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Full text of "Ethnologisches notizblatt"

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Ethnologisches notizblatt 

Museum für Völkerkunde (Berlin, Germany) 



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LIBRARY 

O» THE 

PEABODY MUSEUM OK AMERICAN 
ARCHAEOLOGY AND ETHNOLOGY 

IN EXCHANGE WITN 





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Ethnologisches Notizblatt. 



Herausgegeben 
▼od der 

Direktion des Königlichen Mnsenms für Völkerkunde 

in Berlin. 

Band HL - Heft 1. 

Mit 176 in den Text gedruckten Abbildungen und 3 Karten. 



1901. 

Druck und Verlag ?on A. Haack. 
Berlin. 



Di 



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Königliches Museum für Völkerkunde. 

Ethnologische Abtheilung. 

Direktor: A. Bastian, Prof. Dr. 

Direktorial - Assistent Grünwedel, Prof. Dr. 

von Luschan, Prof. Dr. 
Müller, Dr. 

von den Steinen, Prof. Dr. 
Preuss, Dr. 

Ankermann, Dr. 
Gräbner Dr. 
Huth, Dr. 

Pöch, Dr. 
von Le Coq. 
Stönner, Dr. 
Koch, AsBr. 
Wata n abe. 

Die Veröffentlichungen aus dem K. M. f. V. erscheinen bandweis 
(ä 4 Hefte), seit 1889 (Band IV im Druck), als Fortsetzung der »Original- 
Mittheilungenc (1885 u. f.). 



Der Führer (1895) steht den Besuchern käuflich zur Verfügung (am 
Eingang des Museums). 



Desideratenlisten werden auf Nachfrage gratis vertheilt (zur In- 
formation für Forschungsreisende). 



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Hilfsarbeiter 

ii 
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Volontär 

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ii 
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Inhaltsverzeichniss. 



Die afrikanischen Musikinstrumente (Dr 


. Ankermann) 




Verzeichnis der Abbildungen . , 




V 






1 


1. Beschreibung und Klassifikation 




3 






4 






3« 






36 






49 






49 






49 






68 






65 






70 






75 






112 


v/Ein anderes Quauhxicalli (Dr. Seier) , 




135 


Die Berührungspunkte der physischen 


Psychologie mit der noetiachen (auf dem 








140 






162 






174 



Verzeichniss der Abbildungen und Karten. 



Seite 

Abb. 1. Musikbogen der Kaffern 5 

* 2. * - * 5 

s 3. t aus Upogoro 5 

* 4. Monochord aus Usaramo 7 

« 5. Sese der Wayao 8 

6. Saiteninstrument der Mangandscha 10 

7. * Wakamba 10 

■ 8. Rabab ans Abessinien 11 

t 9. Saiteninstrument aus Togo 11 

* 10. > der Papel 11 

* 11 aus Tibati 12 

* 12. Bassari 12 

» 13. « * Marokko 12 

14. * 12 

15. Rabab aus Marokko 13 

= 16. Saiteninstrument aus Togo 14 

« 17. Steg eines Saiteninstruments aus Tschautscho 14 

s 18. Saiteninstrument von den Bissagos- Inseln k . . . 15 

19. flnrfe der Waganda 16 

20. * - Niam-Niam 16 

21. * Batta 17 

22 * ans Tibati 17 

23. = * Kotofo 18 

* 24. . der Fan 19 

25. Saiteninstrument vom Kuango 20 

a 26. * der Bakuba 20 

s 27. * s Majakalla 21 

28. * * Bakoko 21 

* 29. * aus Loango 22 

3tt ■- * Assaba (unterer Niger) 23 

31. * der Ovambo 23 

* 32. * » Bule 24 

* 33. * Kru 24 

* 34. Lyra der Abaka 24 

» 35. * • Wassoga 25 

s 36. * aus Abessinien 26 

37. Saiteninstrument vom Westufer des Nyassa 27 

* 38. * aus Unyamwesi 27 

39. » der Wanyakyusa 27 

* 40. * * Wabehe 28 

* 41. » * Wassukuma 28 

42. : * Warua 28 

43. s aus Ruanda 29 



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VI 

Seit© 

Abh. 44. Saiteninstrument vom Nyansa 29 

s 45. * der Atonga 29 

46. * » Wakinga bO 

* 47. Raphia-Instrumont der Fan 31 

» 48 Saiteninstrument aus Rohrstaben. .Daliomo* 30 

49. Valiha aus Madagaskar 31 

> 50. Sansa aus Angola 33 

51. * der Bateke 33 

% 52. » aus Loango 33 

s 53. * * Kamerun 33 

* 54. der Fan 34 

« 55. * * Mbum 35 

56. » Bati 35 

» 57. Signalpfeife der Lendu 36 

58. Pfeife der Wabuma 36 

s 59. aus Kratschi * . . . . 36 

» 60. • vom unteren Kongo 36 

' 61. Signalpfeife der Konkomba 37 

« 62. * aus Kome 37 

, 63. . der Bali 37 

64. * » Bati 37 

65. « s Bali 37 

s 66. ■■ - Yaundo 38 

67. * * Wangoni 38 

68. « * Baluba 38 

69. * » Mahenge 38 

70. * Bari 38 

71. Kinderflöte der Dschagga 39 

72. Rohrflöte der Waganda 39 

73. * aus Bassari 39 

» 74. Doppelflöte der Yaunde 39 

» 75. 2 Signalpfeifen der Bali :$9 

76. Signalpfeife aus Mussumba (Lomami) 40 

* 77. 3 Pfeifen aus Lunda 40 

* 78. Kriegspfeife der Tambcrma 40 

« 79. Pfeife aas Bassari 40 

80. * * Atakpame 40 

« 81. Kabure 41 

> 82. * * . . . : 41 

t 83. Schalmei aus Sokoto 41 

« 84. Querflöte der Waschamba 41 

85. Weiberflöto der Yaundo 42 

s 86. Blasinstrument der Niam-Niam 42 

87. aus Namba (Nord-Togo) 42 

* 88. Flöte aus Ussukuma 42 

89. Acht Elfenbeinhörner 43 

90. Holztrompete der Baschilango 44 

91. * Ngolo 44 

= 92. Signalhorn aus dem Rufidji-Gebiot 45 

« 93 Kriegshorn aus Jebu 45 

94. Blashorn aus Tschautscho 45 

s 95. * der Bangombe 46 

96. Signalhorn der Dschagga 16 



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VII 

Seite 

Abb. 97. Blasinstrument aus Ussukuma 46 

98. * Ufipa 46 

99. 2 Kugelflöton aus Kabure und Unyamwanga 47 

100. Flöte aus Kratschi 47 

s 101. * * Mangu 48 

-. 102. « - SOd-Kamerun 48 

; 103. Maultrommel der Waschainbit 49 

= 104. Trommel der Wayao 50 

* 105. - aus Tschore (Nord-Togo) 50 

e 106. - * Marungu 50 

= 107. * Magungo 50 

- 108. » der Bayansi 51 

= 109. * •- Wasafua : . . 51 

«110. * aus Usaramo öl 

* 111. ■ - Sansibar 51 

«112. * * Sunda 51 

113. * der Senga 52 

s 114. « aus Marungu 52 

* 115. * Usaramo 52 

116. • der Waparo 52 

«117. = * Bakuba 53 

* 118. * aus Iramba 53 

* 119. » * Urua 53 

* 120. * * üsaramo 53 

121. Doppcltrommol (ohne Angabe) 54 

r 122. * der Warua 54 

» 123. Formen von Uganda-Trommeln 55 

* 124. Trommel vom unteren Kongo 55 

* 125. Tromnielfellspannung (zu Abb. 124) 55 

c 126. Sandubrtrommol aus Adeli 55 

\21 Trommel der Bassongo-Mino 55 

* 128. * * Mandingo 56 

* 129. * * Wakinga 56 

* 130 aus Tschore (Nord-Togo) 56 

r 131. der Somal 56 

» 132. « aus Kamerun 57 

s 133. . der Ekoi 57 

: 134. s aus dem Ogowe-Gebiet 57 

= 135. * der Bakundu 57 

136. Spannung eiuer Kamerun-Trommel 58 

•- 137. Trommel der Mabea 58 

* 138. » aus Togo 58 

-. 139. ■ * Agotime 58 

s 140. * Togo 59 

s Ui. s 5 Pembi 59 

142. ■ * Dahome 60 

= 143. 5 Trommelschläge 60 

: 144. Reibtrommol au« Mangu ß3 

* 145. Holztrommel aus Kamerun 03 

H6. ■ * Baoma (Nordwest-Kamerun) 63 

s 147. » * Loango 63 

.- 148. * -- ürua M 

* 149. ■ der Baf6 64 



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VIII 

Seit« 

Abb. 160. Holzglocke der Niam-Niam 65 

» 151. ' * Ngolo 65 

* 152. Eisenglocke der Bangombe . 66 

s 153. Doppelglocke aus Kamerun 66 

154. * der Konkomba 67 

* 155. ■ aas Lunda 67 

.156. * * Ulala 67 

* 157. * Bassart 67 

158. Kuhglocke der Wangindo 68 

= 159. Holzglocke der Bakuudu 68 

160. -. aus Unguu 68 

- 161. Kubglocke aus Ruanda 69 

■- 162. * der Wabena 69 

* 163. * Wassiba 69 

164. Glocke der Baia 70 

165. = aus Kaburo 70 

«166. * Batanga 70 

* 167. * der Tambenna 70 

* Ii 8. Marimba der Yaunde 71 

« 169. Befestigung der Resonatoren bei einer Marimba vom Loangwa . . 73 

> 170. ResonanzkUrbis einer Marimba der Mbum 73 

* 171. . Totentromme) * der Mangandscha 74 



Karte I. Verbreitung der Saiteninstrumente. 

* II. « s Trommeln und Doppelglocken. 

* III. • Sansa und der Marimba. Grenzen der ethnographischen 

Provinzen. 



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Die afrikanischen Musikinstrumente. 

(Dr. Ankermann.) 



Einleitung. 

Die vorliegende Arbeit hat sich die Aufgabe gestellt, die in Afrika 
gebräuchlichen Musikinstrumente zu beschreiben, zu klassifizireu , die 
Vertheilung der gefundenen Typen über den Erdtheil zu erforschen und 
darzustellen und schliesslich die Frage nach der Herkuuft der Instrumente 
und der Entwicklung der Formen aus einander zu nuteraucheu. Dem* 
gemäss zerfällt sie in drei sich von selbst ergebende Abschnitte. Der 
erste, der die Beschreibung und Klassifizirung enthält, stützt sich vor- 
nehmlich auf die überaus reichhaltige Sammlung von Musikinstrumenten, 
die die afrikanische Abtheilnng des Berliner Museums für Volkerkunde 
enthält. Das hier gebotene Material ist sehr beträchtlich: befinden sich 
doch in der Sammlung nicht weniger als etwa 180 Saiteninstrumente, 
220 Trommeln, 440 Blasinstrumente u. 8. w. Jedoch war zur Ausfüllung 
der auch iu dieser Sammlung noch zahlreich vorhandenen und oft 
schmerzlich empfundenen Lücken die Herbeiziehung der in der Afrika- 
Litteratur verstreuten, leider nur allzu spärlichen Notizen über Musik- 
instrumente um so mehr geboten, als mir die Benutzung der in anderen 
Museen aufgehäuften Schätze leider nicht möglich war. Ebenso not- 
wendig war dieses bei dem zweiton Abschnitt, der die geographische 
Verbreitung der Instrumente behandelt. 

Der dritte Abschnitt soll endlich einen Versuch machen, die Ent- 
wicklung der Formeu der afrikanischen Musikinstrumente und ihre geo- 
graphische Verbreitung zu erklären. Es soll also ein Theil des Kultur- 
besitzes der Afrikaner auf sein Werden und seinen Urspruug unter- 
sucht werden. 

Bestandteile der geistigen Kultur, wie Sprache, religiöse Vor- 
stellungen, sittliche Begriffe und dcrgl., sind schon seit lange Gegenstand 
eines eifrigen und erfolgreichen Studiums; die materielle Kultur ist 
daneben über Gebühr vernachlässigt worden. Man hat gleich nach dem 
Höchsten gegriffen, nach den letzten und feinsten Blüthen der Kultur, 
statt sich mit den geringen Dingen des täglichen Lebens, den Werk- 
zeugen, Waffen, der Ernährungsweise u. s. w., zu beschäftigen, die doch 
nicht minder wichtig sind als jene, vielmehr die Grundlage bilden, auf 

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der sich der stolze Bau der menschlichen Kultur erst erheben kann. 
Neuerdings erst ist darin Wandel geschaffen worden, nnd gerade auf 
dem Gebiete der afrikanischen Ethnographie sind diese Forschungen mit 
besonderem Eifer betrieben worden. 

Die Musikinstramente, die hier hehandelt werden sollen, gehören 
nun nicht mehr eigentlich zu der oben berührten Klasse von Dingen, die 
znr Befriedigung der notb wendigsten und elementarsten Bedürfnisse 
erforderlich sind; als Werkzeuge, die der Ausübung einer Kunst gewidmet 
sind, muss man sie einer etwas höheren, mehr geistigen Sphäre zu- 
rechnen. Da diese Arbeit sich aber nicht mit der Musik selbst, sondern nur 
mit den zur Ausübung dieser Kunst dienenden Instrumenten beschäftigen 
will, so darf man wohl sagen, dass es sich um die Untersuchung eines 
Theils der materiellen Kultur handelt. 

Wenn die Untersuchung sich auch auf Afrika beschränkt, so war 
es doch unumgänglich, bei Behandlung der Entstehung und der Heimath der 
Instrumente auch vergleichende Blicke auf die benachbarten Erdtheile, 
im besonderen auf Asien, zu werfen. Die Beschränkung auf ein be- 
grenztes Gebiet hat ihre Vorzüge wie ihre Nachtheile. Liegt ein Vorzug 
in der leichteren Uebersehbarkeit des Stoffes, die fast zur Unmöglichkeit 
wird, sobald man die ganze Erde in die Betrachtung hineinzieht, so 
krankt die Untersuchung dafür an dem Mangel, dass die nur aus einem 
Tbeile des vorhandenen Materials gezogenen Schlüsse auch nur eine 
theilweise und eingeschränkte Giltigkeit beanspruchen können. So wird 
es auch in dieser Untersuchung nur möglich seiu, den asiatischen Ur- 
sprung einzelner afrikanischer Musikinstrumente nachzuweisen; ob aber 
diese Instrumente ursprünglich in Asien zu Hause und in welchem Theile 
des Kontinente, oder ob sie auch hierher erst eingewandert sind, diese 
Fragen liessen sich nur durch eine eingehende Behandlung der asiatischen 
Musikinstrumente lösen. Erster Ursprung und der Anfang des Weges 
ihrer Ausbreitnng liegen bei diesen Instrumenten im Dunkel, nur das 
Ende des Weges, der von Asien nach Afrika hinüberführt, ist uns vor- 
läufig bekannt. 

Wie die ganze Arbeit auf den Sammlungen des Berliner Museums 
beruht, so sind auch die Abbildungen sämmtlich nach Originalen ange- 
fertigt, die sich in dem genannten Museum befinden; die Nummer 
(IIIC 3920 u. s. w.), die jeder Abbildung beigefugt ist, ist die Katalog- 
nummer des dargestellten Musikinstruments. Wo im Text kurzweg von 
»dem Museum c die Rede ist, ist stets, wie nach dem oben Gesagten sich 
von selbst versteht, das Museum für Völkerkunde zu Berlin gemeint. 



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I. Beschreibung und Klassifikation. 



Die Klassificirung und Beschreibung der afrikanischen Musikinstru- 
mente bietet insofern einige Schwierigkeiten, als die Namen unserer 
europäischen Instrumente sich nicht ohne Weiteres auf die vielfach ab- 
weichend koustruirten afrikanischen übertragen lassen. Die Bezeichnungen 
Harfe, Gnitarre, Mandoline, Laute, Cither u. s. w., wie sie in unseren 
Museen und in der Litteratur gang und gäbe sind und meist wahllos 
durcheinander für die verschiedenartigsten Formen gebraucht werden, 
führen bei solcher Art der Verwendung nur zur Verwirrung und zeigen 
schon durch ihre regellose Auwendung die Schwierigkeit der Einordnung 
der afrikanischen Instrumente in unsere gewohnten Rubriken. Der An- 
wendung der einheimischen Namen steht ausser unserer mangelhaften 
Kenntniss derselben der Umstand entgegen, dass nicht selten dasselbe 
Instrument bei verschiedenen Stämmen verschieden benannt wird, oder 
dass dasselbe Wort in einer Gegend auf dieses, iu einer anderen auf ein 
anderes Instrument bezogen wird; trotzdem habe ich mehrfach den afri- 
kanischen Ausdruck gewählt, wo ein solcher mit Sicherheit bekannt ist 
und wo keine europäische Bezeichnung sich ohne Zwang und mit Aus- 
schluss aller Miasverstäudnisse auf das Instrument anwenden Hess. So 
z. B. bei der Sansa und der Gorra. In einigen Fällen hat sich ohnehin 
der einheimische Name bereits in der Litteratur eingebürgert (Gubo, 
Rabab, Marimba). 

Im Uebrigen habe ich mich an die übliche Eintheilung in Saiten-, 
Blas- und Schlaginstrumente gehalten, obwohl dieselbe nicht ganz ein- 
wandfrei ist Denn während die zwei letzten Abtheilungeu auf der 
Methode der Erregung des Tons beruhen, ist bei den Saiteninstrumenten 
die Beschaffenheit des tonerzeugenden Theiles massgebend. Letztere 
mössten logischer Weise auch zu den Schlaginstrumenten gestellt werden, 
weil bei ihnen die Saite durch Anschlagen mit den Fingern oder einem 
Plektron zum Tönen gebracht wird. Da indessen diese Eintheilung ein- 
mal allgemein gebräuchlich ist, habe ich sie auch beibehalten und ihr 
als vierte Gruppe die Sansa eingefügt. 

1* 



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1. Die Saiteninstrnmente. 



Die Eintbeilung der Saiteninstrumente ergiebt sich in ungezwungener 
Weise aus ihrem Bau. Zwei Theile kann man an jedem Saiteninstrument 
unterscheiden, die Vorrichtung zum Ausspannen der Saite oder der Saiten 
als des tonerzeugenden Elements, und den Apparat zum Verstärken des 
Tones. Der erste Theil, Saitenträger mit Saite, ist natürlich das Wesent- 
liche, wenngleich der Resonanzapparat meistens an Grosse und Ausge- 
staltung hervorragender ist und daher mehr das Ansehen des Instrumentes 
bestimmt Der relativen Wichtigkeit beider Theile gemäss kann daher 
der zweite unter Umständen fehlen, während der erste stets vorhanden 
ist Indem man die Konstruktion dieser beiden Theile und die Art und 
Weise ihrer Zusammenfüguug, die Zahl und Anordnung der Saiten, ihre 
Stellung zum Resonanzboden, sowie die Einrichtung des letzteren berück- 
sichtigt, erhält man die Eintheilung, die der folgenden Beschreibuug zu 
Grunde gelegt ist Es ist also bei dieser Klassificirung weder auf die 
geographische Verbreitung noch auf die entwicklungsgeschichtliche Ver- 
wandtschaft der Typen Rücksicht genommen; trotzdem wird sich zeigen, 
dass in den meisten Fällen einem bestimmten gut charakterisirten Typus 
auch ein geschlossenes, mehr oder weniger scharf umgrenztes Verbreitungs- 
gebiet zukommt, und dass in der Reihenfolge der Gruppen sich auch die 
Entwickelang der Saiteninstrumente bis zu einem gewissen Grade wieder- 
spiegelt. 

Erste Gruppe. Das einfachste Saiteninstrument ist der Musik- 
bogen. Ein biegsamer, elastischer Stab, durch eine zwischen seinen 
Enden ausgespannte Saite gekrümmt, das ist das ganze Instrument. Es 
giebt natürlich nur äusserst schwache, schwirrende Töne, die kaum einem 
andern als dem Spieler selbst vernehmbar sind, so dass gewöhnlich zur 
Verstärkung derselben ein durchschnittener Kürbis angehängt wird. 
Andernfalls dient als Resonator die Mundhöhle des Spielers, der das Ende 
des Bogens zwischen die Zähue nimmt Auch wo ein Kürbis als Schall- 
verstärker vorhanden ist, wird derselbe, der unten offen ist, mit der 
Oeflnuug auf den Leib, die Brust oder den Bauch, gesetzt; wohl nicht 
nur, um dem Bogen eine festere Stellung zu schaffen, sondern hauptsäch- 
lich, um den ganzen Körper als Resonator dienen zu lassen und zugleich 
die schwachen Töne des Instruments dem Spieler durch direkte Zuleitung 
vernehmlicher zu machen. Dem letzteren Zweck dient es jedenfalls, wenn 
der Musiker sich den Kürbis über das Ohr stülpt, wie Schinz von den 
Hottentotten berichtet. 1 ) Der Kürbis ist nahe dem einen Ende des 
Bogens angebracht, und zwar so, dass die Schnur, an der er hängt, über 

») Deutsch-Sildwest-Afrika. S. 96. 



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— 5 — 



die Saite läuft (Abb. 1) und dieselbe so in zwei ungleiche und, da der 
Kürbis verschiebbar ist, veränderliche Hälften theilt. Zuweilen ist der 
Kürbis nur am Bogen befestigt, ohne die Saite mitzufassen, z. B. nach 
Holub bei den Marutse. 1 ) Zu erwähnen ist noch, dass die Saite auf- 




fallend häufig über die Spitzen des Stabes geführt wird (wie bei Abb. 3a), 
was bei dem als Waffe dienenden Bogen nur selten vorkommt. Durch 
Schlagen mit einem dünnen Stäbchen wird die Saite zum Tönen gebracht. 
Bei den Kaffern hält der Spieler den Bogen mit der linken Hand an dem 
Ende, an welchem der Kürbis befestigt ist, in senkrechter Stellung, so 
dass der Kürbis auf der Brust ruht, und schlägt die Saite mit dem in 

') Eine Kulturskizze des Marutoe-Mambnnda- Reiches. Wien 1879. S. 139. 

1* 



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der rechten Hand gehaltenen Stäbchen, während die Finger der Linken 
die Tonhöhe reguliren. ') Ganz ähulich wird das Instrument in Angola 
gespielt. 3 ) Zu einigen ostafrikanischeu Instrumenten dieser Art (Makua, 
Wasaramo) im Berliner Museum gehört noch eiu kleiner Fingerhut aus 
Flaschenkürbis, der auf den linken Zeigefinger gesteckt und während dea 
Spielens gegen den Kürbis geschlagen wird. 

Während in der Überwiegenden Mehrzahl der Fälle das Instrument 
aus einem einfachen gebogenen Stabe besteht, besitzt das Berliner Museum 
zwei von den Kaffern stammende Musikbogen, die aus drei Theileu zu- 
sammengesezt sind (Abb. 2); in der Mitte ein gerader dicker Stab, in 
dessen hohle Enden zwei gekrümmte dünnere Stäbchen hineingesteckt 
sind. Die Saite besteht hier aus dünnem Eisendraht. 

Der Resonanzboden ist meistens, wie bereits augegeben, ein eiufacher 
durchschnittener, nach unten offener Kürbis, nur bei einem von Pogge 
herrührenden Instrument unbekannter Herkunft ist derselbe aus zwei 
Theilen in derselben Art zusammengesetzt, wie es bei den Instrumenten 
der zweiten Gruppe beschrieben werdeu wird. 

Zwei Instrumente des Berliner Museums, von denen Abb. 3 das eine 
wiedergiebt, unterscheiden sich erheblich von allen übrigen mir bekannten 
Musikbogen und bilden insofern einen Uebergang zur dritten Gruppe, 
als der Kürbis nicht lose an den Bogen gehängt, sondern dieser durch 
jenen hin durch gesteckt ist. Der Kürbis ist durchschnitten und die nach 
oben gekehrte Oeffnung mit Eidechsenhaut bespannt, die mit kleinen 
Holzstiften angepflöckt ist; an der unteren Seite des Kürbis befindet 
sich ein kleiues Loch. Das merkwürdigste aber ist, dass das Trommelfell 
in der Mitte zwei kleine parallele Einschnitte zeigt, durch welche die 
aus Bast gedrehte Saite hindurchgezogen ist. Der Kürbis lässt sich in 
Folge dieser eigenartigen Anordnung auf Bogen nnd Saite hin und her 
schieben, ganz wie bei der gewöhnlichen Gubo. Das Instrument stammt 
aus dem südlichen Theil von Deutsch - Ostafrika, wahrscheinlich aus 
Upogoro. 

Dem zweiten ähnlichen Exemplar fehlt die Saite; doch zeigen die 
beiden Schnitte in dem Fell des Resonators, dass die Konstruktion genau 
dieselbe war wie bei dem vorigen. Auch dieses Stück stammt aus Deutsch- 
Ostafrika; ähnliche Instrumente scheinen aber auch in Angola vorzu- 
kommen, wenigstens solche, bei denen der Bogen durch den Kürbis hin- 

') G. Fritsch, Die Eingeborenen Süd-Afrika*. Breslau 1872. S. 20 (Fig. 7) und 
S. 133. Shooter, The Kafira of Natal and the Zulu Country. London 1857, S. 238. 
«) Soyaux, Aua West-Afrika S. 176. 



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— 7 — 



durchgeht; davon, dass die Saite durch das Resonanzfell gezogen ist, 
erwähnt Monteiro, 1 ) von dem diese Angabe herrührt, nichts. 

Eine von dem bisher beschriebenen Typus abweichende Konstruktion 
hat die Gorra, das Nationalinstrument der hellfarbigen Sudafrikaner. 
Hier ist die Sa'te nnr an einem Ende direkt am Bogen befestigt, das 
andere endigt dagegen an einem gespaltenen und flach 
ausgebreiteten Stück der Spule einer Straussenfeder. 8 ) 
Die Gorra wird wagrecht vor den Mund gehalteu und 
durch Ansaugen und Abstossen der Federspule die 
Saite in Schwingungen versetzt. Es ist also hier nicht 
nur die Konstruktion abweichend, sondern auch das 
musikalische Princip ein ganz anderes als bei dem 
gewöhnlichen Musikbogen; wollte man letzteres als 
Gruudlage der Eintheilung der Musikinstrumente nehmen, 
so müsste man die Gorra zu den Maultrommeln stellen. 

Zweite Gruppe. Die Instrumente dieser Gruppe 
unterscheiden sich von deneu der vorhergehenden haupt- 
sächlich dadurch, dass an Stelle der biegsamen und 
elastischen Gerte hier als Saitenträger ein starrer gerader 
Stab tritt. 

Hierher gehören zunächst einige primitive In- 
strumente, bei denen der Saitenträger ein unbearbeiteter 
Stock, meist ein Rohr- oder Hirsehalm ist; die einzige 
Saite zieht von einem Ende, desselben zum anderen 
und wird durch ein senkrecht auf dem Stabe ange- 
brachtes Hölzchen, das als Steg dient, erhöht und straff 
gespannt. Ein Kürbis dient als Resonator. 

Ein ähnliches Instrument ist das in Abb. 4 dar- 
gestellte aus Usaramo; bei diesem ist kein Steg vor- 
handen, der die Saite vom Saitenträger entfernt, statt 
dessen ist die Saite zwischen zwei Pflöcken ausgespannt, 
von denen der eine in schräger Richtung in den Stab 

... , , , i i • Altb.4. Monochord aus 

eingelugt ist, wahrend der andere hakenförmig ge- u«ar»mo (in e jsb9). 
bogene in dem entgegengesetzten Ende des Saiten- ' ' 4 w - Gr- 
trägere steckt. Die Saite verläuft nicht frei, sondern ist in die 
Aufhängeschour der Kalebasse eingebunden. Durch Verschieben des 

>) Angola and the River Congo. London 1875. S. 139. 

') A. Sparrmauns Reise nach dem Vorgebirge der guten Hoffnung. Berlin 178-1. 
S. 214. H. Lichtenstein, Reisen im südlichen Afrika. Berlin 1812, 11. 870. Burchell, 
Travel* in the Interior of Southern Africa. London 1822, I. 459 (Abb. S. 475 u. Taf. IX). 
Was Scbinz (S. %) Gorra nennt, ist die Gubo. 



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Kürbisses kann die Saite verlängert oder verkürzt und mehr oder weniger 
straff gespannt werden. Dazu gehören zwei dünne Stäbchen zum Schlagen 
der Saite. 

Im Princip den eben beschriebenen Monochorden gleich gebaut, von 
ihnen aber unterschieden durch den in bestimmter Weise geschnitzten 
Saitenträger und die eigenartige Konstruktion des Resonanzkürbisses sind 
eine Anzahl Instrumente, von denen die Abb. 5 eine Vorstellung giebt. 
Der Saitenträger ist ein Stab von rechteckigem Querschnitt, längs dessen 
eine Saite auf der oberen schmalen Kante über eine Reihe senkrecht zum 
Stabe stehender Vorsprünge von einem Ende zum andern gespannt ist. 
Ausser über diese Vorsprünge läuft die Saite auch noch über eine zweimal 
rechtwinklig geknickte Federspule, die dicht au dem einen Ende des 
Saitenträgers so festgebunden ist, dass ihr mittlerer wagrechter Theil 
ungefähr in gleicher Höhe mit den oberen Enden der erwähnten Vor- 




Abb. 5. Saltonln.xtrument (scse) der Wayao (III K 3129). '/« d. w. Or. 
a) Befestigung des Resonanzkürbi«. 



sprünge liegt. Eine zweite Saite, die an mehreren Instrumenten des 
Berliuer Museums fehlt, ist längs einer der breiten Seiten des Stabes ge- 
zogen. Ein Instrument (Wawemba) scheint sogar drei Saiten gehabt zu 
haben. Unter dem Stabe hängt in der Nähe eines Endes der Resonanz- 
kürbis, der aus zwei Theileu besteht, einem halbirten, unten offenen 
Kürbis, dem eigentlichen Resonanzboden, und einem auf diesen aufge- 
setzten Hals, ebenfalls ans Flaschenkürbis, dessen oberer Rand mit zwei 
rechteckigen Einschnitten zur Aufnahme des Saitenträgers versehen ist 
(Abb. 5a). Eine Schnur, die den unteren Kürbis in seinem Scheitelpunkt 
durchbohrt und an einem Querstäbchen eudigt, bindet den Resonanz- 
apparat an den Saiten träger. Die Saiten sind uicht mit eingebunden. 

Der Saitenträger, der, wie schon erwähnt, aus einem vierkantigen 
platten Stabe besteht, ist in einer ganz typischen, bei allen Exemplareu 
im wesentlichen übereinstimmenden Art geschnitzt. Er besitzt nämlich 
stets eine Anzahl von Vorsprüngen, die auf die Schmalseiten senkrecht 



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9 - 



zur Richtung des Stabes aufgesetzt sind. Zunächst befindet sich je einer 
an jedem Ende, auf welchen beiden die Saite ruht; diese dienen also 
als Stege. Dasjenige Ende, an welchem die Federspule angebracht ist, 
hat gewöhnlich nur diese eine Erhöhung, am anderen Ende aber folgeu 
nun noch regelmässig drei ähnliche säulenförmige Vorspränge, zuweilen 
sogar noch mehr, wie bei dem abgebildeten Instrument. Diese Vorspränge 
haben unzweifelhaft denselben Zweck wie die Querleisten auf dem Griff- 
brett der Guitarre, nämlich die Verkürzung des schwingenden Theils der 
Saite dadurch, dasa der Spieler dieselbe mit den Fingern der linken Hand 
auf das obere Ende dieser Vorspränge drückt. Dass die Vorspränge sich 
nicht nur auf der oberen Kante des Saitenträgers erheben, wo sie eineu 
praktischen Zweck haben, sondern sich auch nach unten fortsetzen, 
geschieht offenbar nur der Symmetrie wegen. 

Unklar ist mir dagegen der Zweck der doppelt geknickten Federpose; 
da sie aber niemals fehlt, so ist anzunehmen, dass sie einen solchen hat. 
Dass sie als Steg fungiren soll, ist wenig wahrscheinlich ; denn diese Auf- 
gabe erfällt schon der geschnitzte Vorsprung, neben dem sie augebunden 
ist ; oder sollte sie nur ein zweckloses Ueberbleibsel aus einer Zeit sein, 
als der Saitenträger noch nicht in dieser Weise geschnitzt, sondern nur 
ein glatter Stock war? 1 ) 

Gespielt wird das Instrument genau ebenso wie der einfache Musik- 
bogen. Der Spieler presst den Kürbis gegen die Brust, hält mit der 
linken Hand den Saitenträger und drückt mit den Fingern derselben die 
Saiten abwechselnd gegen die verschiedenen Vorspränge, während er mit 
der Rechten die Saite mittels eines Plektrons aus Holz in Schwingungen 
versetzt. Ä ) 

Dritte Gruppe. Bei den Instrumenten dieser Gruppe sind im 
Gegensatz zu den beiden ersten Saitenträger und Resonanzboden fest ver- 
bunden, indem jener, ein gerader oder schwach gebogener Stock, durch 
diesen hindurchgesteckt ist. Abgesehen von dieser fundamentalen Uebcr- 
einstimmung der Konstruktion sind die hierher gehörigen Instrumente 
aber so verschieden, dass es zweckmässig erscheint, sie in mehrere Unter- 
abtheilungen zu sondern. 

') Dieses Instrument heisst in Ostafrika Sese, in Madagaskar Lokanga. C. Engel 
beschreibt nun ein madagassisches Instrument, das er mit letzterem Namen bezeichnet, 
folgeudermasseu: „Wood; grotesquety carved, painted and decorated with feathers. The 
under part of the body coated with reeds, beld together by lattice work. Four-stringed " 
(Deseriptive Catalogue of the mosical Instruments in the S. Kensington Museum. London 
1874. S 149.) Nach dieser Beschreibung muss man bezweifeln, dass es sich in der 
Tbat um die madagassische Lokanga handelt. Welcher Art das geschilderte Saiten« 
Instrument ist, vermag ich daraus nicht zu entnehmen. 

«) L. Catat, Voyage ä Madagascar. Paris 1S95. S. 275. 



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— 10 — 



In der ersten von diesen (Gruppe III a) besteht der Resonanzkasten 
aus Holz oder Flaschenkürbis, bei zwei Instrumenten der Wasaramo aus 
einer Kokosnuss, ist unten offen oder hat nur eine seitliche Oeffnung 
(wie bei dem abgebildeten Exemplar Abb. 6) und ist oben mit Fell oder 




Abb. 6. Saiteninstrument der Manganducha (III E SJ51) V« d. w. Gr. 

Eidechsenhaut überspannt. Die einzige Saite läuft von einem Ende des 
Saitenträgers über die Membran des Resonanzkastens bis zu einem am 
andern Ende senkrecht im Saitenträger steckenden drehbaren Pflock. Bei 
einem von den Wakamba stammenden Instrument bat man an dem durch 
den grossen, mit Kauris verzierten Kürbis gesteckten Stock ein Stück 
eines Seitenzweiges stehen lassen zur Befestigung der Saite (Abb. 7); 
letztere fehlt jetzt (in der Zeichnung durch eine puuktirte Linie ange- 
deutet). 

Ueber die Art, wie dfese Instrumente gespielt werden, habe ich nur 
die eine, zu dem in Abb. 6 dargestellten gehörige Angabe des Sammlers, 
dass die Saite dicht an der Trommel mit einem angefeuchteten Schilfblatt 
gestrichen wird. 

Die zweite Unter- 
abtheilung (Gruppe III b) 
umfasst Instrumente, als 
deren Typus die arabische 
Rabab angesehen werdon 
kann. Dieselbe hat nach 
der Beschreibung von 
Lane,') der ich hier folge, 
da das Berliner Museum 
kein solches Instrument 
besitzt , als Resonanz- 
kasten einen trapez- 
förmigen, vorn mit Haut bespannten, hinten offenen Holzrahmen. Der 
hölzerne, mit eisernem Fuss versehene Saitenträger durchbohrt die beiden 
parallelen Seiten des Trapezes, von denen die kürzere oben, die längere unten 
liegt, und trägt eine oder zwei Saiten aus Pferdehaar, die oben an Wirbeln 

') Au aecount of the manners and cnstoms of the modern Egyptians. London 1836 
II, 75 (Abb. S. 74). 




Abb. 7. Saiteninstrument der Wakamba (III E 6JM). 
V, d. w. Gr. 



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11 



befestigt sind und durch einen Steg 
gestützt werden. Die Rabab wird mit 
einem ebenfalls mit Rosshaar bespanuton 
Bogen gestrichen. 

Die in Abessinien 
gebräuchliche Rabab 
unterscheidet sich 
von der ägyptischen 
dadurch , dass der 
Resonanzkasten die 
Gestalt eines Rhom- 
bus hat, der vom 
Saitenträger in der 
Diagonale durch- 
bohrt wird. Sie hat 
ausserdem keine 
Wirbel, soudern die 
Saite ist an einem 
Lederring befestigt 
(Abb. 8). 

Ein der Rabab 
ähnliches Instru- 
ment, das gleichfalls 
mit einem 




Abb. 9. SnitoniiiKtrumcnt 

Bogen au* Togo in c mo . 

Abb. 8. Rab.b an» Abostnlon (III Ab loio). gespielt wird , ist a) Ste *- b) BoRen - 
'/.d.w. Gr. Ö 1 .. ' 'I w.ßr. 

die ägyptische 

Kemengeh, die einen Resonanzkasten aus einer mit Fischhaut über- 
spannten halbirten Kokosnuss hat; die zwei Saiten sind oben an Wirbeln 
befestigt: ein doppeltes Lederband unischliesst unterhalb der Wirbel 
Saitenträger nnd Sailen. Der Saitenträger setzt sich unterhalb des 
Resonators als langer 
eiserner Fuss fort, mittels 
dessen das Instrument 
auf den Boden gestützt 
wird.») 

Das in Abbildung 0 

Ab»«. 10. Saiteninstrument der Papel (III C 24.T.»)- ' , d. w. Ür 

dargestellte, ans (lern 

nördlichen Togo stammende Instrument, Vertreter eines im Sudan weit 
▼erbreiteten Typus, hat einen mit Haut bespannten Resonanzkürbis und 




') Abbildung bei Lane II, 63. 



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einen leicht gebogenen Saitenträger, der den Kürbis durchbohrt. Die 
Saite besteht aus einem Bündel Pferdehaar; sie geht über den Resonanz- 
boden hinweg und ist mit einer Schlinge über das Ende des Saiten- 
trägers gehakt. Ein dreieckiger Steg (Abb. 9a) unterstützt die Saite. 
Abb. 9 b zeigt den zugehörigen Bogen mit Rosshaarsehue. 



Abb. 10 endlich stellt ein ziemlich rohes Instrument der Papel dar t 
das ich wegen seiner allgemeinen Aehnlichkeit mit den Instrumenten 




Abb. 11. Saiten- Abb. Ii. Sniten- Abb. 13. Saiten- Abb. 14. 

instrument nus Instrument aus Hassan instrument a. Marokko Saiteninstrument a. Marokko 
Tib«Ui(MICS*Xj). (III C 867«). (in B 363). (III B 57) 

V. d. w. Gr. > , d. w. Gr. >/• d. w. Gr. V. d. w. Gr. 



dieser Gruppe hier wiedergebe, obwohl ich nicht weiss, ob es auch mit 
einem Bogen gespielt wird. Der Resonanzkasten ist ein oben mit Haut 
bespannter, unteu offener Kürbis, der Saitenträger ein halbirter Bambus. 
Die vier jetzt fehlenden Saiten waren an Wirbeln und am andern Ende 
an kleinen Holzstiften, die in der Wand der Kalebasse stecken, befestigt. 



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- 13 - 



Die Instrumente der dritten Untergruppe (Gruppe III c) haben den 
beiden ersten gegenüber das Gemeinsame, dass der Saiten träger nicht in 
der Wand des Resonanzbodens selbst, sondern nnr unter der Haut steckt 
und unter einem Loch derselben in der Nähe des unteren Endes des 
Resonators endigt. Hier sind die Saiten an ihm befestigt, und er läuft 
zur Erleichterung der Befestigung meistens in zwei oder drei Spitzen 
aus, entsprechend der Anzahl der Saiten. Oben sind die Saiten gewöhn- 
lich an Lederriemen, die um den Saitenträger gewickelt sind, angebunden, 
nur Instrumente aus Marokko haben Wirbel. Zuweilen (bei Instrumenten 
aus Togo und Dahome) ist der Saitenträger zweimal durch das Fell des 
Resonators gesteckt, offenbar der festeren Lage wegen; hin und wieder 
liegt unter dem Fell auch noch ein Querstab. Der Resonanzboden selbst 
besteht entweder aus Flaschenkürbis oder aus Holz, ist halbkugelig oder 
trogförmig, oder er hat die ovale Form einer Mandoline. Das Fell, mit 
dem er bespannt ist, ist entweder angepflöckt oder mit Riemen auf der 
Rückseite zusammengezogen. Die Saiten bestehen meistens aus gedrehten 
Lederstreifen oder aus Thiersehne; nur einige Instrumente aus Adamaua 
haben Rosshaarsaiten (Abb. 11); letztere werden vielleicht mit einem 
Bogen gespielt; alle übrigen mit einem Plektron. 
Die verschiedenen Typen der Instrumente dieser 
Untergruppe veranschaulichen die Abbildungen 11 
bis 14. 

An diese Gruppe lassen sich am ehesten einige, 
hauptsachlich nordafrikanische Instrumente an- 
gliedern, die freilich einem viel fortgeschritteneren 
Stadium des Instrumentenbaues angehören, als die 
eben beschriebenen, die aber durch ihre Gestalt 
noch verrathen, dass auch sie aus solchen, aus 
einem Kürbis und einem Stock zusammengesetzten 
Instrumenten hervorgegangen sind. 

Dazu gehört die ägyptische Laute (»öde) mit 
ovalem Resonanzbodeu, einem Griffbrett, das im 
Winkel von ca. 50° geknickt ist, und 14 Darm- 
saiten. Ein Stückchen Federspule dient als Plektron.') 

Ein ähnliches Instrument giebt es in Marokko, 
wo es den Namen Rabab führt (Abb. 15), obgleich 
es mit der wirklichen Rabab keine Aehnlichkeit 
hat. Dasselbe hat einen länglichen Resonanzboden mit einwärts ge- 
schweiften Saiten, ein ebenfalls geknicktes Griffbrett, nur zwei 8aiten 

') Abbildungen bei Lane II, 70, 71 und bei Fetis, Histoire generale de la Musique. 
Paris 1869. II 109. 




Abb. 15. Rabab mit Bogen 
aiu Marokko (in B 61) 
V. d. w. Or. 



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und wird mit einem Bogen gespielt. Darin allein gleicht es der ägyptischen 
Rabab, während es in der Form ganz mit der Laute übereinkommt. Der- 
artige Instrumente finden sich endlich auch in Sansibar und überhaupt 
in ganz Ostafrika, soweit Araber vorgedrungen sind und ihre Kultur ver- 
breitet haben. 

Vierte Gruppe. Der Resonanzkasten 
besteht aus Kürbis oder Holz und ist im letzteren 
Falle entweder aus einem Stück gearbeitet 
oder besitzt einen Boden aus einem besonderen 





Abb. 17. Steg eines Saiteninstrumente» au« Tschautscho 
(in C 59*3). ' , il. w.Gr. 

Brett, das vorn und hinten beträchtlich vor- 
springt (Abb. 16). Durch diesen Kasten, der 
oben mit Fell oder Eidechsenhaut bespannt 
ist, geht der Länge nach ein mehr oder 

Abb.,«..s ni ten«n.tr,une„tusa n k,,", weDi g er «u^ärts gebogener Stab, in seinem 
au» Banjau (T«»g.o ("i < <sj7). freien Theil von verschiebbaren Bastringeu um- 
geben, an denen die Saiten befestigt sind. Diese 
laufen von hier über einen Steg, ein längliches Brettchen, das in schräger 
Richtung auf dem Fell des Resonanzbodens steht und an beiden Längs- 
kanten Einkerbungen zur Aufnahme der Saiten hat. Hinter dem Steg 
vereinigen sich die Saiten gewöhnlich zu einem Strange und endigen an 
dem hinteren Ende des Saiteuträgers oder an einer von demselben zur 
Spitze des Steges gezogenen Schnur. Die Saiten, deren Zahl meist 6—8 
ist, sind also in zwei parallelen Reihen angeordnet. Bei einem Stück des 
Berliner Museums, zugleich dem einzigen, bei dem der Resonanzboden 
aus einem Stück besteht, gehen die Saiten nicht durch Kerben der Steg- 
ränder, sondern durch zwei Reihen Locher iu demselben und sind hier 
durch Holzstifte festgeklemmt (Abb. 17). 



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- 15 - 



Ein Rieseninstrnnient dieser Art ist das in Abb. 18 abgebildete mit 
22 Saiten. Die Ringe am Saitenträg» t sind ans Leder geflochten; die 
Saiten endigen nicht am Hinterende des Saitenträgers direkt, sondern an 
einer in demselben steckenden mächtigen eisernen Oese; der Steg ruht 
auf einem Kissen; unter das Fell sind 
zu seiner Unterstützung zwei mit dem 
Saitenträger parallele nnd ein zu ihm 
senkrechter Stock gesteckt; im Kürbis 
oben neben dem Eintritt des Saiten- 
trägers befindet sich eine viereckige 
Schallöffnung. 

Ueberein8timmend mit der dritten 
Gruppe ist also bei diesen Instrumenten 
die Befestigung der Saiten an den beiden 
Enden des Saitenträgers, abweichend 
aber die Anordnung derselben in zwei 
parallelen Reihen, die durch die Ein- 
schaltung des treppenförraigen Steges 
ermöglicht wird. 

Fünfte Gruppe. Gemeinsame 
Kennzeichen der Instrumente dieser 
Gruppe, die als Harfen bezeichnet werden 
können, sind: eine mit Haut bespannte 
Trommel aus Holz oder Flaschenkürbis 
als Resonator, ein durch denselben hin- 
durchgesteckter oder sonstwie an ihm 
befestigter Stock als Saitenträger und 
die Anordnung der Saiten in einer zur 
oberen Fläche des Resonanzbodens senk- 
rechten Ebene, endlich die Befestigung 
der Saiten einerseits au Wirbeln, anderer- 
seits an einem besonderen, dicht unter 
dem Resonanzfell liegenden Holzstabe, 
zu welchem jede Saite durch ein be- 
sonderes Loch gelangt. Die bei aller Gemeinsamkeit der Grundzüge be- 
trächtlichen Verschiedenheiten im einzelnen nöthigen aber zu einer 
Theilung in Unterabtheilungen. 

Gruppe Va. Die Waganda-Harfe (»nangac) (Abb. 19). Als 
Resonanzboden dient eine ovale Holzschale, deren Oeffnung mit Haut 
(meist von einer grossen Eidechse) überzogen ist; letztere wird durch 
Schnüre, die von ihrem Rande radial zusammenlaufen und an einem die 




Abb. 18. Saiteninstrument von ilon 
BiasagoB-Inaeln (III C 98M) '/■ d. w. Or. 
a) Befestigung der Saiten, b) Steg, 
d. w. Gr. 



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— 16 — 



Mitte des convexen Rückens der Holzschale bedeckenden viereckigen Haut- 
stücke endigen, straff gespannt (Abb. 19a). In dieser Schale steckt in 
der Richtung ihrer Längsaxe ein nach oben gekrümmter Stab aus hellem 
Holz mit acht Pflocken zur Befestigung der acht Saiten aus gedrehtem 
Ziegen- oder Schafdarm. 1 ) Die Art der Befestigung zeigt Abb. 19c 




Abb. 19. Harf« der Wnganda (III E J3W). a) Rückseite des Abb. 20. Harfe der 

Resonanzbodens ; b) Querschnitt durch denselben; '/ 4 d. w. Gr. Niam - Nlam (III Ab 842). 
c) Befestigung der Saiten. •/, d. w. Gr. '/« d. w. Gr. 



Die Saiten endigen unten an einem in der Mittellinie des Resonanzkastena 
dicht unter der Haut liegenden Holz (vgl. den Querschnitt Abb. 19b), 
das mit einem Ende auf dem Saitenträger, mit dem andern auf dem 
unteren Rande der Holzschale ruht. Die mit Eidechsenhaut überzogenen 
Ringe, die zwischen den Wirbeln nm den Saiteuträger gelegt sind, sollen 
das Splittern desselben verhindern. 1 ) Das ganze Instrument sieht, wenn 

>) Die 3 Exemplare des Berliner Museurna haben sämmtlich 8 Saiten; Wilson und 
Felkin ^Uganda I 154) geben 6-8 Saiten an. 
*) Wilaon & Felkin I 154. 



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— 17 - 

man sich die Haut wegdenkt, wie ein riesiger Löffel ans. Alle Theile 
sind, wie bei einem Erzengniss des Kunstfleisses der Waganda zu erwarten, 
ausserordentlich sorgfältig und saaber gearbeitet. 

Eine ähnliche Harfe, die Baker in Obbo östlich vom Nil (4° n. Br.) 
sah, hatte nach seiner Beschreibung acht Saiten; auffallig ist nur, dass 
der Saitenträger, wenn man der Richtigkeit der Abbildung vertrauen 
darf, mitten aus dem Resonanzfell hervorkommt. 1 ) 




Abb. Ii. Harfe der Batta (III F 698) Abb. 28. Harfe an» Tibati (III C 5199) 

1 . I. »• 'fr. a) Ansicht des Kcsonanekastens '/• «I. w. Gr. a) Querschnitt durch den 

von oben Vi» b) Querschnitt durch den- Hesonanzkaiten */«• b) Befestigung der 
selben ■/» c) Saltenbofestlgunj ' .. Saiten > V 

Gruppe Vb. Die A-Sandeh-Harfe (»kundi«) (Abb. 20). Sie 
gleicht der vorigen in allem Wesentlichen, abgesehen von der Zahl der 
Saiten, die nur fünf beträgt, und von der Gestalt des Resonanzbodens, der 

') Baker, Der Albert Nvansa. Jena 1867. I 10 und 335. 

8 



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- 18 — 



mit seinen ausgeschweiften Rändern lebhaft an die Gestalt unserer Violine 
erinnert. Indes kommen auch andere Formen vor, wie die Abbildung bei 
Junker 1 ) zeigt. Der Resonanzbodeu ist ganz mit Haut überzogen, die 
auf dem Rficken desselben zusammengenäht und auf der oberen Fläche 
mit zwei Schalllöchern versehen ist. Die Arbeit ist nicht so elegant und 
sorgfältig wie in Uganda, dafür ist aber der Saitenträger kunstvoll geschnitzt 
und trägt an der Spitze meistens einen Kopf mit der typischen Frisur 
der A-Sandeh. 

Gruppe Vc. Hierher gehören Harfen aus Adamaua mit 6—10 Saiten 
und einem länglichen trogförmigen Resonanzkasten aus Holz. Der Ueber- 
zug von Haut, die den letzteren ganz umhüllt, erstreckt sich meistens 
auch noch auf das untere Endo des Saitenträgers. Tin Uebrigen stimmen 




Abb. 23. Harfe au« Kotufo. (III F M>J). n'i Läi»K*schnitt durch die Kiiwitrstello de« Saitenträger», 
b) Querschnitt durch den Ke*onanzki*ten. d.W. Gr. 



diese Instrumente mit denen der beiden erstcu Unterabtheilungen über- 
ein (Abb. 21 und 22). 

Etwas abweichend ist das Instrument Abb. 23 mit seinem beinahe 
rechtwinklig gebogenen Saitenträger. Beachtenswert!) ist auch die Be- 
festigung des den Resonanzkasten überdeckenden Fells: es wird durch 
Schnüre gespannt, die durch eine um den Kasten herumlaufende, mit 
Löchern versehene erhabene Leiste gezogen sind. Die Saiten fehlen, aber 
an der Zahl der Löcher im Resonanzfell kann man ersehen, dass es 
sieben gewesen sind, während der Saitenträger acht Löcher zur Aufnahme 
derselben hat. Wirbel hat das Instrument nicht. Dieselben fehlen auch 
bei einer ganz gleichen Harfe mit sechs Saiten, die Mockler-Ferryman 

') Reisen in Afrika. III 20. 



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- 19 - 



mit der Angabe abbildet, dass sie besonders bei den Dschuko am mittleren 
Benue in Gebrauch sei. 1 ) 

Gruppe Vd. Diese Untergruppe weicht von den vorhergehenden 
nur in der Art der Anbringung des Saitenträgers ab. Der trogförmige, 
aus eiuem Stück Holz ausgehöhlte und mit Fell überspannte Resonanz- 
boden hat nämlich an dem oberen 
Ende einen meistens geschnitzten, oft 
in einen menschlichen Kopf aus- 
laufenden Fortsatz, auf dessen oberer 
Fläche der Saitenträger mit schräg 
abgeschnittenem Ende ruht und mit 
Kotang oder dergleichen festgebunden 
ist. Beide Theile sind zu diesem 
Zweck mit Löchern versehen. Die 
Saitenzahl beträgt 8—10 (Abb. 24). 

Sechste Gruppe. DerResonanz- 
boden ist gewöhnlich ein Holz- 
kasten von wechselnder Form, der 
eutweder aus einem Stück gearbeitet 
oder aus mehreren Brettern zusammen- 
gefügt ist nnd an irgend einer 
Stelle eine Schal löffnung besitzt. 
Er ist niemals oben offen und mit 
Haut überspannt, sondern besteht 
immer ganz aus Holz. An Stelle des 
einen Stabes aber, der bei allen 
bisher betrachteten Instrumenten die 
Saiten trug, tritt hier für jede Saite 
ein besonderer gebogener Stab. Die 
Zahl der Saiten und damit der 
Saitenträger schwankt zwischen 3 
und 8, und zwar kommen alle da- 
zwischenliegenden Zahlen vor. 

Nach der Art und Weise der 
Verbindung der Saitenträger mit dem 

Resonanzkasten kann man drei Unter- ^J^^^Cl^'' 
abtheilungen unterscheiden: in der 

ersten (Via) liegen die Stäbe unter dem Kasten und stecken mit ihren 
Hintereuden in einer hervorspringenden Querleiste der unteren Fläche 




«) Mockler-Ferrynian, Up the Niger. London 1892. S. 266. 



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- 20 - 



desselben; in der zweiten (VIb) liegen sie ebenfalls unter dem Kasten, 
sind aber nur an denselben angebunden, während sie in der dritten 
Abtbeilung (VIc) die Vorderwand desselben durchbohren. 

Gruppe Via ist 
die bei weitem zahl- 
reichstederdrei Unter- 
gruppen und lässt sich 
beider grossenMannig- 
faltigkeit der zuge- 
hörigen Instrumente 
ihrerseits wiederum 
theilen. 

1. Der Resonanz- 
kasten ist ein 
nach vorn spitz 
zulaufender, hin- 
ten mit breiter 

Fläche endigen- Abb - 2S - Saiteninstrument vom Kiiango (III C UM). 

von unten (BefoHtlgung der SnitentruRer). '/• d. 

der Kasten mit 

einem Deckel, der nach vorn beträchtlich vorspringt, hinten aber 
den Kasten nicht vollständig deckt. Die fünf Saiten aus Pflauzen- 
faser sind an den aufwärts gerichteten Enden der Stäbe festge- 
bunden und verschwinden dicht vor dem Hinterrande des Deckels 
uud unmittelbar hinter einem niedrigen Stege in fünf feinen Löchern 
des Deckels, unter dem sie endigen (Abb. 25). 

Das in Abbildung 26" dargestellte Instrument der Bakuba 
(»lukoude«) gehört ebenfalls hierher, unterscheidet sich aber dadurch, 
dass es keinen besonderen Deckel besitzt, sondern aus einem Stück ge- 
schnitzt und hinten ganz offen ist, sowie durch die Zahl der Saiten, 
die acht beträgt. 




a) Ansieht 
w. Or. 




Abb. J6. Saiteninstrument der Bakuba (III 0 3216). ») Längsschnitt durch den 

Beaonan«ka»ten. ',, d. w. Gr. 



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— 21 - 



2. Der Resonanzapparat ist ein rechteckiger Kasten, an dem Deckel 
und Rückwand aus besonderen Brettern bestehen, letztere mit 
einem Ausschnitt am oberen Rande. Die Seiten wände springen 
nach vorn vor und sind halbmondförmig ausgeschnitten. Vier 
Saiten aus Pflanzenfaser siud vorn in einen Spalt der Spitze des 
Saitenträgers geklemmt, hinten befestigt wie bei 1, nur dass sie 
nicht bloss durch den Deckel, sondern auch noch durch ein 
Stückchen Fell gezogen sind (Abb. 27). Bei einem zweiten sonst 
ganz gleichen Instrument ist der Resonanzkasten nicht vierkantig, 
sondern unten abgerundet. 



a 

Abb. 27. Saiteninstrument der Mayakalla (III C 1589). a) Rückseite. «/« d. w. Or. 




Abb. ?8. Saiteninstrument der Dakota (III C 5770). % d w. Or. 



3. Ein rechteckiger Resonanzkasten mit aufgenageltem Deckel, letzlerer 
wie die Seitenflächen reich geschnitzt und bemalt und mit einer 
hohen Querleiste nahe dem hinteren Ende, die als Steg dient. 
Hinter derselben die Löcher zur Befestigung der Saiten und 1—2 
grosse rechteckige Schalllöcher. Die Zahl der stets aus Pflanzen- 
faser bestehenden Saiten betragt sechs (Abb. 28). Alle diese 
Instrumente stammen aus dem südlichen Kamerun, vornehmlich von 
den Bakoko. Aehnlich, aber roher gearbeitet, un verziert und mit 
«tark vorspringendem Boden ist ein angeblich von den Bali 




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- 22 - 



stammendes Exemplar. Einzig auter allen Stücken des Berliner 
Museums, weil aus Palmblattrippen zusammengesetzt, statt aus 
Holz geschnitzt, sonst aber in allem, auch in der äusseren Gestalt, 
übereinstimmend mit den oben beschriebenen ist ein Iustrument 
mit der ungenauen Herkunftsangabe iKamerunc. 

4. Während bei den bisher beschriebenen 
Instrumenten die Saitenträger nur unten in 
der Nähe des Resonanzbodens an einer oder 
zwei Stellen durch Querstäbe miteinander 
verbunden sind, sonst aber frei in die Luft 
ragen, sind sie in dieser Abtheiluug fast in 
ihrer ganzen Ausdehnung durch Flechtwerk 
so vereinigt, dass nur die äussersten Spitzen 
frei bleiben. Das Instrument erhält dadurch 
eine bedeutend erhöhte Festigkeit. Das 
Geflecht aus gespaltenem Rotang ist sehr 
sorgfältig ausgeführt und bildet meistens 
zierliche Muster. Die Zahl der Saitenträger 
und der Saiten ist fünf. Die Pflanzenfaser- 
Saiten sind in einen Spalt der Spitze des Saiten- 
trägers geklemmt (wie bei 2) und hinten dicht 
hinter einem niedrigen Steg durch Locher 
des Deckels gezogen. Bei dem abgebildeten 
Exemplar (Abb. 29) sind sie in eine Schlinge 
eingebunden, durch deren Verschiebung die / iu 
Saite stärker oder schwächer gespannt / ' 
und gleichzeitig der schwingende Theil 
derselben verlängert oder verkürzt werden 
kann. Der Resonanzkasten ist nach vorn 
verschmälert , in • der Rückwand befindet 
sich meist dicht unter dein Deckel ein Loch. 



a 



'1 



Gruppe VIb. Zu dieser Unterabtheilung 
gehören Instrumente von der Form eines auf einer 
Kante stehenden dreiseitigen Prismas, aus vier 

° ' Abb. 21». Saiteninstrument 

Brettern bestehend, hinten offen. Die Bretter «bi Losngo au c no. «, «i. 

. . » ■ i j- ci •» w. Gr. ») Ende ««in«»« Saitcn- 

sind zusammengebunden, ebenso sind die aalten- träger«. ■/«. 

träger an der unteren Kante festgebunden (Abb. 30). 

Die Saitenzahl beträgt bei zwei aus dem Gebiet des unteren Niger stammen- 
den Stücken 8, das dritte, das aus Süd- Kamerun kommt, hat nur 
5 Saiten. 



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- 23 



Gruppe VIc umfasat die Instrumente, bei denen die Saitenträger 
durch die Vorderwand des Kasteus gesteckt sind. Die Stücke des Berliner 
Museums zerfallen in zwei auch durch ihre Herkunft weit getrennte 
Gruppen, die miteinander nichts als die eben erwähnte Eigentümlichkeit 




Abb. SO. Saiteninstrument au« Assaba (unt. Ni K er) (III P J19). '/, d. w. Or. 



gemein haben. Bei der einen ist der Resonanzkasten ein Holztrog mit 
einem aufgeklebten oder angebundenen Deckel, der den hinteren Theil 
des Troges unbedeckt lüsst; die Zahl der Saiten ist 5 resp. 7 (Abb. 31). 
Bei der anderen Gruppe ist der Kasten aus sechs Brettern mit Holzstiften 
zusammengenagelt, die drei Saitenträger sind schmale Bambuslatten und 
die Saiten laufen von ihnen bis zu drei in der Rückwand steckenden 




Abb. 31. Saiteninstrument .Irr Ovambo III I) i«ST . ' , iL w. Or. a) Längsschnitt 

■luroh «Ion Resonanzkasten. 1 ,. 



Holzpflöcken (Abb. 32). Von den drei im Berliner Museum befindlichen 
Stöcken hat der Resonanzkasten des einen gar kein Schallloch, beim 
zweiten befindet es sich im Deckel, beim dritten im Boden. 

Die siebente Gruppe wird durch die sogenannte Harfe der Kru 
gebildet (Abb. 33), die nur auf einem kleinen Gebiet von Oberguinea 
vorkommt und kein Analogon in einem anderen Theil Afrikas hat. Die 



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- 24 - 

Saiten sind zwischen zwei einen spitzen Winkel bildenden und aneinander 
gebundenen Stäbeu ausgespauut. Der eine Stab bat für jede Saite ein 
Loch, die hindurchgezogen und dann um den Stab gewickelt ist, während 
sie an dem anderen Stabe einfach festgebunden ist. Zwischen den freien 
Enden der beiden Stäbe ist eiu dritter Stab als Stütze angebracht, so 




Abb. SJ. Saiteninstrument der Bule (III C 98JO). »/, d. w. Gr. 





Abb. 33. SaitpninMrumont der Kru 
(III 0 1540). Vi d. w. Gr. 



Abb. 34. Lyra der Abaka (III Ab Mg). 
Vi d. w. Gr. 



dass ein dreieckiges Gestell als Saitenträger entsteht. An der Spitze des 
Dreiecks ist ein halbirter Kürbis als Resonator angebracht, iudem er auf 
den einen der beiden Stäbe aufgespiesst und festgebunden ist. Die 5 — 7 
Saiten 1 ) aus Pflanzenfaser (Bambusrinde nach Büttikofer) werden beim 



') Nach Büttikofer. Die Stücke im Berliner Museum haben 6 resp. 7 Saiten. 



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— 25 — 



Spielen mit dem Daumen der linken und den vier anderen Fingern der 
rechten Hand zum Tönen gebracht, wahrend der Kürbis auf der Brust 
des Spielere ruht 1 ) 

Nach einer Angabe bei ^ 

Frobeuius*) kommen Kru- 
Harfen vor, bei denen die 
Saiten in Stimrascblingen 
liegeu, wie bei dem oben be- 
schriebenen und abgebildeten 
Saiteninstrument aus Loango 
(Abb. 29). 

Die achte Gruppe 
umfasst Instrumente, die der 
antiken Lyra gleichen (Abb. 
34—36). Eine runde oder 
ovale Schale aus Holz oder 
Kürbis oder der Rückenschild 
einer Schildkröte bildet, mit 
Haut bespannt, den Resonanz- 
boden, ein Gestell aus drei 
Stäben den Saitenträger. Au 
dem Querstabe sind die Saiten 

befestigt (an drehbaren 
Ringen aus Leder), die beiden 
seitlichen Stäbe durchbohren, nach unten convergirend, die Haut des 
Resonanzbodens uud endigen innerhalb desselben. Die Saiten (aus 
Thiersehne) gehen durch ein grosses Loch im Trommelfell*) am 
unteren Rande des Resonanzbodens, dann durch letzteren selbst und sind 
hier an einem Holzstäbchen festgebunden. Die Zahl der Saiten beträgt 
5—10. Ausser dem Loch für die Saiten sind fast immer noch mehrere 
Schalllöcher vorhanden, 2 bei den Somal, 8 bei den Völkern am oberen 
Nil u. s. w. Die Spannung des Fells geschieht in ähnlicher, wenn auch 
nicht immer so zierlicher Art wie bei den Ugauda- Harfen (vgl. oben 
S. 14, Abb. 19a). Nur die Leiern aus Ussoga weisen die gleiche saubere 
Arbeit auf (Abb. 35). Die abessinische Lyra (Abb. 36) hat eine Vor- 
richtung zum bequemeren Spannen der Saiten, kleine Stäbchen, die in 
die Saiten dicht am Querbalken des Saitenträgers eingebunden sind. 




Abb. 3h. Lyra der Wasaoga (III E 2308.". ''. d. w. Gr. 



•) Bnttikofer, Reisebilder aus Liberia. Leiden 1890. II 236. 
*) L Frobenius, Dit Ursprung der afrikanischen Kulturen. Berlin 1H98. S 140. 
») Ein Instrument aus Ussoga hat zwei Locher nebeneinander, jedes für die Hälfte 
der zehn Saiten. 



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Neunte Gruppe. Ks tritt uns hier ein ganz neues Verfahren der 
Saitenausspannung entgegen; war es bisher stets ein mehr oder weniger 
gekrümmter Stab, längs dessen die Saiten entweder durch seine eigene 
Elasticität oder durch andere Mittel gespannt gehalten wurden, so haben 
wir jetzt au seiner Stelle ein Brett, über dessen Fläche die Saiten neben 
einander in einer Ebene liegen. Das einfachste Instrument dieser Art 




b) Saitenbefestigung. V, ü- w. Gr. 



zeigt Abb. 37. Ein länglich-viereckiges Brett ist auf einer Schmalseite 
mit fünf Einschnitten versehen, denen am entgegengesetzten Rande fünf 
Löcher entsprechen. Eine Schnur ist durch das erste Loch gezogen und 
durch eiuen Knoten gesichert, geht dann über das Brett, durch den 



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- 27 — 



ersten Einschnitt und durch den zweiten zurück, dann wieder über das 
Brett, durch das zweite Loch, zurück durch das dritte u. s. w. Zwei 
dünne Querhölzer erheben die Saiten etwas über das Brett, ein Kürbis 
dient der Schallverstärkung. Hier haben wir das Princip in seiner 





Abb. 37. Saiteninstrument vom 
Westufer des Nya.sa (III E 8709) 
»/« d. w. Gr. 



Al>b. 3«. Saiteninstrument aus rnyamwoti 
(III E 3u59). " 6 d. w. Gr. 




primitivsten Ausgestaltung; bei einigen anderen Instrumenten ist das 
Brett etwas gebogeu und in der Mittellinie mit einer erhabenen, meist 
ausgezackten Leiste oder, wie bei dem abgebildeten Exemplar (Abb. 38) 
mit ein paar cylindrischen Knöpfen verziert; alle übrigen Instrumente 
dieses Typus unterscheiden sich nur 
dadurch, dass das Brett erhöhte 
Händer erhält und sich dadurch in 
eine Scbale umwandelt. Sonst bleibt 
alles unverändert. Die Saiten werden 
immer durch eine einzige, hin- und 
hergespannte Schnur gebildet, die 
entweder durch Löcher oder durch 

Einkerbungen an den beiden Enden der Schale geführt wird. Auch die 
beiden Stege bleiben vielfach, obwohl sie bei der Schaleuform eigentlich 
überflüssig sind. 

Die Gestalt der Schale variirt beträchtlich. Sie ist entweder recht- 
eckig oder oval; bei der ersten Form wird die Schnur stets durch Löcher 
geführt, bei der zweiten dagegen sind diese häutig durch Einschnitte der 
Schmalränder ersetzt. Das Verhältuiss zwischen Länge und Breite der 



Abb. 39. Saiteninstrument der Wanyakyuu 
(III E JM6). '/. d. w. Gr. 



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- 2S — 



Schale «schwankt ausserordentlich; während bei manchen beide Maasse 
fast gleich sind, giebt es andere, die bei einer Lange von mehr als 1 m 
nur 4 — 5 cm breit sind. Die Schmalseiten sind bald gerade abgeschnitten, 
bald oben mit einem wagrechten brettartigen Fortsatz versehen , in den 




1 1 




Abb. 40. 8aitenln«»rument Abb.41. Saltcninatruini-nt Abb. 4?. Saiteninstrument 
der Wahehe (III E 3830) d. Wa.isukuma (III E J6I8). der Warna (III E 1938). 
mit Querschnitt. «/«d.w.Or. »,', d. w. Gr. ' , d. w. Gr. 

die Löcher für die Saiten gebohrt sind. Die Läugsseiten sind parallel 
0 der, wie bei den erwähnten langen Instrumenten, nach innen geschweift 
(vgl. Abb. 40). Die ovale Form ist entweder ziemlich roh trogförmig 



♦ 



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— 29 — 



gearbeitet (Abb. 41) oder eleganter mit aufwärts und nach innen gebogenen 
Längsrämlern (Abb. 43, 44). Endlich finden sich auch kahnartige, spitz 
zulaufende Formen (Abb. 45). 




Abb. 4|. änlteninat nimmt au« Abb. 44. Saiteninstrument Abb. 4S. Saiteninstrument der 
Kuanila (III E SSM)) mit gurr- Tom Nynnsn (III K 3«72a) Atong»'(III K S19S). ' , «1. w.ür. 
■chnitt. »/# d. w. ür. mit Querschnitt. '/«d.w.Or. 



An einem Ende haben die Instrumente sehr häufig eineu Griff, der 
zuweilen in Form einer menschlichen Figur geschnitzt ist (Abb. 41). 
Unter dem Saitenträger hängt gewöhnlich als Resonanzboden eine grosse 
Kalebasse. Die Zahl der Saiten schwankt von G— 10. Bei den Instrumenten 



- 30 — 



des Berliner Museums finden sich G Saiten in 15 Fällen, 7 in 7, 8 in 4, 
0 in 2 und 10 in 10 Fällen (Abb. 38-45).') 

An diese Gruppe ist noch ein in der Anordnung der Saiten ganz 
übereinstimmendes, sonst aber unvergleichlich hoher stehendes Saiten- 
instrument anzuschliessen, nämlich der Kanün der Aegypten Der Re- 
sonanzboden hat die Form eines flachen Holzkastens, der an einem Ende, 
entsprechend der von einer Seite zur andern allmählich zunehmenden 
Länge der Saiten, schräg abgeschnitten ist. Der Kamin hat 72 Saiten, 
je 3 für eineu Ton. Dieselben sind an der schrägen Kante an Holz- 




Abh. 46. Saiten- Abb. 48. SnitoiiiiiKtrumont 

instrnnient d. Wakinga aus KohnitAbon. ,,I>ahomi<" (III (' MMC .1. '.d.w.Gr. 

III K 76Ji). 1 , d. w. ür. a) S<hematmrher Längsschnitt. ' , d. w. (ir. 

pflöcken befestigt, gehen dann durch eine zu dieser Kante parallele Leiste 
und in der Nähe des andern Endes des Instrumentes über einen Steg. 
Gespielt wird der Kanün mit zwei Plektren aus Büffelhorn, die in zwei 
auf die beiden Zeigefinger gezogene Ringe aus Messing oder Silber ge- 
steckt werden. 2 ) 

') L. Frobenius (Afr. Kult. S. 140) bezeichnet diese Instrumente mit dem Bantu- 
Wort Kinauda; letzteres .scheint aber in Ostafrika ein ziemlich allgemeiner Ausdruck für 
Saiteninstrument überhaupt zu sein, ja, es wird auch auf andere Musikinstrumente ange- 
wendet; so bezeichnet Cameron die Sansa der Wabudschwe mit diesem Wort, das er 
wahrscheinlich seinen sansibaritisrhen Trägern entlehnt hat. Ich ziehe es daher vor, den 
Namen Brett- oder Schaleninstrument zu gebrauchen. 

*) Abb. bei Laae 11 66. 



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- 31 - 



Zehnte Gruppe. Die Saitenausspann ung geschieht im wesentlichen 
ebenso wie bei der vorhergehenden Gruppe, aber der Saitenträger ist 
nicht ein Brett aus Holz, sondern eine durch eine Anzahl neben einander 
gelegter und zusammengebundener 
Rohrbalme gebildete Platte. Als 
Stege kommen zwei Querhölzer darauf, 
und nun wird eine Schnur gaDz 
in derselben Weise wie bei der 
vorigen Gruppe hin und her gezogen. 
Die Stelle der Einschnitte und 
Löcher vertreten hier die natürlichen 
Zwischenräume zwischen den Rohren. 
Die Zahl der Kohrstengel variirt 
bei den Berliner Exemplaren von 
6—8, die der Saiten von 4—6. 
(Abb. 46.) 

ElfteGruppe. H ierzu gehören 
eine Reihe Instrumente aus Raphia- 
Blattstielen, Bambus oder einer Art 
Schilfrohr, bei denen die Saite aus 
einem abgelösten Streifen der Epi- 
dermis des Saitenträgers selbst besteht. 
Es lassen sich drei Unterabtheilungen 
unterscheiden. 

a) Von einem etwa 1 — 1 */ t m 

langen, meist etwas gebogenen 

Raphia-Blattstiel sind 3-4 Saiten 

abgespalten und in der Mitte 

durch einen Steg unterstützt. 

Dieser ist ein senkrechtstehendes 

Hölzchen mit Kerben an einer 

Seite oder am oberen Rande, 

so dass die Saiten entweder 

über einander oder neben- 
einander (letzteres im Berliner 

Museum nur bei einem In- 
strument) liegen. Ringe, die an 

der Ablösungsstelle um den Schaft gelegt sind, verhindern eine 
weitere Abspaltung der Saiten und gestatten in Folge ihrer Ver- 
schiebbarkeit eine Stimmung derselben. Unter dem Stege hängt 
ein unten offener Kürbis als Resonator (Abb. 47). Der Spieler 




Abb. 49. Valiha 
aus Madagaskar 
(III E 4>54). 
» , d. w. Gr. 



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— 32 — 



druckt den Kürbis gegen die Brost und spielt mit den Fingern 
beider Hände. 1 ) 

b) Diese Instrumente ähneln äusserlich ganz denen der Gruppe X, in- 
dem sie ebenso wie diese aus Robrbalmen zusammengesetzt sind, aber 
die Saiten sind abgebobene Epidermisstreifen der Rohre. Die Zahl der 
Saiten beträgt 7 — 9. Ein Instrument des Berliner Musenms hat auf 
beiden Flächen Saiten. Mehrere Instrumente sind insofern besser ge- 
arbeitet, als die Saiten der Länge nach gespalten und in der Mitte mit 
Bast bewickelt sind, so dass runde Stränge von verschiedener Dicke ent- 
stehen. Ein derartiges Instrument mit 12 Saiten zeigt Abb. 48. Ein 
zweites, sonst gleiches Stück hat 15 Saiten. Bei einem dritten, das 
ebenfalls 15 Saiten besitzt, sind dieselben zu je 3 angeordnet, so dass 
zwischen je 2 Serien immer ein Rohr ohne Saite liegt. Bei einem 
vierten achtsaitigen Exemplar endlich sind nur die beiden äussersten 
Saiten umwickelt. Bei dem abgebildeten Instrument sind unter 
jeder zweiten Saite dünne zugespitzte Stäbchen so angebracht, dass 
sie mit der Spitze von unten her die Saite berühren (Abb. 48a). 
Der Zweck dieser Vorrichtung ist unbekannt; vermuthlich dienen 
sie zum Stimmen. 

c) Zu dieser dritten Abtheilung gehört allein die Valiha der Madagassen, 
ein Bambus, von dem ringsum Saiten von verschiedener Lauge ab- 
getrennt sind, jede durch zwei Holzklötzchen in die Höhe gehobeu 
(Abb. 49). An den Ablösungsstellen ist eine Schnur um den Bambus 
gewickelt, um ein weiteres Abspalten der Saiten zu verhindern. 
Die Zahl der Saiten beträgt bei dem abgebildeten Exemplar 11, 
ebensoviel bei zweien von den übrigeu im Berliner Museum vor- 
handenen; eine Valiha hat 12, eine endlich 17 Saiten. 

2. Die Sans*. 

Dieses eigenartige Instrument besteht in seiner einfachsten Form 
ans einem Brettchen, auf dem nebeneinander eine Anzahl von dünnen, 
platten, zuugenförmigen Stäbchen aus Holz oder Eisen angebracht sind. 
Dieselben sind über zwei Stege gelegt, von deuen der hintere, der ge- 
wöhnlich niedriger als der vordere ist, fehlen kann; in der Mitte zwischen 
beiden Stegen sind die Tonstäbe entweder jeder für sich mit Rotangstreifen 
oder dergl. am Brett befestigt, oder sie werden durch ein gemeinsames 
Querholz niedergedrückt, das seinerseits durch Rotang- oder Eisenklammern 
mit dem Brett verbunden ist. Jedes Stäbchen liegt also an zwei Punkten 
auf und wird zwischen denselben nach unten gezogen, während die Vorder- 

') Guirai, Le Congo Francais. Paris 1889, S. 174. (Abbildung eines Bateke- 
Musikere.) 



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- 33 - 

endeu frei nach aufwärts ragen. Diese Grnndzüge der Konstruktion siud 
bei allen Instrumenten dieser Art gleichmäßig anzutreffen; die einzelnen 
Theile aber, das Brett, die Tonstäbchen und der Steg, unterliegen mannig- 
faltigen Wandlungen nach Material und Form. 

Das Brett ist fast immer rechteckig (Abb. 50) und nimmt nur selten 
eine andere Form an, ist aber häufig verziert, z. B.bei einem Stück mit zwei 





wML 



Abb. K>. San*» an* Angola 
(III C 614). »/, d. w. Or. 



Abb. »I. »Anita der Batike III C 20'JJ). 
Vorder- und Rückseite. '/«• 



geschnitzten Köpfen in den Ecken. Sehr häufig aber wird das Brett 
von einer Schmalseite her ausgehöhlt und so in einen Kasten umgewandelt, 
oder es wird aus mehreren Brettern zu- 
sammengeschlagen. Es entsteht durch diese 
Vervollkommnung ein Resonanzkörper, 
während die Schallverstärkung sonst durch 
einen grossen Kürbis besorgt wird, in den 
man die Sansa hineinsetzt. 

Dieser Resonanzkasten variirt nun in 
seiner Form beträchtlich. Die Grundform 
ist auch hier das Rechteck, das an einer 
Schmalseite und zwar an derjenigen, nach 
welcher hiu die freien Enden der Tonstäbe 





Abb. 53. Snnsa aus Kamerun (III C 433) 
Abb. 5«. Sansa aus Loango (III C 6»7). »/,. mlt Q ao r*ohnitt. '/. n. ' . d. w. Or. 

die meistens schlitzförmige Oeffnung der inneren Höhlung zeigt. 
Nicht immer geht die Höhlung bis an das entgegengesetzte Ende des 



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Bretten, sondern hört vielfach schon früher auf. Der solide Theil des 
Brettes wird dunn häufig von der Unterseite her verdünnt und in ver- 
schiedene Formen geschnitzt, wie sie z. B. die Abb. 51 zeigt. Die recht- 
eckige Gestalt schwindet, indem das Hinterende des Kastens kahnforraig 
zugespitzt wird (Abb. 52) oder indem die Längsränder sich krummen, 
entweder nach innen oder nach aussen, was zu ovalen und randen Formen 
führt (Abb. 53). Diese letzteren sind häufig mit einem Griff versehen. 
Auch der Boden wölbt sich, sei es von vorn nach hinten mit gerade 
bleibenden Seitenflächen (Abb. 54) oder von rechts nach links, wobei 
Trogformen entstehen, oder endlich in allen Richtungen, wie bei den ovalen 
oder runden Instrumenten. Ein Unicum endlich ist ein ungeheuer grosses 
Instrument aus Loango, dessen Ilesonanzkasten offenbar eine Nachahmung 
eines grossen europäischen Saiteninstrumentes ist. 

Die Schallöffnung befindet sich, wie bereits erwähut, für gewöhnlich 
an der vorderen Schmalseite des Kastens; diese Regel hat aber viele Aus- 
nahmen; man findet solche Löcher in den verschiedensten Gestalten (kreis- 
rund, halbmondförmig, viereckig, dreieckig u. s. w.) sowohl unten, als auch 
oben (hier meistens unter den freien Enden der Tonstäbe), als auch an 

Bei einer Anzahl von 
Instrumenten ausKameruu 
und Adamaua wird das 
Brett resp. der Kasten 
aus Holz durch eiue aus 
Palmblattstielen gezim- 
merte Platte ersetzt, ganz 
in der Art, wie bei den 

Saiteninstrumenten der 
Gruppe X. Die Palmstiele 
sind gewöhnlich durch- 
schnitten und so zu- 
sammengefügt, dass die 
gerundeten Seiten unten 
liegen, während die 
Schnittflächen oben eine ebene Fläche bilden, auf der die Toustäbe in 
gewöhnlicher Weise angebracht sind. (Abb. 55.) Die Blattstiele sind 
entweder ausgehöhlt wie bei dem abgebildeten Instrument, oder nicht, so 
dass auch hier die Parallele zu den Brett- und Kasten instrumenten aus 
Holz eine vollständige ist. 

Ein sehr merkwürdiges Instrument stellt Abb. 56 dar; es ist ge- 
wissermassen eiue Kombination der beiden beschriebenen Formen; die 




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- 35 - 



Tonstabe sind auf einem in der Mitte von einem grossen viereckigen 
Loche durchbrochenen Holzbrett befestigt, dieses aber ist auf der Unter- 
seite mit fünf halbirten Blattstielen bekleidet, die auch das Loch voll- 
ständig verschliessen. Ein besonderer Zweck ist bei dieser Konstruktion 
nicht erkennbar. 

Die Tonstäbe bestehen entweder aus Eisen oder aus der Rinde der 
Blattstiele der Raphiapalme. 1 ) Ihre Gestalt ist in beiden Fällen ziemlich 
die gleiche: lange, schmale, platte Splitter mit zugerundeten oder dreieckig 
zugespitzten Enden. 

Von den beiden Stegen ist der hintere, 
weniger wichtige, wohl niemals aus Eisen, 
sondern stets aus Holz oder, wie in einigen 
Fällen, aus Leder, der vordere dagegen ist 
nur aus Holz, wenn auch die Tonstäbe 





Abb. iS. Sann» der Mbum 
(IH F 1219) mit Querschnitt. »/,. 



Abb. sc. Sanna der Dilti (IIIC «9Sf.). Vorder- u. Rückseite. 

•/, d. w. Or. 



aus pflanzlichem Material bestehen, sonst ebenso wie diese aus Eisen. 
Er ist, so lange er ans Holz besteht, stets ein einfacher gerader Stab, 
nimmt aber verschiedene, für gewisse Gegenden charakteristische Ge- 
stalten an, sobald er aus dem bildsameren Metall hergestellt wird. Er 
erhält dann entweder die Form eines Bogens, der mit der convexen Seite 
nach den freien Enden der Tonstäbe gekehrt ist (Abb. 52), oder er ist, 
ein viel häufigerer Fall, zweimal rechtwinklig geknickt; der mittlere 
Theil verläuft geradeaus quer über den Kasten, die beiden Schenkel 
parallel den Seitenwänden desselben nach hinten, wo sie spitz endigen 
(Abb. 51). Bei zwei Sansas ans Angola endlich haben sich die beiden Stege 
tu einem allseitig geschlossenen rechteckigen Rahmen vereiuigt, auf dem 



I) Nach Soyaux, Aus Westafrika II, 175. 



3* 



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die eisernen Zungen ruhen (Abb. 50). Der hintere Steg ist übrigens in 
diesem Falle nicht auf das Brett aufgelegt, sondern aus demselben heraus- 
geschnitzt. 

Gespielt wird die Sansa, indem man sie mit beiden Händen erfasst 
und die Tonstäbe mit den beiden Daumen hinabdrückt und dann wieder 
emporschnellen lässt. 

Die Sansa wird häufig mit klappernden Anhängseln versehen; oft 
findet man in der spult förmigen Schallöffnung einen Draht mit Eisenblech- 
perlen etc. ausgespannt, oder es werden auch auf die Tonstäbe selbst 
Perlen gesteckt. Endlich wäre noch zu erwähnen, dass der Resonanz- 
kasten oft mit eingeschnittenen oder eingebrannten Ornamenten ver- 
ziert ist. 



3. Die Blasinstrumente. 



Die afrikanischen Blasinstrumente sind durchweg 
von der Art , bei welcher die in dem Rohr einge- 
schlossene Luftsäule durch das Anblasen direkt in 
Schwingungen versetzt wird; nach dem Prinzip derZungen- 






Abb. 57. Signal- 
pfeife aus Hole. 



Abb. 58. Pfeife nus Holz. 
Wabum». (III C 14Mb.) Mit 
Längsschnitt. 
'/, u. »/i d. w. Gr. 



Abb. 59. 



Abb. G0. 



(III Ems). Mit 
Längsschnitt. 
Vi d. w. Gr. 



Londu. 



Pfeife au» Holz. 
Kratschi. (III C 
IMM.) Mit Langs- 
ur halt t. Vi u. Vi 



d. w. Gr. 



Pfeife au« Holz. 
Unterer Kongo. 
(III C 39JO.) Mit 

Längsschnitt. 
'/, u. V« d. w. Gr. 



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- 37 - 



pfeifen gebaute Instrumente kommen nicht vor. Man kann sie eintbeilen, 
einmal je nachdem das Blasloch an einem Ende des Rohres oder an der 
Seite angebracht ist, und zweitens nach dem Material, aus dem die 
Instrumente bestehen und das meistens auch bestimmend auf die Gestalt 
derselben einwirkt. Beides zusammen ergiebt die folgende Eintheilung. 

a) Instrumente, die an einem Ende angeblasen werden. 

Die Reihe eröffnen Instrumente mit nur einer einzigen Oeffnung, 
die also ebenso angeblasen werden, wie man bei uns etwa auf einem 
Schlüssel pfeift, und die nur einen einzigen Ton geben. Sie bestehen 
meistens aus Holz oder aus kleinen Antilopenhörnern. Der Rand der 
Blasoffnuug ist entweder gerade abgeschnitten oder mit einem Ausschnitt 
versehen, wie wir ihn noch vielfach autreffen werden (Abb. 57 und 58). 
Die Betschuanen haben derartige Pfeifen aus Rohr (»lichaka«), die ver- 
mittelst eines im unteren Ende steckenden verschiebbaren Pflockes auf 
die gewünschte Tonhöhe gestimmt werden können.') 

Es folgen Instrumente, die ausser der Blasöffnung noch ein zweites 
oder mehrere Löcher besitzen und dementsprechend mehrere Töne haben. 
Das zweite Loch befindet sich entweder am unteren Ende, dem Blasloch 





Abb. 6t. 
Signalpfeife atu 
Hots. Konkomba. 

(in c um.) 

Mit LangKAchnltt. 
n. ' , d. w. Gr. 



Abb.6S. Signal- 
pfeife ausHoU. 
Insel Kouie im 

Victoria 
Nyanita. (III E 
S50S.)«/id.w.Or. 



Abb. es. 
Pfeife aus El- 
fenbein. Bali. 

(III C S«01.) 

>i, d. w. Gr. 




Abb. 64. 
Signalpfeife aus Anti- 

lopenliorn. Bati. 
(III C 8JH7 ) '/, d. w.Gr. 



Abb. M. 
Signalpfeife 
au« Hole. 

Ball. 
(III C 74».) 
d. w. Gr. 



-) Burcbell II 410. 



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gerade gegenüber, sodass die Pfeife also der Länge nach durchbohrt ist, 
oder an der Seite. Eine Pfeife der ersten Art zeigt Abbilduog 59, solche 
der zweiten Art die Abbildungen 60—69, die ohne weitere Erläuterung 
verständlich sind. Diese Abbildungen geben nur die wesentlichsten und 
häufigsten Typen aus der überaus reichen Mannigfaltigkeit der Formen 





Abb. 67. Signal pfeife aua 
Holz. Wangoni. (III E 6145.) 
Mit Längsschnitt, V, d. w. Gr. 





Abb. 66. 
Signalpfeife aus 
Hol«. Yaundo. 

(III C 4907.) 
Mit Querschnitt, 
d. w. Or. 



Abb. 68. 
Signalpfeife au.« 
Klfenbein. ßaluba. 
(III C 3185.) «.', d. 
w. Or. 



Abb. 69. 
Signalpfeife 
an« Elfenbein. 
Mahenge.(IIIE 
37430 » ,d.w.Or. 



Abb. lo. Signalpfeife 
au« Hol«. Stamme 
am oberen Nil (Barl 

etc.) (III Ab 48.) 

Mit Längsschnitt. 

«i, u. V, d. w. Gr. 



wieder, die unmöglich alle abgebildet werden konnten. Abbildung 70 
zeigt eine ähnliche Flöte, aber mit drei Seitenlöchern, die also bereits 
vier Töne giebt. Das Material aller dieser Flöten ist wieder überwiegend 
Holz, daneben aber auch Elfenbein und Horn. 

An diese Pfeifen schliessen sich die Rohr flöten an, die sich nur 
durch das Material von ihnen unterscheiden. Sie bestehen aus einem 
Abschnitt eines Rohr- oder Hirsehalms, sind in den allermeisten Fällen 
au beiden Enden offen und haben ausserdem eine Reihe seitlicher Löcher, 
deren Zahl von 2 — 4 schwankt (4 scheint am häufigsten zu sein). Die- 
selben sind meist nur an einer Seite (senkrecht unter der Einkerbung 
der Blasöffnung) angebracht, nur zuweilen finden sich auch einige 
Löcher an der entgegengesetzten Seite (Abb. 73). Das Mundende ist 
entweder gerade abgeschnitten (Abb. 71) oder, was weit öfter der Fall 
ist, mit dem charakteristischen halbkreisförmigen Ausschnitt versehen 
(Abb. 72, 73). 



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- 39 - 



i 



Li 







Abb. 71. Kinder- 
rbM«» d.I)Rcbaj*K». 

(III K 1412.) 

• . d. w. Gr. 



Abb. 7«. Robr- 
flöte, der Wa- 
jzanda. (III F.. 

2307.) ', k d.w.Gr. 



Abb 73. Rohrflöte 
au«. BikflKnrl (III C 
7»I8) Mit Lüng*- 
»ehnitt. Ht d. w. Gr. 



Abb. 74. Uoppelflöte der Yauudo 
(III C M03.) Mit Lftngnüohnitt 
eine« Rohre«, u. >/i d. w. Gr. 



Ausser diesen einfachen Rohrflöten gieht es 
auch aus zwei Robren zusammengesetzte, wie 
die in Abbildung 74 dargestellte Doppelflöte der 
Yaunde oder die ägyptischen Summarah und 
Arghul mit ausziehbaren Rohreu (Abbildungen 
bei Laue II 79). Auch wahre Panflöten kommen 
vor, wenn auch anscheinend selten. Das Museum 
besitzt von solchen eine aus Ussoga(rait 12 Rohreu) 
und sechs ans dem Kongo-Gebiet. Von letzteren 
stammen zwei aus Russuna (südwestlich von 
Nyangwe, zwischen Kongo und Lomami) mit 9 
und 10 Rohren, die übrigen sind ohne genaue 
Herkunftsangabe (4, 6, 7, 12 Rohre). 

Eine besondere Gruppe biWen die in den 
Abbildungen 75— 82 dargestellten Pfeifen mit 
kreuzweiser Durchbohrung. Senkrecht zu 
der vom Blasloch ausgehenden Röhre ist nämlich 
ein zweiter Kanal quer durch die Pfeife gebohrt, 
der den ersten krenzt. Die äusseren OelTnungen des 




V 




a b 

Abb. 75. « Signalpfeifen au* 
Hol*. Ball (a: III C 74«. b: 
III (' ;»44l>). b) mit l.an K i«- 

nchnitt. » , u. >i, d. w. Or. 



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— 40 - 



Querkanals sind gewöhnlich von mehr oder weniger erhöhten Rändern 
unigeben, die bisweiten so anwachsen können, dass das gauze Instrument 
Kreuzform annimmt (Abb. 77 und 78). Die Läugsdurchbohrung endigt 





Abb. 76. Signalpfeife au* 
Elfenbeir. Mu»»uinba um 
Loniami (III V i>:n\ Mit 
Längsschnitt. 1 ,u *;,d.w.Gr. 




Abb. 77. 

3 Pfeifen, a und b aun Holz, c au» Elfenbein. Lunda. 
(a: III 0 1008, b: III 0 1010, c: III C 982 ) 
Vi d. w. Gr. 



entweder blind (Abb. 75—78) oder sie wird in selteneren Fallen bis zum 
unteren Ende der Pfeife durchgeführt (Abb. 79 und 80). Bei einigen 
Pfeifen der Bali (Abb. 75 a) scheint das Holz zunächst der Länge nach 
durchbohrt und dann die Röhre nahe dem unteren 
Ende wieder zugestopft zu sein. An Stelle der 
Durchführung der Längsbohrung bis unten kommt 
es auch vor, dass von dem blinden Endo der- 
selben ans ein zweiter Querkanal nach aussen 
führt, der sowohl zur Längsröhre als zum ersten 






Abb. 7". KriegMpfeife 
au» Holz. Tainbcrma. 
(IIIC 11613). V.d w.ür. 



Abb. 79. Pfeif« au» Holz. 
!ta»t<arl. (III C M73). Mit 
LaugaHchnitt V ■ J u.' „d.w.G. 



Abb. Du. Pfeife aus Holz. 

Atakpame. [II] Cwott), Mit 
Längsschnitt.'/, u.V. d.w.O. 



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- 41 - 



Querkanal senkrecht steht (Abb. 81 and 82). Der Rand der Blasöffnung 
zeigt auch hier wieder fast immer den halbrunden Aus- 
schnitt, der aber im Gegensatz zu den Rohrflöten nicht 
nur an einer Stelle des Randes, sondern an zwei gegen- 
überliegenden Punkten angebracht ist, so dass der Rand 
eine sattelförmige Gestalt erhält. Die Ausschnitte sind 
bald flach, bald tiefer, zuweilen ungleich tief. Besonders 
tief sind sie bei mancheu Bali-Pfeifen, bei denen sie fast 
rechteckig werden. 

Endlich sind noch flötenartige Instrumente von dem 
Typus der Abb. 83 anzuführen. Sie bestehen aus einer 





n 



Abb. 81. Tanspfelf« »na Thon. 
K»l.ure. (III C 8808). V, d. w. Gr. 
■> Längn.Hchnltt, b) Quermhnitt in 

Höhe des unteren Seltenlocha. 
Vi d. w. Gr. 



Ahl). (M. Quer- 
flöte »un Rohr. 
Witftchamhn. 



Abb. 8?. Signal- 
pfeife aiiH Hole (e. 
T. mit Eiiiechsen- 
haut überzog«!! 11 (III E 2914). Hit 
Kaburc (III C 8f.ll). LajigaMchnitt. 
V, d. w. Gr. V. d. w. Gr. 



Abb. 83. Schalmei 
(„algaita") Sokoto. 

(III F I5M). 

V, d. w. Gr. 



Holzröhre, die mehrere (gewöhnlich 5 oder 6) seitliche Fingerlöcher besitzt 
und unten in einen trompetenartig erweiterten Schalltrichter endigt Oben 
ist auf dem Holzrohr eine Röhre aus Metall (meist Eisen, auch Messing) auf- 
gesteckt, die dicht unter der oberen Oeffunng eine horizontale runde, eben- 
falls meist aus Metall (aber auch aus Holz oder Flaschenkürbis) bestehendo 
Scheibe trägt, gegen die beim Blasen die Lippen gepresst werden. Das Mund- 
stuck aber wird durch ein zusammengefaltetes Blattstückchen oder einen 
Abschnitt eines Grashalms gebildet. 

b) Instrumente mit seitlichem Blasloch. 

Hierher gehören zunächst Querflöten aus Rohr (Abb. 84). Das 
Ende, neben welchem sich die Blasöffnung befindet, ist stets geschlossen, 
das andere Ende in den meisten Fällen offen. Die Zahl der Finger- 



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— 42 - 



löcher, die an derselben Seite wie die Blasöffnung, aber am andern Ende 
der Flöte angebracht sind, betragt 2—6; auch hier ist die Zahl 4 am 
häufigsten vertreten. Das Blasloch unterscheidet sich von den anderen 
Oeffnungen gewöhnlich durch bedeutendere Grösse. 

Aehnlich den Querflöten aus Rohr sind die aus einem 
Raphiastengel verfertigten Weiberflöten der Yaunde und ihrer 
Nachbarn; sie haben nur ein seitliches Loch (Abb. 85). *) 

Auch Instrumente aus Flascheukürbis kommen vor; drei 
verschiedene Formen stellen die Abbildungen 86—88 dar. 
Abb. 88 besteht aus einem leicht gebogenen, überall gleich 
weiten Rohr aus dem Halse eines Kürbis; das Blasloch befindet 
sich in der Mitte der concaven Seite, die Oeffnungen an den 
beiden Enden sind durch eingesetzte durchlochte Pfropfen 
verkleinert. Abb. 86 ist trompetenförmig gestaltet und eben- 
falls an beiden Enden offen; Abb. 87 hat ausser dem an der 
stärksten Anschwellung gelegenen Blasloch noch zwei Oeffnungen. 

Die Hauptmasse in dieser Abtheilung bilden die B las- 
hörne r aus Horn, Elfenbein und Holz. 

Zu den ersteren finden hauptsächlich die Hörner der 
verschiedeneu Antilopenarten Verwendung, weit seltener sind 
Rinder- und Ziegenhörner. Die Blasöffnung ist ein Loch nahe 
dem spitzen Ende des Horns, bald auf der concaven, bald 



1 



y 




Abb. 86. BliwinBtruinent aus Flaschenkürbis. Niam-Nlam. 
(III Ab 954.) »/* 



Abb. 85. Flöte 

au* einem 
Baphlablatt- 

ktiel. Yaunde. 

(III C 4894.) Mit 
Lang»- und 
Querschnitt 
V. d. w. Gr. 




Abb. |7. Blasinstrument ans Flaschenkürbis. Abh. 88. Flöte aus Kürbisschale. Useukuma. 
Namba (Nord-Togo). (III C U 771.) % (III E 558!). M. Längaechn. '/■ n. '/. d. w. Gr. 



auf der convexen Seite gelegen. Dieses ist entweder das einzige Loch 
— dann kann der Ton nur dadurch modifizirt werden, dass der 
Bläser die grosse untere Oeffnung des Hornes mit einer Hand mehr 

') Vgl. die Abbildung eines die Flöte spielenden YaundeMädchcns bei Morgen, Durch 
Kamerun von Süd uacb Nord. Leipzig 1893. S. 40. 



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- 43 - 



oder weniger zudeckt 1 ) — oder es 
ist noch ein zweites Loch am dünnen 
Ende vorhanden, das durch Ab- 
schneiden der Spitze hergestellt wird. 
Man kann manchmal im Zweifel 
sein (namentlich bei kleinen Instru- 
menten), ob die Endöffnung oder 
das seitliche Loch zum Anblasen be- 
stimmt ist ; bei einem zur Sammlung 
Flegel gehörenden kleinen Horn findet 
sich die Angabe des Sammlers, dass 
dasselbe am weiten Ende angeblasen 
werde, während das scheinbare Mund- 
loch mit dem Finger geschlossen wird. 
Meistens wird sich der Zweifel durch 
Untersuchung der Endöffnung heben 
lassen, deren Rand, wenn sie als 
Blasloch dienen soll, gewöhnlich den 
charakteristischen Ausschnitt zeigt 
(vgl. Abb. 64), während er sich im 
andern Falle unbearbeitet zeigt 

Im übrigen unterscheiden sich 
diese Blasinstrumente von einander 
nur durch die Gestalt der Hörner 
der verschiedenen Antilopenarten, die 
hierzu Verwendung finden. Die 
Arbeit des Ver fertigere beschrankt sich 
eben meistens auf das Einschneiden 
der Mundöffuung und eventuell das 
Abschueiden der Spitze; im übrigen 
bleibt die Gestalt und Beschaffenheit 
des Hornes unverändert. Nur zu- 
weilen sind die Hörner blank polirt 
(Uganda), mit bunt gefärbtem Leder 
überzogen und mit Lederfransen be- 
hängt (Sudan) oder mit langhaarigem 
Fell verziert (Ussoga). Daher habe 

') So sieht man auch auf den Bronze- 
bildwerken von Benin die Hornbläser dar- 
gestellt, wie sie mit der rechten Hand da» 
Horn an den Mund halten, während die Linke 
die Scballöffnung bedeckt. 




Abb. 8!». Arlit KlfonltolnhiirnKr. Mittlerer 
Kongo (III (' H||); h) Hnkutu (III C S»9.H; 
oBassonge (IIIC |S<i;>; il < Kh»khI< Jel.let III 
Csil.1); v) Wut« (III CM54 g). f) Niatn Nimn 
(III Ab KiHr. g) Aruwiml (III C 2<)4lt>; h guor- 
Hcbnitt von g; I) 1'anukuma (III E 44t>»). 
Alles '/• d. w Gr. 



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ich von Abbildungen vou Antilopen-Blashörnern, die ja mehr zoologisches 
als ethnographisches Interesse hätten, ganz abgesehen. 

Die Grosse der Hörner schwankt ausserordentlich; zwischen kleinen 
Instrumenten von etwa 20 cm Länge bis zu den Riesentrompeten aus dem 
Horn des Kudo (ca. 90 cm lg.) sind alle Maasse vertreten. 

In ganz analoger Weise wie die AotilopenhÖrner werden die Stoss- 
zäbne des Elefanten zu Blasinstrumenten verarbeitet: ein Blasloch an der 
convexen oder der concaven Seite, ausserdem höchstens noch ein Loch 
an der abgeschnitteneu Spitze, und alles Wesentliche an dem Instrument 
ist fertig. Nur dass das bildsamere Material eine freiere und mannig- 
faltigere Ausgestaltung erlaubt, die sich allerdings — abgesehen von ge- 
legentlichen und für das Wesen des Blasinstruments belanglosen Schnitz- 
ornamenten, die daher hier unberücksichtigt bleiben — auf die verschiedene 
Bildung des Mundlochs beschränken. Abb. 89 zeigt, ohne die Mannig- 
faltigkeit der vorkommenden Typen zu erschöpfen, eine Auswahl der 
häufigsten Formen, deren Abweichungen von einander im Wesentlichen nur 
in der verschiedenartigen Gestaltung der Blasöffnung und ihrer 
Umrandung bestehen. Wie schon erwähnt, haben auch dieElfen- 
beiuhörner sehr häufig ein Loch an der Spitze — und zwar beiden 
Exemplaren des Berliner Museums in der Mehrzahl der Fälle 
— bisweilen aber findet sich statt dessen ein zweites Loch 
neben der Blasöffnung, so z. B. bei einigen der Riesentrompeten 
der Niam-Niam, bei einigen Blashörnern aus Adamaua und 
bei einem Horn der Bali. 

Die Dimensionen schwanken im Allgemeinen zwischen 
denselben Grenzen wie bei den Antilopenhörnern; doch kommen 
hier gemäss der weit bedeutenderen Grösse der Elefanten- 
stosszähne Exemplare vor, die die grössten Kuduhörner weit 
übertreffen. Die längsten Elfenbeintrompeten des Berliner 
Museums, zwei Blashörner der Niam-Niam, messen 150 resp. 
178 cm Sehnenlänge. 

Nicht selten sind Nachbildungen von Elfenbeinhörnern 
in Holz, bei denen meistens die Form des Vorbildes ganz 
genau nachgeahmt ist, auch die natürliche Krümmung des 
Elefanteuzahns (Abb. 90). Andere Holzhörner haben eine 




Kriegahorn aus Hol*. BnschilanRe. (III C 1716.) 
V, d. w. Gr. 



Abb 91. Blas. 
Instrument aas 
Hol«. Ngolo. 
(N.W. - Kame- 
run). UIIC80JS.) 
d. w. Gr. 



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- 45 - 



etwas abweichende, gerade Form, wie i. B. das Instrument der Ngolo, 
Abb. 91. Aehnlich sind die »Manyiuyic der Bougo. 1 ) 

Eine weitere Gruppe bilden die zu- 
sammengesetzten Blasinstrumente. Sie 
entstehen dadurch, dass an ein Blashorn aus 
Elfenbein, Horn, Holz oder Rohr ein Schall- 
trichter aus einem andern Material angesetzt 
wird. Es kommen folgende Verbindungen vor: 
Die bei weitem häufigste ist Elfenbein uud 
Holz, wobei das Mundstück aus ersterem, 
das verlängernde Schallrohr aus letzterem 





4L 

: 'Ilm 

» Ii 




Abb. 9t. Signalhorn au* Elfenbein 
und Hüls. Kuädji-Qebirt. (III E 
4«79 ) d. W. Gr. 



A»ib. 93. Kriopshorn an« Elfen- 
bein nnd Hulü. Jobu. (III F 
1S7J.) »/, d. ». (Jr. 



Abb. 94 Btanhorn 
miHEIfenb. u. Holt. 
TNchaiitMcho. 
(IlIC7867.>'.d.w.O. 



Stoff bestehen (Abb. 92, 93, 94; bei dem ersten ist nur die Verbindungs- 
stelle der beiden Theile mit Leder überzogen, bei dem zweiten der ganze 

') Abbildungen bei Schweinfurtb, Artes Africanae. Taf. VIII, 1 und Junker, Reisen 
II 107. 



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Abb. 95. Signalhorn au« Antilopenhorn und Holt. Bangombe. 
(•/•• s. Br , W> ö. L ). (III 0 3085 ) d. w. Gr. 




Dschngga. Abb. 97. Blasinstrument au* Hohr Abb M. Blasinstrument aus 

(IIIE«m). u. Flnschenkürbis. Ueeukuina. Kohr u. Horn. Ufipa. (Noch 

» {III E 5«o.) ',, d. w. Or. nicht inventarisiert.) 



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4k 



Holztheil; das dritte Instrument hat statt dessen eiuen Ueberzug von 
weisshaarigetu Fell). Ferner Horu und Holz (Abb. 95); Horn und Kürbis; 
Antilopenborn und Kuhhorn; 1 ) Holz und Kürbis; Holz und Leder 
(Abb. 96); Rohr und Kürbis (Abb. 97); Rohr und Horn 
(Abb. 98; das Rohr ist ganz mit Bast umwickelt, die Ver- 
bindungsstelle zwischen Rohr und Horn mit Fell überzogen). 
Nachtigal erwähnt aus Borau eiue Rohrpfeife, die eine Reihe 
von Luftlöchern, ein metallenes, weit offenes Mundstück und 
am unteren Eude ein leicht gekrümmtes Horn hatte. 3 ) Die 
Bari haben ein Horu mit einer Verlängerung aus Leder, 
dessen Schallöffnung durch ein irdenes Gefäss gebildet 
wird.*) Aus Abessinien werden Holztrompeten, die in einen 
mit K (iuris verzierten Kürbis endigen, beschrieben. 4 ) 

Zum Schlus8 sind noch einige eigentümliche Blas- 
instrumente anzuführen, die sich in keine der obigen Rubriken 
recht einfügen lassen. Zunächst Flöten ans mehr oder weniger 
kugelförmigen Fruchtachalen (Abb. 99 ab); die beiden ab- 
gebildeten Kugelflöten haben ausser dem Blasloch noch je 
drei Löcher zum Modifiziren des Tons; eine andere aus 
Loango hat deren nur zwei. Das Berliner Museum besitzt 
nur vier solcher Flöten; ausser den beideu abgebildeten 
die schon erwähnte aus Loango und noch eine mit der in 
Abb. 99 b dargestellten völlig 

identische. Flöten aus 
Kürbiskugeln erwähnt auch 
Cameron bei den Warua. 5 ) 
Eine Kombination einer 
gewöhnlichen, seitlich an- -^jiilf.JS^ 7 a b 
Rohrflöte mit 





Abb. »9. a) Krh>g»pfeife nii» oinor Frucht- Abb. 100 Fl.it« 

■ !;„.(,..,„„ . , u Aaa »HiHle. Kaburo. (IIK' 792? ) d. W. Gr. mit zwei Hobl- 

ZWei Kugelnoten Stellt das b) Kugelflöte Ul cln,.m kleinen KürbU. kage ln. Kr»t- 

merkwürdige Instrument Un>»mwnnga. dir e ?si8a.) 8ch i. nmm.) 

Vi d. w. Ur. i/ t d w. ür. 

dar, welches Abb. 100 zeigt. 

Die Blasöffnung befindet sich ziemlich an dem einen Ende des 
Rohres, in der Nähe des andern ist aus der Rohrwandung eine 
3 cm lange und 3 mm breite Zunge herausgeschnitten, die beim Blasen 



») Abbildung bei Kollmann, Der Nordwesten 
Berlin 1898. Fig. 130 (S. 68). 

*) Nachtigal, Sabara und Sudan. II 507. 

*) Kaufmann, Schilderungen aus Centraiafrika. Brixen 1862. S. 175. 
*) Th. Bent, The sacred city of the Ethiopians. London 1893. S. 27. 
•) Quer durch Afrika. 11 80. 



Ostafrikanischen Kolonie. 



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vibrirt. 1 ) Auf den beiden Enden stecken zwei hohle, jede mit 3 Löchern 
versehene, kugelige Fruchtschalen. Das Instrument ist in- Kratschi 
iü Togo erworben. Es ist jedenfalls dasselbe Instrument, 
das Binger bei den Bambara unter dem Nameu >fabresoro« 
beschreibt. 2 ) 

Die Flöte Abb. 101 ist nur an einem Ende offen, das 
andere ist mit einer dünnen, weissen Membran, ähnlich der 
Hant, die die Löcher an den Resonanzkurbissen der Marimba 
bedeckt, also wahrscheinlich Spinngewebe, überzogen. Ausser- 
dem hat die Flöte eine seitliche Oeffnung; ob sie aber hier 
oder am offenen Ende angeblasen wird, kann ich nicht sagen. 
Das Museum besitzt ausser der abgebildeten und einer zweiten 

Abb. 101 Flöte " 

mit 8plnnweb> ebensolchen, die aus Mangu stammen, noch fünf ganz gleiche 
Flöten: 2 von den Bassa in Kamerun, 2 aus Urundi und 
«/, d. w. Gr. 1 au8 Unyika südlich vom Rikwa-See. Die fünf letztgenannten 
sind als Kinderflöten bezeichnet. 

Ein ähnliches, aber etwas abweichend konstruirtes Instrument aus 
Süd-Kamerun zeigt Abb. 102. Dieses besteht aus zwei senkrecht zu 
einander stehenden Rohren, von denen das längere und dickere an einem 
Ende das Mundloch hat, 
während das aufge- 
klebte zweite Rohr mit 
der Spinnweben -Mem- 
bran verschlossen ist 
(vgl. den Längsschnitt 
Abb. 102). Nach der 
Angabe des Sammlers 




Abb. to». Fir.te mit SpinnwebrUnt. Süd-Kamerun. 
(III C io6«o.) Mit Litng»»ohnitt. V. u. »;, d. w. Gr. 



(G. Zenker) wird hineingekrochen; »es klingt wie Kamm und Seiden- 
papierc, also wie ein bei unseren Kindern beliebtes Instrument. Man 
darf wohl annehmen, dass es sich auch hier um ein Kinderinstrumeut 
handelt. 

Ein — wenn wir von Madagaskar und den Comoren absehen — in 
Afrika äusserst seltenes Blasinstrument ist die in anderen Weltgegenden, 
wie in Oceanien, so gebräuchliche Muscheltrompete. Das Berliner Museum 
besitzt nur eine solche von der Goldküste, ausserdem zwei kleine, ca. 6 bis 
8 cm lange Blasinstrumente aus Schneckeuschalen von den Tengelen 
(nördlich des Benue). 

') Das kommt auch anderweitig vor. Hildebrandt beschreibt eine Flöte der Wateita, 
bei der dicht über dem unteren Ende ein Einschnitt gemacht ist, „der ein schmales 
lungenförmiges Stück der Wandung theilweise ablöst. Beim Blasen vibrirt dasselbe" 
(Z. f. E. X. 1878, S. 391.) 

») ün Niger au Golfe de Guinee I 77. 



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Endlich scbliesse ich hier mangels einer geeigneteren Stelle ein maul- 
trommelartige8 kleines Kinderinstrument aus üsambara an, das einzige 
der Art, welches das Museum besitzt (Abb. 103). Es ist aus einem mark- 

haltigen Stengel geschnitten und 
t v || q hat nahe dem einen Ende ein seit- 

liches Loch, das bis in den Mark- 
Abt». 10». Maultrommcl für Kinder. 

wuehimbi (Iii e t9S7.) Mit Querichnitt. kanal geht. Unter demselben ist 
V. d. w. Qt. von der j^j n( j e eme Zunge abge- 

spalten, die noch 4 cm über das Ende des Stengels hinausragt. Man bläst 
in das Loch hinein und schlägt zugleich die Zunge mit einem kleinen 
Stäbchen. 

4. Die Schlaginstrumente. 

A. Die Trommeln. 

Die Trommeln zerfallen in zwei grosse natürliche Abtheilungen; die 
eine umfasst die Trommeln im engeren Sinne, bei denen der Ton durch 
die Schwingungen einer über einen ausgehöhlten Holzklotz gespannten 
thierischen Membran erzeugt wird, während zu der zweiten Abtheilung 
jene merkwürdigen Instromente gehören, bei denen der ausgehöhlte und 
mit einer spaltförmigen Oeffnung versehene Baumstamm selbst mit Schlägeln 
bearbeitet wird. 

a) Die Felltrommeln. 

Zar weiteren Eintheilung dieser Abtheilung kann man einmal die 
Art and Weise der Befestigung des Trommelfells an dem Holzkörper der 
Trommel und zweitens die Gestalt des letzteren benutzen. Was die Ge- 
stalt betrißt, so kann man zunächst die Trommeln, welche nur eine einzige 
Oeffnung — nämlich die mit der Membran überspannte — besitzen, die 
also die Form eines wie immer gestalteten Gefasses haben, als Gefäss- 
irommeln trennen von denjenigen, welche oben und unten offen sind, 
den Röhrentrommeln, und ihnen als Uebergangsgruppe die Instrumente 
zugesellen, die zwar den Gefässtrommeln äusserlich gleichen, aber unten 
oder seitlich ein Loch haben, um den Schall herauszulassen. Dazu kämen 
noch als letzte Gruppe Trommeln, die an beiden Enden offen, aber beider- 
seits mit Trommelfellen versehen sind, Doppeltrommeln. 

Innerhalb dieser Gruppen variiren nun aber die Formen ausserordent- 
lich, wie ein Blick auf die beigegebenen Abbildungen zeigt, die wohl 
aämmtliche Haupttypen der afrikanischen Trommeln, soweit dieselben 
wenigstens im Berliner Museum vertreten sind, wiedergeben. Da dieselben 
sicherlich besser das Charakteristische der verschiedenen Formen zeigen, 
als es die ausführlichste Beschreibung thun könnte, und da anderseits 

i 



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- 50 - 



bei Besprechung der geographischen Verbreitung und der Entwicklung 
der Trommelformen noch näher auf letztere eingegangen werden muss, 
so verzichte ich, um Wiederholungen zu vermeiden, an dieser Stelle auf 
jede eingehendere Schilderung. 

Geeigneter als Grundlage der Klassificirung der Trommeln erscheint 
die Befestigungsart des Trommelfells, vor allem deswegen, weil dann, 




Abb. 105. Tanztrommel aus Tachore Abb. 107. Trommel ans Magungo (III Ab. 70»). 
(Ngrd.Togo). ^'och niobt lnvt>ntari»lrt). Mit LangimcbnUt, »/• u. » „ d. w Gr. 



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- 51 




Abb. lü*. Trommel d. Kay ans i. Abb. IM. Trommel der Wnaafua. 
(III C 4419.) ■/, d. w. Gr. a. Be- E my) ^ d . w . 0r> 

featigung de» Trommelfellii. '/* 
b) Längsschnitt. Vi». 




Abb. 110. Trommel ausüaaramo. Abb. 111. Trommel aas Sansibar. (III E 3.'5 ) 

(III E «Ml.) •/, d. w. Gr. Mit Längsaohnltt. '/, nnd Vt» 




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- 52 — 



analog der Eintheilung der Saiteninstrumente, auch der der Trommeln 
das Princip der Verbindung der beiden Haupttheile des Instruments zu 
Grunde gelegt wird. Wie bei den Saiteninstrumenten die Art der Aus- 
spannung der Saite und ibrer und des Resonators Befestigung am Saiten- 
träger sieb als zweckmässiger Eintheilungagruud darbot, so ist auch hier 




Abb. US. Trommel der Seng» (Basenga). i III E 8175 i. der Frucht von Adan- 

Mit Längsschnitt, u. Vi« d. w. Gr. aonia, Usaramo. 

(1UES5J4.) '/.«dw.Q. 




Abb. 1U. Trommel aus Marungu. Abb. U6. Trommel der Wapare. 

(III E 1895). »/. d. w. Gr. (III E 6166). Mit Längsschnitt. u.»/„d.w.G. 



die Anbringung des ton erzeugenden Theils, des Trommelfells, am Körper 
der Trommel die Grundlage , auf der sich eine naturgemäße Gruppirung 
aufbauen läset. Das wird späterhin auch in der geographischen Verbrei- 
tung seinen Ausdruck finden. 



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— 63 - 

Es lassen sich folgende Arten der Trommelbespannung unterscheiden: 
1. Das Trommelfell wird in feuchtem Zustande einfach über das Ende 
der Trommel gestreift und trocknen gelassen; es haftet dann mit 
einiger Festigkeit. Solcher Trommeln besitzt das Museum nur wenige 
aus Süd- und Ostafrikä. Oder das Trommelfell wird übergestreift 




Abb. 110. Trommel aus DlIrlDO, Abb. 11». Trummol au» l"ru». (III E 1110.) 

(III E 3870.) Mit Längssc hnitt. Mit Längsschnitt. 

Vi u. Vi« d. w. Or. V« u- Vu d. w. Gr. 



und dann mit einer herumgelegten Schnur festgebunden ; auch solche 
Trommeln sind nur selten. Bei einer cyliudrischen Trommel aus 
Uschaschi (abgebildet bei Kollmann, S. 144, Fig. 338) hangen von 
dem Trommelfell lauge Fellstreifen herab; an zwei Stellen sind 



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Abb, Iii. Doppeltmmmel. Ohne Angabe. AM>. 112. Doppeltrommel der Warn*. 

(Sammlung WUmiiRiin). (III C 4353). '.d.w.Or. (III K 1M4}. d. w. Gr. 



Riemen um die Trommel gebunden, die diese Fellstreifen niitfassen 
und so das Trommelfell gespannt halten. Diese Befestigungsweise 
durch Festbinden finden wir auch da, wo der Trommelkörper aus 
Thon ist, also ein Anpflöcken nicht gestattet (Abb. 142). 

2. Pas Trommelfell ist mit Pflöcken von Holz angenagelt (Abb. 104 
— 122) (Anpflöckuug); bisweilen ist es da, wo die Pflöcke einge- 
schlagen sind, durch einen übergelegten Streifen Fell oder Eidechsen- 
haut verstärkt, oder es ist noch ausserdem eine Schnur herumge- 
wickelt; bald ist eine einfache, bald eine doppelte Reihe von Pflöcken 
vorhanden; die Holzpflöcke werden mitunter durch Eisen- oder 
Kupfernägel ersetzt. 

3. Das Trommelfell wird durch Schnüre oder Riemen gespannt, die 
durch Löcher in seinem Rande hindurchgezogen und iu verschiedener 
Weise an der Trommel befestigt sind (Schnurspannung). Der 
Rand des Felles ist hierbei meistens nach oben umgeschlagen und 
häufig noch durch eine eingelegte biegsame Ruthe oder dergleichen 
verstärkt, um ein Ausreisscn zu verhüten. Die Befestigung der 
Spannschnüre an der Trommel geschieht im Wesentlichen auf 
folgende Arten: 

a) Die Schnüre endigen an einem Fell, das über das entgegengesetzte 
Ende der Trommel gespannt ist; sie sind dann gewöhnlich im 
Zickzack hin und her gezogen. Dies ist hauptsächlich der Fall 
bei cylindrischen oder kegelstumpfförmigeu Trommeln mit glatten 



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- 55 - 



Seiten, die keinen Haltepunkt darbieten, und bei einer Abtbeilung 
der Sanduhr-Trommeln (Abb. 123 — 126). Oder die Spannschnüre 
gehen nicht in einem Zuge über die ganze Trommel, sondern 
kreuzen sich unterwegs untereinander und mit ringförmig herum- 
gelegten Schnüren, so dass die ganze Trommel wie in ein Netz- 
werk eingesponnen aussieht (Abb. 127). 
b) Bei solcheu Trommeln, die eine vorspringende Leiste oder einen 
Absatz besitzen, liegt hier meisteus ein Ring aus Rotang, Fell- 




vom unt«re|n Abb. 1S6. Sanduhr- Abb. IST. Trommel der Du- 

Kongo. «III C trommel aun Adell. »onRo-Mino. (III 0 3B4S.) 

3*ö.) % d. w. Gr. (III C Ä..6» ) ' . d. w. Gr. Vi * ». Gr. 



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- 56 — 

riemen etc., an dem die Spannschnüre befestigt sind (Abb. 128, 
129). Aehnlich ist die Spannung bei den halbkugeligen Kessel- 
pauken (Abb. 131). Bisweilen ist dieser Ring durch eine um 
die Trommel herumlaufeude erhabene, mit Löchern versehene 
Leiste ersetzt, durch die die Schnüre bind arcb gezogen sind 
(Abb. 130). Einige Sanduhr-Trommeln sind im Gegensatz zur 




d. w. Gr. 



Regel nur auf einer Seite bespannt; auch hier gehen die Spann- 
schnüre an einen Riug, der nahe dem unteren Rande der Trommel 
liegt und seinerseits durch Schnüre, die durch Locher im Trommel- 
rande gezogen sind, festgehalten wird. 

c) Die Schnüre endigen ebenfalls an einem Ring (gewöhnlich aus 
Rotang, der aber nicht an einer Stelle um die Trommel gelegt ist, 
die ihm Halt gewährt, wie bei der vorhergehenden Gruppe, sondern 



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— 57 - 



der nur durch von oben her unter ihn getriebene Holzkeile in 
seiner Lage gehalten wird (Keilspannung) (Abb. 132—135.) 
Der Ring kann an jeder beliebigen Stelle der Trommel liegen; es 
giebt Trommeln, bei denen er sich gauz oben iu der Nähe des 




Ekoi (N.W.- Kamerun.) Abb. i; J5. Trommel iler n a k 11 n d u 

(III C UC54.) Vi d. w. Or. (III C 10m.) % d. w. Or. 

Trommelfells befindet, so dass die Keile noch über den oberen 
Rand der Trommel emporragen (Abb. 134), und andere, die ihn 
nicht weit vom unteren Ende haben. Auch bei kurz-cylindrischen, 
auf beiden Seiten bespannten Trommeln aus dem Hinterland von 
Kamerun (VVnte, Bati etc.), deren Trommelfelle nach 4a gespannt 



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Abb. 136. TrominelfelNjiannung einer Abb. 137. Trommel der Mabea. 

Kamerun-Trommel, '/t d- «• Gr. (III C 6700.) '/« d. w. Gr. 



werden, sind Doch seitlich Keile unter die Schnüre getrieben 
(Abb. 137). 

d) Die Schnüre endigt n an grossen Holzpflöcken, die in der Trommel- 
wand stecken (Sch nur- P flock- Spannun g). Die Pflocke sind 
schräg von oben nach unten in die Trommel getrieben und haben 
auf der Unterseite eine Kerbe, durch die die Spannschnur läuft 
(Abb. 138—141). 
Wie bereits erwähnt, können sich diese Spannungsweisen mit den 
verschiedensten Formen des Trommelkörpers kombiuiren; so z. B. finden 
sich unter den im Berliner Museum befindlichen Trommeln mit Keil- 
spannung einfache cylindrische Röhreutrommeln, ferner tonnen förmige, 




Abb. 13*. Trommel au* Abb 139. Trommel »m Agotime (III C 50J?.> '/»• 

Togo (III C 5894). '/i». a) Laugascbnitt. '/,». b) Scblftgel. '/.- 



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- 59 - 




Abb. HO. Trommel aus Togo (III C 4J»j.) Abb. 141. Trommel aua Pembi 

Mit Längsschnitt. »/, u. •/,.. (bei Salaga), (III C 7039.) » „. 



beide in allen möglichen Verhältnissen zwischen Länge und Durchmesser; 
dann Rohrentrommeln mit einem deutlich markirten Fuss oder mit 
mehreren Füssen; Gefhsstrommeln, meistens von kurz-cylindrischer Gestalt 
oder mit bauchig vorgewölbten Wänden, fast stets mit einem oft kunst- 
voll geschnitzten Fuss, der die eigentliche Trommel an Grösse häufig weit 
übertrifft. Nicht anders sind die Verhältnisse bei den übrigen Spannungs- 
arten, obwohl zuweilen bestimmte Kombinationen bevorzugt erscheinen, 
z. B. die der einfachen Zickzack-Schnurspannung mit lang-cyliudrischen 
oder kegelstumpfförmigeu Trommelformeu (Abb. 123, 124). 

Das Material zu den Trommeln ist überwiegend Holz; daneben wird 
auch Kürbisschale gebraucht (im westlichen Sudan häufig erwähnt), auch 
andere Fruchtschalen (Abb. 115); endlich dieneu auch Thongefässe als 
Trommelkörper (wohl nur in der nördlichen Hälfte des Erdtheils) 
(Abb. 142). In Nordafrika (Aegypten) kommen auch metallene (kupferne) 
Trommeln vor. 

Das Trommelfell besteht entweder aus dem Fell von Säugetbiereu 
(Ziegen, Rindern, Antilopen u. s. w.) oder aus der Haut von grossen 
Reptilien (Eidechsen und Schlangen). In Aegypten giebt es auch mit 
Fischhaut bespannte Trommeln. 

Geschlagen werden die Trommeln entweder mit den Händen oder 
mit besonderen Schlägeln aus Holz. Letztere sind entweder gerade, wie 
meistens in Ostafrika, oder gebogen oder hakenförmig, wie in Kamerun 
und Obergninea (Abb. 143). Mit den Händen werden die Trommeln 
geschlagen z. B. bei den Ovambo (Schinz), den Bnnda-Stammen (Magyar), 
den Marutfe (Holub), den Wapare (Baumann), den Bakuba, die die 



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Abb. 14?. Thontrommel aus Dahomo. 
(III C 6293.) 
d. w. Gr. 




Abb. 143. Trommelschläge!. ») Wute. 
(III C 7428b). b) Kebu (Togo). (III C 4802). 
c) Togo (III C 68H6b). d) Unterer Kongo 
(III C 3834). •) ÜHBib« (III E 5453b). 



Handflächen (Wissmann -Wolf)i den Baschilange, die die Fauste (Pogge) 
den Liberia-Stämmen, die die Fingerspitzen gebrauchen (Büttikofer) und 
den Makalanga, die die Trommel mit Faust und Ellenbogen bearbeiten 
(Bent). Mancherorts finden Hände und Trommelschlägel bei verschiedenen 
Trommelarten Verwendung: an der Goklküste werden die Kalebassen- 
trommeln nach Isert mit der Hand geschlagen, alle andern Trommeln 
mit hakenförmigen Schlägeln, in Liberia nach Büttikofer die Tanz- 
trommeln mit den Fingerspitzen, die grosseren Kriegstrommeln mit zwei 
hamm erförmigen Stöcken, in Uganda die Pauken mit Schnurspannung 
(wie Abb. 123) mit Schlägeln, die Cylindertrommeln mit angepflöcktem 
Trommelfell mit der Hand (Wilson u. Felkin), ebenso in Ussiba (Koll- 
mann), in Aegypten werden alle Trommeln mit Schlägeln geschlagen 
ausser der Darabnkkeh (Laue), in Bornu die Kesselpauken mit einem 
geknoteten Tau, die übrigen Trommeln mit den Händen (Nachtigal). Die 
Bawili vereinigen beide Methoden: der Trommler trommelt mit den drei 
mittleren Fingern der einen uufl mit einem Schlägel in der andern Hand 
(Soyaux). 

Die kleineren Trommeln werden gewöhnlich um den Hals gehängt, 
die langen dagegen rittlings zwischen die Beine genommen, z. B. bei 
den Bawili (Soyaux), Baschilange (Pogge), Ovarabo (Schinz), Marutae 
(Holub), Fan (du Chaillu) , in Britisch Central - Afrika (Johnston); 
in Liberia kauert der Trommler auf den Fersen und hält die Trommel 
zwischen den Knieen (Büttikofer); die Dinka hängen ihre grossen Pauken 
an Pfählen vor den Hütten auf (Schweinfurth), an der Goldküste trägt 



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-Gl- 



eit! Mann sie auf dem Kopf, während der Trommler hinterdrein geht 
(Isert) u. s. w. 

Eine Trommel, bei der die Tone nicht durch Schlageu des Trommel- 
fells hervorgebracht werden, zeigt Abbildung 144. Es ist eine ganz ge- 
wöhnliche kurz-cylindrische, auf 
beiden Seiten mit Haut überzogene 
Trommel mit Schnurspannung, wie 
sie in dieser Form häufig im Sudan, 
woher auch das abgebildete Stück 
stammt, zu finden ist. Die beiden 
Trommelfelle sind in der Mitte durch- 
bohrt und durch das Loch zwei 
lange, schmale Blattstreifen ge- 
zogen, die im Innern der Trommeln 
geknotet und dadurch au dem Hin- 
durchschlüpfen gehindert sind. An 
der Seite hat die Trommel ein 
grosses viereckiges Schallloch. Der Gebrauch des Instruments ist folgen- 
der: Man feuchtet die Finger an und streicht mit denselben die Blatt- 
streifen, wodurch ein ziemlich starkes Geräusch erzeugt wird. 

Das Museum besitzt nur diese eine Reibetrommel, die aus Mangu 
stammt, in der Litteratur finden sich mehrfache Berichte über ähnliche 
Trommeln. 

Ein Bericht rührt von Monteiro her; die von ihm beschriebene 
Trommel ist ein auf dem einen Ende mit Schaffell bespannter, auf dem 
anderen offener Holzcyliuder. Durch ein Loch im Fell ist ein runder, 
6 — 7 Zoll langer Holzstab gesteckt, der durch einen Knopf am Ende 
vor dem Hineinfallen in die Trommel bewahrt wird. Die angefeuchtete 
Hand erfasst das Holz im Innern der Trommel, »and the piece of wood 
is slightly grasped and pulled, allowing it to slip a little«. *) 

Ganz ähnlich ist die von Holub ausführlich beschriebene Reibtrommel 
der Völker des Marutse-Mambunda- Reichs. Sie ist cylindrisch, nach 
unten etwas verengt, 60 cm lang, 20 cm im Durchmesser. In dem über 
das untere Ende der Trommel gespannten Fell steckt ein rundes, finger- 
dickes Stäbchen, das durch zwei Querstücke unmittelbar über und unter 
dem Fell festgehalten wird. Der Musiker reibt dasselbe mit einem be- 
feuchteten Stück Bast, meist vom Baobab, und erzeugt dadurch einen 
tiefen, knurrenden Ton. Das Instrument wird von den von einer Löwen- 
oder Leopardenjagd glücklich heimkehrenden Jägern gebraucht. 2 ) 

l ) Monteiro, Angola and the River Congo. S. 140. 

*) Holnb, Kultorakizze S. 69 (Abb. 8. 140, Fig. 70); Sieben Jabre in S.-A. II, 148. 




Abb. U4. Rcibtrommcl au* Mangu 
(III C itftlX V. d. w. Or. 



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Endlich gehört hierher die von Krapf erwähnte und von New genau 
beschriebene Muansa-Trommel der Wanyika. Dieselbe ist eine Gefiiss- 
trommel, da der ca. 6 Fuss lange Holzklotz nur bis anf etwa 1 Zoll vom 
Ende ausgehöhlt ist. Das offene Ende ist mit Ziegen- oder Schaffell 
überspaunt, durch dessen Mittelpunkt ein Strang (von welchem Material, 
ist nicht gesagt) gezogen und innen durch einen Knoten gesichert ist. 
Der Spieler nimmt in jede Hand ein Stück Kokosnussbast und streicht 
den Strang abwechselnd mit beiden Händen. ') Die Trommel ist das 
Instrument eines Geheimbundes und spielt etwa dieselbe Rolle wie ander- 
weitig das Schwirrholz. Nicht eingeweihte dürfen dieselbe nicht sehen« 
besonders Weiber und Kinder nicht. Uebrigens haben die Fraueu der 
Wanyika einen ähnlichen Bund mit einer ebensolchen Trommel. 

Wie man sieht, ähnelt diese Trommel am meisten der des Berliner 
Museums, während andererseits die Trommeln aus Angola und dem 
Marutse-Reich zusammengehören. Die beiden Gruppen unterscheiden sich 
hauptsächlich dadurch, dass bei der ersten die Trommel beiderseits ge- 
schlossen ist, so dass von aussen her an dem Strang gezogen werden 
muss, während bei der zweiten der Spieler von innen her das Fell in 
Schwingungen versetzt. Auch das Material der Handhabe ist verschieden; 
bei der ersten Gruppe Blattstreifen oder ähnliches, bei der zweiten Holz- 
stäbchen. Uebereinstimmend ist aber wiederum, dass diese Handhabe 
mit feuchtem Bast oder mit angefeuchteten Fingern gerieben wird. 

Ein sehr sonderbares Instrument muss eine von Gregory erwähnte 
Trommel der Wapokomo sein; da ich mir nach seiner Beschreibung keine 
klare Vorstellung von derselben machen kann, so beschränke ich mich 
darauf, den Wortlaut hier anzuführen: * . . . by means of a peculiarly 
Bhaped drum which is beaten and blown at the same time, they (die 
Mitglieder des Geheimbunds Ngadsi) make a noise described as louder 
than the roar of a lion. ThiB they say is the voice of the Old Man of 
the Woods.«») 

b) Die Holztrommeln. 

Die zweite Klasse der Trommeln bilden die als Signal- und Sprech- 
trommeln in gewissen Theilen Afrikas eine so grosse Rolle spielenden 
Holztromnieln. Dieselben bestehen aus einem Holzklotz, einem Stück 
eines Baumstamms, der auf der Oberseite einen Längsschlitz zeigt und 
von hier aus ausgehöhlt ist. 

Die Gestalt der Trommel zeigt grosse Verschiedenheit. Zunächst 
findet sich die durch die Form des unbearbeiteten Baumstammes gegebene 

l ) New, Life, Labours and Wanderings in Eastern Africa. London 1873, S. 112. 
*) J. W. Gregory, Tbe Great Rift Valley. London 1896, S. 345. 



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- 63 — 



cyliudrische Form mit senkrecht abgeschnittenen Endflächen (Abb. 145). 
Vielfach ist, wie auch bei der abgebildeten Trommel, der Umfang nicht 
überall gleich, sondern in der Mitte am grössteu, die ganze Trommel 
also tonnenförmig. Diese Formen finden sich im Berliner Museum an 




Abb. 145. HoUtrommel buk Kamerun (III C 4544). Mit Querschnitt. 

»,, d w. Gr. 



Trommeln aus Kamerun und vom Kuango, sie kommen aber auch sonst 
vor (vgl. z. B. die Abbildung einer VVakussu-Trommel bei Stuhlmann 
S. 592). Daran schliessen sich kahnförmige Trommeln wie Abb. 146 




Abb. 146. Holetrommel aus Baouia (X.W.-Kamerun). (III C 10713.) 
Mit Querschnitt. "/,„ d. w. Or. 



(eine Trommel aus N.-W.-Kamerun); besonders ausgeprägt erscheint diese 
Form bei den Trommeln aus Loango (Abb. 147). 




Abb. 147. Hol«trommcl au* Loango. (III C S48.) Mit Queriohnitt «/» d. w. Or. 

Eine zweite Gruppe zeigt im Wesentlichen die Gestalt eines Keils 
mit langer Kante; auf derselben befindet sich der Spalt, von dem aus 
die Trommel ausgehöhlt ist (Abb. 148). Die Abbildung zeigt die ein- 
fachste Form; oft sind die Seiten ausgeschweift, 1 ) oder die Trommel 
erhält Füsse wie bei den Monbuttu und Niam-Niam. 1 ) 

') Abbildungen bei Stublmann, S. 592; Wissmann, Im Innern Afrikas. S. 65. 
*) Schweinfurtb, Art Afr. Taf. XVI, 10; XI, 8; Junker I, 299; II, 173; Stanley, 
Tbrough the Dark Continent II 199. 



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— 64 - 




Abb. 148. Hobttrommel 
Mit 



ürm (III E IMS). 
V,.. 



Die Spaltöffnung ist entweder ein einfacher schmaler Schlitz, und 
das ist der Fall bei allen keil- und kann förmigen Trommeln, oder sie 
besteht wie bei den cylindrischen Formen aus zwei rechteckigen Oeff- 
nungen, die durch einen ganz schmalen Spalt mit einander verbunden 
sind. Zu beiden Seiten dieses Verbindungsspalts wird die Trommel an- 
geschlagen. Die Wandungen sind stets von ungleicher Dicke, so dass 
die Trommel zwei Töne giebt. 

Statt der beiden rechteckigen durch 
den Spalt verbundenen Oeffnungen kommen 
auch runde vor, wie die oben angeführte 
Abbildung bei Stuhlmanu (S. 592) und 
eine bei Cameron (I 307) beweisen. 

Geschlagen werden die Trommeln mit 
geraden Holzschlägeln, die an einem Ende 
einen Knopf aus Kautschuk haben. 

Als ein Unicum sei hier noch eine 
eigenartige Trommel beschrieben, die aus 
N.-W.- Kamerun stammt. Dieselbe besteht, 
wie die Abbildung 149 zeigt, aus einem 
47 cm langen Stück Holz von ungefähr 
kreisrundem Querschnitt, das sich nach 
einem Ende zu verjüngt und der Länge nach 
durchbohrt ist, so dass eine nur am 
schmäleren Ende ziemlich starke, sonst aber dünne Wandung stehen 
bleibt. Diese ist nun von oben her durch zwei ca. 18 cm lauge Spalten 
getheilt, die so geführt sind, dass sie einen keilförmigen Körper zwischeu 
sich einschliessen. Hier wird das Instrument mit einem Schlägel aus 
leichtem Holz geschlagen. 




Abb. U9. Holztrommel der Bafö 
(III C 10368) '/.. a) Längsschnitt >/„. 
b) Querschnitt % °) Schlägel »;,. 



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— 65 - 



B. Die Glockeu. 

Die Instrumente, die hier als Glocken znsauimengefasst werden, und 
die auch sonst meistens diese Bezeichnung tragen, zerfallen in zwei 
Klassen, in Glocken mit Klöppel und Glocken ohne solchen, die also 
von aussen geschlagen werden. Man sieht, dnss eigentlich nur die 
ersteren den Namen Glocken in unserem Sinne verdienen, die zweite 
Abtheilung könnte ebenso gut zu den Holztrommelu gestellt werden. 
Thatsächlich ist das auch mit einigen besonders grossen Formen zuweilen 
geschehen, und nur die Aehnlichkeit der äusseren Gestalt mit wirklichen 
Glocken hat neben der meistentheils geringen Grösse Veranlassung gegeben, 
sie ebenfalls zu den Glocken zu rechnen. 




Abb. ISO. Holzglocke der Kiam-Niam Abb. 151. Holzglocke d.Ngolo 

(III Ab 8M). Mit yuorecbnitt (III C 8o3c). Mit yuerecbnltt. 

'/„ d. w. Gr. •/, u. ■/„ d. w. GV. 



Das Material der Glocken ist in beiden Abtheilungen entweder Holz 
oder Eisen, nur selten ein anderes Metall, wie Messing oder Kupfer (in 
Benin Bronze); die Klöppel bestehen meist aus demselben Stoff wie die 
Glocke; doch finden sich gelegentlich auch Holzglocken mit Knochen- 
klöppeln. 

Betrachten wir zunächst die klöppellosen Glocken. Die hölzernen 
sind gewöhnlich von platter Form und ovalem Querschnitt und haben 
oben einen Handgriff oder Henkel, an dem sie gehalten werden können. 
Zwei solche Glocken zeigen die Abb. 150 u. 151. Die erste, die von 
den Monbuttu 1 ) stammt, ist die grösste im Museum vorhandeue Glocke. 

') Die Glocke bat im Katalog die Angabe Niara-Niam, aber sowohl Schweinfurth 
(Art. Afr. Tai. XVII, 16) als Junker (Reisen III 15) schreiben diese Art den Monbuttu zu. 

5 



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Eine Eisenglocke ohne Klöppel stellt Abb. 152 dar. Dieselbe zeigt 
eine sehr häufig wiederkehrende Gestalt mit zwei erhabenen, vou oben 
bis unten an der Glocke herablaufenden Rändern. Diese Form erklärt 
sich aus der Technik; denn wie Courau von den Bangwa in Nord-Kamerun 
berichtet, wird eine solche Glocke aus zwei Eisenplatten hergestellt, deren 
Ränder über einer Holzform zusammeugeschweisst werden. 1 ) Die Glocken 
werden mit einem Holz- oder Metallstäbchen angeschlagen, oder man 
schlägt auch zwei Glocken gegeneinander, so z. B. in Lunda und in 
Benin. 2 ) 

Dieselbe Form findet sich auch bei der nächsten Gruppe, den eisernen 
Doppelglocken. Dieselben bestehen entweder aus zwei einfachen Glocken 
wie Abb. 152, die oben durch ein mit Kotaug überflochtenes Rahmenwerk 




Abb. 152. Eisenglocke Abb. 153. Doppelglocke aua Kamerun, 

ohne Klöppel. Bu- (III C *853.) '/, d. w. Gr. 

ngombe. (I1IC »083.) 
Vi d. w. Or. 



von Stäben verbunden sind (Abb. 153), oder die Glocken sind ans einem 
Stück geschmiedet und hängen an einem gemeinschaftlichen hufeisenförmig 
gebogenen eisernen Bügel (Abb. 154— 15G). Bei einer anderen selteneren 
Form liegen die Glocken nicht nebeneinander, sondern aufeinander (Abb. 
157). Stets sind die Glocken von etwas verschiedener Grösse — besonders 

>) Mittb. a. d. D. Schutzgebieten. XII. S. 204 

*) Pogge, Im Reiche des Muata Jamwo. Berlia 1880. S. 234; Read & Palton, 
Antiquities from the City of Benin. London 1899. Taf. XYlll, 1. 



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gross ist der Unterschied bei den Glocken von der Form der Abb. 157 — , 
so dass sie beim Anschlagen zwei Töne geben. Geschlagen werden sie 
ebenso wie die einfachen Glocken. 




Abl>, 154. Doppelglocke der Konkomba (III 0 11828). Abb. 155. Doppalglocke aus LuuJa 
'/,. Mit Querschnitt. (III C 146;). d. w. Gr. 





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Handschellen (Schuhe) an je eine Hand aufgestülpt und bei den 
Tanz- Evolutionen aneinander geschlagen«. 1 ) Das erscheint mir ganz 
unmöglich; ohne allen Zweifel werden die Glocken, die nicht durch einen 
Bügel verbunden sind, sondern in einen gemeinsamen Stiel auslaufen, an 
diesem gefasst und dann entweder mit einem Schlägel bearbeitet oder 
gegen ein zweites Glockenpaar geschlagen. Holubs Angabe beruht umso 
wahrscheinlicher auf einem Missverständniss, als er die Handhabung der 
Glocken nicht selbst gesehen hat, sondern nur nach Hörensagen berichtet. 




Abb. IM, Hölzerne Kuhglocke Abb. 15». llolzjjlocke der Bakumlu Abb. 160 Doppcl- 
der W angin do. (III C 3fJj). ' , a) LUngHschnitt ; fjloeko au» Hol«. 

(III E 4«8). •/» b) Ansicht von unten. V* ünguu (III E 

499*). '/». 



Wir kommen nun zu den eigentlichen Glocken, den Glocken 
mit einem Klöppel. Dieselben bestehen ebenso wie die klöppellosen aus 
Fruchtschale, Holz oder Metall (meist Kisen, auch Messing). Gelegentlich 
werden auch andere Stoffe verwendet, so besitzt das Berliner Museum eine 
Glocke aus einer Schildkrötenschale mit einem Holzklöppel (Nordwest- 
Kamerun). 

Die Formen der Holzglocken variiren ausserordentlich; ich bilde hier 
nur zwei ab, die zugleich Beispiele aus zwei sehr häufigen Typenreihen 
abgeben. Die Klöppel — einer oder mehrere — hängen an einer quer 
durch die Glocke gezogenen Schnur. Der Hohlraum der Glocke ist ent- 
weder einheitlich wie bei Abb. 158, oder er ist in zwei oder auch mehrere 
Kammern getheilt, so dass jeder Klöppel seinen eigenen Raum hat (Abb. 
159). Auch hölzerne Doppelglocken giebt es, bei denen aber die beiden 

') Holub, Eine Kulturakizze den Marutse-Mambuuda-Reiches. Wien 1879. S. 143 
(Fig. 75). 



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Glocken nicht nebeneinander, auch nicht aufeinander, wie bei den eisernen 
Doppelglocken, angebracht sind, sondern so, dass sie sich nach entgegen- 
gesetzten Richtungen öffnen (Abb. 160). Auch bei den Doppelglocken ist 
der Innenraum entweder zusammenhängend oder getheilt. 

Ebenso mannigfaltig sind die Formen der Eisenglocken, doch lassen 
sich hier einige wohl charakterisirte Typen unterscheiden. 

Da sind zunächst die einfachen Schellen, entweder 
kugelförmig (Abb. 161) oder mehr in die Länge ge- 
zogen, die ein Schlitz in zwei schalenförmige Hälften 
spaltet. Als Klöppel fungirt hier ein kleiner iu 
die Glocke eingeschlossener Stein oder eine Metall- 
kugel. Sie dienen, oft in grosser Zahl an Knöchel- 
bändern nnd dergleichen befestigt, als Klapperschmuck 






Abb. MI. Eiserne Kuhglocke 
an» Ruanda (III E f.289j. 
'/, d. w. Gr. 



Abb. 165. Eiserno Kub- 
gloi kc der Waasiba 
(III E 4J32). Vi d. w. Gr. 



Abb. 16*. Eiserne Kuh- 
glocke der Wabena 
(III E 61 »4). '/, d. w. Or. 



beim Tanz, aber auch als Viehglocken (als Kuhglocke ist auch das ab- 
gebildete Stück bezeichnet). 

Ein zweiter Typus wird durch die Abb. 162 repräsentirt. Diese 
Glocke besteht ans einer zusammengebogeneu Kisenplatte, die, wenn man 
sie sich ausgebreitet vorstellt, etwa die Gestalt eines Dreiecks mit ab- 
gerundeten Ecken haben würde. Die Spitze des Dreiecks läuft iu eiuen 
langen Fortsatz aus, der, hakenförmig nach unten gebogen, den Eisen- 
klöppel trägt. 

Aus zwei ähnlichen gebogenen Platten, die oben durch einen Bügel 
verbunden sind, besteht dagegen die Glocke Abb. 163. An dem Bügel 
hängt vermittelst eines Eisenringes der Klöppel. 

Die nächste Form (Abb. 164) besteht aus einer uugefähr rechteckigen 
Eisenplatte, die in der Mitte der Quere nach geknickt ist, während die 
Längsränder sanft nach innen gebogen sind. Man kann sie sich 
auch aus der vorigen Form (Abb. 163), durch Verbreiterung des 
Bügels entstanden denken. Der Klöppel hängt an einer Schnur, 



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die durch ein im Scheitel der 
Glocke befindliches Loch gezogen 
ist. Denkt man sich nun auch 
die Seiten geschlossen durch Zu- 
sammenschmieden der Ränder, so 
entsteht eine rechteckige Form, 
die besonders in Ostafrika sehr 
häufig ist (Kuhglocken der Wa- 
hehe), aber auch ßonst vorkommt. ') 
Abb. 1G5 u. 166 führen uns 
wieder Formen vor, die wir schon 
bei den klöppellosen Glocken be- 
sprochen haben. Beachtenswerth 
ist bei Abb. 165 die Befestigung 
d«s Klöppels an einem durch die Glocken wand gezogenen Ringe. Beide 
Glocl en sind mit einem Handgriff versehen. 





Abb. 164. EUenftlocko dir 
Bai» (IIIF 6M). '/» 



Abb. 165. Eisen- 
glocke ruh Kabure 
(HICTtlte). 'V 





Abb. 166. Ei»enßlocke aus Batanga 
(III C 4569). \. 



Abb. 167. Eisenglooke 
der Tarn bor m a 
(III C 11621). Vf. 



Die letzte Abbildung (Abb. 167) zeigt eine cylindrisebe Glocke, durch 
Zusammenbiegen eines rechteckigen Stückes Eiseublech hergestellt. 

Stellenweise (in Oberguinea) finden sich auch Glocken von der Form 
unserer Tischglockeu. Zu erwähnen sind endlich noch die vierkantigen 
Brouze-Glocken aus Beuin. 

C. Die Mariniba. 

Der Name Marimba wird von manchen Schriftstellern auf die Sansa 
angewandt, und esist wohl möglich, dass derselbe thatsächlich in verschiedeneu 



') Glocke der Wassiba bei Kollmanu, Fig. 84, S. 50; der Bombe bei Junker I 382. 



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— 71 - 

Gegenden für verschiedene Instrumente gebraucht wird; ich verstehe hier 
unter Marimba nur die oft beschriebene Holzharmonika. 1 ) 

Das Berliner Museum besitzt neun solcher Instrumente; bei dieser ge- 
ringen Auzabl erscheint es am besten, dieselben znnächsteiuzeln zu beschreiben. 

III C 1357. Malange (Angola). Die 18 Holztasten (35—50 cm lang, 
5 — 7.3 cm breit) liegen über zwei hufeisenförmig gekrümmten, zu ein- 
ander parallelen Holzbügeln, und zwar auf der konkaven, nach oben ge- 
richteten Seite derselben. Sie ruhen aber nicht direkt auf denselben, 
sondern auf zwei dicken, aus Lederriemen zusammengedrehten Schnuren, 
die von einem Ende der Bügel zum andern auf denselben entlang gezogen 
sind. An diesen Lederschnüren sind sie durch zwei dünne Schnüre be- 
festigt, die durch 2 Löcher in den Enden der Tasten hindurchgehen und 
sich um die Hauptschnüre herumschlingen. Unter jeder Taste hangt als 
Resonator ein durchschnittener, oben offener Kürbis, der seitlich ein mit 
einer dünnen, weissen Membran (Spinngewebe) verschlossenes Loch hat. 




Abt.. m. Marimb» der Yanndo (III C 7«30). « ( ,. 



Die Kürbisse sind auf Stabchen gespiesst, die ihrerseits in den beiden 
Bügeln stecken, und nehmen von einem Ende zum andern an Grösse zu 
(12,5-40 cm lang). Ausserdem hat die Marimba einen grossen Bügel 
zum Tragen. Dazu gehören zwei Schlägel, mit einem Kautsch ukknopf 
am Ende. Das ganze Instrument misst von einem Ende zum andern, in 
der Sehne des Bogens gemessen, 125 cm. 

*) In Folge dieses wechselnden debrauchs des Namens Marimba lässt sich oft nicht 
entscheiden, welches Instrument eigentlich gemeint ist. So z. B. bei Schinz, wenn er 
von dem Fehlen der überall nördlich des Kunene vorkommenden Marimba bei den Ovambo 
spricht. Auch in Bezug auf dasselbe Gebiet widersprechen sich die Benennungen der 
Schriftsteller häufig. So nennen Tains und Monteiro die Sansa in Angola Marimba, 
Magyar dagegen hat letztere Bezeichnung för die Holzharmonika und Vissandschi ftir 
die Sansa. Nach Johnston heisst letztere bei den Wayao Lulimba. 



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Dieses ist die einzige Marimba, bei der die Tasten in einer nach 
oben konkaven Fläche angeordnet sind, bei allen andern liegen sie in 
einer Ebene. 

III C 7630. Yaunde. (Abb. 168.) Die 9 Tasten liegen hier auf 
zwei mit Rindenstoff bewickelten Stäben, die an einem Ende des Instru- 
ments 17, am anderen 7 cm von einander abstehen. Sie sind an dem- 
selben durch zwei Schnüre befestigt, von denen die eine durch zwei 
Löcher in einem Ende der Taste gezogen ist, während die zweite quer 
Ober das andere Ende läuft. Die Tasten sind 24 — 33 cm lang und 5 bis 
6 cm breit Daruuter sind die Resonnnzkürbisse vermittels einer hin- 
durchgezogenen Schnur in einem rechteckigen Holzrahmen aufgehängt. 
Die Schnur ist, um ein Herabsinken der Kürbisse zu verhindern, um 
Querstäbe geschlungen, die unterhalb der Zwischenräume zwischen den 
Tasten in dem Rahmen angebracht sind. Alles Uebrige wie bei dem 
vorigen Instrument. 

III C 8240 und 8241 (Bati) gleichen in allem der eben beschriebeneu 
Marimba, haben aber nur sieben Tasten aus Rothholz. 

III C 10 853. Djimini (3° 30' w . L., 8° 30' „. Br.). Wie bei III C 1357 
ruhen die Tasten, elf an Zahl, auf zwei Lederstricken uud sind an ihuen 
durch Riemen befestigt, die aber nicht durch Locher in den Tasten gezogen, 
sondern nur um dieselben herumgeschlungeu sind. Die Tasten sind 27 bis 
54 cm lang, 4,5 — 7,5 cm breit. Zwischen je zwei Tasten ein in den Leder- 
stricken steckender Querstab. Die Kürbisse hangen in Querschnüren, z. T. 
ihrer Grosse wegen nicht nebeneinander, sondern in zwei Reihen. Das mit 
Spinn web überzogene Loch ist viereckig. Der Stutzapparat ist erweitert, 
indem unterhalb des viereckigen Rahmens, auf dem die Tasten liegen, 
sich ein zweiter ebensolcher befindet, der mit dem orsten durch vier senk- 
rechte Stabe in den Ecken zu einem festen Gestell vereinigt wird. Innerhalb 
dieses Gestells, das auf den Boden gesetzt werden kann, hängen die Kürbisse. 

III D 1813. Nördliches Transvaal. 19 Tasten, an beiden Enden 
geschnitzt. Dieselben hängen an zwei hindurchgezogenen Schnüren, die 
zwischen zwei geschnitzten, mit Handgriffen versehenen Brettern ausgespannt 
sind. Diese Bretter werden durch einige Längsstäbe in dem richtigen 
Abstand von einander gehalten. Darunter hängen ebenfalls an Schnüren 
die ungewöhnlich langen Kürbisse. 

III E 2398. Loangwa (linker Nebenfluss des Sambesi). Die 10 Tasten 
(30,5—32 cm lang, 4,5—7,5 cm breit) hängen an hindurchgezogenen 
Lederriemen, die zwischen den Enden eines zweimal rechtwinklig ge- 
bogenen Holzbügels ausgespannt sind. Nach je zwei Tasten ist immer 
ein auf die Kante gestelltes Querbrett eingeschaltet. Darunter liegt ein 
mit Zapfen in die umgebogenen Schenkel des Bügels eingelassenes Brett, 



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das mit 10 runden Löchern für die kugelförmigen Resouanzkürbisse (5,5 

bis 10 cm Durchmesser) 
versehen ist. Letztere sind 
an der Unterseite des 
Bretts mit einer harz- 
artigen schwarzen Masse 
angeklebt. Auch um die 
seitliche Oeffnung der Re- 
sonatoren ist aus derselben 

Abb. |fi«. Befestigung der Resonatoren bei einer M»rimba MaSSC eine Art Wall ge- 
vomLo.ngw.dll EM.»). ./, d. w. Gr. Mit Durchschnitt. bi | det> „ dag9 das Loch 

zu einer Röhre geworden ist, deren äussere Mündung die Spinnwebenhaut 
überkleidet. (Vgl. Abb. 169.) 

III E 1503, Sambesi, ist dem vorigen ganz gleich, hat aber 12 Tasten. 
III F 939. Mbum. Dieses Instrument ist dem vorigen ebenfalls sehr 
ähnlich, sowohl was die Befestigung der Tasten — hier 14 an der Zahl 
- als auch die der Kürbisse betrifft. Auch die aus Harz gebildete Röhre 

mit dem Ueberzug von Spinn- 
gewebe fehlt nicht. Ab- 
weichend sind nur die beiden 
letzten Kürbisse an jedem 
Ende des Instruments, die 
eiue höchst eigentümliche 
Konstruktion aufweisen. Sie 
bestehen nämlich aus zwei 
rechtwinklig zu einander 
stehenden Kürbissen, von 
denen der obere senkrecht, 
der untere wagerecht steht 
und die durch einen Ring- 
wulst von Harz mit einander 
verbunden sind. Am äussersten Ende des unteren Kürbisses befindet sich 
dann die Harzröhre mit der weissen Membrau (Abb. 170). 

Die Konstruktion ist also bei allen im Wesentlichen dieselbe: eine 
Anzahl von »Tastenc, rechteckigen platten Hölzern von verschiedener 
Grösse, die nebeneinander auf einem Rahmen angebracht sind und unter 
sich Flaschenkürbisse von ebenfalls verschiedener Grösse haben. ') 

Ausser diesen Marimben giebt es noch unvollkommenere Instrumente, 
denen die Resonatoren fehlen. Dieselben bestehen nur aus einer Anzahl 
von Hölzern, die ebenso wie die Tasten einer Marimba gestaltet sind. 
') Bei den Manveina sollen unter jeder Taste zwei Kürbisse hängen (Cameron I, 307) 





Abb. 170. Resonanskttrbts einer Mnrimba der 
Mbum (III F 9JJ). '/». 



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Das Berliner Museum besitzt zwei Sätze solcher Hölzer, der eine von 
6 Tasten aus Usaramo, der zweite von 9 aus Useguha. Graf Pfeil, dem 
das Museum das letztere Instrument verdankt, beschreibt den Gebrauch 
desselben etwa folgendermasseu: l ) die neun Holzscheite werden nebenein- 
ander über zwei parallel liegende Bananeustämme gelegt, zwischen denen 
eine kleine Vertiefung in die Erde gegraben ist, und mit zwei Stabchen 
geschlagen. Nach Hildebrandt werden die Hölzer bei den Wasaramo 
auch zuweilen auf hohle Flaschenkürbisse gelegt, was bessere Resonanz 
ergiebt. *) 




Abb. 171. „Totentroinmol" der Manpnndscha (III E 3J89). '/t- 



Ein marimbaartiges Instrument, das nur eiue einzige über einem 
Kürbis befestigte Taste hat, zeigt Abb. 171. Es ist eine sogenannte 
»Todtentrommel« der Mangandscha. Die Oeffnung des Kürbis ist mit einem 
Rand von Harz umgeben; in diesem stecken vier nach oben divergirende 
Stäbe. Zwischen je zwei Stäben ist ein Lederriemen ausgespannt, und 
auf diesem Riemen ruht das Schlagbrett, auf dem in der Mitte ein grosser 
Kautschukballen liegt. Der Ton des Instruments soll durch das Hinein- 
schieben der linken Hand gedämpft werden. 

') Beobachtungen während raeim-r letzten Reise in Ostafrika. (Peterm. Mittta. 
Bd. 34. 1880. S. 7.) 

J ) Z. f. E. X, 1878. S. 898. 



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II. Geographische Verbreitung 



Das vorhergehende Kapitel hat einen Ueberblick über die erstaunliche 
Mannigfaltigkeit der afrikanischen Musikinstrumente gegeben; und wenn 
auch dieser Reichthum nicht gleich massig über den Erdtheil ausgegossen 
ist, so dürfte es doch nur wenige Stämme geben, bei denen nicht wenigstens 
die drei Haiiptabtheilungen, die Blas-, Saiten- und Schlaginstrumente ihre 
Vertreter hätten. Das ist ja auch eine bei dem durch alle Berichterstatter 
bezeugten musikfrohen Sinn der Neger und ihrer offenbar vielfach nicht 
unbeträchtlichen Begabung für Musik durchaus erklärliche Erscheinung. 

Es giebt allerdings iu der Litteratur eine ganze Keine von Angaben, 
wonach diesem und jenem Stamme irgend eine Gattung von Musik- 
instrumenten völlig fehle. So sollen nach Schweinfurth die Monbuttu, 
nach Coquilhat die Bangala, nach Hildebrandt diu Hirtenstamme Ostafrikas, 
wie die Massai etc., der Saiteninstrumente gänzlich ermangeln; Pogge 
hat in Lunda keine Blasinstrumente, auch keine Hörner, bemerkt, und 
O. Baumann behauptet sogar das Fehlen der Trommel in Urundi und 
auf Fernando Poo. *) Derartigen Angaben mag nicht selten ein Irrthum 
des Beobachters zu Grunde liegen; ein solcher ist bei kurzer Dauer des 
Aufenthaltes um so eher möglich, als viele Instrumente nur bei besonderen 
Gelegenheiten benutzt werden. Daher dürften sich auch Saiteninstrumente 
eher der Beobachtung entziehen, als die hauptsächlich bei lärmenden Fest- 
lichkeiten Verwendung findenden Trommeln und Blashörner, die sich der 
Aufmerksamkeit des Reisenden oft mehr aufdrängen, als ihm erwünscht ist. 

Andererseits ist es selbstverständlich, dass das eine Volk dieses, das 
andere jenes Instrument bevorzugt, wie z. B. nach Schweinfurth die 
Monbuttu eine lärmende Musik lieben, während ihre Nachbarn, die Niam- 
Niaoi, sich lieber an den zarten Tönen der Harfe oder der Marimba er- 
freuen. Zum Theil sind solche Verschiedenheiten zwischen benachbarten 

») Schweinfurth, Im Herzen von Afrika 1878. S. 301; Coquilhat, Sur le Haut 
Coogo. Paris 1888. S. 364; Hildebrandt, Ethn. Notizen Über die Wakamba und ihre 
Nachbarn (Z. f. Ethn X. S. 393); 0. Baumann, Durch Masxailand zur Nilquelle. Berlin 
1894. S. 224; ders., Fernando Poo. Wien 1888. S. 98. 



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Stämmen nur als Ausfluss einer aogenblicklich herrschenden Mode zu be- 
trachten, die ja im Leben der Afrikaner keineswegs eiue geringere Rolle 
spielt als bei civilisirten Völkern; jedoch hat die Individualität der einzelnen 
Stämme, soweit sie sich in der Bevorzugung der einen und der Hinten- 
ansetzung der anderen Klasse der Instrumente ausspricht, nur einen ge- 
ringen Einfluss auf die Verbreitung derselben. Im Allgemeinen finden 
wir, wie gesagt, die drei Hauptklassen über ganz Afrika verbreitet. Die 
zahlreichsten Lücken in der geographischen Verbreitung mögen vielleicht 
die Saiteninstrumente aufweisen, die ja mehr dem musikalischen Ausdruck 
von Gefühlen dienen und somit von dem Vorhandensein individuell*" 
musikalischer Begabung abhängig sind, während Trommeln und ^ 
die die zum Tanz erforderliche Musikbegleitung liefern, in' je,' 
unentbehrlich sind. 

So gleichförmig die Verbreitung der afrikanischen Instrumt t 
scheint, solange wir die Hauptklassen im Auge behalten, so bunt 
das Bild, wenn wir uns den einzelnen Formen zuwenden, in denen 
Typen ausgeprägt sind. Jede Gruppe hat ihr bestimmtes Gebiet, dest. 
Grenzen allerdings vielfach in Folge mangelnder Kenntniss noch niel 
genau angegeben werden können. Betrachten wir nun der Reihe nach 
die Verbreitung sämmtlicher Gruppen. 

1. Saiteninstrumente. (Karte I.) 

Gruppe I. Von allen Saiteninstrumenten scheint das einfachste, der 
Musikbogen, die weiteste Verbreitung zu haben. Das Berliner Museum 
besitzt Exemplare von ihm von verschiedenen Kaffernstämmen (Sulu, 
Swasi etc.), sowie von den den Sulu stammverwandten Wangoni im 
Süden von Deutsch-Ostafrika; ferner aus Mocambique, von den Makua 
und Wayao im Rovuma-Gebiet, aus Usaramo und Ünyamwesi. Aus West- 
afrika sind nur vorhanden 2 Bogen aus dem portugiesischen Gebiet 
(Malange) und 1 aus Grussi im westlichen Sudan. 

Dass der Musikbogen das Nationalinstrument nicht nur der Kaffern, 
sondern sämmtlicher anderen südafrikanischen Stämme ist oder war, 
wie der Hottentotten und Buschmänner (bei diesen beiden speziell in 
der Form der Gorra), wird von allen Berichterstattern vou Peter 
Kolbe au bis auf unsere Tage übereinstimmend berichtet und bedarf 
keines weiteren Beleges. Dass sein Gebiet sich aber weit über die 
Grenzen des südlichsten Afrika hinauserstreckt, dafür können ausser 
den oben angeführten Belegen auch Zeugnisse aus der Litteratur an- 
geführt werden, die allerdings nur spärlich sind, weil dieses primitive 
und unscheinbare Instrument vou den meisten Reisenden übersehen oder 
nicht der Erwähnung werth erachtet worden ist. Für Angola bezeugen 



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seine Existenz Soyaux, Lux und Monteiro, 1 ) für Kamerun (Bimbia) 
Allen und Thomson. 3 ) Während das Instrument in Augola der süd- 
afrikanischen Gubo gleich zu sein scheint, entspricht der Bimbia-Bogen 
wenigstens im Gebrauch mehr der Gorra, indem die zwischen die Zähne 
genommene Saite angeblasen und zugleich mit einem Stäbchen geschlagen 
wird. Dasselbe ist der Fall mit dein »to« genau nten Musikbogen vom 
unteren Niger; der Spieler nimmt die Saite zwischen die Lippen und 
schlägt sie mit einem in der rechten Hand gehaltenen Stäbchen, während 
die linke den Bogen am entgegengesetzten Ende hält und zugleich einen 
kurzen Stock lose gegen Bogen und Saite drückt,*) letzteres offenbar 
behufs Modifizirung der Töne. Aehnlich beschreiben Baumann und Miss 
Kingsley den Gebrauch des Bogens bei den Bubi auf Fernando Po, die 
mit einem in der rechten Hand gehaltenen Stöckchen die Saite schlagen 
und zugleich mit einem Stückchen Muschelschale oder einer Messerklinge 
in der linken dieselbe berühren. 4 ) 

Auch bei den Bongo dient als Resonator die Mundhöhle oder eine 
mil Rinde bedeckte Grube, neben der der Bogen in die Erde gesteckt 
wird. 8 ) Auf das Vorkommen des Musikbogens in Senegambien lässt sich 
wohl die Erzählung Mungo Parks von einem fahrenden Sanger beziehen, 
der »kleine Lieder spielte, indem er über eine gespannte Saite blies und 
sie zugleich mit einem Stäbchen strich«, 6 ) wie auch die Angabe Molliens, 
er habe bei den mohammedanischen Peulh kein anderes Instrument ge- 
funden, als eine Art Maultrommel (guimbarde). 7 ) Auch in seiner Auf- 
zählung der musikalischen Instrumente der Mandingo erwähnt M. Park 
>Bogen8aiten« (S. 249). 8 ) 

Das Verbreitungsgebiet des Musik bogens scheint sich also vom Kap 
der guten Hoffnung bis an den Südrand der Sahara zu erstrecken, also 
das ganze von Negern bewohnte Afrika zu umfassen. Iunerhalb dieses 
Gebiets mag der Bogen freilich mancherorts vollkommeneren Instrumenten 

•) Soyaux, Aus West-Afrika. II. 176. Lux, Von Loanda Dach Kimbandu. Wieu 1830. 
S. 121. Monteiro, Angola and the River Congo. S. 139. 

*) Allen and Thomson, Narr, of the exp. to the R. Niger. London 1848. II, 298. 

•) Day bei Mockler-Ferryman, Up the Niger. Undoti 1892. S. 269. (Abbildung). 

*) 0. Banmann, Fernando Poo. Wien 1888. 8. 98. Mary Kiog*ley, Travels in 
West-Afnca. London 1897. S. 67. 

s ) Scbweinfhrth, Im Herzen von Afrika. 2. Aufl. 1878. S. HO. 

•) M. Park, Reiften im Innern von Afrika. Berlin 1799. S. 39. 

T ) Mollien, Voy. dans l'interieur de l'Afrique. Paris 1820. I, 293. 

*) Otis T. Mason macht in einem Aufsatz Uber die Verbreitung des Musikboxen« 
(American Anthropologie X 1897, 8. 377— 380) folgende Angaben über das Vorkommen 
desselben in Afrika: Sulu, Daraara, Hottentotten, Buschmänner, Angola, Maschonaland, 
Moiambique, „Lake region»" und Madagaskar. 



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gewieben sein, meistens aber wird er sich wohl neben denselben als 
Saiteninstrument der Aermeren und der Kinder gehalten haben. 

Die zweite Qrnppe hat nur eiue sehr beschränkte Verbreitung; 
ihr Centrum ist anscheinend Madagaskar (hier, heisst das Instrument 
Lukanga), von wo aus diese Instrumente nach dem gegenüberliegenden 
Festland gekommen sein sollen. Hier finden wir sie unter dem Namen 
Sese bei den Swahili und einer Reihe von Stammen im Hinterlande der 
Swahili-Küste bis an den Tanganyika und Nyassa heran; das Berliner 
Museum besitzt solche von den Wasaramo, Wanguu, Wanyamwesi, 
Wangindo, Wayao, Wasafua und Wawemba. Nach Hildebrandt findet 
sich die Sese bei den Ackerbau treibenden Stammen Ostafrikas, do^ 
nicht bei den Viehzüchtern. 1 ) Vielleicht reicht das Gebiet diesu 
noch weiter nach Westen und besonders nach Süden nach Portu h 
Ostafrika hinein. 2 ) 

Was die Verbreitung der dritten Gruppe betrifft, so ist das m 
schon im beschreibenden Theil gesagt worden; so bleibt hier nur wi 
hinzuzufügen. 

Die primitiven Instrumente der Gruppe lila stammen sämmtlich auo 
Ostafrika, zumeist aus Usaramo und vom Nyassa; genaueres lässt sich über 
die Grenzen ihres Vorkommens nicht angeben. 

Von den übrigen Unterabtheilungen dieser Gruppe ist nur im All- 
gemeinen zu sagen, dass sie der Nordhälfte Afrikas augehören und ihre 
Südgrenze ungefähr da finden, wo das Gebiet der Bantu beginnt. Die 
vollkomuineren Instrumente dieses Typus finden wir in den arabischen 
Staaten des Nordrandes, während die primitiveren im Sudan vor- 
herrschen. 

Vom Senegal bis Dahome erstreckt sich das Verbreitungsgebiet der 
vierten Gruppe, und zwar gehört sowohl das Innere wie die Küste 
dazu. Freilich nicht ohne Ausnahmen; eine solche scheint Liberia zu 
bilden; wenigstens erwähnt Büttikofer dieses Instrument in seiner Auf- 
zählung nicht, sondern als einziges Saiteninstrument die sogenannte Kru- 
Harfe. Die Exemplare des Berliner Museums stammen von den äussersten 
Enden des Gebiets: die meisten aus Togo und von der Goldküste, eines 

•) Ethnogr. Notizen über die Wakamba und ihre Nachbarn. Z. f. Ethn. X. 1878. 

S. 393. 

») Im Congo illusti-o IV (1895) S. 173 ist ein Sese-Spieler abgebildet und in der 
Unterschrift ah „Mnsicien zappo-zap (Kassaij" bezeichnet Diese Angabe wird im 
Druckfehlerverzeichnis am Ende des Bandes geändert in .Musicien Bandjia". Aber 
auch das ist ein Irrthum, denn die Bandjia sind ein den A-Sandeh nahestehender 
Stamm und besitzen dieses Instrument sicherlich nicht Der dargestellte Musiker ist 
vermuthlich ein OsUfrikaner, der mit einer Karawane bis ins Kassai-Gebiet gekommen 
und dort photographirt worden ist. 



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(Abb. 18) von den Bissagos-Inseln. In der Litteratur wird das Instrument 
von der Goldkäste häufig erwähnt und übereinstimmend beschrieben, so 
von Isert, Beecham und Cruikshank. Im Innern, im Gebiet des oberen 
Niger und des Senegal, scheint das Instrument hauptsächlich dem weit 
verbreiteten Stamm der Mandingo anzugehören, der ja für diese Länder 
dieselbe Rolle spielt, wie die Haussa im mittleren Sudan. Jedenfalls 
meint Hecquard dieses Instrument, wenn er eine Guitarre von 21 Saiten 
folgendermassen beschreibt: »Sie besteht aus einer grossen, mit sorgfältig 
gegerbtem Fell bespannten Kalebasse; an diese ist ein Stiel augesetzt, 
welcher die durch einen Steg aus hartem Holz erhöhten Saiten trägt.« 1 ) 
Diese Schilderung passt genau auf das in Abb. 18 dargestellte In- 
strument. Auch die von Mungo Park erwähnte Korro, »eine grosse 
Harfe mit 18 Saiten«, ist jedenfalls auf dasselbe Instrument zu beziehen, 
während die von demselben Autor angeführte und Simbing genannte 
»kleine Harfe mit 7 Saiten« vielleicht von der Art der in Abb. 16 dar- 
gestellten ist.') 

An der Küste scheinen diese Instrumente ostwärts nicht über das 
Togogebiet hinauszugehen, jedenfalls nicht den Niger zu erreichen, da sie 
von Mockler-Ferryman nicht erwähnt werden. Ob sie sich im Innern 
weiter nach Osten erstrecken oder ob ihre Grenze hier mit der der 
Mandingo oder mit der der Einflusssphäre derselben zusammenfällt, was 
nicht nn wahrscheinlich ist, muss vorläufig dahingestellt bleiben. Jedoch 
scheinen sie schon in den nördlichen Landschaften von Togo entweder 
ganz zu fehlen oder sehr selten zu sein; wenigstens findet sich zu einem 
Exemplar des Berliner Museums im Katalog die Bemerkung des Sammlers 
(E. Baumann), das Instrument werde im ganzen südlichen Togogebiet 
gebraucht, sei aber nicht sehr beliebt. Nördlich des siebenten Breite- 
grades werde es durch die Streichinstrumente mit Rosshaarbesaitung 
(Abb. 9) ersetzt. Die Bemerkung, es sei nicht beliebt, scheint anzu- 
deuten, dass wir hier ein älteres, aus der Mode kommendes Musik- 
instrument vor uns haben, das durch das vorhin erwähnte, von Norden 
importirte, der Rabab verwandte Streichinstrument mehr und mehr ver- 
drängt wird. 

Die fünfte Gruppe (Bügelharfe) hat ein sehr eigentümliches Ver- 
breitungsgebiet; dasselbe erstreckt sich in Gestalt eines verhältnissmässig 
schmalen Gürtels beinahe quer durch die ganze Breite Afrikas, von der 
äquatorialen Westküste bis zum Victoria Nyansa. Hier haben wir als 
östlichsten Vertreter die Uganda-Harfe (Va), westlich davon am Uelle 

>) Hecquard, Voyage bot la cöte et dans l'intörieur de l'Afrique occidentale. Paris 
1853. S. 123. 

*) Muogo Park, Reisen im Innern von Afrika. Berlin 1799. S. 249. 



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die Harfe der A-Sandeh (Vb); die zwischen beiden Gruppen bleibende 
Lücke füllt die von Stuhlmann 1 ) abgebildete Harfe der Lendü ans. Eine 
zweite Lücke zwischen den A-Sandeh 3 ) and den Bezirken der Gruppen Vc 
and Vd, Adamaua und den Fan-Ländern, sowie zwischen den beiden 
letztgenannten Gebieten bleibt infolge mangelnden Materials vorläufig 
offen ; indessen sprechen die sonstigen bekannten ethnographischen Eigen- 
thümlichkeiten der Bewohner der in Betracht kommenden Gegenden für 
eine Verwandtschaft mit ihren westlichen Nachbarn, den Fan, womit sich 
auch hier der Gürtel schliessen würde. Die Südgrenze dieser Gruppe 
wird wohl ziemlich genau der anf der Karte eingetragenen Grenzlinie 
entsprechen; wie weit sich aber das Gebiet nach Norden in den Sudan 
hinein erstreckt, ist nicht zu bestimmen. Wahrscheinlich gehören die 
Landschaften am oberen Schari noch dazu; die »viersaitige MawMine 
aus Holz oder Kürbisschale«, die Nachtigal*) bei den Gaben im sv 
Bagirmi sah, gehört wohl in diese Gruppe. 

Die Instrumente der Gruppe Vc im Berliner Museum starau . 
Banyo und Tibati, von den Mbum, Batta und Djuku, also alle 
Adamaua, diejenigen der Gruppe Vd von den Bakelle und Fan am Ogowe 
und von den Bule und Bane, zwei Fanstämmen im südlichen Kamerun. 

Ganz vereinzelt steht bisher ein Instrument (MC 6032), das den 
Fan-Harfen genau gleicht, auch, wie diese vielfach, einen geschnitzten 
Kopf am Griff trägt, aber aus Dagomba im westlichen Sudan stammt. 
Die Richtigkeit der Angabe, die von einem zuverlässigen Sammler (Haupt- 
mann Kling*) herrührt, zu bezweifeln, liegt trotz des Mangels sonstiger 
Zeugnisse umsoweniger ein Grund vor, als das Gebiet westlich des Niger, 
wie wir später sehen werden, auch sonst vielfach Anklänge an Vor- 
kommnisse im Kongogebiet zeigt. 

Höchst merkwürdig ist auch die Verbreitung der sechsten Gruppe, 
die die Instrumente mit mehreren Saitenträgern, die Kongo-Guitarren, ent- 
hält. Dasselbe zerfällt nämlich in drei von einauder getrennte Theile, 
die sämmtlich an der Küste Westafrikas liegen und zwar auf der weiten 
Erstreckung vom Niger bis zum Kunene. 

•) Mit Emin Pascha ins Herz von Afrika. Berlin 1894. S. 537. Abb. 159. 

*) Die Ngapu zwischen Ubangi nnd oberem Schari, deren Harfen nach einer Ab- 
bildung bei Djbowski (La ronte du Tchad S. 303) ganz denen der A-Sandeh gleichen, 
sind wohl nur ein Zweig dieses grossen Stammes. 

•) Sahara und Sudan II, <I>4. 

*) Auf dieses Instrument bezieht sich wahrscheinlich die Erwähnung eines der alt- 
ägyptischen Harfe ähnlichen, oft schön geschnitzten Saiteninstruments (Kling in d. Mitth. 
a. d D. Schutzgeb. III, 1890 S. IG-'). Kling fügt hinzu: ^Dasselbe ist in derselben 
Form durch das ganze mohammedanische Innerafrika bis nach Abessinien hin ver- 
breitet. Auch die Dabome- und Adeli-Neger sieht man manchmal auf solchen Harfen 
spielen". 



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Der nördlichste Gebietsteil liegt am unteren Niger und ßenue und 
erstreckt sich längs der Küste bis an die Södgrenze Kameruus. Für das 
Niger- und Benuegebiet bezeugt das Vorhandensein dieser Harfe Day, 1 ) 
auch besitzt das Berliner Museum von dorther zwei von R. Flegel ein- 
gesandte Instrumente. Am Benue indess scheint die Grenze nicht weit 
aufwärts zu reichen; schon die Djuku (9 — 10° östl. L.) haben die 
Bügelharfe. Zu dieser Gruppe haben auch die Saiteninstrumente des 
alten Benin gehört; Darstellungen von solchen finden sich auf zwei im 
British Museum befindlichen Bronzeplatten. Auf den Photographieen in 
der Publikation von Read uud Dalton*) ist allerdings nicht viel zu er- 
kennen, der Text aber (S. 27) und eine zum Vergleich beigegebene Ab- 
bildung einer Loango-Guitarre machen es unzweifelhaft, welcher Art das 
Instrument ist.') Aus Calabar und dem nordwestlichen Kamerun besitzt 
weder das Berliner Museum solche Instrumente, noch ist mir ein Zeugoiss 
für ihr Vorkommen daselbst in der Litteratur bekannt; erst im eigent- 
lichen Kamernn tauchen sie wieder auf und scheinen besonders am 
unteren Sannaga, bei den Bakoko und ihren nächsten Nachbarn, häufig 
zu sein. Von hier stammen die geschnitzten und roth bemalten Instrumente, 
von denen Abb. 28 eines darstellt. Aus dem nördlichen Kamerun 
besitzt das Museum nur ein Instrument mit der nicht ganz zweifelfreien 
Angabe »Balic. Da die Bali stammfremde Einwanderer aus Adamaua 
sind, so ist es immerhin fraglich, ob sie dies Instrument in ihrer Heimath 
besessen und von dort mitgebracht haben; freilich könnten sie es auch 
in ihren jetzigen Wohusitzen von ihren neuen Nachbarn übernommen 
haben. Nach Osten zu scheint das Instrument nicht weit ins Hinterland 
von Kamerun hineinzugehen. Die östlicheu Nachbarn der Bakoko, die 
Yaunde, haben es anscheinend nicht mehr; Zenker erwähnt in seiner 
Beschreibung dieses Stammes zwei Saiteninstrumente; das eine ist das 
Rapbia-Instrument der Gruppe XI, das andere nennt er »den am Kongo 
gebrauchlichen Harfen ähulich«. Welche »Harfe« er meint, bleibt un- 
klar; man könnte zunächst an unser Instrument denken, da dasselbe ja 
auch am unteren Kongo vorkommt; aber in diesem Falle würde Zeuker 
sich wohl eher auf die ihm wohlbekannten Instrumente der benachbarten 
Bakoko bezogen haben, von denen er selbst eine Anzahl für das Berliner 
Museum gesammelt hat. Es erscheint mir daher wahrscheinlicher, dass er 



•) Bei Mockler-Ferryman, Up the Niger. S. 265. Day bemerkt bierxu: „Instruments 
of this lrind are generally found all through Africa*. 

*) Antiqaities from tbe City of Benin. London 1899. Taf XXIII, Fig. 4; 
Taf. XXX, Fig. 6. 

*) Eine „Harfe" ans Benin mit sieben oder nenn Saiten erwähnt auch David van 
Nven'lael bei Bosman (S 243), ohne sie näher zu beschreiben. 

6 



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82 — 



die Bügelharfe meint, die ja auch bei den Yaunde, ala einem Fanstamm, 
eher zu erwarten wäre und bei anderen Fanstammen in Süd- Kamerun, 
wie den Bqle und Bane, auch thatsächlich vorkommt 

Sudlich von Kamerun folgt nun ein Gebiet, in dem unser Instrument 
nicht vorkommt, und das im Wesentlichen dem Stromgebiet des Ogowe 
entspricht und von den Fan und ihren Verwandten bewohnt wird. Erst 
in Loango treffen wir wieder auf Instrumente vom Typus der Gruppe VI 
und zwar zunächst die Spielart mit eng verbundenen Saitenträgern, die 
über die Loango-Küste und die Gegenden am untersten Kongo nicht 
hinaus zu gehen scheint. Wenigstens stammen alle Instrumente des 
Berliner Museums von dort. 

Oestlich davon, den Kongo aufwärts und an seinen grossen südlichen 
Zuflüssen, dem Kassai, Sankurru und Kuango, schliessen sich nah ver- 
wandte Instrumente an, und zwar vertheilen sie sich so, dass die der 
Gruppe VI* 1 um den Stanley Pool (bei den Bateke) und bei den Bakuba 
zwischen Sankurru und Kassai sich finden, die der Gruppe VI** aber im 
Knango-Gebiet (Mayakalla und Wabuma). 

Wir haben hier also ein grosses zusammenhängendes Gebiet, das 
sich von der Küste bis ins Herz des südlichen Kongobeckens erstreckt. 
Ob auch das Flussgebiet des Tschuapa und Lulongo hierhergehört, vermag 
ich nicht anzugeben. Ebensowenig ist über die Saiteninstrumente der 
Völker am Lomami etwas bekannt. Es ist aber immerhin möglich, dass 
die Grenzen der Kongo-Guitarre beträchtlich weiter gesteckt sind, als wir 
heute wissen. 

Der dritte und südlichste Gebietstheil liegt ganz abgesondert am 
mittleren Kunene. Die Ovambo sind bisher der einzige Stamm dort an 
der Grenze zwischen Deutsch- und Portugiesisch-Südwest- Afrika, von dem 
wir solche Instrumente kennen. Das Berliner Museum besitzt drei dieser 
Guitarren mit der Herkunftsangabe »Ovambo«; dass dieselbe richtig ist, 
ist zweifellos und wird ausserdem auch bezeugt durch Schinz, der dieses 
Instrument beschreibt, und durch Andersson, der sogar eine, freilich sehr 
schlechte Abbildung davon giebt. 1 ) 

Damit ist aber anscheinend die Verbreitung dieses Instruments noch 
nicht erschöpft; es scheint vielmehr auch am Oberlauf des Niger vor- 
zukommen. Der französische Reisende Binger beschreibt nämlich von 
den Bambara unter dem Namen »dian-ne« ein dort nach seiner Angabe 
sehr beliebtes Saiteninstrument, das aus einer grossen Kalebasse besteht, 
durch die drei Bambusstäbe hindurchgesteckt sind; jeder trägt em0 Saite, 
deren anderes Ende an einem senkrecht im Kürbis steckenden Hölzchen 



») Scbinz, Deutsch-S.-W.-Afrüca, 8. 294; Anderson, Lake Ngami. London 1856. 



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befestigt ist. ') Die vou Binger gegebene Abbildung zeigt, wie der Spieler 
die Kalebasse gegen seinen Leib drückt und das Instrument mit beiden 
Händen wie eine Harfe spielt. 

Eine ganz beschränkte Verbreitung hat die siebente Gruppe, die 
über die Grenzen Liberias nicht hinauszugehen scheint. Das hierher 
gehörige Instrument wird gewöhnlich als Kru-Harfe bezeichnet, obwohl 
es auch bei den Vey und wohl auch bei den übrigen Stämmen Liberias 
vorkommt Ein Exemplar des Berliner Museums soll allerdings aus Togo 
stammen; da aber diese Angabe ganz allein steht und kein Bericht- 
erstatter das Vorhandensein dieses Instruments an der Sklavenköste er- 
wähnt, so wird dieselbe wohl dahin zu berichtigen sein, dass die Harfe 
allerdings in Togo erworben, aber von einem Kru dorthin gebracht 
worden ist. Der Verbreitung eines Musikinstruments durch die see- 
fahrenden Kru — diesmal in umgekehrter Richtung — werden wir 
späterhin noch einmal begegnen. 

Der achten Gruppe, die die lyraähnlichen Instrumente enthält, 
gehört der ganze Nordosten, d. h. alle Landschaften am mittleren und 
oberen Nil tou Nubien an bis Kavirondo am Ostufer des Victoria Nyansa 
sowie die östlich davon liegenden Länder, Abessinien und das afrikanische 
Osthorn, die Heimat der Galla, Somäl und Danaki).') Die Sudgrenze 
des Gebiets dieser Gruppe zwischen Nyansa und Indischem Ocean fällt 
ungefähr mit der der Bantu einerseits, der Hamiten und Niloten ander- 
seits zusammen; die Bewohner von Kavirondo, die nilotischen Stammes 
sind, haben die Lyra, wie die Galla und Somäl, während sie den benach- 
barten Bantu, wie den Wakaniba, Wapokomo etc., fehlt. Freilich fehlt 
sie auch den gleichfalls hamito- nilotischen Massai und Wakuafi, wie 
überhaupt jedes Saiteninstrument, während sie sich anderseits von Kavirondo 
nach dem südlich angrenzenden, von Bantu bewohnten Uschaschi ver- 
breitet hat.*) Auch die im abflusslosen Gebiet Deutsch-Ostafrikas an- 
sässigen Stämme hamitischen Blutes, wie die Wafiomi, besitzen die 
Lyra nicht 

Die Westgrenze bildet am Nyansa der Nil selbst, indem in dem 
östlich des Flusses gelegenen Ussoga die Lyra zu Hause ist, während 
Uganda am anderen Ufer des Nil bereits zum Gebiet der Bügelharfe gehört. 
Auch auf den Sese-Iuseln im Nyansa findet sich nach Kollmanu die 



') Binger, Du Niger au Golfe de Guinee. Paris 1892. I, 77. 
*) Paulitscbke, Ethnographie Nordost-Afrikas. Berlin 1893, 1, 148 u. Taf. XVII, 
Fig. 58. 

*) Baumano, Durch Massailand S. 57 (Abb.); Kollmann, Der Nordwesten unserer 
Oetafrikaniscben Kolonie. Berlin 1898. Fig. 367 (S. 149). 

6* 



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Lyra. 1 ) Weiter nördlich ist die Grenze unbestimmt; sie verläuft jedenfalls 
im Westen des Nils in unbekannter Entfernung von demselben, denn 
sämmtliche die Ufer des Stromes bewohnenden Stämme haben die Lyra, 
wie die Bari, Mittu, Dinka, Schilluk etc.') Nur den Bongo scheint sie zu 
fehlen. 

Das Gebiet der neunten Gruppe umfasst ganz Deutsch-Ostafrika 
und reicht sowohl im Westen wie im Süden beträchtlich über dasselbe 
hinaus, während die Nordgrenze ziemlich mit der politischen Grenze 
zusammenfallt. Das Berliner Museum besitzt Schaleninstrumente von 
folgenden Stämmen Deutsch-Ostafrikas: Wakwere, Wasaramo, Wakaguru, 
Wanyaturu, Wassandaoi, Wagogo, Wanyamwesi, Wassukuma, Wakerewe, 
Wasindja, Wassiba, Wanyaruanda, Warundi, Waha, Wafipa, Wanyamwanga, 
Wanyakyusa, Warori und Wahehe, also aus allen Theilen des Schutz- 
gebietes. Baumann erwähnt sie auch bei den Waschaschi.*) Wo die 
Südgrenze verläuft, lässt sich nicht geuau angeben; jedenfalls kommen 
Instrumente dieser Gruppe im britischen Gebiet westlich vom Nyassa vor 
(Abb. 37), reichen aber wohl nicht weiter als bis zum Südende des 
genannten Sees. Es scheint, als ob die Grenze hier mit der Nordgrenze 
der Sansa zusammenfällt, so dass man diese und die Instrumente der 
neunten Gruppe als sich gegenseitig ausschliessend und ersetzend betrachten 
kann. Im Westen geht die Grenze über den Tanganyika hinaus und 
um8chliesst die Landschaften Urua und Marungu, die auch sonst mancherlei 
ethnographische Verwandtschaft mit den Nachbarlandschaften ostlich 
vom Tanganyika aufweisen. Im Nordwesten gehören noch einzelne Stämme 
im Zwischenseengebiet hierher; Stuhlmann fand viereckige Schaleninstrumeute 
mit 6 Bastsaiten bei den Wadumbo, 4 ) Stanley bei den Walegga. 5 ) Inner- 
halb dieses ganzen Gebiets lässt sich nun auch für die einzelnen Varietäten 
des Typus eine auf gewisse Districte beschränkte Verbreitung nachweisen. 

Den rechteckigen Instrumenten gehören, wie es scheint, hauptsächlich 
die Kfistenlandschaften und der Süden des Gebietes; die im Berliner Museum 
vorhandenen stammen aus Ukwere, Usagara, Uhehe, Konde - Land und 
Unyamwanga. 

Die langen schmalen mit geschweiften Seiten scheinen nur in Uhehe 
und Usagara vorzukommen, die mit vorspringender Leiste am Schmalrand 
wie Abb. 39 für die Wanyakyusa charakteristisch zu sein. 

•) S. 27 (Fig. 47). 

*) Schweinfurtb, Artes Afr. Taf. IX, 4 (Mittu); Kaufmann, Schilderungen aus 
Centraiafrika. Brixen 1862. S. 94 (Dinka); S. 175 (Bari). 
*) Durch Masaailand S. 202. 
<) Stuhlmann S. 568. 

») Stanley, Im dunkelsten Afrika. Leipzig 1890. II, 361. 



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Je weiter man nach dem Innern kommt, desto mehr runden sich die 
Formen; zunächst erscheinen in Ugogo und dem abflusslosen Gebiet 
Instrumente, die, von oben betrachtet, rechteckig sind, aber schon einen 
abgerundeten Boden haben; in Ussukuma treten dann ovale Trogformen 
auf, von denen Abb. 41 ein Beispiel giebt. Seine Vollendung findet 
dieser Typus endlich in den Landschaften am Nyansa und Tanganyika, 
in Ukerewe, Unyamwesi, Ussiba, Ruanda, Urundi bis hinunter nach Ufipa 
und Urori. Die schönsten Instrumente liefern die drei erstgenannten Land- 
schaften (Abb. 44). Speciell die grossen schwarz gefärbten, mit vielen kreuz- 
förmigen Löchern versehenen Instrumente wie Abb. 43 scheinen für Ruanda 
und Urundi charakteristisch zu sein. Es ist zu beachten, dass dieses fast 
alles Landschaften sind, die vou Wahuma besiedelt sind; der naheliegenden 
Schlussfolgerung aber, dass dieses Instrument den Wahuma eigentümlich 
sei, steht die Thatsache entgegen, dass dasselbe in den nördlichen Wahuina- 
Ländern, wie Unyoro, Uganda, Nkole, Karagwe etc., überhaupt nicht toi> 
zukommen scheint. 

Merkwürdiger Weise behauptet L.Frobenius im Gegensatz zu den obigen 
Ausführungen gerade die westliche Heimath der Schaleninstrumente. Nach 
ihm erstreckt sich ihr Gebiet »von der nördlichen Guineaküste bis in das 
südliche Kongobecken und bis in die Waldregion am oberen Aruwimi.« ') 
Er bildet aber nur ein einziges wirklich westafrikanisches Instrument 
dieser Art ab, von der Goldkfiste, nach Barbot (Fig. 111, S. 141), die 
anderen stammen von den Waldvölkern westlich der grossen Seen, wo 
auch Stuhlmann solche faud, uud aus Ostafrika. Auch die drei Gewährs- 
männer, die er citirt, Burton, Baumann, Stuhlmann, haben sämmtlich ost- 
afrikaniscbe Instrumente im Auge. Da ich auch keinen weiteren Beleg 
für das Vorkommen der Schaleninstrumente in Westafrika kenne und 
alle Exemplare des Berliner Museums (und wie ich hinzufügen kann, auch 
die des Leipziger Museums) ans Ostafrika stammen, so muss ich vorläufig 
auf meiner entgegengesetzten Anschauung beharren. 

Die zehnte Gruppe ist im Berliner Museum nur mit vier Instru- 
menten vertreten, die sämmtlich vom Nordende des Nyassa, von den 
Wakinga und Wanyakyusa stammen. Auch aus der Litteratur ist mir 
Über ein anderweitiges Vorkommen nichts bekannt. Das Princip freilich, 
durch Zusammenbinden nebeneinauder gelegter Rohrhalme, Blattrippen 
u. dergl. eine Platte zu schaffen, auf welcher der Tonerzeuger angebracht 
werden kann, findet sich auch sonst, wie z. B. bei der nachfolgenden 
Gruppe und auch bei der Sansa. Es ist das wohl als ein Ueberlebsel aus 
einer technisch noch unbeholfenen Zeit aufzufassen, da die Unvollkommen- 

') L. Probeoins, Ursprung der afrikanischen Kulturen. Berlin 1898. S. 140 f. 



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heit der Werkzeuge die Herstellung eines Brettes aus Holz noch nicht 
gestattete oder wenigstens zu einer schweren und langwierigen Arbeit 
machte. So mag sich diese ehemals verbreitetere Technik in abgelegenen 
oder ärmeren Gegenden allem technischen Fortschritt zum Trotz vereinzelt 
bis heute erhalten haben. 

Die Rohrinstrumente der elften Gruppe kommen nur an wenigen 
und durch ungeheure Zwischenräume getrennten Stellen vor, soweit 
wenigstens nach dem Material des Berliner Museums und den sehr spär- 
lichen Litteraturan gaben eiu Urtheil zulässig ist. Es ist ja immerhin mög- 
lich, dass genauere Nachforschungen sie noch in einigen anderen Winkeln 
Afrikas auffinden werden, wahrscheinlich aber, dass sie als Ueberbleibsel 
einer alten, längst weggespülteu Kultur nur an verhältnissraässig wenigen 
Orten sich erhalten haben. 

Die Raphia-Instrumente (Gruppe XI a) scheinen nur in Süd-Kamerun 
und den angrenzenden Tbeilen des Congo francais vorzukommen, Torwiegend 
also wohl bei Fan-Volkern. Daher stammen wenigstens alle Instrumente 
des Berliner Museums mit Ausnahme eines, einzigen. Dieses, zugleich das 
einzige, bei dem die Saiten neben- und nicht übereinander liegen, hat 
keine Herkunftsangabe; da es aber zu den Sammlungen Robert Flegels 
gehört, so kann man annehmet! , dass es aus dem südlichen Adamaua 
stammt und somit das Vorkommen dieser Instrumente bis hierhin bezeugen 
würde, falls nicht eine Verschleppung vorliegt. Nach dem Innern hin 
wird das Gebiet der Raphia-Instrumente wahrscheinlich ebenso weit reichen, 
wie das der Fan-Stämme. Im Südosten geht es sogar daröber hinaus 
und erreicht den Kongo, da es bei den Bateke vorhandeu ist. 1 ) 

Die Rohrhalm-Cithern der Gruppe XI b finden sich in zwei, weit von 
einander entfernten Gegenden. Die vollkommeneren Instrumente dieser 
Art, die Abb. 48 zur Darstellung bringt, stammen aus Oberguinea. Die 
Angaben über ihre Herkunft sind ungenau oder fehlen ganz; eines stammt 
angeblich aus Dahorae, ein zweites ist in Togo erworben, zwei gehören zu den 
Flegerschen Sammlungen vom unteren Niger. Von diesen beiden ist das 
eine ohne Angabe, das zweite stammt aus Bautschi im centralen Sudan. 
In der Litteratur habe ich keine Erwähnung dieser Instrumente gefunden; 
ich kann daher auch nicht sagen, ob die Angabe Dahome richtig ist; in 
Togo sind sie wohl sicher nicht heimisch, da keine der grossen Sammlungen, 
die das Berliner Museum in den letzten Jahren aus dieser Kolonie be- 
kommen hat, derartige Instrumente enthalten hat. Auch ihr Vorkommen 
am unteren Niger wird dadurch zweifelhaft, dass Day sie nicht erwähnt. 
Es ist also wohl möglich, dass ihre Heimath weiter im Innern liegt, von 

') Guiral, Le Congo Francais. 1889. S. 174. 



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wo sie durch den Handel gelegentlich in einzelnen Exemplaren nach der 
Küste gebracht werden. Und diese Vermuthung wird dnrch die Her- 
kunftsangabe des einen FlegeTsrhen Stückes gestützt. 

Die einfacheren Instrumente, von denen das Berliner Museum vier 
besitzt, stammeu dagegen sämmtlich aus dem innersten Kongo-Gebiet, uud 
zwar von einem und demselben Orte, von Lupungu im Gebiet des oberen 
Sankurru, also wohl von einem Bassonge-Stamm. Wissmann hat sie von 
seiner ersten Afrika-Dnrchquerung mitgebracht und seitdem sind keine 
weiteren ins Berliner Museum gelangt. 

Der letzte zu dieser Gruppe gehörige Instrnmententypus, die Valiha, 
ist auf Madagaskar beschränkt. 

Ein ähnliches Instrument kommt sogar in Senegambien am Rio Nunez 
vor; ich erwähne es hier zum Schiusa, da ich nicht sicher bin, ob es zu 
der Valiha oder zu den Raphiaguitarren zu stellen ist. Es besteht 
nach Berenger-Fe*raud aus einem Bambusschaft (tige de bambou), ') von 
dem 2 oder 4 Rindenstreifen losgelöst und an den Enden durch Steinchen 
unterstützt siud. Man spielt es mit den Fingern und einem Stäbchen. 9 ) 



Es bleibt noch die Verbreitung einiger Einzelheiten zu betrachten, 
zunächst die Befestigung der Saiten am Saitenträger. Einfach an- 
gebunden sind die Saiten bei der ersten und zweiten Gruppe, ferner bei 
der sechsten und siebenten. Bei den beiden letzten finden sich schon 
Verbesserungen; so ist bei der Kruharfe der eine Stab mit Löchern ver- 
sehen, durch welche die Saiten gezogen werden, und bei einigen 
Instrumenten der sechsten Gruppe wird die Saite, was sonst nie vorkommt, 
in einen Spalt der Spitze des Saitenträgers geklemmt. 

Die Befestigung an Ringen aas Pflanzenfaser oder Leder, die fest um 
den Saitenträger herumgelegt sind, ist allein herrschend bei den Instru- 
menten der vierten und achten Gruppe, den Mandingo-Guitarren und den 
Lyren. Ferner findet sie sich bei den meisten Instrumenten der dritten 
Gruppe (Abb. 11—13). 

Wirbel endlich finden sich bei den übrigen Instrumenten der dritten 
Gruppe, besonders denen aus Nordafrika, und bilden das ausschliessliche 
Mittel zur Saitenbefestigung bei der fünften Gruppe, den Harfen. Aus 
diesen Angaben ergiebt sich die geographische Verbreitung ron selbst; 
das Anbinden der Saiten überwiegt bei den Saiteninstrumenten aller Bantu ; 
im Sudan und in Nordafrika tritt an seine Stelle die Befestigung an Fäden 
oder Riemen, die fest um den Saitenträger gewickelt sind, oder an dreh- 

») Hiermit kann wirklicher Bambus oder die Bambnspalme (Raphia) gemeint sein. 
*) Be>enger-F*raod, Lea peuplades de la Sencgambie. Paris 1879. S. 144. 



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baren Pflöcken. Das am weiteste!) nach Süden ins Bantngebiet Torgedrungene 
Instrument mit Wirbeln ist die Harfe. 

Ferner ist zu beachten die Verbreitung der beiden zur Herstellung 
der Saiten benutzten Materialien, der Thiersehne und der Pflanzen- 
faser. Im Allgemeinen kann man sagen, dass Nord-, Ost- und Südafrika 
das Gebiet der Thiersehne bilden, während in Westafrika die Pflanzenfaser 
vorherrscht. Demgemäss finden sich bei dem universal verbreiteten Musik- 
bogen beide Stoffe, und zwar der pflanzliche nur bei westafrikanischen 
Stücken (ein Bogen aus der Sammlung Pogge hat Rotangsaite). Die 
zweite Gruppe bildet aber schon eine Ausnahme von obiger Regel; denn 
obwohl in Ostafrika heimisch, haben ihre Instrumente durchweg Pflanzen- 
fasersaiten; das weist auf ihre Herkunft aus dem malaiischen Madagaskar. 
In der dritten Gruppe herrschen Thiersehnen vor und ihnen gesellen sich 
Rosshaarsaiten. Die vierte Gruppe hat wieder überwiegend Pflanzenfaser- 
saiten, nur das grosse Instrument Abb. 18 hat solche aus thierischer 
Substanz. Ebenso verwenden die sechste und siebente Gruppe nur pflanz- 
liche Saiten, die fünfte, achte und neunte dagegen fast ausschliesslich 
thierische; nur bei Harfen aus dem Ogowe-Gebiet finden sich Saiten ans 
Pflanzenfaser. 

2. Die Sansa. 

Die Verbreitung der Sansa (Karte III) erstreckt sich ungefähr 
über die Gebiete des Sambesi, des Kongo und des unteren Niger. An 
der Westküste umfasst sie alle Landschaften vom Kunene bis zum Niger, 
im Osten erreicht sie dagegen das Meer nur zwischen der Delagoabay und 
Mozambique. 

Durchmustern wir zunächst den Bestand des Berliner Museums, so 
finden wir folgende Landschaften und Stämme vertreten: ganz im Süden 
die Ovambo, 1 ) dann verschiedene Orte in Portugiesisch Westafrika (Ben- 
guela, Novo Redondo, Malange), weiter das Gebiet an der Kongomündung, 
und die Bawili in Loango; aus dem Ogowe-Gebiet die Fan und Akelle; 
aus Süd-Kamerun die Yaunde, Bati und Wute; weiter nördlich die Dualla 
und Bakwiri; aus Nord-Kamerun die Bafö, Banyang und Bali, die Ekoi 
am Cross River; dann Calabar und Bonny; weiter aus dem Innern die 
Mbum um Ngauudere in Adamaua. Aus dem Innern des Kongogebietes 
sind nur wenige Stämme vertreten: die Bateke, die Anwohner des Kuango, 
die Balolo am Tschuapa, die Warna und Manyema im Osten, endlich Lunda. 

') Das Museum besitzt zwei Saasas von den Ovambo ; gegen die Zuverlässigkeit der 
Angabe, die von einem im Ambo-Lande thätigen Missionar herrührt, sind kaum Zweifel 
zu erheben. Indes» darf nicht unerwähnt bleiben, dass nach Schinz die Sansa, die er 
Marimba nennt, nur bis Onkumbi vorkommt, südlich des Kunene aber fehlt. 



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Es folgen dann noch eine Reihe Instrumente vom Sambesi, Schire und 
Nyassa und von den Wayao, endlich von den Bawenda im nördlichen 
Transvaal. 

Der hier umschriebene Verbreitungskreis wird durch einige Angaben 
aus der Litteratur, die ich hinzufüge, nicht wesentlich erweitert: Bangala, 
Britisch Central- Afrika (westlich des Nyassa), Makalanga, Marutse, Wa- 
budschwe, Unterer Niger. 1 ) 

Versuchen wir nun die Grenzen dieses Gebietes genauer zu bestimmen. 
Im Süden verläuft dieselbe vom unteren Kunene in etwa südöstlicher 
Richtung zur Mündung des Limpopo; bei den Baronga an der Delagoabay 
scheint die Sansa nicht mehr vorzukommen, da sie von Junod') nicht an- 
geführt wird. Weit schwieriger ist es, den Verlauf der Nordgrenze an- 
zugeben. Im äusserten Nord- Westen umschliesst sie noch das Gebiet 
des untersten Niger und des Benue mit Adamaua. Dann folgt eine Lücke, 
zu deren Ausfüllung uns die Kenntniss mangelt; wahrscheinlich folgt die 
Grenze etwa dem Lauf des Sanga und nähert sich dem Kongo im Lande 
der Bangala; sie dürfte auf dieser Strecke kaum weiter östlich zu suchen 
sein, da die im Osten wohnenden Stämme den A-Sandeh verwandt sind, 
die die Sansa nicht haben. Auch weiterhin sind wir zunächst auf Ver- 
muthungen angewiesen; anscheinend verläuft die Grenze zwischen Kongo 
und Uelle, folgt dann dem Bogen des Kongo nach Süden in unbestimm- 
barer Entfernung von dem Strome und erreicht das Westufer des Tan- 
ganyika; zum mindesten wissen wir, dass in übudschwe und Urua unser 
Instrument vorkommt. In Deutsch-Ostafrika ist es nirgend einheimisch; 
dagegen ist es im britischen Gebiet südlich davon vorhanden, so dass die 
Grenze zwischen Tanganyika und Nyassa ziemlich mit der politischen zu- 
sammenfallen dürfte; und auch östlich des Nyassa dürfte sie sich nicht 
weit von der Grenze zwischen der deutschen und der portugiesischen 
Kolonie entfernen. 

Ausserhalb dieses Gebietes findet sich die Sansa noch bei den Kru 
in Liberia.*) Es ist das ein sehr interessantes Vorkommen, weil es zeigt, 
wie Musikinstrumente verschleppt werden. Denn die Sansa ist hier sicher 
nicht einheimisch, sondern die seetüchtigen Kru, die als Matrosen auf 
europäischen Schiffen an der ganzen afrikanischen Westküste herum- 

*) Coquflhat, Sur Ie Haut Coogo, S. 364; Johnston, British Central Africa, S. 467; 
Beut, The ruioed citiee of Mashonaland, S. 73; Holnb, Sieben Jahre in Südafrika II, 198 
and Kiiltarskizze S. 137 f.; Cameron. Quer durch Afrika I, 288; Day bei Mockler- 
Ferryman, Up the Niger S. 271. 

*) Lea Ba-Ronga. (Bull. Soc. Neuchäteloise Geogr. X. 1898). 

•) Bottikofer II, 336. B. hebt ausdrücklich hervor, dass von allen Stämmen Liberias 
nur die Kru die Sansa besitzen. 



90 - 



kommen, haben sie zweifellos von Angola oder Gabun in ihre Heimath 
mitgebracht 

Sehr beachtenswerth ist die schon oben erwähnte Thatsache, dass die 
Sansa und die schalenförmigen Saiteninstrumente sich gegenseitig fast ganz 
anszuschliessen scheinen; mir ist wenigstens ausser Urua keine Landschaft 
mit Sicherheit bekannt, in der beide nebeneinander vorkommen. Johnston 
erwähnt freilich beide ans den britischen Besitzungen westlich des Nyassa 
und des Schire, unter! ässt aber zu sagen, ob sie sich alle zwei in der ganzen 
Ausdehnung dieses Gebiets finden, so dass die Möglichkeit offen bleibt, 
dass das eine Instrument nur in der nordlichen, das andere in der süd- 
lichen Hälfte zu Hause ist. Wenn sich aber auch in den Grenzgebieten 
eine Vermischung beider Instrumente findet, so bleibt doch die Erscheinung 
der gegenseitigen Ausschliessung im Wesentlichen bestehen. Das ist um 
so bemerken8werthcr, als die beiden Instrumente einen analogen Bau 
aufweisen, indem die tongebenden Theile in beiden Fällen auf einem 
Brett oder einer aus Rohrhalmen gebildeten Platte angebracht sind, und 
sich nur durch die Art der Tonerzeuger unterscheiden. 

Ueber die Verbreitung der verschiedenen Formen der Saasa lässt sich 
nicht allzuviel sagen. Instrumente aus einem einfachen Brett und solche 
mit einem Resonanzkasten kommen wohl überall nebeneinander vor. Aus 
einem Stuck Holz ausgehöhlte Kasten sind häufiger im Osten und Süden, 
Kasten mit besonderem aufgelegtem Deckel finden sich hauptsächlich in 
Kamerun und Calabar. Formen wie die der Abb. 51 kommen vom 
untersten Kongo und vom Kuango, die der Abb. 54 ist typisch für das 
Ogowe-Gebiet, Abb. 53 für Kamerun. 

Aus Palmblattrippen zusammengesetzte Instrumente besitzt das Berliner 
Museum aus Kamerun (Bati, Yaunde, Wute, Bali), Adamaua (Mburo) und 
vom Kuango, ein aus Rohrhalmen wie die Saiteninstrumente der Gruppe X 
bestehendes aus dem Nyassa-Gebiet. Derartige Instrumente kommen auch 
sonst noch vor, und was Pogge von Lunda berichtet, 1 ) wo die Sansas 
der Armen und der Kinder, die sich ihre Instrumente selbst machen, einen 
Resonanzboden aus nebeneinander befestigten hohlen Rohrstengeln haben 
und Tonstäbe aus Holz, während die der Wohlhabenden aus einem Holz- 
kasten und Eisenzungen bestehen, wird wohl auch für andere Gegenden 
zutreffen. 

Auch für einige Stegformen lassen sich gewisse Bezirke nachweisen, 
für die sie typisch sind. Gerade Stege finden sich besonders im Osten 
(Wayao, Sambesi-Stämme, Warua), doppelt rechtwinklig gebogene (Abb. 51) 
an der Westküste bis nach Loango im Norden (Ovambo, Angola, Kuango, 



') Pogge, Maat» Jamwo. 8. 241. 



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Bateke, Bawili). Die zweimal gebogenen Stege, die sich mit dem hinteren 
Steg zu einem Rahmen zusammenschliessen (Abb. 50), finden sich haupt- 
sächlich im südlichen Theil von Angola. 

Endlich sind noch einige Worte aber die Verbreitung der beiden 
Materialien zu den Toiistaben, Eisen und Rinde der Raphiapalme, zu 
sagen. Dem Eisen gehört das ganze Gebiet des Sambesi, Angola und der 
südliche Theil des Kongogebiets (Lunda und Urua). Raphia dagegen ist 
das ausschliessliche Material in Calabar, Kamerun, Adamana und dem 
Ogowe-Gebiet. Loango und unterer Kongo bilden eine Zwischenzone, in 
der beide Stoffe gleichmassig verwendet werden. 

3. Die Blasinstrumente. 

Die Hanptgattnngen der Blasinstrumente, Antilopenhörner, Elfen- 
beinhörner, Holzhörner, Rohrflöten, Pfeifen aus Holz und Elfenbein mit 
nur einem oder mehreren Löchern sind so allgemein in Afrika, dass von 
einem begrenzten Verbreitungsgebiet für eine dieser Klassen nicht die 
Rede sein kann. Auch da, wo das Material des Museums versagt und 
wo anderweitige Angaben fehlen, kann man mit Sicherheit annehmen, 
dass trotzdem Blasinstrumente, wahrscheinlich von mehreren Arten, vor- 
handen sind; ja, selbst wo Reisende direkt das Fehlen von solchen be- 
haupten, dürfte man wohl eher einen Beobachtungsfehler vermuthen, als 
die Angabe auf Treue und Glauben hinnehmen. Selbst Pogges oben 
erwähnte Behauptung, dass es in Lunda keine Blasinstrumente gebe, 
wird dadurch hinfällig, dass das Berliner Museum mehrere von demselben 
Heisenden in Mussumba gesammelte Signalpfeifen aus Holz und Elfenbein 
besitzt (vgl. Abb. 77). Vielleicht hat Pogge, als er diese Bemerkung 
niederschrieb, nur an grosse Instrumente, Elfenbeintrompeten etc., ge- 
dacht, ') vielleicht auch ist es nur einem Zufall zuzuschreiben, dass diese 
nicht zu seiner Kenntniss gelangt sind. 

Wenn die Elfenbeinhörner nicht überall gleich häufig sind, 
sondern hauptsächlich in Westafrika und speciell im Kongogebiet vor- 
kommen, so hängt das einfach von der verschiedenen Häufigkeit des 
Elefanten ab, und man kann voraussehen, dass ebenso wie der Elefant 
auch die Elfenbeininstrumente schon in naher Zukunft dem Untergange 
geweiht sind. Es ist also über die Verbreitung der Elfenbeinhörner nur 
zu sagen, dass sie in Ost- und Südafrika schon heutzutage zu den Selten- 
heiten gehören, und dass ihr Gebiet auch in Westafrika von Jahr zu Jahr 
mehr einschrumpft. Am häufigsten sind sie gegenwärtig noch im Be- 
reich des oberen Kongo und seiner Zuflüsse. 



') Auch Holub erwähnt bei den Marutse-Mambunda nur Signalpfeifen, keine Hörner. 
(Kulturskiue S. 146). 



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Die Instrumente aus Antilopenborn sind noch weit allgemeiner 
verbreitet; nur die Form wechselt lokal im Zusammenhang mit der Ver- 
breitung der Antilopenarten, deren Hörner benutzt werden. Auch Details 
geben wenig Anhalt zur geographischen Abgrenzung; Hörner mit abge- 
schnittener nnd mit intakter Spitze kommen anscheinend überall neben 
einander vor; nur die Anbringung des Blasloches an der convexen oder 
der concaveu Seite scheint wenigstens bis zu einem gewissen Grade an 
gewisse Gebiete gebunden zu sein. An der concaven Seite findet sich 
das Blasloch bei weitem häufiger und ausserdem in allen Theilen Afrikas; 
die Anbringung an der couvexen Seite dagegen ist hauptsächlich be- 
schränkt auf Oberguinea (Sklaven- uud Goldküste und deren Hinterland: 
Dagomba, Kabure, Moba, Barba etc.), Adamaua und einen Theil von 
Kamerun (Wute, Bali). Auch im alten Benin wurden die Hörner an der 
convexen Seite angeblasen. 1 ) Aber fast überall kommt daneben die ge- 
wöhnliche Form mit dem Mundloch an der Concavitat vor. Dasselbe gilt 
auch von den Elfenbeinhörnern. 

Sonst ist nur über das Vorkommen einiger Formen von Signalpfeifen 
etwas zu sagen. So scheinen z. B. die Pfeifen aus Holz mit einer An- 
schwellung unterhalb des oberen Endes (Abb. 60) nur am unteren Kongo 
von Loango bis etwa zum Stanley Pool oder zur Kassai-Mündung vorzu- 
kommen; die Pfeifen von der Form der Abb. 66 nur in Süd-Kamerun 
(Yauude, Bule, Wute). 

Die Pfeifen mit Kreuzdurchbohrung (Abb. 75 — 82) finden sich 
in zwei durch weite Räume getrennten Gebieten. Das erste scheint sich 
von Togo im Westen bis Adamaua im Osten zu erstrecken. Die meisten 
Pfeifen des Berliner Museuros stammen aus dem deutschen Togo-Gebiet, 
wo sie bis iu die nördlichsten Landschaften (Kabure, Tamberma, Moba) 
vorkommen. Ob sie noch weiter nach Westen und Norden gehen, ist 
mir nicht bekannt; weiter östlich finden sie sich dagegen am unteren 
Niger, 3 ) in Adamaua und im nördlichen Kamerun bei den Bali. Ver- 
muthlich haben diese sie aus ihrer Heimath in Adamaua mitgebracht. 
Der Typus der Pfeifen zeigt übrigens Verschiedenheiten im Osten und 
Westen. Dort bei den Bali verbreitern sich die Pfeifen nach dem 
unteren Ende zu und platten sich zugleich ab (Abb. 75), während in 
Togo der untere Theil drehrund ist und entweder stumpf endigt oder in 
eine Spitze ausläuft (Abb. 78 — 80). 

Das zweite Verbreitungsgebiet zieht sich anscheinend vom Oberlauf 
des Kassai bis zum Tauganyika hiu, umfasst also im Wesentlichen die 
Landschaften Lunda und ürua. Aus beiden besitzt das Museum Exemplare 

") Read & Dalton Taf. XX, 6; XXI, 2; XXII, 3, 5. 
') Allen & Thomson, 1, 215. 



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- 93 - 



solcher Pfeifen, ans Lunda mehrere Pfeifen aus Elfenbein und Holz, aus 
Urna eine Holzpfeife. Eine ähnliche Signalpfeife bildet Cameron von 
den Waguha ab. 1 ) 

4. Die Schlaginstrumente. 

Die Trommel ist das dem Neger unentbehrlichste Musikinstrument, 
das bei allen Ereignissen des täglichen Lebens, traurigen wie freudigen, 
seine Stimme hören lassen muss; »sie tönt«, sagt Burton, »wenn ein 
Mann erkrankt, wenn er gesundet oder wenn er stirbt; bei Geburten 
und bei Hochzeiten; bei Begräbnissen und frohen Festen; wenn ein 
Fremder ankommt oder abreist; wenn ein Krieg beginnt oder aufhört, 
und überhaupt, sobald es nichts anderes zu thun giebt«. 2 ) Was der 
englische Reisende hier von den Bewohnern der Sansibar-Küste sagt, 
lüsst sich ohne weiteres auf alle Afrikaner übertragen. Und nicht nur, 
dass die Trommel bei keinem wichtigen Ereigniss im Leben des Negers 
von der Geburt bis zum Tode fehlen darf, ihr weithin vernehmbarer 
Ton bat sie auch zu einem Verkehrsmittel gemacht, durch welches die 
Nachbardörfer miteinander in Verbindung stehen und durch das Nach- 
richten mit einer Schnelligkeit, die europäische Reisende oft in Staunen 
versetzt hat, auf weite Entfernungen verbreitet werden. Auch da wo in 
grösseren Staaten mächtige Häuptlinge sich aus mehreren Instrumenten 
zusammengesetzte Musikkapellen halten, spielt die Trommel fast immer 
die Hauptrolle und fehlt jedenfalls nie. So wird an manchen Orten die 
Königstrommel gewissermassen zu einem Nationalheiligthum und einem 
Staatsfetisch ; wie es anderswo als Schande gilt, im Kriege die Fahne 
einzubüssen, so wird hier der Verlust der Trommel als schmachvoll an- 
gesehen, und die Leute in Usindja und Tshamtuara erzählen, wie einst- 
mals, als dem Lande eine grosse Gefahr drohte, die Staatstrommel auf 
geheimnissvolle Weise verschwand und sich in der Erde verbarg und 
später auf nicht minder seltsamem Wege wieder zum Vorschein kam.*) 
Auch Opfer erhalten solche Trommeln zuweilen; sie werden mit dem 
Blut der Opferthiere bestrichen oder dasselbe wird in sie hineingegossen. 

Bei dieser Bedeutung und diesem Ansehen der Trommel ist es 
natürlich, dass ihre Verbreitung über Afrika eine ganz universelle ist. 
Mir sind nur zwei Fälle bekannt, in denen sie einem Stamme abgesprochen 
wird; einmal soll es nach Baumann 4 ) in Urundi keine Trommeln 

') Quer durch Afrika I, 280. 

*) Barton, Zanribar, City, Island and Coast. London 1872. I, 430. 
•) Richter, Ethnogr. Notizen über den Bezirk Bukoba. (Mrtth. a. d. D. Schutzg. 1900. 
XII. 8. 71). 

4 ) Durch Massailand S. 224. Die Angabe wird dadurch wahrscheinlicher, dass 
auch in den reichhaltigen, besonders durch den verstorbenen Missionar v. d. Biesen in 



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— 94 — 



geben; der zweite Fall betrifft die Bubi auf Fernando Poo, ?on denen 
derselbe Baumann 1 ) behauptet, sie besässen keiue Trommeln. Es bandelt 
sich hier wohl um einen Fall von Verarmung, wie er ja auf kleinen 
Insel u häufig beobachtet wird; inzwischen scheint dieser Mangel aber 
gehoben zu sein, denn Miss Eingsley 3 ) hat bei den Bubi Holz- und Fell- 
trommeln gesehen, beide von derselben Art, wie bei den Dualla. 

Betrachten wir nun zunächst die Verbreitung der Felltrommeln 
und ihrer Unterabtheilungen (Karte II). Für die Trommeln mit einfach auf- 
gestreiftem oder nur angebundenem Trommelfell lässt sich keine bestimmte 
Verbreitung angeben ; sie kommen zu vereinzelt vor und sind im Berliner 
Museum in zu wenigen Exemplaren vertreten, als dass sich darauf Schlüsse 
basiren Hessen. Die wenigen mir bekannten Stucke stammen aus Süd- 
und Ostafrika (Bergdamara, Uschaschi, Ussoga). Sie sind wohl als 
Ueberbleibsel einer primitiven und veralteten Art der Trommelspannong 
aufzufassen; daraus erklärt sich ihre Spärlichkeit und ihre Vereinzelung. 

Die Trommeln mit angenageltem Trommelfell erfüllen die süd- 
liche Hälfte des Erdtheils; ihre Nordgrenze, die sich ziemlich genau an- 
geben lässt, ist etwa die folgende. 

An der Westküste geht diese Trommelspannung nicht weiter nörd- 
lich als bis Loango; hier kommt sie sicher vor, wie mehrere Stücke im 
Berliner Museum (III C 515, 6344) zeigen, aus den nordwärts angrenzenden 
Landschaften des Ogowe-Gebiets ist mir dagegen kein Beispiel bekannt. 
Nun scheint die Grenze im allgemeinen dem Laufe des Kongo zu folgen, 
wohl meistens etwas nördlich von demselben bleibend; die Anpflöckung 
des Trommelfells findet sich bei den Bayansi (Abb. 108) und bei den 
Baloi am unteren Ubangi.') Weiterhin wird die Grenze unsicher. Ob 
bei den im Gebiet 'des Tschuapa und Lokendje sitzenden Stämmen, den 
Balolo und Bassongo Miuo, die Annagelung vorkommt, ist fraglich; die 
beiden einzigen Trommeln, die das Berliner Museum aus diesen Gegenden 
besitzt (vgl. Abb. 127), zeigen Schnurspannung. Dagegen haben die 
Bakuba die Annageluug (Abb. 117) und ebenso ihre südlichen Nachbarn, 
die Baluba; bei den letzteren ist sie wahrscheinlich sogar die alleinige 
Art der Bespannung, denn nach Pogge 4 ) sind die beiden bei ihnen vor- 
kommenden Trommelformen unten offen, was gegen Scbnurspannnng 
spricht. Auch haben die Baluba-Trommeln des Berliner Museums alle 

Urundi zusammengebrachten Sammlungen des Berliner Museums keine Trommel vor- 
banden ist 

') Fernando Poo. S. 98. 

») Travels in West-Africa. London 1897. S. 67. 
») Üybowski, La route du Tcbad. Paris 1893. S. 160 (Abb.). 
*) Pogge bei Wissmann, Unter deutscher Flagge quer durch Afrika von West nach 
Ost Berlin 1889. S. 377. 



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ein angepflöcktes Fell. Von dem Bich von hier ostwärts bis znm 
Tanganyika erstreckenden Gebiet des oberen Kongo und seiner Zuflüsse 
ist die nördliche, von den Bassonge, Batetela, Wakussu, Manyeraa etc. 
bewohnte Hälfte gänzlich anbekannt; überhaupt scheint hier die Fell- 
trommel gegenüber der Holzpauke sehr zurückzutreten; die südliche 
Hälfte dagegen mit den Landschaften Urua, Marungu u. s. w. gehört 
dem Gebiet der Annagelung des Trommelfells au (Abb. 106, 114, 119, 122). 

Oestlich der grossen Seeen macht die Grenze eine Ausbuchtung nach 
Norden; sie umschliesst hier die Landschaften am West- nnd Nordufer 
des Nyansa, Ussiba und Uganda — aus Ruanda und Urundi sind mir 
keine Trommeln bekannt — und reicht nördlich bis zum Nordende des 
Albert-Sees (Magungo). Von hier aus fallt die Grenze anscheinend mit 
der Nordgrenze der Bantu zusammen; wenigstens findet sich bei den 
nördlichsten Bantustämmen, wie den Wakamba, noch die Befestigung 
des Trommelfells durch Holznägel. 

Nördlich von dieser Grenze kommt die Anpflöckuug nur ganz ver- 
einzelt vor; das Museum besitzt nur zwei Exemplare mit dieser Trommel- 
fellspannung, beide aus dem Hinterland von Togo. Das eine ist ein 
Tambourin von der gewöhnlichen nordafrikanischen (arabischen) Form: 
ein quadratischer Holzrahmen, der auf einer Seite mit Haut bezogen 
ist; das zweite Stück ist die in Abb. 105 wiedergegebene Trommel 
aus Tschore. Ich komme auf dieses interessante Vorkommniss noch 
zurück. 

Diese Befestigung des Trommelfells ist aber anscheinend auch sonst 
noch stellenweise im Sudan vorhanden. So werden vom unteren Niger 
nnd Benue Trommeln aus Holz oder Kürbis erwähnt, deren Trommelfell, 
wie ausdrucklich hinzugefügt wird, nicht durch Riemen gespannt ist, 1 ) 
also wohl mit Pflöcken angenagelt sein muss. Möglicherweise findet sich 
die Anpflöckung auch im centralen Sudan. Nachtigal ') beschreibt Trom- 
meln ans Borau von cylindriscber Form, von denen die grösseren (ca. 1 m 
lang) am unteren Ende orten sind, während die kleineren auf beiden 
Seiten bespannt werden. Falls die ersteren nicht einen Absatz oder eine 
erhabene Leiste haben, an der die Schnüre einen Halt finden könnten, 
sondern glatte Wände, so liesse sich wohl Annagelung vermuthen, ebenso 
wie bei den Trommeln aus Bagirmi, die derselbe Reisende erwähnt (II 607). 
Endlich findet sich die Anpflöckung neben der vorherrschend üblichen 
Schnurspannung auch in Senegambien, wie zwei von Gray abgebildete 
Trommeln beweisen, bei denen die Pflöcke deutlich sichtbar sind.?) 



*) Day bei Mockler-Ferryman. S. 271. 
*) 8abara uod Sudan I, 745. 

*) W. Gray, Trarels in Western Africa. Taf. IX (S. 301), Fig. 3 und 6. 



- 96 - 



Der sudlich der oben angegebenen Grenze belegene Tbeil von Afrika 
ist nun aber nicht das Gebiet der Trommelfell- Anpflöckung in dem Sinne, 
dass diese hier die alleinige Art der Trommel bespanuung wäre, vielmehr 
liegt die Sudgrenze der zweiten Hauptart, der Schnurspannuug, südlicher 
als die Nordgrenze der Anpflöckung, so dass zwischen ihnen eine Zoue 
bleibt, in der beide Spannungsweisen nebeneinander vorkommen. 

Die Siidgrenze der Schnurspannung beginnt im Westen südlich 
der Kongomündung, verläuft zunächst wahrscheinlich in nicht zu grosser 
Eutfernung von der Nordgrenze der Annagelung nach Osten nach dem 
Sankurru, scheidet hier Bakuba und Bassongo-Mino und erreicht den 
Tanganyika vermuthlich nahe seiner Nordspitze; die Wassongora habeu 
Schnurspannung 1 ). Nördlich des Kongo im Gebiet des Ubangi herrscht 
die Schnurspannung; vgl. z. B. die Abbildung einer Banziri-Trommel bei 
Dybowski. 2 ) Oestlich des Tanganyika liegt die Grenze viel weiter südlich 
uud fällt ungefähr mit der Südgrenze des deutschen Schutzgebietes zu- 
sammen; zwischen Tanganyika und Nyassa verläuft sie vielleicht noch 
südlicher, östlich des Nyassa dagegen wohl weiter im Norden; wenigstens 
besitzt das Berliner Museum aus den Landschaften südlich des Rufidji 
nur Trommeln mit angepflöcktem Fell. Abgesehen ist hierbei natürlich 
von der Küste, wo überall arabische Trommeln mit Schnurspannung 
vorkommen. 

Ein sehr interessantes Stück besitzt das Museum in einer grossen 
Kriegstrommel der Senga (Basenga), nördlich des unteren Sambesi. Dieselbe 
stammt also aus dem Gebiet der Anpflöckung des Trommelfells, und das 
trifft auch hier zu, das Fell ist mit Eisennägeln befestigt; ausserdem aber 
ist die Trommel — sie hat ganz die Form einer Uganda-Pauke — mit 
Riemen überspannt, die im Zickzack von einem Fell zum andern gezogen 
sind. Wir haben hier also eine Kombination der beiden Spannungsarten, 
wobei allerdings die Schnurspannung eine rein dekorative Rolle spielt. 

Die Zwischenzone also, in der beide Trommelspanuungen zusammen 
sich finden, umfasst im Westen einen Streifen von wechselnder Breite 
entlang dem Laufe des Kongo von der Mündung bis etwa in die Gegend 
der Stanley- Fälle und östlich des Tanganyika ganz Deutsch- Ostafrika uud 
einen beträchtlichen Theil des britischen Gebiets nördlich davon. Ob 
innerhalb dieser Zone beide Spannungsweisen gleich massig verbreitet, oder 
ob der eine Stamm diese, der andere jene bevorzugt, darüber ist nichts 
näheres bekannt. 

>) Stuhlmano S. 551 (Abb. 168, S. 553). 
») La rout« du Tchad. Fig. 77 (S. 197). 



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- 97 — 

Als Enclaven innerhalb des Bereichs der Schnurspannung liegen die 
Gebiete der beiden anderen Spann nngsarten, der Keilspannung und der 
Spannung mit an Pflöcken befestigten Schnüren, der Schnur-Pflock- 
Spannung. 

Die Keilspannung findet sich nur in Kamerun nnd im Stromgebiet 
des Ogowe. Man bezeichnet diese Trommeln, besonders die schön ge- 
schnitzten unter ihnen, 1 ) mit Vorliebe als » Fantrommeln c, aber wohl 
kaum ganz mit Recht. Es ist allerdings zweifellos, dass manche Fan- 
stämme, zumal im sudlichen Kamerun, derartige Trommeln haben, aber 
sie haben dieselben vielleicht erst von ihren Nachbarn übernommen. 
0. Lenz versichert sogar, dass er bei den Fan am Ogowe überhaupt keine 
Trommeln wahrgenommen habe, a ) und wenn das auch wohl nur ein 
Zufall ist, so ist doch zweifellos, dass die meisten derartigen Trommeln 
im Berliner Museum, welche mit guten und einwandfreien Herkunfts- 
angaben versehen sind, nicht von Fan, sondern von andern benachbarten 
Stammen herrühren. Ausserdem finden sich diese Trommeln auch in 
Gegenden, wo Fan niemals hingekommen sind, wie im nordwestlichen 
Kamerun bei den Bakwiri, Bakundu, Ngolo, Ekoi u. s. w. 

Die Südgrenze der Keilspannung liegt irgendwo zwischen der Mündung 
d es Ogowe und Loango, die Nordgrenze wohl nicht weit entfernt vom Niger. Was 
für Trommeln in Kalabar vorkommen, ist mir unbekannt, aber bis an die 
deutsch-englische Grenze reicht das Gebiet der Keilspannung zum mindesten. 
Unbekannt ist gleichfalls die Erstreckung nach dem Innern. Wir finden 
hier eine interessante Uebergangsform: die Wute und ihre Nachbarn 
haben kurz-cylindrische auf beiden Seiten bespannte Trommeln, die sie 
offenbar von den Sudanvölkern übernommen haben und die mit der ge- 
wöhnlichen Zickzack-Schnurspannung verseben sind; aber die gewohnten 
Keile werden auch hier unter die Schnure getrieben (Abb. 137). ' 

Die zweite Unterart der Schnurspanuung, die Schnur-Pflock- 
Spannung, bei der die Spannschnüre um Pflöcke gelegt sind, die in der 
Trommelwand stecken, scheint nur westlich des Niger an der Sklaven- und 
Goldküste und in deren Hinterland vorzukommen. Nach Westen zu reicht ihr 
Gebiet sicherlich nicht bis Liberia, wo die Trommeln die Form und Spannung 
der Abb. 128 haben, 1 ) nach dem Innern zu muss sie vorläufig unbestimmt 
bleiben. Mangu ist bis jetzt die nördlichste Landschaft, aus der solche 
Trommeln nach Berlin gelangt sind. Auch die Trommeln im alten Benin 
hatten diese Spannung. 4 ) 

*> Vgl. Abb. bei v. Luschao, Beiträge zur Völkerkunde. Tafel XXI V, 16, 16 a. 
*) 0. Leos, Skizzen aus Westafrika. Berlin 1878. S. 86. 
») Vgl. Bflttikofer II, 834. 

<) Read and Dalton, Antiquities from the City of Benin. London 1899. Taf. XXIX, 1. 

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— 98 — 



Es bleibt nun noch die Verbreitung einiger Trommelformen zu be- 
trachten. Zunächst eine Form, die man als Trommel des Ober- Nil- 
Gebiets bezeichnen könnte, da sie hier fast allein herrscht und ihren 
Typus am schönsten ausgeprägt hat. Es ist das die Trommel, von der 
Abb. 123 die Hauptformen darstellt Sie hat im allgemeinen die Gestalt 
eines Kegelstumpfes, dessen Grundfluche nach oben gerichtet ist. Zu- 
weilen ist sie fast cylindriscb, meistens aber vereugt sie sich nach 
unten viel bedeutender; zuweilen bekommt sie eine bauchige Form 
(Abb. 123b) oder es folgtauf einen oberen cylindrischenTheil ein abgestumpfter 
Kegel (Abb. 123c). Sie findet sich bei allen Stämmen des oberen Nil, 
Dinka, Bari, Bongo etc., ferner weiter nilaufwärts in Unyoro und Uganda, 
in den Ländern um den Nyansa, wie Ussibs, Ussukuma, Uschaschi, ferner 
in dem grössten Theil von Deutsch-Ostafrika bis Ufipa und Unyika hinab; 
ausgenommen ist vielleicht nur der Theil südlich des Rufidji und östlich 
des Rikwa- und Nyassa-Sees. 

Verwandte, nur sehr viel mehr in die Länge gestreckte Trommeln 
finden sich bei den Wassongora 1 ) (1,50 m lang, 30 cm Durchmesser) und 
weit davon entfernt in Loango und am unteren Kongo (Abb. 124).*) Die 
längste derartige Trommel im Berliner Museum misst 2,20 in. 

Der zweite Typus, dessen Verbreitung noch zu untersuchen ist, ist die 
Sanduhrtrommel, d. h. eine Trommel, die gleichsam aus zwei durch eine 
cylindrische Röhre verbundenen, mit Haut überspannten Schalen besteht. 
Man kann drei Formen unterscheiden, die jede ihren besonderen Bezirk 
besitzen. 

Die erste ist die in Abb. 126 dargestellte Trommel mit Schnurspannung; 
sie ist meist beiderseits bespannt, doch giebt es auch solche, die unten 
offen sind (vgl. oben S. 54). Die Stucke des Museums stammen von der 
Gold- und Sklavenküste (Accra, Togo, Palma, Yoruba, Lagos) und deren 
Hinterland (Dagomba, Salaga etc.), sowie vom uuteren Niger nnd Benue 
(Adamaua). Ihre Verbreitung ist aber viel ausgedehnter. An der Küste 
gehen sie nach Osten allerdings kaum weiter als bis zum Nigerdelta 
(im alten Benin waren sie vorhanden'); nach Westen aber erstrecken sie 
sich sicher bis Liberia, wo sie von Böttikofer 4 ) bezeugt sind. Ob ihre 
Verbreitung bis dahin eine ganz ununterbrochene ist, ist unbekannt; auf 
der Goldkuste erwähnt sie schon Bosman, und zwar als eine neue Erfindung, 
auffälligerweise werden sie aber weder von Isert, noch von Monrad, Beecham 

•) Stohlmaoo S. 551 und Abb. 168, S. 552. 

«) Abbildung einer ähnlichen Trommel bei Falkensteio, Afrikas Westküste. 1885. 
Fig. 28 (S. 111). 

•) Read und Dalton XXIX, 2. 
') 11,284. 



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• der Cruikshank, die zum Tueil ziemlich ausführliche Aufzählungen der 
Musikinstrumente geben, angeführt. Für Senegambien kann ich keine 
andere Autorität citiren als Gray, der eiue Sauduhrtrommel ohue weitere 
Bemerkung abbildet. 1 ) Mungo Park erwähnt dieselbe nicht. Im Sudan 
ist sie jedenfalls weit verbreitet, im Osten mindestens bis Bornu. 3 ) 

Die zweite Gruppe ist iu Ostafrika zu Hause. Sie unterscheidet sich 
wesentlich von der ersten: sie ist nur auf einer Seite bespannt und das 
Trommelfell ist angepflöckt. Die Gestalt der Trommel ist dieselbe (Abb. 120). 
Ihr Gebiet ist sehr beschränkt. Die Exemplare des Berliner Museums 
stammen aus Usaramo, Uluguru, Ugogo, Ubeua. Das Trommelfell ist 
theils Fell, theils Eidechsenhaut; einige Trommeln haben einen Holzhenkel 
an der Seite. Ganz vereinzelt steht eine Trommel, die wahrscheinlich von 
denNgok, einem Grenzstamm zwischen Taunde und Bakoko, stammt, also aus 
Kamerun, wo derartige Formen sonst nicht bekannt sind. Leider fehlt 
das Trommelfell, sodass die Art der Bespannung uicht zu erkennen ist. 
Der Form nach könnte die Trommel ebensogut ostafrikanischen Ur- 
sprungs sein. 

Die dritte Gruppe endlich ist im Mnseum nur dorch ein Stück ver- 
treten (Abb. 121), dos von Wissmanns zweiter Afrikadurchqueruug stammt 
und ohne nähere Angabe ist. Genau solche, ebenfalls ganz und gar mit 
Schnitzereien 5 ) bedeckte und mit vier Henkeln versehene Trommeln be- 
schreibt Holub von den Marutse und Serpa Pinto von den Amboella. 4 ) 
Diese Trommeln waren übrigens bei deu Marutse nur Eigenthum des 
Herrschers; König Sepopo besass zwei davon. 

Schliesslich wäre noch als ein Trommeltypus, der über ein begrenztes 
Gebiet verbreitet ist, die halbkugelige Pauke zu nennen (wie Abb. 131). 
Sie findet sich in der ganzen Nordbälfte des Kontinents, in den Staaten 
der Nordküste von Aegypten bis Marokko, im ganzen Sudan, wo sie 
meistens aus einem halbierten Kürbis besteht, bei den Galla und Somäl 
und bis zum Victoria Nyansa, wo Baumann eine solche Trommel von der 
Insel Ukara abbildet. 5 ) 

Die Verbreitung der Holztrorameln (Karte II) beschränkt sich 
im Allgemeinen auf das Gebiet des Kongo uud einen Theil der an- 
schliessenden Westküste. 

Das Berliner Museum besitzt solche Trommeln vor allem aus Kamerun 
(von den Dualla, Bakwiri, Bassa, Bakundu u. A.), von den Mpangwe am 

■) W. Gray, Travel» in Western Jfrica. London 1825. Taf. IX, Fig. 4. 
') Nachtigal I, 745. 

*) Die Schnitzereien haben freilich verschiedenen Charakter, bei unserer Trommel 
sind es Dreiecksmuster, bei Holub Kreise und Spiralen (Kulturskizze S. 141). 
*) Serpa Pinto, Wanderung quer durch Afrika. Leipzig 1881. I 308. 
•) Durch Massailand. S. m. 

7* 



— 100 — 

Gabun, den Mayakalla (die bisher genannten von cylindriscber Form mit 
in der Mitte schmalem, an beiden Enden verbreitertem Spalt); ferner kahn- 
förmige Trommeln aus Loango und keilförmige aus Drua. Kamerun und 
Urua sind zugleich so ziemlich die äussersten Ecken des Holztrommel- Gebiets. 
In dem dazwischen liegenden Gebiet sind diese Trommeln sehr verbreitet, 
wenn sie vielleicht auch nicht fiberall vorkommen. Nördlich der Kongo- 
mündung sind sie anch an der Küste vorhanden, südlich vom Kongo dagegen 
fehlen sie in Angola. Kongo aufwärts fand Bau mann die ersten Holztrommeln 
bei den Bayansi, ') Goquilhat erwähnt sie bei den Bangala, ') Dybowski bei 
den Baloi,*) Banmann aus der Gegend von Upoto, bei den Munongiri nnd 
vom unteren Aruwimi, Stanley von den Wagenia und anderen Stammen 
am oberen Kongo, Stuhlmann bei den Waknssu, Cameron bei den Warna 
und Wabudschwe. Ebenfalls sind sie an dem rechtseitigen grossen Zufluss 
des Kongo, dem Ubangi, allgemein; die Anwohner desselben Bind ja 
grösstenteils Verwandte der Niam-Niam nnd Monbuttu, deren hölzerne 
Signaltrommel n durch die Schilderungen und Abbildnngeu in den Werken 
von Schweinfurth und Junker bekannt genug sind. An den südlichen 
Nebenflüssen des Kongo sind die Holztrommeln wahrscheinlich ebenso 
verbreitet, wenn auch ihre Erwähnung seltener ist; vorbanden sind 
sie sicher bei den Mayakalla am Koango (ein Stück im Berliner Museum), 
den Baknba 4 ) und in Lunda, wo Pogge und Wissmann sie ausführlich 
beschrieben und abgebildet haben. 

Ueber die Verbreitung der drei oben erwähnten Typen der Holz- 
trommel lässt sich nicht viel sagen. Die kahnförmige Trommel scheint 
auf Loango beschränkt zu sein, die cylindrische oder walzenförmige findet 
sich in Kamerun, dem Ogowe-Gebiet nnd am Unterlauf der südlichen 
Nebenflüsse des Kongo, sicher am Kuango, wahrscheinlich auch am Kassai 
und Sankorr □.*) Die Keilform findet sich am ausgesprochensten in Lunda 
und Urua, aber auch die Trommeln des oberen Kongo und der Uelle- 
Völker haben denselben Typus, wenn sie auch nicht so hoch und schmal 
und ausserdem häufig mit Füssen versehen sind. 

Die Holztrommeln erfüllen also so ziemlich das ganze Gebiet des 
Kongo nnd greifen im Nordwesten noch darüber hinaus bis an den Gross 
River, ja, sie scheinen sogar noch am unteren Niger vorhanden zu sein, 
wofür ich allerdings nur eine Stelle bei Day als Anhalt habe. Er 
spricht hier, nachdem er die Felltrommeln beschrieben hat, von einer 

>) Baumati o, Beiträge zur Ethnographie des Congo. S. 12. 
') Coquilbat, Sur le Haut Congo. S. 304. 
») Dybowaki, La Route du Tchad. S. 150. 

«) Wolf bei Wissniano, Im Innern Afrikas. Leipzig 1888. S. 228. 
*) Wolfs Beschreibung der Bakuba-Trommel ist nicht ganz klar, scheint aber auf eine 
cylindrische Form zu deuten. 



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- 101 - 

ganz aus Holz bestehenden Trommel, ca. l ! /a Fuss lang, »hollowed out 
inside, and contains a small aperture at one side.« ! ) Das lässt sich wohl 
uur auf eiue Holztrommel deuten. Day fügt hinzu, sie werde hauptsäch- 
lich in den Hütten von Frauen und Kindern gebraucht; die Trommel 
scheint also hier an der äussersten Grenze ihres Verbreitungsgebiets von 
ihrer Höhe als Signal- und Sprechtrommel zu einer Art Spielzeug herab- 
gesunken zu sein; daraus erklärt sich wohl auch ihre geringe Grösse. 

Aus Fasugu im Togo-Gebiet erwähnt der Missionar Mischlich 3 ) eine 
>trogfÖrmige Holztrommelt, mit der die Leute von den Pflanzungen her- 
beigerufen wurden.*) 

Endlich findet sich bei Winterbottom die Erwähnung eines ähnlichen 
Instruments von Sierra Leone. Nach diesem Reisenden wird ein Baum- 
stamm ausgehöhlt, dann die entstandene Rohre an beiden Enden mit 
Holz verschlossen und der Stamm auf einer Seite der Lange nach aufge- 
schlitzt. 4 ) Dies Verfahren, den Baumstamm von einem Ende zum andern 
auszuhöhlen wie bei der Felltrommel, und den Schlitz erst nachträglich 
anzubringen, ibt zweifellos weit bequemer als die Aushöhlung vou dem 
schmalen Spalt aus und verdankt diesem Vorzug sicherlich seine Ent- 
stehung. Es scheint nur lokale Bedeutung zu haben und sonst nirgend 
vorzukommen. Aus neuerer Zeit ist mir die Erwähnung von Holztrommeln 
in dieser Gegend nicht bekannt. 

Die Südgrenze der Holztrommel dürfte etwa mit der Wasserscheide 
zwischen Kongo und Sambesi zusammenfallen, die Ostgrenze bildet der 
Tanganyika und nördlich von demselben die Wasserscheide zwischen Kongo 
und Nil. 

Von den Glocken ist es eigentlich nur eine einzige Form, nämlich 
die eisernen Doppelglocken, deren Verbreitung eine nähere Betrachtung 
erheischt und gestattet, weil sie allein durch ihre auffallende Gestalt die 
Aufmerksamkeit der Reisenden erregt haben. Anch andere Glocken, die 
als Tanzschmuck getragen oder den Hausthieren umgehängt werden, findet 

') Day bei Mockler-Ferryman, Up the Niger. S 270. 
*) Mitt a. d. D. Scbutzg. X. 1897. S. 7:). 

*) In einer nach Abschluss dieser Arbeit in Berlin eingegangenen Collection, die 
Ton dem oben genannten Herrn Mischlich, gegenwärtig Stationsleiter in Kete-Kratachi, 
gesammelt und mit genauen Angaben versehen worden ist, befinden sich zwei Holz- 
trommeln aus Abrewauko, Landschaft Alfaire (zwischen Oti und Daka, 0° L, 8° 30' n. 
Br.). Dieselben sind roh gearbeitet, 66 reep. 49 cm lang und haben oben einen sehr 
breiten Spalt, so dass sie in der Tbat ganz die Gestalt eines Trogs erhalten. Der Spalt 
ist bei der einen Trommel 45 cm lang, 10 cm breit, bei der andern :iti resp. 7 cm. 
Sie werden mit zwei Schlägeln bearbeitet. Damit ist das Vorkommen der Holztrommel 
bis nach Togo hinein gesichert. 

«) Winterbottom, Nachrichten von der Sierra Leona-Kühte. Weimar 1805. S. 151. 



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— 102 — 



man häufig genug erwähnt, aber ohne dass man etwas Genaueres über 
sie erfahrt. 

Wir haben bei den Doppelglocken (Kartell)drei Typen unterschieden, 
von denen der erste durch Abb. 153, der zweite durch Abb. 154 — 156 und 
der dritte durch Abb. 157 repräsentirt wird. Die erste Form scheint fast 
nur in Kamerun vorzukommen, von der Küste bis zu den Wute im Innern; 
alle Stücke des Berliner Museums stammen von dort, mit Ausnahme eines 
einzigen, das die Angabe »Gabun« trägt. 

Die zweite Form ist die bei weitem verbreitetste ; die Stücke des 
Berliner Museums stammen aus Togo (Siade, Basari), von den Ekoi am 
Cross River, den Bali in N.-Kamerun, den Mbum um Ngaundere in 
Adamaua, von deu Baujaka, aus Kakongo, aus Lunda und aus Ulala süd- 
lich vom Bangweolo-See. Endlich besitzt das Museum eine Doppelglocke, 
die in Uhehe erworben ist. Es ist wohl die einzige Doppelglocke, die 
jemals ans Ostafrika gekommen ist, uud es scheint mir gänzlich aus- 
geschlossen, dass sie wirklich dort fabrizirt worden ist. Vielmehr dürfte 
sie durch die Wangoni dorthin gelangt sein. Die beiden Thatsachen, dass 
diese Glocke der von Ulala ausserordentlich ähnlich sieht und dass die 
jetzt nördlich des Rovuma ansässigen Waugoni früher westlich vom Nyassa 
gesiedelt haben, ja, dass noch jetzt eine Abtheilung dieses Stammes da- 
selbst in unmittelbarer östlicher Nachbarschaft von Ulala wohnhaft ist, 
sind durchaus geeignet, diese Vermutung zu unterstutzen. 

Beachtcnswerth ist auch, dass die Glocken der Bali und der Mbum 
— von beiden Stämmen ist nur je eine Glocke vorhanden — sich sehr 
ähnlich sehen, was im Hinblick auf die Herkunft der Bali aus Adamaua 
nicht uninteressant ist. 

Die dritte Form endlich ist nur in Oberguinea vertreten; die 
Exemplare des Berliner Museums stammen aus Togo und Benin. ') 

Das Gebiet der Doppelglocken fällt also ungefähr mit dem der Sansa 
zusammen, ist aber im Süden und Osten etwas beschränkter, während es 
im Nord-Westen weiter reicht und die gauze Sklavenküste bis weit ins 
Hinterland von Togo hinein mit umfasst. Zu erwähnen ist, dass man in 
den Ruinen von Simbabye eiserne Doppelglocken gefunden hat; 9 ) danach 
zu urtheilen sind dieselben im Sambesi-Gebiet früher viel weiter nach 
Osten und Süden zu verbreitet gewesen. 

Ueber die Holzglocken ist nichts zu sagen ; selbst die hölzernen Doppel- 
glocken wie Abb. 160 kommen sowohl in Ost- wie in Westafrika vor; 
im Berliner Museum sind Stücke aus Kamerun (Ekoi, Ngolo, Bakundu), 
Loango, Usagara, Unguu und von den Wakaguru vorhanden. 

') Vgl. Read & Dalton, Taf. XXX, 5. 

*) Beut, The ruiaed cities of Mashonaland. S. 178. 



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- 103 - 



Aus den mannigfaltigen Formen der Eisenglocken lieben eich noch 
die folgenden hervor, die beide specifisch ostafrikanisch sind: die der 
Abb. 162, aus Ugogo, Uhehe, Ubena, Ussukoma, Uruudi und Ruanda 
stammend, und die der Abb. 163, die das Museum aus Bukoba, Uuyam- 
vvesi, Uschaschi, Ikiyu und von den Massai besitzt. Genaueres über die 
Verbreitung dieser Typen lässt sich bis jetzt noch nicht angeben. Beide 
siod aber nur aus Ostafrika bekannt 



Uei der Mari raba (Karte III) können wir drei grosse Verbreitungsgebiete 
unterscheiden, die keine Verbindung mit eiuauder zu haben scheinen. Das 
erste liegt in Südafrika und mmfasst das südliche Kongobecken, das obere 
und mittlere Sauibesigebiet und Angola (mit Ausnahme der Küstendistrikte, 
wo die Marimba zum mindesten sehr selten ist). Es gehören dazu im 
Bereich der südlichen Kongozufliisse alle Landschaften von Lunda bis 
Urua und zum Manyema- Lande, also von den Grenzen Angolas bis zum 
Tanganyika; 1 ) am oberen Sambesi fand Liviogstone die Marimba bei den 
Balonda, Holub bei den Marutse.*) Südlich vom Sambesi fehlt sie bei 
den meisten Stämmen, fiudet sich aber bei den Kaffern in N.-O. Transvaal') 
und bei den Baronga an der Delagoa-Bai, die sie aber nicht selbst an- 
fertigen, sondern von den BaUchopi an der Limpopo-Müudung beziehen. 4 ) 

Ueber das Vorkommen im mittleren Kongobecken ist sehr wenig be- 
kannt; Baumanu erwähnt sie in seinen Beiträgen zur Ethnographie 
des Kongo nirgend, Wissmaun bei den Bakete und bei den Bena- 
Katende, einem Baluba-Stamm; 8 ) auch nördlich des Kongo findet sie 
sich an der Küste nicht; dagegen treffen wir dort landeinwärts auf das 
zweite grosse Verbreitungsgebiet. Dahin gehören vor Allem die 
A-Sandeh, ferner die Mbum in Adamaua und die Fanstämme in Süd- 
Kamerun und dem Congo Francais. 9 ) Dybowski beobachtete die Marimba 
bei den am Knie des Ubangi wohnhaften Uadda. 1 ) Bis an den Niger 
oder Benue reicht dieser Bezirk nicht, wie die Nachforschungen von Day 
ergeben haben. Auch Kamerun gehört mit Ausnahme des von Fan 
(Yaunc'e, Bati etc.) bewohnten TheüVs nicht dazu. 

') Pogge S. 241. Cameron I, 307. 

*) Livingstone, Missiooary Travels and Researcbea in S. Africa. London 1857. 
S. 293 (Abb.). Holub, Kulturskizze S. 136 (Abb. S. 137) 
«) Lolub, Kulturskizze S. 136. 
*) Jinod, Lea Ba-Rooga. S. 265. 

») Wssmann, Im Innern Afrikas S. 297. Unter deutscher Flagge S. 137. 

•) Junker III 15 (Abb. S. 14); Pa B sarge, Adamaua. Berlin 1895. S.283. Abb. 148; 
du Cbailli, Exploration» and adventures in Equatorial Africa. London 1861. S. 87 f. 
Zenker, Hitt. a. d. D. Seh. VIII 59 

') La route du Tctaad. S 361 (Abb.). 



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- 104 - 



Das dritte Gebiet der Mariniba endlich bilden die Mandingo- 
Länder, von Senegaxnbien bis ins Hinterland der Zabnküste. ! ) Berenger- 
Flraad nennt die Marimba, die dort Balafo heisst, geradezu das National- 
instrument der Mandingo. 

Die hufeisenförmige Marimba findet sich in Lnnda und Angola, sonst 
fiberall die Form, bei der die Tasten in einer Ebene liegen; Livingstone 
fand die Grenze zwischen beiden am obersten Sambesi. Die Befestigung 
der Kürbisse in einem mit Löchern versehenen Brett (wie Abb. 169) findet 
sich, wie aus dem beschreibenden Theil hervorgeht, einmal am unteren 
Sambesi und zweitens bei den Mbum. Dieselbe Befestigung zeigt auch 
die von Junod 9 ) abgebildete Marimba der Baronga und die der Niam-Niam 
bei Junker.*) 

Weit grösser ist das Gebiet der unvollkommenen Marimba ohne 
Resonanzkürbisse. Nicht nur, dass sie vielfach mit der vollständigen 
Marimba zusammen in denselben Landschaften vorkommt, wie z. B. in 
Angola nach Monteiro, bei den Niam-Niam nach Long, bei den Yaunde 
nach Zenker, auch ausserhalb des Bereichs derselben ist sie nicht selten. 
0. Baumann beschreibt das Instrument ausführlich au9 Bondel und Ost- 
Usambara, wo es unter dem Namen Vilangwe an den Dorfeingängen 
aufgestellt ist und die Stelle der westafrikanischen Signaltrommel vertritt. 
Die Holztasten werden auch hier über zwei Bananenstämme gelegt und 
durch kleine Holzpflöcke festgehalten. 4 ) Ebenso findet es sich in Usaramo 
und in Uoguu, während es in dem benachbarten üdoe fehlt. 8 ) Dasselbe 
Instrument heisst in Uganda Madinda; es hat 12—20 Tasten, die in der 
Mitte etwas ausgehöhlt, an den Enden dicker sind. 6 ) Ganz ähnlich be- 
schreibt Johnston das Instrument ans Britisch-Central-Afrika. Es hat hier 
meist 5 — 6 (aber auch mehr) Tasten, die wie in Usambara durch Pflöcke 
zu beiden Seiten gehalten werden. *) Auch im Kongogebiet kommt es 
vor. Thonner sah es hier bei den Banza zwischen Ubangi und Mongalla; 
es besteht ans Holzbrettchen, die quer über einen ausgehöhlten Baianen- 
stamm gelegt werden. 8 ) In früheren Zeiten wenigstens ist die Vilangwe 
auch an der Küste von Oberguinea üblich gewesen; Isert sah sie in Fida 

') M. Park S. 249. Gray, Travels in Western Africa. London 1825. S. 64 (Abb. 
S. 301). Laing, Travels in Timmanee, Kooranko and Soolima. London 1826. S. 369 
(Abb. S. 371). Hecquard S. 188. Berengcr-Feraud S. 213. 

•) Lea Ba-Rooga (Bull. Soc. Neuchäteloise G«Sogr. X. 1898. S. 264.) 

*) Junker, Reisen III, 14. 

*) 0. Baumann, Usambara, S. 136. 

•) Stuhlmann, S. 37. 

•) Wilson * Felkin, Uganda I, 165. Stuhlmanu, S. 178. 

*) Jobnston, British Central Africa S. 467. 

•) Thonner, Im afrikanischen Urwald. Berlin 1898. S. 62. 



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— 105 - 



and beschreibt sie etwa folgendennassen : es wird ein tiefes Luch in die 
Erde gegraben, darüber zwei Balken von sehr hartem Holz gelegt und 
auf diese dickere und donnere Stäbchen, ohne weitere Befestigung. 
Letztere schlagt man mit kleinen Stöcken. 1 ) 



Wir haben nunmehr die Musikinstrumente der Afrikaner nach ihrer 
Verwandtschaft gruppirt, die Formen einzeln beschrieben und die geogra- 
phische Verbreitung jedts Typus so weit möglich festgestellt; vergleichen 
wir nun die Karten, die die Verbreitung der hauptsachlichsten Instrumente 
veranschaulichen sollen, mit einander, so zeigt sich, dass sich in jeder 
Landschaft verschiedene Formen mit einander kombiniren. So finden wir 
z. B. in Kamerun neben einander Kongo-Guitarre und Raphia-Iustrumente, 
Felltrommeln mit Keilspannung, Holztrommeln und Doppelglocken, in 
Uganda die Harfe und die Marimba ohne Resonatoren, Trommeln mit 
Anpflöckung und Schnurspannung u. s. w. Für jede Landschaft und 
jeden Stamm lasseu sich so bestimmte Musikinstrumente aufzählen; aber 
nicht jeder einzelne Stamm hat sein ihn allein kennzeichnendes Eigen- 
thum an solchen, vielmehr schliessen sich viele benachbarte mit gleich- 
artigem Besitz zu einem Ganzen zusammen. Man kann so, indem man 
diese Vergleichung über ganz Afrika ausdehnt, den Erdtheil in eine 
Anzahl von Provinzen eintheilen, von denen jede durch eine gewisse 
Zusammenstellung von Typen aus allen Klassen der Musikinstrumente 
charakterisirt ist. Diese Proviuzen sind analog den pflanzen- oder 
thiergeographischen Provinzen, in die die Botaniker und Zoologen die Krde 
eiugetheilt haben; die Stelle der Thier- uud Pflanzengattungen vertreten 
hier die Species der Musikinstrumente. Mau kann sie kultur- 
geographische Provinzen nennen — eine Bezeichnung, die allerdings 
erst dann völlig zutreflfend wäre, wenn diese Eintheilung wirklich die 
geographische Vertheilung des gesammten Kulturbesitzes zum Ausdruck 
brachte und nicht nur diejenige eines kleinen und verhältnissmassig 
nebensachlichen Bestandteils derselben. 

Die Grenzen der Provinzen (vgl. Karte III) lassen sich allerdings in den 
meisten Fällen nur ganz ungefähr angeben, einmal weil uns von vielen Land- 
schaften die Kenntniss der daselbst vorkommenden Musikinstrumente völlig 
abgeht, dann aber auch, weil die Gebiete sich vielfach überhaupt nicht 
scharf gegen einander abgrenzen, sondern über einander übergreifen, so 
dass eine Zwischenzolle gemischten Charakters entsteht. Beispiele davon 
werden uns mehrfach begegnen. Abgesehen von diesen unvermeidlichen 
Fehlern lassen sich aber hinreichend charakterisirte und durch konstante 

•) Isert, Reise Dach Guinea. 1788. 8. 170. 



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106 



Merkmale von einander geschiedene Provinzen aufstellen. Ich theile 
Afrika in zehn Provinzen ein, die freilich nicht alle gleichwertig sind. 

Die erste Provinz, die südafrikanische, umfasst die Südspitze 
des Erdtheils bis etwa zu einer Linie von der Kunene-Mündung bis zur 
Delagoa-Bay. Sie ist, ganz im Einklang mit der allgemeinen Kulturarmuth 
dieses Gebiets, am dürftigsten mit Musikinstrumenten ausgestattet, da sie 
von Saiteninstrumenten nur den Musikbogeu in seinen beiden Formen 
Gubo und Gorra und im übrigen bloss Trommeln (auch diese sind selten) 
und Pfeifen aus Rohr, Holz, Knochen etc. besitzt. 

Die Buntu dieser Provinz sind übrigens, was noch besonders bemerkt 
sei, nicht etwa reicher als ihre hellfarbigen Nachbarn, die Buschmänner 
und Hottentotten, im Gegentheil, Lichtenstein sagt von den Kaffern 
geradezu: > Eigentümliche Instrumente scheinen sie gar üicht zu haben, 
denn man trifft bei ihnen nur die hottentottischen und zwar un- 
vollkommener, als jene sie haben. t') Aehnlich äussern sich andere 
Berichterstatter. 

Die zweite Provinz, die man Sambesi-Provinz nennen kann, 
weil sie grösstenteils zum Gebiet dieses Stromes gehört, zieht sich als 
breiter, die Küsten der portugiesischen Kolonieen in Ost- und Westafrika 
verbindender Gürtel quer durch den Kontinent. Ihre Nordgrenze ist 
unbestimmbar; gerade dio hier in Betracht kommenden Länder sind im 
Berliner Museum nur sehr schwach vertreten und auch soLst, von einigen 
Bezirken (wie das Marutse-Mambunda-Reich) abgesehen, ethnographisch fast 
unerforscht. Jedenfalls dürfte das ganze Flussgebiet des Sambesi hierher- 
gehören, abgesehen von den Landschaften um die Nordhälfte des Nyassa, 
und ausserdem die grössere südliche Hälfte des portugiesischen West- 
Afrika. Die Provinz ist an Saiteninstrumenten nicht reicher als ihre 
südliche Nachbarprovinz, ja eher noch ärmer, da ihr auch die Gorra 
fehlt. Johnston zählt allerdings aus den Landschaften westlich des Nyassa 
nicht weniger als drei Saiteninstrumente auf; davon ist eines (»kaliraugwe«) 
der gewöhnliche Musikbogeu, der zweite (»pango«) nach seiner Be- 
schreibung offenbar ähnlich dem Instrumente, das Abb. 37 zeigt, von dem 
dritten (»limba«) kann ich mir keine klare Vorstellung machen. Es 
ähnelt nach Johnstons Beschreibung einer Guitarre, hat gewöhnlich 6 Saiten, 
»and is strung somewhat like a violin in appearance«.*) Vielleicht ein von 
Arabern eingeführtes Instrument. Für den Mangel an Saiteninstrumenten 
entschädigt aber die Sansa und die Marimba. Erstere dürfte wohl in dem 
ganzen Gebiet vorkommen, und auch letztere findet sich (mit und ohne 
Kürbisresonatoren) wenigstens über die gauze Provinz zerstreut. Das 

') Lichtenstein I, 164. 

») Johnston, British Central Africa. S. 467. 



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— 107 — 



Trommelfell ist durchweg mit Pflöcken befestigt. Am oberen Sambesi 
und in Süd-Angola giebt es Sanduhrtrommeln und Reibetrommeln, am 
oberen und mittleren Sambesi auch Doppelglocken. 

Vorläufig ganz isolirt stehen die in der Südwestecke der Provinz 
wohnenden Ovambo, der einzige Stamm derselben, der ein Saiteninstrument 
ausser der Gubo besitzt und zwar die für die näcbste Provinz charakte- 
ristische Kongo-Guitarre. Möglich ist es freilich, dass spätere Forschungen 
dieses Iustrument auch anderswo in dem noch so unbekannten Hinterlande 
von Angola nachweisen und damit eine Brücke von den Ovambo zu den 
Völkern des Kassai und unteren Kongo schlagen. Bis dahin muss man 
sich an die Thatsacbe halten, dass keiner der Beisenden, die eine Auf- 
zahlung der angolensiscben Musikinstrumente geben, wie Magyar, 1 ) Tams, 
Monteiro, Soyaux, ein anderes Saiteninstrument als den einfachen Bogen 
kennen. 

Die dritte Provinz, die Kongo-Provinz, umfasst, ihrem Namen 
entsprechend, beinahe das gesammte Kongobecken, bis zum Tanganyika im 
Osten, geht aber im Nordwesten noch bedeutend darüber hinaus und um- 
schliesst hier auch noch das Gebiet des Ogowe, das südliche und westliche 
Kamerun, Calabar und die Gegenden am unteren Niger und Benue. 

Das Ogowe-Gebiet kann man allerdings nur mit einem gewissen 
Vorbehalt hinzurechnen, seiuer Harfe nach mflsste es eigentlich der 
nächsten Provinz zugezählt werden; es liegt hier eben ein Uebergangs- 
gebiet vor, in dem Typen benachbarter Provinzen sich gemischt haben. 
Man kann also zwei Hälften der Provinz unterscheiden, die durch die 
Zwischenzone am Ogowe getrennt sind, eine Kongohälfte und eine 
Nigerhälfte. 

Gemeinsam sind diesen Gebieten die Guitarre von dem Typus der 
Gruppe VI und die Raphia- und Rohrinstrumente, ferner die Sansa, höchst 
wahrscheinlich auch die Holztrommd, deren Vorkommen am unteren 
Niger allerdings ein wenig zweifelhaft ist (vgl. oben S. 98 f), ausserdem 
die Doppelglocke; die Marimba ist am Niger sicher nicht vorbanden, 
findet sich dagegen in der Kongohälfte der Provinz, wenn freilich auch 
nur stellenweise. Was die Trommeln betrifft, so liegt die Grenze 
zwischen den beiden Arten der Trommelbespannung mitten in der 
Provinz; die Nigerhälfte gehört ganz ins Bereich der Schnurspannung, 
Kamerun und die Ogowe- Landschaften in das der Keilspannung. 



') Magyar bildet freilich ein solches Instrument mit 3 Saiten unter dem Namen 
Kiasumba ab; ich »chliesse aber daraus, dass es in seiner Aufzählung der anRolensi- 
»cheo Instrumente fehlt, dasn Magyar es auf seinen Reisen weiter im Innern, wohl im 
Kawai-Gebiet, gesehen hat 



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— 108 — 



An Saiteninstrumenten ist die Provinz also nicht gerade arm, da sie 
ausser der Kongo-Guitarre noch die Instrumente aus Raphia und Rohr 
(Abb. 47, 48) besitzt, von der in das Ogowe-Gebiet eingedrungenen Bügel- 
harfe ganz abgesehen. Aber die verstreute und unzusammenhängende 
Verbreitung aller dirser Instrumente lässt darauf schliessen, dass wir es 
hier durchweg mit zurückgedrängten und im Aussterben begriffenen In- 
strumenten zu thun haben, die sich nur noch an wenigen geschätzten 
Orten am Leben erhalten. Wie sie im Nordwesten vor der Harfe zurück- 
gewichen sind, so sind sie im Südosten der Provinz, in Urua, durch die 
ostafrikanischen Schaleninstrumente ersetzt worden. Aus weiten Bezirken 
sind übrigens Saiteninstrumente überhaupt nicht bekannt, so aus Lunda 
und aus weiten Gebieten im centralen Kongobecken. 

Die Nord- und Ostgrenze der Provinz fallt ungefähr mit der bereits 
beschriebenen der Sanea (vgl. S. 87) zusammen, die Südgrenze mit der 
der Holztroromel (S. 98), so dass es überflüssig ist, dieselbe hier noch- 
mals anzugeben. 

An die Kongo-Provinz schliesst sich im Norden die vierte Provinz 
an, die sich vom mittleren Benne und der Ostgrenze Kameruns an bis an 
den Victoria Nyansa und den oberen Nil erstreckt. Ihr Charakteristikum 
ist vor allen Dingen die Bügelharfe, die in Afrika nur hier vorkommt, 
abgesehen von dem im Südwesten anschliessenden, bereits besprochenen 
Ogowe-Gebiet, wo die Harfe bis an die Küste des atlantischen Ozeans 
vorgedrungen ist. Ein zweites Saiteninstrument kommt nicht vor. Die 
Blasinstrumente weisen keine charakteristischen Formen auf, die Trommeln 
haben Schnurspannung, im Osten, in Uganda und Unyoro, kommt daneben 
auch die Anpflöckung vor. Holztrommeln sind vorhanden, daneben sehr 
grosse Holzglocken, beide aber nur in den mittleren Theilen der Provinz, 
bei den A-Sandeh. Das zweite Hanptinstrument, das überall zu finden 
ist, ist die Marimba, im Westen (Mbnm) und in der Mitte (A-Sandeh) 
mit Kiirbisresonatoren, im Osten (Uganda) in der unvollkommneren Form 
der Mandinda. Die Sansa ist nur in den westlichsten Grenzgebieten 
(Mbum) anzutreffen. 

West- uud Südgrenze der Provinz sind durch die Nordgrenze der 
Kongo-Provinz gegeben, die Ostgrenze bildet der Nil zwischen dem Vic- 
toria- und Albert-See, die Nordgrenze fällt im Osten mit der der Sandeh- 
Stämme zusammen, weiter nach Westen zu, im Schari- und Benue-Gebiet, 
ist sie unbestimmbar. 

Oestlich von der Kongo- Provinz liegt die fünfte, die ostafrikanische 
Provinz. Ihren Kern bildet Deutsch-Ostafrika, über dessen Grenzen sie 
nur unbeträchtlich hinausgeht. Im Süden lässt sich die in portugiesischem 
Gebiet verlaufende Grenze nicht mit Sicherheit bestimmen, im Westen 



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bildet der Tanganyika die Grenze. Jedoch geht das für diese Proviuz 
charakteristische Saiteninstrument, das Schaleninstrument, über den Tan- 
ganyika hinaus und findet sich auch in Uemba, Marungu, Uguha und 
Urua. Diese Landschaften bilden also ein Uebergangsgebiet zwischen den 
beiden Nachbarprovinzen. 

Das typische Saiteninstrument ist also, wie gesagt, das Schalen- 
instrnment, das in seinen verschiedenen Formen überall vorkommt; da- 
neben findet sich noch die Sese und an der Küste natürlich Instrumente 
arabischen Ursprungs. Beide Arten der Trommelbespannung kommen 
vor; die Befestigung mit Pflöcken ist wohl die Regel, doch ist die Schnur- 
spannung ebenfalls sehr häufig und geht im Süden bis zum Nyassa. 
Holztrommel und Sansa sind unbekannt, die Marimba kommt nur in ihrer 
unvollkommenen Form ohne Resonatoren stellenweise, wie in Usaramo, 
Useguha, Ungua, Usambara und Bündel', vor. 

Diese fünf Provinzen umfassen zusammen ziemlich genau die von den 
Bantu bewohnte Südhälfte Afrikas, wenn auch hie und da, besonders im 
Nordwesten, Nichtbautu mit eingeschlossen sind. Die nächsten Provinzen 
führen uns in den Bereich der Sudanneger und der Hamiten. 

Seneganibion, die angrenzenden Länder der Oberguinea-Küste bis 
Dahome, sowie die landeinwärts davon gelegenen, hauptsächlich von 
Mandingo bewohnten Landstriche, die dem Flussgebiet des oberen Niger 
angehören, bilden die sechste Provinz. Ihre Charakter- Instrumente 
sind die Guitarren mit doppelter Saitenreihe und die Marimba, hier Balafo 
genannt, die in den ostlichen Theilen zu fehlen scheint. Von Saiten- 
instrumenten findet sich ausserdem noch in beschränkten Gebieten die 
Kru-Harfe und die Kongo-Guitarre. Die Trommelfelle sind durch Schnüre 
gespannt, die in verschiedener, durch die Abbildungen illustrirter Weise 
befestigt sind. Sanduhrtrommeln mit Schnurspannung sind in dem grössten 
T heile der Provinz heimisch. Anpflöckung ist höchst selten. Holztrommeln 
werden nur aus Togo und von der Sierra Leone erwähnt. Die Sansa ist 
unbekannt. Von Blasinstrumenten sind die Signalpfeifen mit Kreuzdurch- 
bohrung zu nennen, die aber auch nur in einem Theil der Provinz an- 
zutreffen sind. Doppelglocken finden sich anscheinend ebenfalls nur im 
Osten. Die Nordgrenze wird durch die grosse Wüste gebildet, die Ost- 
grenze ist unsicher; Togo scheint schon ein Uebergangsgebiet zum centralen 
Sudan zu bilden, da die Marimba hier nicht mehr vorkommt. 

Der nun als siebente Provinz folgende Centrai-Sudan von den 
Haussa-Ländern bis Kordofan muss als der für unsere Untersuchung 
dunkelste Theil Afrikas bezeichnet werden. Das Berliner Museum besitzt 
ao gut wie gar keine Musikinstrnmente aus diesem Gebiet, und auch die 
Litteratur, die gerade über diese Länder so treffliche Werke wie die von 



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— 110 — 



Barth und Nachtigal aufzuweisen hat, lässt uns fast völlig im Stich. So 
bleibt es auch unentschieden, ob der centrale Sudan in Betreff der Musik- 
instrumente eine einheitliche ethnographische Provinz darstellt oder noch 
zu theilen ist. Es ist sehr möglich, dass spätere Untersuchungen mit 
besserem Material die Provinz vollständig verschwinden lassen und unter 
die benachbarten Provinzen auftheilen. 

Charakteristisch ist wenigstens für den westlichen Theil die Sanduhr- 
trommel, die man vielfach als Haussa-Trommel bezeichnet findet. Es ist 
jedenfalls möglich, dass sie diesem Volke ursprünglich angehört, obwohl 
sie hente weit über die eigentlichen Haussa-Länder hinausgeht und im 
Süden bis an das Meer, nach der Gold- und Sklavenköste, ja, bis Sierra 
Leone vorgedrungen ist. Sie scheint auch in Born u vorzukommen, 
wenigstens erwähnt Nachtigal (l, 745) von dort in der Mitte stark ein- 
geschnürte, auf beiden Seiten mit Fell bespannte Trommeln. Ueber die 
Art der Trommelbespannung sagt er freilich weder bei diesen, noch bei 
den von ihm ebenfalls aufgeführten cylindrischen Trommeln, von denen 
die grösseren nur ein, die kleineren zwei Trommelfelle haben, etwas 
Näheres. In Bagirmi giebt es Trommeln mit einem weiteren offenen und 
einem engeren feil bespannten Ende (Nachtigal II, 607). 

Ein ferneres, für den Centrai-Sudan bezeichnendes Instrument sind 
die grossen, bis 1,5 m langen, nur den Königen zukommenden Posaunen 
aus Blech oder Holz. Noch weniger kann ich über die Saiteninstrumente 
angeben; der Umstand, dass Nachtigal ein solches, das er aus Bagirmi 
anführt (II, 699), mit dem Namen »erbäba« bezeichnet, weist auf nord- 
afrikanischen Ursprung hin. Von den Haussa erwähnt Staudinger grosse 
und kleine Streichinstrumente mit 1, 3 und 4 Saiten und die häufigeren 
Guitarren, besonders kleiue 3 und 2 saitige. ') 

Oestlich seh Messt sich daran die achte Provinz, die die Länder des 
oberen und mittleren Nils von Kavirondo und Ussoga bis Nubien abwärts 
sowie das ostwärts davon liegende Abessinien und die Gebiete der Galla 

» 

uud Somäl, also das ganze Osthorn, umfasst. Das dieser Provinz eigeu- 
thümliche Saiteninstrument ist die Lyra, neben der nur noch die Rabab 
vorkommt. Die vorherrschende Trommelform ist die^ kegelstumpfförmige 
mit Iiiemenspannung, die sich ja von hier aus weit in die nächstsüdlichen 
Provinzen verbreitet hat. Daneben findet sich die halbkuglige Kessel- 
pauke. Andere charakteristische Instrumente sind nicht vorhanden. 

Der ganze übrigbleibende Rest des Festlandes bildet die neunte, 
die nordafrikanische Provinz. Wie die hierzu gehörigen Länder, von 
Marokko bis Aegypten, in ihrem gesammten Kulturbesitz einen weit 

■) Im Lienen der Hausaaländer. Berlin 1889. S. 698. 



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weniger afrikanischen als asiatischen Charakter zeigen und ethnographisch 
als eine blosse Dependenz von Vorderasien anzusehen sind, so machen 
auch die Musikinstrumente keine Ausnahme. Sie sind durchweg asiatisch 
und zum grössten Theil wohl erst seit der arabischen Invasion in Afrika 
eingebürgert. Streichinstrumente wie Rabab und Kemengeh und Guitarren 
verschiedener Form repräseotiren die Klasse der Saiteninstrumente ; dazu 
kommen Trommeln mit Schnurspannung, entweder kurz-cy Ii ndrisch, wie 
unsere Militärtrommelu, oder halbkuglig wie Kesselpauken, letztere häufig 
aus Metall. Alle speeifisch afrikanischen Instrumente, wie Sansa, Marimba, 

« ■ 

Holztrommel, Doppelglocke, fehlen; auch der Musikbogen scheint nicht 
vorzukommen. 

Die zehnte und letzte Provinz endlich bildet die grosse Insel 
Madagaskar; die für sie bezeichnenden Instrumente sind die Valiha und 
die Sese. 

Zum Schluss eine übersichtliche Zusammenstellung der zehn Provinzen 
und der für jede hauptsachlich bezeichuenden Musikinstrumente: 
Erste Provinz: Musikbogen (Gubo und Gorra). 

Zweite Provinz: Gubo; Sansa; Trommeln mit Aupflöckung; Marimba 
(nicht überall); Doppelglocken (nur stellenweise). 

Dritte Provinz: Kongo-Guitarre; Raphia- und Rohrinstruraeute (beide 
nur stellenweise); Sansa; Trommeln mit Anpflöcknng, Schnur- 
spannung und Keilspannung; Holztrommel; Marimba (nicht überall) ; 
Doppelglockeu. 

Vierte Provinz: Harfe; Trommeln mit Schnurspannung; Holztrommel 
(nicht überall); Marimba. 

Fünfte Provinz: Schaleninstrumente (daneben die Sese); Trommeln mit 
Anpflöckung und Schnurspannung. 

Sechste Provinz: Mandingo-Guitarre; Trommeln mit Schnurspannung 
(Sanduhrtrommeln) und Schnur- Pflock-Spannung (letztere lokal); 
Marimba (nicht überall). 

Siebente Provinz: (Saiteninstrumente?); Sanduhrtrommelu mit Schnur- 
spannung. 

Achte Provinz: Lyra; Trommeln mit Schnurspannung (Kesselpauken). 
Neunte Provinz: Streichinstrumente (Rabab), Guitarreu (Ud); Kessel- 
pauken. 

Zehnte Provinz: Valiha und Sese. 



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III. Entwicklung nnd Herkunft. 



Die beiden ersten Abschnitte haben ein Bild von den Formen der 
afrikanischen Musikinstrumente und von ihrer Verbreitung über den 
Erdtheil zu entwerfen gesucht Die Darstellung ist in beiden Hinsichten 
naturgemäss mit zahlreichen Lücken und Mängeln behaftet; aber unbe- 
schadet aller späteren Verbesserungen nnd Zusätze ergiebt sie auch schon 
in ihrer jetzigen unvollkommenen Gestalt eine ziemlich ausreichende 
Uebersicht über die Typen und ihre heutige geographische Vertbeilung. 
Es ist nun klar, dass Afrika nicht immer dasselbe Bild geboten hat wie 
heute, sondern dass die gegenwärtigen Verhältnisse nur das letzte Er- 
gebniss einer langen Reihe von Veränderungen sind, die sich unserer 
Kennt niss wegen des gänzlichen Mangels aller historischen Ueberliefe- 
rungen entziehen. Es sind im beschreibenden Theile schon mehrfach 
Instrumente als arabisch oder asiatisch bezeichnet worden, weil die Ein- 
führung derselben nach Afrika in neuerer Zeit erfolgt und uns geschicht- 
lich bezeugt ist; aber diese Einwanderung kann nicht deswegen als die 
einzige betrachtet werden, weil sie die einzige ist, von der wir direkt 
Kunde haben; viel wahrscheinlicher ist, dass ihr andere, vielleicht viele 
andere, vorangegangen sind. Ebenso ist es selbstverständlich, dass nicht 
alle Typen von Musikinstrumenten einer Klasse selbstständig entstanden 
Bind, soudern dass ein genetischer Zusammenhang zwischen ihnen besteht, 
dass sich die komplizirteren und vollkommener ihrem Zweck angepassten 
Formen aus einfachen, weniger differenzirten entwickelt haben. Wie 
also diese Entwicklung vor sich gegangen ist und wo sie stattgefunden 
hat, das sind die beiden Probleme, die noch der Lösung harren. Die 
Beantwortung dieser Fragen ist aber, wie schon in der Einleitung hervor- 
gehoben, nur möglich unter eingehender Berücksichtigung der Musik- 
instrumente der ganzen Erde; wenn trotzdem im Rahmen dieser Arbeit, 
die sich nur mit afrikanischen Instrumenten beschäftigt nnd nur nebenbei 
einen vergleichenden Blick auf die benachbarten Erdtheile werfen kann, 
ein Versuch dazu gemacht wird, so ist derselbe natürlich nur als ein 
vorläufiger anzusehen und mit all den Vorbehalten aufzunehmen, die 
unter solchen Umständen gemacht werden müssen. 



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- 113 - 



Instrumente, die sich als unafrikanisch erweisen, könnten auf zweierlei 
Weise nach Afrika gelangt sein, entweder im Gefolge von Völkerwande- 
rungen, von erobernd eindringenden Stämmen, wie es der Fall ist bei 
den arabischen Instrumenten, die die islamitische Eroberung mit sich ge- 
bracht hat, oder sie können auf dem Wege friedlichen Verkehrs sich ver- 
breitet haben. Welcher von beiden Fällen vorliegt, läset sich, wo die 
geschichtlichen Ueberlieferungen versagen, auf Grand der Untersuchung 
der Musikinstrumente alkin nicht entscheiden; dazu gehörte eine ein- 
gehende Prüfung des gesammten Kulturbesitzes, sowie der linguistischen 
und authropologiscben Verhältnisse. 

Weniger im Zweifel kann man von vornherein über die Heimath der 
nichtafrikanischen Musikinstrumente sein; es kommt der ganzen Lage 
nach eigentlich nur Asien in Betracht; auch Einwirkungen von anderen 
Erdtheilen, wie Oceanien, falls sie überhaupt stattgefunden haben, müssten 
ihren Weg über Asien genommen haben. 

Beginnen wir mit den Saiteninstrumenten. Schon die Reihenfolge 
der Gruppen im beschreibenden Theil giebt im allgemeinen ein ungefähres 
Bild des genetischen Zusammenhanges; mit einfachen Instruineuten be- 
ginnend, schreitet sie allmählich zu immer vollkommeneren fort. Das Bild 
wird aber dadurch getrübt, dass nicht eine einzige Entwicklungsreihe 
vorliegt, sondern die Linie sich verzweigt und auch Parallelreihen 
auftreten. 

Dass der Musik bogen als das älteste der afrikanischen Saiten- 
instrumente anzusehen sei, dürfte wohl keinem Zweifel begegnen; dafür 
spricht ausser seiner primitiven Konstruktion, die man sich einfacher nicht 
vorstellen kann, auch seine Verbreitung über fast den ganzen Kontinent 
mit Ausnahme des gänzlich asiatisirten Nordens und sein vielfach be- 
zeugtes Vorkommen neben den anderen, höber entwickelten Formen von 
Saiteninstrumenten, es spricht endlich dafür die Thatsache, dass der 
kulturarme, zurückgebliebene Süden kein anderes Saiteninstrument als den 
Bogen kennt. Man kann gewissermaßen mehrere Kulturschichten über 
einander wahrnehmen, von denen die unterste durch den Musikbogen 
dargestellt wird. Wohlhabendere benutzen die neueren, vollkommeneren, 
aber auch kostspieligeren und schwieriger anfertigenden Instrumente, 
der Aermere, vielleicht auch die Kinder, begnügen sich mit dem urtüm- 
lichen Bogen, den sich jeder selbst ohne Mühe und Kosten her- 
stellen kann. 

Die Ersetzung der biegsamen Rute durch einen starren Stab, wie 

bei der Sese, ist als wesentlicher Fortschritt wohl kaum aufzufassen, 

obwohl der Umstand, dass die Elasticität des Bogens doch mit der Zeit 

8 



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nachlässt, als Uebelstand empfunden werden mag. Wichtiger ist es 
jedenfalls, dass die Sese die Anbringung von mehr als einer Saite ge- 
stattet, was freilich auch beim Bogen nicht unmöglich wäre, aber that- 
sächlich niemals versucht worden zu sein scheint Weit mehr aber, als 
die beiden Gruppen durch diese vergleichsweise unerheblichen Unterschiede 
getrennt werden, werden sie zu einer Eiuheit zusammengefaßt und allen 
anderen Saiteninstrumenten gegenübergestellt durch ihre im Princip 
identische Konstruktion: eine längs eines Stabes gespannte Saite und 
daran ein lose angehängter Resonanzkürbis. 

Die weitere Entwicklung kann nun in folgenden Richtungen vor sich 
gehen : es kann einmal eine innigere Verbindung der einzelnen Theile des 
Instruments — - des Saitenträgers mit dem Resonator — angestrebt 
werden und zweitens eine Vermehrung der Saiten; hierbei können die 
Saiten an dem Saitenträger übereinander angebracht werden, oder ea 
kann eine Vorrichtung getroffen werden, die es ermöglicht, die Saiten 
neben einander zu befestigen. Alle diese Möglichkeiten sind, wie wir 
bei der Beschreibung der Instrumente bereits gesehen haben, in Afrika 
zur Wirklichkeit geworden. 

Ehe wir aber dieser Entwickelung im Einzelnen nachgehen, müssen 
wir noch einmal zum Musikbogen zurückkehren, um einen Augenblick 
einen Nebeuweg zu verfolgen. Der Ton wird bei diesem erzeugt durch 
Berühren der Saite mit eiueni Stabchen, einem Plektron. Da derselbe 
aber sehr leise ist, so dieut zum Verstärken ein Kürbis oder die Mund- 
höhle des Spielers, durch deren grössere oder kleinere Oeffuuug der Ton 
modifizirt wird. Die Beobachtung kann nicht ausbleiben, dass auch der 
Luftstrom beim Ein- und Ausathmeu die Saite zum Tönen bringt, und 
nun wird der Bogen znr Maultrommel: man bläst auf die Sehne und 
modifizirt den Ton mit einem Stäbchen oder mit den Fingern. Das scheint 
vielfach in Afrika der Fall zu sein, aber nur an einer Stelle hat die Ent- 
wicklung einen Schritt weiter gethan und zwar bei den verachteten Busch- 
männern und Hottentotten, in der Gorra. Die Einschaltung der breiten 
Federspule gestattet dem Athem eine viel stärkere Wirkung als die dünne 
Schnursehne und verstärkt so den Ton des Instruments. 

Der Uebergang vom Musikbogen zur Maultrommel, also von einem 
Saiteninstrument zu einem Blasinstrument, scheint mir hier klar vor Augen 
zu liegen; ich möchte noch hinzufügen, dass wir eine Parallelerscheinung 
dazu in der Sansa und der indonesisch-oceanischen Manltrommel haben. 
Wie dort die Saite, so wird hier eine elastische Zunge aus Bambus oder 
ähnlichem Material einmal durch Wegschnellen mit den Fingern, im andern 
Fall durch Anblasen zum Schwingen gebracht. Einen genetischen Zu- 
sammenhang zwischen beiden will ich natürlich nicht behaupten. 



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Weiter als bis zur Gorra ist die Entwicklung in Afrika nicht ge- 
gangen, und auch die Verbreitung derselben ist auf ihre Erfinder und 
deren nächste Nacbbaren beschränkt geblieben. 

Kehren wir nach dieser Abschweifung zur Entwicklung der Saiten- 
instrumente zurück. In der dritten Grnppe sind zuerst die beiden Theile 
des Instruments fest zu eiueni Ganzen verbunden, indem der Saitenträger 
durch den der Schallverstärkung dienenden Hohlkörper hindurchgesteckt 
wird oder beide Theile aus einem Stück gearbeitet werden. Dieser Ur- 
typus tritt uus nun weiterhin in zwei Modifikationen entgegen, die beide 
denselben Zweck, nämlich die Vermehrung der Saitenzahl, in verschiedener 
Weise erreichen. Entweder der Saitenträger ist gekrümmt; er gestattet 
dann ohne Weiteres die Anbringung einer grosseren Anzahl Saiten, die 
von ihm nach dem Resonanzkasten hin gezogen werden können; es ent- 
steht so die Bügelharfe, die Instrumente der Gruppe V. Oder der Stab 
ist gerade oder nur sehr schwach gebogen; dann bat man sich damit ge- 
holfen, dass man auf der Oberfläche des Resonators ein Brettchen oder 
dergleichen aufstellte, einen Steg, der mit Einkerbungen zur Aufnahrae der 
Saiten versehen ist und so die letzteren vom Resonanzboden und von ein- 
ander entfernt hält. Je nachdem die Einkerbungen auf der oberen Kante 
oder an den Seitenkanten des Steges liegen, erhält man die Instrumente 
der Gruppen III bc oder IV. 

Damit scheint die direkte Fortbildungsmöglichkeit des Bogens er- 
schöpft zu sein, und doch hat man in Afrika noch einen Weg gefunden, 
um aus dem einsaitigen Ursaiteninstrument vollkommenere mehrsaitige 
Instrumente zu schaffen, indem man nämlich, diu die Saitenzahl vermehren 
zu können» auch die Zahl der Saitenträger vervielfachte. Man nahm also 
gewissermassen eine Anzahl Musikbogen und befestigte sie an einem ge- 
meinsamen Resonanzkasten. So kann man sich wenigstens die Iustrumente 
der Gruppe VI entstanden denken. 

Wie wohl überhaupt die Fruchtschale, und insbesondere der Kürbis 
als die am leichtesten zn erhaltende und zu bearbeitende, zunächst allge- 
mein als ältester Resonanzapparat gedient hat, so ist er sicherlich auch 
bei diesen Instrumenten dem jetzt vorwiegend angewandten Holzkasteu 
vorausgegangen. Da aber ein Anbinden der Saitenträger an die glatte 
runde Kürbisschale nicht gut möglich ist, so dürften die Instrumente mit 
hindurchgesteckten Stäben wohl als die ältesten auzusehen sein; ein solches 
ist das oben (S. 80) erwähnte, von Binger beschriebene. Diese Erwähnung ist 
freilich der einzige Beleg für die Existeuz eines derartigen Instruments 
mit Kürbisresonauz, die sonst immer durch einen Holzresouator ersetzt 
ist; aber auch hier findet sich zuweilen noch die alte Befcstignngsweise 
der Saitenträger (vgl. Abb. 32). 

8* 



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— Uß - 



Zur Unterstützung der hier skiz/.irten Entwicklung kann man viel- 
leicht das in Abb. 3 dargestellte Instrument herbeiziehen. Denn man 
braucht sich nor anstatt des einen Bogens drei durch den Kürbis ge- 
steckte Bogen zu denken ond man hat (abgesehen von der Hindureb- 
ziehung der Saite durch das Resonanzfell) die von Binger beschriebene 
Bambara-Guitarre. 

Nicht mehr in diese Entwickelungsreibe hineinzubringen sind die 
Instrumente der folgenden Gruppen. 

Die Lyren der Gruppe VIII und das Saiteninstrument der Kru, 
Gruppe VII, haben sich jedes in seiner Weise, ans 3 Stäben zusammen- 
gesetzte Gestelle als Saitenträger konstruirt, die man wohl nicht ohne 
Zwang aus dem Bogen wird ableiten können. Ebensowenig scheint das bei 
den Schaleninstrnmenteu der Gruppe IX der Fall zu sein, und man kann es 
für richtiger halten, für diese Instrumente einen zweiten Ausgangspunkt 
der Entwicklung anzunehmen, nämlich eine Platte, ursprünglich vielleicht 
ein Stück Rinde oder ein Fragment einer grossen Fruchtschale, über 
welche die Saiten in einer Ebene nebeneinander ausgespannt wurden. 

So würden wir, ausgehend von einem zweifachen Anfang, dem Stock 
und dem Brett als Träger der Saiten, beide in Verbindung mit einem 
Schall Verstärkungsapparat, die ganze Mannigfaltigkeit der afrikanischen, 
ja wohl überhaupt aller Saiteninstrumente erhalten. 

Vielleicht aber lassen sich auch die •Schaleninstrumente auf den 
Musikbogen, oder richtiger gesagt, das einfache eiusaitige Saiteninstrument 
zurückführen. Einen Anhalt dazu geben die Instrumente der Gruppe X, 
die aus Rohrhalmen zusammengesetzt sind. Freilich hat nicht jeder Halm 
seine eigene Saite, wie man voraussetzen müsste, aber die Ersetzung der 
vielen einzelnen Saiten durch eine einzige, hin und zurück gespannte 
Schnur ist eine leicht zu verstehende Vereinfachung. Diese Instrumente 
würden dann eine Parallele zu den Kongo-Guitarren bilden: beide ent- 
standen durch Zu8ammenfügung von mehreren einsaitigen Stab- resp. 
Bogeninstrunienten zu einein mehrsaitigen Instrument 

Aber lassen wir die Frage, ob das Schaleninstrument aus dem Rohr- 
stabinstrument hervorgegangen ist oder ob beide nebeneinander hergehende 
Versuche zur Losung des Problems der Saiten Vermehrung sind, dahin- 
gestellt. 

Ebenso schwer zu beantworten ist die Frage nach der Entstehung 
der Lyra. Man könnte sie als Schaleninstrumente auffassen, die durch ein 
Gestell zur Saitenanbringnng erweitert sind: indessen wird diese Ver- 
muthung durch keine Uebergangsformen unterstützt Der Wahrheit kommt 
man vielleicht näher, wenn man die Lyra mit den Guitarren in Verbin- 
dung bringt und sie als einen zweiten Versuch neben den westsudane- 



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sischen Guitarren (Abb. 16 — 18) betrachtet, auf anderm Wege als diese zu 
einer Vermehrung der Saiten zu gelangen. Jene erreichen dies Ziel durch 
Einschaltung eines Steges, diese durch Verbreiterung des Saitenträgers. 
Für die Richtigkeit dieser Ableitung spricht auch die Befestigung der 
- Saiten an Lederringen und die — wahrscheinliche — gemeinsame asiatische 
Herkunft. 

Ganz abseits stehen die Instrumente der elften Gruppe. Sie bilden 
aber eine interessante Parallele zu den bisher betrachteten Abtheilungen, 
indem man bei ihuen dieselben beiden Grundprincipicn in der Konstruktion 
nachweisen kann, wie bei jenen, nämlich das Stabprincip und das Brett- 
princip, wenn man so sagen darf. Dem ersteren gehören die Valiha der 
Madagassen und das Raphia-Instrument der Fan an, die somit den Gruppen 
I — V analog sind, dem zweiten die Rohriustruraente der Gruppe XI b, 
entsprechend den Brett- oder Schaleninstrumenten der Gruppen IX und X. 
Das ist interessant, weil es zeigt, wie trotz des verschiedenartigen Materials 
und der dadurch bedingten abweichenden Ausgestaltung doch in beiden 
Fällen derselbe Grundgedanke sich geltend macht. 

Wir erhalten also folgendes Schema der Entwicklung der Saiten- 
instrumente: 

Erste Reihe: Musikbogen (Gr. I), Sese (Gr. II). 

Zweite Reihe: Musikbogen (Gr. I), Guitarren, Rabab etc. (Gr. III), Man- 
dingo-Guitarre (Gr. IV), vielleicht auch Lyra (Gr. VIII). 

Dritte Reihe: Musikbogen (Gr. 1), Harfe (Gr. V). 

Vierte Reihe: Musikbogen (Gr. I), Kongo- Guitnrre (Gr. VI). 

Fünfte Reihe: Musikbogen (Gr. I), Rohrinstrumente der Gr. X, Schalen- 
instramente (Gr. IX). 

Problematisch bleibt die Stellung der Kru- Harfe (Gr. VII), während 
die Bambus- und Raphia- Instrumente (Gr. XI) eine Klasse für sich bilden. 

Die naheliegende Frage, welche von den beiden Parallelgruppen als 
die ältere anzusehen sei, ob die Verwendung des Rohres, des Bambus und 
der Raphia derjenigen des Holzes vorangegangen sei oder umgekehrt, 
lässt sich mit Sicherheit natflrlich nicht beantworten. Allerdings spricht 
manches für die Priorität der Rohrinstrumente. Der Musikbogen, so 
einfach er ist, setzt doch mehr voraus, als z. B. die Valiha. Zu letzterer 
gehört nur ein Stück Bambusrohr, dieses liefert sowohl Saiten träger als 
Saiten; der Bogen aber erfordert ausser dem biegsamen Stabe auch einen 
als Saite brauchbaren Faden, und wenn auch die Natur dem Menschen 
genug verwendbares Material in allerlei Faserstoffen bietet, so gehört 
doch eine nicht leicht zu erwerbende Erfahrung dazu, das Geeignete 
herauszufinden. Vor Allem aber ist die anderweitige Verwendung solcher 
Kastrstoffe schon vorauszusetzen, da der Mensch dieselben doch sicherlich 



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nicht zuerst bei der Konstruktion von Musikinstrumenten verwendet haben 
wird. Noch eher ist die Priorität der Rohrinstrumente wohl bei den nach 
dem Brettprincip koustruirten Instrumenten anzunehmen; denn die Her- 
stellung eines Holzbrettes mit unvollkommenen Werkzeugen erfordert viel 
mehr Mühe und Arbeit als das Znsammenbinden von Bohrstaben zu 
einer Platte. 

Am meisten aber spricht für das höhere Alter der Rohriustrninente, 
wenigstens in Afrika, die geographische Verbreitung derselben. Schon 
ihr zerstreutes Vorkommen lässt darauf schliessen, dass man in ihnen 
Ueberbleibsel einer alteren Kulturschicht vor sich hat, die sich nur in 
abseits vom Strom der Geschichte gelegenen Winkeln in kümmerlichen 
Resten erhalten hat, und in der That sind diese Gebiete solche Zuflochts- 
orte, in denen sich auch sonst manches Alterthümliche erhalten hat. Das 
ist einmal das Gebiet um die Biafra-Bay herum von Gabun bis zum 
Niger mit seinen Rapbiaharfen- und Rohrhalmcithem und dann der zweite 
Verbreitungsbezirk der letzteren im innersten Afrika. Beide gehören 
derselben Provinz, der Kongo- Provinz an, die, wie wir spater sehen 
werden, am wenigsten von fremden Einflüssen berührt worden ist, und 
sind durch ihre Lage an der Westküste, an der igeschichtslosen Seite« 
Afrikas und am Rande des grossen centralafrikanisehen Waldes noch 
ganz besonders vor äusseren Einwirkungen geschützt worden. Etwas 
anders steht es mit der dritten Art dieser Instromente, der Valiha, die 
sich nur in Madagaskar findet und ganz zweifellos als Import der malai- 
ischen Beherrscher der Insel anzusehen ist. Da wir nicht wissen, wann 
die Einwanderung der Hova stattgefunden hat, und welche Kultnr sie 
auf der Insel vorgefunden haben, so kann man ebensowohl annehmen, 
dass die Valiha das ursprünglichste Saiteninstrument Madagaskars ist, 
als auch, dass es als spaterer Eindringling früher vorhandene Instrumente 
verdrängt hat. Jeienfalls hat die Inselnatur Madagaskars wie andere 
Eigentümlichkeiten so auch dies Nationalinstrument der Hova schützend 
bewahrt; jetzt freilich, wo europäische Instrumente auf Madagaskar Ein- 
gang und Beifall gefunden haben, dürften auch die Tage der Valiha 
gezahlt sein. 

Die angeführten zu Gunsten der Priorität der Rohrinstrumente 
sprechenden Gründe lassen keinen entscheidenden Schluss zu; ein solcher 
wäre nur möglich in Verbindung mit einer Lösung des Problems der 
Erfindung der Saiteninstrumente überhaupt, d. h. des Problems, wie der 
Mensch dazu kam, eine gespannte Saite zur Erzeugung musikalischer 
Töne zu verwenden. Ehe ich auf diese Frage mit einigen Worten ein- 
gehe, kehre ich noch einmal zu der oben geschilderten Entwicklung der 
Saiteninstrumente zurück. Ob man einen einfachen Ausgangspunkt, den 



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Bogen, oder einen doppelten, Bogen und Brett, annimmt, im Allgemeinen 
dürfte der oben skizzirte Entwicklungsgang keinen ernstlichen Bedenken 
unterliegen. Im Einzelnen, wie z. B. in betreff der Herleitung der Lyra, 
kann man allerdings Zweifel hegen, deren Beseitigung bei diesen In- 
strumenten asiatischer Abstammung nur bei genauer Kenntniss und 
Berücksichtigung der heimathlichen Verhältnisse möglich ist. Ob aber 
diese Entwicklung ganz auf afrikanischem Boden stattgefunden hat, also 
dort, wo wir jetzt ihre Endprodukte finden, oder ob einzelne Instrumente 
aus anderen Erdtheilen eingewandert sind, und wo ihre Heimath zu 
suchen ist, das ist eine Frage, die wir jetzt zu erwägen haben und 
deren Beantwortung für die afrikanische Kulturgeschichte von höchster 
Wichtigkeit ist. 

Geschichtliche Nachrichten fehlen uns, wenn wir von Nordafrika 
absehen, ganz; ist die Kunde von der Geschichte Afrikas in vergangenen 
Jahrhunderten im Allgemeinen schon überaus dürftig und verworren, so 
hat eich kaum ein Berichterstatter bis in die neueste Zeit hinein die 
Muhe genommen, solchen Kleinigkeiten, wie dem Auftreten und Ver- 
schwinden einzelner Bestandteile des Kulturbesitzes irgendwelche Auf- 
merksamkeit zuzuwenden. Wir sind also ganz auf das angewiesen, was 
sich aus dein heutigen Befund herauslesen lässt. 

Hier ist es nun vor Allem die geographische Verbreitung der ein- 
zelnen Formen, auf die wir unser Augenmerk zu richten haben. Dass 
dieselbe in ihrer im vorigen Abschnitt geschilderten Ausprägung, in der 
Dicht nur jedem Instrument ein bestimmter Verbreitungskreis zukommt, 
sondern auch die Aufstellung von hinreichend scharf charakterisirten 
ethnographischen Provinzen sich als möglich zeigt, kein Werk des Zufalls, 
sondern nur ein Ergebniss gewisser, uns unbekannter historischer Ereig- 
nisse sein kann, ist an und für sich selbstverständlich. Es fragt sich nun, 
ob es möglich ist, aus diesen Verbältnissen auf die ihnen zn Grunde 
liegenden Geschehnisse zurückzuschliessen, oder mit anderen Worten, ob 
und wie weit man aus der räumlichen Verbreitung die zeitliche Aufeinander- 
folge der Saiteninstrumente erschliessen kann. 

Beginnen wir unsere Betrachtung mit der nordafrikanischen 
Provinz. Der ethnographische Charakter derselben ist, wie schon mehr- 
fach hervorgehoben, ein durchaus westasiatischer; alle Saiteninstrumente 
stammen dementsprechend aus Vorderasien. Bei den beiden ägyptischen 
Streichinstrumenten, der Rabab und der Kemengeh, zeigen dies schon die 
Namen, die persischen Ursprungs sind; und wie diese, so sind auch die 
beiden anderen Saiteninstrumente, die Laute und der citherartige Kanün, . 
aus Asien eingewandert. Und zwar ist diese Einwanderung verhältniss- 
mässig neuen Datums, sie fällt nämlich mit der arabischeu Invasion zu- 



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sammeii. Es mögen freilich auch schon vorher im friedlichen Verkehr 
asiatische Instrumente im Nillande Fuss gefasst haben, aber zur end- 
giltigen und vollständigen Herrschaft sind sie wohl erst gelangt im 
Gefolge der islamitischen Eroberung, die auch auf diesem Gebiet wie 
auf den meisten Übrigen die Reste altägyptischer Kultur vertilgte und 
durch die neue vorderasiatische ersetzte. Jedenfalls lässt sich erweisen, 
dass das alte Aegypten keines der heute dort gebräuchlichen Saiten- 
instrumente kannte, denn durch die Wandgemälde der alten Tempel und 
Gräber sind wir auch über die altägyptischen Musikinstrumente in aus- 
gezeichneter Weise unterrichtet. 

Die hauptsächlichsten Saiteninstrumente der alten Aegypter 
waren Harfe, Lyra und Guitarre. l ) Die Harfe kam in zwei Grössen 
vor; die halbgrosse mit 6 — 7 Saiten wurde sitzend gespielt, die grosse, 
von Mannshöhe, mit bis zu 20 Saiten, stehend. Eine kleine endlich, die 
auf der. Schulter getragen wurde, taucht erst im neuen Reich auf. Die 
Formen der Harfe waren sehr maunigfaltig (vgl. die Abbildungen bei 
Wilkinson), Resonanzboden und Saitenträger oft kunstvoll geschnitzt und 
bemalt; die Saiten waren an Wirbelu, die in dem bügelförmig gebogenen 
Saitenträger steckten, befestigt nnd von hier nach dem Resonanzkörper 
gespannt. Eine Abart der Harfe, bei der Resonanzkörper und Saiten- 
träger nicht einen Bogen bilden, sondern in einem manchmal sehr 
spit7en Winkel znsammenstossen, findet sich erst im neuen Reich und 
stammt wohl aus Asien; dafür. spricht wenigstens die grosse Aehnlichkeit 
dieses Instruments mit der assyrischen Harfe (Abb. bei Wilkinson 
Abb. No. 235, 236 (I, 469), 238 (I, 470) und bei Engel, The music 
of the most ancient Nations. London 1870. Fig. 3 u. Fig. 10). Die 
Harfe ist das älteste ägyptische Saiteninstrument und lange Zeit das 
einzige; spat erst tritt als zweites die Lyra hinzu, um im neuen 
Reich Modeinstrument zu werden. Dieses Instrument ist zweifellos nicht 
in Aegypten erfunden, sondern aus Asien importirt; sehr bezeichnend ist 
die Thatsache, dass die Leier vor der 18. Dyuastie nur einmal auf einem 
ägyptischen Denkmal erscheint, und hier nicht in den Händen eines 
Aegypters, sondern in deneu eines Tribut bringenden semitischen Be- 
duinen.') Da dasselbe Instrument ausserdem auch häufig auf assyrischen 
Skulpturen sich findet, so scheint es wohl sicher, dass wir seine Er- 
findung oder zum mindesten seine Verbreitung nach Afrika hinein den 
Semiten zuzuschreiben haben. 

') Die folgenden Angaben entstammen im Wesentlichen den Werken von Wilkinson, 
Tbe Manners and Customs of the Ancient Egyptians. London 1878, nnd Erman, Aegypten 
und ägyptisches Leben im Alterthum. Tübingen 1886. 

«) Wilkinaon I, PI. XII. 



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Ausser diesen beiden HaoptiDstrumeuten keuneu wir aus Altägypten 
noch eine Guitarre (»neferc) mit 1 — 3 Saiten. 1 ) Sie hatte einen ovalen 
Körper, gaoz ans Holz oder mit Leder fiberzogen, und einen langen 
geraden Saitenträger, an dein die Saiten, wie es scheint, nicht an 
Wirbeln, sondern an Lederringen befestigt waren. Ein ganz ähnliches 
Instrument findet sich auch einmal auf einem assyrischen Relief 
(Engel Fig. 12). Es gleicht augenscheinlich ganz der heute in Vorder- 
asien und Indien verbreiteten Tambura. Ennan meint, die Aegypter 
hätten anch dieses Instrnment von den Semiten übernommen; 1 ) dem 
widerspricht aber die Thatsache, dass das Bild dieser Laute als Hiero- 
glyphe schon in sehr alten Zeiten vorkommt. Dass die Laute sich 
— wenigstens in früherer Zeit — so selten auf ägyptischen Denk- 
mälern fiudet, liesse sich vielleicht dadurch erklären, dass sie als 
das augenscheinlich primitivste der ägyptischen Saiteninstrumente das 
Instrnment der kleinen Leute war, das natürlich, wie alles was den 
unteren Volksklassen angehört, weniger oft bildlich dargestellt wurde 
als die Harfe der Grossen und der Priester. t Wenn man sonach die 
Laute als das primitivste und also wohl auch älteste ägyptische Saiten- 
instrument aussprechen durfte, so würde dazu auch die heutige geogra- 
phische Verbreitung stimmen, denn kein Instrument ist so weit nach 
Westen vorgedrungen wie sie. 

Alle diese Instrumente sind heutzutage, wie schon gesagt, aus Aegypten 
verschwunden und durch neue, ganz anders geartete ersetzt; nur an Stelle 
der Guitarre ist ein Instrument derselben Gattung, aber von weit voll- 
kommenerer Konstruktion, getreten, die vorderasiatische Laute (rtd). 
Ebenso verhält es sich in dem übrigen Theile von Nordafrika, nur dass 
wir nicht wissen, wie dort die Vorgänger der heutigen arabischen 
Saiteninstrumente ausgesehen haben; sicher ist nur, dass auch hier der 
gegenwärtige Zustand erst durch die islamitische Eroberung geschaffen 
worden ist. 

Aber gänzlich aus Afrika verschwunden sind darum die antiken 
ägyptischen Saiteninstrumente doch nicht; nur aus den Ländern des 
Nordrandes sind sie verdrängt, wenden wir unsere Blicke aber weiter 
südwärts, so finden wir sie sänimtlich wieder, die Harfe, die Lyra und 
die Gnitarre. Die geographische Verbreitung dieser drei Instrumente ist 
schon früher geschildert worden (vgl. S. 78 u. 81 und Karte I); es genügt 
hier darauf aufmerksam zu machen, dass dieselben einen breiten, südlich 
der grossen Wüste quer durch den ganzen Erdtheil ziehenden und etwa 
bis zum Aequator reichenden Landgürtel erfüllen. Die Vertheilung der 

•) Wilkinson I. Abb. No. 246-249 
«) Ennan I, 343 



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drei Instrnmente in diesem ungeheuren Gebiet lBt eine äusserst charak- 
teristische: die Harfe und die Guitarre, die, wie wir sahen, die ältesten 
ägyptischen Saiteninstrumente sind, erscheinen am weitesten nach Süden 
und Westen zurückgedrängt; erstere tritt ausserhalb ihres Hauptbezirks 
nur noch sporadisch im Westen des Niger auf, die Guitarre ist haupt- 
sächlich im westlichen uud centralen Sudan heimisch; die Leier endlich, 
das jüngste der drei Instrumente auf afrikanischem Boden, findet 
sich, entsprechend seinem semitischen Ursprünge, in den Arabien 
gegenüberliegenden Grenzländeru Afrikas, Nubien, Abessinien, dem 
Osthorn u. s. w. Auch in Einzelheiten der Konstruktion stimmen 
diese Instrumente mit ihren altägyptischen Vorbildern noch immer 
übereiu: die Waganda, Niam-Niam, Mbum etc. befestigen die Saiten 
ihrer Harfen ebenso an Wirbeln, wie es die alten Aegypter thaten; 
die Saiten der Guitarre dagegen werden auch heute noch an um den 
Saitenträger gewickelte Lederriemen mit lang herabhängenden Enden 
gebunden, wie es auch im Alterthum der Fall gewesen zu sein scheint 
(vgl. Wilkinson I, No. ^10, 212, 213, 248, Engel, Music of the most 
ancient Nations, Fig. 12). Auch sonst gleicht die heutige afrikanische 
Harfe in ihrer Gestalt ganz den kleinen ägyptischen Instrumenten, von 
denen mehrere erhalten sind; einige von diesen 1 ) haben genau die Form, 
die Schweinfurth bei den Harfen der A-Sandeh »löffeiförmig« genannt hat.*) 
Es ergiebt sich also, dass alle Saiteninstrumente der Provinzen IV, 
VII, VIII und IX und vielleicht auch VI, soweit sie nicht zugleich mit 
dem Vordringen des Islam sich in Afrika verbreitet haben, völlig identisch 
sind mit den Instrumenten der Bewohner des alten Aegypten. Ein direkter 
Beweis dafür, dass diese Instrumente von Aegypten her über die ganze 
Nordhälfte von Afrika sich verbreitet haben, läsgt sich freilich nicht er- 
bringen; aber es ist auch nicht zu leugnen, dass ein solcher Vorgang 
äusserst wahrscheinlich ist. Dafür spricht besonders eben die schon er- 
wähnte gegenwärtige Lage der Verbreitungsgebiete der einzelnen Instrn- 
mente; wenn auch die Grenzen in Wirklichkeit etwas anders verlaufen 
mögen, als sie auf Karte I eingetragen sind, besonders im centralen Sudan, 
so ist doch die Thatsache unverkennbar, dass die ältesten Instrumente 
am weitesten nach Süden und Westen zurückgedrängt sind, während die 
neueren den Norden und Osten einnehmen. Auch der Weg der Aus- 
breitung wird uns klar: er ist durch den Lauf des Nils gegeben. Die 
Lyra als der jüngste Ankömmling beherrscht heute die Nilländer von 
den Grenzen Aegyptens bis zum Victoria Nyansa, hat aber das Gebiet 

') Wilkinson I, No. 239, 240 (1, 2). 

Resonanzböden mit nach innen geschweiften Seiten, wie bei den A-Sandeh, 
scheinen in Alt-Aegypten nicht vorgekommen zu sein. 



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dieses Flusses nach Westen hin nicht überschreiten köunen; vor der Lyra 
ist die Harfe diesen Weg hinauf gezogen und bat früher sicher am Nil 
eine viel grössere Verbreitung gehabt, während sie ihn jetzt nur noch 
ganz im Süden, in Uganda, erreicht. Dafür hat sie Zeit gehabt, sich viel 
weiter nach Westen aoszudebnen und sogar den Ozean zu erreichen. 
Dieser Tbeil ihres Gebietes ist übrigens wohl eine ganz neue Eroberung 
und dürfte in Zusammenhang stehen mit dem oft geschilderten Vordringen 
der unter dem Namen Fan zusammengefaßten Inlandstämme nach der 
Küste des Atlantischen Ozeans. Dieses Vordringen, bei dem übrigens die 
Fan wohl nicht die Ersten, sondern nur Nachfolger der jetzt von ihnen 
verdrängten und aufgeriebenen Stämme am Ogowe und an der Gabunküste, 
wie der Mpongwe, Oschekiani, Akelle etr., sind, hat die Kongo-Provinz 
in zwei ungleiche Theile gespalten. Die Lante endlich, das vermutlich 
älteste Saiteninstrument Aegyptens, ist in den westlichen Sudan zurück- 
geschoben und hat es hier zu einer eigenartigen Entwicklung gebracht. 

Das Instrument, dessen Entstehung ich hier im Auge habe, ist die 
Gnitarre der Mandingo und Aschanti (Gruppe IV). Man kenn sich diese 
Instrumente aus der Laute dadurch entstanden denken, dass, um dem Be- 
streben nach Vermehrung der Saitenzahl zu genügen, ein Steg eingeschaltet 
wurde mit Einkerbungen an beiden Seiten. Man erhält dann ohne Weiteres 
aus der Laute ein Instrument wie das von den Bissagos- Inseln (Abb. 18). 
Dass diese Guitarren in der That aus einem Instrument von der Art der 
Gruppe III hervorgegangen sind, halte ich für zweifellos; das brauchte 
freilich nicht die ägyptische Laute zu sein, sondern es konnte sich auch um 
ein Instrument etwa wie Abb. 6 oder 7 handeln. Dann hätten wir ein 
nrafrikanischea Instrument vor uns. Dafür spricht auch die über- 
wiegende Verwendung pflanzlicher Saiten. 

Damit ist die Sphäre ägyptischen Einflusses umschrieben ; weiter nach 
Süden ist, wenigstens soweit die Saiteninstrumente in Betracht kommen, 
keine Spnr von Einwirkung der altägyptischen Kultur aufzufinden. 

Die Provinz V besitzt zwei Saiteninstrumente, die Sese und die 
Schaleninstrumente. Die Erstere ist sicher noch nicht allzulange in 
Afrika heimisch, wie ihre Verbreitung hauptsächlich in deu Küstenland- 
schaften beweist; ihre Heimath ist zweifellos Indien, wo sie unter dem 
Namen Vina eines der ältesten und noch heute verbreitetsten uud belieb- 
testen Saiteninstrumente ist. Allerdings steht z. ß. die in Bengalen ge- 
bräuchliche Vina mit ihrem schön geschnitzten Saitenträger und den ver- 
zierten Resonanzkörpern, was die Ausführung betrifft, hoch über der vi>r- 
bältnissmässig recht primitiven Sese; aber in Südindien giebt es einfachere 
Instrumente, die sich im Aussehen den afrikanischen beträchtlich nähern; 
eine im Berlin« r Museum befindliche Vina der Kandha (Koudh) stimmt 



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sogar in der Art der Befestigung der Resonanzkürbisse, die auch aas zwei 
Stocken besteben, wie in Afrika, ganz mit ihnen uberein. Hervorzuheben 
ist, dass die indischen Instrumente stets zwei Resonatoren haben, im 
Gegeusatz zu den afrikanischen, die sich mit einem begnügen. 

Es stände nun nichts im Wege, einen direkten Import dieses In- 
struments aus Indien nach der Sansibar-Küste anzunehmen; im Gegen theil 
Hesse die grosse Anzahl der in Ostafrika lebenden indischen Kaufleute 
diese Annahme sehr wahrscheinlich erscheinen. Da die Sese aber auch 
iu Madagaskar (hier Lokanga genannt) sehr verbreitet ist, so wäre es 
auch möglich, dass sie erst auf dem Umwege über diese Insel nach Ost- 
afrika gekommen ist, und in der That bezeichnet J. M. Hildebrandt in 
einer Bemerkung zu einer im Berliner Museum befindlichen Sese ans San- 
sibar das Instrument als ans Madagaskar eingeführt, und ebenso spricht 
Burton von der »madagassischen Sese«. ') In Madagaskar scheint übrigens 
die Lokanga nach Augaben von Ellis und Sibree 1 ) hauptsächlich von den 
Sklaven benutzt zu werden; da nun diese, zum Theil wenigstens, vom 
Festlande stammen, so wäre es auch möglich, dass sie das Instrument 
mitgebracht hätten. Dagegen schreibt Catat 1 ) die Lokanga speziell den 
Betsimisaraka zu, im Gegensatz zur Valiha, die er als Hova-Iustrument 
bezeichnet. 

Welches nuu auch der Weg der Sese gewesen sein, ob er über Ma- 
dagaskar nach Sansibar oder in umgekehrter Richtung geführt haben 
mag, jedenfalls ist Indien als Ausgangspunkt anzusehen. 

Weit Ungewisser steht es um das zweite Instrumeut, das Schalen- 
instrument. Sein Gebiet liegt, wie wir sahen, zwischen denen des 
Musikbogens im Süden und denen der Harfe und der Lyra im Norden ; 
westlich ist es von der Kongo-Provinz begrenzt, die, wie sich zeigen wird, 
eins der wenigen, ja vielleicht das einzige Saiteninstrument beherbergt, 
das sich sicher auf afrikanischem Boden ans dem Bogen und über den- 
selben hinaus entwickelt hat. Es liegt also an derjenigen Küste Afrikas, 
die, — abgesehen vom Nordrande — am meisten fremden Einflüssen aus- 
gesetzt gewesen ist. Die ganze Lage macht aber nicht den Eindruck, als 
ob wir es hier mit einem von der Seeseite her eingeführten Instrument 
zu thun hätten. Zudem scheinen derartige Instrumente in Südasien sehr 
selten zu sein — mir ist nur eine Abbildung eines solchen bei Ling Roth 
(The Natives of Sarawak and British North Borneo. London 1890. II, 
260) bekannt. Dasselbe besteht aus einem einfachen Brett mit 7 über 

•) Burton, Zanzibar. I, 430. 

') Ellis, History of Madagascar. London 1838. I, 272. Sibree, Madagascar and 
its people. 1870. S. 234. 

«) L. Catat, Voyage a Madagascar. Paria 1895. S. 275. 



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- 125 - 



2 Stege gespannten Saiten, gleicht also ganz dem in Abb. 37 dargestellten 
Instrument. Viel wahrscheinlicher ist es, die Entstehung dieser Instru- 
mente in Afrika zu suchen, und diese Wahrscheinlichkeit würde fast zur 
Gewissheit werden, wenn man die Ableitung der Schaleninstrumente von 
den Rohrinstromenten der Gruppe X als gesichert betrachten könnte, 
denn die Letzteren finden sich noch jetzt in unmittelbarer Nachbarschaft 
der Ersteren und zwar, was sehr bezeichnend ist, an der Südgrenze ihres 
Gebietes, also wieder einen Schritt näher zu dem kulturarmen Süden, der 
als einziges Saiteninstrument den Bogen besitzt. Wir hätten dann hier, 
wenn wir von der Mandingo-Guitarre mit ihrem etwas problematischen 
Ursprung absehen, das erste wirklich afrikanische Saiteninstrument ent- 
deckt. 

Das zweite finden wir in der Kongo- Provinz; die Kongo-Guitarre 
mit besonderen Saitenträgern für jede einzelne Saite darf man wohl uu- 
bedenklich als afrikanisch bezeichnen. Denn erstens spricht die geographische 
Vertheilnng auf einem ungeheuer ausgedehnten Gebiet, das sich in einzelnen 
auseinandergerissenen Fetzen von der ftunenc-Mündung bis zum oberen 
Niger erstreckt, für ein hohes Alter des Instruments, andererseits sind 
solche Guitarren eben nur aus Westafrika bekannt, so dass man kein 
anderes Land anführen kann, aus dem sie eingewandert sein konnten. 

Als Ergebniss dieser Erörterungen würde sich also zunächst in Bezug 
auf die Saiteninstrumente herausstellen, dass die Kongo-Guitarre und die 
Schaleninstrumente höchst wahrscheinlich, vielleicht auch die Mandingo- 
Guitarre in Afrika selbst sich aus dem Musikbogen oder, richtiger gesagt, 
dem Stabinstrnment entwickelt haben. Alle übrigen sind fremden und 
zwar asiatischen Ursprungs. Zum grössten Theil sind sie aus Westasien, 
zum kleineren aus Südasien gekommen; dabei bleibt die Frage offen, ob 
nicht in manchen Fällen diese Länder nur Durchgangs- und nicht Ur- 
sprungsgebiete sind. 

Wollen wir noch einen Schritt weiter thun, so stehen wir vor der 
Frage nach dem Ursprung der Saiteninstrumente überhaupt. Mau hat 
gewöhnlich, indem man den Musikbogen als das älteste Saiteninstrument 
betrachtete, es als selbstverständlich angenommen, dass dieser von dem 
als Waffe dienenden Bogen abzuleiten sei. Die äussere Aehnlichkeit ist 
offenbar — in der That sind einzelne afrikanische Musikbogen von Kriegs- 
and Jagdbogen nicht zu unterscheiden — und ein Uebergang von der 
einen Verwendung zur andern scheint auf der Hand zu liegen: der 
schwirrende Ton beim Abschiessen des Pfeils sollte den Schützen auf den 
Gedanken gebracht haben, den Bogen als Musikinstrument zu gebrauchen. 
Dabei ist als sicher vorausgesetzt, dass der Bogen in der That das iiiteste 
Saiteninstrument ist; in Wirklichkeit aber steht neben ihm das Monochord 



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aus einem geraden, nicht gebogenen Stab, und es lässt sich nicht ent- 
scheiden, welchem und ob einem von ihnen die Priorität gebührt. 

Bei der Frage nach Entstehung der Saiteninstrumente ist das Wesent- 
liche nicht die Erfindung des Bogens, sondern die Entdeckung, dass ein 
straff gespannter Faden einen Ton giebt, sobald er in Schwingungen ver- 
setzt wird. Es kann die Erfindung des Bogens als Waffe vorausgegangen 
sein und dann an diesem die erwähnte Entdeckung gemacht sein ; es kann 
aber auch eine bei anderem Anlass gemachte Beobachtung gewesen sein, 
die den Menschen zu dieser Erfindung leitete. Fäden und Fasern pflanz- 
lichen und thierischen Ursprungs hat der Mensch sicherlich schon lange 
vor Erfindung des Bogens zum Binden nnd Flechten verwendet; ist es 
nicht möglich, dass ein technischer Handgriff bei der Herstellung oder 
Verwendung der Fiiden zu der Entdeckung geführt hat? 1 ) Die Ableitung 
solcher Erfindungen aus einer tagtäglich geübten Technik hat jedenfalls 
viel voraus vor der Herbeiziehung von Zufälligkeiten, die sich zwar ein 
mit Phantasie begabter Kopf nachträglich ohne Mühe konstrniren kann, 
die aber in Wirklichkeit ebeu ihres zufälligen Charakters wegen raeist 
unbeachtet und daher wirkungslos bleiben dürften. 



Ueber die Entwickelung der Blasinstrumente ist nicht viel zu 
sagen; es ist klar, dass die einfachen Pfeifen ohne weitere Oeffnung als 
das Mundloch die primitivsten Formen darstellen, und dass die Entwickluug 
bei denjenigen Instrumenten, die nicht bloss zum SIgnalisiren, sondern 
wirklich zum Musiziren dienen, danach strebt, durch Vermehrung der 
Locher die Tüne zu vermehren. Die Formen haben nichts spezitisch 
Afrikanisches, sondern kommen ohne Ausnahme auch anderweitig vor; 
selbst die Pfeifen mit kreuzweiser Durchbohrung fiuden sich ganz ähnlich 
in Indonesien. 5 ) — -— 

Bei den Trommeln haben wir zunächst die Befestigung des 
Trommelfells ins Auge zu fassen. Aus der geographischen Verbreitung 

') L. Frobenius hat eine solche Erklärung versucht: „Um Streifen zum Binden zu 
erlangen, wird das Messer zwischen die Splitter geschoben. Das ist ein natürlicher Steg. 
Die Fiuger lassen den Streifen fahren ; die Saite erklingt." (Afrikanische Kulturen S. 275.) 
Ein der Valiha ähnliches Instrument aus Bambus wäre danach das älteste Saiteninstru- 
ment, und auch der Musikbogen eine Nachbildung desselben in anderem Material. So- 
weit lässt die Erklärung sich hören. Wenn aber Frobenius dann den Spiess umdreht 
und auch den Bogen als Waffe von diesem Bambuäinstrnment ableiten will, so scheint 
er mir damit die Grenzen des Wahrscheinlichen weit überschritten zu haben. 

*) R. Wallaschek (Primitive Music. London 1893. S. 90) hat, gestützt auf die 
prähistorischen Befunde, die Ansicht ausgesprochen, dass die Knochenflöte älter sei als 
die Rohrflöte; er übersieht hierbei, dass sich ans so alten Zeiten natürlich nur 
Gegenstände erhalten konnten, die aus widerstandsfähigem Material wie Knochen ver- 
fertigt waren. 



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- 127 — 

• 

geht hervor, dass die Befestigung durch Pflöcke in Afrika die ältere ist, 
während die Schnurspannung von Norden her eingedrungen ist. Man 
könnte die letztere auch als ägyptisch ansehen, denn im alten Aegypten 
waren die Trommeln auch durch Schnüre gespannt. 1 ) Diese Annahme 
hat in der That viel Wahrscheinliches für sich, wenu man bedenkt, dass 
auch der grösste Theil der nordafrikanischen Saiteninstrumente aus oder 
über Aegypten eingewandert sind. Sicher ist jedenfalls die Ausbreitung 
der Schnurspannung von Norden nach Süden. 

Ein paar andere Thatsachen lassen ebenfalls darauf scbliessen, dass 
einst die Befestigung des Trommelfelles durch Holznagel weiter nach 
Norden gereicht hat als heutzutage. Das ist einmal die schon oben S. 93 
erörterte Thatsache, dass einzelne Fälle dieser Befestigungsart noch jetzt 
mitten im Gebiet der Schnurspannung gefunden werden, was als lokal er- 
halten gebliebene Uebung eines einst allgemein beobachteten Verfahrens 
zu deuten wäre. Der entgegengesetzte Fall — vereinzeltes Vorkommen 
von Schnurspannung im Gebiet der Annagelung — scheint dagegen über- 
haupt nicht vorzukommen. Zweitens aber möchte ich auf eine ebenso 
zu deutende Erscheinung aufmerksam machen, nämlich darauf, dass auch 
in Gegenden, iu denen die Trommelfellspannung durch Schnüre herrschend 
ist, doch an den Resonanzböden der Saiteninstrumente das Fell sehr 
häufig, stellenweise, wie in Oberguinea und dem westlichen Sudan, ganz 
überwiegend, durch Pflöcke befestigt wird. Man kann nicht annehmen, 
dass von vornherein bei den Saiteninstrumenten die Aupflöckung, bei den 
Trommeln die Schnurspannung in Gebrauch gewesen sei, vielmehr muss 
eine von ihnen später uufgetreten sein, und das kann nur die Schnur- 
spannung sein, die au nordafrikanischen Trommeln kennen gelernt und 
an Trommeln auch zuerst und hier und da noch heute ausschliesslich, 
angewandt wurde. 

Die Keilspaunung ist doppelt räthselhaft, sowohl in ihrer so äusserst 
beschränkten Verbreitung als in ihrem Ursprung. Man kann weder über 
ihre Entstehung noch über ihre Heimath etwas Bestimmtes behaupten. 
Eine höchst auffallende Thatsache ist es, dass diese Trommelspannung, 
die hier im Westen Afrikas auf engem Gebiet vorkommt, ausserdem noch 
in Indonesien eine weite Verbreitung besitzt. Es ist das eine der That- 
sachen, auf die L. Frobenius seine Theorie der malaio-nigritischen Kultur 
gegründet hat. Wenn er damit nur die Gleichartigkeit gewisser Kultur- 
elemente in Indonesien und eiuigen Theilen von Afrika hätte bezeichnen 
wollen, so wäre wenig dagegen einzuwenden; er schiesst aber meiner An- 
rieht nach weit über das Ziel hinaus, wenn er diese Kultur iu Südasien 
untetehen und von hier nach Westafrika eindringen lässt. 
V Wükinson I, Abb Ho. 224, 226-229. 



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- 128 — 



Wenn man nicht die mehrfache Erfindung zugestehen will, wiw ja 
angesichts der völligen Identität der Dinge in Asien und Afrika eiuiger- 
massen schwer fallt, so kann man meines Erachtens doch höchstens so 
weit gehen, die beiden gegenwartigen Gebiete der Keilspannung als 
Trümmer eines ehemaligen zusammenhängenden Kulturgebietes zu be- 
trachten. Ueber die Wandernngsrichtung der Kultur in so entlegenen 
Zeiten auf Grund einiger weniger Thatsacheu etwas aussagen zu wollen, 
erscheint mir sehr gewagt und nahezu hoffnungslos. 

Etwas anders verhalt es sich mit der zweiten, in Oberguinea heimi- 
schen Spielart der Schnurspannung, der Schnur-Pflock-Spannung. 
Frobenius 1 ) leitet dieselbe von der Keilspannung ab; anstatt den Keil 
unter den Rotangring zu treiben, an dem die Spannschnüre endigen, habe 
mau ihn des besseren Haltens wegen in die Trommel wanduug selbst ge- 
schlagen. Der Rotangring Bei dadurch überflüssig geworden; trotzdem 
hätten die Trommeln noch immer dicht unterhalb der Pflöcke eineu er- 
habenen strickartig geschnitzten Ringwulst, eine Nachahmung des alten 
Rotaugringes. Hiereu ist zunächst zu bemerken, dass der Ring durchaus 
nicht immer >strickartigc geschnitzt ist (nur bei etwa einem Viertel der 
Trommeln des Berliner Museums ist eiue solche Schnitzerei zu bemerken); 
die Existenz des zwecklosen Ringes selbst ist aber nicht zu leugnen, ob- 
wohl auch er nicht in allen Fällen vorhanden ist (vgl. z. B. Abb. 140). 
Nun giebt es aber auch Trommeln, bei denen die Pflöcke fehlen, der 
Ring aber mit Löchern versehen ist, durch die die Spannschnüre gezogen 
sind (Abb. 130). Will man diese Trommeln auch in das Frobenius'sche 
Schema einfügen, so tnuss man sie als Endglied der Entwicklung auf- 
fassen: die Pflöcke sind zum Schluss ganz weggefallen und der Ringwulst 
selbst wird zur Befestigung der Schnüre benutzt. Diese Entwicklung er- 
scheint ja ziemlich plausibel; es zeigt sich aber die Schwierigkeit, dass 
in Indonesien zwar Trommeln mit Keilspannung und mit durchbohrtem 
Ringwulst (das Berliner Museum besitzt solche aus Nias) vorkommen, dass 
aber das angebliche Zwischenglied, die Schnur- Pflock-Spannung, fehlt 
Letzteres raösste also entweder nachträglich verschwunden oder die 
Entwicklung müsste an beiden Orten verschiedene Wege gegangen seiu. 
Ferner fiudet sich aber in Oberguinea und dem westlichen Sudan 
auch die Aupflöckung, wie Abb. 105 und die oben citirteu Abbildungen 
bei Gray beweisen, neben der herrschenden Befestigungsart. Bei der 
Anpflöckung schon ist das Loch des Felles, in dem der Pflock steckt, 
oft sehr gross und der um den Pflock geschlungene Fellstreifen stark 
nach unten gezogen} denkt man sich letzteren nun durch eine besondere 

») Afrik. Kult. S. 169. 



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Schnur ersetzt, so hat man die in Togo übliche Spannungsweise erhalten, 
ohne erst das Mittelglied der Keilspannnng heranziehen zu müssen. Es 
scheint mir daher sehr möglich, dass die besprochenen beiden Abarten 
der Schnnrspannnng trotz ihrer unmittelbaren Nachbarschaft gar nicht 
direkt mit einander zusammenhängen, sondern verschiedenen Entwicklungs- 
reihen angehören. 

Wir haben oben bei der Beschreibung der Trommeln (S. 47) zwei 
Haupttypen unterschieden, Röhrentrommeln und Gefässtrommel n. 
Erstere sind entweder cylindrisch, zuweilen sehr unregelmässig, ent- 
sprechend dem schlecht gewachsenen Baumstamm, der zu ihrer Her- 
stellung gedient hat '), oder sie verjüngen sich nach einem Ende, so dass 
sie die Gestalt eines Kegelstampfs bekommen, oder sie werden tonnenförmig. 

Wenn die Röhrentromniel ihre Form direkt dem Baumstamm ver- 
dankt, durch dessen Aushöhlung sie entstanden ist, so kann man die 
Geiasstrommeln auf die Frnchtscbale zurückführen. Thatsächlich sind 
Trommeln aus der Schale des Flaschenkürbis oder anderer Früchte sehr 
verbreitet (vgl. Abb. 115). Die Fruchtschale wird dann in Holz, später 
auch in Metall nachgebildet. So entsteht die Kesselpauke der Nord- 
afrikaner. . Wo es darauf ankommt, rasch eine Trommel herzustellen, da 
überzieht man wohl auch irgend ein Gefäss, einen Topf, einen Stampf- 
mörser oder dergl., mit Haut und verwandelt sie in provisorische Trommeln. 3 ) 
Und dass überhaupt bei der Herstellung von Trommeln die schon vor- 
handenen und vielfach gearbeiteten Formen von Gefässen nachgebildet 
werden, ist nicht verwunderlich. Man braucht deswegen allerdings die 
Entstehung der Trommeln nicht gerade dadurch zu erklären, dass man 
die Mörser und ähnliche Haushaltungsgeräthe mit Fell überspannen lässt. 3 ) 

Bei manchen Trommeln kann man im Zweifel sein, ob man Röhren- 
trommeln vor sich hat oder Gefässtrommelu, die nachträglich mit einer 
Scballöffnung versehen worden sind. So z. B. bei den Trommeln der 
Wakinga (Abb. 129) oder der Magungo-Trommel (Abb. 107) oder der 
ägyptischen Darabuka, die man ebensowohl als Röhren trommeln mit 
erweitertem oberen Theil, wie als Gefässtrommelu (ähnlich der Wapare- 
Trommel, Abb. 116) mit einem Fuss, der der Länge nach durchbohrt ist, 
auffassen kann. Indens ist diese Frage von ziemlich geringem Interesse. 

Man hat auch bald das Bedürfnis empfunden, die Trommeln möglichst 
bequem tragbar und aufstellbar zu machen. Dem ersten Zweck dienen 
Bänder aus Leder oder Schnüren, bisweilen auch hölzerne Henkel (Abb. 121, 
124) oder stielförmige Handgriffe wie bei der Wapare-Trommel Abb. 116. 

•) Vgl. die Abb. einer l'schaarhi-Tronunel bei Kollmann, Fig. SCv» (S. 143). 

*) So bei Hottentotten und BuMhiiiifnnern (Lichteosteiu II, &49: Borchel I II, 65). 

•) Vgl. L. Frobenius, Afr. Kult. S. 11«. 

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- 130 - 



Dem zweiten Mangel wird durch Anbringung eines Fusses abgeholfen, und 
diese geschnitzten Füsse sind es zum grossen Thefle, die die grosse Mannig- 
faltigkeit der Trommelformen verursachen. 

Wichtiger als der Trommelkörper, der nur als Stützapparat dient, 
ist das Trommelfell. L. Frobenius sieht in der Fellbearbeitung den 
Ursprung der Felltrommel; das laute Geräusch, das beim Bearbeiten 
des aufgespannten roben Felle3 entsteht, habe den Anlass gegeben, 
e» über einen Morser oder ein anderes Gefäss zu spanneu, und so 
die Entstehung der Felltrommel verursacht. Diese Erklärung aus der 
Technik ist sehr plausibel, und ich würde kein Bedenken tragen, mich 
derselben anzusch Hessen, wenn ich sicher wäre, dass auch die Eidechsen- 
nnd Schlangenhaut, die so häufig zur Trouimelbespanuung gebraucht 
wird, ebenso gewalkt wird wie das Fell von Rindern oder Ziegen. Denn 
sonst müsste man annehmen, dass Eidechsenhaut erst sekundär Verwendung 
gefuuden hat, was im Hinblick z. B. auf Melanesien, wo es nur Trommel- 
felle aus Eulechseohaut giebt, nicht sehr wahrscheinlich ist. 

Für einige .Trommeln könnte man übrigens an einen ganz anderen 
Weg der Entstehung denken. Die Handtrommel der Wapare (Abb. 116) 
enthält Steinchen oder ähnliche klappernde Gegenstände, und ebenso be- 
findet sich in den Sandubrtrommeln am unteren Niger uach Day ') ein 
Stein. Diese Trommeln dienen also zugleich als Klappern. Man könnte 
sich daher denkeu, dass zunächst nur die Absicht bestand, eine Rassel 
herzustellen, ähnlich den so häufigen Rasseln aus Kürbisschale, dass man 
hierzu eine halbirte Fru< ht mit Haut überzog und bei dieser Gelegenheit 
die treffliche Verwendbarkeit der gespannten Haut zu Lärminstrumenten 
entdeckte. Endgiltig lässt sich die Frage, was hei dieseu Zwitteriustrumenteu 
das Primäre ist, Rassel oder Trommel, natürlich nicht entscheiden. 

Muss so das Problem der Erfindung der Felltrommeln z. T. im 
Dunkeln bleiben, so ist die Entstehung und Entwicklung der 
Schlaginstrumente im Allgemeinen um so klarer. Alle diese In- 
strumente dienen — mit alleiniger Ausnahme der Marimba — nur dazu, 
den Rhythmus zu markiren; ihre sonstigen Verwendungen, z. B. zum 
Signalisireu und Telephoniren, sind sekundärer Natur. Sie sind daher 
unentbehrlich überall da, wo es sich um die Begleitung rhythmischer 
Bewegungen handelt, also hauptsächlich beim Tanz, der ja eine so grosse 
Bolle im Leben der Neger spielt, aber auch bei gemeinsamer Arbeit. 
Das einfachste Werkzeug zum Angeben des Taktes sind die Hände; takt- 
mässiges Händeklatschen der Zuschauer begleitet fast überall den Tanz. 
Die Hand ersetzt dann ein wirkliches Werkzeug, zwei Hölzer, die gegen 

') Bei Mockler-Ferryroan S. 270. 



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einander geschlagen werden. Diese Klanghölzer sind der Ausgaugspunkt 
für die ganze Reihe der Schlaginstrumente. Nimmt man statt des einen 
Stabes eine Fruchtschale, die man mit dem anderen Holze schlägt, so hat 
man die Urform der klöppelloseu Glocke. An Fruchtschalen oder hohlen 
Rohren (Bambus etc.) dürfte wohl die Beobachtung zuerst gemacht worden 
sein, dass Hohlkörper beim Anschlagen einen lauteren Ton geben, als 
solide. Dieser Beobachtung verdanken alle die Glocken aus Holz und 
Eisen, sowie die Holztrommeln, ihr Dasein. Aus den klöppelloseu ent- 
wickelten sich später die echten Glocken, indem man den Schlägel, mit 
dem die Glocke von aussen geschlagen wurde, im Hohlraum derselben 
befestigte. 

- 

Neben den Glockeu her gehen als eine zweite Entwicklungsreihe die 
Holztrommeln, im Princip nichts auderes wie jene, nur durch Gestalt und 
Grösse unterschieden. Ob die Holztrommel aus dem Klangrohr aus Bam- 
bus hervorgegangen ist, wie L. Frobeuius meint, lasse ich dahingestellt. 
Man braucht deswegen noch nicht die Erfindung derselben in Afrika zu 
leugnen und nach Indonesien zu verlegen, wie es der genannte Schrift- 
steller tbut, der verächtlich von den »paar Bambusstauden, die in Afrika 
wachsen« spricht. Ein gemeinsamer Ausgaugspunkt für alle Holztrommeln 
ist mir allerdings gleichfalls wahrscheinlich angesichts der erstaunlichen 
Gleichartigkeit und Uebereinstimmuug auch in Details iu dem gesammten 
Verbreitungsgebiet, das sich von Westafrika bis Polynesien, ja bis Centrai- 
Amerika erstreckt. Vorläufig muss man sich aber damit begnügen, das 
— freilich sehr lückenhafte — Vorkommeu der Holztrommel auf diesem 
ungeheuren Raum zu konstatiren, muss aber die Beantwortung der Fragen, 
wo und wann dieselbe erfunden sei und wie sie sich über dieses Gebiet 
ausgebreitet habe, ob durch Völkerwanderungen oder durch Uebertragung 
von Stamm zu Stamm, späteren Forschungen überlassen. 

Eine besondere Stellung abseits von den bisher geschilderten Ent- 
wicklungsreihen nimmt die Mariniba ein, das höchstatehende Schlag- 
instrument, das einzige, das man als Musikinstrument in uuserem Sinne 
bezeichnen kann. Sie führt direkt auf den Klangstab zurück, denn sie 
ist nichts anderes als eiue Zusammenstellung von abgestimmten Klang- 
stäben, auf denen man nun eine Melodie spielen kann, wie man es auf 
einer Anzahl abgestimmter Trommeln auch thun könnte. Die Marimba 
hat ebenfalls eine weit über Afrika hinausgehende Verbreitung ; sie findet 
sich auch in Iudien und im malaiischen Archipel, hier häufig mit Metall- 
platten statt der Klanghölzer. Ich glaube aber nicht an die Einführung 
der Marimba von Asien nach Afrika, halte es vielmehr für wahrschein- 
licher, daas sie an beiden Orten selbständig erfunden worden ist Der 

asiatischen Marimba fehlen nämlich die Resonatoren, die bei den afrika- 

9* 



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132 - 



machen unter jeder Taste hängen; die Klangplatten ruhen vielmehr auf 
einem Kasten, der ala gemeinschaftlicher Resonanzboden dient. Es sieht 
also so aus, als wenn wir in der afrikanischen and der asiatischen Marimba 
zwei unabhängige Lösungen der Aufgabe vor uns hätten, den Ton der 
Klangplatten zu verstärken. Auffällig ist es ferner, dass die Marimba 
in Madagaskar fehlt, wo man sie am ehesten erwarten sollte, wenn sie 
wirklich aus Indonesien stammte. Die unvollkommene Marimba ohne 
Resonatoren, wie die Vilangwe der WabondeY und die Madinda der 
Waganda, ist jedenfalls ein uralter Kulturbesitz; ob sie heute noch in 
Südasien vorkommt, weiss ich nicht, dagegen treffen wir sie weiter im 
Osten wieder an, z. B. auf Neu Britannien. 1 ) 



Das Ergebniss dieser Erörterungen ist kurz zusammengefasst folgendes: 
Zwei Proviuzen, die neunte und die zehnte, tragen einen vollständig 
asiatischen Charakter, die vierte, siebente und achte Provinz haben 
Musikinstrumente, die den altägyptiscben nahe verwandt sind, also in 
letzter Instanz wohl auch aus Asien stammen, die Instrumente der zweiten, 
dritten, fünften und sechsten Provinz kann man in der Hauptsache als 
afrikanisch bezeichnen, ebeuso die der ersten Provinz, die sich durch eine 
ausserordentliche Armutb auszeichnet. Diese Charakteristik ist natürlich 
nur im Allgemeinen stichhaltig, denn, wie wir gesehen haben, schiebeu 
sich die Grenzen der Instrumente oft über einander und bilden Zonen 
gemischten Charakters. 

Dass die Entstehung der nordafrikanischen Provinz ein Ereigniss von 
verhältnissmassig neuerem Datum ist, haben wir schon oben (S. 117) ge- 
sehen; vor dem Eindringen des Islam müssen also die Instrumente der 
angrenzenden Provinzen (VI, VII, VIII) weiter nach Norden gereicht 
haben. Das führt uns in das Alterthnm, aus dem wir ja wenigstens Tür 
Aegypten die Bestätigung dieser Anunhme besitzen. 

Das vor den heute in Nordafrika herrschenden Iiistrumeuten letzt 
eingewanderte ist die Lyra. Die Zeit ihrer Einwanderung iu Aegypten 
lässt sich ziemlich genau bestimmen. Das Grabgrmälde von Beni Hassan, 
auf dem die Lyra zum erstenmal in den Händen eines Tribut bringenden 
Semiten erscheint, stammt aus der Kegierungszeit des Königs Userteseu II. 
Setzen wir dieselbe mit Wilkinson um 1G50 v. Chr. an, so wurde die 
Lyra also im 17. vorchristlichen Jahrhundert in Afrika eingewandert 
sein. In 35 Jahrhunderten wäre sie nicht weiter als bis zum Victoria 
Nyansa vorgedrungen. 

») 0. Fmscn, Etlin. Erfahrungen «. Belegstücke aus der Südsee. I. Abtb. (Ann. d. 
K. K. NaturüUt. Ilofrouseuro*. III. 1888. S 110). 



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- 133 - 



Haben wir uns bisher noch halbwegs im Lichte der Geschichte be- 
wegt* so tappen wir in die tiefste Finsterniss der Prähistorie, sobald wir 
noch einen Schritt rückwärts wagen. Vor der Lyra muss die Harfe von 
Aegypten her in Centraiafrika eingewandert sein, aber über diese allge- 
meine Zeitangabe hinaus lässt sich nichts Weiteres sagen. Auf eine be- 
merkenswerthe Thatsache aber, die schon mehrfach im Laufe dieser Ab- 
handlung berührt worden i?t, muss hier im Auschluss an die Harfe noch 
einmal eingegangen werden. 

Die Harfe findet sich heute in Centraiafrika und in Hinterindien 
(Birma); 1 ) in dem ganzen dazwischeuliegeuden Gebiet scheint sie ver- 
schwunden zu sein. Dass sie früher in Nordafrika und in Westasien 
(Assyrien) vorgekommen ist, wissen wir bereits; aber auch in Persien ist 
sie einmal im Gebrauch gewesen und auch Vorderindien hat sie einst 
gekannt, wie häufige Darstellungen auf altindischen Reliefs beweisen. 3 ) Es 
hat also eine Zeit gegeben, wo das Gebiet der Harfe den ganzen unge- 
heuren Raum vom innersten Afrika bis Hinterindien umfasste. Da heute 
die Harfe sich nur an den äussersten Enden dieses Landgürtels findet, so 
kann man schliessen, dass ihre Verdrängung etwa in der Mitte, also in 
Vorderasien, begonnen hat und von hier aus nach beiden Seiten fortge- 
schritten ist. 

Nun ist die Harfe nicht das einzige Instrument, dessen Verbreitung 
diese merkwürdige Erscheinung zeigt. Ebenso finden wir die Holztrommel 
nur in Westafrika einerseits, Indonesien und Oceanien andererseits; ähn- 
lich ist die Verbreitung der Mariiuba; Rohrhalmcithern, genau so, wie 
wir sie aus dem Nigergebiet kennen (Abb. 48), kommen in Südindien 
vor; die in Kamerun übliche Keilspannung treffeu wir wieder in Indonesien 
bis zum westlichen Neu Guinea hin; die Anpflöcknng des Trommelfells 
in der Südhälfte von Afrika und dann wieder in Hinterindien (Siam, 
Tongkiug) und den kleinen Sunda-Iuselu. Diese Verbreitungsart nnd ihre 
mehrfache Wiederkehr machen jedenfalls den Eindruck, als wenu wir in 
den jetzigen Gebieten nur Ueberreste früherer grösserer Verbreitnngszonen 
vor uns haben, die durch einen Stoss in der Mitte auseinander gerissen 
wurden. Aber nur von einem der aufgezählten Instrumente, der Harfe, 
besitzen wir Beweise für den ehemaligen Zusammenhang der jetzt weit 
getrennten Verbreitungsgebiete: nur aus der Thatsache der gleichen oder 
ähnlichen räumlichen Vertheilung denselben Schluss auch für die übrigen 

•) Vgl. die Abbildung einer birmanischen Harfe bei Fetts II, 336. 

*) Vgl. %. B. : Cole, Preservation of National Monuments, India-, (iraoeo Buddhist 
gculptures fron» Ynsufzai. 1885. PI. 11 u. PI. Iii, Fig. 1. GrOnwedel, Buddbiatische 
Kunst in Indien 2. Aufl. 1U0O. Abb. Nr. 1 



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— 134 — 



Instrumente zu ziehen, erscheint mir vorläufig allzu gewagt. Die Ereig- 
nisse, die das gegenwärtige Bild der Verbreitung geschaffen haben, 
müssen sich ohne Zweifel in Asien abgespielt haben, und nur auf 
asiatischem Boden sind diese Fragen zu losen; hoffentlich wird diese 
Lücke bald durch eine Untersuchung der asiatischen Musikinstrumente 
ausgefüllt und das über ihrer Geschichte liegende Dunkel gelichtet. 



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Ein anderes Quauhxicalli. 



Im ersten Heft des zweiten Bandes dieser Blätter habe ich ein 
schönes Steingefäss der amerikanischen Sammlung des Königlichen 
Museums für Völkerkunde beschrieben, das auf der Innenseite des 
Bodens das Bild der Sonne, mit dem Zeichem naui olin »vier Be- 
legung« in der Mitte, auf der Unterseite des Bodens das Bild der 
Erde zeigt, die Kröte, die mit aufgesperrtem Rachen das Steiumesser, 
d. h. das Licht, verschluckt (bzw. ans ihrem Munde entlässt), und die 
als Göttin mit dem citlalcueitl dem »Sternenweiberröckcben«, dem 
rasselnden Gürtelbehang aus an geflochtenen Riemen hängenden 
Schneckecgehäusen, bekleidet, im Uebrigen mit allerhand Todessymbolen 
ausgestattet ist. Zu dem, was ich dort über jenes Gefäss gesagt habe, 
habe ich noch einiges hinzuzufügen: — 




Ab)>. 1. 1 , n»t. V,r. 



— 136 — 



Ich habe meinen Aufsatz dort mit der Bemerkung geschlossen, dass 
mir nicht bekannt wäre, ob noch andern Orts eine Schale, ähnlich der 
des ßerliuer Museums, existirt. Ich wuss bekenueu, dass ich hätte 




Ai.tr. 2. »/i nat. Or. 



wissen müssen, dass es in der That noch eine andere ganz ähnliche 
giebt, von der ich, — was mir entfallen war — sogar eine Photographie 
besass. Es ist das schöne Stuck der ehemaligen Philipp A. Becker'schen 




AM». 3. '/ 3 nat ür. 



Sammlung in Darmstadt, das ich hier in der Abb. 1 — 3 in halber natür- 
licher Grösse wiedergebe, und das, mit der ganzen Becker'schen Samm- 
lung, sich jetzt im K. K. naturhistorischen Hofmnseum in Wien befindet. 



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Ein Vergleich dieser Abbildungen mit den in Heft 1 auf Seite 17, 18, 19 
gegebenen Bildern zeigt auf den ersten Blick, dass hier durchaus ähnliche 
Stücke vorliegen. Ein Unterschied besteht aber doch zwischen dem 
Steingefäss des Berliner Museums und dem der Philipp A. Becker'schen 
Sammlung. In dem Berliner Stück ist über den Adlerfedern, die in dem 
Relief der Aussen wand zu erkennen sind, ein Krauz von Herzen dar- 
gestellt, die in umgekehrter Stellung, mit dem Aortenende nach unten 
an einander gereiht, den eigentlichen Rand des Gefässes bilden, und die 
wir in ganz gleicher Weise in gewissen farbig ausgeführten Bildern au 
Opferblutgefässen des Codex Borbonicus, ebenfalls den Rand bildend, 
dargestellt finden. In der Steinschale der Philipp A. Becker'schen 
Sammlung fehlt ein solcher Kranz von Herzen. Das Relief der Aussen- 
seite (s. Abb. 3) zeigt nur die in konventioneller Weise mit einem starken 
Mittelkiel und einem Daunenfedeibüschel am Grunde gezeichneten 
Adlerfedern. Die oberen Spitzen dieser, etwas nach innen sich ein- 
biegend, bilden hier den eige ntlichen Rand des Gefässes. 

Diese Abweichung ist nicht ohne Interesse. Sie lehrt uns, dass der 
Kranz von Herzen nur ein accessorisches Element in der Verzierung dieser 
Gefüsse darstellt, dass die wesentlichen Elemente — neben dem die 
Innenseite bedeckenden Sonnenbilde und seinem Widerspiel, der Erdkröte 
— die die Wandung der Aussenseite verzierenden Adlerfedern sind, 




Abi.. .1. 



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138 - 



die ja auch, wie ich in meiner vorigen Mittheilung hervorgehoben habe, 
das Wort quauhxicalli » Adlerschale«, die technische Bezeichnung dieser 
Gefässe, hieroglyphisch zum Ausdruck bringen. Und so ist es mir auch 
klar geworden, worauf Herr Wilhelm von den Steinen zuerst meine Auf- 
merksamkeit lenkte, dass gewisse Thongefässe der Herrmann Strebel'schen 
Alterthum6sammlung, deren Aussenseite in der untern Hälfte mit dunkler 
Eisenoxydfarbe überzogen ist, währfnd die obere in bunter Bemalung 
dieselben konventionell gezeichneten Adlerfedern zeigt (vgl. Abb. 4), eben- 
falls als Opferblutschalen, als quauh x icalli, zu bezeichnen sind. 
Und damit bat sich mir eine von Hermann Strebel schon lange ausge- 
sprochene Vermuthung, dass die mit dunkler, blutrother Eisen oxyd färbe 
überzogenen Thongefasse seiner Sammlung als Opferblutschalen aufzufassen 
seien, bestätigt. 

Wie in Bezug auf die Verbreitung dieser Gefässe, möchte ich auch für 
meine in der vorigen Mittheilung gemachten Angaben über die Deutung 
der Figuren eine kleine Aenderung eintreten lassen. Ich habe die auf 
der Unterseite dieser Steinschalen dargestellte Figur als das Bild der Erde 
bezeichnet, als »die Kröte, die mit aufgesperrtem Hachen das Steinmesser, 
d. b. das Licht, verschluckt«. Ich hätte statt dessen sagen, oder wenigstens 
hinzufügen sollen, »die aus ihrem aufgesperrten Rachen das Steinmesser, 
d. b. das Licht, entlässt«. Es war mir damals schon bekannt, dass diese 
selbe Gestalt der Erdkröte, zwar kleiner und weniger sorgfältig ausge- 
führt, aber durchaus in derselben typischen Weise gezeichnet, auch auf 
sämmtlichen Blättern des Tonalamatls des Codex Borbonicus zu sehen ist 




Al.h. 8. 

(vgl. Abb. 5). Aber es ist mir erst nachträglich klar geworden, dass 
die Reihe der Gestalten, in denen hier die Erdkröte die zweite Stelle 
einnehmend dargestellt ist, den dreizehn Stunden des Tages entspricht, 



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- 139 - 

und dass die Erdkröte selbst, oder der Erdracben, die Zeit des Sonnen- 
aufgangs bezeichnet, also die das Steinmesser, d. h. das Licht, 
aus ihrem Rachen entlassende Kröte zur Anschauung bringen muss. ') 
Es fügt sich bei dieser Deutung die Gestalt, die wir auf der Unterseite 
dieser Steinschalen sehen, noch viel hesser in den Rahmen der Vor- 
stellungen, die sich mit diesen Gerathen selbst und den übrigen auf ihnen 
angebrachten Verzierungen verknüpfen. Diese Schalen waren, wie ich in 
meiner vorigen Mittheilung ausgeführt habe, dazu bestimmt, das Blut der 
Opfer aufzunehmen und es den verschiedenen, an verschiedenen Stellen der 
Stadt aufgestellten Idolen darzubringen. Sie sind mit Adlerfedern und 
mit dem Bilde der Sonne verziert, weil die Seelen der Geopferten zur 
Sonne gingen. Und sie tragen, wie ich jetzt hinzufügen kann, auf der Unter- 
seite das Sinnbild der eben dem Erdrachen entsteigenden Sonne, weil diese 
Seelen der Geopferten in der Region des Sonnenaufgangs, in dem Ost- 
himmel, ihren Wohnsitz hatten. 

Steglitz, Februar 1901. 
Ed. Seier. 

') Vgl. »das Tonalaraafl der Aubin'schen Sammlung". Auf Kosten Sr. Exc. des 
Herzogs von Loubat herausgegeben, mit Einleitung und Erläuterungen von Dr. Eduard 
Seier. Berlin 1900. S. 35. 



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Die Berührungspunkte der physischen Psychologie 

mit der noetischen 
(auf dem Bereiche der Ethnologie). 



Mit dem »Gesotz von Erhaltung der Kraft« haben im heutigen »Zeit- 
alter der Naturwissenschaften« die darin gepflegten Disciplinen ihren 
Trumpf ausgespielt, und auf de ra zugehörigen Bereich das Spiel gewonnen. 
Die Einheitlichkeit der Natur- (oder Wt*lt-)anschauuug ist hergestellt p. 
t., um in der Umschau des Draussen den Bedürfnissen des, im Denken 
immanenten, Caiu-alitätsprincips sobezüglich zu genügen. 

Angestrebt war dieses Ziel von jeher gewesen, mit dem Tao (Laotse's), 
mit Brahina's Vastu (in »Substantia«), mit dem aus dem Luftraum durch- 
wehenden Pneuraa (b. Anaximenes), mit einem weltseelerischen Panthe- 
ismus (und Panspychismus) weiterhin, und (zu radicalerer Lösung (oder 
Löschung) dieser brennenden Frage] mit (Heraklit's) Tdtp dzt'imv oder 
[nachdem Aristoteles' »Kinesis« (von dem »Unbewegt- Bewegenden« her) 
hinzugetreten gewesen] mit dem meu/ta evMepfitv (der Stoa), um Galilei's 
Fassung der Wärme als Bewegung soweitig zu antieipiren, für Umsetzung 
der Kräfte; unter deren Energieen in einander (aus ihren Wechsel- 
beziehungen). Da jedoch die, zur Rückführung des absoluten Werdens 
(wo zävza jiti, unterschiedlos) auf ein relativ differenzirbares Ausgestalten, 
benöthigten, Einblicke (in genauere Details) der Classicitat ermangelten 
(auch bei peripatetischer Epagoge), blieb es beim Wortschall sentenziös 
gegliederter Phrasen. 

Auf das All hinblickend, mochte Xenophanes die ihn stachelnden 
Fragen durch den Einheitsbegriff (unter der Controverse des >Deus sive 
Natura«) vorläufig beruhigen (elg tov oÄov wjoavttv dno^ki^a^. tu sv eivai (f ^at 
tov &eou), aber so oft man damals, bei den in der Umwelt verlaufenden 
Processen, an die Einzelheiten näher herantrat, verblieben Rathselfragen 
überall, denen eine zutreffende Beantwortung mangelte. 

Dadurch wurde jener, für die occidentalische Culturgeschichte be- 
deutungsvolle, Wendepunkt herbeigeführt, der die Philosophie »vom Himmel 
zur Erde« (s. Cicero) gebracht hat, während der sinische Weise sich 



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mit dem Hienieden begnügte. »Du kennst die Erde noch nicht, wie 
wolltest Da den Himmel durchforschet)«, corrigirte Confucius seinen Schüler, 
der, von Neagier gequält, jene Fragen zn stellen dachte, derentwegen der 
jugendliche Epikur vom Grammatodidaskalos an die Philosophen verwiesen 
worden war. 

Ais, synchronistisch fast mitseinein ostasiatischen Rivalen (-{- 478 a. d.\ 
der griechische (Philo-)Sophos (-f- 399 a. d.) auf seine Sterbestunde sich 
vorbereitete, um über das Geheimniss des Lebens und des Todes zu medi- 
tiren, legte er dar (in den Gesprächen mit den um ihn versammelten 
Jüngern), dass ihn die Naturbetrachtungen ») (und naturwissenschaftlichen 
Abhandlungen) der Physiker (unter seinen hylozoistischen Vorgängern) 
unbefriedigt gelassen hätten: dass sie nicht genügten, um einzudringen 
in den »Kern der Natur« (die dat/wvta brjjwc), sondern dass vorher das 
Denken selber erforscht 3 ) sein müsse; der treibende Factor in all diesen 
Epiphanien einer phänomenalen »Welt der Vorstellungen« (um die Noou- 
mena anzureichen). 

Und so (im Anschluss an peri patetische xtvymz) wurde für die, in 
ihrem »Sichselbstbewegen« als äHuvazo; (und dvwteHptK) erwiesene, Seele 
[eine lebendige C«wy), in ihrem Leben] die Ursächlichkeit (unter den 
airiat) auf Plato's (prototypische) dpffiwrot zurückverlegt: in die dpffl* als 

i) „Naturwissenschaft wird uns niemals das Innere der Dinge, d. h. dasjenige, 
was nicht Erscheinung ist, aber doch zum obersten Erklärungsgrund dienen kann, ent- 
decken" (s. Kant) und braucht dies auch nicht, so wenig, dass es, wenn „angeboten" 
vielmehr „auszuschlagen" wäre (um bei den .Erfahrungen" zu verbleiben). Und da 
nun der (seit Galilei) eingeschlagene Weg der „Erfahrungen" in seiner „Instauratio magna" 
(9. Bacon) beim Aufbau eines „Novum Organum" — schrittweis (mit Consolidirung jeden 
Fossauftritta) — , von der Physiologie zur Psychologie gelangt, jetzt auch die Noologie 
zn betreten im Begriffe steht, wird dem Geistigen gleichfalls fortab erfahrungsgemäß geprüfte 
Speisung gewährt sein (ge^ndheitliehe also, zum besten Gedeihen). .Our whole kuowledge 
of tnind and matter is relative, conditioned — relatively conditioned; of things absolutely 
or in themselvts, be they external, be they internal, w»* know nothing or know them 
only as incognizable" (s. Hamilton), im n<»>; rt (b. Aristoteles), wie rationeller Forschung 
unterliegend (für die (Jausalverknüpfuug). Der Mensch ist nicht geboren, die Probleme 
der Welt zu lösen, wohl aber zu suchen, wo das Problem angeht und sich sodann in 
der Grenze des Begreiflichen zu halten (b. Goethe), nach dem (positivistisch) gezogenen 
Grenzstrich (der Erkciintnisstheorie), einem rationalistischen (in gesunder Vernunft), nm 
den Widerspruch der Antimonien zu vermeiden (ehe das Denken auf seinen Infinitesimnlcaleul 
noch nicht eingeübt ist). Das Problem ist dem „homo" (der „nihil hu man um a se 
alienum putat") vitalst gestellt in eigener Bestimmung, — eine pessimistisch so jammervolle, 
dass es besser erachtet wurde, nicht geboren zu sein (b. Euripides), wogegen anderer- 
seits (b. Anaxagoras) gemeint war: dem Menschen sei es besser zu existiren, als nicht, 
um den Himmel zu betrachten und die Harmonie der Welt [beim Schwelgen in (geistig) 
seligen Genüssen]. 

') Nachdem auf den physischen My**, der ethische (mit Sokrates) gefolgt war, kam 
(darch Pinto) die Dialektik hinzu (s. Diog. L.) und dann das Wortgerede (in „flatus vocis"), 
für Ramus' Rhetorik (um eine scholastisch vertrocknete Logik appetitlich zu machen). 



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(Anfaugs-) »Ursache«, über die (im Sonderfalle ausverfolgbare) dp/y rf? 
fiemßotifi hinaus; in eine dp/Jfj irptuTr) (und dem gordischen Knoten 
der Ursprungsfragen demnach einverschlungen). 

Aus den, abgetrennt iyutptarai) stehenden, Ideen 1 ) begann damit 
jene Idealwelt nieder zu strahlen, welche mit Plotin's Eklampsis auf die 
Emanationen der »Gnosis« übergeströmt ist, unter all den daraus fliessenden 
Phantastereien, wodurch die »Phantasie als Grundprincip des Weltproceases« 
(1877) ihr Wesen hätte treiben mögen, weun nicht in der Zwischenzeit 
die Ernüchterung*) der »Agnostiker« eingetreten wäre, mit (des Cusaner's) 
»Docta ignorantia« begnügt (»Iguoramus«), 

l ) Die Elemente (ant%ila) der Ideen sind (b Plato) iu ay/xx^a ot/y/inm (s. Herruo- 
dorus) niedergeschrieben, als w&ai (der Stoa) oiler „notitiae communes" ;b. Herbert 

Ch), aus (Reid'i) „common sense" (in Elementargedankeu); und so, aus naturnotb- 
wendigen Vuranlageu socialer Existenz, reden die Moralgebote, als >ö;tm äypatpiH, auf 
dem primären Niveau (des Wiidzustandsj diejenigen Gesetze, die bei dem Emporblühen 
der Cnltur uuter ethischen Normen sich niederzuschreiben haben, in normal correcter 
Form; wenn im (normal; gesundheitlichen Entwicklungsgang gezeitigt, o.ler (bei mangel- 
haftem Einblick in den Verlast' der Wachstbumsprocessej abnorm kraus wüstig zerfahren 
(in wild wachsendem Unkraut), und somit Ausheilung verlangend (ethnisch und ethisch). 

') Alle Fehler kommen von derjenigen Unwissenheit, in der man zu wissen meint, 
was man nicht weiss (s. Sokrates). Es ist die schmählichste Boruirtheit wissen zu 
meinen, was mau nicht weiss (s. Xeuophanes), und daraus folgen alle lrrthümer (im 
Gleichuiss der Dialogen), denn wer, ohue vou Kochkunst etwas zu verstehen, dem Koch 
in seio Handwerk pfuscht, hat es mit Indigestionen, in Folge schlecht bereiteter Speisen, 
zu zahlen, und wer den Anordnungen des Piloteu seinen Weisheitssenf beimengen zu 
müssen meint, gefährdet dessen Sicherheit uud seine eigene Der vom Orakel zu 
Delphi, als Weisester der Hellenen, bezeichnete Sohn der Hebamme Phaeuarete, wies in 
seiner Maieutik den Ne i- (oder Wiedergeborenen auf die Erfahrungen seiner Besseren 
und Aelteren hin, da mau vom Bekannten zum Unbekannten fortzugehen habe, — von 
den <ffu*o;u-.a zu den ö-lr/jt (b Anaxagoras) — , aiso zu beginuen mit dem eignen 
luneru tum zunäciist das als Werkzeug dieueude Deukeu keuueu zu lernen). Wie 
der jtiog.-te (und letzte) Reformer der Philosophie durch des Skeptikers Zweifel aus 
seiuem „dogmati.-chen Schlummer" aulgerüttelt ward, so war der classische Erstling auf 
dem Uebiete der We sheitslehre durch die noetische Lehre dessen, der als .Nüchterner" 
zwischen „Truukeue" eingetreten, auterwacht, um von den causae efficientes der in ihren 
Theor.en keine Befriedigung gewährenden Hylozoistru sich den causae finales (t»V o'j 
Enxu Serrig zuzuwenden; bis zu seines Schiiters überochwängliche Idealität. „W r er iu 
bastig rennt, überrennt das Ziel" (s. Shakspearej. Die uaturwissenschattlichen Disciplinen 
gewähren Apodikticität, eine jede auf dem von ihr beherrschten Reich, und so konnte 
überall von den in den Fachwisseust hatten (.auch deu philologisch historischen) aner- 
kannten Koryphäen eine autl entisch entscheidende Autwort eingeholt werden, bei Frage- 
stellungen, wie sie kamen, aui Grund des vorzüglich geordneten Unterrichtswesens inner- 
halb des bisherig weltgeschichtlichen Horizonts; wogegen seit plötzlicher Durchbrechung 
desselben, unter Steigerung des Welt- und \ ölkerverkehrs, völlige Ratblosigkeit herrscht, 
und bei Ausfall einer durch nüchterne Yerstaudsarbeit correcteu Leitung, die Getühls- 
politik zu dominiren droht mit all ihren bedenklichen Folgen, wenn nicht baldig Wandel 
geschafft ist ,aus ethnologischen Belehrungen). Seine LeOcnsphiiosophie mag Jeder bei 
ernstlichem Willen sich selber abrunden, bei Rückgang auf die ihm eingebetteten Elementar- 
gedankeu, als „notitiae comuiuues" (s. Herbert Cb.) oder „common pnnciples" (b. ReidJ, 



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1 

- 143 — 



Immerhin verblieb eine Abtrennung allerdings: die zwischen Natur- 
wissenschaften und Geisteswissenschaften nämlich, und der von jener 
monistisch hergestellten Weltanschauung bleibt der beste Theil ermangelnd 
(zur einheitlich naturgemässen Ergänzung), bis es gelungen sein wird, die 
in ihnen bewährt erfundene Arbeitsweise (nach comparativ-genetischer 
Methode) auch auf die humanistischen Studien zur Anwendung zu bringen 
[auf Grund der aus ethnischen Aussagen (und Thatsachen) vergleich uugs- 
fähig beschafften Materialsammlungen]. 

Im Substanzgesetz war das »Gesetz von Erhaltung des Stoffes« (in 
Constanz der Materie) der Chemie') zu danken gewesen, mit seiner 
physikalischen Erweiterungsfähigkeit zum »Gesetz von Erhaltung der Kraft« 
(in Constanz der Energieen), beide unzertrennlich verbunden als das 
»kosmologische Grundgesetz« (b. Haeckel), — dessen naturforschlicb impo- 
santer Character von der Entstellung durch ein metaphysisches Schwanz- 
anhängsel besser verschont geblieben war«?; aus der (vom »struggle for 
existence« verstärkten) Descendenztheorie [deren Degenerationen auch 
durch (Lamarck's) »Ascendenz« nicht aufzuhelfen wäre]. 

Mit naturwissenschaftlicher Exactbeit entspricht den aus dem Causa- 
litätsprincip aufgedrängten Fragestellungen das Gesetz vom Constanz 
der Materie, da hier jedes Quaeritur über den (tellurisch überschaubaren) 
Stoff seine ausreichende Beantwortung findet aus gesetzlich correspondirenden 

da der Nous Xenophon) überall derselbe (im Höchsten und Besten, wie Niedrigsten und 
Kleinsten). Wer dann j-doch, im Bekehrungseifer, die ihm selber soweit genügende 
Weisheit jedem im Begegnen Angetroffenen zu verzapfen sich gedrängt fühlt, der wird 
bei Verschiedenheit der für ein Yerstiiudiiks empfänglichen Stimmungen, bösen Wirrwarr 
leicht anstiften, so lange, zur Ab>cliiiUung des Richtigen die Normalmaasse fehlen; be- 
sonder» in einer Geschichtsepoche knti.-cher Umwälzungen, wo die alten Stützen des 
Glaubens und Wissens zusammengebrochen sind, und die zum Ersatz bestimmten nicht 
schon genügend angesammelt und gefestigt (um das künftige Lehrgebäude zu t ragen \ Und 
also „hands off- vom Miasionswerk, so lange der Auftrag nicht gekommen, denn bei 
Berufung durch (oder auf) den „Geist •, bleibt der schlimme Zweifel von welcher Seite 
er gekommen, ob der weisseu oder der schwarzen ,'unter den Coiitrover^en zwischen 
Orthodoxie und Heterodoxie). Without adäquate confession sin cannot be forgiven (s. 
Mc. Leod Campbell), aber nicht bei der Beichte an menschliche Ohren [weil irrende (bei 
irriger Auffassung) gleichfalls J, souderu im Abgleich mit dem, was aus dem Innern 
redet (als Ausdruck kosmischer Gesetze). 

') Von dem Augenblicke an, wo die durch Aristoteles vertretene Angehauung von 
der Verwandelbarkeit der Elemente in einander durch Gablers Zurückgehen auf die 
Atomistik Üemokrit's beseitigt war, wurde die unwissenschaftliche Alchemie durch die 
wissenschaftliche Chemie ersetzt (s Löwentuim), lür Feststellung der Elementarstoffe 
(durch Boyle), und damit war eiu erst gesicherter Anhalt gegeben, zum Ausgangspunkt 
(für die iu Fluss gerathene Zahlenreihe). Und dann sc bloss die celluläre Entwicklung sich 
an (in organischer Entfaltung; physisch und psychisch) In der Seele sind die „Selbst- 
erhaltungen " Vorstellungen, gleich den inneren Zuständen (wie ihnen entsprechend) 
io all' anderen realen Wesen (s Herbart), als Orgauisatioospriacip (der Wachsthums- 
vorginge). 



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— 144 - 



Wechselwirkungen (nach wähl verwandtschaftlichen Affinitäten), und wenn 
bei der Zerlegung solchen Stoffes bis in (untheilbar) kleiuste Theilchen 
das Letzt- Aeusserste erreicht ist, in Homoiomerieen (b. Anaxagoras), in 
(Democrit's) Atomen (unter Gassondi'sModernisirung), iu Ann (Kanada's), oder 
wie sonst die (beseelten) »Monaden« (als Unitüten erster Eins) oder (Bruno's) 
»Minima« zu bezeichnen versucht gewesen sein mag, so ist damit dem 
rationellen Denken sein Malt geboten, da es, auf Relationen hingewiesen, 
bei deren Transcendenz (in's Absolute hinaus), auf der Rutschbahn eines 
»Kogressus ad infiuitum« abzugleiten hat (in dessen äffende Sinnlosigkeiten 
hinein). 

Und daraus verblieben dem Gesetz von Erhaltung der Energie 
diejenigen Fragezeichen, deren x sich erst elimiuiren lassen wird, wenn 
das logische Rechnen zn seinem Infinitesimalcalcnl sich vervollkommt haben 
sollte, (dermaleinst vielleicht). 

In dem humanistisch beherrschten »Mikrokosmus« fallen (durch sensu a- 
listisehe Vermittelung) die physikalischen Kräfte ans »makrokosmischen« Un- 
absehbarkeiten ein, den Abschluss einer Peripherie entbehrend; die voraus- 
bedinglich gesetzt sein müsste, ehe die Quudrirung des (von ihrer Curve 
rückläufig umschriebenen) Kreises begiuneu könnte (bis auf letzte Deciraal- 
stellen genau). Aus den Wirkungen sind die Ursachen (s. Galilei) her- 
zuleiten, statt die Wirkungen aus den Ursachen [in (noch) Uubekanntem], 
zum Ausgang vom (fasslich Greifbaren, im) Bekannten (innerhalb rationell 
begreuzter Umschau). 

Die beiden Enden ') sind unzugänglich (s. Comte), und so verbleibt nur 
die Mitte; aber vollauf genug in ihr, um den Geistes- (und Herzens-)Be- 
dürfnissen zu genügen, da hier Alles und Jedes zu durchsichtig deutlicher 
Klarheit gebracht sein kann; beim systematischen Vorangang auf der von 
der Naturforschung siegreich betretenen Forschungsbahn, wo heutzutage 
gerade Triumphe auf Triumphe folgen (in tagtäglich neu enthüllten 
Wundern). 

Daneben handelt es sich auch jetzt also wieder um die durch Sokratea' 
Daimonion angeregte Frage, 2 ) wie sich dem Denken in höchst eigeuer 

•) „The reality existing behind all appearrenees roust ever be unknown" (». Spencer), 
im Absoluten (abgelöst). -Tlie root principle of Agnosticisim i«, that the Power manifested 
in the Universe is Unknown and Unknowable~ (s. (irouu 1), kalt Restellt, in den .Dingen- 
an-sich" (b. Kant). Nicht durch diabetische Beweisführungen [h>pin> äno*ht£st;) ist 
das Absolute zu erfassen (s. Philon), sondern in unmittelbarer (iewissheit (Iva/yrsa), 
wenn der aritlimo-geoinetiisohe Einklang sich spürt (aus den Harmonien kosmischer 
Gesetzlichkeiten) im Wrständnisbereich des Denkens, soweit es reicht; und ausreichend 
zu seiner Bereicherung [mit den (congeniale Speisung gewährenden) Früchten des Wissens]. 

') Nicht mit den Augen des Körpers die Ursache im Draussen zu suchen, sondern 
mit den Augen der Seele im Innern, wird (Jebes von Sokrates belehrt (über das Gute, 
das ibm gutthuu würde), Um vom Bekannten zum Unbekannten fortzuschreiten, hat 



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Pereon [dem in (Anaxagoras') »Nous« mit der Würde eiues Schöpfer(-gottes) 
aasgestatteten Denkgeist] auf den Leib rücken liesse; denu so lange wir 
mit diesem Missethäter, durch den all die kopfzerbrechende Gedankenarbeit 
(in Aristophanes' »Grüblerhaus«) veranlasst worden ist, nicht fertig ge- 
worden sind (ihn nicht abgethan haben, durch einen Abgleich welch' immer), 
wird kein Ende sein mit solch' ewigem Gefragsei, das keine »sieben 
Weisen« ') zu beantworten vermocht haben, wenn ihnen vorgelegt: vom 
>Narren« (im Spottlied). 

Wie auf den sonst der Chemie und Physik (bis in die Biologie) zu- 
gänglichen Gebieten, hat auch hier bereits die Naturwissenschaft rüstig 
vorgearbeitet, in der »Psycho- Physik«; bei ihrem erfolgreichen Vorstoss auf 
das bisher von der »Meta-Physik« nionopolisirte Terrain der Psychologie. 

Nach naturwissenschaftlicher 3 ) Methode (»mensura ac pondere«) sind 
die Empfindungen in all' ihren »Inneniindungeu« messend durchprüft, die 
Perception zur Apperception schrittweis ausverfolgt, die specifische Sinnen- 
energie ans jedesmaligem »Gegenwurfe« fasslich umgrenzt (wie die Ayatana 
durch correspondirende Aromana, in des Abhidarma Psychologie); und 
die in ihren Verschmelzungen durch Association gestärkten Vorstellungen 
emporgeklettert oder aufgestiegen [wie »Statik« uud »Mechanik« (b. Her- 
bart) dies gestattet hat] bis zur »Schwelle« des Bewußtseins oder deren 
»Blickfeld« (zum Umherblicken). 

Da stehen sie nun, am Rubicon: an »Grenze des Naturerkennens« 
(wie gesagt worden ist). 

man mit sieb selbst zu beginnen (nach der delphischen Inschrift, worauf Euthydemes 
▼erwiesen wird). 

') Die hellenischen SinnsprOchler in Siebenzahl wiederholen sich in den sieben 
Stiftern brah manischer Gotra (Bhrigu, Angwas, Atri, Viswamitra, Kasvapa, Vasbishta, 
Agastya). 

*) Das .Schlagwort- des „grossen naturwissenschaftlichen" Jahrhunderts gilt «ein- 
seitig* beim Hinblick auf die „Arbeiten im Gebiet der Wissenschaften und der Kunst, 
der Moral und der Religion, des Staats und der Kirche" (s. Menzi); aber alle diese 
»ollen nun eben, auf ihrem unverkleinert zugehörigen Platz, in dasselbe gleichfalls ein- 
gefügt werden, der sogemässen Behandlungsweise nach, indem auf die geistigen Ver- 
wirklichungen desgleichen, die comparativ-genetische Methode zur Anwendung gebracht 
wird, anter Ausscheidung (und Fortwiscben) des Scheidungsstricbes zwischen Natur- und 
Geisteswissenschaften (zu einheitlicher Anschau). Die Aufgabe ist zielgemäss dahin gestellt, 
die Natur- und Geisteswissenschaften in gleichem Focus der Betrachtung zusammenzufassen 
(auf dem .Globus intellectualis"), indem auch auf die humanistischen Studien die Be- 
bandlungswetBe nach comparatir-geneüscher Methode zur Verwendung sich bringen lassen 
wird, seitdem das für Vergleichnngen benöthigte Arbeitsmaterial beschafft 
worden ist (in ethnischen Belegstücken). Die Gleichstellung vom Geistesleben und Denk- 
process ist ein mächtiger Antrieb zur wissenschaftlichen Vorarbeitung und vollen Durch- 
leuchtung des gesammten Stoffes (b. Hegel), aber bei blosser Bewegung des Denkens, 
«kommt die Sache in eine zn enge Bahn" (s. Eucken), wahrend in der Ethnologie der 
objective Stoff geliefert ist (aus den Incarnationen des Gesellscbaftsgedankens). 

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Mit alledem ist dem am seine eigene Wesenheit bckQmmeitea 
Denken noch nicht geholfen, denn erst beim Uebersch reiten solchen 
Grenzstriches werden jene Regionen angereicht sein, auf denen das 
Denken Oberhaupt erst anhebt und ins Dasein tritt; gezeugt und geboren 
an denjenigen Berührungspunkten, wo einst den psychischen Entelechieen 
der >Nous« entgegengeeilt war (Z£(üäev\ in der »pars rationalisc (b. Cicero) 
oder (b. Varro) Animus (»quo carent bestiae«), als (Telesiu's) »forma 
superaddita« ; wie unter den Auimalien dem »Homo« nur eignend, im 
»Regne humain« (zur Stempelung mit dem für seine Existenzform 
characterietischen Gepräge). 

Das Denken wird in Existenz gerufen auf einer von der terrestrischen 
verschiedenen*) Sphäre erst (einem »dritten Aeon« etwa, zu Hermas' Zeit), 
auf sprachlicher Gesellschaftsschichtung nämlich, wo der Logos (mit 
schöpferkraftigein »Wort«) dem Anthropos seine mikrokosmische Ein- 
behausung aufgebaut hat; worin er einzieht als der [aus (zoologischem) 
Bimanus veredelte] »Homo sapiens«, um als äv&patnoc yuoet Zatov xokrau/v 
mit dem somatischen Individuum diejenige Unterhaltung zu beginnen, 
aus der sodann das Bewusstwerden entspringt (im Verlauf der Dinge). 

Zunächst sind also die Gesellschaftsgedanken vors Messer zu nehmen, 
zum Seciren (und physiologischer Durchforschung des Gesellschaf tskörper's). 
»Sensate esperienze«, mahnt Galilei, und Bacon: »dissecare naturam«, — rück- 
sichtslos einschneidend, auch bei hochgeschätzten Idealen, wo es wunde 
Stellen giebt; die ihnen (aus solch' chirurgischer Therapie) um so besser aus- 
geheilt sein werden, für normale Gesundheit. Probiren geht über 
studiren, und so sei exaet genaue Probe angelegt, an die »Elementarge- 
danken« (die als »Unitäten des Gesellschaftsgedankens« zur Fundamentirung 
zu dienen haben), betreffs ihrer Entfaltungen unter Buntheit der Wandlungen, 
im organischen Wachsthum der Volkergedanken; wie von der Cultur gehät- 
schelt in den ihr jedesmal congenialen Weltanschauungen (unter pompöserer 
Diction; im rhetorischen Schmuck). Sie baldigst in diätetische Pflege zu 
nehmen, empfiehlt sich um so mehr, da ihnen die rationellen Anhaltspunkte 
entlehnbar sein werden, für naturgemässe Ordnung der(volksthümlich)socialen 

') Als der „influxus physicus" durchschnitten oder (bis auf den Berührungspunkt in 
der Zirbeldrüse) verstopft war, klaffte die Weltanschauung dualistisch auseinander, mit 
der «ree cogitans" (in Cartesius' Hirnsubbtanz) auf der einen Hälfte, der «res extensa" auf 
der andern, bis sie in (der „Substantia") Substanz wieder zusammengebracht waren (zu 
Attributen abgeschwächt). Das Leben ( b. Spinoza) zerfallt in zwei Stufen, „einen Unterbau 
naturhafter Triebe und einen Oberbau speculativen DenkenV (s. Euken), und solange die 
vornehm polirten Vordertreppeo den metaphysischen Herrschaften reservirt bleiben, wird das 
somatisch psycho- physische Individuum bescheidenere Stiegen zu benutzen haben, um in 
Commonication mit seinem zoopolitischen Doppelgänger zu vernehmen, was er erspäht haben 
möge? beim Auslug vom Dache (in die Unendlichkeiten hinein). 



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Verhältnisse im Völker vorkehr, und den iuternationalen vornehmlich 
(aus der Völkerkunde). 

Die Gesellschaftswesenheit präsupponirt, als »conditio-sinequa-non« ihres 
Organisationsprincipes, die Sprache, so dass diese also in natnrnothwendiger 
Voraussetzung steht, wenn (und da) unter den Erscheinungsweisen im 
Dasein die humanistische Existenzform sich eingeschlossen findet, in 
ihrer Doppelung; wobei für das sprachliche »Animal socialec der Schwer- 
ter Au8gangs-)punkt auf die zoopolitische Hälfte fallt, zur Unterredung 
mit der an ihr theilhaberischen Individualitat, deren psycho -physische 
Thätigkeit innerhalb des somatisch gestetigten Gerüstes verlauft. Wenn die 
auf sensorisch-motorischen Bahnen körperlich durchströmenden Empfindun- 
gen, bei genügender Steigerung der das Muskelgewebe durchzuckenden 
Bewegungen, den Stimruapparat in Mitleidenschaft gezogen haben und der 
(thierisch ) h ervorgestossene Sch rei durch die fei u er gesch litzte M u nd m usculatur 
zur fasslichen Wortform articulirt ist (nach den mit den Geberden der 
Affectbewegungen vorgezeichneten Normen), aus opto-akustischerConcordanz 
bei Durchkreuzung der Seh- und Hörnerven in den Vierhügeln (s. Held), 
dann ist aus den (somatisch) psychischen Entelechieen (der im Gesellschafts- 
kreis umschlossenen Componenten) dem Logos (aus ihrem Zusammentreffen 1 ) 
das bildungsfähige Substrat (oder Hypokeimenon) geliefert zum Aufbau 
seines Mikrokosmos aus lautlich umkleideten Anschauungsbildern; zwischen 
welchen nun der Gedankenaustausch anhebt, am >dies natalisc des 
Denkens, mit potentiell geschwängerten Keimungen schwellend, zu 
organischer Entfaltung (unter culturell gezeitigter Pflege). 

Nebenden, für erleichternde Arbeitsteilung getrennten, Naturdisciplinen 
des vegetabilischen und animalischen Reichs, ist hiermit demgemäss das 
specifisch noetische Fach 9 ) installirt, für naturwissenschaftliche Be- 

') Dem i<>r»<; Isouiflsn»; (im Denken namentlich) eutströmt der X^oq xpofopiw'*; 
(b. Philon), den sichtbaren Dingen einwohnend, als Nachbilder der Ideen [aas dem (vod 
(Jott sich vorbehalteneu) t»/-t»*c /ie Tazva>it»z]. Und so (in eizörcs n'tHot) erbaut der 
humanistische Logos (auf zoopolitischer Sprachschicbtung) seinen Mikrokosmos eich, 
aus dem Reflex der darin spiegelnden Gesetzlichkeiten (kraft schöpferischen .Worts"). 

*) Die durch den gegenwärtigen Barometerstand der Kenntnisse (in actueller Sach- 
lage; aufzeigte Ueberleitung der Psycho -Physik zur Ethnologie wird indess nicht 
direct aus der Individualpsvchologie zur Sozial (-physiologie oder) -psychologie statthaben 
dürfen, da bei der letzteren eine derartige Menge verschiedenartig neuer Gesichtspunkt« 
biozutritt, dass sie zunächst besser als separate Disciplin in Behandlung zu nehmen 
sein wird, im Anschlusa an die Gesell&cbaftsgedanken des Zoon politikon, ehe das 
Individuum schon sciue Rechte reclamiren kaun, denn .noch ist das BQndniss zu frOh* 
(später jedoch allerdings ein dam um so unverbrüchlicher abschliessend»-»). Die 
Haodwcberei (seit Erfindung durch Isis oder Athene) hat ihre naturgemäßen Phasen 
durchlaufen, in de Genne's (1678) und Yaucausoo's(J747) Herstellung mechanischer 
Webstühle, bis zu Cartwright's Kraftstuhl (power-loom), und Jacqaard's Verbesserungen, 
lorch Wasser; die Meuschenkraft (am Handstuhl) verbessernd. Seitdem indes» 

10* 



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- 148 



handluugs weise der humanistischen Studien, denn all die denselben vor- 
liegenden Beobachtungsobjekte (in Religion oder Recht und anschliessen- 
den Verwirklichungen sonst, im socialen Verkehrsleben) erweisen sich als 
Reflexe des Gesellschaftsgedankens, in lebensvollen Bildern gespiegelt und 
incarnirt, unter massenhafter Hölle und Fülle der Vergleichungen, so 
dass es, beim Einsetzen monographischer Detaillirung, dem logischen 
Rechnen an Arbeitsmaterial nicht fehlen wird; für die nächsten Jahr- 
hunderte und Jahrtausende wohl nicht, da mit jedem erledigten Pensum neue 
vervielfacht hervorschwirren, auf die Unendlichkeiten hinaus (im rythmi- 
schen Einklang mit den im Denken einwohnenden). 

Wenn mit ihren, aus Verschmelzungen gesteigerten, Folgewirkungen 
die durch innere oder äussere Reize angeregten Empfindungen, in »cognitio 
confusa« (b. Baumgarten) die »verworrenen Vorstellungen« (s. Leibniz) 
durchwallend (als Gefühle), in den »Blickpunkt des Bewusstsetns« (b. 
Wundt) eintreten, dann wandelt sich der »oculus naturalisc in einen 
»oculus rationalis«, kraft seiner »Visio mentis« hinausblickend in neu er- 
öffnete Gedankenreiche, auf dem Bereich der Geisteswelten, in einem 
»third Kingdom« (s. Drummond) auf dem »Globus intellectualis«, und hier, 
mit veränderten Aufgaben der Forschung, werden die Arbeiten der Psycho- 
Physik (auf den durch sie gefestigten Stützpunkten) abgelöst sein durch 
die ethnischen der Noologie, bei vorläufigem Uebergang der Individual- 
Psychologie in die Socialphysiologie, um dann aus zoopolitischer Gesell- 
sebaftsweseuheit wiederum, das darin als Faktor agirende Individuum (der 
Anthropologie) zurückzugewinnen (und, nach dem ihm zustehenden 
Schätzungswerte, in seiner Eigentlichkeit zu umschreiben). 

der Fabrikbetrieb hinzugetreten ist, mit gesteigerter Dampfeskraft, kommen eine solche 
Menge disparat getrennter Gesichtspunkte aus Maschinenkunde. Arbeitergewerkschaften, 
Handelsverkehr u. dgl. ra. hinzu, dass wer jetzt ein Lehrbuch Ober Weberei zu 
schreiben hat, um die primären Vorstadien sich nicht viel kümmern wird (obwohl die- 
selben ihren theoretischen Vollwerth bewahren). Wie das Postwesen sich entwickelt 
hat, vom Postboten zum berittenen Postillon, von den am Bock gelenkten Postwagen 
zu Extraposten (in deren Höhe unter Nagler's Verwaltung), ist interessant genug im 
„ Postmuseum" zu verfolgen, unter dem Protectorat des Reicbspostamts und seines 
Eisenbahnverkehrs; dessen vielbeschäftigten Beamten durchschnittlich indess kaum 
genügende Müsse bleiben wird, um archäologischen Stndien nachzuhangen. Das cellu- 
lire Wachsthum der Pflanze Iftsst in methodisch grader Liuie bis zum BlOthenstaad sich 
verfolgen, wo nun jedoch io manch' verschiedenartigste Richtungen ableitende Wege 
durebeinanderführen, nicht nur anbetreffs praktischer Verwerthung von Blume und 
Fracht, sondern schon fflr die Befruchtung durch bunt herbeiflatternde Insecten (mit 
Generationswechseln verwickeltster Art). Und soweit den aus dem Jnfluxus physicus* 
psychisch hervortretenden Entelechieen auf zoopolitischer Sprachschichtong der Noos 
(fötrfev) hinzugekommen ist (auf idealen Fittigeu), wird vorläuög besser die Noologie 
(der Gesellschaftsgedankeo) einer besonderen Facbdisciplin eingestellt sein, um dauD 
dem Individuum desto begründeter die Erkenntniss dessen zu ermöglichen, was in ihm 
(»ich selber) denkt (und lobt). 



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- 149 - 



Die Einheit (als Eins, am Anfang der Zahlenreihe), ro xpwTW iv (der 
Pytbagoreer), ist ein ungetheiltes Ganze, ein individuelles insofern — 
»was ist, ist dnrch sein Dasein selbst Individuum« (s. Leibniz), — ein 
Ganzes also, das seine integrirenden Tbeile umgreift, bis auf kleinste 
Theilcben; mit dortiger Position eines (Theil-) Ganzen wiederum [je 
nach den (relativen) Schätzungswerthen]. 

Im Organismus setzt sich »eine die Zusammensetzung beherrschende 
Einheit des Ganzen« (s. J. Müller), und da »die Ursache der Art der 
Existenz bei jedem Theile eines lebenden Körpers im Ganzen enthalten 
ist« (b. Kant), lebt die biologische Organisation ihre specifische Art zeit- 
lich, im rückläufigen Cyklus (jedesmaliger Spannung3weite), während der 
Kristall in seiner Individualität (s. Robinet) räumlich erstarrt steht (unter 
den durch das Achsenkreuz gestetigten Umrissen). 

Eine Einheit ist die Mark, eine Einheit der Thaler — die Milliarde 
auch (wenn richtig genau ausgezählt) — , und abwärts kommen wir auf 
Heller und Pfennige, nicht aber auf Kupfer und (narrendes) Nickel, da 
mit solchem Stücklein [des Roh- (Metalls oder) -Materials] sich nichts 
kaufen läset, im landläufig sprachlichen Verkehr; und wie es (dem 
internen Werthe nach) sich damit verhält, den sachkundigen Liebhabern 
zu überlassen ist, für akademische Erörterungen; schwerwiegend ge- 
wichtige auf metallurgischer Wagschale — und somit bedeutungsvolle in 
ihrer Art (nicht aber in der anderen eben). 

Im Staatsleben bildet eine Einheit das Eigenthum jedes Einzelnen 
im Privatbesitz für rechtliche Geltung, aus wieviel verschiedenartigen 
Componenten (in Hypotheken, Depositen, Baarbeständen etc.) es auch zu- 
sammengesetzt sein möge, und eine gewichtigste Einheit ist das Heer- 
wesen, an dessen geschlossener Einheitlichkeit besser nicht gerüttelt wird, 
da der abgeschwächte Schutz (zur Abwehr des Feindlichen) empfindlichst 
sich rächen würde (zum Schaden Aller); und hier bildet (ethnischer 
Stammeseinheit entsprechend) unter den Truppenabtheilungen die kleinste 
Verwaltung»- oder taktische Einheit (der Truppen) die Kompagnie 
(Kscadron oder Batterie), über welche hinaus wir in die Gemeinmasse 
gerathen; deren darin aufgemengte Mengen erst nach genügender 
Dressur sich verwendbar erweisen würden (für Vertheidigung des Vater- 
land's). 

Um für Quadrirung eines Kreises die entsprechende Formel zu ge- 
winnen, mußs derselbe durch seine Peripherie umzogen sein (je nach der 
Weite), und, nach Ordnung der (bis dahin hylozoistisch nur bekannten) 
Dinge, begann die aachgerechte Philosophie für Aristoteles mit dem 
Begründer jener Schule, der zuerst in Voraussetzung stellte, das Ganze 
zu umschauen (bp&odat rb xa&6h>v), worauf sodaun der akademische Ge- 



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— 150 — 



nosse des peripatetiscben Forschers aus den dp^iruiroi in den Ideen die 
Ursache am Anfang) entnahm (unter den alriat) für Ideal- 

gestaltuugen (iu »Welt der Vorstellungen«). 

Nachdem der vegetative Entwicklungsprocess in seiner Ganzheit über- 
schaut ist, von der Wurzel oder dem Keim (an der äp%y rrfi fteiaßotf;, 
im Sonderfalle) ab, bis zur Blüthe und Fruchtstand, hat aus mikroskopisch 
verschärftem Einblick in die dortigen Vorgänge die Zelle sich nieder- 
geschlagen (der »Mutterheerd alles Lebens«). »Wesentlich ist gerade 
für den Chemismus der Zelle, dass sie aus der Vielheit von Stoffen sieb 
aufbaut, an der ununterbrochen Veränderungen vor sich gehen« (s. Reinke), 
aus Proteinstoffen (Kohlenhydrate, Fette, Lecithin, Choleristin etc.), und 
diese Zelle [als celluläre Unität, statt (beseelter) Monade in (dichterischen) 
Metamorphosen] erweist sich als »elementarer Grundstein der belebten Natur« 
(s.Hertwig), um — mit oder ohne Kern (in derMonere) — die (rationelle) Natur- 
forschung (der Physis) vor meta-physischeu Verirrungen zu hüten; wie durch 
Aufpflanzung ihrer (elementaren) Greuzwächter die Chemie (seit Boyle) aus 
alchvmistisch chaotischem Wust gerettet worden ist. Wer solche 
Warnungszeichen missachtend, unbedachtsam in das Protoplasma trau- 
scendirt, aus dem sich piasmodisch plastisch Erst- Bestes (auch Geistiges des 
»Psychoplasma«, als »Träger der Seele«) kneten lässt, wie aus platonischem 
»Ekmageion« (durch das »Zauberwort der Entwicklung«), hat abzugleiten 
in die Aeffungen des »Regressus ad infinitum«, wenn nicht versinkend in 
(naturphilosopliischen) »Urschleim«; aus dem an dem eigenen Zopfe sich 
wieder herauszuziehen, dem Herrn Baron von Münchhausen überlassen 
bliebe: denn mit dem »Baron« fängt der Mensch erst an, nach Ansicht 
des Wiener Droschkenkutschers (was der Anthropogonie vielerlei Um- 
ständlichkeiten ersparen würde, zur Abfindung mit der Anthropo- 
theologie u. dgl. m.). 

Unter den »Grundprocessen« der psychischen Erscheinungen werden 
die Vermögen, welche (bei Bildung der Empfindungen und Wahr- 
nehmungen) die Reize aufnehmen und aneignen, auf »Urvermogen« (zur 
Ausgestaltung neuer) redneirt (b. Beneke), die indess ihrerseits wieder 
mit Zutritt des (auf noetischer Sphäre aus ihnen in Action getretenen) 
Denkens begrifflich umfasst werden, und so hätte, was in »psychischen 
Elementen« (innerhalb des psych o-physischen Individuums) gesucht wird, 
sich in »notitiae communes« (b. Herbert Ch.) oder xoguai evvotat (der Stoa) 
zu wandeln, als Gedankenelemente oder Elementargedanken, wodurch aas 
ethnischen Incarnationen reducirt, der comparativ-genetischeu Methode ein 
handliches Object abgegeben ist, um nach exaet naturwissenschaftlichen 
Vorschriften durchforscht zu werden. 



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- 151 — 



Und da solche »notiones commune*« auf den »common sense« (b. Reid) 
hinauskommen, 1 ) auf den gemein gesunden Menschenverstand, wären sie a 
priori schon als gleichartig durchgehende zu supponiren, und sind sie 
durch die aposteriori angesammelten Erfahrungen (durch die, aus ethnischen 
Aussagen redenden, Thatsachen)factisch und praktisch bestätigt worden, unter 
den Wildstämmeo 3 ) sowohl, wie den Culturvölkern ; und bei diesen wieder für 

') Commune« qua« a Stoicis dictintur notitiae in connectitudine positae sunt (w^i 
xn&wv iwotwv). Und aus potentiell geschwängerten Keimen beginnt die Entfaltung so- 
dann (im Sprossen der Gedankenfrüchte) Gleichartige (und disparate) Vorstellungen 
verschmelzen miteinander, wogegen (partiell oder total) entgegengesetzte einander hemmen, 
and in der gehemmten Vorstellung ist das Vorstellen tu neuem Streben (vorzustellen) 
geworden (s. Herbart), im Wachsthumsdrang (nach den Metaphern der Sprache). Wenn 
ein .Nisus formativns" (Blumenbachs) oder der «zielstrebige Gedanke" (b. v. Baer) Richt- 
kräften oder .Dominanten- (s Reinke) folgt, so kämen solche Versionen auf das 
Organisationsprincip zurück, das tautologisch der Organisation drinnensteckt, da es ohne 
einen Anfang (principiell) nicht abgehen kann; bei ihr so wenig, als anderswo (und: 
•Contra principia negantem non est disputandum"). 

*) Apres m'ßtre assis sur un rocher, en vue de mes brebie, je ra'adressai de dou- 
loureuses qnestions; oui, douloureuses, parceque je ne pusse y repondre. .Les etoiles, 
quel est celui qui les a touchees de sa main? sur quels piliers reposent-elles? me de- 
mandai-je. Les eaux ne se fatiguent point, elles ne connaissent d'autre loi (coutume) 
que celle de couler sans cesse, et de toojours couler, au soir comme au matin, mais ou 
donc s'arrfitent-elles? .... et qui les fait ainsi courir? Les nuages aussi vont, reviennent- 
ils? qui les envoie? Ce ne sont pas sürement les Barokas qui nous donnent la pluie, 
car comment la peuvent-ils faire, et pourquoi ne les vois-je pas de mes yenx lorsqa'ils 
s'elevent dans le vent. le fait sonffler, mugir, bondir, nous epouvanter? Sais-je comment le 
ble germe? Hier il ne s'eu trouvait pas un brin dans mon champ; aujourd'hui je suis retourne 
ä mon champ, et j'y en ai tronve*. II est tout petit, presque imperceptible; mais il grandit, 
se developpe, comme grandirait nn jeune homme. Qui peut avoir donne" ä la terre et 
la sagesse et la force de le produire? Alors je cachai mon front dans mes deux mains. 
De nouveau je reflechis en moi meme, disant: Nous partons tous, et ce pays reste; 
il reste seul, car nous le quittons tout, pour nous en aller; mais oü allons-nous? — Un 
sentiment (coenr) repondit: Peut-etre existe-t-il dautres hommes que nous; nous irona 

cbez eux Un second sentiment me dit aussi: Peut-etre les hommes vivent-ils sons 

terre: lorsque nous partons d'ici, nous devons alter les rejoindre. Ce sentiment revint 
et me dit encore: Peut-etre les hommes vivent-ils sous terre .... Un sentiment oppose* 
me dit: Cea hommes »ous terre, d'oü vieonent-ils? Sur cela, mon ceour ne sut plus que 
penser, il sVgara. A son tour roa conscience (la plevre) se leva et me parla, disant: 
Tons les hommes font beancoup de mal ... . malheur! Je me rappelai plusieuro 
torts que j'arais faits aux autres; et ä cause de ces torts ma conscience me rougeait 
(mordait) en secret ; car jVtais assis solitaire, sur un rocher. Je dis que j'eus peur: je 
me mis a courir apres mes brebis, chercbant ä m'egayer, mais tout tremblant." (s. 
Arbousset et Daumas), unter den Bassuto (18 12) In diesen (bukolischen) Meditationen eines 
wilden Philosophen wiederholen sich so ziemlich all'die Krankheitskeime jenes Weltschmerzes, 
den culturell gezüchtete Medicinmänner (und Seelenärzte) mit ihreu Heilmitteln aas meta- 
physischem Arzneiscbatz therapeutisch zu behandeln bemüht gewesen sind. Und zwar sind 
sie vor Begründang der Missionen niedergezeichnet, von dem ersten Sendling, der ins Land 
kam, zu einer Zeit also, als die Idylle de« dortigen Hirtenlebens noch unbeleckt war, .von 
Europas übertünchter Höflichkeit". Und auch die Poesien könnten coneurriren, auf 
Tonga, e. g. (cf. z. N. B. d. Ps , S 121). Da der in der Hängematte (frei von den Erddünsten, 



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— Voi — 

sämmtliche Rangordnungen: 1 ) die elegant höchsten sowohl, wie die niederst 
gemeinen; nach Analogie der Ideen, die es für Alljedes giebt, anch für 
Dreck und Kotb (im Parmenides), nicht für die hehr schimmernden Ideale 
allein, — und diese, die hier abgetrennt {jotpunai) stehen, in unzugänglich 
überweltlichen Regionen [im rozot; uT&poupäwK oder (b. Pbilon) /izTox6afuo<z], 
sind (nach moderner Forschuugsweise) nun auf die erdig schmutzigen 
Wurzeln zurückzuführen, ohne durch das Hervorwachsen daraus (wie aus 
dem Gestank des Mistbeets die duftige Rose) erniedrigt zu sein, sondern 
vielmehr desto mehr erhöht (zur Würde des »self-raade-man«). Und wenn 
hier bei naturgemässer Pflege befriedigende Erzengnisse (oder Resultate) 
gezeitigt werden (zum Besten des geistigen Lebens), so bleiben sie desto 
gesicherter eingeschlagen, weil im eigenen Innern wurzelnd, aus potentiell 
geschwängerten Keimen hervorgesprosst (wie immanent an sich). 

Als bei kritischer Reform der Philosophie die »Erkenntnisstheorie« zu 
ihrer Erkenntniss kam, lag das Erkenntniss-Vermögen vernnnftgemäss 
ihr am nächsten: dass mau vorher nämlich das Instrument kennen zu 
lernen hätte, ehe die durch dasselbe zu leistende Arbeit in die Hand ge- 
nommen werde, (um solches Werkzeug auf seine Leistungsfähigkeit also 
geprüft zu haben). 

Drob spottet der Systematiker des »absoluten Idealismus«; denn die 
Untersuchung des Erkennens könue nicht anders als erkennend geschehen 
(»Erkennen wollen ehe man erkenne, ist eben so ungereimt, als der 
weise Vorsatz jenes Scholastikers, schwimmen zu lernen, ehe er sich in's 
Wasser wage«). 

über Irdisches erhaben) Heditirende (b. Aristophanes) despectirlich redet von Zeus, er- 
schrickt der Znhörer, da sein Blitzstrabi geschlendert sein könnte, der indess (dem Frei- 
denker) bei manch Ungerechten hienieden schadlos vorbeigefahren sei. dagegen aber 
das eigene Heiligthun) getroffen hätte [und die ihm werthe (Donner-) Eiche]. 

') .Schweinschneider laboriren zwar nicht an einer Macula und sind noch weniger 
infam, aber sie stehen doch am letzten Platz im Staat und werden auch den Weinschenkern 
nachgesetzt" (s. Hellbach), nach den Rangordnungen im heilig römisch-deutschen 
Kaiserreich (1804), genauer noch gegliedert bei den Pariah [durch die (aus Distanz schon 
verunreinigten) Brahmanen]. Betreffs der Klementargedanken wird es sich bei ihnen aber 
wohl ebenso verhalten, wie bei den andern (da sobezflglich Alle unter gleichem Kamm ge- 
schoren sind). Awt fJi rä; ofwoi? itrrt, xai 6 /tti&ov zai 6 ikarrav (s Simpl.), in 
Elementargedanken (auf tiefstem Niveau der Wildheit, und in höchster Philosophie), 
mittelst Maieutik zu erweisen (b. Sokrates); und thatsächlich bestätigt (durch die 
ethnischen Aussagen). Den Scheidungsstrich für civilisirende Veredlung zieht die Schrift, 
zum Fixiren der Erinnerung und ihrer Verwerthung, (in Anamnesis). „Das Gekratzte 
redet" (s. Kunze), beim Lesen des Niedergeschriebenen (in Sprache des Papua), and so 
die papierne Botschaft (auf Tahiti). Von verkauften Gegenständen müssen (bei den 
Eskimo) abgerissene Theilchen verschluckt werden, weil sonst solche Sachen nicht 
wieder in Besitz kommen (s. Nelson), so dass das Erinnerungsbild zum gesicherten 
Festhalten innerlich assimiliit wird, um ihm die Möglichkeit zu belassen, sich daraus 
wieder zu realisiren (aus seinem vwa/m J>, in Actualität). 



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— 153 - 



Es handelt sich hier um Spiegelbilder oder Vorspiegelungen (im 
Uebergaog der Illusionen zu Hallucinationeu), wie in »Spiegelung unseres 
eignen Bewusstseins« (s. Forel), eine »Spiegelung ohne Spiegelt (b. Menzi), 
ein »Messer ohne Klinge, dem das Heft fehlt«, wenn hinter der perci- 
pirenden Seele (im Auge) die appercipirende sitzt (und Malereien pinselt), 
unter endlos langer Spiegelreihe 1 ), zamal wenn es im Ei- Seelenstoff (s. 
G.H.Schneider) zu zerbrechen beginnt [unter den Verschiebungen zwischen 
»Muskelseele«, »Nierenseele«, »Leberseele«, »Nerven- und Hirnseele«, statt 
lieber die Seele, »la secretion du cerveau« (b. Cabanis), dort (in secreto) 
ausgeschwitzt sein zu lassen (s. Vogt), wie den Harn in nephritischen 
Umgängen]. 

»Man kann nicht behaupten, dass die Erscheinung des Grundbewusst- 
seins an dem reflectirten Bewusstsein eine neue Reflexion von diesem 
Toraussetze, und so in's Unendliche, Weil sonst noch kein Mensch seit 
Adam zum Selbstbewusstsein gekommen sein könnte« (s. J. Kuhn), wobei 
dann freilich die Frage bliebe, ob jemals (Huine's »einige Metaphysiker« 
ausgenommen) dies geschehen sein möchte, in der (metaphysischen) 
»Wissenschaftslehre« (als »philosophia prima«) oder in der skeptischen, 
wo die Seele in »bundles« loder (auf dem Buddhagama) in »Khanda«] 
auseinandergefallen ist (für eine »Psychologie ohne Seele«). 

Und in der Individualpsychologie liegt es uicht viel besser, da wie 
das phytische Wachsthum lebend, Nanna's Pflanzenseele (b. Fechner) ihr 
Innerstes nicht zur Erklärung zu bringen vermöchte, so auch wohl die 
animalische »res bruta« (». Geulinx) nicht, in der Empfindung: der 
»Vorgang, der in jedem Augenblicke sich erlebt und sich nicht deßniren 
läset« (s. Schnitze). »Es ist in keiner Weise einzusehen, wie aus dem 
Zusammenwirken der Atome Bewusstsein entstehen könne« (s. Dubois- 

') Der Begriff Ich (als Urquell aller unserer höchst mannigfaltigen Vorstellungen) 
trägt den Widerspruch der Inhärcnz der Vielen in dem Einen in sich (b. Herbart), 
sowie .den ihm eigentümlichen Widerspruch, dass es als das reine in sich selbst 
zurückgehende Selbstbewusstsein sich vorstellen muss, d. h. sein Ich vorstellen muss, 
d. h. sein sieb Vorstellen vorstellen muss, und so fort ins Unendliche (indem jedesmal 
das Sich durch sein Ich und dieses wiederum durch sein Sich-Vorstellen zu ersetzen 
i«t), so das der Ich-Begriff gar nicht zu Stande zu kommen scheint" (s. Ueberweg), der 
Schein, als Schein „ist" (nach aufgehobenem „Sein"), im .Scheinen und Meinen" der M*a 
in Doxilogieu [ehe dem exaeten Wissen ein (naturwissenschaftlich) thateäcblicher Anhalt 
geboten war]. Da die praktische Vernunft das Unbedingte, als wirklich pustulirt, muss 
dieses Postulat von der menschlichen Vernunft angenommen werden, im Vernunftglauben 
(b. Kant). Die aus Nöthigung der Gefühle folgenden Zusammenhänge bedingen (einen 
Glauben (belief), als naturgemäss erörterungsfähigen |vom theologischen (faith) verschieden, 
in willenloser Hingabe]. Im gläubigen Geloben wird, wie Zeit vertrödelt, auch die 
Willenskraft geschwächt. .Wissen* und „Nichtwissen" (.tertium non datur"), um auf 
der Brücke eines .Noch-Nieht-Wissens* das Nichtwissen in Wissen (die Avidya in Bodhi) 
überzuführen, unter umsichtiger i^'XV (*olange es ein .Non liquet" noch zu klären gibt). 



— 154 - 



Reymond), und damit waren »die Grenzen des Naturerkennen's« gesteckt 
[ehe die Anwendung (und Verwendung) der comparativ- genetischen 
Metbode auch anf die humanistischen Studien auszudehnen, sich hatte er- 
möglichen lassen]. 

In der Philosophie, als > Bearbeitung der Begriffe« sind die 
Gedanken »Begriffe« (s. Herbart), und wenn Begriffe einander im Denken 
begegnen, kommt es darauf an, ob sie Verbindungen eingehen [unter 
(Hartley's) »Associationen«], sowie, ob sie, je nach der Intensität, die 
»Schwelle« (des Bewußtseins) überschreiten, um in den »Blickpunkt 
des Bewusstseins« einzutreten, als »Fixationspunkt» (b. Wundt) oder 
»inneren Blickpunkt« (»derjenige Theil einer zeitlichen Vorstellung der 
dem am klarsten vorgestellten unmittelbar gegenwärtigen Eindruck ent- 
spricht«), auf dem »Blickfeld des Bewusstseins« ; durch Verschärfung des 
»oculu8 naturalis (der Scholastik)* znm »oculus rationalis«, [unter Er- 
weiterung der Gedankenweiten für die »Visio (mentis oder) intellectualis«, 
innerhalb des (b. Herbart) »intelligibeln Raumes«]. 

Obwohl »das Bewusstsein die Veraussetzung aller Erkenntniss ist«, 
hat erst die neuere Philosophie sich eingehender damit beschäftigt (s. 
Kirchner), im Selbstbewusstsein, »die einfache Vorstellung des Ich«, als 
»Polyp« (b. Volkmann), lartv i] vfi^atz vo^atmz vttyov; (b. Aristl.) oder 
ouvatofyatc abzr^ (s. Plotin); verquickt mit dem Gewissen, »das ins Be- 
wusstsein getretene Gefahl des Sollens« (b. Ulrici), als Gbedsi (der 
Eweer) oder Stimme (gbe) des Herzens (dsi), aus dem »Deva« (auf Bali) 
redend (mit der yxovi) tou datfioviou). 

So stellt sich hier ein Pflichtgebot für die »iunere Erfahrung«, der 
allein nur »der Versuch, das Wesen der Wirklichkeit zu bestimmen«, 
entnommen werden kann (s. Paulsen), und bei einer derartig schwer- 
gewichtigen Aufgabe macht es nun also um so mehr sich rathsam, vorher 
das Werkzeug zu prüfen, mit dem sie ausgeführt sein soll; als welches 
indess, an Stelle des »Erkenntnissvermögens«, worin das »Erkennen« (der 
Erkenntnistheorie) allerdings bereits antieipirt liegt (nach obigem Ein- 
wurf), besser das (um sein Erkennen bemühte) Denken selber gesetzt wird 
(wie gelebt in jedem Momente des Daseins). Was immanent gelebt wird, 
wie von der Pflanze ihre Wachsthumsvorgänge, wird damit dann an sich 
erledigt, auf physischem Bereich; und auch für dessen psychische 
Entelechieen, wie aus dem »influxus physicus« hervortreibend, in animali- 
scher Organisation [allegorisch (mit Gleichnissen und deren Analogieen) 
verdeutlicht durch die »Metaphern der Sprache« ; aus dem y»j<nxi>c Myoc 
oder »physica ratio«, rationellerweis]. 

Was in humanistischer Existenzform, als diese mit dem ihr speeifisch 
eigenthümlichen Stempel prägend, hinzutritt, in einer »forma soperaddita« 



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155 



(b. Telesius) ist die »pars rationalis« (Cicero's) oder (b. Varro) der (mit 
seiner Anima vermählte) Animus (»quo carent bestiae«), auf zoopolitiscber 
Sprachschichtung 1 ) des Anthropos, wo [mit Umsetzung der (aus räum- 
lichen Eindrücken assimilirten) Vorstellungen in Begriffe] die Unter- 
haltung') eintritt mit dem Doppelgänger (»le double«) des psycho- 
physischen Individuums (aus der, tpoozi gesetzten, Doppelung). »Das 
psychologische Subject weiss nichts durch seine Vorstellungen und will 
nichts durch seinen Willen« (s. Münsterberg), indem das Denken auf 
gesellschaftlicher Sphäre erst anhebt, beim Gedankenaustausch zwischen 
den Componenten des jedesmal socialen Kreises; und dass, unter dieser- 
art geführten Gesprächen, jed' Einzeluem (wenn er ernstlich so will) 
freigestellt ist, seinen eigenen Zifferwerth sich herauszurechnen und für 
denselben eine unabhängige Selbständigkeit zu beanspruchen, bewährt 
sich allzu offenkundig aus den praktisch gelieferten Erfahrungen des 
tagtäglichen Lebens, als dass ein besonderer Hinweis darauf benöthigt 
sein dürfte. 

Um demnach in dem hier aus Wechselbeziehungen (der »concatenatio 
rerum«) ineinander geschlungenen Geräthsel Klarheit zu sehaffen, wird 
zunächst also das Denken selber in Betracht zu ziehen sein, weil das 
»Organon«, das Werkzeug oder Instrument, womit die Weltanschauung 
zusammengezimmert ist, für die Einbehausung des Menschen in deu ihm 
erbeigenthümlichen Mikrokosmos. 

') Wenn die auf sensorisch-motorischen Bahnen gesteigerte Bewegung der (innerlich 
oder äußerlich) angeregten Empfindungen auch den Tonapparat des Kehlkopfs in Mit- 
leidenschaft zieht, so erfolgen die humanistischen Articulationen des Schrei'es,. in Unisono 
mit den Modulationen, wie sie bei den Geberden der Affectserregungen sich äussern, um 
das aus opto akustischer Coucordanz geschaffene Wort, mit dem, für Eigenart seiner 
Deutung charakteristischen Stempel zu prägen, so dass es insofern, weil auf naturgemäßen 
Vorveranlagungen basirend, als yüazt gebildet betrachtet werden könnte, obwohl unter 
den (Woti) veranlassten Umherschiebungen der fortleitende Faden des Zusammenhanges 
leicht verloren zu gehen pflegt. Zum (oder dem) Einblick wird der hier verlaufende Process 
Oberhaupt erst eröffnet, nachdem auf zoopolitischer Spraehschichtuug die Unterhaltungen 
begonnen sind, aus denen das psycho- physisch darin einbegriffene Individuum als 
poetisches zu selbständiger Umschreibung Gelegenheit geboten erhält (um den, weil 
eigentlich zuständig, eigenen Ziffernwerth sich herauszurechnen). 

*) Die von dem Missionar angebotenen Lehren (s. Campbell) wurden von dem 
Betschuanen zurückgewiesen, da er All das ihm Bentfth'gte von dem (an seinem Halse 
baumelnden) Amulett erfahre, aus dem es ihm sprach, wie aus des Padanda Herz der 
»Deva" (mit der ffutvr, w't dat>LiM>i'>\ „dem Gottet>freiinde*, >> <Ve«<? iv fyil,). Em handelt sich, 
bei solchem .Doppel-Ich" um das Zwiegespräch des psycho-physisehen Individuums (auf 
die Empfindung eines (somatisch) animalischen Persönlichkeit sgefühls gesteift) mit seinem 
zoopolitischen Genossen (oder Doppelgänger), der aus dem, was auf sprachlicher Gesell- 
sebaftsschichtung erlernt werden ist, die Belehrungen hinzubringt, die einer gemeinsamen 
Abwägung unterzogen werden können: statt in der Eristik dialektischer Kunst, besser 
nach Leibniz's Vorschlag: „Lass<t uns rechnen" — wie den, arithmetischem Denken 
innewohnenden. Gesetzlichkeiten conforra (im logischen Rechnen). 



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— 156 — 



Es fragt sieb somit, wie? dies zu geschehen hätte, wie dem Denken 
beizukommen sein möchte: diesem Denken nun eben, das sich seiher lebt, 
in sein eignes Geheimniss verhüllt 

Die Wegrichtung ist deutlich genug angezeigt; wie etwa für den, 
dem zur Preisaufgabe (oder zum Scherzräthsel) gestellt wäre, deo Zweck 
einer Maschine zu errathen, die sich seiner persönlichen Untersuchung 
[und (handgreiflich) begrifflichen Umtastung] entzieht. 

Das Problem ist kinderleieht zu lösen, weun die Aufmerksamkeit auf 
dasjenige hingerichtet ist, was die Fabrik producirt: um zu erkennen, ob 
sie zum Schneiden, Hobeln, Sägen, ob zum Spinnen oder Weben, oder 
sonst was eingerichtet ist; und bei genauer Durchspähung dieser Erzeug- 
nisse wird auch über allerlei Besonderheiten der Maschinerie Auskunft 
zu erlangen sein, so dass der Plan im Zusammenarbeiten der Theile 
mehrweniger zutreffend construirbar sein mag (und aus ihrer Wirkung 
die Ursache sich klärt). 

Wenn deshalb der Denkgeist (im Stolze seines vollen Bewusstseins) 
den Schleier (der Isis) sich nicht vom Antlitz abzuziehen erlaubt, wird 
er entlarvt sein durch seine Zeugungen, gute und schlechte, oder (für 
objective Zuschau) adiaphora (im Durchschnittsmaass). 

Diese Zeugen seiner Thätigkeit vermag das Denken nicht zu ver- 
bergen, denn auch in ihm treibt unwiderstehlich der Wachsthumsdrang 
aus dem »Organisationsprincip« eines »Nisus formativm?«, im »geheimen 
Bautrieb« (s. A. Lange), einer »Kreisenden Gebärerin« (b. Bruno), bei 
den (nach der »Continuität der Vorgänge« gültigen) »Gesetz des geistigen 
Wachsthums« (s. Wundt) oder aus »Attraction und Repulsion«, als die 
(bei gegenseitiger Umsetzung verschiedenartiger Substanzen) »noth wendig 
äusseren Folgen der inneren Zustände« (s. Herbart), bei den Vorstellungen 
als »Selbsterhaltungen« der Seele (gleich den inneren Zuständen, wie 
ihnen entsprechend in alle den »realen Wesen«): dem Selbsterbaltungs- 
prineip zufolge (bei innerlicher Keaction gegen den von aussenher ein- 
fallenden Reiz). 

Was bei solchen Entfaltungsprocesaen vom Denken (in anthropischer 
Specialität) producirt oder erzeugt wird (aus potentiell ihm eiugesäeten 
Keimen), »Ur vermögen« (b. Beneke) oder sonstigen xotvai ivvotat in »Logoi 
spermatikoi« (der Stoa), aus »notitiae commune«« (b. Herbert Ch.) und 
»common principles« (s. Reid) hervorsprossend, sind klärlich genug seine 
Anthropomorphosirungen, aus dem Reflex (auf zoopolitischer Sprachsphäre) 
zurückspiegelnd (so dass hier der »Spiegelung« der »Spiegel« zugefügt wäre). 

Indem somit dem Studium (zum Arbeitsmaterial) die Incarnationen 
der Gesellschaftsgedanken geboten sind, aus »lautlich umkleideten An- 
schaunngsbildern« in Fleisch und Blnt, mit Hülle und Fülle der ethnischen 



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- 157 - 



Aussagen [in Rechtsinstitutionell, (immateriell) eingekorperten sowohl, wie 
mit den (mythologischen) Gebilden ethischer Religiosität umschwebend], 
so steht einer Verwendung der comparativen Methode das Mindeste nicht 
entgegen (ausser etwa ein »embarras des richesses« der Vergleich ungen); 
und daneben kann die genetische ausverfolgt werden, um auf die 
»Elementargedanken« zu gelangen, als > Uni taten des Gesellschaf tsgedankeus«; 
der sich andrerseits buntschillernd bricht in den Wandlungen der »Völker- 
gedanken« 1 ), nach den geographisch-historischen Bedingnissen der Umwelt, 
wie den (topischen und socialen) Agentien entsprechend, die darin walten. 
Was bei subjectirer Versenkung (einer »Inspectio sui«, in Autologie) sich 
unlösbar erweist (für die Individualpsychologie), findet seine naturgemässe 
Losung aus objectiver Umschau in der Noologie, innerhalb deren (durch 
das Sprachband umschlungenem) Gesellschaftskreis die Zielrichtung zu- 
rückfahrt wiederum auf das Individuum, um seine eigene Selbständigkeit 
sich festzustellen (wenn ernstlich so gewillt). 

Ohne viel Muhen im grüblerischen Kopfzerbrechen kann das übrige 
dem durch das logische Rechnen gezogenen Fazit überlassen werden, das 
bei bewahrt befundener Controlle sich als richtig zu erweisen hat, da 
das in geometrischen Zeichen (b. Galilei) geschriebene »Buch der Natur«, 
bei (Kepler'8) »Harmonia mundi« (im Nachhall pythagoreischer Sphären- 
gesänge), durch die arithmetischen Denkgesetze entzifferbar sein moss, aus 
Uebereinstimmung kosmischer Gesetzlichkeiten, — wie sie mehr und 
mehr im heutigen »Zeitalter der Naturwissenschaften« sich zu enthüllen 
beginnen [beim Ansteigen der (das Wissensbereich erhellenden) Sonne, zu 
ihrem Zenith]. * * 

') Der in oratorisch pompöserer Diction allgeläufigen Bezeichnung der „Weltan- 
schauung* ist die des „Völkergedankens" substituirt, um dadurch das (neuerdings ermög- 
lichte) Hineintragen des genetischen Prinzipes zu markiren, und im heutigen „Zeitalter der 
Naturwissenschaften" mit den übrigen Disciplinen desselben auch die ethnologischen auf 
gleiches Niveau zu stellen. Die Verschiedenheiten in der Weltauffassung, unter Hellas* 
hellerstrahlendem oder des Nordens wolkig umdflstertem Himmel, phantastisch wuchernd 
in Indien'» Tropennatur, prosaisch geglättet in China'« geschäftlichem Verkehr, dualistisch 
im Widerstreit Iran's mit Turan u. dgl. m. bat von jeher vor Augen gelegen, zu an- 
ziehender oder abstossender Anschau, je nach den Launen des Geschmackes oder der 
Stimmungen. Jetzt aber tritt die Erforschung hinzu, um die eigenartigen Verschiedenheiten 
(cauttal) zu erklaren durch eine nüchterne Verstandesarbeit; und lür sie wird es in nächster 
Zeit viel zu thun geben, da neben den obigen Paradigmen Hunderte und Tausende von 
Vergleiehsobjecten mehr (grosse und kleine) hinzugekommen sind (die ihrer Bearbeitung 
harren). Das vernünftige Erkennen (im Gegensatz zu dem verständigen) „besteht in dem 
Waltenlassen der Sache selbst oder der allgemeinen Vernunft in uns, die mit dem 
Wesen der Dinge identisch ist" (s. Hegel), wenn das logische Rechnen (auf natur- 
wissenschaftlicher Unterlage) sein eigenes Fazit sich ausrechnet (im Denken). Es ist 
ein jedes Volksleben, wenn es sich einmal zu öffentlichen Verbaltnissen erhoben hat 
(s. Leo), .ein Gedanke- (ein „System von Gedanken- 4 ), als Völkergedanke" (innerhalb 
geographisch-historischer Umgebung). 



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- 158 - 



Wenn unter den ineinanderverschlungenen Wechselbeziehungen, die 
in der Welt sich wandeln, das in seinen Vorstellungen darin lebende 
Denken den gesicherten Ausgangspunkt in sich selber zu nehmen hat, so 
bleibt die metaphysische Ichheit, als Resultat der complicirten Bewusstseins- 
Vorgänge, zunächst auf deren verdeutlichende Klärung hingewiesen, im heutig 
naturwissenschaftlichem Sinne, so dass an Stelle einer subjectiven »Inspectio 
sui« die objective Umschau zu treten hat, beim Rückgang auf die 
somatisch psycho-physischen Wurzeln, aus denen das Noetische (wfy<wc 
vorjoztoQ Uyaic) entsprungen ist, innerhalb des humanistischen Mikrokosmos 
(auf sprachlicher Gesellschaftsschichtung). 

Statt der res extensa (in ihrer »Substautia«) neben gestellt zu sein 
(oder gegenüber, iu dualistischer Spaltung), hat die »res cogitans«, als 
rechnendes Denken, seine mathematischen Operationen zur Entzifferung der 
geometrischen Zeichen zu verwenden, wie dem »Buche der Natur« — 
mit den Gedauken ewiger Vernunft (b. Campauella) — eingeschrieben; 
aus der Ausdehnung fortgedehnt, bis in makroskomische Unübersehbar- 
keiten hinaus, »Dum deus calculat fit Mundus«, und dem »Deus« im 
»Universum« entsprechend (b. Varro) hätte solchem Vorgang zu folgen 
des Menschen > Genius, cum quo nati snmus« (s. Censorious), wenn 
(nach philosophischer Ausdrucksweise) der Entwicklnngsprocess Gottes 
im Menschen sich vollzieht, oder, wie der Physiker es formulirt, auf 
Grand von Hertz's bahnbrechenden Untersuchungen: »Die alte Idee, dass 
wir die Natur aufzulösen vermögen in ein System kleinster Atome, die 
sich durch Kräfte bewegen, und dass in der Mechanik eines solchen 
Systems die Gesetze des Weltganzen zu finden sind, wird ersetzt durch 
die bescheidenere Form, dass wir anzufangen haben mit der Vorstellung, 
in allen Erscheinungen, die wir untersuchen wollen, besteht stets schon 
irgend ein innerer Zusammenhang zwischen den sich bewegenden Körpern, 
den wir nicht in seinem Wesen, sondern nur seiner mathematischen Form 
nach kennen« (s. Classefi), so das hier ein pythagoreisches Echo zurück- 
tönt, von den Zahlen als npdxfiaxa\ wie das ihres Sphärengesanges, in den 
»Harmonien kosmischer Gesetzlichkeiten« — , mit denen auch die rationellen 
zusammenklingen, seit ihnen, aus ( dunkel verhüllten Tiefen, das Denken 
sich aufzuklären beginnt, im Bereiche vernunftgemäss gezogener Grenzen. 

Wie die »Minima« oder »Monaden« psychisch zugleich gelten, nicht 
nur materiell (b. Bruno), so durchwallt (auf dem Buddhagama) das 
Dharma, in Einheitlichkeit des physischen und ethischen Gesetzes (bei 
»moralischer Weltordnung«). 

Das Erste ist da geboten (b. Philolaos), wo die Eins (rb npatrov 
äpfioaöiv oder ~b npw-ov iu) zusammentritt {po\t't<naadat) % aus den Mole- 
külen (des Minerals) oder mit gemeinsam umschlossenen Substanzen in der 



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- 159 — 

Zelle, an [dpx*l tf* peraßotfg (peripatetiscb) oder dp/tötov] für die sono- 
graphischen Detailarbeiten; und inwieweit die (positivistisch) verbotenen 
Ursprungs fragen eine Annäherung dermaleinst erlauben mögen, hat von 
den Vervollkomrnnnngen des »logischen Rechnens« abhängig zu bleibeu 
(auf dessen Infinitesimalcalcul hinausgestellt). In heutigen Begründungstagen 
der Ethnologie sind wir hingewiesen auf Fundamentirnng des Untergrunds, 
auf dem (in den Tagen, die kommen werden) die Epigonen gesichert werden 
fortbauen können, zum gemeinsamen Besten, bei Consolidarität der 
Menschheitsinteressen (durch Räum und Zeit). 

Was im Denken wirkt, fällt in die Kategorie dessen, was als 
Wirkung eben bezeichnet zu werdeu pflegt, in Kraftäusserungen an stoff- 
lichem Hypokeimenon ; von solchem jedoch abgelöst (frei insofern) oder, 
um tellurischen Erfahrungen nicht zu widersprechen, an einem immateriell 
Unterliegenden, in Substanz (dessen »qui subsistit«; unter ähnlichen 
Wandlangeti) ngirend [und in Aeusserungen (der Modi) bethätigt]. 

Da nun das Seiende nur unter seiner Erhaltung durch Energien 
fasslich ist, gelangt die Denkthätigkeit somit auf denjenigen Urgrund, der 
dessen Ursache erschliesst, nm daraus sobeziiglich den eigenen zu klären 
(bei genügend vervollkommneter Kenntniss im Detail). 

Was seelisch belebend gespürt war, lag in dem (gleich Kla und 
Kelah) sämmtliche Naturgegenstände durch walten den Lebensprincip (aus 
allgemein darin wehendem 1 ) »Pneuraa«), und solch psychische Entelechie 
mochte von der »threptischen« (und »aisthetisch« auschlüssigen), aufsteigen 
zur »diabetischen« (im geistigen Schaffen). 

Als deren culturelle Reife zu den in Schönheit strahlenden Ent- 
faltungen (im Hellenismus) gelangt war, wurde dahin die Aufmerksamkeit 
des auf die Stimme seines »Daimonion« lauschenden Denkers gefesselt, und 

i) Der „Atbem des Lebens" (Nescbama hajioi) wurde dem Meuschau iu die Nase 
geblasen, als Nephescb hajam, das (den Pflanzen mangelnde) Nephesch beizend (a. 
Roheublüth), weil ein «von der Erde losgelöster Organismus", während alle Dinge vom 
Ruach durchhaucht sind. In jedem dinglich gespiegelten Sein umkreist sich das Centrum 
eigener Individualität, die in humanistischer Wesenheit vom Jenseitsher sich angehaucht 
findet, ans Vorbedinglichkeit solcher Existenzform (wie unter den in der Welt ge- 
wandelten Wechselbeziehungen realisirt, in actueliem Bestände). Der vernünftige Theil 
der allgemeinen Seele galt ats unsterblich (im Averrhoismus), insofern er beim Tode in 
die allgemeine Wesenheit zuriickfliesse (s. Windelband), wobei sich unter (vedantischer) 
Absorption [ans (der Nyaya) „Pramanas"] die im Denken zur Stetigung gelangte 
Individualitat (des Purusba) bewahren lässt (in der Saukhya), und das elementar Seelische 
(in Praeexistenz und Postexistenz verharrend) wäre unsterblich an sich (im Leben selber). 
Der nm Unsterblichkeit bittende Indianer wird von Menubozbo in Stein verwandelt, zum 
gesicherteren Bestände des Lebens [in (bäthylischen) ti&m Ifv}m^oi\ % als in einer (beim 
Mnsiciren) verhungernden Cicade [da Tithonos (beim Zusammenschrumpfen) seine 
Stimme verlor]. 



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- 160 



dessen Schulers »Logistikou« (oder Hegemonikon) fuhr mit dem (in Sufwc 
und ImdoftTjTixov angeschirrten) Zweigespann aus idealistischen Höhen 
(um tSkk oiapoupuvtos) hernieder in irdische Materie, deren Phänomenalität 
weniger Schwierigkeiten bereitete, als bei ihren Realisationen am Unter- 
bau (durch peri patetische Epagoge). Deshalb wurden die Ideen, als ab- 
getrenute (^(optffrau), verworfen, aber immerhin dem »Nous« seine jenseitige 
Herkunft belassen, aus der er e&o&ev herbeigekommen. 

Als dem somatischen Gerüst wiederum eingefügt, um die (eleatische) 
Einheitlichkeit zu bewahren (in der Stoa), thronte er (gleich Tso oder 
Miugkhuan) am Scheitel, als » Hegemonikon «, was [zur Vermählung mit der 
»Animac im »Animusc (»quo carent bestiae«), oder in (Cicero's) »pars 
rationalis«], dem »Genius« (cum quo nati sumus) entsprach, und dieser 
(b. Varro) dem »Dens« (im »Universum«). 

Das war beim Monopol eines [aus (monotheistischem) Semitismus 
introducirten] Gottes (als »Omnipotens«) nicht zulässig und so (unter 
Vorwegnahme des i£ odx uvuov Geschaffenen, als stillschweigenden Besitz), 
folgte die »zweifache Wahrheit« (der Scholastik), wobei die Philosophie 
der Theologie zu dienen hatte (als »ancilla«). 

Als in dem astronomisch bis zu zeiträumlicher Unbegrenztheit (b. 
Nie. Cus.) ausgeweiteten Weltsystem (bei heliocentrischer Revolution) das 
experimentell tentative Befragen der Natur begann (durch Galilei), um 
in ihrem (mit selbsteigenen Gedanken höchster Vernunft eingeschriebenem) 
»Buche« (b. Campanella) zu lesen und (s. Bruno) die »Natura natu rata« 
(einer natura naturans) zu entziffern, baumelte die humanistische Specifitat 
der Seele (in exotischer Hambaruan), als loses Anhängsel einer »forma 
superaddita« (b. Telesius), bis sie, bei innerlicher Vertiefung in die 
»Meditationes de prima philosophia« (b. Cartesius), kraft radical dualisti- 
schen Einschnitts, ihrer selbsteigenen Welt zugewiesen wurde, als »res 
cogitans« (der »res extensa« gegenüber); und obwohl bei Abschwäcbung 
zu Attributen (des Denkens und der Ausdehnung) in (Spinoza 's) »Substantia« 
die Einheit für die »Essentia« (b. Petrus Lombard.) herzustellen versucht 
war, zitterte der bereits gegebene Impuls, trotz Erkenntniss theoretischer 
Umgrenzung (des kritischen Reformers), fernerhin nach, bis auf den 
»absoluten Idealismus« [dem die endlichen Dinge nicht (wie im subjeeiiven) 
als Erscheinungen für uns gelten, sondern als Erscheinungen an sich]. 
Bei sich selbst scheint die Denkthätigkeit eiu Princip der Bewegung zu 
erhalten und aus seiner Entwicklung eine eigene Welt, »die allein wahre 
Welt, zu erzeugen« (s. Eucken), im Denkprocess (Hegel's). 

Schon indess war der Naturalismus (aus der durch Vergleichungen 1 ) 

>) Alle Erweiterung der Kenntnisse beruht auf Vergleichungen, um in einer Gleichungs- 
formel rergleichuugsfabige Grösseu, die Merkmale der Differenz {Smfopa thhnov*;), als 



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— 161 - 



gelieferten Speisung) genugsam erstarkt, um seine Rechte zu reclamireu 
und ihnen — seit mittelst der durch die Psycbo-Physik festgelegten 
Stützen zur Noologie fortgeschritten (auf Grund der thatsächlich 
gelieferten Belegstücke, aus ethnischen Aussagen) — allseitig ge- 
recht zu werden: um nämlich die Natur- und Geisteswissenschaften in 
einem gemeinsamen Focus der Betrachtung einzufassen; zur Verwendung 
der comparativ -genetischen Methode, wie hei den übrigen Fachdisci- 
plinen bewährt erprobt, auf die Behandlungsweise der humanistischen 
Studien gleichfalls (in der »Lehre vom Menschen c). 

Allerdings steht auf selbsteigen erbeigenthümlicher Sphäre [der dem 
durch den Logos (innerhalb inakrokosmischer Unabsehbarkeiten) auferbauten 
Mikrokosmos zugehörigen] das zoopolitische Bereich der Gesellschaftsge- 
danken, aber mit deren (ernährenden) Wurzelenden ein verzweigt in somatisches 
Körpergerüst (des psycho-physischen Organismus); und wenn im normal 
gesundheitlichen Wachsthum die noetischen Blüthen zu ihren Wissens- 
früchten sich entfalten, mag daraus ein Jeder wiederum die seiner persön- 
lichen Individualität congeniale Nahrung entnehmen, um den eigenen 
Ziffernwerth selber sich herauszurechnen (unter den Harmonien kosmischer 
Gesetzlichkeiten). »Erquickung hast Du nicht gewonnen | Wenn sie Dir 
nicht ans eigener Seele quillt« (im Dichterwort): der Gefuhls-Seele, um 
im »dunkeln Weben des Geistes« (nach metaphysischem Gefühl) -die beun- 
ruhigend aufschwellenden Wogen abzuglätten, — oder (besser wohl) der Denk- 
Seele, um den Wissenshunger zu stillen [und den (Wissens-) Durst zu löschen, 
aus den Quellen der Erkenntnis«, deutlich klar; und wahr insoweit]. 

typisch Eigentümliches (proprium) festzustellen (wie determinirt), unter Disposition der 
Verhältnisse eines Ganzen zu seinen Tbeilen (definitio fit per genus prozimum et 
differentiam speeificam). «Wie das Urtheil auf einer Vergleiclvung von Vorstellungen er- 
folgt, so geht aus der Vergleichuug von Urtheilen der Schluss hervor" (s. Biese), im 
(logischen) Rechnungsprocess (des Denkens). Die im mineralischen Kristall, nach 
temporärer Erweckung aus der Latenz, unter Abgleich ihrer wablverwandschaftlichen 
Affinitäten, erstarrten Kräfte fuhren bei analytischer Zerlegung auf ein Letzt-Aeusserstes 
im Element, als Unterlage (zum synthetischen Aufbau). Beim jedesmaligen Sonderfall 
biologischer Entwicklung muss für den Ausgang der Betrachtung das Total zeitlich 
recurrenten Verlaufs überschaut sein (öpguröat tö xa&aloo), zum Ausgang der Betrachtung. 
Bestandteile von Stemm .und Stengel der Pflanze, durch einen Reisenden dem Botaoiker 
fiberbracht, reichen zur Bestimmung erst aus, wenn BlQthen und Früchte zugefügt sind 
(auch auf die praktische Yerwerthung hin), und der Rückgang der Wachsthumsvorgänge 
führt die genetische Methode (mit coniparativer verbunden) auf die Zelle, als celluläre 
Eins (an ipf)) rg? tuToßnXifi). Die Herkunft der am chemischen Stoff electrolv tisch 
oder in dem potentiell geschwängerten Keim wirkenden Krafteoergieen entzieht sich dem 
finalen Ausblick (in makrokosmische Lnabsehbarkeiten), wogegen zwischen Anfang und 
Ende die (ineinander gewobenen) Proportionalitäten rationeller Berechnung geboten stehen. 
.Das Naturgesetz ist eine allgemeine Kogel, nach welcher an da« Zusammentreffen bedingter 
Realbedingungen in der Natur jederzeit und allerorten das nimliche Ereignis» als Realeffect 
geknüpft erscheint" (s. Liebmann), unter causalen Wechselbeziehungen (kosmischer 



Zur ethnischen Psychologie. 



Was über die Auffassungen der Wildstämme von ihrer Seele be- 
richtet wird, bleibt, mehrweuiger zutreffender Darlegung nach, von der 
psychologischen Schulung des Beobachters (oder seinen ethnischen Ver- 
anlagungen) abhängig, und ist für beigelegte Namensbeseichnungen (soweit 
keine etymologische Erklärung zugefügt war) tcutn grano salis« hin* 
zunehmen, nm ihnen (zu benöth igten Rectificationen) diejenigen Correcturen 
anzulegen, wie sie aus objectiven Vergleichungen , mit Gleichwertigem 
von anderswoher, sich darbieten. 

In Mehrzahl der Falle, bei einem flüchtigen Besuch des Durch- 
reisenden, ist das heimgebrachte Material ein an sich schon unklar ver- 
worrenes, und um nicht durch frühzeitig subjective Deutungen weitere 
Trübungen hineinzutragen, empfiehlt es sich zunächst, die Berichterstattung 
unter »ipissimis verbis« der dafür einstehenden Autorität zu bewahren (bis 
das bei ihnen Verschobene an seinen richtigen Plat» eingeruckt ist). 

Wie sehr neuerdings auf wissenschaftlichen Expeditionen, welche ein 
länger eingehendes Studium des autochthonen Gedankenganges gestatteten, 
die Zeugnisse darüber verbessert worden sind, hat besonders denjenigen 
zur Empfindung zu kommen, die bei dem früher desolaten Zustand mit 
dessen Mühseligkeiten sich abzuplacken hatten, ehe für die Forschung, mittelst 
der Elementargedanken, eine gesicherte Unterlage gefunden war, — nachdem, 
dnrch was sie über sich selber auszusagen hatten, in gegenseitigen 
Bestätigungen, die daraus hervortretenden Folgerungen auf gezwängt sein 
mussten. 

Ueberall freilich klaffen noch Lücken genug, die durch monographisch 
vertiefte Detailarbeiten erst auszufüllen sein werden, ehe weitergehende 
Verallgemeinerungen werden gewagt werden können, und bis dabin bleiben 
wir in der Hauptsache auf tentative Annäherungen hingewiesen, auf 
experimentirende Versuche, wie durch die Erfahrung in die Hand gre- 
geben, bis das aus wahlverwandtscbaftlichen Affinitäten Naturgemässe zu- 
sammentrifft, und daraus dann das richtig Zutreffende hervorspringt zum 
dauernden Bestand (unter den durch doppelte Controlle bewährt erfundenen 
Resultaten). 



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Das Misslische der Sachlage wird für den Ethnologen dadurch ver- 
mehrt, dass ihn die landläufige Psychologie, trotz deren jahrtausendjähriger 
Pflege, völlig im Stich lässt (ans den durch den Geschichtsverlauf 
genugsaui erklärlichen Gründen). 

In der Individualpeychologie hat die Psycho-Physik der Gegenwart 
ihre naturwissenschaftlichen Stützen aufgerichtet und den anschlüssigen 
Forschungsgau g deutlich vorgezeichnet, aber in der Noologie hapert es 
noch in kläglichster Weise, während es darauf gerade ankommt, bei der 
Völkerkunde und ihren Völkergedanken (als geographisch-historischen 
Wandlungen des »Gesellschaftsgedankens«). Mit der modern metaphysischen 
Psychologie ist wenig oder nichts zu machen, noch weniger fast als mit 
der scholastischen, in der die classischen Reininiscenzen erkennbarer 
durchschimmern [ausser dass der w>Dc im Zoon politikon des »Pbilosophus« 
▼on seinen An- (und Nach-)betern vergessen war]. 

Am rathsamsten bleibt es, direct auf die Quellen zurückzugehen, auf 
die dem (durch die Akribie philologischer Studien durchackerten) Boden des 
Alterthums entsprudelten, wo die peri patetische Psychologie den geeignetsten 
Führer abgiebt — carere monmeutis Aristotelis non possumus (s. 
Melanchthon) — , schon ihrer Proclamirung der humanistischen Gesell- 
schaftswesenheit wegen (uvdpwnos ipoast Ca>ov zokztxdv). 

• Seine Epagogen auf die induetiven Forschungsbahnen überzuleiten, 
hatte dem Stagiriten allerdings versagt zu bleiben, bei der Unvollständigkeit 
dea damaligen Naturerkennens, aber trotzdem ist seine Psychologie 
mit entwicklungsfähigen Keimen gesättigter, als die seines Lehrers; 
welche andererseits dagegen eiu abgerundeteres Bild liefert, weil im 
Idealismus deduetiver Arbeit ungestört verblieben. 

Schon aus ihrem Praeexistentiauismus sind entsprechende Analogien 
gewährt, zu dem, was überall m. m. sich antrifft, unter »notitiae 
commune8« [im Pan psych isnaus eines (ethnischen) Anirnisraus]. 

Dem zum Festmahl des Zeus auffahrenden Gölterwagen folgend, zieht 
auf dem vom Logistikon, — das seine Rosse [im (nachgiebigen) fjyi/Jc und 
(wiederwilligen) imäupfjuxav] zu zügeln hat — gelenkten Gefährt die 
Seele (Plato's) am byperuranischen Ort umher, bis mit zersplittertem 
Gefieder niedersinkend in das aSyia als <rr^a [wie wenn (auf dem Buddhagaina) 
mit Beschwerung des Körpers durch irdische Speise, die Glanzleiber der 
Abhassara verdunkeln; obwohl ihnen als Kalyanaphutthayana die 
»Anamnesis« (zur Belehrung der Andhaputthayana) verbleibt]. 

Die Kara (Okara) oder Seele (der Asante) bringt aus ihrer Praeexistenz 
die Vorherbestimmuog oder Okara (»okra«, 1 ) Auftrag) mit sich herab (s. 

«) O-Kra (Seele) oder Okara, von Kara, im Abscheiden oder Verabschiedung zum 
Benachrichtigen, wie vorbestiromt (im Gebet), als Kla (dos Ewccr), nach der Seelen- 
il* 



— 164 — . 

Christaller), und das Fernere hängt dann (wie bei Bon und Bap, ffir das 
K ar ni an ) vom Betragen (» Abrabo«) ab (bo bra-po, »to behave well « , bo bra bone, 
»to behave ill«). Ans den durch körperliche Berührung [wenn von Prakriti's 
Verführungen Purusha (der Sankhya) sich rechtzeitig nicht abgewandt 
hat] folgenden Beschmutzungen, scheidet für die [verwandtschaftlich (»per 
traducem«) geknüpfte] Wiedergeburt »Brac 1 ) sich ab, und in der Neugebart 
wird dann (in Guinea) der zurückgekommene Vorfahr begrüsst, je nach der 
Aehulicbkeit [auch im Weissen (als geschrappter Todte) in Australien 
oder (als weissgewaschener Mohr) bei den Tuschilango]. 

Wenn die derartig verunreinigte') Kara, beim Verlassen des Körpers 
im Tode, nach dem (in Heiligkeit eines Göttersitzes, ihr sodann un- 
zugänglichen) Ursprungsort (Nodsie, der Eweer) nicht zurückgerufen 
werden kann (twe kra), hat sie in Sisa oder Osaman sich zu wandeln, 
die nach zeitweis gespenstischem Schweifen am Grabe [als (Ovid's) »Umbra« 
den TnmnluB umfliegend] auf Einfahren in warme Behausung [eines (evan- 
gelischen) o&of] erpicht ist (wie die Abiku in Yoruba); welches Gebahren 
indess [da die der Bla — welche schon im Mutterleibe über ihre Vorher- 
bestimmung (fwen) befragt werden kann — zustehende (au sie cedirte) 
Legitimation fehlt], mehr die Form temporärer Besitzergreifung (als Besessen- 
heit) annimmt, und schon durch das Hungergefühl [der (engmundigen) 
Preta] veranlasst sein muss [um mit Kinnbacken und Zähnen des Besessenen 
(in Guzerat) zu essen und fressen]. 

Der Idee nach (in platonischen dpxivjnot idealisirt) bestand, unter dem 
Kreisen der Zeitläufte, die menschliche Existenzform (der Eweer) als Phantom 
in Nodsie (am Topos hyperuranios), an (Mawu's) » metakosmischem t Sitz 
(b. Philon), und wurde (nachdem in des hellenischen Demiurgos Kelch das 
niedere Seelenpaar beigemischt war) durch Mawu') herabgesandt (in das 

beiraatb (in Nodsie) zurückkehrend (im Praeexistentianismus); Nkra-bea (destiny), Kr*- 
befwe (wouder) etc. 

') Bla der Fanti (Ba zu pharaonischer Zeit), neben Ka der Sarcophage (für die 
Doppelung), uod Kla (Nigritien's). 

*) Voran steht überall die Reinigung, im Waschen (der Pu-loi), als Asumguare (der 
Asante), „washing of ones soul (okara) in the weil (in tbankful acknowledgment of tbe 
prosperity granted bim by bis soul). The uncleaneuess, („a kind of visible impalpable 
atmosphere, like a vapour-, durch Urin abgewaschen), kommt von unreiner Berührung (wie 
einer menstruirenden Frau) und verhindert Jagdglück (bei den Eskimo), so dase beim Fisch- 
fang .Alle reinlich gekleidet sein müssen" (auf Grönland), und jedwelchem Unternehmen eine 
Reinigung voranzugehen bat (auf den Pelau). Die in Verunreinigung (des Blutes) schäd- 
liche Malaria schwebt, als (ausdünstender) Dampf, über den Bäumen (für die Papua). Vor 
der Weibe wird der Lehm des (sündigen) Rothmenseben abgewaschen (als Borboros für die 
Telentai). .The first man, that was created, was Tii, clothed in Sand, whom Taaroa 
eonjured from out of the earth" (s. Henry), woraus Jarbas bervorw&chst (und Tuiscoo). 

*) Mawu wird etymologisch erklärt (b. Schlegel), als Negation von Wu (.übertreffen"), 
so dass es bei Praeexistenz der Seele in Nodsie auch auf ein (transcendeutal) Hyper« 



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owfxa als aym). Und so (kidmathenu, in der Genesis) fallt ihr Schatten 
(»Luwoc), in den (asantischen) Körperleib, wo aus materieller Berührung 
diejenigen Beschmutzungen drohen, von denen (in der Sankhya) Purusha sich zu 
reinigen hat, wenn von Prakriti's Verführungen rechtzeitig nicht abgewandt. 

Ist der Tonus organischer Spannungsweite, oder (b. Richeraud) 
»Orgasmec, wie aus stoischem rnttupa hbtpfiov (den Logoi spermatikoi) ein- 
wohnend, in Umlauf eines xuxlos j-eviosax: auserschöpft, mit dem Zerfall des 
somatischen Gerüst's, so ist dem Seelischen, in nigritischer Version der 
Kla — mit Aklania, als Iraywc (aus seinem #o//öV dem Xoyumxdv zur 
Stütze herantretend); im Daimonion (eines fwaraymxbz rou ßioii) — die 
Rückkehr in Praeexistenz beschieden (wenn normal und brav verblieben), 
da von ihr Bla für irdische Wiedergeburten abgeschieden ist; während 
unter der Bezeichnung als »Noli« der noch ungereinigte Rest am Grabe 
fortspukt, als Gespenst der Sisa; die nach Besitzergreifung umb erspäht, zum 
Einfahren, (in Besessenheitszuständen periodisch, oder für erneute Rei'n- 
carnation regulär fixirt). 

Solcherlei Metempsychosen sind auf dem Buddhagama nach des 
Karman Decret geordnet [aus moralischer Verantwortung des Gewissens 
oder (in Guinea) GbedsiJ, wie in Anaximander's Dingen, die dtxyv und xiatv 
zahlen (der ddtxia wegen); und imTimäus wiederholen sich die Metasomatosen, 
welche Empedokle8 zu untergehen hatte (auf seinen »Jataka«), während 
die von Piudar seiner «Despoina» übertrageneu Reinigungen, von Cootay 

Uranisches hinauskommt (wie in Plato's Praeexistianismus). Der Prophet als (semitischer) 
Nabbi (oder Rasul Allah's) sitzt am Munde Gottes („euo Mawu no"), und no-dsi (ansitzen) 
führt dabei auf das Geistige im Herzen (Dsi), dem Himmel oder Oben entsprechend 
(gbogbo Dsi). Die als Roflb fungireoden Wahrsager, (der Mantis neben dem Hiereus), 
haben es dagegen mit Dämonen (-Göttern) zu thun [den Dämonen (b. Sokrates), als 
«Kinder der Götter"] im .Dro we" (Götterraum), und sie werden angereicht im Traum 
(e-dro-ku) oder mögen interpellirt werden, um [da ihnen das Rechten (dro) oder Rechts- 
fälle zu schlichten zustand; wie den Drottar oder den zur Richtatätte binabreiteodeo 
Äsen] die correcte Entscheidung bei Ordalen abzugeben, aus ihrem Geisterreich („edrisie"), 
wie der Stifter der Academien öfters (s. Xenophon) für angezeigt nicht nur, sondern rathsam 
hielt, in ungewissen Zweifelsfällen dem Vögelflug (in Augurien der Dayak etc.) sich zuzu- 
wenden, oder prophetischen .Stimmen" - dem Gewieber der weissen Rosse (bei Germanen) 
e. g. — an den Orakelstätten (des Brafoo- Fetisch, im Lande der Panti) u. s. w. Iu den gewöhn- 
lichen Lebensverhältnissen empfahl er dagegen (in den Dialogen) den verstandsgeniässeu Ge- 
brauch der gesunden Veruunft, bei den Gewerken z. B., wofür ihm das des Schmiedes als 
Gleichniss diente; wogegen der Neger, dem solch logische Schulung fehlt, den (occasiona- 
listihch) göttlichen Eingriff überall zu spüren meint, und wenn als Schmid z. B. sein Lebens- 
.Gluck" sich schmiedend, dem Schmiedegeräth schon seine Verehrung darbringt [in dem, 
jedem Handwerkerstand (wie seinen speciellen Aufgaben gemäss) geziemenden, Fetisch als 
.Patron" unter den Heiligen]. Eto-mefa (bei den Eweern), „ihm ist kühl im Obersinn, er 
hat Ruhe, Frieden" (s. Schlegel), im Kopf (etu), wie aus Nirvana Kühlung anweht (den im 
Buddbathum Befriedigten). In den Unterleib (Dome) werden die Gefühle gesetzt (des 
Mottos, oberhalb des im>9o/iT t Tum>), „domefafate" (gutraüthig) u. a. m. (lexicaliscb). 



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besorgt werden,~an den »Plu-Pho< im Plu (der Kareu) oder von Genowie 
(der Blandasa). 

Uni der Vorzüge der (zu künftigen Seligkeiten befähigenden) Purga- 
torien (im Purgatoriam) theilhaft zu werden (und von ihneu zu profitiren), 
muss ein Fortwandern des Eidolon auf dem [durch den »Ersten Menschen« 
(der Hidatsa)angezeigten]Todeswege vorangegangen sein, nnd so nachdem die 
(Schatten-)Seele(Luwo's)eine Zeitlang am Grabe umhergeirrt hat, wiein platoni- 
schen itxo-ctQ fiööot (des Pbadon), wird ihr durch das Leichenceremoniel nach- 
geholfen, um einzuziehen in das Land der Iüsisa (auf wassemnjflossenen Inseln 1 ) 
des Volta) oder (bei den Fanti) der Shramanadzi (»Mbukpo« der Erik), so 
daS8 durchweg die gleichartigen Elementargedanken (in causal nahe- 
gelegter Verknüpfung) hervorreden (unter ihren ethnischen Versionen). 

Beim Sterben reisst der Noso (Athem oder Seele) ab (aetre), um 
(auf Nyas) von Maluska übernommen [und dem Debata (der Batak) 
zurückgebracht] zu werden, während der Beclioe jimate, als Schatten 
fortdauernd, zur Todtenstadt eingeht (Banoea niba tooe) und das Lebens- 
prineip im Herzen (dodo) zum Mokomoko verwerthet werden mag (für 
das Abnenbild), oder das »Eheha« vom Erben aufgenommene (animani 
excipere). Beim Uebergang ins Jenseits hilft die »Brücke 3 ) der Katzen« 

•) Wenn niebt durch das Meereswasser (wie auf den Seelen-Inseln der Airaren) 
wird das Todtenland durch Umkreisen eines Flusses abgeschlossen erhalten, um die 
Erinnerung (an das Eidolon) fortzu waschen (in des Lethe „»tillem Strom") durch (Fiji's) 
.Trostwasser" (Vai-ni-dula). I m in Brittia (b. Procob) anzulanden, wird das (indonesische) 
Seeleoboot in 1 » Meer geschoben (wie Baldr's Schiff, von den Äsen). Um die in den 
Tartarus mündenden Flüsse Kokytos und Pyriphlegelhon längst möglich zu vermeiden — 
den .Abyssus" oder .Abyssi carcerem" [gleich den (die Erlaubniss zum Einfahren in 
Schweine erbittenden) daquivta dzapram) fürchtend — , umschweift die (im Phaidon) ab- 
scheidende Seele [als (Ovid's) Umbra] die Grabstätte und sucht etwaigenfalles (zum Versteck) 
in Thiere (Esel, Wolf, Habicht, Geier oder Biene, Wespe, Ameise; nach dortiger Aufführung) 
einzufahren, auch in Menschen, wie die Abiku (in Yoruba) oder die (am Grabe spukende) Sisa 
(des Nachbarlandes), ehe ins Todtenroich der Insisa relegirt, auf den Inseln des Volta; nnd 
Odysseus Gefährte (sowie Patroklos' Seele) wünscht bald möglichst binuberbefördert zu sein 
(mittelst des Leichenceremonials). Um nicht von den tartarischen Flüssen (bis zum 
Auswerfen am acheruntischen See, um Verzeihung zu erflehen) umhergetrieben zu werden, 
liegt der Seele (Plato's) ob, sich für den Verkehr mit den ätherischen Göttern zu läutern, um 
dort den .Reigengenossen" (aus der Praeexistenz) wiederzufinden [.ad astrorura fnlgentia 
templa", aufsteigend; wie der (am südlichen Kreuz aufklimmende) Australier]. Kritisch 
entscheidet das Passiren der (Lügen-)Brücke [oder (b. Thoms) „the bridge of dread, oo 
brader, tban a thread"], mit ethnischen Analogien von allhcr (wie oftmals citirt). 

*) Durch das Ueberschreiten der (spitzigen) Messerbrücke (bei Tschercmissen) oder 
(bei Andamanen) .Rohrbrücke" [zu den „Märtyrern" au» St. Nicolans' Purgatorium (b. Matth. 
Par.) hin] findet (auf der Chinvat) der moralische Charakterzug — [wie durch das (mikro- 
nesiscb) kritische Ueberspringen (der Blandass), zu den (karenischen) Reinigungen (Plato's 
und Pindar's) führend; ehe das „bessere Land" erreicht sein kann) — den Todton- 
wegen sich eingewebt, während die sonstigen Abenteuer der, als Eidolon, hinwandernden 
Seele (bei Dajak, Viticr, Nahuatl u s. w.) als Productc einer auf dunkles Jenseits hin- 



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(auf Nyas). Das zuerst ans dem Grabe krabbelnde Insect wird aufge- 
wickelt mit dem Todten (auf Nuie) begraben, als Moni, »the soul« 
(s. Thompson), auch bei Mosquitoes (s. Sapper), und giebt (in Australien) 
die Richtung an [wo der Endoxe (Loango's) zu suchen]. Wenn die 
Raupe (Ngo) den Kopf bewegt ist das Gebet erhört (bei den Khuay). 

Ausserhalb der, neben der (schweifenden) Traumseele, im Körper 
verbleibenden Seele ist eine dritte sichtbar, als Schatten (bei den Irokesen), 
bei Unterscheidung eines kurzen und langen Schattend oder (bei Efik) 
eines feststehenden und beweglichen (in selbstbewegter Seele, atnb xtvoüv). 

Das Seelenpaar der Dondi treibt während des Lebens schon ausser- 
halb des Körpers sich umher, und entschwindet beim Absterben, während 
Somangot (der Bat&k) zur Praeezistenz zurückkehrt (an Debata's Sit«). 
Beim Fortgang der Wairua zum Reinga, verbleibt (s. Best) die Kumaga, 
als AtUa (moku), zum Speisen (bei den Maori). 

Während Tso (am Haupt) — »in arcec (b. Cicero), der >Akropolis« 
des >Geniusc — seinen Sitz bewahrt (bei den Karen) »no härm cau befal 
one from the efforts of the kelahc (s. Cross), in Siebenzahl, wie die sieben 
Seelenvermögen (der Stoa) vom »Hegemonikon c beherrscht werden (zur 
Verachtlachung). Wenn das Mann lein am Scheitel schwankt, wird dem 
Menschen übel (bei den Nutka), wie durch die zum Hirn aufsteigenden 
Alkoholdampfe (im »nutrimentum spiritus«). 

Wie periodisch im Traum, als (birmanische) Leipya (»Schmetterling« 
oder Psyche) flatternd, wandert die Seele (der Irokesen) im Leben schon 
ausserhalb des Körpers umher, wie im Dondi-Paar (der Batak). 

Wenn der Wih (der Karen) die entflohene Seele aus dem Schatten- 
lande nicht zurückzubringen vermag — weil sie, ehe vom Gilekitilal (der 
Cbinuk) erreicht, von der Todtenspeise (mit Proserpina's vorzeitigem 
Granat abbiss) schon gegessen — »he sees and lays hold of the shade of 
some person still in life« (bei den Karen), um solch Seelisches oder (bei 

schauenden Phantasie aufgedrängt sind, aus (dichterischen) „Komödien" oder den 
(algonkinisch) prophetischen Vistonen, bei den „Reisen durch Himmel und Hölle" (eines 
Mogulhana, Sir Owain, Tendalos etc.) ; und im Uebrigen steht (bei den Preusseu), „Jeder 
auf, wie er im Leben gewesen" (s. Duisburg), nach den (melanesiscben) Rangordnungen 
(des Tabu) oder den Weihen (der Epoptai). Dieser (bis zur Einförmigkeit) durchsichtige 
Elementargedanke würde, bei nochmaliger Auf- und Ausführung, die der „Wiederholungen 
wegen erhobenen Vorwurfe vermehren, scheint indess nicht erspart werden zu können, 
da er sich in umständlichen, stets „ab ovo" wieder beginnenden Abbandinn gen immer noch 
ignorirt findet, während der Fleiss der um Uebersicbtlichkeit bemühten Mitarbeiter bequem- 
liebst erleichtert sein würde, durch kurzen Hinweis auf eine längst erledigte Sache Und so 
verbleibt es bei der „Repetitio mater Btudiorum" in den Triviabchulen, die (neben dem 
Qnadrivium) vorher absolvirt sein mOssen [ehe die (ethnischen) Hochschulen dem Ein* 
tritt geöffnet sein können]. 



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Eskimo) Inna (a> Nelson) dein Patienten zurückzubringen und ein- 
zufügen, durch Ueberstülpen des »Geisterhuts« (bei den Ghineseu) oder 
(auf Madagaacar) der Mütze (wenn die am Grabloch ein- und aushuschende 
Seele gehascht war). 

Der im Totem (erblich) oder nach persönlicher Wahl [aus (indianischem) 
Manitu] im Schutzgeist [dem Kinde »mit der Seele« (s. Berthold) ein- 
gegossen» als »Genius, cum quo nati sumus«], begleitende Doppelgänger iat 
beim Ukpon (»Schatten«, als Seele) magisch »bound up« (s. Goldie) mit 
dem Leben, als »bush-soul« (s. Kingsley) schweifend (im Waldthier). 

üwem oder »Loben« (die Lebenskraft oder -seele) bezeichnet das 
Mark (»pith«) oder die Seele (der Feder auch), mit dem Persönlichkeits- 
gefühl ') in Owo (»somebody«) reflectirt und der »spirit« wird — wie mit 
dem (die »spiritus animales« beherrschenden) Archaus in den Magen (b. 
Paracelsus) — in die Leber (»the seat of the affections«) oder »Eset« 
(der Efik) verlegt: 3 ) in deren Leben; bis ihre Rolle ausgespielt war, mit 
den »exseqoiae hepatis« (als aus Harvey's Blutumlauf für die Medicia 
eine neue Aera zu kreisen begann). 

Von dem beweglichen Schatten (Ukpon oder »Seele«) wird der fest- 
stehende (Mfut) unterschieden (bei den Efik), ein kurzer und langer 
Schatten (bei den Indianern), und der beim Schlaf (unter dem Schatten 
seines Gottes) gekräftigte (Seelen-) »Schatten« ist (am Congo) »long and 
strong« (am Morgenfrüh), wie beim Tiefschlaf (aus Brahman). 

Die Ta-ghun-u-gak,*) als den Körper in dessen Formgestalt 4 ) er- 
füllende Seele, überdauert bei seinem Zerfall, weil mit dem allgemeinen 
Lebensprincip verknüpft (bei den Eskimo), und somit, unter den Wand- 



») .Wem", was in der Persönlichkeit wirkt (oder darin steckt), bezeichnet zugleich 
(bei den Efik) das „superhuman being" (s. Goldie), wie die Natur (und ihre Erscheinungs- 
weisen durchwaltend), und Ikptib-Idem .the body" (ikpök, .skin"). The Innua or shade 
of erery au i mal is beli?ed to possess semihuman form (bei den Eskimo). 

*) The stomach is the seat of anger (s. Best), nyikan (der Haori); Mauri (feelings), 
Manawa (the breath of life), Kehua (spirits of the dead), ata (shadow), reflected image 
(in der Seelenlehre). 

*) The ta-ghun-u-gak or invisible shade, is formed exactly in the shape of the 
body, is sentient and destined for a future life, another is the po-klihm to-ghun-u-ya 
which ha» a form like tbat of the body and is the life givitig warmth (without sense, 
and takes fligbt into tbe air, wben a person dies), neben „a tbird kind of shade" 
(»upposed to remain with tbe body and to possess evil power»), bei den Eskimo (a. 
Nelson), denen auch die mit dem .Namen" (seit seiner Beilegung) ideotificirte (Theil-) 
Seele in Körper's Form redet (oder gesehen wird). 

*) umgehend (nicht als .Seele", sondern) in .Person" (folkloristiscb), im Geist oder 
.Ghost" (des Gespenst'») „A ghost or risible shade is called Ae-lhi-ukh-tok and is a 
form, that an invisible shade mav assnme (s. Nelson), bei den Eskimo (an Beringsstrasse). 



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langen 1 ) des »Great-Transformer« oder (bei den K wakiutl)Qanigilak (s. Boas), 
auch den Thieren einwohnend. »All auimals are beliered to hate changed 
from the original human-like being, taking throaghoat life their present 
form, bnt the innua or shade is atill similar to iU former appearance« 
(s. Nelson), bei den Eskimo (der Behring&trasse). The aria of an Atua 
is the form of incarnation of tbat Atua (s. Best), ancestors have their 
aira, in wbich tbey appear (bei den Maori). Beim Njewu (der Tengerezen) 
werden die Todten (s. Kohlbrügge), ausser durch Puppen, auch durch 
Lebende (gleichen Geschlechts) reprasentirt (als Imagines). 

Aus den (Elementar- oder) Naturgeistigkeiten der (Innua, als) »Ein- 
sitzerc (gleich Oki, ümkissie und anderen »Wichtenc) mag der »Schatten« 
oder Innua (»believed to possess a semi-human form«) auch während des 
Lebens bereits abfallen, und sein Verlust — wenn etwa ins Wasser 
fallend (bei den Basutos) vom Krokodil gefressen — bringt krankhafte 
Verstörung. 

Die Zauberer (der Eskimo) »have the power of stealing a persona 
innua« (or shade), so tbat it will cause him to pine away and die« (s. 
* Nelson). Solchen Fährlichkeiten ist besonders die umherflatternde Traum- 
seele ausgesetzt, wenn als Leipya, beim Begegnen eines »Belu«, erschreckt 
zorückfliehend, um den Schläfer zu erwecken [sofern sein Körperleib nicht 
etwa (gleich dem des Hermotimos) verbrannt sein sollte, in der Zwischen- 
zeit ihrer Abwesenheit], 

Wenn es nicht wünschenswerth erscheint, das (congesische) Nkulu, das 
(in Oregon) dem Erben zugeworfen wird, in sich aufzunehmen (»animam 
ezcipere«, wie auf Nyas durch eine Saugröhre), werden Maassregeln ge- 

') In aacieot times all animals had tbe power, to change their forms at will (bei 
dea Eskimo) „they merely pushed up the mouth or beak in front of the head and 
changed at once into man-like being»" (s. Nelson), unter den Maskereien (des Totem). 
Soweit bei der 8eele nur ihr Jaftig elbisches Wesen- (s. Grimm) in Frage kommt, 
kann sie (bei Wandlung des du/uk; in ^orf) nicht viel Schaden thun, ausser das» Vor- 
sorge zu treffen ist, gegen ihr Einfahren, wenn darauf erpicht, gleich den Abikn 
(Yoruba's). Eine »ubstsntiell materialisirte Seele, die sich „schwammig" anfaulen lä*»t 
(in Händen der Angekok), ist dagegen gefährlicher, und bei ihr kommt deshalb die 
Operation des paoxaXiUt» zur Empfehlung, wie in Australien geübt, wo dem Todten 
der Daumen abgeschnitten wird, um ihn unfähig zu machen den (Rache-) Speer zu 
schwingen. «The sinews in the arms and legs of a dead person, who had been of evil 
repute dnring life, were cut in order to prevent the tsbade from returning to the body 
and causing it to walk at night, as a ghoul" (bei den Eskimo). In Vorzeit der 
(indianischen) Nucbnemis, als „Alles noch dunkel war" (auf den Pelau), liefen in der 
Aleheringa (der Arunta) Menschen* und Tbierbildungen durcheinander (tbe Ifan-Kangoroo 
and Kaagoroo-man) .Tbe shade» of all animals are believed to be formed like people 
and many kinds are supposed to be able to talk witb one another and at times are able 
to understand the speach of men" (s. Nelson) bei den Eskimo (der Bebringsstrasse); und wer 
deshalb die Thiersprache versteht (&. &dillot) mag mit ihnen (bregtauisch) sich unter- 
halten (um von ihrem Vorherwissen zu proßtiren). 



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troffen, um solchen (unliebsamen) Contact zu vermeiden. Während der 
jüngst verblichene Todte noch nahe ist, müssen die Leidtragenden (am 
Yakon »keep fur-hoods drawn over their heads, to prevent the inflnence 
of the shade from entering their heads and killing tbem« (s. Nelson); 
nichts scharfes darf getragen werden (um nicht zu verletzen, und 
zu reizen). Das Messer mit der Schneide nach oben gelegt, sticht die 
Engel (in Böhmen) oder (in Oesterreich) thut den »armen Seelen < weh 
(die barfuss darüber hingehen). Ein Messer darf nicht in's Feuer 1 ) gelegt 
werden (bei den Ramsch adalen), unter »goldenen Sprüchen c (pythagorei- 
scher Fragmente). 

Aus den elementar den Naturdingen einwohnenden Geisterlein vermag 
der Zauberkundige (der Eskimo) seinen Thun-ghak sich zu entnehmen, 
as Yu-ä (»spirit of the demente, places and things«), jo wie angetroffen 
im (nigritischen) Snman [durch (alfurische) Mustika im »Angang«]. 

Der am esthnischen Todtenmahl mit Darreichung des Handtuches, 
oder im Nobiskrug [mit dem »Minnetruuk« oder (in Bayern) Totentrunk], 
verabschiedete Todte wandert [auf »Todtenscbulen« (Helsko), auch in 
CaHfornien; gegen (congesische) Dornen (auf den Weg gestreut) schützend] 
fort [durch das > Viaticumc einem (schweizerischen) Seelenlaibli oder »Spende- 
brot« gestärkt] zum ersten Nachtquartier in St. Gertrod 's Herberge, und dann 
weiter hinwärts [»da, wo sie hinverdient hat« (die Seele), nach St. Michaela 
Entscheidung], auf dem mit abenteuerlichen Begebnissen gefüllten Seeleo- 
pfad des Dayak oder auf cyclopisch aufgemauertem (in Fiji), mit oder 
ohne Psychopompos, an dessen Statt eines schakalköpfigen Anubis, 
auch ein (aztekischer) Hund (bei den Parsi) dienen mag [für die Kinder 1 ) 
wenigstens der (indianischen) Mutter]. 

Ehe die (auf Mangaia) Verstorbenen ihren, mit der Sonne Strich 
haltenden, Lauf nach Westen (zum Amenthes) beginnen, vereinigen sie 
sich (s. Gill) nnter Führung des Erst verstorbenen [als »Erster Mensch« 
(der Hidatsa) vorangehend, gleich Yama mit Yamij. 

Der obere Pfad der Sonne, von Ost nach West, ist sichtlich 
vorgezeichnet; und damit sie von West nach Ost zurückgehen kann — 
wie Helios auf seinem goldenen Bette (oder Becher) schlafend (b. Atbenäos), 

') Das Feaer, als „unerklirbares Machtattribut des Gottes Tahan (s. Grünwede!) 
reinigt (bei den Orang Sakai), im Höllenbrand (quod ferrum son sanat, sanat ignis). 

*) Die indes« ausserhalb des Seelendorfes an Baumzweigen hingen bleiben, bis die 
Mutter nachkommt, um sie mitzunehmen, wahrend ihnen (bei den Blandass) der Spiel- 
platz Toog Howi reservirt ist (als Jimbus infantum"). Die Selbstmörder waren in eine 
Reserve (ausserhalb des Seelendorfes) verwiesen (bei den Huronen). Die der Freuden 
im Tlaloc's Himmel sich freuenden Seelen der Ertrunkenen in neuer Welty werden in 
der alten unter Töpfen aufgestülpt (vom . Wassermann"). 



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— , wird ihr ein unterirdischer gegraben (bei den Wintus); wenn nicht 
täglich erneuert, ans dem »golden disc« (s. Curtin), das Princip der 
Erneuerung bewahrend; wie der Goldkeim (Hiranyagarbha) die »Dhatuc 
(rar Welterneurnng, im Umschwung der Kaipen). 

Das Betreten gefeiter 1 ) Plätze, wie durch »fairy ringst kenntlich, 
schlagt mit Krankheiten, weil »no canny« (in Schottland), und an ihnen 
wird durch die Irokesen Tabak niedergelegt (s. Boyle), um durch solche 
Sühne gegen Unheil Vorkehr getroffen zu haben. 

Wenn auf melanesiache Tamate gangan, als Seelen fressenden Stein 
(unter Xdot Ifi^oi) der Schatten fallt (s. Codrington), wird solche 
Schattenseele gefressen, wie die Seele des Basuto's, deren Schatten ins 
Wjisser gefallen, vom Crocodil; und Latooere verzehrt den an den Himmel 
geworfenen Schatten (auf Nyas), während die »Dera« an den in den Mond 
(b. Plutarcb) aufgenommenen Seelensubstanzen (einer Linga sarira) speisen, 
gleich den > Atua« ; die in kindlicher Neugeburt auf Erden das UeberschOssige 
wieder von sich zu geben haben, als »Gotterkoth« (in Polynesien). Um 
der Evacuationen ledig zu bleiben, war Odhin auf Weintrinken beschränkt, 
des fetten Eberruckens (der Einheriar) sich enthaltend (und mehr wohl 
noch mehliger 1 ) Pflanzenkost). 

Solange die, durch das Reinigungsfest (am Calabar), oder das 
Gelärm am »Mengapi« (auf Bali), nicht fortgescheuchten,') Verstorbenen 
in nächster Nähe weilen, gleich den (das Adat überwachenden) Nitu (der 
Alfuren) oder Oromataa (Tahiti's), müssen sie in guter Stimmung erhalten 
werden, um das Erzürnen zu vermeiden, da sie »reizbar« sind, gleich den 
»Göttern« (zu Herodot's Zeit). Im Zwischen QieTa£6) der Gotter und 
Menschen, wandelu aus deren Seelen sich die Dämone, im Geisterspuk 
(eines »bangsa-alus«). Die in den Gestirnen, als Theoi, »laufenden« 
Götter mögen aufgehalten werden, wie die von Maui (der Maori) in einer 

') Nana hlockh-tuk or spot of grouod, wbere certain things are tabooed or where 
tbere is to be feared any evil influence. caused by the presence of offended sbades of men 
or animals or througb the ioflucDce of other superoatural meaos (bei den Eskimo») 
aas Unreinigkeit [I'urification verlangend; „clear away all rubbish". im (indianischen) 
Gebot am festlichen Tag]. 

*) ü-na le-Morimo (vous etes dieu), vous etes no mechant (bei den Basutos) oder 
,▼008 fites puissant on mugo" (bei den Batlapis). 

*) Wie Pythagoreern, deo ägyptischen Priestern, den Neophyten der Mysterien, dem 
Flamen dialis, dem (jüdischen) Hohenpriester am Versühnungstage etc. verboten, Orderte 
die Bohne (beim Fest der Matronalia gegessen) das körperliche Wachsthum durch 
.Caraa* (Untier des Fabius); den Lemuren bei der Absagung (unter Verscheneben durch 
lÄrra) geweiht, wie beim nächtlichen Umgang (des Hausvaters; auch in Japan). Durch die 
eingebackene Münze (in Franken) wird der (holländische) Bohnenkönig gekrönt (s. 
Anban), unter Lieripe&iugen (.das geht noch über das Bohnenlied hinaus"). Das 
sakramentale Fleisch (oder Brot) wird (b. Servet) in den Magen hinabgeschickt (s Tolün), 
dann aber wieder ausgespieen oder abgeführt (nach den „Impanatores"). 



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Schlinge gefangene Sonne, für das Abendessen (der Jainas), während 
sie durch Bethana (bei den Karaya) ein Bein gebrochen erhält (s. Ehren- 
reich), um ihren Lauf zu verlangsamen (beim Holzholen). 

Die Ahnen oder Barimos (bei den Basutos) werden als Siritis (Schatten) 
verehrt (s. Casalis), und ihre Seelen begraben »dans le parc des bestiaux, 
afinque ces animaax sacres les protegent contre les malefices des sorciers« 
(da diese auf das Beschwören der Todten bedacht sind). 

Im Gedunkel der Höhlen unterhalten sich die Regenmacher (der 
Basutos) mit Morimo, unter seinen Erscheinungen in geheiligten Tbieren, 
»auxquels il communiqne one partie de sa divinite«. Die in dem überall 
dreinsteckenden Princip (meist anter böswilligem Eindruck, bei dem >Leid 
des Lebens«) spiegelnden Thierformen mögen zu (theurgisch) nützlichen 
Riten dienen (in Beschaffung des frachtbringenden Regens), aber auch 
zu schädlichem Gezauber, während die dem Menschen vertrauten Haus- 
siere ihn schützen; bei Verehrung der (brahmanischen) Kuh (durch die 
Todas). 

Auf Frage des Missionars bezeichnete der Häuptling der Bechuaneu 
seinen Gott ') als Morimo (s. Campbell), unter Zufügung des Commentars, 
dass sie ihu für den Devil hielten (oder vice versa), »a mischievous being 
living in a hole«, und so nahm es Wunder, als (unter seinem Namen) von 
einem Schöpfer Himmels und der Erde gepredigt wurde (»did you ever hear 
such a thing?«). 

Die an die Götter gerichteten Bitten können nur dann Gehör er- 
warten, wenn sie sich im Hörbereich finden, und NyankÖpong, oder 
(in Elias* Spott) Baal (die ihm, als Beelzebub aufliegenden, Pflichten eines 
Zeus apomyios vernachlässigend), wird deshalb mit (nutzlosen) Gebeten 
überhaupt nicht behelligt. 

Die Bildsäule wird angerufen, nachdem der durch Bannungskraft der 
Mantras herbeigerufene Gott darin eingezogen ist, und wenn Rama im 
Tempel Ayodhya's seine gewohnte Siesta abhält, darf er darin nicht gestört 
werden. Der dem Propheten Ska-ne-o-dy-o durch seine Boten offenbarte 
Rawen Niyah musste am Vormittag verehrt werden (bei den Irokesen), 
denn >the Great Spirit goes to sleep in tbe afternoon, he cannot then 
hear anything said to him« (s. Boyle), und erst nachdem die göttliche An- 
näherung durch den Taku verkündigt ist, beginnt das zugehörige Geremonial 
des Paraangku (auf Bali). 

') „Be good; if you leave us, go altogether", (s. B. Thomson) baten, beim Speisen 
des Sterbenden, die Hinterbliebenen (auf Niue), indem man die unheimliche Nahe lieber 
los ist [wenn zu manischen (oder maniakalischen) Hilfen nicht verwertbbar]. Die Todten 
(in der Pfalz) werden „eingedeichelt" (s. Höfler). Die abgeschiedene Seele (der Kathen) 
wird beim Leichenschmaus verabschiedet, unter Darreichung des Handtuch'», am sich 
den Mund zn wischen [am (letzten) Henkersmabl). 



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Im vorzeitlichen Aleheringa (der Arunta) liefen Thier- und Menschen- 
bildangen durcheinander (s. Spenser-Gillen), wie bei den Maskereien in- 
dianischer »Nuchnemisc, für Verwerthung im Totem [nachdem die 
Wandlangen des »Great-Transforrac — oder (peruanischen) Con's — zum 
actnellen Bestände sich consolidirt hatten]. 

>Not only coold the lower animals converse with one another (bei 
den Irokesen), but the hüls, the rocks, the streams, the trees and every 
object in nature, as well, as those produced by art, possessed a spiritc 
(s. Boyle), den »Spiritus natnraec (b. More), wie auf den Pelau (s. 
Kubary), für praktische 1 ) Verwertung (im Leben). »Jedes Dorf und 
Thal, jeder Hagel und Strom hat einen besonderen Genius loci, jede 
Familie ihren Hausgott, jedes Dorf, jeder Stamm seine Schutzgott- 
heit, Donner und Blitz, Regen, Sturm, Wind, der Fischfang, Acker- 
bau, Krieg, jedes Fest, der Hunger, der Durst, die Krankheiten, der 
Tod haben übernatürliche Schutzherrn c (s. Christian), mit Geistern 
im Sumpf, am Riff, den Lianen, in (meist bösartigen) »Anic der Fische, 
Vogel, Bäume (auf Ponape), im Panpsychismus [seelischer Kla (der Nigritier) 
oder (bei den Karen) Kelah], weil xdvza nkfjpij &ea>v (b. Thaies); als 
»Alles wies der Götter Spure (im Dichterlied) — wie jetzt wiederum in 
kaleidoscopisch bunten Bildern, im ethnischen Reflex (der Völkergedanken, 
in der Völkerkunde). 

•) Was er auch vornehmen will, sei es Fische angeln oder einer Baum fallen (der Pelauer), 
hat er vorher die Kaiith zu versöhnen (s. Kubary), im (animalischen) Panspychismus (anter 
«horte fiH&ot). „Wir machen das Zeichen des Kreuzes vor der Stirn bei jeden Gang und 
Bewegung, bei jedem Aus- und Eingehen, beim Ankleiden, beim Anlegen der Schuhe, 
beim Baden, beim Essen, beim Niederlegen, beim Niedersitzen, überall, wo wir etwas 
zum Leben Nöthiges thun" (s Tertullian), im Zeichen des Sohnes der Triuitlt, dessen 
Vater die gesammte Trinitat (s. Lombardus). Die Dreiheit Dreier ist Einheit (b. Isidor) % 
im „Collectivos Deus", als Kerberos (b. Servet) oder trieeps monstrum („monstrum 
impossibile"). Nicht in den elenden Mysterien der Römlinge («romanticorum vilia mysteria") 
ist Gott su verehren, sondern in dem unverletzlichen Naturgesetz (b. Bruno). Die 
Abrenunziatioo mnss nicht nur beibehalten, sondern nachdrücklich betont werden, um 
im ganzen Leben durchzuringen (s. Rösche), die Zauberei beruht auf einer Eingebung 
des Teufels (1886), so dass der „Devil-Devil" auch da noch spukt, wo (materialisirte) „Spirita" 
(auf tanzenden Tischen) die unsichtbaren abgelöst haben; die als „Orang alus" allzn 
ausverfeinert sind, für das blöde Sehvermögen der Wildlinge [das dagegen für die Praxis 
des Pfadfinders (im Urwald) willkommene Führung liefert]. In solchen Dingen lässt 
Manches noch sich lernen, von den .Heiden, die in Finsternis« sitzen", bei natur- 
wissenschaftlicher Erhellung (nachdem die comparativ- genetische Metbode auf die 
humanistischen Studien auch verwendbar gemacht sein wird, auf Grund der ethnischen 
Aussagen). 



Bücherschau. 

A. B. 



Nelson: »The Eskimo about Bering-Strait« 

Report of the Bureau of American Ethnology. (18th.) 1896/97. 

Die wichtigsten Vermehrungen ethnischer Kenntnisse sind dem «»bezüglichen 
Studienfach während der letzten Jahrzehnte aus der neuen Welt hinzugekommen, 
die durch die mit dem Entwicklungsalter beginnenden Explorationen der alten 
zugefügt worden ist. 

Voran stehen hier die in America ausgerüsteten Expeditionen, wodurch die 
Epigonen derer, die bei ihren Staatengründungen im Osten den heimischen 
Grund und Boden umzuackern genöthigt waren (unter Vernichtigung endogener 
Ptlänzchen), das damals Versäumte nachzuholen streben, durch systematische 
Erforschung der im fernen Westen intacter verbliebenen Reste; und daneben sind 
die ethnologischen Schatzkammern aus dem centralen Australien angefüllt worden, 
wo durch günstige Geschickeswendung die einheimischen Stümme unzugänglich 
erhalten wurden, bis eine, die Anlegung von Telegraphen erfordernde, Zeit zu- 
gleich die Begründung gelehrter Gesellschaften vorbereitet hatte, durch deren 
Instructionen, die methodische Aufnahme der fremdartigen Reflexe aus dortigen 
Völkergedanken überwacht werden konnte. Die Namen Curr, Smyth, Howitt, 
Matthew, Spencer, Gillen etc. sprechen genugsam für sich selbst, um das be- 
deutungsvoll dort Geleistete zum Eindruck zu bringen. 

Die verdienstvollen Ethnologen in der Union und Canada brauchen eben- 
falls nicht aufgeführt zu werden (in langer Namensreihe), weil auch sie 
in ihren Publicationen dauernd verzeichnet stehen ; und aus der Fülle des letzthin 
wiederum Hinzugekommenen sei der Zuwachs an einem Beispiel erprobt (beim 
obenaufgeführten Werk). 

Seit es sich hat ermöglichen lassen, die ethnischen Erscheinungsweisen auf 
gleichartige durchgehende Rubriken einzustellen (oder vielmehr solche Aussagen 
des Menschheitsgedankens dieselben für sich reclamirt haben), ist für die (elemen- 
taren) Voranlagen eine Uebersicht hergestellt, in den (auf primärem Niveau 
gebreiteten) „Elementargedanken"; aus deren potentiell geschwängerten Keimen 
sodann ein culturelles Sprossen anhebt, — das gleichfalls unter organisch ge- 
regelten Wacbsthumsprocessen ausverläuft (bis zu den geistig höchsten Errungen- 
schaften). 



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Die (gleich „Leitanuscheln") leitenden Hauptphasen des Entwicklungsvorganges 
festgestellt, bat es demnach bei denjenigen Specialforschungen, denen beim Auf- 
schlus8 eines bis dahin unbekannten Areals die anf demselben hinzugewonnenen 
Data (auf ihrem Arbeitsbereich) vorliegen, fortab um deren Einstellung an 
jedesmal zugehörigen Platz vornehmlich sich zu handeln (an denjenigen nämlich, 
den sie selber für sich beanspruchen). 

Seitdem in allgemeiner Totalität die Umschau zur Abrundung gelangt ist, 
kommt radical Neues wenig mehr hinzu (oder doch in seltensten Fällen nur), 
aber die bei eingehendem Studium des autochthonen Gedankenvorganges (inner- 
halb des von dem Reisenden durchforschten Terrains) aufgedeckten Varianten 
(in localer Färbung) sind als werthvollst dankenswerthe Bereicherungen zu er- 
achten, weil die Fundamente des Unterbaues (für das künftige Wissensgebäude) 
in ihren Stützen verstärkend durch hinzugelieferte Bausteine (so oft diese, unter 
der angelegten Controlle, als ächt correcte sich bewährt haben). 

Stades of Skamans or per sonn who died by aceident t violette« or aiarvation, go 
U> a land of pienty in t/u eky, wKere it hos ligkt, food and water in abundance 
(bei den Eskimos). 

Einer der durchsichtigsten Elementargedanken (im Anschluss an das 
aztekische Sonnenhaus mit dessen Analogien), zur Ergänzung des längst schon 
Bekannten, in den culturellen Mythen von Walhalla oder Tavatinsa, aber in 
ihrer ethnischen Deutung so wenig verstanden, dass diese vielmehr vornehm 
abgewiesen wurde, als zuerst angedeutet; beim Anbeginn ethnologischer 
Forschungsweise (in den Tagen eines Ankämpfens gegen Gleichgültigkeit an- 
fangs, und dann eine feindselige Opposition von allseitsher). 

Beim „Strohtod" auf dem Siech bett sinkt die im Greisenalter abge- 
schwächte Seele abwärts in Helheim's unterweltliches Dunkel, wo sie sich 
bestens aufgehoben findet, um die Nachkommen vor Schaden bewahrt zu lassen, 
wenn sie so gewillt sein sollte (aus etwaig verbliebenen Hassgefühlen). 

Ehe eine derartige Legalisation — im Ko-to-men oder sonstigen „Todtenland" 
— gefunden ist, hinterlässt das Absterben einen unheimlichen Eindruck. Ein 
Etwas ist fort, das (von Dabomern) im Gebüsch oder hinter indianischer Hütte 
gesucht wird, und das, wenn dort nicht gefunden, in der Luft') uraherspukt; 
and also am «grossen Rein macherfest " (das später in Speisungen am Aller- 
seelentage etc. übergeht) ausgetrieben werden muss (im Gelärm des „Mengapi"), 
am Kalabar — , wo (wie auch auf Frji) der archaistisch schon bekannte Kunstgriff 
der „laneae effigies" in Hithülfe gezogen wird (um naschhafte oder neugierige 
Geister in die Falle zu locken), cf. D. F. (S. 21). 

Durchschnittlich (im Laufe der Dinge) stellt sich ein friedlicher Abgleich 
her, mittels des Leicbenceremonial's; und die Todtenseele — nach kurzweiligem 
Spuken am Grabe (bis zur Verwesung der Knochen) — wird im (bretagnischen) 

') wenn nicht ätherisch beschwingt (an Distelsaamen, bei den Dakotah) für 
luftiges Schweben, zum Forttreiben durch Schwertfuchteln (der Karier) etc., muss die 
Seele .im Gras nmbhupfen" (s. U. Sachs) oder ain Scbeunentbor knarren, als „arm 
Seelcbeu" hinter der Tbürangel (in Hessen). 



Seelenboot (der Alfaren) nach einer (meerumflossenen) Seelen-Insel [im Westen 
(des Amenthea) gelegen, dem Laufe der untergehenden Sonne gemäss] fort* 
geschafft oder Uber einen Lethe-Strom hinweg, so dass beim Trinken des 
„Trostwassers" („Vai-ni-dula") das Erinnerungsbild (des Etdolon) allm&hlig in 
Vergessenheit geräth. AH' das ist schön und gut, wenn „Mawu" den Tod ge- 
sandt hat, dem Naturverlauf gemäss; gegen den sich ohnedem nichts machen 
lftsst, so dass man es gehen lfisst (i? tA <Wov). 

Die Mehrzahl der Todesfalle ist jedoch durch einen bösen Zauber verursacht 
(wie die Abiponen und ihres Gleichen wissen), durch vorzeitiges Abschneiden de« 
von den Parzen gesponnenen Lebentfadens ; und jetzt, da die „Aoroi" die ihnen 
verkümmerte Lebensfrist nachzudienen haben, können sie bis dahin nicht zur 
Buhe kommen, und bleiben also gefahrlich: für die nächst Hinterbliebenen (er- 
klärlicherweis) nächstliegend, weil ihnen am nächsten stehend (zumal wenn mit 
ihnen überhaupt vielleicht noch ein Hühnchen zu pflücken sein möchte, aus den 
Nachgedanken an früheren Verkehr). Und gefährlichst, unter ihnen, sind wieder 
die „Riaiothanatoi", die gewaltsam Getödteten, deren Blut um Rache schreit (im 
„Klagevogel" der Beduinen); „von der Erde", bei dem von Kain geübten Tod- 
schlag (und seiner „Verfluchung" durch die Elohim). 

In je vollerer Jugendkraft die Seele fortgerafft war (durch die Norne), desto 
kräftiger fühlt sie sich noch und thatendurstiger, um in die früher gewohnten 
Handlungen einzugreifen, zum Guten oder Bösen. 

Unter den Nitu (auf den Tenimber) werden solche Seelen am „Funkeln der 
Augen" erkannt (s. Riedel), und wenn es gelingt, sie zum Schutzgeist zu werben, 
vermögen sie demgemäss wirksamste Dienste zu leisten, während andererseits 
gerade sie zu fürchten sind (sofern feindlich gesinnt). 

Es war dem Menschheitsgedanken (in seinen elementaren Vorstadien) also 
nabegelegt, sich solch bedenkliche Gesellen vom Halse zu schaffen, sie irgendwo 
kalt zu stellen, wo unfähig „groben Unfug" zu stiften, wenn dazu geneigt 

Stand eines Chaysi's „Eisenkerker" zur Verfügung (bei den Chamorros), so 
schloss 1 ) man darin sie ein, um gefesselt zu liegen, wie Hekatoncheiren («Wrarw 
ToiJwy) und Gonsorten im tiefuntersten Tartarus. 

Aber das blieb ein Wagniss immerhin [wie Kronos (Vater und Söhn) beim 
Durchbruch zu erproben hatte], und ein gütliches Abkommen schien empfehlens- 
werther. 

So wurde der Vergleich getroffen, für ihre Einbebausung einen reich- 
geschmüc kten Himmel einzurichten, wo sie unter so vielerlei Seligkeiten zu 
schwelgen hätten, um das irdische Treiben zu vergessen (und allein zu lassen). 
Die Einheriar, in Armen der „Walkyren" [oder (in Ooorg) der „Apsaras"] nach 
Oben getragen (von der Wahl&tätte), zogen alltäglich aus zur Jagd, um 
abends in Walhalla's Hallen am fetten Eber-Rücken (der erlegten Beute) zu 
prassen; die auf der Nahuatl Schlachtfeldern gefallenen Krieger rüsteten sich 

') einem friedliebenden Volkscharacter entsprechend, gleich dem der benachbarten 
Karolioier, die auf die im Streit und Hader Erschlagenen nicht gut zu sprechea sind, 
Ober ihre Seelen spotteud (weil «wie gespeerte Fische zappelnd"). 



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- 177 - 



früh Morgens, auf ihre Schilder schlagend, die Sonne zu begleiten (im 
Krieges3chmuck mit Kriegsgesang); und Indra's vier Markgrafen (der Suren) 
hatten beständig gerüstet zu stehen, an Tawatinsa's Thoren, um den Kampf 
aufzunehmen (gegen anstürmende „Äraren"). 

So gab es Beschäftigung genug; und Freuden, wie eine muthschwellende 
Seele sie liebt, — die sich deshalb jener mu th will ig neckenden Streiche enthalten 
wird, wie sie der (im Bhuta-Zimmer der Tulu) zum Kobold anerzogenen Todten- 
seele im Blut zu stecken pflegt, (als „Napfhans" der Küchenfee, oder der „Peter- 
mann" im Stalle). 

Die in ehrenvoller Beschwichtigung gewonnene Auskunft Hees sieh nun 
ferner verwerthen, um noch sonst belästigende Gespenstereien los zn werden. 

Die grausigste unter ihnen ist die des „Pontianak", in scheusslicbster Gestalt 
umgehend (auf Borneo), als Kopf mit aushängenden Eingeweiden umherfliegend 
(bei den Malayen). , 

Es ist das der Geist einer im Kindbett Verstorbenen, der, unwiderstehlich 
hingezogen zu dem zurückgelassenen Säugling, den Nachgebliebenen, durch die 
steten Versuche unter ihnen sieb einzudrängen, 1 ) viel Sorgen und Angst macht. 

Anch auf sie die bereits erprobte Aushülfe in Anwendung zu bringen, war 
rationellerweis angezeigt. 

Und so sind in Mexico's Sonnenhaus (den Tonatiuh iixco yauh oder Tonatiuh 
ilhuicac yauh) die Seelen der auf dem Kindbett Verstorbenen zugefügt, die den 
die Sonne bei ihrem Aufgang begleitenden Kriegern am Zeuith entgegenkommen, 
um in festlichen Reigen mit ihnen sich zu ergeben und dann der Sonne Folge- 
dienste zu leisten, bei ihrem Niedergang. Auch bei den Marquesas sind die 
verstorbenen Wöchnerinnen geadelt, im Himmel oder „Swarga" (Menangkabau's) 
u. dgl. m. 

Das schönere Geschlecht, weil hysterisch veranlagter zu denjenigen Be- 
schäftigungen, die den „Karlmönnur" (s. Snorri) weniger ziemen, spielt ohnedem eine 
durchgreifende Bolle in Hexereien: der jungen Hexen, die verführen (zu allerlei 
Schlimmem) und der alten Hexen, die „einzuäschern* sind (nach dem „Terminus 
technicus" des Hexenhammers). 

Wo immer der Naturgang unnatürlicherweis sich unterbrochen findet, be- 
darf es einer Sühnung vorgedachter Art; wie einer moralischen (auf ethnischer 
Scala des Kann an), so einer allgemeinen überhaupt, bei den dta?» und tünv zahlenden 
Dingen (s. Simpbcius), um die Med* wett zu machen (im Eechtebrucb). 

Und so auf sinnlichem Bereiche gleichfalls. Die im Gelübde der Keuschheit 
(ob einem freiwillig oder wider Willen vielleicht übernommenen) gestorbenen 
Jungfrauen haben ihrer Naturbestimmung, Kinder zu gebären, nicht genügt, 



') Um unfehlbar gesicherte Vorkehrung dagegen zu treffen, wird beim Tode einer 
Ȋugenden Matter (der Lengaas) ihr das Kind in die Arme gelegt and mitbegraben (s. 
Koch), wie auch auf Timor (s. Riedel) — dann braucht sie nicht dafür zurückzukommen 
[wie für die vergessene Sandale der (Kprinther) Geist]; oder sich zu Ärgern, wenn 
der Vater über die ihm (von der Mutter) zugeschobene Kindespflege uogeberdig sich 
äussert (bei den Maori). 

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und finden sich deshalb beim Tode in einer Art ungesühnten Znstandes, der sie 
zu allerlei Angriffen veranlassen könnte, wogegen die im Familienkreis Hinter- 
bliebenen sieb tu schützen haben, denn wenn e. g. jung verstorbene Bräute 
„ihre Liebhaber an den Kreuzwegen zu Tode tanzen", würde dadurch das Ge- 
meinwesen nützlicher Mitglieder verlustig'gehen (die im Wehrstand zur Abwehr 
des Feindlichen benöthigt sind). 

Auch hier fand also ein eschatologischer Anschluss sich indicirt, und die 
Jungfrauenseelen waren unter Hut und Bewachung gestellt in Gefion's Prauen- 
haus (Wingolfs), dem Pallast der Helden in Walhalla angebaut (wie Nonnen- 
klöster an die Eremitagen der Mönche); und so wird ihnen der für die gefallenen 
Krieger reservirte Aufenthalt zugewiesen in der alten Welt (wie transatlantisch 
den Seelen der Wochenbetterinnen). cf. z. L. v. M. II (8. 33). 

Auf gleichem Weg Hess sich nun weiter fortgehen, um was im Irdischen 
belästigend empfunden werden 'konnte, extramundan zu beseitigen. Die im 
Leben bereits gefürchteten Zauberer, die Schamanen, Angekok, Medicinmänner 
und Fiölkunnigr — Medawuk (auf Pelau), ä-hla-kai-lin-uk (bei den Eskimo) etc. 
— unter sonstigen Titulaturen mehr, waren nach dem Tode doppelt verdachtig, 
in ihren umherschweifenden Seelen (weil, in seelenärztlicher Function, sobezüg- 
licher Arzneigifte kundig: zum heilen oder zum schaden); und so finden sich 
diese (nach dem Obigen) mit den Biaiothanatoi (in deren ehrenvoller Kaltstellung) 
zusammengebracht (aus naturgemäßer Gedankenassoziation). 

In Grönland (s. Egede) zog man für den Aufenthalt der Seelen die durch- 
wärmte Unterwelt vor, während die Seelen der nichtsnutzig Faulen in den 
kalten Luftraum relegirt waren, wo sie Ball zu spielen hatten (um sich warm 
zu halten). 

* 

The kouetmatea of the deceaeed (four daya foüounng the deoth) must keep für 
hooda draum over their heade, to prevent the mftuence of the ehade from entering 
their heads and kMina them (bei den Unalit). 

Beim Abscheiden aus dem Körpergehäuse flattert die (nigritische) Sisa 
(an die Luft gesetzt) in der Luft, und kann also im Nkulu (am Congo) dem 
Erben zugeworfen werden (in Oregon), wogegen wer die Erbschaft anzutreten 
abgeneigt, sich dagegen verwahren wird (erklärlicherweis). 

Ein gleichartiger Elementargedanke, mit seinen Variationen m. m., je nach- 
dem der Geschmack sich entscheidet (für pro oder contra). 

Eine Ergänzung bildet das Folgende: For three months after the deoth of a 
ton the father must not drink from an uncovered veaael, for if he doee he may awaUow 
some impurities from the ehade. 

Indem das (seelisch oder) „elbisch luftige" Gebilde (s. Grimm) überall, und 
also auch im Wasser haften mag, empfiehlt sich dem (seinen verstorbenen Sohn 
betrauernden) Vater Vorsicht beim Trinken, wenn ihm widerstrebt dasjenige 
wieder in sich aufzunehmen, was er bei der „Emiasio seminis" ausgeschieden 
hatte (im Zeugungsact). Der Rabe (bei den Thlinkit) lässt sich selber wieder- 



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— 179 — 

gebären, aus dem von der Jungfrau eingetrunkenen Strohhalm (unbefleckt ver- 
bleibend). 

Di» tun-gha-lik (am Yukon) ttehlen neugeboren» Kinder, tan das Ekelet tu 

Also ein Duplicat des von der alten „Dukun Alus" (auf Java) mit flieh 
herumgeschleppten Skeletts eines Embryo, im „Anak ambar" (Wunderkind), cf. 
L. B. II (S. XII). Die Pegulu-balang lernen sprechen durch den Mund eines 
i todtgeborenen Kindes (bei den Karos). 

The astietent» unbound the ihaman and eubtituted a log of wood behind the 
mask (am Yukon); wiehed to be burned and reborn m Order, that he might be of gr toter 
»ervice m the vülage (verausgesetzt, dass kein Versehen gemacht, in Auswahl der 
Holzes oder sonst). 

Eine ethnische Gedankenwendung, die für das, was — im Nachschatten des 
aus den (indischen Heiligen geläufigen) Selbstverbrennungen dem griechischen 
Publikum (zu macedoniseher Zeit) vorgeführten Schauspiele — von (Lucian's) 
Peregrinus (zu Olympia) ambitionirt, sich vielleicht verwerthen lassen mochte; 
wenn nicht bei den, einer culturellen SpÄtzeit angebörigen, Berichterstattungen 
der überleitende Faden allzusehr bereits abgerissen wäre (bo dass die Daten 
vorläufig mangeln, zum Eingeben in genaueres Detail). 

Nach dem Begräbnis eines Zauberers (bei den Eskimo) »«ach man in the viUage 
took hie urine tub and poured a lüde of U» content» upon the ground before the 
door, saying: Thi» ie your water, drink! — believmg, that »hould the »hade return 
dmring the night and try to enter, Ü would taste thi» water and, finding it bad, would 
go aioay"; unter Aufstecken eines gebogenen Grashalmes, [als (Seelen-)Schlinge 
oder Falle). 

Gegen ein derartig machtvolles (und also gefährliches) Seelengespenst müssen 
energische Mittel verwandt werden, bis zum Abstossendesten im Excrement [das, 
als Urin der heiligen Kuh dagegen zur Heiligung (von Brabmanen) getrunken 
wird]; und wenn der in seiner Heiligkeit grossmächtige Tui-tonga abschied, 
tischten seine ergebenen ünterthanen, um der (Aptraganga) ein Ruckkehren 
(unter „Bevenants") zu verleiden, ihm (oder ihr) dasjenige Gericht auf, wie es 
Mariner beschreibt (beim Leichenbegängniss). Diese Gefahr geht also vorüber, 
wenn nach kurzweiligem Verweilen am Grabe (wie im Phädon), die Seele fortzieht 
nach ihrem Aufenthaltsort (und dieser als ein für sie anziehender vorgesorgt ist). 

• • • 

„All places, things and the elements are supposed each to have a „a-yn-ft" 

or mystery" (s. Nelson), und der Jäger hat von seinem Essen einen Bissen dort 

(an gefeiten Plätzen, gleich „fairy rings") hinzuwerfen (bei den Eskimo), um 

nicht durch unhöfliche Missachtung die „Einsitzer" (Innuä, Oki, Umkisie etc.) 

zu beleidigen (oder die Heroen, unter dem Tisch). „A common form of thungak 

is the „yu-ä" or spirit of the elements, places and things" [wenn durch „Angang" 

(in der Mustika) der Schutzgeist gefunden ist, wie im „Suman", als Fetish]. 

12* 



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- 180 - 



Und dies lässt sich dann (talismanisch,') für Yu-Yu oder Gris-gris) verwerthen: 
„Arrows or other weapons marked with the sign of the wolf or other animal 
totem mark are believed to become invested with some of the qualities of the 
animal represented and to be endowed with special fatality" (ä-thin-ruck). In 
addition to the ordinary Inynkt or Fetish, an heirloom (paituk) may become 
a fetish [wie dem erblichen Totem ein persönlich (aus den Manitu] gewählter 
zugefügt wird). Mauri or whatu moana (stones carved into curious forma) 
were used by nshermen (s. Best), als Talismane (der Maori); wie angetroffen 
[in (alfurischen) Mustika]. Neben dem Aklama (abgeschieden aus der Kla) lässt 
sich in der Abosonsam („fetisch-religion" oder „feticbism") ein „tutelar or 
guardian spirit of a town or a family" (a. Christaller) aus den Oboson hinzu- 
gewinnen (mit Functionen der Wong etc.), unter Verwerthung für die Asuni 
(„charms«). 

„The shades of all animals are believed to be formed like people and inany 
kinds are supposed to be able to talk with one another and at times are able 
to understand the Speech of men; the shades of game must be propitiated 
in many weys, by food and offerings", am Bladder festival (der Eskimo) oder 
dem Bärenfest (der Aino), wobei dem zum Opfer Verspeisten die guten Absichten 
ausgedrückt werden können; von ihm, der die Thiersprache (s. Södillot) versteht 
(folkloristisch). Der Schamane (der Unalit) »was aided by bis dog, with wbom 
he could talk, the dog being a tunghak, which had taken that form" (im 
Tbierzeichen des Totem), wie die Heldenrosse (aus „equorum auguriis" etc.) dem 
Aufsitzer helfen (durch guten Rath), oder Achilleus mit seinen Wagenpferden 
sich unterhält (in der Ilias). 

„Düring four days the first man lay coiled np in a pod of a beach-pea 
on the fifth day he stretched out his feet and bnrst the pod" (bei den Unalit), 
dem Raben begegnend (der unter der Maske seines Schnabels sich in Menschen- 
form wandelte). 

Dem beim (hawaiischen) Aufblühen der Schöpfung („pua-ua-mai") aus dem 
Mutterboden der Erde entsprossten Menschen, (an Bäumen, gleich Meschia und 
Mescbiane; oder Ask und Embla, durch Odin, Vile und Ve belebt), tritt der aus 
oberen Höhen Herabgekommene gegenüber, unter der Maske (oder „Persona") 
eines geflügelten (Himmels-) Boten, wie die herniedergeflogenen Abbaasara (als 
Kalyanaphuthayana) mit den (von untenher aufgestiegenen) Andaphutbayana 
zusammenkommen (auf dem Buddhagama). 

Zu den „Reisen durch Himmel und Hölle" (cf. B. a. r. 8., S. 60) lieferte 1 ) 
ein Shamane (from Selawik lake, near Kotzebue sound), einen Beitrag: 



•) Das (braune) Karmeliter*scapulier ist zur Rettung aus Gefahren (s. Graasi) von 
der heiligen Jungfrau gegeben („wer in demselben stirbt, wird das ewige Feuer nicht 
erdulden*). Vor der Benedictiner- Medaille zu fliehen, wird geboten .dem höllischen 
Feinde mit all seinen Schaaren und Blendwerken* (seit XVII Jahrh.). 

*) Zu den Todtenwegen, wie (vom Nobiskrug bis zu St. Gertrud's Herberge, als 
erste Station) ton der Seele gewandert (bei Dajak, Fijier, Auntralier, Azteken etc.) 
wird hiermit ein anschlüBsiges Belegstück geliefert (cf. Z. u. S., S. 30* o. flg.). 



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- 181 



„When he retamed he told the people that after hie death bis shade 
travelled for two days along the hard, beaten path formed by those who had 
gone before. Daring all this time he beard crying and wailing which he 
knew to be tbe voices of people on earth mourning for their -dead. Then he 
came to a great village, like those upon the earth, and was met hy the shades 
of two men who led him into a houae. In the middle of the roora a fire was 
burning, in front of which were roasting some piecea of meat, stnck on sharp 
stielte; in this flesh were living eyes which rolled abont and watcbed hia 
movement«. Hia companions told him not to eat any of the meat, aa it would be 
bad for him. After stopping here for a ahort time be went on and came to the 
milky way, which he followed for a fong diatance, finally retnrning by it to 
hia grave box. When the shade entered the box his body became alive, and 
rising, he went back to the village and told his frienda of hia experience (in 
dortiger Version zu dem von Allher Bekannten). 

Mc. Gee: »The 8eri-Indians< 

Report of the Bureau of American Ethnology. 17 th. (1895/6). 
„The dead found their way back to the primordial onderworld, whence Earth 
and Being8 were bronght np by Pelican and Turtle reepectively (returning 
by night)". 

Wie der Bapairi in seine Geburtshöhle, kehrt, der Moxos zum heimathlichen 
Grunde zurück, dem „ersten Mensch" (bei den Hidatsa) oder Yama (mit Yami) 
folgend, auf dem Todtenpfade; nach Westen hin (zu „seeligen Prärien"), wenn 
(auf Mangaia) die Seelen Schritt halten mit dem Lauf der 8onne, um gleich- 

') „Among the lower Yukon people it is said that when a person dies be can not 
see or bear anything at first, bot when bis body ia placed in tbe grave box hia shade 
becomes clairvoyant and can see all tbat goes on abont him; theo other dead people 
coroe and porot oot the road leading to the land of the shades. In this connection 
reference is made to the tale which gives an accoant of the retarn of a girl from the 
land of the dead and covering the beliefs beld on thia sabject among the lower Ynkon 
Eskimo. When tbe shade of a recently deceased person becomes cooBcioaa, it rises 
in form and clotbing exactly aa in life, and trayels along the path tbat leads away 
from the grave. The road haa many othera branching off on one aide or the other 
to village» where the shades of different animals arc living, each kind by Hself. In 
these village» the Bhades of animals occupy houses like those of human beings on 
earth. Finally the shade armes at a village, where it is claimed by relatives who 
have died before, and is taken to a house where it lives au aimleas existence, depending 
on offerings of food, water, and clotbing made by'relatives during the febtivals to the 
dead. During this journey from the grave the shade bas brought with it the tools 
placed by its grave with the offerings of food and water. Dpon these supplies the 
ehade snbsists during its journey to the other world. On the Yukon a man told me 
tbat on the road to tbe village of the dead the shade is offered water in a bücket, 
and if it attempta to drink from the large receptacle without using the dipper, the 
other bhades clap the bücket over his head, so tbat he is unable to drink. If a shade 
disobejB the instructions of the shades in other ways they cause his trouaers to slip 
down, so that he can not walk, and they otherwiae annoy him" (a Nelson), um in das 
dortige Regiment sich hineinzufinden (wie auf Hawaii etc.). Die (borneische) Scenerie 
wird auf der Bootfahrt (am Tiwahfest) geschildert cf. L. v. Ii. II, (S. 131). 



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182 — 



zeitig einzugehen (im Amenthes), durch zwei Pforten, der Rangstellung gemäss 
(in Annam). 

Wundt: Völkerpsychologie (Bd. I, 1 n. 2) 1900. 

Der ersten Hälfte (die in einem früheren Heft zur Erwähnung kam) ist 
die zweite (des Ersten Bandes) gefolgt, von gleicher Vorzüglichkeit; wie sie bei 
den Werken des Verfassers in Voraussetzung liegt. Damit ist die Sprache zum 
Abschluss gelangt, in letzter Abtheilung („der Ursprung der Sprache"). „Ein Stand- 
punkt ausserhalb der Sprache, die Voransetzung eines Zustande«, in welchem 
der Mensch nicht nur der Sprache, sondern, was damit noth wendig gegeben 
wäre, auch aller Eigenschaften entbehrt Hätte, aus denen sie hervorgehen musste, 
eine solche Voraussetzung ist eine leere Fiction, mit der sich nichts anfangen 
läset, weil sie die Bedingungen beseitigt, mittelst deren die Existenz der Sprache 
überhaupt zu begreifen ist". („Nicht der Zufall ist Urheber des Sprachlauts, 
sondern dieser ist durch die begleitenden und pantomimischen Bewegungen 
ursprünglich vollständig in seiner Beziehung zu dem, was er bedeutet, determinirt"). 
Solches Wort eines klar denkenden Forschers wirkt wohlthuend und erquickend, 
(im Zusammenhang mit dortiger Fassung), gleich dem Trunk aus krystallenem 
Bach, un verseucht durch die metaphysisch umherflatternden Bacillen; wogegen 
der Atbmosphäre unseres naturwissenschaftlichen Zeitalters die genügende 
Immunisirung noch mangelt (die bald indess an der Zeit sein dürfte). Das 
Sprachband bildet die naturnoth wendige Vorbedingung für den zoopolitiscben 
Organismus des Anthropos, und ohne die Voraussetzung dieses hätte die 
humanistische Erscheinungsform in ihre Existenz Uberhaupt nicht eintreten 
können; und wären uns allen die Mühen des Daseins somit erspart gewesen (was 
den Denk trägen bequemlichst anzuheimeln pflegt). 



Im >Free Museum of Science and Arte 

findet sich Culin's „sumraertrip among the Western Indians" („The Wanamaker 
Expedition") III, 1-3 (1901). 



Baelz: € Menschenrassen Ost-Asiens», Zeitschr. f. Ethn., Verhandig. d. 
Anthropolog. Ges. (S. 179), XXXIII 2 (1901): 

„Die Nacktheit, so lange sie unbewusst ist (wie bei Adam und Eva vor 
dem Fall) ist absolut harmlos und ungefährlich, von dem Augenblicke an, wo 
sie bewusst wird, ist sie verführerisch und fängt an, unsittlich zu werden." 

Diese den Nagel auf den Kopf treffende Bemerkung wäre unter den Duseleien 
belletristischer Kunstsimpler in Vermerk zu nehmen, um nicht den gesunden 
Volkssinn, der aus lang und allvererbter Tradition an Verhüllungen gewöhnt 
ist, in Verwirrung zu bringen. 

Wenn eine Handvoll „Electi" (unter den Upper-ten-thousand), die nach 
statistischem Maasstab in der grossen Masse verschwinden, auf theoretisch ihnen zu- 
stehende Rechte zu pochen belieben, können diese gerne zugestanden sein — 



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- 183 - 



soweit (nota bene!) als nicht etwa in Praxis weitgreifender Schaden angestiftet 
wäre, unter all' denjenigen, die für die von der Aesthetik ihnen zugedachte Er- 
ziehung noch nicht empfänglich vorbereitet Bind. 

Die Hegemonie der Kunstschwärmerei ist bedenklieh vornehmlich in einer 
durch unversehens herbeiströmende Einflüsse (aus fremdartig Neuem) auf- 
geregten Zeit, weil tu Gefühlspolitik weiterführend, und so dem, das Wohl des 
Geeammtbesten erwägenden, Staatsmanns die richtige Steuerung des (Staats-) 
Schiffes erschwerend (um das Heft in der Hand zu behalten). 



Im Internationalen Archiv für Ethnographie (XIV, 3), 
wird Jongs: „De Apnlejo Isiacorum mysteriorum teste" von Marquart besprochen, 
unter Hinweis auf die ethnisch zugehörigen ParaHelen (wie oftmals zur Er- 
wähnung gekommen, cf. A. a. M. u. V., I S. 374 u. flg.). 

Das Absterben und Wiederauferstehen in dem durchgängigen Elementar- 
geschenken der Pubertatsweihen (Afrika's und Australien^) schliesst an die 
Wiedergebarten (der „Dwija") sich an, in den Mysterien (auch des Meda etc.,) 
beim masonischen Ceremonial ttberlebselnd; mit Beziehung zum patristischen 
Wassergrab der Taufe (und zugehörigen Analogien mehr). 

« 

Hagen: Unter den Papua, Wiesbaden 1899. 

Ein ethnologische Veranlagung (ans früheren Erfahrungen her) aufzeigendes 
Buch, das den bereits bekannten Parellelen manch' zugehöriges Belegstück bei- 
fügt (im melanesischen Aequivalent). So betreffs des, unter verschiedentlichen 
Versionen angetroffenen, Brauchs der „Vermeidung 11 . [„Von der Verlobung bis zur 
Hochzeit darf das Paar nicht miteinander verkehren, und dies Verbot (das Ge- 
bot des Venneidens) erstreckt sich auch auf die Schwiegereltern und Schwager"]. 
Die anderen Analogien haben meist schon ihre Verwerthung erhalten, in seit- 
dem erschienenen 8chriften (für die Gedankenstatistik). 



Kruijt: > Regen Lokken en Regen Verdrijven bij de Toradja'i (Tijdschrift 
v. Ind. T M B. en Vlkrkd. XVII, 1901). 
„De Sando, die den regen uit elkaar zal drijven (nawaro udja of mawarosaka 
ndja) heeft eerstens zichzelf in achthenemen om voor, gedurende en na zijne 
operatie niet op eenigerlei wijze in aanraking te komen met water;" dagegen 
wird ein „vuurtje aangelegd" (zum Verbrennen geeigneter Holzarten). 

Beides verständlich genug, aus den Elementargedanken; und ebenso, dass 
das Wort „udja" (Regen) nicht ausgesprochen (sondern durch „ngkudju" substituirt) 
wird, denn sonst „denkt de Regen dat hij geroopen wordt, en hij komt*. 

Schön, gut und oorrect richtig (durchgangig allgemein). 

Und dazu nun die local variirte Version: zum Unterschiede vom dürren 



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- 184 - 

Lande der Ban tu, wo dem „Regenmacher" vornehmlich das Herbeirufen 1 ) des 
Regens aufliegt (um den, Beinern gefährlichen Ehren-Posten zukommenden, Amts- 
handlungen zu genügen), wogegen (auf Celebee): het „regen roepen" door jederen 
Toradja kan worden bewerkstelligt" (während die geheime „Doa" bekannt sein 
muss, um den Regen zu vertreiben, „zonder dat deze booe wordt"). 

Durchschnittlich giebts Regen genug, und so mag der Erstbeste ihn rufen, 
wenn ihn so lüstet. 

Sollte er ausbleiben, dann freilich ist der casus ein desto bedenklicherer und 
verlangt aussergewühnliche Maassnahmen. 

Der Kubosenja hat dann einzutreten für sein Volk (um gemeinsame Ver- 
antwortlichkeit zu tragen). Er schlägt Thiere todt, einen Bahn und ein Ferkel 
(feminini generis), am Ufer des Flusses (zum Wassersprengen). Toen riep hy 
de Goden aan: „0 goden daar beneden en daar Soven, wanneer gij medelijden 
met ons hebt, en wilt, dat wy dit jaar zullen eten, geeft dan regen; geeft gij 
geen regen, welnu, wij hebben hier begraven een haan en een wijfjes varken, 
in innige omhelzing — , met andere worden: toornt dan over deze gruweldaad, die 
wij hebben gedaan, en doet uw toorn blijken door onweders" („peccate fortiter", 
wie in mystischer Verbissenheit, oftmals). 

Man hat nämlich herausgefunden, dass [gleich den Seelen der Birria (s.Heagny), 
im Amt der (den „Hadat" tiberwachenden) Nitu] die dortigen Götter, wenn durch 
Sündhaftigkeit der Menschen beleidigt, lärmen und toben in Ungewittern [den 
Blitzstrahl zückend (s. Seneca) „über des Frevlers Haupt", ohne meist jedoch 
(wie Aristophanes meint) ihn zu treffen] ; und vornehmlich hassen sie „het plegen 
van bloedshande en het zieh afgeven met dieren", [weshalb ihnen also diese 
(Tod-)Sttnde symbolisch vor Augen geführt wird, um den angestrebten Zweck 
zu erreichen — wenns mit dem Guten (in Güte) nicht geht, aus zorniger Bosheit; 
im Bösen]. 

Die „Inferos" zu bewegen wird versucht, wenn die „Superos" nicht ge- 
lingt zu beugen („flectere"). 

Das mögen die Götter passiren lassen, wenn so ihnen beliebt Es entgeht 
ihnen allerdings das in Opfergaben zugedachte Honorar (das sie sich redlich 
hätten verdienen mögen), aber im Uebrigen brauchen sie um solch menschliches 
Treiben sich nicht zu kümmern (beim Schwelgen in ihren „Intermondien"). 

Hier dagegen schaut die Sache gar ernstlicher aus bei einem Angriff mit 
Hilfe des Widersachers. Im Principien kämpf zwischen Ormuzd und Ahriman 
tritt der iranische Bundsgenosse über in das turanisch feindliche Lager. Da- 
durch könnten also die Grundfesten erschüttert sein [im (Staats- oder) Welt- 
gebäude]. 

Zu solchen Extremen kommt es durchschnittlich indess selten nur, denn 
meist, beim „Rechten zwischen Götter und Menschen", l&sst ein Abgleich sich 

') Am Morgeu wird das Opfer gebracht, am Nachmittag folgt Regen, das geht, wie 
mit der Arznei (s. Campbell), in der Regenmacherei (Afrikas); wenn's hilft (oder auch 
nicht; in einem Fall, wie in dem anderen). 



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- 185 - 

treffen [ein beiderseits zusagenderer, als in Sicyon; dessentwegen den Theoi ihre 
„ Reizbarkeit" (s. Herodot) verblieben war]. 

Meist sind die gutlieben Götter gutmüthig genug, uro sieb beschwören zu 
lassen, durch (polynesischen) „Earakia" oder sonstige „Mantras" (in vediseber 
Fassung); den Brahmanen sich zu fügen, (so dass diese sich rühmen können, „die 
Götter in der Hand zu halten"). So lebt man miteinander, verträglich genug, 
obwohl nicht ohne Neckereien (denn „a Bissel Bosheit ist auch dabei"). 

Wenn die Rücksichtslosigkeit indess fortgebt bis zum „Teufelspact", dann gilt 
es einen „Kampf ums Messer", — denn dann handelt es sich um die Existenz des 
Einen oder Andern, unter den streitenden Partheien — um „Sein oder Nicht- 
sein", das &n»c w und sein Gegentheil, im Nichts; als „Realprincip der 
Wirklichkeit" (worüber die Identitätsphilosophien sich abfinden mögen; oder die 
Lehre vom Nirvana, mit ihrem „Asangkhata-Ayatana"). 



Sei er: Das Tonalamatl der Aubinschen Sammlung, Berlin 1900. 

Eine neue Vermehrung zu den der Liberalität des Herzogs von Loubat zu 
dankenden Veröffentlichungen, doppelt werthvoll durch die Sachkunde des Ver- 
fassers, der sie den Studien zugänglich gemacht hat 



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Die Stellung der Ethnologie 

zu den Culturaufgaben der Gegenwart. 



In den „Mittheilungen der Anthropologischen Gesellschaft 4 * in Wien 
(XXXI, 152) wird, unter Hinweise auf Westernitz's Abhandlung über 
„Völkerkunde, Volkskunde und Philologie" (im Globus), von W. Hein 
(in Uebereinstimmung mit den dortigen Aeusserungen) zur Betonung ge- 
bracht, dass „die jüngste aller Wissenschaften**, die sich endgültig bereits 
einen Platz als Lehrfach an mehreren Universitäten erobert hat, um so 
mehr jetzt „gebieterisch eine Klarstellung ihrer Definition erfordert* 4 . 

Die Schwierigkeiten, die dabei (den weit auseinandergehenden Er- 
klärungsweisen nach zu urtheilen) vorzuliegen scheinen, finden ihren 
Grund darin eben, dass es um die „jüngste* 4 Wissenschaft sich handelt, 
die spät (verspätet fast) in den Kreis der fertig bereits ausgestalteten 
hineingetreten, mit ihnen allen über Grenzregulirungen sich zu ordnen 
hat, so dass es fflr ihre eigne Definition häufig auf Negationen nur hinaus- 
kommt (omuis determinatio est negatio), um zu bestimmen: was sie 
nicht ist oder nicht sein kann (um nicht älter berechtigten Arbeits- 
teilungen ins Handwerk zu pfuschen). 

Davon abgesehen, müsste die Erklärung als einfachste in der Welt 
geboten sein, weil eine tautologische an sich, in der „Lehre vom 
Menschen"; der Lehre vom „Anthropos 4 *, als somatisch psycho-physisches 
Individuum in der Anthropologie, und der Lehre vom 'Av&ookws yvoet £o)ov 
xokmxöv, im „Ethnos 4 *: den Völkern und Völklein (gross oder klein), wie 
vorgeführt in den. vom Stamm durch Volk zur Nation emporsteigenden, 
Gesellschaftskreisen auf abgerundetem Globus (der humanistischen Ge- 
sellschaftswesenheit gemäss). 

Die Anthropologie, die ältere Schwester der Ethnologie, hat schon 
früher aus traditionell verschleppten Erzieliiingsmaximen [der Philan- 
thropen (oder Misanthropen) und Theophilanthropen] sich losgemacht 

1 



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und herausgeschält („in puris naturalibus"), mit Selbständigkeit einer natur- 
wissenschaftlichen Disciplin und ist, seit Begründung der Psyeho-Physik, 
zurückgeführt wieder auf die — vormals der Metaphysik oder der [an 
Stelle der Theologie (der sie als „ancilla" hatte dienen müssen), zum 
Königthum in der Gelehrtenrepublik inthronisirten] Philosophie reser- 
virten — Probleme [des Humanismus, in seiner (Individual-) Psychologie]. 

Was charakteristisch für die anthropologische Menschenkunde — 
mit den unsere Neuzeit einleitenden und eine „Instauratio magna" be- 
nöthigenden Umwälzungen (bei der Fassungsweise des zoologisch ver- 
wandten „Bimanus* 4 als „Homo sapiens", in seiner „Humanitas* und deren 
Humanität) — hinzugekommen ist, resultirt (wie überall beim Aufbau 
des „Xovum Organum") aus dem über das gesammte Erdenrund 
erweiterten Umblick, wodurch die, vormals jedwedem Culturvolk 
(bei Isolation innerhalb des zugehörigen Geschichtshorizontes) in einer 
singulären Entwicklungsphase nur zugängigen, Fragen aus Hülle und 
Fülle der Yergleichungen fortab sich beantworten lassen werden: nach 
„eomparativer" Methode also; der ausserdem (für den rationell ange- 
zeigten Fortgang vom Einfachen zum Zusammengesetzten) die „genetische" 
sich verbindet (bei Durchschau organischer Wachsthumsprozesse). 

Der aus vorangegangener Hegemonie der Deductiou auf die induc- 
tive Forschungsbahn überleitende Wendepunkt dreht sich, bei den natur- 
forschlichen Disciplinen, um die Beschaffung von vergleichungsfähigeni 
(Arbeits-) Material, aus den der Forschung neu eröffneten Arealen (seit 
dem Entdeckungsalter). 

Das kam auch der Anthropologie zu (Jute: aus exotischen Beleg- 
stücken des Skelettgerüstes, in compacten Schädeln vornehmlich (mintu 
den lose anhängenden Unterkiefer oftmals leider freilich); und so ist, 
in der Kraniologie zunächst, die vergleichende Methode (etlmo-anthro- 
pologisch) zum Austrag gebracht, die indess, mit (und zu) den Ver- 
besserungen physiologischer Kenntnisse, die „Rassenphysiologie" hinzu- 
zuuehmen haben wird, um neben der Tropenhygiene die in der Accli- 
matisation gestellten Fragen (von social gewichtiger Tragweite, in der 
Praxis) einer gründlichen Durchforschung zu unterziehen (im Anschluss 
an die in Einrichtung begriffenen Institute). 

Um die Normalgestalt des Anthropos ideal zu zeichnen, sind die 
Componenten aus allen Theilen der Erde zu entnehmen (in ihrer Uni- 
versalität). Den Menschen als solchen sehen wir niemals und nirgends, 
sondern nur den nach geographisch klimatischen Zerspaltungen des 
Erdballs demgemäss gefärbten: den schwarzen, rothen, braunen, gelben, 
weissen etc., um aus diesen Xüancirungen den gleichartigen Grundton zu 



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3 - 



reduciren, wie gültig für den Homo qua talis (unter seinen Varietäten 
im „genus humanuni"). 

Lebensfähig jedoch (seiner gesellschaftlichen Existenzform gemäss) 
wird der „Anthropos" erst durch Einigung mit seinem naturbedingten 
Doppelgänger, beim Zusammengehen des somatisch psycho-physisehen 
Individuums mit dem noeto-zoopolitischen als „Ethnos", in der ihn dem- 
gemäss besehreibenden Ethnographie; der dann, um die durch exact 
genaue Beschreibung gelieferten Definitionen, (logisch) rationellen Er- 
wägungen (und Abwägungen, „pondere ac mensura") zu unterziehen, 
die Ethnologie sich anzuschliessen hat (seit, durch die Steigerung des 
Welt- und Völkerverkehrs, der Völkerkunde auch vergleichungs- 
fähiges Material beschafft ist). 

In dieser, über das Terrestrische hinausragenden, Epiphanie der 
Menschheit trifft sich der Mensch unter all den verschiedentlichen Er- 
scheinungsformen seiner Vollgestalt in deren Entwicklungsphasen: in ihrer 
Kindheit, beim Krimmel und Gewimmel der Wildstämme, in vollkräftigor 
Mannheit der Culturvölker und (greisenhaft) im Alterthum, bei den 
untergegangenen Geschlechtern; die in der Erinnerung fortleben, weil 
fixirt durch die (eine Verwerthung der von früheren Generationen be- 
schafften Ergebnisse durch die späteren ermöglichende) Schrift und deren 
Vorstufen, (auf dem Scheidungsstriche zwischen Cultur und Uncultur). 

Da diese ausgereiften Erzeugnisse der Menschheit (in „Geschichte 
des Menschengeschlechts") längst bereits von der Historiologie (oder Ge- 
schichtswissenscheft) unter ihre Hut genommen sind, hat insofern dio 
Völkerkunde damit nur indirect zu thun, anbetreffs der Ethnographie 
(im beschreibenden Fach); wogegen sie, als (räsonnirende) Ethnologie, 
hier bei demjenigen mitspricht, was aus eleu gleichartig gebreiteten 
Elementargedanken an „Ueherlebsoln" eingekapselt (und verknöchert) 
seine (primitive) Originalität bewahrt hat, innerhalb culturell ausver- 
feinerten „Surroundings" [aus (prähistorischen) Vorstadien ausgegraben, 
durch die Volkskunde]. Auch hier hat der Ausgangspunkt der Studien 
(den Vorschriften genetischer Methode gemäss) am primären Niveau 
des Wildzustands anzusetzen, wo die (ethnologischen) Sammlungen 
die Texte vertreten, um aus deren Symbolen die daran haftenden Spuren 
des Gedankenlebens (wodurch sie geschaffen sind) zu entziffern; und 
wenn aus den potentiell geschwängerten Keimen ein culturelles Sprossen 
anhebt, ist dies in seinen Folgewirkungen aus den Agentien der historisch- 
geographischen Umwelt zu verfolgen, bei den buntschillernden Wand- 
lungen der, aus kreuzenden "Wechselbeziehungen gefärbten. Völker- 
gedanken; um mit ihnen auf den (unter ändernden Karbenschattirungen) 



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geineinsam unterliegenden „Gesellschaftsgedanken" zu gelangen — und 
aus dessen, die gesammten Variationen (der ethnischen Gedankenwelten) 
einbegreifendem, Total den „Menschheitsgedanken" zu abstrahiren, als 
Ziel der Forschung (für des Menschen selbsteigene Erkenntniss). 

Sobezfiglich handelt es sich um die Humanitas und ihre „Humanität" 
(auf ethischer Scala): um die Durchschau der Menschheit, in ihren Ent- 
wicklungsphasen durch Raum und Zeit; wenn vom primitiv materiellen 
Stratum der Wildheit ab der Blick die Wachsthumsprozesse verfolgt, im 
Ansteigen zu culturell gezeitigten Blüthen: um zu ihren (Wissens-) Früchten 
heranzureifen (auf geistigen Regionen). 

Unversehens ins Dasein gerufen: durch jene weltgeschichtliche Kata- 
strophe, mit welcher die Maschinerie eines kosmopolitisch internationalen 
Welt- und Völkerverkehrs in Gang gesetzt worden ist, hatte die bis dahin 
vagabondirende Ethnologie (ohne ein Heim, wohin ihr Haupt zu legen) 
gleich einem aus der Fremde herbeigelaufenen Parvenü zu erscheinen, 
als neben den vornehm bereits installirten Disciplinen der Geschichts- 
wissenschaft und Archäologie (sowie der, unter modernen Emblemen zu- 
getretenen, Sociologie) ihre Rechte beanspruchend, — als ein exotisch 
fremdgeborenes „enfant (tenrible)"; das indess in der Wiege schon sich 
als Herkules erwieseu und manche Hydra des Afterglaubens erwürgt hat. 
Gerade die Socialphysiologie und Socialpsychologie wird (bei induetiver 
Prüfung der, in den durch die Deduction beherrschten Zeitläuften ge- 
wonnenen, Resultate) durchgreifendste Umgestaltungen zu erfahren haben, 
aus den ethnologischen Studien. Vorläufig indess, um durch Uebung 
und Erprobung einwohnender Kräfte sich zu stärken, fällt das Voll- 
gewicht ihrer Aufgaben in die Vorstadien des humanistischen Keimliugs, 
um auf primärem Niveau (des Wildzustandes) die Fundamente festzu- 
legen (mit Elementargedanken gepflastert). 

In gleichartiger Schichtung hindurcherstreckt, durch Uncultur und 
Cultur, liegen die Primordialitäten auf den höheren Entwicklungsphasen 
meist versteckt unter künstlichen Ornamentirungen, vereinzelt nur in 
originell kenntlich gebliebenen Ueberlebseln (Tylors „survivals") hier 
und da noch hervorbliukend; und je schwächer solche Spuren nach- 
dämmern, desto ernstlicher wird ihre Erfassung in Betracht zu nehmen 
sein, ehe sie völlig aus dem Gesicht entschwunden sind; fortgespült vom 
Strom der Zeit (von ihrem Zahn zernagt). 

Hier berührt sich die „Volkskunde" mit der Völkerpsychologie, worin 
der zoopolitische Charakter des Menschen durchgreifender zur Geltung 
gebracht war (b. Lazarus), die Vergleichung aber auf die heimischen 
Culturnüancirungeu beschränkt zu bleiben hatte, da das, seitdem (durch 



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— 5 — 



den Völkerverkehr) der „Völkerkunde* objectiv herbeigeführte, Ver- 
gleichsmaterial damals noch mangelte (in ethnologischen Sammlungen). 

Die philologische Compassweisung, auf dorn von der Völkerpsychologie 
ausverfolgten Forschungsweg, wurde bereite» auf ihre linguistische Er- 
weiterung übergeleitet (b. Steinthal), und den hier zusammentreffenden 
Gesichtspunkten werden jetzt die naturwissenschaftlichen Stützen der 
„Psycho-Physik" unterbreitet sein (mit Wundt's, in der Erscheinung be- 
griffenem, Fundamentalwerk). 

So sind die ^Volkskunde" sowohl wie die „Völkerpsychologie" in sach- 
liche Berührung gestellt mit der „Völkerkunde", die bei Constatiruug 
ihrer ethnischen „Elementargedanken* deren Nachweis bei dem, was unter 
culturell verfeinerten Zuständen aus ihnen überdauert, ermöglicht hat 
(für den Forschungsgang der Volkskunde), und die zugleich den (auch in 
der Völkerpsychologie rememorirten) „GesellBchaftsgedanken" in die ihm 
zeitweis verkümmerten Rechte wiederum eingesetzt hat (wie der zoo- 
politischen Naturanlage des Menschen entsprechend). 

Als specifisch für die „Völkerkunde" würde ihre Pflege vornehmlich 
den „Völkergedanken" zuzuwenden sein, um die für Vergleichung vor- 
liegenden Thatsachen, durch Ausverfolg des genetisch in ihnen waltenden 
Princips, einem erklärenden Einblick auseinander zu legen (und zu er- 
hellen). 

Der Gesellschaftsgedanke schafft die dem Zoonpolitikon erbeigen- 
thümliche Welt, worin die Gesellschaftswesenheit lebt und webt, auf 
einer von der tellurischen (nicht ab-getrennten, aber) ab-gehobenen Sphäre, 
beim Ausblick, aus dem (durch den Logos auferbauten) Mikrokosmos, 
auf makrokosmische Unübersehbarkeiten hin (im All des Daseienden). 

Dies ist dasjenige, was die landläufige Bezeichnung der „Welt- 
anschauung" oder Weltauffassung erhalten hat, um die ethnische Eigenart 
desjenigen Volkes zu schildern, das als jedesmaliges Beobachtungsobject 
in culturhistorische Behandlung gezogen war (durch die Culturgesehichte); 
und dieser ethnische Weflex in der Weltanschauung, der bisher auf ein 
paar wenige Paradigmen eingeschränkt gewesen war, erhält jetzt, seit 
der Umbliek über sämmtliehe Gesellschaftskreise (im Umfang »1er 
Erdausdehnung) erweitert ist, eine noch unausgezählte Menge von Ver- 
gleichsobjecten zur Verfügung gestellt (in den „Völkergedanken", als 
historisch-geographische Wandlungen des Gesellschaftsgedankens). 

Und neben solcher Verbesserung der „comparativen" Methode, die, je 
zahlreichere Vergleichsreihen verwendbar sind, desto mehr auf statistische 
Sicherheit (ihrer Wahrscheinlichkeitsrechnungen) vertrauen darf, kommt 
die Aushülfe der „genetischen* Methode hinzu, da neben den vollerwach- 



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senen Culturvölkora, welche vormals die Aufmerksamkeit absorbirten, 
jetzt auch in die früheren Vorstadien der Entwicklung der Einblick er- 
öffnet ist; von der Kindheit ab (der Naturkinder und Wildlinge, im 
Wildzustand). 

Indem sich so, aus cellulären Umtäten (auf elementarer Unterlage), 
ein organisches Sprossen zu entschleiern beginnt, kommt für das ethnisch 
biologische Wachsthuin ebenfalls (wie für das phytologische und zoo- 
logische) der Beobachtungskreis der phänologischen Erscheinungen hinzu 
(nach der „Lehre von den geographischen Provinzen 44 ). 

Der (autochthon) einverwachsene Keimling zieht seine Ernährung aus 
der Umgebung, aus der geologischen sowohl, worin die Wurzeln verzweigt 
liegen, wie aus den meteorologischen Agentien der Atmosphäre, und die 
Verschiedenartigkeiten stehen mit dem klimatischen Stempel geprägt, wie 
nach der Accomodationsweite aufgedrückt; und so spiegelt verschieden, 
je nach der Umwelt, die Weltanschauung (im Völkergedanken), unter 
Vorwalten des landschaftlich physiognomischen Charakters zunächst, in 
der jedesmal geographischen Provinz (des Hubitat). 

Da nun die, nach astronomischen Zerspaltungen des Globus, dem- 
selben ethnisch eingestellten Areale (als geographische Provinzen um- 
schrieben) durch (topo- oder) geographische Geschichtswege (wie im Erd- 
gezimmer vorgezeichnet) untereinander verbunden sind, müssen längs 
solcher, naturgemäss angezeigten, Bahnen diejenigen Wechselbeziehungen 
statt haben, aus deren Durchkreuzungen ein culturolles Fortsprossen 
gezeitigt wird, bei congenial wahlverwandtschaftlichen Affinitäten; unter 
veredelnden Aeugelungen des indigenen (oder endogenen) Stammes (auf 
seine ferneren Entfaltungen hin). 

Je üppiger derselbe emporwächst, unter den Erweiterungen seines 
weltgeschichtlichen Horizontes (für die „Visio mentis" auf dem „Globus 
intellectualis"), dosto mehr wird dessen Atmosphäre, neben den tellurisch 
meteorologischen Agentien auch mit socialen (aus geschichtlicher Ent- 
wicklung hervorgesprosst und nach aussen hin projicirt) durchschwängert 
sein (zumal wenn durch fremdartige Pfropfreiser geäugelt): innerhalb 
derjenig historisch-geographischen Provinz, aus der die jedesmalige Welt- 
anschauung sich reflectirt (mit dem dafür typischen Völkergedankeu). 

Bei den Metaphern der Sprache*) empfiehlt sich (für Rückführung 

*) Der unter den, durch die Gefühlswallungen der Empfindungen musculatorisch 
augeregten, Bewegungen hervorgestossene Schrei articulirt sich auf zoopolitischer Sprach- 
schichtung zu der (verständlich auffassbaren) Wortform, in lautlich umkleideten An- 
schauungsbildern, aus opto-akustischer Concordanz, beim Kreuzen der Nervenbahnen in 
dem Yierhügel (s. Held); für den Contact der aus dem „influxus phjsicus" psychisch 
hervortreibenden Entelechie mit ihrem (speeifischen) „Gegenwurf"* im Hous, [der „Manas' 



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ihrer allegorischen Gleichnisse auf fassliche Anschauungen) 6 <pvotxö$ 
Xoyog (der Stoa), als „physica ratio", aus verdeutlichenden Analogien: der 
Chemie entnommen, für die Elementargedanken (und deren wahlverwandt- 
schaftliche Affinitäten); und der Biologie, für die Völkergedanken (be- 
treffs ihres culturellen Sprossens). 

Hinsichtlich der psychologischen Terminologie wäre nächstliegend 
wohl ein Anschlüge an die des peripatetischen Systems, da die psychischen 
Entelechieen, aus ihrem „influxus physicus" hervortreibend, auch unter 
den naturwissenschaftlichen Aspecten der Psycho-Physik verwerthbar 
bleiben mögen, und der (egox&ev zugetretene) Nous von einem Jen- 

(des Manu) mit seinem Dbarma). Und wenn nun, aus den Dcnkscböpfungcn (beseelte) 
Monaden hervorhüpfen, findet dadurch der Logo» sich befähigt, den humanistisch zu- 
gehörigen Mikrokosmos aufzubauen (als xoo/io,- rot]T<k), unter dcu dvvduns (*n deren 
Spitze) wirkend (b. Philon), in den Kräften der Weltbildung [worin allein (b Plut. 
Ch.) das (unerkennbare) An-Sich dem Verstfindniss zugänglich ist]. Auf der unteren 
Stufe eines, in Präexistenz nnd Postexistenz verharrenden, Seelenzustands Plotin) 
beseelt und belebt sich — im (animistischen) Panpsychismus — die Welt, als des 
Gottes Jüngerer Sohn" (b. Philon), kraft des Logos in der Seele [wie (als Abbild des 
Nous) mit der Gottheit ofioova«*;}. Der rütader herbeigekommene Nous ' v dcr Peripatetik) 
kündet von einem „Reich schaffenden Denken", das, in transcendental geistiger 8phärc 
das Zeiträumliche überragend, oberhalb desselben liegt (Lit'xtna rfj; ovola;), und der 
Vorwurf „mit der Dcnkthätigkeit selbstgegeben" (wie Dharma mit Mauas, beim Wechsel- 
spiel der Aromauana und Aj&tana im Abhidharma\ kann nichis anders sein (b. Plotin), 
als „der eigene Inhalt der Denkthätigkeit" (s. Eucken). bei Hinschau des Nous auf 
Plato's Ideen (ev rc3 ö Inn Cäov); und dann, vom Enthusiasmus ergriffen, mit dem 
o.tww (in göttlichen Erahnungen, bei der exoiaoiz) leichtlich begnügt: statt auch auf 
solch' geistigen Regionen gleichfalls messend und wägend (pondere ac mensura) voranzu- 
gehen, seit die Verwendung der comparativ-genetischen Methode, auf ihre humanistischen 
Studien auch, sich ermöglicht hat (auf Grund der ethnisch gelieferten Thatsachen). 
Nicht von den Ursachen auf die Wirkungen, sondern von den Wirkungen auf die Ur- 
sachen ist (zurück) zu schliessen (vom Bekannten auf das Unbekannt«) — unter stetem 
„Messen" (bei Galilei) und Wägen (zum Er- oder Abwägen) — , und dann wird die 
(Richtigkeit oder) Gültigkeit erprobt (bei Verwendung der Arithmetik im Denken auf 
die geometrischen Probleme des Draussen) an den „mathematischen Unterlagen", wie 
zoiträumlich maassgebend (gültig). Wenn der mit sich selbst zur Stetigkeit (to v' 1 '*'/*" 
olov xerjQov) gelangte Blick auf „Minima" (Bruno's) und Maxiina hinschaut, auf Unend- 
lichkeiten hinaus (zum Ansatz einer „höheren Analyse", im Einbegriff der Integral-, 
Differential- und Variationsrechnung), dann verlieren die (pythagoreischen) Zahlen (bei 
Einschränkung auf geometrische Analyse) ihre ursächliche Bedeutung, iudem es fortab 
um Unendlichkeits-Rechnungen eben sich handelt (bei Vervollkommnung des logischen 
Uechnens zu seinem Infinitesimalcalcul). Bei der „wahren Befriedigung des Geistes" 
(s. Spinoza), mit anschliessender Seligkeit (gleich einer „Sach-cbid-ananda") handelt es 
sich um ein Erkennen Gottes, in den aus seiner Natur nothwendigen Handlungen, um 
den .amor Dei intcllectualis" nnd andere Anthropomorphosirungen mehr; während das im 
masculinischen, femininischen oder neutralen Wortschall (eines „Dens sive Natures* und 
deren Product) unbefriedigte Gefühl seine Zustimmimg dann erst gewähren wird, wenn 
einstimmig mit den das All dun hwall enden Gesetzen, wie mit denen des Denkens 
demgemäss zusammenstimmend (in congenial einheitlicher Stimmung insofern): wenn 
demnach also das Denken, das sich selber lebt, zum eigenen Yerständniss gelangt — 
soweit dieses reicht (als ausreichend, der gestellten Aufgabe entsprechend). 



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seitigen redet, wohin, wenn auch ihm die (in des Menschen Natur- 
anlage eingeschlagene) Wurzel fortbewahrt bleibt, die Blicke um so 
zielbewusster hingerichtet sein werden, je mehr zum Verständnis« der 
in der Bestimmung gesteckten Aufgabe dadurch (dazu-) befähigt, dasa 
„das Sein aus seinem Werden" sich erklärt, im Gewordensein (actueller 
Welt). 

Solch" theoretische Betrachtungen haben hinausgestellt zu bleiben, 
bis die Zeit dafür gekommen sein mag (denn „Alles hat seine Zeit 14 , 
nach des Weisheitslehrers Spruch). In der Gegenwart liegt es ob, das 
Problem der „Elementargedanken" umsichtig in die Haud zu nehmen, um 
aus den Vergleichsmöglichkeiten die Richtigkeit derselben (experimentell) 
zu erproben, in proportioneilen Gleichungsformeln; aus denen das logische 
Rechnen sein Facit zu ziehen hat, — daa, wenn unter doppelter Controlle 
als correctes bewahrheitet und bewährt erfunden, damit dann als richtiges 
(apodiktisch) sich erweist (zu realer Bereicherung des Wissensschatzes). 

• 

Seitdem das im Entdeckungsalter geographisch umschiffte Erdenrund, 
mit Steigerung des Völkerverkehrs, auf seinem „Globus intellectualis* auch 
umschaut ist, liegt der Völkerkundo ob, die für inductive Durchforschung 
der Gedankenwelten (ethnischer Gesellschaftskreise) benöthigten Realien 
zu beschaffen, in musealen Sammlungen; der Analphabeten zunächst, 
da der Volksgeist der Culturvölker, soweit in literarischen Folianten 
abgedruckt, den Bibliotheken sich einverleibt findet (neben technisch- 
künstlerischen und archäologischen Ergänzungen, aus den Museen). 

[m katastrophenartig eingebrochenen Uebergangsstadium des Heute, 
wo die Kürze der Zeitfrist eine methodische Ordnung noch nicht erlaubt 
hat, ist der Ethnologie vorläufig all* dasjenige aufdividirt, was ausserhalb 
des fachgerecht systematisch durchackerten Terrains (innerhalb bisherig 
weltgeschichtlichen Horizonts) in exotische Fernen hinausfällt. 

Durcli die Ansprüche des Weltverkehrs werden hier die sach- 
gemässen Scheidungen herbeigeführt sein. Die Weltgeschichte, als die 
(politisch angezeigte) Erweiterung jedesmaliger Volksgeschichte (die. allein 
ein vitales Interesse besitzend, dessentwegen gepflegt ist), wird all' die 
durch den Völker- und Weltverkehr in die heimische Interessensphäre 
hineingezogenen Oulturkreise auf der Erde (aus nahegelegten Nützliehkeits- 
rücksichten schon) in sich aufzunehmen (und insofern aus den Händen der 
Ethnologie in die ihren zu übernehmen) haben, aber die bedeutungsvollste 
Aufgabe der Völkerkunde, als eigenartig ihr zukommende, ihr deshalb zu 
belassen sein: in dem Studium derjenigen Culturvölker nämlich, bei welchen 
die (jednialig) einheimischen Stammeswurzeln, aus denen die Civilisation 



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entsprossen ist, lebendig fortleben noch; um die in solchem Wachsthums- 
prozess kritisch entscheidenden Berührungspunkte klar zu legen. Bei 
dem machtvollen Entwicklungsgange unserer occidentalischen Cultur, 
alle Rivalen auf dem Erdball weit Überragend, ist diese Brücko längst 
bereits abgebrochen (für dortige Beobachtungen), da vor den gewaltig 
anschwellenden Zielrichtungen (auf die Zukunft hin) die Vergangenheit 
abgeblas8t ist, in neblig umflortes Dunkel ihrer Vorzeit. Die (archaistisch) 
prähistorischen Zeugen stehen uns als stumme Fragezeichen gegenüber, 
denen erst durch die umständlich mühevollen Vorbereitungen in den 
prähistorischen Museen eine rationell befriedigende Antwort zu entlocken. 
Hoffnung gehegt werden darf; und dass dabei die von der Ethnologie 
beschafften Parallelen werthvolle Dienste geleistet haben, die beiden 
Forschungszweigen (dem prähistorischen und dem ethnologischen) zu 
ihrem Besten ausgeschlagen sind (im gegenseitigen Zusammenarbeiten), 
ist bekannt genug. 

Die der Ethnologie*) erbeigenthümliche Aufgabe, in Durchforschung 
des Menschheitsgedankens (von primären Anfängen ab;, würde sie bei 
den Culturvölkern zu einer Socialphilosophie gestalten, der dann wiederum 
die Philosophie xai l$ox*) v (dem üblichen Sprachgebrauch nach) das- 
jenige zu suppliren haben müsate, was dem aus seinem Gesellschafts- 
kreis integrirten Individuum für Rückführung auf seine eigene Er- 
kenntniss dienlich sein möchte [einem, in polyglottischen Versionen 

wiederholten, Wahrspruch (orakelhaften Klanges) gemäss]. 

* • 

Die Unterlage der biologischen Studien bilden die geographischen 
Provinzen**), um aus den (causalon) Wechselbeziehungen der Umwelt mit 

*) Indem bei der Ethnologie, als Lelire vom Ethnos (oder dorn r Zoonpolitikon"), 
der Schwerpunkt (humanistischer Existenz) auf die noelische Sphäre fällt, steht bei ihrer 
Erkenntuissthcorie, innerhalb des Gesichtskreises der .Ethnikoi", die Psychologie in dem 
Vordergrund, da bei dein, was über die Seele gedacht ist, die von ihr (beseelte oder) 
belebte Natur sich spiegelt (im Gesammt des somatisch Materiellen, und des Socialen 
desgleichen) aus dem Reflex der Völkergedanken (in sogen. Weltanschauug). In seinen 
Spiegelungen spielen ethnische Incarnationen in Fleisch uud Blut, die nach naturwissen- 
schaftlich exaeter Methode aus ihren Wechselbeziehungen aufzuhellen und zu klären 
sind unter den Wundern der Welt). „Voll ist Alles von Zeichen und weise derjenige, 
der aus dem Einen das Andere lernt" (s. Plotin); wenn bei congenialer Stimmung aus 
kosmischen Gesetzlichkeiten das Zusammengehörige harmonisch einklingt (innerlichen 
Vorveranlagungen gemäss). 

•*) Die Forschniigsweise in der »Lehre von den Geographischen Provinzen* geht 
auf von den Wirkungen auf di<- Ursachen, vom Bekannten zum (noch) Unbekannten, von 
dem, waa (ausgewirkt und realisirUi deutlich vor Augen liegt, im gegeben Vorhandenen 
eines actuellen Bestandes), auf das, was ais Ursächlichkeit unterliegen möchte und 
demgemäss zu erproben ist, auf dem vom rationellen Denken beherrschten Beieich 
unter stetiger Erweiterung durch siegreiche Eroberungen). Abgesehen von dem aus 



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der Reaction des im vivificirten Organismus treibenden Wachsthumsprincip 
den jedesmal gültigen Effect zu gewinnen, als erste Eins [ro jiQÖnov £r. 
um die (pythagoreische) Zahlenreihe in Fluss zu bringen]. 

Auf niederen Stadien bedingt sich das Leben aus den, im tellurischen 
Stoff latent, erweckbaren Kräften des Mediums im Aggregatzustand 
(einem erdigen, flüssigen, luftigen), während auf höheren Entwicklungs- 
stadien die Kiuflüsse aus Periodicität solaren Umlaufs hinzutreten, in 
meteorologischen Agentien der Atmosphäre (verbunden mit geologischem 
Bodengrund; vor freier Ablösung, durch animalische Bewegung). 

Bei Vertiefung*) in paläontologische Schichtungen dürfte vorläufig 

des Daseienden Sein vorbedingten Ursachsgrund, erweisen sich, für die Ausgestaltungs- 
form des biologischen Organismus, dessen Ursachwirkungen aus den die jedesmalige 
Umwelt durchwaltenden Agentien; die nach Maass und Zahl in Durchforschung gezogen 
werden können (für das Detail der Wechselbeziehungen). Auf gleichartig über den 
Erdball gebreiteter Pflanzendecke unterscheiden sich eigenartig geprägte Wandlungen, </a 
hervorge- oder) entsprungen, wo der dadurch verfügbar gestellte Index eine charakte- 
ristisch (und typisch) umsiehende Peripherie anzeigt (in botanischer Provinz); und 
linner- oder) unterhalb der im Totaleindruck redenden Physiognomik sind uun die 
singnlären Variationen auszufolgen, in den Species (oder in den Gattungen für diese etc.). 
Eine solche Generalübersicht wird auf ethnischen Arealen durch das in der Kasse ent- 
worfene Gcsammtbild eingeliefert, und innerhalb desselben zeichnen sich (als individua- 
lisirto Gesellschaftskreise des Zoonpolitikon) die politisch (durch das Sprachband; um- 
schlossenen Völker (oder Völklein), wie neben den geographischen Factoren auch durch 
sociale gefärbt, aus historischen Durchkreuzungen (je nach den Stufen der Entwicklung- 
starlicu). Ehe hier zum methodischen Vorgehen, all den specialistischen Ansprüchen 
genügt werden kann, würden gar mancherlei Präliminarien zu erledigen sein, wie sie 
aus dem Medium (geologisch besonders für terrestrische Existenzform , sowie (aus ge- 
naueren Analysen der Luftconstitution) meteorologisch aufliegen, soweit den Periodicitäten 
des planetarischen Umlaufs bei den tellurisch sprossenden Wachsthumsprozessen deren 
Erscheinungsweise entspricht; und ausserdem muss die Anwendung der comparativ- 
genetischen Methode auf die humanistischen Studien zum Austrag gebracht sein |von 
den Elementargedanken ab, zur Ordnung des vcrglcichungsfähig angesammelten (Arbeits-) 
Materials: auf Grund der thatsüchlichen Belegstücke in völkerkundlichen Aussagen]. 

*) Wenn in verticaler Erhebung der geographischen Provinz ein alpines Pflänzlcin 
ihrer arktischen Analogie auf horizontaler Breitung (am Mccresnivcau) entspricht, so 
proclamirt sich darin die unter gleichartigen Umgebungsbedingnissen gleichartig dem- 
gemäss hervortretende Erscheinungsweise nächstliegend einfacher, als durch Zuziehung 
eiuer (aus erratischen Blöcken und Schliffen constatirten) Eiszeit, oder sonst geologischer 
Umwälzungen, bei denen es eines mehrweniger gigantischen Apparates von Hypothesen 
bedarf und oft einer Zeitverschwendung, der es etwaigenfalls auf ein paar Hundert- 
tausend oder Millionen Jährchen nicht gross ankommt [und wodurch ohnedem (subjecti- 
vistische) Nebendeutungen eingeschoben sein mögen in den, zunächst objectiv (ungestört) 
zu haltenden, Umblick]. Sofern widerspruchslos an sich, bleibt eine jegliche Hypothese 
im Bereich des Erlaubten und darf ihre Rechte beanspruchen, aber um aus wählbaren 
Möglichkeiten das Naturwalten zu erklären, wird die einfachere Deutungsweise (soweit 
vorläufig genügend) vorzuziehen sein, schon um es dem Denken bequem zu machen: 
dem es, unter vorbedinglicher Erledigung solch' ersten Anfangs, auf dessen akademisch 
(und theoretisch! interessante Fragen ohnedem weniger ankommt (so lange mit dring- 
lichen Arbeiten noch überhäuft), als auf die praktischen Weiterfolgerungen, — die, wenn 
in beiden Fällen die gleichen bleibend, um so besser gesichert sein werden, je durch- 
sichtiger vom Anbeginn ab (also am einfachen eher, als dem complicirten). 



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Maass zu halten rathsam sein, da bei ihnen — wenn auch vom „im- 
perfect geological record" (wie vom Evolutionisten beklagt) abgesehen 
würde, (auf seine Ausbesserungen hin) — eine abschliessende Peripherie 
im zeitlichen Portgang niemals angereicht sein kann, so wenig, wie eine 
räumliche bei den aus makrokosmischen Unabsehbarkeiten einfallenden 
Kräften ; die erst, soweit im terrestrischen Bereich umfassbar, einer 
exactcn Erforschung zugänglich werden (für demgemässe Rückschlüsse 
fernerhin). 

Auf abgerundetem Globus ist gegenwärtig phytologisch und zoo- 
logisch (hoffentlich auch ethno-anthropologisch baldigst) eine Totalität 
der Umschau hergestellt, und innerhalb solch' rückläufiger Curve des 
Horizontes kauu jetzt eine Quadrirung (des Kreises) beginnen, mittelst 
monographischer Detailarboiten (bis auf die durch Wahrscheinlichkeits- 
rechnungen gewährbare Sicherheit genau). Und erst nachdem hier feste 
Gesetzlichkeiten (aus Aequivalenzcn der massenhaft verfügbaren Vergleichs- 
reihen) erlangt sein werden, mag auf den Stützen des dadurch gesicherten 
Anhalts das (im „geheimen Bautrieb" in „Geschichte des Materialismus" 
stachelnde) Problein der Ursprungsfragen in Angriff genommen werden; 
zur Annäherung zeitlicher und räumlicher Unendlichkeiten (bei Vervoll- 
kommnung des logischen Rechnens zu seinem Iofinitesimalcalcul, der- 
maleinst). 

Beim Lesen des in (Galilei's) „geometrischen" Zeichen geschriebenen 
Buches der Natur — worin eine höchste Vernunft selbsteigeno Gedanken 
eingezeichnet hat (b. Campanella) — wird eine Entzifferung angenähert 
sein, wo (und wann) aus der dem Denken (als „logischem Rechnen 1 *) 
immanenten Arithmetik ein Zusammenstimmen hervorklingt (auf den 
„mathematischen Unterlagen" des AlFs). Und da, seit Beschaffung des 
in ethnischen Thatsachen anschaulich redenden (Arbeits-) Materials, die 
Möglichkeit geboten ist, auch die humanistischen Studien einer natur- 
wissenschaftlich exaeten Behandlung zu unterziehen (nach comparativ- 
genetischer Methode), wird den aus dem Causalitätsprincip des Denkens 
gestellten Fragen eine, dem zeitgültigen Barometerstand des Wissens 
conforme, Beantwortung sich beschaffen lassen (unter den Harmonien 
kosmischer Gesetzlichkeiten). 



Was innerhalb tellurischen Horizontes im Daseienden angetroffen wird — als vor- 
handen gegeben, zum Ansatz der Forschuug — hegreift (in geologischer Constitution 
des Erdballes) den (latente Kräfte bindenden) Stoff, auf Elemente reducirbar (im letzt 
Fasslichen) und was aus ihm, bei stetiger Umwandlung einwohnender Energien, sich 
auswirkt, aus potentiell geschwängerten Keimungen, deren (soweit) kleinste Einheit cellulftr 
umschrieben steht. Im animalisch biologischen Reich treten mit räumlicher Bewegung 



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begabte Wesen hinzu, deren somatisch psycho-physische Tbätigkcit bis zur noPtischen 
sich steigert (im humanistischen Abschluss). 

Beim Studium des mineralischen Stoffes handelt es sich um die in Wechsel- 
beziehungen der (nach wahlverwandtschaftlichen Affinitäten) verschiebbaren Kräfte, wie 
und wann aus ihrer Latenz geweckt, um das daraus Effectuirte rückzuprüfen auf die 
sobezüglich abgelaufenen Veränderungen (unter demgcmäss resultirenden Gesetzlich- 
keiten). 

Bei den biologisch organisirten Vorgängen (in der ein jedesmaliges Ganze ein- 
begreifenden Umschau) hat der in Fülle des Werdens gezeugte Effect (beim Blfithenstand 
in Fructification der Pflanze) den Ansatz der Betrachtung abzugeben, um (im metho- 
dischen Verfolg) aus den Wirkungen auf deren Ursachen zurückzugehen (in primärer 
Zelle). Bei den Animalien hatte die Physiologie des auserwachsenen Thieres vorher 
die im Organismus bethätigten Functionen, in deren geordnetem Zusammenwirkuogen 
(die Theile unter ihren Dispositionen zum Ganzen), als in sich geschlossenes Total zu 
umgreifen, ehe für embryologische Vertiefung ein Anhalt geboten sein konnte (nach 
den Vorschriften naturwissenschaftlicher Exactness). 

Der Mensch, im Stadium voller Ausgestaltung, ist repräsentirt durch seinen zoo- 
politischen Blüthenstand im Stamm oder Volk, und dessen deutliche Anschau (beim 
Einblick in die den Gesellschaftskreis durchwaltendcn Gesetzlichkeiten) muss deshalb 
seine Erledigung gefunden haben (unter allgemeinen Umrissen), ehe versucht werden 
darf, bis auf causal unterliegende Primordalitäten zu gelangen; um sodann aus genauer 
detaillirten Einzelnheiten die vorangegangenen Generalisationen nachzuprüfen, auf ihre 
Richtigkeit hin (aus Controlle der Induction mit der Deduction). 

Für eine, unter den Bedingnissen des localen Habitat, durch den Gang historischer 
Ereignisse zu gesellschaftewesentlicher Entfaltung geförderte und eraporgeblühte Indi- 
vidualität kann (zum Paradigma) die hellenische gewählt werden, innerhalb des im 
classischen Alterthum erschöpften Umlaufes ihre Existenz. 

Aus den oft beschriebenen Aspecten ihrer geographischen Provinz sind die mit 
der Nachbarschaft verbindenden Geschichtswege klardeutlich dargelegt, in den aus 
nördlichem Hochlande niederführenden Passen und den an den Küsten gezackter Halb- 
insel eröffneten Häfcu für maritime Verkebrsbahnen. 

Auf ihnen ist dasjenige eingeströmt, was phönizisch gefärbt hat, auf dem meso- 
potamischen Hintergrund babylonisch-assyrischer Culturländer, was lykisch und karisch 
mit medo-persischen Wurzeln, was ägyptisch ans pharaonischer Vorzeit, und auf den, 
terrestrischen Wanderungen vorbereiteten, Pfaden ist die dorische Version der jonischen 
zugefügt, um mit ihr zu einem einheitlichen Ganzen verwachsen, den Hellenismus vor- 
zuführen, unter der ihm in Geschichte des Menschengeschlechts zuertheilten Rolle. 
Aus seiner Durchforschung sind die in moderner Civilisatiou practisch verwertheteu 
Resultate gewonnen, und auch die über primäre Bestandteile (in der Herkunft) ge- 
stellten Fragen sind einer Beantwortung zugänglich, soweit die Nachrichten über die 
autochthonen Bevölkerungen Acanianicns, Actolieus, Arcadiens etc. ilafür ausreichen") 
oder die aus (lelegischen) Mengungen in das Pclasgerthum zusammengeschweissten Con- 
glomerato einer schärferen Analyse unterzogen sein sollten. 

Betreffs des aus der Fremde Uehcrnommenen berühren die Ursprungsfragen den 
hellenischen Specialistcn andrerseits nur, sofern er sie den dafür installirten Fachdisciplineu 
zu überlassen hat. Für ihn tragt, was phönizisch. lykisch, ägyptisch hinzugekommen 
(oder entlehnt) ist, das Gepräge dessen, was unter solchem Namensstempel damals damit 
bezeichnet war, uud für das Uebrige haben die Aegyptologcn, Assyriologen, Eranistcn 
zu sorgen wenu eine sachgerechte Auskunft sich benöthigt. 

In analoger Weise einer Arbeitsteilung hat die (einer solchen mehr noch be- 
dürftige) Ethnologie vorzugehen: die Culturvölkcr hinzunehmen zunächst, wie aus 



*) Wo nichts ist hat der Kaiser sein Recht verloren (nach dem Volksspruch), und 
sn. auf dem von ihm beherrschten Arbeitsfelde, der Naturforscher, wenn der Induction 
die bPhöthigten Bausteine mangeln (und windige Luftschlösser (.der Speculation) zn 
bewohnen, keine Neigung gefühlt wird). 



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deren Literaturen und mouraentalen Zeugen ihr Volksgeist bestätigt ist, und die Wild- 
stämme so, wie angetroffen; aus den Beschreibungen der ersten Entdecker und den 
neuerdings, mit den Apparaten wissenschaftlicher Cautelen, um ihre monographische 
Erforschung bemühten Fachgelehrten. 

Auch hier stehen als maassgebend die gleichbeiden Gesichtspunkte voran, der Ton 
den Geographischen Provinzen (als Habitat), sowie der von den dieselben (mit dem 
umliegenden Terrain) verbindenden Geschichtswege (wie im Erdgezimmer vorgezeichnet, 
die Etappen ihrer Stationen markirend) ; und aus dem Ineinanderwirken beider Factoren 
umschreibt sich das ethnische Areal. 

Ein Stammesganze gleich dem der Irokesen bezeichnet in den Namen der Cou- 
föderationen schon die Componenten, die jedesmalig wieder auf einfachere Stammes- 
einheiten ausverfolgt werden mögen (bei sobezüglich vorliegenden Daten), und was 
auf den Berührungspunkten der Arowaken, Tupi, Caraiben u. A. m. zur Ausentwicklung 
gelangt sein mag oder auf primäre Substrate hinweist, ist den Ergebnissen der für sie 
erprobten Specialforscher zu überlassen, um das von ihnen bewährt und erprobt Be- 
fundene zur rationellen Verwendung aufzunehmen (in die Wissenschaft). 

Dabei darf für die autochthone Frage des atlantischen Continents, betreffs der dort 
stattgehabten Wanderungen, eine etwaig trans- atlantische Herkunft soweit nur mit- 
sprechen, wie an den Contactstellen erwiesen; aber keineu Zoll darüber hinaus vor- 
läufig (bis fernere Aufklärungen gewonnen sein sollten). Die practische Aufgabe der 
Völkerkunde: ans Durchforschung des primitiven Gedankenganges die culturell compli- 
cirteren Denkschöpfungen zu klären (in eigener Oivilisation), kann (und muss) bei 
systematischer Anseinanderlegung des actuellen Bestandes absolvirt werden, unter ob- 
jectiver Umschau, die durch hypothetisch abgelenkte Seitenblicke zu trüben und zu 
stören, nutzlos nicht nur, sondern schadenbringend wäre; so dass der im »geheimen 
Bau t rieb - 1 stachelnde Hang, auf schlüpfriger Gleitbahn der Ursprungsfragen*) in einen 
„Regressus ad infinitum" abzurutschen, dem „metaphysischen Drang" (als dessen Privat- 
vergnügen) überlassen bleibt — obwohl auch hier, im Fortgang auf ethnologischer 
Forschungsbahn, der Deduction (zu besserer Stetigung ihrer idealen Aspirationen) in- 
dnetive Stützpunkte, auf Verglcichungen**) des thatsächlichen Materials gefestigt, ge- 
währt sein mögen; bei Vervollkommnung des logischen Rechnens zu seiner „höheren 
Analysis" (unter „Erschöpfung der Denkmöglichkeiten-). 



•) Im Hintergrunde lauert die gute (und, mit ihresgleichen, den „Weg zur Hölle - 
pilastern helfende) Absicht, das Wunder zu verhüllen: durch fernes und lerneres Hinaus- 
schieben, bis ausser Sicht (nach Politik des „Vogel Strauss"), obwohl die dann ein- 
malige Setzung mit einer unzähligen voll identisch ist (soweit ausserhalb rationeller 
Berechnungsweisen >. Da man diesen, bei kosmogonischen (Mythologien und) Theorien 
in seiner Ridiculität längst entlarvten, Kunstgriff aus evolutionistischen hat auffrischen 
wollen, gilt auch für sie „le ridicule c'est la mort", besonders bei pomphaftem Ge- 
schnatter (du sublime au ridicule il n'y a qu'un pas). Im „absoluten Werden* aufgelöst, . 
fliesst das erste Didonienon im Da-Seienden (des Seins; hinaus in unabsehbaren NN eiter- 
lluss, über letzt haltbare Relationen fort (in Unendlichkeiten hinein), und so lange das 
Denken, in gleichen Parallelreihen, nicht Schritt halten kann, muss es zurückbleiben und 
geschlagen sein, — weshalb [um sich siegreich (uder gleichwerthig doch) zu erweisen] 
das logische Rechnen vernünftiger thut, seine (in Ausübungen gestärkte) Befähigung zu 
Unendlichkeitsrechnungen abzuwarten (bei „Erschöpfung der Denkmöglichkciten"). 

**) Auf die variabelen Differenzen ^in den ethnischen Arealen) kommt es au (nach 
comparativer Methode), um die Abhängigkeit der Grössen von einander durch Gleichungen 
für endliche Grössen und deren Dißerentiule zu vermitteln (zur Integrirung der Func- 
tionen in Kral'tlülle des (eigenen) Lebens). 

A. B. 



Bwila^ zum EthnoloKischen Notizblatt (tV. I). 



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> 



In des hellenischen Deckers idealistisch erstrahlenden Welten waren den 
Dingen hienieden ihre unvergänglich ewigen Prototypen vorgesetzt. Ideen 
giebt es für Alljedes, für das, im Schönen und Guten, Verklärte sowohl, wie 
für Koth und Schmutz (im Parmcnides), oder für Schändliches und Schlechtes 
(im Theäthet) — und als solche Vorbilder, betreffs der Specißtät in humanistischer 
Existenzform, walteten über die Menschen (xt>;'ju*t* Wewv) ihre Götter; und zwar 
für den Einzelnen jedesmal der ihm, am ts'jto; unepoupolvio;, zuertheilte „Reigen- 
genosse" (als Mentor). 

Und so sind die Göttersucher auf die Suche gegangen, ein Jeder um seinen 
Gott sich zu finden und ihn sich zuzugesellen, als Gutgesell (wie der Stimmung 
congenial). Die Einen spähten hinaus in der Unendlichkeit Weiten, ob dort 
für den Standpunkt ihres „Dens ex machina" ein Gerüst sich befestigen lassen 
möchte, die Andern folgten unseres Dichterfürsten Gebot: 

Nehmt die Gottheit auf in Euren Willen 
Und sie steigt von ihrem Wolkenthron, 

wenn er im Herzkämmerlein gehegt und gepflegt wurde : der Gott des „Gottes- 
frenndes" (s fhs; ev ^.utV). 

Dies, wie alle Betrachtungsweisen — seit der Deduction die Hegemonie 
von der Induction bestritten worden (zum wechselweisen Zusammenarbeiten 
beider) — , hat sich umgedreht, vom Kopf bis zur Zehe, indem die Götter im 
anthropomorphischen Reflex zurückspiegelten, als Schöpfung Dessen, den sie 
früher geschaffen haben sollten. „Wie der Mensch, so sein Gott", formulirt es 
der moderne Philosoph im „Lande der Denker 14 (auf äusserst er Linke der meta- 
physisch triumphirenden Schule); und die Natur, der Götter voll (;ra.Vra n^py 
hfiüv), wird jetzt anmuthend (animistisch) wiederum belebt, aus anthropologischen 
Theorien (im „Zeitalter der Naturwissenschaften"). 

Auf den labyrinthisch kreuzenden Wegen, die durch die „Geschichte der 
Irrthümer" sich hindurch gewunden haben, waren die Pfadfinder dem „Gott in 
der Geschichte" nachgegangen, um anzulanden bei dem „Mensch in der Geschichte" 
für die „Lehre vom Menschen". Und darum also wird zunächst es sich handeln: 
um aus den Symbolen des (zur Entzifferung) von der Natur vor den Augen 
„aufgeschlagenen Buches" dasjenige zu erlernen, was den Menschen über sich 
selber belehren möchte (zu selbsteigencr Erkenntniss). 

Da in Wesenheit der humanistisch geprägten Epiphanie die zoopolitische 
Organisation einbegriffen liegt, auf sprachlicher Gesellschaftsschichtung (wo d«s 
Denken anhebt), ist das Problem der Gesellschuftsgedanken vorangestellt: zur 
„Erschöpfung der Denkmöglichkeiten"; damit, unter Universalität der Umschau, 
jed' Einzelner der im Ganzen des Gesellschaftskreises integrirenden Compouenten 
befähigt sei (wenn er so will), den ihm zustehenden Ziffernwerth herauszurechnen 
(im logischen Rechnen). 

Die Aufgabe bildet der Menschheitsgedanke von der „Humanitas" (in ihrer 
Humanität); und hier also gilt es die Lösung dessen, was aus dem Geriithsel 
der Weltwunder dem Verständniss zugänglich sich ergiebt (soweit es reicht, in 
seinem Machtbereich). 

efr. D. M. (11K)1). 



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Ethnologisches Notizblatt 

Herausgegeben 
too der 

Direktion des Königlichen Museums für Völkerkunde 

in Berlin. 



Band in. - Heft 2. 

Mit 11 in den Text gedruckten Abbildungen. 



1902. 

Druck und Verlag von A. Haack. 
Berlin. 



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Inhaltsverzeichnis^ 



Seit. 



Himly, Karl. Ein chinesisches Werk aber da» westliche Inner-Asien 1 

Lehrnaon, Walter Die Bezeichnung des Krieges im Mexikanischen mit sprachlichen 

Erläuterungen 78 

Hahl, Dr. Kaiserlicher Vicegouverneur Feste und Tanze der Eingeborenen von 

Ponape 95 

Hösemann. Dr. Stabsarzt Ethnographische Tagebuchnotizen von der Expedition 
gegen die Esüm und vom Marsch Jaunde-Watare-Ngilla-Ngutte zum 
Mbam. (19 Februar bis 28. April 1901.) 103 

Bücherscbau 118 



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Ein chinesisches Werk über das westliche 

Inner -Asien. 1 ) 

Von Karl Himly. 

Zu einer Zeit, wo eine nicht unbedeutende Anzahl Reiseberichte, 
Hohen raeasnngen und namentlich an den Grenzen in einander greifende 
Aufnahmen Aber die nördlich und südlich von Thien-Schan belegenen 
Gebiete vorliegen und Russland nicht nur einen beständigen Handels- 
verkehr mit denselben besitzt, sondern auch ständige Konsulate dort 
unterhält, könnte Manchem die Berücksichtigung älterer chinesischer 
Werke über den Gegenstand überflüssig scheinen, aber mit Unrecht. 
Ganz abgesehn nämlich von dem doch auch nicht gering zu schätzenden 
geschichtlichen Werte, den solche Werke besitzen, handelt es sich — 
besonders für Ost-Turkistan — um Länderstrecken, die vor nicht langer 
Zeit wegen der Aufstände in beständigen Umwälzungen begriffen waren 
und es wegen der Beschaffenheit des Bodens theilweise noch sind. Ein 
solches chinesisches Werk hatte schon zu Ritters Zeiten in Europa ge- 
nügende Beachtung gefunden, nämlich das von Hyakinth Bitschurin 
bearbeitete 8i-yü-wön-kien-lu »Verzeichniss des von den Westlanden 
Gesehenen und Gehörten«. Ganz anderer Art ist das noch immer nicht 
genügend gewürdigte Si-y ü-shui-tao-ki (»Aufzeichnungen über die 
Wasserläufe der Westmarken«), von dem Uspenski in der Petersburger 
Zeitschrift für Erdkunde (Abtheilung für Völkerkunde, 1868, Zapiski 
J. Geogr. Obszczestwa po otdjelenijn etnografit, VI) einem Auszug heraus- 
gegeben hat. Zunächst ohne Eenntnias des letzteren hatte ich Ende 
der siebenziger Jahre eine Bearbeitung desselben Werkes begonnen, welche 
von 1880 an, mit vielen Anmerkungen und Zusätzen versehn, in der 
Berliner Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde erschien (15. Bd. 1880 
S. 182 ff., S. 287 ff., 17. Bd., 1882, S. 401 ff.). Der Abdruck geriet damals 
ins Stocken, ehe ich auch nur das vorläufige Ziel erreicht hatte, welches 

•) Diese Abhandlung ist sowohl durch ihre ausführlichen geographischen Angaben 
and Untersuchungen, als durch die Hinweise anf die Altertümer des beschriebenen Ge- 
biets in hohem Masse geeignet, die Zwecke unserer im Interesse des Königlichen 
Museums für Völkerkunde zu Berlin demnächst zu unternehmenden Reise nach Ost- 
turkestan in wissenschaftlicher wie in praktischer Beziehung zu fördern. Wir können 
es daher nicht unterlassen, Herrn Karl Himly für die freundliche üeberlassung seiner 
Arbeit auch an dieser Stelle unseren herzlichsten Dank auszusprechen. 

Albert Grünwedel. 
Georg Huth. 

1 



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- 2 - 



i 



dem Tarim- Gebiete galt und auch den Auszügen Uspenski's vorgesteckt 
war. Seitdem hat mir die Freigebigkeit der Deutschen Morgenländischen 
Gesellschaft wiederholt die Benutzung des ihr schon seit etwa dreissig 
Jahren angehörigen Werkes gestattet, und so ist es mir möglich, nicht 
allein im Folgenden die einmal begonnene Arbeit fortzusetzen, sondern, 
so Gott will, auch über weitere Theile des Werkes kurzen Bericht zu 
erstatten. 

Der Verfasser Sü Sung Sing Po, welcher sich 1817 selber in Jli 
aufgehalten hatte, wurde dadurch veranlasst, 1824 das vorliegende Werk 
herauszugeben. Unähnlich den meisten Beschreibungen der Kreise, Bezirke 
und Statthalterschaften des eigentlichen Chinas, geht dasselbe von den 
Flüssen aus und beschreibt im Anschluss daran die an ihnen gelegenen 
Ortschaften, nebenbei aber auch die weitere Umgebung unter Rücksicht- 
nahme auf die frühere Geschichte des Landes. Von den fünf Heften 
umfassen die ersten beiden das Gebiet des Lop-Nur und des Tarim- 
Flusses, also Ost-Turkistan , das dritte diejenigen des Khara-Nur, des 
Barkul-Nur, des Ayar-Nur und des Boro-Tala-Nur, das vierte das Gebiet 
des Balkasch-Sees, das fünfte die Gebiete des Sairam-Nur, des Temürtü- 
Nur oder Issik-Kul, des Alak-Tughul-Nur, des Kisil- Bäsch- und des 
Dsaissang-Sees. Zu jeder Abteilung gehört eine Karte. Die vorkommenden 
Namen sind oft von einer Erläuterung ihrer Bedeutung mittels des Mon- 
golischen, Türkischen u. 8. w. begleitet, was sehr zum Verständnisse 
ihrer Verkleidung im chinesischen Gewände beiträgt". Nach einer Ein« 
leitnng, welche sich auf die zwischen den heiligen Seen Tibets und dem 
Thien-Schan befindlichen Gebirge und das Verschwinden des Huang-ho 
bezieht, als dessen oberer Lauf bekanntlich der Tarim-Fluss früher be- 
trachtet wurde, wird zunächst der Lauf des K aschgar- Flusses, sowie seiner 
beiden Quellflüsse, des Ulan-Ussu oder Kysyl-Su im Norden und des 
Yaman-Yart-Flusses im Süden, verfolgt. Das Werk giebt dem vereinigten 
Flusse den Namen Thsung-Ling-Pei-ho („nördlicher Thsung-Liug-Fluss") 
nach dem chinesisch Thsung-Ling genannten Kysyl-Yart-Gebirge. Dann 
folgen der Yarkand-Fluss und der Tisnäf, deren Vereinigung hier den 
Namen Thsung-Ling-Nan-ho («südlicher T.») führt, sowie der Yü-Tien-ho 
(Khoten-derya). Die Karte lässt die drei Flüsse mit dem von Norden 
kommenden Ak-Su ein Kabak-Agzy genanntes Werder bilden. Mit der 
Beschreibung des Ak-Su beginnt das zweite Heft des Si-yÜ-shui-tao-ki ; 
dieselbe reicht bis zur S. 10 oder Blatt 5 h, wo der in der Zeitschrift 
der Berliner Gesellschaft für Erdkunde veröffentlichte Teil meiner Be- 
arbeitung S. 442 des 17. Jahrganges abbricht. Auch die grösste Karte 
des chinesischen Reiches, das Ta-Thsing-I-Thung-Yü-Thu, hat das Werder, 
ohne einen Namen dafür zu geben, aber etwa auf 40° 20' N. B. und 



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- 3 - 



35° 30' W. L. von Peking, während im vorliegenden Werke, welches 
gewöhnlich die Breiten mehrere Grade zn hoch angiebt, 44° 25' N. B. 
und 36° 3(V W. L. angegeben werden. 1 ) 

Der Keldiya-Fluss. 

Oestlich von der Mündung des Aksu mündet nach unserem Verfasser 
der Keldiya-Fluss in den Tarim-Fluss, and auch die dem Werke bei- 
gegebene Karte bestätigt diese Behauptung, der das I-thung-yü-thu 
sowohl, wie die Karten kleineren Massstabes, widersprechen, indem sie 
den Floss etwa 100 Ii nördlich von Keriya im Sande verlaufen lassen. 

Zehn Ii östlich von Iltshi-Khoten liegt nach unserem Verfasser das 
Dorf Yurung-Kash auf 36° 52' N. B. und 36° 20' W. L. von Peking 
(I-thung-yü-thu etwa 36° 47' N. B., 35° 30' W. L. v. P.). Zweihundert- 
unddreissig Ii südöstlich von Yurung-Kash soll das Dorf Tsirla auf 
36° 47' N. B. und 35° 40' W. L. v. P. liegen. In wenig mehr als der 
angegebenen Entfernung und in derselben Richtung ist auf der Karte 
des I-thung-yü-thu ein Dorf Tagh-Nula angegeben, über das der Weg 
von Yurung-Kash südöstlich, nach einem angeblichen Keliya-Xotun führt, 
von welchem unten die Rede sein wird. Die Lage dieses Tagh-Nula ist 
etwa 36° 9' N. B., 33° 53' W. L. von Peking. Einhundertundachtzig Ii 
nordöstlich von T'sirla (Tshira) soll die Stadt Keldiya (Keria) liegen und 
zwar auf 35^ 68' N. B., 34° 30' W. L. von Peking. Die nordöstliche 
Entfernung Keldiya's von Tagh-Nula auf der Karte des I-thung-yü-thu 
würde gerade gemessen etwa 200 Ii betragen, die Lage der Stadt auf 
der letzteren ist etwa 36° 59' N. B., 33° 29' W. L. a ). Die Karte des 
I-thung-yü-thu giebt einen im Ganzen etwa von Westen nach Osten, 
nur zuletzt in nach Norden etwas abweichender Richtung führenden Weg 
von Yurung-Kash (wo sich der Weg nach Tagh-Nula von ihm trennt) 
nach Keria an. Nach ungefährer Schätzung der geraden Entfernung 
sind an diesem Wege die Oerter Garya (Karya) 75 Ii von Yurung-Kash 
ohne weitere Bezeichnung, Tsöl (Dorf 56 Ii) östlich von einem bei Tagh- 
Nula entspringenden Flüsseben, welches sich nördlich von Tsöl in der 
Wüste verliert, Tsheke etwa 82 Ii weiter östlich, von wo es noch etwa 
138 Ii bis Keldiya (Keriya) sein mögen*). Eine Anmerkung zu dem 

■) Eine Beschreibung des Ta-Thsing-l-Thung-Yü-Thu von Dr. G. Wegener und mir 
s. Ztschr. d. Ges. f. Erdkunde 1893, S. 201 ff. 

*) K'eliya hwei thshong „Türkenstadt Keldiya - hat das Uhung-vQ-ti-thsüan-thu, auf 
deasen Karte aber das südliche K'eliya-Xotun fohlt. Der Laut k'e der Umschriften lautet 
heutzutage k'o in Peking, ist aber in Umschriften für ke gebräuchlich. 

*) Nach Johnson sind es von llchi nach Dul, einem Dorfe, U englische Meilen in 
östlicher Richtung, von da nach Chira 19 ra. S. 0., weiter nach Karakar 16 ra. S. 0, 
Kiria 20 m. N. O., Chira (Tshira) soll an 8000 Hauser enthalten und an 4 roiles west- 
lich vom gleichnamigen Flusse liegen (». Journal of the Geogr Soc. of London 1867). 

1* 



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- 4 - 



Namen and der Lage toii Keldiya bezieht sich auf das Dorf Tagh 
(»Berge), welches 350 Ii südlich von Keldiya auf 36° 13' N. B., 
34° 45' W. L. von Peking liegen soll. Dieser Ort Tagh fehlt anf der 
Karte des I-thung-yü-thu ; statt dessen ist dort auf etwa 35° 47' und in 
gerader Entfernung etwa 240 Ii südlich das oben erwähnte Keliya Xotun 
(die Stadt Keliya, ebenso sonst geschrieben, wie weiter nördlich Kiria 
oder Keldiya). Von dort führt der Weg nach Tibet erst ein wenig 
südlich und dann ostlich über zwei sich weiter nördlich in der Wüste 
verlierende Flüsse. Nordöstlich von Keliya-Xotun (etwa 60 Ii gerader 
Entfernung) liegt, vom 36. Breitengrade durchschnitten, der See, aus dem 
der Keldiya-Flus8 entspringt. An dem ersten der erwähnten Flüsse auf 
dem Wege nach Tibet steht das an den Karakash (s. o.) (Ha-la-ha-shi) 
erinnernde ha'r-ha-shi, zwischen beiden Flüssen Ili-tshi (Iltschi), dann 
soll am Wege auf ein Alitankuo der Ort Suget folgen, dessen Name 
an den weit westlich gelegenen Pass erinnert, während ein Keldiya-Pass 
(K'e-li-ya-ling) etwa auf 36° N. B. und 35° 13' W. L. von Peking einen 
vollends an der Auffassung der chinesischen Karte irre macht 1 ). 

Ueber das südlich von der Stadt Keldiya belegene Keldiya-Gebirge, 
heisst es im Si-yü-shui-tao-ki weiter, nach einer geschichtlichen Abschwei- 
fung, die sich auf die zwanziger Jahre des 18. Jahrhunderts bezieht, 
führe ein Richte weg nach Tibet. Weiter unten sind nach der »Beschrei- 
bung Tibets« (Si-Tsang-tshI) folgende Wege näher erläutert: 

1. Von Lhassa gerade nach Norden komme man in 24 Tagen nach 
Nak-thshan, von da in weiteren 15 Tagen nach Shulungshar und 
in weiteren 18 Tagen nach Keldiya. — Auch das I-thung-yü-thu giebt 
diesen Weg an, wenigstens von Mar-yang-mum-dur an, wo er sich 
von dem von Zhigatse nach dem Küke-nur führenden abzweigt. Die 
Lage von Lhassa ist nach diesem Werke etwa 30° 36' N. B., 24° 51' W. L. 
von Peking, die von Mar-yang-mum-dur 30° 54' N. B., 26° 6' W. L. 
v. P. Die von Lhassa einzuschlagende »nördliche Richtung« scheint auf 
einer Verwechselung von Nak-thshan und Nag-tshu-kha (»Schwarx- 
Wasser-Münde«), — welches letztere an dem nach dem Küke nur führen- 
den Wege liegt, — zu bernhen, oder sie ist wenigstens nur da auf eine 
einigerraassen lange Strecke genauer zu nehmen, wo der Weg sich an 
der Westseite des Tengri-nur entlang zieht, um dann wieder in mehr 
westlicher Richtung nach Nag-tsang zu gelangen, wenn dieser im 
I-thung-yü-thu an dem Wege nach Keldiya angeführte Ort, — was nicht 
unwahrscheinlich, — der im Si-yn-shui-tao-ki gemeinte sein sollte. Der- 
selbe (Nags-thsang »schwarze Höhle«?) ist nordwestlich vom Altan-nur 

') Etwa der Ostliche Schlagintweit'sche Yengi Dawan? 



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. 1 



- 5 - 



(mongolisch »Gold-Seet) auf etwa 32° 52' N. B., 28° 24' W. L. von 
Peking angegeben. Auch in Shulnngshar ist unschwer das Shulunshala 
des I-thung-yü-thu (etwa 83° 25' N. B., 29° 40' W. L. v. P.) za erkennen, 
welches sogar durch einen schrägen Strich als Wachtposten bezeichnet 
ist Westlich von diesem Shulunshala macht der Weg eine Biegung 
nach Norden, uberschreitet Thshakartu-tsag han-ussa, ein »weisses 
Schneehuhn-Wasserc, über dessen Endziel die Karte im Zweifel lässt, 
sodann ein namenloses Gewässer, welches mit jenem in Verbindung steht, 
geht über die Grenze Tibets bei Sali und macht um ein Gebirge und 
zwei Seen herum einen gewaltigen Bogen nach Osten. Nördlich von 
einen der beiden Seen, dem Ghashon-nur (>Bitter-Seec auf Mongolisch), 
tiberschreitet der Weg in westlicher Richtung einen sich weiter nördlich 
verlierenden Wasserlauf und dann einen Shadutu-dabaghan (mongo- 
lisch »Leiter-Passe), um weiter westlich um ein nördlich gelegenes Seen- 
gebiet herum nach dem obenerwähnten Suget zu kommen. 

2. Nach demselben Si-Tsang-tshi, welches als Quelle für den Weg 
von Lhassa nach Keldiya (Keriya) angeführt wird, kann man von Rodok 
im nordwestlichen Ngari in 15 Tagen nach Yarkand gelangen. 

Doch ich habe den Erläuterungen des Verfassers vorgegriffen, um . 
den Weg nach Tibet zu erledigen, ehe ich mich auf einige geschichtliche 
Bemerkungen einliesse, die sich gleich an den Namen des Keriya-Gebirges 
hätten knüpfen sollen. 

Im 6. Monate des 58. Jahres K'ang-Hi (1719) berichtete Nien-Köng- 
Yao, Oberstatthalter von Sse-thshuan, die Stämme in der Nähe von Tibet 
fielen alle über einander her in Folge der Krankheit des Beile-Dayan. 
(Kine Anmerkung des Verfassers des Si-yü-shui-tao-ki belehrt uns, dass der 
frühere Xan von Vorder-Tibet, Tsang-pa Xan Gar-ma-Dan-Tung-Wang-po 
von dem Ku-shi Xan der Xoshit 1 ) getötet, und des Letzteren ältester Sohn 
Dayan zu seinem Nachfolger eingesetzt worden sei.) Auch habe er ge- 
hört, dass der Dseren (der König der Dsungaren) viele Truppen verteilt 
and jetzt dem Anführer der linken Leibwache Thshun-Beile befohlen habe, 
mit über 600 Mann über den Xara-Ussu za setzen und gegen den Küke-Nar 
zu ziehen. Ausserdem habe er gehört, dass er 8000 Mann gegen Tibet 
rücken lasse, welche schon bis Keriya in Yarkand gekommen seien. 

Im 6. Monate des ersten Jahres Yung Tshöng (1723) wollte Lob- 
Tsang-Dan-Tsin von Küke-Nur, der Sohn des Enkels des Ku-shi Xan, 
nämlich des Dashi-Batur, welcher zwar eigentlich den Namen eines Xo- 
shi-thsin-wang (Prinzen von Geblüt der Xoshit oder Xoshot, auch auf 

') Ueber diese Koshi Xan und die derzeitige Geschichte der Xoshot, Dsungaren und 
Tibets siehe Uspenski, Strana Kuke-Nor ili Tsing-Xai, Abdruck aus den Zapiski Impera- 
torskago Russkago Geograficzeskago Obszczestwa, Abteilung für Völkerkunde, Teil VL 



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Mandschu zu verstehen: /o-shoi-thsin-wang 1 ) »Seiten verwandter Prinzc) 
ererbt, aber wegen seiner Empörung eingebüsst hatte, von Keriya aus 
nach Tsang (Mittel-Tibet) einbrechen ; der Oberbefehlshaber von Sung-Pan- 
TshÖn aber, namens Tshou-Ying, verfolgte ihn mit 800 auserlesenen 
Reitern und über 10 000 Mann Grenzern (fan) unter dem beisse und ehe- 
maligen*) Statthalter von NgarT, namens Kang-tshen-nai-su-te-nam 
Gyalpo 1 ), indem er über Yang-pa-king (»Pappel-acht- Aussichten« , oder 
»acht Aussichten des Yang«) heranzog, bis nach dem Scheidewege von 
Gal-Tsang-Gu, wo der Schnee das weitere Vordringen hinderte. 

Das Keriya-Gebirge ist nach dem Si-yü-shui-tao-ki in einer Aus- 
dehnung von über 1000 Ii von Sand und Schnee begraben, wo schädliche 
Dünste den Menschen bedrängen ; weder im Sommer noch im Winter sei 
es zugänglich. 

Das Gewässer, heisst es weiter, entspringe im Gebirge und fliesse 
nordwärts und östlich von der Stadt Keriya. Hier giebt der Verfasser 
einen Auszug aus der Geschichte des Si-yü ki, welche von dem versandeten 
Flusse und dem einen Schimmel reitenden Würdenträger handelt, dessen 
Opfertod das Wiederfliessen des Flusses veranlasst haben soll (s. St. Julien 
II S. 239 — 242, wo es ausführlicher zu lesen ist). Es ist jedoch zu be- 
merken, dass das Si-yü-ki den versandeten Fluss über 100 Ii südöstlich 
von Xoten sein lässt, was auf den oben erwähnten Wasserlauf von Tagh- 
Nula mehr hinweisen würde. 

Nach der Geschichte der Thang (Thang-shu), fahrt der Verfasser fort, 
sollte sich 300 Ii östlich von Yü-tien ein Kien-tö li-Fluss und östlich von 
diesem eine Stadt desselbeu Namens befunden haben, die auch Kü-mi 
oder Ning-mi-ku geheissen habe. Wenn jetzt der Fluss östlich von der 
Stadt fliesse, so sei aus der Verlegung der Stadt nicht darauf zu schliessen, 
dass es sich um einen anderen Fluss handele. 

Der Fluss, heisst es weiter, fliesse 300 Ii nach Norden und münde 
in den Hauptstrom. Weiter östlich komme der letztere nördlich vom 
Gebiete von Buguz Kungorgu vorbei und heisse nun 

Ergeu-Fluss. 

Der Name K'ung-kuo'r-kuo soll auf Türkisch »eine milde Frucht« 
bedeuten, pu-ku-sze »Bauch«, so dass mit übertragener Bedeutung das 

') ^osho „Seite"; thsin wang ist chinesisch, thsin »Verwandter", wang „Fürst*. 
Den Namen Xoshi-thsiog-wang führen jetzt die kaiserlichen Brüder. Die Aussprachen 
^oshot und /oshit sind durch ein früheres /oshighot etwa zu ermitteln , welches als 
Mehrzahl von josbigho(n) „Hceresabtcilungen" bedeuten würde (türkisch qoshun). 

*) kar-pon, Schloss-Oberst (mk'ar Schloss, dpon Oberster). 

«I gyalpo entspricht dem chinesischen wang und kann sowohl durch „König", als 
durch „Fürst" übersetzt werden. 



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letztere Wort die Grösse der Frucht andeuten sollte. Von türkischen 
Wörtern ähnlichen Lautes und einschlagender Bedeutung finde ich: qughun 
Melone, qoughan Kürbis; ähnlicher ist der Laut von qungragu Glocke. 
Bughuz ist »schwanger« (s. Shaw und Zenker s. v.). Die Lage der 
Oertlichkeit mag wohl jetzt wegen Versandung unbekannt sein, da das 
I-thung-yü-thu sein Bughuz Kunghorghun nördlich vom Flusse hat 1 ). 
Dennoch hat sich unser Verfasser auf eine genauere Bestimmung einge- 
lassen, nämlioh Über 500 Ii nordöstlich von Eltshi und nahe an 100 Ii von 
Kabak Agzy, 40° 25' N. B., 26° 20' W. L. von Peking (die Länge um 
etwa 1° 25' zu weit westlich gegen das I-tbung-yü-thu). Um Mittag sei 
der Schatten zur Zeit der Sommersonnenwende 3 thshi 1 fön, zur Zeit 
der Wintersonnenwende 20 thshi 2 thsun 6 fön, zur Zeit der Tagund- 
nachtgleichen 8 thshi 4 thsun 7 fön lang 3 ). 

Südlich von der bezeichneten Gegend, fährt der Verfasser fort, sei 
alles Sandwüste, in welcher sich ein grosses Gebirge ausdehne, ein Zweig 
des Sha-dutu-ling. Den Shadutu-Dabaghan (Leiter-Pass) habe ich 
schon bei Erläuterung des Weges von Keriya nach Tibet erwähnt. Eine 
Anmerkung verweist hier auf eine frühere Erklärung von Shado; wenn 
aber der Verfasser das zweite tu (in der Umschrift steht beide Male t'u) 
nur für eine Verstärkung hält, so ist das eine Verkennung einer einfachen 
mongolischen Eigenschaftswort- Endung. Nördlich von dieser Gegend 
heisse der Fluss Ergeu-Fluss (Orköu, Örkeu), welcher Name im Dsun- 
gariscben die Umschlingung durch den Lauf eines Flusses bezeichne. Nach 
Schmidt's ostmongolischem Wörterbuche ist erkiku sich herumdrehen; 
erkikül (im Ostmongolischen Drechselbank) wäre sodann eine Bildung, 
wie sie, wenn man die gewöhnlichen Lautvermischungen in Betracht zieht, 
Veranlassung zu Bitschurin's Ergiul') gegeben haben könnte. In der 
Geschichte der Thang, heisst es weiter, sei in der »Erdbeschreibung« 
(ti-li-tshi) erwähnt, dass sich Ku-mo-tshou südlich dem Sze-hun- 
Flusse nähere, was wieder ein anderer Name des Flusses sei. 

Zweihundertundfünfzig Ii östlich von Bugus-Kungorgu liegt nach 
dem Si-yü-shui-tao-ki eine Oertlichkeit Namens Yeilgan (Yailgan?), was 



') Sven Hedins Karte hat Bugus kungurga südlich vom Tarim-Flusse «wischen 81° 
und 82° Oe. L. 

*) 1 thshi oder chinesischer Fluss — 0,3581 m = 10 thBun = 100 föu; 10 thshi 
= 1 tsbang, so dass für 20 thshi eigentlich 2 tshang gesagt ist. 

') Ergiul-Aman also „Mündung des Ergiul 41 (aman mongolisch „Mund") in GrigoriefTs 
Ritter'schem Turkistan S. 516 zu Ritter S. 512, wo Letzterer, Klaproth benutzend, statt 
der Furt von Ergiul-Aman eine solche des Weikan-Flus.ses hat, die Odtii zur Verfolgung 
der Xodzba's zu benutzen rät. GrigoriefT s Quelle ist wohl die ßitschurin'sche Be- 
arbeitung des Si-yü-wün-kien-lu, welches mir augenblicklich nicht zur Hand ist. Wahr- 
scheinlich ist per», ergäw „Fluss, Bach" gemeint. 



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»breit and ebene bedeuten soll (yayilmak »breit sein« bei Zenker). Koch 
80 Ii weiter östlich komme man nach Yel-arik (yel »Wind«, arik »Graben«), 
dessen Name durch das windschnelle Fliössen des Grabenwassers erklärt 
wird (also yel Arikf?). Siebenzig Ii von da nordöstlich komme man nach 
der Stadt Schayar 1 ). »Weiter östlich fliesst er südlich von Schayar 
vorbei«, letzteres sei eine zu Kutshe gehörige Stadt, Kutshe*) selber 
sei das nördliche Gebiet des Landes Kuei-Tszl*) der Han. Hier, sagt 
der Verfasser, sei der Heerd des Aufruhrs des Xodzhidzhan gewesen, wie 
der Ort auch das Ziel des ersten Angriffes des Hauptheeres gewesen sei. 
Im 5. Monate des 23. Jahres K'ien-Lung (1758) habe man das Gebiet 
von Kutshe betreten, am 16. Tage des 5. Monats habe man sich der 
Stadt genähert, der Oberfeldherr Yar/ashan (shan, nicht khan, wie bei 
Ritter, der diesen Teil des Namens abtrennt, um einen »Fürsten« daraus 
zu machen) liess den Anführer Ailunga Ton Süden, den Unterfeldherrn 
Shun-Tö-Na vorsichtig von Westen angreifen, so dass der Feind geschlagen 
und bis an den Öken-Fluss (Weikan) verfolgt wurde. Xodzhidzhan 
habe darauf, indem er aus der linken Schulter den Pfeil gezogen, seine 
Fahne durch einen Angriff gerettet, mit 3000 Mann den Fluss wieder 
überschritten und sei durch das Westthor in die Stadt gedrungen, die 
er 23 Tage lang vertheidigt habe, worauf er um Mitternacht wieder mit 
400 Mann aus dem Westthore gekommen Bei und den Öken-Fluss über- 
schritten habe. Am 5. Tage des 8. Monats wären die Aufständischen, 
welche sich noch in der Stadt befunden, auch entflohen, und der alte 
Beg A-tsi (Hädzhi?) und Andere hätten die Stadt übergeben; auch der 
Beg Mahmud von Shayar habe seinen Sohn Asan (Hasan) Xodzha gesandt, 
um die Stadt zu übergeben. 

Der Umfang der Stadtmauer von Kutshe betrug nach unserm Ver- 
fasser 4 M /io« Ü un d hatte vier Thore; der Umfang der Stadt Shayar betrug 
über 2 Ii und die Höhe der Mauer 14 chinesische Fuss, die Stadt hatte 
ein Nord- und ein Südthor. 

Nach der Bewältigung des Aufstandes im Jahre 1759 wurde in Kutshe 
ein Landes Verwalter eingesetzt und über 300 Mann vom grünen Banner 
von Shän-Si und Kan-Su hineingelegt. 

Shayar lag nach dem Si-yü-shui-tao-ki 180 Ii südlich von Kutshe, 
zwischen beiden Städten lag Langer (im Türkischen bedeutet der Name 

•) sa soll auf Türkisch einen „Häuptling", yar „bemitleiden" bedeuten. Vor Alter« 
soll ein Beg seinen Stamm (chines. pu) bemitleidet haben, wober der Name. Das deutet 
auf pers. 6äh „König 44 und yar „Freund ". 

*) Im Persischen soll ku „hier" bedeuten, <<hö einen Ort mit leerem Bronnen (vgl. 
kn „wo? 4 ' und öah „Brunnen"). 

*) Zur Zeit der Thang Kü-tshi nach dem Si-yO-ki. 



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— 9 



Rasthaus 1 ), and zwar 100 Ii von Kutshe, von Langer waren es noch 70 
Ii bis zum Weikan-Flusse. Was nördlich von Langer liege, gehöre zum 
Gebiete des Begs von Kutane, was südlich, zu dem des Begs von Shayar. 
Die Steuern von Shayar betrugen an Korn 872 tan 6 ton, an rotem 
Kupfer 358 Irin 10 liang 5 thsien, an Pulver 800 kin, an Schwefel 100 
Irin, an Salpeter 100 kin. Die Lage Shayar's ist angegeben zu 40° 55' 
N. B„ 34° 15' W. L. von Peking, die Lange des Schattens um Mittag 
zur Zeit der Sommersonnenwende 3 thshi 1 thsun 7 fön, der Winter- 
sonnenwende 21 thshi 2 fön, der beiden Tagundnachtgleichen 8 thshi 
7 thsun 2 fön*). Von Shayar nach Osten komme man 325 Ii weit nach 
Serlik-Mesdehidi, wo eine zerstörte Moschee sei (mesdzhid = li-pai-eze, 
weshalb ich für Me-si-ti unbedenklich Mesdzhidi setze), Lang/ali sei 300 
Ii südöstlich von Shayar, die Wache Sai-lalik über 60 Ii westlich (nach 
dem I-thung-yü-thu etwa südsüdwestlich). Dreihundertundzwanzig Ii west- 
lich von dieser Wache heisse die Gegend Tashkenkoli (Tashkenkur 
nach dem I-thung-yü-thu, tashkyn würde »überströmend« bedeuten). 
Zweihundertundvierzig Ii südwestlich von der genannten Wache heisse 
die Gegend Baschikyak. Alle diese Oertlichkeiten waren in Verbindung 
mit dem Gute Karatal im Gebiete von Aksu; es sei ein Nebenweg nach 
Kashgar und Yarkand, der von Serlik-Mesdzhidi ausgehe; weiter sudlich 
aber sei bei Tashkin-Kur wegen der Moräste nicht durchzukommen, das 
sei das Nordufer des Ergeu-Plasses. Das I-thung-yü-thu giebt ebenfalls 
den Weg wenigstens von Shayar bis Karatal an mit den Namen Sailalik- 
Wache, Tekurd, Sha-shan (»Sandberg«), Tashkynkur, Sortetsishi, 
Germen, Karatal. 

Nordöstlich von Shayar befindet sich nach unserem Verfasser 200 Ii 
weit entfernt eine Oertlichkeit Ulu-Kum, deren Namen (»grosser Sand« 
von ulu »gross«, kum «Sand») auf den Saum der Wüste deutet. Zwei- 
hundertundvierzig Ii nordwestlich von Shayar liege Yangtakshar. Das seien 
alles die Grenzen nach Kutshe zu. In Yangtakshar seien die Trümmer 
einer alten Stadt; es grenze an das über 90 Ii südwestliche von Kutsche 
belegene Yolduz bag (»Sterngarten« von yolduz »Stern« und bag »Garten« 
unverkennbar). Im Jahre 1814 habe man die Erlaubnis erteilt, einen 
Graben aus dem Weikan-Flusse nach dem westlich von demselben be- 

>) Die Bedeutung wird durch Bhaw's „Vocabnlary" bestätigt; übrigens ist lenger 
ein persisches Wort, welches Anker, Speiseanstalt für Arme u. s. w. bedeutet. 

*) Dem Morokoshino uakatshi dzue, einem zu Anfang des 19. Jahrhunderts erschienenen 
japanischen Werke über China, entnehme ich, dass unter der gegenwärtigen Mandschu- 
Herrechaft die ursprüngliche Länge des Sonnenzeigers Ton 8 auf 10 thshi verlängert 
worden ist. Ebenda finde ich im 3. Bande S. 28a folgende Angaben der Länge des 
Sonnenschattens für Peking: Sommersonnenwende: 2.948 thshi, Wintersonnenwende: 
19.94 thshi. 1 thshi ist= H,8" englisch. 



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legenen Gate zu leiten, am das Land urbar 2a machen, und beim Graben 
seien drei Kupferbarren aufgefunden, unter ihnen zwei mit der Aufschrift 
Thien-hia-thai-phing »Frieden der ganzen Welte Dieselben wurden als 
Glück bedeutend in der dortigen Schatzkammer aufbewahrt. Einen Schluss 
auf die Bebauung der dortigen Kupferwerke für die chinesische Regierung 
in einem der Tbai-phing »Frieden« genannten Zeiträume hat der Verfasser 
wohl nicht zu ziehen gewagt, da der Ausdruck Thien-hia in den be- 
treffenden Jahresnamen fehlt, so gewöhnlich er sonst in dieser Ver- 
bindung ist. (Thai-pbing 556 unter den Liang, also hier nicht in Betracht 
kommend, Thai-phiug tshön-kün 440 — 452 unter den nördlichen Wei, Thai- 
phing hing-kwo 976 — 984 unter den Sung, Thai-phing 1020 — 1031 unter 
den Liao.) Der Ergou-Floss fliesse über 100 Ii südlich von der Stadt und sei 
der »grosse Fluss« (Ta-Ho), welcher nach der Geschichte der Wei 300 Ii 
südlich vom Lande Kwei-Tze nach Osten fliesse und Ki-ahu- Wasser ge- 
nannt werde.) Nach der Geschichte der Thang heisse es Ki-shu (mit 
anderem Zeichen für shu), und sei dieses der Ort, wo der Tukishi-Häupt- 
ling So-Ko die Grenze verletzt habe. Die Hauptstadt des Landes Kwei- 
Tzt*, nach welcher der Gesandte der Thang, FÖng-Kia-Pin, gekommen, 
habe an der Münduug des Ki-shu-FIusses, 170 Ii südlich vom »weissen 
Gebirge« oder »weissen Berge« (Pai-Shan) 1 ) gelegen; jetzt seien es 200 Ii 
vom besagten Pai-Shan bis zum Weikan-Flusse, von dem Shayar 10 Ii 
weiter südlich liege, während es wieder über 100 Ii von letzterem nach 
Süden bis zum Ergou-Flusse seien. Demnach zu urtheilen, müsse (damals) 
der Fluss (der Weikan-Fluss?) eiueu nördlichen Abfluss gehabt haben.') 
Die zu unserem Werke gehörige Karte giebt mit schwarzer Farbe 
mehrere ausgetrocknete Arme sowohl des Wei kan- Flusses, wie des von 
Kutshe kommenden an, die aber genau genommen auch nicht zur Er- 
klärung dienen, wenn man die Mündung dicht bei der alten Hauptstadt 
annimmt. Unähnlich dem I-thung-yü-thu, welches im Ganzen dem 
Weikan-Flusse einen südöstlichen Lauf giebt, lässt unsere Karte denselben 
bis zu seinem etwa 100 Ii westlich von Shayar befindlichen Knie etwa 



') Der Pai-Shan ist nach der Auffassung des Ta Ming I Thung Tshi der beröhmte 
„Feuerberg" Huo-yenShan, s. San-Sai-Tsu-ye, fil. Teil, S. 34a. 

*) Obgleich es sich hier wohl schwerlich um den Tarim-Fluss (Ergou-Fluss) handelt, 
ist es doch am Platze, hier an den Namen zu erinnern, den er im Si-yü-ka führt. 
Während nämlich dieser Name (Si-to) aus dem Sanskrit- Worte £ita .kalt" in buddhistischen 
Büchern erklärt wird, haben die beiden Schriftzeichen si „sich versetzen, den Lauf ver- 
ändern" und to „viel" nebenbei eine zu saebgemässe Bedeutung, um darin nicht wenigstens 
eine Anspielung zu suchen. Die Auwendung, die an obiger Stelle von demselben si ge- 
macht ist, hat mich zn dieser Bemerkung bewogen. Das» Klaproth und Stan. Julien mit 
Recht den Tarim-Fluss unter Sito verstanden haben, davon überzeuge man sich S. 216 
der Julien'schen Uebersetzung im 2. Bande, wo vom Nierensteine die Rede ist. 



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von Norden nach Süden und dann beinah ganz östlich fliessen. Bei diesem 
Knie ist der schwarz angedeutete Wasserlauf, der die alte Richtung des 
Flusses fortsetzt, um dann eine mehr und mehr südöstliche Richtung bis 
zum Tarim-Flusse einzuschlagen. Zwischen dem Knie und Shayar folgt 
dann ein etwa gleichlaufender, ebenfalls schwarz bezeichneter Abflnss bis 
zum Tarim-Flusse, nnd zur Erklärung steht neben dem ersten eine Stelle 
des Shui-king-tsbu, der zufolge sich der Fluss in drei Arme teile, von 
denen die beiden rechten südöstlich dem Pei-Ho (cNordflnss, d. h. Tsung- 
Ling-Pei-ho oder Tarim-Flusse) zuflössen. Das Shui-king oder «Lehr- 
buch der Gewässer» ist nach Wylie (Notes on Chinese Literature S. 43) 
zu Anfang unserer Zeitrechnung geschrieben, da der Geschichtschreiber 
der älteren Han es anfuhrt; es soll aber guter Grund vorhanden sein, 
das später so genannte Buch dem Zeiträume der drei Reiche (221—265) 
zuzuweisen, und die ursprüngliche Erklärung (tshu «erklären», daher 
Shui-king-tshu) ist nach Wylie die von Li-Tar-Yüan aus der Zeit der 
nördlichen Wei (386—535). Die Geschichte der Swei erwähnt indess 
eine erklärte Ausgabe von Kwo Po, womit doch wohl Niemand anders 
als der berühmte Schriftsteller gemeint ist, welcher nach Mayers (Chinese 
Reader's Manual S. 96) 276—324 lebte. Wylie fügt indess hinzu, dass 
einige Gelehrte aus der Zeit des jetzigen Herrscherhauses sich nachdrück- 
lich an die Erläuterung dieser ehrwürdigen Urkunde gemacht und für 
die alten Namen die jetzigen Oertlichkeiten nachgewiesen hätten, sodass 
infolge ihrer Arbeiten das Werk hoch geachtet sei als eine Beschreibung 
der Gewässer des Reiches in früheren Zeiten. Noch neuerdings ist eine 
Nankinger Ausgabe mit Karten erschienen (Shui-king-thu-tshu). Das 
Shui-king nennt den Weikan-Fluss (wie auch abwechselnd das I-thung- 
yü-thu) Si-thshuan-shui «West-Strom-Wasser« und den Fluss von Kutshe 
Tung-thsbuan-shui «Ost-Strom- Wasser». Nach einer neben dem letzteren 
stehenden Erklärung ging rechts ein Arm ab, der nach Südwesten zu in 
die Stadt Kwei-tze trat. Demgeraäss deutet auch die Karte des Si-ytt- 
shui-tao-ki mit der schon erwähnten schwarzen Bezeichnung diesen Arm 
an, den sie aber vor Eintritt in die östliche Stadtmauer der in grossem 
Umfange dargestellten «alten Stadt Kwei-tze» sich teilen lässt. Auf 
diesen Arm bezieht der Verfasser die beigesetzte Bemerkung des Shui- 
king-tshu, dass derselbe sich rechts mit einem Arme des Si-thshuan-shui 
vereinige, um dann in das Tuug-thshuan-sbui zu fallen. Dem letzteren 
giebt sodann die Karte eine Mündung, die oberhalb der des sonst weiss 
bezeichneten Weikan-Flusses belegen ist, begleitet mit der Bemerkung, 
aus dem Shui-king-tshu, dass das Ost-Strom- Wasser sich in den grossen 
Fluss ergiesse. — Während aber die Karte des Si-yii-shui-tao-ki keine 
gegenwärtige Verbiuduug zwischen beiden Thshuau-shui anzuerkennen 



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scheint, lässt das I-thung-yü-thu beide Bich etwa nördlich ron der Wache 
Tarim vereinigen und schon oberhalb Kufahe einen östlichen Arm ab- 
gehen, der sich wieder in zwei nachher Schilf seen bildende Arme teilt. 
Durch die südöstliche Richtung des Wei-kan-Fluases erscheint auch auf 
letzterer Karte die calte Stadt Kwei-tz£» östlich von Sbayar und zwischen 
beiden sich immer mehr nähernden Flüssen. 

Auf dem Südufer des Ergou- oder Tarim- Flusses ist nach unserem 
Verfasser die »grosse Stein wüste« (ta-tsi); aber mitten in ihr, heisst es 
weiter, sei ein Ge wirre ron Gebirgen. Der grossen Ketten seien im 
Ganzen drei: 

1. die Kette des Shadotu Daban 1 ) sei über 1400 Ii gerade südlich 
von Xarashar, habe erst aber 400 H weit eine nördliche Richtung, wende 
sich aber von da an nach Nordwesten und zwar über 1200 Ii weit, bis 
sie südlich von Bugus Kungorgu ihr Ende erreiche. 

2. Die weiter nach Osten zu folgende Kette sei die des Naushadar- 
Ulan-Dabusun-Gebirges, welches 1000 Ii südlich von der Mitte des Lob- 
Noor liege*). Nach dem Verfasser heisst der Salmiak (nao-sha) auf 
Türkisch naushitar, und Salz ta-pu-sun; genauer wären das persische 
naushader und das mongolische dabusun. Zwischen dem indisch-persischen 
Ausdruck nausbadur, naushadar, nausadar und dem chinesischen nao-sha 
scheint ein noch nicht aufgeklärter Zusammenhang zu sein. Vullers in 
seinem persischen Wörterbuche giebt als arabischen Ausdruck für den 
Begriff müh 1 butiyye, also »Bod-Salz, tibetisches Salz«, an und enthält 
eine persische Stelle des Burbäni Qäti'u, der zufolge es in einem Berge 
bei Samarkand und bei Demendän (»Hölle«) in Kermän vorkomme; 
unter Demendän erwähnt das vorzügliche Wörterbuch auch, dass dort 
ein Gold-, Silber- und Kupferbergwerk und dann die Höhle sei, in welcher 
ein immerwährendes Wasserrauschen vernehmbar sei und die Ausdünstungen 
sich am Rande als Salmiak niederschlügen. Vullers las das betreffende 
Wort naushadur und scheint mit dem im Wörterbuche gleich folgenden 
noshädher »Trinkefeuer« (nosh »trinke«, adher »Feuer«), dem Namen des 
zweiten Himmels, keinen Zusammenhang angenommen zu haben. Von 
dem chinesischen nao-sha bedeutet das letzte Wort (sha) »Sand«, könnte 
also bildlich manchen äusserlich ein wenig ähnlichen Stoff bezeichnen; das 
Zeichen für nao wird mit dem Begriffszeichen für »Stein« und einem 
Lautzeichen geschrieben, welches an das »Hirn« bedeutende nao von tehang- 

») 1-thung-yü-tba: etwa 35° 21' N. B., 29° 53' W. L. ton Peking, Xarashar 48° T 
30" N. B., 28° 47' W. L. von Peking, alte Stadt Xarashar 41° 6' N. B., 29° W. L. 

») I-thung-yü-thu : Mitte des Lob Noor etwa 40° 45' N. B., 27° 30' W. L. von Peking, 
Lö k'or Ulan Dabusun Shan 35° 30* N. B., 27° W. L. und weiter nördlich derselbe 
Marne 36° 22' N. B., 27° 21' W. L. 



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nao »Kampher« erinnert. Ob nun die Chinesen ein persisches Wort ge- 
wohnter Weise abgekürzt, oder die Perser einen chinesischen Aasdruck 
darch einen vorläufig noch sehr dunkelen Zusatz verlängert haben, die 
Uebereinstimmung ist auffallend, und, wie aus Richthofen's China S. 560 
zu entnehmen, könnte die Bezugsquelle für China und das westliche Asien 
gemeinsam gewesen sein. — Schwerlich aber lautet der Name des Ge- 
birges so lang, wie unser Verfasser angiebt (Nau-shi-tar ulan ta-pu-sun 
shan), sondern entweder türkisch Naushadar Daghy, oder mongolisch Ulan 
dabusun-un aghola (oola, ola, ula nach neuerer Aussprache), da ulan 
dabusun »Rotsalz« offenbar der mongolische Ausdruck für Salmiak ist. 
Das Gebirge soll sich plötzlich zu einem hohen Gipfel erheben und dann 
über 200 Ii nach Nordwesten ziehn, um sich dann in zwei Aeste zu 
teilen, deren südlicher nach über 200 Ii langem westlichen Streichen 
als Shundoghor-Gebirge 1 ) seinen Abschluss finde, während der nörd- 
liche sich nach über 1400 Ii langer nordwestlicher Ausdehnung nach 
Westen wende und an der Sodgrenze von Shayar aufhöre. 

3. Die weiter nach Osten zu folgende Kette soll vom Sidzhin-Ülan- 
Gebirge ausgehen, welches über 1400 Ii südlich von der Stadt Turfan 
liege. Ueber 100 Ii von da nach Nordosten sei das Bayan-Xara-Delimang-pa- 
Gebirge (bayan bedeutet nach dem Verfasser im Dsungariachen, — er 
hätte sagen können: Mongolischen — , »reich«, /ara »schwarz« ist viel- 
fach vorgekommen, Delimang-pa wird wohl dnrch das pa, eine Art Be- 
stimmungswort, als tibetisch gekennzeichnet). Weiter nach Osten schliessen 
sich folgende Gebirge an: Nomtshitn-Ula (nomtshitu bedeutet nach dem 
Verfasser »Buddha-Lehre-Leute habend« von nom »Buddha-Lehrbuch«, 
da von dem am Fusse des Gebirges wohnenden Volke viele die »gelbe 
Lehre« angenommen haben 1 ), Bayan-Xara-Shilun, Ondörtü-Shiltü, (öndörtü 
»hoch«) und Kirsa-Tologbai (»Steinfuchs-Kopfc), welche eine Ausdehnung 
von über 600 Ii haben und zum Bayan-Xara- Passe (oder: zu den Bayan- 
Xara-Passen) (ling, dabaghan!) gerechnet werden 3 ), auf dem der Altan-Ghool 
entspringt (altan »Gold« ist eigens mongolisch erklärt, während das I-tbung- 
yü-thu einen Aktan-Ghool als Quellfluss des Huang-Ho am Bayan-Xara- 

') Das 1-thung-yü-tha hat ein Shandoghor-Gebirge auf 37° N. B. and etwa 28° 
l» W. L. von Peking. 

•) Gelb ist die Kleidung der Anhänger des Dalai-Lama. 

•) Nach dem I-tbung-yö-thu : Sidzhing-Ulan-Tologhai etwa 36° 16' N. B., 26° 7' W. L. 
von Peking, Bayan-Xara-Delimang-pa 36° 13' N. B., 25° 37' W. L. v. P., Namtshitu 36° 
34' N. B., 22° 5' W. L. v. P. (der Namtehitu-Ulan-Müren aber schon zwischen Sidzhing- 
Ulaa-Tologhai und Bayan-Xara-Delimang-pa von seiner Quelle aus östlich fliessend 
nach dem gleichnamigen Gebirge zu), Bayan-Xara- Shan 36° 10- N. B , 21° W. L. v. P. 
Öndörtü-Shütfl 36° N. R, 20° 41' W. L. v. P. Kirsa-Tologhai 35° 30« N. B., 20° 46' 
W. L. v. P. Bayan-Xara-Ling 35° 11' N. B, 20° W. L v. P. 



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Passe giebt). Zweihundert Ii westlich vom Bayan-Xara-Delimang-pa 
zweigt sich nach unserem Verfasser eine nach Nordwesten gerichtete Kette 
ab, welche 1000 Ii weit bis zu einer Entfernung von 80 Ii sich dem Sfld- 
ufer des Lop-Nur nähert. Oestlich von diesem Zweige sei die Wüste 
Maghai, die einen Umfang von über 2000 Ii habe und gerade westlich 
vom Xara-Nur liege, weiter nach Nordosten zur Ghashon (»Bitter«)- 
Wüste und weiter nordlich zur Ir^uma- Wüste werde, die sich im Süd- 
westen von Hami befinde. Denn im Nordosten von Xoten sei die grosse 
Wüste (ta-mo, wie vorher sha-tsi »Sand-Gerölle«) ohne Grenzen. Hier 
folgt abgekürzt die bekannte Stelle vom Schlüsse des Si-yü-ki, worin des 
Wallfahrers Reise durch diese Wüste und über die öde Statte des ehe- 
maligen Landes Tu/ara u. s. w. geschildert wird. 

Weiter nach Osten wird der Fluss 

Der Tarim-Fluss 

genannt. Der Verfasser hilft sich über die traurige Gegend hinweg mit 
einem Hauche von Dichtung: »Des Flusses Wasser ergiesst sich in »ein 
Weltmeer, nach Osten zu schwinden beide Ufer, in leerer Ferne sieht 
man weit ausgebreitet einen Schilfsee; der Handelsmann lässt seitwärts 
liegen, wohin er nicht gelangen kann«. Nachdem der Fluss südlich von 
Shayar und den Sandbergen (Sha-shau) hergeflossen ist, macht derselbe 
eine Wendung nach Norden. Dieser Ort heisst Tarim, und Shayar ist 
von ihm über 200 Ii in nordwestlicher Richtung entfernt. Nach dem 
Verfasser bedeutet der Name Tarim im Dsungarischen und Türkischen 
ein urbares Land und bezieht sich darauf, dass die längs des Ufers leben- 
den Einwohner vom Ackerbau leben. Findet sich im mongolischen Wörter- 
buch auch das Wort tarim nicht, so bietet es doch folgende verwandte 
Ausdrücke dar: tariya Getreide, tariyalang Acker, tariyatshi Landmann, 
tari/u pflanzen, säen, bebauen, tarimal Anpflanzung (aus tarimal modun 
gepflanzter Baum, Obstbaum, tarimal dzhimish Gartenobst und der sonstigen 
Bedeutung der Endung mal zu entnehmen). Im Osttürkischen ist tarimaq 
bebauen (wofür, nach dem Abusbka zu urteilen, auch tarmak üblich), 
tarig, tari Hirse, tarim bebautes Land (nach Shaw ein Eigenschaftswort, 
es heisst in seinem »Vocabulary«: »tarim (adj.) cultivated, that has been 
cultivated«; trotzdem leitet er den Namen von taram ab, wolches die 
Teilung eines Flusses in viele Arme bedeutet). 

Am Nordufer des Flusses stand zur Zeit des Verfassers eine Befesti- 
gung aus Erde von mehr als 20 chines. Fuss Höhe, auf der ein Zelt stand, 
das da gesehen werden konnte, wo der Fluss an seiner Ostseite vorbeifloss. 
Nach einer nochmaligen Biegung fliesst letzterer wieder nach Osten in 
eiuer Breite ?on über 500 chines. Fuss. 



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Weiter östlich münde dann der Weikan-Fluss von Norden her. 

Der Verfasser verlässt hier den Lauf des Tarim-Flusses und auch 
seine Nebenflüsse fürerst, um etwas eingehender über die Gebirge zu 
reden, an denen die letzteren — soweit es die zuletzt besprochene Gegend 
berührt — entspringen. 

Vierhundertundfünfundvierzig Li nordlich von Aksu und sechshundert- 
undfünfundfünfzig Ii südlich von flwei-Yüan-Thshöng in Iii (Kürä, dem 
sog. Kuldzha) 1 ) liegt nach unserer Quelle der Musur-Ling (Musur- 
Daban, Muzart)'). Der Name wird hier folgendermassen erklärt: musur sei 
türkisch für >Eis«, besage aber das Festwerden des Eises; nach dem 
Ming-Hwa-I-Yi-Yü (einem Werk aus der Zeit der Ming, welches seinen 
Namen zufolge die chinesische Uebersetzung für auslandische Wörter 
giebt)') soll »Eis« mesun heissen, wofür man auch musu sage. Zieht 
man die Unvollkommenheiten der chinesischen Umschrift in Betracht, so 
bieten das Mongolische sowohl als das Türkische ähnliche Wörter dar. 
Das Nordchinesische hat weder ein weiches s (z), noch die Laute mö und 
mü; mösön ist im Mongolischen »Eis« und kann auch mösö lauten; auch 
mölsön kommt vor 4 ), muz ist das osttürkische, buz das westtürkische 
Wort für »Eis«. Ein Name, wie »Eis-Joch«, würde mongolisch etwa 
Mosotei daban lauten; das — ur in musur, namentlich in der zeitwörtlichen 
Bedeutung des Festwerdens des Eises, würde im Türkischen ein Zeitwort 
musmak voraussetzen; beim Namen des Muzart- Flusses (Mu-tsa-la-tö) be- 
dient sich unsere Quelle aber weiterhin, wie auch sonst, des Anlautes ts 
zur Wiedergabe des weicheren Zischlautes (wie auch das I-thung-yü-thu). 

Im 6. Monate des Jahres 1756, als Xodzhis (Mahmud?) sich gefangen 
gegeben, hatten der Dsungaren- König Dawatshi und der Unterfeldherr 
Erdenge mit 500 Mann vom Musur-Ling aus einen Zug unternommen, 
um sich eines Waffenvorrates zu bemächtigen. — Auch den Namen 

') Der Ursprung des Namens ist noch in Dunkel gehüllt. Im Mongolischen ist Iii 
.Hirschkalb"; da auch der Fluss so heisst, könnte man hierbei an den ebenfalls von 
einem Wilde genannten Tekes oder Fluss der .Steinböcke" denken, den südlichen Neben- 
fluß des Iii (teke ist mongolisch und tekes die Mehrzahl). Auch Guldzha, der türkische 
Name des östlich belegenen Ning Vüan-Thshöng, bedeutet nach Radioff „Elentier". 

*) Z = dem weichen s, s = gleich dem scharfen s. Muz-art ist „Eis-Joch". 

*) Das bekannte Werk der Hirth'schen Sammlung in der Berliner Königlichen Bibliothek. 

4 ) Auch ein mongolisches Wort mulur (molor?) „Krystall* wechselt mit bulur (bolor); 
der persische Ursprung des Wortes, welches die tßrkischcn Wörterbücher trotz des so 
echt türkischen Klanges nicht anführen, ist sonach zusamnit dorn griechischen (von ' 
Beryll jtfpt>Uotf) zweifelhaft. Der Stamm hol bedeutet „werden, sein* ; mit bolur könnte 
also da« „Wachsen" des Krystalles gemeint sein. Nicht ohne Grund heisst also vielleicht 
die Gegend am Obern Oxus so, wo so viele Edelsteine vorkommen? Die Endung — ur 
ist im Türkischen »ehr gewöhnlich. Bei Shaw bilaor crystal (P. d. i. persisch!), bilamak 
to whet. 



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Tsao-Ha-Ling 1 ) führe derPass; wenn es in dem Berichte des Fürsten 
Tshao Hwei vom Jahre 1769 heisse, dass er bei der Verfolgung der 
Olöt vom Barfut-Passe ans den Tsao-Ha-Ling überschritten habe, so sei 
dieser Pass gemeint. Eine Berg-Kette, welche 300 Ii weit von Westen 
komme, sei das Sa wabtshi-Gebirge, welches ebenfalls ein Ausläufer 
des Kakshan-Gebirges sei. Der in der alten Geschichte der Thang er- 
wähnte, zu den Thsung-Ling gehörige Pei-Yüan-Ling, (das »Joch der 
nördlichen Hochebene«) sei 100 Ii lang und über 1000 Fuss hoch, von 
hartem, Stufen bildendem Eise, welches in drei Farben glänze, nämlich 
hellgrün, weiss wie Bergkry stall und weiss wie der Feldspath von Perl- 
mutterglanz thshö-khü.*) Da die hier folgende Reise nach dem Joche 
am fünften Tage des ersten Monats im 21. Jahre Kia-khing (1816), also 
mitten im Winter, stattfand, ist es nicht zu verwundern, dass man viel 
Schnee vorfand (angeblich ein Schneemeer von 3 bis 4 Ii Umfang); der 
Aberglaube hat auch einen Geist-Adler*) hinzugefügt, dessen Schreien 
einem den Weg aus dem Schnee weisen soll. Von wirklichen Ortsangaben 
ist hier nur zu verzeichnen, dass man von der Feste Gaktshaghar/ai 4 ), 
welche von der zu Iii gehörigen Feste Shadu-Aman (mongolisch »Leiter- 
Mündung«) 100 Ii nach Süden liege und bis zum Abhänge 20 Ii habe. Von 
Gaktsha/ar/ai also «brach man 1 ) im Morgengrauen auf und kam nach 

') Dieses küunte Klaproth's Dzookha-dabahn sein (». Humboldt, Asie Centrale II 
S. 86). Tahoo/a ist im M and sehn „Heer". Einen ähnlichen Namen wie das bei Hum- 
boldt vorkommende Dungoroma erwähnt Ssewertsoff anf seinem Wege vom lasik Kul 
nach dem Narin-Thale mehrfach, nämlich Döngereme; freilich ist es da nur als Fluss- 
name gebraucht. In der Nähe ist ein Kyzyl-kurum, also ein Seitenstück zu Kara-kurum. 
ferner ein Tshagir-kurum. 

*) Nach Wilhams eine Art Adular aus Yflnnan, von dem die weissen Knöpfe der 
Beamten des sechsten Ranges gemacht werden. 

') Vielleicht ist der Schneegeier neuerer russischer Forscher gemeint, 

4 ) Das I-thong-yfl-tha hat Ghaktsaghar-thai, mongolisch-chinesisch „einsame Feste". 

■) Der Verfasser läset unbestimmt, wer die Reise unternommen habe, und zu welchem 
Zweck; da jedoch keine Quelle und dabei ein bestimmter Tag angeführt ist, auch nach 
allen Abschweifungen auf der folgenden Seite fortgefahren wird mit der Beschreibung 
des Weges, kann man wohl annehmen, dass es sich um den Verfasser selber bandelt, 
der auch nach dem 4. Hefte 1815 in Shatu-Aman war. Uspenski in seiner russischen 
Bearbeitung des Werkes setzt möi .wir" tu dem den Aufbruch bezeichnenden Zeitworte, 
daneben aber in Klammern „awtor (der Verfasser)" mit dem Fragezeichen. Die Deut- 
lichkeit wird leider oft in chinesischen Schriftwerken der Kürze und anderen äusseren 
gewähnten Vorzügen zum Opfer gebracht (zu denen der meist vollständige Hangel an 
Satzzeichen gehört), Dunkelheit, wo sie eine gelehrte Anspielung mit sieb bringt, vielleicht 
«her gesucht, als gemieden. Für den Fremden, — oft auch wohl für den Einheimischen, — 
wird sie besonders durch die unzähligen Namen vermehrt, die durch nichts (namentlich, wo 
ein Beiname allein statt eines Zunamens mit demselben gebraucht ist) von den benachbarten 
Zeichen unterschieden sind. Herrn Uspenaki's Bearbeitung findet sich im 6. Jahrgänge 
(1880) der Zapiski Imperatorskago Russkago GeografiYeskago Obszczestwa po otdjeleniju 
etnografii, in welchem sie unter dem Namen ,0 basaeinje Lob-Nora", «über das Lob- 



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zurückgelegten 20 Ii an den Fuss des Berges, wo man beim Lichte der 
Morgensonne die Reittiere so hinter einander reihte, dass sie die 
Windungen grüner Schneckenhauser nachahmten. Der Wind blies von 
der Seite, der fliegende Sand schlug in die Gesichter, der Frost drang 
durch bis auf die Knochen und benahm den Athem. Beim Bersten des 
Eises sind jedesmal Spalte von beinah einem (chinesischen) Fusse Breite 
entstanden. Diese waren mit Pferdegerippen zugestopft, welche eine 
Brücke bildeten. Bei der Besteigung des Joches ging es über ein Schnee- 
meer von 3 bis 4 Ii Umfang, durch dessen Mitte ein Pfad gleich einem 
Faden führte, der nur eben für ein Pferd Raum Hess. Wenn man 
schlimmen Stossen des Wind-Gottes begegnet wäre, wenn der Schneegott 
(Shöng-liu) seine Wut ausgelassen hätte und der Geist-Adler nicht ge- 
flogen wäre, so hätte man den Weg verloren und ratlos dagesessen». 
Hier lehrt eine Anmerkung, dass, «wenn man auf dem „Eispasse" 
(ping-ling) mit Sturm und Schnee zu kämpfen habe und den Weg ver- 
liere, wenn dann ein Geist- Adler fliege und kreische, man sich dadurch 
rette, dass man den Weg in der Richtung des Schreies Buche.» Hier 
unterbricht der Verfasser den Bericht von dieser Besteigung des Passes, 
um Stellen aus Werken der Zeit der Thang auf letzteren zu beziehen. — 
Auch Regel erkannte im August des Jahres 1877 den Weg an den Ge- 
rippen der gefallenen Tiere. Unter diesen will er auch Kamele erkannt 
haben, was einigermassen für die Zugänglichkeit des Passes spricht, zu- 
mal da nach Poltarazki (s. Izwjestija 1869, S. 180) die Kirgisen den 
Pass von Tshong-Kapkak, welcher nach Utsh führen und kürzer sein soll, 
auch für Kamele, den Mnzart nur für Saumrosse und Rinder für zugäng- 
lich erklärten. Dass Regel bei 20° Celsius (s. Petermann's Mitteilungen, 
1879) statt des «Schneemeeres» nur ein Gletschermeer fand, kann wohl 
nicht Wunder nehmen. Auch die Namen stimmen einigermassen, obgleich 
sie in diesen Gegenden einem ewigen Wechsel unterworfen sind und bei 
Türken und Mongolen wohl oft sehr verschieden lauten. Nach Hum- 
boldt's «Central- Asien» kam der Reisende 10 Werst von der Furt des 

Noor-Becken" die Seiten 93—151 der ersten Abteilung einnimmt. Bis ich an obige 
Stelle gelangt war, hatte ich diese russische Bearbeitung immer vergebens gesucht, auch im 
3. Jahrgange, in welchem sie nach mehrfachen Angaben der Zeitschriften der russischen 
Gesellschaft und der Petermann'schen Mitteilungen sich hätte befinden müssen. Die 
zweite Abteilung des besagten 6. Jahrganges der Zapiski (Abteilung für Völkerkunde) 
enthält eine ebenfalls vorzugsweise aus chinesischen Quellen geschöpfte Abhandlung des 
Herrn Uspenski über das Land Küke-Noor oder Tbsing-Hai mit Hinzufügung einer kurzen 
Geschichte der Oirat und Mongolen nach ihrer Vertreibung aus China und im Zusammen- 
hange mit der Geschiebte des Küke-Noor. Auf S. 100 der ersten Arbeit äussert U. 
dieselbe Vermutung wegen des möglichen Zusammenhanges des Ka-bu-ka mit dem „in- 
dischen Kaukasus" der Alten, welche ich S. 291 des 15. Jahrganges (1880) der Zeitschrift 
der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin geäussert hatte. 

2 



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- 18 - 



Tekes nach Shatus-Aman, 15 W. weiter nach Arashan, nach 25 W. nach 
Khandshilou, welches Humboldt für gleichbedeutend mit dem Gaktshakarkhai 
der chinesischen Karten hielt, nach 20 W. nach den Dzh eparle-Bergen (?), 
nach 20 W. nach der Quelle Batamyz und nach 10 W. nach Tamga- 
Tash. Das I-thung-yü-thu weist bis zum Pass folgende Namen auf: 
Tekes-thai, Shatu-Aman-thai, Ghaktshaghar-thai, Musur-ling, auf der Süd- 
seite(um etwa 3° weiter westlich verschoben) Xustu-toghai-thai, Tubalat- 
thai u. s. w. Die Karte des Si-yu-shui-tao-ki (Heft 4, welches von Di 
handelt): Tekes-thai, Shatu-thai, Ghaktshaghar/ai, Musur-Ling und 
südlich (Heft 2) Tamga-tash-thai, Xnstu-toghai-thai, Tubalat-thai, 
ferner, gleichlautend mit dem I-thung-yü-thu : Xoyo/uolok-thai, Arbat- 
thai, Dzham-thai, Aksu, während es bei Humboldt weiter heisst: Berg 
Terekete 15 Werst, Wache Kainde 20 W., Wache Turpagai 15 W., 
Arbad 40 W., Kyzylsu 25 W , Shelantshi 20 W M Aksu 20 Werst 
Regel führt Xandzhilau (mongolisch »Königstein«?) als eine Alpe auf, 
wo die letzte chinesiche Wache gestanden habe. Ehe er dorthin gelangte, 
führte ihn der Weg über den Donda-gol, einen Nebenfluss des Muzart; 
der Name desselben ist wohl nur Domdatu-ghool »mittlerer Fluss« zu 
erklären, indem sich so der Umstand erklärt, weshalb Poltarazki statt 
der angeblichen drei nur zwei nördliche Muzart-Flüsse, den grossen und 
den kleinen, vorfand (das I-thung-yü-thu giebt einen Fluss mit einer 
östlichen längeren und einer westlichen kürzeren Quelle an, nennt aber 
den daraus entstehenden Fluss Ku-'r-pan Mu-su, d. h. ghorban Muz(-ghool), 
mongolisch »die 3 iluz-Flüsse«). Auch bei seinem westlichen Wege am 
Tekes aufwärts führt Regel die Namen Narin und Kapkak an 1 ), welche 
sich auf den chinesischen Karten wiederfinden, nämlich in den Namen 
der Wache Narinj-Xalgha »enges Thor« und Ike-Xapu/ak (Xapu/ar), 
Tun-ta-Xapulak, welche den betreffenden Flüssen und Wachen zukommen- 
den Namen mongolisch-chinesische Verdrehungen türkischer Namen sind 
(ike = yeke, mongolisch »gross«, dumdatu mongolisch »mittlerer«, kapkak 
türkisch »Deckel«; der grosse K. ist türkisch Tshuug-Kapkak 9 ), da im 
Osttürkischen tshung nach Shaw das westtürkische buyük ersetzt). Hatten 
wir am Si-yü-shui-tao-ki zu rügen, dass es die Breiten gelegentlich 3° zu 
hoch anzugeben pflegt, so lässt sich vom I-thung-yü-thu vielmehr sagen, 
dass es die Oerter auf der Breite von Aksu zu weit westlich, die auf 
der von Iii zu weit östlich setzt. Dieses in den sechziger Jahren in 

') Bei diesem westlichen Wege führte Regel Lastkamele mit sich. 

') Das Tsbon Kapkak der russischen Karten. Das ,n" mit folgendem Hirteseichen 
gebrauchen die Russen häufig für den in ihrer Sprache fehlenden Nasenlaut, wohingegen 
sie das eigentliche ,n" am Ende der fremden Ortsnamen durch „nj" (polnisch ü) 



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- 19 - 

Wu-tbshang erschienene, sonst so vorzügliche Kartenwerk besteht in 
einer (Peking enthaltenden) »mittleren«, 9 »südlichen« nnd 20 »nord- 
lichen« Hauptabteilungen und zwei Annam und das westliche Formosa 
umfassenden Nebenkarten. Die Hauptabteilungen umfassen je zwei 
Breitengrade (Maassstab etwa 1 : 1,000,000) und haben hinsichtlich der 
Lange eine verschiedene Ausdehnung, da sie im Allgemeinen mit dem 
chinesischen Reiche abschliessen sollten, aber gelegentlich östlich von 
Japan beginnen und westlich von Konstantinopel abschliessen, indem sie 
für das Ausland meist nur hie nnd da einen hervorragenden Namen auf- 
führen. Die Breitengrade sind gleichlaufend wagerecht, die Längengrade 
ostlich nnd westlich von dem »mittleren« von Peking nähern sich nörd- 
lich mehr und mehr. Nebenbei aber sind noch von 100 zu 100 Ii senk- 
rechte Striche angebracht, welche mit den halben Breitengraden gleich- 
seitige Vierecke bilden. So ist nun Iii in der vom 42. bis 44. Breiten- 
grade reichenden zweiten nördlichen Abteilung zu finden und »Ili-Kürä« 
(Neu-Kuldscha) etwas östlich vom 34. Längengrade westlich von Peking. 
Der südlich zum Muzart führende Weg durchschneidet südlich vom Tekes 
den 34. Pekinger Längengrad, macht aber bei dem schon östlich von 
dieeem gelegenen Ghaktshaghar eine Wendung nach Ostsüdost, um unweit 
des 33. Längengrades das südliche Ende der Abteilung auf dem 
42. Breitengrade zu erreichen. Dieser Weg nun ist an der entsprechen- 
den Stelle der südlich anschliessenden ersten nördlichen Abteilung 
(40°— 42° N. B.) nach Osten zu über den Kuknak-Ling der Art fort- 
geführt, dass er westlich von Yangsar- thai, also zwischen Bugur und 
Korla auf die von Kutshe nach Korla führende Heerstrasse trifft, Kutshe 
ist etwas westlicher als der Muzart, Aksu auf den 37. Langengrad gesetzt, 
und der Weg von Aksu über Arbat führt dort westlich vom (südlichen) 
Muzart-Flus8e bis zum 42° N. B. fort, um dort westlich vom 36. Längen- 
grade plötzlich abzubrechen. Auch das Hwang-Thshao-I-Thung-Yü-Ti- 
Thsüan-Thu, ein Werk von etwa vierfach kleinerem Maassstabe, setzt 
Aksu über drei Grade weiter westlich als Ili-Kürä. Das Si-yü-shui-tao-ki 
lässt erst, wie oben erwähnt, den Pass südlich vom Iii und nördlich von 
Aksn liegen, nicht etwa nordöstlich von letzterem. Im 4. Hefte, welches 
die Gewässer des Balkasch-Sees umfasst, ist die Lage von Kürä (Neu- 
Kuldscha) zu 43° 50' N. B. und 35° W. L. angegeben, die Mündung 
des Xumalak bei Aksu aber im 2. Hefte zu 41° 30' N. B. und 39° W. L. 
Noch verwirrender ist eine Angabe im 4. Hefte (deren fremde Quelle 
freilich angeführt ist), der zufolge der Xan-Tengri und die Quelle des Tekes 
500 Ii westlich vom Narot-Joche und nach dem Shwei-tao-thi-kang 
43° 6' N. B. und 34° W. L. liegen, was wieder zu weit nördlich und 
zu weit östlich ist 

2* 



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- 20 - 



Kehren wir nun zum zweiten Hefte zurück! Nach dem Tu-Huan- 
King-Hing-Ki, welches der Verfasser in Ma-Tuan-Lin's Riesenwerke an- 
geführt fand, sollte über 1000 Ii nordwestlich von An-Si (nach einer 
Anmerkung wurde zur Zeit der Thang in dem Gebiete des heutigen 
Ku-tshe die Stadt An-Si-Tu-Hwo-Fu gegründet) der Pu-Ta-Ling (Buddha, 
Bbadra, Bedel?) sein, von dem aus man einige Tagereisen weiter nördlich 
das Schneemeer überschreite, welches mitten im Qebirge sei, und wo es 
im Frühling und Sommer in einem fort schneie; neben dem schmalen 
Wege befinde sich immer eine Eishöhle von ungemessener Tiefe und 
Ausdehnung der vielfach gewundenen Gänge, und im Eise seien zwei 
Teiche von je über 100 Fuss Umfang, deren durchsichtiges Wasser nicht 
gefriere. Hieran ist die Frage geknüpft, ob das etwa »warme Meere« 
(zho-hai) seien. Eine Anmerkung, welche ebenfalls aus dem Tu-Huan- 
King-Hing-Ki stammt, besagt, dass man über 1000 Ii nördlich vom Pu- 
Ta-Ling nach dem Swei-Ye-Thshnan komme, von welchen thshuan oder 
Bergstrom östlich ein zho-hai oder »warmes Meer« sei. 

Ein anderer chinesischer Ausdruck für dieses »Eisgebirge« ist das in 
der Reisebeschreibung des Wallfahrers Hüan-Tshuang vorkommende Ling- 
Shan (von ling »Eis«). Unser Verfasser schiebt die bekannte Stelle (St. 
Julien, Me*ra. I, S. 10 f.) hier ein, der zufolge der Wallfahrer, nachdem 
er über 300 Ii nordwestlich vom Lande Pa-lu-kia das Steinhaufenfeld (shi- 
tsi) durchschritten, den Ling-Shan erreicht habe, die nördliche Hochebene 
des Thsung-Ling, oder die (eine) nördlich von dem oder den Thsung-ling 
belegene Hochebeue (ThBung-Ling Pei YtLan). Die Gewässer derselben 
flössen meistens nach Osten (dieses würde allerdings für den Muzart und 
den Weg im Tekes-Thal aufwärts sprechen, wenn die vorher schon ein- 
geschlagene nordwestliche Richtung nicht im Wege stände). In den 
Tbälern liege der Schnee in Haufen, und im Frühling und Sommer litten 
sie von Frost; obgleich es zu Zeiten thaue, bilde sich doch sogleich 
wieder Eis. Der Weg sei gefahrlich, es webten häufig Winde von un- 
barmherziger Kälte, und das Ungemach wilder Drachen(stiirme) überfalle 
die Reisenden. Die diesen Weg Einschlagenden dürften keine zinnober- 
rote Kleidung tragen noch Kürbisflaschen mit sich führen, auch nicht 
laut schreien bei Verwirkung grossen Unheils. Er (der Wallfahrer) habe 
es mit eigenen Augen gesehen, wie sich ein Sturm erhoben habe mit 
fliegendem Sande und einem Regen von Steinen, dass die davon Be- 
troffenen darunter begraben worden und kaum mit dem Leben davon 
gekommen wären. Unser Verfasser sagt, dass er Letzteres für keine 
leeren Worte halte, aber vor roter Kleidung und Mitnahme von Kürbis- 
flaschen brauche man sich heutzutage nicht zu fürchten. 



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— 21 — 



Das» dem Verfasser bei der Angabe der Verkehrswege Ostturkestans 
die Flussläufe immer die Hauptsache bleiben, haben wir gesehen; da er 
gelegentlich aber auch die Lage der Quellen bis auf die Minuten eines 
Grades augiebt, lässt sich beinahe vermuten, dass er Messungen hat 
vornehmen lassen oder selber vorgenommen hat. In dem nun folgenden 
Teile seiner Erörterungen sind die Abschweifungen im Ganzen in An- 
merkungen kleinerer Schrift niedergelegt, und die Namen der am Passe 
belegenen Oerter bis Tubalat mit ihren Entfernungen treten deutlich 
hervor, sodass die Absicht hier einigermaßen deutlich wird, eine wirklieh 
von Ghaktshaghar bis Tnbalat auf dem gewöhnlichen Wege, von da am 
Mu zart -Flusse entlang unternommene Reise darzustellen. Im Ganzen 
stimmt die Entfernung von Ghaktshaghar bis Tubalat im Si-yü-shui-tao-ki, 
welche mit obigen 20 Ii bis zum Abhang des Gebirges 240 Ii betragt, 
genau mit der bei Humboldt von Khand'jilaou (= Gaktshakahrkhai) bis 
Turpagad von 100 Werst, wenn man nämlich 250 Ii auf den Grad und 
5 Werst = 12 Ii rechnet; im Einzelnen freilich finden sich dagegen 
einige Abweichungen in den Entfernungen. 

Humboldts Verzeichnis lässt auf Khandjilau die Djeparle-Berge mit 
ihrem noch immer rätselhaften Namen folgeu, aber mit der Bemerkung, 
dass Trümmer alter Gräber längs des Weges befindlich seien, und dass 
dieses der Mussur-dabahn der chinesischen Karten sei. Es ist also wohl 
wahrscheinlich, dass die Trümmer alter Gräber der Mazär 1 ) genannten 
Oertlichkeit im Si-yü-shui-tao-ki entsprechen, da dieser Name die Be- 
deutung des Grabes eines muslimischen Heiligen hat, und obgleich die 
Entfernungen von 50 Ii und 20 Werst nicht genau stimmen. (Da auch 
die nach dem Si-yü-shui-tao-ki die Wache Shatu-Aman von Ghaktshaghar 
trennenden 100 Ii so leidlich den 40 Werst von Shatus-Aman bis 
Khandjilau bei Humboldt entsprechen, scheint diese Abweichung nicht 
etwa daran zu liegen, dass Ghaktshaghar dennoch von Xandzhilau 
verschieden wäre.) Wenn man die gesamten Entfernungen bis Tamga- 

•) Maa&r ist eigentlich ein arabisches Wort, welches einen Wallfahrts-Ort beieichnet. 

1 

da os aber vorzugsweise Gräber der von Muslims verehrten .Frommen 4 * (wall) sind, 
nach denen sie wallfahrten, so hat das Wort die Bedeutung „Grab" angenommen. (Ver- 
gleiche das Grab des „Rosenvaters" Gül Baba in Ofen.) In Beziehung auf den Gebrauch 
des Wortes in Ostturkistan ist es hier wohl am Orte, Shaw's S. 180 f. seines „Vocabulary" 
Regebene Erläuterung anzuführen, welche lautet: mäzar „ein Grab eines HeUigen (welches 
wie ein Ileiligenschrein verehrt und mit Flaggen und an langen Stangen befestigten 
Jak-Schwänzen, oft auch mit Hörnern wilder Tiere geschmückt ist). Die Steinhaufen 
(cairns), welche man überall in den Indien von Turkistan trennenden Gebirgen an allen 
bemerkenswerten Stellen, wie Pässen u. s. w., antrifft, werden in den ron den Muslims 
bewohnten Teilen dieser Gebirge mit dem Namen „mäzär" beehrt und für die Gräber 
alter Glaubenshelden (ancient wortbies) angesehen." Die Steinhaufen werden wohl nichts 
anderes, als die bekannten mongolischen obo sein (altmongoliscb obogha „Haufen"). 



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— 22 



Tash nimmt, stehen über 111 Ii den 50 Werst bei Humboldt gegen- 
über (Unterschied über 8 Ii). Die 35 Werst von Tamga-Tash bis 
zur Wache Kainde entsprechen etwa den 80 Ii von Tamga-Tash bis zur 
Feste Xustu-To/ai, da der Unterschied nnr 4 Ii betragt; vielleicht haben 
Ort und Feste verschiedene Namen. Viel bedeutender freilich ist der 
Unterschied in den Entfernungen von Kainde bis Turpagad (15 Werst) 
einerseits und Xustu-do/ai ond Tubalat (50 Ii) andererseits; und wenn, 
wie es den Anschein sonst hat, Turpagad dasselbe wie Tubalat sein 
sollte, so mochte man einen Gedächtnisfehler des Gewährsmannes an- 
nehmen, dem die Humboldt'schen Angaben entstammen. Es Bcheint über- 
haupt, dass Letzterer einen Sommerweg angegeben hat, der über das auf 
chinesischen Karten vernachlässigte Ak-Bugra-Tashy-Gebirge führt. Denn, 
so gut im Ganzen die Angaben bei Humboldt mit den chinesischen von 
Shatu-Aman bis Arbat stimmen, so wenig ist dieses auf der nördlichen 
Strecke der Fall. Bei Humboldt findet sich von Kura (Kürä, Neu- 
Euldscha) bis zur Furt des Tekes eine Gesamtentfernung von 145 Werst, 
die 348 Ii gleiohkoromen würde. Dazu kommen 10 Werst (?) bis Shatus- 
Aman, 40 Werst bis Xandzhilau nnd 20 Werst bis auf das Joch, die 
mit obigen 145 Werst eine Entfernung von 215 Werst ausmachen würden. 
In Ii umgerechnet würden also 516 Ii der Humboldt'schen Aufstellung 
den 655 Ii des Si-yü-shui-tao-ki gegenüberstehen, nnd da die 445 U 
vom Joch bis Aksu im Si-yü-shui-tao-ki mit den 185 Werst = 444 Ii 
bis auf ein Ii genau stimmen, ist anzunehmen, dass der Unterschied von 
139 Ii, welcher allein die Nord-Seite betrifft, bei beiden Quellen nicht 
auf ganzlicher Unglaubwürdigkeit beruht. Eine bedenkliche Abweichung 
findet sich freilich noch in den Angaben, welche die Strecke vom Tekes 
(beziehungsweise der Tekes- Feste) bis Shatu-Aman betreffen. Nach 
Humboldt wären es von der Furt des Tekes bis Shatu-Aman 10 Werst 
(= 24 Ii), während nach dem Si-yü-shui-tao-ki der Fluss von 
Ghaktshaghar/ai von Shatu-Aman 70 Ii nach Norden bis zu seiner 
Mündung fliesst, von wo der Tekes 20 Ii weiter nach östlichem Laufe 
nördlich von der Tekes-Feste vorbeifliessen soll. 1 ) Nach der zum 4. Hefte 
des Si-yü-shui-tao-ki gehörigen Karte führt der Weg von Hwei-Yüan 
(Iii, Kürä) über Batu-Mönge-Thai, Xainuk-Thai, Sha-Ho-Thai (Sha-ho 

') Nach Humboldt wäre die Tekes-Furt nach den chinesischen Karten südlich von 
der Feste gewesen. Diese kleinen Befestigungen sind gewiss oft »erlegt worden. Da 
der Fluss dort nach dem 4. Hefte des Si-yü-shui-tao-ki einige Ii breit sein soll, könnte . 
man dort eine Fort vermuten; indess fand sich 1763 der UnterbefebUbaber J durch 
den Wasserstand bewogen, in Verbindung mit obigen 7 Festen (von Batu-Mönge-Tbai 
an, Shatu-Aman mit eingerechnet) zwei wei/u oder „Kähne" (aas einem ausgehöhlten 
Banm und in der Mandschu-Sprache so genannt) dort einrichten und sie durch zwei 
kundige Solonen bedienen su lassen. 



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23 - 



chinesisch >Sandfluss«, thai »Feste«), Por-Thai, ein Kupfer-Bergwerk (thnng- 
thshang) und Hwa-no-hwei-Thai über den Tekes nach dem Tekes-Thai in 
einem grossen nach Osten gerichteten Bogen, aber doch durch das Ge- 
birge. Nach dem I-thung-yü-thu liegt Batu-Mönge-Thai wohl nur schein- 
bar mehr am Wege nach dem Tsharin-Thale, am Wege nach dem Muzart 
findet sich sonst ebenfalls Xainuk-Thai angegeben, worauf (statt des 
obigen Sha-ho-Thai) So-kuo'r-Thai und dann wieder Por-Thai folgen. 
Von letzterem führt ein Seitenweg nach obigem Kupfer-Bergwerk, und 
der Muzart- Weg führt, statt der südwestlichen, in einer beinah südlichen 
Richtung nach Xonoghai-Thai weiter, um von da über acht Zuflüsse des 
Tekes und über diesen nach Tekes-Thai zu fuhren. Die Namen Kainak 
und Chanachai des von Regel 1878 eingeschlagenen Weges (s. Petermann's 
Mittheilungen 1879, Tafel 20) scheinen mit Xainuk und Xonoghai zu 
stimmen. 

Nach einem Wege von über 60 Ii (von Ghaktshaghar?) betet man 
nach unserem Verfasser an dem Mazar der Türken, worauf man die Eis- 
treppe binuntersteigt. Hierzu ist eine Anmerkung gefügt, der zufolge 
1760 (im 4. Monat des 25. Jahres Khyen-Lung) ein kaiserlicher Erlass 
auf eine Eingabe des Shu-Ho-Tö verfügt wurde. Letztere besagte, dass 
sich unterhalb des Mussur-Ling am Abhänge ein Thal Namens Sai-sai-khe 
Aigaryal befinde, das etwa auf einer Entfernung von über 40 Ii gefahr- 
lich sei; bei Wind und Schnee sei schwer durchzukommen und müsse 
man besseres Wetter abwarten. Früher hätten die Dsungaren an dem 
dortigen Baumwimpel gebetet, ja sogar geopfert;- jetzt, wo zu Anfang 
des vierten Monats Truppen zu Dienstleistungen abgeschickt würden und 
gelegentlich Soldaten erfroren, halte der Berichterstatter für angemessen, 
wenn an dem nahen Orte Kos (Kes) ein Haus gebaut werde, zum 
Zwecke der Zuflucht. Auf diesen Bericht wurde verfügt, dass, — da der 
Mussur-Ling ein wichtiger Verkehrsweg, die Bergströme der Zeit ge- 
fahrlich, bei Sturm und Schnee aber Menscbenhülfe schwer zu verschaffen 
sei, nach mongolischem Gebrauche aber Gebete gesprochen, ja Opfer dar- 
gebracht würden, — der Berichterstatter Shu-Ho-Tö Türken (oder 
Muslims), die sich etwa auf Gebete verstünden, veranlassen möchte, den 
Gottesdienst mit Eifer zu verrichten, oder wenn es solche nicht gebe, 
ölut (West-Mongolen) hinzuschicken, um dort zu opfern. 

Nach verrichtetem Gebete gehe es die Eistreppe hinab, welche zwei 
chinesische Fuss breit sei. Bei längerem Thauwetter sei die Treppe 
nicht deutlich und sie nehme also bald zu, bald ab. Nach einer An- 
merkung heiasen die 'Arbeiter, welche die Treppe aushauen, dabatshi 
(augenscheinlich von daba = dabaghan, daban); es seien ihrer 70. Im 



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- 24 — 



fünften Monat des genannten Jahres 1760 war wieder ein kaiserlicher 
Erlasa auf desselben Shu-Ho-Tö Eingabe herabgelangt, die sich auf den 
Pass bezog. Ueber 40 Ii des Weges seien mit vielem Eis und durch 
einander liegenden Steinen bedeckt, 8 Ii davon aber bestünden ganz aus 
Eis, so dass man vor Glätte nicht darauf gehen könne; deshalb worden 
täglich 10 Mann abgeschickt, damit sie Stufen aushieben. Darauf kam 
der Bescheid, es sollten mehr Türken abgeschickt werden, deren einzige 
Beschäftigung diese Wegarbeit sein sollte. 

In weiteren über 40 Ii bewirkt man den Abstieg vom Passe von 
Anfang bis zu Ende. Dies ist die Stelle, wo im Jahre 1760 die Opfer des 
Frühlings und des Herbstes dargebracht wurden, und zwar sagt die An- 
merkung, dass am 25. des 9. Monats dieses Jahres Shu-Ho-Tö (nach 
seiner Eingabe vom 10. Monat) dem Mussur-Ling geopfert habe. An 
den ersten drei Tagen sei heiteres Wetter gewesen, zuerst aber Wind 
und Nebel, der die Sonne ganz verhüllt und ihr eine glänzende Farbe 
verliehen habe. Die kaiserlichen Soldaten und die Türken seien ganz 
erstaunt und erfreut gewesen. Der Berichterstatter hätte darauf die 
Gestaltung des Mussur-Ling untersucht und gefunden, dass mau von der 
Südseite bei Arbat-Aman in eine auf beiden Seiten von hohen Gipfeln 
umgebene Schlucht eintrete, wo ein grosser Fluss zusammenströme. Vom 
Abhänge gehe man 180 Ii bis zur Feste Tamga-Tash (bei Humboldt von 
Tamga-Tash bis Arbad 90 Werst), welches der Fuss des Berg-Joches 
(shan-ling) sei. Am Eingange in die Schlucht des Joches winde man 
sich 20 Ii weit durch eine durch einander mit Eis und Steinen bedeckte 
Strecke. Da dehnte ein Berg sich quer (vor dem Wege) aus, der ganz 
aus festem Eise bestand. Der Berichterstatter bestimmte sogleich, dass 
von den zur Wegarbeit bestimmten 120 Türken je 20 täglich abwechselnd 
hämmern und meisseln sollten. Auf diese Strecke folgten wieder 60 bis 
70 Ii bis zur Feste Ghaktshaghar/ai, wo wieder Eis und Steine durch ein- 
ander gemengt waren. Auf der Nordseite lag der Schnee in Haufen, und 
Brennholz war spärlich. 

Unter dem Joche fliesst es brausend und stürzt mit gurgelndem 
Schalle oder wie rollender Donner hervor von der Farbe des Saftes von 
gekochtem Reise. Mau nennt_es Pai-Lung-K'ou »Weisser Drachen-Munde 
(k'ou »Mund« oder »Schlucht«). Ueber ein Ii weiter westlich ist die 
Feste Tamga-Tash. 1 ) Hinter dem letzteren werden die Berge noch un- 
zugänglicher, und der Weg führt rechts von der Feste vorüber; über 50 Ii 

') Der Karte nach liegt die Feßte zwischen beiden Qoelleo und nahe ihrer Ver- 
einigung. Der Name tamga-tash würde „ Stempel-" oder „Zeichen-Stein" bedeuten, 
vielleicht ein Denkmal V 



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— 26 — 



westlich Ton dieser sprudelt ein Quoll wie Tinte hervor. Der Ort heisst 
Hei-Lung-K'ou »Schwarzer Drachen-Munde. Die beiden Gewässer ver- 
einigen sich südlich von der Feste und bilden den Musur-Fluss (die Karte 
nennt ihn Mutsa-la-thö-ho, d. h. Muzart-Fluss). Derselbe kommt in den 
Kriegs- Berichten des Jahres 1756 vor, und zwar in einem Berichte des 
Unterfeldherrn (fn-tsiang-kfin) des rechten Flügels der Grenze, Herzogs 
Tshao-Huoei, dem zufolge der Unter-Feldmarschall (fu-tu-thung) A-Min-Tao 
am 5. Tage des 9. und Schaltmonates auf einer nach der Stadt Kutshe 
ausgedehnten, in Begleitung seiner Obersten vorgenommenen Erkennung 
erfahren hatte, dass Abu Saitar von Aksu mit 1000 Mann nach dem 
Musur- Flusse vorrucke. Der letztere ist nach unserem Verfasser der 
westliche Quellfluss des Weikan-Flusses, und zwar sollen die Quellen 
(yuan als Mehrzahl oder Einzahl) sich auf 42° 20' N. B. und 36° 20' W. L. 
befinden und bis 36° 50' bis zu den beiden Bergen vom schwarzen und 
vom weissen Drachen (Pai-lung-shan und Hei-lung-shan 8. o M Pai-lung-k'ou 
n. s. w.) in gleicher Weise fortströmen. Die südliche Felswand sei ganz 
bedeckt mit feinen gewundenen Streifen. Es sei dort weder Kraut noch 
Baum; langarmige Affen liebten flieh anzukrallen, wo sie nicht hinauf- 
klettern könnten. Beide Berge seien einige hundert Fuss von einander 
entfernt, das Wasser fliesse zwischen ihnen und fülle das ganze Thal 
aus, so dass der Reisende den ganzen Tag von einem Ufer zum andern 
gehen müsse. Im Ganzen fliesse das Gewässer in südwestlicher Richtung 
80 Ii, bis es an der Feste Xustu-To^oi *) auf deren Ostseite vorbeikomme. 
Von da fliesst der Fluss 50 Ii weiter nach Süden und östlich von der 
Feste Tubalat, worauf er nach Südosten umbiegt und nach über 100 Ii 
an der Nordseite der Stein-Wüste Ti-shui-yai vorbei fliesst (ti »tröpfeln,« 
sbui > Wasser,« yai »Gestade«), um dann nach einigen 10 Ii an der 
Südseite des Landgutes Noi-ghut durchzufliessen, welches 350 Ii Östlich 
von Aksu und ein wenig nach Norden liegt (tung-p'ien-pei). Dort soll 
der Fluss nördlich von der Feste Tshar-tshik fliessen und den Namen 
Mazart-Fluss annehmen. Die Noighut seien ein Stamm der Buruten. 
Im Jahre 1758 (23. Jahr Khien-Lung) erhielt hier der Burute 
Gadaitshartsanei wiederum Weideland. Bimaimat-Ili, welcher den 4. Rang 
bekleidete, war nach unserem Verfasser der Name seines damals lebenden 
Urenkels. Unter ihm standen 85 Haus- oder Zeltgenossenschaften (hu 
chinesisch, eigentlich »Thür«, im Gegensatz zu k'ou »Mund«, als der Be- 
zeichnung der Einzelwesen). Das Gut ist über 10 Ii vom nördlichen 
Ufer des Flusses entfernt. 

*) Xus ein Paar, -tu Endung des Eigenschaftswortes, toxoi Ellbogen, s. Schmidt'» 
mongolisches Wörterbuch. Es scheint sieb um eine oder zwei Flusskrommungen zu 
handeln; zu vergleichen ist Ellbogen an der Eger. 



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26 — 



Nach weiteren 80 Ii nach Osten gerichteten Laufes fliesst der Fluss 
an der Nordseite der Feste Ois-tagtshik *) vorbei, um dann für einige Ii 
sich südlich zu wenden und westlich von dem Gute Yargan herzufli essen, 
welches über 400 Ii östlich von Aksu lag, und von dem der Fluss auch 
den Namen Yargan- Fluss führte. Hinter dem Gute wandte sich derselbe 
ÖBtlich, worauf er den Xabsalang-Fluss von Norden her aufnahm. 
Letzterer soll seinen Namen von dem eines Türken haben, der an seinem 
Ufer wohnte; der Klang des Wortes ist aber so echt mongolisch wegen 
der Endung lang, dass ich dem Verfasser kaum Recht geben möchte 
(/absaghai »Klippe« mag damit wohl verwandt sein). Der Xabsalang-Fluss 
also entspringt in den nordwestlich von Bai belegenen Bergen (Bai liegt 
nach der beigefügten Anmerkung 60 H östlich von der Feste Ois-tagtshik), 
fliesst dann südwärts und teilt sich in 3 Arme, von denen die beiden 
westlichen nach Huden fliessen und nach 80 Ii in den Muzart-Fluss 
münden, während der östliche nach einigen Ii sich nochmals teilt, indem 
der westliche Teil nach Süden geleitet ist und sich mit den erstgenannten 
beiden Armen vereinigt, der östliche nach Südosten geleitet wurde, mit 
dem Xara-Ussu vereint an der Ostseite von Bai vorüber und unter dem 
Namen Mudzhät-Fluss nach Süden in den Muzart-Fluss fliesst (die Karte 
weist uns zwei solcher südlichen Abflüsse auf). Der Xara-Ussu entspringt 
in den nordöstlich von Bai gelegenen Bergen, 100 Ii östlich von der 
Quelle des Xabsalang-Flusses, fliesst über 10 Ii in südlicher Richtung und 
teilt sich in zwei Arme, von denen der westliche in südwestlicher 
Richtung dem Xabsalang-Flusse zuströmt, während der östliche nach 
Südosten fliesst und auf der Ostseite von Sairam zum Stehen kommt. 
Diese Stadt liegt der Anmerkung zufolge 100 Ii östlich von Bai; früher 
wurde der Name, der im Türkischen »widerfahrendes Heil« bezeichnen soll, 
Sai-li-mu statt Sai-la-mu umschrieben — kurz, es ist wohl kaum ein 
Zweifel, dass hier das bekannte arabische salam gemeint ist, und der 
Aehnliches bedeutende Name Sallm, Selim könnte der alten Schreibweise 
zu Grunde liegen. Indessen scheint auch Kuropatkin die Aussprache 
Sairam gehört zu haben 3 ); dass bai, wie die Anmerkung sagt, »reich« 
bedeutet, wird durch Shaw's Wörterbuch bestätigt. Beide Städte gehörten 
zum Gebiete von Aksu. 70 Ii östlich von der Mündung des Mudzhät, 
nachdem der Muzart-Fluss, oder Yargan-Fluss, wie ihn der Verfasser nach 
obigem Orte nennt, südlich an Sairam vorübergeflossen ist, mündet das 
Süd-See- Wasser (Nan-hu-shui), von Nordwesten kommend, in denselben. 

i) Tagtshik . Berglein ". 

*) Ein anderes Sairam liegt bei Tshemkend and findet sich schon erwähnt in 
dem russischen „Grossen Grundriss* des 16. Jahrhunderts. (Bolshoi tshertüzh, s. 
Zapiski po otd. etnogr. VI. 1880). 



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- 27 - 



— Als Xodzhidzhan Kutshe entsetzen wollte, nahm er aus Sairam 
100 Mann mit uud lieas die zur Uebersiedelung nach Aksu Bestimmten, 
welche nicht Folge leisten wollten, nnter der Bewachung Ali's zurück. 
Als aber die von Bairam geschlagen waren, tödteten Akwas Bakai und 
die Sein igen den Ali bei Nacht, worauf die Stadt sieh ergab und ein 
Oberst-Lieutenant (yu-tshi oder yu-ki?) mit Truppen vom grünen Banner, 
sowie ein Häkitn vom 3. Rauge eingesetzt wurden, welcher letztere die 1049 
muslimischen Häuser von Sairam anter sich hatte, während ein Häkim 
vom 4. Range über den 593 Häusern von Bai stand. 

Nachdem der Fluss über 20 Ii weiter nach Osten geflossen ist, ver- 
einigt er sich mit dem Ho-sö-lö-Fluss (Kyzyl-sai ?). Letzterer ist nach 
unserem Verfasser der östliche Quellfluss des Weikan-Ho. (Uigan wäre 
jedenfalls ein mögliches türkisches Wort, vergl. jedoch üken »sammelnd«?) 
Die Lage der 3 Quellen soll 42° N. B., 34° 30' — 35° 10* W. L. sein. Die- 
selben sollen gleichmässig (auf gleicher Breite?) entspringen, und zwar 
die westliche Quelle auf dem Altan-Xusu-Gebirge, die beiden östlichen 
auf dem Eshik- Bashe\ Beide Namen finden sich in den hinzugefügten 
Anmerkungen erläutert; im Dsungarischen soll /usu Birke (chinesisch 
hwa-shu) sein, und im Herbste sollen die vielen an dem betreffenden 
Gebirge wachsenden Birken Blätter von tiefer, dem Golde gleichender Farbe 
tragen. In der That lässt sich /usu aus den mongolischen Wörterbüchern 
belegen ; das als nebenbei üblich angeführte /usutan muss ich dahingestellt 
sein lassen; altan ist das gewöhnliche mongolische Wort für Gold. 
Zweifelhafter ist mir die Bedeutung von eshik: »kleine Ziege« (siao-shan- 
yang eigentlich »kleines Bergschaf«), da eshek ein gewöhnliches türkisches 
Wort für Esel ist; eshek-bashi ist »Eselkopf«. Dieser Eshek (Eshik?) 
Bashi ist nun nach unserem Verfasser der sogenannte Pai-Shan oder 
»weisse Berg«, der in den Geschichten der Sui und der Thang die 
Namen A-kie, A-kie-t'ien führte (türkisch ak »weiss«? t'ien etwa chinesi- 
sche Abkürzung für tengri?) 1 ). Auch in den während der Kriege der 
Xodsha's eingesandten Berichten kommt der Altan-Xusu-Berg vor; denn 
als der Oberfeldherr Tshao-Hwei von Kutshe nach Aksu rückte, berichtete 



') Uspenski nach der heutigen nordchinesischen Aussprache: A-tszie (besser A-tshie) ; 
die Zeit der Thang kann wohl nnr die ältere Aussprache gekannt haben. D« kie hier 
augenscheinlich nur einen fremden Laut wiedergeben soll, ist die Uebersetzung durch 
„Hammel" wohl Oberflüssig; in Sanskrit- Wörtern giebt das Zeichen übrigens den Laut 
ka wieder. Es scheint, dass Humboldt in dem Namen das Sanskrit-Wort Agni „Feuer" 
suchte, wahrend St. Julien letzteres durch den Namen des Landes O-ki-ni (A-ki-oi) 
wiedergegeben sein lässt. welches 700 Ii östlich von Kütshi lag. (Vgl. Humboldt, Asie 
Centrale, U, S. 30 ff.; St Julien, Memoires sur les contrees occidentales, II, S. 1.) 



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er, dass er im Verein mit Yar/ ashan f ), von zwei Seiten vorrückend und 
angreifend, bis znm Joche des Altan-Xosu gelangt sei. Dort aei Schnee im 
Ueberflusse, der Weg gefährlich gewesen, so dass er und die kaiserlichen 
Truppen die Pferde hatten ziehen und 48 Stunden zu Fusse gehen 
müssen. Daher kenne er, der Feldherr, die Gestaltung des Joches 
genugsam. 

Das Gewässer fliesst nach der Vereinigung der drei Quellen 80 Ii 
südwärts, worauf das Wasser vom Shi-ho-tan-ör- Berge (Shigho-tar?) 
von Nordosten, das S hart alang -Wasser von Osten her mündet. Darauf 
fliesst es über 70 Ii in südwestlicher Richtung und westlich von der 
Feste Xo-sö-lö (sonst kyzyl »rot« (s. auch Sven Hedin: kisil), das I-thung- 
yü-thu hat A-sö-r, aber vielleicht vermöge einer geringen Abweichung in der 
Schreibung für Ho-sö-r) vorüber, wo der Flnss den Namen Xosölo (Kyzyl) 
erhält. Das Gebirge bildet mit seinen Schlaugenwindungen die Grenze 
zwischen Kutshe, Iii und Xarashar. Jeden Frühling wurden zwei 
Wachen dort ausgestellt, welche im Herbste wieder eingezogen wurden 
und Nitsar (NisarP)-Ata (pers. nizar »fein«? türk. ata »Vater«?) und 
Artung-H woshi (Altun-Xoshi vom türkischen altun »Gold« und dem 
persischen /oshi »Schönheit«?) hiessen. Die Lage der ersteren wird als 
130 Ii nordöstlich von der Feste Kyzyl in den Bergen angegeben, die 
der letzteren als 30 Ii nordöstlich von Nisar-Ata; beide lagen auf dem 
westlichen Ufer (I-thung-yÜ-thu: etwas seitwärts). Nach über 30 Ii 
südlichen Laufes fliesst der FJuss an der Westseite der Höhle der 
1000 Buddha s vorbei (Thsien-Fu-tung); am grünen Berge (westlich 
von dieser Höhle) sollten noch Gold und Serpentin von Buddhabildern 
(fa-siang) und an der Wand eine Inschrift mit dem Namen 
eines Mönches Hwei-lö-kai vorhanden sein. Unter den Felsen hin- 
durch fliesst nun der Kyzyl-Fluss dem Yargan-Flusse zu, der nun den 
Namen Weikan-Fluss erhalt. Auf seinem Westufer ist eine alte zer- 
fallene 8tadt von über 2 Ii Umfang. Die Mündung liegt nach unserem 
Verfasser 41° 25' N. B. und 35° 10* W. L. 

') shan, nicht han oder /an, ist hier die letzte Silbe. Ritter's Jarkha-Khan beruht 
auf einem Irrtora (vgl. Ritter, Asien, 5. Band, S. 512 ; GrigoriefFs russische Uebersctzung, 
Anmerkung zu S. 258, wo die sich schon auf Jakinth und Klaproth stützende Be- 
richtigung zu lesen). 

') Dieses chinesische Hohlmass = Vio hu = 10 shöng, welches zu verschiedenen 
Zeiten uAl zu verschiedenen Zwecken von sehr verschiedenem Umfang gewesen ist, hat 
von Altere her viel zn Vergleichen dienen müssen. Ein ton ist unter den 28 Mond- 
h&usern (das nan-tou oder „südliche Mass", teilweise unserem Schützen entsprechend), 
das pei-tou oder „nördliche Mass" ist der grosse Bär, der Gegenstand besonderer gött- 
licher Verehrung. Die Deichsel ist hier eine Handhabe zum Tragen des Gef&sses. Von 
bekannteren Bergen wird der Tbshöng-shan, das Schantung- Vorgebirge, mit einem tou 
verglichen. 



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Darauf fliesst der Weikan-Fluss erat östlich, dann nach Süden, zu- 
sammen über 40 Ii weit und westlich am Ting-Ku-Shan (chinesisch 
»Nagel-Thal- Berge) vorüber. Die Gestalt des Berges ist die eines tou 1 ) 
das heisst wohl hier eines umgekehrten Troges, oder vielmehr einer ab- 
gestumpften Pyramide. Ueber dem Abhänge waren fünf steinerne 
Häuser, über 10 Fuss hoch, über 20 Fuss tief, einige Mal zehn 
Buddha bilder längs der Wand in den Felsen gehauen, vor denen 
Kostbarkeiten und wohlriechende Blumen in bunter Mannigfaltigkeit 
lagen. Nach der Mitte der Höhle zu, südwestlich vom Eingange, befinden 
sich drei steinerne viereckige Pfeiler von einem Fuss Durchmesser, in 
welche rund herum Schriftzeichen in (chinesischer) Li -Schrift und 
Sanskrit eingehauen, aber schon so verwittert sind, dass man nur die 
Schriftzeichen kien-tshung-ör-nien, »im zweiten Jahre kien-tshuug« 
(781 n. Chr.) erkennen kann; eine andere Inschrift enthält den Kamen 
eines Mönches. Auf beiden Ufern sind hier die Trümmer alter 
Städte. Nach dem Shui-King-Tshu, dem > Lehrbuche der Gewässer 
mit Erläuterungen« (wohl der im Swei-Shu dem Kwo-P'o zugewiesenen 
Ausgabe in drei Teilen), welches das Si-Si-si-yü-ki anführt, befand 
9ich 40 Ii nördlich vom Lande Kwei-Tze in den Bergen ein Buddha- 
Kloster Namens Tsio-Li-Ta-Thsing-Tsing (die letzten drei Silben sind 
chinesisch und bedeuten: das grosse reine, t'sio-li »Pfau entfernt sich« ist 
vielleicht, wie unten tshao-hu-li, Umschreibung desselben Sanskrit- Wortes, 
welches auch St. Julien nicht zu deuten wagte). Eine Anmerkung be- 
sagt hier, dass nach dem Lo-Yang Kia-lan-ki (den »Denkwürdigkeiten 
der Klöster, aufgezeichnet zu Lo-Yang« — aus dem 6. Jahrhundert unserer 
Zeitrechnung) 7 Ii südöstlich von der Stadt Gandhara die Tsio-Li-Pagode 
stand, welche Kanishka, der König des Landes, habe erbauen lassen; da 
nun dieses die erste Pagode (fu-thu) der Westlande (Si-yü) sei, und 
dieses Kloster von Kwei-Tze mit einem Turm (tha = stüpa) gebaut sei, so 
wurde es danach benannt. (Es scheint demnach, dass tsio-li, tshao-huli 
anvollkommene Umschreibungen von dhatri sind, einem indischen Aus- 
druck, der, von cbatra »Schirm«, »Schirmdach« stammend, derartige Ge- 
bäude bezeichnet zu haben scheint, zumal da nach Shakespeare s hindu- 
stanischem Wörterbuche verzierte Grabdenkmäler damit bezeichnet werden; 
gegen das sonst gewöhnliche caitya scheint das Ii — ri zu sprechen.) 

Auch Kao-Thsi schrieb, dieser Tempel sei in einem blühenden Hain 
gebaut; es sei ein Beweis der Weisheit des durch einen fallenden Pfirsich- 
ast zu Tode geschleppten Prinzen Schao (?). Auch die »Denkwürdigkeiten« 
(ki, nämlich Si-yü-ki, die »Denkwürdigkeiten der We9tlande«, »Memoires 
sur les Contre*es occidentales« nach St. Julien) des Pien-Ki, des Heraus- 



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gebers des von St. Julien übersetzten Si-yü-ki des Wallfahrers Hüan- 
Tshuang 1 ), sagen, »dicht an den Bergen nnd durch das Wasser eines 
FlusRes getrennt, befanden sich über 40 Ii nördlich von der Stadt des 
Landes K'ü-tehi zwei Kloster, die beide Tshao-ha-li hiessen nnd je nach 
ihrer Lage das östliche und das westliche genannt worden. Der Schmuck 
der Heiligenbilder gehe beinah über menschliche Kunst hinaus. Mönche 
und Zöglinge seien sittenstreng und meinten es ernst mit ihrem Fleisse 
nnd Eifer. c Wenn man die Spuren aufsucht, so findet man das eine 
oder andere noch erhalten, wie unser Verfasser hinzufügt. 

Nachdem der Weikan-Fluss vor der Höhle vorbeigeflossen ist, fliesst 
er 8 Ii weit nach Süden, worauf er die Berge verläset und sich in fünf 
WaBserläufe teilt. Von den zwei östlichen heisst der nördlichere der 
von Feizabad und bewässert noch Südosten zu das gleichnamige Gut, 
um dann stehen zu bleiben. Das Gut lag 40 Ii westlich von Kutshe. 
Der südliche Arm war der Weikan -Graben und floss südöstlich und an 
der Nordseite der Güter Humutu'llah, (Humdulläh?) Besh-Kelem und 
Langar') vorüber, welche 60 Ii von Kutshe in westlicher Richtung mit 
kleiner Abweichung nach Norden lagen. Von dort lief er weiter süd- 
östlich und an der Nordseite des Gutes Ibar Bag vorbei (55 Ii westlich 
von Kutshe), dann an der Ostseite des Gutes Xotullah (60 Ii westlich von 
Kutshe) und an der Westseite des Gutes Karaau (55 Ii westlich von 
Kutshe), dann nördlich vom Gute Yengik-Ailyk (55 Ii westlich von 
Kutshe mit Abweichung nach Süden), weiter östlich fliessend an der Nord- 
seite des Gutes Tetertshi (70 Ii südwestlich von Kutshe), dann nördlich 
vom Gute Kiang-ke (65 Ii südwestlich von Kutshe), dann nördlich vom 
Gute Hornaa (60 Ii südwestlich von Kutshe), dann nördlich am Gut« 
Ying-ke-tu-la (50 Ii südwestlich von Kutshe), dann nach südöstlichem 
Laufe westlich vom Gute Besh-Bagh (c5 Garten»?) (30 Ii 8W. von 
Kutshe), dann südlich vom Gute Tokuz-Toman (t Neun Tiefen»?) (60 Ii 
südlich von Kutshe), dann nach dem Gute Langar (100 Ii südlich von 
Kutshe), wo die Leitung aufhört. 

Der westlichen Leitungen waren drei, und zwar hiess die nördlichste 
der Graben von Yulduz-Bagi (»Sternen-Garten«), indem sie nach süd- 
westlichem Laufe das gleichnamige Gut bewässerte und dann stehen blieb. 
Die nächste hiess Graben von Tashlik, floss südwärts, bewässerte das 

') Id der Geschichte der Thang werden hintereinander aufgeführt: Hüan-Tsbuang 
Ta-Thang Si-yö-ki 13 kfian und Pien-Ki Si-yü-ki 12 küan (Hefte). 

*) Die Karte des Si-yü-shui-tao-ki wie die des I-thung-yQ-thu weisen diese künst- 
lichen Ableitungen nicht auf, der Haupt-Arm des Weikan-Ho fliegst, wie wir sehen werden, 
westlich von diesem Humutu'llah, welches letztere Karte übrigens südwestlich vom Kutshe 
zeigt; ein anderes Gut Langar lag südlich von Kntshe, wie weiter unten zu erwähnen. 



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genannte Got (80 Ii W. von Kutshe) und kam zum Stehen. Die sudlichste 
Leitnng hiess der Toksu-Graben, floss südwärts, an der Westseite des 
Gutes Dshai (75 Ii W. von Kutshe) vorüber, dann in südwestlicher 
Richtung an der Nordseite des Gutes Iki-Aüik (80 Ii W. von Kutshe 
mit Abweichung nach Süden), worauf sie in südlicher Richtung bis nach 
dem Gute Toksu fliesst und stehen bleibt (100 Ii südwestlich von Kutshe). 

Der Verfasser kehrt nun zum eigentlichen Hauptarme des Weikan- 
Flusses znrück. Nach einem südlichen Laufe floss er westlich von dem 
Gute Hu-mu-shang-la und weiterhin an der Ostaeite des Gutes Dshai 
und der Westseite des Gutes Xodzha-Tulase (Turasy?) (60 Ii W. von 
Kutshe) vorüber. Dort ist nach unserem Verfasser die »Fähre des weissen 
Rosseac (Pai-ma-tu) der Geschichte der Thang; nach dieser trat man 
westlich von An-Si aus dem Passe Shi-Küe-Kuan, setzte über den 
»Fluss des weissen Rossest (tu Pai-Ma-ho) und kam 180 Ii westlich in 
die 8teinwü8te (tsi) von Kü-Pi-Lo, ging an dem «Bitterbrunnen» (k'u 
tsing) vorüber und erreichte nach 120 Ii die Stadt Kü-Pi-Lo, nach 
weiteren 60 Ii kam man nach der Stadt A-si-yen. Die Steinwüste von 
Kü-Pi-Lo, ist nach unserem Verfasser die Kyzyl-Wüste (Ho-s5-lö sha- 
tao = Kyzyl kum?), die Stadt Kü-Pi-Lo die jetzige 8tadt Sairam 1 ), 
A-si-yen aber das jetzige Bai. 

An der Stelle des Si-yü-ki, der zufolge man von dem fünfjährigen 
Versammlungsorte, welcher vor dem Westthore von Kü-tshi lag, nach 
Nordwesten gehn und einen Fluss überschreiten musste, um nach dem 
Kloster A-8hö-li-ni (Acvalini?) zu kommen, soll auch nach unserem Ver- 
fasser ebenfalls die obengenannte Fähre gemeint sein. Das Kloster war 
übrigens nach dem Si-yü-ki sehr berühmt, wovon die vorliegenden vom 
Verfasser daraus angeführten Worte keinen rechten Begriff geben. 

Von der angegebenen Stelle floss der Fluss in südlicher Richtung 
und an der Ostseite des Gutes Tigen vorüber, welches 110 Ii südwestlich 
von Kutshe lag. Darauf wandte er sich nach Südosten und floss an der 
Südseite des Gutes Karashar 1 ) vorbei, welches 80 Ii südwestlich von Kutshe 

') Nach einer Anmerkung ist der Name Ashö-li-ni Kialan (oder Kialan allein?) im 
Yüan Uhu Thang yen („Erläuterung von Ausdrücken ans der Zeit der Thang mon Yüan") 
durch khi-thö „einzig, absonderlich" wiedergegeben. St. Julien konnte kein entsprechen- 
des Sanskrit- Wort finden (umschreibt aber Äcalini); ausserdem schien ihm die weibliche 
Endung - 1 nicht mit kialan (= [söng-J kia-lan - [san]gärim(a]) .Kloster* tu stimmen, 
im Verzeichnisse setzte er daher dharma-c&la („Herberge des Glaubens") an die Stelle. 
Khi-tbü könnte übrigens an das mongolische kiit „Kloster" erinnern, bei acvalini schwebt 
mir acta und das „ weisse Ross" vor. (Vergleiche auch weiter unten Khi tba-thö, Kitat.) 

*) Kar.ishar, eigentlich Kara-shehr, „schwarze Stadt" von dem türkischen kara 
„schwarz" und dem persischen sbehr „Stadt". Die Stadt Xarashar (nordlich vom 
Bagratsch-See) bat die Umwandlung des Anlautes in einen Hauchlaut wohl nur dem 



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lag. Nach weiterem südöstlichen Laufe floss der Fluss an der Südseite 
des Gates Kitat vorbei, welches 80 Ii südwestlich von Eutshe lag. Dieses 
Kitat gab dem Verfasser eine Gelegenheit, wieder einen Bericht aus der 
Mitte des vorigen Jahrhunderts anzuführen, dem aufolge der schon öfter 
genannte Shu-Ho-Tö die Frage aufgeworfen hatte, ob man auf dem 
Shayar-Flusse, der mit Yarkand und Kashgar in Verbindung stünde, 
Schiffe bauen und versuchsweise damit die Zufuhr bewerkstelligen dürfe, 
sowie das Getreide an einem geeigneten Orte aufstapeln; es war von dem 
Berichterstatter hinzugefügt, dass seiner Ansicht nach Kitat am Wei-Lin 
(oder Weikan-Flnsse) ein dazu passender Ort wäre, welches mitten zwischen 
den über 140 Ii (damals 180 Ii nach der Anmerkung) von einander 
entfernten Ortschaften Kutane und Shayar läge 5 ). Zu dieser angeblichen 
Entfernung fugt der Verfasser hinzu, dass die derzeitige Entfernung 
180 Ii betrage (welcher Unterschied wohl auf der verschiedenen Grösse 
der Ii beruhen mag, von denen bald 200, bald 250 auf den Breitengrad 
gehen). Der Name Kitat könnte die mongolische Umbildung von 
Kitan sein, welche wahrscheinlich, wie schon Schott (»Kitai und Karakitai«, 
s. Abhandlungen der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, 
1879, S. 9 des Abdruckes) bemerkte, als ursprüngliche Mehrzahlbildung die 
Einzahl Kitan im Mongolischen ganz verdrängte; bei den späteren 
Mongolen ist durch Uebertragung Kitat der Name der Chinesen geworden, 
welche Bedeutung auch das russische Kitai und das türkische Xatai 
haben. In diesem Falle bandelt es sich wohl um eine Niederlassung 
der Karakitaier aus dem zwölften oder dreizehnten Jahrhundert. Da die 
Schicksale dieses Volkes noch mehr oder weniger in Dunkel gehüllt sind, 
ist ein jeder Ort, der solchen Namen trägt, noch besonders erwähnens- 
wert. (Ein Ort Kara-Katai liegt nach Ritter zwischen Marghinan 
und Kokand und soll von muhammedanischen Kara-Kataiern bewohnt sein. 
>Ob Chinesen?« fragt Ritter (Bd. V, 8. 485). Es ist bemerkenswert, dass 
auch die noch immer rätselhaften Dunganen auch chinesisch sprechen 
und Muhammedaner sind. Dahingegen rechnen sich die Kytai des 
Zerafshan-Thales nach Radioff 1 ) zu den Usbeken und bilden mit den 
dortigen Kyptsbak eine Völkerschaft, so dass sie auf die Frage nach 
ihrer Stammeeangehörigkeit zur Antwort geben: »Kytai-Kyptshak myn«, 
»ich bin ein Kytai-Kyptshak«. Allein dieses beweist an und für sich 

Ein8usse des Mongolischen zu verdanken, in welcher Sprache das betreffende Wort ^ara 
lautet. Bei dem Namen des Landgutes ist der Ansdruck „8tadt" selbstverständlich nicht 
wörtlich zu nehmen. 

■) Shayär = shiär persisch «bestelltes Feld", s. Zenker, tflrk. Wörterbuch. Die 
Bedeutung stimmt zu Tarim; s. jedoch die obige Ableitung von Säh-yar. 

») Zapiski po otdjeleniju etnografii, VI. 1880, Otdjel I: Srednjaja Zeraßanskaja 
dolina. W. W. Radiowa, S. 60 f. 



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— 33 — 



noch nichts gegen die inngnsische Abkunft der eigentlichen dortigen 
Kitaier, wie ja nach Radioff dort auch arabische Niederlassungen 
türkischer Zunge sind.) 

Nach weiterem südöstlichen Laufe floss der Fluss an der Südseite 
des Landgutes Yandyrman (? Yang-tÖ'r-inan) vorüber, welches 75 Ii 
südwestlich von Kutshe lag, sowie an der Nordseite des Gutes Kökbnyun 
(40 Ii nordwestlich von Sbayar), noch weiterhin an der Nordseite von 
Yaman-Ailik (25 Ii westlich von Sbayar), dann an der Nordseite von 
Yegertshi (20 Ii westlich von Sbayar). Dann wandte sich der Fluss ost- 
wärts und floss an der Nordseite des Gutes Sailiktar vorbei (10 Ii 
westlich von Sbayar). Nachdem der Fluss wieder die alte südöstliche 
Richtung eingeschlagen, kam er an der Südseite des 10 Ii nördlich von 
Shayar liegenden Gutes Dshenger- Ailik vorüber. An dieser Stelle 
führte er nach unserem Verfasser den Namen ögen- Fluss (O-kön?). 
Dieser Name kommt in der Erzählung von Odni's Thaten vor (O-tui 
tbshwan in der noch unveröffentlichten amtlichen Geschichte der letzten 
beiden Jahrhunderte); Odui hatte nämlich bei Meldung des von Kü-Si- 
Hing erfochtenen Sieges dem Yar/ashan mitgeteilt, westlich von Kutshe 
befinde sich der Ögen-Fluaa, welcher eine Verbindung mit Shayar dar- 
biete, er habe Wasser im Ueberfluss, so dass man zu Schiffe darauf fahren 
könne; er bitte um Verstärkung. Ho-tsi-tsban sei wirklich mit über 
5000 »Diebent (tsei, gewöhnlicher Ausdruck für Aufrührer) vom Ögen- 
Flosse her nach Kutshe gezogen, aber von seinen (des Odui) Truppen 
geschlagen worden. Auch in der Erzählung von Kuntshuk (im Anhange 
zu der von Yü-mu-thshui-rau) ist von diesem Gefechte und dem ebenso 
benannten Flusse die Rede, da nach derselben Xodzhidzhan mit über 
50G0 Mann zum Entsätze herangerückt und, während seine Truppen auf 
der Flucht zusammengehauen wurden, bis an den Ögen -Fluss verfolgt 
worden war, wo am Subashi- Berge über 300 abgeschlagene Köpfe auf- 
gesteckt wurden. Die Türken nannten den Fluss den Ukiat- Fluss (der 
Anmerkung nach weist u im Türkischen auf etwas Entlegenes bin, khyät 
[oder, wenn die neuere nordchinesische Aussprache gemeint ist, thshyät] soll 
Dörfer und Güter bezeichnen; am Ufer des Flusses soll ehemals ein Dorf 
und ein Gut oder Gehöft gestanden haben. Das Chinesische lässt auch 
eine Mehrzahl zu. U ist »jener, er, sie, es*; den zweiten Teil der 
fraglichen Zusammensetzung muss ich dahingestellt sein lassen). 

Der Fluss fliesst in südöstlicher Richtung weiter und an der Südseite 
des Gutes Kalatun vorbei (5 Ii uordöatlich von Shayar), weiterhin an der 
Südseite des Gutes Tshartak (10 Ii nordöstlich von Sbayar), dann an 
der Südseite des Gutes Sortam (15 Ii nordöstlich von Shayar), au der 

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• 

Nordseite des Gates Tashiktam (15 Ii südöstlich von Shayar), darauf 
mit östlichem Laufe«) an der Südseite des Gutes Tshur^oshar (40 Ii 
nordöstlich von Shayar) und an der Nordseite des Gutes Kortash (50 Ii 
sudöstlich von Shayar). Nach weiterem östlichen Laufe floss der Fluss 
an der Nordseite des Gutes Koyam-Ata vorüber (60 Ii östlich von 
Shayar), dann an der Nordseite des Gutes Sandzhardim (PSan-kia'r-thie- 
mi, 70 Ii östlich von Shayar), dann, immer nach Osten fliessend, südlich 
vom See Sha/alik (oder : Shah-ariki »Königsgraben«?). Nachdem der Fluss 
dann über 5 Ii nach Südosten geflossen, wandte er sich wieder nach Osten, 
bis er an die Südseite des Gutes Yü-ku'r (yügür?) kam, wo er in deu 
grossen Tarim-Fluss mündete. Der Name bedeutet der Anmerkung nach 
einen, der im Handgemenge tapfer angreift, und soll dem früher Bugur 
genannten Orte deshalb gegeben worden sein, weil die Türken hier den 
Feinden ehemals widerstanden. Es handelt sich augenscheinlich um den 
Namen der Uiguren, den auch Abulghäsi und Raschideddiu übersetzen, 
als lautete er Yogur'). 

Nach dem (schon oben erwähnten) Shui-king-tshu fliesst der Nord- 
Flues (d. h. der Tsung-Ling-Pei-Ho oder Tarim-Fluss) nach Osten und 
südlich an dem Lande Kwei-tze vorbei, noch weiter nach Osten aber 
mündet in ihn das Gewässer Kwei-tze-thshuan. Dieses ist nach nnserm 



') Die veränderte Richtung hätte anscheinend schon früher erwähnt werden müssen, 
wenn die Lagen im Verhältnis zu der von Shayar genau angegeben sind; indessen sind 
der an den Fluss stossende Teil des Gebietes eines Gutes und das Gehöft wohl oft 
von einander" entlegen. 

*) Bugur (Pu-ku'r) ist vielleicht bogür «Weiche, Seite, Lehne". Abulghäsi übersetzt 
uigur türkisch durch yapisbturtmak „anheften lassen", Raschideddin persisch durch 
behem paivesten u madad kerden „verbinden und helfen" Ersterer fügt als Betspiel 
das (ierinnen der Milch hinzu und macht dabei von uynmak „gerinnen, erstarren, 
schlafen" Gebrauch. Yogurmak ist „vermischeu"» yogurt Mischung aus getrockneter und 
frischer Milch. Uigur, yogur, und sogar uigan (der Name des Flusses Weikan und 
vielleicht einer der zehn L'iguren-Flüsse) erscheinen demnach als sinnverwandte, teil- 
weise sogar gleichbedeutende Ausdrücke, indem der Wortstamm ui anscheinend (wie in 
uiku „Schlaf" statt uyuku) uyu ersetzt. Unseres Verfassers Weikan enthält in der ersten 
Silbe ganz denselben Laut, mit dem man zur Mongolen-Zeit die erste Silbe von Uigur 
wiedergab; der l'igan war auch nach Raschideddin einer der zehn Flüsse der Uiguren. 
Die von Raschideddin und Abulghäsi, wie oben, gegebene Ableitung hat wohl nie viel 
Anklang gefunden; die von Vämbery (Kudatku Bilik, Einleitung, S. 2). nach welcher der 
Name von ujmak „gehorchen" stammt (wie auch in der Kasaner Ausgabe des Abulghäsi 
angegeben, s. Vamberv a. a 0.), also die gehorsamen Anhänger bedeutet, ist eher 
dazu geeignet. Es fragt sich aber, ob da? Volk nicht den Namen erst von einer 
Oertlichkeit erhalten hat, wo etwa deu „erstarrenden" Fluss (Uigan) ein Widerstand 
einst „erstarren Hess" (Uigur). Das Wön-Su (— On-Su .zehn Flüsse" V) der Han mochte 
wohl diese Oertlichkeit mit umfassen; deh-rud „zehn Flüsse" bei Raschideddin 
(b. Klaproth); es ist vielleicht ein Seitenstück zu den On-orkou. 



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- 35 — 



Verfasser der Wei-kan-ho oder Kwei-tze-si-thshuan, d. h. der westliche 
Strom von Kwei-tze. Von den verschiedenen ehemaligen Flussläufen ist 
schon oben die Rede gewesen. 

Dort mündet er in den grossen Tarim-Fluss. Wie das Shui-King- 
tsbu sagt, „fliesst der Nord-Fluss (Pei-ho) nach Osten zu an der Süd- 
seite des Landes Kwei-tze vorüber. Es ist derselbe, welcher weiter 
östlich sich anf der linken Seite mit dem Kwei-tze-thshuan-shui (»Ge- 
wässer des Thalstroraes von Kwei-tze«) vereinigt. Der Weikan-Ho ist 
der Kwei-tze-Si-thshuan (»der westliche Thalstrom von Kwei-tze«). 44 

Ueber 600 Ii nordwestlich von Kutane (sowohl nach der zum Werk 
gehörigen Karte, als nach dem I-thung-yü-thu sollte es nordöstlich 
heissen) liegt das Kuknak-Joch, 1 ) über welches der Weg nach Iii geht 
(nach der Anmerkung des Verfassers bedeutet kuknak im Türkischen 
eine schwarze Schwalbe). Unterhalb des Joches fliesseu drei Gewässer 
nach Süden und an der Westseite der Kuknak- Wache, dann nach Süd- 
westen an der Westseite des Thsao-Ling (Gras- Joch es), weiterhin an 
der des Shi-Ling (»Stein- Joches«) vorüber, bis sie an den Beltshir- 
Berg kommen (wie der Verfasser richtig bemerkt, bedeutet der Name 
im Mongolischen »Ort der Vereinigung«). Hiera nf sollen sie sich rechts 
und links von dem Berge teilen, indem ein Fluss rechts von ihm, die 
anderen beiden links fliesseu, um sich nach mehr als zwei Ii zu vereinigen. 
Darauf fliesse der Fluss nach Südwesten und an der Westseite des 
Thung-Thsbang-shan 2 ) vorüber (60 Ii nordöstlich von Kutshe), um dann 
aus den Bergen zu treten. Nachdem er östlich von einer zerstörten 
Stadt vorbeigeflossen, teile sich der Fluss wieder in drei Arme. Der 
westliche Arm heisse Mirteyen- Fluss, fliesse nach Süden und au der 
Westseite der beiden Landgüter Shaman-Bagh und Khokho-kung-pa 
(Koko-kumba?) vorüber, von denen ersteres 5 Ii nördlich, letzteres 3 Ii 
nordöstlich von Kutshe liege, um dann nach Süden zu am Ost-Thore 
von Kutshe vorbeizufliessen, wo nach dem Shui-King-tshu ein Arm sich 
getrennt haben soll, um in die Stadt Kwei-Tze zu fliesseu. Weiter nach 
Süden zu fliesse der Fluss dann östlich von Reisfeldern (über ein Ii 
südlich von der Stadt) und westlich vom Landgute Sai-Bagh(i?) vorbei 
(3 Ii östlich von der Stadt), dann an der Westseite des Gutes Kara- 
Ailik (5 Ii südwestlich von der Stadt), dann weiter nach Süden zu an 
der Ostseite des Gutes Ta-Ho-Lai (10 Ii südöstlich von der Stadt), 
um daun einen Bogen nach Südosten zu machen und nach über 180 Ii 
zusammengenommen sich in den See Sha/alik zu ergiessen. 

l ) Ueber diese« Joch führt (nach dem l-thung-yü-thu) von Yang(i)sar (fistlich von Bngnr) 
aus ein Pass in nordwestlicher nnd westlicher Richtung nach Iii (s. o über den Muxart). 
») „Kupfer Gruben-Berg 4 *. 

3* 



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- 36 - 



Der zunächst weiter östlich fliessende Arm heisst Ukiar-Sai 1 ). Er 
fliesst nach seiner Trennung nach Südosten und westlich vom Gute 
Xum(u)lik (15 Ii nordostlich von der Stadt) und östlich vom Gute 
Pi-kia-k'e (10 Ii nordöstlich von der Stadt). Darauf flieset er weiter 
nach Südosten und westlich vom Gute K'o-la-tun vorbei (15 Ii Östlich 
von der Stadt) und Östlich vom Gute Ukiar (10 Ii Östlich von der Stadt). 
Weiter nach Südosten fliesst er westlich vom Gute Sa/an/ui vorbei (20 Ii 
südöstlich von der Stadt). Weiter nach Osten fliessend, kommt er südlich 
vom Gute Aktatshi vorbei (20 Ii südöstlich von der Stadt). Weiter nach 
Osten fliesst er südlich vom Gute Lutshur (30 Ii südöstlich von der 
Stadt). Nach weiterem östlichen Laufe fliesst er südlich vom Gute 
Böstöng (Bostan, Östäng?) (30 Ii südöstlich von der Stadt) vorbei und 
nach weiterem östlichen Laufe südlich vom Gute Yin-Ho (40 Ii südöst- 
lich von der Stadt), weiter nach Südosten fließend westlich vom Gute 
K'ou-k 4 u-shi (Kogush »Rinne«?) (50 Ii südöstlich von der Stadt), um dann 
ebenfalls nach über 180 Ii in den See Sha/alik zu fliessen. 

Der östlichste Arm heisst Yesbashi- (Yäz bashi »Kopf der Ebene«?) 
Flufes und fliesst von der Trennung an östlich. Er floss nördlich vom 
Gute Ma-tsha-p 4 u-t 4 uan (15 Ii nordöstlich von der Stadt) und weiterhin 
immer nach Osten zu nördlich vom Gute Ming-Maili- Yam( u)- Ata 
vorüber (20 Ii nordöstlich von der Stadt). Nachdem er eine Biegung 
nach Nordosten gemacht, fliesst er nach über 60 Ii insgesamt in den 
See A-ti-wei-nok. 

Der herkömmliche Name für die drei Anne, den t'ou-tao-ho (Fluss 
des ersten Weges oder Laufes«), ör-tao-ho (»zweiter Flusslauf«), san- 
tao-ho (»dritter Flusslauf«), ist Kwei-tze-tung-thshuan (»östliche Wald- 
ströme von Kwei-tzT*<). 

Im Shui-Kiug-tshu heisst es, die Gewässer Kwei-tze-thshuan haben 
zwei Quellen. Die westliche Quelle (was Si-yüan »westliche Quelle« 
betreffe, meint unser Verfasser, so müsste es heissen: Si-thshuan-shui 
»das westliche Thalstrom- Wasser«) entspringe südlich von den »nördlichen 
grossen Bergen« (Pei-Ta-shan). Das Gewässer fliesse nach Süden und 
komme am Thshi-Sha-shan (»Rot-Sand-Berge«, nach der Anmerkung 
unseres Verfassers dem Aksu-Yen-shan »Salzberge von Aksu«) vorbei. 
Nachdem es wieder aus den Bergen getreten, fliesse es nach Südosten, 
wobei ein Arm nach links abfliesse (oder: »ein auch aus den Bergen 

') Uspcuski : ti-ka-r-sa-i-^e. Das Wort /e = bo „Fluss" ist wohl eigeutlich ein über- 
flüssiger Zusatz, da der io Ost-Turkistan gewöhnliche Ausdruck fllr denselben Begriff 
sai ist. Dieses Wort Hesse sich recht gut durch eine chinesische Silbe wiedergeben; 
aber es war wohl Grund vorhanden, sa-yi zu schreiben, da dieses „sein Flass" be- 
deutet? Durch k'ia könnte nach der südlichen Aussprache der Laut ka angedeutet 
werden. Das 1 thuug-yü-thu hat U/ar-sayi (vgl. bu^ar „traurig"?). 



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- 37 - 



kommender, nach Südosten fließender Arm trenne sich links ab«; die 
Anmerkung erläutert den alten Ausdruck p'ai, welcher nach dem Shwo- 
wön (Wörterbach von 100 n. Chr.) ein sich trennendes Gewässer bedeute. 1 )) 
Nach weiterem südöstlichen Laufe teile sich der Fluss in drei Arme; 
die beiden rechten flössen nach Südosten und ergössen sich in den Nord- 
Flnss (Pei-ho, d. h. den Tarim-Fluss). — Das Tang-Thshuan-Shui (>Ge- 
wässer des östlichen Tbalstromes«) entspringe nordöstlich von Kwei-tze 
(oder gehe daran vorbei) und fliesse an der »RotrSand-Wüste« (Thshi- 
sha-tsi) 1 ) vorbei, worauf sich nach Süden hin ein Arm abzweige, der 
rechts in die Stadt Kwei-tze trete. Dieses Wasser fliesse weiter nach 
Südosten und vereinige sich rechts mit einem Arm des Si-thshuan-shui. 
Von den hier sonst unbedeutenden vor dieser Stelle in kleinerem Drucke 
eingeschobenen Bemerkungen enthält eine den Namen des Kupfergruben- 
Berges von Kutshe (K'u-thshö-thung-thshang-shan), was sich wahrscheinlich 
auf Thshi-sha-tsi bezieht. In Beziehung auf die Vereinigung des dnrch 
die alte Stadt fliessenden Armes des Ostflusses mit einem Arme des West- 
flusses folgt hier eine erläuternde Anmerkung, deren Sinn durch die Karte') 

•) yu thshu shan tbung nan lia tebi shui tso p'ai (yu .auch, nochmals", thshn „her- 
vorkommen", shan .Berg, Berge, Gebirge", tung .Osten", nan .Süden", liu .fliessen", 
tsbi „Zweig, Abzweigung", shui .Wasser", teo „links", p'ai .sich trennen, abzweigen"). 
Die Frage ist, ob yu „nochmals" bedeutet und das oben erwähnte Si yöan Gegenstand 
der Aussage bleibt, oder ob yu .auch" bedeutet und tshi-shui .Flussarm" ein 
neuer Gegenstand der Aussage wird. In beiden Fällen stösst man auf Schwierigkeiten. 
Ohne einen Blick auf die Karte zu werfen, würde man wohl unwillkürlich das Erstere 
vorziehn; indessen ist der Thshi-sha-sban ein zu bekannter Berg, den die Karte des 
Si-yü-bhui-tao-ki am Wege von Arbat nach Dzham aufführt (s. auch bei Humboldt) 
und der Arbat-, Mazar- oder Sary-Dzhas-Flusa, um den es sich handeln würde, ist doch 
mit dem Mozart- oder Weikan(Uigan)-Flusse nicht zu vereinigen. Andererseits ist es 
zweifelhaft, was mit dem Flussarme gemeint ist; es wäre dann wohl doch hinter thshu 
shan etwas wie ho .Fluss" zu ergänzen. Letzteres bat Uspenski gethan, welcher über- 
setzt: .Noch ein Flüsseben tritt aus der Ostseite der Berge hervor, fliesst ebenfalls 
nach Süden und bildet einen linken Nebenfluss" (s. „0 basseinie Lob Nora", S. 143). So 
sehr sich augenscheinlich die unteren Läufe der Flüsse geändert haben mögen, so wenig 
ist das doch von den Quellflüssen anzunehmen. Wahrscheinlich hat sich der Verfasser 
des Shui-king hier geirrt, oder ein Abschreiber (Schönschreiber ohne Satzzeichen und 
Gedankenfolge) hat sich eine Auslassung zu Schulden kommen lassen; es sieht auch 
aus, als ob das gleichlautende Ii „Birne" für Ii „trennen" sich hinter das obige Thshi- 
sha-tsi geschlichen hätte. 

*) Auf der Karte sind die im Shui-King erwähnten, jetzt nicht mehr vorhandenen 
Flussläufe durch ihre schwarze Färbung hervorgehoben. Der westliche Fluss sendet an 
und nach seiner Biegung nach Osten zwei solche schwarze Arme aus, die sich bis zum 
Tarim-Flusse hinziehen Daneben steht, dass nach dem Shui-King-tshu das nach Süd- 
osten fliessende Gewässer sich in drei Arme teile, von denen die beiden rechten nach 
Südosten fliesseu und sich in den Pei-ho („Nord-' 1 d. h Tarira-„Fluss") ergiesseu. Auch 
vom Mirteyen-Flusso trennt sich ein schwarz bezeichneter Arm, der hier aber nicht 
allein durch die östliche Mauer in die „alte Stadt Kwei-tze'' und aus der südlichen wieder 
hinausgeht sondern noch einen östlichen Arm bildet, der die Stadt nicht berührt. Da 



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- 38 - 

noch deutlicher gemacht wird. Sie lautet: >Wenn e8 [nachdem davon 
die Rede gewesen, dass das Gewässer auf der Ostseite in die Stadt und 
auf der Südseite aus derselben trete und sich vereinige mit dem linken 
Arme dea westlichen Thalstromes vor dessen Mündung in den (Tarim-) 
Fluss] heisst, das Gewässer habe zwei Quellen, welche sich dadurch ver- 
einigten, dass der Si-thshuan nach Osten und an der Sudseite der Stadt 
Kwei-tze vorbei fliesse, so weist das deutlich darauf hiu, dass von den 
besagten beiden Quellen, welche „an der Stadt Kwei-tze vorüber fliesaen 
und sich südlich von ihr vereinigen", der Tung-thshuan die eine ist, und 
dass ein Arm des Tung-thshuan sich rechts mit dem Arme des Si-thshuan 
vereinigt haben soll. Das Gewässer flieest südöstlich in den Tung-thshuan, 
und weiter südöstlich ergieast es sich in den Ta-Ho („den grossen", d. h. 
den Tarim-„Fluss ul ))«. — »Als Li-Künc (d. h. Li-Tao-Yüao aus der Zeit 
der nördlichen Wei zwischen 386 und 534 u. Chr.*)) »seine Erläuterungen« 
(tshu, d. h. Erläuterungen zum Shui-Eing, daher nunmehr Shui-King-tsbu) 
»verfas8te, trennte sich der Si-thshuan in drei Arme, von denen zwei 
vorher in den grossen Fluss mündeten, ein Arm aber südlich von der 
Stadt vorbeifloss und sich mit einem Arme des Tung-thshuan vereinigte, 
um dann in den Tung-thshuan zu münden« (daher das Werder auf der 
Karte, welches von einem östlichen Arm und dem durch die alte Stadt 
Kwei-tzo gehenden gebildet wird). »Der Tung-thshnan stand mit dem 
(Tarim-)Flusse in Verbindung. Der Ort seiner Mündung in denselben 
befand sich westlich vom Lande Khü-Li. Es ist derselbe Fluss, von 
dem es in der Geschichte der Han heisst, westlich von Khü-Li sei ein 
Fluss, der bis nach Kwei-tze 580 Ii lang sei. Heutzutage mündet der 
Si-thshuan selber in den Fluss« (ho, d. h. Tarim-Fluss). »Der Tung- 
thshuan aber mündet in einen See, worauf es weiter keine Gewässer 



der vom Westflosse nach Osten abgegebene Arm der jetzige bei Shayar fliessende Wei- 
kan-ho ist, hat ihn der Verfasser weiss gelassen, so dass nun das von den beiden 
Armen des Ostflusses gebildete Werder als vom Weikan-ho durchströmt erscheint, 
während es sich doch von selber versteht, dass der Arm des Westflusses damals nur 
sein Wasser dem weiter südlich mündenden Ostflusse zuführte. Neben der Stadt ist 
die Stelle aus dem Shui-King angeführt, der zufolge der Flusa rechts mit dem Arme des 
Shi-thshuan zusammentreffe, um dann in das Tung-thshuan-shui zu münden (daher 
wohl der ostliche Arm der Karte!). Bei der Mündung (südwestlich von der des jetzigen 
Weikan) heisst es, nach dem Shui-King münde das Tung-thshuan-shui in den Ta-Ho 
(den grossen Fluss). 

') Auf das gross gedruckte Tung-Tbshuan folgt hier eine klein gedruckte An- 
merkung, der zufolge es sich um das Gewässer bandelt, welches aus der vollständigen 
Vereinigung beider Arme entsteht. Diese Worte erläutern mehr die nachfolgenden 
Worte: „weiter südöstlich ergiesst es sich in den Ta-Ilo", als die vorhergehenden: „das 
Gewässer fliesst südöstlich in den Tung-thshuan". 

') S. Wylie, Notes on Chinese Literature, 8. 48. 



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- 39 - 

giebt; mit dem „Flusse" aber steht er nicht in Verbindung.« — »Weiter 
nach Osten kommt er< (der Tarim-Fluse) »südlich vom „Gute" Kurie 
(Korla) vorüber«. 

Der Tarim-Fluss fliesst ?on dem Landgute Yü-ku'r ab in Östlicher 
Richtung. Die Entfernung des Ortes vom Flusse beträgt nach der 
begleitenden Karte über 300 Ii; aber der Umstand, dass dieser Ort an 
der grossen Heerstrasse nach Korla belegen ist, und der Mangel an An- 
siedelungen, die dem Flusse nahe lägen, geben Anlass, über letzteren zu 
sprechen, wie es nun überhaupt weiter heisst, dass der Kluss südlich von dem 
oder jenem an dieser Heerstrasse gelegenen Orte vorbeifiiesse, obgleich der 
Abstand sich nach Osten zu kaum verringern, gelegentlich sogar erheblich 
vergrössern möchte. Lange Zeit hindurch hat wohl kein menschlicher Fuss 
das Ufer des Flusses in dieser »Salz- Wüste< (yen ko-pi, d. h. gbobi), wie 
die Karte sie nennt, betreten. — 320 Ii nordöstlich von Kutshe liegt nach 
unserem Verfasser die Feste Yü-ku'r und 10 Ii südlich davon das türkische 
Landgut gleichen Namens. Yü-ku'r ist das Qebiet des Lun-thai oder 
»Rad-Turmes« der Han. Nach der zur Geschichte der Han gehörigen 
»Erzählung von deii Westlanden« (Si-yü-thshuan) waren der Lun-thai 
und das Gebiet des Khü-Li einander nah. 40 Ii südlich von dem Land- 
gute befand sich nach unserem Verfasser eine kleinere, noch 20 Ii 
weiter südlich eine grosse zerfallene Stadt, während über 100 Ii 
weiter südlich noch mehr alte Städte mit ihren Vorstädten lagen 
und angebautes Land, das kreuz und quer von Wasserrinnen nnd 
Dämmen durchzogen war, denen man nur zu folgen brauchte, um gerade 
auf das Ufer des Flusses zu gelangen; streitige Felder seien unter der 
Verwaltnng der Beamten gewesen 1 ). 

200 Ii weiter nach Osten fliesst der Fluss südlich von der Festung 
Tshadyr vorbei, die nach der Anmerkung ihren auf Türkisch ein »Filz- 
zelt« bedeutenden Namen daher erhalten hat, dass in früheren Zeiten 
einmal ein Heerlager hier stand. Noch 160 Ii weiter östlich fliesst der 

•) Hinsichtlich der Bevölkerung von Yugor (s. Ritter, V, S. 445) sagt Grigorieff in 
seiner Anmerkung CCCLXXXII zu der Uebersetzung de« Ostturkistan betreffenden Teiles 
von Ritters .Asien" Folgendes: „In Beziehung auf die Bevölkerung von Bugur erfahren 
wir aus derselben Quelle" (es war die Uebersetzung des .Si - yu- wön-kien-lu durch 
Vater Jakinth vorher erwähnt, und am Schlüsse findet sich der Hinweis auf des Letzteren 
.Beschreibung Dsungariens", S S 119 — 120, übrigens teilweise ein »elbständiges Werk), 
„dass dort keine Uiguren sind" (d. h heutzutage), .da zur Zeit des Aufstandes der 
Xodzhas (1757 — 17. r >8) alle Einwohner dieser Stadt auseinanderflohen und nach der 
Unterdrückung des Aufstandes 500 Familien „Dolanische Turkistaner'' hierhergefilhrt 
worden, um hier zu wohnen, wobei erklärt wird, da» die „Dolaner" einen abgesonderten 
Stamm in Turkistan bildeten, der den Xodzha's nahe stand: sie weideten ihre Pferde 
und zogen die Adler* (Falken V). Ueber Dolan s. bei Shaw a. a. ü. und in den An- 



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Flugs südlich von der Feste Tshertshti (Tshartshi), welche nach dem Ver- 
fasser ihren Namen (thshö'r-thshu) daher haben soll, daas dort viele alte 
Gräber seien, welche den VorQberreisenden viele Krau kheiten verursachten, 
der Name bedeute im Dsungarischen »scheuen«. Ich habe ein genau 
entsprechendes mongolisches Wort nicht finden können; auf einer Karte 
in Petermann's Mitteilungen ist der Ort Tshartshi nach Kuropatkin 
genannt; nach Zenker's Wörterbuch bedeutet tshertshi einen wandernden 
Krämer, es ist daher die Ableitung von diesem türkischen Worte nicht 
so unwahrscheinlich, da derartige Benennungen bei den Türken nicht selten 
sind (vgl. Eltshi, Iltshi, »Gesandter«, Bei Oglu = Pera, eigentlich »Sohn 
des Beg«). 

Zwischen Tshadyr und Tshartshi liegt nach unserem Verfasser eine 
fruchtbare Hochebene, deren südlicher, sich dem Flusse nähernder Teil 
früher zum Gebiete von KhÜ-Li, deren nördlicher Teil aber, welcher 
dem Gebirge nahe lag, zu Wu-Lei (Ului bei Richthofen, China, I, 
S. 460ff; Ulei bei Ritter, V, S. 614) gehörte. Da hier die Mitte der West- 
Lande (Si-yü) war, wurde die Hauptstadt Tu-Hwo-Fu hier gegründet 
[60 v. Chr. durch Tshöng-Ki unter dem Hau-Kaiser Hiao-Sflan-Ti nach 
dem Kang Kien I Tshi Lu, wo indessen von einem Mo-Fu, einer »Lager-« 
oder > Zeltstadt«, die Rede ist, während das von ihm abhängige U-Lei 
eine »Stadt« (thshöng, auch »Stadtmauer« oder »Wall«) genannt ist, die 
über 2700 Ii vom Tang-Knan bei Sha-Tshou entfernt sei]. 

»170 Ii weiter ostwärts fliesst der Fluss an der Nordeite des Gutes 
Ku'r-lö vorbei.« Mit diesen Worten setzt der Verfasser den von ihm 
verfolgten Weg, aber nicht den Lauf des Tarim-Flusses fort, was ein hand- 
greifliches Verseheu ist, da hier der Hai-tu-Fluss, und zwar in ganz anderer 
Richtung fliesst. Dennoch lässt er sich auf eine Erklärung des Namens 
Ku'r-lö au dieser Stelle ein, und in der That scheint der Fehler in einer 
späteren Ausgabe verbessert zu sein, wenn Uspenski dieses nicht still- 
schweigend gethan hat, indem er der dem Werke beigegebenen Karte 
und der Ueberschrift des Abschnittes folgte, die allerdings sagt: »weiter 
östlich fliesst er (der Tarim-Fluss, wie Uspenski in dem Falle richtig er- 
gänzt) südlich von dem Landgute Ku'r-lö vorbei«. Der Name soll im 
Türkischen »hinschauen« bedeuten; dieses ist westtürkisch gör(mek), ost- 
türkisch kör(mäk), kür(rnäk), es wäre daher zu vermuten, dass es sich 
um eine Aussprache wie Körle handelte. (Zenker hat einmal auch koruu- 
raak, S. 771 des türk. Wörterbuches.) Es ist aber kein anderer Ort 
gemeint, als das bekannte Korla des Obersten Przewalski. Der Name 
soll nach unserem Verfasser daher kommen, dass die Gegend die Gestalt 
eines Balkon's hätte, von dem man eine Aussicht gen i essen könne; der 



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- 41 



Name laute auch Ku-lung-lö (Körükle, Köröngle, Körnmle?) 1 ) Das Gebiet 
tod Korla grenzt östlich an die Stadt Xarashar, westlich an Yugur, im 
Südosten sind es über 500 Ii bis zum Lob-Noor, im Norden 200 Ii bis 
zum Dolo- Joche. Yugur (Yü-ku'r) grenzt westlich an Kutshe, östlich 
an Korla, südlich sind es 240 Ii bis zum Tarim-Flusse , nördlich 70 Ii 
bis zum Ai-Kumushi-Gebirge (nach der Anmerkung ist ku-mu-shi im 
Türkischen »Silber«; im Westtürkischen ist dieses gümüsh, im Ost- 
türkischen nach Shaw kumush, ai ist »Mond«, ai-kumushi ist daher 
»Mondsilber«, man hätte sich darnach einen Namen wie Ai-kuniushi'-tagbl 
zu denken). Alle diese Ortschaften standen unter Hakim-Beg's dritten 
Ranges, aber unter einem Oberen. 1767 wurden über 600 Familien 
von Korla nach ;Gadshama versetzt, ihr Beg blieb aber in Korla, von 
wo ans er beide Landgüter (tshuang, obgleich es sich doch im Falle 
Korla's nm eine Stadt handelt) verwaltete, die zum Gebiete von Xarashar 
gehörten. Das Land ist fruchtbar. In der Erzählung von Suleimao, die 
(in der amtlichen Reichsgeschichte) der von Emin Xodzha angefügt ist, 
heisst es, dasa im Jahre 1760 Muslims aller Stände von Suleiman aus 
Xarashar nach Yugur und Korla geschafft wurden, wo Felder und Wasser 
zur Bewässerung zugemessen wurden. Diejenigen, welche Bich ansiedeln 
wollten, mussten sich in der Nähe der beiden Güter halten. An den 
gleichmässigen Aeckern, bunten Hügeln, grünem Lauch u. s. w. kam der 
Verfasser gegen Sommersanfang vorüber. In dieser feuchten Jahreszeit 
antworteten sich ans dem Weizen die Rufe der Fasane (thien-tshi- 
» Himmels* Fasan«), die Bitterbohnen blühten u. s. w. 

Der Xaidu-Fluss. 

»Der Xaidu-Fluss mündet von Norden«, diesen Satz gebrauchte der 
Verfasser als Ueberschrift eines neuen Abschuittes. »Der Xaidu-Fluss ist 
ein Gewässer des Gebietes von Xarashar«, mit diesen Worten leitet der 
Verfasser einige Bemerkungen ein, die sich auf die Geschichte dieses 
Gebietes beziehn. Xarashar war nach ihm unter den Han das Gebiet 
der beiden Länder Yen-K hi und Wei-Sü und gehörte später türkischen 
Stämmen. Ueber die Ureinwohner ist noch vieles nnsicher; A-ki-ni, mit 
welchem Lande des Si-yü-ki beginnt, war nach Vivien de Saint-Martin 
(s. 8. 264 f. des im Anhang zu Julien 's Uebersetznng des Si-yü-ki 
herausgegebenen Memoire Analytique sur la carte de TAsie centrale et 
de linde construite d'apres le Si-Yu-Ki) dasselbe Land, und er warf die 
Frage auf, ob hier eine Abänderung des sonst ziemlich allgemein für die 

•) Ritter war erat zweifelhaft, ob „Kurli", („Kurla") und „Kurungli" denselben 
Ort bezeichneten, gelangte aber mit dem Fortschreiten seine» Werkes zu immer grosserer 
Gewisebeit (s. Asien, V, S. 330, S. 444; Grigorieff, Anmerkung XL11). 



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- 42 — 



Gegend vorkommenden Namens Yen-Ki vorliege (letzterer erinnert bei- 
läufig an das türkische yengi »neu«). Der Wallfahrer Höan-Tshuang 
sagt von der in Akini gebrauchlichen Schrift, dieselbe sei aus 
Indien geholt mit wenigen Znthaten und Auslassungen, was 
auch auf die etwa zur selben Zeit in Tibet eingeführte tibetische Schrift 
passt. Es möge hier jedoch über Xarasbar und Yen-Khi eine Berichtigung 
GrigoriefFs zu Ritters »Asien« erwähnt werden. Ritter sagt nämlich S. 445 
des 5. Bandes seines »Asiens«: »Jenes Kharaschar', von dem oben im 
Lande der einstigen Uiguren die Rede war, ist, nach einer Stelle 
der chinesischen Reichsgeographie vom Jahre 1790, die Klaproth M ) 
citirt hat (** J. Klaproth, Observations critiques sur les Recherches 
etc. in Mem. relatifs ä l'Asie. T. II, 1826, p. 846), eine alte 
Capitale der Uiguren gewesen, welche Yankhi hiess.« Dazu sagt 
Grigorieff, Anm. CCCLXXXI: »Dass der heutige Kreis Xarasbar 
mehr oder weniger zusammenfallt mit den Grenzen des Landes, welches 
bestandig seit den Zeiten des Herrscherhauses der Han bis zu deneu 
der Thang einschliesslich, oder vom 1. Jahrhundert vor Christus bis zum 
10. nach Christus bei den Chinesen Yan-tei genannt wurde« (die russische 
Umschrift stützt sich auf die neuere Aussprache), »daran ist kein Zweifel; 
aber dass die chinesische Reichsgeographie, d. h. das Dai-Tsing-i-tun-Öfci« 
(Ta-Thsing-i-thung-tshi), gesagt hätte, die Stadt Xarashar selber sei 
Yan-tsi genannt worden und habe den Uiguren als Hauptstadt 
gedient, das kann nicht so sein: das äussert Klaproth irrtümlich 
als eigene Behauptung (ot swojego litsa), Ritter aber, indem er 
Klaproth 's Irrtum wiederholte, schrieb denselben zum Ueberfluss noch 
den Chinesen zu.« Uebrigens wird in der Geschichte der früheren Han 
eine Stadt Yüan-Kü als Herrschersitz in Yen-Khi genannt (s. Bitschurin, 
Sobranie swjedjenii und Grigorieff in den Ergänzungen zu Ritter's Asien 
S. 31). Die Lage »in der Nähe eines fischreichen Sees« und die auf 
der Karte verzeichneten Trümmer einer alten Stadt zwischen dem oberen 
und dem unteren Xaidu-Flusse könnten allerdings im Allgemeinen für 
die Oertlichkeit sprechen, als deren Entfernungen angegeben sind: 7300 Ii 
von Thshang-an, 400 Ii S. W. bis zum Sitze des Statthalters (Tu-Hwo-Fn), 
100 Ii S. Yü-Li, im Norden Wu-Sun (Usun, s. Grigorieff a. a. O,). — 
Zur Zeit der Dsungaren schied nach unserem Verfasser der »kleine 
Tsö-Ling« (Dzeren) Dundobu westlich vom Xaidu-Flusse die beiden 
Stämme (otok) der Shala (Shara, Shira »Gelben«?) und Maghos (»die 
Schlechten«?) ab. Nach einer Anraerkuug gab es 24 solcher otok der 
Dsungaren. Die genannten Stämme eigneten sich aber auch das Gebiet 
von Korla an (auf dem linken Ufer des Flusses), und Setik, der Sohn 
des Tokto Kietti Abdullah, Beg's von Korla, begab sich mit dem ihm 



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- 48 - 



untergebenen Mahmud Tordai nach Turfan. Alles dieses ist dem Berichte 
des Oberfeldherrn von Ning-Yüan, Yo-Tshung-Ki, vom 9. Jahre Yung- 
Tshing (1731) eingefügt, der besagt, der türkische Ueberlänfer aus dem 
Lager der Aufständischen (tsei »Diebe«) Lan-Shüng-Tshi habe mitgeteilt, 
dass Leute aus dem Hause des Galdan Dzeren und aus dem von ihm 
befehligten Stamme nach Xarashar geschickt seien, dort zu wohnen, 
welches also selbstredend zum Dsnngaren-Gebiete gehöre. Im 10. Monat 
des 22. Jahres Khien-Lung (1757), als der Unterstaatssecretär (shi-lang) 
des Schatzamtes (hn-pu), Herzog A-li-khnn, die Shara und die Magnus 
ausrottete, entwichen die Aufstandischen nach Kutshe zu, fällten Bäume, 
zündeten Feuer an und versperrten die Wege durch das Gebirge. Als 
darauf der mittlere Weg genommen und die Berge durchsucht wurden, 
gelangte man auf einem Seitenwege nach Tabun-Shong/or-namgha 
(Tha-pön-shun-ho'r-na-mn-ka, mongolisch »Fünf- Falken-Sumpf«?), wo man 
ihrer eine Anzahl von mehr als 200 Mann gefangen nahm. Im Jahre 1759 
wurde ein Landesverweser (pan-shi) angestellt neben einer Besatzung von 
295 Reitern und 302 anzusiedelnden (thun-thien) Soldaten vom grünen 
Banner von Shän-Si und Kan-Su. Als deren West-Grenze wurde das 
nördlich von Kutshe (!!) belegene Xan-Tengri-Gebirge bestimmt. Ueber 
100 Ii östlich vom Gebirge (also dem kurz vorhergegangenen Xan-Tengri- 
shan, da auf dieses shan gleich folgt shan tung »vom Gebirge östlich«) 
ist nach unserem Verfasser eine Gegend Namens Alar, wo über hundert 
lebeudige Quellen sich vereinigen nnd, ostwärts fliessend, den grossen 
Yulduz-Fluss bilden. Alar ist eine so genaue Wiedergabe des mongo- 
lischen aral »Insel«, wie man es von chinesischen Büchern über Erdkunde 
nur erwarten kann; dass yulduz »Stern« bedeutet, ist bekannt, das west- 
turkische Wort ist ildiz, yYldiz, osttürkisch ist nach Zenker yoldyz, 
nach Shaw yüldüz. »Aral« mag sich wohl auf die von fast allen Seiten 
von Wasser umgebene Lage beziehen (die chinesischen Karten lassen den 
grossen Yüldüz ein gewaltiges Werder von über 400 Ii Länge bilden); 
den Vergleich mit »Sternen« sah Przewalski, der den kleinen Yulduz. 
bereiste, in der hohen Lage und den vorzüglichen Weiden, unser Verfasser 
in den Quellen (wobei er augenscheinlich an den ganzen Sternenhimmel 
und die grosse Anzahl der Quellen dachte, deren Wasser von allen Seiten 
hervorleuchtet). Die Lage der Quelle des grossen Yüldüz-Flusses soll 
sein: 42° 45' N. B., 34° 30' W. L. von Peking. Die Gegend war der 
Weideplatz des Dzhoriktu 1 ) Xan der Turghuten. Eine Anmerkung belehrt 

') dzhorik, zorik „Vorsatz, Wille, Mut," zoriktu „mutig". Ueber daa neuere 
Schicksal der turghutischen Bcvölkeruug de» Yüldüz sagt F'rzewalski, dass die vor 
11 Jahren dort ungefähr 10 000 „Kibitken* zählenden Turguten, von den Duuganen 
ausgeplündert, teils in die Umgegend von Xarashar, teils an den Iii gezogen seien. — 



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ans, da« diese den dritten Stamm unter den vier Wei-la-thÖ (Oirat, 
Kalmücken, Ölet) bilden. [Letztere- waren die Xoshot, die Denn garen 
(dseün-ghar linke Hand, was bald den Norden, bald den Osten bedeutet), 
die Dürbet (Turbot, Dnrbot; aacb, nach Uspenski, Dshoros genannt) 
und die Turghut.] Nach Uspenski's »Strana Kuke-Nor ili Tsing-Xai a pri- 
bawleniem kratkoi istorii Oiratow i Mongolow« (Zapiski . . . . po ot- 
djeleniju etnografii, St. Petersburg 1880), wurden die Turghuten zur Zeit 
ihrer Auawanderung nach Russland in der Aufzählung der »vier Oiratc 
durch die Xoit ersetzt. Letztere gehörten erst zu den Turboten (als 
dereu Stammesan gehörige sie noch auf der Karte des I-thung-yü-thu 
nördlich von Kobdo erwähnt sind, während ihr südliches Banner süd- 
östlich vom Küke-Nur selbständig erscbeiut). Im 36. Jahre Khien-Lung 
(1771, im Jahre der Unterwerfung der Dsungaren) kehrte nach unserem 
Verfasser übashi, der Fürst (Xan) der »alten« Targhut mit dem Taidschi 
der » neuen c Turghut Sheleng von dem auf russischem Gebiete belegenen 
Edzil-Flusse zurück (Edzil = Etil =r Wolga, wie der Irtiach auch im 
Mongolischen Ertshish heisat). Der Name des ersten mit der Würde 
eines Xau's der »alten« Turghut belehnten Fürsten war Unaun Sudzhuktu. 
Die verbundenen Stämme bilden 10 dzhasak oder »Ver waltungen c in 
4 lu (chinesisch »Weg«), die ihren Namen nach den Himmelsgegenden 
führen. Zu dem hier in Betracht kommenden Nan-lu oder südlichen 
Kreise gehören die 4 Banner des Dzhoriktu Xan, des beisze Bayartu, 
des Herzogs (kuug) von Fu-Kwo (»Reiches-Hülfe), und das eines taiddhi 
ersten Ranges, welche alle ihre Weideplätze im grossen Yüldüz hatten. 
Die 3 Banner des Pei-lu oder nördlichen Kreises: nämlich das des 
Prinzen ersten Ranges (thsin-wang, eigentlich »Prinzen der Verwandt- 
schaft, d. h. Kaisers Brüder«) Buyantu, das eires taidshi erster Stufe 
mit dem Range eines Herzogs und das des Fu-Kwo-kung (s. oben), 
haben ihre Weideplätze am Xobok(- Flusse) und Sali (Sary-Gebirge) im 
Lande Tarbaghatai (nach dem I-thung-yü-thu Quelle des Xobok am 
Sa-li-shan etwa 47° 10' N. B., 30° 33' 20" W. L., die drei Banner der 
Turghut des Pei-Lu etwa 163 Ii südöstlich von da nach der Karte ge- 
messen, etwa 100 Ii nördlich von einem Weideplatze der Kasaken oder 
sogenannten Kirgisen). Die 2 Banner des Tong-lu oder östlichen Kreises: 
nämlich das des kün-wang oder Prinzen zweiten Ranges (eigentlich: 
Sohnes eines thsin-wang) Bishigbultn und das des beisze Itegel, haben 
ihren Weideplatz am Dzirghalang-Flusse, westlich von Kurkara-Ussu. 
Das eine Banner des Si-lu oder westlichen Kreises stand unter dem 
Beile von Dzirghalang und weidete am Tsing-ho oder »Krystall- Flusse« 
(einem Zuflüsse des See's Boro-Tala). Der Stifter des Stammes der 
»neuen« Turghuten war der »schwarze« Setkiltü. Der Stamm besteht 



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ans den 2 Bannern des kön-wang Biliktn vom linken und des beisze 
Utshalaltu vom rechteu Flügel nnd weidet am Altai-Gebirge in der Land- 
schaft Kobdo (nach dem I-thung-yü-thu genaner in der südlichsten 
Krümmung des Wu-lung-pn-ho oder Uljungur, eines Zuflusses des Kyzyl- 
Bash-Sees, ungefähr auf dem 46° N. B.). 

Der Verfasser verfolgt nun den Lauf des grossen Yüldüz-FIusses 
und sagt, dass der Fluss nach Osten fliesse, und dass der Törme-Xada- 
Bulak von Süden her in ihn münde. Nach der Anmerkung bedeutet 
törme (terme) im Dsungarischen das von den Mongolen von allen Seiten 
eingehüllte Holzgestell, welches auf Mongolisch /ana heisst (/ada ist 
»Felseu«, bulak »Quelle«); /ana bedeutet nach Schmidt's Wörterbuch: 
»Wand, Umzäunung, die Gatterwand einer Filzhütte«, das I-thung-yü-thu 
hat Thö-li-mu-/a-ta-shui. Weiter östlich mündet der Bulan-Bulak 
(»warme Quelle« im Dsungarischen nach der Anmerkung, vielleicht 
bülen, da es sonst böliyen im Ostmongolischen ist, wie auch das I-thung- 
yü-thu Pu-lien pu-la-kho = Büliyen- Bulak hat) von Süden. Weiter öst- 
lich vereinigt sich der fluss mit dem kleinen Yüldüz-Flusse. Letzterer 
entspringt nach unserem Verfasser nördlich von Altaninkesün 1 ) auf 
43° 10' N. B. und 31° 30' W. L., gegen die Petermann'sche Karte zu 
Przewalskis Reise über 26 Minuten zu weit nördlich und etwa 1° 17' zu 
weit westlich, während das I-thung-yü-thu beinah genau die richtige 
Lage hat. Die Gegend, wo die Quelle sich befindet, war nach dem 
Si-yü-shui-tao-ki der Weideplatz der Xoshot, wahrend das I-thung-yü-thu 
etwa 50 — 60 Ii geraden Abstandes stromabwärts von der Quelle erst die 
vier Banner der Turghut des Nan-Lu und von diesen wieder beinahe 
70 Ii weiter stromabwärts nach Westen erst die drei Banner der Xoshot 
anzeigt. Die letzteren sind nach der Anmerkung die vierte Abteilung 
der »vier Oirat« (Wei-la-thö 8. o.). Der Urahn war Ak-Sakaltai Noyan, 
ein Nachkomme eines Bordzhigit, welcher nach der Zeit der Mongolen- 
Herrschaft (über China) lebte, und von Ak-Sakaltai's Geschlecht weidete 
ein Teil an der Wolga, kehrte aber mit den Turghuten zurück. Mit 
der Herrschaft über den Stamm belehnt wurde Batu Setkiltu, und 
der verbündeten dzhasak waren vier, nämlich der des Tusietu Beile, der 
des Amurlingghoi Beisze, und die zwei eines taidshi ersten Ranges. Von 
diesen vier Bannern waren aber nur drei geblieben, seit im Jahre 1797 
(Kia-khing, 2. Jahr) mit dem Beile Tengteke dessen Geschlecht ausstarb. 

Der Kleine Yüldüz-Fluss fliesst nach dem Si-yü-shui-tao-ki aus zehn 
hervorsickernden Quellen als dünner Streifen nördlich am Olau-Passe 
vorbei nnd nimmt vier Zuflüsse von Norden auf. Weder die Karte des 

') Altan ingesün ula könnte etwa „Gebirge der goldenen Kamelstuten- »ein. 



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Si-yü-shui-tao-ki (die achte und letzte der je zwei Seiten umfassenden 
Karten am Schlüsse des zweiten Heftes, welche sich alle auf das Lob* 
Noor-Becken beziehn), noch die des I-thong-yü-thu geben dem Kleinen 
Yüldüz-FIusse südliche Zuflüsse, obwohl Przewalski deren eine ziemliche 
Anzahl überschritt; der Grund wird sein, dass das Gebirge ziemlich nahe 
ist und die Zuflüsse einen nur kurzen Lauf haben. Auf der Petermann'scheu 
Karte zu Przewalski's Reise folgen einander in der das grosse vom Kleinen 
Yüldüz-Thal treunenden Kette von Westen nach Osten die vier Joche 
(daban) Tshulule, Sermin, Yamatu und Gurban (mongolisch = »drei«?), 
und von den südlichen Zuflüssen trägt einer den Namen des Gebirges 
Yamatu. Auf der Karte des I-thung-yü-thu findet sich ungefähr an der 
entsprechenden Stelle ein Yamatu -Xabtsbil- Wasser (ha-pu-thshi-r = 
^abtsbil »Schlucht« , yaman Steinbock', yamatu das Eigenschaftswort 
davon), welches sich nach Süden in den nördlichen Arm des Grossen Yüldüz- 
Flusses ergiesst, darauf folgt weiter ostlich ein Wu-lan-ling-shui (= Ulan 
dabanu nssu »Wasser des roten Joches«), dessen Quelle neben der An- 
deutung von Bergen ganz nahe am Laufe des Kleinen Yüldüz-Flnsses 
angemerkt ist; ein Ulan-daban befindet sich auch nach dem I-thung-yü- 
thu westlich vom Na rat- Joche, und da das Si-yü-shui-tao-ki das Wort 
ulan sonst wie das I-thung-yü-thu durch Wu-lan wiederzugeben pflegt, 
könnte man auf Seiten des letzteren eine Verwechselung vermuten, und viel- 
leicht ist olan »viel« gemeint Andererseits ist wohl zu bezweifeln, ob das 
Si-yü-shui-tao-ki, welches das Elbek-Gebirge-und das Olan-Joch in einer 
ununterbrochenen Kette das Thal des Kleinen Yüldüz südlich einsäumen 
lässt, mit Recht die Quellen der nördlichen Zuflüsse des Grossen Yüldüz alle 
an eine zweite südlichere Kette versetzt, wogegen der Yamatu-daban und der 
gleichnamige Zufluss bei Przewalski, sowie der Yamatu-Xabtshil-Fluss des 
I-thung-yü-thu, das Wu-lan-ling-shui, das Ghurban-aokek- Wasser des 
letzteren (ghurban nukur des Si-yu-shui-tao-ki) und der Gurban-daban 
bei Przewalski zu sprechen scheinen. Die vier von Norden (bis zom 
Elbek-Gebirge) in den Kleinen Yüldüz-Flusa mündenden Zuflüsse sind von 
unserem Verfasser nicht namhaft gemacht, von den im I-thung-yü-thu 
angeführten Namen Ying-pu-la-tn shui (= mongolisch Eng bulatu ussu?), 
Pa-ha-pu-la-tu shui (bagha bulatu ussu), Tsha-ha-su-thai shui (Dzhaghasotai 
ussu), Ghurban kelte shui (Ghurbau kelteke ussu »Drei- Karauschen- 
Wasser« ?) findet sich bei Przewalski wieder der Name Sagasutai gol, sein 
Bagha Burghasutai oder »kleiner Weidenfluss« lässt auf einen Yeke 
ßurghasutai oder »grossen Weidenfluss« schliessen und scheint eben 
obiger Bagha Bulatu (bulaktu »Quellfluss« ?) zu sein. 

Weiter nach Westen fliesst der Kleine Yüldüz-Flnss nördlich vom 
Elbek-Gebirge oder -Berge (shau) vorüber, welcher Name, wie auch die 



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Anmerkung ihn ans dem Dsungarischen erklärt, »reichlich, überflüssige 
im Mongolischen bedeutet, sich also wohl auf die fruchtbare Gegend 
bezieht. Dort mündet von Norden der Uliyasutai oder »Weidenfluss«. 
Weiter nach Südwesten vereinigt sich der kleine mit dem Grossen Yüldüz- 
Flusse. (Nach dem I-thuug-yü-thu folgt auf deu Ghurban-Kelte-Fluss 
noch ein Komunaktu-ling shui.) An der Stelle der Mündung münden 
nach unserem Verfasser zwei Gewässer von Westen her, die an der Ost- 
seite des Wu-shi-kiak-Gebirges herfliessen (nach der Karte vereinigen sich 
dieselben schon weit oberhalb der Mündung in den Yüldüz-Fluss, im 
I-thung-yü-thu fehlt dieser Zufluss). 

Die Gegend der Mündung gilt dem Verfasser als genaue Mitte 
zwischen den Grenzen des Si-yü im Osten und Westen (?); nach Osten 
könne man nach dem A-la-kuei oder Ar/ui-Gebirge kommen (dessen 
Name nach der Anmerkung »gefährliche im Dsungarischen bedeute), im 
Westen grenze daran die Quelle des Kunges in Iii (der seinen türkischen 
Namen vom Schall eines Trittes haben soll). 

Vor Beilegung der Unruhen der Dsungaren ging man nach unserem 
Verfasser immer über den Yüldüz, um sich von Hami nach Iii zu begehen. 
Nach dem Si-thshui-ki-lio »Abriss einer Geschichte der Westraarken« 
heisst es im Tagebuche der Reise eines unter der Herrschaft Yung-Tshöng 
(1723 — 36) zu deu Dsungaren geschickten Gesandten (s. u.), er sei von 
Tsagan-Obotu*) 90 Ii weit nach dem Kleinen Yüldüz gegangen, wo er 
ebenen Weg und gutes Wasser und Gras gefunden habe, vom Kleinen 
Yüldüz nach dem grossen 80 Ii weit auch bei ebenem Weg und vor- 
trefflichem Wasser und Grase. In beiden Yüldüz ist es nach unserem 
Verfasser im Winter und im Sommer angenehm; nur im Frühjahr fliegt 
noch Schnee und Regen und ballt sich, wenn kein Wind weht, zusammen. 
Zwei Wege sollen aus dem Yüldüz-Thale führen, ein Richteweg vom 
Grossen Yüldüz nach 60 Ii nach der Schlucht des Otun-Khur-Gebirges 
und von da nach 50 Ii über den Otun-Khur-Ling, der ebene Weg aber 
vom Grossen Yüldüz nach Süd- Westen (lies: Nord-Osten) über das Joch 
des Unaghan-daghan oder die Quelle des Kunges-Flnssee. Die Anmerkung 
zu Otun-Khur besagt, dass otun (= odon) auf mongolisch »Stern«*), 
khur auf Dsungarisch »Schneehaufen« bedeute (odon »Stern«, küre 
»Hänfen« bei Schmidt, mongol. Wörterbuch?). Unaghan bedeutet »Füllen«, 
dagha ein »zweijähriges Füllen«, das n der Kndung wird oft im Mon- 
golischen willkürlich weggelassen; Unaghan-daghanu Daban wäre also 
ein »Füllen-Joch«, welches übrigens nicht zu verwechseln ist mit dem 
weiter westlich gelegenen Unughut- Daban. Nach dem 4. Hefte (S. 8b) des 

") tsaghan „weiss", obo „Steinhaufen" nach der Anmerkung. 
') Vgl. YUMflz. 



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Si-yü-shui-tao-ki, welches von Iii handelt, entspringt der Kunges auf 
43° 31' N. B., 32° 58' W. L. (etwa 2 Grade au weit westlich?) am West- 
abhange des an der Nordwest-Grenze des Gebietes von Xarashar befindlichen 
Odon-Kür-Joches. Am Ustabhange desselben ist eine warme Quelle, die 
in Stein gefasst ist, welche Arbeit man den Dsnngaren zuschreibt. Das 
oben erwähnte »Tagebuch • einer Gesandtschaftsreise zu den Dsnngaren« 
(Shi chön Tshung ka'r hing thshong ki) sagt: »Von der Thalmundung 
des A-la-kuei-Gebirges bis zur Quelle des Knnges sind 9 Tagereisen. Man 
geht Ton der genannten Thalmündung 470 Ii nach Westen und gelangt 
nach dem Grossen (?) Yüldüz, dann nach 60 Ii bis zar Thalmündung des 
Odon-Kür. Am 20. Tage des ersten Monats brach man von der östlichen 
Schlucht des Odon-Kür-Gebirges auf, überschritt das gleichnamige Joch 
und kam nach 50 Ii in die Schlucht der Westseite. Auf beiden Ufern 
war dichter Kiefern- Wald , in dessen Mitte das Gewässer floss .... es 
regnete und schneite, sodass es am schlüpfrigen Abhänge schwer zu 
gehen war. Am 21. ging man am Kunges abwärts in der Felsenschlucht 
60 Ii .... am 22. übernachtete man nach 80 Ii Weges in der west- 
lichen Thalmündung des O-tun-khur-shan, am 24. nach 60 Ii Weges am 
Kunges, welcher nach über 100 Ii aus dem O-tun-khur-Gebirge hinaustritt 
(4. Heft, S. 8b). 

Im Ho-shi-thÖ-tsung-thshuan (der allgemeinen Erzählung von den 
Xoshot) heisst es, dass Norbudundok am Eriyen-Xabirgha weide (nach 
der Anmerkung bedeutet Clin im Dsungarischen »bunt«, ha-pi-Y-ka aber 
»Seitenrippe«, nach Schmidt ist eriyen im Mongolischen »bunt«, /abirgha 
»Seite«, »Berglehne«, /abisun »Rippen«; im Burjatischen bedeutet nach 
Gastren /aberga »Rippe«, in einer andern Mundart auch »Seite«; ich 
umschreibe also: Eriyen-Xabirgha). Dem höchsten Teile des Gebirges 
wurden während des Dsungareu-Krieges im kaiserlichen Auftrage Opfer 
dargebracht. Die Anmerkung spricht von diesen Opfern und dem 
Amursana, der in diesem Gebirge seine Zuflucht gesucht hatte; am 
Schlüsse der Anmerkung aber heisst es vom Bogda, vom Xatun-Bogda 
und vom Eriyen-Xabirgha-Gebirge, wie folgt: >800 Ii westlich vom 
Bogda-Shan, 100 Ii westlich vom Xatun-Bogda-Shan ist der Bogda-Shan 
erhaben wie des Menschen Haupt, der Eriyen-Xabirgha befindet sich 
rechts und links von seinem Oberhaupte, wie Seitenrippen. Da der 
höchste Gipfel des Thien-Sban der Bogda 1 ) ist, so kann man alle Berge, 

') Mongolisch: Bogda .heilig", Bogda-edzben (göttlicher Herr) „der Kaiser", ^atun 
«Königin, vornehme Frau". — In der chinesischen Umschrift ist Bogda = Po-k*e-ta im 
Si-yü-shui-tao-ki und Huang-Thshao I-thnng-vu-ti-tbsfian-tbu ; ebenso, oder auch Pn-k 4 e-ta 
im I-tbung-yü-thu. Ritter'* Pu-khi-tha-p.m in Urnmtsi ist wohl nichts weiter als Bogda- 
dabao, s. Grigorieff. Anm. CDI. 



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die rechts und links davon liegen, Eriyen-Xabirgha nennen. Die Oertlich- 
keit, wo den jetzigen Meldungen nach die Opfer dargebracht werden, 
ist sicherlich das 100 Ii westlich vom Xatun-Bogda liegende Gebirge.« 
Für das o in Bogdo, wie statt Bogda aof unseren Karten wohl gebräuch- 
lich ist, zeugen, soweit ich augenblicklich sehe, das Bogdo der Tungusen, 
die diesen den Kaiser bezeichnenden Ausdruck auf das Land China 1 ) 
übertragen haben (s. Gastren, tungusische Sprachlehre S. 95) und 
boghdo »mutig, kühn« im Jakutischen, wenn dieses aus dem Mongolischen 
stammen sollte (s. Böhtlingk, über die Sprache der Jakuten, S. 134 des 
Wörterbuches). Augenscheinlich hat aber das Eriyen-Xabirgha-Gebirge 
zwei sogenannte Schultern (mongolisch mürü); denn im I-thung-yü-thu, 
• wo das ganze Gebirge Thöng-ke-li-shan (= Tengri taghi oder Tegri- 
yin ula?) »Hinimelsgebirge« (chinesisch Thien-Shan) genannt ist, finde 
ich angemerkt: 

1. den Bogda-Shan 26-27° W. L., 43° 30'-48° 50' N. B. (üramtschi 
etwa 27° 20' W. L. und 43° 61' N. B.), 

2. den Xatun-Bogda-Shan 43° N. B., 29° 30' W. L. (an der Quelle 
des Barghatai-Xabdzhighai), 

3. den Eriyen-Xabirghan-Mulu (= mürü!) etwa 43° 34' N. B., 30° . 
W. L., — ferner unter demselben Namen 48° N. B., 28° . .' 
W. L. Etwa gerade die Mitte zwischen beiden ist bezeichnet 
Tengnurtai. 

(Hier findet sich eine lange Anmerkung über die am Eriyen-Xabirgha 
su bringenden Opfer, über Amursana und den eben beendeten Söngaren- 
Krieg.) 

»Die beiden Flüsse fli essen von dem Bache des Xarghatu-Berges an 
Ubomu vorüber, zehntausend Rinnsale fliessen um die Wette, hundert 
Bergströme brechen hervor und vereinigen sich, sie stürzen und springen 
dahin, sodass die gepeitschten Wogen wie der (Huang-)Ho sind, der am 
Ti-Tshu (Schleifsteinsäule in Ho-Nan) - vorbeifliesst, oder wie der (Ta-) 
Kiang, wo er aus den gefahrlichen Schluchten des Wu-Shan tritt.« 

Nachdem der Fluss nach Südosten geflossen ist, mündet nach dem 
Si-yü-shui-tao-ki der Urtu-Bulak (mongolisch »die lange Quelle«) von 
Norden, worauf der Fluss sich in zwei Arme teilt, eineu nördlichen 
und einen sudlichen. Beide laufen nach Osten. Nur der erstere hat 
Zuflüsse, nämlich erst den Moghai-Shara-Bulak (nach der Anmerkung 
vom dsungarischen mo-hai »unfähig, unpassend,« und shara »gelb«, 

•) Nicht etwa umgekehrt vermöge einer Uebersetiung aus dem Chinesischen. In 
letzterem int Chioa Tsbung-Kwo .Reich der Mitte-. Tbien-Kwo „Himmelreich" ge- 
brauchten die sogenannten Thaipings erst, deren Name von dem Ausdrucke Thai- Thing 
.grosser Friede" stammte, mit dem ihr Kaiser seine Herrschaft beieichnete. 

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also Wasser, welches gelb and schmutzig and deshalb unbrauchbar zum 
Tranken des Viehes ist; magho^ai ist »hässlich« im Mongolischen, sbira 
oder shara »gelbe), dann den Shibartai-Bulak (»schmutziger Quell«), den 
Sailam-Bulak, den Ghurban-Nükün(ün)-Bu)ak (»Quelle der drei Genossene), 
das Tsaghan-Uasu (»Weisswasser«) und den Kün-Xabtshil(un)-Bulak (»die 
Quelle der tiefen Schlucht«). 

Nach dem I-thung-yu-thu mündet der Urtu-Bulak schon in den 
nördlichen Arm, dann folgen der Sabirtn-Bulak, der Kuo'r-ho-Bulak, der 
Tailiinu-Bulak, das Wasser des Yaraatu-Xabtsbil (s. o.), das Ulan-ling-shui 
(Ulan-daban(u)-ussu s. o.), das Wasser der Ghurban Ao-kek? (s. o.) und, 
wie oben, das Wasser des KOn-Xahtshil. — Aber auch der südliche Arm 
hat nach dem I-thung-yü-thu Zuflüsse, nämlich das Dzolot^o-ling-shui, 
das Yang-ho-shö'r-shui (chinesisch »Pappelfluss-Furt- Wasser«) das Hoknak- 
ling-shui 1 ), das Wei-si-mo-shui und das Wu-kok-ling-shui. 

Weiter nach Osten erreicht der Fluss nach dem Si-yü-shui-tao-ki 
die Nord-Seite des Dalan-Joches (mongolisch »dalan« 70, also wohl die 
»70 Joche«?), worauf sich beide Arme wieder vereinigen. 2 ) Im Jahre 654 
fand am Ying-So-Thshuan (thshuan »Thalstrom«) nach der Erzählung 
von den Türken in der Geschichte der Thang der Angriff von Seiten des 
vorderen Heeres unter Su-Ting-Fang statt, und nach der Erzählung von 
den Uiguren befände sich der Ying-So-Thshuan nordwestlich von Yen- 
Khi.*) Unser Verfasser wirft die Frage auf, ob das die Wüste (je) von 
Yen-Khi sei. Der Name des Dalan-Daban dagegen kommt in der Ge- 
schichte der Kämpfe der Mitte des vorigen Jahrhunderts vor. Im Jahre 
1757 nämlich, als der General-Major (tu-thung) Man-Fu die aufständischen 
Shara und Magnus bekämpfte und nach Xara/olo gekommen war, erblickte 
er auf seinem Wege durch das Gebirge einen dichten Wald und unten 
einen tiefen Bach. Man-Fu hatte schon Argwohn gefasst und eilig den 
Vortrab an sich gezogen, als plötzlich über 1000 Aufständische au9 dem 
Walde stürzten und die kaiserlichen Truppen abschuitten. Man-Fu 
schrie laut: »Schlagt die Diebe todt« (aha tsei)! Da fiel er getroffen in 
den Bach. Temütshi-Dundok-Xashigho von den Shara schickte Leute 
aus, welche über das Dalan-Joch gehen und die Brücke über den Xaidu- 
Flnss abbrechen mussten. Im Wasser watend, suchte der Hauptmann 
Ma-Sze am Flusse einen Weg, ohne einen finden zu können; denn es ist 
eine gefährliche Gegend, wo Wasser und Berge sich durcheinander 
winden! 

') Erinnert an den Kuknak-Ling nördlich von Tshadyr. 

*) Im lthung-yü-thu ist erst von Norden ein namenloser Zufluss, dann Tsaghao- 
üssu, dann ein Üalan-ling-shui. welches von einem nördlich gelegenen Dalan-Ling 
kommt! 

») Gebiet von Xarashar, a. o. 



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- 51 - 



So anschaulich diese Stelle ist (nur dass vielleicht Norden und 
Süden wieder verwechselt sind?), so dunkel und dennoch durch die Fülle 
von Ortsangaben wichtig ist die folgende, welche sich auf den Xabtshighai- 
Fluss bezieht. Es ist der Cbabzagai-Gol und der Balgantai-Gol 
der Petermann'schen Karte zu Przewalski's Reise. Letzterer stieg von 
dem Passe, der ihn aus dem Kleinen Yüldüz führte, in dem Thale des 
Xabtsaghai-FlusBes abwärts dem des Balgantai-gol zu, welches letztere er 
jedoch wieder Verliese, wo das Gebirge aufhört (wohl bei Xabtsaghai-(yin-) 
anggha, dem »Munde«, oder Eingange in das Thal, »des Xabtsaghai«). Mit 
dem Namen Xabtshighai wechselt Xabtshir auf den chinesischen Karten; 
uach dem mongolischen Wörterbuche aber ist /abtsaghai »Klippe, Klüfte«, 
/abtshi/u »einschrauben«, jabtehighor »Zauge«, /abtshil »Schlucht«. 
Das I-thung-yü-thu läset von einem Xabtshir-Ling (dem sich aber weiter 
links nach dem Ytildüz zu ein Thshur-Ling anschliesst) das Xabtshir-shui 
kommen, welches der Lage nach dem Przewalski'schen Xabtsaghai-Ghool 
entspricht, den Hauptfluas, Xabtshighai-ho, lässt das I-thnng-yü-thu aus 
dem K'uk'e Ha-pu-thsi-r shui (Küke Xabtshil(-un) üssu; küke, geschrieben 
k'uk'e, »blau« ?) und dem Bargbatai Xabtab.il Ussu (Pa'r ka thai ha pu thsi 
hai shui), welcher vom Xatun-Bogda-Daban kommt, entstehen, giebt ihm 
dem Saaak-Üssu als linken Nebenfluss und teilt bei Xabtshighai-Anggha 
den Fluss in zwei Arme, die beide dem K'ai-tu-Ho (Xaidu) zufliessen. 1 ) 
Die Karte des Si-yü-shui-tao-ki hingegen lässt den Ulan-Ussu südlich 
vom Xatun-Bogda-Daban am Xabtshighai-Berge entspringen, ohne Angabe 
der, wie wir unten sehen werden, im Buche selber aufgezählten drei 
Quellen. Ein Sasak-Fluss als linker Zufluss ist auch nicht erwähnt, 
wohl aber ein gewaltiger linker Zufluss, Namens Bortu-ho, der etwa die 
vierfache Länge des Ulan-Ussu oberhalb der Mündung zeigt, am Alakuei- 
Shan') nach Westen, dann nach Norden und Südwesten fliessen soll, eine 
Auffassung, die wohl auf der Nähe der Quelle des Algoi- und der öst- 
lichsten Quelle des Barghatai-Flusses beruht. Doch sehen wir, was der 
Verfaaser zur Begründung dieser Ansicht sagt: 

»Nachdem der Grosse und der Kleine Yüldüz sich vereinigt haben« (das 
heisst doch wohl entweder: »nachdem die beiden Arme des Grossen Yüldüz 

') Chinesisch shui «Wasser - , ho „Fluss" ; mongolisch ussu „Wasser", ghool „Fluss". 

•) Nach einer vom Verfasser des Si-yü-shui-tao-ki S. 19a des 2. Heftes gegebenen 
Ableitung bedeutet der Name A-la-kuei, der früher auch A'r-huei geschrieben wurde, 
soviel wie .gefährlich" im Dsungarischeu. Im mongolischen Wörterbuche kann ich nichts 
Entsprechenderes finden als alaghor „Vorsicht*, .behutsam," alak .bunt, scheckig", 
arghui .Sauerklee". Uspenski hat (S. 145 seiner Bearbeitung des 8i-yü-shui«tao-ki) 
A-la-kui (Ar^un). Man vergleiche auch die türkischen Ausdrücke arku, arkuri „<|tier", 
argidal „Vorberge". — Durch Regel's Reise vom Jahre 1979 ist der Name Algoi fest- 
gestellt für einen unter etwa 43° N B, 87° Üe. L. von Gr. am gleichnamigen Joche 
entspringenden Fluss, der sich bei Toksun in einen Salzsee ergiesst. 

4* 



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— 52 



sich vereinigt haben,« was freilich eine müssige Wiederholung wäre, oder: 
»nachdem die Wege des Grossen und des Kleinen Ynldüz sich vereinigt 
haben,« was wohl bei Xaramoto der Fall sein wird, wo Przewalski in 
das Xaidu-Thal kam), »fliesst (der Fluss) nach Südosten, wo der Ülan-Ussa 
ist, der, am Tbale des Bortu-Shan vorbeifliessend, nach südwärts gerichtetem 
Laufe mit dem Bortu-ho sich vereinigt. Der Bortu-ho nun entspringt 
südöstlich von dem Toksun-kiin-thai von Turfan, fliesst nach Norden, an 
der Nordseite der Feste (kün-thai) vorbei, macht eine Wendung nach 
Westen, fliesst nördlich an Ilarik vorbei und tritt weiter westlich in die 
Thalmündung des A-la-kuei sban. Im Tagebuche der Gesandtschafts-Reise 
zu den Dsungaren heisst es: »Am 9. Tage des ersten Monates (ging ich) 
von Ilarik ab; nach 140 Ii Aufenthalt in der Alakuei-Schlucht ist breiter 
Weg, es giebt dort Steingeröll; östlich ?on der Gegend Alakuei, beinahe 
dicht an derselben, ist ein kleiner Flussnamens Teke- Fluss, welcher 
dem südwestlichen Thale zufliesst. Innerhalb des Alakuei-Thales ist das 
Wasser des Flusses hell und durchsichtig, und die Bäume bilden Wälder. 
Nur Menschen gehen an den Abgründen der beiderseitigen Ufer auf und 
ab, für Kamele und Pferde ist es sehr beschwerlich. Am 10. Tage (war 
ich) noch im Alakuei-Thale, nach 60 Ii hielt ich an und überschritt sieben 
bis acht Mal den Fluss. Die Bäume waren dicht, die Pfade steil und 
eng. Am 11. Tage noch immer im Alakuei-Thale, nach 70 Ii Aufenthalt 
Gelehnt an die Thalmündung, steht eine aus Erde gebaute Stadt; in der 
zerfallenen Stadt waren noch Spuren von den steinernen Stufen, die in 
den Felsen gehauen waren, und an denen (kiai »alle« für kiai »Stufe«; 
vorher das gleichbedeutende töng), dem Berichte zufolge, der Bortu-ho 
vorüberfliessen sollte. Sein Gewässer fliesst westwärts und an der Thal- 
mündung des Bortu-shan vorbei, um sich mit dem ülan-üssu zu ver- 
einigen« (wo die angeführten Stellen aufhören, ist, wie so oft in 
chinesischen Büchern, unsicher). »Es giebt auch ein Xabdzhighai-shui, 
welches auf dem Xabdzhigbai-shan entspringt. In dem angeführten 
Tagebuche der Heise heisst es: Aus dem Alakuei-shan-khou gekommen« 
(khou = anga >Mund«; auch im I-tbung-yü-thu ist das Ar/ui-Anga 1 ) 
an einer dem »Reisetagebuche« etwa entsprechenden Stelle angegeben, der 
A r/u i- Fluss aber südlich davon und nördlich vom Alakuei-Shan als nach 
Osten fliessend 2 )), »gelangte ich nach 70 Ii nach Ghurban Dengnültei 
(Töngnultai soll im Dsungarischen ein Geflecht bedeuten, womit die Ufer- 

') Anga iat eigentlich ein Mandachuwort, wie auch bira .Fluss" gelegentlich auf 
Karten vorkommt, wo man einen anderen Ausdruck in der ortsüblichen Sprache er- 
warten sollte. Im Mongolischen ist sonst ang/a der .Anfang", angghayfu .sich öffnen, 
klaffen", aman .Mund, Tualmündung". 

') Der Algoi Fluss Regel's. Unser Verfasser hatte die Richtung raissrerstandeo. 



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dämme festgehalten werden, also etwa: »Drei Hörden«). Dort ist gutes 
Wasser and Gras, der ganze Umkreis gehört dem Dzeren Rabdan (dem 
ältesten Sohne des Sengge und sechzehnten Xan der Dzhoros) nnd wird 
von Dalai-Shiratu-Leuten bewohnt. Man überschreitet zwei Bergjoche, 
die, obwohl steinig, doch gangbar sind. Wenn man vor sich hin blickt, 
so hat man im Nordwesten drei Berge vor sich, welches die Ghurban- 
Xabtshighai-Berge sind (ghurban = 3). In den drei Thälern derselben 
fliessen Gewässer; von Dengnültei ans kommt man zuerst über den Steg 
des kleinen Xabtshighai-Berges, von wo es im Ganzen 60 Ii bis zum 
mittleren Xabtahighai-Berge sind. Oestlicb von diesem ist das Eriyen- 
Xabirgba-Gebirgec (statt tung »östlich« ist es nordöstlich. Anmerkung 
des chinesischen Herausgebers). »Vom mittleren Xabtshighai- Berge geht 
man ausserhalb am südlichen Thale des Xatun-Bogda-Berges vorüber« 
(im Dsungarischen ist /atun die Frau eines angesehenen Mannes; da der 
Bogda-Berg die höchste Spitze ist, nnd dieser Berg sein Gefahrte, so 
nannte man ihn so). 1 ) »Der Weg ist steinig, man kommt mehrmals über 
den Flus8. Im Tbale wohnen Leute, die zu den Shiratu-Lama's ge- 
hören. Im Ganzen sind es 70 Ii bis zum dritten Xabtshighai. Auch 
überschreitet man von dort den Obotu-Ling (Obotu-Daban), was im 
Ganzen 100 Ii beträgt und gelangt nach Obotu. Die Wege sind eben, 
Wasser und Gras schön. 3 ) Die in den sogenanuten »drei Thalern« fliessen- 
den Gewässer sind die drei Xabtshighai-ho und heissen Baron-Xabtshighai- 
Fluas (westlicher X.), Domda Xabtshighai-ho (dumda »Mitte«, dumdatu 
»mittlerer«) und Dzün-Xabtshigbai-ho (östlicher X.; dsegun, sön »links«, 
(östlich) oder (nördlich), vgl. Dsungaren, Söugaren). Ehemals ergossen sich 
alle in den Ulan-Ussu; heutzutage ist die Gewalt der Quellen schwach, 
nnd das aus den Thälern kommende Wasser bewässert kaum das kleine 
Nest Kodzhe. Von den Feldern der Mongolen sind keine, die in den 
Ulan-Ussu ausmünden.« 

»Der Ulan-Ussu fliesst nach seiner Vereinigung mit dem Yüldüz 
nach Südosteu und wird zum Xaidu-Flusse.« Hier ist in einer Anmerkung 
der Name Hai-tu dahin erklärt, dass er auf Türkisch »krumm« bedeute. 
Sollte dieses eine richtige Ableitung sein, so wäre die Schreibweise des 
I-thung-yü-thu: K 4 ai-tu wohl richtiger, obgleich sich. nicht gerade ein 
entsprechendes Wort kaidu in 'den Wörterbüchern findet; von kaimak 

') Es soll doch 100 ü weiter westlich noch ein Gipfel sein; sollte der nicht Xan- 
Bogda-Ula heissen? Zu Xan würde Xatun stimmen, wie .Kaiserin'' zu .Kaiser". Ver- 
gleiche übrigens den Namen Xan-Tengri .König Gott (Gbtterkönig)". Die obige An- 
merkung ist vom chinesischen Verfasser. 

*) Ende der aus dem Tagebucbe des Gesandten entnommenen Stelle? Die Be- 
schaffenheit von Wasser und Gras wiederholt sich zu oft in dem .Tagebuche", um eine 
solche Stelle einem anderen Verfasser zuzuweisen. 



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>sich biegen« wäre kaighan »sich gebogen habend« das entsprechende 
Wort, wenn kaidn nicht für kaidi »bog sich« steht; der Hauchlaut er- 
klärt sich aus der mongolischen Aassprache, wie in Xarashar. Uebrigens, 
wie der Verfasser weiter unten bemerkt, ist das Land zwischen dem 
Bagarash- und dem Lob-See schon in der Geschichte der Hau ho-khü 
»des Flusses Krümmung« genannt worden; und dann ist Hai-tu genau 
die Schreibweise für Kaidu, den Enkel des Gross-Khan's Ügetei, der 
Xubilai-Xan in diesen Gegenden so lange Widerstand leistete. 

Beinahe 100 Ii weit fliesst der Xaidu ruhig dahin, ohne Kiesel auf 
seidenweichem Bette. Weiter nach Südosten fliesst er 5 Ii weit vor dem 
West-Thor von Xarashar vorbei. Der Name dieser Stadt ist nach der 
Anmerkung türkisch und der Stadt wegen ihres altertümlichen, schwarzen 
Ansehens gegeben (also kara-shehr). Auf beiden Ufern standen Festen 
(kün-thai); auf dem Nord-Ufer war der Ho-pei-thai (»Fluss-Nord-Turm«), 
welcher unter Xarashar stand, auf dem Süd-Ufer der Ho-nan-tbai (»Fluss- 
Süd-Turm«), welcher Kutshe untergeben war. — Der Fluss ist 3 Ii breit 1 ), 
hat reines, ruhiges Wasser und ist zum Segeln geeignet Wegen der see- 
artigen Breite des Wassers giebt es ein Sprichwort, wonach es mit der 
Milchstrasse (thien-ho »Himmelsfluss«) zusammenhängen soll. (Das sagte 
man auch vom Huang-Ho.) 

Die Stadt Xarashar ist 1758 erbaut mit einer Stadtmauer von 13 Fuss 
Hohe und 2540 Fuss Umfang, mit einem West- und einem Ost-Thore. 
Gleich nach Gründung der Stadt berichtete der Unterstatthalter Yar/ashan, 
dieselbe sei am Verkehrswege von Kutshe und Aksu gelegen, neben dem 
Xaidu-Flusse, dessen Wasser nebst den Quellen hinreiche zur Bewässerung; 
er bitte demnach um Ansiedelung von Soldaten. Dieser Bericht war vom 
1. Monate des Jahres (1758); im fünften Monat schon meldete der mit 
der Besiedelnng betraute Unterstaatssecretär Yung-Kuei, das Land um 
Xarashar sei sehr breit, das Wasser vom Xaidu aber in grosser Fülle 
vorhanden. Nur müssten, da der Fluss selber bis in die Bewässerungs- 
Gräben trete, die Aasbesserungen und Eindämmungen sehr vermehrt 
werden, damit drei Ansiedelungen mit 6040 mu öffentlichen Landes er- 
richtet werden könnten, die 5952 tan, 1 ton, 7 shöng 1 ) Grundsteuer 
einbrächten. Im Jahre 1761 meldete der Landesverwalter Na-Shi-Thung, 
dass im 5. Monate der Fluss in Xarashar plötzlich drei Fuss gestiegen 

') Uspenski führt hierzu eine Bemerkung aus Hyakinth Bitscburin's Werke 
„Statistitsheskoje Opisanie Kitaiskoi Imperii* an, der zufolge die Breite des Flusses im 
Winter und Frühjahr nicht mehr als ein Ii, aber im Sommer und Herbst wegen der 
Regengüsse bis zu 4 Ii betragt. 

*) 1 mu = V« »cre englisch etwa nach Williams. 1 tan = 10 tou ™ 100 shöng 
= 11-12 gallous. Die thun-thien oder Ansiedelungen von Bannerleuten sind erblich, 
aber unveräusserlich, grundsteuerpflichtig, aber unbelastbar. 



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nnd bis unter die Stadtmauer gekommen w&re; er habe aber zusammen 
über 24000 Fuss lange Dämme aufwerfen lassen, und so sei die Gefahr 
gehoben. 

Der Fluss geht um die Stadt von Westen nach Süden zu herum, 
worauf er sich nach Nordosten wendet und 70 Ii weiter unterhalb an 
der Südseite der zweiten Ansiedelung, noch einige Mal zehn Ii an der 
Südseite der Ansiedelung (thun-thien) der Turghuten vorbeifliesst. Weiter 
östlich kommt er an der Südseite der Ansiedelung der Xoshot vorüber. 
Noch weiter östlich wird er zu einem grossen stehenden Gewässer namens 
Bostöng-Nur. 

Der Verfasser versucht hier seinen Scharfsinn wieder an dem schon 
öfter erwähnten Shui-King-tshu (»dem Lehrbuche der Gewässer mit Er- 
läuterungenc); zum Verständnisse seiner Auffassungen hat er aber leider 
nicht, wie auf einer der vorigen Karten, den vermuteten oder wirklichen 
früheren Lauf der Gewässer durch schwarze Zeichnung angedeutet. »Die 
Quellen des Tun-Hung«, heisst es im Shui-King, »sind beide aufgesucht 
and gefunden 1 ) wordene (es ist hier nämlich, erläutert unser Verfasser 
in der Anmerkung, der Tüldüz als westliche, der Ulan-Ussu als östliche 
Quelle betrachtet) ; »die westliche Quelle fliesst nach Osten und teilt sich 
in zwei Gewässer« (Anmerkung unseres Verfassers: »das heisst nach der 
Vereinigung des Grossen und des Kleinen Yüldüz«): »das im Südwesten 
fliessende tritt aus der Wüste von Yen-Khi, durch welche es westlich 
von Yen-Khi (s. o.) geflossen ist, hervor, macht eine Krümmung und er- 
giesat sich, nach Südosten fliessend, in die Wattenbänke (tshu) des Tun- 
Hung« (1. Anmerkung unseres Verfassers zu dem Ausdrucke „Südwesten": 
»Südwesten müsste in Südosten verändert werden; wenn es unten noch 
einmal heisst, „es mache eine Krümmung und .... nach Südosten", 
so scheint es, dass damit auf die Lage der Quelle des Kleinen Yüldüz 
hingedeutet ist«. 2. Anm. zu Tun-Hung: »Damals ergoss sich der 
Kleine Yüldüz selber in den Nur«). »Das rechte Gewässer fliesst nach 
Südosten und teilt sich wieder in zwei Arme« (Anmerkung unseres 
Verfassers: »das will sagen, das der Grosse Yüldüz sich wieder in zwei 
Arme teilt), »welche von rechts und links im Süden des Landes Yen-Khi 
sich wieder vereinigen und zusammen in die Bucht (p'u) des Tun-Hung 
münden« (Anmerkung: »Die Worte nan huei liang shui, „die im Süden sich 

') Ee ist das vielfach roissveretandene Wort tao. Da» gewöhnliche Wort tao be- 
deutet .Weg", und das Zeichen dafür ist ans einem Zeichen für „gehn" uud einem für 
.Haupt" zusammengesetzt. Für die Bedeutung: „führen, aufspüren" fügte man noch 
das Zeichen tbeun «Zoll" hinzu, wie um Vermessungen anzudeuten. Es versteht sich, 
dau hier von einer „Leitung" der Quellen so wenig die Rede sein kann, wie im Yü- 
Kung, wo dasselbe Wort gebraucht ist. 



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vereinigenden beiden Gewässer", wollen besagen, dass die beiden getrennten 
Arme desGrossen Yüldüz sich südlich vom Laude Yen-Khi wieder vereinigen«). 
»Die östliche Quelle flieset nach Sudosten und teilt sich in zwei Gewässer, 
welche beide, an der Ostseite von Yen-Khi vorbeifliessend, bis zum Westen 
des Landes Wei-Su gelangen, worauf sie wieder südöstlich fliessend in die 
Marsch (söu) Tun-Hung münden«. (Anmerkung: »Damals mundete der 
ülan-üssu selber in den Nur«.) 

»Mit den Ausdrücken tshu, p'u und söu ist jedes Mal dieser „Nur" 
bezeichnet«. — Tshu ist »Sandbank«, wenn nicht das nicht lange vorher ge- 
brauchte, wenig verschiedene tshu »Pfuhl, stehendes Wasser« gemeint ist. 
P'u ist die Nebenmündung eines kleineren Flusses innerhalb der Haupt- 
mündung (daher der Name des Huang-P'u, an dem Shanghai liegt). Söu 
ist ein Bruch oder Brühl, wie man sie zur Hegung von Wild gebrauchte. 

Die Länge des »Nur« betragt 240 Ii, die Breite 40 Ii, die Lage ist 
nach dem Si-yü-shui-tao-ki 42° 8' N. B. und 28° 30' bis 29° 59' W. L. — 
Der Verfasser selber sah den See, als er von der (am Wege nach Turfan 
belegenen) Feste Ushaktar (Ushaktal) nach Osten ging. Vor sich sah 
er die Thalmündung wie ein zweifaches Thor von Bäumen, das die 
sinkende Sonne einfaaste, die von dem »Meere« aufsteigenden, in der 
Ferne verschwimmenden Dünste hatten die Farbe des Himmels. 

An das westliche Ufer des Sees scbliesst sich eine alte Stadt; die 
Brustwehren (mit Schiessscharten) sind noch erhalten und haben über 
9 Ii Umfang; im Munde des Volkes heisst sie Sze-shi-li-thshöng »die Stadt 
der 40 Ii«, was aber die Entfernung von der Stadt bedeutet, wo (jetzt) 
die Besatzung liegt. Die Hauptstadt des Landes Yen-Khi der Geschichte 
der Hau war Yüan-Khü, das im Yüan-Hung-Ki 1 ) Ho-Nan-Thshöng 
(»Fluss-Süd-Stadt«) genannt wird. Nach dem Shui-King-tshu liegt die 
Stadt zwischen vier Wassern. Auf einem Werder, das der Fluss bildet, 
mögen wohl die Ueberbleibsel der Grundmauern von Yüan-Khü sich 
befinden. 

Als Kuo-Hiao-Kho zur Zeit der Thang Yen-Khi unterwarf, war die 
Stadt Yen-Khi auf allen Seiten von Wasser umgeben; wegen der Un- 
zugänglichkeit waren keine Vorsichts-Massregeln getroffen und (Kuo-) 
Hiao-Kho Hess Anführer und Krieger nach der sogenannten »Vier- Wasser- 
Mitte« (Sze-shui-tshi-tshung) hinüberschwimmen. — Unser Verfasser hielt 
es für gut, zur Erläuterung der Züge des Kuo-Hiao-Kho hier, gestützt 
auf seine Ortskenntnis oder andere Quellen, eine seiner Anmerkuugen 
hinzuzufügen, die einige für uns wichtige Angaben enthält 20 Ii west- 
lich vom heutigen Turfan (Kuang-An-Thshöng) in Ya'r-Hu war das alte 

>) Eine der Geschichten der späteren Han (25—220 n. Ohr.). Der Verfasser Yüan- 
Hung lebte unter den Tsin (265- 420 n. Chr.). 



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Kiao-ho-thshöng, das Si-Tshou der Thang, welches zur Zeit Tshön-Kuan 
(627— 650)unter An-Si-Tu-Hwo (Bezirksstadt) stand. 100 Ii südwestlich 
tod Ya'r-Hu ist Bughantai (Pn-kan-thai), 70 Ii weiter südwestlich Toksuntai, 
von da geht es erst nach Süden, dann nach Westen in die Berge und 
nach 100 Ii an den Bach des Subashi-Berges, 60 Ii weiter nach Süd- 
westen (wie es der Karte des I-thung-yü-thu und auch dem Zusammen- 
hange nach statt Südosten heissen muss) ist A/ar-Bulaktai. Weiter nach 
Süden und dann nach Westen durch grosse Berge gehend, kommt man 
nach 150 Ii nach Kümüsh. Da Kümüsh auf Türkisch »Silber« bedeutet, 
so nannten die Leute der Thang-Zeit das Gebirge >Silber-Gebirge« (Yin- 
Shan 1 ). Dieses ist der Yin-Shan, aus dem Kuo-Hiao-Kho mit seinen 
3000 Mann Reitern und Fussvolk hervorkam. 120 Ii weiter westlich ist 
der Ha-la-ho-sö'r-Thai (Kal'ai-kyzyl?), 180 Ii weiter westlich von diesem 
der Üshaktar-Thai (mit r, wie im I-thung-yti-thu). Heutzutage, sagt der 
Verfasser, sind es von hier 120 Ii weiter westlich bis Thö-poV-ku-Thai ; 
zur Zeit der Thang aber waren es von Ushaktar nur 100 Ii nach Süd- 
westen bis nach der Stadt Yüan-Khü .... Infolge dessen Hess Kaiser 
Thai-Tsung den (Kuo-) Hiao-Kho am 11. des 8. Monats aufbrechen, was 
am 20. sicher zur Folge haben sollte, dass Kü-li-tsho ihm folgte. Hiao- 
Kho kam am 3. Tage an den Yin-Shan (Silberberg)*). 

Das Süd-Ufer des »Nur« geht nach Osten zu in die Wüste hin- 
aus. Als Anfangs Yen-Khi dem Reiche der Mitte einverleibt wurde, 
wurde zu Ende der Herrschaft der Suei der Weg durch die Wüste (tsi 
»Stein wüste«) versperrt, und man reiste über Kao-Thshang; da aber zur 
Zeit der Thang Thu-Khi-Tshi, König von Yen-Khi, wieder den Wüsten- 
weg eröffnete, machte er sich die Kao-Thshang dadurch zu Feinden. 

Einige Mal zehn Ii nördlich vom »Nur« ist das Tsaghan-Tungko- 
Gebirge, welches nach unserem Verfasser seinen Namen von dem weissen 
Gewächse thnng-ko (chinesisch yü-thsao »Nephrit -Gras«) hat; nach 
Schmidt's Wörterbuche ist tung/oo »Meerrettig«, der aber im Chinesischen 
einen anderen Namen hat; tsagban ist »weiss«. Im Jahre 1757 meldete 
der Landes- Verwalter in Barkul (Pa-li-k'un), Herzog Alik'un, die Shara 
und Maghus hätten sich wieder empört und hätten von ihren Weiden am 
Tsaghan-Tungko aus über den Xaidu setzen wollen; da aber das Wasser 
zu reissend gewesen, wären sie über Kara-Xudzhn nach Ulan-Xotun ge- 
gangen, wo sie sich mit den Angidai vereinigt hätten. An der Thal- 

') Da der Verfasser hier deo gewöhnlichen Weg von Turfan nach Xarashar ver- 
folgt, so ist es wohl am Platze, hier als Halteplatz Kümüsh- A/aroa-Thai (A/ama = 
Ahmed? thai chinesisch „Befestigung"; besser ist wohl Kümflsh-Akma, wie es auch 
genannt zu werden scheint) 

*) 8. de Guignes. Hist. des Huns V, S. 607 f der Dahnert'scben Uebersetzung. Der 
Name Kü-li-teho erinnert an türk. kylydsh „Schwert-. 



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mttndung dieses Gebirges hatten die Sbara eine befestigte Wache 
geplündert, und der tu-thung Man-Fu hatte gemeldet, dass er am Alakuei 
Sparen der Aufständischen gefanden hätte, die in das Thal des Nan-Shan 
fahrten (des Sud-Gebirges, welchen Namen der Verfasser in der Anmerkung 
dahin erklärt, dass dieses vom Pei-Lu, dem »Nord- Wege«, aus gedacht 
sei), in das dem Tsaghan-Tangko gegenüber liegende, zum Nan-Shan 
gehörige Borotu-Gebirge (»dsungarisch 1 ) boro, dunkelfarbig«). In der 
Geschichte der Hau heisst es, dass im Nordosten von Yen-Khi ein grosses 
Gebirge liege, welches Yen-Khi-Shan oder Thien-Scban(»Himmels-Gebirge«) 
genannt werde. Eine grössere Anmerkung bemerkt hierzu Folgendes: 
„Die grossen Berge, 8 ) welche südlich von dem »Nordwege« (Pei-Lu) der 
„»neuen Grenze« (Sin-Kiang) liegen, kann man alle zusammen Thien-Shan*) 
„nennen. Wenn die Geschichte der Han, wie so oft, den Thien-Shan 
„erwähnt, so hebt sie aus der Zahl gewiss den Namen eines der Haupt- 
Gipfel hervor. ... Aus der Tsin-Zeit kann Yen-Shi-Ku nicht mit 
„Sicherheit den bestimmten Ort nachweisen. Die Abteilung für Erd- 
kunde in der Geschichte der Thang bezeugt auch mit ihrer mehr- 
deutigen Behandlung der Frage, dass die Erzählung von den Hiung- 
„Nu und die von den Westlanden in der Geschichte der Han unter 
„dem damals so genannten Thien-Shan den jetzigen Borotu-Shan verstehn. 
„Das Gebirge wird wegen seiner Lage nördlich von Yen-Khi auch Yen- 
„Khi-Sban genannt. In dem vom Thai-phing-yü-lan aus dem Si-ho-kiu-§i 
„(»der alten Geschichte vom West- Flusse«) angeführten Hunnenliede: »Ist 
„unser Khi-lien-shan verloren, gedeiht unser Vieh nicht; ist unser Yen-tshi- 
„shan dahin, fehlt die Lust an Weib und Töchtern« ist das Yen-tshi ver- 
tuscht mit Yen-kbi. Bei der gemeinschaftlichen Hervorhebung von Khi-lien 
„und Yen-khi ist gerade aus der Gegenseitigkeit der Ausdrücke die Bedeutung 
„zu ersehn, dass es ausserhalb des Khi-lien-shan keinen Yen-khi-shan weiter 
„geben soll. Der Umstand, dass die Mongolen den Himmel Thöng-ko-li 
„(tengri, tegri) nennen, weist darauf hin, dass der in den Westlanden be- 
findliche Thöng-ko-li Shan (Tegri [-yin] Ula, Tengri Taghi, letzteres 
„türkisch) der Thien-Shan ist. Der Haupt-Gipfel ist auch nicht der 
„Thien-Shan der Geschichte der Han". Genaueres soll stehn in des Ver- 
fassers »Neuen Erläuterungen zu dem Bericht über die WesÜande in der 
Geschichte der Han« (Han Shu Si Yü Thshuan pu tshu), nach welchem 
für Borotu (Po-lo-thu) auch stehen soll Bortu (Po'r-thu). [Die Anmerkung 
spricht weiter von den den Berggeistern zu bringenden Opfern.] 

») Mongolisch boro „grau"; - tu ist eine gewöhnliche, mit tai wechselnde Eigen- 
schaftswort-Endung, bei hochlautenden Stämmen -tfl, -tei. 

*> Ob ein solches Wort namentlich, wie »han, in der Einzahl (Berg, Gebirge als 
zusammenhangender Rücken), oder als Mehrzahl (Berge, Gebirge als Gesamtheit 
mehrerer Berge) zu fassen sei, ist meistens, wo nicht immer, schwer zu beurteilen. 



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- 59 - 

An der Seite des Sees (nao'r, nur) erzeugen sieb Salpeter und Salz, 
und da das Wasser wieder aus der Südwest-Ecke herausläuft, so sagt 
das Shui-King-tshu, das von dem Zuflüsse des Berg-Stromes (thshuan) sich 
in einem grossen Behälter ansammelnde Wasser schwelle an, fliesse über 
und bilde ein Meer. Nachdem der Fluss einige Mal zehn Ii nach Süd- 
westen geflossen ist, kommt er südlich vom Xaidu-Flusse vorbei, und 
nachdem er weitere 100 Ii nach Südwesten geflossen ist, macht er eine 
Wendung nach Süden und tritt in die Berge. Dann fliesst er wieder 
nach Süden und wendet sich nach Westen, wo er südlich von einer alten 
Kohlengrube vorbeikommt, die 1814 vom Landesverwalter (pan-shi) Yung- 
Kung-Kin eröffnet wurde. Etwas über eine halbe Ii weiter westlich fliesst 
der Fluss südlich von der Xalgha-Aman-Feste vorbei (mongolisch /algha, 
^alghan für /aghalgha »Thor«, aman »Mund, Thalmündung«) 1 ). »Nach 
meinen recht in der heissen Jahreszeit gemachten Aufzeichnungen erfüllen die 
von den dem Ufer des Thsao-Shui (»Graswasser's», eines dort einmündenden 
Baches?) aufliegenden Felswänden, den steilen Schluchten und Felsen- 
dämmen bald verschluckten, bald wieder ausgespieenen schrecklichen 
Wogen das Ohr mit ihrem betäubenden Tosen, das Auge mit ihrem 
blendenden Glänze, sodass einem im Herzen bangt.« 

Wenn der Bericht von den westlichen Zhung in der Geschichte der 
Tsin (Herrscherzeit 265 — 419 n. Chr., Zeit der Abfassung unter dem 
Thang- Kaiser Thai-Tsung 627 — 650) sagt, dass man zum zweiten Male 
in Yen-Khi am Thie-Mön (am »eisernen Thor«) im Thale Tshö-Lui nicht 
mehr als 50 Ii weit (von KorlaV) eine Niederlassung zu gründen versuchte, 
so ist dieses nach des Verfassers Meinung das dicht am Xaidu gelegene 
Tsho-Liu-Thal, welches man von dem 20 Ii nördlich von Korla gelegenen 
Ten-Khon (>der Felsen-Schlucht«) auf einem beschwerlichen über die Berge 
führenden Wege mit Ueberschreitung des Ta-Shi-Ling (»des grossen Stein- 
joches«) unterhalb desselben in einer Entfernung von 30 Ii erreicht. Da 
die Lage für die Verteidigung wichtig sei, so habe man wohl dort eine 
Thalsperre (kuan, eigentlich »Schluss«, Zollschranke, oder befestigtes Thor) 
errichtet. Es gebe ein Gedicht von Tson-Tsan aus der Zeit der Thang, 
welches eines Turmes (lou, auch Haus mit oberem Stockwerke) des 
Thie-Mön-Kuan , sowie des westlichen Einkehrhauses des Thie-Kuan er- 
wähne. Wenn man das Joch herabkomme, so seien es 10 Ii bis zum 
Xalgha-Aman-kün-thai (kün-thai »Heer-Schanze«, »Festung«). 

') Die Anmerkung des Verfassers sagt, im Dsungarischen bedeute /algba „Weg" (!?) 
und es werde gesagt, dass die Gegend eine Schlucht (shan-khou „Berg-Mund") bilde. — 
Der mongolische Name Kaigan (Xalghan) für die auf dem Wege von Peking nach Kiachta 
liegende Stadt Tshang-Kia-Khou hat auch diesen Ursprung, wie auch die Thore der 
grossen Mauer im Ganzen kbou „Mund" im Chinesischen genannt werden. Tshang kia 
ist das Haus (die Familie) Tschaug. 



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— 60 — 

Nach weiterem, westlichem Laufe von über 30 Ii tritt der Fluss aus 
dem Gebirge. Das Shui-King-tshu sagt, weiter nach Westen trete er aus 
dem Thie-kuan-ku (dem » Eisen-Thor-Thal t) der Sha-ehan (»Sandgebirges«). 

Nach weiterem südlichen Laufe von über 20 Ii fliesst der Flass 
zwischen dem »Gutec Korla und der Festung (kün-thai) hindurch. (Das 
Gut ist auf dem südlichen, die Feste auf dem nördlichen Ufer.) Weiter 
südwestlich dehnt er sich aas zu einem Schilfteiche, welches im Ganzen 
70 Ii sind, nach über 20 Ii fliesst er an der Südseite des Kara-Bulak- 
kün-thai vorbei, weiter westlich an der Südseite der Festung Tshör-thshü 
und weiter westlich von dieser, zusammen 300 Ii, wo man den Flass noch 
Xaida nennt. Darauf wendet er sich nach Süden, in welcher Richtung 
er nach dem Verfasser 300 Ii weiter fliesst. Das Shui-King sagt, das Ge- 
wässer mache eine Biegung und fliesse an der Westseite des Landes Khii- 
Li vorüber. Der Verfasser bezeugt die Gestaltung des Landes, meint aber, 
dass der Name Khü-Li verdreht sei aus Wei-Li (oder Yü-Li?). Der alte 
Lauf des Kuei-Tze-tang-thshuan (Ost-Flusses von Kutshe), auf dem er in 
den (Tarim-) Fluss gemundet hätte, sei östlich vom Lun-thai gewesen, und 
das Gewässer des Tun-Hung (Bagarash-Sees) dürfe nicht über Khü-Li 
hinausgehen (siehe des Verfassers Han Shu Si Yü Thshuan pu tshn). 
Gerade an der Biegung dreht sich die Strömung im Kreise. Die Gegend 
heisst in der Geschichte flo-Khü »Flusskrümmung«, wie z. 6. aus der 
vom Verfasser angeführten Stelle aus der Geschichte der Han (Erzählnng 
von Tshöng-Ki) erhellt, der zufolge Tshöng-Ki 50,000 Mann aus Khü-Li 
und Kuei-Tze ausschickte, welche am Tage ihrer Vereinigung des Fürsten 
(Kuang von Yeu-Khi?) 12,000 Mann vertrieben, worauf der »kleine 
Wang< (»Fürstc) mit 12 Leuten den Tshöng-Ki bis an die »Fluss- 
Krümmung« geleitete. 

Der Xaidu macht hierauf nach dem Verfasser nochmals eine Wendung, 
und zwar nach Osten, worauf er in den Tarim-Fluss mündet. 

»Weiter östlich mündet (letzterer) in den L b-Nur und verschwindet, 
um als Huang-Ho wieder hervorzukommen« (!). 

Der Tarim-Fluss fliesst östlich von Korla 200 Ii weit, um südlich 
von Xarashar vorbeizufliessen, dann weitere über 200 Ii nach Osten, um 
südlich vom Bostöng-Nur hinzulaufen, worauf er noch weiter östlich in 
den Lob-Nur mündet. Lob soll im Türkischen eine Gegend bedeuten, 
wo sich Gewässer vereinigen (?)'). 

') Nach Zenkers Wörterboche ist lop »Krümchen". Vergleiche übrigens auch das 
mongolische lab^u .eine kotige Stelle" (Schmidt, mongolisches Wörterbuch S. 224). 
ein Wort, dessen letzte Silbe von den Chinesen als hu .See" hätte aufgefaasl werden 
können (?), ferner das unten erwähnte loo „Drache". 



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- 61 - 



Nach dem Thu-lu-fon Huei-pu-thshuan (dem 9 Berichte von den 
Tarkenstämmen Turfaus«) grenzt der Lob-Nur an Turfan und ist ein 
grosser Sumpfsee (tsö), in den die über 60 Gewässer der Gebiete von 
Yarkand und Kashgar zusammenströmen. 

Nach der Beschreibung der Erde in der Geschichte der Han befindet 
sich ausserhalb des Tshöng-Si-Kuan (des »gerade westlichen Grenz-Thores«) 
von Tun-Huang 1 ) das Meer (hai) von P'u-Thshang. Nach dem Berichte 
von den Westlanden (Si-yü-thshuan) heisst das P'u-Thshang-Hai auch 
Yen-Tsö (»Salz-Sumpf«)*). 

Nach dem Shan-Hai-King sieht man vom Pu-Tshou-Tshi-Shan (vom 
»nicht umringenden Gebirge«, 8. o.) nach Norden, wie alle angrenzenden 
Berge sich dem heiligen Berge yo (sonst 5 heiligen Berge Chinas) nähern, 
um ihn zu ehren, nach Osten den Yao-Tsö, wo die Gewässer des (Huang-) 
Ho verschwinden. . . . Nach dem Shui-King-tshu sammeln sich die 
Gewässer des Yao-Tsö im Nordosten von Shan-Shan, im Südwesten 
von Lung-Thshöng (»Drachen-Stadt«), einem der grossen Länder des 
Hü-Hu des alten Kiang-Lai'). Wegen dieses Yao-Tso verlohnt es sich 
wohl, sich Rates zu erholen im grossen K 4 ang-Hi- Wörterbuche. Das 
betreffende Zeichen besteht aus shui »Wasser« als Begriff und yu »jung« 
als Lautzeichen. Nach der einen Quelle bedeutet das Wort >achwarze 
Färbung des Wassers«, nach einer anderen die »glänzende, glatte Farbe 
der Töpferware« (ein ähnliches Zeichen mit derselben Aussprache [yao] 
könnte auch die »entfernte, verborgene« Lage bezeichnen). Der Eigen- 
name Yao-Tsö findet sich im besagten Wörterbuche erklärt nach dem 
Shuo-Wön: »ein Sumpf (tsö) unterhalb des K'un-Lun-Shan«, ferner nach 
dem Shui-King: »das Wasser des Ho mündet östlich in den Yao-Tsö« 
(Erklärung [tshn]: »d. h. den sogenannten Fu-Thshang«). 

»Das P'n-Thshang-Meer strömte über seine Ufer und verheerte das 
Land, die »Grnndmauern der Stadt sind noch vorhanden. Im 
Zeiträume Tshi-Ta (1308—1311) wurde das am Morgen am West-Thor 
zuerst auftretende, am Abend durch das Ostthor entgegenfliessende und 
das über die Ufer fliessende Wasser durch den Wind gleichsam zu der 
Gestalt eines Drachen zusammengeweht; (teils deshalb uud dann auch) 
weil sie westwärts nach dem »Meere« gerichtet war, hiess die Stadt 
Lung-Thshöng (»Drachen-Stadt«). [Der Drache ist dem Chinesen ein Sinn- 
bild des Sturmes (auch wohl der Erdbeben und ihrer Wirkungen?), Lung- 

') Könnte auch heissen: gerade westlich von Tun-Huang ausserhalb des „kuan". 

') Anmerkung: „Nach dem Ta-wau (oder Ta-yQan)-thshuan des Shi-ki kommt man 
im Westen nach dem Yen-shuei (.Salzwasser"), welches immer stille steht; da? ist der 
Yen-Tsö, welcher auch Yen-shuei heisst. 

») Ein Ton den alten Klang abhängiges grosses Reich des leeren Hu. (Hu Name 
▼on Inner-Asien.) 



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- 62 — 



Wang, der »Drachenkönig«, ist der Meeresgott. Im ersten Jahre Tshi- 
Ta (1308), im 6. Monat war ein grosses Erdbeben in Lung-Si, dem nach- 
maligen Lin-Tao, in Shän-Si (nördlich vom jetzigen Ti-Tao in Kan-Su) 
und in Yon-Nan, im 8. Monat wieder in Kung-Tshang in Kan-Su. 
Wegen der Lage der Stadt ist allenfalls noch hinzuzufügen, dass sie auf 
der Ostseite, also auf der Drachen-Seite, des Sees lag, da nach chinesischer 
Anschauung die sieben östlichen Mondbäuser nnter dem Drachen stehen').] 
»Das Land ist 1000 Ii breit, besteht ganz aus Salz und ist hart und 
fest. Das Vieh der Reisenden liegt Alles auf ausgebreiteten Decken; 
wenn man dann die darunter befindliche Erde aufgräbt, so entsteht eis 
Stück Salz, so gross wie ein Kissen, sodass es leicht zu Verwechselungen 
Anlass giebt. Nebel steigen auf, Wolken schweben vorüber, selten sieht 
man Sterne und die Sonne, wenige Vögel, viele Geister und Wunder. 
Der Yao-Tsö hat 300 Ii in Länge und Breite, sein Wasser ist durch- 
sichtig und ruhig. Im Winter, wie im Sommer, vermindert sich nicht 
der Wirbel in seiner Mitte, dessen Ader sich schnell wie der Blitz, aber 
unter der Oberfläche verborgen, dreht; Vögel, die in dem Dunste gerade 
über der Stelle rasch dahinfliegen, wo der Wirbel sich im Kreise bewegt, 
fallen alle in den Strudel«. So weit das Shui-King-tshu. 

Nach dem im Shi-Ki-tshöng-i (der »richtigen Bedeutung des Shi-Ki« 
oder der amtlichen Geschichte des Sse-Ma-Thsien) angeführten Kwa-Ti-Tsbi 
führte der Lob-Nur früher ausser den erwähnten (Fu-Thshang-Hai, Yao- 
Tsö und Yen-Tsö) auch die Namen: Fu-Zhi-Hai (»Sonnen-Stützen-Meer«), 
Lao-Lan-flai (»Meer von Lao-Lan, Lou-Lan oder Len-Lan«), Lin-Hai 
(»Nahes Meer«), woraus zu ersehen, was für verschiedene Namen er 
führte. 

Nach dem Ho-Yüan-Ki-Lio (»Abriss einer Beschreibung der Quelle 
des Huang-Ho«) ist der Lob-Nur ein grosser Sumpfsee. Seine Lage 
nähert sich dem Osten desselben mit nördlicher Richtung. Er nimmt 
alle sechs grossen Gewässer der Berge des Westens auf; von den 5000 Ii 
weichen Bodens durchfliegen dieselben 4500 Ii, das Uebrige schliesst die 
Wüste ab. 



') Der Osten steht also nach dieser Anschauung unter dem dunkelblauen Drachen, 
der Westen unter dem weissen Tiger, der Süden unter dem roten Vogel, der Nordeo 
unter dem dunkeln Krieger, 8. Eitel, Feng-Shui S. 14 f. Mayers, Chinese Readcr's Manual 
S. 307. Lung = «Drache" (chinesich), loo (oder lou, vergleiche Lob und Lou-Lan?) 
„Drache" (mongolisch-uigurisch), loo-yin daghon „Drachenstimme" =» «Donner"-, im 
Tibetischen ist (k)lu „Drache", (k)lung .Strom". Der Chinese nennt auch gern Quellen 
nach den Drachen, z. B. Hei-lung-than „schwarzer Drachen-Pfuhl" bei Peking. — Der 
Vergleich beruht namentlich auf den Windungen des Schlangenleibes; Typhon, Wirbel- 
stürme, auch unterirdische Gewalten gehören hierher. 



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— 63 — 



Aof das »Verschwinden unter der Erde« ist nach unserem Verfasser 
nicht viel zu gehen; was das unter der Erde Verschwindeu anlange, so 
habe man die Gestalt der Berge ausser Acht gelassen und nicht erwogen, 
dass (der Fluss) nach allen Drehungen und Windungen immer wieder 
schleunig nach dem »Nur« zurückkehren müsse. Dieser sei von Osten nach 
Westen über 200 Ii lang, von Süden nach Norden über 100 Ii 1 ) und 
nehme im Winter und Sommer weder zu noch ab. Die Lage ist nach 
unserem Verfasser 40° 30* bis (40°) 46' N. L. (also nur 60 Ii?), 28° 10' 
bis 29° 10' W. L. Heutzutage gebe es (am See) nur eine Mündung, 
sagt der Verfasser, das Shui-King-tshu aber lasse einen Süd- und einen 
Nordflus8, jeden für sich, in den See (tsö) münden; wenn die Geschichte 
der Han bei Unterscheidung der beiden Wege deutlich vom Nan-sban 
und vom Pei-shan spreche, ohne dass dort von Verfolgung eines Südflusses 
und eines Nordflusses die Rede sei, so wisse er, dass ein Rinnsal vor 
Alters, wie heute, geweseu sei und Li-KünV) Worte leichthin und ohne 
die Erwägung gesprochen seien, dass neben dem grossen nur noch kleine 
vorhanden seien, die ihn umgeben. 

Im Norden sollen drei kreisrunde Seen ohne Namen sein, im Süden 
vier länglichrunde, nämlich der Or-kon-hai-thu (Urghoghoitu?), der Bagha- 
Ghashun, der Tarim-See und ein vierter ohne Namen. Auch auf 
der Karte des I-thung-yü-thu sind diese sieben kleineren Seen verzeichnet; 
die drei nördlichen haben die gemeinsame Bezeichnung Thsao-Hu »Gras- 
See«, die vier südlichen sind anscheinend ohne Bezeichnung, welche 
sich aber aus den benannten Oertlichkeiten in der Nähe ergänzen lässt. 
Ghashun ist höchst wahrscheinlich das mongolische Wort für »bitter« 
und bezieht sich also auch wohl auf einen oder zwei Seen (Koshun bei 
Przewalski?), 3 ) bagha ist »klein«, urghoghoitu würde »östlich« bedeuten. 
Nach dem I-thung-yü-thu teilt sich der von Korla kommende Weg 
südlich vom Lob-Nur und den vier kleineren Seen der Süd-Seite etwa 
unter 27° 24' W. L. und 40° 11—12' N. B. in den nach An-Si führenden 
nördlichen Weg und den nach Ts ai da m, welcher letztere aber auch 
wieder südlich vom Xas-See eine Verbindung nach der Gegend des alten 
Sha-tshou und weiter nach An-Si hat. An dem ersteren Kreuzwege 
steht der Name Or-kou-hai-thu, in der Nähe ist einer der kleineren 
Seen, weiter nordwestlich noch einer; dann folgt längs des nach An-Si 

') Bitachurin, Stat. opis. Kit. Imp., II, 8. 122: .bis ru 400 Ii Länge und 200 Ii Breite*; 
s. Uspenski, Anm. 170, S. 149 a. a. 0. 

*) Li-Tao-YQan (Li-Kun) lebte Ende des 5. Jahrhunderts und verfasste die hier an- 
geführten Erläuterungen zum Shuei-king, einem mindestens 200 Jahre älteren Werke. 

*) Die Namen Przewalski's Kind sonst ebenso entschieden türkisch, wie die obigen 
mongolisch. Sein Yengi-Su ist „Neuwasser (ü). tahok-kül bedeutet nach dem gewöhnlichen 
Sprachgebrauche «viele Seen'*. 



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- 64 - 



führenden Weges Nu-ki-thu-khi-a-tha-li-mu, wozu der entsprechende See 
nordwestlich, aber dem Lob-Nur viel näher liegen würde, — dann Bagba- 
Ghashun, über welchem über den Weg gedrückten Namen unmittelbar 
der östlichste der kleineren Seen sich befindet; noch weiter östlich, und 
zwar dieses Mal durch ein liegendes Kreuz als Wache (mandschurisch 
karun, türkisch karaul) bezeichnet, ist za lesen I-k'e-ka-shun (Yeke- 
Ohashun), welcher Name trotz des fehlenden Sees >grosser Bitterere, ent- 
sprechend Bagha-Ghasbun >kleiner Bitterer«, bedeutet. Obiges Nu-ki-thu- 
khi-a-tha-li-mu ist, wie aus einem zwischen Bagha-und Yeke-Ghashun etwas 
nördlich vom Wege gelegenen Nokitn-Ssetshin (Ssekbin, ssetsen?) her- 
vorgeht, in drei Wörter: Nnkitu, kia und das bekannte Tarim zu zer- 
legen; qia bedeutet nach Shaw »abschüssig« (slanting, sloping), unter 
Tarim ist hier wohl der See, oder ein Teil desselben, selber als »be- 
bauter« See zu verstehen. Ueber den Namen Or-kou-hai-thu ist es 
nötig noch einiges zu sagen. Thu ist augenscheinlich die gewöhnliche 
mongolische Endung eines Eigenschaftswortes; für or-kou-hai weiss ich 
kein ähnlicher klingendes mongolisches Wort als nrgho^oi »Osten«. 
Dennoch erinnern die ersten beiden Silben (und die Chinesen verkürzen 
fremde Wörter häufig) an den rätselhaften Namen, den der Tarim-Fluss 
führt: Er-kou, ör-kou, Or-kou, 1 ) wie man ihn umschreiben kann, ErgiuL, 
wie er sich bei Bitach urin findet. Es sind gewiss schon manche Zweifel 
entstanden wegen Berechtigung und Herkunft dieses Namens, sowie wegen 
des von Bitschurin hinzugefügten Auslautes 1. Letzterer findet sich vielleicht 
wieder im Marco Polo's Erguiul, so weit auch die Oertlichkeit, die der 
Reisende insbesondere damit bezeichnet, 3 ) vom Tarim-Flnsse entfernt 
liegen mag; da beide Namen übereinstimmen, kommt einem unwillkürlich 
der Gedanke, dass Bitschurin den Polo'schen Namen zum Vorbilde ge- 
nommen haben könnte. Wenn nicht das u in dem mongolischen Worte 
urgho/oi ein kleines Hindernis wäre, könnte man in dem erst unterhalb 
Kabak-Agzy vorkommenden Namen den des »östlichen« Flusses suchen. 
Ausserdem aber bietet sich eine ganz leidliche Bedeutung für ein ähnliches 
Wort aus der persischen Sprache; auf Seite 28 des türkischen Wörter- 

•) Das Chinesische bat kein anlautendes e und giebt dieses durch eine Art fl 
wieder, welches seinerseits mit o wechselt; dem langen o entspricht am besten der 
chinesische Zwielaut 6u (nicht wie im Mittelhochdeutschen, Niederländischen und 
Englischen = au oder wie im Französischen = u zu sprechen, sondern so, dass beide 
Laute getrennt, das ö aber vorwaltend, zu hören ist). Im Mongolischen wechseln o und 
u wohl gelegentlich im Anlaut, von urgho^oi kann ich es aber vorläufig nicht belegen. 

») Nach Palladius. Journal of the North China Brauch of the Royal Asiatie Society, 
New Serie«, X, Shanghai 1876: Article I (Elucidation of Marco Polo's Travels in North- 
Cbina, drawn from Chinese Soorces. By the Rev. Arrhimandrite Palladius), S. 18 ist 
unter Erguiul das Erichew des mongolischen Wortlautes des Yuen-ch'ao-pi-shi, dxs 
Si*Liang der chinesischen Ceschichte oder das heutige Liang-tsbou-fu zu verstoben. 



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■ 

I 



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buches von Zenker finde ich nämlich erga, ergab, erguv als persischen 
Ausdruck für »Bach, Flüsschen« angegeben, und Vullers* Lexicon Persico- 
Latinum giebt dafür als Bedeutung »Fluss«, eigtutlich aber »reissender 
Fluss«, von erg, einer Wurzel, die »zürnen« bedeutet, und ab »Wasser«. 
Die Gegend (des Sees) soll 500 Ii südostlich von der Stadt Xarashar uud 
über 900 Ii südwestlich von Turfan liegen. (Bei Uspeuski findet sich in 
der Anmerkung ein Hinweis auf die Angabe Bitschuri \. •lass sie 200 Ii 
südlich von Xarashar liege!) 

Der Name Turfan giebt dem Verfasser Gelegenheit zu einer Ab- 
schweifung in das Gebiet der Landesgeschichte, die gleichwohl zu viele 
Ortsnamen enthält, um sie ausser Acht zu lassen. In der Mongolenzeit er- 
scheint Turfan als das Land Huo-tshdu (huo, ho, »Feuer,« hier aber wechselnd 
mit einem anscheinend bedeutungslosen ho; tshöu ist »Kreis, Kreisstadt«); 
da die erste Silbe mindestens durch drei verschiedene chinesische Zeichen 
wiedergegeben wird, so ist auch wahrscheinlich tshöu nur eine volks- 
tümliche Missdeutung eines fremden Lautes, und der ganze Name, zumal 
da er in dem der Mongolen-Geschichte angefügten Abriss der Landeskunde 
zusammen mit hala (= /ara, kara) als Ha-la-ho-tshdu erscheint, entweder 
türkisch (Kara-Kodzhi?) 1 ) oder mongolisch, vielleicht auch ein von den 
Mongolen, die die Hauchlaute lieben, umgeänderter türkischer Name. 
In der Erzählung von Ashu ist daraus Ha-la-ho-cou geworden. Im 
Ti-ki-thshuan lautet es Ho-la-ho-cou oder Ha-la-huo-cou. In der Er- 
zählung von Barahn-Artai-Digin heisst es, dass Kiao-Tshöu so viel wie 
Huo-tshöu sei und das Ganze zu Bish-Bali(k) gehöre, nördlich an den 
Ashu-Fluss, östlich an Yuan-tun-kia-shi-ha 9 ) grenze. Des Urenkels des 
Barshu Artai, des Xodzhighar-Digin, Nachkommen seien I-tu-hu (I-di-kut, 
»Könige«) gewesen. 

Es war im Jahre 1275, also ungefähr um die Zeit der Reise Marco 
Polo's, wo sich Folgendes (anscheinend nach des Verfassers Auszuge aus 
dem Yüan-Shi, der »Mongolen-Geschichte«) in und um Turfan zutrug. 

>) Nach Regel wird der Ort jetzt Kara-Gudscha, der Fluss Kara-Gudschun genannt 
(s Petermaan's Mittb. 1881, Tafel 18). 

») Bretschneider las Wu-tun-kia-shi-ba, da in der ihm zur Verfügung stehenden 
Ansgabe der den Unterschied machende Strich fehlte. Sollte der Strich wirklich dahin 
gehören, so könnte man Übersetzen: „Sbi^a, die Niederlassung und Wache der Mongolen- 
Zeit" (Yflan „Mongolen-Zeit"; tnn = einem anderen tun .Niederlassung", s K'ang-Hi; 
kia „Wache"); ein Han-Tun findet sich etwa ostnordostlich von Turfan (etwa 25° W. L ) 
auf der Karte des I-thung-yü-thu. Uebrigens hat Bretschneider, Notices of the mediaeval 
geography and history of Central and Western Asia (Journal of the North China 
Branch of the Royal Asiatie Society, N. S., X, Shanghai 1876), S. 195 f. die Stelle aus- 
führlicher und erwähnt auch der übrigen Grenzen: Tsiu-Thsüan im Süden und Si-Fan 
(Tibet) im Westen Tsiu-Thsöan war, wie Bretschneider bemerkt, ein alter Name von 
Sa-t«bou 



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Man muss sich dabei vergegenwärtiget), dass die Kämpfe zwischen Xaidn 
nnd Duwa von Dshagatai einerseits und Xubilai-Xan nnd seinen An- 
hängern andererseits sich noch lange nicht ihrem Ende nahten. Duwa- 
Busba (Bäshpa?) und seine Genossen belagerten Huo-Tshöu mit 120,000 
Mann, und Duwa rühmte sich, dass die kaiserlichen Prinzen (tshu-wang) 
Adzhigi und Aoludzhi 1 ) auch mit 300,000 Mann ihm nicht widerstehen 
könnten; wie der Idikut wohl wagen könne, ihm mit einer einzelnen 
Stadt die Spitze zu bieten? Der Idikut antwortete, er habe gehört, dass 
ein treuer Vasall nicht zwei Herren diene; er, der lebend diese Stadt 
als sein Haus betrachte, wolle tot auch dieselbe zu seinem Grabe haben; 
er könne ihm, dem Duwa, nicht nachgeben. Als die Belagerung sechs 
Monate gedauert, ohne dass Entsatz kam, schoss Dawa mit einem Pfeile 
einen Brief in die Stadt, in dem es hiess, er, Duwa, sei auch einer von 
den vollblütigen Enkeln des Kaisers Thai-Tsu') (des/Tshinggis'Xan); wie 
man ihm die Heeresfolge verweigern könne? Ausserdem stamme der Idikut 
von der Prinzessin Thshang-Sbang; 3 ) wenn er ihm, dem Dawa, eine 
Tochter zur Ehe geben könne, so wolle er den Kampf einstellen, wo 
nicht, so würde er ihn sofort angreifen. Das Volk, welches von der 
Uebergabe sprach, sagte, in der Stadt sei es mit dem Unterhalt auch zu 
Ende, und die Kräfte seien erschöpft; wenn Duwa unaufhörlich angreife, 
so würden bei der Uebergabe alle dem Tode verfallen sein. Der Idikut 
sagte, wie er wohl Mitleid für ein Weib haben und vermittels ihrer nicht 
das Leben des Volkes sollte retten wollen; dennoch könne er es nicht 
mit ansehen, wie seine Tochter übergeben würde. Die Yeli Ilimish- 
Begi(m) Hess man, auf würdige Weise mit Kissen und Seilen verpackt, 
von der Stadtmauer herab und übergab sie, worauf Duwa abzog. Nach- 
mals begab sich (der Idikut?) nach Hofe und kehrte zurück in die süd- 
* lieh von Ho-Tshöu zu dessen Schutze angelegte Ansiedelung, welche 
südlich von diesem auf dem Gebiete von Ha-mi(-li) liegt. Seine Heeres- 
kräfte waren nur noch gering, das Nordheer kam plötzlich in die Gegend, 
eine grosse Schlacht fand statt, in welcher seine Kräfte aufgerieben 
wurden. Er starb fern von seiner Heimat, und auch sein Sohn Niu- 



') Adzhigi Sohn Xara-Xulagbu's, eines Enkels des Dshaghatai. Aoiudzhi (Aghrukdzhi) 
Sohn de» Xubilai-Xan, s. Bretscbneider a. a. ü. Yule, Marco Polo. 

*) Nach Bretschneider (S. 181 a. a. 0.) war Duwa der Sohn Borak's (Bala's), 
eines Urenkels des Dshagatai. 

J ) Der Urgroßvater des Xodzhighar, der oben genannte Barshu-Artai-Digin, hatte 
das Joch der Kara-Kitai abgeworfen und »ich an Tsbinggis-Xan angeschlossen, der ihm 
seine Tochter Ycli-Altun-Begi verlobte. Letztere starb vor Beendigung der Hochzeit, 
und als später Ügetei-Xan dem Idikut die Prinzessin Aladzhi geben wollte, starb Barshn 
selber, sodass sein Sohn Kishmain seine Rolle übernahm, s. Bretschneider a. a. O., 
S. 205. Der chinesische Name der Prinzessin wird also Tbshang Shang gewesen sein. 



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Lin-Digin lebte in Yung-Thshang (in der Gegend von Liang-Tshöu im 
heutigen Kan-Su). Im 4. Monate des Jahres 1283 wurde ein Statthalter 
über Bish-Balik, Ho-Tshöu u. 8. w. eingesetzt, da Xodzhighar nicht zurück- 
kehrte. Da dieser auch von den aufständischen Fürsten getötet wurde, 
so »waren somit die Uiguren (Hui-Ho) teils vertrieben, teils tot«. Die 
von Truppen besetzte Stadt Turfan heisst Kuang-An, zur Zeit der Thang 
hiess sie An-Lo. 70 Ii östlich von ihr ist das unter dem Huo-tshöu der 
Mongolen-Zeit stehende, jetzt so genannte Kara-Ho-Tshou, noch weiter 
50 Ii nach Osten ist Luktshin, das Liu-tshnng-thshing der östlichen Han; 
20 Ii westlich von Kuang-An-Thshöng (Turfan) war das Kiao-Ho-Thshöng 
der Han. Nachdem die Daun garen Besitz davon ergriffen hatten, war 
1722 das grosse chinesische Heer nach Turfan gekommen, hatte die 
Stadt befestigt und das Land urbar gemacht. 

Die Türken des Lob-Nur standen einst nach unserem Verfasser 
unter einem namens Ghurban (mongolisch = 3?) und anderen, und die 
Ortschaften Kara-Kül, Sadaktu und Kara-Xodzho u. 8. w. mit ihren über 
1000 Einwohnern gehörten dazu. Im ersten Jahre Yung-Tshöng (1723) 
hatte man versucht, sie ins Innere zu versetzen; da sie aber gewohnt 
waren, auf dem Wasser zu wohnen, und es nicht wohl anging, sie auf 
das Land zu versetzen, wurde dieses aufgegeben. 

Als zu Anfang der Herrscher-Zeit Khien-Lung (1736—1796) die 
Grenzen der Weidegründe zwischen den Xal/a's und Ghaldan-Dzeren fest- 
gesetzt wurden, ging die Grenze der Dsungaren vom Eemtshik-Xan-Tengri 
(»das ist nicht das Xan-Tengri-Gebirge nördlich von Kutsbe«. Anmerkung 
des Verfassers) auf den Altan-Shan-Liang, über den Solbi-Joch abwärts 
zwischen dem Ha-pu-shan und dem Pai-shan hindurch, üU-r den Ulan-Ussu 
und den Lob-Nur gerade bis zur Kas-Mündung. l>cr Kemtshik-Xan- 
Tengri(daghy) befindet sich vermutlich in der Nähe der Quelle des 
Kemtshik (»kleinen Kern«), eines der Quellflüsse des Jenissei (zwischen 50 
und 61° N. B., 87—88° W. L. v. Gr. 1 ). Der Altan-Shan-Liang ist vermut- 
lich eine Verdrehung aus Altai-Uriang/ai, da das liang, (»Steg, Rückgrat, 
Querbalken«) iu Wu-liang-hai dem Chinesen einen schönen Sinn zu geben 
schien 3 ). Neben Artai-Wu-liang-hai finde ich auf der Karte des I-thung- 
yü-tbu Artai-Mu-lu (= mürü »Schulter«) auf 29° W. L., einen Tengeroitu- 
Shata in der Nabe der Quellen des Xobdo-Flusses. Der Sorbi-Ling ist im 

') Lange Kämpfe fanden in der Nähe de» Yeke- oder Ulu-Kem (des .grossen Kern") 
zwischen den Dsungaren (Ölöt) und dem Altyu-Khan der Uriaug/ai nördlich vom Uba- 
See statt (*. Humboldt, Centrai-Asien). 

*) Uriang^ai werden von den Mongolen die türkisch redenden Bewohner des Laudet> 
um die Quellen des Irtiscb und des Jenissei herum genannt. Nach einer Bemerkung auf 
S. 19b des 5. Heftes des Si-yö-shui-tao-ki giebt es drei Stämme derselben: 1) die „Altan- 
Uriang/ai. 2) die Altan-Nur-Uriang/ai, 3) die Tangnu-Uriaug/ai. Die Ersteren wohnten 

5* 



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I-thangyli-t.hu etwa 47° N. B., 26° W. L. 1 ). Von hier, wo auch die- 
Peterniann'sche Karte nach Wenjukoff (wie das I-thung-yü-thu) einen Quell- 
flti88 Solbi des Uljungur hat, läuft die Grenze südlich, um auf dem von Barkai 
nach dem Kyzyl-Bash-See führenden Wege zwischen Kab-Dagh und Bai- 
Dagh den 45. Breiten-Grad zu überschreiten. Ha-pu ist nach des Verfassers 
Anmerkung im Türkischen »ein Sack«, muss also kab lauten, wegen Pai = 
Bai ist auf eine frühere Stelle verwiesen, vermutlich die, in welcher der 
Name der Stadt Bai als »reich« bedeutend erklärt ist. Die Petermann'sche 
Karte von 1872 hat Chabtak-ola und Baitak-ola, worin das ola also 
mongolische Wiederholung des türkischen tagh ist, ebenso wie shan in 
dem Ha-pu-tha-kVf-shan und Pai-tha-k'e-shan an der entsprechenden Stelle 
des I-thung-yü-thu. Der Ülan-Ussu ist hier vermutlich der Nebenfluss 
des Kaidu-Flusses. Kas-Khou wird eine der Mündungen der westlichen 
Zuflüsse des Xas-omo sein (omo mandschu = »See«). Da diese Mündung die 
Grenze war, so waren die Bewohner des Lob-Nur noch dsungarische 
Unterthanen, und da Viele infolge von Bedrückungen entflohen oder 
umkamen, waren von der früheren Anzahl von 2000 kaum mehr als 600 
geblieben. Als 1758 Herzog A-Kuo-I die Shara und Maghus unterwarf, kam 
er bei Verfolgung des Tshinbayar am Lob-Nur vorüber. In seinem 
Berichte heisst es, er sei am 9. Tage des 2. Monats (also etwa im März) 
an den Lob-Nur gekommen; das Land sei sehr ausgedehnt und habe 
dichte Waldungen. Der türkische Häuptling Ha-shi-ha und andere hätten 
sich gezeigt und gesagt, sie seien jetzt über 600 Menschen, die von 
Fischfang und Jagd lebten. Vor 40 Jahren, als das grosse Heer Turfan 
unterworfen habe, hatte der Oberfeldherr sie mit Gaben von Seiden-Atlas, 
Baumwollenzeug und Thee zu beschwichtigen gesucht; nachdem aber 
die Truppen entlassen worden wären, hätten die Dsungaren Besitz ergriffen 
(vom Lande). Neuerdings nun hätten sie gehört, dass das grosse Heer 
die Dsungaren unterwerfe, da hätten sie im vorigen Jahre Störche als 
Tribut eingeschickt. Der Berichterstatter habe sich darauf erkundigt, 
nach was für Oertlichkeiten die Wege vom Lob-Nur aus führten. Ha-shi- 
ha habe gesagt, dieses Gewässer sei sehr gross; nm es zu umgehn, brauche 
man über zwei Monate; die mehr als 60 Flüsse der Dsungaren-Länder 
Yarkand, Kasbgar u. s. w. mündeten alle in dasselbe. Als der Bericht- 
erstatter mit seinen Begleitern sich längs des Weges auf eine Auflohe 

am Altan-Sban an der Westgrenze von Xobdo. Liang .Rückgrat" entspricht dem niro in 
Klaprotb'g Altai niro auf 46'/«° N. B.. 89'/« 0 Ö. L., da niroghon im Mongolischen 
„Rücken" nnd .Balken* bedeutet (vgl. Humboldts Altai alin toube „extremite de 1'Altai*; 
Asie Centrale S. 258, nach d'Anville). Uriang/ai scheint dieselbe Bedentang za haben 
(vgl. türkisch ongurga). 

*) Die Dsungaren zogen 1731 vom bunten Irtiscb nach Solbi-Ulaktsbin gegen die 
Xah/a's, 8. Si-ytl-shni-tao-ki 5. Heft, S 19 b 



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- 69 - 



begab, am in die Ferne zu sehen, hätte er keine Ufer erblickt. Nachdem 
das grosse Heer für das .Mal auf zwei Seiten eindringend sie ausgerottet 
hatte, werde es fortan Sache des Emin Xodzba sein, in gleicher Weise 
darüber zu wachen, dass nicht Räuberbanden dorthin flüchteten, und die 
Einwohnerzahl zu erforschen. 

Im Jahre 1761 setzte der Unterstatthalter (thsan-tsan) Herzog Shu- 
Wön-Siang, — da am Lob-Nur zwei Stamme waren, der vom Kara-Kül 
und der vom Kara-Xodzho, uud letzteres wieder aus 5 kleinen Weilern 
bestand, der Beg von Kara-Kül aber nicht so leicht alles in der Runde in 
Schranken halten konnte, — drei neue Beg's ein über die Einwohner. 

Im Jahre liefern sie 100 ha-shi = Federn (käz türkisch »Gans«?) 
and 9 Otterfelle (hai-lun = dem mongolischen /alighun). Die Leute 
nähren sich nicht von Getreide, sondern von Fischen. In der Anmerkung 
führt der Verfasser folgende Stelle aus dem Si-yu-wön-kien-lu an: »Die 
Türken des Lob-Nur leben von Fischen. Sie gehen zuweilen nach Korla, 
nach anderen Orten getrauen sie sich nicht hinzugehen. Denn 60 Ii von 
dem neben der Oftgrenze von Korla liegenden Gebirge ist Kutshma; da 
dieses aber südlich au den Lob-Nur stösst, so müssen sie wider den 
Strom aufwärts fahren.« 

Sie weben Kleider aus wildem Hanf, machen Pelze aus den Daunen 
der wilden Gänse und schlafen auf den Fittichen des Wassergeflügels. 
I lire Sprache ist ganz und gar unverständlich für die Türken insgesanit(?). 
Nach der Anmerkung beisst es im Si-Thshui-Ki-Lio (»Abriss einer 
Geschichte der Westmarken«): »In dem Sumpfe (tsö) sind Berge (oder 
Inseln), welche von Türken (oder Muslims: hui) bewohnt sind, die Fische 
fangen und Rohrkolben-Staub 1 ) sammeln und essen. Von den Leuten 
sind viele über 100 Jahre alt.« 

» Jetzt besteht der Volksstamm aus 280 Häusern (hu »Sippen, Familien«) 
mit über 1260 Bewohnern beider Geschlechter unter 3 Beg's 5. Ranges 
und 7 Beg's 6. Ranges. Infolge einer abändernden Verfügung werden 
die als Tribut (kang) dienenden 9 Otterfelle (»Otter« hier mit dem ge- 
wöhnlichen chinesischen Ausdrucke tha benannt) jährlich durch den »Kün- 
Wang« (eigentlich: kaiserlicher Vetter oder Neffe, Sohn eines thsin-wang 
oder kaiserlichen Prinzen ersten Ranges) von Turfan eingesandt, und es 

') p'u-huang; p'u Rohrkolben, rypha «. Porter Smitb, Chinese Materia Medica, 
S. 223 f, wo hiang-pu, „««ented flag" (Kalmus?) typha Bungeana genannt ist nach 
Professor Bange, der Ober die Gewächse Nord-Chinas geschrieben bat; .eine Art Binsen 
(? bulnisb), welche nicht sehr verschieden von der Typha latifolia Europa'» ist. Die 
Wurzelittfcke werden zu Kuchen verarbeitet und zu einem Gemüse Die Staubgefässe 
und der Blütenstaub, vermischt mit den haarigen Kelchblättern der blühenden Spike, 
werden verkauft als Arzeneimittel uuter dem Namen p'u-huang. Es ist ein gelbes 
Pulver* (buang »gelb") 



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— 70 — 

ist befohlen worden, den Weg zum Empfange des Tributes über die 
zweite Ansiedelung Xara, 30 Ii südlich von der Stadt Turfan, einzuschlagen, 
dann erst in südlicher, später in südwestlicher Richtung über 500 Ii östlich 
vom grossen Kümüsh-See (Kümüsh-ta-tsö »grosser Silber-Sumpf«; kümüsh 
türkisch »Silber«, ta chinesisch »gross«, tsö chinesisch »Sumpf«) vor- 
überzugehn, dann weiter südwärts aus dem Gebirge zu treten und durch 
die an der Südseite des Gebirges befindliche menschenleere Sandebene in 
weiteren 3 Tagereisen bis an das Nordufer des kleinen »Nur« vorzudringen. 
Dort solle man Feuer anzünden uud warten, bis die in der Mitte des 
»Nur« befindlichen Türken auf einem hölzernen Flosse entgegenkamen«. 
An den Namen des Kümüsh-Sees knüpft sich eine Anmerkung des 
Verfassers, der zufolge 520 Ii nordöstlich von der Stadt Xarashar die 
Festung Kümüsh-Akma liege (sie liegt in der That beinahe östlich mit 
geringer Abweichung nach Norden am Wege von Xarashar nach Turfan), 
der See aber sich 240 H südlich von der Festung befinde auf einem 
amtlichen Weidegrunde. An den »Austritt aus dem Gebirge« ist die 
Bemerkung geknüpft, dass man von Turfan bis zu dem Orte, wo man 
das Gebirge verlasse, 6 Tage zu reisen habe. 

Der »kleine Nur« ist einige Ii breit, an sein Südufer stösst eine 
Sandebene. Wo in der Feme die Meeresdüuste brüten und die Hu- 
Thung- Bäume sich zu Wäldern verdichten, da ist das Nord-Ufer des 
Lob-Nur. Der Fürst (Kün-wang) setzt sich wegen Abholung dieses 
Tributes ins Einvernehmen mit dem Befehlshaber der Truppen in Turfan. 

Vom Lob-Nur geht der Weg nach Osten zu nach Tun-Huang und 
Su-Tshou. Die »neue Landesbeschreibung« (sin-tshi) sagt, von dem zu 
Sha-tshou gehörigen Xara-Nur komme man auf einem kleinen Pfade 
in genau westlicher Richtung an den Lob-Nur in nicht ganz einem 
Monat. 

Das Shui-Eing-tshu sagt, indem es den Bericht von den Westlanden 
in der Geschichte der Han anführt, das Fu-Thshang-Hai sei über 1300 Ii 
vom Yü-mön-yuiv-kuan entfernt. DieWasser des Nur flössen verborgen über 
1500 Ii nach S'i-ti»t<n und sprudelten dann am Abhänge des Bayan-Xara- 
Gebirges hervor. Die Gegend heisse Altan-Ghadasu-Tshilau(Anmerkung 
des Verfassers: »Auf Mongolisch heisst der Nordstern Ghadasu, ein Stein 
tshilao, es weist darauf hin, dass der Stein ein Merkmal der Gegend ist.« 
— In der That ist altan »Gold«, ghadasu [n] »Pfahl, Nagel«, tshilaghun 
»Stein«, altan-ghadasu »Nordstern«, eigentlich » goldener Nagel«). Die Lage 
ist angegeben zu 35° 5' N. B., 20° 35' W. L. Da der Erdboden des 
Ufers gelbrot sei, werde durch den eiligen Lauf, das Hervorstürzen und 
Brausen die Farbe zu Gold. Das sei der Altan-Ghool (»der goldene 
Fluss«). Im Jahre 1782, als Artai von der kaiserlichen Leibwache die 



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- 71 



Qnelle des (Huang-)Ho lintersuchte, berichtete er, an verschiedenen Stellen 
des Odun-Tala flössen Bäche, das Wassor der von Norden kommenden 
sowie der in der Mitte fliessenden sei grün, die von Sudwesten kommenden 
aber gelb. (Anmerkung des Verfassers zu Odun-Tala: tala bezeichne im 
Mongolischen ein ebenes Feld, der Name bedeute also, dass auf dem ebenen 
Felde Quellen wie Sterne wären. In der Geschichte der Mongolenzeit 
heisse es Oduu-Nur.) Der Berichterstatter (Artai), heisst es weiter, sei 
über 40 Ii am Bache entlang gegangen, da habe sich das Wasser 
unter der Erde verloren. 1 ) Den Spuren folgend, sei er über 20 Ii 
weiter gegangen, wo er es dann wieder gelb habe hervorfliessen sehn. 
Nach weiteren 30 Ii sei er nach der Gegend Gbadasu-Tshilau gekommen, 
wo die grosse Heerstrasse nach Tibet sei. Am Fusse eines westlich 
liegenden Berges kämen zwei Quellen von gelber Farbe hervor. Nach 
Aussage der mongolischen Eingeborenen (Möng-Fan »Mongolen« und Si- 
Fan, d. h. wohl Tanguten?) heisse das Gewässer Altan-Gbool. Dieses 
also sei die Quelle des (Huang-)Ho. 

Im Jahre 1791 auf 1792 (es war am Ende des 56. Jahres Kbien- 
Lcng), als der Häuptling der Gorka's einen Einfall in Tibet machte, 
und der Oberfeldherr Fu-Khang-An, Herzog Kia-Yung, die Unterfeldherren 
Herzog Hai-Lan-Thsha und Herzog Huei-Ling zu ihrer Bewältigung Truppen 
herbeiführten, schlug man in Begleitung des Shao-Khing-An-Lu-Sze, des 
Herzogs Fang-Wei-Tien, des Unterstaats-Secretärs des Kriegsamtes (ping- 
pu) Herzogs Thshang-Ling, des Tshu-Shi im Werkamte (kung-pu) 
Herzogs Pa-Ha-Pu und des Tshung-Shu im geheimen Rate (Nei-Ko) 
Yang-Kung-Po von Si-Ning in Kan-Su aus den Weg über den Küke-Nur 
ein, um in Tibet einzurücken. Es war im tiefsten Winter, bei heftiger 
Kälte kam man Angesichts des Süe-Shan (»Schnee-Gebirges«) am Sing- 
Su-Hai (»Sternenmeer« = Odun-Tala) vorüber. Herzog Kia-Yung berichtete 
im vorigen (57.) Jahre (Khien-Lung), er sei am 23., 24. und den 
folgenden Tagen des 12. Monats des vergangenen Jahres über den Ngo- 
Ling- und den Tsha-Ling-Nnr, das Sing-Su-Hai, Beltshir, Laraa-Tologhoi 1 ) 
u.8.w. hinausgegangen, in welcher Gegend der Huang-Ho entspringe; innerhalb 



*) loa I-thung-yfi-thn Überschreitet der nach Tibet führende Weg den Huang-Ho 
etwas unterhalb des Ngoring-Sees; es ist daselbst ein Küke-Aman oder „blaues Thor", 
noch etwas unterhalb dieser Stelle (und südlich von der, wo diese Karte einen Tsaidam- 
Flus» sieb östlich nach einem Dzhasun-See, westlich nach einem Alak-See gabeln lasst) 
sind Berge angedeutet, unter denen sich der Huang-Ho, wie die Rhöne, verliert. 

*) Ngo-Ling soll nach chinesischer Erklärung (s. Uspenski, Strana Kuke-Noor S. 27) 
.der schwarze, lange", Dzha-Ling „der weisse lange" bedeuten in der Landessprache. 
Im Tibetischen ist nach Schraidt's Wörterbuche [s]ngo .blau, grün", ring .lang", skya 
(sprich tsha, nicht dzha, wio nach der chinesischen Umschrift zu vermuten gewesen 
wäre) „weisslich, bleich, ins Graue spielend*. Mit (m)t , ao .See" wäre also (M)tso (S)ügo- 



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— 72 - 



einiger 100 Ii gebe es sehr viele Bäche, deren Quellen ein Wirrsal bildeten; 
im Winter friere es hier überall, und fern und nah, hoch und tief seien 
keine Wege. Herzog Tshang sei später Oberfeldherr (und Statthalter) 
von Iii gewesen. So oft er dem Verfasser den damaligen Gedanken er- 
läutert habe, nach Odun-Tala hinzureiten, hätte ihm das Eis auf den 
Teichen wie ein Spiegel entgegen geglänzt, sodass sie sich in einer Anzahl 
in der Ferne vor ihm lagerten, die er nicht im Gedächtnisse behalten 
könne. Odun-Tala sei von Norden nach Süden 100 Ii weit, es sei lang 
in dieser Richtung, aber schmal von Osten nach Westen. Quellen gebe 
es einige Hunderte, wie die Sterne, weshalb man es »Stemen-Meer« 
(Sing-Sn-Hai) nenne. Der Altan-Ghool fliesse 300 Ii nach Nordosten, 
worauf er mitten unter sie trete; wie er dem grünen Wasser begegne, 
werde seine gelbe Farbe etwas heller. Weiter nach Osten trete er aus 
dem Odun-Tala hervor, und 130 Ii weiter nach Sudosten fliessend, komme 
er zum Stehn als Tsha-Ling-Nur, der auch Alak-Nur 1 ) heisse, dann trete 
er aus dem See, fliesse nach Südosten, mache eine Wenduug nach Süden 
und komme nach 50 Ii zum Stehn als Oling-Nur, auch Tsheke-Nur 
genannt. Nachdem er an der Nordost-Ecke aus dem See getreten, 
fliesse er nach Osten 50 Ii, dann, sich nach Südosten wendend, 140 Ii, 
weiterhin südwärts 260 Ii und nach einer Wendung nach Südosten 300 Ii, 
worauf er am Südabhange des Amie-Muldzhin-Müszün(-Ula) vorbeifliesse 
(nach den Anmerkungen soll es für Amie auch Amunai, für Maldzhin 
auchMaldzhan heissen können, amie tibetisch [tangutisch?] für »Grossvater«, 
maldzhin mongolisch für »Kahlkopf«, müsün für »Eis« seiu. Viel- 
ist aber emüne »vorn, Osten, Süden«, ein mongolisches Wort, das mit 
amunai gemeinte?) 

Nach weiterem ostwärts gerichteten Laufe wende sich der Fluss 
nach Norden, dann nach Nordwesten, insgesamt in einer Strecke von 
über 1600 Ii, komme am östlichen Abhänge des Gebirges vorbei bis an 
die Mündung der Furt von Khe-tbshou (Khe-thshou-tu-khou); das sei 
der Ta-Tsi-Shi(-Shan) des Altertums, welcher jetzt Ta-Süe-Shan (»grosser 
Schueeberg«) heisse (ta »gross«, tsi »anhäufen«, shi »Stein« shan »Berg«, 
süe »Schnee«), und von dem die Verfolgung der Spuren des (gelben) 
Flusses im Yü-Kung ausgehe. Dieses ist nach der Anmerkung des 
Verfassers derjenige Tsi-Shi-Shan , welcher nach der Landesbeschreibung 
in der Geschichte der Han unterhalb Ho-Kuan-Hien im Kin-Thshöng-Kfm 

ring und (M)t»o-Skya-ring zu vermuten. Sing-Su-Hai ist chinesisch und bedeutet 
,, Sternen meer " , beltshir im Mongolischen .Kreuzung" von Wegen oder Flüssen, Lama- 
yin Tologhoi tibetisch-mongolisch „Kopf eines Lama's." 

i) Der Alak-Nur hat, wie Uspenski bemerkt, sein eigenes Becken. Das I-thung-jü- 
thu laset einen Tsaidam-Fluss weiter nördlich nach Süden zu links in den Dzhasun-, 
recht« in den Alak-See münden. 



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im südwestlichen Khiang (Tangut) lag. Seit der Zeit, wo Tsbang-Hnai- 
Thai-Tze in seiner »Erläuterung der Irrtumer in der Geschichte der 
späteren Haue anerkannte, dass der »kleine Tsi-Shi« von Lung-Tshi-Hien 
der Tsi-Shi des Yü-Kung sei und Ta-Yu 1 ) seinen Irrtum weiter ver- 
folgte, bis auf die »Ueberlieferungen« (thshuan-yen) des Thsai, sind bei der 
Erklärung der King der grosse und der kleine Tsi-Shi zu einem vereinigt 
worden. [Der kleine Tsi-Shi-Shan befindet sich nach unserem Verfasser 
am Tsi-Shi-Kuan, welches 120 Ii nordwestlich von einem (seinerseits) 
70 Ii nordwestlich von Ho-tshou in Kan-Su befindlichen Gebirge liegen 
soll. Wegen der veränderten Namen ist aber wohl eine weitere Erläuterung 
notig; ein Tsi-Shi-Kuan findet sich zwar auf der Karte des I-thung-yü- 
thu Bayan-Zhung-Ko gegenüber, südlich vom Huang-Ho und nordwestlich 
von Ho-Tshou, die Namen Kin-Thshöng-Kfin, Ho-Kuan-Hien und Lung- 
Tshi-Hien 1 ) aber sind auf den neueren Karten nicht mehr zu finden. 
Kin-Thshöng-Kün soll an der Ost-Seite der Mündung des Ta-Thung-Ho 
oder Ülan-Müren gelegen haben im damaligen Liaug-Tshou (später wieder 
Yung-Tshou), jetzigen Kan-Su, Ho-Kuan-Hien, welches erst zu diesem 
kün, dann zu Lung-Si (dem späteren Lin-Thao) gehörte, scheint seinen 
Namen von einem Engpasse am Huang-Ho erhalten zu haben; Lung-Tshi- 
Hien war einer der Kreise von Shan-Tshou (dem nachmaligen Si-Ning- 
Fu) von den Zeiten der Wei bis zu denen der Thang.] Auf den Karten 
des I-thung-yü-thu ist das Tsi-Shi-Kuan, wie gesagt, auf der rechten 
oder Süd-Seite des Huang-Ho oberhalb Lan-Tshou zu findeu; während 
aber unser Verfasser den ganzen Tsi-Shi-Shan — wenigstens den »kleineu« 
Tsi-Shi-Shan — an diese Stelle versetzt, ist dort der Name Tsi-Shi-Shan 
nördlich von Bayan-Zhung-Ko zu sehn, welches also samt dem südlich 
davon fliessenden Huang-Ho als zwischen dem Tsi-Shi-Shan und dem 
Tsi-Shi-Kuan liegend erscheint; umittelbar an den Tsi-Shi-Shan aber 
schliesst sieb westlich der Siao Tsi-Shi-Shan (siao »klein«); ferner ist der 
Name Tsi-Shi-Shan etwas nördlich vom 34.° N. B. zwischen dem süd- 
wärts, dem ostwärts, nordostwärts und dann nordwestwärts gerichteten 
Laufe des Huang-Ho zu finden, der hier zwischen dem Tsi-Shi-Shan 
und einem südlichen Absenker des Li-Khing-Shan erscheint. Diese Ver- 
setzung scheint erst in neuerer Zeit stattgefunden zu haben, wahrscheinlich 
seit der Zeit des oben erwähnten Feldzuges gegen die Gorka's. Wie 
langsam Übrigens das Neue sich Bahn brach, beweist die 1800 gedruckte 
»Eingabe« des Herzogs Tshaug (Tshang-Kung-Tsou-I), in der als Quelle 

') Verfasser de» Thung-Tien oder Staatshandbuche» aus dem 8. .'ahrhtindert. 

») Kin «Gold-; thshong „Stadt, Stadtmauer-; kün Bezirke, deren unUr den Han 
103, später 106 waren mit 1314 hien; ho „Flu,**", vorzugsweise der Huaug-Ilo; kuan 
„Schluf*-, „befestigter Paas"; lung „Drache"; tahi „Zweig". 



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des Huang-Ho ein grosser See erscheint, der aaf der oben aof der Karte 
befindlichen Südseite Sing-Su-Hai, »Sternenmeer«, uoten P'u-Thsbaug-Hai 
(d. b. Lob-Nur) genannt ist, weiterhin folgen unten Khun-Lun-Shan nnd 
Si-Ning-Tshou, oben ein Sha-Ma-Kuan (sha »töten«, ma »Pferd«, kuan 
»Thorschluss«) zwischen Bergen und zwei Quellflüsseu eines Nebenflusse« 
des Huang-Ho, dann weiter östlich das schon unter den Ming aufgehobene 
Tsi-Shi-Tshou, welche Lage also auf das erwähnte Tsi-Shi-Kuan hinweist 
Der Verfasser verzweifelt am Schlüsse doch an der Lösung der Frage 
nach den eigentlichen Quellen des Huang-Ho, da er die alte, für ihn 
geheiligte Ueberlieferung seines unterirdischen Laufes nicht ganz auf- 
geben kann. 

»Von der ersten Behauptung der alten Bücher der Thsin, welche 
den „Fluss" aus dem Kun-Lun hervorkommen, aber die Lage desselben 
unerwähnt lässt, die von dem „Ho" sagt, er fliesse verborgen, ohne zu 
erwähnen, wo er aus dieser Verborgenheit wieder hervortritt, kam man 
bis zu den Worten der Geschichte der Han, in denen zuerst die Rede 
davon ist, dass die Quelle aus dem Thsung-Ling komme, in Yü-Tien 
(Xoten) sich unter der Erde verliere und im Süden aus dem Tsi-Shi 
hervortrete, womit man die erste (thshn »Anfang«) Quelle des „Ho" er- 
langt hatte, um die wichtigere Quelle zu verlieren (tshung »schwer, 
wichtig«). Wenn Liu-Yüan-Ting zur Zeit der Thang bei Gelegenheit 
seiner Sendung nach Thufan irrtümlicherweise auf den Kurkun hinwies, 
als sei er der Khun-Lun-Shan, und sagt, die Quelle des „Ho u komme in 
ihm zu Tage, so heisst das, die erste sowohl wie die wichtigere Quelle 
des „Ho" verlieren und den Khun-Lun obenein«. (Des Verfassers An- 
merkung zu dem Namen Kurkun besagt, dass das Bayan-Xara-, das 
Aktatshin- und das Barbuda-Gebirge nebst den einzelnen Gipfeln den 
Gesamtnamen Kurkun-Shan fuhren. Auf der Karte des I-thung-yü-thu 
ist der Huang-Ho oberhalb des »Sternenmeeres« Aktan (Ghool) genannt, 
des Bayan-Xara- Joch nördlich vom nördlichen Quellfluss, etwa um eines 
halben Breitengrades Länge nach Nordosten das Aktan-Tshikin-Gebirge, 
nach Nordwesten in etwas grösserer Entfernung der Barbu/a-Sban, so- 
dass die drei Gebirge, wenn sie aus ebenso vielen eiuzelnen Gipfeln be- 
ständen, ein Dreieck bilden würden, dessen Spitze dem Quellflusse zo- 
gekehrt wäre.) »Wenu, fährt der Verfasser fort, das von Pan-Ang- 
Siao zur Mongolen-Zeit verfasste Ho-Yüan-Tshi (»Beschreibung der 
Quellen des Ho«) 1 ) den Huo-Tun-Nao'r (Odun-Nur »Sternen-See«) die 
Quelle des Ho sein lässt und irrtümlicherweise den Ta Tsi-Shi-Shan für 

') Wahrscheinlich war der Verfasser derselbe wie Fan-Mao-Siao, der nach Wylie 
im 14. Jahrhundert lebte (s. Notes on Chinese literature, S 199). Die Zeichen fQr 
mao und ang sind beinah gleich. 



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— 76 - 

den Khun-Lun, den Siao Tsi-Shi-Shan aber für den Tsi-Shi des Yü-Kung 
ausgiebt, so heisst das: des Ho erste Quelle, die wichtigere Quelle und 
obenein den Khun-Lun samt den Tsi-Shi verlieren. Alle diese Werke, 
die in den verschiedenen Zeiträumen von den Quellen des Ho geredet 
haben, verlieren das Alte, welches doch alle verehren, desto mehr aus 
den Augen, je mehr sie es aufdecken wollen. Noch anderes hinzufügen 
oder daran ändern, hiesse — was soll ich es noch sagen? — aus dem 
Unrichtigen in eine Wildnis gehen. Was tausend Jahre lang vernach- 
lässigt ist, wer kann über dieses Wirrsal von Aussprüchen in einem 
Augenblicke ein entscheidendes Urteil fällen ?c 

Hier schliesst der Verfasser seine Bemerkungen über das Becken 
des Lob-Nur, um in den folgenden Bändchen die Stromgebiete der 
übrigen Seen zu besprechen. Von diesen kommen, — abgesehen von 
manchen geschichtlichen Bemerkungen, die sich im Si-yü-sbui-tao-ki noch 
finden mögen, — wegen der vielen Landes-Aufnahmen und Entdeckungs- 
reisen der neuesten Zeit der Balkasch-See, der Dsaissang-See, der Kyzyl- 
Bash-See, der Alaktu-kül, der Temürtü-Nur (Issik-Kül) für uns weniger 
in Betracht; Barkul lag auf dem Wege der von Sosnowski, Matusowski 
und Piassetzki ausgeführten Reise, über den Xara-Nur und Edzine hin- 
gegen möchten einige Bemerkungen Manchem erwünschter sein, vielleicht 
auch über den Ayar-Nur, den Boro-Tala-Omo und den Sairam-Nur. 
Allein andere Gebiete nehmen fürerst des Verfassers dieser Zeilen Auf- 
merksamkeit in Anspruch, der sich jedoch eine Rückkehr zu dieser 
Quelle der Kunde Inner-Asiens vorbehält. Die Wichtigkeit dieser letzteren 
ist schon vor Jahren in Russland anerkaunt worden. In den »Ergänzungen« 
nämlich, welche GrigoriefF 1873 zu seiner russischen Ausgabe des Ost- 
Turkistan betreffenden Abschnittes von Ritter's Asien erscheinen Hess, 
sind drei teils in chinesischer Sprache, teils in Mandschu verfasste 
Werke besprochen, die sich auf die fraglichen Länder beziehen. Der 
zwölfte Abschnitt der »Ergänzungen« handelt von der »chinesischen 
Herrschaft über Ost-Turkistan von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis 
zum Aufstande des Landes im Jahre 1826« und spricht auf S. 422 von 
dem 1818*) in Mandschu erschienenen »Buche der infolge hohen Er- 
lasses verfügten Gesetzlichen Verordnungen für die türkischen Grenz- 
lande« (/esei toktobu/a Xoise dzheteheui hooli /atshini bit/e), von dem 
der Verfasser sagt, dass es, nach der schon ins Russische übersetzten 

') Auch für andere dem chinesischen Kaiser unterworfene Stämme wurden um 
diese Zeit solche Verordnungen erlassen, wie Grigorieff nach der Vorrede LipowtzofTs 
zu »einer russischen Uebersetzung der .Verordnung des chinesischen Gerichtshofes der 
auswärtigen Beziehungen" (Li-Kan-YQan) erwähnt. Die für die Mongolen bestimmte 
Verordnung ist auch ins Russische übersetzt. 



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gleichzeitigen Verordnung für die Mongolen zu urteilen, viel wissens- 
werte Nachrichten enthalten müsse »nicht nur von Seiten der chinesischen 
Verwaltung des Landes, sondern auch in Bezug auf seinen Zustand unter der 
chinesischen Herrschaft«, dass wir aber leider das Werk nur dem Namen nach 
kennten; dann anf S. 423 vom Sin-Kiang-Tshi-Lio und S. 424f vom 
Si-yü-shui-tao-ki. Vom ersteren Werke (dem »Abriss einer Beschreibung 
der neuen Grenze«) sagt der Verfasser, dass uns der Inhalt dieses 182 1 
(in 2 Bänden und 10 Heften) in Peking erschienenen Werkes besser 
bekannt sei. Der Verfasser desselben war der frühere Oberbefehlshaber 
von Turkistan Sung-Tshün. Stan. Julien übersetzte einen Abschnitt des 
Werkes und gab aus dem zweiten, der von Flüssen und Seen handelte, 
Auszüge heraus, die er als Ergänzungen zu seiner dem Ta-Thsing-i- 
thung-tshi entstammenden Beschreibung Ili's im Jahrgange 1846 des 
Journal Asiatique herausgab. Grigorieff bedauert, dass nicht das gauze 
Werk übersetzt ist, das ihm, nach der von Julien gelieferten Probe zu 
urteilen (die er, Grigorieff, für sein Werk benutzt hat), herrlich (prekraa- 
naja) erscheint. Ob Sung uun das Werk selber oder durch die Hände 
seiner Untergebenen zusammengestellt habe, jedenfalls bezeugten dieses 
Buch sowie der oben genannte Bericht des Tshao-Hui, dass unter den 
höchsten chinesischen Verwaltern entfernter Provinzen nicht Belten Leute 
von Bildung und Sachverständnis in dem Masse wären, dass sie den 
Oberstatthaltern anderer, europäischer Völker hohe Ehre gemacht haben 
würden, die sich für wer weiss wie erhaben über die Chinesen hielten. 

»Bald nach dem Erscheinen des Sin-Kiang-Tshi-Lio, nämlich 1823,*) 
kam in Peking noch ein anderes, wegen des Bezuges auf das von uns 
erforschte Land wichtiges Buch heraus, das Si-yü-shui-dao-tszi (Si-yü-shui- 
tao-ki), »die ausführliche Beschreibung der Flüsse und Seen im Westlande«. 
Sein Verfasser, ein wegen irgend welcher Verschuldungen in dieses Land 
verwiesener Chinese, hatte das Glück, sich dem dasigen tsiang-kün oder 
Ober- Landes verweser gefallig zu erweisen, und nahm mit dessen Erlaubnis 
an verschiedenen Zügen und Truppen-Bewegungen Teil, infolge welches 
Umstände« er eiuen bedeutenden Teil des Landes mit eigenen Augen 
sehen und über dasselbe genaue Nachrichten sammeln konnte, was er 
auch benutzte. Diesen ihm zu eigen gehörigen Stoff vervollständigte 
er durch Auszüge aus alten und neuen Büchern über das Land, 
aus verschiedenen Berichten und Eingaben. So spricht über das Si-yü- 
shui-tao-ki und den Verfasser dieses Werkes W. M. Uspenski, der auf 
meinen Antrieb einen Auszug aus demselben gemacht hat, welcher 
im 3. (6.V) Bande der Zapiski der Kaiserlich Russischen Geographischen 

') Unter einer der Vorreden des Si-yü-shui-tao-ki steht das 3. Jahr Tao-Kuang, 
welche» grossenteils dem Jahre 1823, mit »einem Ende dem Jahre 1824 entspricht 



- 77 - 



Gesellschaft, Abteilang für Völkerkunde, unter der Ueberschrift »Ueber 
das Becken des Lob-Nur« abgedruckt ist. Nach diesem Auszage zu 
urteilen, haben die Chinesen von Ost-Turkistan ungleich genauere 
Kenntnisse, als mau nach den früheren uns bekannten Beschreibungen 
des Landes voraussetzen konnte. Der Lauf der Flüsse ist hier mit 
der grÖ9Sten Genauigkeit vermerkt, was besonders wichtig ist in Be- 
ziehung auf den Aksu-Fluss und die beiden Yulduz, über die bis dahin 
beinah nichts bekannt war; man trifft auch viele neue Nachrichten über 
die Berge an, z. B. über die Bergrücken südlich vom Tarim uud vom 
Lob-Nur; viele für die Kartenzeichnung wichtige Punkte bieten sich 
astronomisch bestimmt dar, wenn auch vielleicht nicht ganz genau, und 
man erhält ebenso wichtige Hinweise in Bezug auf ihre gegenseitige 
Entfernung; das Laud zeigt sich mit Ansiedelungen besät, von denen bis 
dahin nie die Rede gewesen war, und mit einer solchen Menge von den 
Chinesen erbauter Warttürme, dass man sich gar keinen Begriff davon 
machen konnte. Alle diese Angaben benutzen wir im folgenden, 
geographischen Teile unserer »Ergänzungen«, indem wir sie hier nicht 
überliefern, da wir sie für schon auf die zeitgenössische Erdkunde bezüg- 
lich halten«. 



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Die Bezeichnung des Krieges im Mexikanischen 

mit sprachlichen Erläuterungen 
ron Walter Lehmann, Berlin. 



Bei der Schwierigkeit, die in den altmexikanischen Bilderhand- 
schriften vorkommenden Symbole, nach Laut und Bedeutung, zu erklären, 
erscheint es als eine dankbare Aufgabe und als ein wichtiges Hilfsmittel, 
die, ihrem Begriff nach, sicher festgestellten Symbole vom positiv ge- 
gebenen Boden der Sprache aus etymologisch zu beleuchten, ehe man 
sich in das, an Hypothesen reiche, Gebiet des Symbolismus der mittel- 
amerikanischen Culturvölker hinauswagt. 

Eines der interessantesten Symbole dieser Art ist atl tlachinoili, 
ein metaphorischer Ausdruck für den Krieg, welchen ich in grammatischer 
und etymologischer Hinsicht im Folgenden eingehender besprechen will. 

Zunächst ist zu bemerken, dass, was die grammatische Seite dieser 
Redensart anlangt, diese nicht unpassend den Dvandva des Sanskrit an 
die Seite gestellt werden kann, welche aus der Zusammenstellung von 
zwei oder mehr Substantiven bestehen, die einander koordinirt sind, d. h. 
in gleichem Casusverhältnis stehen und dem Sinne nach durch »und« 
verbunden sind. 1 ) 

Atl tlachinoili würde demnach, zunächst ohne Rücksicht auf 
Etymologie »Wasser und Brande bedeuten. Als Synonyma kommen 
folgende andere Dvandva vor: 

uritl chimalli »Pfeil und Schilde, »guerra o batalla« (Molina). 

chimalli ma-c-quauitl »Schild und Schwert«. 

xiuhcouatl mamalhuaztli »Türkisschlange und Feuerbohrer«.') 

otla-na-mitl teueuelli »vier Pfeile und Zerstörung«. Die vier 

Pfeile sind die Waffen des Kriegsgottes. *) otlanamitl ist gebildet aas 
otlatl »cana macica y rezia« (Molina), nau oder naui »vier«, dessen u 
vor m, nach bekanntem mexikanischen Lautgesetze sich zu m assimilirt, 

') s. Bopp, kritische Grammatik der Sanskritaspr., in kürzerer Fassung, 1863 p. 
435 § 587. 

*) So wird von Uitzilopochtli gesagt: tepan quitlaga in xiuhcoatl im 
mamalhuaztli, q. n. yaoyotl, teoatl tlachinoili „er schleudert auf die Leute 
die Türkisschlange, den Feuerbohrer, d. h den Krieg. Speerwerfen und Brand". (Saha^on 
I. 1.) Vgl. Seier, Tonalamatl der Aubin'ächen Sammlung p 77. 

>) ». Seier, die Bilderhandschriften Alexander von Humboldt'* p. 34, 67. 



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79 — 



wobei oft Dur ein m geschrieben wird. 1 ) teueuelli gehört zu dem 
verbum ueloa . nitla »desboronar, deshazer o derribar algo« (Molina), 
ueueloa »zerstreuen, zerstören. te ist vielleicht das inkorporierte . 
te-tl »Stein«.*) 

Dem entsprechend sieht man in den Bilderhandschriften Hieroglyphen 
des Krieges, welche bald Schild und Schwert'), eventuell mit Fussspuren, 4 ) 
bald Schild und Pfeile, auch mit dem Teile eines Wurf brettes,") zur 
Anschauung bringen. Eine andere Hieroglyphe, die z. B. im Codex 
Mendoza sich häufig findet und ein Haus mit eingestürztem Strohdach 
und herausschlagenden Flammen darstellt, bezeichnet weniger den Krieg, 
als die Eroberung einer feindlichen Stadt. 

Indem ich andere Ausdrücke für Krieg wie yaoyotl »guerra o 
batalla«, xochi-yaoyotl »Blumenkrieg, d. h. kein ernsthafter Krieg, 
Scharmützel«, namiqui »feindlich zusammenstossen«, icali »pelear contra 
otros« u. 8. w. übergehe und mir eine Besprechung des Dvandva im 
Mexikanischen vorbehalte, wende ich mich nunmehr der Etymologie von 
atl tlachinolli zu. 

Tlachinolli, um mit dem Einfachen zu beginnen, ist part. pass. 
von tla-chinoa »quemar los campos o montes« (Molina), und bezieht 

* 

sich auf das übliche Verfahren der Eroberung eines feindlichen Landes, 
die Brandschatzung der Felder, auf das »Sengen und Brennen«. 8 ) 
atl hat im Molina verschiedene Bedeutungen: 

a) agua 

b) orines 

c) guerra 

d) la mollera de la cabeca. 

Wenn nun auch a, b, und d sich wohl mit dem Sinn von Wasser, 
Flüssigkeit, vertragen, da mollera de la cabeca sich auf die Fontanellen 
des jugendlichen Schädeldaches und das Fühlen des darunter liegenden 
weichen Gehirns beziehen wird, so ist atl im Sinne von Krieg — indem 
dabei eben an die vollständige Phrase atl tlachinolli gedacht ist — 
mit dem übrigen unvereinbar. 1 ) 

') Vgl. quammaiac „borcajadura de arbol" aus quauh + maxac, quam-maitl 
„Zweig des Baumes" aas quauh maitl. 

*) Ueber teueuelli als Schild Uitzilopochtli's, vgl. Seier, Vertiffentl. aus dem 
Kgl. Museum f. Vrtlkerk. I 4, p. 122, vgl. auch Sahagun, Gant. V, 2 u. Ol. 

») z. B. Cod. Teller. Rem., Teil 3 Bl. 8 (Kiugsborough I). 

«) z. B. Cod Boturini, Kingsborough I, 8, 10. 

*) z. B. Cod. Mendoza, Teil 1 (Kingsborouph 1, 5, 7). 

•) Ueber tlachinolli als „Verbrennung der Felder", vgl. Seier, Tonalamatl p. 72 
') S. tla-atlatla p. 14. 



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— 80 - 



Vernichtet man Ländereien mit Wasser? Doch, gesetzt den Fall, 
man hätte bei atl tlachinolli sich die verheerende elementare Gewalt 
des Wassers vergegenwärtigt, so weist doch der Aasdrnck teuatl 
tlachinolli, den Molina in der Form tlachinolli teuatl verzeichnet, 
ganz wo anders hin. 1 ) 

Zunächst ist zu betonen, dass teo-atl durchaus nicht »Wasser des 
Gottes, göttliches oder kostbares Wasser« bedeutet, wie Herr Dr. Preuss 
annimmt, 3 ) sondern »eigentliches atl, das wahre, das echte atl«.*) Der 
Stamm teo kommt freilich vou teotl »Gott«, er nimmt dann die Be- 
deutung des Wahrhaften, Echten — der Eigenschaft des Gottes — an 
und dient, in Composition mit andern Worten, zur Unterscheidung einer 
Sache von einer anderen; so gebraucht man Teo-tenanco »das eigent- 
liche Tenanco« etwa wie wir Alt-Cöln und Neu-Cöln sagen, Teo-atzinco 
»das eigentliche Atzinco« und viele Ortsnamen mehr. 4 ) teo-itta »hallar 
la cosa que se busca, con mucho trabajo y afan, o con gran dificultad* 
(Molina) ist wörtlich »wahrhaft sehen, scharf sehen«, teo-xiuitl 
»turquesa fina y preciosa (Molina) ist der echte Türkis — wie Xiuh-nel*) 
zu nelli »cierto, ciertamente, o de verdad« — zum Unterschied von 
andern, weniger kostbaren grünen Steinen, teo-quecholli »cierto paxaro 
de pluraas ricas« (Molina) ist der eigentliche quechol- Vogel (rother 
LöflFelreiher, Cotinga). Teo-chichimecä sind die eigentlichen Chichimeken. 

Teo-atl beweist, dass atl anders als einfach »Wasser« zu verstehen 
ist. Dies fuhrt mich dazu, nachzuforschen, ob für atl nicht die 
Etymologie eine Erklärung zu bieten im Stande ist, welche zugleich 
dem Sinn von atl tlachinolli gerecht wird. 

Herr Prof. Seier erwähnt die Verbalform atinemi, die im Sahagun 
auf die jagdliebenden Chichimeken bezogen wird. Er übersetzt »sie 
schiessen« 8 ). Herr Dr. Preuss dagegen ist geneigt, diese Form von ami 
»montear o cacar« (Mol.) abzuleiten, das im Praeteritum o-n-ä »ich jagte c 
lautet. Nach der Grammatik des Caroohi verlangten die, mit dem Hüfs- 

•) Einige Stellen, wo teoatl tlachinolli sich findet, sind : xi-rao-y ollebaayso 
oncan manian teoatl tlachinolli „dort soll man Krieg anstiften* (Brinton, Ancient 
Nahuatl Poetry, VI, 4). otlaltitecbya in altepetl teoatl tlachinolli ye 
opoliuh . . . .Die Stadt wurde mit Feuer und Schwerdt zerstört" (Fray Juan Bautista. 
Sermones en lengua mexicana p. 122). 

') Dr. Preuss. die Hieroglyphe des Krieges in den mex. Bilderhandschriften. 
Ztschr. f Ethn. XXXII (1900) p. 110. 

•) Vgl. Seier. Tonalamatl p. 71 b 

4 ) S. Ant. Peflafiel. Nombres gengraphicos de Mexico, Mexico 1885. 
•) Name einer Person im Codex Boturini, Blatt 2. 
•) Seier, Tonalamatl, p. 71. 



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- 81 - 



» 

verbum nemi »leben, sieb befinden« durch die Ligatur ti verbundenen, 
Verben das Praeteritum. 

Grammatisch mag dagegen nichts einzuwenden sein; ä-ti-nemi »sie 
leben in beständiger Jagd t, o-n-ä »ich jagte «sind dann aus an-ti-nemi, 
o-n-an entstanden, ähnlich wie o-ni-ma »ich wusste« aus o-ni-mat, 
o-ni-quä »ich aase aus o-ni-qua-c. 

Würde es aber eine Wurzel a 1 ) von der Bedeutung »werfen, 
schiessen« geben, so könnte ä-ti-nemi sehr wohl zu ihr geboren. Die 
Wiederholung ein und desselben Gedankens, atinemi tlamintinemi »sie 
werfen, sie schiessen beständig« ist nicht auffallend, da gerade die 
mexikanische Sprache eine solche Häufung gleichartiger Ausdrücke liebt. 
Alsdann könnte atinemi aus a-c-ti-nemi entstanden sein, da das 
Praeteritum der einsilbigen vokalischen Stämme c anfügt, vielleicht schon 
deswegen aber mit Schwinden dieses c, um es von ac, der Wurzel von 
aqui »hineingeben — sich freuen«*) zu unterscheiden. 

Man muss jedoch bei dem Aufsuchen von Wurzeln in einer, leider 
in ihrer Entwicklung wenig bekannten, Sprache, deren Vocabelschatz in 
dem Lexikon des Molina vom Jahre 1571 meist in nicht ursprünglichen 
Bedeutungen niedergelegt ist, äusserst vorsichtig sein und alle Möglich- 
keiten ins Auge fassen. Ich will daher hier die mannigfaltigen Bedeutungen 
der Wurzel a folgen lassen und, der Reihe nach nummeriert, kurz 
besprechen: 

1. ä, i-tl mit den p. 79 a— d besprochenen Bedeutungen. Vgl. auch 
noch n-a-uh »mi mollera« t-a-uh »la mollera de la cabeca« 
(Molina) in possessiver Verbindung; frequentativ in aa-quetza 
»alcar y abaxar amenudo la cabeca, como loco«. Ferner a-quetz- 
ca-ciuatl »muger desonesta y sin verguenca« (ein koquettes Weib, 
das den Kopf emporwirft). Zu ä-tl »agua« fuge ich als bedeut- 
sam das Vorkommen im Sinne von »aguacero«*) hinzu, da hier 
die Vorstellung des »Geworfen werdens«, auf die es mir ankommt, 
hindurchbricht. 

2. ä »freuen«. Dieser Stamm ist lediglich in Ableitungen erhalten. 
Molina giebt das directe Compulsiv ä-tia mit Bedeutungen an, 
die sich mit 1. vermischen, nämlich: 

»derretirse o pararse ralo lo espesso (zu atl »Wasser«), regalarse 
ö alegrarse mucho.« 

•) Derartiger Stamme, die aus einem Vocal bestehen, besitzt das Mexikanische 
mehrere, z. B. i .trinken*, o .Hegen", e-tl „die Bohne", ö-tli .der Weg". 

*) Vgl. das Frequentativum aaqui .gozarse y aver muy gran placer" (Molina). 

*) Vgl. Seier, Tonalamatl p. 7, die guatemaltekische Liste der 20 Tagesreichen : atl, 
6 qniahnitl .el aguacero" (No 9). 

•> 



- 82 - 



Weitere Derivate sind a-uia »tener lo necessario y estar contento», 
auia-c »cosa suave y olorosa, o cosa gustosa, auiani »das Freuden- 
mädchen«. Auiatl >Gott der Erlustigung«'), abauil-yotl >die 
Lustbarkeit«, auil-tia . nino »sich ergötzen«, auilli »der Mut- 
wille«, part. paBs. von ä-ui »fröhlich sein«, auatl »Frau« (wie 
Venns zu V^ven »angenehm, lieblich« vgl. skr. venas »lieb«, 
vinum »Wein«, unser Wünschen, ahd. wini »Freund«, skr. vauas 
»Last«, unser Wonne.) 

3. <k, verkürzt aus amo »nicht«, das mexikanische aprivativura. 

4. ä »zanken«; ä-ui »zanken«, ä-ui-lia »auszanken«. 

5. a aus ya »gehen«, ni-a-z »ich werde gehen«, o-ni-ä »ich ging«. 

6. a »werfen«, auf welches ich sogleich naher eingehe. 

Indem ich die Spuren der Wurzel a im Sinne von 6 nachweisen 
werde, bezeichne ich der Ueberaicht halber die einzelnen Belege mit den 
Buchstaben des lateinischen Alphabets: 

a) a-ti-c mitl ist nicht der »flüssig gewordene« Pfeil 1 ), sondern 
der »geflügelte« Pfeil*), atic, ein Participiura, ist abzuleiten 
entweder von dem intransitiven a-ti, oder dem compuhiven 
a-tia, Abkömmlingen der zu erörternden Wurzel a »werfen«. 
Die unter 2. angeführten Bedeutungen geben hier keinen Sion. 
Da atic in Verbindnng mit mitl »Pfeil« steht, so liegt es an und 
für sich schon nahe, an eine Bedeutung zu denken, die mit »werfen« 
in Zusammenhang steht. Gäbe es ein Verbum a »werfen«, 
so wäre atic mitl sehr einfach »der Pfeil, den man werfen 
machte«. Die Ableitung von a-tia »schmelzen«, wobei dieSchnellig- 
keit des Wassers auf den Pfeil übertragen worden wäre, erscheint 
mir unwahrscheinlich. Jedenfalls bedeutet atlan nino tlaroina 4 ) 
»im Wasser dahinschiessen — schnell schwimmen« wörtlich nur 
und nur »ich schiesse mich im Wasser hin«; die Schnelligkeit 
liegt in dem, von mitl »Pfeil« abgeleiteten, Verbum mina 
»schiessen«, nicht in a-tlan »im Wasser«, welches allein das 
Medium ist, in dem die schnelle Bewegung vor sich geht. 

«) S. Seier, Tonalaroatl p. 86. Vgl. auch iü den Anale« de QnaubtiÜan die Stelle 
amech-ra-a-ti quiuh „er kommt euch zur Freude*. 

») S. Dr. Preuss, die Schicksalsbücher «1er alten Mexikaner, Globus Bd. LXX1X 
No. 17 p. 262 b. 

») S Seier, Tonalamatl p. 71b 

«) Herr Dr. Preuss schreibt in der, Anm. 2 erwähnten, Stelle: .atic mitl beisst 
ferner eigentlich „der flüssig gewordene Pfeil", von atia „schmelzen* und bezieht sich 
auf das auch bei uns gebräuchliche Bild des dahinschie.ssenden Wassers. So sagt 
ähnlich der Mexikaner: atlan nino tlamina .im Wasser dahin schiessen für schnell 
schwimmen ". 



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- 83 — 



b) Nun finde ich im Molina a-ti-lia »derretir algo, o frechar 1 ) 
arco« angegeben. Die erste Bedeutung bezieht sich anf a-tia 
»schmelzen«, die zweite aber zeigt klar, dass die Wurzel o den 
Sinn von »schlössen, werfen« haben mnss; atiliaistein Compul- 
sivum-Applicativum direkt von a, »werfen in Bezug auf jemaud, 
achiessen auf jemand«, und zwar speziell mit Pfeilen. Das ein- 
fache Compulsivum ist a-tia »werfen machen«. 

c) a-tl »Wasser« lässt sich auffassen als ein Participium passiv, 
zu o, »das Geworfene«. Ich betone an dieser Stelle ausdrück- 
lich, dass das Mexikanische ziemlich häufig Participia passiva auf 
tl bildet, wofür folgende Beispiele als Belege dienen mögen: 

tla-xqui-tl »cosa asada en las brasas, o en el rescoldo« (Mol.) 

Part. pass. zu ixquia. 
tlaxiuh-cuicui-tl »cosa deservada«; part. pass. zu cuicui 

(vgl. tlaxiuhcuicuiliztli »el acto de deservar«). 
tla-tzin-cui-tl »grano de mayz deshollejado y despicado«, 
tla-cuicui-tl »cosa labrada o esculpida en madera o en piedra«. 

Vetancourt*) erwähnt ebendasselbe Beispiel: 
cuicui -tl »in Holz geschnitten« und ferner 
tla-pi-tl, Part pass. zu pi »Kräuter sammeln«. 3 ) 
tla-tqui-tl »das Gebrachte, der Tribut« von itqui »tragen«, 
tla-chichi-tl »remiendo, o nianta remendada von chichi (vgl. 

chichichi . nitla remendar vestidura«). 
tla-cen-cui-tl »cosa tomada afsi, o adestejo y hasta el cabo« 

Part, pass* zu cen-cui »gänzlich nehmen«, 
tla-ate-cui-tl »capado-castrado«, einer, dem die Hoden (a-tetl) 

weggenommen sind, 
tla-co-tl (tla-9090-tl) »cosa ensartada« von 90 (9090) . nitla 

»ensartar cuentas«. 
tla-oco-tl »der über etwas Betrübte« Part. pass. zu tlaocoya 

»estar triste«. 4 ) 

Diese Beispiele, die sich leicht vermehren Hessen, dürften genügen, 
um jeden von der Existenz auf tl gebildeter Participia passiva, die sich 
zu Substantiven entwickeln (tlatquitl), zu überzeugen. 

') frechar steht für das jetzt gebräuchliche flechar (vgl. franz. flache). 
*) VeUncort. arte de la lengua mexicana p. 13b. p. 14a: tla-i-tl „getrunkenes". 
Vgl. auch Carochi p. 128. 

») 8. W. v. Humboldt, mex. Gramm. § 14 

*) Ich finde in einer Handschrift der kgl. Bibliothek zu Berlin den Eigennamen 
Miguel tlaocotl, wo tlaocotl durch die beigesetzte Hieroglyphe, ein Gesicht mit 
einer Thrfne, erläutert wird. 

6» 



- 84 - 



Für die passive Natur des Wortes atl würde seine Verbindung mit 
tlacbinolli >etwas Verbranntes« ebenfalls sprecben. 

ÄU8 der Vorstellung des Werfens, Springens entwickelt sich un- 
gezwungen die des Wogens und Wallens, des hüpfenden, bewegten 
Wassers, des Wassers im Allgemeinen. 

d) atlatl »amiento«, das Wurfbrett, zeigt auf das deutlichste die 
Wurzel a in ihrer Bedeutung »werfen«. Es ist noth wendig hier 
einige Worte Qber die merkwürdige Bildungsweise zu sagen. 

Herr Prof. Seier 1 ) nimmt an, dass atlatl ein Instrumentalis 2 ) sei, 
und indem ich diese Auffassung unbedingt für richtig halte, will ich den 
Instrumentalcharakter an ähnlichen Bildungen darlegen, doch zuvor kurz 
die anderen Weisen der Instrumentalbildung erwähnen. 

Einige Substantiva der Art sind ursprünglich nichts anderes als 
Participia, gebildet vom Passivum der Verben -f- der Participialendung 
des Aktivum (ni), wie z. B. tlaui-lo-ui »cirial«, das womit es hell 
wird, tlutzacuillotzotzona-lo-ni »aldava de puerta para dar golpes 
y llamar cou ella«, tla-xexe-lo-ni »instrumenta o hacha para rajar o 
hender madera«. Andere fügen am Ende yan hinzu, doch bedürfen sie 
des vorgestellten Pronomen possessivum, i-tla-qua-ya »sein etwas essen 
womit — sein Essgeräth«. i-atl-i-ya »sein Trinkgefass«.*) Atl-i- 
aqni-yan (Atliaquian) »Ort, wo das Wasser in die Erde hineingeht«. 4 ) 

Mehrere Substantive entstehen durch angefügtes z-tli an Verben, 
und erscheinen passivisch. Ich mochte sie fast als Participia futuri 
passivi ansprechen, da z der Tempuscharakter der Zukunft und tli 
Endung des Participiums pass. ist; z. B. tzotzopa-z-tli »Messer zum 
Festscb lagen der Gewebe« von tzupa »acabar y concluir de texer la 
tela o la boveda« (Molina); chicaua-z-tli »womit man kräftig macht«, 
d. h. die Rassel; tle-qua-z-tli »worin etwas vom Feuer (tletl) ver- 
zehrt wird — der Feuerherd«. 4 ) aaztli »das, womit man wirft, sich 
hin und her bewegt — der Flügel« (ala para bolar. Molina). Das . 
Fliegen wird mit dem durch die Luft werfen verglichen. Ich spreche 
über aaztli noch später. 

Endlich werden einige instrumentalartige Worte in der Weise ge- 
bildet, dass an die Participialendung des passiven tl das Substantiv 
suffix tl mit dem Bindevokal a gefügt wird, wodurch die passive Natur 

') Tonalamatl, p. 71. 

«) Dies bestreitet Herr Dr. Prcuss (Globus LXXIX No. 17 p. 262 b), es gäbe für 
eine grammatische Form wie atlatl .womit man schiedst* kein Analogon bei irgend 
einem Ter b am. 

s ) Anales de Quaubtitlan. 

4 ) Cod. Botarini. Aehnlich sind mehrere Ortsnamen gebildet. 



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- 85 - 

dieser Worte sich erklärt. Der Bindevokal a findet sich sonst in vielen 
Substantiven wie ilam-a-tl (neben ilan-tli), cam-a-tl (vgl. can-tli), 
cozc-a-tl, tozc-a-tl, com-a-tl, malac-a-tl, nac-a-tl, yac-a-tl 
11. a. m. 

atlatl »Wurfbrett« ist also a-tl-a-tl abiutheilen: 
a Stamm, 

Ü Endung des Part, pass., 

a Bindevokal, 

Ü Sabetantivendnng. 

Ebenso ist ma-tl-a-tl »Netz« gebildet und bedeutet wörtlich »das, 
womit genommen wird«, ma »fangen« (von nia-it) »Hand«, mal Ii 
»der Gefangene«). Dass atl Endung ist, gebt aus qua-te-matl-e 
»einer, der am Kopf das Netz tragt« hervor.') 

Genau so verhalt sich tlamamatlatl »escalon o grada« (Molina). 
Die Stufe, vornehmlich die der Pyramide, ist im Mexikanischen abgeleitet 
aus der leicht verständlichen Vorstellung des auf dem Rücken Tragens 
(mama). Denn wenn jemand auf einer Stufe steht, so trägt diese ihn 
gleichsam auf ihrem Rücken. Grade diese Art des Tragens bezeichnot 
mama »llevar carga a cuestas« (Molina), mamallitli, tlamamalli, 
mamatlatquitl ist »die auf dem Rücken getragene Devise«. *)te-tlamama-lo 
»hijo(a) segundo(a) (Molina) ist das auf dem Rücken getragene Kind; 
teo-mama »der Priester, der deu Gott auf seinem Rücken trägt«; diese 
Vorstellung gilt auch vom König, der sein Volk, die Verantwortung auf 
dem Rücken trägt, weshalb cem-mama geradezu »regir y governar a 
todos« (Molina) bedeutet, und entwickelt sich endlich im Sinne 
von Verpflichtung, Auftrag, vgl. mic-ca-te-mania-qui-liztli »mandas 
de testamento« (d. h. sterbend jemandem einen Auftrag geben). — 
te-mama-tl-a-tl ist die steinerne Stiege »escalera de piedra« (Molina), 
tlamamatla-yaualli (oder — ilacatztli) »caracol de escalera«; 
cecen-tlamamatla-c bedeutet »en cada grada, o grada a grada« (auch 
cecen-tlamamatla-pan). 

Hieran schliesse ich sogleich das ganz ähnlich gebaute, sonderbare 
tememetlatl »molleja de ave« (Molina) »der Kropf«. 3 ) Zunächst ent- 
hält dies Wort te-tl »Stein« im Siune von etwas Grossem, Rundem, in 

') Technische Bezeichnung gewisser Opfer, die in Netze gethan und solange gedrückt 
wurden, bis die Eingeweide herauskamen. Diese Sitte bestand bei den Matlatzinca zu 
Ehren ihres Gottes Coltzin. 

*) 8. Seier, Veröffentlichungen aus dem Kgl. Museum f. Völkerk. I 4 p. 128, 124, 
120. Vgl Molina: tlamamalli „la carga que leva a cuesta» el tameme (letzteres 
aas tlameme). 

*) Das gewöhnliche Wort für Kropf ist quech-nacatl „Halsfleisch*; 



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— 86 - 



welcher Weise gerade tetl allgemein gebraucht wird, was a-tetl 
»Wasserstein — Hoden«, coa-tetl »Schlangenei c , ayo-tetl >calabaca 
o melon«, totol-tetl »Vogelei«, mich-tetl »Fischei«, tlal-tetl 
»parrafo, o punto encima de letra, o tilde«, tzin-tetl »cimiento de paredc, 
tlaoi-tetl »Feuerbecken« beweisen, memetlatl enthält die Wurzel 
meme, welche als gleichbedeutend mit dem eben erwähnten mama von 
Molina angegeben wird. 1 ) te-menie-tl-a-tl bedeutet demgemäss ursprüng- 
lich soviel wie »das, womit etwas Rundes getragen wird«. 

Auch max-tlatl »Schambinde« ist nach diesem Schema zu zerlegen 
in max-tl-a-tl. Die Wurzel max 1 ) bezeichnet das Gespaltensein, das 
sich Gabelnde, Spreizende. A-max-cal-Ian ist der Weiler, wo das 
Wasser (der Fluss) sich theilt. Siehe auch Ortsnamen wie Iztac-max- 
titlan, A-max-tlan. a-maxaub-ti-nenca s )» sie lebten ohne Scham binde« 
wird von den Cuexteca gesagt, von maxaua »Schambinde haben«, aic 
o-mo-max-tla-ti-que »darum bekleideten sie sich nicht mit Scham- 
binden« 4 ) fasse ich so auf, dass der Stamm max mit dem Verbura tlatia 
»verbergen, sich einhüllen, anziehen« verbunden ist. 

Max-tl-a-tl ist demnach die Binde, die zwischen den Beinen durch- 
gezogen wird'), um die Schamtheile, die übrigens geradezu durch maxac 6 } 
bezeichnet werden, zu verdecken. Die eigentliche Bedeutung ist, »das, 
womit etwas gespalten wird«, nämlich die Beine. Dass atl die 
Substantivendung ist, beweist maxtl-e »mit Schambinde versehen«, der 
Name eines eigentümlichen Thieres, wohl des Gürtelthieres 1 ) (gossypinum 
cingulum), das Hernandez anführt, in-i-maxtl-i 8 ) »seine Schambinde«. 
Letzteres hat wegen der Doppelkonsonanz des Stammendes ein t zur 
Lautmilderung angefügt, ebenso wie no-eozqu-i »mein Halzgeschmeide«, 
das von cozc-a-tl gebildet ist. 

') a gebt oft in e Ober; vgl. chia und chie „sehen", pia und pie „behüten" u. a m. 

*) Max ist wahrscheinlich aus maxa, maxal entstanden. Vgl. ö-maxal-co und 
ö-maxa-c „Wegscheide"; ma-xa-c dürfte aber aus ma-itl .Rand- und der Wurwl 
xal, welche eigentlich „teilen" bedeutet, zusammengesetzt sein (vgl. xaloa = xeloa 
„partir, rajar o dividir algo", maxaloa = maxeloa „mit der Hand zertheilen, lichten, 
von einem Wege abgehen"). 

*) Anales de Quauhtitlan. 

«) Anales de Quauhtitlan. 

») S. Seier, Vcroffentl. aus dem kgl. Museum f. Völkerk. I 4 p. 146. 
*) So z. B. Molina, Confessionario major (1578) p. 3. 

T ) Ein audrer Name des Gtlrtelthieres ist ayo-tochtli „Schildkrötenkaninchen*. 

*) Anales de Quauhtitlan y-tlaQO-maxtl-i „er tragt seine kostbare Scham binde" 
(Sahagun), vgl. Seier, Veröflentl. I 4 p. 139. Uebrigens besteht neben maxtlatl auch 
max tli, z. B ama-maxtli „unos pafios menores de los satrapo» que elloe usaban de 
papel" (Sahagun 1, 108). 



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— 87 — 



Ad diese sicheren Beispiele, welche durch angefügtes tl-a-tl ent- 
stehen, reihe ich endlich noch andere, welche sich zwar gut dem Schema 
anpassen, deren dadurch gewonnene Wurzeln aber etymologisch kaum 
mehr zu erklären uud auch sonst in der Sprache verschollen sind. Es 
handelt sich um Worte wie: 

o-tl-a-tlf »Rohr«. Eine Nebenform otätli vermag ich nicht zu 
erklären. Doch ist das Verhältnis dasselbe wie von matlatl zu matätli. 

petl-a-tl »estera« (Matte); oo-petl heisst »meine Matte«. Das 
Wort findet sich in vielen Zusammensetzungen, tepetlatl »tozca o 
cuzilla« (Tuffstein) kann man te-petlatl, aber vielleicht auch tepe-tl-a-tl 
abteilen (tepetl ist der Berg). 

Der Stamm von pe-tl-a-tl wäre, nach dem Schema, pe. Es ist 
möglich, dass dieser die Ausbreitung bezeichnet und in te-pe-tl »Berg«, 
neben te-tl »Stein«, enthalten wäre, wozu auch pe-ua »sich erheben« ge 
hören könnte. Doch erscheint eine andere Etymologie einleuchtender, 
nämlich die Ableitung von einer Wurzel pe, pe-tla »schimmern«. 
Dies würde ausgezeichnet auf den matten Glanz der aus Binsen ge- 
flochtenen Matten passen: pepetlaca »resplandecer o relumbrar — cosa 
resplandeciente«, ferner in pe-tla- ui »nackt sein« (schimmern des nackten 
KörpersX pepe-tla-ua . nite »despojar o desnudar a otro« (Molina). 
Die einfache Wurzel pe glaube ich in pe-yu-tl (für pe-yo-tl) »capullo 
de seda, o de gusano« und in pepeyoca »relumbrar el agua, o los 
campos cou la claridad y reberveracion del sol o de la luna« (Molina), 
pepeyoctli »Anhängsel von Gold« (pinjantes) zu finden. Mit tla er- 
weitert in xi-pe-tla »poliren« 1 ), ähnlich wie icniuh-tla zu icniuh-tli 
»Freund«, yao-tla zu yao-tl »Feind«, tlac,o-tla »lieben« zu tlaco- 
tä-tzin-tli »geliebter, verehrter Vater«. Mit einem Dental erweitert 
tritt die Wurzel in anderen Ableitungen auf, die ich hierher rechnen 
möchte, petz-oa »glätten«, pepetz-ca »glänzen«, 1 ) pepetz-ti-c »glatt, 
glänzend«, a-petz-tli »margarita« als die wasserglänzende, qua-xi-petz- 
tli »Glatze« (Stirnglanz), cuztic apetztli »aide, color amarillo«; da 
bekanntlich in vielen Sprachen die Begriffe schnell und glitzern, funkeln, 
leuchten, glänzen aus einer und derselben Vorstellung sich ergeben, so 
vermute ich denselben Gedankengang in den, deshalb etymologisch hier- 
hergehörigen, folgenden Worten: petla . nite »romper o hender con 
impetu los enemigos«. petla . nitla »horadar algo, o hazer portillo, o 
hender por Canaveral« (Molina), pepetla . nite »kämmen, schmeichelnd 

») Nach Herrn Prof. Seier ist xi-petla durch Metathesis aus ix -petla entstanden, 
ixtli bedeutet «Auge, Gesicht, Oberfläche". 

*) „reluxir la heda, n la« plumas ricas", u. Glosse iura Lex. des Molina (1571) in 
dem Exemplar der Universitätsbibliothek Berlin, „relucir el sol". 



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streicheint, peynar a otro, o halagar le trayendo la mano sobre la cabeca, 
y assentandole el cabello con ella« (Molina), mit Bezug auf die ge- 
glätteten, glänzenden Haare; petzcahui »durch die Hände gleiten« 
(pepetztic »glänzend«), petz-coatl »anguis lubricus«. 

Endlich besteht noch ein Stamm pech »eindrücken«, der anch 
geradezu neben petlatl auftritt, z. B. xo-pechtli und xo-petlatl 1 ) 
»cimiento del edificio«; icxi-petlalli >rastro de pisada, o de patada< 
(zu icxitl »Fuss«) enthält petla in dem Sinne von eindrucken. Diese 
Wurzel pech, älter pach (vgl. pachoa »eindrucken«, ma-pachtli 
»Waschbär« — der mit den Händen eindrückt) könnte etymologisch mit 
petz ident. sein. Die Idee des Eindrückens, des Breiten würde aber für 
die der Matte ebenfalls zutreffen, da diese auf dem Boden aus- 
gebreitet wird. 

Dem Bau nach schliesst sich an petlatl ferner metlatl »der Mahl- 
stein« an, spanisiert metate. Die Wurzel würde me sein, für die ich 
jedoch keine Erklärung zu geben vermag. Die Endung atl fällt in 
possessiver Zusammensetzung fort, no-metl »mein Mahlstein«. 

Endlich sei noch cuitatl »mierda« erwähnt, wovon no cuitl als 
Possessivum gebildet ist. Die WuVzel wäre cui. Es ist aber schwer, 
eine bestimmte Bedeutung derselben beizulegen. Der Ausdruck teo- 
cuitlatl würde »eigentliches cuitlatl« bezeichnen, sodass cuitlatl hier 
in irgend einem ursprünglichen Sinne zu verstehen sein müsste. Vielleicht 
stellte man sich die kostbaren Metalle, Silber und Gold, als Excremente 
der Erde vor und nannte diese die wahren, die echten. Sonst bezeichnet 
cuitlatl, in Verbindung mit anderen Worten, die verschiedensten Ab- 
sonderungen des Körpers von Menschen, Thieren und Pflanzen 3 ). — 

Dies sind alle mir auffiudbaren Beispiele von Substantiven, die auf 
tl-a-tl gebildet sind. Zweifellos wird die alte Sprache deren noch mehr 
gekannt haben. Immerhin ist die Bildungsweise keine so seltene, wenn 
fünf sichere und vier zweifelhafte Fälle dafür sich belegen lassen. Der 
besseren Uebersicht halber, und um die Gesetzmässigkeit der Bildung 
hervorzuheben, seien noch einmal die besprochenen Substantive hier an- 
geführt: 

a-tl-a-tl, V a »werfen«; das, womit man wirft. Wurfbrett, 
ma-tl-a-tl, V ma »fangen«; das womit man fängt. Netz, 
tla-mama-tl-a-tl, V mama »tragen«; das, womit etwas getragen wird. 
Stufe. 

') Das Lautverhältnis ist ähnlich wie das von mati „wissen" zu mach-tia .wissen 
machen"; xotla .begrenzen", xochtli .Grenze". 

') Vgl yaca-cui tlatl .Schleim", nacaz-cuitlatl Ohrenschmalz", xico-cuitlatl 
„Wachs", chal-cuitlatl .yerva de la golondrina", tzinacan-cuitla-q uauitl „Baum 
mit leimgebendem Harz". 



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te-meme-tl-a-tl, V meme »tragen«; das, womit etwas Randes getragen 
wird. Kropf. 

max-tl-a-tl, Vmax »spalten«; das, womit etwas gespalten wird. 
Schambinde, 
o-tl-a-tl, Vo ? ? Rohr, 
pe-tl-a-tl, Vpe »glänzen oder ausgebreitet sein«; das, womit 

man ausbreitet. Matte, 
me-tl-a-tl, Vme ? ? Mahlstein, 
cui-tl-a-tl, Vcui ? ? Koth, Excrement. 

e) aaztli »ala para bolar« ist ein Instrumentalis auf z-tli von der 
reduplizierten Wurzel a »werfen« 1 ). Sonst finde ich für »Flügel« 
im Molina noch a-tlapalli, ama-tlapalli (auch »ala de papel«). 
tlapalli dürfte in dieser Verbindung schwerlich »Farbe« bedeuten, 
vielmehr gehört der Stamm pa zu patlani »bolar«, oder patla 
»tauschen, wechseln«, pa-ti-lia . nite »errar a otro en el 
Camino«. Ein drittes Wort für Flügel ist azca-tlapalli und 
aztla-capalli mit merkwürdiger Umstellung von ca; tlapalli 
scheint in beiden enthalten zu sein. An azca-tl »hormiga« ist 
kaum zu denken, das erste Element scheint zu aaztli »Flügel« 
zu gehören. Ich will es jedoch nicht ausschli essen, dass aaztli 
(az-tli) »Flügel« vielleicht etymologisch zur Wurzel az »weiss« 
gehört, vgl. aztatl »Reiher«, iztatl »Salz«, den Namen der 
mythischen Urheimat Az-tlan. s ) 

f) tla-a-tlatla »abochornarse las sembradas con agua y sol« 
(Molina) besagt genau dasselbe wie atl tlachinolli; a ist atl, 
tlatla ist »brennen« (Wurzel tla, vgl. tlaui »hell werden«). 
Die spauische Uebersetzung besagt »Ländereien ausdörren mit 
Wasser und Sonne«. Hierbei muss an einen metaphorischen 
Ausdruck, offenbar an atl tlachinolli, gedacht sein, tlaatlatla 
gilt allgemein für die Verwüstung der Felder, to burne with fire 
and sword, lat. ferro ignique. a ist hier zweifellos in dem 

•) a-tenamitl „ala de tejado" (Mol ) enthält wohl a-tl in der Bedeutung „Haupt". 

») Az-tlan .Land der Dämmerung, Urheimat" könnte mit dem Qui'che Wort Zak 
verglichen werden. Zak bedeutet ursgrQnglich .weiss, hell" (Zak-ir im Cakchiquel 
.weiss, hell werden, zur Cultur gelangen", Zak-il im Qui'che .Licht, Glanz"), wird 
aber dann von dem gesagt, was in .grauer" Vorzeit zurückliegt: Zak etal .Urgeschlecht" 
(Popol Vuh); Zakil al, Zakil c'ahol .Kinder, Sohne der Dämmerung, des Ur- 
geschlecbte". Zak bezeichnet auch den unbestimmten Glanz, z. B in Zak huluhuh 
.schimmern'' (Qui'che). Die Namen der Stammväter in den Cakchiquel-annalen sind 
K'a'kavitz und Zaktekauh; der Erstere geht auf k'a'k .Feuer, Glanz" zurück, der 
Zweite enthält vielleicht auch Zak im Sinne u»n .in der Vorzeit". Herr Professor Seier 
dagegen hält Zaktekauh für mexikanisch — caca-tecütli .Herr des Maisrohres". 



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alten Sinue von teo-atl gebraucht, und von Molina miss- 
verstandener Weise wörtlich mit »agaa« wiedergegeben worden. 
Ich vermnthe sogar, dass »agua y sol« nur die Umschreibung 
eines Dvandva, eine Uebersetzung geradezu von atl tlachinolli 
ist, zumal »sol« auch vom »Brennen« der Hitze gesagt wird. 
Gerade die Verwüstung eines Landes pflegt in den verschiedensten 
Sprachen durch Dvandva ähnliche Verbindungen, (durch fest- 
stehende Phrasen ausgedrückt zu werden, ich erinnere nur an 
unser »Sengen und Brennen«, uyetv xat fiptat^ ferro ignique, 
mit Feuer und Schwert verwüsten u. a. ui. 

An dieser Stelle möchte ich eine merkwürdige Bemerkung der Anales 
del Museo Nacional de Mexico 1 ) hinzufügen, welche sich auf den Atlas 
de Garcia Cubas No. l a ) bezieht: »atle 6 atletl. Escrito con los si'mbolos 
del agaa atl, y del fuego tletl. Atl significa agna, orines, guerra, o la 
mollera de la cabeza«. Por esta causa nos parece que el significado de 
la metafora mexicana atl tlachinolli, guerra 6 batalla, fue sacada sin 
duda del antagonismo qne existe entre el agua en el fuego . [?] . Tambien 
pudiera leerse siläbicamente a-tle »nada o ninguna Cosa«. No se 
encuentra en la lista de Torquemada«. So zweifelhaft die ganze Stelle 
klingt, so ist es doch bemerkenswert!!, wenn der Eigenname Atletl 
durch die Symbole vou atl tlachinolli ausgedruckt sein sollte und 
überhaupt in diesem Sinne existirte. 

g) a-ti-nemi »sie werfen bestandig Pfeile« ist schon im Anfang 
dieser Abhandlung besprochen worden. 

Obgleich die Möglichkeit einer Ableitung vom Präteritum 
des verbum ami »jagen« nicht in Abrede gestellt werden soll, 
so erscheint es mir nach Allem, was bisher über das Vorhanden- 
sein der Wurzel a »werfen« gesagt wurde, ungezwungener, 
a-ti-nemi direkt von dieser abzuleiten. Ausserdem bemerke 
ich, dass im Lexikon des Molina ausdrücklich aami-ti-nemi 
>audar monteando o cacando« und nicht aa-ti-nemi ver- 
zeichnet ist. 

h) Endlich ist es möglich, dass ami selbst etymologisch mit der 
Wurzel a verwandt ist. Die Begriffe Speerwerfen und Jagen liegen 
ja nahe beieinander. Ami-mitl, der Gott der Chinampaneken, 3 ) 
ist der »Jäger«, cazador con flechas. 4 ) Auch 

') Analea del Museo Nacional de Mexico, Tomo II p. 69. 
*) ibidem, p. 67. 

») S. Seier, Veröffentl. I 4 p. 156, 157, 138. 

*) Anale» del Museo Nacional de Mexico, Tomo 11 p. 68. 



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i) ana . nitla »travar, o asir algo, o apartar y quitar alguna cosa« 
(Molina) könnte ein Derivat ?ou a sein, durch na erweitert, wie 
z. B. mi-na »mit dem Pfeil schiessen von mi-tl, yaca-na 
»führen« von yaca-tl »Nase«. 
Doch mit diesen letzten Mutmassungen verlasse ich die Untersuchung 
über atl tlachinolli, um noch einige allgemeine Bemerkungen über die 
Hieroglyphe nnd den Symbolismus des Ausdruckes anzureihen. Was das 
Vorkommen von atl tlachinolli in Bilderschriften zunächst anlangt, so 
ist die Thatsache ungemein beachtenswerth, dass diese symbolische 
Hieroglyphe sich im Grossen und Ganzen auf die religiösen Bilder- 
handschriften beschränkt: Tonalamatl 9, 18, 3; Cod. Borgia 13, 50, 69; 
Cod. Teil. Rem, 21; Cod. Borbon. 9, 18; Cod. Vatican. Ä. 22; Cod. 
Vatican. B. 32, 57 u. s. w., während in Bilderschriften geschichtlichen 
Inhalts, z. B. im Codex Mendoza, Schild und Speer oder Wurfbrett, auch 
ein brennendes Haus dargestellt zu werden pflegt Atl tlachinolli ist 
also sicher kein profanes Symbol, es hat Beziehungen zu den Göttern — 
und es ist begreiflich, wenn es deshalb nur in heiligen Büchern auftritt, 
in Büchern, welche von der abgeschlossenen Kaste der Priester gemalt 
und Jahrhunderte hindurch gehütet, und, auf Wanderungen sorgfältig 
bewahrt, auf dem Rücken getragen wurden. Es ist verstandlich, da die 
Kunst, Bilderhandschriften anzufertigen und zu entziffern, ängstlich von 
den Priestern geheim gehalten wurde, da die Auslegung der Schriften 
ihnen selbst eine ungewöhnliche Macht über andere Sterbliche einräumte, 
dass auch mit der Interpretation sich zugleich alte, formelhaft gewordene 
Ausdrücke, termini technici, an denen die Texte Sahagun's so reich sind, 
überlieferten, welche dem Laien schwer oder garnicht mehr verständlich 
waren. Haben doch selbst mexikanisch redende Männer wie Chimalpopoca 
die Anales de Quauhtitlan nicht mehr richtig verstehen können! Es ist 
bekannt, dass in alten religiösen Hymnen sich gerade die ältesten Reste 
einer Sprache erhalten , ich erinnere an die von Sahagun aufbewahrten 
Cantares, an Zaubersprüche und Beschwörungsformeln iu verschiedenen 
anderen Sprachen Wer denkt bei unserem »Stein und Bein schwören« 
an alte heidnische Gebräuche, wer, ausser dem Kundigen, weiss, dass 
»Sundflut« Volksetymologie für sin-flut ist? So mag es auch dem 
Mexikaner mit atl tlachinolli ergangen sein; die ursprüngliche Bedeutung' 
von atl ist ihm im Laufe der Zeit entschwunden; man masste teo-atl 
.sagen, das eigentliche atl, um einer Verwechslung mit atl vorzubeugen, 
das sich als Part, pass., wie viele andere Worte, schnell zu der Bedeutung 
eines Substantivs, zum Begriff »Wasser« entwickelt haben niuss. 

Etwas anders verhält es sich mit den Hieroglyphen für atl tlachinolli. 
Hier wählte man Bilder, nicht um durch sie den Begriff, sondern den 



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Laut zu fixieren. Da atl allgemein »Wasser« bedeutete, und das Wort 
a »werfen« der Sprache früh verloren gegangen zu sein scheint, so 
wählte man um atl in atl tlachinolli zu bezeichnen, sehr einfach das 
Wasser, das ganz allgemein den Laut a im Anfang von Worten za 
bezeichnen geeignet war. Man fügte aber gelegentlich Speere hinzu, um 
anzudeuten, dass dieses atl im ursprünglichen Sinne zn verstehen sei, 
so z. B. Cod. Borgia 69, Cod. Vatic. B. 67, Cod. Borbon 9. Aehnlich ist 
tlan-tli »Zahn«, e-tl »Bohne«, zur Bezeichnung der Elemente tlan, 
e benutzt worden. Statt A-tla-cuiua-yan »Ort, wo man Wasser 
schöpft« schreibt man hieroglyphisch, atla-cuiua-yan, indem ein Wurf- 
brett gemalt wird, das auf mexikanisch atla-tl heisst, wodurch also 
die ersten beiden Silben des Namens bestimmt sind. 

Endlich giebt auch der Symbolismus, der in dem komplizirten und 
logisch so streng durchdachten mexikanischen Göttersystem herrscht, eine 
Bestätigung dafür, dass atl in atl tlachinolli als Ausdruck einer 
kriegerischen Handlung, einer vernichtenden Waffe verstanden wurde. 
Atl tlachinolli bezieht sich ausschliesslich auf gewisse kriegerische 
Gottheiten, vor allem auf den alten Gott, den Ueueteotl, den Feuergott 
Xiuh-Tecuhtli. Sehr zu beachten ist, dass gerade dieser der Herr des 
neunten Tageszeichens atl ist 1 ), so dass die ganze Ideenverknüpfung 
teoatl tlachinolli »Mord und Brand« ergiebt; der Interpret des Codex 
Vat. A. nennt ja den Feuergott geradezu »avvocato della guerra«. 3 ) Der 
Gefahrte des Feuergottes, Tlauizcalpan tecubtli (der Morgenstern, Herr 
der Morgen röthe) zeigt (Tonalamatl der Aubin'schen Sammlung 9.), aus 
der Krone herrausragend, das Symbol atl tlachinolli*). Dieser hat 
aber wieder Beziehungen zu den Chinampanekischan Jagdgöttern 
Amimitl und Atlaua. 4 ) 

Die Göttin Chantico, muger amarilla,') die Patronin des brennenden 
Pfeffers, ist die Regentin der 18. Woche, welche dem 18. Tageszeichen 
quiauitl 6 ) entspricht. Die Gleichsetzung von atl und quiauitl ist schon 
oben erwähnt worden. Diese Göttin Chantico hat auch Beziehungen zum 
Erdinnern, zum Feuer, 1 ) daher ist ihr wiederum (Tonalamatl 18) das Symbol 
atl tlachinolli zugeteilt. Man kann sie die mexikanische Vesta nenuen. 

>) S. Seier, Tonalamatl p. 71a. 

') S. Seier, altmex. Federschmuck u militärische Rangabzeichen, Zte. f. Ethu. XXIII 
p. 124, Tonalamatl p. 71. 

•) Seier, Tonalamatl p. 80. 
«) Seier, ibidem p. 80a u. 81. 
■) Seier, ibidem p. 116a. 

*) quiauitl wird auch vom Keuerregen (tle-quiauh, quiauh-tonatiuh) gesagt 
bei der Schilderung des 3ten Weltalters. Anales de Quauhtitlan. 
') S Seier, Tonalamatl p. 114, llf». 



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Chan-ti-co nämlich heisst im Hause (chan-tli). Haus aber ist eine Um- 
schreibung für die Erde, das Haus, in das der Sonnengott beim Unter- 
gang im Westen hinabsteigt. 1 ) Im Innern der Erde dachte man sich 
den Sitz des Feuers, das von den Vulkanen aus seiner Verborgenheit 
herausgeschleudert wurde. Im Innern des Hauses befindet sich aber 
auch das Herdfeuer, die geweihte Stätte des Hauses, und als Beschützerin 
derselben gleicht sie der Vesta.') 

Tepeyollotl »das Herz der Berge« zeigt (Tonalamatl 3) die 
Symbole atl tlachinolli, xiuhcoatl »die blaue Schlange« und das 
Feuerbeckeu. Er ist der Regent des 3. Tageszeicbens und der 3. Woche, 
ce macatl »ein Hirsche; macatl aber ist das Sinnbild der Dürre. *) 
Sein Pendant ist Tezcatlipoca, 4 ) auch theilt er Beziehungen zur Erd- 
göttin, und diese wiederum solche zum Kriege. 5 ) 

Atl tlachinolli wird bei Tezcatlipoca übrigens auch durch den 
rauchenden Spiegel und einen Blutstroni, gleichsam durch das rauchende 
Blut veranschaulicht. 6 ) 

Interessant ist auch die Bezeichnung der Sternschnuppe (citlalin 
tlamina), des schiessenden Sternes, zur Wassergöttin Chalchiutatlicue, 1 ) 
der Herrin des fliessenden Wassers; Herr Prof. Seier sagt hierzu: »es 
scheint demnach, dass die Sternschnuppen, wohl wegen der raschen Be- 
wegung, zu der Wassergöttin in Beziehung gesetzt wurden.« Ein Beweis 
mehr, für die Ableitung von atl »Wasser« von a »werfen, sebiessen«*.) 

Schliesslich sei noch ausfolgende Ideenverbiudnng hingewiesen: xiuh- 
atlatl »das blaue, das Türkiswurfbrett« des Feuergottes, Uitzilopochtli's 
n. a. m. entspricht dem xiuh-couatl »der blauen Schlange«. Xiucouatl 
aber ist = atl, teoatl.*) Xiuhcouatl und mamalhuaztli »Feuer- 
bohrer«, oder Speere werden von den Sonnengöttern auf die Menschen 
geworfen, gleich den Pest bringenden Pfeilen Apoll's; 1 *) Krieg, Krankheit 

■) teotl-ac «der Gott ist ins Haas gegangen" ist allgemeiner Ausdruck für Sonnen« 
Untergang, Westen; im Maya ebi-kin „die Sonne wird gegessen" besagt, dass die 
Sonne vom Erdracben verschluckt wird = Westen. Maya akbal „Nacht, Dunkel", ent- 
spricht dem mex. Tageszeichen calli „Haus". 

») Beachte, dass die Wurzel von Vesta ras „wohnen" ist, die in k<nia\ ä<n>t, 
„Stadt"; lat. rerna aus vesna .im Hause geborener Sklave", vesb'bulum, skr. vasa 
„ Wohnen", vastavya .ansässig", unserm Anwesen u. a. m. erhalten ist. 

*) S. Seier, Tonalamatl p. 63. 

*) S. Seier, ibidem p. 51. 

•) S. Seier, ibidem p 51b. 

•) S. Seier, ibidem p. 60, auch Anra. 

7 ) S. Seier, Tonalamatl p. 58a. 

•) Ueber atl „chouue" s. Seier, Tonalamatl p 122 a. 

*) S. Sahagun 1, 1. 

••) Vgl. Homer, Was I 43 ff. 



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und Hungersnoth sind die Folge davon. 1 ) Sahagnn erklärt yn xiuhcoat! 
ym mamalbuaztli als yaoyotl »Krieg«, als ieoatl tlachinolli 
»Speerwerfen und Brand«. Nur weil atl ursprünglich Speerwerfen be- 
deutete, war es möglich, dass xiuhcouatl »Turkisschlange«, eine ur- 
sprüngliche Bezeichnung des Wassers (atl), in teoatl »Speerwerfen< 
umgedeutet und zum Symbol des Feuergottes gemacht werden konnte. 1 ) 
Ich hoffe, den in dieser Arbeit versuchten Nachweis, dass atl in 
atl tlachinolli von der Wurzel a »werfen« abgeleitet ist, hiermit er- 
bracht zu haben. 

■) S. Dr. Preuss, die Hieroglyphe des Krieges in deu mex. Bilderhand Schriften p. 120. 
*) S. Seier, Tonalamatl p. 77. 



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Feste und Tftnze der Eingeborenen von Ponape. 

Vom Kaiserlichen Vicegouverneur Dr. Hanl. 



So zersetzend und zerstörend die Knltur des weissen Mannes auf 
Ponape auch gewirkt haben mag, in einem ist das Volk seiner Sitte tren 
geblieben, in der Feier seiner Feste und Tänze. Die Wiederkehr der 
Jahreszeiten, die Ehrung der Fürsten und Gotter geben willkommenen 
Anlass zu öffentlichem Schaugepränge. 

Der Aulik, der Oberpriester, dem die Geheimnisse des Zeitlaufes zu 
eigen sind, vermag für jedes Fest den rechten Tag zu finden. Frühzeitig 
giebt er ihn bekannt, damit Jedermann sich rüsten könne. Während der 
Vorbereitungszeit zieht er im Stammesland umher und vollfuhrt an den 
einzelnen Orten seine Beschwörungen, damit kein Unglück dazwischen- 
tretend, die Festesfeier vereitele. Die Baumgottheiten vor allem werden 
beschworen, die Ernte der Früchte zum Feste zu gestatten und nicht 
den kühnen Kletterer in die Tiefe zu stürzen. Die wichtigsten Früchte, 
deren Ernten an bestimmte Zeiten gebunden wiederkehren, sind die 
Brotfrucht und der Jam. Die Tage der Brotfruchternte (mai kol) im 
Besonderen in den Monaten Juni nnd Juli sind eine Zeit steter Festlich- 
keiten. Der allgemeinen Reife geht die Vorreife einzelner Früchte vor- 
an. Diese Erstlinge geben als Verkünder der nahenden Ernte Anlass 
zu dem Feste karij mai (karij brechen, mai Brotfrucht.) Es werden eine 
oder zwei Früchte neben vielen anderen Speisen gekocht und den fröh- 
lich im Gemeindehause (naj) Schmausenden zur Ansicht herumgereicht. 

Daran reiht sich der Tag der maiani, der heiligen Brotfracht. Die 
Früchte sind herangereift, die erste Lese wird unter Ehrung der Schutz- 
gottheit gekocht, das Zeichen zur allgemeinen Ernte ist damit gegeben. 

Nun beginnt eine fröhliche Zeit. Jeder Lehensträger ist verpflichtet, 
seinen Herrn, von dem er seine Hufe zum Lehen hat, zum Zeichen 
seiner Abhängigkeit mit Brotfrüchten zu bewirtheu. Die Grossherrn des 
Stammeshanptes wiederum beeilen sich, diesem alle Ehren zukommen zu 
lassen. Der Herr seinerseits hat ein Recht zu fordern, dass ihm in 
festlicher Weise die Brotfrucht jeder Hufe gereicht werde. Täglich zieht 
er zu einem anderen Gemeiudehause seiner Lehensleute, welche für ihn 
»die Brotfrucht stampfen, lili mai. Den Eingeborenen ist die Töpferei 
nicht bekannt Ihre Kochart ist das Rösten auf heisseu Steinen. Die 
Masse der aufgeschichteten, zum Kochen bestimmten Steine heisst um, 



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Herd, Feuerstelle, das Kochen damit inim. Mit dem Feuerherd, dem am, 
hat es eine besondere Bewandtnis. Wer keinen um hat. gilt nicht im 
Kreise der Genossen. Mit jeder rechten, aus der Vorväterzeit stammenden 
Hufe muss, ebenso wie ein Titel, auch das Recht verbunden sein, im 
Gemeindehause eine Feuerstelle zu besitzen oder an einer solchen wenig- 
stens Theil zu nehmen. Je hoher der Fürst steht, um so grösser die 
Ehre des um. Der Lehensherr seinerseits misst sein Ansehen nach der 
Zahl der Feuerstellen. Um tapa? Wie viele Feuerstellen giebt es hier 
oder nennst Du dein eigen? ist eine gewöhnliche Frage. 

Wenn am Tage des lili mai der zu Ehrende das Gemeindehaus be- 
tritt, ist das Volk versammelt, die Früchte liegen aufgeschichtet da, der 
Herd ist Ober dem Brennholze aufgebaut. Letzteres wird sofort ent- 
zündet. Es entwickelt sich ein furchtbarer Rauch im Hause, der aber 
die Leutchen nicht sonderlich zu belastigen scheint. In feierlichem Zuge, 
unter Absingen eines ftij, bringt eine Schaar Männer die Fülle des be- 
gehrten Jakau, piper methysticum, geschleppt. Die Stammchen werden 
vor dem Herrn niedergelegt, die Wurzeln abgehackt und, nach mehr 
oder weniger gründlicher Reinigung, auf grossen, flachen Steinen zu Brei 
geschlagen (jükujuk). Dieses Hämmern der Kawa bildet eiue Feierlichkeit 
für sich. Die flachen Steine werden durch untergeschobene trockene 
Kokosnusshülsen hohl gelegt und je nach der Zahl der Unterlagen klang- 
voll abgestimmt. Die Schaar der Männer vollführt erst ein artig klingen- 
des Hämmern auf den Steinen selbst, bis sie über die Wurzeln in eiligem 
Dreschertakte herfallen, um die Beendigung ihres Werkes wieder mit 
einem Hämmerspiele auf den Steinen anzuzeigen. Der safterfüllte Brei 
wird in ein Fasernbündel aus dem Baste des kalau (Hibiscus populneus) 
geschichtet und richtig ausgewunden. Für den abfliegenden Saft hält 
ein zweiter Mann eine Kokosschale unter. Die gefüllte Schale wandert 
unter feierlichem Schweigen bis zu einem Titular, der für würdig be- 
funden ist, die Schale dem Fürsten anzubieten. Er kauert sich vor diesem 
nieder, die Schale mit der rechten Hand gegen seinen Herrn ausstreckend, 
den rechten Arm mit der linken Hand zum Zeichen der Ehrfurcht unter- 
fassend. Der Blick ist abgewendet. Nach langem, vornehmem Warten 
geruht der Beehrte die Schale in Empfang zu nehmen, die ersten Tropfen 
vielleicht dem göttlichen Ahnen oder dem Schutzgotte des Ortes zu 
weihen und in langem Zuge das beliebte bittere Getränke zu schlürfen. 
Nun kommt die Menge zu ihrem Rechte, die Unterhaltung belebt sich, 
fleissig kreist die Schale und die Pfeife. 

Inzwischen ist der um rotbglühend geworden. Mit langen Stangen 
werden die Steine ausein an dergestosseu, die Früchte zum Rösten auf 
diese geworfen. Die erste geröstete und abgeschälte Brotfrucht wird 



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- 97 — 



mit einer offenen, reifen Kokosnuss in zierlich geflochtenem Körbchen 
vor dem Fürsten niedergesetzt. Das gebrauchte Werkzeug, ein Holz- 
spachtel, liegt meist bei. Die Leute setzen sich ans Werk. Eine Ab- 
theilung schrabt Kokosnüsse, etliche nur mit Bananenlaub umgürtete 
und bekränzte Männer kneten aus der gekochten Frucht grosse längliche 
Laibe, welche schliesslich mit dem Safte der geriebenen Kokosnuss über- 
gössen, Tor dem Herrn in grossen Bananenblättern niedergelegt werden. 
Dieser geniesst davon und lässt an die Anwesenden austh eilen. Das 
Fest ist zu Ende; der Trunk aber hält Männer und Frauen beisammen. 
Wenn es noch ganz nach guter alter Sitte hergeht, wird der Genuas der 
Kawa, stets eine heilige Sache, von den uralten hiefür bestimmten Ge- 
sängen (ap) nach dem Takte der Trommeln (eip) begleitet. Abwechselnd 
singt auch das Volk ein Lied. Nur wenige mehr wissen die Trommel 
mit kundiger Hand zu rühren und die alten Lieder vorzutragen. Das 
Verständnis für ihre Worte ist allgemein abhanden gekommen, wenn 
nicht ihre Bedeutung absichtlich verschwiegen wird. Die heute herrschende 
Sprache auf Ponape reicht nicht zu ihrer Übersetzung aus. Ein solcher 
ap lautet z. B.: 

Man oror eiajakauo 

Ueika taur 

Ueika japariki 

Eineke, einke taure. 

Reumo keurto 

Eijolapi molijempueli 

Lilie ueimo kapele 

Aie uai kurua eta pa 

Aöipoioe reume reijo molijempueli 

Lilie ueimo kapele. 
Die Aufzeichnung dieses LiedeB rUhrt von Henry Nanpei in Ronkiti her. 
Die Zeit der Fülle, der Brotfrüchte, geht zu Ende. Es kommt die 
Zeit des Hungers, ireijol. Man versäumt aber nicht, sich mit dem zu 
vergnügen, was da ist. Spätlinge der Brotfrucht, Erstlinge des Jam 
dienen zum Schmaus. Die Küche wird reichlicher mit der Zeit der voll- 
endeten Gährung der in der Erde vergrabenen Brotfrüchte. Die Eröff- 
nung dieser Vorrathskammern wird festlich begangen, das Fest heisst 
tankulup. Man kocht die gegohrene Brotfrucht, mar. Kulup heisst ver- 
fielt. 

Die Zeit der Jamreife naht. Freudig gestimmt sagt man sich, es 
ist die Schneidezeit, kotakap, das heisst, die Winde der Frucht wird 
mit der herannahenden Reife abgeschnitten. Dieser Anlass muss festlich 
begangen werden. Schmalbans ist noch Küchenmeister. Es wird etwas 



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Jam geröstet und herumgereicht ; man zeigt, dass die Fülle der beliebten 
Nahrung sich naht. 

Die Zeiten zwischen diesen verschiedenen Erntefesten, die äusserbch 
stets einem Fürsten dargebracht werden, werden durch grosse HuldigUBgs- 
feste ausgefüllt. Zunächst erhält jeder Besuch seine Ehrang, angemessen 
der Bedeutung seines Namens. Ein besonderes Fest für die grossen 
Würdenträger bildet das umunenim oder takataktipenit. Takatak beisst 
im Kahn fahren, reisen, tipenit die äussere Schale der Kokosnuss. Die 
Bedeutung dieses nur im Gebiete von Kiti gebrauchten Wortes ist nicht 
völlig klar. Es handelt sich um eine Reise, um ein Besuchsfest Eine 
Besonderheit bildet bei dieser Feier der Umstand, dass nicht im Ver- 
sammlungshaus gekocht werden darf. Die Speisen müssen vielmehr 
im Walde in kleinen Kochhütten (uenum) zubereitet und von dort in 
riesigen, an Stangen gebundenen Körben (peikeni) angeschleppt werden. 
Die Besuche werden allgemein im Versammlungshaus abgestattet Der 
gemeine Mann mag seinen Freund besuchen, wann er will. Die hohen 
Häupter müssen auf eine Einladung warten. Königsbesuch ist üblich 
zum Feste der Einweihung eines Versammlangshauses. Die höchsten 
Tanzleistungen werden hier entfaltet, die geheimsten und schwierigsten 
Zeremonien vollführt. Den Besuchern werden z. B. gebratene Hunde 
vorgesetzt. Der Hund ist ein heiliges Thier. Nur der Eingeweihte ver- 
mag ihn recht zu zerlegen und jedem Manne den seiner Stellung ge- 
bührenden Theil zuzuweisen. Der Gast muss das Thier zerlegen. Jeder 
Verstoss giebt Anlass zu grossem Gerede, ja zu offenem Spott und Hohn. 
Den Glanzpunkt des Festes aber bilden die Tänze und Gesänge. Die 
einfachste Huldigung ist der fiij, ein Vorsänger preist die festliche Ge- 
legenheit, der Chor antwortet mit i — o. Zugleich tragen die Theilnehmer 
Früchte, Gaben heran, welche sie vor dem Beehrten niederlegen. Ein 
nij lautet z. B. 

I men papa tapatap en Peleker — o. 

I pakan lalal ai mejik, — i — o. 

Ai puak ritin en muijo, uatauate en pejeraui, i — o. 

Ai erin puputi pupu perata mpei, arm en umuki, i — o. 

Tipa pelalik, rap eneki, koruj jopa, jo mejik ei, — i — o. 

Das heisst etwa: 

Ich wünsche zu zeigen Krieg Peleker (Peleker eine Landschaft). 

Ich will nicht sprechen, weil ich Ehrfurcht habe. 

Ich fürchte mich, das Thor des Königshauses zu öffnen, Zahl der 
heiligen Plätze (heiligen Steine). 

Die Kokosnuss fiel nieder und sprang in die Höhe in meiner Nähe, 
die für den Herd bestimmte Nuss. 



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99 - 



Die Kokosnussschale schwamm weg, (in das Ausland), sie erheben 
Ansprach (auf diese Schale?), Alle sageu nichts, nicht haben sie Fnrcht. 

Dieser Gesang ist aus früher Zeit überliefert. Er bringt offenbar 
einem Könige Huldigung, der mit Peleker im Streite lebt. Die letzten 
Verse scheinen sich auf die Kriegsursache zu beziehen; vonden Ein- 
geborenen können sie nicht mehr erklärt werden. Das ehrfürchtige Nahen 
dem Könige gegenüber war eine grosse Sache. Ein gemeiner Mann durfte 
schon das Steinpflaster vor des Königs Wohnung (kotepar) nicht mehr 
betreten. Er musste sein Anliegen „den Nanekin", der Adelssippe, vor- 
bringen. 

Einfache Tänze sind: 

Handbewegungen im Sitzen, japei. 

Das taktmässige, kunstvolle Zusammenschlagen kleiner Holzstäbe, 
tukia, ebenfalls im Sitzen ausgeführt. 

Der erstere Tanz hatte früher eine religiöse Bedeutung; seiner Auf- 
führung gingen noch besondere Gebete voran. Zu beiden Tänzen wird, 
gesungen. 

Uin, der gewöhnliche Festestanz, der jeder Zeit, auch zu Ehren 
Verstorbener und zu religiösen Zwecken aufgeführt werden kann. Die 
Tänzer, geschmückt mit Kränzen, den Körper mit Ol gesalbt, besteigen 
in feierlichem Zuge, einer hinter dem anderen, unter dem Schweigen 
der Anwesenden die in mehreren Stockwerken hinter und übereinander 
aufgebauten Tanzbrücken (paj). Zur Huldigung lassen sie sich nieder, 
der Vorsänger nennt den zu Ehrenden, vergisst auch nicht die sonst an- 
wesenden Grossherrn namentlich aufzuführen. Die Tänzer erheben sich. 
Der Vorsänger stimmt mit rauher tiefer Stimme das Lied an, der Chorus 
fällt ein, in gewaltigem Strome rauscht der Gesang dahin, schrill, miss- 
tönend, in seiner Masse überwältigend. Mit dem Anstimmen des Liedes 
hebt auch der Tanz an. Die Füsse werden taktmäesig auf der Bretter- 
nnterlage aufgestampft, die Hände in kunstvoller Weise, nach Art eines 
aamoanischen Siwa, bewegt. Der Uin ist wohl einer der -wirkungs- 
vollsten Eingeborenentänze der Südsee. 

Uära kärakäre pue Ion in iareke 

Nä kaka murära ren joumaröa 

Karaia Karaia komui kotito jo kan hirihio i omujeri jokomo kapele 
keilen tokom. 

Diese Worte hört man oft singen, sie werden aber nicht mehr ver- 
standen. Die Uin-Lieder sind in der Überlieferung feststehend, neue 
werden nicht mehr erfunden; denn die alte Kultur, welche sie hervor- 
brachte, ist vernichtet. 

7» 



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— 100 — 



Ein besonderer Anlass zu einem eigenartigen Tanze, Kapir genannt, 
bietet sich, wenn dem Stammeshaupte ein neu gefertigtes Kanu über- 
bracht wird. Eine ganze Flottille ?on Kähnen wird zusammengebunden, 
durch übergelegte Bretter eine Tanzbrücke darauf hergestellt. Vor den 
in einer Linie stehenden Tänzern ist ein Geländer aufgebaut. Hinter 
den Tänzern in den Kähnen sitzen die Ruderer verborgen. Aus einem 
Mangrovenversteck taucht das Floss auf, langsam, geheimnissvoll nähert 
es sich dem Festplatze. In Hörweite gekommen, heben die Tänzer Gesang 




Tänzer, gesohmuckt *u einem Kapir VI ttttS. Tansmder ans 

nach einer Photographie d. Verf. Ponape. QenohenkT.Or.Hahl. 

und Tanz an. Letzterer besteht in dem takimässigen Bewegen der Füsse 
und dem kunstvollen Schwingen der prächtig geschnitzten und gefärbten 
Ruder, welche auch ab und zu auf den Geländeraufsatz schallend aufge- 
schlagen werden. Der Gesang ist, der Stimmung des Festes entsprechend, 
würdevoll gehalten. Gerne wird folgendes Lied gesungen: 

Peloijo linatar menjon nai kalinalin auen kop joupeia 

Pueki re nta uara eni uai 

Aia pelolin mi er in 

Puc ra uoua utpatail 

Pueki jipenuet jipenek kajik rapit pokata papajit me i pan kimelo 
akinpoj 



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- 101 - 

Re pelaja pue kata kaitoja 
Lipatokönia me uiatonera kokonokajik. 

Joukiti ap paien kieto japali kieto ut tikitik koto tapereti jupeni kajik. 
Ime mimi Takereren. 
Lieijir mimi nan aiman 
Pnilipuil jojo puilipeipei. 

Lienikalinajap mi pon tenap ratakila tar joula marip. 
Otolon otopun nimoi uet rakalina Tiponiap. 
Re uia tor repei to jon er ni peloijo. 

Rap toupeiti tontoropoe. ielele aja Lienikapun Lienimalal mi pon tole 

Lienikoroua pukapuki er papa Ion Pontalineiap. 

Lijepeli Lijapala Lienläman Lientapeia ira me tiak er peloijo aneni 

peloijo uokitakier rouen er nanjet re jamoar. 
Japniliti jonjonpil men. Jero. 

Soweit ein Verständniss dieser alterthfimlichen Worte und des nur 
bruchstückweise überlieferten Gesanges noch möglich ist, lautet die Über- 
setzung: 

Eine Königliche Flotte kam in Sicht an einem schönen Morgen, sie 
machten sich sichtbar in Auenkop (Mündung von Kop), aber ankerten 
nicht, weil sie nicht Halt machten in richtigem Aussetzen eines Steckens 
(uoki einen Stecken auf dem Riffe ausbringen, um daran ein Kanu zu 
befestigen), weil sie sahen, es seien fremde Schiffe. Aber wo ist die 
Flotte geblieben, welche sich sichtbar machte, weil sie Hiebwaffen tragen 
(fit mit der Keule schlagen), weil sie Hiebwaffen fuhren und Kanonen, 
dann hoben sie diese empor und zeigten Kampf an. Was will ich thun 
mit dem Rauch? (kimelo ein unverständlich es Wort.) Diese haben nun 
Angst und ziehen sich zurück. Lipak ist es, welche den furchtbaren 
Kampf machte. 

Joukiti (Titel eines Fürsten) entkam mit Hülfe seines Schutzgeistes 
(paien), dann kehrte er zurück mit kleinen Bananen, dann kam er und 
fasste das Gewehr zur Hälfte an (jap halb). 

Sie ist nun in Takereren. 

Die Göttin Lieijir ist in meiner Frucht man (in meinem Kriegs- 
schmuck aus man). 

Während ich meine langen Haare ordne (puilipeipei das lange 
Frauenhaar). 

Die Göttin Lienikalinajap sitzt auf dem Sitzbrett im Kanu. 
Diese bewunderten sie und schlössen nicht das Auge. 
Otolon otopun (Worte aus einem Gebete, die nicht mehr gedeutet 
werden können). 



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Dann zeigen sie Tiponiap, dann ordnen sie ihre Leibgürtel, weg- 
ziehend von der Flotte. 

Dann halten die Kähne, und sie befragen das Blattorakel (tontoropoe) 
geheimnissvolle Worte 

Dann ging Einer hinein und zeigte des Kampfes Bewegungen und 
ging zum Platze Pontalineiap. 

Die Göttinnen Lijepeli, Lijapala, Lienlämau, Lientapeia sie setzten 
ihre Füsse auf die Flotte (tiak peloijo), der Wind dieser Flotte hat sich 
gedreht (uokitakier). Sie segeln weg, ihre Taue ordnend, sie sind 
gegangen. 

Etliche gehen darnieder (im Range), etliche nicht. Jero, etwa = 
Hurrah, ist der gewöhnliche Schluss eines Liedes. 

Die Hnldigung vor dem Fürsten endet mit dem Hinweis auf 
seine Macht, welche gestaltend in das Schicksal seines Volkes ein- 
greift. Kajapuiliti, der Würden, Titel, damit des Lehens entsetzen, 
Kajapuilata, im Range erhöhen, sind zwei wichtige Worte für das 
Volk von Ponape. Man muss, um ein volles Verständuiss zu gewinnen, 
bedenken, dass der erste Herrscher im Stamme geradezu göttliche Ehren 
genoss, Priester- und Königswürde iu seiner Person vereinigend, unbe- 
schränkt über das Land und das Leben seiner Unterthanen verfügte. 
Dem verehrten Herrscher erzählen die Tänzer die Geschichte einer 
der ersten Begegnungen mit fremden Segelschiffen, die mit Kanonen 
ausgerüstet waren. Die Begegnung führte zum Kampfe, die verhängnis- 
voll genug endete, um im Liede den Enkeln überliefert zu werden. Es 
hob das Zeitalter der Vernichtung des Volkes und seiner Götter durch 
den Fremdling au. 



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Ethnographische Tagebuchnotizen 

von der Expedition gegen die Esüm und vom Marsch Jaunde-Watar8- 

Ngflla-Ngütte zum Mbäm. 

(19. Februar bis 28. April 1901.) 

Von Stabsarzt Dr. Hösemann. 



Die Esüm wohnen ca. 60 km nordöstlich von Jauude, sprechen dieselbe 
Sprache, baaen dieselben rechteckigen Hütten und dieselben 2 reihigen 
Dörfer wie die Jaunde. Sie stehen unter dem Häuptling Semiköre, der 
in den grösseren Dörfern seine Brüder und Söhne und sonstige Ver- 
wandte als Unterhäuptlinge hat. Von dem ehemaligen Feldwebel Zampa 
wird Semikore als grausamer Tyrann geschildert So soll er beim Legen 
des Firstbalkens zu seinem Hause in Lembe 50 Menschen haben schlachten 
lassen, die dann aufgegessen wurden. Wenn die Mäkka- oder Mäka- 
Häuptlinge, die nur durch ihn Handel treiben können und dürfen, kommen, 
sollen sie während ihres Aufenthaltes täglich 1 Menschen zum Essen 
erhalten. Er Hess keinen anderen Händler in sein Gebiet als nur die 
Leute des Zampa von der Firma Randad und Stein, alle anderen wurden 
ermordet; so soll er einen Accrä-Mann vor den Augen Zampas an eiDen 
Pfahl haben binden und ihm den Bauch aufschlitzen lassen, dass die 
Eingeweide heraushingen; danach habe er ihn gefragt, ob er noch 
einen Wunsch hätte, und als dieser nach einer Pfeife Tabak verlangt, 
hätte er sie ihm gegeben und ihn losbinden lassen; darauf habe er ihm 
erlaubt fortzugehen, wobei die Hunde an den Eingeweiden gezerrt hätten, 
ihm aber ausserhalb des Dorfes durch einen Mann den Kopf abschneiden 
lassen. Auch sollen allgemein getötete Feinde gegessen werden; dafür 
sprechen eine Anzahl frischer Menschenschädel im Dorf, sowie die Sorge 
unserer Soldaten und Träger beim Begraben unserer Gefallenen, den 
Platz möglichst unkenntlich zu machen, um ein Wiederausgraben durch 
die Esüm zu verhindern. 

Ihre Waffen sind Steinschloss- Vorderlader, mit denen sie sowohl 
Eisen- und Drahtstücke, Steine etc., als auch kurze, kräftige Speere 
schiessen, Bogen mit langen Pfeilen, Speere mit allen möglichen Spitzen, 
ganz gleich denen der Jaunde, und europäische Haumesser, die sie in 
geflochtenen Korbscheiden, oft mit Fellüberzug, an der Schulter tragen. 
Als Pulverflaschen haben sie dieselben Flaschenkürbisse mit dem eigen- 
artigen Deckel wie die Jaunde. 



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1 



— 104 — 

Sie legen sehr geschickt Fussangeln aus zugespitzten! ca. 1 cm breiten 
Raphia- Rindenstäben, entweder nur unter ganz kleinem Winkel schräg 
in den Boden gesteckt, oder senkrecht iu ca. fusslangen und -breiten, 
10 — 20 cm tiefen Löchern mitten im Weg, die sie mit Laub und Gras 
locker ausfüllen. Als Schutzwaffe diente vereinzelt ein ca. 1 m hoher, 
*/ A m breiter Schild aus Büffelhaut mit abgerundeten Ecken, ohne Malerei. 
Die Kampfweise uns gegenüber bestand lediglich im Schiessen aus einem 
geschickt gesuchten Hinterhalt oder im Anschleichen an unser Lager. 
Befestigungen haben sie nicht, doch suchten sie oft durch rohe Verhaue 
und Netze, die sonst wohl zum Wildfangen dienen, uns den Weg zu 
sperren. 

Die Häuser waren rechteckig, 4—5 m lang, 2— 2Vjm breit, die 
Wände 1,60—1,80 m, der First 2—2,25 m hoch. Wände und Dach 
werden aus den Raphia -Fieder-Matten gemacht. Die Hütte enthält nur 
einen Raum und nur eine Thür in der Längseite. Das im Bau befind- 
liche Haus des Semikore war 35 m lang, 12 m breit, die Wände 2 m 
hoch, der First 3,25 m, davor resp. dahinter fand sich ein mit 2 7» m 
hoher Matten wand eingefasster kreisrunder Raum von 10,50 m Durch- 
messer, in dem in der Mitte ein Baum stand. Hier soll sich Semikore 
tagsüber mit seinen Weibern aufgehalten haben; die Nacht brachte er 
in benachbarten Dörfern zu, aber jedesmal in einem anderen. Sein 
Hauptdorf Lembe bestand aus 2 Häuserreihen in 42 m Abstand, die 
sich über einen Hügel wegzogen; auf jeder Seite 70 — 80 Hütten; auf der 
Höhe des Hügels quer zu den Hüttenreihen war das grosse Haus im Bau. 
In dem Haus seines Bruders Mamenjäna in Balbümme bestand der Wand- 
belag aus senkrecht eingesetzten, dünnen Brettern, die sauber weiss 
getüncht waren; wohl fremder Einfluss, da es das einzige derartige Haus 
war. — Die Betten sind die wohlbekannten Jaunde-Betten. — Die Töpfe 
von der gewöhnlichen Form und Grösse, meist reich mit Mustern verziert. 

Ueberall vorhanden waren die Palaver-Trommeln und die Trommel- 
sprache wird allgemein verstanden. Femer die Marimba, die an einer 
unter den Achselhöhlen über den Rücken laufenden Schnur getragen wird; 
der Rahmen wird gegen den Leib gestützt, und die Tasten mit einem 
oder zwei Holzklüppeln geschlagen ; dieselbe dient zum Tanz und zu Solo- 
vorträgen. — Im Krieg haben sie auch die Elfenbeintrompeten und eine 
eigene Art laut zu schreien, hier meist: »hällanc genannt; auch pfeifen 
sie sich auf den Fingern. 

Sie gewinnen selbst Salz, indem sie das Schilfgras abbrennen, die 
Asche und Erde sammeln und in spitzen Körben mit Wasser auslaugen, 
das dann abgedampft wird. Angebaut wird Mais, Kassada, Bataten, 



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- 105 - 

Flaschenkürbisse, Tabak, der kleine rothe Pfeffer, Bananen, Ananas und 
in Lembe ganz wenig Durra. Auch essen sie geröstete Heuschrecken. 

Mehrfach brannten sie kurz vor unserer Ankunft ihre Dörfer selbst 
nieder. 

Die Mäkka, die 4 — 6 Tagemärsche östlich der Eeüra wohnen, sollen 
eine dem Ngumba ganz ähnliche Sprache sprechen. 

Die Batschenga, die südlich von den Nachtigal-Fällen am Sananga 
wohnen, haben auch rechteckige Hütten und die Dörfer in 2 Reihen wie 
die Jäunde, sprechen auch eine diesem ähnliche Sprache. Getreidespeicher 
bauen sie auf ca. 1 m hohen Pfählen, wie die Hütten, mit einer Zugangs- 
Öffnung im Giebel. Auch sie gebrauchen viel die langen spitzen Körbe 
(1 m lang, oben Vi na, unten 5 cm Durchmesser), sowie andere mehr 
tonnenförmige (ca. 1 m lang, in der Mitte 40—50 cm, oben und unten: 
10—15 cm Durchmesser). Blasebälge haben sie die gleichen wie in Ost- 
afrika, die Bälge meist nur aus Bananenblättern. Als Werkzeug, Hammer, 
dienen im Querschnitt runde, spitz zulaufende Eisenkeile (20—25 cm 
lang, oben 2—3 cm dick). Der Häuptling Mbelle besitzt 2 Reitpferde 
(von den Wüte). — Sie bauen auch schon etwas Durra und bereiten 
Durrabier, lofögga«. 

Die M welle oder Mbelle trafen wir in 2 Gegenden, einmal östlich 
der Mitte des grossen Weges Jäunde-Nachtigal-Fälle, und dann nördlich 
des Sananga an den Nachtigal-Fällen. Sie bauen auch rechteckige Hütten 
und 2 reihige Dörfer und sprechen eine dem Jäunde ähnliche Sprache. 
Die Mwelle nördlich des Sananga haben schon sehr viel von den Wute ange- 
nommen. — Sie haben auch Getreidespeicher auf 1 m hohen Pfählen, 

rechteckig, aber mit rundem Dach (Abb. 1). — Sie 
bereiten Salz wie die Esum. — Das Durrabier wird 
hergestellt, indem sie die Körner erst zum Keimen 
bringen; dann werden sie auf den Mahlsteinen 
gerieben, mit Wasser gekocht und stehen gelassen; 
nach 2—3 Tagen ist das Bier fertig. Sie haben die 
gewöhnlichen Palaver-Trommeln, sowie solche aus 
Holz mit 3 Füssen, 60—80 cm hoch, 20 cm Durchmesser, mit Fell be- 
spannt, von dem aas Stricke nach einem in der Mitte herumgehenden 
Lianenring gehen; der letztere wird durch darunter getriebene Holzkeile 
gespannt; sie wird nur beim Tanz verwandt 

Dicht am Sänanga und auf dessen Inseln wohnen die Sananga, 
die eine Wüte-ähnliche Sprache sprechen; die Hütten waren gemischt, 
Rund- und Rechteck- Hütten. Ihre Einbäume waren ohne Besonderheiten, 
ca. 10 — 20 Menschen fassend; die Ruder ca. 1 m lang mit ovalem Blatt 




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- 106 - 



Die Wute von den Jäunde: Babütti genannt, wohnen nördlich des Sa- 
nanga bis zu dem langen hohen Gebirgszuge, an dessen Süd -Fuss 
Ngutte's Dorf Li'nte liegt, und westlich bis zum Mbam. Nnr astlich der 
Batschenga liegen einige Dörfer im Süden des Sananga, und ganz vor- 
geschoben, ca. 30 km davon, Tabenne, nördlich von den Esüm. Sie 
bauen Rundhütten von 3—5 m Durchmesser und 2—3 m Höhe; die- 
selben bestehen entweder aus einem bienenkorbartigen Stangengerüst, das 
mit dicken Lagen Gras bedeckt wird, oder häufiger haben sie eine senk- 
rechte, lVi— IV* m hohe Wand aus Stangen mit Lehmbewurf, auf der 
ein glockenförmiges Dach ruht (Abb. 2 a). Letzteres ist oben entweder 



abgerundet oder zugespitzt (Abb. 2 b); der Mittelpfosten ragt Vi — 1 Vi m 
hervor; bei Häuptlingen etc. findet sich eine Spitze aus Gras, wie sie 
Abb. 2 c zeigt, oder auch 2 solche nebeneinander. Die Hätte Ngillas 
war bedeutend grösser wie der Durchschnitt und hatte einen ca. m 
langen First, auf dem 10 — 12 leere Flaschen umgekehrt aufgesteckt 
waren. Ngütte's Hütte in Säse hatte 15 m Durchmesser, bei 4% m 
Höhe. Innen ist der Raum meist dorch eine Querwand in zwei Theile 
getheilt. Die Thür ist 1,60—1,80 m hoch, 0,90—1 m breit und etwas 



vorgebaut. Die Lehmwände sind häufig mit Figuren (ca. 20 — 40 cm 
hoch) bemalt (Abb. 3). Mehrfach hatten die Hütten durch in Kopfhöhe 
eingelegte Qnerstangen einen Boden, der als Getreidespeicher diente, und 
öfter durch eine besondere kleine, auch etwas vorgebaute Thür zugänglich 
war. Die Dörfer liegen fast alle rings von Wald umgeben, oft noch mit 
Graben und Wall und darauf meist eingewachsenen Pallisaden versehen; 
auch auf dem Zugangsweg durch den umgebenden Wald sind oft noch 
Pallisaden und Thore. Die Hütten des Häuptlings sind meist nochmals 
mit Pallisaden eingefasst (Abb. 4); bei Ngütte wie Abb. 4 b; oder es 




Abb. 1. 




Abb. 8. 



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- 107 - 



^ ^ steht vor dem Thor ein rechteckiges Haus 

/O 0\ \0^ni \ V0Ü m ' durch das mftn hindurch muss 
^ 1 Iq qOI und in dem sich eine ständige Wache und an 
V ^Q J W-T - ^ den WSn( * en aufgenitogt Gewehre, Bogen und 
a ^ ^ Pfeile etc. befinden. Bei Ngütte waren die 

Abb. 4. Pallisaden doppelt und der Zwischenraum bis 

zu Kopfhöhe mit grossen Steinen ausgefüllt; 
der Vorhof war mit ständiger, starker Wache besetzt. In. jedem 
Dorf findet sich ein grösserer freier Platz, meist vor der Häupt- 
lings- Wohnung, für die Tänze etc., und meist mehrere, ebenfalls runde 
Palaverhotten, deren Wände ohne Geflecht und Bewurf sind. — Auch 
finden sich stets in ziemlicher Zahl Senkgruben, die oben mit Stangen 
überdeckt und mit Lehm bis auf ein kleines Loch in der Mitte geschlossen 
sind; darüber ist meist noch eine niedere Grashfltte gebaut. 

Die Männer tragen meist Hüfttücher, die zwischen den Schenkeln 
durchgezogen und an einer Schnur um die Hüften vorn und hinten 
etwas übergeschlagen werden. Sehr viel werden von den Vornehmeren 
die Haussa-Röcke und -Hosen, resp. entsprechend gearbeitete Küstenstoffe 
getragen; bei Ngütte waren die Aermelausschnitte noch ringsum mit in 
rothes Leder gefassten Löwenkrallen verziert; dazu die Sackmützen. Es 
wird auch vereinzelt noch Rindenstoff hergestellt und getragen, natur- 
farben oder schwarz gefärbt. — Die Weiber tragen nur vorn ein paar 
grüne Blättchen oder ein kleines übergeschlagenes Zeugliippchen; selten 
auch ein kleines Hüfttuch. — Die Haare werden in Zöpfe geflochten, die 
dem Kopf glatt anliegen, ähnlich wie bei den Weibern in Ostafrika, und 
diese mit dem Oel aus den Schalen der Palmfrüchte getränkt und ganz 
fest gemacht, sodass die Frisur wie eine Kappe aussieht. Die Weiber 
haben die gleiche Haartracht, doch tragen sie noch oft von Ohr zu Ohr 
über die Stirne weg einen Strahlenkranz senkrecht abstehender, leicht 
nach vorn gebogener Zöpfchen von 3—5 cm Länge, oft auch einen 
solchen rings um den Kopf. — Die oberen mittleren Schneidezähne, seltener 
alle 4, sind zugefeilt, meist wie Abb. 5a, oder auch wie Abb. 5bc Sehr 
beliebt ist auch das Bemalen des Körpers mit ^j^* jryi '-"" w ^ y 
Rotbolz. Aus dem Holz eines Strauches machen \]\] K/Ks 
sie sich Zahnbürsten, oft bis zu 30 cm lang a b C 

und 1—1 Vs cm dick. Abb.*. 

Als Waffen führen sie Steinschloss- Vorderlader; grosse Bogen mit 
langen Pfeilen ohne Fiederong; dazu geflochtene, lange dünne Köcher, 
oft hübsch gekerbschnitzte hölzerne Sehnenspanner, die über der Hohl- 
hand getragen werden, und am Unken Handgelenk ein Schutzpolster aus 



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— 108 - 



Leder mit eingepressten Mastern; hübsch gearbeitete, ca. 1V> m lange 
Speere mit Widerhaken; europäische nnd wenige selbstgefertigte Hau- 
messer in geflochtenen Scheiden; vielfach auch Haussa-Sch werter ; endlich 
noch, doch wohl mehr als Werkzeug, kleine Handmesser : an einem ovalen 
1 — 2 cm breiten Eisenring, der um die Hohlhand passt, sitzt eine drei- 
eckige, 2—5 cm lange, doppelschneidige Klinge. Als Schutz dient der 
grosse Büffelschild mit den beiden Haarbüscheln recht« und links; doch 
ist er nicht mehr sehr häufig. 

Die Kriegstänze bestehen in Einzeltänzen, indem ein Krieger mit 
Schild und 6—8 Speeren hervortritt, wilde Sprünge vollfahrt, einen 
feindlichen Angriff abzuwehren scheint, oder wild im Kreis herumrennt, 
dann dem Häuptling und ev. hohen Gästen die Hand schüttelt und wieder 
abtritt — Die Weiber tanzen in einem eigenartigen Springschritt, indem 
sie das eine Bein immer mit der Ferse bis an das Gesäss schleudern; 
die Arme halten sie dabei am Körper, die Unterarme wagerecht, wie beim 
Laufschritt 

In den Dörfern finden sich vielfach Baumstämme mit kurz gehackten 
Seitenästen als Kleider- und Waffenhalter eingesetzt; ebenso ca. 2 1 /, m 
hohe und breite Gerüste aas zwei oben gegabelten Pfählen mit einer 
Querstange, an denen die Büffel- etc. Felle zum Trocknen aufgespannt 
werden; am unteren Fellrand werden Steine etc. angehängt Vielfach 
sind auch grosse Topfe als Wasserbehälter bis zum Hals in die Erde ein- 
gegraben; auch Schleifsteine aus Quarz etc. finden sich viel. Mehrfach 
sahen wir massive Sessel aus Holz, 30 — 50 cm hoch, 25 — 30 cm Durch- 
messer. Auch die Dekanaten Spielbretter haben sie, ca. 60 cm lang, 
10 cm breit, mit einem grösseren runden Loch an einem Ende und 
10 Paaren viereckiger Löcher. 

Sie bauen sehr viel Durra, ferner Mais, Kassada, auch eine ganz feine 
Hirseart, kleinen rothen Pfeffer, etwas Sesam, wenig Bananen. — Auf den 
Feldern stellen sie 2—3 m hohe Wachgerüste auf. Als Genussmittel 
dienen: Tabak, Durrabier, Palmenwein und viel Kola. Auch Honig ge- 
winnen sie. Als Hausthiere haben sie wenig Rinder, einige Pferde, Ziegen, 
Schafe, Hunde, Hühner, Meerschweinchen; Wemba hatte auch grosse 
schwarze Schweine (vielleicht von Jaunde). Als Hühnerställe bauen sie 
auf ca. V« m hohen Pfählen kleine runde Hütten von 1 — l l / t m Durch- 
messer, zu denen ein Stamm emporführt. Salz kaufen sie von jenseit 
des Mbäm, meist die »Salzhütet von der Küste. Sie sammeln auch 
Kautschuk, der in ca. 40 cm langen, 1—2 cm dicken Würsten in den 
Handel kommt Büffel, Löwen etc. erlegen sie mit vergifteten Pfeilen. 

Als Trommeln finden sich die gewöhnlichen Palavertrommeln und 
andere auf beiden Seiten bespannte Trommeln von 40 — 80 cm Durch- 



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messer und 10—30 cm Höhe; die Holzwaud ist meist mit rothem Tuch 
bezogen ; auf jedem der beiden Trommelfelle sind meist noch zwei Spann- 
seiten; die hakenförmigen Klöppel sind aus Holz. Die Trommel wird 
an einer Schnur um die Schulter auf dem Leib getragen und gleichzeitig 
rechts mit dem Klöppel, links mit der Hand geschlagen. Ausserdem 
werden Elfenbeintrompeten und kleine Pfeifen aus Holz oder Antilopen- 
horn geführt. 

Als Tauschartikel gehen: Gewehre, Pulver, Messer, Rum, Salz, Stoffe, 
grosse schwarze runde Perlen, Spiegel etc. In allen grosseren Dörfern, 
z. T. auch in selbständigen Dörfern, wohnen eine Menge Haussa und 
einzelne Fulla verstreut, die den Hanpthandel in Händen haben und auch 
hübsche Korbflechtereien und Lederarbeiten anfertigen. — Ueber grössere 
Flusse bauen sie Hängebrücken; auf einer solchen ca. 60 m langen und 
recht gut gehaltenen passierten wir den Mpem. 

Am West-Ufer des Mbäm, etwa in der Höhe des Ngaundere der • 
Langbans'schen Karte, wohnen die Balöm, wie sie von den Wüte und 
Bufia genannt werden. Ihre Sprache soll dem Tik&r ähnlich sein. Sie 
bauen ebenfalls Rundhütten mit Lehmwand und Grasdach, von der 
gleichen Grösse wie die Wüte. Ihre Dörfer sind meist offen, die einzelnen 
Hütten liegen weit verstreut mit Feldern dazwischen ; nur einzelne Dörfer 
waren mit lebenden Hecken eingefasst und auch immer wieder durch 
Hecken Abtheilungen geschaffen; ein einziges Dorf, Dodäng des Binscho, 
war mit Pallisaden umgeben, in dem 2 Vi m hohe Pfähle, etwa '/s m 
von einander entfernt, in die Erde gerammt und dazwischen zolldicke 
Stangen kreuzweis eingeflochten waren. Die Hütten waren meist innen 
durch eine Querwand mit Thür in zwei Theile getheilt und hatten einen 
Oberboden, zu dem ein Baumstamm mit eingehauenen Stufen emporführte. 
Sie hatten 4—6 m Durchmesser, die Wand war 1,60—1,80 m hoch, die 
Spitze ca. 3*/* m, sie hatten eine oder zwei Thoren mit Schwelle und 
Seitenpfosten. Ueberall fanden sich rechteckige Palaver-Hütten mit 
offenen Wanden. Sonst waren rechteckige Wohnhütten sehr vereinzelt 
und sollen von den Bäfu-Leuten, die in N.-W. wohnen, gebaut sein; sie 
haben gleichfalls eine Querwand und nur eine Thür. Der Thürverschluss 
geschieht meist durch einen Vorsetzer aus Raphia-Mark, wie bei den 
Indikki, oder auch durch Holzplatten oder ebensolche Rindenstücke. 
In den Hütten findet sich meist die Feuerstelle aus Lehm gemacht, kreis- 
rund, und auch einige Sitze aus Lehm, ca. 20 cm hoch, 30 cm Durch- 
messer; ferner überall Mahlsteine. — Auch enthalten die Häuser ähnliche 
Wandbretter wie bei den Indikki zum Aufsetzen von Töpfen etc., in 
die Querwand Bind meist Pflöcke eingesetzt zum Aufhangen von Sachen. 
Auch finden sich die Körbe für Hühner in Astgabeln überall in den 



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Hütten. — Die Betten sind wie die der Jannde etc. und auch ähnlich 
die kleinen Stühle; daneben auch solche aus Holz (Abb. 6). — Die 
Töpfe sind von der gewöhnlichen bauchigen Form, sehr einfach nur mit 
Strichen verziert. — Die Feldhacken sind lediglich aus Holz (Abb. 7). — 




Abb. 6. «/» d. wirkl. Or. Abb. 7. »/. d. wirkl. Gr. 

Körbe haben sie die gleichen wie die Indikki mit einem Nabel unten, 
die von den Bäfia kommen sollen ; ausserdem die grossen, unten spitz zu- 
laufenden Körbe und grosse muldenartige Korbschalen, 1 — 1,20 m lang, 
50 — 60 cm breit, ferner Netze zum Tragen von Sachen auf dem Rücken 
oder an der Schulter. — Auch finden sich dieselben Kehrbesen resp. 
Fliegenwedel wie bei den Indikki. — Endlich ist in allen Hütten meist 
sauber gesetztes Brennholz und Pfeilrohr vorhanden. An der Anssen- 
wand der Hütte, die häufig mit rohen Malereien (Abb. 8) verziert ist, 

Abb. 8. 

läuft unten herum eine ca. 20 cm hohe und breite Erderhöhung. In 
den Dörfern sind überall verstreut kleine Erdhügel von l*/j — 3 m Durch- 
messer und bis 1 m Höbe, auf denen sich ein oder mehrere Bäume 
befinden; dieselben sollen für die umliegenden Hütten als Mittelpunkt 
für die Tänze, wenn ein Elefant geschossen ist, etc., dienen; in einem 
Dorf fand sich auch an dem Baum ein Menschen- und ein Löwenschädel 
aufgehängt. — Die rechteckigen Vorrathshütten ruhen auf Vi — 1 m 
hohen Pfählen und haben Wände aus Lehm oder aus ca. oberarmdicken, 
senkrecht nebeneinander gebundenen Strohbündeln; sie sind ca. 2 m lang 
und V4— 1 ra br eit, der First befindet sich ca. 2 m über dem Erdboden. 



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Die Blasebälge sind dieselben wie überall. Als Amboss dienen grosse 
Steine oder Holzklotze, die man häufig auf Plätzen oder in den Hütten 
liegen siebt. 

Die Männer tragen die Penis-Futterale aas Flaschenkürbis oder 
Blättern; doch nach unserer Ankunft fast alle Hüfttücher, die sie aber 
beim Sitzen vorsichtig in die Höhe zogen. Vereinzelt werden auch die 
Sackmützen und Haussa-Hosen getragen. Die Weiber tragen nur an der 
Hüftschnur ein ganz kleines übergehängtes Läppchen oder ein paar Blätter, 
viele gehen aber völlig nackt. — Männer und Weiber tragen dünne 
kupferne und eiserne Ringe an den Fingern und Zehen; vereinzelt auch 
fingerdicke Eisen- und Messing- Armringe; die Männer häufig dünne Ringe 
aus Elephantenhaut, oft bis zu 8 — 10. — Die Haare werden in kleine 
Zöpfchen geflochten (ähnlich wie bei den Wassarämo in Ostafrika) und 
stark mit Oel getränkt, einzelne tragen sie durch einen umgelegten Streifen 
alle nach oben gerichtet; auch rasiren sie zwischen den Zöpfen noch 
Streifen aus; vereinzelt sieht man auch Perlen eingeflochten, auch lange 
Federn eingesteckt, die senkrecht emporstehen. — Tätowirung sieht man 
verhältnismässig wenig, allgemein aber das Bemalen mit Rotholzmehl. 
Sehr viel werden Amulette getragen, als Hörner, Zähne etc. 

Als Waffen dienen wie immer: Steinschloss- Vorderlader, mit dem 
Fellschutz für das Schloss und kleinen Pnlverflaschen aus Kürbisschale, 
die sie in kleinen Ledertaschen oder geflochtenen Säckcheu an der 
Schulter tragen; statt dessen tragen sie auch kleine Täschchen an der 
Innenseite des Oberarmes; weiter 5 — 6 Speere, auch Bogen, 
Pfeile und Köcher wie die Wüte; die Speer- und Pfeilspitzen 
haben übrigens nichts Einheitliches, sondern es kommen alle 
möglichen Formen vor; sodann breite Messer und auch 
europäische Haumesser in Scheide aus Flechtwerk oder aus 
dünnem Holz mit Fell- oder Eidechsenhautüberzag und 
2 Henkeln an jeder Seite, die an mehrfachen Schnüren an 
der Schulter getragen werden. Einen Messergriff sah ich, 
der sehr hübsch als Menschenkopf geschnitzt war; meist sind 
aussen auf den Scheiden noch 1—2 kleine Messer befestigt. 

Alle tragen Signalpfeifen, meist ans Antilopenhörnern, 
die an der Spitze ein kleines Loch haben, das mit dem Finger 
geöffnet oder geschlossen wird, während oben quer darüber 
, i gepfiffen wird. — Sie haben auch Palaver-Trommeln; ferner 
solche ans Holz mit Fell bespannt, dessen Schnüre nach dem 
unteren Rande herabgehen, ca. 60—80 cm lang, 20—30 cm 
Durchmesser. Die Hunde tragen oft Glocken am Hals, an- 
Abb. 9. geblich zur Jagd. 




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Die Einbauine fassen ca. 20—25 Mann; an dem einen Ende sind 
innen am Boden 2 grosse Höcker aus dem Holz herausgearbeitet, zum 
Gegenstemmen der Füsse des dort siteenden Steuerers, die Ruder sind 
ca. 1—1 Vi na lang ca. 15 cm breit (Abb. 9), doch dient als Ruder auch 
einfach ein gespaltener Stock, in dem einige Bretter oder ein Stuck Baum- 
rinde eingeklemmt und mit Rotang festgebunden werden. 

Sie haben kolossal viel Hühner, ferner Ziegen, Schafe, Hunde. 
Sie bauen Durra, Mais, Bataten, Kassada, Taro, Erdnüsse, Planten, 
Flaschenkürbisse, Tabak, Ricinus, Papayen, Strauchbaumwolle; die Felder 
sind sehr sauber. Auch findet sich in allen Dörfern ein Strauch, eine 
Labiate, mit gefiederten Blättern, die zerrieben und ins Wasser geworfen 
als Fischgift dienen; es ist derselbe wie in Ostafrika. Sie haben an- 
scheinend viel Elfenbein ; auch soll es Kautschuk geben. — Als Genuss- 
mittel haben sie Durrabier und Bananen wein. Ihre Tabakpfeifen ähneln 
etwas denen der Bali. 



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Bücherscliau. 



Im Sinne der „Anfänge der Kunst", wie durch die comparativ-genetische 
Methode der Ethnologie zur Geltung gekommen und mit den Arbeiten Grosse's, 
Stolpe's, von den Steinend, Haddon's, Hein's u. A. in sachkundige Pflege über- 
nommen, hat Kroeber das von ihm unter den Arapahoes angesammelte Material 
einer Behandlung unterzogen, die zugleich von einem zutreffenden VerstAndniss 
der hier in Frage kommenden Probleme Zeugniss ablegt. Es handelt sich um 
Einheitlichkeit der Umschau, im Gesammtumfang des Globus (für die Kunde 
von seinen Völkern). „Only by understanding its totality can we really wider- 
stand its smaller parte, those productions, that have always a predecessor, but 
never a beginning" (im einzelnen Detail der Wechselbeziehungen zu durchforschen). 
tu 3k xaUlao npwTov, aunuv dpa vo xaSJXou (b. Aristoteles), obwohl dMvarov 3k tu 
xaMXov ötapfjom pi) 3t ira/Tjc (auf empirischer Grundlage der Induction), bei vor- 
ausgesetzter Umschreibung des jedesmaligen Horizontes (S/MC«**«), in den Einzel- 
aufgaben (zur Controlle mit der Deduction). 

Für eine dogmatische Behandlung der Ethnologie ist es noch weitaus zu 
früh. Seit wenigen Jahrzehnten erst, hat die bisher enge Peripherie ethnischer 
Umschau über den gesammten Globus sich erweitert, über die Gedankenwelten 
der Menschheit hin, durch afimmtliche Phasen ihres Geschichtsverlaufs, in Raum 
und Zeit. Nach allen Richtungen hin öffnen wunderbare neue Perspectiven 
sich auf, wo noch ungeordnetes Rohmaterial stapelweis (bergehoch) aufgethürmt 
liegt, und erst nach genügender Verarbeitung durch monographisch detaillirte 
Specialarbeiten dürfte gewagt werden, allgemeine Grundzüge festzustellen, deren 
Richtigkeit vertraut werden könnte. Bis dahin hat es bei dem Experimentiren 
zu verbleiben („senaate experienze"), um beim Durchwandern der verschiedenen 
Areale, da, wo ausreichend gesicherte Daten geboten sind, in dem von ihnen ge- 
zogenen Kreis, die vorliegenden Aussagen nach proportioneilen Gleichungsformeln 
untereinander abzumessen, und daraus das bei der Prüfung erprobte Facit zu 
ziehen, im logischen Rechnen. 

Erst wenn im Fortgang auf solcher Forschungsbabn die Denkmöglichkeiten 
erschöpft sind, wird dasjenige sich annähern lassen, was in Ursprungsfragen ge- 
sucht ist, ob in einer „Natura naturans", ob in (Darwin's) „Creator" oder 
(Newton's) Höchster Intelligenz, zur Werkmeisterschaft der „grössten aller 
Maschinen" (s. Windelband), „Deus sive Natura" (in den Weltgesetzen). 

Wer eine Maschine arbeiten sieht, weiss, das* sie von Jemanden hergestellt 
ist, mit der Zielrichtung auf den von ihr erreichten Zweck; und sofern Inter- 
esse vorliegt, steht einer Bekanntschaft mit dem Künstler oder Techniker nichts 
im Wege. 

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— 114 — 



Auch im pflanzlichen Organismas arbeitet eine Maschinerie, auf ihren Zweck 
hin, am den Geschöpfen auf animalischem Bereich nutzbare Früchte zu schaffe n 
für Ernährung und Erhaltung dortiger Constitution. 

Hier jedoch verbleibt der Künstler oder seine Kunst, in soweitiger Weite 
der Denkmöglichkeiten, ihnen unzugängig, da es, statt eines „Machens" oder 
Schaffens (aus dunkeln Tiefen schöpfend; zur Schöpfung), um Entstehen sich 
handelt: um Ausentwickelung dessen, was vorher entwickelt lag (für Rät b sei- 
fragen). 

Nach dem Auseinanderrollen ist die Sache deutlich genug, wie? sie dies 
jedoch aus ihr selber (sich selber) gemacht bat, dem Menschenkinde ebenso un- 
verständlich, wie das Bild, auf dem der amüsante Baron am eigenen Zopf aus 
dem Sumpfe sich emporsieht, oder die Naturphilosophie dies Kunststück beim Ver- 
sinken in den „Urschleim" versucht hat (oder in dessen plasmodiscbe Auf- 
frischung). Es handelt sich in naturforschlicher Deutung um das Wirken kleinster 
Theilcben, die weil als solches Product (verschwindend klein) in minimalste Zer- 
krümelung auslaufend (beim Ineinander von Kraft und Stoff) nicht in ihrem 
An-sich gesehen werden können (den Ausschärfungen der „Visio mentis" ent- 
zogen), sondern erst in derjenig ersten Unität, welche als fassliche ins Dasein 
getreten, dort sich manifestirt Quae oculorum aspectum effugiunt, ea mentis 
acie comprehenduntur (s. Celaus), wenn das „Bangsa-alus" sich erhellt (in 
geistiger Schau). 

Was in der Maschinerie bewegend arbeitet, ist die Umwandlung des Stoffes 
durch die (aus Latenz erweckten) Kräfte, zur (äusserlich) materiellen Realisation 
dessen, was (innerlich) lebt, und bei Ablösung der Frucht seine eigenen An- 
fänge wiederum reproducirt (in Vervielfachung der Samen). 

Bei der animalischen Organisation verhält es sich ahnlich (unter Lostrennung 
vom terrestrischen Bodengrund); und so bei der humanistisch zugehörigen. 

Auch hier reali.-irt sich, in seinen Lebensfunctionen, für somatische Existenz 
der durch Kräfte umgewandelte Stoff, dem (aus seinem „influxus physicua* 
hervortreibend) psychische Entelechieen sich verlängern, um an den sensualistisca 
vorgesehenen Apparaten in Wechselbeziehungen zu treten mit Kraftäusserungen, 
die als mehrweniger freie agiren (ohne substantielle Unterlage, oder doch in 
Wurzelenden nur mit ihr verbunden); und bei humanistischer Specialität tendirt 
der „Nisus forinativus" im Psychischen zum Noetiscben hin, indem freie Kraft- 
bethätigungen zum Verkehr mit einander zusammentreten, innerhalb der ge- 
sellschaftlich umschlossenen Kreisperipherie, auf zoopolitischer Sprachsphäre; wo 
jeder der zugehörigen Coroponenten das Centrum das Ganzen in sich selber trägt, 
(je nach dem es dort willenskräftig hat fixirt werden können). 

In sobezöglich neu geschaffner Welt repetieren sich die physiologisch im 
somatisch psycho-physischen Individuum vertrauten Vorgange, auf deren sensua- 
listischer Schichtung. Die Denkgebilde werden gesehen (sichtlich vor Augen 
stehend, in der „Visio intellectualis" eines oculus rationalis), sie werden gehört, 
beim innerlichen (Nach-) Sprechen [aus dem Echo des (in „8abda u ) „ewigen 



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- 115 - 

Lauts"], zusammengeschlossen untereinander in lautlich umkleideten Anschauungs- 
bildern (aus acusto-optischer Concordanz). 

In dem sohin, mit dem [aus dem psycho-pbysiscben Individuum (das leib- 
liche Kinder zeugt) und dem zoopolitischen (dem Vater der geistigen) gepflogenen 
Zwiegespräch] hinzutretendem Bewußtsein, hätten sich demnach, wie in phytolo- 
gischen Fructificationen , die Anfänge (vervielfältigt) zu reproduciren, aber in 
(stofflich) immaterieller Form oder Epiphanie, weil energetisch umgeschaffen (zu 
freier Ablösung). 

Schon im Blüthestand der Pflanze mögen den vitalen Kräften (ihres 
mechanisch regulirten Organismus) freie Erzeugnisse entgeh weben, in dem (die 
tonganische 8eele allegorisirenden) Blumenduft, aber obwohl man ihr metaphorisch 
(oder in „Nanna's" Mythologis irung) eine Seele hat beilegen wollen, wäre doch, 
von einem Bewusstsein zu reden, leeres Gerede nur („inflatus vocis") für den 
normalen Denkorganismus (eines gemeinen gesunden Menschenverstands). Da- 
gegen sind ihr (im Haushalt der Natur) ihre Aspirationen („in spe") zu einem 
(animalisch) Seelischen gewährt, wenn von Animalien verzehrt und in deren 
Constitution assimibrt, um in metamorphosirenden Processen sich umzuwandeln 
hin und her (wie es ihr belieben möchte). Solche Aufnahme in einen höher 
geschätzten Stufengrad existentieller Erscheinungsformen setzt in der Hauptsache 
bei den (Lebens-) Früchten der Pflanze erst ein, die von den Würmern gemäch- 
lich verspeist werden, während wenn sie an die (in ihren Vorstadien) vom 
schwellenden Leben noch strotzende Pflanze sich wagen sollten, sie trotzig zurück- 
gestoßen sein würden, durch die Reaction aus immanentem Selbsterbaltungs- 
prineip (solange nicht pathologisch etwa verstört). Den aus brav tauglicher Aus- 
führung schmackhaft veredelten Früchten mag ausserdem die Ehre erwiesen 
werden, von demjenigen Wesen, das die Krone der Schöpfung sich auf das Haupt 
gesetzt bat, in höchsteigener Person seinem Verdauungapparat eingeführt zu 
werden. Und ob sie dort nun behaglich besser sich befinden dürfte, als in dem 
flimmrigen Epithelium eines Lumbricus bleibt wieder ihrem eigenen Geschmacke 
überlassen („de gustibus non est disputandum"). Ob (oder wie) es mit Geistes- 
früchten des „Homo sapiens" so oder ähnlich hergehen mag, bleibt dahin gestellt. 
Was die Menschen säen, ernten die Götter (meint der Dichter), und den Dewa 
waren im Sorna Seelengerichte aufgetischt, aus denjenigen, die zum wechselnden 
Mond fortzuflattern , sich geinütssigt gefunden hatten. Rathsamer also die zur 
Identification mit des Ursprungs Ursächlichkeiten gelangten Gedanken auf die 
»olare (Lebens-) Quelle hinzurichten oder (da auch dieser allerlei Fragliches an- 
haftet) auf einen gewissenhaft leitenden Pol (zu richtig correcter Steuerung der 
Lebens harke). (A. B.) 



In Seler's sachkundiger Besprechung der von Lumholtz unter den Huicbol 
angesammelten Bereicherungen der Ethnologie werden objectiv willkommene Be- 
stätigungen geliefert zu der auch auf fortgeschrittenen Phasen des Wachsthums 
gleichartig erwiesenen Manifestation der Elementargedanken, und solche Be- 



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legstücke sind besonders schätzbar, wenn ans dem Echo des anf transatlantischer 
HemisphBre abgetrennten Kontinentes wiederholt 

Und eine doppelte Beweiskräftigkeit erhalten sie aus denjenigen Gesichts- 
punkten, die, weil unserer occidentalischen Cultur (bei jäherem Bruch mit ihrer 
Vergangenheit) entzogen, ihr ans cnltnrellen Seitenstücken, die bei weniger 
rühriger Geschichtsbewegung unverletzter geblieben sind, supplirt werden müssen, 
auf denjenigen ethnischen Arealen nämlich, wo der die höheren Entwicklungs- 
phasen der Cultur mit ihren primitiven Unterlagen verbindende Leitungsfaden 
noch nicht abgerissen ist, und somit die lebendigen Zeugen derselben mündlich 
noch erzählen können von dem, was in archäologisch (oder prähistorisch) 
stummen Flesten zu Tage gefördert wird — um im vorliegenden Falle z. B. 
die Geschichte der Nahuatl zu erhellen, seitdem aus dem Trümmerschutt der 
mit der Conquista über sie hereingebrochenen Katastrophe wiedererweckt und 
den Studien zugänglich gemacht. 

Da den in solcher Hinsicht auszuverfolgenden Richtungen von dem Ver- 
fasser, mit der ihm zur Verfügung stehenden Fachkenntnis», der Weg bereits 
eröffnet ist, sind zum Fortgang auf demselben bequemliche Erleichterungen ge- 
wahrt. 

In der uralten Erdgöttin (Takotsi Nakawe) unb der jugendlichen Göttin 
des Mais (iku), die als „Mutter" (Täte) im Verhältniss der Tochter zur „Groß- 
mutter" (Takotsi) steht — wie bei den Azteken in männlicher Wandlung des 
Sohnes (irokesischem Hiawatha entsprechend) — läset, unter localen Variationen, 
ein Duplicat sich einregistriren zur hellenischen Mutter-Erde (Demeter) und der 
jugendlich (im Anodos und Katodos) die Pflanzen durchwandernden Tochter 
(Proserpina), oder (auf Java) „Devi Sri" (und anderen ethnischen Doubletten 
und Tripletten zu Häuf; zur Auswahl aus den „Etbnika"). 

Der Feuergott (Tatevali) am Herde, als Mittelpunkt des Oikos, wohnt auch 
in dem der Erde, wie Vesta mit Gäa identificirt wird (b. Ovid), in Beziehung 
zu Vulcan — ol /xev tov 'Hyrjinov ytXäv, oi dk Trjv 'Exrrta* (s. Aristotl.) — und als 
„Wärme, vermöge welcher die Kinder sich erzeugen im Leibe der Mutter" 
(bei den Huichol) kommt solche Function mit der Baiwe's (bei den Lappen) zu- 
sammen (für das „Junge des Renntbiers"). 

Tato Ypun, die doppelköpfige Schlange umschlingt bie Erdperipherie gleich 
ägyptischer (oder Midgard's) und zwischen ihren Köpfen ist Durschgang ge- 
lassen für die Sonne, in welche der Sohn der Adlerjungfrau, im priesterlichem 
Schmuck in das „Ofenloch" der Erde (einen durch Devotion geschlossenen Erd- 
schlund etwa) geworfen, wieder aufgestanden war; der mexicanischen Analogie 
(b. Sahagun) entsprechend (bei der Festfeier zu Teotihuacan). 

Die Hirschjäger (Tevalir) gehen nach dem Tode zur Sonne, um sie auf 
ihren Wegen zu begleiten (bei den Huichol), wie die dem Leben gewaltsam 
entrissenen Krieger (der Nahuatl), am Orte Hai Tonolipa [„sich erhebende (sich 
loslösende) Wolken' 4 ], oder die auf dem Schlachtfeld Gefallenen (s. Gill), ins 
buntschimmernde Wolkenland Tiairi's (auf Mangaia); und so in Parallelen 
weiter (wofür auf die lehrreiche Abhandlung zu verweisen, nächstgelegt ist). 



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117 - 



Um Aebnlichkeiten zu vergleichen, unter proportioneilen Verhältniss- 
werthen, und nach den für die Differenzen gültigen, diese unterscheidend zu 
markiren, vermag die DenkthHtigkeit ihre Bearbeitung eines (materiell oder 
immateriell) vorliegenden Hypokeimenon da nur nutzbringend in die Hand zu 
nehmen, wo causale Verknüpfung präsumirt ist („vere scire est per causas 
scire"), um ans den Wirkungen des (im vorhanden Gegebenen) augenscheinlich 
Fassl&ren — dessen also, was dort dem Auge [als „oculus naturalis" oder (auf 
der „Yisio mentis") „oculus rationalis" ; das „oculus contemplationis" vorläufig 
beiseits gelassen] vorliegt — , auf immanente Ursächlichkeiten zurückzuschliessen, 
bis auf letzt noch fassliche PrimordalitUten ; und indem sodann, von dem dort 
erlangten Ausgangspunkt ab, derselbe Weg zurückverfolgt ist: aufwärts zum 
Abschluss hin (unter doppelter Controlle der Deduction und Induction), wird 
dieser demnach, je nach den verfügbaren Hülfsquellen, geklärt (oder erklärt) 
sein, soweit auf dem von der Natur ursprünglich beschrittenen Wege, ihren 
Fussspuren nachzugehen thunlich gewesen ist (seitens des Naturkundigen). 

Eine individualistisch causale Verknüpfung wird auf biologischem Studien- 
bereich, als Organisation umschrieben, worin die Mittel den Zwecken und diese 
jenen dienen, und wo immer eine derartige Organisation (oder ein Organismus) 
vorliegt, wäre demnach (bei Verbindung der genetischen Metbode mit der com- 
parativen) das Zusammengesetzte (nach dem durch Newton erneuerten Satz der 
Peripatetiker) auf das Einfache zu reduciren, in cellulären Unitäten (potentiell 
geschwängerter Reimungen) ; wie die Chemie auf ihre Elemente gelangt, als 
soweit Letzt-Aeus8erste8 (vor dem Hinübertreten in Kraftcentren etc.). 

Wie der „Anthropos", in seiner (zoologischen) Erscheinungsform als „Bi- 
inanus", agirt auch der von seinem zoopolitischen Charakter umkleidete „Homo 
sapiens", als Organismus (im „Regne humain"), und aus der Functionsweise 
seiner Organe spiegeln die Schöpfungen der Gesellschaftsgedanken in der den 
socialen Kreis (als Stamm oder Volk) umschwebenden Weltanschauung, unter 
Buntheit der Völkergedanken ; je nach den Umgebungsbedingnissen aus histo- 
risch-geographischer Provinz. 

Um deshalb solch einfachster Unitäten (oder Monaden) gesichert zu sein, 
sind die Elementargedanken festzustellen, starr unveränderlich fast (gleich anor- 
ganischen Elementen) auf dem Niveau des Wildstands (unter localen Varianten), 
aber entwickelungssch wanger schwellend, wenn zum Sprossen angeregt (beim 
Aufblühen der Cultur). Das hervorgerufene Product wird zunächst mit dem 
Stempel der geographisch zugehörigen Provinz geprägt und gefärbt sein, während 
wenn auf den die geographischen Provinzen topisch verbindenden, Geschichts- 
bahnen fremdartige Einflüsse zugetragen (und entlehnt) sind, die dadurch be- 
dingten Modihcationen (und Aeugelungen) zur Veredelung heranreifen mögen, 
bei wahlverwandtschaftlich congenialen Affinituten, — oder (andererseits) mehr- 
weniger gestört sein; auch gänzlich zerstört, bei brutal incongruentem Eingriff 
oftmals leider (ehe es gelungen ist, die Originalitäten im Thesaurus der Museen 
sieber niedergelegt zu haben, als Arbeitsraaterial auf weiterhin). 



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— 118 - 



Dieser inductive Forschungsweg hatte der Individualpsychologie sich bereit* 
wünschens werth gemacht, um an Unitaten (und Monaden) einen Anhalt zn 
gewinnen, in Beneke's „Urvennögen" oder Proprincipien (b. CampaDella), als 
„psychische Urelemente" (s. Münsterberg) oder „Empfindungselemente" (in der 
Psycho-Physik), mit Er-weiterong zu xotw ivvoitu (der 8toa), dem „ab omnibus 
et ubique" (b. Cicero) Gedachten (oder Geglaubten) oder notitiae commune« 
(b. Herb. Ch.), als „common principles" (s. ßeid) des „Common sense", wie 
dem gemein gesunden Menschenverstand bereits verstandlich. Aber solch selbst- 
verständlich einlaches Denkgebilde stösst auf Schwierigkeiten, um Eingang 
zu erlangen, wo mit scholastischen Dogmen vollgepfropfte Köpfe den Geschmack 
am Natürlichen verloren haben. 

Wenn den Reisebericht erzählen hörend, von einem in anderen Continental 
angetroffenen Gebilde, das, pflanzenartig ausschauend, Zweige ausgestreckt 
habe und mit Blättern behangen gewesen sei, wird der bei naturgemäßer 
Lebensweise der Nüchternheit beflissene Naturforscher nicht gross darüber 
staunen, sondern vielmehr meinen, dass Zweige her vorzutreiben und Blätter 
anzusetzen jedem Baum in Fleisch und Blut läge und dass, wenn auch die 
Fructificationsorgane überbracht seien, derselbe unter botanischer Definition dem 
Lehrplan eingerückt sein könnte und mit einem Preisnamen beehrt werden. 
Dass die Pflanzen in allen Erdtheilen gleichartig wachsen, darüber wundert 
sich Keiner (seit durch die Zellentheorie belehrt). Die Vollblüthe mag weitest 
differenciren, unter verschiedenartigsten Gestalten im Pflanzenreich, aber jeder 
derselben liegen dieselben Elementarbildungen unter, in cellulär einfachster 
Unität (nach der auf heutigem Barometerstand der Naturerkenntniss gültigen 
Anschauungsweise). 

Und ebensowenig kann überraschen (weil gegenteilig selbstverständlich 
an sich), dass am ethnischen Organismus unter allen Zonen derselbe Elementar- 
gedanke hervorsprosst, der in seiner Identität leicht genug aufgewiesen ist, 
sobald die ihm klimatisch übergeworfene Maskirung abzuziehen, der Mühe 
werth erscheint. 

Wie wir nie den Menschen als solchen sehen (in seinem somatischen 
Habitus), sondern nur die ethnisch zugehörige Variation, roth als Indianer, 
schwarz als Neger, gelb als Mongole u. s. w., so spielt in dem Sebapparat 
der „Visio mentis" buntschillernd die Epiphanie der Völkergedanken» aus denen 
der Normalbefund des Gesellschaftsgedankens (in Universalität seines Mensch- 
heitsgedankens) demgemäss herzuleiten ist (im systematischen Fortgang der 
Forschung). In allen aber steckt der gleichartige Elementargedanke, der die 
Bemühungen um seine Auffindung reichlichst dem Denken belohnen wird, 
durch Vereinfachung seiner logischen Rechnungen (wie es genugsam sich be- 
reits bewährt hat). 

Die Uebereinstimmigkeit der ethnischen Elementargedanken ergiebt sich 
somit als ein zwingendes Postulat und ebenso die analog entsprechende Aehnlich- 
keit, im Abverlauf cultureller Entwickelungsphasen. 



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- 119 - 

Das muss so sein und könnte anders überhaupt nicht sein, seit (oder so- 
bald) wir uns bereit gefunden haben, den vormals auf den Stammbaum heroi- 
scher Ahnentafeln gesteiften Menschen, in den „Zusammenhang der Dinge" 
einzufügen. Von ihnen allen wird eine Gotteskindschaft reclarairt, eine gleiche 
Mutter in der „Natura Naturans", und dem eines Kopfes Länge darüber hin- 
ausragenden Menschen ist dieser Vorzug nur gewährt durch die ihm, ab? „forma 
superaddita" (b. Telesius) zugefügte „Pars rationalis" (s. Cicero) ; oder deshalb 
vielmehr, weil der ihm innewohnende Wachsthumsprocess bis zu solchem Stufen- 
grade emporgestiegen ist, und so auf höherer Warte der Umschau (in der 
„Visio intellectualis" eines „Oculus rationalis") von denjenigen Reflexen, einer 
kosmisch das Telluriscbe Überragenden Umwelt, getroffen wird, die in seiner 
Denkthätigkeit ihm zu bewusster Empfindung gelangen (bei rationeller Be- 
rechnungsweise der gesetzlich gültigen Verhältnisswerthe ; im Zwiegespräch des 
7.00 politischen Individuums mit dem psycho- physischen, Aber gemeinsam einigende 
Persönlichkeit). 

Davon abgesehen, verhält es sich mit ihm, wie mit allen übrigen Dingen 
biologischer Erscheinungsformen - insofern nümlich : dass die organisch in ge- 
regeltem Wachsthumsprocesse (metaphorisch gesprochen) gewandelten Functionen, 
an jedesmaliger äpXjj rij? turaßoXifi. auf primäre Unitäten sich zurückführen 
lassen, aus denen sie hervorgesprosst sind. 

Wenn bei dem, unter Abweisung des Nichtsein's (bei den Eleaten), ge- 
setzten Sein eines xoeftt»; dkovtos, der physiko-theologische Beweis (b. S. Parker) 
für Erfindung der Weltmaschinerie (in mechanischer Naturbetrachtung) nicht 
genügend erschien, sind die Erklärungsweisen in den „Regressus ad infinitum" 
eines absoluten Werden' s hineingerathen, ob es um eine „kreisende Gebärerin" 
(b. G. Bruno) sich handelt, ob (in polynesischer Kosmologie) um ein „Hervor- 
blühen" (pua-ua-mai) ; am mythologischen Baum etwa, für Ask und Embla 
oder Mescbia und Meschiane, mit ethnischen Parallelen sonst zu Häuf, in der 
Völkerkunde (bis auf den in Sachsen, „woran die schönen Mädchen wachsen ; w 
im volkskundlichen Ueberlebsel). 

Immerhin, ob so oder so, dass in Praxis der modernen Naturforschung die 
genetische Methode zur Empfehlung gekommen ist, weiss Jeder genugsam. 

Im somatischen Individuum ergeben sich diese Primordalitäten als celluläre, 
von denen aus ein in seiner Haltbarkeit zuverlässig (experimentell) erprobter 
Leistungsfaden bis auf psychische Entelechie (aus dem „influxus physicus" her- 
vortreibend) unabgerissen fortzuführen, der exacten Forschung bereits gelungen 
ist, und betreffs des zoopolitischen Organismas sind »«bezüglich die Elementar- 
gedanken substitnirt — die, sofern eine besser zutreffende Bezeichnung dafür 
vorgeschlagen wird, auch diese beigelegt erhalten können ; die im Uebrigen 
aber auf ein und dasselbe hinauskommen, im gleichen Sinn nach der in der 
Biologie durchweg adoptirten Auffassungsweise: um dasjenige verständlich zu 
machen, was vor den Augen sich abspielt (unter den Wandlungen des Werdens 



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— 120 — 



im Sein) und nach den Vorschriften der comparativ-genetischen Methode seine 
zweckdienlichste Behandlung zu erhalten hat. 

Und dem in seiner Entfaltung zum Ansetzen von DenkblUthen (und 
Wissenschätzen) tendirendem Wachsthumsvorgang seine primär unterliegenden 
Unitaten festgestellt zu haben (objectiven Aussagen gemäss, ohne subjectivistisch 
deutelnde Zuthat), darf als werthvollster Gewinn um so mehr geschätzt werden, 
indem in der dadurch gewonnenen Eins die Fülle des Gesammt eingeschlossen 
liegt (wie in jedem Samenkorn die daraus metamorphosirte Pflanze). Obwohl 
stumm und -starr, wie sie (das h xat sav), wenn im Pluss der Zahlenreibe van 
Reden gebracht, von demjenigen künden, was unter den Wundern, die umgeben,') 
deren Bäthsel zur Lösung zu bringen verspricht, je mehr die Vielheiten [die 
Theile (oder Theilganzen) im Ganzen] in ihr durch monographisch detaillirte 
8pecialarbeiten zur Aufklärung gebracht sein werden, um unter sich dann 
wieder, aus wechselweisen Ergänzungen, zusammenzustimmen (in Einheitlichkeit 
der durchwaltenden Gesetze). 



') Auf mathematischen Unterlagen des AH beeindruckt in mechanischer Naturbe- 
trachtung die Welt als grösste der Haschinen, das Werk höchster Intelligent 
(b. Newton) oder aus organischen Molcculen (im Vorlauf der Zelltheorien) als Organismw 
(b. Buffon), worin der noeto-psychische Wachsthumsprocess, (aus dem influxus physicos 
herrortreibend) zur (ablösbaren) Frachtkrone reift auf zoopolitisch socialer Sprachsphäre, 
deren Objecte (aus Incarnationen des Gesellschafegedankens) ebenso real [oder 
(b. Lamettrie) körperlich, in (stoischer) Körperlichkeit ; und (b. Hobbes) des Staatskorpers 
auch] wie die optischen Gebilde im oculus naturalis einem oculus rationalis (in der 
Vivio intellectualis), gegenüber stehen aus acustischer Concordaaz in lautlich umkleideten 
Anschauungsbildern, die religiös durchwehten Rechtsinetutiooen spiegelnd (aus Braach 
und Sitte) ; und solch gesellschaftlicher Organismus (im Umgriff der integrirungsfahigen 
Individuen) ist regulirt durch moralische Functionen (aus physiologischen transfonnirt) 
im „moral sense w (b. Shaftesbury) für menschlich angeborenen Unterscheidungen von 
Recht und Unrecht (b. Voltaire), aus den naturnothwendigen Voranlagen geselliger 
Existenz, nach dem „Geselligkeitsbedürfniss" (b. Grotius), in den Moralgeboten anf 
primärem Niveau, als (passive) Tugenden : bei Ausfall des Mordes innerhalb des Stammes 
aus dem Selbsterhaltungsprincip (das andererseits den Todschlag gegen den Feind 
pflichtgemäss gebietet) und Ausschluss des Diebstahls (bei communalem Eigenthura), 
während mit der Ehe nach dem (in Idealisirung dann veredelten) Recht des Starkem) 
(wie bei den Altersklassen) der Ansatz zum Privateigenthum zu den Kämpfen um eine 
„Helena" führt (im australischen Wildzustand u. s. w.) ; und die Lüge [wie von Mao- 
digoes (b. M. Park) und (b. Herodot) von Persern gerühmt] ist unbekannt, weil 
dem ungeübten Gedankengang das Wahrspreeben einfach leichter (aus vis ineiüae), 
wobei gegen die, Unzurechnungsfähigkeit herbeiführende, Berauchung Proteste eingelegt 
sind (b. Sachem etc.). In dem Gesetze von Erhaltung der Substanz und Erhaltung 
der Kraft (bei Umsetzung der Energien in der Wärme) ist das im ersteren Falle, weil 
tellurisch nach seinen Verhältnisswerthen durchwanderbar, insofern isoürbar, während 
es im letzteren in makrokosmische Unübersehbarkeiten hinausliegt; wohin indeas aus 
Uebereinstimmigkeit der Denkgesetze eine Brücke zu schlagen sein wird, bei Behandlung 
der humanistischen Studien nach comparativ-genetischer Methode (auf Grund der ethnisch 
angesammelten Thatsachen). 

(A. B.) 



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— 121 — 



Dr. Augustin Krämer: Die Samoa- Inseln. Entwurf eiuer Mono- 
graphie mit besonderer Berücksichtigung Deutsch-Samoas. Heraus- 
gegehen mit Unterstützung der Kolonialabtheilung des Auswärtigen 
Amts. I. Band. Stuttgart, E. Schweizerbartsche Verlagsbuch- 
handlung (E. Naegele). 1901. 

Obwohl eine der jüngsten kolonialen Erwerbungen Deutschlands, scheint 
Saznoa doch als erstes unserer Schutzgebiete eine umfassende Darstellung seiner 
ethnographischen Verhältnisse erhalten zu sollen. Eine solche wird ja freilich 
durch die geringe räumliche Ausdehnung der Inselgruppe ebenso erleichtert, 
wie durch die zahlreichen Vorarbeiten von Männern wie Turner, Stair, Pratt, 
Fräser, Sttttol u. a., die dem Forscher hier zu Gebote stehen. Eine er- 
schöpfende Monographie, in der die gesammte vorhandene Litteratur verarbeitet 
wäre, ist das Krämersche Werk freilich noch nicht, wie denn auch der Verfasser 
es nur als den Entwurf einer solchen bezeichnet; aber eine unendliche Fülle 
neuen Stoffes, eine Menge von werth vollen Berichtigungen und Ergänzungen zu 
den Berichten der alteren Autoren bringt bereits der erste, nunmehr vollendet 
vorliegende Band, der die Verfassung, die Stammbaume und Ueberlieferungen 
von Samoa enthält. Was aber den ohnehin grossen Werth dieses Materials noch 
beträchtlich erhöht, das ist die geradezu mustergiltige Vorsicht und Sorgfalt, 
mit der der Verfasser beim Sammeln und Aufzeichnen desselben vorgegangen 
ist. Er hat sich niemals an einer Quelle genügen lassen, sondern jeden Stamm- 
baum und jede Legende sich von mehreren, oft fünf bis zehn verschiedenen 
Eingeborenen erzählen lassen und die Berichte verglichen, um möglichst ge- 
sicherte Ergebnisse zu erzielen. Viele Einzelheiten sind natürlich trotzdem 
uiigewiss geblieben; wenn es aber dem Verfasser gelungen ist, die Stammbäume 
der fünf bedeutendsten samoanischen Familien für die letzten 15—20 Generationen 
in Einklang zu bringen, so ist das ein höchst bemerkenswerthes Resultat seiner 
Forschungen und zugleich ein Beweis, dass die Traditionen doch eine weit 
grössere Zuverlässigkeit besitzen, als man es von einem schriftlosen Volke vor- 
aussetzen sollte. Weiter rückwärts als auf etwa fünf Jahrhunderte läßst sich 
die geschichtliche Tradition allerdings nicht verfolgen; alle Ueberlieferungen, 
die sich auf eine entlegenere Zeit bezieben, tragen einen mythischen Charakter. 
Die Hoffnung scheint daher auch gänzlich ausgeschlossen, dass man aus den 
Traditionen etwas Sicheres über die Herkunft der Samoaner und die Besiedelung 
Samoas erfahren könnte. 

Der Inhalt des reich mit Abbildungen und Karten geschmückten Bandes 
ist so angeordnet, dass nach einem kurzen Reise- und Arbeitsbericht zunächst 
eine Darstellung der Verfassungsgeschichte, der vorgeschichtlichen Zeit und der 
als Grundpfeiler des samoanischen Staatswesens zu betrachtenden Familie gegeben 
wird, nebst Bemerkungen über die Kawa und die feinen Matten, die beide im 
Leben der Samoaner eine so grosse Rolle spielen. Auf diesen einleitenden Ab- 
schnitt folgt nun der Haupttheil des Buches, in dem, nach den einzelnen Inseln 
(Savaii, üpolu, Tutuila und Manua) und deren Hauptbezirken geordnet, der 



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— 122 - 



Reihe nach die Faalupega, die Stammbäume und die Ueberlieferungen im Urtext 
und in Uebersetzung mitgetheilt und mit erklärenden Bemerkungen versehen 
werden. Neu ist hier vor allem die Faalupega, d. h. die ceremoniellen Be- 
grüssung8formeln, mit denen der Sprecher (tulafale) die Berathungsversammlungen 
(fono) erQffnet Dieselben haben ihren bestimmten, ein für allemal feststehenden 
Wortlaut, auf dessen Beobachtung mit grosser Strenge geachtet wird, und ent- 
halten alle Ehrentitel, die von einer Familie, einem Dorf oder einer Landschaft 
im Lauf der Geschichte erworben sind und ihr ausschliesslich zukommen. Die 
Stammbäume sind die der bedeutendsten samoanischen Familien, deren Geschichte 
zugleich die Geschichte Samoas repräsentiert, während die Ueberlieferungen tbeils 
mythischen, theils historischen Inhalt haben. Darauf folgt die schon erwähnte 
chronologische Vergleichung der Stammbäume untereinander und mit dem 
Stammbaum der Könige von Tonga (nach Tregear und Bastian) und zum Schluss 
ein sehr dankenswerthes Literaturverzeichniss, das ebenso wie der Sachen- und 
Namen-Index den Werth und die Benutzbarkeit des Buches wesentlich erhöht. 
Den zweiten Band, der Wirthschaft, Gewerbe, Kunst u. s. w. der Samoaner 
bebandeln wird, stellt der Verfasser binnen Jahresfrist in Aussicht. 

Naturwissenschaftliche, nicht ethnographische Studien waren es ursprünglich, 
die Dr. Krämer in die Sudsee führten; aber wie schon manchen vor ihm, fesselte 
ihn die eigenartige Kulturwelt der Oceanier mehr und mehr, je näher er sie 
kennen lernte, und andererseits mahnte ihn der rasche, fast mit Händen zu 
greifende Zerfall dieser Kultur daran, dass Eile noth thut, wenn noch etwas für 
die Wissenschaft gerettet werden soll. „Man rüstet jährlich zoologische 
Expeditionen aus," sagt er, „um Thiere zu erforschen, die nach Hunderten und 
Tausenden von Jahren auch noch vorhanden sein werden; man bedenkt nicht, 
dass im Pacifischen Ocean Völker dahinschwinden vor dem mächtigen Andrang 
der Civilisation, deren geistigen Schatz wir im Begriff sind dahinschwinden zu 
husen, wie die spanischen Conquistadoren es vor 400 Jahren in Westindien 
gethan. Sollen wir uns dereinst dieselben Vorwürfe machen lassen? Oder 
ist denn der Mensch weniger interessant als eine Qualle?" Es ist nichts Neues, 
was Krämer hier ausspricht, aber man raus» auch hundertmal Gesagtes immer 
von neuem sagen, bis es Gehör findet, und die Thatsache, dass die citirten 
Worte in einem mit Unterstützung der Golonialabtheilung des Auswärtigen 
Amtes herausgegebenen Werke stehen, lässt uns hoffen, dass man nunmehr auch 
in massgebenden Kreisen anfangen wird, wenn nicht die rein wissenschaftliche, 
so doch die praktisch-kolonuvlpolitiscbe Bedeutung der Ethnologie höher ein- 
zuschätzen, als es bislang der Fall war. 

B. Ankermann. 



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Ethnologisches Notizblatt. 



Herausgegeben 



von der 



Direktion des Königlichen Museums für Völkerkunde 

in Berlin. 



Band III. - Heft 3. 



Mit 4 Tafeln. 



Berlin. 

A. Haaok Verlagsbuchhandlung. 

1904. 



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Inhaltsverzeichnis. 



Seit« 

G. Zenker: Die Mabea 1 

G. Fritz: Die Chamorro 25 

R. Hermann: Erklärungen zu den Tafeln 1— IV 101 

A. Brandeis: Das Gesicht im Monde. Ein Märchen der Nauruinsulaner . . . 111 
ßüthorschau 115 



«gle 



*Die Mabea. 

Von 
G. Zenker. 



An der Küste zwischen Klein*Batauga und dem Campofloss, der süd- 
lichen Greuze unserer Kolonie Kamerun, leben verschiedene kleine Volks- 
stämme, die ßeundo, Babuko, Banoko und Mabea bis Grossbatanga, 
weiter südlich bis zum Campo die Eyarra, sowie im Urwalde nomadi- 
sierend das Jagdvolk der Bakjielle (Baquea) von untersetzter Gestalt 
(bis zur Zwergform). Alle diese Stämme sind verschieden in ihren Sitten 
und Gebräuchen sowohl als auch in ihren Sprachen. 

Banoko-, Babuko-, Beundo- und Eyarra-Leute sind Seefischer 
und Händler. Ihre Wohnsitze und Weiler liegen längs der Küste, die 
meisten Ansiedlungen gehen nicht über einen schmalen, vom Urwald be- 
grenzten Küstenstreifen hinaus. Dicht hinter diesen haben sich die 
Mabea, auch Kaschua genannt, angesiedelt. Von diesen soll hier die 
Rede sein, da sie noch wenig bekannt sind. 

Der Mabeastamm ist von den vorhergenannten numerisch der grösste, 
aber seine Wohnsitze sind wenig zusammenhängend. Man findet Mabea- 
weiler längs dem linken Ufer des Lokundje von Bipindi bis Ebea, 
dicht hinter Longji, Plantation, Kribi, Wasserfall, G ross-Batanga 
und weiter bis Campo. Im spanischen Gebiete Bata sitzen ebenfalls 
Mabea, die sich zani Unterschiede von den in unserem Gebiete sitzenden 
Bata-Mabea nennen. Diese sprechen eiu etwas verschiedenes Idiom, 
doch können sie sich mit den hiesigen verständigen. Als in den Jahren 
1887 bis 1889 die Kaiserliche Forschungsexpedition ihre ersten Vorstösse 
ins hiesige Hinterland machte, fanden wir Mabea- Ansiedelungen noch 
in Gebieten, die nun seit mehr denn 10 Jahren von den Fang-Stämmen 
(Mpfong) okkupiert sind. Die Mabea sind vom Süden eingewandert; sie 
haben manches mit den Mpougwe (Gabun) gemein. Die Grenzen ihrer 
Landschaft sind hier in unserem Bezirke folgende: Im Süden grenzen sie 
an die Buli resp. Eyarra, im Osten an die Nguinba, in Nordosten 
und Norden au die Bakoko (Betjek) und Benudo, im Westen an die 
Banoko und Babuko. 

1 



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Historisches aus älterer Zeit ist von den Leuten wenig zu erfahren; 
grosse Helden und bedeutende Mäoner scheint dieser Volksstamm nicht 
hervorgebracht zu haben. Der Häuptling Mbela, Mamiaca und andere 
konnten mir nur weniges aus ihrer Jugendzeit erzählen; Wahrheit und 
Dichtung war dabei nicht zu trennen. 

Im Anfange des vorigen Jahrhunderts sassen die jetzt hier ansässigen 
Mabea bei Ntongu und Malande (zwischen Gross-Batanga und Campo), 
sind jedoch, um unruhigen Nachbarn zu entgehen, nach den Bala ba joa- 
Bergen gezogen; auch dort blieben sie nur einige Jahre und siedelten sich 
dann, weil sie von Südosten und Süden her gedrängt wurden, nach ver- 
schiedenen Kämpfen mit dem Betjekhäuptling Unkombe in der Bipindi- 
gegend an, zwischen dem Mittellauf des Lokundje und Nkiango. Bei 
Abschluss der Friedensverhandlungen zahlten die Mabea (sie scheinen also 
nicht gerade siegreich gewesen zu sein) an den Häuptling Unkombe für 
das Recht, sich in Bipindi ansiedeln zu dürfen, 5 Mädchen und Frauen, 
Schafe und Eisengeld (»viele Tausende«). Doch sollten sie sich auch hier 
nicht der gewünschten Ruhe erfreuen. Der Häuptling Mbiangante von 
Gross-Batanga überfiel eines schönen Tages die Betjek. Diese glaubten, 
dass hieran die Mabea die Schuld trügen, zogen gegen sie ins Feld, 
töteten mehrere Leute und beraubten sie ihres wenigen Viehes. Nach 
dieser Niederlage teilten sich die Mabea und zogen zum Teil flussabwärts 
bis Ebea, zum Teil siedelten sie sich hinter den Ortschaften der Küste 
an; doch wahrten sie sich ihre Unabhängigkeit gegenüber den umwohnenden 
anderen Stämmen. 

Kriege, oder besser gesagt Überfälle von Seiten der Ktistenbevölkerung, 
hatten die Mabea in der Bipindigegend noch bis zum Jahre 1896 auszu- 
halten, und diese hörten erst dann auf, als ich mich hier ansiedelte. Sie 
wurden blos deswegen von Seiten der Küstenleute unternommen, um 
Hühner, Schafe, Ziegen etc. zu rauben, dio dann an der Küste an die 
Weissen verkauft wurden. 

Regierungsform. Anlage der Weiler. Bau der Häuser. 
Mannerhaus, Frauenhaus, Familienleben. 

Die Familien sitzen in kleinen Bezirken zusammen. Ihre Regierungs- 
form ist patriarchalisch. Jeder Mabea, der eine oder mehrere Frauen 
hat, besitzt seinen eigenen Weiler. Diese sind in Form eines Rechteckes 
angelegt. An beiden Enden stehen die grösseren Männerhäuser, an den 
Längsseiten die der Frauen. Letztere bilden eine zusammenhängende 
Reihe. Das Baumaterial ist Baumrinde. In der Küstengegend oder wo 
sonst noch die Raphiapalme vorkommt, wird die Bedachung aus den 
Fiedern der Wedel dieses Baumes hergestellt, die zu Matten (contschia) 



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- :j - 



verflochten werden, sonst aus den Blättern einer Marautennrt. Die Mäuner- 
häuser haben 6 — 8 Feuerstellen und ebenso viele Betten (d. h. Ge- 
stelle). Diese Häuser dienen der Familie nnd etwa im Dorfe anwesen- 
den Güsten am Tage zum Aufenthalte. In irgend einer Ecke befinden 
sich die Signal- und die Tanztrommeln. Letztere stehen auch Öfters am 
Mittelpfeiler. Unterm Dache sind Schädel verschiedener Tiere angebracht 
(Jagdbeute), ebenso werden Fischnetze, Jagd- und Angelgeräte, Huder, 
Körbe etc. dort aufgehängt, weil es der trockenste uud vor Zerstörung 
gesichertste Platz ist. 

Diese Häuser sind in der Regel G m breit, 8—10 m lang nnd 2 m 
hoch. Die Frauenhäuser sind 3—4 m breit, 2 ra hoch und 8-10 m 
lang. Zusammenhängend haben sie oft eine Länge von 50 — 100 m. Der 
Besitzer errichtet dieselben nach und nach je nach dem Zuwachs an 
Frauen. Jede Hütte ist in zwei Räume geteilt, einen grossen und einen 
kleinen. In ersterem befinden sich vier Bettstätten mit zwei Feuerplätzen, 
in letzterem eine grosse für zwei Personen mit einer Feuerstätte. 

Die Bettstellen bestehen aus dem leichten Holz des Schirmbaumcs 
(Mussuma Smithii) oder aus den Rippeu der Raphiapalme. 

In den Dörfern an der Küste findet man auch öfters Bettstellen nach 
europäischem Muster. 

An den Wänden hängen Schüsseln aus Holz und Iiöffel, am Boden 
stehen gusseiserne Töpfe, hölzerne Mörser und Reibesteine. Die grossen 
Fruchtschalen eines Urwaldbaumes, die zum Reiben dienen, liegen daneben. 
Am Dachfirstbalken hängen Körbe mit verschiedenem Inhalt an Feld- 
und Urwaldfrüchten. Grosse Odikakuchcn vervollständigen die Vorräte, 
die da oben im Rauche vor Verderben geschützt sind. 

Über der Feuerstätte befindet sich ein flaches Gestell aus Raphia- 
rippen, das dazu dient, Kassade zu trocknen oder Fleisch zu räuchern. 
An den Giebelwänden hängen dicke Fischnetze mit Holzreifen, die zum 
Fangen kleiner Fische in Tümpeln und Bächen verwendet werden. Der 
kleine Raum dient dem Hausherrn zum Empfange von Besuch und der 
Frau zum Aufbewahren der wertvolleren Gegenstände: Zeuge, Schmuck etc. 

Oftmals findet man in der Mitte dieser Hüttenreihe ein grösseres 
Haus mit % bunt bemalter Türe, grossem Vorhängeschloss, eiuem kleinen 
Fenster etc., dann ist der Besitzer entweder ein Händler oder ein ver- 
mögender Maun. Vor einigen Jahren bestanden in vielen Weilern kleine 
sogenannte Buschfaktoreien, Kaufläden, wo Gummi und auch Elfenbein 
gegen europäische Waren eingetauscht wurden, doch ist das Gebiet nicht 
mehr ergiebig genug: der Gummi wird jetzt fast nur noch von der Ost- 
grenze der Kolonie hergeholt. In der oben erwähnten Hütte hebt der 

Herr seine Reichtümer in hölzernen Koffern rohester Form auf. Diese 

1* 



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hier unter dem Namen Trade box bekannten Kisten besteben aus 4 Langs- 
und 2 Seitenbrettchen und sind mit Schlössern versehen, die sämtlich 
ein und denselben Schlüssel haben. 

Diese Kisten stehen auf einem Gestelle an der Wand. Dort deponiert 
der Besitzer seine Zeuge, Messingdraht, Pulver, Eisengeld und vielen 
andern europäischen Tand, dort verwahrt er auch sein Salz, seine Amu- 
lette, Gewehr, Speere und Hanmesser, seine Munitionsbeutel etc. Oftmals 
ist aber alles bloss Schein, d. h. die Koffer sind leer. 

Fetischhäuser werden nur zu den Mannbarkeitsfesten abseits vom 
Weiler, im Baschwald errichtet und mit einem dichten Zacni umgeben. 

Unglücksfälle, Todesfall, Missernten, durch seinen Aberglauben er- 
zeugte Furcht vor bösen Nachbarn, können einen Familienvater veran- 
lassen, seineu Weiler an einem ruhigeren und besseren Platze zu errichten. 
Er sucht sich dann in einer wenig bewohnten Gegend seines mit Urwald 
bestandenen Landes einen ihm güustig gelegenen Ort, womöglich an 
einem Flusslauf, sei es direkt am Lokundje oder einem Nebeuflusse. Dort 
reinigt er einen kleinen Platz vom Unterholz und errichtet mehrere 10 
bis 15 m lange Schutzdächer, je nachdem wieviel Bettstätten — 
zwischen je zweien muss Kaum für eine Feuerstatte bleiben — er auf- 
stellen will, und siedelt mit einigen jungen Leuten seiner Familie oder 
auch Anverwandten dorthin über. Er bolzt nun einen */s üa grossen 
Platz ab und baut zuerst ein grosses Männerhaus und einige Frauen- 
häuser. Ist die Entfernung nicht zu gross, so schafft mau auch die 
alten Seiten wände und Dächer (doch nur die aus Raphia hergestellten 
Mattendächer) nach dem neuen Weiler. Die Frauen bringen nun, ent- 
weder täglich oder in längeren Zwischenräumen, Lebensmittel, Pisang, 
Bananen, Cassadebrote (uande) und von den alten Pflanzungen Cassade- 
stecklinge, Pisang und Bananenschössliuge und fangen an, den vom Unter- 
holz freigeschlagenen Urwald zu bepflanzen. Ist dieses geschehen, so 
werden erst alle grossen Bäume abgeschlagen. Wie diese fallen, ist 
gleichgültig. An die ganz grossen wagt man sich bloss mit Feuer, wenn 
man nicht vorzieht, sie stehen zu lassen. 

Das verrottende Laub und faulende Holz giebt dann die Düngung. 
Diese Neupflauzuug schiesst bei Beginn der Regenzeit tüchtig in die Höhe. 
Sind die Baulichkeiten alle errichtet, so siedelt die ganze Familie mit 
Schafen, Ziegen, Hunden und Hühnern ins neue Heim über. Bis zu 
dieser Zeit giebt es im neuen Weiler schon Mais, Grundnüsse und Ge- 
müse (bittere Blätter von einer Solanum-Art). Pisang, Bananen und 
Cassade holen sie aber aus ihren alten Pflanzungen. 

Wie ich schon erwähnt habe, liebt der Mabea seine Weiler an einem 
grösseren Flusslauf auzulegen, weil er hauptsächlich von den Erträgnissen 



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- 5 - 



des Fischfangs lebt, doch liebt er auch die Jagd und den Handel, d. h. 
den Zwischenhandel. Erst seit einem Jahrzehnt haben die jungen Leute 
angefangen, für die Raufleute, mit einem kleinen Muss auch fiir die 
Regierung, Tragerdienste zu leisten. 

Körperbeschaffenheit. 

Die Mabea oder Kashua (letzteres bedeutet Hand) sind von Mittel- 
grösse, untersetzte Individuen sind vorwiegend. Ihre Hantfarbe variiert 
zwischen tiefstem Kaffeebraun und lichtem Gelbbraun. Albinos sind nicht 
selten. Das Haar ist wellig und wird kurz getragen, mitunter werden 
Streifen ansrasiert, oder man rasiert den ganzen Kopf, lässt aber an der 
Stirn ein Büschel stehen. Der Mabea hat die echte Negerphysiognomie, 
doch giebt es anch Leute mit weniger wulstigen Lippen und weniger 
breiter Nase, besonders beim weiblichen Geschlechte. Sein Gesichtsaus- 
druck zeagt nicht von grosser Intelligenz, aber von einer Verschmitztheit, 
die wenig vertrauenerweckend ist. Sein Charakter ist aber auch darnach : 
falsch, betrügerisch, diebisch, sinnlich im höchsten Grade, lügnerisch und 
feig. Er ist (wie alle Stämme) grausam und einer richtigen regelmässigen 
Arbeit abhold, wenn er nicht dazu gezwungen wird. 

Glau ben. 

Die Mabea erkennen ein höheres Wesen an, das sie Nsambi nennen. 
Von ihm kommt alles Gute und zu ihm kommen auch die guten (sie) 
Menschen. Der böse Geist führt den Namen »Mingfue«, er haust in der 
Erde und verwandelt die bösen Menschen in Tiere, besonders in Gorillas, 
Cbimpausen, Leoparden, Elefanten etc. 

Sie glauben aber noch an viele andere Sachen, die, in Form von 
Amuletten, gegen alle mögliche Unbill des Lebens schützen sollen. 
Auch besitzen sie Mittelchen, anderen Menschen Böses zufügen zu können. 
Sie geben auch nie den natürlichen Tod eines Menschen zu, sondern 
dieser tritt nur durch anderer Leute Schuld ein; daher auch vielerlei 
Streitigkeiten beim Tode mancher Personen. Stirbt z. B. einem Manne 
die Frau, so verlangt er von ihrer Familie entweder eine andere ohne 
Zahlung, oder Rückzahlung des Kaufpreises. 

Todesfalle durch Schuld anderer werden durch Zahlung gesühnt. 

Fischfang. 

Fischfang und Jagd sind des Mabea liebste Beschäftigung. Am 
meisten liebt er aber das dolce far niente. Zum Fischfang bedient er 
sich der Netze (rundes Wurfnetz), der Angel, Reusen und verschieden 
gebauter kleiner und grosser Fallen. Letztere erfordern viel Arbeit und 



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werden nur in der Trockenzeit errichtet. Er ist ein vorzüglicher Ruderer 
und steuert sein Canoe laut singend und mit der grössteu Gemütsruhe 
durch ganz tüchtige Flussschnellen, was einem anderen unbedingt miss- 
lingen würde. Zum Fischfang bedient er sich eines kleinen Canoes aus 
leichtein Holze, wie es auch die Küstenstämme benutzen (nur etwas 
kleiner). Seine Angelgeräte sind sehr primitiv. Angelhaken werden aus 
alten Nägeln gefeilt, Angelschnüre von Ananasblattfaser gefertigt und 
als Angelrute dient die Rippe eines Raphiapalm wedele. Die Köder bilden 
reife Pisangs, Krabben, Regenwürmer und einzelne Waldfrüchte. Der 
Mabea fährt nun mit dem Canoe ein Stück aufwärts und lässt sich von 
der Strömung treiben. Die Angel hält er so, dass der Köder oben 
schwimmt, oder er benützt an günstigen Plätzen die Gruudangel (Steiulot 
als Beschwerung). 

Fische, die in Bächen, unter Baumwurzeln und in Löchern hausen, 
fangen die halbwüchsigen Jungen mit einer Angel, die sie mittelst einer 
vorn gespaltenen Rute in die Höhlungen einführen. Beisst der Wels an, 
(denn zu dieser Art gehören diese Fische) so zieht er nnd der Fisch 
— er reisst sich nur selten los — ist seine Beute. Auf diese Weise 
werden oft ganz stattliche Exemplare gefangen. Da nun der Fisch in 
der Rücken- als auch in den Seitenflossen Stachel u besitzt, so fasst man 
ihn an der Rückenflosse und tötet ihn durch einen Messerstich in den Kopf. 

Der Reusen bedienen sich die Frauen, um Krebse zu fangen, was 
hauptsächlich in der Trockenzeit (Dez. -März) geschieht. Diese Tiere 
sind verschieden von den unsern; sie haben lange Scheren, oft von be- 
deutender Grösse. Als Köder wird die Kassadenwurzel, aber auch ver- 
faultes Fleisch benutzt. Netze haben sie mehrere Arten. Das am meisten 
verwendete ist das Wurfnetz. Es ist ein kreisrundes, am äussoren Räude 
mittelst Bleistücken beschwertes Netz, mit einer in der Mitte befestigten 
längeren Schnur. Der Mabea fährt nun mit seinem Cauoe, beide oder 
einen der Füsse über den Rand hängend, so leise wie möglich rudernd, 
nach irgend einer ruhigen Stelle im Flusse, wo er Fische vermutet, und 
schleudert nun sein Netz mit gewandtem Wurf so auf die Stelle, dass 
es wie ein geöffneter Schirm ins Wasser sinkt, lässt es für einige Minuteu 
ruhen und zieht es dann langsam iu die Höhe; hat er sich nicht ge- 
täuscht, so fängt er sicher einen, öfters auch mehrere grössere, div. Kilo 
schwere Fische. Dieses Experiment wiederholt er öfters mit wechselndein 
Glücke. Die besten Fangzeiten sind die Morgen-, Abend- und Nacht- 
stunden. In kleinen Flüsschen benutzt er auch ein langes, feines Netz, 
das er von Ufer zu Ufer spannt und die Nacht über hängen lässt. 

Die Frauen und Mädchen gebrauchen kleinere, aus der Faser der 
Ananas gefertigte Rundnetze mit Bügel, um kleinere Fische, Frösche, 



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Kaulquappen etc. fangen zu können. Der Fi seh fallen bedient man sich 
teils in der Regenzeit, teils in der Trockenzeit. Die für die Regenzeit 
bestehen bloss aus einem kreisrunden Gestell, das in der Nähe des Ufers 
errichtet und mit einer Falltür versehen ist. Der Köder ist innen be- 
festigt. Bäche und Gräben sind, bevor sie in den Fluss münden, mit ge- 
flochtenen Zäunen abgesperrt, in deren Mitte sich eine Öffnung befindet. 
Bei hohem Wasserstand wird diese geschlossen. Hat sich nun das Wasser 
verlaufen, sodass der Graben blossliegt, so wird oft eine grössere Menge 
Fische gefangen. 

Die in der Trockenzeit verwendeten Fallen erfordern bei weitem 
mehr Arbeit. Sie haben oft eine Länge von 30—40 m. Mittelst gefällter 
Bäume wird von Ufer zu Ufer ein Damm aufgeführt, der, durch Lehm 
und Blätter gedichtet, das Wasser vollständig abschliesst. Nur an einigen 
Stellen sind 8—10 m lange Schleusen eingelassen, die in einen vier- 
eckigen Korb enden, der etwas höher liegt als die Anfangsstelle. Der 
Fisch, der keinen andern Ausweg findet, gerät in die Schleuse und liegt 
zuletzt auf dem trocknen Korbgestell, wo er sofort durch seine Bewegungen 
von dem auf Wache stehenden Manne entdeckt und getötet wird. Man 
Hingt oft sehr grosse und stattliche Fische von 10 — 15 kg. Es kommt 
z. B. oftmals vor, dass andere Wassertiere, z. B. Lederschildkröteu, so- 
wohl kleine wie grössere (bis 1 Vi m grosse und viele kg schwere), ge- 
fangen werden, was oft zu grossem Freudengeheul, mitten in der Nacht, 
Veranlassung giebt. Krokodile sind jedoch sehr selten; es lebt nur eine 
kurzschnauzige Art oberhalb der Schnellen, die von diesen gefrässigen 
Raubtieren gemieden werden. 

Jagd. 

Zur Jagd verwenden die Mabea ebenso wie die andern Inlandstämme 
lange Jagdnetze, Hunde, Wildfalleu und Fallgruben (letztere selten, weil 
sie ziemlich viel Arbeit erfordern). Der Mabea geht am liebsten allein 
auf die Jagd und bedient sich des Steiuschlossgewehres oder, wenn er kein 
solches besitzt, der Armbrust mit vergiftetem Pfeil. Zum Vergiften benutzt 
er die auf Stein zerriebenen Samen von Strophantus gratus, ence genannt. 
Das Gift verliert seine schnelle Wirkung jedoch schon nach einigen 
Tagen. Die Pfeile werden sorgfältig umwickelt in einer runden Rinden- 
schachtel getragen, und zwar in der Achselhöhle. Mit der Armbrust 
schiesst er kleine Antilopen, Affen, Vögel, resp. alles Kleinwild, indem 
er sich in dessen Nähe schleicht. Es fällt oft sehr schnell. Die Schuss- 
wunde wird sofort ausgeschnitten. 

Am liebsten lässt er sich durch die Bakjelle mit Wild versorgen 
gegen Entgelt in Nahrungsmitteln, Pulver, Blei, Tabak und Rum. 



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Die Bakjelle, auch Baquea genannt, ein im Urwald hausender Stamm, 
sind unter den verschiedensten Namen über ganz Centrai-Afrika ver- 
breitet. Jeder Mabea-, Ngumba- oder Bakoko-Chef hat seine Bakjelle, 
die zu ihm halten, und die er gegen Wild mit allem Nötigen versieht 

Handel und Trägerdienst 

Mühelos Geld resp. Tausch waren zu verdienen, ist oiuer seiner 
Lebenszwecke; in erster Linie, um sich in den Besitz eines resp. mehrerer 
Weiber zu setzen. Ist er alt, so will er sie nicht für sich, sondern für 
seine Söhne haben. 

Da die Inlandstamme vor noch ganz kurzer Zeit sich untereinander 
abgeschlossen hielten, so kam es, dass ein reger Zwischenhandel getrieben 
wurde. Da kamen die Ngumba, Buli etc. zu den Mabea mit Elfenbeiu 
und Gummi, und dann wanderte der Mabea mit diesen Schätzen zu seinen 
Freunden an der Küste, während der Verkäufer auf seine Rückkehr 
wartete und sich die Zeit in der Weise vertrieb, dass er seinem Geschäfts- 
freunde ein Stück Urwald niederschlug. Der Küstenfreund brachte das 
Elfenbein zum weissen Kaufmann, Hess sich einen Teil Waren in Vor- 
schuss geben, den Rest auf einen Zettel, Buch genannt, schreiben und 
bezahlte dann den Mabea mit dem erhaltenen Vorschuss. (Die Küsten- 
händler hatten den Inlandstämmen die Weissen als Geister hingestellt, 
mit denen nur sie verhandeln könnten. Deswegen warteten die Mabea 
ausserhalb des Ladens, während der Händler zum Weissen hineinging, 
um den Handel abzuschliessen. War dies geschehen, so nahmen die 
Mabea die Waren am Ausgabefeuster in Empfang und trugen sie ins 
Dorf.) Am Abend erfolgte noch ein kleines Trinkgelage in Rum, worauf 
sie sich am andern Tage unter kurzer Begleitung zurück in ihr Dorf 
begaben. Der Mabea zahlte nun an seinen Freund, den Ngumba einen 
Teil der Waren aus, einen Teil behielt er als Provision für sich, und 
ebenso machte es der Ngumba mit seinem Freunde, dem Jaunde oder 
Baue, sodass der eigentliche Besitzer doch nur sehr wenig erhielt. Jetzt 
ist diese Art Handel nur noch in geringem Massstabe üblich, und so 
ziehen es die altern Leute vor, sich Kredit zu verschaffen, der ja leicht 
zu haben ist, und kaufen Gummi bei ihren Bakjelle, denn zum Selbst- 
sebneiden sind sie zu faul. Die Jüngeren ziehen es seit 1894 vor, Träger- 
dienste zu leisten, was für sie sehr rentabel ist. Der junge Mann tragt 
vielleicht mehrmals ehrlich seine Last zu der Faktorei, zu der er geschickt 
wird (jetzt oft eine monatlange Reise), doch dann beginnt das Stehlen. 
Keine noch so gut verpackte Last ist sicher vor ihm. Hat er Rum zu 
transportieren, so wird der Kork des Demijohns mittelst langer Bambus- 
stäbchen so fein herausgehoben, dass das Siegel unverletzt bleibt. Dann 



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wird der Inhalt einiger Flaschen abgefüllt, durch Wasser ersetzt und in 
Kompanie getruuken. Mittelst Streichhölzchen oder gliinmendeu Holzes 
wird der Siegellack wieder in seine alte Form gebracht. Ist der Appetit, 
der ja mit dem Trinken kommt, grosser, so wird der Demijohn geleert 
und, nachdem das Siegel ebenfalls wieder hergestellt ist, zerbrochen, die 
Ruine wandert dann als Beglaubigung, dass der Träger unglücklich ge- 
fallen, zu dem Faktoristen; Zeugen sind stets vorhanden. Man führte 
deswegen den Rum in Tin und Kisten ein, doch änderte dies nichts an 
der Sache. Jetzt entstehen kleine Lecks, die Kanne (Tin) wird dann 
auf eine Schüssel gestellt, und ist genügend ausgelanfen, so wird die 
Stelle mit der Kannenfarbe (Mennige) überschmiert Ja, oftmals lassen 
sie die Kanne auslaufen und legen dann den leeren Behälter so lange ins 
Wasser, bis er voll ist. 

Aber nicht nur von Rum, neiu, auch von Petroleum ist der Mabea 
Liebhaber. Sie besitzen wohl Lampen, wollen aber kein Petroleum kaufen 
und behelfen sich so mit dem Entleeren der Petroleumlasten. Es kommt 
ja öfters vor, dass die leicht gearbeitete Petroleumkanne ein Leck be- 
kommt; wenn der Träger mit ganz verbranntem und wundem Rücken 
eintrifft, so kann man annehmen, dass nichts gestohlen ist. Der Mabea 
hat aber ganz andere Ausflüchte zur Hand, wenn er mit halbvoller Kanne 
endlich am Bestimmungsorte eintrifft. 

Tabak in plombierten Säcken, Zeuge in Teerzeug wasserdicht ver- 
packt, Pulver etc., alles wird bemaust und stets so, dass der betreffende 
Faktorist es erst dann merkt, wenn er die Last gebraucht, da ja von 
aussen keinerlei Beschädigung wahrzunehmen ist. Von den Zeugen 
nimmt der Betreffende nicht etwa ein ganzes Stück; Gott bewahre! nein, 
er schneidet von innen 1 — '/a Faden ab, legt das Stück fein säuberlich 
zusammen und steckt es wieder in die Last. So macht er es mit einer 
ganzen Anzahl von Stücken. Wie er es mit den heraufzubringendeu 
Waren treibt, die oftmals gar nicht ihren Bestimmungsort erreichen, 
sondern karawanen weise in der Heimat der Träger verschwiuden, so 
tut er es auch mit dem nach der Küste gehenden Produkte, dem 
Kautschuk. Früher, als zum Transporte noch gewöhnliche Säcke benutzt 
wurden, ging die Räuberei vorzüglich: sie erweiterten die Enden und 
holten so Ball für Ball heraus, oft kessel weise (der Gummi wird uacli 
Kesseln gehandelt). So kam es, dass bei Ankunft die Lasten bedeuteud 
weniger wogen, als der Faktorist im Innern angegeben. Ehe man die 
wahre Ursache entdeckte, schob man den Gewichtsverlust auf die im 
Gummi enthaltene Feuchtigkeit. Den so gestohlenen Gummi brachte 
man dann in eine andere Faktorei zum Verkauf. Jetzt stiehlt mau 
trotz Plomben und wasserdichten Säcken. Träger anderer Stämme 



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(besonders Jaunde) tan jetzt dasselbe; sie haben es ebenfalls von den 
Veyjungen gelernt. Der Kaufmann und die Händler stehen dem Treiben 
machtlos gegenüber. Um gerichtlich vorgehen zu können, fehlen ihnen 
die Beweise; ausserdem kostet Klagen Geld, Zeit und Arger und in 
vielen Fällen glaubt man dem Verklagten mehr als dem Kläger, wofür 
ich selbst Beispiele anführen kann. 

Handwerke. 

Die eigne Anfertigung der Töpfe hat seit Einführung eiserner 
Kochtopfe aufgehört. Eisengewinnung und -Verarbeitung sind be- 
kannt, werden aber durch Fremde ausgeübt. Zur Herstellung ihrer 
Eisenmünze benutzen sie europäisches Metall. Sie fertigen Netze, Körbe etc. 
an; einige Leute verstehen ganz hübsche Holzteller, Schüsseln, Sitze, 
Löffel und Kämme zu schnitzen, auch verstehen viele von ihnen die 
Anfertigung von Kanoes und Einbäumen mit ganz primitiven Werkzeugen. 

Weiberankauf. 

Ist der Mabeajüngling zu europäischen Waren, Eisengeld etc. gelaugt, so 
kauft er sich eine Frau, oder er fangt an, eine anzuzahlen. Er bringt 
dem Vater seiner Auserkornen einige Hundert oder Tausend Stück Eisen- 
geld, sogenannte Speere, 1 oder 2 Gewehre, etwas Pulver und einige 
Stücke Zeug als Kanfgeld (»Bnndu«). Die Frau erhält er aber nach 
dieser kleinen Anzahlung noch nicht. 

Sind mehrere Bewerber vorhanden, so zahlt jeder einen Teil des 
Kaufgeldcs an, und der Vater des Mädchens kauft nun dafür seinem 
.Sohne eine Frau. Da er eiu alter Herr ist, so erhält er die Frau sofort 
ausgeliefert. Der junge Mann zahlt nun seine Bundu weiter und be- 
sucht seine Zukünftige fast jeden Tag, bis er sie erhält, im anderen 
Falle niuss der Vater das Kaufgeld wieder herausgeben, was aber mit 
vielen Schwierigkeiten verknüpft ist und oft langwierige Streitigkeiten 
zur Folge hat. Ist sie endlich iu seineu Besitz gekommen, so gründet 
er sich seineu eigenen Weiler. Die Frau arbeitet, und er sorgt für 
Fleisch und Fisch, schlägt den Wald nieder, so viel er braucht, spricht 
Hecht, unterhält sich mit Spiel, natürlich um Eisengeld, und liegt den 
grössten Teil des Tages am liebsten auf seinem Lattenbett. 

Kleidung, Schmuck, Bewaffnung. 

Seine Kleidung besteht gewöhnlich aus einem sehr schmutzigen und 
defekten Unterhemd, einem noch schmutzigeren Hüftentuch und einem alten 
Filz- oder Strohhut, wenn er sich überhaupt des Besitzes eines solchen erfreut. 
Bei festlichen Gelegenheiten trägt er ein reines, womöglich neues Singlet, 



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einen abgetragenen europäischen Rock, oftmals Militärrock (Interimsröcke 
sind sehr beliebt), neues Hüfteutuch, Stroh- oder Filzhut. In früheren 
Zeiten trugen die Familienhäupter, wie die Jaunde, Baue etc., Leoparden- 
fell, eine Mütze aus dem Kopfe dieses Tieres, Elfenbeinarmriiige, Messing- 
spangen, Fussringe u. s. w. Bewaffnet ist der Mabea mit Gewehr und 
Munitiousbeutel, der durch Katzenfelle beschützt und mit allerlei Medicin 
behängt ist. Als Schmuck trägt er Ohrringe (die als Zahlungsmittel bei 
intimem Umgang mit fremden Mädchen und Frauen dienen), Halsketten 
von Perlen, an denen sich Amulette oder Schwanzborsten vom Elefanten 
befinden. Letztere sieht man viel bei Frauen und Mädchen; sie gelten 
als Medicin gegen den >Ngi«. An den Fingern trägt man Ringe von 
Messing, Eisen, Kupfer, Silber oder Neusilber (die zuerst geuaunten sind 
eigenes Fabrikat, die letzteren europäischen Ursprungs). 

Die Mabea tätowieren sich und zwar im Gesicht sowohl wie am 
ganzen Körper, die Frauen mehr als die Männer. 

In früheren Zeiten bereiteten sie sich ihr Zeug aus der Rinde des 
Feigenbaumes (biang) selbst zu, versahen es, wie dies im ganzen Inland 
noch heute geschieht, mit Mustern und färbten es mittelst Ocker gelb, 
mit Thon weiss und mit Rotholz rot. Der Ocker findet sich in kleinen 
Stücken im Lateritboden. Schwarz stellten sie aus der Frucht eines 
Waldbaumes her. Diese Farbe dient jetzt noch zur Bemaluug ihrer Haut 
(falsche Tätowierung); besonders junge Mädchen und Frauen lieben sich 
so zu verschönern. An den Armen und Füssen trug man Ringe und 
Spangen aus Messiug oder Kupferdraht, auch dünne Elfenbeinringe. Die 
Häuptlinge schmückten sich, wie schon gesagt, mit Leopardenfell etc. 
Damals besassen die Mabea keine oder nur wenige Gewehre, sondern 
waren mit Speer und Haumesser bewaffnet, die sie vou den hinter ihuen 
wohuenden Mpfongstämmcu kauften; auch ihre Hunde und gewisse Arten 
von Glocken bezogen sie vou dort. Die Mpfong siud ein im Schmiede- 
handwerk sehr bewandertes Volk. 

Familienleben. 

Hat der Mabea seinen Weiler fertig gestellt, so liegt der Frau alle 
häusliche und landwirtschaftliche Arbeit ob, während der Mann, wie ich 
schon vorher erwähnt habe, anderen Beschäftigungen nachgeht. Erhält 
die Frau alles ihr Zukommende, wie Zeuge, Perlen und alles Sonstige, 
was man anderen Frauen giebt, so kauu der Mann sich auf sie verlassen , 
sie wird allen seinen Wünschen nachkommen. Sollte die Frau in andere 
Umstände kommen, so wird sie selbst ihrem Mann soviel wie möglich 
raten, noch eine Frau zu nehmen, und dieser sucht dann auch durch 
Handel, Trägerdienste etc. soviel Geld zu verdienen, um den Wunsch 



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seiner Frau erfüllen zu können. Hält der Mann sie aber schlecht, giebt 
er ihr kein gutes Zeug, keinen Schmuck etc., so wird sie ihm bald un- 
treu and lässt sich durch einen früheren Liebhaber entfahren, d. h. stehlen. 
Die Ursache so vieler Streitigkeiten, bei denen es sich am Rückerstattung 
des Kaufgeldes, »bundn«, handelt, stammt oft aus Grossvaters Zeiten her. 

Was bei unverheirateten Mädchen gern gesehen wird, sich zahlungs- 
fähige Liebhaber anzuschaffen, darf eine Verheiratete nicht ton. Strafe 
für Ehebruch giebt es wohl, doch begnügt sich der Mann mit einer Sühne- 
zahlung und die Frau erhalt ihre Schläge noch hinterher. 

Moralisch steht der Mabea auf einer sehr niedrigen Stufe. 

Manchmal ersinnt der Ehemann, wie ich hier Fälle erlebt habe, gauz 
scheussliche Strafen, manchmal tötet er sie auch, wenn sie nicht schon 
an den Martern zu Grunde geht. Ist der Ehegemahl ein alter Mann, 
so läuft sie oft ebenfalls mit einem jungen Burschen weg, der danu das 
Kaufgeld zurückerstatten muss; kann er dies nicht, so verkauft die Familie 
sie an einen anderen, der sofort zahlt. Doch kommt es auch vor, dass 
der Alte ein Auge zudrückt, bloss um Nachwuchs zu erhalten; er weiss 
ja auch, wie schwierig es oft ist, sein Geld zurückzubekommen. 

Ist die junge Frau schwanger, so verrichtet sie ihre oft recht schweren 
Arbeiten bis kurz vor ihrer Niederkunft. Tritt diese ein, so kommen 
einige alte Frauen, um zu helfeu. Ist es jedoch eine schwere Geburt, 
so rufen sie einen Medizinmann (engang), der dann durch grossen Lärm 
ausserhalb des Hauses der Kreissenden die bösen Geister vertreibt oder 
durcii Schlachten eines Huhnes oder Schafes besänftigt und durch Massage 
(Drücken , Einreiben mit Ol etc ) die Geburt zu befördern sucht. Von 
Todesfällen bei Geburten habe ich bloss einmal gehört in den 7 Jahren 
meines Aufenthaltes in der Bipindigegend. Wenn das Kind geboren ist, 
wird der Nabel mit Raphiabast abgebunden und dann mit einem Bambus- 
messer (Raphia) fingerlang abgeschnitten. Nach der Geburt nimmt die 
Frau sofort ein Bad im Flusse. Hierauf lässt sie sich kneten und bindet 
ein breites, aus Bast hergestelltes Tragband um den Leib und verfügt 
sich dann in ihre Hütte zurück. Die Nachgeburt wird unter einer Pisang- 
staude vergraben, deren Frucht, wenn das Kind männlich, der Vater, 
wenn weiblich, die Mutter isst. 

Kindheit. 

Die Wöchnerin bleibt so lange im Hause, bis der Nabel geheilt ist. 
Die Frau nährt ihr Kind selbst oft zwei bis drei Jahre. Da der Mann 
andere Frauen hat, so macht es wenig aus. Auffallend ist hier und in 
Ngumba das Vorkommen einzelner Frauen, deren Brüste nur unvoll- 
kommen entwickelt sind, und die auch keine Kinder bekommen. Ob 



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dies auf eine Operation der Geschlechtsteile zurückzuführen ist, konnte 
ich leider bis jetzt nicht ermitteln. Diese Frauen stammen zum grössten 
Teil au 8 dem Bakokolande. 

Das Kind erhält nach einigen Wochen schon von der Mutter vor- 
gekaute Speisen. Im 2. oder 3. Jahre wird es entwöhnt. Kann es 
laufen, so ist es den ganzen Tag sich selbst überlassen. Es treibt sich 
mit den andern Kindern im Weiler herum, lungert in den Hütten der 
alten Frauen und spielt. Im 4. oder 5. Jahre schliesst es sich schon 
den altern Knaben an. Oft sieht man die kleine Bande schon am frühen 
Morgen im Flusse baden, andere versuchen kleine Kanoes zu bauen, oder 
hocken auf den im Wasser liegenden Baumstämmen und angeln. Ist 
eine grössere Anzahl Fische gefangen, so geht es mit grossem Geschrei 
ins Dorf zurück, wo die Beute sofort gekocht und mit Cassadebrod 
(uande) verzehrt wird. Wollen die Jungen grössere Fische fangen, so 
gehen 2 — 3 zusammen und fischen zwischen den blossgelegten Wurzeln 
der Uferbäume und in Löchern der Ufer wand. 

Jugendzeit. Beschneidung. 

Die Beschneidung geschieht zwischen dem 5. und 7. Jahre. Nach 
der Operation dürfen die Knaben sich 5 Tage nicht waechen. Als Heil- 
mittel wird fein gemahlenes Rotholz benutzt; auch heisses geriebenes 
Pisangmehl. Um die Wunde zu schützen, wird ein Blatt als Scham- 
schurz getragen. Die Operation anzusehen, hatte ich bis jetzt keine 
Gelegenheit. 

Knabenspiele. 

Ausser den Vergnügungen am Wasser kennen die Knaben noch ver- 
schiedene andere Spiele. Sie ringen und balgen sich oder bilden zwei 
Parteien, jede mit zugespitzten Stöckchen bewaffnet; die eine rollt eine 
runde Scheibe gegen die andere, deren Mitglieder nun ihre Stöcke auf 
die rollende Scheibe zu werfen versuchen. Bleibt einer davon stecken, so 
hat die Partei gewonnen und darf nun die Scheibe rollen. Sie benutzen 
dazn oft auch eine grosse grüne Frucht von Kürbisgrösse. 

Bis zur Mannbarkeitserklärung bleibt der Knabe im Weiler, begleitet 
des öftern den Vater in den Wald oder auf Reisen und trägt bei dieser 
Gelegenheit eine kleine Last. Ist er etwas grösser (zwischen 10 bis 
12 Jahren), so stellt er Fallen oder geht in der Umgegend des Weilers 
mit der Armbrust, die er sich in kleinerer Form selbst anfertigt oder von 
einem altern machen lässt, auf die Jagd. In dieser Zeit sind ganz er- 
staunliche Fortschritte in ihrer Bildung zu bemerken. Sie treten in ihre 
Flegeljahre ein, sind vorlaut, ungezogen, lügnerisch, diebisch und ge- 



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borchen nur widerwillig. Dem Vater ist dies buchst gleichgültig. Schlügt 
er den Jungen, so beweist dieser seinen Zorn oder Unmut dadnrch, dass 
er sich zu Boden wirft und ein fürchterliches Geschrei erhebt. Anch 
den Frauen gegenüber tritt er befehlerisch auf und betrachtet sie als 
seine Dienerinnen, alles Mögliche verlangt er von ihnen. Oftmals entsteht 
dadurch grosser Streit zwischen den einzelnen Frauen, die sich unter 
vielem Geschrei und Geschimpf an den Haaren ziehen und nicht eher 
ruhen, als bis der Sieg durch einen kleinen Ringkampf entschieden ist. 

Vom 12. bis 16. Jahre ist das Wachstum ein ganz enormes. Ich 
habe Knaben, die früher in meinen Diensten standen, nicht wieder- 
erkannt, als sie sich nach ein oder zwei Jahren von neuem zur Arbeit 
meldeten, so gross und breit waren sie geworden. 

Pubertäts weihe. 
Für Zeit der Pubertät versammeln sich die Familienväter und be- 
raten, an welchem Knaben die Mannbarkeitserklärung erfolgen soll. Dann 
wird in einiger Entfernung von dem betreffenden Weiler, sei es im Ur- 
oder im Busch walde, eine kleine Hütte, die mit einem Zaune verseheu 
wird, errichtet. Dort weiht ihn ein älterer Mann in der Zeit von 4 Wochen 
in alles das ein, was er zum ehelichen Leben gebraucht, z. B. in den 
Umgang mit Frauen, in die Trommelsprache, die geheimen Zeichen etc. 
Nach dieser Zeit beginnen die eigentlichen Festlichkeiten. 

Zu diesen Tänzen erscheinen alle in der Umgegend befindlicben Iin- 
bounknaben in ihrer Tracht. Eine Maske aus Baumrinde nebst Mütze 
ans Korbgeflecht bedeckt ihr mit Ton weiss bemaltes Gesicht, der Ober- 
körper ist mit gelbem und weissem Ton bemalt (mit letzterem auch die 
Beine), um die Lenden tragen sie einen Gürtel aus Bananenfaser, an 
diesem einen riesigen aus Holz angefertigten, weiss und roten Phallus. 
In der Rechten haben sie einen langen Stecken und unterm Arm ein 
aus zwei Brettchen bestehendes Instrument mit den Gehäusen einer Wald» 
Schnecke behängt, die beim Laufen, Springen und Tanzen zusammen- 
schlagen. Am Tage vor dem Anfang der Tänze beschimpfen sich Männer 
und Frauen gegenseitig. Bei den Tänzen selbst sind Frauen, Mädchen 
und Kinder nicht anwesend. 

Nachdem in den Dörfern der Reihe nach getanzt worden ist, wird 
bei einem grossen allgemeinen Feste die Stainmesmarkung vollzogen; die- 
selbe besteht in drei Längsschnitten im Nacken. 

Ist einer der Knaben etwas verrückt geworden, was ich hier schon 
öfters beobachtet (die Folge von mit Rinde versetztem Palm weine, der 
eine Art Delirium tremens erzeugt (bei den Bakoko häutig), so muss er 



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nochmals als Medizin diese Ceremonie durchmachen, jedoch ohne Fest- 
lichkeiten oder Markung. 

Während der vierwöchentlichen Klausur räubern die Jungen zeit- 
weise während der Nacht Federvieh, versteigen sich auch manchmal zum 
Raube einer Ziege oder eines Schafes, und vergreifen sich auch an den 
Besitzern der Tiere, wenn dieselben sich der Beraubung widersetzen. 

Nach den Festen dürfen sie heiraten. Wenn der Vater viel Frauen 
hat, so schenkt er seinem Sohne vielleicht eine davon, andernfalls sucht 
sich dieser durch ehrliche oder unehrliche Arbeit die Mittel zu verschaffen, 
sich eine kaufen zu können. 

Das Jugendleben der Mädchen. 

Bei der Geburt eines Mädchens herrscht immer Freude im Weiler; 
es bedeutet dies ja einen Zuwachs des Vermögens. Die Kindheitsjahre 
gleichen denen des Knaben. Sind die Mädchen etwas grösser, sodass sie 
kleine Handreichungen tun können, so helfen sie der Mutter. Sie schälen 
die Pisangs oder die Kassadewurzeln, die ins Wasser gelegt werden 
sollen, oder pflücken junge Kassadeblätter zur Sappe, lernen beizeiten 
Grundniisse nnd Odika auf Stein zu zerreiben, schüren das Feuer, holen 
Wasser, kehren die Hütte oder waschen die Schüsseln und Teller. Gehen 
die Weiber in den Wald, um Früchte zu suchen, oder an die Bäche zum 
Fischen, so schliessen sich ihnen die Mädchen an. Oft geht ein solches 
Kind schon frühzeitig in den Besitz ihres Zukünftigen über oder dient 
als Pfand. 

Festlichkeiten beim Eintritt in die Pubertät finden nicht statt. Nur 
wenn sie ins Dorf ihres Zukünftigen kommt, findet eine kleine Festlich- 
keit mit vielem Schiessen statt. Ein Mädchen inuss schon frühzeitig alle 
häuslichen Arbeiten, besonders das Kochen lernen, und die Herstellung 
mancherlei Sachen aus den Früchten des Urwaldes kennen, die als Zuthat 
zu ihren Suppen dienen. 

Nahrung. 

Die Nahrung der Mabea ist sehr manuigfach. Ihre Hauptspeise ist 
Kassade, und zwar als Brot: in Blätter gehüllte Stangen aus Kassademehl, 
die, mit einer Faser aus Pisang umwickelt, gekocht werden. Das Kassade- 
mehl stellen sie aus der Wurzel her, die geschält, 3—5 Tage gewassert, 
dann gewaschen, getrocknet und zuletzt gerieben wird. Brot (uande) 
sowohl wie Mehl sind sehr bekömmlich und sehr nahrhaft. Ein Mann 
bat mit drei solcher Brote, die mit Pfeffer (Paprikapfeffer) und Salz ge- 
gessen werden, eiue genügende Tagesration. 

Pisang (bequan) werden teils unreif, teils reif genossen, unreif ge- 
röstet und gekocht. Geröstet schmecken sie etwas trocken, aber mit 



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Butter recht gut; im reifen Zustande isst mau sie als Suppe, der Euro- 
päer als Kompott oder geröstet zum Morgenimbiss; sie sind sehr süss. 

Macabo, die Knolle einer Colocasia, vertritt die Stelle unserer Kartoffel, 
ist sehr stärkehaltig und wird in mehreren Arten kultiviert. Busch- 
yams (ungong), die Knolle von mehreren Arten einer Dioscorea, kommt 
auch wildwachsend vor. Süsse Kartoffeln (intoco) werden wenig angebaut 
und finden sich verwildert überall. Mais hat man nur in kleinen Quanti- 
täten, er wird meistens frisch verzehrt. Als Zuspeisen zu diesen Haupt- 
nahningsraitteln dienen verschiedene Suppen von Grundnüssen (wunde), 
Kürbiskörner (untua) und verschiedene ölhaltige Samen von Urwaldbäumen. 
Die Samen der eben genannten Früchte werden erst über dem Feuer ge- 
rostet und auf dem Steine zerrieben, dann ins kochende Wasser ge- 
schüttet, worin entweder ein Stück Wildfleisch, geräucherter Fisch oder 
Huhn brodeln, und endlich eingerührt. Eine solche Suppe ist auch für 
europäische Gaumen mundgerecht. 

Spinate werden aus Blättern der Kassadc, der süssen Kartoffel, einer 
gewissen Solanee und verschiedener Urwaldpflanzen hergestellt. Auch diese 
besitzen keinen üblen Geschmack nnd sind oft den Konserven vorzuziehen. 
Im Urwalde wachsen einige Bäume, die für den Eingeborenen, sowohl hier 
wie anderwärts, von grossem Nutzen sind. Da ist in erster Linie der 
Busch mango zn nennen, aus dessen Fruchtkernen die auch von uns Weissen 
gern gegessene Odika hergestellt wird. So ein Odikakuchen hat ein 
marmoriertes Aussehen, seine Anfertigung erfordert viel Mühe und Arbeit, 
und es betätigen alt und jung, d. h. Weiber und Kinder, einen ganz un- 
gewöhnlichen Eifer, um recht viele Fruchte zu sammeln. Diese werden 
in der Mitte mit dem Messer aufgeschlagen und der innere Kern wird 
herausgenommen, geschält und über dem Feuer geröstet Sind genügende 
Mengen gesammelt, so wird ein Teil im Mörser zerstossen, gekocht und 
in Formen resp. in mit Blättern ausgelegte Körbe geschüttet. In die 
Mitte wird ein Stock gestellt. Sobald die Masse erkaltet ist, wird sie her- 
ausgenommen und in der Hütte unters Dach gehängt. Im Aussehen 
gleicht sie einem mit vieleu Mandeln durchsetzten Pfefferkuchen. Zum 
Gebrauch wird immer mit dem Messer ein Teil abgeschabt und mit Fleisch, 
Fisch etc. zusammen gekocht, was in Form von »Bündele oder als Suppe 
genossen, eine recht gut schmeckende und nahrhafte Speise giebt. In 
Ermangelung der Töpfe kann man zum Kochen von wenig wasserhaltigen 
Speisen anch Blätter von Planten (Pisang) benutzen, die man Bündel 
nennt, was unserem Ausdruck Pastete entspricht. 

Unter den Ölfrüchten nimmt die Ölpalme die erste Stelle ein. Aua 
ihren Früchten stellen die Mabea zweierlei Öle her. Das eine dient als 
Speiseöl zu Suppen und Fleisch und kommt mit Reis als Zuspeise in der 



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Woche auch bei Europäern auf den Tisch. Der Mabea isst dazu gekochte 
Pisang oder seine uande". Das andere öl aus dem Innenkern der Frucht 
dient zum Einreiben der Haut oder auch als Heilmittel, resp. zum Vor- 
beugen bei Hautkrankheiten. Es kommen hier zwei Arten Palmfrücbte 
vor, eine mit grossem Kern und wenig Fruchtfleisch, die andere 
mit viel Fruchtfleisch und kleinem Kern. Beide Sorten haben auch 
verschiedene Benennungen. Auch haben die Frucbttranben verschiedene 
Farbe; erstere ist schwarzrot, letztere gelbgrün. Die Ölpalme ist 
auch die Spenderin einer Art süssen Palmweins. Leider schlagen 
die Mabea die Palmbäume zur Gewinnung des Weines ab; derselbe 
ist frisch von angenehm prickelndrra Geschmack. Rum zieht man 
jedoch vor. 

Im Urwalde befinden sich einige Bäume, die ebenfalls Öl liefern uud 
bei den Mabea sehr beliebt sind. Eine Art ist eine mehrteilige harte 
Nuss mit braunen Kernen in der Grösse von Piniensamen und roh von 
ähnlichem Geschmack (engale). Diese dient ebenfalls zur Suppenbereitung, 
doch wird auch ein feines weisses Öl daraus hergestellt, das sowohl zur 
Speise, als auch zur Toilette zum Einreiben der Haut und der Haare 
überall sehr beliebt ist. Nach Aussagen der Leute befördert es den Haar- 
wuchs und macht die Haut glänzend weich und geschmeidig. Aus den 
Kernen der grossen Butterfrucht > matsch io« wird ebenfalls ein Speise- 
uud Toilettenöl hergestellt. So giebt es noch eine ganze Anzahl Frucht- 
bäume im Urwald, die den Eingebornen zur Nahrung oder auch zu andern 
Zwecken dienen, wie zur Herstellung von Stricken und Garnen für ihre 
Netze. Dieses wären die Nahrungsmittel aus dem Pflanzenreiche. Unter 
denen aus dem Tierreiche sind die wichtigsten Schafe, Ziegen, Hunde und 
Hühner. Von Wildarten Wildschweine, Antilopen, Affen und alles was 
läuft, kriecht und fliegt; ja selbst die giftige Hornviper dient den Mabea 
zur Nahrung. Ausgenommen sind nur einige Arten, die ihnen durch pe- 
netrauten Geruch widerwärtig sind, oder die sie, durch ein Gelübde ge- 
bunden, nicht essen dürfen. Das beliebteste Fleisch ist das vom Elefanten. 
Von diesem Tiere bleibt nichts übrig, als die Knochen und die Borsten 
des Schwauzes, die um den Hals getragen werden. Von den Fischen 
dienen alle zur Speise, mit Ausnahme des »elektrischen c, den man 
fürchtet. Unter den Insekten giebt es auch einige, die gern gegessen 
werden, so einige Satumiaraupen, die als Delikatesse sehr geschätzt 
sind, ferner fliegende weisse Ameisen, die besonders nach grossem 
Regen in Massen auftreten. Die Frauen müssen alle die Arten der 
Nahrungsmittel und deren Zubereitung kennen, wenn sie gute Haus- 
frauen sein wollen. 

2 



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18 - 



Landwirtschaft. 

Den Frauen liegt auch die Landwirtschaft, besonders die Feldarbeit, 
ob, doch da sie bloss für ihren aliernotwendigsten Bedarf bauen, ist die 
Arbeit nicht besonders schwer. Die hauptsachlichste Feldarbeit besteht 
im Legen der Kassadestecklinge und im Pflanzen der Pisaugschösslinge. 
Daneben bebauen sie ein kleines Feld von Grundnüssen mit etwas Mais 
und Macabo und einigen Stauden Zuckerrohr in der Nähe des Weile«. 
Sie bedienen sich dazu einer kleinen Hacke und eines Handspatens. 

Die groben Vorarbeiten, wie Schlagen des Urwaldes etc., sind Sache 
der Männer. Das Grundnussfeld wird, um Schafe, Ziegen oder Wild 
abzuhalten, mit einem leichten Zauu umgeben. Es kommt auch vor, dass 
eiue Herde Elefanten alles zerstampft und verwüstet. Dies wurde mir 
auch stets als Grund angegeben, weun ich fragte, weshalb so wenig 
angepflanzt würde. 

Der Viehstand der Mabea ist gering. Man findet nur selten in ihreu 
Weilern Schafe oder Ziegen. Einige Hunde von lehmgelber Farbe, mit 
weissen Flecken und spitzen Ohren, die gut genährt, einen ganz netten 
Eindruck machen, ausgehungert jedoch abschreckend hässlich sind, dienen 
teils als Zuchtvieh, teils zur Jagd. Diese Hunde können nicht belleu, 
fängt einer zu heulen an, so heulen sie alle mit. Sie ähneln den Schakalen. 
Sind sie zur Jagd abgerichtet, so eignen sie sich vorzüglich sowohl zum 
Hetzen als auch zum Folgen eines schweissenden Wildes, nur muas man 
ihnen eine Glocke an den Hals hängen, damit man ihnen folgen kann. 
Die Nutzhunde werden kastriert, erreichen eine fürchterliche Dicke und 
sind als Leckerbissen sehr geschätzt. Einige Zwerghühner vervollständigen 
ihren Viehstand. Die Stallungen sind primitiv, oft findet man überhaupt 
keine. Schafe und Ziegen kampieren im Freien unter den die Wand über- 
ragenden Hüttendächern. Die Hühner schlafen nachts in der Hütte oder 
haben einen kleinen, engen Stall am Hause. Zum Brüten wird an der 
äusseren Giebel wand dicht unterm Dache ein Korb befestigt, sodass das 
Huhu ein und aus fliegen kann. 

Katzen findet man selten, sie sind aber wegen der vielen Ratten, die 
sich im Weiler befinden, sehr beliebt, verwildern jedoch leicht und ver- 
schwinden im Wald. Andere Haustiere kennt der Mabea nicht, nur an 
der Küste trifft man hie und da einige türkische Enteu an, Hausschweine 
siud unbekannt. 

Aberglauben. 

Vom Glauben der Mabea habe ich schon gesprochen. Hier sei noch 
etwas vou ihrem Aberglauben gesagt. Um ihre Pflanzung vor Diebstahl, 
Misswachs und audereu Fährlichkeiteu zu schützen, hängen sie an Schnüren 



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- 19 - 

am Zäune verschiedene Gegenstande auf, denen sie alles zutrauen, die 
aber auch von anderen gekannt und daher respektiert werden. Vor dem 
Einflass des bösen Blickes, vor Krankheiten, Unglücksfällen etc. sucht 
sich der Mabea durch Amulette verschiedener Art zu schützen. Er trägt 
sie teils um den Hals, teils um die Hüfte oder an seinem Munitionsbeutel. 
Bezweifelt man die Kräfte seiner Amulette, so lächelt er mitleidig, als 
wollte er damit sagen, ja, was verstehst du davon? Wegnehmen lässt er 
sie sich nur ungern, selbst wenu man ihm ein gutes Geschenk anbietet; 
im Gegenteil, dann tut er es erst recht nicht. Einige Tiere gelten auch 
als »nicht sicher«, so z. B. Elefanten, die schon Menschen getötet haben, 
Chimpausen und Gorilla. Nachts fürchtet er die Geister, ruft der Kauz 
(Eule), so verscheucht er ihn. Muss er des Nachts irgendwohin gehen, 
so geschieht es mit Fackel und lautem Gesang. Er verlässt selten nachts 
seine Behausung. Will er eine Reise unternehmen, so befragt er vorher 
das Orakel. Stolpert er gar auf dem Wege, so bleibt er zu Hause. Reist 
er ab, so dürfen sich seine Frauen nicht waschen. Er traut keinem 
seiuer Nachbarn und verbirgt seine Reichtümer, damit sie nicht Ursache 
zum Neid geben. 

Krankheit, Unglücksfälle und Tod werden stets anderen in die Schuhe 
geschoben, einem der »Medizin gemacht« oder die bösen Geister gehetzt 
hat. Medizin machen gegen Regen ist nicht bekannt. 

Krankheiten und deren Heilung. 

Die Mabea gehören nicht gerade zu den reinlichsten Menschen, trotz- 
dem sie oft im Wasser liegen. Die Kinder starren oft vor Schmutz und 
sind mit allen möglichen Krankheiten behaftet. Sie leiden oft an lang- 
wierigen Hautkrankheiten, besonders au Krätze. Läuse sind in Massen 
bei Jung und Alt vorhanden. Ringwurm und Sarne (Erdbeerflechte) sind 
weit verbreitet. Letztere wird sehr oft von Kind zu Kind künstlich über- 
tragen, denn erscheint diese Krankheit bei älteren Personen, so sind 
nach erfolgter Heilung der Flechte noch mancherlei andere Folge- 
erscheinungen, die oftmals zum Tode des Individuums führen, zu be- 
kämpfen. Am meisten scheinen Herz und Nieren in Mitleidenschaft ge- 
zogen, was an ihren geschwollenen Füssen zu sehen ist. Elefantiasis 
kommt ebenfalls vor.' Geschwüre mancherlei Art, offene Schäden an 
Beinen, Füssen, Armen, Händen, die nach Heilung fleischrote und weisse 
Stellen hinterlassen oder auch gar nicht heilen, sodass die Gliedmassen 
brandig abfallen, kommen oft vor und viele Leute sterben daran. Die 
Mabea leiden auch viel an Parasiten, insbesondere an Würmern: Spul-, 
Maden- und Faden würmer im Darm, in den Nieren, der Blase und im 

Auge, die sich in mancherlei Art bemerkbar machen (Blutharnen, ge- 

2* 



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scbwollenen Augen, Leibschmerzen etc.). Von den Geschlechtskrankheiten 
nimmt die Gonorrhoe die erste Stelle ein. Syphilis scheint auch vor- 
zukommen; schwere Fälle habe ich wenig beobachten können. Wie sie 
Gonorrhoe heilen, ist mir nicht bekannt, ich glaube, sie wenden gar keine 
Mittel an, sonderu sie heilt von selbst. Erkrankungen der Hoden sind 
ebenfalls häufig, und zwar endigen sie oft mit dem Tode. Ob Wasserbruch 
die Ursache ist, darüber konnten mir die Leute keine Auskunft geben; 
wahrscheinlich wollten sie es auch nicht. Von Krankheiten der inneren 
Orgaue kommen Lungenerkrankungen in den kühlen Monaten Juli, August 
öfters vor, hauptsächlich Katarrhe, Lungen- und Rippenfellentzündungen, 
die oft zum Tode führen. Fieber in leichtem Grade findet man bei den 
Mabea, die im dichten Walde und in der Nähe von Sümpfen wohnen. 
Richtige Malaria und perniziöse Fieber habe ich bei den Eingeborenen 
nicht beobachten könueu, trotzdem ich seit 7 Jahren im Lande mit 
Mabea arbeite. Dysenterie kommt vor, und mancherlei andere Krank- 
heiten, die ich lieber einem Arzt zu studieren überlassen möchte. Die 
Heilmittel sind verschiedenartig. Sie stammen zum grössten Teile aus 
dem Pflanzenreiche und werden teils in Infusion, teils als Tee benutzt 
Zahlreiche Arten von Pflanzeu werden dazu aus dem Wald geholt Auch 
Rinden und Blätter vieler Bünme benutzt man zu Heiltränken. Alle 
diese Tränke und Mixturen werden von älteren Frauen, die auch die 
heilkiäftigen Pflanzen kennen, hergestellt. Sie verlassen sich auch viel 
auf die Hülfe von Medizinmännern. Ein beliebtes Mittel sind auch Kom- 
pressen von heissen Blättern. Ist jemand schwer erkrankt, so wird mit 
Trommeln und Singen viel Lärm gemacht, um die bösen Geister zu ver- 
treiben; Huhner oder Schafe werden geschlachtet und der Kranke wird 
mit dem Blute gewaschen. Das Trommeln dauert oft Tag und Nacht. 
Ausserdem wird nachgeforscht, wer die Krankheit hervorgerufen hat. An 
der Heilung ist der Medizinmann nur wenig beteiligt, am meisten sorgen 
die Frauen für den Paticuten. Die Männer nehmen sich selten Erkrankter 
an, besonders wenn sie einander fremd sind. Nächstenliebe kennt der 
Mabea ebensowenig wie den Dank. Kinderkrankheiten sind häufig in 
den Monaten Dezember, Januar, Februar, Juli und August, wo viele 
Kinder sterben. Von Epidemieu habe ich nur eine miterlebt Es waren 
aber bloss die Spitzpocken, die in hiesiger Gegend uur wenig Opfer forderten. 

Öffentliche Versammlungen, Gerichtsverhandlungen, 

Gottesgericht. 

Soll in eiuem Mabeabezirke eine wichtige Angelegenheit zur Sprache 
kommen, so werden die verschiedenen Familienväter durch Trommel- 
siguale oder durch Boten in den Weiler zusammengerufen, dessen Ober- 



r 

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— 21 - 



haupt eine Mitteilung zu machen hat oder gern eine Stammesangelegenheit 
zur offenen Aussprache bringen will. Bei Streitigkeiten nehmen die Par- 
teien Schiedsleute (Ntnle genannt), die aber keine Bezahlung für ihre 
Vermittelung beanspruchen. Ehe man jedoch die Ntule ruft, deren Urteil 
man sich unterwerfen muss, wird die Angelegenheit, so lange es geht, in 
langwierigen Sitzungen erörtert, wobei grosse Reden geschwungen werden, 
die des öfteren dnrch lauten Beifall unterbrochen werden. Der Sprecher 
steht stets in der Mitte des Weilers. Bei Mord, Streit, Diebstahl heisst 
es: Sühne zahlen. Bei Mord wird oft unter grossem Geschrei der Täter 
verlangt, um ihm Gleiches mit Gleichem zu vergelten, doch sobald sich 
die Aufregung gelegt hat, ist man mit einer angemessenen Sühnezahlung 
zufrioden. Bei Mord mit Vorbedacht kommt es wohl vor, dass trotz 
Sühnezahlung der Thäter nach einiger Zeit durch Gift oder einen Schuss 
aus dem Hinterhalt getötet wird. Weiberdiebstahl, eheliche Untreue, 
Schulden von Urgrossvaterszeiten her, Handelsschulden, Kaufgeld »bundu« 
für Frauen, bildeu die häufigsten Streitobjekte. Kurzes Gedachtniss be- 
sitzt man nur für die Schulden, die man in den Faktoreien der Weissen 
gemacht hat. Die Sühnezahlung wird in Eisengeld, Mädchen, Frauen 
oder europäischen Waren geleistet. 

Auch Prügelstrafe existiert. Man verwendet hierzu dio Flusspferd- 
peitsche, und zwar werden damit die Weiber und erwischte Diebe ge- 
züchtigt. Bei ganz besonders schweren Anschuldigungen tritt der Ngi in 
Aktion, ein geheimes Gericht mit viel Geschrei und Trommellärm, wobei 
man das Brüllen des Gorilla nachahmt. Es wird nur Nachts abgehalten. 
Leider hatte ich keine Gelegenheit einem solchen beizuwohnen; auch 
weiheu sie Weisse nicht darin ein. Weiber dürfen nicht dabei sein. Bei 
den Bakoko ist der Ngi sehr gefürchtet. Dort verschwinden immer 
Personen auf Nimmerwiedersehn, besonders Frauen; dann heisst es am 
Morgen: der Ngi hat sie geholt. Dass an der Sache etwas Wahres ist, 
beweist mir, dass eint'S Morgens ein Mabeachef zu mir kam, mit einer 
Bakokofrau (seiner Schwester) und mich bat, ich möchte sie photo- 
graphieren, denn die Bakoko wollten sie durch den Ngi töten; um dieses 
zu verhüten, sollte ich sie photographiereu. Da nun Bakoko bei mir 
täglich verkehren und einzelne Hofarbeiter diesem Stamme augehörten, 
so sprach sich dieses natürlich herum, uud die Frau stand unter meinem 
Schutz. 

Wie es bei den Bakoko ist, so wird es wohl auch bei den Mabea 
sein. Der Ngi ist auch bei den Buli bekanut und ähnelt bei diesen den 
Muskentänzen der Mpongwe und Shekiani in der Kolonie Gabuu; bei den 
Mabea trägt der Ngi keine Maske, färbt aber seiu Gesicht. 



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- 22 — 

Gottesgerichte werden selten abgehalten, man bedient sich dazu der 
Rinde des >ellongc (Erythrophlocum guineense) als Aufguss. Bei Diebstahl 
resp. Ableugnen eines solchen steckt der Medizinmann ein Samenkorn von 
Ocimom gratissimum oder einen Schlangenzahn ins untere Augenlid. 

Kriege. 

Kriege haben die Mabea wohl früher zu ihrer Verteidigung geführt, 
grosse Heldentaten scheinen sie jedoch nicht vollführt zu haben. Sie 
werden sich wohl bloss auf Einäschern von Weilern und Toten einiger 
Personen beschränkt haben, denn der Mabea ist Menschen gegenüber 
feige, wenu er weiss, dass die Gegenpartei starker ist. Andern Gefahren 
gegenüber scheint er es jedoch nicht zu sein, ich hatte öfters Gelegenheit, 
dies auf der Jagd als auch auf dem Wasser zu beobachten. Ihre Be- 
waffnung im Kriege ist das Gewehr und das haarscharfe Haumesser. 

Als die Buli 1898 und 1900 hier in der Nähe und nach der Küste 
zu einen bewaffneten Vorstoss (Raubzug) unternahmen, arbeiteten meine 
Mabea in der Farm stets mit Gewehr und stellten Posten ans, freilich 
hatten sie gut Hierbleiben, erstens war genügend Munition vorhanden, 
und zweitens hatten die Buli wohl die Absicht, zogen es aber vor, davon 
abzusehen. Ausser den Mabea waren noch über Nacht 200 Bakoko mit 
Haumessern auf dem Hofe. Die Mabea hatten aber trotzdem ihre Wohn- 
stätten verlassen und ihre Habseligkeiten in Sicherheit gebracht. Der 
Raubzug richtete sich besonder« gegen die hinter Gross Batanga sitzenden 
Mabea, Babuko und Banoko. Ausserdem bot sich eine gute Gelegenheit, 
die Faktoreien der Weissen zu berauben. Krieg mit den Weissen hatten 
eben diese Mabea im Jahre 1892. Als Kriegsentschädigung mussten sie 
den Weg im Urwald zwischen Kribi und Bipindi ausschlagen. Sonst 
haben sie keinerlei Reucontre mit den Weissen gehabt. 

Tänze und Vergnügungen. 

Die Mabea lieben Tanz und Gesang. Man kennt mancherlei ver- 
schieden benannte Tanze. Alle gipfeln in Bewegungen der Glieder und 
Muskeln, die teils auf einer Stelle, teils im Kreise ausgeführt werden 
und sich durch ihre obseöne Natur auszeichnen, ob die Tänzer nun 
Männer oder Frauen sind. Die Tänze werden mit Händeklatschen und 
Gesang begleitet; natürlich fehlen die Trommeln nicht. Zur Zeit des 
Vollmondes tanzen sie oft die ganze Nacht. Bei Ankunft einer neuen 
Frau, nach Abschluss eines guten Geschäftes oder nach erhaltenem Kredit 
beim Weissen, wenn obendrein ihr Lieblingsgetränk Rum oder Gin vor- 
banden ist, dauern die Tänze oft mehrere Tage. Öfters veranstaltet man 
auch Ringkämpfe, die tagelang zuvor schon augekündigt werden. In 



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— 23 - 

Festkleidern versammelt sich die Menge am Festplatz und bildet zwei 
Parteien; zwei Männer, mit Ruten bewaffnet, halten die Ordnung aufrecht 
und passen auf, dass alles rechtlich zugeht und keiner zu Schaden kommt. 
Darauf folgen Tänze bis gegen Sonnenuntergang, worauf sich alles nach 
Hause begiebt. 

Genussmittel. 

Die wichtigsten Genussmittel sind Kola (mbili), wuale (die Frucht 
eines anderen Waldbaumes), Palmwein (menjoa), Tabak (nta), Rum und 
Gin (melam). Ausserdem giebt es einige Baumrinden, die verschiedene 
Wirkungen auf die Nerven ausüben sollen, doch hatte ich keine Gelegen- 
heit, dieselben zu erhalten. Zu dem wuale genannten Kern, der bitter 
und von weisser Farbe ist, wird Rum oder Gin getrunken, d. h. wenn 
man welchen hat; die Wirkung ist ähnlich der der Kola. Palmwein 
trinken sie gern, doch haben sie diesen Genuss nicht täglich. Rum und 
Gin kommt auch nur in geringer Menge ins Inland. An der Küste jedoch 
veranstaltet man gern Rumgelage mit Tanz und Spiel. Tabak, den man 
Aber alles liebt, hat auch Geldwert; man kann dafür alles haben. Ge- 
raucht wird er aus selbstgefertigten Thonpfeifen, aber auch aus europäischen 
Gipspfeifen; man stopft ihn ungeschnitten, d. h. gerollt, in die Pfeife, 
zündet sie mit Kohle an, tut einige Zöge und giebt sie dann dem Nach- 
bar, oder lässt sie, wenn niemand weiter zugegen ist, erkalten, um später 
wieder einige Züge zu rauchen. 

Todesfall. 

Beim Tode eines verheirateten Mannes herrscht grosses Wehklagen, 
und von jeder Partei, die dem Toten ihre Ehre bezeigen will, werden 
ungezählte Schusse abgefeuert. Freunde opfern diverse Gebrauchsgegen- 
stände, wie Hüte, Hemden, Hüftentücher, Tabak, Kola etc., was alles dem 
Toten mitgegeben wird. Nachdem der Leichnam gewaschen und geschmückt 
ist, werden einzelne Täuze aufgeführt und die Klageweiber halten die 
Totenklage. Hierauf wird der Leichnam in die Grube (Nische) gelegt. 
Die Nische befindet sich seitlich am unteren Ende des viereckigen Grabes. 
Die von Freunden gespendeten Gegenstünde werden dem Toten zur Seite 
gelegt, dann wird die Nische mit Baumrinde abgesperrt und das Grab 
zugeschüttet. Ist die Todesursache nicht bekannt geworden, oder hat 
man Verdacht geschöpft, dass ein Verbrechen vorliegt, so wird die Bauch- 
höhle von dem Medizinmann geöffnet, der dann, wenn er einen bestimmten 
Wurm sieht, gleich auf Zauber diagnostiziert. Nach dem Tode des Mannes 
sitzen sämtliche Frauen splitternackt in ihren Hütten. Erst nach mehreren 
Tagen erhalten sie zerschlitzte Pisangblätter als Lendenschurz. Sie dürfen 



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— u — 

sich nicht waschen, beschmieren ihren Oberkörper kreuzweise mit weissem 
Thon (Farbe der Trauer), dürfen keinen Schmuck tragen und ihr Kopf- 
haar nicht flechten und sind gezwungen, im Dorfe zu bleiben. Nach 
einigen Wochen oder Monaten bringen sie dem Familienoberhaupt ein 
Bündel mit gekochtem Fleisch, Macabo und Pisang und erhalten durch 
den ältesten Sohn der Schwester des Verstorbenen je zwei Stückchen 
dunkelblauen, ca. Vi q m grossen Zeuges, das sie als Lendenschurz vorn 
und hinten tragen. Nun dürfen sie sich wieder waschen und Umgang 
haben. Die Trauer dauert 6—10 Monate, oft noch langer. Beim Tode 
einer Frau trauert der Ehemann — jedoch bloss einige Wochen — indem 
er sein Hüftentuch anders bindet und sich ebenfalls mit Thon auf der 
Brust ein schräges Kreuz malt. Beim Tode eines Kindes trauert die 
Mutter. Sie bestreicht sich mit weissem Thon bis zur Hüfte. Am Ein- 
gang des Weilers, wo sich ein Todesfall ereignet hat, wird ein länglicher 
Tisch errichtet. Darauf werden täglich einige Esswaren und Genussmittel 
gelegt, um dem Geist des Verstorbenen Nahrung zu spenden, bis er 
Kühe gefunden bat. Doch nach Ablauf eines Jahres ist der Tisch ver- 
schwunden und vielleicht denkt keiner der Lebenden mehr des Toten. 



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Die Chamorro. 

Eine Geschichte und Ethnographie der Marianen. 

Von 

G. Fritz, Bezirksbauptmann in Saipan*). 

Vorbemerkung. 
Von dem einst so zahlreichen Marianenvolk sind heute nur noch 
spärliche Reste vorhanden; und auch diese siud zum gröasten Teil ver- 
mischt mit fremdem Blut (mit Spaniern, Tagalen). Der fanatische Eifer 
der spanischen Mönche hat die alten Gebrauche verbannt, fremde Zu- 
wanderung nene Sitten ins Land gebracht. Indessen: während der 
200 jährigen Brachzeit spanischer Herrschaft sind die Wurzeln des alten 
Volkstums wieder ausgeschlagen, es erwies sich auf dem heimischen Boden 
starker als die ihm wesensfremde europäische Kultur. Wir gewahren 
überall in Sitten und Anschauungen die Triebe des alten Stammes, auf 
die ein äusserliches Christentum nur künstlich aufgepfropft ist. 

') Herr Fritz bat mit vielem Fleisse und liebevoller Sorgfalt eine ethnographische 
Sammlung angelegt, die in ihrer Reichhaltigkeit eine Zierde unseres Museums bildet. 
Dazu gehörte auch die nachfolgende Arbeit, die wohl fast alles enthält, was Ober die 
Chamorro von ihm und von anderen beobachtet worden ist Von der Direktion des 
Museuros wurde mir der Auftrag, das mit zahlreichen Zeichnungen ausgestattete Manu- 
skript druckfertig zu machen. An den von Fritz benutzten Arbeiten (siehe die Anmerkung 
auf Seite 26) hat er auf Grund eigener Beobachtungen sachgemäße Kritik geübt Für 
die Sorgfalt seiner Beobachtungen spricht der Umstand, dass das mit prächtigen Ab- 
bildungen ausgestattete Werk von Freycinet, Voyage autour du monde, (1817 — 1820 
entrepris par ordre du roi. Paris 1828. Historique, tome premier, deuxietne partie 
und Atlas historique, Paris 1825), welches ebenso wie die von Freycinet nicht unab- 
hängige „Oceanie" de Rienzi's, ihm nicht zugänglich war, auf Grund ähnlicher Beobach- 
tungen zu gleichen, bezw. ähnlichen Resultaten kommt Viele seiner Citate aus Le Gobien's 
Histoire des lies Mariane« u. a. sind schon im 5. Band von Gerland-Waitz' Anthropologie 
verarbeitet wurden aber hier, als zum Verständnis wesentlich, beibehalten. Die Abbil- 
dungen habe ich z. T. nach den Skizzen von Herrn Fritz, z. T. nach den im könig- 
lichen Museum befindlichen Originalen gezeichnet. Das Nähere ist aus den Erklärungen 

zu den Tafeln zu ersehen. 

Die essbaren Concbylien bat Herr Geheimrat v. Martens, die Arzneipflanzen 

Herr Prof. Volkens zu bestimmen die Güte gehabt wofür beiden Herren auch an dieser 

Stelle zu danken ist. 

i. A. 
Rudolf Hermann. 



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Ein Vergleich der beutigen Cbamorros mit ihren Vorfahren wird uns 
zeigen, dass Massenmord und eine dem Volke seiner Natur nach fremde 
Erziehung ohne tieferen, nachhaltigen Einfluss bleiben auf den eigent- 
lichen Volkscharakter. Eine Wirkung freilich des spanischen Kreuzzuges 
gegen ein tapferes Naturvolk ist deutlich erkennbar: die Auslese der 
Schlechteren, der Feigen und Schwachen, die sich unterwarfen und daher 
der allgemeinen Vernichtung entgingen; sie äussert sich in dem Verlust 
oder wenigstens in dem Verblassen der Mannestugenden der Alten. Die 
Kühnheit der Cbamorros, die in kleinen Segelboten von Insel zu Insel 
fuhren, ihre Freiheitsliebe, der Sinn für stattliche Bauten ist verkümmert. 
Ihre naturliche Begabung und Bildsamkeit nnd die seitherigen Erfolge 
einer ihrer Eigenart gerecht werdenden Verwaltung lassen jedoch hoffen, 
dass aus den kümmerlichen Resten wieder ein an Zahl nnd Tüchtigkeit 
starkes Chamorro-Volk erwachse. 

Litteratur 1 ). 

Die wichtigste Quelle für die Kenntnis der alten Cbamorros und der 
Geschichte ihrer Unterjochung ist Le Gobien. In der Einleitung sagt er: 
»C'est sur les Memoircs des homrues Apostoliques que j'ai ecrit l'histoire 
que je donne au public. Je n'y ai rien avauce que ce que j'ai trouve 
dans les lettres et daos les relatious de ces Missionnaires, qui m'ont ete 
envoyees de Rome, d'Espague et des Pais-Bas«. 

Die Missionsberichte selbst Bollen nach Felipe de la Corte 1683 ver- 
öffentlicht worden sein. 

Die neuere Geschichte wurde von Montero y Vidal, von Felipe de 
la Corte, Gouverneur der Marianen von 1855 — 1866 und Luis de Ibanez 
y Garcia, Gouverneur von 1871—1873 behandelt. Das Buch des letzteren 
ist voll grober Irrtümer; in Kapitel X will er die Sitten und Anschauungen 
der Cbamorros schildern, mengt aber, ohne es dem Leser kenntlich zu 
machen, Dinge unter, die sich auf die Philippinen beziehen. So redet 
er vom Tigbalan, dem Teufel der Tagalen, den die Chatnorros nicht 

') Benutzte Werke nnd Aufsätze werden nachstehend folgendennassen citiert: 
Histoire des lies Mariane» par Charles Le Gobien 8. J. 2. Aufl. Paris 1701 unter G. 



Historia de las Isias Marianas por Felipe de la Corte (Handschrift) » C. 

Historia de las Isias Marianas por Louis Jbaflez y Garcia. Granada 1886 . J. 
Die Marianen -Inseln nach Alvarez Gnrra von Ferd. Blumentritt Globus. 

III. Zeitschr. für Völkerkunde 44. Band. 1883 No 9 „ Ahr. 
Moo voyage aux iles Mariane» par Alfred Marche. Bulletin de la S*« de 

Geographie de Marseille 1890 • M. 
EI Archipie'Iago Filipino y las Isias Marianas, Carolinas y Palaos por Jose 

Montero y Vidal. Madrid 1896 . V. 

Les iles Philippines, Marianes et Carolines par E. Rios « R.S. 

Carolinen und Marianen v. Dr. 0. Finscb. Hamburg 1900 „ P. 



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— 27 — 



kennen, von Kaimans, Schlangen, Affen, von Gold und Sklavenhandel, 
Dinge, die es niemals auf den Marianen gab. Die Art, in welcher Ibanez 
den für ihre Freiheit und ihre Sitten kämpfenden Eingebornen gerecht 
wird, ist die des mittelalterlichen Fanatikers. Ein Memoria de Marianas 
von dem Gouverneur Olive, das 1887 bei Ramirez y Girardier in Manila 
erschienen sein soll, war mir leider nicht zugänglich. 

Geschichte. 

Im Augost 1519 trat Magallanes mit fünf kleinen Schiffen von 60 
bis 130 Tonnen von Sevilla aus die kühne Fahrt an, um eine Verbindung 
des westlichen mit dem Ostmeere, also eine neue Strasse nach Indien zu 
finden. Nach Überwindung der schwersten Mühsale, Meuterei, Sturme, 
Kälte und Hungersnot, gelangte er am 27. November 1520 durch die 
Strasse, die seinen Namen trägt, in den Stillen Ocean. Zwei Schiffe 
hatte er bereits verloren, Wasser und Lebensmittel gingen zur Neige, 
Offiziere und Maunschaft worden unsicher. Die Kraft seiner Persönlich- 
keit allein stützte die Schwankenden und mit dem Mute des Genies setzte 
er die Fahrt ins Ungewisse fort. Zahlreiche Leute erkrankten, 22 starben 
und die Verzweiflung stieg aufs höchste, als die ersten Inseln, die man 
endlich nach mehr als einem Monat entdeckte, sich als unbewohnt und 
öde erwiesen. Man nannte sie »die Unglücklichen«, Las Desventuradas. 
Und noch zwei Monate dauerte die Not, bis am 6 März 1521 zwei schöne 
Inseln auftauchten, die Magallanes nach Sankt Lazarus benannte. Eine 
Menge kleiner Boote mit dreieckigen Segeln umringte alsbald die Schiffe, 
die völlig nackten Eingebornen kamen ohne Scheu an Bord und brachten 
den Fremdlingen Früchte des Landes. Doch bald wurden sie zudringlich. 
Die kleinen Geschenke der Spanier, besonders die aus Metall, das ihnen 
bisher unbekannt war, verführten sie, sich solche Dinge eigenmächtig 
anzueignen. Ja, sie bemächtigten sich eines Bootes und es kam zum Streit 
Die Eingebornen kämpften mit Wurfspeeren und Schleudern und über- 
schütteten die Schiffe mit einem Hagel von Steinen. Doch den Feuer- 
waffen waren sie nicht gewachsen, die Spanier töteten einige und plünderten 
und verbrannten ein kleines Dorf am Strande. Wegen dieser Vorfalle 
nannte Magallanes die Inseln die Ladronen oder Diebsinseln. Nachdem 
die Flotte sich mit Wasser und Lebensmitteln versehen hatte, segelte sie 
am 9. März 1521 weiter und erreichte die Philippinen, wo ihr kühner 
Führer am 26. April 1521 auf der Insel Mactan getötet wurde. Nur ein 
einziges Schiff von den fünfen, welche ausgezogen waren, vollendete die 
erste Erdumsegelung und kehrte unter den Befehl Eltanos am 7. September 
1522 nach Spanien zurück. 



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Auf einer zweiten Reise entdeckte Eltano die Insel Rota 1524. Auf 
einer dritten ergriff Legaspi 1565 förmlich Besitz von dem Archipel für 
die Krone Spaniens und nannte ihn nach der dreieckigen Form der Ein- 
gebornensegel den Archipel der Lateinsegel. 

In den nächsten hundert Jahren wurden die Inseln von den zwischen 
Ncnspanien (Navidad, seit 1602 Acapulco) und Manila verkehrenden 
spanischen Schiffen gelegentlich angelaufen, auch Holländer besuchten 
zuweilen den Hafen von Umatag auf Guahan (Quam). Aber erst 1668 
mit der Ankunft der Jesuiten unter dem Pater Sanvitores beginnt die 
tatsächliche Herrschaft der Spanier. 

Sanvitores hatte auf der Reise nach Manila 1665 Guahan besucht; 
ihn jammerte die Nacktheit und das Heidentum der Bewohner und seine 
Berichte rührten das Herz der frommen Königin Maria Anna. Mit ihrer 
Hälfe aberwand er den Widerstand des Gouverneurs von Manila, der die 
Inselgruppe für wertlos erklärte (und wie Sanvitores ihm »prophezeit« 
hatte, im Kerker starb) und begründete hiermit seinen Ruhm als Apostel 
der »Marianen« — so hiessen von nun an die Inseln nach jener Königin. 

Die Marianenleute nahmen die Priester freundlich auf. Der katho- 
lische Kultus mit seinen Feierlichkeiten, seiner Prachtentfaltung und 
seinen Gesängen gewann die Eingebornen, und viele Hessen sich taufen. 
Quipuha, der angesehenste Chamorro von Hagatnia, der Hauptstadt von 
Guahan, schenkte ihnen einen Platz für die Kirche und von den andern 
Inseln kamen Abgesandte und baten um Missionare. Besonders Taga von 
Tinian, der im Jahre 1638 schiffbrüchige Spanier gastlich aufgenommen 
hatte und durch sie mit der neuen Lehre bekannt geworden war, lud sie 
freundlich ein. 

Aber bald erhob sich Unzufriedenheit. Der Adel wollte nicht zu- 
geben, dass die ihnen als so beilig geschilderten Sakramente auch dem 
verachteten Volke zu teil würden. Und noch ein anderer Grund: Die 
Ehe der Chamorro war eine sehr lose und nur auf die Dauer der Neigung 
geschlossen, und sie betrachteten die von ihnen verlangte Ehe auf Lebens- 
zeit als eine unerträgliche Einmischung in ihre Angelegenheiten. Die 
unverheirateten Uritans lebten gemeinsam in grossen Häusern und kauften 
oder liehen sich Mädchen von deren Eltern. Die Priester schufen sich 
in diesen jungen Leuten ihre Hauptgegner, als sie es versuchten mit 
Worten und schliesslich mit Gewalt diesem Brauch ein Ende zu machen. 

Besonders aber die Wühlereien eines Chinesen Choco, der einige 
Jahre vor Ankuuft der Missionare vom Sturm hierher verschlagen worden 
war und im Süden der Insel grossen Einfluss besass, regten die Be- 
völkerung auf. Er behauptete, die Priester seien Sträflinge, von ihrem 
Vaterlande verbannt; die Kinder töteten sie mit dem giftigen Taufwasser 



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- 29 - 



und die Kranken durch Zauberei. Der Chinese fand williges Gehör beim 
Volk trotzdem Sanvitores sich öffentlich mit ihm auseinandersetzte und 
ihn sogar taufte. Man fing an, die Kinder und Kranken vor den Missio- 
naren zu verbergen und hinderte sie schliesslich mit Gewalt. Indessen 
hatten sie vorerst noch den Adel auf ihrer Seite. Diese Priester waren 
keine geschickten Männer; sie wollten in einem Jahre die Früchte ernten, 
die nur langjährige Geduld, Rücksicht auf die Eigenart der Zöglinge und 
kluge Nachgiebigkeit im Kleinen zur Reife bringt. Und sie dursteten in 
zweckwidriger Eigensucht nach dem Ruhme der Glaubenszeugen. 

1669 besuchte Sanvitores in einem Ein gebor nen- Kanu die Nordinseln 
bis nach Maug und legte auf Tinian einen zwischen verschiedenen Dörfern 
ausgebrochenen Streit bei. Es ist bezeichnend, dass beide Parteien sich 
sodann gegen die ungebetenen Vermittler verschworen. Nur durch Zufall 
entgingen diese dem Tode. Überlistet unterwarfen sich die Gegner und 
verpflichteten sich, zwei Kirchen auf Tinian zu bauen. In Hagatuia 
gründete Sanvitores das Seminar San Juan de Letran, das bis 1899 
bestand und mit jährlich 3000 Pesos von Spanien unterhalten wurde. 

1670 brachen die Unruhen aus. Der Pater Medinilla wurde auf 
Saipan getötet. Auf Guahan stellte sich der Chamorro Hurau an die 
Spitze der Aufstandischen und belagerte die kleine Schar der Spanier in 
Hagatoia; sie bauten Schanzgräben und Wälle und pflanzten darauf die 
Schädel ihrer Ahnen, die sie abergläubisch verehrten. Als aber bei 
einem glücklichen Ausfall die Spanier diese Totenscbädel zertrümmerten, 
baten die Chamorro um Frieden. Er wurde ihnen unter der Bedingung 
gewährt, dass alle zur Messe kämen und ihre Kinder in die Missions- 
schulen schickten. 1671 ging eine Chamorro -Abordnung nach Manila 
und Mexiko. 

1672 wurde Guahan in 4 Kirchensprengel geteilt: Nisichau, Pigpug, 
Pagat, Merizo. P. Lopez gründete auf Tinian ein Seminar. (Das statt- 
liche Gebäude wurde durch ein Erdbeben am 22. September 1902 stark 
beschädigt) 1672 wurde Sanvitores von Mätapang und Hirau getötet, 
als er des enteren Kind gegen den Willen des Vaters taufte. Der 
Gouverneur Juan de Santiago baute unter standigen Angriffen der Ein- 
gebornen eine Feste in Hagatnia und ' unternahm dann einen Zug nach 
Tumbom, wo Sanvitores ermordet worden war. Man versperrte ihm 
durch Baumverhaue den Rückweg, und als die Spanier an dem Strande 
entlang heimkehrten, wurden sie von dem Feinde in Booten angegriffen, 
konnten sich aber mit ihren Verwundeten nach Hagatnia retten. Wieder 
unterwarfen sich die Chamarro und immer wieder reizten die Spanier 
sie zum Aufstand. Die Soldaten ermordeten harmlose Eingeborue; die 
Priester machten sich den Sohn des alten Missionsfreundes Quipnha zum 



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- 30 - 

Gegner, indem sie die Trennung von seiner zweiten Frau verlangten, da 
die erste noch lebte. Der Pater Dias Hess mit Gewalt ein Mädchen aus 
dem Hause der Uritaus holen und brachte es in das Seminar nach Riti- 
dian. Darauf griffen die Uritaus die Mission an nnd töteten die Priester. 
In Orote verheirateten die Spanier gegen den Willen des Vaters ein 
Uritau-Weib an einen Soldaten, und als der Vater sich widersetzte, Hess 
(lOUTerneur Irisari ihn aufhängen unter dem Ruf der Truppe: es sterbe 
der Hund, der kein Christ sein will. Ferner griff Irisari Chuchuga an 
und verbrannte mehrere Dörfer, weil die Bewohner nicht zur Messe 
kamen. 

Die einzelnen Dörfer hatten früher in steter Fehde untereinander- 
gelebt, es gab keine Häuptlinge, nur eine Art Adelsherrschaft. Nun 
verband sie der gemeinsame Hass gegen die gewalttatigen Fremdlinge 
und in Aguarin, einem früheren Freunde der Christen, fanden sie einen 
kühnen und beredten Führer, der ihnen ein Volksbewusstsein und eine 
Vaterlandsliebe einflösste, welche die Spanier erst durch die fast völlige 
Vernichtung des Volkes überwanden. 

Die Kampfweise der Chamorros hatte stets die überlistung des Feindes 
zum Ziel, sie scheiterte an der ünentschlossenheit im entscheidenden 
Augenblick und an der Treulosigkeit einzelner Abtrünuiger. So zündeten 
sie die Kirche in Airan an, um die Aufmerksamkeit der Spanier abzu- 
lenken und griffen sodann in Massen Hagatnia an; da sie indessen keine 
Feinde sahen, glaubten sie ihrerseits an eine Falle nnd zogen sich zurück. 
Ausgesandte Kundschafter fanden die Wachen schlafend, statt indessen 
sofort dem Führer Nachricht zu geben, trieben sie Unfug und gaben den 
Spaniern Zeit, sich vorzubereiten. 

Als man die Spanier auszuhungern versuchte, versorgte sie der Cha- 
morro Agihi mit Nahrung. 

Die Waffen der Chamorros bestanden aus Lanzen »togtchac, an 
deren Ende ein zugespitzter, mit Widerhaken versehener Bein- oder Arm- 
knochen befestigt war. Der geringste in der Wunde haftende Splitter 
einer solchen Lanzenspitze soll unfehlbar den Tod herbeigeführt haben, 
nicht weil sie vergiftet waren, sondern weil nach der damaligen Auf- 
fassung den menschlichen Knochen selbst diese giftige Eigenschaft inne- 
wohnte (G. 55)! Eine solche Lanzenspitze wurde in der Höhle aa Teo 
bei Tanäpag gefunden (s. Taf. II Fig. 4). Ihren eigenen Toten und den 
gefallenen Spaniern und Missionaren entnahmen sie stets die Arm- und 
Beinknochen zur Anfertigung ihrer Lanzen. — Zuerst überschütteten die 
Mariauen den Gegner mit einem Hagel von Steinen, die sie mit grosser 
Sicherheit und Gewalt aus beträchtlicher Entfernung schleuderten. Solche 
Schleudersteiue »atchon-atupat« finden sich zahlreich auf allen Inseln. 



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— 31 — 



Sie sind länglichrund, an beiden Enden zugespitzt und oft sehr hübsch 
abgeschliffen; die Mehrzahl ist jedoch roh vom Stein abgesprengt, immer 
aber unter Wahrung der länglichen, doppelspitzigen Form (Tai*. II Fig. 1 
nnd 2). Pfeil und Bogen und Schwerter hatten sie nicht, auch keine 
Schutzwaffen ; erst der Chinese Choco lehrte sie eine Art fahrbarer Schilde 
aus Holz herzustellen, unter deren Deckung sie bis nahe an die belagerte 
Feste heranrückten und Steine und Feuerbrände schleuderten (G. 148). 

Auf der Halbinsel Orote griffen die Eingeborenen die Mission an, 
steckten die Kirche in Brand und entführten die Schulkinder. Der Pater, 
die Katecheten und 7 spanische Soldaten flohen zum Strand, verfolgt von 
den Aufstandischen. Doch wagten diese aus Furcht vor den Feuerwaffen 
der Soldaten nicht, sie anzugreifen. Da erbot sich ein Chamorro Cheref 
die Flüchtlinge in seinem Boot nach Hagatnia zu bringen. Mit Freuden 
willigten sie ein, doch als sie im tiefereu Wasser waren, stürzte Cheref 
das Boot um, das Pulver der Holdaten wurde unbrauchbar und alle 
wurden getötet. 

Ein Zug nach dem Süden der Insel, auf dem Agafan, Pigpug und 
Talofofo zerstört wurden, entschied den Sieg der Spanier. Viele Eingeborne 
wurden getötet, eine grosse Zahl floh nach Zarpaua (Rota). 1680 wurde 
Quiroga Gouverneur. Er verfolgte die Aufständischen und ihre Freunde 
tatkräftig und zielbewußt Die erschreckten Eingebornen halfen ihm 
Halbst bei der Verfolgung, töteten ihre einstigen Führer oder lieferten 
sie zur Hinrichtung aus. Rota war die Zuflucht aller Unzufriedenen. 
Quiroga landete dort, verbrannte die Dörfer, tötete viele, unter ihnen 
Aguarin und zwang 150 Familien zur Rückkehr nach Guahan. Er gründete 
hier 6 Kirchdörfer nebeu Hagatnia: Pago, Juapean, Juarahan, Merizo» 
Huniatag, Agat, zerstörte alle übrigen Orte und Höfe und zwang die 
Eingebornen, sich um jene Kirchen anzusiedeln. An die Spitze der Ge- 
meinden stellte er ihm ergebene Chamorros. Diese Zentralisation hatte 
den gewüuschten Erfolg. Unter der ständigen Aufsicht der Priester 
legten die Leute ihre alten Bräuche ab, vergassen ihre Gesänge, bekleideten 
ihre Nacktheit und kamen regelmässig zur Messe; sie ehelichten lebens- 
länglich und begruben ihre Toteu auf dem gemeinsamen Friedhof; die 
Totenschädel verschwanden nnd die Lanzen aus Menschenbein. Sie aasen 
Fleisch und bauten Mais und sündigten nicht mehr öffentlich. Aber uoch 
einmal erhob sich das geknechtete Volk zu einem letzten, fast erfolg- 
reichen Kampfe. 

Quiroga, der gefürchtete, tatkräftige Freund der Jesuiten, wurde 1683 
durch Esplana abgelöst, blieb aber unter dessen Befehl und segelte mit 
einem Teil der Trappe, begleitet von 40 Canoes nach Saipan — infolge 
der Unruhen der letzten Jahre hatten sich alle Priester von den Übrigen 



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I 



— 32 — 



Inseln nach Guahan zurückgezogen. Er lief zunächst Tinian an, dessen 
Bewohner unter Kaisa's Führung sich widerstandslos unterwarfen und mit 
ihren Booten die Flotte verstärkten. Sie fuhren in den Hafen von 
Tanapag und wurden dort von den Saipanern angegriffen, deuen es hei- 
nahe gelang, die Fregatte wegzunehmen. Die Spanier und ihre Ver- 
bündeten landeten unter dem Hagel der Schleudersteine und Lanzen, 
schlugen die Gegner in die Flucht und durchzogen verwüstend die Insel. 
Der Hauptort Alaian — vermutlich Laulan auf der Ostkuste, wo sich 
ausgedehnte Trümmer befinden — wurde verbrannt, der Hauptführer 
Ladahan floh nach dem Gani; so hiessen die weiter im Norden liegenden 
Inaein. Dorthin segelte ein Teil der spanischen Streitmacht und unter- 
warf sie ohne Mühe. Quiroga aber, den nun seine Verbündeten ver- 
lassen zu haben scheinen, verschanzte sich im Süden von Saipan. 

Unterdessen hatte sich auf Guahan unter der Leitung des Chamorros 
Jula eine Verschwörung gebildet. Die Erfahrung hatte gelehrt, dass ein 
offener Angriff selbst bei erdrückender Überzahl gegen die Feuerwaffen 
des Feindes erfolglos blieb. Nur 60 entschlossene Männer kamen daher 
eines Sonntags mit verborgenen Waffen zur Kirche nach Hagatnia. Am 
Schluss der Messe fielen sie über die Spanier her, töteten 45 Soldaten 
und einige Priester und verwundeten schwer den Gouverneur. Da fiel 
Jula, ihr Führer, und wie stets in ihren Kämpfen der kleinste Erfolg des 
Gegners sie zum Wanken brachte, so kostete sie auch dieser Unfall den 
Sieg, den sie schon in Händen hatten nnd rettete die Spanier vor völliger 
Vernichtung. Die Überlebenden gewannen Zeit sich zu sammeln, der 
ihnen treue Chamorro Hineti eilte mit seinen Leuten zu Hülfe und ver- 
trieb die Aufständischen. 

Auf die Kunde von diesen Ereignissen wurden die Priester Angelis 
in Ritidian, Borau ga in Rota und Strobach in Tinian, dieser nebst 16 
spanischen Soldaten ermordet. Die Männer von Tinian verbrannten die 
dort verankerte Fregatte Quirogas und zogen mit denen von Rota nach 
Saipan. Quiroga schlug ihre Angriffe zurück und kehrte, als er endlich 
von den Vorfallen auf Guahan erfuhr, auf 8 Kanos dahin zurück; 3 von 
diesen gingen unter, ihre Besatzung rettete sich nach Tinian, wurde dort 
gut aufgenommen und nach Guahan gesandt. 

Das Verhalten der Bevölkerung von Tinian zeigt, wie sehr dieses 
Volk von den Stimmungen des Augenblicks beherrscht wurde, die ein 
planmässiges, folgerichtiges Handeln vereitelten. Im Laufe eines Jahres 
hatten sie sich mit Quiroga gegen Saipan verbündet, dann die spanische 
Besatzung getötet und sich mit Rota und Saipan gegen Quiroga ver- 
einigt und schliesslich wehrlose Spanier hilfreich aufgenommen; sie unter- 
warfen sich beim Anblick der spanischen Streitmacht, empörten sich auf 



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— 33 - 



die Kunde von dem Unglück der Spanier in Guahan und unterstützten 
diese wieder, als ihr Anschlag auf Saipan erfolglos geblieben war. 

Auf 5 Booten kehrten die 25 von Quiroga nach dem Gani geschickten 
Soldaten mit dem Pater Coomans nach Saipan zurück; auf ein verab- 
redetes Zeichen brachten die eingeborenen Führer die Fahrzeuge zum 
Kentern und nur 5 Soldaten und Coomans konnten sich nach Alamugan 
retten; doch auch dieser wurde bei seiner Rückkehr nach Saipan ermordet. 

Die Ankunft Quirogas auf Guahan entschied den Kampf zu Gunsten 
der Spanier, jedoch wieder eine andere Gefahr tauchte auf: Die Führer 
Esplana und Quiroga waren uneinig nnd eifersüchtig aufeinander, die 
Priester wirkten gegen den ihnen nicht genehmen Gouverueur, die Truppe 
war demoralisiert. Nach dem Weggänge Esplanas empörten sich die 
Soldaten und setzten Quiroga gefangen, die Tagaleu hielten es mit den 
Eingebornen. Nur mit Mühe wurde die Ordnung wieder hergestellt. 
1694 wurde Quiroga wieder Gouverneur uud vollendete nun sein Werk 
der Centralisation, deren Folge die Entvölkerung aller Inseln ausser 
Guahan und Rota uud die Vernichtung der Eingeboruen war. 1695 
wurden alle Bewohner von Tinian, die sich auf das schwer zugängliche 
Agiguan geflüchtet hatten, nach Guahan und die des Gani nach Saipan 
gebracht. Auch diese mussten 1698 sich in Guahan ansiedeln. 

Was der Krieg nicht vernichtet hatte, das rafften nun Seuchen und 
Hungersnot weg, als natürliche Folgen der veränderten Lebensweise und 
der Zusammendränguug des Volkes. 

1688 schleppte ein Schiff aus Mexiko eine Seuche ein, von der 
Niemand verschont blieb: »uue espece de rheume, aecompagne de fievre 
et de flux de sang«, >alle Kranken aber, die auf den Rat des Paters 
Schurtnoysen Weihwasser tranken, genasen« (G. 376). 

1700 raffte eine furchtbare Seuche fast die ganze Bevölkerung 
weg (C). 

Nach dem Berichte des Paters Bowens von 1706 starben viele 
Hungers (J. 193) uud 1710 waren nur noch 3678 Eingeborene übrig 
von den mehr als 100 000, die nach der Schätzung des P. Sanvitorcs bei 
seiner Ankunft im Jahre 1G68 hier lebten. Blumentritt (Alv. 137) meint, 
man dürfe den vagen Schätzungsberichten der Missionare keinen hohen 
Wert beimessen; die hohen Zahlen seien in jenen Berichten am Platze 
gewesen, nin den Rat von Indien den Plänen der Jesuiten gefügig zu 
machen. Dum Kenner der Inseln aber erscheint jene Schätzung nicht zu 
hoch. Auf jedem Schritte, bis in die Gipfel der Gebirge stösst man auf 
Gefässtrünimer, Muschelrcste, Steinmörser. Zahlreiche Steinsäulen zeigen 
die Orte, wo einst die Häuser der Vornehmen standen, die Masse des 

Volkes wohute in niedrigen, nun natürlich spurlos verschwundenen Hütten. 

3 



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- 31 — 



In den Felsen und Balkenwänden deuten zahlreiche rauchgeschwärzte 
Höhlen auf ganze Städte der Armen, und wer auf den elenden, fast un- 
zugänglichen Felsen Medinilla, Assongsong, Mang die Spuren der Alten 
gesehen, ist überzeugt, das fruchtbare Inseln wie Guahan, Saipan, Tinian, 
Rota fast übervölkert gewesen sein müssen. Übrigens sind die Schätzungen 
der Missionare nicht vage, sondern durch die Angabe der Dörfer- und 
Häuserzahl belegt. 

Um so furchtbarer erscheint uns das Ergebnis dieses Kreuzzuges, der 
unter dem liebreichen Wahlspruch geführt wurde: Es sterbe der Hund, 
der kein Christ sein will! 

Dem Morden folgte eine fast 200 jährige Grabesstille; denn wie in 
allen ihren Kolonien vermochten die Spanier wohl zu erobern und zu 
zerstören, nicht aber aufzubauen. 

Der Handel der Philippinen, wie überall monopolisiert und daher 
keines Aufschwunges fähig, beschränkte sich auf die jährliche Entsendung 
eines mit Waren beladenen Schiffes von Manila nach Acapulco; auf der 
Rückreise lief dasselbe dann Guahan (Umatag) an, brachte Geld und 
Truppen von Mexiko. Die Besatzung bestand aus 150 Mann, 2 Kom- 
pagnien Spanier und 1 Kompagnie Philippiner unter einem Major. Der 
Gouverneur, gewöhnlich im Oberstenrang, und sein Beamtenstab verfolgten 
ihren persönlichen Vorteil in derselben Weise, wenn auch in geringerem 
Umfang, als die Philippinen-Gouverneure: sie waren die einzigen Händler 
in Einfuhrwaren, der Sold der Truppen floss in ihre Tasche (C.). 

1811 fuhr die letzte »Nao« von Manila nach Acapulco. 

Gouvernement und Mission hatten ausgedehnte Güter, auf denen 
Landwirtschaft und besonders Viehzucht getrieben wurde; neben Rindvieh, 
Schweiueu und Hühnern wurden auch Pferde, Esel und Maultiere ge- 
züchtet. Auf Tinian beßndet sich heute noch eine Herde verwilderten 
Rindviehes von etwa 800 Stück, die aus jener Zeit stammt, auf Rota, 
Tinian, Saipan zahllose Wildschweine, auf Guahan und Rota Philippinen- 
hirsche. 

Im vergangenen Jahrhundert dienten die Marianen als Verbannungs- 
ort für politische und Strafgefangene. 

Öfters schon wareu durch die herrschenden Ostwinde Eingeborne 
vou den mittleren Karolinen nach Guahan verschlagen worden. 

Finsch (Carolinen und Marianen S. 40) hält es für sicher, dass die 
Bewohner gewisser Karolineninseln von jeher Fahrten nach Quam (Waghal) 
unternommen hätten, ein Verkehr, der mit der Vernichtung der Marianer 
durch die Spanier sein Ende fand. Der sehr zuverlässige Le Gobien er- 
wähnt nichts hiervon, sagt vielmehr S. 396 bei Schilderung der unfrei- 
willigeu Ankunft einiger Karolinen- Boote: »Quoique ces Isles ne soient 



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— 35 - 



pas eloignees des Marianes, ces Insulaires n'ont aucun commerce avec les 
Marianois«. 1815 baten eine Anzahl von Karolinern um die Erlaubnis, 
sich hier niederlassen zu dürfen, da ihre Insel durch einen Sturm ver- 
beert worden sei. Der Gouverneur gestattete ihnen die Ansiedlung auf 
Saipan mit der Bedingung, dass sie auf ihren Booten regelmässig Fahrten 
über Tinian nach Gnahan machten und das auf jener Insel bereitete 
Salzfleisch nach Hagatnia brächten. 

In den Jahren 1865—69 wurden über 1000 Karoliuer in Guahan, 
Tinian, Pagan angesiedelt, um bei der Kopraernte als Arbeiter zu dienen. 
Etwa seit jener Zeit ist die Eopra als Ausfuhrgut von stetig wachsender 
Bedeutung für die Marianen geworden. 

In den Jahren 1823 bis 1850 liefen jährlich bis zu 30 englische 
und amerikanische Walfischfanger die Marianen — Guahan, Tinian, 
Saipan — an, um sich mit Lebensmitteln für ihre Meisen zu versehen; 
seitdem aber die Wale sich nach dem Norden verzogen, erscheinen nur 
etwa 3 oder 4 Schiffe jährlich hier, auf ihrer Reise nach dem Behringsmeer. 

1898 wurde Guahan von den Vereinigten Staaten dnrch Überrumpelung 
der Spanier genommen, die von dem ausgebrochenen Krieg keine Kenntnis 
hatten. Am 17. November 1899 übernahm das Deutsche Reich die übrigen 
Inseln, nachdem vorher sieben Monate lang das Spanien treu gebliebene 
Philippiner-Bataillon der Macabebe auf Saipan eine harte Willkür-Herr- 
schaft ausgeübt hatte. 

Die Namen der Inseln. 

Einen Eingeborenen - Namen für den ganzen Inselbezirk giebt es nicht. 
Magallan es nannte sie 1521 «Sankt- Lazarus-Inseln« und »Ladronen«, 
Legaspi 1563 »Inseln der Lateinsegel«. 

Seit 1668 heissen sie »die Marianen«. Die einzelnen zu der Gruppe 
gehörigen Inseln heissen von Süden nach Norden: 

1. Guahan, heute Guam; amerikanisch seit 1898. 

Hauptstadt Hagatnia (Agana); Dörfer: Sumai, Asan, Piti, Agat, 
Umatag, Merizo, Inaraban, Pago. 

2. Sätpana oder Luta, heute Rota, 

3. Agiguan, 

4. Tinian, 

5. Saipan; Hauptort Garapan; Dorf Tanapag. 

6. Medinilla, benannt nach dem Gouverneur M. im Jahre 1812; 
war den Missionaren unbekannt, aber nach vorgefundenen Resten 
von Chamorros bewohnt oder besucht; vielleicht identisch mit 
einer von einigen Seefahrern genannten Insel Botaha. 

7. Anatahan, 

3* 



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- 36 - 



8. Sarigan, 

9. Güguan, 

10. Alamägan, 

11. Pagan, 

12. Agrigan, 

13. Assöng9ong, 

14. Maug oder Mang oder Tanas (fälschlich Uracas!), 

15. Urakas (Farallon de Pajaros). 

No. 7 — 15 wurden von den Alten das »Gani« genannt; dieses Wort 
erscheint in der letzten Silbe der Inselnamen 7 — 12 und bedeutet das Auf- 
fabren eines Schiffes auf Felsen, diese Inseln haben aber keine Riffe und 
keinen Strand. Songsong b eiset Dorf, Assongsong sich in einem Dorfe 
vorübergehend niederlassen; es könnte auch bedeuten: as Songsong, dem 
Songsoug (alte Ghamorrofamilie) gehörig. Sanvitores taufte die Insel 
Assumpcion, wir ziehen die alte Benennung vor. 

Maug heisst das Loch, Mang = Vulkan, Tunas steil: Ein Kraterrest, 
3 kleine Inseln die das »Loch« einschliessen, und deren Wände »steil« 
in das Meer stürzen. Falsch ist die auf den Karten übliche Bezeichnung 
»Uracas« für diese Insel: Das ist der alte Name für den Farallon de 
Pajaros. (s. G. S. VI: Maugou Tunas est composee de 3 rochers . . . . 
eile est ä 5 lieues de Urac, la derniere et la plus septentrionale de ces 
lsles.) 

Die Marianen bildeten und bilden ethnographisch ein einheitliches 
Gebiet. Rota könnte man vielleicht hervorheben als diejenige Insel, auf 
welcher die Eingebornen Blut, Sprache und Sitten verhältnismässig am 
reinsten erhalten haben. 

Bevölkerung. 

»Man weiss nicht, wann diese Inseln sich bevölkerten, noch woher 
das Volk stammt. Da sie etwa dieselben Neigungen und dieselben Vor- 
stellungen vom Adel haben wie die Japaner, so glauben einige, dass diese 
Menschen aus Japan einwanderten, das nur 6—7 Tagereisen von hier 
entfernt ist. Andere meinen, dass sie von den Philippinen und deren 
Nachbarinseln kamen, da ihre Gesichtsfarbe, Sprache, Sitten und Regierungs- 
form viele Ähnlichkeit mit denen der Tagalen zeigt. Es scheint, dass 
sie von beiden Ländern stammen, und dass diese Inseln durch sturm- 
verschlagene, schiffbrüchige Japaner und Tagalen bevölkert wurden.c 
(G. 45.) 

»Diese Inseln sind sehr bevölkert Allein auf Guahan rechnet man 
30 000 Einwohner, auf Saipan und auf die übrigen Inseln im Verhältnis 



ogle 



- 37 



(ihrer Grosse) etwas weniger. Sie sind voller Dörfer in der Ebene and 
im Gebirge, einige von 100 uud 150 Häusern.« (G. 46.) 

Hagatnia hatte bei der Ankunft der Missionare 53 Haupthäuser und 
etwa 150 kleinere, getrennt davon liegende. Die übrigen Ortschaften 
bestanden an der Küste aus 50 — 150, im Gebirge aus durchschnittlich 
20 Häusern. Man zählte 180 Orte von mehr als 20 Häusern. (G.) 
Rechnet man auf jedes nur 5 Bewohner, so ergiebt sich eine Mindestzahl 
von 18 000 Einwohnern. Hierzu kommt aber noch das Mehr der grösseren 
Orte, sämtlicher Dörfer von weniger als 20 Häusern und die zahlreichen 
alleinstehenden Gehöfte; ferner die ledigen Männer, die in jedem Dorf 
ihr gemeinsames Haus hatten. Die Schätzung Guahans zu 30 000 Ein- 
wohnern erscheint daher keineswegs übertrieben. 

Nach achtmonatlicher Missionstätigkeit betrug die Zahl der Getauften 
— anf allen Inseln zusammen — 13 000, die der Katechumenen mehr 
als 20000, darunter 4000 Getaufte allein auf den im Verhältnis unbe- 
deutenden Gani-Inseln; »bis 1672 waren an 50 000 getauft«. (G. 167.) 

Ferner sind, wie oben erwähnt, die Hauptinseln Guahan, Saipan, 
Tiniau, Rota übersät mit den Resten der früheren Besiedlung; man rindet 
sie am Strunde und hoch im Gebirge, im Busch nnd in den Savannen, 
die (wie die »capoeira« in Brasilien) nichts sind als verlassenes Ackerland. 

Wir dürfen daher der Missionsgeschichte, die auch in jeder anderen 
Hinsicht sich als zuverlässig erweist, glauben und die Bewohnerzahl der 
Marianen im Jahre 1668 zu 100 000 annehmen. 

Dann kam der verheerende Glaubenskrieg, die gewaltsame Entvölke- 
rung fast aller Inseln, die Zusammendrängung der Eingeborenen in 
wenigen Städten auf Guahan und als Folge Hungersnot und Seuchen. 
»Die Männer zogen den freiwilligen Tod dem Joch der Spanier vor, die 
Frauen machten sich unfruchtbar oder warfen ihre Kinder ins Wasser«. 
(J. 69.) 

1710 gab es noch 3678, 1760: 1654, 1790: 1639 Marianer. Neben- 
her hat sich aas den Heiraten der Spanier und Tagalen mit eingebornen 
Frauen, die von den Priestern gefördert wurden, ein Mischvolk gebildet, 
das die reinen Eingeborenen an Zahl bald übertraf: 1790 zählte man 
neben 1639 Marianern schon 1825 Mestizen und Philippiner, 1825: 2683 
und 3218. Von da ab gaben sich die Mestizen für Eingeborne aus, um 
wie diese steuerfrei zu bleiben. 

1815 wanderten Karoliner aus Ruk ein und Hessen sich in Saipan 
nieder. In den Jahren 1865—1869 wurden über 1000 Arbeiter aus 
Lamotrek, Satawal und Elato auf Pägan, Saipan und Guam (Tamunig) 
angesiedelt, solche aus ünane, Bizerrat und Unon in Tinian bezw. Tanäpag. 
Die iu Guam wohnhaften kamen, über 100, im Jahre 1901 alle nach 



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Saipan. Sie bewahren die Sitten ihrer Heimat in Kleidung, Gesängen 
und Tanzen .und ihre Sprache. Sie wohnen getrennt von den Chamorros, 
die sich für höherstehend halten, Heiraten zwischen beiden Stämmen 
sind selten. ' 

In den 60 er Jahren kamen 89 Chinesen nach Guahan, sie legten im 
Laufe der Zeit ihre Zopfe ab, heirateten Eingel orene und — eine seltene 
Erscheinung! — ihre zahlreichen Nachkommen zerflossen unter den 
Chamorros; in Saipan sind einige Japaner mit Chamorro-Frauen ver- 
heiratet, sie selbst und ihre Kinder rechnen sich zu den Chamonos. 

Die Einwohnerzahl aller Inseln betrug 1854: 9065; Die Blatteru- 
seuche des Jahres 1856 raffte in Guahan allein 3463 hin. 

Die Zahl betrug 1856: 4724, 1865: 5088; 1887 : 9680. 1902: 
10000 in Guam (nach Schätzung der Amerikaner) + 2401 auf den 
deutschen Inseln. Die folgende Tafel veranschaulicht die Bevölkerung 
der deutschen Marianen nach dem Staude am 1. April 1902. 





Chamorros 


Karoliner 


Fremde 


Summa 


. J Gärapan 
| Tanäpag 

Tinian 

Rota 

Sarigan 

Alamagan 

Pagan 

Agrigan 


891 

76 
36 
440 
7 
6 
35 
14 


524 
97 
59 
49 
1 
2 
102 
18 


42 
1 

1 


1457 
174 

95 
490 
8 
8 
137 
32 


1902; 
1901: 
1900: 


1505 
1330 
1302 


852 
772 
700 


44 

30 
36 


2401 
2132 * 
1938 


Vermehrung 1900-1902 


203 


152 


8 


463 


durch 

a) Einwanderung 

b) Geburteuüberschuss 




100 im Jahr© 
i90l aus Guarn 
zugewandert 




385 
78 



Am 1. April 1903 waren vorhanden: 1611 Chamorros, 895 Karoliner, 
41 Fremde. 

Das Verhältnis der männlichen zur weiblichen Bevölkerung ist bei 
beiden Stämmen 47 : 53%. 



1900 kamen auf 112 Geburten 56 Todesfälle. 

1901 „ „ 89 „ 61 

1902 „ „ 83 „ 54 



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— 39 



Die Kindersterblichkeit im ersten Lebensjahre ist bedeutend und 
hängt offenbar mit der ungeschulten Geburtshilfe zusammen. Die ame- 
rikanischen Arzte in Guam teilten mir mit, dass sie durch einen Heb- 
ammenkursus eine ganz auffallende Verminderung der Kindersterblichkeit 
erreicht hatten. 

Die Chronik verzeichnet folgende Seuchen: 1688 schleppte ein Schiff 
aus Mexiko »eine Art Katarrh (rheume) ein, begleitet von Fieber und 
»flux de sang«, von dem niemand verschont bliebe. (G. 376.) 

Um 1700 raffte eine nicht näher beschriebene Epidemie fast alle 
Eingebornen weg (C). 

1849 starben an 200 Personen, besonders junge Frauen, keine Kinder 
und nur wenig ältere Leute an Faulfieber (Kirchenchronik). 

1855 an Keuchhusten 200 Kinder bis zu 6 Jahren. 1856 schleppte 
ein amerikanisches Schiff infolge grober Nachlässigkeit des spanischen 
Arztes die Blattern ein. Von März bis Oktober starben 3463 Personen. 
Man impfte mit Menschenlymphe, ein Verfahren, das den Chamorros der 
Marianen ebenso wie den Bewohnern der Philippinen von alters her be- 
kannt gewesen sein soll! (J. 71). 

1861 Masern, an denen 50 Kinder starben. 

1898 Keuchhusten, dem allein in Hagatnia an 100 Kinder zum 
Opfer fielen. 

1899 Influenza »Katarrh mit Fieber und Schmerzen im Genick, die 
sich bis zu den Hüften fortpflanzten, Atem- und Schlingbeschwerden«. 
Diese Krankheit ergriff besonders junge Leute von 18 — 30 Jahren, breitete 
sich auch auf den anderen Inseln (zumal in Rota) aus und Hess vielfach 
Lähmungen der Extremitäten zurück. 

In früheren Jahren soll es zahlreiche Leprose auf den Marianen ge- 
geben haben, deren grösster Teil aber 1856 von den Blattern hingerafft 
wurde. Sie waren in Tinian isoliert, später in Pajo auf Guahan, wo 
man 1890 noch 110 Aussätzige zählte. Zweifellos wurden auch viele 
andere Hautkrankheiten der Lepra zugerechnet, besouders wohl Lupus, 
der nicht allzuselten vorkommt und Frambösie, die unter den Kindern 
und jungen Leuten sehr verbreitet ist. 

Auf Guahan sind z. Z. 25 Aussätzige in Tumhom interniert, während 
auf den deutschen Inseln der einzige ärztlich festgestellte Fall 1901 durch 
Tod endete. — 

Wir haben es auf den Marianen mit zwei verschiedenen Volksstämmen 
zu tuu; den mehr oder minder reinen Nachkommen der von den Spaniern 
hier vorgefundenen »Chamorros« und den erst neuerdings zugewanderten 
Karolinern. Das Nachstehende bezieht sich, wenn anderes nicht ausdruck- 
lich erwähnt wird, ausschliesslich auf die Chamorros. 



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I 



- 40 - 

Der Name soll von dem portugiesischen »chamorro« kommen uifd 
sich auf die Haartracht der alten, von den Portugiesen Magallan's ent- 
deckten Eingebornen beziehen: sie Hessen auf dem Scheitel des kahlr 
geschorenen Kopfes nur eiwn kleinen Schopf stehen; chamorro heisst im 
Portugiesischen »bartlos« und wurde als Spottname zwischen Spaniern 
und Portugiesen gehraucht. Das Wort könnte aber sehr wohl ein ein- 
heimisches sein, wenn man nur ein 1 an Stelle des r setzt, welches die 
Missionare sonderbarerweise regelmässig in Chamorroworten da gebrauchen, 
wo die Landessprache, welche kein r kennt, heute 1 setzt, tchamo-li 
würde heissen: schaue nicht; oder tchä-manley: nicht gut. Übrigens 
nannte sich der alte Adel nicht Chamorro, sondern Chamorris, eine Be- 
zeichnung, welche sich schliesslich alle Eingeborenen, auch die Plebejer 
beilegten. Blumentritt (Alv. 138) irrt, wenn er annimmt, dass mit dem 
Namen »Chamorro« die Mestizen bezeichnet wurden: das Gegenteil war 
der Fall, man unterschied früher Chamorros (d. h. reine Eingeborne) und 
Mestizen. 

»Die Eingebornen sind von brauner Hautfarbe, aber heller als die 
Philippiner. Sie sind stärker und kräftiger gebaut als die Europäer, vou 
hohem Wuchs und ebenmässiger Gestalt. Obgleich sie sich nur von 
Wurzeln, Früchten und Fischen nähreu, sind sie dick, als wären sie auf- 
gebläht, trotzdem aber flink und geschmeidig.« (G. 45.) 

Diese Schilderung Le Gobiens' trifft noch heute zu, vornehmlich in 
bezug anf die Bewohner liotas und der Laudorte Guahans; aber auch 
in dem stark mit fremdem Blut durchsetzten Hagatnia ist dies der Typus. 

In Rota fand ich nntcr 30 Schulkindern die Kopfform: oval bei 12, 
breit bei 18. Backenknochen vorspringend bei 8, nichtvorspringeud bei 
22. Nase: stumpf, sehr breit an der Wurzel bei 28. Augen: geschlitzt 
und schräg bei 27, dunkelbraun bei 16, schwarz bei 10, hellbraun 4. 
Haar: schwarz bei 18, dunkelbraun bei 10, hellbraun 7, durchweg straff, 
bei einem kraus. 

Entsprechend ihrer zu stumpfsinniger Träumerei neigenden Gemüts- 
art ist das Auge ausdruckslos; den Abkömmling des Tagalen erkennt mau 
hingegen sogleich an dem lebhaften Gesichtsausdruck. 

Wohn platze, Häuser. 

In bezug auf die Wohnplätze und Dörfer der Alten verweise ich 
auf das oben Gesagte. Die auf fast allen Inseln im Walde und in der 
Savanne zerstreuten Steiusäuleu bestätigen die Angaben der Missionare. 
Diese Ruinen bezeichnen aber nur die einstigen Wohnorte der Vornehmen 
oder der wohlhabenden Plebejer; die Masse des Volkes wohnte in Hätten 
aus Holz und Palmblättern, und zahlreiche Mahlsteine aus Basalt oder 



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— 11 - 



Kalkstein deuten auf ihre früheren Standorte. Fast alle Höhlen des 
Kalkgebirges waren bewohnt; manche mögen nur vorübergehend während 
der spanischen Verfolgung benutzt worden sein. Bei Tanäpag ist eine 
»calaberas« (Schädel) genannte Felswand in der Nähe eines grosseren 
Trümmerfeldes, deren Höhlen mit Menschenknochen angefüllt sind. Sie 
sind zwischen Schichten gebrannten Kalkes gebettet und daher vermodert. 
Wir haben hier, da die Alten ihre Toten einzeln beerdigten, die Schädel 
als Talisman in ihren Häusern aufbewahrten, Bein- und Armknochen 
aber zu Lanzenspitzen verwendeten, nicht eine Begräbnisstelle der alten 
Eingebornen, sondern vermutlich ein von den Spaniern ihnen bereitetes 
Massengrab vor uns. In derselben Felspartie fand ich aber eine wirkliche 
Höhlenwohnung: etwa 10 m über dem Erdboden, schwer zu ersteigen, 
zuuächst eine ranchgeschwärzte Nische, an die sich eine an der Mündung 
etwa 1,50 m hohe, nach hinten sich verengende Höhle anschliesst In 
ihr fand ich ein Stück Schmiedeeisen nnd einen eingekerbten, zum Trage 
stopk hergerichteten Bambuspfahl. Im Eingang waren — zum Schutze 
der Bewohner — etwa 12 Totenschädel aufgestellt, von denen mehrere 
auf der linken Schläfe, vielleicht durch Säbelhiebe, zertrümmert waren. 
Eine andere grosse Tropfsteinhöhle, nicht weit von der genannten, hoch 
wie eine Kirche, im Durchmesser etwa 40 m gross, muss lange Jahre 
als Aufenthalts- oder Versammlungsort gedient haben, denn im Eingang 
befindet sich eine meterhohe, ausgedehnte Aschenscbicht. In dieser Höhle 
wurden eine Lanzenspitze ans Menschenknochen (s. Fig. 3) und zwei 
Muschel-Signalhörner gefunden. Im Hintergrund ist ein nach der Fall- 
höhe 70 m tiefes, im Durchmesser wohl 15 m breites Loch, in welchem 
mit Sicherheit zahlreiche Geräte und Gerippe vermutet werden dürfen. 
Ein Hinabsteigen ist aber nur mit Vorrichtungen möglich, die mir nicht 
zur Verfügung stauden. 

Ausser dem Haupteiugang hat diese Höhle, die As Teo heisst, einen 
niedrigen Seitengang. In Jnai i lagua, gleichfalls im Norden von Saipan, 
ist eine an 70 m hohe Felswand mit zahlreichen kleineren und grösseren 
rauchgeschwärzten Höhlen, davor befindet sich ebenes Bnschland mit 
Gefä8strüinmeru, Mahlsteinen und gabgab (Aroru, tacca pinnatifida, 
Kulturpflanze der alten und der heutigen Chamorros). 

Auch im Süden der Insel, in Naftan sind ausgedehnte, einst bewohnte 
Höhlen. 

»Wegen der Entfernung der einzelnen Häuser und der Unzahl kleiner 
in den Bergen und den unzugänglichsten Orten zerstreuten Dörfer war 
es schwierig, die Leute zum Unterricht zu versammeln. Um diesem Miss- 
stand abzuhelfen, teilte Quiroga die Insel (Guahan) in sechs Bezirke, drei 
im Norden und drei im Süden ; eiuen siebenten Zentralbezirk verlegte er 



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- 42 - 



zwischen diese in die Mitte der Insel. Jedem Bezirke schloss man eine 
Anzahl Gehöfte und kleiner Dorfer au und schnf so grosse Kirchdörfer, 
die sich rascher bevölkerten als man gehofft hatte.« (G. 281). Wir haben 
gesehen, wie diese Zentralisation zum Untergange des Volkes führte. 

Heute sind auf Guahan neben der Hauptstadt Hagatnia mit etwa 
6000 Einwohnern noch die Dörfer Snmai auf der Halbinsel Orote, Agat, 
Umätag (die alte Hafenstadt), Merizo, Jnarähan, Pago, sämtlich auf der 
südlichen Hälfte der Insel und am Strande gelegen mit kleinen Häfen. 
Auf der nördlichen Hälfte sind keine dorfabnlichen Niederlassungen, wohl 
aber, wie auch im ganzen Inuern der Insel zahlreiche Einzelgehöfte. 
Längs der etwa 10 kra langen Strasse von Hagatnia nach dem Hafen 
Piti liegen gruppenweise und einzeln viele Eingebornenhäoser und die 
Orte Asan und Tepungan. Die genannten Dörfer haben zwischen 600 
und 200 Einwohner, das grösste, Merizo, 800. 

Die zweitgrosste Insel Saipan besitzt zwei geschlossene Ortschaften: 
Gärapan mit 1601 und Tanäpag mit 197 Einwohnern. Auch hier sind 
allenthalben, über die ganze Insel zerstreut, zahlreiche Einzelhütten, die 
zum teil standig, zum teil nur während der Feldarbeiten von den sonst 
im Dorfe sesshaften Eingebornen bewohnt werden. Die übrigen Inseln 
haben, soweit sie überhaupt, bevölkert sind, je eine geschlossene Nieder- 
lassung am Strande. 

Die Strassen dieser, sämtlich in spanischer Zeit angelegten Ort- 
schaften sind gerade und schneiden sich rechtwinklig, die Richtung der 
Hauptstrassen ist in Gärapan Nord-Süd. Iu Hagatnia und Gärapan sind 
die Gehöfte durch Zäune oder Mauern gegen die Strasse und die Nach- 
barn abgeschlossen. Die Breitseite der Häuser zeigt nach der Strasse, 
sie sind 10 — 15 m voneinander entfernt; hinter dem Hause steht die 
Küche als besonderes Gebäude, meist ist auf dem Hofe noch ein Brunnen 
mit schlechtem Brackwasser, zuweilen kleine, schlecht gepflegte Gärtcben 
oder Saatbeete für Tabak. Strassen, Haus und Hofräume sind reinlich, 
solange die Behörde mahnend und strafend darauf dringt. 

Gärapan hat 211 Wohnhäuser, von denen 144 von Chamoiros, 67 
von Karolinern bewohnt werden. Es leben durchschnittlich in einem 
Hause: 6 Chamorros, bezw. 9 Karoliner. 

Bevor wir das heutige Ghamorrohaus betrachten, sei mir gestattet, 
dasjenige der Alten nach den Berichten der Zeitgenossen, und seine 
Ruinen nach eigener Beobachtung zu schildern (Taf. I, Fig. 2, 3, 4, 5). 
»Ihre Häuser sind behaglich; erbaut aus dem Holz der Kokospalme oder 
des Palo-Maria (Calophyllum inophylluui DG) Jedes Haus hat vier 
Räume, die durch Matten aus verflochtenen Kokosblättern voneinander 
getrennt sind. Diese Räume siud reinlich und jeder hat seinen be- 



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_ 13 - 



stimmten Zweck; der erste dient zum Schlafen, der zweite zum Esseu, 
der dritte als Vorrats- und der vierte als Arbeitsraum. Auch das Dach 
besteht aus Kokosblätternt. (G. 62.) 

So beschaffen waren aber sicherlich nur die Hänser der Reichen und 
Vornehmen. Die Menge wird anter Dächern gewohnt haben, die un- 
mittelbar auf der Erde standen und in dem ungeteilten Raum wurden 
Schlafmatten auf die Erde gebreitet, wie in vielen Fallen heute noch: 
denn Bäume zu fallen mit Stein- und Muschelwerkzeugen, die das Dach 
trugen und den Fussboden erhöhten, war eine harte Arbeit und wohl 
auch der Grund für die Verwendung der Steinsäulen an den vornehmeren 
Häusern. (Taf. I, Fig. 4.) 

In Bericl ten über Tinian (Deutsches Kolonialblatt 1901 S. 150), 
Rota (Mitteilungen aus den deutschen Schutzgebieten XIV S. 194) und 
die nördlichen Marianen (XV S. 96) habe ich mehrere jener Ruinen be- 
schrieben. Am häufigsten sind es 2 parallele Reihen roher, in den Boden 
eingegrabener, */*— 1 m hoher Korallenfelsen, gewöhnlich 5 in jeder 
Reihe, die unter sich lVj m und vom gegenüberliegenden 3 m entfernt 
sind. Oft ruhte auf jedem dieser Pfeiler ein jetzt abgestürzter rundlicher 
Korallenblock. 

Vielfach bestehen die Pfeiler aber aus sehr regelmässigen, vierkantigen, 
nach oben sich verjüngenden Säulen, auf denen je ein halbkugeliges 
Kapital ruht. In einem Falle in Rota waren die Säulen durch rundliche 
Mauerstücke — etwa von der Form der Grabsteine auf jüdischen Fried- 
höfen — vertreten, in einem andern Falle stand einer Säulenreihe eine 
gleich hohe Mauer gegenüber mit schmalen, nach unten sich verjüngenden 
Öffnungen, auf denen wieder die Kapitale rnhten. — In Alamagan und 
Pägan (Vulkaninseln, also häufigere Erdbeben!) lehnen schwere, bis zu 
etwa 7s ihrer Höhe eingegrabene Basaltplatten schräg an den Basalt- 
säulen. Sonst ist das Material dieser Bauwerke grobkörniger Sandstein, 
nicht etwa Mauerwerk. Die Säulen sind nicht fundamentiert. Die 
Grössenverhältnisse einer Hausruine in Halum anite auf Rota sind folgende: 
Reihenabstand 3,75 m; je 6 Säulen (zusammen also 12); Abstand von 
Säulenmitte zu Säulenmitte 3,90 m; Querschnitt der Säulen 0,96 X 0.65 ro, 
Höhe 1,70 m, nach oben sich verjüngend. Kapitäl-Durchroesser 1,86 m, 
Höhe 1,35 m. 

Berühmt durch ihre Grösse sind die Säulen von Tinian, das HaUB 
des Taga, eines christlichen Chamorros: 2 Säulenreihen von je 6 Säulen. 
Reihenabstand 4,22 m; Säulenabstand 3,60; Querschnitt der Säulen unten 
1,45 X 1,10 m, oben 1,20 X 0,85 ra; Kapital-Durchmesser 2,45 m, Höhe 
1,66 m; Höhe der Säule 4,10 m, mit Kapital 5,76 m. Vor der Längs- 
mitte der Ruine liegt aas 3 excentrisch und stufenförmig übereinander- 



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44 - 



gelegten runden Steinplatten bestehend, der Sockel des Kreuzes, welches 
alle Christen Wohnungen auszeichnete. 1855 standen noch 9 der Säulen 
aufrecht, 1900 noch 5, das grosse Erdbeben vom 22. September 1902 bat 
auch sie gestürzt bis auf die eine, auf welcher sich die Grabhöhlung der 
Tochter des Taga befindet, die er hier einst in Heisuiehl beerdigte 1 ). 

Wie mögen die Alten diese gewaltigen, viele Tonnen schweren Säulen 
und Kapitale aufgerichtet haben? Man kann sich dies etwa so vorstellen, 
dass sie zuuächst an ihren künftigen Standorten Erdhügel von der Höhe 
der Säulen aufwarfen mit steilem Absturz nach jenen Standorten und 
sanftem Anstieg nach der entgegengesetzten Seite. Dann wurde auf 
Walzen die fertige Säule den Hügel soweit hinauf befordert, bis sie auf 
der steilen Seite umkippte. In derselben Weise wurde sodann das Kapital 
aufgesetzt. 

In der beigefügten Zeichuung (Taf. I, Fig. 2) habe ich versucht, ein 
altes Chamorrohaus darzustellen. Die schweren Kapitale hatten den Zweck, 
das Haus gegen die hier so häufigen Stürme zu sichern. Heftige Erd- 
beben sind auf den südlichen Marianen selten, die Geschichte meldet nur 
ein grösseres im Jahre 1849, das von dem des Jahres 1902 weit über- 
troffen wurde. Doch müssen schon vorher schwere Erdbeben statt- 
gefunden haben, denn fast alle höheren Säulen sind seit langer Zeit um- 
gestürzt. Auch auf den aus tatigen oder kaum erloschenen Vulkanen 
bestehenden Nordinseln sicherten sich die Alten durch das oben ange- 
gebene Anlehnen von Basaltplatten an den Unterbau ihrer Wohnungen. 

Der Raum unter den Säulen diente bisweilen zur Aufbewahrung 
der Boote. 

*>. . . Es ist erwiesen, dass die Edlen zur Zeit der Eroberung in 
Häusern wohnten, die auf hohen und festen Säulen aus Mauerwerk 
ruhten. In einer glaubwürdigen Urkunde heisst es, dass sie ausserdem 
andere, öffentliche Gebäude in Form von Säulenhallen besassen, um ihre 
Fahrzeuge aufzubewahren. In dem grössten dieser Häuser in der Nähe 
des Hafens von Guahan, wo die Flotte Legaspis Wasser einnahm, waren 
4 Fahrzeuge; es war kreuzförmig, mit grossen Säuleu aus Mauerwerk 
und während des elftägigen Aufenthaltes der Hotte wurde Messe darin 
abgehalten«. (V. 440.) 

Die Zahl der Säulenpaare, nämlich füuf, entspricht der von Le Gobien 
berichteten inneren Einteilung des Hauses in 4 Räume. Ein bei den 
grösseren Gebäuden vorhandenes sechtes Säulenpaar hat vermutlich einen 
verandaartigen Vorbau getragen, den man noch heute bei den meisten 
Chamorro-Hänsern findet. 

') Ah. 136 „die Toten werden nicht in der Erde begTaben, sondern in Mauer- 
nischen eingemauert". R. H. 



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45 - 



Bei dem heutigen Cbamorrohaus (Taf. I, Fig. 1) sind' an die 
Stelle der Steingaden zwei Reihen von je 5 Holzpfeilern »alike« getreten. 
Sie tragen das Dach »atoft ans geflochtenen Kokosblättern und bilden 
den Rahmen für die aus demselben Material oder aus Rohrgeflecht be- 
stehenden Wände. Etwa 1 meter über der Erde ist an den Pfeilern der 
Fussboden »sadgec aus Latten von Betelpalmholz oder aus Brettern be- 
festigt, der ausserdem noch durch 5 Mittelstützen zwischen den Pfeiler- 
paaren »horkonc getragen wird. Der Raum unter dem Fussboden ist zu- 
weilen mit Latten geschlossen und dient als Hühner- und Schweinestall. 

An der Mitte der Langseite oder auch der Giebelseite des Hauses 
ist ein kleiner überdachter Vorbau angebracht, von wo aus eine Holz- 
stnfe in den Wohnraum fuhrt. Zuweilen befindet sich auf der Röckseite 
des Hauses ein ähnlicher, »kahita« genannter Anbau. 

Vier bis sechs quadratische Fensteröffnungen »bentana« werden 
durch einfache Läden »tanipe«, aus demselben Material wie die Wände, 
verschlossen, d. h. diese werden ebenso wie die beiden Türen auf der 
Vorder- und Rückseite des Hauses mit Bast angebunden. 

Droht ein Sturm, so hängt der Chamorro mehrere, paarweise an deu 
Spitzen verbundene Kokosblätter (hogse) mit der schweren Blattscheide 
nach unten über den First. Eine ausführlichere Beschreibung siebe unter 
den Erklärungen zu den Tafeln I, 1. 

Aus dem Vorbau (kahita) gelangt man mittels der Treppe »guaot« 
zunächst in den Wohnraum, der Fussboden, sadge, besteht in der Regel 
aus Latten der Betelpalme, die auf den dormentes, Längsleisten aufge- 
nagelt oder an sie festgebunden sind; zuweilen treten hier gesägte Ifil- 
bretter an die Stelle der Latten. Eine Decke ist nicht vorhanden, man 
sieht über sich das Dach. Ein Tisch, eine Bank, 2 oder 3 Stühle, eine 
Steinöllampe, zuweilen eine Nähmaschine bilden das Inventar des Wohn- 
zimmers, Heiligenbilder deutscher Herkunft schmücken die Wände. Rechts 
und links vom Wohnraum, von diesem durch die Wände (divisianos) aus 
Rohr oder Palmgeflecht getrennt, befinden sich die Schlafräume. Das 
Bett besteht aus einem auf den Fussboden gebreiteten »guafak«, d. i. 
eine aus Pandanus geflochtene Matte, femer aus einer aus Japan 
stammenden Wolldecke und einem mit Baumwolle gefüllten Kopfkissen. 
Die früher allgemein gebräuchlichen Nackenstützen ans Holz »alona« 
(Taf. II, Fig. 8) verschwinden mehr uud mehr. Auch Hängematten sind 
üblich. 

Hinter dem Wohngebäude und getrennt von ihm steht die Küche, 
>sadigane«, ein unmittelbar auf der Erde errichtetes Dach ohne Wände. 

Ausserdem befindet sich in der durch einen Stangenzaun aus tcbnpak, 
paipai oder ähnlichen Hölzern eingefassten Hofreite gewöhnlich noch ein 



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- 46 - 



Brunnen', tupo, der, im Meeresniveau, brackiges Wasser liefert. Getrunken 
wird Flußs- oder Regenwasser. Aborte giebt es nur in wenigen Höfen. 
Die einladende Nähe des Strandes und Busches macht sie für die Ein- 
geborncn entbehrlich. 

Aus Amerika stammt die Sitte der einstockigen Steinhäuser mit 
einem überdachten Treppen vorbau und einem l'/i — 2 m hohen keller- 
artigen Verlieas zwischen Fassboden uud Strassenniveau. Der Bau des 
mit Palmwedeln, in Goam auch mit Savannengras oder Nipa (Nipa litto- 
ralis) gedeckten Daches und die innere Einrichtung des Hauses ist die 
oben beschriebene. Neuerdings werden von wohlhabenderen Eingehornen 
Wände nnd Fussboden aus japanischen Nadelholzbrettern hergestellt; 
dann fuhrt gewöhnlich nach der gleichfalls auf Holzpfahle gestellten 
Küche ein erhöhter Gang, >batalanc. Fremden Ursprungs sind auch die 
in Agana häufigen zweistöckigen Steiubauteu mit einem selten über 2 m 
hohen, nicht erhöhten Erdgeseboss, das als Lagerraum dient; eine Holz- 
treppe fuhrt im Innern des Hauses nach den europäisch hergerichteten, 
aber unordentlich gehaltenen Wohnräumen, die zuweilen mit Glasfenstern 
versehen, zuweilen nach der Strassenseite von einem Korridor umgeben 
sind, dessen Fenster mittels Schiebläden verschliessbar sind. An den 
Ecken des Hauses sind oft eigenartige kleine Erker angebracht, die an 
Vogelkäfige erinnern. Das Dach dieser vornehmen Häuser ist mit Hohl- 
ziegeln gedeckt, die froher in Guani verfertigt, neuerdings eingeführt 
werden. In Agana stösst die Langseite der Häuser im vornehmen Viertel 
meist unmittelbar an die Strasse, in Garapan stehen sie etwa 3 m hinter 
dem die Strasse begrenzenden Zaun der Hofreite; hier ist auch durch 
zwei Baumreihen der Fahrdamm von dem beiderseitigen Fussweg geschieden. 

Ausser seinem Wohnhause im Ort besitzt jeder Chamorro ein Rancho, 
»lantcho« in seiner oft weit entfernten Pflanzung. Wochenlang liegt er 
dort mit seiner Familie weniger der Arbeit, als einem träumenden Nichts- 
tun ob. Er beschäftigt sich dort höchstens mit der Jagd auf fliegende 
Hunde, »faniec, wilde Schweine, Hähne, Kokoskrebse »ayuyoc und mit 
dem Fischfang. Nur Sonntags reitet er dann auf seinem Ochsen zur 
Messe und zum Hahnen kämpf ins Dorf. Diese Feldhutten sind kleiner 
und weniger sorgfältig, im übrigen aber ebenso gebaut wie die Dorf- 
wohnungen; ihre kahita liegt an der Giebelseite oder, was noch häutiger 
der Fall ist: ein Durchgang teilt den Rancho in einen grösseren Wohn- 
raum und eine kleinere Abteilung zur Aufbewahrung der Geräte. 

Gemeindebauten ausser Kirchen und Pfarrhäusern giebt es nicht. 
Die Uritauhäuser der Heideuzeit, iu denen die Junggesellen ihren ärger- 
lichen Lebenswandel lokalisierten, sind verschwunden. 

Der Stil der Kirchen ist in allen Ortschaften derselbe: niedrige, sehr 



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- 47 



lauge Seiten mauern mit kleinen quadratischen Fenstern; schmucklose, 
oder höchst geschmacklos in viereckige Felder eingeteilte Giebel wände. 
Die Rundbogentur liegt nach Osten, der Hochaltar gegenüber mit dem 
üblichen naiven Schmuck aus künstlichen Blumen, Spiegeln, farbigem 
Papier. Zwei Reiheu hoher Ifilstämme tragen das Zinkdach und teilen 
vom Schiff zwei Seitengänge ab. Wände und Holzsäulen sind weiss ge- 
tüncht uud mit einer blau und roteu Zierleiste verseheu. 

Die Kirche in Garapan war durch das Erdbeben von 1902 be- 
schädigt worden und ist nun im Äusseren verschönt durch eine Erhöhung 
der eintönigen Giebelwand, die von kleinen Türmen flankiert und durch 
zwei Rundbogen fenster etwas gehoben wurde; auch die seitlichen Bauern- 
fenster wurden im Rundbogenstil umgebaut. 

Verzierungen irgend welcher Art, Schnitzwerk an Häusern oder 
Geräten sind nicht vorhanden. 

Haus- und Küchengerätschaften. 

Gewöhnlich liegt im Hofe einer jener Basaltmörser, wie sie bei den 
Alten in Gebrauch waren und die man überall im Walde findet (Taf. II, 
Fig. 5). An Stelle des Stössers ans Basalt, den die Alten benutzten, be- 
dient man sich heute einer Stampfkeule aus Holz »falo«, um in jenen 
»lusong atchoc genannten Mörsern Reis zu enthülsen oder »amot«, 
Medizin, zu bereiten. Statt dieser alten Steinmörser, die der Chamorro 
wie alle Überreste der Vorzeit als Eigentum der anite, der Waldgeister, 
mit aberglänbiger Scheu betrachtet, verwendet man heute mehr den 
lusong-hiio, einen Holzmörser. Zum Zerreiben des Maises dient der 
»metatec (Taf. II, Fig. 6), ein aus Manila eingeführter flacher Stein, auf 
welchem die geschälten Körner mittels eines Basaltsteines (Taf. II, Fig. 6a) 
zerquetscht werden. 

An dem von Pandanus, Paraiso oder andereu Sträuchern beschatteten 
trichterförmigen Brunnenloch steht die Frau an der »batea« (Taf. II, 
Fig. 7) einer länglich flachen Schussel aus Palon-Maria, wäscht mit 
importierter Seife die Kleider der Familie und das Weisszeug des Haus- 
halts und breitet es dann zum Trocknen auf dem kleinen Rasenplatz aus. 
Vor der Küche sitzt ein Junge auf dem »kamjo« (Taf. II, Fig. 12), der 
Raspel aus Holz mit einer runden, gezahnten Zunge aus Eisen und reibt 
damit den Kern der Kokos aus der geöffneten Nuss. 

An einer Kokospalme ist ein Wedel so angebunden, dass das am 
Stamme abfliessende Regenwasser von der Mittelrippe jenes Blattes in die 
untergestellte unatabsina«, einen meterhohen japanischen Tonkrug ttiessen 
mu8«. In Rota vertritt oft ein dickes, 3—4 m langes Barobusrohr, dessen 
Querwände durchgestossen sind, die Stelle des Kruges. Kleinere Ton- 



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krüge werden »tinähas« genannt. Bei den alten Cbamorros uauss eine 
umfangreiche Tonindustrie bestanden haben, denu überall im Wald und 
in der Savanne, am Strand und auf den Bergen findet man die Scherben 
ihrer Gefasse, selten aber unzertrümmert einen der halbkugeligen, ohne 
Töpferscheibe hergestellten Krüge (Taf. II, Fig. 11). 

Eine eigentümliche Form zeigt das in Taf. II, Fig. 10 dargestellte, 
gleichfalls aus alter Zeit stammende Gefäss, >biskot genannt. Ich faud 
es bis zu der aus der Zeichnung ersichtlichen Einbuchtung in die Erde 
eingegraben in einer Küche zu Gärapan. 

Heute giebt es auf den Marianen keine Topferei mehr. 

Als Wasserbehälter werden neben den aus Japan eingeführten Blech- 
eimern und Glasgefässen noch vielfach die tagüas benutzt, ausgehöhlte, 
mit Kokosfaser umschnürte Kürbisse. 

Wir treten in die Küche. Als Herd (fogon) dient ein viereckiger, 
2X1 m grosser, 40 cm hoher Kasten, dessen Wände aus horizontal über 
einander gelegten Pandanusknüppeln besteben. Er ist mit Erde ausge- 
füllt, drei Steine, zuweilen auch ein eiserner Dreifuss bilden den Rost 
für die Kochtöpfe, welche oft auch an einem am Dach befestigten Seil 
über dem Feuer hängen. Das Feuer wird unter Zuhilfenahme von 
trockenem Bast der Kokosnuss mit Streichhölzern oder mit einem vom 
Nachbar entlehnten Glimmspahn angezündet und mit einem Fächer, 
»guba« (Taf. II, Fig. 13) angefacht. Sind, etwa im Rancho, keine Zünd- 
hölzer zur Hand, so schneidet der Chamorro aus trockenem Hibiscosholz 
ein »djugdjug«: auf ein flaches Scheit wird ein rundes mit zugespitztem 
Ende senkrecht aufgesetzt und zwischen beiden Handflächen gequirlt; an 
der Reibstelle liegt etwas trockener Kokosbast, der nach kurzer Zeit zu 
glimmen anfangt. Oder zwei möglichst dürre, gespaltene Bambusstücke 
werden senkrecht zu einander mit den Kanten gerieben: djugdjug-pian. 
Auch Funkenschläger aus Stahl und Kiesel, wie sie früher in Deutschland 
üblich waren, sind in Gebrauch: djugdjug-lulok. 

Bei der Entdeckung der Marianen durch Magallanes soll den Einge- 
bornen das Feuer noch unbekannt gewesen sein; sie hielten es beim ersten 
Anblick für ein Tier, das Holz frass und ihm nahe kommende Menschen 
biss und durch seinen giftigen Hauch verletzte. (G. 44.) 

Es ist dies kaum zu glauben von den Bewohnern der Marianeu, 
deren nördliche Inseln mit tätigen, stets rauchenden Vulkanen besetzt 
sind. Fast alle Höhlen zeigen Rauchspuren und meterhohe Aschenschichten. 
Sogar auf dem den Missionaren unbekannt gebliebenen Medinilla fand ich 
rauchgeschwärzte Höhlen und wie überall, Scherben aus gebranntem Tou. 
Ihre Hochseeboote kalfaterten sie mit in Kokosöl gelöschtem Kalk »afok«, 



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ihre Sprache besitzt Worte für Feuer: »guafet für brennen: »songgec 
und für Rauch »apo«. 

Die Kochgefasse sind durchweg fremden Ursprungs und werden aus 
oder über Japan eingeführt In der »lauja«, spanisch la olla, einem runden 
Eisentopf, wird der Reis gekocht; der etwas grossere »calderoc (span.) 
dient zum Wasserkochen; das »sartenc (span.) ist die ans bekannte Pfanne 
für Eierkuchen. Die wohl über die ganze Erde verbreitete eiserne Thee- 
kanne finden wir als »takuri« wieder. In der »tcharera« aus Ton wird 
der Thee, in dem »batitut« aus Eisen oder Bronze (Japan) wird die 
Schokolade aufgetragen. Der Mais wird, nachdem er durch Einweichen 
in Kalkwasser enthülst ist, auf dem oben beschriebenen »metate« zerrieben, 
dann werden Kuchen »tortillas« geformt und auf einem runden, rand- 
losen Eisenteller »gomat«, geröstet. 

»tape« sind hier gefertigte, kahnförmige Holzschusseln aus daog 
(Calophylluro) (Taf. II, Fig. 14). Aus der gereinigten, harten Kokosschale 
werden Schöpflöffel mit langem durch Bast verbundenem Griff (Taf. III, 
Fig. 7), Esslöffel und Trinkgefasse hergestellt (dudo). 

Die Nahrung der Alten bestand nach dem Zeugnias der Missionare 
aus Kokos, Zuckerrohr, Reis, Brotfrucht, einigen Wurzeln, Gemüsen uud 
Fischen. Gewürze, die den Appetit reizen, fügten sie nicht bei, sie 
aasen massig und waren daher gesund und kräftig und lebten lange. 
Der Mais wurde erst von den Spaniern eingeführt, durch die sie auch das 
Schwein, das Rind und das Huhn kennen lernten. Den fliegenden Hund 
»fani'e«, heute ein Leckerbissen, erwähnt die Missionsgeschichte nicht, 
auch nicht das Waldhuhn »sasngat« (Tetrao?), das heute auf allen Inseln 
zahlreich vorkommt. 

Im Folgenden werden die hauptsächlichsten einheimischen Nahrungs- 
mittel aufgeführt: 

Kokos (reif: nijog, zum Trinken: mänha). 
Mais (maes). 

Batate (kamüte) Süsskartoffel, dioscorea batatas in vielen Spielarten. 
Bananen (plätanos oder plantanos) gleichfalls in zahlreichen Arten, 
anter ihnen wildwachsend eine solche mit Kernen. 
Zuckerrohr, cana dulce. 

Brotfrucht in den zwei Arten: lemai ohne, dügdug mit Kernen. 
Wurzelgewächse: 

Arorn, (gabgab) tacca pinnatifida. 

Ein andres, hier aroru (»arrowroot« ist bekanntlich 1 ) falsch!) 

') Daw Wort „arrowroot" soll sieb angeblich auf eine Fabriksmarke beziehen; viel» 
leicht besteht aber ein Zusammenhang mit anderen gleichfalls „Pfeilwurz" genauoten 

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50 - 



genanntes Wurzelgewächs mit lanzettlichen Blättern und r üben förmiger 
Wurzel. 

suni, blauer Taro, baba, gelber Taro, 
digo Jam; nika, gädo, piga Rüben. 

Maniok (mendioka), roanihot utilissima, wird selten angebaut und nur 
als Stärke genossen. 

fadang oder Federico, eine Palme, deren giftige, hühnereigrosse 
Früchte in Wasser ausgelaugt, gerieben und dann zu Starke verarbeitet 
werden; Hauptnahrung der Dorfbewohner Guam's. 

kafo, Pandanusfrüchte, werden mit der Machete geöffnet, der mandel- 
artige Kern wird roh oder geröstet gegessen, 
tah'sai, Mandelbaum, 
kamatchü, 

munggo, Erbsenbohne; verschiedene Arten von Kletterbohnen (baba), 

Kürbis (calabasa), 

Melone (melön), 

Wassermelone (sandia), 

atis, anona squamosa S. süss, 

anona, „ ? säuerlich, grösser als atis, 

papaia, 

guaiaba, psidium pyriferum Bl. verwildert, kaum meterhoch, bildet 
besonders auf Tinian viele Hektar grosse Savannen, 
mangga, mangifera indica, Mangopflaume, 
kasoe. pinia, Ananas, 
Kaffee, Kakao. 

Von Tieren werden ausser Fischen, Krebsen, Muscheln gegessen: 
Kokoskrabben: ayüyo, 
fliegende Hunde: fani'e, 
Waldhühner: sasngat, 

wilde Tauben, (paluma) Enten, (nganga), Schnepfen (dulile u kalalang), 

Schildkröten (hagan), 

Seevögel, Möveneier, 

wilde und zahme Schweine (babui), 

Hühner (mänok), 

Rinder (guäka), Büffel (karabau), 

Hirsche (benado). 

Der Leguan, ilitai, wird nicht gegessen; ein Aberglaube liegt dem 
nicht zu Grunde; dagegen soll, wer die von einerbrütenden Henne nicht 

Pflanzen, Maranta alonya von Cayenne und Maranta arouma in Guiana, die ihre 
botanischen Namen nach den einheimischen erhalten haben. Die Wurzelstöcke beider 
Arten werden ebenfalb zur Gewinnung eines Stärkemehls benutzt L. 



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ausgebrüteten Eier isst, blödsinnig werden; Schweinahirn und Hühner- 
köpfe werden nicht gegessen. 

Salz (asiga) wird wenig verwendet und ist für den Chamorro kein 
unentbehrliches Bedürfnis. Es wird in grossen Eisenpfannen kalahe von 
1 m Durchmesser über Feuer eingedampft. Die Pfanne steht in der 
Regel auf einem 60 cm hohen, ans Lehm aufgebauten Herd Fogön-salinas 
nnd ist überdacht. Als Würze dient der kleine rote, sehr scharfe Pfeffer 
döne-sale, Zitronen (lemon), Tomaten, tomates, und der grosse röte Pfeffer 
done-tiau. Essig und ebenso Hefe für Brot und Kuchen aus importiertem 
Weizenmehl liefert der vergorene, aus dem abgestutzten Blütenstengel 
strömende Eokossaft (tuba). 

Zum Essen setzt sich die ganze Familie auf die Erde (Kniebeuge) 
um die in Tonschüsseln aufgetragenen Speisen, die alle zu gleicher Zeit 
vorgesetzt werden. Jeder greift mit der Hand in die gemeinsame Schüssel 
oder, wenn die Speise klebrig ist, mit dem Blechlöffel, der den früher 
üblichen aus Kokosschale mehr und mehr verdrängt. Flüssige Speiseu 
werden mit Tassen aus Porzellan, oder tcheretas aus Kokosschale geschöpft. 

Um 0 Uhr etwa erhebt man sich und nimmt als »desayuno« oder 
>amotsa« (almuerzo) tcha (Thee) zu sich oder tchokolate; (Verbnm: 
tchuma, Thee trinkeu, tchumokolate, Schokolade trinken, kumaf«', Kaffee 
trinken) dazu tortillas aus Mais, die man in eine würzige Brühe taucht: 
finadene aus Essig, Salz, Zitroue, wenig Wasser und Pfeffer (done). Statt 
der tortilla giebt es wohl auch Brot, (importierten) Zwieback oder rosqnete, 
Kuchen aus Arorustarke, Zucker, Eier und Schweineschmalz. 

Um 12 Uhr ßndet das »nataloane«, Mittagessen statt; es besteht aus 
hinegsa (gekochtem Reis) Fisch oder Fleisch, tortilla oder atole (fein ge- 
mahlener oder gesiebter Mais in Kokosmilch gekocht); ferner je nach der 
Jahreszeit digo, suni, Bananen (tchoda), Rima (lemai). 

Als »merienda« um 3 oder 4 Uhr: Kaffee, Schokolade oder aho: 
geschabte junge Kokosnuss unter Zusatz von Arorustarke und Zucker in 
heissem Wasser (also ähnlich dem »waisälo« der Samoaner). Die »cena« 
um 7 oder 8 Uhr des Abends besteht aus etwa denselben Gerichten wie 
das nataloane. Die Brotfrucht, lemai, wird in Wasser abgekocht oder 
in der Asche geröstet, auch in Scheiben geschnitten, an der Sonne ge- 
trocknet und aufbewahrt. Die Kerne des dugdug röstet man wie Mandeln! 

Eine mehr den Karolinern eigene, aber auch zuweilen von den 
Chamorros bereitete Speise heisst matchahan: ein spanutiefes Loch in 
der Erde füllt man mit Steinen aus und macht ein kräftiges Feuer darüber. 
Auf die erhitzten Steine werden dann lemai, Fleischstücke, Fisch etc. ge- 
legt und mit Bananenblättern bedeckt bis sie gar sind; wenig Salzznsatz. 

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Penhod: unter gemahlene reife Kokos werden Fische oder Krebse 
gemengt, in Bananenblätter gewickelt und gekocht oder als matchahan 
gebacken; wenig Salz. 

Fala: roher Fisch mit Zitrone, Salz und gemahlener Kokos. 
Malado: Fleisch oder Fisch wird mit Salz gar gekocht, dann wird 
Gemüse mit Kokosmilch zugesetzt. 

Viele Arten von Muscheln bezw. Schnecken werden in Wasser oder 
Kokosmilch gekocht, die Brühe wird dazu getrunken; auch roh werden 
einige gegessen. Oder man tötet sie in heissem Wasser, giesst sodann 
kaltes darüber und lässt sie so 3 Tage stehen; danu setzt man gemahlene 
Kokos, Zitrone und done (Pfeffer) zu. 

Die Namen dieser Essmuscheln und -Schnecken sind: 

hima = Tridacna elongata Lam. 

doogas = Strombus gibberalus L. (von ihnen findet man allenthalben 
ausgedehnte und tiefe Schichten, die Speisenreste der alten Ohamorros). 
aliling = Turbo setosus Gm., 
pagan = Area maculosa Reeve, 
amson = Mesodesma striatum Chemnitz, 

tapon = Venus puerpera L. (Varietät ohne violette Flecken an der 
Innenseite), 

toro — Pterocera lambis L., 
palos = Spondylus zonalis Lam. 

Suppe ist nicht landesüblich; das Fleisch wird am Spiess geröstet 
oder gebraten. Als Bratfett dient meist Kokosöl, das die Speisen für 
europäischen Geschmack ungeniessbar macht. 

Man sieht, der Marianer hält einen nicht üblen Tisch, Nahrungs- 
sorgen quälen ihn nicht, denn wenn er auch den Reis als tägliche Nahrung 
nicht gern entbehrt, so liefert ihm der Wald mühelos Ersatz hierfür. Es 
ist daher nicht nur übertrieben, sondern falsch, wenn Herr Marche be- 
hauptet: »c'est sans doute a ce genre de nourriture, qu'il faut attribner 
les maladies qui exercent leura ravages dans l'archipel, la lepre par exemple.» 
(M. 23). Es giebt im ganzen 25 Lepröse im Archipel. 

Kleidnng. 

Die Kleidung der alten Chamorros war möglichst einfach, denn sie 
gingen ganz nackt, wenigstens die Männer; auch ihr Kopf war kahl mit 
Ansnahme eines kleinen, fingerlangen Schopfes auf dem Scheitel (G. 47). 
Die üritaus aber, jene lockeren Junggesellen, führten als Zeichen ihrer 
Burschenfreiheit einen Stab, an dem 3 Rollen Baumrinde, 7a Elle lang, 
und grobe Fasern als Troddeln herabhingeu (G. 202). 



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Die Frauen trugen grobe Gewebe aus Rinden- oder Wurzel fasern, 
durch die sie sehr entstellt wurden, denn diese Gewebe, sagt Sanvitores, 
gleichen mehr einem Käfig als Kleidern. Trotz dieser Unschönheit nötigte 
er anch seine männlichen Täuflinge, ihre »sündhafte Nacktheit« in solchen 
Käfigen vor den schamhaften Blicken der Spanier zu verbergen! Da sie 
sich aber »und zwar mit Recht« sagt Sanvitores, lächerlich darin vor- 
kamen und dem Volk zum Gespötte wurden, so trug der Diener Gottes 
selbst einen solchen Schurz über dem Priesterkleid und besiegte damit 
ihren Widerstand und den Geschmack (G. 85). 

Der Festschmuck der Frauen bestand aus Muschel werk, kleinen Perlen 
und Stücken von Schildpatt, die ihnen auf die Stirne herabhiugen. In 
ihr langes, künstlich gebleichtes Haar flochten sie Blumen und um die 
Hüften trugen sie muschelbesetzte Gürtel, von denen kleine, hübsch ge- 
arbeitete Kokosnüsse herabhingen. Ihre Zähne aber schwärzten sie mit 
gewissen Pflanzensäften (G. 58). 

Die heutige Werktagstracht des Mannes besteht aus kurzen bis zum 
Knie reichenden Hosen (katsumes-ca)zonee) aus weissem oder blauem 
Zeug, die durch eine Strippe zugebunden werden, einem kurzen, über 
den Hosen getragenen Hemd (tchiuina) und einem breitrandigen Stroh- 
hut (tuhong) aus Pandanus. Bei der Arbeit wird das Hemd abgelegt, 
zuweilen auch die Hose; dann aber wird das Hemd als Lendenschurz 
vorgebunden. An breitem Ledergurt mit Scheide, der zuweilen auch aus 
Flechtwerk gefertigt ist, trägt der Chamorro sein kräftiges, hier ge- 
schmiedetes Buschmesser (matchete) (Taf. II Fig. 15), als Fussbekleidung 
im dornigen Busch oder auf spitzen Korallen tragt er Sandalen, dog'ga, 
aus Leder oder geflochten aus Pandanus (in Rota), zur Feldarbeit und 
so oft er das songsong (Dorf) verlässt, begleitet ihn stets der aus Pan- 
danus geflochtene Futterkorb (kostat tengguang), in dem sich einige 
faustgrosse Stücke hinegsa (gekochter Reis) befinden, in Kokosblättern, die 
zu Würfeln oder Oktaedern verflochten sind. Die Arbeitskleidung der Frau 
ist ein hochgeschürzter Rock (lupes), ein kurzes Hemd (tchiniua) nebst 
Kopftuch (paniou-ulo). Die Kinder tragen bis zum 6. Jahr ein langes Hemd. 

Sonn- und Feiertags, und wenn er beim magalahe (Amtmann) an- 
zutreten hat, erscheint der Chamorro in langen, weissen oder blau und 
weiss gestreiften Hosen. Darüber hängt ein weisses, bis zum halben 
Oberschenkel reichendes Hemd mit gestärkter Brust und gestärkten Man- 
schetten, goldenen Brust- und Ärmelknöpfen. Der kleidsame, breitrandige 
Pandanushut wird leider immer mehr durch billige Japan wäre verdrängt. 
Die nackten Füsse stecken in absatzlosen Lederpantoffeln; auch weisse 
Segeltuchschuhe sind üblich. Ringe von Silber oder Gold, zuweilen noch 
ein unter dem Hemd an einer Halsschnur getragenes silbernes Kreuz 



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bilden den Schmuck des Mannes. Macht der Chamorro eiue längere 
Reise über See, so hängt ihm die Mutter einen Rosenkranz um den Hals, 
an welchem auf Brust- und Rückenseite ein escapulario hängt, d. h. ein 
Bild der Jungfrau Maria und seines Schutzheiligen. 

Der Sonntagsstaat der Frau besteht aus Unterrock (lupes san halum), 
einem faltigen Kleid, oft mit Schleppe und aus möglichst buntem Zeug, 
auch Seide (lupes san hijung), das mit einem farbigen Baude befestigt 
wird. Ferner ein ärmelloses Unterhemd (tchinina san halum) und ein 
kurzes, weitärmliges Oberhemd aus durchsichtigem, feinem Gewebe. Deu 
freien Hals schmückt eine Kette aus (importierter) roter Koralle mit 
goldenen Zwischengliedern und einem Kreuz aus Bernstein. Dazu kommen 
Ohrringe (alitos) aus Gold, Silber oder Schildpatt (den Kindern werden 
die Ohrläppchen mit einer Nähnadel durchstochen, der Faden bleibt einige 
Tage in der Wunde), ferner Fingerringe aus denselben Stoffen. Das lange 
Haar ist entweder zu einem einfachen Knoten geschlungen, oder häufiger 
als Zopf auf dem Hinterkopfe aufgesteckt. Als Kopfputz dient den wohl- 
habenden Frauen eines jener zarten, mit Blumenstickereien versehenen 
schwarzen Spitzentücher aus Manila, oder ein billigeres farbiges Tuch 
(panion ulo); in der Hand trägt die Chamorrofrau beim Kirchgang das 
panion-kane (Taschentuch) und ihre Füsse ziereu, wenn sie es erschwingen 
kann, rote Strümpfe und weisse Atla&schuhe mit hohen Absätzen; sonst 
die üblichen Schlappen aus Leder. Die Kiuder sind nach dem Vorbild 
der erwachsenen Geschlechter gekleidet. 

Genussttiittel. 

Alle Chamorros kauen Betel : mamaon, auch wie auf den Philippinen 
buyo genannt. Die Nuss pügua (areca catechu L.) wird aufgebissen und 
zur Hälfte, mit oder ohne Schale, in das Pfefferblatt pupulo gewickelt, 
zuweilen mit, in der Regel aber ohne Zugabe von etwas ungelöschtem 
Kalk, afok, der Lippen und Zähne ziegelrot färbt. Alte Leute mit 
mangelhaftem Gebiss stossen das mamaon vor dem Gebrauch im Stein- 
mörser. Die Sitte Betel oder wenigstens das Blatt zu kauen herrschte 
schon bei den heidnischen Chamorros. Le Gobien berichtet S. 51: wenu 
ein Edler au ihrem Haus vorübergeht, so laden sie ihn zum Essen ein 
und bieten ihm ein Kraut au, das sie stets im Muude haben und das 
ihnen den Tabak ersetzt. 

Beide Geschlechter, die Jungen schon mit 9 — 10 Jahren, rauchen 
Tabak und zwar in der Form von Cigarren, die von den Frauen ange- 
fertigt werden. Die Einlage andüyo wird lose zusammengefaltet und 
gerade, nicht schräg in das Deckblatt palillo gewickelt; die Cigarre ist 
daher an beiden Enden gleichdick, walzenförmig, und wird entweder mit 



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55 — 



gabgab-Stärke verklebt, oder mit hilon-tchoda, Bastfaden aus dem Stamm 
der Banane, zugebunden. 

Cigaretten sind nicht üblich, wohl aber bei alten Weibern Pfeifen 
aus Rohr tcbigando-piau oder aus Ton tchigando lauka. 

Alte Leute schnupfen wohl auch feingeschnittenen Rauchtabak ohne 
weitere Zubereitung. 

Der Genuss alkoholhaltiger Getränke ist den Eingebornen verboten. 
Doch besteht seit langer Zeit die wohl von den Philippinen stammende 
Sitte, aus dem Safte der Kokospalme ein berauschendes Getränke »tubac 
zu bereiten. Zu diesem Zweck wird ein Blütenstengel der Kokospalme 
(auf Guam auch der Nipa littoralis) gestutzt, das Ende zugebunden; 
täglich zweimal wird frisch geschnitten und wieder verbunden, bis nach 
drei Tagen der Saft ausströmt, der in einem entsprechend befestigten 
Bambusrohr aufgefangen und zweimal am Tage entleert wird. Oft hängen 
zwei bis drei Rohre an einer Palme, die etwa einen Monat lang je 
dreiviertel Liter Tagesausbeute geben. Unterlässt mau danu ein weiteres 
Anzapfen, so soll die Palme keinen Schaden leiden, vielmehr reichlicher 
Frucht tragen als vorher (?). Aus dem süssen Safte wird durch Ein- 
kochen eine Süssspeise almibad gewonnen. Der gärende Saft tuban 
magsom berauscht und wird heimlich viel getrunken. Er schmeckt recht 
gut, ähnlich dem federweissen Traubenmost. Jedem Familienvater, der 
darum nachsuchte, wurden seither zwei Tnbabäume gestattet; jedoch nur 
für Haushaltungszwecke, um Süssigkeit, Essig und Hefe zu bereiten. 
Das Meiste wird natürlich getrnnken, und da dieses halbvergorene Getränk 
die Gesundheit, besonders der Karoliner, schädigt, so soll seine Bereitung 
allmählich ganz unterdrückt werden. Als Ersatz wird der Biergenuas, 
der durch seine Kostspieligkeit sich selbst beschränkt und keine üblen 
Folgen zeigt, gestattet werden. Ein altes Chamorrogetränk ist »laulanc 
aus Reis und geschabter Kokos hergestellt, von welchem schon Le Gobien 
(G. 57) berichtet, dass es bei den Versammlungen getrunken wurde. 

Heute wird es allerdings un vergoren genossen; aber sein Name 
(laulau = zittern) deutet darauf hin, dass es ursprünglich kein so harm- 
loses Genussinittel war. Aus Citrone und Zucker wird Limonade bereitet 
und ebenso wie Cigarren, Bananen, Reiskuchen und süsses Backwerk 
Sonntags bei den Hahnenkämpfen und anderen Spielen von Kindern feil- 
geboten. 

Sport und Spiele. 

An den Nachmittagen der Sonn- und Feiertage versammelt sich der 
männliche Teil der Bevölkerung auf dem Spielplatz. Eine Anzahl kräftiger 
Hähne mit gestutzten Kämmen, 20—25, sind mittels kurzer Stöcke an 



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- r,6 - 



kleine in die Erde getretene Pflöcke gebunden. Gruppen sachverständiger 
Chamorros und Karoliner schätzen ihre Fechtertugenden und suchen ihr 
Kampfinteresse zu wecken. Haben sich zwei Gegner gefunden, so werden 
sie kunstgerecht >bandagiert«. Am Sporn des linken Fusses wird ein 
etwa 6 cm langes, spitzes Messer mit Bindfaden befestigt; zunächt bleibt 
es noch mit einer Lederscheide bedeckt. Die beiden Besitzer der Hähne 
treten mit den Paukanten auf den durch ein Tau abgesperrten Kampf- 
platz. Sind die Wetten geordnet und die Betrage, deren Summen oft 
100 Mark übersteigen, niedergelegt, so beginnt das Gefecht. Der eine 
Sekundant hält den Kopf seines Hahnes dem andern so hin, daas ihm 
dieser einige aufmunternde Bisse in die Bartlappen versetzen kann, dann 
geschieht dasselbe von der Gegenseite. Hierauf folgt ein Ehrengang, bei 
dem sie mit gesträubten Halsfedern sich anfauchen, aber bei den Schwänzen 
festgehalten werden. Endlich werden die Scheiden abgenommen, die 
Kämpfer erhalten von ihren Sekundanten noch einen anregenden Klaps 
und werden aus einiger Entfernung gegeneinander losgelassen. Gewöhnlich 
dauert es nicht lange und schon der erste Anflug entscheidet; der mutigere 
Draufgänger siegt fast regelmässig, und wenn es ihm auch nicht gelingt, 
was jedoch meistens der Fall ist, dem Gegner einen tötlichen Stich in 
die Brust beizubringen, so wendet sich der schwächere Teil nach immer 
matter werdenden Versuchen, die Ehre zu retten, schliesslich zur Flucht, 
begleitet von dem Hohngelächter der Partei des Siegers. Sein Leben 
hat der Überwundene in jedem Falle verwirkt, er wird sogleich getötet 
und gehört dem Herrn des Siegers. 

Andere Gruppen spielen Tanggano: es wird mit grossen Met allstücken, 
gewöhnlich mexikanischen Silberdollars aus einer Entfernung von etwa 
10 m nach einem auf die Erde gestellten Maiskolben geworfen; jeder hat 
2 Würfe und die Spieler und Zuschauer, die zu beiden Seiten der Wurf- 
linie niederhocken, wetten unter sich auf matumba, er fällt, oder timatumba, 
er fällt nicht. Auch hier wird oft recht hoch gewettet 

Auf der Strasse belustigen sich jüngere Burschen mit Ballspiel, bola: 



A. Der in der Mitte stehende maestro (M.) wirft den 

J. Ball nach I., von wo ihn der zur inneren Partei 

I. (J.) gehörige Spieler mit einem 1 m langen 
A. J. II. M. IV. J. A. Holzstück möglichst weit zurückschleudert. Die 

III. Aussenpartei (A.) sucht den Ball im Fluge zu 

J. fangen, gelingt es, so zählt es für sie 1 Punkt; 

A. anderenfalls müssen die zu ihr gehörigen ihn 



möglichst rasch dem maestro zuwerfen, denn so lange der Ball unterwegs 
ist, laufen die Spieler der Innenpartei über III und IV nach I und haben 
gewonnen, weuu alle 4 dort eingetroffen sind. Die Spieler der Aussen- 



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— 57 — 



partei dagegen gewinnen, wenn sie dreimal den Ball im Fluge erhascht 
haben. Der Einsatz für jeden beträgt 50 Pfennig. 

Bei einem anderen, mehr bei den Karolinern üblichen Spiel, stellt 
sich eine beliebige Anzahl im Kreise auf ; ein Ball wird in die Höhe ge- 
worfen und beim Herabkommen sofort wieder hochgeschleudert. Bei 
wem er hierbei schliesslich zu Boden fallt, der hat verloren. 

Kinder und Erwachsene lassen Drachen steigen, die aus Bambus- 
stäben gefertigt und mit Papier überklebt werden; die japanische, vogel- 
artige Form ohne Schweif heisst »papalote maroc, die herzförmige mit 
Schweif »papalote karason«. 

Tolompo« ist ein Kreisel aus Holz mit aufgewickelter Schnur, deren 
Ende man in der Hand behält; einer der Spieler wirft seinen Kreisel 
nach einem Loch in der Erde; trifft er nicht, so muss er ihn in das 
Loch legen und die andern werfen nun nach ihm und suchen ihn zu 
zertrümmern. Der »tolompon gasgas« genannte Kreisel (Taf. II, Fig. 9) 
tragt einen Nagel mit einer Blechhülse, auf welche die Schnur aufge- 
wunden ist. Er wird geworfen, summt in der Luft, ohne die Erde zu 
berühren, und die Schnur wickelt sich von selbst wieder auf. 

»Casillast ist ein Spiel, bei welchem mit einem Geldstück aus 5 m 
Entfernung nach einem in Quadratdezimeter eingeteilten Brett geworfen 
wird; derjenige gewinnt, dessen Münze in ein Quadrat so zu liegen 
kommt, dass sie keine der Linien berührt. 

»Görumai«: der eine der beiden sich in 10 m Entfernung gegen- 
überstehenden Spieler wirft dem andern aus einem halbierten Bambusrohr 
einen Stab zu, den jener mit einem Stock zurückzuschaudern sucht. 
Dann wirft ihn der erste Spieler in die Höhe und schleudert ihn mit 
seinem Stock zurück, oder er legt das Stäbchen auf einen Stein, schlägt 
auf das überragende Ende, uud schnellt ihn so dem Partner zu — ein 
fast vergessenes Spiel, das nur alte Leute noch kennen. 

Die Mädchen spielen mit kleinen Muscheln oder runden Steinen 
»Pilai«. Nach einer Reihe Muscheln wird aus kurzer Entfernung mit 
dem Mittelfinger ein Steiuchen geschnellt; die aus der Reihe geschossenen 
Muscheln sind gewonnen. 

»Patabara«: Vor dem auf der Erde sitzenden Kind liegt eine An- 
zahl Muscheln; es wirft einen Stein in die Höhe und erhascht bis zum 
Niederfallen so viele der Muscheln, als es kann. 

»Tchikic und »Tangjau«: Das Kind wirft eine Anzahl Muscheln in 
die Höhe und fangt sie mit dem Rücken der Hand wieder auf. 

»Tchonka«: ein Holzbrett mit 2 Reihen zu je 7 Vertiefungen, in 
welchen bei Beginn des Spieles je 7 Steinchen, Schnecken oder Muscheln 
liegen (Taf. III, Fig. 1). Beiderseits am Ende des Brettes ist die Kasse 



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- 58 - 



jedes der beiden Spieler. Der erste nimmt den Inhalt eines seiner 
7 Häufchen und legt von rechts nach links je 1 Muschel in die nächst- 
folgenden, in seine Kasse, dann in die Fächer des Gegenspielers. Er 
endet in einem der letzteren, nimmt dessen Inhalt und zählt in derselben 
Weise weiter, ohne aber etwas in die Kasse des Gegners zu legen. Endet 
er in einem seiner Ställe, der leer ist, so darf er den Inhalt des gegen- 
überliegenden in seine Kasse legen, aber nicht weiter spielen. Endet er 
in einem leeren Stall des Gegners, so spielt dieser weiter. Es kommt 
darauf an, möglichst viele Muscheln in seine Kasse zu bekommen. 
Schliesslich sind nur noch wenige Muscheln in den Ställen und das Spiel 
kann sich sehr in die Länge ziehen. 

Kleine Kinder spielen mit Rasseln aus kleinen Kauri-Schnecken, die 
an Kokosfäden befestigt und in Bündeln zu 10 oder 20 vereinigt sind. 
Im übrigen wird Kinderspielzeug aller Art aus Japan eingeführt. 

Musik, Tanz, Festlichkeiten. 

Die alten Chamorros waren grosse Musikfreunde und der katholische 
Gottesdienst mit seinen Gesängen und Feierlichkeiten erleichterte den 
Missionaren ihre Werbearbeit. Als sich die Eingeborenen bei der An- 
kunft der Schiffe scheu zurückhielten und nicht an Bord korameu wollten, ^ 
Hess Sanvitores die Litanei der Jungfrau anstimmen, und alsbald kamen 
sie herbei, mischten sich unter die Spanier und sangen mit. (G. 95.) Beim 
Einzug in die Dörfer wurde die Christenlehre gesungen, die San vi to res 
in Chamorro- Verse übersetzt hatte; und alle kamen und lauschten, denn 
sie liebten den Gesang. (G. 95.) 

Bei ihren Festlichkeiten stellen sich 12 oder 13 reich geschmückte 
Frauen im Kreise auf. Ohne sich vom Platze zu bewegen, singen sie die 
Lieder ihrer Dichter mit einer Anmut und Schulung, die selbst in Europa • 
gefallen würde. In den Händen haben sie kleine Muscheln nach Art der 
Castagnetten. Alle Zuschauer aber sind entzückt von den ausdrucks- 
vollen Geberden und Bewegungen, die ihren Gesang begleiten. (G. 58.) 

Auch die Männer unterhielten sich mit Tanz und Wettspielen; im 
Laufen, Springen und Ringen stählten und prüften sie ihre Kräfte. Sie 
erzählten die Abenteuer ihrer Väter und sangen die Lieder der Dichter. 

Mit ihrer Unterwerfung verschwanden diese heidnischen Gebräuche 
und geistliche Lieder ertönten an Stelle der »unreinem weltlichen 
Gesänge. 

Auch der heutige Chamorro liebt die Musik, Gesang und Tanz, und 
er benutzt jede Gelegenheit, um für seine Sipp- und Freundschaft ein 
Gelage mit anschliessender Tanzmusik zu veranstalten: Heirat, Geburt 
und Tod, die Reisernte und die Dachdeckung. Die Eingeladenen müssen 



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aber die Kosten bezahlen, jeder giebt 5, 10, 15 Mark in die Kasse des 
Gastgebers, der mit einem fetten Reingewinn abschneidet. Auch Natural- 
beitrage werden geleistet, ein Schwein, Zucker, Essig etc. Für jedes am 
Fest teilnehmende Familienmitglied inuss etwas gegeben werden. Es wird 
sorgfältig gebucht, was jeder gestiftet hat, denn wenn demnächst einer 
der Gäste selbst ein Gelage stellt, so erhält er genau den Betrag zurück, den 
er zum »tchentchulec seinerzeit eingezahlt hatte: so werden diese Ver- 
anstaltungen bezeichnender Weise genannt, denn tchule heisst bringen 
uud tchontchon das Nest, also ins Nest zusammentragen. »Tchentchuloc 
heisst ein Fischnetz, jenes Wort könnte also, da es ja in übertragener 
Bedeutung einen Fischzug bezeichnet, auch hiervon abgeleitet sein. 

Einem Haus mit oft wiederkehrenden Familienereignissen froher und 
trauriger Natur und ausgedehnter Sippe klingt das Geld im Kasten und 
kinderarme Verwandte und ledige Vettern beeilen sich Schritt zu halten, 
um wieder auf ihre Auslagen zu kommen, denn eine Einladung kanu 
man nicht ablehnen. So geben dann oft recht gewagte Korabinationen 
den Anlass zum Vergeltungsgelage, z. B. der Fandango (Polterabend) 
eines Dienstboten im Hause, die Geburt eines ausserehelichen Enkels von 
Tochter- oder Sohnesseite, und wenn auch dies versagt bleibt, so werden 
einem oder etlichen Heiligen »novenas« veranstaltet: d. h. es versammeln 
sich an neun aufeinander folgenden Abenden die frommen Verwandten in 
dem Hause des Festgebers zu Gebet und Gesang. Am neunten Tage 
findet nach Beendigung des Lobgesanges das Gelage statt. Auch wenn 
einer der Geladenen nicht teil nimmt, muss er doch seinen Beitrag zu- 
steuern; man schickt ihm dann einen Teil der Speisen ins Haus. Zum 
Festessen selbst werden in den besseren Häusern Tische und Stühle auf- 
gestellt. Da die Zahl der Plätze und Gedecke für alle Anwesenden nicht 
reicht, so wartet die zweite und dritte Abteilung, bis die vorhergehende 
abgespeist ist. Der Gastgeber und Frauen setzen sich überhaupt nicht 
zu Tisch, sondern sehen zu oder essen abseits. Junge Leute des Ortes, 
welche unentgeltlich mitschmausen uud später tanzen wollen, besorgen 
die Küche und tragen die Speisen auf, die, reichlich au Zahl und Masse, 
alle zu gleicher Zeit auf den Tisch gestellt werden. Als Getränk dient 
Wasser, Limonade, Kaffee, Kakao mit »broas« (Kucheu aus Maismehl), 
selten einige Flaschen Bier. Gesprochen wird wenig bei Tisch, aber um 
die Wette gegessen; man schwelgt im Fleische, um seinen Beitrag mög- 
lichst herauszukriegen. 

Schliesslich werden die Tische weggeräumt und der Tanz beginnt. 
Schon vorher hat ein eigenartiges Orchester zur Tafel aufgespielt: eine 
Violine, Ziehharmonika, Guitarre und Triangel; vielleicht wurde auch 
noch aus dem Pfarrhause das Harmonium geliehen. Selten sieht man 



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noch das »belemban-tuyan« (Taf. II Fig. 8), ein 2 m hoher Holzbügel 
mit einer Metallsaite trägt etwa in der Mitte einen halben ausgehöhlten 
Kürbis als Resonanzboden, der mit der breiten Öffnung auf den Bauch 
(tnyan) gesetzt wird. Dieser Kürbis ist dnrch eine über Saite nnd Bügel 
gehende Schnur befestigt und dient hierdurch auch zum Spannen der 
Saite und zar Abstimmung der beiden Töne. An Stelle der Metallsaite 
soll früher eine solche aus Hibiscus-Faser üblich gewesen sein. Die Saite 
wird mit einem Holzstäbchen angeschlagen und giebt nur zwei reine Töne. 
Das »belemban-batchott (Taf. II Fig. 17) ist ein Bambusstück, in welches 
eine Zunge geschnitten ist. Das Instrument wird auf den halbgeöffneten 
Mund (batchot) gehalten, seine Znnge mit dem Finger in Schwingung 
versetzt und hineingesungen, so wie man auf einem Kamm musiziert. 
Die Muscheltrompete dient nur als Signalhorn, nicht als Musikinstrument; 
ihr Gebrauch war den Alten der vorspanischen Zeit bekannt, denn ich 
fand in Ruinen und Höhlen mehrere solcher Tritonshörner mit dem künst- 
lich hergestellten (seitlichen) Blaseloch. »Die Missionare lehrten ihre 
Schüler in den Semiuaren europäische Musikinstrumente« (G. 296). 

Die Tänze sind gleichfalls ausschliesslich europäische: Walzer, Polka, 
Mazurka, Contretänze und der spanische Fandango als Hochzeitstanz des 
Brautpaares. Nur ein Tanz »Kanakac wird von Jungen zuweilen auf- 
geführt, der aus gewissen, den Karolinentänzen eigenen Bewegungen des 
Körpers besteht und lediglich eine Parodie derselben darstellt. 

Gesungen wird wenig; ausser geistlichen Liedern in der Kirche und 
bei den »uovenas« giebt es nur ein einziges Ghamorrolied, dessen Melodie 
ich aber bereits in Südamerika gehört zu haben glaube. Es lautet: 



An gumupo si paluma 
Ja tumoh'gue gi bentana 
Para hufaisen i tchclumo 
Hafa tairoano si nena. 

Nana lan na gadbon flores 
I gumuho gi bentana 
Ja manlegnia bai hutife 
Sa esta jujog minasania. 

Nai hutchiko i fasumo 
Ilegmo nanalan na tan tan 
Nai monhajan ban umomag 
I panjuho un sinausan. 



Die Taube kommt geHogen 
Und setzt sich auf das Fenster, 
Und fraget den Bruder 
Wie es dem Liebchen geht. 

0 sieh die schöne Blume 
Die dort am Fenster blüht, 
Besser schon, ich breche sie, 
Denn sie ist reif zum Pflücken. 

Wenn ich küsse deine Wange 
Sagst du: nein, was für ein Mensch! 
Und wenn du ans dem Bade kommst 
Trocknet dich mein Tuch. 



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Para unoha karasonho, 
Lau bai nae i neniho 
Diolo jo sin korason 
Solo pot i pinitiho. 

An nn hasso hutchumiko 

Tchiko i punton guienglio 
Ja tchiko un na duro 
Asta lalaulan Buisenho. 



Nur ein Herz habe ich, 
Doch ich gab's der Geliebten 
Und sie lässt mich ohne Herz 
Allein mit meinem Weh. 

Doch ich küsse dich, wenn mir's 
beliebt, 

Mit der Spitze meiner Nase 

Küsse ich dich glühend, 

Bis mir die Sinne schwinden. 



Die Zahl der Verse ist unbegrenzt, jeder Sänger erfindet neue. 



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nai mon - ha-jao lian 



a - mo- 



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si • Dan • san. 



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- 62 — 



Gewerbe, Handel. 

Die geistigen Bedürfnisse der heutigen Chamorros sind sehr gering. 
Ihr Interesse beschränkt sich auf die kleine Welt, in der sie leben. Sie 
verlassen nicht gern ihre Heimat, und wenige haben als Matrosen auf 
Walfischfängern San Francisco oder Japan kennen gelernt. Die meisten 
bleiben zeitlebens anf der Insel ihrer Geburt und lernen selbst diese nicht 
gründlich kennen. In der Heidenzeit gingen ihre Boote von Insel zu 
Insel; aber seitdem diese entvölkert wurden, hörte auch ihre Schiffahrt 
auf. Noch bis in die 80iger Jahre des 19. Jahrhunderts verkehrten in- 
dessen Hochseeboote zwischen Guan, Rota, Tinian und Saipan. Als aber 
einige derselben verunglückten, verbot das spanische Gouvernement diese 
Art des Verkehrs ganz und gar. 

Die spanische Verwaltung hatte sie aus ihren über die Inseln zer- 
streuten Höfen in grösseren Ortschaften, um die Kirchen, angesiedelt und 
sie dem früheren Naturleben entwöhnt, ohne sie aber nun zur Arbeit zu 
erziehen, ihnen neue Interessen zu schaffen und sie damit für die Kultur 
zu gewinnen. Man schickte zwar europäische Handwerker in die Dörfer, 
um die Kingebornen zu unterrichten im Spinnen, Nähen, Weben, Gerben, 
in Steinmetz- und Maurerarbeiten, Handwerke, »die ihuen völlig unbekannt 
waren« (G. 296). Aber diese Fertigkeiten blieben Kunststücke, die sich 
nicht zu Gewerben entwickeln konnten, da keine Nachfrage nach diesen 
Leistungen und Erzeugnissen vorlag. Ihr Christentum ist ganz oberflächlich 
trotz scheinbarer Frömmigkeit. Und trotz ihres Stolzes und Eigennutzes 
lässt ihre Trägheit es nicht zu, über den Bedarf zu arbeiten. Es giebt 
keine Handwerker in unserem Sinne, die ihr Gewerbe als ausschliesslichen 
oder Hauptberuf betreiben. Es giebt Schmiede, Schreiner, Schneider, 
Schuhmacher, Gerber, Silberschmiede, die oft ganz gute Arbeit liefern, 
allein ihre Haupttätigkeit besteht in der Bestellung einer Fläche mit Mais 
und Süsskartoffeln, die bei günstigem Ertrage eben zum Unterhalt der 
Familie hinreicht. Tritt eiue Missernte ein, nun, so liefert ja der Wald 
Brotfrucht in Menge, die paar Kokospalmen geben einen Erlös, der zur 
Bestreitung der »höheren« Bedürfnisse, Reis, Kleidung etc. genügt. Im 
Notfall und aus Gefälligkeit wird auch einmal geschmiedet, geschreinert, 
geschustert, im allgemeinen nicht für Geld, sondern für gelegentliche 
Gegenleistungen. Geld weiss man kaum zu schätzen, denn man braucht 
es ja nicht unbedingt zum Leben, nur zum Hahnenkampf und zum Tang- 
gano ist es erforderlich; aber ebeu dort sieht man, wie im Handumdrehen 
5, 10 Pesos gewonnen werden, und da soll einer noch Lust haben, für 
die gleiche Summe einen Monat zu arbeiten V Lieber geht er da fischen 
und kehrt nach meilenlangcm Weg am glühenden Strand des Abends mit 
zwei kleinen Fischen und einem Krebs zurück. 



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63 — 



Ähnlich ist es mit dem einheimischen Handel, d. h. es giebt eigent- 
lich keinen Markt und keinen Laden; Kinder verkaufen Sonntags 
Limonade und Zigarren und verspielen alsbald den Verdienst. Es ist 
etwas besser geworden, seitdem die Steuer- und Arbeitspflicht streng und 
allgemein durchgeführt wird, denn am Mouatsschluss kann der Eingeborne 
nach Belieben seine Arbeitsmarken sich zu je 75 Pfennig auszahlen, oder 
auf seine Arbeitspflicht verrechnen lassen; meistens wählt er das erstere 
und bleibt also auch für den nächsten Monat noch arbeitspflichtig. So 
lernt er den Wert von 75 Pfennig als eine Tagesleistung schätzen und 
sucht auch auf andere Weise zu verdienen. 

Der Hauptgegenstand des einheimischen Handels ist die Kopra, 
welche, zu 7 Mark der Zentner, von den japanischen Händlern aufgekauft 
und nach Jokohama verschifft wird. Seit der deutschen Herrschaft be- 
steht auch eine eingeborne Handelsgesellschaft, welche mit sichtbarem 
Erfolg arbeitet und auf zwei eigenen Schiffen Handel mit Jokohama und 
Guana treibt. Die Eingebornen ernten ihre Kopra nach Bedarf, d. h. 
wenn sie Geld brauchen. Sie sammeln dann nicht nur die am Boden 
liegenden Nüsse (nijok), sondern sie hauen auch die noch nicht ganz 
reifen ab und erleiden hierdurch eine nicht unerhebliche Einbusse durch 
Eintrocknung. Aber das ist nicht der grösste Schaden, den sie sich zu- 
fügen: um die Baume bequem ersteigen zu können, hauen sie tiefe Kerben 
als Stufen in die Stämme, in denen sich Feuchtigkeit und Schmarotzer 
ansammeln, Fäulnis verursachen und die Palmen um einige Jahrzehnte 
vor ihrem natürlichen Ende zum Absterben bringen oder wenigstens un- 
fruchtbar machen. Aber für solche in der Zukunft liegenden Folgen hat 
der Chamorro ebensowenig Verständnis wie fürs Sparen. 

An zweiter Stelle als Handelsartikel kommt Tabak (tchupa). Früher 
soll er nach Manila verkauft worden sein, heute ist er nur Gegenstand 
des Binnenhandels. Er wird nach dem Trocknen in palillos zu 10 Blättern 
gelegt; 16 palillos sind eine mano. Eine regelrechte Fermentierung fiudet 
nicht statt, der Tabak ist daher in Europa unverkäuflich. Die Einge- 
bornen ziehen ihn jedoch jeder fremden Zigarre vor. 

Geld, Maasse und Gewichte. 

Die mano tchupa im Werte von etwa 1,50 Mark vertritt zuweilen 
heute noch das Geld, man rechnet nach manos. Braucht ein Chamorro 
Geld, so verkauft er dem Nachbar seinen Tabak zu 50 Pfennig die mano, 
lieferbar nach der Ernte. Er muss bis dahiu alle Arbeiten im Tabaks- 
feld verrichten; das Darlehen kann aber auch vorher nicht zurückgefordert 
werden. Missrät die Ernte, so muss der Gläubiger warten bis zum nächsten 
Jahr. 



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Ein anderer kauft Tabak vom Nachbar, lieferbar sofort und zahlt 
mit seinem noch auf dem Halme stehenden oder eben erst gesaeten Reis, 
lieferbar nach der Ernte. Dann wird 1 mano tchupa gerechnet = 1 kaban 
fae (ungeschälter Reis), 1 kaban = 25 gantas, 1 ganta = 8 tchupa; 1 
ganta = 3 Liter. 

Mais (maes) wird gemessen nach tinahas = 16 gantas. 

Nach Gewichten wird im einheimischen Handel nicht gerechnet 
Längenmasse sind: die braza, von Fingerspitze zu Fingerspitze der wage- 
recht gestreckten Arme; die bara, von der Fingerspitze bis zur Brustmitte, 
also = Vi braza; der codo (Elle) von Fingerspitze bis Ellenbogen; die 
kuatta (cuarte), Spanne, von der Spitze des Daumens bis zur Spitze des 
kleinen Fingers, 4 kuatta = 1 bara, 1 bara = 0,836 m. Maß im allge- 
meinen heisst (veraltet) tchinage von tchage, prüfen. 

Als Geld diente bis zur Einführung der Markrechnung der mexikanische 
(bezw. philippinische) Silber-Peso (2 M.) = 8 reales zu je 20 cuartos. 

Die in Taf. III, Fig. 2 a— d abgebildeten halbmondförmigen Steine 
mit durchbohrten Spitzeo, die in drei verschiedenen Grossen auf Tinian, 
Saipan und Alamagan gefunden wurden, scheinen das Geld der Alten ge- 
wesen zu sein. Acht der grössteu Sorte wurden aufrecht stehend in 
einem aus gebrannten Ziegeln hergestellten, vergrabenen Behälter in den 
Ruinen auf Alamagan gefunden. 

Das Handwerkszeug der Alten, Äxte, Meissel, bestand aus Basalt 
oder aus Tridacna- Muschel (Taf. III, Fig. 3 — 5). Eisen lernten sie erst 
durch die Spanier und Holländer kennen und schätzen. Zuweilen findet 
man in den Ruinen und Höhlen lange Schiffsnägel und roh gearbeitete 
Eisenäxte (Taf. III, Fig. 6). 

Die Einrichtung einer Schmiede besteht wie in Europa aus einer 
Esse mit Blasebalg, der aus Leder und Brettern hier verfertigt ist. Ge- 
feuert wird mit Holzkohle, die der Schmied selbst in Meilern herstellt. 
Ambos, Schmiedehämmer, Schraubstock, Zangen sind importiert. 

Es werden hier hauptsächlich die schweren, vorzüglich geeigneten 
Buschmesser (Machete) (Taf. II, Fig. 15) geschmiedet, die der leichten 
europäischen Waren entschieden überlegen sind, ferner kleinere Messer, 
fusimos (Taf. III, Fig. 13), Nägel. Der Schmied liefert aber auch nach 
Modell jede andere Arbeit in solider Ausfuhrung. Das Rohmaterial wird 
als Rund- oder Stabeisen aus Japan eingeführt 

Der Silberschmied macht auf Bestellung recht hübsche, sauber ge- 
arbeitete Ringe, Knopfe, Rosenkränze, Ohrringe, Trinkbecher aus Kokos- 
schale mit Silberbeschlag etc. ; das nötige Metall liefern Silber- oder Gold- 
münzen. Eigentümliche Bronzegefässe werden in den Ruinen von Rota 
gefunden (Taf. III, Fig. 8—10). Sie haben sämtlich einen Ansatz im 



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Boden, in dem früher einmal ein Nagel befestigt gewesen zu sein scheint 
(s. Fig. 9 a). Ihr Zweck ist unbekannt, doch stammen sie sicher von 
auswärts, wahrscheinlich aus einem Schiffbruch 1 ). Heute werden sie von 
den Eingebornen als Öllämpchen benutzt Sonst dient, wo keine Petroleum- 
lampe vorhanden ist, Tridacna (hima) -Schale diesem Zwecke, aus welcher 
ein Docht von Baumwolle über den Rand hängt. Das öl wird aus der 
geschabten Kokosnuss durch Auskochen gewonnen. 

Mit der zunehmenden Verwendung von Brettern zum Hausbau und 
von Mobein in den besseren Familien hat sich ein Schreinerge werbe ent- 
wickelt, das allerdings meist von Tagalen ausgeübt wird. 

Das spärliche und jeder Eigenart entbehrende Schnitzwerk in den 
Kirchen ist mit dem Meissel hergestellt. Geländerstangen an Fenstern uutl 
Erkern werden auf der importierten Drehbank gedrechselt. 

Gerberei (tumo). 

Das Lcder für Pantoffeln, Schuhe, Sandalen, Riemen etc. wird in 
folgender Weise zubereitet: Die rohen Felle werden 15 Tage in Kalk- 
wasser eingeweicht, hierauf mit dem Messer im Meer gereinigt. Zur 
Entfernung des Kalkes legt man sie dann in der Regel '/» Tag in Zitronen- 
wasser, oder (in Guam, wo Branntwein gebrannt wird) in Tubaschlempe. 

Als Gerbniasse wird die Rinde von Mangrove oder von Camachil 
mit dem Messer zerkleinert und zugleich mit den Fellen in kaltem Wasser 
eingeweicht. Alle zwei Tage wird die Masse tüchtig durchgearbeitet, 
nach Vi bis 1 Monat ist das Leder gar. Färben heisst gleichfalls tumo. 
Diese Kunst wird von den Chamorros fasst gar nicht mehr geübt. Früher 
wurde Indigo (augiles) gebaut. Caesalpinia-Reisig, >sibogao<, mit ge- 
branntem Kalk in Wasser gekocht, giebt eine schön karminrote Farbe, 
die als Tinte, nicht aber zum Zeugfärben benutzt wird. Dieses Holz 
wurde eine Zeitlang in grösseren Mengen ausgeführt. 

Ein Absud von Mangroverinde, unreifer Koko, Guayabenrinde und 
einer >ti'tumo« genannten Pflanze färbt Stoffe dauerhaft schwarz und wird 
zuweilen noch verwendet 

Die Kleiderstoffe werden heute ausnahmslos eingeführt, nur die 
Karoliner stellen sich ihre Lendenschurze und -Binden mit einem primitiven 
Webstuhl aus den Fasern von Banane, Ananas u. a. selbst her, 
die sie vorher mit heimischen Stoffen gefärbt haben. Vermutlich haben 
die Voreltern der Chamorros ihren spärlichen Bedarf an Kleidungs- 
stücken in derselben Weise gefärbt und gewoben, doch ist hierüber nichts 

') Form und Material der Nagelköpfe lässt darauf schliessen, dass sie aus Japan 
stammen. Ähnliche Nagel dienen dort als Beschlag zur Verzierung der Tempel. R II. 

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Zuverlässiges bekannt, von einer Beschreibung des Karoliner Webstuhls 
wird hier deshalb abgesehen. 

Die Baumwollstaude ist über alle Inseln verbreitet. 8ie wird jedoch 
nicht angebaut, sondern ist verwildert; vermutlich wurde sie schon in der 
Missionszeit eingeführt, denn ich fand einige Pflanzen auf dem seit Ende 
des 17. Jahrhunderts entvölkerten, schwer zuganglichen Mang. Mittelst 
einer einfachen Spindel — einem Holzstäbchen, das unten eine Holz- oder 
Lederscheibe trägt: »malakate« — spannen sich früher die Eingebornen das 
Garn für ihre Fischnetze; auf Rota und wohl auch in den Landorten von 
Guam ist dies Verfahren heute noch üblich. 

Stricke (hahlun) zu 2 oder 3 Fäden werden aus Hibiscusfaser (pogse) 
mit der Hand gedreht; die besseren, zur Herstellung der talaja-Netze 
dienenden Schnüre zuweilen auch aus Ananasfaser. Dickere Seile und 
Tane (mekate) zu 2 oder 3 Strängen werden gleichfalls aus Hibiscus mit 
dem »birador«, bestehend aus einer dnrchlochten Scheibe als Führung für 
die Einzelstränge, einer Kurbel, welche das Seil dreht und einer einfachen 
Holzgabel am Vereinigungspunkt, hergestellt. 

Die Karoliner, nicht aber die Chamorros, verfertigen mit der Hand 
bessere Taue und Stricke aus der Faser der Kokosnuss, welche vorher 
eine Woche lang im Meer eingeweicht wurde. 

Flechtarbeiten. 

Wie oben erwähnt, werden die Aussen- und Innenwände der Häuser 
aus aufgeschlitztem Rohr oder aus Palmblättern geflochten. Letztere dienen 
auch zur Herstellung der gewöhnlichen, wenig dauerhaften Körbe: ala, 
alandoble, guagua (dieser etwas sorgfältiger gearbeitet, mit Boden). Die 
Schlafmatten guafak, breitrandige Hüte tuhong und gute, dauerhafte 
Körbe kostat tengguang, der Futterkorb und köddot werden aus trockenen 
Pandanusblättern, agag, verfertigt. Zunächst werden die scharfen Zähne 
des Blattraudes entfernt, das Blatt dann zusammengerollt, nachts wieder 
aufgerollt, bis es ganz trocken ist und schliesslich mit einer spitzen Nadel 
si'e (Taf. III Fig. 11) in Streifeu von der gewünschten Breite geteilt 
Geflochten wird mit der Hand. 

Ackerbau. 

Kokos, Bananen und Reis scheinen die einzigen Kaitarpflanzen der 
alten Chamorros gewesen zu sein, vielleicht wurde noch suni (Taro) 
zwischen Reis wie in Rota und in Sumpflöchern (wie auf den Karolinen) 
gebaut. Der Wald lieferte ihnen Kokos, Brotfrucht und viele Wurzeln; 
die Kokale hatten ihre bestimmten Besitzer und erbten in der Familie 
fort und zwar, wie wir oben sahen, nicht auf die Kinder, sondern auf 



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die Brüder oder Neffen des Verstorbenen» der Erbe nahm den Namen 
des Grundstückes an. Sie waren (und sind beute noch) benannt nach 
benachbarten Felsen, Hohlen, Flüssen, nach der nahen Brandung oder 
dem Strande, oder der von hier aus sichtbaren Nachbarinsel, häufig gab 
auch die Gestalt eines Hügels, Hanges oder einer Landzunge ihnen den 
Namen menschlicher Körperteile, oder es erinnert ihre Benennung an 
auffallende Ereignisse; Erdbeben, Stürme, Blitze, Geistererscheinungen, 
Tod, Geburt, deren Schauplatz sie waren. Auf Rota sind solche »Ge- 
wanne« mit feststehender, überlieferter Bezeichnung, die oft schwer zu 
deuten und selbst den Eingebornen nicht mehr verstandlich ist, häufig 
nicht grosser als ein Hektar. Mit der Entvölkerung nnd dem hieraus 
folgenden Überfluss an Land verlor sich der Begriff des Grundeigentums, 
der Wald und seine Kokosbäume wurde jedermanns Eigen, das frühere 
Kulturland verhaperte und ward zur Savanne. Nur die Reisfelder in Quam 
und Rota blieben zum Teil unter dauernder Kultur und in festem Besitz. 

Erst als in dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts die Kopra- 
ansfuhr begann und die Kokospalme immer steigende Gelderträge abwarf, 
suchten sich die Eingebornen wieder festen Grundbesitz zu sichern. Die 
spanische Gesetzgebung erleichterte dies. Die »Ley Hipotecaria para las 
Provincias de Ultramar« von 1893 bestimmte, dass jeder, der den tat- 
sächlichen, wenn auch noch so kurzen Besitz eines Grundstückes nach- 
wies, dieses auf seinen Namen in das Register eintragen lassen konnte. 
Diese Vergünstigung wurde weitgehend, oft mißbräuchlich benutzt. Heute 
hat fast jeder Chamorro seiuen festen Grundbesitz; doch kommt es vor, 
dass einer Anspruch auf Kokosbäume erhebt, die auf dem im übrigen 
unbestrittenen Grundstück eines andern stehen. Denn es herrschte seit- 
her die Auffassung, dass die Bäume dem gehören, der sie gepflanzt hat 
nnd alle übrigen dem Staate; das Nutzungsrecht an den letzteren steht 
aber nach altem Brauch jedem zu. Auf Guguan und Medinilla sind 
keine Kokospalmen. 

Die Pflauzkokos werden etwa ein Jahr lang dicht nebeneinander 
an einen schattigen Ort gelegt und in der Regenzeit verpflauzt; sie haben 
danu meist meterlauge Triebe und starke Wurzeln angesetzt; letztere 
werden glatt abgeschnitten und die Nuss nach dürftiger Reinigung und 
Auslichtung ihres Standortes mit etwas Erde bedeckt. Die Pflanzweite 
beträgt 8 — 10 m. Eine Bodenlockerung, sorgfältige Bereitung eines 
Kubikmeter-Loches und Schonung der Wurzeln, wie es die Theorie 
als unerlässlich verlangt, findet niemals statt; und doch gedeiht die 
Palme und trägt nach 6 bis 8 Jahren reichlich Frucht. Leider 
herrscht, wie überall in Mikronesien, die Unsitte, Stufen in den Stamm 

zu hauen, welche Fäulnis und frühzeitiges Absterben der Bäume ver- 

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Ursachen. Ausser der vielseitigen Verwendung der Früchte als Speise, 
Getränk und zur Ölbereitung, der harten Nussschale zu mancherlei Ge- 
fässen, des sie umgebenden Bastes zur Verfertigung von Tauen, des 
Saftes zu Essig und Alkohol, dienen die Blätter zur Bedachung und zu 
Flechtwerk, die Stämme zu Hauspfosten. Im ersten Stadium, bis zu 
Eiergrösse heissen die Früchte dadek, später aplok, halbreif zum Trinken: 
muoha, fast reif: masüo, ganz reif: nijok. Die Kokospflanzung: fanijükan. 

Auch die Banane ist heimische Kulturpflaoze; sie findet sich ver- 
wildert auf allen Inseln, und wird in zahlreichen Arten angebaut In 
Entfernungen von 3—4 m werden Pflanzlocher von 50 cm Tiefe mit dem 
Fusinios (Taf. III Fig. 13) gegraben, in welche der kurz über der Wurzel 
abgehauene, etwa mannshohe Schössling eben hineinpasst. Die unreife 
Frucht (welche gekocht oder gebraten wird) heisst tchöd'da, die reife 
aga. Es giebt zahlreiche Arten: aga-tauluke, 25 — 30 cm lang, kantig 
mit orangegelbem, nach Käse riechendem Fruchtfleisch; aga-manila von 
derselben Form aber kleiner, ähnlichem Geschmack, fleischfarben, a. bidia, 
dünn, grün auch in reifem Zustande, a. galajan, a. dama, a. dedo, 
a. guahü. a. halam-tano (Wald-Banane) mit erbsengrossen essbaren Kernen. 

Die Brotfrucht, ruma, chamorro: lemai wird nicht angebaut, scheint 
aber, trotzdem sie der Missionsbericht nicht erwähnt, schon in vorspanischer 
Zeit auf den Marianeninseln vorgekommen zu sein. Ich fand sie auf 
Assongsong, nicht aber auf Maug, Sarigan, Guguan, Medinilla. Die 
schmackhafte Frucht wird in mannigfacher Zubereitung genossen, dient 
ausserdem neben den Blättern als Futter für Rindvieh und Schweine, 
das Holz (besonders der »dugdug« genannten Varietät, deren Frucht 
Kerne führt), zur Herstellung von Booten, der Milchsaft, mit rotem Lehm 
verrührt, ergiebt den wasserbeständigen Anstrich der Karolinercanoes. 
Man findet ausgedehnte Brotfruchthaine, doch deutet dies nicht auf kunst- 
liche Anpflanzung, da sie sich durch Wurzelausschläge vom Mutterbaum 
aus weit verbreiten. 

Der Reis wird in den sumpfigen Niederungen auf Guam, in Rota 
auf terrassierten, von Kanälen durchzogenen Hängen angebaut 

Ich führe hier das an, was ich über die Reiskultur auf Rota im 
XIV. Band 3. Heft der Mitteilungen aus den deutschen Schutzgebiete» 
berichtet habe: Der Fluss (sadok) Hokog auf der Südkuste von Rota fallt 
über mehrere Terrassen ins Meer. Einige derselben sind nach einem 
wohlerwogenen System künstlich in Felder abgestuft, zwischen denen 
grössere und kleinere Gräben das dem Flusse abgestaute Wasser auf- 
nehmen. Die Wasserzu- und -abfuhr wird durch Steine an den Mündungen 
der Gräben geregelt. Die Anlage erstreckte sich früher auf mehrere 
Terrassen, heute ist nur etwa ein Drittel der früheren Fläche bestellt 



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nnd zwar mit Reis, Taro u. a., auch etwas Kaffee und Kakao; sie über- 
ragt weit die Intelligenz und Tatkraft der heutigen Chamorros. Die Reis- 
felder wurden in folgender Weise bestellt: Im Dezember oder Januar 
wird auf dem ganz unter Wasser gesetzten Beet von 4,3 X 35 m zwischen 
zwei Bambusstaben ein etwa 0,50 m breiter Streifen Erde bis zur Höhe 
des Wasserspiegels angehäuft und dicht mit Reis besät. Nach einigen 
Tagen (oder Wochen), wenn die Saat aufgegangen ist, wird der Erd- 
streifen verbreitert, bis am Ende des Beetes nur noch Waesergräbchen 
von 20 cm Breite bleiben ; auf diesem Beet werden nun die Reispflänzchen 
verschult und schliesslich auf andere Beete in 50 cm Entfernung verpflanzt. 
Von 3 Pfund Saat werden etwa 70 Pfund geerntet. Die Gesamternte 
der Insel betragt an 1O0 Zentner. Es werden jährlich abwechselnd zwei 
verschiedene Schläge bestellt, das Reisfeld dieses Jahres hat Brache im 
nächsten Jahr. — Das jedesmalige Herrichten der Beete ist eine erheb- 
liche Arbeit; die Anlage befindet sich etwa zwei Wegestundeu von der 
Niederlassung entfernt, die Leitung und Aufsicht der Bewässerung ist eine 
ungenügende, der Ratteufrass eine Folge der mangelhaften Aufsicht. Es 
giebt aber schliesslich den Vorwand für die Nichtbestellung und den 
Verfall eines jährlich wachsenden Teiles der kanalisierten Fläche. Heute 
ist ungefähr ein Drittel der letzteren unter Bebauung, das vorhandene 
Land und die Wassermenge würde bei Einhaltung einer rationellen Be- 
wässerung für eine weit grössere Reiskultur hinreichen. In den Besitz 
dieser Felder teilen sich zahlreiche Eingeborne. Die Frauen ernten den 
Reis, die Männer enthülsen ihn; die Aussaat erfolgt gemeinschaftlich. 

Bei Saat and Ernte findet ein Fest statt, das zuweilen vom Besitzer, 
zuweilen gemeinschaftlich als »tchintchulec bestritten wird. 

In Guam wird das Beet im September bereitet; im Oktober werdon 
die Pflänzchen verschult, im Dezember/ Januar auf das mit dem Pflug 
bearbeitete Feld in Entfernungen von 50—60 cm verpflanzt. Die erste 
Ernte findet im März oder April, die /weite acht Wochen darauf statt; 
sie er giebt das 10— löfache der Aussaat. Zuweilen wird künstlich be- 
wässert mittels Kanalisation; die Dämme heisseu pilapet; ungeschälter 
Reis: fäo, geschälter: pügas, gekocht: hinegsa. Famaäjan, das Reisfeld. 
Mais wurde von den Spaniern Ende des 17. Jahrhunderts -eingeführt 
(ble dTnde) (G. 295). In der Instruktion von 1680 wird das Gouvernement 
aufgefordert, dafür zu sorgen, dass sich die von den Eingebornen bestellte 
Fläche jährlich vergrössere. — Die erste Maissaat erfolgt im April, die 
Ernte nach 4 Monaten. Vor derselben wird schon die zweite Saat zwischen 
die Reihen gebracht; die dritte Aussaat im November. Der Boden wird 
mit dem Fusinios (Taf. III Fig. 13) gereinigt, dem einzigen Ackergerät 
der Chamorros, denn der Pflug wurde seither selteu und nur iu Guam 



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▼erwendet, erst seit der deutschen Herrschaft werden auch die Grund- 
stücke des Bezirksamtes in Saipan gepflügt. 

Das abgestossene Unkraut bleibt zum Trocknen einige Tage liegen 
und wird dann verbrannt. Wald wird in Meterhohe umgehauen, nicht 
gerodet, die Aste schichtet mau am Rande auf und verbrennt sie später. 
Gesät wird zwischen die Baumstrunke und umgestürzten Stämme: drei 
oder mehr Arbeiter in einem Schritt Abstand nebeneinander schreitend, 
machen mit ihrem Fusinios von Schritt zu Schritt ein kleines Loch. 
Hinter ihnen kommen andere, die in jedes Loch 4 bis 5 Maiskörner legen 
und Bogleich zutreten. In den schlecht gereinigten oder von Unkraut- 
feldern umgebenen Ackern richten die Ratten recht bedeutenden Schaden an. 

Süsskartoffel: kamute, wird im August/September oder im November/ 
Dezember gepflanzt und ist im Dezember/ Januar bezw. März/April reif, 
bleibt jedoch bis zum Bedarf in der Erde oder wird im Hause aufbewahrt. 
Eine bestimmte »kamuten-yap« genannte Sorte kann zu jeder Jahreszeit 
gepflanzt werden, giebt auch reichlicheren Ertrag. In Abstanden von 
1 m werdeu mit dem Fusinios runde Erdhaufen von etwa 30 cm Durch- 
messer aufgelockert und drei oder vier junge, frisch abgeschnittene Blatt- 
zweige zur Hälfte eingesteckt Sie wachsen rasch an. 

Taro: die blaue Sorte suni, und die gelbe baba, wird in sumpfigen 
Niederungen, auch zwischen den Reisbeeten aus den dicht unter dem 
Wnrzelansatz abgeschnittenen Stengeln gezogeu. Von der suni werden 
auch die Blätter als Spinat gegessen; sie ist in der Regel die erste 
Frucht, welche man auf entwaldetem Boden anpflanzt. 

Jam, »dägo« wird wenig angebaut; er kommt verwildert im Walde 
vor und wird, ebenso wie andere Wurzeln mit einem lanzen förmigen 
Messer »Kubo« (Taf. III Fig. 12) ausgegraben. 

Aroru »gabgabt ist alte Kulturpflanze und fast auf allen Inseln, be- 
sonders in der Nähe von Ruinen zu finden. Er wird aber heute nur selten 
angebaut, man gräbt aber nach den allenthalben vorkommenden Knollen. 
Eine andere Knollenfrucht mit rübenfürmiger, weisser Wurzel, aus welcher 
man ebenfalls Stärke bereitet, heisst hier »aroru«. Auch sie wird selten 
angebaut und scheint, da sie im Innern und anderen Inseln nicht vor- 
kommt, erst später eingeführt zu sein. 

Der Tabak »tschupa« wird im August auf ein beim Hause befind- 
liches Beet ausgesät; die jungen Pflänzchen werden nach etwa 4 Wochen 
auf grössere Beete in kleinen Abständen verteilt und im November bezw. 
Dezember auf das Feld in Abständen von je einem Schritt verpflanzt. 
Die erste Ernte findet im Februar, die zweite im März» die dritte im 
April statt, oft werden 4—5 Ernten gemacht. Man erntet nicht die 
einzelnen Blätter, sondern haut gleich die ganze Pflanze ab und hängt 



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sie zum Trocknen unter dem Hausdache auf. Dann erst werden die 
Blatter abgenommen, in drei Grossen geordnet und beschwert, 10 Blätter 
werden zu 1 palillo, 16 palillo zu 1 mano yereinigt. Die kleinsten und 
rissigen Blätter werden nicht geglättet, sondern in andujo, Bündeln zu 
je 10 vereinigt. Zum Schluss kommen sie in Kisten und machen eine 
nicht kontrollierte Fermentation durch. 

Viehzucht. 

Die alten Ghamorros kannten keine Haustiere; und nur einige Vögel 
gaben ihnen einen schwachen Begriff von der Tierwelt. Auch von 
(Land )Vögeln gab es nur eine der Turteltaube ähnliche Art, die sie 
indessen nicht assen, sondern nur abrichteten und sprechen lehrten 
(G. 44). 

Die Spanier erst führten Rindvieh und Pferde ein, ferner Schweine, 
Ziegen, Hühner, Hunde und Katzen. 

Über eine Lamazucht auf Assongsong, welche Blumentritt (Alv. 137) 
erwähnt, konnte ich aus der mir zur Verfügung stehenden Litteratur 
nichts entnehmen; ich habe diese Insel besucht und keine Spuren oder 
Reste gefunden. 

Im 18. Jahrhundert trieben einige Gouverneure Rindvieh- und Pferde-, 
auch Mauleselzucht im grösseren Stil. 

In der heute aus etwa 800 Köpfen bestehenden Herde verwilderten 
Rindviehes auf Tinian haben wir die Nachkommenschaft einer solchen 
Zucht zu erblicken: Die Tiere sollen aus Amerika stammen. Sie sind 
meist ganz weiss, mit gleichmassiger Hörnerbildung und von dem schlanken 
Wuchs, den die Freiheit verleiht. 1868 wurden zwei Tinian-Rinder nach 
Rota fiberführt, das heute einen zahmen Bestand von 150 Köpfen besitzt. 
Ihre vorherrschende Farbe ist nicht mehr weiss, sondern braun und schwarz, 
auch ihre Gestalt nicht mehr die des Wildrindes; es ist jedoch nicht 
sicher, ob nicht später von Guam oder Saipan einzelne Stücke nach Rota 
gebracht wurden. Wiederholte Versuche, Tinian- Wildrinder in Saipan 
aufzuziehen, scheiterten; die Rinder gingen nach kurzer Zeit aus bis jetzt 
unbekannten Gründen, vielleicht an Texasfieber, ein. Auch das Saipan- 
Rind leidet stellenweise sehr an Zecken. 

Auf Saipan sind etwa 400 Stück Rindvieh und ausserdem auf der 
Ostküste eine von entlaufenen Tieren abstammende Herde von etwa 
100 Stück. 

Man findet unter ihnen, die gleichfalls amerikanischer Abkunft sein 
sollen, schöne starke Tiere; im allgemeinen ist jedoch der Schlag klein; 
die schwarze Färbung herrscht vor neben braun und gefleckt; die Hörner- 
bildung ist nicht so gleichmäßig wie bei der Tinianherde. 



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Fast jede Chamorro- nnd Karolinerfamilie hat ein oder mehrere 
Rinder. Sie wurden seither durch die Behörde mit glühendem Eisen 
numeriert; jeder Viehbesitzer hat seine feste Nummer. Eine regelrechte 
Fütterung findet nicht statt. Die Tiere werden an langer Leine unter 
der Koko8 oder im Walde angebunden und suchen sich ihre Nahrung 
selbst. Zweimal täglich werden sie umgtbuuden und alle zwei Tage ge- 
tränkt. Den Kälbern wird nach dem Absetzen mit einem zugespitzten 
Holz die Nasenscheide durchstochen, um den aus Pandanus geflochtenen 
Ring aufzunehmen, an welchem die »atgoja«, die Leitleine befestigt wird. 
Nach dem zweiten Jahr werden die Rinder und zwar auch die weiblichen, 
als Last- und Zugtiere, sowie zum Reiten benutzt. Als Tragsattel dient 
der apareho: ein viereckiges Stück Leder tragt auf der Unterseite zwei 
Bauschen aus Agag (Pandanus), »Conillosc, welche auf den Sattellagern 
des Rückens glatt aufliegen; es ist durch einen Bauchriemen »talen-tujan* 
und einen Schwanzriemen, »talen-dädalag« befestigt Rechts und links 
trägt der apareho einen grossen Pandanus-Korb »kästat dänkuloc zur 
Aufnahme der Lasten. Geritten wird ohne Sattel mit Leitleine. 

Der Bau des Ochsenkarrens geht ans der Figur 14 auf Tafel III 
hervor; er dient sowohl zur Personen- wie zur Lastenbeförderung und 
macht mit seinen Vollrädern einen altertümlichen Eindruck. Das Nacken- 
joch ist mit der Deichsel fest verbunden, der Führer sitzt mit gespreizten, 
auf die Deichselarme gestützten Beinen auf dem Boden des Wagenkastens 
und lenkt mit der Leine. Peitschen sind nicht üblich, das Tier — es 
wird nur eins vorgespannt — wird durch Zuruf oder durch einen leichten 
Stockhieb in Trab versetzt. Die Wege befinden sich grösstenteils in 
gutem Zustand, über Flüsse und Gräben führen Brücken mit Steinmauern 
und Holzbelag. Von Pagan berichtet Felipe de la Corte, dass sich dort 
ein Stück alten Weges befinde, der nach Art der Römerstrassen ge- 
pflastert sei. Ich habe bei wiederholten Besuchen auf Pagan diesen 
Weg nicht gefunden. Auf steilen, steinigen Gebirgspfaden wird die 
»kangga«, eine Schleife benutzt, ein Wagen mit Kasten wie der oben ge- 
schilderte, aber ohne Räder. 

Zum Transport von Stämmen dient eine Schleppe, die batangga: an 
der Deichsel sind zwei Querhölzer angebunden, auf denen der Stamm be- 
festigt wird. 

Die Kastration der Stiere findet im 2. bis 3. Lebensjahre statt, ist 
indessen nicht häufig: der Hodensack wird fest unterbunden, die Hoden 
mit einem Prügel zerquetscht. Trotz der Tortur sollen die Tiere niemals 
eingehen, nur eine verspätete Operation ist gefahrlich. Schneiden ist 
nicht üblich. Nach 15 Tagen ist der Ochse bereits wieder arbeitsfähig. 
Die Tiere sollen infolge der Kastration in der Regel die Farbe wechseln, 



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schwarze braun werden und umgekehrt — eine Behauptung, deren Richtig- 
keit ich noch Dicht prüfen konnte. 

Als Last- und Reittiere werden meist Stiere and Ochseu, aber auch 
Kühe benutzt. Gemolken wird selten, das Vieh giebt wenig Milch. 

Auf Gärapan sind auch einige, auf Guam eine grossere Anzahl 
»Carabausc, indische Büffel; sie müssen jeden Tag in die Schwemme ge- 
trieben werden. Stiere werden bald nach der Geburt durch Ausschneiden 
der Hoden kastriert. 

Schweine »babuic finden sich verwildert in grosser Zahl auf Rota, Saipan, 
Anatähan, zu Tausenden auf Tinian. Sie sind auffallend schmal gebaut, 
hochbeinig mit langem Rüssel, fast ohne Fettansatz, ihr Fleisch ist 
minderwertig. Die Hausschweine, offenbar von ganz anderer Rasse, sind 
gedrungen, kurzbeinig und werden oft sehr schwer und fett. 

Sie werden täglich einmal gefüttert mit Brotfrucht, Kokos oder den 
entölten Kokostrebern, Bananen, Mais, Grünfutter. Die Kastration der 
Kber findet durch Schneiden gleich nach der Geburt statt. Die Wunde 
wird mit warmer Holzasche bestreut. Das Kastrieren der Schweine und 
Rinder besorgen zwar bestimmte Personen, welche Bescheid wissen, doch 
ist mit dem Amt keinerlei Aberglaube verknüpft. 

Ziegeu werden weniger gehalten. Das Fleisch ist unbeliebt. Auf 
Tinian leben einige Hundert in wildem Zustand. 

Schafe giebt es nicht auf den deutschen Inseln, auch keine Pferde; 
in Guam dagegen befindet sich eine nicht grosse Zahl im Besitz von 
Eingebornen. 

Gänse, Enten, Puten werden von den Chamorros nicht gehalten, 
wohl aber Hübner in grosser Zahl, auch Haustauben. Auf allen Inseln 
sind eine Menge verwilderter Haushühner, besonders viele wieder auf Tinian. 

Die übergrosse Zahl zweckloser Hanshunde wurde durch die Be- 
steuerung der Hündinnen erheblich eingeschränkt. Sie werden nicht an- 
gebunden und machen sich nur bei der Schweinejagd nützlich. Ein Rudel 
verwilderter Huude richtet auf Tinian unter dem dortigen Wildvieh zu 
Zeiten Schaden an. 

Auch Hanskatzen sind in geringer Anzahl vorhanden. Sie verwildern 
leicht. 

Jagd und Fischfang. 

Die Chamorros siud eifrige Jäger. Dieser aufregende, aber ungefähr- 
liche Sport ersetzt den Enkeln die Aufregungen des Krieges, die Kampfes- 
lust und -list ihrer Ahueu. Wie in jenen Kämpfen die Überlistung des 
Gegners dem offenen Angriffe vorgezogen wurde, so spielt heute die 
Schlinge die Hauptrolle in ihrem Waidwerk. Scheidnagel (Alv. 138J 



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scherzt mit seiner Fabel vom grell bemalten Chamorro, der den Hai mit 
dem Dolche in der Hand in seinem Element angreift. Der Chamorro ist 
ein sittsam bekleideter, kein grell bemalter Christ und weder ein guter 
Schwimmer und Taucher, noch wiel weniger ein solcher, der dem Hai 
zu nahe tritt. Etwas Ahnliches sah ich bei badenden Karolinerjungen, 
die ich vom Strande aus auf die Nähe eines Hais aufmerksam machte. 
Statt sich nun in Sicherheit zu bringen, verfolgten sie das fliehende 
Raubtier im Wasser, warfen mit Stöcken und Steinen nach ihm. Der 
hiesige Hai ist übrigens nicht sebr gefahrlich und während der 3'/j Jahre 
meines Aufenthaltes kam es nur einmal vor, dass eiu Eingeborner beim 
Fischen von einem solchen »balüo« in den Oberschenkel gebissen wurde. 

Ein Gefahrte des grell bemalten Haijägers im Reiche der Fabel ist 
der Chamorro als »ausgezeichneter Schütze, dessen Schuss höchst selten 
die Scheibe fehlt« (Alv. 138). Das Schiessbuch der Polizeitruppe in 
Saipan lehrt, wie lange es dauert, bis diese ausgezeichneten Schützen die 
Bedingung: »kein Fehler auf 100 m« erfüllt haben. Vermutlich war 
also der Ruhm eines Schützenkönigs ehedem leichter zu erringen. Er- 
fabelt ist auch die unglaubliche Menge von Hirschen auf Guam, die zahl- 
losen Hirschrudel auf Saipan und ihre ungeheuren Mengen auf den Nord- 
inseln: Auf Guam wird höchst selten noch ein Hirsch geschossen, doch 
mögen früher mehr dort gewesen sein. Auf Rota bevölkerte eine nicht 
sehr zahlreiche Herde die Halbinsel Taipiugot, von wo ich 1900 sechs 
nach Saipan bringen und hier in Freiheit setzen Hess. Auf den übrigen 
Inseln befindet sich nicht ein Stuck. Zur Schonuug ist die Jagd auf 
Hirschwild bis auf Weiteres ganz verboten, auch die verwilderten Rinder 
auf Saipan und Tiniaii, auf dieser Insel auch die wilden Schweine, Hühner 
und Ziegen dürfen nur von den Beauftragten des Bezirksamtes gejagt 
werden. 

Im übrigen ist die Jagd frei und wird, wie erwähnt, eifrig geübt, 
h&lum tano heisst der Wald (wörtlich das Innere der Insel); durch Ein- 
schiebung der Verbalsilbe — um — entsteht humäium tano = wäldern, 
jagen. Ebenso entsteht aus babui: Schwein, bumaubi: Schweine jagen. 

Zur Sauhatz vereinigen sich 4—6 Männer mit möglichst viel Hunden. 
Haben diese ein Schwein aufgestöbert, so eilen die Jäger, so schnell es 
das Dickicht erlaubt, hinter der Meute her und töten das Wild mit der 
Matchete, weiden es sogleich aus und zerlegen es in Stücke, die auf einer 
Stange von 2 Männern befördert werden. 

Wo zahlreiche Fährteu zur Tränke führen, werden Schlingen gelegt, 
deren Aufstellung und Wirkung aus Figur 15, 16 und 17 der Tafel III 
ersichtlich ist. 



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Mit Gewebren werden Schweine nicht gejagt. Das beliebteste Wild- 
pret liefert der fliegende Hund, fani'e, ume fani'e (fliegende Hände fangen), 
der zahllos auf allen Inseln vorkommt. Bei Tage wird er von den Bäumen 
geschossen, abends, besonders bei Mondschein, mit dem >läguan-fani'e« im 
Fluge gefangen. Es ist dies ein an einer 4 m langen Stange befestigtes Netz 
aus Stricken oder aus dornigem Reisig p&kau (Taf. IV Fig. 1). Ver- 
wilderte Hähne werden in Schlingen gefangen, die aus schwächeren 
Stricken, sonst aber ebenso gestellt werden wie die Schweineschlingen 
(Taf. III, 15—17). Mau baut an geeigneter Stelle, auf einer Waldlichtung, 
30 und mehr derselben auf und setzt einen zahmen Hahn (jöte) in die 
Mitte, der durch seineu Gesang die wilden Genossen herbeilockt; oder 
der Jäger ahmt das Gegacker eines Huhnes nach, und führt die liebes- 
eifrigen Hähne iu die Schlingen, oder er schiesst sie mit der Schrotflinte. 

In Schlingen, aber ohne Anlocken, werden auch die Waldhühner, 
SHsngat und die Wildenten, ngäuga, gefangen. Anderes Vogelwild sind: 

4 Taubenarten: töddot, die Turteltaube, paluman künan, p. halum- 
tano, p. ap&ka; 

1 Amsel, sälc, 

2 Schnepfen, dohle und kalälang, 
1 Wasserhuhn, pnlätat; 

der weisse Reiher, tchutchiigo apaka und der schwarze tch. ätilong. 

Verschiedene Möwen, luan, hahang, tchungi. Die letzteren werden 
nachts gefangen, indem man mit einer Fackel in die Büsche leuchtet; 
sie fallen herunter und werden mit der Hand gegriffen. 

Die übrigen der oben genannten Vögel schiesst man mit der Schrotflinte. 

Eine sehr schmackhafte und beliebte Speise liefert die Kokoskrabbe, 
ajujo. Sie hält sich in den Löchern der Kalkfelsen auf. Man legt ihnen 
Köder aus halbverfaulter Kopra und greift abends gegen 8 Uhr die um 
die Lockspeise versammelten Tiere mit der Hand. 

Von See- und Strandkrebsen giebt es viele Arten; panglau-maanite, 
p. tünas, admaugan, p. etchong (Taschen krebse) , ümang, der Einsiedler, 
mahiingang, Hummer, ühang, ein kleiner Flusskrebs. Man greift sie mit 
Ausnahme des Hummers mit der Hand, zuweilen nachts bei Fackellicht 
auf dem Riff. Der Hummer wird mit der zweizinkigen Fiska (Taf. IV 
Fig. 6) gespeert. Taschenkrebse fängt man wohl auch mit der in Taf. IV 
Fig. 2 gezeichneten Falle ökndo, ohne Köder. 

Frauen und Kinder graben mit den Händen Muscheln und Schnecken 
aus dem Sand oder sammeln sie bei seichtem Wasser auf dem Riff; die 
häufigsten sind: täro (Pterocera lambist), tapon (Venus puerpera L. var), 
dögas (Strombus gibberatus L.), palos (Spondylus zonalis Lau.)» allling 



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(Turbo seto8us Gm.), hima (Tridacna elongata Lam.), pägan (Area macu- 
losa Reeve), ämson (Mesodesma striatum Chemnitz). 

Der Fischfang bildet natürlich eine Hauptnahrungsquelle der Insel- 
bewohner. Es wird jedoch nur innerhalb des Riffes gefischt; nur die 
Karoliner gehen zuweilen auf die hohe See, besuchen das 25 Seemeilen 
von Saipan entfernte Agiguan, tauchen nach Trepang (balate), den sie 
den Japanern, verkaufen und nach Schildkröten hagan; auch legen sie 
Reusen (näso) innerhalb der Riffe, eine von den Chamorros nicht geübte 
Art des Fischfangs. Diese benutzen hauptsächlich Netze: die taluja ist 
ein rundes Netz von 4 m Durchmesser, am Umfang mit Bleistucken be- 
schwert. Die zweistränigen Fäden sind aus Ananasfaser auf dem Knie, 
dann mit der Spindel gedreht und sehr dauerhaft. Zum Gebrauch nimmt 
der Fischer den mit einem Griff versehenen Netzmittelpunkt zwischen 
Daumen and Zeigefinger der rechten Hand, hängt etwa die Hälfte des 
Netzes über den rechten Vorderarm und greift mit dem linken Vorderarm 
unter das Netz, so dass es beim Wurf sich vollkommen über den vom 
Strande aus gesehenen Schwärm von Fischen ausbreitet; es wird dann 
langsam ans Ufer gezogen, die Bleie schleifen am Meeresgrund und lassen 
keinen Fisch heraus. Hat sich ein grosser gefangen, so springt der Fischer 
ins Wasser und beisst ihu tot. Es werden im allgemeinen kleine Fische 
mit diesem engmaschigen Netz gefangen, für grössere macht man weitere 
Maschen. Der Fischer geht am Strande entlang, begleitet von einem 
Jungen, der ihm den Korb trägt und erkennt an der Bewegung der 
Wasserfläche die Nähe eines Fischzuges; er wirft vom Ufer aus auf 
höchstens 8 m Entfernung. Mit diesem Netz werden hauptsächlich ge- 
fangen: kitcho, güili, luiguan, ti'au. 

Das lägua-Netz ist 5 m laug und 1,70 m hoch, an der unteren 
Langseite sind Bleigewichte, an der oberen Schwimmer (boya) aus leichtem 
Holz (Hibiscus, Brotfrucht) angebracht, die Kurzseiteu siud an je einer 
Stange befestigt. 

Zum Fischen vereinigen sich 12 — 15 Frauen und Jungen. Au jeder 
Stange, die schräg vom Meeresboden zur Wasserfläche gehalten wird, 
steht eine Person. Die eine bleibt am Ort, die andere zieht das straff ge- 
spannte Netz nach der Richtung, wo die Fische sind, ihr entgegen stürzen 
zu gleicher Zeit unter Schreien und Plätschern die übrigen Theilnehmer 
und treiben die Fische dein Netz entgegen, dessen Bleie sie schliesslich 
erfassen und mit der Beute hochheben. 

Das Netzwerk wird aus hier gesponnener Baumwolle, meist aber aus 
eingeführten Hauffäden verfertigt. 

Dieses Fischen mit dem Ugüa bei Tag wird lal&go, bei Nacht gumade 
genannt. 



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Das tchentchnlo : Netz ist bis zu 200 m lang und an 3 ra hoch, 
aus eingeführten Hanfstücken verfertigt und zwischen kräftigen Tauen 
befestigt; unten sind Bleie, oben Schwimmer angebracht. Die Teilnehmer — 
bis zu 40 an der Zahl — fahren in 2 Booten mit dem Netz hinaus zu 
einer geeigneten Stelle, am besten dahin, wo eine Landzunge eine kleine 
Bucht bildet. Vor der Mitte dieser Bucht angekommen, nimmt jedes 
Boot die Hälfte des Netzes, beide entfernen sich in entgegengesetzter 
Richtung und lassen allmählig das Netz ins Meer gleiten; anf der Außen- 
seite des Netzes verteilen, sich in gleichen Abständen Leute, die die 
Schwimmer über die Wasserfläche heben, nm zu verhindern, dass — was 
sonst vorkommt — die Fische den Netzrand überspringen. Ist das ganze 
tchenschulo im Wasser, so rudern beide Boote mit grösster Eile dem 
Lande zu, und die Mannschaft zieht das Netz mit der Beute auf den 
Strand. Die Maschen sind weit, es werden daher meist grössere Fische 
gefangen: gufli, tataga, lägua, tarakito, mafüte, hamotan, gido, lfliluk, 
manägang. 

Zuweilen baut man bei Ebbe in der Nähe des Riffes einen ge- 
schlossenen Hof aus Steinen auf; bei Flut wird um diese Mauer das 
tchentchulo gezogen und die nun in die Falle geratenen Fische mit der 
Hand gefangen, oder gespeert mit der zwciziukigeu »fiska« (mit Wider- 
baken) (Taf. IV, 6). Tchentchulo- painge heisst das Fischen bei Nacht; 
tch.-haäne bei Tag. Das Fischen mit der Angel (haguet), welche aus 
Eisen ist und eingeführt wird, heisst lumulai; man hängt die an einem 
Seil (tüpak) befestigte häguet mit Köder (kleineren Fischen, Krebsen etc.) 
in die Löcher des Riffes. Man angelt bei Vollmond, nur Kinder mit 
kleineren Angeln bei Tage. 

Nachts bei niedrigem Meer wird auch mit Fackeln (h&ef, das trockene 
Deckblatt der Kokosblüte) gefischt und gekrebst, die Tiere mit der Hand 
gegriffen oder gespeert: kumutoktscha; diese Art des Fanges heisst sumülo. 
Aale, palüt der Meeraal und basüle der Flussaal, werden mit der Hand 
gegriffen oder gespeert. In Rota haben sich noch zwei alte Fangarten 
bewahrt: Atchüman heisst ein Fisch, der mit einem Stein (ateho-pueo) 
gefangen wird; dieser hat ungefähr die Form einer Halbkugel (Taf. IV 
Fig. 7); auf der flachen Seite ist mittels Gummi aus dem Saft der Brot- 
frucht eine halbe Kokosschale (bai'güas) befestigt, in welcher sich zer- 
riebene Nuss (manha) befindet, die unter Wasser durch ein in der Spitze 
der Schale befindliches Loch langsam ausfliesst und die Fische in grosser 
Zahl herbeilockt. Der Stein ist an zwei gegenüberliegenden Stellen der 
Flachseite durchlocht und hier an einem Strick (hidak) befestigt. Der 
oben im Boot sitzende Cbamorro fängt die Fische mit der Angel oder 



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mit einem Ugua-Netz, das an rundem Ilolzbügel befestigt ist und mit 
einem Seil hochgezogen wird. 

Lägua: Ein Lockfisch wird an einem langen Faden, der am durch- 
bohrten Kiefer befestigt ist, angebunden; der Faden wird langsam ein- 
gezogen und der Lockfisch kehrt häufig mit Genossen zurück, die mit 
dem Ugua-Netz oder der fiska gefangen werden. Nach beendetem Dienst 
wird der lägua an einen »Stein angebunden, oder in einen Steinpferch 
gesperrt. 

Diese beiden Hauptarten waren schon bei den Alten üblich; in den 
Ruinen finden sich puco's und andere durchlochte und gereifte Steine 
(Taf. IV, Fig. 8 — 12). Welchem Zweek die letzteren dienten, ist unbe- 
kannt 1 ). In Fig. 5 derselben Tafel haben wir wohl den Teil einer alten 
Angel zu erblicken. 

Auch Fischgift ist üblich: gumäsa. Es wird aus der Frucht einer 
Mangrove, püding hergestellt, deren Rinde im Steinmörser zerstossen und 
auf das Wasser gestreut wird. 

Fig. 3 der Taf. IV stellt den Aufbau eines Fischgartens, gigau, dar: 
zuerst treibt man in 1 m Abständen die estahas, Pfähle, in den Meeres- 
boden; an ihnen wird dann der eigentliche Zaun aus Rohrstöckeu (pian), 
die mit der längsgeteilten Wurzel einer Pandanusart pähon, verflochten 
werden, angebunden. 

Man fangt in diesen oft recht ausgedehnten Fanggärten alle mög- 
lichen Fische, besonders laiguaa und torakfto; zuweilen verirrt sich auch 
ein grosser Hai, halüo in ihu, dessen Rücken gegessen wird. 

Schildkröten, hagan, werden, wie bereits erwähnt, mit der Hand 
gegriffen: der Eingeborne eilt, wenn er sie in der Nähe des Riffes er- 
blickt, mit dem Boote dorthin, stürzt sich in das Meer und erfasst sie 
mit den Armen, wobei er sich vor dem kräftigen Gebiss des Tieres in 
Acht nehmen muss. Einem gefangenen Weibchen wird zuweilen das 
Bauchschild am hinteren Ende durchbohrt, ein starker Drabthng durch 
das Loch gezogen und mit der an einer geeigneten Stelle angebundenen 
Gefangenen andere Schildkröten herbeigelockt. Man tötet das Tier durch 
Stiche, legt den Mund an die Wunde und trinkt das Blut. Dann wird 
es, ehe es ganz tot ist, mit dem Rücken nach unten in eine Grube 
gelegt und Feuer darüber angezündet bis das Fleisch gar ist; es schmeckt 
wie das beste Rindfleisch. Die in dem Schild angesammelte Brühe wird 
getrunken. 

') Die Vermutung liegt nahe, dass diese Steine als Netzbeschwerer gedient haben. 

R II. 



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Das Schildpatt der hier häufigen Art ist dünn und wertlos und wird 
überdies durch das Feuer zerstört. Die echte Schildkröte »carai« kommt 
selten vor. 

Boote. 

Als Magallanes die Inseln entdeckte, wurde seine Flotte umschwärmt 
von zahllosen Segelkanus, Doppelendern, die pfeilschnell üher das Meer 
hinflogen. Nach ihren dreieckigen, aus Blattgeflecht hergestellten Segeln 
nannte Legaspi die Eilande »Die Inseln der Lateinsegelc. 

Mit diesen Booten fuhren sie von Insel zu Insel uud der Pater San- 
vitores und andere Missionare besuchten auf solchen Fahrzeugen der 
Reihe nach alle die kleinen Vulkankegel, welche die Marianengruppe 
bilden. 

»Von erstaunlicher Leichtigkeit waren die Boote und von gefälliger Form ; 
kalfatert mit eiuem Harz und Kalk, den sie in Kokosöl löschten«. (G. 52.) 

Mit dem Untergang des tapferen Völkchens, von dem nur Schwäch- 
linge übrig blieben, verschwanden auch die Hochseeboote. Erst die im 
19. Jahrhundert zuwandernden Karoliner, deren Fahrzeuge und Segel uach 
dem Zeugnis Le Gobiens (S. 401) schon im 17. Jahrhundert dieselbe 
Form und Bauart wie die Marianerboote hatten, nahmen den Verkehr 
zwischen Guam, Rota, Tinian uud Saipan wieder auf, bis die weichliche, 
falsch angebrachte Fürsorge einer kurzsichtigen Regierung wegen einiger 
Unglücksfalle auch diesen Fahrten ein Ende machte. Der letzte »sagman« 
soll 1892 aus Saipan in Guam eingetroffen sein. 

Die Chamorros benutzen jetzt — lediglich zum Fischfang innerhalb 
der Riffe — nur Einbäume aus dugdug, lemai (die zwei Brotfruchtbäume), 
nonak oder djöka, ohne Aufsätze (Taf. IV, Fig. 13). Sio sind 3—6 m 
lang, heissen galäide und werden mit dem soso, einem Hohlbeil, aus dem 
frischen Holz gehauen. Als Bänke werden eine Anzahl von Querhölzern 
aufgenagelt. Zwei l'/t — 2'/a m lange schwach gekrümmte Stangen 
(gäbet) tragen den Ausleger »lutcha«, einen massiven, parallel zur Boots- 
axe stehenden Holzkörper von der Form eines kleineren Bootes. 

Gerudert und zugleich gesteuert wird mit den pogsai, kurzen Paddeln, 
die, ohne festen Drehpunkt auf dem Bootsrand, senkrecht ins Wasser 
gesteckt werden. Gewöhnlich benutzt man aber zur Fortbewegung eine 
lange Stange »tulus«, die der aufrechtstehende Fährmann auf den Meeres- 
boden aufsetzt, und mit der er sich und das Boot abstösst. Nach Corte 
soll es auf Guam zahlreiche, künstlich hergestellte Kanäle geben, welche 
die Riffe durchschneiden und so eine bequeme Einfahrt der Boote 
ermöglichen. 



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Standesunterschiede, politische Verhältnisse. 

Die alten Marianer schieden sich in streng gesonderte Kasten: 

G. 49: »Es giebt unter ihnen 3 Stande: »Adel (matuas), Volk 
(mangatchangs) und Mittelklasse (atchaots). Der Adel ist von unglaub- 
lichem Hochmut und hält das Volk in einer Erniedrigung, von der man 
sich in Europa keinen Begriff machen kann; so sehr, dass es für einen 
Edlen als die grösste Schande, ja als ein Verbrechen gilt, sich mit einem 
Mädchen aus dem Volke zu verheiraten; seine Familie aber verliert jeg- 
liches Ansehen, wenn sie eB duldet. Vor ihrer Bekehrung zum Christen- 
tum versammelten sich, wenn Leidenschaft oder Eigenutz einen Edlen zu 
solch unwürdigem Schritt verleitet hatten, alle seine Verwandten und 
reinigten den Makel mit dem Blute des Schuldigen. 

So eifersüchtig wachte der Adel über seine Stellung und die Rein- 
heit seines Blutes. Nicht nur bei diesen Gelegenheiten zeigt der Adel 
seine Verachtung für das Volk; er hält es in einem solchen Abstände, 
dass dem Gemeinen nicht erlaubt ist, sich auch nur dem Haus oder der 
Person eines Edlen zu nähern. 

Wenn ein »Chamorrisc, so heissen die Angesehensten des Volkes, 
etwas von einem Plebejer will, so muss er es von weitem fordern. Ein 
Edler würde sein Haus für entehrt halten, wenn darin einer aus dem 
Volke gegessen oder getrunken hätte. Dies und viele andere Umstände 
deuten auf den karoliniscben Ursprung der Masse des Volkes, während 
die Chamorros tagalische oder mongolische Eroberer zu sein scheinen. 
Das Fremde heisst gi lago, d. h. aus dem Westen, finu lago, die fremde 
Sprache, finuhaia die heimische (die östliche) Sprache. Auf die Spanier 
kann sich dies nicht beziehen, denn sie kamen aus dem Osten. Auch 
später liefen die spanischen Schiffe wegen der hier fast das ganze Jahr 
herrschenden Nordostwinde die Marianen auf ihrer Reise von Mexiko nach 
Manila, nicht von Manila aus an. — Die Chamorrosprache soll der 
tagalischen sehr ähnlich sein; dies würde nur beweisen, dass die erobernden 
Ghamorris den Karolinern ihre Sprache aufgedrängt haben, tagah'lo heisst 
hochstehend. 

»Die Adligen haben erbliche Familiengüter. Aber Erben des Ver- 
storbenen sind nicht die Kinder, sondern seine Brüder und Neffen, die 
dann seinen Namen oder den des Familienhauptes annehmen. Diese Sitte 
erscheint uns sonderbar, aber sie ist so eingebürgert, dass sie keinerlei 
Unordnung oder Streit verursacht. t Noch bis vor Kurzem beerbte der 
älteste Sohn allein den Vater, nach heutiger Sitte wird aber der Nachlass 
zu gleichen Teilen unter alle Kinder geteilt. Der Mutter verbleibt der 
Niessbrauch bis zu ihrem Tode, der älteste Sohn wird seinen jüngeren 
Geschwistern gegenüber pater familias. 



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»Der höchste Adel der Inseln wohnt in Agaüa, der Hauptstadt von 
Guahan. Er ist zahlreich, denn die Lage des Ortes ist günstig, die 
Wasserverhältnisse vorzuglich und die hervorragendsten Familien haben 
sich hier niedergelassen. Man zählt ihrer mehr als fünfzig, die auf der 
ganzen Insel angesehen und geachtet sind. 

Die Häupter des Adels leiten die Versammlungen. Man schätzt, 
man ehrt ihren Rat, aber man trägt ihren Meinungen nur soweit Rech- 
nung, als man es für nützlich hält. Jeder kann sich entscheiden wie 
ihm beliebt; niemand nimmt ihm seine Entscheidung übel; denn diese 
Menschen sind keinem Herrscher und keinem Gesetz unterworfen. Sie 
haben aber ihre Gewohnheiten, die sie so treu befolgen, als wenn es 
wirkliche Gesetze wären« (G. 49 — 51). 

Die Not des Krieges lehrte sie gehorchen und sich der Leitung einzelner 
überlegener Männer fügen, die Standesunterschiede verschwanden vor der 
gemeinsamen Gefahr. Die Missionare hatten dem vorgearbeitet; sie waren 
im Anfange ihrer Tätigkeit auf den Widerstand des Adels gestossen, 
als sie die Sakramente auch dem verachteten Volke reichten. Aber ihre 
Lehre von der Gleichheit aller Menschen fand Eingang, und die Spanier, 
die auch hier, wie überall in ihren Kolonien, ihre Rassenüberlcgenheit 
nicht betonten und sich unbedenklich mit Eingeborenen verheirateten, 
freundlich gesinnte Chamorros wie Ihresgleichen behandelten und sie zu 
Ämtern zuliessen, gingen ihnen in der Betätigung dieser Lehre voran. 

So sehen wir, wie die Mehrheit des durch kein Gesetz und keine 
Regierung geeinten Volkes sich wiederholt zu blutigem Aufstaud gegen 
die Fremdherrschaft erhebt. Von Insel zu Insel eilt die Kunde von der 
Erhebung, und willig fügen sich Adel und Volk der ungewohnten Führung 
Einzelner, deren Beredsamkeit Stammesbewusstsein und Vaterlandsliebe 
in ihnen weckt. 

Nach der Niederwerfung des Aufstandes, d. h. nach der Vernichtung 
fast der gesamten Bevölkerung, führten die Spanier in den noch ver- 
bliebenen Ortschaften dasselbe System einer Art Selbstverwaltung unter 
geistlicher Vormundschaft ein, wie auf den Philippinen. An der Spitze 
jeder Gemeinde stand der gobernadorcillo (kleiner Gouverneur), ein Ein- 
geborener als Vertreter der Staatsgewalt, oft zugleich Friedensrichter und 
Notar; ihm zur Seite die gleichfalls eingebornen cabezas de barangay 
(Bezirksaufseher). Sie bekleideten Ehrenämter mit geringer Besoldung, 
doch übten sie in ihrem Kreise eine fast unumschränkte Willkür aus. 
Die polistas, die arbeitsfähigen Männer von 15 — 50 Jahren, waren zu 
einer Arbeitsleistung von jährlich 15 Tagen für Gemeinde- oder Staats- 
zwecke verpflichtet, eine Pflicht, welche je nach Gunst oder Abgunst 

der Ortsgewaltigen sich verringerte oder erhöhte. Iu Wirklichkeit 

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arbeiteten die polistas zumeist für deD Schulzen und die Aufseher. Die 
ganze Bevölkerung war auch im Rechtsschutze abhängig von dem Wohl- 
wollen des enteren, und da die spanischen Beamten im grossen dieselben 
Vorteile genossen, wie die eingebornen Beamten im kleinen, so wurden 
Missbräuche selten geahndet. Gefürchtet aber, weil eingeweiht in alte 
Ortsverhältnisse, tronte und gebot der Priester als meist einziger Spanier 
über alle. 

Die deutsche Verwaltung behielt Orteschulzen und Bezirksaufseher 
bei, aber lediglich als Ausführungs- und Aufsichtsbeamte. Die Arbeits- 
kontrolle erfolgt unmittelbar durch das Bezirksamt in Saipan, Recht- 
sprechung und Verwaltung ist ihnen gänzlich abgenommen worden. Die 
Arbeitspflicht wurde auch unter der deutschen Herrschaft beibehalten 
mit der Abänderung, dass Ehemänner nur 12 Tage, Junggesellen vom 
15. bis 50. Lebensjahre dagegen 20 Tage jährlich für öffentliche Zwecke 
arbeiten müssen. Väter von mehr als 5 Kindern bleiben von der Arbeits- 
pflicht, Väter von mehr als 8 Kindern auch von der Personalsteuer be- 
freit. Letztere beträgt 3 Mark jährlich für alle der Arbeitspflicht Unter- 
worfenen. 

Jenes oben erwähnte spanische System begünstigte wieder die Bildung 
von Klassenunterschieden. An der Spitze stand die principalia, die Orts- 
beamtenschaft und ihre Sippen, unter ihnen die übrigen Chamorros, stolz 
aber sehen beide Theile auf die später zugewanderten Karoliner herab 
und behandelten sie oft wie Hörige; sie mussten stets für angebliche Ge- 
meindearbeiten zur Verfügung stehen. Heiraten zwischen Chamorros nnd 
Karolinern waren und sind heute noch selten. Es ist nicht zu verkennen, 
dass die Chamorros geistig regsamer sind, mehr Familien-Interesse und 
mehr Bedürfnisse haben als die in ihrer Nacktheit auch äusserlich auf einer 
niedrigeren Kulturstufe stehenden Karoliner. Ihre Tänze, ihr lockeres 
Familienleben, ihr unkirchlicher Wandel, ihre einfachere Lebensweise 
bringt sie in einen Gegensatz zu den wenigstens äusserlich mehr moderni- 
sierten Chamorros. 

Rechtspflege, Stellung der Frau. 

>Vor Ankunft der Spanier auf den Marianen lebten ihre Bewohner 
in völliger Freiheit Sie hatten keine andern Gesetze als das Gutdünken 
jedes Einzelnen«. (G. 43.) 

»Jeder ist frei in seinen Handlungen, sobald er Vernunft und Selbst- 
bewusstsein erlangt hat. Die Kinder wissen nichts von Ehrerbietung und 
Gehorsam ihren Eltern gegenüber; sie erkennen ihre Gewalt nur solange 
an, als sie ihrer bedürfen. In seinen Privatstreitigkeiten schafft sich 



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jeder selber Recht; Streitigkeiten zwischen Ortschaften werden durch 
Fehden entschiedene. (G. 53.) 

»Die Rache ist eine ihrer Hauptleidenschaften. Hat man ihnen 
nrecht getan, so zeigen sie ihren Zorn nicht durch Worte und laute 
lagen. Äusserlich sieht man ihnen nichts an; aher sie bergen im Innern 
ihre Bitterkeit. Meister ihrer Leidenschaft, lassen sie sich zwei, drei 
\re lang nichts merken, bis sich eine günstige Gelegenheit zur Ver- 
^ ung bietet; dann aber entschädigen sie sich fOr ihre Selbstbe- 
schnng und lassen sich zum schwärzesten Verrat und zur furcht- 
barsten Rache binreissen«. (G. 56.) 

»Ihre Unbeständigkeit ist unglaublich und .... aus einer Über- 
treibung fallen sie in ihr Gegenteil. Was sie eben glühend begehren, 
verschmähen sie im nächsten Augenblick. Das haben die Spanier oft 
genug erfahren müssen, und diese Flatterhaftigkeit war ein Haupt- 
hindernis für die völlige Bekehrung der Eingebornen«. (G. 57.) 

»Sie verabscheuen den Mord und den Diebstahl. Man tat ihnen 
Unrecht, ihre Inseln die Ladronen zu nennen. Statt Diebe zu sein, leben 
sie vielmehr in einem so grossen gegenseitigen Vertrauen, dass sie nicht 
einmal ihre Häuser verschliessen. Sie lassen alles offenstehen, und 
niemand bestiehlt seinen Nachbar. Sie sind freigebig und lieben es, 
andere zu erfreuen. Das empfanden die Spanier bei dem Schiffbruche 
der »Concepcion« im Jahre 1638: Die Geretteten wurden freundlich 
aufgenommen, und man suchte ihnen ihr Schicksal durch Gastlichkeit zu 
erleichtern«. (G. 62.) Vergehen gegen das Leben sind heutzutage überaus 
selten, nnd die Ermordung des Gouverneurs Pazos 1884 ist die einzige der- 
artige vonChamorros verübte Tat, über welche die Kirchenchronik (seit 1847) 
berichtet. Sie war die Folge einer Verschwörung der unter eingebornen 
Offizieren stehenden, ganz sich selbst überlassenen und undisziplinierten 
Polizeitruppe, die dann von Zeit zu Zeit wieder mit übermässiger Strenge 
behandelt wurde. Pazos wurde vom Wachtposten erschossen, nach der 
Tat aber wagten die Verschwörer nicht, ihren Plan, sämtliche Spanier 
zu töten, auszuführen. 

Kleinere Diebstähle von Hühnern, Esswaren etc. sind leider sehr 
häufig. 

»Die Männer können beliebig viele Weiber nehmen, nur Verwandte 

dürfen sie nicht heiraten. Gewöhnlich aber begnügen sie sich mit einer 

Frau. Diese maßen sich Rechte an, die anderwärts nur den Männern 

zustehen. Die Frau herrscht unumschränkt im Hause; und der Mann 

kann ohne ihre Einwilligung nicht über das Geringste verfügen. Weuu 

er gegen sie nicht ganz so ehrerbietig ist, wie sie es glaubt verlangen 

zu können, wenn seine Führung nicht ordentlich oder aber, wenn sie selbst 

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schlecht gelaunt ist, so misshandelt oder verlässt sie ihn und lebt frei 
wie vor der Heirat. Denn die Ehe ist nicht unlösbar und dauert nur 
so lange, als beide Teile miteinander zufrieden sind. Ist dies nicht mehr 
der Fall, so trennen sie sich. Aber wer von ihnen auch schuld sei am 
Zwist, die Frau verliert nichts von ihrer Habe, die Kinder folgen ihr und 
betrachten den neu gewählten Ehemann als ihren Vater; und so ein 
armer Ehegatte sieht sich nicht selten durch weibliche Laune und Grillen- 
haftigkeit kummervoll allein, verlassen von Weib und Kind. — Aber 
damit sind die Leiden eines Ehemannes noch nicht erschöpft. Wenn die 
Frau ein ungebundenes Leben fuhrt, so kann er sich an ihrem Geliebten 
rächen, ihn sogar töten; aber die Frau darf er nicht zuchtigen, er kann 
sie höchstens verlassen. Ist der Gatte untreu, so schafft sich die Frau 
auf eine Weise Recht, die ihn zur Pflicht bringt: sie teilt allen Weibern 
des Ortes die Untreue ihres Mannes mit. Diese versammeln sich, mit 
Lanzen bewaffnet, die Hüte ihrer Gatten auf dem Kopf. So rücken sie 
in Schlachtordnung vor das Haus des Beklagten, verwüsten seine Pflanzung, 
zertreten sein Getreide, plündern die Fruchtbäume, kurz, sie richten eine 
schreckliche Zerstörung an. Darauf ergiessen sie sich über das Haus, und 
wenn der unglückliche Ehemann sich nicht vorsichtig zurückgezogen und 
unter Deckung begeben hat, so greifen sie ihn tatlich an und verfolgen 
ihn, bis er die Flucht ergreift. — Sie haben noch eine andere Art von 
1 lache zur Verfügung: Sie verlassen das Haus und teilen ihren Ver- 
wandten mit, dass sie mit ihrem Gatten nicht weiter leben könnten. Jene 
ergreifen mit Vergnügen die Gelegenheit sich zu bereichern, stürzen Rieb 
unter dem Vorwand, ihre Verwandte zu rächen auf das Hans des 
Schwagers, plündern es und nehmen alles bis auf die letzte Kleinigkeit 
weg. Der Hausherr ist noch glücklich, wenn sie sich damit begnügen 
und nicht auch, was zuweilen vorkommt, ihm das Haus selbst einreissen. 

Wegeu dieser Herrschaft der Weiber über die Ehemänner zieht eine 
grosse Anzahl junger Leute es vor, überhaupt nicht zu heiraten. Fnr 
einige Eisenstücke oder Schildkrötenpanzer mieten oder kaufen sie 
Mädchen von deren Eltern und bringen sie in ihre öffentlichen Häuser. 
Dort führen sie mit ihnen »zum Ärgernis der Braven unter dem Volk« 
den liederlichsten Lebenswandel. (G. 59—62.) 

In der Bekämpfung dieser lockeren Verhältnisse begegneten die 
Missionare heftigem Widerstand. Die UnlÖsbarkeit der Ehe dünkte den 
Eingebornen ein unerträgliches Joch; besonders die Frauen, gewohnt zu 
herrschen und nach ihrer Laune den Mann zu wechseln, wollten sich der 
neuen Tyrannei nicht unterwerfen. Aber man veröffentlichte die Be- 
schlüsse des Tridentiner Konzils über die Ehe uud zwang jeden, sich 
darnach zu richten. (G. 299.) 



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Die Uritan- Häuser wurden zerstört, ihre Bewohnerinneu in die 
Seminare gebracht oder an Spanier verheiratet. Auch einige den Christen 
ergebene angesehene Chamorros (Quipuha, Hineti) lebten in erweiterter 
Ehe, und es kostete die Spanier viele Mühe und manchen Freund, ehe 
ihnen die äuaserliche Durchführung dieser strengen Grundsätze gelang, 
zumal sie selbst den Eingebornen mit keinem guten Beispiele vorangingen. 
Die getauften Christinnen waren, wie Le Gobien S. 297 klagt, im spanischen 
Lager vielfachen Versuchungen ausgesetzt. Die kirchliche Ehe ist auch 
heute unter den Chamorros, mehr freilich noch unter den Karolinern, ein 
lockeres Band. Die öffentliche Meinung nimmt keinem Manne den Ehe- 
bruch übel, und die Fehltritte der Gattin werden vom Hausherrn über- 
sehen und verschwiegen. Es kommt auch häufig vor, dass die ihres an- 
getrauten Mannes überdrüssige Frau ihn mitsamt den Kindern verlässt 
und mit einem anderen lebt; dann kommt wohl der gekränkte Gatte zum 
Bezirksamtmann uud bittet ihn um seine Vermittlung, nicht als Richter, 
sondern als »magalahe«, der patriarchalisch auch diese innersten Ehezwiste 
schlichten soll Die Entscheidung oder der Rat wird widerspruchslos be- 
folgt. Ich bedauere feststellen zu müssen, dass die Schuld in den meisten 
Fällen bei der Frau liegt. Seitdem jedoch einem verlassenen Ehemann 
der Rat gegeben wurde, es mit seiner Frau doch einmal auf einer anderen 
Insel zu versuchen, wo weniger Männer seien, ein Rat, der von ihm 
freudig, von ihr widerstrebend befolgt wurde und gute Früchte trug: 
seitdem wird grossere Vorsicht geübt, denn ein betrogener Gatte kann 
sein Weib bitter strafeu, indem er dem magalahe den stets gewährten 
Wunsch vorträgt, mit Familie nach einer anderen, einsamen Insel über- 
zusiedeln. Die wilden Ehen sind zahlreich und werden ebenso nachsichtig 
beurteilt, wie der freie Verkehr der Jugend, der etwa vom 15. Lebens- 
jahre an für selbstverständlich gilt. 

Als die Amerikaner Guam besetzten, nötigten sie die Priester, einer 
Menge wilder Ehen den kirchlichen Segen zu geben, die vorher wegen 
geringfügiger Hindernisse, Höhe der Gebühren, weitläufiger, aber des 
bischöflichen Konsenses bedürftiger Verwandtschaft, nicht förmlich ge- 
schlossen waren. Es darf billig bezweifelt werden, ob alle diese Zwangs- 
maßregeln die Sittlichkeit mehr als oberflächlich beeinflussen. Eine zwei- 
hundertjährige Kirchenzucht hat die Ehemoral der äusserlich sehr frommen 
Eingebornen nicht verändert. Ein Chamorro hatte sich wegen Verführung 
seiner Stieftochter zu verantworten; er entgegnete: ich habe das Kind 
jahrelang gefuttert und grossgezogen, wer in der Welt hätte, wenn ich 
wirklich schuldig wäre, ein grösseres Recht auf sie als ich? 

Dass indessen der Ehebegriff der Chamorros ein innigeres Verhältnis 
bedeutete als blosses geschlechtliches Zusammenleben, ergiebt sich aus 



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der Etymologie der bezüglichen Worte: sague = schützen, sagua = Gatte, 
auch die schützende Meeresbucht; umä'sagua = heiraten; umasigua = 
die Ehe. 

hatcha = eios; batchaigua — gleich, eins, umätchaigua = eins werden, 
begatten, umäkitchi, ausserehelich verkehren, leglog, die einsame Be- 
friedigung, die unter der Jngend sehr verbreitet ist. loglog, die Zuneigung, 
heisse Liebe: auch das Kochen des Wassers. 

In Haus und Wirtschaft führt heute noch die Frau das erste Wort, 
sie giebt den Ausschlag in allen Angelegenheiten, die die Kinder betreffen; 
ist aber eine Schwiegermutter im Haus, so hat sich alles ihr zu fügen. 
Sie ist das anerkannte Haupt der Familie, die ihr mit gröastem Respekt 
gehorcht. Begegnet ihr ein Angehöriger auf der Strasse, so hat dieser 
ihr nnter tiefer Verbeugung die Hand zu küssen. Sie schliesst dann wohl, 
wenn sie gut ist, ihren Sohn oder Enkel in die Arme und küsst ihn auf 
die Wange, giebt ihm aber im Anschluss an diese Liebkosung vielleicht 
eine kräftige Ohrfeige wegen schlechten Verhaltens. Der Kuss der Ehr- 
erbietung und der Liebe besteht nicht in einer Berührung mit den Lippen, 
sondern in einem leichten Anlegen der Nase auf Hand oder Wange und 
einer Art Beriechen; küssen und riechen heisst gleichlautend »nginge«. 
Der europäische Kuss wird »tchiko bagbagc genaunt, wegen des dabei 
entstehenden Geräusches. 

Bei den Alten herrschte grosse Höflichkeit: »ati arinmoc (richtig 
hati adengmo, ich küsse deinen Fnss) war die Begrüssungsformel auf der 
Strasse; im Haus süich man sich gegenseitig mit der Hand über den 
Magen (G. 51). Als die Missionare zum ersten Mal Guam durchquerten, 
wurden sie am Strande von einer grossen Zahl festlich geschmückter 
Kriegor empfangen und nach der Hauptstadt Hagatnia geleitet (G. 71). 

Als sehr unhöflich galt es, in Gegenwart einer Person, der man 
Achtung schuldet, sich zu räuspern; ja nicht einmal in der Nähe eines 
fremden Hauses durfte man dies tun (G. 51). Eine schöne Sitte, die den 
in dieser Hinsicht wenig rücksichtsvollen Spauiern allerdings auffallen 
musstc. Le Gobieu nennt es »eine Sitte, deren Grund man nicht genügend 
erklären könuec ! Die modernen Chamorros spucken wie die Spanier, 
sie leinen aber allmählich wieder, zum Anstand ihrer Vorfahren zurück- 
zukehren. 

Die Frau, besonders in der reinen Chamorrofamilie auf Rota und in 
den Landorten auf Guam, führt die Wirtschaft, sie verrichtet die schwere 
Arbeit im Felde, der Mann besorgt das Vieh, fischt, jagt, macht Netze. 
Da ist es nur billig, dass sie befiehlt und, so es not tut, was nicht selten 
der Fall ist, mit treffenden Handbeweguugen den schläfrigen Gatten auf- 
muntert. 



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Eine eigentliche Erziehung der Kinder findet nicht statt. Die Söhne 
helfen dem Vater, die Töchter der Mutter, bis sie selbst heiraten; in 
ihren Vergnügungen legen sie sich keine Schranken auf. Nur wenn der 
Sohn in fremden Dienst gehen will, entscheidet die Mutter. Kinderreiche 
arme Leute geben wohl ohne Vergütung ihre Tochter oder ihren Sohn 
in ein befreundetes Haus. Dort dient er, ohne Lohn zu empfangen, ausser 
Nahrung, die nötigste Kleidung und vielleicht etwas Taschengeld. Heiratet 
der Diener (tentägo), so erhält er vom Herrn eine kleine Ausstattung: 
das sind die guten Herren, es giebt aber auch schlechte und gewissen- 
lose, die genau Buch führen über alles, was der tentago über seine Kom- 
petenz erhalten bat und ihm, wenn er den Dienst verlassen will, eine 
erstaunlich hohe und garnicht zu kontrollierende Rechnung vorlegen, die 
er erst abarbeiten soll. Er bleibt dann Jahre um Jahre und würde nie 
aus der Sklaverei erlöst werden, wenn er sich nicht eines Tages das Herz 
fasste und dem magalahe seine Not klagte. Im übrigen fühlt sich der 
tentAgo durchaus als Sklave und für verpflichtet, seinem Herrn auch im 
Unrecht zu dienen: als Zeuge gegen seinen Herrn vernommen, wird er 
immer zu dessen Gunsten aussagen, selbst unter dem Eid. Bei dieser 
Gelegenheit sei erwähnt, dass es für den Richter überaus schwer ist, 
sich nach den Zeugenaussagen ein richtiges Urteil zu bilden. Die Ein- 
gebornen sind Wahnvorstellungen zugänglich, es ist ein Leichtes, sie zu 
überzeuget], dass sie etwas gauz anderes gesehen haben, als sie anfangs 
glaubten und das suggerierte Bild verdrangt völlig das wirklich gesehene. 
Eingeborne werden daher nur im äusserst en Fall vereidigt. 

Der junge Mann heiratet zwischen dem 18. und 23. Lebensjahr, 
doch giebt es auch 16 jährige Ehemänner; in demselben Alter stehen 
zumeist die Bräute, doch bereits mit 14 gelten sie als heiratsfähig. Ein 
mutiger Jüngling hält selbst um die Hand seiner Erwählten bei deren 
Eltern an, anderenfalls schickt er seine weiblichen Familienhäupter vor. 
Gewöhnlich erhält er, wenn die Braut hübsch, reich und viel nmworben 
ist, die Autwort: ja, er könne sie haben, aber nicht jetzt, denn sie sei 
noch zu jung, sondern übers Jahr oder später. Dann muss von heute 
bis zum Tage der Heirat der Verlobte beim Schwiegervater dienen oder — 
falls er zu vornehm ist, um selbst zu arbeiten — ihn durch Geschenke 
erheitern, Schweine sind sehr beliebt. Am Tage vor dem ersten Aufgebot 
in der Kirche schickt der Verlobte das iob zum Schwiegervater: das 
ist ein Haufen Brennholz, wenn er arm, ein kaban Reis und ein Schwein, 
wenn er reich ist. Nach dem dritten Aufgebot aber schickt der Bräuti- 
gam seiner Zukünftigen Kleiderstoffe, Schmuck, Schuhe, kurz eine ganze 
Hochzeitsausrüstung; auch Strümpfe dürfen nicht fehlen, denn, wenn auch 
nie vorher und später im Leben, bei der Hochzeit tragt die Braut 



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Strümpfe und der Bräutigam, wenn er es erschwingen kann, braune 
Leder- oder schwarze Lackschuhe. 

Als Mitgift erhält die Braut in der Regel nichts; neuerdings zuweilen 
ein Stück Feld, ein Haus oder Geld. 

Am Abend vor der Hochzeit findet im Hause der Braut und ebenso 
in dem des Bräutigams tchintchüle, Festessen mit darauf folgendem Tanz, 
statt. Gegen Mitternacht zieht der letztere mit seinen Freunden unter 
Musikbegleitung nach dem Hause der Braut und tanzt mit ihr den 
fandanggo, den bekannten spanischen Liebestanz. In den sehr gefälligen 
Bewegungen, jetzt würdig und gemessen, dann dringender auf der einen, 
zurückhaltend auf der anderen Seite, schmollend, glühend, leidenschaftlich 
bis zur schliesslichen Erhörung, kommt das Liebeswerben in allen seinen 
Stufen und Stimmungen zum Ausdruck. Um 1 oder 2 Uhr zieht der 
Bräutigam wieder ab, in der Frühe um 6 findet die Trauung statt und 
eiu gemeinschaftliches Festessen hält den nächsten Tag aus. 

Haben die jungen Gatten noch kein eigenes Haus, so nimmt der 
Mann seine Frau in das Elternbaus oder auch umgekehrt, und sie teilen 
mit Eltern und Geschwistern den gemeinschaftlichen Schlaf- und Wohn- 
raum. 

Das Erstgeborene trifft uicht selten unerwartet früh ein, oft auch 
zum Erstaunen des Mannes! 

Wenn die Zeit der Geburt herannahte, so machte man früher aas 
alten Kleidern der Wöchnerin ein Nest zurecht: jesta polo i tchentchon: 
das Nest ist fertig; heute bereitet man ein Bett aus Baumwollkissen. 
Die Nabelschnur wird zweimal, in 5 und in 10 cm Abstand vom Leibe 
fest abgeschnürt und mit einer Binde an den Leib gebunden, nach 1—9 
Tagen fallt sie von selbst ab. Auf die Wunde streut man fein geschabtes 
Mehl von der harten Kokosschale. Die Nabelschnur wird begraben, nicht 
fortgeworfen. Gestillt wird 5 Monate bis 4 Jahre, im ersten Fall unter 
Zuhilfenahme eiuer Amme; als solche dient zuweilen eine Ziege, an deren 
Euter das Kind trinkt. Auch mit der Saugflasche und Gummimundstück 
wird Kuh- oder Ziegenmilch gegeben. 

Das Neugeboreue kommt in eine fanggapsa, einen Wickel aus Pau- 
dauusgeflecht, der am Kopfende etwas dicker ist. Die Hände werden an 
den Körper gelegt, das Kind bleibt etwa einen Monat in diesem Wickel- 
klei d. 

Die Taufe findet unter dem üblicheu tchintchüle möglichst bald nach 
der Geburt statt. Als Name wird der des Tagesheiligen gewählt, dazu 
auch ein anderer. Der Pate »padrino« tritt in ein engeres Verhältnis zur 
Familie, er wird »compadre« und macht von Zeit zu Zeit kleine Ge- 
sekenke. 



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Es kommt zuweilen vor, dass der Kopf des neugeborenen Kindes 
abnorm gross ist: Dann wickelt man ihn in die mit Kokosöl bestrichenen 
Blätter des ilum monte; nach etwa 4 Tagen soll er die normale Grösse 
erlangt haben!! 

Die Witwe trauert ein Jahr um ihren Mann: 6 Monate trägt sie 
schwarzen Rock und schwarzes Hemd, 6 Monate nur einen schwarzen 
Rock. Ebensolang trauert man um die Eltern, ein halbes Jahr um den 
Bruder. 

Aber »rey muerto, rey puesto« einige Witweu heiraten wieder noch 
vor Ablauf des Trauerjahres, vielleicht schon nach 3 Monaten. 

Bevor einer stirbt, kündigt er sich den Verwandten zum Abschied 
im Traume au; besonders wenn er Schulden hat, klopft er ihnen, damit 
sie für ihn bezahlen; auch durch den Geruch meldet er sich. Zumeist 
allerdings erinnern sich die Angehörigen erst nach dem Todesfall der 
vorhergegangenen Ankündigung. Das Begräbnis findet nach der kirch- 
lichen Einsegnung auf dem geweihten Friedhofe statt. Der Leichnam 
wird bekleidet in den Sarg gelegt. Verheiratete werden in schwarzer, 
Ledige in weisser Kleidung bestattet. Schmucksachen behält man zurück. 
Dicken Leuten wird der Oberarm mit Stricken umschnürt, um Aus- 
scheidungen aus Mund und Nase zu verhindern; zu demselben Zweck 
wird das Wachs einer brennenden Kerze auf den Nabel geträufelt. 
Die Gräber werden im allgemeinen nicht im Stand gehalten, ein bald 
vermodertes Holzkreuz ist die einzige Grabeszier. Neuerdings setzen an- 
gesehene Familien ihren Toten bessere, aus Japan bezogene Steindenkmäler. 

Der Schmerz um den Toten scheint weder tief noch nachhaltig zu 
sein. Die Alten waren lebhafter im Ausdruck ihres Gefühls: Nichts ist 
so traurig wie ihre Beerdigung: Tränenströme und Wehklagen! Sie nehmen 
lange Zeit keine Nahrung mehr zu sich und bringen sich körperlich so 
herunter, dass man sie kaum wiedererkennt. Ihr Schmerz dauert 7 oder 
8 Tage, manchmal auch länger je nach ihrer Liebe zum Toten und nach 
den empfangeneu Wohltaten. Trauergesänge füllen ihre Zeit aus, die 
Malzeiten hält man am Grabe, über welchem, oder zu dessen Seite man 
einen Hügel auf wirft. Man schmückt ihn (den Leichnam oder deu Hügel V) 
mit Blumen, Palmzweigen, Muschel werk und Kostbarkeiten. Mütter, die 
ihre Kinder verloren, sind uutröstlich, sie halten ihren Schmerz wach, in- 
dem sie einige Haare des Kindes als teure Erinnerung aufbewahren. 
Um den Hals tragen sie einen Faden, in deu sie soviel Knoten schlingen, 
als Nächte seit dem Tode verflossen sind. 

Grenzenlos ist die Trauer um eineu Adligen, einen Chamorro. Wut 
und Verzweiflung erfasst sie, ihre Bäume reissen sie aus, verbrennen ihre 
Häuser, zerstören Boote und Segel und hängen die Fetzen vor ihren 



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Wohnungen auf. Die Wege werden mit Palmzweigen bedeckt und Trauer- 
gerüste zur Ebre des Verbliebenen errichtet Hervorragenden Fischern 
oder Kriegern schmückt man das Grab mit Rndern oder Lanzen. 

Hatten sie sich in beiden Mannestugenden ausgezeichnet, so verschlang 
man Röder und Lanzen zu einer Trophäe. Air dies geschieht unter 
Wehklagen und Lobreden: Mein Leben ist zu Ende, ruft einer aus, nur 
bittere Langeweile mein Los. Die Sonne, die mich belebte, ist erkaltet, 
der Mond, der mich erleuchtete, verdunkelt, verschwunden der Stern, mein 
Führer. Tiefe Nacht nmgiebt mich, ich versinke in einem Meer von 
Tränen und Kummer. Aeh! klagt ein anderer, alles habe ich verloren; 
ich sehe nicht mehr das Glück meiner Tage, die Freude meines Herzens. 
Was bedeutet nun der Mut unsrer Krieger, da der Stolz des Volkes, der 
Ruhm des Landes, der Held des Stammes nicht mehr unter uns weilt! 
Er hat uns verlassen, was soll nun aus uns werden, wie können wir 
ferner noch leben! 

Diese Klagen dauern den ganzen Tag bis tief in die Nacht hinein, 
und jeder bestrebt sich seinem Schmerz den lebhaftesten Ausdruck zu 
geben, das höchste Lob dem Verstorbenen zu spenden.« (G. 67, 70.) 

Das Christentum milderte den Trennungsschmerz durch die Hoffnung 
auf ein Wiedersehen im Jenseits. Man begrub die Toten entweder in 
gemeinschaftlichen Hohlen, oder in der Nähe der Häuser (G. 84 und 298) 
und noch der christliche Chamorro Taga bestattete seine Lieblingstochter 
in Reismehl auf einer Säule seines gewaltigen Hauses auf Tinian: das 
Grab ist heute noch vorhanden. 

Religion, Mythologie, Gespenster. 

»Von weiten Meeren umgeben, getrennt von allen andern Völkern, 
an ihre Inseln gekettet als Welt für sich, wursten sie nichts von andern 
Ländern und hielten sich für die einzigen Erdbewohner«. (G. 42.) 

Als sie mit den Spaniern bekannt wurden, englische und holländische 
Schiffe ihre Inseln berührten, wurden sie ihren Irrtum gewahr. Aber 
ihre Dichter machten ihnen darüber Fabeln zurecht, die sie, als grosse 
Liebhaber von Märchen, für bare Münze nahmen; denn sie schmeichelten 
ihrem Dünkel, der ein Grundzug ihres Wesens ist. 

»Alle Völker«, sagten sie, «stammen von einem Ort auf Guaban, 
der heisst Funa; »aus Stein wurde dort der erste Mensch geformt und 
alle andern Menschen gingen aus von diesem Stein und wanderten nach 
Spanien, nach Holland und andern Ländern. Verbannt von ihrer Heimat, 
vergassen sie in der Fremde ihre Sprache und die Art ihrer Väter. 
Daher können sie nicht mit uns sprechen und verstehen uns nicht Wenn 



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91 - 



sie auch einige Worte stammeln, so wissen sie nach Narreuart selbst 
nicht, was sie reden, und verstehen einander nicht .... 

Trotz ihrer Unwissenheit glauben die Chamorros nicht an die Ewig- 
keit der Welt. Sie setzen ihr einen Anfang und erzählen darüber un- 
gereimte Märchen, die sie in schlechten Versen bei ihren Festlichkeiten 
singen. 

Eine Gottheit erkennen sie nicht, und ehe ihnen das Evangelium 
gepredigt wurde, hatten sie keinerlei religiöse Vorstellung, keine Tempel 
und Altäre, keine Opfer noch Priester. Nur einige Betrüger, die sich 
mit Prophezeiungen abgaben. Diese berufsmässigen Gauner hiessen Ma- 
canas. Sie hatten dadurch Einfluss gewonnen, dass sie dem Volke vor- 
logen, durch Beschwörung der Anite, das heisst der Abgeschiedenen,, 
deren Totenschädel sie in ihren Häusern aufbewahrten, könnten sie der 
Natur gebieten, Kranke heilen, das Wetter andern, ihnen reiche Ernten 
und Fischzüge verschaffen. Die Macanas beuten aber nur des Volkes 
Dummheit aus und leben auf seine Kosten; sie selbst erweisen den 
Schädeln keine Ehrerbietung, verwahren sie in kleinen Körben und lassen 
sie im Hause herumfahren. Beachtung schenken sie ihnen nur, wenn ein 
Tor sie um Rat zu fragen kommt. 

Ob sie nun gleich keinen Gott anbeten, so sind sie doch sehr aber- 
gläubisch in bezug auf die Toten weit. Stirbt einer, so legen sie ihm 
einen kleineu Korb neben den Kopf und beschwören den Geist, er möchte 
doch, wenn er den Körper verlässt, in dem Körbchen Platz und Wohnung 
nehmen; oder wenigstens darin ausruhen, wenn er sie besuchen wolle. 
Andere schmeicheln noch mehr ihren Toten, salben sie mit wohlriechendem 
öl und führen sie durch die Häuser ihrer Verwandten, damit sie nach 
Belieben sich eine Wohnung oder eine Rast suchen, wenn sie zum Besuch 
ihrer Freunde ans der andern Welt herüberkämen. Denn sie glauben 
an die Unsterblichkeit der Seele und selbst an ein Paradies und eine 
Hölle, von der sie sonderbare Begriffe haben. 

Die Hölle nennen sie Sasarraguan oder das Haus des Ghnifi. So 
heisst der böse Geist, der diejenigen grausam peinigt, die das Unglück 
haben, in seine Gewalt zu geraten«. 

Bei Merizo auf Guahan heisst ein Loch, vielleicht ein alter Krater, 
heute noch Sasalaguan. »Seitdem sie von den Spaniern das Feuer kennen 
gelernt, sagen sie, der Chaifi habe eine feurige Esse, wo er die Seeleu 
glüht wie Eisen und sie beständig schmiedet. 

Ein Ort der Freuden ist ihr Paradies; sie verlegen es aber sonder- 
barerweise unter die Erde, und bei ihrem beschränkten Vorstellungskreis 
machen Kokosnüsse, Zuckerrohr und andere dort hervorragend gute Früchte 
die ganze Herrlichkeit des Ortes aus. 



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Übrigens fuhrt nicht Tagend oder Sande dahin; nicht gute oder 
schlechte Werke, sondern nur die Todesart ist ausschlaggebend. Wer 
eines gewaltsamen Todes stirbt, kommt in die Hölle, wird in Sasarraguan 
eingeschlossen. Der Strohtod aber führt zum Paradies, zum Genuss des 
Uberflusses au Bäumen and Früchten. 

Die Marianer sind überzeugt, dass der Geist nach dem Tode zurück- 
kehrt . . . Sie klagen, von Gespenstern verfolgt zu werden, die ihnen 
oft Schrecken einjagen; und sie beschwören ihre anite, die Seelen der 
Abgeschiedenen, weniger in der Absicht eine Gunst, als Ruhe vor ihnen 
zu erlangen. Aus demselben Grunde beobachten sie tiefes Schweigen 
beim Fischfang und fasten; sonst glauben sie, würden die anite sie 
peinigen und nächtlich sie im Traume schrecken«. (G. 62 — 67.) 

Auch die heutigen Gbamorros glauben fest an das Vorhandensein der 
anite; was für Wesen sie sich darunter vorstellen, ist ihnen selbst unklar. 
Ihre Toten erscheinen ihnen zwar nachts und bei Tage, stets; und sie 
fürchten sich sehr vor ihnen. Sie bezeichnen wohl auch einen Toten- 
schädel als »anite« und würden es nie wagen ihn anzurühren. Aber 
dieser alte Gespensterbegriff widerspricht ihrem christlichen Glauben und 
sie verstebeu daher unter jenem Namen heidnische, gespenstige Wald- 
menschen, oft von uugeheurer Gestalt, mit Augen so gross wie Kokosnüsse, 
wie der »dangulo« (dankulo ülo = Grosskopf) in Rota, welche ihre alten 
Säulenwohuungen und Höhlen noch heute bewohnen, ihre Mahlsteiue und 
Signalhörner noch heute benutzen; wehe dem kilisiano, der sie in ihrem 
Besitze stört, er muss sterben. Kein Chamorro geht nachts in den 
Wald. Im Schatten der Bäume, in den elektrischen Entladungen des 
Savannengrases, die in schwülen Nächten (Elmsfeuer), in feurigen Kugeln, 
die bei Gewittern (Kugelblitze) häufig sind, in dem fahlen Mondlicht, 
das über Waldlichtungen sich ergiesst (C. 104), erblickt er Gespenster, 
und wenn er im einsamen Rancho oder in einer Höhle nächtigen muss, 
so stellt er ein Kreuz vor den Eingang oder ritzt es in die Felswand, 
dann verliert der anite die Macht über ihn. 

Diese bösen Geister lieben es nämlich, auch ungereizt die Menschen- 
kinder zu foppen: so ging es zwei Schwestern, von denen die eine ver- 
heiratet und in gesegneten Umständen, die andere ledig war; sie gingen 
eines Abends durch den Wald, und die Jungfrau mussto das Kind ge- 
bären. Ein Zweifler befriedigte seinen Leibesdrang in der Nähe eines 
alten Hauses und fand das Produkt dann zu seinem Erstaunen im Brot- 
korb wieder. 

Aber trotz dieser dem Christen im allgemeinen nicht freundlichen 
Gesinnung sind sie nicht unnahbar; sie pflegen Freundschaft und ver- 
kehren mit gewissen Familien, deren Angehörige sie bei der Jagd beraten 



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— 93 - 



und ihnen die Fischnetze füllen, meist sind Frauen die Freunde der anite 
und werden kakana genannt (nicht macana, wie Le Gobien berichtet). 
Durch die Fürsprache solcher Personen ist dann auch für andere Leute 
manches von den Waldgeistern zu erlangen: zwei Kinder hatten sich im 
Walde verirrt, die Eltern suchten sie vergebens und wandten sich schliess- 
lich an den kakana. Der bezeichnete ihnen den Ort, wo ihre Kinder 
sich befanden, warnte sie aber, sich unterwegs aufzuhalten; sie taten es 
dennoch und fanden die Kinder tot. In Gärapan lebt eine Ehefrau, die 
mit anite verkehrt, ihr Vater war schon mit einem solchen befreundet. 
Ihr Mann hat selbst gesehen, wie sie öfters nachts in den Wald ging 
und mit Gespenstern sich unterhielt. Sie fürchtet sich gar nicht, er aber 
Sicht es nicht gern. 

Eine andere kakana wollte ihren unchristlichen Verkehr mit dem 
anite aufgeben, legte das escapulario an und ging in die Kirche; doch 
wagte sie nun nicht mehr, nachts in den Busch zu gehen, auch wurde 
sie für lange Zeit krank. 

Natürlich lernen die kakanas von ihren Geisterfreunden so manche 
verborgene Kunst und Zauberei: Eine solche bekam Lust nach einem ge- 
wissen Gebäck, das ein anderes Weib feilhielt. Als diese ihr das Ge- 
schenk verweigerte, erkrankte sie und erstickte fast an einem Bissen, 
der ihr im Halse stecken blieb. Da eilte ihr Mann zur kakana, bedrohte 
sie mit dem Tode und sofort wurde das Weib wieder gesund. Diese 
Zauberer werden sehr gefürchtet, sie sind schlau, nähren deu Aberglauben 
der Leute und nützen sie aus. Fast in jedem Ort ist eine solche 
Schwindlerin — denn meistens sind es Weiber — und sie verstehen es, 
sich zu bereichern, die besten Kokale und das schönste Vieh an sich zu 
bringen. 

Die anite werden jetzt nicht mehr als personifizierte Naturkräfte, als 
Baumnymphen oder Quellnixen gedacht, sondern als Kobolde, deren Beruf 
es ist, die Menschen zu ärgern; es sind nicht die Geister der Abgeschiedenen, 
wie bei den alten Ghamorros, sondern heidnische Teufel, die noch heute 
die verfallenen Häuser der einstigen Christengegner bewohnen. Diese 
Vorstellung zeigt deutlich den Einfluss der Priesterschaft, die ihre Zöglinge 
vor dem Verkehr mit deu wenigen noch heidnischen Stammesgenossen 
warnten, und alles Ünheil, das sie betraf, auf jene Heidenteufel schoben. 
Einzelne Chamorros waren zweifellos dem allgemeinen Tod entgangen 
und lebten verborgen in den Wäldern aller Inseln, vielleicht bis vor nicht 
lauger Zeit. Auf diesem wirklichen Grunde baute nun die Angst den 
verpönten Gespeusterglauben der Vorfahren wieder auf, unterstützt von 
den Wundertaten und Teufelsbannungen der christlichen Mönche, deren 



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Aufzählung kein Interesse bieten dürfte, da sie sieb ohne viel Abwechslung 
in allen Missionsgeschichten wiederholen. 

Ärzte, Medizin. 

Die Alten schrieben den im Hanse aufbewahrten Totenschädeln die 
Macht zu, Krankheiten zu verursachen und zu heilen, uud die käkauas 
verwendeten sie zu demselben Zweck. Daneben wurden jedoch auch heil- 
kräftige Kräuter benutzt. Heute behandeln eingeborne Ärzte (aamte), 
deren Kunst sich in der Familie forterbt, die Kranken, und zwar eben- 
falls mit Kräuterabsnden und -pulvern (ämot). Bezahlt wird nicht mit 
Geld, sondern mit Geschenken an Kleidung oder Essen. Geschwüre werden 
oft durch blosses Berühren geheilt. — Man kennt 21 Arzeneien aus 
Blättern, die mit den einheimischen Namen und ihrer Heilkraft bezeichnet, 
im Folgenden aufgezählt sind; 

1. Gegen Halsweh: 
Napa = Cyperus ferox, 

Vejaco del monte = Flagellaria indica. 

2. Gegen Frambösie: 

Pago = Hibiscos tiliaceus, 
Banalo = Thespeaia populnea. 

3. Gegen Zahnweh: 

Calao = Polypodium phyraatodes, 
Sumag = ?, 

Gasoso = Colubrina asiatica? 
Akancang = Vigna lutea. 

4. Gegen Hüftweh: 
Papaya = Carica papaya. 

5. Gegen Leibschmerz: 

Pikante = Capsicum fruticosum, 
Camachile = Pithecolobium dulce. 

6. Gegen Kopfweh: 

Hoja de mostera = Sinapis alba. 

7. Gegen Magenweh: 

Dadangchi = Triumfetta seinitriloba, 
Gaogao = Erythrina indica, 
Agao = Premna Gandichandii. 

8. Gegen Zahnen der Kinder: 
Tomate chaca = Physalis minima, 
Acangcang = Vigna lutea. 



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- 95 — 



9. Gegen belegte Zunge der Kinder: 
Tomate chaca = Physalis minima! 
Popndpud = Peperonia sp. 

10. Gegen Erkältung, Schnupfen: 
ßarlena = Heliotropium indicum, 
Tagua = Cucumis sptc., 
Gasoso = Colubrina asiatica? 

11. Gegen Fieber der Wöchnerinnen: 
Calao = Polypodium phymatodes, 
Galag = Asplenium Nidus, 
Nincano ayuyo = Procris cephalida, 
Achalan = Deeringia baccata. 

12. Gegen Hämorrhoiden: 
Lada = Morinda citrifolia, 
Granada == ? 

13. Gegen Diarrhoe: 

Jatnlag = Callicarpa cana, 
Aghao = Premna Gaudichaudii, 
Gaogao = Erythrina indica. 

14. Gegen Kopfweh mit Fieber: 
Ayuyo = Procri8 cephalida, 
Popudpud = Peperonia spec, 
Chnmag = Baudia Graeffei. 

15. Gegen Hundebiss: 

Uojos de Atis = Anona squamosa, 

16. Gegen ausbleibende Menstruation: 

Yerva St. Maria oder Manzanilla — Artemisia vulgaris, 
Guayabe = Psidinm guayava. 

17. Gegen Leibschmers: 
Galag = Asplenium Nidus, 
Lodurong = Muruna gigantea. 

18. Gegen Geschwüre: 

Golondrina = Euphorbia pilulifera. 

19. Gegen Halsweh: 

Fopgo = Convoloulus spec., 
Alum = Mallotus moluccanus. 

Von den europäischen Ärzten und ihrer Medizin sagt man, dass sie 
ja bei Weissen Erfolge hätten, für Eingeborne sei aber ihr amot besser. 

Auch erkrankte Haustiere werden mit amot behandelt. 



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— 90 - 



Sprache. 

Die Chamorrosprache zeigt Anklänge an dasMalayische, bezw.Tagalische; 
eine Anzahl von Worten ist beiden Sprachen gemeinschaftlich. Hieraus 
ist indessen nicht ohne weiteres anf den malayischen Ursprung der 
Chamorros zu schliessen; es ist vielmehr sehr wahrscheinlich, dass 
viele dieser Worte von den unter spanischer Herrschaft einge- 
wanderten Tagalen eingeführt worden sind. (In Guam stand seit Ende 
des 17. Jahrhunderts eine Kompagnie Tagalen neben zwei Kompagnien 
Spaniern.) 

Solche Folgerungen kann nur die vergleichende Sprachwissenschaft 
auf Grund des gesamten Aufbaus der Sprache ziehen. Als Material für 
derartige Untersuchungen soll meine vom Orientalischen Seminar heraus- 
gegebene Grammatik nebst Worterbuch des Chamorros dienen. Ich be- 
schranke mich hier auf einige kurze Angaben: 

Die heutigen Chamorros kennen kein r, die Aussprache fallt ihnen 
schwer; in den dem Spanischen entlehnten Fremd worten verwandelt es 
sich in 1 oder t (corral wird kollat, Padre = Pale). Früher, bei Ankunft 
der Missionare scheint dies anders gewesen zu sein, in vielen Wörtern 
steht an Stelle des heutigen 1 ein r. Alte Leute in Umatag auf Guam 
gebrauchen heute noch das r statt 1. Der Artikel für beide Geschlechter 
heisst i, vor Eigennamen si; der Plural der Substantive wird durch siha 
hinter dem letzteren, bei Adjektiven durch die Vorsilbe man- gebildet, 
die Steigerung durch Vor- und Nachsilben, das Verbum durch Einschiebung 
von -um-; kollat, Zaun; i kollat, der Zaun; i kellat siha, die Zäuue; 
i kekollat, der Zaunmacher. 

i dankulo ra kollat, der grosse Zaun, 

i kollat dankulo, der Zaun ist gross, 

i kollat siha mandankulo, die Zäune sind gross, 

dankulonia, grösser, 

dankulölolo, am grössten, 

kumollat, einen Zaun machen, 

guaho hukollat, ich mache einen Zaun, 

hago onkollat, du machst einen Zaun, 

tchamo kuraökollat, du sollst keinen Zaun machen. 

guaha kollatho, ich habe einen Zauu (wörtlich: es giebt Zaun mein). 

zi Huan guaha kollatnia, Johan hat einen Zaun. 

Zahlen: heute sind nur die spanischen Zahlen in Gebrauch. Das 
Nachstehende entnehme ich einer Handschrift aus dem 18. Jahr- 
huudert. 



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— 97 - 



Grandzahlen 



für Tage, 
Monate, Jahre 



auf die Frage 
fijai, wieviele? 
Sachen 



auf die Frage 
bafia, wieviel? 
Lebewesen 


V./1U 11 U II ^/..tlHLU 


maisa 


imena, ifenamona 


hugua 


i fena hugua 


tato 


i fena (tato) hato 


fatfat 


ifena(fatfat)hafat 


lalinu 


i fena hatnia 


guagunum 


i fena haunum 


1 «IM Ii 


1 ICllii lltlU LI 


guagnalo 


i fena hauru 


sasigua 


i fena basgua 


maonot 


1 fena banot 


maonot nagai 


i fina banot nagai 


maisa 


maisa 


maonot nagai 
hugua 




U. 8. w. 




hugua na fulu 




tato na fulu 




gatus 

hugua na gatus 




tato na gatus 




14 U^, IIA law 

tcbalan 




hugua na fuln 




na tchalan 





Als Längen- 



1 hatcha 

2 hugua 
3tulo 

4 fatfat 
51ima 

6 gunum 

7 fiti 

8 gualo 
9 

10 
11 

12 



manot 

nianot nagai 
hatcha 
nagai 



u. s. w. 
20 hugua ua fuln 
30tnlo na fulu 
40 fatfat na fulu 

n. s. w. 
lOOgataH 

200 hugua na gatus 
300 tulu na gatus 

U. 8. W. 

tchalan 



hatchijai 
hugijai 

tumnijai.turgijai 
fatfatai 
limijai 
gunmijai 
fitgijai 
guatgijai 
aigijai 
manotai 
manotai nagai 
hatchijai 

nagai 



1000 
2 000 

10000 
20 000 



hugua na 
tcbalan 
u. s. w. 
manot nat- 



U. 8. W. 

hugijai na fulu 
rgijai na I 
u. s. w. 

igijai nag: 
u. 8. w. 

tchalan 
hugijai na 



man äpo 
(100 brazas) 



tagtcbalan 
1000 brazas 



tcbalan nagai 
tagma-honto: 
1010 brazas 
tagmahonton 
na tchalan: 
10000 brazas 



100 000 raanutu 

milintifong (malingo i tifong, die Zahl verlieren): unzählig 
haha na guihan sinibekmo Wieviel Fiecbe hast du gefangen? 
Antwort: batitip 1, atsgan 2, tato 3 u. 8. w. 

ais gan, ein Paar, hugua na ais gan, 2 Paar u. s. w. (Fische) 

iusau, 10 Paar, hugua na iusan, 20 Paar 

bugnan maisa, VJ, Paar; i usan na gai batitip: 10'/» Paare 

tag- Vorsilbe bei L^ngenmassen. 

tagfian ini na Sagrn^n? wieviel brazas hat dieses Boot? 
taghatchnn, eine braza; taghatchnn na hinfantifi, 1 Spanne. 



taghnguan, 2 

tagtalon, 3 

taghatan, 4 

Uglimun, 5 



11 



hemlum hatchijai, 1 Fingerlänge. 
„ hugijai, 2 Fingerlangen, 
tn rgijai, 3 



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- 98 - 



tagguuum, 6 braza 
taghitun, 7 „ 
taggualun, 8 „ 
tagsiguan, 9 M 
tagmaonton, 10 „ 

tagmaonton nagai taghatchun, 11 brazas. 
hugua na fulu nagai taghuguan, 22 „ 
gatus uagai tagmaonton, 110 „ 

umatitip, je einer, mumaisa, jeder 



( -um ist die eingeschobene Verbalsilbe, also hier: je 2, je 3 etc. machen). 

latcha: 1 mal 

fahagna: 2 „ 

fahatu: 3 „ 

fahafat: 4 „ 

faharma: 5 „ 

fahaunum: 6 „ 

fahauti: 7 „ 

fahaulu: 8 „ 

fahasgua: 9 „ 

fahanot: 10 „ 

fahanot nagai latcha: 11 mal 

hugaa na fuln nagai latcha: 21 mal. 



haäne, Tag, 
puenge, Nacht, 
(puanan alt) pulan, Monat, 
sakan (=Ernte), Jahr, 
agupa, morgen, 



umugua | 
humngijai j 



zwei 



Zeitrechnung. 




i tergua, in 3 Tagen 



i fata „ 4 ,, 

i limija „ 5 „ 

i guuutna,, 6 „ 

i firgua „ 7 „ 

i guargua,, 8 „ 

i sigija „ 9 „ 

i maoot „ 10 „ 



\ alt 



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- 99 - 



nigab, gestern 

(hugua pueuge) vorgestern, (2 Nächte) alt, 
inigabnia, vorgestern. 

1. Januar: tumaiguine (=es fehlt hier, d. Ii. die Vorräte sind ver- 

zehrt). 

2. Februar: mairao ? 

3. März: omutaraf ? 

4. April: lumnhu (wieder stärker d. h. es fallt im April der erste 

Regen). 

5. Mai: makaman ? 

6. Juni: mananaf (manano: unter Wasser stehen). 

7. Juli: 8emo ? 

8. August: tenhos (=Ungeduld.) 

9. September: lumamlam (=b)itzen, vielleicht auch, da Gewitter hier 

schwach und selten: aufleuchten, sich aufhellen). 

10. Oktober: fagoalo (= den Acker bestellen). 

11. November: sumongsong (songsong, das Dorf; also vielleicht, da 

jetzt die Zeit der Stürme: bleibe im Dorf, oder wahre 
dein Haus). 

12. Dezember: umajanggan ? (umaneugheng würde bedenten: es 

wird kalt). 

13. Monat: umagahaf ? (guaha hafa, es giebt etwas; — um — 

Verbalsilbe. Also vielleicht: Sorge, dass etwas vor- 
handen ist). 

fanutchanan, die Regenzeit: Juni — Dezember. 

- 

faniumnagan, die Trockenzeit: Januar — Mai. 

Über die Bezeichnung der Himmelsrichtungen herrscht keine Klarheit. 

N: san kätan, aber auch san lago (Guam), 

S: san litchan, „ „ san hiia „ 

0: san biia, „ „ san kätan „ 

W: san Ugo, „ „ san litchan „ 
also eine Meinungsverschiedenheit um 90° zwischen Rota und Saipan 
einer- und Guam andrerseits. 

ija lutcban (alt) Sonnenuntergang, 
manün (alt) Süden, 
gujif-litchen (alt) S.W.-Wind, 
zunehmender Mond: sumahe i pilan, 
abnehmender Mond: mengua i „ 

Neumond: hokog i „ 

Vollmond: gualafo, 

7* 



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— 100 - 



r (keoano: Spewe, kiha wohl 
Mondfansternis: kenano kilis . , , * 

l eine verdorbeue >echpee€) 



während derselben können Schwangere nicht gebären; geschieht ea doch, 
so hat das Kind einen Fehler. 

Bilderschrift. 

>I1 lenr fit enterrer les oa les cranes de leurs ancetres, que quelques- 
una gardoient par superstition, ä la persnasion de leurs Macanaa. Iis 
en conservoient les fignres gravees snr des ecorces d'arbres et snr des 
bonts de bois. II les obligea de les brüler . . .< (0. 82.) 

Auf der Nordspitze der Bucht von Inarahan (Guam) besuchte ich 
eine Höhle, deren Wände mit seltsamen Schriftzeichen bedeckt sind. Es 
geht die Sage, sie stammten von fremden Schiffbruchigen, die sich hier 
einige Monate aufgehalten hätten. Ich habe jedoch ähnliche Schrift- 
zeichen in einer Hoble im Innern von Saipan gefunden und glaube, dass 
sie sehr alten Ursprungs sind, vielleicht aus der Zeit, da die mongolischen 
Vorfahren der Chamorro- Aristokratie die Inseln eroberten. (Tafel I, Fig. 
6 a und b.) 



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101 - 



Erklärungen zu den Tafeln I— IV 

von Rudolf Hermann. 



Bei der rergleichenden Betrachtung des ethnographischen Besitzes 
der Marianer haben sich im wesentlichen 3 Arten von Objekten unter- 
scheiden lassen : die autochthonen im weiteren Sinne, die von den Arabern 
beeinflusaten nnd die von den Europäern beeinflussten. Autochthon sind 
wohl Taf. II, Fig. 1, 2, 4, 10, 11, (12a), Taf. III, Fig. 2, 3—5, Taf. IV, 
Fig. 5, 8 — 12. Auffallend ist das völlige Verschwinden des einst so 
entwickelten Töpfereigewerbes. Arabischer Einfluss ist unverkennbar, 
indirekt vielleicht an dem Sattel (man sehe die Abbildung bei Freycinet, 
Taf. 80e) und direkt an dem Brettspiel, tchonka Taf. III, Fig. 1. 
Das Spiel findet sich auch in Afrika, soweit der arabische Einfluss 
reicht, und nach einer mündlichen Mitteilung Prof. v. Luschans mehr- 
fach auch in Indonesien. Europäischen Einfluss zeigen die Eisengerät- 
schaften und ihr Zubehör, wie Lederscheiden etc., Taf. II, Fig. 12, 15, 
16 (besonders merkwürdig als die Nachahmung einer ledernen >matchetec- 
Scheide in Holz), Taf. III Fig. 6, 11, 12, 18, Taf. IV, Fig. 6. 

Die übrigen Gerätschaften finden sich teils bei den Malayen, wie die 
Fallen Taf. III, Fig. 15—17, teils im übrigen Mikronesien, wie Taf. IV, 
Fig. 1 und 7, wieder; Basaltmörser und Reibsteine wie die Taf. II, Fig. 5 
und 6 abgebildeten kommen auch auf den Philippinen vor, ganz ähnliche 
Reibsteine auch in Centraiamerika. 

Von einem japanischen oder chinesischen Einfluss ist eigentlich nichts 
zu merken, trotzdem die Spanier bei der Besitzergreifung der Inseln 
schon einen Chinesen vorfanden, der eine grosse Bolle in den Kämpfen 
spielte. Die Bronzenagelköpfe, Taf. III, Fig. 8—10, sind als Lampen 
nutzbar gemacht, doch kann von einer Einführung nicht die Rede sein. 
Erst in ganz neuer Zeit werden von Japan Gefässe o. a. eingeführt. 

Tafel L 

Fig. 1: heutiges Chamorrohaus (Text Seite 45), nach einer Zeichnung 
von Fritz, teilweise abgedeckt, »um die Bauart zu veranschau- 
lichen«. Die Erklärung der Einzelheiten des Hauses habe ich 
mit geringen Änderungen von Fritz übernommen: 



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- 102 - 



a — alike 
b = horkon 



aus Ifil: Eperna decandra Bl., Ahgan, Gigo: 
Afzelia bijuga, Camaichil, Palon Maria: Calo- 
pbyllam inopbyllum D. G. 



c, ci, — cn = dormente, aus denselben Hölzern. Die dormentes, 
welche den Fussboden tragen, sind auf der äusseren Seite 
der alike eingelassen, A der Zeichnung, und mit langen 
Schmiedenageln befestigt. Der auf den borkones ruhende 
Mittel-dormente ist auf die in B angedeutete Weise ange- 
bracht; ebenso sind die oberen dormentes c, auf denen die 
Dachscheeren (tiheras) ruhen, in die alikes eingelassen. 

d — jabes, aus Ifil, Figo, u. a. Hölzern, sind auf die dormentes 
genagelt oder mit Nupi, Agag (Pandaausblätter) bezw. 
Balibago (Hibiscusbast) Balingaynm decumbens Bl. aufge- 
bunden. 

e = kanat die den dormentes entsprechenden Querbalken. 

f = pie derecho aus Langite, Paipai. Gulus u. a. An ihnen ist 
die Haus wand lugan mittels Agag festgebunden. Diese besteht 
entweder aus horizontal übereinander gelegten, gespaltenen 
Kokosblättern, deren Einzelblätter quer verflochten sind (lugan- 
higai), oder aus einem breiten Geflecht von aufgeschlitztem 
Rohr (lugan-aaguale). 

g = tchigit, Latten aus Bambus entsprechen den pies derecho«, 
mit denen sie durch Agag verbunden sind und befestigen 
die Wände von aussen. 

h = tiheras, die Dachscheeren aus Paipai, Langite, Tschupak. 
Sie ruhen auf den dormentes in der in Fig. C im Querschnitt 
angedeuteten Weise und sind mittels Agag oder Nupi an 
ihnen befestigt. 

j = trabesanios aus Langite u. a. an die Dachscheeren ange- 
bunden. 

k = barakilan, Dachlatten aus Paipai, Tchupak, auf die Sparren 

gebunden. 
1 == kaballete, Firstbalken. 

ni — - balas, Latten aus Bambos oder Betelpalme, befestigt an 
den barakilan, an welche die bigai-atof, die das Dach 
deckenden, verflochtenen halben Kokosblätter mit Agag an- 
gebnnden sind. Die Blattrippe wird gespalten, die Blätter 
der halben Wedel untereinander verflochten und die letzteren 
Rippe an Rippe dicht übereinander festgebunden. Über 
den First wird 

n = der pupnng gelegt: ein ganzer und halber Palmwedel 



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- 103 - 



werden seitlich mit ihren Einzelblättern so verflochten, dass 
in der Mitte eine ganze, an jeder Seite eine halbe Blatt- 
rippe steht. 

Quer durch diese über den First gebreiteten pupung sind 
zu ihrer Befestigung die togtchas, dünne Stäbe, gesteckt, 
p = asuguak, führen von der Mitte des Firstes nach den 
4 Ecken des Hauses und sind unter den tiheras festgebunden. 
Fig. 2: altes Chamorrohaus nach der Rekonstruktion von Fritz (Text 
Seite 42 bis 44). Auch hier ist das Haus teilweise abgedeckt, 
um die vier Innenrftume zu zeigen. Auf dem vordersten, sechsten, 
Säulen paar ruht der verandaartige Vorbau. 
Fig. 3: altes Chamorrohaus nach der Rekonstruktion von Freycinet. 

Haus eines mächtigen Häuptlings, c. 7 m der wirklichen Grösse. 
„ 3a: von der Seite gesehen. Das Dach ist durchsichtig gedacht 
„ 3b: Längsschnitt. 
„ 3c: Querschnitt. 
„ 3d: Projektion auf die Grundebene. 

»Auf Grund der Auskünfte (schreibt Freycinet), die mir 
in Guam gegeben worden sind, habe ich versucht, eine Vor- 
stellung von diesen monumentalen Gebäuden zu geben, und 
ich bringe hier die Aufrisse, den Grundriss und die per- 
spektivische Ansicht. Eine starke Diele, durch Pfeiler ge- 
stützt, mit einer weiten Öffnung, durch die man heraufsteigt, 
diente der Familie zur Wohnung: dort befanden sich die 
Betten, die Vorräte und die Wertgegenstände. Der Unterteil 
bildete eine Art Schuppen, wo man sich tagsüber aufhielt, 
und wo man arbeitete. Man wird bemerken, dass das Dach, 
das sehr tief hinabreichte, diesen unteren Teil des Hauses 
beschattete, und eine in den Äquatorialgegenden immer 
angenehme Frische behielt Wahrscheinlich war der Boden, 
ebenso wie es auf den Carolinen und den Sandwich- Inseln 
üblich ist, mit einer Lage von Steinen, Kies oder Muschel- 
schalen bedeckt, auf die man manchmal Matten legte, um 
ihn für die Feuchtigkeit (Nässe) weniger zugänglich zu 
machen. c Fr. V. t I, 2 p. 1828. 
Fig. 4: Ruinen eines solchen Hauses (2 und 3) auf Tinian (nach einer 
Zeichnung in Fr. V. Atlas Historique 1825, pl. 74, 1), »/, der 
Original-Abbildung. 
Fig. 5: altes Chamorrohaus nach der Rekonstruktion von Freycinet: 
Haus eines gemeinen Mannes, g«uma saga genannt (Fr. V. 
Atl. H. pl. 81), ein 7„. d. w. Gr. 



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- 104 - 

Fig. 5 a: Längsschnitt. 

5 b: Projektion auf die Grundebene. 
Fig. 6: alte Schriftzeichen (nach einer Zeichnung von Fritz, von dem 
auch der in Anfuhrungszeichen gesetzte Begleittext stammt, 
Vi der OriginalBkizze): 
„6 a: aus der > Höhle bei Inarahan (Guam). Sie befindet sich in ge- 
ringer Manneshöhe in der Nähe des Strandes, steht zuweilen 
unter Wasser. Die Zeichen sind mit dauerhafter, weisser Farbe 
auf den Felsen gemalt, viele verwittert und schwer zu erkennen. 
Darunter befinden sich mit schwarzer Farbe gezogene Horizontal- 
und Vertikalstriche (auf der Zeichnung nicht eingetragen).« 
„6 b: aus einer »Höhle auf Saipan, im Innern der Insel. Die Zeichet 
sind in die Tropfsteinwand eingeritzt, durch die Kalknieder- 
schläge vernarbt und schwer erkennbar.« 

Tafel IL 

Fig. 1 u. 2: Schleudersteine (nach den Originalen), l / t der wirklicken 
Grosse, atchon-atupat (Text S. 30/31). 

Unter den zahlreich eingesandten Exemplaren lassen sich 
deutlich zwei Formen unterscheiden, deren Extreme abgebildet 
sind: die spitze, schlanke (Fig. 1) und die runde, ellipsoide 
(Fig. 2). Die erstere ist häufiger; auch sind allerlei Zwischen- 
formen vertreten. Ob es sich bei Fig. 2 um abgebrauchte Stucke 
oder ältere Formen handelt, wage ich nicht zu entscheiden. 

Fig. 3: Nackenstütze, aluna, ans Holz (n. d. 0.), Vi, der w. Gr. (Text S.45). 

Fig. 4: Lanzenspitze aus Knochen (n. d. 0.), Vi d. w. Gr., bei Tanäpag 
in der Höhle as Teo gefunden (Text S. 30). Es handelt sich 
um eine rechte menschliche Tibia. a, b, c stellen ideale Quer- 
schnitte der betreffenden Stellen dar. 

Fig. 5: BaBaltmörser, lusong atcho, nach einem Modell aus Korallenkalk 
(Text S. 47). Nur noch selten in Gebrauch. Diente zum 
Enthülsen des Reises uud zur Bereitung von Medizin. 

Fig. 6: Reibsteine, metate (nach einem Modell aus Muschelkalk), dreifössig 
(Text S. 47). Ein in der amerikanischen Abteilung des Museums 
aufgestellter Reibstein zeigt folgende Masse: 

Länge: ca. 42 cm, Breite: ca. 30 cm, Gesamthöhe: ca. 21 cm, 
Höhe der beiden Hinterbeine: ca. 7 cm, Höhe des Vorderbeines: 
ca. 13 cm. 

Der Mais wird auf der etwas schrägen, schwach gewölbten 
Fläche, mit Wasser vermischt, derart gerieben, dass eine der 



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Längsflachen des Reibers (II, 6 a) horizontal und parallel der 
kleineren Seite des Reibsteines hin- und hergerieben wird. 

Fig. 7: Hölzerne Waschschüssel batea (nach dem Original) von oben 
gesehen. 7 a stellt einen durch die Mitte gehenden idealen 
Längsschnitt dar. */>• der w. Gr. (Text S. 47). 

Fig. 8: Ein Musikinstrument aus Holz mit einer Metallsaite und einem 
Stuck Kürbisschale als Resonanzboden, a = Vorderansicht, b = 
Seitenansicht (n. d. Original), Vm d. w. Gr. Das Nähere siehe 
im Text, Seite 60. 

Fig. 9: Kreisel aus Holz, tolompon gasgas (n. d. Orig.), V« d. w. Gr. 

Die Spitze besteht aus Eisen. In die Mitte der oberen Fläche * 
ist ein Nagel eingeschlagen, der einem Blechzylinder mit etwas 
geringerem Durch messer als der Nagelkopf als Längsachse dient 
Über die Handhabung siehe Text S. 57. 

Fig. 10: alter Thonkrug, bisco, aus Gärapan (nach dem Original), V» der 
w. Gr. Die kleinen parallelen Rinnen lassen auf die Herstellung 
dieses grossen Thongefasses schliessen. Es ist wahrscheinlich 
aus einzelnen Stücken (teils von der Form eines Zylindermantels, 
teils von der eines abgestumpften Kegelmantels) zusammengesetzt. 
Es wurde zu etwa 7$ in die Erde eingegraben und diente wohl 
zur Abkühlung des Wassers, bezw. zur Aufbewahrung von leicht 
verderbenden Früchten (Text S. 48). 

Fig. 11: Ebenfalls ohne Töpferscheibe hergestellter alter Thonkrug (nach 
dem Orig.), Vm d. w. Gr. (Text S. 48). 

Fig. 12: Kokosnu8sraspel aus Holz, kamjo (n. d. 0.), '/io d. w. Gr. Die 
eiserne Spitze ist durch einen eisernen Ring am Hals befestigt. 
Das S-förmige Zeichen auf dem Sitz und am Hals scheint eine 
Eigentumsruarke zu sein (Text S. 47). 

Fig. 12 a: Eine von Freycinet abgebildete ältere Form der Raspel (V. a. 

d. monde, Atlas histor. pl. 79) ist in Fig. 12 a stark verkleinert 
wiedergegeben. Hier besteht die Spitze aus einem mit Bast be- 
festigten Stück Schildpatt. 

Fig. 13: Fächer zum Anfachen des Feuers, göba, aus zerschlitzten Paliu- 
blättcrn geflochten (n. d. O.) 7t« d. w. Gr. (Text S. 48). 

Fig. 14: Schüssel aus daog-(Calophyllum)holz, tape (n. d. 0.), 7t« d. w. Gr. 

Fig. 15: Buschmesser aus Eisen mit messingverziertem Horngriff, matchete 
(n. d. 0.), 7 I# d. w. Gr. (Text S. 53 und 64). 

Fig. 16: Scheide zu dem >matchete< (n. d. 0.) 7t 0 d - w - Gr. Während 
die Scheide meist aus Leder mit eingeschnittenen Verzierungen 
besteht, haben wir hier ein Exemplar aus Holz mit geflochtenem 



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— 106 — 

Gurt. Wie der Querschnitt 16 a zeigt, ist die Scheide vorne 

an 88er einem Rand beiderseits offen. 
Fig. 17: Eine Art Maultrommel, belemban batchot, aus Bambusrohr 

(n. d. 0.), Vi d. w. Gr. Die 5 Querschnitte und ein idealer 
Längsschnitt (17a) dienen zur Erläuterung der Einzelheiten. Die 
Benutzung s. Text S. 60. 

Tafel III. 

Fig. 1: Eine Art Spielbrett aus Holz, tchonka (n. d. 0.) la von der 
Seite, 1 b von oben gesehen, mit 14 kleineren und je einer 
grösseren Vertiefung, Vi» d. w. Gr. Das Nähere ist aus dem 
Text S. 57 zu ersehen. 

Fig. 2: Steingeld? Schmuck der alten Chamorro aus Tridacna (n. d. 

V« d. w. Gr. Ob es sich hier um Geld oder nur um einen 
Schmuck handelt, ist kaum noch zu entscheiden. Nach v. Luschan 
sind die Stücke als Nachbildungen von Pbyseterzähnen aufzufassen. 
Solche sind aus Oceanien mehrfach als Schmuck und auch als 
Tauschmittel bekannt. Unter den uns eingesandten Exemplaren 
waren, wie aus den Abbildungen hervorgeht, 4 Grössen zu 
unterscheiden (2 a— d), rechts ist jedesmal der dazugehörige 
Querschnitt, der durch die Mitte jedes der Stücke gelegt zu 
denken ist, mitangegeben. 2 c. ist dadurch bemerkenswert, dass 
darauf noch deutlich die Struktur der Muschelschale zu erkennen 
ist. 2e ist ein vergrößerter schematischer Längsschnitt durch 
das rechte Ende von 2 b, um zu zeigen, dass die Löcher an 
den Enden von zwei Seiten gebohrt sind (Text S. 64). 

Fig. 3—5: Muschelwerkzeuge der alten Chamorro aus Tridacna-Scbale 
(n. d. 0), '/a d. w. Gr. Die stehenden und liegenden Kreuzchen 
geben die Stellen an, von denen die rechts gezeichneten Quer- 
schnitte genommen sind. Fig. 4 ist anf der Oberseite stark 
abgeschliffen und stark gerundet (Text S. 64). 

Fig. 6: Eiserne Axtklinge aus den Ruinen von Saipan (n. d. 0.), V* d. 

w. Gr. Der Stiel war wohl in dem rechts auf der Zeichnung 
sichtbaren Winkelraum mit Stricken befestigt. 6 a zeigt einen 
Längsschnitt der Klinge (Text S. 64). 

Fig. 7: Schöpflöffel, kutchala dankulo (n. d. 0.), */„ d. w. Gr. 7 a ist 
ein Längsschnitt durch die Mulde und den unteren Teil des 
hölzernen Stieles. Die (wagerecht gestreifte) Mulde aus Kokos- 
scbale ist ungefähr in der Mitte durchbohrt. Der (quergestreifte) 
in die Mulde hineinreichende Stiel ist daran durch (schwarz ge- 
zeichneten) Bast befestigt, der durch das Loch, dann aussen in 



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- 107 



dickerem Geflecht an der Mulde entlang zu der Einbuchtung 

des Stieles fahrt, um auf der anderen Seite wieder im Geflecht 

zu endigen (Text S. 49). 
Fig. 8—10: Bronzenagelköpfe aus den Ruinen von Rota, vermutlich aus 

Japan stammend (n. d. 0.), 7s d- w. Gr. 9 a zeigt einen idealen 

8cbnitt, um die (meist viereckige) Ansatzstelle für den eisernen 

Nagel zu zeigen (s. Text S. 64). 
Fig. 11: Schlitznadel, sie (n. d. 0.) t 7« d. w. Gr. Sie dient dazu, Pan- 

danus- u. a. Blätter zu zerschlitzen, um aus den erhaltenen 

8treifen Flechtarbeiten herzustellen (Text S. 66). 
Fig. 12: Eine Art Rübenstecher kubo, aus Eisen zum Ausgraben von 

essbaren Wurzelgewächsen (n. d. 0.), '/, 0 d. w. Gr. (Text S. 70). 
Fig. 13: Ein Ackergerät, fusinios, aus Eisen (n. d. 0.), '/u d. w » Gr - 

Dazu gehört ein etwa 3— 3 7» m langen hölzerner Stiel (Text 

S. 64, 68, 69, 70). 
Fig. 14: Ein Ochsen karren, nach einem Modell aus Holz und Bambusrohr. 

Die Räder haben eiserne Reifen und werden durch eiserne 

Pflöcke an der Achse festgehalten. 
Die einzelnen Teile werden von Fritz folgenderniassen benannt: 
»a: Das Joch jugo ist mit 

b: der Deichsel largero durch eine mekate, Hibiscusstrick, fest 
verbunden ; 

c: die banbala, ein Strick der unter dem Hals des Tieres her- 
fährt und an beiden Deichselenden befestigt wird. Der 
Wagenkasten heisst »kaman-karetac und besteht aus: 

d: dem trabesanios; das mittlere ist mit der Achse, eje, fest ver- 
bunden und heisst sibo, 

e: die estakas, in der Mitte estakan-sibo sind in die durchlochte 
Deichsel eingelassen, 

f: luga die Langshölzer sind mit Hibiscus an den estakas ge- 
bunden, 

das Rad sueda besteht aus Palo-Maria (Calophyllum)-Bohlen 
und hat in der Mitte eine Erhöhung 
g: tnasa. 

h: die mecba der Achse wird durch 
i: die kuuia gesichert, 

bujas sind die Buchsen, sebika der Eisenbeschlag derselben, c 
Weiteres siehe im Text S. 72. 
Fig. 15—17: Schlingen zum Fangen (ver)wilder(ter) Schweine (nach 
Zeichnungen von Fritz) (Text S. 74). Fig. 15 war zu klein ge- 
zeichnet, um die Funktion der Falle zu erkennen. Von 3 Aus- 



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- 108 



legungsmöglichkeiten ist nach reiflichster Überlegung die dar- 
gestellte als die wahrscheinlich richtige gewählt worden. — Von 
einem elastischen Stamm s fährt eine Schnur zu dem Stell- 
hölzchen h, um dann auf dem Kohrgeflecht, bezw. -ge- 
stell r eine Schlinge zu bilden. Die beiden Seitenpfosten p 
tragen ein festes Querholz f and in einer Kerbe ein lockeres 
Querholz 1. Der Köder ist an dem Stellhölzchen h befestigt, 
h ist wahrscheinlich zwischen f und dem oberen Ende von r 
festgeklemmt. Tritt das Tier, um zu dem Köder zu gelangen, 
auf r, so fallt das Querholz 1 zu Boden, zugleich damit das Ge- 
stell r; sofort schnellt der Stamm, weil die Hemmung bei h auf- 
gehört hat, in die Höbe, und das Schwein sitzt mit dem Fusse 
in der sich zuziehenden Schlinge. — Ich bemerke ausdrücklich, 
dass auf Herrn Fritz' Skizze ein Köder nicht zu sehen ist, doch 
ist ein solcher auch nicht unbedingt nötig, wenn die Schlinge 
gut versteckt auf der Fährte angebracht ist Fig. 16 versteht 
sich wohl von selbst. Fig. 17 ist nach einem ähnlichen Prinzip 
gebaut, wie 15. Das Stellhölzchen h sitzt hier locker in einer 
Kerbe. Stösst ein Schwein an der lose über einen Dorn d ge- 
legten Schlinge an, so gleitet h aus der Kerbe, der stark ge- 
bogene Stamm s schnellt in die Höhe und das Tier ist durch 
die Zusammenziehung der Schlinge gefangen. 

Fig. 18: Eine Netznadel (n. d. 0.), V* der w. Gr. zum Stricken der 
Fischnetze. 

Taf. IV. 

Fig. 1: Netz zum Fangen fliegender Hunde, laguau-fani'e (n. d. 0.), '/to 

w. Gr. Von der 4 m langen Stange ist nur ein kurzes Stück 
gezeichnet (Text S. 75). 

Fig. 2: Krebsfalle, okudo-panglau (n. d. 0.), V« d. w. Gr. Ein Bambus- 
rohr, dessen vordere Seite offen, dessen hintere Seite geschlossen 
ist, trägt auf der Oberseite 2 viereckige Öffnungen, eine kleine 
schmale v t und eine grössere fast rechteckige v t . Ein Einschnitt 
bei 8 trägt einen elastischen Bogen b — b aus Rohr, dessen ge- 
spannte Hanfsehne auf das Rohrstuck r— r einen starken Zug 
ausübt. Diesem Zug wirkt das in v, eingehängte Stellholz h 
entgegen. Der (Taschen-)Krebs, der gern dunkle Löcher auf- 
sucht, betritt das Rohr und kriecht darin weiter bis er an h 
anstosst. Das Stellholz gleitet sofort aus der Öffnung v t heraus, 
infolgedessen ist nur noch der von b — b durch die Sehne aus- 
geübte Zug wirksam und r— r verschliesst, wie ein Pfeil durch 



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- 109 - 



die Öffnung v, geschlendert, die Vorderseite des Rohres (vergl. 2 a) 
(Text S. 75). 

Fig. 3: Ein Fischgarten im Meer (n. e. Zeichnung von Fritz). Die 
Herstellung ist im Text S. 78 beschriehen. Die Fische gelangen 
an der lengua (Zunge) lg entlang in das Vorgemach a (aposa- 
mento), von da ans an der linguata (Sperrkegel) lt vorbei in 
die botsa, wo sie mit leichter Mühe gefangen werden, a = ala, 
die rechts und links angebrachten Seitenflügel. 

Fig. 4: Rattenfalle, ökudo dschagga (n. d. 0.), Vi« d. w. Gr. In ein 
auf beiden Seiten hohles Bambusrohr wird am hinteren Ende 
durch ein am Boden gebohrtes Loch der elastische Rohrstab r 
gesteckt Von dem freien Ende von r führt eine Schnur mit 
dem eingeknüpften Stellhölzchen h durch das Loch 1 ins Innere 
des Rohres. Hier schmiegt sie sich der Wandung leicht an und 
führt dicht bei 1 durch die Öffnung o, in der sie durch je einen 
Knoten innerhalb und ausserhalb des Rohres befestigt ist, um 
dann eine kleine Schleife zu bilden, die von rechts über das 
Stellhölzchen gelegt ist. Dadurch wird die Schnur bis zu h 
gespannt und r durch den Zug stark gebogen, h wird an dem 
Verlassen der Schleife durch das leicht bewegliche Stützholz z 
verhindert, dessen unteres Ende den Köder tragt. Berührt eine 
Ratte den Köder, so entgleitet h der Schlinge, und das Tier fangt 
sich in der in 4a angegebenen Weise. 

Fig. 5: Wahrscheinlich der Teil einer alten Angel, aus Muschelkalk 
(n. d. 0.), Vi d. w. Gr. In der Rinne r hat vermutlich der 
Angelhaken gesessen, während die beiden Anne a die Angel- 
schnur getragen haben (Text S. 78). 

Fig. 6: Zweizackiger Fischspeer aus Eisen, fisca (n. d. 0.) mit je einem 
Widerhaken auf der Innenseite. Vi» d. w. Gr. (Text S. 76 
und 77). 

Fig. 7: Köderstein, atcho pucö (n. d. 0.), Vi» & w. Gr. Die Beschreibung 
ist auf Seite 77 des Textes zu finden. 

Fig. 8—12: Bearbeitete Steine (z. T. aus Ruinen), puc6's u. a., V4 d. 
w. Gr. Fig. 8 mit der ringsherum laufenden Längsrinne mag 
ebenso wie die durchlochten Steine 9—12 als Netzbeschwerer 
gedient haben. Bei dem wohl sehr alten Stein Fig. 12 möchte 
ich noch auf die Kerbe k aufmerksam machen, die wohl un- 
zweifelhaft durch die Durchscheuerung eines früher dort vor- 
handenen Loches entstanden ist (Text S. 78). 

Fig. 13: Ein Einbaum mit Ausleger, galaide, von oben gesehen (n. e. 
Modell), siehe Text S. 79. 



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- 110 - 



Fig. 13 A stellt einen Querschnitt durch das Boot, Aaslegerstange und 
Ausleger dar, um die Befestigung der Stange zu zeigen. 

Fig. 13 B ist ein Querschnitt durch den vorderen Teil des Schiffes mit 
Bank. 

Fig. 13 C zeigt 3 Querschnitte durch den Ausleger. 
Fig. 18D ist ein Längsschnitt durch die Bootsmitte. 

S ist ein den Anker ersetzender mit Bast befestigter Stein. 

Die Buchstaben a— f entsprechen sich in allen 5 Boots- 
Zeichnungen. 



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- 111 - 



Das Gesicht im Mond. 

Ein Märchen der Nauruinsulaner. 

Vod 

Antonie Brandeis. 



Vor langen Zeiten, als die Welt anders war als sie jetzt ist, und die 
Geister noch in Verkehr mit den Menschen traten, da war auf der lieb- 
lichen Insel Nauru eiD junges Mädchen namens Ejiawanoko, die mit 
ihrer Gross matter unter einem sehr hohen Baume lebte. Dieser Baum 
hiess Inkumateri, und seine höchsten Zweige berührten den Himmel. 
Seine Zweige waren herrlich grün und so dicht, dass die Sonnenstrahlen 
sie niemals durchdringen konnten und sie auch gegen den Regen ein 
gutes Dach bildeten. 

Ah die Grossmutter ihre Enkelin heranwachsen sah, dachte sie 
daran, dass es Zeit sei einen Mann für sie zu suchen, aber sie wusste 
nicht recht wie sie es machen sollte. 

Sie sagte sich, dass die Schönheit ihrer Enkelin sie berechtigte einen 
Gott zu ehelichen. Da sie es nicht mehr hinausschieben wollte nach 
einem Mann Umschau zu halten, rief sie die Enkelin herbei und sprach 
zu ihr: > Ejiawanoko,« sagte sie, »Du musst nun daran deuken, Dich zu ver- 
heiraten, und da sind viele Mäuner, die um Deinetwillen durch Feuer und 
Wasser gehen würden, aber ich habe schon für Dich gewählt und will 
Dir jetzt meine Vorschriften geben. Morgen früh,« sagte sie, »bevor die 
Sonne aufgeht, musst Du Dich vom Lager erheben und Dich für Deine 
Reise vorbereiten. Salbe Deinen Körper mit wohlriechendem öle, und be- 
kränze Kopf und Oberkörper mit schönen Blumen. Darauf ersteige den 
Baum, unter welchem wir unser Heim haben. Du weisst, dass Stufen 
am Stamm des Baumes bis zur Höbe reichen, obwohl noch niemand ge- 
wagt hat ihn zu ersteigen, denn es wurde sicheren Tod dem bringen, 
der dies unternehmen würde. Du aber kannst ohne Furcht gehen, denn 
die Zauberformel, welche ich über Dich sprechen werde, wird Dich vor 
Unheil bewahren, und alles wird gut werden.« 

Da antwortete Ejiawanoko: »Ich will hingehen, wohin Du es wünscht, 
denn ich weiss, dass alles, was Du für mich tust, zu meinem Besten ist«. 



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— 112 - 



Nachdem die Grossmatter ihre Zauberformel über sie gesprochen 
hatte, legten sich beide auf ihren Matten zur Rohe. Zur bestimmten Zeit 
fand sich Ejiawanoko am Fusse des grossen Baumes ein, mit schönen 
Blumen geschmückt und mit wohlriechendem Ol eingerieben. Dann rief 
sie ihre Grossmutter, die sie umarmte und sagte: »Mein Liebling, kommst 
Du zurück, so ist es mir lieb, wenn nicht, so weiss ich, dass Du Dich 
in guter Hut befindest c. 

Nun erstieg das Mädchen den Baum, und getragen von der Zauber- 
formel legte sie den Weg über die Zweige schnell und gefahrlos zurück. 
Als sie am Gipfel angekommen war, sab sie ein kleines Haus vor sich, 
neben dem ein altes, blindes Mütterlein sass, das Palm wein zu Syrup ein- 
kochte auf heissen Steinen in Kokosschalen. Es rührte eifrig, damit der 
Syrup nicht anbrenne. Das Mütterlein sang bei der Arbeit und zahlte 
ihre Schalchen. Jedesmal, wenn sie mit Zahlen fertig war, nahm Ejia- 
wanoko, die sich leise genähert hatte, eine Schale fort Als es immer 
weniger Schalen wurden, rief die Alte: »Was ist das, es werden immer 
weniger Schalen !« Schliesslich dachte das Mütterlein, die Schalen können 
nicht fortlaufen, jemand muss sie genommen haben, und bei der nächsten 
Gelegenheit griff es zu und erfasste auch wirklich den Arm von Ejiawa- 
noko, welche gerade im Begriff war eine nene 8chale fortzunehmen. 

Die Alte rief: »Endlich habe ich Dich, wer bist Du, die Du einer 
armen, blinden Frau den Syrup stiehlst? Aber Du wirst teuer dafür 
bezahlen, denn meine beiden Söhne Iguan (Sonne) und Merrimen 
(Mond) werden Dich töten, wenn sie hören, dass Du ihre Mutter miss- 
handelt hast!« 

»Oh, hab Erbarmen, ich tat es nur aus Scherz,« sagte das geängstigte 
Mädchen, »bitte vergieb mir, ich will niemals wieder etwas Derartiges tun, 
bitte, lass meinen Arm los!« 

Doch das Mütterlein hielt noch immer den Arm des Mädchens um- 
klammert. 

»Mein Name ist: , Eniburara', ich bin die Mutter von Iguan und 
Merrimen und koche Syrup für sie, wie ich es jeden Morgen tue, aber 
die Götter helfen Dir, nun habe ich nichts für sie,« sagte das Mütterchen, 
»denn Du hast alle Schalen gestohlen!« 

»Oh, liebe gute Eniburara, lass mich diesmal los, ich will alles für 
Dich tun, ich will Deine Dienerin sein und Dir stets gehorchen.« 

Die Alte antwortete: »Ich brauche keine Diener, das Wenige, was 
ich tue, tue ich aus Liebe zu meinen Kindern, ich selbst bedarf nicht 
Nahrung, Getränk und Schlaf.« 

»Oh, lass mich gehen, vergieb mir, liebe liebe Eniburara, und dann 
sage ich Dir ein Geheimnis, das meine Grossmütter mir mitgeteilt hat!« 



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- IIS - 

»Gut, törichtes Kind, sage, was es ist.« 
»Ich kann Deine Blindheit heilen!« 

»Nein, nein! das kannst Du nicht, jeder hat es versucht, und niemand 
ist es gelangen.« 

»Lass es mich nur versuchen, und sollte es mir nicht gelingen Dich 
zu heilen, so kannst Du mit mir tun, was Du willst.« 

Da Hess Eniburara den Arm des Mädchens los, worauf Ejiawanoko 
das Gesicht der Alten in ihre beiden Hände uahm, und nachdem sie 
einige Worte gemurmelt hatte, in ihre Augen spuckte. Da krochen 
Eidechsen und Käfer aus den Augen der Alten, und nach wenigen Augen- 
blicken konnte sie sehen. 

Vor Freude klatschte sie in die Hände und rief: »Welch' schöne 
Welt! Ich dachte stets, sie sei dunkel und bässlich, aber nun werde ich 
die Gesichter meiner lieben Söhne sehen können. Aber ich muss jetzt 
an Dich denken, denu wenn ich Dich nicht verberge, so werden Iguan 
nnd Merrimen Dich sicherlich töten, denn sie töten jedermann, den sie 
treffen. « 

Darauf steckte sie Ejiawanoko unter einen grossen, leeren öltrog und 
sagte ihr, sie solle ganz still sein, denn Sonne und Mond wurden gleich 
kommen. 

Kurz darauf erschien Iguan in seinem Glanz und blendete seiner 
Mutter Augen so sehr, dass sie genötigt war ihr Angesicht zu wenden. 
Als Iguan dies sah, fragte er die Mutter: »Warum drehst Du Dein Gesicht? 
Du tatest dies nie zuvor.« 

«Weil ich Dich jetzt sehen kann, mein lieber Sohn, was ich früher 
nie konnte.« 

- 

»Wieso, Mutter, wer vollbrachte dies Wunder?« 

Als er dies fragte, kam sein Bruder Merrimen, und seine Mutter dachte 
als sie ihn erblickte, wie sanft und milde er ausschaue im Vergleich mit 
Iguan, dem niemand ins Angesicht sehen könne. 

Merrimen ging auf seine Mutter zu und sagte: »Wie kommt es, dass 
Du uns anblickst, als ob Du uus sehen könntest?« 

»Ja, mein Sohn, ich kann sehen und Dich anschauen, aber Iguan 
mit seinem Glanz tut meinen Augen weh.« 

»Aber Mutter, was ist das für ein Duft? es riecht nach mensch- 
lichen Wesen!« 

»Es ist so, meine Kinder, ein Menschenkind, ein junges, liebliches 
Mädchen ist in der Nähe, und sie ist es, die mich vou meiner Blindheit 
geheilt hat. Das Mädchen ist so hold und schön, und ich denke, einer 
von Euch sollte es heiraten.« 

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- 114 - 

»Ja, Matter, antworteten beide, las9 das Mädchen kommen and 
wählen zwischen uns, wir wollen nicht eifersüchtig aufeinander sein.< 

Darauf ging Eniburara zum Öltrog, und als sie ihn hob, kam Ejia- 
wanoko hervor. Eniburara nahm das Mädchen an der Hand und führte 
sie zu ihren Söhnen und sagte zu ihr: »Nun Kind, triff Deine Wahl, 
welchen von beiden willst Du zum Manne haben?« 

Ejiawanoko überlegte einige Augenblicke, sah Soune und Mond an 
und sagte dann: »Ich kann Iguau nicht heirateu, er ist zu heiss, und 
ich kann ihn nicht ansehen, aber Merrimen sieht so ruhig und gut aus, 
ich will mit ihm gehen !c 

Als das Mädchen so gesprochen hatte, kam Merrimen auf sie zu, 
legte seine Arme um sie und begann mit ihr durch die Luft zu segeln, 
und bis auf den heutigen Tag kann man Ejiawanoko sehen, wie sie mit 
Merrimen durch den Himmel reist. 

Dies ist die Geschichte des Gesichtes im Monde. 



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- 115 - 



Bücherschau. 



Krämer, Dr. Augustin. »Die Samoa-Inselnc. Entwurf einer Mono- 
graphie mit besonderer Berücksichtigung Deutsch-Samoas. Heraus- 
geg. m. Unterstützung der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amts. 
2. Bd. Stuttgart 1903. 

Der erste Band des Krämerschen Werkes hat im vorigen Heft des 
Notizblattes die verdiente Würdigung erfahren. Vieles, was dort gesagt 
ist, gilt in gleicher Weise für den zweiten Band, so der Hinweis auf die 
grosse Sorgfalt und den unermüdlichen Fleiss, mit dem Krämer die Trüm- 
mer der samoanischen Kultur gesammelt, gesichtet und geordnet hat. 
Ein zweites kommt hier hinzu: Krämer hat, wie schon aus den früher 
erschienenen Teilen ersichtlich, erkannt, dass Samoa keine abgeschlossene 
Welt ist, dass es vielmehr in mannigfachen Beziehungen zu sämtlichen 
umliegenden Inselgruppen, besonders zu Fiji und Tonga, gestanden hat, 
eine neue Widerlegung des Märchens von der »Geschichtslosigkeit der 
Naturvölkerc. Er hat sich aber mit der Feststellung dieser Tatsache 
nicht begnügt, sondern in mühsamer Arbeit klar zu legen versucht, 
welche Kulturelemente jeder der einzelnen Gruppen eigentümlich ange- 
hören; und ich glaube wohl, dass man ihm in allen wesentlichen Ergeb- 
nissen beistimmen muss. 

Selbstverständlich ist es unmöglich, hier auch nur eine Ubersicht 
über den reichen Inhalt zu geben, der nicht nur die Entdeckungsgeschichte, 
Anthropologie und gesamte Ethnographie, sondern auch die Ethnologie 
umfasst, soweit sie nicht im ersten Bande dargestellt ist; daran schliesst 
sich dann noch ein Überblick über die Fauna und B'lora des Landes. 
Nur weniges sei besonders hervorgehoben: So die ausführliche Beschrei- 
bung des Tatauierens, bei der man ja allerdings vielleicht mit der völligen 
Ablehnung religiöser Bedeutung nicht ganz einverstanden sein mag. Be- 
deutenden Wert besitzen weiter die Abschnitte über Haus- und Bootbau, 
die eine seltene Vollständigkeit zeigeu, wie überhaupt die Darstellung der 
mänulichen und weiblichen Handfertigkeiten. Die reichhaltige Sammlung 
von Kochrezepten würde, besonders in Anbetracht der verhältnismässig 

wenig zahlreichen Materialien, jedem Kochbuch Ehre machen. Belustigend 

8* 



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- 116 



ist die Schilderung einer Reise, die ein Häuptling mit seiner Familie zn 
Verwandten unternimmt; wie ein Heu schreckensch warm fallen sie Ober 
das mit dem Besuch beehrte Dorf her und gehen nicht eher wieder, ehe 
alle Vorräte rein aufgezehrt sind; beim Abschied nehmen sie dann noch 
alle Wertgegenstande mit, die nicht niet- und nagelfest sind. Mit grosser 
Teilnahme hat Krämer das tägliche Leben der Samoaner beobachtet, das 
doch nicht so ganz müssig ist, wie oft angenommen wird. Den Grundzug 
des Wesens freilich bilden doch Frohsinn und Lebenslust, die an Festen 
und Tänzen Freude hat. Das« solch Charakter auch im Verkehr der 
Geschlechter sich äussert, ist klar; um so bemerkenswerter ist das strenge, 
aber gemütrolle Verhältnis des Bruders zur Schwester. Jede Verletzung 
des Zartgefühls der Schwester gegenüber wird gerügt; der Fluch der 
Schwester ist das Schlimmste, was den Samoaner treffen kann, Blut- 
schande das ärgste und ein unsuhn bares Verbrechen. Allen ist dies 
Geschwister Verhältnis heilig, wie denn selbst im Kriege, der alles mensch- 
liche Gefühl im Samoaner tilgt, der Bruder freien Zutritt zu der Schwester 
im feindlichen Lager hat. 

Diese wenigen Andeutungen mögen genügen. Zahlreiche Abbildungen 
sind dem Bande eingefügt; das Register entspricht nicht ganz dem un- 
geheuren Stoff, den das Werk giebt. Sicher hat Krämer mit der Samoa- 
Mouographie eine ethnologische Quelle ersten Ranges geschaffen, so dass 
wir nur wünschen können, recht bald von anderen Gruppen der Südsee, 
ehe es zu spät ist, ähnliche Arbeiten zu erhalten. F. Graebner. 

Karl Knortz, Streifzüge auf dem Gebiete amerikanischer Volks- 
kunde. Altes und Neues. 284 Seiten Leipzig 1902. 

Das Buch handelt grösstenteils von europäischer, nicht von ameri- 
kanischer Volkskunde. So gehören die »Oster- und Weihnachtsgebräuche«, 
die »Spruchweisheit« und die »Teufelsgeschichten« vollständig nach 
Europa. Der kleinere amerikanische Teil bezieht sich auf die weissen 
Bewohner der Vereinigten Staaten, besonders auf die Deutech-Pensyl- 
vanier (»Sitten, Aberglaube, Sprache und Litterat ar der Deutsch-Pensjl- 
vanier«) und den Staat Indiana (»Amerikanische Volksrätsel«). Nur das 
letzte Kapitel bringt etwas von den Negern und noch weniger von den 
Indianern Nordamerikas (»Allerlei Lieder und Reime«). Das bunte Durch- 
einander des Gebotenen, das geographisch oder inhaltlich nur oberflächlich 
gruppiert ist, und das Fernbalten jeder erläuternden Bemerkung, die die 
vielen zusammenhanglosen Einzelheiten als Teile eines wissenschaftlichen 
Ganzen erscheinen lassen könnten, geben dem Werke mehr den Charakter 
einer UnterhaltuDgslektüre, zumal — wie schon der Titel besagt — sehr 
viel Altes mithineingeflochten ist. Namentlich sieht man an den Teilen. 



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— 117 — 



die ans litterarischen Quellen geschöpft sind, wie z. B. ans den Angaben 
über indianische Lieder, dass es dem Verfasser nur auf unterhaltende 
Andeutungen ankommt Und da muss man zugestehen, dass die gefällige 
Art der Darstellung es einem sehr erleichtert, nach den Tatsachen in dem 
Buche zu suchen, die man wissenschaftlich verwerten könnte. 

K. Th. Preuss, 

E. Weule. Völkerkunde und Urgeschichte im 20. Jahrhundert. 
Thüring. Verlags-Anstalt. Eisenach und Leipzig 1902. 

Die Bedeutung des vorliegenden Schriftchens liegt vor allem darin, 
dass hier einer der wenigen Inhaber eines Lehrstuhls für Ethnologie in 
Deutschland sein Programm aufstellt. Sie wird dadurch noch erhöht, 
dass der Verf., auf dem Museum für Völkerkunde zu Berlin vorgebildet, 
jetzt selbst Direktor der ethnologischen Abteilung des Museums in Leipzig, 
eine Kenntnis der Materie und der einschlägigen Litteratur besitzt, wie 
nicht viele ausser ihm, und dass seine Studie über den afrikanischen 
Pfeil zu dem besten gehört, was auf ethnologischem Gebiete bisher ge- 
leistet worden ist. 

Es war daher zu erwarten, dass der Aufsatz allgemein empfundene 
Bedürfnisse zum Ausdruck bringen würde. So erhebt auch W. den 
Mahnruf, noch in zwölfter Stunde zu retten, was von dem Kulturbesitz 
der Naturvölker übrig ist; mit dringenden Worten wendet er sich vor 
allem an die Kolonialmächte, sie möchten ihre Pflicht der Anregung und 
Unterstützung solchen Sammeleifers erkennen, hebt auch er die Not- 
wendigkeit geräumiger Museen hervor. Gern wird man ihm auch in dem 
beipflichten, was er über Wert oder vielmehr Unwert kleiner Museen 
ohne die nötigen Existenzmittel sagt. Einen Vorbehalt wird man freilich 
machen müssen, wenn er meint, dass es mit der wissenschaftlichen Bear- 
beitung Zeit habe. Gerade der Ethnologe kennt Beispiele geuug, wie 
eine Sammlung mit peinlicher Sorgfalt angelegt worden, im Zusammen- 
tragen des Materials scheinbar nichts übersehen sein kann; und wenn man 
sich dann an die Verwertuug macht, wenn einem dann erst die Probleme so 
recht aufgehen, dann erst merkt man, dass das Wichtigste oder wenigstens 
manches Wichtige fehlt. Häufig ist es dann zu spät. 

Aber Weule ist es mit dem Aufschieben der wissenschaftlichen 
Arbeit auch gar nicht so ernst. Denn er selbst spricht ausführlich über 
Ziel und Methode der Forschung. Und wieder kann man es mit Genug- 
tuung begrÜ8sen, dass er mit aller Schärfe den Grundsatz vertritt, die 
Ethnologie müsse in die Tiefe arbeiten; sie müsse die Verwandtschaften 
und Beziehungen der Völker nicht nur registrieren, sondern ihr Inein- 
andergreifen, ihre Folge zu erkennen und so die Entwicklung der 



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- 118 — 



Kulturen herauszuarbeiten suchen. Und ebenso erfreulich ist die Er- 
kenntnis von der grundlegenden Bedeutung der Sprachforschung für die 
Volkerkunde. 

Nur in zwei Punkten kann ich nicht unumwunden znstimmen, zwei 
Punkten, die allerdings auf die ganze Grundstimmung der Abhandlung 
Bezug haben: Das ist auf der einen Seite ein unverwüstlicher Optimismus; 
es ist eine alt bekannte Erscheinung, dass junge Wissenschaften, je mehr 
sie noch in den Kinderschuhen stecken, mit um so lauteren Posaunen- 
tönen ihre Vollreife verkünden und sich gerade den nächstverwandten 
Zweigen mit einer gewissen Schroffheit gegenüberstellen. So auch die 
Ethnologie, und wohl hauptsächlich von diesem Gesichtspunkte aus ist es 
zu -verstehen, wenn ein umsichtiger Beurteiler wie Weule den Windmühlen« 
kämpf gegen die sogenannte alte Schule der Historie führt. Ebenso ist 
Helmolts Weltgeschichte wissenschaftlich verfehlt, da die angeblich neuen 
Grundsätze in Wahrheit so alt sind, wie die Geschichtswissenschaft selbst. 
Der Kenner weiss, dass nur die geringe Entwicklung der darstellenden 
Urgeschichte und der Volkerkunde Schuld hat, wenn in der »zünftigen 
Geschichte« die beiden Disziplinen zwar nicht stiefmütterlich, aber mit 
mangelhafter Sachkenntnis behandelt werden. Wir sollten doch offen 
eingestehen, dass wir bisher mit allen Arbeiten nicht wesentlich weiter, 
als zur Stellung von Problemen gekommen sind. Von einer Methode 
haben wir bisher nur die gröbsten Züge und können nicht mehr haben, 
so lange wir nach echter Jugendart am liebsten das Haus mit dem Dach 
beginnen und zuerst die grössten, Völker und Meere, ja wenn möglich 
den ganzen Erdball umfassenden Probleme lösen möchten. Machen wir 
doch Ernst mit Weules Forderung, die Völkerkunde zur Geschichte zu 
erheben, nicht nur dem Eudziel nach, sondern vor allem, indem wir die 
gewissenhafte historische Kleinarbeit nicht verschmähen, die Beziehungen 
der Stämme, der Völker Schritt für Schritt verfolgen. Die grossen, ge- 
nialen Zusammenfassungen, die brauchen wir nicht zu rufen, die kommen, 
jede zu ihrer Zeit, ganz allein. 

Dem scheinbaren Optimismus steht eine vielleicht etwas wirklichere 
Resignation gegenüber. Weule sagt von Anthropologie, Ethnographie, Ethno- 
logie und Prähistorie, »dass jede von ihnen allein grosse rassen- und völker- 
geschichtHche Probleme nicht lösen kann«. Das ist nicht unrichtig; was 
thun wir aber mit Begriffen von Wissenschaften, die keine sind? Der 
Ethnograph, der nicht Ethnologe ist, gleicht im besten Falle einem eifrigen 
Marken sammler. Nehmen wir wieder den Begriff der Geschichte, auf 
den uns Weule hinweist, so umfasst er nicht nur Ethnologie und Ethno- 
graphie, sondern zugleich die Sprachforschung. Die Einheit dieser drei 
müsste, so meine ich, imstande sein, ihre Probleme selbständig zu lösen, 



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oder die Ethnologie verliert ihre Existenzberechtigung. Selbstverständlich 
ist, wenn die Ergebnisse der Kulturgeschichte denen der Anthropologie 
widersprechen, eins von beiden falsch, aber Weule selbst betont, dass da- 
durch nnr eine Revision, nicht ein Hinübergreifen der einen Untersuchung 
auf das andere Gebiet gerechtfertigt wird. Auf der andern Seite muss 
an der unauflösbaren Eiuheit der drei andern Disziplinen festgehalten 
werden. Man kann wohl einzelne Beziehungen aufdecken, aber niemals 
die Knlturgeschichte eines Gebietes als Ganzes begreifen, ohne auf 
allen drei Grundlagen zugleich zu bauen. Eius freilich werden wir 
stets vermissen, das ist die viel geschmähte politische Geschichte, 
die wir vielleicht zuletzt ganz nebelhaft ahnen, aber nie deutlich schauen 
werden, und die wir doch zum vollen Verständnis nicht entbehren können. 
Denn auch Kultur wächst nicht wie eine Blume, sie wird gemacht; sie 
ist die Tat handelnder Menschen, ihre Art, Höhe und Verbreitung das 
Ergebnis von Krieg und Frieden, Schlacht und Vertrag. 

Fritz Graebner. 



Druck tod A. Haack, Berlin N.W. 



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Ethnologisches Notizblatt III, 3. 



TAFEL I. 




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Ethnologisches Notizblatt HI, 3. 



TAFEL II. 




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Ethnologisches Notizblatt. 

Herausgegeben 
too der 

Direktion des Königlichen Museums für Völkerkunde 

in Berlin. 



Band IE. - Heft L 

Mit 176 in den Text gedruckten Abbildungen und 3 Karten. 



1901. 

Druek und Verlag von A. Haack. 



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HARVARD UNIVERSITY. 




LIBRARY 

OF THE 



PEABODY MUSEUM OF AMERICAN 
ARCEEOLOGY AND ETHNOLOGY. 



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Ethnologisches Notizblatt. 



Herausgegeben 



von der 



Direktion des Königlichen Museums für Völkerkunde 

in Berlin. 



Band in. - Heft 2. 



Mit 11 in den Text gedruckten Abbildungen. 



1902. 

Druck und Verlag von A. Haack. 
Berlin. 



HARVARD UN1VFRSITY 




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OF THR 

PEABODY MUSEUM OP AMERICAN 
ARCHJEOLOGY AND ETHNOLOGY. 

C.IFT OF 



Reccived 



VERÖFFENTLICHUNGEN 
AUS DEM KÖNIGLICHEN 

MUSEUM FÜR VÖLKERKUNDE 

Ungefähr alljährlich I Band . • 

io 4 Heften von zusammen etwa 24 Bogen Text nebst Tafeln in Folio, geheftet. 

Verlag von W. SPEMANN in Berlin. 
I. Band (Heft 1—4 zusammen) Preis 12 Mark. 

Heft 1, Dr. M. ühle, Ausgewählte Stücke zar Archäologie Amerikas. 6 Bg. Text mit 

2 Farbendruck- und 8 Lichtdrucktafeln. 1889 
Heft 2/3. Prof. k. Pander, Das Pantheon des Tschangtscha Hutuktu. Ein Beitrag 

zur leonographie des Lamaismus. Herausgegeben und mit Inhaltsverzeichnissen 

versehen von Dr. A. Grünwedel. 9 Bogen Text mit vielen Zinkdrucken 1890 

(Einzeln Preis 8 Mark) 
Heft 4, Dr. E. Seier, Altmexikanische Studien (Geschichtswerk des P. Sahaguo. Saerale 

Gefässe der Zapoteken). 9 Bg. Text mit Zink- und autotvpiscben Drucken. 1890 

(Einzeln Preis 6 Mark.) 

II. Band: 

Heft 1/2, Dr. P. Ehrenreich, Beiträge zur Völkerkunde Brasiliens: a) Die Karayastämroe 
am Rio Araguaya (Govaz); b) Ueber einige Völker am Rio Purus (Amazonas). 
Seite 1 — 80 mit Textabbildungen. 15 Lichtdrucktafeln und einer Farbenskizze 
1891. Preis 20 Mark. 

Heft 3/4, H. V. Stevens, Materialien zur Kenntniss der wilden Stämme auf der Halb- 
insel Maläka. I. Theil. Seite 81—164 mit Textabbildungen. 1892. Preis 10 Mark. 

III. Band: 

Heft 1/2, Beschreibung einer von G. Meissner zusammengestellten Batak-Samralnng. 
Mit sprachlichen und sachlichen Erläuterungen versehen und herausgegeben von 
F. W. K. Müller. Seite 1 - 94 mit zahlreichen Textabbildungen and 3 auto- 
typischen Tafeln. 1893 Preis 22 Mark 

Heft 3-4. H. V. Stevens, Materialien zur Kenntniss etc. II. Theil (Forts, zu 
Veröff II 3/4». herausgeg. von A. Grünwedel. VIII Seiten und Seite 95—190 
mit 30 Textabbildungen 1894. Preis 14 Mark. 

Verlaß von DIETRICH REIMER 

Abonnementspreis pro Band 24 Mark. 

IV. Band: 

Heft 1, F. H. Cushing, Sammlung von Idolen, Fetischen und priesterlichen Aus- 
rfistungsgegenständen d. Zum od. Ashivi Indianer. Seite 1 — 12 m. Textabbilden 
C. Sapper, Altindianische Ansiedelungen in Guatemala u. Ghiapas Seite 13—20 
F. Seier, Alterthümer aus Guatemala. Seite 21-53 mit Textabbildungen. 18» 
Preis 8 Mark 

Heft 2/4, O. Stuebel, Samoanische Texte. Seite 54-246. Herausgegeben von F W 
K Müller. Preis 24 Mark. * ' 

V. Band: 

Heft 1/4. A. Grtinwedel, Buddhistische Studien. Seite 1-136 mit Textabbildung™ 
1895. Preis 21 Mark. p 

Verlag von W. SPEMANN 

VI. Band: 

Heft 1, H. Strebel, Ueber Thierornamente auf Thongefässen aus Alt-Mexiko S*itn 
1—28 mit 19 Tafeln 1899. Preis 16 Mark. " 

Heft 2/4. E. Seier, Altmexikanische Studien II. Seite 39-204 mit Textabbildungen 
1899. Preis 30 Mark. »oouaun B en. 

VII. Band: 

Heft 1/4. W. Grube, Zur Pekinger Volkskunde. Seite 1—160 mit 10 Tafeln 1901 

Preis 30 Mark. 

Snpplementheft. Georg Hnth, Neue Mahaban-Inschriften. Seite 1 — 19 mit 9 Ah. 
bildungen 1901. Preis 10 Mark. ^ 



Zu beziehen durch alle Buchhandlungen. 



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Ethnologisches Notizblatt. 



Herausgegeben 



von der 



Direktion des Königlichen Museums für Völkerkunde 

in Berlin. 



Band III. Heft 3. 



Mit 4 Tafeln. 



Berlin. 

A. Haaok Verlagsbuchhandlung. 

1904. 



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RECE1VED. 

iADODY MUSEUM. 



Inhalt der bisher erschienenen Hefte des 
Ethnologischen Notizblatts. 

Band 1, Heft 1: A. Gritnwedel: König Maname. — W. Grabe: Cber eine chinesisch« 
Bildrolle. — F. W. K. Müller: Neue Erwerbungen au* Hinterindieu. — 

E. Seier: Die grossen Steinskulpturen des Museo Nacional de Mexico. - 

F. v. Lngchan: Über die Pfeifen der Bali. — YY. Grabe: Ein Bronzegeriit 
aus China. — Die Dolmen auf Tonga. — Purrah-Maske. Preis: Mk. 5.—. 

Heft 2: F. v. Lnsrhau: Über zwei alte Canoe-Schnitzwerke aus Neu-See- 
land. — A. Grttnvredel: Notizen über Indisches. — F. W. K. Müller: D- r 
Weltberg Meru nach einem japanischen Bilde. — F. W. K. Mililer: Anzeig'- 
neu eingegangener siamesischer Bücher und Handschriften. — £. Selcr: Alter- 
tümer aus Guatemala. — Vi. Grube: Sammlung chinesischer Volksgötter au? 
Amoy. — K. Wenle: Von der jüngsten Durchquerung Afrikas. — A. B.: 
Anthropologisches Stiftungsfest. — Das siamesische Prachtwerk Trai-Pbüni. 
Preis: Mk. 9.-. 

Heft 3: A. Grünwedel: Notizen aus deu Reisen des Hrolf Vaughan Steven.« 
in Maliika. — A. GrDnwedel: Notizen über eine Terraeotta aus Magdi&chu. — 
A. Grttnwedel: Bericht über den Besuch des Kgl. Schlosses zu Schwedt zur 
Besichtigung alter Gemälde mit ethnographischen Darstellungen. — F. IV. 
K. Müller: Über den Ausdruck Kälasütra — F. W. K. Möller: Die dm 
Welten nach einem humoristischen Bilde von Utagawa Sadashige. — K. Weule: 
Zum Fetischwesen der Ewe. — K. T. d. Steinen: Indianische Karten 
Zeichnungen und Kerbstöcke. — F. v. Lu«chnn: Zur Ornamentik der Maori — 
Ostafrikanische Erwerbungen im Jahre 1895. Preis: Mk. 8.—. 

Band II, Heft 1: F. v. Lnschau: Über den Tanzschmuck der Balantes. — ' v . Grnhe: 
Vorläufige Notiz über eine neuerworbene chinesische Sammlung. — A. Gröu» 
wedel: Bhrikuti. — F. Vf. K. Müller: Aus der Kokkwa. - £. Seier: 
Quauhxicalli. — K. v. d. Steinen: Ein marqucsanischer Sarg. — P. Ehren- 
reich: Zur Ornamentik der uordamerikauischeu Iudianer. — M. Bartels: 
Ostafrikanische Armringe aus dem Hufe des Elefanten — A. Baessler: 
Masken von Mangaia. — Vf. v. d. Steinen: Steinbeileder tiuarayo- Indianer. — 
K. Th. Preuss: Die ethnographische Veränderung der Eskimo des Smith- 
Sundes. — lt. Ankermanu: Eine Tanzruaske der Baining. — K. Wenle: 
Afrikanisches Kinderspielzeug. — Randglossen zur Erörterung schwebender 
Fraget» in der Mensch- und Völkerkunde. Preis: Mk. 9.— . 

Heft Hnhl: Mitteilungen über Sitten und rechtliche Verhältnisse auf 
I'onape. — Ethnologische Zusammengehörigkeiten (zum Vorstehenden). — 
F. Elton: Verzeichnis japanisch-buddhistischer Holzbildwerke. — F. Yf. 
K. Müller: Bemerkungen zu dem vorstehenden Verzeichnis. — K. y. d. Steinen : 
Der Paradiesgarten als Schnitzmotiv der Payaguä-lndianer. — K.Tb. Preass: 
Der Affe in der mexikanischen Mythologie. — A. B.: Zum Seelenbegriff in 
der Ethnologie. Preis: Mk. G.— . 

Heft 3: F. Fülleborn: Über künstliche Körpervemnstaltungen bei den Ein- 
geborenen im Südeu der deutsch-ostafrikanischcn Kolonie. — A. Bae*sler: 
Goldene Helme aus Columbien. — A. B.: Zur uoctischcn oder ethnischen 
Psychologie. Preis: Mk. H. — . 

Band III, Heft 1: B. Ankermaun: Die afrikanischen Musikinstrumente. — E. Seier: 
Ein anderes Quauhxicalli — A. B,: Die Berührungspunkte der physichen 
Psychologie mit der uo&ischen. — A. B.: Zur ethnischen Psychologie. 
Preis: Mk. 9.-. 

Heft 2: K. Hinily: Ein chinesisches Werk Über das westliche Inner-Asien 
- VI. Lehnmnu: Die Bezeichnung des Krieges im Mexikanischen mit sprach- 
lichen Erläuterungen. — Hahl: Fest« und Tänze der Eingeborenen vou 
Ponape. — Höseraanu: Ethnographische Tagebuchnotizen von der Expedition 
gegen die Esuni und vom Marsch Jaunde-Watare-Ngila-Ngntte zum Mbam 
Preis: Mk. H. — . 



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MUS45.S.1 (3) „, . . 
Toner Library 




3 2044 043 533 488 



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