
und  zwar  in  zwei  Linien,  einmal  über  Segebei^,  Bramstedt,  Steinburg, 
Itzehoe,  sodann  Uber  Segeberg,  Neumfinster,  Hohenwestedt,  Hade- 
marschen,  die  sogen,  liibsche  Trade,  welche  von  Nenniünster  an  zu- 
gleich den  ganzen  Verkehr  aus  der  \va<?rischen  Nordostecke  von  Lütken- 
burg,  Oldenburg,  Neustadt  über  l'löu  uud  Boruhüved  an  sich  zog  und 
weiterführte.  An  beide  Linien  schlössen  sich  Verästelungen,  von  Itee- 
hoe  nach  Wilster,  Krempe,  Glttckstadt,  von  Meldorf  nach  Heide  und 
Tönningen  an.  Quer  durch  die  ganze  Breite  der  Halbinsel  wirkte  die 
Anziehungskraft  Hamburgs  auf  den  Verkehr  des  ufan/en  ristHchen 
Wagrien,  der  von  Heiligenhafen  über  Oldenburg  und  Kutin  oder 
Oldenburg  und  Neustadt  in  paralleler  Kichtung  mit  beiden  Küsten,  den 
Neustädter  Binnensee  nördlich  und  südlich  umgehend,  sich  bewegte, 
in  Segeberg  wieder  zusammenfloss,  um  yon  hier  entweder  in  Oldeäoe 
Sudl  an  die  Lül)ek-Hamburger  Hauptstrasse  anzuschliessen  (»der  gerade- 
aus das  rechte  Ufer  der  AJisier  und  so  Hamburg  zu  ezreichen  (UL). 

Dieselbe  hat  jahrhundertelang  den  Umweg  Über  Hadeiuarschcn  und 
Haaenui,  den  einzigen  schmalen  letbmuH  in  Dithmanchen  hinein  passieren  mOssen. 
Erff  um  Ende  di-s  sechzehnten  Jiihrhunderts  i  nfschlosa  sich  Dithmarschon,  den 
Dumm  durch  die  Miederung  der  Holstenuu  über  Hohenhörn  zu  schlagen.  Die  noch 
nfthere  Chaunee  Aber  Hoondon  iit  eist  1857  gebaut. 


29] 


Poleognphie  der  dmliriaohen  HalbinseL 


505 


Eine  vierte  Querstrasse  von  Bedeutung  ist  die  von  Kiel  nach  dem 
Ülh'steu  Schitibarkeitsanfang  der  Eider,  Flemhude  oder  späteren  Rends- 
burg (IV) ,  die  seit  der  Erbauung  des  schleswig-holsteinschen  Kanals 
(1777 — 84)  zugleidi  eine  Wasserstowse  wurde,  noch  immer  von  emiji^ 
Taiuendeii  toh  Schiffsn  benutzt,  und  in  nunmehr  absehbarer  Zukunft  einer 
flberaus  bedeutsamen  Steigerung  ihrer  Verkehrsfähigkeit  en^^en  geht. 
Die  kürzeste  aller  das  Land  durchschneidenden  Querstrassen  ist  die  von 
Schleswig-Husum  (V"),  deren  bequemt'  Kürze  aber  in  ihrer  erwartungs- 
mässigen  Wirkung  durch  die  zu  nördliche  Lage  und  durch  die  un- 
tiefen Fahrwasser  der  Schlei  und  des  Ueverstroms  schon  früh  beein- 
trächtigt worden  ist  Aehnlich  haben  die  Querwege  von  Flensburgs 
Tondem  und  Apenrade-Tondem,  deren  Lauf  den  betreffenden  Quellflüssen 
der  Widau  parallel  sein  muss  und  bei  Buhrkall  zur  Vereinigung  führt,  in 
gleicher  Weise  auch  die  Wege  Hadersleben-Ripen  und  Kolding-Ripen 
unter  der  früh  beginnenden  Versandunir  oder  Verschlämmung  der 
Häieu  geütten  und  mehr  als  örtliche  WiciiLigkeit  nicht  gewonnen;  viel- 
mehr  hat  von  Flensburg  aus  der  Transitverkehr  eine  diagonale  Richtung 
nach  Husum  und  nach  der  EidermOndung  einschlagen  müssen.  Yon 
vorwiegend  örtlicher  Bedeutung  sind  die  Verkehrslinien  der  grössereii 
Halbinseln,  die  bei  den  ^rr>sseren,  Wagrien,  Angeln,  Sundewith,  zwei 
den  KUstenHnien  entspnH  hcnde  Schenkel  bilden  müssen.  Als  solche 
Winkel,  mit  der  bezüglichen  Grundlinie  Dreiecke  bildend,  kommen 
zunächst  die  Strasse  Oldenburg-Neustadt-Lübek  und  Oldenburg-LUtken« 
burg-Kiel  in  Betracht,  welche  hier  durch  die  Kiel-Rendsburger  Quer- 
strasse fortgesetzt  wird ,  dann  die  Chaussee  Kappeln-Flensburg  imd 
Kappeln -Schleswig,  endlich  der  Winkel  Sonderburg -Apenrade  und 
Sonderburg-Flensburg. 

In  Jütland  musste  die  Hauptverbreiterung  der  llalltinsel  in  einer 

Sösseren  Querstrasse  Lemvig-Viborg-Randers-Grenaae  und  diese  letztere 
ilbmsel  selbst  wiederum  in  einem  Winkel  Randers-Gxenaae  und  Aarhus- 
Grenaae  wirksam  werden.  Weitere  Querstrassen  von  Aaihus  flberSkander- 
borg  an  der  Seenreihe  entlang  auf  Ringlgöbing  zu  und  von  Horsens 
oder  Veile  ins  Innere  ersterben  gewissermassen  im  Sande  der  Heiden; 
nur  Friedericia  und  Kolding  verbindet  schon  die  Eisenbahn  mit  dem 
neu  erbauten  Hafen  Esbjerg. 


n.  Bevölkerung,  Städte  und  Staaten  der  oimbnschen 

HalbinseL 

1.  Von  der  Bevölkenmg  der  cimbrischen  Halbinsel  geben  die 
stummen  Gräber  und  Geräte  aus  unbestimmbarer  Vorzeit  die  erste 
ebenso  sichere  wie  dunkle  und  unbestimmte  Kunde. 

Die  Fundorte  der  Steingräber  und  der  Biesenbetten,  in  giOsserer 


506 


Jaiuen, 


[80 


Ausdebming  um  Apenrade,  auf  der  Halbinsel  Broaker  und  auf  Alsen, 
im  ganzen  mittleren  Angeln  tmd  Ober  die  Schlei  sowohl  östlich  Tom 
Osterbek  als  abwärts  im  nördlichen  Schwansen,  dann  zu  beiden  Seiten 

des  Kieler  Meerbusens,  sildlicli  vom  Westensee,  ettdlich  und  westlich 
von  den  Sclnvontinoseen  bis  südlicli  von  Segeberg,  um  Lütkenburg  zwi- 
schen Neustadt  nnd  Lüb(d< ,  südli(  Ii  und  n()rdlich  von  der  Brökau.  an 
der  Süd-  und  Ostküste  Fehmarns,  ausserdem  auf  Silt,  zwischen  Rredstedt 
und  Ilusum,  auf  dem  HaupthöhenrUcken  Dithmarschens,  iu  dem  Kerne  des 
eigentlichen  Holsten,  in  Stormam  und  Lauenburg  verstreut  gelegen« 
weisen  mit  grosser  Klarheit  auf  die  Bevorzugung  des  Ostens  gegenflber 
der  gesamten  niedrigen  Mittelzone  und  den  westlichen  Niederungen. 

Dasselbe  Ergebnis  befem  und  zwar  in  noch  genauerer  Ausfilhrun«^ 
die  (Trabhügel,  die  ziiinlieh  gb-ichmässig  den  ganzen  Osten  einnehmen, 
in  Schleswig  im  Norden,  der  iütte,  dem  Süden  einen  Ausläufer  in  das 
Innere  nach  dem  Westen  Torstrecken,  auf  dem  Jerpstedter  Rflcken,  auf 
Süt,  Führ,  Amrum  sporadisch  erscheinen,  ausserdem  aber  wieder  Ober 
den  Höhenzug  Dithmarschens,  über  die  Holstenplatte  und  jenseits  der 
oben  nachgewiesenen  Uel)ergangsstelle  (S.  489)  auf  Bramstedt  zu  sich 
durch  Storinarn  l)is  an  die  Grenze  des  Don  verbreiten. 

Umengräberft  ldcr,  aus  einer  Zeit  also,  welche  von  der  Beerdigung 
zur  Verbrennung  überging  —  oder  von  einem  Volke,  dem  dieser  Brauch 
eigentümlich  war?  —  finden  sich  wiederum  vorwiegend,  obwohl  bisher 
nur  zerstreut,  im  ganzen  Osttn.  namentlich  in  Angeln  um  den  Trasee 
und  längs  der  untern  Schlei,  rund  um  das  ganze  obere  Viertel  der 
Schlei  bis  an  den  Osterbek,  nördlich  Rendsburg.  Eider  aufwürt.s  bis  an 
d«'n  \Vitt»  nsee,  um  die  obere  Kieler  Fönb',  <be  Seiiwentine  hinauf  bis 
an  den  kk  inen  Plöner  See,  in  östlicher  Richtung  von  Kiel  aus  an  den 
Doberstorfer  und  nördlich  längs  des  Seelenter  Sees,  die  ganse  Lüticen* 
buzger  Gebirgsgruppe  bis  an  die  Kossau  mit  umfassend,  im  Land 
Oldenburg  vom  ^V inbarg  und  Putlos  an  bis  nach  Gro.ssen-Brode  hin, 
dann  von  Bordesholm  bis  südlich  und  westlich  über  Neumünster  liinaus. 
westlich  vom  grossen  Plöner  See,  zwischen  Eutin  und  Neustadt,  um 
Segeberg  und  am  rechten  Ufer  der  untersten  Trave,  endlich  wieder  von 
Elmshorn  an  nach  Osten  hin  zerstreut  durch  Stormam  und  Laueuburg. 
Im  Westen  ziehen  sie  sich  in  einem  gewundenen  schmalen  Streifen  von 
dem  Ringwalle  bei  Weddingstedt  südlich  bis  an  ilen  mehrerwähnten 
Don,  dann  zurückweichend  über  die  Niederung  der  Holstenau  im  Bogen 
nach  dem  hoben  Störuferrande  bei  Itzehoe.  Im  schleswigschen  Westen 
sind  sie  und  zwar  wieder  liauptsäcbHch  auf  den  durch  Steingräber  und 
Grabhügel  bezeichneten  Punkten  bisher  nur  sehr  vereinzelt  gefunden, 
namen^ch  in  dem  eigentlichen  Kerne  der  Insel  Silt,  auf  ganz  Amrum, 
auf  Föhr  und  beacntenswerterweifle  auf  der  Düne  Ta&g>  Garding, 
auch  nördlich  davon  bis  ans  Meer. 

Wesentlich  die  nämlichen  Gegenden  unseres  Landes  enthalton  nwh 
die  Fundstätten  unserer  Altertümer.  Die  ganze  «"»stlirbe  Zone  des 
Geschiebethons  samt  Alsen  und  dem  Südosten  Fehmarns  ist  ein  wenig 
unterbrochenes  Fundfeld  der  Üteren  und  jüngeren  Steiusachen,  der 
Bronze-  und  üisenfferSte;  durch  die  ganze  medere  Mitte  und  den 
mehrem^nten  Halbkreis  der  Treene-,  Eider-  und  StömiedemDgen 


31] 


Poleographie  der  eimbrischen  HalbinseL 


607 


sind  ähnliche  Sachen  nur  .selten  gt  tunden:  eben.so  nur  vt'reinzelt  im 
schleswighchen  \V  e.sten,  auf  mehreren  Get'striu  ken,  aut  den  drei  Inseln 
Silt,  Amrum,  Führ  und  auf  den  Marsehiuseln  von  Garding,  Tating, 
St.  Peter.  GehSnft  erscheiaen  die  Fundst&fcten  wiedemm  9x3  der  Hol- 
sten Platte,  auf  dem  ganzen  nordsfldlich  gestreckten  Hanpthöhenznge 
Dithmarschens  und  in  der  ganzen  Umgebung  Hamburgs.  Hinausgegangen 
Ober  die  son^f  von  diesen  Zeugen  der  Vorzeit  eingehaltenen  Grenzen  ist 
die  Revülkerunn-.  von  dem  ii  iHc  Funde  melden,  an  zwei  Btj'Uen:  einmal 
in  südöstlicher  Richtung  von  Burg  aus  in  die  Niederung  der  Wilsterau 
bis  gegen  Wikter  hin  nnd  dann  in  der  Marsch  seibat  Östiich  von  Marne. 

Feuersteinwerkstätten,  zwei  auf  dem  Dithmarscher  Höhenzug,  und 
zirar  ziemlich  am  östlichen  Kando  des  stldlichen  Drittels  nachgewiesen, 
eine  am  nördliclien  Ufer  dt  s  ()ld('ii1)urjürer  Grabens,  eine  im  Winkel  z\vi- 
schen  der  Kieler  Fiirdf  und  Si  hw » utine-Mündung,  eine  (istlich  von  Husum 
und  eine  .auf  Amrum,  Küchenal>t;ille,  bisher  nur  am  VVindebyer  Noor, 
an  der  mittleren  Ostidlste  von  Silt  und  nordwärts  der  Gjenner  Bucht 
aufgefunden,  Hufeisensteine,  namentlich  am  limes  Saxonicus,  Ton  der 
ol)eren  Bille  bis  nach  der  Kieler  l-Virde  zerstreut,  Schah  nsteine  zerstreut 
durch  Sundewith  und  Angeln,  südlich  der  oberen  Schlei  und  in  Schwansen 
vorkommend:  endlich  die  Runensteine  nördlich  von  Flensburg,  in  Angeln 
und  drei  nalif  zusammen  südlich  der  obeirii  Sehlei  entdeckt,  geben  von 
dem  Dasein  und  dem  Leben  der  Urbevölkerung  weitere,  dimkle  aber 
sicherlich  historische  Kunde 

2.  Erzählt  von  dem  nordischen  Lande,  an  dessen  Ufern  der  Bern- 
stein gefunden  wurde,  von  den  Völkern  der  ^Scythen",  die  sich  nördlich 
an  die  Kelten  schliessen.  hat  zuerst  der  civilisierten  Welt  von  damals 
ein  Mann  lie]lenis(  hen  Blutes,  Pytheas  aus  Massilia,  der  zur  Zeit  etwa, 
wo  Alexander  an  das  Ostende  der  Welt  gelangte,  die  wunderbaren  Aleere 
und  Inseln  des  Nordens  erforschte.  Aber  nur  Bruchstücke  seiner  Er- 
zählung sind  auf  uns  gekommen.  Dann  wird  uns  zuerst  wieder,  sagen- 
haft immerhin  aber  durchaus  wahrscheinlich'),  von  einer  Massenaus- 
wanderung berichtet,  zu  der  sich  infolge  einer  grossen  Ueberschwemmung 
die  Cimbern  penötij^^t  gesehen  haben,  wt-lche  11:^  v.  (Mir.  an  den  nord- 
östlichen (irt-nzen  des  rr»raischen  Maclit^^eltiet-s  t  r><  heinen.  Darf  man 
im  Anschluss  an  ihr  ruheloses  Wandern  nach  llo  amielmieu,  was  er- 
laubt scheint,  dass  sie  auch  vor  113  nirgends  nach  ihrem  Auszug  länger 
gesessen  und  nur  an  dem  Widerstand  der  Bojer  eine  zeitweilige  Hem- 
mung gefunden  haben,  so  wflrde  dieser  etwa  um  140 — 130  anzusetzen 


Duf;  rrangbar  g<  ■'■vnrrlcno.  lialb  aus  Barbarotilatoin,  linlb  dorn  Griechiscli''n  rw- 
sauiiueugesetzte  Fremdwort  prähistorisch  and  das  gleichwertige  deutsche  vorgeschicht- 
Ueh  «nth&lt  eine  Art  contradiotio  in  adjeoto;  denn  alle  Zurtftnde  oder  Thatsachen, 
von  denen  wir.  \vf'iinfrl''ich  duroli  stvimino  Zeugen,  sirlicre  Kunde  haben,  gehören 
der  tieschichtc  an ;  was  ausserhalb  oder  vor  diesen  geschichtlich  erkennbaren  That- 
flachen  Hegt,  ist  ffkr  uns  Qberhatipt  nicht  vorhanden.  Was  gescfaichtlioh  irt,  ist 
nicht  vor  der  Gencin  ]it>  :  was  vor  der  Oeflchidite  ist,  ist  nicht  geachiditliclL,  Ur> 
geschichtlidi  sollte  uiuu  »agen. 

*)  Strabo  (VII ,  293)  weiss  -?on  dem  Untergang  ganzer  KlUtenitreeken.  Je 
weniger  geläufig  oder  denkbar  ein  solcher  Vorgang  dem  Bf-wolmer  von  felsenfesten 
KQ«tenrändem  war,  desto  sicherer  dürfen  wir  schliessen,  dass  er  nicht  auf  gVer- 
nntong",  sondern  aof  üeberlieferung  bemhe. 


508 


Janaen, 


[32 


sein.  Wir  schliesM^  ii  alu  r  aiis  rl er  Thatsarhe  jener  Massenauswanderuiicr 
infolge  einer  grossen  und  verheerenden  Flut  auf  eine  nicht  inAir  aiku 
apftrliche,  dnrdigeheiide  Bevölkerung  aller,  auch  der  niedrigeren  Teile 
des  Landes.  Denn  eine  Höhe  der  Flut  anzunehmen,  dass  die  Bewohner 
der  höheren  Gegenden  betroffen  und  vertrieben  wären,  ist  nicht  gestattet; 
die  Cimberii  müsson  also  weni«;stpns  zum  Teil  in  den  westlichen  Moor- 
oder  Marsclniiederungen  gesesst  n  haben. 

Eine  mittelbare  Bestätig\ing  dieser  Thateache,  dass  mindestens 
im  zweiten  und  ersten  Jahrhundert  v.  Chr.  —  seit  wie  langer  Zeit, 
vermag  niemand  abzuschätzen  —  auch  der  europiische  Norden  schon 
eine  ausreichrade  Bevölkerung  getragen  habe,  l'asst  sich  aus  den  Be- 
richten Casars  ttber  die  Stämme  und  Heere  der  Gallier  und  die  Zu- 
stände der  benachbarten  Germanen  entnehmen.  Die  ersto  Sei  schlarht 
auf  dem  Atlantischen  Ocean.  von  der  wir  hören,  muss  aut  tine  uralte 
Uebung  der  Küsteubewohner  nicht  bloss  Galliens  gedeutet  werden.  Um 
so  iltff  irad  allgemeiner  in  der  That  muss  die  ErSndung  oder  Ver- 
wendung der  Schiffiiihrt  in  unserem  Lande  erscheinen ,  als  sie  hier  not- 
wendiger und  unentbehrlicher  war  als  anderswo.  Der  Angriff  des 
Drusus  auf  die  Friesen  von  der  See  her,  sein  Kanalbau,  die  Fahrt  des 
Tiberius  nach  Norden  bis  zur  Elbe  und  in  die  Elbe  hinauf,  mut- 
masslich bis  Hamburg,  die  mehreren  Züge  des  Germanicus  zur  See 
und  fiussaufwärts  nach  den  Schauplätzen  seiner  Kämpfe  lassen  zwei- 
fellos erkennen,  dass  das  Schiff  mcht  bloss  ein  bekanntes,  sondern  in 
jenen  Qegenden  geradezu  das  gewöhnliche  Bewegungsmittel  gewesen  ist, 
dass  die  gesamten  Küstengebiete  der  Nordsee  bis-  weit  ins  Innere  hinein 
ihren  Verkehr  vorwiegend  durch  Meer  und  Fluss  bewerkstelligt  haben. 

Von  Tacitus  erhalten  wir  dann  die  ei-sten  ausdrückliehen  und 
ausführlicheren  Nachrichten  über  uusre  Halbinsel  selbst.  Hierbei  ist 
nun  beachtenswert,  dass  dieser  wohl  unterrichtete  Oewührsmann  in 
seiner  Aufzählung  unabsichtlich  zwar,  aber  ebenso  unverkennbar  die 
doppelte  Beziehung  hervortreten  ISsst,  die  unsre  Halbinsel  gemäss  ihrer 
Lage  an  der  norddeutschen  Ebene  einerseits  zu  dem  friesisch-rheinischen 
Südwesten,  andererseits  dem  suevisch- elbischen,  später  slavisch-elbi- 
£chen  Osten  hat.  Tacitus  unterscheidet  wiederholt  auf  das  bestimmteste 
die  nordöstlichen  Stämme  der  Deutschoi,  denen  er  den  Gesamtnameii 
Sueven  gibt'),  von  aUen  übrigen  Germanen  («ceteris  Germanis*),  för 
die  er  keine  gemeinsame  Bezeichnung  kennt.  Diese  letzteren  zihlt  er 
in  der  Ordnung  auf,  dass  er  zunächst  dem  Rheine,  dann  dem  Ocean 
folgt.  Die  letzten,  die  er  in  dieser  Richtung  nennt  und  zwar  hinter 
den  Chauken  —  denn  die  Chatten,  Cherusker  und  Fosen  werden  als 
„seitwärts"  (in  latere)  wohnend  bezeichnet  —  sind  die  Cimbem,  welche 
, denselben  Vorsprung"  (sinus)  Deutschlands  besetzt  hatten,  unmittelbar 
am  Meer  (proximi  Oceano).  Ob  die  friesische  Bevölkerung  des  halben 
westhchen  Sclüeswigs  ihm  als  solche  unbekannt  geblieben  oder  dort 
noch  nicht  ansässig  gewesen  ist,  läset  sich  mit  Sicherheit  nicht  erkennen; 


Germ.  38:  Nunc  de  Suevis  dicendum  f^st,  quorum  non  una  ut  Chattorum 
Tencterorumve  gens;  megorem  Germaniae  pariem  obtinet ...  in  communeSuevi 
»vocantur*.'  Cap.  45:  Hic  Sneviao  mdi. 


38] 


Polet^liapliio  der  cimbrisoheii  Halbinsel. 


509 


nur  will  das  letztere  bei  dem  seltenen  Beliarrungsvermögeu,  das  diesen 
Stamm  auszeichnet,  wenig  denkbar  erscheinen. 

Zum  zweitemiiale  gelangfe  TacituB  mit  semer  Aufeählung  an  und 
in  unsere  Halbinsel,  indem  er  von  dem  ältesten  und  bedeotradsten 
Stamme  der  Sueven,  den  Semnonen,  elbabwärts  in  nordwestlicher  Rich- 
tung an  das  Baltische  Meer  kommt  und  die  sie])en  ^  durch  Wälder  oder 
Flüsse  geschützten''  Stämme  nennt,  die  nur  durch  die  gemeinsame  und 
feierlich  geheimnisvolle  Verehruug  der  Nerthus  auf  einer  „Insel  des 
Oceans"  bemerkenswert  seien,  llire  Wohnsitze  werden  nicht  näher 
bestimmt;  jedoch  gestatten  oder  ^dem  die  Worte:  et  baec  quidem 
pars  Suevorum  in  secretiora  Germaniae  porrigitur,  sie  durch  die 
ganze  Länge  der  .abgelegenen"  cimbrischen  Halbinsel  ,bindurch- 
rrirheiid"  anzusehen.  Ob  die  7  V^ölkerschaften  in  der  Ordnung  von 
Süden  nach  Norden  aufgeführt  sind,  wie  man  freilich  nach  seiner  c.  41 
folgenden  ausdrücklichen  Erkläruiigt  erst  habe  ihm  der  Rhein  als  leitender 
Faden  gedient,  jetzt,  wo  er  Ton  ißrden  zurückkehrt,  solle  es  die  DonaUf 
«mebmen  möchte,  ob  überhaupt  eine  bestimmte  Reihenft^e  zu  Grunde 
gelegt  ist,  lässt  sich  mit  Sicherheit  nicht  ermitteln.  Unter  allen  sind, 
zumal  bei  der  scliwankenden  Schreibung  der  meisten  Namen,  nur  Angler 
und  .lüten,  diese  aber  mit  aller  Sicherbeit  nachzuweisen.  Grössere  An- 
siedlungen  werden  nicht  genannt,  dürfen  auch  bei  der  grundsätzlichen 
Abneigung  der  Oermanen  gegen  geschlossene,  stadtartige  Wohnpiätze 
nicht  angenommen  werden. 

3.  Aus  den  folgenden  Jahrhunderten  liegen  zusammenhängende 
Nachrichten  nicht  vor;  Andeutungen  begegnen,  dass  die  Küstenschiffahrt 
in  stätigem  Betriebe  ist.  Dasselbe  ergibt  sieb  ans  (b^r  nächsten  wold 
verMirgten  Thatsache,  die  uns  Ix'Lfct^net,  wieder  einer  Auswanderung 
und  zwar  m  grösserem  Massstabe  als  die  erste  Im  Jahre  449,  so 
eraShlt  Beda,  ging  unter  Hengist  und  Horsa  ein  grosser  Zug  yon 
Sachsen,  Angeln,  Friesen  und  Jttten  nach  England  hinttber.  Mag 
immerhin  in  die  Mitte  des  Jahrhunderts  eine  besonders  grosse  und 
planmässige  Auswanderung  nach  dem  herrenlos  und  haltlos  gewordenen 
schönen  Inselland  fallen,  dieselbe  wird  durch  einen  altüberlieferten  See- 
verkehr, der  hier  nur  der  südwestlich  streichenden  Küste  zu  f(jlgen 
brauchte,  um  auf  die  hellen  Kreideklippen  von  Dover  zu  stossen ,  vor- 
bereitet und  durch  Jahrzehnte-,  ja  jahrhundertelanges  Nachwandem  fort- 
gesetzt und  gehalten  gewesen  sein:  eine  Wirkung  des  eigentümlichen 
Siedlungstriebes,  der  den  Angelsachsen  eigen  war  und  geblieben  ist 
und  der  denkwürdige  Beginn  einer  kolonisatorischen  Bewegung,  welche, 
noch  weitgreitender  als  der  griecliische  Ausdehnnngsdrang,  jetzt  bereits 
nicht  bloss  die  Neue  Welt,  sondern  auch  einen  guten  Teil  der  übrigen 
Erde  der  angelsScfasischen  Basse,  d.  h.  zugleidi  dem  Christentum,  der 
Oeeittung,  der  Freiheit  unterworfen  hat. 

Fand  aber  eine  so  bedeutende  Entleerung  der  Halbinsel  statt, 


0  Beide  Wanderungen  kOnnen  als  Belege  fllr  die  Meinung  und  Ueberlieferung 

angesehen  werden,  dass  der  urs-prüngHthe  Awr  Völker  auf  unserer  Halbinsel 
von  Nurden  nach  äaden  geht.  Vgl.  Mülieuhof  in  den  «Nordalbingiachen  Studien' 
Bd.  I,  136.  145. 

VofMhnngMB  TU  dnitielMB  Laadsg*  und  Tolkikuidiei.  LS.  35 


510 


Jaaaen« 


[34 


wie  die  Xachrieliteii  weniger  als  die  ausgedelmten  Staatengrüiidungeu 
im  ganzen  südlichen  und  östlichen  England  erkennen  lassen,  so  wird 
ein  alsbaldiger  Nacbschub  von  Nachbar^Olkem  Ton  Tomherein  wahr- 
scheinlich. So  drängten  denn  von  Norden  her  die  Jükn,  vielleicht 
selbst  gedrangt  von  nachrückenden  Dänen,  in  das  nördHche  Schleswig 
und  zwischen  Friesen  und  Angeln  hindurch  bis  an  den  unttberschritteuen 
Schlei-Treene-Abschnitt  naeli.  In  das  bis  dahin  ganz  germanische  Hol- 
stein werden  damals  und  nicht  erst  unter  Karl  dem  Grossen  die  wen- 
dischen Wagiren  oder  Waigem,  und  zwar,  in  voller  üebereinstimmung 
mit  den  VerkehrsTerhSltniBsen  an  der  WestkOste,  zur  See  eingedrungen 
sein.  Diese  Thatsache  geht  aus  folgenden  Umständen  mit  grOsster 
Walirscheinliclikeit.  um  nicht  zu  sagen  mit  Siclicrheit  hervor.  Die 
Slaven  waren  bei  dem  Beginn  der  Völkerwanderung  sofort  mit  in 
Bewe*?inig  gekommen  und  den  vorwiegend  an  jener  Bewegung  sich 
beteiligenden  suevischen  Stämmen  in  £e  Ebenen  der  Weichsel,  Oder 
und  selbst  der  Elbe  und  Saale  nadigerQckt  Früh  fibten  sie  regen 
Seeverkehr  und  Seeraub  in  dem  ganzen  zwischen  Skandinavien  und 
G^ennanien  verstreuten  Archipel  und  an  seinen  Küsten  ^).  Nur  so  wird 
es  erklärlich,  wenn  wie  die  suevischen  Xcrthusvölker  so  auch  die  ver- 
schiedenen Shiveii^iämine  ein  gem«'insanie.s  Heib'gtum,  den  Tempel  des 
Svautevit,  dem  die  ganze  Weudenwelt  Tribut  zalüte,  auf  einer  Insel 
hatten  und  derselbe  auch  noch  auf  einem  dem  Festlande  abgewendeten 
Punkte,  Arcona,  lag*).  Die  meklenburgische  Küste  überschaut  deutlich 
und  in  lockendster  Nähe  das  ganze  Gestade  Ostholsteins  von  der  Trave- 
mündung  bis  zum  fehmarnschen  Sunde;  bei  sicher  berechenbarem  Wind 
und  W«'tfer  trug  das  leichte  Schiß'  von  den  diesseitigen  zu  den  jen- 
M  itij^en  Laiulungsplätzeii  hinüber,  deren  es  dort  mehrere  sehr  bequeme, 
zum  Unterschlupf  und  zur  Lauer  höchst  geeignete  gab.  Es  ist  geradezu 
undenkbar,  dass  man  diesem  kurzen  und  bequemen  den  langen  und 
schwierigen,  auch  leicht  versperrten  Umweg  längs  der  Ettste,  die  Trave 
bis  zu  einer  bequemtti  üebergangsstelle  aufwärts,  etwa  über  Alt-Lübek, 
vorgezogen  haben  sollte.  Nicht  ohne  Bedeutun«^'  ist  es  auch,  dnss  von 
den  1'  Pflanzenarten  des  Landes  Oldenburg,  welche  der  übrige  Boden 
Holsteins  entweder  nur  ganz  ausujiiimsweise  oder  gar  nicht  trägt,  8  auch 
auf  meklenburgischer  Erde  heimisch  sind*).  Endlich  könnte  das  ge- 
feiertste Heiligtum  der  holsteinischen  Wenden,  der  Wienbarg  (Helmold, 
slavische  Chronik  I,  88)  uAd  die  alte  Hauptstadt  derselben  unmöglich 
auf  jener  Insel  gelegen  gewesen  sein,  wenn  sie  dicsellx-  ni(  ht,  wie  es 
immer  einem  das  Festland  beherrschenden  Feinde  gegenüber  ratsam 
ist,  zuerst  in  Besitz  genommen  und  den  gewiesenen  Uebergangspunkt 
auf  Gestadeinseln  (vgl.  S.  483,  II,  3,  b.)  in  der  Mitte  der  dem  Festhmd 
zugekehrten  Seite  befestigt  h&tten.  Stari-grad,  die  »alte  Burg*  beweist 
unwidersprechlich,  dass  die  Wenden  selbst  in  ihrem  geschichtlichen 


')  Nach  Helmold  II.  13  sind  die  Slaven  von  allorB  li<r  dpiu  A<.korfv.iu  ab- 
geneigt, Seeunti'mehniungen  zugewendet;  ilir  Reichtum  beruht  ganz  auf  ihren 
Schiffen;  beim  H&userbaii  gaben  sie  sich  keine  Mühe. 

■■'l  Nocli  711  Aflanrf  von  Rrenien  Zt'it  s<  hittte  nich ,  wer  von  Hamboig  nacb 
Jumne  zur  ijec-  wollte,  in  Oldenburg  oder  in  bt  hleswig  ein  (II,  19). 

*)  Schröder  a.  Bieraatiki»  Tq[iographie  I,  82. 


85] 


Poleographie  der  cimbnsclicn  Halbinsel. 


511 


Bewusstsein  ilire  älteste  Gescfaidite,  soweit  sie  Uberall  in  Noidalbingien 

spielte,  auf  diesen  Schauplatz  Terlcgten.  Die  Lage  der  Stadt  auf  einem 
in  die  Niedernnfj  und  fast  bis  an  die  Brökau  Yorspringenden  schmalen 
Ausläufer  des  hohen  Nordufers,  von  drei  Seiten  durch  eine  leicht  üher- 
schwemmbare  Niederunix,  an  der  vierten  durch  gewaltige,  auch  heute 
noch  wolü  erhaltene  Erd werke,  Burg  und  Wall  geschützt,  war  um  so 
fester,  als  sie  sttdlidi  der  Au,  wohin  ein  Teil  der  Stadt  unzweifelhaft 
sich  ausgedehnt  hat,  auch  flbeir  eine  Stellung  yeritlgte,  die  als  BrOeken- 
köpf  dienen  konnte,  den  schmalen  Engpass  nSmlich  zwischen  der  noch 
heute  sehr  ungangbaren  und  tiefen  Niederung  der  Johannisdorf  er  Au 
einerseits  und  der  Seebenter  Niederung  andrerseits,  auf  welchem  in  dem 
\N  inkel  der  Johannisdorfer  Au  mit  den  südlich  in  diese  mündenden 
NebenbÜchen  das  durch  seinen  Namen  als  wendisch  beurkundete  Zub- 
bisthoip,  heute  Sipsdorf,  entstand 

FäUt  aber  die  Besitzergreifung  des  Landes  Oldenburg,  wahrschein- 
lich samt  Fehmarn,  durch  die  Wagern  schon  in  die  zweite  Hälfte  des 
fünften  oder  den  Anfang  des  seclisten  Jahrhunderts,  so  werden  nurh  eine 
Anzahl  anderer  Ortschaften  zu  ungelVihr  <,''leich<'r  Zeit  entstanden  sein : 
so  namentlich  in  der  linken  Flanke  Daimie  und  (jirube,  in  der  rechten 
Wesseek  (Wotzeke),  unzweifelhaft  alles  drei  slayische  Kamen. 

Eine  zweite  Haltestelle  auf  ihrem  Wege  ins  Innere  fanden  die 
Wägern  in  dem  Abschnitt  der  Kossau,  der  Seen  und  der  Eremper  An 
mit  ihren  Zuflüssen,  eine  bastiouartige,  nur  über  die  Höhe  von  Schön- 
walde und  durch  die  Enge  von  Kassierstorf  (Kusseresthorp)  zugängliche 
Verteidigungsstellung,  die  wiederum  mit  drei  slavisch  benannten  An- 
siedelmigen  in  Front  und  Flanken  bezeichnet  ist:  Plön,  Lütkenbuig, 
(Alten-)  Krempe.  Der  Pass  yon  Plön  (Plune,  Plone)  ist  nach  allen 
Anzeichen  zu  urteilen  durch  eine  zweifache  Befestigung  geschützt  ge- 
wesen: einmal  durch  die  wendische  Burg,  welche  den  westlichen  Ein- 
gang auf  die  Enge  zwischen  grossrni  und  kleinem  Ph'incr  See  wehrte, 
und  die  Olseborg  oder  Alesborg,  welche  den  östliclien  Zugaug  zwischen 
grossem  Plöuer-  und  Behler-See  bewachte.  Lütjenburg,  wie  es  jetzt 
meist  sehr  yerkehrter  Weise  geschrieben  wird,  richtig  Lfltkenburg,  vor- 
mals Luttikenborg  oder  Lucelenborch,  slawisch  Liutcha  (von  ^'ut  stiurk?), 
war  offenbar  ein  Brückenkopf  für  die  Kossau,  die  hier  von  der  ost- 
westlichen Küstenstrasse  Kiel-Oldenburg  gekreuzt  werden  musste.  Die 
von  Hehnold  hier  ei\vähnte  Burg  (urbs)  wird  nicht  bei  der  Kirche,  son- 
dern niu^s,  wie  der  Augenschein  lehrt,  auf  dem  jetzigen  Vogelsberge 
gelegen  haben,  einem  offenbar  küusthchen  Hügel  auf  natürlicher  Vor- 
arbeit im  Norden  der  Stadt,  an  dessen  Fuss  noch  heute  Reste  des 
Bui^grabens  in  den  dortigen  Teichen  geblieben  zu  sein  scheinen.  Diese 
ganze  Höhe  hat  eine  überaus  beherrschende  Lage  und  überschaut  ausser 
den  beiden  in  Bi  tradit  kommenden  Hauptlandstrassen  insonderheit  auch 
den  nahen  Bmneusee  und  die  ganze  Hohwachter  Bucht,  neben  Heiligen- 


')  Pio  nicht  unbedeutenden  Befestigungen  auf  dem  linken  Ufer  der  .loliamiis- 
dorfer  Au,^  von  denen  eben  »üdwestlicb  von  Sipsdorl  die  auggebaute  üufe  »iScbanze" 
niDgebeB  ist,  aoUen  ans  dem  SOj&hrigen  Kriege  stammen.  Sie  beheirschten  die  in 
Sipidorf  zQsammenfttosaenden  Stmaen  von  GOld^utein  und  von  Lensahn. 


512 


Jausen, 


[36 


hafen  und  Eiel  den  einzigen  und  in  alter  Zeit  mehr  ab  jefaet  benutzten 
LandungsplatK  an  der  Nordseite  Holsteins,  der  unter  anderm  auch  1113 

den  dänischeu  König  Niels  seiner  Niederlage  von  dem  Weii'li nkönig 
Heinrich  entget^onführte.  Kreni])en  oder  Krempe  war  ur<;prnngLicb  der 
Name  einer  Bur<jj  auf  dor  noch  heute  so  genannton  Insel  im  N'eustiklter 
Binnensee,  nach  welcher  einer  von  den  elf  slavischcu  bei  Hehnold 
erwähnten  Gauen  seinen  Namen  hatte;  für  ein  seeräuberisches,  fehde- 
lustiges Volk  nach  der  Land-  "wie  Seeseite  ein  besondere  wohlgele^^er 
Plafas.  Zu  diesen  genannten  drei  Orten  wird  das  gleiclifalls  als  Mittel- 
punkt eines  slavischen  Gaues  erscheinende  Utin  mit  Fissau  (Vyssouve, 
Vizzowe,  Viscow)  an  dem  Uebergang  Aber  die  Schwentine  bald  hinzu- 
gekommen sein. 

Eine  dritte  und  letzte  Verschiebung  der  slavischen  Grenze  stützte 
sidi  in  der  reehien  Flanke  auf  die  untere  Schwentine  und  den  BrOeken- 
ort  PretK  (Poreze,  Paretze),  in  der  linken  auf  Lflbek,  d.  h.  Alt-LObek 
oder  Bukowec)  mit  Razeburg  und  in  der  Front  auf  den  Alberg      d.  h. 

Scgebcrg,  vielleicht  auch  OMtsloe.  Pietz,  der  Alberg.  Lübek  äind 
durch  ilii'e  Namen  als  ursprünulirli  >lavische  Plätze  gekennzeichnet, 
sämtlich  auch  durch  ilire  Lage  als  Brücken-  oder  Engen-Städte  wichtig. 
Alt-Lübek,  im  spitzen  Winkel,  den  hier  die  Schwartau  mit  der  Trave 
macht,  gelegen,  zu  einer  Zeit  gegründet,  wo  die  Slayen  auch  diesen 
entfemtereu  Hafen  zu  benutzen  angefangen  hatten,  ist  erst  in  der 
zweiten  Hälfte  des  achten  Jahrhunderts  gegen  Oldenburg,  das  nach 
Adam  von  Bremen  (IT,  41)  noch  im  Anfang  demselben  die  volkreicLste 
Stadt  von  ganz  Slavien  war,  allmählich  em])orgekonimen  und  für  die 
nur  noch  kurze  übrige  Zeit  ilirer  Herrschatt  Uauptsitz  der  wagrischen 
FOisten  geworden. 

Endlich  werden  auch  die  Landwege  die  wandernde  Slavenwelt 
westlich  bis  an  die  natüiüche  Grenze  der  Halbinsel,  die  Wakenitz* 
Delvenau-Linio  und  diirüber  hinaus  vorgescliolieu  haben;  Plätze  wie 
Razeburg,  Mölln,  Laueuburg  können  kaum  zu  irgend  einer  Zeit,  wo 
Menschen  überhaupt  hier  gewohnt  haben,  als  nicht  vorhanden  gedacht 
werden 

4.  Während  sich  so  in  den  Jahrhunderten  der  Väkerwanderung 
und  nach  derselben  Ostholstein  zu  einem  Vorposten  der  grossen  slavi- 


Diesen  , alten"  (slavischen)  Namen  des  Kalkherges  (Heluiohl  c.  49  n  i\  14i, 
dessen  Form  freilich  nicht  ganz  feststeht,  darauf  zu  deuten,  dass  schon  die  Uiiceien 
Anwohner  den  Salzgehalt  des  Hegeberger  Bodens  gekaimt  haben,  w&re  ich  sehr 
in  Ver-nrh'ing,  aher  wohl  docli  nicht  l»t»nH'htiprt- 

^)  I»ie  in  unserem  Lande  ziemlich  zahlreichen  Kingwillle,  deren  Alter  und 
Herkunft  unsicher  bleiben  mma  und  sehr  verschieden  sein  kann,  häufen  sich  doch 
in  beachtenswerter  Weise  auf  dem  ganzen  «'inst  shuasiertcn  («ebiete  imd  an  dessen 
Grenze;  am  dichtesten  nördlich  von  den  Quellen  der  Biile,  am  Nordufer  der  unteren 
Trave,  an  dem  Pass  zwischen  Behler  See  and  Kossaathal,  auf  dem  ganzen  Gruppen- 
gcbirge  von  Lütkenbiirg ,  Jlstlich  von  der  nntem  Schwentine  nahe  dem  Dobers- 
torfer  üee,  um  dm  obere  Eidorthai  und  südöstlich  von  Neumünster;  auf  schleawig- 
schem  Boden  finden  sie  sieh  so  sahheich  nur  um  die  Spitse  der  SeMei  und  in  dem 
eigentlichen  Runipr-  der  Insel  Silt.  Verstreut  erscheinen  ilhnliclie  Kiirgen  nördlich 
von  Oldeuburj^,  unweit  der  Elbe  oberhalb  Hamburg,  Osthch  der  oberen  Alfter,  bei 
Borg,  bei  Ende,  bei  Churding,  auf  Föhr,  Sundewitht  Alsok  und  selbst  an  einer 
Stelle  der  Mmoh  sttdlich  tob  Hojer. 


37] 


Poleographie  der  cimbmcben  Halbinad. 


513 


sehen  Rasse  gesialtete.  von  dem  aus  durch  ein  sehr  wohl  mögliches, 
teilweise  sogar  verwirklichtes  Vordringen  nach  Westen  und  bis  an  die 
Nordsee  ein  Keil  mitten  durcli  die  Nord-  und  Südgermancn  ixt'tneben 
worden  wäre,  war  die  Entwickeiung  des  deutschen  Staates  iu  der  Ge- 
stalt der  fränkischen  Monarchie  weit  genug  gediehen,  um  von  Süden 
vontoflsend  jedem  weiteren  Vordringen  eme  erste  entschiedene  Schranke 
zu  ziehen. 

Der  Zug  Karl  Härtels  im  Jahre  734  gegen  den  Friesenftirsten 
Bobo  nördlich  der  jetzigen  Zuider  See,  nach  Fredegarii  cont.  109 
(navali  evectione)  zu  Wasser  unternommen,  beweist,  dass  auf  Grund 
der  Bodenverhältnisse  der  Seeverkehr  als  der  regelmässige  fortgedauert 
hat.  Noch  entschiedener  geht  dasselbe  aus  der  Thatsache  hervor,  dass 
sofort  nach  der  Unterwerfung  der  Sadisen  (785  »tota  Saxonia  sab- 
jugata  est*,  ann.  laur.)  der  Bremer  Erzbischof  Willebad  es  ist,  der 
mit  dem  westlichen  Nordalbingien  in  leichtem  Seeverkelu-  auf  der  weit- 
ragendon  Höhe  der  Meldorfer  Tnsel  in  dem  spitzen  Winkel  zwischen  Miele 
und  Süderau  die  erste  PHanzstätte  christlicher  Mission  in  unserem  Laude, 
die  Meldorfer  Kirche,  erbauen  lässt. 

Die  Fortfilhrung  des  Saidisenkrieges  gegen  die  Nordalbingier  und 
gegen,  die  D&nen,  bei  welchen  der  unbeugsame  Wittekind  Schutz  ge- 
funden hatte,  erforderte  vor  allen  Dingen  aber  einen  sicheren  imd  mög- 
lichst bequemen  üebergang  über  den  breiten  Elbstrom.  Teils  durch 
die  Beschaffenheit  beider  Ufer,  teils  durch  die  Teilung  des  Fhisses  in 
zwei  Hauptarme  war  die  Linie  Hai-bur^-Wilhehnsburg- Hamburg,  un- 
zweifelhaft in  Gebrauch  und  Uebung,  solange  Menschen  hier  verkehrten, 
die  gegebene.  Adam  Ton  Bremen  nennt  darum  auch  sehr  richtig  (I,  15) 
Hammaburg „eine  Stadt  der  Nordalbingicr*,  die  Karl  der  Grosse 
»damals"  (bezieht  sich  auf  das  TOrangehende  Jahr  804)  mit  einer  Kirche. 
natOrlich  auch  mit  einer  Buig,  ausgästattet  und  einem  gewissen  Ueridag 
Übergeben  habe. 

Mit  der  Befestigung  Hamburgs  war  bei  der  Fortfülirung  des 
Krieges  gegen  die  dänische  Cbenze  die  Sicherung  des  Stör^üeberganges 
zugleich  notwendig  geworden.  Durch  gradlinige  Durchsteehung  einer 
Halbkreisbiegung  der  Stör  gewann  man  einen  geeigneten  Platz  für  die 
Errichtung  eiiier  Burg,  die  bis  heute  in  ihrem  Namen  fortbesteht,  in 
ihren  letzten  Bauresten  erst  nacli  der  Mitte  des  siebzehnten  Jahrhunderts 
verschwunden  ist  *).  In  dem  Schutze  dieser  fränkischen  Essefeldo-Burg 
entstand  817  auf  dem  vorgelegenen  Geestbuckel  von  Nordoe  die  Gella 
Welanao  des  Ebo  Ton  Rheims  und  Halitgarius  von  Gambray,  das  heutige 
^lüii-^terdorf ;  flussabwärts  unweit  eines  VorspiiuiLTs  des  Don,  aber  doch 
in  der  eigentlichen  Marsch  Heiligenstedten,  eine  Kirche,  deren  Sprengel 


')  Der  Name  stammt  offenbar  von  dem  in  der  Goscliidite  Ditlnuarschens  80 
bedeataam  gewordenen  Wort«  »Hamme",  Hemmimg,  Sperre,  Enge.  Ygi.  Kolater  im 
Meldorfer  Programm  185^5,  S.  21. 

')  Ob  das  als  Ort  der  Unterhandlungen  zwischen  Dilnen  und  Deutschen  P09 
erwähnte  Badenfliot  in  dem  abwärts  an  der  Stör  in  der  Marsch,  freilich  auf  einer 
Erhöhung  gelegenen  Beidenfleet,  ursprünglich  Begenflet,  also  wohl  richtiger  Beiea- 
fleet,  so  erkennen  ist  ,  muss  zweifelhaft  bleiben.  Als  wahrscheinlich  kann  es  bei 
der  Abgelegenheit  des  Orts  und  der  UnwegBamkeit  der  Maisch  kaum  gelten. 


514 


Jansen, 


[38 


ursprünglich  \scit  iiu>^f('. lehnt  ins  j<'tzif(e  Kirchspiel  Bramstedt  übergriff, 
und  schüu  iu  nördlich  vorgeschobener  Lage  Schenefeld,  das  Adam  von 
Bremen  die  Kirche  der  Holsten  nennt.  Die  vierte  Burg,  welche  Karl  der 
Grosse  und  zwar  gegen  die  Linonen  grOndete,  Hohbuoki,  scheint  doch, 
wenn  nicht  in  dem  uralten,  auch  als  Kirch-  und  Wallfahrtsort  früh 
berilhniten  Dorfe  Büchen,  Boten,  eine  gute  Meile  nördlich  der  Elbe, 
am  wahrscheinlichsten  in  der  Nähe  von  Lauenburtr  bei  Bucliliorst 
(Bokhorstl  i^esucht  werden  zu  müssen.  Die  Einhardsthe  Nachrii  ht, 
Kurl  habe  ulie  Sachsen  aus  Wigmodieu  und  den  trausalbingischen  Gauen 
mit  Weibern  und  Kindern  ins  Fränkische  geführt  und  ihre  Wohnptitze 
den  Obotriten  Uberlassen,  kann  gegenüber  den  späteren  ihatsichuchen 
und  vcrbüi^^ten  Zustanden  nur  unter  der  grössten  Einschränkung  auf 
Glauben  Anspruch  machen.  Dagegen  wird  die  Einrichtung  des  freilich 
erst  810  ausdrücklich  erwähnten  linies  Saxonicus  oder  miu-ca  Slavorum 
den  letzten  Jahren  Kai'ls  des  Grossen  zuzurechnen  sein;  eine  Grenzlinie, 
richtiger  wohl  ein  GzenzgOrtel  von  Befestigungen,  dessen  Haehweisuiijg 
im  einzelnen  nach  den  Angaben  Adams  Yon  Bremen  auch  durch  die 
eing(  lit  Ilde  Untersuchung  von  Beyer  0  nicht  ausser  allen  Zweifel  gestallt 
ist,  der  aber  im  grossen  und  ganzen  eine  bis  zum  Plöner  See  durch 
die  Schwentine,  von  Segeberg  bis  Oldesloe  durch  die  Trave  vorgezeichnete 
Richtung  vom  Kieler  Meerbusen  gerade  südlich  bis  an  die  Elbe  gehabt 
hat,  d.  h.  also  den  sächsischen  Charakter  von  etwa  zwei  Dritteilen  Holsteins 
ausser  Frage  stellt. 

Schon  826  dringt  durch  fränkischen  Einfluss  das  Christentum  und 
zwar  wieder  auf  dem  westlichen  See-  und  Flusswege  auch  in  das 
Herzogtum  Schleswig,  richtiger  damals  noch  an  die  Schwelle  des 
dänischen  Landes,  den  Schlei-Abschnitt  vor.  Ansgar  geht  rheinabwäi-tvS 
über  Doorstede  in  die  Nordsee,  läult  in  die  Eider  ein,  landet  im  Gebiete 
der  Friesen,  will  si^en  bei  HoUingstedt,  und  erreicht  von  da  die  dBnische 
Grenze,  um  seine  nedigt  zu  beginnen,  die  trotz  vorttbergehender  Hern- 
nmngen  guten  Erfolg  gehabt  zu  haben  scheint.  Bereits  831  ward 
Hamburg  zur  Metropole  des  Averdciiden  oder  doch  entworfenen  Er/stifts 
dos  Nordens  von  Ludwig  dem  Frommen  bestimmt.  Die  Zerstörunir  der 
Stadt  (845)  durcli  die  Normannen  konnte  die  Bedeutung  dieses  Platzes 
nicht  auflieben.  850  Yollendete  sich  der  erste  Kirchenbau  auf  schles- 
wigschem  Boden,  den  Ansgar  zu  Ehren  der  heiligen  Maria  «bei  der 
Stadt  Schleswig*  oder  ITeithaby  (d.  h.  wahrscheinlich  nicht  beim  jetzigen 
Haddeby  oder  ursprünghch  Haddeboth)  errichtete.  860  folgte  in  Ripen  durch 
Ansgars  Schüler  Rimbert  ein  zweiter  Kirchenbau.  Beide  Städte,  Schleswig 
und  Ripen,  haben  aber  ohne  Zweifel  lanixe  vor  der  christlichen  Zeit 
als  Hatenorte  bestanden  und  handeln  (im  elften  Jahrliundert)  der  eine 


')  Beyer,  der  hmes  .Saxoniae  Karls  das  Grossen,  1877.  Da«s  die  sanft  nach 
8flden  abgedachte,  leise  gewölbte  Ebene  zwischen  Gönnebek-Tarbek.  BomhOved 
und  Dalldorf  ki'incn  Anhalt  zu  ninor  (Jn-nzsoheide  mt'hr  biotot,  lehrt  der  Augen- 
schein; auch  die  unzweifelhaft  zum  hmea  gehörige  Höhe  von  Blank,  noch  heute 
dnrch  die  westiioli  Suren  Fora  begleitende,  nftrdhch  nnd  nordöstlich  nmfanende 
Niederung,'  u'^  H  hützt ,  erlaubt  es  schlcchterdin^^s  nicht,  die  Linie  des  liiuf  ^;  .  wie 
Beyer  gethau  hat,  von  Brands  Mühle  auf  Dalldorf  und  so  nach  Bornhöved  zu 
rieneD. 


39] 


Poleographie  der  cimbriaehen  ^dbiiuel. 


515 


nadiSclavanien,  Schweden,  Samland,  Griechenland  (=  Russland ;  Adam  Yon 
Bremen  IV,  1),  der  andere  nach  dem  Saxeulande,  nach  Frisien,  nach 
En«ifelland,  Frankreich,  den  Mittelmoer-Stiidten  nnd  selbst  dem  heiligen 
Lande.  Tondem,  1017  bereitet  ein  bekannter  Uafeu,  mag  wenig 
jünger  sein. 

In  Jfitlflnd  tritt  zwar  aus  dem  Dunkel  der  heidnischen  Vorzeit 
noch  kein  grösserer  Ort  durch  bestimmte  Zeugnisse  hervor ;  jedoch  wird 

mit  einiger  Sicherheit  zu  yermuten  sein,  dass  das  genaue  Centrum  des 
ganzen  Landes,  zudem  ein  wichtiger  Wende-  und  Kreuzunifxpimkt  einer 
Längen-  und  einer  (^uerstra^sse,  Viborg,  richtiger  ursprünglich  Viberg, 
in  Waldemars  II.  Erdbuch  Wibiärgh  (=  Weiheberg),  schon  in  ältester 
Zeit  sowohl  als  Eultus-Statte  wie  als  Fürsten-Sitz  nnd  Wahlort  be- 
standen hat. 

5.  Die  Zeit  der  sächsischen  und  salischen  Kaiser  ist  für  misere 

Halbinsel  nicht  ohne  Bedeutung. 

Widukind  (I,  10)  berichtet,  dass  Heinrich  I.  034  die  Dänen,  welche 
auf  ihren  Seezügen  die  Friesen  beum-uhigten,  überzogen,  unterworfen  und 
ihren  König  „Chnuba"  zur  Taufe  gezwungen  habe.    Nach  Adam  von 
Bremen  besiegte  Heinrich  den  König  Worm  oder  ürm  (=  Ooim)  und 
machte  Schleswig,  welches  jetzt  „Heidiba"  genannt  wird,  zur  Grenze 
seines  Reichs,  wohin  er  eine  sächsische  Kolonie  und  einen  Markgrafen 
vorisotzte,  d.  h.  also  die  weite  Ebene  zwischen  Schlei  und  Eidor  zu 
einer  schleswigsciien  Mark  einrichtete:  der  erste  und  für  Jalirhunderte 
letzte  Schritt  des  Deutschtums  vorwärts  gegen  das  Dänentum  und  zu- 
gleich unzweifelhaft  eine  bedeutsame  Massregel  für  die  Hebung  des 
Ortes  und  für  die  Entwickelung  des  ganzen  spätem  Herzogtums  zu 
einem  seil  »ständigen  Ganzen.    Ottos  des  Grossen  Zug  in  die  cimbrische 
Halbinsel  und  gar  bis  an  die  äusserste  Spitze  Skagens  erscheint  nicht 
genügend  bezeugt;  an  dem  vordringenden  Einfluss  des  deutschen  lieiches 
und  der  deutschen  Mission  kann  nicht  gezweifelt  werden.    Auf  der 
Synode  von  Ingelheim  948  erscheinen  Bischöfe  von  Schleswig,  Ripen 
imd  einer  dritten,  bei  dieser  Gelegenheit  zuerst  henrortretenden  Stadt, 
welche  Widukind  Harusa  nennt:  Aarhus,  ursprünglich  Arus  und  in 
isländischen  Quellen  Aros  *).    Die  gleichzeitige  Gründung  eines  Bistums 
in  Oldenburg  beweist  wie  das  Vordringen  deutsch -christlichen  Geistes 
gegen  den  Nordosten,  so  auch  aufs  neue  die  BedLHitung  dieser  Insel- 
Hauptütudt  gegenüber  den  sämtlichen  Nachbarstädten  bis  zur  Teene, 
bis  wohin  sich  ihr  Sprengel  erstreckte.    Aber  schon  Otto  TL  war 
zu  einem  neuen  Zuge  gegen  das  empörte  Dänemark  genötigt,  auf 
welchem  er  das  Danewerk  erstürmte.    Wenn  er  dann  nach  Thietmar 
(III,  4)  ,,unara  urbem  in  bis  fmibus  (Caesar)  aedificans  praesidio  firmat". 
so  wird  das  doch  wolü  nur  von  Befcsti-^ungsarbeiten  vor  und  an  der 
einzigen  Stadt  dieser  Gegenden,  nämlich  Schleswig,  d.  h.  also  von  einer 
Wiederherstellung  der  schleswigschen  Mark  zu  rerstehen  sein,  ilie  in 
der  That  ohne  Besetzung  des  oben  erwiUmten  BOckens  bis  zum  Abschnitt 
des  Langsees  nicht  haltbar  «ein  konnte. 


■)  Nar}i  Trap(.Stati8tisk-toi>o^;r.iplii-:lc  lir-HkrivelseafKongerigefcDanmarkVI,  21) 
aus  Aar,  Genetiv  von  Asl,  und  Os  Mündung. 


516 


Jansen, 


[40 


Mit  den  letzten  Jahren  Ottos  II.  beginnt  die  yerkirohlidning  des 
deutschen  Kaisertums,  die  Abwendung  Ton  seiner  nationalen  Aufgabe; 
die  Dänen  fallen  in  die  sclileswigsche  Mark  ein,  die  Obotriten  unter 

Mistevoi  verbrennen  Hamburg  (983).  1027  findet  Konrnd  H.  sich  ver- 
anlasst ,  in  Rom  dem  mächtigen  Kanut  von  Düntmark  ohne  Schwert- 
streich und  erkennbare  Nötigung  die  Mark  Schleswig  zu  überlassen  und 
die  Eider  als  Grenze  zu  nehmen.  Einer  neuen  Slaven-Ueberschwem- 
mung  (1032)  widerstehen  von  allen  Platzen  nur  Itzehoe  und  die  bei 
dieser  Gelegenheit  zuerst  rtwähnte  Bokehi-Burg  in  Dithniarschen,  die 
zu  der  Grafschaft  «beider  Ufer*,  Stade  geh<)rte,  wohin  seine  Verkehrs- 
wege es  wiesen.  In  bemerkenswertem  Parallelismus  ragen  im  west- 
lichen Holstein  sowie  die  oben  hervorgeliobenen  drei  nördlichen  Uferränder, 
so  Hamburg,  Itzehoe,  Bokelnburg  und  Meldorf  aus  dem  Dunkel  der  Ui^e- 
schichter  aus  den  TrOmmem  der  cbzistüdien  Kultur  her?or.  1068  etSoh 
sich  in  dem  Kampfe  zwischen  dem  berühmten  hochstrebenden  Erzbiscbof 
▼on  Bremen-Hamburg  Adalb^,  der  gewöhnlich  in  Hamburg  residierte, 
und  dem  sächsischen  Herzog  Ordulf  auf  demsfUx n  Kleve  der  Elbe, 
dem  Süllberg  (Solionberg)  eine  Burg,  an  welche  sich  in  späten  r 
freihch  unbestimmbarer  Zeit  die  Ortschaft  Blankenese  angelehnt  haben 
wird.  Die  Gewissheit,  dass  die  noch  heute  so  vielfach  von  ihrer  ganzen 
Umgebung  in  Art  und  Sitte  gesonderten  Emwohner  Ton  Blankenese, 
Dockenhuden  und  Mtthlenbeig,  die  kaum  noch  jetzt  aus  ihrem  Kreise 
hinaus  heiraten,  eingewandert  sind,  zusammen  mit  dem  Umstände,  dass 
j'^le  Kunde  von  der  Zeit  ihrer  Einwanderung  fehlt,  macht  es  ziemlieh 
nicher,  dass  die  Eutstuhuni^  dt-r  eigentümlichen  Ortschaft  um  Jahrhundt-rt»- 
vor  ihrer  ersten  Erwähnung  mi  Aufauge  des  14.  Jahrhunderts  anzusetzen 
ist.  Um  dieselbe  Zeit  (1062)  wird  zum  eratenmale  aueh  der  Razeburg  ge- 
dacht, die,  am  westliehen  Eingange  der  Stadt  gelegen  in  ihrem  Entstehen 
wohl  jedenfalls  dem  ersten  Eindringen  di  r  Slaven  angehört.  1066  zutrleich 
mit  dem  Sfnr7e  Adiillierts  ;ils  kaiserlichen  Vormunds  erlagen  auch  der 
christliche  ^^ fndentürst  (iottsclialk  und  die  christlichen  Sitze,  nament- 
lich wieder  das  unverwüstliche  Hamburg  und  Oidenbuig  der  heidnisch- 
nationale  Partei  Das  Bistum  Oldenburg  verschwindet  auf  fast  ein 
Jahrhundert  600  Familien  verlassen  Holstein  und  siedehi  sich  im  Haize 
an.  Der  Rugier  Fürst  Kruto,  dem  aUe  nordelbischen  Slaven  zinspflichtig 
werden,  errichtet  die  erste  Ansiedlung  auf  der  Halbinsel  zwischen  Trave 
und  Wakenitz,  die  Burg  Bukow  oder  Buku  und  bezwingt  Gottschalks 
Sohn  Butne  in  der  1071  zum  erstenmale  erwähnten  Burg  Pluue.  Aus 
dieser  Zeit  haben  wir  über  die  damalige  Verwaltungseinteilung  des  jetzigen 
Henogtoms  Holstein  Ton  einem  wohl  unterrichtäen  Manne,  dem  Dom- 
scholaster  Adam  von  Bremen,  eme  wertvolle  und  zuverlässige  Nach- 
richt. Er  unterscheidet  die  Übereibischen  Sachsen  in  drei  Völker:  „die 
ersten  am  Meer  wohnenden  sind  die  Tedmarsgoi,  Dithmarsrhen,  deren 
Mutterkirche  zu  Meünthorp,  Meldorf,  ist;  die  zweiten  sind  die  Holcetae, 
Holsten,  so  genannt  nach  den  Hölzimgen«  in  denen  sie  wohnen.  Durch  ihr 
Land  fliesst  die  Sturia  (Stör)  und  ihre  Kirche  liegt  su  Scanafeld,  Schenefeld. 
Die  dritten  und  angesehensten  werden  Sturmaren  genannt*.  Die  Grenxen 
der  ersten  Völkerschaft  sind  durch  die  Natur  dermasseu  festgestellt, 
dass  sie  vom  Süden  abgesehn  nie  schwanken  und  zweifelhaft  werden 


41] 


Poleograpliie  der  dmbrisoheu  Halbinml. 


517 


konnten.  Diese  Südgienze  bildete  die  Xiederunjj^,  welche  von  dem 
Einflüsse  der  Holsten-Au  in  die  Wilster-Au  sich  nach  dem  Ku<lenseü 
zu  erstreckt,  Ton  da  nach  der  Mbe,  der  alte  sogen.  Holstengraben. 
Dieses  dithmarsische  Land  kam  1148  mit  der  Chrafschaft  »beider  Ufern*, 
Stade,  an  das  Erzstift  Bremen-Hamburg.  Indes  scheint  die  um  die- 
selbe Zeit  geschehene  Uebertragung  von  Meldorf  ini  das  Hnm))Tirger 
Domkapitel,  ,eo,  quod  aptior  fuit",  darauf  zu  deuten,  dass  allmählicli 
zwischen  Dithmarschen  und  II  oistein- Stormam  sich  auch  ein  lebhafterer 
Landverkehr  zu  erzeugen  begonnen  hatte.  Die  Abgrenzung  der  beiden 
andern  Gaue  muss,  und  zwar  sowohl  die  wechselseitige  zwiscfaen  ihnen 
selbst,  als  die  gegen  Wagrien,  nicht  die  gegen  Laueuburg  oder  Sadel- 
bandia,  als  sehwankend  angesehen  werden.  Es  ist  aber  TÖllig  klar, 
da^s  dies  mit  der  Tinfürlichen  Bodeubescliaft'enheit  im  engsten  Zusammen- 
hange steht.  Der  Kern  des  eiiuj'eiitliclien  Holsten-Landes  ist  unzweifel- 
haft jene  von  Giesel  und  Holsten-Au,  von  Eider  und  Stör  und  östlich 
von  der  Sarl-Au  abgegrenzte  Platte,  die  oben  nachgewiesen  ist  Im 
Osten  ging  das  Land  yHolsten*  Uber  diesen  natürlichen  Abschnitt  um 
den  „Gau  Faldera"  (NeumOnster)  d.  h.  um  die  Ilohhcide,  hinaus,  welcher 
Gau  als  Grenze  gegen  Wagrien  bezeichnet  wird  M.  In  diesen  Grenzen 
hat  sich  da.s  geographische  Ganze  in  dem  Amte  Rendsburg,  dem 
grössten  Holsteins  und  auch  heute  noch  waidreichen,  als  ein  admini- 
sfaratiTes  0anze  erhalten;  Schenefeld  mit  Hohenaspe,  Hademarschen  mit 
Hohenwestedt  sind  die  echten  alt-holstenschen  Kirchspiele.  Holsten- 
Tradht  heist  in  Dithmarschen  bis  heute  die  Hademarschener  Tracht.  Durch 
die  genannte  ursprtinghche  Begi"enzung  war  nun  aber  eine  allmählic-he 
Erweiterung  keine-wegs  aüsgesc  blossen.  Ans  der  Natur  der  Verhält- 
nisse und  aus  einer  Anzahl  ausdrücklicher  oder  mittelbarer  und  unfrei- 
wiUigei  Zeugnisse  geht  die  Thatsache  hervor,  die  noch  heute  nicht 
aufhört  sich  immer  neu  zu  wiederholen,  dass  zuerst  der  feste  und 
gesicherte  Boden  des  Landes  besetzt  und  bebaut,  dann  allmählich  unter 
dem  Drange  des  wachsenden  Bedürfnisses  und  den  AVirkunf^on  der  Ver- 
besserungsbauten, zum  Teil  erst  im  zwfdften  und  dreizehnten  .Jahrhundert  ^), 
in  die  niedrigeren  und  unsicheren  Niederungen  der  Moore  und  Marschen 
hinabgestiegen  ward.  Daher  wu^d  auch  nicht  im  mindesten  die  oben 
festgestellte  Umgrenzung  durch  den  Zusatz  Adams  von  Bremen  erschüttert, 
dass  die  Stör  durch  das  Lsad  Holsten  flösse,  noch  weniger  durch  die 
Anfe'ählung  des  dem  letzten  Jahrhundert  des  Mittel(ilters  angehörigen 
bremischen  Presbyters,  der  die  Bewohner  der  Kirchspiele  Schenefeld, 
Hademarschen,  Hohenwestedt,  Nortorf,  KeUinghusen,  liramstedt,  Kalten- 
kirchen und  Bornhöved  samt  denen  der  Wilstemiarseii  als  die  echten 
Holtsaten  bezeichnet.  In  ähnlicher  Weise  berulien  die  Grenzen  Stormarns 
aaf  seinen  Bodenverhältnisse  und  sind  sUdlich  durch  die  Elbe,  westlich 
durch  die  Niederung  der  Elbe  und  Stör,  nördlich  durch  die  derBram- 
Au  gegeben  ;  näch  Osten  dehnt  sich  der  Geschiebesand  zwar  nur  bis 
zur  Alster-Linie  aus^  der  Unterschied  des  Oeschiebethons  kommt  aber 


n  Helmold  1.  47. 

')  YgU  üaaae  Urkunden  etc.  Nr.  86,  wonach  die  palus  Bishorst  1146  Jam 
non  faro  inoolitor  halntatore.* 


518 


[42 


auf  ethnographi.schem  Gebiet  nicht  zu  massgebender  Geltuu;;  und  erst 
das  Thal  der  Bille  mit  dem  Sachsenwalde  richtet  zwischen  Sachsen  und 
Slaveu  die  Scheide  auf.  So  ist  das  eigeutliche  Stormam  zu  beschränken 
auf  die  Herrachaft  Pinneberg  und  die  Grafschaft  Rantzau  rechts,  die 
noch  bis  nahe  uuMer  (icMrenwart  stormarnsche  goiannten  Aemter  Rein- 
bek, Trittau  und  Tremsbüttel  links  der  Alster,  wozu  da«  Gebiet  v(^n 
Hamburu^  <H<'  umschlossenen  Güter  und  das  Kirchspiel  Sülfeld  liinzu- 
zurechiR'ii  Mud.  Ausserhalb  dieser  Teilung  und  für  sieh  stehen  die 
Gemeinden  der  liasehlorler,  Kremper  und  Wilster-Marsch,  nach  ^'atur, 
Besiedelung  und  Verfiissung  jüngere  Bildungen.  Der  ganze  Übrige 
Osten  gehört  wiederum  in  unsicherer  und  wechsc^der  Begrenzung  den 
slaTiBchen  Stämmen,  zum  grösseren  nördlichen  Teile  aber  den  Wägern  an. 

().  Eine  bessere  Zeit  &üe  Holstein  beginnt  mit  dem  Anfang  des 
zwölften  Jahrhunderts. 

Es  ist  die  Zeit,  wo  der  Kampf  des  Kaisertums  mit  der  Kirche  und 
in  ihm  der  Kampf  der  Kaisergewdt  mit  der  Fürsteugewalt  zum  Nach- 
teil der  Beichseiidieit  als  in  der  Hauptsache  völlig  entschieden  angesehen 
werden  kann.  Der  partikulare  Zug  der  Zeit  kommt  nun  aber  offenbar 
und  sehr  begreiflicher  Weise  den  einzelnen  Landen  und  dadurch  wieder 
mittelbar  der  ganzen  Xation  sowie  der  christlichen  Gesittung  zu  gute. 

Im  ersten  Jahrzebiit  des  Jahrhunderts  wird  die  Grafschaft  Hol- 
stein-Stormaru  Adolf  1.  aus  dem  kräftigen  und  tüchtigen  Gcschlechte 
der  Schauenburger  im  Weserthale  Terliehen.  üm  diesdbe  Zdt  kommt 
mit  Gottschalks  zweitem  Sohne  Heinrich  das  Christentum  und  der 
deutsche  Einfluss  in  Wagrien  wieder  zur  Geltung.  Gleichzeitig  er- 
scheinen in  der  markgräflichen  oder  herzogricheii  Stellung  des  dänischen 
Prinzen  Knut  Laward  in  Schleswig  und  in  den  Landesversammlungen 
zu  ürnehüved  (Hvoruhöi  1  Meilen  südlich  von  Apenrade)  die  ersten 
deatEeheren  Spuren  einer  territorialen  Aussonderung  Schleswigs  aus 
dem  Oesamtreiche  Dänemark.  Die  anderthalb  Jahrhunderte  von  der 
Thronbesteigung  Lothars  von  Suplinburg  bis  an  das  letzte  Viertel  des 
13.  Jahrhunderts,  mit  einem  Wort  die  staufische  Periode,  d.  h.  also 
die  der  völligen  Ausbildurif^  und  Befestigung  des  Partikularisnnis  ist  für 
die  Besiedelung  und  Sittij^ung  der  cimbrischen  Hidbinsel,  insonderheit 
ihrer  südlichen  Hälfte,  von  ausschlaggebender  und  dauernder  Bedeutung. 

Denn  noch  während  Lothars  Regierung  im  Reich,  aber  Hein- 
richs des  Stolzen  im  Herzogtum  Sachsen  und  Adolfs  U.  in  der  Graf- 
schaft Holstein-Stormarn  beginnen  unter  dem  Zusammenwirken  von 
Scepter  und  Knimmstab,  Sebwert  und  Kreuz  die  Vorarbeiten  zu  der  un- 
gewrthnlich  raschen  und  gründlichen  Ueberwältigung  des  \\  endentums 
im  ösLiichen  Holstein:  die  Besetzung  des  Albergs  oder  die  Gründung 
der  Siegeburg  (Segeberg),  an  deren  Fasse  sich  Ssbald  eine  Kirche  und 
dann  ein  Kloster  erhob,  durch  Lothar  auf  Weisung  Yicelins,  und  die 
Stiftung  des  ^ neuen  Münsters'  in  Wipenthorp,  slavisch  Faldera,  des 
in  seinen  Wällen  noch  heute  erhaltenen  Klosters  Neuraünster  (um 
1134  oder  lllid).  Zum  wiederholten,  aber  zum  letzten  Male  hatte 
nach  Kanut  Lawards  Tode  (1132)  das  slavische  Heidentum  unter  Pri- 
bialaw  in  Wagrien  und  Polabien  sich  erhoben:  Heinrich  von  Badewide, 
durch  Albrecht  den  Bären,  in  den  Kämpfen  Koniads  HL  mit  Heinrieh 


43] 


Poleographie  der  cimbriBdieii  HalbiiueL 


519 


dem  Stolzen  und  dem  Leiwen  zeitweiligen  Herzog  von  Sarlisen,  zeit- 
weiliger Graf  von  lloistein-Storniain.  riU  litt'  einen  Uebertall  Segebergs 
und  Falderas  1138 — 1139  durch  zwei  Feldzüge  von  solchem  Nachdi'uck 
nnd  80  durchgreifender  Schonungslosigkeit,  dass  Adolf  IL,  als  er  nach 
der  WiederherstelluBg  seines  Lehnsherrn  in  Sachsen  1143  auch  in  seine 
QrafiHshaft  zurückkelu-en  durfte,  dieselbe  um  Wagrien  vergrössert  über- 
nehmen konnte.  Lauenburg  mit  Ausschluss  der  südlichen,  herzoglich 
bleibenden  Gebiete,  kam  als  Grafschaft  Razeburg  an  Heinrich  von 
Badewide.  Und  nun  begann,  da  diese  slavischeu  Gebiete  durch  Tod 
oder  Vertreibung  der  Besitzer  den  Siegern  zur  herrenlosen  Krie^beute 
geworden  waren,  in  förderndem  Anschiuss  an  die  neu  geweckte  &reuz- 
Zugsbewegung  dei  it,  die  an  den  heidnischen  Nachbarn  bequemere 
Ziele  fand,  eine  Kolonisationsthätigkeit  eifrigster  und  berechnetster 
Art,  Einen  grossen  Teil  des  gewonnenen  Laiides  nahmen  die  ritter- 
lichen Mannen  des  (irafen.  die  1139  auf  eigene  Hand  losgegaii'jen 
waren,  in  Besitz,  namentlich  die  schönen  Gaue  des  „Landes  Oldenburg" 
(terra  Aldenburg),  des  Landes  Lutikenburg,  die  terra  Plunensis,  d.  h. 
die  ganze  Gegend,  welche  von  jener  Zeit  an  unter  dem  Namen  der 
adligen  Güterdistrikte  das  Kemland  d<  s  Grossgrundbesitzes  gebUeben 
ist.  Die  überlebenden,  oder  sich  fügenden  Slaven  wurden  Leibeigene. 
Andere  Teile  kamen  in  späterer  Zeit  an  Kirchen  und  Kloster  in  Lübek 
Wismar  und  Pretz.  Ausserdem  aber  riet  Herzog  Adolf  durch  laute 
und  lockende  Aufforderungen  Flandern  und  Friesen,  Holländer  und 
Westphalen  ins  Land,  die  er  teils  in  den  klösterlich  neumOnsterschen 
Elbraarschen,  teils  in  den  Gauen  Süsel,  Eutin  und  bei  Oldenburg  an- 
siedelte. Der  heldenmütige  Widerstand  von  400  Friesen  unter  einem 
Priester  Gerlav  gegen  einen  slavischen  Ueberfall  zei<;t .  dass  noch 
einige  Zeit  hindurch  Bauer  wie  Priester  gefasst  sein  uiussten,  Päug 
oder  Kreuz  mit  dem  Schwerte  zu  tauschen. 

Plön  und  Segeberg  wurden  wieder  heraestellt;  LUbek,  das  neue, 
an  seiner  jetzigen  Stelle  1143  von  Adolf  II.  gegründet,  zeigt  in 
raschem  Aufblühen  die  Bedeutung  seiner  Lage  wie  des  nationalen  und 
religiösen  Aufsch^vungs  der  Zeit.  Vicelin,  1140  zum  Bischof  des  laii'^ 
verödeten  Oldenburger  Stiftes  erhol>en.  gründet  das  Kloster  Hageresth»»rp 
oder  Cuzalin  (HögersdortJ  bei  Segeberg,  in  Bornhöved  und  Bosau 
Kiichtti,  sein  Nachfolger  Glerold  Kirchen  in  LUtkenburg  und  Olden- 
burg, einen  Markt  und  städtisches  Leben  in  ütin,  in  welchem  Gau 
das  Oldenburger  BLstum  mit  300  Hufen  ausgestattet  wird.  Um  1150 
kommt  als  Kirchort  Porez,  1151  Oldesloe  vor,  um  llö»;  wird  eine  Kirche 
in  Alten- Krempe  erwähnt:  1158  wird  Lübek  aus  einer  gräflich  holsteini- 
schen eine  herzoglich  sächsische  Stadt  des  gefürchteten  Slavensiegers  Hein- 
richs des  Löwen,  die  er  mit  grossen  Freiheiten  und  Vorrechten  ausstettet, 
zum  Sitz  des  Oldenburger  Bistums  erhebt  und  mit  dem  Dome  schmückt. 
Im  selben  Jahre  1158  begabt  Herzog  Heinrich  unter  Genehmigung 
Kaiser  Friedrichs  das  Bistum  Razeburg  mit  300  Hufen,  um  1178  hat 
Bergedorf  eine  Kirrlie.  nm  1181  tritt  Travemünde  hervor,  1182  entsteht 
an  Stelle  der  Erteneburg  das  Schloss  Lauenburg;  der  See  Mulne,  1188 
erwähnt,  setzt  einen  Ort  gleiches  Namens  voraus,  das  „alte  Mulne" 
in  einer  Uikunde  von  1194  genannt,  die  kürzlich  geschehene  Neu- 


520 


Jansen, 


[44 


grOndungder  Stadt.  1189  stattet  Adolf  HE.  die  Gistemenser,  «welche 
er  nach  Wagrien  gemfen  hat,*  mit  der  reich  dotierten  Ahtei  Reinfeld 
aus;  um  1197  werden  Kirchen  in  Selent  (Z:ilentc),  Schlamersdorf  und 

Siiruu ,  1190  zum  »  rstenmal  ausdrücklich  Rendsburg,  um  1200  als 
Kircliort  Wesenberg,  1219  eine  Bur<j^  und  1222  ein  Hafen  TravemüiKie 
erwähnt;  in  denselben  Jiihren  entsteht  aus  unsicheren  Anfangen  das 
Kloster  für  Benediktinerinnen  in  Pretz. 

Mit  dem  Osten  hält  der  Westen  Reichen  Schritt;  um  1140  haben 
Lunden,  Bu.suni ,  Barmstedt  Kirchen,  Marne,  Elmshorn  (1141)  sind 
als  Dörfer  vorhanden ;  Burg  in  Dithniarschen  hat  1 1  öO  eine  Kirclie, 
llamburir,  wo  Herzoi^  Bernliarfl  von  Sachsen  zwischen  Elbe  und  Alster 
eine  ,neue  Burg'*  i:*  >i:ründet  und  neben  dem  erzbischöflichen  in  der 
Altstadt  seinen  Wohnsitz  genonimen,  das  dann  die  gewöhnliche  Re- 
sidenz der  Schauenburger  Ghrafen  geworden  war,  ist  um  1150  bereits 
den  Arabern  bekannt.  1200  erscheint  Efanshom  (Helmeshome),  offenbar 
ein  alter  Ort,  zum  ersteuniale,  als  Dorf.  Hohenwestedti  Eellinghusen 
(Kerleggeimsen,  Schelinghusen?) ,  1217  und  1221  zum  erstenmale  be- 
zeugt, werden  als  grössere  Wohnplätze  anzusehn  sein. 

Auch  in  Schleswig  und  Jütland  zeigt  sich  in  jeuer  Zeit  „der 
Waldemare",  wie  überhaupt  so  auf  kolonisatorischem  Gebiete  gesteigertes 
Leben. 

In  Schleswig  ist  nebwi  Ripen  Tendern  (Lütken-Tondem  im  Ge- 
gensatz zu  Mögel-Tondern,  vnnnals  Thundär,  dänisch  Tönder)  im  An- 
fang des  11.  .Jahrhunderts  als  llandels]t1at'/  bekannt.  Hadersleben,  ob- 
wohl urkmidlich  genannt  erst  im  \:\.  .lalirlimidert  (Hathärslöf,  Haderslev) 
kann  nicht  allzu  lange  nach  Kipen  und  Tündern,  mag  eher  schon'  vor 
denselben  entstanden  sein.  Auch  Apenrade  (Obenroe,  dSn.  Aabenraa, 
zusammenhängend  mit  einem  benachbarten  verschwundenen  Dorfe  Gam- 
mcl-Opnör),  ebenfalls  erst  1257  als  Handelsort  genannt,  wird  min- 
destens im  12.  Jahrhundert  bereits  bestanden  haben.  Garding  er- 
scheint im  Anfang  des  12.  Jahrhunderts  als  Kapellen-,  Tönningen  118l> 
als  Kirchort.  Das  Sonderburger  ^)  Schloss  wird  für  eine  Gründung 
Waldemars  des  Grossen  (1169)  gegen  die  slayischen  Seeräuber  ge- 
halten, noch  älter  das  Nor  burger,  das  seinen  ursprDnglichen  Namen 
Ais-Slot  erst  im  Gegensatz  zu  der  Sttderburg  yenoren  haben  kann. 
Flensburg,  gleichfalls  um  eine  Befestigimg  und  zwar  um  die  Johannis- 
kirche herum,  in  der  llusby-IIarde.  d.  h.  in  Angeln,  entstanden,  gegen 
die  Mitte  des  12.  Jahrhundi'i-ts  schon  Sitz  einer  Knutsgilde,  in  der 
ersten  Hälfte  des  folgenden  „grauer**  und  „schwarzer^  Mönche,  darf 
mit  einiger  Sicherheit  zu  den  ältesten  Ortschaften  des  Herzogtums  ge- 
rechnet werden.  Cistercienser  und  zwar  aus  dem  schwedischen  Kloster 
Herrisvad  kommen  1173  nach  Lygum,  wohin  das  von  Seem  veriegt 
wird ;  das  Guldholmer  wird  vom  Langsee  nach  Ryde  oder  Rye  im 
Glücksburger  See  ülK-rtragen.  Fehmarn,  erst  seit  dem  1 1 .  Jahrhundert 
Dänemark  unterworfen  und  von  Dänemark  aus  christianisiert,  so  dass 
es  mit  dem  Stifte  FUhnen  vereinigt  werden  konnte,  hatte  dne  ge- 


')  Vgl.  Sondentbamen  und  Nordhaosen;  Sondgau  und  Sund  ist  nach  Klage 
die  atreng  nochdeutsehe  Form. 


45] 


Poleographie  der  cinibriächen  Halbinsel. 


021 


mischte  dftniscli-sIaTisclie  Bevölkerung,  grOesere  Ortschaften  aher  noch 
nicht 

In  Jütland  wird  nach  Viborg  und  Aarhus  Aalborg,  in  Waldemars 
Erdbucli  1231  Alebui-gh  genannt  (von  goth.  alhs,  alt.säcbsisch  alali  = 
Tempel  y).  als  einer  der  ältesten  Handels-  und  Verkehrsplätxe  anzu- 
sehen sein,  ist  jedenfalls  Adam  von  Bremen  in  der  zweiten  Hälfte  des 
11.  Jahrhimderbs  schon  hekaiini.  Die  gewöhnlidie  Strasse  der  nor- 
dischen Pilger  pflegte  auf  Aalborg,  Ton  da  nach  Viborg,  so  nach 
Schleswig  und  weiter  zu  fuhren.  Auch  Kolding,  im  Mittelalter 
Kaiding,  in  Waldemars  Erdbuch  Kaldyng.  Kanders.  bei  Saxo  Grania- 
ticu.s  Kandrusiiim,  im  Isländischen  Randards,  in  dänischen  Diplomen 
Raudrus  und  Kandros,  unsicherer  Herleitung,  und  Horsens,  in  Walde- 
mars Erdbuch  Horsnaes,  sonst  auch  Horsenaes  (von  Hors  und  naes, 
Rossnase  ?),  gehOren  alle  drei  mindestens  dem  11.  Jahrhundert  an, 
werden  mithin  auch  von  dem  Aufiuhwunge  der  Waldemarschen  Zeit 
nicht  unberührt  geblieben  sein. 

7.  Nachdem  nämlich  an  der  Südküste  der  westliehen  Ostsee  die 
unter  Heinrich  dem  Löwen  erwachsene  deutsche  Macht  durch  liein- 
ricks  Aechtung  und  die  Zerstückelung  dieses  ersten  Ansatzes  eines 
grösseren  noradeutschen  Partikulantaates  Temichtet  war,  dringt  das 
Danentum,  kräftig  und  rOhrig,  wie  es  alle  Zeit  gewesen  ist,  über  die 
südliche  Grenze  vor,  gewinnt  die  Ditlimarschen,  erobert  LUbek,  er- 
obert IIolstein-Lauenburg  und  einen  Teil  von  Mekleiil)nr<7 .  nnd  «b  r 
angeblich  deutsche  Kaiser,  damals  der  aufgeklärte  ISicilianer  Friedrich  11., 
tritt  die  wiclitigsten  Gel^iete  des  ganzen  deutschen  Nordens,  alle  Lande 
jenseit  der  Elbe  und  der  Eide  an  Waldemar  II.  ab.  Durch  den  Sieg  von 
Vohnir  iassten  die  Dünen  auch  im  Osten  des  baltischen  Meeres  festen 
Fuss.  Wiedtf  ist  es  das  deutsche  Fürstentum,  das  sich  im  eigenen 
Interesse  der  nationalen  Aufgabe  anniinnit.  Die  wichtige  Entscheidungs- 
.schlacht  von  Bornhöved  1227  wirft  das  Dänentuni  fllr  immer  in  seine 
Grenzen  zurück:  Holstein  kam  an  seinen  rechtmässigen  Herrn.  Adolf  IV., 
zurück,  Lauenburg  an  Herzog  Albert,  dessen  Sohn  Johann  Gründer 
der  tiUishsisch-Ianenburgischen  Linie  wurde,  die  hier  bis  1689  bestanden 
hat;  Dithmarschen,  die  beiden  aufbltlhenden  Städte  Hamburg  und  Lübek* 
dürfen  wird»  i  sich  selbst  angehören,  in  freier  Entfaltung  ihrer  Kraft 
und  unbehinderter  Ausbeutung  ihrer  T-n'^^e  sich  rüsten,  weit  über  die 
engen  (irenzen  ilirer  Gebiet«'  hinaus/.utxreileu. 

Dabei  kommt  nun  den  beiden  holsteinischen  Städten  und  den  hol- 
steinischen Grafen  das  allseitige,  teüs  schon  erfolgreiche  uud  fortgesetzte, 
teils  neu  aufgenommene  Vordringen  des  christlichen  Germanentums 
gegen  die  heidnischen  Slaven,  Letten  und  Esthen  und  der  sehr  aus- 
gesprochene Drang  der  Nation  an  das  recht  eigenthch  doch  germa- 
nische Meer,  die  Ostsee,  zu  statten.  Meklenburg  war  durch  Heinrich 
den  Löwen  unterworfen,  die  Marken  durch  Albrecht  den  Bären  koloni- 
siert, Pommern  aut  demselben  Wege  besiedelt,  auf  den  Spuren  des  Sege- 
berger Missionars  Meinhard  von  Hamburger  und  Wisbyer  Eaufleuten 
Riga  gegründet,  Livland  erobert,  und  vom  4.  bis  9.  .Talirzehnt  des 
13.  Jahrhunderts  wurde  vom  deutschen  Fürsten,  Ritter,  Bürger  und 
Bauer,  Priester  und  Mönche  in  seltenem  Verein  die  zähe  Kraft  des 


Janven, 


[46 


preussischen  Heidentums  in  einem  niuhen  Lande  Ton  nnwegBamem  Boden 
langsam  aber  sicher  und  gründlich  <(<  1)r()rh(n. 

Ein  ungemeiner  Aufscliwunp:  des  \'erkelirs  zur  See  musste  die 
Fol^'e  hiervon  sein:  die  äussersten  Pole  des  nordischen  Mittelmeers 
traten  zum  erstenmale  in  Beziehung  und  eine  hohe  Blüte  besonders 
der  Endpunkte  der  Verkehrsbahn  entwickelte  sich  mit  überraschender 
Schnelle. 

Auf  diese  Steigmmg  von  Handel  und  Schiffahrt  im  nordeuro- 
päischen Binnenmeer  war  die  Bd*  Vitheit  des  südeuropäischen  Mittel- 
meers .  'im  Anschluss  an  die  naliezu  ununterbrochenen  Kreuzzugsbe- 
we<^aingen  von  1189  bis  zur  Mitte  des  13.  Jahrhunderts,  nicht  ohne 
Einwirkung. 

Endlich  hat  auch  in  diesem  Zeitalter  das  religiöse  Leben  seine 
"Wirkung  auf  kolonisatorische  Thätigkeit  von  neuem  erwiesen:  der  Höhen- 
punkt der  Hierarchie  unter  Innocens  HI.  und  seinen  Nachfolgern,  der 
neue  Aufsclnvnni^  der  mönchischen  Richtung  mit  wesentlich  veränderten, 
sehr  praktischen  Z^vecken,  wie  er  in  den  beiden  bald  so  einflussn'irhcn 
Orden  der  Dominikaner  und  Franziskaner  sich  kundgibt,  sind  auch  m 
unserm  Lande  und  für  die  Gestalt  seiner  Andedlungen  wirksam  ge- 
worden. In  Lttbek,  dem  natOrlichen  Brennpunkt  aller  Yerkehnrtrahleii 
des  Baltischen  Meeres,  mussten  diese  verschiedenen  Antriebe  gesteigertes 
Leben  wecken. 

Nach  der  Aechtung  Heinrichs  des  Löwen  von  Kaiser  Friedrich 
Barbarossa  selbst  in  Besitz  genommen  und  mit  einem  kaiserlichen 
Freibrief  begabt  (1183),  dann  eine  dänische  Besitzung,  noch  vor  der 
Bomhövder  Schlacht  aber  durdi  einen  neuen  kaiserlichen  Freibrief  im 
Lager  von  Parma  (Mai  1226)  für  eine  ,  stets  freie  und  zum  kaiser- 
lichen Dominium  sonderlich  gehörende"  Stadt  erklärt,  in  ihrem  Gebiete 
er\\'eitert  und  «gesichert,  mit  den  wcitf^ehondsten  Zollfreiheiten .  Erlciclit»— 
runden,  lioheitsrcchteii  ausgestattet,  nalnn  Lilbek  einen  kr;tfti<ren  An- 
teil an  dem  Kampfe  gegen  den  nordischen  Naciibar,  ui  dein  es  einen 
bedrohlichen  Nebenbuhler  auf  der  Ostsee  erkennen  musste,  und  gewann 
durch  den  Sieg  die  volle  Freiheit  seiner  Bewegung  zurück.  Das  Bttndnis 
mit  Hambuig  1241  sicherte  die  Transitstrasse  von  der  Mündung  der 
Trave  bis  „Hamm^nborg*  und  „von  da  durch  die  ganze  Elbe  bis  in  das 
Met  r*"  gef^en  störende  Gewaltthat  und  Strassenraub.  So  wuchs  das  kleine 
rührige  Gemeinwesen  in  kurzer  Zeit  zu  jener  Stellung  au  der  Spitze 
der  deutschen  Hansa  empor,  die  es  mehrere  Jahrhunderte  ohne  ver- 
brieftes Recht  einzig  und  allein  kraft  seiner  Hachimittel  und  staats- 
männischen Klugheit  behauptet  hat,  durch  Geld-  und  Yolkreichtum, 
E[rieg8-  und  Handelsflotte,  Pflege  der  Kunst  und  des  Handwerks  die 
Kdnigin  des  dciitsflion,  ja  des  europäischen  Nordens. 

Mit  Notwendigkeit  mussto  an  diesem  Aufschwung  der  gegebene 
Ausstraldinigspunkt  des  baltisclun  1  'urchgangsverkehrs  an  die  uiederlän- 
disch-cngli säen  Kosten,  Hamburg  teilnehmen.  Obwohl  eine  gräflich  hol- 
steinische Stadt  und  sogar  Fürstensitz,  erhielt  auch  Hambuig  kaiseiliche 
Zollbefreiungen,  Fischereigerechtigkeiten  und  andere  Vorteile  und  er- 
freute sicli  schon  l)ald  nach  iler  Bomhövder  Schlacht  einra  eignen 
Stadtrechtes  und  des  Münziegals. 


47] 


Poleographie  der  dmbrücheu  Halbinsel. 


523 


Durcli  ganz  Holstein  verbreitet  sich,  dieser  Aufschwung  auf  dem 
Gebiete  des  Handels  imd  Verkehrs,  der  Religion  und  der  Sitte.  Das 
mittlere  Drittel  des  13.  Jahrhunderts  ist  die  Entstehuiij^s-  oder  Ge- 
staltungszeit der  schleswig-holsteinischen  Kaufstädte,  und  die  gehäuften, 
zum  Teil  völlig  neuen  und  planmässigen  Gründungen  von  Städten  an  der 
Küste  wie  im  Binnenlande  lassen  auf  das  erneute  Einströmen  einer 
zahlreichen  Bevölkerung  von  jenseit  der  Elbe,  aus  Fiaudem,  Holland, 
Kehdingen  und  aus  W estpbalen ,  Tielleicht  auch  Hessen  sdiliessen. 
1286  erhielt  FlSn  Stadtrecht,  1288  gründete  Adolf  IV.  auf  dem  alten 
Bargplatz  die  Neustadt  von  Itzehoe,  mit  lübschem  Rechte  bewidmet, 
das  der  Altstadt  erst  1:503  zu  Teil  ward.  Zwischen  1283  und  V242, 
wo  sie  vom  Grafen  Joliann  1.  ihr  Gebiet  zugewiesen  und  'das  lübsche 
Recht  erhält,  ist  die  HoLstenstadt  am  Kvle  ')  nach  wohlberechnetem 
Bauplan  mit  regelmässigem  Strassennetz  entstanden,  unter  reger  Be- 
teiligung des  holsteinisiäen  Adels,  aber  auch,  wie  die  Namen  seiner 
Strassen  noch  heute  bekunden,  südelbischer  Stämme.  Eine  gleich  regel- 
mässige Anlage  und  genau  dasselbe  Strassennetz  zeigt  die  „Nygenstadt 
by  der  Krempen",  Nienkrempe,  Nvf^enstadt,  Neustadt,  deren  Stadt- 
verfassung dem  Jalire  1244  angehören  soll,  deren  Kirche,  eine  der 
schönsten  des  Landes,  im  Jahre  1259  erwähnt  wird.  Die  dritte  Kauf- 
stadt an  der  holsteinischen  Ostkfiste,  Hefligenhofen  (HeUigenhafen, 
HaTcnis  erscheint  mutmasslich  zuerst  in  der  TiUa  teutonica  Hele- 
rikedorp  und  ist  dann  um  die  Mitte  des  Jahrhunderts  mit  dem  lübschen 
Recht  Itewidmet  worden.  Die  Kirche  wird  zuerst  12(i2  genannt.  Seit 
dem  Anlang  des  13,  Jahrhunderts  kommt  Veile  (Waethlae,  Waethel, 
Wedel)  empor,  1257  ist  Apenrade  ein  Handelsplatz,  1284  hat  Flens- 
burg, schon  länger  als  villa  forensis  bezeichnet,  städtische  Verfassung, 
im  selben  Jahrhundert  Horsens  das  schleswigsche  Stadtrecht  erhalten; 
1288  werden  die  E  lvernförder  als  oppidani  bezeidmet.  Kolding,  seit 
der  Mitte  des  Jahrhunderts  als  Grenzfeste  wichtig,  mag  seine  1321  von 
Cbristopher  II.  ])est;lt!<^'ten  Privilegien  um  glcirlie  Zeit  erhalten  haben. 

Auch  im  W  esteii  und  im  Inneni  des  Landes  entwickelt  sich  das 
städtische  Leben.  1243  hat  Toudern  das  lübsche  Recht,  Hjörriug  seine 
ersten  PriTilegien,  um  1250  Meldorf  seine  städtische  Verfassung  er- 
halten; 1255  erscheinen  Krempe,  um  12G1  Razeburg  und  Mölln,  1209 
Zarpen  (Scerben,  Tzerben).  dem  Kloster  Reinfeld  gehörig,  im  selben 
Jahr  Ripen.  1275  Bergedorf  und  Lütkenburg.  wenig  später  Wüster  und 
Eutin,  1290  Boriilj'  ved  als  Städte  und  zwar  meist  lübschen  Rechtes. 

Mit  dieser  sichtbaren  Rührigkeit  auf  dem  Gebiete  der  norddeutschen 
Sonderstaaten  treffen  die  vom  romanischen  Sflden  her  rasch  fortge- 
pflanzten Einwirkungen  zusammen,  die  auf  religifieem  Gebiete  von  den 
Bettelorden,  besonders  den  beiden  berOhmtesten,  den  Dominikanem 
und  Franziskanern,  ausgingen. 

In  rascher  Folge  erstehen  in  den  cimbrischen  Herzogtümern  von 

Ueber  den  Namen  s.  snr  Wortdeatun^  S.  553. 
')  Wenn  ni-    lie  pewöhnlicbe  mit  naes  verwandte,  bis  ,gris  nez'  herab- 
gebende Bezeichnung  einer  Land6pit2e  üt,  so  wird  es,  wenngleich  portus  sacer 
Twkommt,  sweifelbfSt,  ob  Have  flberbaopt  mit  Hafen  etwas  m  tbtm  hat  und  nicht 
vielleicht  da«  HaiF  meint. 


524 


Jansen, 


[48 


1227  bis  an  und  über  die  Mitte  des  Jalirbimdeits  eine  Reihe  ron  gnind- 
besitzenden  und  Bettelklöstern,  mit  vereinzelten  Ausnahmen  im  Osten 
des  Landes,  kein  einzit^es  im  dithmarsischen  oder  firiesiach^  Westen; 

in  unmittelbarer  Nacliwirkuug  des  von  den  Zeitgenossen  als  ungewöhn- 
lich schwerwiegend  empfundenen  Sieges  von  Bornhöved  ward  noch  1227 
oder  1228  das  Nonnenkloster  Reinbek,  Cistercienser  Ordens,  von  Adolf  IV. 
selbst  gegründet;  1227  das  Franziskaner  in  Hamburg,  gleich&Ils  Ton 
Adolf  IV.  der  heiligen  Mazia  Magdalena  geweiht,  von  ihm  selbst  als 
Mönch  bewohnt;  gleichzeitig  oder  wenig  später  die  Dominikanerklöster 
in  Lübek  und  in  Hamburg,  beide  zum  Dank  für  den  Bornliöveder  Sieg; 
die  von  TladtTslebfii,  Tondern,  Hipen,  Schleswig,  gleiches  Ordens,  das 
letzt(>n'  auf fall('ii<ltM\v(  isf^  aurli  der  von  den  Holsten  gefeierten  Sieg- 
verleiherin  Manu  Miigdaleua  ^eweilit.  Die  Franziskaner  erhielten  sehoii 
1225  einen  SitE  in  LÜbek,  im  4.  Jahrzehnt  dieses  Jahrhunderts  in 
Ripen,  in  Schleswig,  in  Tondern;  1260  erst  ward  das  Kieler  Kloster  fertig. 
Gegen  die  Mitte  desselben  .hihrhunderts  (1235)  gründete  Heinhdi  Ttm 
Barmstedt  das  Nonnenkloster  Cistercienser  ( )rd('ns  in  Uetersen,  dem  er  «eine 
Burg  an  der  Pinnau  und  die  Hälfte  des  damaligen  Dorfes  Assehurg  überlies.s, 
Heilwig,  Adolfs  IV.  gleichgesinnte  Gemahhn,  vor  1247  das  >iounenklo8tt;r 
Harvstehude  (Herwardeshuthe).  Um  dieselbe  Zeit  entstand  durch  Ter- 
pflanzung  der  Mönche  ans  dem  gemeinsamen  St.  Johannisklosfcer  in 
Lübek  das  von  Cismar;  zwischen  124G  und  1250  hat  das  wiederholt 
verlegte  Nonnenkloster  Porez  seinen  dauernden  Platz  an  jetziger  Stelle 
erhalten;  1203  das  bisherige  Ivenfleeter  den  seinigen  in  Itzehoe;  auch 
das  des  heiligen  Johannes  bei  Schleswig  auf  dem  Hohne  muss  vor  1250 
gestiftet  sein.  Aehnhch  üben  in  mekrereu  der  jütischen  Städte 
ktösterliehe  und  kirchliche  GrOndungen  dieser  Zeit  Emfluss  auf  die  Er- 
weiterung der  Ansiedelungen.  Mit  dem  Ende  des  13.  Jahrhnnderfes 
sind  die  geistlichen  Stiftungen,  von  vereinzelten  spateren,  z.  B.  Arens- 
bnk  (13S(;),  Me1<l()rf  (15.  Jahrb.),  abgesehen,  in  der  Hauptsache  zum 
Abscliluss  gekommen. 

Damit  hat  neben  Adel  und  Städten  ein  dritter,  der  mittelalter- 
fiehen  Gesellschaft  wesentlicher  Stand  seine  Ausbildung  und  Festsetanmg 
auch  in  den  Cerzogtttmem  erreicht. 

Gemäss  der  Doppehiatur  der  katholischen  Kirche  als  einer  Heils- 
und Sitfcigungsaiistalt  und  einer  weltlichen  Madit  zugleich  haben  auch 
die  kirchlichen  Kiiirii  htnngen  in  den  einzehien  Ländern  diese  zwiefache 
Bedeutung.  Während  die  Bistümer,  Domkapitel  und  Klöster  als  körper- 
schaftliche Grossgruudbesitzer  und  reiche  Pfründner  eine  massgebende 
politische  wie  sociale  Stellung  gewinnen,  üben  sie  nicht  bloss  auf  Sitte 
und  Hecht  einen  sehr  sichtbaren  Einfluss  aus,  sondern  sie  tragen  zu- 
nächst im  eigenen  Interesse  zur  Bebauung  und  Ausnutzung  des  Bodens, 
zur  Herstellung  von  Selmtz-  und  Besserungsbauten,  zur  Gewinnung 
neuer  Kulturflächen,  mittelbar  also  zum  Aufblülien  von  Stadt  und  Land 
in  sehr  erheblichem  Umfange  bei.  Urnen  vorzüglich  ist  auch  die  Grün- 
dung einer  Anzahl  neuer  Kirchen  in  den  letüien  Jahrzehnten  des  13. 
nnd  den  ersten  des  14.  Jahrhunderts  zu  danken,  welche  meist  aus  dem 
Bedürfnis  kleinerer  Gemeinden  und  näherer  Kirchwege  liervoigegangim 
sind;  so  hat  um  1281  Albersdorf  in  Süder-Ditbmarschen,  Hohenaspe  auf 


49] 


Poleographie  der  cuubriachen  HalbinseL 


525 


Kosten  von  Hoheuwtstedt  eine  Kirche  erhalten;  128G  wird  eine  Kirche 
in  Brunsbüttel,  auch  in  Grömitz,  1316  in  Bramstedt,  1328  in  ÄMnslidk 
(Amesboken    Adlemest?)  erwähnt. 

Im  Anfang  de.^  14.  JahrHunderts  kann  die  Besiedelung  der  cim- 
brischen  Halbinsel  als  wesentlich  abgeschlossen  gelten.  Die  politische 
Zerteilung  des  Landes  hat  sich  im  begreiflichen  Anschluss  an  die 
natürliche  Gescluedeulieit  der  drei  Abschnitte  des  Nordens,  der  Mitte 
und  des  Südens  vollzogen.  Zwar  erstreckt  sich  die  dünische  Ober- 
koheifc  bis  an  die  Eider.  Aber  infolge  teOs  der  Wichtigkeit,  die  Schleswig 
als  eine  Mark  gegen  den  sOdlichen  Nachbar  hatte,  teib  des  von  An- 
beginn dieser  marl^äflichen  oder  herzoglichen  Stellung  trotz  naher 
und  närlistt-r  Verwandtschaft  sicli  ontwickehideu  Zustandes  dauernder 
Sjianuung  und  Feindschaft  zwischen  den  schleswigschen  Herzögen  und 
den  dänischen  Königen  hat  sich  das  Land  südlich  der  tiefen  Furche 
der  Königsau  mehr  und  mehr  von  dem  Übrigen  Norden  der  Halbinsel 
gelöst  und  zu  einem  erblichen  Herzogtum  ausgebildet;  eine  Sonderung, 
die  bald  in  dem  aufk  miuh  uden  Namen  Schleswig  als  Bezeichnung  des 
ganzen  Landes  sich  kundgibt. 

Jüthmd  und  Scldeswig  zerfullon  nach  alter  nordischer  Weise  in 
Sysseln,  die  Sysseln  in  Ilardeu.  d.  h.  Hundertschaften.  Syssehi  gibt  es  nach 
Waldemars  U.  Erdbuch  vom  Jahre  1231  in  Scldeswig  drei,  das  Barwith-, 
Elläm-  und  Istatfaesyssel.  Ausserhalb  der  Sysseleinteilung  stehen  die  frie- 
sisdien  Utlande,  mehrere  Inseln,  das  durcn  verschiedene  Gegenden  zer- 
streute Krougut,  Höfe,  Dörfer,  Stadtteile,  game  Distrikte,  die  geist- 
lichen und  adeligen  Besitzungen,  welche  letzteren  in  früherer  Zeit  ziemlich 
gleichmässig  über  das  ganze  Herzogtum  zerstreut  waren,  und  die  Städte. 
In  Holstein  haben  sich  zwei  nl^äiiti^"^  ausgebildet:  der  Bauernireistaat 
Diihmarschen  und  die  Grafschaft  Holstein Diese  drei  alten  unter 
dem  Namen  Holstein  vereinigten  Gaue  sind  damals  aber  bereits  so  sehr 
aus  einem  Amtsbezirk  in  ein  wirkliches  Territorium,  Land,  übergegangen, 
dass  Teilungen  des  Ganzen  als  eines  vilterlichen  Erbgrundstücks  schon  seit 
geraumer  Zeit  (127;^)  als  gewohnte  LTebung  galten.  Dal)ei  wird  al)er 
doch  der  Gedankt-  der  Landest-inheit  festgehalten:  Gerliard  IL,  der  mit 
seinem  Anteil  und  seinem  Sitze  Plön  Wagrien,  und  Heinrich  L,  der 
mit  Rendsburg  das  alte  Holstenhmd  darstellt,  erhalten  1307  vom  sfichsi- 
Hchen  Herzog  Johann  entgegen  dem  sächsischen  Lehensrecht  die  Be- 
lehnung zur  gesamten  Hand.  Durch  ihre  Vögte  verwalten  sie«  soweit 
das  Mittelalter  überhau j>t  verwaltet,  von  den  Hauptsclilössem  aus  die 
unter  sie  gelegten  Kirchspiele  und  begründen  so  bei  fortgesetzter  und 
wechsehider  Teilung  die  bis  auf  unsere  Zeit  gebliebenen  Aemter,  deren 


'J  hl  den  Urkunden  d«'.s  12.  und  l'A.  .Tahrhunderts  wecksehi  dio  BozMich- 
nungen  de.«  Lande«  ziemlich  l/unt.  Die  Graten  nennen  sich  .sehr  oft  von  Holstein, 
Stomiurn .  Wagrioi ,  imd  /war  auch  noch  m  verschiedener  Reihenfolge ,  oder  Hol- 
stein und  Storaiarn  in  stehender  Ordnung,  ara  meiftf'n  aluT  doch,  schon  seit 
Ende  des  12.  Jahrhunderts,  nur  (Jrafen  von  Holstein  (Hol.-^atiae,  Holt.satiao  u.  a., 
auch  Almtiae);  die  Namen  .Srhauenburg  be/,\v.  Orlamünde  treten  wohl  hinzu; 
der  erstere  erscheint  oft  nucl»  allein;  einig^eunil  vertritt  auch  Wagrien  die  anderen 
Teile  mit.  Nordalbingien,  Transalbingien  meint  entweder  Lauenburg  undMekleuburg 
mit  oder  auch  Holatelii  alleiii. 

FoMdhmgtD  tav  deatiolMii  LudM«  vad  Tolkümodc.  L  8.  96 


526 


Jaiuen, 


Amtmänner  Vis  m  unser  Jahrhundert  als  fürstliche  Satrapen  betrachtet 
werden  mochten. 

Neben  den  beiden  Landen  stehen  die  beiden  «Städte*  Hamburg 

und  Lubek  mit  mehr  als  ebenbflrtiger  Macht;  Hamburg  gilt  noch  immer 
als  eine  holsteinische  Stadt. 

An  der  Ostsee  erzeugt  der  gesteigerte  Handelsverkehr  der  Hansa, 
welche  um  die  Mitte  des  14.  Jahrhunderts  den  Höhepunkt  ihrer  Macht 
erreicht,  Erweiterungen  dürt  iicher  Ansiedelungen  oder  Bui'gen  zu  städtisch 
Terwalteten  Ortschuten,  die  aber  nam  Teil  mit  dem  Ausgai^  des 
Hittelalters  auf  ihren  froheren  Stand  zurQcksinken.  1328  wird  wube, 
ausdrücklich  zuerst  erwähnt  12:^2,  eine  Stadt  lübschen  Rechtes  genannt, 
1320  kommen  Ratsherren  (consnles)  auch  in  Burg  auf  Fehmarn  vor, 
Grömitz  (slaviseli  Grobenetze  von  gral»  Weissbuche),  1  -^22  an  das  Kloster 
Cismar  verkauft,  mag  nicht  viel  später  städtische  Verfassung  be  kommen 
haben,  in  deren  Besitz  es  freilich  erst  1440  erwähnt  wird.  1436  hat  Tön- 
ningen  einen  Bttr^ermdster,  sein  StadtpriTflegium  ist  erst  von  1590. 
Steide,  1404  noch  em  kleines  Dorf,  nimmt  seit  dem  Beschlüsse  der  8  nörd- 
lichen Kirchspiele  vom  3.  Februar  1447,  auf  Grundlage  eines  Land- 
rechts ein  obei-stes  Landesgericht  zur  L^nterdrückung  jeglicher  Fehde 
herzustellen  —  zu  welchem  Gedanken  das  deutsche  Reich  sich  erst  1495 
erhob  —  und  dasselbe  an  dem  Punkte,  wo  die  drei  Döfte,  denen  sie 
angehörten,  sich  berOhrten,  an  dem  Schneidepunkte  der  nordsOdlichen 
Längenstrasse  und  des  ostwestlidien  Querweges,  «up  der  Heide*  ta 
erridkten,  „die  Heide*  also,  wie  der  Dithmarscher  bis  heute  richtig 
sagt,  nimmt  als  Sitz  des  Lan(lps<j:enchts  durch  den  hinzutretenden  Markt- 
verkehr, dessen  frilliore  Bedeutung  nocli  heute  durch  den  ungewöhnlich 
grossen  Markt})latz  Ijezeugt  wird,  rasch  einen  solchen  AufschwuniX.  dass 
es  bald,  obwohl  immer  nur  noch  ein  Flecken,  die  alte  Landeshauptstadt 
flberholte.  1448  trennte  sich  der  zuerst  1252  als  Husenbro  erscheinende 
Ort  Husum  oder  Husen  als  eigenes  Kirchspiel  TOn  Mildstedt  ab  und 
ward  146.1  zur  Stadt  erhoben. 

Während  dieser  anderthalb  Jahrhunderte  waren  in  dem  Verhältnis 
der  deutsclien  Grafschaft  Holstein  und  des  dänischen  Herzogtums 
Schleswig  bedeutsame  Veränderungen  vorgegangen.  Obwohl  die  Tei- 
lungen des  Territoriums  unter  die  jedesmaligen  Söhne  fortdauerten, 
wie  sie  seit  1278  in  Holstein  Sitte  geworden  waren  und  nun  Hervor^ 
treten  bald  zweier,  bald  mehrerer  fürstlicher  Linien  geführt  hatten,  als 
deren  Sitze  Itzehoe,  Rendsbur'^'.  Kid,  Plön,  Segeberg  in  wechselnder 
Weise  erscheinen,  weiss  dmh  l;!2ii  der  Rendsburger  Graf  Gcert  der 
Grosse  durch  kluge  und  kräftige  Benutzung  seiner  Verwandtschaft  mit 
dem  schleswigschen  Herzogshause  imd  der  damaligen  politischen  Lage 
in  Dänemark  che  Belehnung  mit  dem  Herzogtum  Sttderjfitland  d.  h. 
Schleswig  zu  erlangen.  Deutsche  Ritter,  vorwiegend  aus  den  damals 
mächtigen  Geschlechtern  des  holsteinischen  Adels,  setzen  sich  besonders 
in  der  südlichen  Hälfte  des  Dststrpifens  ff-st,  verdrängen  die  dänische 
^Sprache  und  ölTiien  drntschcm  Wesen  das  einst  so  gut  deutsche, 
aber  seit  der  Völkerwanderung  fast  dauisierte  Land.  Geert  bleibt  der 
erste  Erwerber  dieses  Landes  för  Deutschland.  Seine  Söhne  hielten  trots 
manchen  Wechsels  der  Lage  den  Täterlichen  Anspruch  fest  Elans 


51] 


Pol6(^raplue  der  eimbnadien  Halbinsd. 


527 


erwarb  am  CO.  Jahrestage  der  ersten  Belehnung  das  Herzogtum,  das 
im  Jahre  von  Geerts  Ermordung  durch  Niels  Ebbesen  1310  zum  ersten- 
male  mit  deutscher  Bezeichnung  als  Schleswig  vorkommt,  aufs  neue 
als  ein  zwar  dänisches^  aber  im  Gesamthause  der  Holsten  Grafen  erb- 
liches Fahnenlehen*  Und  als  nun  aus  einem  80jährigen  Kriege  das 
Ghrafenhaus  siegreich  herrorgegangen  war  und  1440  Graf  Adolf 
Klaus'  einziger  liberlebender  Enkel,  zu  Kolding  das  dänische  Fahnen- 
lehen Schleswig  in  bündigster  und  feierlichster  Weise  zum  drittenmale 
dem  deutscheu  Fürstenhause  erworben  hatte,  schien  es  fiir  inmier  un- 
angefochten im  deutschen  Besitze  bleiben  und  einer  baldigen  Germani- 
sierung entgegengehen  zu  mUssen. 

8.  Aber  die  Gegenwirkung  blieb  nicht  aus.  Der  «Rat  des  Landes* 
bot  1460,  nm  nach  dem  Aussterben  der  Holsteinischen  Schauenburger 
einer  Trennung  der  Lande  durch  Erbgang  vorzubeugen,  dem  Dänen- 
könig Christian  I.  aus  dem  Oldenburger  Grafenhause  die  Hand,  nicht 
bloss  Schleswig  zurück-,  sondern  auch  Holstein  dazu  zu  gewinnen, 
immerliiu  unter  der  feierlichsten  Gewähr  einer  reinen  Personalunion  der 
«auf  ewig  ungeteilten*  beiden  Lande  mit  dem  Königreich  Dinemark. 
Schon  unter  Christians  Sohn  Johann  I.  beginnen  trotz  der  Privilegien 
die  Teilungen  wieder  und  zerlegen,  ohne  die  Einheit  des  Landes  ansn- 
t^sten,  jedes  der  l)eiden  Territorien  in  vieltiu  h  wechselnder  Weise  in 
eine  Anzahl  gesonderter  Grupjien  von  Aemtern,  die  nur  vom  Gesichts- 
punkt der  Ausgleichung  an  Einkünften  gemacht  zu  sein  scheinen  und 
bunt  durch  beide  Herzogtümer  zerstreut  liegen.  Als  die  Reformation 
die  grosse  Menge  geistlidben  Gutes  zu  einem  bedeutenden  Teile  herrenlos 
machte  und  der  „Welt"  überwies,  griflfen  Fürsten  und  Ritterschaft  um 
die  Wette  zu.  Die  schleswig-holsteinischen  Ritter,  mächtig  durch  den 
Besitz  bedeutenden  Grund  und  Bod<  ns,  der  Landstandschaft  und  ge- 
wisser Hoheitsrechte  über  ihre  Uuterthanen,  retteten  f[\r  ihre  Körper- 
schaft die  vier  wohl  ausgestatteten  Klöster  Schleswig,  l'retz,  Itzehoe 
nnd  Uetersen.  Die  übrigen  Klöster  yerwandelten  siä  meist  in  forst- 
liche Schlösser,  ihre  Besitzungen  in  fürstliche  Aemter,  die  nunmehr  eine 
erhebliche  Quote  der  fürstlichen  Landesanteile  bilden.  1559  gelingt 
es  endlicli  aucli  der  verbündeten  Fürstengewalt,  erstarkt  wie  sie  in- 
folge der  Keformation  überall  war,  das  ireie  Dithmarschen  zu  unter- 
werfen und  aufzuteilen. 

Gegen  das  Ende  des  16.  Jahrhunderts  beginnen  sieh  die  mehreren 
Teile  auf  zwei  Hauptteile  abzimmden,  einen  königlich  dänischen  und 
einen  herzoglich  gottorpischen ,  neben  denen  noch  die  kleinen  Ge-' 
biete  der  sogen,  abgeteilten  Herren,  eine  Art  privater  Fürstentümer, 
stehen  und  auch  die  Besitzungen  von  Prälaten  und  Ritterschaft  als 
gemeinsamer  Anteil  für  sich  verwaltet  werden.  Die  Herrschaft  Pinneberg, 
ein  Besitz  der  Stammhuie  an  der  Weser,  die  freie  Reichsstadt  Lübek  stehen 
aussen  ror.  Hamburg  konnte  noch  immer  die  förmliche  Anerkenntmg 
einer  gleichen  Stellung  nicht  durchsetzen.  Der  Bischof  oder  Admini- 
strator des  Stiftes  Lübek  suchte  gleichfalls  und  mit  wachsendem  Er- 
folLfe  seine  Zugehörigkeit  zum  Lande  Holstein  zu  lösen.  Die  mehreren 
Fürstenschlösser  zu  Haderslcljen,  Xorburg.  Augustenburg,  Glücksburg, 
Gottorp,  Plön,  Eutin,  Reinfeld,  die  freilich  nur  kurz  bestehende  Reichs- 


528 


Jansen, 


[52 


grafschaft  Rantzau,  gebildet,  aus  dem  kleineren  Anteil  vuii  Pinnel)»*rg, 
eutUich  daa  reiclii>ritier»cliatlliche  Gut  Wellingbüttel,  ,terre  apparteuaute 
au  baron  de  Kurtzrock  et  imm^diatemeat  sounuse  ä  l'Empire  d'AUe- 
magne",  wie  der  Grenzpfahl  den  biedern  Hokten  meldete,  spiegeln  den 
deutschen  Partikulansmus  im  engen  Rahmen  eines  Temtorinms  in  be- 
zeichnender Weise  wieder. 

Jene  scheinbare  Vereinfachung  der  Zersplitterung  beider  Lande 
durch  eine  Zweüierrschaft  musste  über  kurz  oder  lang  zu  der  unver- 
meidlichen Entzweiung  zwischen  zwei  an  Macht  so  ungleichen  Genossen 
führen,  die  obendrein  gemäss  dem  allgemeinen  Znge  der  Zeit  auf  Sifir- 
kui^  und  Ununiächr'dnktheit  der  f&rstlidien  Gewalt  eifrig  bedacht  waren. 

Unter  die.sen  Verhältnissen  erwuchsen  am  Ende  des  IG.  und  iiu 
Laufe  des  17.  Jahrhunderts  eine  Anzahl  neuer  städtischer  Gründungen 
teils  im  königlichen,  teils  im  fürstliclieu  Gebiete.  l^^H2  Hess  Hans  der 
Jüngere  in  dem  eben  erhalteneu  Anteü  das  alte  Rjdekloster  abbrechen 
und  ein  Schloss,  GllUcksburg,  in  dem  schönen  Wudsee,  den  einst  die 
MSnche  zu  finden  gewnsst  hatten,  erbauen,  um  welches  sidi  dann  der 
freundliche  Flecken  erhob.  Derselbe  erbaute  1509—1604  nahe  dem 
niedergerissenen  Kloster  zu  Reinfeld  ein  festes  Schloss  mit  Wa-^ser- 
könsten  und  schönen  Gärten,  das  1772  wieder  verschwunden  ist  und 
1839  ein  stattliches  Schulhaus  zum  Nachfolger  erhalten  hat. 

Im  Jahre  1616  legte  Chiistäaii  IV.  von  Dänemark  in  seinem  An- 
teil an  Holstein,  nach  vorangegangener  Eindeichimg  der  BOlowsehen 
und  Blomeschen  Wildnis,  am  nördlichen  Ufer  des  Rhins,  da  wo  er 
in  die  Elbe  mündet,  „zur  merklichen  und  ansehnlichen  Verbesserung 
Unseres  Fürstentums  Holstein",  wie  es  in  der  Gründungsurkunde  vom 
22.  März  1617  heis.st,  auch  „zu  melirerer  Sekurität",  wie  sein  Sohn 
Friedrich  in  der  Bestätigung  der  städtischen  Privilegien  sagt,  voruehiu- 
lich  aber  wohl  aus  Handelseifersucht  gegen  das  damals  noch  schauen- 
burgisdie,  eben  aufkommende  Altona  und  g^en  das  blQhende,  stets 
unbotmässige  Hamburg,  eine  Stadt  an,  die  er  Glüclcstadt  nannte,  mit 
dem  lübschen  Hechte,  genau  so  wie  es  Wüster  hatte,  und  in  den  zwan- 
ziger .Tnliren  noch  mit  weiteren  Privih'gien  ausstattete,  allen  Rehgioiis- 
bekenntnisseu  öflnete,  endlich  auch  zu  einer  unverächtlichen  Festung  und 
zum  Sitz  der  holsteinischen  Regierungskanzlei  erhob.  Die  Stadtgemeinde 
konstituierte  sich  1620  mit  einem  Magistrat  von  zwei  ernannten  Bürger- 
meistern,  zwei  Batsherren,  einem  Stadtsekretär  und  einem  Deputierten- 
kollegium von  acht  Männern,  in  welchem  alle  drei  „Nationen",  Hoch- 
deut^rlie.  Xiederländer,  Portuiriesen  (Lutheraner,  Reformierte,  Juden), 
vertreten  sein  sollten.  „Gouverm  ur"  der  „Stadt  und  Feste  Glückstadt* 
war  der  Anitnianu  von  Steiuburg.  1020  folgte  der  wisseuschatlhch 
angeregte  und  mit  den  Besserungsbestrebun^en  seines  königlichen  Kol- 
legen wetteifernde  Herzog  Ton  Gottorp  Friedrich  HI.  dessen  Beispiel 
und  stellte  am  21.  Oktober  eine  Urkunde  aus,  in  welcher  er,  um  seine 
Lande  ,zu  Wohlfahrt  und  geschwindem  Zun(;hmen  zu  brinp^en".  den- 
jenigen Persouf^i  „remonstrantischer  Konfe.ssion",  welche,  wie  er  he- 
richtet  sei,  „andere  Wohnungen  suchen*'  und  auch  wohl  in  „seine 
Fürstentümer  und  Gebiete"  kommen  wollten,  „um  sich  Muslich  nieder- 
zulassen, ihre  Religion  in  Freiheit  zu  beleben  und  ihre  uegotia  und 


53] 


Poleographie  der  cimbriachen  üalbinseL 


529 


Handel  zu  betreiben",  „sichern  Distrikt  zur  Wohnung  an  dem  Büder** 
ström,  an  und  rand  berum  den  drei  Schleusen  oder  der  neuen  Führe 

vergönnte  und  anwies".  Die  Remonstranten  sollten  die  Regierung  der 
Stadt  und  exercitium  publicum  ihrer  Religion  haben,  wie  auch  die  Ein- 
wohner augsburgischer  Konfession.  Diese  Rerripi^'i^r?  sollte  zu  einem  1  )rittel 
aus  fürstlicher  Ernennuncf.  zu  zwei  Dritteln  aus  Kooptation  der  ernannten 
hervorgehen.  Den  fürstüchen  , Statthalter"*  ernannte  der  Fürst,  über  aus 
der  „niederländischen  Nation*.  Ausserdem  ward  der  Stadt  Freiheit  von 
Einquartierung  und  auf  20  Jahre  auch  von  Steuern  und  Zöllen  ge- 
wahrt. Durch  eine  Urkunde  vom  13.  Februar  1623  wurde  den  , Menno- 
nisten* „gnädig  gewilli<^^t  und  fürstlich  versprochen*,  sich  „nnpr»  hindert, 
sicher  und  kühnlich  in  Unsre  Friedrichstadt  zu  wohnen  Ix  ^^eben"  zu 
dürfen  und  „jeder  Unseren  andern  zu  Friedrichstadt  gesessenen  Bürgern 
und  Einwohnern  gegebenen  Privilegien  geuusshaft"  sein  zu  sollen,  ohne 
ZU  Leistung  von  Eiden,  Uebemahme  von  publica  offida  oder  Gebrauch 
von  Wehr  und  Waffen  verpflichtet  zu  sein.  1624,  25.  Februar,  erging 
eine  ähnliche  «Konzession"  zu  Gunsten  dt  r  katholischen  Gemeinde,  da 
Friedrichstadt  vor  allem  auf  den  Handel  mit  den  „regnis  Hispaniarum 
et  ditionibus  BelgicLs*  angewiesen  sei.  Weitere  ergänzende  Erlasse  folgten 
nach,  unter  anderen  1706  einer  für  die  Quäker.  Das  Stadtrecht,  eine 
für  alle  VerhSltnisse  bis  ins  eiuEelne  ausgeführte  Arbeit^  562  Seiten  im 
corpus  statutorum  Slesvicensium,  deutsch  und  holländisch  wie  die  Stiftungs- 
urkundet  zeigt  uns  iimiitten  eines  unumschränkt  regierten  Fürstentums 
das  bemerkenswerte  Bild  einer  völligen  städtischen  Selbstverwaltung. 

Dil'  neue  Anlage  dehnt  sich  als  ein  rechtzeitiges  Viereck  zwischen 
der  Eider  und  dem  untersten  aufgestauten  Ende  der  Treene  aus,  die 
in  zwei  Haupt-  und  mehreren  Seitensträugen  durch  die  Stadt  in  den 
Hauptfluss  geleitet  wird;  mit  diesen  ihren  „Grachten*,  ihren  baum- 
besetzten geraden  Strassen,  der  Form  ihrer  Bürgersteige  bis  heute  eine 
völlig  holländische  Stadt.  Die  bald  an  diesen  \V est  seehafen  geknüpften 
Pläne,  den  persischen  Seidenhandel  nach  Kiel  und  von  da  auf  gottor- 
pischen  Strassen  über  Fried nrhstadt  in  den  westlichen  Ocoan  zu  leiten, 
zu  welchem  Zwecke  eine  iür  gottorpische  Verhältnisse  grossartige  Ex- 
pedition nach  Persien  gesandt  wurde,  haben  sich  nicht  verwirklicht. 
Wie  bei  Glückstadt  zeigte  sich  hier  der  fürstliche  Wille  doch  der  Macht 
der  Verhältnisse  gegenüber  ohnmächtig.  Aurli  die  königliche  Schöpfung 
Friedrichs  III.  auf  Bersodde  am  Kleinen  Bell,  begründet  dun  Ii  einen 
Freibrief  vom  15.  Dezember  1650,  Frideru  ia,  zunächst  bestimmt  zu 
einer  wirksamen  Zuflucht-  und  Flankensteliung  auf  jütischem  Boden, 
wie  Älsen  es  war  auf  schleswigschem ,  hat  den  weitergehenden  Hoff- 
nungen seines  GrOnders,  trotz  späterer  Freibriefe,  besonders  CShristians  V. 
1682,  nicht  entsprochen. 

Dagegen  kam  durch  die  seiner  Oertlichkeit  innewohnende  Gewalt 
dicht  an  der  westlichen  Grenze  Hamburgs,  dem  jetzigen  Bek  oder 
Stadtgraben,  vormaligen  Alteuaa  oder  j\ltenau,  ein  Platz  immer  wieder 
empor,  der,  im  Anfang  des  14.  Jahrhunderts  abgebrannt,  gegen  die 
Mitte  des  16.  Jahrhunderts  unter  dem  Namen  Altona  wieder  erscheint, 
1547  aufe  neue  durch  Feuer  zerstört,  trotz  der  Gegenwirkungen  der 
Hamburger  bald  auch  wieder  ersteht  und  seit  1601  allen  Rdigions- 


530 


Janseu, 


[54 


genossen  geö&et,  1616  bereits  als  StödÜem  bezeidmefc  wvd.  1640 
ward  durch  Ausst^ben  der  schauenburgischen  Stammlinie  die  Herr- 
schaft Pinneberg,  zu  welcher  der  Ort  gehörte,  erledigt.  Der  könig- 
liche Mitherzog  ging  mit  dem  Tjr>wenanteil  davon;  zu  ihm  gehörte 
Altona.  I»t40,  23.  Augiist.  verlieh  ivönig  Friedrich  III.  dem  von  der 
Herrschaft  exiniierten,  vielversprechenden  Ort  sein  erstes  Stadtprivi- 
legium,  dem  weitere  YercfOnstigungen  folgten.  Durch  die  aller  Gegen- 
bemflhtmgen  spottende  Bedeutung  seiner  Lage,  die  Iföbe  des  damals  in 
Tollt'ui  Auf1»1ühen  begriff(Nien  Hamburgs,  den  Zuzug  reicher  und  ge- 
schäftätüchtiger  Fremden,  namentlich  portugiesischer  Juden  \m<]  hol- 
ländischer Kemonstranten ,  gewann  diese  Stadt  in  wenig  Jahrzelinten 
einen  Wohlstand  und  eine  Volksmenge,  denen  auch  die  wiederholten 
Brandschatzungen  im  nordischen  Kriege,  die  Feuersbrunst  vom  Jahre 
1711  und  die  berflchtigte  Verheerung  1713  dtoeh  den  schwedisdiea 
Gkneral  Steenbock  nichts  anhaben  konnten. 

Durch  Altona  musste  das  bereit«  1310  erwähnte,  1548  zu  einem 
eigenen  Kirchorte  orhobene  Ottensen,  dorn  bis  1(549  Altona  eingepfarrt 
war,  als  Vorstadt  je  länger  desto  mehr  mit  gehoben  werden.  Auch 
Pirnieberg  (Bynnenberghe),  ursprünglich  nur  ein  festes,  im  ÜUjährigen 
Kriege  nicht  unbedeutendes  Schloss,  das  1720  abgebrochen  ward,  scheint 
durch  Altonas  Emporkommen  imd  dun^  das  Bedürfnis  einer  kilrzeren 
Verbindung  Altonas  mit  Elm.shom  geweckt  zu  sein,  hat  aber  Fleckens- 
gerechtigkeit  erst  1^2»;  erhalten. 

Nach  entgegengesetzter  Richtung  wuchs  unter  gleicher  Einwirkung 
das  ursprüngliche  Dorf,  dann  Schloss,  das  im  Jahr  1(334  erst  zu  einem 
Kirehone  eäobene,  damals  aber  auch  ab  Freistadt  für  Juden  gesuchte 
Wandsbeck  (richtiger  Wansbek)  an  der  Wanse,  mit  seinem  grossen 
Nachbar  empor. 

Bredstedt  wiederum,  ein  alter  Ort  und  schon  1510  als  Flecken 
bezeiclmet,  hat  sich  trotz  der  von  Thristian  IV.  1&62 — 1(333  und 
Friedrich  III.  1().'')4  erhaltenen  Vergünstigungen  und  Privilegien  aus 
seiner  örtücheu  Bedeutung  heraus  nicht  zu  erheben  vermocht. 

Derselben  Zeit  und  zwar  der  R<>gierung  Friedrichs  IXL  gehfiit 
auch  Friedrichsort  an.  Ursprünglich  legte  zur  üeberwiulmng  seines 
herzoglichen  Mitftlrsten  TOn  Schleswig-Holstein  Christian  IV.  1632  auf 
Priesort,  d.  h.  auf  der  zur  Feldmark  des  Dorfes  Pries  gehörenden 
Spitze,  die  den  Innern  Kieler  Meerbusen  schliesst,  eine  Festung  au, 
die  er  Christianspries  nannte,  1644  aber  schon  von  Torsteuson  einge- 
nommen sehen  musste.  Sein  Nachfolger  Friedrich  DL  liess  die  Festmig 
1648  schleifen,  sp&ter  aber  (1668)  auf  der  jetzigen  Stelle,  etw»  250  m 
von  der  früheren  entfernt,  die  durch  den  Kirchhof  bezeichnet  ist,  wieder 
herstellen  und  nannte  sie  nunmehr  Frierlrichsort.  Dass  dieselbe  je  nach 
den  wechselnden  Königen  bis  zur  Regierung  Friedrichs  V.,  d.  h.  also 
bis  in  die  Mitte  des  18.  Jahrhunderts  bald  Kriedrichsort,  bald  Christiaus- 
pries  genannt  worden  ist,  mag  als  Unicum  und  als  bemerkenswertes 
Zeichen  der  absolutistischen  ZeitstrQmung  eme  Bemerkung  Yerdienen. 

Auch  die  gottorpische  Regierung  setzte  ihre  Bestrebungen  rar 
Hebung  des  Landes  nach  dem  Sinne  und  Geiste  der  Zeit  und  den  fr**!- 
tenden  AufiEassungen  Ton  fürstlicher  Machtvollkommenheit  fort  lio 


55] 


Poleographie  dar  cimbrischen  flAlbüuel. 


531 


Jahre  1634  hatte  eine  der  furchtbarsten  Fluten.  <lt>r.  n  die  Ueber- 
lieferung  gedenkt,  in  einer  einzigen  Nacht  nicht  bloss  viele  Tauseude 
von  Menschen  und  Vieh,  sondern  auch  die  ganze  reich  angebaute, 
3  Meilen  lange,  2  Meilen  breite  Insel  Nordstrand  in  ihren  Wellen  be- 
graben. Die  kleinere  Hälfte  derselben  tauchte  wieder  auf,  aber  in 
zwei  Toncfinander  gerissenen  Stücken:  das  westliehe^  Pellworm,  wurde 
in  den  nächsten  Jahren  von  d^  Yerannt^n  Ein-vvohneni  «Inn  Ii  neue 
Deiche  notdürftig  geschützt.  Das  östliche  aber  bheb  einige  Jahrzehnte 
hindurch  unbedeicht;  und  nun  ward  eine  Massregel  verhängt  von  un- 
glaublicher Ungerechtigkeit  und  Tyrannei:  der  Herzog  Friedrich  über- 
wies die  Insel  durch  Octroi  vom  18.  JuU  1052  an  eine  holländische 
Gesellschaft,  welehe  die  Mittel  hatte,  die  Eindeichung  und  Sichsfung 
der  Insel  dnrchzafllhren,  nnd  £reie  Religionsttbong  für  Katholiken  wie 
Hefonnierte,  sowie  unabhängige  GemeindeTerwaltung  zugestanden  erhielt. 
Ohne  einen  rfrosclien  Entschädigung  wurden  die  vom  Schicksal  sdion 
so  schwer  iieinigcsuchtcn  von  Haus  und  Hof  getrieben.  Der  Thränen- 
strora,  mit  dem  die  Gemeinde  die  Ankündigung  von  der  Kanzel  auf- 
nahm, stellte  die  Summe  ihres  Widerstandes  dar.  Der  schleswig-hol- 
steinische Westen  aber  hatte  wieder  einmal  seine  uralte  Beziehung  zu 
dem  ganzen  niederdeutschen  Küstenlande  bewährt,  die  bis  auf  den  heu- 
tigen Tag  einen  leisen  Strom  der  Wanderung  her  wie  hin  fortgenährt  hat. 

Um  dieselbe  Zeit  suchten  die  Gottorper  ihre  Gebiete  durch  Festungs- 
bauten zu  sichern  und  legten  namentlich  in  Tönningen,  das  erst  1590 
unter  Johann  Adolf  städtische  Verfassung  erhalten  hatte,  1044  mit 
einem  unrerhältnismSsigen  Kostenaufwand  eine  starke  Festung  an, 
welche  jedoch  die  nicht  mehr  allzu  ferne  Veigewaltigimg  durch  den 
übennüchtigen  Mitherzog  zn  verhindern  nicht  imstande  war. 

Anderer,  obwohl  zum  Teil  doch  wieder  verwandter  Art  und  in 
unserin  Lande  einzig  dastehend,  eine  rechte  iSLOlonie  und  Stätte  der 
Freiheit,  ist  die  kleine  Schleistadt  Amis. 

Gequält  und  bedrängt  von  der  Gutsherrschaft  des  benachbarten 
Roest,  welche  Hoheitsrechto  Ober  das  ursprOngliche  Fischerdorf  Kap- 
peln (genannt  von  einer  St.  Nikolauskapelle)  gegenüber  dem  Schleswiger 
Domkapitel  behauptet  und  durchgesetzt  hatte ')  und  welche  damals, 
wie  es  scheniK  mit  mehr  als  gewöhnlicher  Willkür  Eigentum,  soweit 
es  vorhanden  sein  konnte,  Freiheit  und  Leben  bedrolite  und  antastete, 
gaben  04  Kappeler  Familienväter  —  über  30  waren  zurückgetreten  — 
mit  mutigem  Entschlüsse  Hans  und  Herd  auf,  um  am  11.  Hai  1667 
«mit  gebogenem  Knie  und  mit  au^ereckten  Fingern  unter  blauem 
HimmeP  ^)  dem  Herzog  Christian  Albrecht  den  lluldigungseid  zu  leisten 
und  auf  der  von  demsellien  überhissenen  damaligen  Insel  Arnis  eine 
neue  Heimat  zu  gründen,  welche  die  Mittel  ihres  Unterhalts  einzig  und 
allein  in  Fischfang  und  Schiifahrt  zu  gewinnen  angewiesen  war  und 
gewonnen  hat,  bis  die  Lostrennung  von  Dänemark  die  Quellen  ihres 
bescheidenen  Wohlstandes  abschnitt. 

>)  Erst  lä07  hat  die  Regierung  den  Flecken  für  186  000  Mark  vom  Gute 
Hoest  neigekai^. 

*)  Tgl.  den  interesaaiiten  Berieht  des  Pastors  Seholi  im  N.  Staatsb.  Magadn  m, 

7S3  ff. 


532 


Jansen, 


Im  18.  Jahrhundert  kommeii  einige  Orto  zu  Flecken  empor,  einer 

wird  neu  gef^ründet. 

Wyk  aiit  Fr)hr.  l)is  ins  17.  .Talirluanlert  ein  kleines  Fischer- 
dorf, Ki.'M  von  heimatlos  gewordenen  Bewohnern  der  durcli  die  trrosse 
Flut  zersUirten  (Tcbiete  angebaut,  erhielt  1700  von  Herzog  lluistiau 
August  Lostreunuug  von  der  Landschaft  und  eigene  Gerichtsbarkeit. 
Ebenso  ward  Barmstedt,  dieser  alte  Adelssitx  einer  einst  mSchtigen 
Familie,  1787  mit  Fleckensgerechtigkeit  ausgestattet. 

Im  Jahre  1771  erwarben  die  niiihrischen  Brüder  TOn  der  dä- 
nischen Hrgierung  unter  Christian  Vll.  zur  Zeit  der  Struenseeschen 
Vf'rwaltuug  die  Erlaubnis,  « im  Amte  Hadersleben  eine  Niederlassung 
zu  erbauen,  und  legten  am  1.  April  1773  den  Grundstein  des  ersten 
Hauses.  Der  völlig  regelmässig  angelegte  Ort  Gbristiansfeld,  mit  Be* 
freiung  von  Einqnartiennig  wie  Kriegäienst  und  Freiheit  zu  jedem 
Gewerbebetrieb  ausgestattet,  blühte  bud  zu  jenem  lieblichen  Stlldti  hen 
cmyior,  das  den  aus  Jtltland  Herkommenden  durch  den  freundlichen 
Sdunuck  seiner  Gärten  und  die  Ordnung  und  Sauberkeit  eines  ganzen 
Aeusseru  mit  so  wohithuender  Ueberraschuug  anmutet. 

Dasselbe  Jahr,  das  die  letzte  grössere  Neusiedlung  in  unserm 
Lande  entstehen  sah,  ist  auch  das,  wo  eine  bedeutsame  Bewegung  auf 
politischem  Gebiete  zu  ihrem  Abschluss  gelangte. 

Das  Erstjirken  der  Fürstenmafht  hatte  mit  Notwendigkeit  das 
Bestreben  nach  Vergrösserung  und  Abnindung  des  Gebiets  erzeugt. 
Kine  Zersplitterung  des  Bodens,  wie  sie  die  1  )()ppelherrsehalt  zweier  re- 
gierender Herzüge  in  zwei  gesonderten  und  einem  gemeinschaitlicheii 
Anteil  und  daneben  noch  mehrerer  «abgeteilter  Herren*  herbeigeführt 
hatte,  musste  den  allmfthlich  steigenden  Ansprüchen  an  eine  geordnete 
Verwaltung  gegenüber  unhaltbar  erscheinen.  lt)40  hatte  der  kSnig^ 
liehe  Herzog  den  grössten  Teil  der  Herrschaft  Pinneberg  an  sich  ge- 
bracht, 1721  gelang  es  ihm,  den  herzoglichen  Milfürsten  zunächst  niu' 
thatsächlich  aus  Schleswig  zu  verdrängen,  172G  vereinigte  er  die  aus 
dem  kleineren  Anteil  an  der  Herrschaft  Pinneberg  hervorgegangene 
Reichsgrafsohaft  Rantzau,  dann  die  Herrschaft  Noronrg,  daa  glficks- 
buigische  AnOe,  das  «abgeteilte"  Herzogtum  Plön,  endlich  1773  den 
ganzen  damals  sogen,  grossfiirstlichen  Anteil  an  Holstein  mit  dem  kö- 
niglichen, so  dass  \719  nur  noch  das  kleine  Fürstentum  Glücksburg  zu 
erwerben  war,  um  endlich  wieder  einmal  ein  ungeteiltes  Scbleswig- 
Holsteiu  herzustellen,  aus  dessen  Verbände  freilich  dui'ch  Verziclit  die 
Stadt  Hamburg,  als  Reichsstadt  schon  1471  in  der  Matrikel  gefthit 
und  thaisächlich  bestehend  und  blühend,  immer  aber  noch  in  einem 
unklare  Verhältnis  zmn  Lande  Holstein,  1708  ausdrücklich  entlassen 
worden  war.  Auch  das  Stift  Liil»ek  hatte  sicli  seit  dem  17.  Jahr- 
bnndert  der  holsteinischen  Staatshoheit  thatsa(  lili(  h  ganz  entledigt  und 
ward  18Ü3  als  säkularisiertes  Fürstentum  Eutin  oder  Lübek  der  im 
Besitz  befindlichen  jüngeren  gottorpischen  Linie  belassen,  1823  mit 
dem  Heizogftom  Oldenburg  in  einer  Hand  vereinigt.  1815  war  das 
seit  1689  hannöverische  kleine  Fürstentum  Lauenburg  unter  dänische 
Hoheit  gekommen,  also  mit  dem  Lande  vereinigt,  zu  dem  es  jeden- 
falls geographisch  am  nächsten  gehört.   Immer  blieben  aber  noch  auf 


57] 


Poleographie  der  cimbrnchen  fialbinael. 


533 


so  entern  Kaum  vier  verscliiedeno  Stantsholieiten  iiel)t'iifinander  Itf- 
stehen:  die  däiiisch-schleswig-liolsteiuische,  die  hamburgi.sche ,  die  lü- 
belÜBclie  und  die  oldenburgische.  Obendrem  waren  die  Gebiete  der 
letzteren  drei  Staaten  in  miärere  Parzellen  zersplittert;  die  eutiniscben 
wurden  erst  durch  deu  Vertrag  von  1842  mit  Dänemark  auf  zwei 
Hauptgiuppen  abgerundet  ;  lübis(  h  ausser  dem  gesclilos-senen  Kern  um 
die  Stadt  waren  9  kleine  Fleckt'  iiuurhalb  des  holsteinischen,  lauen- 
burgischen  und  strelitzisclien  Gebiets,  hamburgisch  ausser  dem  Stamm 
4  innerhalb  des  alten  Stormarn,  will  sagen  1 1  Quadratmeilen  in  15  Fetzen 
zerrissen.  Auch  an  gemeinschaftliGhem  Besitz  Hamburgs  und  Lttbeks, 
Amt  BiTgedorf,  fehlte  es  nicht.  In  Schleswig  gab  es  eine  Keihe  däni- 
scher Umsclilossenheiten :  Uebcrreste  mittelalterlicher  Kindlichkeit  des 
staatlichen  Lebens,  welche  die  letzte  Neuordnun«^  der  Dinire  ftir  die 
hanseatischen  Enklaven  zu  beseitigen  noch  keine  Zeit  gefunden,  muueriiin 
auch  kein  so  dringliches  Interesse  mehr  gehabt  hat. 

9.  Diese  neue  Zeit  beginnt  für  unsere  Halbinsel,  wie  auf  poli- 
tischem so  auf  volkswirtschaftlichem  und  Verkehrsgebiet,  mit  dem  Jahre 
der  Julirevolution.  Wie  urzeitlich  bis  weit  in  unser  Jahrhundert  hinein 
die  Strassen  und  die  Mitttd  des  Landverkehrs  waren,  möge  zur  besseren 
Würdigung  der  ungewöhnlichen  Fortschritte  des  letzten  halben  Jahr- 
hunderts hier  in  kurze  Erinnerung  gebracht  werden  Den  Grund 
zum  Postwesen  als  einer  staatlichen  Eimichtuug  legte  Christian  IV. 
durch  zwei  Verordnui^en  vom  Jahre  1624.  Unter  den  sieben  Posir- 
routen,  welche  l(i25  in  Dänemark  bestanden,  ist  auch  die  von  Kopen- 
hagen nach  Hamburg  tlber  Middelfart  und  Kolding.  Friedrich  III. 
richtete  auf  derselben  Route,  aber  über  Assens  und  Hadersleben,  eine 
wrichentlich  zweimalige,  reitende  Briefpost  ein.  welche  den  Weg  in 
dremial  24  Stunden  zurücklegte  und  eine  wöchentlich  einmalige  Fahr- 
poet Uber  Eolding  f&r  Personen,  Gelder  und  Gflter,  nicht  für  Briefe. 
Christian  V.  ordnete  auf  dieser  Grundlage  den  Verkehr  1694,  so  wie 
er  bis  1830  unverändert  bestanden  hat;  nur  von  Hamburg  besorgten 
die  Kopenhan'ener  Kaufleute  auf  eigene  Rechnung  sieb  briefliche  Nach- 
richten noch  zweimal  wöchentlich  mehr.  Von  Hadei  sieben  setzte  sich 
die  Route  teUs  westlich  nach  Ringkjöping,  teüs  nördlich  nach  Aalborg 
fort.  Christian  V.  setzte  auch  bereits  die  oben  charakterisierte  Längen- 
zweigstrasse von  Rendsburg  auf  Lttbek,  sowie  die  zwischen  Hamburg- 
Glflckstadt  und  Glückstadt-Itzehoe  in  Betrieb.  Friedrich  IV.  zog  (1720) 
Heide,  Husum,  Tondem  und  benachbarte  grössere  Orte  mit  hinein. 
Eine  tägliche  und  an  einigen  Tagen  selbst  doppelte  und  dreifache  Ver- 
bindung fand  im  18.  .lahrhundert  allein  zwischen  Lübek  und  Ham- 
burg statt.  Der  dänische  Staat  unterhielt  seit  1777  einen  reitenden 
Boten  wöchentlich  zweimal,  die  Si&dte  daneben  einen  fflrachen  täglich 
und  gleichfaUs  läßlich,  seit  1802  nur  dreimal  wdchen^ch  eine  Fahr- 
post. Zwischen  Kiel  und  Altona  bewegte  sich  bis  1832  *  ine  -Dili- 
gence"  wöchentlich  einmal  in  24  Stunden  und  darüber.    In  Meidorf, 


')  Vpl.  rdiersicht  über  den  Postenj?anff  etc.  Bericht  an  d>^ii  Fin.nizmini.ster 
vom  (JeneralpofitUirektor  1862.  —  Systematische  Sammltiog  der  iiir  die  lierzogtiimer 
Schleswig  und  Holstein  erlassenen  . . .  Verordnungen  und  TerfQgungen ,  Bd.  VIII. 


534 


Jansen, 


[58 


der  alten  Hauptstadt  des  abgelegenen  DithmarschenSt  wohin  1720  eine 
Fahzpoflt  Uber  Itzehoe  Ton  Hanwurg  in  Gang  gesetast  zu  mm  aehemi, 
jedenfalla  aber  nidit  auf  die  Dauer,  pflegte  die  Anknoft  des  Onmibna 
von  Wrist  noch  bis  in  die  Mitte  dieses  Jahrhunderts  jedesmal  von  einer 

anst'linlithcn  Menge  Teilnehmender  begrüsst  zu  werden.  In  Brief- 
verkehr durch  reitende  Boten  stand  es  mit  den  versiliiedenen  Rich- 
tungen an  verschiedenen  Wochentagen,  au  denen  die  Ablieferung  nur 
zu  genau  bemessenen  Tagesstunden  angenommen  wurde.  Ein  Ort  von 
der  Entlegenheit  wie  Lemwig  (etwa  1400  Einw.)  konnte  Pakete  nur 
Tiermal  im  Jahre  entsenden  und  empfangen. 

Zur  Besorgung  des  auf  diesen  Strassen  sich  bewegenden  Verkehrs 
^fenilpften  im  Jahre  1025  im  Könip^eich  Dänemark  M]  Poststationen, 
deren  Zahl  erst  1801  auf  82,  darunter  15  in  Schleswig,  24  in  Holstein, 
3  in  Eutin,  Lubek^  Hamburg,  1833  auf  127  sich  gehoben  hatte.  Die 
Kosten  eines  Briefi»  beliefen  sich  nach  den  Terordnuagen  von  1734 
und  1779,  je  nach  den  Entfernungen  innerhalb  Elbe  und  Kdnigsau,  tou 
1—6  Schilling,  7'»— 45  Pf.;  4  Schilling,  30  Pf.  kosteten  14—21  Meilen 
noch  nach  der  Taxe  von  1818,  so  dass  ein  Brief  von  Wandsbeek 
nach  Hiiby  zu  38  Hbs.  d.  h.  ungefähr  90  Pf.  angesetzt  ist.  Kut- 
sprecliend  waren  die  Preise  der  Personenbeförderung.  Ein  Reisender  be- 
zalüt,  so  beginnt  die  Verordnung  vom  9.  Dezember  183G,  vom  1.  Januar 
1837  an:  1.  an  Postgeld  beim  Einschreiben  (in  den  HerzogtOmem) 
22*/»  Rbs.  Sdber  (keine  .Zeichen"  !),  2.  an  Trinkgeld  für  den  Postilloo 
auf  jeder  Station  13  Rbs.,  3.  Einschreil)efi:ebühr  und  Wägegeld  13  Rbs., 
4.  Litzenbruderfjeld  13  Kbs..  5.  Litzenhrudergeld  unterwej^s  beim  Pferde- 
wechsel (>  libs. ;  so  dass  dif  erste  Meile  auf  circa  20  Schilling  ,lübsch*. 
d.  h.  auf  M.  1,50  zu  stehen  kam.  Dafür  hatte  dann  der  Reisende 
nach  einem  Gurknlar  Tom  29.  August  1789  auch  einen  Stuhl  mit  Leimen 
hinten  und  seitwärts  und  wenigstens  auch  ein  leinenes  Strohkissen,  Tor 
allem  einen  haltbaren  Waagen  zu  beanspruchen.  Eine  Extrapost,  auf 
der  man  für  einen  erheblichen  Zuschlag,  Schilling  die  >reilp.  seit 
1835  4  SchillinLC.  eiuen  so<;en.  < 'haisenstuhl  haben  konnte),  gab  es  nur 
noch  in  den  belebtesten  Plätzen;  in  Kiel  z.  ß.  erst  seit  1813.  Die 
Wege,  namentlich  in  dem  schweren  Lehmboden  Ostholsteins  und  voll- 
ends in  der  Marsch,  waren  im  Winter  teils  gar  nicht,  teils  nur  mit 
äusserster  Anstrengung  und  selbst  nicht  ohne  Gefahr  zu  passieren. 
Wer  von  Schleswig  etwa  eine  Winterreise  nach  Hamburg  unternahm, 
pflegte  vorher  zum  A))en{3malil  m  trHhen.  Rcrüehtigt  war,  auf- 
fallend genug,  besondei-s  die  l)elebteste  Landstrasse,  zwischen  Hamburg 
und  Lübek.  Auf  den  Heiden,  wo  in  Ermangelung  eines  Wegekörpers 
oder  einschliessender  Knicke  im  Osten,  begleitender  Gräben  im  Westen 
jeder  sich  seine  Wagenspur  selbst  w&hlte  und  oft  5->10  und  meiir 
nebeneinander  zu  Gebote  standen,  lag  die  Möglichkeit  des  Yerirrens, 
zumal  bei  Schupe.  so  nahe,  dass  streckenweise  die  Richtung  durch  Ptahle 
bezeichnet  war  und  bei  Bau-  und  Boninierlund  Leuchtfeuer  (1709)  nötig 
befunden  wurden.  Als  im  Jahre  1849  die  genieinsame  Regierung  von 
Itzehoe  nach  Meldorf  eine  tägliche  Eilpost  in  Betrieb  setzte,  ge- 
hörte, zumal  auf  der  berüchtigten  Strecke  des  Schweinemoors,  jenen 
»pontes  longi*  der  Hemmingstedter  Schlacht,  das  Umwerfen  zu  den 


59] 


Poleographie  der  dmbnsoben  Ualbiusel. 


535 


allnächtlichen  Vorkommnissen  Daljei  fehlte  es  an  VVegeordnungen, 
welche  Erhaltung  und  Besserung  der  Fahrstrasseu  bei  grossen  Geld- 
Bfcrafen  den  Anü^jern  emschürflen,  seit  mindestens  1711  nicht  Nen- 
bauten  von  einiger  Bedeutung  gehörten  kaum  in  den  Gesichtskreis  der  Zeit. 

Lebhafter  ist  au  allen  Zeiten  zwischen  den  KUstenstildten  der  Ver- 
kehr zur  See  gewesen,  namentlich  einerseits  mit  den  däuisclien  Land»-s- 
teilen  und  den  gesamten  Ustseeküsten,  andererseits  der  auf  der  Nordsee 
durch  weit  Uberwiegende  Vermittlung  Hamburgs  mit  England  und 
Amenka  und  der  ganzen  Welt. 

Mit  dem  1.  Juni  1882  beginnt  för  den  Verkehr  und  zwar  nament- 
lich zu  Lande  auf  der  cimbrischen  Halbinsel  eine  neue  Zeit,  die  eines 
plaumässigen  Kunststrassenhaues.  „Vom  1.  Juni,"  so  kündigt  das  Kieler 
Korrespoudenzbltitt.  selbst  ein  Wetterzeichen  des  kommenden  Frühlings, 
welches  das  Land  „mit  sich  selbst  in  Korrespondenz  zu  setzen"  ge- 
gründet war,  mit  bewusster  Genugthuung  an,  „wird  täglich  .  .  .  eine 
Diligence  nach  Altona  abgehn  und  täglich  eine  ankommen. . .  Zu 
gleicher  Zeit  wird  mit  der  Diligence  eine  Brief^iost  verbunden,  so  dass 
man  künftig"  —  es  schien  einer  eigenen  Versicherung  zu  bedürfen  — 
ataglich  nach  Haniburg.  Altona  und  dem  Auslände  Briefe  absenden  und 
Briefe  von  dort  empfangen  kann.* 

Die  erste  Chaussee  des  Landes  war  in  den  Jaliren  1830  und  1831 
fertig  geworden,  die  von  Kiel  nach  Altona. 

1844  schon  ward  sie  durch  eine  Eisenbahn  flberholt,  König 
Chi-istians  VIll.  Ostseebahn,  am  18.  September,  seinem  Geburtstage, 
oWiflnet.  der  sich  184')  die  Rendsburg- NeumOnstersche  und  GlUckstadt- 
Elmshorner,  1854  die  infolge  der  dänischen  Politik  unglaublich  verfehlte 
Ohrstedt- Rendsburger,  eine  Zwei l;1  »ahn  der  Flensburg-Husum-Tönninger 
anschlössen.  Hatte  nämlich  die  Kiel-Altouaer  schon  aus  Besorgnis  unge- 
nftgenden  Ertrages  von  Neumünster  an  statt  der  geraden  südlichen  Rich- 
tung eine  sehr  betrftchÜiche  Ausbiegung  nach  Westen  gemacht,  um  den 
Verkehr  der  beiden  von  Itzehoe  an  vereinigten  cimbrischen  Nord-Sttd- 
Strre^sen  zu  fassen,  so  wurde  vollends  die  gemeinsame  Nord-Süd-Strasse 
der  Ostküste,  die  zunächst  auch  nur  von  Flensburg  an  gewagt  wurde,  aus 
politischer  Berechnung  nach  dem  damals  regierenden  eiderdänischen  System 
nicht  gerade  auf  Schleswig-Bendsburg,  sondern  auf  Husum  gebaut  und 
so  der  NoFd-Sfid-Verkehr  zu  dem  unglaublichen  Umwege  über  Ohrstedt, 
etwa  eine  Meile  von  Husum,  gezwungen,  dabei  obendrein  die  schlecht- 
gesinnte  Stjidt  Schleswig  weit  abseits  liegen  gelassen;  Fehler  kurzsichtiger 
Parteiwut,  die  1809  unter  neuen  Kosten  j^ebessert  worden  niussten. 

So  von  einem  ersten  h-rtum  ausgehend  hat  das  gegenwärtige 
Eisenbahnnetz  der  ganzen  Halbinsel  eine  von  der  natürlich  gegebenen 
vielfach  yerschobene  Glestalt  angenommen. 

Die  grosse  Nord-Süd-Strasse,  so  gewiesen  wie  nur  möglich,  macht 
schon  in  Jütland,  am  meisten  in  Holstein  begriffs widrige  Zickzack- 
bewegungen, an  denen  die  Kiel- Altonaer,  ein  Stück  der  Kopenhagen- 


*)  Auch  in  anderen  ouropUifichen  Staaten  sah  es  nicht  viel  Ix'p^er  ans.  Von 
Edinbnrg  nach  London  und  zurück  rechnete  man  12 — 16  Tage;  es  galt  für  rat«um, 
■ein  Testament  za  machen.  Tgl.  Jansen:  Uwe  Jens  Lornsen.  Kiel  1872. 


Jaosen, 


[60 


Altouaer  Liiiie  teilnimmt.  Dieser  Fehler  hat  neuerdings  (1884)  die 
Bahn  Kaltenkirchen- Altona  nach  sich  gezogen,  emeSekimdftrbahn,  welche 
die  geforderte  Ergänzung  Ealtenkirchen-Neumünster  aiusichtsloB  macht. 

T,;nl^i  II  fnisse  der  Westküste,  die  von  Rechts  wegen  mit  einer  Zweig- 
baliii  Elmshorn-Itzehoe  hätte  bejjTonnen  werden  sollen,  ward  durch  die 
ziivorkoninicndc  Zwcirrhahii  Elmsliorii-dlückstadt  verdorben,  an  welche 
sich  nun  It^chot-Glückstadt  anzusdilii -ssen  passend  fand.  Erst  1878 
ward  sie  l»is  Heide,  erst  in  diesen  Tagen  wird  sie  bis  Ripeu  fortgeführt. 
Die  Haujttijuerstrasse,  LUbek-Hambnrg,  ward  erst  nach  Beseitigung  der 
dänischen  Landeshoheit  (1865)  möglich.  Die  oben  erwähnten  Gabelungen 
der  herrschenden  Längenbahn,  Tm  Flensburg  durch  Angeln  auf  Eckem- 
fi)rde  und  Kiel,  die  von  Schleswit;  mit  Ausnahme  der  Strecke  Schleswig- 
Eckernförde.  die  von  Neunuin>ter  auf  Lübek,  auch  auf  Oldenburg  sind 
hergestellt;  die  von  Hendsburg  auf  Kiel  wird  neuerdmgs  vorbereiteL 
Die  Lttbek-dithmarsische  Querstrasse  ist  in  der  Richtung  Oldesloe- 
KeumUnster'Heide  wieder  erstanden.  Die  Qnerbohn  Schleswig-Husum, 
wenn  auch  auf  einem  ümw^e,  der  eine  Querbahn  Rendsbui^-Husum 
nach  sich  ziehen  wird,  ferner  die  von  Flensburg  auf  Tondem,  wieder 
auf  einem  T  in\v(M_r,..  die  von  Kolding  nach  Rij)en  und  nacli  Esbjerg,  die 
durch  die  gnisste  Breite  Jüthuids  von  (irenaae  über  Kanders  nach 
Viborg  und  nach  Holstebro,  endlicli  die  südlichste,  die  von  Lübek  nach 
Lauenburg,  sind  vorhanden.  Gkmz  Terschoben  sind  die  natürlich  gegebnen 
Schenkel  der  beiden  Küst(  iistrassen  auf  der  ostholsteinischen  Halbinsel: 
statt  der  beiden  Linien  Kiel-LUtkenburg-Oldenburg  und  Oldenbui^- 
Neustadt-Lübek  mit  einer  Gi-undlinie  Kiel-Plön-Ahrensbök  oder  Eutin- 
Lübek  dreht  sich  eine  Sclilangeidinie  von  Kiel  tll)er  Aschberg,  Plön, 
Eutin,  Neustadt  nach  Oldenburg  und  eine  Zickzackhnie  von  Lübek 
Ober  Eutin  und  Neustadt  nach  (Hdenbuig. 

Es  ist  zu  erwarien,  dass  das  dmbrische  Eisenbahnnetz  unter  weiterer 
Entwicklung  der  Verkehrs-  und  Ansiedlungsverhältnisse,  die  seitl8(t:i  be- 
gonnen hat,  noch  erhebliche  Aenderungen  Und  Berichtigungen  zu  erleiden 
haben  wird.    (Vgl.  S.  55.'!).) 

Denn  18t »3  hatte  dem  dänischen  Wahn  und  Hohn  gegen  Deutsch- 
land die  Stunde  geschlagen. 

So  wie  die  dänische  Politik  1779  an  das  Ziel  ihrer  Bestrebungen 
gekommen  war,  Schleswig-Holstein  durch  Beseitigung  aller  Kleinfürsten 
zu  einem  Ganzen  abzurunden,  begann  sie  ein  hartnäckig  festgehaltenes, 
immerliin  zuerst  leise  gehandhabtes  System  der  Dnnisierung  des  nach 
ihrer  Anschiiiuing  seit  1721  inkorporierten  Schleswig,  des  nach  180«3 
beim  Zerfall  des  deutschen  Ileiches  gewissermasseu  von  selbst  inkor- 
porierten Holstein.  Ans  dem  Schlummer  diesen  versteckten  Versuchen 
gegenüber  rief  die  frommen  Holsten  der  unvei^essliche  Uwe  Jens  Lornsen. 
Er  „determinierte**  den  AA'illt  ii  seiner  Landsleute,  wie  er  gehoffi,  .auf 
immer".  Was  ISls  — 1851  misslang,  ward  1864  zum  guten  Ende  geführt. 
Lauenburg  18<i5,  Schleswiir-Ilolstein  18(57  wurden  preussich,  Preusseu 
aber  war  deutsch  geworden:  seit  1870  weht  eine  Fahne  und  waltet 
eine  Heichshoheit  über  die  südliche  Hälfte  der  cinibrischeu  Halbinsel; 
die  Partikularstaaten  wie  im  Deutschen  Reich  Überhaupt,  so  im  Sflden 
Holsteins  haben  ihre  Bedeutung  verloren. 


61] 


Poleogi-aphie  der  dmlwisolieii  HalbinieL 


537 


Eine  neue  Einteilung  des  Landes  zum  Behüte  der  Verwaltung  lind 
der  Gerechtigkeitspflege  trat  an  die  Stelle  der  alten,  die  im  engen 
Anschbiss  an  die  geschichtliche  Entwicklung  einen  Grundstock  ältester 
Gliederung  erhalten  hatte. 

Das  Herzogtum  Schleswig  zei^el  bis  1803  in  Aemter  oder  Land- 
sebaften,  adeli([e  Distrikte  und  Städte. 

Die  Ostseite  bestand  aus  den  acht  Aemtem :  Hadersleben  (Osteramt), 
Apenrade.  Sonderburg,  Norburg,  Flensburg,  Gottorp,  Hutten,  Fehmarn 
und  der  Landschaft  Arröe:  dazu  aus  den  t'üni  Gilterdistrikten:  zwei  Angler, 
je  einer  von  Ödiwanscn  und  Dänischeni  Wohld  und  der  des  St.  .lohannis- 
klosters;  die  Westseite  aus  den  sechs  Aenitern:  W^esteramt  Haders- 
leben, Lygumkloster ,  Tondern,  Bredstedt,  Husum,  den  Landschaften 
Stapelbobn,  Eidelstedt,  Nordstrand,  Pellworm.  Die  Stftdte  waren:  Haders- 
leben, Apenrade,  Flensburg,  Sclileswig,  Eckemförde,  Sonderbin  u;.  Buig 
im  Osten;  Tondern.  Hu.sum,  Friedrichstadt,  Tönning,  G^arding  im  Westen. 
Dazu  kamen  in  der  Marsch  die  octroiierten  Köge. 

Das  Herzogtum  Holstein  hielt  zunächst  in  den  beiden  Land- 
schaften Norder-  und  SUderdithmarächeu  die  Grenzen  des  alten  Frei- 
staats, im  Amte  Stemburg  die  beiden  Marschen  Wilster  und  Krempe, 
in  den  Kanzleigütem  und  den  sogen.  Wildnissen,  der  Herrschaft 
Herzhorn  und  dem  Itzehoer  Gtiterdistrikt  die  übrigen  Marschgemeinheiten, 
in  der  Herrschaft  Pinneberg,  in  der  Grafschaft  Kantznu  gleichfalls  histo- 
rische Gt'soiidortheiten  fest.  Reinbek,  Trittau,  Tremsbüttel  waren  die 
Aemter  der  östlichen  Hälfte  des  alten  Stormarn;  auf  die  beiden  grossen 
Aemter  Rendsburg  und  Neumünster  war  das  eigentliche  alte  Holsten 
▼erteilt.  Wagrien  war  aufgegangen  in  die  Aemter  Kiel,  Kronshagen, 
Bordesholm,  Segc  ))c'rg,  Plön,  Arensbök,  Trarenthal,  R*  intVld,  Rethwisch, 
Cismar.  Ausserhalb  dieser  zu  filnf  Gruppen  unter  je  einem  Amtmann 
in  sich  zus;inimengeh'<rt»'n  Bt>/.irke.  einstiger  Bestandteile  der  wechseln- 
den türstliL-lien  Par/t  llt  ii.  standfii  die  klösterlichen  l)istrikte  von  Uetersen, 
Itzehoe,  Pretz,  der  Itzelioer,  Kieler,  Pretzer,  Oldenburger  Güterdistrikt, 
die  holstein-gottoipiachen  FideikommissgQter,  die  lübschen  Güter  und  die 
lUbschen  Stadt-Stiftsddrfer,  im  östlichen  Wagrien  bunt  zerstreut,  in  der 
Marsch  wiederum  die  octroiierten  Köge.  Städtische  Verwaltung  hatten: 
Wilster,  Itzehoe.  Krempe,  Glückstadt.  Altona.  Kiel,  Liitkenburg.  Olden- 
burg, Heiligenhaten,  Plön,  Neustadt,  Rendsburg.  Segeberg,  Oldesloe. 

Hamburg,  Lübek,  Eutin  waren  die  Hauptstädte  der  Partikularlande. 

Das  Herzogtum  Lauenburg  bestand  aus  vier  Aemtem :  Schwarzenbek, 
Laiienburg,  Steinhorst  und  Razeburg,  22  adeligen  Gütern  von  zum  Teil 
ungewöhnlichem  Um&nge  und  drei  Städten:  Lauenburg,  Mölln,  Razehurg. 

Unter  Preussen  wird  Schleswig-Holstein,  worin  seit  187()  auch  das 
anfangs  gesondert  verwaltete  Lauenburg  als  Kreis,  aber  Krt-is  H»  r/ogtnm 
Lauenburg.  aufgenonuMtu  ward,  eine  preiissisrhe  Prt»viuz.  unrrr  einer 
Provujzialregierung  und  eiiieui  Provinziailandtage;  geteilt  zum  iiehufe 
der  Verwaltung  in  21 ,  jetzt  22  Kreise,  unter  denen  zwei  städtische: 
Kiel  und  Altona.  Von  den  alten  Aemtem  und  Landschaften  sind  wenig- 
stens dem  Namen  nach  eine  Anzahl  erhalten:  Haderslelten,  Apenrade, 
Sonderburg,  Flensburg,  Schleswig,  Eckemförde,  Tomleni.  Husum.  Eider- 
stedt,  Kiel,  Plön,  Oldenburg,  Rendsburg,  Segeberg,  Stormarn,  Norder- 


588 


Jansen, 


[62 


dithmarschen ,  SlUlcnlitliiniirsclien.  Steinbur«^,  Pinneberg,  Herzogtum 
Laiif-nhurg.  Zum  Holiutr  tUr  (uTechtigkeitspflegc  bestehen  70  Amts- 
gerichte, vertoilt  :iuf  die  drei  Landgerichte  Flensburg,  iuei  und  Altona, 
unter  einem  Oberlaiulesgericht. 

Bedeutende  Veränderungen  traten  durch  die  Aufnahme  in  das  grosse 
südliche  Reichszollgebiet  und  Reichspostgebiet  ein  in  dem  ganzen  Ver- 
kehrswesen, besonders  im  Warenverkehr.  Alte  Verbindungen  mussten 
abgebrochen,  neue  geknüpft  werden.  Wo  das  letztere  nicht  gelang, 
z.  B.  in  Kappeln,  in  Amis  ist  Stillstand  und  Hückgang  eingetreten. 
Die  Zutrkraft  der  (n-ossKtädte  wh'kt  bei  dem  freien  und  erleiehterteu 
Verkehr  aul  die  kieiaereii  iiaeliteilig  ein;  nur  au  einzelnen  runkteu  ist 
ein  Au&chwung  bemerkbar.  Die  BeTöIkenmg  hat  teils  durch  das  natür- 
liche Anwachsen,  teils  durch  Einwanderung  erheblich  zugenommen; 
eine  Zuwanderung,  welche  einigen  PlStxen  aus  den  alten  preussischen 
Provinzen,  besondei-s  aus  Ostpreussen.  sodann  aber  auch  aus  Schweden  und 
selbst  aus  Dänemark  einen  nicht  ganz  unl)edeutfiitlen  Bruchteil  ihrer 
arbeitenden  Bevölkerung  zugeführt  hat.  Eine  Mischung  des  Sachseu- 
stammes  mit  andern  germanischen  oder  halbgermanischen,  slavischen 
Elementen,  eine  der  Masse  unbewusste  Duich&ngung  der  lutherischen 
Kirche  des  Landes  mit  «evangelischen",  d.  h.  unierten  Bestandteilen^ 
neben  denen  Katholiken  und  Juden  zahlreicher  werden,  eine  Verände- 
rung auf  dem  Gebiete  der  Sitte,  endlich  eine  immerliin  nur  noch  leise, 
aber  doch  wahrnehmbare  Zersetzung  des  niedri  deutschen  Sprachgebrauchs 
sind  Folgen  jener  politischen  Veränderung  gewesen;  Folgen,  die  an  Um- 
fang wie  Bedeutung  weiter  sich  entwicktBln  werden. 


ni.  Ergebnisse. 

1.  Die  Natur  und  Lage  der  cimbriedien  Halbinsel  liedingt  die 
Kreuzung  zweier  Hau]itrichtungen  des  gesamten  Völker-  und  Menschen- 
Verkehrs,  der  sieh  ül»erhaupt  je  aut  ihr  bewegt  hat,  der  Wanderungen 
sowohl  als  der  Keisen:  Nord-Süd,  Ost- West.  Beide  haben  notwendig 
eine  Gegenrichtung:  Süd-Nord,  West-Ost 

"Molche  dieser  Strömungen  jedesmal  die  ursprüngliche  gewesen  ist, 
lässt  sich  nicht  mit  Sicherheit  entscheiden;  jedoch  deuten  Zeichen  und 
Verhiiltnisse  allgemeiner  Art  darauf  hin,  dass  die  Einwanderung  TOn 
Osten  und  zwar  zu  See  und  Lande  und  die  von  Norden  die  frühere, 
die  von  West  und  Südwest  zur  See,  die  von  Süden  zu  Lande  die  spätere 
gewesen  ist. 

Auf  das  unzweideutigste  bezeugen  die  Ueberbleibsel  der  Urzeit 
eine  Scheidung  der  Bevölkerung  in  eine  dstliche  und  eine  westlidbe, 
eine  der  Ostsee  und  eine  der  Westsee  zugewandte,  eine  dichtere  und 
eine  spärlichere,  getrennt  durch  weite  und  •  unwirtliche  Niederungen. 

Ausdriu  klielie  geschichtliche  Nachrichten  und  glaubliche  geschicht- 
liche Analogien  gestatten  die  Anualime,  dass  die  Halbinsel  viele  Jahr- 


63] 


Poleog»phie  der  cimbriadiai  Halbnuel. 


589 


hunderte,  vielleicht  Jalirtausende  vor  Christi  Geburt  in  ihren  höheren  und 
festeren  Teilen  hewdhnt  und  au.sreichend  bev/ilkert  Lrewosen  ist.  Eine  andere 
als  ,8cythische".  d.  Ii,  germanische  Urbevölkerung  ist  niclit  n!i<  ]nveisbar. 

Im  5.  Jahrhundert  ist  eine  skaudinavische  Einwanderung  von 
Norden  und  eine  sUmache  Ton  Osten  mit  Sicherheit  anzunehmen.  Der 
erstere  der  beiden  StrSme  kommt  ieik  an  der  Widau,  teils  an  dem 
Abschnitt  Schlei-Treene  zum  Stehen;  der  zweite  macht  an  der  West- 
grenze  der  Insel  Land  Oldenburg  nur  vorüber^nluiid  Halt  und  dauert 
die  folgenden  Jahrhundt-rte  weiter  fort,  bis  er  ungefähr  das  Gebiet  des 
Geschiebethous  eingenommen  hat. 

Die  zweite  £iiiwanderungs-  und  Besiedlungsperiode,  veranlasst 
durch  die  Gestaltung  einer  romanisch-germanisäen  Weltmonarchie, 
beginnt  mit  dem  Ende  des  8.,  Anfimg  des  9.  Jahrhunderts  und  dehnt 
sich  in  ihren  Nachwirkungen  Ober  das  10.  und  11.  Jahrhundert  aus; 
die  dritte  fällt  in  das  12.,  die  vierte  in  das  13.;  die  fünfte  folgt  erst 
im  17.  Jalirhundert. 

Die  erste  betrifft  uur  den  holsteinischen  Osten,  die  zweite  den 
Westen  und  Südwesten,  die  dritte  mehr  das  Innere  und  das  Orenzland 
gegen  die  Ostzone,  die  vierte  vorwiegend  ^e  Ostkflste,  doch  auch  den 
Westen,  die  letzte  spielt,  von  Friedezida  abgesehn,  im  Westen  allein, 

DieSlaven  bauen  vorwiegend  Bnrj^en  und  RriU  kenkrjpfe.  die  Franken 
Burgen  und  Kirchen,  das  12.  Jahriiundert  gleichfalls  Burgen,  Kirchen 
und  Klöster,  das  13.  Kaufstädte  und  Klöster,  das  17.  Freistädte.  Als 
innere  Triebfedern  erscheinen  zunächst  das  Bedürfnis  der  Ausbrei- 
tung und  Landerwerbung,  dann  nationaler*  Gestaltungsdrang,  weiter 
teils  der  fiirstlich-partikularistische  Zug  der  deutschen  Entwicklung 
teils  das  kräftig  aun)lühende  Städtewesen,  endlich  wieder  fürstliclie 
Reform-  und  Herr^t  lialtsjjolitik :  begleitend  aber  und  mitwirkend,  oft 
selbst  bestimmend  kuninit  in  allen  drei  mittleren  Perioden  der  missio- 
narische Drang  der  katholischen  Kirche,  in  der  letzten  das  religiöse 
FreiheitsbedOrfeis  der  evangelischen  in  Betracht,  das  seihst  noch  den 
einzigen  verein/eltt  n  Spätling  unter  den  Ansiedlungen  Schleswig-Holsteins 
im  achtzehnten  Jahrhundert,  Christiansfeld,  erzeugt. 

Massgebend  aber  er<rhf^int  in  der  ersten  Periode  nationaler  IiT^tinlct, 
in  der  zweiten  kaiserlich»-  Staatsweisheit,  in  der  dritten  das  ritterliche 
und  fürstliche  Interesse,  in  der  vierten  der  bürgerliche  Thätigkeitsdrang, 
in  der  letzten  wieder  ilbstliche  Politik. 

Innerhalb  des  einmal  feststehenden  Rahmens  der  Ansiedlungen 
haben  im  Laufe  der  Zeit  durch  Zuwanderung  in  bestimmte,  vorzugs- 
weise gesuchte  Punkte  bedeutende  Veränderungen  stattgefunden,  im 
Mittelalter  an  der  Ostsee,  in  der  neueren  Zeit  an  der  Westsee,  beide 
Male  aber  am  Fusse  der  Halbinsel  hervorragende  Anhäufungen  ver- 
kehrender wie  sesshafter  Menschen  veranlasst. 

Ton  Nationalitäten  sind,  soweit  sie  Überhaupt  als  solche,  d.  h.  als' 
grundverschieden  angesehen  werden  können,  vorzugsweise  nur  zwei  be- 
teihgt,  die  skandinavisclu-  und  die  deutsche,  richtiger  die  Nord-  und 
Südgermanen:  von  den  letzteren  diejenigen  Stihnnie,  welche  die  süd- 
westliche Hälfte  (h  r  kontinent^ilen  Basis  der  1  lalbinstd  beNvohnen;  von 
der  östlichen  Verlängerung  der  Basis  ist  nur  vorübergehend  die  slavische 


540 


Jansen, 


[64 


Nation  eingedrungen.   Die  Grenze  zwischen  den  betd»i  germanischen 

Stäniiiien  ist  im  Westen  die  untere  Widau  ins  auf  den  heutigen  Tai: 
geblieben;  im  Osten  Jahrhunderte  hindurch  die  Schlei  und  der  Eckem- 
förder  Meerbusen  gew<'sen,  ciber  ni(  ht  geblieben;  nur  in  der  wenig  be- 
lebten Mitte  des  Landes  springt  noch  ein  dänischer  Keil  bis  zur  mittleren 
Treene  vor,  von  Friesen  und  Angeln  westlich  und  östlich  überflügelt. 
Die  ganze  Scheidung  istak  eme  geschichtlich  entwickelte,  nicht  nrsprüng- 
lichOf  Ton  wenig  grosserer  Bedeutung  anzusehen,  als  der  Abstand  zwischen 
andern  deutschen  Stämmen  auch.  * 

Die  Verteilung  der  Bewohner  über  das  in  Rede  stehende  n«'Vtiet 
.  ist  bis  hl  Ute  im  wesentlichen  diesrlhe  wie  in  den  ersten  erkennbaren Urz»it»  n. 

'2a.  Die  Bevölkerung  häui't  sich  zunächst  in  der  Läugeurichtuug 
auf  dem  ganzen  OstfOfOrtel,  und  zwar  in  steigendem  Masse  je  weiter 
nach  Süden;  hftuft  sich  seit  HersteUung  und  Sicherung  der  Deiche  in 
dem  Marsch  sau  rae  wiederum,  je  weiter  nach  Süden,  desto  mehr;  ist 
spärlich  und  dünn  m  der  grösseren  westlichen  Hälfte  von  Jütland  süd- 
hch  des  Lümijords,  in  der  Mitte  Schleswigs  und  der  nördlichen  Mitte 
Holsteins.  In  der  südlichen  Mitte  Holsteins  nimmt  sie  aliniäiilich  zu, 
steigt  dann  an  der  Elbe  und  um  Hamburg  herum  bis  zu  einem  Grade 
der  Dichtigkeit,  der  nirgends  sonst  mehr,  am  entferntesten  nicht  in 
Schleswig  und  Jütland,  erreicht  wird  * 

2b.  In  der  Querrichtung  treten  Wert  und  Bedeutung  der  drei 
geschichtlich  gesonderten  Teile  der  Halbinsel,  sei  es  nach  ihrer  Be- 
legenheit inncrhiilb  des  Ganzen,  s*  i  t  s  nach  ihrem  Boden,  in  der  ver- 
schiedenen Dichtigkeit  der  Bevölkerung  sehr  sprechend  hervor. 

Es  hat  nänüich*): 


Fänwohner  insgeiamt 

Auf  die  QuadratDV'ib' 

Iteflen 

1870  bes.  71 

1880 

18» 

|l870bM.Tl 

ISB»    )  UM 

Jfltland   .   .  . 

8cb1eswi<,'    .  . 

a)  Hrzpt.  Hohtfin 

b)  I.diienliurK 

et  Kutin  .    .  . 
dl  IlHinburt; 
(ohne  Hitzebiitfel) 
«)  Lubek 

Land  Holstein . 

460 

158 

ii4 

1 

778  119 

403  568 

ri!»a  1  SS 

4'.»  OfMl 

5»  15a 
1060218 

1048  511 
418318 

{  718831 

11-» 

63571 

1264062 

400 

719801 

S4  719 
.jll  IM 

iil  UM 

1862846 

1 

1713 
2554 

1  bis 

2271 
2647 

«Es 

■ 

TOM 

M  Havn  ^PiMiiilatiiin^  Kart  over  d«'t  Dnnske  Monarki  1845)  unt-  r- lu'idct 
Gebiete  mit  weui^^er  uls  lOOO  Einwohueru  in  Uolstein  von  der  ä^ebei-(;er  iieide 
spitz  snlaofend  bu  sfldOstHch  von  Rendsburg,  in  Schleswig  von  Treja  acb  ver- 
brt'itimid  bis  an  die  Nipsau,  in  .Tütland  mdhr  als  dif  wf>tli(>be  Tliilfto.  ausgenomiuen 
nur  die  Küsten  und  Inseln  des  LümQord  and  das  nördhche  Dreieck;  sodann  Ge- 
biete mit  mehr  «la  2500  Einwohnern  in  Holstein  die  Manch  und  den  Osten  mit 
eiinr  Ausnahme  zwischen  Neustadt.  Eutin  und  Land  (^Idenbur^' .  in  Land  Oldi'n- 
burg,  in  Schleswig  die  sOdlicbe  Marsch  und  die  Ualbinüein  bis  bundewith,  von  den 
Inseln  FOhr,  Alsen  und  halb  Fehmarn,  in  Jfltland  den  Osten  bis  Aaihos;  Gebiete 
mit  mehr  als  4000  nur  in  Holstein,  nilmlich  den  Elltrand  der  Marsch,  Hamburg. 
Labek  und  Kiel  mit  Umgebung,  namentlich  die  ProbsteL  Alles  übrige  blieb  zwi- 
Stilen  lOOO  und  2500  Einwohnern. 

Die  folgende  Uebersicht  ?  .  ruht  teils  auf  amtlichen  Veröffentlichiinrr.-'n. 
teils  auf  freundlichen  Mitteilungen  der  betreffenden  statistischen  Aemter  in  Kopen- 

( 


j  ^H)i 


Poleogiaphie  der  cimbrisdien  HalbiiiMl. 


541 


Noch  immer  also  steigt  die  Bevölkerungsdichtigkeit  mit  der  südlicheren 
Lage ;  aber  der  Unterschied  zwischen  Jütland  und  Schleswig  ist  in 
rascher  Ausgleichung  begriffen:  hatte  Schleswig  1870  noch  841  Men- 
schen mehr  auf  die  Quadratmefle,  hat  es  1880  nur  noch  376  mehr 
und  ist  seitdem  noch  um  rund  1 7  000  Einwohner  zurückgegangen. 
Dagegen  hat  Jütland  mit  der  Zunahme  des  holsteinischen  Gesamt- 
gebietes nicht  Schritt  gehalten;  1870  hatte  das  letztere  8772  Menschen 
auf  die  Quadratmeilo  melir,  1880  .schon  4241.  Die  Einwirknn«;  der 
politischen  Veränderungen  aui  diu  Besiedlung  der  Halbinsel  tiitt  deut- 
Hch  heraus.  Ffir  die  Folgezeit  ist  eine  Ueb^ügelung  der  Mitte  durch 
die  dänische  NordhaMte  der  Halbinsd  und  ein  noch  stärkeres  Zurück- 
treten derselben  gegen  den  Süden  zu  erwarten;  eine  UeberflOgelung 
des  ganzen  Schleswig  -  Holstein  aber  durch  Jütland  hegt  ausser  der 
rechnungsmässigen  Wahrscheinlichkeit.  iG<»  Quadratmeilen  jütischen 
Bodens  tragen  jetzt  rund  1  lOOOOOEinwohuer,  352  Quadratmeilen  schles- 
wig-holsteinischen Bodens  1  770  000.  Die  Bedeutung  der  cimbrischen 
Hfdhinael  nimmt  nach  wie  Tor  ab  mit  der  Entfernung  Tom  Körper  des 
Weltteils,  die  der  skandinavischen  und  griechischen  steigt. 

2  c.  Die  Zunahme  der  Bevölkerung  trifft  die  verschiedenen  Teile 
und  Punkte  der  Lande  in  sehr  ungleichmässiger  Weise;  am  stärksten 
w"-hsen  im  allgemeinen  die  Städte.    Es  hatten^): 


•7.  IftTl  ' 

[  18 

80 

1  1885 

landL  Bev. 

städtUctM  1 

atädtuche 

iländl.  Bev. 

atädtiaebe 

Jütland  .... 

677  857 

110  262 

729  368 

319  148 

Schleswig     .    .  . 

315  830 

87  738 

806  236 

112  082 

298  475 

102  457 

a)  Herzoet.  Holstein 

b)  Laaenbarg 

3ti3  931 
r.  5«o(>o 

13  000 

1 426  aoo 

2di  6SI 

437  m 

318  006 

c)  Kutin  .... 

30  653 

3  700 

30  571 

4  574 

30  053 

4  666 

d.  Jliimluirf; 

(okne  Uiuebüttel) 

33  3 16 

2'.);)  17!» 

3R  38« 

410  127 

39  767 

471411 

e)  Lübeck     ■    .  . 

r.  10  464 

It  701 

in  :m 

67  06.5 

Holstein  .... 

474  384 

ÖÖÖÖ34  j 

ÖU3  945 

760  117 

1  517  698 

845148 

Sehleswig  •  Holstein 
inkL  Hamborg  etc. 

790  2U 

678572 

1  810281 

872199 

816178 

947605 

Auch  hier  zeigt  sich  ein  Zurückbleiben  Schleswigs  rrpppn  Jütland 
und  gegen  Holstein.    JUtlands  städtische  Bevölkerung  bildet  zu  der 


bagen,  Oldenburg,  Hamburg  und  LQbek.   In  Jtitland  ist  1885  kenne  Zfthluug  er- 

folgt.  Das  Jahr  1870  I  tziiht  sich  auf  die  d&nische,  1871  auf  die  deutsche  Zlihlung. 
Unter  ,Land  Uoletein*  ist  das  hamburgische,  lübscbe  und  eutinisobe  Gebiet  mit 
befiuRi   Die  Angaben  fllr  1885  sind  sogen,  vorläufige. 

')  Da.s  Verliiiltnis  di  r  ländlichen  und  Btädtischen  Bevölkerung  ist  hier  auf 
Grundlage  der  amtüchon  Listen  und  deren  Unterscheidung  swiscben  Städten  und 
Flecken  einerseits,  Laudgt lueinden  andererseits  bestimmt.  Die  folgende  Tabelle 
(S.  543) ,  in  der  unterschiedlos  alle  grösseren  Orte  mit  2000  Kinwobneni  imd  ÜM- 
ftber  zusammengestellt  ^ind,  muss  etA^as  andere  Ergebnisse  liefent. 

8o  die  Angabe  des  statistischen  Bureaus  m  Kopenhagen.  Wie  die  allzn 
grosse  Differenz  gegen  das  Ergebnis  auf  8eite  543  za  erklären  ist,  vermag  icb 
nicht  zu  sagen.  Die  entsprechende  für  die  schleswigschen  und  hol.steini.schen  Städte 
ist  klein  genug,  um  »ich  aus  der  Weglassung  der  Orte  unter  2000  Einwohnern  zu 
erkl&ren. 

VoncAraiigsa  rar  dsvtoehsB  LMidts-  vmA  TolkSlnnAt.  I.  t.  87 


542 


JiMsen, 


[66 


ländlicheü  1870  etwa  ein  Seclistel,  1880  schon  nähert  sie  sich  der 
Hälfte;  Holsteins  städtische  BeTölkenmg  übersteigt  schon  1871  die 
läDdliche  um  rund  100000,  1880  um  rund  250  000,  1885  um  rund 
820  000;  in  Schleswig  ändert  sich  das  Verhältnis  wenig:  1870  haben 
die  Städte  etwas  mehr  als  ein  Viertel  der  Landbevölkerung,  1880  und 
1885  etwas  m»hr  als  ein  Drittel. 

Schleswig -Holstein  ziisaramen^jrfnommen  hat  1871  noch  einen  Ueber- 
schuss  der  ländhcheu  Bevölkerung  von  rund  170000  Menschen,  1880 
bleibt  bereits  die  ländUche  gegen  die  siftdtische  um  rund  62000,  1885 
gar  um  131000  zurück. 

2d.  Die  Belegenheit  derjenigen  Ansiedlungspimkte,  in  welchen 
sich  die  Bevölkerung  in  mehr  oder  minderer  Dichtigkeit  znsamraendränfrt. 
entspricht  t]eii  oben  aufgestellten  Gesetzen,  wie  nachstehende  Tabelle  'j 
anschauhch  machen  wird. 

Au&  schlagendste  tritt  uns  der  Zug  entgegen,  der  die  Mensdien 
an  das  Element  des  Lebens  und  der  Bewegung,  das  Meer,  zieht  Von 
den  72  Städten  oder  stadtartigen  Orten  liegen  56  teils  am  Meere,  teils 
in  wirksamer  Verbindung  mit  ihm,  teils  doch  in  seinem  Bereiche,  nur 
16  in  der  Mittelzone,  auch  diese  fast  ausnahmslos  an  Flüssen  oder 
Seen.  Von  ihnen  allen  kommen  auf  Holstein  allein  11,  auf  Jütland  5, 
das  schmalere  Schleswig  hat  keine  einzige.  Die  Zahl  ihrer  Einwohner 
ist  gering:  18  haben  zwischen  2000  bis  über  7000  Einwohner;  von 
den  3  erheblich  grösseren  stellt  Bendsburg  einen  wichtigen  Flussüber- 
gang und  eine  Strassenkren/img,  Neumünster  einen  Knotenpunkt 
mehrerer  Wege  dar,  Wandslxk  nährt  sich  von  der  nahen  Grossstadt. 

Von  den  beiden  Gestadezonen  übertriflPb  die  östliche  an  Zalil  der 
Niederlassungen  die  westliche  mit  34  gegen  22;  dennoch  aber  an  Be- 
TÖlkerungsmenge  die  westliche  die  Ostliche  1880  mit  597397  gegen 
318499  um  fast  die  Hälfte. 

Der  Flächeninhalt  von  Schleswig -Holstein  zu  dem  TOn  Jütland 
verhält  sich  etwa  wie  3:4;  die  Zahl  der  Städte  aber  wie  49  :  21, 
d.  h.  wie  7  :  3.  Schleswig,  ungefähr  V'  Jütland,  steht  an  Zahl 
der  Städte  wie  G  :  1 1 ;  wenn  man,  wie  geographisch  richtig  wäre,  Ripeu 
zu  diesem  Herzogtum  rechnet,  noch  etwas  günstiger.  Holstein,  an 
Qnadratmeilenzahl  zu  Jtttiand  etwa  wie  8 :  8,  verh^  sich  an  Zahl  der 
Städte  wie  39  :  21,  d.  h.  nahezu  wie  2  :  1. 

In  der  Grösse  der  Weststädte  jQtlands  und  Schleswigs  zeigt  sich  ein 
gt'wisses  Gleichgewicht;  jedoch  liegt  die  eine,  welche  erheblich  grösser  ist. 
nack  dem  Süden  des  Landes  zu,  wo  auch  die  Zahl  derselben  sich  häuft. 
In  Holstein  bleiben  von  den  Wuststädteu  nur  4  unter  4000  Einwohnern  und 
2  unter  6000  Einwohnern;  Heide,  Itzehoe,  Ottensen,  Altona,  Hamburg 
steUm  eine  wahrhaft  reissende  Steigerung  von  rund  7000  zu  10000, 
zu  20  000,  zu  100  000,  zu  fast  500  000  dar.  Bie  Bedeutung  des  Knoten- 
punktes, der  Länge  und  Belebtheit  der  hier  sich  Terdichtenden  Strassen, 

*)  Aufgonomm-Mi  sind  unter  die  grösseren  Orte  alle,  welche  1885  mindestens 
2000  Einwohner  luitton.  für  Jlltlaad,  welche  sie  nach  der  WahrBcheinlichkeitsrechnunj? 
haben  innuHtt^n.  Di*^  Abgrenzung  zwischen  Westen,  Mitte  und  Osten  ist  teils  nach 
dem  Verkaiinis  zur  Kostet  teils,  namentUch  in  Holstein,  auch  mit  nach  der  Bodenart 
und  den  Verkehrabeiiehungen  gelarofFen. 


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Poleographie  der  oimbrischflii  Halbinael. 

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544  Jansen,  68] 

die  durch  Europa  und  durch  alle  Meere  führen,  fällt  mit  grosser  Deut- 
lichkeit in  die  Augen:  der  in  seiner  Art  einzige  Ansiedlnngspunkt  an 
der  bezeichneten  Mbüberganga«  und  Wendestelle    mit  seinen  rond 

GOO  OriO  Eiinvohnem  hat  mehr  als  halb  so  viel  Einwohner  wie  ganz 
Jütland.  fast  lialb  so  viel  wie  das  ganze  Herzogtum  Holstein.  200  000 
mehr  als  «las  iranze  Ht  rznnftum  Schleswig,  und  nur  etwas  weniger  als 
den  vierten  Teil  der  gunzcu  cimbrischen  Halbinsel. 

Auch  an  der  OstkOste  lisst  sich  eine  Zunahme  nach  SOden  in  der 
Grösse  und  Bedeutung  der  Städte  nicht  verkennen.  Aber  sie  ist  hier 
zu  allen  Zeiten  eine  allmählichere  gewesen  und  hat  nach  den  vor 
zwei  Jahrzehnten  eingetretenen  Veränderungen  begonnen  sich  zu  ver- 
wischen. Aarhus,  Flensburg,  Eiel,  LUbek  stellen  diese  Steigerung  dar: 

1870            1880  1885 

Aarhus                          15  075  21  831  29  263 

Flensburg     .    .    .    .    21  325  30  956  33  009 

Kiel                            31  747  43  594  51  699 

Lttbek                        39  743  51055  55  399 

2e.  Hödist  beachtenswert  nämlich  ist  der  Aufschwung  der  jüti- 
schen Stödte.  Während  auch  von  den  kleineren,  soweit  sie  hier 
genannt  sind,  von  1870 — 1880  keine  ^nzige  zurückgegangen  ist,  zeigen 
eine  erhebliche  Anzahl  der  grösseren  ein  Uberraschendes  Wachstum. 
Aus  dem  Nichts  hervorgerufen  ist  der  Westseehafen  Esbjerg.  der  von 
30  Einwohnern  18(50  auf  1529  Einwolincr  1880  gestiegen  war  und 
jetzt  die  2U00  tiberschritten  haben  wird.  Aarhus,  1769  nur  noch 
4156  Einwohner  gross,  zählte  1801  deren  4202,  1855  schon  8891, 
hatte  sich  also  damals  in  86  Jahren  verdoppelt;  von  11009  im  Jahre 
1860  ist  es  1880  auf  24  831,  1885  auf  29  2(33  gestiegen»),  hat  sich 
mithin  in  20  Jahren  mehr  als  verdoppelt,  in  25  fast  verdreifacht.  Hatt« 
es  von  1860 — 1870  um  rund  36  also  jährlich  etwa  um  3'/«  V  zuge- 
nommen, ist  es  1870—1880  um  65  «/o,  jährlich  um  ö'/s  %,  1880—1885 
freilich  nur  noch  um  17,74^1  ^-  h.  jährh'ch  um  3,5  */o  gestiegen.  Die 
bedingenden  und  erzeugenden  Ursachen  des  Verkehrs  und  der  Ansied- 
lungen  zeigen  sich  in  diesem  Falle  mit  besonderer  Deutlichkeit,  l^ie 
ersteren  beruhen  in  der  Belegenheit  der  Stadt  auf  der  Mitte  d<r  dem 
Hauptlande  des  Staates  zugewandten  Seite,  welche  Lage  seit  der  Ab- 
trennung vom  büden  gleich  der  Glitte  einer  Gestadeinsel  wirkt  (vgl. 
S.  481  I,  1,  c  u.  II,  3,  b  und  Bedingtheit  S.  25);  ausserdem  in  den 
vergleichsweise  gllnstigen  Verhältnissen  des  betreffenden  Fahrwassers 
und  des  Hafens;  die  erzeugenden  in  dem  entschlossenen  Willen  des  däni- 
schen Volkes,  durch  die  Verkleinerung  des  Staatsgebietes  sich  nicht  ent- 
muticfpn.  sondern  nur  zu  verdoppelten  Anstrengungen  aufrufen  zu  lassen 
und  den  skandinavisch-dänischen  Handelsverkehr  nach  Müfrlichkeit  von 
der  Südrichtung  durch  die  entfremdete  cimbrische  Balbmsel  m  die  Quer- 
richtuug  zu  werfen,  um  ihn  vermittelst  eines  erstsu  schaffenden  BaCeoB 
an  der  einzigen  einigermassen  gOnstigen  Stelle  des  Westmeeres*  auf  den 


Diese  Angabe  verdanke  ich  der  frenadliehen  Mitftnluug  des  Stadtrats  von 
Aarhu«,  der  1885^  eine  Srtliebe  Zftliling  am  dgcnem  Antriebe  vorgenommen  hat. 


09] 


Poleograpliie  der  cimbrischeu  Halbinsel. 


545 


geraden  Weg  nach  England  zu  leiten.  So  ist  der  Abstand  zwischen 
Aarhus  und  Flensburg,  welches  in  Schleswig  genau  denselben  Punkt 
darstellt  und  tjleiche  oder  noch  günstigere  Verkehrsbedingungen  hat, 
wie  Aarhus  in  Jutland,  von  6000  im  Jahr  1870  auf  rund  4000  herab* 
gegangen  im  Jahre  1885. 

Andererseits  hat  Flensburg  Wachstum  auch  nicht  Schritt  zu 
lialten  Termocht  mit  dem  von  Sid. 

Flensburg  hatte  an  der  Blüte  des  dänischen  Handels  während  des 
amerikanischen  ünabhängigkeitskarapfes  und  der  Revolutionskriege  bis  1807 
einen  hervorragenden  Anteil.  Während  dalier  fast  alle  kleineren,  auf  vSchilf- 
fahrt  und  Handel  mit  dem  Norden  aufgewiesenen  Stiulte  Fehles wigs  die 
Trennung  von  Dänemark  schwer  empfunden  und  meist  mit  einem  sofortigen 
oder  beifügen  Rückgang  erkauft  haben,  konnte  Flensburg,  gestOst  anf  alten, 
gediegenen  und  wohl  gewahrten  Reichtum,  sich  neue  Erwerbswege  er- 
öffnen. 1769  hatte  Flensburg  6842  Einwohner,  eine  Zahl,  die  Kiel 
erst  1781  erreicht  haben  wird;  1803  war  Flensburg  bereits  auf  10  666, 
lH:i5  auf  12  438  gesti.M^en;  1845  hatte  Flensburg  13  443,  Kiel  13  572 
Emwohuer;  1855  ist  Kiel  mit  16  218  Einwohnern  von  Flensburg  mit 
18875  Uberlioli;  1867  aber  schon  mit  21707  Einwohnern  auf  gleicher 
Hobe  wie  jenes  mit  21 999,  das  Militär  eingerechnet  ihm  yoraus;  1870 
bereits  hat  Kiel  mit  infolge  der  Einverleibung  des  Vorortes  Brunswik 
einen  Vorspniujf  von  rund  10000,  1880  Ton  rund  13000,  1885  Ton 
rund  18  000  Einwohnern. 

Mit  dieser  Gangart  kann  auch  Lübek  niclit  Schritt  halten.  Der 
Abstand  von  1845,  29  234  gegen  13  572,  hat  sich  1871  bereits  ver- 
mindert auf  39  743  gegen  31  747,  jetset  ist  er  von  rund  8000  auf  rund 
4000  herabgegangen  und  unter  Hinzurechnung  von  Garden,  dessen  Ein- 
verleibung in  Kiel  eine  bittere  Notwendigkeit  sein  wird,  von  Ellerbeck 
und  Diedrichsdorf,  die  im  Grunde  auch  als  „Vororte"  auLresebeu  werden 
müssen,  würde  Kiel  wohl  schon  jetzt  die  alte  Hausestadt  um  mehr  als 
9000  Einwohner  schlagen.  Auf  der  Ostseite  scheint  also,  wenn  nicht 
besondere  Unternehmungen  eine  Abloakung  der  eingetretenen  Sfardmung 
hervomfen  sollten,  die  Bedeutu^g^  Lubeks  nach  seinen  naftOrlichen  Yer- 
kehrsbedingungen  durch  die  Wirkungen  der  erzeugenden  Yerkehis- 
ursachen  überwo'Ten. 

2  f.  Beachtenswert  ist  feriu  r  die  Thatsache,  dass  in  Schleswig  und 
Holstein  seit  1880  last  alle  kleineren  Städte,  soweit  sie  nicht  in 
dem  Wirkungsbereich  einer  grösseren  liegen  oder  sonst  erzeugender 
Verkehrsbedingungen  sich  eäreuen,  im  Bflckgange  begriffen  sind'): 
Tondem,  Tönning,  Hadersleben,  Apenrade,  Sonderburg,  Schleswig, 
Kappeln,  Heide,  Meldorf,  Wüster,  Glückstadt,  Rendsburg,  Kellinghusen, 
Mölln,  Lütkenburg,  Oldeuburfj^,  TTeiliu^euliafeu ,  Burg.  Pretz,  Neustadt. 
Segebers^  sind  sämtlich  zurückgegangen  und  zwar  bis  auf  Haderskl»en. 
Pretz  und  KeUmghusen,  nachdem  sie  in  den  Jahren  1871 — 1880  emen 
zum  Teil  erheblichen  Auftchwung  genommen  hatten. 


wäre  zur  Aufklärung  der  Ursache  von  grosser  Wichtigkeit,  den  jetzigen 
BcTÖlkerungsstand  aucli  der  jütiächen  Städte  zu  kennen,  die  aber  sdhwerÜch  aUe 
wie  Aarhus  eine  Ortliche  Zahlung  vorgenommen  haben  werden. 


54G 


L70 


Ein  Warlistum  und  zwar  ein  beschleunigtes,  zeigen  haupisäcblich 
nur  Kiel  und  Hamburg,  beide  mit  den  üiran Bereiche  aogehörigen  Ort^n. 

Kiel  hat  seit  1867  die  Wirkungen  der  erzeugenden  Verkehrs- 
ursachen in  ]i()h(  m  Masse  erfahren  und  somit  die  in  seinen  bedingenden 
Gegebenheiten  ruhende  Möglichkeit  zur  Verwirklichung  gelangen  sehen 
Bis  ttber  die  RefonastioiL  Iuhsub  wird  Kiel,  auf  die  jetzige  Altstadt 
beBcbribikt,  kaum  hoher  als  auf  4 — 5000  Einwohner  anzuschlagen  sein» 
Im  Anfang  des  17.  Jahrhunderts  gibt  es  schon  einige  Häuserreihen 
ausserhall)  der  nltcn  Mauern'),  die  Anfänge  der  jetzigen  Vorstadt,  mit 
Fleethöru  und  Kuliberg.  1781  erst  zählt  die  Stadt  6(567  Einwohner» 
die  1803  auf  7(t7r>,  1825  auf  10  035,  1835  auf  1162Ü  gestiegen  sind. 
Die  Eröffnung  der  ersten  cimbrischen  Eisenbahn  1844  gab  einen  An- 
lass  zu  rascherem  Wachsen,  von  13572  (1845)  auf  16218  (1855).  In 
der  etwa  doppelt  beschleunigten  Zunahme  von  18  695  auf  21  707  in 
den  Jahren  1864—1867  sind  die  Wirkungen  der  preussischen  Occu- 
pation  sichtbar.  Der  folgende  Zeitraum  von  1867 — 1875  zeiV^t  fm 
Wachsen  von  zusammen  rund  42  "/o,  d.  h.  jährlich  5,2  "  n :  der  letzte 
von  1875 — 1885  nur  noch  ein  Steigen  von  37  246  auf  öl  707,  d.  h.  im 
Ganzen  um  rund  88  Vi  jährlich  um  nicht  mehr  ganz  4%.  Wenn  die 
Stadt  also  mit  Aarhus,  das  ^  1870—1880  um  6Vt>  jShrlich  ge- 
wachsen ist,  bei  all«r  Gunst  der  Verhältnisse  keinen  Sdiritt  zu  halten 
vermocht  hat,  so  werden  die  erzeugenden  Bedingungen  des  Verkehrs 
dort  als  noch  günsti^'f-re  angesehen  werden  müssen. 

Der  oben  erwähnte,  durch  die  berechnende  Entschlossenheit  der 
Dänen  abgezweigte  Verkehrsstrom  geht  vorzugsweise  nach  England; 
denjenigenNord-Sfld-yerkehr  aber,  der  von  Hamburg  aus  nach  den  ißeder- 
landen,  Paris,  in  die  grosse  Welistr;is>t»  ih  s  Rheins,  nach  der  Schweiz 
und  Italien  weiter  geht,  kann  Kiel  niemand  nehmen.  Dagegen  wird 
es  nach  Einrichtunc^  der  demnächst  zu  eröffnenden  Route  Kopenhagen- 
Rostock  auch  noch  dt  njenigen  Teil  des  Nord-Süd-Verkehrs  abgeben  müssen, 
der  bisher  Uber  Uamburg  oder  Lübek  eine  südöstliche  Richtung  ein- 

')  Di<'  obige  Ausführung  ii<t ,  wie  ich  dem  Herrn  Prof.  Hahn  pcf^enOber 
hervorzuheben  genötigt  bin,  mit  dem  von  mir  ttber  Kiels  Lago  in  meiner  Schrift: 
, Bedingtheit  etc.'  Dargelegten  in  der  vollkommensten  Uebereinstimmung.  Wenn 
derselbe  (Die  Städte  der  norddeutschen  Tiefebene  S.  158)  meint,  ,im  Angesicht  des 
grossen  deutschen  Kriegshafen»  wtirde  ich  jetzt  anders  urteilen  als  18G1 wo  ich 
gewarnt  haben  soll,  „auf  jene  Eigenschaften*  (Tiefe,  Gerilumigkeit,  Verteidigun^- 
lilhigkeit)  , allzu  sanguinische Hofinmigen  m  bauen,"  so  ksum  ich  meine  Yerwundenm^ 
nicht  bergen,  wie  wenig  aufmerksam  er  meine  Darlegung  gelesen  hat.  Ich  weise 
hin  auf  S.  101 :  »Wer  bedenkt,  wa«  dieser  Winkel  der  Erde  als  Teil  eines  gro-ssen 
und  mächtigen,  freisinnig  und  hoclihorzi^^  geleitetm  Rdchea  werden  könnte,  dem 
zittert  das  Herz  entweder  vor  Freude  odi  r  audi  vor  —  Entsetzen.*  Die  eut.'^chei- 
dende  Stelle  selbst  aber  folgt  S.  103:  «Allein  auf  seine  bequeme  Tiefe  daher, 
auf  aemen  Umfang,  seine  Geschüt/theit  HoAnilDgen  unbegrenzter  Art  bauen  sa 
w<dl€n  . . .  erscheint  kühlerer  Betrachtung  sangumisch.*  Pii^  Voranstellung  des 
Worteg  gAllein",  seine  Hervorhebung  durch  den  Druck  konnte  es  doch  für  nie 
maad  nreifelboft  lassen,  was  der  Schkswig-Holsteiner  von  1861  im  Herzen  trug 
xind  wa«  er  forderte,  um  die  schlummernden  Kräfte  Kiels  in  Wirksamkeit  ge-setzt 
zu  sehen:  ein  Deutschland,  eine  deutsche  Flotte,  kurz,  die  erzeugenden  ürsachoi 
des  Verkehrs  forderte  er  zu  den  vorläufig  , allein*  vorhandenen  bedingenden  hinzu. 
Midlt  Eurückzunehmen  hal>e  ii  h  mein  I  rfeil,  icli  darf  es  als  vnll  liestätitrf  nnsdieB. 

*)  Vgl.  die  Abbildung  in  Bruma  und  Hogcnbergs  Theatiuiu  urbium. 


71] 


PoleograpUe  der-  cimbriMhen  Halbmiel. 


547 


schlug.  Ob  und  wie  weit  der  nunmehr  in  sicherer  Aussicht  stehende 
Schift'ahrtskanal  auf  die  Bevölkerungs-  und  auf  die  Handelsverhältnisse 
wirken  wird,  bleibt  abzuwarten;  gewiss  ist  einmal.  <hss  ein  Steigen 
der  BeYölkeruDg  nicht  zugleich  immer  ein  Steigen  des  Wohlstandes 
und  wahriiafte  Blflte  bedeutet,  sodann  dass  Oanst  und  Ungunst  der 
natOrlichen  Lage  durch  keine  kttnstHchen  lüttel  ganz  ihre  Wirksamkeit 
verlieren . 

Durch  die  Vorteile  seiner  natürlichen  Verkehrsbedingunjjcn  über- 
ragt der  trrosse  Verkehrsbrennpunkt  Hamburg  mit  seinen  Trabanten 
weitaus  alle  anderen.  Die  Kreuzung  der  Hauptlängenstrasse  mit  der 
Hauptquerstrasse,  die  Einmündung  beider  Iiängenstrassen  zweiter  Ord- 
nung (2  und  3)f  der  Diagonalsfarasse  von  Burg  tmd  Oldenburg  her  (III), 
Strahlen,  denen  genau  enisprechende  bei  Harburg  zusammenschiessen, 
endlich  der  End-  und  Wendepunkt  desFIuss-  und  des  Seeverkehrs,  Wasser- 
strassen, die  ihrerseits  aus  zahllosen  Fäden  eines  bezügbch  über  Deutsch- 
land und  über  die  Welt  ausg<'breiteten  Netzes  zusammengesetzt  siiul, 
führen  in  ihrem  Zusammenwirken  zu  Ergebnissen,  die  einen  Vergleicli 
mit  irgend  einem  anderen  HandelrolatiBe  der  dnSbrischen  Halbinsel  nicht 
bloss,  sondern  des  europäischen  Festlandes  nicht  mehr  zulassen. 

Ende  des  Mittekitters  nach  verschiedenen  Schiitzungen  etwa 
12—20  000  Einwohner  gross,  Ende  des  ir>.  Jalirhunderts  vielleidit 
20 — 30  DUO,  wird  die  Bevölkerung  1700  aul  ürundlajje  vorliegender 
Geburts-  und  Sterbelisten  auf  97  000  berechnet^}.  Für  1789  nimmt 
Hess  eine  städtische  Beydlkerung  TOn  96  000  Einwohnern  an,  die  unter 
Begünstigung  der  damaligen  europSischen  Verhältnisse  in  den  Jahren 
bis  180(3  als  rasch  anwachsend  anzusehen  sein  wird.  Die  Folgen  der 
französischen  Besitznahme  zeigen  sich  aber  schon  in  dem  Ergebnis  einer 
1811  vorgenommenen  Zählung,  das  nicht  höher  ist  als  rund  100  700 
Einwohner.  Im  Jahre  1821  werden  in  Stadt  und  Vorstadt  St.  Pauli 
127  985,  1835  149  520,  1845  166  916,  1855  185  G41,  1865  211038 
gezlUilt,  1871  286279,  d.  h.  also  in  50  Jahren  eine  Zunahme  Ton  rund 
110000  Einwohnern,  die  HSfen  und  Vororte  mitgereclmet  Ton  rund 
172  000.  In  den  9  Jahren  von  1866  bis  1875  ist  die  Bevölkerung  der 
Stadt  mit  Häfen  und  Vororten  von  259  134  auf  348  447  Einwohner, 
d.  h.  um  3*/5  °n  jährlich,  in  den  10  .Tahren  von  1875 — 1885  von 
348  447  auf  471411,  d.  h.  nur  noch  um  etwa  3'/t  >  jälirlich  ge- 
wachsen, ein  kleiner  Rückgang  also  andi  hior  ein^^etreten.  I)er  be- 
deutende Abstand,  in  dem  auch  Hamburg  gegen  die  Hauptstadt  Jüt- 
lands,  wenigstens  in  dem  Jahrzehnt  von  1870 — 1880  bleibt,  wird  sich 
auch  hier  mit  daraus  erklären,  dass  ein  erheblicher  Teil  des  Zuwachses, 
den  der  Kern  der  grossen  Elbstadt  eigentlich  erzeugt,  den  umliegenden 
Orts(  hatten  zu  gute  gekommen  ist  und  kommt,  welche  grösseren  Raum 
und  leichtere  Erwerbsbedingungen  bieten,  ohne  bei  der  Leichtigkeit  des 
Verkehrs  die  Vorteile  der  Grossstadt  zu  entbehren. 

2  g.  Welch  ein  Abstand  des  heutigen  Nordalbingiens  gegen  das 
▼on  etwa  dem  Anfange  unserer  Zeitrechnung !  Damals  stödtische  Ansied- 
lungen  unbekannt,  ja  nicht  einmal  geduldet:  jetast  ein  Zusammendrängen 


')  Nucb  Ireuudlichen  Mitteilungen  des  Hambarger  statiätischen  iiureatM. 


548 


jMiMn, 


der  BevölkerunfT  an  bestimmten,  begünstigten  Plätzen,  das  zn  dem 
Beieinander-  ja  Uobereinanderwolmen  unter  der  Erde,  über  der  Erde,  in 
doppelten  biä  vier-  und  fünffachen  Schichten  geführt  hat,  Licht,  Lu^ 
Atem  Itemmfc,  KzimkhdteiL  des  Leibes  und  ScbSden  der  Seele  er- 
zeugt, AuBwflchee  der  gesellBchaiÜicheii  Ordnung,  Bxtreme  des  Reidi- 
toms  und  der  Armut  hervorruft,  aber  eben  —  ist  und  bleibt. 

Und   dieses  ausserordentliche,  in  mancher  Hinsicht  bedenkliche 
Anschwellen  der  Städte  ist  erst  sehr  jungen  Datums. 

Bis   ins  9.  Jahrhundert  gibt  e.s   in  unserem   Lande  kaum  die 


wickelt  sich,  was  man  städtisches  Leben  nennea  kann.  In  den  letzten 

Jahrhunderten  des  Mittelalters  nehmen  zwar  Lfibek  und  Hamburg  ftlr 
Ost^  und  Nordsee-Gebiet  beherrschende  Stellungen  ein ;  dennoch  werden 
sie,  nach  allen  Anhalten  zu  urteilen,  mehr  als  je  20 — 30000  Einwohner 
kaum  gehabt  haben;  die  ländlieho  Bevölkerung  bleibt  die  weitaus  über- 
wiegende. Dies  Verhältuis  dauert  trotz  allmählicher  Zuuaiuue  Ham> 
burgs  bis  m  unser  Jahrhundert,  ja  bis  an  und  ttber  die  Mitte  desselben 
fort  1803  hat  Schleswig-Holstein  nach  der  damaligen  Zihinng  bei 
einer  Yolkszahl  von  604  084  nur  104447,  d.  h.  wenig  mehr  als  ein 
Sechstel  städtisdirr  Bevölkerung,  unter  Einschluss  von  Hamburg 
(rund  130000  Einwohner),  Lübek  (rund  30000),  Eutin  (rund  2."i00), 
Lauenburg  (rund  3000),  nach  mutmasslicher  Schätzung  bei  einer  Bevölke- 
rung von  rund  819000  eine  städtische  von  etwa  270000  Einwohnern, 
d.  h.  immer  noch  nur  etwa  ein  Drittel  Selbst  1875  noch,  wo  Schleswig- 
Holstein  (107392G)  mit  Homburg  (888C>1S),  Labek  (58000),  Eutin 
(34  000)  eine  Gesamtbevölkerung  von  1 555  334  Einwohnern  trlif^, 
behält  die  ländliche  mit  811  271  gegen  die  städtische  (346016  -f  348447 
-f  45  000  +4000  =)  744163  em  Mehr  von  rund  67000  Einwolun-m. 
Erst  1880  ist  das  Verhältnis  auch  für  Schleswig-Holstein  umgeschlagen: 
die  Stftdte  haben  ein  Mehr  Ton  62000,  1885  schon  von  rund  130000! 

2  h.  Auch  diese  Erscheinung,  nicht  bloss  bei  uns,  sondern  in  der 
ganzen  civilinerten  Welt,  bewährt  uns  von  neuem  das  Wechselverhält- 
nis zwischen  den  „Stätten"  und  den  „Wegen".  Die  ^Wege'"  haben 
aber  erst  seit  etwa  einem  Menschenalter  ihre  eigentliche  Aufgabe  und 
Bestimmung  der  Bewegung  in  einer  Weise  zu  erfüllen  angefangen, 
dass  jetzt  erst  der  ganze  Inhalt  des  Wortes,  der  wirkliche  Tiefsinn  der 
Sprache  in  sein  voUes,  ttbenasohendes  Licht  su  treten  beginnt  Die 
Y(  II ri  ilung  der  Verkehrsmittel  hat  eine  Leichtigkeit  und  Schnelligkeit 
der  Bewegung  ermöglicht,  diese  zugleich  eine  Zunahme  der  Verkehrenden, 
eine  Ausdehnung  des  V^-rkehrsgebietes,  eine  Verlängerung  der  durch- 
messenen  Entfernungen  und  eine  Kürzung  der  bezüglichen,  nntwni- 
digen  Zeitlristen,  das»  die  Kiuwirkung  davuu  auf  die  Ualtestätteu  niclit 
ausbleiben  konnte.  Wuchs  mit  der  LSnge  der  Verkehrswege  und  der 
Zeitersparnis  der  jedesmalige  Verkehrsbereich,  mussten  in  entsprechen- 
dem Masse  die  Züge  der  Verkehrenden  dichter  und  zahlreicher  werden. 
Städte,  die  früher  als  Herbergen  in  Betracht  kamen,  mussten  iliro  Be- 
deutung verlieren,  zu  blossen  Anhaltestellen  herabsinken,  wohl  gar  den 
Verkehr.s.strom  au  sich  vorbeirauschen  sehen.  Erst  in  weit  grösseren 
Entfernungen  fand  sich  eine  Stadt,  die  ftlr  den  so  unendlidi  erweitertea 


ersten  Ansätze  städtischer  Siedel 


Erst  im  13.  Jahrhundert  ent- 


78] 


'  Poleographie  der  cimbriMli«!!  Halbinsel. 


549 


Vorkehrskreis  einen  bequemen  Mittelpunkt  darstellte;  hier  strömte  und 
staute  sich  nun  aber  auch  die  bewegliche  Menschenmenge  in  einer  Weise 
zusammen,  dass  sie  zu  ihrer  Verpflegung,  Ausrüstung,  Ausbeutung  eine 
entsprechende  Ansiedlung  von  iiuhenden  hervorrufen  musste.  Die  Strasse, 
die  in  Hamburg  zusamniBn  laufen,  kommen  ans  allen  LSndern  Europas, 
Amerikas,  aneh  der  andern  WeltteQe,  London  ToUends  iel:  der  Mittelpunkt 
eines  Wegenetzes,  das  sich  gleichm'äsng  ausspannt  über  die  Welt. 

3.  Es  wirrl  anf^ebracht  erschoinen,  diese  Steigerung  des  Ver- 
kehrs in  mehr  audi  iiteiider  als  ausführender  Weise  durch  einige  Zahlen- 
angaben zu  verdeutlichen. 

im  Jahre  1G25  gab  es  im  dänischen  Gesamtstaate  30  Post- 
Stationen;  1801  deren  in  Dänemark  40,  Schleswig  15,  Holstein  24,  im 
Ausland  (Eutin,  Lubek,  ftunbüi^)  8,  sosanmien  82,  d.  h.  also  eine 
Steigerung  in  17(3  Jahren  von  etwas  mehr  als  dem  Doppelten.  1833 
haben  Schleswig,  Holstein,  Tiauenbiirg  zusammen  55  Poststationen,  184() 
67,  1860  75,  ausserdem  bereits  lOU  Briefsammelstellen.  Ende  1884  <^ab 
es  im  Bezirke  der  Oberpoätdirektionen  Kiel  und  Hamburg,  soweit  nordal- 
bingisches  Gebiet  in  Betraebt  kommt,  379  +  49  =  428  Postanstalten  >). 

Briefe  wurden  in  den  Herzogtümern  1838  gewechselt  1165768; 
1846  1813809,  die  Postämter  im  Ausland  eingeschlossen.  1884  sind 
in  den  Herzogtümern  aufgegeben  27  5(33  803,  ein^jec^angen  28203  305, 
zusammen  rund  56  000  000  Briefe,  d.  h.  in  noch  nicht  40  Jahren  eine 
Steigerung  um  mehr  als  das  Dreissigfache! 

Wertsendungen  kamen  im  Cresamtstaat  Dänemaik  1838  Über 
34  ICniionen,  1846  aber  59,  1860  Uber  115  Hillionen  Reichsbankthaler 
vor;  1884  sind  in  den  Herzogtümern  (Hamburg,  Lübek ,  Eutin  einge- 
schlossen) Wertsendungen  allein  aufgegeben  291  708  4(38  Mark,  einge- 
gangen 236  846079  Mark,  Postanweisinif^'en  eingezahlt  106  914  704  Mark, 
ausgezahlt  83061987,  ein  Gesamtbetrair  v,,ri  rund  719  000  000  Mark. 
Schätzen  wir  den  Anteil  der  Herzogtümer  an  dem  Gesamtverkehr 
Dänemarks  für  1860  auf  etwas  mehr  als  ein  Drittel,  d.  h.  auf  rund 
40  Millionen  Reichsbankthaler  und  rechnen  den  von  Hamburg,  Lttbek, 
Entin,  soweit  er  nicht  durch  die  dänischen  Postämter  vermittelt  sein  mag, 
noch  mit  rund  8  Millionen  hinzu,  d.  h.  also  auf  108  Millionen  Mark, 
so  würde  sich  in  24  Jahren  eine  Steigerung  von  ungefähr  dem  Sieben- 
fachen ergeben. 

Am  erstaunlichsten  ist  die  Zunahme  des  PersonenTerkehrs. 

1833  noch  yerkehrten  im  dänischen  Geeamtstaat  mii  der  Post 
nur  8290  Personen*).  Die  Einfahrung  von  „Diligencen"  auf  mehreren 
Strassen,  die  Verbesserung  der  Warden  durch  Federn  steigerten  diese 
Zahl  in  den  folgenden  Jahren  merkbar.  1834  z.  B.  um  24  */o,  auf  10344, 
1842  gegen  41  um  61  "/o,  auf  41  569  Personen.  Die  EröfTnung  der  ersten 
Eisenbahn  Kiel-Altona  1844  machte  sich  sofort  geltend  in  einem  Sinken 
der  Zunahme  yon  31  auf  7  ^/ft  noch  im  Jahre  1844,  obwohl  die  Erö&ung 


')  Diese  und  die  folgenden  bezÜgUohen  Angaben  verdanke  ich  der  freund- 
lidien  Bereitwilligkeit  des  Herrn  Oberpcmdirektorä  Hafiftdel  in  Kiel. 

')  Urher  icbt  über  den  Pottongaog  etc  Benoht  an  den  Finaninninirter  tooi 
Oenendpostdirektor  1862. 


550 


JftnMn, 


[74 


am  18.  September  stattiand.  DeDDOch  beniitztcii  184»)  schon  r)4  7G4 
Personen  die  I'ost;  1800  121  812,  davon  in  den  Herzogt iiniern  41241, 
also  rund  der  dritte  Teil,  so  dasa  liier  1833  etwa  2700,  1840  etwa 
21000  werden  befördert  sein* 

1884  war  das  nordalbingische  EieenbahnnetB  bereite  so  entwickeli» 
(Iri'^s  nur  noch  18090  Personen  sich  auf  die  Postwagen  angewiesen  nben. 
Dafür  beförderten  die  Eisenbahnen  iblgende  Zahlen  0: 


A.  Die  Privatbahnen. 


1,  Schleswig-Brarup   C4  753 

2.  Altona-Kaltenkirchen  ....  122000«) 
8.  Lübek-Travcmünde    ......  157  834 

4.  Lübek-Büchen   191  429 

5.  Lübek-Eutin   243  572 

6.  NeomDnsteT'Tönmng     ....  261 401 

7.  Kiel-Eckernt(irde-FIen.sburg »)     .  304  483 

8.  Holsteinische  Marschbahn  .    .    .  46ti  f>;U 

9.  Lübek-Hamburg   C7u  190 


2  482  596 


B.  Die  Staatabahnen. 

10.  a)  Betriebsamt  Flrasburg: 

angekommen    .    000  900  *) )  ,  ^oi  aaa 

a>)gegangen  .    .    604  700    5  ^  ^ 

b)  Betriebsamt  Kiel: 

angekommen  .  1,015  400  j  n  na?  7aa 
abgegangen.   .    1 02230oM  ""^"^^ 

c)  Betiiäsamt  Hamburg: 


7  839  100 
dazu  .    .    2  482  596 


Summa  .  10  321696 


Von  1884  also  bis  1884,  in  einem  halben  Jahrhundert,  ist  die 
Zahl  der  dnreh  öffentliche  Verkehrsmittel  beförderten  Personen  in  den 
Herzogtflmem  von  rund  3000  auf  rund  10000000  gemM^iaen,  d.  h, 

um  mehr  als  daslhcitausendfache;  eine  Veränderung,  wie  sie  in  allen  Jahr- 
hunderten unserer  Geschichte  zum  erstemuale  eingetreten  ist.  Qibt 


')  Nach  gütigen  Mitteilungen  der  betreffenden  Verwaltungen. 

*)  Die  Buia  ist  eist  am  8.  September  1884  eröflhet  nnd  hat  bis  sam 
81.  Dezember  80  474  Per? onen  befördert ,  -nas  su  der  obigem  SddLtxaiig  fölni. 
1885  ist  die  Zahl  der  Beförderten  122  (iai  gewesen. 

')  Vom  1.  April  1888  bis  1.  April  1884.  (Letster  Bnieht.) 

*)  Bei  der  Zusaninienzählunp  der  Einzelanpaben  für  di»'  l>o,-onderon  Sta- 
tionen sind  die  Zelmer  nach  oben  oder  unten  zu  Hunderten  abgerundet.  Vom  Be- 
triebiamt  Hamburg  ist  natfiriich  nur  das  holsteiiiiBciie  Gebiet  in  Bedmung  gezogen. 


75] 


Poleographia  der  dmbrucben  HalbiiMel. 


551 


es,  soweit  ich  sehe,  auch  keine  Angaben,  selbst  kaum  ATihalfspunkte, 
um  festzustellen,  wie  viele  von  jenen  10  000  000  auf  verschiedenen  Bahn- 
strecken zwei-,  vielleicht  selbst  drei-  und  mebrmal  gezählt  sind,  wie  viele 
Ton  ihnen  Landeskinder,  wie  yiele  Auswärtige  und  bloss  dttrch&lirende 
sein  mögen,  immer  wird  man  annehmen  dOrfen,  dass  tSglich  in  Nordalbin- 
gien  bei  einer  Bevölkerong  von  rund  1  500C 00  Menschen,  also  vielleicht 
1  000  000  Erwachsenen,  etwa  20000  auf  den  Wethen"  sind  ;  ein  Wandern 
und  Wogen  der  Ansässitjen, .  der  Grenznachbarn,  der  ganz  Fremden 
und  Fernen,  das  auf  Cuwohnheiten  und  Sitten  von  immer  wachsendem 
Einflüsse  sein  muss  und  verallgemeinert  über  die  Welt,  w^ie  es  zum  Teil 
schon  ist,  teils  immer  mehr  wird,  Zust&nde  in  GeseUschafI  xaid  Staat 
herbeiführen  muss,  von  denen  eine  klare  und  richtige  VorsteUnng  noch 
nicht  zu  gewinne  ist. 

So  stellt  unsere  Halbinsel  noch  immer  wie  von  jeher  eine  grosse 
Brücke,  einen  langen  Damm  durcli  das  nordische  Binnenmeer  dar,  in 
welchem  der  Längenverkehr  die  Querbewegung  weit  tiberragt  und  im 
Vergleidi  mit  den  Torflheigehenden  Yölkerb^egungen  früherer  und 
frOhester  Jahrhunderte  jetzt  eine  Verkehrsader  zwischen  Norden  und 
Sttdoi,  Nordosten  und  Südwesten  tragt,  deren  schwellender  Strom  keinen 
Tag,  keine  Na(  hf  mehr  unterbrochen  gedacht  werden  kann.  In  Ueber- 
einstimmung  mit  der  Richtung  dieses  Stromes,  die  ihrerseits  eine  not- 
wendige Folge  der  Bodenbeschatfeuheit  und  der  Beziehungen  zu  den 
Nachbarlanden  ist,  liegt  die  Vorderseite  der  Halbinsel  in  ihrer  nörd- 
h'chen  Hälfte  nach  Osten  und  Nordosten,  in  ihrer  südlichen  Hälfte  nach 
Westen  und  Südwesten  gewendet,  dt m  unbegrenzten  Weltmeer  zu. 
Vom  westlichen  Ocean  her  ist  die  Alte  Welt  zum  erstenmale  in  unsere 
nordische  Barbarei  eingedrungen,  ein  gallischer  Grieche  in  das  "aus.serste 
Thüle.  Von  Siuhvesten  her  haben  die  Kemier  /um  erstenmale  den 
Elbstrom  befahren;  nach  Südwesten  geht  die  einzige  grosse  Massen- 
auswanderung  unserer  Vorfahren,  von  der  wir  sichere  Kunde  haben  und 
Ton  der  dauernde  Wirkungen  unbegrenzten  Umfanges  ausgegangen  sind. 
Von  Südwesten  und  zwar  wieder  zur  See  kommt  uns  das  Christentum; 
im  Westen  wird  selbst  die  Reformation  bei  uns  zuerst  lebendig:  Visbeke, 
Bockholt,  Tast,  Heinrich  von  ZUtphen  gehören  alle  dem  Westen  an, 
der  letztere  war  aus  denselben  Gegenden,  auf  demselben  Wege  ge- 
kommen, wie  einst  die  ersten  Sendboten  des  Christentums.  Noch  immer 
geht  über  den  Südwesten  unserer  Halbinsel  ein  stetiger  Strom  regel- 
mSssiger  Auswanderung  in  die  Welt  hinaus.  Wie  einst  an  der  Bildung 
einer  Nation  von  der  weltgeschichtlichen  Bedeutung  der  enghschen, 
wird  das  Angelsachsentum  an  der  Gestaltung  des  Riesenstaates  Amerika 
einen  wesentlichen,  ja  massgebenden  Anteil  gewinnen. 


552 


[76 


Zur  Wortdeatimg  und  Bechtschreibiiiig. 

1.  Ueber  die  Bezoichnun«^  unserer  ciml)rischen  Meerbusen,  Förden, 
lässt  sich  mit  Siclierlieit  uicht  iiielir  sageu,  als  dass  sie  nordischer  Her- 
kunft und  nordischen  Bereiches  ist.  Die  Sache  selbst  aber  deutet  auf 
den  Begriff  des  tief  Emscimeideiiden,  Trennenden ,  der  auch  in  dem 
isländischen  Sprichwort :  eine  Förde  mnss'  liegen  zwischen  Feinden,  eine 
Wik  zwischen  Freunden,  zur  unverkennl^ren  Geltung  kommt.  Und 
wenn  eine  cimbri.sche  Förde  mit  ihren  zugänglichen  Ufern  keine  Schranke 
aufzurichten  geartet  ist,  so  liegt  an  den  Steilküsten  und  ^iebirgs- 
wänden  der  eigentlichen  Heimat  der  Fjorde,  Norwegen  und  Island,  die 
Sache  anders.  Bezeichnend  heisst  darum  auch  Norwegen  FiOrcyOrd 
terra  sinuum  oder  vidra  sunda  lönd  latorum  fretorum  terra  ^) ;  und 
wenn  übertragen  koma  in  hardan  Qdrd  in  difficilem  sinum  i-  « .  in 
angustias  venire  bedeutet,  so  muss  man  geneigt  sein,  auf  eine  (Grund- 
bedeutung Enge,  Spalte  oder  ähnliches  zu  schliessen. 

2.  Die  Bezeichnung  Wik  hat  einen  bedeutend  weitereu  Ver- 
breitungsbereich; sie  kommt  an  der  ganzen  Südkflste  der  Ostsee,  auf 
dem  gesamten  niederdeutschen  Spiadhgebiet  ebenso  gut  vor  wie  im 
Norden;  dass  noch  Brunswik,  so  un^flcldich  verhochdeutsc  lit  Braun- 
scliweig,  Osterwik,  noch  sichtbarer  gelegen  in  einer  Ausbuchtung  des 
Gebirgs,  vielleicht  auch  Coswig  in  der  zweifellos  einst  wasserbedeekten 
Elbebene  hierher  gehören,  macht  ihre  Belegenheit,  wie  die  in  der  Nachbar- 
schaft mehrfach  vorkommenden  Ortsbezeichuungen,  die  sonst  dem  nieder- 
deutschen Norden  mehr  eigentümlich  sind  wie  die  Endungen  -um,  -bttttd 
und  Shnliche  wahrscheinlich.  Wenn  die  Bedeutung  des  Wortes  nach  seiner 
Verwendung  ftir  stumpfwinklige,  schwach  ausgeprägte  Einbiegungen 
der  Küste,  sei  es  des  Meeres  selbst,  sei  es  wie  häufig  einer  Förde  oder 
eines  Biuuengewüssers  nicht  zweifelhaft  sein  kann,  so  wird  sich  die 
Ableitung  von  weichen  als  unbestreitbar  ansehen  lassen Dass  damit 
der  Zusaramenhang  des  Wortee  in  seiner  i'ctzigen  Form  als  aweiter 
Bestandtefl  eines  Ortsnamens  mit  dem  altsächstsdhen  wie  Flecken  Ticus 
wohl  bestehen  kann,  bedarf  keiner  Bemerkung. 

Ein  gleichfalls  dem  Norden  und,  soweit  ich  sehe,  nur  der 
cimbrischen  Halbinsel  in  ihrer  gnisseren  nördlichen  Hälfte  angehörige 
Bezeichnung  einer  bestimmten  Wasserbeckenbilduug  ist  das  Wort  Noor, 
bisher  meines  Wissens  nicht  erklärt.  Herr  Professor  Möbius,  an  den 
ich  mich  wandte,  fand  ohne  Zweifel  sofort  den  richtigen  Weg  zu  seiner 
Deutung  in  der  Thatsache,  dass  die  Heerenge  von  Gibraltar  bei  den 
alten  Normannen  als  njörva  oder  nörva  sund  bezeichnet  werde.  Das 
Mittelmeer  ist  in  der  That  ein  Noor  des  Weltmeers.  Denn  sehen  wir 
die  Noore  unserer  Halbinsel  an,  wie  dns  Windebyer,  Selker,  Haddebyer, 
Holmer,  NUbeliioor  u.  a.,  so  tritt  bei  allen  als  bezeichnendes  Merkmal 


*)  Bjilsson  Lcxicon  poetirum  antiqiuio  lin^ruaf!  soptentrionalis. 
^        Möbius  Altnordischeä  Glossar:  vik  receääua  maris  von  vikja,  das  nach 
Egilsscm  audi  »  fleefcere  ist. 


77] 


Poleographie  des  cimbrischen  Ualbiusel« 


558 


der  Terengte  Hak  hervor,  durch  den  diese  imtergeordneten  Wasser* 
becken  mit  dem  grösseren  Gewässer,  der  Fdrde,  verbunden  sind.  Das 
Wort  erscheint  im  ags.  als  nearo,  idts.  als  nam,  naro,  nazawe,  ndd. 
ndl.  als  naar.  englisch  als  narrow. 

4.  Häufig  kflirt  das  Wort  with,  auch  witt  geschrieben,  in  Zu- 
sammensetzungen bei  Ortsnamen  wieder:  Sundewith,  Handewith,  Witt  — 
lichtiger  WitUael.  Die  Bedeutung  ist  nicht  zweifelhaft:  vidr,  vidar  ist 
im  Altn.  Hob,  Baum.  Dänisch  ist  es  zu  ved,  schwedisch  zu  Täd, 
angels.  wudu,  engl,  wood  geworden.  (Vgl.  Vigfusson,  An  icelandic 
engl,  dictionary  und  Möbius,  Altnordisches  Glossar.)  Sundewith  ist 
mithin  der  Wald  am  Sunde,  Withkiel  der  WaldquelL 

5.  Die  Deutung  nämlich  des  Namens  Kiel  =  Quell  oder  Quell- 
sumpf, Quellmoos,  d.  h.  Moor,  sehe  ich  mich  veranlasst,  teilä  gegen 
Anzweiflung  zu  schützen,  teils  als  die  meine  in  Anspruch  zu  nehmen; 
8.  Bedingtheit  des  Verkehrs  u.  s.  w.  S.  104  ff.,  Anm. 

Prof.  Mullenhof  freilich  beaeidmete  sie,  mir  gegenüber  mündlich, 
als  unmöglich,  wenn  ich  recht  erinnere,  wegen  der  verschiedenen  Mes- 
sung der  Vokale.  Junghan?  (Jahrbücher  für  die  Landeskunde  der  Herzog- 
tümer etc.  IX,  3)  findet  für  die  Bestimmung  der  Grundbedeutung  des 
Worts  .den  neuerdings  (sie!)  gefOfarten  KachweiB,  dass  der  Name  Eid 
in  einfacher  und  zusammengesetzter  Form  mit  unbedeutender  Differen- 
zierung des  Vokals  in  Schleswig,  in  Jütland,  auf  der  Insel  Mön  mehr- 
fach vor]<nnime*',  doch  , wichtiger*.  „Ohne  Zweifel  ist"  ihm  „der 
,  Käme  ilLiitschen  (germanischen),  nicht  slavischen  Ursprungs  und  älter 
ais  die  Stadt."  „Dass  nach  dem  Jahre  1261  sowohl  der  kleine  Kiel 
als  die  Förde  den  Namen  kyl  lührten,  wird  schon  durch  unser  Stadt- 
bnch  bezeugt;  alles  andere*,  meint  er,  ^ist  Vermutung,  unbewiesen 
und  unbeweisbar." 

Der  Thatbestand  des  Sprachgebrauchs  ist  folgender.  Der  Name 
kvl  kommt  zuerst  in  der  Urkunde  von  1242  vor,  in  welcher  Johann  I. 
der  «Holsteiistadf  das  lübsche  Recht  verh  Uit  und  ihr  Weichbild  bestimmt, 
und  zwar  einmal  mit  dem  Zusatz  stagnum ,  einmal  mit  scheinbarer 
Beziehung  auf  einen  Bach  . . .  usque  in  kyl  sicut  rivus  descendit.  1259 
wird  ein  fluvius kyl,  1286  ein  parvus  flutius  kyl  genannt;  die  Felder  west- 
lich der  Stadt,  nördlich  ansteigend  vom  Schreventeich,  Ähren  bis  heute 
den  Namen  Kiel-Stein.  Der  Schreventeich  war,  ehe  seine  slidliche  Hälfte 
zum  Wasserbehälter  iür  die  Stadt  ausgegraben  und  seine  grossere  nörd- 
liche Hallte  1883  zu  Gärten  umgewandelt  und  ausgelegt  wurde,  ein 
rechtes  aMoos*  oder  Moor,  Wiesensumpf,  ein  seichtes  Wasser,  toU 
Binsen  und  Bülten,  wie  sie  namentlich  im  Gebirge  mannigfach  als 
Flussursprünge  erscheinen,  das  noch  immer  ein  muntres  BUchlein  in 
den  kleinen  Kiel  und  in  die  Forde  entsendet,  freilich  zum  Teil  unter- 
irdisch, durchaus  nicht,  wie  Junghans  meint,  Terschwundeu  In 


^)  Schreventeicb  iit ,  wie  die  alte  Fonn  für  Bchreyenboni ,  Greveabom  und 

die  Uebfr.-i  t zur rr  inhmo  (  (vniitis  für  „des  Greven  Hagen"  Busser  Z\v(  if«  !  st<'lli-n  ~ 
*8  Greven  1  eicb.  Mitten  in  dem  1242  abgegrenzten  Kieler  Stadtgebiet  blieb  dieses 
Oewiner  gräflich ,  ,.fiikaUsch",  landeBfaerrhch  und  ist  erst  1862  von  der  Stadt  er- 
woibeD.  Es  encheiBt  mindestens  als  sdir  mflglicb,  dass  bis  1242  an  diesem  Mooie 


554 


Jansen, 


[78 


Schleswig  kuiumt  dieselbe  Bezeichnung,  meist  in  Zusammensetzungen, 
an  Oiten  älinlicher  Bodenbeschaffenheit  zehnmal  vor,  nirgends  bezeich- 
nender und  sprechender  als  in  «Kieteong*  an  der  Flensbui^r  Förde, 

dem  «Quellenanger" ,  der  QueUenwiese.  Im  Königreich  Däneuiark 
kommen  nach  der  Topographie  von  Trap  Ortsnamen  mit  Kiel  oder 
kjel,  kille,  kilen,  kjelle,  kjelUng.  kjeld  54  vor,  mit  dem  zweifellos 
verwandteu  kilde,  kjaeld  nocli  rine  stanze  Anzahl  mehr,  darunter  solche, 
die  den  Öinu  des  Wortes  deutlich  hervortreten  lassen:  kjeidkjaer  (ijuell- 
eumpf),  kjeldskoT  (Brunnenholz),  küdal  (QneUenthal)  n.  a.  In  Nor- 
wegen erscheinen  an  der  SUdkÜste  ähnliche  Bodenformen  mit  gleichem 
Namen.  In  Deutschland  ist  der  von  den  „Moosen"  der  Eifel  gespeiste 
Nebenfluas  der  Mosel  Kyll,  samt  Stadtkyll  und  Kyllburg  unzweifel- 
haft von  demselben  Stamme  benannt;  auch  Kelberg  im  Quellgebiet  der 
Ahr,  Kiiliheim  an  einem  iSebenfluss  der  Tauber,  Kelheim  an  den  Ufer- 
h5hen  der  « moosigen*  Donau  (Tgl.  schwäbisch  Brunkell)  werden  gleicher 
Wurzel  sein. 

lieber  die  Bedeutung  des  Wortes  habe  ich  heute  nicht  mehr  wie 
ISfU  eine  begründete  , Vermutung",  sondern  eine  zweifellose  Gewiss- 
heit: kil  ist  nichts  anderes  als  Quell.  Zum  Beweise  diene,  was  ich 
(Bedingtheit  u.  s.  w.  S.  lOGj  an  sprachlichen  und  sachlichen  Analogien 
beigebracht  habe  und  was  seitdem  (1873)  durch  die  Auktorität  des  Grimm- 
schen Wörterbuchs  in  erwünschtester  Weise  bestätigt  worden  ist;  die 
hier  aus  Mathesius  Sarepta  beigebrachten  Stellen  (. .  .  ausz  einem  jeden 
kiele,  flUszlein,  laken  oder  cistern  zu  trinken,  Sarepta  68  b  und  .  .  .  den 
Ursprung  oder  die  kielen  des  Schwarzwassers  [im  säelisischen  Erzgebirg], 
Sarepta  117  a)  deuten  Ijereits,  wie  die  Verwendung  des  Wortes  zu  Orts- 
bezeichnungen, auf  ein  dem  Stamme  eigentümliches,  sehr  begreif licheä 
Schillem  zwischen  den  Bedeutungen  Sumpf-  oder  Moosqnell  und  Quell- 
moos, und  da  jeder  Quell  sofort  m  ein  «flfiszlein*  ttbeigeht,  auch  zwi- 
schen Bachquell  und  Quellbach. 

Ausser  dieser  Tliatsachc  auch  noch  einige  andere  zu  beweisen, 
was  ich  mir  erlaube  tür  möglich  zu  halten,  wUrdi?  nicht  dieses  Ortes 
«ein.  Hier  nur  noch  die  Antwort  auf  eine  sich  aufdrängende  Frage: 
Fuhrt  denn  Kiel  seinen  Namen  Quell  mit  Recht? 

1861  schloss  ich  meine  Darlegung  mit  den  Worten:  «Wenn  daher 
Kiel,  wie  vor  einigen  Sommern,  in  Dürre  zu  verkonunen  in  Gefahr  ge- 
raten kann,  so  muss  entweder  der  Name  kil  eine  contradictio  in  adjecto 
und  wie  Ukus  a  non  lucendo  sein  oder  die  Wttnschelrute  fehlen,  den 
Tersprochenen  Queüenschatz  zu  heben." 

Derselbe  ist  seitdem  gehoben.  Hart  nördlich  von  jenem  oben  er- 
wähnten Joch,  das  Nord-  und  Ostsee-Abdachung  scheidet,  waren  in  dem 
saftiggranen  Wiesengrund,  der  alsbald  in  die  Förde  Übergeht,  schon  1844 
durch  den  Bau  der  Eisenbahn  „starkfliessende  Quellen"  ^)  freigelegti 
welche  täglich  rund  1000  cbm  schönsten  Wassers  in  den  Hafen  ent- 


dcv  Name  kil  gehaftet  hat,  das  seitdem  im  (Jogeniatie  ziua  Stadtgebiet  all 

*«  Greven  Teich  bezeichnet  zu  werden  begann. 

Vgl.  P.  Chr.  Hansen,  Schleäwig-HoLatcin ,  seine  Wohlfahrtabeatrebuujfen 
and  gemeinnOtugen  EiAriehtungeik 


79] 


Poleographie  der  dunbriscben  Halbinael. 


555 


sendeten.  Hier  sind  nun  1879;S0  acht  Brmmeu  auf  7 — 8  m  Tiefe 
durch  eini|^e  Lehmschicbitea  in  den  Koriilieusand  abgesenkt,  deren 
Ertrag,  zwischen  3000  und  4000  cbm  täglich,  durch  Heberohre  in  einen 
Sammelbrunnen  bei  Garden  und  von  da  durch  Maechinen  in  das  Haupt- 
becken auf  der  Höhe  des  Viehburger  Rückens  gehoben  wird.  Eine 
aweite  Quellen  wiese,  150  m  entfernt,  kann  über  kurz  oder  lang  in 
Benutzung  genommen  werden.  Kiel  ist  die  H^^olätenstadt  am  Wiesen- 
quell 

6.  In  der  Schreibung  habe  ich  einige  Abweichungen  Ton  der 
landläufigen  nötig  befunden.  Eine  innere  Berechtigung  hat  sie  oft 
nicht  und  dient  nur  dazu,  den  Sinn  und  Ursprung  der  Benennungen 
zu  verdunkeln.  Wie  siclitlich  ist  Fähr-Bellin  das  durch  eine  Fähre 
gekennzeichnete  Bellini  Wer  es  aber  sclireil)f,  wie  es  heisst,  gibt  An- 
stoss.    Hier  kr»nnten  sich  die  Behfird»  ii  Vrnlienste  erwerben! 

Das  niederdeutsche  Wort  tUi-  Bach;  »Bek"  mit  ck,  d.  h.  mit 
doppeltem  k  zu  schreiben,  ist  ohne  alle  Berechtigung;  einmal,  weil 
der  Aspirata  des  Hochdeutschen  die  niederdeutsche  Tennis  entspricht 
und  ein  ck  auf  ein  cch  führen  mtlsste;  sodann  weil  niemand  in  dem 
Worte  einen  geschärften  Vokal  spricht. 

Auch  in  LUbek  hört  man  einen  langen  Vokal.  Dazu  kommt, 
dass  der  Name,  zweifellos  slavischeu  Stammes,  obwohl  nach  freund- 
licher Mitteilung  des  Herrn  Prof.  Leslden  unsicherer  Ableitung  (^ubP 
lieb  —  dann  wftre  die  Form  lubica  —  oder  lub?  Binde),  nach  ülteater 
Schreibung  nur  in  der  Form  Lubice,  Lubike,  Lubika  oder  Luheke  er* 
acheint. 

Meklenburg,  von  michel  (|iEYaX  -),  l)ei  Helmold  Mikilenburg, 
kann  auf  richtigem  Wege  ebensowenig  zu  einem  ck  gelangen,  das 
auch  die  niederdeutsche  Aussprache  nicht  kennt. 

In  Pretz  halte  ich  die  Scharfung  durch  ein  t  fUr  richtig,  weil 
es  slavisch  Porelje  (Ort  am  Flusse)  ist  (Leskien),  c  aber  gleich  .tsch 
ist»    Daher  auch  die  alte  Schreibung  Poretze. 

Für  Silt,  statt  des  dänisch  anklingenden  Sylt,  spricht  sowohl 
die  alte  Schreibung  Süd  (s.  die  Urkunde  Ktniig  Erielis  [1241?]  bei 
Hasse,  S.  H.  L.  ilegesteu  und  Urkunden  i,  279),  als  auch  die  eigent- 
liche, fiiesische  Form  Sal;  friesisch  a  geht  auch  sonst  in  i  über,  z.  B. 
stal  =  slalL 

Bemerkung  zu  S.  5:^(5.  Elfn  vor  Thorschluss  fällt  mein  Blick  auf  S.  16  f. 
der  Deakschrifb  der  Kieler  Uandeiakammer  Uber  den  Nordoatsee-Kanal :  das  Urteil 
der  Pnuds  Aber  muer  SiaenbahimetB  flllt  mit  dem  der  Theoxie  «Iwmmen. 


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THI8  BOOK  18  DUE  ON  THE  IiAST  DATB 
8TAMPED  BELOW 

AN  INITIAL  FINE  OF  25  CENTS 

WILL  BE  A88ESSED  FOR  FAILURE  TO  RETURN 
THI8  BOOK  OW  THE  DATE  DUE.  THE  PENALTY 
WILL  INCREA8E  TO  SO  CENTS  ON  THE  FOURTH 
DAY   AND   TO   fl.OO   ON    THE   8EVENTH  DAY 
OVCROUL 

 NQv  5 — 1942 

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