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Full text of "Sammlung gemeinverstandlicher wissenschaftlicher Vortrage"

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UNIVERSITY  OF  CALIFORNIA 


FEß  12m.c 


Recewed 


Auessiofts  Shelf  No. 


Sitmittlnng 

gemciiiücrft&ttblid^er 

tot||en|d)aftltd|er  Vorträge 

^etauägegeben  uon 

Uni.  unb  St*  n.  i§ol|eniotff. 


XIX.  $erie. 

^cft  433—456. 


füFI 


t \ Q TT.  ^ . 


^ITTi 


6rtUit  SW.  1884. 
Setlag  oon  @arl  ^abel 

{€.  4.  l'äiirttfi^e  Sirli(ili«iti(iitlim|i.) 
tt.  BiOftni.eirai«  SS. 


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V ,\=ä 


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|n|iilt«°9n;(ii|ufi  to  XIX.  S(tit 


4«ß ^ Seite 

433  434.  Sreutlein,  ißiof.  Sie Siurd^qiietunflen  SIfrifa’g. 

^tt  einer  .^arte . . . . . ^ . . ^ 1 — 92 

435 '436.  tUlarggraff,  .^lugo,  ®ie  SSorfa^rcii  ber  ©ifenbafjneu 

u.  ®aiiH)froagen.  '■IJIit  20  in  beii  iert  gebrucften  Slbbtlb.  93—156 

437.  aCBoIffberg,  Dr.  ®.,  lieber  bte  3mpt»ng.  ^)t|'toriic^" 
ftatitUfc^e  gKittbeilungeii  über  iPocfenepibetnien  unb  3tn< 

pfung  nebft  einer  S^eorte  ber  <Sd)u^impfung  . . . . 157—204  ■ — ‘ 

438.  0 (!b  ro  g 1 b , Dr.  theol.  TO.,  Sutberä  gntiPicftung  Dom  ^Ibni^ 

juin  .^efonnntor 205 — 236 

439.  Ublig,  Dr.  SB.,  Heber  bag  Sorfommen  unb  bie  (£iit« 

ftebung  beg  (Srbölg 237—280 

440.  ^äufener,  Dr.  3-.  Uufere  5laifetfoge 281—336 

441/442.  Griebel,  Gmft,  'üiig  ber  SBor.^ett  ber  . . 337 — 400 

443.  3Beniger,(lipin.^S)ir. Dr.  B-,  5)er6IottebbienittnD[pmpia  401 — 436  

444.  ^eltnaii,  Dr.  6.,  lieber  bie  Sreii^en  ^jtcilc^en  pfpc^ifi^er 

0efunb^eit  unb  ©eifte^ftörung 437—472 

445.  9lei6ner,  (£.,  ^>ora.^,  SBerfm^,  gupetml,  btc  ^anpt- 

Dertreter  ber  römif^en  Satire 473—512 

446.  Uffelmaitn,  ^rof.  Dr.  3-.  ®rot  unb  beffen  btä< 

tetifc^er  ®ert^ 513 — 548 

447.  2)iercCg,  Qultou,  $oetif(i^e  i£umiete 549—580 

448.  p.  g^Ieper,  $rof.  (B.  .&.,  S)ie  iBebeutmig  beg  gttbmungg» 
proaeffeb  für  ba$  ^ebeii  beg  tbierif^en  Drganigniug  . 581—612 

449.  gteumann,  g.,  j&ugo  ^rottug  1583—1645  613—644 

450.  Sotf^,  ür.  SB.,  $ie  SBert^eiluiig  ber  'Ulenfc^cn  über 

bie  (Srbe  unb  bie  Urfat^en  ber  »erf<biebencn  SBotfei- 
Derbic^tung  in  ben  einjelnen  6rbtl)eilen 645—692 

451.  t>.  .S^litcfbo^n,  ^rof.  91.,  5)er  General  Ppn  £d)arn^orft  693—732 

452.  (£ucfen,  iRub.,  äiriftoteleg*  gnfdbnuuiig  Don  greunbftbaft 

unb  pon  ^ebenggütern 733 — 776 

453.  6)  Übel,  Dr.  Heber  bie  gegenfeitigen  Seaiel&ungen 

ber  ^flan,^cn-gtgane 777 — 808 


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IV 


«(ft  6eUc 

454.  ^agen,  $rof.  Dr.  {>.,  Heber  elementare  Sreigniffe 

im  «Itertbum 809—852 

455.  SSoIIinger,  ^of.  Dr.  C.,  Ueber  3®^9*  ““b  Siefen- 

mucbä.  ÜRit  brei  ^oljfcbnitten 853—884 

456.  2>enide,  Dr.  Son  ber  beutf<ben  ^anfa.  <£ine 

biflorifcbe  ©Rja« 885-920 


3(b  bitte  ju  beadjten,  bag  bie  Seiten  ber  ^efte  eine  bopbelte  $agi< 
nirung  hoben,  oben  bie  Seitenjabl  be4  einjelnen  4>(fte4,  unten  — unb 
jmar  eingetiammert  — bie  fortlaufenbe  Seitenaabl  be«  3abrgange4. 


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Ducdiperungen  2fciktt0. 


3roci  SSorträge 


0011 

fl.  Stratlein, 

^rofeflor  am  ©pmnafium  ju  Äarlöru^e. 


9Jlit  einet  Pforte. 


ficrlin  SW.,  1884. 

SSetlag  Don  6arl  ^>abel. 

(C.  4.  irakrritj'iiti  Ütrlinsliiltllliiiklliiq.) 

3S.  Silbtlm  • £tiak<  SS. 


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2!a^  ber  neberfeöung  in  frembe  <äprad)eit  luirb  Dorbebultfu. 


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OP  THB  V 

fUNIVEESITTi) 


0>T 


^IP0T> 


cOwei  geograp^ifc^en  Problemen,  bet  *1)0101»  unb  bet 
5Sftifotor[d^ung,  war  im  SBetlaufe  beS  lebten  ^olbjo^r^unbertö 
bte  oBgemeinfte  9lufmerf|amfeit  gugemenbet,  unb  ie  mij  bea 
etngelnen  ÜöfunggDcrjuc^en  unb  i^ren  @rfolgen  ober  ®i§etfolgen 
richteten  [ic^  bie  iSugcn  bolb  mebt  nodb  9iorben,  bnlb  wteber 
mehr  noch  ©üben,  ben  beiben  (äjrtremen  fltmotifcber  Sjrifteng. 
3n  ber  ©egenwart  — e8  bebotf  ja  nur  beö  9?ennenö  ber  ©ebiete 
Slegppten,  IranSoaal,  Äongolouf  ober  ber  5)iänner  Slrabi  ober 
SJiabbi,  ©tanlep  ober  Stagga!  — in  ber  ©egenroart,  jage  teb,  ift 
eS  ungroeifelbaft  ber  für  uuö  jo  nabe  unb  bod)  immer  noch  fo 
buntle  ©rbtbeil,  meldjem  baS  allgcineiiifte  Snterefje  gemibmet  ift. 
Unb  bieS  aud  leicbt  begreifli^en  ©rünben. 

grüber  mar  eS  in  erfter  Dieibe  »arme  rein  menfdblidbe  SCbeil» 
nabme  an  bem  Sobl  unb  SBebe  bet  SJlännet,  »elcbe  unter  ©r» 
bulbung  größter  ÜJiübfal  ©efunbbeit  unb  leibet  gu  oft  baö  geben 
einfe^ten,  um  bem  grofjen  Unbelannten  ein  ©tüif  feineS  Seft^eß 
um  baß  anbere  gu  entreißen;  unb  weiter  waren  eß  früber  not 
allem  geograpbijtljc  gtagen,  beten  Sluftlörung  con  jenen  Oleifen» 
ben  erwartet  würbe.  3e^t  aber  ift  eß  nicht  mebt  bloß  9leugier 
unb  ©taunen,  wobutch  bei  ber  jfunbe  »om  fernen  ©üben  bie 
©emütber  bewegt  werben,  nicht  mehr  finb  eß  bloß  23obenrelief 
unb  ber  Sauf  ber  ©ewäffer,  9lrt  unb  ©itte  ber  Sewobner  Slfrifaß, 
©rweiterung  unferer  Äenntni§  oon  Ä'ultur*  unb  ©ptachgefchidbie 
ber  ü)Jenf(hheit/  welche  non  eingelnen  SDiänneru  ber  SiSiffenfehaft 
in  Sltlanten  feftgelegt,  in  23üchem  oergeichnet  werben  — nein, 
niel  unmittelbarer  baß  praftifche  Seben  unb  .^anbeln  an»  unb 

XIX.  433.  434  1*  c*> 


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4 


aufreäcnbe  3nter«nen  finb  eö,  weldbe  unß  6utoj)äet  ^eute  mit 
afrifo  in  Sejte^ung  fe^en,  bie  gtagen  befl  ©rofe^anbelS  unb 
fio(itijd|et  SRa^tentfaltung,  unb  t^rer  @ntfd^eibung  im  einen  ober 
anbetn  Sinne  gilt  je^t  fd^on  unb  mitb  in  ben  fommenben  3a^r> 
je^nten  me^r  unb  me^r  gelten  IDenfen  unb  ^^un  bet  großen 
lBol(ömaf[en  @utopaS. 

SBenn  fo  bei  S&tm  bet  3nteieffen  be§  Itageö  an  unfet 
fd^lägt  unb  bie  gto^en  ^ragegeie^en  bet  Sufunft  »ot  unfetem 
IHuge  auftauc^en,  fo  ift  ed  ein  natütli^et  IlBunjc^,  33erftänbni§ 
jn  ^aben  füt  bie  3uftänbe  nnb  ©efc^c^niffe  bet  ©egenmatt, 
»otbereitet  ju  fein  auf  bie  ©reigniffe-,  melt^e  jebeö  fcmmenbe 
3a^t,  ja  jebet  j£ag  biingen  fann. 

fRid^td  abet  oermag  beffered  SSeiftänbni^  bed  Sot^anbenen 
3u  geu&^ten,  al6  bie  Sluffaffung  biefeö  IBor^anbenen  ale  eines 
©emorbenen,  9Ud)t0  oetlci^t  beffeten  ©inblid  in  bie  Unibilbung 
aOe0  Seienben  al0  bet  IRüdblid  auf  feine  ©ntmicfelung  in  bet 
Seit.  — 

ISngemanbt  auf  ben  ©egenftanb,  bet  un0  ^eute  befd^äftigen 
foll,  fü^rt  bet  eben  au0gef)>ro(^ene  ©ebanfe  fofott  auf  bie  0rage: 
„SBie  ift  bie  ©tf(^lie§ung  SlftifaS  erfolgt?  3Bem  ^aben  mir 
unfere  Äenntnife  biefeö  in  jeglid^et  ®e3ie^ung  fo  frembartigen, 
fo  eigent^ümlid^en  unb  batum  fo  äu^erft  fc^mietig  ju  etfotfc^en* 
ben  ©rbt^eileö  gu  oetbanfen?" 

9Ran  mtib  mit  gerne  gugeben,  ba^  cd  nic^t  möglich  ift, 
biefe  Stage  fo  allgemein  unb  meitumfaffenb,  mie  fie  eben  gefteUt 
mürbe,  im  {Rahmen  eines  SSottiageS  gu  be^anbeln,  felbft  menn 
mid^,  mie  id)  gleich  je^t  fd^on  fagen  miQ,  auf  bie  ©ntbecfungS> 
gefd^i^te  beS  lebten  falben  3a^t^unbertS  befc^tanfe.  ©in  SBlicf 
auf  9lrt  unb  SBeife  geogta^j^ifd^et  Sorf(bung  geigt  biefl  fofott. 

IDie  ©tforf^ung  eines  fo  meiten  ©rbgebieteS  mie  9fti{a 
fann  naturgemä§  in  gmeifad^er  iStt  ftattl^aben  unb  ift  aud^  in 
bet  ^^at  gemifc^t,  auf  beibetlei  Seife  erfolgt,  ©leic^mie  ein 
(♦) 


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5 


^ergfc^aft  abgeteuft  unb  von  feinet  tiefften  0teQe  auS  nad;  ben 
vetfi^tebenften  diie^tnngen  ^in  @änge  eröffnet  »erben,  um  bie 
ig(^5ee  be8  ©obenS  ju  ^eben,  io  fann  man  ou<^  bei  aeogra« 
Vbifc^et  ^orfc^ung  von  befannter  ©teile  au8  einen  S^orfto^  unter* 
nehmen  bis  3U  einer  paffenben  ©tation,  um  von  biefet  au8* 
ge^enb  unb  ftetö  »iebet  ju  i^r  iurüeffe^renb  ba8  ganje  ringsum 
liegenbe  @ebiet  nad)  allen  feinen  (Sin^ein^eiten  in  Qieftaltung, 
iSetväfferung  unb  Semo^nung  fennen  ju  lernen.  @ntfprecf|enb 
ttieberljolteS  93orgeben  gu  neuen  ©tanborten  unb  gleid^eS  Slr= 
beiten  febiebt  bie  Stengen  beS  Unbefannten  immer  weiter  gurücf, 
unb  in  fteter,  fidbeter,  wenn  freilicb  nur  aQmäl)li(ber  forgfamer 
'Arbeit  vieler  @ingetnen  unb  nad)fclgenber  IQerglei^ung  unb 
3ufammenfaffung  ibtet  ßrgebniffe  gelangen  mit  ftbliefelicb  bagn, 
jenes  größere  @ebiet  alS  geograpbifdb  befannt  betrachten  gu 
burfen.  — @ang  anberS  bie  gmeite  SCrt.  9lut  gegmungen  am 
f eiben  S^rte  vermeilenb,  ftrebt  unfet  ^orfeber  als  $fabfinber 
immer  weiter  voran,  immer  fReuem,  Unbefanntem  entgegen,  unb 
von  befanntem  Gebiete  auSgebenb  unb  gu  befanntem  gelangenb, 
gwar  nur  auf  fcbmaler  Sinie,  aber  in  langgeftredtem  SSerlaufc 
erfcbliegt  er  weite  Sanbftridbe  boeb  im  @ro§en  unb  @angen 
menfeblicbet  ^enntnig.  fStaneber,  ber  gut  einen  >^rt  bet  $otf(bung 
auSgog,  ift  butcb  oft  feltfame  Rügung  bet  Serbältniffe  gut  an* 
bereu  gebrängt  worben.  SSerlnngt  bie  erftere  mebt  forgfamen 
$lei§,  ®ebu[b,  @ntfagung  unb  gar  oft  felbft  33ergi(bt  auf  9(n< 
erfennung  in  weiteten  Äreifen,  fo  erforbert  jene  gweite  Slrt 
gtofeen  petfönlidjen  fKntb,  @ntf(bloffenbeit  unb  gäbe  ^batfraft* 
eine  ftete  Slnfpannung  aller  Äräfte  ÄörperS  unb  ©eifteS,  ge» 
wäbrt  aud)  freilich  bem,  bet  bie  ungäbligen  ©chwierigfeiten 
überwunben,  bie  unfäglicben  ©efabren  überftanben,  größte  @bie 
unb  ewigen  fRacbrubni. 

tSfrifaS  ©ntbedungSgefchichte  gäblt  von  beiber  'jlrt  tReifenben 

eine  übergroße  tHngabl.  $eute  fei  nur  betet  gebacht,  welche 

(») 


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6 


burd^  raftlofeö  unetf(^rocfene8  SSorbttngm  tn  jenem  Snfelerbl^eil 
»on  9Reet  ju  ÜJleer  gelangten  unb  jo  bie  JDurt^querungen  beS 
Äontinenteö  burdjfü^rten,  welche  ju  ben  größten  geiftungen  geo» 
gtap^ijc^et  ^orfc^ung  geböten. 


SBir  werfen  junätbft  einen  Uebetblicf  über  ben  ©efammt» 
f^aupia^  ijjrer  2l)ätigfett,  biefen  (Jrbtbeil,  ber  etwas  meljr  al8 
ein  S3iertj)eil  ber  ganjen  ©rbfefte  anSmncbt.  !Durc^  bie 
biejeS  im  S3ergleicbe  gu  3)eutfcblanb  meljr  al8  gwölffacb  jo  gro§e 
„9Keer  o^ne  Söaffer“,  wirb  gang  Slftita  in  gwei  ft^on  ber  @rö§e 
nach,  aber  audb  in  jeber  fonftigen  Segie^ung  ungleiche 

J^eile  gerftbnitten.  Sluf  ba8  Don  ber  ©übgrenge  ber  SBüfte  füb= 
li(^  liegenbe  QJebiet,  auf  iJequatotial=  unb  @üb»9lfrifa,  fommen 
etwa  gwei  JDrittel  be8  Kontinentes,  wä^renb  oom  norblicbm 
3)ritt^eil,  pon  9lorbafrifa,  bet  bewohnte  (Streifen  löngö  beS 
Ü)iittelmeere8  felbft  wieber  etwa  ein  IDrittel  auSmadjt. 

9iur  biefer  (entere  Streifen  ift  3eu0e  nitet  Kultur;  »on 
ben  wenigen  übrigen  Küftenfäumen  abgejeljen,  welche  feit  »ier= 
^unbert  Sauren  burcfe  ©uropäer  befe^t  unb  in  geringem  ©rabe 
nur  befiebelt  würben,  war  faft  aQc8  übrige  afrifanij^e  ©ebiet 
bis  in  bie  gwangiger  3a^re  unfetcS  Sa^r^unbertS  oödig  unbe= 
fannt.  3war  war  man  im  oorigen  3ai)t^unbert  no(b  unb  gu 
Anfang  beS  je^igen  Pon  ber  Kapftabt  auS  norbwärtS,  pon  Sri* 
poli  aus  fübwärts,  am  ©ambia  oftwärtS  porgebrungen.  9lber 
nur  wenig  war  in  ber  erfteren  SRi^tung  gefc^eljen;  in  ber  gweiten 
Ijatte  .^jornemann  (1798)  ÜKurfnf  in  geffan  erreicht  unb  auf 
ber  angebeuteten  3Beftoftri(btung  war  9)iajor  ^ougtjton  (1791) 
bis  por  Stimbuttu  gefommen.  9iun  aber  erfolgten  fräftigere 
9Sotftc§e:  in  1822f— 24  btangen  SDenbnm  unb  ©lapperton 
bis  93ornu  Por  unb  liegen  ben  mittleren  Sl^eil  beS  Suban  mit 

bem  Slfabfee  jowie  bie  SBüfte  gwift^en  bem  Suban  unb  Beffan 
(6) 


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7 


genauer  befannt  werben;  Jimbuftu,  biefe  al8  (Sentraltunft  oon 
fünf  Äara»anenftra§en  wic^tivgfte  Stobt  beö  gonjen  inneren 
9lorbofrifaö,  war  1826  t»on  9lorben  ber  burcb  Soing  erreicht 
worben;  bie  (Sjrpebition  gor  unter  JRicharbion,  SBorth,  Ooer» 
weg,  bonn  SL^ogel  (1849—56)  burchforjehte  boS  grofje  (Gebiet 
Don  Jripoliö  au8  fübwärtö  bis  jum  SRtget  unb  ü?inue,  3wi[chen 
Jimbuftu  unb  Söobat  ton  SÖeft  noch  £5ft. 

8onge  batte  eö  gewährt,  biö  bie  wei§en  J^letfen  unferer 
Äarten  beS  b«‘ben  @rbtl)eil8  ton  ollen  Seiten  ber  jufommen» 
jufebrumpfen  begonnen;  um  |o  rafeber  febwonben  fie  in  ben  auf 
1820  folgenben  tiertbalb  3obr3ebnten.  '?(ber  — tom  3uge 
ßaiUi^’ß  nbgeieben  — evft  mit  ber  ÜKitte  ber  fiinfjiger  Sabre 
bracb  bie  biß  jur  ©egenwart  reicbenbe  Seit  ber  ©ntbeefungS» 
geiebiebte  an,  bie  man  füglicb  o(^  bie  3«*  b«  S^urcbcittcrungen 
Stfrifae  be^eiebuen  fönnte.  Dieie  IDurcbquerungen  beö  Snfel» 
erbtbeilß,  biefe  mübl’amen  unb  gefobrooHen  äöonberungen  ton 
9Jleer  ju  9Keer,  fie  haben  bie  großen  3üge  ber  Sobengeftoltung, 
ber  Öcwäfferung  unb  ber  5?ewobnung  feunen  gelehrt,  fie  haben 
boö  f^aebwerf  gegeben,  bao  bureb  bie  gleicbjeitigen  unb  noch» 
folgenben  ifofalforid)ungen  mehr  unb  mehr  auögefüüt  würbe  unb 
noch  aufgefütlt  wirb. 

3)en  ffijjjirten  jwei  großen  ©ebieten  Slfrifaö  entfpreebenb 
laffen  ficb  bie  IDurcbquerungöreiien  auch  gut  in  2 ?lbtbeilungen 
behanbeln:  eö  finb  bie  beö  9torbenö  unb  bann  bie  IDurtbquerungen 
ton  SRitteU  unb  ©ubofrifo.  iPeginnen  wir  mit  ben  elfteren! 


I. 

afrifa’ö  *Jiorbranb  ift  ton  ben  ben  SSölfern  ©uropaö  fo  be» 
tonnten  SKaffern  beö  üKittelmeereö  bejpült;  aber  bennoeb  war 
er  felbft  unb  waren  bie  h'ater  ihm  liegenben  8änber  biö  gum 
tflnbrueb  unfereö  Sahrhunbertö  ben  ©uropäern  faft  töflig  un« 

befannt,  ja  nod)  Sabre  lang  naebber  waren  fie  für  jene  nur 

(?) 


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8 


Orte  ^6<^[ten  ©^redenfi.  SJJaroffo,  ällgtet,  2uni8,  Jttpoliö  — 
tote  grauftg  tönten  euio^äifc^en  O^ren  biefe  9tamen  at@  ©tamm« 
ft^e  gefürc^tetftet  ©eetäuber,  alS  So^ingbutgen  ^öd^ften  mu^m> 
mebanifc^en  ^anatidmuS! 

Saft  fcbien  ed  unmögUcb,  bag  @iner  eö  wage,  l}ieT  etnj(u> 
bringen;  gar  bieje  Bänbet  burd^queten  3U  woOen,  um  jum  at> 
lanttjc^en  Ocean  ju  gelangen  ober  nacbbem  et  von  Unterem  aud^ 
gegangen,  mugte  bofjpelt  unmöglich  fdbeinen  unb  ftdjeret  2^ob  ob 
bec  fonnenbuTcbglü^ten  fegtet  enblofen  $Büfte.  Hnb  bo^  warb’ä 
gewagt  unb  warb  gewonnen,  jogar  nod)  beoot  butd)  bie  ,^anonen 
SuropaS  SJlaroffo’S  Sanatidmud  gu  äu^erlic^eT  9iui;e  gebradst, 
noc^  e^e  Suniö  unb  j^tipolid  bem  ftiebltcben  ^anbelöoeifet^r  er< 
öffnet,  noch  et)e  'Ülgtei  fran^öftfebe  ^Prootnj  geworben  war. 

3wai  batten  Europäer  mit  bewunbeinbwertber  9iu8bauet 
Sabtbunberte  lang  oerfuebt,  in’«  ^erj  oon  9iotbaftifa  ocr» 
3ubringen  unb  42  Steifen  ftnb  befannt,  welche  bie8  3irt  erftrebten 
unb  auf  oetfebiebenen  Sßegen  e0  erftrebten:  »om  ©enegal  au6, 
Don  jlripoliö  b^c>  von  Ülegbpten  unb  bem  oberen  9iil  au8,  gar 
and)  auögebenb  Dom  @olfe  Don  IBenin.  lDreiunb3Wan3tg  biefer 
0iieitenben  begannen  ihren  9)iarfdb  an  ber  IBeftfufte,  aber  feiner 
gelangte  3um  3)iittelmeer.  2)er  erftc,  welcher  bie8  SBagni§  ooll» 
führte,  war  bet  Stan3oie  (SaiUi^  (geb.  1800).  ©eit  früher 
Sugenb  febon  oom  IDrange  nach  Dieifen  erfüllt,  geht  er  16  jährig 
mit  60  Stc8.  nur  unb  ohne  beffere  Silbung  nach  ©enegambien, 
um  fich  ber  3um  (Sambia  aubgejanbten  (Srpebition  au3uf(blie§en. 
IDer  93er)u(b  mi§glüdt  unb  über  äBeftinbieu  fehrt  er  nad)  ber 
c^eimath  3urüd,  um  aber  1818  febon  wieber  am  ©enegal  3U 
fein:  er  reift  biefen  Sl“fe  aufwärtd,  wirb  aber  franf,  fann  im 
bortigen  jflima  nicht  gefunben  unb  mu^  wiebet  nach  S^anfreid) 
3urüd. 

aber  i.  3.  1824  fommt  er  3um  britlen  fDiale  3um  ©enegal, 
Dorerft  um  einem  fleinen  .jpanbel  obguliegen;  aber  halb  treibt 
(S) 


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9 


i^n  öte  8uft  gum  SHeijcn  inS  Snnete.  6t  Berroeilt  jundt^ft 
3a^te  bet  ben  Stafnaö,  um  oollenbet  arabifd)  gu  lernen  unb 
bte  ^ult^anblungen  bet  URauten  gu  üben;  nacb  @t.  Souid  tütf« 
gelehrt,  finbet  et  bei  ben  ftangbfitd^en  {Regtetungebeamten  feine 
UnteTftü|ung  für  feine  fReifepläne,  Detfucbt  eS  bed^alb  an  bet 
englifd^en  ^üfte  oon  tS'ierra  Seone  unb  ^ört  ^iet  non  bem 
gto§en  ?)reife  oon  10  000  §tanc0,  melden  im  Sa^te  1824  bie 
geograp^ifd^e  ©efellft^aft  gu  ^ari0  au0  eigenen  unb  geftifteten 
ORitteln  au0gefe^t  ^atte  für  ben  erften  Europäer,  meieret  bie 
ge^eimni§DoOe  @tabt  Slimbuftu  erteiepe.  @ofott  fte^t  eS  für 
@ailU4  feft,  biefen  ^teiö  eningen  gu  »oQen.  @t  madjt  Söefonnt» 
febaft  mit  ben  QRanbingoS  unb  ben  ^anbelSleuten  auä  bem  3n> 
netn  unb  tbeilt  biefen  unter  bem  Siegel  beS  @ebeimniffe0  baS 
$olgenbe  mit:  et  fei  in  Slegppten  non  atabifeben  6ltetn  ge> 
boten,  fei  in  frübeftet  Sugenb  gelegentlitb  bet  ©tobetung  beß 
Sanbeß  bureb  bie  gtangofen  non  biefen  nadb  ^anfreicb  mit> 
gefdbleppt  worben  unb  feitbem  an  ben  Senegal  gefommen,  um 
^anbelßgeftbäfte  für  feinen  .^enn  gu  beforgen,  bet  ibu  bann 
ie^t,  beftiebigt  »on  feinen  JDienftleiftungen,  frei  gegeben  b“f>e; 
er  woQe  nun  natb  Slegppten  gurüeffebten,  um  bort  feine  Familie 
wiebet  gu  finben  unb  bie  mufelmännifcbe  ^Religion  wieber  auß> 
juüben.  S)ie  je^t  unb  auä)  fpäter  guweileu  gehegten  Bweifel 
wu^te  6aitli6  gu  beben  buttb  fleißige  ©ebetßübung,  burtb  eifrigeß 
8efen  beß  J^oran  unb  außwenbigeß  ^erfagen  oon  SteQen  auß 
Oemfelben.  3m  3nnetn  beß  ganbeß  erfe^te  er  SHejranbria,  wo» 
bin  et  gu  reifen  gebente,  alß  gu  wenig  betannt,  bureb  ^IReffa 
unb  fanb  ficb  ob  feiueß  oft  heiligen  6ifetß  nur  notb  angefebener. 

3m  Sefi^e  oon  erfpatten  2000  Bteßw  öou  welchen  1700 
in  paffenben  Siaufebwaaren  angelegt  würben,  brach  ©aiOiö  am 
19.  Slptil  1827  non  Jfafonbp  am  9lio  9iuneg,  füblicb  »on  Sene» 
gambien,  auf,  in  Begleitung  »on  fünf  freien  SRanbingo,  btei 
Sflanen,  einigen  SEtögetn,  einem  gübtet  unb  beffen  grau.  Slftro. 

(9) 


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10 


nomiic^e  3u|trumente  befa^  et  nic^t,  felbft  nic^t  eine  llljr,  et 
ic^ägte  alfo  bie  @tunben  na^  bem  ©tanbe  bet  ©onne,  roo^l 
abet  ^atte  et  2 ©uff ölen  im  ©efi^,  meldje  i^m  jjto|c  ©teufte 
leiftcteu,  unb  mafe  roiebet^olt  um  ÜKittag  bie  ©c^attenlänge 
eines  ©tabeS,  motauS  fii^  ju  ^aufe  bie  betteffenbe  Drtflbteite 
betec^nen  liefe.  ®t  jie^t  junätfift  oftmättö,  butd^  Suta  ©ft^iaHon, 
tfeeilreeife  begleitet  von  maubeinben  unb  ^anbel  treibenben 
Sula^’8,  übetaH  mit  9leugiet  al8  ganbSmann  beS  ^ptopfeeten 
angeftaunt  unb  burtb  @l)retbietung,  ©eftbcnfe  unb  ©erabreidjung 
Don  ©afetung  außgejeic^net  unb  wegen  feineö  teligiöfen  ©ifetö 
beglucfmünfcbt.  Anfang  SORai  fteu^t  et  ben  Safing,  beu  .^aupt» 
juflufe  beß  ©enegal,  unb  mac^t  jeufcitS  beffelben  btei  SBodjeu 
SRaft.  3n  ©efeQjcbaft  »on  60  bis  80  Äöpfcn  weiterjiebenb  ge* 
langt  et  halb  jum  ©ft^ioliba,  bem  Oberläufe  beS  ©iger  unb, 
roäfetenb  ftarteS  lieber  ficb  einftetit,  am  17.  3uni  nad)  Äanfan, 
wo  er,  wegen  bet  ftetS  regnerifdjen  SBittetung  unb  ba  feine 
jReifegelegenbeit  fi<t>  finben  liefe,  einen  oollen  90Rcnat  ju  oet* 
weilen  genötbigt  ift.  läeufeerfte  ©otfitbt  ift  etfotberlitb,  um  ben 
©cbcitt  beS  IDieftapilgerS  ju  wabrcti:  ftetS  i)at  er,  wenn  ©efud) 
fommt,  ein  ©latt  beS  ÄovanS  in  ,^''änbcn,  batin  jit  lefen,  jwei* 
mol  täglid)  gebt  et  pr  50Rofdjee,  oQe  31uf.^eid)nungeu  biet 
überbaupt  wäbrenb  bet  ganzen  Steife  mufe  et  mit  ©leiftift  unb 
Döllig  im  ©ebeimen  matben,  ftetS  ceu  Äoran  als  ©ecfung  bereit 
baltenb.  Sltitte  3uli  jiebt  et  weiter,  oftiuartS,  junäcbft  in  baS 
IJanb  SBaffulo,  bei  unaufbörlitbem  Stegen,  über  tbeilweiie  über» 
fcbwemmteS  üanb  unb  fommt  am  3.  3luguft  in  bem  tbcilS  oon 
mubammebonifcben  SJlanbingo,  tbeilS  oon  bfibuifcben  ©ambatta 
bewohnten  bübfdien  fleinen  ©orftben  ©imme  an.  .^iet  will  er, 
weil  nitbt  mehr  matftbfäbig,  bie  Teilung  einer  f^ufewunbe  ab* 
warten  unb  löfet  Darum  bie  jefet  abgebcnbe  Äatawane  fort^ieben, 
fteter  Siegen  im  Sluguft  bebt  nidjt  feine  ©timmung,  bie  SBunbe 

oerfcblimmert  fid)  unb  6nbe  Üluguft  bilbct  fid)  gar  eine  jweite 
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n _ 

SBunbe  am  jelben  )o  bafe  « nidjt  ju  ftel)en  Detmai3  unb 
genöt^igt  ift,  unter  ber  fogenannten  pflege  einet  »on  Sag  ju 
Jag  unfteimblic^et  roetbenben  alten  9iegetin  unb  ben  IDiebereien 
unb  ^rprefjungen  feineö  3Bittl)e8  auSgefe^t  einen  ganzen  SOlouat 
gu  J^aufe  ju  bleiben,  ben  feucbten  SBoben  al8  Saget,  jeinen 
Sebctjacf  als  Äopffijjen  benu^enb.  SRac^bcm  aud)  bet  laeptember 
unb  Dttober  oicl  JHcgen  gebracht,  jchliefet  fich  anjang  ^^tonember 
bie  ?5ufemunbe;  6aiai4  roia  ftd)  jcbon  freuen,  ba  geigt  ftct)  bie 
b5jc  Äranfheit  beS  gtorbut,  bie  ihm  jebeS  @fjen  oerbietet  unb 
jdjrecfliche  ©chmergen  bereitet.  Unb  je^t  bricht  gar  jeine  SBunbc 
ffiieber  auf!  3um  Sfelett  abgemagert,  jogat  feinet  Umgebung 
«Dlitleib  einflöfeenb,  netliett  et  jegliche  ©nergie  unb  münjdit  nur 
noch  ben  Job  herbei  — ba  enblich  SJUtte  IDejember  tritt  SBejje» 
tung  ein,  er  erholt  fich  langfam  unb  finbet  auch  Begleiter  gut 
SEBeitetteije.  9iorbroättS,  auf  2)jchenne,  alS  4>auptftation  not 
Jimbuftu,  finb  feine  ©ebanfen  gerichtet. 

9tach  fünfmonatlichem  ilufenthalte  in  Jimme  oerläfet  et  bieö 
am  9.  Sanuat  1828  mit  etma  50  '3Jtanbingo  unb  35  Jfrauen, 
afle  jpanbelSlaften  ttagenb,  bagu  acht  anfül)iet  mit  15  ©fein. 
«Durch  mehl  beoölfette,  non  einet  frieblichen  unb  gemerbtreiben» 
ben  SöeDÖlfetung  beroohnte  ©egenben,  roo  »on  ben  oiclen  fleinen 
^)äuiJtlingen  jeweils  SBegegöttc  erhoben  werben,  wo  oielfachet 
anbau  üon  Jabot  unb  SaumwoOe  unb  Sierfettigung  Bon  Stoffen 
aus  leitetet  bie  3{egjamfeit  bet  Seoölfetung  geigt,  geht  eS  ftetS 
netbwärts,  bis  am  10.  93tätg  bet  weftöftliche  Sauf  beS  hiet 
150  m breiten  «Dfchioliba  ober  fRiget  erteilt  ift,  unb  mit  ihm 
bie  oon  gweien  feinet  ©eitenorme  umfchloffene  ©tabt  «Dfchenne, 
biefet  gegen  10000  ©inwohnet  gählenbe  lebhafte  Karawanen. 
but^gugSplah. 

3ftach  13  tägigem  «ufenthalt,  im  Sefi^e  oon  ©mpfehlungen 
für  Jimbuftu,  bie  fich  ©aiQiö  bur^  SSetfehenfung  oon  ©cheeren 

ober  eines  fRegenfehirmeS  u.  f.  w.  erworben,  fe^t  et  feine  Steife 

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12 


fort,  jeftt  gu  ©c^iffe  ben  mojeftätifc^en  Strom  binabfa(>renb. 
®tn  äu§erft  lebhafter  ScbifffartbSoerfebr  jeigt  fidj  flonje 
glotillen  »on  60  — 80  ©(Riffen,  je  30,  4 unb  2 m begw.  nad) 
Sänge,  ©reite  unb  Jiefe  mejfenb,  alle  reld)  belaben,  mit  16  biä 
18  Schiff leuten  befebt,  führen  bie  ©rgeugniffe  beä  Sanbeö,  aud) 
Stlaoen,  ftromab  ber  großen  Stabt  gu.  ©ic  weite  unb  ein» 
förmige  @bene  bot  bem  2luge  wenig  9Rahrung;  um  fo  fd)limmer 
machte  fich  bie  ©ehanblung  fühlbar,  bie  unfet  SReifenber  auf  bem 
Schiffe,  faft  nach  3lrt  eineS  Stlaoen,  gu  erbulben  hatte.  6ß 
war  eine  @tlöfung,  alß  nach  ben  oiet  fchweren  Wochen  ber  Sahtt 
am  20.  !äptil  ber  .^afenpla^  oou  Jimbuftu  unb  ua^  einem 
fKarfche  oon  wenigen  Stunben  lanbcinwärtß  biefeS  felbft  erreich* 
worben  war.  (Snblich  war  et  angelangt  in  biefer  geheimnih» 
oollen  Stabt,  biefem  lange  Sahte  erfehnten  3«le  feinet  2Sünfche. 
®roh  war  feine  Steube,  unb  hoch  burfte  er  fie  nicht  äuhetn! 
’jibec  gang  unb  gat  nicht  entfprach  feinen  Erwartungen  '2(nblicf 
unb  3nnereß  biefer  Stabt:  in  unenblich  fcheinenber,  ober,  fan» 
biget  Ebene  liegt  fie  ba  mit  ihren  fieben  SRofcheen  unb  ben 
10—12  000  bem  iRegerftamme  ber  Äiffut  ungehörigen  ©ewohnern, 
bie  in  fchlechten  Erbhäufern  leben,  aber  in  SBohnuug  unb  jtlei» 
bung  außgefuchte  tReinlichteit  pflegen,  ^ür  ben  ^nbait  ift  ber 
©oben  ungeeignet,  unb  fo  ift  man,  ba  felbft  Jrintwaffer  getauft 
werben  muh,  auf  ben  ^anbel  angewiefen,  gumal  auf  bie  Saig» 
Ein»  unb  ©urchfuhr  oom  Storben  her.  ©ie  Sebenßmittel  finb  fehr 
theuer,  unb  Saitliä  wäre  in  fchlimmfter  Sage  gewefen,  fatlfl  et 
fie  fi^  hätte  auß  eigenen  9Rilteln  befdhaffen  müffen.  Et  warb 
freunblich  aufgenommen,  unb  fo  blieb  er  gwei  SBodhen,  ba  er 
am  oierten  ©age  fchon  hätte  weiterreifen  tönnen.  lieber  aQe 
©erhältniffe  fuchte  et  ftch  gu  unterrichten,  unb  fo  erfuhr  er  benn 
auch  genauer,  waß  er  fchon  in  ©fchenne  h^tte  anbeuten  hären, 
bah  fein  Sanbßmann  Saing,  ber  oon  IRorben  her  getommen, 
turg  guoot  bei  ber  Stabt  überfallen  unb  getöbtet  worben  war. 

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13 


fleber  ben  iDcitcren  8auf  beö  25f(^ioliba,  bcn  et  ctftmaie  ouf  bev 
befaljrenen  Stterfe  erforjebt,  »ermodjte  et  nichts  ju  etftagen;  feine 
Setmutbung,  ba§  et  in  ben  93u|en  non  Senin  Pie§e  unb  mit 
bem  9liget  ibentifch  fei,  ertpiefl  [ich  nacbtnalS  aW  ȧllig  ticbtig. 

9lm  4.  ÜJtai  1828  »etlie§  (5ailli4  Eimbuftu,  mit  einet  Äa® 
tamane  non  600  Äameelen  notbrnärtS  butcb  bie  SBnfte  jiebenb, 
non  äuperft  ftatfet  ^i^e  gepeinigt;  in  eU2itauan,  ebenfaQS  einem 
BvifcbenbanbeiSpIa^  ebne  eigene  .ipülfSqueOen , cetfetgte  ibn 
ein  maurifebet  ifaufmann,  um  ft<lj  ben  Propheten  günpig  ju 
ftimmen,  mit  bem  fRotbigften  fut  bie  meitete  {Reife,  unb  non 
l)ier  ab  wuebS  bie  Bob^  bet  ^ameele  auf  1400.  0ie  fepatfeu 
Dftminbc,  bie  ©anbpiirme  unb  bet  SBoPetmangel  wäbrenb  bet 
näcbften  a^t  ^age  braepte  bie  .Karawane  bem  Untetgang  nape; 
TOÖbrenb  afle  Uebtigen  pep  in  bet  ^olge  etpolen  fonnten,  »at 
(SoiOli^,  als  ob  et  ßprift  wärt,  jinei  ÜRonate  laug  non  Seiten 
bet  begleitenben  IDlauten,  ja  felbft  bet  butep  biefe  aufgefta^elten 
Sflanen  anpaltenben  fcptecllicpen  Duäleteien  unb  SSetpöbnuiigen 
auögefe^t,  fo  bafe  et  Pep  felbft  jeitweilig  in  bie  Belte  Slnbeter 
Pücpten  mupte.  SSielfacp  mu|  et  pep  SBaPet  etbetteln;  in  eU 
•5>atib,  wo  et  13  Jage  netweilt,  mup  et,  um  @pen  unb  Sltinfen 
gu  erlangen,  ben  Stauen  Ülmulette  fepteiben  bepufS  ©ewinnung 
non  PRdnnetn  füt  ipte  Slöcptet.  @nbe  3uli  ift  et  boep  naep 
Saplet  gelangt,  nape  beim  UtlaS,  unb  maept  non  piet  nadp 
feepstägigem  ülufentpatt  einen  mepttdgigen  9luSPug  naep  bem 
nielbefucpten  URatfte  non  !33opeim,  non  wo  eine  weitete  ^ata« 
wane  naep  Seg  abgepen  foDte.  93om  flafcpa  piet  Untetftüpung 
etbettelnb,  abet  abgewiefen,  nettaup  @aiQi4,  anf  bie  @efapt  pin, 
gang  nadt  gepen  gu  müpen,  ein  .^leib  unb  mietpet  einen  @fel, 
um  j£agS  batauf  mit  einet  Karawane  non  200  fOhultpieten  naep 
Seg  gu  teifen.  IDie  pietbei  noOfüptte  IDutdpquetung  beS  ^tlaS 
bringt  äupetp  quälenben  .punget  unb  fepteefliepe  PRfipfal. 

SDiit  bet  anfunp  in  Sej  (12.  Sluguft),  bet  fcpönpen  Stabt, 

(U) 


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u 


bic  et  in  Slftifa  gefe^cn,  ift  er  na^e  am  3»el,  ob«  gröfeer  unb 
grö|et  fc^eint  bie  @efa^r  ber  (£ntbe(fung  jeineS  SSetrugeS  311 
werben.  6t  wagt  bet  einem  3uben  ben  Serfauf  3weier  engltfc^en 
6olbflü(fe;  um  an  bie  näc^fte  ^ü[te  3U  fommen,  wenbet  et  fid^ 
nun  jübweftwärtd,  auf  ^JRefinaS  gu  unb,  batob  beargwöhnt, 
heuchelt  er,'  er  begehre  ben  jifaifer  gu  fehen  uub  biefem  feine 
traurige  Sage  gu  flagen.  6r  eneicht  jene  @tabt  nad|  \)axUt 
äBanberung  am  tHbenb  unb  wirb  weggewiefen,  alö  er  in  einem 
Stade  bleiben,  unb  ba  er  nun  in  bet  dRofchee  übernachten  will, 
wirb  er  hinouflgejagt:  et  fchlöft  bei  faltet  Stacht  im  freien. 
Schon  wollen  ihn  bie  Ärafte  »erlaffen;  bie  |)offnung,  in  JRabat 
am  SReete  einen  frangöfif^en  Äonful  gu  finben,  hö't  ihn  ouN 
recht:  er  pnbet  ihn,  aber  e8  ift  ein  einheimifchet  3ube  — er 
»ertraut  fich  ihm  an,  aber  ber  wenbet  fühlloS  fich  ab.  traurige 
öiergehn  Jage  »erlebt  h*«  6aidi4,  untertagö  an  Strafeenecfen 
fich  aufhaltenb,  nachts  ben  ^riebhof  am  SReet  als  fRuheplah 
wählenb,  ftetS  unter  *^ngft  unb  in  -junget.  Slm  2.  September 
wid  et  auf  gemiethetem  6fel  bis  Stanger  reiten,  mufe  aber  tro^ 
bet  ^cgahlung,  ba  baS  ^h>«  3n  jdhwadh,  gu  ben  9Beg 
machen,  geplagt  »on  heftigem  Bieber  unb  üu^erfter  6rmattung. 
Äranl  unb  enlfrdftet  fommt  er  in  fanget  an,  in  biefer  »om 
glühenbften  ©laubenShaffe  erfüdten  Stabt;  faft  fcheint  eS  — fo 
nahe  am  Siele  — nicht  möglich,  ben  Äonjul  JDelaporte  gu  fpte^en, 
unb  als  er  nach  »ielen  bangen,  ja  fdhrecflichen  Stunben  biefen 
gefunben  unb  ihm  fich  entbedt  hotte,  »ermo^te  er  nur  unter 
größter  @efahr  für  fein  fieben  baS  Sanb  gu  »erlaffen:  »erfleibet 
gewinnt  er  baS  Schiff,  baS  eigenS  für  ihn  auf  beS  ÄonfulS  Se= 
treiben  auS  6abir  gefommen  war,  unb  nach  10  Stagen  betritt 
et  in  Stoulon  heimifdhen  ©oben  (10.  Dftober),  erholt  fich  hier 
etwas  »on  ben  furchtbaren  Strapagen  unb  fehrt  nach  IJoriS 
gurüd. 

508  Jage  hot  6aidie’S  fRcife  in  Slfrita  gewährt;  301  bet= 

(U) 


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15 


jelben  loaien  gewoDte  ober  aufgcjioungene  Siu^ctage,  bie  et  an 
18  Drten  »erlebte,  fo  ba§  er  »oüe  207  3!age  auf  bem  9Jlatf(^ 
butcb  bad  unbcfannte  f!anb  3ubrad}te.  S)te  »on  ibm  burcb> 
wanberte  ©tiede  ift  größer  al8  bie  ©ntfernung  »om  Jfap  9Ra= 
tapan,  ben  faft  füblicbften  ^uuft  ßuropab,  biß  gu  beffen  norb» 
lidjftem  ?)unft,  bem  fUorbfap.  6r  ^at  tro^  ®?angel8  an  aßen 
Snftrumenten  eine  gute  .Karte  bet  burcbwanberten  @egenb  ge* 
geben,  et  bot  ihre  flimatifcben  unb  aQgemein 
»ölfer*  unb  fpratbfunblidien  mie  il)re  ^anbeI8»33etbältniffe  er» 
forfcbt  unb  Sage  unb  Siefe  bet  Srunncn  in  ber  SBüftengegcnb 
aufgejeicbnct,  er  bat  Simbuftu  befcbrieben  unb  ein  gro^eß  Stürf 
beß  langen  3Rigetlaufeß  erforfcbt  unb  beffen  njafferrcicbe  Suflüffe 
angegeben:  mit  IRedbt  mürbe  ibm  bet  »ier  Sabre  jurot  auß» 
gefegte  'Preiß  unb  mebt  alß  baß  gucrfannt. 

SBcnn  au(b  ßaiflie’ß  Oteife  unmittelbar  nicht  bie  gro§e  tSn« 
regung  gab,  bie  oon  ibr  hätte  ermattet  metbcn  fönnen,  fo  mirfte 
bocb  auch  fie  mit,  baß  Snterefje  an  5lfrifa  mach  ju  erbalten. 
IDurcb  biefeß  getrieben,  gingen  immer  neue  gotfcbet  bortbin  ab, 
einer  um  ben  anbern  fein  geben  laffenb  auf  bem  fcbredlicben 
©cblatbtfelbe.  S3on  Dberguinea  l)ex  mar  bet  fcbon  genannte 
©lapperton  auf  einer  gmeiten  tReifc  (1825)  biß  ©ofoto  »or= 
gebrungen,  fanb  aber  ba  gleicbmie  fünf  feinet  ©egleiter  beu  Job. 
vSein  IDiener  ganber,  bet  bie  Sagebiuber  nach  ©utopa  gurütf» 
gebracht  halte,  unternabm  feinerfeitß  mit  feinem  Sruber  eine 
fReife  nadb  betn  öliger  (1830),  burch  melche  Re  feftftellten , baR 
ber  gtoRe  Strom,  ben  ©aiQiö  im  centralen  Slbeile  befahren  batte, 
in  ber  Slbat  ber  in  ben  @olf  »on  ©enin  einmünbenbe  9iiger 
fei.  ©löngenb  maten  bie  ©rfolge,  melche  bie  »on  ber  englifchen 
JRegietung  i.  3- 1849  außgefchidte  ©rpebition  unter  SRicbarbfon, 
Sartb  unb  Ooermeg  ergielte;  leiber  lehrte  nur  33artb  gurüd 
(1855),  unb  auch  t.  3.  1853  ihnen  na^gefchidte  ©buarb 
S3ogel  mar  »erfchollen,  mabrfcbeinlich  in  Söabai,  cftlich  »om 


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16 


S.fal)jee  ermorbet  (1856),  wenn  bie  unfic^eren  92ad)rid)ten  9te(^t 
bedielten.  3ut  ^ufflärung  feined  @(^i(ffald  foQte  eine  auf 
'Petermann’8  Slnregung  au8gef(^idte  ©icpebition  (1862)  non  ©par- 
tum au8  buTd)  ^orbofan  unb  Slarfut  nad^  SBabai  vorbtingen, 
fonnte  aber  lc^tere8  8anb  nitbt  erreichen;  v.  Söeurmann  aber, 
1861  SU  gleichem  3*»ecfe  »on  Sengahft  nach  bem  ©uban  auf» 
btechenb,  h<>lie  fchon  ^uta,  bie  ^auptftabt  non  93otnu,  eneicbt 
unb  war  oftwärt8  auf  SBabai  gugesogeu,  al8  auch  unterweg8 
in  Äanem  ermorbet  würbe  (Sanuar  1863). 

SBahrhaftig,  bie  Slu8fichten  für  einen  ©rfolg  auf  biefem 
gebiete  waren  äuherft  gering  — ba8  hielt  aber  @erharb  9iohlf£ 
(geb.  1834)  nicht  ab,  auf  bem  fo  überaus  gefährlichen  SBege 
oorsugehen.  SGBaS  ©aiHiö  für  bcn  SBefien,  baS  hat  er  für  ben 
mittleren  S.he»l  9lorbafrifa8  nollbracht;  ja  er  hat,  wie  man  faft 
jagen  barf,  swei  folche  ^Durchquerungen  unmittelbar  nadh  einanber 
burd^geführt. 

SRachbem  SKohlfS  gans  jung  noch  ™tt  SfuSseichnung  im 
fchle8wig»holfteinif^en  Jhiege  gefochten  unb  barauf  ^ebicin  ftu» 
birt  unb  in  ber  algietjchen  grembenlegion  ben  für  einen  Sremben 
böchften  militärifchen  Slang  erlangt,  sugleich  Sprache  unb  Slrt 
eines  Arabers  fich  völlig  angeeignet  hatte,  lam  er  fiebenunb» 
swansigjährig  al8  Slrst  in  bie  ©ienfte  unb  in  bie  ©unft  beS 
©rofefcherifS,  welcher  in  einem  grofeeu  $h«>*e  »o«  Slorbweft- 
afrita  ald  geiftlidheS  Dberhaupt  gilt  unb  unter  beffen  ©mpfehlung, 
als  SDlohammeb  reifenb,  wagte  er  suerft  (1862)  einen  ^jluSflug 
in  bie  maroffanifche  Sahara,  unb  obwohl  er  hietbei  von  feinen 
f^ührern  Überfällen  unb  nach  3etf(h™£tterung  feines  SlrmeS  burch 
3ufaQ  nur  gerettet  worben,  trat  er  gleichtvohl,  im  fDiärs  1864 
von  Dran  nach  langer  gefommen,  von  hic^  auS  mit  nur  we» 
nigen  ^Begleitern  feinen  ^atfch  nach  ®üboften  quer  burch  ^aS 
IHtlaSgebirge  an,  eneichte  glüdlidh  bie  Dafe  f^afilet,  wo  felbft 
„bie  ©ingeborenen  aQe  in  bewunbernbem  ©ntfe^en  über  feine 

(IS) 


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17 


Jl^ü^n^eit  waren  j inbem  fie  felbft  nur  in  jfarawanen  non  1000 
ober  2000  f)etionen  übet  ben  9lUaö  jie^en“.  SBeiter^in  füb* 
öftli^  jie^enb  unb  an  baS  @übenbe  ber  ^roninj  Sluat  gelangt 
(17.  «September),  mu§  JRoblf8  »otne^mli(b  au8  SRangel  an  ben 
notljigen  ?(Jtitte!n  auf  feinen  ^lan  oergicbten,  oon  ^ier  ou8  nad> 
Simbu!tu  abgubiegen;  oftwärts  ba8  @ebiet  bet  Juateg  but(b« 
wanbernb,  babei  ftet8  in  bet  grSfeten  ©efa^t,  al8  ß^rift  erfannt 
unb  getöbtet  gu  werben,  gelangt  et  (28. 9ioo.)  na^  9t^abame8, 
unb  non  ^iet  but(^  fiebenge^ntägigen  SRarfd^  (am  29.  2)egbt.) 
na^  Slripolt. 

SJlit  einem  Slufwanbe  non  3300  Jl  batte  9toblf8  feine  an 
geograpbiftbct  9u8beute  reiche  unb  ebenfo  fübne  al8  bridante 
Steife  burcbgefübrt  unb  patte  im  gewiffen  Sinne  fogat  ben  Äon* 
tinent  gefreugt;  aber  na^  bem  audp  oon  ipm  erfebnten  flimbuftu 
war  er  nicpt  gefommen.  IDtum  gönnte  er  fiep  nur  einen  ftüdp« 
tigen  ^efuep  IDeutfcpIanbg  unb  war  im  fUtärg  1865  fepon  wieber 
in  Stipoli,  um  einen  neuen  SSetfuep  in  bet  erfepnten  fRieptung 
gu  wagen. 

9lm  20.  9Rai  1865  gog  et  — bieSmal  al8  ßprift  unb  ^teupe 
— fübwärt8  au8,  übet  9Ri8ba  naep  Sfipabame8,  »on  wo  et  mit 
^ülfe  eine8  2uategp&uptling8  ba8  @ebirg81anb  bet  ^ogor  be= 
fuepen  unb  naep  bem  Sliget  notbringen  gu  fönnen  poffte.  5)et 
SBortbruep  biefeS  ;^auptling8  unb  friegerifepe  Bewegungen  unter 
ben  Juareg  benapmen  jebe  fWögli^feit,  in  Der  beabpeptigten 
JRi^tung  norgugepen  — umfonft  erbulbete  fRoplfS  oon  SJlitte 
3uni  bi8  @nbe  Slugup  in  9lpabame8  bie  Dualen  ber  Jpipe  unb 
fcpwete  Äranfpeit:  er  mupte  fidp  gut  Umtepr  entfcpliepen;  boep 
foHte  biefe  niept  bie  ^>eim!epr  bebeuten.  Bon  bem  im  S3er= 
gleiche  gu  ^tipoli  nur  1^  ®tab  fübli^er  gelegenen  f£Ri8ba  au8, 
wopin  et  rürfgeteprt  war  unb  wo  er  pep  neu  au8rüftete,  btaep 
er  nun  6nbe  September  fübmärt8  auf,  um  auf  tpeilweiö  un* 
betretenem  SBege  am  26.  Dftober  fUturjuf  gu  enei^en,  bie 

XIX.  433.  434.  2 (I7J 


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18 


<t>aut>tftabt  Bon  $enon  mit  wo^l  3000  ©inwoijnern.  Seit  ^atte 
^ier  iRo^lfd  genügenb,  um  bie  t^olitifd^en  unb  mirt^fc^aftlid^en 
SBet^ältniffe  gu  ftubiien : ben  ^anbel  fanb  et  unbebeutenb,  leibet 
Detl)ältni§mä§ig  am  micbtigften  ben  @UaDen^anbel,  bet  im  le^t« 
»etfloffenen  3a^i  attein  butd^  biefe  Stabt  übet  4000  Sfleget 
beföibett  ^atte;  bie  Sewo^net  leben  vom  @rttage  bed  ^obene, 
bet  bei  bet  lei^t  gu  befc^affenben  Tünftlic^en  Semäffetung  jä^t< 
lidb  fünf  @tnten  giebt  unb  einen  ungemeinen  Jieicbt^um  an 
^Dattelpalmen  aufmeift;  fRegen  füQt  feiten  unb  mirb  anii 
gemünjc^t,  ba  fonft  bie  nut  au8  falg^altigen  @tbflumpen  auf» 
geführten  Raufet  getflie^en. 

9tacb  fünfmonatlidjem  'jlufent^alte  in  3Rutfuf  ging  bet 
äBeitetmatfd)  (am  25.  fUlütg  1866),  im  @togen  unb  langen  auf 
D.  Seutmann’d  unb  Sßogere  SGSeg,  fübwättS,  bem  Sfabfee  gu, 
gunä^ft  in  bie  BoOIommene  SBüfte.  @to^  mat  ^iet  bie  SRü^fal, 
f(^on  bie  beiben  etften  Slage  entfe^lid):  eS  ^ettic^te  eine  faft 
unetttäglic^e  ^i|e  (biS  50°  (S.  im  0(batten,  nacbtö  ni^t  untct 
30°)  betart,  ba§  eine  im  Sonnenbranb  liegen  gebliebene  Stearin» 
fetge  BöOig  abfd^molg  unb  bet  begleitenbe  .^unb  auf  bem  bis  gu 
70°  erlji^ten  Soben  feine  gü|e  oerbtannte;  eS  erhoben  fi^  lang 
anbauetnbe  Sanbftütme  unb  in  $olge  bacon  fanben  fic^  Stunnen 
netf^üttet,  unb  eS  {onnte  ben  SRutl^  nic^t  et^ö^en,  alS  man  gat 
bei  einem  betfelben  ein  ungeheures  .^noihenfelb  fanb  auS  jtameel» 
ttie  SRenfchenfnothen  beftehcnb  — ^)i^e,  Sanbftutm,  SBaffer» 
mangel,  ftatfe  SteftricitätSentuidelung,  bagu  noch  ein  Sturg 
IRohlfe’  Dom  j^ameel,  SDeS  neteint  machte  bie  mehr  als  fünf» 
mödhentliche  Steife  bis  Bilma,  bet  ^auptptocing  beS  gebirgigen 
£ebu»SultanatS  ^auar,  gu  einet  faft  enblofen.  SIS  biefe  £)afe, 
bie  SRitte  beS  SBegeS  gum  großen  See,  am  2.  fDtai  erreicht  war, 
erfuhr  man,  ba§  h^ci^  feit  einem  h^tii’en  3ahte  fein  eingiget 
SRann  unb  feine  Stachri^t  mehr  auS  bem  Süben  gefommen 
mat,  unb  bet  Sultan  felbft  etll&rte,  bahin  feine  Aatamane  auf» 

(19) 


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19 


treiben  gu  fönnen  unb  feinen  ^üljtet  gu  roiffen.  Sieben  SBo^^en 
»ergingen,  biö  0iol}lf8  für  fi(b,  feine  fed)8  eigenen  unb  fteben 
fremben  Begleiter  ben  gweiten  i^eil  ber  SBanbemng  butdj  bie 
®üfte  ermSglitben  fonnte. 

aber  neue  5flot^!  Biertägigefl  entfepc^  mü^iamefl  ^Jaffiten 
»cn  Sanbbünen  bei  enormer  ^i^e,  babei  »ielfacbeö  SÖiarfcbiten 
gu  bebufS  Schonung  bet  J^omeele,  nachte  bad  ftete  Um« 
fch»ärmtiein  »on  ^\)äntn  brohte  Äorper  unb  ©eift  aufgureiben; 
rceiter  ein  erfteS  ni^t  geblanted  abitren  »om  regten  ®ege  unb 
fRüeffehr  gum  au6gang8punft  machte  brei  Sage  »erlieten;  ein 
gmeitmaligeS  abfichtliche«  Srregeführtwerben  unb  treulofeö  Ber« 
laffen  burch  einen  anberen  Bühter  brachte  bie  ©efahr  beg  nahen 
2obe8  »or  Berfchmachten,  ben  nur  ein  ;)lß^Uchet  ©emitterregen 
abmanbte.  ©nblich,  nach  brei  ®ochen  mar  ber  ®albftreifen 
erreicht,  ber  ftch  »om  S^il  in  einer  Breite  oft  »on  »iet  big  fünf 
Sagereifen  big  gum  atlantifchen  Dcean  hin  erftredft,  unb  menige 
Sage  nachher  — ein  befeligenbet  anblicf!  — ber  Sjobfee,  mo 
tropifche  Sanbfchaftgbilber  bem  äuge  ungemohnten  ©enu§  be« 
reiteten  unb  bag  BrüQen  »on  IRinberheetben  bem  Dhre  alg 
fßftliche  ÜJlufif  erf^ien.  9lach  bem  Ueberfehen  übet  einen  glu§ 
mit  4>ülfe  eineg  über  adht  Äürbigflafchen  erbauten  Sloffeg  marb 
am  22.  3uli  1866  Jfufa  erreicht,  bie  mohl  60000  ©inmohner 
göhlenbe  unb  roegen  unbefchränfter  ©emerbe«  unb  j^anbelgfreiheit 
blühenbe  ®alb«  unb  ^auptftabt  beg  iUetcheg  Bornu.  0ie  gaft« 
liehe  aufnahme  mie  früher  »on  Beurmann,  fo  je^t  »on  IRohlfg 
burch  i^^n  Sultan  geftattete  hier  müh^enb  bet  IRegengeit  ©rholung 
»on  ben  Strapazen  unb  Sammlung  neuer  Äräfte. 

Beibet  marf  in  biefeg  »erhültnihmühig  angenehme  Beben 
©tneg  feine  bßfe  Schatten,  bie  ©elbnoth:  bie  feitherige  Steife, 
bet  tägliche  Unterhalt,  bet  anfauf  eineg  ^fetbeg,  beg  ©efchirreg 
für  gmei  ^ferbe,  bet  monatliche  Bohn  bet  2)ienet  unb  arbeitet, 
bag  Honorar  für -bie  Sprathlehter,  bie  ©efchenfe  in  baarem 

2*  (t») 


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20 


@ribe,  3llleS  rerme^rte  bte  SJuSgaben  übet  ©rwartcn;  babei 
ttaten  viele  bet  mitgebtadbten  SBaaten  fcbon  an  bie  unetfättUc^en 
bettlet  am  J^ofe  ju  ^ula  a(8  ®ef(benfe  bingeg^^^i^i 
übrigen  liefen  ficb  viele  ni(^t,  nie  gehofft,  mit  @eroinn  vet« 
taufen.  @o  butfte  e8  5Rol)lf0  faft  noch  al8  ®lüct  bettatbten, 
ba§  et  3u  100  p@t.  auf  fünf  3)lonate  ®elb  geliehen  befam. 

ÜRit  einet  mebt  al0  6000  ÜRenf^en  3ählenben  ©flaven» 
fatatvane  fcbicfte  unfer  dieifenber  0tiefe  in  bie  ^eimath,  unb 
al0  audb  nvdb  nach  vielet  3Rühe  behufS  @rlangung  von  @inttittSs 
etlaubnig  in  fein  8anb  ein  $ote  an  ben  ©ultan  von  äBabai 
abgefchicft  mar,  hotte  SRohlfö,  bis  von  lehteren,  »ohl  faum  vor 
Slblauf  3»eiet  SJionote,  Slntivott  eintreffen  mütbe,  Seit  genug, 
0taat8»  unb  j£)anbel0oerhältnlffc  3U  ftubiren,  fomie  bie  ©ptache 
unb  bie  5DiaIette  von  93otnu,  biefeö  3ut  Seit  mächttgften  oBet 
innetafrifanifdhen  5Regerteiche.  3n  bet  falfcpen  SJieinung,  bie  von 
3uni  bis  SWitte  ©eptembet  ivahtenbe  5Regen3eit  fei  311  önbe, 
untetnahm  Blohlfö  (8.  ©eptbt.)  einen  Slugflug  fübwdttS  in  bo8 
ftein>  unb  bachlofe  ©umpflanb  Uanbala;  abet  balb  glich  bie 
Äatawane  mcht  einem  gelbhofpital  ol8  einet  BteifegefeBfchaft, 
unb  fo  tonnte  et  ftoh  fein,  am  12.  Ottobet,  fteilicp  mit  ge» 
l^wd^tet  ®efunbheit,  tviebet  nach  J^ula  3U  gelangen,  n>o  in  ben 
nächften  SBodhen  9lBe  gat  feht  vom  Riebet  3U  leiben  hotten, 
gjlittleiiveile  »aten  übet  btei  ÜRonate  vetfhichen,  feit  0tohlf8 
feinen  S3oten  an  ben  ©ultan  von  ällabai  abgefanbt  hotte:  et 
hatte  fich  von  biefem  bie  @tlaubni§  unb  SSetficherung  etbeten, 
ungefdhtbet  feine  ^auptftabt  betteten  3U  bürfen;  faB8  bie8  nicht 
angehe,  möge  et  ihm  ^Papiete  unb  S3üdhet  von  S3eutmann  obet 
SSogel,  bie  noch  in  be8  ©ultanS  Sefih  feien,  übetfenben.  Slbet 
jegli^e  9lachticht  blieb  au8,  unb  menn  aud)  9iohlf8  übet  ba8 
©chidfal  bet  beiben  genannten  beutfchen  0fieifenben  5^Ja^richten, 
leibet  afl3U  trübe  9lachridhten  erlangen  tonnte,  bei  bem  ÜJlangel 
aBen  S3ertehre8  au8  Sotuu  mit  ben  weitet  füböftlich  im  3nnern 
(»0) 


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21 


gelegenen  Sänbern  n>at  übet  bie  leiteten  felbft  nic^td  9leued  5U 
erfragen. 

SBo^in  foüte  nnn  fRobIfS  »enben?  5Ro(b  Offen,  nad) 
©üboften,  na(b  @üben,  überaQbin  war  ber  fXuegang  unmögli^ 
tnegen  birefter  $einbf(baft  unb  wegen  ber  bortigen  beftünbfgen 
©flanenfriege  unb  9l{aubjäge.  <Bo  blieb  nur  ber  SBeg  nad) 
Sübtneffen,  in  baö  gebirgige  Sanb  Slbamaua,  um  non  ba  jum 
©nineabnfen  ju  gelangen,  9lene  fiebetethanfung  »on  SRoblfÖ 
felbfi  unb  aller  feiner  SDiener,  ferner  bie  Slnmelbung  einet  Äa> 
rawane  auS  Brffon,  bie  bann  audb  wirflidb  mit  ^Briefen  au8 
@utopa  eintraf  — oieö  unb  iSnbeteä  uetjögerte  bie  Slbreife  biö 
jum  13.  IDejember. 

2beif*»eife  ODerwegö  ©puren  folgenb  ging  e0  nun  auf  febr' 
belebtem  SBege  burcb  bicbt,  aber  febr  gemij^t  beB6Herte0  ganb, 
mit  9leujabt  1867  in  ba0  immer  noch  mubammebanifd^e,  aber 
in  mannigfacbet  Schiebung  uon  ben  9iegerftaateu  ab»ei(benbe 
fReicb  bet  $uQo,  unb  naä}  14  $agen  war  bie  im  Slpenlanbe, 
in  parabiefifcber  Umgebung  gelegene  unb  für  europöifcbe  ^olo> 
nifation  empfeblen0wertbe  @tabt  Sacoba  mit  ihren  150000  6in* 
Wobnetn  erretd)t.  3)er  jwan^igtägige  9lufentbalt  b'®’^  brachte 
für  lRoblf0  feine  ÜlRinberung  be0  ^ieber0,  ba0  ficb  bi®^  Sorm 
»on  gönglicber  ©tfcböpfung  unb  »on  ©cbmerjen  be0  ganzen 
Äörpet0  jeigte,  »erbunben  mit  tiefet  ÜRutblofigfelt  be0  @eifte0, 
unb  ba0  nur  burcb  grobe  unb  ftetige  3)ofen  CSbinin  in  ©cbranfen 
gebalten  werben  fonnte.  9iacb  Ueberfteigung  be0  @oragebirge0 
mubte,  ba  fein  birefter  SBeg  nach  SRabba  am  9ltgerfluffe  gu 
führen  fcbeint,  fübwärt0  abgebogen  unb  bie  nabegu  breiwücbent« 
liebe  fo  befcbwerlicbe  IReife  über  bie  ^oebebene  burebgefübrt 
werben;  IRoblf0  befcbleunigte  biefe  fdblieblicb  f<b®*n  wegen  feiner 
fteten  SieberanfäQe,  aber  auch  be0wegen,  weil  bie  fRegengeit 
berannabte  unb  er  bie  febier  nicht  glaubliche  9facbricbt  erhielt 

(21) 


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22 


»on  einet  großen  @^rtften[tabt  am  3ufammenflu|  beS  $enue 
mit  bem  9tiger. 

9lac^  einet  aiemlid^  rafti^en  9leife  butc^  baö  8anb  bet  getift^» 
anbetenben  ^fo*9leget  matb  enblitb  am  18.  Sliätj  bet  {ec^Sjebn 
Sa^ie  guDot  con  Dr.  Satt^  entbedte  Senueflufe  eueic^t,  bet 
bem  9Hflet  ben  SEtibut  au8  bem  ^>etgen  Siftifaö  jufübtt  — abet 
no(b  beburfte  eS  einet  me^t  als  3ueimonatli^en  Slnftrengung, 
um  am  großen  SBaffet  anjulangen.  2)enn  jefet  gingS  auf  einem 
ni(bt  ganj  bteiten,  1'  tiefen  unb  30'  langen  @inbaumfabt> 
jeug  Slage  lang  ben  fijcbrei^en  Senue  b<nab  bis  Sofoja  am 
3?igei,  roo  bet  Sorftanb  bet  feit  jmei  Sagten  bafelbft  gegtün» 
beten  englifcben  9iigermiffton  unb  bet  cbriftlicben  @emeinbe 
wabrbaft  btübetlidbe  unb  uneigennü^ige  @aftfteunbf(baft  ge> 
wäbrte;  abet  nach  fünf  Sagen  fd)on  mu§te  bie  trc^  bet  inter* 
effonten  Scenerie  bet  bi^tbelaubten  Ufer  mit  ihren  beerben  non 
Pavianen  unb  fDieetfa^en,  tto^  bet  ’jlbmeibfelungen,  bie  bet 
glu§  mit  feinen  glufepferben  unb  Ätofobilen  bot,  eS  mu§te  bie 
tro$  allebem  bet  fleinen  giftigen  gliegen  megen  quaiooDe  gabtt 
ben  fJUger  bitt““f  angetteten  loetben.  IDiefe  führte  innerhalb 
oierjehn  Sagen  nach  fRabba,  unb  ein  einmonatlichet  Duermatfch 
buTch  baS  3orubalanb  mit  SSerlebung  fchauiiget  fRächte  im  Ur> 
»alb  führte  über  bie  Sßafferfcheibe  groifchen  9iiger  unb  Ocean 
hinmeg  enblich  am  28.  9Rai  1867  an  baS  erfehnte  3iel,  ju  bem 
englifcben  .^afenorte  i^agoS,  mo  eine  »ahthaft  fürftliche  @aft< 
fieunbfchaft  beS  .^ambutger  ^aufeS  £>’@malbS  bem  Steifenben 
bie  lang  entbehrte  SBohlthot  eutopäifchet  .^ultut  ju  Sheil  metben 
lieh,  bis  baS  8ioetpooIer  IDampfboot  ihn  miebet  bet  .^eimatl) 
jnführte,  bie  et  »or  mehr  als  jmei  3ahten  oerlaffen  h»tte- 

€o  mar  IRohlfS  auch  gmeiten  fDtale  nicht  na^  Simbuftu 
gelangt,  unb  eben  fo  menig  mat  eS  ihm  geglücft,  nach  SBabai  oor» 
gubtingen  unb  unmittelbarfte  9lachti^ten  ju  geminneu  übet  baS 
herbe  ©dhidfal  feinet  3mei  berühmten  SSotgänget.  S)iefeS  3itl 

(M) 


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23 


ju  eneic^en,  ^at  Dr.  @uftab  2?a(^tigal  au0  Äöln  (geb.  1884) 
fic^  al8  Aufgabe  gefteüt,  unb  ju  bet  JRoblffl’fcben  Steife  bilbet 
bie  von  Staibtigal  ein  mütbiged  ©egenftücf.  (Sie  batf  gioar 
ni(bt  im  rein  geometrif^en,  »o^l  ober  im  geogro<)^ifd)en  Sinne 
ebentofl0  olö  eine  3)ur(bquerung  non  Slfrifo  begeicbnet  werben. 
?m  Sietgletd^e  3ur  erfteren  noch  tei(bet  an  Erfolgen,  für  bie 
öftlicben  Sonber  non  Soboro  unb  Subon  'jlebnlicbeS  leiftenb 
wie  swonjig  3obre  gunor  Dr.  Sortb  für  bie  mittleren,  würben 
jene  (Erfolge  freilich  ou(b  nur  in  einet  burd)  fünf  3ab^e  fi4 
bingiebenben  ununterbrocbenen  Steibe  oon  faft  übermenfcblttbra 
Orntbebrungen  unb  8ciben  erworben. 

Stoblffl  gegenüber  batte  bet  Sultan  JDmar  oon  ©ornu  ben 
SBunfeb  auSgefprocben , in  '.Ünerfennung  (einer  freunbfcbaftlicben 
©efinnung,  feinet  ©rofemutb  unb  unmittelbaren  Jpülfeleiftung, 
welche  et  Scurmann  fowobl  al8  StoblfS  etwiefen,  möge  ibm  ber 
.tfönig  »on  ^Heufeen  einen  Jb^on,  einen  SBogen  unb  eine 
Scblogubr  gum  ©efcbenfe  machen.  35iefem  SBunfcbe  foHte  nun 
willfabrt  werben,  unb  bet  Slrgt  Dr.  Slacbtigal,  bet  i.  3-  1868 
burcb  eine  Sruftfranfbeit  gcnötbigt  worben  war  nach  Slgiet  gu 
geben  unb  fpäter  Slrgt  in  Junis  gewefen,  follte  bet  Uebetbtinger 
ber  ©efcbenfe  fein. 

SIm  18.  f?ebtuat  1869  »erlie§  Slocbtigal  Jripoli  unb  b»ite 
auf  ber  gewöbnlicben  Strafe  am  27.  fütärg  (Dturfuf  erreicht,  aW 
hier  fcbon  bie  Scbwierigfeiten  begannen:  bet  SBeg  fübwartö  übet 
Silmo  nach  Sornu,  ben  auch  Stoblfö  gegogcn,  war  je^t  in  golgc 
non  Stäubergügen  verübet  unb  oerfpertt.  SIbet  ftatt  tbatenloS 
in  Seffan  liegen  gu  bleiben,  wagte  Slacbtigol  einen  fübnen  3ng 
füboftwörtS,  wie  ibn  fcbon  SSeurmann  unb  StoblfS  geplant  batten, 
gu  ben  Jibbu,  in  baS  oafenartige  SabaragebirgSlanb  Jibefti. 

So  verlieb  et  benn  am  6.  3uni  SJlurfuf  mit  vier  wobl» 
belabenen  .^ameelen  unb  vier  5Dienetn,  gog  gunöcbft  wöbrenb 
breier  äBocben  burcb  3^  @rabe  fübwörtS  auf  bem  gewöbnlicben 

m 


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24 


SBege,  f^toenße  bann  nad)  ©üboften  ab  unb  nad^  anftrengenben 
SRätfc^en  übet  eine  balb  äu§etft  fteinige,  halb  fanbtge  SBüjte, 
fp&tet  übet  teinen  ^eleboben,  habet  binnen  einet  SBoc^e  jogar 
3»eimal  bet  gutd^t  beö  SBerbutftenS  an^eimgegeben,  wat  et 
^itte  3uli  bet  renttalen  @ebitgdntaf|e  na^e  gefommen  unb 
ettei^te  enblicb  nac^  einet  33tanbfc^a^ung  butc^  feinblicbe  Xibbu 
unb  in  ftetet  @otge  not  meu(bleri)^en  Uebetfällen,  3um  0(^lufie 
naö)  banger,  Dietge^ntägigei  @nDattung  bet  dtüdffe^r  eineö  Soten, 
tneltbet  an  ben  0ultan  abgefanbt  wotben,  — 9lad}tigal,  fo 
fagte  t(b,  eiteicüte  enblic^  am  8.  Sluguft  Satbai,  bte  Stabt  beg 
@ultan0;  bod^  nettiet^  [d^on  non  ferne  baS  bum)>fe  @emutmel 
bed  fanatifcben  SSolfed  unb  bann  bie  ^^uffotbeiung  ©injelnet, 
ben  @btifte»f)unb  gu  tobten,  bie  fiu^erft  bto^enbe  Sage.  3n  bet 
Stabt  toatb  9iacbtigal  in  einem  nut  ungenügenben  Sd^u^  not 
bet  Sonne  gemä^tenben  Belte  einen  ^onat  lang  gefangen 
gehalten  unb  nur  eben  not  bem  ^ungertobe  bewahrt;  nic^t  bon 
bet  ü^üte  feineö  Belteä  fonnte  er  fit^  entfernen,  o^ne  fi(^  bem 
SRärt^reitobe  burtb  Steinigung  audgufe^en;  wod^enlang  mutben 
über  i^n  oom  Sultan  unb  feinen  @blen  taglidb  Veratmungen 
abgebalten;  ftiti|dber  mürbe  noch  bie  Sage,  ald  bie  fRacbticbt  con 
bet  ©tmotbung  einer  eurot>äii<ben  fReifenben,  bc8  ^rl.  Slinne 
fam  unb  bie  oom  beootftemenbern  ^tege  gmifcben  Sirabetn  unb 
ben  Sibbu.  21lg  ibm  fd^liellicb  audb  no(b  faft  SHed  abgetJte^t 
motben,  entging  fRadbtigal  bem  faft  fieberen  Sobe  nur  butcb 
^luebt:  in  ftetet  Sorge  für  ba8  geben,  bei  ungenügenber  9?abrung 
unb  mieberbolt  13  bie  14ftünbiget  ^ubmanbetung  übet  bao 
fteinige  Sertain,  »om  gübrer  oerlaffen,  auf  ben  eigenen  Sdjultetn 
@et>ä(f  unb  SBaffet  ttagenb  unb  für  bie  lebten  fünf  2:age  nur 
no(b  je  gehn  IDatteln  ale  9iabtung  bepbenb  — fo  febrte  fRaebtigal 
gutüef  aue  bem  unmirtblicben  unb  ungaftUeben  Sanbe  unb  et< 

teiebte,  bulb  blinb  bureb  2iugenentgünbung , mit  butdb  Sonnen» 
<2*) 


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25 


branb  entjünbeten  Bü|en,  al6  ein  @(^atten  in  jumpen,  int 
Dftober  1869  etjl  teiebet  bie  |)aupt[ttofee  unb  geffan. 

^ier  buid^  ungünftige  iBerijältniffe  ein  ^albed  3a^r,  niel 
länger  ald  ju  feiner  @r^oIung  nötl^ig  »ar,  jurücfge^alten,  fonnte 
9lac^tigal  erfl  im  21pril  1870  0[Rurfuf  mieber  oetlaffen  unb  mu§te 
je§t  gerabe  in  ber  ^ei§en  Sa^reö^eit  bie  SBüfte  burt^manbern, 
gelangte  aber  bod|  in  S3egleitung  eines  türüfcben  ©efanbten  am 
6.  3uli  mo^lbe^alten  in  J^ufa  am  ^fabfee  an,  »o  er  alSbalb 
feinem  @^renauftrag  beim  Sultan  genügte. 

Sie  0ieg(ngeit  ^ielt  i^n  nun  im  33ornurei(be  jurücf;  aber 
nic^t  für  feine  |>eimfel)r  martete  er  beren  @nbe  ab;  fRacbtigal, 
obwD^l  nur  no^  im  33efi^e  non  40  Scalern,  fepmiebete  neue 
^Idne  — ba^  barunter  auc^  ber  mar,  nad)  SäJabai  gu  fommen, 
miffen  mir  — ; aber  einer  jener  i)läne  um  ben  anberen  lüfte  fi^ 
in  nichts  auf.  Ülucb  blieben  bie  fo  fe^nlid^  auS  ber  ^eimatl) 
ermatteten  ©eibet  auS,  meil  in  Sripoli  untcrfc^logen,  fo  ba§  er 
nur  Don  Snle^en  ju  leben  »ermnebte,  bie  er  gu  riefigen  ^rocent« 
fä^en  aufgunepmen  genütbigt  mar.  So  befebaffte  fSiittel  mußten 
es  ibm  auch  ermöglicben,  oon  fDtärg  1871  bis  Januar  1872  an 
einem  oon  2lrabern  unternommenen  fRaubguge  tbeilgunebmen, 
ber  ibn  in  ben  ülorboften  beS  SfabfeeS,  na^  Äanem  unb  in  ein 
gmeiteS  ©ebirgSlanb  ber  Sabara,  nach  23orfu,  führte.  Söeftänbig 


bebrobt  oon  ben  Strabern  unb  oon  ben  ©ingebotenen,  bie  ein 
mubamebonif^er  üRiffionär  gegen  iljn  oufgemiegelt,  allen  ben 
©efabren  eines  ^piünberungSgugeS  auSgefe^t,  in  Lumpen  unb 
nach  bem  gall  feiner  Äameele  geitmeife  gu  Sub,  mit  unenblidjer 
^angfamfeit  manbernb,  bürftig  oon  Samen  unb  Satteln  fidb 
näbtenb  — fo  oerlebte  SRa^tigal  bet  geograpbifeben  gotfebung 
gu  liebe  ftatt  bet  ermarteteu  oier,  ooHe  ueun  9Dionate  grä§liibftet 
gangemeile  unb  furchtbarer  ©ntbebrungen  für  ©eift  uub  Äürper. 
„3<b  benle  mit  meniget  Sebaubetn  an  Sibefti  unb  feine  ©efabren 


gurücf  als  an  biefe  neun  üJionate  fRomaben^&uberlebenS" 


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26 


finb  feine  eigenen  SBorte;  3um  @lüd  hielten  auf  biefer  Steife 
bie  @Tgebniffe  bec  §otf(^ung  ben  OJiübfalen  bie  SBage. 

laum  gwei  Odonaten  {Raft  gu  j^ufa  toat  9la4tigal 
fcbon  wifbet  auf  bem  SBege  gu  neuer  ©tforfd^ung  non  8anb 
unb  Leuten:  nach  ^ag^irmi,  bem  füböftlic^  non  Sfabfee  fi(^ 
auöbreilenben  JDelta  beß  Sd^arifluffeß,  »at  er  aufgebro^en, 
unb  mieber  na^m  er  an  einem  IRaubguge  S^beii,  bteßmal  an 
einem  fönigli(ben;  benn  ber  non  feinem  9la(bbar,  bem  Sultan 
non  SBabai,  entthronte  Äönig  non  Söagbirmi  fudjte  fid)  nun 
burd)  Staubgüge  in  ben  heibnifcben  8änbern  im  ©üben  feincß 
ehemaligen  IReidheS  fchabloß  gu  halten,  ^ier  brachte  fRachtigal’ß 
SReife  8icht  in  ein  meiteS  gunor  unbefannteß  ©ebiet.  IDurch 
einen  Speerftich  nermunbet,  fehrte  er  unb  gmar  inmitten  ber 
IRegcngeit  mit  einer  Sflanenfataroane  nad)  Äufa  gurütf,  unter« 
wegß  faum  Sefchreiblidjcß  erbulbenb  in  §olge  non  Äranfheit 
unb  Slnftrengungen , bie  ihm  feine  9Ritte!Iofigfeit  auferlegte. 
Unb  obroohl  er  bie  brei  URonate  non  September  biß  5)ecember  1872 
in  ber  Sflefibeng  beß  greifen  milben  ©ornufultanß  feiner  ©rholung 
gelebt  h^tte,  mar  er  faum  fieberfrei  gemorben,  rheumatifche 
©elenf«  unb  Änochenhautaffeftionen  bauerten  nod)  fort. 

Unb  bennoch  plante  er  fReueß,  ©röfeereß.  ®ie  greunbfchaft, 
bie  feit  ben  lebten  Seiten  bie  ^öfe  non  Somu  unb  SSabai 
netbanb,  Iie§  il)n  baß  fReifeprojeft  mieber  aufnehmen,  nad» 
äSJabai,  alfo  na^  bem  Dften  nom  Xfabfee  norgubringen,  jenen 
IReifeplan,  beffen  Sußfühtung  ben  beiben  eingigen  europäifdhen 
IReifenben,  bie  baß  SBagniß  unternommen,  IBogel  unb  ^eurmann, 
baß  8eben  gefoftet  unb  ben  IRachtigal  felbft  früher  alß  unburch« 
fühtbar  ober  allgu  gefährlich  faden  gelaffen  h“lte.  9ficht  ent« 
muthigt  burch  aDfeitigeß  Slbmahnen,  ja  fogar  nicht  burch  bie 
SBarnungen  beß  SBabaifultanß  felbft,  brach  er  gu  Anfang 
9Rärg  1873  bahin  auf  unb  erreichte  nach  SRonotßfrift  beffen 
je^ige  ^>auptftabt  Slbefchr.  9lur  fehr  aflmählich  mürbe  ihm, 
(K) 


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27 


gefc^ü^t  butd)  ben  energtf(^en  ©ultan,  freiere  Bewegung 
gebattet,  unb  ec  unternahm  felbft  im  Sommer  1873  einen 
9u8flug  in  ben  Süben,  teerte  aber  franfbeitfii^alber  unb  au8 
SRangel  on  Energie  früher  al0  juerft  beabflcbtigt  jurücf  unb 
»ermeilte  bo  reifemübe,  forfcbungSfatt , oerge^rt  oon  ber  Se^n* 
fuc^t  nadj  ber  ^eimatb,  ober  gleic^mo^l  feine  Stubien  über 
Jo^jogropbie  unb  ©eftbicbte  beö  gonbeö  oerconftönbigenb.  (änblicb 
ÜJiitte  Sonuor  1874  warb  bie  burcb  2^ronwe^fel  unb  Untuljen 
in  2)atfur  neronlo^te  SBer^ögerung  in  ber  äbreife  nod)  Dften 
gehoben,  fRocbtigol  fcblug  ben  SBeg  noch  ©orfur  ein,  unb  ol8 
et  in  beffen  .jpauptftabt  gor  5?riefe  unb  @elb,  ou0  (Europa  übet 
aegppten  bortl)in  gefcpicft,  ootfanb,  oenoeilte  ec  bi«  gor  ouö 
eigenem  Sintrieb  nod)  noHe  »iet  Ültonote,  um  oiub  bie  ©eogtapb« 
biefeä  ÜonbeS  möglicbft  genau  ju  erfunben.  93einobe  bütte  ibm 
biefe  93erjögetung  arge  @efobr  gebracht;  beim  al8  er  ©otfut 
»erlaffen  batte  unb  enblicb  am  10.  tSuguft  in  Obeib,  bet  ^loupt* 
ftabt  Äorbofanö,  angelangt  mar,  fanb  et  bi«  ben  @ou»etneur 
be0  dgpptifchen  Subanä  bereit,  in  ©arfut  eingurficfen,  bos  8anb 
ju  erobern  unb  ^egppten  einjuoerleiben , ein  ^pian,  bet  ja 
befanntlid)  gut  2(u8fübrung  gelangte.  2luf  einem  S(la»enfcbiffe 
ben  9lil  ftroraabmärtö  fabtenb  tarn  9iod)tigal  im  fHooember  1874 
na^  laffiut  unb  fanb  bier  gu  feiner  Uebertafcbung  einen  prächtigen 
fHilbampfet  »or,  roelchen  bet  Äbebioe  »on  5(egppten  für  ibn 
entfanbt  batte,  um  ihn  mit  fücftlichen  @bi^en  nad)  ^aito  gu 
bringen.  SBenig  fehlte,  fo  maren  »oHe  fe^8  Sabre  »ergangen, 
feitbem  fRachtigal  fübmdrtS  gegogen. 

@ro|e,  gemaltige  @teigniffe  »on  meltgefchichtlicher  9)ebeutung 
batten  mdbtenb  9tad)tigar8  fo  langer  Slbmefenbrit  gar  ä^ieled 
in  6uropa  »erdnbert  — aber  auch  für  Slfrifo  foUte  »on  biefen 
Sabren  ab  eine  neue  Seit  anbrechen,  i^ioingftone,  ber  berühmte 
IReifenbe,  mar  nach  feinen  großen  ä!8anberungen,  »on  benen  mir 
noch  hätten  merben,  »erfchoOen  gemefen  unb  ber  'jlmerifaner 


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28 


Stanlep  ^atte  im  .perbft  1872  wieber  bte  etfte  jfunbe  von  t^m 
unb  feinen  neueren  @ntbe(fungen  na^  @uropa  gebraut;  Sameron, 
bet  8iningftone  batte  auffncben  »öden  unb  nur  feine  Seicbe 
gefunben,  noQfübrte  eben  feinen  Bug  quer  bur^  2(frifa,  unb 
©tanlep  wot  getabe  auf  bem  SBege,  »on  Baujibar  au8  feine 
gweite  gto§e  0fteife  angutreten.  Sud)  2)eutf^Ianb  batte  begonnen, 
bie  fettber  in  lofen  |)rivatunternebtnungen  betriebene  @rforf(bung 
äfrifaS  ourcb  ©rünbuug  einer  .Deutfdben  Sifrifanif^en  ©efell» 
f(baft“  (19.  Slpril  1873)  ju  oereinbeitUdjen  unb  batte  bereits 
eine  {)aupterpebition  an  ben  .^ongo  felbft  unb  noch  gnei  bie 
erfteren  flanfirenbe  (?rpebitionen  auSgefdjiift,  bie  eine  fübtidb  nach 
ülngola,  bie  anbere  nörblid)  baoon  an  ben  Dgoiuefiu§.  2)a§ 
bie  leitete  günftige  ©tgcbniffe  aufguaeifen  batte,  netbanfte  fle 
ihrem  Leiter  Dr.  O.  8eng:  über  gmei  Sabre  lang  (3unil874  biö  5Ro= 
»embet  1876)  bereifte  unb  erforfcbte  biefet  ©eologe  ba8  ©ebiet 
beS  Dgo»eftrome8  unb  erwarb  fi(b  butcb  ernftefl  Streben 
unb  praftifcbeS  SSerftänbnib,  burd)  bie  Buoerläfftgfeit  feiner 
Seobacbtungen , nicht  minber  auch  butcb  feine  Sparfamfeit  bie 
Snerfennung  feiner  2luftraggeberin.  freilich,  baS  ,pauptgie( 
feinet  |)offnungen,  oftwörtS  »iefleicbt  bU  gum  gualaba  not» 
gubringen,  batte  er  ni^t  erreicht,  unb  baS  unbeilnotle  ^lima 
jener  SBeftfüfte  batte  ibm  arg  gugefe^t. 

9lid)t0beftowenigcr  unb  obwohl  bie  Slufmerffamfeit  bet 
gebilbeten  SBelt,  bauptfächlich  burch  bie  'Anregungen  ber  (Sep* 
tember  1876)  oom  Äönig  ber  Selgier  in0  geben  gerufenen 
„ Snternationalen  Affociation ",  faft  auSfchliebUcb  auf  ba8 
äquatoriale  Afrifa  gerid)tet  wor,  nahm  Dr.  OSfar  Seng  gerne 
von  ber  beutfchen  afrifanifchen  ©efellfchaft  ben  Auftrag  an,  eine 
Sieife  in  dltaroffo  auSgufübren  unb  womöglich  verbältnih> 
mäbig  wenig  befannten  weftlichen  Sb^tl  AtlaSgebirgeS  geologifch 
gu  unterjudben.  IDutch  ein  Bufammentreffen  günftiger  Umftänbe 
bat  bann  aber  biefe  Steife  gröbere  AuSbehnung  gewonnen  unb 

(M) 


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29 


fid)  ju  einet  voQen  ^Durchquerung  9torbtueftafrtta’ä  geftaltet,  unb 
fte  hut  um  {o  ermünichteren  3[uffd)luh  übet  jene  fernen  Gebiete 
gebracht,  je  jeltener  biefelben  non  @uro)>aem  betreten  morben  finb. 

?enj  begann  feine  JReife  oon  bet  fHorbmeftjpihe  Slfrifa’8, 
U(7n  flanger  au8,  nachbem  er  non  fDtarfeide  her  erft  Oran  befucht 
unb  @urc^a  nochmals  in  Gibraltar  einen  SBefuch  abgeftattet 
hatte.  3n  langer  om  13.  SRouember  1879  eingetroffen,  unter» 
nahm  8enj  junächft  eine  ^robetour  oftmärtS  nach  ^etuan,  um 
bie  9(tt  be0  fReifenö  in  SKaroffo  hroftijch  fennen  ju  lernen; 
bah  bie  norhanbenen  .harten  über  bieje  Europa  fo  nahe  @egenb 
fehlerhaft  unb  oöllig  ungenügenb  feien,  ergab  fich  fofort  Sie 
Snftrengungen , auch  bie  füblich  bauen  gelegene  Sanbfehaft 
ein^ubringen,  maten  nergeblicb,  »eil  fich  biefe  in  offenem  Slufftanbe 
gegen  bie  ^Regierung  befanben. 

93alb  alfo  nach  junget  jurüdgefehrt , h^tte  nun  8enj  bie 
^bficht,  nach  f^eS  3u  reifen,  non  ba  in  ben  SltlaS  jn  gehen,  um 
bann  icomöglich  nach  beffen  Surchquerung  Safilala  ^u  eneichen, 
ben  Äreujungfipunft  fo  uieler  Äaranjanenftrohen.  @8  foUte 
anberS  fommen.  3n  fanget  lernte  8enj  einen  Skrmanbten  be8 
berühmten  iSbb»el'Äabet  tennen,  einen  @cherif,  b.  i.  3lbf5mmling 
be8  Propheten,  gugleich  ein  fUlitglieb  einet  oerbreiteten  religißfen 
®efte.  Siefer  hotte  im  ®inne  na^  2;imbuftu  ju  reifen  unb 
ihm  fchloh  fidh  8en3  an ; er  mürbe  in  ber  Slhat  fein  Rührer  unb 
Solmetfcher  unb  leiftete  in  feinet  genannten  breifachen  (Sigen» 
fchaft  mefentliche  Sienfte.  6in  überall  refpeftirter  ©eleitSbrief 
be8  @ultan8  non  ÜJiaraffo  etmie8  fich  nicht  rainbet  merthooB. 

2lm  22.  Secember  1879  oon  Sänger  aufbreepenb,  hotte 
8en3  nadj  a^t  Sagen  bie  mohl  80  000  @inmohnet  3ählenbe, 
aber  arme,  meil  fchlecht  oermalte  9iefiben3  ^e8  erreicht,  mo  für 
btei  Söo^en  Aufenthalt  genommen  mürbe.  SBegen  bet  bireft 

fubmärtS  houfenben  tduberifchen  Serberftömme  matb  nun  nach 

(») 


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30 


$Beften,  jur  ^üfte  abgebogen  unb  untemege  aud  jai^Iretcl^en 
3nfc^ttflen  eine  Srfimmerftntte  al8  baS  alte  33olubili8  erfannt. 

SSon  ber  jfüfte  ab  ttiebet  lanbein  • nnb  bann  fübwärtfl 
jie^enb  gelongte  8enj  am  14.  gcbtuat  1880  ju  ber  am  f?u§e 
bet  9tla8<@d)neegipfe(  romantifd^  gelegenen,  aber  freilich  aOüberaQ 
bic  ©puren  beö  aSerfaOefl  aufmeifenben  gweiten  ^auptftabt 
SRaroffo  (üWaralefcb  = bie  ©efcbmürfte)  nnb  t«nb  l)ier  gafllic^e 
?lnfna^rae. 

©eitler  war  et  al8  @^rijt  gereift  unb  in  europdifr^er 
J^leibung;  non  '^iet  ab  war  e8  aud^  für  i^n  geboten,  bie  9toDe 
eine8  türfifc^en  üKilitdrarjte8 , genannt  ,^aftm  Omar  ben  9(li, 
unb  bamit  mu^amebanifd^e  ©itten  unb  ®ebrdu(^e  anguneijmen. 

91un  ging’8  übet  bie  treibe«  unb  Slertidr:,  bann  £ria8> 
©Übungen  beß  3ftla8gebirgeß,  [tet8  in  bet  Süii^tung  bet  Äüfte 
in  einem  SJbftanb  »on  wo^l  100  Kilometern  »on  berfelben,  bur(^ 
ein  wegen  feiner  fanatifd^en  unb  rdubetijc^en  ©ewoijner  ^öcbft 
gefd^rtid)e8  @ebiet,  unb  nac^  einem  non  ®efangenfdf|aft  wenig 
nerfc^iebenen.gwölftdgigen  9lufent^a(t  in  5£arubant  (180m  fi.  b.3Jl.) 
burc^  bie  am  l^eften  aI8  Slnti^Stlaß  gu  begeidjnenbe  @ebirg8tette 
in  ba8  ©ebiet  be8  nom  ©ultan  faft  gang  unabhängigen  geiftli(hen 
Dberhaupte8,  ber  ©öfe8  im  ©dbilbe  führte,  wegen  be8  gerabe 
abguhaltenben  !D{atfte8  unb  bamit  netbunbenen  ganbfrieben8 
fidh  aber  norerft  gurücFhielt.  ,^iet  mußten  nun  für  bie  eigentliche 
SBüftenreife  Vorbereitungen  getroffen  werben;  ^ferbe  unb  flKauU 
thiere  würben  nerfauft,  neue  Kameele  befter  ‘Jrt  angefchafft  unb 
neue  ©ienet  angenommen,  ba  bie  au8  9Raroffo  mitgenommenen 
nicht  weitet  gu  gehen  wagten. 

fRoch  führte  bet  SBeg  gum  höheren  8anbe  auffteigenb  je 
mit  längeren  3lufenthalte  einen  SWonat  lang  fübwärtß;  mit 
Seginn  beß  9Rai  1880  aber  begann  in  28°  fRorbbreite  baß 
IDutchfchneiben  bet  ©ahara  in  füböftlidher  SBanbetung.  IDie 
eben  fo  fcltene  alß  metfwürbige,  ja  unheimliche  ©rfcheinung  beß 

(30) 


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31 


tönenben  @anbed;  baö  langfame  gothürfcn  bet  Sanbbünen, 
bafl  SBorlotnmen  Bon  @teinfal3,  baö  feit  uralter  3cit  auflgebeutet 
unb  in  Slaufenben  Bon  ^ameellaften  aDjäi}rli(^  na^  Slimbuftu 
beförbert  njirb.  bafl  Sluffinben  Bon  je^t  alten  ©tabtmauerteften, 
aue  @rbe  unb  @tein|alj  gebilbet  — bieö  ättleä  waren  ©egen» 
ftänbe  gut  Slnregung  md^tenb  bet  langen,  [tetg  nächtlichen  SBüften* 
wanbetung,  bie  unter  22°33reite  in  rein  f übliche  Züchtung  einbog, 
welch’  leitete  bann  biö  gum  (^neichen  bed  altberühmten  unb  fo 
jelten  befudhten  Jimbuftu  (in  17^°  n.  S3r.)  beibehalten  würbe. 

1.  3uli  langte  Seng  hi^i^  on,  in  biefer  je^t  Bon  fnaph 
20  000  Sltabetn  unb  Siegern  bewohnten  fultanlofen  ©tabt, 
welche,  eine  Slagereife  nörblich  Bom  9^iger  gelegen  unb  eine  obe 
Anhäufung  Bon  .^äuiern  unb  Selten,  nur  Smifchenlagerpla^  ift  für 
SBaaren  au8  bem  9iotben  unb  für  @rgeugni[fe  auö  bem  ©üben 
unb  fich  nur  noch  als  ein  ©chatten  Bon  bem  geigt,  waS  fie 
früher  gewefen  jein  joD. 

Saft  brei  Soeben  hielt  fich  Seng  hiee  auf;  et  jagt  felbft, 
ba^  bie  befferen  .^eife  bet  arabifchen  ©efeUfchaft  wohl  nicht 
geglaubt  haben  bürften,  ba§  et  ein  fDtoSIem  fei;  aber  ba§  fie 
bied  oomehm  ignorirten  unb  eä  fogat  billigten,  ba§  et  unter 
bet  angegebenen  SRaSfe  reife.  3ebenfaQd  war  fein  tSufenthalt 
ein  burchauS  ungeftörter. 

3weifello0  oerfehren  nach  Seng’  ©tfunbigungen  oon  Jimbuftu 
an0  in  faft  genau  weftlicher  [Richtung  Karawanen  mit  bem 
9Rünbung0gebiet  be0  ©enegal,  b.  i.  mit  ©t.  Soui0;  Seng  aber 
gog  e0  Bor,  nach  ®üben  audbiegenb  weftwärtd  burch  ben  eigent« 
liehen  ©uban  gu  gehen  unb  fo  ba0  gange  ^ambarragebiet  burch> 
giehenb  an  ben  ©enegal  gu  gelangen.  Seute  freilich,  wel^e 
jolche  [Reife  hätten  mitmachen  wollen,  fanb  er  nicht,  fo  bag  er 
fteM  oon  Drt  gu  Drt  Xragthiere  unb  2)iener  raiethen  mu§te. 
[Rach  langfamem,  oft  burch  Äronfheit  ber  [Reifegefährten  er» 
fchwertem,  wieberholt  auch  gefährbetem  [IRarf^e  burch  fruchtbareB, 

(31) 


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32 


abwedjfelnb  faft  nid^t  unb  bann  »iebet  ganj  bid^t  benölferteö 
ebenes  8anb  war  enbli^  am  2.  9?0Beinbet  1880  ?lRebine,  bei 
öu§erfte  frangöftfcbe  SRÜitdrpoften  am  Senegal,  erteilt  unb 
2euj  fonnte  nach  elfmonatli(bet  Keife  burc^  bie  SBüfte  unb  ben 
Suban  gum  erften  fKale  »iebet  im  Serfe^r  mit  gebübeten 
©utopdern  fcbmelgen.  Kadb  bequemer  ga^tt  ben  Senegal  ab» 
»drtS  fanb  unfer  SanbSmann  in  St.  SouiS  eine  ebenfo  liebenS« 
rcütbige  al8  ebrcnoolle  Slufnabme,  unb  halb  ^atte  iljn  ein 
iDamtjfet  in  bie  etfe^nte  ^>eimatb  gurücfgebtacbt. 

Unb  obmo^l  et  nur  Derbdltnigmd§ig  geringe  ®elbmittel 
aufgeboten,  fe^rte  8eng  bodj  mit  Sc^d^en  reidj  belabcn  gurücf: 
ibm  uetbanfen  »ir  ba8  S3erfd)winben  eineö  großen  »ei§en  ^ledenö 
unferer  Äarten,  i^m  bie  genaue  geognoftifcbe  Äattirung  feines 
gangen  SBegeS,  i^m  bie  SluSfunft  über  bie  ^öbencerbdltniffe 
beS  »eftlicben  bet  Sabara  unb  bamit  bie  enbgültige 

9lb»eifung  beS  ^loneS  con  einer  Unterroafferfebung  beffelben, 
ibm  au(b  bie  Suffldrung  übet  bie  fDtöglicbfeit  unb  bie  3^or» 
bebingungen  für  eine  im  Suban  gu  erbauenbe,  fo  wie  für  eine 
bet  Borgefcblagenen  tranSfabarifcben  @ifenbabnen. 

2) et  foeben  unb  gule^t  erwdbnte  ^unft  gemahnt  unS  an 
bie  möglicbe  unmittelbar  praftifdbe  SBicbtigfeit  ber  '2lrt  ncn 
Keifen,  »ie  fie  bet  ©egenftanb  meines  heutigen  SBortrageS  finb, 
unb  Idfet  bie  nabeliegenbe  ^rage  auSfpretben,  ob  nicht  gerabe 
im  3ntereffe  ber  ^anbelSerfcbliebung  jener  fernen  innerafrifanifcben 
iJanbftricbe  neuere  Keifen  quer  burcb  Den  Stabtbeil  beS  Kontinentes 
ftattgefunben  buben. 

3) ie  grangofen  buben  ja  gmei  Kanbgebiete  SlfrifaS  inne, 
Sllgiet  unb  Senegambien,  unb  fie  pnb  in  ber  Sbut  f<bo«  lange, 
feit  ben  lebten  Subren  aber  eifriger  als  jemals  beftrebt,  gmifdben 
biefen  beiben  Kolonialldnbem  eine  bauetnbe  fiebere  33erbinbung 
bergufteHen.  2lm  Senegal  hinauf,  oftmdrtS  bem  Kiger  gu  buben 

fie  *})often  um  ^often  oorgefeboben,  unb  oon  Ullgier  bf^  fueben 
(sa)  I 


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38 


fie  jenen  bte  ^anb  3U  telegen.  Sber  bie  von  92orben  ^er  jule^l 
au8gef(^i(fte ©ypebition  unter  glotter  8 ift  leibet  je^je^n  ©reiteu» 
grabe  jübli^  von  ^onftantine,  auf  5n>et  ^Drittel  be8  3Bege8  jum 
9}iger,  aber  ofltvärtS  von  bemfelben  abgebrängt,  von  ben  Suareg8 
völlig  vernichtet  »orben  (ttahrfcheinlich  am  16.  gebruar  1881). 

lSu(h  eine  beutfehe,  gtvei  3ahre  juvor  anSgefanbte  @rVcbition 
unter  9iohIf8,  bie  e8  vieOei^t  gu  einer  IDurö^querung 
gebracht  hätte,  hat  gmat  bebeutungSvoKe  @rgebniffe  nach  ^aufe 
gebracht,  hat  aber  ihr  ^auptgiel  nicht  erreicht.  3m  ^Jluftrage 
beö  beutfehen  ^aiferd  foQten,  mie  frühst  bem  @u(tan  von  SSornu, 
fo  je^t  bem  von  9Qabai  ®efchenfc  überbracht  werben,  unb 
8tchlf8,  ber  mit  biefer  Senbung  beauftragt  war,  wollte  hierbei, 
gugleich  im  ISuftrage  ber  beutfehen  afrilanifchen  ©efeUfchaft,  in 
fünfjähriger  Steife  erft  ba8  gtofee  Oftfaharagebiet  gwifchen 
Jripoli»geffan=S£ibefti»Stfabfee  einer»  unb  Sleghpten  anberfeitS 
erlunben  unb  bann  in  ben  wafferreichen  iSequatoriallänbem  ba8 
@ebiet  be8  gum  Slfabfee  flie^enben  @<hari  in  feiner  Stouten* 
verbinbung  mit  bem  mittleren  Äongo  erforfchen.  l^eibet  ift  au^ 
biefe  @rpebition  vor  Erfüllung  biefer  ihrer  Hauptaufgabe  ge> 
feheitert;  bie  Oafe  Äufrah  war  erreicht,  aber  bie  Sefuiten  bc8 
38lam,  bie  ©nuffi,  vereitelten  ben  SBeitermarfch;  au8geplünbert, 
vom  2obe  bebroht,  fiüdhtenb  lehrten  bie  Slh«lnehmer  norbw5rt8 
gurücf  unb  eneichten  (25.  Oltober  1879)  S3enghafl  na^  gerabe 
einjähriger  Sbwefenheit  vom  IDtittelmeere. 

S3on  bem  9üti§glücfen  biefer  @fpebitiou  härte  ber  3talieuer 
Dr.  |)ellegrino  SJlatteucci  (gcb.  1850),  al8  er  gerabe  von 
feiner  gweiten  afrilanifchen  Steife  gurüdtehrte,  welche  ihn  burch 
abeffiuien  bis  an  ben  blauen  Stil  geführt  hatte.  Stun  wünfehte 
er  baS  äBageftüd  gu  unternehmen,  bis  nach  SBabat  vorgubringen 
unb  hatte  fchon  von  bem  HanbelShaufe  Slrbib  in  Stripoli,  welches 
mit  Söabai  in  ©efdhäftSverbinbung  ftcht,  bie  ©rlaubnife  erhalten, 
fidh  einer  feiner  Karawanen  bahin  angufchlie§en,  als  ber  italienifche 

XIX.  493.  494.  3 (991 


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34 


@tooanni  Sorg^efe  babon  ^öite  anb  nun  unter  lieber« 
na^me  ber  Soften  ebenfaOe  an  bet  ge))Ianten  (Reife  tbeilgune^men 
inünf(bte.  9lun  erfd^ien  aber  bem  ^aufe  9rbib  bte  (Berantwortung 
ju  gro§  unb  e^  jog  feine  Sufümmung  jurficf;  bie  beiben  Italiener 
aber,  einmal  eingefebt  in  ben  ©ebanfen  einer  (Reife  nach  SBabai, 
woQten  nun  ibrerfeitS  nerfudben,  non  Ofien  olfo  non  Seg^pten 
au4  in  biefed  gefürdjtete  8anb  eingubringen.  Begleiter, 
inSbefonbere  für  (Bomabme  ber  Ortdbeftimmungen,  mäbtten  fie 
fi(b  no(b  ben  italienifdben  Lieutenant  !3lfonfo  QRaria  (üRaffari; 
ba  Bürft  Borgbefe  fpäter  in  ber  (DHtte  bed  gangen  (Reifemegefi 
beimfebrte,  fo  finb  eS  SRoitencd  lutb  äRaffati,  »eldbe,  ohne 
bieb  urfbrünglicb  beabficbtigt  gu  bai’CKi  nörbli^en  ^bdle 
ftfritaä  eine  nofle  (Durchquerung  beS  Kontinenten,  unb  gtnar 
bie  erfte  unb  bin  je$t  eingige  non  Oft  nach  Sßeft,  burcbfübtten. 

SBie  mir  f^on  barten,  b°tte  ja  Dr.  (Radbtigal  im  ^üb° 
jabre  1874  bad  Lanb  non  SBabai  bin  gum  (RU  burcbmanbert, 
batte  ja  aber  and  befannten  @rünben  au§er  Kompabpeilungen 
feine  genaueren  Beobachtungen  machen  fönnen.  (Diefe  genaueren 
Ortdbeftimmungen  gu  machen  unb  naturgef^i^tliche  mie  etbno« 
grahbif<be  ©ammiungen  angulegen,  foDte  ber  ^auhtgmecf  ber 
neuen  bis  SBabai  andgubebnenben  Steife  fein  — um  fo  auf« 
faQenber  ift  ed,  bah  (Staffari  erft  fünf  Sage  nor  ber  SIbreife 
non  feiner  Aufgabe  erfuhr  unb  ibm  nur  biefe  lurge  3eit  gemobbt 
mar,  um  fleh  bie  nStbigen  3nftrumente  gu  befchaffen.  ({Ran 
moQte  non  Oft^  b^t  <>uf  ^obai  gumarfchiren,  obfehon  man 
fich  fogen  mu|te,  ba|  ber  @rfolg  ein  bö^ft  gmeifelbafter  fei. 
(Denn  mir  erinnern  und,  bah  (Rachtigal  gerabe  noch 
Slugenblid  bie  äghptifche  ®renge  erreichte,  ald  ägbhtifche  Sruhhen 
biefe  überfchritten  bitten,  um  bad  Lanb  (Darfur  ber  ^crrfchaft 
bed  Kbrbine  gu  untermerfen.  3ahrelanged  Blutnergiehen  mar 
gefolgt,  unb  menn  jeht  auch  ^cbe  b^fibt^/  f<>  tnar  bo^ 
Slufregung  genug  norbanben;  indbefonbere  muhte  natürlich  ber 

(34) 


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35 


angtengenbe  Sultan  t>on  SBabat  uon  äulerftem  !Dii§trauen  et> 
ffiQt  fein  gegen  alle  fRcifenbe,  »eldje  »on  Dflen  famcu.  3n 
bet  ^^at  ^atte  er  an^  Sa^te  lang  allen  SSerte^r  über  feine 
Dfigrenge  bei  SobeÄftrafe  »erboten,  fo  ba|  beS  gürftcu  8org^efe 
@rt><bition  »on  allen  ©eiten  wiberrat^en  wnrbe. 

9lber  tro^  Slletn  f^ifften  fid^  bie  btei  SE^eilnebmer  am 
24.  Februar  1880  in  ©ueg  ein  gu  i^rer  großen  IReife,  »on 
welcher  i(b  «uö  ben  bfirftigen  bis  je^t  batüber  »erSffentlidbten 
9ia(br{(bten  baS  SBefentli(bfte  8U  berid^ten 
©uafim  am  rotten  OJieere  marb  ber  ganbmeg  meftmärtS  but(b 
bie  SBfifte  nadb  S3«ber  am  5Hil  genommen  (6. — 18.  ?Wätg)  unb 
in  einem  ©egelfcbiff  ben  9lil  hinauf  mar  na(b  einer  SJoebe 
erreiebt,  btefe  wegen  ihrer  günftigen  Sage  mehr  unb 
mehr  matbfenbe  unb  aufblübenbe  ©tabt.  3bren  Sborafter  mtrb 
fie  freilich  in  j^ürge  nodh  >nehr  &nbem;  benn  bem  ®efe^e  »on 
1878  gufolge  bürfen  bafelbft  mie  überhaupt  in  9egppten  fdhon 
je^t  feine  ©fla»en  mehr  »erfauft  metben  unb  1890  merben 
fogar  alle  ©flauen  frei  fein.  SenfeitS  beS  9MIS  marfchirte  man 
eine  Seit  lang  bemfelben  entlang  anfmärtS,  bann  bei  großer 
<|)ihe  unb  bnt(h  @egenben,  bie  ht  Solge  beS  lange  mühr^nben 
jrriegeS  mefentlich  an  ihrer  Seoölferung  »erloren  hatten,  nach 
el  Dbeib  (26.  Slprll)  nnb  Sobfeha  (11.  SJlai),  bem  fernften 
fünfte  telegraphifth«  SSerbiubung,  mo  gwei  SBochen  {Raft  ge» 
macht  mürbe,  lieber  (£ab>(Sabiah,  bem  »on  ben  Sleghptern  neu 
' ein  gerichteten  <^auptorte  ber  ^ro»ing,  mo  man  ebenfalls  m&hrcnb 
eines  gongen  flRonatS  raftete,  marb  bann  @nbe  3uni  21bn» 
@h«rem  eneicht,  ber  le^te  üghptifche  Ort,  ein  mahrer  nur  »on 
©olbaten  beoölferter  @rengplah. 

Unter  ben  gmei  »on  hier  nach  SBabai  führenben  SBegen 
mählien  nufere  {Reifenben  ben,  melcher  fie  bur^  baS  an  iSeghpten 
tributpflichtige,  gebirgige  unb  fleine  2:amareich  führte,  gmar 

etmaS  länger  mar  als  ber  gmeite  mSgliche,  aber  ben  SSortheil 

3*  Ci') 


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36 


bot,  Iet(btet  bae  fo  Slbfenben  oon  9lac^c{d^ten  na(^ 

fBabai  ju  etmögHc^en.  ^reiltd)  fonnte  nur  unter  tclegra^j^ifd^ev 
Bu^ülfena^me  ägpptifd^en  ^)O(i^btucf0  ber  ©ntritt  in  bie  ^aupt» 
ftabt  ©nett  möglich  gemadfet  werben  (6.  ©e;>tbr.).  Son  ^ter 
warb  nun  an  ben  Sultan  oon  SBabai  baS  @efu(^  abgef^icft, 
er  wöge  i^nen  alö  9ti^tdgpt>tern,  al8  9ticbttörlen  ben  8efud^ 
feines  BanbeS  geftatten.  Bange  blieb  bie  Antwort  auS;  unb  ba 
fie  e^er  abfcbläglic^  alS  juftimmenb  erwartet  werben  mugte,  fo 
teerte  f^ürft  9?org^efe,  ber  o^nebem  burdb  23erfprec^ungen  gut 
^eimte^r  oerpfli(ptet  war,  ^ier  jurud  (1.  Oftober),  fUiatteucci 
unb  SKaffari  aber  bereiteten  fi(^  f^on  oor,  füblid^  um  SBabai 
^erum  bur<^  I3ag^irmi  nac^  Sornu  gu  gieren.  @nbli(i^  fam 
bod^  bie  @tlaubni^|.  ®in  fünftägiger  fUiarfcp  brad^te  fie  burd^ 
fruchtbares,  obwohl  wenig  beoölferteS  Banb  na^  ber  gewöhnlich 
80  biS40SEaufenb,  angefttagen  wohl  bie  oierfache ©inwohnermenge 
gdhlenben  ^auptftabt  iHbefchr,  beren  Sage  beftimmt  warb,  ^enn 
fie  fanben  im  langen  freunblidbe  Aufnahme,  »erlebten  hier  aber 
boch  cidht  fchwierige  unb  traurige,  ja  unfithere  Slage. 

äBoElten  fie  nun  norbwärtS  burch  bie  SBüfte  ben  Heimweg 
nehmen,  fo  mu§ten  fie  4 bis  5 ÜJlonate  auf  bie  Karawane 
warten,  welche  alljährli^  oon  Slripoli  auS  europäif^e  SBaaren 
hierherbringt  unb  StrauSfebern  unb  ©Ifenbein  borthin  gurfidf« 
nimmt;  fie  entfdhloffen  ftch  beShalb,  ihren  weftlichen  ÄurS  weitet 
beigubehalten. 

9lm  7.  fRooember  begannen  fie  ben  SRarfdh  über  bie  weite 
bis  .^ano  fidh  erftredenbe  ©bene.  IDurdh  bie  SRibogo*  unb 
Sulala>@ebiete  uub  burch  gu  3Babai  gehörige  IBaghirmi, 

ouf  einem  wegen  ber  »ielen  SBafferläufe  unb  ber  fchlcdhten 
IranSportmittel  fchwierigen  SBege  gelangen  fie  in  ber  gweiten 
^älfte  beS  3anuar  1881  nach  Äufa,  ber  IRefibeng  oon  Sornu, 
wo  alltäglich  ein  oon  etwa  4000,  allwö^entlich  ein  oon  wohl 
30  000  ^erfonen  befuchter  SRarft  abgehalten  wirb.  52  Jage 

(S6) 


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37 


»et»f{ten  fle  ^ler,  weil  fic^  bet  ©ultan  ent|(^Ue|en  fann, 
fie  reifen  ju  laffen;  unb  aie  et  efi  erlaubt,  ift  i^nen  bet  SBeg 
notbwSrtg  bur<b  bie  SBfifie  »erfagt,  weil  im  9lorben  beö  Ifabfee’ö 
tSuberifebe  Stämme  alle  Karawanen  berauben.  So  jieben  fie 
bur^  eine  ungemein  bi^te  unb  fe^r  betriebfome  unb  fleißige 
Seoölferung  na<b  Äano  unb  Bon  ba  (am  1.  ÜÄai)  über  gebirgige^ 
8anb  na(b  S3ibba  am  SRiget;  auf  Soote  fahren  fie  in  Bter  Sagen 
ben  $(u§  @89^>  f(bwargen 

Seamten  ber  eurctjäifcben  ^aftorei  auf’8  SBefte  aufgenommen 
werben.  Drei  3öo<ben  oerwetlen  fie  hier  unb  erreichen  bann 
mit  Dampfer  in  nier  Sagen  ben  Dcean  bei  Slfaffa  (1.  3uli  1881). 
SRach  befl  3taliencr8  (Sora  Serechnung  haben  fie  mit  einem  9iuf» 
Wanbe  non  etwa  33  000grc8.  wohl  5000  Jfilometer  burchwanbert: 
baoon  waren  3100  gunor  fchon  genügeub  befannt,  800  hatte 
9iachtigar8  fERarfdb,  freilich  in  einer  8inie  nur  burchjogen  unb 
nur  burch  S3u|fclenaufnahme  feftgelegt,  auf  einet  Strede  non 
1100  Kilometern  hatten  aber  ÜJlatteucci  unb  ÜJloffari  Böllig 
unbefannte8  8anb  fennen  gelehrt. 

@ine  rafche  gahrt  brachte  fie  nach  (Snglanb,  unb  wenige 
Sage  nachher  hätten  bie  beiben  greunbe  ihre  .^eimath  wieber 
begrüben  fönnen.  Da8  Schicffal  hatte  e8  anbet8  beftimmt; 
fe^t  na^  nollbrachtet  Dur^qnetung  fchon  einen  neuen  Bug  oou 
SBeften  her  übet  Simbuftu  ju  ben  9Riam>5Riam  planenb  warb 
IKatteucci,  al8  er  eben  englifchen  Soben  betreten  hatte,  wie  fo 
oft  fchon  Bom  gieber  befallen,  jeht  heftiger  al8  je,  unb  erlag 
bemfelben  gleich  am  folgenben  Sage  (8.  Sluguft  1881),  ein 
Opfer  ber  auSgeftanbenen  90Rühfalen. 

3ch  flehe  am  S^luffe  meine8  heutigen  S?eri^te8.  (58  waren 
im  wefentlichen  fünf  gro§e  SRcifen,  beten  SSeranlaffung,  33er« 
lauf  unb  @rgebnih  im  ©angen  gu  ergählen  war.  @ro|en« 
theil8  war  e8  bie  ©efchidhte  ber  üeiben  unb  (Sntbehrungen 
lühnet  Uliänner,  bie  ich  ja  berichten  hatte;  aber  idh  hatte  auch 

(ST) 


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38 


t>on  Erfolgen  3U  bctii^ten,  mert^  bet  oft  furd^tbaten  Vtü^faL 
3ene  3Rännet  ^aben  im  SBeften,  in  bet  ÜRüte,  im  Often  unb 
einer  oon  Oft  nad^  S8eft  9lorbafrifa  buc^jogen  unb  l;aben  biefeö 
^Drittel  btt  ^ontinentet  in  feinen  ^auptjügen  fennen  gelehrt. 
3{on  wem  unb  wie  bie  ^utc^quetungen  bet  mittieten  unb  füb> 
liefen  S^eUet  non  ^frifa  ooOfü^rt  würben,  fod  ber  @)egenftanb 
bet  näc^ften  SSortraget  fein. 


n. 

@t  ift  unmöglich,  oon  bet  geograpl)if(^en  Srforfc^ung  ®üb> 
unb  felbft  SRittelafrifat  gu  teben,  o^ne  fofort  bet  9tament  oon 
Dr.  iCabib  Sioingftone  (geb.  1813)  ju  gebeuten;  beim  feinen 
unermüblii^en  unb  erfolgretcben  f^orf^ungtreifen  gebül^rt  bie 
iBnregung  unb  ein  gang  ^eroortagenber  Sl^eil  ber  au§erorbent> 
tilgen  Sortfe^ritte,  weldje  bie  ©eogtap^ie  oon  Slfrifa  in  ben 
lefften  oter  3a^rge^nten  gemailt  ^at.  2Bar  bod;  faft  ^^Oet,  wat 
man  bit  oor  jwölf  übet  bat  gange  @ebietoom  21.  @)rab 

füblicber  93reite  bit  gum  Sequator  wu§te,  fein  SBerf! 

@rfi  gehn  3a^re  ait,  mu§  er  fi^on  bet  ©elboerbienftet 
wegen  in  einer  ^abtif  arbeiten;  burib  ^rioatftubium  bilbet  er 
fteb  aut;  no<b  neungebnjäbtig  arbeitet  et  wäbvenb  bet  ®ommert 
in  einer  SaumwoQfpinnerei,  um  äBintert  in  @latgow  93ot« 
lefungen  übet  grieebifebe  Spraibe,  !£b<tIogie  unb  fIRebicin  gu  bören. 
6t  mad)t  fein  6jrameu  für  fUlebicin  unb  ©bi^urgie  — aber  not, 
um  fi(b  für  bie  Slutbreitung  bet  6oangeIiumt  möglicbft  geeignet 
gn  marben.  2)enn  bie  {)eibenmiffion  fa§t  et  alt  feine  Sebent« 
aufgabe.  2(it  fDUffionar  ift  Sioingftone  nach  Slfrifa  gefomnten 
unb  fDtiffionar  ift  er  geitlebent  geblieben.  3b>n  war’t  ocD  unb 
gang  um  bie  Slutbreitung  bet  6b^'fi<ntbumt  gu  tbun;  mit  ber 
Sibel  in  ber  ^anb  ift  er  gereift,  unb  bodb  barf  man  nicht 
fagen,  ba§  et  ein  ^ofifb&nget  gewefen.  3b>”  in 
(Reibe  bat  @etlenbeil  feinet  tSfrifoner  am  ^ergen ; aber  er  wei|, 

(M) 


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89 


ba|  bie«  nur  ju  ernteten  butd^  eine  Setbeffetunij  ibret  irbtf(ben 
^age,  unb  9Ii(btd,  fo  etfannie  er,  iftanb  biefer  Sßetbefferung 
mebi  im  SBege  als  ber  unfetige  Sflanenraub  unb  Sflauenbanbel. 
IDrum  wenn  er  fi(b  auch  felbft  aQübetaQ  Sebwietigfeiten  be< 
leitete  butcb  fein  offenes  SSorgeben  gegen  bie  (SflaoenbönWet, 
et  lie^  nicht  bauen:  gegen  bie  pottngiefifeben  arbeitete  er  im 
Sambefigebiet,  am  Sualaba  unb  Sanganjifa  gegen  bie  arabifebrn. 

3m  3abte  1840  ift  ^ioingftone  nach  ber  ^apftabt  ge« 
fommen,  unb  oon  ben  33  3abten,  bie  ibm  naebbem  noch  oer« 
gönnt  waren,  bis  er  übet  fecbjigjübng  am  4.  fDiai  1873  ftarb, 
bat  et  nicht  weniger  als  29  3abre,  nicht  blob  3u  jagen  in  'Sfrifa, 
fonbetn  wanbetnb,  forfchenb,  lebienb  auf  feinen  ©ntbeefungS^ 
fabtten  gugebracht.  IDie  gwei  IReifen  in  bie  .peimatb,  nach 
@nglanb,  gliebetn  feine  2frbeit  auf  'UfrifaS  Soben  naturgemäß 
in  brei  gerieben:  bie  erfte  oon  1840  bis  56,  bie  gweite  von 
1858  bis  64,  bie  britte  non  1866  bis  73.  S)aS  leßte  SSiertel 
beS  erften  fechgebniäbtigen  SeittaumeS  fchließt  ab  mit  bet  faft 
gweimaligen  Durchquerung  ISftifaS,  beten  S3efprechung  gu  meinet 
iSufgabe  gehört. 

Siuingftone  war  halb,  nachbem  er  ajtifanijchen  93oben  be« 
treten,  oon  ber  ^apftabt  unb  ber  sfllgoabai  auS  auf  Ochfenwagen 
bunbert  beutfehe  fD^eilen  norbwärtS  gegogen  bis  ^uruman,  bem 
bamalS  fernftgelegenen  3)iijftonSotte;  er  batte  fich  feft  angefiebelt 
unb  war  auf  wieberbolten  (Reifen  um  3 bis  4 @rabe  norbwärtS 
gefommen  bis  ^olobeng  im  äBeften  bet  DtanSoaalrepublil  unb 
batte  in  leßtereS  8anb  ber  unter  ben  BoerS  anfäffigen  ®tämme 
wegen  gwei  (Reifen  gemacht.  (Rachbem  er  barauf  ben  fchon 
früher  erfunbeten,  oon  .f^utuman  auS  um  100  beutfehe  (Sieilen 
norbwärtS  gelegenen  (Rgamifen  aufgefucht  (1.  tSuguft  1849), 
anch  in  @rfabrung  gebracht,  baß  baS  (Rorblanb  butchauS  nicht 
eine  große  fanbige  Hochebene  fei,  fonbern  ber  Siüffe  oiele  ent« 
halte,  unb  nachbem  ec  einen  erften  mißlungenen  (1850)  unb 

<S1*) 


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40 


im  batauf  einen  jweiten  gelungenen  SSerfud)  gemacht,  bte 
befonbetö  megcn  bet  f(brerflid)en  Jfetfefltege  fo  gefür(^tete  Äata» 
bariwüfte  gu  butd^gieben,  erreicbt  et  ben  ^fdbobeflub  unb  an 
ibm  bie  0tabt  Sinpanti,  bte  SRefibeng  bed  ^IRafoIoIoffltfien 
©ebituane.  S3on  biet  ««8  entbedt  et  (3uni  1851)  mitten  im 
Kontinent  ben  gtofeen  Sambepfttom  in  feinem  OJiitteliaufe. 

Siningftone  empött  bet  biet  geübte  fJJienftbenraub ; et  glaubt, 
bop  eö  möglitb  fein  müfte,  ibn  gu  untetbtüden  burtb  ®in* 
fübrung  eineö  tegelte^ten  .^anbelS,  but^  SuStaufcb  von  @tgeug> 
niPen  eutopäiftben  ©ettetbpeipefl  gegen  8anbe0ergeugniPe.  @etne 
liepe  et  Pcb  b^  niebet  unb  möchte  bie  Anlegung  »on  ^anbelS« 
»egen  planen;  abet  bie  Oegenb  ift  ungefunb.  6t  weip  audb, 
bap  in  j^olobeng,  mo  er  fo  lange  Dermeilt,  bie  IBoerd  auö  6igen> 
nub  nicht  auf  ftieblicbem  SSege  bie  Untemeifung  bet  6in> 
geborenen  gugeben  werben.  @o  fa^t  et  „ben  6ntfcblup,  feine 
Familie  nicht  länget  ben  Gefahren  biefeö  ungefunben  l^anb^ 
fttichefl  auögufeben,  fonbern  fie  nach  @nglanb  gu  fenben  unb 
ollein  bieib«!^  gurüefgufebren,  in  ber  Slbpcht,  baö  2anb  gu  bureb» 
forfchen,  einen  gefunben  23egirf  aufgufu^en,  au0  bem  fleh  ein 
PRittelpunft  ber  6ioilifation  machen  liepe,  unb  baö  Snnere 
mittelft  eines  SBegeS  gu  etfcbliepen,  bet  entmeber  an  bet  Op« 
ober  an  ber  SBeftfüfte  münbete."  3n  biefen  feinen  SBorten 
liegt  bie  6rflörung  für  feine  gange  folgenbe  S£b®tigfeit. 

6t  febrt  alfo  nach  bet  Äapftabt  guvücf  (iSpril  1852)  unb 
fchidt  feine  'Stau  unb  Äinbet  nach  6nglanb.  25aS  Stübjabr 
1853  Pebt  ihn  aber  f^on  wiebet  in  iümtanti,  230  beutfehe 
Stellen  norbwärtS  oom  Äap,  unb  im  ©ommet  befährt  et  mit 
bem  Äönig  unb  160  feiner  8eute  auf  33  Ääbnen  ben  mafeftätif^en 
Sambep  aufwärts  biS  gum  6inPuPe  beS  8iba.  9iacb  itinpanti 
gurücfgefebrt  (©eptbr.),  auS  beffen  »on  ihm  beftimniter  Sage 
(18^®  f.  93.)  et  fchliept,  bap  eS  nicht  gu  weit  uon  93enguela  au 
bet  SBeftfüfte  fei,  fenbet  er  Äunbfchafter  wepwörtS;  ba  biefe 

C40) 


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41 


iljm  tnelben,  bafe  bafi  SBeftgebict  »on  ber  Slfetfeflieje  befc^t 
f«t  unb  von  ©flaDen^JinbleTn  burcbjogen  loetbe,  plant  er  berufe 
^uSfü^Tung  bed  vorhin  mit  feinen  eigenen  SBorten  angebeuteten 
@ebanfend  ben  ^Itatfcb  auf  Soanba,  unb  bieS  um  fo  me^r,  aie 
au^  bie  dJtafoIoIo  ben  SSort^eil  eigenen  .^anbelö  mit  ber  SBeft* 
Tüfte  einfe^en  unb  i^n  gu  begleiten  fid^  bereit  erfidren. 

So  bliebt  benn  Sioingftone  am  11.  9iooember  1853  von 
ginpanti  au8  mit  27  auSgewdblten  Sambefiem  auf,  um  bie 
2^idbrige  fReife  angutreten,  bie  gu  einer  2)urcbquetung  iSfrifafl 
fül)ren  feilte. 

2)en  S£f(bobe  binob  “*>b  bann  ben  3ambefi=8iambpe  auf» 
»arte,  mdbrenb  ein  JReifegefellfibaft  am  glufeufet  bin» 

giebt  unb  fteiienweife  bie  ^dbne  um  bie  ©tromfebnenen  ober 
0dne  b^^nmgetragen  »erben,  fommt  man  fpdter  ben  ^ibaflub 
oufmdrte  in  ber  JRegengeit  unb,  oielfa^  oom  gieber  geplagt, 
Einfang  3anuar  in  bab  @ebiet  ber  93alunba,  mo  »eiblicbe 
Häuptlinge  bab  Solf  regieren.  33on  folcben  au(b  geleitet,  giebt 
iJioingftone  feitab  oom  gluffe  naeb  Sterben  unb  ift  halb  in 
©(bintc’ö  ©tobt,  jept  fepon  6 @rab  uörblicb  »on  feinem  9lu8« 
gangSpunfte.  Siebet  bereiten  ibm  gro|e  Qual;  in  freien 

©tunben  geigt  er  bem  ftaunenben  SBolf  feine  3oubrrlaterne  mit 
ihren  biblifcpen  Silbern.  ÜRit  gübrern  oerfeben  unb  bem  Sterte, 
fi(b  8ebenßmittcl  gutragen  gu  laffen,  giebt  8ioingftone  meiter 
burdb  »eit  überfebmemmte  Gebiete,  aud  benen,  aber  niept  aud 
Quellen,  fäbmdrtS  bie  feitber  befahrenen  unb  überfebrittenen 
glüffe,  norbmörtö  ber  Äaffai  mit  feinen  oiclen  ©eitenflüffeu 
beroorgeben.  @r  gelangt  an  ben  iDilolofee,  ber  mobl  nur  eine 
glufeoerbreiterung  ift,  uub  bomit  an  bie  SBafferf^eibe  gwifdbm 
ben  ©emöffern,  bie  ficb  bem  inbif(ben,  unb  benen,  bie  fi^  bem 
atlantif^en  Qcean  guwenben.  Stun  über  ben  ^afai  felbft,  ber 
bem  Steicbe  be0  gefürchteten  ÄonigS  SDtotiamoo  guftrümt  — unb 
bann  roeftwdrW  bureb  ftarl  beoölferte  ©ebiete  über  bie  gabl» 

(*i) 


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42 


rei^ien  9l«benflfiffe  be8  j^afat  bi8  SRjambi.  3)a  Sioingftone 
^iet  ^brt,  ba|  bad  »eftlid^e  (Sebiet  fc^isei  |>afftTbat  unb  »on 
0t(aDen^änbleni  burc^jogeit  fei,  fo  biegt  ec  nad^  fRocben  ab, 
eiet  vom  ^ebet  geplagt  unb  }u  einem  @eiippe  faft  abge^cenb, 
einmal  gar  au^  genöt^igt,  feine  ob  ber  vielen  SBibecivättig« 
leiten  mut^lofen  unb  fic^  aufle^nenben  iieute  gum  ©el^ocfam  gu 
givingen.  Sergeblid^  ben  ^oangaflu^  eetvartenb,  ber  bo(%  ^ier 
fein  raü§te,  fc^neibet  Sivingftone  viele  norbmärtfl  gerichtete 
laufe,  trifft  gahlreiche  ©efcQfchaften  eingeborener  {)£nbleT,  welche 
£uch,  0alg  unb  perlen  mit  fich  führen,  um  SienenivachS  ein* 
gutaufchen,  unb  fommt  nach  Ueberfteigung  ber  SRoffambaberge 
am  3.  ^pril  1854  an  ben  ^oangofiu^  unb  mit  ihm  an  bie 
(4renge  beb  portugiefifdhen  ^efthe^r  no<h  ^affange, 

ber  iveiteft  lanbeiniv&rtS  gelegenen  Station  ber  ^ortugiefen. 
Son  biefen  gmar  ald  ein  gur  Unteebrüdung  bed  0llavenhanbel4 
abgefanbter  ’flgent  ber  englifdhen  3iegierung  beargwöhnt,  aber 
hoch  freunblich  aufgenommen,  ja  neu  betleibet,  verlauft  er  hie*^> 
gur  Sreube  ber  hnnbelerftrebenben  fDlatololo,  bereu  mitgebrachte  . 
(^lephantengähne  gu  h^h^n  greifen.  2)aö  fich  wiebereinfteOenbe 
lieber,  welches  ihn  bie  SBochentage  unb  bie  9lamen  feiner  ®e* 
führten  vergeffen  macht,  macht  bie  SEBeiterreife  gu  einem  elenben 
Sortfchleppen  auf  ben  Dchfen;  in  9lmbala  ftöift  ihn  SBein  gum 
evften  5Kale  wieber  feit  14  Sahten!  9Jun  h^t  er  noch  bie  Slngft 
feiner  fchwargen  Begleiter  gu  nbeewinben,  welche  fürchten,  an 
ber  JSüfte  verlauft  unb  gefreffen  gu  werben;  aber  enblich,  am 
lebten  HJtai  1854,  ift  bie  portugiefifche  0tabt  8oanba  an  ber 
SBeftlüfte  erreicht. 

SBochenlange  jh;anlheit  unb  fchrecfliche  ^Abmagerung  ift  bie 
nüchfte  Solge  von  ^lima  unb  ©trapagen.  lAber  obwohl  er  ge« 
funben,  ba|  wegen  ber  bebeutenben  SBülber,  $lüffe  unb  ©ümpfe 
ein  8anbweg,  wie  er  gehofft,  nicht  angelegt  werben  lann,  unb 
Icohbem  englif^e  ©chiffe  ihn  nach  ©t.  Helena  ober  nach  ^aufe 
<«*) 


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43 


gu  bringen  corfcblagen,  aid  B{t>ingfi'’n^  feiner  @efunbung 
isieber  gurücf,  um  feine  3}eglettet  gurficfgubringen  gu  ©eteletu, 
gang  befonberd  aber,  um  von  ginpanti  auS,  fadd  er  ed  erreitbt, 
eine  ©trage  an  bie  Oflfufte  gu  erfunben  unb  becgufteden. 

©0  vertagt  er  benn  nacg  viermonatlicbem  Sufentgalt,  am 
20.  ©eptember  1854,  mieber  ©t.  $aul  be  Soanba,  na<bbem 
guvor  bie  portugiefif^e  Ortdregieruug  feine  auf  bie  @röffnung 
bed  ^anbeld  begüglidjen  $läne  gebidigt.  @t  mad)t  gmei  9b< 
fte^er  f&btvärtd  an  ben  ^oanga,  um  bad  8anb  unb  feine  frügeren 
dRiffiondanftalten  fenneu  gu  lernen,  fegrt  bann  bei  bem  in 
unferer  3eit  fo  vielgenannten  SKalange  Jvieber  auf  feinen 
früheren  SBeg  gurücf  unb  erreid}t  @nte  Januar  1855  mietet 
Äaffange.  .^ier  erfährt  et  benn  autb,  bag  im'  3ntereffe  bed 
.panbeld,  ber  feit  langem  mit  aden  umliegenben  8änbern  in  be> 
beutentem  Umfang  betrieben  mirb,  fd)on  viergig  3ugre  guvor  bie 
gtvei  fog.  fcgwargen  .^änbter  Saptifta  unb  $ofe  bid  an  bie  £ft> 
füge  gelangt  unb  von  bort  voieber  gurütfgefe^rt  mären.  9iacb 
Ueberfcbreitung  bed  üoango  änbert  8ivingftone  bie  jeitgerige  öft« 
li(ge  9ieiferi(gtung  in  eine  norböftlicge,  um  ben  dRatiamvo  gu 
befucgen,  ben  erften  .Häuptling  ader  Salunba;  aber  bie  5iranf« 
geit,  bie  dritte  ^prit  aud  SBecbfelgebet  in  ein  geftiged  tgeu< 
matif^ed  Riebet  übergegangen  mar  unb  mocgenlanged  ^iegenbteiben 
verurfarbt  gatte,  bagu  mandgetlei  anbered  |)emmnig,  bad  nur 
gegn  Sage  im  ddonat  gu  reifen  erlaubte,  ferner  bie  diacgriibt, 
bag  ber  dHatiamvo  einen  fübmürtd  gericgteten  IDurcbgug  bur(g 
fein  8anb  burdgaud  nirgt  geftatte,  enblicg  bie  äSagrnegmung, 
bag  burdg  bie  migti(g  vielen  Slufentgalte  bie  mitgeuommenen 
dSorrätge  ftarf  gef(gmunben  maten,  bied  9lded  lieg,  ald  .Rabango 
am  21.  ddai  erreicgt  mar,  bie  9)Rarf(gti(gtung  in  eine  füböglirge 
übetgegen.  unb  dRitte  3uni  mar  er,  freilirg  nicgt  ogne  unter» 
megd  ben  fiebenunbgmangigften  ^ieberanfad  audgalten  gu  muffen, 

miebet  gu  ^atema’d  ©tabt  am  IDilolofee  gefommen.  dKit 

(♦») 


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44 


gutem  ©lidte  erfennt  8it)ingftone  bie  bpbrogrop^tjtfte  Sebeutung 
biefet  ®egenb  unb  tiet[u(^t  bie  )>eriobif(ben  Uebet« 

f(b»cramungen  beö  Sawbefi  unb  baS  9lil  gu  etfläreu. 

®en  trüberen  SBeg  einbaltenb,  bem  8iba  unb  Sambefl  ent« 
lang,  fommt  ?iutngftone  im  September  1855  »ieber  in  Sinponti 
an  unb  finbet  bei  ©efcletu  unb  feinen  Leuten  grobe  Slnetfennung 
ob  feinet  ©röffnung  bet  ^anbelöfttvibe  fRorbmeften.  Sofort 
geigt  ftcb  hoppelte  tru^t  baoon:  aUbalb  »erben  neue  33otcn 
mit  SBaaren  nadb  Soanbo  abgefepirft,  unb  freiwillige  bieten  ficb 
8ioingftone  an  gu  feinem  SBeitermarfdbe  narb  Dftcn.  SBobl 
f(b»anTt  er  bei  ber  SBabl  beö  3ielc8,  ob  auf  bem  8anbwegc 
3angibar,  ober  ob  bem  3ambefi  folgenb  bie  Dftfüftc  gu  erftreben 
fei;  er  entfrbeibet  fi(b  für  ben  lebteren  2ßeg  unb  betritt  ipn,  alS 
fi(b  bie  grobe  ^i^e  beö  Dftober  (big  34  ° R)  gemilbert  batte* 
@ang  oon  ben  fölafolclo  auSgeftattet  unb  oon  116  ber« 
fclben  begleitet  bvirpt  8i»iugftone  am  3.  SRoeember  1855  gur 
Oftfüfte  auf  unb  entberft  norb  »or  Slblauf  beö  SKonatg  bie  grob» 
artig  febönen  SSiftoriafäDe  beö  3ambefi,  erfennt  biefe  aber  auch 
fofort  ale  Slbflub  eineö  SeeS,  ber  frübet  baS  grobe  rürfwärtö 
liegenbe  ©ebiet  überbeeft  palten  mubte.  33on  pter  ab  »erlübt 
er  ben  Strom  »egen  ber  unfüglirpen  Sepwierigfeiten  an  ober 
auf  biefem  gu  reifen,  unb  giept  erft  in  nßrblirper,  bann  norb« 
öftliiper  Otieptung  in  einer  Spalte  bapin,  bie  »opl  60  m über  bem 
3ambefi  liegt.  5)?epr  unb  mept  fteigt  ba0  ©elönbe  unb  e8  »irb 
na^  ÜRonatScerlauf  bie  pöcbfte,  1500  m ü.  b.  211.  gelegene  Stelle 
erreiept.  2JUt  fReujapr  1856  fommt  gioingftone  »ieber  an  ben 
immer  »affeneiepet  »erbenben  Strom,  in  boffen  2fäpe  er  ba6 
Jpierleben  ungemein  reiep  entwicfelt  finbet;  überall  »erben,  wenn 
au^  ber  ©mpfang  guweilen  feinblitp,  oft  füpl  ift,  bo(p  oon  3)orf 
gu  Dorf  geute  gut  füprung  mitgegeben.  ?lm  ©influffe  beö 
goangwa  finben  p(p  bie  Srümmer  ber  alten  portugiefif(pen  9ln« 

fieblung  3umbo,  oon  »o  früper  bie  ©ypebition  beö  Dr.  gacerba 
(«*) 


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45 


(geft.  1798)  unb  bte  oon  ^eieira  weit  norbnoibweftlicb  bid  3u 
^agemba’d  <Stabt  vorgebrungen  war;  gleic^wo^l  b<>tten  fic^ 
feine  .^anbeldcetbinbungen  angefnüpft,  weil  ftd)  bie  f>0Ttugie[en 
ni(^t  gut  ®ewä^Tung  von  ^anbeldfreibeit  Ijatten  aufjdbwingen 
fönnen.  gioingitone  felb[t  {priemt  ficb  ungünftig  über.^anbeie> 
grunbfä^e  unb  iBerwaltung  bet  $ortugie[en  aug. 

JDutcb  febön  bewalbete  ©egenben  weiter  giebenb,  gebt 
8i»ingftone  @nbe  Sanuat  auf  ba8  redjte  Ufer  bc8  3ambefi  über, 
»erlöst  btefen  aber  eineu  SKonat  fpöter  gang,  -weil  er  wegeu 
heftiger  fRegenguffe  au8  feinen  Ufern  getreten  war,  unb  ba8 
ftänbige  ^fluffud)en  von  gurten  in  ben  fRebenflüffen  äugerft  geit^ 
raubenb  war.  giebt  er  fübwärtS  im  äSogen  b^tui^  unb 
wirb,  wie  feitber  von  freigebigen  @cbwargen,  fo  au(b  bei  feiner 
9(nfunft  in  ber  portugiefifeben  Station  $ete  (3.  Sötärg  1856) 
von  beffen  Äommanbanten  freunblicbft  aufgenommen;  vorgügU^e 
pflege  lobt  unferen  fReifenben  halb  wieber  gu  Ärdften  fommen, 
fo  bab  er  in  ber  fRöbe  gelegene  Kohlenlager,  warme  Quellen 
unb  ©olbwdfcben  befudbt.  ©rfunbigungen  über  bo8  norbwdrt8 
liegenbe  ©ebiet  berichten  ihm  von  einem  45  Sagereifen  ent» 
fernten,  fRpanja  genannten  See,  Den  an  enger  Stelle  gu  bureb» 
queren  36  Stunben  IRubern8  ober  vielmehr  Kabnf(bieben8 
erforbere.  ^ier  in  Sete  erwartet  8iving[tone  einen  flRonat  lang 
ben  beginn  ber  gefunben  3abre6geit  für  bie  Küftengegenb,  Idbt 
bie  flRebrgabl  feiner  ©egleiter  b*®r  3urü<f,  ba  er  bab  im 
3Rünbung8gebiet  Sb«u«’^uufli  f“  >£)nnger8notb  be^^f^be,  unb  fdbrt 
mit  nur  16  feiner  Sreuen  unb  begleitet  vom  8ieutenant  fOliranba, 
auf  brei  großen  SBooten  flußabwärts  (22.  Slpril)  unb  eneiebt 
am  20.  3Roi  1856  Kilimane,  bie  an  ber  SRünbung  feines  3um» 
befifluffe8,  am  inbifeben  Ocean  liegenbe  Stabt  ber  ^ortugiefen. 
©enau  vier  Sabre  waren  vergangen,  feitbem  er  bie  Kapftabt 
verlaffen,  auf  ben  Sag  gwangig  SOtonate  b^H«  ft  unf  biefe 
erfte  IDurchquerung  be8  Kontinentes  von  Sßeft  nach  Oft  ver* 

<«) 


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46 


»anbt.  9lod)  fed)flwe(^entlt«^em  5Sufentl)aIt,  »äljrfnb  befreit  et 
feine  lebten  Segieitet,  au|er  einem,  nac^  !(ete  jurfitff^ieft,  um 
bort  feine  9iü(ffunft  ju  ermatten,  befteigt  giningftone  ein  englifd^e« 
®cbiff,  mufe  ^iet  miebet  englifcb  fprerben  lernen,  fte^t  feinen 
lebten  febmargen  Begleiter  ob  ad  bn  neuen  @inbtüdfe  mo^n« 
finnig  metben  unb  fi(b  iw8  ÜWeer  ftürgen  — unb  fommt  enblidi 
am  12.  (Degrmbet  1856  in  @ng(anb  on:  übet  fe^ge^n  3a^te 
finb  »ergangen,  feitbem  et  ben  b^imat^Iic^en  S3oben  vetlaffen. 

dJMt  Subei  marb  gioingftone  in  ber  ^eimat^  aufgenommen 
unb  mit  9te^t  als  einet  ber  größten  @ntbeder  gefeiert;  allgemem 
war  baS  ©erlangen,  maS  et  fo  fd^ön  begonnen,  foOe  gu  6^ren 
@lotteS  unb  gum  9lu^cn  non  @ngIanbS  ^anbel  meitetgefüi^tt 
metben.  gining^one  fcibft  j®  »orgefd^Iagen,  am  3®mbefi 
fenfeitS  befl  portugiefifeben  ©epbeS  Stationen  gu  grünben,  aber 
bureb  bie  ^ortugiefen  mit  ber  ^üfte  in  ©erbinbung  gu  bleiben; 
©eförberung  beS  ,^anbelS  fei  bie  befte  ©HffionStbätigfeit. 

©on  ben  gmei  großen  englifcben  .^ocbfd)uIen  marb  bemnacb 
eine  eigene  (Stpebition  auSgerüftet  unb  abgefanbt,  bie  fog. 
»UninerfitätSmiffton*;  freilicb  füllte  biefe  halb  an  bet  Dftfüfle 
rin  elenbeS  @nbe  nehmen.  2)ie  englif(be  {Regierung  aber  be< 
traute  ben  unermüblirben  SBanberer  Siningftone  felbft,  im  meiten 
©ebiete  beS  3ambefiftromefi  in  feinem  Sinne  meiter  gu  arbeiten. 

<Dn0  grübjabr  1858  fab  i^n  fo  mieber  am  Ufer  beS  3®*"* 
befi.  Unermübli^  burdbforf(bt  et  baS  8anb  oft«  unb  norbmärtS: 
et  befäbrt  ben  S^iteflu§,  et  entbedt  benSd)«»®’  (18-  Slptil  1859) 
nnb  ben  IRpaffafee  (16.  Septbr.  1859),  burcbquert  in  1860  aber» 
male  ben  bQll’en  Kontinent,  ben  3®mbefi  entlang  bie  Sinpanti 
bin  unb  %tx,  giebt  in  ben  beiben  folgenben  Sabren  meiter 
nötblidb,  non  ber  Oftfüfte  auS,  ben  {Ronuma  aufmärte  bie  gum 
{Rpaffafee  unb  befäbrt  beffen  SBeftfüfte,  febrt  gum  3®mbeft 
gutfief  unb  burebftreift  im  Sabte  1863  bae  2anb  mefttidb  nom 
©paffo.  1864  febrt  er  gu  niept  gang  gmeijäbrigem  Slufentbalte 

f4fi) 


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47 


itad^  @ng(anb  jurfid,  freilid^  o^ne  ben  .^au^itjtoed  feinet  SReifen 
erreid^t  gu  ^aben,  nämlicb  in  Sunerafrifa  eine  bauernbe  Stätte 
be4  @^Tiftent^ume  unb  bet  j^uUut  gu  begrfinben.  ^bet  xoai 
bet  SJMjfionar  8ioinflftone  einbüfete,  baW*  l>er  ©eogta^)!)  Mining« 
ftone  gewonnen.  Unb  eben  bet  ^öfung  geogtabbif^er  Stagen 
wegen  befuebt  et  ein  btittefi  9Ra(  jenen  @rbtbcil. 

93enor  wit  ibn  in  @ebanten  bottbin  begleiten,  muffen  wit 
un6  bie  folgenteicben  @ntbedungcn  netgegenwättigen,  wel<be  im 
Setlaufe  beö  unmittelbar  notangegangenen  Sabtffinfted  im 
äguatotialen  Sbtüe  t)on  ülfttia  gema(bt  wotben  waten. 

®lei(bwie  Siningftone  im  Süben,  fo  batten  auch  beutfebe 
fSRiffionate  im  äquatotialen  Ofiaftila  neben  ibret  Setuf0tbäHg> 
feit  ciftigft  ben  geogtabbif<btn  Stubien  ficb  gewibmet.  So  wat 
bott  non  SRebmann  bet  febneebebedte  Sultan  Jfilimanbfcbaro 
entbedt  wotben  (11.  9)Rai  1848),  unb  DRebmann  fowiejftapf 
unb  (Srbarbt,  btei  in  3Rombafa  an  bet  £>ftfüfte  ftationirte 
beutfebe  SRiffionate,  gogen  in  ben  folgenben  Sabten  eine  fDRenge 
@tfunbigungen  ein  übet  noch  anbete  Sebneebetge  unb  melbeten, 
was  fie  non  atabifeben  .pänbletn  unb  @ingebotenen  etfabten 
batten,  nach  ^aufe:  inSbefonbete,  ba§  weit  lanbeinwärtS  gto§e 
Sinnenfeen  lägen,  bie  eigentlidben  OueOfeen  beS  0RiI. 

2)iefe  9ia(bri(bten,  baubtfä^licb  aber  bie  non  jenen  fSRiffio' 
naten  neroffentIi<bte  Äatte,  auf  bet  ein  fonbetbat  geftalteter,  gat 
an(b  über  gwölf  Steitegtabe  fi(b  auSbebnenber  See  alS  gang 
befonbetS  auffailenb  etf^ien,  aQ  bieS  netanla§te  bie  geogra))bif(bt 
@)efeOf^aft  gu  Bonbon,  eine  @jcpebition  na(b  Oftafrifa  auS- 
gufenben  gut  aufflärung  übet  ©jeifteng  unb  Bage  jenes  SeeS, 
ber  baS»  geograpbif<be  Snteteffe  811er  im  bö<^ften  @tab  rcigte. 
annettraut  würbe  biefe  @;rpebition  ben  beiben  BieutenantS  non 
bet  inbif^en  armee,  Sur  ton  unb  Spefe;  ber  erftere  war  ftbon 
als  untetnebmenber  SReifenbet  rübmlicbft  befannt  unb  ibm  würbe 
ber  Dberbefebl  übergeben. 

(47) 


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48 


9lm  20.  JDejembet  1856  in  Sansibar  gelanbet  — alfo  foft  ju 
gleidjer  Seit,  aie  Stmngflone  oon  feiner  erften  Steife  naci^  @nglanb 
jUTÜcftel)Tte  — unb  non  Sansibar  auS  in  füblicbem  93ogen  weft« 
u>5rtd  jie^enb,  erblidten  fie  nach  S)ur(binanberung  einet  @tre(fe, 
toelcbe  bet  non  S^attä  bid  SBien  glei(bfommt,  als  bie  erften 
©utopäet  (am  13.  Februar  1858)  ben  Stanganjifafee,  ineltben 
®^efe  alSbalb  buti^querte  unb  bann  mit  Surton  gufammen 
auch  in  feinet  Sübnorberftredung  befuhr,  o^ne  baS  Siotbenbe 
etreicben  ju  fönnen.  DrittelmegS  gut  Dftfüfte  gurüdfgefebrt, 
raftete  93urton  in  bem  non  fe^t  ab  nodb  oft  gu  nennenben 
Unpan^embe,  bet  tegfamete  @pefe  aber  bracp  mit  einer  {leinen 
©(baar  unteme^menber  (äingeborenen  am  9.  3uli  1858  notb» 
märtS  auf  unb  erreichte  am  30.  beffelben  ültonatS  baS  Sübufet 
beS  grö§ten  S3innenfeeS  auf  bem  Kontinente  Sfrifa,  beS  Ufereme, 
n»el(bem  ©pefc  ben  Slamen  beS  S3iftoria*9lpanga  beilegte.  9tie» 
manb  fannte  feine  Bange,  aud;  non  ^ö^erem  ©tanbpunfte  auS 
war  feine  93reite  nicpt  gu  übetfcipauen.  ätber  ba§  in  biefem 
®ee  ber  Utfprung  beS  SlilS  gu  fudjen  fei,  war  ©pefe’S  f^on 
bamalS  feft  auSgefpro(pene  Uebergeugung;  fte  gu  beweifen,  war 
bieSmal  nic^t  möglich,  er  mu|te  umfe^ren.  Stacp  fünfunb» 
gwangigmonatlid)er  Steife  warb  glü(fli(p  wieber  bie  Dftfüfte  unb 
halb  au(^  wieber  @ngtanb  erreid)t  (8.  Sltai  1859). 

9lber  wenn  aucp  ©pefe  für  feine  @ntbe(fungen  alle  @^te 
gu  S^eil  würbe,  fo  fanb  bo(p  feine  StilquelIen*Sl^eotie,  biefer 
SSerfucp  einet  Böfung  beS  uralten  StätpfelS,  nielfac^en  unb 
ftarfen  äBiberfprucb , nid^t  am  wenigften  gerabe  burcp  feinen 
Steifegefä^rten  Surton.  SSegreifli^  batum,  ba§  ©pefe  barnac^ 
ftrebte,  burcp  eine  gweite  Steife  ben  ©ai^nerbalt  nollftänbig  auf» 
gufldren:  gerne  bewilligte  i^m  wieberumbieBonbonergeograptjifdpe 
©efeOfcpaft  bie  ÜJlittel  ^iergu.  Diefc  gweite  Steife,  bie  eine  wirf» 
li(^e  ©utdjquerung  ber  Storb^älfte  beS  ©rbtpeilö  non  ©üb  na^ 
Storb  werben  follte,  nolIfül)rte  ©pefe,  nun  Kapitän,  in  33egleitung 
(«) 


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49 


feines  alten  f^reunbeS  unb  Sagbgenoffen  auS  3nbicn,  beS  Äa» 
pitön  @tant,  »um  September  1860  bis  3uni  1868.  6ine 
flemiffe  ©eru^igung  fonnte  eS  bei  bem  SBagni§  gewähren,  bafe 
fidj  ein  »ot  .tfurgem  nad)  @nglanb  gefcmmener  @Ifenbeinl|änb(et, 
‘Petbetif,  ber  Diele  3abre  in  ben  oberen  9?illänbern  jugebracbt 
batte,  aus  freien  Stntfen  erbot,  Schiffe  nadj  ©onbofoto  am 
oberen  9Ml  ju  fteflen,  in  ber  Smifthengeit  8eute  ben  tt)ei§en 
Älu§  aufmörtS  3u  fenben,  (Elfenbein  ju  fammeln  unb  bann, 
wenn  möglich,  Spefe  unb  @rant  beim  .^erabfommen  ju  unter» 
ftüfien. 

So  jogen  benn  unfere  beiben  ^orfd^er,  ^amthtg 

i^pefe  unb  % @rant,  oon  @nglanb  auS  unb  tarnen  mit 
einer  mübfam  erlangten  Sfleifegelegenbeit  über  föiabeira,  9tio  be 
3aneiro  unb  Äapftabt  SRitte  iSuguft  1860  in  Sonjibar  an;  mit 
beginn  beS  Dftobet  ging’S  lanbcinwörtS , bem  Jtinganifluffe 
entlang,  mit  einer  auS  212  ^erfonen,  12  fDiauItlneren,  3 (Sfeln 
unb  22  Siegen  beftebenben  Äarawane.  SBoju  jo  tiele  S?e» 
gleiter?  — mag  fDlnndjer  fragen , ber  jum  erftcn  ®lale  Don 
foicber  {Retje  im  trcpifcben  SIfrifa  bört.  Slber  wöbrenb  ber 
^olarmenfcb  baS  Stenntbier,  ber  0ewobner  gemäßigter  I23reiten 
baS  ?)ferb,  ber  9lorbafrifaner  baS  Äamcel,  ber  Sübafrifaner 
OcbS  unb  @fe(  benußt,  um  jlDtcnfcben  ju  tragen  unb  Saften  ju 
fcbleppen,  fteßt  feines  biefer  5Rittel  bem  fReifenben  in  ÜRitteU 
afrifa  5ur  Verfügung:  er  ift  gan^  angewiefen  auf  menfcblicbe 
Jräger  unb  Don  ber  Sefcbaffung  unb  33efcbaffenbeit  biefer  Präger 
ift  ber  @rfolg  einer  JReife  in  erfter  Sinie  abhängig,  ©aju 
fommt,  baß  SRetaUgelb  in  jenen  @legenben  unDerwenbbar  ift; 
afrifanifdbeS  @elb  beftebt  in  fRatur»  unb  Äunfterieugniffen  Der» 
fcbiebenfter  3lrt  unb  ift  felbft  bäupgem  Söecbfel  ber  9Robe  unter» 
worfen.  SBenn  unS  nun  Spefe  erjäblt,  baß  er  u.  Ä.  79  Jraglaften 
Detfcßieben  gefärbter,  befonberS  amerifanifcber  ^aumwoUenjeuge, 
fowie  Diele  %ti  unb  golbgefticfte  Söieften,  36  Saft  i'erlen  ber 

XIX.  433.  43t.  4 (4:^) 


I 


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50 


maiu^falHgften  Slrt  unb  garbe,  13  Saften  ®?efflng*  unb  Äupfer= 
bra^t  aI6  @efd)enle  unb  Staufc^mittel  mitjunel^men  l^atte,  fo  ift 
bie  gro§e  3a^l  ber  Präger  too'^l  begreiflich,  begreiflich  aud^,  wie 
viele  ^uh<  ma^en  mng,  folche  3Rengen  von  unbiSgiplinirten 
SRenfchen  einigermaßen  einheitlich  gu  (enfeu. 

3n  langfamen  3Rärfchen  gog  @)>efe  über  baS  wenig  an> 
fteigenbe  ,$^iiftenlanb  unb  bann  burd^  bad  von  angfterfüDten 
unb  burch  ^ungerSnoth  gepeinigten  SRenfchen  bewohnte  93erg> 
lanb  Ufagara,  eine  ^ügelfette  um  bie  anbere  überfteigenb,  enblich 
über  einen  mehr  atd  1500  m h<>ßcn  ^aß  gu  bem  ^odßlanbe  beö 
inneren,  h'^^  gunächft  burch  bie  wilbe  Sanbfchaft  Ugogo,  bann 
im  3)ecember  in  achttägigem  SJtarfd^e  burcb  eine  SBilbniß;  am 
23.  3anuar  1861  war  ber  erfte  $Iaß  gu  längerer  Staft  erreidßt, 
bie  unter  5°  ©übbreite  gelegene  ©tabt  Äage  im  Sanbe  Unpam= 
wegi,  wo  ©pefe  mit  Surton  brei  Saßrc  vorher  ebenfalls  ©taub» 
quartier  genommen  hatte,  um  bamalS  weftwärtS  gum  S^anganjifa 
unb  norbwärtfl  gum  S3iftoriac9tpanga  vorgubringen.  S)er  Snblicl 
ber  Karawane  vermo^te  jeßt  freilidh  baS  .^erg  nicht  gu  erfreuen: 
einer  ber  Segleiter  war  tot,  einer  war  auSgeftoßen,  fedh§  waren 
unterwegs  gur  ä^üfte  gurüdtgejchicft  worben,  123  waren  befertirt, 
von  ben  3irgm  waren  15  entwenbet,  bie  mitgenommenen  Sttaul- 
thiere  unb  @fel  waren  fämmtlich  tot;  mehr  alS  bie  .^älfte  aller 
©achen  war  geftoßlen,  vom  0tefte  ein  übergroßer  Slh®il 
braudht  burdh  wegen  ber  {)ungerSnoth  ungewöhnli^e  .^ähe  ber 
Sfleifeloften.  Dagu  litten  3Hle  — ©pefe  jelbft  ausgenommen  — 
an  ben  9tachwirfungen  beS  anftrengenben  9)tar{cheS  ber  leßten 
SJlonate,  einige  am  gieber,  anbere  am  ©forbut,  wieber  anbere 
an  2lugenentgünbung.  ©eine  S3orräthe  an  Slaufchmitteln  tonnte 
©pefe  hier  ergangen,  freilich  um  einen  ?)reiS,  ber  400  ^rocent 
über  bem  9)tarftpreife  non  3«ngibar  ftanb;  aber  troß  gweimonat« 
liehen  Aufenthaltes  wollte  eS  nicht  gelingen,  bie  Sücten  in  ben 
JReiben  ber  Präger  gu  ergängen.  ©o  entf^loß  ftch  ©pefe,  einen 

(W) 


I 

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51 


feines  ®epätfe§  jurüdjulaffen,  norbmärtS  ju  sieben 
feinem  fReifegiele  gu,  um  ba  etft  STräget  anguwerben,  bie  bann 
tüdtebren  unb  bie  gurüdgelaffenen  Sßaaren  nac^btingen  foQten. 
6in  liefet  ^)offnungen  erfüllte  fi(b;  aber  bie  »ielen 
bet  arabif^en  .^änblet  mit  ben  Eingeborenen  unb  ber  (enteren 
unter  einanber,  baß  ^ereingieben  unferer  Steifenben  in  biefe 
ewigen  ©treitigfeiten  veranlagte  einen  Slnfentbalt  um  ben  anbem, 
ja  fogar  eine  IRüdreife  ©pefe’S  biß  Äage.  iSufß  9leue  Borge* 
brungen  unb  geitweilig  von  @rant  getrennt,  b^uften  fi(b  neue 
unb  neue  Sdbwierigfeiten:  ErgSblungen  vom  fHorben  ber  fom* 
menber  geute  über  Sebrüdungen  unb  Seraubungen,  bie  ihnen 
bort  roiberfabren , bagu  ©efpenftcrfurcbt  lieb  @pe!e’ß  Sieger 
gurüdfdbreden  unb  meutern  — nocbmalß  mubte  er  Dlnfangß  3uli 
nach  .^age  gurüd.  Son  neuen  ^übrern  begleitet,  ging’ß  wieber 
norbwürtß;  aber  ^antbeit  ©pefe'ß,  fowie  bie  fteten  langwierigen 
IBerbanblungen  über  bie  Eaftgefcbenfe,  weldbe  ben  ^äuf>tlingen 
gu  geben  waren,  auch  eine  Erpreffung  um  bie  anbere  von 
©eiten  ber  le^teren  lieben  3ulii  Sluguft  unb  ©eptember  ser* 
ftreicben,  ohne  üiel  voran  gu  fommen.  fUlitte  9tovember  war 
©pefe  nadb  Äaragwe  gelangt,  einer  ganbfcbaft  weftlidb  »on  ber 
ÜJlitte  beß  -Jlpangafee’ß,  unb  bamit  war  Erlöfung  von  ?)tünberern 
unb  fl^  fo  nennenben  Sefcbübern  eingetreten.  Eaftfreunblicb, 
ja  mit  fürfllicben  Ebren  empfing  unb  bebnnbelte  unjeren  9iei»  • 
fenben  ber  jtönig  IRumanifa  beß  Sanbeß;  burcb  einen  ISußflug  nadb 
Söeften  unb  burcb  ein  vom  Äonig  begünftigteß  3lußfragen  weit 
gereifter  ?eute  fonnte  ©pefe  Slußfunft  über  nähere  unb  feinere 
©egenben  erbalten.  Sluffällig  war  ibm  biw  baS  Jßeftreben 
gumal  ber  SDornebmen,  ihre  grauen  möglicbft  bid  unb  fett 
werben  gu  laffen,  vielmehr  fie  burcb  wenn  notbig  ergwungeneß 
Jrinfeu  vieler  fUlilcb  fo  gu  machen,  berart,  ba§  fie  nicht  mehr 
gu  geben  vermögen. 

IDer  Etifette  beß  Sanbeß  gemä§  mu^te  nun  an  ben  großen 

4*  (51) 


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52 


^önig  ^te{a  von  Uganba  im  9torben  bed  ^^^an^afeeS  ein  Sote 
gef(!^i(ft  metben,  um  Spefe'd  Sefud^  anjufimbigen;  jmei  Monate 
mu§te  man  beg^alb  märten,  bie  biejer  jurfidfam,  unb  @pefe 
^atte  ^ietbutcb  Seit,  ftcb  über  ade  !{}er^ältni[ie  geogra^^ifebet, 
etbnograpbiftber,  b^naflifcber,  linguiftifdjer  diatur  ju  untenidbten. 
dHitte  Januar  1862  Heb  ft(b  enbti(b  ber  ^lang  bet  Uganba> 
ttommel  nernebmen:  ein  fbniglicber  Beamter  mit  grober  (Sdforte 
mar  gefommen,  gum  S3eju<be  in  Uganba  eingulaben.  Seiber 
mar  @rant  an  einem  bö[en  Subleiben  fibmer  erfranft,  unb  ba 
vor  2iblauf  von  ein  ober  gmei  dRonaten  nidbt  auf  @ene[ung  gu 
rechnen  mar,  fo  gog  @pele  aQein  norbmärtS,  mie  er  felbft  fagt, 
,im  Snnetn  völlig  fi^er,  bab  er  in  Äurgem  bab  grobe  9lil» 
<>Toblem  für  immer  löfen  merbe."  3m  gaftlicben  Sanbe  lieb  er 
alfo  feinen  Breunb  gurüd,  nadbbem  noch  Briefe  unb  gefummelte 
9iaturalien  gur  0eförberung  nach  ^age  unb  Snngibar  bereit 
gefteHt  maren. 

S3alb  mar  ber  von  ©pefe  brei  Sabre  guvor  febon  erfunbete 
meftlicbe  ^auptguflub  beS  ©eeS,  ber  nicht  eben  breite,  aber  febr 
eingefebnittene  unb  redbt  tiefe  ^itangule,  erreicht,  unb  nach  bem 
Buge  bureb  ein  ungemein  fru^tbareb,  an  2lntiloven  reichet 
@elünbe,  bureb  »ein  voQfommened  ^arabieb  für  (Reger,"  marb 
am  31.  3anuar  ber  2lnblid  bed  großen  <Seeä  gemonnen.  3n 
meitem  IBogen  unb  boeb  bem  ©ee  fo  nabe  mar  man  alfo  um 
benfelben  b^^u>ngegogen  unb  erft  jebt  fam  man  an  baS  norb» 
meftlicbe  @d  beffelben.  Ueber  S3erglebnen  unb  fcblammige  Sb^l* 
fohlen  unb  in  beftänbiger  ©iebt  beö  ©eeö,  jebt  genau  unter 
bem  2lequator  ging’6  norboft»,  bann  oftmartö  am  Ufer  beS  ©eeS 
bin.  Soten  auf  23oten  famen:  ÜRtefa,  ber  Äönig,  vermöge 
Toum  bie  Slnfunft  ber  SBeifeen  gu  ermarten  unb  b«*’«  ftb^n 
meiter  fübmartö  gefebidt,  um  auch  ben  rüdgebliebenen  @rant 
möglicbft  rafcb  berbeigubolen.  @nblicb,  am  19.  gebruar  1861,  marb 

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53 


bic  Sleflbenj  be0  SReic^eS  erteilt,  bie  erft  na(^  fü«fmonatl{(^ein 
aufent^olt  »erlafjen  werben  foQte. 

£>ieS  Ujanbareid),  non  ben  umgebenben  Eänbern  fo  net« 
fcbieben  wie  bie  Staaten  unb  Oiegierungen  Europas  von  benen 
Slfienö,  ift  wol)l,  nat^  Spefe’ö  ÜRcinung,  unb  gwar  in  viel  grö» 
lerer  9Iu§bel)nung  al8  |eute  von  vor  langer  Seit  audgewanberten 
Slbvffiniem  gegrünbet  worben,  bie  freili(|  il)re  8bftantninng 
buT(|au6  verga|en.  UnumfebtänTte  ®ewalt  eignet  au^  |ier  bew 
Jtönig;  Jobeäftrafe  ift  fein  bäufigftet  unb  fofort  gu  voUjicljenber 
@ntfibeib.  @in  ftarf  geglieberteS  Seamtenbeer,  ft&nbig  an  ben 
^of  gefeffelt,  wirb  in  bünbiftber  Unterwürfigfeit  gehalten;  ftreng 
ift  bie  lDi@ciplin  beS  än|eren  wie  inneren  ^ofbalted,  feierlidb, 
aber  b^üjft  jeitraubenb  finb  bie  wobl  3U  bea^tenben  ^or* 
malitäten. 

Dur<b  fräftigeö  Sluftreten  gegenüber  bem  jfflnig,  bureb  frei« 
gebige  unb  aufmerffame  ©ebanblung  ber  Äoniginmutter  verfebaffte 
fi(b  Spefe  halb  eine  gefieberte,  ja  würbevoKe  Stellung,  wenn 
nud?  freilid)  manche  biplomatifcben  Sebwierigfeiten  gu  über» 
winben  waren.  Spät  erft  fonnte  ber  finberbaft  launifcbc  Äönig 
bagu  gebracht  werben,  S3oten  jübwärtö  ju  jebiefen,  um  wirflicb 
ben  rücfgebliebenen  ®rant  ab3uboIen,  unb  93oten  norbwärtt 
augjujenben,  um  über  bie  IDföglicbfeit  beS  SBeitermarfebefi  gum 
9fil  (Srfunbignngen  eingujieben.  @nblicb,  @nbe  9Rai,  fam  @rant 
nach,  aber  leiber  wegen  ber  tSngft  ber  auSgefaubten  Schwarten 
nicht  über  ben  See,  wie  eß  Spefe  fo  febr  gewünfebt  batte;  auch 
bie  Soten  vom  9forben  famen  gurücf,  freilich  mit  nidbt  eben 
einlabenben  'jfußfiebten  gut  IBeitetreife,  aber  gugleicb  mit  brr 
aufregenben  fRacbricbt,  ba|  bort  gwei  wei|e  SRdnner  ange« 
fommen  feien,  alfo  wobl  bie  non  (Inglanb  auß  ben  9lil  auf« 
wärtß  entgegengefebiefte  ^ülfe,  welche,  wie  man  büre,  ficb  ebenfo 
eifrig  nach  Spefe  unb  @raut  erfunbigten,  alß  biefe  nach  ihnen. 
Ungeftüm  war  nun  bie  Sebnfuebt  vorangufommen.  @rft  warb 

(SS) 


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54 


geplant,  bag  @trant  nac^  ,Satagwe  jurücfieifen,  baS  bort  hinter« 
laffene  @epädf  mitne^men  unb  bet  ber  Sifldfa^it  über  ben  @ee 
ben  (enteren  erforf4|cn  foQe,  uä^renb  Spete  ben  auS  bem  @ee 
fommenben  glu§  entlang  birelt  nöibltc^  cotbringen  mürbe;  abet 
unübetmtnblit^e  0cbmierigfeiten  (ir^en  biefen  $lan  nicht  jur 
fluSführung  fommeii,  bie  beiben  ^reunbe  reiften  mit  einanber. 
IDenn  cnblich  h^tte  ber  ^önig  eingemiCligt  in  bie  (Reife  nach 
9iotben,  bie  über  ben  Urfprung  bed  9M1  iXuffchluh  brintgen 
fönte:  am  7.  3uli  fanb  ber  Slufbrudb  ftatt.  üRit  »iden  33er» 
jögerungen  ging  ber  ÜRarfch  norb»,  bann  oftmärtS,  unb  am 
»iergehnten  Stage  ftanb  Spefe  am  Ufer  beö  »luffeS,  ber  fein 
anberer  ald  ber  (Ril  fein  fonnte.  SBel^e  @ntfchäbigung  für 
ade  bie  vielen  Seiben!  3n  weiteren  acht  Stagen  brang  man 
am  linfen  Ufer  bc8  Bluffet,  bichteö  3ungle  burchwanbernb , an 
ben  3|amba»®tromf(hneQen  vorüber,  bi8  gu  ber  ©teile  vor 
(28.  3uli  1862),  wo  ber  (Ril  etwa  in  4 m hoheni-  ^«^th  Reifen 
gebrochenen  Bade  au8  bem  (Rpangafee  au8flie§t. 

SDie  ©orgen  unb  (Entbehrungen  ber  lebten  gwei  3ahre 
waren  alfo  nicht  umfonft  gewefen,  „ber  3>vedF  ber  (Erpebition 
war  nun  erreicht.“  SBie  gerne  auch  @pefe  noch  ben  öftlidjen 
Jheii  beö  großen  ©eefl  erforfcht  hätte,  er  mufete  äJergi^t  leiftcn 
— fein  S3eftreben  galt  nun  ber  (Srforfchung  be8  (RillaufeS. 

SDem  Ufer  entlang  wieber  flugabwürtö  giehenb,  warb  halb 
wieber  bie  ©tede  errei^t,  wo  guerft  ber  5Rü  erblicft  worben 
war;  mit  vieler  dRühe  würben  ht^^  fünf  33oote  gufammen« 
gebracht  unb  bie  Bahit  ftromabwärtd  begann;  aber  ber  3Biber> 
ftanb  ber  'Anwohner  ergwang  fchon  am  britten  Sage  bie  Stuf» 
fuchung  bei  8anbwegeö,  ber  im  weftlichen  33ogen  vom  (Ril 
wegführte.  (Rach  vieltägigem  .^inhalten  burften  bie  3Q3ei|en 
enblich  in  bie  .^üttenrefibeng  j^amrafi'ö,  beö  ^önigö  von  Unporo, 
eingiehen  (9.  ©eptember),  wo  biefelbe  verbecfte  unb  offene 
33ettelei,  biefelbe  {ompligirte  SDiplomatif  ftatthatte  gur  @rreichung 

(M) 


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55 


längeren  Suf^altene).  Jpier  »arb  Spefe  bestätigt,  ba§  einige 
@rabe  norbteärte  liannibalen  meinen,  bie  9^tam>9Mamd,  beien 
itanb  ^et^eritf  1857—58  betreten  ju  feaben  angob  unb  ©ebwein» 
furtb  bann  später  ivirflicb  be|u(bte.  ®ar  jebr  brängte  @pefe 
barauf  wieber  fortjufommen,  aber  faum  jebien  er  e9  ju  erreidben. 
2)a8  fonute  er  enblicb  burebfe^en,  ba^  einer  feiner  bunfeln  S3e» 
gleiter  norbuärtS  jiebe,  um  über  |)etberi(f'8  6jcpebition,  bie  nach 
mieberbclt  ein  getroffenen  9iacbricbten  nicht  aUgumeit  entfernt 
fein  foQte,  @rfunbigungen  eingujieben  unb  mit  ibr,  menn 
möglicb , 93erbinbungen  angufnüpfen.  '^18  nun  (1.  Ofiooember) 
ber  ©ote  gurüeffam  mit  ber  9lacbricbt,  roenn  auch  nicht  ^etberief 
felbft,  fo  bo^  feine  ©orpoften  gefunben  gu  haben  unb  ba§  biefe 
©efebl  batten,  auf  ©pefe  unbegrengte  3eit  gu  märten,  ba  modte 
©pefe  um  jeben  i’'rei8  ocrmävtS:  enblicb  fab  ib«  ber  9.  9lo= 
oember  1862  auf  bem  SBege,  einige  5Tage  lang  in  ©ooten  ben 
9lil  binab,  bann  aber  bei  ben  ÄatumafäQen  ben  Blufe  oerlaffenb, 
ber  ficb  oen  biet  in  meitem  ©ogen  nach  SEBeften  friimmt.  3n 
ber  ©ebne  mürbe  biefer  ©ogen  abgefebnitten  unb  fo  freilich 
über  ben  mirtlicben  Blublauf  unb  ben  ©ee,  mit  bem  er  in 
©erbinbung  fteben  folle,  niebtS  ©icberee  erfunbet.  5Ran  erfuhr 
nur,  bn§  ein  glufi,  eben  ber  9Ul,  nacbmalS  ©ommerfet  genannt, 
von  ben  jiarumafäQen  au8  meftmärtS  einem  anberen  ©ee  gu« 
fliehe,  aus  biefem  aber  halb  al8  fog.  äBeiher  9iil  auStrete.  @8 
mürbe  nun  bauernb  gu  l^anbe  marfebirt,  ba  ber  gerabe  SBeg  bie 
in  2^  jähriger  ©lanberung  Geprüften  rafeber  @onbotoro, 
ihrem  näcbften  3iel,  gufübrte.  9lacb  tier  SSßoeben  b«lte  ©pele 
ba8,  mie  peb  bci^flu^fteDen  fodte,  gmeifelbafte  @lücf,  ?>etberif8 
©orpeften  gu  treffen,  eine  ©lijcbung  oon  IJumpenterlen  »on 
©Ubiern,  Stegpptern  unb  ©tlaoen  aller  iJirt,  etma  200  an  ber 
Sabl,  eine  fcbauerlicbe  ^lage  ber  Eingeborenen,  ©odb  mar  bie 
^anbel8>,  b.  b>  ©aubtbätigleit  biefer  ©anbe  nicht  gang  gu  Enbe, 
unb  fo  muhte  ©pefe,  ba  ba8  oorliegenbe  ?anb  nur  in  grober 

(S5J 


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56 


but(^jogen  »erben  fonnte,  lange  fBo(^en  aud^arren. 
@ift  Sinfang  Februar  1863  fam  bei  üllarfd)  in  ®ang,  nur  ein« 
mal  nod^  untermegg  ben  9iil  betübrenb  unb  bann  »teber  in 
®onboforo,  bad  am  15.  Februar  eneid)t  würbe.  Sie  enttäufdjt 
war  Spefe,  b^ien,  ba§  jene  böje  ®d)aav  gar  nicht 

'petbericf  gehöre,  ba§  ftdj  biefcr  tro|  bei  großen  ©elbfumme, 
bie  in  @nglanb  jur  Unterftfi^ung  Spele’ö  jufammengebracht 
unb  ihm  übergeben  worben  war,  faum  um  biejen  befummelt 
batte,  f^nöbc  nur  feinen  eigenen  jpanbelöintereffeu  nadbgebenb. 
31ber  betjlicbc  f^teube  erfüllte  baß  ^)erj  unfereß  IReijenben,  alß 
er  je$t  feinen  ffreunb  @amuel  Safer  begrüben  fonnte,  bei 
mit  allem  ju  einer  langen  Dieifc  fRötbigen  auf  brei  ^abrjeugen 
hierher  gefommen  war,  in  bei  'llbficbt,  Sf>efe  ju  fuchen,  unb 
nun,  burch  biefen  über  baß  (Srfunbete  unterrichtet,  mit  feiner 
ffrau  ju  eigenen  fforfchungen  außjog.  (Sx  befuhr  in  ber  S£hnt 
im  gvübjabr  beß  folgenben  3ahreß  jenen  ©ee,  welchen  @pefe 
erfunbet,  ben  9Rwutan  (3llbert=9liianga),  fowie  ben  in  ihn  fich 
ergiehenben  fRil,  juchte  aber  ben  tHußfluh  öeß  le^teicn  nicht  auf; 
erft  ®effi,  einer  ber  Sngenieure  beß  ©ouceineurß  unb  Oieneralß 
©orbon  ^'afcha,  hat  (SltMil  1876)  oon  9lcrben  ben  5Ril  herauf» 
fommenb,  bie  tSußflubfteQe  beß  lehteren  auß  jenem  See  wirflich 
aufgefunben. 

^ür  Spefe  folgte  in  ©onboforo  bei  Sofer  eine  JRaft  oon 
wenigen  Klagen,  unb  nach  einer  an  '^bwechfelungen  unb  iSben» 
teuern  reichen  ^abrt  ben  9iil  herab  war  ein  paar  Soeben 
fpätei  Slleranbria  unb  halb  auch  ber  heiuüfche  Sobrn  ©nglanbß 
eaeicht.  Som  9lil  auß  hatte  Spefe  an  ben  um  bie  Sfrifn« 
forfchung  fo  oerbienten  i'räfibenteii  ber  geograpbifeben  ©cfcll» 
febaft,  an  QRurchifon,  baß  3;elegramm  abgefanbt:  „Der  9lil  ift 
abgemacht"  (the  Nile  is  settled),  baß  Telegramm,  baß  nachher 
fo  oft  citirt,  in  feinem  Snhalt  beftritten,  Perfpottet  würbe;  aber 
in  ber  $hat  war,  wie  bie  golgejeit  lehrte,  ber  9lil  abgemocht, 

(!i6) 


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57 


bie  5RUqueIIenfrafte  ^atte  bur<^  ©pefe  tm  SBefentlid^en  t^ren 
9lbf(^Iu6  erreicht,  unb  eö  erfüllt  unfet  ^erj  mit  SBe^mutl),  3U 
erfahren,  ba§  ©pefe  blefen  feinen  Eriump^  nid^t  me^r  erleben 
follte:  ein  nnglüdlit^er  Sufall  auf  ber  3agb  machte  am  15.  ©ef)» 
tember  1864  feinem  £eben  ein  @nbe. 

üJlan  fann  fub  benfen , melden  ©inbrurf  bie  non  Spurten 
unb  ©pefe  unb  @rant  gemadbten  ©ntberfungen,  biefe  Sluffinbung 
beö  üanganjifa»  unb  befi  Ufevemefeeb , unb  bie  (§rfunbung  beö 
SJimutanfeefl , ganj  befonberö  aber  bie  (Erörterung  ber  Srage, 
Pb  benn  bie  fRilqueDen  nun  entbecft  feien,  auf  8ioingftone 
machen  mußten,  ber  fur^  nad)  ©pefe’ö  |>eimfe^r,  im  Saljre  1864, 
ebenfaUÖ  nac^  @nglanb  jurücfgefommen  »ar.  Unmittelbar  für 
bab  SRiffionSmefen  f(^ien  er  feine  fo  großen  ©rfolge  aufmeifen 
ju  fönnen;  aber,  mie  idf  »orbin  febon  fagte,  »ab  ber  SRiffionnr 
8ioingftone  eingebü^t,  bab  ber  ©eograpb  Uibingftone  ge« 
»onnen.  Unb  eben  biefer  (Seograpl)  2ioingftone  fonnte  feine 
Olube  finben,  fe^t  nad)  ©befe’0  5Reife  erft  recht  nicht;  bab  gro^e 
|)toblem  ber  SBa|ferfd)eibe  gmifchen  fRil,  Äongo  unb  3a»nbefi 
follte  gelöft,  ber  Sufammenhang  biefer  glufefpfteme  mit  ber 
fRegion  ber  großen  ©een  follte  flar  gelegt  unb  bie  f^ragc  nach 
ben  eigentlichen  OueDen  beb  9lil  follte  beffuitio  entfehicben 
werben. 

©0  30g  benn  l‘iüingftone  6nbe  1865  3U  feiner  britten 
großen  Steife  aub,  oon  ber  nur  feine  ^eidje  3ur  hfitti'f^fn  ®fbe 
3urücffehren  follte.  Sen  3an3ibar  aub  war  er  im  Frühjahr  1866 
ben  Stocumafluf)  hinauf  unb  um  bab  ©übenbe  beb  Stpaffa  hetum 
gewanbert,  bann  norbweftwSrtb  3U  ben  neuen,  non  ihm  entbedten 
©een  üJlogro  *)  unb  Sangweolo,  unb  wieberholt,  halb  non  ber 
Dft«,  bolb  non  ber  SBeftfüfte  oub,  mar  fälfchli^er  SBeife  fein 
2ob  gemelbet  worben  unb  aub  Ubfd)ibfchi  am  Janganjifa  war 
feine  le^te  Stadhricht  nom  9Jlai  1869  nach  ©urotja  gefommen, 

(Da  fahte  ber  ©igenthümer  ber  amerifanifchen  3eitung 

(57) 


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58 


Metall)",  @otbon  Sennett,  ben  @ntf(^lu§,  einen 
eigenen  Soten  auSjufenben,  »elc^ei  über  ben  SSerbleib  be8 
großen  Sieijenben  fiebere  SuSfunft  oerfebafen  fode.  9118 
aSolen  »öblte  er  ben  in  SBaleS  im  Sa^te  1840  geborenen  unb 
im  9Iimenbau8  erlogenen  3ame8  iRomlanb,  ber  in  9imetifa  non 
feinem  Principal  abeptirt  motben  unb  ficb  nach  biefem  ^enrQ 
äKorelanb  ^Stanleb  genannt  b^ite.  9118  3eitung8beri(bterftatter 
batte  er  fdbon  meite  IReifen  gemacht  unb  mar  eben  im  Dftober  1869 
Don  ben  Kämpfen  bei  23alencia  in  SOiabtib  angefommen  unb 
nach  ^ati8  gereift,  aI8  et  Don  S3ennett  ben  furzen  unb  fo 
inbaltfdjtteren  Auftrag  erhielt:  „ginben  (Sie  giDingftone!" 

©lanlep  uoHfübrte  junüdbft  noch  al8  SSeriebterftatter  feiner 
Stitung  eine  grofee  fRunbreife  über  9leg9pten,  ^aläftina,  bie 
Ätim,  Werften,  Snbien  unb  traf  im  Sanuat  1871  über  9Rauritiu8 
an  9lfrifa8  Dftfüfte  auf  Sansibar  ein,  um  je^t  unter  9)enü^ung 
einee  unbefebrönften,  oon  feinem  9lbfenber  gemährten  ÄrebiteS 
feinen  ,^auptauftrag  auSjufübten.  9iacb  einem  achtmonatlichem 
ÜRarfche  meftmörtS  traf  et  in  ber  ^b®*  miber  (ärmorten 
(10.  SRooember  1871)  in  Ubfchibfchi  am  Sanganjifa  ben  gefuchten 
giningftone,  bet  oier  SBoeben  juoor  nach  fünfjähriger  IWeife  b'W 
angefommen  mar.  Bioingftone  tbeilte  nun  ©tanlep  mit,  ma8 
et  in  ben  lebten  Sabren  erlebt:  et  mar  im  Sommer  1869  über 
ben2anganjifa  gefahren  unb  norbmeftmäitS  in8  Banb  bet  menfehen* 
freffetifchen  ÜKanjuema  oorgebrungen,  mar  burch  b®rinädtige 
gufegefcbmüte  80  Jage  lang  auf  ba8  8ager  gebaunt  unb  oon 
feinen  IDienern  »erlaffen  gemefen,  b«rie  im  Sebruar  1871  au8 
Sanjibat  jebn  @fla»en  inbifebet  Äaufleute  al8  93egleiter  nach^ 
gefchieft  erhalten  unb  mit  biefen,  febt  gegen  ihren  SBiQen,  einen 
Sorftoß  bis  an  ben  gegen  3 Äilometer  breiten  8ualabafiu^,  ju 
Dem  großen  flJiarft  flipangme  unternommen,  mar  aber  »on  bi«^. 
bem  nörblichften  fünfte  aller  feinet  IReifen,  äufeerft  elenb  nach 
Ubfchibfchi  gurüdgefebrt , um  bt^t^  3®  erfahren,  ba§  aDe  feine 

(J8) 


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59 


93ottät^e  »eräufeert  morben,  ba^  er  ein  Settler  fei.  3n  btefet 
Seit  war  je^t  gerabe  ©tanlcn  getommen  unb  biejer  ftattcte 
mit  feinen  93orräl^en  8i»ingftone  neu  aue. 

Seibe  dteifenbe  oerlebten  nun  in  trautem  Sufotnmenfem 
fünf  5)fonote,  beren  einer  ber  Umfahrt  um  bie  uörblicbe  ^ülfte 
bed  Sanganjifa  gewibmet  war:  ba§  biefer  webet  jum  fniU,  noch 
jum  8ua(aba*  (b.  t.  gu  bcm  naebmalä  uon  Staniep  ibentificirteu 
Äongo»)  @ebiet  gehöre,  erfcbien  alfl  ftareö  ßtgebnif)  U)rer  Um» 
fa^rt.  Sine  jweimonatli(bc  Steife,  wöbrenb  beten  bie  ©efanimt« 
ja^l  bet  Pon  ©tanlep  in  13  9)tonaten  erbulbeten  gieberanfälle 
auf  23  ftieg,  führte  i^n  an  bie  ^üfte  jurud,  unb  er  bradjte 
nun  — na(^  iBerbrautb  con  ni<bt  weniger  al6  9000  ‘Pfb.  St. 
Steifegelbern  — ber  feit  lange  barrenben  3BeIt  bie  fiebere  fflaeb» 
riebt,  ba§  gioingftone  nod)  lebe.  ®riefe  unb  Sagebüiber  ibted 
großen  ifanbämanneP,  bie  ©taulep  mitbraebte,  gaben  aber  aueb 
ben  Snglänbetn  .Kunbe  bauen , erftenö  bafe  bie  ©reuel  beiä 
SflauenbanbelS  an  ber  oftafrifanifeben  Jbüfte  jumal  immer  noeb 
fortbauerten,  unb  ^weitenö,  bab  iJiuingftone  uon  Stanlep  reicblieb« 
äuöbülfe  an  uielem  Stotbwenbigen  batte  annebmen  muffen,  bo 
fUtänner,  bie  mit  Uebetfenbung  von  Unterftübungen  an  ibn 
betraut  worben  waren,  ihre  '>))fli(bt  auö  ©leicbgültigfeit  ober 
auS  fonftigen  Stünben  ni^t  ober  nicht  vgenügenb  erfüllt  batten. 

3)ie  betrubenbe  Staebriebt  uon  ber  erfteren  biefer  Ibatfaeben 
ueranla^tc  bie  englifebe  Stegierung,  einen  eigenen  ©efanbten 
unb  balb  barauf  jur  üueübung  genügenben  IDrnded  felbft  eine 
glotte  nach  Sansibar  gu  ftbiden,  um  mit  bem  Sultan  einen 
SBertrag  gu  f^liefeen  betreff«  Unterbrüdung  be«  SflauenbanbeU. 
ÜJlit  Stndfi^t  auf  jenen  gweiten  bet  gu  aUgeineinet  Äenntni« 
gefommenen  ^unlte  befcbloff  bie  gonboner  geograpbif<b« 
feüfcbaft,  naebbem  bie  im  grübjabte  1872  gut  Sluffudbung  uub 
Unterftü^ung  giuingftone’ö  auSgefanbte  Sjepebition  gefebeitert 
war,  eine  neue  auögurüftcn,  welebe  gu  ?iuingftone  fto^en,  ibm 

(W) 


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60 


bic  SeTOcije  bet  Setounberung  »on  @nglanb  unb  bet  ganjen 
gebUbeten  SBelt  übevbttngen  unb  jut  6t»eiterung  ober 

Slbfd^liefeung  leinet  l^otfd^ungen  gut  23erfügung  [teilen  [oDe. 

IDer  neununbgaanjigjö^rfge  ÜKarine»  Lieutenant  äJettte^ 
Lorett  ü^meton  »urbe  mit  bet  Leitung  biefeS  Untetne^menö 
bcaufttaigt,  unb  i^m  [<bIo&  Pc!)  f<%on  in  ©nglanb  [ein  Bteunb 
Dr.  Dillon  unb  ftsäter  in  3nujibnt  bet  Lieutenant  SJlutb'^V 
»om  inbi[d)en  ^eere,  [omie  au(^  Li»ing[tone’8  9ief[c  ?Dlo[[at 
an,  meid)  Icjiterer,  al0  et  uon  bet  ©tpebition  ^5tte,  (ein  einjigeö 
23e[i^tl)um,  [eine  Sucfetplantage  in  SRatal,  uerfau[t  ^atte  unb 
nach  3au3ibar  geeilt  war. 

3«t)ei  »oOe  [Dlonate,  gebtuav  unb  SKärj  1873,  »etgingeu 
mit  ber  93e[^af[ung  bet  nöt^igen  S3egleitmann[c^a[ten  unb  @e» 
pädtröger;  er[t  mit  93eginn  beS  SJbtil  fonnte  au[gebto(^en  werben. 
tHnfongS  butc^  ebenes,  gut  bebautes  unb  mit  ga^lteid^en  0öt[ern 
bcjäteS  ©el’iet,  halb  ^ö^et  [teigenb  unb  in  be[d^n>erli(^en  Sötät« 
l<ben  übet  [teile  ^flgel,  gtope  ©raspöc^en  unb  übet  ab« 
[aQenbe  ©c^lui^ten  meg3tel)enb,  meitet^in  but^  eine  @^(amm« 
gegenb  wanbernb,  tüdte  bie  im  mn[ang  auS  na^eju  300  9)ten[(ben, 
22  @jeln  unb  3 ^unben  bepe^enbe  ^atamane  lang[am  genug 
uotan,  unb  bie  Sc^neQigfeit  fonnte  baburc^  ni^t  be[(^leunigt 
werben,  bap  ©ameron  [owo^l  als  ^Dillon,  bie  [d^on  in  3«n3ibat 
»om  gieber  befallen  worben  waren,  aud^  unterwegs  wiebet^olt 
baran  litten,  ja  beS^alb  unb  wegen  eines  ftanfen  §upeS  oon 
(Sameron  mupte  [ogat  einmal  btei  SBod^en  gerapet  werben. 
S3alb  pel  SRoffat  bem  Älima  gum  Opfer.  3uni  unb  3uli 
joutben  auf  ben  25urc^jug  butc^  baS  Laub  Ugogo  »erwanbt 
unb  nur  bie  ©ntric^tung  gropen  XributeS  madjte  bieS  mögli^: 
77  farbige  Sü^er,  übet  700  SHeter  gewöpnlicpen  3eugeS,  eine 
Oiofle  2)tapt  unb  brei  ^funb  perlen  waten  »etbraud^t,  als  man 
jenen  2)i[ttift  pinter  pcp  patte.  Unter  mancpfacpen  @orgen  not 
Töuberifcpcn  UebetfäQen  unb  wegen  Stägpeit  unb  SluSteipenS 

(W) 


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61 


ber  Präger  (^agagi)  gelangte  bte  Karawane  am  4.  Sfuguft  in 
baJ  8anb  Unpanpembe,  gu  einer  3lraberftation,  wo  fie  freunb» 
liebe  iSufnabme  fanb,  aber  gieicpwobl  genug  bec  eibulbete. 

3)ie  biflbet  geniietbeten  ?)agagi  würben  b>ev  abgelö^nt  unb  ent» 
(affen;  aber  ni^t  nur,  bag  feine  neuen  febienen  aufgetrieben 
werben  gu  fönnen,  au<b  bie  gebliebenen  unb  neu  gebingten 
würben  gum  0efertiren  oerleitet,  eine  reicbliite  Quelle  oon 
aerger  unb  Unfoften.  aber  bieä  foBte  nidjt  baö  ©cblimmfte 
fein:  ein  gieberanfaB  um  ben  anbern  fam,  um  iSameron  fowopl 
alä  2)iBon  auf’ä  gager  gu  werfen,  au^erfte  (ärmattung,  Un» 
fäbigfeit  gu  jeglicber  arbeit,  wilbeS  @ntgünbung 

ber  äugen,  ja  bei  SDiBon,  wie  ed  ben  anfebein  gewinnen  woBte, 
(Stblinbung,  bie8  aBeä  febien  bie  @jcpebition  in  Srage  gu  fteBen, 
um  fo  mehr,  al8  bie  in  ber  fieberfreien  3eit  mit  aufbietung 
oBer  jhdfte  woÄenlang  fortgeje^ten  ©emubungen  gur  33e» 
febaffung  oon  Fragern  oöBig  oergeblicb  febienen:  oon  ben  130, 
bie  einmal  gemietbet  waren,  fonnte  @ameron  nie  mehr  ald  ein 
IDubenb  gnfammenbringen,  unb  au^  mit  biefen  war  nicht  oiel 
angufangen. 

2)a,  am  20.  Qftober  1873,  fam  gar  bie  irauerbotfeboft, 
bab  Sioingftone,  gu  beffen  Unterftü^ung  ja  aßel  bienen  foBte, 
tobt  fei  unb  ba^  feine  8eicbe  in  Burgern  eintreffen  werbe. 

Sioingftone  war  ndmlicp,  aU  er  ficb  am  14.  9Rärg  1872 

oon  @tan(ep  in  Unpanpembe  oerabfebiebet  unb  enbltcb  auch  um 

14.  auguft  bie  oon  Unterem  für  ibn  gemietbeten  üeute  erbalten 

batte,  in  einem  nach  ©üben  gefrümmten  ü3ogen  an  ben  2;an: 

ganjifa  gurücf»  unb  an  beffen  Qjtufer  fübwärtg  gegangen,  um 

weftlicb  abbiegenb  ben  23angweo(ofee  gu  erreichen.  2)enn  wie 

in  bem  Sualaba  ben  9ii(,  jo  glaubte  er  in  bem  0angweolo 

einen  gang  füblicb  gelegenen  QueBfee  beS  9iil  entbeeft  gu  haben, 

unb  biefen,  fowie  bie  merfwürbige  SteBc,  wo  ber  Sambefi  unb 

fein  9iebenflub  jtafue,  ferner  bie  bem  ifualaba  guftrömenben 

(61) 


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62 


^uflra  un^  Sotnami  gatij  na^e  bei  einanbet  entfpringcn  feilen, 
wollte  er  nod)  bejudjen,  bcDot  et  ben  ^>einiweß  über  Sanjibat 
antrete.  8ber  er  warb  frönfer  unb  fränfer;  et  mufete  fl<b  trogen 
loffen,  unb  bennoeb  ging’ö  weiter  an  bem  Oftufer  jenes  SeeS 
entlang,  Slag  um  üag  bei  ftrömenbem  Siegen  im  SBaffer  watenb, 
babei  ftetfl  im  Kampfe  mit  .junger,  ÄSlte  unb  Slöffe  unb  gor 
mit  ÜJlaffcn  oon  SImeifen.  9ic(b  erlebte  Sioingftone  ben  ©eginn 
bet  trorfenen  3«t  unb  neue  j£)cffnung  fdbien  i^n  aufleben  gu 
machen  — aber  fern  non  bet  ^>eimot^,  am  8ulima(aflü§^en 
beim  ;^äuptling  S:fcbitambD  in  ?Ia(a  erlag  ber  <^elb  am 
4.  gjlai  1873. 

SBobl  oI)nenb,  wa0  fogat  bie  geicbe  ibteS  ^)ertn  für  ©ng« 
lanb  wertb  fei,  nahmen  Siningftone'S  ©egleiter  feine  mit  @alg 
fonfernirtc  unb  an  ber  ©onne  getro^nete  geid^e  auf  unb  be° 
gönnen  mit  biefer  nadb  14tögiger  Siaft  ben  traurigen  Siüdmarfd^ 
bis  Songibat-  gogen  fie  nun  ^in  in  ftetem  Äampfe  mit 
^)unger  unb  Äranf^eit,  mit  bem  ©t^reden  ber  2Bilbni|  unb 
bem  !ilberglauben  ber  Eingeborenen,  neun  ooQe  Slionate  bie 
8ei^e  nebft  allen  Snftrumenten,  lagebüc^etn,  ifleibungSftüden 
auf  ihren  ©chuitern  tragenb,  auf  einem  SBege  non  nicht  weniger 
als  1800  .Kilometern,  b.  i.  einet  ©trede  etwa  gleichfommenb  ber 
non  ^loreng  bis  EhtifttaniOi  unb  einer  bet  ©egleiter,  ber  »on 
einem  ©tlaoenfchiff  weg  befreite,  im  SKiffionShauS  gu  ©ombop 
ergogene  unb  8iningftone  gugefebidte  SBainright  führte  über  ben 
gangen  3ug  genaues  Stagebuch.  Bür  immer  bleibt  biefe  hcioif^e 
Jhat  ein  bewunbernSwertheS  3eugnife  für  bie  pflichttreue  unb 
91nhänglichfeit  afrifanifcher  Eingeborenen,  wie  auch  füc  bie  ©er<’ 
ehrung,  welche  8ioingftone  fich  bei  ihnen  erworben. 

SDiefer  eingigartige  8eichengug  nun  traf  Enbe  Dftober  1873 

in  Unpannembc  bei  Eameron  ein.  Se^t  war  ber  eigentli^e 

3wed  feinet  Ejrpebition  hinfällig  geworben,  unb  bemgemäh  wollte 

fWurphb  unb  SDitlon  muhte,  alS  fich  gu  feinen  oielen  Bieber- 
(62) 


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63 


anfäQen  au^  nod^  {Darmentjünbiing  einfteCite,  jur  j^üfte  jurficf« 
festen,  ©ameron  aber  entfc^lcfe  fitb  »eiterju jie^en , junäd^ft 
um  fic^  einet  »on  8toinflftone  in  Ubfcbibf(%t  jutiitfgelaflenen 
Äiftc  mit  Suchern  unb  ©c^rlften  ju  »ergeteiffern  unb  fte  unter 
fi(!i)erem  6$eleit  an  bie  ^üfte  fd^i(fen;  bann  aber  wollte 
Gameton  beö  SReifterö  5?orf(^ungen  weitet  oerfolgen,  inßbefonbere 
bie  $tage  bed  Sanganfifa  unb  Sualaba  lofen. 

9iac^  über  oierteljd^rigem  ÜJufent^alte  in  Unpanpembe  er» 
möglitüte  ei  Gameron,  unterbe§  ju  einem  ©felette  abgemagert 
unb  nic^t  gang  einen  Gentner  me^r  wiegenb,  weiter  gu  gieren, 
wenn  freilich  allein  unb  unter  ben  größten  SBiberwartigfeiten: 
ftetefl  2(u0rei§en  ber  Stöger,  babutep  not^ig  geworbeneg  Um» 
paefen  unb  leiber  aud^  SBegwerfen  oon  ^onöt^en,  bagu  bie 
9la(üri(pt  oon  ber  in  ber  giebertaferei  erfolgten  ©elbftentleibung 
be0  Breunbed  2)i[Ion,  SdeS  follte  gufammenwirfen , 9)iut^  unb 
J^aft  b^rabguftimmen.  9116  bad  IDurcbla^oetbot  buteb  bad  Sanb 
Ugara  enbliib  gurüefgenommen  war  unb  nach  oielerlci  anberen 
jfjemmniffen  aller  9lrt  gelangte  bie  Gjrpebition  auf  neuem  5Bege 
enblidb  am  21.  Februar  1874  an  ben  Sanganjifa,  mä}  Kamele, 
bet  j£)auptftabt  beö  oielgenannten  Ubfdjibfdbi  — genau  15  3ab*e 
unb  5 Sage  fpöter  al4  bie  Gntbecfcr  SBurton  unb  ©pefe. 
Garoeron  fnnb  b'er  bie  oon  8ioingftone  gurürfgelaffenen  ©atben, 
inSbefonbere  eine  witbtige  Äarte,  beförberte  bie0  nach  Gnglanb 
unb  beftimmte  feinem  Sluftrage  gemö^  möglicpft  genau  bie  iiage 
be0  ^auptorteö  unb  bie  ^)6be  beö  Sanganjifafpiegelö  (gu  2710 
engl.  Sufe).  ^Darauf  umfubt  et  gu  Soot  wdbrenb  gweier  füionate 
(13.  ÜJlörg  biö  9.  fJJlai  1874)  ben  größeren,  burdb  oier  Steilen» 
grabe  füblicb  oon  Ubfebibfepi  fi^  auöbebnenben  Sbeil  beö  ©eeö; 
eö  ftellte  fi(b  babei  berauö,  ba§  auf  biefem  ®ebiete  gwar  96  bluffe 
in  benfelben  einftrömen,  bafe  aber  nur  ein  eingiger  aus  bem  ©ee 
auöfliefet.  aber  getabe  bie  Slufpnbung  biefeö  einen  an  ber 
SBeftfeite  auö»  unb  wobl  gum  Bualaba  abfliebenben  Bufuga 

(M) 


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64 


entjd)ieb  na(%  (Sameron’d  Meinung  bie  feit  ber  (Sntbecfung 
be6  @eed  oietfac^  eröiterte  B^oge  ba^in,  ba§  er  jum  Gebiet 
beö  ?ualaba,  alfo  »o^l  Äongo  gehöre. 

fDer  Anfang  3uni  fa^  6ameron  auf  feinem  S3ormatf(^  gegen 
Säieften,  ju  bem  gro|en  ^anbelSpIa^e  fRjangme  am  ifualaba, 
uub  bie  Hoffnung  audgufübren,  roai  ^iuingftone  nicht  geglücft 
war,  nämlich  bort  S3oote  ju  erhalten,  um  in  jwei  ober  brei 
fJJlonaten  oielleicht  auf  bem  unbefannten  Bluffe  baö  fKeet  ju 
erreichen,  belebte  ihn  auf’8  9leue.  3tm  4.  iSuguft  hoWe  et, 
jiemlich  auf  bemfelben  Sßege  wie  Sioingftone,  butch  Uguha  unb 
SKonjuema  fRjangwe  erreicht,  biefen  jiemlich  genau  in  bet  9JJitte 
ber  Dftweftcrftrecfung  beb  Kontinentes  liegenben  ^>aupthanbelS* 
p(a^  arabifcher  .^änbler.  Salb  ergaben  bie  fUteffungen  am 
(Strome,  ba§  berfelbe  bem  9til  nicht  jugehören  fonne:  bie  mehr 
als  fünffache  SBaffermenge  unb  bie  tiefere  9lioea«lage  im  Ser» 
gleiche  ju  bet  beS  Sil  bei  ©onboforo  [teilte  jeneS  ©rgebniß  für 
ihn  als  fichet  feft.  @ro§  waten  bie  Semühungen  ßameton’S, 
Soote  gut  ^)inabfahrt  auf  bem  großen  ©trome  gu  erhalten, 
aber  leibet  burchauS  nergeblidh:  bie  fo  begreifliche  ©cheu,  bem 
Bremben  gu  helfen  unb  bie  Ülngft  oot  ben,  wie  eS  h<e&,  wilben 
unb  friegerifchen  Anwohnern  beS  BlufeunterloufeS  liefen  Sfaugwe'S 
Sewohner  bie  hohen  ?)teife,  bie  (Sameron  bot,  auSfchlagen. 
SJie  gioingftone  mu§te  auch  er  auf  ben  geliebten  ^lan  oet» 
gichten. 

©0  wollte  er,  oon  Sjangwe  am  27.  9luguft  fübwärts  ab« 
biegenb,  ben  im  SBeften  gelegenen  räthfelhaften  ©ee  ©anfona 
befuchen;  bcnn  eben  in  biefem  ©ee  foHe  fich  — fo  fagte  man 
(Samcron  — bet  gualaba  ergieheu  unb  bis  gu  ihm  fdmen 
4)änblet,  mit  Seintleibern  angethan,  in  großen  ©egelbooten, 
um  Palmöl  unb  in  Beberfielen  oerhadten  ©taub,  wohl  ®olb« 
ftaub,  eingiihanbeln.  SBieberholte  iäbweifung  aber  unb  ber  Ser« 
gicht  auf  gewaltfameS  Erreichen  feineS  SieleS  liefen  ßameton 

(C4) 


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65 


itnineT  weiter  ffib°  unb  fäbwefhrärtS  gelangen  bur<^  bad  liebtet 
Uma,  unb  ald  et  a\xd)  im  @ebiet  beg  Königs  i^afongo  von 
©nbe  Oftober  1874  bifl  @nbe  J^ebrnar  1875  verweilt,  o^ne  ijier 
iu  eneidjen,  bafe  er  ncrbweftwärW  jum  'Sanlorraiee  unb  von 
oa  3um  8uaIoba»Äongo  reifen  bürfe,  leiftete  Gameton  enbli(ft 
bcfinitiv  auf  biefen  ganjen  ^lan  93er3icbt.  @r  ^atte,  bij  ber 
auf  fRaubjitgen  abwefenbe  ÄSnig  3urü(fle^rte,  tro^  SBerfagung 
ber  *®rlaubni§  burc^  bie  Königin,  ben  Heineren  nörblicben,  mit 
Pfahlbauten  befe^ten,  ÖRohrpa«  unb  ben  größeren  fübli^en 
ifaffali«0ee  befucbt.  3)ann  hatte  et  ben  Äönig  vermocht,  ba| 
et  mit  beffen  @hie§ge|ellen  3(lve3,  einem  un3uver (affigen  unb 
lügenhaften  ))crtugiefif(hen  91eger,  unb  feiner  halb  .^anbelfls 
halb  @!lavenraub»jfarawane  weitet  weftwärtb  reifen  bürfe. 
ijangfam  nur  ging’6  voran;  benn  immer  unb  immer  wieber  gab 
e0  Aufenthalt,  bi0  in  ben  3uni  währenb,  unb  auch  bann  wollte 
ber  Platj^  nicht  recht  in  @ang  lommen,  je^t  burch  eine  un> 
ge5ählte  ÜRenge  von  SöJafferlöufen  aufgehalten.  @chon  war  bet 
Ütcvember  hetbeigefommen,  unb  nodj  betrug  bie  Gntfernung  von 
ber  ^üfte  126  geogt.  5Reilen;  aber  bie  3Reht3ahl  ber  ?eute  war 
faum  meht  matfehfähig.  0o  eilte  benn  Gameron,  faft  ohne 
jegliches  @epäcf,  mit  fünfen  feiner  i^eute  unb  einigen  3uge30genen 
voraus  unb  trat  ben  ©auetlauf  nach  ääeften  an,  bet  enblich, 
enblich  nach  bet  portugiefifchen  0tabt  Oenguella,  an  bie  j^üfte 
beS  atlantifchen  OceanS  unb  gu  Gurohäern  führte.  Bum  @lücf 
war  bei  Gameron  erft  in  ben  lebten  Jagen  bet  @Iorbut  in 
heftigfter  SBeife  auSgebrochen , wo  ihm  jeht  öt3tlidhe  ^)ülfe  3U 
Jh«l  wetben  fonnte;  wenige  Jage  guvor,  unb  fein  8eben  wöre 
unrettbar  verloren  gewefen. 

00  war  bie  gto§e  (Durchquerung  vollführt.  91ach  ^oanba 
übergefahren,  rüftete  noch  Gameron  ein  0chiff  auS,  auf  welchem 
er  feine  üeute  Anfang  gebruat  ringS  um  baS  Äap  nach  Ban3ibat 
rücfbefctbem  lieh;  Gameron  felbft  fam  am  2.  April  1876  wieber 

XIX.  433.  434.  5 (63) 


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66 


in  @nglanb  an  --  ni(^t  »eniger  alö  31^  Sa^re  ^atte  feine  3ieiie 
gewährt. 

(Sameron  ^atte,  nie  bie  Dorangegangene  @rjäl}lung  eifennen 
läfet,  eine  9ieil)e  wichtiger  @rgebniffe  »on  feiner  fReife  ^eim* 
gebracht  — aber  bo<^  war  no(^  Siele«  unflar  geblieben.  Sor 
9nem  mar  fa  bie  .^ongofrage  noc^  nic^t  gelöft;  benn  Sameron 
nermutl^ete  im  Sualaba  „einen  ber  ;^au^tguflüffe  be«  ^ougo", 
obmotjl  er  bie  ÜRöglic^feit  gugab,  ba^  jener  gro|e  Strom  felbft 
ber  Äcngo  fei.  ferner  ^attc  er  jnar  oiete  Slufflärungen  über 
ben  Stanganjifa  gegeben,  aber  feine  entfc^eibenbe  Subfunft  über 
feine  Sufiüffe  a*”  Sübufer  unb  feine  über  bie  Suge^örigfeit  be« 
^ufuga  ju  bemfelben.  Unb  gar  ber  Uferene!  3^n  ^otte  6ameron 
gar  nit^t  berührt,  unb  tro^  Spefe’8  (Reife  mar  eS  ^öc^ft  unflar 
unb  viel  umritten,  ob  biefer  See  mirflic^  ein  einjiger  fei  unb 
eine  gldb^e  »on  über  1800  jQuabratmeilcn  bebecfe,  b.  eine 
glädje,  etmo  fo  gro§,  mie  ba«  @ebiet  ber  brei  fübbeutfc^en 
Stoaten,  ober  ob  er,  mie  bie  ©rfunbigungen  fiioingftone’«  ju 
ergeben  fc^ienen,  au8  fünf  Seen  befte^e,  ober  ob  er  nic^t  gar 
auf  unferen  harten  ju  »erfd^minbeu  l^abe  unb  ^öc^ften«  einer 
ber  »ielen  „Sinfengräben*  fei,  mie  fie  Spefc  unb  @rant  fo 
gablreic^  in  jenen  @egenben  gefunben  Ratten. 

fragen  gab  c8  aljo  nod^  genug,  bie  %er  Slntrcort  darrten; 
ber  biefe  gab,  mar  9Ä.  Stanley. 

3«n  Slpril  1874  mar  biefer  Unermüblicbe  auf  ber  9lü(freijc 
auö  bem  Slfc^antifriege  nad^  (Snglanb  begriffen,  al8  i^n  bie 
(Rac^ric^t  erreichte,  ba§  8i»ingftone  tobt  fei  unb  ba^  fid^  feine 
£ei(^e  auf  bem  3Bege  na(^  @nglanb  beftnbe.  9Bie  mu§te  gerabe 
Stanlep  biefe  (Rad^ric^t  erfc^üttem!  Sor  jmei  3a^ren  l^atte  er 
ibn  »erlaffen,  frifc^  geftorft,  neuen  3Rut^eß  unb  »oH  fieserer 
.poffnung,  baö  SBerf  je^t  ju  »oHenben,  bem  er  fein  geben  ge= 
mibmet.  Unb  nun  ^atte  er  feinen  ^ob  gefunben  am  Saume 

jener  buntein  3iegionen,  bie  er  gu  erforf(^en  roünfe^te! 

(66) 


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67 


9la(ö  Ueberwinbunä  beö  elften  fd^tnerjüd^en  ©inbtudfe« 
ftonb  in  ©tanlep  ber  @nti(blu§  feft,  gioingftone’ö  SBetf  ju  »er* 
Bollftfinbigen.  9to(^  begleitete  er  bie  trbi|(^en  SRcfte  feinefl 
^reunbc«  in  bet  SBeftminftcroblei  gut  lebten  Stu^eftötte,  no(b 
Bfllenbete  er,  wie  er  Berfpto^en,  bafl  Suc^  über  „^maffi  unb 
8Jtagba(a",  in  fieberljafter  ©pnnnung  bo8  ©elübbe  gu  löfen, 
bo8  et  fi(b  gegenüber  get^an;  aber  ÜJlitte  3luguft  1874  trug 
ibn  t<^on  baö  @(^iff  weg  non  ©nglanb’S  Äüfte,  unb  28  SJtonate, 
nacübem  er  nac^  feiner  erften  Steife  Sangibar  uetlaffen,  war  et 
f(^on  wiebet  auf  biefer  3nfel  angefommen  (21.  ©eptember  1874), 
Bon  welcher  auögehenb  er  @ro§e8  gn  unternehmen  gebuchte. 
S)em  großen  3wecf  entfprechenb  waten  gro^e  SJtittel  in  33ereit» 
fchaft  gefegt.  3®ei  Sfitungen  nereint  woren  e8  je^t,  bie  ©tanlep 
hinauSfdhicften,  ber  englifche  ^ailp  Telegraph  unb  ber  ame* 
rifanifche  9lew=5Jorf  .^eralb,  unb  wie  ein  ^ürft  ift  ihr  Seauf« 
tragter  gereift,  wie  ein  gürft  geehrt  feilte  er  h«»u*ehren.  91ber 
nach  ujclch  langer  unb  oft  fchrecflicher  SJtühfal! 

Stafcher  al8  gewöhuli^  waren  bie  nöthigen,  faft  gahllofen 
3Sc?rbereitungen  getroffen.  Sticht  weniger  al8  8165  Äilo,  alfo 
übet  163  3entner  SäJaaren  ber  Berfchicbenften  9ltt  waren  gefauft 
unb  in  ©ingelpadEc  non  je  27  kg  nertheilt,  bie  brei  englifd^en 
Begleiter  waren  bereit,  270  fraget,  36  fronen  unb  10  Änaben, 
iowie  non  früheren  ©jepebitionen  her  erprobte  ÜJlänner  al8  bie 
nöthigen  Rührer  waren  auf  gwei  3ahre  angeworben  unb  foOten 
auher  Seföftigung  gwifchen  2 unb  10  IDoHarfl  monatlich  erhalten, 
ber  Biermonatliche  ißorfchuh  unb  ^oftgelbentfchäbigung  war  mit 
etwa  26  230  SJtarf  begahlt  — am  17.  Stooember  1874  that  bie 
356  ^etfonen  ftarfe  Karawane  ihren  erften  ©chritt  bem  Snnern 
gu.  35ie  ÜJtarfchlinie  war  mit  bet  befannteren  St  oute  parallel, 
boch  etwa  50  km  Hörbücher  unb  führte  guerft  burch  ^jügelgebiet, 
weiter  burd)  großartige  ganbfehaften;  halb  nahm  ein  fünftel 
bet  Jräger  IReißauö,  bie  Stegen*  unb  .^ungergeit  trat  ein  unb 

5*  (67) 


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68 


mit  etelfad^e  nnb  t^eilueid  f(i^were  jbcanf^eit,  au(^  bet  Sob 
cinefi  bet  brei  engli|d^en  {RetfegefS^rten.  ©egen  ©nbe  beö  So^teä 
mar  Ugogo  etret(^t,  ein  butc^  9icituT  unb  S3emo^nei  rau^ed  nnb 
nnfteunblicbed  8anb,  unb  bi^t  bog  bet  ^atfcb  noTbicättd  ab, 
bem  Utereme  ju,  burcb  milbe,  pfablofe  i^anbfdbaften,  gegen  beten 
ftteitjücbtige  SSemobnet  bet  2)ut(bgang  but(b  BoCe  Ätiegfübtung 
ergmungen  metben  mugte.  ^tet  freugte  Stanlep  audb  eine  9teibe 
»on  ©ä(ben,  bie  gu  einem  Sluffe  oereinigt,  in  ben  Uferewe  ibt 
SBoffet  ergie|en,  unb  fo  überjcbritt  unb  fartitte  er  bie  fübli(bften 
Quellen  be8  9iil0.  ©nblidb  war  mit  ©nbe  ?^ebtuat  1875  bie 
etfebnte  Äüftc  beö  Uferewe|ee8  erteidbt.  ©rß&e,  ©ejtalt,  3u* 
unb  Sibflüne  biejeS  @ee8  gu  etfor|(ben,  war  eines  bet  ^>aupt» 
giele  bet  IReife,  unb  auf  feine  9tt  fonnte  bieS  bequemer  unb 
gugleicb  ooQftänbiget  erreicbt  werben,  al8  butdb  Umfabtt  tingS 
um  ben  @ee.  3n  wenigen  !£agen  war  audb  baS  bi<>^3u  nötbige 
®(biff  bcrgeridbtet,  12  m lang,  1,83  m breit  unb  76  cm  tief. 
3n  ©nglanb  au8  fpani|<bem  ©ebembolge  nerfertigt,  war  eS  in 
adjt  je  eine  Sragloft  gebenbe  ©tüde  gerlegt,  bi8  bietb«i^  getragen 
worben  unb  würbe  nun  bin  am  ©eegeftabe  gufammengefügt. 
3ebn  auSgewäbiie  B^t^bige,  ein  ©teuermann  unb  ©tanlep  gingen 
am  8.  5Rotg  oftwärtS  unter  ©egel,  bie  Uebtigen  blieben  unter 
bet  Dbbut  bet  beiben  SBei§en  am  ©übufet  gurüd,  »ertrauenb 
auf  baS  SBoblwqDen  beS  QrtSfürften  ^abuma,  eines  echten 
centralafrifanifd^en  Be^bruberS. 

®a8  ©lüd  lieb  gleich  am  erften  Sage  einen  gfibret  finben 
nnb  unter  feiner  Leitung  fuhr  bie  fleine  ©chaar  oftwärtS,  er» 
funbete  ben  ©pefegolf  unb  ben  in  ihn  münbenben  ^lub  ©chimiju, 
bet  wohl  gegen  70  geogr.  SDieilen  long  ift  unb  fo,  als  am 
weiteften  nach  ©üben  teichenber  3uflub  beS  SRilS,  le^teren  auf 
eine  gänge  »on  912  geogr,  OJleilen  bringt  unb  ihn  hi«i^i>ufch 
gum  gweitlängften  ©trome  ber  SBelt  macht.  Seht  Sage  ©egelnS 
unb  IRubernS  führten  gur  Qft=  unb  weitere  gehn  bntch  ©türm 

C68) 


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69 


ober  $einbf(^aft  bet  Uferbewo^ner  unangenehme  Slage  führten 
juc  fßorbfüfte,  an  welcher  entlang  fahrenb  @tanle^  balb  jum 
fog.  9tof)o(eonIanaI  nnb  erftmald  ju  ben  Süponfällen  bed  Uferewe« 
auöfluffeS,  beJ  9M18,  futj  batauf  in  ba8,  wohl  über  4000  geogr. 
IDuabratmetlen  gto^e  lebtet  von  Uganba  tarn,  in  beffen  ^au^t« 
ftabt  unb  bei  beffen  Äönig  SJlteja  13j-  tHahit«  früher  (Spefe  fo 
lange  ©aftfreunbfchaft  genoffen  hatte. 

^reunblich  warb  auch  Stanley  aufgenommen  (Anfang  9f)rü 
1875).  ^atte  @pefe  ben  Äonig  al8  Änaben  gcfehen  unb  ihn 
al8  launifchen,  halSftarrigen  unb  blutgierigen  0e8poten  fennen 
gelernt  unb  gefcbilbevt,  fo  fah  ihn  jcht  ©tanlep  al8  ruhigen, 
gefegten,  l)öchft  intelligenten  unb  ma^toollen  dürften,  bec  felbft 
auf  religiöfe  ©efprüche  einjugehcn  liebte.  3wei  SBochen  blieb 
je^t  0tanlep  in  Uganba  unb  hatte  hicc  ba8  gro|e  IBergnügen, 
ein  ÜJlitglieb  bcr  vom  9lil  her  fübwärtS  gefommeuen  ©ypebition 
bed  ägpptifchen  @ubangouverneur8  ®orbon  ^afcha  gu  treffen, 
ben  ^angofen  8inant  be  SeQefonbS,  ben  bann  vier  fStonate 
fpäter  bei  ber  IRücfrcife  ber  Sob  burch  ^einbedhanb  ereilte. 

^JJlitte  ülpril  fe^te  @tanlep  auf  feinem  Soote  bie  Umfahrt 
um  ben  @ee  fort,  bem  Äonig  ncrfprecbenb,  binnen  ÜJJonatöfrift 
mit  allen  ben  Seinen  unb  mit  ®efchenfen  gurücfgufehren , unb 
gwar  auf  Schiffen,  bie  ihm  ber  ^önig  gu  fteUen  unb  fe^t 
gleich  mitgugeben  verhieb.  @8  waren  aber  bofe  S^age,  benen 
Stanlep  entgegenfuhr.  Wan  hatte  am  norbweftlichen  @de  be8 
See8  ben  fog.  Sllejranbra  • 9lil  mit  frdftiger  Strömung  in  ben 
Sec  einmünbenb  gefunben  unb  Stanle»  erfannte  in  ihm  ben 
ftärfften  3uflub  gum  lehteren.  Slber  non  jenen  vetfprochenen 
3)ooten  war  nur  ein  Slhcit  geliefert  worben  unb  au^  biefe  ent« 
wichen  balb,  unb  wenn  auch  ^te  8anbfchaften  am  Sßeftufer  gu 
ben  f^önften  gehörten,  bie  ba8  Sluge  gu  erblicfen  vermag,  fo 
geigten  fidj  bie  Sewohner  ni^t  im  gleichen  günftigen  8ichte 
3umal  bei  benen  ber  großen  Snfel  Surabireh  glaubte  Stanlep 

(») 


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70 


{<^on  [eine  le^te  @tunbe  gefommen;  nur  eine  raf^e  auf 
ben  Sooten  unb  bet  Qjebraudj  bet  Seuetmaffen  mad^te  {Rettung 
mbglid},  »ie  eb  fd^ien,  nut,  um  in  ben  näc^ftfolgenben  Sagen 
vor  Jpunger  fterben  ju  muffen.  @nblt(^,  nac^  57  tägiger  9Ib> 
mefen^eit  ncn  bem  am  ©übenbe  beb  @eeb  enidbteten  Saget, 
roat  biefeb  wieber  enei^t,  erteilt  na(^  einet  1600  km  langen 
Seefahrt  — unb  @tanlep  Sansibar  bib  fe^t  me^r  alb 

ein  ^Drittel  feineb  ^ötpergemicbteb  eingebü^t.  Unb  traurige 
Sotf(^aft  fam  i^m  entgegen:  bet  jtveite  bet  englifcben  unb  fedjb 
bet  übrigen  93egleitei  maten  unterbe^  ^ranfbeiten  erlegen,  unb 
@tanlep  felbft  mieberbolt  ^ieberanfäQe  gu  beftebeu. 

Unb  bie  SBeiteneife?  2)et  Sanbmeg  im  SBeften  war  allen 
{Racbricbten  infolge  butcbaub  ungangbar  wegen  aUgeiueiner  hit> 
gerifdbet  Serwicfclungen,  bie  gabrt  über  ben  @ee  ftbien  uu» 
möglich  aub  {JRangel  an  äSooten  — unb  bocb  woQte  0tanlep 
fein  Sßort  halten  unb  auch  ben  norbweftwärtb  gelegenen  rätbfeU 
haften  flRwutan  ober  {Slbert^^Rjanja  befucben!  @o  oerfcbaffte  et 
fi(b  benn  bocb  i^^nig  einer  bena^barten  Snfel  leibweife 

26  3)oote,  unb  alb  et  auf  biefen  feine  150  ^erfonen  unb  bie 
nötbigen  SBorrätbe  eingefcbifft  batte,  ging  eb  am  19.  3uni  weft» 
unb  norbweftwärtb,  wieberum  unb  fc^t  auf  entgegengefr^tem 
©ege  Uganba  ju.  SRebifa^eb  5Ri§gef(bicf  bereitete  SSergögcrung, 
machte  fogar  eine  {RucFfabrt  gum  früheren  Saget  notbwenbig, 
unb  eb  f^ien  bab  hiegerifcbe  IJolf  oon  ber  3nfcl  33umbireb 
auch  je^t  wieber  fcbwere  {Roth  bereiten  gu  woQen. 

2)a,  gu  rechter  Seit  tarn  Jpülfe  oom  Äönig  {öltefa  gefchicft, 
fo  ba§  ie^t  Stanlep  übet  eine  Streitmacht  oon  470  3Rann  ver- 
fügte; erft  nach  hartem  Kampfe  oermochte  er  mit  feinen  nun 
38  Schiffen  unb  685  3>erfonen  ungeftört  weitergufabren.  6t 
legte  in  5)umo,  nicht  weit  oom  {Rotbenbe  ber  ©eftfüfte,  ein 
befeftigteb  Säger  an,  lieh  in  biefem  ben  gtöheten  Sheil  feiner 
Begleitung  gurüd,  unb  weitetfabrenb  traf  er  bann  am  22.  3(uguft 

CTO) 


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71 


ÜJlteivi  uiebet,  unb  jioat  bei  ben  9iil>onfä[len , aber  auf  bem 
Ätiegöpfabe  mit  feinen  roo^l  150  000  Ätiegern  unb  gegen 
100000  9iic^lfömpfenben,  babei  325  ©d^iffe  mit  übet  8000  fUiann 
SBefa^ung.  'jlld  nach  gmet  fIJiouaten  bei  .^rieg  gegen  bie  9lac^> 
batn  fein  ®nbe  erreicht,  burfte  .©tanlep  an  bie  f^ortfe^ung  feinet 
9ieife  benfen,  b.  gunäd^ft  an  bie  @tfotfcbung  beS  Sanbeö 
jroifi^en  bem  Ufereroe  unb  bem  weftlicher  liegenben  fDirouton. 
(Siner  bet  .päuptUnge  mutbe  beauftragt,  Die  Begleitung  ju  über» 
nehmen,  ©tanlen  fehrte  gunäcbft  bootfahtenb  ju  bem  Saget 
feinet  Begleitmannfchaften  jurüd  unb  jog  mit  biefen  norbmeft» 
wärtö  in  baa  Sanb  Unjoto,  mo  bie  Bereinigung  mit  bem  lanb« 
matte  getommenen  Häuptling  ftatthatte.  2>ie  Öltmee  — benn 
fo  burfte  bie  Begleitung  je^t  mol)l  bei&en  — bcftanb  aue 
2290  Äriegern  ober,  megen  bet  mitjiehenben  Seiber  unb  Äinber, 
aue  nahezu  2800  ©eelen,  geigte  ftd)  aber  ale  menig  nu^bringenb; 
benn  ale  man  auf  bem  .fpochlanbe  bie  auf  1^  km  ju  bem  mohl 
450  m tiefer  liegenben  3Jimutanfee  uotgebrungen  mat  (11.  Snnuot 
1876),  befiel  ^anif  bie  Sltmee  unb  eb  erfolgte  fRuctjug  unb 
ihre  2luflöfung. 

©tanlei)  aber  jog  je^t  (@nbe  «ebruat)  im  Seften  beb 
Ufereroe  fübroärtb,  Sauf  unb  Bebeutung  beb  Äageta,  feineb  meft» 
liehen  ^laupt^ufluffeb,  ju  erforfdhen:  eb  geigte  fich,  bafe  berfelbe, 
feeattig  ftch  nerbieiternb,  aub  einem  anbetn  ©ee,  bem  Sleitanbta» 
Bjanga,  h«fommt.  31m  7.  3lptU  fagte  ©tanlep  ben  Sänbetn 
Sebemohl,  melchc  ben  9lil  mit  Saffet  cerfehen,  um  fieh  in 
meitem,  füboftmättb  aubgebuehteten  Bogen  bem  Xanganjifa  gugu» 
menben.  Untermegb  traf  er  mit  bem,  im  gangen  ©üben  beb 
Ufereroe  unb  roeitethin  gefürdhteten  ,J)äui)tling  fUiirumbo  ju» 
fammen,  bet  fi<h  im  Betlauf  beb  oorangegangenen  Sflhifünf*«* 
auf  einem  gebiete,  h<*lb  fo  gro§  rote  ^Deutfchlanb,  einen  bei 
(ringebotenen  unb  atabifthen  .^änblein  3lngft  etroedenben  9iamen 
gemacht  unb  fidh  in  bet  gangen  Dfthälfte  beb  äquatorialen 

(ti) 


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72 


Slfrifa  einen  ebenfo  weit  uerbreitetcn  5Ruf  wie  ÜJlteja  non  Uganba 
erworben  Ijat.  3Rit  biefem  9ia^oleon  Snnetafrifa’e  Stanlep 
$lutdbrüber)(baft  unb  erreichte  bann  ungefä^rbet  Ubfcbtbf(^t  am 
jfanganjifa  (27.  9Kai  1876). 

S)a  er  ^ier  »on  oerfd^iebenen  erfahrenen  9)iännern  bireften 
SBiberfptu^  hörte  gegen  ®ameron’8  früher  (®.  64)  erwöhnte 
SKeinung,  ba§  ber  @ee  etwa  in  ber  ÜJUtte  feines  3Be|iufer8 
einen  iSuSfluh,  ben  iiufuga,  h^ibe,  unb  weil  brei  größere  2:heile 
feiner  Uferftrede  nodh  unerforfcht  geblieben  waren,  fo  entfchlie^t 
fich  @tanlep,  ben  gangen  @ee  gu  umfahren:  baS  gerlegbare  Soot 
wirb  hergeridhtet , ein  gweiteS  gemiethet  unb  am  11.  3uni  be^^ 
ginnt  bie  $ahrt  an  ber  Dftfüfte  fübwärtS,  in  0egleitung  von 
40  Gefährten,  ^itte  3uli  werben  voQe  fechS  Sage  bem  liufuga^ 
fluffe  gewibmet:  ba8  @rgebnih  war,  ba§  biefer  bei  weiterem 
Steigen  beS  @eeS  in  ber  Shat  ein  SluSfluh  werben  wirb.*) 
9ia(h  51  tägiger  Wahrt  wirb  Ubfchibfchi  wieber  erreicht  unb  ein 
genauer  $Ian  ber  233  geogr.  Sßeilen  langen  ^üftenlinie  ift  auf« 
genommen. 

9lun  fonte  eö  in  ben  minber  befannten  SBeften  gehen  — 
bie  aingft  machte  fofort  43  ber  170  Begleiter  au8rei§en.  aber 
gleichwohl  gog  Stanlep  weftwärtS  unb  war  nach  43  tägigem 
3Rarfchc  am  großen  Sualabaftrome,  brei  Sagemärfche  oorfRjangwe, 
angefommen,  bei  biefer  am  weiteften  nach  SBeften  oorgefchobenen 
Station  ber  arabifchen  ^änbler  auS  Sangibar.  .i^iei  erfuhr 
Stanlep,  waS  ich  vorhin  ergählte,  bah  @ameron  aud  Sfiangel 
an  (^noeS  unb  wegen  ber  Wrtnbfeligfeit  ber  SBilben  ben  Strom 
nicht  habe  hinabfahren  Tonnen  unb  vor  bem  gleichen  S^idfal 
wie  Sivingftone  fich  beugte.  IDie  auch  Stanlep  entgegentretenben 
Schwierigfeiten  fchienen  ihn  nur  um  fo  ftärfer  gu  machen  — 
er  wollte  feinen  i)lan  voUführen  unb  er  h^l  i^n  voHführt. 
Dutd>  grohe  aSerfprechungeu  lieh  fich  ber  arabifche  .^änblet 
SippU'Sib  gewinnen,  mit  feinen  400  S3egleitein  auf  eine  Strede 

(7») 


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73 


Bon  60  Sägern  tnitguicifen.  9{un  ging  eS  Dom  5.  92oDembet 
ab  DormärtS,  junäd)ft  in  fc^recflid^en  Urmalbmärfc^en  burc^ 
SBunber  bei  Vegetation,  bann  in  getrennten  %upt)en,  ein  S^eil 
ben  Blufe  ^inab  unb  immer  »ieber  mit  ben  anberen  fid)  Der« 
einigenb,  babei  mel)tfa(i^  in  heftigem  j^am^fe  mit  ben  Snmo^nern, 
bis  9Bei^nad)ten,  mo  S)it>t>U‘:£ib  auf  anberem  SBege  nad^  fRjangme 
gurücffe^rte. 

3e^t  mar  alfo  (Stanley  mit  feinen  148  Begleitern  gang 
auf  eigene  Äraft  angemiefen,  bie  62  @e»e^re,  bie  er  befo§, 
fteDten  feine  le^te  Sufluc^t  bar.  2luf  25  meift  ))aatweiS  gufammen« 
gefopt’elten  Booten,  Don  meicben  23  in  ben  Kämpfen  ber  lebten 
SBocben  erbeutet  worben,  waren  am  28.  December  bie  ffibnen 
Sleifenben  unb  ihre  brei  IReitefel  untergebracbt,  unb  e§  ging  nun 
„binaue  in  bie  unbetannte  Seit",  ungewiß,  ob  ber  ^ongo  ober 
bet  fJliger  ober  ber  9U1  fie  bem  Seitmeere  jufübten  werbe. 
3wei  2)inge  würben  halb  flar:  ba^  biefe  @egenb  ungemein  bi<bt 
beDolfert  — tonnte  bocb  ©tanlep  gleich  am  erften  Sage  auf 
einmal  oietjebn  getrennte  Dörfer  3dblen!  — unb  ba§  biefe 
BcDölfetung  feinblicb  gefinnt,  tbeilweife  fogat  fannibalif^  fei. 
Unter  faft  täglicben  J^ämpfen  mit  Sanbtruppen  unb  ganzen 
BlotiDen,  babei  hinter  ben  erbeuteten  unb  aufgefteQten  ©cbilben 
ficb  becfenb  unb  bie  gebliebenen  43  (Gewehre  benü^enb,  faben 
fie  ben  3anuat  1877  Dergeben;  mit  feinem  @nbe  war  auch  bet 
Slequator  erreicht  unb  bie  böfe  ©trecfe  bet  fieben  ©tanlepfäUe 
übetwunben:  bie  Skiffe  waren  an  jebem  berfelben  auS  bem 
Saffer  gezogen  unb  auf  ^uDor  gehauenen  Segen,  im  gangen 
13  engl.  OJieilen  weit,  unb  unter  bem  Schule  regeltest  an« 
gelegter  Berfchangungen  übet  Saub  gef^leift  worben  in  ben  je^t 
fcho«  faft  2 km,  halb  fogar  6 bi0  11  km  breiten  ©trom.  3mmer 
war  biefer  norb«  unb  nur  norbwdrtg  gefloffen;  enblich  mit 
Anfang  Bei’i^uar  wanbte  er  ficb,  wieber  fchmaler  wetbenb,  weft« 
unb  halb  fogar  fübweftlich,  unb  am  18.  Bebruar  war  ber  IScquator 

(7S; 


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74 


iciebn  erreicht,  nad)bem  man  8 OJtinuten  meniger  als  2 @rabe 
übet  benjelben  ^inaudgetommen  mar.  Slbet  bet  fetnbltc^e  Snfturm 
bet  SBtlben  ^ötte  ni(^t  auf;  am  9.  ÜJlärj  etft  »at  bet  te^te, 
ber  32.  Äarapf  3u  hefteten.  3110  ob  fibb  bie  3^atur  nun  t^tet« 
feitb  an  ben  Sielgeptüften  oetfuc^en  moQe,  jo  geigte  fi(!^  Sag 
um  Sag  ein  für  bie  23oote  ^ocbft  gefä()rU(^cr  @turm  auö  ©üb» 
meft.  Slbet  glücflic^  marb  halb  bie  jeeartige,  etioa  80  qkm 
bettagenbe  @tweitcrung  be0  Slufje0  erreicht,  bie  feitbem  al0 
„Stanlep*^fu^l"  befannt  ift,  nach  beten  2)ut(bfa^rt  bann  bet 
Jfampf  mit  bem  gu  einem  tiefigen  @ie§bad^  geworbenen,  wie 
Don  einem  Drfan  gepeitic^teu  Sttom  wieber  beginnen  füllte; 
benn  biefer  ftütgt  fi^-oon  ^iet  an  btaufenb  burcb  ben  tiefen 
gä^nenben  ©d)Iunb  ^inab,  ber  wie  ein  tanger  @ngpa§  von  bem 
breiten  bo^en  Safellanbe  na(b  bem  atlantifcben  Ocean  binab» 
führt.  fReun  9Jlann  gingen  an  einem  Sag  in  ben  ÄaliilufäHen 
oerloren,  unb  am  2.  3lptil  war  bie  fleine  glotte  bereit0  auf 
13  ^abrgeuge  rebucirt,  unb  no(b  gingen  weitere  brei  »erlcten. 
IDabei  welche  unenblicbe  Arbeit  unb  wie  langfame0  IBorfcbreiteu  -- 
nur  55  km  in  37  Sagen!  9Witte  9Rai  würben  brei  ©inbaum« 
fcbiffe  im  Urwalb  gebaut  unb  bie  übrigen  an  fteilem  3lbbang 
400  m bo(b  hinauf,  oben  über  eine  SBegftrccfe  oon  5 km  ^änge 
unb  wieber  400  m gum  ©trome  hinab  gefchleppt.  Unglü(f0fdtle, 
Äranfheit,  .punget,  SJieuterci  unb  immer  neue  SSJafferfätle  unb 
©trcmfchnelleu,  bet  Sob  be0  lebten  weiten  33egleitcv6  — wahr» 
haftig  @lenb  genug  im  3uni  1877.  3m  3uli  fteigerte  fich  ber 
9Rangel  nm  fRothwenbigften,  unb  al0  mit  @nbe  be0  3RL'nat0 
bie  3fangilafälle  erreicht  waren,  warb  ber  ganbweg  eingefchlagen: 
feit  bet  üaufanbetung  weftwärt0  wu|te  ja  ©taulep,  bafe  eä  ber 
Äongo  fei,  ben  er  befahren,  unb  ba|  bie  portugiefifche  ©tabt- 
Söomma  nicht  mehr  weit  fein  fönne.  33oten  würben  üorau0gcfanbt, 
um  .£)ilfe  gu  hoien  für  bie  bem  Jpungertob  Sflahen,  unb  fie 

brauten  fie  im  ISugcnblide  bet  atlerhöchften  9ioth.  Söenige 
(7<) 


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75 


Sage  noc^  unb  Somtna  tvot  geisonnen  (9.  Suguft)  unb  mau 
begegnete  ben  erften  SBei^en.  6in  !Dompfet  brachte  bie  bem 
i'eben  BuTÜcfgegebenen  nac^  bet  pottugieftjd)en  Stabt  8oanba, 
»0  nom  21.  Sluguft  biö  3um  27.  September  geraftet  »utbe. 
^iet  traf  Stanlep  mit  ben  portugiepfc^en  Sotfdjern  Serpa 
?>into,  ßapcElo  unb  3»enö  3u|ammen,  oon  roelien  bet  etfteie, 
isie  mir  gleich  na^^et  nocfe  ^örcn  inetbeu,  iSfrifa  son  SBcft 
na<^  £>ft  buri^manbein  joUte. 

Stanlep  aber  — ^atte  Semanb  meijr  SRed^t  ald  er,  an  bie 
^eimfa^rt  gu  benfen?  Unb  boc^,  an  pd;  felbp  badete  er  jule^t; 
ber  Suponb  feiner  farbigen  Segleiler  war  bevartig,  bap  er 
biefelben  unmöglicb  oerlaPen  fonnte.  @r  machte  alfo  bie  Steife 
no(^  ber  Äapftabt  mit  unb  geleitete  pe  fogar  nac^  3a»iibar, 
wo  6nbe  Stosember  1877,  aljo  nac^  einet  iäbwefen^eit  son 
etwas  über  brei  Jahren,  bie  ©rpebition  i^ren  äuSgangSpunft 
wiebet  erreichte.  114  i^rer  ültitglieber  teerten  fteilid^  nicht  mcl)t 
gurücf,  pe  hflUfn  ?eben  gelaffen  im  fernen  SBeften.  ÄUe, 
bie  fRüdgefehrten  unb  bie  23erwanbten  ber  ©eftorbenen,  würben 
nun  bem  ä>erfpred)en  gemäp  abgelohnt,  unb  nacp  fünf  Sagen 
war  c}ud)  biefeö  ©efdjöft  erlebigt:  bie  angto  * ametifanifcbe 
tfjcpebition  aufgehört  gu  fein.  9toch  galt'S  ben  ^bfcpieb 
non  ben  treuen  Schwargcn,  inöbefonbere  non  benen,  welche  fegt 
als  Slnfnhrer  gebient,  bie  not  feepS  Sahven  Beugen  bet  #'^reube 
gewefen,  welcpe  üiningftone  beim  Ulnblicfe  Staulep’S  empfanb, 
bie  2iningftone  bei  feiner  lepten  nethängnipoollen  Steife  begleitet 
unb  bie  ben  berühmten  Sobten  auS  bem  inneren  'jlftifa’S  nad) 
bem  inbifchen  Dcean  getragen  hoUen-  SBehmutb  im  Jperjen 
reipe  Stanlep  h«“’i  freubigen  StolgeS,  bie  brei 

gropen  ?)tobleme  ber  ©eographie  beS  bunfeln  ©rbtheileS  gelöft 
gu  hot>en. 

©nglanb,  Sranfreiep,  SDeutfcplanb  unb  je^t  auch 
33ereinigten  Staaten  hatten  fiep  um  bie  SBette  faft  betheiligt  an 


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76 


ber  Suffiätutig  bcS  bunfeln  @ibt^eilS.  butfte  auffallen, 
ba|  in  bet  JRel^c  bet  (Sntbecfet  bie  ^ottugicfen  fehlten,  ffe, 
welche  ftd)  boc^  feit  ^a^t^unberten  im  Sefl^e  beS  gtö§ten 
2.^eiled  bet  Dft»  fomo^l  mie  SBeftfüfte  beS  äquatorialen  <3üb« 
afrifa  befinben  unb  auS  benen  Dot  3a^tl)unbetten  fd^on  fo  fü^ne 
^fabfinbet  ^erotgegangeu  waten.  @tft  gegen  @nbc  bet  70er 
3a^rc,  angeftac^elt  burc^  bie  @rfoIge  con  8ioing[tone,  @ameton, 
©tanlep,  ^aupt|äd)li(^i  aber  but^  bie  non  »etfd^iebenen  ©eiten 
befonbere  oon  ©amercn  ber  portugififc^en  JRegietung  gemad^ten 
SSorwütfe,  ba§  fte  bie  ©tfotf^ung  t^tet  eigenen  Sefl^ungen 
gtemben  übetlaffe,  me^t  nod),  bafe  fic  in  i^rem  ©ebiete  baS 
fc^mat^ootle  Treiben  ber  ©flanen^änbler  uic^t  unterbnirfe,  erft 
je^t  erwachte  and)  in  ^^ortugal  ber  S^rgeij,  an  bera  SEBettftreitc 
in  bet  ©tfc^llefeung  Snnctafrita’ö  J^eil  ju  neljmen. 

3lut  Stntrag  ber  giffaboner  geograp^ifd^en  ©efellfd^aft  warb 
im  3ai)te  1877  oom  portugiefif^en  Staate  bie  Summe  non 
134  000c4(  bewiQigt  be^ufS  Unterfuc^ung  ber  ^pbrograp^ifc^en 
Regierungen  gwtfcben  bem  Reefen  beö  Äongo  unb  bem  be8 
3ambefi,  fowie  für  bie  ©tfcrldTung  bet  gönber  gwifcTcn  ben 
portugiefiftTen  Kolonien  an  beiben  Äüften  Sübaftifa’8.  fRae^ 
fpäteren  Snftruftionen  folltc  me^t  ©ewicTt  auf  bie  Rermeffung 
be£  .^ongonebenfluffeS  Duangc  gelegt  werben,  fowie  auf  baS 
Stubiuni  ber  gänber,  in  welken  bie  gum  atlantifcTen  Dcean 
ftrömenben  Quanga  unb  Äunene,  fowie  bet  füboftwärtö  giefeenbe 
Jfubango  enttptiugen,  unb  wenn  mögli^  audT  auf  eine  forgfältige 
Reftimmung  M jfunenelaufeS.  !0tan  ftert:  ein  flareS  Programm 
war  riennit  feineäwegö  gegeben. 

3u  Seitern  biefet  Staatflerpebition,  benen  aucT  bie  Reftim» 
mung  bed  '^uSgangSpunfteS  Aberlaffen  werben  foQte,  würben 
bie  Sieutenantö  Rtito6apello  unb  fRoberto  3oenä  fowie  bet 
ffRajot  ISleranbet  ba  fRocTa  Serpa  ^into  ernannt.  iDet  leptere 
(geb.1846)  ^atte  fiep  1869  im  Sambefigebiet  au  einem  militärifdTen 

(7«) 


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77 


Buge  bet^eiligt  unb  babei  jenen  ^lug  biS  in  bie  9tä^e  bet 
SSiftoriafäDe  verfolgt,  ^atte  bann  an  ben  @cbire  unb  9tjaffa 
einen  BagbauäfLug  gemaibt  unb  noch  bie  Komoren  unb  @e9(be0en 
beju(bt. 

Son  8iffabon  aud  (7.  3uli)  am  6.  SÄuguft  1877  in  2oanba  an» 
gelommen,  ftie^  0etf>a  f)into  fofort  auf  ein  faft  unüberwinblicbed 
^)emmni&,  bafl  aud)  »eiterbin  auf  bet  gau3en  SReife  fur^tbare 
0dbU)ierigTeiten  machen  foQte,  auf  bie  Unmöglicbfeit  nämlich, 
Präger  ju  ethalten.  IBierhunbert  Sraglaften  foDten  inS  innere 
mitgenommen  werben  — unb  felbft  bet  ©ounemeur  bet  fhovinj 
erflärte  fich  fofort  au|er  Stanbe  Präger  ju  bef^affen!  @o  fuhr 
^into  norbwdtte,  an  bie  Äongomunbung,  ob  fich  bort  t>ülfe  fänbe. 
$aft  an  bemfelben  Sage  war  auch  ®tanlep  von  feinet  gewaltigen 
itongoreife  angefommen,  unb  eben  bur^  biefe  war  au^,  wie 
Serpa  ^Mnto  beim  Bufammentreffen  mit  ihm  erfuhr,  ein  Sh«Ü 
ber  ben  ^ortugiefen  geftecften  Aufgabe  gelöft.  ©tanlep  felbft 
woDte  feine  3)egleitungSmannf(haft  bagu  bewegen,  mit  ben 
^ortugiefen  ju  Ifanbe  bie  9iücfreife  an  bie  Dftfüfte  ju  machen, 
aber,  wie  nach  bem  vorhin  @rjählten  leicht  ju  begreifen, 
vergeblich!  ©erpa^into  brachte  alfo  fich  unb  ©tanlep  unb  beffen 
114  Begleiter  nach  Uoanba  jurücf,  unb  ba  bie  53erhältniffe  pch 
hier  unterbe§  nicht  gebeffert,  bet  auf  ben  fRorben  bejügliche 
Sh«l  bet  Slufgabc  au^  burdh  ©tanlep  gelöft  war,  fo  befchloffen 
0erpa  ?)into  unb  (SapeUo,  fowie  ber  Ülnfang  September  erft 
nachgefommene  3ven8,  in  bem  faft  4‘‘  füblicheren  33engueüa 
fiaftfträger  anjuwerben  unb  bann  von  bet  noch  faft  weitere 
5®  fübli^er  gelegenen  füRünbung  beb  älunene  au8  biefen  auf» 
warte  bib  jut  äDuefle  3U  verfolgen,  um  barauf  in  füböftlicher 
0flichtung  vor3ubringen. 

ÜRan  ging  nach  Senguetlo  (7.  Septbr.)  — aber  auch  hier 
waren  feine  Sräger  3U  befommen:  bab  Äuneneprojeft  warb  auf» 
gegeben.  fRach  wochenlangen  Bemühungen  waren  enblich  mit 

(H) 


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78 


änfanfl  9icDembet  bo(^  gese«  70  Kläger  unb  baju  14  fretmiDige 
Solbaten  gewonnen.  ÜKit  tiefen  würbe,  um  nid^t  nod}  monate« 
lang  an  bet  Äüfte  liegen  bleiben,  am  12.  fJlonember  auf» 
gebrodjen,  um  in  weit  (üblichem  Sogen  nat^  bem  etwa  8^  gange» 
grabe  lanbeinwärtß  gelegenen  Si^e  311  fommen,  wä^renb  ber 
alte  weitgercifte  ^>finbler  @iloa  ^orto  e8  übernahm,  bie  ,^auf)t* 
mnffe  bcö  ©epärfeS  bireft  oftw&rtS  nat^  Si^e  ju  ft^affen.  9Wau 
gog  alfo  fnbwärte,  junädjft  nur  jwei  Sagemärfc^e  weit;  non  ba 
fonnte  erft  am  4.  ©ecembcr  nac^  @inftellung  neuer  Präger  für 
bie  auSgeriffenen  weiter  marf^irt  werben,  unb  eS  übernahm 
babei  im  wefentlii^en  Snenö  bie  geograpbiffbeni  @apeQo  bie 
meteorologif^en  unb  naturgcfdbi^tlidjen  Arbeiten,  wäbrenb  @erf)a 
^into  ben  JranSfjort  gu  überwaeben  neuntägigem 

füboftwärt8  geridbtetem  üliarfcb  bureb  obeS  ganb  war  bie  fdblimme 
Äüftenregion  burdifebritten ; man  flieg  auf  gu  bet  fd)on  900  m 
hoben  Serg«  unb  SBalbtegion  unb  raftete  l)ier  14  Sage  in  einer 
portugiefifeben  fßiebetlaffung;  mit  9teujabr  1878  würbe  ber 
fDlatfcb  naib  fRorboften  eingefdblagen  unb  nach  Ueberfebreitung 
non  gor  nielen  glfi^tben  bet  äufeerfte  bortugiefifdie  ?)often  Äafonba 
erreifbt  unb  bamit  ba8  über  1500  m fidb  erbebenbe  centrale 
j£)0(bplateau , weltbeS  ben  größten  Sbeil  beS  Snnern  »on  tSfrifa 
einnimmt.  föapcHo  blieb  biw  franf  gurücf,  3nen8  unb  ©erpa 
"iJintD  maebten  aber  getrennte  SÄuSflüge  gum  Äuneneflu§ 
Januar);  nach  ber  Sflücffebt  fanb  fid)  bie  gleiche  fRotb  wegen 
ber  gaftträger  wie  früher.  @0  warb  benn  befdbloffen,  ba§ 
©erpa  ^into  mit  ben  allein  noch  gebliebenen  fed)8  Sengueüa» 
Srägern  noranmarfebiren,  weiter  oorwätts  Sräger  fu^en  unb 
biefe  gutüdfd)icfen  foOe.  @8  gefcbal)  (8.  Bebr-)-  unb  ©erpa  ?)into 
war  fiebevftanf  um  ein  Srittel  beS  SBegeS  non  .^afonba  bi8 
Sibe  norgebrungen,  al8  Uju  in  einem  Dorfe  be8  .£)äuptling8 
Äapolo  Soten  mit  Sriefen  non  feinen  ©efäbrten  ßapello  unb 
3oen8  einbolten  (16.  gebt.):  fic  feien  entfcbloffen,  allein  bie 

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79 


5Rcije  fortjufe^en  unb  fie  »ütben  i^m  oom  ©eiamratgepäcf 
40  Mafien  gufi^tcfen.  9Ran  [teile  @erpa  ^into’fl  liebet» 
tafi^ung,  Sufregung  unb  «Sorgen  ooi!  S3i4  33i^e  aDein  ^atte  et 
gioan^ig  Sage,  »o  täglid),  ja  [tünblid^  @igent^um  unb  !|^eben  ge» 
[ä^tbet  war,  wo  bet  oieletfa^rene  SUoa^otto  ftd)  oft  mit 

beutefüci^tigen  SBilben  ^atte  burtbld^Iageu  müjjen.  ®lei<^wol^l 
gc^t  cv  »otan  mit  [einen  wenigen  Segleitern  aufl  SengueHa  unb 
40  Stößern;  aber  [ofort  in  bet  er[ten  5Ro(^t  entfliegen  bie 
leiteten.  @r  nimmt  neue,  in  geringerer  3aljl  “«b  lö§t  oon 
[einem  @eböcf  einen  Sbeil  gurücf;  unter  unaufhörlichem  [Regen 
unb  Sturm,  fieberfranf,  oon  meuternben  Schwargen  begleitet 
fommt  er  gum  j^ubango,  entlö§t  jenfeitS  [eine  Seute,  [ud^t  neue, 
unb  über  butchaue  aufgeweichten  93oben  marjchirenb,  gefchwöcht 
oon  Ohnmächten  unb  ^ieberbelirien,  angefchwoUene  Bluffe  mit 
9ioth  überf^reitenb,  in  einem  berfelben  nach  jtentern  beb  J^ahneb 
fnapb  bem  Sobe  entrinnenb,  fommt  Serpa  'J)into  enblich  am 
16.  [Dlörg  im  55orfe  33elmonte  in  S3ihe  an,  wo  feine  gwei  früheren 
©eföhrten,  auf  anberem  SBege  fommenb,  feit  8 Sagen  fchon 
ongelangt  finb.  S3on  biefen  fi^  abioubernb  überfteht  er  glücflich 
eilte  ©ehirnentgünbung;  alfl  et  [ich  erholt,  mu§  et  feine  Sebütf» 
niffe  weientlich  oerminbern;  benn  bie  SSorröthe  geljen  gu  @nbe 
unb  bie  SBaaren,  welche  oon  ä3enguella  bireft  fommen  foQten, 
finb  noch  nicht  ba.  (Sr  fürchtet,  fie  möchten  nicht  fommen:  et 
lauft  al[o  alte  ©ewehte  ein  unb  reparirt  pc,  er  fabrigirt  Äugeln 
aub  alten  6ifenwaaten,  et  ethanbeit  ©labpetlen.  IDenn  fein 
©ntfchlufe  fteht  feft:  er  geht  nicht  gurücf,  et  will  bireft  gum 
oberen  3awbefi,  will  oon  ba  eftwörtb  marfchiten,  wiQ  bie  linfen 
[Rebeupüffe  bib  gum  3umbo  aufnehmen  unb  über  Sete  nach 
JtiQimane  gut  Dftfüfte  gelangen,  ©nblich  fommen  hoch  bie 
erjehnten  SBaaren  (©nbe  aptil)  — Siloa  ^^orto  h^tte  eben 
auch  nicht  fofort  Stöger  erhalten  fönnen,  erft  ©nbe  JDccember 
waten  200  bet  gemietheten  Sailunboleute  in  Senguella  ein» 

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80 


flctioffen  unb  bie  übrigen  200  fogar  etft  6nbe  gebtuat.  0en>a 
'})into  »in  nun,  ba  et  bie  etn>ünid)ten  SJorrdt^e  ^at,  am 
10.  9Rai  aufbredjen;  adein  feine  Jrdget  finb  bi8  auf  30  net» 
fd^munben.  fReue  ©orge,  neues  anmerben:  am  27.  ÜJiat  briit 
er  mit  wenigen  auf  unb  sie^t  oftwdrtö. 

3n  beu  gleiten  Sagen  etwa  brechen  auch  @apeDo  unb  ^oenS 
von  Si^e  auf  unb  girren  notboftwdrte  gum  ^uanga ; e8  fei  mir 
erlaubt,  rof(^  beten  SBanberung  ju  ffiggiren.  Ueberfc^wemmteS 
@ebiet  in  längerem  SRarfc^e  bure^gie^enb  fc^neiben  fie  @nbe 
3uni  ben  guanbo,  einen  9lebenflu^  be8  Äuanga,  unb  wenbeu 
fid^  bem  ^oberen  ^anbe  gu,  in  weldbem  bet  Duango,  ^affat, 
^uanbo  unb  Sfcbtfapa  bi<bt  bei  einanber  ihre  Duellen 
fie  machen  ficb  um  bie  geftftellung  biefer  SBafferftbetbe  gwif^en 
bem  ©Iromgebiete  befl  S^mbefi  unb  bem  beS  Äongc  netbient 
unb  etfunben  bie  am  iSnfang  beS  .^affai  ft^enben  ^ölferf^aften. 
9lacbbem  fie  bann  bem  Duango  eine  Seit  lang  norbwdrts  ge« 
folgt,  trennen  fie  fi^:  ßapeflo  gie^t  öftlidb,  3ven8  weftlicb  von 
biefem  ©ttome;  nach  Uebetwinbung  unfdglidbet  ©d^wierigTciten 
unb  auch  von  ihren  Srdgern  vetlaffen,  finben  fie  ficb  wiebet  in 
ber  portugiefifcben  dliebetlaffung  Äaffange  (Dftober),  wo  fie, 
tbeilweife  fronf,  ba8  6nbe  bet  9iegengeit  erwarten.  6in  3?Dtfio§ 
norbwdrtS  gum  Duango  unb  ein  gweiter  von  dRalange  aus,  bet 
fie  btei  53reitegrabc  nötblicb  führt,  geben  wichtige  geogtcqjhif^e 
’iluffchlüffe;  ber  fRüdtweg  übet  iHmbafa  unb  Donbo  ben  .^uanga 
hinab  führt  fie  wiebet  nach  ?oanba  (5.  Dftober  1879),  non  wo 
fie  Anfang  1880  nach  ?iffabon  gurüdfommen,  ein  .^albjaht 
fpdter  als  ihr  früherer  ©efdhrte  ©erpa  flinto. 

2Bit  verliehen  ben  gelteren  oftwärtS  von  S3ihe:  Sag  um  Sag 
hat  et  unter  bet  fchrecflichen  Srägetfrage  gu  leiben.  @r  fommt 
hier  in  ein  ©ebict,  baS  — von  bem  ungebilbefen  portiigiefifchen 
Jpdnbler  ©ilva  ^orto  (1852 — 53)  abgefehm  — noch  nie  von 
einem  ©utopder  betreten  war.  (?r  ift  am  14.  3uni  1878  bis 

tm 


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81 


jum  Jl^uanja  DOTgebrun^en ; ald  bie  ttieber^olt  oerf^Tod^enen  neuen 
Srägei  nid)t  fommen,  cert^eilt  et  75  Saften  untet  bie  corbanbenen 
unb  cetni(bnet  fcbweten  ^etjenö  61  $acfe  feiner  SBaaten. 
So  leichter,  bod)  aaä)  atmet  gemotben  fteigt  et  auf  gu  1600  m 
.pöbe  unb  hält  ficb  foweit  nörblicb,  ba§  er  bie  DueQen  bed 
größten  Sauibefinebenftuffed,  beS  ^uanbo  nämlicb,  auffudjen 
fann  (11.  3ult),  fuiuie  bie  be^  ^ubangui.  Unb  nun  fübmärtd 
biefem  leiteten,  bann  bem  Jtucbibi  entlang  matfcbitenb  über> 
fcbreitet  er  biefen  (4.  Slug.)  unb  jiebt  bi^i^uuf  in  15«  ©übbreite 
etroa  oftmärt«,  bie  et  bei  ftarf  abnebmenben  ajotrdtben,  oon 
©iblaflofigfeit,  auch  oon  .punget  gequält,  fd}lie^li(b  noch  butcb 
©üniffe  matenb  am  24.  Sluguft  an  ben  Sutnbeft  gelangt.  @t 
bat  fo  ooUbracbt,  maS  bie  erfabrenfteu  {)änblet  in  Sibe  al4 
unauefübtbar  erdärt  butten. 

@t  fe^t  über  ben  Sumbefi  unb  jiebt  in  Sialui  ein,  bet 
nabegelegenen  ^auptftabt  bet  93atot[e  — feine  eigenen  .^ulfe^^ 
mittel  finb  oöllig  erfcböbft,  allein  bie  Hoffnung  bült  ibn  anfredbt, 
bet  .Völlig  Soboffi  metbe  ibm  @unft  etmeifen  unb  meitet  oetbelfen 

(Setabc  ein  SSierteljabibunbett  frübev  (fDlitte  IDccember  1853) 
roat  Sioingftone  biet  geroefen;  aber  wie  batten  fid)  bie  23erbältniffe 
geänbert!  2)amalö  borrfcbten  oon  ibtet  meitet  fübli^  liegenben 
.pauptftabt  Sinpanti  aud  bie  fmafololo,  bie  felbft  ftübet  vom 
©üben  bot  eingebtungen  maten,  bem  j^etne  nach  auö  ^afutoe  unb 
S3etf(buanen  beftebenb  unb  bie  untenoorfenen  ^ölferfcbaften  mit 


ficb  amalgamitenb.  Seftt  »at  ihre  ^)ertf(boft  babin  — bie  S3atotfe 
batten  ficb  etboben,  bie  Üliafololo  oernicbtet  unb  einen  Ifönig 
um  ben  anbern  eingefe^t.  Soboffi’ö  Sltmee  mar  gegen  einen 
folcben  trüberen  Äönig  im  äfrieg;  untet  33eibülfe  meidet  @lfen» 
beinbänblet  mar  fie  gefd)lagen  morben,  unb  gerabe  an  bem  Slage, 
ba  ©erpa  ^into  anfam,  roar  biefe  fcfalimme  33olfd)aft  gemelbet 
morben,  baju  bie  meitere,  ba§  au<b  ein  anberet  mächtiger  .päut?t> 


ling  einen  Singriff  auf  bie  SBarotfe  ootbeteite^r  *■ 

XIX.  433.  434.  A G ■ ■ 


(mirts  VI ^ 


82 


SBa8  foDte  ba  aud  @et)>a  |}into  aeiben?  Riebet  auf  ^tebei 
Veinigt  i^n;  bie  8eute  auS  Si^e  »oDen  gurücf,  et  mn§  fie 
entlaffen;  bet  j^önig  argwöhnt  einen  Sufammen^ang  unfered 
fRHfenben  mit  fenen  3Bei§en,  bie  feinen  ^einben  geholfen  unb 
befiehlt  (1.  ©eptbt.)  fofortigefi  Serlaffen  beS  ganbeJ  unb  fchreibt 
ihm  ben  9Beg  auf  Sihe  not;  baS  @ebot  wirb  gwat  jurücf* 
genommen,  aber  faum  entgeht  et  einem  ^otbanfihlag;  e§  jeigt 
fi(h  8enath  bei  feinen  ihm  gebliebenen  8euten;  fein  Saget  wirb 
9ta(htd  überfallen  (6  ©eptbr.)  unb  angejünbet  unb  nur  burd) 
9iittoglhcerinhaltige  jhigeln,  bie  et  aud  ber  „^üchfe  be8  J^önigS*  *) 
jchieht,  tann  et  bem  SRotben  @inhalt  thun.  ©(hleunigft  gieht 
«t  feitab  auf  bie  Serge  mit  feinen  58  Segleitetn  — aber  in  bet 
brittfolgcnben  9la(ht  netlaffen  ihn  bie  meiflen  feinet  5Reget  unb 
nehmen  faft  alT  fein  ^ab'  unb  @ut  mit:  3 ilRännet,  3 j^naben, 
2 SBeiber  bleiben  ihm  alg  Begleitung,  bagu  55,  fage  gange  fünf« 
unbfünfgig  Patronen!  i^bei  et  oergagtni^t:  et  finbet  noch  etwas 
Suloet,  unb  Tätigt  fidh  auS  biefem  unb  ben  Sleiftücfen  eines 
^ifchneheS  235  weitete  Patronen. 

@t  fchidt  Boten  an  ben  ^önig,  nethanbelt  auch  felbft  mit 
ihm  unb  ethSlt,  ba  beffen  2(rgwohn  gefchwunben,  bie  @tlaubni§ 
unb  btei  Boote,  ben  Sawbefi  hinab  gu  fahren.  @ern  wäre  et 
oftwättS  gegangen  bis  gum  Soengwe  unb  wäre  erft  biefen  hinab 
bem  Sambefi  gu;  allein  bieS  wirb  »etweigert,  weil  bie  Begleiter, 
welche  Sioingftone  eben  in  jener  Siichtung  not  fahren  mit« 
genommen  unb  gutüdgubiingen  vetfptochen,  nicht  wiebet  getommen 
feien.  6r  ergiebt  fidh  in  fein  ©chidfal,  umfomeht,  als  er  hott, 
ba§  ein  weiset  flfliffionat  non  ©üben  \)n,  auS  bet  @egenb 
f üblich  ®on  ben  Biftoriafötlen  Boten  gefchicft  h®he,  um  bie 
©rlaubnife  gum  (Eintritt  in  baS  Borotfelanb  gu  erlangen.  3« 
biefem  wiH  er  nun,  unb  ba  et  60  SBanbettage  bafür  berechnet, 
fo  barf  et  fich  täglich  f«nf  ©chüffe  geftatten. 

Slm  24.  ©cptember  werben  bie  btei  Boote  befliegen  unb 
halb  geht  eS  an  ^äQen  norbei  unb  über  eine  fUlenge  non  ^lu§« 

(»3) 


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83 


l^ttellen  hinüber,  mehrmals  in  {d^tedfUt^ei  $a^rt,  baliei  flebet« 
ftanf  unb  lebeileibenb,  fo  ba§  et  gu  fterben  glaubt.  @Iei^tDobl 
fteQt  er  feft,  ba|  auf  bet  gangen  @ttede  btd  @mbattra  {ein 
3ufiu|  tec^td  in  ben  3<iinbefi  fommt.  Sei  @mbatita,  »o  bet 
j{nnnbo,  »on  2iDingftone  aI8  Sljcbobe  begeicbnet,  in  ben  Sontbefi 
münbet,  ift  bie  SBaffetfabtt  gu  6nbe  (18.  Dftbt.)!,  unb  @ett>a 
fMnto  ift  erfreut,  brei  Sage  guoot  einen  S)ienet  bei  9Rt)fionat8 
getroffen  gu  ^aben,  bet  bie  9intn>ort  Deß  Äönigfl  gobojfi  erwarten 
foQ,  unb  melbet,  ba§  fein  ^err  grangofe  fei.  6r  erfährt 
aber  auch,  ba§  am  anberen  Ufer  be8  ^uanbo  in  näcbfter  fRä^e 
gwei  SBeibe  baufen;  er  ermöglicht  eine  Sufawmenfunft  mit  ihnen 
unb  wirb  non  biefen,  gwei  @nglänbetn  Dr.  Sraböhnw  unb 
SBalfh,  bie  fich  goologifcher  ©tubien  wegen  hiev  aufhalten, 
ctuf'S  liebenSwürbigfte  aufgenommen.  Sber  andh  fie  h^ben  {eine 
Sßaaren,  unb  not  Segahlung  bet  Sootführer  wiQ  bet  ^äuhtling 
unfern  armen  elenben  fReifenben  nicht  entlaffeu.  *So  fenbet  et 
Soten  fubwärtö  an  jenen  ^angofen  unb  bittet  um  SBaaren  — 
wie  freut  er  fich,  alö  biefe  {ommen!  9lur  gwei  Sage  no^,  unb 
@erpa  ^into  ift  (22.  D{tbr.)  im  ^auS  unb  in  ber  fo  nöthigen  pflege 
beä  ^DMffionard  @oillarb  unb  feiner  Stau  unb  9U^te,  bie  f^fon 
gwangig  3ahre  in  @übafri{a  ihrer  cinilifatorifchen  Slufgabe  leben. 
Son  fchweret  @r{ran{ung  erholt  er  fich  halb,  unb  möchte  gar 
gerne  bie  fReife  ben  Sonibefi  hinab  fortfehen.  3bet  bagu  {ann 
ihm  SoiOarb  nicht  bie  nöthigen  ÜRittei  geben,  unb  ba  be§ 
^e^teren  $(an,  in  baö  Sarotfelanb  corgubringen,  »ereitelt  ift, 
fo  entfchliegt  auch  er  fich  gur  Stüdfehr.  @o  reifen  fie  gemeinfam, 
nach  einem  Sefudh  ber  SiftoriafäOe  bur^  @erpa  ^into,  füb> 
wärtö  (@nbe  fRooembet)  unb  burchgiehen  in  breiligtägiget  S^h^i 
auf  Ochfeuwagen  bie  böfe  J^alahariwüfte,  öftlich  oon  bem  SBege, 
ben  Sicingftone  unb  SaineS,  wefHich  von  bem,  welchen  3Rohr 
unb  (Shapmnn  bur^  biefelbe  genommen.  iSn  bet  gto§en  0alg> 
hfanne  bcS  ÜRa{ati{arifee’8  vorüber  führt  feht  ber  SBeg,  unb 
0er^a  $into  ftedt  bie  metfwürbige  ©rfcheinung  feft,  baft  biefet 

6*  (SS) 


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84 


@ee  burd)  ben  Sugoflul  mit  bem  9tgamifee  in  iBerbinbung  fteljt 
beratt,  ba§,  wenn  bie  Slegenjeit  befl  DftenS  bie  Suflüff«  beö 
crfteren  3ee’9,  aljo  and)  biefen  felbft  (ibmellen  macht,  biefet 
fein  SBaffer  nach  äBeften  jum  9igamifee  abgiebt,  mährenb  ju 
anbetet  3«it  getobe  bafi  ©egentheil  eintritt.  $Den  9lgomifee 
etflätt  et  fo  aI8  eine  ©tmeitetung  tei  .^bangofiuffed,  bet 
na^h«  'JRafatifatifee  fttömt  unb  fein«  ©eroöffet  jut 
Setbunftung  btingt. 

fDHt  bem  (e$ten  Sage  bedSahteg  1878  wat  enblich  ®(hof(hong 
erteicht;  abet  hiet  btach  auch  Siebet  and,  bad  bem  93iel> 
geprüften  baS  Sieben  ju  nehmen  btohte.  äßiebet  etholt  et  [ich, 
unb  non  einem  englifchen  ^anblungShaud  mit  $fetb  unb  ©elb 
netjehen,  teift  @etpa  |)into  SKitte  3anuat  1879  fübwärtö,  ent« 
leiht  untetmegO  non  nomabiftrenben  ^oetS  Silagen  unb  fommt 
mit  biefen  am  12.  Stbtnat  nach  ^tetoria,  bet  {»auptftabt  non 
Standnaal,  unb  hiec  butch  ben  Selegtaph^n  in  SSetbinbung  mit 
bet  j^abftabt  unb  bet  .peimath-  fün  bet  S)eIagoabei  ben  Siudweg 
ju  nehmen,  geht  wegen  beS  Suluftiegeö  nicht  an;  fo  wenbet  et 
fich  (8.  9Kärg)  füboftmöttö  unb  gelangt  übet  .^eibelbetg  in 
IDutban  (19.  SRätg)  an'S  Slteer,  an'S  langentbehtte  unb  lang« 
etfehnte.  2)et  5)ampfet,  bet  halb  batauf  bie  Reiche  be8  oon  3ulu« 
hanb  gelöbtelen^tinjenfRapoleon  mitgebtacht,  nimmt Serpa^into 
auf  (19.  SSptil)  unb  führt  ihn  übet  San^ibot  bet  .Jpeimath  ju: 
et  betritt  wiebet  8iffabon  am  9. 3uni  1879,  nachbem  er  622  Sage 
auf  afrifanifchem  93oben  unb  702  Sage  auf  bet  [Reife  angebracht 
unb  für  leitete  nicht  ganj  20  000  SOiait  oetwenbet  hatte. 

6in  hn*^e8  3aht  nach  @erpa  ^into  lehren  auch,  wie  ich 
fdhon  gefügt,  feine  früheren  begleitet,  ßapello  unb  3oen8,  jutürf; 
währenb  jener  butch  bie  Ungunft  bet  SJerhältniffe  oon  feinet 
utfptünglich  beabfichtigten  9)larfchtichtung  ftarf  füblid)  abgebtdngt 
worben  war,  fommen  biefe  mit  Sluffchlüffen  freilich  nut  übet 
ben  füblichften  Sheil  be8  ^ongogebieteS  na^  .^aufe,  b.  i.  be8« 
ienigen  ©ebieteö,  beffen  ©rfotfchung  unb  Älatlegung  gerabe  je^t 

(84) 


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8d 


bte  für  @eogtap^ie  fid>  3ntete[firenben  am  meiften  in  9Infpru(^ 
na^m.  (Stanlep  ^atte  ben  gewaltigen  SIu|  befahren  unb  ^tte 
bte  gtofee  ÜJlenge  feiner  reichen  3uflüffe,  bie  überaufi  bitftte 
Secölferung  feiner  Ufer,  bie  ungemeine  gru(f)tbarfeit  feine« 
gan3en  Gebiete«  fennen  gelernt.  iSuf  nähere  @tforfd^ung  unb 
^anbel«mägige  ÜluSnü^ung  biefeS  Gebiete«  ridfitete  ficb  nun  bet 
©inn  ber  Sölfer  unb  gab  ben  fdjon  »or^anbenen,  auf  ba«  gleit^e 
Siel  gerichteten  SSeftrebungcn  neuen,  »erftärften  2lnfto§. 

3n  JDeutfchlanb  war  im  Sa^re  1873,  wie  ich  W®“ 
früher  gelegentlich  bet  {Reife  üon  ^enj  erwähnt  ho^’«» 
„Deutfche  ©efeDfchaft  jur  ©rfotjchung  'Jlequatorialafrifa*«*  ge« 
grünbet  unb  e«  waren  jur  wiffenfchaftlichen  ©tfotfchung  be« 
jfongogebiete«  eine  ^auptejrpebition  unb  jwei  biefelbe  flanfirenbe 
©rpebitionen  auSgefanbt  worben.  3nt  3ahre  1876  (12.  bi« 
14.  ©eptbr.")  warb  bann  auf  Ötnregung  beS  j^önig«  bet  ©elgler, 
behuf«  6tforfd)ung  9lftifa’8  unb  al8  5)anb  für  bie  auch  hierauf 
gerichteten  Unternehmungen  ber  eingelnen  {Rationen,  bie  „3nter» 
nationale  'Äftifanijche  9lffociation"  gegrünbet,  unb  in  Anlehnung 
an  biefe  würbe  am  18.  IDecember  1876  bie  fdhon  genannte 
beutfehe  ©efelifchaft  in  eine  „©eutfehe  SSfritanifche  ©efeUfdhaft* 
umgewanbelt.  511«  ^)aupt3iel  [teilte  fie  fich  bie  ©rfotfehung  be« 
idongobecTen«,  unb  al«  .^auptjugang  3u  bemfetben  warb  ber 
SBeften  feftgehalten,  wenn  auch  bet  Äongomnnbung  ein« 

geleitete  .fpauptejrpebition  im  SBefentlichen  mi&glücft  mar.  3lbet 
im  {Rotben  baoon,  am  SDgowe,  h“U*  [^«»3  f<höne  ©rgebniffe 
et3ielt,  unb  wenn  man  fidh  nun  auf  ben  ©üben,  auf  ben  3}orfto§ 
»on  Slugola  au«  foncentrirte , fo  waren  hoch  wefentliche  gort» 
[dritte  gu  erhoffen.  3n  ber  2;h<>l  foßte  ^oon  hier  au«  ba« 
bebeutenbfte  SSorbtingen  nach  fRotben  unb  im  0(nf^luffe  \)\txau 
bie  bi«  je^t  le^te  fDutchquerung  be«  afrifanifchen  Kontinente« 
burchgeführt  werben,  unb  gwar  von  bem  beutfehen  !^ieutenant 
©.  XSiffmamt.  ,^5ren  wir  beten  SSetlauf. 

3m  3ahre  1875  war  Dr.  ^ogge  »on  8oanba  au«  ben 

(BJ) 


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86 


Ottaija  auf«  unb  im  @anjtu  @cab  ofltDäitö  bU  in  bie 
^aufjtftabt  bed  SJtuata  3amvo  ober  ^atiamno  uorgebrungcn 
(9.  Decbt.),  beS  gefürchteten  SehenftherS  eines  großen  8unba« 
reiches,  non  melchem  jeber  ber  früheren  jene  @egenb  Sereifenben 
gehört,  melden  aber  feiner  gefehen  hatte.  9(uch  (Sameron  mar, 
als  er  mit  bem  berüchtigten  SUoej  reifte,  jmei  @rabe  oftmürtS 
non  ihm  oorübergefommen.  @in  Siierteljahr  lang  h^tte  ft^ 
Dt.  $ogge  bei  bem  SJiatiamoo  aufgehalten,  unb  mä)  feiner 
Diücffunft  mar  bann  Dr.  SSuchner  beauftragt  morben,  bie  oon 
f)ogge  begonnene  Borfchnng  im  @übfongogebiete  fortjufeben 
unb  eben  jenem  ^errfcher  ®efchenfe  beS  IDeutfcheu  .^atferS  ju 
überbringen.  Suchner  hatte,  am  5.  IDecember  1878  in  Soanba 
angefommen,  ein  3ahr  unb  fe^S  Slage  fpäter  bie  Jpauptftabt 
IDiuffumba  erreicht  unb  feine  @efchenfe  übergeben,  mar  bafelbft 
aber  ein  halbes  3ahr  lang  gurücfgehalten  morben  unb  fonnte 
erft  5Kitte  3uni  1880  feine  IRücfreife  nach  SBeften  antreten. 
@he  er  jurüdfgetehrt  mar,  ja  fchon  im  Dftober  1879  hatte  bie 
IDeutfche  Sfritanifche  @efeQfchaft  befchloffen,  eben  in  ^uffumba 
eine  ©tation  für  bauemben  Aufenthalt  einjurichten  unb  hatte 
bamit  Dr.  ?)ogge  unb  Lieutenant  Sßi|mann  beauftragt,  als  bie 
nöthigen  SJlittel  flülflg  gemorben  mären. 

Am  18.  9looember  1880  oerliehen  bie  Reiben  .^amburg 
unb  hatten  nach  fe^S  SBochen  Loanba  an  ber  SSeftfüfte  Afrifa'S 
eneicht,  fuhren  oon  \jiix  ben  Duan^a  hinauf  bis  IDonbo,  melcher 
Ort  mit  Siecht  als  bie  „«^ölle  ber  SBelt"  benannt  mirb,  unb 
liehen  fich  oon  ba,  gumeilen  gehn  bis  gmölf  ©tunben  meit  an 
einem  Sag,  burch  Sieger  bis  SJlalange  tragen,  mo  fie  am 
25.  Sanuar  1881  anfamen.  ^ier  mußten  Saufchmittel  ein> 
getauft  merben;  ba  aber  baS  gu  benühenbe,  freili^  jeht  faft  leere 
SBaarenlager  erft  f)>ät  neue  IBonäthe  erhielt,  fo  erforberte  bieS 
einen  oiermonatlichen  Aufenhalt.  Siaturmiffenfchaftliche  ©tubien 
füllten  bie  Seit  auS ; Slialange  fanben  fie  fehr  rücfmärtS  gehenb, 
ba  bie  Ausfuhr  oon  @ummi  unb  SS^achS,  ben  beiben  ^aubt« 

(M) 


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87 


^anbelSgejenftänben,  fid)  meitet  weftivärtd  ge^o^en  ^atte.  ^ter> 
je^n  Sage  nac^  bet  Sinfunft  unferet  Steifenben  in  SRalange 
fanb  ^ier,  non  Often  juiücffe^tenb,  aui^  Dr.  93ud^ner  ein,  ein 
für  fBi§tnann  um  jo  auffaUenbecee  Sufammentteffen,  alS  fie  beibe 
7 Sa^re  juoor  in  SJiagbebutg  wegen  3»eiJ««npfö  ©efaugene  unb 
Simmeinacbbam  gewejen  waren  unb  fid^  eift  je|t  wiebet  an 
ben  @rengen  bet  (Sioilijation  einanbet  begegneten.  93ucbncr 
tbeilte  feine  ®tUbnifje,  inbbejonbere  bie  in  tJKujfumba  mit, 
gumal  wie  feine  Serfudbe,  oon  ba  aufi  gegen  ben  ^ongo  vot> 
gubtingen,  an  bem  maffen^aften  Slubrei^en  feiner  Präger  breimal 
gef(beitert  waren,  unb  et  riet!}  |)ogge  unb  SBi§mann  baoon  ab, 
ebeufalle  nad)  9Ratiomoo’0  @tabt  ju  jicben.  ©leicbwcbl  oet» 
taffen  fie  ^alange  (2.  3uni)  intern  Aufträge  gemd^  in  bet 
Oftri(btung  auf  .^imbunbu  gu  unb  erreichen  biefen  Ort  auf 
befannter  0ioute  am  20.  3uli. 

{)iet  aber  b^ten  fie,  ba§  bet  fübliche  wie  ber  notblicbe 
äiJeg  nacb^uffumba  wegen  friegetifcbetSäerwicfelungen  ungangbar 
fei,  unb  in  Erinnerung  an  bab,  wab  il}nen  S3u4tner  über 
!DlatiamDO  gejagt,  unb  in  @twdgung  beffen,  wab  fie  biet  oon 
einem  erfahrenen  weiten  'Portugiefen  über  ben  im  5Rotben 
wobnenben  c^duptling  ^^ufenge  b^ten,  entfchlte^en  fie  fich  bei 
bem  (enteren  ihre  Station  angulegen  unb  SRuffumba  oödig  auf« 
gugeben.  iDenn  ’iSiufenge  unb  fein  iBoIf,  bie  Suffelange,  bab 
erfte  ber  Söalugaoölfer,  foüen  fich  *“>  Sntereffo  ihrer  ^>anbelb« 
politit  aufeetgewobulich  frieblich  unb  freunblich  gegen  ^tembe 
erweifen,  berart,  bag  bort  .^dnbler  mit  ihrer  itarawane  wähtenb 
ibteb  .fpanbelbaufenthalteb  fogat  frei  oerpflegt  werben;  in  Solge 
baoon  b<t^(  ^^>0^  ifubulu,  bab  Sanb  bet  ^eunbfchaft. 

9lIfo  auf  nach  Subutu! 

2)ie  tReife  bog  nun  norbwdrtb  ab,  am  weftlichen  Ufer  beb 
Sf^ifapafiuffeb  entlang  bib  gu  beffen  Einmünbung  in  ben 
^affai,  unb  war  re^t  angenehm,  ba  in  ^olge  ber  fchwadben 
Siegen  bie  Sümpfe  leicht  paffirbat  waren.  3>oat  machten  bie 

(8U 


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88 


^ofo,  bereit  8anb  burd^jogen  warb,  ©d^wierigfeiten , ba  fie 
i'^r  .^anbelStnotiofiol  bet  ben  5tu(filange  bebro^t  glaubten,  unb 
auch  bte  im  gleiten  Sntetefle  eingertdbtete  Äalunbajperte  mu|te 
burc^brod^en  werben;  aber  am  3.  Oftober  warb  glüdfltdb  auf  aä)t 
Äanoeö  bet  etwa  } Jbtlometet  breite  Äaffai  paffirt  unb  eö  er» 
^öbte  wefentlicb  bie  Suoerfit^t,  alS  ^ier  ein  ^weiter  Sluffilange» 
Häuptling  Äingenge  ju  Sefudb  fam  unb  inftänbigft  bat,  nidjt 
feinen  9tadbbarn  unb  früljeren  ge^nö^errn  füJtufenge,  fonbern  il)n 
felbft  ju  befut^en.  @o  trennten  fi(b  benn  bie  beibcn  fRcifenben 
am  23.  Oftober:  ?)ogge  reift  ju  fKufenge  unb  wirb,  am 
80.  Oftober  bei  biefem  anfommenb,  ^öc^ft  fteubig  empfaugen 
unb  oerweilt  bei  ibm  biö  gum  29.  fRooember;  Sßi^mann  aber 
ge^t  mit  Äingenge  unb  »erweilt,  tjon  feinem  ©efä^rten  nur  etwa 
fecbS  ©tunben  SBegeS  entfernt,  mit  i^m  in  fidlerem  briefittben 
Serfebre  unb  i^n  fogar  auch  einmal  befuebenb,  ebenfaHfl  einen 
ÜRonat  in  itingenge’8  Stabt,  al8  Jpäuptling  unb  j£>albgott 
^awaffubabaamabubamba  uerebrt. 

Slnfang  JDecember  gogen  ^ogge  unb  SEßibmann,  wiebet  oer= 
einigt  unb  in  ©egleitung  beS  SRufenge  fammt  etwa  100  SJtännern 
unb  100  SBeibem  feinefl  93olfe9,  fowic  mit  über  30  ihrer  friibe« 
ren  Jräger,  füboftwdrt8  weiter  gutn  gulua,  wo  bie  ©renge  beö  weft» 
afrifanif^en@a»annen»SBalbgebiete8  erreicht  ift  unb  nun  bie  weiten, 
äufeerft  ftar!  beoölferten  ^raitien  6entralafrifa’8  betreten  werben. 

Sunddbft  gebt  e8  an  ben  fabelhaften  @ee  ÜJtufamba  ober 
©anfutru,  ben  febon  ©ameron  fo  gar  gerne  befudht  hätte;  er  fei 
fo  grob,  biefe  «8.  ba§  S3ögel  nicht  barübet  wegfliegen,  unb  fo 
ftürmifdh,  ba§  S3oote  nicht  barauf  fahren  fönnen.  33i8  auf  eine 
Sagereife  ©ntfernung  waren  foicbe  Sabeln  noch  gu  höre«  — 
unb  h'nfl'fomwen,  umritt  ihn  SBi|mann  in  3«t  »on  fünf 
©tunben.  9?acb  einer  lebten  fUteuterei  ber  Srdger,  in  Solge 
beten  alle  bi8  auf  20  fortgejagt  werben,  gelangen  fie  bureb  ba8 
bidhtbewohnte  8anb  ber  pradhtooll  wilb  bemalten  äSafcbilange 
weitet  an  ben  8ubi  (5.  3anuar  1882),  einen  fRebenfiub  be8 

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89 


8ubUafd&,  unb  na(^  bcffen  Ueberfcibteitung  gu  ben  93affonge  unb 
l)ffr  »ie  tn  eine  neue  SBelt:  in  retnlidben,  fc^öncn  Dörfern, 
beren  geräumige,  nette  Raufer,  non  eingejäunten  @ärt(ben  um» 
geben,  fl^  in  f^nurgeraben  ©tragen  an  einanber  reifen,  mo^nt 
ein  f(^öner,  fräftiger  5Jlenf(^enf(!^!ng,  unberüljrt  non  jebem  6in> 
fluffe  Bon  au|en,  ftarf  an  3abi(  tfi<^  ®*>  ®Dcn  S3ebürfniffen 
beö  Gebens,  bie  i^m  bic  üppige  9latur  fpenbet,  bof^fte^enb  in 
fuuftfertiger  Bearbeitung  beS  @ifenS,  Äupferö,  Übonö,  .^oljeS, 
ber  Äleiberftoffe  unb  jRorbflecbtercien.  3n  jwei  Stagen  einen 
nur  Bon  ©lefanten,  Büffeln  unb  SBarienfebmeinen  belebten  Ur« 
toalb  paffirenb,  famen  fie  (14.  Sanuar)  jitm  Äatftbitf<b,  bem 
Bebervftber  beä  IReicheä  Äotto  (5°  7'  f.  Br.)  unb  überfdjreiten 
(29.  Sanuar)  nadb  Uebevrcinbung  Bieter  ©d)>nierigfeitcu  ben 
angreu^enben,  nur  bem  Äaffai  nadjftebenben  gubilafcb,  Bcn  bem 
fie  ie^t  erft  erfahren,  ba§  et  mit  bem  ©anfurru  ibentii'cb  ift. 
9lun  ging  e§  SKonatc  bur(h  teid)  bemäfferte  Brairien,  welche 
Bcn  friegerij^cn  unb  eine  Snbnftrie  aufweifenben,  Bielfadb 
fannibalifcben  Bölferfchafteu  in  oft  fünf  ©tunben  langen  Dörfern 
bewohnt  werben;  mit  bem  Äompa§  fich  oon  Dorf  ju  Dorf 
füblenb,  paffiren  fie  ben  Homamt,  unb  je^t  0iid}tung  auf  'Jijangwe 
nehmenb  unb  burch  weithin  überfchwemmteö,  oon  Böflig  Berfiljten 
©räfern  bewachfencö  unb  barum  äu§erft  fthwet  paffirbareö  l'anb 
giehenb,  erreichen  fie  (2.  3lpril)  bcn  l‘ufubu,  fonft  einen  fleincn 
?|lu§,  jc^t  faft  ein  9Jleer.  Jpier  müffen  fie  hungernb  acht  Slagc 
Betweilen,  um  Ä\inoe0  gu  bauen.  Stuf  biefen  erreichen  fie  am 
16.  IHpril  ben  mächtigen  Sualaba  unb  Slagö  barauf  9lpangwc 
unb  finben  hier  recht  gute  9lufnahme  bei  ben  anfäffigen  ara» 
bifchen  ^Ȋnblern. 

2Bi§mann  fa|t  hier  ben  Gntf^luh,  bet  Dftfüfte  fid)  guju» 
wenben,  währenb  ^ogge  am  5.  OJtai  mit  betfelben  Äarawane, 
mit  bet  fte  beibe  gefommen,  rücfwärtS  marfchirt,  na^  SJtufenge’S 
Stabt,  um  hier  je  na^  ben  Berhältniffen  auf  eine  neue  beutfebe 
©rpebition  ju  warten  ober  ebenfaCie  jut  Äüfte  ju  gehen.  @nbe 

(89) 


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90 


@e)}teinbeT  ^at  et  ft^)  benn  auc^  brieflich  au8  ^ufenge'S  @tabt 
Bon  33erlin  bie  SRittel  jur  JRürftetfc  an  bie  SBeftfüftc  erbeten. 
SBi|mann  aber  iBartet  in  92jangn7c  SBoc^e  auf  SBo^e  Bergeb(td) 
auf  eine  ^ataKone  unb  bricht  enblicb  (1.  3uni)  allein  oftmärtS 
auf,  mit  Biet  Leuten  Bon  bet  Söeftfüfte  unb  20  geliehenen 
©flauen,  fomie  15  ©ewehten.  Unter  Slnmenbung  gtohet  ©trenge 
gegen  feine  f)Iünbernben  93egleiter  gie^t  et  in  URanjuema  füblidi» 
non  ©tanifp’ß  unb  ©ameron’ö  Dtoute,  freujt  biefe  in  Sambarra 
unb  gelangt  an  ben  Sanganjifa,  tuo  et  in  bet  nicht  lange  guBot 
gegtünbeten  englijchen  Slliffiondftation  IRuanba  am  SBeftufec 
auf’8  giebenfimürbigfte  aufgenommen  wirb.  9lad)  einem  uier* 
tägigen  ^udflug  an  ben  Sufugu  unb  Slufflätung  bet  fo  wibet> 
fl>rechenben  9lad)ri(hten  über  benfelben,  fenbet  et  feine  Sltäget 
unb  10  ©ewehre  gurücf  unb  feht  nach  Ubfchibfchi  über,  biegt 
nörblich  Bon  bet  ^arawanenftrahe  ab,  befucht  ben  im  93erlaufe 
be8  SOortragfl  wieberholt  etwüh”*««  ©chrecfen  Dftafrifa’8,  ben 
gefürchteten  ^>äuptling  9Jiitambo,  trifft  am  5.  ©eptembet  in 
Slabora,  bei  ftangöfifchen  ÜJtiffiondftation,  ein  unb  befucht  Bon 
hier  aus  bie  beutf^e  wiffenfchaftliche  ©tation  in  ©onba. 

3m  ^nfchluh  an  bie  Unternehmungen  bet  SiUetnationalen 
Slftifanifchen  illffociation  war  nämlich  uon  bet  2)eutfchen 
aftifanifchen  ©efeflfchaft  im  ©ommet  1880  burch  ben  .^>aupt» 
mann  a.  £).  b.  ©chölet,  ben  5Ratutforfcher  Dr.  S5hm  unb  ben 
afttonomen  Dr.  Äapfer  gwij^en  bet  Sangibarfüfte  unb  bem 
Janganjifafee  eine  fefte  Station  gegrünbet  worben,  erft  in 
^afoma,  bann  in  bem  uon  Slabora  etwas  fübweftlich  gelegenen 
IDötfchen  ©onba,  unb  h*”  befuchte  Söifemauu  oom  10.  bis 
©eptember  1882  feine  lianbSleute. 

Sluf  bem  ^Diarfch  na^  ber  ^üfte  fchloh  fich  bann  98i§mann, 
weil  et  gu  feinem  9tachtheil  bie  ©chattenfeiten  beS  fSlleinteifcnS 
erfahren,  an  ben  ebenfalls  ia  meinem  SSortrage  gut  ©rwähnung 
gefommenen  Sibbu>£ib  an  unb  gog  auf  ber  gewöhnlichen 
^arawanenftta§e  burch  Ugogo  unb  uon  htet  an  allein  auf  bem 

(90) 


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91 


tixoat  nörblt^eren  SBege  nac^  @aabani  bet  3«njibat,  ivo  et  am 
15.  Slotembet  1882  freien  ^ergenö  baö  ?0Jeer  begtü|te:  bie 
(Durchquerung  bed  j^ontinented  mar  gelungen. 

IS10  SBifemann,  eben  in  bie  .gieiraath  jurüefgefehrt,  im 
gtühjahre  1883  beu  granffurter  ®eograhhen» 

togeS  »om'33erIauf  feinet  grc§en  Steife  beri^tetc,  hatte  er  feinen 
©hrenhla^  neben  bem  greifen  Dr.  StüppeD,  bet  mehr  al8  fünfzig 
Sahre  nother  fein  reblich  2hcil  jut  (Jtfotfehung  beS  bunleln 
@rbthei(6  beigetragen.  (Deutlid)  d^nug  marb  fo  bie  J^entinuität 
in  ben  auf  jeneö  3«el  gerichteten  Seftrebungen  not  flugen  ge» 
führt  — aber  mie  finb  in  biefem  halben  Sahrhunbert  biefe  Steifen 
fo  fehr  oiel  gahlreicber,  mannid)faltiger,  auggebehnter  gemorben! 

3d)  hatte  in  meinem  Sortrage  oon  elf  (Durchquerungen 
Slfrifa’e  ju  fprechen,  non  melchen  fieben  allein  bem  lebten 
Sahrjehnt  cingehoren;  e8  ift  baö  gemaltige  Slerbienft  biefet 
gro|en  Steifen,  jenen  @rbtheil  in  feinen  .tpauptjügen  fennen 
gelehrt,  unfete  2luffaffung  »on  bemfelben  im  (Mro§en  unb  ©anjen 
feftgelegt  gu  haben. 

3ur  auafütlung  beö  gadjmerfö  unfeiefl  Söiffenä  bienen  bie 
nieten  Reineren  Steifen,  mel^e  in  reicher  tSngahl  bie  le^te  Her» 
gangeuheit  fchon  gebraut,  in  noch  reicherer  bie  Sufunft  bringen 
mirb.  Hon  Storb  unb  ©üb,  non  Dft  unb  SKeft,  non  faft  aOen 
fünften  bet  ^üftenlinie  audgehenb,  arbeitet  man  je$t  baran, 
9(G[e8  aufjuflaren,  ma8  nod)  bunfel  geblieben;  unb  nicht  in  nor» 
übergehenben  Steifen,  fonbem  oen  bauernb  augulegenben  ©tationen 
au8  feil  baö^anb  erforfcht,  foH  ber  SBaarenhanbel  begrünbet  unb 
audgebehnt,  foQ  bie  j^ultur  unferer  jehmargeu  Hrüber  gefbrbertmerben. 

Sti^t  mehr  finb  eS  nur  @nglänbet  unb  (Deutfd>e,  bie  ftch 
»or  anberen  Äulturoölfern  bie  ‘ilfrifaforfd)ung  angelegen  fein 
laffen ; neuetbingS  wetteifern  alle  Stationen  barin,  opfetroillige 
©treiter  in  bie  ^halanr  berjenigen  eingureihen,  welche  bem 
räthfeloollen  (ärbtheil  in  hartem  Äampfe  gegen  Älima  unb  He» 

oöKerung  ein  @leheimni§  nach  bem  anbern  abringen,  fogar  bie 

(»1) 


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92 


neue  SBelt  ^at  ni(^t  ben  3Bettfnm))f  nur  aufgenommen,  fie  ^at 
but^  bie  $^at  i'^reö  SüertreterS  Stanlep  alSbalb  faft  alle  früheren 
^eiftungen  übertroffen. 

Unb  nic^t  Slbatfa^en  nur  follen  je^t  ertunbet  werben, 
weld)c  gefammelt  unb  »erarbeitet  ber  ©ele^rte  in  S3ü(^ern  bar= 
fteflt,  in  Äartenwerfen  nieberlegt;  eö  finb,  wie  un0  Äaplanb 
unb  IBegnpten,  wie  unS  ocv  SKlem  baS  gewaltige  Äongogebiet 
unb  ba0  in  il)m  ftd)  je^t  entfaltenbe  rege  jlreiben  ^anbgreiflic!^ 
beweift,  e0  finb  bie  realen  ?ntereffen  beä  ©ro&^anbelfl,  beö 
SöettbewerbeS  ber  IRnticncn  unb  i^rer  politifdjen  Sötac^tent* 
faltung,  womit  tjeute  bie  Sorgen  ber  SBöIfer  um  Slfrtfa  ju» 
fammenfallcn.  Unb  biefe  neue  3lrt  ber  Sebanblung  unb  93er* 
wertbung  afrifnnifcber  ©eograpl)«  bat  fi(b  im  SEBefentli^en 
aufgebaut  auf  ben  fReijen,  beren  Slnlafe,  93erlauf  unb  @ingel* 
ergebni§  id)  in  meinem  93 ortrag  511  erzählen  batbe,  auf  ben 
©urebqnerungeu  beö  bunflen  Äontinenteö. 


^mtierhttttsen. 

1)  2ßo  au«  bem  am  8.  Dtoocmbcr  1867  oon  Siuingftone  entbedten 
ü)io€rojee  ber  iJualaba  berauSfUeUt,  liej^  ba«  2)orf  be«  ^>öuptling8  9Jlpweto. 
^ier  war  Üioingftonc  ber  ö)aft  be«  nraber«  Spbn  ben  ^abtb  auä  San* 
;tbar,  icelcper  um  1844  jeine  au«gebcl;nten  IRcifen  non  3<mjibat  au8 
begonnen  bntte,  über  ’7lbftt>ibjcbi  unb  Äajembe'8  Stabt  ju  ben  DJtafolo  am 
oberen  Sainbefi  gefommen  war  unb  Ijier  1853  mit  Sioingftone  jufammen- 
getroffen  war.  ($r  war  bann  nach  Soanba  an  ber  9Seflfüfte  gegangen, 
bnlte  oerfcpiebene  IKeijen  in«  3nnere  gemacht,  oon  benen  er  noch  gweimal 
nach  Voanba  jurücffehrte,  war  wicber  oftmärt«  an  ben  Sambefi  unb  jum 
fUjaffa  gefommen  unb  hatte  wiebcr  bie  £>fltüfte  erreicht.  — 2Bie  biefe 
eine  genauer  befannt  geworbene  boppelte  fl)urchquerung  be«  ätontinente«, 
mägen  noch  mand)e  anbere  non  arabif^enäfaufteuten  au9geführt  werben  fein. 

2)  (Snglijche  9Jtiffionare  haben  fpäter,  im  Sahre  1879,  ben  Sufuga 
bereift  unb  teftgeftellt,  ba^  berfelbe  in  ber  JRegenjeit  einen  ftarten  Su«- 
flu^  be«  3anganjifa  bilbet. 

3)  IDer  ÄSnig  non  ^Portugal  hatte  bem  fReifenben  oor  feiner  Stbreife 
eine  2?üchfc  im  ®erthe  non  500  £ (=  10  000  9Jlf.)  gefcpenft. 


(9it) 


^nut  von  (0  ttx.  Ungn  (X6.  Wrimin)  in  Verlin,  £4öne6«Tgnflrai(  17  m. 


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3n  bemfelben  SSerlaße  finb  folgenbe  SSerfe  erfdjienen: 

Praftifd^e 

mu|timU|'d|e  Coitt|io|itionBlel)r( 

in  Jlufgaßen. 

jal^ltfic^tn,  aoii^litglid)  in  brn  gebrudtni  Utbungb^  unb  @i< 

länternng«  <8eiipiflfn  nad)  btn  ffifrffn  bft  trfttn  3)fdßfr  tpfiemotUdi  ••  md^obifi^ 

bargffleUt 

t^en 

®nnb:  Ct^rt  oom  3onfo|  (^rtisbrodj.  g«b.  in  ^lalbft.  UDt.). 

— I.  J&armonififbte  in  6i  Sluigabfn  (^)reia  brod).  4 — II.  Sonttapunft. 

a)  3>(r  ftrcnge  in  brt  mußtalifd)fn  (Sompcßtioneltbrt  in  52  Vufgabtn 
(^tfii  btod>.  4 SW.).  — b)  (Scntrapunft  unb  Rugf  im  ftfi«n  (moberntn)  Ion- 

in  33  änfgaben  (^rcid  bto<^.  4 SD?.). 

3writrr  S9anb;  ^tit  CompoßtiDu  (^rrid  brod).  13  SDI  ; gtb.  in  4)albfr.  I4  SW.) 

— I.  SDIufifoliicbe  jücrnifnlfbrf  in  33  ^ufgabtn  (^tti«  brod).  4 SD?.).  — II.  3n» 
ftrninrntatien  nnb  Ordlffttriap  in  18  Slnfgaben  (^rfiJ  bro(^.  8 4?.). 

InSoitifiimjuiiti  tn$d)iübanIi(|ttiinbeiie@{fniplaTeftftgo(m:ii^^  ”lHi 

llartUiitltubinnt. 

^o6ul‘ation  öev  ftCaffifc^en  ^eipetr 

an  ja^li(id)cn  IBtiipitltn  oon 

^(d^oo^n.  '^oflno:  n. 

ftläutfrt  ton 

9)rfi8  eltg.  btod).  8 SD?.;  gcb.  in  Orig.  tngl.  Ücinen  9 SD?.  50  |)f. 

®e|'d)id)tc  ber  Üliifik. 

SSortrdge 

üb<i 

biE  fortsriirEitEniiE  (EntmitkElnnji  brr  Mnsik  in  ber  desijiilitt 

von 

^u^Ier. 

erßfr  ®ortrag:  Bit  «nßk  btp  Älttrtljnms.  — Bacitft  «ortrag:  IHnßk  ktp 
BliHtlaUcrp  bis  Baltßiina  unb  CofTus-  — 3)titlcc  IlioTtTag:  Bit  Anfik 
btt  Mtnjtii  mm  Boltßrina  bis  ßod).  - Vierter  'ilortrag:  Bit  ®ptt  bip 
Blndi.  — fünfter  mortrag:  Bit  3nßrmntntul-BinOh.  ßmibn  unb  4lo}att. 
— @c(^iier  S3ortrag:  Bttibontn,  ftint  3tiigtnof]ftn  unb  Baibfolgtt. 

^reia  fifg.  broeb.  3 SD?.-,  gcb.  in  Orig.  engl.  Scinen-^aub  4 SD?. 


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(£lementar»t)toItn=S(i?uU 

von 

^dnrtd?  Urban 

^fis  4,50 

unb  im  Slnfc^lufe  baran: 

Welodicn  ffir  ^nfün^er  im  $ionnf)iifl, 

flcfammelt  unb  eiuöcrid)tct,  jomic  jum  li)cil  frei  bearbeitet 

»cn 

f)rinricb  Urban. 

.^eft  I unb  II. 

^ebeö.'peft;  a)  gür  1 iBioline.  'Breie  a .^eft  1 ü){. 

b)  ?YÜr  2 iiiolineu.  Breie  ä .t)cft  2 B?. 

c)  ^ür  Bioline  mit  SJeflleituufl  be§  Bianoforte.  Brcid 
h ^eft  ii  Bt. 


SCae  SBerf  ift  bereite  in  ber  „Beuen  ÄuUat'je^en  afabemie 
Fer  Jonfunft"  unb  im  „Stern’jct)en  öonfernatorium"  ^u  Berlin  aie 

fie^rftoff  eingefü^rt. 


^(tr  ®ußau  (Sngtl  fagt  über  ba(!  äSert  in  ber  Soififcbtn  3(itung: 

,!Der  Serfaiier  hti  äSerfet,  aU  Siolinfpieler  out  bet  CDrjüg(i<ben  ®(bnle 
8aube'l  b^iuoi^egangen  unb  al<  ISemponift  jn  ben  begabteftrn  unb  beft(|rbilbetett 
ber  neueren  Seit  gebürigi  bereinigt  mit  ben  bataue  entfprinaenben  SSorjugen  eine 
anberorbentUepe  pabagoai{(pe  Siegabnng.  2)ie  uon  i^m  gefipriebene  (Slementaf 
iBiolinfipule  ift  baper  für  ben  lernbegierigen  Anfänger  ebenfo  prnttifeb  eingeriiptet, 
aI8  fie  ibm  bat  tbeoretifep  SMtptige  in  gebrängter,  fablidjer  unb  für  feinen  Gtanb> 
punft  gerabeju  geeigneter  Sorm  metbobUip  überliefert.  Sat  äUerftpen  niirb,  wie 
mir  glauben,  bie  roeitefte  Verbreitung  ftnbeii.' 

unb  in  feinem  ©ipreiben  uom  9.  Se^ember  1881: 

.®ie  ber  ®i olinfdjule  bon  fieinricb  Urban  beigegebenen  ,3)?elobien* 
für  Anfänger  im  Violinfpiel,  a)  für  eine  Violine,  b)  für  jmei  Violinen,  ^ für 
Violine  mit  ©egleitnng  bee  ^'ianoforte,  flnb  jum  jpeil  bem  Sipap  unferer  Vel(6’ 
lieber,  gum  Speil  ben  be^en  ^Berten  au«  bem  (gebiete  ber  3nftrumental>,  Dpem> 
unb  Oratorien •ÜJiuftf  entnommen,  mit  ©efcpmaif  unb  mit  Verüdfliptigung  ber 
Auffaffungtfraft  bon  Anfängern  autgemäblt  unb  mit  mufftalifcpem  nnb  pobaaO’ 
gifepem  (äefcbiif  bearbeitet.  Sie  merben  wefentliip  baiu  beitragen,  ber  Violtn* 
upnle  bon  ^einriep  Urban  bie  meitefte  Verbreitung  gu  fi<P«n.* 


g>e6ic^fe 

oon  ^ermann  llletbt. 

IDritte,  reiip  bermeprte,  mit  bem  Vilbnip 
betSiiptert  berfepene  (0efammt>Autgabe. 
gtt.  in  Crin.-enne  mit  r<i(^n  C8oIte(r|i(nin  j 
nno  Wolfef^nitt  8 W. 


^in6erfic6er 

pon  Hermann  AIclKe. 

®efamt:  Ausgabe  mit  bem  Vilbnip  bei 
SDicpterl. 

4.  (Sieg.  cart.  4 9R. 


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«^ripttnttnoos.  ^us  bin  f:agin  bentriQir  f r- 

l;rbung.  SRoman  von  auguft  ^rllr.  3 Sänbe  elcg.  biocb-  15  SR.,  dtg.  in 
3 tngl.  8einenbänb(  gebunbtn  18  ^{. 

|(tn  bm  Jlnifit^n^C.  $in  ^oman  ans  bim  btiiHig' 

iSbtigen  Ätifg«  oon  SBilb«Im  Senken.  ä®fi  Sönbt.  Gleg.  brodj.  12  9R., 
geb.  in  9«inen  14  9Jl.  60  |)f. 

'^nsmabl  bintr<|ii  0ibi<Qti,  fti^imatifi^  giorbnit,  im 

anjdjlug  an  ein  8ebrbu(b  bet  ^oetif.  ®on  6.  SonneÜ.  3«  ^Wlbleinen 
geb.  5 3R  20?)f.,  in  @an)leinen  (Otig.>Sb.)  6 9».  20 

^toii  bifgift^i  ^oniCTin  ans  bii  fodofin  ^itt.  '^on 

(Saroline  (Gravüre.  IBon  ber  Serfaffeiin  autorifltte  Ueberfe^ung.  (Sieg.  bio(b. 

3 9R.;  gebunben  in  Seinen  4 9)1. 

'^oniKin  ans  bii  romonifi^in  ;$(|mii|.  '^on  ^obirt 

6(bttei(bel.  I.  II.  111.  Sammlung.  Sufammen  10  9)1.  @rfte  Sammlung:  3« 
QJebitg  unb  Jbäl-  5 9K.  40  ^f.  3»eite  Sammlung:  3«M’  ““b  ©enferfee. 

4 9)1.  60  $F.  ^Dritte  Sammlung:  3>n  ^ocblanb.  4 9)1.  60  $f. 

^miibUbir  oon  ^obut  ^(laranbir.  $(ig.  gib.  in  ^rig.' 

9?anb  mit  @Dlfc|(bnitt  2 9H.  80  ^f. 

^anm'^fbnm.  <itts  aliir  nnb  ninir 

3eit  unter  9)lttwirfung  uon  6Iariüa  Sobbe,  6.  a.  Sratbuogel,  ©uftab  ju  $utlib, 
3.  ®.  ©eorgcii«,  9.  ^ieti*,  g.  anibt,  9)laj:  9Ung  unb  Slife  Delbner,  b«®“*' 
gegeben  oon  3-  ®1.  e.  @a9etfe=@ecrgen8  unb  ^lermann  Äletfe.  6Ieg.  bto<b. 
9 9)1.;  eleg.  gebnnben  in  Dtig.'Sanb  10  9)1.  60  ^f. 

^nifi,  ^bnigin  oon  '^rmbin.  «3nr  frinnitnng  an 

ihren  bunbcrtjäbrigen  ©ebutlbtng.  (10.  9HSrj  1876.)  9)on  auguft  Ä'lurfbobn- 
A.  aubgabe  auf  ge»öbnli(bem  Rapier  mit  bem  mUbnig  ber  jlönigin,  brrgeftedt 
in  bem  neuen  ®ru(foerfabren  uon  3-  aibert  in  9Hün(bfn:  brotb.  1 9)1.  80  ^f.; 
geb.  in  Seinen  2 9)1.  80  9)f.  B.  $ra<btau8gabe  in  gr.  8.  auf  9)elinpapier  mit 
bet  £)tiginal<|)bDtDgrapbic  ber  Königin:  broib.  4 9)1  60  ^pf. ; eleg.  in  Seinen 
gebunben  6 9)1.  60  ^f. 

Gf«  lagt  über  bab  fflerf  bie  ,9)oiri((be  3eitung":  .®oe  oorliegenbe  @b“raftet 
bilb  ber  Äonlgin  Snife  barf  aH  ein  9)leifterU5ert  beAeiebnet  »erben,  bab  nidjl 
nur  beb  beigegebenen  fibönen  Sitbibrudeb,  ben  ber  IBerleger  na(b  einet  guten 
^aften<3cidiuuiig  bat  bftftetl««  laffen,  wörbig  ift,  fonbetii  gleltbjeitig  eine« 
brr  geiftig  »ertbuotlfien  anbenten  bilbet.  bn«  ju  ber  beuorftebenben  ©ebnrt«- 
tagifeier  ber  unBerge^litben  gürftin  bargeboten  »irb* 


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^att56tt(5  bet^rd&irT(^^n^r}if|nngS' 

met^obe,  ©pietgaten  unb  SJejc^äftigungen.  gröfcel’8  ©Triften  «nb 

ben  ©(^(riften  ber  grau  ©.  ».  SKaren^ol^'SiiIoU}  bearbeitet  »on  ^ermann 
Qitolbammer.  5JJit  Setträgen  »on  S.  ».  SöJaren^ol^-SüIoW  SDritte  »er* 
mehrte  unb  umgearbeitete  Auflage.  9Jtit  120  2afeln  Stbbilbungen.  I. 

3)ie  gröbel’f^ien  ©pielgabcn.  (ÜJlit  60  Jafeln  Slbbilb.)  5 ÜJl.  60 
geb.  in  Drig.*Sanb  7 SDt.  II.  2^eil:  2)ie  Sef^dftigungen  be« 
Äinbergarten«.  (Sölit  60  2afeln  Stbbilb.)  4 ÜJl.  20  geb.  in  Drig.» 
Sanb  5 3JJ.  60  f)f.  III.  2^eil:  ®pmnafti|(^e  ©piele  unb  Silbung«» 
mittel  für  Äinber  »on  3 — 8 Sagten.  Sür  .^)au8  unb  Äinbergarten. 
3 *01.  60  ^f.,  geb.  in  Dtig.-Sanb  4 *Dl.  80  ?)f.  IV.  Jl^cil:  “Die  fpratb* 
lid^en  SilbungSmittel  für  Äinber  »on  3 — 8 Sauren,  gür  $)au8  unb 
Äinbergarten.  3 9JI.  60  ?)f.,  geb.  in  Orig..Sanb  4 *0i.  80  ^f. 
in  jwei  Driginol-  engl.  5?einen»Sönben  gebunben  (unb  jwat  2^eil  I./II.  unb 
2^eil  III/.IV.  pfammen)  pro  ©inbanb  1 9K.  50  ^f.  (Seber  J^eil  bilbet 
ein  obgefcploffene«  @anje8  unb  ift  einzeln  fduflitb.) 

oom  ^tnbe.  ^as  .^inb  in  ben  brd  erften 

l'eben8ta^ren.  ©eine  (Sntwicfelnng,  pflege  unb  ©rjie^ung.  Sin  Sut^  für 
5Kütter  »on  4>ermann  ©olbammer.  ^rei8  eleg.  brot^.  6 3R.,  eleg. 
gebunben  7 *Dl.  50  ^f. 

IQethode  Froebei.  Le  jardin  d’enfants,  Dons  et  occupatiou 

a l’usage  des  m^res  de  famille,  des  salles  d’osile  et  des  ecoles  pri- 
ruaires  par  HERMANN  GOLDAMMER.  Avec  une  introduction  de 
Mme.  la  ßaronne  de  MARENHOLTZ-BÜLOW.  Ouvrage  traduit  de  la 
troisi^me  edition  allemande  avec  autorisation  de  l’auleur  par  LOÜlS 
FOURNIER.  2«  edition.  2 Bände  in  1 Band  broch.  10  M.;  in  Orig.- 
engl.  Leinen-Band  geb.  11  M.  50  Pf. 

The  Kindergarten.  A gnide  to  FroebeFs  niethod  of  education) 

gifts,  and  occupations  by  HERM.ANN  GOLDAMMER,  with  intro- 
duction  and  conclusion  by  Baroness  B.  v.  MARENHOLTZ-BDELOW. 
Translated  with  the  author’s  consent  froin  the  third  german  edition, 
and  compared  with  the  second  french  edition  by  WILLIAM  WRIGHT. 
2 Bände  in  1 Band  broch.  10  M.,  in  Orig.-  engl.  Leinen-Band  geb. 
11  M.  50  Pf. 

^rtebrttQ  ^röbrf,  ber  ^egrüttber  ber  <^ittbergartett'fr' 

^ie^ung.  ©ein  Seben  unb  SBirlen  bargcftetlt  »on  ^ermann  ©olbammer. 
SreiS  brot^.  2 'Jöi.,  geb.  in  engl.  Itcinen  3 9JJ. 


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$ie  ^orfa^rett 

unferer 

(Kifcnbakcn  and  <gamßfömgitt. 

8on 

i§it(jo  ^orggraff, 

3ngenieur  in  ^lün(^en. 

2Jlit  20  in  ben  2e)rt  gebrutften  Slbbübnngen. 


6ttHu  SW.,  1884. 
SSetlag  non  6atl  .^abel. 

(C.  10.  Xitnitriitir  Vrtlag)biiti||anilin|).) 

}3.  SHlbdni'Stiaie  .13. 


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2)aä  jRec^t  her  Utberfeßunfl  in  frembe  'äprndjen  lotrb  t)orbe()aUeit. 


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Va^6  finb  jtDci  merfiüürbigc  ©rfa^rungcn,  ba§  bic  cmfad^s 
ften  3fceen  meift  bie  lebten  finb,  unb  ba§  bie  wic^tigften  @nt* 
becfungcn  unb  ©tfinbungen  ni(^t  feiten  geraume  Seit  auf  niebetet 
Stufe  nerljarren,  ucn  nselc^er  auS  ein  einziger  Schritt  norirätlS 
genügen  mürbe,  um  i^ten  ,f)D^epunft  ^u  erreichen.  35ie  ©efc^ic^te 
bet  Sputba^n,  bet  IDampfmaft^ine  unb  beä  IDampflranäportefl 
beftätigt  bad  noQfcmmen.  5Die  l^eute  not^menbig  jufammen* 
ge^erenben  ©ebanfen  ter  ©ifenba^n  unb  ÜDfomotiDc  gingen 
SJJenfc^cnalter  binburefe  unfruchtbar  nebeneinanbet  bet,  ebne  fi(h 
ju  Bereinigen.  3ame0  SBatt,  bet  rubmnolle  Schöpfet  bet 
hoppelt  mitfenben  SDampfmaichine,  mar  einft  3U  @eorg  IIL  non 
Snglanb  befchieben,  um  ihm  feine  ©tfinbungen  ju  erflären. 
„3Baö  nerfaufen  Sie  eigentlich?"  frug  ihn  bet  Äönig;  „SBafl 
bie  Äönige  lieben,  Sire,  — ÜJlacht,"  ermiebette  bet  23efragte. 
IDiefe  „TOacht"  bet  IDampfarbeit  feilte  im  IDienfte  beS  SetfebrS 
erft  nach  Verlauf  eineS  halben  SahtbunbertS  bie  gemaltige  Sie» 
Bolution  in  bet  gefammten  materiellen  SBelt  unb  in  ber  menfeh» 
liehen  ©efellfchaft  hetootrufen.  Sreffenb  jagte  3ob.  Schartet: 
„&6  gehörte  gemife  ein  größerer  Schatffinn  baju,  mittelft  5)ampf» 
unb  Spinnmafchinen  au8  einem  ^funb  S3aummofle  einen  882  000 
f^u^  langen  gaben  3U  probujiten,  alö  bet  ©ampffraft  ein 
SUoeau  mitten  burch  (äuropa  ju  bahnen!" 

3)ie  bunten  SBanblungen  unb  ©eftaltungen,  melchen  bie 
Jedjuif  be8  ©ifenbabnmefenö  not  feinet  (Sonfolibitung  unter» 
U'orfen  mar,  bieten  eine  gülle  be8  Sntereffanten  unb  einig  Denf« 

XIX.  435.  1*  (95)' 


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4 


würbigen.  gut  ©eutfd^lanb,  beffen  einjc^lägtge  3?eprebungen  in 
ben  folgenben  ©fijjen  ^crtorragenb  gefennjei(bnet  pnb,  fcblte§t 
bie  Sorge(d)tdjte  bc0  IDampftTanSporteS  etuja  mit  bem  3a^re 
1840  ab.») 


nttb  fiuttale  al$  fdflentrSget. 

Sn  ben  natürlicben  3Bo[ferftra§en  b“*  bte  SRatur  bem 
ÜRenfcben  ein  ebenio  woblfeilefl  al8  bequemes  5Jlittel  jut  götbe» 
rung  beS  SSinnenuerfebtS  verlieben.  »Die  @lef(bicbte  meift  natb, 
bafe  ftib  bie  glufefcbifffabrt  in  aDen  übetboupt  bicfür  befähigten 
Äulturlänbern  viel  früber  entmicfelte  alö  bet  ©trafeentranSport. 
Deutfcblanb  — um  glei(b  Hefe0  ju  fommen  — , fcbenttc 
troj  feinet  votttefflitb  gelagetten  bpbtcgtapbifdjen  2?etbält» 
niffe  3<Jb*bnnbette  b»nbut(b  bet  0flegulitung,  ©dbiffbatma^ung 
unb  Snftanbbaltung  bet  geinpfabe  feinet  SBaffetroege  nut 
fpStlicbe  Slufmetffamfeit.  ©tapeltedjte,  jablreidje  unb  btürfenbe 
glu^joDe  etfdjttetten  ben  glu§oerfebt,  politifebc  Setfliufelung 
unb  ^attifulatiSmuS  ttugen  baS  3bee  bet;  fo  blieb  auch  bet 
Sau  bet  gabtjeuge  bö^fi  ptimitiv.  3n  ein  neueö  ©labium 
ttat  bie  glubfcbifffabtt  na^  bem  @tfcbeinen  bed  0ampfbooteS, 
meltbeS  befanntlicb  butcb  ben  ämetifanet  IRobett  gulton 
(eine  8eben8ftaft  etbielt.  !Die  von  biefem  1803  auf  bet  ©eine 
gu  |)ati8  Botgenommenen  Steamboat-gabtten  blieben  unbeadjtet, 
bod)  f<b‘’n  wenige  Sabre  barauf  untetbielten  feine  JRab» 
bampfet  tegelmä§ige  (Jontfe  auf  bem  .D“bfon  unb  9Jliffifippi. 
1809  petitionirte  gultcu  bei  ter  bapetifcben  fRegierung  um  ein 
au8f(blie§enbe0  |)ricileg  auf  (Sinricbtung  bet  ©ampfftbiff fahrt 
auf  bet  !Donau  gmiftben  Ulm  unb  2öien;  bet  Sotfcftlag  watb 
afabemiftberfeitö  geptiift,  jebotb  au0  facblidjen  unb  pahriotiftbeu 
ORotioen  gutürfgewiefen.  1816  ttat  bet  ©elebtte  @eotg  von 

Oieitbenbatb,  von  bem  auch  eine  etptobte  Setbeffetung  „im 
(»6) 


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5 


gegen  unb  ©teilen  befl  ÜRofteÖ  ber  Slljeinicifeiffe",  fotoie  wo^l  bie 
erfte  3i>ee  l>et  ©eilfdjiftfaljrt  ober  Slauetei  ftammt,  für  bie 
9lü^lid^feit  ber  glufe»5)annjfjc^ifffal)rt  öffentlich  in  bie  ©chran« 
fen.  *)  6in  guftrum  fpäter  fe^en  wir  bie  beutfdjen  glüffe  be= 
lebt  von  jahlreidjen  ^Dawbfbooten ; währenb  unfere  gehrmeifter 
im  @i|enbahnwe|en,  bie  @nglänber,  biefeö33erfehrdmittel  faum 
noch  in  (ärroägung  gezogen  holten.  1835  crftrecfte  fich  ber 
2'ambferoetfehr  bereits  auf  ber  2)oncra  bis  ffiien,  auf  bem 
dihein  oon  ^IRainj  bis  jur  fDiünbung.  Ü)H^t  bloS  in  2)eutfch« 
lanb.  fonbern  in  allen  ^ulturlänbern  ber  @rbe  eilte  baS 
S)amt}ffchiff  bem  S)ampfn)agen  bahnbrechenb  voraus. 

3)ie  fünftlichen  ©chifffahrtSfanüle,  biefe  hochwichtigen 
SietbinbungSglieber  großer  SBafferläufe,  würben  fchon  im  grauen 
Üllterthum  für  ÜJiaffentranSporte  gegraben,  ©ehr  fpät,  erft  feit 
Slnfang  beS  17.  SahrhunbertS  cntwicfelte  fich  baS  Äanalwejen  bei 
ben  mobernen  jiulturDclfern,  aDerbingS  in  feiner  oollen  2^rag> 
weile,  nachbem  ber  hoHänbijche  .ppbroteft  ©teoin  burch  6in» 
führung  ber  Äammerjchlcuje  bie  llerpflanjung  ber  Kanäle  oom 
glachlanb  inS  .^ügellanb  ermöglicht  hotte,  granfretch  begann 
mit  biefen  ©auten  unter  gübwig  XIV.  unb  ooQenbete  bis  j.  3- 
1821  jährlich  ra.  8 km,  oon  ba  bis  1837  mit  freigebigfter  3)elaftung 
beS  ©taatSfäcfelS  jährlich  burchfchnittlich  175  km  Äanaljtrecfen,  jo 
bah  nun  etwa  oiergig  jolcher  äBerfe  bem  allgemeinen  ^erfehre 
bienten.  — ©nglanb’S  Beitalter  ber  Äanalherrfchoft  eröjfnete  1758 
ber  beühmte  ®ribgewater»Äanal;  jein  ©chöpfer  unb  bamit  bet 
älater  beS  ehebem  mächtig  blühenben  englifchen  ÄonalwefenS,  ift 
^)erjog  @gertcn  oon  öribgewater,  fein  (Erbauer  ber  fühne  3n= 
genieur  örinble».  @inft  befragt,  wo^u  @ott  bie  glüjfe  erjchaffen 
habe,  wenn  man  überall  .Kanäle  anlege?,  foQ  Srinblep  verfemt 
haben:  „@ott  crj^uf  biejelbcn,  um  — bie  Kanäle  mit  SBoffer 
gu  oerjorgen!“;  unb  er  jprach  bamit  ein  wahres  SBort.  ^Den 

(»0 


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6 


@ifer  ^nglanbä  im  prioaten,  ti>ie  ftaatlicpen  .^analbau  bezeugt 
bie  3ttbl  bet  »om  Parlament  ertljeilten  Äanalafte,  »el^e  fi(^ 
bis  j.  3.  1800  auf  82 , Bon  ba  biö  3.  3.  1834  auf  39  belief. 
— ^ollanb  unb  Belgien  befi^en,  auf  bcn  ?flä(beninbalt  be8 
ganbeS  au8gef*lagen,  bie  mciften  SäJafferftraficn  unb  Kanäle  in 
(Sutopa.  Die  Fossa  Drusiniana  unb  bie  Fossa  Corbulonis 
(bet  heutige  „8e(f")  in  ^oClanb  erinnern  nodb  an  bie  S;bätigfeit 
ber  Siömer  am  Unterrbein.  — (Sine  beifptellofe 
ber  ©tbaffung  auögebebntefter  .ffanalnetbinbungen  entfalteten 
bie  norbameritanifdben  greiftaaten,  uugeadjtet  bf8  IReid)' 
tbum8  an  natürlicben  Sßafferlaufen  unb  ungeachtet  ber  geringen 
tBollSbicbtigfeit.  (®8  genüge  bie  'Jlotig,  bnft  feit  ber  3nbetrieb» 
fe^ung  be8  erften  namhaften  Äannl8  (mit  125  2d)Ieufen)  länge 
bem@(büBlKll«^luffe  i.  3.  1815,  binnen  3tt»eiDe3ennicn  4800  km 
Äanäle  crfteDt  mürben,  unb  bafe  allein  ber  ©laut  ^ennfpluanien 
in  bet  Seit  nun  1827  bi8  1836  neben  240  km  (äifen  bahnen  mehr 
al8  900  km  @(hifffahet®f“nöle  erbaute. 

3n  Deutfchlnnb  gefchah  Bcn  jeher  noih  meniger  für 
Kanäle  al8  für  bie  Blwffe,  bie  S3urcaufratie  Betfchlofe  fl^  jeber 
JBürbigung  ber  großen  in  ben  9iachbarl5nbetn  ergielten  @tfolge. 
Die  @ef(hichte  be8  älteren  beutfepen  Itanalbaue8  märe  mit  ber 
Slufgählung  Bon  einigen  smangig  berlei  SSerfen  unter  ^ernot» 
hebung  be8  ©teefeni^»  unb  Sinom=Äanal8  (ron  73  be5m.  58  km 
8änge)  abgethan.  gaft  alle  jene  befinben  fich  in  ^teuhen, 
beffen  ^>anbel8ftänbe  Biel  3ur  Sörberung  be8  ÄanalmefenS  bei: 
trugen;  hoch  geftattete  ihr  primitiBer  SSetrieb  nicht,  bie  gracht» 
fähe  im  großen  @an3en  erheblich  niebriger  al8  beim  3(ch8ttan8port 
3U  ftellen.  9Weht  Seben  in  bie  nationale  ©ache  braute  bie 
Äanal«93erbinbung  be6  ?Dtain8  be3m.  fRhc**'ö  mit  ber 
Donau.  SBie  befannt  hegte  fchon  Äarl  ber  ©rofec  biefen 
fühnen  ^lan,  an  beffen  Slu8fühtun0  thatjächliih  gefchritten  mürbe. 

(98) 


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7 


mie  ein  nod;  cor^anbenee  furjeS  @rabenftütf  näc^ft  bei  @ifen< 
ba^nftation  ©tön^atb  (Fossa  Carolina)  bezeugt;  bie  ißoQenbung 
f(^eiteite  an  bet  Unfenntntfe  bc8  35un^ft^Ieufen8.  Dr.  SUcy. 
8ip8  fu^te  feit  b.  3-  1805  bie  cffentlid^e  9Reinung  für  beS 
gro^n  Äaifetö  3bee  gu  gewinnen;  feeren,  @i(b^otn  nnb  anbere 
@ef(bic^t8id^teiber  fpraci^en  begeiftcrt  fibet  btefelbe,  wäljrenb 
3of.  0,  Saaber  be^arrlic^  für  ben  @tfa^  bet  ptojeftirten  SBaffet» 
ftiafee  burdb  eine  „eiferne  Äunftfttafee*  fömpfte.  Slud^  bet  be» 
fannte  ©tragen»  nnb  SBaffetbaubirettot  d.  SBiebefing  gefeilte 
fidj  ju  ben  Äannl^Opponenten.  SUIein  Äßnig  gubwig  I.  non 
Sapern  war  für  baö  Äanalwetf  fo  eingenommen  worben,  ba| 
Baaber  bie  beftimmte  SBeifung  erhielt,  baffelbe  in  feinet  SBeife 
mebt  angufedbien-  1834  enbltcb  erfolgte  ba8  ®efe^,  weldbe8 
ben  174  km  langen  8ubwig8fanal  jwifcben  ^elbeim  nnb  Bamberg, 
ba8  ©lieb  einer  ganjen  j^ette  oon  ©ntwfirfen  nnb  Borarbeiten 
feiten8  ber  baprifd)en  ^Regierung,  bet  Berwirflt^ung  entgegen» 
führte.  5)ie  ©efammtlänge  aller  beultgcn  @(bifffflbrt8fanäle 
be8  beutfcben  fRei^eS  bürfte  1700  km  faum  überfteigen. 

@8  ift  b^r  ni(bt  ber  Drt,  bie  Borjüge  nnb  fRa(btb«le. 
fowie  bie  ©yiftenjbebingungen  fünftlidjer  SBafferwege  ju  erörtern. 
®ie  ©efcbidjte  ber  Kanäle,  namentlid)  ber  englifeben,  bol 
ba§  biefelben  gut  rentiren,  aber  auch  febr  wenig  abwerfen 
fönnen. 

Ueberall  etfennen  wir  bie  .^analanlagen  al8  unmittel» 
bare  BorlSufer  ber  nationalen  ©ifenbabnfpfteme, 
ja  in  3lnbetra(bt  »ielfeitiger  ISnalDgien  binficbHitb  »brer  ©efe^eö» 
beftimmungen  gerabegu  al8  beten  Borbilber.  fRaturgemä§ 
fonnte  bie  Binnenfdbifffabrt  feit  bem  3n8lebentreten  be8  8ofo» 
motiBtran8porte8,  natbbem  auf  eine  weife  3neinanbetfügnng 
nationaler  ,Ranal»  unb  ©ifenbabnfpfteme  oon  feinem  ber  eure» 
päifdben  ©tauten  Bebadbt  genommen  werben  war,  webet  an 

(99) 


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8 


innerer  audbilbung  nod^  an  r&umlid^er  SfuSbe^nung  gewinnen. 
3m  @egent^eil  ftnb  fa^  aDerwärtd,  nid^t  bloS  in  2)eut{d>lanb, 
SiüdFfc^rÜte  ober  gänjlic^e  gd^mungen  in  ben  nunmehr  auf 
SWaffenfrad^ten  o^ne  ftye  gieferftift  befc^rdnften  Äanalbetrieben 
wa^rjune^men,  unb  felbft  bie  häufigen  ^erabfe^ungen  ber  ^anal« 
abgaben  oemto(^ten  nid^t  bem  erfc^ütterten  ^analwefen  nad^° 
l^oltig  aufju^elfen. 

Ber  ilrnn^port  auf  Stragra. 

.^ein  93olE  be§  ülltert^umd  wie  ber  9ieujeit  ^at  fo 
nenteö  im  SSegebau  geleiftet,  al8  bie  0iömer.  @in  eng° 
mafc^igeä  9ie^  non  du|erft  foliben  unb  foftjpieligen  .jpeer=‘  unb 
^anbeldftra^en  bebecfte  bie  ^rooinjen  bed  ^aifeaeic^S  na^ 
allen  fRii^tungen  ber  SBinbrofe.  9lad)  bem  Untergange  römi* 
fc^et  .£)enli^feit  geriet^  au(^  baä  ©trafeenweien  in  jdl)en  SJer» 
fad  unb  eö  bilbet  ber  miferable  Suftanb  unb  bie  Unfic^er^eit 
ber  8anbwege  im  Seitalter  beö  IRaubrittert^umS,  ber  dteformation 
unb  De8  breigigjd^rigen  Äriegeö  einen  fc^roffen  @egenfa$  ju 
jenen  antifen  S3ier!en.  @in  me^r  geregelter,  immerhin  nod^ 
überaus  mangelhafter  ©tragenbau  macht  ficb  im  18. 3ahrhunbert 
in  @nglanb,  ^anfreicb  unbt^oDanbbemerfbar.  ,Äunft [tragen“ 
aber  batiren  erft  auS  ber  jweiten  ^dlfte  beffelben,  al8  man  in 
@nglanb  Scdftätten  behufe  tegelmd§iger  Unterhaltung  ber  8anb> 
ftragen  gu  errieten  anfing,  fie  finb  jünger  alä  bie  @rftlingS> 
werfe  ber  englifdhen  ^analbautechnif!  ©eitbem  würben  bie 
^auptoerfehrSrouten  ®ro§btitannirnS,  meift  alS  jubventionirte 
^rioatunternehmen,  unter  iieitung  SlelforbS  u.  muftergiltig 
auSgebaut  unb  — mit  .^)ilfe  hoher,  felbft  brüdenber  SBegegelber  — 
unterhalten.  Salb  nach  1820  warb  non  bem  oerbienftoollen 

©chotten  fSiac  Slbam  baS  nach  ihm  benannte  ©pftem  ber 
(100) 


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9 


Stein) c^Iag {tragen  ailerwärtS  burc^gefü^it.  Swedniältg,  bequem 
unb  Dtonomijc^  wie  bie  Sa^rmeqe  (Snglanbä  mar  bag  Babr- 
material,  (baralteriflrt  bur^  leiste  unb  mä§ig  belabene  ^ubr> 
metfe;  bie  ^oft»  unb  ^erlcnenbeförbevunq  mittelft  ber  »Stage 
coaches“  unb  ber  »Royal  mail'^  lieg  menig  äBünfebe  auffommen. 
IDaS  Stragenmefen  granfreiebö  mar  nad)  ber  1791  erfolgten 
@$tünbung  beö  non  gerönnet  geleiteten  „Corps  des  ponts 
et  chaus^es“  jiemlieb  außgebilbet.  ©ie  ^pflafterftrogen  für 
Saftentranßport  unb  bic  fog.  @lranbbal)nen  für  leicgtereß  ^ugr^ 
merf  mürben  fämmtlicg  opulent  bureg  ben  Staat  beivgeftellt. 
9iapoleon  I.  »erauägabte  in  ben  erften  gmölf  Sauren  biefeß 
Ssabrbunbertß  oQein  für  (Sl)auffeebauten  277  OJliQionen  fres. 
©elgten  uub  q^otlanb  bejageii  ebenfallß  ein  auSgCi)eid)neteß 
unb  biibteß  flieg  »on  Äunftftragen. 

3n  35eutfdblanb  gab  eß  ju  beregter  Seit  ebenfomenig 
eine  Äunft  beß  Sälegemacgenß  ale  Äunftftragen,  benn  ber  Stragen« 
bau  marb  nur  alß  Jpanbmerf  gepflogen.  Die  unb  9luß» 
bebnung  ber  Jpanbelßrouten  mar  eine  geringe,  ^flafterftrageu 
befegränften  fieg  eigeutlicg  nur  auf  Ditjebaften;  bie  befteinten 
Sagnen  maren  mit  fcglecbtem  OJiaterial  unterhalten,  ftaubig, 
fotgig  unb  menig  tragfaljig;  ber  gofaloerfehr  blieb  ftiefraütter» 
lidjft  behanbelt  unb  mcift  nur  auf  notl)bürftig  hergeriegtete  ®rb= 
mege  angemiefen.  Staat,  Diftvifte  unb  (äemeinben  beftritteu 
bie  Untergaltungßfoften  ihrer  Stragen  mit  äugerfter  Sparfam» 
feil  auß  ben  anfaHenben  3lbgaben.  Die  Jranßportroagen  mugten 
fehr  fräftig  unb  mit  ftarfer  2)efpannung  uerjehen  fein.  Die 
Sefchaffenheit  ber  ^oftmagen  fchilberte  ber  ^J)oftbeamte  Streitei 
auß  ^ugßburg  anno  1811,  anlaglicb  ber  Sßorlnge  feiner  „SBageii» 
cerbefferungen"  an  bie  t.  baper.  Slfabemie  b.  3Ö.,  mie  folgt: 
„Sie  finb  baß  Segreefen  für  ^etfonen  fcgmachen  Äßrperbaueß,  bie 

ton  einer  eifetnen  fflothmenbigfeit  auf  folig  ein  )Reifemittel  gebannt 

(101) 


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10 


roetbcn.  ift  nur  eine  Stimme  über  bie  qualDoOen  ©t^läge, 
bie  ein  fo  gtofeer  unb  in  aOen  Jljeiien  übermSfeig  befd^mertet 
unb  anfcbeinenb  für  ein  Sabr^wnbert  gebauter  Äaften,  gleicbBiel 
ob  in  Äetten  ober  ©op^eltiemen  bängenb,  ben  Üteifenben  in 

bie  Seite  oerfe^t @in  »^u^rnjerf,  bag  leer  ftbon  bie 

PoHe  Äraft  »on  brei  ^ferben  für  bie  (Sntfernung  einet  floft* 
ftaticn  erforbert,  mu§  noch  mit  15  6tr.  belaftet  mit  3«tbuung 
eines  einjigen  ^ferbcS,  nömlicb  oierfpännig,  in  oorgefcbriebener 
3eit  befcrbert  loerben".  Sefjr  oerbient  um  baä  reijenbe  ^'ublifum 
madjte  ficb  in  ben  20  er  3ab«n  ber  preufeifbbe  Oberpoftmeifter 
0.  9fag(er  bur(b  ©infü^tung  ber  „ßün’avgen" , weldben  bie 
franjöfifcben  unb  belgifcben  f0iane»^often  unb  bie  iDüigencen 
ber  ^arifer  Messageries  Royales,  bereu  ©runbgeftalt  ben 
früheren  englifdjen  Stage  coaches  entlehnt  mar,  ju  @runbc 
lagen.  3ht  SBagenfaften  ruhte  bereits  auf  Duer=  unb  iJängS= 
iebern  unb  beiafe  ^emmfchuhe.  3n  ben  30er  3ohten  famen 
bie  aus  ^\uiS  ftammenben  „Omnibuffe"  in  (gebrauch. 

2rol^  ber  mefentlidien  l'erbcfferung  ber  ©ommunicationen, 
troü  ber  SlerooOfommnunvg  ber  (^uhrmeienSmedjanif  unb  tro^ 
oielfadjer  iSufhebung  bet  ©hnuflew^gaben  nach  bem  SBiebet» 
etmadien  oon  3nbuftrie  unb  .^anbel  in  ©eutfdhlanb,  fönnen 
bie  JtanSportfoften  auf  ben  ?anbfttafeen  faum  unter  bie  früheren 
hetnbgebrücft  merbeu. 

3)ie  begrenzte  airbeitSbauer  bet  3wgpferbe,  bie  nachtheÜigen 
SBitfungen  ber  'JJferbehufe  auf  bie  ganbftraßen,  bie  rafche  9lb« 
nü^ung  ber  Stra§enflacben  unb  ber  ©laube,  mit  25ampffraft 
♦thnetler  unb  roohlfeiler  alS  mit  ber  6h®“ff«e 

tranSportiren  ju  fönnen,  gaben  mehl  ben  näthften  2fnfto§  ju 
ber  3bec  bcS 

$trii|f  rn  ■Sdtti|)fniogen<9i, 

rcelthe  im  i?anbe  ber  unternebmungSmuthigen  Sritcn,  mo  bie 

(IM) 


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11 


?Dani|3farbeit  fc^on  längft  üermert^et,  ibo  bie  Äc^le  bifltg,  bafl 
'Pfetb  aber  treuer  war,  fcfte  SBurjet  fa§tc.  ®ie  älteftcn  bcjüg» 
liefen  2}orjdiIäge  batiren  bereits  ron  ©aoerb,  bann  non  Dr. 
SRobijon  au3  ©laSgow,  wclrbet  1759  in  feinet  Mechnnical 
Philosophy  ein  ©ampffuijrwnf  befc^reibt.  %\mtS  3Batt  erläutert 
in  feiner  ^atent.©pe3ififation  ein  IDattipfgefäbtt  mit  91ieberbru(f, 
bet  fidb  freilid)  nidjt  jii  biefem  3»ecfe  eignete.  ®ie  etfte  witf= 
libbe  Sabrt  mit  einem  breiväbrigen  5)ampfwagen  für  niet  ?)er> 
fonen  «cflfübrte  llugnot  ju  'Paris  nor  Slugen  bcS  ,g)et3og8  non 
©boifeul;  allein  baS  rclje  SÖctf  3crfd3ellte  unb  warb  nidjt  mebt 
erneuert.  !Det  (Sntwurf  3u  einem  E'ampfmagcn  mit  .^obbbrurf 
beß  älmerifanerß  Dlincr  ©naiiß  würbe  alß  ©cbwinbel  nerlacbt, 
biß  betfelbc  naib  fal)relangen  iPemübunvgen  ein  foltbeß  — ur« 
fbtiinglid)  für  einen  ©ebienenweg  brftimmleß  — Bat}r3eug,  ben 
„Oructer  Amphibolos“,  3U  ©tanbe  brad>te  unb  bamit  i.  5.  1804 
in  ben  ©tragen  ^l)ilabelbbi^’®  t-’pt  20000  begeifterten  3»* 
frbauern  manöorirte.  'Prnftifebe  Slußnu^ung  fanb  bie  ©acbe 
nirbt;  benno^  prepbejeibte  l^nanß  in  einem  ©<brift(ben:  „35ie 
jeftige  ©enetation  will  fi(b  mit  Äanälcn  begnügen,  bie  nätbfte 
wirb  Gifenbnbnen  unb  ^ferbe  Dcr3iel)en,  aber  ibte  aufgeflärteren 
9lacbfommeu  werben  meinen  5)ampfwagen  alß  bie  ocHtommenfte 
Jranßpcrtweife  anwenben". 

3n3wifcben  war  in  bem  er3rei(ben  (fornwad  ein  pbantafie» 
»oHefl  @enie  in  IDienften  Silatt’ß  mit  (Srfolgen  auf  ben  SBerf» 
plab  bet  bort  bccbenl*®icteltcn  IDampfarbeit  getreten:  SRidjarb 
Srenitbif  (geb.  1771,  geft.  1833),  ber  ©rfinber  jener  nielbe» 
wunberten  ©otnwaHmafcbinen  mit  runben  Äeffeln  für  .poebbruef 
(SBatt  benübte  nur  feg.  Äcfferfeffel  unb  ITampf  con  niebetem 
Drutf),  fowic  ber  SBafferröbrcnfeffel.  ?llß  Ingenieur  ber  (Sornifb 
SBerfe  oblag  er  eifrig  ber  (ärftellung  einer  5?ampflutf(be,  welche 
et  am  Gbriftabenb  1801  31t  öamberne  probujirte.  2?alb  barauf 

(103) 


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12 


na^m  er  gemeinfc^afHic^  mit  feinem  »eljl^abenben  SSettet 
81.  SMoian  ein  ^latent  auf  nerbefferte  „Steam  engines  for  pro- 
pelling  carriages“  unb  im  fStai  1803  fuhren  83eibe  auf  ihrem 
fedhSfibigen  fDampfcabriolet  burdh  ©tragen  8onbonö,  freilich  nur 
in  Raufen  wegen  unjureidhenber  ^Dampfergeugung.  fDer  £reib=^ 
apparat  war  eine  hoppelt  wirfenbe  ^ochbtucfmafchine  mit  ge> 
fchmiebetem  Äeffel,  innerer  Neuerung,  5)ampferpanflon  unb  8lu0» 
blajen  beö  8lbbampfe«  in  ben  ©d)ontftein:  lauter  Sebenßelemente 
ber  mobernen  ©ampfroagen.  2)a  jebod)  bie  Sleparaturen  ber 
SDiafchine  fein  @i;be  nahmen,  mürbe  baS  SBerf  oerfauft  unb 
weitere  S3evfuche  aufgegeben. 

1820  gaben  pomphafte  8tnfünbigungen  einer  betriebsfähigen 
5)ampf»|)oftfuti(he  beö  35ubliner  83elingham  (womit  aber 
beren  tSften  fdhliefeen)  baS  ©ignal  ju  erneuten  be3Üglid)en  @r» 
perimenten  unb  witflid}  tauchte  nun  ein  ?)rcjeft,  ein  patent 
nach  bem  anbern  auf.  3)ie  'JJreffe  fuchte  in  ber  golgejeit  baß 
in  Blu§  gerathene  Sthew«  «Iß  «ine  gtc§e  nationale  Üliaferegel 
hinfichtlich  SSefchränfung  ber  ^ferbe^ucht  unb  beß  ^aferbaueß 
hinjuftellen,  ba  ja  jebeß  ^ferb  nach  Slbam  ©mith  fo  oiel  an 
Butter  coniumire,  alß  jur  hinlänglichen  ©rnährung  ücn  acht 
9)ienfchen  nöthig  fei;  au§er  ber  .perabbrüdung  ber  Sirmuth 
würben  — fo  l)ie&  fß  — auch  bie  9lährmittel  wohlfeiler,  unb 
ferner  würben  bei  allgemeiner  (äinführung  oon  ©ampffuhrwerfen 
nicht  mehr  18  000 '>))oftpferbe  jährlich  ber  Ueberanftrengung  jum 
SDpfer  fallen. 

2)ie  ©trahenbampfwagen,  burchweg  für  ^erfonenbeförberung 
beftimmt,  waren  gweierlei  8lrt.  (äntweber  erfchienen  pocbbrucf= 
mafchine  unb  .^utfehe  in  einem  jförper  oereinigt  — bie  eigent« 
liehen  ^Dampffutf^en  — ober  eß  funftionirte  ber  IDampfwagen 
alß  Sugmafchine,  wcldher  bie  gewöhnlichen  ^aff agierwagen  an> 

(104) 


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13 


gelängt  »utben.  3>n  9lad)fte^enben  feien  bie  befannteften  eng» 
liftben  |)atentmaf(binen  angebeutet. 

©riffillj’ö  2)ampffutf(be  war  nidjt  weniger  al8  27  gufe 
lang,  fam  aber  nidjt  ju  öffentliibet  ^enu^ung.  ®ie  3«9* 
mafcbine  non  £)anib  @otbon  foOte  innerhalb  einer  gro|en 
Sirommel  mit 
nach  bem  $rtnji)>  be8 
rateS  arbeiten;  berfelbe 
fa^te  1824  bie  ebenfo  ori> 
gineHe,  natürlich  ni^t  le* 
benöfähige  3bee,  bie  SJla» 
fcbine  burdb  mehrere  nach 
art  beS  ©angeS  ber  ^ferbe 
automatifch  ttirfenbe  93eine,  unter  anmenbung  oScillirenber  @h> 
linbcr,  fortftofeen  ju  laffen.  (^ig.  1)»). 

Söurftall  unb  Sohn  ^ill  »ermenbeten  bei  ihrer  2)amhf» 
^oftfutfche  äufeerft  ho<h  gefpannten  ®ampf  nach  ^erfinS  9Jie» 
thobe ; bie  Äraftübertragung  erfolgte  mittelft  fonifchcr  ©etriebe  auf 
bie  (Rabnaben.  Ofen,  Äeffel  unb  ©chornftein  erhoben  ftch  hinter 
bem  ©i^faften  ber  ^affagiere.  Sei  einer  Serfuchöfahrt  barft 
bet  Äeffel. 

©urnep’8  2)ampfomnibu0  non  1827  ^eigt  Sig*  2;  beffen 
Sßagenfaften,  nidht  weniger  al8  neun  früh  über  bem  Soben  er» 
haben,  gewährte  ^la^  für  12  ^ajf agiere^).  Der  ©rbauer  nahm 
mit  feiner  fKafchine  bie  weiteften  in  ber  ©efdjichte  ber  ©trafeen» 
Dampfwagen  überhaupt  befannten  SReifen  sor,  ja  er  foO  cier 
SRonate  lang  regelmäfeige  2ariffahrtcn  auf  Cer  (?hauffee  jwif^en 
©loucefter  unb  ©h^ttenhnm  oeranftaltet  haben. 

5)iittlerweile  hatten  bie  (5h*canen  »on  3i<eginfpcftoren  unb 
^uhrwertbefihem  3ahtreiche  ^ofatgefe^e  veranlaht,  welche  bie 
Dampfwagen  mit  wiQfürlich  normirten  hohen  abgab  e i ( 

im 


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14 


©Urnen  nun  ncrftanb  e8,  i.  3.  1831  im  Unterljnufe  bie  @rrtd)tung 
einer  @i>eci‘>lfntnniifficn  jU  eingeljenber  ^'rüfung  ber  brennenben 


1519- 


grage  bur^jufe^cn.  2)ie  Äoinmijifon,  faft  nur  auS  Sntereffenten 
befte^enb,  anertannte  bie  5Rii^li(^feit  beS  fraglichen  Jranflport* 
mittels  unb  »erfprach,  baffelbe  nor  unbilligen  36tlen  fchü^en  gu 
tooQen,  »nrauf  bie  gefpannteften  ^)offnungen  rege  würben.  5Rod) 
in  bem  gleichen  Sa^re  erfdjienen  IDam^jfomnibuffe  non  ^>ancodE 
unb  non  @ibb§,  ein  breiräbriger  ^})baeton  non  Dgle  unb 
©ummerö,  bie  fd)werfällige  ©ampfbiligence  beS  Dr.  (Sl)ur(^ 
in  Sirmingham  für  56  'Perfonen;  2B.  SRapier  in  ©laSgow  ner* 
fu^te  bie  .Ifraft  beS  5Dtafd)inenwagenß  burd)  ein  8aufbanb  auf  ben 
Äutfchwagen  gu  übertragen.  Södhrenb  in  9lmerifa  ber  plumpe, 
noch  mit  Salancierö  nerjehcne  Kampfwagen  $owarbß  non 
ft(^  reben  machte,  nerherrlid)ten  englifdhe  Sölntter  bie  jüngften 
^Probefahrten  ber  Kampf*  ©ilwagen  non  Slnberfon,  URacerone, 
©guire,  9iuffel,  tRoberte,  «iclb,  .pancodE  u.  31.  ©egen  hunbert 
SJlafchinen,  atleerbenf(id)enÄeffelconftructionen,ÜenfDorrichtungen 

unb  medhanifdicn  Äünftcleien  waren  biä  g.  3.1835  nerfiuht  uub 
(106) 


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15 


enorme  ©elbfummen  ocrerpcrlmentirt  worben.  ®er  Grfinbunv-j?» 
geift  ber  gejdjicfteften  SÖJec^anifet  f(^eiterte  an  ber  ©c^tanfe, 
roeldje  ber  beträ^tlid'c  Söiberftanb  auf  nod)  fo  guten  ©tragen 
fermeren  ^Damt^fwagen  entgegenfteüt,  ioät)renb  aDe  91lafd^inen> 
Organe  bennod)  fe^r  fräftig  unb  folib  fein  muffen,  auf  j^often 
ber  ^eijflä^e  unb  bamit  ber  ^^lu^wirfung.  SDte  gewähnten 
älort^eile  beim  Sergauffa^reu  traten  nid)t  ein;  baö  Slnljängen 
ber  .^utfe^wagen  an  bie  3ugmaf(bine  brachte  feinen  ^iewinn; 
bie  SBeteinigung  beiber  Sbfüe  wat  für  bie  Sleifenben  un« 
bequem,  beunruljigenb,  ja  gefährlich;  33etrieb0»  unb  Unter» 
baltung^foften  ftanben  au|er  adern  33crbältni&  ju  ben  ^eiftungen. 

ä 

@0  ift  fein  ein^igeb  iöeifpiel  einer  anbauetnben  S3enü^ung  folcher 
gahtmafchinen  nachroeibbar;  bie  wenigen  febeinbar  gelungenen 
brachten  im  günftigften  5^ad  jwanjig  ^erfonen,  unb  nie  jehneder 
al0  15  km  pro  ©tunbe  fort.  5)a0  ÜBcrgeben  einiger  35ampf» 
futfd)en»©pefulanten,  mit  ben  l'ofomotiobahnen  in  ^oncurten3 
gu  treten,  fädt  in0  Sereiefa  ber  Jpirngefpinnfte. 

3n  35eutfchlanb  entwarf  jehon  i.  3-  1803  6.  31.  Jpenf chel 
in  Äaffel  ein  mit  ©ampffraft  gu  bewegenbeb  «uhrwerf,  wieber» 
holte  e§  fpäter  alb  dJiobcd  in  natürlicher  @rö§e  unb  erhielt 
1817  ein  furbeffifcheb  'Patent  barauf,  oon  bem  jeboch  nie  @e= 
brau^  gemacht  würbe.  @benjo  frühgeitig  halle  fi^h  ber  oben 
erwähnte  SReifter  im  ©ebiete  bet  gein=3)lechanif:  @ecrg  o. 
IReichenbach,  mit  bem  Saue  eineb  2)ampfwagenb  „gur  @t» 
lei^ternng  beb  Jranbporteb  auf  ben  gemeinen  ©tragen  unb  für 
aubgebreiteten  ©ebrauch  fowohl  auf  bemiJanbe  alb  in  ©erfftätten" 
befd)äftigt.  Setfaffet  2)iefeb  fanb  unter  ben  Slrchioalien  ber 
f.  Sltabemie  gu  5Rüncben*)  ein  breifad)  oerfiegelteb  ©d)riftftü(f 
mit  bet  3luffchrift  „3nftrnment  gut  ©icherung  ber  Priorität  über 
bie  ©rfinbung  einer  neuen  2)ampfmafd)ine“  nebft  einem  begüg« 
liehen  ©efuche  3ieichenbad)b  b.  b.  3.  Februar  1816.  3eneb  2)o» 

(107; 


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16 


fument,  beffcn  @infi(^tna^nte  Isetn  SSerfaffct  geftattet  toutbe, 
enthält  einen  erlöuternben  «uffafe  be8  6rfinber8  nnb  bie  ^anb- 
fc^riftlic^e  ®eftätignng  breier  Slfabemifer  „fänmitlic^e  SL^eile  bet 
9Rafd)tne  bereite  nollftänbig  augerid^tet  gefe^en  gu  ^aben".  «(8 
^auptgfige  be8  freilich  »iel  gu  ccmpenbibfen,  nur  4^-  6tt.  fetteten, 
bteipferbefräftigen  ©ampfroagenS  finben  ftch  angegeben:  Se» 
ieitigung  bet  ©ampfconbenfation,  «mnenbung  ho^gefpannten 
JDampfeS  mit  erpanfion,  oSciairenbet  gplinber,  einet  ©d^ieber- 
ftencrung  unb  eine8  ©chtonngrabe8,  enblich  mehrerer  bim» 
förmiger,  bur^  fRchren  nerbnntiener  Jfeffel.  S5a8  SBetf  warb 
non  eingeweihter  ©eite  öffentlich  angcfünbigt,  fcgar  non  frember 
'öeitc  fcharf  fritifirt,  hoch  Weber  SJtafcbine  noch  SBagen  famen  je 
gum  Sotjchein. 

CRach  %t.  ©teiner  foH  bcr  gjiechanitu8  Sofef  33ogef  am 
^olptcchnifnm  gn  ^rag  fchon  i.  3-  1815  eine  anerbing8  höchft 
mangelhafte  gweifi^ige  3)ampffaleiche  gefertigt  unb  oor  einem 
gewählten  ^ublifum  !J)robefahtten  im  „Subenetfchgarten*  an» 
gefteHt  haben.  2)iefelben  würben  angeftaunt  unb  »ergeffen  wie 
jene,  welche  gwangig  3ahte  nachher  55oigtlänber  mit  einer 
um  ben  hortenbcn  Äaufprei8  non  600  ?)f.  @t.  au8  dnglanb 
begogenen  ©ampffutfche  ben  fchauluftigen  SBienern  im  gratet 
gum  33eften  gab.  2)em  gleichen  ©dhicffal  »erfielen  mehrere 
©ampffutfchen,  bie  anfang8  ber  ©reisiger  in  SBtüffel  unb  3lnt» 
werpen  bebütirten  unb  womnter  fidb  aud)  ein  nom  talcntnoaen 
ÜRedhanifer  <Dteh  au8  5)armftabt  mit  Unterftü^ung  be8  @rafen 
^)ompeich  gebautee,  fpäteranch  in^ari8probucirte8,33ehifeIherDor. 
that.  ©nblich  aber  fügte  bü33ernunft  über  bieSpefulation,  obgleich 
bet  ©laube  an  eine  rentable  IBerwenbbarfeit  jener  gjiittelbinger 
gwifchen  ©pannfuhrwert  unb  gofomotioe  noch  lange  in  ben  Äöpfen 
ber  ÜJienge  fputte.  ®)  @ine  not  etwa  gwei  2)egennien  gegrünbete 
„Saperifch=pfälgiichc©trahenbampfwagengefcllichaft"  ging  alSbalb 

CI08) 


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17 


in  bie  ©rüc^e,  nnb  »ereinjelte  neuere  ©erfu^e  enegten  nur  »otübet» 
ge^enb  ölufmerffamfeit.  Stbgefe^en  non  bennfi^litbenmobemen.nut 
gong  beftimmten  Swetfen,  niemals  aber  bem  öffentlichen  ©etfehr 
bienenben  ©tra§enlofomoti»en,  galjlt  baS  gefchilberte 
jeug  neben  bem  lenfbaien  8uftf(hiff  gu  ben  unbanfbarften  unb 
unglürflichften  3been  im  ©ebiete  bet  SEcchnif. 

Bit  eifeme  9pnrbnl|n. 

®a0  SEagewctf  ber  üKenfihen  ober  beim  Saftentranö* 

hört  auf  ben  holhcngen  Strafen  befteht  im  ©tunbe  hauptfäch* 
lid)  in  fortmährenbem  ^eben  beS  ^uhrwetlS  auf  üeine  @t* 
höhungen  unb  in  Uebetwinbung  bet  ebenfo  unaufhörlichen  fleinen 
©töfee.  Schon  bie  ‘4lten  bcnuhten  ©ahnen  auS  Stein,  auf 
melden  »eniget  SBiberftanb  gu  befiegen  »at;  bie  Steingeleife 
ber  griechifchen  Jemhelftrahen,  ber  ©g^htcr  gum  ?>hramibenban, 
bie  furchen  in  bem  homhejanifchen  ^latten^flafter  u.  f.  n>.  ftnb 
©eiihiele  baoon.  Jpoljbahnen  in  §orm  gemöhnlichet  ©reitet 
maren  in  bem  malbretchen  ^titteleuroha  ebenfaQS  feit  Urzeiten 
gebräu^lich.  2)te  Urahnen  unferer  Shutbahnen  aber  et» 
fennen  mir  in  ben  „^unbelöufcn"  ber  fchwunghaft  betrie» 
benen  beutfchen  ©erg»  unb  ^üttenwerfe  beS  15.  unb  16.  Saht* 
hunbertS  im  ©tjgebirge,  im  ^arg  unb  in  SEptol.  JDer  für  bie 
innere  wie  äußere  götberung  angewanbte  „^unb",  ein  Heiner 
JRotlmagen,  würbe  bort  auf  ober  jwifdjen  swei  hatallel  gelegten 
©alfen  ober  JRiegeln  bur^  füienfchenhönbe  fortgefchoben.  JDa, 
wo  bie  [Räber  beS  {)unbewagenS  auf  ben  ©alfen  roQten,  waren 
biefelben  beS  ShurhaltenS  wegen  mit  nach  innen  oorfhringenben 
[Ränbern  (Sputftängen)  »erfehen.  2)a8  altehrwürbige  ©ergwerffl» 
buch  beS  ©eorg  Slgricola  auS  ^emmni^  bringt  eine S^th^ung 
beS  ^unbeS  (§ig.  3);  in  bet  Uebetfehung  beS  SBetfeS  hc'ht  «8 
(Seite  117)  wörtlich:  „bieweU  et  aber/  fo  mon  ihn  bewegt/ 

XIX.  4U.  2 (10») 


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18 


ritt  t^ott  gibtt/tag  cttlid^c  bfnttdtt  er  ein  t^on/  bem 
brlleii  ber  ^unben  nix^t  onglcii^/  l^abenbt  fie  tl)n  ein  iQuttbt 

grnanbt/^  Dbtge  DueQe  bejei^net 
baS  ^o(3geftänge  alS  ,)glri^  bet 
trötnctt^^  unb  e§  bütfte  baS  leitete 
SBoit  als  baS  Stamnmort  beS 
^eute  noc^  übltdjen  „gramen"  (SaU 
len)  unb  beS  engltfdjen  „Sltam» 
SBap“  anjufe^en  jein.^) 

Sfid^tige  beutft^e  ©etgleute,  lueicbe  ^>etnri(]b  VI.,  f|>ätet 
aud^  bie  Königin  @(ifabet^  na<^  @nglanb  fommen  liefen,  »er« 
bflangteit  bie  ^öljerne  ©putba^n  bort^in.  $Dte  lueitere  6nt» 
»idlung  bctfelben  au§erbalb  bet  ©rubenfinftenitffe  fpielt  fortan 
lebiglt^  auf  bem  Sufelteic^e.  Um  1620  erftbeiut  bie  erfte,  »ou 
Seaumont  fut  ein  93etg»etf  bei  Sflemcaftle  ootgerid^tete  |)feibe= 
ba^n;  bie  Äo^Ienfarren  („SBaggonS")  liefen  ^ier  noch  auf 
fdbtt>a(ben  ©o^Ieu.  9latb  Seginn  beS  18.  3abr^unbettS  fe^te 
man  ftarfe  gejimmerte  9liegel  auf  äDuet^öl^er  unb  benagelte  fie 
biSmeüen  an  bet  iSbnu^ung  befonbetS  unterworfenen  ©teilen 
mit  gefdbmiebeten  gla(beifen;  bie  bölaetnen  ober  gufeeifemen 
Siäber  erhielten  ©purfranje,  fo  ba§  fie  baö  ©eleije  nid>t  ner* 
laffen  fonnten  (f.  gig.  18).  ©olc^e  9iiegelbabnen  ober  raU- 
roads,  ouf  Wellen  ein  ‘Pferb  40—50  (5tr.,  baS  SBietfacbe  wie 
auf  ben  bamaligen  ©tragen,  gog,  bebnten  fi(b  immer  weiter  auS 
unb  nic^t  feiten  für  gemeinfibaftlidbe  Senu^ung  meuteret  aSBerfe. 
Der  Pfetbegug  ging  mei^  nur  aufwärts,  in  ©efätten  lie§  man 
bie  ffiagen  bureb  ihre  eigenfdtjwere  abwärts  laufen,  baber  Un» 
fälle  flottfanben. 

6inc  läbmenbe  Ätife  im  ©ifenbüttenbetrieb  oeranlafete  im 

Sabte  1767  Sölr.  JRepnolbS,  ben  8efibet  bet  ^»odböfen  in 

©oalbroofbale,  bie  eifengingen  anftatt  in  »arrenfotm  nunmebt 
(110) 


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19 


in  gom  Bon  glatten  (gtg.  4)  ju  gieren,  »eld)e  er  einpwetUn 
an  bie  ©teile  bet  |)oIjriegel  feiner  SBetf bahnen  fe^te,  unb  — 
bie  „föifenba^n*  tDot  erfunben.  SDiefc  rein  tJroBiforif(^)e 
bfonomifcbe  lDia§regeI  bewährte  ftcb  aber  berart,  bag  man  an 
33efeitigung  ber  ©il'enfd^ienen  nidjt  me^t  backte,  fonbern  Biel* 
me^r  bie  ^lattenba^n  ober  tram-  4 8lg.  6 


road  aud)  anbermärtS  nacba^mte. 
1776  Berfa^  Senj.  6urr  bie  glatten* 
f(^ienen  (plate-rails)  mit  einem  nadb 


innen  gu  angcgoffenen  SRanb  (gig.  5)  unb  f(buf  fo  bie  erfte 


eiferne  ©putba^n;  er  beabfi^tigte,  bie  gemSljnlicben  ©tragen* 
wagen  auf  bie  ©ifenba^n  übergeben  ju  Inffen  unb  Berlegte  be^^alb 
bcibe  ©cbienenftränge  in  einem  ber  Sagenfpur  entfpreebenben  9lb* 
ftanb.  @in  ^albe§  5n'^rl)unbert  fpäter  übertrug  ©tepbenfon  biefe 
Icineßwegö  tedb«if<b  erwogene,  gang  gufätlige  ©purwette  (4'  8^" 
engl,  ober  1 ,436  ra)  auf  bie  erften  gofomotiobabnen  unb  eS  ift  bie* 


felbe  — tro§  eines  lebhaft  entbrannten  gebetftiegeS  um  bie 
aSorgüge  unb  SRa^theile  einer  größeren  ©eleiSweite  — noch 
heute  mit  nur  geringen  3lu8nahmen  (g.  S3.  in  lHu§lanb)  auf  allen 
europäifdien  SSnhnen  bie  unabänberbare  Sflorm, 


SEBährenb  nun  baS  l'angfthwcHen*  ©pftem  mit  gladh*  ober 
Sßinfelfchienen  in  ben  fübli^en,  mit  eifenbefthlagenen  IRiegeln 
in  ben  nörblithen  ?>roBingen  unb  in  ©dhottlanb  Borherrfchte, 
Tarnen  hier  “«*5  ^>ort,  inSbefonbere  in  ben  aSergbaubiftriften  oon 
8ecb8  unb  fRewcaftle,  fRailwapS  mit  hothfantigen,  gu|eifernen 
©tab*  ober  Äantenfdhienen  (edge-rails),  welche  aSagentöbet 
mit  ©purfrängen  erforbetfen,  in  Aufnahme,  ^lerburcb  würben 
fewohl  bie  SBiberftänbe  beim  fahren  nerminbert,  alö  auch  @^nee* 
unb  ©chmuhablagerungen  auf  ben@eft5ngen  Berhütet.  SB,  3ef* 
fop  gab  1789  ben  in  gu§eifernen  ©tuhlchen  ruhenben  ©chienen 
einen  pilgförmigen  Duer'chnift  fowie  bie  rationelle  etliptlfche 

2*  O't) 


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20 


untere  Segrenjung.  SDiefe  fog.  gi|(:^bau(^f(^ienen  (gig.  6) 
e.  erhielten,  nacbbem  6 b- 

Outram  ben 
)(^weQenbau  verlief,  unb 
bie^lattenfcbienert  butcb 
@teinbl6(fe  inlermitti* 
renb  nnbrftü^te,  nach  Seginn  unferefi  3a^tl)unberl8  eben» 
falls  ben  maffinen  Unterbou.  3)ie  ÜJte^rjo^l  aflet  SBa^ncn, 
»el(be  in  btelet  ßeitperiobe  t^eilö  innerhalb  ^Jtioater  3nbu* 
ftrieftätten  allet  Slrt,  t^eilfl  gut  öffentlidjen  Senu^ung  für 
StobpiobufttranSpoTte  (j.  93.  jiviidben  Bonbon  unb  $ort^8« 
montb),  tbeilS  tenn)orär  ju  Saugwerfen  (juerft  1807  beim 
93au  bet  großen  ^afenbaffinö  oon  Bonbon)  in  betrieb  ftanben, 
befa§  nur  ca.  bret  gu|  @pUTtt>eite,  unb  ebenfo  lang  waten 
bie  ®^ienen. 

IDie  fpTÖben,  unela[ti)d)en  ®u§etfenf(^ienen  jeigten  fic^  gac 
halb  bet  anbauetnben  93e(aftung  nicht  gewachfen,  we§ba(b  einige 
©rubenbahnen  mit  gefchmiebeten,  hochfantig  gefteHten  glach» 
eifen  »erfeben  würben.  @ine  epochemadbenbe  SBcnbung  nahm 
bie  SSemoDfommnung  be0  ©eftängeö  jeboch  erft,  al8  Sohn 
93erfin0hfl®i  ©igenthümet  mdchtiget  ©ifenwetfe  ju  IDurham, 
um  1820  baS  ^Stinjih  beS  SSSaljrnS  non  QnetaQftücFen  auf  bie 
gabrifation  bet  €^ienen  anwanbte  unb  einen  fchwierigen  ^to« 
geg  etfonnen  hatte,  um  gifchbauchfchienen  non  )>i(gf5rmigem 
|)tofile  unb  gugleich  in  grögerer  Bange  hetjuftellen.  @.  ©tephcn* 
fon  befürwortete  bie  gewalgtc  nnb  non  mehreren  @teinquabem 
getragene  gifchbauchf^iene  warm,  obwohl  beten  gorm  nun 
ni^t  mehr  bet  bet  Snanftiruchnahme  ihted  lUtaterialS 

entfprach,  unb  aboptirte  fie  gum  S^heil  auf  bet  @tocfton*35ar» 
lington  93ahn,  burchweg  auf  bet  BinerpooUWanchefter  93ahn. 

(Hl) 


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21 


S3on  je^t  ab  erhält  bie  ^ntroidflung  ber  ©bUTba^n  »tel  Se> 
unb  tDiffenjcbaftlic^e  @)runblage.  3^ren  lebten  be> 
beutfatnen  @dbritt  eiblicfen  toit  tn  ber  Sinfü^tung  ber  getDoIgten 
@tu^lf (biene mit  fpmmetrif(bem  Duerfcbnitt  unb  parallelen 
Ober»  unb  Unterfld^en  ouf  ber  2onbon-©irmingbam  S3abn 
bur(b  9tob.  ©tepbenfon  i.  3.  1838  (gig.  7),  wel(be  ein 
bobeS  Sragnetmögen  mit  geringem  SJiaterialaufwanb  Bereinigt; 
mit  ibr  fibliegt  bie  @ef(bi(bte  ber  gifcbbaucbfcbiene  ab. 

SBie  in  ßnglanb,  (o  mar  auf  bem  Kontinent  baö  „eng« 
lii(be  Dberbaufpftem"  b.  b ©eftänge  au0  geroalgten  ©tubl» 
f(bienen  mit  ©teinmürfeUUnterftübung,  anfangfl  am  »erbreitetften, 
mie  ja  au(b  ber  Söebarf  an  fömmtlicbem  SBalgeifen  mit  gerin« 
gen  Sludnabmen  non  englifcben  Jütten  gebeeft  merben  mu|te, 
man  gog  jebo(b  bie  einföpfige  |)arallel»©(biene  »or;  bie  fpmme» 
trif(be  erfebien  guerft  auf  ber  Staunudbabn.  SBelgien  bebielt  no(b 
bie  gif(bbau(bfcbi««f.  befeftigte  biefe  jeboeb  auf  bölgtnien  Quer« 
f<bmeaen.  «Die  ©teinunterlagen  7 3 «ig.  9. 

unb  ©tül)Ie  offenbarten  erbeblicpe 
9iacbtbeile  unb  auch  in  ben  @r> 
martungen,  melcbe  man  oon  ber 
@rm5gli(bung  beSUmfebreng  fpm« 
metrifeber  ©(bienen  gebegt  b>>ilf( 
fab  man  fl(b  getäuf(bt.  5)e6balb  ging  man  mehr  unb  mehr  ju  bem 
DuerfebmeUenbau  mit  b’reitb|afigen  ©(bienen  über:  bat 
fpecifif(b  „beutfebe  Dberbaufpftem.“  3n  bem  bolgreicpen,  aber 
eifenarmen  iXmerifa  mar  neben  eifenplattirten  Sangbölgern  eine 
breitbafige^toljf (biene  auf  gangfcbmeHcn  übli(b,  bereu '))rofll  ber 
englif^e  Sngenieur  6 b-  fBignoIeönadb  (Suropa  oerpflan  gte,  mo  ba8« 
felbe  unoerjüglicb  ouf  ber  @reat-SBefternbabn  unb  in  ©eutfdjlanb 
guerft  auf  ber  2eipgig»2)re8bener  Söabn  (gig.  8)  gur  älnmenbung 

Tarn,  ^eute  ftebt  bie  adeln  rationede  breitbafige  fog.  93ignole8« 

mi) 


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22 


fd^iene  ($tg.  9)  in  manc^etld  ^obififationen  auf  ben  ntetflen 
euTopäifcben  Sahnen  in  ®ebtau(^.  S3on  ben  neueren  U7id)tige> 
reu  SBetbefferungen  am  Dberbau  ift  bic  SBerbinbung  bet 
@^ienen  burcb  fcbmiebeiferne  9afd)en,  bie  gabrifation  uon 
Sta^Ifopf«  unb  @an3>®ta^If(^ienen  unb  bie  3mprägnirung  bet 
^oijftbnjeflen  mit  8äulni§  cer^inbemben  Stoffen  betoorgu^eben. 
3n  jüugfter  3dt  finbet  baö  aeiierne  Dberbauf^ftem"  mit 
gang  eifernen  Duer:=  ober  Sangf^meQen  feiner  ^Dauerbaftig!eit 
»egen  mehr  unb  mehr  Verbreitung.  Viä  babin  — jagt  9Jl. 
».  SBeber  richtig  — »feben  »ir  bie  eifeme  ©purbabn  troh 
taufenbfacber  Umgeftaltung  bo(b  enblitb  an  tecbnifcber  SDurcb« 
bilbung  b'nicr  ber  @ntmi(flung  beb  Vetriebb  unb  ber  Babt* 
geuge  gurücfbietbenb*.  @egen»ärtig  genügt  bie  ^ragfäbigfeit 
ber  Schienen,  »eiche  feit  ben  j^inbbeitbtagen  bet  2)am)>fbabn 
faft  bie  breifache  SRateriai»  unb  @e»ichtboermebrung  erfuhren, 
allen  ülnforberungen  ber  gefteigerten  Saften*  unb  fDlaffenbe»egung 
auf  benfelben. 


Sie  Slteren  Steillmhnrti. 

3ur  Vefabrung  non  Shutbabnen  über  fteiie,  nicht  gu  um* 
gebenbe  ober  mit  |)ferbefraft  nicht  gu  bemältigenbe  älnböhen 
beftanben  ebebem  in  @nglanb  g»ei  fUietboben,  nämlich  (idt 
1788)  Die  „felbftmirlenben  fchiefen  (Ebenen  * mit  £Do^^^)els 
bahn,  bei  »eichen  ber  bergab  fabrenbe  belabene  3ug  burch  Ver* 
mittlung  eineb  oben  auf  ber  ^öbe  um  eine  bc’ngontale,  bremd* 
bare  9io0e  gefchlungenen  SeileS  ben  leeren  ober  fch»ach  be* 
labenen  3«0  auf»ärtö  gog;  bann  (feit  1808)  bie  fHampen  mit 
feftftebenben  iDam))fmafchinen,  »eiche  bie  Saft  mittelft  ber 
um  groge  S^romnieln  fich  »idfeinben  Seite  emporgufdbaffen  unb 
gleichgeitig  bie  abȊrt0  gebenben  IBagen  gu  bremfen  bitten. 

Veibe  Spfteme  be0  Seitbetriebs  für  Steigungen  bis  gu  4 p@t. 

(11«) 


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23 


ftanben  natnentlid;  in  ben  ®rafi(i^atten  2!)uT^ani  unb  ©unber» 
lanb,  fpälet  auf  pennfploanifi^en  Sahnen,  in  auögebe^ntem  @e» 
brauet).  5)ie  ^)enfc^aft  beö  ©am^fwagenS  mae^te  überall  ben 
©eilba^nen  mit  i^rem  erfd^merten  unb  geitraubenben  Setriebe 
ein  @nbe. 

Stuf  bem  Kontinent  erbaute  um  1840  ber  belgifd^e  Jn* 
genieur  SJtauS  für  ben  öffentUtben  Serfebr  jmet  ©eilebenen  mit 
ftationären  ÜRafebinen  bei  5Sad)en  unb  8ütti(b-  Stanfreieb  be» 
fam  eine  folebe  auf  ber  8inie  89on«6roiji--9iouffe.  ©ie  erften 
unb  gugleicb  lebten  ©teilbabnen  biefer  9lrt  in  2)eutf(blanb  er; 
hielten  in  ben  40er  Sabren  bie  (älberfelber  Sabn  bei  ^)0<bbabl 
unb  bie  S'^**'i*®B'^b®l**'ö»Äoblenbabn  bei  SRenigeS  mit  je  jV 
Steigung;  in  beiben  fallen  mirlten  8ofomotinen  bei  ber  Serg» 
fabtt  mit.  lieber  eine  frübgeitige  Sermenbung  jelbftwirfenber 
Stampen  für  ültbeiWbabnen  mdbrenb  beä  geftungSbaueS  auf  bem 
©brenbreitftein  t.  3.  1825  beriebtete  feinergeit  ber  |>bbfifet 
».  2)elin;  bort  lagen  nier  ©eleife  für  ebenfociele  Iranflport» 
magen  nebeneinanber,  mit  gegähnten  Schienen  an  ben  Seiten 
gum  ^emmen  ber  SBagen  bei  enent.  Seilbruebe;  eine  fteineme 
Slreppe  »on  520  Stufen  bagmifeben  führte  ben  fteilen  Bel8  b**'<*n. 

2)aS  ^ringip  ber  gangen  ober  tbeilroeifen  6ompenfirung 
bergan  gu  fßrbernber  8aften  bureb  bie  abwärts  gebenben  mit 
Jpilfe  beS  ©egengewiebteS  mobiler  SBafferreferooirS,  wie  folcbe 
in  jüngfter  3eit  bei  ben  fteilen  2)rabtfeil>3abnt“l>*>flb“®® 
3nterlafen  unb  oon  ÜKontreujc  benu^t  werben,  b®t  nachweisbar 
guerft  3.  ».  Saaber  1815  entwicfelt,  fpäter  Senj.  Stboropfon 
aufgegrijfcn  unb  in  35urbam  auSgefübrt.  8ebiglicb  fölobifi» 
fationen  beS  üblichen  SeilbetriebS  waren  bie  Sotf^läge  »on 
8eitenbecber  unb  @raf  SBeftfabl  gur  Serwenbung  grober  ?)ferbe» 
gßpel,  oon  ^rof.  ^urftnjß  in  SBien  (1825)  gur  (Smpotfebaffung 

ber  Sagen  mittelft  einer  Äette  ohne  @nbe  bureb  ©etriebe.  — 

(US) 


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24 


8ange  unb  lebhaft  bieluiirt  mürbe  bte  „Unbulttettbe  ®ifen« 
ba^n"  beS  @nglänberd  SabnaQ : auf  einer  fortiaufeuben  fRei^e 
oon  natürlicben  ober  fünftUcben  älnbcben  unb  SRulben  foOten 
bie  SBagenjüge  oermöge  ihrer  bei  ben  erlangten 

lebenbigen  ^aft  bie  anf(bliebenbe  Steigung  mit  ober  ohne 
fRacbbilfe  oon  IDampffraft  übetminben.  — IBignoleÖ  unb 
3.  @ricffon  nahmen  1830  ein  patent  auf  bie  3bee,  bte  9tei* 
bung  gwifcben  ben  SofomotiO'Oiäbern  unb  ben  Schienen  auf 
fchiefen  @benen  burth  fünftiicheä  ‘änpreffen  jweier 
taler  ^rictionörollen  gegen  eine  befonbere  fReibungSfchiene 
gu  oerftörfen;  ber  @nglönber  gell  hat  biefeS  'Pringip  in  neuerer 
Beit  auf  ber  prooiforifthen  @ifenbahn  über  ben  Plont  (lenid 
mit  @rfoIg  angemenbet. 

Slujgergetadhnliche  (Eifenbithtttn. 

Die  Söahrheit,  ba^  baö  fcheinbar  Sejfere  fo  oft  ber  geinb 
beS  wirfli^  ®uten  ift,  fpiegelt  fith  auffaQenb  in  ber  gluth  oon 
Projeften  oergangener  Beiten,  für  bie  beioährten  Spurbahnen 
unb  beren  S3etriebömaterial  Surrogate  gu  {Raffen,  bie  natur> 
gemä§  oon  mancherlei  Ungereimtheiten  untermifcht  waren  unb 
meift  in  ben  Elften  ber  Patent  Offices  oerfchwanben.*) 

Sei  ben  „Seweglichen  (Sifenbahnen"  für  Strafen 
oon  ßaplcp,  Srpan  Donfin,  .Runter  unb  SRarfthaCi  feilten  enblofe, 
oon  ber  8ocomotioe  bewegte  Äetten  ben  fRobern  fortwöhrenb 
©eleifeftüde  (S^ienenfchuhe)  fo  unterlegen,  ba§  bie  ÜRafthine 
immer  auf  benfelben  gu  laufen  hätte;  Sopbell’d  „(Snblofe  Schien 
nenbohn"  oon  1854  lä§t  biefeö  pringip  wieber  erfennen.  — 
Der  fog.  „gliegenbe  .^unb",  b.  h-  ein  auf  abwärts  geneigtem 
Seile  in  hängenber  Sage  roQenber  ^anen,  ben  neapolitanifchc 
Sauleute  fchon  oor  Bahthunberten  gebrauchten,  ift  baS  Proto« 
tpp  bet  „Sehvst’cnben  ober  ^ängenben  Sahnen**  für 

(116J 


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25 


ffetne  Saften.  3n  feiner  Sonbonec  @ifenba^npatent<@pejififaHon 
«on  1815  erläutert  3of.  ».  0aabet  bie  3bee  einer  auf  @tänbern 
ober  Pfeilern  »orgericbieicn  Slfenbaljn  für  3Weiräbrige  SBagen 
unb  oerfcrperte  pe  ba6  barauf  an  einem  gvopcn  SRobeO, 
melebeS  lange  in  ber  f.  flRafcbinenmerfftätte  311  SRüntben  auf> 
gepeOt  blieb.  S)er  @nglänber  fRobifon^almer  eignete  pcb  jene 
3bee  an  unb  erhielt  1821  bad  patent  auf  feine  10. 

einf^ienige  hüngenbe  ©ifenbohn  (Sig.  10). 

■©ie  93alance  ber  beiberfeitfi  beb  ©cbienen» 
ftrangeS  an  ben  verlängerten  fRaba(hfen 
auf  gehängten,  nothioer.big  gteid^belafteten 
SBagcnfäften  hält  bie  beibcn  hiniffcinanber 
ongcbrachten  fRäber  aufberSöahn.  IDcr^ferbe* 

3ug  war  nach  'Analogie  be€  SeinengugS  auf  SBafferftrapen  gebadht. 
^almer’0  einzeilige  „Suspension  Railway“  leiftete  übrigens  auf 
einer  Siegelei  bei  Sh^^huni  IDienfte,  beSgleiihen  mit  abgeän* 
berten  3)etaiI8  1834  gum  ©tcin»  unb  ^ol3«S£ranßport  beim 
BeftungSbau  in  ^ofen  unter  Scitung  beß  prenpifchen  Sngenieur* 
C^auptmannß  ißrittmip,  melcherauchburchSchripenbiefem^ranß« 
portjpftem  enueiterten  (Eingang  3U  oerfchaffeu  fuchte.  1826  gab 
eine  Keine  im  SRufcumßgartcn  3U  Slberfelb  aufgePellte  fOlobefl» 
bahn  nach  ^almet’ß  Sanart  iSnftop  gur  3?ilbnng  einer  @efell» 
fchaft  behufß  Slnlegung  einer  folchen  .tohlenbahn  3n)i!chen  (Slber* 
felb  unb  ©armen,  welche  jebc^  nicht  nermirKicht  würbe.  35ie  gwei» 
fchienige  patentirte  S^webebal)n  mit  oienäbrigem  SBagen  beß 
babenpfchen  ©alinenbireftorß  ßaßpar  ».  Sobmer  fam  in  fur3en 
©treefe  1826  bei  Debenbnrg  unb  1830  bei  |)efth  3iir  lÄußfühtung, 
würbe  aber  ihrer  @cbred)en  halber  halb  wieber  abgetragen.  tSehn^^ 
Iichc?>roiefte  hegten  ferner  ©argent  in©ofton,  .^enfchelinjtaPelunb 
ber  äBiener  Slrchiteft  o.  fRiegel. — ©ienÄiinftlichengahrgeleife* 

».  SEBiebefing’ß,  beren  geheim  gehaltene  ^läne  ber  ergroute  6r* 

(117) 


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26 


finber  eifoIgloS  gum  Snfauf  anbot,  beftanbcn  ber  ^auplfad^c  nad^  in 
langen,  auf  etngerammten  ^fäblen  tu^enben  SBintelfcbienen,  begtt. 
inner^olb  bet  ©tobte  aufl  ©teingeletfen.  — ^>enf<ber8  otigineQeg 
Obetbanfpftem  vomSa^te  1833  tnitsttei  »etfd^teben  geformten  unb 
ung{ei(bbelafteten©(bienenfträngen  neb|t3Bagen  mitEeit«, Trabant« 

unb@egenräbern(le^tere)oQten 
in  Äutoen  baß  (äntgleifen  »er» 
^inbern)oetftnnlid)tgig.  11.— 
ferner  fcblug  ^)enfdje[  oor,  bie 
6tfenbabnfu^n»erfe  auf  81b» 
Rängen  mte  in  ber  (Sbeue  butc^ 
einSDra^tfeilfortjUjie^en,  wel» 
d^eß  ftd^  anben  etwa  brei  ©tun» 
ben  entfernten  ©tationen  butcb 
S)ampffraft  an  großen  Srom» 
mein  auf«  begi».  abmicfeln  foüte.*)  — 93Ioß  gum  ©d)erg  fei  ber  gum 
Defteren  un:  no(b  lurg  »er  83eginn  ber  beutfc^en  (Sifenba^nära  »on 
3.  6.  Eeiu^ß  in  fJlürnbcrg  angeregten  albernen  3bee  ber 
„fRutfcbeifenbabnen*  gmifi^en  »etfe^rßrei^en  ©täbten,  ge» 
ba^t.  IDiefelbe  gipfelte  in  ber  Anlage  gmeicr  entgegengefe^t  ge» 
ri^teter  fcpiefer  «äbencn  auf  ®erüften,  ÜRouern  ober  ^außbadjern; 
bie  |)affagiermägeld)en  foQten  »on  ^o^gelegenen  ©tationen  auß 
burd)  bie  Äraft  ihrer  ©(hmere  mit  SBinbeßeile  bie  betreffenbe 
Stampe  hinab  laufen. 

8llt  finb  bie  Semühnngen,  »rrbichtete  ober  »erbünnte  Euft 
mittel»  ober  unmittelbar  bem  8Serfehre  bienftbar  gu  machen,  fie 
gehen  gurud  biß  auf  IDioniß  ^apin.  3ngenieur  Sltebhut^  ge» 
buchte  einem  Eonboncr  ^rofpelt  »om  3«h^e  1812  gufolge,^®) 
|>oftfachen  unb  Steifenbe  innerhalb  gefchloffener  Stohren  »on  ca. 
6 $u§  SBeite  butch  comprimirte  Euft  in  auf  ©chienen  laufenben 

^olben»8Bagm,  unb  gmar  mit  50  engl.  Slteilen  @efch>»inbigfeit 
(118) 


3»0. 11- 


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27 


in  btt  Stunbe  ju  befötbern.  2)ie  JReoltfirunä  bieiet  »ie  jebet 
nat^tnaligcn  auf  Sßemenbung  gepreßter  Suft  gum  SranS^orte 
t)tngielenbet  3bee  fc^riterte  an  ben  untTbittlic^en  @eje^en  bei 
baffelbe  ©^irffal  ereilte  bie  ^tojefte  bet  fog.  pneu» 
matifdben  Sunnelba^nen  unter  ISnwenbung  veibfinnter  Suft, 
meldet  namentlich  SBaOance  befürmottete.  3Jlehi  Slnmartjcbatt 
auf  @tfolg  l^tingip  bet  (Sijen« 

bahnen*,  bei  melchen  bie  IDrucfbiffereng  gmijchen  bet  äußeren 
SUmofphäte  unb  bet  innerhalb  einer  (Röhre  eingefchloffenen  net> 
bünnten  8uft  jum  Borttreiben  con  guhtwerfen  auf  gemöhnlichen, 
au§eihalb  bet  Streibröhre  befinblichen,  iS^ienen  benuht  mirb. 
S)ie  Ueberfehung  biefeö  ^lingipö  in  bie  ^raj:i8  machte  Diel 
Äopfgerbre^enÖ  wegen  bet  technifchen  ©chrcierigfeiten,  wel^e  aber 
bie  Sngenieure  6Iegg  unb  ©omuba  auf  geniale  SBeife  übermanben. 
allein  bie  wenigen  in  ben  40er  Sahren  in  ©nglanb  unb  Stanl« 
reich  entftanbenen  futgen  S3erfuch0ftrecfen  (JKngfiton»5)alfen, 
©t.  @ermain=@hatou  :r.)  offenbarten  jeneö  Uebertragungömittel 
aUeinebenfo  unöfonomifched  alö  fcftfpieligee  unb  unf^mirgfameö, 
bah»  auch  iBignoleb  bet  SBürttembergijehen  diegierung 

empfohlene  aboptirung  bet  6legg'f<hen  Buftbahn  für  bie  (Route 
©tuttgartäßannftatt  unterblieb. 

Qir  (ßrfd)iihtc  CocontoHoe. 

SireDithii'ö  ©treben  nach  ben  SRiheifolgen  fein»  IDampf« 
futfehen  galt  nunmehr  ber  ä}»mählung  bei  <^ochbrucfmafchine 
mit  ber  ©purbahn.  IDaö  oon  ihm  1802  gefertigte  (DlobeD  eine! 
„Sramwaggonö"  (bet  (Rame  Bofomotioe  ift  jüngerer  .g)etfunft) 
D»anfchaulicht  §ig.  12.  Snfolge  einer  mit  bem  @ifenwerfabeSh» 
^omfrap jingegangenen  h<’h^>'  SBette  baute  S.reDithif  eine  fchwei> 
fällige  eingplinbrifche  ÜRaf^ine  mit  ©chwungrab  unb  piei  burch 
Sahnrabgetiiebe  gefuppelten  gaufräbern,  welche  im  Februar  1804 

(H9) 


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28 


m 12. 


atS  bte  erfle  Sofomotive  bet  SBelt  auf  bet  ÜRert^pt'jlpb&U« 
93a^n  bampfte  unb  eine  Siei^e  etjbelabener  äBagen  beförbeite. 

aber  fie  mar  ju  fermer  für  bie  ge« 
floffenen  ^lattenfc^ienen,  welche  be« 
ftönbig  unter  i^rcr  Saft  bradjen, 
unb  miebetum  ju  leicht  für  namhafte 
Haften,  »e§^alb  fie  binnen  Äut3em 
»teber  befeitigt  marb.  ©ntmut^igt, 
»erjroetftungSDon  lehrte  ber  „a^ne 
bet  Hofometinerfinbung"  in  feine 
ÜBertftatt  gu  Samborne  jurüd,  um 
anbermeitige  ^läne  ju  fc^mieben, 
bte  ben  unftüten  fStann  fcbliegli^  in 
9lotl)  unb  @lenb  [türmten. 

Die  Siöber  obigen  DampfttagenS  befaßen  glatte  Saufflöt^en 
unb  eö  ^atte  fomit  Jrecit^if  ba8  ©enügeu  iljrer  0ieibung  ober 
„ab^öfion"  auf  bem  ©eftänge  gut  SBerbinberung  be8  ©teitenS 
barget^an,  gleit^moljl  blieb  biefeS  ^ct^mic^tige  fDJoment  ein  ^aU 
be§  SKenfdjenalter  Ijinburc^  unbeab^tet,  wenn  and)  ber  ©ebanfe 
beS  Dampftran8porte8  nic^t  einfdilumnierte.  SSlenfinfop  »er« 
fa^  ben  einen  Sebienenftrang  mit  einer  angegoffenen  Ba^nftange, 
in  ttel^e  ein  »on  ber  Hoforaotioe  gebrcljteß  3al)urab  eingtijf, 
rcäbrenb  bie  »ier  Haufräber  auf  ben  glatten  (£d}icnen  roHten. 
Seit  1811  »erbradjten  berartige,  oom  9)tedianifer  Söiutrep  con» 
ftruirte  fDiafcbincn  jmölf  Sa^re  lang  bie  Äcljlenmagen  ber 
SRibbleton)n>©iuben  im  ©^ritttempo  nadb  Heebö.  3^re  Dampf« 
rplinber  »aren  »ertifal  in  ben  Äeffel  »erfenft,  bie  Steuerung 
geftbal)  mittelft  ,^a^nen,  ber  ,^effel  in  ber  ©röfee  eincö  SBein» 
fu^tfaffeS  mar  uon  einem  .^oljmantel  umgeben,  unb  ber  Dampf 
ftrömte  unmittelbar  in  bie  Huft  au8.  — Die  ©ebtüber  6^ap« 
man  moDlten  läng8  bet  ©eleifemitte  eine  .^ette  au8legen,  bie 

(I») 


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29 


um  eine  an  bet  gofomoHce  befeftigte  unb  »on  il)t  gebre^tc,  ge= 
ferbte  Srommel  gefd^lungen  merben  joQte.  SDet  enotme  ^raft> 
mluft  burc^  9ieibung  verbot  bie  praftifc^e  2intoenbung  btefeS, 
an  bie  Äettenfci^lfffaljtt  nuferer  Sage  erinnemben  ^rinjit»8.  — 
1813  oermirnic^te  SBrunton  auf  ben  tBulterlep>@i)enU)erIen  bie 
^aarfträubenbe,  nad^mald  mieber^olt  von  Snbem  (vergl.  ^ig.  1) 
aufgegriffene  3bee:  bie  ©emcgung  ber  3n0t^iete  mittelft  jmeier 
am  ^intert^eil  feiner  Sofomotive  arbeitenber  Stbiebefrucfen  nac^ 
jua^men.  ©d)on  bie  erfte  ^robefa^rt  na^m  infolge  0erften8 
beS  Äeffelö  einen  traurigen  Verlauf.  — 9iac^  mifeglucfteu  0er* 
fu^en,  bie  (S^onftruftionSpringipe  Srevit^if'g  unb  01enfinfo)>'d 
ju  vereinigen,  Iie§  ber  überaus  t^ätige  ©rubenbefi^er  0lacfett 
ju  SBplam  burd^  feinen  gefcbitften  SBerffübrer  SBill.  ^eblep 
im  Sn^e  1813  eine  einc^Iinbrige  Sofomotive  auSfü^ren,  bie 
tro^  aller  SRängel  infofern  einen  Sßenbepunft  im  gofomotivbou 
bejeicbnet,  als  fie  mit  glatten  Sreibräbern  verfemen  mar  unb  bie 
SulSnglid^feit  ber  21b» 

^äfion  jwifdjen  fRübunb 
©(biene  f ür  i mmer  con» 
ftatirte.  6tma6  beffet 
gelang  bie  UKaf^ine  ber 
(Obengenannten  von 
1815  (gig.  13).  ©ie 
be)a§  acht  burd}  3a^n» 
rüber  gefubpelte,  alfo 
gleicbjeitig  angreifenbe 
JRäber,  inbirefte  ©in» 
fübrung  beö  ©am^feS 
in  ben  ©^lot,  ein  rüd» 
febrenbeS  IRaucbrobr,  gmei  ©blinber  mit  .^abnenfteuerung 
unb  9Batt*f(be  Parallelogramme. 

(iti) 


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30 


3njiDif(i>en  war  bet  nad>mal§  erfolgreidbfte  unb  auSbauerabfte 
^Ionier  be«  beflügelten  SftabeS,  @eocg  ®tep^enfott  (geb.  1781 
geft.  1848),  beffen  feltrne  Sefä^igung  tbn  fc^nell  nom  einfachen 
geiget  gum  9Ra|d)inenmeiflet  ber  ItilHngwort^er  Äoljlennjerfe 
emporgel^cben  ^atte,  bemül^t,  bem  IDampfwagrn  bte  bislang 
fe^lenbe  lidjere  Sewegung  ju  ertljeilen.  ©eine  erfte,  mit 
^tlfe  »on  l!otb  JRaBenwortb’e  ©elbuntcrftfi^ung  gefertigte  8ofo» 
motine  üon  1814  „Mylord“  war  gwar  i^ren  Sorgöngerinnen 
überlegen,  aber  nod)  unbe^ülflicb  unb  tljeuer  gu  unterhalten. 
5)ie  \f\ei  angeroanbte  3ah*>ru^*“bertragung  fam  bei  feiner  „Tra- 
Telling  Engine“  ber  ^iOingworthbahn  non  1816  gang  in  3Beg< 
fad,  währenb  al8  wefentliche  äSerbefferung  gunäcbft  baS  unent« 
behrli^e  5)ampfs33Iaferohr  im  ©(hornftein  gur  93erftärfung  befl 
8uftgugß  hiugutrat;  bie  Slbhüfton  auf  ben  (ingwifj^en  eingeführten 
ftörferen  gifd)bau(hf(hicnen)  mar  burdh  Jhippelung  ber  beiben 
$reiba(hfen  mittelft  einer  .^ette  ohne  @nbe  oermehrt  unb  baß 
Äeffelgcftell  auf  IDampffebern  gelagert  roorben.  SBeitere  belang» 
reiche  Suthaten  erhielten  jene  gofomotioen,  roeldhc  ©tephcnfon  in 
feiner  1823  gu  SRerocaftle  gegrünbeten  SRafchinenfabrif  baute, 
nämli^  äufere  Äuppelftangen  an  ©teile  ber  Äettcnfuvpelung, 
ftählernc  SEragfebern,  eine  IDrucfpumpe  unb  eine  ©dhieber» 
©teuerung  mit  „lofen  (Sycentricß*  guni  Uor»  unb  IRücfroärtß» 
fahren;  bie  beiben  25ampfcplinber  waren  ccrtifal  in  ben  Äeffel 
oerfenft  unb  eß  wirfte  jebe  Äolbrnftange  auf  eine  befonbere 
Schfe.  3)iefe  Drgane  befaßen  bie  birfleibigen  „Stcn  ^orfeß", 
welche  — mit  ©taunen  unb  ©cheu  »om  Solle  betrachtet  — auf 
bet  $etton»iiohlenbahn  langfam  hin  unb  wiefcer  ftöhnten,  ben» 
felben  Jppuß  bie  ftärferen  IDampfwagen  bet  ©tocfton»3)arling» 
ton»Sohn,  welche  bereitß  90  tons  8aft  mit  15  km  ©efchwinbig» 
feit  pro  ©tunbe  beförberten.  35ic  „Jenber*  beftanbcn  lebiglid» 
in  leinen  SEranßportwagen  mit  einem  barauf  befinblichen  Soffer» 

(IM) 


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31 


fa§.  nic^t  unwid^tig  i|*t  bte  @infü^rung  oon  dtäbern  mit 
)(^miebeifernen  Sanbagen  bur(ft  91.  SEBoob  i.  3.  1827  3U  er» 
mahnen. 

@in  unDer^ältni^mägiger  Sljeil  ber  Semeguigd traft  mu§te 
bei  jenen  9Jlaf(^inen  jur  ^ortmäl3ung  i^rer  eigenen  9Raffe  nebft 
9Jlunition  nermenbet  metben;  au§erbem  befaßen  fle  feine0n?eg§ 
bie  (äigenfc^aften,  um  ni^t  blo§  3«31>fetbe,  fonbern  auij  3«t 
3U  eriparen,  b.  al0  „©djnellläufet*  3U  bienen.  Smfig  unb 
be^arrlidfi  fci^affte  (Step^enfon  weiter,  neue  8eben8organe 
feinen  tDampfroageu  ^in3ufngenb,  befte^enbe  »erbcffemb.  tDie 
©ifenba^n  8iDerpool«üRanc^eftet  uafjte  ihrer  93oücnbung,  aber 
noch  mar  man  unfi^lüffig  über  bie  SBa^l  ber  Jriebfraft.  ®egen 
JDampfbetrieb  eiferten  namentlich  bie  j?analbefi^er,  unb  gar  beS 
©rofemeifterJ  2?el)auptung,  mit  IDampf  hoppelt  fo  fchnell  al0  bie 
©ilpoft  fahren  3U  wollen,  warb  felbft  uon  fsaäjfunbigen  oerhöhnt. 
JDa  lie§  ©tepl)enfon  eine  9JlateriaIjug8»9)lafchine  auf  ber  Sahn 
laufen,  bie  »ortrefflidb  arbeitete;  nun  entfdjlofe  fich  bie  ©efed» 
fchaft  311  einer  6oncutren3eröffnung,  beftimrate  eine  Prämie  uon 
500  ^f.  ©t.  für  bie  befte  ©ampflofomotioe  unb  ernannte  SBoob, 
Sflaftrirf  unb  Äenuebn  3U  'Preisrichtern.  Sie  'PteiSmafdhine  füllte 
u.  a.  bei  einem  fDleiftgewicht  »on  6 tons  auf  ebener  Saljn  bad 
breifadhe  ihres  eigenen  ©ewichteö  mit  10  englifchen  SReilen 
@ef<hwinbigfeit  in  ber  ©tunbe  fort3ufchaffen  nermögen.  ^m 
6.  Oft.  1829  begannen  bie  berühmten  (5oncunen3fahrten  bei 
SlainhiQ  unb  maffenhaft  fhömte  baS  Soll  herbei.  6S  [tanben 
Bier  Sampfwagen  gum  frieblichen  SBettfampf  bereit:  „The  No- 
velty“  oon  Sraithwaite  u.  Srieffon,  eine  3ierli(he  fog.  Jenber» 
mafchine  mit  eigenthümlichem  Sampfgenerator,  weldjc  oiel  80b 
erntete;  „Sanspareil“  oon  .^aefworth  mit  einem  Äeffel  alten 
©tplS;  „The  Perseveranc^e“  oon  SurftaH,  ein  plumpeS  fDlach« 
wert;  enblich  „The  Rocket“  oon  &.  ©tephenfon  (gig.  14), 

(12S) 


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32 


4^  toDs  id)roer,  mit  Ijohen  Jliäbern,  jmei  iditäg  liegenben  @p* 
linbftn  unb  — al8  mic^tigfte  9leuerunji  jum  3roecfe  beträc^tlid) 
erljö^ter  35ampfptobuftiDn  — einem  Äeffel  mit  Dielen  Äupfer= 
röhren  jur  Slufna^me  ber  5?euerga|e,  rebft  befonberer  ^euet» 

büt^fe.  35ie  „Sfiafete"  ent» 
iprad)  allein  allen  anfot» 
berungen  be6  ^rogrammeö 
be^üglic^  93auatt  unb  8ei» 
ftung,  roäl^renb  bie  'Probe* 
fabrten  ber  übrigen  8ofo» 
motioen  mit  2)efeften  unb 
ÜJHfeetfclgen  enbeten ; ia 
nod)  mel)r,  bieielbe  legte 
bei  einet  ange^ängten  ?a(t 
ton  13  tons  pro  ©tunbe 
14  engl.  ÜJleilen,  cljne 
gabung  aber  faft  30  SReilen  SBeg  c^ne  jeglidjen  Unfall 
jutürf.  ©iefeS  glänjenbe  (Srgebnife  fam  fogar  ben  ge» 
roiegten  gat^fennern  unerwartet,  ©tep^enfon  ^alte  fic^  felbft 
überboten!  3^m  unb  bem  ©efellicbaftSiefretär  5ü3oot^,  bem 
geiftigen  Urheber  beS  epoe^emadjenben  Sio^renfeffelS,  warb  bet 
^reiö  jufammen  ^nerfannt.  55et  eigentlid)e  ©e^öpfungSaft  beS 
©ifenbabnwefenö  fc^lie§t  mit  ben  nenn  ewig  benfroütbigen  Sagen 
ton  SfJninl)ifl. 

Untet  ben  natbftfolgenben,  an  ©toße  unb  i^etbampfungS» 
fä^igfeit  entroicfelteren  ©ampfmagen  auf  ber  üiDerpool»2Rancbeftet 
SBaljn  mat  bie  5Kaf(biue  „'Planet"  bereits  mit  ^origontalen  (Splin* 
betn,  aufeenliegenben  (^oljetnen)  JRa^men  unb  fe^t  auSgebilbeteu 
©etailS  Detfeljen,  unb  eS  beginnt  mit  il)t  ber  groeite  Slbfc^nilt 
bet  8ofomotitgefd)icbte,  mit  bem  ber  9iame  9?obcrt  ©tep^enfon 
innig  teritebt  erfc^eint.  ©iefet  (geb.  1803  geft.  1859)  ^atte 

(1J4) 


■3i9-  14. 


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33 


ingttifdjen  bie  Leitung  bet  ^od^berü^mten  gofomotiofabrif  ju 
S^ewcaftle  »on  feinem  SBater  übernommen  unb  häufte  eine 
iBetbefferung  beö  ©ampfmagenfl  auf  bie  onbete,  im  glet(hea 
@(britt  mit  bem  roijiben  Snroadjfeu  beö  Sahnrerfebrö.  @t  oet» 
längerte  bie  Äeffel,  »ertbeilte  ba8  SDiafebinengemiebt  gur  ©rgielung 
oermebrter  Stabilität  unb  ruhigeren  8aufe8  auf  fechß  fRäbet 
unb  brachte  bie  umgeftalteten,  nun  gang  eifernen  fRahmen  ouher» 
halb  bet  fRäbet  an.  ^ig.  15  ift  eine  Sfigge  bet  i.  3.  1835  »on 
©tepheufon  für  bie  93ahn  'iRürn=  15. 

betgjgürlh  gelieferten  gofomotioe 
„Äbler"  “),  bet  erften,  irelche 
auf  beutfehem  SSoben  lief.  3u 
bemerfeu  ift  hici^f  bafe  ©nglanb 
an  ben  behufß  S^erminberuug 
beß  2Bärme»erluftcß  unterhalb 
beß  fRauchfaftenß  angebradhten 
©ampfcplinbern  fefthielt,  inbefe  bie  fontinentalen  Sßahnen  au§en 
lieejenbe  (Splinber,  welche  feine  „gefröpften"  ^teibachfen  bebingeu, 
aboptirten.  — 9Iuß  jener  Seitperiobe  batiren  bie  erften  wiffen« 
fchaftlich'praftifdhen  SSerfuche  über  bie  Slrbeit  bet  Kampfwagen 
unb  bie  SBiberftänbe  ber  Söewegung  aller  f5ahrgeuge,vwelche 
@.  be  Tambour  auf  ber  gioerpoolbahn  »ornahm.  ©tephenfon 
hatte  feiuen  tü^tigen  ©oncurrenteu  Surp,  Gurtiß  uub  Äennebp 
in  8i»etpool,  .^awthom  in  fRewcaftle  (ber  bie  heute  noch  übliche 
Steuerung  mit  »iet  feften  ©ycentrieß  einfübrte),  ©h“’^P 
JRobertß  in  SRanchefter  (welche  bie  ©egengewidhte  an  ben  Jteib« 
räbern  erfanben)  unb  enblich  fRothwetI  in  SSoIton,  ben  ?)fab 
geebnet;  »ergebenß  trachtete  ©tcphenfon’ß  huetudefiger  SBiber» 
fachet,  3ffluibarb  Srunncl,  jenen  im  gofomotiebau  gu  überholen. 
$^on  ben  ndchften  belangreichen  Steuerungen  an  ben  Kampf* 
unb  SRunitionßwngen  finb  h*^®orguheben:  baß  SSormdtmen  beß 

XIX.  4Si.  *36.  3 (12J) 


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34 


®)>n{en)afieT4  Don  S)e  dtibber,  bie  ^ecfteQung  DerftStjlter  9iab« 
banbagen  Don  @cod),  bae  5uerft  rom  Sranjoi'en  Slape^ron  be« 
nu^te  ötonotnifcb  micbtige  „@]cpanbttenla{|en"  be4  S)ampfeS  in 
ben  6plinbern  unb  bie  @infül)rung  bed  non  unjeretn  ^anbömaim 
i.  J^lein  erba(bten  ,$unfenfängerd*,  addier  au(b  bie  ^olj<  ftatt 
ber  Kohlenfeuerung  ermöglichte.  S)a@  3ahr  1843  enblid)  brachte 
©tephfnfou’ö  bocbbebeutjame  (ärfinbung  ber  6oultffeu»©teuer* 
ung  gut  @rgeugung  beliebig  oerÄnberlither  ©ampfejcpanfion 
mittelft  ber  (Souliffe,  b.  b-  dneb  gefchlibten  Sivifchenftucfed  gur 
SSetbinbung  bet  @]ccenttic6,  in  bem  bie  ©cbieberftange  auf  unb 
nieber  bemcgt  metben  Fann.  ^iemit  nimmt  bie  jüngfte  ^eriobe 
beb  SoFomotiobaueb  ihren  'jlnfang. 

^üt  bie  @ifenbahnen  jenfeitb  beb  Oceanb  »urben  anfangs 
lieh  bie  benöthigten  IDampfmagen  bei  @tephenfon  befteQt;  nach 
3ahte  1832  arbeiteten  bie  einheimijehen  gabrifen  oon  ^)all, 
IDaoib  unb  ©ärtner  nadh  englifdhen  SKuftern,  inbeffen  Salbmin 
in  31orrib  ebenbafelbft  ein  »cQig  felbftftänbigeb, 

ben  in  »eiten ©rengen  fich  bemegenbenSteigungb  unb  Krummungb» 
nethältniffen  ber  Sanbebbahnen  angepafeteb  ©pftem  aubbilbeten, 
»elcheb  alb  eine  ©pecHalität  beb  araerifanif^en  ©ifenbahnmefenb 
gilt  unb  im  SBefentlichen  burch  bab  oimdbrige,  um 
bare  SSorbergcftell  (iruef  ober  öogie),  jo»ie  burch  mädhtig  lange 
Äeffel  (haralterifirt  ift.  Si^orrib  orbnete  bie  Sreibrdber  feinet 
©tftlingbmafchinen  ‘ *)  (gig.  16)  bet  gtö§eten  abhdfion  »egen 
»ot  bet  geuerbüchfe  an,  SSalbroiu  oerlegte  fie  behufb  ftabilercn 
8aufeb  hinter  biefe.  JDie  ÜBottheile  beibet  *J)rincipe  Bereinigten 
1837  ©aftmief  u.  .parrifon  mit  ^)ilfe  gweiet  gefuppelter  Xteib» 
tdbet,  fo  bah  bie  gofomotiDcn,  wie  noch  h«nte,  auf  acht  9idtern 
laufen.  2luch  in  ben  fDiafchinenbetailb  finb  ben  amerifanifchen 
Sngenieuten  niete  finnreiche  Konftruftionen  gu  nerbanlen. 

SBenben  »it  unb  jeht  übet  93elgien,  wo  Sohn  ©oeferiO  in 
a*s) 


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35 


©«raing  unb  JRenatb  in  Srüffel  bem  gofomotiobau  oblagen, 
bann  über  granfreicb,  wo  Scbneiber  in  ßreujot  unb  Slnbr^  Äö(^* 
lin  in  üRübl^ufen  benfelben  eifrig  pflegten,  nadb  35eutj(blanb. 
^>iet  bejogen  bie  erften  Sa^noerwaltungen  ihre  Darapfwagen 
(unb  au^  bie  ©ampfwagenfübrer)  faft  nur  au8  englif^en,  oet» 


ffig-  16. 


einjelt  au^  aud  belgifcben  unb  ametifanijcben  Gabrilen;  bie 
^auptlieferungen  fielen  ©tcpbenfcn,  fowie  ©b^tP  unb  JRobertfl 
gu.  6inc  oon  JRotbweH  für  bie  8eip3ig=!Dre8bener  Sabn  gelieferte 
gofomotioc,  ber  „Äomet“,  würbe  6nbe  1836  in  Seipjig  als 
SBunberwerf  in  angebeiitem  Suflonb  gegen  @ntree  jur  @dbau 
gefteQt.  ®ie  erfte  im  Snlanb  felbft  gebaute  ÜRafcbine,  bie 
"©ajronia",  ging  1839  auS  ber  »on  ^rof.  ©cbubert  geleiteten 
gabrif  Uebigau  bei  DreSben  betucr.  9lad)  mehreren  fcbüdbicrnen, 
tbeilweife  mißlungenen  IBerfu^en  im  Sofomotiobau  folgten  bienft« 
fähige  5Jlaf(binen  1840  oon  ^>aSwelI  in  SBien,  1841  oon  ©orfig  in 
Söloabit,  3)laffei  in  .pirftbau  unb  Äeßler  in  ÄarlSrube;  einige 
Sabre  fpäter  entftanben  bie  befannten  Sofomotiobauanftalten  oon 
©geftcrff  in  ^jannooev,  .^artmann  in  6b«*nniß  unb  ^enftbel  ln 
ätaffel.  2)ie  bisherigen  ©ampfwagen  waren  mehr  ober  minbct 
getreue  äbopien  auSlänbifcber  ©orbilber  unb  eS  mußten  nodb 
oerfcbiebene  ^b^^^  u)ie  ^<bfen,  Sldber,  ^effelblecbe  u.  f.  w.  im« 

8»  (1*7) 


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36 


^ortirt  werben.  @rft  um  1848  entlebigte  ^Deutfd^Ionb  gäuj« 
ber  frcmben  Beffel«;  immerhin  ^atte  bet  35erein  beutjt^er 
(Sifenba^nverwaltungen  eine  wat)re  ÜRufterfarte  non  IDami^f« 
wagewS^pen  aufjuwetfen. 

©ingreifenbe  SSetbefferungcn  an  ben  3u3waf(biiien  flnb 
feit  @infü^Tung  ber  fd^weren  fecbßräbrigen  5^atent»8efomotbe 
©tep^enion’fl  ton  1843  nicht  mehr  p tetjcidjnen,  woQen  wir 
nicht  ben  @rfa^  bet  Äclbenpumpen  burch  @iffarb’0  I'ampfftrahl* 
pumpe  unb  bte  9?etbrängung  ber  ßoafö»  burdh  bie  billigere 
Steinlohlenheiijung  im  Sufammenhalt  mit  fog.  rauchtcr^ehren» 
ben  fieuerungen  bahin  rechnen.  Sin  ben  allgenieinen  Seftrebungen 
noch  33erebelung  unb  Vereinfachung  aller  ouf  Sicherheit  unb 
Oefonomie  beS  Vetriebö  hi^ii^i^nben  2)ctailö,  inSbefonbere 
bet  Steuerungöorgane,  nach  Unfdiablidhma^ung  ber  ftörenben 
eigenthümli^en  Schwingungen  bc8  ijofomotitförperß,  nach 
guter  Slubbalancirung  aller  VewegungSmedianiSmen,  nahm 
Deutfdhlanb  ernftlidi  Slh*il-  Säubern  toron  f^ritt  Deutjch» 
lanb  in  ber  .^erftellung  gewaltiger  Saftgugömafdhinen  mit  6 biS 
8 gefuppelten  fRöbern  jum  Gefahren  non  Steigungen,  bie  man 
fonft  nur  mit  Seilbetrieb  ju  bejwingen  nermocht  h^tte.  Wit 
9Raffei’ö  „Vataria“,  welche  bei  ben  benfwütbigen  im  ^)erbftc  1851 
ton  bet  öfterr.  JRcgierung  neranftalteten  ^reiöwettfahtten  auf 
bet  Semmeringbahn  unter  tiet  concutrirenben  SoTomotit» 
foloffen  ben  erften  ^teiS  ton  20000  ?DuIaten  gewann,  war  bet 
Oieigen  ber  Verglotomotiten  eröffnet  worben.  Vergleichen  wir 
©rohe  unb  ©ewidht,  gotm  unb  ©eftalt,  Äraft  unb  Schnelligfeit  bet 
je^igen  ^Dampfwagen,  bie  nun  ben  .^öhepunft  ber  Vollfommenheit 
erreicht  haben  bürften,  mit  ben  ©tfllingöinafdjinen,  welch’  ge» 
waltiger  Slbfptung!  Sofomotiten,  bie  ein  halbes  Slaufenb  ^ferbe» 
ftärfen  entwicfeln,  bie  mehr  al@  tierjig  2:on8  wiegen  unb  bequem 
ein  halbes  ^unbert  tollbelafteter  ©üterwagen  fchleppen,  finb  heute 
0») 


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37 


nichts  nngetvö^nltAed,  unb  nä^renb  bie  alten  @i(^oftn>agen  mit 
10  km  pro  ©tunbe  fc^on  9n§erotbentli(beS  gu  (elften  glaubten, 
»erlangen  mir  oon  ben  mobernen  unb  Sagbgügen  min« 

heftend  bie  ac^tfac^e  ©efcpminbigfeit. 

3ur  ^erooQftänbigung  fei  fc^lieglic^  noch  an  einige  eigen« 
artige  ‘Dampfroagenfpfteme  ber  9leugeit  erinnert,  SBit  meinen 
bie  Don  (Riggenbach  unb  Sfchi’ifc  erfonnenen,  bem  Souriften» 
»erfehr  bienenben  3ah”t®^’5R^I^*nenfür  fteile  3ahnftangen« 
0ahnen;  bie  oon  J$rau§  audgebilbeten  Senberlofomotioen; 
bie  (Dampfomnibuffe  für  ©efunbar»  unb  gofalboljnen,  unb  — 
last  not  least  — bie  jüngft  oom  gabritbep^er  ^onigmonn  bei 
Sachen  erfunbenen,  oieloerfprechenben  „feuerlofen  fRatron« 
3)ampf»8ofomotioen.* 

Snfnüpfenb  an  bie  ®efchichte  bed  S)ampfmagend  fei  aud, 
ber  Bemühungen  gebacht,  ben  0ampf  bei  manbelnben  SRafchinen 
burch  ftarf  gepreßte  8uft  gu  er* 
fe^en.  (Diefe  „Seber  ohne  ORaPe 
unb  Trägheit,  bie  nichtd  foftet 
unb  nie  lahm  loitb",  beabfichtigte 
3-  ».  Baaber  i.  3-  1820  auf 
bie  (5pIinberfolben  feiner  in 
gig.  17  oeranfchaulichten  „üuft» 

Sofomotioe,  analog  ben  ge* 
fpannten  Söaffergafen  bed  (Dampfmagend,  roirfen  gu.  laPen,;  er 
projeltirte  an  ©teile  bed  (Dampffeffeld  nebft  ©chomftein  mehrere 
guftregipienten,  an  ©teile  unferer  SBafferftationen 

ftehenbe  9leferooird  mit  aufgefpeicherter,  burch  Söaffet*  ober 
IDampffraft  ergeugter  oerbichteter  8uft.  Bon  fReuem  loonbten 
pch  in  ben  30et  Sohren  bie  Oberbauröthe  6,  S.  J£)enfchel  in 
ÄaPel  unb  8.  grelle  in  Berlin,  ber  ©nglönber  SBright  unb  ber 
^rangofe  Snbraub  jenem  Steterer  oeranftaltete 

(1*9) 


8ifl.  17. 


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38 


ipirflicb  1844  auf  ber  Sa^n  f^aTiS'^SerfaideS — aOctbiagS  mi|< 
glü(fte  — Sufttvagen^^a^rten  nntei  ISSerwenbung  von  25  ittno* 
ff>^ärcn  Suftbnuf.  9ber  bet  geväbntf  fRu^en  folget  3^0* 
maf(btnen  envicS  ficb  al4  eitel  unb  ^infäQtg.  neniget 

eingebilbet  loaren  bte  Sottbeile,  velcbe  ftd)  ^ecqueur  unb  ^epet« 
9{{etet  von  bei  permanenten  Suleitung  compTimirtei  8nft  na^ 
bera  in  Snb^t  befinblicben  8ufhvagen  in  einet  gmif^en  bent 
@eleife  angebrachten  Stöbre,  vetfptadben. 

Sie  (Etthnidilntig  irr  difmbainiimgrit. 

.9{ab  unb  @^tene  geboren  3ufammcn  tvie  ÜJiann  unb 
ffieib”,  pflegte  @tepbenfon  ju  fagen,  um  bie  engen  SßecbfeU 
begiebungen  gmif^en  beiben  @purbabn<  Elementen  gu  fenngeicbnen. 
@(bon  bie  älteren  38agen  bet  fRiegelbabnen  micben.  abgefeben 

von  ber  gemeinfamen  haften« 
form,  infcfern  von  ben 
@tro|enfubrwerfen  ab,  al8 
bei  ihnen  ber  SBcnbcfcbemel 
megfiel  unb  meiftenö  auch 
ihre  JRäbet  feft  mit  ben 
9(d)fen  vetbunben  waren 
(gig.  18).  2>ie  anfangfl  noch 
1 0 f en , ficberbeitSgefabrli^en 
j£)olgräber  bet  2ramwap«gubr* 
werfe  würben  aOmäblicb  ebenfadß  butd)  feft  auf  ben  2(<bfen 
fi^enbe  gu§eiferne  SiSber  mit  au§enliegenben  3Icb8tageru  erfe^t. 
fDie  gleiche  Slnorbnung  erhielten  bie  gabrjeuge  ber  jüngeren 
9iailwap8,  beten  Süäbet  mit  ©putfrängen  verfeben  würben; 
StemJbtbel,  wenngleich  bet  einfacbften  2lrt,  fehlten  felbftverftäub= 
lieb  »i^t.  @0  geftaltete  8aftwagen,  ben  SroDwagen  mobetnet 
SltbeiWbabnen  öbnliibr  führte  noch  bte  ©torfton- 33abn,  fie  finb 

(HO) 


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baS  ^ototpb  aDei  @ifenbabat)e^tte(.  9Rit  @infü^rung  ber 
®ampffraft  entftanben  ftabilere  unb  ttagfä^igete,  aber  unbeberfte 
SranSportmagen  von  80  @tr.  Sragfraft,  mit  niebriger  Plattform, 
reprä(entitt  butd)  bie  fog.  „8o»rte8“  (oon  low  = niebrig), 
mricbe  gegenivätttg  3um  Siandport  coit  (^eleifebaumaterialien 
Sermenbung  finben.  ?ene  ^lateaumagen  marrn  bereite  mit 
5?ebem  utib  mit  f(bmiebeiiernen  SRSbern  nad^  8o§b’e  patent 
auegeftattet.  Die  8onbcn=S3itmingbam»8abn  brachte  offene 
©ütermagen  mit  elaftifcben  3ug*  unb  SBufferoorriebtungen  fomic 
mit  abneljmbaren  ober  umlegbaren  ©eitenmänben  ^orbö);  bie 
SnSber  batten  bereite  jum  3®e(fe  be§  leichteren  unb  fieberen 
Durebfabrene  oon  .^uroen  fegelförmige  S3anbagen. 

auch  bie  älteften  ?>etfonenioagen  ber  ©tocfton=8abn  mit 
5nnen*  unb  aubenpläfeen  glidjen  ben  ©traffen  Dmnibuffen. 
©pöter  bauet  man  ®agen  mit  brei  oon  bet  ©eite  jugänglidjen 
6oup4§  in  jmei  Älaffen;  ibre  äuffetlicb  brei  aneinanber  ge» 
reihten  „Setliuen“  gleidbenbe  ©eftalt  ift  noch  an  älteren  beut» 
feben  (äifenbabnwagen  anjutreffen.  fDiinbet  bemittelte  gabrgäfte 
nmfsten  fidb  anfange  mit  offenen  S3orbmagen  begnügen,  erft 
nach  unb  nach  mürben  balbacbinartig  überbaebte  ©tebmagen 
mit  Botbängen  in  bie  3üge  eingefteüt.  gig.  19  jeigt  einen  jener 
^rioat  < ©quipagenmagen , beten 
©igentbümer  barin  fibenb  be» 
förbert  merben  burften,  ' *)  Die 
fransöjiidben  unb  belgifcben 
93abnen  oermenbeten  Deligencen 
mit  Goupäe,  Dmnibuemagen  unb 
einfache  i?anfmagen.  3«  9lorb» 
amerüa  entftanben  bie  betannten,  bie  3U  18  m langen,  bnr^weg 
auf  3mei  getrennten  brebbaren  UntergefteOen  ober  „Jrude* 
(oergl.  $ig.  16)  rubenben  aebtrübrigen  3^raneporhoagen.  Die 


gtfl.  19. 


40 


juerft  Bon  Ko§  SBtnanfl  1834  einaefü^tten  „amerifanif^en*  ?>«: 
fonemBagen  d^iafteriftien  ferner  ein  ffRittelgang  unb  jmei  burc^ 
bequeme  Sre^pen  Bon  ben  j^obfuänben  aud  jugänglid^e 
formen,  »eldje  bie  ßommnntcation  mit  ben  9la(^barnjagen  er= 
möglichen.  Serfd^iebene  Sßagenflaffen  ^at  eS  bort  nie  gegeben, 
bie  Sieger  waren  geraume  3nt  ganj  Bon  ber  @ifenba^nbeförbe> 
nrog  audgefcbloffen. 

2)eutfcblanb  Berjprad)  fi(^  auS  merfantilen  @rünben  feinen 
großen  Sluff^wung  bc8  ©üteroerfe^re,  wefe^alb  3.  8.  auf  ber 
8eib3ig  • SDreSbener  8a^n  anfangs  me^r  als  bo^jpelt  fo  niele 
i>erfonen*  als  8aflwagen  liefen.  JDiefeS  ungefunbe  33er^ältnifi 
feierte  fic^  gwar  nad^  bem  Sufammenwad^jen  ber  @in3elba^nen 
um,  allein  eS  machte  fic^  ein  mißlicher  Umftanb  fühlbar. 
renb  nämltc^  @nglanb  treu  an  bem  alti^ergebrac^ten  ©pftem 
Bierrdbriger  SBagen  feft^ielt,  ämerita  fid^  nur  acbtrdbtiger 
Söagen  bebiente,  famen  in  iDeutfcblanb  nic^t  nur  bie|e  beiben 
©pfteme  in  Slufna^me,  foubem  eS  würbe  auch  baS  für  aQe 
gofomotioen  angewanbte  fec^Srdbri|ge  ©pftem  auf  bie  SlranS-- 
portfu^rwerfe  übertrugen,  welche  babureb  ruhigeren  @ang  unb 
Bermebrte  ©tabilitdt  erhalten  foQten.  Jpeute  freilid)  ift  baffelbe 
auf  ben  3luSfterbe=6tat  gefegt. 

Sie  beutfeben  8aftwagen  betreffenb,  würben  gundebft  bie 
Söagenfaften  oergröfeert,  mit  IRücfficbt  auf  baS  ^afpren  ber  3ubl' 
reidben  SoOgicngen  aUfeitS  gejcbloffen  unb  mit  @cbiebetbüren 
nerfeben.  Ser  3unebmenbe  9Rafjen»@ütertranSport  b®*lc 
fucceffine  Sunabme  ber  Sragfraft  Bon  80  auf  200  ßtr.,  .^anb 
in  ,g)anb  mit  bet  Serminberung  ber  fog.  tobten  8aft,  im  @e» 
folge,  gür  bie  'Perfonenwagen  blieb  baS  englifebe  (Soupö°<3pftem 
Boxberrf^enb,  inbe§  erbielten  alle  gabrgeuge  eine  elegantere  9luS° 
ftattung,  bie  feebSrdbrigen  Sßagen  1.  unb  n.  dflaffe  würben 
woblweiSlitb  Bereinigt  unb  in  fünf  ober  feebs  @oupöS  abgetbeilt; 

axi) 


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41 


infofern  fprid^t  man  roo^I  au(^  oon  einem  ,S)eutf(^en  ^agen° 
fpftem“.  SBon  'Unfanc)  an  i^atten  ft(^  auf  aden  beutjc^en 
Sahnen  jebecfle  SBajen  III.  Älaffe  mit  @(^icbefenflern  etnge* 
bürgert,  einige  Sermaltungen  führten  felbft  unbebecfte  @te^» 
magen  IV.  klaffe,  mel(^e  jeboc^  fpäter  entmeber  ganj  befeitigt, 
ober  — befonCetS  auf  norbbeutfdjen  Sahnen  — beibeljalten, 
aberoöHig  gefc^Ioffcn  mürben,  '^tmerifanifcbc  acbträbrige  ,,3nter» 
f omin un if ationßroagen"  etfdjieuen  juerft  1838  auf  ber 
8eipiig»2)re6benet  S3a^n,  enbgillig  aboptirte  biefclben  äButtem- 
berg,  bie  Serlin-granlfurter  unb  fcic  öftetr.  @üb«!öa^n.  @eit 
ben  60et  Sauren  finbet  iibtigenä  bie  Jtombiniru  ng  be0  (5oup4* 
fpfteme  mit  bem  'JKittelgangfpftem  meljr  uub  mel)r  Verbreitung. 

’2ln  ben  gortjcliiitten  in  ber  Äonftriiftiou  unb  Sabrifation 
bet  bauplfä(blici)ften  Söagenorgane,  bet  iHcbfen,  JHäber,  iäc^ö» 
bluffen  unb  Scbmierapparatc,  bet  Untergeftelle,  Vuffcr,  3ug= 
ftangen  unb  .Kuppelungen,  enblid)  bet  fontinuirlicben  Vremjen 
gebührt  ben  beutfcben  @ifeubal)n=  unb  .püttcntechnifern  ein 
8öroenantl)cil.  Surchaus  beutfc^eö  Verbienft  ift  u.  a.  bie  ga» 
brifvition  beS  (Ecpalcnguferabca  oon  ©rufen,  beb  fthmiebeifernen 
©(heibentabeo  oen  5)aelen,  beöÖufeftahl'Vollrabeb  oon  3-  SKoper, 
ber  ©ufeftiahlacbfen  pon  Söerner,  bie  burchgehenbe  Sugftange, 
bie  mechanijehe  ©(hnfllbremje  oon  jpebcrlein,  oomebmlid)  aber  bie 
(Einführung  gang  eifetner  Untergeftelle  feit  etma  1860,  mel^e 
alb  bie  burchgreifenbfte  Veroodfemmnung  beb  ^agenbaueb  ader 
gdnber  betrachtet  merben  mufe.  ‘3u(b  ber  mohlthStigen  iDampf» 
heigung  pon  ber  ifofemotioe  aub  moden  mir,  alb  einer  beutfehen 
©rfinbung,  nicht  oergeffen. 

3m  ©inflang  mit  bem  beutfehen  Vationalcharafter  trat  bab 
Streben  nach  möglichfter  SBiberftanbbfähigteil  nnb  (Danerhaftig» 
feit  ber  Slranbpcrtmagen,  biefen  ©tunbbebingnngcn  ber  VetriebS« 
ficherheit  für  £eben  nnb  ©igenthum  fomie  für  bie  ^Rentabilität, 

(i»j) 


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42 


f^on  in  ben  9<nfängen  bed  beutfd^en  @tfenba^nwcfend  häftig  gn 
2age,  unb  eö  ^at  baS  nielfeitige  ^robiren  unb  ©jrperimentiren 
jum  Sbeil  aud^  feine  guten  ^fruchte  getragen. 

@0  erübrigen  no(^  einige  2Borte  über  bie  ©ntwidtlung  bet 
beutfrben  SBagenbau*9{nftalten.  3)ie  ©rftlingSba^nen  »crs 
fcbrieben  SRufterwagen  auS  @nglanb  ober  tl3elg{en  unb  liefen 
barnac^  iljren  SSagenparf  ftetß  in  i^rcn  eigenen  SSerfftätten  ober 
inlänbifdjeu  ©tellmad)ereien  unfertigen.  3(u0  ben  lefeteren  erwucbö 
alflbalb  eine  ben  ©ebarf  ©eulfcblanbö  mebt  al8  bedcnbe  3al)l 
rationell  geleiteter  prioater  SBaggcnfabrifen,  »on  bencn  »iele, 
g.  ©.  bie  f^innen  SReifert  in  ©ocfenbeim,  SEalbot  in  Sladben, 
^ffug  in  ©etlin,  noch  befteben  unb  namhafte  3luftr5gc 
»om  Ülußlanbe  erhalten,  ©ie  ade,  obenan  6Iemen8  SReifert, 
förberten  bie  SBagcnbautechnif  rühmenflmerth. 

fRadhftehenb  follen  nun: 

bie  erden  (Eifenbai|nen  be$  ^niilanbe$r 
nebft  ihrer  ©orgefdhichte,  foweit  biefelbcn  alö  ©otläufet  ber 
nationalen  Sifenbahnne^e  in  ben  SRahmen  oorliegenber  ©fij3en 
IJoffen,  furforifd)  »orgeführt  »erben. 

Wrofebritannien.  5)a8  ©erjeichnife  ber  oom  ?)arlamente 
oon  1758  an,  al8  bie  erfte  ßiienbahnafte  bie  SRe^töoerhältniffe 
neuer  3nbuftriebabnen  h>nfi(htlid)  ©efahrung  frember  @runb» 
ftürfe  regelte,  biß  18.34  conceffionirten  ©(hienen»ege  ift  ooH» 
ftanbig,  nicht  fo  feneö  ber  meift  furzen  unb  nur  eingelnen  28er= 
fen  gehörigen  ^rioatbahnen.  9tadh  Srebgolb  gab  eß  oor  1810 
nur  10  inforporirte  ©ahnen  cen  guf.  163  km  gonge,  1824 
fchon  33  oon  380  km  gänge,  1834  ober  60  ©ahnen  »on 
1554  km  ©efammtlänge,  »ogu  minbeftenß  no^  650  km  ^rioat» 
bahnen  fernen.  3u  ben  ccrgüglichften  unb  meift  boppelgeleifigen 
®fenftra§en  beß  britten  3ahrgehntß  gehörte  bie  fWerthpr-ßar» 
biff*,  bie  ©erhomrn.  unb  bie  ©umt)«©ahn,  fe  ca.  40  km  lang. 

(tM) 


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43 


9uf  Anregung  be4  Kaufmanns  unb  Duäfrrd  @b.  ^^eace  !am 
bic  crfte  @iffnba^n  für  ben  effenllidjen  Staaten*  unb  ^o{fa* 
gternetfebr  au8  bem  ÄoljlenTepicre  ©arlington  nad>  tem 
@tapelbla^e  ©todton  ntbft  Sbjnetgungen  gu  ©tanbe;  tie  betr. 
^atlament^afte  »on  1821  (djrieb  ber  ©efftlfiaft  bereits  fejte 
2arifgrenjen  für  bie  .toblenoerfracbtung  unb  gablreide  ©trafbe* 
{Kmmungen  cor.  Stepb^nfon,  unterftü^t  cen  feinem  tljeo» 
retifd;  auSgebilbeten  ©o^ne  fRobert,  leitete  nid}t  nur  ben  S$au 
mit  aCfet  Umfiebt  unb  fonbern  fe^te  au<b  tro^ 

gern  SBibetftanbe  bie  (Srptobung  ber  J'am^jffraft  bureb.  fDenf» 
würbig  bleibt  bic  probbetifete  ©teQe  einrö  JoofteS,  ben  et  eineS 
SlbcnbS  in  fleinem  Steife  auf  baö  ©ebeiben  beS  UntemebmenS 
auSbraebte:  „9lun  8eut(ben,  3br  etfebt  ben  2ag,  »o  bie  ^oft* 
mageii  auf  ben  ©dienen  laufen  unb  bie  ©iienbabnen  bie  ^aupt> 
ftrafeen  für  ^önig  unb  Untertban  fein  »erben;  bie  3tit  fommt, 
fo  »abr  i(b  lebe,  »o  man  »obifeiler  mit  bem  S)ampf»agen  ald 
ju  gufee  reifet  . . .!"  S)et  ©reffnungStag  ber  33abn,  ber 
27.  ©ect.  1825,  geftaltetc  fid)  gu  einem  fRationalfefte.  IDet 
©reffnungSgug,  beftebenb  au6  8cfomotire,  2enber  unb  etlicbcn 
brei|ig  ceflbefe^ten^affagier»  unbüaft»ageii,  legte  tie  16km  lange 
©trede  in  einer  ftarfen  ©tunbe  gurüd,  fo  ta§  fDlenfcben  unb  felbft 
eine  2)iligence  gum  Grgö^en  bet  Swfdauet  cergeblicb  mitgurennen 
fud)ten.  S)et  — übrigens  nc(b  jebv  brimitice  — @ala»agen 
ber  ©efellfebaft  trug  ben  befdjeibenen  9iamen  „©yferiment“  unb 
baS  OJiotto:  „Periculum  privatum  utilitas  publica“.  !Pie 
fommcrgiellen  unb  ftnangiellen  ©rgebniffe  teS  fortgefe^ten,  tbeilS 
mit  3)ampfa  tbeilS  mit  ^fertefraft  bemerffleÜigten  SPetriebeS 
übertrafen  bie  fanguinifebften  @r»artungen. 

3m  Sluguft  1828  erfolgte  bie  Snbetriebfe^ung  ber  Solton» 
8eigb'S?abn,  im  3«ni  1829  jene  bet  furgen  ÄingS»infort«S?abn 
mit  IDampffraft  für  ben  öffentlicb^n  ©ebraueb. 

(1*5) 


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44 


SBir  muffen  nun  etma8  in  bet  3e«t  jutüdßteifen.  1821 
^atte  bet  jfapitalift  0anbat8  in  Sinetpool  ein  ($omit4  ge« 
grünbet  jum  3»ede  ©c^ienenoerbinbung  biefet  ©eeftabt 
mit  SKanc^eftet,  bem  Sentrum  blit^enber  Snbuftrie  unb  ga» 
btifen.  3ojei  auf  betreiben  ©anbarö  inxi)  SBill.  3ame8  unb 
©tep^enfon  votgenommene  ä^ermeffungen  unb  Stracirungen 
litten  unter  unglaublichen  |)inberniffen  feitenS  bet  Bauern  unb 
unter  ben  Umtrieben  breiet  ^analgefeUfchaften,  benen  jufolge 
bie  na^gefuchte  @t(aubnih  3um  Bau  nom  Unterhaufe  cerroeigert 
mürbe.  Unbeirrt  burd)  berlei  9JU§erfolge  liefe  bie  Bahn»®eieQ» 
fcfeaft  eine  britte,  nun  gelungene  Jrncirung  burcfe  SRennie  belfeätigen. 
9lach  ben  günftigen  JRefultaten  bet  ©tedlonbafen  erfolgte  enb« 
litt),  nachbem  bereits  50  000  'pfb.  ©t.  oerauSgabt  roaren'«),  bie 
©enefemigung  beS  BaueS  butch  bie  umfaffcnben  'Parlaments* 
afte  oom  5.  'JDiai  1826,  jugleich  bie  erften  gefefelidjen  Beftim* 
mungen  übet  'Einlage  unb  Betrieb  oon  (Siienbafenen.  3)ie  Ober» 
leitung  beS  SBetfeS  mürbe  ©tepfeenjon  übertragen,  ba  9ien* 
nie  nicht  bie  Berantmortli^feit  bctfelben  tragen  moQte.  ©er 
Bau  bot  ganj  enorme  ©chroierigfeiteu;  fo  mar  baS  auSge* 
behnte,  tiefe  unb  fluffige  Äafeen  * 9Jloct  5U  paffiren,  eS 
mufeten  auf  ber  nur  15  ©tunben  langen  ©trecfe  63  Brücfen 
unb  Söegfühtungen  (baruntet  ber  impofaute  ©anfep« 

Biabuft),  ein  übet  2000  m langet  Sunnel  unter  bet  ©tabt 
8ioerpool  (mit  ©eilbetrieb)  unb  ein  3000  m langer  Berg« 
burchftich  hcrgefteüt  merben.  ©och  unetfchrotfenen 

5DieifterS  Äunft  fiegte  übet  bie  3fit,  bie  Äopfarbeit  über 
bie  Jpanbarbeit.  ©eine  ©efchminblofomotine  aber  fefete  bem 
gtofeen  Söetfe  bie  Ärone  auf.  ©en  15.  ©eptember  1830,  ben 
©röffnungStag  beregter  ©ifenftrafee,  begrüfeen  mit  alS  ben  @e« 
burtStag  ber  ^JRutter  aller  heutigen  ©chienenmege;  et  inaugurirte 
unbeftritten  einen  äBenbepunft  im  gefammteu  Kulturleben  ber 

(IM) 


^ k. 


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45 


ÜRenf^^eit.  ^reilid^  jivit  baß  erfte  ©jrperiment  tljeuer  crfauft, 
eß  »erfd)Inncj  über  eine  SKillion  ?)fb.  ©t.,  trc^bem  aber  ge» 
währte  bie  5Sal)n  f(bcn  im  erften  2?etriebßjabt  8 p6t.  fRente, 
tie  ft(b  in  bet  ^clge  nod)  er^öbte.  SRapib  mudjß  bie  JReife» 
luft  unb  ber  ©üternetfebr,  unb  adeß  mn§ige  Kapital  flc§  nun 
3um  großen  2^l)eil  ben  (Sifenbabnunternebmungen  ju. 

IDod)  »ie  jebe  grofee  Steuerung  im  Suftanb  beß  SBetbenfl, 
io  batte  nu(b  baß  neue  93etfebrßmittel  nidit  menige  Qiegner. 
SBdbrenb  bie  einficfetflootle  SBelt  ben  beiben  ©tepbenjcnß  alß 
ben  ©enbboten  jujubelten,  mcldbe  Ciuartiev  für  eine  f(bönere 
Seit  beftedten,  nerfünbeten  bie  ftarren  Opponenten  beß  3)ampf» 
tranßportß  einen  eödigen  iocialen  Umfturj  oder  ©itten  unb 
Bebenßoerbältniffe,  ben  Untergang  beß  ©pannfubrrnefenß  unb 
adet  bamit  jufammenbängenben  9tabrungen  ober  Äieingewerbe, 
nornebmlid)  ber  ©djmieben,  Söagnereien,  ©atllereien  unb  ^>et» 
bergen,  ben  SRuin  bet  ^lub=  nnb  Äanaljdjiftfabrt,  bet  8anb» 
mirtbidjaft  unb  ^ferbegud)!  — ad’  biefeß  alß  eine  unoermeib« 
Hebe  golge  bet  Gtiparung  an  £bier»  unb  'Dienicbenfraft.  SBieber 
Slnbete  nabmen  bie  Qiefäbrlidbfeit  ber  S5ampfmagen  unb  bet 
febneden  ^abrt  unb  jonftige  Idcbetli^e  Sebenfen  jur  Sielfebeibe 
ihrer  Singriffe.  The  Times  oom  3.  1831  braebte  bie  @r» 

fldrung  Don  71@runbbefi^ern  mit  benörafen  ©larenton,  (Iffep  unb 
^atrobp  an  bet  @pi^e,  um  bie  Sluofübrung  ber  geplanten  @ifen» 
babn  8onbonc93irmingbam  mit  oder  (Energie  ju  bintertreiben. 
JDie  Oppofitionen  oerjögerten  baß  Suftanbetommen  längerer 
©(bienenwege  metflieb;  erft  1837  tarn  bie  Hioute  8ioerpool.S3ir» 
mingbam,  1838  bie  SRoute  8onbon«23irmingbam  gut  33odenbung. 
@iner  um  1845  außgebroebenen,  non  Stüdicbldgen  begleiteten 
©ifenbabnmnnie  folgte  roenige  Sabre  barauf  bie  ^eriobe  tnbi* 
ger  unb  fteter  @ntmidlung  beß  britifdben  93abnue^eß,  melebeß 
— butebmeg  in  ben  ^dnben  großer  ©efedftbaften  rubenb  — non 

(1S7) 


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46 


©eite  ber  Üanteöregierunij  rocbcr  finanjieU  unterftü^t,  nod)  aber 
befc^ränft  würbe. 

Don  IDifficultätenmacbeTcien  jiemlicb  ceifc^onte  9Iorb« 
amerifa  3Ö,^erte  feinen  3luaenbli(f,  bie  grütbte  ber  jungen 
finbung  noQauj  ju  nü^en.  X)ie  erfte  Snbuftrieba^n  entftanb  1827 
bei  '43ofton  jum  betrieb  ber  ©teinbrut^e  Dcn  Duincp,  unb  rajtb 
mehrten  ficb  auSgebebnte  Linien  für  ben  allgemeinen  SSetfe^r, 
2)anf  ben  SJcftrebungen  ber  Sngenieure  ©tvirflanb,  SBrig^t, 
Smpnn,  Slannp  u.  tU.  2)ie  im  ^etbft  1830  in  ®etrieb  ge» 
fe^te  30  km  lange  @(^upltiU»@t{enbapn  jlamaqua»$ort<@Iinton 
^at  unjern  beutjc^en  üanbSmanu  griebriib  Bift  gum  iuteUef» 
tueOen  Urt^eber,  welcher  auf  einem  SluSfluge  burd)  3ufa0  ein 
rei^l)altige8  Äoljlenbedeii  entberfte  unb  eine  ©cfeOidjaft  mit 
500  000  SDoÜarg  Äapital  bcbufö  q^ebung  ber  ftbroargen  Öoben» 
fd)ä^e  unb  (Srfcplie§ung  ber  ©ebirgömilbnife  ins  üeben  rief.“) 
1831  bampfte  ber  erfte  (Jjrcurfionögug  Ülmerifaö  mit  ©tcp^en» 
fon’ö  gofomotipe  „3o^n  33uU"  auf  ber  9Jie^an>f=.pubfon»23a^n, 
uitb  von  nun  an  wud^fen  bie  ©cpienenmege  ber  ^reiftaaten  wie 
^ilge  au8  bem  33oben.  ®ie  über  400  km  meffcnbe  Söaltimore» 
D^io«33apn  (bifl  1835  mit  ^ferten  betrieben)  bemieö  fo  ret^t 
beutlid),  wie  bequeme  unb  fd^neOe  ^Iranbportmittel  ben  leb^afteften 
SBerfe^t  felbft  in  öben  Bänbereien  ^erporjurufen  »crmcgen.  Sn« 
gefi^tg  ber  frei^eitlidtften,  bunbe8feit8  meber  befd^ränften  noch 
beaufficptigten  prioaten  ober  einjelftaatlic^en  ©aut^ätigfeii  (auf 
3ie(bnung  be8  ©taatee  baute  Dorne^mlidt  i>ennfploanien  @ifen» 
ftrafeen),  bei  bem  praftifdjen  ©inne  bet  angelfäcpfijcben  9iace 
überhaupt,  fann  bie  intcnfioe  Entfaltung  be8  Eifenba^nwefenS 
ber  Union  fügli^  nit^t  SSuuber  ncljmen.  5.1on  tMnfang  an  mid) 
bie  Sed)nif  beffelben  mefentlidr  oon  ber  euiopäifcpen  ab.  S)ort 
war  bie  IDeoife:  billige  unb  fc^neQe  ^erftellung  ber  ©c^ienen» 

mege,  bemgemä^  Ütnfc^miegung  bet  Srapen  an  baä  Terrain  unb 
(1»8) 


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47 


möftlicfefte  JBerroenbunfl  beS  .Ödjcd  ju  SJauwerfen.  BrütJicüiji 
lorgte  bet  Söettieb  für  fräftige  unb  foltbe,  ben  2racirungegrunb= 
fä^en  angepa§te  SofomottDen,  bequeme  unb  geräumige  3Bagen 
unb  — »D^lfeüe  ga^t^jreife. 

Oeftemic^.  ©ubernialtatl)  Srang  Sofef  JRitter  oon 
©erflnet  in  ?>rag,  ein  SSeteran  im  ©ebiete  bet  t^coretifc^en 
SRet^anif,  ^atte  bie  fc^on  feit  b.  3-  1375  gum  Oefteten  bib> 
cutitte  ^analnerbinbung  bet  Sonau  unb  9Rolbau  megen 
te(^nif(^et  €(^mietigleiten  für  unt^unlic^  erflart  unb  1807  an 
(Stefle  bet  SÖaffetftrafee  einen  ©diicnenmcg  »orgefc^lagen.  Slbet 
erft  nac^  SJeginn  bet  freien  ©c^ifffa^rt  auf  bet  6lbe  mat  eö 
beffem  ©o^ne  Btang  »Jlnton  in  SBien  befc^ieben,  befl  Saterfl 
^läne  gu  Detförtjern  unb  bie  1825  t>ri»ilegirte  „@tfte  f.  f.  öfter» 
teic^ifc^e  ©ifenbahngefettfe^aft“  ine  geben  ju  rufen.  9lad)  normet» 
gegangenen  ©ifenbal^nftubien  in  ©nglanb  begann  ©etftner  jun. 
fofort  feine  ^^ätigleit  alö  te(^nif(!^et  geiter  be6  ^uptjä(^li(^ 
gum  Sraneport  non  '^etatialfalg  aue  bem  ©aigfammergut  nach 
33ö^men,  oon  4>olg  unb  au(^  uon  JReifenben  mittelft  '))fetbeftaft 
beftimmten  Unterne^menb.  @runbfä|li^  mürben  nur  fanfte 
Steigungen  unb  fc^mac^e  jtrümmungen  ber  Srace,  fomie  ein 
fd)malfpuriger  Oberbau  mit  einfachen  eifenplattirten  gangijolg» 
ft^meflen  in  baö  söauprogramm  aufgenommen.  3m  .pctbft  1828 
gelangte  bie  61  km  lange  Jljeilftretfe  Submeie — Äevfcbbaum  in 
Setrieb  — bie  erfte  ©ifenba^n  beö  Kontinente,  ja  ©uropae,  oon 
beträ(^tli(^et  ©rftretfung.  5)en  Sßeiterbau  bie  ging  übertrug  bie 
©efeUfc^aft,  ungufrieben  mit  ©erftner’e  ©mnbfä^en  unb  Koften» 
überfd^reitungen,  bem  Sngeuieur  ©(^önerer,  meieret  biefe  gmeite 
Sa^n^älfte  in  oiel  coupirterem  Jertain  gum  großen  fRadjt^eil 
ber  IKentabilität  in  ftarfen  ©teigungen  unb  Kuroen  auefü^rte, 
mobutep  gleidjgeitig  bem  oon  ©erftner  befürmorteten  5?ampf« 
traneport  ein  SRiegel  uorgefc^oben  mürbe.  3n  ber  2^at  biente 

(IW) 


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48 


bie  ^^fetbcba^n  Subweiö — ginj  (ganj  eröffnet  1832,  85nge 
126  km)  gcrabeju  alß  abfcbrecfenbcß  ^eiii?iel.  (5inc  non  ©erftner 
fen.  entworfene  9lftten«^ferbebal)n  non  ^rag  no(b  ?>ilien  fam 
nur  biß  8o^na  (55  km,  eröffnet  1830)  ju  Stanbe,  ^jrcßperirte 
jubem  nid)t  unb  ging  in  ben  ^rioatbefi^  beß  ‘jfürften  ©gen  über. 
JBeffer  gebiet)  bie  1836  bem  S3erfel)r  übergebene  gortfe^ung  bet 
obigen  ^ferbebal)n  con  8in^  nnd)  ©munben  im  ©aijifammergut. 

3)en  llebertrilt  ber  Sotometioba^nen  oon  i^rem  SRuttertanbe 
nadb  bem  Kontinent  Detmittlid)fe  mit  bercifd)em  €eIbftoertrauen 
baß  junge,  ^od)inbuftrieDc  Selgiett,  beffen  aufgeflörter  Äönig 
geopolbL,  ein  bentfeber  ^rinj,  halb  nach  feinem  fRegietungß» 
antritt  bie  0d>affung  cineß  fpftematifeben  ©iffnbnt)"neb*® 
j»at  auf  Staalßfoften  befd)Io§.  Stepbenfon  leitete  bie 
33oratbeiten,  bie  engliftben  Ingenieure  o.  fRibber  unb  ©imonß 
ben  28au.  9lm  5.  5Jiai  1835  burdbeilte  bet  erfte  JDampfjug  mit 
900  gabrgöften  unter  Slugen  ©tepbenfcn’ß  binnen  45  'Dünnten 
bie  17  km  lange  ^beilftrerfe  S?tüffel — 3)lecl;eln.  „3)ie  jabllofe 
5Renf(benmenge  fd)ien  oot  ©rftaunen  ob  bet  SBirfung  ber  in  fo 
Keinem  JRaume  eingefebtoffenen  JRiefenfraft  eineß  ©lementeß  bin* 
geriffen" , lautete  ein  Seritbt.  3)ie  folgenben  3al)re  brad)ten 
bie  Snbetriebfebung  bet  ©eftioneu  'Dietbeln — Slntmerpen,  QRecbeln 
— Stermonbe,  unb  1843  gelangte  baß  ©taatßbabnneb  ootlSufig 
gum  iSbitbluffe.  5Danf  ben  feit  Sefteben  bet  Sioerpool  — Dian» 
(bejter  fSab"  gemachten  Sortfebrttten  unb  ©rfabtungen  waren  bie 
Slnlagefoften  bet  belgif^en  SBabnen  fünfmal,  bie  SBetriebßfoften 
brei  biß  »iermal  geringer,  bie^abrpreife  »ietmal  woblfeilet  unb 
bie  3“bl  SReifenben  hoppelt  fo  grofe  geworben  alß  bort. 

3n  ^ronfreicb  fam  baß  ©ifenbabnwefen,  merflid)  beeinflußt 
burd)  bie  Äanol.SRanie,  oerböltnißmäßig  fpät  jur 

Steife.  3n  ben  mehrtägigen  IDebatten  ber  ©eputirtenfammer 
im  3uli  1822  über  bie,  230  ÜRiH.  ffteß.  Äoften  entgiffernbe,  ÄanaU 

(140) 


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49 


Dotlage  bet  JHegierung  warb  ber  ©tfenba^nen  ni(^t  mit  einet 
Silbe  erwäljnt.  SBo^l  traten  ^3ia»ier,  ©otbiet,  ?)etbonnet  u.  91. 
enetgifc^  für  ein  einheitliches  Sahnfpftcm  ein,  bo^  ohne  bireften 
6rfolg.  @ine  ancnnme  ©efeHjchaft,  an  beten  ©pi^e  Cie  ©ebrübet 
Seguin  unb  ®.  SSiot  ftanben,  erbaute  brei  'Pfetbe=35ahnen  jwi* 
fcpen  bet  l'oire  unb  JRfyone  non  jufammen  140  km  Sänge  jum 
porgugSmeifcn  JranSport  »on  25etgwer!S*  unb  ^üttenprobuften, 
beten  erfte  (St.  (ätienne—  Slnbr^cieujc)  im  Ottober  1828  in  S3e= 
nu^ung  fam;  einige  Sahre  fpäter  würbe  obwecbfelnb  mit 
^fetbe«  unb  mit  IDampffraft  gefahren. ' «)  ©ifeubahngefe^entwürfe 
gelangten  1835  not  bie  Äamnier,  giuvgen  jeboch  nicht  burch.  Unter 
ben  ©egnern  bet  ©ifenbahnen  befanb  ficb  bet  gefchicfte  Stech» 
ttifetlDupin,  ber  fchatffinnige  2lc.  Jh'^tö  unb  auch  gro§e@e» 
lehrte  ültago,  weichet  Schienenwege  nach  ben  SeehanbelSplä^en 
für  ein  Unbing  erflärte,  weil  ©fiter  auf  benfelben  nie  beforbert 
unb  fReifenbe  biefe  yxahrgelegenheit  nie  benu^en  würben;  alS 
Schrecfen  aller  Schreefen  bäuchten  ihm  bie  unumgänglichen 
SunnelS,  ba  — für  ade  'paffagiere  bei  bem  jähen  2cmpetatur= 
wecbfel  bet  Silagflufe  unausbleiblich  fei.  1837  enblich  began» 
nen  bie  erften  regelmäßigen  2)ampffahrten  auf  ber  Siuie 
Paris — St.  ©etmain,  unb  fünf  Sahre  barna^  entftanb  ein 
burdh  ©eieß  feftgeftetlteS  Spftem  gemifchten  Staats»,  ©ommu» 
nal»  unb  PrinatbaueS  non  Schienencetbinbungen , mit  SSetrieb 
burch  bie  Prinatinbuftrie. 

^oQcmb  ffimmerte  fidh,  im  IBetlaffe  auf  feine  fchwunghaften 
JranSpcrtgelegenheiten  gu  SBaffer,  lange  ni^t  um  ben  ©ifenbahn» 
bau,  gnmal  öehörben,  bie  31hebet  unb  SchiffSeigenthfimer 
entfehiebenen  SBiberftanb  entgegenfeßten.  ®elgienS  SSorgehen 
öffnete  bie  9lugen  unb  bewirfte  1836  bie  Snangriffnahme  bet 
Streefe  3lmjtctbam— Jpnrlem  burch  -£)auptmaun  93rabc.  — Slße 

XIX.  43S.  436.  4 (140 


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50 


übrigen  8änber  @uro^aä  entbehrten,  abgeiehni  ncn  S)eutf(blanb, 
in  biefer  3eit;)eriobe  nod)  beS  neuen  33erfebrdmittel@. 


Bit  Borgrfd^iihtr  br?  bentfihen  difenbahntaefens. 

SBie  id)on  erwähnt,  h<tben  wir  bie  erfte  SInbcutung  ber 
@purbahn  in  ben  beutfchen  @rubenbauten  beS  15.  3ah<hunbertä 
ju  fuchen.  ©pejififih  unterfchieben  unb  unabhängig  uon  ben 
ober«  ober  unteritbijchen  3nbuftriebahnen  finb  bie  uralten  „iBohlen« 
Wege“,  welche  ouf  befonberS  unwegfamen  Strecfen  für  gewöhn* 
liehe  fcuhiwerfe  ba  unb  bort  Dorgerichtet  würben.  @ttenharb'd 
aSergwerföbuch  ergdhlt  anno  1566  oon  ben  jetnergeit  berühmten 
ergiebigen  ©Uber«,  ©ifen*  unb  jtupferminen  auf  bem  galfenftein 
bei  ©dhwaj  in  Iprol,  bie  Duelle  beS  IReichthumö  ber  Slugöburger 
^ugger,  unb  melbet,  bafe  bort  bie  .^unbegeftäuge  in  ben  ©tollen* 
furoen  („IReiben")  mit  23anbeifen  (IReibeijen)  benagelt  waren  — 
bie  ältefte  literariid)  nachweiöbare  Slnwcnbung  bc8  föijen?  für 
©eleife.  1775  fonftruirte  2)ireftor  griebrich  in  6lau8thal  eigene 
Srichterwagen , welche  bie  (Srge  auf  eifenbefchlagenen  gang» 
fthweUen  („©trahbäumen")  uon  ber  @rube  ^Dorothea  gum 
’J^ochwerle  nerbrachten.  Slflgemeiner  unb  beftimmter  organifirt 
erfcheinen  (Sifenbahnen  mit  Jpunbewagen=§örberung  burch  3Ren* 
fchen»  ober  |)ferbefraft  nach  ^Beginn  unfereä  Sahrhunbertö,  nor* 
nehmlich  in  ben  'Pfälger  Ächlenreoieren  unb  in  ben  fchlefifden 
©rjbiftritten  gwifchen  @leiwi|>  unb  SRnlopane.  Ungwcifelhaft 
ift,  ba|  im  Sahre  1815  fogar  ein  Kampfwagen  mit  fafeähnli^er 
Umfleibung  beS  Äeffelö  nach  9Rurrep«23lentiniop8  Sahnrabfpftem, 
beffen  Seith^ungen  bie  nachmaligen  S3ergräthe  @cfarbt  unb 
Ärigar  in  SSerlin  aus  ©nglanb  mitgebracht  hflite«» 
preufeif^en  jpüttentechnifer  ^rang  ©chmahel  in  ber  JReichö' 

(142) 


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^auptfta^t  jelbft  oerfertigt  unb  auf  einer  Äo^Ienbabn  tm  <$aar= 
brücfen’fdjen  futje  Seit  in  @ang  gefegt  würbe. ' 

SBenig  beadjtet  finb  bie  jablrei^en  oberirbifcben  Sörber« 
bahnen  ber  fRu^rgegenb  jur  äbfübrung  ber  ^robufte  ihrer 
uneri(höpfli(hen  Äehtenlager.  Sieben  berielben  ejriftirten  fchcn 
geraume  Seit  cot  1826,  hoch  bleibt  ihr  Urfprung  in  ®unfel 
gehüllt.  Seitbem  würbe  jebe  Seche  mit  einer  ^rinatbahn  Der* 
fehen,  unb  e§  bürfte  bie  ©eiammtUinge  aller  au8  ber  SBorjeit  ber 
beutjchen  gofomotiDbahnen  ftammenben  Spuvwege,  bie  fiih  auf 
einen  glächenraum  Don  minbeftenS  10  □ Weilen  oertheilten,  mit 
70  km  nicht  überfchä^t  fein.  fUach  d.  [Reben  ' *)  beftanben  bie, 
felben  iumeift  auö  fehr  fchmalipurigen,  eifenplattirten  ^)olj* 
geftdngen;  einige  ©rubenwcrfe  inbefe,  j.  S.  bie  Sechen  SlntoniuS 
unb  [Rülanböbanf , hatten  ba§  ältere  „beutfehe  ©pftem", 
b.  h-  gufeeijerne  Schienen  mit  einem  au§en  angegeffenem 
erhabenem  [Ranb,  auf  Sangfchwellen  abeptirt.  $Die  einträglichfte 
unb  größte  aller  Wontanbnhnen  war  bie  fchmalfpurige,  11  km  lange 
Slftien'Pferbebahn  bei  Steele,  beren  (Sinweihung  i.  3-  1825  ^rinj 
SSilhelm  oon  ^reiifeen  nebft  gamilie  beiwohnte.  Wehrere 
^Mattenbahnen  nach  englifcher  ©auart  befaßen  bajumal  auch  bie 
Kohlengruben  an  ber  Saar,  ja  bie  ^ouifenthaler  ©ahn  hotte 
8 km  8änge  unb  anfehnli^e  SDamm*  unb  Äunftbauten  auf* 
^uweifen;  ein  i^ferb  fonnte  ein  IDuhenb  belabener  SBägelchen 
jiehen,  unb  Suge  mit  einem  halben  .^unbert  Rahrjcugen  foHen 
nicht  feiten  gewefen  fein.  9lnfang8  ber  30  er  würben  neue  görber* 
geleife  eröffnet  bei  gteiberg,  auf  _bem  ÜRei§ner  unb  oon  ber 
Saline  ©ürrenberg  nach  ben  ©raunfohlengvuben  bei  ?)otlwih. 

®ie  bcfprochcncn  SnOuftriebahnen  bilben  intereffante  6Ie* 
mente  für  bie  öifenbahngefchichte  IDeutfchlanbe,  beffeu  ehebem 

enorme  h^h«  ßifeupreife  in  ben  althergebrachten  ^unbJläufen 

4*  (uj 


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nie  ben  Äeim  but(^greifenbet  Umgeftaltunfl  be0  8anb»$tan8» 
portmefend  etfennen  lie|en. 

©leic^jeitig  mit  ©erftncr  l)atte  Oberftbetgratb  unb  9Raf(^tnen* 
bireftot  S^itter  Don  99oobcr  (gcb.  1764  geft.  1835)  in 

3Riinc^en  mit  üorjdjaucnbem  ©liefe  ten  ©ebanfen  bet  @ticnbabn 
aufgenommen  unb  feit  b.  3>.  1807  — mel)t  benn  ein  3a^t» 
ge^nt  not  bem  Auftreten  bet  elften  britijeben  ©ifenba^n« 
tjubligiften  J^omaS  @rat),  Jrebgolb,  SSoob,  9>ii(^olfon  u.  9t. 

— unauSgefe^t  bafüt  gewirft,  nidjt  nur  in  feiner  (jigenfe^aft 
als  Slfabemifet,  fonbern  au(^  als  ein  belebter,  überaus  pro« 
buftiner  ©(^rifffteHet.  «Seine  ©orfd?läge  unb  ßifinbuiigen  Ratten 
im  ganbe  3o^n  ©uQS  genugfam  Stoff  ju  einem  fDn^enb  non 
patenten  geboten.  föJit  UebergeugungStreue  fuc^te  er  bie  non 
i^m  wieberfiolt  an  Crt  unb  Stetle  beobachteten  fWüngel  ber 
englifchen  Spurbahnen  unb  SBavgen  an  ben  'Pranger  gu  ftetlen 
unb  in  feiner  in  allen  ilieilen  non  jenen  abroeichenren  Sauart 
gu  ^eben.  (Sin  fleineS  arbeitenbeS  fUKoted  bet  leiteten  mürbe 
im  3a^re  1814  non  ben  Äaifern  non  iRufelanb  unb  Defterreich, 
bann  non  SapernS  ^Regenten,  befichtigt.  3m  folgenben  3a^re 
erhielt  Saaber  ein  fgl.  'Prinileg  auf  feine  „Sifernen  Äunft» 
ftrahen",  baS  adererfte  in  biefem  ©ebiete  überhaupt  ertheilte 
beutfdje  'Patent.  1818  erperimenlirte  berfelbc  an  einer  mirflichen 
(Sifenbahn  in  halber  fRaturgröfee;  SapernS  .^onpringeffin  gog 

— mie  bie  ÜRünchener  Stabtdhronif  melbet  — einen  mit 
16  (Str.  belabenen  SBagen  bequem  mit  einet  .^anb  fort.  fDaS 
bamalS  bem  Sunbeetage  unterbreitete  Programm  feines  (erft 
1822  etfehienenen)  hiftorifch  intereffanten  SBerteS  „fReueS  Spftem 
bet  fortfehaffenben  dRechanit"  mürbe  ad  acta  gelegt.  IDie  'Prin» 
gipien  ber  Saaberfchen,  übrigens  nur  für  .£)anbelStranSporte  nach 
ÜRa§gabe  ber  bnmaligen  ©üterbemegung  berechneten  „(Shauffee» 
«pferbebahnen"  erhellen  auS  genanntem  3Berte:  ©eringe  fSnlage» 

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53 


unb  Unter^altungdfoften,  geringer  SRaumbebarf,  Umwanbiung 
ber  ©eitentetbung  an  ben  ©(^ienen  in  eine  roOenbe,  (Srmög» 
lid^ung  fcbatfer  Sa^nfnroen  «nb  beö  Uebergangö  ber  SBagen 
auf  bie  gc»ßl)nlidbe  Strafe.  3*n  Sefonberen  backte  fic^  ©aaber 
ein  ununterbro(bene3  unb  er^ö^teS  ©teinbämnuben  al3  Unter« 
bau  befi  guleiferneu  ®eftänge8  »on  nur  18  3olI  ©punueite 
(gig.  20);  leichte  Slranöportwagen  mit  3Wei  SBeubeftbemeln» 
»ier  (leinen  8aufräbern,  a^t  feitlicben  geitrollen  jum  Spur, 
galten  unb  »icr  großen,  f?l9-  20. 

beiberfeitfl  be8  Dammeö 
frei  bängenben  SiSbern 
gum  Swecfe  ber  SBeiterbe= 
forberung  bet  äßagen  auf 
bet  ganbftrafee  oljne  Um« 
labung.  Sie  an  lange 
©eile  gefpannten  Sugpferbe 
follten  nicht  innerhalb,  jonbem  neben  ber  ©al}n  geben.  @e» 
»iifenbaft  war  für  aQe  9iebenPorricbtungen,  bie  auf  ßifenbabnen 
nötbig  werben,  geforgt.  fUiancbetlei  i^orfcbläge,  welche  in  ocr» 
änbertem  ©ewanbe  nach  Degennien  »on  iSnbern  erneuert  würben, 
wie  g.  ©.  bie  ©erminberung  ber  Slcbfenreibung  buvcb  fog. 
gri(tiou8f(belben , unb  bie  breifcbienige  ©abn,  muffen  wir  übet* 
geben. 

SBiebevbolt  petitionirte  ©aaber  bei  bet  baperifcbcn  JRcgievung 
um  Slnftellung  eines  entfcbeibenben  ©erfucbeS  mit  feiner  ©ifen» 
babn  in  wirflicfeer  ®ro|e,  erfolglos  empfahl  bie  Äammer  ber 
ganbftänbe  bie  unuetguglicbe  3lnwenbung  ber  ©rfinbung  gwifcben 
9inrnberg  unb  ^rtb  fowic  gwiftben  5Rain  unb  (Donau;  erft  bei 
ber  brüten  Stänbeuerfammlung  Don  1825  warb  bie  erbetene 
Summe  dou  8000  fl.  bewilligt.  9lun  würben  unter  ©aaberS 
Leitung  im  Shlofegarten  gu  9lpmpbenbutg  bei  fUiüncben  gwei 

(MS) 


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54 


je  780  öufe  lange,  in  juiiicffe^renDe  ©ifenba^nen  neben* 
einanber  angelegt,  bie  eine  nad^  englijc^er  ©anart  (Jramwap) 
mit  englij(^en  SBagen,  bie  anbete  nad)  ©aaber’ß  ©auart  nebft 
^u^rmerfen  mit  neuen  ^pcmmvorricbtungen.  !Die  [Ric^tungß* 
önberiingen  würben  bcrt  bur*  JDre^fcbeiben  unb  eine  SBeic^e, 
Ijiet  burc^  einen  ,&nlbfrei8  »on  40  2)urd)meffer  vermittelt; 
beibe  ©a^nen  befaßen  jubem  [teile  ab^dnge.  3«n  ^rü^ja^r  1826 
fanben  öftere  nergleicbenbe  [val)tfDcrfud)e  mit  ^fertetraft  not 
'Äugen  Äönig  ^ubwigS,  oor  einer  minifteriellen  unb  einet  ata» 
bemtfe^en  ^^rüfungßcommiffien  unb  Der  mebreren  wiffenfdbaft» 
lidben  ©ereinen  ftatt.  @8  mürben  bie  ©ortbeilc  beß  ©aabcr’fcben 
<ä9ftcmß  in  aQen  ©e  jiebungen  pr  etof  ellarifcb  anerfannt,  unb  bie  (oer» 
^eiblicben)  ©cbenfen  bteier  alß  Sarbüerftdnbige  beigejogenet  Subv» 
leute  wegen  ©erfürgung  il)ree©etbienfleö  beißinfnbrung  Dent^ifen» 
bahnen  gehoben.’*)  ©leicbwcbl  fö  1?«  biefen  ©erfudben 
fein  ©ewenben  unb  würbe  bie  Änlage  Don  ©ifenflta^en  ftaalß» 
feitß  überhaupt  oertagt,  Dießeicbt  gum  @lücfe. 

3n  Dinglerß  polptetbnifibem  3outnaI  Dom  Sabre  1831 
fünbigte  3-  d.  ©aabet  eine  neuerfunbenc,  febr  leichte  „Sott* 
f^affnngßmafcbine"  an,  beten  Äraftmoment  jeberjeit  bem  gu 
nberwinbenben  SBiberftanbe  entfprechenb  regulirt  unb  Dermebrt, 
überbieß  beim  ©ergabfabren  gut  ©ewinnung  eineß  neuen  3u» 
madjjeß  Don  bewegenbet  Äraft  Derwenbet  werben  fönne.  35ie 
®etailß  biefer  etmaß  rdtbfelbaften  3u9»naf(hine  bleiben  ©ebeim» 
nih,  gumal  ©aaberß  literarifeber  ©ncpla^  in  frembe  .pdnbe  gerietb 
unb  ipurloß  Derloren  ging;  Dermutblicb  war  fie  eine  8uftlofo» 
motioe,  beren  überfchüffige  Äraft  8uft  in  bie  ©ebdlter  gurücf» 
pteffen  begw.  magaginiren  foDte.  Äuberbem  batte  ©aaber  Äuß» 
unb  ©inlenfungßDorrichtungen  an  HJiafchine  unb  3Bagen  erfonnen, 
um  ben  3u‘3  an  jeber  beliebigen  ©teile  wdbrenb  DoIIet  <5obrt 
auf  bie  baneben  befinbliche  ©trafee  unb  wieber  gurüdf  in  baß 

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55 


Weleife  auf  bie  SSa^n  ju  bringen.  — 1832  übergab  Sofepl)  o- 
U^icbnciber  ber  Deffentlicbfeit  ben  SBorfc^lag  5ur  @rbauung 
einer  bie  ^lüffe  3nn,  3fat  iinb  8ed^  freugenben  „baperifi^en 
öberianbba^n*  nebft  Slbgroeigung  eineS  f^iffbaren  ÄanalS  non 
berfelben  na^  ber  8anbeel)auptftnbt.  Saaber  fnüpfte  hieran 
eine  f^Iugfc^rift,  njorin  er  für’8  @rfle  bie  .^erftellung  einer  @ifen» 
hal)n  g»if(^en  9Rün(ben  unb  Starnberg  in  93erbinbung  mit 
einer  3)ampff(bifffn^rt  auf  bem  SBürmfee  nadjbrüdlidjft  empfal)f. 
9!Rerfroürbig , afle  eben  genannten  SSorft^läge  fa^  0apetn  erft 
gmei  ootle  3a^rge^nte  fpäter  nerroirflicbt. 

33aabcr’8  9lppclle  an  fRegieriing  unb  ^ublifum  blieben  eine 
Stimme  be?  fRufenben  auö  ber  SSüfte;  er  erlebte  nit^t  mel)r  bie 
?(u8fül}tung  feiner  8ieblingöibee  im  @rc|en.  ©eredbt  unb  billig 
i''t  e§,  ba^  bie  fRa(b»elt  feinem  patriotifd^en  f^euereifer  unb  ber 
flleinbcit  feiner  Ülbfic^ten  bie  'Jnerfennung  golle,  welche  il)m  bei 
Vebgeiten  Befangenheit,  fUlifigunft  unb  wibrige  SSerhöltniffe  ner» 
fagten. 

Unter  ben  beutfehen  SRännern  bie  com  oolfömirthfcbaft’ 
lidjen  ©eficbtöpunfte  au6  für  ben  ©ebanfen,  ba§  man  bie 
(rifenbat)nen  al8  bie  ©runblage  gu  einem  großen  nationalen 
Sraneportfnfteme,  al8  ba0  flRittel  gu  nationaler  ©mancipation 
be0  ^)anbel8  unb  ber  3nbuftrie  betrachten  müffe,  förberfam 
mirften,  fte^t  obenan  ber  Schwabe  .ftonful  ^riebrich 
:geb.  1789,  geft.  1846),  ber  gro|e  BolMwirth  unb  Slgitator  für 
ben  beutfehen  3oHt»erein.  @r  nerftanb  eS  wie  fein  Slnberer,  baö 
3ntereffe  für  ein  fReh  non  ©ifenftrahen  im  3ufammenhang  mit 
einer  aufgebefferten  .^anbelSpolitit  burep  ungdhUge  ^robufte 
'eineö  elaftifchen  ©eiffeö  unb  burch  gewanbte  Sprache  wach  gu 
erhalten.  Bc?n  fRorbamerifa  auö,  wohin  er  politifdher  ÜRotine 
halber  auöguwanbem  gegwungen  worben,  unb  beffen  3tührigfeit 
unb  Selbftftänbigfeit  bei  ©inführung  beö  neuen  Jran0port» 

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56 


inftituted  ftc^  oot  feinen  Singen  entfaltete,  mad)te  er  feit  1827 < 
|)ropaganba  für  eine  ßtienbal^noerbinbung  jmifdben  SRb«n  unb 
SBefer,  jwifeben  ben  ^anfaftäbten,  j£)annoDer,  ©übbeutfcblanb  unb 
bet  für  ein  t)reu§if(be@,  fädbfifc^ed,  babifcbee  unb  württem< 
betgifebcfl  ©ifenbabnfpftem ; fein  Sriefmecbfel  mit  3-  »•  Saabet  ift 
reich  an  föhnen  @ntn>ürfen,  worin  bie0ef<hränftheitnurS8inbbeute' 
lei  ergrübelte.  9leben  .parfort  gebührt  ibm  wohl  baS  meifte  S3er= 
bienft  an  ben  ©rünbunggarbeiten  ber  erften  größeren  Solomctiobahn 
^cipgig — ®re8ben.  3)en  gegebenen  SSerbältniffen  entfprecbenb,  i>lai= 
birte  ?ift  für  ©taatfl^  ober  für  ^rinatbau,  für  ^ferbe»  ober  ©ain^jf» 
betrieb,  ftetä  ba8  woblfeile  amerifanifcbe  ®eleifebau*@hftem  juv 
»orläufigen  Slnnjcnbung  empfeblenb.  2)a85Re^  Don600b.üJleilen 
^ifenbahncn,  welches  er  einft  auf  einem  Äärtchen*®)  entwarf,  ift 
nach  15  3ahren  oollenbet  gewefen.  Unb  weldjen  35anf  fanb 
biefer  raftloS  fchaffenbc,  oielget>rüfte  9J?ann?  — Sein  fummerooller 
8ebenSabenb  unb  fein  freiwilliger  Job  antwortet  braftifch  genug! 

©letch  8ift  erftrebte  auch  5iürnbetgS  waderer  Äaiifmann 
unb  Sürgermeifter  SobanncS  Scharrer  (geb.  1785,  geft.  1844), 
ber  Urheber  heute  noch  blühenber  te^nifcher  Schulen  in  bei 
alten  SleichSftabt,  nicht  nur  bie  Söiebetbelebung  oon  3nbuftric 
unb  ©ewerbe,  fonbem  auch  bie  pebung  ber  in  ben  geffeln  oon 
Äleinftäbterei  unb  ülcinftaatcrei  tief  gefunfenen  materiellen  tlieg» 
famfeit  JDeutfchlanbö  burch  93erbefferung  bee  3oU=  wnb  31erfehrö= 
wefenS;  er  befannte  fich  übrigens  ju  bem  gemäßigten  SreihanbelS* 
fnftem,  inbeß  iJift  bas  Schußjollfpftem  »ertheibigtc.  Scbarrer’s 
^lan  galt  3unächft  ber  93erbinbung  SRürnbergS  unb  BürlhS  burch 
eine  iJolomotinbahn  nach  englifctjen  9)iuftem.  Seiner  überjeu» 
genben  93erebfamfeit  gelang  eS,  einen  ÄreiS  geachteter  Äaufleute 
beiber  Schwefterftäbte  für  baS  Unternehmen  ju  gewinnen  unb  ein 
©omit4  unter  SSorfiß  besOberbürgermeifteröSinber  inüRürnberg  ju 
bilben.  Schon  am  19.gebr.  1834  erfolgte  bie  !gl.  'prioilegiruug  ber 

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57 


„gubroicjßeijenba^ngefeQicfecift",  311  beren  fteUcertretenbem  IDireltor 
©(^arter  erwäblt  rourbe.  5Die  geplante  UebertragungberSBauleitunfl 
ou  einen  non  fR.  Step^enfon  empfohlenen  englifdjen  Sngenieur 
fcheiterte  an  3U  hohen  Oehaltdanfprüdhen , unb  ein  Slnerbieten 
beg  gu  IRathe  gegogenen  Dberftbergrathö  3of-  ».  Saaber;  an 
©teile  bet  loftfptcllgen  englifd)en  ÜJiufter  fein  neueö,  noch  geheim 
gehaltenes  ©pftem  beS  Oberbaues,  bet  Sßagen  unb  8otomotioen 
ju  »erfuchen,  »arb  bcv  Uncrprobtheit  beS  ©pftemS  wegen  ob» 
gelehnt.  9lun würbe berf.baperifdjeSBegirfSingcnieur  'J'anl  ©eniS, 
welchen  ber  ©efellfchaftSoorftanb  ?)latner  butch  Sufall  fennen 
gelernt  h^ite,  mit  bem  33au  betreut,  ©ant  bem  umfidjtigen 
Sufammenwirfen  »on  ©eniS  unb  ©charrer  fonnte  bie  erfte 
beutfdie  Sofomotiüb ahn  fchon  am  8.  ©eg.  1835  feicrli^ft 
bem  SSerfehre  übergeben  werben.*')  Sie  bie  auf  ©eite  33 
ffi^girte  gefomotioe  „Slblcr",  fo  ftammten  auch  Sagenräber 
aus  (änglanb,  wdhtenb  bie  ©tuhifchienfn  unb  bic  Sagen  im 
Snlanb  gefertigt  waren.  33orfid)tShalber  erfolgte  ber  33ctrieb 
abwet^felnb  mit  ©ampf»  unb  mit  '))ferbc{raft.  ©er  S^h'^P'^^tS 
für  bie  km  lange  öahnftreefe  war  — bei  ocrboppelter  nähr» 
gefdiwinbigteit  — burchfdjnittUch  auf  bie  ^älfte  brr  6ilwagen> 
taten  unb  auf  ben  adjten  Jh^l  ber  giafertajren  her^bgefunfen. 
©chon  im  erften  iüermaltungSjahr  fam  eine  ©ioibenbe  oon 
20  p6t.  für  jebc  Ülttic  gur  Skrtheilung  unb  cS  blieben  audh  in 
ber  golgegeit  bie  f^inangergebniffe  giemlich  gleich,  gum  @lücf 
unb  ©porn  für  bie  fünftigen  Gifenbahnunternehmen.  ©charrer 
wirfte  bis  gu  feinem  Sobe  als  ©ireftor  unb  ^'atlabium  beS 
SnftitutS;  ihm  unb  feinen  S3erbicnften  möge  bie  beutfehe  9lation 
ein  ewig  banfbareö  tSnbenfen  bewahren! 

GS  fei  [jm  eine  furge  Ginfchaltung  geftattet.  3m  Ginflang 
mit  bet  einftigen  inbuftrielleu  wie  rommergiellen  Grfchlaffung 
beS  bürfligen  unb  gerriffenen  ©eutfcblanbS  ftanb  bic  Slbneigung, 

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58 


jum  SJiinbeften  bie  ©(eic^giltigfeit  ^egcn  Slnlage  con  6ifcn» 
[tragen;  fotl  bo^  felbft  bet  geniale  Stopfet  bet  ©ilpoften, 
©eneralpoftmcifter  d.  9Jaglcr,  in  ber  Sleilje  ber  @ifenba^ngegnet 
geftanben  fein.  ülnfangä  ber  30er  fuc^te  fid)  faft  äDbeulfdj» 
lanb  be8  jungen  iUerfelirämiltelö  3U  ermebren,  tl)eil8  wegen  Un» 
etfdjwinglicbfeit  ber  nötbigen  Kapitale,  tbci(8  alö  einer  Quelle 
jabllofer  fflatbtbeile  unb  C^efabren:  (ärbrüefung  bc8  ijanbrnannä 
unb  ber  iiahnroblereien,  Sceiuträdjtignng  bet  (gtaatSfaffen,  @r= 
leid)terung  feinblicbft  Snoafionen  im  Kriege*  *)  unb  anbete  Sluö» 
gebürten  einer  Seblafrorfäpbiloiopbie  ober  .^npoebonbrie;  baä 
9Jii§Iiugen  bet  böb>”>Wen  'Pfetbebabn  trug  baä  Seine  bei.  @0 
liefe,  um  nur  ein  öeifpiel  anjufübren,  bie  ju  Stlangen  1836 
etfdjienene  S^rift  „3!been  über  Gifenbabnen  in  Sapern  unb 
beren  ©efabren  für  gang  ©eutfcblanb"  bie  neue  Ginriebtung 
jmar  in  aller  SKelt,  nur  nicht  auf  beutjdiem  'öoben  portbeübaft 
fein.  55aö  IRaifonnement  nüchterner  Qpponenten  au8  bem 
Äreife  Sencr,  bie  ben  partiellen  jeweiligen  SSerfebr  jum  9Rafe» 
ftab  beS  fünftigen  nafemen,  wieberbolte  fi*,  al8  ber  2)ampf» 
tranöport  bereits  ©ürgerreebt  erlangt  b^tte.  3)er  SBclfSwirtb 
@taf  ©corg  Gancrin  mifebilligte  bie  Gifenbabnen  alS  Sache 
einer  SEageSmobe  unb  beS  gupuSoetfebre,  ba  bie  ScbneQicjfeit 
ibr  eingiger  35orgug  fei,  ja  nod)  i.  1850  ertärte  beffen  ^acb» 
genoffe  gubw.  p.  Jpallet  biejelben  als  'OTiturjacbe  bet  - aUgemei» 
nen  IsBetatmung,  al8  5Jlörber  jeber  ^eimatbSliebe,  als  ^erberer 
gwecflofet  Oteifelnft,  ber  Serfebwenbung  nnb  beS  Sßagabunben» 
tbumS. 

@enug  bfeioon!  Seitbem  in  Seutjcblanb  ber  erften  Uofo» 
motioe  bie  GingugSpforte  etfcbloffen  worben  war,  «erftricb  noch 
ein  polleS  Suftrum,  bis  bie  erften  Qllafcben  gu  bem  nationalen 
Gifenbabnnebe  gefnüpft  waren.  Söobl  arbeiteten  febon  um  1830 
petfebiebene  GifenbabneomiteS,  aber  erft  nadj  bem  febüebternen, 

CI  50) 


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59_ 

bod)  Dortrefflid)  gelunijencn  Unternehmen  ber  SubroigSbahn  trat 
bafl  ®ebürfnife,  bie  ^iothroenbigfeit  non  Schienenmegen  flarer 
gu  Stage  unb  ipucfcg  ba8  3?ertrauen  in  bie  C5inträg(i(hfeit  ber= 
felben,  wäbrenb  gleicbgeitig  SDcutfthlanbä  inbuftrielle  SBieber« 
gebürt  jum  ©urebbrud)  fam.  SBir  feljen  nun  bie  nerfehröreichen 
Stäbte  eifrig  befliffen,  ftd)  bet  SBcblthafen  beö  ©ampftranS* 
perteö,  ber  je^t  ba8  ©ageögefpäd)  unb  getabegu  ben  ftehenben 
Slrtifel  in  ben  gadjgcitfchtiften  bilbetc,**)  gu  nerfiihetn.  ©ie 
?anbe0regietungen  machten  unnetgüglicfa  non  ihrem  Jtiedjte  bet 
©inwirfung  ®ebtnu^,  roeldje  fid)  im  ßtlah  cen  Sunbamental» 
beftimmungen  für  ptinale  ©ifeiibahnuntcrnehmen,  oc*n  (Sjrpto» 
priatioiiögefe^en,  poftalifcben  unb  poligeilidien  fReglementä  u.  f.  w. 
Sufeerte.  ©ie  ÜJlehrgaht  ber  Staaten,  Bornehmlich  bie  füblichen, 
entfchlo§  fid)  alSbalb  nach  bem  öeifpiele  bet  ametifaniiehen  Unien 
gum  ?lu8bau  ihrer  Hauptbahnen  in  eigener  Oiegie;  bie  übrigen, 
namentlich  ^reufeen,  ©aebfen  nnb  bie  fä^Rjchen  Hfrsoflihütner, 
unterftüf}ten  ben  'Pviratbau  burch  Subüentionen  nerfdjiebenet 
Ülrt.  31.  (Sredc,  projettant  bev  5berIin<Pct8bamer  93ahn,  jeheint 
guerft  (1835)  bem  ©pftem  ber  Staatebahnen  energifdj  baSSBort 
gerebet  gu  mähtenb  ber  SOlarburget  Profeffot  3i(ep.  8ip8, 

ein  wunberlicherÄaug,  bagegen  eiferte  mib  gubemnurbenPetfonen« 
tranSport  al8  bie  ©cmaine  be8  ©ampfbetricb8  gelten  laffen 
mollte.**)  ©ie  SBethanblungen  wegen  3lnfchluh  ftember  Sahnen, 
Streitigfeiten  gwifcfcenfHlIgemeinWi'hl  unb  Sonberintereffen  unb  bie 
SSahl  ber  Sahnrichtungen  oerurfaetten  langwierige  Setfchlepp» 
ungen  unb.  oft  ftürmifche  ©ebatten.  5n  oielen  Süden  würben 
bie  Stimmen  berufener  britifcher  Ingenieure,  wie  Stephenfon, 
SBalfer,  8inblep,  Sud,  Signclc8,  @ile8,  nernommen. 

1838  ftanben  bie  8cfomotiobahnen  diürnberg=Sürth,  8eip» 
gig=©re8ben,  Serlin«pot8bam,  ©üffeIborf>C?rfraih  unb  Staun« 
fchweig-SBoIfenbüttel  ton  guf.  150  km  8Snge,  im  Serfehr.  3n 

UM) 


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60 


furzen  Swifdjentäumen  gelangten  biö  1840  bie  Streefen  SJlagbe» 
burg*3d)önebe(f,  Aranffui-t^SBieSbaben  (lauiiuöba^n),  bis  1842 
bie  9Rüncben=3lug8burget,  bie  JRljeinifcbe,  bic  9)lannbeim«^eibel» 
berget,  bie  S3erlin«9ln^altet,  bie  ©ergijc^=9JJarfifc^e,  bie  ©etlin» 
jpamburger,  bie  Oberf^leftjc^e,  jowic  bic  ScrIin«Stettiner  Saljn 
im  0etrieb  unb  eö  war  bie  ©efammtlänge  bet  0a^nen  i.  3. 
1840  auf  470,  i.  3.  1842  auf  930  km  augewad^fen,  95ou  ba 
ab  beginnt  bie  jpftematifc^e  ^2iu8bUbung  be8  beutf(^en  0a^n< 
ne^eS,  inbem  bie  noc^  ijolirten  Linien  allmä^lid)  gu  ben  auS« 
gebe^nten  SBeltoerfcbrörouten  guiammenwadbfen.  3«»«  Scrgleidbe 
fei  bewerft,  ba§  i 3.  1840  Cefterreidj  unb  granfreic^  je  430, 
©robbritannien  1350,  Belgien  330,  JRu^lanb  30,  bie  fRieber* 
lanbe  20  unb  3talien  10,  fomit  gang  ©uropa  runb  3070  km, 
bie  Unioneftaaten  5340  km  unb  bie  gange  @rbe  8600  km 
®d}i»ncnmege  für  ben  allgemeinen  23erfel)r  beia^. 

gaft  jebe  ber  galjlreidien  ölteren  beulfdjen  0a^n»erwaltungen 
war  mäj  anbern  ©runbfä^en  geleitet  unb  organifirt,  inS> 
befonbete  bot  bie  — gröfetentbeilS  ddu  (fmpirifern  auSgeübte  — 
0auted)nif  ein  eigenartig  bunteö  0ilb,  ein  ©emifd^  fflaoif(b 
nadjgeabmtcr  unb  mehr  ober  minber  t'offenb  inS  lDeut|d)e  übet» 
fester  Gonftructionöelementc,  beren  ©rtjrcbung  Biel  iJe^rgelb 
foftete.  3Jbev  in  Slnbctrac^t  beö  gängli(^en  ÜRangelS  an  tedjnifc^en 
6entral*0ilbung8ft5tten  ift  bie  üljatfacbe,  ba§  eö  auSnaljmblcö 
fDeutfebe  waren,  weldje  bie  junge  IDiSgiplin  auf  beutfd}e  @rbe 
Berpflangtcn  unb  rerförperten,  nur  ein  neuer  0ewci8  ber  beut> 
fd^en  Unerfc^roden^eit,  2lu8baucr  unb  Sl^atfraft.  2)ic  fRamen 
ber  (Srbauet  unfeter  erften  beutic^en  Uifenba^nen,  bie  eineö 
JDeniß,  Äung,  Grelle,  9Rertenö,  ©rujon,  ^imbfel.wcU 
(^en  wir  bie  fRamen  ber  Defterrei^er  ©erftner  unb  ©d^öneter 
anrei^en,  nerbienen  mit  unnergänglic^en  Settern  ben  2(nnalen 
Baterlänbifc^er  3ngenieurfunft  einoerleibt  gu  werben! 

(I5S) 


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61 


dd|lti|niOtl. 

Unter  allen  Iranöpertmitteln,  welct'c  fccni  SDienfctjen  bet 
©egenroart  ^ut  Iterfügung  fielen , etmcglidjt  allein  ble  @ifen» 
ba^n  mit  2)ampfbettieb  bie  moljlfeilfte,  rid'erfte,  fcfcnellfte,  regel« 
inäfeigfte  unb  pünflic^fte  Jranelaticu  ücn  Slienfeben  iinb  ©ütein. 
Die  ßifenba^nen  haben  non  ben  id)ii'ad;cn  Slnfängen  an 
ben  Sollbreicbtbum  iinb  bie  ä>olföbilbung  gefleigert,  teu  ?eben0: 
geniili  unb  bie  ©ejelligfeit  a^öl^t,  ben  ©refebttrieb  unb  bie 
©entralifatien  be§  Slclf8leben3  beförbett,  fie  finb  mit  ©inem 
SBort  bab  Slutaberjpftem  bcö  i?aiibc8=  unb  SBeltterfcljrs  ge» 
morben.  ©ie  jpielen  eine  nid)t  minber  bebcutiame  DicQe  al8 
etwa  bie  '))reffe  unb  ba6  'PiilBcr,  |ie  finb  aber  auch  3U  einem 
^aupttheil  beö  ■üiatiBnali'ermögenS  in  unfern  3fit  berangemaebfen; 
bas  auf  fie  uermenbete  'Jlnlagefapital  überfteigt  nach  IHicbaib 
im  Deutfd)en  JReid)e  7 f)liilliarben  fBlatf,  möljrenb  baö 
JBubget  feiner  fä^tlit^en  ©innafimeu  unb  ÖluSgaben  me^t  al8 
800  be^w.  500  fDlillioneu  9JJarf  beziffert. 

@rbeblid)c  f^crtfdjritte  auf  bem  Dorgefiihrten  ©ebiete  finb 
für  bie  Sufunft  mobl  faum  ju  ermatten,  c6  rcirb  fid^  bet  5?etrieb 
mehr  unb  me^t  an  bie  gegebenen  ©viften^bebingungen,  ijcfal» 
üerljältniffe  unb  S3ebütfniffe  aujupaffen  fnden;  fo  lautet  beute 
baö  *})rognoftifum.  Die  Seit  bet  „itorfabren  unferet  ©ifen» 
babnen  unb  Dampfroagen"  liegt  nicht  meit  hinter  unö;  glei(b= 
tocbl  geminnt  eb  ben  3lnfd)cin,  alö  menn  bie  Seebnit  beö 
©ifenbabnmefenö  in  biefem  Slugenblitfe  bereits  ihren  ©ulminationö» 
punft  erreicht  hübe. 


(IM) 


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^nnterkungeti. 


1)  5}orjug«n)eifc  wurte  benu{)t:  ÜJJ.  SRülilmann  „Slllgtm.  2JJaf4>tnen* 
If^re"  S8b.  III.  (©tragen,  unb  öifcnba^nful.'rrcerfe);  .tjeufinger  öon 
aüaltegg  ,,^)anbb.  f.  jpejielle  Sifenba^ntecbnif,  58b.  I. — III.  (Sifenba^n., 
5£3agen-  unb  Uofomotiöbau),  aud)  gr.  ©tfiner  „5Bilbet  au«  b.  @efd)i(^te 
b.  IBerfebr«"  gcftfc^rift,  ^rag  1880.  — 55ie  tem  eingefügten  ?lb* 
bübungen  »urben  faft  burt^weg  alten  ©tbriffen  entlehnt  unb  crfc^eineu 
grcgtcnt^eilö  jum  crften  2)lale  in  bcr  neueren  gacfcliteratur. 

2)  .ffibientl.  Ittnjeiga  f.  Äunft  unb  (iSeinetbeflcig  in  Sapern" 
1816  ©.  51  ff. 

.8)  Su8  ?Iley.  ©erben  ^lieber  gortbenjcgung  e^ne  Jbierfraft  :c.* 
3lu8  b.  @ngl.  SSJeimat  183H.  ©iefer  ©c^rift  mürben  au^  gigg.  12  u. 
13  entnommen. 

4)  ,iTa«  9tu«Ianb“  5)Jnnd)en,  1828  9Ir.  11  u.  12. 

5)  Sie  umfangreidjen,  bem  ißerfaffrr  bereitmidigft  jur  ©infic^t- 

na^me  nberlaffenen  älteren  Sitten  ber  matb/ematifdi'pbcrifalifdjen  Älaffe 
ber  f.  SIfabemie  ber  SBiffenfebaften  ju  ÜUfincben  (ebebem  bie  beratbenbe 
©teile  be«  SUinifterium«  in  allen  polptecbniftben  gragen),  in«befonbere 
bie  Sitten  über  bie  afabemifebe  ibrerjeit  bfrecrragenbften 

beutf(ben  gatbgclebrtcn  3of.  ».  SSaaber,  SBiebefing  unb  »on 
5Rei(benbatb,  gemabren  ein  bccbintereffniite«  58ilb  Den  ben  bamaligcn 
?eiftungen,  ißeftrebungen  unb  — gebben  auf  bem  noeb  menig  erleuchte- 
ten ©ebifte  ber  tbecretifdien  unb  praftifeben  SDieebanit. 

6)  3oi  tj.  ©aaber  fud’te  in  jablreicbcn  fpublifatienen  bie  Unm6g- 
licbfeit  eertbeilbafter  (Jinffibrung  bcr  Snmpfroagen  auf  ©tragen  bar- 
jutbun. 

7)  ©anj  irrtbümlid)  erfebeint  bie  Slbleitung  bc«  ißJottc«  „tram“ 
con  bem  Spanien  ,Outram“,  een  melcbem  ©.  20  bie  5Rebe  ift. 

8)  ©ingebenber  Irnnbeln  bitbüber  bie  Sd'riften  „Sammlung  ber 
bi«  1836  betr  ©ifenbabnen  gemachten  ©erbefferungon  unb  ©orfd;läge", 
9lrbg.  1836  bei  beueb«;  9Jl.  ^eppe  „bie  Sclegrnpben  u.  ©ifenbabnen* 
©ttgt.  1834;  Dr.  Slug.  Äübne  .©elebrungen  über  Slnlegung  unb  ©cn- 
ftructien  een  ©ifenbabnen"  Spjg.  1834,  mit  124  Slbbilbungen. 

(I.',4) 


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63 


9)  6.  Ä.  ^)en((^el  „9leuc  öcnftruction  b.  ©ijenba^nfit  unb  \!ln' 
Wfnbutifl  comprimirtfr  ?uft  j.  Öeajegung  b.  gu^titcrfe",  Äaffel  1833. 

10)  3m  81u«jug  mitgrt^eilt  in  ©inglcrfl  polpt.  3ourn.  Sb.  57 
®.  313. 


11)  Sergl.  SRtbcnftein  „ätep^enjon'b  ürfomDtioe  auf  ber  ifub» 
wigSbalm"  9irbg.  183G. 

12)  (s.  „'illlgein.  ©ncpflcpfibic  b.  sBiffenfdjaftcn  u.  Äünftf"  ?pjg. 
1844,  airtifcl  „Sifenba^n". 

13)  2lu8  „3)a«  größte  iüunbenmcrf  unferer  3eit  ober  bie  (Sifenb. 
^wifcben  Viioerpocl  unb  fDJandjefter".  UJiit  13  Stafeln,  ülrbg.  bei  (Sampe. 

14)  2)ie  .Rcflen  ber  parlamenfarifepen  Sanction  oon  (^ifenba^nbUI« 
waren  in  (Snglanb  mitunter  enorm;  fie  beliefen  fit^  j.  S.  für  bie  gonbon* 
Sirmingbam-Sabn  auf  94  000,  für  bie  @reat>®eftern<Sai)n  fogar  auf 
157  000  ^fb.  ©t. 

15)  „är.  2ift’b  gefammrlte  ©cbriHen",  beraußg.  oon  ü.  $)5uffer, 
©ttgt.  1850. 

16)  2)er  llerjonenoerfebr  auf  ber  ?ioerpool»9Jian(^efter",  auf  ber 
©t.  @tienne-8pon«  unb  auf  ber  ?inj«Sutweifl.Sa^n  uerbielt  fiep  im  Snrdj- 
fipnitt  ber  Sapfe  1834  unb  1835  bejw.  wie  154:58:  1,  ber  ©üter- 
rerfepr  be^w.  wie  12:14:1. 

17)  9lefroIog  ©cpmabelS  im  Serliner  ©ewerbeblatt  oen  fUeutranb, 
1845  ©.  163  ff.’ 

18)  äöilp.  0.  Sieben  „2)ic  öifenbapnen  2)eut|(planba",  11  Sänbe, 
Serlin  1843  — 46,  baß  erfte  oollftänbige  .f)anbbucp  für  bie  beutfebe 
(Sifenbapnfunbe. 

19)  fHöpereS  über  bie  Serfudpe,  weidje  fdbft  im  Bulletin  des 
Sciences  technologiques  belannt  gemaept  mürben,  f.  3-  »■  Saaber  „lieber 
bie  Sortpeilc  einer  oerbefferten  Sauart  non  (Sijenbnpnen  unb  2ßagen", 
9lfab.  geftrebe,  SJJüncpen  1826. 

20)  §r.  8ift  „Heber  ein  fä(pfifcpe6  SifenbaPuipftem  :c."  l*ptg.  1833. 

21)  9)Jan  febe  3cp.  ©eparver  „5)euticplanba  erfte  (gifenbapn  mit 
Dampffraft  ober  Serpanblungen  b.  8ubwig8babngefelI|dMft"  Sirbg.  1836. 

22)  Sem  entgegen  beutete  gr.  Sift  in  einem  oortrefflitpen  lÄrtifel 
ber  „9nig.  SJlilitärjtg.  1836'  bie  Sicutcii  an,  melcpc  im  Sntereffe  ber 
ifanbefloertpeibigung  unb  jur  Serpütung  non  3n»aficnßfriegcn  gebaut 
»erben  müßten. 

23)  Sieicppaltige  Slacbricptcn  braditen  förelle'ß  „3oum.  f.  Sau- 
funjt",  2)ingler’a  „polpt.  3ournnl‘‘,  Ueudj’«  „Ülflg.  .ftanblungSjeitung*' 
unb  inSbefenbere  bafl  »cn  gr.  ?ift  in  9fltona  peraußgegebene  „(Sifenbapn- 


OF  TT-’-:  \ 

\\  /^  , r.-j" 


64 


joutnol  unb  IT^attonalmaoajin  k.",  eine  »a^re  6^ronif  ber  @tfen< 
bahnen,  »eicbeä  infolge  eines  unaufgeflärten  Q^erboteS  in  Cefterreic^  leibet 
nur  bie  3abre  18H5  bis  1837  umfaßt;  fein  ^auptjwedf  »ar  bie  SSor» 
bereitung  eines  allgemeinen  beutjc^en  Gifenba^nfpflemS  mit  befcnberet 
SeTÜdiltttigung  ber  Ängclegenl;eiten  beS  SotlöereinS.  SDatin  finbet  ftiift 
aucfi  ber  ißotfdjlag  unb  bie  flunctation  einet  35ereinbarung  be3Ügli(^  äuf» 
ftetlnng  »on  JHellbfnt-Sugenieuren  in  IRorbamerifa,  Snglanb  u.  f.  ».  nebft 
©rünbung  eines  beutfcfcen  Scntral«6orrefpDnbenj*SureanS  auf  gemein* 
f(baftli(f!e  Äoften  ber  bcutfdien  (Sifcnba^nbirectionen. 

■24)  21.  Stelle  „liebet  Sifenba^ncn  alS  Ißtirjatunterne^mungen", 
Öerlin  1835,  nnb  Dr.  ÜipS  ,,J)eutf(blanbS  äBdt^anbelS  SBiebergeburt" 
5ltbg.  1836.  gips,  bem  »or  Stcffnung  bet ')lürnberget  löafjn 
®tra§enbampfwagen  als  bie  9Jlaj(^ine  beS  beutf^’cn  4>eilS  gegolten  batiei 
fud^  in  leßtgenanntem  2S}etfe  batfut^un,  baß  iDeutjc^lanb  burt^  bie  Sifen*. 
bahnen  unb  ben  l£;Dnau>l[Rain*^anal  einen  ii^beil  beS  eeiloten  gegangenen 
SBelt^antelS  mieber  gewinnen  fönne.  3«  ben  ciftigften  ©cfötbetern  bet 
beutfdjen  ©ifenbabncn  3ät)[te  übrigens  auc^  berUBürttemberger  §t^r.D.Sotta. 


(15C) 

'Etucf  Bon  0«br.  Uiiact  (ifi.  ©titnm)  in  Serlin  SW.  «tbönebcrflcrftt.  17a. 


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Utbtt  ötc  Jmpfung* 


^iftcrifc^  * ftatiftifc^e  3Witt^eilungen 
über  ^pocfencptbemien  unb  3ßt|)fung  nebft  einer 
X^eorie  ber  ^tbu^im^jfung. 


6in  SSortrag 


Don 


Dr.  S.  ttolffbrrg, 

^rioatbocent  brr  .^ijgiene  in  Sonn. 


6«lln  SW.,  1884. 

Sßetlag  Don  @ail  ^abeL 

(C.  t.  IsttTiti’iitii  SnligiltsitiliiiiillnnB.) 

33.  SiI6<Iin  • etta^t  33. 


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ber  Ueberfe^ung  in  fiembe  ®pia(^en  rotrb  Doibe^atten. 


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)9ontu>rt. 


^ie  ©ammlung  gemeinDetpänblt^et  wiffenfd^aft* 
lt(^et  93 or träge  enthält  bereits  einen  in  gtteiter  Siuflage 
erfc^tenenen  93ortrag  non  $rof.  93o^n  über  93ebeutung  unb 
SBert^  ber  S(^u^t)0(feninn)fung  (^>eft  34,  1872).  3m  golgenben 
^ofen  n>ir  ben  @egen[tanb  na^  einigen  Seiten  ^in  ju  ergangen 
unb  fortjufü^ren. 

gür  bie  |)ocfen«  unb  Smpffrage  ift  non  befonberer,  bisset 
(aum  gen?ürbigter  9Bi(^tigfeit  ber  gewaltige  @inf[u§,  welken 
baS  Lebensalter  auf  bie  ©efäi^rlic^feit  ber  9^ocfenerfranfung 
anSübt.  SBä^renb  bie  $o(fen  ber  ungejd^ü^ten  ^inber  faum 
bem  0(^arlad)  g(ei(bTommen  in  ber  93ebrol)ung  beS  Lebens 
wie  bie|eS  oft  gelinbe  auftraten,  burc^fc^nittlic^  aber  unb  im 
allgemeinen  etwa  10— 12p6t.  ber  ©rfranften  ba^inrapen,  — 
bro^en  jie  ben  (ungef^ü^ten)  ®rwad^fenen  mit  ber  ^ö^e  ber 
?)eft*  ober  bet  G^oletagefap;  b.  eS  fterben  »ou  ben 
(überaus  leitet  emt)fängli^en)  (Stwai^fcnen,  wenn  fie  inflcitt 
worben,  feiten  weniger  als  30  unb  oft  mep  als  50p6t. 

IDie  Situation  ift  bemgemä§  folgenbe.  Um  baS  $o(fen> 
elenb  beS  »origen  SapbunbertS  gu  ocrbüten,  ift  bie  obligotoriftbe 
3ugenbimpfung  unumgänglich.  9Bie  wenig  biefe  allein  auS« 
reicht,  geigt  beutlich  genug  baS  93eifpiel  93aiernS,  wo  allein  im 
Sahte  1871  etwa  5000  fUJenfchen  (=1  pSK.  bet  33e»ölfetung), 
meift  @rwachfene,  bie  gum  gröpen  ^h^i^e  geimt)ft  waren,  an 
ben  ^ocfen  ftarben.  2)et  geitliche  2Berth  ber  SBieberimpfung 

XIX.  «7.  1*  (>M) 


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4 


im  breijel)nten  ?fbenßia^re,  welche  baß  beutf^e  Smpfgefc^  öor» 
fd^teibt,  ift  unbefannt  unb  Don  perjd^icbcnen  Umftänben  ab« 
gängig.  3t)t  »a^rit^etnlic^er  9lu^en  bünft  unß  nit^t  fe^t  be* 
bcutenb.  Die  SBieberimpfungen  werben  Vifen,  mantbe  unnoU« 
fommene  (Srftimpfungen  ju  etgättjen.  JpierDon  abgefeVn,  wu§ 
erwogen  werben,  ba§  allen  Beiten,  felbft  in  ungefc^üVen 
Seoßlferungen,  feine  iSltetßftufe  für  bie  Slattern  weniger  em« 
pfängli^  gewefen  ift  alß  bie  ber  reiferen  Sugenb.  Da  wir  biefe 
nunmeV  nach  bem  ©efe^je  ber  Sßieberimpfung  unterwerfen,  fo 
befteV  (ine  nur  geringe  SBal)rf(b(inlicbfeit,  ba§  bie  burt^  bie 
jweite  3wpfung  V^norgerufenen  S3eränberungen,  welche  ben 
gd^u^  bebingen,  feV  burcbgreifenb,  non  feljr  oorVitiger  Äraft  fein 
fönnten.  gidjerli^  aber  finb  bie  SBirfungen  ber  gefeVit^(n  Bweit» 
impfung  für  S3ie(e  bereitß  erVblic^  abgefcbwäcbt,  wenn  bie 
natürlid^e  SSlatterngefaV  wieber  3U  fteigen  beginnt.  Dur(^  bie 
bebeutenbe  ^ö^e,  wel(be  bie  natürliche  ©latternbißpofition,  nicht 
minber  bieSIatternletalität  jenfeitß  beß  fünfunbjwanjigften  gebenß» 
jahreß  erreicht,  erwächft  eine  neue  ©efahr ; unb  ohne  nochmalige 
Smpfung  wirb  h»(tburch  für  ©iele  bie  felbft  jweimalige  Sugenb« 
impfung  ju  einem  bebenflichen  ©efchenfe;  benn  biefe  fchiebt  bie 
©rfranfungßfähigfeit  biß  ju  einem  fiebenßalter  hinauß,  in  welchem 
bie  ©efahr  ber  Äranfheit  — wenn  auch  bur^  bie  Sugenbimpfungen 
oft  abgefchwöcht  — immer  noch  in  cielen  göUen  erheblidh 
bebeutenber  bleibt  alß  in  ber  Sugenb. 

Durch  bie  bißher  fo  glängenben  IRefultate  beß  beutfchen 
Smpfgefeheß  foQen  wir  unß  baher  nid^t  aUju  fehr  beruhigen 
laffeu;  fchlimmerc  Beiten  bürften  allein  burch  bie  SRenaccination 
ber  ©rwachfenen  fich  bannen  laffen.  — 

Sonn,  9looember  1883. 

Dr.  @.  SBolffberg. 

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5)ie  genjaltigften  geinbe  ber  ÜRenft^^eit  ftnb  bie  ©eueren, 
bie  unautbottfamet  unb  unerfättli^er  al0  bei  ^iteg  bie  heften 
ttie  bie  ©tbma^en  ba^intaffen.  3?et  mebijinifeben  SBiffen* 
jc^aft  ift  e8  biflljet  nur  in  |el)t  bcjtjjeibenem  gelungen, 
ben  ©eu(^en  @in^alt  ju  gebieten  unb  ben  SRenfe^en  baS  93ewu§t« 
fein  gröfeeter  greiljeit  gu  gewähren.  SBieleö  nerbanfen  wir  ben 
allgemeinen  gortfd^ritten  ber  Kultur,  ja  baS  SReifte. 
IDie  einft  häufigen  ^anbemien  ber  f0io!oria*^anfheiten  unb  ber 
Stuhr,  bie  ^eft,  bet  ‘JluSfo^  unb  anbere  Seuchen  fmb  au8  ©uropa 
gum  Sihcil  nerfchmunben,  gum  ^h^'^  geworben.  Siber 

noch  bebroht  bie  fortmährenb  »ieberholten  Bügen 

bie  ciDilifirteften  Gebiete;  noch  forbem  bie  Sungenfchwinbfucht 
fotoie  ^pphen  unb  e))ibemif(he  Darmfranlheiten,  ©dhatlach 
unb  ^Diphtherie  beftönbig  gahlreiche  Opfer,  ^iegegen  oerfchwinben 
faft  — mit  fRürfficht  auf  bie  Lebenserhaltung  — bie  ^ortfehritte 
ber  neueren  Therapie.  Sie  finb  in  h^hem  SJta^e  rühmenSweith 
olS  gortfehritte  beS  SöiffenS,  bet  @rfenntni§.  3lu(h  bürfen 
wir  immerhin  gnfrieben  fein  wefentlich  gu  helfen  gut  ^ürgung 
unb  gut  Linbeiung  gahlreidher  Leiben;  ja  wir  hoben  gelernt, 
nicht  fo  gar  feiten  fchwere  Äranfheiten  gleich  nach  ihrer  @nt» 
fiehung  abgufchneiben,  in  SELahrheit  gu  heilen.  Slbet  bie 
höchfte  unb  enbliche  IHufgabe  ber  fDtebigin  befteht  hoch  barin, 

Saufenbe  in  bie  Gefahren  bei  ^anfheiten  gar  nicht  erft  gerathen 

(161) 


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6 


3u  laffen,  tndbefonbere  bie  ©eueren  für  9Qe  vermeibbat  ju 
maijcn. 

Sluf  bem  SBege  gu  biefem  Siele  ift  in  bet  neueften  Seit  ein 
bebeutungdnoOet  @(britt  nortDärtS  gef(beben. 

2)ie  Urfatben  »ieler  ©eu^en,  ihre  (Streget,  ftnb  erfannt, 
für  alle  ift  bie  SSermutbung  begrünbet,  bo§  i^te  (?neger  in 
niebrigften  organifirten  SBefen  pflangli^et  9lrt  befteben,  bie  fldb 
but(b  ein  au§erorbentli(beS  ißetmögen  bet  Sernielfältigung  auS* 
geiebnen.  2)er  J^ampf  gegen  bie  ©eueben  ift  nunmehr  b^ügifirt 
aW  ein  Äam^f  gegen  biefe  mifroffobif^en  Dtganifiraen,  bie  gut 
Älaffe  bet  ^ilge  geböten,  gegen  bie  S3afterien;  unb  unfete  9luf* 
gäbe  ift  eS  nunmehr,  bie  Sebenöbebingungen  biefet  Organismen, 
bie  SSerbältniffe,  melcbe  ihrer  Erhaltung  unb  Setmebrung  au§er« 
unb  innerhalb  beS  lebenbigen  IförbetS  günftig  unb  ungünftig 
finb,  gu  ftubiren  unb  inSbefonbere  biefenigen  Safterien,  mel^e 
als  ^anfbritSerreger  befannt  ftnb,  gu  unterfudjen. 

ülDgemeineS  Sntereffe  ermeefen  bieauberorbentlicbenlRefultate, 
melcbe  auS  bet  ^enntnib  non  bet  {rantbeitSerregenben  ^aft  bet 
Satterien  für  bie  ©bi^f  nrgi  e bereits  gemonnen  finb.  ©ie  fnüpfen 
ficb  an  ben  Flamen  SifterS,  eineS  bet  großen  äBobltbüter  bet 
3Renf(bbeit.  IDie  SJtetboben  beS  englifcben  @biiurgen  finb  in  lebtet 
^nie  auf  Siefultate  bet  beutfeben  ^otfebung  gurüefgufübren.  IDenn 
eS  ift  eine  beutfebe  @ntbecfung,  bie  inSbefonbere  ©cbulge  unb 
©cbmann  butcb  @rbrtimente  begrünbeten,  bab  bie  @äbrungS*  unb 
Süulnihbtogeffe  non  bem  Sutritt  lebenber  ^eime  abhängig,  unb  ba^ 
bie  atmofpbärifcbe  Suft  überall  mit  biefen  jfeimen  erfüllt  ift. 

fDtit  ben  ^äulnibbaherien  hoben  bie  @neger  ber  feu^en* 
artigen  ^anlbriten  generelle  93ermanbtfcbaft;  aber  bie  Srten  bet 
leiteten  finb  unter  einanber  fomobl  mie  non  ben  Sänlnihbilgen 
(baraltniftifcb  nerfebieben.  ©o  munberbar  Sein  biefe  Organismen 
<iö) 


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7 


alle  finb,  fo  not^menbig  ba^er  jd)on  eine  gro§e  äu§ete  9e^n« 
lic^Ieit  ^etleitet,  fo  ^aben  bie  verfeineiten  Qnterfn^ungS* 
tnet^oben  bet  neueften  Seit  für  aOe  befannten  j^ranf^eitSerreger 
f^>ejifif(be  Unterfd^eibungötnerfmale  gelehrt,  weldbe  ben  @(blu| 
3ulaffen,  ba§  in  biefer  miftoffopif^en  SBelt  fo  oiele  wo^I  unter« 
f(biebene  iSrten  ficb  finben  wie  in  irgenb  einer  klaffe  ber  großen 
^flanjen  ober  Spiere;  unb  fo  wenig  eä  für  bie  ^iftorif(be  Seit 
geglücft  ift,  ben  Uebergang  non  einer  Spejied  in  bie  anbere 
na(^3uweifen , fo  beijalten  auch  biefe  mifrojfonif^en  Wirten  i^re, 
wie  eö  bisher  ft^eint,  unabänberli(ben  änderen  formen.  fDer 
9>ü3  ber  @(^winbfu(bt  ift  wo^I  unterfebieben  nom  Säulnibpil3, 
nom  $il3  bee  i^eS  @rpf4>el6  unb  anberer  ^anfbeiten; 

nnb  mit  ber  grö§ten  SBabrf(beinli(bfeit  i^  für  bie  fIRafem,  bad 
@(barla<b  unb  für  bie  f)o(!en  nicht  minber  je  ein  fpe3ifif(bet 
|)il3  als  j^ranfbeitSerreger  an3unebmen  wie  für  bie  anbem  tppifeber 
Snfeftionflfranfbeiten  ber  SRenfeben  unb  ber  Stbiete. 

Stuf  biefer  @rlenntnib  beruhen  unfere  neuen  Hoffnungen  onf 

hbgienifche  gortfebritte.  @^on  wiffen  wir,  bab  bie  belonnten 

|)il3e  lünfiUeb,  b.  b-  unabhängig  nom  tränten  ätör^er,  ficb  güdbten 

unb  mehrere  auf  flRenfcben  uno  Sbicte  mit  bem  @rfoIge  fpegififeben 

Äranfbeiten  ficb  übertragen  laffen.  SBir  tönnen  auf  bie  gegücbteten 

^ilge  nerfebiebene  SRittel  unb  93ebanbIungSweifen  einwirten  laffen 

in  ber  @rwartung,  Sludblicte  auf  rationelle  Serbütung  unb 

Sebanbinng  ber  Lautheiten  gu  gewinnen.  ift  ferner  betannt, 

bab  mehrere  ^ilgarten,  in  beftimmten  fRäbrmebien  gegogen,  unter 

einanber  einen  ^amt>f  um  bie  fRabrung  unb  um  bie  (Srifteng 

führen,  welcher  oft  nur  einer  9rt  ben  @ieg,  ben  anbem 

gängli^en  Untergang  bringt:  fo  erweifen  fid)  in  biefem  Äam^f 

nm’fl  fDafein,  wie  e8  febeint,  bie  gäulnibbatterien  meipenfl  olfl 

bie  träftigeren.  SBeiter  febeint  auS  neueren  Unterfuebungen 

(101) 


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8 


t^ervor^uge^en,  ba§  ed  gelingt,  but(^  fünftlic^e  Ueberttagung 
{pejifij^et  Safterien  eine  gefäl^rli(be  Sugentranf^eit,  »elc^e  auf 
SBu(^erung  anbeiet  ft^e^ififd^et  93aftetien  beni^t,  ju  cecbi&ngen, 
b.  i.  ju  feilen.  SBir  ttiffen  ferner , ba§  unter  beftimmten  @r« 
n&^rungdbebingungen  manche  ^ilje  eine  eigent^mli^e  93er* 
änberung  erfahren,  tvelc^e  ivm  i^ren  ^Irtc^arafter  nic^t  be« 
rü^rt,  aber  eine  i^rer  ))^9ftologif(^en  @igen{(^aften,  nämlic^  i^re 
Iranf^eiteeTjeugenbe  ^aft,  nerringert  ober  jelbft  auf^ebt. 

Unter  ben  Sacboerftänbigen  ift  wc^l  bie  allgemeine  Ueber* 
geugung  lebenbig  unb  wirffam,  ba§  in  biefem  <Stubium,  in  bem 
ber  Biologie  ber  mifroffopifcben  ^ilge,  auf  breitefter  93afie  für 
bad  beteinftige  3Bc^l  bet  9Kenfd)l)eit  gearbeitet  wirb. 

91bet  eS  märe  fe^t  unrecht,  moQte  man  über  biejem  neueften 
Sort)(^titt  auf  bem  SBege  gut  ä^eil^ütung  ber  Seuchen,  meldjer 
bo<^  bidber  nur  bi’ffen  lä§t,  ba^  et  größere  @rfolge  bringen 
merbe,  überfeben  ober  gering  fcbü^en,  mab  bie  epibemiologif^e 
gor)(bung  oorbem  gegeitigt  batte. 

3ib  btaud^e  nur  bie  b^be  Sebeutung  beroorgubeben,  melcbe 
bet  93 oben  in  bet  Sletiologie  mebretet  enbemijcbet  unb  et>ibemi{(ber 
^anfbeiten  beft^t,  um  an  aubgegei(bnete  6nungenj(baften  ber 
neueren  beutfdjen  ^orfcbung  gu  erinnern.  S)ie  93ebeutung  beb 
Sobenb  für  bie  @ntftebung  oon  j^anfbeiten  batte  man  fcbon  im 
9Htertbum  erfannt  unb  inbbefonbete  bie  9Ibbängigfeit  ber  ![}lalaria« 
9ffeftionen , beb  einfachen  unb  ber  fompligirten  9ßecbfelfieber, 
fomie  gemiffer  93etänberungen  bet  931utmifcbung  oon  bem  iSufent* 
halte  auf  fum))figem  Soben  fcbon  feit  ben  Seiten  beb  .^ibf’ofrateb 
oerftanben;  aber  eb  mar  ben  neueren,  gumal  ^ettenfofer'b 
fforfcbungen  oorbebalten,  für  mehrere  anbere  jtrantbeiten,  oon 
benen  in  erfter  iünie  Sppbub  unb  @boleca  gu  nennen  finb,  ben 
92acbmeib  gu  führen,  ba§  bie  epibemifcbe  9lubbteitung  berfelben 

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9 


im  engften  3ufammen^ange  mit  gemiffen  örtlichen  33orgängen 
welche  im  93 oben  ablaufen.  ergab  ftc^,  ba§  gut 
@ntwi(felung  oon  (Sbolera«  unb  S£pp^ubet>ibemien  in  bet  Siegel 
bie  SSerfi^leppung  bei  |pegiftjd)en  ^eime  nicht  auSreicht,  bah 
nielmebr  örtliche  unb  geitliche  93ebingungen  erfüllt  fein  muffen, 
bamit  na^  @infchleppung  bet  genannten  Jbranfheiten  @)>ibemien 
entftehen.  3n  ben  »äbbmanlungen  bc8  ©runbmaff er* 
ftanbeö  fanb  man  einen  SJiahftab,  welcher  für  oiele  Drte  in 
bei  Sieget  gleichfam  wie  ein  Uhrgeiger  angiebt,  bah  9^ccgeffe  im 
93oben  ablaufen,  welche  halb  bet  @ntwiclelung  oon  @pibemien 
günftig,  halb  ungünftig  finb.  Unb  eö  würben  hict^urch  nicht 
nur  theoretifche  93orftellungen  bib  gu  einem  gewiffen  @rabe 
befriebigt,  fonbern  e0  folgten  alöbalb  fruchtbare  ^jraftifche  SSioh* 
regeln,  welche  barauf  abgielten,  bie  örtlichen  93ebingungen  für 
£pph>i^‘‘  unb  (Sholera«(Spibemien  gu  beeinfluffen. 

Siid)t  bie  @chwanfungen  beö  @tunbwaf[erd  an  fi^  fchoffcn 
ober  unterbrücfen  biefe  93ebingungen;  biefe  werben  oielmehr  fehl 
wahrt^einlich  buich  bie  IBeränberungen  in  ber  3ntenfitdt 
oon^äulnih°  unb  @ähtungÖprogeffen  erfüllt,  welche  butch 
bie  erfteren  nur  angebeutet  werben.  fam  bähet  barauf  an,  ben 
93oben  überhaupt,  {oweit  al8  bieS  in  bewohnten  ©tätten  möglich 
ift,  oon  fäulnihfähigem  SJiaterial  frei  gu  um  unfere 

äBohnbegirte  gegen  jene  @pibemien  einigetmahen  gu  fchühen. 

Slian  muh  gugeftehen,  bah  bie  praftifche  ^Durchführung  biefed 
^ebanfend  ooitreff liehe  @rfolge  aufguweifen  hot;  bah  fDiahtegeln, 
welche  barauf  gerichtet  waren,  ben  Soben  unfeter  @tdbte  oon 
füulnihfähigen  Stoffen  frei  gu  holten,  inöbefonbere  eine  georbnete 
j^analifation,  in  ihter  Schuhlraft  gegen  ^pphnö  unb  ^huleta 
fich  bisher  auSgegeichnct  bewährt  hoben.  Senn  bieS  noch  nicht 
in  gröhetem  Sliahftabe  geliehen  ift,  fo  erwäge  man,  bah  u>ir 

(164) 


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10 


in  S)eut{d)Ianb  eben  etft  angefangen  hoben,  un6  gegen  jene 
Seuchen  }u  fichetn.  Unb  eS  mag  in  einet  Seit,  ba  gang  @uro^ 
foeben  noch  mit  banget  @twattnng  bem  futebtbaten  Schaufpiele 
gufah,  ba8  in  Segppten  fid)  abfpielte,  — ba  mit  allee  {>ei(  uon 
bet  Slbfpetmng  bet  infigitten  Dttfcbaften  unb  uon  Duatantänen 
etmatteten,  mobl  angebtacht  etfeheinen  mtebetum  batan  gu  ge> 
mahnen,  bah  bet  fichetfte  @(h»h  in  bet  SSetbefferung  bet  ein« 
heimtfehen  fanitären  Suftdnbe,  infibefonbete  abet  in  bet  Stein« 
haltung  be8  UntetgtunbeS  gegeben  ift. 

9u(h  auf  biefe  Sethdltniffe , auf  bie  eigenthümliche  IRoCle, 
melche  bet  33 oben  in  bet  @ntftehung8gef(hichte  manchet  ,^anf« 
heitra  fpielt,  mitb,  »ie  man  hoffen  barf,  bie  neuete  bafteriologifche 
^orfchung  neues  üicht  wetfen. 

Slbet  meht  alS  alle  anbeten  mebiginifdhen  @ntbecfungen  hot 
eine  ootbeugenbe  Sltahtegel,  mit  weichet  wit  unS  heute  befchöftigen 
woQen,  bem  Sltenfchengefchlechte  gum  Segen  geteicht,  bie  93et> 
impfung  bet  f.  g.  ^^uhbocfenlpmphe-  SSielleicht  witb  baS 
Sletftänbnih  auch  füt  biefe  SJtahtegel  butch  bie  neuete  3^)ilg« 
forfchung  geflätt  wetben.  IDenn  fo  leicht  bie  Slhotfa^e  felbft  gu 
beweijen  ift,  bah  bie  Impfung  gegen  bie  SRenf^enhoden  Schn^ 
gewähtt,  fo  finb  wit  hoch  oon  bem  ooQen  lüetftänbniffe  betfelben 
weit  entfetnt. 

SBie  gering  ift  unfere  ©inficht  in  bie  Statut  bet  3fnfeftionS« 
Itanfheiten  biShet  gewefen,  ba  eS  noch  nicht  gelang,  bie  Schuh* 
witfung  beS  einen  fOtittelS,  welches  bielDiSpofition  beS3nbinibuumS 
gu  einer  eingigen  Lautheit  gu  heben  ober  hoch  erheblich  h^eob« 
gufehen  oermag,  wiffenfchoftlich  hinlänglich  oufgutlären  unb  gu 
begreifen!  3ibet  batin  liegt  fein  @runb  gut  33efd)ämung.  SDenn 
ungweifelhaft  ift  bie  ©rflätung  etft  bann  möglich,  wenn  wit 

nertiefte  Jfenntniffe  übet  aOe  SebenSbebingungen  bet  i^rantheitS« 
a«) 


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11 


unb  genauere  SSorfKellungen  über  bie  @igenf^aften,  über 
Seben  unb  SQaebSt^um,  anatomif(bc  unb  p^pfiologifibe  S)iffetengf> 
rangen  bet  ben  menfcblidben  Körper  btlbenben  Sellen  befi^en. 
SBie  au^erorbentlitb  uerfe^rt  ift  alfo  ber  @tnwanb,  ba§  man  bie 
Smpfung  nt^t  befürworten  bürfe,  weil  ba0  wiffenfcbaftlidbe  S3et» 
ftänbnife  für  bie  Smtjfwitfung  fe^le!  5(^  werbe  mir  aber  jp&ter 
erlauben,  eine  ^ppot^efe  ju  entwicfeln,  wel(^e  biejeö  S3er» 
ftänbni§  cieOeid^t  anguba^nen  vermag. 

©0  einfach  baS  IDtittel  ber  Smpfung  ift,  fo  hnt  man 
nirgenbwo  auch  nur  entfernt  ben  großen  ^tu^en  eneicht,  ben 
eö  bet  aWenfchheit  gewähren  fann.  3ch  brauche  nur  an  bie 
furchtbare  |)ocfenfeuche  gu  erinnern,  welche  im  Slnfange  bet 
ftebgiger  3ahre  gang  @uroha  ein  au§erorbentli(hed  unb  bodh  ver« 
meibbaree  @lenb  brachte.  0(lein  im  3ahre  1871  ^nb  nur  im 
hreuhüchen  ©taate  60  000  IDtenfd^en  burch  bie  ^ocfen  bahingerafft 
worben;  beinahe  eine  hnlbe  9)H0ion  ober  2p@t.  aller  Einwohner 
waren  erfranft ; unb  bie  Opfer  beS  folgenben  3ahred  waren  noch 
gahlreicher.  3ebeS  biefet  3ahte  hnt  bem  preuhifchen  ©taate 
mehr  IDtenfchenleben  burch  bie  ^ocfen  entriffen  als  ber  bänifche, 
ber  öfterreichifche  unb  ber  frangöftfche  $elbgug  inSgefammt.  ISIS 
im  ftangöfifchen  ^ege  baS  {>eer  beS  geeinigten  IDeutfchlanbS 
41 000  tapfere  ©olbaten  oerloren , tröfteten  wir  unS  über  ben 
unetfehlichen  93erluft  in  bem  freubigen  Sewuhtfein  übet  ben 
@rfoIg,  über  bie  großen  @rrungenfchaften,  bie  unfete  SSrüber  mit 
ihrem  S3lute  unb  ihrem  8eben  bem  93aterlanbe  bargebra^t 
hatten.  3BaS  aber  tröftete  unS , wenn  um  biefelbe  Seit 
IDeutfchlanb  mehr  als  hoppelt  fo  viel  3)ienfchen  einet  jbranfheit 
bahin  opfern  mu^te,  bie  unS  feinen  gewinn,  nur  ben  trüben 
©ebanfen  gurüefliel,  ba§  biefe  1 3Renfchenleben  bei  befferer 
©efunbheitSpflege  gu  erhalten  gewefen  wären?  IDaS  neue  beutfdhe 

(167) 


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12 


Sdeid)  ^at  in  bem  feit  bem  3al)te  1874  ju  IRedjt  beftc^cnben 
Smpfgefe^  eine  SBo^lt^at  für  feine  Sürger  gefc^affen,  »eld^e  i^m 
einen  an  bet  ©pi^e  aQer  Staaten  ber  äBelt  anweift,  ein 
@efe^,  welches  feine  gro§e  Sebeutung  für  bie  @if)altung  unb 
93ermei)rung  bet  beutfdjen  33e»ßlferungen , wie  bie  93etöffent» 
lid)ungen  beö  @efunb^eit8amteö  beweifen,  fofort  ergeben  Ijat  unb 
au(b  ferner  bart^un  wirb. 

(Sin  3wpfgefe^  wie  ba8  beutfcbe  mit  obligatorifcber  3wbfung 

ber  ©äuglinge  unb  obligatorifd^er  SBiebetimpfung  ift  gerabe  in 

unfern  Seiten  eine  gebieterifc^e  fHot^wenbigfcit  für  aüe  cioilifirten 

Staaten  geworben.  @6  ift  gerabe  je^t  bie  ^ß(^fte  Seit,  ba^ 

auch  unfete  fRac^barftaaten  ju  ä^nlid^cm  ^orgel)en  ficb  ent> 

fc^liegen,  unb  id)  bin  feft  überjeugt,  ba§  o^ne  bie8  unfere 

fRad^batn  @pibemien  entgegenge^en,  welche  ber  furd)tbaren 

‘J)anbemie  oon  1870  biß  1874  nid^tß  nadjgeben  werben,  wäfjrenb 

JDeutfdjlanb  Derl)ältni§mä^ig  weit  weniger  ga^lreidje  Dpfet  wirb 

gu  tragen  ^aben.  5Doc^  mu^  icb  fcbon  ^ier  ^ingufügen,  ba§ 

au(^  burd)  baß  beutfc^e  3mpfgefe^  bie  ^ßd?fte  Stufe  ber  et» 

reicbbaren  IBort^eile  feineßwegß  gewä^rleiftet  ift 

Um  bie  Q)rünbe  für  biefe  3)ei^auptungen  außeinanbergufe^en, 

ift  eß  nßt^ig,  ben  ß^arafter  bet  ^otfeuepibemien  gu  unterfuc^en, 

welche  feit  ben  lebten  Seiten  beß  notigen  3al^tl)unbertß,  aifo 

feit  ben  lebten  Slegennien  oor  ber  aümä^lid^en  2)utd)fü^rung  ber 

Smpfungen  in  ben  cinilifirten  Staaten  biß  gu  bem  oergangenen 

' 3a^rgei)nt  ge^errfcbt  ^aben. 

©ie  SBerbreitung  einer  fo  lei^t  auftedfenben  Äranf^eit  wie 

bie  ^ocfen  ift  ^auptfäc^lir^  abhängig  oon  ber  3ntenfität  beß 

93erfei)rß  unb  oon  ber  ^ß^e  bet  inbioibueDen  @mpfänglid^feit 

ber  flRenfc^en.  ©a  oon  .fpauß  auß  alle  flRenfc^en  für  bie  ^ocfen» 

hanf^eit  fe^r  empfänglich  finb,  fo  begreift  man,  bah,  nachdem 
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13 


einmal  bie  ^oden  i^ren  @tn3ug  in  ein  cicilifirteg  ©ebiet,  baö 
bur(^  einen  nie  ju  bemmenben  innern  SBerfebr  fid)  außgeicbnet, 
gebalten,  aQe  9Ren[dben  mit  wenigen  Üludnabmen  ihnen  »erfaUen 
müHen.  3m  notigen  3abrbnnbert  gab  eö  nur  wenige,  weld)e 
baö  breifeigfte  Sab^  erteidjten,  ebne  ^jodentranf  gewejen  gu  fein; 
ja  bie  überwiegenbe  9Kebrgabl  bet  ^Kenjdjen  gablte  not  bem 
15.,  meiftenö  fcbon  not  bem  10.  3abrc  bet  Ätnnibeit  ibten 
STtibut,  unb  man  fann  annebmen,  ba§  mebt  ald  bie  .palfte  aller 
^odenftanfen  jünger  al8  5 Sabre  waren.  3n  aQen  l*änbetn 
6utopa6,  jo  auch  in  SDeutfdjlanb,  ftarben  Sabr  für  3abr  250  biä 
300  Äinbet  auf  100  000  ©inwobnet  an  ben  '^oden,  unb  überall 
göblte  man  unter  100  Sobten  acht  biö  gehn  ^odentobte. 

9)lan  bnt  behauptet,  ba§  erft  bieSrapfung  ber  ÜJienfdien» 
poden  eine  fo  allgemeine  Süerbreitung  ber  .^ranfpeit  brrbei» 
geführt  bntlr-  ®enn  in  ber  Smpfung  ber  achten  ÜJlenfcben» 
pcden,  in  ber  ißariolation,  bnlte  man  ein  nielfacb  geübte! 
ÜKittel  gefunben,  fünftlicb  bie  Äranfbeit  bernorgutufen,  weldbcr 
burcb  natürliche  3lnftedung  jebet  gu  netfallen  beftimmt  fcpicn, 
unb  welche,  wenn  fünftlicb  ergeugt,  in  ber  [Regel  jebr  niel  milber 
nerlief  unb  nur  feiten  gum  2obe  führte.  Snbeffen  fonnte  burcb 
biefe  ÜRetbobe  bie  3abl  bet  ©rtranfungen  nicht  nermebrt  werben, 
ba  in  ber  Jbnt  audb  früher  faft  alle  SRenfcben  einmal  an  ben 
^oden  erfrantten.  3ubem  ift  g.  93.  in  ^te  ufeen  bie  93ariolation 
erft  um  1775  in  Slufnabme  gefommen,  — unb  wie  wenig  b>erburcb 
bie  |)äufigfeit  be8  Sölattemtobeö  nermebrt  worben  ift,  gebt  g.  93. 
au!  bet  ©tatiftif  be!  nortrefflicben  93erlinet  Slrgte!  ÜRöbfen 
bernor,  welker  im  Sabre  1775  nacbwie!,  bah  in  ben  lebten 
17  Sabren  non  1758 — 1774  in  ooüfommenet  Uebereinflimmung 
mit  ben  für  8onbon  gütigen  3ablen  auch  für  93erlin  bet 
Slntbeil  ber  |)oden  an  bet  allgemeinen  ©terblicbfeit  auf  8,  3p©t.  gu 

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14 


betec^nen  wat.  @ine  getingete  93rud;ja^l  (7,  8p@t.)  aber  toirb 
erhalten,  toenn  man  bte  retative  ^äuftgfeit  beS  ^odentobed  in 
Setitn  für  bte  18  3a^re  von  1783  btd  1800  berechnet,  in 
meicben  bie  SSarioiation  am  erbeblicbften  verbleitet  geivefen  ift. 

SBie  allgemein  vor  1775  ftbon  bie  jüngeren  Äinbet  ben 
florfen  verfielen,  (e^rt  gerabe  auf  inftruftive  SBeife  bie  ®ef<bi(bte 
bet  ©infübrung  bet  Sßariolation. 

gtiebricb  bet  ©tofee  batte  ^^en  alS  tütbtigen  flraftifer 
unb  Smpfar^t  berübmten  ©nglänbet  IBaplieS,  bet  bid  babin 
in  iDtebben  getvirft,  natb  S3etlin  berufen  unb  beauftragt,  feine 
©tfabrungen  auch  btet  nu^btingenb  ju  vermertben.  91acb  an« 
fangS  vergeblidben  IBemubungen,  Impflinge  gu  gewinnen,  erhielt 
93 ap lies  vom  3uftigminifter  von  Seblib  bie  ©riaubnib,  auS 
400  Söglingen  beS  großen  §riebti(b=^)oipital8  unb«  SBaifenbaujeS 
bie  ibm  geeignet  fcbeinenben  ^inber  auSguwäblen.  9!uf  93efebl 
beö  Königs  würben  viergebn  ^rovinjialärgte  berufen  ben  Snofu« 
lationen  beiguwobnen.  9tun  gefcbab  baS  ^erfwürbigfte.  S)ie 
mit  grobem  Slpparat  in  Scene  gefegten  Impfungen  von  24  ^inbern 
f^Iugen  fammt  unb  fonberS  fehl  unb  brachten  ber  SHetbobe  fowie 
bem  ÜIrgte  felbft  begreiflichen  Spott  ein.  3Bir  befi^en  eine  burch 
ihre  Dbjeftivität  föftlidhe,  hoch  nicht  ohne  feine  Satire  gefchtiebene 
Schilberung  beS  SSorgangeS  nach  bem  Sagebuche  eines  ber 
berufenen  Schüler  ^aplieS.  9Iber  auS  biefem  Sagebuche  unb 
bem  SSotberichte  bie^SU  gebt  b^Dor,  bab  einer  bet  Impflinge 
nicht  unbeutliche  Spuren  von  fchon  überftanbenen  931attem  im 
©efichte  batte,  unb  fein  eingiger  war  jünger  alS  acht 
Sabre.  2)aS  Sllter  ber  24  Smpfltnge  fchwanfte  gwifchen  acht 
unb  achtgebn  Sabren;  ein  ungünftigereS  SRaterial  hätte  ^aplieS 
in^bet  Sbat  nidht  nehmen  fönnen,  ba  er  nicht  flehet  fein  burfte, 
ob  auch  nur  ein  eingiger  feinet  Patienten  von  ben  93lattern 

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15 


btj^ei  oerfc^ont  unb  bemgemd§  für  bie  ^(atternimpfung  no(b 
cinpfängli(b  toax. 

lieber  biefen  $unft  urt^eilte  ein  nic^tärgtli^et  3<ttgenof|e 
folgen  bemalen: 

„2)ie  93etmutbung,  ba|  biefe  @ingetmpften  btc  natürli^en 
Slattem  f(bon  gehabt  batten,  ift  fo  ganj  nmoabrfcbeinlicb  ni(bt. 
S)et  grölte  Slbeil  ber  ^nber,  »elcbe  in  folcben  iSnftalten  unter« 
halten  merben,  finb  j^nber  oon  gemeiner  @rjiebung,  melcbe, 
wenn  fie  aufgenommen  werben  foQen,  wenigftenö  oiet  Sabre  alt 
fein  muffen.  91un  fann  man  immer  annebmen,  ba|  aOe  5 bid 
6 Sabre,  befonberö  in  einer  oolfreicben  @tabt,  bie  ä31attem 
epibemifcb  wütben  unb  aQe  Sabre  einzelne  ^inber  bamit  befaQen 
werben.  3)et  einer  @pibemie  bot  man  aber  bei  folcben  ^nbern 
bie  IBorficbt  nicht,  ihnen  alle  SBege  jur  iSnftedlung  ju  uerfdblie|en, 
man  überlä|t  fte  ihrem  (Scbicffal,  unb  bann  fann  ei  nicht  fehlen, 
fie  muffen  auf  taufenberlei  9rt  angeftecft  werben.  SBetl  man 
bergleichen  J^inber  nicht  fo  ängftlicb  mit  SBdrme  unb  btl^gen 
fUlebifamenten  befolgt,  fonbern  ihnen  bie  Freiheit  giebt,  fich  allen 
9rten  oon  Witterungen  auö3ufe|en,  fo  pflegen  fie  bie  IBlattern 
glücfli^  ju  überfteben  unb  werben  nicht  ^eitlebenö  fo  graufam 
burch  fRarben  gejeichnet,  alb  ei  oftmals  ^inbem  oon  3ärtlicber 
@rjiebung  begegnet.  fDMtbin  fann  man  nicht  ohne  ®runb  an« 
nehmen,  ba|  oieHeicht  bie  meiften  jener  24Jfinber  bie  glattem 
auf  eine  wobltbätige  !Srt  gehabt  batten,  fo  ba|  man  wenig  ober 
gar  feine  fRarben  baoon  bat  bewerten  fönnen." 

Sch  habe  biefe  fRotij  nicht  ohne  Söebacbt  wörtlich  wieber« 
gegeben,  ba  fie  eine  Seftätigung  bafür  enthalt,  ba|  bie  glattem 
im  Dorigen  Sahrhunbcrt,  fo  au|erotbentlicb  jablreich  ihre  Dpfer 
waren,  nicht  immer  fo  töbtlich  gewefen  finb,  alb  man  brate  faft 
allgemein  annimmt.  IDenn  eb  ift  gänglich  unridjtig,  wenn 

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16 


behauptet  wirb,  Don  ben  podenitanfen  ^inbern  fei  allenial  bad 
Dierte  ober  baö  brüte  geftorben.  2)ie8  war  in  ben  btfüäftcn 
@pibemien  in  berS^at  ber^all,  ja  e8  gab  epibemifcbe^onftitutionen, 
in  welchen  an  einigen  Drten  aDe  ober  faft  alle  ©rfranfte  erlagen, 
aber  baö  finb  lofale  unb  temporäre  auönabmen.  3m  aOgemeinen 
»aren  bie  (Spibemien  mit  einer  mittleren  Jöbtlidbfeit  am  bäufigften, 
unb  biefe  mittlere  ^öbtli^feit  bet  ©lottern  ^at  gegen  6nbe  be8 
Dorigen 3abrbunbert8  etwo  10— 12p(£t.  betragen;  oon  100 iftanfeB 
ftarben  im  SDutdjftbnitt  wie  audb  in  ben  meiften  cinjelnen 
(äpibemien  jefjn  bi8  jmölf.  SBet  nur  bie  heutigen  Scbilberungen 
lieft,  fönnte  glauben,  e8  h<ibe  ehebem  eine  leidtte  ^ocfenfotm 
überhaupt  nicht  gegeben;  unb  hoch  maren  bie  leichten  gäQe  in 
ben  meiften  ©pibemien  in  bet  föiehrgahl.  9licht8  liegt  mir 
ferner,  al8  bie  gro^e  ^})o(Iennoth  be8  nötigen  3ahrhunbert8  gu 
Detfleinern;  ober  um  ben  Gharafter  ber  Äinberpocfen  recht  gu 
Derftehen,  ift  e8  Don  3ntereffe  gu  wiffen,  bo^  unter  100  ^ocfen» 
franfen  bie  leichteren  unb  bie  fchmeteren  formen  ungeföht  in 
folgenber  SBeife  burchfchnittlich  fich  oertheilten: 

6t»a  breifeig  Äinbet  maren  faum  franf  gu  nennen,  bet 
au8f^lag  unb  bo8  Sieber  fefer  gering;  non  ihnen  hüteten  nnt 
einige  ba8  ©ett,  unb  e8  ftorb  feine8.  3nbere  btei  unb  breifeig 
hotten  mehr  Sieber  unb  ou8gebreitetere  ^ocfenpufteln ; fchmöchliche 
ober  fefer  jugenbliche  Snbiüibuen  erlagen  auch  wohl;  non  hunbert 
folcher  Äranfen  etma  gmei.  Sünf  unb  gmangig  anbere  Äinbet 
maren  fchmev  franf,  bo8  ©jcanthem  aUgemein,  fo  bafe  bie  halbe 
Äcrpetobetflöche  non  ihm  bebecft  erfcbien;  Don  biefen  Äranfen 
ftorb  ber  gehnte  2heü-  2)ie  ärgtliche  Äunft  fonnte  gerabe  biefen 
Äranfen  aufeerorbentlich  nü^lich  merben;  leibet  ift  aber  bie 
SWehrgahl  aller  ?)o(fenfäfle  im  notigen  Sahrhunbert  ni^t  unter 
ärgtliche  ©efeanblung  gefommen.  — 9ioch  erübrigen  non  unfern 

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17 


1 

^unliert  Äranfen  jaolf,  weld^e  »on  ben  allcti^linimften  gotmen 
ergriffen  »aren.  Unjd^lige,  oft  3ufammenflie§enbe,  oft  blutige 
Slattern  bebedften  ben  Äörpet : ein  entfe^lid)e0  33ilb  be8  Sammetö 
unb  bet  D^nma^t;  ben  Job  erlitten  bret  Siertel  biefer  hänfen, 
biefen  furd^tbarften  SBIatterntob  etwa  7 p6t.  aller  Äinber. 

3c^  ^cb  fc^on  ^eroor,  ba§  nur  bie  geringere  3a^l  ber 
^ocfenfdtle  in  ärjtlicber  Se^anblung  fi^  befanb.  6in  wefentlic^er 
SRu^en  bet  leiteten  beftanb  aut^  bamala  in  ber  überaus  notl)» 
wenbigen  Slbwe^r  oon  @d)äbli(^Ieiten.  Siele  ärgtlicbe  unb 
anbere,  befonberö  geiftli(be  ©^riftfteller  auS  bem  6nbe  befl 
Dotigen  3a^r^unbert8  Hagen  über  bie  trofllofe  Serwa^rlofung 
bet  ^ocfenfranfen  fowie  übet  baS  jammeroollfte  biätetifd)e 
^Regimen,  weldjem  bie  Äranten  burdj  i^te  Slnge^örigen  unter» 
wotfen  würben.  i‘üftung  beS  Äranfenjimmetö , 3Be(!^fel  bet 
SEBdfdie  fürchtete  man  als  töbli^.  ©ethürmtc  geberbetten,  hfife« 
Stuben,  er^i^enbe  Duacffalbereien  unb  Ijei^e  Oeltdnfe  waten 
in  ben  meiften  aller  jehweten  ^ocfcnfäHe  bie  angewanbten  SRitteL 
Stuf  bem  8anbe  würbe  bet  Sranntwein  in  großen  ®ojen  Heinftcn 
Jfinbern  »erabreicht;  eine'befonbere  SRolle  fpielte  an  Dielen  Orten 
al0  ÜRebifament  Schaffoth  in  ©ranntwein.  SBir  terftehen  unb 
glauben  eS,  wenn  auS  manchen  epibemiologifchen  Säuberungen 
bie  Älage  ertönt,  ba§  bie  ^älfte,  ja  jwei  SDrittel  aHet  STobeS» 
fälle  hätten  fönnen  oerhütet  werben,  unb  mit  SErauer  wenben 
wir  un0  ton  einem  ©ilbe  ab,  auf  welchem  bie  ©atbatei  ber 
Sorurtheile  unb  ber  hpflienifchen  3gnoran3  mit  grellen  garben 
gegeichnet  ift,  — leibet  wohl  übet3eugt,  ba§  innerhalb  bet 
cioilifirteften  fRationen  auch  ^«ute  noch  aufeerorbentlich  Diele 
onaloge  Uebelftänbe  beftehen. 

3Ru§  man  bemgemä^  gau3  gewi^  3ugeben,  ba^  allein  unter 
paffenbet  ©ehonblung  unb  butdh  görberung  bet  öffentlichen  unb 

XIX.  4S7.  2 (171) 


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18 


^tiDaten  ^pgtene  aud;  bie  ^nbet)>o(Ien  »iel  von  i^tet  5l6btlt4° 
feit  verlieren  würben,  fo  bliebe  boc^  genug  beS  @(enbS  jurüd, 
um  jene  9Ra§rege(n  aQein,  auf  welche  moberne  ^mpfgegnet  als 
^inlänglid)  mirffam  verweifen,  als  uugenügenb  gu  fenugeid)nen; 
forbem  bo(^  aud)  ^eute  no^  anbere  fd^were  jfranf^eiten  wie 
©d^arlac^  ober  2)ip^t^erie  fowie  bie  $oden  felbft  nad)  wie  vor 
i^re  Opfer. 

ISber  wenn  ferner  eS  aud)  gelänge,  bur<^  ^pgienijd^e  3)ta§< 
naljmen  allein  fowie  burcp  91bfonberung  ber  .kanten  viele 
SRenfc^en  wä^renb  eines  großen  S^eilS  i^reS  8ebenS  vor  ber 
auf  taufenb  Sßcgen  bro^enben  SInftedung  ju  bewahren;  bie 
SRe^rga^l  würbe  i^r  früher  ober  fpäter  bodh  verfallen  unb 
ftdherlich  viele  in  einem  8ebenSalter,  welches  baS  Ueberftehen  ber 
flocfeninfeftion  fehr  viel  weniger  wahrfcheinlidh  machte. 

@S  ift  für  unjere  SSetracbtungen  von  größter  2Bi(htigleit, 
hier  einen  ‘3ugenbli(f  bei  bem  @influffe  gu  verweilen,  welchen 
baS  8ebenSolter  auf  bie  @mpfänglid)feit  für  bie  ^oden, 
bie  IDiSpofition,  fowie  auf  bie  ©efährbung  burch  bie  ^J)oden, 
bie  ^rognofe,  auSübt.  SDiefer  @influ§  ift  fepr  beträchtlich, 
wirb  aber,  wie  mir  fcheint,  nicht  überall  genügenD  gewürbigt 
unb  verftanben,  obwohl  er  eine  einfchneibenbe  SBichtigfeit  fo* 
wohl  für  baS  Serftänbnih  ber  neueren  IBlatternepibemien 
als  auch  füt  bie  richtige  Seurtheilung  bet  Smpfwirfung 
befi^t. 

SaS  nun  gunächft  bie  S)iSpofition  gu  ben  $ocfen  be> 
trifft,  fo  ift  fie  von  frühefter  Sugenb  auf  vorhanben.  Vielleicht 
ift  fte  in  ben  erften  0äuglingSmonaten  geringer;  hoch  muh  man 
erwägen,  ba§  bie  ailerjüngften  auch  vor  bet  ©cfahr  ber  Sin« 
ftecfung  mehr  gu  behüten  waten  alS  etwas  ältere  äfinbet,  unb 
hierauf  begrünbete  eS  ftch  wohl  gumeift,  wenn  in  allen  älteren 

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19 


©pibemien  bie  Äinbet  beö  erften  8ebcn0ja^tefl  in  geringerer 
3a^I  »ertreten  waren  alS  bie  älteren,  ^eute  freili(b  ift  überall, 
wo  einjährige  j^inber  geimpft  werben,  baS  lBerhäIni§  umge« 
fehrt,  unb  e0  fterben  hier  in  ben  poftoacrinalen  @pibemien  bei 
weitem  mehr  .Rinber  unter  aI0  über  einem  3ahre.  SBährenb 
in  früherer  Seit  auf  100  ^orfentobte  be0  erften  gebenöjahrefl 
meift  700  biß  1000  2obte  ber  folgenben  3ahre  biS  jum  jehnten 
gejählt  würben,  ftarben  in  SSaiern  währenb  ber  lebten  großen 
©pibemie  auf  100  Säuglinge  nur  21  Äinber  oon  1 bifl  10 
Sahren;  unb  man  barf,  — nach  Slnalcgie  ber  älteren  ^ocfen« 
feuchen  unb  nach  Vergleich  mit  ben  ^orfenercigniffen  in  üänbem 
ohne  Smpfjwang,  — mit  Seftimmtheit  annehmen,  bah  in  ben 
lebten  epibemifchen  Sahren  in  33aiern,  ba  etwa  1500  unge» 
impfte  Säuglinge  ben  ^odentob  erlitten,  burch  bie  Swpfung 
allein  wenigftcnö  10  000  Äinbern  bifl  gu  10  Sohren  ber  Job  er» 
fpart  geblieben  ift. 

Sn  neuerer  wie  älterer  Seit  nahmen  oiele  an,  bafe  bie  JDiö» 
pofition  mit  ocrrücfenbem  Lebensalter  erlofche,  ba§  @rwachfene 
eine  geringere  (Smpfänglichfeit  als  ^nber  befä§en.  @S  giebt 
feine  einjige  Slhatfache,  welche  hierfür  angeführt 
werben  fonnte.  IDenn  ba§  oor  Senner’S  Auftreten  @r» 
wachfene  nur  gau3  auSnahmSweije  an  ben  Slattern  erfranften, 
ift  in  ihrer  IDurchfeuchüng  begrünbet  gewefen,  2)a  faft  ade 
Äinber  bis  jum  15.  Lebensjahre  ben  Slattern  »erfielen,  fo  waren 
fie  für  bie  fpötere  LebenSgeit  bis  auf  wenige  Ausnahmen  gegen 
eine  gweite  Slttacfe  gejchüht.  Sn  neuerer  Seit  aber  fehen  wir 
gur  Seit  Don  ©latternepibemien  auch  bie  (nur  in  ber  Sugenb 
geimpften)  ©rwachfenen  in  grober  Sohl  erfranfen,  unb  wenn 
»erhältnihmähig  weniger  (ärwachfene  olS  ehebem  ungejchühte 
Äinber  unter  ben  ^odenfranfen  gegählt  werben,  fo  ift  ficher  für 

2*  ci«) 


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20 


SSielc  bi8  in  ein  2(ltet  ber  Smpffd^u^  wirffam  geblieben. 
5)a  ^eute  fafl  ade  ©tao^fene  geimpft  ftnb,  fo  Dergleichen  bie» 
jenigen,  welche  bie  Unteren  alb  Don  ^aub  aub  minber  empfänglich 
anfehen,  ungefchü^te  Minber  mit  gefchü^ten  @imachfenen.  SBenn 
'aber  bie  s^DcfeninDafion  in  ein  bibher  noch  nicht  burdhl’euchteb 
©ebiet  erfolgt,  fo  erfranft  3ung  unb  2llt,  feine  Sebenbftufe 
bleibt  Derfchont,  unb  ade  oerfaden  in  gleicher  relatiner  3ahl 
Äranfheit. 

5)ie  @mpf änglidhfeit  ift  alfo  i«  jebem  Sebenbalter  Dor= 
hanben;  bie  ^rognofe  aber  geftaltet  pdh  je  «ath  l>em  Sllter 
auperorbentlich  Derfchieben.  3<h  habe  gefunben,  ba§  bie  meiften 
neueren  S^riftpeder  ©rmachfene  für  minber  gefghebet  halten 
alb  bie  Minber.  dli^tb  fann  unrichtiger  fein,  unb  audh  biefer 
SlnPcht  liegt  ber  unbewußte  S3ergleich  gwifchen  ungefchühten 
Äinbem  unb  geimpften  ©rroachfenen  ju  ©runbe.  3m  ©egen» 
theil,  eb  ift  fehr  wichtig  ju  wiffen,  bap  ©rwa^fene  burch 
bie  ^odeninfeftion  erheblich  ftärfer  gefährbet  finb. 

3m  Dorigen  3ahrha”t5ert  waren  in  ben  cioilifirten  Staaten, 
alb  faft  ade  ©mpfängliche  — unb  nur  gwei  ober  brei  oon 
hunbert  dRenfchen  mögen  bauernb  unempfänglich  gewefen  fein  — 
fchon  im  Äinbebalter  ben  ^octen  oerpelen,  bie  erften  brei  Menb» 
jahre  am  meiften  bebroht.  @b  ftarben  bib  gum  brüten  3ahre 
Don  hunbert  ©rfranften  im  JDurchfchnitt  etwa  gwangig  bib  fünf» 
unbbreipig.  IDa  man  annäherungbweife  annehmen  barf,  ba§ 
ungefähr  60  p©t.  ader  Äranfen  weniger  alb  5 3al)r  alt  waren, 
in  bemfelben  Sllter  aber  üier  fünftel  bib  fünf  Sechftel  ader 
^oefentobten  pch  befanben,  fo  mögen  bib  gum  fünften  3ahte 
Don  100  hänfen  meifteub  16  bib  20  geftorben  fein.  SBieber» 
holten  bie  ©pibemien  fich  häupger,  fo  blieben  jeber  eingelnen 
faft  nur  bie  jüngften  Minber  alb  Opfer  übrig,  unb  eb  ergaben 

(176) 


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21 


fid^  bann  oft  ^o^e  @terbet)TOjente.  Sflle  ^inber,  welche  ältet 
als  5 geworben  waten,  e^e  fie  bet  ©eud^e  oerftelen,  Ratten 
im  Durcbf^nitt  bis  jum  15.  Sa^rc  eine  fe^t  oiel  geringere 
getalität,  bie  tegefmä^ig  auf  etwa  5 p6t.  bet  @tfranften  gu 
f^ä^en  ift,  für  @utbe^anbelte  oft  geringer.  SBieber^olten  fi(^ 
habet  bie  ©ptbemien  mit  mittlerer  ^)äufigfeit,  alle  4 — 5—6  3flbw» 
wie  eS  bie  Siegel  war,  fo  ftieg  bie  ©terblidbteit  nur  auf  ein 
mittleres  üliafe  unb  betrug  10  bis  12  ^)6t.  SefonbetS  günftig 
waren  bie  .^inbet  na^  bem  10.  biS  gum  15.  gebenSjabre  fituirt. 
8eiber  eneicbten  nur  wenige  biefeS  Sllter,  ohne  ben  ?)odfen  gu 
»etfaflen.  3n  biefet  gebenSgeit  b®i  8etalität  wobl  feiten 
mehr  alS  3 p6t.  betragen  unb  ift  oft  felbft  unter  1 p6t.  ge» 
blieben. 

Diefe  5)ifferengen  madben  eS  etflätlidb,  ba§  übet  bie  @e» 
fdbrlidbfeit  ber  ^odfeu  unter  ben  beften  S^raftifern  beS  oorigen 
SabrbunbertS  oerfcbiebene  Slnficbtcn  b«tf(ben  fonnten.  9US  eS 
fi^  barum  bonbelte,  ob  bie  fünftli^e  Blatternimpfung  gu  em> 
pfeblen  fei,  warb  oon  berühmten  äetgten,  inbefonbere  ben 
SBienet  Üeibärgten  »an  ©mieten  unb  be  ^>aen  lebhafter 
SBiberfprucb  erhoben,  weil  nach  ihi^e«  ©tfahrungen  bie  natür» 
liehen  Blattern  nicht  gefährlicher  feien  alS  bie  {ünftlidhen.  @S 
waren  nicht  gufällig  leichtere  @pibemien,  in  welchen  biefe  h^dh» 
geachteten  fSergte  ihre  Beobachtungen  gefammelt.  Unterfucht 
man,  auf  welche  SäQe  oan  ©mieten  fidh  berief,  als  er  be» 
hauptete,  bie  Blattern  forberten  bei  guter  Behanblung  faum 
2 ober  3 Opfer  unter  100  @rfranfungen,  fo  erftaunt  man,  lebiglich 
auS  .^abettenfd}ulen,  38aifenhäufem  unb  |)ofpitälem,  welche 
jüngere  ^nber  nur  oereingelt  ober  abfolut  garnicht  aufnahmen, 
ftatiftifche  Eingaben  gu  finben,  unb  ber  re^te  ©chluh  wäre  ge» 
wefen,  in  biefem  Lebensalter  oon  7 bis  15  fahren  oer» 

(m) 


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22 


laufen  bte  natütlid^en  ^otfen  ebenfo  gelinbe  wie  bic  luferirteu 
im  SlQgemetnen. 

fOlan  mirb  fi(b  über  btefen  üRangel  an  @tnfid^t  munbeni. 
2ibet  in  bem  S^italtet  bet  ‘jlntoritäten,  mte  man  baä  ad^t> 
geinte  Sn^i^unbert  paffenb  genannt  ^at,  war  bad  unbefangene 
Urt^eit  feiten;  unb  i^  glaube  baiin  nidbt  5U  inen,  ba§  ed 
93oei^aaDe'3@infIu§  gewefenift,  bur^  welchen  nan  Swieten 
getäufi^t  würbe. 

Soer^aane,  einet  bet  ^ernottagenbften  Sletjte  aller  3«ten, 
^atte  in  feinen  Sp^oiiSmen  ben  <3a|  aufgefteOt,  dünget e 
Rotten  lei(btete  ^oden  al8  Sleltere.  33an  ©wieten’ö 
Seitgenoffen  nariirten  biefe  S3e^auptung  bed  berühmten  fStgted 
fo,  ba§  bet  f(bwebi)(be  Sltjt  0fiofen  non  IRofenftein  fagte: 
„Snnge  8eute  Ijoben  allejeit  gelinbere  ^oden  als  alte  8eute; 
unb  fe  jünger,  je  beffet"  (!)  2)er  ©cbweijer  2tffot  behauptete: 
,,@0  lange  man  jung  ift,  fo  lange  finb  bie  flattern  nicht  ge< 
fohtlich";  — bet  .^oDanber  ßamper:  „93ei  Äinbern  non  einem 
ober  gwei  3ahren  finb  fie  überhaupt  gerechnet  geringer;  h^uftget 
bei  ©twachfenen;  fehr  gefährlich  bei  älteren  ^erfonen,  bie  größte 
@efaht  aber  ift  bei  ©reifen  ju  fürchten." 

©0  fehr  beherrfchte  baö  9lnfehen  bet  gro|en  Slerjte  wie  eines 
Soerhoane  bie  Äöpfe  bet  SJeften.  SDieö  ift  ohne  Sweifel 
»an  ©wieten’Ö  unb  be  .^aen’8  ©ebanfengang  gewefen:  — 
r»enn  in  bet  Statiftif  jener  Äabettenfchulen  unb  .Jtofpitälet  bie 
Slattern  fo  gelinbe  ft^  etwiefen,  wie  »iel  milbet  noch  müffen 
fie  — fo  begeugte  eS  Soethaace  — bei  ©äuglingen  »et* 
laufen,  ©egentheilige  ©tfahtungen  würben  butch  fchlechte 
JÖehanblung  etllärt,  unb  ben  Slergten  bet  reiferen  Sugenb 
warbiüob  unb  ^tetS  gefpenbet,  welches  bie  Äunft  ihrer  93e» 
hanblung  nicht  immer  »erbiente. 

(178) 


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23 


3n  Deutfc^Ianb  gab  ber  »ortieffHiiöe  ÜKö^fen  gum  erften» 
male  eine  Uebetfi^t  ber  Slattemtobten  nieler  3a^re  nach  ihrem 
alter  unb  »ieö  bie  Snthümlidbfeit  non  Soerhaane’8  ?ehrfa^ 
nad}.  au8  eigener  ©rfaljrnng  fonnte  er  berichten,  ba|  et  mehr 
alß  900  ?)ocfenftanfe,  welche  älter  al9  10  Sa^re  waren,  behanbelt 
unb  bauen  nicht  mehr  al8  iech8  uetloien  höbe,  unb  feine  S^abeDcn 
erwiefen  ihm,  ba§  bie  ©lottern  ben  jüngften  Äinbetn  am  ge« 
fährlichften  waten.  5Rit  IRecht  rügt  9Röhfen,  ba§  bie  weiften 
feinet  Seitgenoffen  e8  fich  gut  (Shte  rechneten,  ihre  ©ö^e  mit 
©taten  au8  ou8wärtigen  berühmten  ©chriftftellem  gn  beftätigen, 
unb  cerlangt,  ba§  auch  anbete  gleich  ihm  m großen  beutf^en 
©täbten  ftatiftifche  Unterfudhungen  uornehmen  feilten,  bamit 
falfcher  SBahn  au8gerottet  unb  bie  Söahrheit  unterftü^t  werbe. 
S^arin  freilich  ii^e  auch  3J2öhfen,  wenn  et  au8  feinen  SubeOen 
fchloh,  ba§  bie  ^oefen  ben  @rwachfenen  fo  gut  wie  gar  nicht 
gefährlich  wären,  f^rcilich  hatte  er  unter  beinahe  7000  |)ocfen» 
tobten,  bie  in  17  3ahren  in  ©erlin  gemelbet  waren,  nur  45 
älter  al8  15  3ahre  oergeichnen  lönnen;  aber  et  überfah,  bah 
hiergu  bie  äufeerft  geringe  Sohl  ber  erlranften  ©rwachfenen 
in  ©egiehung  gebracht  werben  muhte,  unb  boh  3nbinibuen  übet 
15  3ahren  wegen  ehemaliger  ©ut^feuchung  bagumal  in 
ber  fRegel  immun  waren. 

35ie  getnbegu  troftlofe  üage,  in  welker  unvgef^ühte  @t« 
wach  je  ne  gegenüber  ber  ^orfeninfeftion  fich  befinden,  wor  ben 
älteren  autoren  wohlbefannt.  ©(hon  nad)  bem  15.  8eben8jahre 
»erfchlimmert  fich  bie  ^rognofe  beträchtlich,  unb  e8  fcheint  nach 
ben  älteren  ©eobachtungen,  bah  Brauen  biefe8  aiter8  bie 
@efahr  in  hübetem  5Kahe  uorhanben  unb  mit  fchneOeten 
©chritten  gunimmt,  al8  für  SJlänuer,  beten  gefährli^fte8  alter 
erft  mit  bem  fünfunbgwangigften  UebenSjahte  erreicht  ift.  2)ie 

(17») 


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24 


älteren  ISutoren,  weld^e  aOe  über  15  Sa^re  9llten  erwac^fen 
nennen,  fagen:  ben  @rtna(i^{enen  tnetblit^en  ©ef^led^td 
finb  bie  ^>oden  weit  gefä^rltd^er  alg  ben  @rwa^{enen 
bed  männlid^en  ©efc^Iec^td.  3^  bin  geneigt  angune^men, 
bag  bie  Umwanbelung,  bie  Umprägung,  welche  baS  S^Üenleben 
beä  Organismus  erfäljrt,  fobalb  bie  inbinibuelle  ©elbftänbigfeit 
ber  förpcrlic^en  ©ntwirfelung  fic^  auSbilbet  unb  abgefd^loffen 
ift,  bie  Sellen  empfänglid^er,  wiberftanbSlofer  macht  gegen  bie 
^ocfenpilge  ober  gegen  bie  bei  ber  SSermeljrung  ber  flocfenpilge 
entftehenben  @ifte.  (Be^r  unrichtig  ift  bie  SorfteQung,  ba§  ber 
fchwächlichere  ober,  wie  manche  meinen,  ber  wafferteichcre  Äörper 
ber  Slnfiebelung  unb  Vermehrung  infefti&fer  Vafterien  geringeren 
3Biberftanb  entgegenfe^e  als  ber  fräftigere.  SBaS  bem  Körper 
Äraft  unb  Energie  oerleiht,  ift  für  bie  Vermehrung  ber  Saf» 
terien  unb  für  bie  ,^öhe  ber  fpegififchen  j^anfheit  gang  irrele> 
nant.  3ch  holte  eS  im  @egentheil  für  fehr  wahrfcheinlich, 
ba§  im  Allgemeinen  ber  finbliche  Organismus  gegen  bie  in 
ihm  wuchemben  ^Podenpilge  refiftenter  ift,  ober  ba§  eine  geringere 
fDtenge  beletärer  ’Probufte  burch  ben  SebenSprogeh  ber  $oden« 
pilge  im  t inblichen  Körper  fich  bilbet  ober  eine  größere  gur 
AuSfcheibung  gelangt.  @o  oiel  ift  pdher,  ba§  bie  gange  furcht- 
bare @ewalt,  weldhc  bem  i'odengifte  innewohnt,  erft  bann  in 
bie  @rfd)einung  tritt,  wenn  eS  ungef^ü^te  (Srwa^fene  na^ 
bem  25.  Lebensjahre  infigirt  h®t.  ^ür  biefe  LebenSftufe  ift 
baS  ?>Ddengift  foum  minber  gefährlich  alS  bie  ?)eft  ober  bie 
©helerO;  unb  eS  fterben  »on  hundert  Ergriffenen  feiten  weniger 
als  brei§ig  unb  oft  mehr  als  fünfgig.  S>ieS  gilt  für  bie 
Gegenwart,  unter  cioilifirten  Verhältniffen  unb  bei 
trefflidhfter  Vehanblung,  faum  minber  alS  für  rohe 

Völferfchaften,  unb  als  eS  ehebem  gegolten  hot- 
asoj 


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25 


Sür  biefe  ^e^auptung,  icelc^e  manchen  neueren  ^nf Hauungen 
tniberfpric^t,  l^abe  \d)  bei  einer  anberen  Gelegenheit  bie,  wie 
mit  fcheint,  genügenben  Seweife  beigebracht,  ^iei  möchte  ich 
nur  an  ein  fehr  intereifanteö  Rattum  erinnern,  welches  bie  un« 
günftige  Sage  bet  Grwachfenen  gegenüber  ben  ^ocfen  lehrreich 
unb  traurig  jugleich  iduftrirt. 

SBdhrenb  ade  [tatiftijche  SRachrichten  auS  früheren  Saht« 
hunberten  etweifen,  wie  feiten  bie  dJienfchen  bis  jum  reiferen 
alter  non  ben  ^oden  »erfchont  blieben,  befi^en  wir  bcj^  eine 
Sifte  übet  eine  febt  gro§e  5leihf  non  fürftlichen  ^etfonen, 
welche  im  höhnen  Allier  bie  ‘Porfen  bahingerafft  würben, 
auherorbentliche  dJtahregeln  waren  getri^ffen,  um  bie  Familien 
bet  j^ürften  »or  anfteefung  gu  bewahren,  an  ben  meiften 
europäifchen  ^>öfen  war  ben  .jpofleuten  nerboten,  in  ein  .^auS 
gu  geben,  worin  |>odenpatienten  lagen,  ober  fie  mußten  40 
Sage  ben  .^of  meiben  unb  in  biefer  Seit  auch  brS  Umgangs 
mit  ben  übrigen  ^ofbebienten  [ich  enthalten.  SBenn  man  be« 
rüeffi^tigt,  wie  febr  oerbreitet  unb  ununterbro^en  bie  Äranfheit 
heufchte,  fo  begreift  man  bie  ©ebwierigfeit,  biefe  anorbnung 
burchgufühten,  unb  man  glaubt  eS,  wenn  oan  «Swieten 
beridbtet,  bah  ^ie  S^ornehmen  fo  oiel  wie  möglich  bemüht 
waren,  ihre  ^oefenpatienten  gu  oethehlen.  Äeine  Sorficht 
hinbette  baher,  bah  »*«1«  fürftli^e  Äinbet  ben  Slattern  oerfielen. 
Gelang  eS  aber  nicht,  bie  abfpetrung  geitlebenS  erfolgreich  burch» 
guführen,  fo  waren  bie  in  ber  3ugenb  behüteten  SRitglieber  ber 
Sürftenhüufer  in  hüh^ton  alter  um  fo  mehr  bebrobt  gefährlich 
gu  etftanfen. 

SJian  weih,  um  nur  beutfehe  9iamen  gu  nennen,  bah 

{)auS  ber  .^ohengollern  mehrere  SRitglieber  ber  furfürftlichen 

Familien  an  ben  flattern  oerloren,  welche,  wie  ein  alter  ärgt> 

(181) 


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26 


liefet  ©^riftfteOer  meint,  bem  Sranbenburgif(^en  ^aufe  oet<= 
bängnifeBolI  gu  fein  fc^ienen.  @8  ift  ferner  befannt,  ba§  Äaifet 
3ofef  I unb  nad;  it^m  gwet  ^aiferinnen,  feebb  (Srgbergoge  unb 
(Srgbergogtnnen  an  ben  Slattern  ftarben.  fIRarta 
lourbe  als  bejahrte  ^rau  ergriffen  unb  burdb  fRarben  cntfteQt. 
©tefer  ÄranfbeitöfaD  mürbe  bie  Seranlaffung,  ba§  bte  Äaiferin 
Äatbarina  Don  Stufe lanb  flcb  bie  ächten  ^ öden ' impfen 
liefe.  3n  ©eutfci)lanb  ftarben  im  lefeten  Sa^rbunbert  ferner  ein 
Äurfürft  oon  ©aebfen  unb  ber  lefete  Äurfürft  »onSSaiern. 
3m  3abre  1779  erlag  bie  .^evgogin  griebrich  »on  S3raun» 
f^bweig  .ft'ranfbeit.  Stacb  biffem  lebten  JobeöfaU  mürben 
auf  Sefebl  beö  Äönigö  griebricb  Sßtlbflm  II.  bie  föniglicben 
Äinber,  guerft  bie  beibeu  jüngeren  ^ringen  i^einricb  unb  2Bil» 
beim,  bann  ?>ring  8ubmig  unb  ber  gebnjäbrige  jSronpring,  ber 
fpätere  Äönig  Sriebricb  SBÜbclm  III.,  mit  ben  natürlichen  ?)ocfen 
geimpft,  ©eit  biefer  3cit  ift  meineö  Söiffenö  fein  SRitglieb 
eines  europäifeben  ^)errfcherbaufe8  an  ben  Slattern  geftorben.  — 
Unfer  erlauchter  ^aifer  ift  als  ^nb  burch  ben  berühmten 
Dr.  .^eim  fchon  mit  Äubpocfcnlpmpbe  geimpft  roorben.  — 

©ie  enorme  S.öbtlichfeit,  melch«  ben  ''pocten  her  ©rma^fenen 
eigen  ift,  macht  allein  bie  aufeerorbentlichen  SSerlufte  erflärlich, 
meldbr  aDc  Seoölferungen  — mögen  fie  cioiliRrt  fein  ober  nicht  — 
erleiben,  menn  bie  ätranfbeit  auf  ben  SBegen  beS  SSerfebrS  ihnen 
gum  erften  9Rale  gebracht  mirb.  ©o  mürbe  ben  ©Ingeborenen 
oon  SRerifo  bie  Slnfimft  ber  ©panier  im  Anfänge  beS  fechS. 
gebnten  3abrbnnbertS  oerberblich.  ©urch  einen  ftanfen  Sieger, 
fnaben  brachten  ihnen  bie  fponifchen  ©roherer  bie  poefen,  mel^ie, 
mie  eS  heifet,  mie  eine  ^eerbenpeft  unter  ben  3nbianern  mütbeten. 
©ie  Seichen  fammelten  fich  in  bem  SRafee  an,  bafe  man  bie 
Raufer  nieberbrechen  mufete,  um  fie  gu  begruben.  Sticht  minber 

(Ui) 


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27 


»üt^eten  bie  |)o(fen  1651,  ald  but(^  bie  2)änen  bie  ^eDot^ner 
ber  Snfel  getto  angeftetft  »aren.  2)ur(^  ^olldnbifdje  ©djtffer, 
toeli^e  podenfranfe  ^tnbei  an  Sorb  Ratten,  warb  1718  bie 
@eu^e  Don  Dftinbien  na^  bem  SSorgebtrge  ber  guten 
Hoffnung  uerfcbiebbt;  fur^tbar  waren  bie  S3erlu[te  ber 
tentotten,  biö  blefe  ben  nod)  ni^t  angefterften  Sbeil  i^re0 
8anbe0  mit  3BdQen  umgaben  unb  befe^t  hielten  unb  biejenigen 
mit  ^'feilen  tßbtcten,  welche  au8  ben  angeftetften  Orten  fi^  ju 
nähern  wagten.  3m  3a^te  1733  warb  buri^  einen  Änaben  bie 
@eu(^e  au0  bänifcbem  Gebiete  nad^  @rön(anb  einge« 
fd)Iet>pt,  unb  uat^  ben  91a(^ri(J)ten  ber  SKifponare  jcllen  ^ier 
in  einem  Sa^re  an  3000  ^erfonen  erlegen  fein,  ©egen  @nbe 
beS  »origen  3a^rl;unberte  brachten  bie  ©nglänber  bie  ^ranf* 
heit  nach  Slmerifa;  »on  fünfjig  ©rgriffenen  ift  in  bet  @e= 
genb  ber  .^ubfonSbap  faum  einer  mit  bem  geben  ba»on  ge* 
fommen. 

©oId)e  Serwupungen  ridjten  bie  Slattern  nidjt  nur  bann 
an,  wenn  pe  in  ein  ©ebiet  gum  erpen  ÜJlalc  gelangen,  fonbern 
allemal,  wenn  pe  feit  längerer  Seit  — wegen  mangelnben  iBer» 
fehtö  — f””  geblieben  waten,  fo  bap  pe  unter  ben  ©r* 
wacpfenen  ein  reichliches  empfängli^eS  fDkterial  »orpnben. 
So  haben  bie  ©lattern  u.  a.  wieberholt  ben  Sölänbern  furcht* 
bare  SBerlufte  »erurfacht,  welche  g.  S3.  allein  im  3ahre  1707, 
na^bem  feit  35  Sahreu  feine  ©pibemie  geberrfcht  hatte,  mehr 
als  35  p©t.  ber  SBeoölferung  betrugen. 

SRanche  mögen  eS  auch  füt  nicht  unwahrfcheinlich  halten, 
bap  baS  ^odengift,  falls  »iele  ©twachfene  ipm  gum  Opfer 
fallen,  eine  auch  für  j^nber  beletärere  ©ewalt  annepme;  bap 
ber  ^odenpilj,  wenn  er  »orgüglich  in  ben  geibem  ber  ©r* 
wachfenen  fortgegüchtet  wirb,  eine  intenpoere  Ärap  erhalte; 

C18S) 


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28 


unb  Ijierfür  fonnte  bie  (aUetbingö  nic^t  gang  fidlere)  ®eobad^» 
tung  au0  neuerer  3«t  angeführt  »erben,  bafe  bie  Torfen  in  ben 
lebten  @pibemien,  »el^e  an  ben  meiften  Orten  uorjügti^  unter 
@t»o(bienen  ^errl^ten,  ^ierfelbft  ben  (ungeimpften)  Äinbern 
oerberblicber  gemefen  feien  al8  nor  Senner’ö  3eit.  — 

3enncr’8  Serfuebe,  bureb  bie  3inbfung  mit  Äubbocten» 
Ibmpb^i  bie  IBaccination,  bie  @mpfängli(bleit  für  bie 
SJlenfcbenblattern  ju  tilgen,  »urben  in  3)eutf(blanb  juerft  1799 
befannt.  3n  Berlin  finb  bie  erften  3mbfungen  im  f^rübjabr 
1800  Dorgenommen  »orben.  IDie  erfte  3n>t)forbnung  erf(bien 
1810;  »on  einem  allgemeinen  3»bfjwuufle  war  fie  weit  ent* 
fernt;  nur  bie  6rlaubni§  jur  Konfirmation,  bie  Slufnabme  in 
ein  ^anbmerf,  in  eine  öffentli^e  0ilbung8anftalt  machten  bie 
IBaccination  jur  Sebingung.  »urben  baber  bie  Kinber  gum 
SEbcil  wft  nach  bem  fünften  gebenöjabre  geimpft,  unb  biefeö 
SSerbältnife  ift  bis  1875  in  einem  großen  2b*‘lr  »o«  ^reufeen 
bie  Siegel  geblieben.  — Slocb  jäblte  man  im  3abte  1809  unter 
100  lobten  eines  3abreS  6 ^odtentobte,  im  3abre  1810  ebenfo 
Diele  unter  1000  lobten.  Siebmen  »ir  nun  einmal  bie  2b“t' 
facbe  ber  @cbu||»irfung  als  bemiefen  an;  nehmen  »ir  ferner 
an,  bab  biefer  @cbub  für  Diele  nur  10  ober  15  3abre  anbauert: 
»aS  mu&te  bie  f^olge  fein? 

3ur  3eit  ber  erften  Smpfungen  beftanb  bie  SeDölferung 
gu  mehr  alS  80  p6t.  auS  ben  bereits  früher  ©eporften;  biefe 
»aren  gum  allergrößten  ^brilCi  wie  bie  ©rfabrung  aller  3eiten 
gelehrt  bat,  gegen  eine  grneite  ©rfranfung  immun.  iSueb  Don 
ben  Kinbern  »ar  ein  nicht  geringer  ^bri^  bereits  burdbfeuebt, 
ein  anberer  warb  geimpft,  — »aS  äüunber,  baß  nun  eine  3cfl 
Don  10  bis  15  Saßren  folgte,  in  »elcßer  auf  eine  früßer  un* 

(IM) 


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29 


flea^nte  Söeifc  ©tatterinjatienten  ju  ben  (Seltenheiten  ge« 
hörten.  — 

9Jlan  »at  beglücft  über  ben  SuwachS  ber  jugenblidjen 
Senölferung.  3«  jenen  3ah^en  betrug  ber  jährliche  ©ewinn 
an  SRenjchen  gegenüber  bem  cergangenen  3ahrhunbert  im 
Königreiche  ?)reu6en  wenigltenS  10—15  000,  »eiche  leben  blieben, 
ba  fte  hoch  ehebem  un3»eifelhaft  ben  SSlattern  erlegen  »äten. 
Syie  ju  geftcn  brängten  fith  bie  SDRütter  ju  ben  Sergten,  um 
ihren  Kinbern  bie  SBohlthat  ber  Srnpfung  ju  oerf^affcn.  3)ie 
jeitgenöffiichen  Sd)riftjteHer  finb  ncll  <Danf  uub  Siührung  über 
bie  Seltenheit  ber  Slottern,  »eiche  nur  nereinjelte  Ungeim^fte 
befallen;  fte  melben,  bag  bie  Schulftuben  auf  bem  iianbe  gu 
fletn  »erben,  unb  hoffen  eine  neue  Slera  für  baS  befreite 
ÜRenfchengefchlecht.  3n  Berlin  famen  bie  Slerjte  olljährlich  am 
14.  SJiai  gujammen,  um  bur^  bie  Sammlung  non  3liachrichten 
über  ben  Fortgang  ber  3mpfungen  unb  über  etwaige  flattern* 
epibemien  baä  ISnbenfen  unb  ben  *>er  erften  öffent» 

lidhen  Saccination  burch  Senner  ju  feiern. 

9lach  einigen  Sah^^^n  »erben  bie  erften  SlatterufäHe  bei 
©eimpften  beobachtet.  Ülnfänglich  beftritten  unb  faljch  gebeutet, 
»erben  fie  halb  alö  leicbtefte  Bälle  wahrer  ©lottern  erfannt. 
Unter  manchen  Schwierigfeiten,  »eiche  inöbefonbere  burch  ^<e 
un ächten  Kuhpocfen  bereitet  waren,  gelangt  man  atlmähli^ 
jU  ber  ©rfenntni^,  ba§,  um  einen  genügenbcn  S^u^  ju  er» 
jielen,  eine  genügenbe  3ahl  »cn  Smpfpufteln  h®x®orgerufen 
»erben  mu§;  unb  longfam  übergeugen  fich  bie  Slergte,  ba§  ber 
flchere  Schu$  nur  eine  befchränite  Beit  aubauert. 

Solange  nun  bie  Smpfungen  giemlich  gleidhmähig  weiter» 
hin  burchgeführt  würben,  blieben  anfänglich  bie  ^odenepibemien 
noch  inimerhin  feiten  unb  örtlich  befchränft.  So  herrfchte  1818 

(184) 


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30 


in  @ bin  bürg  eine  (Spibemie,  in  welcher  nad;  bem  Berichte  beS 
^tof.  Xboml'on  Bon  ben  Ungeimpften,  bie  3um  größten 
au8  iüngften  Äinbetn  beftanben,  25  p(5t.  ftatben.  Stbom|on 
beobachtete  itn  ©an^en  310  Slattemfälle  bei  33accinittcn ; bie|e 
jeichneten  fich  in  ihrem  ÜBerlauf  bur<h  eine  au^erorbentliche 
ÜKilbe  au8,  jo  ba§  er  fte  nicht  Sariolen,  jonbem  SSarioloiben 
nannte;  bie  Raufen  hatten  ein  Sllter  Bon  10  SBochen  bie  ju 
15  3ahten;  non  ben  310  fällen  enbete  ein  einjigcr  töbtlich. 
3Jon  ^erjonen  über  15  Sahren  erfranften  nur  jehr  »enige.  — 
@inen  ähnlichen  ©hata^ter  h<tben  alle  hier  unb  ba  folgenben 
©pibemien.  SBeifpieleroeife  erfranften  im  Sahre  1819  im  {Rup* 
pinjehen  Äreije  250  ^erfonen;  bnrunter  mären  30  geimpft, 
unb  Bon  biefen  jtarb  niemanb;  non  ben  Ungeimpften  finb  15 
erlegen.  3e  weiter  nun  bo8  3ahi^h“”bert  norjehreitet,  um  fo 
mehr  änbert  fid)  ber  ©harafter  ber  ©pibemien.  @ie  erjeheinen 
jeltener  al8  norbem,  unb  nur  auenahmemeife  erreicht  bie  3ah^ 
bet  SJlatterntobten  eine8  3ahre6  ben  jehnten  3:he*l  ber  ehemaligen 
burchjchnittlichen  Sobten3ahI.  iHbet  e8  wäcbft  bie  @umme  ber 
erfranften  ©twachfenen  — au6  begreiflichen  ©rünben.  3)ie 
jeit  bem  IHnfange  be8  3ahrhunbette  batirenben  glüdlicheren 
Seiten  bemirften,  ba§  bie  meiften  ber  in  biejem  ©äfulum  @e« 
botenen  unbur^jeucht  blieben;  bie  3mpfung  aber  gab  einen 
flcineren  ober  größeren  S^h^Üe  von  ihnen  nur  einen  geitlich  be> 
fchränften  @chuh-  t!He  baher  um  @nbe  be8  brüten  Sahrgente 
neue  @pibemien  burch  Europa  3ogen,  etwiefen  fi^h  anbere  aie 
früher  alle  üebenealter  bie  3um  30.  3ahtc  bieponirt;  nur  bie 
ftijch  geimpften  unb  faft  alle  über  breifelg  Sahre  Sllten  waren 
immun;  bieje  lefeteren  hatten  noch  bie  @pibemien  be8  acht« 
3ehnten  Sahrhunberte  burchgemacht  unb  waren  früher  fchon  ein« 
mal  poefenfranf  gewejen.  ©o  lefen  wir  non  ÜRarfeille,  bafe 
(186) 


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31 


bort  im  Sa^re  1828  faft  niemanb  nad)  bem  30.  8eben0ja^te 
etftanfte.  Unter  Süngeren  ober  erfrantten  üiele  ©eimbfle,  nod^ 
me^r  Ungeimpfte;  eS  ftarben  45  »on  ben  erfteren  unb  übet 
1400  Don  ben  leiteten;  e0  lägt  fid)  berechnen,  bag  auf  25  Un< 
geimpfte,  aber  erft  auf  1500  @4eimpfte  ein  SobeSfafl  norfam. 
SBer  fchon  bie  ^ocfen  gehabt  butte,  mar  jiemli^  fi<bn>  benn  eS 
fam  erft  1 SobeöfaQ  auf  12000  ©eblatterte.  — 3e  älter  ba8 
Sabrbunbert  mirb,  um  fo  mehr  b^uft  fi<b  bie  Suhl  ber  @r» 
macbienen,  meldje,  in  bet  3ugenb  geimpft,  ihre  @mpfängli(bfett 
für  bie  ^ocfen  miebetgemonnen  haben.  3n  ben  @pibemien  bet 
piet3iget  3abte  ermiefen  fi<b  olle  SHterfiftufen  bi8  3um  fünf» 
gigften  3abte  empfängli^;  menige  erfranften,  meltbe  älter  maten; 
unb  in  unfern  Jagen  ift  bie  ©mpfäuglidbfeit  überall 
verbreitet,  in  allen  ^lter0f laffen , ba  in  aOen  bie  früher 
fcbon  beblätterten  in  ber  ÜJMnber3abl  ficb  befinben. 

J)a  unfere  £inber  nicht  mehr  ben  einft  gleichmägig  mieber» 
lebrenben  @euchen3Ügen  unterliegen,  fo  finb  mir  beute,  um 
©chug  vor  ben  |)ocfen  3u  befigen,  einsig  unb  allein  auf  bie 
3mpfung  angemiefen,  auf  Smpfung  unb  SBiebetimpfung. 

fJliemanb,  bem  biefe  SBerbältniffe  flat  gemotben,  mirb  pch 
munbern  fönnen,  bag  bie  ^JJodfen  in  biefem  3abtbunbert  »on 
©pibemie  3U  bpibemie  megt  Jobeöfälle  »erfchulbet,  unb  bag 
ftetd  mehr  brmachfene  unter  ben  brfranften  fich  befanben.  SBit 
vertrauten  bidbec  einem  Deinen  ^Jliittel,  melched  ungleich  ber 
natürlichen  ^latternfranfbeit  vielen  nur  für  eine  3ieibe  von 
3abten  fieberen  Sdbug  giebt;  fönnen  mit  verlangen,  bag  bie» 
felben  glücklichen  Buftänbe  bebarrten  mie  jene  beb  erften  J)tittelb 
biefeS  3abrbunbert0,  alb  noch  bet  grögte  Jb^il  ber  3)e> 
völfetungen  burchfeuebt  mar?  @0  nehmen  nach  unb  nacb  bie 
SSlattern  ihre  alte  tööbartigfeit  mieber  an;  unb  mäbrenb  in  ben 

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32 


brei&iger  Sagten  »on  ben  ©eimpftcn  nur  1 — 3 ber  @t« 

fwttftcn  [tatben  unb  no(^  biö  1864,  al8  in  SJetlin  beino^e  2 
aOet  Sobe8fäQe  von  ben  Stattern  veranlagt  waren,  nur  4 bt8 
5 SobeSfätle  auf  100  erfranfte  ©eimpfte  gered^net  würben,  — 
ftarben  in  ben  Sauren  1870  bis  74  von  ben  ©eimpften  10, 
15,  tjie  unb  ba  felbft  20 

3rt  biefer  lebten  heftigen  (Spibemte  ift  aljo  bte  burcbf^nitt» 
U^e  unb  ^äufigfte  ,^5^e  ber  SöbUicbfeit,  welche  e^emaid  bie 
Äinfcerporfen  in  ßuropa  befeffen,  weit  überfcbritten.  Slnalpfirt 
man  bie  einzelnen  0eu^enau8brü(^e  biefer  lebten  ^anbemie, 
fo  erwac^fen  junä^ft  für  bie  ©tatiftif  gro§e  ©(^Wierigfeiten, 
welche  wefentlic^  in  ber  UnnoDftänbigfeit  be8  Materials  hefteten, 
^ür  bie  Ungeimpften  ergiebt  ficb  faft  überall  in  jeber  aiteröftufe 
eine  gang  ungewö^nlidbe  ©terbe^äufigteit.  2)a  angeblich  von 
ben  erfranften  Ungeimpften  30—70  p6t.  ftarben,  fo  wirb  ^ier» 
burd)  bie  aud)  fonft  begrünbete  ^nnat^me  beftätigt,  bag  viele 
leichter  erfranfte  Ungeimpfte  nidjt  gut  Äenntnig  gelangten.  JDie 
eingige,  auf’8  ©enauefte  fo  auegcgäglte  Gpibemie,  bog  alle  Sin* 
fprücbe  ber  ©tatiftif  befriebigt  finb,  biejenige  ber  ©tobt  ©gern» 
nig,  ergiebt  für  bie  Ungeimpften  eine  fegt  viel  betr&djtlicgetc 
Jtranfengagl  al8  für  bie  ©eimpften;  fie  ergiebt  ferner,  bog  in 
(igemnig,  wo  feit  lange  eine  rügtige  gegnerif^e  Slgitation 
baö  23olf  betgört,  vergältnigmägig  fegt  viel  megr  Äinber  ol8 
anberwärt8  erfranften.  Son  ben  ungeimpften  jUnbern  bi8  gu  10 
Sagten,  wcldje  an  ben  ^ocfen  erfranft  waren,  ftarben  nur  9 p6t.; 
im  Sllter  von  10—15  Sagten  etwo  2 p(5t.;  33ergältniffe,  welcge 
benfenigen  älterer  ©pibemien  auffaClenb  analog  finb.  93on  ben 
erwotgfenen  Ungeimpften  finb  nacg  einet  minimalen  Se= 

tecgnung  30  p6t.  ber  ©rfranften  geftorben. 

(188) 


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33 


Unter  ben  geimpften  Ätnbetn  btfl  ju  10  Sagten  ftorb 
feinet;  non  ben  @rtna(^fenen  tnenige. 

3n  ben  meiften  beutf^en  Sänbem  ftnb  ntele  in  ben  erfien 
Lebensjahren  geftorben,  weil  bie  Äinber  nielfaeh  erft  im  fdjul* 
pflichtigen  Slter  geimpft  würben. 

3n  Saiem,  wo  bie  Smpfung  bet  einjährigen  Äinbet  feit 
1830  in  rühmlicher  Äonfequeng  burchgeführt  worben,  gehörten 
unter  100  Jobten  ber  erften  10  Lebensjahre  82  bem  ©äuglingSs 
alter  an;  non  geimpften  .^nbern  ftarben  nur  fehr  wenige.  93om 
gwangigften  Sahte  ab  nahm  bafelbft  bie  3ohl  l>er  lobten  gn 
unb  ftieg,  auf  bie  gleiche  Sah^  jeber  SllterSflaffe  Lebenben 

beregnet,  nom  gwangigften  3ahre  an  bis  gu  ber  höchften  IHlterS» 
flaffe,  welche  Untere  überwiegenb  reich  an  5Durdhfeuchten  war. 
Siber  nicht  bloS  bie  abfolute  ÜRortalität  wächft  non  3ahr  gu 
3ahr,  fonbern  audh  bie  relatine;  b.  h-  »om  gwangigften  Sahre 
ab  ftarben  non  100  (Srfranlten  in  jeber  eingelnen  SUterSftufe 
mehr  unb  mehr,  bis  in  ber  höchften  baS  fDiajcimum  erreicht 
ift.  äBährenb  unter  ben  beimpften  non  20  bis  30  fahren  nur 
nethältniSmä|ig  wenige  ber  (Srhanften  ben  Slattem  erliegen,  ent« 
fprechenb  ber  geringen  Slattemletalitdt  im  3.  Sahrgent  unfereS 
SahrhunbertS,  werben  für  30=3ähtige  an  nielen  Orten  fchon 
4 — 6,  für  SBiergigjöhrige  6—10  unb  für  Sleltere  felbft  15  unb 
barüber  biS  gu  20  lobten  auf  100  @rfranlte  gegählt. 

SBie  man  fieht,  finb  für  niele  ältere  ©eimpfte  bie  SBlattern 
wieber  gu  einet  beletaren  ÄranTheit  geworben,  unb  benno^ 
werben  nirgenbwo  bie  enormen  ©terbegijfern  eneicht,  welche 
ben  ungefdhü^ten  (Srwachjenen  eigen  ftnb.  @o  gahlreich  ba> 
her  auch  unter  ben  älteren  ©eimpften  5£obeSfälle  notlamen,  jo 
wot  bennoch  für  niele  ber  ©rfronften  ein  beträchtlicher  fReft  non 

XU.  437.  S (189) 


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34 


gutücfgeblieben,  welcher  i^nen  wenigflenS  baö  8eben 
erhielt  unb  t>ie(en  bie  ^anf^eit  lelattD  leidster  geftaltetc. 

fDie  Bal^Ien  lehren  unö,  n>aS  baoon  gu  galten  ift,  wenn 
unwiflenbe  ^nt^fgegner  meinen  unb  bem  93oIfe  ergä^Ien,  bie 
^ocfen  »Ören  bei  bet  mobemen  Sei^anblung  eine  leichte  @r» 
ftanfung.  9ber  fie  lehren  unS  jugleic^,  ba§  gegen  bie  ben  @t* 
wad)ienen  fo  enorm  gefö^rlid^e  ^anf^eit  nad^  ber  einmaligen 
Smpfung  eine  Sd^u^mirfung  gegeben  ift,  welche  in  ber  fRegel  — 
aUerbingfi  ni(bt  in  aUert  f^öDen  — »iele  3a^re  »or  ber  @r* 
franfung  bewahrt;  eine  gemiffe,  »ie  i^  glaube,  ni(^t  geringe 
3a^I  non  ^enf^en  »irb  burd^  eine  orbentlidfie  3mpfung 
felBft  für  baä  gange  Beben  gefi^ert.  Oft  freilid^  tritt  bie 
.®mpföngli(^feit  na(^  einer  SRci^e  non  Sauren  wieber  gu  läge; 
biefe  lö§t  fi(^  burdb  SBieber^olung  ber  3»bfung  für  eine  gewiffe 
Seit  oon  neuem  befeitigen.  ®in  JReft  non  relatinem  3»bfft^u§ 
bleibt  für  bie  fWeiften  felbft  na(^  einmaliger  3»pfung  bifl  in 
bad  ^oc^fte  Bebensalter  erhalten. 

3n  einem  großen  Steile  non  IDeutfd^Ianb  waren  bis  gum 
@rlaffe  beS  3wbfgefe^eS  bie  lUaccinationen  auf  re(^t  unweife 
2lrt  burd^gefü^rt  worben.  9)lan  impfte  niele,  in  wandten 
©egenben  bie  weiften  Äinber  erft  nac^  bem  fünften  BebenSja^re; 
bomit  liefe  man  bie  3üngften,  »eldje  ftetS  am  ftörfften  bebrofet 
waren,  ungefd^üfet,  unb  man  gab  benen  @d)ufe,  weidfee  audfe  in 
früfeeren  Seiten  am  wenigften  geföferbet  waren,  — ein  um  fo 
bebenflicfeereS  ©efcfeenf,  olfl  bei  oielen  ber  Befeteren  bie  ©mpföng» 
licfefeit  in  einem  BebenSalter  wieber  erwacfeen  mufete,  welcfeeS  bie 
?)odfen  gu  einer  feöjfeft  geföferlidfeen  Äranffeeit  ma(fet.  Der  wafere 
©egen  ber  3mpfung  berufet  in  ber  aJiöglidjfeit,  jüngfte  Äinber 
ifer  gu  unterwerfen  unb  oor  ber  ifenen  fonft  nerberblicfeen  ©eudfee 
gu  fdfeüfeen.  DiefeS  ?)ringip  feat  g.  S.  fidfe  in  ber  fefer  geringen  ^odfen» 

(190) 


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35 


SRortalität  bet  über  1 3a^r  alten  Äinbet  in  Saiern  cortrepidb 
beteä^rt  unb  »irb  je^t  in  ganj  2>eutf(i^Ianb  sn^Iteicben  Äinteni 
bad  Seben  erhalten. 

3Bel(^e  SSottljeHe  bie  je^t  in  ®cutf<^Ianb  aUgemeine  SBiebet« 
impfung  bet  gaolfjä^tigcn  Äinbet  gemähten  wirb,  lä§t  nod) 
nicht  ermePen.  @8  ift  nicht  unmöglidh,  bap  bicfelben  nicht  feht 
beträchtlich  fein  unb  wefentli^  barin  beftehen  werben,  ba|  bie 
immerhin  gahtrei^en  jfinber,  welche  au^  fortan  im  erften  2eben8» 
jahre  entweber  garni^t  ober,  worüber  manche  Erfahrungen 
»orliegcn,  fehr  ungenfigenb  geimpft  werben,  währenb  ihrer 
iSchulgeit,  wenn  pe  ni^t  »orher  baö  Dpfet  ber  ^otfen  geworben 
pnb,  einen  neuen  unb  befferen  ©chu^  empfangen.  3nt  Uebrigen 
lagen  lebiglich  DpportunitätSgrünbe  uor,  gerabe  gwölfjährige 
Äinbet  gu  reoacciniren.  53eun  wenn  behauptet  wirb,  ba&  bet 
ben  weiften  Äinbern  gehn  3ahre  nach  Swpfung  bie  2)i8popton 
gu  fchweren  SSlattern  wieber  oorhanben  fei,  fo  ift  bie8  unrichtig; 
richtig  ift  nur,  bap  bei  einem  gewipen  Sru^theil  ber  @ut* 
geimppen  fchon  gehn  3ahre  nach  ber  3nipfung  eine  geringe 
Empfänglichfeit  befteht.  Serüefpehtigt  man  aber,  bap  gerabe 
in  biefem  fSIter  felbft  Ungefchüpte  ober  nur  Einmalgeimppe, 
wenn  überhaupt,  bann  in  bet  (Regel  milbe  erfranfen;  bebenft  man, 
bap  nach  ben  Erfahrungen  in  SSaiern,  wo  boch  bi8  1874  nur 
einmalige  SOaccination  ftattfanb,  in  ben  heftigften  Epibemien  bie 
SllterSpufe  ber  11»  biS  20»  3ähn8cn  f«hi^  ßünftig  ptuirt  war, 
fo  ift  fein  gwingenber  innerer  Erunb  gegeben,  »on  ber 
Pieeaccination  bcrSwölfjährigen  gerabe  heroorragenbgutePlefultate 
in  Sufunft  gu  erwarten.  — 3hrem  wefentlichPen  SEBcrthe,  bie 
•fchledhte  ober  gang  ausgefallene  3ugenbimpfung  guergängen,  ftellen 
Einige  baS  ©ebenfen  gegenüber,  bap  bet  männli^e  SEheif  bet 

beutfehen  Seoölferungen , welket  früher  bei  ber  SBieberimpfung 

3*  (181) 


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36 


bet  @oIbaten  otele  bolle  @TfoIge  geioann,  nunmehr  gerabe  in 
bicfem  gefä^tli(!^en  ^Xlter  ntd^t  feiten  mit  getingergtabigen 
©rfolgen  fid^  »itb  begnügen  muffen.  3)ie  Sulunft  mu§ 
lebten,  inmtemeit  gerabe  biefe  93efürd)tung  berecbtigt,  unb  weld^en 
@influ§  auf  bie  IDiSbof^iion  bie  bieget  fo  äu§eift  erfolgreicbe 
SleDaccination  bet  @olbaten  fortan  auäfiben  »erbe. 

@0  überaus  erfreulidb  ballet  baS  beutfc^e  ^mpfgefe^  ifl,  fo 
erfc^eint  eS  bod)  nüt^ig,  oor  gu  mett  ge^enben  @rnartungen  fi(^ 
gu  ^üten.  9lo(b  freilicb  ift  ein  guter  S^eil  beS  IBolfeS  burcb 
oot^ergegangene  93latternepibemien  gefcbü^t,  unb  untere  .^tnbet 
»erben  fortan,  fo  lange  baS  @efe§  in  Äraft  bleibt,  eines  relatio 
bebeutenben  @cbu^eS  burdb  3»pfung  unb  3Bieberimpfung  fi(b 
erfreuen;  aber  bem  oieUeicbt  nicht  gang  unbeträchtlichen  Stud}> 
theil  ber  @r»achfenen,  weldhe  eine  erhebliche IDiSpofition  »ieber 
gewinnen,  brohen  neue  @pibemien,  beten  Letalität  fich  taum 
geringer  alS  bisher  geftalten  mö^te. 

2)enn  bei  ber  unenblichen  @nt»icfelung  unb  IBerwidfelung 
beS  9!^erfehrS  bringen  von  nah  unb  fern  ^ocfenleime  auf  unS 
ein;  unb  je  größer  baS  burdhfchnittlid^e  fDlah  ber  IDiSpofttion 
in  IDeutfdhlanb  ift,  um  fo  leichter  unb  uiirb  bie  Seuche 

aufflammen.  SBit  haben  bemgemäh  erftli^  bie  IBerpflichtung, 
bie  burchfchnitttiche  IDiSpofition  ber  Seoölferungen  auf  einem 
möglichft  niebrigen  IRioeau  gu  erhalten. 

Um  bieS  gu  erreichen,  muh  i^be  eingelne  93accination  unb 
Sleoaccination,  »eiche  baS  ®efeh  oorfchreibt,  mit  ber  gröhten 
@e»iffenhaftigfeit  unb  mit  ooHem  ©tfolge  burchgeführt  »erben; 
aber  eS  mu§  ferner  hingufommen  bie  IReoaccination  ber  nach 
meiner  Uebergeugung  nach  U)ie  oor  gefährbeten  @r»a^fenen. 
OJlit  biefer  fKahregel  gu  »arten,  bis  eine  ©pibemie  in  ber 
IRachbatf^aft  broht,  halte  ich  nach  ben  bisherigen  (Erfahrungen 

(192) 


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37 


für  ungenügenb.  ®^e  ba^er  neue  @^}tbemien  traurige  getreu 
geben,  fonn  nicht  bringenb  genug  oUen  (SrwQChjenen  bie 
SBiebetimpfung  empfohlen  metben.  — Sflach  Sluöbruch  bcr 
Slatternhanfheit  wirb  auch  in  Bufunft  ein  (bebingter)  3wang 
gur  fRecaccination  folcher  (Srmachfenen , welche  vor  längerer 
Seit  unb  mit  ni^t  hinlänglichem  Erfolge  geimpft  waren,  ald 
wünfchenöwcrth  fidh  ergeben. 

SweitenS  ober  finb  in  Bwfunft  internationale  ÜRah« 
regeln  gegen  bie  ^oden  fo  nothwenbig  wie  gegen  man^e 
anbere  SSerfehrbfrantheit.  ©o  lange  bie  weiften  nuferer  fRochbat« 
ftaaten  fowie  ferne  Sßölfet,  mit  benen  wir  im  SSerlehr  ftehcn, 
bet  cbligatorifchen  3wpfungen  entbehren,  bleiben  wir  beflänbig 
bebroht.  9Ran  wirb  unter  heutigen  SScrhältniffen  gum  ©chu^c 
ber  nationalen  ©efunbheit  1 gegen  bie  pathogenen  Äeime  beö 
Slublanbä  nur  in  feltenen  gäHen  ben  SSerfeht  erf^weren  lönnen. 
5Die  $rage  aber  erf  cheint  mir  bibfutabel,  ob  eb  ni^tbipIomatifcheSRittel 
geben  foQte,  im  Snllc  einer  größeren  (Spibemie  im  Slublanbe  bie 
©efaht  ber  weiteren  Verbreitung  gu  »erringem,  inbem  man  auf 
bie  ^Durchführung  fofortiger  prophplattifcher  ORahnahmen  h*n» 
wirfte.  SBie  bab  ^ringip  ber  Broangbimpfung  felbft,  fo  finb 
berartige  internationale  3Rahregeln  nur  bie  ^onfequeng  beb  wohl 
gu  beachtenben  Umftanbeb,  bah  eb  niemalb  gelingen  fann,  für 
alle  Bnbioibuen  unb  für  alle  Beiten  eine  abfolute  Smmunität 
gu  gewinnen. 

qpoffentlich  werben  bab  Veifpiel  beb  beutfchen  fReichcb  unb 
günftige  jiRefultate  bagu  helfen,  ber  obligatorif:hen  3mpfung 
unb  SSieberimpfung  auch  l*ei  benfenigen  ^Rationen,  mit  weidheu 
wir  im  lebhaften  Verfehr  ftehen  unb  welche  fich  felbft  nicht 
genügenb  bibher  gefchü^t  h^ben,  iSnerlennung  gu  oerfdhaffen. 

Viele  fpegieöere  fragen,  inbbefonbete  foldhe,  welche  mit  bcm 

(19S) 


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38 


risjclnen  3mpfafte  felbft  im  Sufommen^ang  fielen,  blieben  ju 
erörtern,  tvenn  »it  ei  aU  unfete  Aufgabe  betracbteten , bie 
ganje  $üOe  beö  ®toffeö  ju  er|(^öpfen.  IBieUeicbt  b^ben  @ie  bei« 
{piets weife  Eingaben  erwartet  über  bie  ^DiffeTen5en  ber  bumani: 
firten,  non  9rm  gu  §Irm  fortgebflanjten,  unb  bet  animalen, 
im  fortgejü(bteten  8pmpbe;  »ieDei(bt  eine  33efpreöbung 

bet  mit  bem  3impfalte  angeblich  fo  mannigfach  nerbunbenen 
©efabren,  nieOeicbt  anbere  ©pecialien. 

3nbeffen  muh  i<b  >ni(b  bamit  begnügen,  übet  bie  wicbtigften 
flunhe  meine  auf  eigenen  @rfabtungen  unb  einer  ziemlich  genauen 
^cnntnih  bet  Siteratut  berubenben  '^Inficbten  babin  auepfptecben: 

1.  JDie  ©efabten  bet  burcb  einen  woblunterridjteten  Slrgt  not* 
genommenen  3m^fung  finb  wefentlidb  fleinet  alö  anbete, 
benen  wir  un8  unb  unfere  Äinber  auö  weit  geringfügigem 
Slnldffen  oft  unterwerfen.  SDie  ©efabten  ganj  abguldugnen 
ift  nicht  geftattet;  hoch  ift  im  @in3elfalle  bie  SBabt* 
f^einlicbfeit,  bnh  eine  ernftete  @tfranfuug  bet  Smpfung 
folgen  werbe,  febt  gering.  2öie  non  jebet  anbetn  SBunbc 
fönnen  ouch  non  ben  Sm^sfftellen  au0  arcibentelle  @r» 
franfungen  beö  ^ötperS  erfolgen;  hoch  lebten  bie  gort* 
f^ritte  bet  ^bii^urgie,  bah  <>u(h  biefe  ®efabt  prinjipiell  al8 
nermeibbar  angefeben  werben  barf.  ^abm  wir  ein  SRecht, 
^ocfenepibemien  beraufjubefchwören,  weil  bie  Schulimpfung 
beute  noch  nicht  gu  einer  für  alle  gdQe  unbebingt  gefabrlofen 
fUianipulation  entwicfelt  ift?  3mSlllgemeinen  fönnen  bie 
feltenen,  auch  ben  Impfungen  nerbunbenen  ®efabten 
ni^t  im  entfernteften  in  Setra^t  fommen  gegenüber  ben 
groben  Sortbeilen  bet  obligatotifchen  Smpfungen. 

2.  güt  bie  allgemeine  Einführung  bet  animalen  Spmpbe 
fpricht  bet  Umftanb,  bah  neuere  fUietboben  geftatten,  gerabe 

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39 


mit  bet  animalen  Spmn^e  o^ne  Se^eQigung  non  ÜRenfc^en 
unb  mit  geiingeiei  9Raf[enim)>fungen  buid^gntül^Ten 
atö  mittels  bei  ^umanifirten. 

IDa§  bem  moi^luntemcbteten  IHrjte  bei  SSeimenbnng 
bet  ^umaniruten  gpmp^e  größere  ©efa^ren  bto^en  alö  bei 
ber  SSerioenbung  ber  animalen  8pm)>l}e  ift  naib  meinet 9lnfid)t 
mebet  bunb  bie  @rfa^rung  bemiejen  noch  t^eotetifcb  mit  @i> 
folg  ju  begtünben.  3)a  bie  nad)  bet  Smpfung  oornebmliib 
in  iBetiacbt  tommenben  @tfranfungen  an  ben  lofalen  3mpf> 
effeft  ficb  anf^Ue^en,  fo  fann  in  biefet  ©cgie^ung  non  bet 
äSetmenbung  animaler  ^pm))^e  feinSSort^eil  eimartet  wetben. 
2)agegen  ^alte  id)  eS  feineSmegS  für  auSgemac^t,  ob  bet 
animalen,  inSbefonbete  bet  Jf&lbeilpmp^e  berfelbe  bebeutenbe 
@(bu^mertl)  innemo^ne  mie  ber  ^umanifirten  gpmp^e. 
JDiefe  fragen  bebüvfen  aber  nod^  grünblii^etet  Unter» 
fuibungen,  e^e  fie  für  eine  populäre  S)arftellung  reif  finb.  — 
3.  9io(b  ift  eS  nicht  gelungen,  baS  fpejifif^e  ^ontagium  ber 
^ubpocfen  gtneifelSfrei  rein  nachgutneifen  ober  gar  fünfilich 
gu  güchten.  IDennoch  baif  man  mo^l  mit  Sicherheit  an» 
nehmen,  bah  ä^ontagium  ein  fpegififcher  ^ilg,  unb 
mit  äBabrf^einlichteit,  bah  ber  abgefchmächte  $ilg  bet 
fKenf^enpocfen  ift-  2>aher  barf  mon  hoffen,  bah  ®tt 
beteinft  in  ber  Sage  fein  »erben,  unabhängig  non  rnenf^» 
liehen  ober  thierifchen  flbimpflingen  übet  ein  gänglich  teineS, 
fünftlich  gegüchteteS  Schuhpoden»^ontagiuni  nnb  übet  be» 
liebige  Sölengen  beffelben  gu  nerfügen.  SiS  bahin  fönnen  bie 
biShnigen  ÜRethoben  old  »ohl  befriebigenb  betrachtet  »erben, 
^at  nun  unfete  Unterfu^ung  ben  unantaftbaren  93e»eiS 
für  bie  Schuhhaft  bet  Smpfung  gebracht?  Da  »it  unS  mit 
ben  eigenthümlichen  SSeränbetungen  befchäftigt,  »eiche  bie  ^oefen» 

(19S) 


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40 


e))ibeniien  in  bet  )}oft»accinalen  $etiobe  erfaßten  ^aBen,  lonnten 
mit  (onftaticen,  ba§,  eine  für  Diele  ©eimpfte  befcBr&nIte 
bauet  ancjenommen,  bie  ©pibemien  in  bet  mit  fo  Derönberten 
@igenf(Baften  Detlaufen  mußten.  2)iefee  SemeiSDetfal^ten  fann  als 
inbirelteS,  bet  SemeiS  alfl  ^iflotift^et  bejeit^net  »erben. 
8öge  fein  anbeteS  9)iaterial  oot,  fo  Ratten  bie  ©egnet  9ie(^t, 
Don  einer  ^^m^ft^eotie  ju  fpretben,  aber  ge»i|  nur  Don  einer 
noBIbegrünbeten. 

aber  eS  giebt  birefte  Seweije  für  bie  ©(bu^fraft  bet 
SSaccinationen , »eicbe  fte  ju  einet  bet  geficbertften 
bet  fDiebigin  ergeben:  erperimentelle  unb  fiatiftifdbe  ä3e> 
»eife.  SBie  bie  biffotiftbe  SRetbobe  ftatiflifcbe  Unterlagen  Dor> 
anSfe^te,  fo  fann  eS  eine  ©tätigt  niebt  geben  ebne  genaue 
linifebe  ober  erperimenteOe  ©injelbeobacbtungen.  äBet  nicht  im 
©tanbe  ift,  bie  leiteten  anjufteHen  ober  ju  oermertben,  fann 
»ebet  mebijintfebe  ©tatiftif  überhaupt  noch  3nipf>  unb  ^otfen^' 
ftatiftif  im  befonbem  betreiben.  8eibet  ift  gerabe  bie  3mpf> 
ftatiftif  bet  Slummelplab  bilettitenber  9teigungen  gemorben,  unb 
felbft  ©tatiftifer  ton  Sacb  b“ben  auf  bem  ©ebiete  ber  Smpf» 
unb  ^odenftatiftif  ficb  bev  moles  inerudita  ^ugefeÜt  9Ran  bat 
gefagt,  bie  biSbetige  2!»ptftati)tif  habe  überhaupt  feinen  foliben 
Soben.  IDieS  ift  inSbefonbere  richtig  für  einen  gewiffen  Sbeil 
mobetnet  Unterfuebungen,  gumal  foicber,  »el^c  ftd|  mit  bet 
©terblicbfeit  ber  erfranften  ©eimpften  unb  ber  erfranften  Un> 
geimpften  befeböftigen.  9lebmen  ©ie  ben  gall,  eS  jeige  ficb 
Setolität  bet  ©eimpften  gleich  10  biefenigen  bet  Ungeimpften 
glei^  30  p©t.,  fo  bat  man  hieraus  meift  fur^meg  ben  in  ben  er* 
franften  ©eimpften  noch  abflingenben  9teft  ton  3mpff<bub 
ftatiftifdb  etfcblieben  »ollen,  ©in  folcbeS  93etfabren  ift  unjulaffig, 

ba  bie  tetfebiebenen  2llterSflufen  fo  au§erorbentlicb  terftbieben 
(1»6) 


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41 


gefä^ibet  finb.  Seftanben  j.  jene  ®eim^ften  and  jHnbem 
im  atlflemetnen  ober  gar  and  foltfeen  jwijc^en  10  unb  15  Sagten, 
bte  Ungeimpften  aber  and  (Säuglingen,  fo  ift  nid^t  einjufe^en, 
inie  burcb  jene  Sailen  bet  Smpffd^u^  bemonjirttt  »erben 
foDte.  Umgeleljrt  fönnte  bet  ni(^t  beftritten  »erben, 

»cnn  et»a  irgenb»o  non  ben  ©eimpften  (6r»o(bf enen) 
10 pst.,  non  ben  gleici^jeitig  erlraniten  Ungeimpften  (et»a 
jHnbern  3»ij^en  7 unb  15  Saluten)  nur  5p@t.  geftorben  »aren.  3)iefe 
0eifpiele  lehren,  ba§  o^ne  fe^t  genaue  Stngelbeobac^tungen  unb 
o^ne  je^r  genaue  flinifd^e  unb  epibemtologifd^e  .^enntnifle  feine 
Smpfftatiftit  mögli(^  ift. 

Die  moberne  ©tatiftif  ^at  ferner  mit  bem  Umflanbe  gu 
fämpfen,  ba§  faft  überall  nur  ein  geringer  SSrud^t^eil  ber 
Benöllerung  un geimpft  ift.  Die  meiften  Unterf Übungen  fd^eitem 
ba^er  an  bet  @d^»ierigfeit,  abfolute  Differengen,  »eld^e  größer 
al8  bie  unnermeiblicben  Seobad^tunggfe^ler  Ȋren,  gu  finben  unb 
ner»ert^en  gu  fonnen.  SBet  aber  bie  Literatur  jener  Seiten 
lennt,  in  »eichen  bie  Sn^l  ber  Ungeimpften  no(b  anje^nli(^er, 
ber  Smpffcbu^  felbft  aber  burc^fd^nittlic^  no^  frifd^et  »ar,  »irb 
erftaunen  übet  bie  grofee  ©efäbrbung  bet  Srfteren  in  jebet 
Spibemie,  »ä^renb  bie©eimpften  fid^  au^erorbentlic^  niel  günftiger 
befanben.  O^ne  ^iet  auf  »eitere  Singel^eiten  einge^en  gu  fönnen, 
fie^t  foniel  feft,  ba|  ©eimpfte  fe^t  niel  feltener  — inflbefcnbere 
in  ben  erften  Snbten  na(b  ber  Snipfung  — erfronften ; ba^  bie 
©tftanfungen  meift  fe^t  niel  milber  netliefen,  unb  ba^  indbefonbere 
in  ben  erften  gehn  bid  g»angig  Sauren  na^l  einet  orbentlid^en 
3ugenbimpfung  ^obebfäOe  an  ben  ^ocfen  gu  ben  'HuSna^men 
gehörten;  fo»ie,  ba§  @r»a(bfene  burd)  eine  mit  noOem  ©rfolge 
auSgefü^rte  Oienarcination  et^eblicb  gef#$t  »urben. 

{)iermit  ^at  bie  ©tatiftit  nur  beftätigt  unb  ergängt,  »ad 

(19T) 


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42 


bafi  @j;periment  une  geteilt,  ale  burci^  3ennet’g  unfterblid^eS 
äSerbienft  na^geuiefen  iDurbe,  ba§  oacciniite  9){en{(ben,  toenn 
fte  mit  achtem  ^ocfengift  geimpft  werben,  fi(b  anberS  vergalten 
als  nic^tgefdbü^te:  bie  Unteren  nämlid)  erftanfen  an  ben  ächten 
SRenfchenblattem,  bie  SSaccinirten  bleiben  immun.  IDiefeS  um 
bie  SBenbe  beS  Sahrhunbertd  taufenbfad)  wieberbolte  @jcperiment 
hübet  bie  eigentli^e  0afiS  für  bie  glüdlicbecen  Suftänbe,  wel^e 
alSbalb  @UT0pa  bejdbieben  waren.  Renner  batte  nicht  in  allen 
Folgerungen  fRecbt,  welche  ficb  ihm  au4  feinen  Unterfucbungen 
ergaben,  indbrfonbere  inte  er  in  ber  Sfnnabme,  ba§  bie  Smpfung 
ftete  einen  lebendlänglicben  <Ecbu^  gewähre,  .^eute  freili^ 
wirb  bie  anhaltenbe  ^auer  ber  Smpfwirfung  meiftenS  unter« 
fdhä^t,  währenb  wahrfcheinlich  bie  forgfältige  3ugenbimpfung 
ber  3)lehr5ahl  einen  wenigftend  relatioen  <Schu^  gegen  bie 
^ocfen  bis  in’S  hödjft«  Lebensalter  ju  oerleiheu  oermag. 

IDurch  3enner’S  ^opf  unb  ^anb  hat  bie  praftifche  flRebigin 
auf  wahrhaft  glänjenbe  unb  humane  SSieife  aQe  Spötter  unb 
Sibetfacher  gefchlagen.  IDurch  bie  93accination  ift  augerorbentli^ 
vielen  fDienfchen  baS  Leben  erhalten  unb  baS  bebeutenbe  Stefultat, 
bie  mittlere  LebenSbauei  beS  fUienfdhen  ju  oerlängern,  erreicht 
worben. 

SEßienun  im  @in3elfalle  ber  Schu^  ju  Staube  fom  me, 
welchen  bie  ^hPoden«3mpfung  wie  bie  Slattenihanfheit  felbft 
gegen  eine  neue  ^ocfeninfeftion  gewährt,  taffen  fich 

nur  tBermuthungen  äußern;  unb  wenn  ich  fdhlie§lich  bie  meinigen, 
wel^e  von  ben  bisherigen  abweichen,  an  biefer  SteOe  oortrage, 
fo  gefdhieht  eS,  weil  fie  bie  Gelegenheit  gewähren,  au^  hierin 
einen  ber  wefentli^en  Stoecfe  populär«wiffenfdhaftlicheT  IBorträge 
3u  erfüllen,  nämlich  an  gro§e  fruchtbare  ^ringipien  angufnüpfen, 
welche  bie  SSiffenfchaft  bewegen  unb  förbern. 

(IM) 


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43 


3U4  ben  u)iTf[anien  SSeftanbt^eil  ber  ^u^pocfenl^mp^r  be> 
tra(^ten  wir  niebrigfte  OiganiSmen  unb  jwai  — Dermut^ungS* 
Weife  — bie  ^ilje  ber  9Renf(bcnpocfen,  welche  burd)  bie  lieber» 
tragung  auf  baä  9Hnb  abgefcbwäcbt  finb.  3n  welchem 
materieQen  SSorgange  bie  Slbfc^wäc^ung  befielt,  ift  no^ 
unbefannt.  ©ie  ift  eine  Solge  ber  geönberten  (Srnä^rung  beö 
^iijfÖTperd,  unb  man  fönnte  fid^  beufen,  ba^  burc^  wiebei 
anbere  (Srnä^rung  bie  urfprün glichen  digenfc^aften  fic^  wieber» 
^erfteOen  liegen.  93iSbct  ift  ober  u.  38.  aud  einem  ab  gef  c^wäcgten 
|)ilj  niemals  wiebet  ber  fräftigere  gewonnen  worben.  9iiemalS  j.Sß. 
entftegt  nad^  Uebertragung  ber  SRenfcben^oden  auf  bie  jtug 
unb  nac^  IRücfübertragung  ber  burc^  mehrere  ^^ietinbioibuen 
^inbutcb  fortge))f{anjten  8pmp^e  auf  ben  ORenfdgen  baS  utfprung» 
lidge  ä^te  ^odenbilb.  'Die  3lbf^wäcbung  ift  baget  jebenfaUS 
eine  fegt  bur^greifenbe  SSeränberung  in  ber  jConftitution  beS 
^iljeS.  0^i(gt  als  ob  burcg  aQe  Wirten  bet  Slbfrgwäcgung  notg» 
wenbig  ber  ^ilj  3U  begeneriren,  iranf  ju  werben  brauchte:  — 
eS  mag  aucg  eine  folcge  Ülrt  bet  3lbf(bwä(gung  geben  — ; für  baS 
Äontagium  ber  Äugpoden  ift  aber  ficgerlidg  nicgt  bewiefen,  bag 
eS  auf  geeignetem  ülägrboben  ficg  nirgt  nortreffli(g  oeroielfältigen 
fonnte.  Sunäcgft  bütfen  wir  wcgl  nur  annegmen,  bag  bie 
unbetannten  materiellen  @runblagen  für  bie  gewiffen  menfcglirgen 
Sellen  fcgäblicgen  @inflüffe  ber  $Ü3oegetation  burtg  bie  oeränberte 
(Srnägtung  mobig3irt  werben. 

2)ie  ©(gugwirfung  nun,  welrge  bie  3unä(gft  an  ber  Sw^f» 
fteQe  ficg  nermegrenben,  bann  burcg  ben  gan3en  DtganiSmuS 
»erbreiteten  — ä^ten  ober  abgefrgwäcgten,  b.  i.  tgeilweife  ent» 
gifteten  — ^orfcnpil3e  entfalten,  berugt  auf  SSeränberungen, 
wel^e  im  @)efüge  gewiffer  SeQengrugpen  00t  ficg  gegen. 
SBägrenb  im  SlQgemeinen  bie  meiften  inneren  Organen  fowie 

(199J 


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44 


ba6  Slut  gegenüber  bem  ^'ocfenpilj  eine  jiemlicb  gro§e  SBiber» 
ftanbSfroft  befi^en,  finb  e8  befenberö  bte  ttcfliegenben  3fDen 
ber  Dber^out,  inncrtjalb  unb  gwil^en  benen  mäj  ber  Snnjfung 
bte  ^üje  »ertne^ten  unb  bie  eigent^ümlid^en  SSeränbetungen 
^etoortufeu,  roelt^e  bie  regelmäßige  Smmunität  bewtrfen. 

Sßotin  befteßen  nun  biefe  SBeränberungeu?  SBer 
ftdb  mit  ber  wic^tigften  ©rrungenfdjaft  ber  neueren  ÜJlebijin, 
ber  Don  iBir^om  begriinbeten  6ellular>^atl)ologie  nertraut 
gemadßt,  mirb  geuiß  biefe  Sleränberungen  nicht  in  ben  ©äften, 
fonbern  gunächft  in  unb  an  ben  Sellen,  ben  felbftftänbigen 
@(ementartheilen  beS  Drgani@muä,  juchen. 

^)ier  ift  nicht  ber  )Drt  auSjuführen,  marum  ich  bie  bisherigen 
.^ppclhefen  für  ungutreffenb  halte. 

3n  bem  einen  fünfte  finb  U5ohl  bie  SKeiften  einig,  boß 
nach  ber  Sm^fung  ^mifchen  ben  fhejififchen  'PUgen  unb  beftimraten 
Sellen  ber  ^>aut  eine  Slrt  »on  Äampf  ftattßnbet,  unb  baß  bie 
golge  biefeS  ÄampfeS  bie  Smmunität  ift. 

Sebeutenbe  (äreigniffe  fpielen  fich  nach  ber  Smpfuug  in  ber 
gefammten  Dberßaut  ab.  9lur  ßlerburdh  ift  ju  erflären,  baß 
bie  totale  Snfeftion  jur  aQgemeinen  Smmunität  führt.  SEBir 
nehmen  für  bie  ©iSpofition  eine  materielle  QJrunblage  an — 
nicht  eine  beftimmte  @nbftanj,  »i eileicht  nur  eine  beftimmte 
©truftur  — , welche  inöbefonbere  an  gewiffe  SeQen  ber  f.  g. 
fDialpighifcheu  Schicht  ber  Oberhaut  gebunben  ift.  3«  gtößer 
bie  IDiSpofition,  um  fo  intenfiner  bie  Betänberungen  in  ber  .^aut, 
welche  bie  2)i8pofition  löjchen,  gur  3mmunität  führen.  3n  ber 
SJ;hat  hängt  bie  3ntenfität  ber  ©ntgünbung,  wel^e  im  Seginne 
bet  gweiten  SEBodhe,  befonberS  bei  ermachfenen  Snbioibnen,  in 
bet  Umgebung  ber  3mpfpufteln  aufflammt,  nicht  allein  non  bet 
Qualität  ber  Spmphe,  fonbern  auch  von  ber  @mpfänglichteit  bet 

CSOO) 


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@eim^>ften  ab.  — 3n  feltenen  gäflen  fommt  e8  ferner  na<b  ber 
3mpfung  gu  einer  aQgemeinen  @ntn?tcfelung  von  ä3Iä8c^en.  S)te 
@ntftel}ung  btefeS  aQgemeinen  @rant^em8  ift  offenbar  am  unge:< 
giDungenften  fo  gu  erflärcn,  ba^  bie  äSeränberungen  nur  gra< 
buell  von  benen  verfd^teben  finb,  meld^e  audb  fonft  in  ben 
häufigeren  fällen,  bie  gu  einem  allgemeinen  ©ranthem  nicht 
führen,  innerhalb  ber  Oberhaut  vor  fi(h  gehen.  SBorin  biefe 
SSeränbetungen  beftehen,  geigt  im  hö^fi^n  @rabe  ber  9lu0» 
<>rägung  ber  mifroffopifche  33au  ber  ^ocfen«  ober  ber  3mpf» 
puftel  unb  ber  lolalen  3mpfprobufte  überhaupt.  0iefe  eigen« 
thümli^en  ®ebilbe  laffen  barauf  fchliegen,  bah  bie  Oberhaut 
au8  Sellen  von  verfchiebener  9lrt,  verfchiebener  JRefiftengfähigleit 
gnfammengefeht  ift,  — von  »eichen  bie  einen  burch  bie  ^oden» 
pilge  gerftört,  anbere  gereigt  unb  gur  fchnellen  SSermehrung 
augeregt,  noch  anbere  garnicht  veränbert  erfcheinen.  SBährenb 
aber  in  ber  öchten  ^odenfranfheit  fo  bebeutenbe  SSeränberungen 
in  einem  gro§en  Gebiete  ber  .^aut  vor  fich  gehen,  bah  ein 
fpontaneS  SlQgemeineranthem  erfolgt,  ift  bie  burch  3mpfung 
herbeigeführte  Uleaftion  ber  gejammten  Oberhaut  nur  auSnahmS» 
»eije  ebenfo  burchgreifenb.  9iur  an  ben  3mpfftellen  felbft  er« 
folgt  ber  höhere  @rab  ber  [Reaftion,  bie  ?)uftelbilbung,  ver« 
muthlich  »eil  hier  nicht  nur  eine  bebeutenbe  Ouantität  be8 
fpegiftfchen  ^ontagiumS  niebergelegt,  fonbern  auch  burdh  bie  33er« 
le^ung  ber  |>aut  bie  Arbeit  beö  Äontagiumö  erleichtert  »irb. 
3n  ber  Jhat  läht  fi^  burch  eine  aSerle^ung,  »eiche,  — einige 
Seit  nach  ber  3mpfung  — , an  einer  non  bem  3mpfherbe  ent« 
fernten  ©teile,  ber  Oberhaut  in  analoger  SBeife  »ie  beim  eigent» 
li^en  3mpfafte,  aber  ohne  jebe  gpmphe,  unter  beftimmten  Äau* 
telen  beigebradht  »ttb,  bie  SSilbung  einer  ächten  ?)ujtel  hervor» 
rufen,  »eiche  ben  charalteriftifchen  Sau  ber  3mpfpode  felbft  bepht 


46 


unb  infeftionflfä^ifle  ^pnip^e  enthält.  SBie  man  fie^t,  bebutfte 
e0  nur  bet  ©cbmadjang  bet  3e0en  butcb  bie  SBerle^ung  unb 
bet  ab^ebung  bet  obetften  ©cbti^t,  um  bett  gefc^mdebten  Äub» 
podenpiljen  — au<b  entfetnt  ton  bet  3mpfftelle  — biefelbe 
äBir!ung  5U  ermögltcben,  mte  [ie  bie  achten  ^Podfenpilge  fpontan 
entfalten.  3cb  mu|  bin^ufügcn,  ba§  biefeS  ßppetiment  nicht 
immet  gelingt.  3n  folchen  gdtlen  ift  entmebet  bie  ©iSpofition, 
b.  i.  bie  3ahl  jchmdd^eren  ©lemente,  obet  bie  Ätaft  bet 
^ilje  getinget.  abet  auch  ^onn  metbcn  bie  telatiu  fchmdcheren 
ßlemcnte  bet  3Jlalpighifchen  ©chicht,  feien  c8  ganje  3eflen  obet 
jelbft  nut  OJiolefulatgtuppen  ein^elnet  3eDen,  bur^  bie  ^ilje 
jetftöit,  welche  auf  Äoflen  bet  etfteten  wachfen  unb  fleh  »er* 
mehten. 

SBatum  bie  3fDen  gegenüber  ben  ^ocfenpiljen  ftch  oet» 
fchieben  oerhalten,  ift  einftmeilen  nicht  ju  beantworten.  33ielleicht 
batf  man  an  SSerfchiebenheiteu  in  bet  anetbnung  unb  93inbung 
bet  ÜJtclefulargruppen,  welche  bie  Beden  jufammenfe^en,  obet 
an  93erfchiebenheiten  innerhalb  bet  ÜRolefüle  felbft  benfen,  welche 
bie  3edenelemente  einmal  beftdnbig,  im  anbem  gade  un* 
beftdnbig  machen  gegenüber  ben  ^iljelementen,  beten  intta« 
unb  intermolefulare  SBewegungen  mit  bebeutenbet  lebenbiget 
@nergie  auf  bie  ©toffe  in  ihrer  Umgebung  5U  witfen  fcheinen. 

(Sbenfo  wenig  wiffeu  wir,  warum  in  ben  ein3elnen  $ilj» 
ftanfhelten  bie  oerfchiebenen  Organe  oetfehiebeneS  93ethalten 
jeigen,  warum  bie  ^ilje  in  ben  einen  ftch  oetmehten,  in  anberen 
ni^t.  2>ie  3eden  f^einen  in  manchen  Organen  bie  ^dhigfeit 
ju  hflte”»  anfiebelung  gewiffet  ^ilje  fich  ju  erwehren; 
fpejied  bem  f)ccfenpil3e  gegenüber  mögen  3.  93.  im  ©ehirn 
letigli^  wiberftanbflfdhige  3eden  enthalten  fein,  in  bet  Ober» 
haut  bagegen  nut  oerein gelte. 

C»V) 


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47 


Sflennt  man  biejenigen  3eDen,  welche  in  biefcm  Äanipfe 
gmifc^en  ben  ^i(j>  unb  ben  SDrganelementen  geminnen,  bie 
ftatlen,  biqenigen,  welche  unterliegen,  bie  jc^mac^en,  fo  ftnb 
in  bet  Oberhaut  beS  Weufdjen  fcbwadje  unb  ftarfe  3eDen  not» 
banben:  bei  manchen  febr  bigponirten  3nbiciDuen  mehr  fcbmacbe, 
bei  anbem  mehr  ober  augnahmfimeife  felbft  lebiglicb  ftarfe 
Sellen.  Sutcb  bie  ©inmirfung  bet  ‘■Pocfenpilje  nun  geben  bie 
l^macben  3eQen  ju  Qirunbe.  IDie  entgifteten  ^pilje  ber  S(ü\^<‘ 
^ocfen  räumen  freilich  unter  ben  fchmachen  3eQen  nicht  fo  noO< 
ftänbig  auf  mie  bie  ber  ächten  SRenfchenpocfen.  3mmer  aber 
bleiben  bie  relatin  fräftigeren  Sellen  unb  Sellenele* 
mente  beftehen,  unb  inbem  fich  burch  SSermehcung 
bet  leiteten  bie  .^aut  neu  aufbaut,  ift  bie  mehr  ober 
minber  nollftänbige  Immunität  alg  Siegel  h^^’ 
geftellt. 

2)ie  Immunität  burch  Smpfung  fomie  nach  fe«  ^odten 
felbft  beruht,  menn  meine  ^ppothefe  richtig  ift,  auf  bem  großen 
^rinjipe,  melcheg  gumeift  bie  (^ntmiclelung  ber  lebenbigen  Slatur  er> 
möglicht  hot.  ©ie  ift  gurücfjuführen  auf  ben  fo  überaug  frucht« 
baren  ®ebanfen  jeneg  @efe^eg,  beffen  Sragmeite  IDarmin  ung 
gelehrt  bat,  auf  bag  @efe^  ber  iSuglefe  burch  ben  l^ampf 
umg  Beben,  auf  bie  IBerniihtung  beg  Schmachen  unb  Untaug« 
lidhen  unb  bie  ©rhaltung  beg  ©tarfen  unb  Söiberftanbgfähigen, 
— fomie  auf  bag  ©efe^  bet  gortp flangung  bet  ®igen« 
fchaften  burch  bie  SSercrbung. 


(ao3) 


Sruif  eoB  Wetr.  UBgtt  (tt.  Kriimn)  in  Vtrlia,  E^öntkngnfttiitc  17*. 


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£utl)cr’§i  dnlwirklung 

Bom  ä“nt  Sleformatot. 


Son 


Dr.  theol.  ^on|  Sil^nutlb, 
^cbiger  an  ber  ®t.  9Rattini'i?ir(^e  $u  Stenten. 


ßwllit  SW.,  1884. 

SSetlag  »on  6atl  ,J)obeI. 

(€.  (t.  SiibtrH)'i4t  !ttrla|sbii^||inblsns.) 

S3.  9B{IbtIm>6tTat(  33. 


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%ai  Ixt  Ueberfe^ung  in  ftembe  ©prac^m  mirb  Dorbe^altcn. 


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^eina^c  ied)3e^n,  man  barf  wo^l  fagen:  beinahe  3»an3ig  3a^te 
lang  ift  SRartin  i?ut^er  ein  ÜJiond)  gewefen  *)•  ®on  biefer  langen 
Seit  »erlebte  er  bie  brei  erften  Sabre  in  ftrenger  Snebt,  in  »ielen 
fdjweren  Slnfecbtungen  unb  ©eelenfSm^fen,  ju  6tfutrt,  bie  folgenben 
Sabre,  oufeerlid)  weniger  befebränft,  inncrlidb  befreit,  im  SBitten» 
berget  Älofter.  ®ie8  afleö  weife  Sebetmann ; aber  tm  StUgemeinen 
begnügt  man  ficb  mit  einet  febr  uncollftänbigen  unb  wenig 
anfcbaulicben  93orfteOung  »on  bem  Beben,  bad  Butber  alS  C(R5n& 
fübrte.  IDacon  finben  ficb  auch  in  ben  beften  S3iogrobbien  beö 
SReformatorö,  in  ben  ©ebriften  Äöftlin’8,  Sürgenfi’,  grevtag’9, 
SRanfe'S,  nur  bürftige  ©Ü33en;  nirgenbS  ein  »oGlftänbigeS  unb 
anfcbaulicbefl  Silb*).  @in  folcbeö  S3ilb  entbeefte  icb  aber  gu 
meiner  gteubc  in  einem  fleinen  110  ©eiten  umfaffenben,  beut» 
gutage  äufeerft  feltenen  Sücblein,  woraus  SürgenS  einige  SluSgüge 
mittbeilt,  in  ber  im  Sabre  1504  gu  9iürnbetg  berauSgegebenen, 
unter  ©taupifeen’0  93orfife  renibirten  SSerfaffung  ber  Slugujtinet» 
Eremiten,  alfo  beS  OrbenS  in  weichen  Butber  ein  Snbe  fpäter 
eintrat*).  iDiefl  SSü^lein  würbe  mir  in  febr  gütiger  3Beife 
»on  bem  jperrn  Sibliotbefar  ber  Senaer  Unioerfität  an»ertraut  * ), 
unb  gu  mebreren  febwierigen  ©teilen  beffeiben  gaben  mir  einige 
faebfunbige  iDiänner  erwünfibte  (Sriäuterungen  *).  ©o  laS  unb 
ftubirte  icb  bie  wertbnoOen,  wenn  auch  guerft  eher  abftofeenben 
aiS  angiebenben  93iätter  beS  aiten  S3ücbiein8,  mit  »ieiem  @ifer 

XIX.  488.  1*  (807) 


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4 


unb  vieler  3Rü^e.  S)enn  jte  ftnb  in  jiemlic^  fc^lec^tem  8atein 
geft^rieben,  unb  mit  vielen  fe^r  ftatfen,  baö  8efen  fel)t  etftbwerenben 
Slbreviaturen  gebrucft^).  SQmä^licb  aber,  ald  i(b  in  ihnen 
einigermafeen  betmiftb  tourbe,  trat  mit  au8  ihren  bürten  Äapitel<ben 
überall  bet  ÜJiönch  SOiartin  lammt  jeinen  Älofterbrübern  entgegen. 
S)aö  8ebendbilb  nun,  bad  mir  fo  in  mehreren  tXrbeitSmochen 
ertocrben  h“he,  baö  biete  ich  \)iet  bem  geneigten  8efet  um  ben 
Spottpreis  einet  h^I^^flünblichen  tSufmerffamfeit  fäufli^  an; 
hoffenb,  bafe  SKan^e  eS  nid)t  vetjchmöhen  »erben. 

'3m  ISbenb  beS  16.  3uli  1505,  hatte  IDiartin  Suther,  bec 
bamalS  noch  nicht  22  3ahre  alt,  jeboch  jchon  D9iagi[ter  »ar  an 
bet  berühmten  Univerfttät  gu  Erfurt,  einige  ^reunbe  in  jeiner 
Sohnung  oer|ammelt.  IRa^bem  et  mit  ihnen  in  heiterer  ©efellig« 
feit  einige  ©tunben  gugebracht  hatte,  übcrrafchte  er  fie  mit  einer 
für  fie  betäubenben  9iachricht.  „©o  »ie  3hic  *nt(h  je|t  feht, 
fprach  er,  »erbet  ihr  mich  nicht  »iebet  jehen.  3ch  »erbe  ÜJiönch, 
Huguftiner’)."  Jtoh  ih«n  IBorftellungen  unb  Slbmahnungen 
ging  et  noch  in  betfelben  9iacht  in'S  jtlofter.  iDa  fannte  man 
ihn  fd)on  feit  längerer  Seit;  ba  hatte  et  vor  ein  paar  Slagen 
bem  f)rior  in  einer  @eneral  • 93eidhte  fein  8eben  ergählt,  fein 
.^etg  auSgefchüttet.  3eht  ermattete  man  ihn  gu  verabrebeter 
©tunbe.  3m  anbern  Slage,  am  ^age  beS  heil«  3le]ciuS,  »utbe 
er  in  bie  Sahl  ber  Stüber,  gunächft  al8  fRovig,  „für  ein  3oht 
unb  einen  5£ag"  gut  ^robe  aufgenommen  *).  2?ie  3rt  »ie  biefe  — 
unb  aller  9iovigen,  Aufnahme  gefchah,  »itb  unS  in  ber  DtbenS« 
SSerfaffung,  Äap.  15,  genau  befchrieben.  Sur  3ufnahmefeier  vet» 
fammelten  fich  fämmtliche  Stüber  in  bem  (Sonventfaal  ober  in 
ber  JtapeQe  beS  ^lofterS.  Jamale  »ar  biefe  .Kapelle  nach  bem 
Scugniffe  eines  Seitgenoffen  gutherS,  beS  guten  9Rpconiu0,  ein 
TleineS,  altes,  hölgemeS  @ebäube,  30  ^uh  lang  unb  20  $ug  breit, 

„ähnlich  bem  ©taUe,  in  ttelchem  ber  SBeltheilanb  einft  geboren 

(208) 


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5 


teurbe."  SBenn  bte  Serfammlung  in  biefet  Äa^?elle  ftattfanb, 
bet  ?)rtot  in  bet  SJMtte  be8  6i)ot8,  »ot  bem  Slltat.  2)et 
SRootj,  »on  einem  ober  mel)teren  33tübetn  begleitet,  mutbe  »ot 
i^n  ^ingefü^tt:  „SBaä  fuc^eft  3)n  ^iet?*  fragte  i^n  bet  ^tiot. 
„@ottefi  Sarm^erjigfeit  unb  bie  ©utige"  antmottete  bet  Sin* 
fömmling.  ,Sebenfe  too^l  »afl  bu  ^iet  finben  roitft,"  etmibette 
bet  ^tior,  unb  in  einer  längeren  freien  Slntebe  ftellte  et  bie 
S3ef(^n)erben  beö  Äloftetlebenö  bar.  JDarauf  antwortete  bet 
5Roöij  — wenn  et  nicht  im  lebten  Slugenblicf  nodh  fchwanfenb 
geworben  war,  wa8  wol)l  faum  jemaI0  gefthah,  — ba^  ermit@otte8 
^)iilfe  alles  ertragen  unb  alleS  thun  woQe,  waS  bie  OrbenSregel 
ju  ertragen  unb  ju  t^un  befahl,  „©emnarh,"  fptach  alSbann  bet 
^tior,  „nehmen  wir  bich  auf  jum  Probejahr.  Sltöge  @ott,  bet 
in  bir  baS  gute  SBerf  angefangen  hat,  eS  auch  »oDenben!“  9lun 
ftimmte  bet  Äantor  einen  an  ben  S3atet  beS  DtbenS,  an  ben 
heil.  iSuguftin,  geridhteten  ^)nmnu8  an,  ben  9lo»ij  feiner  f^ürbitte 
gu  empfehlen.  SBährenb  biefeS  (SefangeS  würben  bem  9lo»igen, 
an  bem  bereits  bie^onjut  »ollgogen  war,  wahrfcheinlich  in  einem 
9lebenraum  feine  weltlichen  Äleibev  abgenommen  unb  bte  DrbenS» 
fleibet  angelegt.  2)er  (Sinfleibung  folgten  mehrere  liturgifche 
©ebete  unb  ©efänge.  2)ann  ftanb  bie  gange  SBerfammlung  auf, 
unb  ging,  in  feftgefteHter  Dtbnung,  unb  in  tiefem  ©tiöfchmeigen, 
in  ben  6on»entfaal.  5Da  empfing  bet  fUocij,  gucrft  »on  bem 
^rior,  bann  »on  jebem  ber  S3rübet,  ben  griebenSfu^.  fJlachbem 
er  ihn  »on  allen  empfangen  hotte,  fniete  et  »or  bem  |)tior 
nieber,  bet  gu  ihm  baS  gto§e  — bei  SutherS  Slufnahme  für 
unS  unb  noch  nicht  für  fatholifche  Ohren  unb  .^ergen  faft 
tragifch  flingenbe  SBcrt  fprach:  „9Ucht  wer  anfängt,  fonbetn 
Wer  behanet  biS  an’S  (änbe,  ber  wirb  felig  werben!"  9la^  biefem 
©orte,  übergab  bet  ?)rior  ben  9lo»ig  bet  Leitung  eineS  älteren 
unb  bewährten  S3rubetS,  bet  ihn  wähtenb  beS  gangen  ^tobe* 

(Kt) 


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6 


ja^red,  in  aQen  ®ebräu(^en  unb  SSotfc^riften  bet  Orbenfltegel 
3U  belehren  unb  tu  bet  ^nft  ju  üben  batte,  legeliecbt  gu  geben, 
gu  fteben,  ft^  gu  fe^en,  fid)  gu  uetbeugen,  baS  Jheug  gu  fcblagen, 
bie  93li(fe  gu  regieren,  gu  effen,  gu  trinfen,  fnrg,  aOee  unb  jebeS 
gu  tbun,  »omit  bie  Slage  unb  bie  9lädbte  bed  ^(ofterlebenS  aud< 
gefüQt  würben. 

33evor  i(b  aber  aud  ben  iBorfcbriften,  bie  unfer  ^elb  fo  fennen 
unb  üben  lernte,  einige  ber  wicbtigften  93eftinmiungen  mit« 
tbeile,  fei  ed  mir  geftattet,  naeb  ben  'Eingaben  bed  24.  unb 
25.  Äapiteld  ber  Otbendregel,  fo  genau  al8  moglid},  bad  Äoftüm 
ber  Sluguftiner  @infieb(er,  aifo  bad  .^oftüm  unfetd  Sutberd,  gu 
fdbilbetn.  @d  ift  giemlicb  uetfcbieben  von  bem,  bad  unfere  fDtaler, 
audb  bie  beften,  gewöbnlicb  und  barfteOen.  fDer  bed 
fUlöndbed  war,  mit  Üludnabme  einer  gwei  Ringer  breiten  .^aar« 
frone,  bie  in  Heiner  Entfernung  con  ben  oberen  Cbrenfpi^en 
fi^en  blieb,  ooOftänbig  fabt,  abrafirt.  @ie  würbe  burcb  eine 
Wß(bentli(b  wicberbolte  IRafur  tabl  erbolten.  3(uf  bem  Ober» 
baupt  trug  er  ein  fleined  f(bwarged  .^äppcben,  „cappa“,  unb 
über  bem  .ßäppcben  eine  fdbwarge  .^appuge  „caculla“.  SDie 
übrige  .^(eibung  war  con  weiter  $arbe:  „omnia  albi  coloris“. 
©ie  beftanb  aud  folgenben  ©türfen:  an  ben  güfeen  niebere 
©djube,  caligae  breves;  an  ben  deinen,  turge  bid  an  bie 
jfnie  teidbenbe  .^ofen,  femoralia;  ein  .Mittel,  camisia;  ein 
Unter«  unb  ein  Dberfleib,  tanica  longa  et  alia  brevior;  ein 
©(bulterfleib,  Scapulare,  b.  b-  «n  langer,  93ruft  unb  IRüdfen 
bebedfenber,  bid  an  bie  gübe  bctabreicbenber  Sudbftreifen;  ein 
Kiemen  von  fdbwargem  Seber,  bü^ftend  gWei  unb  minbeftend 
anbertbalb  ginger  breit,  womit  bie  Siede  umgürtet  würben  ®). 
Snie  biefe  jfleibungdftüde,  mit  Sludnabme  bed  Eürteld  unb  ber 
Seinfleiber,  waren  oon  grobem  SBoDgeug.  3m  SBinter  burften  bie 

fKonebe  nodb  einen  SJiantel,  eineChlamy8‘“),  tragen,  unb  fogar 
(110) 


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7 


unter  ben  Siöcfen  einen  f)e4,  nur  ni(^t  von  eiuem  »üben  Spiere, 
alfo  tvo^I  einen  ®(i^aft)elg  unter  bem  |)rop^etengeioanbe.  Sluc^ 
burttcn  fie,  menn  ber  iSr^t  eS  i^nen  verorbnete,  befonbere  9tad^t« 
f(^u^e,  aarnte  Pantoffeln,  calcei  nocturnales,  gebraud^tn. 
ttnb  »at^rlid),  nenn  man  bebenft,  tvaS  ein  fac^funbiger  ^reunb, 
^en  Dr.  5tub.  9teu|,  gemife  auf  @runb  genauer  Äeuntuiffe 
mir  verfilterte,  ba§  in  benjtlöfiem  tö^fteuö  baS  Dormitorium 
im  SBinter  gezeigt  mar,  fo  mu§  man  gugeben,  ba^  bet  erlaubte 
Pelg  fein  tiujcud  mar.  Suct  ergätlte  l^utter  mettmald  in  fpäteren 
Sauren,  mie  bitter  er  im  Älofier  gefroren  SBottfcbcinli^ 

vergicttete  er,  aud  mönctifcbet  ^römmigfeit,  auf  ben  Pelg,  ben 
et  tätte  tragen  bütfen.  5Docb  bei  feinem  ©ntritt  in’8  Älofter, 
aRitte  Suli,  t®tte  et  ein  paar  SRonate  nicht  gu  frieren,  fonbem 
an  feine  bicfen  motlenen  Kleiber  fctmi^enb  fi^  gu  gemötnen.  S)ie 
SBBotlttat  eines  erfrifctenben,  grünblict  reinigenben  S3abeS  burfte 
et  nur  genießen,  menn  ber  Slrgt  eS  ihm  verorbnete  unb  nur  in  ber 
Sabeftube  beS  ^lofterS.  ^er  Sefuct  öffentlicher  Säber  mar  ben 
aJlöncten  ftreng  verboten.  3ber  für  bie  innere  9ieinigung  unb 
fSbfühlung  ber  ©rüber  mar  gefcrgt  burcb  einen  regelmäßig,  in 
jebem  Soßre  viermal,  auögeführten  SSbetlaß,  Minntio. 

Slber  mie  füllten  bie  aßöncbe  eineö  beutfcben  Sluguftinet» 
Älofterö  ihre  3cit  au8?  aiacJj  melchet  Jageöorbnung  lebten  fie? 
IDaS  mitb  une  unfere  ^aupturfunbe  fagen:  @8  ift  9lacht,  unb 
mit  iSuSnahme  einiger  aRagifter  ber  »‘’n  benen  ein 

jeber  in  feiner  eigenen  Seile  fcblafen  burfte,  ruhen  alle  ©rüber 
in  einem  gemeinfamen  Staume,  in  einem  Dormitorium,  in 
hö^ft  einfachen  bürftigen  ©etten,  unb  menn  ich  t»««  betreffenbe 
burch  fein  mir  befannteS  lateinifcbeS  SQörterbuch  gu  beleuchtenbe 
@teQe  richtig  enträthfelt  habe,  liegen  bieje  ©etten  auf  ben  ^liefen 
be8  $ußboben8,  nicht  in  ©ettfteHen > ').  0a8  Dormitorium 

ift  aber  von  einer  hcD  brennenben  Sampe  erleuchtet,  bamit  bie 

(»11) 


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8 


SBa(^enben  lefen  unb  beten  fönnen.  Um  bie  gmölfte  @tunbe,  gut 
@tunbe,  mo  $aulu$  unb  @ita§  im  i^etfet  gu  @ott  ein 

8ob(ieb  fangen,  unb  in  @rinnetung  an  i^ren  weltübensinbenbrn 
®efang,  metben  jebe  92a<bt  bie  trübet  butd^  ©lodenfc^lag 
gemedt.  @ie  ergeben  ficb  non  t^ren  i^agem,  fc^Iagen  baö  ^eug, 
tleiben  ftc^  taf(^  an,  — i^r  ©capuliet  ober  boc^  %e  j^a^uge 
^aben  fle  o^ne^in  nid^t  abgelegt  — unb  ge^en  in  feftgefe^ter 
Dtbnung,  in  tiefem  ©tiflfcbweigen,  gut  ÄapeQe,  ein  febet  mit 
feinem  ©ebetbuc^,  feinem  Sreoier**).  2)a  mitb  burd?  @ebet 
unb  @efang  bet  erfte  @otteSbienft  beS  in  tiefet  9tad}t  anfangenben 
£age8  gefeiert.  Um  3 Ubt  ^torgenS  finbet  in  gang  äijnlicbet 
SBeife  ein  gmeiter  ©otteöbienft  ftatt ; um  6 U^t  ein  brütet,  um 
9 Ul)r  ein  oietter,  um  12  U^t  ein  fünfter,  um  3 U^t  ein  fed^fter, 
um  6U^t  Slbenbö  ein  fiebentet  unb  lebtet,  baS  Completorium.  2?o(^ 
butfen  unb  foQen  bie  9)t5n(be  noc^  aufeetbem  beten,  ©ebete  lefen, 
fogat  5Ro^t8  im  Dormitorium  * *).  SDet  .^auptgotteSbienft  unter 
ben  fieben  ^ier  genannten  ift  bet  um  6 Ubt  SKorgenS  gefeierte, 
mit  welchem  eine  9benDmal)l8feiet,  öfter  au(^  eine  ^rebigt  unb 
längere  ©ebete  für  bie  oerftorbenen  23rüber  unb  bie  SBo^ltl^äter 
be8  Drbenä  ficb  oetbinben.  Sä^rlic^  mu^  jeber  S3ruber,  menn 
er  nic^t  burc^  ein  bur(^au8  uernünftige8  unb  oom  ^rior  genügenb 
befunbeneS  ^inberni^  abge^alten  mirb,  menigften8  ac^tge^n  CDtal 
baö  ^eilige  Slbenbma^l  genießen.  2Ber  eö  nicht  tl)ut,  mirb  ftreng 
beflraft:  mu§  Jag  für  Jag  auf  bem  ©oben  fifeen,  btei  ÜJlal 
möchentli^  faften,  ununterbrochenes  Stidfehmeigen  beobachten, 
bis  et  feine  <äünbe,  nach  ©tmeffen  beS  ^riorS,  gebüßt  h®t. 

Smifchen  ben  ©otteSbienften  börfen  unb  foDen  bie  ©rüber, 
ein  jebet  in  feinet  3eQe**),  ober  auch  in  bet  Älofterbibliothef 
ftubieren,  hnuptfädhlich,  mo  nicht  auSfchlie§Iich , theologifche 
©dhriften  unb  bie  ©ibel.  3)och  »iffen  mir,  ba§  guther,  als  er 
in’S  Älopet  eintrat,  auch  feinen  ©irgil  unb  feinen  ^lautuS  mit» 

(*U) 


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9 


na^m  unb  tea^tfd^etnlid)  ^at  er  mancbmal  auc^  am  33etfe^r 
mit  biefen  leibet  »erbammten  .Reiben  für  ein  furjefl  ©tünbd^en 
fic^  etgö^t.  @emi§  aber  mibmete  er,  mie  aQe  jeine  re(^tj(^afTenen 
>Drben8genofjen,  fajt  [eine  ganje  @tubien3eit  bet  @otteSgeIa^rt^eit. 

IDcd)  ber  ^enjcb,  unb  jelbjt  bet  !D2ön(b  fann  nii^t  non 
©otteö  SSort  allein  leben.  Gr  bebarf  auch  beS  S3rote8,  bag  au6 
ber  @rbc  betuotmäcbjt.  So  a§en  benn  bie  ^lofterbrüber  jtoet 
9)tal  täglid).  3JUttagg,  um  1 Ubr,  mar  bie  ^auptma^ljeit, 
bag  Prandium;  iSbenbg,  um  5 U^r,  bag  ^jlbenbefjen,  bie 
Coena.  S3ei  biefer  jmeilen  OJlabljeit  befaraen  bie  ©rüber  an 
allen  Safttagen  nur  ju  trinfcn,  mabrfcbeinlicb  ©iet,  unb  ein 
menig  ©rob  gu  efjen.  IDie  Safttage  aber  füllten  mehr  alg  ein 
IDrittbeil  beß  Sa^teg  aus.  IDenn  im  Älofter  f«ftete  man  jmci 
3)tai  möcbentlicb,  am  3Rittmocb  unb  am  Stettag,  ba3u  jebeg  3a^t 
»om  Seftc  Slllet  Jpeiligen  bis  SBeibnat^ten , unb  oom  Sonntag 
Duabragiftmö,  b.  l).  fieben  Söodjen  cor  Dftern,  big  Dfterfonntag. 

Strauriger  alg  biefe  langen  S^ifteujeiten , mar  bie  Slrt  unb 
SBeife,  roie  immer,  aHetbingg  ncdj  meljr  an  ben  Safttagen,  bie 
^ablgeiten,  man  barf  nicht  fjgen  genofjen,  fonbern  eingenommen 
motben.  3ur  feftgefe^ten  Stunbe  mürbe  bie  @locfe  geläutet. 
3)a  gingen  bie  Siönche  aug  i^ren  Sellen  hetcot,  mufchen  ftch 
in  tiefem  Stillfchmeigcn  bie  .päube  ‘ *),  oerfammelten  fich  in 
einem  ©orjimmet  bcg  gceifefaalo,  beg  Refectorium.  IDa 
fa^en  fie  ftillicbmeigcnb  bis  bet  ^tior  fie  obljolte.  3n  feft» 
gefegter  ^Reihenfolge,  et  gule^t,  führte  er  fie  an  ben  Sifch.  2)a 
ftanben  fie,  beteten  ein  längeres  Gebet,  festen  fich,  unb  et» 
hoben,  nach  abermaligem  SBarten,  enblich  bie  ^)änbe  gu  bem  bis 
bahin  jugebecften,  bürftig  bereiteten  -üRahle.  Stillfdhmeigenb 
a|en  fie.  SBährenb  beg  GffenS  mürbe  cotgelefen,  nicht  aug  irgenb 
einem  leicht  faßlichen,  ober  gar  heiteren  ©uche,  fonbern  aug  ben 

(313) 


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10 


0d?ttften  be6  ^eiL  auguftin;  na<^  einer  im  3a^re  1512  non 
Staupi^  getroftenen  neuen  ©inrit^tung,  auS  bet  Stbel.  9ia(^ 
bem  6ffen  mürbe  mieber  gebetet.  Unb  ftillfc^meigenb , in 
bestimmter  {Reibenfolge,  »erUe|en  bie  ©rüber  baö  {Refectorium, 
lehrten  jurüd  in  ihre  3cQen,  ober  gingen  gut  Kapelle.  0n  ben 
Softtagen  mürbe,  mie  gejagt,  gu  abenb  nur  getrunfen,  bö^fienä 
©rot  gegeffen.  3«t  Eröffnung  biejet  foum  fo  gu  nennenben 
SRablgeit  fpra^  ber  ^tiot  eine  art  Memento  mori:  „@ott 
f(benfe  unS  eine  gerubige  fRacbt  unb  ein  feligeS  ©nbe“!  IDie 
ORöncbe  |a§en  not  ihrem  Nönnchen,  bo8  fie  immer,  menn  fie 
einen  SErunf  tbun  mollten,  mit  ben  gmei  ^>önben  onfaffen  unb 
ruhig  gum  9Runbe  erbeben  muhten,  „©rüber,"  fo  fproch  am 
@dhl“ff®  ©orlefenbe:  „©rüber,  feib  nüchtern  unb  machet, 
benn  euer  SBibetjadber,  ber  Sleufel,  fcbleidbt  umher,  mie  ein 
brüDenber  ?öme,  fucbenb,  men  et  netfchlingen  möge."  fRach 
biefer  Söarnung,  ftanben  bie  ©rüber  auf,  nerricbfeten  bo8  JDonf» 
gebet,  unb  entfernten  fich  in  gemohnter  feierlicher  SBeife  ou0  bem 
©peifefaal. 

3Ba8  gu  biefen  füRohlgeiten,  unb  überhaupt  gut  ©eftreitung 
ber  materiellen  ©ebürfniffe  be8  ^lofterö  nothmenbig  mar,  bo8 
muhte,  infofetn  e8  nicht  burch  bie  ©infünfte  bet  ©tiftungen 
gefiebert  mar,  erbettelt  metben.  JDie  ©rüber,  befonber8  bie 
{Rooigen,  mürben,  aber  nie  einet  allein,  fonbem  immer  je  gmet 
unb  gmei,  täglich  au8gefanbt  in  bie  ©tabt  unb  in  bie  Umgegenb, 
um  fromme  @aben  gu  fammeln.  auf  biefen  SBegen  feilten  fie 
mit  ben  Beuten  menig,  unb  fo  niel  al8  möglich,  nur  Stomme8 
unb  {RühlicbeS  fprechen.  ©or  ben  Stauen,  bie  überall  in  bet 
Otben8regel  — ich  w^ih  nicht  marum  — al8  befonberS  gefähr« 
liehe  äBefen  betradbtet  merben,  foDten  fie  nur  ba8  fRothmenbigfte 
fprechen;  nie  bei  ihnen  fi^en,  fie  nicht  anfehen  nie  ohne  3tugen 
mit  irgenb  einer  oetfebren,  felbft  mit  einet  leiblidben  ©chmefter, 

f»U) 


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felbft  mit  bet  eigenen  5Wntter  nic^t.  SDo^  genügte  e8,  menn 
ein  5Dlön(^  mit  feinet  ©c^mefter  obet  feinet  SWuttet,  au§et^atb 
beS  ^loftetS  obet  im  .^loftet  felbft  3ufammenttaf,  ba§  ein  anbetet 
fUtöncb  a(8  !flugen3euge  babei  mar.  0^ten3euge  bet  in  folcben 
gäUen  geme^felten  ©efpräd^e  btauc^te  fein  btittet  3U  fein.  5Dic 
^öncbe  aber  unteteinanbet  butften  im  .^(oftet  felbft  ftc^  nie 
gegenfeilig  in  iijren  SeDen  befu(^en,  nie  mit  einanbct  in  fteiet 
SBeife  »etfebten ' ®).  2)odb  beoba^ten  unb  überma(ben  foUten 
fte  fid)  fottmä^tenb;  jebet  alle,  unb  aüe  einen  jeben;  unb  menn 
einet  einen  anbetn  auf  irgenb  einem  Beblet,  auf  itgenb  „einet 
leichten,  fchmeten,  fchmeteren  obet  feht  fchmcten  SSerfchulbung* 
ettappte,  fo  mufete  et  ben  ©^ulbigen  in  ©egenroart  aller  Stüber 
not  bem  ^tior  oetflagen.  Doch  butfte  bet  Äläget  nie  ben 
^ngeflagten  anteben.  @r  butfte  immer  nur  non  ihm  fpredhen, 
in  bet  britten  $etfon.  3Burbe  bet  ^jlngeflagte  nach  tafchet 
Unterfuchung  fchulbig  befunben,  fo  befam  er  feine  in  ben  Statuten 
feftgeftellte , obet  nach  bem  ©rmeffen  be8  ^viotS  feft3ufteflenbe 
©träfe.  6t  mu§te  3.  S.  Sufepf atmen  hetfagen,  einige  Stage 
faften,  in  bet  SWitte  be8  ©peifefaal8  auf  bem  Soben  fi^en,  auf 
einem  nacften  Difchlem  befam  er  fchlechtete  ©peifen,  mufete  not 
bet  Sthüt  bet  Kapelle  unb  be8  6onocnt8  liegen,  mährenb  bie 
Stüber  an  il)m  norübergingen.  Süt  bie  fchmerften  Sergehen 
mat  ber  Äat3er  oetorbnet;  bie  @ei§elung,  au^  für  geringe  ‘ ^).  3Bie 
biefe  bei  ben  Sluguftinern  ooHgogen  mürbe  fteht  in  meinem  Sü^» 
lein  nicht  gefchtieben.  SSahtfcheinlich  gefchah  e8  in  einet  feht 
mürbeoollen  unb  frommen  SBeife,  ungefähr  fo  mie  bet  in  biefcn 
Dingen  faum  übertroffene  .kennet  Ducange  e8  oon  einem  anbern 
Drben  beifpielSmeife  berietet:  „SBenn  Semanb  bie  ©eifeelung, 
bie  Disciplins,  befommen  foO,  fo  tnie  et  niebet  unb  entfleibe 
in  befcheibenet  anftänbiget  SBeife,  „modeste“,  feinen  Dbet» 
fötpet  bi8  an  ben  ©ürtel ; bann  beuge  et  fich  oormätt8.  SBährenb 


12 


er  gefc^Iagen  totrb,  foQ  er  entweber  burc^aud  fd^weigen,  ober 
nur  fagen:  „68  ift  meine  ©d^ulb.  3c^  werbe  mi(^  beffetn. 
Mea  culpa.  Ego  me  emendabo.  “ ISucb  foQ  fein  anberer 
5)ruber,  wenn  ni(bt  etwa  einet  ber  93orgefe$ten  für  ben  ©ejücbtigten 
eine  gürbitle  t^un  wiH,  irgenb  etwn8  fagen,  bi8  ber  ^riot 
erflart,  ba§  bie  (Strafe  »oDgogen  ift  IDann  fofl  ber  ^rior  felbft 
bem  S3rubet  bcift«  fitb  wi«ber  anfieiben.  25iefet  aber,  wenn 
er  ongeflelbet  unb  wtebet  aufgeftanben  ift,  foQ  unbeweglitb  flehen 
bleiben,  bi8  ber^riot  fagt:  „@el)e,  fe^e  bi(b!  Ito  sessum.“ 
JDonn  »etbeuge  ficb  ber  Öruber  unb  gebe  wieOer  an  feinen 
— 

@ewi&  waren  folcbe  Seftrafungen  unb  bie  ihnen  »oran» 
gebenben  S3efenntniffe  ober  ülntlagen  unb  Uuterfucbungen,  bie 
intereffanteften  ©teigniffe  be8  ÄlofterlebenS.  Sie  b«lfen,  uieU 
lelcbt  ?0iancbem  „bie  Schwere  beS  2)afein8  ertragen,  unb  ba8 
ermübenbe  @letcbma§  bet  Jage;  fie  bewegten  fröufelnb  ba8 
ftocfenbe  geben."  $Denn  wabrlicbf  ein  ftcrfenbeS,  elenbeS, 
wibematürlicbee,  uumenfcblicbeS  geben  war  c8,  ba8  unfet  gutbet 
ber  nach  bem  Seuflniffc  feiner  geinbe  fowobl  al8  feiner  Serebter, 
ein  genauer  ©eobaebter  feinet  OrbenSregel  war,  im  ©rfurter 
Älofter  unb  fpäter  noch  im  SQMttenberger,  führte,  ba  er  nach 
folcben  Salbungen  lebte  unb  wir  fragen  un8,  wie  b“t  « 
biefeSwangejaefe  jerriffen,  wie  bat  er  ficb  felbft  unb  Diele  Jaufeube, 
au8  biefem  Äerfet  befreit,  mit  anbern  Söorten:  wie  ift  bet 
SQlöncb  Uieformator  geworben? 

©lefe  gro§e  gtage,  idb  ma§e  mit  nicht  an,  fie  Dollftänbig 
unb  mit  Dotier  Sicherheit  beantworten  3U  fönnen.  aiielmebr 
glaube  ich  t>a§  fie,  wie  alle  gleichartigen  gragen,  eigentlich  fen» 
feltS  ber  ©rengen  bc8  meuf^lichen  @rfenntni§Dermögen6  liegt 
SBie  Don  ber  91atur,  fo  fann  unb  mu§  man  wohl  auch  Dom 

?Kenfchen  fagen,  bafe  „fein  gefchaffenec  ©cift  in  fein  3nnere8 
(216) 


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13 


einbrinflt."  9liemanb  fennt  fid)  felbft  Dodftänbtg  unb  mit  »ollet 
©idjet^cit.  2Bie  foll  itgenb  jemanb  einen  3Rann  mie  ?utl>et, 
einen  je  fomplijitten,  fo  tief  angelegten,  fo  oft  in  einem  bunfeln 
3)rang  fic^  bewegenben  @eift  ergrünben?  Slifo  ni^t  fidlere  unb 
ben  ®egenftanb  etfdbövfenbe  fRejultate,  fonbetn  nur  mad-icb, 
nach  ti’blidjem  »Jia^benfen.  für  roabrf(t)einlid>  unb  annät>emb 
rid^tig  bem  ^efer  mitt^eilen:  Slnregungen  gu 

fernerem  9la^benfen. 

Suerft  erlaube  id)  mir  ju  bemerfen,  bafe  Butljer  roeber  bet 
erfte  nod)  bet  leftte  3Rön(b  ift,  bet  ein  0flefotmatot  geworben 
ift  5Hotb  weniger  ift  er  ber  erfte  ober  ber  le^te  in  ber  enblofen 
Siei^e  berer,  bie  oen  geiftiger  ©ebunben^eit  ju  geiftiger  greiljeit 
gelangt  finb.  Unter  ben  iHeformatoren  ber  norreformatorifeben 
Seit  nennt  bie  JReligionÖgefcbidjte  meutere  3[R5nd)e,  unter  Slnbetn 
©ottfcbalf,  Slbälatb,  Jaulet,  ©anonatola.  (Sinige  ber  fDiitarbeiter 
gut^erS  waten  SRonebe:  fo  ^)einricb  uon  Sütp^en,  fo_  Lambert 
non  Snignen,  unb  neeb  manche  Ülnbere,  weniger  befannte.  IHuf 
einem  bet  Äircbe  benad^barten  ©ebiete  fönnte  man  ^ier  an 
flRänner  benfen  wie  fRabelaig,  Slcltaire,  ©rnft  SRenan.  Slu<^ 
fie  finb  gewifferma^en  mönd)if(b  .erlogen  worben  unb  in  i^rer 
SBeife  ^aben  fie  eine  reformatorifebe,  jebenfallö  eine  antüatbolifcbe, 
antimonaftif(be  entwirfelt.  Ueberbanpt  ift  eö  eine 

niibtS  weniger  ald  feltene  ©rfebeinung,  ba^  Männer,  bie  in  ihrer 
Sugenb  ein  jebwered,  btücfenbeg  Soeb  getragen  haben,  baä  3o(b 
ft>äter  abwetfen,  unb  ju  einer  manchmal  übermäßigen  unb  fcbäb> 
lieben,  mancbmal  auch  fegenSreicben  Freiheit  gelangen.  UeberaU 
auf  bem  ©ebiet  beö  geifligen  8eben8  folgt  ber  ©ombreffiou  be8 
IDefpotiSmuS  bie  fRcaftion  ber  Freiheit. 

äln  ben  fIRöneben,  bie  icb  fo  eben  in  ©rinnetung  gebracht 
habe,  bemerfte  man  gwar  ihr  gebenlang  bie  beutlicben  ©puren 
ihres  früheren  fIRönchthumS;  finb  boch  bie  oon  mir  genannten 

(ZIT) 


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14 


afle  als  !IRön(^e,  in  i^rer  OrbenStra(!^t  geftotben,  auf  il^Tetn 
Sette  ober  auf  bem  ©cbeiter^aufen.  Su^  geigen  bte  9)ienf^en, 
bie  aus  ben  ®(^ranfen  einet  fnccbtifcben  IStgte^ung  gut  ^eii^eit 
butd)btingen,  meiftenS  in  itgenb  einet  SBeife  bie  9la(^n)itfungen 
ibtet  anfänglichen  Unfteibeit,  wate  eb  auch  nut  butch  ihte  übet« 
fponnte  greiheitflliebe.  6twaö  ähnliches  abet  muffen  mit,  wenn 
wit  getecht  fein  unb  bet  ÜBahtheit  bie  @hce  geben  wcDen,  auch 
in  bet  @ntwicflung  unfetS  herrlichen  i^uthetS  anetfennen.  IDenn 
auch  et  hat,  mitten  in  feinet  refotmatotifchen  Laufbahn  manchen 
©chtitt  gethan,  non  bem  mir  befennen  muffen:  er  war  eines 
fUlöncheS  mütbiget  als  eines  OieformatotS.  2)ie  wüthenbe  Schrift 
gegen  bie  auftühterii^en,  unb  fchon  mehr  alS  halb  befiegten 
Säuern,  hat  nicht  bet  Steformator  8uthet,  foubetn  bet  üJlönch 
Sliartin  gef^rieben,  nach  beffen  DtbenSregel  eS  feine  gtöhete 
Sünbe  gab,  alS  Ungehotfam  gegen  bie  gerechte  ober  ungerechte 
Dbtigfeit.  IDaS  Siecht  bet  Siothweht  auch  g^scn  einen  Iriege« 
rifchen  Slngtiff  hat  nicht  bet  {Reformator,  fonbetn  bet  SRönch 
geläugnet.  Sarlftabt  gegenüber  mar  eS  bet  SRönch  {Diartin, 
nicht  guthet  bet  {Reformator,  bet  ba  behauptete,  bafe  (ShtiftuS, 
wenn  er  am  SbenbmahlStifche  fagte:  „Siehmet,  effet  baS  Srot . . . 
{Rehmet  hinbenÄelch,  trinfet  aHebatauS“— fehrmohlmeinenfonnte, 
wit  foQen  mit  ben  Sippen  blo§,  ni^t  mit  ben  ^änben,  baS  ,^eilig« 
thum  anrühten.  IDem  weinenben  Btningli  hat  nicht  bet  Sieformatot 
Suthet,  fonbetn  bet  SRönch  {Diatlin  bie  Stubethanb  »etmeigett. 
3?enn  nur  bet  flRönch,  nicht  ber  {Reformator,  fonnte  fleh  beS 
leibhaften  ©enuffeS  beS  SeibeS  ©hrifti  nicht  entwöhnen,  unb 
muhte  bie  Sernunft  alS  beS  Teufels  Staut  befchimpfen.  3)ie 
giemlich  gahlreichen  Schriften,  bie  Suther  gegen  jebeS  Sinfen» 
bringenbe  ©elbgefchäft,  als  gegen  einen  bem  ©hriften  eigentlich 
unerlaubten  „SSucher"  gefchtieben,  hat  et  nicht  alS  {Reformator, 
fonbern  als  9Rön^,  als  treuer  Bögling  bet  mittelalterlichen  Äirche 

(J18) 


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15 


gtf(^iieben  * »).  9lu(^  bte  beflagcnSwert^en  a«u§erungen  8nt^er8 
über  9ey^Ie(^tli(^e  SJerljöltntfff,  f!nb,  genau  beferen,  9io^» 
ttitfungen  feiner  flöpetlid^en  (ärjte^ung.  35enn  im  Älofler  ^atte 
er  gelernt  bie  natürlii^en  SSer^ältniffe  beS  e^elic^en  SebenS 
ald  S(^mu$  unb  ©ünbe  anfeijen.  Slber  au(^  ©t^öned  unb 
@ble8  ^at  Butter  aue  feinem  Jtloftcr  in’S  Seben  mitgenommen 
»ert^noDe  Talente,  bie  er  in  bet  ©tiDe  fi^  gefammelt  ^atte. 
3d)  erinnere  nur  an  feine  gto|e  ©enugfamfeit,  an  feinen  eifetnen 
Slei^  itn  ©tubiren,  an  feine  bid  gut  teilten  äebenSftunbe  fort« 
gefegten  ®ebetSgen>o^n^eiten.  SBa^rlic^,  im  Steformator  ift  bet 
fDtön^  nic^t  nemid^tet,  fonbern  nur  befreit  unb  nerflärt  worben. 
S)ieö  wollen  wir  feinen  übermäßigen  93ereßrern,  fowoßl  ald  feinen 
freeßen  @)egem  gegenüber,  je  nad)  Gelegenheit  getro^  behaupten, 
ober  bereitflwillig  gugebeu*®). 

' Slnbererfeitfl  aber  bütfen  wir  gu  unferet  reinen  greube  bei 
einet  genauem  Betrachtung  beS  ÜRöncheS  Buther  un§  fagen,  baß 
in  ihm  feßon  gar  mancheö  gu  finben  ift  non  bem  Beften  unb 
SBerthnollften , wag  wir  in  bem  Oteformator  bewunbern.  91S 
Buther,  um  feiner  ©eligteit  willen  auf  baö  Biebße  nergichtete, 
wafl  ein  Süngling  feinet  ärt  beßßen  fonnte,  auf  feine  .^Öffnungen 
nnb  Sufunftbträume,  um  fleh  in  einem  Bettler«^lofter  gleid^fam 
lebenbig  gu  begraben,  bethätigte  er  bie  religiöfe  Begeiferung, 
bie  nöQige  ©elbfthingabe  beS  fpäteren  9teformatord.  SUS  er 
feinem,  ihm  felbft  Idftigen  Gelübbe,  troß  ben  Slbmahnungen 
feinet  gteunbe,  troß  bem  3otne  feineß  Baterß,  troß  bem  Bächeln 
unb  ©pötteln  ber  Gebilbeten,  troß  feiner,  eigenen  fteue,  un> 
erfchütterlid)  treu  blieb,  alß  er,  bet  ÜJtagiftcr,  mit  feinem  Bettelfacf 
in  Grfurtß  ©troßen  hwu^iflinfl»  i«»  Älofter  bie  uufauberften 
fRäume  fdjeuerte,  ba  bethätigte  et  bie  Beharrlichfeit,  bie  SBitlenß» 
fraft  unb  ^füchttreue,  bie  er  auf  bem  SBege  nach  SBotmß  unb 
not  bem  SBormfer  fReicßßtage  in  ben  aUbefannten  alle  Seitalter 

(219) 


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16 


burc^flingcnben  SSoTten  au0f|)Tad).  @cbon  in  jeinem  ^(oftet 
tt>at  et,  »ie  fpäter  al0  Steformntor  not  feinen  ©egnern,  „in 
feinem  ®e»iffen  gebunben,  fanb  e8  nid?t  geratljen,  et»a8  »ibet 
baS  ©eroiffen  ju  t^un."  ©(^on  im  jflofter  fpti(!^t  et:  „{)iet 
bin  id);  id^  fann  ni(^f  anberS.  @ott  Ijelfe  mir!" 

Unb  @ott  half  ibm  auc^.  Bunäcbft  unb  jumeift  rnobl 
babutcb,  bafe  er  ibn  bie  bitterften  ©nttduicbungen  erleben  liefe, 
„©otteß  unb  ber  Stüber  Sarmbergigfeit*  featte  er  im  Älofter 
gei'ucfet.  @t  fanb  aber  mebet  jene,  nod)  bieje.  ©otteß  Sarmfeetgig« 
feit,  »ie  batte  er  fie  finben  fönnen  in  Hebungen  unb  ©ntfagungen, 
bie  tt>efentli(b  au0  bet  Sorftetlung  bei^t^crflesangen  finb,  bafe 
©ott  bem  ÜKenfdjen  gürnt,  bafe  ©ott  baö  natütli(b*menf(bli(be 
Seben  mit  jdbaerer  SDlifegunft  aniebe?  SBic  batte  er  9iube  finben 
fönnen,  er,  bet  ernfte  ?Kenf(b,  mit  feinen  tiefliegenben  unb  tief 
blitfenben  Slugen,  in  Hebungen,  con  benen  er  nur  aOgubeutlidb 
fühlte,  bafe  fic  auch  in  ifeten  beften  Seftanbtbeilen  eine  butefe 
SDteffut  angeeignete  2atBe  roaten?  SBie  fonnte  et  Sefriebigung 
finben  für  feine  nad)  ©ott  bürftenbe  ©eele,  wenn  et  gefen  3Ral 
beß  5£ageß  auß  feinem  Sreciet  lange  ©ebete  betfagte  unb  b^rfang, 
fo  bafe  et  manchmal,  mie  er  felbft  eß  gefleht,  niefet  mefet  roufete, 
ob  er  am  ISnfang,  in  ber  URitte  ober  am  ©nbe  eineß  ©ebeteß 
war?  SSie  fonnte  et  glauben,  bafe  ©ott  an  folcbem  Stobnbienfte 
SBoblgefaUen  habe?  JDuteb  bie  eigne  ©rfafetung  unb  butdb  bie 
unoermeiblicbe  Seobaebtung  feiner  Äloftctbrüber , but<b  baß 
'Probiten,  baß  überall  mehr  »irft  alß  baß  ©tubiren,  lernte  et 
bie  SSerfebrtbeit  unb  Scrberblichfeit  beß  5Möncbtbumß  fennen, 
unb  mürbe  fo  mit  ben  Söaffen  außgerüftet,  bie  et  f^jäter  mit 
unmiberfteblicber  Äraft  gegen  bie  flofterlicbeu  |>eiligfeitßibeale  ge* 
brauchte,  ©otteß  Satm bergigfeit  fanb  et  im  Älofter  nicht,  roobl 
aber  fanb  et  bie  flare  ©rfenntnife,  bafe  fie  im  Äloftcr  nicht  gu 
finben  fei. 

CS20) 


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17 


Utib  aü6)  ber  Stüber  Sarm^etgiglett  fanb  er  nici^t  im 
Jtlcfter.  „Sackam  per  Nackum!“  Jagten  fie  fajt  tägli(^  ju 
i^m,  in  tijtem  abfc^eulic^en,  nur  für  IDeutf^e  cerftünblicben 
Latein.  „?Ri(^t  mit  ©tubiren,  fonbetn  mit  Settein,  mirb  bafl 
Äloftergut  gemehrt!"  SBenn  et  am  Sbenb  einefl  f^afttageä,  bei 
ber  @oQation  armfelig  bafa^,  unb  ju  feinem  ^önnc^en  Siet  eine 
©emmel  a§,  fragen  mandje  oon  feinen  lifc^genoffen  nidjt  weniger 
al8  fünf  ©emmeln,  aui^  nodj  ein  .jpäufcben  ^feffernüffe  baju, 
unb  tranfen  ibre  ^wei  ^änndb^n  Siet,  vietlei^t  au^  no^  gum 
@(blu§  ein  Jtänndben  SBein.  SBäbrenb  et  im  (Sonoent  unb  im 
©peifefaal  manchmal  bemüt^ig  aufftanb  unb  feine  Serftö^e 
gegen  bie  Orbenfiregel  befannte,  ftanben  ünbere  ^ang  getroft 
auf  unb  beichteten  bie  ©ünben  ihrer  Stüber.  SBenn  bann  bie 
^ngeflagten  auf  bem  Soben  fi^en  mußten,  ober  bie  fRuthe 
belamen,  fonnten  bie  btübetlichen  Ülnfläget  oft  laum  ihre  fülle 
greube  rerbergen.  Sei  folchen  Stübern  fanb  et  bie  Sarmbergig» 
feit  nicht,  bie  er  im  ^lofter  gejucht  b^üe.  Unb  auch  in  bet 
heiligen  ©tabt,  in  weichet,  nach  feinem  butch  feine  gef chichtlicbeÄritif 
noch  erfchütterten  ©lauben,  gange  Legionen  oon  SJlärthrcm 
ruhten,  auch  in  9iom,  ald  er  in  iflngetegenbeiten  feinet  Orbend 
unb  gur  (SrfüDung  eined  frommen  @)elübbed,  borthin  pilgerte, 
fanb  er,  tro$  aQ’  feiner  naioen  ©Idubigfeit,  bei  feinen  bortigen 
flöfterlidjen  ©aftfreunben  bie  längft  oermi^ten  Stüber  nicht,  bie 
fein  ,^)erg  fuchte.  SBie  mu|  ihm  hoch  gu  SRuthe  gewefen  fein, 
wenn  er  ben  ÜJleffen  beiwohnte,  bie  fie,  wie  er  fpäter  ergählte, 
,im  ,^)ui  fchmiebeten",  ober  wenn  et  felbft  bie  fUleffe,  nach 
@efübl  unaudftehlich  langfam  lad,  unb  fie  ihm  ihr  „Passa, 
passa!“  guriefen,  unb  ihn  aufforberten,  bodb  tafcher  „ber  hül. 
Sungfrau  ihren  lieben  ©obn  gurüdgufchiden ",  ober  wenn  fie 
ihm  bei  Sifch  ergdhlten,  wie  bet  heil.  Sater,  nadh  bem  ©iege  oon 
^ang  1.,  bem  lieben  {>etrgott  geflucht  h^be,  weil  et  frangöfifch 

XIX.  4M.  2 (3il) 


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18 


geworben  fei."  9lein,  aud^  btefe  waren  nid^t  bie 

^eftnnungdgenoffen,  na^  beten  ©emeinfc^aft  feine  @eele  bürfteie. 

S)o^  nt(^t  aQe  9)ienfd^en,  bie  et  alS  9)i5n(^  fennen  lernte, 
waren  oon  biefer  8laffe.  ©d^on  im  @rfurter  Älofter,  unb  nod^ 
me^t  in  SBittenberg,  aiS  et  im  Sa^te  1508  but(^  ©taupi^en’ö 
SJermittlung  al8  |)rofeffor  bort^in  »erfe^t  würbe,  fanb  et 
SRenfd^en,  bie  it^m  in  flöfterlid^er  ober  in  weltlicher  Botm  ^atm> 
herjigfeit  etwiefen,  unb  ihm  gum  @enuffe  bet  göttlichen  33arm> 
herjigfeit  »ethalfen.  Unter  biefen  ^)elfern  unb  6r3iehern  8uther8 
möchte  ich  Steihe  biejenigen  nennen,  bie,  fo  ju  fagen, 

abwefenb  unb  in  un)>etfönlicher  (äeftalt  ihm  nahe  waren;  juerft 
feinen  Soter.  3»«  Sahre  lang  jürnte  ihm  biefer  tüchtige, 
eines  folchen  ©ohneö  wütbige  ffiater,  wegen  feineö  (äintrittS  in’S 
jülofter.  9118  ihm  jwei  ©öhne  an  ber  |)eft  ftarben,  unb  man 
ihm  fagte,  ba§  auch  f^in  ^tartin  im  J^lofter  erfranft  fei,  unb 
nach  IBetföhnung  oetlange,  blieb  er  in  feinem  Born  unerfchütterlich. 
@rft  al8  guther  im  Sahte  1507  jum  ^rieftet  geweiht  würbe, 
fam  bet  ehrwütbige  j£>an8  oon  OKanSfelb  het  nach  @rfurt,  mit 
gwanjig  berittenen  Steunben  unb  9tachbam,  unb  brachte  feinem 
©ohne  ein  @efchenf  non  gwangig  @ulben  mit.  9lber  auch  an 
biefem  Slage  bet  93etföhnung  lieh  oc  noch  feinen  gebäm;?ften 
@Toll  aufflacletn.  „3Ber  weih,  fagte  et  am  Sifche,  ob  biefe 
@efi(hte,  non  benen  mein  9)tartin  fagt,  bah  @ott  fie  ihm  gefanbt 
habe,  um  ihn  in’8  jtlofter  gu  treiben,  nicht  nom  Teufel  waren? 
@ott  jebenfallS  — ba8  fotltet  3hr  geiftlichen  ,penen  am  beften 
wiffen  — ©Ott  hat  ihm  unb  un8  allen  gefagt:  „SSater  unb 
ajiutter  foUft  bu  ehren"  — alfo  auch  beinern  SSater  nicht  un» 
gehotfamfein!“  Diefer  SSaterumfdhwebte— baShatberSieformatot 
fpdter  manchmal  gefagt  — anfeheiuenb  wie  ein  Sletfuchenber, 
in  ber  ^hat  aber  al8  ein  erleudhtenber  ©eift  feinen  atmen  nach 

Sicht  unb  ^eiheit  fdhmachtenben  ©ohn.  Unb  auch  anbte  OJtänner 

(222) 


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19 


unb  bie  unfet  8ut^er  in  ÜRanSfelb,  in  6iiena4,  in  bet 

Stabt  (ätfurt,  einet  ber  fteieften  unb  aufgeflärteften  Stabte 
S)eut{(blanbä , ^atte  fennen  unb  fc^ä^en  lernen,  waten  i^m 
geiftig  na^e  unb  erinnerten  i^n  in  i^rer  i'tummen  unb  gewaltigen 
St>ra(^e,  ba§  @otte0  Sarmbergigfeit  aufeerbalb  bcffer  al8  inner» 
halb  be0  jtlofterS  ibr  Ei^t  leuchten  la[fe  unb  ihre  erquicfenbe 
Söärme  »erbreite.  So  mag  — um  nur  ein23ei|piel  gu  etwäbnen, 
ba0  SBort,  ba0  einft  {eine  eble  Sobltbäterin  $rau  6otta  »om 
unfebähbaren  Sßertbe  feufeber  $rauenliebe  gu  ibm,  al0  er 
noch  (Surrentfcbüler  war,  mit  beiterem  ßrnft  gefproeben  b^*tte, 
wie  ein  btH«  Stern  in  bunflet  Ulacbt  in  feinem  bumpfen 
Dormitorium  ibm  manchmal  wie  gut  greibeit  gewinft  haben. 

9lu^  in  ben  Büchern,  bie  er  in  feiner  Belle  unb  in  ber 
Sibliotbef  beö  Älofterö,  fpäter  in  gröberer  Slngabl  gu  SBittenberg, 
gu  lefen  befam,  fanb  er  IDienfcben,  bie  gewaltig  unb  tief  auf 
ihn  einwirften.  Sorgüglicb  la8  er  aQerbingS,  aufeer  feinem  Sreoier, 
fcbolaftifcbe  Schriften,  aber  auch  in  biefen  fanb  er  gar  manches, 
was  ihm  Anregung,  Äraft  unb  Stoff  gab  gu  feinem  fpäteren 
reformatorifchen  Söirten.  Dccam,  >J)eter  oon  Ülillp,  9iicolau3 
unb  Epra  woreu  butch  ihre  Schriften  feine  Eehrer.  ^at  man 
boch  non  Echterem,  wenn  auch  nrü  mih^äer  Uebertreibung , fo 
bo^  nicht  ohne  ©runb  gefagt,  bab  wenn  „er  nicht  geleiert, 
Eutber  niiht  gelangt  hätte.  Si  Lyra  non  lyrasset, 
Lutherus  non  saltasset“.  Schon  im  drfurtcr  Älofter  fanb 
et  üon  ungefähr  einige  Schriften  ^)uffen’0,  beS  gu  @ottc8  @bte 
»erbrannten,  unb  bem  SKönch  Eutber  no^  nerbabten  ÄeherS.  @t 
nafchte  barin,  unb  fanb,  ftaunenb,  bab  biefer  Sliann  boch 
manches  chriftliche  gelehrt  batte.  ^Mt  tSuguftin  befchaftigte  er 
fich  febon  in  (Erfurt,  wal)rfcheinlich  auch  auber  ben  DJiablgeiten, 
jebenfallö  febr  eiugebcnb,  feit  feinem  tämtSantritt  in  SBittenberg. 
Siefer  alS  jebeS  anbete  33uch  wirttc  auf  ihn,  in  (Srfurt  fchon 

2»  (*23) 


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20 


nnb  no^  tne^r  fpäter,  bie  93tbel,  unb  {n  ber  S3iBel  bte  Sammlung 
bet  ^auHnifcBen  ©riefe,  am  aQermciften  bet  ©tief  an  bie  0l6met 
unb  bet  ©aloterbrief.  35a  fanb  ev  bie  ?e^te,  ba§  @otte0  ©nabe, 
eben  »eil  fie  ©nabe  ifi,  eine  ©abe  fei,  unb  nidbt  cerbient  werben 
brauche,  no^  fönne,  fonbern  butd)  ben  ©lauben  allein  ergriffen 
werben  muffe.  „35et  SWenfd)  wirb  gerechtfertigt  bnrch  ben 
©lauben,  nicht  burch  bie  SBerfe.  SBer  burch  SBerfe,  burch  baä 
©efe^,  gerecht  werben  wiQ,  ber  ift  oerfiucht,  con  ©briftuö  ab» 
gefallen.“  Solche  ©Jorte  fanb  üuther  in  feiner  ©ibel,  unb  fie 
leu^teten  tief  in  feine  Seele  hinein.  Sie  öffneten  ihm,  wie  et 
alletbingö  an  ber  Schwelle  feiner  reformatorifchen  ^'eriobe  fagt, 
„gan3  weit  bie  ^atabiefeö"  unb  ffihrien  ihn  ju 

©otted  ©nabenthron.  Ueberhaupt  fanb  Suther  in  feiner  ©ibel, 
wie  neulich  einer  meinet  liebften  gehret,  ber  geiftcoDe,  in  feinem 
©reifenalter  ungebrochene  unb  anfdheinenb  jugenblicheStrahburger 
^tofeffor  ©buatb  IReuh  in  einet  afabcmifchen  geftrebe  fagte, 
,von  allem  waS  feine  £)tbenSregel  oorfchrieb  nichts,  wohl  aber 
baS,  »aS  er  fuchte,  ben  5Beg  bc8  .^eilS  unb  ber  Freiheit"**)- 
©ber  nicht  bloh  in  abwefenben,  burch  fRaum  unb  3®it  con 
ihm  getrennten,  auch  in  periönlich  gegenwärtigen  SRenfdhen  fanb 
guther,  fchon  in  ©rfurt,  unb  noch  mehr  in  SBitteuberg,  heilfnme 
antriebc  unb  görberung.  3ch  erinnere  nur  an  ben  alten  füRönöhi 
ber  ihm  ben  im  apoftolifchen  ©laubenöbefenntnil,  im  Credo,  ent» 
haltenen  Sa^  con  bet  ©ergebung  bet  Sünben  in  liebecoller 
SBeife  als  ein  göttlid^eS  ©ebot  an’S  .^er^  legte,  ^auptfächlich 
aber  »irfte  auf  ihn,  währenb  feinet  ©rfurter^eriobe,  ber  ©eneral» 
©icat  ber  beutf^en  3luguftiner,  Dr.  Staupi^.  35iefet  flWann, 
bet  leibet  bie  unS  je^t  genugfam  befannte  DrbenSregel  beftätigt 
unb  h®wnSgegeben  hnt.  ber  als  ©enebiftiner=*Jbt  ju  Salzburg 
geftorben  ift,  fdjeu  cor  gutherS  Kühnheit  unb  hoch  in  tiefer 
giebe  mit  ihm  oeibunben,  er  war,  trcf(  aClet  feiner  fWängel  ein 

(SM) 


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21 


aud^  auf  bem  !@oben  ber  weiten  Seit,  au<^  an  fürftUd|en 
^öfen  ftd^  frei  unb  ficket  bewegenber  3Rann,  Ilug,  gewanbt, 
ttiQendftart,  unb  tuenn  aud^  au8  (briftlicbcr  Siebe  unb  natürli^r 
<BäfXßää)e  ein  ^ecbt  alter,  feine  Stellung  bebrücfenber  ©a^ungen, 
bodb  ein  innerlich  freiet  unb  frommer  Sb^iftenmenfcb-  @r  mürbe, 
für  Sutber,  beinahe  barf  man  fo  fagen:  ein  geiftlicber  SSater.  @t 
oerfrbaffte  bem  atmen  in  groben  unmürbigen  ISrbeiten  feine  3rit 
»erbtaucbenben  9Köncb  ein  grö&erefl  5Ka§  oon  greibeit,  ein  etmaJ 
menftblidjereS  Seben.  @t  oertraute  ibm  fcbon  in  @rfurt,  unb 
noch  mehr  fpäter,  ebrenooQe  ‘Remter  an;  lie§  ibn  an  feinet 
@tatt  bie  ^löfter  ©ad^fend  infpiciren.  @r  tröftete  ibn  in  feinen 
Ülnfecbtungen,  — bie  er  felbft  oieQei<bt  mehr  auf  bemSege  frommer 
Seftüre  unb  tbeologifcber  S3etracbtung,  aU  bur^  eigne  @rfabrung 
lannte,  aber  bocb  einigermaßen oerftanb.  Sld  Sutber  ibm  feine  @ünb> 
baftigfeit  flagte,  oerjmeifelt  ißm  fcfarieb:  „SD,  meine  ©ünbe,  meine 
©ünbe,  meine  ©ünbe!"  antmortete  et  ibm,  bie  ©ünben,  bie  ibn 
quälten,  feien  gar  „feine  recbtfcbaffenen  Sünben,  fonbern  .Rumpel« 
merf  unb  ^uppenfünben.“  ßb^^iftuö  ober  f«i  ein  mabrer  dtlofet» 
ein  ßrlöfet  ber  mitflicben  ©ünbet.  3n  ibm  foDe  er  ©ottefi 
Sarmber^igfeit  ergreifen,  unb  ficb  baran  genügen  (affen. 
einft  Sutber  an  einem  Brebnleicbnametage,  bei  einer  ^togeffion, 
in  ber  fRäb«  beS  @eneral=33icar8 , feineä  oerebrten  greunbeS, 
einbetging,  unb  biefen  bad',  heilige  ©aframent  tragen  fab 
erfcbraf  er  beim  ^^nblicf  be8  unficbtbar  gegenmärtigen  @beiftud 
fo  febt,  baß  feine  ©tirne  fi^  mit  Slngftfcbn'eiß  bebedte.  ©alb 
barauf  beichtete  er  .©taupi^en  felbft  biefe  qualooOe  (Srfabtung: 
„92i(ht  not  SbeiftuS  b^fi  bidb  gefürchtet,  fprach  gu  ihm  ber 
milbe  oernünftige  SRann,  fonbern  cot  einem  Sabnbilbe.  3)enn 
©briftuö  erfchredtet  9liemanben.  ©ott  grollet  bir  nicht.  $Du 
groUeft  ihm.  ©ei  bu  mit  ihm  »erföbnet,  fo  ift  et’0  mit  bir.*  — 
IDo^  baS  mirffamfte  maS  Dr.  ©taupi^  für  Sutber  unb  burch 

(JS5) 


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22 


für  bie  Sßell  t^at,  war  wo^l,  ba§  er  feine  93erfe^ung  na(^ 
Sßittenberg,  feine  Serufung  jum  ißrcfeffor  an  ber  bcrtigen 
Unicerfttät  beim  Äurfürften  erwirfte.  2)ort,  an  biefer  jungen 
llnicerfität,  fanb  ?utljcr  mehrere  tüchtige  ftrebfame,  an  Äenntniffen 
t^m  iiberiegene  ?9]änner,  bie  feine  Stubiengefä^rten,  feine  SJlit» 
arbeiter  unb  greunbe  wnrben,  unter  onbern  Gorlftabt,  Slmöborf, 
Scnafl,  2i5ence8lau8  ?incf,  ^oilidb,  balb  au(^  ÜJieifter  ^^ilipt> 
fKeland^t^on.  fDa  fab  er  ficb  non  einer  »on  Sa^r  gu  3<Jbe 
wad)fenben  @<baar  mutbigcr,  jugenblicb  ftrebenber  unb  Ijcffenber 
©tubenten  umgeben,  con  i^rer  ?iebe,  uon  ihrer  Segcifterung 
getragen  unb  getrieben**).  JDa  würbe  er,  wenn  er  au^  guerft 
etwa8  fd^eu  unb  mi|trauifib  i^t  gegenüber  ftanb,  uen  ber  bama(8 
gang  Deutftbianb,  ja  bie  gange  gebilbete  Sßelt  fo  gewoltig 
bewegenben  unb  erregcnben  Oieformaticn  ergriffen**).  9llle8 
brängte  8idbt,  na^  meljr  8icbt,  nad)  Freiheit,  nad) 

einem  neuen  geben  auf  allen  gebenBgebieten.  @inmal  fort» 
geriffen,  würbe  er  balb  ein  ®elbft  feine  ©egner,  tlieilS 

bureb  ihre  2)umml)eit  unb  ihre  fWifegriffe,  wie  2e^el,  (lajetan 
unb  6mfer;  tbeilS  bureb  ihre  ©elebrfamfeit  unb  gogif,  wie 
Dr.  @df  bei  ber  ?eipgiger  !Di8putation,  tbeilS  bureb  bie 
glängenbe  ©tedung,  bie  fie  einnabmen,  wie  ber  @eorg,  wie 
ber  beutfebe  Äaifer  unb  ber  lEbnig  oon  (änglanb,  trugen  fel)r  »iel 
bei  gu  feiner  »cQigen  ^Befreiung,  ©ie  »erbalfen  ibm  gum  flaren 
SSerftänbnib,  unb  gu  einer  fonfequenteren  fDurebfübrung  feiner 
©ebanfen,  gum  fBoHbeH^  feiner  Äraft.  3m  Äamufe  gegen  fie 
würbe  er  bet  bernorragenbfte  ?fübret  aller  reformatorifeb  ©efinnten. 
3)ab  er,  bet  bc^,  genau  befeben,  nur  einer  war  unter  »ielen,  bet 
erfte  unter  allen  würbe,  ba8  oerbnnft  er,  nicht  feiner  ©elebrfam« 
leit,  obwohl  et  auf  bem  ©ebiet  ber  fcbolaftifcben  unb  ber 
biblifeben  Äenntniffe  befafe  unb  erwarb,  auch 

nicht  bem  befonbet8  großen  SJlabe  feiner  Slufflörung.  Dieudjlin 

(136) 


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23 


unb  OJlelan^t^on  waren  wobl  gelehrter  als  er.  ©raSrnuÖ  war 
aufgeflärter.  Slbcr  ade  anberen  Oieformatoren,  bte  neben  i^m 
arbeiteten,  überragte  et  bur^  bie  ©ctteöfraft  feiner  in  bet 
@tiBe  unb  in  bet  beö  ÄlofterS  erwac^fcnen  f^tömmig* 

leit.  6r  war  ein  ?Kann  be0  ©ebetefl,  wie  gewi§  nur  SBenige 
eö  jemals  gewefen  fiub.  ©eine  Äloftergebete  waren  aHetbingS 
ni(^t  immer  wa^te  .^jcrjeuSgebete.  93iel  ^Haupern  Ijat  fic^ 
batein  gemif(^t.  Slber  fo  wie  fie  waten,  waren  fte  für  i^n,  bet 
beten  woQte,  gleidjfam  bie  .jpimmeisleitcr  geworben,  auf  welcher 
er  im  bunfeln  3)rang  feinet  ©eele  ©otteS  ^eilige  Söofjnung 
erflomm,  auf  beren  ©tjrcffen  ©ctteS  @ngel  ju  ibm  ^erabftiegcn. 
Äortwä^venb  fud^te  et  feine  Äraft  in  ©ott,  im  llnenblit^en, 
ailmä^tigen.  ©ott  war  feine  fefte  93utg,  wo^in  er  immer 
flüchtete,  feine  gute  SBeljr  unb  SBaffe.  33iefe  ©ewohnheit  unb 
Jntenfität  beS  ©ebets,  fie  ift  bie  j£>auptquelle  ber  reformatorifchen 
Äraft  unfereS  SutherS,  boS  ©eheimnife  feinet  ©rohe.  35ie 
SBcrte,  bie  er  in  bie  SBelt  bineinrebete,  ober  in  f^lammenjcbrift 
burd)  bie  SBelt  fliegen  Iie|,  et  hatte  fie  betenb  ju  ©ott  gefptocben, 
ehe  er  fie  ju  ben  ÜJlenfthen  fprach-  Sflor  ©ott  hatte  et  gejürnt, 
geweint,  geftrebt,  geliebt  unb  gehabt.  SlQeS,  waS  et  ben  Leuten 
in’S  Jperj  hinein  reben  wollte,  baS  hatte  et  guoot  fich  felbft 
unter  ©otteS  Säugen  gu  .^ergen  genommen.  IDeShalb  ging  eS 
au^  Säüen  fo  gewaltig  gu  ^jergen,  unb  id)  glaube  nicht  gu  inen, 
wenn  ich  behaupte,  bafe  feine  auch  uon  einem  Söoffuet  bewunberte, 
IBöIfet  hinteifeenbe  SBerebtfamfeit  **),  gerabe  in  ber  ©tiHe  beS 
ÄlofterS,  in  ber  Verborgenheit  feinet  Seile,  in  ihm  gu  ihrer 
Bollen  Äraft  fich  entwicfclt  hat.  JDiefe  Verebtfamfeit  würbe  bie 
|)auptwaffe  beS  ^Reformators,  ©r  führte  fie  aber  mit  einer, 
tro0  adern  gegentheiligen  ©chein,  wunbetbaren,  genialen  ^lug« 
heit,  „©ewaltig  unb  mafeood  war  fein  SBide,“  wie  ?cteptag 
fehr  f^ön  unb  richtig  fagt.  ®uch  wenn  et  noch  fo  tcdfühn,  unb 

(M7) 


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24 


felbft  feinen  ^eunben  nod^  fo  berwegen  erf(!^ien,  war  et  bo(^, 
o^ne  fing  fein  j^u  tnoQen,  ja  bie  j^lug^eit  »etac^tenb,  munbetbar 
fing.  fDetra  faft  immer  ttaf  et  baS  Süchtige;  fanb  3ur  rechten 
Seit  bad  teerte  SBott,  unb  bie  mitfitcb  opportune  Z\)at.  SMefe 
geniale  von  Segeifterung  unb  Seibenfebaft  getragene  unb  bureb* 
bmngene  Klugheit  aber,  fte  ift,  mie  idb  glaube,  mefentU^  eine 
gru<bt  feines  ©ebetSlebenS.  2Bie  bet  gro§e  {Reformator  bet 
antifen  unfer  Sutber  ein,  — auf  fd^einbat 

gang  anbetm,  unb  oiellei^t  bo^  gleicbartigem  SBege  enungeneS 
SDSmonion  in  fi(b:  ein  Oratel,  baS  ibn  lehrte,  maS  et  tbuu' 
»aS  er  laffen  foHte,  baS  ibn  trieb  unb  gurürfbielt,  fräftiger  unb 
fi(beter  als  bet  rubige,  baS  ^üt  unb  Sßibet  überlegenbe  SSerftanb 
eS  t^un  fann.  3BaS  er  tbat,  baS  b^t  auch  er  „getoägt  unb 
bann  gemagt":  im  ®ebete  gemägt,  im  Glauben  gemagt. 

@0  erfebeint  mir  uufer  Sutber,  je  länger  icb  ib°  anf^aue, 
befto  beutli^er,  bem  großen  oon  bet  allteftamentlicben  @age  unb 
lDi(btung  oerberrlicbten  Propheten  @liaS  äbnlicb,  oon  bem  ber 
gute  3afobuS  in  feiner  golbeneu,  nicht  ,ftrobernen“  (äpiftel 
gefagt  bot:  „@liaS  mar  ein  fDienfcb  gleich  >oie  wir,  aber  et 
betete  ein  ®ebet,  unb  ber  brei  3ob^c  unb  feebS  SRonate  oer« 
fcbloffene  .^immel  öffnete  ficb  unb  gab  feinen  {Regen  unb  bie 
6tbe  gab  ihre  ^uebt."  SBie  biefet  @liaS,  fo  b®t  uufer  Sutber, 
bet  unftreitig  ein  {IRenfeb  mar,  ein  bloßer  {Dienfcb,  in  manchen 
Srrtbümern  befangen,  unb  oon  manchen  ©ünben  befledt,  betenb 
ben  ©tanbpunit  gefunben,  ben  ein  gro§er  üRatbematifer  beS 
ISltettbumS  abnungSooU  unb  oergeblicb  fuebte:  ben  ©tanbpunlt, 
mo  er  unbemegli^  fteben  fönnte,  unb  oon  bem  auS  er  bie  @rbe 
bewegen  woOte.  IDiefen  @tanbpunlt  bot  8utber  in  bet  geiftigen 
9Belt,  in  @ott,  witflicb  gefunben.  IDeSbolb  hoben  wir  auch  aQe 
freubigen  ^)cr3enS,  mit  {JRillionen  unferet  ©laubenSgenoffen 
feinen  oierbunbertjäbrigen  ©eburtStag  gefeiert:  eine  fepöne,  wenn 

C»8) 


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25 


ou^  fe^t  geringe  QJorfeier,  befl  »iel  größeren  lagefl,  an  welkem 
baS  Steid^,  non  bem  er  in  feinem  i)enlic^[ten  Siebe  gefangen 
l>at,  ben  @tben  feineö  ©eifteö,  ben  f^ortfe^ern  feines  ©ebeteS, 
alfo  ibm,  ber  in  i^nen  fortlebt  unb  fortmirft,  jufaden  wirb. 


:Anmerhnngett. 

1)  Seine  Älofterjeit  bereebnete  Sutbet  gerne  auf  „wenigftenS  fünf» 
jebn  Sabre".  Sllfo  betrachtete  er  feinen  (Eintritt  in’8  Älofter  im 
Suli  1505  al«  ben  Slnfang,  unb  feine  (Sntfübrung  auf  bie  ffiartburg 
im  ÜJlai  1521  al8  ba8  (Snbe  biefer  Seit-  ®eil  er  aber  erft  bureb  feine 
SJerbeiratbung  im  Suni  1525  non  feinen  ©tliibben  fitb  »oflftänbig  lo8* 
machte,  fann  man  mit  einigem  ©runbe  fagen,  bag  er  menigften8  jmanjig 
Sabre  9)löncb  geblieben  ift. 

2)  „91icbt8  febeint  bunfler  ju  fein  faft  in  Sutbcr'8  ganjem  geben, 
al8  feine  ißerbältniffe,  3uftänbe  unb  Gntwicfelung  im  (Srfurter  Älofter". 
©0  fogt  Sürgen8,  iöanb  I.  ©eite  558. 

4>err  'Profeffor  (5arl  ^>afe,  ber  berübmte  JUtmeifter  ber  Äircben» 
gefebiebte,  ben  icb  bat,  mir  ein  4?ucb  angeben  ju  ujollen,  in  njelcbem  icb 
ein  anfcbaulicbeS  2Mlb  non  gutberfi  .ftlpfterlcben  finben  fönnte,  antoortete 
mir  in  einem  mcblmotlenbcn  SBriefe  §olgenbe8:  . ..  „3*  bcflage,  nicbt8 
genaueres  auf  Sb«  Srage  antmorten  gu  fennen,  aber  Sie  werben  e8 
auch  anberwärtS  fcbwerlicb  finben  2)a8  SluSfübrlicbfte  noch  im  I.  6ap. 
non  jJoeftlin’8  Sliartin  gutber,  1875.  @8  ift  boeb  aud)  ba8  nur  ,2tu8» 
fubrung  be8  Sefannten". 

4>err  ©infler,  Pfarrer  in  (Srfurt,  bem  icb  mehrere,  ba8  bortige 
Stuguftiner.ÄIofler  betreffenbe  fragen  brieflich  norlegte,  wonon  er  mir 
einige  beantwortete,  fcbliegt  feine  febr  freunblicbe  Stntwort  mit  folgenben 
IBorten:  „gutberS  Slufentball  im  birRgf»  Älofter  ift  leibet  eine  giemlicbe 
Terra  incognita.  SBie  bie  tßerbältniffe  liegen,  wirb  e8  wohl  ?oum 

(JKV) 


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26 


möglich  fein,  fcarüber  flarereS  ?i(bt  ju  »erbrciten.  6«  fehlen  eben  gSnjlicb 
fpejietie  Slufjeitbnungen".  — ®d  troftIcS  biefe  Slu«fprü(be  »oren,  lie§ 
i(^  mi(b  bod)  ni(^t  enhnutbigen. 

3)  ie  Slnguftiner  (Eremiten  enfflanben  in  bet  3Ritte  be«  XIII.  3a^t* 

bunbertfl  aua  nerfcbiebcnen  @inftebler»@efell)d)aften,  bie  unter  bie  angeblich 
9luguftinifd;e  Siegel  getl^an  tturben.  ®er  £5rben  foll  au8  faft  2000  Ä(6flem 
mit  me^r  al8  30  000  SJJcncben,  unb  me^r  al8  300  Slonnenflßftern  be- 
ftanben  ^aben  . . . £Eer  Orben  genc§  teS  beften  SiiifeS  . . . Sine 
innigere  (briftlid)c  ©eftnnung  fanb  ficb  bei  ihnen;  mehr  al8  bie  meiften 
anberen  Drben  lebten  fte  ber  füllen  Söetraditung,  bem  ©efcböft  bcr  eigenen 
Heiligung  unb  ben  Stiibien*.  3ütgen8,  I,  559  — 560.  33gl.  oud» 

.fjelpet.  S3b.  III.,  0eite  8 ber  beutfthen  Ueberfehung.  2)a  erfahren  mir, 
ba§  bie  3>eteinigung  bcr  ermähnten  Sinrifbler-Sefeflfcbaften  bur^  ein 
IDecret  bc8  ^apfte8  Snnocen;  IV.  im  Sab^r  1244  nngcortnet  mürbe. 
2)ur(h  biefcS  IDccret  mürben  bie  Sinftebler,  „bamit  fie  nidjt  mie  ©cbafe 
ohne  .f)irten  feien"  unter  bie  bem  großen  Äirdjenoatcr  ?luguftinu8  ju* 
gefchriebcne  Siegel  geftctlt. 

4)  SJiit  bem  Semcrfen,  baß  e8  .mahrfthcinlich  ein  Unicum"  fei. 
SBärc  aber  bann  nidit  ju  münfchcn,  baß  baoon  eine  neue  31u8gabe  Der» 
anftoltct  mürbe?  Slur  fo  fönnte  bcr  SBeßß  biefer  midjtigcn  Urfunbe  ber 
gefcbi(htlid’en  SBiffenfchaft  gefiebert  bleiben. 

5)  ü)ic8  thaten  .^err  ©tabtbibliothefar  Dr.  Siub.  Sieuß  au8  ©traß* 
bürg  unb  ^err  Dr.  Cfarl  Siobenberg  au8  23crlin.  3lud)  <t)crr  ^forret 
Sßinficr  au8  Srfurt  gab  mir  über  ba8  bortige  9luguftiner>.SIofter  mit 
großer  ©efältigfeit  einige  nüßlidje  Sioti;cn. 

6)  9118  unbequeme  9lbrcoiaturen  ermähne  id)  h'f'^  SeifpieI8roeife 
frt's  = fratrcis,  liiiioi  = hujtismodi,  oin  = oninia,  coia  = conimunia, 
tpe  = temporo.  93om  cbfcuren  Latein  be8  33üd)Iein6  metben  fid)  in  ben 
folgenben  Gitatcn  einige  groben  ßnben.  Ser  5itel  ber  Drbcn8regel 
lautet:  ^Constitutiones  Fratrum  Hereniitaniiii  Sancti  Augiistini 
ad  aposfolicoruraprivilegiorum  fomiain  proKeforniatioiie  Alciiianie“. 
Unb  am  ©(bluffe  ber  oon  ©taupiß  felbft  gegebenen  Dedicatio  fteßen 
bie  SBorte:  „Datum  Nnrmberge  Anno  1504.  Vigilia  Pcnthecostes“. 

7)  Sie  grage,  mie  biefer  Sntftbluß  in  Sutherd  ©eift  entftanben, 
ift  Bielleidjt  noch  febmerer  jU  beautmerten,  al8  bie  grage,  beren  Sofung 
in  biefen  93lättern  »erfudjt  mirb.  9Ba8  üuther  felbft  über  feinen  Sintritt 
in’8  Älofter  gelegentlid?  geäußert  h^t,  läßt  an  Klarheit  nnb  9lu8führli(b» 
feit,  aud)  an  Uebereinftimmung  Biel  ju  münftben  übrig,  ©emiß  führte 
ihn  religiofe  9(ngft,  ©orge  um  feine  ©eligfeit  in’8  Älcfter.  „3(b  warb, 

(2S0) 


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27 


fo  i'agt  ft  in  bet  3uf4>r'ft  feinen  l*atcr  ju  ber  St^rift  »on  ben 
Äloftergelübben,  ja  nicht  gern  unb  willig  ein  Sölcncb,  uiel  weniger  um 
SKöftung  be6  öautbe«  willen,  frnbern  als  ich  “'•1  Sdjrecfen  unb  5lngft 
beS  JobeS  elenb  umgeben,  gelobte  ich  ein  gezwungenes  unb  gebrungeneS 
©elöbbe."  0ein  ©elfibbe,  fagt  et  in  einem  ©tiefe,  „fei  nicht  cen  .^'»erjen 
unb  willig  gethan'  (ITe  5B?ette  II,  101).  „®rfchterfliche  ©efichte"  trieben 
ihn  bo3U.  ?lud)  feil  er  geauficrt  haben,  ba§  er  fein  ©elübbe  in  ben 
nachften  Sagen  bereute;  bo§  „et  felbft  niefd  fngen  fenne,  wie  er  baju 
gefemmen  fei,  eS  abjulegen"  (SürgenS  I,  53G).  Söahrfcheinlich,  wenn 
auch  ungenugenb  bejeugt,  ift  bie  ßrjählung,  wonad?  ber  übetrafebenbe 
2cb  eines  gteunbeS  ihn  an  ben  eigenen  2cb,  an  bie  entfej}lichcn  ©efahren 
beS  göttlichen  Wericf'teS  gemahnt,  unb  nngetrieben  habe,  auf  bem  »on 
bet  Äircbe  emhfchlencn  Sffiege  feine  Seligfeit  ju  fuchen.  (Sin  (iöemitler, 
baS  in  ber  fHäbe  ren  (Srfurt  ihn  überfiel,  mag  feine  unficfiere  Slngft  in 
einen  öntfcbluf!  oeriranbelt  haben.  !Toch  liegen,  bei  einer  aufmetffameren 
©etraebtung  beS  Lebensweges,  ben  Luther  geführt  würbe,  noch  anbere 
6tflärungen  biefer  ffianblung  nahe.  LJJan  barf  »ielleicht  annehmen,  bag 
feine  juriftifdjen  Stubien  unb  bie  SufunFtSpIäne,  bie  fein  ©ater  für  iljn 
hegte,  ihm  läftig  waren,  baß  er  im  .(Ucfler,  ohne  ftch  felbft  alle  feine 
©eweggrünbe  flat  ju  machen,  aucl)  bie  äußere  greiljeit  unb  baS  ihm 
felbft  noch  oerbergene  ÜIrbeitSgebiet  fudde,  ju  bem  et  berufen  war.  Unb 
noch  anberS  läßt  fich  bie  bfßd;clcgifche  ©erbinbung  beS  ©löncbSlebenS 
Luthers  mit  feinem  fväteren  refcrmatcrifchcn  Leben  unb  'Birfen  auffaffen, 
nämlich  fc:  Luther  in  ber  ganjen  '.'luSbehnung  feines  innerlichen  BefenS, 
wie  eS  fich  in  feinem  Leben  bargeftellt  hat,  war  beibeS:  ein  frommet 
SKönch  unb  ein  SReformator.  ®iefc  beiben  Seiten  feines  (JharafterS 
mußten,  feweit  bie  äußerlichen  LebenSbebiiigungen  eS  geftatteten,  jut 
(Srfcheinnng  femmen  — unb  ba  ein  fRüefgang  beS  SRefermaterS  in'S 
jblcfter  nicht  möglich  noch  benfbar  ift,  fo  mußte  ber  SReforrnator,  ehe 
er  jum  [Reformator  würbe,  iSRönd;  werben. 

8)  SBuf  (förnnb  einet  angeblid;  »on  Luther  felbft  herrührenben  ?luf- 
jeichnung,  »ermuthet  Äceftlin,  baß  Luther  auSnahmSweife,  nach  einer 
fütjeren  'Probejeit,  fd'on  am  ^nbe  beS  SahreS  1505  fein  ®elübbe  ab* 
legte  (©anb  I,  61— G2). 

9)  jCorrigias  quibus  cucullae  cirigantur  de  nigro  coreo  esse  vo- 
lumus,  qujce  et  duorum  digitoruni  latitudiarm  non  escedant,  nec 
minus  quoque  digitum  cmn  medio  habeanl“.  üDaß  bie  Borte; 
„nec  minus“  5C.  ju  »erflehen  finb,  alS  h'cfee  eö:  unec  minus  ejuam 

(!31) 


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28 


digitum  uDum  ac  dimidium“  ift  mit  buc(^  ^errn  Dr.  Siobtnberg 
(rflärt  ttcrben. 

10)  S)ie  Sefc^retbung  biefec  (S^Iam^  ift  mir  unb  aud>  mrinem 
freunbli(^fn  Reifet  4>etrn  Siobenbftg  ni(t)t  ganj  flat  gemorbni:  „Clamides 
(sic)  ante  pectus  ligatas  absque  ligatura  serici  et  metalli  infra  loca 
deferri  licebit“.  SBa^rfc^finlit^  foflcn  bieft  SCBorte  bebeuten,  bo§  b« 
IDiantel  eont  übet  bet  IBruft  gefc^loffm  fein  butfte,  boc^  ni(f)t  mit  einem 
feibenen  Sanbe  unb  aucfi  nic^t  burc^  einen  metaOenen  ißerfc^Iu§,  ba§  et 
aber  non  bet  ^üfte,  eigentliif)  mo^l  eon  bet  Scheibe  an,  „infra  loca“, 
offen  bleiben  mu§te.  33gl.  Ducange,  sub  voce  Locus. 

11)  „Fratres  in  dormitorio  super  fiiscones  . . . quiescant“. 
Unb  meiter  unten:  „Et  sicut  sanis  ita  infirmis  lectisternia  quae- 
que  curiosa  inhibemus“.  SBJabtftbeinlic^  ift  baS  in  feinem  für  un8 
erteidjbaren  2ejricon  erflörte  ffiort  fiiscones  eine  latinifirte  gorm  beS 
beutfcbcn  obergliftb,  unb  bejeic^net  bie  Seenplatten,  mit  ueldpen 
ber  Söobeu  be«  iDormitoriumS  gepflaftert  mar.  Sie  uerbotenen  Lectis- 
ternia curiosa  finb  aber  maerf^einlitf)  Settftcllen.  Sot^  fönnte 
auch  bad  SSort  lectisternia  fteönere  IBetttüteer  ober  iliffen,  unb  baS 
3Bort  fiiscones  g(ie§e  ober  grobe  äBoIltüieer,  laueaniina  bejei^> 
neu.  Sn  le^terem  gaH  bürfte  man  fue  baS  Saget  bet  armen  5K3n^e  etma« 
menfeeenmütbiger  ocrfleHen,  unb  annebmen,  ba§  fte  jmar  ohne  Seintüibet 
unb  anbere«  feinere«  Settjeug,  auf  biefen  toben  SBoHtü^em,  botb  in 
irgenb  melcben  ©etlftellen,  ftbliefen. 

12)  Unfere  Siremer  Stabtbibliotbef  befibt  in  einem  ftbenen  Syem* 
plar,  bn«  im  Sabrt  1507  btrau*9*6tbene  S3reoier  bet  Sölainjet  Siocefe, 
ju  meicber  ba«  6rfurter  2luguftiner*Älofter  gebörte. 

13)  ®cbon  im  Sllten  Seftament  finbet  in  frommen  ibreifen,  in 
ber  nacbejcilifcben  3fiL  biete  Sitte,  fteben  füial  jeben  Sag  ju  beten. 
(33ergl.  ^f.  119,  164.)  So(b  mar  biefe«  fiebenmalige  ©cbet  mabt 
fcbeinlicb  nitbt  fo  mortreicb,  mie  e«  in  bet  cbriftlicben  Äircbe  gemorben  ift. 

14)  SBie  gro§  mar  Sutber«  Seile?  SBelcbe  ©eftalt  boHe  fte? 
Söelibe  SJJöbel  unb  ©erütbe  mären  barin?  SBar  ibr  genfter  mit  @Ia«» 
fdjeiben  gefcbloffen?  Söar  im  Erfurter  3luguftiner*ÄIofter  ein  ©arten? 
Siefe  gragen  f^teHte  icb  brieflitb  an  einen  Erfurter  ©eiftlicben,  4)etrn 
|}farrer  SKinfler,  oon  bem  i(b  einen  in  ber  SHuftrirten  Seitung  (am 
25.  Sluguft  1883)  erfibienenen  Sluffab  über  ba«  bortige  Sutberfeft  mit 
oielem  Sntereffe  gelefen  b“lie.  Sr  antmortete  mit  golgenbe«:  „Sa« 
biefige  Jluguftiner>Älofter  ift  in  ben  Sabeen  1521—23  »on  ben  3D?5n(ben 
uerlaffen  morben  unb  bat  bi«  in  bie  gmeite  4?älfte  be«  17.  Sabrbanbett« 

(Mi) 


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29 


untniu^t  geftanbtn.  @rft  1649  ^at  man  eine  ber  ^albeerfatlenen  Sellen, 
unb  jttar  auf  jiemlit^  unfic^ere  Snbicien  ^tn,  al«  ?ut^er8  SeHe  bejeid^net 
nnb  einige  alte  9)JöbeIftü(fe,  einen  Stubiitifd),  einen  ®ebctfc^emel,  einige 
<Stü^Ie  ^ineingeftellt,  nebft  einigen  unjweifel^aft  echten  ?utbeneUquien, 
einet  ©ibel  mit  SJanbgIcffen  »cn  9ut^et’8  ^)onb,  einem  Sintenfa^  JC. 
Ueiber  finb  alle  bieje  ®egenftänbe  1871  mit  netbtannt.  2)ie  SfUe  f)atte 
ein  genfter,  »on  bem  man  annimmt,  ba§  e8  mit  öutjenfdjeiben  (in 
©lei  gefaxt)  nerfeben  n?ar.  3n  biefer  SBeife  bot  man  je^t  bie  SeDe 
reftaurirt. 

„Sin  ®arten  befanb  fttb  im  Älcfter,  mabrjtbeinlid)  fogar  mebrere. 
Ser  eine,  oieüeicbt  60  (Scbritte  lang  unb  40  breit,  mar  »cm  Äreujgang 
umgeben;  ein  anberer,  etma8  greßeret,  lag  auf  ber  aSeftfeite  be8  ÄlDfter8, 
na(b  bem  fogenannten  Scmtburbofe  bin.  aßem  biefe  ®5rten  jur  ©e- 
nu^ung  ftanben,  ift  ober  nicht  betannt."  3(b  füge  b*nju,  ba^  in  ber 
Orben8regel  ocn  einem  Äloftergarten  unb  Bcn  ber  ©enufiung  eine8 
fol^ien  nicht  bie  SRebe  ift. 

15)  ©cn  anberen  SBafcbungen,  ausgenommen  bie  uom  ?(rjte  »er» 
crbneten  ©aber,  ift  in  ber  Orben8regel  nirgenb8  bie  SRebe.  5ßcju  auch? 
,lDen  SReinen  ift  alle8  rein"  — unb  manchen  ^>eiligen  war  befanntlich  bet 
@chmu6  b^'l'S-  ^)änbe  aber  mußten  »or  ber  9Rabljeit  gewafchen  werben. 
Senn  ®abeln  unb  auch  Jifchmeffer  gab  e8  bamal8  in  ITeutfchlanb  nitgenb8 
ober  nur  in  febr  »ornel;men  ^)äufern,  nicht  am  Sifthc  rechtfchaffener 
©ettelmcnche  (©gl.  bietüber  einen  lehrreichen  Sluffag  »on  gr.  Äörner 
in  2Beftermann’8  ÜRonotSbcften,  ©b.  22).  SDag  aber  bie  ÜRcnche  na^ 
ber  ©tabljeit  fich  bie  ^)änbe  mujcben,  wirb  in  bet  Crben8regel  nicht 
gefagt. 

16)  fDoth  auf  bie  Äranfen  finbet  bii8  @efeh  be8  @tiUfchU)eigen8 

unb  auch  bc8  gaftenS,  nur  eine  bejchränfte  Slnwenbung.  Sie  werben  in 
einem  befcnberen,  ihnen  gewibmeten  9taum  »erforgt,  in  ber  Infirmaria. 
SDabin  orbnet  ber  ^riot  einen  ©ruber  ab,  unb  gwar  einen  folchen,  „in 
beffen  wal;re  ®otte8furcht  wohnt",  al8  fßfleger.  liefet  bot  bie 

Ätanfen  Jag  unb  fRacht  in  oder  ßiebe  ju  bebienen.  3ft  bie  Sohl  bet 
jbranfen  ober  ihre  ^flegebebürftigleit  für  ben  einen  fpfleget  ju  gto§,  fo 
befommt  biefer  einen  ®ebülfen.  Ser  'Prior  felbft  befudbt  bie  Ätanfen, 
forgt  bafür,  ba§  ihnen  nicht«  ©otbwenbigeS  fehlt,  ermahnt  fee  }ut  ®ebulb 
unb  jur  ©eichte,  fragt  fie  auch,  ob  fte  nid)t  eine«  anberen  ©ruber« 
fchwere,  unb  ber  Shrc  be«  .f^aufe«  unb  be8  DrbenS  gefährliche  Sünbe 
ihm  beichten  fönnen.  „Inquirat  a quolibet  si  sciat  cnlpam  alterius 
fratris  per  quam  ordini  Tel  domui  scandalum  generari  possit.'^ 

231^ 


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30 


©0  longe  f«  nun  ft»  front  finb,  baß  f«  in  i^rtm  ©ctte  rffen  muffen, 
fmb  fie  ni(f;t  jum  erbnungimäßigen  ©titlfc^aeigen  Dcrpflid;tet.  ©otolb 
fte  ober  in  i^rer  ©enejung  fo  »eit  fcrtgefc^riften  fmb,  bo§  fie  oljne 
^ülfe  eined  Stnbern  jur  jl'apeQe  unb  jur  iBetfoinmlung  gelten  unb  bie 
gewöhnlichen  ©veifen  effen  fönnen,  tritt  auch  für  fie  bo8  ®efeh  be« 
©tiUfchweigenß  »ieber  in  Äroft,  unb  wenn  fie  e«  übertreten,  feilen  fie, 
je  noih  Urnftönben,  beftroft  »erben.  2)ie  Äronfenpfleger,  fc  lange  fte 
ihteö  Slmteö  »orten,  fmb  com  (Sefeh  beS  ©tiÜfchweigcn«  biöüenfirt, 
bech  feilen  fie  biefe  greiheit  mö§ig  gebrauchen,  ba  felbft  ben  Äranfen 
bo«  ciele  ©prechen  jchabcu  würbe.  Ueberhoupt  wirb  burth  eerfchiebene 
löeftimmungen  bem  5)liBbraucte  »orgebeugt,  ben  manche  törüber  een  ben 
ben  Äranfen  bewilligten  (Erleichterungen  unb  äJequemliihfeiten  machen 
fennten.  Sie  Äranfen  feilen  nicht  Seeferbiffen  »erlangen,  unb  bie  i'fleger 
feflen  ihnen  jebenfaDö  feine  geben,  ©ebalb  fie  wiebet  gefunb  fmb,  feilen 
fie  »ieber  ju  ben  ®efunben  gehen  unb  mit  ihnen  leben.  ?llö  gefunb 
aber  feil  feber  2)e»ehncr  be«  Ärantenjimmer«  anvgefehen  »erben,  febalb 
et  feine  frühere  ©efichtäfatbe  unb  Gerpulenj  »ieber  gewonnen  hut,  unb 
ba«  frühere  SOlaß  »on  ©peifen  »ieber  einnimmt,  ©ill  aber  ein  folcher 
nicht  jur  syetfammlung  ber  Jörüber  fich  begeben,  fo  feil  man  il;n  nöthigen 
unb  ihm  bie  Jtranfenratien  entziehen. 

17)  3118  charofteriftifch  mag  hi«  ou8  (Jap.  47 — 50  golgenbe« 
angeführt  »erben: 

1.  Seichte  5>erfchulbungen,  culpae  leves:  2Benn  geläutet 
wirb,  nicht  fofert  jur  Äapelle  gehen;  in  einer  Stile  ober  im 
©chlaffaal  Särm  machen;  einen  S3tuber  jum  Sachen  bringen; 
©peife  ober  Stanf  eerfchütten;  (Etwa«  an  ben  Unrechten  Drt 
hinlegen.  Strafe  bafür:  (Einen  SJuBpfalm  h«fagen  unb  eine 
©eihtlung. 

2.  Schwere  SJerfchulbungen,  culpae  graves:  IDlit  einem 
lötubet  ^anfen;  eine  ©chulb  ihm  »orwerfen,  bie  ec  gebüßt  hut; 
plaubern;  Stüber  auf  einanber  he(}tn;  SBeiber  anfehen ; mit  einem 
Üöeibe  ohne  Stugen  fprechen.  Strafe  bafür:  bteimalige  Geiße- 
lung unb  brei  gafttage.  3m  galle  bet  Söieberhclung:  eine  eierte 
Geißelung  unb  ein  cierter  gafttag  unb  bie  7 Sußpfalmen 
herfagen. 

3.  Schwerere  SSerfchulbungen,  culpae  graviores,  SBiber« 
fpenftigfeit  gegen  ben  ^Jrior.  Strafe  bafür:  Ser  Schulbige  muß 
mit  entblößtem  ^taupte  in  Gegenwart  3111er  feine  ©chulb  be* 
fennen,  im  jRefectorium  unb  im  (Eonuent  auf  bem  Soben  fihen, 

(231) 


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31 


f(^le(l)tere«  ©rot  effcn,  nur  ©affer  trinfen,  »or  ber  2()ürc  bcr 
ÄapeDe  liegen  beim  öin>  unb  ^etauöge^en  ber  ißrüber,  non 
feinem  ber  Srüber  angerebet,  fe^ließlicb  non  einem  jeben  ber 
SRei^e  nat<)  fnieenb  gegeißelt  »erben. 

4.  iDie  ollerfc^ujerfte  ®c^ulb  aber,  culpa  gravissima, 
ift  bie  Un»eibefferli(^feit  beffen,  ber  bie  ®cf)ulb  nicßt  f(^eut,  unb 
bie  ©träfe  nicht  annehmen  »iti.  ÜJer  »irb  bi«  ju  feiner  ®cffe« 
rung  in  einen  anbcren  Drben  cerfcßt. 

18)  ©iel;e  Sucange,  sub  voce  Disciplina. 

19)  (St  bei  feinem  (Eintritt  in  bcn  heiligen  ©ettelorben  noH- 

ftänbige  iSefihlofigfeit  gelobt  unb  »ährenb  feinet  ganzen  fUlöncböjeit  treu 
beobachtet.  Äeiit  Sßunber,  baß  er  auch  IHeformator  etma«  wie  eine 
heilige  Scheu  Bor  febem  ©elbgewinn  behielt  unb  eine  heilige  greigiehig- 
feit,  ja  Söerfchwenbung  iibte,  woburch  er  feiner  praftifchen  Ääthe  manch* 
mal  ba«  fJeben  erfchwerte.  ,8uther’ö  ©runbfä$e  über  ©elbnehmen,  fagt 
4>au8rath  in  feiner  nortrefflicten  flJlonogtaphie  „l'uther  unb  Ääthe* 
(Seite  275—276  ber  Äleinen  Schriften  religionfl-gejchichtlichen  Snhaltö), 
hatten  auf  3ebermannfl  Söeifafl  mehr  ju  rechnen,  alg  auf  ben  feiner 
^tauflfrau.  war  gegen  fein  ©ewiffen,  Bon  ber  ©emeinbe  töefolbung, 
non  ben  Stubenten  (äoHeggelb  unb  non  ben  iöuchhänblern  .^onorar  3U 
empfangen;  ba  er  mit  bem  SBorte  nicht  h^fern  wolle.  2)abei  aber 
heftanb  fein  ganje«  offentli^eS  ©ehalt  alö  Sprofeffor  aus  200  ©ulben. 
3m  jweiteu  3ahtf  ^“*1'  ff  ©ulben  Schulben  unb 

würbe  hoch  nach  wie  nor  non  glüchtlingen,  fReifenben,  SRcnchen  unb 
Slonnen  al8  ihr  natürlicher  ^atrcn  in  3(nfptuch  genommen  unb  gebranb- 
fchoßt  . . . SBie  ÜRatthefiuS  erjählt,  fam  er  feiner  ©heff““  fngnf»  njenn 
fie  im  äBochenbett  lag,  übet  baä  'patbengelb,  um  Settler  bamit  ju 
befriebigen.  So  fehr  fie  abwinft,  fchenft  er  einem  atmen  Stubenten 
einen  filbetnen  ©heenbechet,  unb  ba  Äurfürft  3oh“””  einen 

Äuy  in  ben  Silbetbergwetfen  ju  Schneebctg  3uweifen  will,  als  8ohu 
für  feine  Sibelüberfeßung,  lehnt  er  eS  ab.  6r  wolle  beten,  bamit  bie 
©t3c  befteßen  unb  gottfelig  nerwenbct  werben;  baS  allein  fomme  ihm 
3U.*  — ©ine  gan3  anbere  ©efinnung  fpricht  fich  allerbingS  in  bet  re» 
formatorifchen  ©rflärung  ber  iBitte  um’S  tägliche  iBrot  auS,  wie  fie  im 
Äleinen  ÄatcchiSmuS  gefchrieben  fteht.  äßet  aber  unter  „täglich  fBrot" 
ba«  nerßeht,  »a«  ßuther  bort  auf3ählt,  3.  iB.  ,,$iau«,  4)of,  älcfer,  äSieh, 
©elb,  ©ut",  bet  ift  in  feinem  Streben  nach  irbichem  @ut  nicht  gerabe 
befcheiben,  unb  leibet  nidjt  an  ber  unwirtl;jchaftlichcn  unb  mönchifchen 
©rcßmuth  be«  großen  fReformatorä. 

(235) 


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32 


20)  JDifjen  3e<l<n  meiste  tdj  al«  SHuftTatirn  ein  Bon  ?uca8  ßranai^ 
im  1532  gemalte«  Silb  Sut^er«  beifügen.  3n  ber  alten  fDlünt^enet 
^inafotl)ef  wirb  e«  aufbema^rt,  but(b  ®etBielf5ltignng  aber  ift  e«  überall 
leicht  ju  erreiiben,  unb  brr  grS§ten  93erbreitung  würbig.  0a  fte^t 
Dr.  ÜJlartin  ?utber,  mit  freiem  .^aat  unb  bem  in  ber  DrbenSregel  ner» 
botenen  ©arett  gefcfcmücft,  im  ®ewanbe  eine«  ©ele^rten  gelleibet.  ®« 
ift  nii^t  ber  ’JJlönd),  fonbern  ber  ÜJJann  Butter,  ber  ^Reformator,  unb 
boc^  ift  e«  no^  bet  fUlüntb-  3n  feinen  febenen  ruhigen  ^önben  hält  et 
ein  fleine«  ©üchlein,  wohl  nicht  feine  ©ibel,  fonbern  feinen  lieben  |)jaltet 
ober  fein  ©reoier.  ©ertheilt  auf  bie  jwei  jur  JRechten  unb  jut  hinten 
feine«  $)aupte«  freien  Sflänber  beö  ©ilbe«,  ftcht  ein  gewi§  Bon  ihm  bem 
befreunbeten  Waler  angegebener  lateinijcher  ©ibelfptuch,  **”  mönthifchet 
SBahlfpruch  befl  ^Reformator« : „In  silentio  et  spe  erit  fortitudo  vestra“. 
— fRach  üuther«  eigener  ©erbeutfthung;  ,0urdj  ©tiUefein  unb  ^loffen 
werbet  ihr  ftarf  fein".  3m  ?lu6truct  feiner  ^hhPosnomie  unb  feinet 
Slugen  fäüt  mir  eine  gewiffe  6mü(hterung  auf.  6r  h“t  beinahe  be« 
„ffieltmann«  ©lief,  aber  boch  noch  be«  Schwärmer«  ISmft."  3a  be« 
©(hwarmer«.  0enn  oot  Äurjem  erft  h®l  b''  ben  proteftantifchen 
gürften  bie  Ifehre  ertheilt,  ihr  8anb  unb  ihre  4>errf(haft,  ®ut  unb  ©lut 
auch  ihrer  Unterlhanen,  bem  Äaifer  wehrlo«  prei«3ugeben,  wenn  er  fie 
angriffe,  unb  auf  @otte«  SBunberhülfe  ju  warten. 

21)  Sltabeniifcte  geftrebe  jur  geier  be«  Bierhunbertjährigen  ©eburt«* 
tage«  Dr.  Wartin  guther«,  am  9.  SRoBtmber,  1883  in  bet  9lifolaiKtche 
ju  ©trafiburg  gehalten  Bon  Sbuarb  5Reu§,  erfchienen  in  S.  g.  ©chmibf« 
Unioerrität«"©uchhanblung. 

22)  ?ll«  bie  ©ulte  burch  (Stfurter  ©uihbtucfet  Berbreitet  würbe, 
nahmen  ©tubenten  bie  jum  ©erlauf  auSgeftellten  Qftemplate  weg  unb 
warfen  fie  in'8  SBoffer.  „68  ift,  fagten  pe  eine  ©lafe,  bulla.  ©te 
mup  fchwimmen."  Unb  bie  SBittenberger  waren  gewiß  nicht  anbet« 
gepnnt. 

23)  ©elbft  auf  ben  fernen  ©ebieten  befl  ©rahmaifimufl,  be«  ©ub« 
bhiflmu«  unb  be«  38lam  brachen  im  XV.  3ahrhunbert  unb  am  Slnfang 
befl  XVI.  gewaltige  reformalctifche  ©ewegungen  au«.  — ©iehe  IRanfe'« 
0eutfche  ©efchiihte  im  Seitalter  ber  ^Reformation,  ©b.  I,  ©.  151  ff. 

24)  „II  arait,“  fagt  ©offnut  Bcn  iljm  „une  eloquence  admirable, 
qui  entrainait  les  peuples“.— 

(236) 

^rtid  cen  Wflr. Ungrr  (2t.  (Orimm),  «ttUn  HW.,  17a. 


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lieber  bns;  ISorbommen 

unb  bie 

€ntftel)un0  ht^  €tdöb. 


SBün 


Dr.  fi.  Ut)lig, 

^riDatbocent  an  ber  Unioerfität  in  äüten. 


2)iit  jwei  in  b«n  2ejt  gcbiudtcn  ^>o4f(^nitten. 


ßrrlin  SW.,  1884. 

aSetlag  Don  Sari  J^abcl. 

(t.  ((.  Xäkrrih'sdli  StrlD|9bml)||inilqne.) 

33.  S}il^clm*£tTa^(  33, 


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2)aö  bet  Ueberiefeung  in  frembe  ®prad)en  roirb  öotbe^alteit. 


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33efanntli(^  ift  ba8  (Srböl  erft  Dor  ungefähr  fünfunbjwan« 
313  Sagten  in  ben  ÄreiS  berjenigen  9latut^>robufte  cinbe3ogen 
worben,  weld^e  ber  5J?enfd^  gum  3»e<Ie  cultureller  33erwenbung 
in  grölerem  3I2aa§e  au8beutet.  Slro^bem  ^at  e8  feiltet  in  wirf^« 
ft^aftlidjer  J^infidjt  eine  fe^t  SBebcutung  erlangt  unb  man 
mufe  gcfteljen,  bafe  bie  ©efc^td^te  feiner  Gewinnung,  feiner  8u8* 
beutung  unb  ^erwenbuug  einen  nid^t  unwid^tigen  unb  uninter» 
effanlen  J^eil  ber  ©efcbidjte  ber  raateriellen  Gultur  in  ber 
3weiten  Jpälfte  unfere8  Jj^r^unbertS  bilbet. 

2)o8  SJorlomnten  »cn  @rböl  unb  bem  bamit  na^e  ner» 
wanbten  9l8pl)alt  unb  @rb^ar3  mar  bem  9JJenfd)en  frcilidj  fd^on 
feit  ben  älteften  Seiten  belannt,  aber  e8  würben  biefe  SRatur* 
;>robucte  nur  in  fe^r  untergeorbneter  SBeife,  meift  aI8  Schmier» 
mittel  ober  9lr3nei  au8genufet.  3eugni§  hierfür  legen  fd^on  bie 
3a^lreid^en  Ort8nomen  in  aQen  Grbölreoieren , namentlich  in 
©alisien  unb  ^Rumänien  ab,  bie  con  bem  SSorfommen  biefer 
mertmürbigen  fDiineralförpet  l)cr3uleiten  finb,  unb  au8  bem  claf* 
fifchen  3Uterthum  liegen  fogar  l)iftorifche  JDaten  über  bie  23er« 
wenbutig  non  ©rbcl  unb  3ieph“it  bor.  Sodh  erft,  al8  e8  im 
Sahre  1859  in  ^Jennfploanien  gelungen  war,  burd)  Jiefbohrungen 
bebeutenbe  2Rengen  non  Petroleum  bem  ©chofee  ber  @rbe  ab» 
3ugeminnen,  unb  al8  man  faft  gleichseitig  in  Slmerifa  unb  in 
©alisien  gelernt  hatte,  au8  bem  [Rohöl  ein  nl8  2eud^ftoff  brauch* 
bare8  IDeftillationeprobuct  hf^juftellen,  entftanb  mit  wirflidh  un« 

XIX.  439.  1*  (S39) 


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4 


erhörter  [Rafd^^cit  bie  eigentliche  ^etroleuminbuftrie  unb  aflcnt» 
halben  cetlAafite  baS  Petroleum  ©ingang. 

Schon  bie  eigenthümlichc  ©ejchidhte  bc8  ^ctroIenmS  fidhert 
biefem  raerfwürbigen  5Rineralförpet  ein  tegcS  Sntercffc,  unb 
biefeS  wirb  überbieg  noch  babuTch  nicht  wenig  erhöht,  ba^  {ich 
auch  jahlreiche  intereffante,  wenn  auch  {chwicrige  wiffenfchaftliche 
fragen  an  {ein  SSorfommen  unb  {eine  Gntftehung  anfnüpfen. 

@8  ift  natürlich,  ba§  man  311  beginn  ber  fünftlichen  @c< 
winnung  be8  ©rböl8  mittels  Sohtung  unb  @^a(htabtäu{ung 
noch  unflare  unb  unrichtige  SSorfteBungen  übet  bie  9ltt  {eines 
SBorfommenö  unb  bamach  auch  {einen  Ursprung  hat*««  mu§te. 
Seither  haben  {ich  aber  un{ere  bieSbegüglidjeu  ©rfahrungen  unb 
^eoba^tungen  in  auheroTbentlicher  9Bei{e  oermehrt,  unb  eS  mag 
nun  einiges  3nteref{e  barbieten,  mit  ben  geläuterten  wi{{en{dhaft» 
liehen  ISnfchauungen  barüber  befannt  gu  werben. 

2)ie  9lnwe{enheit  oon  Siohöl  unb  nerwanbten  Äohlenwa{{er» 
l'to{{Derbinbungen  in  ber  ©rbtinbe  oerräth  bie  9iatur  bem  SDien{dhen 
in  mannigfaltiger  SBeifc.  9ln  cin3elnen  Drten  treten  an  ber  £)ber» 
fläche  Don  SBaf{er{hiegeln  fleine  Sln{ammlungen  oon  ©rbcl  auf, 
welche  {ich  burch  ih^e  irifirenbe  Färbung  unb  ben  intenfloen  ©eruch 
leicht  fenntli^  machen.  Üln  anberen  £)rten  quiBt  baS  ©rbol 
birect  aus  ber  ©rbe  hei®or,  ober  ftatt  beffen  beobachtet  man 
fortbauernbe  3lu6{trömungen  non  Äohlcnwafferftoffgafen,  welche 
angegünbet  brennen  unb  bie  {ogenannten  ewigen  Seuer  bebingen. 
Unterfucht  man  bie  SteBen,  welche  burch  ^aS  Auftreten  oon 
©rböl  auSgegeichnet^finb,  etwaS  näher,  {0  finbet  man,  ba§  hi®f 
entweber  eine  mit  Del  bur^tränfte  ©efteinfehichte  gu  Sage  auS: 
geht  ober  aber  nur  eine  fecunbäre  Snfiltration  oon  Del,  beffen 
eigentlicher  Si$  in  größerer  üiefe  gelegen  ift,  oorliegt.  3m 
erfteren  gaBe  fennt  man  bann  bereits  bie  Oelf^ichte,  im  Unteren 
wirb  man  biefelbe  erft  burch  Bohrungen  ober  Ülbtäufungen  oon 

(*tOJ 

\ 


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5 


©d^dc^ten  aufgu|u(^en  ^abcn.  ©erattige  OeIf(!^td^ten  ^abcn  tn 
aflen  bisset  beobachteten  gdllen  gewiffe  ©igenthümlichfeiten  ge» 
meinfam;  fie  »erben  immer  »on  ©efteinen  gebilbet,  beren  3u= 
fammenhang  nicht  gan^  liidfenloS  ift,  »te  »on  ©anben,  ©anb> 
fteinen,  Gonglcmeraten  ober  fanbigen  ©chiefern,  3»ifth^*' 
etnjelnen  Äornern,  bte  ein  folcheS  ©eftein  jufammenfehen,  be* 
finben  fich  ftete  »erhältnigmähig  gro^e  ^ohlräume,  »eiche  gänj» 
lieh  mit  Del  unb  Delgafen  erfüllt  erfcheinen.  ©a,  »o  ©palten 
unb  J^Iüfte  ben  ©chichtenbau  burchfehen,  »irb  baS  Del  ald  ein 
leicht  bemegli^er,  fpeetfifeh  leichter  unb  unter  hohet«  ©tuefe 
ftehenber  Körper,  »ohl  auch  ber  Delfchi^te  in  bie  Älüfte 
gelangen  unb  bort  aufgcfpeichert  »erben  fönnen.  ©crartige  öl» 
führenbe  ©chichten  fonnten  fid^  ju  allen  3«ten  ber  ©rbgefchichie 
unb  in  ben  »erf&iebenften  S3iIbungSräumen  abgelagert  ho^^n. 
3n  ber^h^t  finben  »it  bie  Delnorfommniffc  auf  aQe  gormationen 
unb  ade  5£heile  ber  ©rbe  geitlich  unb  räumlich  »ertheilt,  »enn 
auch  nt<ht  aOe  bie  gleite  »iffenfchaftliche  unb  nationalöfc^nomifche 
SBebeutung  in  Slnfpruch  nehmen  fönnen;  fo  fommt  ©rböl  oor 
in  SRorbamerita,  im  Äaufafien,  ©alijien,  fRumänien,  Dberungarn, 
im  @lfa§  unb  im  norbmeftlichen  ©eutfchlanb,  in  Dberitalien, 
im  ^enbfehab,  in  33irma  unb  manchen  anberen  ©egenben.  ©ie 
»idhtigften  biefer  33orfommniffe  »ollen  »ir  in  Äurjem  fennen 
gu  lernen  »erfuchen  unb  beginnen  in  ber  ©chilberung  ber  Del» 
regienen  mit  bet  ölteften  unb  »or  furjer  3eit  noch  »ichtigften, 
bet  »on  9lorbamerifa. 

3n  9iorbamerifa  tritt  baS  ©rböl  namentlich  in  5 ©ebieten 
auf;  in  bet  ©egenb  »on  ©nniöfillen  in  ©aitaba,  gmifchen 
bem  ^)uron»  unb  ©riefee,  im  Se^irt  »on  ©aSpö  in  3Rotb  = 
©anaba  an  bet  dRünbung  beö  8a»renceftromed,  in  ^enn» 
fplnanien  gmifchen  bem  ©tiefee  unb  ^ittöburg,  in  Dhio 
unb  ®irginien,  unb  enblich  in  Äentudp  unb  iJenneffee. 

(Sii; 


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6 


^it  ^jluSna^me  beS  untergeorbnelen  93orfommenä  Don 
liegen  aQe  biefe  (Gebiete  »efiltdi  nom  9lQeg^anp=@ebiTge.  SBenn 
man  non  bet  Cftfüfte  '^mettfaS  gegen  bad  innere  bed  8anbeS 
gu  fcTtfc^reitet,  fo  gelangt  man  befanntlicb  in  bad  oon  SW  nadb 
NO  ft(b  ^injie^enbe  aileg^an9*@ebirge,  wel^eä  au8  einet  3ftei^e 
fe^r  tegelmä^iget  Bulben  unb  ©ättet  befielt,  an  beten  3ufam« 
men|e$ung  bie  probuftine  Äoblenfctmatiou  mit  üielen  Äoblen» 
ficken  einen  ^eroonagenben  Sint^eil  nimmt,  ^at  man  biefeä 
@ebitge  über jc^ritten , fo  befinbet  man  ficb  im  ^lateaulanbe 
9lotbametifa’8,  »o  alle  ©cbicbten  eine  faft  ganj  fla^e  Lagerung 
jeigen.  2)emgemä§  mürbe  fidj  bnS  8anb  al8  eine  (äbcne  bat» 
fteOen,  menn  ni(bt  butcb  bie  ^lu^audmafcbung  ^Hceauunterfcbiebe 
gefd^affen  mütben.  3n  ber  bcifolgenben  ^rofUlfijje  3eigen  bie 
©(bii^ten  bet  JDeutlicbfeit  megen  einen  oiel  ftarferen  @infa(10» 
minfel,  als  in  bet  9iatut,  mo  baS  @infaOen  ein  faum  merfli^ed 
ift.  ©ie  bajelbft  aufftetenben  Formationen  jtnb  bie  Äoljlen» 
unb  namentli^  bie  ©eoonfotmation.  ©ie  leitete  ift  auS» 
fd^lie§(id)  Trägerin  bet  @rbö(ootfcmmniffe.  *jlI0  baS  ältefte 
beoonifcbe  ©c^it^tfpftem  [teilt  fi^  bie  fogenannte  ßotniferouS» 
©tuppe  bar,  meldbe  au8  einem  canernöfen  Äalfftcin  mit  ja^l» 
reichen  ÄotaQentcften  unb  .^)orn[teinen  bcfteht.  Stuf  biefe  folgt 
bie  ^amilton>©ruppe,  auS  grauen  unb  fc^mätjli^en,  bitu» 
minöfen  ©cbiefetn  beftebenb,  unb  barauf  miebet  bie  (Sbeniung* 
©ruppe,  bie  au8  ©(^iefetthonen,  ©cbiefern,  @anbfleinen  unb 
Konglomeraten  gufammengefe^t  ift.  ©ie  ©ho>nunggruppe  mitb 
gemöhnlicb  oon  ben  braunen  ober  fchmar^en  ©chiefetn  beö  @ub» 
carbon  unb  biefeS  oon  bet  eigentlidhen  ©teinfohlenfotniation 
mit  Kohlenflözen  überlagert.  fUlacht  man  einen  ©urc^fchnitt 
oonn  Knni Stillen,  ber  Celregion  Kanaba'S  nach  ^SO  gegen 
f>ittsburg,  fo  erhält  man  baS  beiftehenbe  fchematifche  93ilb  / 

(8ig.  1). 

(2«) 


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7 


'pennfplD anien  gewinnt  fein  Del  auö  bet  (S^emung* 
@iu^^e,  (Sanaba  au8  ben  geologifc^  älteren  halfen  bet  @oi« 
niferou8»@tut5pe.  3n  ben  fc^watgen  ©(liefern  unb  Sinnen 
ber  @^etnunggruppe  finben  fi(^  nämlic^  einjelne  ©d^ic^ten  non 
©anbfteinen,  ©anben  unb  Konglomeraten  eingelagert,  bie  flc^ 
buTC^  i^ten  Delteic^t^um  au8jeic^nen.  @en>ö^nli(^  metben  in 
ben  Delfc^ädjten  brei  berartige  ^orijonte  non  ©anb  ober  ©nnb* 
ftein  angettoffen,  welche  al8  bet  1.,  2.  unb  3.  Delfanb  bejeidjnet 
werben.  JDiefc  Delfonbe  galten  febod^  nir^t  auf  weite  ©treden 
^in  an,  fonbern  fte  feilen  fi<^  halb  früher,  halb  fpäter  nad) 
allen  fRi(^tnngen  ^in  au8  unb  fteQen  fo  wa^re  8infen  bat.  fDie 


Sig-  1. 


P = ^obuct.  ®tetnfot|lrnform.  S = @ubcaibon.  Ch  =(S^emunggruppe. 
H = .J)amilton9runpe.  (’o  = ßorniferouögruppe  (nac^  ^>öfer.) 


in  ben  netfc^iebenen  @egenben  nad^  einanbet  etbo^tten  btei  DeU 
fanbe,  beten  Delteid^t^um  mand^mal  ein  riftaunlid)  großer  ift, 
entfprecben  einanbet  nicht  gang  genau,  ba  bie  Delfanbe  in  ben 
netfchiebenften  Sagen  bet  gefammten  Kh^munggtuppe  anfe^en 
fönnen.  fDa8  9tohöl  be8  obetften  DelfanbeS  i^  immer  bunfel, 
bicf^üffig  unb  Deihältni^mä§ig  reichet  an  ben  fchweteren  Sohlen* 
wafferftoffnerbfnbungen,  wie  ?)aTafin,  e8  ift  meifi  fog.  ©chmierßl, 
währenb  baß  Del  bet  tieferen  .^>origonte  meift  li^tgtün  gefärbt 
unb  bünnflfiffiger  ift  unb  norwiegenb  au8  ben  leichteren  ^ohlenif 
waffetftoffoerbinbungen,  wie  ?)etroIeum,  Sengin  u.  f.  w.  beftebt. 

üu^et  Siohol  liefern  manche  Delbtunnen  auch  Delgafe  in 
f ehr  heTOonagenbet  SRenge,  manche,  bie  fogenannten  ©aßbrunnen 

(S43) 


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8 


liefern  nur  Delgafe.  Sluö  einigen  ©djädjten  ftrömt  baö 
unter  großem  3)ru(fe  in  riefigen  Quantitäten  ^eraufl  unb  wirb 
3ur  Beleuchtung  unb  Beheizung  non  Stabten,  alö  motorif^e 
Äraft,  ober  bei  metaDurgifchen  ^rogeffen  in  henjorragenber  SBcife 
»ertuenbet.  SRerfioürbig  ift,  ba^  baS  an  oielen  Stellen 
burcb  mehrere  3ah^^e  binburch  anbauemb  aubftrömt,  ohne  bag 
fidh  eine  Berminberung  feiner  Quantität  »ahrnehmen  lie^e.  $Da 
man  in  bcrartigen  jebimentären  Schi«hten»  wie  m ber  ßhemung» 
ober  ,^amilton>@ruppe  feine  größeren  |)ohIräume  erwarten 
fann  unb  berglei^en  auch  »ie  erbohrt  »urben,  mu^  man  »ohl 
annehmen,  ba^  biefe  @afe  unter  hi’hem  IDrude  innerhalb  ber 
boröfen  Sanbfteine  unb  auf  Heineren  Älüften  in  hochaefpanntem 
Suftanb  angefammelt  ftnb,  ähnlich  »te  bie  ©rubengafe  in  ben 
Kohlengruben.  SBirb  eine  berartige  Schichte  angebohrt,  fo  ent» 
binben  ftch  biefe  @afe  unb  bringen  mit  einer  Kraft  in’8  §rcie, 
bie  ihrer  Spannung  entfpricht.  IDiefe  @afe  finb  e6  »ohl  audh, 
beren  3)rucf  baS  UeberqueUen  be0  Qelcfl  über  ben  Schachtfrang 
erzeugt.  Bei  ber  faft  ooDfommen  horijontalen  Schi^tenlage  unb 
bem  allfeitigen  9lu0feilen  ber  Qelfanbe  ift  ba0  Berfommen  oon 
QelfpringqueQen  nur  auf  biefem  ^ege  unb  nicht  burch  hP^to° 
ftotifche  ©efe^e  ju  erflären.  @ine  bet  berühmteften  biefer  Spring» 
quellen  »ar  8abp»^unter»SBell,  4 km  oon  ^etrolia  (Sitp.  9ia<h 
halbftünbiger  Oiuhe  lie^  fich  au0  ber  Siefe  be0  Bohrloche0  ©e> 
töfe  oernehmen,  bann  ftieg  plö^lich  ein  großer,  mächtiger  Qel» 
ftrahl  bl0  ju  3 m in  bie  ^)öhe,  in  wenigen  SOlinuten  trat  aber 
wiebet  Diuhe  ein.  3n  ben  erften  Stagen  foll  betfelbe  Brunnen 
täglidh  4770  hl  Oel  geliefert  haben. 

SDie  Qelmengen,  welche  viele  pennfploanijdhe  Brunnen  ge» 
liefert  haben,  finb  überhaupt  erftaunlich  gro|e.  fRamentlich  gu 
Beginn  ber  Qelgewinnung , al0  bie  oerfchiebenen  Qelterrain0 
noch  a^  jungfräulich  gu  nennen  waren,  fonnte  bie  ^u0beute  eine 

(»4«) 


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9 


au^erorbentlic^  gtc^e  genannt  metben.  @e»5^nHd^  liefert  ein 
Brunnen  eine  befdjränfte,  halb  längere,  halb  fürjere  Seit  lang, 
gro§e,  glei^bleibenbe  Delmengen,  nach  Berlauf  einiger  äBoeben 
ober  iDionate  nimmt  bie  Quantität  bed  gemonnenen  Siobftoffed 
immer  me^r  ab,  bis  fdblie^licb  naeb  ebenfalls  febr  oerfcbieben 
lang  anbauernbrr  |)robuctiDität  ber  Qeljuflu^  ganj  oerfiegt.  lDur^< 
jcbnittlicb  bleiben  bie  Qelj'cbäcbte  nic^t  me^r  als  2 — 3 Sa^re 
ergiebig.  @S  ift  jelbfioerftänblicb , ba^,  trenn  auf  einen  unb 
benfelben  Qelfanb  mehrere  Bohrungen  in  geringer  (Entfernung 
Bon  einanber  in  bie  Siefe  gebrocbt  »erben,  bie  Delmengen  in 
ben  einzelnen  berfelben  oerbältniSmä^ig  geringer  finb. 

iBaS  bie  räumtlicbe  SluSbebnung  beS  bcnnfploanifcben  Del« 
gebieteS  anbelangt,  fo  beträgt  biejelbe  ungefähr  8064  qkm,  mo« 
pon  fi(b  aber  nur  ungefähr  ber  je^nte  SUjeil  alS  mirtlid)  ergiebig 
ermeift.  fRamentlicb  gu  Beginn  ber  DelauSbeutung,  als  man 
noch  nidbt  genügenbe  Erfahrungen  über  baS  geologifche  lUuftreten 
beS  Petroleums  gefammelt  »urbe  bie  !fluSbehnung  ber 

Delterritorien  überjd)ä^t  unb  gar  oiele  ©Rächte  unb  Bohrungen 
»urben  oergebenS  in  bie  ^iefe  gebracht.  Snnerhalb  beS  penn* 
fploanifchen  DelgebieteS  unterfcheibet  man  »ieberum  gwei  $aupt« 
Ölregionen,  bie  fogenannte  obere  unb  bie  untere.  3)ie  erftere  ift 
om  Dil  creef  gelegen  unb  wirb  befonberS  burdh  bie  ©täbte 
SlituSoiQe,  Dil  dtp,  Petroleumcentre,  Sibcont,  pieafantoiHe  ge« 
!enngeichnet.  Bon  hier  auS  nahm  bie  amerifanifthe  Deletrploitation 
ihren  älnfang  unb  bie  ©churfthätigfeit  mar  \)in  in  ber  erften 
Seit  ber  Delinbuftrie  eine  überaus  lebhafte,  ©päter  menbete 
man  fich  mehr  ber  unteren  Delregion  am  9lQeghanprioer  mit  ben 
^auptorten  Petrolia  unb  Samrenceburg  gu  unb  biefe  ift  gegen« 
märtig  bie  michtigere  unb  probuctioere. 

IDaS  canabi|(^e,  gmifchen  bem  |)uron«  unb  bem  Eriefee 
gelegene  Eebiet  ift  Biel  Heiner  unb  meniger  ergiebig,  alS  baS 

(»4i) 


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10 


|)ennf9(Dani)d^e.  Unter  einer  gtemlic^  mächtigen  ^ede  eines  bldu« 
licken  bUunialen  S^i^neS  liegen  bie  @d)iefer  ber  ^ami(tongrub))e 
in  geringer  ÜHdc^tigfeit  unb  barunter  bie  canernöfen  l^oraQenfalfe 
ber  ßorniferouSgruppe,  »el(^’  Untere  bie  eigentlichen  Jräger  beS 
canabifchen  @rböIS  bilben.  Suueilen  tritt  baS  Del  auS  ber  6or> 
niferouSgruppe  h^^duS  unb  fammelt  fich  in  halb  größeren,  halb 
fleineren  ültengen  gaifchen  bem  biluoialen  ^hi’ne  unb  bem  feften 
©ebirge  an;  bie  urfprüngliche  ^agerftätte  bilbete  bie  (SorniferouS« 
gruppe.  IDaS  canabifche  @rbö(  ift  Diel  parafftnreicher,  als  baS 
pennfplDanijche,  unb  erfc^eint  häufig  mit  faighaltigem  SBaffer  Der* 
mifcht.  @S  enthält  ferner  merfliche  9)lengen  Don  @chn>efelDer* 
binbungen,  welche  Beimengung  feine  ©rauchbarfeit  als  ©rennöl 
Dermintert,  aber  wie  wir  fehen  werben,  Don  einigem  wiffenfchaft* 
liehen  Sntereffe  ift.'. 

SDte  gweite  canabifdhe  Delregion  liegt  bei  ©aSpö  an  ber 
SÖeftfeite  beS  ©olfeS  Don  @t.  gawrence.  35aS  @rböl  tritt  hier 
in  (Schichten  auf,  bie  geologifch  noch  älter  finb,  als  bie  beDonifdjen 
Delfchichten  in  ^ennfplDanien  unb  ©nniSfiÜen,  nämlich  in  ^alf* 
fteinen,  bie  berf!ower.^elbeTberggruppebeSDbeTfilur  angehören.  3n 
öfonomifcher©egiehung  hat  biefeSBorfommen  gegenwärtig  faft  gar 
feine  ©ebeutnng,  aber  eS  ift  feines  geologifch  fehr  h^h^n  ÜllterS 
wegen  in  wiffenfchaftlicher  ^inficht  beachtenSwerth-  ©emerfenS* 
werth  ift  ferner,  ba^  bafelbft  foffile  fUtolluSfengehäufe  ber  ©at« 
tung  DrthoceraS  auS  ber  ©ruppc  ber  Äopffufeler  (lintenfifche) 
gefunben  werben,  beren  ^ohlräume  mit  biefem  Del  unb  ©rbwachS 
auSgefüÜt  erf^einen.  fUlan  l}dt  biefeS  ©orfommen  übrigens 
auch  anberwärtS  beobachtet. 

3n  9lorb*  unb  Süb*Dhio,  unb  in  SBeftoirginien  tritt 
baS  Petroleum  unter  ähnlichen  geologifchen  ©erhältniffen  auf, 
wie  in  ^ennfploanien.  Sluch  hi^i^  erfcheint  eS  in  ber  ©h<niung* 
gruppe,  hült  fich  aber  bemerfenSwerther  SBeife  nicht  an  regel* 
<»«) 


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11 


mä^tße  ginfen  con  ®anbe«  unb  Sanbfteinen,  fonbern  ift  in 
Spalten  unb  Klüften  angefammelt  unb  jvar  namentlich  ba,  wo 
ftch  bie  leiteten  tu  ben  fogenannten  Schidjtfätteln  porfinben. 
2)ie  obetften  8agen  bet  ^amiltongtnppe,  bie  fch»arjen  Schiefer 
@eneffee=3one  entgolten  bafelbft  eine  erftaunliche  ültenge  pon 
Dcigafen  unb  Situmen.  3)ie  @afe  treten  jutteilen  in  natürlichen 
DueQen  ju  £age,  »erben  aber  h^uptfächlidh  fünftlich  burch  Soh« 
rungen  geiponneu  unb  wie  in  ^ennfplpanien  technifch  perwerthet. 

iDaS  Del  pon  Äentucfp^Senneffee  ift  ein  fchwereö,  burch 
Sdh®efel  perunreinigteö  Schmieröl,  »elchefl  iu  fchworjcn  Schie» 
fern  her  5DePonformation  porfommt.  3n  wirthfchaftlicher  ^)in* 
fidht  ift  auch  biefeg  füblichfte  ber  amerifanifchen  Delgebiete  biS> 
her  nicht  befonberö  h«®orgetreten. 

SBir  »öden  nun  baö  föiutterlanb  ber  'Jletroleuminbuftrie 
petlaffen  unb  unfl  einem  anberen  Dclgebiete  3uwenben,  »elchcö 
ebenfaClä  erftaunliche  Delmengen  probucirt,  nämlich  Äaufafien. 
3n  ttirthfchaftlichet  SSe^iehung  ftel)t  biefefl  (ärbölgebiet  bem 
amerifanifchen  »enig  nach,  unb  auch  in  »iffenfchaftlicher  ^)inficht 
bietet  e8  fehr  piel  3nterreffante8  bar.  2)a8  altberühmte  ©ebiet 
pon  IBafu  auf  ber  .palbinfel  ^pfcheron  befinbet  fich  am  öft> 
liehen  @nbe  beö  ^aufafu8,  erftiecft  fich  aber  noch  mehrere  ülteilen 
füblich  am  Ufer  beS  Äagpifeeö.  2)a8  »eftfaufaftfehe  ©ebiet  be» 
ginnt  auf  bet  palbinfel  Äertfch,  finbet  feine  gortfehung  auf 
ber  palbinfel  Slaman  unb  erftreeft  fich  Pon  ba  am  fltorbabhange 
be§  jfaufafuS  in  einer  ^änge  pon  ungefähr  24  beutfehen  fSteilen 
unb  einer  Sreite  pon  ungefähr  einet  beutfehen  9Jieile  nach  Oßen. 
3n  biefem  ©ebiete,  in  ber  be8  Blümchens  .^uba  Jfo 

(fRaftathal)  tourbe  im  3ahre  1866  eine  tBohrung  angelegt,  welche 
ein  auherorbentlich  günftigeS  IRefultat  ergeben  hot-  S3ei  123  $ug 
i^iefe  erhielt  man  einen  Springquell  Pon  @tböl  pon  14  §u§ 
pöhe,  welcher  währenb  jwei  SÖoehen  täglich  1500 — 1600  ©imet 

(V47) 


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12 


mit  SBaffet  gemifd^t  unter  Begleitung  »on  heftigen  @a8» 
ouejtrömungeu  geliefert  ^at.  ©aö  SRo^r  »erftopfte  fic^  unb  man 
bohlte  bal)er  weiter  unb  erhielt  bei  182  gu^  2iefe  abermals  einen 
©pringqueH  »on  40  8u§  ©prungböbe,  welcher  täglid)  me^r  alfl 
3000  @imer  gn  ©age  fßvberte.  9Jacb  abermaliger  Berftopfung 
beS  Bcljrloibä  unb  weiteret  gortfe^ung  ber  Bohrung  entftanb  bei 
242  gufe  Stiefe  gum  britten  'Dliale  eine  ©pringqueDe,  welche  nun 
gar  5000  6imet  täglidb  awf  bie  Dbetflä(be  brachte.  Badb  einiger 
Seit  nahm  aber  bie  ©prungbeb«  “nb  gleicbgeitig  baS  Delquantum 
bebeutenb  ab.  ©iefer  ©pringqueü  im  Äuba  Äo  bat  im  ©angen 
in  57  ©agen  ni(bt  weniger  alfi  82  452  ®imer  9iob5l  gu  Jage 
geförbert.  BicbtSbeftoweniger  b^>t  baS  wefttaufafifcbe  Delgebiet 
um  unteren  Äuban  bocb  nicht  fo  gro|e  praftifcpe  Bebeutung  ge® 
wennen,  als  man  utiprünglicb  erwartete,  gerneve  Petroleum« 
tevvainS  finben  ficb  in  ber  Umgebung  non  JifliS,  bann  am  Je» 
retfluffe,  norböftlicb  non  SBlabifawfaS  unb  enblicb  bei  ©et» 
bent  unb  ^etronSt  am  Äaöpijee. 

Unter  ben  faufafifcben  Delterritorieu  ift  baS  non  Bafu, 
an  welches  auch  bie  Snfel  Jfchelefen  im  ^aSpifee  angereibt 
werben  fann,  wobl  baS  befannteftc,  gegenwärtig  wichtigfte  unb 
om  meiften  unb  längften  auSgebeutete.  ©ie  .^albinfel  Slpf^eron 
beftebt  aus  geologifch  fcbt  jungen,  weichen  tbonigen  unb  fanbigen 
©chichten  bet  jüngeren  Jertidrpctiobe.  SBäbrenb  in  Smerifa 
bie  ölfübrenben  ©chichten  non  febr  b‘>bctn  geologifchen  Üllter  fich 
etwiejen  haben,  finb  eS  b'«  geologijth  febic  j“«ge  Ablagerungen, 
bie  in  jo  bcbeutenber  Sölenge  mit  Del  förmlich  getränft  finb,  ba^ 
felbft  eine  längere  unb  jebr  intenfioe  AuSnü^ung  ben  unter» 
irbifchen  ©egen  noch  nicht  erheblich  betabminbern  !onnte.  ©ie 
Unterlage  beftebt  \)itx  auS  oolitbifchen^alfen  mit  gabireichen  mifro» 
ffopijchen  Berfteinerungen  (Foraminiferen),  welche  bet  im  füb» 
liehen  fRuhlanb  unb  in  Cefterreich  febr  neibreiteten  fogenannten 

(MS) 


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13 


farmatifc^cn  ©tufe  anae^ören.  5)atübet  felgen  bie  mufcbelteitben 
©anbe,  2^one  unb  ©anbfteinc  bet  fogenanuten  pentifeben  ©tufe 
((Jongcrienfdjic^ten),  wel^e  meutere,  gemö^nllc^  3 ölfübtenbe 
©anbfteinlagen  enthalten.  3n  t^rer  unteren  ^artljie  finb  fie  rcic^ 
an  ftefeligen  ©inlagctungen.  3d)  will  glei<^  ^tet  bemerfen, 
bafe  aud)  bie  Oelreic^tbümet  SiurndnienS  an  ©c^idjtcn  beffelben 
geologtfdben  9llter8  gebunben  finb  unb  überhaupt  bie  ©rbolDct» 
fonimniffe  Äaufafienö  mit  benen  pon  SRumönien  unb  nä(bftbem 
Don  @ali3ien  bie  meifte  ISe^nlicbfeit  b^ben.  ®a8  Oel  tritt 
hier  fdjon  in  bet  geringen  Siefe  con  10—40  m auf,  rodbrenb  in 
ämetifa  erft  in  ber  Jiefe  non  100 — 180  m bebeutenbe  Oelmengen 
eneiebt  werben.  IDic  gewonnenen  Oelquantcn  finb  natürlicb, 
wie  überall,  ortlicb  »etf^ieben,  bo(^  oetbdltni8md§ig  fe^t  bebeutenb. 
@0  ergab  ein  Oelbrunnen  einige  3«it  täglich  nai)  ober» 

fldcbliibet  9lbjcbd$ung  25  000  ^uD  (1  ^ub  = 16,38). 

SBie  in  anberen  Delgebieten,  finb  audj  bic^  SpringqueDen, 
intermittirenbe  Duellen  unb  ©aSauäftrömungen  ju  beobachten,  ja 
bie  leiteten  genießen  fogat  eine  biltorifcbe  Serübmtbcit.  5)ie 
©aSqueHen  treten  öftliib  oon  Safu,  in  ©furaebanp  auf,  fie  finb 
ei,  weltbe  bie  f^on  feit  3abTh“**berten,  angebli^  feit  920  n.  6bi^-f 
unauSgefe^t  in  SBtanb  befinblicben  bfiüfl««  Beuct  fpeifen,  gu 
welchen  ehemals  gro§e  ©chaaren  inbifcher  Feueranbeter  roallfahr» 
teten.  3ut  @thaltung  biefeS  merftoiirbigen  SReligionSfuItuS  biente 
bet  Jempel  unb  baS  .ftlofter  atfdjega.  |)eute  h^i  fid)  bieS  frei* 
li^  erheblich  gednbert,  benn  eS  würbe  bort  eine  Petroleum» 
raffinerie  aufgeftcQt,  welche  bie  ©aSauSftrömungen  gut  ©rheigung 
bet  Utaffineriefeffel  auSnü^t.  !Da8  Älofter  ftcht  nun  giemlid) 
Derlaffen  ba,  nur  ein  einjamer  inbifcher  Feueranbeter  feil  eS  noch 
bewohnen,  unb  bem  ^nblifum  gegen  ein  Saffchifch  bie  ©etemonie 
feines  ©otteSbienfteS  gut  Slnfchauung  bringen.  IDie  SWenge  beS 

gu  ©futachanp  auSftrömenben  ©afc8  ift  eine  fo  bebeutenbe,  bah 

(«») 


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14 


aufeet  ben  flammen  bc0  tnbifd^en  jfloftetbtubcrS  unb  ben  für 
ben  93etrteb  ber  ^abrif  not^wenbigen  (SaSquantitäten  aud^  no^ 
mehrere  au0  aufrecht  ftehenben  etfemen  fRöhren  h^i^auStretenbe 
glammen  gefpeift  »erben,  bie  beß  fRachtß  bie  Beleuchtung  ber 
Jfabriföanlage  cerfehen. 

Stuwer  ben  grc^artigen  @aßenianationen  finb  eß  namentlich 
bie  (S^lammnulfane,  bie  imDelgebiete  nonBafu  unferSnter« 
effe  in  Slnfpruch  nehmen  unb  bie  namentlich  bc»  Sala^ann,  nörb» 
lieh  non  33afu,  auftreten.  5Die  ©chlammnulfane,  beffer  ©alfen 
genannt,  finb  niebrige,  fraterähnliche  ©^lammfegel,  »eiche  t>on 
3eit  3u  3eit  Schlamm  unb  ©efteinSftücfe,  nermengt  mit  faljigem 
SBaffer  unb  @tbel  unter  Slußftremungen  ton  ÄDhlenmafferftoff» 
ga(en  außmetfen.  2)aß  bunfelbraune,  biefflüffige  6rböl  jehmimrat 
in  bet  Siegel  in  runben  Se^en  auf  bet  Oberfläche  ber  ätrater» 
flüffigfeit  unb  »iib  beim  Ueberpie^en  berfelben  an  ben  iflbhängcn 
ber  Salfe  abgelagert.  2luf  biefc  Söeife  bilben  fich  manchmal 
red)t  mächtige  Slblagerungen  einer  fchmarjeu  pechartigen  äRaffe 
in  ber  Umgebung  ber  Salfen.  Stach  allem,  »aß  man  bißher 
über  bie  mertmürbige  Staturerfdjeinung  ber  Salfcn  »eip,  barf 
man  biefelben  feineßmegß  mit  ber  ed)t  nulfanijchcn  Slhätigfeit 
bet  @rbe  in  3ufammenhang  bringen.  Sie  finb  cielmehr  auf  baß 
Borhanbenjein  gemiffer  »eid)er  Schichtgefteine  non  tertiärem 
iSlter  unb  beren  ho^ent  ©ehalt  an  ÄDhlenmafferftoffnerbinbungen 
gegrünbet.  55ie  h*^h«  ©aßfpannung,  bie  unter  günftigen  Um» 
ftänben  babei  gut  @nt»idlung  femmen  fann,  bemirft,  bap  örtlich 
balb  bauernb,  halb  nur  geitmeilig  Schlamm  unb  ©efteine  in 
bet  befchriebenen  Söeife  außge»orfen  »erben.  Sludh  aufÄertfeh 
unb  2aman  erjeheinen  Schlammnulfane  alß  Begleiter  ber  Äoh» 
len»Qfferftcfffühtung  ber  bärtigen,  ebenfallß  geologifch  jungen 
S^ertiärfchichten. 

Sluperbem  ift  baß  oftfaufafijehe  Oelgebiet  auch  ^ur^  baß 

(2SO) 


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15 


SSotfommen  Bon  ©aljquellen  unb  feine  Umgebuna  burc^  fcviö 
auftreten  ^ei§et  Quellen  auflaejeic^net.  IDieje  legieren  bürften 
abet  n>ol)l  ni^t  ald  eine  mit  Dem  Delreicbt^um  jufammen^änaenbe 
@tfd)einung  aufaefafet  »erben,  fie  ftnb  ein  ganj  felbftänbigeö, 
unab^änaiaeS  ^i^änomen. 

®ie  j£emperatuv  beb  aub  terfd^iebenen  liefen  ^eraufgcljolten 
Siotjolb  ift  eine  unaleidje;  bie  Sc^manfungen  ftnb  aber  ni(^t 
bebeutenb,  baS  Slemperaturminimum  beträgt  et»a  14°,  bad 
9Rarimum  22,5°  H.  2)ie  Untere  Temperatur  ift  aber  im  23afuer 
IDiftrihc  eine  feiten  oorfommenbe  audna^me,  in  ber  fRegcl  fcb»anft 
bie  Temperatur  bei  ben  Berfd^iebenften  übrigens  BerbältniSmä^ig 
ftets  unbebeutenben  Tiefen  a»if^en  14°  unb  19°,  fie  überfteigt 
aifo  bie  in  93afu  ziemlich  beträc^tlid^e  93obentemperatur  nid^t 
erbeblid)  (2—3°).  @S  »urbe  fogar  ein  BaO  namijaft  gematzt, 
»D  bie  Temperatur  ber  IjerBorqueflenben  fRapl}t^a  nur  7°  erreichte, 
alfo  »eit  l^inter  ber  burc^fc^nittlid^en  IBobentemperatur  gurürf« 
blieb. 

3n  ©ejug  auf  bie  burcbfcbnitilic^e  djemifebe  öefebaffenbeit 
be«  9iobCMö  ftebt  iöafu  ben  meiften  anbern  Oelgcbietcn  et»aä 
natb,  benn  bie  bortige  fJtapbtba  ift  raeift  fe^r  fcb»cr,  buufel 
gefärbt  unb  feljr  reich  an  fcb»even,  cidjten  Äcblen»afferftDff* 
Berbinbungen,  »ie  Paraffin,  daneben  fommen  »0^1  auch  b«Ue 
Delforten  Bor,  »ie  befonbetS  ju  Sfuta^ani).  3m  allgemeinen 
ift  auch  baS  Del  ber  oberen  ©ebiebten  ein  febttereö 
©cbmtcrol,  unb  biebter,  alS  baS  bet  tieferen  f!aacn,  boeb  er» 
leibet  biefe  Siegel  auch  manche  auSnabmen. 

IDie  überreichen  Delmengen  oon  33afu  haben  bisher  baupt» 
fädblicb  ben  Sebarf  beS  rufficbeu  fUiarfteS  gebeeft:  eine  eigene 
BlottiQe  bringt  baS  Del  Bon  Safu  bie  ääolga  aufmärtS  bis  in 
baS  ^>erg  beS  ruffifeben  IReicbeS.  3n  neuerer  Seit  beginnt  eS 
ficb  »obl  auch  febon  jum  Tbeil  in  fBiilteleurcpa  feft^ufeben. 

(251) 


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16 


Seim  9iaffinerieproce§  bei  Safuet  Delcfl  bleiben  giemlic^ 
grofee  ü)iengen  oon  t^eerartigen  JRficf^Snben  juriicf,  weld)e  wenig 
ober  gar  nicht  verwettbet  werben.  9ludb  ift  bie  Dualität  bet 
•burcbfchnittlichen  Delforten  feine  befcnbetS  gute  unb  ftebt  ber 
weiteren  Setbreitung  betfelben  im  SBege.  3)ic  Safuer  3nbu|triellen 
bieten  nun  aHe  moglidjen  SKiltel  auf,  um  bie  erwähnten  SRücf» 
ftänbe  burch  Gonftruction  befonbercr  Defen  jum  Jpeijen  verwenb* 
bar  3U  machen  unb  burch  ^erftellung  neuer  Rampen  mit  ftärferem 
3uge  auch  *”»t  geringfortigeren  Delen  ein  fchoneS  Sicht  3U  er» 
fielen.  2)em  Sernehmen  nach  foÖen  au^  bereite  jiemlich  be» 
friebigenbe  Stefultate  erreicht  worben  jein.  @0  fpemt  bie  jRatur 
ben  9)ienjchen  ju  fortwährenben  Serbejjerungen,  gu  jtetem  »ort» 
jehritt  an. 

Slnbcre  Serhnltnifje  treten  unö  in  ben  ©rböl^onen  ber 
galijijehen  Karpathen  entgegen.  IDie  gewonnenen  Delmengen 
ftnb  bajelbft  freilich  oerhältniSmähig  gering,  nichtSbeftoweniger 
bieten  bie  galijijehen  (ätböloorfommnifje  »iel  Snterejjanteö  bar. 
3n  ©nlijien  h^t  man  jehon  frühgeitig  Setjuche  gemacht,  bie  bet 
bäuerlichen  Seoölferung  befannten  ©puren  non  ©chmieröl 
auSgubeuten  unb  in  ber  5lhat  gelang  eS  bem  iSpothefer  unb 
nachherigen  ^etroIeuminbuftrieQen  Sufajiewicg,  baraud  Srennöt 
hergufteHen , furge  3«t  benot  noch  ©illiman  in  Slmerifa  ben 
jRaffinetieprogeh  entbeeft  hatte. 

IDie  überaus  gahlreichen  ^unbpunfte  non  Petroleum  ner» 
theilen  jich  auf  bie  gangen  Äarpathen;  bie  bie  leiteten  gujammen« 
je^enben  Schichten  jinb  in  allen  ^heilen  ber  galigifchen  Äarpathen 
jo  gleichförmig  entwicfelt,  ba§  fich  bie  Delfühmng  an  vielen 
Drten  wieberholt.  5Die  gleichartige  3ujommenjehung  ber  ©chi^» 
ten  bebingt  eS,  ba§  bie  Ä'arparthen  im  allgemeinen  ein  überaus 
einförmiges  ©ebitge  hüben,  ©ie  beji^en  burchfchnittlich  eine 
^öhe  non  300 — 1500  m unb  finb  auS  gahlrei^en,  langgeftreeften, 

(JSS) 


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17 


fc^malen  ©ebirgSju^en  gufammengefebi  9{amentlidb  in  £)ft> 
golijicn  ijt  baö  @ebirfl6prei(^en  ein  erftaunli^  regelradfeigeö, 
ade  (^ebtrgStü(fen  cerlaufen  linear  unb  faft  ganj  genau  non  SW 
na(b  NO  unb  la{|en  fic^  »ft  meilenweit  verfolgen.  3)em  ent* 
jprecbenb  ift  au(b  ber  geologifcbe  Sau  ein  fel)r  gleicbförmiget 
unb  regelmäßiger.  3n  SBeftgaIi3ien  geßt  baS  Streicben  allmäblicb 
in  bad  oftmeftlicbe  über,  unb  bie  ©ebirgöjüge  geigen  leinen  fo 
anbaltenben  unb  regelmäßigen  Serlauf.  2)ie|ee  große  eintönige 
Jtettengebirge,  welcbeö  fi(b  bur<b  bie  Sufowina  in  bie  dUolbou 
unb  SBalacßei  fortfeßt,  befteßt  auöfcbließlicb  aud  äußerft  fofftlarmen 
fanbigen  Scßiefern,  ©anbfteinen,  tßonigen  ©(ßiefern,  unb  bitu* 
minöfen  ©dbiefern  mit  ^)ornfteinen,  welcße  gum  2ßeil  ber  Äreibe» 
formation,  gum  Sßeil  bet  älteren  2:ertiärformation  angebören 
unb  burdb  einen  eigentbfimli^en,  gemeinfamen^abituöauggegeicßnet 
finb.  ORan  fann  biefe  ©efteine  übet  ©cßlefien  unb  dRäßren 
nacß  0^lieber»  unb  Dberöfterreitß,  wo  fie  ben  nörblicßften  ©aum 
ber  ^Alßen  bilben,  unb  von  ba  in  bie  ©cßweig,  ja  felbft  in  bie 
SlVVenninen  verfolgen.  3«  ber  ©^weig  ßaben  fie  bie  Se* 
geicßnung  „glpfcß",  in  ©beritalien  ,3Racigno",  in  Oefterreicß 
„SEßiener  ©anbftein",  in  ben  Äarpatßeu  „Äarpotßenfanbftein" 
erßalten.  3!ßte  ©efammtbefdbaffenßeit  ift  eine  fo  fonberbate, 
ißre  Serbreitung  eine  fo  große,  — fie  finben  ftjß  nämlicß  aucß 
in  ber  gangen  Salfanßalbinfel,  in  ^leinaften,  im  ^aufafuS,  — 
baß  eS  vieDeiißt  vetloßnen  bürfte,  einige  SBorte  batüber  gu  vet* 
lieren.  IDie  ßervoTftecßenbfte  ©igentßümlicßfeit  biefer  fogenannten 
Slpfcßgefteine  ift,  baß  fie  auf  ben  ©dßicßtoberfläcben  merfwürbige, 
auffatlenbe  äBülfte,  Sßatgen  unb  anberweitige  meift  giemlicß  regel* 
mäßige  Figuren  erfennen  laffen,  bie  ficß  in  ben  meiften  $äQen 
einer  näßeren  S)eutung  gwar  ßartnädiig  wiberfeßen  unb  baßer 
woßl  aucß  „.^ieroglppßen"  genannt  werben,  aber  bocß  woßl  als 
©puren  eßemaligen  t^ebenö  angufeßen  finb.  Sußerbem  finbet 

XtX.  m 2 (253) 


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18 


man  faft  überaQ  bie  fogenannten  Bucoiben,  b.  t.  baumförmtg 
»eräftelte  3«(i^nungen,  bie  man  ftüljer  alfl  iSbbrürfe  non  ^langen 
gebeutet  ^at  unb  neueftenS  al@  @))uten  non  93ol^igäugen  f^lamm* 
bemol^nenbet  SEBürmei  anjuje^en  geneigt  ift.  SBocbenlang  fann 
man  in  ben  ^arpatl^en  urn^ermanbern,  o^ne  ein  anbered  @e> 
fiein,  als  berartigen  „glpfd^*,  gu  begegnen. 

(Sfl  ift  begreifiitb , ba§  bie  Olieberung  biefer  einförmigen 
@eftein§grufpen  eine  fe^r  fi^mierige  unb  etmaS  unfid^ere  fein 
mu§.  fRid^tdbeftoweniger  ift  ed  aUmä^Iic^  gelungen,  nerfd^iebene 
@d)i(^tcomple^e  non  cinanber  gu  unterf^eiben  unb  i^rem  geo« 
logifd^en  9lter  nac^  gu  beftimmen.  (Sbenfo  einförmig  mie  bie 
geologifc^e  Sufammenfe^ung  ift  aud^  bet  geologifdbe  Sau  bet 
farpat^ifcben  $Ipf(^gone.  IDie  @(^ic^ten  fallen  nämlicb  in  bem 
gangen,  meutere  fKeilen  breiten  ©cbirge  faft  ftetd  mäj  SW  ober 
S ein  nnb  festen  in  golge  »ieber^olter  galtenbilbung  in  bem» 
felben  ^aut)tbur^fd)nitt  fe^r  oft  mieber. 

IDad  @rböl  ift  in  ben  ^arpat^en  nur  in  gemiffen  @c^i$t* 
grunpen  enthalten.  2)ie  muffigen,  mäibtige  Sänfe  bilbenben 
unb  meift  bie  @ebirgdfämme  gufammenfe^enben  @anbfteine  bet 
mittleren  Äreibe  unb  bed  oberen  Dligocaen  fmb  noUfommen  oel» 
frei,  »0^1  ober  finbet  fic^  baffelbe  in  fc^iefrigen  ©anbfteinen, 
melcbe  in  bet  Siegel  meidben  bläulidben  unb  röt^li^en  Simonen 
eingelagert  finb.  Derartige  ölfü^renbe  ©(biibten  geböten  geo» 
logif^  jum  Dbeil  ber  ^reibeformation  an,  mie  bie  fo» 
genannten  Siopianlafcbicbten,  bie  na^  ber  altbefannten  |)e» 
troleum  fü^renben  Sofalität  Siopianfa  bei  Dufla  benannt  finb, 
gum  D^etl  bet  @ocaen»  unb  Dligocaenformation.  3m 
allgemeinen  fann  man  bie  Seobadbtung  machen,  ba§  bie  geologif^ 
älteren  £)ele  ber  Siop{anfaid)i(bten  l;od)gtabiget,  geller  unb  pe* 
troleumrei^er  finb,  ald  bie  jüngeren  bed  ©ocacnd  unb  Dligocaend, 
bie  fid)  meift  ald  fc^toete,  bunflr,  paraffinteid^e  SDele  ermeifen. 

(»M) 


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19 


35a8  geologiid^e  Auftreten  beS  @rböl8  in  ©alijien  bietet 
man(be  Sinalogien  ju  ben  amerifaniftben  unb  faufafifcben  33et« 
bältniffen  bar.  3lucb  biet  tft  ba8  Del  an  i5oröfe  ©anbfteine  ge= 
bunben  unb  witb  meift  non  mebt  ober  minber  ftarfen  Delgajen 
begleitet,  beren  ßntwicfclung  juweilen  eine  i'o  ftarfe  ift,  ba^  fie 
betn  (Grubenarbeiter  ben  Aufenthalt  im  0cbadbte  unmöglich  macht 
unb  bamit  auch  bie  SBeiterfühtung  ber  @chachtanlage  nerhinbert. 
Auch  in  tätigten  ift  an  ein3elnen  Socalitäten  ein  Ueberquetlen 
be8  Del8  über  ben  ©cha^tfranj  norgefommen,  wenn  auch  feine 
berartig  ftarfen  ©pringqueHen  entftanben  finb,  wie  in  9lorb» 
ametifa  ober  in  Äaufafien,  2)ie  Detmengen,  welche  bic  farpa» 
thifchen  Delterrain8  geliefert  hoben,  finb  freilich  niel  geringere, 
als  bie  ber  amerifanifchen  unb  taufafifchen  @ebiete.  Auch  in 
ben  Itarpathen  ma^t  man  bie  (Erfahrung,  ba§  namentlich  jene 
©Rächte,  bie  anfangs  befonbet8  auffallenb  gtofee  Delmengen 
liefern,  mit  ber  3eit  ihre  (Grgiebigfeit  cerminbern  ober  felbft 
gänzlich  verfiegen.  (Daneben  giebt  e8  aber  auch  wenig 
©chödhte,  bie  fchon  feit  Dielen  Sahren,  10  unb  barübet,  regel» 
möfeig  nicht  unbebeutenbe,  wenn  auch  “ff  bet  Seit  geringer 
wetbenbe  Duantitdten  Del  geben. 

(Daburch,  bafi  ölführenbe  ©chidhten  angebohrt  ober  abgebaut 
werben,  ift  bem  im  ©efteine  unter  (Drutfe  aufgefpeicherten 
Dele  ©elegenheit  jum  Austritte  geboten  unb  ba8  Del  fammelt 
fich  in  ber  Slhot  om  Soben  bc8  SBohrlocheS  ober  be8  ©chachteS 
an  unb  wirb  nach  einiget  Seit  ouSgepumpt.  (Durch  ba8  ein« 
malige  AuStreten  be8  Del8  au8  ben  $oren  be8  ©anbftein8  wirb 
aber  ba8  ftatifche  ©leichgewicht  in  ber  Delfchichte  geftort  unb  e8 
mufebaS  Del  au8  bet  ferneren  Umgebung  allmählich  an  bie  AuSflufe* 
fteCle,  wenn  biefe  wiebet  frei  geworben  ift,  na^ftrömen.  (58  ift 
flat,  bah  ber  Deljufluh  fich  um  fo  mehr  Detringern  wirb,  je 

länger  biefer  ^roceh  fortgefetjt  wirb.^jpat  ber  Deljufluh  gänzlich 

2*  (««) 


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20 


aufge^ört  ober  ift  er  {o  gering  geworben,  ba§  er  bte  Arbeit  ntd^t 
tne^r  lo^nt,  bann  fe^t  man  in  ber  Siegel  bie  bergmännifdbe 
Slrbeit  fort,  um  oietleicbt  abermals  ein  Oelnioeau  angutreffen 
IDieS  ift  benn  audb  häufig  ber  $all,  äbnlidb,  wie  in  ISmerifa, 
wäbrenb  aber  bie  fogenannten  IDelfanbe  S>ennf9(oanienS  räumlich 
befcbrönfte  ginfen  bnrfteHen,  [treiben  bie  @cbi(bten  in  ben  Äat» 
patten  oft  filometeiweit  mehr  ober  minber  regelmäßig  fort.  9iur 
macht  man  häufig  bie  raerfwürbige  99eobachtung,  baß  biefelbe 
Schichte,  bie  an  einer  gewipen  8ofalität  alS  feht  ölreich 
erweift,  in  ihrer  gortfeßung  im  Streiken  ooHfommen  fteril  unb 
unergiebig  ift.  fDtanchmal  dnbert  p4)  bie  ^etrographpche 
©efchapenheit  eines  ganjcn  an  einet  beftimmten  gofalität  öl» 
füßrenben  ^ori^onteS  im  Streichen  in  einet  bem  Oeloorfommen 
fo  feßr  abträglichen  SBeife,  baß  febwebc  Delfüßrung  aufßört 
2ille  bisherigen  Erfahrungen  jeigen,  baß  bie  ergiebigen  Delan» 
lagen  genau  bem  Streichen  ber  ölfüßrenben  Schichtcomplere 
folgen.  IDa  nun  baS  Schichtftreichen  in  ben  ^arpatßen  im  Sil» 
gemeinen  faft  ftetS  oon  SO  nach  NW  gerichtet  ip,  fo  Peßt  man 
häupg  eine  Slnjoßl  oon  SBoßrungen  unb  Schachtanlagen  in  biefct 
Slichtung  linear  aufeinanbet  folgen,  welche  alle  bapelbc  Schießt» 
fpftem  auSbeuten.  @8  pellen  pcß  auf  biefe  Söcife  fogenannte 
Dellinien  ober  Delgonen  h«,  SBorhanbenfein  feßon  gu  S3e» 
ginn  bet  ^etroleumgewinnung  erfannt  würbe;  nur  ßat  man  an» 
fangS  h^upg  auch  Deloorfommniffe  in  eine  i^inie  ober  3one 
gufammengegogen,  bie  thatföcßlich  auf  ungleichartige,  geologifcß 
oerfcßiebenaltrige  Seßießtgtuppen  begrünbet  waren. 

SUie  bie  Delmengen  in  ben  galigifcßen  äSarpathen  geringer 
Pnb,  als  in  ben  oorßin  befeßriebenen  ©ebieten,  fo  treten  aueß 
bie  Delgafe  in  geringeren  Quantitäten  auf;  boeß  fennt  man 
fünfte,  wo  ©aSemanationen  ftattpnben.  2lu^  in  ©aligien  fanb 
man,  baß  baS  fRohöl  h^upg  oon  falgßaltigem  SBaPer  begleitet  wirb. 

(S56) 


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21  ‘ 


®te  galigtfc^en  Oelfunbpunfte  ftnb  )o  3a^lreicl^,  ba§  e8  nic^t 
möglich  ift,  ^iei  ade  namentlich  aufjufähren.  3u  ben  älteften 
unb  betannteften  gehören  in  SBeftgali^ien:  Söbtfa,  SRoptanfa, 
©iarh,  gibujcha,  gi^jtnfi,  {)arfloma;in  Dftgalijien:  ©loboba  tun» 
gurflfa,  f)olana.  2Da  p(h  bie  Äarpathen  mit  bet  nämlichen  geo» 
logifchen  3u{ammeniehung  aud^  über  bie  ungariich'galijifche 
Qjtenje  nadj  Dbcrungarn  fortfehen,  fo  trifft  man  auch  einjelne 
Delnotfommniffe  an. 

SRoch  ein  michtigeö  ©ebilbe  jeichnet  fich  in  ©alijien  burch 
reiche  ÜJiineralführung  au§,  nämlich  bie  fogenannten  ©aljthon» 
fchichten.  5)er  ©aljthon  gehört  Der  dJMocaenftufe  ber  jüngeren 
Sertiät3eit  an  unb  bildet  einen  jchmalen,  faft  noDfommen  3ujammen> 
hängenden  ©treifen  am  9lcrbranbe  bet  Äarpathen,  ber  [i4  au8 
©chlefien  nach  ©aligien  unb  in  bie  Sufomina  fortfeht  unb  fich 
non  hi«  in  bie  ÜJtolbau  unb  SBalachei  netfolgen  läfet.  Sahlteiche 
Sotfommniffe  non  @9p0,  ©teinfal3  unb  ©al3quellen  gei^nen 
biefeS  ©ebilbe  auä  unb  haben  ihm  feinen  Sdamen  gegeben.  @o 
gehören  bie  altberühmten  ©alinen  non  äBielicgfa  unb  93o^nia, 
bie  gahlreichen  ©algfoolen  OftgaligienS  unb  auch  bie  ©chmefeU 
läget  non  ©gwobgoroice  bei  SBielicgfa  biefer  gormatian  an.  3n 
Oftgaligien  ift  biefelbe  aber  auch  durch  i>i«  Rührung  non  ©rböl 
unb  ©rbwachS  aubgegeichnet.  5Da8  Untere  wirb  auch  Dgoterit 
genannt  unb  ift  ein  bräunlicher  ober  gelber,  fnetbarer  Äörpet 
non  »achSartiger  Äonfifteng.  9lach  ihr«  h^i'i^äwphifth«”  3u» 
fammenfehung  befteht  bie  miocaene  ©algthongruppe  gumeift  au8 
bläulichen  ober  bunten  ®anben  unb  ©anbfteinen,  bie 

mit  benen  ber  geologifch  älteren  j^arpathengefteine  gumeilen  eine 
auffaDenbe  Slchnlichfeit  haben. 

SDa8  6rbmach8  findet  fich  befonber8  in  ber  gocalität  93otp6« 
lam  bei  IDrohobpcg,  roo  e8  gu  einem  fieberhaft  betriebenen  Staub» 
bau  ber  merfmürbigften  9Irt  ^3nlaff  gegeben  hat.  3)a8  michtigffe 

(J57) 


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22 


iDeftiOationSpTobuIt  be§  (SrbiDac^jed,  bad  fogenannte  6etiftn,  bet< 
mog  nämlic^  bo8  SicnenwadjS  in  allen  feinen  SScraenbungen  »oH» 
flänbig  ju  erfe^en  unb  ift  habet  »tel  billiger,  ba^er  bet  gto§e  Sert^ 
beffelben  unb  bic  bebeutenbe  Ulaebftage  barnaA.  SBä^renb  ba8 
gali^iftbe  'Petroleum  bie  ©rennen  be0  ?anbe8  faum  überfdbreitet,  unb 
im  ganbe  felbft  nur  jur  bie  Äonfunenj  mit  bem  amerifa» 
nifeben,  faufartftben  unb  rumdniftben  £)ele  auSjubalten  oermag, 
finbet  baö  ©rbroadjä  »on  SBcrpölaro  allenthalben  feinen  Slbfa^.  Un= 
gejügelte  ©^jelulation  »etbunben  mit  bem  SKangel  bergrethtlidjer 
Seftimmungen  bradjte  eä  ba^in,  ba§  gu  SBotnSlaw  auf  einem 
glädbenraum  »on  ungefähr  150  3och«”  toeniget  al8  12  000 
0^ächte  meift  in  ber  ungulänglithften  3Beife  augelegt  unb  ba8 
gange  Senain  berartig  nntermühlt  mürbe,  ba^  fe^t,  mo  man  bie 
©chäben  biefeS  (gpftemä  auch  an  Drt  unb  «Stelle  längft  erfannt 
hat,  ein  rationeller  Bergbau  faum  mehr  möglich  ift.  9Bohl  in 
feiner  gofalitdt  ber  alten  SBelt  hot  baö  fogenannte  „Delfiebet"  fo 
eigenthümliche  SSerhdltniffe  gegeitigt,  mie  in  SBorpfllam,  bie  in 
ihrer  Slrt  ben  ametifanifchen  an  fJJlerfmürbigfeit  faum  nachftehen. 
©egenmdrtig  h“t  ^tobuftion  ben  «t)öhepunft  bereits  über» 
fchritten,  ift  aber  immer  noch  beöeutenb  genug  (c.  250000  (5tt. 
©rbmachö  unb  30  000  (Str.  @rböl).  2)ie  Satgthonfehichten  bilben 
in  SotpSlam  einen  beutlichen  Sattel;  benn  pe  fallen  füblich  unter 
bie  fogenannten  fDienilitfchiefer,  du§erft  bituminöfe,  blättrige 
Schiefer  mit  gahlrei^en  fofplen  f^ifchen  unb  mit  |)ornfteinbdnfen 
ein,  bie  h*fr  ben  nörblichften  Äarpathenranb  bilben.  3n  bet 
fDHtte  beä  IReoierö  liegen  bie  Schichten  gimlich  Padh  unb  im 
nörblichen  ^h®’^  beflelben  fallen  Pe  nach  9lorboften.  35ie  Jpaupt» 
tegion  beö  ©rbmachfeö  (DgoferitS)  fdQt  mit  ber  Slchfe  biefefl 
Schichtfflttelö  gufammen  (nergl.  gig.  2).  2)ort  pnbet  pch  bet 
Dgoterit  theilfl  in  bünnen,  ben  Schichtpdehen  parallelen  Sagen, 
theilS  aus  2luSfüllungSmaPe  bon  ^lüpen  unb  gangartigen 

(JM) 


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23 


©^»rüngen,  »eli^e  bad  @eftdn  gerabe  in  ber  @atteItegion  butc^* 
fe^cn.  JDiefe  (edleren  ^aben  oft  bebeutenbe  5)imenfionen  unb 
umfaffen  ben  ^jauptreic^tbum  an  Djoferit.  3n  gröberer  @nt» 
femung  von  ber  ©^eitellinie  erfc^eint  bad  @rbwa(!bÖ  nur  in 
geringer  SJlenge  unb  nod)  weiter  bavon  trifft  man  nur  me^t  @rböl 
an.  Sowie  bicr  in  33orpdIaw,  fo  b^t  man  überhaupt  iu  ben 
J^arpatben,  unb  noch  früher  in  ^merifa  bie  Seoba^tung  gematbt, 
bab  ba8  @rbol  namentlich  in  ber  fJlähe  ber  Slchfen  von  Schicht» 
jätteln  fich  angehüuft  norfinbet. 

ifig.  2. 

m sw 

Hirchtym, 


S = Saljtbonfthichten.  M = 3RenUttl<hiefer  (na^  6.  5K.  ^aul). 


SBir  woQen  unS  nun  bem  ^etroleumnorfommen  von 
3lumänien  guwenben,  baS  in  ber  (enteren  3dt  eine  nicht  geringe 
wirlhfchaftliche  Sebeutung  erlangt  hol*  SBie  betaunt,  ftreicht 
bie  Sanbfteingone  ber  Karpathen  auS  Oftgaligien  über  bie 
0ufowina  in  bie  ÜJiolbau  unb  febt  fich  von  ba  um  bie  oft» 
weftlich  ftrei^enben  trandfplvanifchen  Sltpen  herum  in  bie  SSalachei 
fort.  35a  bie  geologifchen  unb  petrographifchcn  IBerhältniffe 
giemlich  unveränbert  bleiben,  ift  eö  begreiflich,  wenn  auch  ^u» 
mänien  burch  ©rbölvorfommniffe  ausgezeichnet  ift,  unb  biefe  in 

(»59) 


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24 


it)rem  geologifd^en  2(uftteten  oiel  Sle^nlid^teit  mit  ben  galtgtfc^en 
aufmeifen.  S)ied  ift  namentlid)  in  bet  SRolbau  bet  BaD,  mo 
ba8  Petroleum  im  Sejirfe  Sacau  in  mehreren  gofalitäten,  beten 
toici^ttgfte  SJloinefti  ift,  gewonnen  wirb.  £Da8  Del  fdjeint  ^let 
fowo^l  bem  älteren  tertiär,  wie  bem  geologifc^  jüngeren  @al}* 
t^one  anguge^ören  unb  wirb  »ielfadj  oon  @teinfalg  unb  ©alg« 
foolen  begleitet.  6twa8  abweic^enber  finb  bie  SSer^ältniffe  in 
bet  flialacbei,  wo  ba8  Del  in  größerer  fDtenge  oorfommt,  unb 
gtöfetentf)eil8  ben  geologifc^  noc^  jüngeren  Jertiärfcbic^ten  bet 
fogenannten  Songerienftufe  ange^ßrt,  aifo  betfelben  ©tufe, 
wel(ber  ber  gröfete  SEljeil  be8  faufaftfdjen  Dele8  entflammt.  3)a8 
wala(^if(^e  @rbölgebiet  liegt  am  füblicben  !flb^ange  ber  tran8> 
fploanifcben  91l))en,  weldje  au8  benfelben  cretacifcben  ©anbfteinen 
unb  ©(^iefcrn  befielt,  bie  in  ©aligien  mit  bem  Flamen  ber 
0icpianfa«Sd}i^ten  belegt  würben.  ©a8  ©treidjen  biefer  ©(bienten, 
mit  benen  ficb  autb  maffige  ©anbfteine  bet  mittleren  Äteibe» 
formation  uerbinben,  ift  bem  Serlanfe  bc8  @ebirg6famme8  ent» 
fptecbenb  ein  oftweftlidbeö.  ©arau  legen  fidb  jüblicb  in  einet 
febr  breiten  3one  bie  ©ebiebten  bet  miocaenen  ©algformation 
an,  bie  au  mebreten  Drten  butcb  ©algfübrung  bemetfen8wertb 
ift  unb  audb  ©tbölfputen  aufweift,  ©arübet  legen  ficb  enblitb 
bie  geologifeb  uoeb  jüngeren  fogenannten  Songerienfebiebten, 
bie  ben  |)am3tolrei(btbum  bergen,  ©iefe  befteben  in  ihrer  unteren 
Partie  au8  mächtigen,  feintörnigen  mürben  ©anbfteinen,  ©anben 
unb  fanbigen  ©ebiefetn,  bie  an  gewiffen  Drten  wahre  Dellager 
bilben.  ©ie  Delfühtung  ift  namentlich  in  ber  9täbe  ber  ©alg* 
tbonfebi^ten  eine  bebeutenbere  unb  bie  an  oielen  gocalitäten  ge» 
wonnenen  Delmengen  geben  bem  amerifanifeben  unb  faufafifeben 
nicht  Diel  nach.  tBemertengwertb  ift,  ba§  ba8  @rböl  auch  bi<^ 
guweilen  mit  febwefligem  unb  falgigem  SBaffet  gemengt  ift.  ©ie 
wiebtigften  ?)unfte,  wo  ba8  6rbol  gegenwärtig  gewonnen  wirb, 
(*«) 


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25 


liegen  in  ben  S>i[tiiftcn  2)4mbon)i^a,  ^ra^owa  unb  S3ujeu.  3m 
erftgenannten  Diftrifte  ift  bie  SocalitSt  ^olibaffi  mo^l  bie  be* 
fanntefte  unb  ölteic^fte,  im  IDiftrifte  ^ra^oma  gehören  @ämpina, 
an  bei  33a^nlinie  93ufaieft*^Prebeal>^ron[tabt,  Saicoiu,  Sintea, 
2)iaganefe  gu  ben  am  meiften  auSgebeuteten. 

Sßir  woOen  nun  nod^  mit  einigen  Sßorten  auf  bie  @iböl« 
norfommntffe  2)eut)(^lanbä  einge^en,  con  benen  befonberd  bie 
im  norbmeftlid^en  2)eutic^lanb  einige  Seit  lang  bie  ISufmerffam* 
feit  auf  fic^  gelenft  ^aben.  ©(^on  feit  langem  finb  Petroleum» 
norlommen  im  61ja^  befannt,  mo  im  Unter<@lfa^  bei  .^agenau, 
im  Dber»6liafe  bei  tBUftrc^  ©tbölfputen  auftreten  unb  fc^on  fm^= 
geitig  eine,  wenn  auch  nur  geringe  unb  ^auptfäcblic^  auf 
gelichtete  Qiieminnung  ftattfanb.  3m  Dber=@i|a|  gehört  bad 
@iböl  ben  fanbigen  unb  thonigen  ©chichlen  bei  ^ertiärfor« 
mation  an.  ^^nbere  uubebeutenbe  IBoifommniffe  trifft  man  in 
ber  ^falg  bei  fDietterheim,  unb  in  Dberbapern  bei  Siegern« 
fee  an.  3n  ber  leiteten  gocalität  ftnbet  eö  fiel?  in  alttertiären 
„gl9|(h"='®chichten,  alfo  in  berfelben  Ablagerung,  bie  auch  ™ 
ben  galigifchen  jtarpathen  fich  fo  ölreich  ermeift.  SDie  größte 
S3ebeutung  fonnen  mohl  bie  IBorfommniffe  beb  norbmeftlichen 
SDeutfchlanb  beanf^ruchen,  unb  gtnar  namentlich  bie  in  ber  Um« 
gebung  nou  ^annocer  unb  ti^raunjehmeig.  @8  ift  befannt, 
ba^  im  3ahrc  1881  bei  Älein=Debelfe,  in  einer  üocalität,  bie 
mit  bem  ÜRamen  Delheim  belegt  mürbe,  giemlich  bebeutenbe  0te« 
fultate  eigielt  mürben,  melche  au^  ba  ein  mahreb  „Oelfieber“ 
ergeugt  unb  niele  Unternehmungen  in’b  ^eben  gerufen  h"l>^n> 
non  benen  feither  bie  meiften  mieber  aufgegeben  mürben.  SDie 
SSeihältniffe,  unter  melchen  bab  6rböl  htc<^  auftritt,  finb  befon« 
berö  fchmierig  gu  erfennen.  @8  trägt  hlerju  menig  ber 
Umftanb  bei,  bah  auch  geologifche  S3au  bei  @egenb  ein  fehl 
neimicfelter  unb  in  $olge  ber  mangelhaften  Auffchlüffe  unb  ber 

(S61) 


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26 


möd^ttgen  oberflächlichen  IDecfe  Bon  JDiluBialbilbungen  fchwer  ju 
erfennenber  ift.  3n  Delheim  btlben  nach  bet  ©arfteüung  Bon 
9{oelbefe  bie  Schichten  bet  (ogenannten  SBälberthonformation 
einen  @attel  unb  »erben  Bon  ben  ^hotten  ber  unteren  ^eibe 
überlagert.  3)a8  Oel  finbet  fich  hic^  i«  Schichten  be8  SBäl» 
berthone8  Bor,  hoch  gehört  e8  an  anbeten  Socalitäten  »iebet 
anbeten  Schichten  an. 

SBenben  wir  un8  nun  ber  ^tage  nach  bet  @ntftehung 
be8  ^etroleum8  ju.  Seber  Sßetfudh,  biefe  Seofle  ju  beant» 
»orten,  »itb  »chl  junächft  auf  bie  chemifche  Swfammenfe^ung 
be8  ^etroIeum8  IRücfficht  ju  nehmen  haben  unb  fo  muffen  »ir 
un8  »ohl  Borerft  noch  fut^  bamit  befannt  machen.  35a8  IRohöl, 
»elche8  an  ben  Berfchiebenen  Socalitaten  ge»onnen  »itb,  geigt 
feine8»eg8  allenthalben  biefelbe  chemifche  3ufammenfeöung;  e8 
ift  überhaupt  ni^t  moglt^  eine  allgemein  gütige  chemifche  8or= 
mel  bafür  aufguftellen.  2)a8  9iohöl  fleQt  fich  ftet8  al8  ein  @e» 
mild»  Bon  mehreren  Äohlen»afferftoffBerbinbungen  bar,  bie  Ber= 
fchiebene  2)ichte,  Berfchiebenen  Siebepunft  unb  ocrfcbiebene  @nt» 
günbbarfeit  haben.  3)iefe  ÄohlenmafferftoffBetbinbungeu  finb 
berart  befchajfen,  ba§  bie  SIngahl  bet  SBafferftoffatome  einer  fol» 
chen  SSerbinbung  bie  ber  Äohlenftoffatome  ftetS  um  2 überfleigt, 
entfprechenb  ber  Formel  Cn  Pin  + 2.  2)a8  unterfte  ©lieb  bie» 
fet  9ieihe  (CH^),  ba8  befannte  ©ruben»  ober  Sumpf» 

ga8,  fehlt  im  IRohöl,  »ohl  aber  fommen  bie  IBerbinbungen 
C^H,  unb  CgHg  Bor,  bie  beibe  gasförmig  finb,  unb  bei  ge= 
»öhnlichct  Temperatur  ent»eichen.  fDie  SBerbinbungen  CgH,o 
bis  CgjHjg  finb  fümmtlich  f^lüffigfeiten  unb  baS  ©nbe  biefer 
{Reihe  bilbet  baS  fefte  Paraffin.  Die  chemifche  Äenntni§  biefer 
»ichtigen  S3erbinbungen  ift  übtigenS  noch  feineSmegS  gum  boQ» 
fommenen  Slbfchluffe  gelangt;  fo  hat  neuerlich  6 hau  bl  et  im 
{Rohöl  gmei  Süerbinbung8teihen  unterfchieben,  non  benen  bie  eine 

(362) 


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27 


nad)  bet  gormel  C2nH2n  + 2 anbere  nad^  bet  gormel 
CnH2n  + 2 gujammengeji’^t  crf^eint. 

®afl  Sfto^öl  ift  ftetö  je^t  reic^  an  @afen,  enthält  nod^  bie 
bei  geringerer  Temperatur  entjünbli^en  Oele  unb  ift  beS^aib 
äufeerft  feuergefd^tlitb.  Um  biefe  gu  entfernen,  ben  unangene^« 
men  @eru^  gu  befeitigen  unb  bie  fcbmereren  SUerbinbungen 
wie  ?)araffin,  u.  f.  tu.  msm  eigentlichen  SBrenncI  gu  trennen 
untergieht  man  ba6  Sfioböl  einer  mehrfach  unterbrcdben,  ftac> 
tionirten  DeftiHation.  Diefe  aitb  in  eifernen,  mit  fctjlangen» 
förmig  gerounbenen  Äühlreh'cn  nerbunbenenÄeffeln  Borgenommen 
unb  ffihrt  gut  Silbung  Don  Bier  ©ruppen  Don  35efliÜatic?n8* 
probuflen.  Suerft  Dertoffen  bie  JDeftiQaticjnöblafe  jene  leicht 
entgünblichen  unb  leicht  bemeglichen  SBerbinbungen,  bie  man  al8 
@fff*^en  gufammengufaffen  pflegt;  e8  fiub  bieS  h<*uptf5£blich  baö 
Äerofelen,  auch  'i'etroleumäther,  gigtoin,  föagolin  genannt  unb 
ba6  23engin.  2)aö  Äerofelen  h^i  fbccififche  ©ewicht  Don 
0,65  bis  0,7  unb  fietet  bei  40°,  roährenb  baö  Sengin  erft 
gmifchen  100  unb  200°  fiebet  unb  ein  fpecififcheS  ©emicht  Bon 
0,7— 0 74  befi^t.  Seibe  Derbunften  in  ber  freien  2uft  mie  be» 
fanut  fehr  rafch  unb  geichuen  fich  baburch  ou8,  ba&  fie  Sette, 
Dele  unb  bergl.  fehr  rafch  l^fen  unb  efttahiren.  I)ie  gmeite 
©ruppe  Bon  2)eftiIIatiDn8ptobucten  bilben  bie  eigentlichen  Stenn» 
öle,  ^hotf'ä^n»  Äerofin,  raff.  Petroleum.  Sluch  baö  festere  ift 
nod)  ein  ©emenge  nerfchiebener  Ä'ohlenmafferftoffBetbinbungen, 
bereu  fperififcheS  ©emicht  gmifchen  0,76  unb  0,86  fchmanft  unb 
bereu  ©iebepunft  gmifchen  200  unb  300°  f^anft.  IDie  britte 
©ruppe  ton  ©eftiflationöprobucten  bilben  bie  fogenannten 
©olatöle  unb  «Schmieröle  mit  bem  fpecififchen  ©etoichte  ton 
0,8—0,93,  ton  benen  ba8  leitete  gum  Sdjmieren  bet  fJJiafdhinen 
fehr  Bortheilhaft  nermenbet  miib.  Sei  meiterer  Surtfe^ung  beö 
JDeftiHationflproceffeö  erhält  man  gundchft  fehr  paraffinhaltiges 

(26S) 


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28 


Del  unb  enblt(^  bo0  toeifee,  flodfige  ^atafttn  in  feftet  j?orm. 
IDet  aSp^alt»  obet  tbeetartige  0tü(fftanb  wirb  ^&uftg  felbftdn« 
biger  fabiilämä^iget  Se^anblung  untet3ogen;  juweilen  wirb  ec  juc 
Srjeugung  Don  @oaf0  cerweTtbet.  S)ie0  ift  in  j^urjem  bet 
®ang  beS  lDeftiQation0))rccef]e0;  bie  babei  auSfadenben  ^ro« 
bufte  finb  jebccb  ciel  jablreicber  al8  bie  biet  genannten,  unb  ge« 
»if[e  äbdnbetungen  im  SBetfabren  ermöglicben  bie  4>erftellung 
jablreiebet  oetttanbtet  gabcitate,  non  bereu  gcböriget  Suönubung 
gar  oft  ber  ftnanjielle  ßrfolg  bet  JRafftnetien  abbängt. 

2)a0  gewonnene  Stennöl  wirb  nach  Seenbigung  beS  JDe« 
ftidationöoocganged  noch  mit  igcbwefelfäure  gemijcbt,  um  nod; 
oorbanbene,  ftembe  mineralifdbe  Seftanbtbeile  gu  getflören,  unb 
fcbliefili^  ber  ©inwitfung  beS  ©onnenlicbteö  aufigefe^t.  5)ie0 
gef(biebt,  um  baS  Del  gu  bleidjen  unb  ben  etwa  nod)  anwefen« 
ben  @afen  ©elegenbeit  gum  (Sutweicben  gu  geben. 

2)a0  bem  6rböl  oerwanbte  6rbwa(b8  ift  in  (bemifdjer  ^in» 
ficbt  dbnlicb  gufammengefebt,  wie  bafl  @rböl,  nur  wiegt  in  feinet 
3ufammenifbung  bafl  Paraffin  weitaus  oor.  5)ut(b  ben  ®e* 
ftidationSprogeb  erbdlt  man  b<>uptidcbli(b  baS  bem  SienenwacbS 
fo  dbnlicbe  ßerifin  unb  ba8  '»Paraffin,  in  oiel  geringerer  SRenge 
mineralif(be  Dele,  wie  fie  autb  bei  ber  2)eftidation  be0  ©rbölefl 
gewonnen  werben. 

3n  dbnlitbet  SBeife,  wie  au8  IRoböl  unb  Grbwatbfl,  fann 
man,  wie  befannt,  auch  auS  organifdben  Stoffen,  wie  ^olg, 
Äoble,  2orf  burcb  trccfene  35iftidation  uerfcbtebene  Äcblen» 
wafferftoffoerbinbujlgen,  wie  unfer  gewobnlicbfö  8eucbtga0,  Pa* 
■'taffin,  ©olaröl  unb  bgl.  ergeugen.  Seoor  man  nc(b  fRobol  in 
großen  SDfengen  gu  erbobren  wufete,  gab  e0  ja  einen  befonbereu 
Snbuftriegweig,  welcher  auf  bet  ©rgeugung  oon  Paraffin,  So* 
latöl,  3;bcfr  Äoble  unb  Jorf  begrünbet  war.  68 

liegt  nun  gewib  recht  nabe,  angunebmen,  ba^  man  e8  im  6tböl, 

(*M) 


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29 


6tbn>a(^6  unb  ben  oerwanbten  Stoffen  mit  ben  notürliii^en  5De» 
ftiöationätjrobuften  ehemaligen  pflnnjli^en  ober  thierifcljen  8e» 
bend  ju  thun  h^be.  3n  bet  2)^0^  feit  jeher  geneigt, 

ben  Urfptung  beS  @tböI8  in  bieiet  ^Richtung  ju  fucfeen,  bodh  ftnb 
baneben  and)  anbete  SInfchauungen  oerlautbait  morben.  So  ift 
bie  Slnficht  auflgcfproehen  rootben,  bo§  bo8  6rb5l  feinen  Ut» 
fptung  bet  ©manation  au8  größerer  ©rbtiefe  eerbanfe.  JDa» 
na(h  wäre  im  '2luftreten  bed  @rböiS  eine  Stfcheinung  ju  et« 
Tennen,  »eiche  in  ben  Dulfanifchen  $h<3nomenen,  im  ^orfommen 
eblet  fDietaQe  auf  @tjgängen,  heilen  Duellen  unb  @a8e]cha> 
lationen  bie  ndchftcn  Analoga  h^it.  5Ran  Tann  biefe  leitete 
,^p»olhefe  fut^meg  bie  Smanationflhhpothefe  nennen. 

SBir  werben  fehen,  ba§  fich  bie  leitete  au8  oielen  ©rünben 
ale  unhaltbar  etweifen  »ito.  SEBürbe  ba8  ©tbol  »itflich  au8 
größerer  ©tbtiefe  hettühren,  fo  müfete  man  fein  ©tfcheinen  not» 
ttiegenb  in  oulfanijchen  ©ebieten  gu  erwarten  h^^en. 

ÜJlan  fennt  aber  in  SBirflichfeit  feht  gahlreiche  »ulfanifthe 
©ebiete  gang  genau,  ohne  ba§  eß  gelungen  wäre,  eine  berartige 
SBahrnehmung  gu  machen.  ^Die  Dulfanifchen  ©jrhalationen  Wut« 
ben  DielerortS  unterfucht,  ohne  ba^  man  babei  Sohlen« 
wafferftoffe  entbedt  hätte.  Slnberntheiie  finb  bie  ©ebiete, 
in  welchen  gegenwärtig  ©rbol  auftritt,  burchauS  au8  febimentären 
©efteiuen  gufammengeje^t,  auö  ©efteinen,  bie  fich  im  SKeete 
butch  I9nhäufung  Don  IDetrituS  unb  unter  fUlitwirfung  organifchen 
Bebens  gebilbet  haben.  SBir  Tennen  im  .^auTafuS  unb  füblich 
banon  gro§e  ORaffen  oulTanif^et  ©efteine;  bie  ©tbolDorTomm» 
niffe  bepnben  fich  jeboch  nicht  in  ihrer  fRähe,  fonbern  entfernt 
baoon  in  ©ebieten  febimentärer  Statur.  ©twaS  Slehnli^cS  be« 
werft  man  in  ben  .Karpathen ; au^  h‘**^  fommt  baS  ©tböl  feineS» 
wegS  in  ben  ^Regionen  Dor,  bie  Don  Dulfanifchen  ©efteinen  burch* 
btochen  »erben,  wie  in  Schlefieu,  ober  im  Sra^ptgebiete  Don 

(J6S) 


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30 


Dberungant,  fonbern  ftetö  »eit  entfernt  banon.  5n  ©c^leffen 
fennt  man  allcrbtnafl  ©puren  baoon,  aber  biefelben  finb  gegen 
bic  galijijcben  SOorfommniffe  faum  nenncnömert^  unb  fielen 
überbiefl  mit  ben  bortigen  »ulfanif^en  ©efteinen  in  gar  feinem 
Sufammen^ange. 

3m  pftfaufafifd}en  ©rbölgebiete  treten  freilid)  ©tfd^einungen 
anf,  bie  md)t  wenig  gu  ©unften  bet  fogenannten  ©manationd« 
^ppot^efe  fpredjen,  unb  ttjatfac^lic^  fielen  Diele  Sl^eoretifer,  wie 
^rattifer,  bie  il)re  ©tubien  ^auptfäc^Iic^  auf  biefem  ©ebiete  ge» 
macht  hoben,  mehr  ober  minber  auf  bem  93oben  ber  ©manationfl» 
hbpothefc.  @0  erjeheinen  bort  jahlreiche  hei§e  Quellen,  welche 
bieielbcn  Schichten  Durchbrechen,  au8  welchen  baö  ©rböl  ge« 
Wonnen  wirb.  ©a§  gegenwärtig  bie  heifeen  Quellen  mit  ben 
9Japhtho»orfommniffen  gar  feine  S3erbinbung  hoben,  ergiebt 
fich  fchon  barauS,  ba§  bie  Unteren  ftet8  eine  geringe  Slemperatur 
aufweifen,  welche  bie  ©Obentemperatur  faum  um  2 — 3®  über» 
fteigt.  23ieS  macht  wenigftenS  bie  ©ermuthung  fehr  wahrfchein* 
lid),  ba§  ein  Derartiger  Sufommenhang  überhaupt  nie  beftanben 
höbe,  ©ine  anbere  ©tfcheinung,  bie  bei  oberflächlicher  ©etrach» 
tung  bem  Dulfaniichen  ©harafter  ber  91aphtho  baö  SBort  ju 
reben  fcheint,  bilben  bie  fchon  erwähnten  fogenannten  Schlamm« 
Dulfane  ober  ©alfen,  bie  fowchl  im  ©ebiete  Don  ©afu,  al8  au^ 
auf  Äertfch  unb  Staman  auftreten.  2)och  würbe  fchon  im  ©or« 
hergel)enben  betont,  bah  biefe  pfeuboeruptiDen©orgängcfeine8weg8 
auf  bie  eebt  Dulfanifchc  Jhotigfeit  bet  ©rbe  gu  begichen  fei.  ‘ 2)a8 
au8geworfene  SJiaterial  bet  ©alfen,  felbft  ber  Don  ^aterno  am 
Sletna,  befteht  au8  weich  geworbenem  Schlamm  unb  ©anb  bet 
Jertiärfchichten,  welche  ben©obenber  betreffenbenSalgegufammen« 
fe^en,  wie  fich  bieS  au8  ben  ga hiteichen  miftoffopifchen  otganifchen 
fReften  ergiebt,  bic  ©ümbel  Darin  nachgewiefen  hot.  IDie  mit 

auSgeworfene  fRaphtha  unb  bie  ©rholationen  dou  Ifohlenwaffet« 

(»66) 


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31 


ftoffgafen  ^uic^  ben  ui(pTÜngIic^  im  SBoben  tior^anbenen 
@e^a(t  an  biefen  bie  Eruption  mitbeutTfenben  Stoffen  bebingt 
unb  bie  SSulfane  fönnen  bet  Saljen,  bie  in  nuUaniji^en  @e> 
bieten  auftreten,  nur  infofcrn  bei  biejer  ©rftbeinung  betbeiligt 
{ein,  aU  bie  burcb  fie  bebingte  örtli^  er^ö^te  ©rbbobenmdrme 
bie  Serfe^ung  bet  otganiicben  SBetbinbungen  in  ben  halfen 
fbrbert  unb  bamit  ben  ’Ünla§  gu  localer  etuptioer  Sl^ätigfeit 
er^ö^t. 

SSäre  bie  @manationd^ppotbefe  richtig,  bann  müßten  mit 
bad  @rCol  Dor  allem  auf  ben  großen  Sermetfungdfpalten  obet 
in  bet  9iä^e  betfelben  b^tDortteten  {el)en,  maS  tbat{ä(bli(b  but(b* 
and  nicht  bet  SaQ  ift.  äBit  miffen  gmat,  ba§  bad  (Srböl  in  ge« 
miffen  ©djicbten  bauptfä^licb  in  Älüften  unb  ©palten  »otfommt, 
aber  biefe  finb  nur  non  geringer  Sludbebnung  unb  geben  nicht 
übet  bie  ültä^tigfeit  be8  ölteicben  ©cbicbtnerbanbeS  b<naue.  3n 
olreicben  ©cbicbten  muffen  ficb,  mie  bieS  ja  felbftnerftänblid)  ift, 
bie  Dotbanbenen  Klüfte,  bie  in  feinem  ©ebirge  fehlen,  mit  @rböl 
füllen,  ba  fie  ein  fteieö  au8treten  beö  £>el6  au8  ben  Smifcben» 
räumen  beS  ©efteind  geftatten.  tflber  biefe  untergeorbneten 
Klüfte  finb  nicht  gu  nermecbfeln  mit  jenen  großen  Srucblinien, 
melcbe  gange  ©ebirge  burcbfe^en  unb  länge  melcber  bet  3u« 
fammenbang  ganger  Formationen  unterbrochen  ift.  fDiefe  reichen 
in  bet  ^bat  in  bebeutenbe  Siiefen,  menn  fie  auch  oberflächlich 
ni^t  ale  offene  ©palten  gu  erfennen  finb.  ©olche  Linien  burch« 
gieben  bie  ©ebirge  »ielfach  unb  finb  ben  ©eologen  febr  mobl 
befannt,  ohne  ba^  man  jemale  einen  ähnlichen  Bufammenbang 
gmifchen  benfelben  unb  ben  ©tböloorfommniffen  erfannt  hätte, 
mie  er  gmeifeQoe  für  bie  ^b^^tnen  unb  nultanifcben  ©ruptione« 
fteQen  ermiefen  ift. 

5Dae  SBorfommen  bee  ©tboie  in  linearen  3onen  fpricht 
fcheinbar  für  bie  ^erfunft  beffelben  aue  größerer  SÜefe.  9tun 

(SG7) 


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32 


entipridjt  aber  bie|e  lineare  Slnorbnung  bet  DelBotfommniffe 
cineg  Gebietes  jum  S^eil  auch  bem  regelmäßigen  ^ortlaufe  bet 
ölfüßrcnben  <Sd)icbten,  mie  gum  93eifpiel  in  ben  J^arpatßen,  ober 
eö  metben  babur^  bie  3pen  ber  Scbic^tfättei  gelenngeicbnet,  bie 
fidß  mie  mir  gejeßen  ßaben,  burcb  befonberen  £)elrei(^tßum  and* 
geidbnen.  Bumeilen  mag  moßl  au<b  bie  lineare  'jinorbnung  bet 
IDelfunbpunfte  eine  gufäQige  [ein  ober  ei  mögen  audß  manche 
berartige  Sinien  burdb  3u|ammengießen  eigentlich  nicht  gufammen« 
gehöriger  Delpunfte  fünftlich  conftrnirt  jein. 

fehlt  aljo  im  geotogijchen  ätuftreten  beö  @rbö(ö  febe 
thatjächliche  ‘Änalogie  mit  jenen  ©ebilben,  beren  ^>erfunft  au8 
großer  ©rbtiefe  pchergejteDt  ift,  mie  mit  ben  Sulfanen  unb 
^h^imen. 

S)a8  S3othanbenfein  non  maßren  DeQagern,  oon  ölfüßrenben 
Schichten,  bie  fich  burch  bejonbere  petrographij^e  @igenthümli^> 
feiten  non  ben  nichtölföhrenben  beffelben  Schichtoerbanbeö  unter* 
jcheiben,  geigt  gang  beutlich,  baß  bie  Delführung  alS  eine  äßn* 
li^e  ©rfcheinnng  gu  betrachten  ift,  mie  baS  55orfommen  non  bi» 
tuminöfen  Schiefern  ober  non  ©teinfoßlen  nnb  baß  eö  in  feiner 
^nuptmaffe  nur  mit  ©efteinöbilbungSoorgängen  febimentärer 
jRatur  in  33erbinbung  gu  bringen  ift. 

9iut  folgenbe  ©rfcheinungen  »erbienen  noch  unfere  93each* 
tung,  ba  fie  tßatfächlich  ein  non  bem  gemöhnlichen  abmeichenbe8 
SJorfommen  non  Äohlenmafferftoffnerbinbungen  barfteüen.  9Ran 
hat  h'e  unb  ba  bie  ^Beobachtung  gemacht,  baß  fich  biefelben  in 
menn  au^  nur  feßt  geringer  fDienge  in  ©efteinen  nulfanifcßer 
^)erfunft  norfinben,  fo  in  ben  2)ioriten  non  ©aöpö  in  ©anaba, 
in  ßolfteinifcßen  ©ranitgefcßieben  unb  bergl.  ferner  meiß  man 
burch  ^'c$e,  baß  bie  fogenannten  geuer  bet  ©ßimaeta  in  8p» 
den  (Äleinafien)  auf  ©manationen  non  Äoßlenmafferftoffgafen 

berußen,  melcße  au8  einem  nulfanijcßen  ©efteine,  Serpentin,  ßer* 

(268) 


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33 


Bortrcten.  SBenn  aud^  bte  erflercn  SorfommDtfle  »erfd^tebene 
Deutungen  julaffen,  fo  fpric^t  boc^  baö  leitete  fe^r  baffir,  ba| 
tu  ber  ßrtlid)  befc^rönfte  ©manationen  »cn  ÄD^Ienwaf|et» 
ftcfroerbinbungen  Dorfommcn  fcnnen,  bie  oerniut^Üc^  auö  großer 
Jiefe  ^errü^ren.  Wlan  ^at  c8  aber  bann  nur  mit  örtlichen 
jtbeinungen  ju  tl)un  unb  i^re  Statur  ergiebt  je^r  halb  auö 
einer  jelbft  nur  flud)tigen  Betrachtung  beS  geologifchen  Siuf» 
tretenö. 

Der  befannte  ruffifche  ÜRenbelejeff  h^t  fich  bie 

Gntftehung  non  ÄoblentDaflerftoffüerbinbungen  in  großer  6rb» 
tiefe  in  folgenber  Söeife  al8  möglich  gebadet.  5Ran  hat  aßen 
©runb,  im  ©rbinnern  gro^e  Anhäufungen  »cn  SJJetaflen,  na« 
mentlich  oon  6ifen  in  gluthflüffigem  Buftanb  üorau8jufehen. 
SBenn  ba8  @ifen  unb  bie  übrigen  ?0teta[le  in  Batm  »an  58er« 
binbungen  mit  Äohlenftoff  oc^rhanben  finb  unb  SBaffer  Bon  ber 
(Srboberfiächc  gegen  innen  einbringenb  angenommen  ttirb,  fo 
werben  fidh  beim  Bufammentreffen  biefer  Stoffe  nothwenbiger 
Söeife  ÄohlenwafferftoffBerbinbungen  bilben  muffen.  Die  SWen« 
belejeff’fd^e  ^Bpothefe  ift,  wie  man  fieht,  auf  BorauSfehungen 
aufgebaut,  bie  wir  äu§erft  fchwer  gu  beurtheiien  ober  auf  ihre 
OJlöglichfeit  gu  prüfen  in  ber  gage  finb,  fie  ift  aber  jebcnfans 
infofern  intereffant,  weit  fie  einen  ^inweiS  an  bie  ^anb  giefct, 
wie  man  R4  wohl  ba8  Buftanbefommen  örtlicher  (ämanationen 
Bon  ÄohlenwafferftoffBerbinbungen  au8  großer  ßrbtiefe  benfen 
fann. 

Die  beobachteten  erforbern  alfo,  wie  wir  gefehen 

haben,  feineBwegS  eine  Emanation  Bon  Äohlenwafferftoffen  in 
größerem  SKafeftabe,  unb  ber  geologifche  Bau  aller  ©egcnben. 
Wo  größere  Anhäufungen  biefer  Berbinbungen  oorfommen,  wiber« 
fpricht  gerabegu  ben  Borau8fehungen,  unter  welchen  wir  un8 
eine  @manation  benfen  fönnten.  Anberö  nerhält  e8  fich,  wenn  wir 

XIX.  439.  3 (269) 


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34 


auf  bie  Scage  oom  organifc^en  Ursprung  be8  Petroleums 
einge^en. 

Bunäd^ft  unterliegt  eS  feinem  Sweifel»  t>ie  ^erftellung 
oerfd^iebenet  ^o^lenwafferftoffoerbinbungeu,  fomo^l  ber  f(^weres 
reu,  nie  ber  leid^teren  auS  organifc^en  <Subftaujen  t^atf&d^lic^ 
möglich  ift,  benn  mir  vermögen  [ie  in  unferen  ^emifc^en  8a> 
boratorien  burdh  trodtene  5)e[titlation  fomohl  im  Äletnen,  mic 
fabrifSrnäfeig  hetjufteDfU- 

@in  ähnliches  IRefultat  fonnte  mohl  ait^  bie  9fatur  im  IBer« 
laufe  ber  unenblich  gro§en  Seiträume  ber  @rbgefchidhte  ^u  ©tanbe 
bringen,  menn  auch  ber  IQorgang,  ben  fie  einfehlug  nicht  gang 
bemjenigen  entfprach,  ben  mir  in  unferen  SBerfftätten  einhalten. 

©omie  mir  baS  @rböl  in  allen  Boimationen  vorfinben,  non 
ber  älteften  bis  gur  füngften,  fo  begegnen  mir  auch  in  allen 
©chichtgruppen  ülblagerungen,  bereu  IReichthum  an  IBitumen 
ein  auhergemöhnlicher  ift.  @S  finb  namentlich  ©dhiefer  unb 
^alfe,  bie  fich  in  biefer  IRidhtung  auSgeidhnen.  ©ie  oerbanfen 
ihren  @ehalt  an  Bitumen  gmeifeDoS  ber  Berfe^ung  berfelben 
iOtganiSmen,  beren  ^arttheile  in  oerfteinertem  Buftanb  in  biefen 
bituminöjen  ©dhichten  enthalten  ftnb. 

SDerartige  ©djiefer  finb  g.  33.  bie  bituminöfen  ©chiefer  bet 
(Shemunggruppe  unb  ^amiltongruppe  IRorbamerifaS,  bie  beS 
oberen  8iaS  von  IBürttemberg,  bie  beS  8iaS  im  ungar.  S3anate, 
bie  farpathifchen,  obetbaprifdhen  unb  elfäffif^en  IDienilitfchiefer 
mit  ihren  gahlreidhen  ^ifchreften  unb  eS  märe  ein  leichtes,  biefe 
8ifte  vielfach  gu  vermehren. 

5)ie  farpathifchen  SKenilitf^iefer  finb  gumeilen  fo  reich  an 
S3itumen,  bah  pe  inS  geuer  gemotfen,  brennen;  eS  fann  mohl 
faum  begmeifelt  merben,  bap  bie  gahlreidhen  ^ifche,  beren  ©fe« 
lette  in  verfteinertem  Bupanbe  biefe  ©chiefer  enthalten,  urfptüng» 
lieh  baS  33itumen  geljefert  haben.  3m  SQßörttembergifchen  8iaS 

C*70; 


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35 


finb  ed  ebenfaüS  »orwiegenb  6e^^alo))cben  unb  )oa]^i< 

fdbeinli^  in  erftcr  ginie  and)  bie  großen  ©eerc^jtitien,  bie  unter 
bem  9tamen  ber  3^t^bcfauren  befannt  finb,  beren  SBei^< 
löt^jer  in  Äc^lentoafferftoffuerbinbungen  übergegangen  pnb.  »JJlan 
bat  bie  merfwürbige  93eoba(btung  gemacht,  bab  bei  ben  grb§e> 
ren  älteren  3nbi»ibuen  ber  Scbtbpofauren  burcbauS  bad  @(bmanj« 
enbe  ber  SBirbelfäuIe  nach  unten  gefnidt  ober  gebrochen  erfcheint 
unb  bat  bied  babin  gebeutet,  bah  bie  älteren  3chibb‘’fQU'^cn  offen: 
bar  gettfloffen  befeffen  haben  muhten,  bie  »ermöge  ihrer  ©dhmete 
nach  bem  Slobe  bet  bctreffenben  ibif^e  baS  6nbe  ber  SBirbel» 
fäule  fnicfen  fonnten.  IDet  betfib>nte  8.  oon  Such  b^t  fcbon 
in  ben  breifeiget  Sabren  biefeS  Sabtbuabertö  ben  bob«n  53l> 
tumengebalt  bet  oberen  8ia8)chiefer  mit  ben  inneliegenben  ülbiet* 
reften  in  urjächlichen  Sufammenbang  gebracht,  unb  feitber  würbe 
wohl  faum  Don  3emanbem  bie  IRichtigfeit  biefer  Slnfchauung  in 
3weifel  gejogen. 

2)er  ©itumengehalt  ber  württembergifchen  unb  Sanater» 
8ia8fd)iefet  ift  ein  fo  grober,  ba§  man  frübeter  Seit  baraufl 
Paraffin  unb  ©teinöl  fabrifflmähig  berfteDte. 

5)ie  fcbon  erwähnten  Orthoceren  au8  ber  filurifchen  2ten* 
tongruppe,  bei  benen  in  ber  SSobnfammer  an  ©teQe  beS  bie° 
felbe  ebemaU  bewobnenben  ^btereS  eine  Heine  {Quantität  @rböl 
ober  ülSph^lt  oorliegt,  bie  auch  anberwärtö,  wie  im  fogenannten 
baltij^en  ©ilur  9torbeuropa'8  gefunben  würben,  beweifen  wobl 
auch  beutlich  genug  nicht  nur  bie  iDtöglichfeit  bet  Umwanblung 
organifchet  ©ubftanj  in  Äoblenwafferftoffoerbinbungeu,  fonbern 
auch  bie  Slb^itfÄchlichfeit  biefeS  iBorgangS. 

9ln  einjelnen  ©teilen  ber  @rbrinbe  fönnen  wir  noch  beute 
bie  93ilbung  oon  @rbö(  unb  33itumen  au8  iDrganiSmen  cetfoU 
gen,  wie  und  bie8  bie  33eobachtungen  oon  %xaa6  an  ber  ,Rüfte 
befl  rotben  9Reere8  gelehrt  haben.  3?er  genannte  Sorfcher  fanb 

8*  (»71) 


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36 


6rboI  unb  Söitumen  in  bem  ÄoraHenriff  beS  JDjebel  3eÜ  b«  ei 
5Eor.  JDort  befinbet  fic^  ein  älteres  ÄoroBentiff  auf  ben  pot» 
p^ptifcben  ©efteinen  bet  Äüfte  angelagert,  »elcbeS  baS  je^ige 
SWeereSnineau  beträchtlich  überragt.  3n  einiger  ©ntfernung  oom 
Ufer  »erläuft  baS  etwa  hunbert  ©chritt  breite  fich  noch  fott» 
bilbenbe  ©tranbriff.  .£)iet  befinben  fith  ^'etroleumgruben,  in 
gotm  Bon  gödhern,  bie  in  baS  9iiff  wenige  ©chritte  »om  Ufer 
entfernt  gegraben  werben,  foba^  barin  baß  ©eewaffer  im  9li»eau 
beS  SöteereöfpiegelS  fteht.  Suf  bem  SKaffer,  auö  bem  fich  wibet* 
liehe  ©afe  entwicfeln,  fammelt  fich  eine  grünlich  braune,  irifirenbe 
^lüffigfeit  an,  welche  ganj  augenfcheinlich  auS  bem  .Korallenriff 
quillt.  Die  Sßefdhteibung,  welche  graaS  barüber  giebt,  ift  fo 
anfchaulich  unb  für  bie  Sr^ije  na^  ber  6ntftel)ung  beS  ©rboleS 
fo  wichtig,  bah  ich  eS  mir  nicht  »erfagen  fann,  bie  SBorte 
biefeS  iorfcherg  ouS  feinem  SBerfe:  „?lu8  bem  Orient"  wörtlich 
wieber  3U  geben: 

„ÜRir  fiel  nicht  ein,  an  irgenb  einen  anbeten  Urfijrung  beS 
Delö  ju  benfen,  als  an  ben  auS  jerfehten  organifchen  Äötpern 
im  fRiffe  felbft  unb  in  bet  Lagune.  DaS  nächft  bem  SWeere  ge= 
legene  fRiff  erfcheint  wie  »on  Bitumen  burchbrungen,  baS  Oel 
fchwi^t  tropfenweife  auS,  unb  wirb  »on  bem  ©eewaffer  alS  fpe« 
cififch  leichter  nach  oben  genommen,  auf  welchem  eS  fchliehlich 
fchwimmenb  flehen  bleibt.  fRut  ein  Jheü  ber  ©afe,  bie  fich 
beim  äJermefen  ber  gahflofen,  in  bet  Lagune  lebenben 
entwirfeln,  entweicht  in  bie  8uft,  ber  anbete  conbenfirt  fich  ju 
fogenannten  fchweren  Kohlenwafferftoffen,  bie  fich  in  baS  ab= 
geftanbene  Jtalfriff  hineinfehen,  in  bem  bortigen,  poröfen  Äall 
noch  weitere  ©onbenfation  erfahren  unb  einmal  3U  Oeltropfen 
coagulirt,  in  ben  ©ruben  beS  fRiffeS  fich  fammeln.  DaS  gu« 
gleich^mit  bem  Situmen  audh  ©hi^’^natrium  fich  finbet,  ift  ein 
weiteret  SeweiS  für  ben  gemeinfamen  Urfprung  beiber  auS  ben 

(»I») 


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37 


gefallenen  unb  jngletd)  an  organifd^en  Stoffen  iiberrcic^en  ga» 
gune." 

3ntercffant  ift  ferner,  ba§  fidj  eine  ^albe  Jagereifc,  fübltc^ 
üom  Sfebel  Beit  eine  eigent^nmlicbe,  bem  Äorallenfalf  äquioa» 
lente  Slranbbilbung  au0  ©ppö,  unb  Sdiwefel  norfinbet. 

25et  Schwefel  burcbbringt  ben  @pp0  unb  hübet  auc^  ganje  8n> 
get  unb  SRcfter  non  gebiegcnem  Sdjrocfel.  Offenbar  finb  bie 
fautenben  tl)ierif(^en  fRefte,  bie  l)ier  in  enormer  fDienge  oor= 
^anben  waren,  auch  noch  alö  Dueile  beö  Sc^wefeloorfommenfl 
ju  betrachten,  wä^renb  fiel)  bnd  Sal3  unb  ber  ©ppS,  wie  aß» 
gemein  befannt,  bireft  anö  ber  überfältigten  gagiine  abgefeimt 
haben.  iDiefe  äkrtjältniffe  werfen  ein  bebeutfameS  iiid)t  auf 
bie  ©ntftehung  ber  Äol)Ienwafferftoffoerbinbungen  im  ’JllIgemeinen 
unb  erinnern  im  tBefonberen  nameiitlidj  lebhaft  an  baö  canabifdie 
Oelüotfommen  non  (änniefiQen  unb  bie  i?erl)ällniffe  ber  gali« 
gifchen  mioeänen  ©algformation.  9luth  in  Ganaba  finb  eS  ca» 
oernöfe  Äoraßenfalfe,  bie  ein  Del  führen,  weld?e0  mit  ©algwaffer 
gemengt  oortommt,  unb  mertlicfce  9)iengcn  oon  Schwefeloerbin» 
bungen  enthält.  Schon  im  Saufe  ber  ©arftellnng  würbe  he^' 
Dorgehoben,  ba§  bad  (Irböl  faft  aQenthalben,  in  SMmerifa  wie  in 
Äaufafien,  ©aligicn,  0fiumänien,  Oelheim  u.  f.  w.  mit  falgigem 
SBaffer  gemengt  befunben  wirb  unb  in  ©aligien  enthält  ein  unb 
biefelbe  Formation  bie  mioeäne  Saljformation,  Saig»  unb 
Schwefelflöhe,  wie  au^  (ärbol  unb  @rbwache. 

3n  ffiielicgfa  fommt  ein  eigenthümlicheö  fettglängen» 
beö  Saig  nor,  bafl  fegenannte  Jtniftcrfalg,  welcheö  @afe  in 
ftarf  comprimirtem  Buftanbe  enthält  unb  feinen  ^tarnen  baher 
erhalten  hui»  i’fi  3lufl6fung  in  SBaffer  bie  SBänbe  ber 
mit  @a8  gefüllten  ^ohlräume  unter  ftarfem  Äniftern  gefprengt 
werben.  SRadj  S3unfen  enthält  bafl  @a8  84,6  p6t.  Sohlen» 

(»73) 


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38 


wafferftoff,  2,58  ^>6t.  Äo^Ienfäure,  2 @auerftoff,  10,35 
©tidftojf. 

Seim  lang(amen  @<)alten  ber  ©tüde  mit  bem  SKcffet  ^ört 
man  ebenfalls  baS  j^niftern  nnb  fü^It  einen  beutlic^en  @rb5l« 
gerud).  IDie  mifrojfopifc^e  Unterfnd^ung  biefeS  metfmütbigen 
©al^eS  but(b  Sitfel  ^at  in  Ucbereinftimmung  mit  ben  JRefuU 
taten  Snnfen’ö  ergeben,  ba§  barin  mifroffopifcbe  Biöfftfl^^itS* 
einfd^lüffe  »orbanben  finb,  bie  mabtjcbeinlid)  auf  Änblenmaffer» 
ftoffe  ju  belieben  Rnb.  3lu|erbem  beobachtete  Ären^  bartn 
33itumenflorfen,  welche  fich  bei  ber  SluflSfuug  in  SBaffer  mit 
ben  (SaSblöSchen  gur  Oberfläche  erbeben,  unb  erfannte,  bah  P<h 
bei  ISuflofung  eine«  ÄnifterfalsftüdeS  in  beifeem  Söaffer  auf  ber 
Oberfläche  bünne,  itifirenbe  gettbäutcben  bilben.  Slnch  in  ber 
befannten  an  (SrbmachS  reichen  Socalität  ^orhSlaw  fanben  fich 
berartige  Änifterfalje  nor.  9Kan  mu§  wohl  in  biefen  Serbält« 
niffen  einen  beutlichen  SeroeiS  ber  gleichzeitigen  Silbung  ber 
Äoblenmafferftoffe  nnb  beS  ©aljeS  erbliden.  SBir  erfennen  ba 
augenfchetnlich  fo  fchlagenbe  Slualogien,  bah  »«ttw  pth  benfelben 
faum  entjieben  fann. 

@0  flar  unb  einfa^  fich  auch  bie  ßebrc  »on  bet  otganifchen 
^erfunft  beS  @rböl8  in  ben  allgemeinen  Büßen  barfteOt,  fo  ift 
hoch  anbererfeitö  nicht  zu  »erfennen,  bah  fi^  i*”  einzelnen  hoch 
mancherlei  ©chwierigfeiten  einfteHen.  @o  giebt  eS  einige  51* 
reiche  ©chichtcomhlejre,  bie  hoch  nur  wenig  foffilc  eines 

ehemaligen,  reifen  otganifchen  ßebenS  erfennen  laffen.  fDian 
muh  in  folchen  BäUcn  in  @twägung  ziehen,  bah  f«be  niele 
SJleerefitbiere,  gerabe  fo  wie  beute,  gar  feine  ^>arttbeite  befahen, 
alfo  auch  feine  ©puren  ibreS  2)afein8  zueücflaffen  fonnten.  §er= 
ner  ift  zu  berücffichtigen,  bah  viele  .^arttbeile  burch  fpätere  che« 
mifche  ?ßroceffe,  bie  ja  in  ben  ©efteinen  bet  ©rbrinbe  ftetS 
tbätig  finb,  wiebet  zerftßrt  werben  fonnten.  JDerartige  ölfübrenbe 

(S74) 


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39 


aber  foffilarrae  ©efteinc  finb  beifpielSaeifc  bie  Äarpat^enfanb» 
fteine.  ©erabe  bei  biefen  ift  ju  bebenfen,  ba§  fie  fteilid)  nur 
TOetilg  ftd)et  beutbare  ‘goffüten  enthalten,  baneben  aber  ja^lreti^e, 
niii^t  mit  Seftimmt^eit  beutbare  Spuren  eine@  reifen  orga* 
nij^en  8eben8  erfennen  taffen,  bie  früher  unter  bet  ©ejeidjnung 
,,^)ieroglpp^en“  erwähnt  mürben.  ^ 

@nblid^  mug  au^  noc^  ^ernorge^oben  merben,  ba^  fic^  bag 
@rb5I  ni^t  not^menbiger  SBeife  in  benjenigcn  ©efteinen  gebil« 
bet  ^aben  mu§te,  in  meld^en  mir  e8  gegenmartig  antreffen.  9Kan 
ift  fogar  fet)r  häufig  geneigt  anjuneljmen,  ba§  mandje  poröfe 
Sanbfteine  i^re  Oelfü^tung  ihrer  Umgebung,  bc3m.  Unterlage 
»erbanfen,  au8  melrher  fie  reidhlirh  oorhanbeneö  ©itumen  »er» 
m5ge  ihrer  phpfifalifchen  ^efrhaffenheit  auffaugen  unb  conben» 
firen  fonnten.  bereits  fertig  gebitbeteS  £)el  fonnte  feine 

urfprüngli^e  Ifagerftätte  »erlaffen  hoben  unb  in  anbere  ©ebirgS» 
f^ichten  aufgenommen  morben  fein.  Del  unb  Delgafe  finb  fa 
fpecififch  leichter  alä  SBaffer,  fie  finb  überaus  leicht  bemeglich 
unb  »errathen  adenthalben  eine  lebhafte  füleigung  nach  aufmärtS 
gu  bringen  unb  an  »ielen  Derttich feiten  befinbet  fich  fa  baS  Del 
ganj  beftimmt  auf  fecunbärer  Sagerftätte,  mie  3.  allenthalben 
ba,  mo  eS  in  ben  biluoialen,  oberflächlichen  Sehm  eingebrungen 
ift.  3n  ber  JRegel  nimmt  eS  babei  eine  »eränberte  chemifche 
S3ef^affenheit  an,  inbem  eS  mohl  unter  ©inroirfnng  »on  Sauet» 
ftoff  unb  bur^  ©ntmeichen  ber  leichteren  ffietbinbungen,  meift 
bie  ©eftalt  eines  fdjmeren  Schmieröls  erhält.  So  mürbe  fchon 
mehrfadh  bie  Slnficht  auSgefptodhen,  ba§  ein,  menn  audh  geringer 
“Eheil  beS  farpathifchen  fRohölS  auS  ben  bituminöfen  flRenilit» 
f^iefern  he^tühtc«  möge. 

35amit  gelangen  mit  bereits  ju  einet  Dieihe  »on  9ln» 
f^auungen,  bie  in  gemiffem  Sinne  bereits  eine  SBermittelnng 
jur  fog.  ©manationshppothefe  hcrfteüen,  menn  fie  auch  am  or» 

{2T5) 


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40 


ganif^en  Urjprung  fccS  @tbö(6  feftljaltcn.  <So  ^aben  ftd)  ein« 
3elne  j?orfd)er  bafür  erflärt,  e0  mögen  bie  @tböl»orfomramffe 
genjtffet  ©egenben  au8  i^rer  bereits  in  jiemlid^  bebeutenber  @rb» 
tiefe  gelegenen,  organijebe  ©toffe  in  befonberS  rei(bli^er  SOJenge 
entbaltcnben  ©runblage  b«rrübren.  Denft  man  ficb  3.  33.,  bo§ 
baS  giegenbe  eines  ölfübrenben  ©ebirgeS  auS  einer  mächtig  ent» 
»icfelten  Äoblenformation  mit  3ablreicben  .Kohlenflözen  ober  auS 
fehr  bitnmenreichen  Schichten  beftänbe,  jo  fonnten  bei  bet  in 
größerer  liefe  befanntlich  gefteigerten  ©rbmärme  burch 
allmähliche  JDeftiHation  Äohlenmafferftoffoerbinbungcn  entwicfelt 
merben  unb  allmähliih  in  bie  barüber  liegenben,  geologifch  junge» 
ren  Schichten  aufgenommen  werben.  ®ie  ÜKöglichfeit  eines  fol» 
eben  33organgeS  an  fich  wirb  wohl  faum  beftreitbar  fein,  allein 
gerabe  in  ben  befonberen  gäQen,  für  welche  berartige  Grflärun» 
gen  aufgefteüt  würben,  hoben  fie  fith  t>nth  olö  unhaltbar  er» 
wiefen.  So  würbe  bie  3lnficht  auSgefprochen,  bafj  fich  nieHeicht 
bie  SelnorFommniffe  ber  gali3ifcben  Jtarpathen  baburch  er» 
Hären,  ba§  in  SBeftgaligien  bie  Äohlenformation  beS  Oftrau» 
Ärafauer  ätohlenreoierS,  in  Oftgali3ien  bie  fehr  foffilreichen,  bi» 
tuminöfen  Sdiidhten  ber  Silurformation  ber  2)njeftergegenb  baS 
f^iegenbe  ber  Äarpathen  hüben  unb  bie  urfprüngliche  Quelle  ber 
©rbölrei^thümer  biefeS  i!anbeS  oorfteQen.  äBenn  wir  auch  nuS 
geologifchen  ©rünben  annehmen  fönnen,  bah  bie  3U  einem  nicht 
unbeträchtlid}en  ©ebirge  gufammcngefalteten  Schichtgruppen 
bet  Karpathen  an  ihrem  9iorbranbe  über  bie  wenig  geneigten 
Schichten  ber  fubetifdjen  Äohlenformation  unb  beS  ©njefterfilurS 
übetgreifen,  alfo  bie  non  ber  ^^ppothefe  geferberten  33ebingungen 
3um  Slheüe  corhanben  fmb,  fo  wiffen  wir  hoch  anbererfeitS 
ebenfo  beftimmt,  buh  bieS  in  anberen  2he*leu  ber  Äarpathen, 
wo  audh  ©rböl  norfommt,  nidht  bet  gaU  ift,  fonbetn  anbere 
©efteine  bie  Unterlage  hüben  müffen.  5Dian  wirb  baher  biefe 

(»76) 


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41 


@tnätung0tet)ud|e  getabe  fut  bie  Äarpat^en  wol)l  jurücfwetfen 
muffen. 

SBaö  nun  bie  @ntfte^ung  bed  @rbmadbfeg  ober  £)joferitö 
anbelangt,  fo  ift  man  ^ufig  bei  9)teinung,  ba§  baffelbe  alö  not« 
IjärteteS  Ummanblungdprobuft  be8  @tbö(S  gu  betiad^ten  fei.  3n 
ber  2;^at  ftnb  ja  @iböt  unb  @ibma(b8  fe^r  na^e  cetmanbte 
©toffe  unb  bet  ber  JDeftiQation  beö  leiteten  .erbäll  man  jum 
2^eil  biefelben  SSetbinbungen,  wie  bei  ber  beö  erfteren.  Siefe 
tSnfc^auung  ift  tro^bem  wo^l  nicht  faltbar,  benn  wo  wir  @rböl 
unter  @inwir!ung  ber  äußeren  Suft  fich  cerbichten  fe^en,  wie  in 
ben  locferen  oberflächlichen  ©chottem  be8  IDilüoiumö,  ba  ner» 
wanbeit  eö  fich  nicht  in  @rbwachd,  fonbern  in  eine  theer>  ober 
fchwar^e  ©ubftan3.  JDer  D3oferit  tritt,  wie  fchon 
erwähnt,  nicht  nur  in  Älüften  unb  gangartigen  ©palten,  fon» 
bern  auch  in  wohlgeftalteten  Slö^en,  ähnlich  ben  jtohlenfiöhen 
auf  unb  fein  geologifcheö  IBorfommen  beweift  feine  felbftänbige 
@ntftehung.  Sürbe  bie  Umwanblung  non  @rb5l  in  SBach^  unb 
umgefehrt  wirflich  in  größerem  föia^ftabe  ftattfinben,  bann  wäre 
eö  hö^hft  fonbetbar  unb  jebenfallS  fehr  fchwer  erflärbar,  warum 
man  in  fo  oielen  großen  unb  reichen  (ärbölgebieten  faum  ©puren 
non  ©rbwachd  antrifft.  ^Dagegen  fönnen  Derartige  Umwanb« 
lungen  in  geringerem  fUtahftabe  hie  unb  ba  gan3  gut  nor  fid) 
gegangen  fein. 

3Bir  hätten  nun  noch  Die  $tage  gu  erörtern,  ob  man  bie 
^)auptqueHe  ber  Jtohlenwafferftoffnerbinbungen  mehr  in  Orga» 
niömen  pflan3li^er  ober  in  folchen  thierifcher  fRatur  3U  ner» 
muthen  höbe.  SBfirbe  bafl  6rböl  feine  @ntftehung  norwiegenb 
Anhäufungen  ehemaliger  pflan3licher  Organismen  nerbanfen. 
Dann  müßten  wir  erwarten,  ba§  fich  mit  ben  oielen  j^ohlen« 
flögen,  bie  unS  in  allen  @egenben  unb  allen  Formationen  be= 
fannt  finb,  hoch  öfter  Petroleum  ober  IBitumen  oergefeHf^aftet 

XIX.  439.  3**  (277) 


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42 


BDtftnben  feilte.  Statt  beffen  finben  wir,  ba§  bie  ftemben  ot» 
gonifc^en  (äinfdjlüffe  ber  Äo^lenflö^e  geme^nlit^  ober 

wac^gartiger  9tatur  flnb.  9lut  an  fe^r  wenigen  f)unhen  wer- 
ben wir  bur^  bae  S3oifommen  »on,  wenn  au(^  geringen  ÜRen« 
gen  non  @rböl  mit  ober  in  Äo^lenflö^en  überrafti^t.  Slber  felbft 
in  btefen  wenigen  fällen  ift  bie  ©ntfte^ung  beS  6rböI8  au8 
ber  ÄD^Ie  feineöwegfl  fidler,  ba  baS  Petroleum  entweber 
auf  fecunbdrer  8agerftötte  befinben,  ober  aber  feine  6ntftel)nng 
benjenigen  tbierif(^en  fReften  oerbanfen  !ann,  bie  ehemals  in 
bemfelben  SilbungSraum  gelebt  ^aben,  wie  bie  ^flangen,  bie 
bie  ©Übung  beö  Äo^lenfio^eö  oeranla^ten. 

ferner  ift  e8  befannt,  ba§  fi(^  oiclerortö  über  ben  ^oljlen« 
flögen  Sdjiefert^one  befinben,  bie  »iel  oerfo^lte  ^panjenabbrüde 
enthalten,  ohne  eigentlich  bituminös  gu  fein.  SBo  man  bitu* 
minöfe  Schithten  »orpnbet,  pnb  pe  ftetö  reich  ««  Sojplien  thie« 
rif^er  9?atur,  nicht  aber  ppanglicher.  3m  norbamerifauifchen 
Silur  unb  3)eDon,  welches  in  ben  früher  erwähnten  ©egenben 
fo  überaus  olreich  ift,  pnbet  man  feine  Äohlenpöhe,  bagegen  ift 
bie  probuftioe  Äohlenformation,  welche  bie  ölführenben  Schich* 
ten  bafelbft  überlagert,  feht  reich  an  ÄohlenPöhen,  ohne  6rböl 
gu  führen. 

©on  (Sinigen  würbe  auf  bie  3R5glichfeit,  bap  pch  baS  @rböl 
aus  Slnhäufungen  Don  ÜReereSalgen  gebilbet  haben  fönne,  hi“* 
gewiefen.  3n  ber  Slhot  pnbet  man  in  gaplreichen  ©efteinen 
nergweigte  iHbbrüde,  bie  man  bis  »or  Äurgem  für  0*leftc  oon 
SReereSalgen  erflärt  hat.  Scitbem  eS  neuerlich  waprfchein» 
lieh  flemacht  würbe,  bap  biefe  f^offüfpnren  gum  grepten  Slhe'l« 
ehemaligen  SBurmgängen  entfpredhen,  ift  bie  angegogene  9n< 
f^auung  giemlich  hi“f“ö»8  geworben,  wenn  au^  bie  eoentueHe 
theilweife  fUlitwirfung  »on  SReercSalgen,  ob  unS  nun  f^on  ihre 

CS79) 


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43 


Stefte  erhalten  fJnb  ober  ni^t,  feineflmegS  ouögcfd^t offen  »erben 
fann. 

9BaS  aifo  bie  (Sntfte'^ung  beS  ^ettoIeumS  cmbelangt,  »irb 
man  ge»i§  mit  JRedjt  geneigt  fein,  fie  cotwiegenb  ’ t^ierifd^en 
unb  nid^t  pflanjUd^en  Dtganiömen  jujufd^teiben.  Slnberö  »er« 
^ält  eö  fidb  aber  mit  ber  grage  mit)  ber  6ntfte^ung  beä  @rb« 
»acbfefl.  35te  na^e  SSerwanbtfd^aft  beff eiben  mit  bem  ^»ro» 
tjiffit,  ber  wa^S^altigen  Sraunfoljle,  bie  8agerung0»er^ältniffe 
in  ber  wic^tigften  Ojoferitlocalität  SorpSla»,  bie  (^emifd^e  3»' 
fommenfe^ung  biefeS  grö§tent^eil8  au0  Paraffin  befte^enben 
ÄörperS  matten  eö  fe^r  ma^rf(^einli(^,  ba^  3ur  Silbung  beffel» 
ben  nebft  t^ierifc^en  Organismen  aud^  ©ee»  unb  Sanbpflanjen 
beigetragen  Ijaben.  Se^tere  fonnten  an  einzelnen  ©teilen  in 
großer  5Dlenge  an  ben  Äüftenftricben  in  baS  SReer  eingefcbroemmt 
werben,  unb  ^ier  baS  ^auptfä(^li^e  SRaterial  für  bie  Ojoferit« 
bilbung  abgeben.  3n  ber  Sl^at  finbet  man  in  Sor^ölaw  unb 
in  anberen  6rbwac^8  fübtenben  8ocaIitäten  3al)Ireicbe  SRefte  »on 
8anbt)flan3en,  3apfen  »on  5RabeUj6l3ern  unb  bergt.,  bie  in  einer 
^üUe  »on  ©teinfal3  ber  Umbilbung  in  Äo^lenwafferftoffoerbin» 
bungen  entgangen  finb  unb  fo  »on  i^rer  ehemaligen  @pften3 
3eugnife  ablegen  fönnen. 

Ueberblicfen  wir  311m  ©^luffe  baß  ©efagte,  fo  ergiebt  ftth, 
ba§  bie  3ahlrei(hen,  unö  h^ute  »ortiegenben  SBeobadhtungen  über 
baS  geologifdhe  Sorfommen  unb  bie  (^emif^e  Sefdjaffenheit  beö 
6rböl0  mit  Sicherheit  ben  ©dhluh  3ulaffen,  ba§  baß  @rbßl  »or« 
wiegenb  ober  faft  außfchliehlich  entftanben  fei  burch  aUmähli^e 
©eftißation  »on  3lnhäufungen  ehemaliger  OReereßthiere  unter 
SRitwirfung  ber  ©rbwärme  unb  beß  hoh«”  ©ebirgßbrudteß.  5Da 
ft(h  biefe  wichtigften  Sebingungen  3U  allen  3«ten  unb  aHerwörtß 
cinftellen  fonnten,  finben  wir  @rböl»orfommniffe  in  allen  Sthcil«” 
ber  (Srbrinbe  unb  in  allen  Formationen.  Emanationen  auß 

(279) 


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44 


flrofeet  ©rbtiefc  unb  in  gtcfeetem  ÜKafeftabe  brauc^>en  gut  @r» 
fldtunci  bet  'Petrolfü^rung  in  ben  großen,  gegenwärtig  bcfann» 
tcn  Delteoiertn  nic^t  Ijerangegogen  gu  werben;  bogegen  geigt  e8 
fi(b,  ba§  baö  6tböl  al8  überaus  bewegli^er  Äörper  feine  8ager» 
ftdtte  innerhalb  ber  gef(bi(bteten  @rbrinbe  leichter,  alS  anbere 
fStineralftoffe  netdnbern  fann.  ^DieS  ift  woi)!  auch  ^aupt> 
grunb,  warum  baS  geologifcbe  iBorfommen  beS  Petroleums  fo 
feljt  Don  bem  aller  anbeten  fUlineralfötpet  abweidjt. 


(260) 

fTnid  Don  9<fcr.  Un^er  in  9<rlin  >SW^  ^4)dnct>rrgerftra|c  17  a* 


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^nfexe  ^aifexfa^e 


SS  ort r a 9 

oon 

Dr.  3ofrf  ^Sugntr. 


^ 5/>-  OP  TRr^  ^ 

[(uiriVEFriTri 


flerHn  SW.,  1884. 
Verlag  von  @arl  .^abel. 

(C.  4.  Zitnitt’iilii  B(rli|ib«4i||giiilta|.) 

33.  Qil^cIm.eiTait  33. 


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S>ttä  Siecht  ber  Ueberfe^ung  in  ftembe  Sprachen  toirb  oorbebalten. 


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ein  glucfüc^eö  Skt^&ngnid  batf  ed  bettad)tet  werben, 
ba§  unfere  tieffinnigften  nationalen  CORpt^en  non  unjeren 
grölten  S)i(|teTn  unb  jwat  gerabe  in  i|ren  lemorragenbfien 
®d)öt)fungen  bearbeitet  unb  baburc^  unferem  IBolfe  ju  fo  un> 
netöu|erli(bem  Seftltum  geworben  finb,  ba|  fie  feine  wiffen> 
f(baftli(^e  Sorfc^ung  i|m  je  wirb  rauben  fönnen.  S>ie  ^tif 
^at  und  ben  $auft  unb  ben  SeQ  genommen;  benn  wad  bad 
fritijdbe  ©ecierme{|et  non  biejen  ©agengebilben  ald  jfern  lod* 
gef(|ält,  nerbient  taum  ben  Flamen  bed  ^iftorifi^ « Sirfli^en; 
aber  eine  unnergängli(|e  IDic^tung  |ält  bie  beiben  ^erfönlid^feiten 
jeft  unb  fpottet  ber  jerje^enben  SBifjenf^aft. 

9ud^  bie  Sage  nom  bergentrücften  ^aifer  Satbato^a  |at 
bet  |iftorif(^en  Soif^nng  Stanb  galten  muffen,  unb  ob  mif 
|ier  eine  erbarmungdlofe  ^itit  an  ber  erhabenen  JfaifergeftoU, 
ja  felbft  an  bem  ÜRamen  unb  bem  e|rwücbigen  roten  Satte 
bed  jfpffläuferfaiferd  gerüttelt,  ob  fie  und  au^  ben  gl&n^enben 
beutf(^en  Staufen|enf(|er  entriffen  unb  ben  inbogermanifc^n 
9fiaten  gugewiefen,  i|n  jum  internationalen  Eigentum  geftemt>elt 
^at,  inbem  fie  i|n  jufammenfteOt  mit  bem  im  Serge  weilenben 
{)oIget  non  S)änemarf  unb  bie  ^ette  bid  gu  ^arafur&ma,  bem 
im  OJla^enbraberge  fortlebenben  Serni(|ter  bet  ^fd^etriad,  bem 
neruanifdjen  Siracod^a,  bem  me^ifanifclen  Oue|atcoatl  unb  bem 
toltefifc^en  Sllolpin|in  fü^rt  — : fo  ift  bodf)  bur(%  taufenb  finnige 

XIX.  440.  1*  (*M) 


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4 


6Tj5^(ungen , wel^e  ber  Sßcifdgeift  oom  bergentTÜdten  ^atfet 
gefc^affen,  unb  eine  ftattlic^e  Sietbe  oon  SRotbartbic^tungen, 
worunter  9ifi(fett8  ^bff^äuferbaUabe  bie  befanntefte  fein  bfirfte, 
mit  ebemen  Sügen  unferer  eingegraben,  wie  „ber  alte 

Sarbarofla,  ber  Äaifer  grieberiib,  im  unterirb’f(ben  @^lof[e" 
feit  Biel  bunbert  Sabren  mit  bem  grc|en,  burdb  ben  $ifdb  ge» 
»adbfenen  Sßart  „uerjaubert"  am  @teintif(be  rubt,  fein  ^au^t 
in  bie  ^anb  geftü^t  unb  b^rrenb  ber  3<it,  wo  er  erwägen  unb 
au8  feinem  SBergoertiebe  bo^oudtreten  wirb,  um  fein  93olf  jur 
alten  @rö§e  gu  führen.  wirb  ba§  fagenumfponnene  S3ilb 
Äaifer  Sarbaroffafl  im  SSewiifetfein  beß  beutf^en  SSolfeß  fort» 
leben,  unbciat  burdb  bie  Arbeit  ber  Jtritif,  bie  ba  fagt,  allcß, 
waß  @age  unb  lDi(btung  oom  bergentrüdten  @^wabenfaifer 
ergäblen,  gebe  mit  nidbten  auf  ben  JRotbart  Sriebridb  I.,  fonbern 
auf  eine  anbere  J^aifergeftalt. 

äBobl  feine  ®age  ift  tiefer  in  baß  nationale  Sewnbtfein 
unfereß  IBolfeß  eingebrungen.  Sabrbunberte  binburcb  b^i 
beutfdbe  @eniuß  an  ibr  feftgebalten  unb  gerabe  in  trüben  Sagen 
in  bem  treubewabrten  @ebanfen,  ba§  ^aifer  Sriebridb  nid^t  ge» 
ftorben  ift,  fonbern  im  Serge  fdblafenb  feiner  SBieberfebr  bone, 
©pmbol  unb  Sürgfdbaft  feiner  nicht  für  immer  babingegangenen 
nationalen  @rö§e  erblidft. 

3ft  nun  aber  bie  Sage  »om  wieberfebrenben  Äaifer  in  gauj 
bernonagenbem  Sinne  eine  nationale  gu  nennen,  fo  erlangt  fie 
eine  noch  erböbte  Sebeutung,  wenn  wir  ben  @ntwidfelungßgang 
inß  2luge  faffen.  Sirgt  biefelbe  bodb  ein  gut  Stüd  beutfdber 
©efcbicbte,  unb  jwar  einer  um  fo  echter  unb  unoerfSlfchter  über- 
lieferten ©ef^ichte,  je  lauterer  unb  unmittelbarer  ber  Solißgeift, 
beffen  eigenfteß  unb  liebeß  .^nb  bie  Soge  ift,  fidb  borin  wieber« 
jufpiegeln  pflegt.  SBaß  feine  ©bionif,  fein  Stein  unß  melbet, 

(M4) 


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5 


baS  innetfte  ^>offen  unb  SBünfii^ien,  bte  geheime  Se^nfu^ft  un» 
fereS  S3oI!eg  in  ben  vergangenen  3a^ri^unberten : bie  SBoIfdfage 
^at  e6  erlaufet  atn  ^>ergen  be8  S3olfe8  unb  treu  überlietert. 

• @0  tft  bie  ^iebri^fage  gum  getreuen  Spiegel  bet 
nationalen  unb  politij^en  @rn>artungen  unjecer  9iation  geworben. 
SWögen  biefe  au(^  im  8aufe  ber  Seit  vielfad)  fid)  geänbert  ^Ben, 
fo  gie^t  fi(^  bocf)  burc^  bie  vetid^iebenen  SBanblungen  unferet 
Sage  ber  ©ebanfe  wie  ein  toter  gaben  ^inbutc^,  ba&  ber  er* 
wartete  .^aifer  baS  IDeutfcpe  Oieic^  wieberum  einigen  unb  gum 
großen  Siege  über  feine  geinbe  führen  wirb. 

3n  Weid)  glüngenbet  SBeife  baö  3a^r  1870/71  biefe  @r: 
Wartungen  verwirflic^te,  ^aben  wir  erlebt. 

gaft  gleid^geitig  mit  ber  glorreichen  @rfüDung  ber  Sage 
bemächtigte  fich  jeboch  au^  bie  gefchichtliche  gorfd)ung  beS  ^{f* 
IjänferfaiferB  unb  förberte  allmählich  «n  faft  übeneicheö  SJiaterial 
gu  SLage,  baö  unS  einen  S3licf  in  bie  geheimnisvolle  äSertftätte 
ber  Sogenbilbung  eröffnet,  welcher  um  fo  größeres  3ntereffe 
bietet,  je  fchwerer  eS  gemeiniglich  ift,  ber  ©ntwicfelung  einer 
Sage,  biefeS  traumhaft  fdhwanfenben  ©ebilbeS  auS  SBahrheit 
unb  IDi^tung,  Schritt  für  Stritt  nachgugehen. 

IDer  gro|artige  äuff^wung,  ben  bie  ©ejchichtSwiffenfdhaft 
in  unferer  Seit  genommen,  h^i  i»  >^i<^i  wenigen  Partien  bet 
©efehichtfehreibung  eine  grünbli^e  Umwälgung  gnr  golge  gehabt. 
SBenn  nun  auch  manche  bet  berühmten  neueren  „Diettungen“ 
mehr  geeignet  finb,  bnreh  fühne  9teuheit  gu  imponieren  als  burdh 
ihre  objeftive  9iichtigleit  gu  übergeugen,  fo  batf  bo^  tonftatiert 
werben,  bah  i>uech  .^ervotgiehung  neuen  DueQenmaterialS 
IDinge,  bie  lange  genug  als  gefchichtliche  IDogmen  mitgefchleppt 
würben,  vielfach  als  eitel  Siäufchung  vor  ber  ^ritif  fich  erwiefen 
haben. 

(IM) 


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6 


9nd^  bae  SRefnttat  ber  ^orft^nngen  über  unfere  bentftbe 
Äaiferfage  war  gnnäcbft  bie  Scrfförung  einet  SHuflon. 
Satbaroffa,  aaf  welchen  aOetbingfl  aOe  jene  anmutigen  @t* 
gfihlunB«»  Bont  ÄhffhäwMoifer  bei  ben  Stübern  ©rimm  u.  31. 
tonten,  jonbetn  fein  @nfel,  griebtichn.,  ift  bet  auf  bet 
©otbenen  3(ue  im  Setge  fcbtummetnbe  Ifaifer.  9Bo 
imtnet  bie  @ogc  »om  13.  bis  17.  Sabrbunbett  un8  begegnet  — 
unb  bie  Seugntffe  finb  jablteichet  al8  bei  irgenb  einer  anbeten 
Sage,  — tritt  nbetatl  ber  Sweite  griebrich  al8  Präger  betfelben 
ouf.  @rft  feit  1680  ma^te  — »on  einet  »orübergebenben,  füt 
bie  fetnete  ©eftatt  ber  Sage  ober  gonj  einfIu§lo8  gebliebenen 
Setwechfelung  in  einem  SotfSbuch  au8  bem  Sahte  1519  ab« 
gefehen  — griebtidbl.,  ©arbaroffa,  feinem  gto^en  ©nfel  ben 
9>(ah  ftreitig,  bi8  et  ihn  allmählich  gong  au8  ber  @age  net« 
btängte. 

Äann  nun  ouch  hietfn  fein  3»eiffl  weht  obwalten,  fo  ift 
bie  nnfl  h^^^  befonberö  befchöftigenbe  gtage  nach 
ftehung  bet  griebrlchfage  noch  “ftht  »nü  betfelben  ©eftimmtheit 
entfehieben,  unb  e8  bürfte  um  fo  lohnenber  fein,  bie  ©enefifl 
biefer  (Sage  gu  netfolgen,  al8  wir  baburch  audh  bie  anbere  @t« 
fcheinungSform  bet  ifaifetfage,  wir  meinen  bie  jfarlfage,  nicht 
nur  unter  einen  einheitlichen  ©efichtöpunft  mit  ber  gtiebti^fage 
gu  bringen,  fonbem  audh  baS  gteidhgeitige  fRebeuhetlaufen  beiber 
Sagenformen  etflären  gu  fßnnen  glauben. 

9ti(ht8  tann  nerfehrtet  fein,  al8  bei  bet  gtage  nach 
Urfpmng  einet  Soge  non  beren  fertiget  ©eftalt,  welche  fie 
einige  Sahthunberte  nach  ihtem  Sluftreten  aHmähli^ 
gewonnen  hot»  auflgugehen.  @8  wirb  fl^  auf  biefem  SEßege  nie« 
mal8  entfeheiben  laffen,  wo8  an  bem  Sagenprobufte  wefentlidh 
unb  wo8  unwefentlich  ift.  5Bir  hoben  nielmehr  bie  früheften 
(*W) 


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7 


0rfd^cinungett  bet  Soge  in8  Sluge  ju  faffen,  ©d^ritt  für  ©d^rltt 
bie  einzelnen  3uf&$e  gu  betlelben  gn  »erfolgen,  fie  ^iftortfdb  gu 
begtengen  unb  t»o  möglid^  %en  Urfprung  unb  3n>edf  nad^gn* 
tseifen. 

Unb  ba  mn§  benn  nun  »on  »om^etetn  geleugnet  wetben, 
ba§  ble  SergBetfe^nng  bet  eigcntlid^e  Äetn  bet  @age  ift, 
jo,  bo§  fte  fibet^oujjt  in  ben  etften  So^rbunberten  bet  ©jrlfteng 
unfetet  ©oge  @mäbnung  fänbe.  Unb  gwot  nidbt  ettto,  bofi 
jene  frubeften  S3eri(bte  »on  einem  bctortigen  Sfufentbolte  Äoifet 
fWebricbS  im  Serge  blob  fdbwiegen;  nein,  fie  geben  gerobegu  unb 
mit  ebenfo  grober  @inbelligfett  mie  Seftimmtbeit  einen  onberen 
SBobnort  beffelben  an.  gtiebridb  foH  nämli^  ou8  bem  Orient, 
wo  et  ol8  ?>ilget  ficb  oufbölt,  wiebetfebren.  SDortbin  ift  et 
gegogen,  non  bott  fommt  et  oI8  SBolIet  gntüdf,  wie  ibn  »iele 
Sonern  beteit8  bo  unb  bort  gefeben  haben.  Son  einet  Serg« 
entrücfung  ift  erft  febt  fj)5t,  um  1519,  bie  Siebe,  olfo  weit 
übet  gwei  »olle  Sobrbunberte  nodb  bem  Sluftou^n  bet  ©oge. 
Unb  felbft  bomol8  war  bie  Serfe^ung  in  bie  2:iefe  be8  Setge8 
feine8weg8  eine  allgemein  feftgebaltene ; »ielmebt  war  man  fi^ 
bet  ftübeten  Serfion  recht  flat  bewu§t.  9io<b  um  1680  bemerft 
ein  ©agenfammlet  bei  @tw5bnun0  be8  Ähffbfi«fer8,  bab  bet 
Äaifet  ftüber  oben  in  bet  Sutg,  alfo  notb  nidbt  im  Serge, 
gebauft  habe.  6tft  feit  ibn  bie  geinbe  feine8  @efolge8  beraubt, 
habe  et  fidb  in  ben  ©cbob  be8  Serge8  gurüdfgegogen. 

3m  13.  3abtbunbett  lebt  bet  Äaifet  „in  der  weite  wtt“, 
wie  Saufen  Snifel  berichtet;  bet  ficilifcbe  ^feubo»^iebri(b 
»on  1262  giebt  ficb  al8  §Dilget  au8,  unb  al8  Eremiten  ha 
geiebnen  fidb  burebweg  auch  bie  beutfeben  falfcben  ^iebricbe. 
3)er  bebeutenbfte  berfelbcn,  SEile  Äolu^,  welcher  am  9Meber« 
tbeine  auftrat  unb  1285  (7. 3nli)  auf  bem  ÄnlSmunt  bei  IBe^lat 

(MT) 


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8 


bie  ufutpierte  ^atferroQe  mit  bem  Seuettobe  bejablen  mu§t<,  gab 
auJfü^tlidb  et  fet  ««8  Serbrul  an  ben  fRegietung8gefdb«ft<» 
fortgegangen  unb  l^abe  30  3abre  in  bet  gerne  al8  ?)ilger 
gelebt.  JDie  meiften  Seritbte  nennen  gerabeju  ^aldftina  olfl 
Ort,  »o^in  ft(b  bet  Äaifet  begeben.  JDortbin,  über8  SKeet,  ^at 
et  ft(^  na^  3o^ann  n.  SBintertbut  (um  1348)  mit  feinen 
(Setreuen  jurücfgegogen  ani  gütest  feinen  geinben,  unb  bie 
SJiagbeburger  @^d)>pen(btonif  fügt  bei : „er  ist  enwech  gef^an, 
do  men  meinde,  dat  he  storven  wer“. 

@rft  bei  bem  @btoniften  @nge(^ufiuS  (f  1434)  etfabten 
wir,  bag  fidb  Snebridb  Castro  Confusionis  aufbalten  foQ. 
JDa§  bamit  ber  Äpffb^ufer  gemeint  ift,  3eigt  SBiganb  ©erften» 
betger,  ber  ®nbe  beffelben  3abrbunbert8  in  feinet  |)effif(ben 
®btonif  bemetft:  „Unde  ist  noch  in  Doringen,  wie  das  er 
(gtiebrt<b  n.)  nach  leben  sulle  uff  syme  slosse  Keuff> 
hasse“,  inbem  et  babei  al8  ©ewäbtSmann  eben  ben  etwäbnten 
@ngelbufiue  anfübrt.  äBenn  ber  an  berfelben  ©teile  no^  ge* 
nannte  3obann  (Rpteffel,  an  beffen  fRamen  ficb  bie  Slutot* 
febaft  einer  ^effifc^en  ©bti’nil  fnübft  unb  ber  halb  narb  1^1 
ftatb,  ebenfalls  beS  j^ffbäuferS  erwähnt  haben  foOte,  — bie 
©teile  ift  3U  unbeftimmt,  um  bieS  mit  einiger  ©irberbeit  3U 
frblteben  — , fo  würbe  bie  frübefte  ©rwäbnung  be8  Äpffbäufet* 
frbloffeS  frbon  in  bie  erfte  ^älfte  beS  14.  3abtbunbett8  3U 
fe^en  fein. 

Slber  no^  ift  e8  bei  ben  erwöbnten  ©rbriftfteHern  feinefl* 

weg!  baS  3nnere  beS  SergeS  felbft,  wohin  gtiebrirb  oerfebt 

wirb,  fonbetn  bie  oetbbete  93urg,  auf  ber  et  wanbett.  3o, 

fein  SBobnfib  ift  fo  wenig  ein  feftet,  ba|i  ber  @ngelbuft»8  glei^* 

geitige  tbüringifrbe  ©btonift  3ob-  9iotbe  beifügt:  griebridb 

wanbere  3uJ^ffbaufen  in  Sbütingen  auf  bem  wü^en  ©rbloffe 
(}88) 


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9 


unb  aud)  auf  anbeien  ȟften  SBurgen,  bie  }U  beut  Steife 
gefrören. 

6tft  1519  puft  ber  Äatfet  in  bic  Sicfe  beö  S3erge8  gurürf. 
3)a8  betn  genannten  3a^re  guge^örige  SSoIfdbüd^lein  fagt; 
„Die  pawrn  und  schwartzen  Künstner  sagen,  er  sey  noch 
lebendig  in  ainem  holen  perg,  soll  noch  herwider  komen 
und  die  gaistlichen  straffen  . . . 

91a(^  biefen  ^iftorijc^en  3«u0ni[fen»  benen  noch  meutere  bet» 
gefügt  werben  fönnten,  wirb  man  barauf  »ergtcbten  muffen,  bte 
93ergner|e^ung  aI8  grunblegenbe8  6lement  unferer  ^aiferfage 
^ingufteQen. 

S)amit  tP  nun  aber  guglett^  auc^  einer  ^2(np(ht  non  ber 
©enepe  unferer  Sage  baö  Urteil  gefprod^eu,  welche  ehebem  oou 
beu  berufömäpigen  ©agenforfchern  uertreten  unb  felbft  heutgutage 
no^  uon  SRanchen  verfochten  wirb.  S)iefe  fehen  nämlich  im 
^pphÄuferfaifer  lebiglich  nur  bie  S3etjüngung  ber  altbeutfchen 
@5tter»  unb  ^)elbengeftalteu.  5Bic  SBuotan,  Siegfrieb,  @^el, 
^Dietrich  u.  na^  bem  S3olf8mpthu8  fi^  in  bie  Serge  gurüff» 
gegen,  wo  pe  nach  Einführung  be8  pe  in  ihrer  Etipeng  be» 
brohenben  EhtiftentumS  fortleben,  fo  hnbe  audh  ba8  beuifche 
Solf  feine  großen  Äaifergeftalten  ibealiperenb  mit  ben  erhabenpen 
3ügen  ber  alten  verflungenen  ©ötter  gefchmüeft  unb  al8  fort» 
lebenb  im  Serge  gebacht.  91amentlich  würbe  — unb  bie  Er» 
wähnung  ber  um  ben  ^pphÄufer  piegenben  diaben  fchien  biefe 
^Deutung  guunterpü^en  — auf  eine  Sbentipgierung  mit  SBuotan 
oerwiefen.  6r  unb  ber  rotbärtige  JDonar  wohnten  ehebem  mit 
ben  ©eiftern  ber  gefallenen  {>elben  in  ^immelSburgen;  al8  ba8 
©hinptntum  fie  baroufl  verbrängte,  fuchte  fie  baS  Solf  im 
Snnern  ber  Serge,  wo  fie  al8  bePen  himmlifche  Sefchü^er  fort- 
leben. äBenn  >ine  fpätere  3«it  an  @teQe  biefer  mehr  unb  mehr 


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10 


in  ein  »erfc^roommenefl  5DämmerIi(^t  j^uTurftretenben  @öttet  bcn 
ftaftDolIen,  BolfSgeliebten  ©arboto|fa  fe^te,  fo  »at  man  geneigt, 
btefe  ÜJletamotvbofe  nur  al6  bie  gortentmidelnng  beS  fibeterbten 
Slbfttaftum«  befl  jn  bem  Äonfretum  bet  ^iftorijc^en 

SBefen^eit  griebrid)8  I.  gu  betrat^ten. 

(Danad)  läge  Der  tieffle  unb  eigentli^e  Äetn  bet  @age  in 
bet  Sergüetfe^ung,  beten  3wed,  wie  i^n  bie  j^>ätete  @age 
au(^  auöfprid^t,  fein  anbetet  ift,  aI0  ba§  bet  enttürfte  Äaifet 
berelnft  ermac^en  unb  fein  getriffeneS  Sieidj  wieber  aufrit^ten 
wirb.  3ft  aber  untere  @age  nur  bet  netfüngte  SBuotonmpt^uÖ, 
bann  l)ätte  — bieS  ift  eine  unabweisbare  Folgerung  — bofl 
wefentlid^e  unb  butdbfdblagenbe  5Jloment  beffelben,  bie  93etg» 
»etfe^ung,  beteitfl  in  i^rer  frü^eften  ©eftalt  gu  Jogc  treten 
muffen.  IDieS  ift  aber,  wie  gegeigt,  feineflwegö  bet  gaQ. 

3(u(^  bet  anbete  3ug,  in  weld^em  man  einen  gwingenben 
Hinweis  auf  SBuotan  gu  finben  glaubte,  bie  ©twöbnung  bet 
IRaben  in  bet  Änff^äufetfage,  ift  erft  in  feljr  fpätet  3«it, 
nachweislich  um  1680,  gut  jtaifetfage  hingugetreten.  Snbefjen, 
fönnte  man  einwenben,  ift  bamit  nicht  gefagt,  ba^  et  im  S3ewu|t» 
fein  beS  ätclfeS  mit  unfetet  ©age  nicht  fchon  früher  innerlich 
oerwoben  gewefen  ift,  wenn  et  auch  auSbtücflich  erwähnt 
wirb.  IBtel  bebeutfamet  aber  ift,  ba§  bie  Staben,  in  bencn  man 
DbinS  ©öfterbaten,  ^mgin  unb  SJlunin,  etfennen  wiD,  feineS» 
wegS  jener  IBorftellung  entfprechen , in  welcher  bie  altbeutfche 
fUtpthologle  fie  fennt.  IDie  Staben  SBuotanS  fl^en  auf  ben 
©chultern  beS  ©otteS  unb  raunen  ihm  ftetS  neue  Äunbe  »on 
ollem,  was  auf  bet  SBelt  gefchieht,  gu;  auch  bie  Änffhänfct» 
toben  mühten  bemnoch  in  ben  ©erg  hineinfliegen,  um  bem 
fchlummernben  Äaifer  ©otfchaft  gu  bringen,  ©tatt  beffen  — 
unb  bieS  muhte  auch  ^'e  gewiegteften  ©agenforfchet  wie  ©im» 

C»0) 


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11 


to(f  ftu^ig  machen  — fitegen  fte  um  ben  Serg  Return, 
j^eine  bet  mannic^fat^cn  fpmboHfc^en  0ebeutungen,  welche  bad 
f(offtf(^e  Sntertum  fowo^l  wie  bie  germanif(^»notbif(%e 
legte  btefen  Sögeln  al8  wegwetfenben,  ratenben,  regenuerfün« 
benbeu,  mantift^en  SBefen  beilegt,  wollen  ber  gunftion  blefer 
Jtpff^äufetraben  geredet  werben.  5)ie  Sieben  ftnb  mü^igefi  Sei« 
wer!  Don  fe^r  untergeorbneter  SloHe,  unb  fo  trioial  eS  Hingen 
wag,  fo  bürfte  bo^  bie  nüt^terne  @twögung  ^la^  greifen,  ob 
benn  nidjt  oielleit^t  witflid^e  Slaben  um  bie  feit  bem  15. 
als  Sluine  baliegenbe  Äpffbäuferbutg  flogen.  3n  biefem  gaüe 
würbe  bie  befanntc  grage  be9  Äaiferö  nur  bebeuten,  ob  benn 
no(^  immer  in  ber  SBelt  braufeen  alles  fte^e  wie  ^uoor,  ob  not^ 
feine  Spmptome  einer  Serönberung  — nur  wenn  bie  ollgemeine 
Serwirruug  iferen  fiötbflen  @rab  erreicht  ^at,  foH  ja  nad^  bet 
Sage  ber  Äaifer  erwadfeen  — fid^tbar  ftnb. 

2)afe  bei  ber  fbäteren  blaftrWen  SluSgeftoltung  bet  Sage 
SleminiScenjen  on  bie  alten  ©ötter,  beten  Spuren  felbft  Ijeute 
nod)  ni(bt  auS  bem  Sewufetfein  beS  SolfeS  »erbrängt  ftnb, 
wirffam  waren,  fann  feinem  unterliegen,  ©erabe  bie 

Sergentrüdung,  ein  3ug,  mit  welchem  bie  SolfSfage  auf  bie 
3eiten  bet  .^ügel«  ober  ©rabbeftattung  im  ©egenfafee  jum  Ser* 
brennungSjeitalter  ^inweift,  wie  ja  auc^  „in  ben  Serg  gefeen" 
fooiel  als  ft  er  ben  feeifet,  barf  fidfeerlic^  als  ein  bumpfer  9lad^* 
flang  an  jene  abfd^winbenben  ©öttermptljen  angefefeen  werben. 
Aber  ebenfo  ift  gu  betonen,  bafe  3bentifijierungen  mit  unfern 
alten  ©öttem  unb  bereu  SBeiterleben  in  ben  Sergen  burtbauS 
niebt  bie  treibenben  Äräfte  bei  ber  ©enefiS  ber  Sage  waten. 

9Ber  ba  weife,  in  weltfe  bunter  38eife  mittelalterlicfee  Sagen 

gufammenjufefeen  pflegen,  ben  wirb  eS  nid^t  befremben,  wenn 

wir  auefe  in  unferer  beutftfeen  jfaiferfage  ein  ^Konglomerat  »er* 

(»1) 


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12 


fc^iebener  ©agenelemente  aufjubecfen  fuc^nt,  »elc^e  fid^  im  Saufe 
von  Sa^T^unberten , nad^  bem  @efe^e  bet  Sßa^Iuermanbtfc^aft, 
frembgemoibeneb  abfto§enb  unb  mit  neuen  fongenialen  3been 
fi(^  oerbinbenb,  aOmä^Iic^  ju  einem  glfinjenben  ©agenbilbe 
ft^ftaUifierten.  Unb  um  eS  gleid^  ^ier  gu  fagen,  fo  liegen  gu 
einem  guten  2:ei(e  bie  Elemente  bet  ^aifetfage  über^aut>t  nic^t 
im  germanifc^en  93oIfdglauben,  fonbetn  meifen,  fo  feltfam  eS 
fUngen  mag,  auf  ben  Orient  ^in.  @etabe  g.  S.  ber  „bürte 
S3aum*,  an  ben  ber  wieberfeljrenbe  Äaifer  feinen  ©c^ilb  Rängen 
foQ,  ein  gang  ftei^cnber  3ug  übrigens  weit  älter 

ift  als  bie  0ergoerfe^ung  unb  bie  IRaben,  würbe  mit  Unrecht 
auf  altgermanifc^e  (Erinnerungen  an  bie  SBeltefc^e  ^gbrafil 
gurüdfgefü^rt.  0ie  ©age  felbft  oerfe^t  i^n  fonfequent  in  ben 
Orient  unb  in  ber  2:^at  begegnen  wir  bort  einer  viel» 
verbreiteten,  unter  anberem  auc^  bei  ben  Slrabern  in  0erbinbung 
mit  iDlo^ammeb  auftretenben  ©age,  eine  >l^atfa(ber  welche  aud^ 
@rimm  in  feiner  ÜRpt^oIogie  nachträglich  bie  ^age  aufbrängte, 
ob  nid^t  am  @nbe  ade  beutjchen  0olfSüberlieferungen  hierüber 
aus  morgeniän bif^en  0ieifeberichten  ftammen. 

@ine  genauere  Prüfung  wirb  biefe  Slnficht  noch 
ftätigen.  Sunächft  faffen  wir  bie  älteften  9lachrichten  inS  Sluge, 
welche  von  einem  6)erüchte,  ba^  ^aifer  Bnebri^  noch  lebe, 
wiffen. 

I. 

3n  ber  gweiten  ^älfte  beS  13.  SahthwnbertS  erfahren  wir, 
butch  einen  beutfchen,  in  SBien  (um  1280)  fchteibenben 
niften.  Saufen  @nifel,  ba^  in  Sälfchlanb  (Stalien)  überall 
no^  ein  ©treit  h<*^f<b^r  ob  ^riebrich  geftorben  unb  begraben 
fei  ober  ob  er  noch  „irgenbwo  in  bet  weiten  SBelt"  lebe. 

ÜBoher  ftammt  biefeS  Gerücht? 

C»M) 


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13 


3unä^^  beri(i^tet  ein  italienifc^er  ©c^tiftfteHei,  bet  SRino* 
ritenbtubet  ©alimbene,  ber  um  1284  fc^rieb,  »tele  Rotten  bie 
9la(bn(bt  vom  jlobe  beg  ^aiferS  ni(bt  glauben  fönnen,  weil  man 
no(^  größere  ^inge  non  ^ttebrid^  II.  ermartete.  @8  ift  belannt, 
in  melcb  @iabe  baS  13.  3abr^unbeit  fowo^l  in  teligiöS« 
politifcber,  wie  aud^  tu  focialer  ^infi^t  erregt  mar.  9leue  Sbeen 
unb  Sbeorien  non  ©taat  unb  Ifird^e,  weiche  baS  oiel^unbert* 
jährige  iDer^dltnid  beiber  9)td(^te  umjugeftalten  breiten,  baS 
mdt^tige  .^emorbrängen  bed  BaienetementS  innerhalb  ber  .^irc^e, 
bad  Geltung  »erlangt,  aQed  bieS  ^atte  eine  tiefe,  alle  ©c^i<bten 
ber  @efeQf(baft  aufmü^Ienbe  @&^tung  ^eroorgerufen,  bie  und 
gang  an  baö  Seitalter  ber  fWeformatiou  gemahnt.  ®er  Äampf 
jmifeben  Äaifet  unb  ^apft  ftanb  auf  bem  ^öhepunfte  unb  würbe 
»on  ben  unftreitig  bebeutenbften  Vertretern  beibet  SJtfichte, 
Sriebrith  II.  unb  3nnocen3  in.  fammt  beffen  Vatbfolgem 
@rcgot  IX.  unb  Snnocenj  IV.  geführt.  JDie  breite  SKaffe  bed 
Volfed  felbft  war  »on  bet  Uebet3eugung  burchbtungen,  ba§  bie 
beftehenben  Verhättniffe  »ot  einet  gtünblithen  Umwäljung  jiehen. 
©(hon  in  nächfter  Seit  erwartete  man  ben  2lnti(hrift,  ber  haupt« 
füglich  an  ber  in  Uehpigfeit  unb  ©(hmelgerei  »erfunfenen  ^ier> 
archie  ein  horted  ©trafgericht  »oQjiehen  werbe,  bamit  bann  erft 
bie  ^rdhe  wieber  rein  unb  ber  a^oftolifchen  Seit  entfprechenb 
aufgerichtet  werben  fönne.  Vereitd  fprach  man  »on  bem  großen 
Vlutbabe,  bad  bem  ^lerud,  befonberd  ben  hohen  Prälaten  beoot« 
ftehe  .... 

3m  fDtitteI))untte  biefer  in  Siudmalung  ber  fommenben  iDinge 
fleh  ergehenben  Träumereien  ftanb  ber  talabrefifche  iHbt  3oa» 
(him  »on  gtorid  (f  1202),  ein  9Jtann,  beffen  ^rophetengabe 
unbegren^ted  Slnfehen  geno§  unb  ber  eine  förmliche  ©chule  biU 
bete,  ©ein  mnftifch=apofaIo^)tifched  ©hftem  war  »on  bem  @e» 

(893) 


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14 


banfen  gettagen,  ba^  bet  SBeit^rojel  fi(^  burd^  eine  aQmä^H(^e 
SuHdfung  b<8  @innlid}en  im  Q^eiftigen  noüjie^e,  foba§  bie  britte 
unb  (e^te  9Belt()eriobe,  in  mel(^et  bad  Ueberflnnli(^<@eiftige  ben 
@ieg  etcingen,  but(^  bie  iRüdfe^t  gut  a))oftolif(^en  @infa(^^eit 
unb  abfoluten  Sitmut  eine  gtünblid^e  @rneueiung  bet  J^itt^e 
bthigen  wirb,  ein  teligiöfed  8eben,  wie  ed  beteiti  tppifc^  im 
Drben  bet  fontemblativen  SlRönc^e  notgebiibet  fei.  0iefe  SBet* 
änbetung  fte^e  unmittelbat  benot,  i^t  äBetfgeug,  baS  fRei(^  bet 
(S^albäet,  b.  I;.  bet  S)eutfc^en  mit  intern  ^aifet  an  bet 
f^icfe  fid^  f(^on  an,  bie  Sut^ltute  übet  bie  ^itdje  gu  fr^wingen. 

8ie§  Soa^int  noc^  gweifel^aft,  weichet  Äaifet  gemeint  fei, 
fo  oetweifcn  bie  um  bie  fDtitte  M 13.  3a^t^unbettS  aud  feinet 
@(^nle  ftammenben  pfeubo^^joac^itif^en  .Kommentare  gu  3efaiad 
unb  Seremiae  beftimmt  auf  ^riebtid^  II.  3<t,  an  maueren 
@teQen  ift  gerabegu  gejagt,  ba§  biefet  Kaifet  bie  Kitd^e  auS> 
rotten  werbe  ald  SSorläufet  unb  Statthalter  beS  nahen 
Slntichriftd. 

S)ah  in  einem  non  apolalpptif^en  Sbeen  butdhtr&nften  3<it« 
öltet  eine  berartige  antichrifttidhe  ^unftion  auf  ben  Staufer 
8tiebti<h  II.  übetttogen  werben  fonnte,  wirb  mon  etfl&tlirh 
finben,  wenn  man  bebenit,  mit  weldher  ^eftigleit  biefet  Kaifet 
ben  Kampf  mit  bem  Zapfte  unb  bet  Kirche  geführt,  ^atte  et 
bo(h  in  einem  an  bie  au6wörtigen  dürften  geridhteten  Schreiben 
mit  adern  fRachbtudfe  etflätt,  bie  Kirche  bringe  beShalb  feine 
SBunbet  mehr  heroor,  weil  fie  oon  ihrer  Seftimmung  obgefoden, 
b.  h*  weil  fie  reich  geworben  fei.  9Bie  fehr  fam  et  alfo  in  biefem 
Stücle  ben  3lnf^auungen  bet  3oachitifchen  Sdhule  entgegen! 
SIbet  nicht  bloh  ihr  allein;  bet  ©ebanfe  unb  bie  ^otberung  einet 
fRücffeht  gut  opoftolifchen  Sltmut  war  überhaupt  bem  13.  3ahr» 
hunbert  populär.  3hni  oetbanfen  bie  bamalfi  aufblühenben 

(»4) 


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15 


93<ttelotben  ter  ^anjiflfanet  unb  Slominifanet  i^re  äuget« 
otbcntli(^e  Serbreitung  unb  Seliebtgeit.  Sriebri(^  felbft  fonnte 
eine  3eit  lang  goffen,  in  ignen  brauchbare  SunbeSgenoffen  gu 
erhalten,  bid  fte  bann  fbäter  burd)  ihte  unbebingte  Unterwerfung 
unter  ba0  ))at)fttum  feine  erbittertften  @egnet  unb  SBetfünbiget 
ber  gegen  ign  gerichteten  pä^fftlichen  S)efrete  würben. 

@0  fehr  nnn  aber  ^iebrichS  ^otbetung,  bag  bie  .Kirche  fich 
aUeS  weltlichen  ISeftgeb  ent&ugcrn  foQe,  zugleich  auch  bie  ^ofung 
einet  mächtigen  firchlichen  Strömung  beö  13.  ^oht^^unbertö  war, 
fo  richtete  ftch  hoch  bie  Erbitterung  unb  bet  ^ag  ber  Eurie  gu> 
nächft  nur  gegen  ihn.  IDenn  abgefehen  banon,  bag  et  biefe 
feine  SInfchauung  nicht  etwa  in  verfchwommenen  mhftifch<ahoia« 
Ipptifchen  Formeln  fagte,  fonbern  fie  unverhohlen  unb  mit  ber 
ihm  eigenen  S^ärfe  bireft  auf  ben  ^apft  anwanbte,  brohte 
feine  energifche  ^olitif  biefelben  au^  ju  verwirflichen.  Seine 
Eegner  waren  übet  bie  ganje  Etöge  ber  Eefagr  nicht  im  Un« 
Haren.  Etegor  IX.  goHe  ihn  ben  IBorläufer  beö  Stnti^riftd 
genannt  unb  bem  parbelähnlichen  ^Hpofatppfe  ner> 

glichen,  nnb  bie  non  Snti^rifterwartungen  erfüllten  3oachiti{chen 
^eife  verweilten  nach  biefem  Ißorgange  mit  Eifer  in-  ber  wei« 
teren  9Iuömalung  beö  eöchatologifchen  93ilbeö  griebrichö;  f^on 
hatte  man  ausgerechnet,  wie  lange  er  noch  werbe  unb 
welche  Steden  auS  ben  h<digen  Schriften  auf  ihn  lauteten. 

2)a  ^riebrich  11.  fo  im  Elanje  bebeutfamfter  apofaipptifcher 
aWiffion  ftanb,  fo  lägt  pch  etmeffen,  von  weichet  Bewegung  bie 
Seitgenoffen  bei  ber  fRachricht  feineS  SobeS  ergriffen  würben. 
3)er  bereits  genannte  gtaniiSfanetbruber  Salimbene  fchreibt, 
et  h^t^e  biefelbe  erft  glauben  (önnen,  als  er  fie  auS  bem  dRunbe 
beS  ^apfteS  Snnocenj  IV.  in  ber  ^rebigt  ju  genara  gehört; 
auch  hätten  einige  3oadhiten  beim  Auftreten  beS  italienifchen 

(S»i) 


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16 


flfeubo'Briebtid^  3o^anneS  be  @alcaria  (um  1262)  unb  beS 
am  9lieberr^eine  um^etjie^>enben  üle  .Kolm)  (1282 — 1285) 
btefen  Setrügetn  Glauben  gefc^enft  eben  auf  @runb  jener  9Bei0« 
fagungen.  @r  felbft  erflärt  ftd^  t>on  biefem  Soacbttifc^en  äSa^ne 
geteilt;  anbeie  aber  hielten,  mie  feine  ^olemit  gegen  biefelben 
jeigt,  länger  baran  fefl.  2Bar  e0  bo(^  au(i^  für  Icid^tgläubtge 
@emüter  ju  na^eliegenb,  jur  @r(lärung  jo  eigentümli^er  @r« 
f (Meinungen,  wie  bie  ber  falfd^en  j^tiebrtd^e,  auf  alte  ^rop^e» 
gelungen,  jumal  feiere  au0  3oad^im0  berühmter  @^u(e,  3urücf> 
augreifen. 

2)agegen  ift  eiue  anbere  Srage,  ob  auS  biefem  oereinaelten 
SBa^nglauben  einiger  3>oad^iten  (,aliqui  Joachitae‘  jagt  @a« 
limbene)  fi(^  eine  von  fSiunb  gu  SJiunb  ge^enbe  älolfefage  non 
ber  einftigen  Sßieberfe^r  ^riebric^S  entmicfelt  ^at.  9Hc^tS  be* 
re^tigt  ju  einer  folc^en  Slnna^me.  D^ne  ba8  Auftreten  ber 
^feubo'griebric^e  ^ätte  oermutlidfi  fRiemanb  me^r  on  jene  3oa* 
^itifc^en  @prü(^e  gebockt.  Unb  mte  man  ^rop^egeiung 

nadj  Angabe  beö  (J^roniften  erft  beim  Sluftreten  ber  ^feubo» 
griebric^e  mieber  erinnerte  unb  pe  glei^fam  al8  gt^riftbeweifl 
für  biefe  ©rfc^einungen  ^ercorjog,  fo  mirb  Pe  nad)  bem  fläg» 
licken  @nbe  jener  93etrüger  auc^  mieber  »erfc^oOen  fein.  iSuc^ 
geigt  @alimbene0  pragmatift^e  @rf(drung  jener  ^ropbette,  mo« 
nac^  biefelbe  tnfofern  in  ©rfüHung  gegangen  fei,  al8  ja  fKanfteb 
t^atfäc^lic^  ben  2:ob  be8  SßaterS  oer^eimlic^te,  flar,  ba§  man 
mit  niebten  auf  eine  äBieberfunp  beS  ba^ingegangenen  ^aiferä 
fc^liepen  mupte.  3a,  bie  SBeiPagungen  felbft  ^oben  pdb  ben 
3eitumftänben  angepapt  unb  »erben  im  Saufe  ber  Seit  immer 
oorpd^tiger  unb  allgemeiner,  »ie  ja  bie  um  bie  3)iitte  be8 
13.  3a^rpunbert8  oerfapten  pfeubojoa^itifepen  ©d^ripen  f(ipon 
nicht  mepr  an  einer  unb  berfelben  ÄaifergePalt  feftpalten,  fonbern 

(S9€) 


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17 


bie  JDcutung,  unb  jtoar  jebe  tpStere  ©c^rift  um  eine  ©enetotion 
»eitet,  ^inauSfc^ieben,  »on  ^einri(b  VI.  auf  griebtic^  n.,  ddu 
biejem  auf  feinen  ©o^u  ober  übet^au^t  einen  9ta(^fommen 
feines  @ef(!^le(^tö:  sRic^t  me^r  griebriib  II.  »itb  alS  bet  bie 
.^ataftro^be  ^etbeifü^tenoe  apofalpptifd^e  S)tacbe  bejeic^net,  fon« 
bern  bet  „Same  ^ebritbS“,  feine  9lad^fommenfcbaft.  31ucb  bie 
beutf^en  Sfpolalpptifet,  »eicbe  in  ©d^wäbifcb'^aU  um  baS  3a^t 
1248  auftraten,  fotbetten  auf  ju  beten  fut  ^riebrid^  unb  feinen 
©o^n,  weil  fie  bie  ©eiecbten  unb  SSolIfommenen  feien. 

©0  »ar  benn  baS  seinen  Friderici  biefen  ©^»Srmem  ein 
»iQfommener  9IuS»eg  für  alle  ©nentualitäten.  3Bie  »enig  man 
jum  ©lauben  einet  inbinibueQen  SBieberfe^r  beS  .^aifetS  fcbteiten 
mu^te,  geigt  u.  iS.  beutlicb  3otbanuS  n.  DSnabrücf,  bet  um 
1280  bie  früher  auf  Snebticb  bireft  loutenbe  ^ophetie  fchon  fo 
fa|t,  ba§  eine  „fünb^afte  äButgel"  lommen  »erbe  „auS  bem 
©cho§e  gtiebrichS,  mit  SRamen  griebridh",  »el^e  ben  ÄleruS  unb 
bie  römif(he  jtirihe  güc^tigen  foQe. 

8li<ht  fo  leicht  »at  bie  ^erfon  griebridjS  II.  bur^  einen 
feinet  9lachfommen  gu  etfe^en,  »cnn  »it  baS  po  litifche  3beaU 
bilb,  olS  »elcheS  griebtich  feinet  3eü  etfchien,  inS  9luge  faffen. 

3n  bem  glorentinifchen  Slrchio  „dei  Contratti“  finbet  fich 
nämlich  hü^hft  intereffanter  hoppeltet  ^aufaft,  batiert  auS 
©angemignano  (oom  10.  Suguft  1257  unb  ein  gang  ähnlicher 
nom  28.  beffelben  ÜJtonatS),  »onach  ^bbello  bi  ©entile  unb 
älcoppo  bi  SSonaggiunta  bem  ©olbfchmieb  iBraccio 
60  ©cheffei  ©etreibe  »erfpte^en,  »enn  et  feftftelle  ober  eS  no» 
torifch  »ürbe,  ba§  griebtich  II.,  ben  man  tot  foge,  noch 
lebe.  — 

SBelche  Swerfe  mochten  biefe  50Iännet  wohl  babei  »erfolgen? 
SBenn  »it  bebenfen,  ba|  »it  in  bet  3eit  jener  ge»altigen,  gang 

XIX.  440.  2 (297) 


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18 


3talten  aufwü^Ienben  poIitif(^en  Kämpfe  jtttfd^en  ®uelfen  unb 
@^ibellinen  [te'^en,  {ener  Kämpfe,  bie  alles  o^ne  ^uSna^me  in 
i^ien  Sereicb  jogen,  fetnet,  ba§  nad^  noc^  »or'^anbenen  Urlunben 
einige  3a^re  barauf  (28.  ÜRai  1261)  baffelbe  ©angemignano 
mit  nod)  einigen  tuSfif^en  (Kommunen  fi(^  ju  einer  Union  fnt 
SKanfreb  gegen  bie  ©uelfen  oereinte,  fo  »erben  wir  fafl  not» 
»enbig  auf  baS  politifd^e  Gebiet  geführt  »erben.  9luS  poli» 
tifd^en  ©rünben  ^atte  OJtanfreb  ben  3)ob  feines  SSaterS  per« 
^eimlidfit,  unb  ba§  eben  babureb  baS  @erü(bt,  ^ebricb  lebe 
nodb,  entftanb,  berichtet  100  3abee  nachher  ber  @ch»eijet 
@hi^<>nift  Johann  o.  SBinterthur  unb  oiele  anbere  9iach» 
richten,  oon  benen  »ir  nur  bie  .Kölner  @tabtdhronif  (1499) 
anfühten  »oDen  (. . . ftarf  fo  heinilidh,  bat  niemals  »ail  fichet« 
lieh  uifte  of  he  ^ere  of  niet).  Ratten  oieCieidht  ^ebrichS 
politifche  Snh&nger  ein  Sntereffe  baran,  biefeS  auS  ber  anfäng» 
liehen  Unficherheit  über  beS  ^aiferS  Sob  entftammte  @erü^t 
nicht  untergehen  ju  laffen,  fonbern  für  ihre  Sit’ede  auS» 
jubeuten? 

iSudb  wenn  eS  $tiebrich  nicht  felbft  auSgefpro^en  hätte,  lonnte 
man  ni^t  im  3»eifel  fein  — unb  bie  ©egner  tfiuf^ten  fich 
batüber  (einen  Sugenblicf  — , ba§  baS  Siel  feiner  mit  ^aft 
unb  ^onfeqnenj  geführten  f)oIitif  bie  Schaffung  eineS  @inheitS» 
ftaateS  mit  UnterbrüdCung  ber  Heineren  tenitorialen  Gewalten, 
»orab  ber  pöpftlichen,  »ar.  Äühner  unb  energifcher  alS  irgenb 
ein  Äaifer  beS  fUlittelalterS,  mit  einer  ÜRachtfülle,  »ie  fie  (einer 
feiner  SSorgünger  in  Italien  befeffen,  hotte  er  Sahr^ehnte  hin* 
burdh  ben  .Kampf  gegen  baS  .^apfttum  geführt,  gleidh  gewanbt 
auf  bem  Schlachtfelbe  »ie  in  ber  biplomatifdhen  ^unft.  Unb 
bereits  fchien  er  nadh  einer  äu§erft  bewegten  öiegierung  gegen 
baS  3ahr  1250  auf  bem  ^un(te  gu  fteheu,  ben  lebten  ent« 

(198) 


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19 


ft^eibenben  Schlag  auf  bie  Äird^e  gu  führen.  ®enn  niemal« 
»ar  feine  ?)artci  mäcl^tiget  bageftanbcn:  5Dle  ©aracenen  teaten 
unter  bie  SBaffen  gerufen,  fein  So^n  Briebridf)  ertoartete  mit 
beutf(^en  unb  italienif^en  £rup)>en  in  ÜJMttelitalien , ber  ge« 
toaltige  ©ggelino  in  Oberitalien  bie  Slnfunft  be«  Äaifer«  um 
Io8jufd^lagen;  in  9iom  felbfi  begrü§te  eine  mä(^tige  Partei  ben 
Äaifer  al0  ^etlanb  unb  fRetter  nom  ^jäpftlicfeen  3o(^e:  — ba 
fam  bie  9iad^ric^t  von  feinem  STobe. 

@Iei(^geitige  93erid^te  fc^iibem  ben  (SinbrudC,  ben  biefe 
Äunbe  auf  feine  |)arteigäuger  ^ervorbrad^te.  2Bie  feine  ©egner 
fro^lodften  unb  3nnoceng  IV.  in  faft  tierifd^em  ®rimme  über 
bem  frtfd^en  @rabe  griebrit^B  an  bie  flcilifc^en  @ro§en  fdjrieb: 
„3ubeln  foDen  bie  ^immel,  fro^lodten  bie  @tbe,  ba^  bet  ent« 
fe^Iid^e  @emittetfturm  fidb  in  linben  2;auminb  umgewanbelt, 
nad^bem  jener  au«  ber  SÜBelt  genommen  ift,  ber  bie  jHrd^e 
@otte«  in  SSerwirruug  geflürgt  . • fo  verni(^tenb  mar  ber 
@^lag  für  bie  g^ibellinifd^e  Partei,  weldje  in  ^iebtid^  II.  bie 
Sürgf^aft  be«  Siege«  gefe^en  ^atte.  9le^men  mit  bagu,  ba§ 
nad^  griebti(^8  STobe  bie  allgemeine  SSermitrung  burc^  bie  Un» 
einigfeit  gwlfc^en  ÜRanfreb  unb  Äonrab,  ben  Sonnen  be«  Äaifcr«, 
noc^  gefieigert  mürbe  unb  in  Dberltalien  auf  Setreiben  be« 
Zapfte«  ber  gombarbenbunb  fid^  erneuerte  (1251),  fo  fd^ien 
jegli^e  ^)offnung  für  bie  laiferli^e  @a(^e  gertrümmert. 

5Da«  ift  aber  eben  bie  reifte  Sltmof^j^dre  für  erregte  ®e« 
müter,  um  ®erü(^te,  gumal  menn  fle  ben  ^>ergen«münfd^en 
entgegenfommen , fritiflo«  l)ingunei|men  unb  mit  Segierbe  gu 
ergreifen.  Unb  biefe  ®erüd^te  maren  t^atfadbli^  oor^anben. 
SRanfteb  ^atte,  mie  bereit«  ermSIjnt,  ben  STob  feine«  Sater« 
ver^eimlii^t,  um  ber  Sefi^na^me  Sicüien«  butd^  Äonrab  guoor« 
gufommen,  unb  felbft  in  ben  faeftunterrid^teten  Äteifen  ^enfd^te 

. 2*  (2*9) 


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20 


einige  Ungewig^eit  über  ben  !£ob  bed  ^aifeid.  SBenn  ba* 
^et  bie  g^ibetiintfdbe  Partei  biefen  anfänglitb  in  Stalien  b*n» 
fd^enben  3»eifel  no^  ju  Seiten  (1257),  »o  bie 

äBabrbrtt  längft  am  2;age  fein  mu§te,  wenn  fte  $itebn<b,  bet 
nun  einmal  burc^  feine  weit  auSgreifenbe  ^olitit  für  3n^t« 
bunberte  binaue  bie  ißetför^erung  fowobl  bec  £)berbobeit  bet 
weltiicben  ®ewa(t  über  bie  fUtadbt  bei  ^trdbe  aie  au<b  bet  non  biet 
an  nie  mebt  nerfcbwinbenben  3bee  einel  italifcben  @inbeitj< 
ftaated  geworben  war,  in  jenen  bei&en  i^äm^fen  a(0  noch 
unter  ben  Bebenben  weilenb  oerfünbete,  fo  böigen  wir  für 
biefen  )>f9(boIogifcben  $roceb  genug  SInalogien.  38ir  erinnern 
nur  an  bie  ^feubowalbemar,  ^feubobeinricb , an  bie  @)erü^te 
Bom  Sortieben  beS  Äönigö  ©ebaftian  (f  1578),  an  benen  bie 
unter  baS  fpanif(be  3o(b  gebeugten  ^ortugiefen  noch  ^a\ju 
bunberte  b^^tnäcfig  feftbielten;  nodb  im  Sabre  1838  foQ  eS 
im  Snnern  non  Srofilien  ©ebaftianiften  gegeben  haben*  ©er 
@(aube  beS  britif(ben  äSoIfed  an  bie  ÜBieberfebr  .^önig  '^rtud’ 
war  fo  tief  in  bag  SBewu§tfein  eingebrungen , ba§,  wie  ein 
SBericbt  aufl  bem  12.  Sabrbunbert  lautet,  jeber,  ber  in  ber 
Bretagne  bieö  geläugnet  hätte,  unfehlbar  gefteinigt  worben  wäre. 
3a,  na(b  3«an  ,bel  ßaftillo  ging  baö  ©erebe,  ^bü'PfJ  H* 
habe  bei  feiner  93ermdblung  mit  ber  engtifcben  3Raria  fcbwüren 
müffen,  feine  9lnf^>rü(be  auf  bie  englifcbe  Ärone  aufgugebeu, 
falls  Äönig  SSrtuS  einfi  wieberfommen  foHte.  — 9(ucb  nod>  in 
neuerer  Seit  tauchten  berartige  giftionen  wieberbolt  unb  nie* 
mal8  ohne  ®rfolg  auf.  ©o  fanb  bie  Äunbe  Bom  2obe  Äaifer 
SofefS  IT.  Bielfacb  feinen  ©tauben  in  feinen  8änbem;  man 
meinte,  bie  ©elftlicbfeit  habe  ihn  entführt  unb  halte  ihn  in 
einem  unterirbifchen  Äerfer  ju  fRorn  gefangen.  Sluch  Bon  Äßnig 
9Jlat  II.  Bon  SBaiern  meinte  man,  ba§  er  noch  irgenb* 

(300) 


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21 


)oo  lebe.  9la(b  bem  glauben  bet  Umwohner  j^art^agoS 
tterben  bie  alten  Jföntge  beS  SanbeS,  bie  in  ^ö^len  noc^  fort» 
lebenben  .J)ofafa,  bei  bet  jroeiten  SBieberfunft  beS  ©tlöfetfi 
«inft  niebetum  über  fie  ^errfc^en.  3a  au(^  auf  Oroai^t  lebte 
gu  .^o^ebue'ö  Seit  nodb  bie  @age,  ba§  ber  über  bie  Untreue 
feiner  ©ema^lin  @runa  ergümte  Äßnig  Slono  bie  Snfel  »er» 
laffen  ^abe,  aber  einft  n^ieberfommen  unb  alleS  mit  fi^  bringen 
»erbe,  maß  »ünfienßnjert  fei,  worauf  bann  baß  golbene  Seit» 
alter  fommen  würbe,  baß  bei  feinem  Fortgänge  aufgebört 
batte. 

^Derartige  @rf(beinungen  auß  alter  unb  neuer  Seit  liefen 
ficb  »obl  nodj  »crmebten.  @ß  ift  nun  einmal  in  ber  menf(b» 
lieben  fUatur  begrünbet,  an  ber»ortagenben  ^erfönlicbfeiten,  gu» 
mal  wenn  beten  burebgrelfenbe  SBirffamfeit  in  bewegte  Seiten 
ober  »or  jäbe  Äataftropben  fällt,  bartnoifig  feftgubalten;  non 
ihrer  iBebeutung  erfüllt  fann  ober  wid  eß  baß  bingebenbe  ®e» 
müt  nicht  faffen,  bab  fie  für  immer  babingegangen  fein 
foQen  unb  beftet  ficb  baber  »ertrauenßooQ  an  ihren  großen 
©(batten. 

9lun  batte  aber  griebricb  II  feine,  bie  gange  gufünftige  t)0» 
litifdbe  ®ntwicfelung  Stalienß  beberrfdbenbe  unb  erft  in  aller» 
neuefter  Seit  »erwirflicbte  ©taatßtbeorie  nicht  blofe  guerft  rücl» 
baltloß  außgeft>rocben  unb  mit  bem  'jlufgebot  aller  materiellen 
wie  geiftigen  ^liittel  »erfo^ten,  fonbern  er  follle  audb  nach  bet 
italienifcben  ©ibpQe  ber  le^te  Äaifer  fein,  bem  feiner  mehr 
nacbfolgen  wirb,  ©o  febreibt  ber  fiorentinifebe  ©uelfe  S3tu* 
netto  8atini  um  1266:  „SBenn  SDierlin  unb  bie  ©ibpKe  bie 
äBabrbeit  fagen,  fo  mu§  mit  ffriebricb  bie  ^aiferwürbe  gu  @nbe 
geben."  IDabet  fonnte  auch  bie  »on  ihm  erwartete  bdiüf<be 
SRifpon  auf  feinen  feiner  9lacbfolger  übertragen  werben.  3ene 

(»Ol) 


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22 


bm  ot)ofa(9^tt{4ien  Sc^ttdrmern  fo  beliebte  ^beijie^ung  be4 
i^Samend  ^ciebticbd*  vat  bei  biefet  Sluffaffung  abge[cbaitteii. 
SBie  febr  aber  bab  politifibe  3bealbilb  ^iebticbb  IL  in  bo4 
93ewu|tfein  beS  italienifd^en  93olfe8  gebrnngen  war,  geigt  u.  2(. 
bie  ^lagentiner  6b<ont(  beS  3obann  be  SRufftd  am  @nbe  bed 
14.  3a^rbunberte.  IDiefer  fpricbt,  nac^bem  er  gegen  bie  weit* 
UAe  HJiacbt  bed  ^apfttumd  geeifert,  im  Sufnmmenbange  mit 
$riebri(b  U.  non  einem  mächtigen  ^mfcber,  bet  {ommen  werbe, 
nm  bie  3Racht  ber  Kirche  gu  nernichten  unb  feine  .^err« 
f^aft  über  gang  Stalien  audgubreiten.  Slnbrerfeitd  wirb 
ald  IDemonftration  bagegen  in  einer  non  entgegengefe^ter  @eite 
audgebenben  |>Tophcgeiung  um  1256  con  einem  J^dnige  ge« 
fbrochen,  ber  fommen  werbe  um  bem  tömifcben  @tuhle  feine 
frühere  Ultacht  wieber  gu  uerfchaffen  unb  ade  iBerte  i^aifer 
Sriebtichd  gu  vernichten. 

@inb  ed  nun  na^  bem  @)e)agten  politifche  @rünbe  unb 
f>oIitifche  Stnecfe,  wel^e  bem  anfänglich  verbreiteten  @)erebe, 
Sriebrt^  lebe  noch,  92nhi^nng  gaben  unb  ed  no^  einige  Seit 
nach  bem  Sobe  bed  .^aiferd  audbeuten  liegen,  fo  mug  gleich« 
wohl  in  Sweifel  gegogen  werben,  ob  biefed  politifche  Slgitationd« 
mittel  nicht  benn  hoch  am  ,@nbe  feine  ^aft  verlor.  SBenn 
fchlieglich  bie  fchwärmerifchen  Unpftifer  ber  @^ule  Soachimd 
fleh  vor  ber  URacht  bet  SBirfli^feit  beugen  unb  ihrer  apofalhh* 
tifchen  ^orfteQung  non  Sriebrichd  II.  ^erfon  unb  @enbung  ent« 
fagen  mugten,  um  wieviel  megr  wirb  bied  bei  bem  nüchternen  @h«* 
rafter  politifcher  J^üpfe  ber  SaQ  gewefen  fein!  ^tebridhd  offe« 
ned  Q^rab  gu  Palermo,  ber  verberbli^e  .^aber  feiner  Söhne  unb 
in  ^olge  beffen  bie  allgemeine  9?erwirrung  unb  ber  IRüdgang 
ber  faifetlichen  Sache  waren  wagrlich  mächtig  genug,  jened 
Gerücht  gügen  gu  ftrafen.  ^ugerbem  mag  auch  traurige 

(30») 


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23 


SHoQe,  ttelc^e  bet  fldtlfd^c  9>feubofriebri(^  (1262)  fowie  ln 
<Deutf(^lanb  Süe  j^olup,  na(^  bem  ja  bie  lotnbaibif(^en 
©tobte  but<^  eigene  obgefcbicfte  ©efonbte  erfunbigt,  fpielten, 
emü(^ternb  gewitft  unb  berortigen  ))oIit{f(^en  Betrügereien  ben 
Boben  entjogen  ^oben. 

SBo§  boe  Auftreten  folfd^et  griebrid^e  über’^oupt  angelt, 
fo  beweift  boffelbe  an  unb  für  P<b  gor  nid^te  für  boe  Befte^en 
einer  eigentlitben  Bolfefoge;  benn  ee  finb  3.  B.  oud^  ^feubo* 
raonfrebe  in  Stolien  aufgetreten,  o^ne  ba§  ein  berartiger  ©laube 
fi(^  an  fie  gefnüpft  ^ätte. 

3n  bet  SE^ot  lauten  ond)  bie  f^)äteren  fBeiffagungen  über 
ben  bereinft  Stalien  einigenben  ^etrfdjer  Diel  aflgemeiner.  ©0 
in  bem  3«tbucbe  bee  ÜJii(bael  be  8eone  j.  3-  1348:  „@in 
einziger  wirb  ^err  fein,  bae  römifd^e  IReicb  erbb^t  verben,  ber 
^5nig  Don  granheicb  mit  feinen  Baronen  fallen,  ber  ^o^ft 
mit  ben  Äarbinölen  nernicbtet  »erben/  Bon  SRiengo  »iffen 
»ir,  ba§  et  fi(b  felbft  für  ben  alfo  oorbetbeftimmten  Erneuerer 
bet  gangen  ^albinfel  mit  bet  ^auptftabt  IRom  bidt. 

@0  feben  »it  auS  bem  2ingefübrten , ba§  griebricb  II. 
aQerbingg  fowobl  für  bie  apofalpptifcbe  wie  politifcbe  ©trbmung^ 
jened  Beitalterd  ©egenftanb  bet  bbcbften  ©rwartungen  geworben 
war,  ja,  ba§  felbft  noch  feinem  Sobe  notb  einige  Beit  bei  be- 
fonbern  Botfommniffen  alte  |)rot)begeiungett  übet  ibn  bee®w* 
gegogen  würben.  S)a§  bieS  befonberd  Don  ©eiten  ber  ©egner 
bed  ^apfttumd  gefcbab,  lag  in  ber  ungweibeutigen  S:enbeng 
jener  SBeiffogungen,  beten  @pi^  gegen  bie  beftebenbe  gorm 
bet  jUt(be  gerietet  war.  @d  war  baber,  um  bied  gleidb  b<et 
angubeuten,  gang  naturgemäß,  wenn  fpätetbin  bad  geftbalten 
jener  ©twartungen  unb  bet  ©laube  an  griebri(bd  SBieberfebr 
Don  ben  popfttreuen  ©ef(bicbtf(brpibem  bireft  ald  „feßeriftb“ 

(SW) 


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24 


bejeid^net  wirb.  9U8  „Äe^er"  waren  bie  falfr^en  griebric^e 
netbrannt  worben  unb  bte  fc^Hmmfte  ^ärefie  war  e8  )ebenfaQ8, 
bte  bet  ^r(^e  ba8  Steibt  auf  9teic^tämer  unb  weltlid^e  Snadjt 
beftritt.  9lo(^  int  3a^re  1321  erfl&tten  bie  fübftangöfift^en 
Äat^atet  not  ben  Snquifitoren,  Äatfet  griebrid^  werbe  auf» 
ergeben,  um  i^re  @e(te,  eine  gnpftifc^»buatifüf(^e  ^t(^e,  gu  et» 
weitem  unb  ben  ^leruS  gu  güc^tigen;  fd^on  nötiget  ^atte3)o(» 
eine  (f  1307),  ba8  ^aupt  eine8  ben  üJlinotiten  nad^gebilbeten 
Settelotben8,  bet  fog.  Slpoftelbrübet,  »etfi(^ert,  gtiebiid^  werbe 
fommen  unb  Äoifet  werben.  aHerbingS  war  für  biefe  Äteife 
au8  bem  Sntic^ften  gtiebtii^  eine  fet^nlic^ft  erwartete,  ^offnungS» 
reiche  9Re|fia8geftalt  geworben. 

Snbeffen  ftnb  jene  oben  genannten,  bei  beftimmten  iSn» 
läffen  auftaud^enben  (^nnetungen  an  alte  äBeiffagungen  nod^ 
weit  entfernt  oon  einer  non  9)iunb  gu  Wunb  ge^nben  S3oIf8» 
fage  über  ein  inbinibn.ene8  SBieberfommen  ^aifer  griebrid^S. 
SBit  ^aben  fogar  gefe^en,  wie  fpätere  0erid^te  jene  ääeiffagungen 
nerfia^ten,  wie  fie  ftet8  allgemeiner  unb  unbeftimmter  würben 
unb  fc^lie^lic^  bie  ^erfon  griebrid^S  II.  gang  prei8gaben.  @o 
berichtet,  worauf  wir  fc^on  oben  nerwiefen,  um  1280  3otbanu8 
non£)8nabrü(f,  bie  geitlicb  gunäc^ft  in  S3etrac^t  tommenbe 
Quelle,  bie  SBeiffagung  bereit8  fo,  ba§  non  bem  S3ilbe  griebri^8 
nur  noäf  beffen  9iame  übrig  geblieben  ift. 

n. 

Ungleich  wid^tiger  unb  bebeutfamer  aber  ift,  wa8  wir  un» 
mittelbar  barauf  bei  bemf eiben  3nrbanu8  lejen:  „@8  fei  eben: 
bafelbft  no(^  eine  nieloerbreitete  SBeiffagung,  ba§  au8  ben 
Karolingern,  b.  au8  bem  ©tamme  König  Katl8 
unb  bem  ^aufe  be8  ftänfif^en  Königs  ein  Kaifer 
erflehen  folle,  mit  9lamen  Karl,  ber  ba  fein  werbe 

004) 


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25 


$ücft  unb  ^eirfc^er  Bon  ganj  @uro^a,  bet  iSticbe  unb 
Steid^  teformieien  unb  melci^em  fein  anbrei  j^ai{er 
tne^r  folgen  folle. 

äBo^er  mit  einem  3RaIe  biefe  beftimmt  lautenbe  ^rob^e« 
geiung  Bon  einem  lebten  .^aifer  jfarl?  fDierfmürbig  genug 
finbet  fidb  biefrlbe  nidbt  lange  batauf  unb  gmar  not^  ptäcifet 
unb  au8fü^tlt(bet  bei  Sodann  B.  SBintert^ut  (um  1348), 
fetnet  in  einem  SReifterliebe  unb  einet  ©ibpllenmeiffagung 
ebenfallä  au8  bet  fUlitte  be8  14.  Sabt^unbeitS  unb  Bielen  anbetn 
Seticbten.  Stufet  bei  3otbanu8  lautet  aber  biefelbe  — unb 
biefl  ift  Bon  größter  SBi^tigfeit  — ftatt  auf  Äarl  überall  auf 
Äaifer  griebti^. 

S3etra(bten  mit  gunäd^ft  bie  ausgeprägte  Raffung  bei  bem 
SBintert^urer  S3ettelmönc^:  3um  Sa^re  1348  fd)reibt  er:  @8 
fei  Bon  ben  3Renf^en  allet  .Klaffen  auf8  guBerficbtli^fte  in 
biefen  Seiten  behauptet  morben,  jfaifer  ^riebric^  metbe  fommen 
um  bie  gang  oerborbene  ^ir^e  gu  reformieren.  3a  er  muffe 
fommen  unb  menn  er  in  taufenb  @tüdfe  gerfd^nitten  ober  gu 
@taub  Berbrannt  märe.  @obalb  er  nun  miebet  feine  ^errfd^aft 
erlangt,  metbe  et  bet  armen  So(bter  ben  reifen  9Rann  gut 
@^e  geben,  fDlönd^e  unb  9ionnen  Ber^eiraten,  Ben  SBittmen 
unbäBaifen  unb  allen  beraubten  ba8  3^cige  gurudferftatten  unb 
jegli^e  @erecbtigfeit  erfüllen.  „IDie  jflerifet  aber  mirb  et  fo 
gtaufam  oerfolgen,  ba§  fie  i^te  Sonfur  mit  3ßift,  menn  fie  fein 
anbereS  fDiittel  gum  93ebedfen  ^aben,  Berbecfen,  bamit  fie  nidf|t 
erfannt  metben.  IDie  IDiön^e,  meld^e  bie  päpftlic^en  IDefrete 
gegen  i^n  Berfünbet,  befonberS  bie  ÜRinberbrübet  mirb  et  Bon 
bet  @rbe  oerjagen.  3Benn  et  nun  miebet  bie  ^Regierung  über* 
nommen,  mirb  et  geregter  unb  glorreicher  regieren  al8  guoor, 
fobann  mit  einem  gahlreichen  ;^erre  übet  ba8  ^eet  giehen  unb 

(J05) 


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26 


auf  bem  Oelberge  (obet  bei  betn  bünen  0aume)  feine  ^one 
nieberlegen,  b.  abbanfen." 

^ie  hier  aufltetenben  3iige  finb  »on  ba  ab  ganj  f^etjenb 
in  bet  ^iebriebfage.  ©ober  ftammen  fie  unb  wie  fonnten  fle 
fl(b  mit  bem  Silbe  gtiebri(b0  II.  »etfnüpfen,  getabe  ju  einet 
Seit,  wo  bie  apofalpt^tifdben  wie  ^olitif(ben  ®^wätmet  ftcb  ge* 
nötigt  faben,  bie  ^erfon  jenes  j^aifetS  gutücftteten  gu  laffen 
um  ibte  @twattungen  gang  unbeftimmt  an  itgenb  einen  feineS 
9Iamen8  gu  beften  obet  gat  inS  Allgemeine  oetflöcbtigen  gu 
laffen?  (Setabe  weil  jene  Sltäumeteien  »on  gtlebtldb  II.  im 
Abfebwinben  waten,  müffen  bie  Oltotioe,  welche  ihnen  wiebet 
neue  Äonfifteng  gaben  unb  fogat  eine  SReibe  anbtet  Süfl* 
fügten,  mächtig  unb  unwiberfteblich  gewefen  fein. 

©ir  fennen  glüdlidbetweife  ibte  DueQe:  eS  ift  bie  alte 
©eiffagung  »om  lebten  tömifchen  Äaifet.  IDiefe  eigent* 
liehe,  fchlechtbin  fo  gu  nennenbe  ^aifetfage  batte  längft  im 
Sewuhtfein  bet  chriftlichen  ©eit,  bet  moigenlänbijchen  wie 
abenblänbifchen,  gelebt,  beoot  fie  fich  mit  itgenb  einem  be* 
ftimmten  ^aifet,  fei  eS  Sari  obet  Biebrich,  vetbanb. 

Um  948  fchtieb  ein  frangöfijehet  3Röncb  Abfo  auf  An« 
tegung  bet  ®emablin  SubwigS  IV.  oon  ^tanfteidb  eine  S^tift 
übet  ben  um  jene  Seit  aufS  beftimmtefte  etwarteten  Antichti]^ 
IDatnach  feU  in  ben  lebten  Seiten  einet  bet  j^önige  bet  ^tanfen 
baS  römifche  (Reich  empfangen,  ein  machtooller,  glotteichet  .^en;* 
feber,  gugleich  abet  auch  t>et  le^te  aQet  Könige.  „(Racbbem  bet* 
felbe,  fäbtt  Abfo  fort,  fein  (Reich  glücfli^  tegiett,  witb  et  gu* 
le^t  nadb  Setufalem  gieben  unb  auf  bem  Delbetge 
@ceptet  unb  .^tone  niebetlegen.  IDieS  ift  beS  tömi* 
fchen  unb  chtiftlichen  (Reiches  @nbe  unb  foglei^  banach 
fommt  bet  Antichtift." 

(306) 


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27 


2>iefe  ganje  |)aTtie  nun  9(b(o  aud  bet  urfpiünglid^ 

gne(^i{(f)en , aber  in  unjä^ligen  lateinifci^en  Ueberfe^ungen  unb 
$arat>^rafen  int  Slbenblanb  neibreitcten  f^rop^etie  eines  ge> 
n>i[fen  ÜRet^obiuS,  »eit^e  in  Sp^anj  wo^l  f^on  nor  bem 
8.  3a^t^unbert  entfianben  ift.  iSnfnfi^fenb  an  bie  @r|(^einung 
bed  Slnti^rifi,  auf  »etcbe  ja  gu  allen  Seiten  bet  Semblid  bet 
(^riftlic^en  IBelt  gerichtet  war,  verheilt  fie  einen  lebten  römi* 
fchen  (natürlich  griechifch^röcnif^en,  ba  wir  in  Spgang  finb) 
.Kaifer,  bet  na^  Serufalem  giehen,  bort  auf  Golgatha  feine 
£rone  am  ^olge  beS  ^reugeS  niebetlegen  unb  fein  IReich  ®i>tt 
übergeben  wirb,  worauf  bann  baS  ^eug  fich  erheben  unb  bie 
^atufie  beS  ^errn  eintreten  foll. 

SDiefer  weitcerbreitetcn  fUtethobiuSweiffagung  liegt  bie^e» 
ralliuSlegenbe  gu  ©runbe.  @S  ift  befannt,  ba|,  na^bem 
eö  ben  Verfem  unter  ©ho^’^oeS  II.  gelungen  war,  bis  3eru» 
falem  uorgubringen  unb  bie  von  ber  J^aiferin  .^elena  angeblich 
gefunbene  ^reugeSteliquie  als  @iegeStrophäe  nach  ^erfien  mit« 
gunehmen  (614),  erft  Äaifet  ^erafliuS  (621—628)  bie  ^einbe 
gurücfbrängte  unb  baS  Ihreug  wieberum  im  Siriumphe  gurücf« 
brachte.  93eim  (Singuge  in  bie  hi-  ®tabt  verga|  er  aber,  wie 
bie  ®age  ergählt,  ba|  bagu  bie  Fracht  eines  SlTiumphutorS 
nicht  paffe.  ISIS  er  baper  vom  Delberge  herabtommenb  vor 
bem  ©tabtthore  etfchien,  lüften  fi^  bie  Duabern  non  bet  IDlauer 
unb  fchloffen  ben  Sugang.  @in  @ngel  verweigerte  bem  ^aifer 
ben  @ingng,  wenn  er  nicht  im  ®ewanbe  bet  IRiebrigfeit,  wie 
einft  ber  ^ett,  erjcheine.  Sofort  legte  bet  jfaifet  bie 
^rone  unb  allen  faifetlidben  Schmud  am  ^reuge 
nieber. 

fSUt  biefer  in  ben  .Rümpfen  gwifchen  (Sheiften  unb  IDtoha« 

(307) 


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28 


tnebanern  enttoidelten  Begenbe  ^atte  ber  angebliche  ÜRethobiud 
bie  ^ntichnfierwartung  ceibunben. 

$atte  nun  biefe  IDletbobiudweiffagung  auf  bpjantinifchem 
93oben  ben  3<ved,  bem  grtechtfchen  ^aifertume  bie  ^rärogatine 
ber  ihm  allein  unb  utfptünglidb  non  (Sbtifto  annertrauten  SSelt* 
herrfchaft  ju  mähten,  fo  ift  in  bet  ermähnten  S^rift  Slbfo’8, 
meldhe  jene  Seiffagung  faft  m örtlich  aufgenommen  bat,  au8  bem 
tömtfch'bpjantinifchen  ä^aifet  ein  ftänfifcher  gemorben.  S)tefe 
SBanbtung  ber  ®age  mar  burch  ihte  SSerpftanjung  nach  bem 
Sbenblanbe  bebingt.  S)enn  Sranfen  maren  ja  feit^arlö  b. 
ä^rönung  (800)  faftifch  bie  @rben  beö  chriftUd)>r5mifchen  ^aifer» 
tumd  gemorben.  @ine  bauernbe  Uebertragung  auf  bie  IDeut« 
fchen  fanb  erft  nach  9bfo,  burch  bie  j^cönung  Otto'8  I.  (962) 
ftatt.  Slber  felbft  je^t  noch  ftdnfifche  ^aifertrabition 

fo  mächtig,  ba|  ber  @ach)e  Dtto  bie  j^rönung  auf  altfränfi» 
f ehern  S3oben  unb  in  altfränfif ehern  @emanbe  empfing. 
Unb  auch  nadh  iDtto'ö  Krönung,  ben  ^apft  8eo  auSbrucflich 
als  ben  erften  „beutfehen"  Itaifer  begeichnet,  fpricht  man  mehr 
non  einem  fränfifchen  ald  beutfehen  j^aifertume,  mie  benn 
g.  S3.  Dtto  0.  Sreifing,  bet  leiblidhe  Oheim  beö  beutfehen  ÄaifetS 
f^riebrich  I-,  gerabeju  meint,  baS  IRei^  ber  IDeutfchen  fei  über« 
haupt  nur  ein  2:eil  beS  fränfifchen  .Königtums,  eine  SInficht, 
melche  auch  non  anbern  geteilt  mürbe. 

üluher  bei  2(bfo  finben  mir  jobann  auch  anbermärtd  bie 
ermähnte  ^rophegeiung.  IBefonberö  michtig  i^  hic)^  sin  &t* 
bicht  au8  bem  @nbe  bei  12.  ober  Anfang  bei  13.  3ahrhunbertif 
„ber  (Sntechrift*.  ^Darnach  mirb  einer  ber  granfenfönige, 
ber  gule^t  fommen  foQ,  „9iom  unb  ben  Bateran  begmingen  unb 
alle  9fleichc  gemaltig;  fie .muffen  ihm  3ini  geben,  @r  foH  felig« 
lieh  leben  in  niel  langer  3sit  unb  meit  unb  breit  ber  Sßelt  ben 

(SO«) 


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29 


??Tieben  geben.“  Sule^t  bewehrt  er  ft^  too^I  unb  gebietet  eine 
^eerfabrt  nach  3>erufalem,  wo  er  baS  Iai|erli(be  @ewanb, 
@peer,  ® dauert  unb  jhone  nieberlegt  unb  auf  bem  Oelbetge 
baS  faiferlidie  0tabem  ®ott  mit  eigenen  ^dnben  barbringt. 
„2)ann,  f^liefet  e«,  ift  romif^eö  ti(bifl  enbe“. 

2(u|er  ber  befannten  3)Uffion,  ba§  ber  le^te  ^aifer  nad^ 
rubrnDoUer  SRegierung,  bie  ber  SBelt  ben  Rieben  giebt,  eine 
^eerfabrt  nach  Serufalem  machen,  bort  auf  bem  £)e(berge  bie 
faiferlicben  3nfignien  nieberlegen  unb  refignieren  »erbe,  tritt 
hier  noch  ber  cbarafteriftifcbe  3ufa$  auf,  bafe  berfelbe  fRom  unb 
ben  Lateran  bejwingen  foll.  iSucb  ber  „bürte  Saum“, 
an  ben  ber  fiegreidbe  ^aifet  feinen  @cbilb  bangen  wirb,  um  bann 
gu  fterben,  tau4)t  hier  gum  erften  ORale  auf. 

fRodb  immer  ift  eS  bidber  ein  fränfifdber  ^önig,  bet  bie 
SKiffion  befi  lebten  römifcben  ÄaiferS  übernimmt;  erft  nacbbem 
baS  beutf^e  ^aiferbewubtfein  unter  bem  ftauflfcben  .paufe  er« 
ftarft  war,  würbe  ber  fränfifcbe  burcb  einen  beutf  dben  ^aifer 
»erbrängt. 

SDiejct  ©cbritt  in  ber  SGBeiterbUbung  bet  ®age  ift  nacbweiö« 
bar  guerft  getban  in  einem  lateinifdben  ^ubu8  »om  2(nti« 
Triften,  weidbet  au8  einet  Jegernfeer  ^>anbfdbrift  beS  12.  Sabif* 
bunbert8  neuerbingä  wieberbolt  berauögegeben  ift.  3m  SWitteU 
fünfte  biefeS  mittelalterlidben  IDramad  ftebt  ein  beutfdber 
^önig.  IDer  IDicbter  wei§  wobl,  bab  er  bamit  bie  biSberige 
93erfion  ber  ®age  burcbbricbt  unb  lä^t  baber  ben  ftangöftfdben 
Äönig  »ot  ben  SBoten  beS  beutfdben  ÄaiferS  ^jroteftiercn : 
„SBenn  man  ben  ©ef^icbtjcbreibcrn  glauben  batf,  fo  gebührt 
ba6  DReicb  unö  felbfi.“  IBber  nidbt  nur  ber  frangöfifcbe  ÄSnig, 
fonbern  auch  ber  grie^ifcbe  ^aifet  muh  ficb  bem  beutf^«römi« 
fiben  unterwerfen;  oDeö  wirb  ihm  bienftbar,  bie  gange  Äirdbe. 

(J09) 


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30 


2)a  ergebt  ftc^  bet  JtSnig  oon  93abpIon  gegen  bte  d^riftlicbe  9Ra(^t 
unb  rüftet  ft(^  aut  ©toberung  Setu^alemö,  »irb  aber  ^befiegt. 
3e$t  betritt  bet  Äaifer  ben  Sempel  a«  3erufolem,  legt 
Ärone  unb  @cet>ter  nicbet  unb  fibergiebt  @ott  baS 
91  ei^.  35ana^  erfd^cint  ber  Slntid^rifl.  — 

3n  biefet  neuen  SJetfton,  wonadb  ber  le^te  röntif^e  Äalfcr 
ein  Deutfd^er  ift,  begegnet  unö  uon  ba  an  bie  Äaiferfage. 
9IIerbing§  nic^t  au8j(^lie^licb,  fonbern  ti  behauptet  fid^  auch 
weiterhin  baneben  bie  fränfi|^e  Srabition.  3)a§  biefe  legiere 
bet  neueren  Sanbiung  bet  @age  fi<b  nicht  anbequemte,  ift  um 
fo  mehr  erflätlidh,  ald  bet  erregte  ^amt>f  gttif^en  ben  ftauft« 
f<hen  .Ralfern  unb  bet  Äitche  nicht  nur  eine  ba8  ganae  Sbenb» 
lanb  ergteifenbe  Spaltung  in  bie  awei  gtofeen  8aget  ber  ©uelfen 
unb  ©h^^^Dinen  h^rbeigeffihi^  h^ite,  fonbern  auch  but^  bie 
Anlehnung  be6  ?>apfte8  an  gtanlreidh  ben  getabe  in  biefet 
Seit  auftretenben  Äai(eranfptfichen  granheichö  gtofeet 

93oti(hub  geleiftet  würbe,  ©o  ift  eS  je  nach  ber  politifchen 
©teQung  bet  Autoren  halb  ein  beutfd^er,  balb  ein  ftfinfifchet 
^)enfchet,  bet  bie  Sunftion  beS  lebten  Äaifetö  in  bet  Sage 
übernehmen  foD. 

^et  noch  <tn  anbetet  Sug,  welcher  ber  ntfptünglichen 
©age  Dom  lebten  Äaiiet  fremb  war , tritt  nun  mit  9ladhbtudf 
hctDot.  35a8  gro|e  firchenpolitif^e  Problem  einet  iSbgtenaung 
ber  faiferlichen  unb  päpftlidhen  9)iachtfphöre,  beffen  göfuug  bie 
gange  Seü  beS  9RitteIalter8,  befonberö  auch  ©taufet  be» 
fdhöftigt,  muhte  auch  i"  bet  Äaiferfage  burchblidfen.  3Bit  fahen 
bereits  in  bem  angeführten  (Sebichte  Dom  @ntechrift  auS 
bem  12.  ober  Anfang  be0  13.  3c«h’fhu«bert0,  ba§  bet  le^te 
Äaifet,  beDot  er  nach  3etufalem  giehif  fi<h  “nb  ben 
gatetau  unterwerfen  foD.  IDiefe  gegen  bie  9Wacht  beS 

(310) 


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31 


|)a^fttumd  getid^tete  Süffamfeit  beS  lebten  J^atfetS  pa§t,  waS 
faum  gejagt  gn  toetben  braucht,  gang  in  ben  jRa^men  einer 
taijerlic^g^ibeninifcben  Sinfcbaunng.  ^anb  in  ^anb  mit  bet  mehr 
nnb  me^t  fid^  geltenb  mac^enben  Slntipat^ie  gegen  bie  SIRac^t 
ber  ^t(be  ging  bet  [Ruf  nad;  0ie  j o rm  berfelben.  Sßit  ermähnten 
oben,  wie  biejet  {Ruf  nach  Erneuerung  unb  {Reinigung  ber 
^rd^e  unb  bed  j^ieruS  gerabegu  baS  @(bIagwort  beS  13.  3a^r* 
^unbertd  geworben  ift.  {Darum  mu^  bet  ^aifer  au(^  bie 
Äit^e  reformieren. 

SButbe  io  ber  (e^te  Aaifer  auf  bet  einen  @eite  ber  Präget 
fpecififc^  g^ibelIinif(^CT,  antipöpfllid^er  3been,  jo  war  eö  natur« 
gem&§,  ba|  bie  fränfijcbe  jtaijertrabition  burcb  bie  oielfad^en 
Serü^rungSpunlte  mit  ben  Snterejjen  bed  ^apfttumö  eine  ent« 
j^fieben  bentjdbfeinblic^e,  lurialiftijcbe  jlenbeng  erhielt.  3a  wir 
fe^en  eine  geraume  Seit  beibe  SRid^tungen  nad^  ber  .^aijerjage 
greifen  unb  in  i^rem  @inne  geftalten,  jo  bag  jie,  wie  bie  na<^ 
folgenben  Seugnijfe  flar  geigen  werben,  für  lange  Seit  ald 
ein  jiibereS  ^riterinm  ftaufijcb>beutj(^en  unb  frangö« 
fij^>j>üj>[tlic^en  @tanbj)unfted  gu  betrad^ten  ijt. 

III. 

{Die  in  bieje  beiben  ©trömungen  bifferengierte,  noch  namen« 
loje  j^aijerjage  erfuhr  nun  mit  ber  gweiten  ^älfte  bed 
18.  3a^r^unbertd  eine  weitere  Sortbilbung,  wie  ber  angegogene 
Seridbt  bed  3orbanuS  beweijt.  93ei  i^m  wirb  nämli(b  ber  le^te 
^aijer  „lommen  aub  bem  ©tamme  ^önig  ^axlt  unb  bem 
^auje  beS  franfijc^en  Königs,  Imperator  nomine  Karolas“. 

{Die  Äaijerjage  ift  bei  i^m  aljo  gnr  Äarljage  ge» 
worben. 

{Ricbtd  lonnte  für  bie  fränfijd^e  ^aijerjage  nä^er  liegen  aU 
biejer  @d>ritt.  Äarl  war  ja  ber  ©tünber  unb  gro^artigfte  S3er» 

(311) 


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32 


tretet  be8  fränftf^  • fatolingifc^en  Jfönigö^aufefl.  Sfn  feine 
gianbioje  @eftalt  ^atte  fid^  fc^on  ftü^jetttg  ein  bunter  ^anj 
»on  Sagen  geheftet.  Se^r  olt  ift  ber  3«a- 
Pilgerfahrt  nach  Serufalem  gemacht;  in  @deharba  SBeltrhronif 
lefen  mir,  ba|  bei  93eginn  bet  ^reujguge  (1095)  aOgemein  ge« 
glaubt  mürbe,  ^atl  fei  uom  @rabe  erftanben,  um  am  ^eug« 
juge  teitjunehmen.  ^ein  üSunber  aifo,  bafi  man  bem  lebten, 
aue  feinem  Stamme  unb  ^aufe  ermatteten  jfaifer  ben  9iamen 
be0  großen  Slhnhetrn  beilegte. 

fReben  biefer  jut  ^arlfage  fortentmicfelten  j^aiferfage  be« 
rietet  3orbanu0  noch  non  einem  ®erüd^te,  monach  au0  bem 
Samen  griebri^ö  eine  „fünbhafte  Söutjel,  fRamenS  grie brich“ 
hernorgehen  merbe,  um  ben  Älerufl  ju  [trafen.  @ine  eigentliche 
griebrichfage , melche  bet  non  ihm  angeführten  ^arlfage  gan} 
analog  märe,  fennt  et  alfo  nodh  nicht.  3n,  er  ift  gerabegu  ein 
SemeiS  bafür,  mie  menig  au0  ben  apofalpptifchen  SBeiffagungen 
übet  gtiebrich  ber  ©loube  an  beffen  einftige  SBieberfunft  mit 
)}ft)choIogif^er  fRotmenbigfeit  muhte.  fDenn 

flcherlich  hätte  ber  ftaufenfeinbliche  SSerfaffer  bie  ©elegenheit 
nicht  nerfäumt,  bei  bet  abfälligen  Äritif  übet  berartige  SBeiffa« 
gungen  auch  einer  etmaigen  griebri^fage  fchnrf  entgegengutreten. 
IDaS  aOerbingd  fehen  mir  audh  au0  3ortanu8:  jene  Prophegei« 
ungen  hatten  nun  einmal  griebrichä  93ilb  in  eine  S3eleuchtung 
gerüeft,  moburch  eö  äufeerft  brauchbar  mar  für  eine  legenbäre 
S3ermenbung,  vjang  befonbetö  für  ein  ©ingehen  in  bie  nothanbene 
Sage  nom  lebten  Äaifer. 

©iefet  Proceh  mar  innerlich  notmenbig,  menn  mit 
an  bie  gaffung  bet  Äaiferfage  benfen,  mie  Re  im  ermähnten 
©ebidhte  »om  ©ntechrifte  (@nbe  be8  12.  ober  9lnfang  befl 
13.  Sahrhunbertö)  oorliegt.  Dort  mar  bie  SRifRon  be8  lebten 

(Sii) 


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83 


Änifer«  bereitfl  eine  auflgejproc^en  ^japftfeinblidjc.  SBet  aber 
batte  nun  unmittelbar  na^b^t  biefen  ©ej^enfa^  gegen  bie  Ätrdje 
mehr  uerjcbärft  alö  eben  gtiebricb  II.?  J^atten  il)n  ni(bt  bie 
©ibpQen  ald  jenen  mädbtigen  Äaijet  be^cicbnet,  ber  ben  Äampf 
mit  bet  .^ietartbie  ju  @nbe  führen  feilte?  Unermüblicb  bntien 
bie  Soaebiten  baö  »om  Zapfte  felbft  in  officiellen  Urfunben  be« 
banbeite  Jbema,  ba§  j?ricbri(b  bet  äntiebrift  fei,  uariiert  unb 
ibm  bie  0ftoG[e,  tuelcbe  natb  bem  ©tauben  ber  erften  cbriftlicben 
Seit  9Ieto  eigen  mar,  jugeteilt.  fWebr  bie  Kt^litbe  Oppofition 
als  bie  ^artifane  ber  faifeilicben  ^olitif  bitten  bem  ^ilbe  bed 
<Stauferd  ein  für  allemal  bag  @tigma  ber  ^opftfeinbjebaft  auf> 
geprägt.  9tuc  bie  §olie  biefer  iHnfcbauung  ift  eS,  menn  anberer« 
feitö,  wie  2)olrino  unb  feine  Slpoftelbrüber,  fo  bie  beutfebeu 
Slpofalpptifer  ju  @(bu)äbtf(b*^a(l,  uon  benen  unö  ‘Älbert  »on 
@tabe  febreibt,  in  griebricb  ben  beiberfebnten  SteformatDr  et» 
blirften,  bet  bie  Äirdbe  ftblagen  werbe,  um  fie  bann  na^  ihrem 
Sinne  3U  reinigen.  @8  ift  ferner  oben  an  auSbrüdtliiben  Seit» 
ftimmen  gegeigt  morben,  für  »ie  weite  greife  griebticbö  9?ame 
Spmbol  unb  Unterpfanb  bet  oerfünbeten,  allgemein  erwarteten 
3ü(btigung  fRomg  war. 

aber  gerabe  in  biefer  Sluffaffung  lag  bet  entfebeibenbe  33e» 
rübrungSpunft  mit  bet  fWiffion  be8  lebten  Äaifetö.  Slueb 
biefe  war  ja  juft  gegen  bie  Äircbe  unb  JRom  gerichtet.  @rft 
wenn  er  ficb  IRora  unb  ben  Lateran  unterworfen,  foll  bet 
Äaifet  feinen  lebten  3»g  nach  Setufalem  untemebmeu! 

fRo^  au8  einem  anbern  ©runbe  lag  eine  Sbentifigierung 
^ebriebS  mit  bem  lebten  .^aifer  nabe. 

gtiebticb  war  auch  lebte  Äaifer.  5)ab  er  bieö  fein 
follte,  batten  bie  ©ibpllen  gewußt,  ©alimbene,  25runetto  gotini 
U.  tH.  Unb  et  war  e8  tbatfäcblicb,  wenigftenS  für  ein  balbe8 

XIX.  Mü.  3 (313) 


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34 


Sa^T^unbert  unb  jwar  gerabe  jeneS  ^albe  Sal^r^unbett,  in  meU 
i)tm  unfete  Äaiferfage  btefe  gortbilbung  jur  gtiebri(^(age 
em^fongen  b“t-  mit  ^i^inrid)  VH.  (1312)  »nrbe  bie 

Äaifetmütbe  miebet  erneut.  SBenn  nun  aber  ^ebtic^  II. 
für  biefe  ganje  3»tfcbenjeit  in  SBa^r^eit  bet  le^te  Äaiiet  war, 
wo  blieben  bann  für  bie  bamalige  Seit  bie  (ärwartungen,  welche 
man  allenthalben  auf  ben  altimus  Imperator  gefegt?  Sollten 
bie  SibpUen  ade  gelogen  h^^en,  joDte  aQeS,  waS  fo  beftimmt 
unb  allgemein  von  ben  Seitgenoffen  erfe^nt  würbe,  in  9ii(ht8 
jerfallen?  @ntweber  mu|te  man  an  jenen  93erhei§ungen  ber 
Sage  oetjweifeln  unb  fie  ald  eitel  Släufchung  bei  Seite  werfen 
— baju  war  aber  bie  alte  ^aiferfage  gu  tief  in  gleifch  unb  IBlut 
übergegangen,  — ober  man  griff  begierig  nach  bem  oon  ben 
Slpofalpptifern  wie  ben  politifchen  Parteigängern  SriebrichS  füt 
eine  fagenhafte  SBetwenbung  fo  brauchbar  gemachten,  in  meffi> 
anifchem  ©lange  ftrahlenben  93ilbe  ^iebtiihS,  beS  lebten  .Raiferö: 
@r  muhte  noch  wahr  machen,  waS  ba  oon  ihm  gefchrieben 
ftanb,  et  tann  noch  nicht  geftorben  fein. 

So  war  eS  alfo  bie  Sluffaffung  ^iebrichS  als  beS  3iom 
güchtigenben  unb  erobernben,  fobann  als  beS  faftifch  lebten 
ÄaiferS,  welche  ein  ©ingehen  feiner  Petfon  in  bie  Äaiferfage, 
bie  babuTch  gut  Briebrichfage  würbe,  notwenbig  bebingte. 
IDarauS  folgte,  bah  bie  ^aiferfage  nicht  nur  butch  bie  93er> 
binbung  mit  bem  93ilbe  ^ebridhS  II.  eine  auSgefprodhen  anti* 
h.ietatchifche  Senbeng  erhielt,  fonbern  auch  jenes  einige  Seit 
nach  SriebrichS  2:ob  ba  unb  bort  auftretenbe  ©erücht,  ber 
.^aifer  lebe  noch,  neuen  äSeftanb  unb  weitete  ^uSbilbung  er« 
langte.  3a,  erft  bie  Kombination  mit  ber  oiel  oerbreiteten 
SSollSfage  oom  lebten  Kaifer  gab  ihm  feinen  eigentlichen  Snhalt: 
griebrich  II.  lebt  noch  unb  foU  wieberfehren  um  bie  Kirdhc  gu 

(SU) 


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35 


güc^Hgen  unb  ju  reformteren , ein  m&c^tiged  SRetc^  aufgurid^ten 
um  bann  nac^  Sletufalem  3U  jte^en  unb  bort  feine  ^errfi^aft, 
in  ber  i^m  feiner  me^r  nac^fotgt,  nieberjulegen. 

9locb  fannte  Sorbanuö,  ber  um  1280  f^rieb,  biefe  SEBanb» 
lung  ber  Äoiferfage,  alfo  bie  griebric^fage,  nid^t.  @r  berichtet 
in  feinem  bcm  ?>apfie  felbft  jugebadbten  93u^e  bie  ^aiferfage 
non  feinem  frangofenfreunblit^en,  antiftauflfdjen  ©tanbpnnfte 
au8;  nid^t  ein  beutfc^er,  fonbern  fränfif«^er  .^errfc^er  übernimmt 
bie  Sunftionen  be8  lebten  ^aiferS,  bem  er  weiterhin  ben  9tamen 
^arl  giebt. 

SSon  einer  jur  griebr  ic^fage  ermeiterten  Äarlfoge  fönnen 
mir  erft  fpred^en  feit  ber  SBenbe  beS  13.  Sn^r^unbertö.  3n  ber 
9ieimd)ronif  DttofarS  (um  1300  »erfaßt)  begegnet  unö  bie 
erfte  fRotij,  bie  nielleid^t  auf  eine  bereite  nor^anbene  f^riebri^« 
fage  f(blie|en  I5§t.  Sei  ©rjä^lung  ber  Serbtennung  $ile 
^olupe  nämlid^  i^ei^t  e8:  „iDa  ^abe  man  gefagt,  eS  märe  non 
©otteS  Äraft,  bafe  er  (^riebric^  II.)  leibljoft  no(^  bleiben  unb 
bie  Pfaffen  nertreiben  foDe."  ®a  ^ier  non  ^iebri^  n.  unb 
jwor  non  iljm  ollein  bie  ©rttartung  au8gef^)ro(^en  wirb,  fo 
fdjeint  biefl  jene  Sorm  ber  Sage  norou8jufe^en,  beren  Etägcr 
beftimmt  griebrit^fl  II.  ^erfönlit^feit,  nid^t  etwa  einer  feineä 
©tammeS  ober  fRamenS  ift.  SDieö  ift  aber  eben  bie  jur 
f^iebric^fage  geworbene  alte  .ßaiferfage.  3Benn  Ottofar  barauS 
nur  ein  fIRoment,  bie  fleruSfeinblid^e  S^ätigfeit  beS  lebten 
ÄaiferS  '^ernor^ebt,  fo  ift  baö  begreiflid^;  benn  biefe  ©eite  war 
unb  blieb  baS  ©runbmotin  auc^  in  ber  lombinierten  ©agen* 
form. 

fUlit  ncOfter  Seftimmt^eit  unb  in  i^rer  noHfommenften 
©eftalt  erfd^eint  bie  Äaiferfage  al8  Sriebric^fage  bei  Sodann 
n.  SBintert^ur,  beffen  Seric^t  loben  angeführt  ift.  Sei  t^m 

3*  (31S) 


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36 


ift  bet  ben  ÄletuS  jüt^tigenbe  ^iebri<^  »öHig  ibentifd^  mit  bem 
mäi  Serufalem  jie^enben,  bort  refignierenben  lebten  lömijd^es 
Äaifer,  wie  i^n  bie  SJlet^obiuflmeinagung  »cr^eifet.  Da§  man 

biefet  leiteten  unb  i^rer  Uebertragung  auf  gtiebri(^  II. 
flat  be»u§t  -ttat,  alfo  im  ÜJiitfelaltet  »on  bet  @enefl8  bet 
^tiebtidfljage  eine  jebenfaDd  beutlic^ere  iBotfteQung  befa^  a(8 
bieö  bei  ben  mciften  ptofeffionömä^igen  $agenfotf(^ern  neuet 
Seit  bet  $aQ  ift,  geigt  au(^  bet  Umftanb,  ba^  in  9Ret1)obiu0> 
eyemplaten  befl  14.  Sa^t^unbertö  fl(b  ©loffen  befinben,  »el^e 
getabegu  auf  griebri^  IL,  „ben  bie  SKenfcben  al8  einen  Stoten 
mSi^nten",  93e5ug  nehmen. 

Sugleid)  geigt  bet  faft  ftürmifc^  fanatifc^e  Jon  bet  6r» 
mattung  Jtaijet  Btiebtic^S,  „ber  fommen  mu^  utib  menn  et  in 
taufenb  @tü(fe  getje^nitten  obet  gu  ©taube  uerbtannt  ift",  ba| 
bae  93ilb  be6  miebetfe^tenben  ^aifetS  ^tiebtid^  ibealifiert  unb 
gum  Jtäget  bet  böd)ften  mefftanifc^en  ©rmattungen  gemacht 
wutbe.  3nbem  gtiebtid^  bei  feiner  SBieberfunft  nid)t  nur 
„SBittmen  unb  SBaifen  i^r  Eigentum  gutürffteOen,  fonbetn 
au(b  bet  atmen  Jochtet  ben  reifen  fIRann  gut  @^e  geben, 
überhaupt  feglit^e  ©etec^tigfeit  etfüHen  foll",  »irb  »on  il)m  bie 
enbgültige  i^öfung  beS  focialen  'Ptoblemd  ermattet.  J)et  ^etn 
aOet  ©rmartungen  aber  ift  unoerfennbat  bie  fiteren  > unb  pa)}ft« 
feinblidje  Jenbeng  gtiebric^S:  6r  foD  ben  ÄIeru8  gültigen  unb 
bie  Äird^e  refotmieten. 

©etabe  biefet  fd^atf  betonten  Jenbeng  ^at  eS  bie  ^riebticb* 
fage,  ob  fie  gmor  jünger  ift  al8  i^re  ©d^mefterfage  »om  .Kaifet 
£atl,  gu  oetbanfen,  bag  fie  eine  meit  gtö|ete  93erbteitung  aI0 
biefe  leitete  erlangt  ^at. 

fDiefelben  meffianif^en  ©tmattungen  mie  3oI)ann  oon 
SBintert^ut  treten  fobann  in  einem  fIRciftetlieb  aud  bet 

(31«J 


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87 


SRltte  bc8  14.  3a^r^unbert8  ^etuor.  Danad^  »itb,  »enn  bet 
3n)if(^en  ben  ^)fiuptern  ber  ß^tiften^eit  gto§e8  Un« 
^etl  angeri^tet  l^at,  ba§  92ietnanb  eS  ju  geftiden  oermag,  ^aifet 
8riebti(^,  ber  ,,^el)re  unb  audb  ber  milbe“  na^en,  „bur^  @otte4 
SBiUen“;  btc  ga^rt  ge^t  überS  SWeer.  @ott  wirb  bem  Äaifer 
baS  Sieicb  wiebergeben,  worauf  allen  8anbeu  unb  heften  bet 
f^rieben  fommen  wirb.  Äeinet  greift  me^r  ben  anbern  an: 
„@D  gewint  bp  werlt  bann  freüben  alfo  oil“.  5)er  Äaifet 
fd^rt  bort^in  jum  bürten  23aum,  b^ngt  feinen  @dbüb  an  ib«, 
unb  er  grünt  wieber.  35ann  wirb  ba§  b^-  gewonnen, 

ade  bfibnif^en  9iei(be  unterwerfen  fi(b  bem  Äaifer,  bet  Suben 
Äraft  legt  et  barnieber  unb  oder  Pfaffen  SReifterfcbaft,  »on  bet 
faum  baö  fiebente  Seil  befteben  wirb;  bie  Älöfter  jerftört  er 
gar,  giebt  bie  IRonnen  ju  bet  @b’i  ft«  tnüffen  ibm  bauen 
SBein  unb  .^orn:  38ann  bad  gef^iebt,  )o  fommen  und  gute 
Sabre. 

Q)an3  dbniicb  tlingt  bie  um  bie  dritte  beffelben  Sabrbunbertd 
angelegte  ©ibpllenweijfagung.  „@ott  wirb  ben  .Raijer  geben, 
ben  et  in  feiner  @ewalt  bebalten,  gtiebri:^.  (fr  fammelt  bad 
(briftli^e  S3olf  unb  gewinnt  bad  bl-  @rab  jenfeitd  bed  fSleered. 
fDort  ift  ein  bürret  Saum,  brr  fo  lange  „bloft"  fteben  wirb, 
bid  ber  Äaifer  feinen  ®(bilb  batan  b“rigt;  bann  grünt  er  aufd 
fReue.  Sefet  ftebt  ed  aber  aurb  in  oder  SBelt  wieber  gut.  Der 
.Reiben  glaube  muft  jergebn;  ade,  Suben,  .Reiben  unb  Dänen 
werben  ©briften." 

6d  fbtingt,  wie  gefagt,.  in  bie  fSugen,  baft  bie  Sbentift^ierung 
bed  lebten  Äaifetd  mit  bem  firrbenfeinblidben  griebrid)  nur  auf 
ber  ®runblage  einer  gbibedinifcben  Sluffaffung  fi^  vodgog,  ju  wel« 
d)et  bie  frangöflfrb'furialiftifrte  ©egenftrömung  ft^  nirbt  oerfteben 
fonnte.  ^>iet  war  man  mebt  geneigt,  an  ber  burrb  Slbfo 

(S17) 


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38 


cingcbiitgeTteB  Äarolingertrabitton,  mel^e  »ir  bereits  bet  3ot» 
banuS  3U  einet  .^otlfoge  fonfret  enttoirfelt  fo^en,  feftju^alten. 
9lotürlicb  fe^It  ^ter  baS  bet  griebri^fage  immanente  ÜÄoti», 
bie  Süi^tigung  beS  ÄletuS  but(ft  ben  miebetfe^renben  Äaifet. 
©egen  @nbe  beS  14.  Sa^t^unbertS  erleben  mir  baS  ^öi^ft 
metfmürbige  ©c^aufpiel  eines  förmlitben  SöeiifagungS» 
ftiegcS  3toif(^en  ben  beiben  Variationen  ber  Äaifetfage,  bet 
Äarl»  unb  gtiebric^fage. 

IDie  betreffenben  St^riftftücfe  ftnb  ber  [og.  JeleStJ^oruS 
unb  9lntiteleS^)^oru8.  5Die  erftere  @(^rift  ift  oerfa|t  non 
einem  angebli^en  JeleSp^ctuS  ober  St^eolopljoruS.  JDiefet^be* 
rid^tet,  bafe  er  auf  ben  0fiat  eines  i^m  1386  erf(^ienencn  ©ngelS 
fic^  in  baS  @tubium  ber  SBeiffagungen  vertieft  ^obe.  ^Danac^ 
foKe  um  baS  3a^r  1409  ein  beutidber  ^aifer  ^riebri^  auS  bem 
©amen  CeS  3meiten  giiebrid)  fic^  als  Äaifer  erbeben,  bie  tß« 
mif^e  Äitcbe  nieberfcblagcn  unb  einen  beutfcben  ©egenpa^jft 
auffteDen,  ein  allgemeines  Vlutbab  über  ben  ÄleruS  »erbangen 
unb  bann  auS  3talien  nach  Sranfreid)  3ieben.  ©et  Äönig  Äarl 
»irb  fein  ©efangenet,  aber  burrb  ein  SBunber  auS  bem  Äerfet 
befreit,  frblagt  unb  tötet  er  ben  beutf(ben  Äai|er,  worauf  ber 
unterbeffen  auf  ben  pö<)ftli^en  ©tubl  erhobene  ^aftor  SlngelicuS 
ben  beutfcben  Bürften  ibt  JRecbt  ber  Äaiferwabl  auf  emig  nimmt 
unb  ben  fran3Öfifcben  Äßnig  Äarl  3um  Äaifer  ernennt  unb 
hont.  9tlSbann  3ieben  beibe,  Äaifer  unb  ^apft,  nach  ^alöftina, 
baS^e  ooüftänbig  erobern,  unb  je^t  folgt  bie  Vefebrung  aßet 
ßJienfcben  unb  bet  gro^e  SBeltfriebe. 

IDie  ©lemente  biefeS  in  bie  Borm  ber  SBeiffagung  gefleibe» 
ten  fran3Öfifcben  ßlationalwunfdbeS  treten  flat  3U  Sage.  9lu(b 
wenn  ber  Verfaffer  nidbt  auSbrüdlidb  betonte,  ba|  er  mit  3oarbi* 
tifcben  ©cbriften  befannt  fei,  mürben  mit  baS  auS  bem  semen 
(»18) 


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39 


Friderici  fowie  barauS,  ba§  et  bte  SBirffamfeit  bed  tommenben 
Äaifetä  öotjugSweife  naä)  Stalien  »etleflt,  |(^Iie^en  müffen. 
JDet  gweite  Sleil,  wonad^  ^apft  unb  Äaijer  einen  3ufl  nad^ 
^aläftina  machen  metben,  bem  fobann  ber  aOgemeine  SBeltfriebe 
u.  f.  w.  folgt,  geigt  unBerfennbor  unfere  ^aifetfage.  SHIerbingg 
ift  ihm  ber  erfehnte  wieberfehtenbe  Äaifer  ber  ftangofijche  Äarl ; 
wie  fehr  jebc^  bie  Sage  bereits  nu^  mit  bem  Flamen  gricbridhS 
bauernb  allgemein  nerf^molgen  war,  geigt  befonberS  bet  Umftanb, 
ba§  bet  frangöfif^e  fSutor  burcb  einen  etwas  gewaitthätigen 
@riff  (Äaifer  ^tiebti^  fällt  burcb  ben  ftangßfij^en  Äßnig  im 
Äampfe!)  bie  3üge  beS  „lebten  ÄaiferS"  (b.  b-  bie  gabrt  nach 
bem  bl*  Banbe  unb  bie  |>etbeifübrung  beS  SBeltfriebenS)  Bom 
Silbe  gtiebricbS  erft  loSfcbölen  mu§  um  fie  feinem  frangöfifeben 
Äarl,  ber  natürlich  in  engfter  Setbinbung  mit  bem  Zapfte  ftebt, 
Bon  bem  er  auch  an  ©teile  beS  abgefe^ten  5\riebri<b  jum  Äaifet 
ernannt  wirb,  beilegen  gu  fönnen. 

3n  IDeutfchlanb  fuchte  man  bie  SBirfung  biefeS  tenbengiöfen 
SaticiniumS  auf  gweifache  9lrt  abgufebwä^en.  3unäcbft  but^ 
einen  propbetifeben  SlnliteleSpbotuS.  Diefet  lä§t  einen  fran» 
gefifeben  Äßnig  Bom  Zapfte  gum  rßmifchen  Äaifer  gefrßnt 
werben,  ber  ben  IDeutfcfaen  bie  ^etrfdbaft  entreifeen  unb  welchem 
9iom  unb  Italien  anbangen  wirb.  3ul^b^  aber,  nachbem  ber 
JtleruS  alle  fReiche  bet  3Belt  unb  alle  Bürftentümer  gu  @frunbe 
gerichtet  bat  unb  felbft  ber  beutfehen  Station  baS  {Reich  3“ 
reiben,  überhaupt  fämmtlicbe  weltliche  dürften  gu  Bemichten  fteb 
anfdbicfen  will,  ba  fommt  ber  witflicbe  tßmif^e  Äaifer,  erobert 
9lom  unb  nimmt  ben  ftangßftfcben  Äßnig  gefangen:  fünftig  wirb 
beS  ÄßnigreiebS  granfrei^  nicht  mehr  gebadbt  werben,  fenbern 
nur  beS  beutfehen  {Rei^eS.  {Radibem  bann  gu  ORaing  ein 

(319) 


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40 


beutjd^efl  ?>atrtar^at  gegrünbet  toorben,  foß  ein  3ug  nac^  bem 
^eilige  8anbe  unternommen  n>erben.  — 

au§erbem  erfc^icn  uotfe  eine  t^eologifd^e  SBiberlegung  be8 
S£eIe8))^oru8  oon  ^einridb  von  ^angenftein.  9lac^bem  et 
gegen  Sooc^im  unb_Seleft>^oru8  »egen  i^rcr  heftigen  2tu8fäße 
gegen  bie.Äitd)c  geeifert,  berichtet  er:  9lad^  6 3al)ten  foße 
unter  großer  S3e»egung  ber  bentfc^en  Station  ein  Äaifer  griebric!^ 
ge»&^lt  »erben.  3)iefer  »erbe  ba8  @c^i8ma  (^einricb  von 
Sangenftein  fc^rieb  gut  Beit  be8  grogen  9)apftfcbi8ma8  am  @nbe 
be6  14.  3a^r^unbert8)  auffeeben,  babei  aber  ben  Äleru8  in  grofee 
0rangfal  bringen. 

SBenn  nun  für  bie  golgegeit  in  35eutf(blanb  bie  Äatlfage 
entfc^ieben  gurficftritt  gegen  bie  f^riebrid^fage,  fo  liegt  ber 
@tunb  biejer  @rjd^einung  »ieberum  unoetfennbat  in  ber 
papft«  unb  fletu8feinbli(ben  Otic^tung  bet  leiteten.  ®erabe 
»ie  bie  ^äretif^en  Siidbtungen  am  Anfänge  be8  14.  3a^t* 
^unbert8  na(^  bem  S3ilbe  be8  fircbenfeinblicben  j^aifer8  aI8 
anfet  ber  Hoffnung  in  il}ren  Verfolgungen  griffen,  fo  ranft 
fi(^  aud)  je^t  ber  oergmeifelte  Unmut  einer  gegenüber  bem 
Voß»erfe  ber  ,^ierar^ie  obnmäd^tigen  ©trömung  an  ben 
Serbei§ungen  auf,  ba§  ein  Äaifer  fommen  werbe,  bet  bie  Buc^t» 
rute  übet  bie  j^trr^e  fc^wingen  foße.  @8  fann  nämlic^  nad^ 
ben  galjlteicben,  halb  mit  bumpfem  @roße  et»a8  oer^alten,  balb 
mit  lautefter  @ntrüftiing  auftretenbcn  Beitftimmen  feinem  B®e«fel 
unterliegen,  ba§  bet  fefte  ©laube  unb  bie  beftimmte  ©rwartung 
eines  na^en  über  bie  Äirdje  ^ereinbrerbcnben  ©trafgeridbtcS,  ba8 
gumal  ben  entarteten  j^IeruS  treffen  foße,  bie  ©emüter  be8 
14.  Sa^r^unbertS  unb  noch  »eitet  ^inau8  nößig  be^errf(^te. 
3a  nod^  um  1527  fd^tieb  Sut^er:  9iac^  bem  ©auernfriege  non 

(KO) 


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41 


1525  ^abe  f!d)  bei  ^leiuS  gefreut,  toeil  nun  bie  |)ro)>t)egeiung 
Don  bem  großen  Slutbobe,  baS  über  ben  ÄletuS  tommen  foUe, 
Borüber  fei.  — Sei  biefer  in  bic  Seit  eingebrungenen  unb 
ebenfo  entfc^ieben  aie  ^artnädtig  fic^  be^auptenben  Ueberjeugung 
mu^te  bae  Silb  be§  fleiuSfeinblidben  @taufer6  ald  beö  3Bert> 
jeugd  biefer  3üd)tigung  in  brn  näcbften  ®efic^tbfreid  ge< 
rüdt  merbcn.  ^ag  boc^  in  bei  i^m  jugebaditen  ^Diiffion,  feiner 
lefcrmievenb  eingreifenben  äüirffamfeit  bie  einzige  Sürgfc^oft 
gegen  ben  ?)cffimi0mu8  ber  Seitgenoffen. 

SÖie  tief  in  ber  erften  ,^älfte  beö  15.  Sa^r^unbertö  ba8  Se» 
mufetfein,  ba^  griebricp  ber  erwartete  le^te  römifcbe  Äaifer  fei, 
in  ba8  beutfcbe  Solf  gebrungen  war,  geigt  fobann  ^jlnbreaS 
Bon  9tcgen8burg,  weld)tr  in  feiner  (J^ronif  (SRitte  be8 
15.  3a^r^unbert8)  berichtet:  3(18  Äönig  0igi8muitb  1431 
gur  Äaiferlrönung  nach  3*tom  gog,  ba  h^be  im  Solle  bic  ÜRei« 
nung  geherrfcpt,  ba§  ihn  ber  $apft  nicht  falben  werbe,  theil8 
Weil  er  bie  ^uffiten  nicht  au8gerottet  h<>i>c>  theil8  aber  au^, 
weil  er  nicht  ben  fRamen  griebrich  trage,  benn  nach  ber 
©ibpQe  habe  man  allgemein  geglaubt,  bah  feiner  mehr  ^aifet 
werben  folle  anher  mit  Flamen  griebrich.  23ie  alte 
Kölner  ©tabtchronif  will  fogar  wiffen,  bah  ih«!  ber  ^apft  bei 
feiner  .Krönung  einen  neuen  Flamen  gegeben  unb  ihn  al8  JKaifer 
Briebrich  gefront  habe! 

SeachtenSwert  ift  bei  biefen  lebten  Serichten  eine  gewiffe 
rationaliftifche  Umbeutung  ber  griebrichfage,  infofern  nicht  mehr 
griebrich  II.,  fowie  er  geleibt  unb  gelebt,  fonbern  ein  Äaifer 
biefeS  SflamenS  überhaupt  fommen  foll.  .Se^t  war  e8  nur 
nodh  ein  fleinet  Schritt,  bei  auch  in  ber  £hat  halb  barauf  ge« 
macht  wirb,  ben  9famen  felbft  appeHatioifch  gu  beuten  unb 

(321) 


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42 


a(0  eine  9lrt  SSeinamen  jebwebem  beliebigen  Äaifec 

beijufügen. 

2)ie8  fe^en  wir  bereitä  in  ber  „IDüringenfcben  ß^tonif* 
befl  So^anneÖ  IRot^e  (f  1434).  3nbem  biefer  on  ben  ita» 
lienifdben  ?)feubofriebti^,  ber  1262  aufgetreten  war,  anfnüf>ft, 
f(breibt  er,  bafe  „einige  Äe^er*  glauben,  Äaifer  §riebri(b  lebe 
no(b;  na<b  i^m  fei  fein  realer  Äaifer  me^r  gewefen  unb  werbe 
auch  feiner  mehr  fommen.  IDaS  fei  aber  eine  ^äufdiung,  er> 
funben  vom  Teufel  um  einfältige  8eute  ju  äffen.  STfan  meint 
wo^l,  fä^rt  er  fort,  bag  vor  bem  jüngften  Sage  ein  mäd^tiger 
Äaifer  ber  6l)riftenbeit  werben  foHe,  ber  grieben  madbe 
unter  ben  f^ürften,  worauf  er  eine  SJieerfnbrt  antrete 
unb  ba0  bl-  @rab  gewinne,  „unbe  ben  nenne  man  $re« 
bericb  umb  frebiä  willen,  ben  ber  maebit,  a))  b^^  nidbt 
alfo  getouffet  ift".  2)a§  IRotbe  ben  ©lauben,  ^Ifbricb  lebe 
noch,  befonberä  Äckern  in  bie  ©dbube  febiebt,  bat  wie  oben  ge» 
3eigt,  feinen  guten  ©runb.  Stufeerbem  brachte  e8  wobl  IRotbeS 
Stellung  — er  war  .^offaplan  jU  ©ifenaeb  — mit,  auö  bet 
vulgären  Äaifet  Sriebridjfage  baö  23i!b  befl  flerufl»  unb  fitzen» 
feinblid)en  «tiebricb  II-,  bafl  ibm  für  ben  „lebten  Äaifer“  un» 
paffenb  febeinen  mochte,  ju  entfernen.  Slnbererfeitfl  jeboeb  er« 
feben  wir  audb  aufl  feinem  S3ericbte,  bafe  bie  Sage  vom  „lebten 
Äaifer“  mit  aller  Seftimmtbeit  auf  (Xtiebticb  gelautet  haben 
mu^;  benn  wafl  hätte  ihn  fonft  bewegen  follen,  biefe  Äritif 
an  ber  jtaiferfage  mit  bem:  man  mepnet  wol  bafl  vor  bem 
jüngiften  tage"  u.  f.  w.  ju  üben?  SBäte  bie  Äaiferfage  in 
ihrer  namenlofen  ©eftalt  no^  in  Umlauf  gewefeu,  fo  bütte 
er  fie  gewi§  angeführt,  ba  er  babutefc  überbeben  war,  ficb  ju 
bem  IRotbebelf  einer  etpmologifcben  SDeutung  befl  SRamenfl 
griebricb  3u  verfteigen. 

(3*f) 


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43 


beveift  aber  auch  unfere  Se^auptung  vom  Sücücf* 
treten  bet  Äarlfage.  Denn  wenn  i^m  btefe  befannt  mar,  wie 
gefd^i(ft  fonnte  er  fte,  ganj  wie  wir  bieö  in  ber  Raffung  bei 
Sorbanuö  gefe^en  ^aben,  alö  fcblagenbefl  Argument  jenem  oon 
i^m  al8  „fe^ertfd^"  bejei(^neten  Äult  griebrttbS  entgegenfe^en! 
@ewi§  ^ätte  fidb  ber  ort^obore  .^oftaplan  bie8  ni^t  entgegen 
laffen. 

3n  ber  2^at  ftbeint  bie  Äarlfage  wenigftenS  in  bem  Än» 
benfen  beB  äJolfeö  in  SJergefjenbeit  gefunfen  ju  jein.  Sßit 
jinben  fie  jwar  in  fatbenrei(ber  9lu0malung  am  UnterSberge; 
bort  fofl  Äaijet  Äatl  fi^en,  um  am  6nbe  ber  Sage,  wenn 
3ammer  unb  ©lenb  afljugro§  werben,  bie  gro§e  ©djladbt  auf 
bem  SäJaljerfelbe  ju  jcblagen,  jo  gewaltig,  „ba^  ba6  Slut  bi8 
an  bie  Sdienfel  rinnen  wirb."  Danach  joH  ber  jüngfte  Sag 
eintreten.  — 3nbeffen  ift  auch  h**f  ältefte  fchrift liehe 
Srabition  vom  3ahre  1529  nicht  für  Äarl,  jonbern  für 
Äaijer  grie brich.  ®rft  im  fogenannten  ©rijeener  SBolfBbud) 
au8  bem  3«hre  1782  jieht  Äarl  in  ben  Unteröberg  ein.  9Kan 
hat  Bielleicht  mit  IRecht  barauf  verwiejen,  bafe  ein  berartiger 
SBechfel  beiber  Äaijergeftalten  burch  bie  Dertlichfeit  felbft  be= 
bingt  war;  auf  bairif^«ofterreichifchem  SSoben  unb  im  6rj» 
bifchöflichen  Serritorium  mochte  wohl  ber  fromme,  fogar  tanoni» 
fierte  Äarl,  ben  aufeerbem  eine  alte  @age  in  S3aiern  auf  ber 
jRei^mühle  im  SllühU  ober  SBurmthale  geboten  jein  Iaht,  bem 
fleruSfeinblichen  gtiebrich  mit  bem  gröhten  (ärfolge  ben  'Plah 
ftreitig  machen.  — 

©onft  ftohen  wir  aber  nur  no^  einmal  auf  einen  ^Bericht, 
wonach  Äarl,  alletbingS  nicht  berörfte  biejeS  91amen8,  jonbern 
Äarl  V.  als  Sräger  ber  antihierardhijehen  ÜKijfion  beß  lebten 

Äaijerß  erfcheint.  3m  3at)re  1519  würbe  nämlich,  alß  eben 

csas) 


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44 


Äarl  V.  gewäljlt  »ar,  folgenbe  ^rop^ctte  »on  @nglanb  na^ 
SBenfbig  gebrockt:  !Det  neue  Äatfet  »erbe  aüe  Staaten  unb 
Stölfet  unterroerfen,  bie  ?Ko^ammebaner  gum  ß^riftentum  be» 
festen,  Butter  aber  5Rom  unb  ^loteng  (.^aubt  be8  ©uelfentumS 
in  ben  frii^eren  JtStnbfen)  mit  Seuer  Berbrcnnen;  gule^t  jie^e 
er  fobann  nad)  3erufa(em  um  auf  bem  Oelbevge  feine  ^one 
niebergulegcn  unb  ju  fterben. 

5Die  gleiche  SBeiffagung  bringt  au^  35ertt)clb,  SJifchof 
Bon  (Shiemfee,  in  feinem  um  1519  Berfa§ten  SBu^e  „bie  gaft 
ber  Äirche“  mit  bem  Semetfen,  fie  foHe  um  1505  in  Stniien  er* 
febienen  fein.  2)a  nun  gut  Seit  al8  ©ertbolb  fchrieb,  Äarl  V. 
no^  nicht  getrählt  mar,  ohnehin  auch  nach  feiner  Angabe  bie 
SBeiffagung  febon  gu  Anfang  be6  Sahrhunbertö  etfehienen  war, 
fo  fann  h*er  nicht  Bon  einem  lebiglicb  auf  ben  fbanifch»hab8» 
burgifchen  jtaifer  gehenben  Vaticinium  post  eventum  bie  9iebe 
fein.  (Such  bie  anbern  un8  befannten  3üge  Bon  ber  Sahrt  nadh 
Serufalem  unb  bem  SRiebetlegen  ber  Ärone  auf  bem  Celberge 
geigen,  ba^  wir  bie  alte  Äaif  er  jage  al8Äarlfage  Bor  un8  halben, 
welche  man  hiet  eben  willfürlich  auf  ben  fünften  Äarl  übertrug. 

2)iefe  ©rwöhnung  ber  Äarlfage,  bereu  8lu8beute,  wie  wir 
fchen,  im  a3ethöltni8  gut  gtiebrichfage  überaus  gering  ift,  bleibt 
übrigens  au^  bie  le^te.  Sonft  ift  bie  IDurcbführung  ber  ba» 
maligen  3eithoffnungen  ftetS  an  ben  fRamen  f^tiebrichS  ge* 
fnüpft. 

Unb  biefer  @laube  hotte  fich  im  ©ewuhtfein  beS  ©olfeS  fo 
tief  feftgefe^t,  bafe  wer  immer  unter  ben  nachmaligen  dürften 
ben  fRamen  f^tiebrich  trug,  bie  Hoffnung  erregte,  bofe  et  baS 
SBerfgeug  einer  gtofeen,  glücflichen  ©etäuberung  fein  werbe. 

ayie  gegeigt,  machte  ben  Einfang  gu  biefer  gang  inS 
Allgemeine  h'>^ou8laufenben  IDeutung  ber  ^riebridhfage  bereits 

(IM) 


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45 


2lnbtea8  »on  SRegenöburi},  ein  Seitgenoffc  ©igiSmunbfl. 

mürbe  griebrtc^  III.  ©egenftonb  lebbofter  ©rmartungen. 
greilttb  maten  bie  Seitgenoffen  nidjt  menig  erftaunt,  al8  fein 
SSerböltniß  gu  5Rom  (ein  6bw“ift  fi'flt  feinet  ©bni^Äfteriftil 
begeid^nenb  genug  bie$ßorte  bei:  nec  odiens  clerum)  bemfelben 
feinefimegS  entftjracb.  @erabe  bied  oeranla^te  aber  ben  berübrnten 
9bt  3obanne8  »on  iritenbeim  (f  1516)  gu  feinem  meg« 
merfenben  Urteile  über  berartige  SBeiffagungen.  „®ie  @r» 
mortungen,  fagt  et,  oon  einem  Äaifet  griebri(b  feien  eitel  unb 
nitbtig,  ba  fie  an  gtiebtitb III.,  „ben  mir  alle  al8  einen  bis 
gu  feinem  ^obe  ftiebliebenben  unb  bem  Tömif(ben 
|)apfte  untermürfigen  unb  ergebenen  dürften  fennen", 
fü  fcblecbt  eingetrofft’tt  feien.  2(ucb  an  anbere  griebtiebe  Inüt>ften 
ficb  bie  nämlicben  Jpoffnungen.  0o  in  einem  geiftlicben  ^iebe 
beS  16.  3abrb“wi>ctt0  an  einen  ^ergog  griebriib,  ferner  an 
gtiebticb  V.  oon  bev  ^falg  unb  an  gtiebrieb  ben  SBeifen,  Äurfürften 
conSaebfen.  2)ie2)eutung  auf  ben  leiteten  lefen  mir  bei  feinem @e* 
ringeten  al8  iJutber,  bet  in  feinet  1522  erfebienenen  Sbbrift 
„S3om  ÜRifebtoudb  bet  SDReffen"  fagt:  6r  bobe  in  feinem  53ater« 
lanbe  alSÄinb  eine  ^^robbejeinng  gehört:  Äaifer  griebricb  merbe 
ba8  b«iiifl«  etlöfen.  2)iefe  SBeiffagung  halte  er  nunmehr 
für  erfüllt,  inbem  fie  aufgriebti(b  bcnSöeifen  gebe:  benn  biefet 
fei  ja  au<b  in  granffurt  gum  Äaifer  gemöblt  morben  „unb  mar 
ou^  marbafftig  Äapfer,  menn  et  gemoHet  bet";  inbem' et  bem 
@uangelium  gum  Siege  cetbolfen  unb  bie  1)1-  <B(btift  oon  bem 
!Dru(fe  be8  fie  gleicbfam  bemaibenben  ^leruS  befreit  habe,  fei  oon 
ihm  auch  ba0  beilifl®  ®rab  erlöft  morben.  — 

IV. 

fIRit  bem  Slufgeben  bet  Werfen  gtiebriibS  II.  mar  allen  33ermu* 

(SS5) 


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46 


•tungen  ein  um  founbeätenjtetefl  gelberöffnet,  al8  tragaufebcrSa^t» 
^unberte  auch  bie  nationalen  SBünfcbe  unb  Siele  anbere  gemorben 
tnaten.  93ot  aDen  gingen  muffte  bie  gewaltige  ©eifteSrencIution 
beö  16.  Saffrffunbertö  iffren  @influff  au(ff  ffiet  auöüben.  @erabe 
bet  fptingenbe  f)uu{t  ber  griebtid^fage,  bei  fleruöfeinblii^e 
Bug,  ben  wir  bieffei  als  ^etn  bei  @age  noigefunben,  beginnt 
jefft  aus  ber  üRijfion  beS  lefften  ÄaifeiS  ju  jcffwtnben.  @anj 
natüilicff:  benn  burcff  bie  Sleformation  mar  ja  bie  SRadft  beS 
lömifeffen  ^leiuS  tffatjäcbli^  am  empfinblicffften  getroffen,  bie 
@ntDÖIIerung  bei  ^löftei  mar  eingetieten  unb  bie  alte  gofung 
„^Reformation"  mar  nidfft  bloff  in  ben  oon  ber  alten  Äirc^e  fid» 
loStrennenben  Seil,  fonbem  aucff  in  bie  römifc^e  ^irc^e  felbft 
eingebrungen. 

iSudff  ber  @ebanfe  vom  äBeltenbe  unb  bem  Auftreten  beS 
2lnti(ffriftS,  fo  mefentlidff  unb  bui(bf«^lagenb  er  im  Anfänge  ffer* 
vorgetreten  mar,  tritt  meffr  nnb  meffr  jurüd,  ebenfo  bie  fcfalieff« 
lidffe  Siefignation  beS  ÄaiferS  auf  ©olgat^a.  2)ie  Sffötigfeit 
beS  verffeiffenen  ^aiferS  befcffränft  ficff  auf  ben  ^ampf  gegen 
bie  Ungläubigen,  befonberS  bie  Surfen,  baS  .^inffängcn  beS 
©^ilbeS  an  ben  bürren  Saum  unb  bie  ^erfteDung  beS  groffen 
SölferfriebenS.  9locff  fpäter  treten  au<b  ber  bürre  Saum  unb 
bie  @roberung  beS  ffl.  ©rabeS  jurürf,  fo  baff  bem  mieberfeffren» 
ben  griebri^  nur  bie  S6ieberaufri(btung  feines  JReicffeS  vor« 
beff alten  bleibt: 

„@r  ffat  ffinabgenommen 
5)e6  jReidjeS  .^errli^feit, 

Unb  mirb  einft  mieberfommen, 

9Rit  iffr,  gu  feiner  3«^-" 

SBir  feffen,  mie  mit  ben  veränberten  nationalen  Sebürf* 
niffen  unb  Aufgaben  beS  beutfdffen  SolfeS  audff  bie  Äaiferfage 

(3»6) 


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47 


gleiten  @c^ritt  ^ält  unb  gum  treuen  @d^o  bet  äßünfc^e  unb 
(Erwartungen  unferer  Station  wirb.  92a4|bem  ber  firc^enfeinb« 
Itc^e  3ug,  biefer  eigentliche  S)ifteren2punft  mit  ber  ^arliage,  ber 
(Sage  abgeichwunben  war,  fonnte  recht  wohl  auch  ^otl 
@ro§e,  Dtto  ber  ®rohe,  Heinrich  I.,  überhaupt  jebe  be« 
beutenbe  .^enid|ergeftalt  an  bie  Stelle  rücfen.  33ag  foQen  wir 
bagu  fagen,  wenn  wir  lejen,  ba§  nach  bem  ilobelRapoIeond  I. 
unter  bem  95olfe  in  Ihü^lns«»  bie  ÜReinung  geherrfcht  haben 
ioQ,  bah  ber  j^aifer  mit  bem  Ileinen  breiedigen  |)ute  unb  bem 
glängenb  fchwargm  Haupthaare  ben  Stotbart  abgelöft  habe?! 
@ewih  eine  bittere  3ionie  ber  Sagenbilbung,  bie  wir  aber  be» 
greiflich  finben,  wenn  wir  bebenfen,  bah  ber  bämonijche  üDlann 
.auch  »an  anbereu  9tationeu  in  baä  oergötternbe  IDämmerreich 
ber  Sage  gerüdt  würbe.  SBuhten  boch  auch  bie  ^alermitaner, 
bah  ber  grohe  3n|ulaner  einft  wieber  erfdheinen  unb  bie  S3erg* 
maffe  befl  üJionte  ^JeKegrino  in  ba8  ÜÄeer  ftfirjen  werbe. 

SBährenb  nun  aber  bie  früher  fo  fcharf  umriffene  Slhätig» 
feit  bed  wieberfehienben  ^aiferb  immer  mehr  eine  allgemeinere 
wirb  unb  bie  früher  ihr  eigentümlichen  3üge  abftreift,  erwä^ft 
ihr  ein  @rfah  bafür  in  ber  fonfreten  Dlubmalung  be$  ^aifet* 
hilbeb  felbft,  bie  wir  h<s^  nur  furg  anbeuten  wollen.  SBelche 
©lemente  bei  biefer  plaftif^en  Sluögeftaltung  beftimmenb  mit» 
gewirft  haben,  ift  um  io  fchwerer  feftguftellen,  ald  gerabe  hin 
SBiHtür  unb  3 »fälligfeiten  ungemeffeneö  Spiel  hatten. 

@leidh  bie  erfte  ?^rage,  weöhalb  fich  bie  .Raifer=griebridhfage 
»orgugSweife  an  ben  Äpffhä»iet  auf  ber  golbenenSlu  feftgeheftet 
hat,  bürftc  bieö  flar  machen.  SBie  oben  erwähnt,  tau^t  im 
günftigften  Salle  im  14.  Sahthuubert,  angebli^  bei  Sohanu 
{Rpteffel,  beffen  ht|fi|d)e  (Ehronif  jeht  leiber  oerloren  ift,  bie 
(Erwähnung  beffclben  erftmalö  auf.  3ht»  »»b  bem  oben  gleich» 

(3tl) 


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48 


faQS  ermwibntcn  @ngelbuftuS  nadjergäblenb  fc^reibt  SBtganb 
©erftenbergcr  am  gnbe  bed  15.  Sabt^unberM:  3n 
bertjcbe  no(b  bie  Ü)leinunc5,  Äaifer  griebricb  (II.)  folle  nodb 
leben  auf  feinem  ©cbloffe  Äpffbaufen. 

SBeebalb  nun  non  ben  ©(blöffern  unb  Burgen  S)eutf(blanb8 
gerabe  am  Äpffbäufet  bie  Sage  fi(b  lofalifiett  bol.  ®itb  fd)tt>et 
.ju  fagen  fein.  3>vat  b^i  nmn  auf  bie  übetaud  bewegte  ®e« 
f(bi<bte  bed  tbütingifeben  iianbed  im  13.  3abtb^tnbert  nerwiefen 
unb  baran  erinnert,  ba§  Jilleba  am  ^ufee  befl  ÄpffbäuferS,  eine 
alte  Äaiferpfalj,  wieberbolt  gtiebrid)  I.  beherbergte,  bafe  gegen 
@nbe  ber  ^Regierung  ^riebriebd  U.  gerabe  im  tbüringifeben 
ganbgrafen  ^>einri(b  JRaSpe  ein  ©egenfönig  aufgeftellt  würbe, 
na<b  beffen  ^obe  wieberum  baS  Ifanb  in  febwere  9tot  geriet, 
aibretbt,  an  beffen  SBater  (^>einti(b  v.  fJReiben)  ba8  8anb  ge» 
faQen  war,  b^ite  fenen  fcbmäblicben  iiänberfebadber  mit  Sbolf 
DonfHaffau  geplant,  gegen  welchen  bie^büringee  fitb  weigerten. 
Äaifer  ^iebriebö  eigene  Joebter,  bie  ©emablin  beS  8anbgrafen, 
foUte  1270  auf  Slnftiften  ibreö  ©emabl’ä  ermorbet  werben  unb 
entfam  nur  wie  bureb  ein  SBunber.  3n  ber  ©rinnerung  an 
folcbe  ©tlebniffe  mo^te  fttb  in  ben  .fpergen  ber  SlbWnger  hoppelt 
ber  Sßunfd)  «gen,  bafe  ber  Äaifer  ^ebricb  fommen  muffe,  ja 
ba|  er  bereits  in  ihrer  9täbe  fei,  um  ihnen  bie  febnlicbft  er» 
wartete  ©erecbtigleit  gu  teil  werben  gu  laffen. 

OJian  mag  immerhin  btefe  @rfl5rung  in  Ermangelung 
einet  beffeten  b'nnebmen;  bab  fie  ein  IRotbebelf  ift  unb  feinetlei 
innere  IRStigung  beft^t,  liegt  auf  ber  jpanb.  ©etabegu  in  ben 
5)etei(b  reinften  SufoDeö  ober  gelangen  wir,  wenn  bie  neuefte 
3lnfi(bt  re^t  haben  foQte,  wonadb  bie  Ortsangabe  EngelbufiuS’ 
(in  Castro  confusionis)  eben  nichts  weiter  alS  eine  Ueberfebung 
»on  SB a bei  ift,  wohin  man  ben  gum  iSnticbtifteu  geftempelten 

(M8) 


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49 


griebti(^>  wie  einftenö  ?Reto  mit  Serufung  auf  ga^lreici^e  «SteDen 
in  bet  apofalppfc  uetfe^t  baite-  3«  biefem  gaHe  wäte9totbe’8 
Ueberfebung  non  castrom  coniusionis  mit  sloss  koufhoser  ein 
Srrtum  gewefen,  bet  bann  füt  alle  Seiten  ueibangniöDolI 
bleiben  füllte.  3nbeffen  witb  au§et  bet  jetfaHenen  Surg  — 
beun  biefe  ift,  wie  oben  etwä^nt,  bie  Sebaufung  gtiebticb«, 
noib  nicht  ba8  Snnere  be8  Setge8  — beS  Äpffböufert  auch 
noch  bie  Bon  Äai|et8lautetn  beteit8  um  1532  erwdbnt; 
nach  einet  anbeten  9iacbti<bt  audb  bet  Untet8betg  (um  1529). 
Slucb  bet  £tifel8  witb  al8  lSufentbatt8ott  genannt;  nach 
anbern  gebt  bet  Äaifet  im  Sltnotbale  um.  3m  Dbenbetge, 
@uben8betge,  in  einem  fleinen  ©anbbetge  ^wifchen  9iütnbetg 
unb  Sürth,  ferner  in  bet  93utg  2)enfenberg  im  ^abetbotnfchcn 
füll  ^aifet  .^arl  wohnen,  £>tto  im  .teilet  be8  Dueblin« 
bürget  @chloffe8.  iSu^  bet  @^uc!en8betg  u.  iS.  ift  al8 

^aiferbebaujung  befannt. 

3öenn  Bon  aü  biefen  gofalifietungen  fp&tetbin  bet  ÄpffbSufet 
eine  ganj  befonbete  Serübrntbeit  erlangt  unb  bie  anbeten  Drte 
atlmäblich  au8  bet  @age  gurüdgebtängt  b^t«  fo  tnos 
wiebetum  ein  febt  gufäQige8  @reigni8  beigetragen  haben.  Um 
bad  3abe  1^46  nämlich  H’ar  ein  armer  @chneibet  Bon  Sangen* 
falga,  bet  erft  in  feinet  {»eimat  gefänglich  eingejogen,  bann  al8 
irtfinnig  lo8gegeben,  aber  im  @)ebiete  be8  ®rafen  Bon  .^enne« 
betg  wiebet  bingfeft  gemalt  unb  fobann  ebenfa08  wiebet  frei* 
gelaffen  war,  in  bie  @egenb  be8  Äpffbäuferb  gefommen,  wo  et 
in  einet  Kapelle  mehrere  Sage  unb  IRädhte  bei  einem  Seuet 
fah.  2118  bie  Seute,  butch  ben  3iau^  Beranlaht,  binaufgingen, 
foben  fie  ben  atmen  im  trautigften  Suftanbe  unb  oollftet  93ct» 
wabtlofung.  @ie  hörten,  wie  et  „wunberliche  Sieben  getrieben, 
fi^  Bieter  Äonigreich  unb  Äaifertum8  berühmte."  IDarauf 

XIX.  ua  4 (339) 


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50 


fei  ein  ungel^eueret  Sufammenlauf  nad^  bem  Serge  geioefen; 
„Äoifer  gtiebrtt^  fei  aufetftanben,"  l)abe  baS  ganje  Solf  ge» 
f4|iie^en.  äbet  tneber  bet  Surgvogt  noch  bet  lian^leioenDalter 
von  bem  naben  ®onbetbbaufen  b&lten  an  bem  fS^enfdien  etmad 
Seibä<btiged  gefe^en.  „@in  armer,  wabnmi^iger  Slüenfcb,  ohne 
Saifcb,  ohne  Setrog,  bet  nicbtd  rebl  ober  tbut,  bag  f(bäbli(b 
ober  gefäbtli<b*  — fo  lautete  i^t  Sefunb  — »urbe  er  fobann 
geitlebenb  mit  @ffen  unb  Stinten  oerforgt. 

S)iefeb  Sorfommnid  fällt  in  bie  lebten  Sage  8utberd,  bet 
noch  baoon  gehört  unb  geäußert  haben  fo0:  3(h  tvei^  ui(ht, 
toab  i(h  baoon  foU  halten,  bet  Seufel  hat  oormald  mehr  ben 
Beuten  eine  9tafen  gemacht."  ISuch  ^er^oge  von  $teu^en, 
loelchem  von  bem  9lütnberger  ^ietottpmuö  Schür ftab  ber 
obige  Sericht  erftattet  toutbe,  etfchien  eine  „foldhe  Seufelei" 
feineötoegd  unmöglich. 

So  toenig  nun  bie  tragifomifche  SioQe  beö  armen  Schneiberö, 
ben  übrigens  einige  3ahthunberte  vorher  faum  etwas  gef^ü^t 
hätte,  feine  „fehctifche"  JRoHe  beS  ^feubo«§tiebrich  getabe  wie 
Sile  ^olup  unb  anbere  ^feubofriebriche  mit  bem  ^euertobe  gu 
begahlen,  jenen  Sorftellungen  entf^rechen  mochte,  welche  bie 
Sage  vom  ^aifer  gebrich  entwidfelt  hatte,  fo  war  ihm  hoch 
„bet  närrifche  ^öbel",  wie  bet  Serichterjiatter  fagt,  in  heß«* 
Raufen  gugelaufen.  SBir  ftehen  eben  am  Sorabenb  beS  Schmal» 
falbifdhen  ÄriegeS,  wo  bie  erregten  ©emüter  von  ber  9iachricht, 
Äaifer  griebrich  fei  auferftanben,  um  fo  leidhtcr  in  Spannung 
verfemt  werben  mußten.  Sicherlich  wirb  baS  gemeine  Solt  no^ 
naif  fahren  beS  wunbetlichen  SJianneS  auf  bem  ä^ffhäufer  ge» 
bacht  unb  von  ihm  ergählt  haben.  Sei  bet  .^onlurteng  mit 
anbem  Ortsangaben  würbe  bie  nun  einmal  burch  ben  Sotgang 
erregte  3lufmetffamfeit  vorwiegenb  bem  Äpffhäufer  als  Siufent» 

(3S0) 


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51 


Ijaltäort  befl  .Rai|er8  3uge»enbet,  wogegen  bie  onbetn  Dertlii^» 
feiten  3urü(ftteten  mußten. 

äßad  nun  bie  ungweifel^att  an  ben  alten  ©ötteiglauben 
anflingenbe  0ergoeife^ung  angelt,  fo  finbet  ftcb  biefelbe  fo 
jiemltcb  bet  aUen  iBöIfetn.  @o  wo^nt,  um  nur  @tnigeS  anju« 
führen,  ber  alte  Sad^ienber^og  SBittefinb  in  einem  Serge  in 
SBeftfalen;  Stell,  ber  mptbifdje  Sefreiet  ber  @cbwet3.  au8  bem 
bie  Sage  fogor  eine  SDreibeit  non  Steden  gefcbaffen,  in  einer 
gelienböbl*  “•**  ©rütli;  im  Slrbennermalbe  bunt  feiner  SBiebet» 
febr  bet  nieberldnbifdbe  Dgier,  bei  ben  SDönen  «folget;  Äonig 
ÜlrtuS,  0watopluf,  'jlnbreaS  ^ofet  wobnen  im  Serge. 
^Hu(b  notbamerifaniftbe  Sagen  oon  9{i|)  oan  SBintel  unb 
^ubfon,  bretonifdbe  non  dJiornan  8e3<Srei3,  f^anif^e  non 
Soabbil*  el  Gbtcoß,  britiftbe  non  bem  dlationalbelben  8e» 
minocf  ober  iSemenif,  raotiöfifcbe,  portugiepftbe  u.  f.  w.  fennen 
bie  Sergentrüdung.  @regotooiu8  berichtet  non  einet  Solfs» 
jage  auf  @a^)ri,  wonach  <^uifec  Stiberiuß  ebenfadß  in  einem 
Serge  bawfl»  ““t  bron3enem  SRoffe  p^enb,  mit  bridantenen 
Sugen  u.  f.  w. 

fRachbem  nun  aber  ber  d^aifet  (nach  bemfelben  SolfSbüchlein 
nom  Sabre  1519,  in  welchem  wir  auch  bie  erfte  Sertaufchung 
mit  griebtich  Sarbaroffa  norftnben)  einmal  feinen  feften  @i^ 
im  Serge  genommen  h®^.  ««nübet  bie  gef^dftige  ^b®®i®ft® 
ni^t,  fein  Silb  biß  inß  SDetail  auß3umalen.  Sereitß  um  1529 
weih  MUß  bie  dltefte  fchriftliche  Ueberlieferung  nom  Äaifer  grie» 
brich  «m  Unterßberge  3U  nermelben,  bah  ber  Sart  beß  Äaifetß 
grau  ift  unb  biß  3um  QSürtel  reicht;  fpdter  aderbingß  fiht 
Ifatl  im  Unterßberge  mit  fchneeweihem  Satte,  ber  ihm  bereitß 
3Weimal  um  ben  Stifch  gewachfen.  ®eotg  Sabinuß,  ber  um 
1532  alß  2lufenthalt  beß  ^aifetß  bie  Surg  non  Jfaiferßlautem 

4*  (331) 


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52 


angiebt,  erfährt  „aud  alten  Annalen'*,  ba|  grtebttth  bott 
fdhiummete.  <Sohatihn,  wie  in  einem  „@efhiä(b  einei  römif^en 
@enatoriä  unb  eined  j£eut{(hen"  vom  3aht  1587  etgänjenb  bei> 
gefügt  initb,  (Sinet  gefe^en,  ben  man  an  einem  @eile 
gelaffen,  fi^enb  „auf  gülbenem  @effel  unb  mit  einem 
gtaufamen  ©arte."  3)et  befonbetä  »on  ben  Srübetn  @rimm 
benu^te  0agenfammIer  3ohonn  |)raetoriud  fügt  f(hon 
tneitere  3üge  jur  Staffage  hinj“-  3"  feinem  früheren  Suche, 
ber  „fReuen  SBeltbefchreibung"  (1666)  fi^t  Äaifer  griebricb  (II) 
tief  unter  ber  @rbe  in  einem  Serge  auf  ber  Sauf,  an  einem 
runben  Sifche  unb  fcbldft.  @i  h^t  einen  „gräulich  sro§en 
grauen  Satt“,  ber  bis  jur  @rbe  reicht.  3n  bera  fpäteren 
Suche,  bet  Alectryomantia  (1680),  morin  er,  merfmürbig  genug, 
plöhlich  »on  Äaifer  griebrich  L,  bem  gangfdhläfer,  fpricht,  er« 
gählt  er,  wie  einft  ein  Schafhirte  in  ben  Setg  gefommcn  unb 
bott  vom  j^aifet  gefragt  morben  fei:  f^liegen  bie  9iaben  noch 
um  ben  Serg?  3»  biefem  unferer  heutigen  SorfteQung  beS 
.^pffhäuferalten  unb  feiner  Sehaujung  fo  mefentlich  unb  un« 
entbehrli^  fcheinenben  3uge  tritt  halb  barauf  ber  neue  nicht 
mieber  tief  einget)rägte,  ba|  ber  Satt  beS^aiferS  burch  ben 
Sifch  gemachfen  ift,  n>ie  eine  9Iachricht  auS  bem  3ahre  1696 
befagt.  fRoch  bei  bem  eben  genannten  ?)rätoriuS  mar  et  breit 
über  ben  Sifch  gemachfen,  wie  et  »on  „einem  glaubmürbigen 
9Iümberger"  gehört; früher  auch  „um  ben ^ifch “■  Unb  mahrenb 
biegarbe  früher  »eih  ober  gräulich  »ar,  fo  begeichuet  Sehren S 
am  Slnfange  beS  18.  3ahrhunbertS,  nachbem  er  ben  ^aifet 
griebrich  fchlechthin  diotbart,  Aenobarbus  genannt,  ben  Satt 
beS  ^aiferS  folgerichtig  als  rot.  Ülbet  biefe  neuefte  SBanblung 
»ermochte  feineSmegS  bie  frühere  fSnfchauung  auS  bem  gelbe  gu 
f^lagen.  @etabe  ber  belannte  Streit  um  beS  ^aiferS  Satt, 

(MS) 


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53 


ben  @eibel  fo  anmutig  befangen,  ift  roo^I  mit  fRec^t  non 
% ®rimm  auf  bie  fRioalität  gvifcben  ber  alten  unb  neuen  S3et> 
ftou  bezogen  »otben. 

lDo(b  ^at  berfelbe  SBebrend  auf  bie  f)laftif(^e  fSuSgeftaltung 
ben  aQergr5§ten  @influ^  geübt.  9ta(^  ibm  nämti(b  fi^t  ^aifec 
griebrid)  mit  but<b  ben  Jifdb  gemaibfenem  Sorte  „am  ftei* 
netnen  S^ifcbC/  ben  jtopf  in  bie  .^anb  geftü^t,  ru^enb 
ober  feblafenb;  er  ni(ft  ftetig  mit  bem  .Raupte  unb 
gminfert  mit  ben  ^ugen,  alö  menn  er  etma  nic^t  recht 
fchliefe,  ober  halb  wieber  erwachen  molle."  5)iefl  finb  ja  bie 
unb  aub  IHücfertb  ^pffhöuferbaQabe  fo  moblbefannten  3üge 
welche  ber  0idhter  jwar  nicht  birelt  aub  Sehrenb,  fonbem  aub 
ben  ollerbingb  »on  Seprenb  ganj  unb  gar  abhängigen  SoIIb» 
jagen  oon  Süfdhing  fchöpfte.  9iur  ber  „elfenbeinerne" 
©tuhl  unb  ber  „marmelfteinerne"  Stifdh  finb  aifo  freie  3«* 
thaten  3U  feiner  Sotlage.  9luch  bie  @rimm  fu§en  in  lebtet 
Oteihe  auf  bem  non  Sehrenb  entroorfenen  Äaifetbilbe. 


@0  hoben  mir  unfere  Sage  oon  ben  crften  Slnfängen  bib 
gu  ihrer  lebenboollen  ^ubgcftoltung  »erfolgt.  SBie  »erfchieben 
ift  bieb  fertige  Äaiferbilb  »on  jenem  „lebten  Äaifer"  ber  9Re* 
thobiubmeiffogung!  3ug  um3ug  h“t  ft^  allmähli^  »eränbert; 
alteb  ift  gef^munben,  neueb  i ewigen 

SBechfel  ift  @ineb  uuoetfennbnr:  ber  meffianifche  3ug,  ber  burch 
afie  SBanblungen  ber  Sage  geht. 

3n  unjähligen  ©efchichten  »om  Äaifer  gtiebrich  im  Äpff« 
höufer,  welche  unb  burch  bie  finnigen  @rjählungcn  ©rirnmb  unb 
anberer  beutfdjer  Sagenfammler  oon  frühefter  Sugenb  l)cr  in 
nnaublöfdhlicher  @rinnerung  leben,  hot  fich  bie  ^h“o*ofie  «nfereb 
Solfeb  erf^opft.  2)a  fi^t  benn  ber  Äaifer  im  golbftrohlenben 

(SSS) 


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54 


@etp5lbe  beS  93erged,  Don  unb  ^enlid^Iett  umgebra. 

@in  ftattlicbeS,  woblbeuafpieted  ^rtegS^eer,  nur  {eined  3BinfeS 
gewärtig,  umgiebt  ben  greifen  aber  no(b  gu  Staaten  unb 
gioneic^en  @tegen  berufenen  ^elbenfaifer.  9uib  im  Serge  bat 
et  fein  beutfcbed  Solf  nicht  vergeffen  unb  bieberer  @inn  finbet 
in  9löten  gern  bereite,  reiche  ^itfe  bei  ihm.  ®ar  mancbe»  bie 
bort  ben  Äaifcr  gefeben,  »iffen  gu  ergäblen  »on  feinem  präcb* 
tigen  Surgoerlie^e,  glängenb  non  @olb  unb  @belgeftein,  uon 
feiner  ebrfurcbtgebietenben  ©eftait  unb  .Roheit,  gugleicb  auch 
feiner  großen  @üte  unb  Sreunblid^teit.  Salb  ift  ed  ein  luftiger 
flJiufifant,  ber  am  ^pffbäufer  uorüberfommt  unb  bem  alten 
Äaifer  ein  ©tdnbcben  bringt,  ober  ein  fcblicbter  ,^irte,  bet  ihm 
auf  ber  ©acfpfeife  einS  auffpielt.  3um  £)anfe  bafüt  wirb  er 
non  einem  3merge  binabgefübrt  in  bie  glangum^offene  ^aifet« 
bebaufung,  wo  ibm  ber  gute  ^aifer  feine  ^eunblicbleit  taufenb< 
facb  vergilt.  2)a  fpenbet  er  bem  @inen  einen  Saumgweig  ober 
ben  eines  ^anbfaffeS,  ber  ficb  bann  beim  IRacbbaufefommen 
in  QJolb  oerwanbelt,  bem  ‘2lnbern  wirb  löftli^er  SBein  in  ein 
nimmeroerfiegenbeS  Ärügletn  gefcbenft.  Slrme  l'eute  pnb  c8 
namenllicb,  Säuern,  bie  ficb  ber  ©utbergigfeit  beS  alten  ÄaiferS 
gu  erfreuen  haben  unb  benen  fi^  bie  von  Utdben  ober  einem 
Strabanten  gricbricbß  empfangenen  Äoblen  in  lauteres  @olb  um» 
wanbeln  ober  eine  Uabung  SBeigen  mit  einer  IJaft  beS  ebelften 
SRetadeS  vergolten  wirb,  welche  bie  ^Pferbe  faum  nach  ^aufe 
gu  gieben  vermögen.  @ineS  freilich  ift  unbebingt  notwenbig: 
fchlichtet  unb  gerechter  Sinn.  Ser  ben  faiferlichen  Sorten 
nicht  folgt  ober  feines  ©efchenfeS  — unb  wäre  eS  nur  ein  un» 
fcheinbareS  Sträußchen,  — nicht  achtet  ober  wer  von  arger  ^ab* 
fucht  getrieben  gu  tief  in  beS  ÄaiferS  SErube  greift,  ber  trägt 
in  feiner  |>anb  gemeines  Slei  ftatt  roten  @olbeS. 

(S34) 


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55 


SBicbtigfite  ^erjeneangelegen^eit  bleibt  i^m  aber  auc^  im 
Serge  bie  nationale  @ro|e  unb  SBo^lfa^rt  feineö  Solfeö.  9Jlit 
brennenber  Segietbe  fä^rt  et  »on  3«t  j«  3eit  au8  feinem 
@^lummer  auf  unb  fragt,  ob  benn  bie  0tunbe  no6  immer 
ni(^t  gefommen  fei,  mo  er  ^erauStreten  unb  feinet  Station  ben 
gebü^renben  9tang  wieberum  oerf(^affen  fönne.  2)ie  3«»*  ifi 
ibm  freilid^  lange  gemotben.  ^atte  {Rudert  im  3a^te  1817 
in  feinet  {Rotbartbidjtung  bem  fragenben  Äaifet  nur  ben  trau» 
rigen  Sefc^eib  geben  fönnen,  ba^  bie  {Raben  no^  immer  um 
ben  Setg  fliegen,  fo  bafe  er  no(^  länget  f^lafen  muffe,  fo 
miffen  au^  bie  nac^folgenben  ^ff^äuferfläuge  nur  oom  fc^la» 
fenben  Sarbaroffa  3u  fingen.  9lur  »on  3eit  ju  3«it  bricht  in 
jenen  3al{ren  t^olitifcber  Sieaftion,  welche  ben  @ebanten  an 
beutfc^e  @in^eit  al8  ftaatSgefä^rlicb  tiet^orreScierte,  au8  bem 
bumpfen  @roDe  bie  faft  »ormurfSoolle  ffrage  ^ettjot: 

SBann  ermac^ft  bu  .f)elbenfeele, 

Sliegft  im  ®turm  verjüngt  but^8  8anb? 

IDet  mutige  Sänget  ber  ^ei^eit,  ^offmann  oon  gaHerB» 
leben,  giebt  im  Sa^re  1840  feinet  Unjufrieben^eit  Sluöbrud  in 
bem  Seufjer: 

,SBenn  ber  Äaifer  bod^  erftänbe,  aä)  er  fd^läft  3U  lange  3«it!* 

Siele  taufenb  .^et^en  fa^en  in  jenen  IDecennien  fe^nfuc^tS» 
voll  nad^  bem  j^pff^äufer;  aber  Sarbaroffa  fc^lief,  fc^lief  tief 
unb  lange.  — 

@rft  mit  bem  .RriegSjaljre  1870/71  brac^  für  ben  mit  ecbt 
beutfc^er  Jreue  feftge^altenen  .£)et3en8ivunf(b  nac^  ber  SBieber» 
fe^t  äfaifer  §riebric^0  bie  .^eHe  ber  SRorgenröte  an.  @in 
greifet  .^elbeufaifer,  wie  i^n  bie  Sage  ftetö  vet^ei§en,  30g  au8 
vom  beutfd^en  8anb  um  in  ^ei^er  Sölferf^ladbt  ben  geinb  be8 

(33i) 


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56 


Deutfd^en  92amenS  auf6  ^aupt  ju  f^Iagea  unb  bie  ^Rifflon  beS 
emorteten  Äaifetö  glonci^  ju  erfüQen,  inbem  et  bte  lange  er» 
feinte  flaatlid^e  @in^eit  S)eutf(^lanbe  auS  bem  nebeligen 
(Dämmerteidbe  bet  Stäume  in  ben  2,ag  bet  SBirOiiblett 
cinfübrte.  3«^*  nadjbem  bte  Hoffnungen  bet  ©effen 
unfetet  9lation  fttb  DeiwitfUdbt  unb  unfete  nationale  ®age 
in  glänjenbet  SBeije  fttb  ooUenbet  baüCr  konnte  @etod  hu 
rubigt  fingen: 

IRun  altet  ©atbatoffe 
8eg  friebeooK  bein  mübed  9^>>br 

Dttonen  ibt,  bu  ^aifet  ^atl  bet  (Stoffe, 

9iun  fcbtaft  in  bet  Süatmottrnb. 


(336) 

Etnd  CO«  ®(bt.  Ungfc  (Sb.  Wrimm),  eniin  SW. 


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Jl«9  lift  iifr 


ortrag 

gehalten  in  bet  (SeneralDeTfammlung  be0  fDentf^en 
f^if^eteioereinS  in  0etlin 

Don 

(Entß  Giebel, 

©tabttatl)  unb  Strigemen  bt«  WäTHIAtn  VioDiniial-SSuieumb  au  »etlin. 


6rrliit  SW.,  1884. 

Seilag  Don  6ail  ^abel. 

(C.  10.  töbniti’iilit  Hnli(ibii4|inil«ig,) 

33.  CBf(b(lm.€trat<  33. 


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Sad  htt  Uebtrfe^ung  in  frtmbe  Sprachen  nitb  oorbt^alten. 


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@inet  unfern  beflen  früheren  öfonomifd^en  @d>rift|ieDer,  bet 
alte  So^annefi  (Joletuö,  njd^It  unter  bn  Uebnfc^rift: 

„SBn  bie  gifti^ne^  erft  erfunben  ^at“ 
f^olgenbeS.  „gifd^fang,  93ogelfang  unb  SBilbfang  ift  o^ne 
gveiffel  getnefen  »on  bet  SBelt  anfang  ^er.  rü^> 
met  fi(^  Sabulon  er  fep  bn  nfte  ©^iffmann  onb  ^f(^er  ge» 
tsefen,  im  jübtf(^en  IBüdblein  »on  ben  ^eftamenten  bn  ^tnbn 
3acob.  3)a  id^  in  6anaan  auffä  ^eer  fam,  ^ab  tc^  meinen 
Satter  Sacoben  mit  gifdbgejabe  gejagt,  »nnb  miemol  »iel  im 
3Ren  ertrundfen,  noc^  bin  i(b  tmbeleibigt  geblieben.  3(b  ^ab 
bn  aUnerfte  ein  ©c^iff  im  Söleer  gu  faxten  gemadjt,  »nb  Qlott 
^at  mit  Serftanb  onb  SEBei^^eit  barin  gegeben,  »nnb  ^ab  ^inben 
am  ©(biff  «n  fleben  »nn  bab  «»  breite« 

!£u(b  mitten  im  ©dbiff  aubgebreitel,  nnb  alfo  im  ©d^if  burdb» 
manbnt  ba«  SHeer,  nnnb  fifd^et  §i|(be  meine«  Satter«  ^aufe, 
bi|  fo  lange  ba§  mir  in  (ägppten  fommen  fein.  — günff  3abr 
bab  i(b  gefif^et,  einem  jeben,  ben  idb  fabe,  gab  icb,  baju  b<>b 
i^  au(b  meine«  Satter«  ^au§  jur  genüge  verforget.  3tn  .^nbft 
flfcbet  icb,  i’nb  im  äßinter  weibet  idb  bie  .^irbe  fampt  meinen 
Stübern,  pp.  — Sun  weite  id)  biefe«  wobl  gerne  »erteibigen, 
abn  mir  ftebet  Soab  mit  feinn  ©dbiffart  auff  bem  rechten  großen 
Dcean  in  ber  ©ünbflutb  im  SBege.  — Slibullu«  febreibet«  ben 
^iprii«  gu,  prima  ratem  ventis  credere  docta  Tyms.  @tlidbe 
febteiben«  ben  Srgonauti«  gu,  etliche  anbem." 

XIX.  «1.  US.  1*  CSS9) 


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4 


6oleru8  bemängelt  weiterhin  jene  labblntfdben  gabeln,  ^dlt 
aber  an  bem  ^o^en  Sllter  bet  gtfd^etei  feft  unb  jiebt  babei 
offenbar  einen  analogifd^en  @c^lu§  anS  bet  Setiac^tung  bet 
9latnTDölfer,  welche  bet  (Regel  nach  btei  @tnfen  bet  Sntwicflung 
bntchmachen,  fo  jwar,  ba|  bte  gifchet»  unb  Säflerftfiwwe  bie 
untetfte  Stufe  einnehmen,  bafe  fie  mit  bet  Sucht  bet  ^auöthiete 
auf  eine  h^h^te  Stufe  al8  Ritten  unb  SSiehjü^ter  gelangen, 
um  fchlie§lich  al8  fehhnfte  ^cfetbauet  bie  (Botftufe  gu 

etflimmen,  non  bet  ab  bie  eigentli^e  ftaatliche  unb  gefellfchatt« 
liehe  Äultnt  bet  SBölfet  etft  beginnt'). 

Soweit  bie  gefchidhtlichen  (Rachtichten  reifen,  wirb  un8 
bie  gtofee  wirthf^aftliche  Sebeutfamfeit  ber  gifchetei  nicht  blo8 
an  ber  9Reere8füfte,  fonbern  auch  ®n  ben  Strömen  unb  Seen 
be8  Sinnenlanbe8  nielfach  beftdtigt,  unb  e8  ftellt  fleh  but^  einen 
S^etgleich  mit  bet  Gegenwart  h<cuu8,  ba§  getabe  bet  gifchfang 
feine  (Srheblichteit  al8  witthf^afUichet  gattor  non  bet  dlteften 
@lefchichte  ab  bi8  h^ut  wenig  ober  gar  nicht  gednbert  hut,  ba§ 
et  noch  ie^t  mehr  al8  ein  eigentliches  bewerbe,  eine,  äbetall 
wo  gifchgewdffer  noihanben  finb,  jut  Geltung  (ommenbe  Solt8« 
thdtigfeit  ift,  wdhtenb  fein  glei^ialteriger  Stüber,  bet  SBilbfang, 
entwebet  ein  bloheS  Setgnägen,  ein  Spott,  ober,  wo  er  non 
eiu3elnen  ^erfonen,  non  ben  betnf8md§igen  Sägern,  in  ben 
groben  gufammenhdngenben  .^atben  unb  Sßdlbetn  betrieben  wirb, 
mehr  ein  ^nhdngfel  bet  gorftfultur  b.  h-  genau  genommen  ber 
{)olgwirthfchaft,  alfo  eines  Gewerbes  geworben  ift,  mit  bem  et, 
wegen  beS  SchabenS,  welken  baS  SBilb  unleugbar  ber  gorft 
gufügt,  in  einem  lofen  unb  eigentlich  wenig  günftigen  Sufatn* 
menhange  fteht.  So  wenig  gnnftig,  bab  bie  Stifteng  bet  Sagb 
wiebetholentlich  bereits  burch  bie  neuere  Sefe^gebung  — eS  fei 
nur  an  bie  Sotgdnge  beS  SahteS  1848  erinnert  — re^t  ernft» 

(S40) 


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5 


li^  bebto^t  ge»e|en  ift,  »Sl^tenb  getabe  umgefel^rt  bie  öffent» 
lid^e  SRetnung  überaO,  in  @uro^a  ttie  in  Slmerifo,  fid^  in 
jug  ouf  ben  ^o^en  äBert^  bet  glf^etei  fe^t  günftig  fteöt  nnb 
gut  SBerbefferung  berfelben,  S)anf  not  '^Qem  ben  Seftrebungen 
unb  9lntegungen  bed  'Deutfcben  $if^etei>SeretnS,  non  ftoailid^r, 
non  gemeinbltcber  unb  non  ^tinaiet  (Seite  bebeutenbe  Dpfer  mit 
greuben  gebrodjt  toerben. 

SBad  bisher  betübrt  würbe,  finb  — wenn  au(^  ted^t  alte 
— fo  bodb  immet^in  no(^  ^iftorifc^e  Regierungen.  (SoIeruS 
jagt  ober,  et  netmutre,  bet  gifibfang  fei  non  bet  SBelt  iSn» 
fang  ge^t  aifo  rinmit  weit  übet  bie  eigentli(be  @$e< 
fdbicbte  riiiau6  in  bie  RotgefcTidTte  unb  Utgej^id)te  bet 
SRenfdbr  eit. 

3)ie  Reweife  für  bieS  r^tTfle,  foft  unfibetferbate  Stiter  bet 
^ifcbetei  bleibt  et  unS  freilicb  fc^ulbig,  unb  in  bet 
tS  audb  bis  je^t  no^  feine  etfcTöfifenbe  Urgef^icTte  unb  Rot« 
gef<bi(rte  bet  gifcTetei.  35iefet  wiffenjcbaftlidTe  3»etg  ift  nur 
wenig  fultinirt  unb  |o  jungen  3)atumS  wie  bie  moberne  wiffen« 
fcbaftlidTe  Rot«  unb  UrgefcricTte  felbft.  Rot  SlOem  ferit  ed  an 
einet  einigermaßen  nollftfinbigen  Bufammenftellung  bet  giemIi(T 
gariteicben,  aber  überaus  nerftreuten  SRatetialien  einer  S)atftel> 
lung  beS  ut>  unb  norgefcßicrtlicren  ^ifcbwefenS,  unb  idß  netmag 
bei  bet  Änoppreit  beS  mit  gugemeffenen  0flaume8  felbftnerftfinb« 
Ii(b  audb  nur  einen  lüdfenraften  Sbriß  gu  geben.  3mmetr«n 
aber  glaube  id),  wenn  man  unter  bem  6oIeruS'f(ben  SiuSbrucf 
„non  bet  SBelt  Slnfang  ßet*  bie  SInfänge  beS  eutobSifcßen 
fWenjjßenß  foweit  wir  fie  fennen,  nerfteßt,  bartßun  gu  fSnneu, 
baß  audb  bet  gif^fang  woßrftreinlitb  naßegu  ebenfo  alt  ift*). 

35ie  öltefien  ©puren  be«  gifcßfangS,  weld^e  bis  jeßt 
in  6utopa  befannt  pnb,  f*einen  auS  bet  Äent’S  ^ole,  einer 

(8«) 


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6 


in  <Denonf^ire  im  {übmeftUc^en  @nglanb,  gu  ftammen. 
SDiefelbra  befielen  in  ben  Sieften  »on  gwei  gifcbipeeren  ober 
|)ar^unen  au§  .^nin^en,  welche  in  bei  9l5^e  »on  ©felettie^en 
beS  fogenannten  fäbelgd^nigen  .^ö^Unlömen  (Machairodus  lati- 
dens)  autgegraben  worben  ftnb.  IDie  übrigenb  bislang  nodi 
lec^t  raten  fRefte  biefel  fürc^terli^en  Siaubt^ieie  werben  »on 
gewichtiger  Seite  bemjüngften^liocenb.  h-  lulturgef^ichtlich 
(nid^t  geologifch)  betrachtet,  al8  einet  fchon  feh»  entlegenen  gec« 
logifchen  ^eriobe,  nämlid>  betjenigen  angehörig  gugewiefen, 
welche  bem,  bie  »erfchiebenen  @i8perioben  umtaffenben  ^(eiftocen 
ober  S)Uu»ium  unmittelbar  »orangeht.  lDa6  erwähnte  0iaub> 
thier  weift  im  ÜlOgemeinen  auf  ein  wärmeres  ^lima  h>”r  unb 
Sopb  IDawKnS,  bet  berühmte  englifche  .^)öhlenerforfcher,  ift  ber 
^EReinung,  ba§  baS  in  ber  ^ent’dc^öhle  gefunbene  Srem^Iar 
fchon  bei  EReige  beS  ^liocen  angehörte,  wo  bereits  nörblicher 
eine  langfam  beginnenbe  ISblöhlung,  als  @inleitung  bei  elften 
@iSgeit,  fi^  fühlbar  machte  unb  »iele  £h<^c  nach  bem  wärme« 
ten  Süben  »ertrieb.  So  eifärt  ftch  baS  gleichgeitige  IBorfom« 
men  beS  wollhaarigen  Elefanten,  beS  woühaarigen  ERaShomS 
unb  beS  SRenthierS  in  betfelbigen  Schicht. 

aber  felbft  gefegt,  bie  erwähnten  Bifthh«l>“nen  feien  mit 
bem  Machairodus  latidens  nicht  »oQfommen  gleichalterig,  fo 
gehören  fte  immerhin  noch  in  eine  überaus  entlegene  urgefchid)t« 
liehe  Seit  unb  müffen  »on  febem  Bif^er  unb  Bif^fieunb  mit 
@hefurcht  betrad)tet  werben. 

SBit  gehen  nunmehr  in  bie  eigentliche  Steingeit  b.  h>  in 
bie  9>eriobe  menf^li^ei  .Rulturentwicfelung  über,  wo  bie  Schmel« 
gung  ber  EDRetalle  unferen  SSorfahren  noch  unbefannt  war*). 
IDiefe  Steingeit  ber  gifcheroölfer  reicht  butch  baS  ^leifiocen 
(IDiluoium)  in  unfere  je^ige  @rbbilbung,  baS  SOuoium  hinein. 

(341) 


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7 


3m  Sitgern  fann  man  untetf4^etbcn  bte  ber  @i8jcit  mit 
einet  fe^t  aubgebebnten  Setgletfcberung  @utopa8,  möbrenb 
melc^eT  menfcbltd^e  (ouni  na^gemiefen  finb. 

hierauf  fommt  bie  bet  @i8beriobe  folgenbe  ^etiobe  mit  atf> 
tifcbem,  febt  tattern  ^lima  unb  einet  tunbta>äbnlidben  SSegetatiou. 
tSud  btefet  Sacieb  entmicfelt  ficb  mit  abnebmenbet  @ttältung 
beb  Sobenb  füt  einen  gto§en  Sb^t  von  (Sutopa  eine  ®tebben« 
jeit.  tDie  ungetegetten  SBaffetfttöme  bet  ^oftglagialjeit  bAi’^n 
ftcb  ibte  Setten  aubgegraben,  ungebeure  Sinnenfeen  finb  vet» 
blieben  unb  baneben  entmicfelt  ficb  auf  ben  ttodengelegten 
Släcben  bet  @bene  unb  beb  SRittelgebitgeb  eine  Steppenfauna 
unb  Steppenflota  mit  einzelnen  SBalbinfeln.  IDie  Stmännung 
nimmt  gu,  bie  Steppen  f<btumpfen  ein  unb  ibte  weiten  Stteden 
wetben  mit  SBalb  übetgogen,  ungebeute  2:otfmoote  bitben  ficb 
in  ben  IReliftenfeen  unb  Sümpfen.  ^)iermit  beginnt  bie  Uebet» 
leilung  in  bab  ältefte  SIQuvium,  wäbtenb  beffen  mie  te^t  lange 
auch  noch  wäbtenb  bet  folgenbcn  jüngeten  SQuvialpettobe  bie 
Steingeit  bet  ^fcbetvölfet  fortbauett.  6in  gto§er  ^fcbtei^ 
tbum,  gemabnenb  an  bie  Setbältniffe,  welche  noch  jebt  in  ben 
gewaltigen  Strömen  an  bet  ©rengfcbeibe  @utopab  in  ber  SBolga 
unb  bem  IDon  votbanben  finb,  unb  ein  ^ifcbbeftanb  von  nobegn 
benfelben  Srten,  welche  jebt  unfete  ®ewäffer  beleben,  tenngei^net 
biefe,  viele  Sabttaufenbe  umfaffenben  Bntabfdbnitte. 

IDab  bet  3Renfch  beb  IDiluviumb  fi^  biefen  ^fd^ieichtbum 
gu  fRube  gemacht  b^ben  werbe,  batf  man  von  vornherein  et> 
warten  unb  ber  Rtengete  Seweib  bafüt  ift  beteitb  bntcb  eine 
aubgebebnte  Steibe  von  ^nbftücfen  etbtacht  worben^). 

9lb  dlteften  Slbfchnitt  biefeb  IDiluviumb  pflegt  man  \<tnt  in 
bet  IDrift  abgelagerten  ^ieblagei  gu  begeidbuen,  von  benen 
namentlich  bie  bei  Stbbeville  im  Somme*^b«I  unb  weitet  fttom« 

(M« 


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8 


aafwärtd  bei  ®t.  Scheut  ua^e  SCmtene  t9))ifc^  jut  ^ataherifi« 
rung  einer  großen  Siet^e  fi^nlidjer  Ablagerungen  in  ^anfrei(i^, 
@ng(anb,  93elgien  ]c.  getnorben  ftnb.  3tt  biefen  Ablagerungen 
fotnmen  fcbvete  (SiflSrte,  mie  fte,  gum  Sumen^auen,  non  ben 
^fc^em  gebraucht  fein  mögen,  not^).  5Die  gto|e  jHeöanljäufung 
bei  @t.  Acbeul  befinbet  fic^  gerabe  an  einet  @teDe,  mo  bie 
fRebenfiüffe  9iope  unb  Arne  fic^  mit  bet  «Somme  nerbinben, 
unb  ma^rfcbeinlic^  bot  biefer  Umftanb  einem  Stamm  non 
gifc^etn  SSetanloffung,  fld)  an  biefer  Stelle  nicberjulaffen  — 
ttie  ja  au(^  ä^nlid^e  natüilicbe  SSort^eile  bie  erften  (Sinmo^ner 
non  Amienö  unb  AbbeniQe  an  biefe  |)lä|ie  ge5ogen  ^aben.  8e« 
juchten  nun  jene  tnilbeu  ^ifcberftämme  biefelben  $lä|e  ^unberte 
unb  tanfenbe  non  3a^en  nacbeiuanber,  fo  fann  unö  bie  3)ienge 
bet  in  bem  $lu§bett  netloren  gegangenen  @iömei|el  k.  niii^t 
me^r  übertafc^en.  Sie  mögen  butd;  bie  ftetö  offen  gel^altenen 
^öcber  auf  fRimmermieberfeben  b<nal>9efunfen  fein.  SBäbrenb 
beö  langen  SBinterö  »at  auch  wobl  bie  Verfertigung  neuer 
fBetljeuge,  in  einem  Sanbe,  baö  Uebetflu§  an  $euerfteinen  bat, 
ununterbro(ben  im  @ange,  unb  Saufenbe  non  Splittern  unb 
Abfällen  inerben  babei  norfä^licb  unb  unnorfä|li(b  inö  SBaffer 
gelangt  fein.  IDaS  Urnolf  bicr  mag,  »ie  |)refttni(b  anbeutet, 
in  feiner  gebenöineife  jenen  ametilanif<ben  Stämmen  geglichen 
haben,  mel^e  je^t  bie  @egenb  gmifcben  bet  .^nbfonöbap^)  unb 
bem  f)olatmeer  betnobnen.  Vach  ber  Vefcbreibung  non  ^eatne 
»elibet  mehrere  Sabre  unter  ihnen  lebte,  netlegen  ft^  biefe 
Snbianer,  fo  oft  baö  SBilbnret  am  8anbe  feiten  wirb,  auf  ben 
^fcbfang  in  ben  fflüffen;  unb  beöhalb,  fowie  um  äSaffer  jum 
!£rinten  gu  erhalten,  finb  fie  fortwäbrenb  bef^äftigt,  tunbe  un< 
gefäbr  fu§gro§e  8ö<ber  in  baö  @iö  gu  bauen,  burcb  welches  fie 
Angelbalen  ober  fließe  auS werfen.  Oft  befeftigen  fie  ihr  3<lt 

(SU) 


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9 


auf  6em  @tfe  unb  mad^ett  Söd^et  in  biejeS  mit  9Rei§eIn  Don 
StetaO,  wenn  fte  foldbe  ^ben  {önnen,  obei  wenn  nic^t,  mit 
SBerfjeugen  »on  geuet«  ober  |>Drnftein.  §ifd^er«@erät^e 
aus  {)orn  ober  Sein,  .^arpunen  unb  bgl.  f^einen  auS  biefen 
ältcften  2)riftf(^idbten  noc^  nit^t  na^gemiefen. 

3(n  bie  geologifdben  Serbältniffe  f^lie§en  fi(^  bieJpö^len« 
Sefunbe  an.  üluger  bem  SJtenfdben  enthalten  fie  bie  Siefte 
nom  f0tammutb,  vom  woQ^aarigen  9taS^om,  nom  Höhlenbären, 
»on  ber  H^^Ienh»äne,  »om  Stiefenbirfcb,  ber  f^Iiehlich  bem 
fRenthier  baS  Selb  räumte,  »om  9Rof(huSo(bfen,  »on  ber  @aiga> 
antiIo);e,  »om  Sielfra§,  »om  3Bilb))feTb,  »on  ber  @emfe,  »om 
©teinbodf,  »om  fERurmelthier  u.  a.  m.  Sögel,  Sleptilien,  Sifc^e 
unb  9Ro0u8fen,  bie  ben  lebenben  ^rten  gleid^en  ober  analog 
finb,  trifft  man  in  biefen  bilu»ialen  ebenfalls 

an,  bo(h  finb  fte  »erhältni§mä§ig  nicht  fo  häufig,  alS  bie  @äuge> 
thiere,  nwS  leidet  erflärlich.  3n  Setreff  ber  Sifd^e  h^i 
(Sb.  8artet  folgenbe  intereffante  Semerfung  gemacht:  je  feltener 
man  fie  in  einer  fnochenführenben  H^^ie  finbet,  ein  um  fo 
höheres  poIäontologifdheS  SIter  fann  man  ungefähr  bem  betref> 
fenben  ^ager  jufchreiben.  @o  hat  man  3.  S.  in  ben  @rotten 
»on  Slurignac  (Houte«@aronne),  fWouftier,  ©orge  b’enfer 
(JDoröogne)  unb  8a  ©h®ife  (6h®tente),  beren 
^ochenpfeile  ohne  äBiberhafen  finb,  bis  je^t  noch  feine  eiu3ige 
Sifdhgeäthe  entbecft. 

3oI^ ')  fügt  hier  htnju:  „Seh^e  eS  ben  älteften  Semohnem 
unfereS  ©rbftrichS  an  ben  erforberlichen  Sifchgeräthen  unb  muh» 
ten  fie  auS  biefem  ©runbe  auf  einen  reichli^en  Sif<hf®°S 
gichten,  ober  halten  fie,  rcaS  nicht  angunehmen  ift,  bie  ©emohn» 
heit,  bie  Sifche  am  Sangorte,  b.  h-  an  ben  betreffenben  Slufe» 
Ufern  gu  »er3chren?* 

(»«) 


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10 


^fd)e  finben  bagegen  häufig  in  ben  Grotten  neuem 
JDatutnS,  in  SKabelaine,  ©pjie«,  Stuniqnel  u.  j.  n?.,  njo  bie 
mit  SSiber^afen  neife^enen  Pfeile  unb  ^at))unen  coitommen. 
üe^tere  mögen  gum  Sl^eil  mit  fBurfbtettern,  »ie  biefi  bie  ^en« 
tigen  @efimo0  t^un,  geworfen  worben  fein,  woburcb  fie  gewal* 
tige  ©{bneCiigteit  (Sa^rt)  unb  ^erluffionöfraft  erhielten®). 

ber  ^enfcb  mit  bem  SBaffer,  namentlich  mit  bem 
9Reer,  bereits  »ertraut  war,  beweifen  folgenbe  Jbatfachen'“). 
IDie  Unfein  @ ar  bi nien  unb  @i eil ien  enthalten  mani}igfaltige, 
ber  älteren  ©teingeit  gugufchreibenbe  ^o^en  unb  (Steingeräth«. 
2)ie  Seoölferung  ber  Unfein  muh  um  gu  le^teren  gu  gelangen, 
eine  lange  0eereife  gemadht  hüben,  ^uf  @lba  fiub  unter  bergL 
Serfgeugen  oiele  non  einem  auf  ber  3nfel  nicht  natürlich  vor« 
fommenben  Duargit,  baneben  niele  ^abrifationSabfälle  gleicher 
)>etrographif<her  ISbftammung.  IDiefe  Duargite  muffen  hoch  in 
jener  entlegenen  SSorgeit  imhortirt  worben  fein.  ISuf  ^ianofa, 
einem  einfamen  fleinen  @ilanb  gwifchen  ben  jSüften  3talienS 
unb  Don  ^orftla  hut  man  Dbfibian«9luclel,  -SJteffer  unb  ^Sb« 
fpliffe  gefunben;  bie  nächfte  S3egug6quetle  be0  ObfibianS  liegt 
weit  entfernt  in  ber  oulfanifchen  @egenb  0fibitalienS ; auöh  hi^ 
fommen  weite,  gefährliche  0eereifen  in  $rage.  9Ber  aber  fol^e 
guTÜcfgulegen  oerftanben  hut,  bem  wirb  auch  — bieS  barf  man 
ohne  aSebenfen  folgern  — ber  gifdhfong  nicht  fremb  gewefen  fein. 

ainfpredjenb  unb  eigenartig  finb  bie  auf  baS  gifchwefen  be« 
güglichen  Stefte,  welche  in  ben  fogenannten  Stenthierhöhlen  ge« 
funben  werben.  IDaS  ^lima  ift  fortbauernb  rauh,  Suuna,  ^lora 
arftifch,  ber  ÜUenfch  ift  auf  befchränfte  SiSohnplähe  unb  einen 
harten  ^ampf  um’S  IDafein  angewiefen.  Seine  9tahrung  ift, 
wie  noch  ben  hi’^uorbifchen  unb  antarftifchen  äSölfem, 

gang  überwiegenb  thierifcher  IRatur. 

(84«) 


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11 


@e^en  »ii  und  je^t  bte  ben  btenenben  @erät^e 

nd^et  an.  3d^  lecbne  ba^in  in  erfter  gtnie  bte  Sifd^f^eere  unb 
^aipunen,  bie  in  ber  mannigfad^ften  ^udbilbung  unb  in  reä|t 
gefd^icftei  tSnpaffung  nor^anbcn  [inb:  mit  einem  SBibet^afen, 
mit  3n>ei  unb  me^t  bergleic^en,  fcTnet  mit  SBibet^afen,  bie  in 
»erftbiebener  {Richtung  gefteClt  finb.  JDad  ©peeten,  @pic§en, 
ober  ^arpuniren  bet  großen  $if(be  jc^eint,  ndcbft  bem  ©reifen 
bet  $if(^e,  melc^e  im  flie§enben  SBaffet  f^mammen  ober  bei 
bet  6bbe  ober  anbetmcitig  abgefpertt  fein  motbten,  mit  ben 
bIo§en  J^dnben,  bie  dltefte  3(tt  bed  lünftlit^en  giftbfangd 
gemefen  gu  fein,  ebenfo  alt  niedeitbt  bad  iSnloden  ber  Bif<^b 
unter  bem  but<bft^tigen  @ife  burtb  geuetf^ein  unb  bad  Se» 
tauben  betin^olgebacon  ^etbeigefcbmommenen  $if(be 
burcb  S^Idge  mit  Steinen  auf  bad  @id,  fo  mie  bad  fangen 
ber  giftbe  in  ben  ©elegen  »dbrenb  bet  gaicbjeit  mit  ©totf 
unb  ©djlinge,  bad  fogen.  ©Steifen“). 

SBotjäglicb  fd^ön  finb  jene  Harpunen  aud  ben  englifcben, 
belgiftben,  Ic^ttei^erifcben  unb  fübfranjöfifd^en  (Rentbiet^öt)Ien 
erhalten**).  SDamit  fein  3»eifet  üb«  bie  Seftimmung  biefet 
©erdt^e  fein  fann,  finb  biefelben  jum  Sl^eit  mit  bet  JDatftel» 
lung  non  ^ift^en  felbft  audgeftattet.  ©o  netmeife  icb  auf  einen 
bei  ©eifie  abgebilbeten  ft^önen,  mit  einem  SBibet^afen  netfe^e« 
nen  ^ftbfpeet  aud  fRentl^iergemei^,  bet  ben  t^eilmeifen  8eib 
eined  ^f<bed  geigt,  ferner  auf  einen  fogenannten  ^ommanbo« 
ftab  aud  fRent^iei^orn  non  ^^tigotb,  bet  mit  nielen  eingtaoir« 
ten  Bij(b<n  oetfe^en  ift,  bedgl.  auf  einen  ^ommanboftab,  mit 
einem  iad)i  vergiert,  aud  ber  belgifc^en  ;pö^Ie  non  ©opet. 
3e^t  nimmt  man  ^ie  unb  ba  an,  ba^  biefe  mit  ein  bid  niet 
übt^ern  »etfe^enen  ©ewei^dfte  ©dbleubetftöcfe  gemefen  feien, 
meltbe  dienlich  ben  »orermd^nten  äBurfbrettdf^en,  gum  ^ortfc^ieu* 

(347) 


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12 


bern  ber  SBuifpfeite  nnb  Harpunen  bienten.  tSe^nlid^e  t>aIäoIi« 
t^ifc^e  ÜÜbbitbungen  non  ^fcben,  bie  mitunter  eine  überrafcbenbe 
9latutt»a^r^eit  bejeugen,  finb  gar  ni<bt  feiten.  beliebe  mxä) 
no(b  aiif  eine  .^arpune  and  Sientbierborn,  beren  unteres  @nbe 
ben  Äobf  eines  großen  gifebeS  jeigt*®). 

Stber  auch  bie  Sibbilbung  beS  gifi^erS  ber  Sientbier» 
beriobe  felbft  fehlt  unS  nicht.  IDie  auSgejei^neten  Kenner  beS 
DiluniumS  Wartet  unb  ©b’^'ftp  b“ben  in  ber  ©rotte  ber  9Rabe' 
laine  eine  ^nocbenffulptur  gefunben,  »eiche  ben  $ifcher  barfteüt, 
teie  er  foeben  naeft  auS  bem  Sßaffer  fteigt,  bie  {)arhune  auf 
bem  SRüefen,  bem  feften  Sanbe  jufchreitenb,  baS  burch  bie  ©egen» 
wart  non  jwei  ^ferben,  genauer  ^ferbetöpfen  angebeutet  wirb, 
ttäbrenb  als  93eute  ein  mächtiger  9(al  norbanben  ift,  alS  baS 
^auptftücf  bcS  93iIbeS,  nach  finblidben  Sluffaffung  ber  91atur» 
nölfer,  auch  ungeheurer  ©rö§e  gej^eichnet 

fDIan  bemerft,  wie  für  biefe  entlegene,  gar  nicht  nach  bem 
3eitmaa§  ber  ©efebidbte,  fonbern  ©eologie,  ju  f^äbenbe  Urzeit, 
ber  gifcher  [ich  eine  in  ber  2bul  jmeifelloS  recht  beträdbtli^e 
fünftlerijche  33ilbung  angeeignet  hatte.  £ange  Seit  ift  man 
gw«r  oielfach  gegen  bie  3ei<h®a”8®®  “”b  Äunftfehnibereien  ber 
Höhlenbewohner,  inSbefonbere  ber  h®tb  fthefghaft  fogenannten 
fRenthierfrangofen,  febr  mibtrauifch  gewefen,  unb  in  ber  Sbat 
finb  mehrfa^  ^älf4>ungen  non  bergleichen  .^unftprobuften  ner» 
fucht  — aber  auch  «utlarnt  — worben.  H'efacben  bleibt  jeboch 
aus  ben  nerfdhiebenften  gunbflätten  eine  fo  grobe  SIngabl  ein« 
wanbSfreier  ^unbftücfe  mit  febr  ^aracteriftifchen,  gum  Sheü 
ftaunenerregenben  ©fulpturleiftungen,  bab  über  bie  bebe  ^nft» 
fettigfeit  biefet  Urfifchet  fein  emftlicher  Sweifel  mehr  fein  fann, 
8lm  meiften  erinnern  biefe  funftte^nifchen  8eiftungen  an 
bie  non  noch  eriftirenben  hatbaorbifchen  ^fchet>0tämmen,  an 

f»4») 


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13 


\ 


bie  @(^nt$aibeiten  bet  Bapplänber,  befonberS  ber  @t{imod,  bie 
ibre  Stf<^eretgerätb{<baften  jum  ”0^  j<tst  in  einem  äbn> 
lieben  @til  servieren. 

^öcbft  metfmütbifl  ift  e8  nur,  ba§  biefe  Äunfttecbnil  in 
bv*i  nadbfolgenben  @)>o(be  beS  SlQueiunib,  in  bem  längeren 
©teinalter,  in  ben  Sanbftridben,  »o  fte  im  S)iluoium  gepflegt 
mürbe,  fo  gut  mie  oerfebmunben  ift;  minbeftenS  ift  niemals  etmaS 
IHebnliebeS  an  9ta(bbilbungen  non  Slbieren  unb  3Renf(ben  unter 
ben  jabllofen  ültanufacten  aud  |)olj,  ,^o(ben,  ,^otn  unb  0tein, 
mel<be  jene  Seit  unS  überliefert  bat,  aufgtfunben  morben.  üRan 
nimmt  habet  nieHeiebt  nidbt  ebne  ®runb  an,  mie  jene  erfte  auö 
Säget»  unb  gi|(ber»@q)pen  beftebenbe  Urbeoölferung  fid)  fo  in 
ihre  gefeüfd^aftlidben  unb  flimatifiben  SSerbältniffe  eingemübute, 
ba§  fle  beim  Eintreten  märmeten  ^limaö  unb  gleicbgeitig  au^l 
mobl  bureb  baS  äSortürfen  frember  @inbringlinge  neranla§t,  in 
bad  ibr  liebgemorbene  faltete  ^lima  na^  fRotben  auSmanberte. 
35ie  förperlieben  fRefte  jener  giftet»  unb  Sägerftämme  im  @e» 
biet  ber  (Rentbietböblen  fdbeinen  biefe  üfnnabme  nicht  minber 
3u  beftätigen;  menigftend  fann  bie  fpätere  S3eoölfetung  ber  IRen» 
tbierböblen,  auch  t>er  fpätem  norgefcbi^tlicben  Seit,  antbro» 
pologifcb  nicht  mobl  non  ben  ^^öblcnjägern  unb  ,^öblenfifcbern 
abgeleitet  merben. 

0cbon  a priori  mö^te  man  mutbmaben,  bab  eine  fo  tecb* 
niieb  bemanberte  SSblferfcbaft  mie  bie  i^öblenfifcber,  aubet  bem 
gif^fang  mit  bem  0peer,  auch  ben  gifebfang  mit  bet  Mängel, 
obmobl  betfelbe  mehr  Ueberlegung,  Sift  unb  ©emanbtbeit  nor» 
auSgufeben  febeint,  gefannt  haben  müffe.  IDem  ift  au^  fo, 
man  bat  bie  Ülngel,  gmar  nicht  bie  ^rumm»iSngel  ober  ben 
9(ngel*^afen,  mobl  aber  bie  0pib'iXngel,  jene  einfa^fte  fpinbel» 
förmige  Sngel,  melcbe  gerabe  uerläuft,  auf  beiben  @nben  guge» 

(348) 


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14 


fpi^t  ifl  unb  in  ben  8etb  beS  liöbeiS  ^ineingeftecft  witb,  toie 
faum  be^meifelt  wetben  fann,  in  ben  .^öblen  gefunben,  3.  0.  in 
8augetie*0af[e,  ebenfo  burc^bo^rte  ®teinc^en,  nel^e  al8  Singel« 
@enfei  gebient  ^aben  fönnen,  wä^renb  bie  ^ötgernen  Singel« 
@(^n>immer  fid^  auS  bet  bilucialen  nid^t  erhalten  ^aben  * *). 

3a  noch  »eitet  bie  9le^fifc^etei,  olfo  bie  britte  unb 
^ödbfte  SiuSbilbungeftufe  beS  ^f(^angd  »itb,  nicht  ganj  un« 
»ai^tfcheinlic^,  bem  Duatetndt  betannt  gewesen  fein,  benn  man 
^at,  3.  0.  in  bet  ^)6^Ie  non  8augerie»0a|fe,  jfnocbcn»*Rabeln, 
weiche  ben  fpäteten  fUe^fttidtnabein  ähneln  unb  mit  benen 
man  noch  je^t  fRe^c  fttidfen  ober  fititen  Tonnte,  3ufammen  mit 
gifc^teften  entbecft^®).  0on  ben  oetgöngiid)en  fRefeen  felbfl  ifi 
auö  biefet  geologifdben  (Spoc^e,  foweit  ic^  überfeine,  bislang  9iichtS 
befannt  geworben.  @8  liegt  bieS  u.  Sl.  wo^i  au^  an  bet  0et« 
gänglic^feit  beS  fDiatetialS,  bei  weitem  man  an  0aumbaft 
(8inbe,  SBeibe),  0infen,  fRobt  nnb  betgi.  3U  benten  bat.  Sluf 
^etit  Sinfe  38lanb,  0etmilion  0ap,  8ouifiana,  fommt  cbemifcb 
faft  reines  @teinfal3  in  einet  Stiefe  oon  15  bis  20  ??u^  unter 
bet  Dbetflädbe  in  ungeheuren  Sibiagerungen  tot. 
mattenattigeS  glecbtaerf  nabe  bet  Dbetflödbe  beS  @al3eS  3»ei 
§u§  unter  ben  @to^3dbnen  unb  ©ebeinen  eines  foffiien  @lefan« 
ten  auSgegtaben  motben.  fDaS  ©eflecbt  beftebt  auS  bet  äu|etn 
(Rinbe  beS  gemeinen  fübiidben  @umpftobtS  Anmdinaria  macro- 
sperma  unb  bat  ftdb  lebigticb  butcb  ben  3ufaQ  etbalten,  ba^  eS 
mit  bet  präferoitenben  Safe  beS  @al3eS  in  0erfibrung  Tarn. 
Unter  gleidben  0etbäitnif|en  würbe  ftdb  au^  ein  ri^tigeS  Sifdber« 
ne^  etbalten  haben.  iDie  Formation  gehört  bem  8ö§,  aifo  bem 
witfii^n  0iiuoium  an.  0ermutbIicb  auS  bem  giei^en  ©runbe 
leichter  0ergängIi^feit  haben  ftch  fReufen  ober  öbnliche  gang« 
gerdtbe,  »eiche  bem  in  ber  0onichtung  eingetretenen  gifdb,  ben 

(MO) 


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15 


3^ü(fjug  3U  oeifperren  geeignet  waren,  bid  je^t  nidbt  nacbweifen 
laffen  * 0- 


S)ie  folgenbe  geologifcbe  @f)0(be,  bad  iSünDium, 
ber  älnfang  unferet  recenten,  nodb  ie^t  wäb^enben  @rbbilbung, 
geigt  un8  febon  in  tbrem  älteften  übf<bnitt,  bet  jungem  @tein< 
jeit,  gewtffe  gortf^ritte  in  bet  Äunft  be8  ^f(bfonge8.  3(b 
tetbne  batuntet  be8  Sluftteten  bet  eigentlichen  .Stuntman  gel, 
banintet  ba8  au8  einem  einzigen  ©tein  gefertigten  SlngelbafenS 
unb  befl  mit  glintfblittern  auflgelegten  gifcbftecbetä’*).  3wei 
febt  ebtwütbige,  feltene  unb  beacbtenSwertbe  iRngelbafen  au8 
^euerftetn  habe  ich  im  SRufeum  gu  8nnb  in  Schweben  gefehen, 
welche  aI8  hei^i’tiagenbe  j^oftbatfeiten  in  ©ammetfäft^en  auf> 
bewahrt  werben,  beibe  fchwebifch,  am  ©unb  bet  gomma  be« 
giehentlich  am  Ätanfefee  in  ©dhonen  gejammelt  ‘ »).  5Drei  öhn« 
liehe  ©tätfe,  ebenfalls  auS  $Iint,  bemerfte  ich  3-  in 
©ammlung  beS  ,^etm  @h^i<>nthuS  ©ternberg  in  ©tralfnnb, 
einen  mit  bet  Segeichnung  ßo^jenhogen,  bie  anbeten  2 gufam» 
men  in  einem  2:ohf  auf  bet  3nfel  ©eelanb  gefunben.  2)aneben 
fommen  namentlich  in  ben  bänifd^en  Sammlungen  unb  in  bet 
©ternberg'fdhen  ©ammlung  (beSgl.  von  ber  3nfel  ©eelanb)  leicht 
gefrfimmte  ^euerfteinfpi^en  vor,  welche,  mit  einem  ,^oIg*  ober 
,^ochenfchaft  verbunben,  votgügliche  Singelhafen  für  ©ee«  unb 
gtofie  ©ühwaffetftfche  abgaben.  @benfo  werben  nunmehr  auS 
^om  unb  Wochen  voOftünbige  Slngelhaten  gefertigt*  <>).  S)a> 
neben  finb  ©hi^angeln  auS  Seuerftein,  ^no^en  ober  ^om  im 
Gebrauch  **). 

SBie  ?)ef^el  unb  v.  ^ellwolb  mit  Siecht  betonen  * *),  über« 
ragen  bie  Sifcherftämme  bie  3ägerftämme  in  ihrer  Silbung  nur 
um  ein  SBenigeS,  bo^  ift  eine  ©efittungSgnnahme  — wenn  auch 

(Ml) 


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16 


nur  {cl)r  unbebeutenb  — nii^t  gu  oerfennen.  S)er  bot 

ben  j^ampf  nicht  mehr  b(o8  gegen  ein  @inge(n>efen,  fonbein 
auch  gegen  eine  allgemeine  (Raturmacht,  bafi  SBaffer,  aufgnneb* 
men  unb  burcbguf übten;  ba8  SSemältigen  ber  Statut  if)  {o  gu 
fagen  in  bie  gweite  ^oteng  getreten;  ein  IDoppelted  ift  gu  um* 
fpannen.  5Die  Bijcbct  mobnen  habet  auch  ndbet  aneinanber  unb 
finb  oft  bei  bet  ^ücfe  beS  gn  befämpfenben  Elements  auf  gegen* 
feitige  ^ilfeleiftung  angemiefen.  93ei  ihnen  aifo  mitb  man  bie 
erften  Spuren  ge)eQigen  SufammenlebenS,  bet  menfcblidben  Statut 
gu  fucben  hoben.  IDer  [Raum,  toeicben  bet  @ingelne  gu  feinem 
SebenSbebatf  beanfprucbt,  ift  minbet  auSgebebnt  ald  bei  bem 
Söget,  unb  bie  unb  ba  bemerft  man  bie  robeften  Slnfönge  bet 
©cbifffabtt,  melcbe  freilich  but^  bie  jemeilige  SBefchaffenbeit  bet 
Äüften  geforbert  ober  gehemmt  »utbe*^). 

Slabei  bettf^en  in  jener  jungem  Steingeit  noch  immer 
flimatifche  unb  bbbtogtapbifche  Sfetböltniffe  not,  melche  non 
benen  ber  Se^tgeit  an  ben  betreffenben  BunbfteDen  re^t  net* 
fcbieben  finb.  2)ie  Ströme  unb  Sühmafferfeen  übertrafen  bie 
je^igen  noch  immer  gemaltig  an  Suöbehnung,  menn  auch  ^ie 
Strombetten  im  @irohen  unb  (fangen,  unb  oon  ben  fRotbfee* 
flüffen  abgefeben,  welche  ihren  Sauf  weftli^er,  ber  BlutbweQe 
entgegen,  nerlegt  hoben,  ber  je^igen  fRichtung  entfprechen. 
Sebenfallö  waren  bie  fDieere  reichboltiger  nach  Quantität  wie 
Qualit&t  mit  Bif^m,  Sßei^tbieren  unb  anberm,  bem  ^enfchen 
als  fRabrung  bienenben  ^etbier  auögeftattet.  fRecht  belebrenbe 
Beläge  hierfür  höbe  ich  io  bem  non  mir  guerft  entbeeften  unb 
feit  Sohren  unterjuchten  ölteflen  SReereöallunium  an  bet  pom* 
merjehen  Dftfeefüfte  nabe  ©reifSwalb  gefammelt.  Sn  bet  @e* 
netalnerfammlung  be0  beutfdben  Bifchereinereinb  gu  Sferlin  legte 
ich  int  Sobre  1880  u.  'jl.  einen  recht  gierlichen,  anfd|einenb  aud 

(SM) 


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17 


obet  .^irfc^^oTn  gefirnißten  Sngeirafen  not,  weliTet  einet 
non  mit  butd)fotf(rten  fDiub«  unb  ^(ai<@^iirt  angeß&tt,  bie 
iiT  nacß  bet  in  ißt  in  Unmengen  foffll  notlommenben  $feffet> 
fDiufd^el,  Scrobicularia  piperata  Bellonius,  ,®ctobicu(atien« 
©(riiTt"  genannt  ßabe.  S)tefe  übtigenb  e|bate  unb  gang  tnoßU 
fcbmedenbe  ÜRufiTel  fommt  lebenb  an  bet  pommetfiben  Äüftc 
ubetbaupt  nicht  mebt  unb  fpotabifcb,  au^  giemlicb  nerlümmett 
etft  etwa  non  SKatnemünbe  ab  notbweftliib  not.  Stecht  eigentli^ 
gu  ^nfe  tji  fie  in  ben  ÜRub»  unb  Älai*335nfen  bet  Slorbfee, 
g.  33.  beS  notbl^leewigfchen  SBattenmeetd;  bott  ift  fie  groß  unb 
mobl  auSgebilbet,  gerabe  mie  in  bet  Sßorgeit  im  ®teifdwa(bet 
0obben.  3n  biefet  @cn;obicularten'0(hi(ht  finben  fich  tob 
behauene,  an  bie  paläolitbifthen  Sppen  erinnernbe  Seuei* 
fteinbeile,  6i6meifeel,  äufternbrecber,  gifchfpeere  Sießbefchmetct, 
Steßflotten,  Slngelbalen,  Stefte  non  Steufen,  ^olgtoblen  non  unb 
an  eßbaren  .^on^plien  3luftetn,  biefe  nicht  getabe  häufig,  ba 
®(blammboben  betfelben  nicht  gufagt,  fetnet  an  anbeien  feite« 
neren  SRufcheln  Cyprina  islandica  unb  Mya  tmncata,  an 
©^nerfen  bret  ©pegieB  non  Litorina,  theilB,  mie 

bie  Slufter,  feßt  bet  Oftfee  gänglich,  theilB  menigftenB  biefem 
SReere  bei  @teifBmalb  fehlen.  Sluch  bie  bott  feßt  noch  lebenben 
©eemufcßeln  mie  g.  0.  Cardiom  edole  unb  Cardiom  rosticam 
etrei^en  nicht  bie  @tßße  unb  ©dhalenbide  bet  Snbioibuen  auB 
bet  ©cTobicuIarienfchicht,  maB  3UIeB  baiauf  hinmeift,  baß  baB 
9Reet  ber  pommetfchen  Äüfte  in  jcnet  Sorgeit  meit  falghaltiger, 
nielleicht  auch  märmer,  jebenfallB  nahtuugBteichet  unb  barum  füt 
ben  gifchet  bet  Utgeit  auBgiebiget  mar.  Sunbe  im  |)etfante« 
Shal  bei  .Dolberg  unb  .^olbetget  SRünbe,  melche  i^  im  3ahte 
1882  in  ähnlichen  ©cßichten  gemacht,  belehren  mich,  baß  bie« 
felben  0erhältniffe  auch  uu  bei  hinterpommerfchen  ^fte  obmal« 

XIX.  44L  442.  2 (SU) 


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18 


tetcn,  ja  id)  bin,  nadf  einigen  93efnnben  geneigt,  bid  na(b  ^anjig 
bin  fär  bie  Oftfeetüfte  äbnlicbe  <ScrobicuIar(enj<bi(bten  mit 
5Ranu jaden  unb  Urtefacten  bet  ©teinjeitjxjtber  anjunebmen**). 

3u  einem  SSerglei^  b^cnnii  bie  ungejäbi  gleicbalte« 
tigen,  ebenfaOd  bei  jüngeten  ©teingeit  angebörigen,  berühmten 
unb  eielbefprodbenen  jtjbtf  enmöbbinger,  bie  ^ücbenabfall« 
baufen  ber  bänijd^en  lüften,  ein.  £>iefe  merftDÜrbtgen 
^ultur>9iefte  bet  »otgej^icbtlicben  ^fcberbenölfetung  befteben 
bauptfäcblicb  aue  @(balen  ber  eßbaren  9)iuf(beln,  alS  ülufter, 
^er3mu{(bet,  Snietmufcbel  unb  @tranbfcbne(fe  (Litorina).  SSer« 
mijcbt  bamit  finb  Knochen  von  (Säugetbieren,  Sßögeln  unb 
^j(ben,  unter  leiteten  ^äring,  ^abliau,  Slorfcb,  9(al,  glunber 
unb  anbere  9>Iattfij(be,  ebenfo  mancberlei  ®erätbe  von  |)om, 
S3ein  unb  @tein,  gum  5tbeil  für  ben  ^if^fang  beftimmt.  S)ie 
@teingerätbe  finb  meift  rob  gugebauen  ober  gebengelt;  gefcblif* 
jene  unb  ))oUtte  ©teinmcrfgeuge  geboren  gut  üu^erften  @elten> 
beit.  93on  ÜRetaQen  totrb  nt<bt  bie  geringfte  ®pur  gefunben. 
IDtefe  9(bfaUbaufen  fommen  meift  längd  ben  .lüften,  befonbetS 
am  iipmfiotb  unb  J^attegat  vor,  in  Sünfen  von  1 bid  3 fllieter 
4>öbe,  50  biß  70  SJleter  Sreite  unb  mitunter  über  100  SKetcr 
85nge.  äBo  bie  lüften  niebtig  unb  flacb  finb,  liegen  bie  .Raufen 
nur  tvenige  $u^  übet  bet  ^lutbmarfe,  b^ber  ba,  tvo  bie  ;^fte 
fteiler  ift.  @ie  geigen  oftmals  8ö(ber  ober  IBertiefungen  oben 
auf,  neben  benen  geivöbnli(b  nabe  bei  tobe  ©teinfe^ungen, 
^flafterungen  bilbenb,  mit  ^oblenreften  liegen.  IDie  bänifcben 
©elebrten  gortbbammer,  ©teenftnn)  unb  SBotfaae,  loeltbe  bie 
.^öffenmöbbinger  unterfu^ten,  folgerten,  bafe  eß  flcb  bi« 
bie  j(ultur<©puren  ber  ber  ^ifcberei  obliegenben  Mftenftämme 
banbele,  beren  SBobnpläbc  bur^  jene  Vertiefungen,  bie  Äo(b* 
beerbe  but(b  jene  ?)f[afterungen  unb  Äoblenrefte  angebentet 

(364) 


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19 


Kerben.  IDie  .^erjmnfd^eln,  !D2te8muf(^eln  unb  @iranbfd^ne(fen 
biefet  ebenfadd  grd^er  unb  ftärfet  als 

bie  betreffenben  je^igen  con(b»HoIogif(ben  Sertrcter  in  ber  Oft» 
fee,  fo  bofe  man  au^  für  jene  ®egenb  unb  für  jene  3«t  auf 
einen  grüneren  ^alggebait  bee  dlieerefl  gefcbloffen  ^at.  Unter 
ben  @ee»6geln  ift  ber  feit  1842,  »ie  eö  f<beint,  auf  ber  @rbe 
audgeftorbene  gro§e  norbifi^e  $at)ageitau^er,  Alca  impennis, 
unter  ben  @üugetbieren  neben  bem  braunen  S3är,  ber  SBilbfa^e, 
bem  gn^d,  äBoIf,  ^irfcb,  unb  SBilbfdbtnein,  an  Sßaffer» 
t^ieren  ber  Siber,  ber  (Delphin,  bad  dlieerfdiKetn  unb  ber  @ec» 
bunb  in  gwei  Gattungen  unb  minbeftenö  brei  Specied  gu  nennen. 
2(n  ^auStpieren  ift  nur  ber  .^unb  gefunben.  2)er  Um» 
ftanb,  ba§  ber  ^üring,  ber  IDorfcp,  ber  jCabliau  gefangen  würbe, 
geigt,  ba§  wir  ed  pier  mit  einem  erfal^renen,  wir(U<ben  ^ifcber» 
nolf,  welibee  fid)  mit  feinen  gaprgeugen  biö  in  bie  offene  <Bet 
^inauiwagte,  gu  tpun  paben.  tERan  pat  aber  baraud,  ba^  pie 
unb  ba  au(p  gefpaltene  SRarffnocpen  be8  .^unbeS  gefunben 
werben,  gefcploffen,  wie  langer  anbauernbe  Seiten  eintraten,  wo 
Weber  3agb  nocp  ^ifcpfang  (opnten,  ober  bei  anpaltenben  SBinter» 
ftürmen.  SreibeiS  u.  f.  f.,  möglicp  waren,  unb  ber  SRenfdp,  um 
ben  grimmigen  .junger  gu  ftiOen,  genotpigt  war,  fein  eingigeS 
^aufitpier  unb  gleicpgeitig  feinen  treueften  ^unb,  ben  .^unb, 
gu  fdpla^ten  unb  gu  oerfpeijen  ^ SDa  menf(pli(pe  ®erippe  in 
ben  ^jöfTenmöbbinger  ni(pt  gefunben  finb,  fo  ift  bie  Staffe  biefeS 
^ifcperuolfeS  unb  feine  mutpma§li^e  9bftammung  fdpwer  gu  be< 
ftimmcn.  Samefl  @eifie  benft  an  fleingematpfene,  runbfßpfige 
lappifcpe  Stämme,  wie  fie  und  ^einricp  {>eine  im  „93ucp  ber 
lieber*  (S)ie  ^eimfepr  VII.  Serd  6)  wenig  anmutpenb  oud* 
malt : 

2*  (355) 


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20 


3n  9ap)7(anb  finb 
$lattf6^fig,  brtittnäuHg  unb  flein; 

®it  fauern  umb  $eurr  unb  baden 
®i(^  unb  qnäten  unb  — 

Dergleichen  gif^erwirthf^aftÖabfaHe  mit  SReertljieneften 
(mitunter  unter  ber  Sejei^nung  „^ften«^unbe“  bejthrieben) 
finb  in  Schonen,  ferner  auf  ber  SBeflfüfte  oon  @nglanb,  in 
S^hottlanb,  in  ^anheich  an  ber  ^fte  oon  Rotten,  in  fRu§* 
lanb  u.  f.  f.  gefunben;  an  ben  gefammten  fRorbfeefüften  finb 
fie,  toeil  Untere  ftarfen  Slbbruch  unb  gro|e  topographifche  Ser« 
änberungen  burch  SReereSfluthen  erlitten  hoben,  fchver  aufftnb« 
bar,  Spuren  banon  glaube  idh  an  ber  SBeftlüfte  ber  3nfel  Splt 
in  ben  untergegaugenen  Sorlanben  bemerft  ju  haben*«). 

Die  gemaltigen  natürlichen  Seränberungen  bed  IDieereS  unb 
ber  Räuber  an  ber  cimbrifchen  ^albinfel,  ber  beutfehen,  hoQän« 
bifchen,  olämifchen  unb  englif^en  Jiüfte,  welche  bie  Sifdherbeoöl« 
rung  ber  Steingeit,  im  harten  j^ampf  umö  Dofein  burchgemacht 
hat,  fepeinen  ft^h  in  folgenben  Slbfchnitten  hlulc<^ctaanber  »oQ« 
gogen  gu  haben. 

1.  Sunä^ft  erfolgte  eine  gro§e  norbeuropäifche  Soben« 
fenfung,  welche  namentlich  baS  .^üftenrelief  ber  Sorbfee  oeränberte 
unb  bur^  bie  Serminberung  ber  Sreite  unb  .^öbe  ber  8anb« 
enge,  weldie  bamald  noch  @nglanb  mit  ^ranfreich  oerbanb,  ben 
fp&tem  Durchbruch  berfelben  vorbereitete.  Diefe  Senfung  trat 
nach  ber  lebten  6i8periobe  ein,  in  ber  3eit  com  Uebergange 
ber  palöolithifchen  gur  neolithifdhen  Seit.  Die  fpäter  com  SDleer 
burchbrochenen  Schichten  im  .^anal,  cor  ber  Dhemfemünbnng 
enthalten  IRefte  com  ‘JJlammuth,  paläolithifchegeuerfteingeröthe  al8 
(äiflürte  u.  bgl.,  welche  beim  Saggern  unb  gifdhen  gefunben  werben. 

2.  @0  tritt  bie  ^auptbilbung  ber  ÜKarfd^en,  an  welcher 

(3^6) 


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21 


t>er  9{l)ein,  in  ben  bie  S.i^etnfe,  anbcTerjeitS  bie  @Ibe,  in  tnelc^e 
bie  @iber,  einftmalS  ald  9iebenflu§  münbete,  mit  ©cblicf'  unb 
S^lammablagerungen  ftart  bet^eiligt  finb,  ein.  ^urd)  bie  ®en« 
lung  njaren  gtofee  ©trecfen  bet  ©eidbiebeformation  mit  ibten 
fonbigen  Dbetflä^e  beS  OJleeteö  »etfe^t; 

bie|e  ^ager  mürben  bem  9BeQan|dblag  auSgefe^t,  auögef^ult  unb 
in  bem  burcb  bie  93änfe  bed  gefunfenen  SanbeS  gegen  ben  ft&r* 
fern  SEßedenfc^lag  gef^ü^ten  flachen  dlieet  abgelagert,  ^ie 
9lorbfee  mar  nodb  immer  ein  nur  nad)  9lorben  offener  aWeet» 
bnlen  unb  bie  SRarfchbilbung  am  größten  in  feinem  innerften 
non  bem  SBeQenjchlage  am  menigften  bemegten  ülheile.  9l0e 
fpätere  dRarfchbilbung  ift  gröfftentheilS  nur  Umbilbung  fchon 
früher  gebilbeter  unb  burcb  fpätere  äBafferfluthen  gerftörter 
URarfchen.  9iach  jeber  ber  gerftörenben,  in  unregelm&ffigen 
Smifdbentfiumen  miebeiholten  ©turmflnthen  geht  bie  5Dlarf<h» 
bilbung  ungemein  jchnell  nor  fleh,  unb  fomie  man  übet  bie 
IDiarfchbiftricte  an  ben  j^üften  ber  ©imbrifchen  .^albinfel  gegen 
fftorben  hinaudfommt,  nerliert  baS  IDteer  feine  Slrübung  unb 
graue  garbe,  mie  fdbon  bei  bet  alten  gifcherinfel  ^elgolanb  et» 
fichtlich,  unb  fehl  nun  nur  h^thfi  unbebeutenbe  @)?uren  non 
ffliotf^erbe  an  günftigen  (Steden  ab,  g.  S.  an  ber  Sßeftfüfte 
non  3ütlanb. 

3.  folgt  ber  IDurdhbruch  bed  jbanalS  gmif^en  granf» 
reich  unb  ©nglanb,  jened  furdhtbare  @reigni§,  non  melchem 
bunfle  dlachrid^ten,  an  ben  9lamen  ber  cimbrifchen  gluth 
gefnü))ft,  and  bem  grauen  Üllterthum  auf  unS  überfommen  finb. 
Sßir  fennen  ben  IRh^n  unb  feine  dRünbung  feit  etma  2000  3ahten, 
unb  gu  ben  Seiten  ber  SRümer  ging  bie  dRünbung  beS  fRheinS 
burch  ben  glenuö»See,  bort  mo  je^t  bet  3uhber»See  liegt. 
Später  im  SRittelalter  finben  mit  bie  (Rheinmünbung  bei  ^at> 

(M7) 


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22 


mpf  unb  ie^t  Ift  fie  »iet  »eitet  gegen  föeften  gerüdft.  Db  biefc 
9teränbeningen  ber  Stl^einmfinbnngen  not  ®dbritt  ge« 

j(^e^en  ift,  fo  ba^  biefe  bie  ganje  ®tr«(fe  bcö  UferS  8»ij^en 
bem  ^tenuS  unb  ber  je^igen  SRünbung  butcblaufen  ^aben,  ober 
cb  fie  fprungweife  eingetreten  ift,  fo  bo^  jwijdienliegenbe  ©treden 
von  ben  SRünbungen  nicht  betübtt  finb,  bleibt  unentfchieben. 
SBir  finben  biefe  ÜRönbung  vor  2000  3abwn  gegen  SRorben 
ge»anbt,  wotaub  »ii  fc^lie^en,  ba§  voi  mehr  aU  2000  3abren 
bet  glutbftrom  vom  9totben  einbrang.  SRarfetfle 

butchfchiffte  ben  Äanal  fchon  im  4.  3ah*bunbert  vor  ©b^fti 
©cburt,  fo  ba§  »it  ben  IDurcbbrucb  »obl  nodb  3obtbw»berte 
vorbet  anfe^en  muffen.  Sluf  jeben  SoQ  jcigt  bie  bamald  nur 
»enig  gegen  Seften  gerichtete  Snünbung  bed  äRbeinS  an,  ba§ 
jener  2)urchbtuch  unb  bie  babut^  vetönbette  Blutbrichtung 
{ch»erlich  fiübet  alb  baS  3abt  1000  v.  ^b^^'  eingetreten  fein 
lann. 

4.  2)ie  gegenmärtigen  IBerb^Itniffe,  nur  unterbrochen  burch 
fleine  (Srfchütterungen  unb  ©turmflutben.  S)ie  (timatifchen  S3et« 
Änberungen,  »eiche  bem  @inftrömen  beb  »armem  atlantifchen 
SBafferb  burch  ben  Aanal  folgte,  bemirfte  eine  langfam  fteigenbe 
mittlere  Jemheratur  beb  Banbeb 

3Bäbrenb  im  mittleren  continentalen  Europa  noch  ©teppcn« 
fauna  unb  ©tephcn^ora  hecTfchte,  bebecften  norbifche  ^ftanjen, 
©traucher  unb  99äume  bie  Jtüften  ber  9)orb«  unb  Oftfee.  3n 
ben  Slctfmooten  finben  »ir  juunterft  bie  bib  in  ben  h»^«* 
9torben  reichenbe  6bpe,  bann  bic  Böh«  — ödume  in 
bet  @)reifb»alber  ©crobicularienfchicht  — , bann  bie  (Si^e,  »eld^e 
enblich  — ungefähr  gufammentreffenb  mit  bem  erften  ©ebtandj 
metallifcher  SBerf^euge  — burch  bie  Suche,  ben  noch  je^t  bomi« 
nitenben,  gut  Beit  bib  an  bab  füblidhe  Ufer  beb  Senetnfeeb 

(8J8) 


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23 


ret4)enben  unb  in  9loti»egnt  nur  ^ie  unb  ba  in  gef(^ü|ten 
Sb&Itrn  nettretenen  SBalbbaum,  abgelbft  ttorben  ift. 

9Ün§lanb  ^at  @reu>ingf  in  ben  iS^etgellagern  von 
^nba  in  Sieolanb  gefunbene  utalte  Sif4ieranfieblungen  mit 
vielen  j(no(benbatpunen  unb  ^{ebipeeren,  fotvie  Sifd^reften  ent« 
bedt**).  auf  bet  furif^en  9lebtung  unb  anbeten 
Cftpteu§en8  flnb  iüngeten  ©teinjeit  angebörige 

^feberfteOen  butcb  bie  j^bnigdbetget  (Selebrten  aufgefunben  unb 
unterfudbt  ivotben”).  @ianj  neuerbingS,  nämlicb  nadb  bem 
antbtopologen«Äongrefe  ju  ^iffabon  im  ^erbft  1880,  bat  SSit« 
(bom  bie  aufmetffamteit  auf  bie  jwai  früher  febon  entbedten, 
aber  in  »eiteren  Reifen  taum  befannten  ^öftenmbbbinger 
^ortugaTS  auf  ber  ©übfeite  beö  SEejo  füböftli^)  von  ^ffabon 
aufmerffam  gemalt,  meldbe  ben  bänifeben  SRufcbelbaufen  äbnein. 
©ie  befteben  aud  ungeheuren  SRaffen  von  ©eemufcbeln,  nameut« 
U(b  Lutraria  compressa  unb  Cardiom  edole,  maS  in  fo  fern 
febr  eigentbümlicb  ift,  als  gegenmürtig  biefe  9Ruf(beIn  in  ber 
9tüb<  ni^t  mehr  vorfommen.  IBircbo»  ift  beSbalb  geneigt,  bie 
SorfteQung  jujulaffen,  bah  eine  febr  viel  gröbere  Blü^e 
beS  gegenwärtigen  UferlanbeS  von  fOteertvaffer  bebedt  war  in 
ber  Beit,  wo  bie  alten  ^ifeber  hier  lebten.  3tvif<ben  ben 
8Ruf<beln  liegen  grofie  IDtengen  von  aifcbübemften,  namentlicb^ 
©(buppen,  @rätben  unb  äBirbeln  aDer  art,  ©cbalenßüde  von 
©eefrabben,  bie  nnb  ba  auch  gefpaltene  ©üugetbierfnoeben  unb 
jiemlicb  ^ablreicb  au(b  gefcblagene  fRoQfteine,  — aOeS  in  einem 
febr  trodnen,  faltigen  Sinbemittel,  einer  art  Suff,  ber  offenbar 
bunb  auSIaugung  ber  9)fuf(belf(balen  entftanben  ift.  S>ie  irr 
biefen  ©(bitbten  3ablreicb  gefunbenen  ÜRenfebengerippe,  mabr« 
f(beinli(b  ben  gleicbgeitigen  Sif^em  biefer  SReereSprobucte  ange* 

(35»i 


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24 


^dttg,  3ei(^nen  buT(^  ^latpfnemie  (Abplattung  bet  @(^ien> 
beine),  ein  SRetfmal  primitinet  SJienfdjenraffen  au0*®). 

An  bet  SBeftfüfte  non  3tlanb  ^abe  in  ber  8anbfd^ft 
3atconnaug^t  bie  Silbung  pon  bergleid^en  ^fdjeceiabfaQ* 
Raufen  mit  angelegen.  2)ie  @eltifcb  rebenbe  Urbeoblferung  ge« 
»innt  neben  ^tfcben  bem  atlantifdben  £)cean  ungeheure  3)tengen 
Pon  j^oncbpiien,  meift  9Rui(beln  ab,  bie  alS  men|(bli(i^e  9ta^tung, 
aber  auch  3um  Settmacben  beS  irifcben  9tationaltbier0,  beS 
@(bn>einS,  Pemenbet  werben.  S)ie  ^auptmenge  ber  9Rufd}e(n 
beftebt  au0  Mytilus  edolis  beffen  |(batfe  iR&nber  gef&bt(i<be 
@^nittwunben  peranlaffen.  ^Die  Bifcb^i^t  fBeiber  unb  ^in« 
ber,  üben  in  fo  weit  @i(berbeit0poli3ei,  ba§  fie  biefe  9Ruf(beln, 
na<bbem  fie  ben  Snbalt  perfpeift  ober  perfüttert  bo^^«,  auf 
.Raufen  werfen,  benen  neben  ^ifcb«  unb  ^ruftentbierreften,  an 
SRufcbeln  buuptfä(bli(b  Mactra  stultorum,  Tapes  pullastra,  T.  de- 
cussatas,  T.  virgineas,  Venus  gallina,  V.  verrucosa  beigemifcbt 
finb.  An  @(bneden  finben  fi<b  fSiengen  Pon  limpets  (Patella 
vulgaris),  bie  bei  ber  @bbe  pom  Reifen  gelöft  unb  rob  ober  in  ®trob« 
feuer  geröftet  Per3ebrt  werben,  ferner  Litorina  litorea,  bie  in 
©algwaffer  abgelodjt  unb  mit  ^äfcben  3um  93erfpeifen 
geholt  wirb.  IDie  Aufter  fehlt  in  biefen  ^jöffenmöbbinger.  S3er« 
eiu3elt  in  benfelben  finb  fDtaffen  ber  ©tranbfreifeifcbnecfe,  Mono- 
donta  cineraria,  welche  in  ber  Uferregion  in  3)tvriaben  lebt 
unb  unbeabficbtigt  in  bie  9lehe  ber  gifcbcr  gerötb.  <&ie  unb  ba 
benu^t  man  bieie  ©cbneden,  um  bie  fanbigen  äSege  etwas 
fefter  3U  machen.  3u  biefe  Abfallhaufen  geratben  SKaffen  Pon 
.^artoffelfdbalen,  Seegras  unb  mand)erlei  Stangarten.  Schließ« 
lieh  I’dbet  fi^  eine  fruchtbare  ^umuSbede  über  ben  Sd^alen« 
bänfen,  lalfbolbe  unb  fal3bolbe  |)flan3en  flebeln  fich  an.  Per« 
rotten  unb  machen  neuen  ^flan3engenerationen  $la^.  IDiefe 

(360) 


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25 


Jpügel  ragen  mitunter  über  bem  fiacben  i!anbe  empor,  an  bte 
Slenemare  SRittelitalienS  erinnetnb.  (Sinjelne  @cbalenbaufen 
ber  irifcben  Seit  reidben  gweifeliod  biS  in  bie  oorbiftorifcbe  Seit 
gurücf.  — 3n  fleincrem  SJtaafeftobe  habe  tdb  berglei^en  SWufdjel* 
baufen  bauptfäcbli(b  aud  ber  OJMebmuf^el  beftebenb  in  ben  S^örfern 
auf  ber  3nfel  ®plt  bemerft;  hier  mtrb  baS  ^(eifcb  ber  Stufcbel 
jum  ®(bmeinefutter,  bie  fUiuldbel  felbft  jum  Spergeln  ber  gelber 
benu^t,  mitunter  mirft  man  au(b  bie  ooOen  ÜRufdbeln  mit  Sang 
unb  @eegrad  oermifcbt  ald  IDünger  auf  bie  magern  üteder  unb 
@)artenfiede  ber  Snfulaner. 

Unerme§li(b  unb  überaud  meit  oerbreitet  erfdbeinen  bie 
Sifcberlager  mit  i^ten  ^jöffenmobbingec  in  ganj  Simerifa. 
3Bir  fönnen  aud  bem  Ueberfiub  nur  einige  ^eifpiele  beraufi« 
greifen. 

3n  gro&er  Sluöbebnung  erftrecfen  ficb  ÜRufcbelberge  on  ber 
@olf»Äüfte  9torbamerifa8,  bie  ootbenfcbenbe  ÜJtuf^el  ift 
Gnathodon  cuneatus,  mooon  biefe  Saget,  auf  benen  g.  SB.  bie 
@tabt  SDtobüe  gebaut  ift  unb  bie  in  ber  @egenb  oon  9teu° 
DrteanS  oielfacb  oorgefommen,  furgmeg  „@natbobon*@(bicbten" 
genannt  finb;  gifcbergerätb,  ^olgtoblen,  tobe  Sopferioaare,  glint» 
fplitter,  fteinerne  SabaMpfeifenfßpfe  fommen  barin  oor.  SBeft» 
lid)  oom  SDHffiffippi  finb  äbnlidb  shell  mounds  oielfacb  feft> 
geftellt.  9iacb  SRctt  unb@libbon  fommen  foicbe  ©eemufcbel« 
baufen  am  ^labama<$lu^,  50  ÜJtileö  binnen  oor,  aud  einet 
Seit  ftammenb,  mo  ficb  SDtobila<SBap  bid  bortbin  auSbebnte. 
JDie  ©peifemujcbeln  finb  meift  burcb  geuet  geöffnet,  50laffen  oon 
gifcbreften  finb  ootbanben,  oud}  ©ebeine  ber  bomaligen  inbia» 
nij^e«  Seoölferung  fehlen  nicht.  üRandbe  bet  ©cbicblen  finb 
mit  1 bie  2 gu§  ^umue  bebecft,  aue  melcben  fidb  bie  bäcbften 
SBalbböume  erbeben.  — ©ir  ©barlee  Spell  befcbreibt  einen 

(Ml) 


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26 


folc^n  Shell-inound  »on  St.  ©imonö  38tanb  na^e  bet  ^ün« 
bürg  be«  SHtomalja-BIufleS,  ©eorgia,  StcteS  beberfenb,  5 W8 10 

b((f.  — Dr.  Srinton  berichtet  Don  ö^)nU<^en  Äü^cn» 
obfall^aufen  »on  glortba.  f>rofef|or  S3anutem  »oat  bet  et^e 
@e(e^tte  in  ben  bereinigten  Staaten,  nel(bet  auf  ben  fünftlitben 
Urfprung  uieler  biefet  5Ruf^eIbänfc  aufmerffam  machte,  fpejicD 
^infi(btH(b  großer  Saget  ton  Sluftetfibalen  (Ostrea  virginica), 
tDel(be  na^e  bem  atlantifcben  Ufet,  befonbetfl  in  bet 
bap  Dorfommen.  9Mc^t  2 Sdjalen  biefet  Sluftern  paßten  gu 
einanber,  autb  baö  gifcb«  unb  SBirt^febflftSgerat^  biefet  Ut« 
beoSlferung  fehlte  in  bet  S(bi(bt  nicht,  tteldbe  »on  ben  SButgeln 
bet  in  ihr  gtünenben  totben  ßebet  burchwachfen  »at.  — 
3.  5R.  3oneÖ,  f>rfifibent  beS  fHatntwiffenfchaftlichen  3nftituta 
ton  9looa  Scotia  berichtete  übet  ^fjöffenmöbbinget  ton  bet 
St.  ÜJlatgatethen  bap,  etwa  22  fDliled  fübiteftli^  ton 
^altfaj:,  welche  ben  bänifchen  auffaOenb  ahnein.  2)ie  SJtufchel» 
arten  finb  awerifanifche  aber  ben  notbeutopüifchen  terwanbte 
Sppen,  bie  @ebetne  beS  fStoofethier  (norbamerifanifchen  @Ich8), 
bäten,  bieber  unb  Stachelfchweinä,  SBaffertögel,  ^f^witbel 
ton  @abuS  2C.  temmen  gufammen  mit  Quatgit«  unb  ^lint» 
getöthen,  SBohnftellen  unb  geuerftatten  tot.  ^rofeffot  SBpmann 
reiht  hicton  ^öffenmöbbinget  au8  ben  Staaten  2Raine  unb 
fDtaffachufettS. 

2(n  bet  norbamerifanifchen  .Rüfte  beS  ftillen  0cean8, 
namentlich  in  @alifotnien,  fehlen  bie  Spuren  bet  utgefchi^t« 
liehen  ^fchetbetölfetung  ebenfaHd  nicht.  Schwer  ift  ed  bei 
biefen  amerifanifchen  ^öffenmöbbinger  ba8  91tet  gu  beftimmen, 
weil  bie  primitite  ^Itut  ber  Bif^erftämme  bie  @ntbedfung 
Slmerifad  überbauert  h<ii>  jo  «n  bet  fRorbweftfüfte  noch 
tothanben  ift.  Slu8  bem  geologifcben,  anthropologifchen  unb 

(S«2) 


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27 


botanifc^en  9efun^e  Iä§t  fi(b  aber  jcbliegrn,  ba|  m<bt  nenige 
biefet  BiWerftellen  mit  i^ren  ablagerungen  in  bie  »or^iftoriftbe 
Seit  and)  nach  euro)>äif(bet  {Rechnung  jurflcf  batiren  unb  nac^ 
tielen  3a^rtau|enbeii  ju  fcbä^en  finb“)-  einjelneu  Db» 

iecten  erwähnen  mir  nur  auS  bem  9iationa(°Wufeum  in  SBaf^ing« 
ton,  mcicbeg  an  urgejcbid^tli(^ent  ^ifcbereigerät^  IBielerlei  aufgu* 
weifen  Ijat"*),  ocrftbiebene  tnö(berne  angel^afen  »on  Santa 
(Sruj,  Kalifornien.  S)ie  Scbenfel  biefer  2fnge(n  finb  no(^  fe^t 
mit  einem  Ueberjug  non  @rbpe(b  nerfe^en,  mittels  beffen  bie 
Slngelf(bnur  befeftigt  war.  SemerfenSwertb  ift,  ba§  gegen  bie 
allgemeine,  namentlich  in  @uropa  beobachtete,  Uebung  ber  SBiber» 
hafen  biefer  Ütngeln  an  ber  ^u^enfeite  ber  Krümmung  an* 
gebracht  ift.  fDie  Knochenharpunen  ähneln  benen  auS  ber  S)or* 
bogne,  welche  gartet  unb  ©h^ifth  in  ihren  Reliquiae  Aquitanicae 
befchrieben  haben  **),  fo  wie  benen,  bie  noch  ie^t  auf  ben  ISleuten* 
infeln  im  Gebrauch  finb. 

3n  Sübamerifa  haben  fidh  an  ber  Srafilianifchen  Dftfüfte 
bie  unter  ben  fRamen  6a6queiro8  befannten  Sölufcpelberge  non 
2)efterro,  ©antofl  unb  anberen  Orten  olfl  ben  norbamerifa* 
nifchen  parallele  gifcher*Ki6ffenm5obinger  ergeben,  ebenfo  bie 
^JRufchelberge,  ^))araberoS,  beS  fpanifchen  Sübamerifa,  welche 
fich  bis  3ur  3RagellaenS>@trahe  unb  ber  3nfel  ^euerlanb 
hinjiehcn,  wofelbft  fie  non  ben  wilben  Urbewohnern,  ben^efcherähS, 
noch  Qrbilbet  werben.  Sluch  non  ber  pacififchen  Küfte  Süb* 
amerifaS,  non  @hü^  unb  ShÜi’r  finb  entfprechenbe  ,gager  non 
^fcherei=l5bfäflen  unter  bem  Flamen  ©urantoS  befannt  ge* 
worben  *♦)._ 

SBährenb  in  ben  bisher  befchtiebenen  ncrb*  wie  füb* 
amerifanifchen  Kjöffenmöbbingern  bie  Sifchereiprobucte  unb 
^fchereigeräthe,  wenn  auch  nicht  immer  auSfchliehlicb,  fo  boA 

(S6S) 


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28 


im  bei  SBeitem  übermiegenben  9)laa^e  jum  3Keere  Segie^ung 
^aben,  giebt  eä  aber  and)  in  SImerita,  gumal  9ioTbamerifa  bg(. 
Ablagerungen,  beten  Spiere  audfc^Iie^li^  and  bem  @ü§maffer 
gefifc^t  morben  ftnb.  fRorbamerifa  ^at  einen  au|erorbentlid)en 
9)ei^t^um  unb  eine  befonbere  CiRannigfaltigfeit  uon  großen  <Sü^« 
mafjetmufdbeln  bet  Gattungen  Unio  unb  Anobonta,  and  beten 
@(^a(en  gewaltige  Saget  in  bet  9lä^e  bet  t^auptfttbme  beS 
ÜRiffiffippi'J^alö  ange^äuft  finb.  SDte  mit  Äo^len,  ange* 
brannten  Steinen,  (Setät^idjatten  vermengten  Sd^altf^iere  ^aben 
bem  Sijcber  bet  SSorgeit  ald  9ia^rung  gebient.  Aebnlic^e 
ma[fet*Äj6ffenmßbbinget  ^at  ^tofeffot  6ot  an  ga^Iteic^en 
fünften  inSnbiana  bemertt.  5Ra^e  bei  ^ReW'^armonp  liegt 
ein  feiger  Abfallhaufen,  beffen  fünftlidhe  (Sntftehung  bereits 
i.  3.  1826  (5.  A.  Sefueut  unb  feflftetlten. 

(Reben  Säugethierreften  unb  Artefacten  fommen  h^uptfächlich 
bie  9Ruf(hcln  Unio  plicatus,  U.  pyramidalis,  U.  ebenus, 
U.  crassus  unb  U.  tuberculatus,  an  St^neden  Paludina  pon- 
derosa  unb  feltenet  einige  Melania  vor.  S3ei  Apbelotte 
unterhalb  (Rew>Albanh.  in  einem  alten  Obftgarten  liegt  eine 
S^alenbanf,  bie  viele  @eräthe  von  Stein  unb  Sein,  Angel« 
hafen  auS  Knochen  unb  bergl.  geliefert  h^t  ßong  ähnli^  ver« 
hält  fi^  ein  ^d^enabfalllaget  in  dRattin«@ount9  beim 
fBhite  (River.  Auch  Blotiba  liefert  äh»l^^  Spuren  bet  ur: 
gefchidhtlißhfn  gifcherftämme**). 

Diefe  gijcher^Anfieblungen  am  unb  im  füfeen  SEBaffer  führen 
und  nunmehr  gu  ben  viel  befprochenen  Pfahlbauten,  bie,  wenn 
auch  nitht  auSf^liehlich,  fo  hoch  gang  vorgugStveife  bem  fü§en 
Söaffer  angehören. 

Unter  Pfahlbauten  (Pile-dwelliugs,  palafittes)  verfteht  man 
brei  verfcbiebene  Arten  hauplfö(hlt<h  Pfahlwerf  ober  mit 

(K4) 


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29 


©enu^ung  »on  folc^em  in  ©ewäffetn  errichteter,  üorübergehen» 
ber  ober  bauernber  Sßohnftfitten,  nämlich  1.  Pfahlbauten  im 
engem  ©inne,  Pfahlroerfe  freiftehenb  im  Söaffer,  über  welchem 
{Rofte  errichtet  pnb,  welche  bie  SBohnhütten  tragen.  — 2.  Pfahl» 
wette,  innerhalb  beten  Nahmen  .^oljlagen  gehäuft  finb,  wel^e 
auf  bem  SBaffer  ober  9Jloraft  fchwimmen  unb  je  nach  bem 
Safferftanb  fich  h**’®”  ober  fenfen  — bei  fehr  fdhlammigem 
©oben,  welcher  baö  @intreiben  oon  pfählen  htnbert,  ongewenbet. — 
3.  padwerfbauten,  bei  welchen  bie  Pfähle  nur  ald  äußeret  ober 
innerer  {>alt  für  ^afchinenlagen,  ©tein»,  ^ung»  unb  @rbfchüt» 
tungen  bienen,,  mittels  welcher  eine  iSrt  oon  fünftlicher  3n|el, 
burch  anbauernbeS  9lachfchütten  im  Sauf  ber  3ahre  gebilbet  wirb. 

Sn’all  biefen  ©eewohnungcn  ober  SBafferbutgen  (lake- 
dwellings,  habitations  lacustres)  bet  ©tein*  wie  bet  PtetaD« 
Periobe  werben  gifchrefte  unb  Sif^ereigeräthe  gefunben,  fofera 
baS  fie  umgebenbe  @ewäffer  ein  Bif^gewäffet  unb  nicht  etwa 
lebiglich  ein  ©ertheibigungSgraben  ober  ein  fifchlofet  Ptoraft 
ift;  ber  3wecf  bet  großen  ÜRehrjahl  ber  Pfahlbauten,  neben  ber 
©icherung  gegen  menfchliche  geinbe  unb  räubetifche  Sh'eWi 
alfo  ficherlich  ootjüglich  auch  bet,  oon  ihnen  au8  ben  gifchfang, 
fei  eS  gewetbSmähig,  fei  eS  wenigftenS  als  fRothbehelf  fobalb 
ber  ©etfehr  mit  bem  Sanbe  abgefchnitten  war,  ju  betreiben. 

SSn  ^ifchereigeräthen  auS  ben  noch  ber  reinen  ©teingeit  an» 
gehörigen  älteften  Pfahlbauten,  wie  fie  g.  ©.  auS  bet©chweig 
befannt  finb,  werben  folgenbe  gefunben:  bie  auS  einem  eingi» 
gen  @ichenftamm,  innen  burch  2luSbrennen,  au^en  burch  toheS 
3uhauen  mit  ©teinärtcn  hfigefteDten  ^ifchetnachen  (bie  fogenann« 
ten  ©inbäume),  ferner  -Harpunen»  unb  gifchfpeere,  fRe^e,  fReh» 
fehwimmer  unb  fRehbefchweter,  ©pi^»  unb  Ärumm»angeln  auS 

(S65) 


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30 


@tein,  iBein  unb  ^orn,  Slngeljcnfer,  91e^ftri(fe,  $tfd?förbe  au8 
Saft  unb  ^lecbttoetT,  3teufen,  ^tfcbotterfaden  u.  bgl. 

2>ie  filteften  $fablbauten«^fd)eT  unterfc^eiben  ftcb  gegen 
b(e  Siicberftämme  ber  bänif(ben  unb  uettuaubten  jtjöffenmöbbin« 
ger  baburd^  bereit«  wefentlie^,  bag  in  ihren  9UebetIaffungen 
mehr  @)>uren  uon  {>au«thteren  unb  bie  erften  @))uren 
fultioirter  ^flanjen,  alfo  bcö  Slrferbau«  auftreten. 

Sie  in  9lieben»eil  unb  fRcbenbaufen  (6anton  Süricb) 
aufgefunbenen  9ie^e  ber  @teinjeit<$>fahlbauten  laffen  fi(h  non 
ben  je^t  gebräutblidben  9le^en  faum  unterfcbeiben.  Sie  9Jtaf<ben> 
weite  berfelben  f^wantt  jwifcbfen  ^ unb  4^  cm,  unb  finb  fie, 
je  nach  bem  beftimmten  3wedF,  entweber  au«  ®(hnüren  ober  au« 
gang  feinen  gäben  ocrfertigt  Siefe  9ie|c  würben  unten  burtb 
9te^fenfer  (mit  @rbt>e(b  umwidette  ©teine  unb  bergt.)  in 
bie  Siefe  gegogen  unb  oben  burdb  ©cbwimmer  au«  fRinbe  vor 
bem  gängticben  ©infen  bewahrt.  Um  größere  gif(he  eingeln  gu 
erbeuten,  würben  au«  .^irfchhorn  geft^ni^te  unb  mit  1 bi«  10 
SBiberhafen  oerfehene  ^>at<)utten  oerwenbet.  Söährenb  bie 
.^>aupterforf(her  biefer  genonnten  Pfahlbauten,  SReffifommer 
Sater  unb  ©ohn,  Weber  in  fRobenhaufen  noch  in  9lieberweil 
eine  ©pur  oon  foI(hen  Harpunen  entbedten,  würben  in  ben 
©een  ber  weftlichen  ©d^weig  unb  im  Sobenfee  berartige 
SBerfgeuge  nicht  feiten  gefunben.  3n  SBangen  (Sobenfee)  fanb 
man,  wie  wir  bereit«  anbeuteten,  ferner  fehr  fchöne  Engeln  au« 
j^nochen  unb  ^irfchhi’rn,  bie  bei  IRobenhaufen  unb  fRieberweil 
be«g(eichen  fehlen. 

SBie  h““Pg  «ber  gifche  oerfpeift  würben,  beweift  bie  Shat« 
fache,  bah  ^ ber  pfahlbaute  IRobenhaufen  unmittelbar  über  bem 
©eefalf  eine  6 bi«  9 cm  mächtige  ©dhicht  von  gifchfchuppen 
fich  »orfanb.  Sluhcr  folgen  würben  bort  grofee  Unterfiefer  oom 

(366) 


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31 


|)e(^t,  beS  Karpfens  ic.,  metfroÜTbiger  äBeije  au^  bie  Uebertefte 
beö  8ad^|ee  vorgefunben’^).  — S)ie  ®efammtmenge  bei  in  ben 
0(biDeijer  Pfahlbauten  biShct  aufgefunbenen  SBiibelthtere  be« 
läuft  fi(h  auf  ungefähr  70  ©t^ecieS,  wovon  10  auf  Bif<h<<  ^ «uf 
9iet>tilien,  26  auf  SSogel  (meift  SBafferoogel),  bie  übrigen  auf 
©äugethiere  faDen.  93on  ben  lehteren  finb  etwa  6 Wirten  als 
^audthiere  gu  begetchnen,  nämliih  ^unb,  ©d)Wein,  Pferb,  Sicflc, 
©<haf  unb  toenigftend  gwei  Dchfenarten.  Die  (Refte  toilber  unb 
gahmer  £ht^c  liegen  burcheinanber  gemengt  unb  ber  Suftanb, 
in  bem  man  fie  finbet,  bie  Piefferft^uren,  welche  fie  tragen,  unb 
bie  nuin  fie  ihres  SRarfeS  wegen  aufgebrochen 

hat,  baS  aDeS  finb  offenbare  Beweife  oon  menfchlicher 
feit.  3wei  2:hierarten,  eine  wilbe  unb  eine  gegähmte,  finb 
allenthalben  am  reichli^ften  vertreten,  nämlich  ber  @belhirfch 
unb  bie  Äuh-  Die  Uebenefte  biefer  ©heciefl  übertreffen  ge» 
wohnlich  an  SRenge  biejenigen  aller  übrigen  Dlrten  gufammen. 
BefonberS  characteriftif^  ift  bie  Befchaffenheit  ber  Pfähle  jener 
©eebauten  ber  ©teingeit,  fie  finb  viel  biefer  alS  bie  ber  Bronce» 
ftationen;  eS  finb  gewöhnlich  gange  ©tämme  unb  gwar  von  20 
bis  30  cm  Dur^meffer.  ©ie  ragen,  weil  abgefault,  niebt  wie 
bie  ber  f^äteren  Pfahlbauten  auS  bem  äBaffrr  emhor,  fonbem 
fchneiben  mit  bem  ©eegrunb  ab®’'). 

Die  Pflangen  ber  Pfahlbauten  verbienen  auch  Stanb» 
hunft  bet  Sijeherei  Erwähnung.  I^ultivirte  @ewächfe  fommen 
mehrfa^  vor:  brei  SBeigenf orten,  gwei  ©erfte»  unb  gwei  ^irfe» 
arten.  SBeigen  unb  ,^irfe  werben  gu  Brot  in  Slabenform  ver» 
baefen.  IRoggen,  ^afer  unb  ^anf  fehlen.  Slach^  ift  roh  unb 
verarbeitet  gefunben,  unb  gwar  nicht  bie  bei  unS  gewöhnliche 
9rt  Linum  nsitaüssimum,  fonbem  bet  noch  h^ui  in  ber  Piittel» 

(367) 


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32 


meetgeijenb  wtlb  wac^fenbe  L.  aDgastifoIiam.  9u8  biefetn 
SKateriol  finb  bie  fotoie  feinere  ©emebc  ^ergeliellt*»). 

3n  S)eutf(!^lanb  gehören  ju  bfefen  f^if^etwo^nungen  bte 
»ora  Dberförfter  ®ugen  §ranf  bet  ©t^uffentieb,  im  SBürt» 
tembergfcben  iDonauIreid  i.  3.  1875  aufgefunbenen 
ober  genauer  be3eidjnet  5>fllifoben»83auten.  ®ie  nnterflen  ^ort» 
3ontalen  ^ol3f(^i(bten  (SBo^nböben)  liegen  bur^weg  unmittelbar 
auf  bem  Xorf.  S)ie  ©to§fugen  ber  ein3elnen  $ori3ontaI^ö(3er 
Pub  ftet8  mit  feinem  gefcblemmten  X^on  unter  fit^  wafterbicbt 
verTittet.  Si@  3u  8 SBo^nböben,  alfo  ebenfo  oiele  ^(turf ebbten 
liegen  fentreebt  übereinanber,  meip  re^tminflig  wetbfellagemb. 
IDie  ein3elnen  3Bobnbäu|er  pnb  Don  einem  mdtbtigen,  waperbiebt 
bergefteDten  big  in  ben  ©eegrunb  reitbenben  f)alifaben3aun  au8 
eidbenen  ^)albböl3ern  nmrabmt.  fRebbeber,  ^ar^junen,  fRe^rePe, 
SRe^prirfer,  fRe^fenfer,  fRebftbwttM*««^/  9*^<Pe  »om  ^edbt,  SBelS 
u.  f.  f.  beuten  auf  bie  Slnmefenbeit  einer  ben  gif<bfang  übenben, 
ber  jüngeren  ©tein3eit  ongebörenben  23e»5lfetung,  wie  bieS  im 
Katalog  ber  ifluSpeHung  präbiporifdber  nnb  antbropologif<ber 
gunbe  ©eutfcblanbB  3u  SBerlin  i.  3.  1880  unb  in  ben  bort  er» 
wdbnten  ©becialftbriften  auBeinanbergefe^t  ift.  — Slebnlitbe 
gijtberpaPonen  Pnb  auB  ben  Oberbaperiftben  ©een  befannt  ge» 
worben. 


2)ie  Pfahlbauten  ber  gifeberbenölferung  ber  lBor3eit  bauern 
in  ber  nunmehr  folgenben  petiobe  beB  ©ebraudbB  ber  9Re» 
talle  fort.  SBir  wenben  unB  3unSdbP  ber  Srou3e»3eit3u  b.  i. 
berjenigen  Periobe,  in  welcher  für  einen  gropen  Sb^il  i’e» 
fannten  @rbe  bie  öron3e  b.  b-  8egirung  ober  SRifebnug 
»on  etwa  90  äb^lc"  Äupfer  mit  10  Jb**Ie*'  3«nn  baB  leitenbe 
SRetall  ift,  neben  bem  3U  ©cbmuef  »erarbeitet  @olb  oorfommt, 

(J68) 


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33 


»ä^renb  @i|en  unb  Silber  etfl  tnele  Sa^r^nnberte  fpäter  ad* 
tnä^li(^  Eingang  finbet.  SBiele  bet  ^fd>er>$fa^Ibauten  bet 
©(^weij  unb  Dberitolienfl  gehören  biefer  a3Tonje»?)eriobe 
an.  S)ie  ^fä^le  biefet  St[c^etbötfei  unterfc^eiben  fidb  burcb  i^re, 
in  Solge  ber  9nwenbung  befferer  (bron3ener)  SBetf  jeuge  gefäQigete 
0eatbeitung  non  benen  bet  Steingeit.  häufig  finbet  man  nnn« 
me^t  bie  Pfahlbauten  mit  längeren  0aumftämmen  in  tieferem 
SBaffet  eni(htet;  man  lann  mitunter  in  ben  Seen  Pfablfe^nn» 
gen  mahrnehmen,  melche  fhecied  bem  ^ifdhfang  bienten,  baS 
IBaffer  einengten  unb  fo  ermöglidhten,  bie  ^if(he  gmifchen  jenen 
Pfahlfe^ungen  mit  aufgefpannten  diesen  gu  fangen  ober  fie  in 
leichterem  unb  fdhmalerem  gahimaffer  oom  Aachen  auS  mit  ber 
Harpune  ober  bem  Speer  gu  erlegen.  {)ineingetTieben  in  jene 
SteQnebe  mürben  bie  $i{che  jebenfaOS,  mie  no^  h^ut  übli^, 
burch  Pulfen  b.  i.  Schlangen  mit  Steinen  auf  ben  Schifföboben 
ober  SBerfen  mit  Steinen,  bad  bie  erfchrecft.  Slld  Saht« 

geuge  bienten  noch  immer  bie  ermähnten,  adetbingS  je^t  forg* 
faltiger  bearbeiteten  @inbäume. 

35en  Anfang  ber  0ronge»Petiobe  chronologifch  genauer  gn 
firiren,  mirb  nur  auSnahmSmeife  gelingen  fönnen,  ba  bie  9n» 
fange  oor  bie  Seit  beS  gemüngten  ©elbcd  unb  bet  Schrift 
faden.  5Da0  aber  miffen  mit  au8  ben  Schichtenoerhältniffen  ber 
SBohnflätten,  au8  bem  Inhalt  ber  9Birth|chaft0abfäde  in  unb 
bei  ben  Pfahlbauten,  au8  bem'  Inhalt  ber  Grabhügel  unb 
Umenfriebhöfe,  bafe  bie  Srongegeit,  mie  norangebeutet,  »iele 
3ahrhunberte  gemährt,  ba^  ber  @ejchmad(  unb  bie  Hechnif  bet 
@eräthe  im  Saufe  berfelben  fich  mefentlich  geänbert  hat  unb  ba§ 
im  dlotben  gu  ben  urfprünglich  oom  Süben  h*i^  importirten 
Slrtifeln  auch  eine  heimifche  Srongeinbuftrie  — Semeiä  h^e*f“e 
bie  nicht  feltenen  0ronge|chmeigftätten.  @u|formen,  Sronge»  unb 

XIX.  Ul.  U2.  3 (^) 


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34 


Sinnbanen,  ©u^japfen,  Sd^melgftüde  mit  @u^nä^tett, 
f^ladtn  — aQmä^lid)  getreten  ift.  SScr^anbene  bronzene  Ülngel== 
^ofen  bet  »erfibtebenften  @tö§e  unb  ©tdrfc  berechnet  für  bie 
tleinften  3Bei§fi{(!^e  mie  bie  größten  .^ec^te,  ©alrne,  Slale, 
@töre  nnb  SBetfe  verrat^en  eine  gefd^idte  unb  fixere  ^anb< 
^abung  bet  3RetaIlte(^nif  unb  eine  genaue  ^unbe  bet  Sebürf» 
niffe  beS  ^if^fangd.  SDetgleid^en  brongene  ^ummangeln  fomie 
fRe^ftridnabeln  fd^einen  gu  ben  gangbarften  @tn«  unb  iSudfu^t» 
»aaten  gehört  ju  Ijaben**). 

9ti(^t  überleben  bütfen  mir  an  biefer  ©teile  bie  6tan= 
nogeS  b.  bie  fünftlic^en  SBaffetbutgen  in  mand^en  bet 
iil&nbifd^en  ©een,  bie  als  SufludbtSftdtten,  von  benen  auS 
gelegentlich  Sifchfang  betrieben  würbe,  gelten.  @ie  ähneln  ben 
©chweijet  Pfahlbauten  ber  gefdhilberten  britten  iSrt,  ftnb  aber 
infofetn  als  fie  ringS  non  eingerammten  SSdumen  umgeben  wer« 
ben  unb  alS  ^ern  immer  eine  natürliche  Snfel,  bie  wenigftenS 
bei  Slachwaffer  fichtbar  war,  aufweifen,  unterjdhieben.  S)iefe 
3nfeln  finb  burch  ©tein^adungen  unb  6ichenftdmme  allmdhiich 
aufgehöht  unb  enthalten  neben  vielen  ©dugethieneften  auch 
gifdftefle.  5Rach  SBilbe,  ber  i.  3-  1836  juerft  in  ben  Procee- 
dings  of  tbe  Royal  Irish  Ac^emy  biefe  SBohnftdtten  befdhrieb, 
bebeutet  Srannoge  fo  viel  wie  ^ol^infel,  wobei  bahingeftellt 
bleibt,  ob  jene  ^oljpfdhle  ober  bie  {)oIjhütten  bet  3nfeln  ge« 
meint  ftnb.  SBie  IHmolb  non  8a|aulr  in  feinen  Sieifeffijjen  auS 
Stianb  1878  annimmt,  waren  ihre  Sewohnet  fdhon  bie  Seit» 
genoffen  beS  futghörnigen  D^fen  unb  beS  gewaltigen  fRiefen» 
hitfcheS.  2)et  größere  Sheil  bet  @iannogeS  gehört  aber  wohl 
ber  Sronjegeit  an,  unb  jebenfaHS  waten  einige  noch  i>n  17.  3aht> 
hunbert  unferet  Seitredhnung  bewohnt. 

3m  äScrübergehen  mögen  erwähnt  werben  bie  in  mancher 

(»70) 


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85 


S3e3te^ung  nod^  immer  rSt^fclBoHen  fogenannten  Sterremare 
ober  SBafferburgen  9Rittelitalien0,  weil  bte|clben  ju  einem 
Serglei^  mit  ben  eigentlichen  Pfahlbauten  ber  Sronjejeit  ein« 
laben  unb  non  manchen  ^urfchern  ald  SBohnftätten  non  $if^er« 
ftämmen  angefehen  werben.  Unter  einer  Serramara  (wörtlich 
„fette  @rbe*)  »erfteht  man  eine  leichte  (Erhebung  über  bem 
93oben,  welche  eine  alte  .^ulturftätte,  auf  Pfählen  erridhtete 
.pütten  onbeutet,  mit  folgenber  geologifcher  S^ichtung  oon  oben 
noch  unten:  junächft  ©ammerbe,  bann  mergliche  S^honerbe,  im  ehe« 
maligen  ©umpfwaffer  entftanben,  enblich  grfingrauer  8ehmmergel 
aie  ehemaliger  ©umpfgrunb,  in  bem  bie  auö  Ulmen  unb  @i^en 
beftehenben  Pfähle  haften.  Swifche«  benfelben  liegen  allerhanb 
Qjeräthfchaften,  barunter  f eiche  auö  Jörouje;  @ifen  fehlt.  @u§: 
formen  — ich  hul>e  felbft  eine  ®u§form  in  ber  Serramnra  Don 
Safilica  bei  Parma  i.  3.  1873  auggegraben  — finb 

mehrfach  befannt  unb  jeugen  bafür,  ba§  bie  hier  angepebelten 
Slcferbauer  nicht  ohne  einen  gewiffen  @rab  »on  Snbuftrie  waren. 
Eigentliche  SSeruföpfdher  fcheinen  hier  nicht  gehaup  gn  hu'&en, 
jwar  ift  ein  2heil  bet  Setramare  in  ehemaligen  theilS  natür« 
liehen,  theilS  fünftlich  angelegten  ober  umgcftalteten  Söaffet« 
beefen,  bie  gum  Stheil  noch  jeht  fumppg  finb,  angelegt,  allein 
e8  fehlt  in  bet  Sterramare  baS  eigentliche  Sif^hergeräth,  unb 
unterf^eibet  biefer  fUiangel  bie  mittclitalienifchen  ©umpfanpeb« 
langen  oon  ben  Pfahlbauten  ber  oberitalifchen  unb  ©chweiget 
©een  ber  93ron3e«Periobe.  3)ie  gewaltigen  Ueberfchwemmungen, 
welchen  bag  Serremaregebiet  gwifchen  Parma,  Sieggio  unb 
fDiobena  feiteng  beg  Po  unb  feiner  füblidhen  Su^üffe  feit  Silterg 
big  in  bie  (Gegenwart  auggefe^t  ift,  fcheinen  bie  Einlegung  oon 
Pfahlbauten  in  bemfelben  begünftigt  gu  hülfen.  Swmcthin 

haben  bie  Jerremarebewohner  einer  8lrt  »on  gifcherei,  bem 

3*  (sn) 


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36 


^ifd^ien  uab  bem  @ebrau(^  Bon  ©ü§»Qfjerniuf(^eIn  (ünio  pio 
toram  L.  unb  Alasmodonta  compressa  Menke  [Unio  Bonelli 
F4r.])  obgelegen.  JDajn  hitt  in  bet  Senemate  non  3RontaIe 
bet  feltene  Unio  sinuatus,  bet  in  bet  Malacologia  Yeneta  Bon 
be  Setta,  1870,  au8  bet  ®egenb  non  @fte  unb  au8  bem 
$abuant{c^en  etwdbnt  mirb,  ben  i(^  abet  ftifcb  auc^  non  (Saftei 
®offtebo  bei  fOiantua,  aifo  na^e  bem  Semmatebifttift  befi^e. 
SBa^rfcbeinlic^  finb  biefe  9Ruf(betn  gefif(^t  motben,  um,  wenn 
ntcbt  al8  menf(blt(be  IRa^tung,  fo  bo^  al8  Buttet  füt  @^weine 
ju  bienen  ♦*). 

lDie8  etinnett  mich  an  Abfallhaufen  einet  notwenbif^en, 
wabt|(heinli(h  getmanifdhrn  Bif^nbenölfetung,  weld^e  id)  anf 
bet  btanbenbutgifdien  £)bet»3nfel  9leuenbagen,  Ätei8 
^öuig8berg  in  bet  9ieumatf  unweit  be8  93ahnhof8  fReuenhagen 
au8gegtaben  bem  ®elänbe  unb  im  ^ange  be8  ehema* 

ligen  Unten  Ufet8  bet  alten  Ober,  wel^e  hl«  bie  ©renje  bet 
9Reu»  unb  Urfermarf  bitbet,  jiehen  fi(h  gewaltige  AbfaUmaffen 
au8  bet  .^au8wirhf(haft  cine8  hi«  in  bet  S3tonjejeit  anfdffig 
unb  auf  Bif<herei  bebadjt  gewefenen  @tamme8  hl»,  ^jöRen« 
möbbinget,  beftehenb  au8  ungeheuten  9Raffen  bet  S:ei(h»  unb 
fDialetmuf(heln(Anodonta  anatina  unb  piscinalis,  Unio  pictormoy 
tnmidas,  crassus  unb  batavus),  Bifchtnochen  unb  Bif^9tdthen, 
Bifchfchuppen,  gefpaltene  fDiatRnochen  wilbet  Slh<«Cr  |>ol3fohten, 
in  Beu«  gebotftene  ©teine,  9iefte  non  ©ronjegeräth  (fein 
6ifen),  oiele  @<hetben  gtobet,  ohne  IDtehfcheibe  beatbeitetet, 
abet  gum  Sheit  mit  |)enfel  oeifehenet  @efä§e  au8  mit  ©tetn» 
gru8  netmengtem,  fchlecht  gebtanntem  Shon,  bie  gan^e  Ablage« 
tung  but(h  eine  im  Saufe  bet  Sahthunberte  baiübet  gewehte, 
non  ben  äButjeln  bet  .^iefetn  unb  .^aibefräutet  fdhliehlich  gum 
©tehen  gebtachte  Blugfanbablagetung  ein  ÜJietet  hoth  fiberf(hüttet 

(37*) 


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37 


unb  feft  jufammengeprelt.  Obwohl  bie  ©dealen  brödlid) 
geworben,  ftnb  bie  erwähnten  Wirten  leicht  fenntlidh-  ^at  bai 
weichliche,  ober  faftige  gleifch  biefer  „©ühwaffcrauftem*  aU 
menf^Iiche  Citahrung  gebient  ober  hoben  bie  gemtanifchen  Sifcher 
ber  Sorgeit  ihre  Schweine  eigenthümlicher  Stoffe  mit  bem  gleifch 
gefüttert? 

gaft  mö^te  man,  bo  olterthümliche  Gebräuche  ber  ©egen* 
wort,  gumol  bei  einer  fo  am  SKthergebrachten  flebenben  Se« 
fchöftigung  wie  bie  gif^erei  ift,  gu  Siücffchlüffen  ouf  bie  2Jer» 
gongenheit  berechtigen,  jene  grage  bejahen.  Stoch  jegt  fann 
man  an  warmen  Sommertagen  fehen,  wie  bie  erwachfenen 
SJtöbchen  ber  gifdherbörfer  läng8  ber  Ober  jener  @egenb  biefelben 
SJtufchelarten  in  gro|en  SJtengen  einfammeln.  Stur  mit  bem 
^embe  belleibet  fahren  fie  auf  feilte  Stellen  unb  wühlen  bort, 
au8  bem  .^ahne  weit  nach  vorn  übergebeugt,  mit  ben  .^änben  im 
gluhfanb  nach  ben  in  biefem  ftecfenben  SRufcheln.  SJtanche 
SJtäb^en,  um  ihr  ,^embe  nicht  na§  gu  machen,  ftreifen  baffelbe 
oom  ^al8  bis  gur  $üfte  herunter  unb  arbeiten  fobann  mit  ben 
nacften  braOen  türmen  unb  mit  einem  wahren  geuereifer  im 
@runbe  herum,  al8  gälte  eS  bie  Sterten  beiber  3nbien  gu 
fifchen.  gür  ben  ber  ganbeflfitte  ungewohnten  SBanbeter  ein 
feltfameS,  primitioeS  unb  an  bie  norgef^ichtliche  Kultur  ber 
gijcherbeoölferung  anftreifenbeS  Schaufpiel. 

IDie  Don  ben  gifchertöchtem  gefammelten  lebenben  jStujcbeln 
werben  hernach  auflgefchrapt  unb  bafl  fo  gewonnene  gleifch  on 
bie  S^weine,  bie  baoon  fett  werben  füllen,  nerfüttert.  SDa  bie 
8eute,  gumol  bieÄinber,  bort  hü^ifig  barfuß  gehen  unb  fich  an 
ben  fcharfen  Schalen  leicht  emt>finbtich  oerwunben  fonnten,  fo 
werben  biefelben  an  beftimmten  Stellen  hingeworfen.  @benbahin 
gelangen  auch  Scherben,  &lai,  Wochen,  @ifenftüde  u.  bgl.  So 

(ITS) 


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38 


ent^e^en  moberne  J^öffenmöbbtnget,  unb  nai^  3a^T^unberten 
uiib  man  ftd)  bet  Sufbetfung  eon  beigleic^en  @i^a(en^aufcn 
oieQdc^t  benJ^opf  jeibred^en,  moju  bie  non  ber.^anbbIonberSifd^et> 
fc^önen  ge))flüdten  „^üd^te  bed  (Sü^maffetd"  gebient  ^aben. 

93ei  bem  @täbt(^en  SudFom  in  ber  SRärfifcben  @^ueij, 
28  km  norbbftlic^  93et(in,  fanb  ii^  bie  gleichen  neualtetlichen 
Slu§muf(helhaufen  in  ben  iBorftäbten  unb  benachbarten  IDörfem, 
barunter  ben  feltenen  Unio  ater.  Diefelben  ftammen  gumelft 
aud  bem  benachbarten  ®tobberbach  unb  »erben  ebenfalls  5ur 
@ch»einemäftung  nermenbet.  2)a{felbe  ift  nadh  3RittheiIung 
be8  Dr.  5RoH  in  ben  JDörfern,  bie  bem  SKain  bei  ^ranffurt 
nahe  liegen,  ber  $aQ,  unb  bei  jebem  biefer  06rfer  fann  man 
an  beftimmten  @teden  iSnfammlungen  leerer  Unio<  unb  Sinobonta« 
@cha(en  finben.  SÜBatenbe  nnb  babenbe  J^inber  h»Ien  bie  5lh<^< 
aufl  bem  bluffe**). 

SBad  baS  SSeripeifen  non  @ü§maffermu|cheln  anlangt,  fo 
fommt  in  ben  jbüchenabf&Qen  be8  iRömerfafteOS  in  SBieSbaben 
neben  ben  0eemu|cheln  Cardiom  acoleatom  unb  ber  @peife> 
Siufter  bet  erwähnte,  je^t  fo  feltene  Unio  sinuatus  in  folcher 
nerbächtigen  ÜJienge  nor,  ba§  bie  93ermuthung,  bie  alten  iRömer 
hätten  ihn  h'^i^  nerfpeift,  nahe  liegt,  hiermit  ftimmt  ed,  bah 
in  ber  ©egenb  non  SSenebig,  wie  Dr.  Süeffanbro  ©hiamenti  ju 
Shioggia  mittheüt,  nodh  je^t  bie  5£eichmufchel  (Anodonta  anatina 
L.,  SBuigärname:  caparone  d'acqoa  dolce)  unb  bie  OJlalermufchel 
(Unio  pictomm  L.,  SSuIgämame  ebenfo  ober  stadiglia  dei 
pittori  ober  cncchiarella)  tro^  ih^er  Sähigfeit,'  be8  faben 
@efchmacf8  unb  ber  Unnerbaulichteit  noch  je^t  gegeffen,  auherbem 
al8  iSngellöber  nerwenbet  wirb. 

2ln  ben  3iu)fif(hen  Oftfeefüften  ftnb  bi8  in  fehr  alte 
norgefchichtli^e  3«it  gurüdfreichenbe  ®ühwaf|etmufchelhoufen 

(8M) 


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39 


Don  ber  gift^creibeBölfetung  ^mü^tenb  ebenfallö  aufgefunben 
rooTben,  »el^e  bit  gleid^en  SSemenbungdatten  ber  Unionen  unb 
iSncbonten,  alS  t^ierifc^e  ober  menfc^Iid^e  Steife  offenlaffen. 
3m  bottnifc^en  ^eetbufen  rufftf(^erfeitd  ge^en  biefe  3Ruf(^eIn 
in  bad  faum  mehr  fähige  9)ieer  unb  »erben  ^ier  an  manchen  Steilen 
noci)  je^t  gegeffen.  9m  9i{o9iegro  in  Sübamerifa  gelten  bie« 
jelben  3Ru|4ielgattungen  aW  9lebenprobuft  bet  5?if(^etei  unb  »erben 
fo»o^I  oon  ben  farbigen  »ie  auc^  t^eil»etfe  oon  ben  iianb« 
be»o^nern  europfiifc^er  9bfunft,  ben  @au^o8,  gut  ®peife  benu^t. 

9ii^t  oerlaflen  fönnen  »ir  bie  Sronsepertobe  ber  ^fc^er« 
beoölferung,  o^ne  eine  ©teile  betreten  ju  ^aben , »eid^e  |o»o^I 
butd^  i^re  SBerü^mt^eit  an  fic^  »ie  butd^  i^ren  9tei(^t^um  an 
$>robuften  ber  J^ifd^erei,  3um  a3er»eilen  befonbetS  einlabet:  »it 
meinen  bie  mut^ma§li(^e  ©teQe  bed  alten  Stoja.  Siubolf 
Sitd^o»,  SSotftanbSmitgiieb  be8  JDeutj(^en  §tf(^erei»33etein8, 
^at  einer  @in(abung  feine8  $reunbe8  ^einric^  ©d^Iiemann 
be8  @ntbecler8  be8  alt^omerifc^en  S£roja’8  auf  bem  Burgberg 
oon  .^iffarlii  in  ^lein«9fien  folgenb,  bafelbft  in  feiner  befannten 
SBielfeitigfeit  unb  ®rünblic^teit  ben  3Birt^fd)aftdabfäilen  ber  alten 
SJeoölterung  einge^enbe  SerüdFfir^tigung  gefc^enft.  0ereit8 
Sd^ltemann  felbft  »aren  in  ben  Krümmern  ber,  oon  unten  ge» 
rechnet,  vierten  oorgefcbic^tlic^en  ©tabt  bie  au8gebe^nten  ^öffen» 
mdbbinger  au8  iDtufc^et^aufen  befte^enb  aufgefallen.  3n  feinem 
beräumten  93ud^:  3üo8,  ©tabt  unb  Sanb  ber  Trojaner,  fagt  er: 
„S)ie  ^Raffen  oon  ©egalen  unb  ©tra^lmuf^eln , bie  in  ben 
Krümmern  ber  Raufer  aufge^äuft  liegen,  finb  ^iet  fo  erftaunlic^, 
ba§  fie  aller  Sefd|teibung  fpotten.  9m  beften  fönnen  bie  S3e* 
fu^er  fie  in  bem  großen  ©(^uttblodt  fe^en,  ben  ic^  bi^t  neben 
bem  „@ro^en  S^urm"  fielen  lie§.  @in  Solf,  ba8  alle  feine 

(375) 


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40 


j^c^enabfdlle  auf  ben  $u§boben  feinet  ©emädbcr  liegen  Iie§, 
mu§  auf  einet  focial  fel^t  niebrigen  @tufe  gelebt  ^aben/ 

5DetgIei(ben  SifdbeteiabfdQe  ^tebdt^iere,  9)iuf(bebi, 

©dbnecfen)  gieren  fid^  butd^  aQe  Stabtfd^id^ten  uon^iffatlit  non  bet 
6teingeit  ab  biA  in  bie  römijcbe  ^oc^e  hinein,  in  ben  betStongegeit 
angel^ötigen  8agern  imponiten  fte  abet  befonbetA  butd;  Snäd^tigleit. 
tBitcboto  ^at  in  @(bliemann'A  0ucb  bie  oon  i^m  gefammelten 
but^  bie  BiftbctbeoöIIetung  füt  bie  ^dbe  unb  {>auAioitt^f(baft 
bet  alten  Stojanet  einftmalA  gewonnenen  «SReeteAftücbte"  felbft 
befebtieben.  gifcbtefte  finb  nngemein  tetcbliib-  ^ie  in  manchen 
f)fahlbauten  unb  notbbeutfcben  SSutgtoaHen  bilbeten  Slnhäufungen 
oon  $if<hf^uppen  unb  {leinen  ©täthen,  äBirbeln  u.  f.  f.,  namentlich 
oon  S3atAatten,  oeteingelt  audh  9tefte  oon  feht  gto§en  ^hnn: 
fifdhen  unb  .^aien,  gange,  hnnbhohe  Sagen.  93ot  SlQem  fanben 
fich  Unmengen  oon  Suftetn,  CiJHeAmufcheln  unb  .^etgmufcheln. 
3n  Segug  auf  ^öhe  unb  Sage  bet  ©(hinten  ift  hinftthtlich 
biefet  @peifemufcheln  ein  Untetfchieb  nicht  gu  bemetten.  SnbetA 
oethält  eA  fich  SutuAmuf^eln.  3bge|ehen  oon  gemiffen 

Sietmufcheln,  wie  Columbella,  Troc^os  unb  Pectunculus,  beffen 
©chalen  am  Schloß  butchbohtt  finb,  gleich  SRufcheln  in 
gemiffen  palaeolithifchen  fübeutopäif^en  .^öhlen,  ift  gang  befonbetA 
bie  ^utputfdhnecfe  gu  etwähncn.  ©ie  etfcheint 
in  ben  ht'ht^cn  Sagen  untet  bet  Ipfimachifdhen  SRauet,  in  einet 
Seit,  mo  ouch  baA  IBemalen  bet  Söpfe  ^obe  mat;  befonbetA 
beachtenAmetth  batuntet  ift  ein  ©tüd  oon  Purpura  baemastoma, 
welche  ©chnede  biAhet  auA  bem  Sllterthum  no^  nicht  befannt 
aiat,  aber  no^  {e^t  auf  SRinotca  gum  ^dtben  bient.  $aft  aQe 
^utputfchnecfen  finb  lünftlich  geöffnet  unb  gwat  hnuptfächlich  fo, 
ba§  man  bie  ©chalen  in  bet  QJtitte  bet  SdngAate  quet  bntdhbtach 
unb  bann  an  bem  unteten  Stuchftücf  noch  wiebet  ein  gtöheteA 

(876) 


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41 


8o(^  auf  bec  ^aul^tn)öIbung  anlegte.  SMefe  Srt  ber  93eile^uuj 
ift  fo  audgefprocben,  ba|  (ine  beftimmte  Xec^nif,  in  bet  Slbfic^t, 
bie  SbicTe  jum  ©c^önfärben  ju  oervenben,  beutlicb  erhellt. 

!Die  meiften  ber  übrigen  bei  ben  äluägtabungen  gefunbenen 
©cbnedten  unb  fDluf^eln  ^aben  o^ne  Siveifel  ben  2;TojaneTn  ober 
3Iien{em  ald  ©peife  gebient  unb  fie  jcbrinen  habet  bie  no(^  b^ut 
an  bet  jtüfte  bed  SRittelmeereS  unb  bed  ägäifcben  fDleereS  üblichen 
@riffe  angemenbet  gu  b®ben.  Cerithium,  Trochus,  Patella, 
Ostrea,  Spondylas,  Fecten,  Cardium,  Venus,  Tapes  unb  Solen 
übenoiegen  unb  finb  gerabe  bie  (Gattungen,  toelche  auch 
noch  in  ben  begeichneten  ®egenben,  theiltoeife  unter  S3en>ahtung 
bed  altgriechifchen  ^tarnend,  oerfpeift  werben**). 

2)er  Doden  @ifengeit  gehören  bie  für  bie  Bifchctri  oon 
erheblicher  ^ebeutung  geworbenen  flaoifchen  Pfahlbauten 
unb  93urgwälle  im  norböftlichen  iDeutfchlanb  an.  S)iefer 
Äbfchnitt  ber  SBorgefchichte  fällt  für  bie  ÜJiarf  ©ranbenburg  unb 
oiel  anbern  benachbarten  ^anbe  mit  ber  .^errjchaft  ber  heibnifchen 
©laoen,  befonberd  ber  SBcnben,  gufammeu;  fie  enbet  mit  ber 
bauetnben  Unterwerfung  berfelben  burch  'Wibrecht  ben  ©ären, 
inbbefonbere  mit  ber  ©erchriftlichuug  ber  alten  Bifcherftabt  an 
ber  .^atel  ©ranbenburg**). 

3>ie  wenbifche  Bifch^ibcoölfecung,  ©orbeu  in  ber  Ober«  unb 
SRieber«8aufihr  SBüjen  in  ber  Ptarf  unb  Pommern,  Dbotriten 
in  Ptecflenburg,  lebte  in  gefchloffenen  ^Dörfern,  fogenannten  diunb« 
lingen,  in  ber  ber  gifchgemöffet.  3ur  ©icherung  ber« 

felben,  au§erbem  gum  ©chu^e  ber  ©ewohner  in  ^riegälduften, 
bienten  runblidje  ©changen,  ©utgwäDe  ober  ©chwebenfchangen 
genannt,  gum  ^h^il  ©enu^ung  natürlicher  ©Obenerhebungen 
ongelegt  — bie  ©orchelte  ber  gaufi^ — , gum  2heil  auf  Pfahl« 

(JTT) 


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40 


i^enabfäUe  auf  ben  $u§boben  feinet  @etnäd^ei  liegen  lie§, 
tnu§  auf  einer  focial  fe^i  niebrigen  @tufe  gelebt  ^aben.* 

JDetgleicben  gifd^eteiabfäße  (8if«be»  Ätebät^lete,  9)iuf<beln, 
@<bnedfen)  gieren  fid^  bui^  aße  Stabtfd^id^ten  son^iffatlil  von  bet 
@teingeit  ab  bie  in  bie  römiicbe@^o(^e  hinein,  in  ben  bet  S3rongegeit 
ange^örigen  gagetn  imponiren  fie  aber  befonberb  buicb  ßJiäd^tigteit. 
äSircboto  ^at  in  ©cbliemann'd  S3ucb  bie  von  i^m  gefammelten 
buTcb  bie  SifdbetbeDÖlterung  für  bie  ^d^e  unb  |)auen)irt^fd^aft 
bet  alten  Srojanet  einftmalS  gewonnenen  „ßlieerebfrucbte"  felbft 
befcbrteben.  Bifc^refte  finb  ungemein  tetdbli^.  3Bie  in  manchen 
9>fa^Ibauten  unb  norbbeutfcben  Surgmäßen  bilbeten  ISn^äufungen 
von  Bi|(^f(^ubpen  unb  Keinen  ®rät^en,  SBirbeln  u.  f.  f.,  namentliib 
von  Sardarten,  oereingelt  auch  ßiefte  von  fe^t  großen  S^un: 
fijd^en  unb  ^aien,  gange,  ^anb^o^e  gagen.  SSor  ISßem  fanben 
fi(b  Unmengen  von  Suftem,  ßRieSmufcbeln  unb  ^etgmufc^eln. 
3n  93egug  auf  ^8^e  unb  gage  bet  @(^ic^ten  ift  Ijinficbtlicb 
biefer  ©peifemufcbeln  ein  Unterftbieb  ni(bt  gu  bemetfen.  SlnberS 
oerbalt  eS  fi^  mit  ben  gujcuemufibeln.  ISbgefeben  von  gewiffen 
Siermufcbeln,  wie  Columbella,  Trochos  unb  Pectunculas,  beffen 
©cbalen  am  ®(blo§  bur^bobrt  finb,  gleidb  ben  ßRufcbeln  in 
gemiffen  balaeolitbifcben  fübeuro)}äif(ben  .^öblen,  ift  gang  befonberS 
bie  ^nrburf^nede  gu  enoäbnen.  @ie  erfdbeint  b^ufiget  erft 
in  ben  b^bci^cn  gagen  unter  ber  Ipfimacbtfcbrn  ßRauet,  in  einer 
Seit,  wo  au(b  baö  23emalen  ber  2e|)fe  ßJiobe  wot;  befonberfl 
beacbtenSwertb  barunter  ift  ein  @tüdf  von  Purpura  haemastoma, 
welibe  @(bnecfe  bieb^r  auS  bem  IXltertbum  no(b  nicht  befannt 
atar,  aber  noch  je^t  auf  fßtinorca  gum  S&tben  bient,  gaft  aße 
^urpurfcbnecfen  finb  fünftlicb  geöffnet  unb  gwar  bauptfäcblicb  fo, 
ba§  man  bie  <ScbaIen  in  bet  ßltitte  ber  gängSajce  quer  burdbbracb 
unb  bann  an  bem  unteren  SSrucbftücf  noch  wieber  ein  größeres 

(378) 


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41 


auf  ber  $au);t0ölbung  anlegte.  IDiefe  9(rt  ber.  SSeile^ung 
ift  fo  audgej^ro(^en,  ba§  eine  beftimmte  l^ec^nif,  in  ber  Sbftc^t, 
bie  3uni  ©(^önfärben  gu  nertnenben,  beutlicb  er^eDt. 

IDie  meiften  ber  übrigen  bei  ben  SlnSgrabungen  gefunbenen 
6<bnecfen  unb  9Jluf(beln  ^aben  o^ne  3»eifel  ben  2;rDjanern  ober 
31ienfern  alS  S^jeife  gebient  unb  fie  fcbeinen  habet  bie  nodb  b^ut 
an  bet  jtü^e  bed  fUhttelmeereg  unb  bed  ägäifcben  3)^eereö  üblidjen 
griffe  angemenbet  gu  b^ben.  Cerithium,  Trochus,  Patella, 
Ostrea,  Spondylus,  Pecten,  Cardium,  Venus,  Tapes  unb  Solen 
übetviegen  unb  ftnb  gerabe  bie  Gattungen,  uelcbe  audb  je^t 
noä)  in  ben  begeicbneten  Qlegenben,  tbeilmeife  unter  IBemabrung 
be8  oltgriedbifcben  9lamenä,  oetfpeift  »erben«*). 

2)er  ooUen  @ifengeit  geboren  bie  für  bie  f^tfcberei  non 
etbeblicber  IBebeutung  geworbenen  flauifcben  Pfahlbauten 
unb  SBurgtodlle  im  norboftlicben  IDeutfcblanb  an.  S)iefet 
8bf<bnitt  ber  Sßorgef(bi(bte  fällt  für  bie  SOlarf  ©ranbenbutg  unb 
oiel  anbetn  benachbarten  Sanbe  mit  bet  .^enjcbaft  ber  beibnifcben 
@laoen,  beionberS  bet  SBcnben,  gufammeu;  fte  enbet  mit  ber 
bauernben  Unterwerfung  betfelben  burcb  Qllbrecbt  ben  S3ären, 
inSbefonbere  mit  ber  SBercbriftlicbung  ber  alten  ^ifcberftabt  an 
bet  .gjaoel  S3ranbenbutg*‘). 

2)ie  wenbif^e  gif^erbcoöltetung,  Sorben  in  ber  Ober»  unb 
9Heber»gaufi^r  SBilgen  in  ber  fDlart  unb  Pommern,  Dbotriten 
in  Söledlcnburg,  lebte  in  gefcbloffenen  3)örfem,  fogenannten  fRunb» 
lingen,  in  bet  ^)6be  bet  gifcbgewäffet.  3ut  Sicherung  ber» 
felben,  au^erbem  gum  Schule  ber  93ewobner  in  .^riegdlduften, 
bienten  runblicbe  Scbangen,  93urgwälle  ober  Scbtoebenfcbangen 
genannt,  gum  Sb^il  Senu^ung  natürlicbet  ISobenerbebungen 
angelegt  — bie  öorcbelte  ber  gaufi^ — , gum  $b<*l  ““f  Pfabl* 

(37T) 


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42 


roften  otei  $ad(n>eifen  ober  burc^  eine  einfa(^e  ülnfc^üttung 
erbaut  93on  fleinen,  nur  auf  inenige  Familien  bereAneten 
@tnf(lbfi^§ungen  an,  wedbfeln  biefe  @rbtx>äOe  biS  ju  grofiartigen, 
für  Saufrnbe  oon  fUfenfd^en  berechneten  (RtnginäQen.  9Qe  ftnb 
in  ©ümpfen  ober  ©erodffern,  minbefienö  »on  breiten  ©rüben 
umgeben,  angelegt 

lieber  bie  flaoif^e  ^eilunft  ber  SBafferburgen  unb  ihre 
©ntftehungämeife  haben  wir  burch  ÜR.  3-  be  @oeje  in  getben 
fÜTjtich  eine  neu  aufgefunbene  intereffante  91otij  erhalten,  wei^e 
»on  0lbü  Dbeib  aUSefri,  einem  um  1160  lebenben 
iStabifchen  ©^riftfteller  aud  einem  i^ericht  mitgetheilt  wirb,  ben 
ein  jübifcher  9igent  3brahlm  ibn  3afüb,  welcher  fich  um  965  om 
J^ofjfaiferDtto’Sl. in ÜRerfebutg aufhielt,  abgefa§that  „Slbraham 
Safobfohn"  fpricht  »om  8anbe  ber  Dbotriten  unb  fagt:„  SBlli» 
@räb  (b.  i.  bafl  je^ige  ©täbtchen  fWerflenburg  an  ber  S3ahn 
jwifchen  j^leinen  unb  Sßidmar)  ift  an  einem  Sü^wafferfee,  wie 
bie  meiften  Surgen  ber  @la»cn,  erbaut  SBenn  fie  nämlich  eine 
©urg  errieten  wollen,  fo  fnchen  fie  ein  Sruchlanb  au8,  ba8 
reich  an  SBaffer  unb  ©chilfmoraft  ift,  unb  fteden  ba  einen  runben 
ober  »ierecfigen  ^la^  ab,  na^  ber  ®eftalt  unb  bem  Umfang, 
welchen  fie  ber  ©urg  geben  wollen.  IDann  heben  fie  barum 
einen  @raben  au8  unb  häuften  bie  auSgegrabene  @rbe  auf.  9Rit 
^lanlen  unb  ©alten  wirb  biefe  ($rbe  fo  feft  geftampft,  bi8  fie 
bie  Seftigteit  einer  Sehmmauer  erhält  SBenn  ber  !BaD  bis  jur 
gewünfehten  ^)öhe  aufgefuhrt  ifl,  wirb  in  ben  fRanb,  wo  man 
eS  begehrt,  ein  angebracht  unb  »on  biefem  eine  häl^etne 
©rüde  über  baS  Söaffet  gebaut" 

9118  eine  förmliche  ^fahlbauftabt  wirb  un8  in  ,^etborb’8 
Sehen  be8  ©ifchofS  Dtto  »on  ©amberg  bie  Stabt  3ulin,  ba8 

fagenumf^onnene  ©ineta,  ba8  h^uiis^  äBotlin  i.  3-  1121, 
CS7») 


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43 


gef^ilbetl;  beim  Slngtiff  bet  ^etbnif(ben  Sommern  auf  ben 
^)eiligen  Otto  fällt  bet  leitete  oon  ben  ^ö^ernen  ?)Iattfotmen 
in  ben  ÜJlotaft,  witb  nut  mit  SJlübe  auö  bemjelben  b«fttu6» 
gezogen  unb  nut  but^  f^leunige  Setftötung  bet  ^öljetnen  SStürfe, 
»eld)e  bte  ?)fal)lbau[tabt  auch  ^tet  mit  bem  feften  8anbe  oer« 
banb,  Bor  bem  föiättptettob  bewahrt.  Ungeheure  ÜRengen  Bon 
gijc^teften  au8  flanif(b»^eibnif(^et  Seit  bcfunben  noib  ^eut  bie 
33ebeutfamfeit  beS  alten  3ulin  an  bet  ©ietenoro  a(8  §if(berpla^. 

93on  ben  wenigen,  Bormenbif^en  Surgmällen  beS  noib» 
öftlidben  fDeutfcblanb  abgefe^en,  fte^t  bie  gto^e  fUtaffe  betfeiben 
im  engften  S3etbältni§  gu  bem  ^fa^Ibauwefen  unb  beibe,  Surgj 
»ad  unb  ^fa^lbau,  in  innigftet  SBedjfelbegiebung  gu  einem  ben 
$i|d)fang  liebenben,  in  Bieter  IBegie^ung  gtabegu  auf  benfelben 
angemiefenen  SSolfe.  SDa^et  bie  Bielen  bei  fold^en  gifd^eeraften, 
SBajfetbauten,  IButgwäQen  wie  Pfahlbauten  gefunbenen,  auf  baä 
gifd)wefen  begüglidbcn  ©egenftänbe,  al8  gifdjgeräth  allet  2ltt, 
9ie^e,  ©cbnüre,  die^fenfer,  die^ljebet  Bon  J£)olg,  SRe^flotten,  ,^ut» 
faften,  gifchotterfallen,  meljtginfige  gif^flethet,  gifchfpeete,  Singel» 
hafen,  ei8ätte,  ©tblittfnocben , ©isf^litten,  gifchcrna^en  mit 
Slu8tüftung8gegenftänben,  ^o^geräthfcbaften,  ^ifcbgtäthen,  gifch» 
jcbuppen,  SBaffergeflügftfnod)en,  SRufcbeln,  ©chnecfen  u.  bgl. 
sieben  ben  eigentlichen  Pfahlbaufiftbetbörfern  finb  in  ben 
betreffenben  ©een  mitunter  eingelne  ^ifcherhütten  Bon  ben  SBen» 
ben  errichtet  worben,  um  Bon  bortau8  ben  Bifchfong  au8giebig 
gn  betreiben,  ©ei  bem  erften  in  ber  gaufi^  — Bcn  mir  felbft  — 
entbedften  Pfahlbau  oon  gübbinchen,  im  ©ee  gleichen  9lamen8, 
unweit  ©üben,  Prooing©ranbenburg,  welcher  ein  bi8  in  bie  frühfte 
chriftliche  3«it  bewohnt  gewefene8  fDotf  getragen  h^t,  fanb  ich, 
nßlHg  ifolirt  unb  eine  Biertel  SJJeile  entfernt  belegen,  mitten 

im  ©ee  eine  folche  eingelne  Pfahlbauhütte,  welche  fich  butdh  bie 

(«») 


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44 


in  i^t  auSgegrabenen  Jopffd^erben  al0  groetfellofl  wenbifc^  etmiefen 
^at.  (Sine  \o\ic)t  auS  unb  auf  (Sicbenpfä^Ien  (@paltfnüp)>eln) 
etri(^tete  »enbifc^e  |)fa^lbau»gif(^erl)ütte  befi^t  baß  ÜKdrfifc^e 
SJlufeum  auß  bem  93fi$*@ee  bei  9llt*§ri|a(f,  ctma  7 SDlcilen 
norbweft!i(^  Serlin. 

JDie  flaoifi^en,  auß  bem  wafferrei(^en  Dften  unb  9iotb« 
cften  eiugemanberten  Slnfieblcr  finb  fomit  recht  eigentlich  alß 
ein  gif^eroolf,  wie  ihre  Süorganget,  bie  ©ermanen,  alß  ein 
Sägerodf,  an3ufprcchen.  Sin  ben  @een  unb  Bluffen  beß  8anbeß, 
fagt  8ubwig  ©iefebrecht  in  feinen  äßenbifdhen  ©efchichten, 
trieben  Blfchet  ihr  einjameß  ©ewerbe;  ganje  JDorffchaften  (villae 
piscatorum)  beftanben  nur  auß  ihnen.  9llß  Söelag  für  bie  ?luß» 
gicbigfeit  beß  gifchfangß  unb  feine  Dolfßwirthfihaftliche  S3ebeutung 
fann  folgcnbe  gefchi^tliche  fRachvi^t  bienen. 

©efrib,  J^apcQan  unb  93egleiter  beß  genannten  Stpoftelß 
unb  S3efehterß  ber  Sommern,  erjdhlt  »un  bem  Bff<h«i<hthuni 
bafelbft  u.  9.  B»Igenbeß:  „@ß  henjcht  bort  ein  unglaublicher 
Ueberfluh  an  Bifchen,  fowohl  auß  bem  Ü)teere  wie  auß  Bluffen, 
®een  unb  Reichen,  unb  für  einen  S)enar  würbeft  bu  einen 
ganzen  ©agen  ftifcher  Bifchtunfe  (bicf  eingefochte  Blf^hpafte) 
befommen,  unb  wenn  ich  uon  bem  ©cruch  unb  ber  2)icfe  becfelben 
erzählen  würbe,  wie  ich  bente,  fo  würbe  ich  l^er  ©efrdhigfeit 
befchulbigt  werben." 

3m  3ahve  1783  urtheilte  bet  berühmte  Bifihfunbige  Dr. 
SRatfuß  ©liefet  Söloch  übet  bie  wenbifche  BiftheTbeuölfetung 
Bolgenbeß. 

„©ß  finb  allenthalben  in  bet  fDlarf  ©puren  5U  finben,  ba| 
ju  ber  ©enbenjeit  bie  mehreften  S3rücher  in  ben  |)eiben  unb 
Belbmarfen  mittelft  ©tabenß  in  lUerbinbung  geftanben  hoben, 

wel^e  burch  bie  Sänge  bet  Seit  uetfallen  finb;  unb  wahtfcheinlich 
(lao; 


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45 


ftnb  bie  me^reften  93iü(^et  unb  Socket  JCarpfen«  ober  anbere 
nu^bare  Sif^teic^e  genefen.  @f)uren  oon  anetnanbec  ^Sngenben 
Seteben  ftnbet  man  in  ber  Sbi’^nf^en  {)eibe,  mo|e(bft  baS 
jflofter  (Sbotin  ^ar^fen*  unb  $if(bteid)e  gehabt,  welche  aber  im 
brei§igiäbrigen  Kriege  unb  nach  ber  0iefotmationr  ba  ed  ben 
Sefi^ern  an  bem  @eIboorIage  jur  Unterhaltung  biefei  SInftalten 
gefehlt,  ober  bie  @üter  bona  vacantia  geworben,  eingegangen 
finb.  gehört  alfo  5ur  SanbeSfultur,  bergleicben  cerfaQene 
Seidhe,  welche  wegen  ber  ©tagnation  bed  SßajjerS  nachtheilige 
tXudbünftungen  unb  eine  ungefunbe  SBeibe  h^’^>’'’Tbringen 
unb  baher  fchäblich  finb,  wieberum  hf^3«fl«öcn.  — 3ut 
SBenbenjeit  ift  baS  platte  8anb  in  ber  9Rarf  weit  beffer  beoölfert 
unb  fultioirt  gewejen,  aU  h^ul  3u  Sage,  nachbem  ftch  ber 
§lei§  nadh  ben  in  neuern  Sriteu  erbauten  (Stabten  gezogen  unb 
iaS  platte  8anb  grö^tentheüö  jur  unfruchtbaren  SBüftenep  ge« 
worben,  wo  bie  ehemaligen  fru^tbaren  Selber  mit  Sanb  über- 
30gen,  ober  mit  {>eiben  bewaihfen  finb,  unb  bie  ehemaligen 
fruchtbaren  S^iehweiben  in  ungefunbe,  bem  S3ieh  fchäbliche  Sümpfe, 
SOtoräfte,  Üüchet  unb  23rücher  oerwanbelt  unb  bie  gu  Seichen 
bienlichen  Derter  faum  mehr  ju  erfennen  finb,  wenigftenS  mit 
großen  Äoften  wieberum  oon  neuem  angefchafft  werben 
muffen"  *®). 

3Rag  biefe  Sudführung  auch  bezüglich  ber  fünftlichen  Seich« 
wirthfehaft  bed  SBenben  etwad  übertrieben  fein,  fo  beweift  hoch  bad 
Snftitut  ber  'Pri^ftapel  ober  ^ri^ftabel  (oom  SBenbifchen 
^riftaw,  5}ogt),  bie  aldgifchereiauffehet  fich  oon  berSBenbenjeit  her 
noch  in  Söpenif,  IRuppin  unb  Spanbau  bid  heute  erhalten  haben, 
ba§  bad  Sifchn’eien  bereitd  in  ber  flaoifchen  S^orjeit  polijeili^ 
geregelt  unb  überwacht  würbe.  Sebenfalld  hat  fich  in  alt« 
weubifcher  ©egenb,  nämlich  in  'Pei^,  Äreid  (Sottbud,  bie  äfarpfen» 

(J8l) 


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46 


jud^t  noc^  immer  in  einet  großartigen  Sudbe^nung  erhalten;  e8 
ift  bort  bie  Äarpfcnbörfe  für  einen  nic^t  unbelräd)tli(^en  Stb«i^ 
»on  9?Drbbeutfd)Ianb.  9lu8  SBillibalb  non  (Scbulenburg’8  Ser» 
jeidb^tfe  ber  bei  ben  @pteemaIb*SBenben  üblidben  Sifcbereiaufl» 
brüdfe  erbedt,  wie  viele  berfelben  in  baS  ^Deutf(be  übergegangen 
finb,  g.  S.:  bukleja  — bet  ^flei,  Albarnus  lacidus;  karas  — 
^araujcbe;  bleja  — bet  Slei;  piskor  — bet  f)ißfer,  Cobitis 
fossilis;  plosica  — 5>Ioße;  rapa  — ber  SRaab,  Aspius  rapax; 
smarl  — bie  @^merle;  wada  — bie  SBate 

ÜJlit  biejem  gifcbiegen  gelangte  bie  wenbifcbe  ?0iarl  an  bie 
beutf(ben  djriftlidben  ©robfter.  2)er  beutjebe  ©roberer  befe^te 
nnb  befielt  ben  alten  ^faljlbau  bei.  .!^ier  erricbtete  ber  %eubal» 
berr  gern  feine  Surg,  bie  wenbifcben  SBäQe  al8  ©runblage  ober 
Sdbußmebr  feineß  au8  f^elbfteineu  aufgemauerten  SBobnbaufeS 
benußenb.  3lu8  ben  größeren  Surgwäßen  ober  im  SBeicbbilb 
berfelben  entwidfelten  bie  erften  ^riftlicben  ©täbte  ber  ÜKatf, 
vor  beten  Sboten  am  SEÖaffet  ober  im  ©aßet  auf  bem  ^fabl» 
bau,  in  ben  fogenannten  ließen  ober  Äiegen  (oom  menbifdben 
Kitza,  Kititza,  ^olgbütte,  5if<berbütte)  bie  alte  wenbifcße  S»ftb*r* 
bevölferung  p(b,  con  ber  teutf^en  Seoölferung  verarbtet,  in 
ißrer  Sefonberbeit  noch  Snbrbunberte  lang  erbielt*®). 

Siele  beutf(be  Stabte  oerbanfen  fo  ber  giftb««  ibr*n  U** 
fprung,  nnb  bereits  Äönig,  ber  ^>iftoriograpb  »on  Serlin,  b^lt 
bie  Slbnen  ber  blutigen  Semobner  unferer  JDeutfcben  Äaiferftabt 
für  gifdber.  „SBirft  man  einen  Slirf  auf  bie  8nge  ber  alten 
©tobte  ber  5Ratf  Stanbenburg,  fo  ßnbet  man,  baß  ße  mebten» 
tbeil8,  mit  finget  Slbß^t,  an  ©ewößer  unb  fcbißbare  Slüße 
angelegt  worben  ßnb,  welche  wobl  anfdnglidb  nicbt  fowobl  gut 
,^)anblung  bienen  foßten,  al8  weil  ße  ben  erften  Sewobnem 
Unterhalt  gaben.  55ie  ^ifcbeteien  in  ber  OJlatf  ßnb  non  jebet 

(382) 


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47 


fe^r  ergiebig  gewefen,  unb  gaben  ben  erften  9la^rung03n>eig  ab. 
Seiber  \idbtti  fU  neueren  Seiten  fe^r  abgenomnten,  unb  ftnb 

nid^t  me^r,  »ad  [ie  »aren,  »ouon  nid^t  allein  bic  gugenommene 
SRenge  ber  SRenf^en,  »el(^e  bie  S3a[ferbe»o^net  in  großer 
iSnga^l  aufge^ren,  fonbern  aud^  bie  @tn{c^ränfungen  ber 
burc^  bad  tjäufige  Urbarma^en,  Urfad^en  geworben  ftnb.  93er« 
jdbiebene  @täbte,  g.  0.  äBrte^en  an  ber  Ober,  trieben  einen  fo 
anfe^nlid^en  ^tfc^bunbel  im  iJludlanbe,  ba^  man  ben  alten  9ia(^< 
rid)ten  baoon  faum  Glauben  gufteDet,  unb  bie  ^ie^e  unb  ^e^er 
ftnb  SRamen,  bie  man  fe^r  im  Sraudb  finbet,  wo  fiitbreit^e 
@tdbte  finb.  9iatürlid^  liefen  fidb  aifo  bie  Kolonien  bed  9Rar!< 
grafen  Sllbredbt  gern  an  folcbe  ^lüffe  nieber,  wo  i^nen  bie 
Sllatur  foglei^  einen  jo  beftimmten  ald  reic^bultigen  Unterhalt 
anwied.  @d  würbe  ba^er  nicht  unrecht  fepn,  wenn  man  bie 
Stammeäter  ber  ^Berliner  öiftbe^  nennete." 

Saffen  wir  gum  Schluß  unferer  QRittheilungen  aud  ber  93or* 
geit  ber  gifdherei  ben  Slicf  noch  einmal  nach  ben  floffifchen 
Sölfern  bed  ÜUterihumd  fdhweifen,  fo  finben  wir  etwa  900  bid 
1000  3ahtc  Bor  unferer  Scitrechnung  in  bcrSliad  bed  ^omer 
bie  jRachri^t  oon  einem  Pfahlbau  {vlrj,  lateinif^  matoria)  im 
See  ÄejjhifiS,  auf  bem  ein  fhäter  non  .^teftor  nor  Slroja  er» 
jdhlagener,  reich  begüterter  9Rann,  Oredbiod,  wohnte.  Sin  fehr 
primitioe  äverhditniffe  erinnert  bie  Sage,  ba§ObB|feud  burch 
einen  ^feil  getöbtet  worben  fein  joll,  ber  mit  bem  Stad  el  eined 
IRo^en  Berfehen,  aljo  in  ber  SBeife  audgeftattet  war,  wie  bied 
bie  gifcherftämme  gewiffer  Sübfeeinfeln  mit  ihren  2Baffen  thun. 
Slngefidhtd  ber  dieichhaltgfeit  Bon  ^ifihereiprobuften , welche  bie 
Sludgrabungen  {)einri^  Schliemann'd  in  ber  Slroad,  aud 
ber  SSorgeit  and  Jagedlidht  geförbert  haben,  tlingt  ed  befrembenb, 
bah  hcuieiifchen  .gelben  wie  fpäter  bie  dlteften  9iömer  mit 

(383) 


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48 


bem  ®enu&  bet  Sifc^e  faft  unbefannt  waren.  9lad^bcra  man 
i^n  inbeffen  fennen  gelernt  ^atte,  fanb  man  wie  in  ©ried^en» 
lanb,  fo  and)  in  9iom  entjc^iebenen  ©efc^mad  baian,  fo  ba| 
baS  SBoit  oifiov  ober  obsoniam,  wel(^eS  urfprünglii^  aDeS  am 
geuer  3ul>«e>icte  im  ©egenfa^  be«  Sroteö  umfaßt , fpöter  au8» 
f(^lie§lic^  non  gifc^en  3U  nerfte^en  ift.  lDa§  mit  bet  gift^etei 
unb  bet  gifc^foft  in  ben  lebten  Briten  bet  9iepublif  unb  wä^renb 
bet  j^aifer^eit  non  ben  fcbwelgetifcben  [Römern  ein  unglaublidfet 
8u]cu6  getrieben  würbe,  ift  befannt®"). 

23on  gtofeem  Sntereffe  für  bie  S3otjeit  ber  gifc^erei  ift  folgenbe 
[Rad^ricbt  bei  .^erobot  au8  ber  Brit,  al8  SRegabajuS  nach  bem 
nernnglücften  gelbjuge  befl  JDatinfl  gegen  bie  ©cpt^en  nom 
3al)r  513  n.  6^t.  in  Sl^ra3ien  mit  einem  petfifc^en  ,^eere  ftanb, 
über  einige  inacebonifc^en  SSölferftbaftcn. 

„^Diejenigen,  weld^e  um  ben  SSerg  ^angaeud  wobnen,  unb 
bie  IDoberct  unb  Slgrianer  unb  Dbomanten  unb  bie  om  ©ee 
^rafiaö  würben  ton  9Regabaru8  gar  ni^t  be3Wungen.  5Den» 
no(^  würbe  ber  nergeblicbe  [ßerfucb  gemacht,  fogar  bie  3a  unter« 
werfen,  welche  in  bem  ©ee  wohnten,  unb  gwar  auf  folgenbe 
SBeife:  e8  fteben  auf  ^o^en  ^fä^len  mitten  im  ©ee  3ufammen« 
gefügte  Plattformen,  gu  welt^en  nom  ?anbe  nur  auf  einet 
S3rüde  ein  enger  Bugang  ift.  2)ie  Pfäble  nun,  anf  benen  bie 
Plattformen  fte^en,  erröteten  bie  Bürger  inSgemein  feit  alten 
Beiten;  fpäter  aber  gefcba^  e8  non  ©efe^eS  wegen  unb  3Wat  fo: 
jebet  9Rann  ^olt,  wenn  et  eine  grau  ^eiratljet,  au8  bem  ©e« 
birgc  DrbeluS  brei  Pfähle  unb  treibt  fie  in  ben  ©cegtunb  ein; 
e8  nimmt  aber  jebet  ©in3elne  niclc  SBeiber.  ©ie  wohnen  ba» 
felbft  nun  auf  folgenbe  SBeife:  ein  Scber  ift  Bcfi^et  einet  ^ütte 
auf  ben  Plattformen,  in  weld^er  et  wo^nt,  unb  eine  gaHt^ür 
fü^rt  burc^  bie  Plattform  hinunter  3um  ©ec.  IDie  Keinen 

(384) 


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49 


^inbet  binbct  man,  bamit  fte  nic^t  l^inunterfaden,  mit  €^eUen 
an  einem  feft.  3^«  ?)ferbe  unb  ba8  gaftöie^  füttern  pe 
mit  Bifd^en.  Son  biefen  giebt  el  eine  fo  grope  fSienge,  bap, 
toenn  man  bie  BoQt^ür  öffnet,  unb  einen  leeren  ^orb  an  einen 
©trid  in  ben  @ee  hinunter  löpt  unb  nad^  fntjet  Seit  »Über 
^eraufjie^t,  er  gang  »oll  non  gifd^en  ip.“ 

9iu(^  im  (gelobten  8anbe  fanben  fi^  Bij^ftätten  in  ^fa^U 
bauform,  mie  ber  berühmte  arabifd^e  ©eograp^  SJ Ibuf eba  im 
©upplement  ber  ^Rarte  ©prienö  um  1328  berichtet.  @r  fd^ilbert 
ben  ©ee  non  '^pamea  fehr  anf^aulid)  mit  feinen  vielen 
Slbt^eilungen  unb  JRohrgebüfchen , bie  oon  SSögeln  aller  SIrt 
wimmeln.  2)er  ©ee  fei  mcift  nicht  über  fUlanneShöhe  tief,  habe 
aber  fdjlammigen  @runb.  @ine  ber  Heineren  auSbudhtungen 
beö  ©eeS  nannten  bie  Araber  „ben  ©ee  ber 
er  non  chriftlichen  Bifd^ctn  befe^t  wor,  wel^e  \)xtx  „im  ©ee  in 
hölzernen  unb  auf  pfählen  ruhenben  .Jütten  wohnten.“ 

9118  folche,  auf  Jütten  im  ©ee  ©enegareth  ober  im 
©aliläifchen  ÜJteer  lebcnbe,  mit  ihren  ©chifflein halb  hierhin, 
halb  borthin  gur  SlnSübung  beS  BüdhfangS  fahrenbe  Pfahlbau» 
bewohner  haben  wir  un8  nietleidht  ©imon  ^etru8,  fowie 
3afobu8  unb  Sohaa"®®*  bie  Söh«e  Sebebäi,  ©imonS  ©c» 
feilen  gn  ber  Stit  gebenfen,  al8  ©h^iftaS  pe  gu  IDlenfchenpfdhem 
machte.  3)iefer  benfwürbige  ©ee  non  Liberias  ift  noch 
überaus  pfchreich;  mitunter  Pnb  weite  ©trecfen  fo  gebrängt  noQ 
Bifche,  bah  bie  ’JlücfpcPen  bie  Dberpädhe  beö  SBafferS  ftreifen. 
JDet  ©ee  würbe  mit  bem  gwifchcn  gwei  33öten  gegogenen  Sug« 
neh  (oayTjvi^)  unb  mit  bem  Sßurfneh  (aftfpißlrjatQov)  bcpfcht, 
wobei  ber  Bifth^t  aufg«fdt)“rst  ober  nadft  inS  SBaPer  pieg  unb 
baS  9ieh  gefchidt  berartig  aufwarf,  bah  e8  pch  auf  bem  SBaPer, 
inbem  e8  gleichgeitig  untertauchte,  auSbreitete,  wonä^ft  e8  mit 

XIX.  441.  442.  4 (38S) 


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50 


jd^nedem  9{u(f  an  einem  ©trid  mieber  in  bie  ^5^e  gezogen 
würbe,  bte  giftfee,  weld^e  in  feinet  SRd^e  gewefen,  mit  fi(^  teifeenb. 
QS  ift  biefe  gifi^erei,  mit  bet  ^etruö  unb  fein  Stubet  Slnbreafi 
nad)  ÜRatt^äufl  4,  18  »on  3efu4  im  ©aliläif^en  9Reet  betroffen 
würben»*). 

bie  Sngel  wutbe  von  ben  @aUIäif(ben  Bifti^etn  benu^t, 
wie  wir  in  bet  ©ef^idjte  oom  3in8gtofi^en  o.  a.  D.  17,  27  ^ören : 
,Sluf  ba§  mir  aber  fie  nic^t  ärgern,  fo  ge^  ^in  an  ba0  fDleet, 
unb  wirf  bie  ^ngel  au8,  unb  ben  erften  gifc^,  bet  ^erauffä^rt, 
ben  nimm;  unb  wenn  bu  feinen  fDiunb  auft^uft,  wirft  bu  einen 
@tater  finben,  benfelbigen  nimm,  unb  gieb  i^nen  für  mic^ 
unb  bid^.“ 

3)et  äpoflel  f>etru0  oom  @<^iff  ou8  angelub  ift  ba8  Sa^r» 
geid^en  ber  ^äpfte  auf  intern  @e^eimfiegel,  bem  $if(^erting, 
geworben,  ja  in  ber  fDipflif  be8  fDiittela(ter8  bebeutet  bet  angelnbe 
Sifd^et  mitunter  ben  ^eilanb  6^riftu8  felbft,  fo  wie  im  Siegel 
ber  iKat^ebrale  oon  iSberbeen  bei  ber  @eburt  (Sbrifti  ftatt  be8 
.^nbe8  ein  Sifcp  in  ber  Grippe  liegenb  bargefteQt  ift,  gema^nenb 
an  bie  töebeutung  be8  gtiecpifdjen  SBorte8  für  gif(^  /X&Y2' 
b.  i. 'Irjaovg  XQiaidg,  &eov  * Ywg,  JTtotijp,  3efu8  @bnfdi8, 
<5Jotte8  So^n,  ^»eilanb.  — 

@0  fe^en  wir,  wie  fidb  au8  ber  SSorjeit  ber  gifc^erei  einet 
ber  primitioften  Smeige  menfcblicbet  Sl^ätigfeit  me^t  unb  me^t 
gu  einem  befonbern  bewerbe  entfaltet  ^at  unb  wie  au8  bem 
$if(berftanbe  f^Iie^licb  bie  Senbboten  ^etoorgegangen  finb,  weld^e 
bie  wi(^tigfte  ^ulturp^afe  ber  dRenfcb^eit  guerft  über  uufere  @cbe 
weitet  oerbreitet  boi>en-  ^icf^  I^odjbebeutfame  ÜRiffion  wirb 
un8  bie  SSorgeit  bet  ^ifdl^etei  immerbat  benfwürbig  unb  e^t< 
wütbig  erf(^einen  laffen. 


(SM) 


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51 


S^ntnrthnngrtt. 


1}  SUgl.  3o^annee  (Solttue:  Oecooomia  ruralis  et  do- 
mestica.  SDlainj,  1656,  tin  für  bie  bei  gilc^erei  nichtiges 

2Berf,  Sb.  I,  S.  638  ff. 

2)  Sgl.  ben  Slufja^  t>on  ®abriel  beSRoitület:  Origioe  de  la 
Navigation  et  de  la  P6ohe  in  Revue  Archeol.  10.  Cft.  1866. 
©.269—282  «nb  übet  gMt^emSlfet  f)ef(^el:  SluMonb  1868  9lt.  8 
®.  169 — 176  unb  in  bet  Sölferfunbe  ©.  202 — 216.  Uebet  bie  Sor* 
gef(bi(^te  bet  >n  Sorbametifa  ^aben  mit  non  .^atl  Stau  in 

SBaf^ington,  aljo  non  berufenftet  .^anb,  bemnäc^ft  eine  SerSffentlic^ung 
ju  geoärtigen;  i(^  habe  beS^alb  bie  ametifanifc^en  Setbältniffe  faum 
ongeflreift,  obwobl  mir  für  biefelben  bereit«  ein  retbt  rei(bli(be«  ÜJlaterial 
»erliegt.  — fmbt  b«  SKenfeb  fein  Sefteben  bureb  ba«,  ma«  er 

»on  einem  Hage  jum  anbeten  crmiibt,  fubet  jn  ftellen,  er  jagt  8anb* 
tbiere  ober  SBaffertbiere,  unb  ift  Süfler  ober  giftbet.  — Sagb  unb  gif<b* 
fang  nehmen  ben  Slenfcben  in  mantben  Beziehungen  auf  bie  namlitbe 
SBeife  in  Slnfprwb.  Säger  unb  giftbet  bebürfen  abaetbfelnb  ober  autb 
gleitbjeitig,  je  natb  bet  Hbieratt,  bie  fie  jagen,  bet  ®ebulb  nnb  be« 
fUlutbe«,  fie  muffen  immer  bie  eine  ober  bie  anbere  2lu«bülfe  in  Bereit« 
ftbaft  haben.  — 3m  ®anzen  bebarf  wohl  ber  giftber  feinet  fo  großen 
Knfpannung  bet  jfrüfte,  al«  bet  Säger,  unb  nitbt  aQe  phbfiftbrn  jträfte 
»erben  bei  ihm  in  gleitbei  SBeife  in  Slnjprutb  genommen.  @r  bebar 
feine«  fo  feinen  ®ebät«  unb  feinet  fo  großen  ®e»anbtbeit,  »ie  ber 
Säger.'  31.  be  jQuatrefage«:  2)a«  fDlenftbcngeftbletbt.  &ii)iig,  1878. 
6.  186,  187. 

4*  (J87) 


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52 


3)  Sßgl.  SB.  S3opb  2)air!ind:  Gave  Hunting.  Bonbon  1874, 
®.324ff.  3ame8  ©eiftf:  PrehistoricEurope.  ?cnbon,  I88I,@.  90ff. 
®it  @^aile8  89dl:  !Dad  9Uter  be8  SDlenf^engtfc^MiS.  IDeutf^  bon 
S^ü(^>ner.  *2.  «ufl.  1874,  ®.  5.  61,  65  ff. 

4)  35et  9la(^brud  liegt  bi«r  auf  bem  SEBort  ®(^mel3ung,  benn 
bie  falte  SBearbeitung  Bon  BietaOen,  baS  äuS^mmern  Bon  Bleteoieifen 
ober  Bon  gebtegenem  jfupfet,  wie  j.  (enteret  in  alten  SBo^nftätten 
auf  ber  @renje  jaififien  jfanaba  unb  ber  Union  Botgefunben  U)irb,  rei(!^t 
jinar  in  bie  Steinzeit  jurfitf;  ^ier  uurbe  aber  ba8  BletaQ  Die  feber 
anbere  ©tein  „falt"  bearbeitet. 

5)  S3gl.  Älfreb  8le^ring:  ®ie  quaternären  Sauen  Bon  Sb«^e 

unb  ffiefteregeln  nebft  ©puren  be«  Borgef^ie^tlicben  TOenfi^en,  im  Slrcbio 
für  Anthropologie.  XI.  SBraunfthaeig,  1879,  ©.  14  ff.,  unb  berfelbe: 
Heber  bie  lebten  Ausgrabungen  bei  3h<*be  in  ben  SSerh-  ber  S3erliner 
Anthrop.  @ef.  1882,  ©i^ung  Bom  2.  SJJörj  1882.  „S3on  ben  Steptilien, 
Sifchen  unb  DitbeUofen  Shifren  (biefer3nt)  ffnb,  mit  gänzlichem  Au«* 
f(hlu§  ber  (Blufchet)  Cyreoa  fluminalis,  bie  ehebem  in  ber  ©omme 
unb  3h*“*f*  ““f  u“b  auf  einige  afiatifche 

bef^ränft  ift,  fo  Biel  mir  Diffen,  feine  Arten  ouSgeftorben.  9t.  3olp: 
!Der  SUlenfch  Bor  ber  Seit  ber  SUtetaDe.  ?eipjig,  1880,  ©.  87. 

6)  ?pell  0.  0.  O.  ©.  130  ff. 

7)  Samuel  Hearne:  A journey  from  Prince  of  Wales'  fort 
to  the  northern  ocean,  unb  9lilffon:  !Da«  ©teinalter  ober  bie  Ur* 
einDohner  be«  ©canbinaoifchen  9lotben«.  Ueberf.  non  3-  9Jleftotf. 
.J)amburg,  1868,  ©.  129  ff. 

8)  91.  Solp:  ©er  SKenfch  Bor  bet  Seit  bet  ÜJIetatle.  8eipjig, 
1880,  ©.  86. 

9)  9lilffon:  a.  a.  D.  ©.  126  ff. 

10)  SJlortillet:  a.  a.  O.  ©.  272. 

11)  IDergleichen  ouf  ba«  6i«  geführte  fröftige  ©^läge  pflanjen  (ich 
im  SBaffer  mit  großer  ©emalt  fort.  ®ie  Sifthe  Derben  betäubt,  er- 
halten mitunter  fogat  Siecfen,  bie  ©teile  anbeutenb,  Do  bie  ©rfchütte* 
rung  be«  ©chloge«  f'ih  fonzentrirte.  9Ran  pflegt  bei  biefer  noch  i«ht 
Bielfach  au«geübten  SDlethobe  bie  Si«becfe  fchnetl  §u  öffnen  unb  ben  be- 
täubten S'fth  hetOBSjUBehmen.  3u  ber  9Jlarf  ©ranbenbutg  Derben 

(S38) 


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53 


^e^te  oielfai^  auf  biefe  SBeife  .gefc^lagen";  ebenfo  ift  baS 
brimitioc  wobei  man  bcm  im  Belege  fte^enben 

Sifdf)  be^utfam  eine  an  einen  langen  ®tod  bcfeftigte  fRogl^aarf^Iinge 
^intet  bie  j(iemenbedel  jc^iebt  unb  bann  ben  Sifcb  mit  fr&ftigem  Sin« 
gleiten  aut  bem  IBaffei  b?l>t,  eine  ftd^eili^  bit  in  bie  entlegenfte  Urzeit 
jurüdreicbenbe,  ebenfo  einfad^e  wie  fixere  unb  eintiägli^e  Uebung  bet 
gift^fanget. 

12)  Sol?:  «•  fl*  O-  274.  — So^b  iDawfinß:  a.  a.  O* 
®.  112,  327,  342.  — SDi.  (S.  Subont:  l’Homme  pendant  les 
ages  de  la  pierre  dans  les  enTirons  de  Dinant-sur-Meuse.  II.  4d. 
1875,  p.  116,  120.  — 8ouit  giguier:  l’Hooame  primitif.  1870. 
p.  117,  122,  135.  — Solp,  ®.  280,  fagt:  „Seim  gifebfang  Wat  bie 
^)arpune  minbeftent  ebenfo  nüblicb  wie  ber  Slngelbafen ; f'«  würbe  au^er« 
bem  gat  oft  auf  ber  3agb  nadb  SEBafferoßgeln  unb  SBafferfäugetbieren 
benu^t,  unb  wenn  fie  biefe  2:biere  auch  nicht  immer  }u  tobten  oermocbte, 
binberte  fte  biefelben  hoch,  nacbbem  fie,  butch  einen  fröftigen  SBurf  ge« 
fcbleubert,  in  ifit  gleifcb  ficb  eingebaft  batte,  an  ber  glu^t.  ®ie  fnß« 
(bemen  .^)atpunen  ber  Srogtobpten  ber  Sß3bre  haben  ftett  nur  auf  einer 
@eile  eine  einzige  3ieibe  3äbne  ober  SÜMberbafen  unb  baburcb  unterfcbeiben 
fie  ficb  wefentli^  oon  ben  mit  ebnen  oft  oerwecbfelten,  fnöcbetnen,  mit 
SBiberbafen  oerfebenen  ^feiljpiben,  beren  ©eiten  mit  jwei  Sabawib“ 
befeßt  finb  (»gl.  gig.  86,  ©.  274).  Um  eine  Heine  an  ber  .^arpunenbafit 
angebrachte  ©rweiterung  fcblang  bat  eine  (Snbe  bet  ©tridet,  mit 
beffen  4>ülfe  ber  gifebet  bat  gefcbleuberte  @ef(bD§  wieber  jurüdjog.  — 
2)ie  fnöcbernen  Harpunen  ber  jlurilen«3nfulaner  ähneln  ungemein  ben 
©erätben  ber  borbogner  Sroglobpten.  Salb  mit  beweglicher,  halb  mit 
fefter  ©pi^e  »erfeben,  fiben  f«  an  einem  .J)o4f<^aft.  Derfelbe  bat  ein 
8ocb  jum  ^>inburcbjieben  einet  ©tridet,  ber  tbeilt  am  ©ebaft,  tbeilt  an 
bet  beim  4>arpuniren  T'tb  »an  lötlöjenben  ©pifte  befeftigt  ift. 

Sin  bat  freie  (Inbe  bet  ©tridet  ift  au&etbem  noch  eine  Slafe  gebunben, 
bie,  auf  ber  SBaffetfläcbe  febwimmenb,  ben  SBeg  bet  flficbtigen  Stbier«® 
an3eigt.  — 2)ie  bem  Ufer  bet  Se3ke  entlang  liegenben  fehlen  bargen 
eine  enorme  fUlenge  öaebtgräten.  2>iet  beweift  fcblagenb,  ba§  bie  ^)5blcn« 
bewohnet  in  bem  ihren  SBobnungen  nabe  gelegenen  gluffe  unb  ben 
anberen,  bem  Dcean  3uflie§enben  ©trömen  bet  ^etigorb  biefen  wohl« 
febmedenben  gifcb  angelten  ober  »ielmebr  barpunirten.  Ratten  fie  bereitt 
Siebe?  Sliebtt  beutet  an,  bag  biet  bet  gaÜ  gewefen  ift." 

(M9) 


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54 


13)  ©fifie:  o.  a.  O.  lafrt  A,  5*8*^  “>*9  ber  JDorbogne.  — 
Siguiti:  a.  a.  O.  124,  gtg.  60.  — 2)npont:  a.  o.  O.  ®.  117, 
gig.  15.  — giguitr:  @.  135,  gig.  41.  — ^ellwalb:  ®«t  öof 
gef(bi<^tli^e  9Rtnf(b-  2.  XufL  <3.  367. 

14)  ®a»fin9:  ©.344,  gig.  117;  gtguiet:  ©.  136,  gig.  72 
giett  biefelbe  Äbbilbung,  aber  »erfc^rt. 

15)  giguitr:  ©.  122,  gig.  57.  — ©enonet:  gifc^eteigeröl^e 
in  ber  Urjeit  unb  bei  ben  ©üben,  ÜJUtt^.  ber  Slnt^rcp.  @ef.  in  ©ien, 
Sb.  IX.,  ©ien,  1880,  ©.  221)  beric^itet,  ba§  Dr.  IRiccarbi  in 
einer  Sefibreibung  bet  im  Srtbrop.  SDufeum  ju  gIoren3  eorfinblic^en 
gifc^ereiger&t^e  bemerfe,  bie  erfte  ©lementar  • Singel  ^abe  au9  einem 
getaben  bünnen  3—4  cm  langen  ©plitter  non  Knochen  rber  Sient^ier« 
^orn  beftanben.  Sann  famen  an  einer  ©eite  grjä^nte  Singeln,  Harpunen 
Bon  22  cm  ?änge,  bann  fol^e  an  beiben  ©eiten  gejSbnte.  gernet  er» 
B)5^ne  Sliccarbi  Singeln  au9  ber  ©tein»  unb  Sronje-Spot^e,  »ie  au^ 
gift^figuren  en  relief  unb  en  creux  au9  jlnccbcn  cbtr  Sient^ier^orn 
au9  bet  SWabtlaine  k.  — 3<^  bemerfe  ^ierju,  ba§  Biele  bergl.  ©pi$» 
angeln  an9  bem  JDiluoium  bi9  Je^t  mi§ac^ttt  finb,  weil  bie  »enigften 
©eiterten  nnb  ©ammiet  bie  gifi^ereigerät^e  geljJrig  fennen.  69  ge» 
nugen  aud)  ©pi^angeln  au9  ^olj,  bicfe  b<>t)en  fiib  fteilicb  fo  menig  in 
ber  IDrift  wie  in  ben  ^6^1en  erhalten.  9Rit  bergl.  .^oljfpit^angeln  be» 
ginnen  gemß^nlitb  noc^  je^t  unfere  Änabtn  ihre  SlngelBtrfud^e.  — 
®a9  SKSrfifc^e  SJJufeum  befi^t  2 ft^ßne  ©pi^angeln  au9  geuerftein, 
bie  eine  Bon  mir  in  einer  bet  neolit^ijc^ien  3t>t  angeljßrigen  ©o^n» 
ftätte  anf  bem  Älabomet  ©anbwerber,  einer  3nf«l  in  bet  ^anel  bei  ber 
©tation  ®(^lacbten[ee  }ini{4)en  ©panbau  unb  ip<’t9bam,  bie  anbere  auf 
einer  3nfel  bei  9ieu»0luppin  gefunben.  3"  meiner  „@ef(^i(flte  ber 
gij(berei",  aratli^e  Strickte  über  bie  internationale  giftberei'Slu9ftelIang 
ju  Serlin  1880,  Serlin,  1881,  ©pejialbericbt  übet  bie  ^ifloriftben  Db» 
jefte  bet  Slu9fle0ung,  bilbe  icp  ©.  128  gig.  86—89  ©pi^angeln,  ber 
jüngeren  ©teinjeit  ange^ßrig,  jumeift  au9  ©angen  in  ber  ©cpnei}, 
@.  126,  gig.  64,  eine  ebcnfatl9  fcbmeigerifclje,  ft^t  feltene  ©piftangel 
au9  Sronje  ab,  melc^e  leßtere  bcmeift,  ba§  bie  ©pijangcl  ftt^  bireft 
au9  ber  ©teinjeit  in  bie  SKetaUjeit  bineingie^t.  — üriftan  (2ri|'tant) 
ber  4>elb  einer  au9  bunfler  feltifcber  SJlptbclogie  b^rn^gcgangenen 
bretonifipen  ©age,  »el(be  fpäterbin  mit  jfönig  Slrtu9  unb  feiner  Saftl» 
tunbe  in  Serbinbung  gebradjt  »irb,  ber  ©eliebte  3fi>lbe’9,  ber  @e» 

(SSO) 


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55 


ma^Iin  fdnet  £)5etm6,  beö  JtSnigt  SRarfe  »on  SornvaQil,  gilt  no(!^ 
altft  notbtfcl'n  ©age  aU  ©rfinber  b«fl  Singeln«;  (Sil^art  p.  CXVI, 
ngl.  no<l>  IRublteb  Sragm.  12,  13,  8at.  @eb.  ©.  183;  ferner  Sllwm 
©(fiul^:  ®a8  j^ßfiftfie  geben  gur  3«it  ber  IDlinnefänger.  geipjig,  1879, 
l,  ©.  367  f.  u.  Sing,  für  ®eutf(^«  Sltert^um  u.  3).  gitterotur,  VII, 
1881,  ©.117.  — SSolIIonimen  m^t^ologifc^  flingt  bie  Ueberlieferung 
ou8  ber  ©ubfee,  njonoe^  SJlawi  gum  Seifen  ber  Snfel  3la‘9lfl*3Jla»i 
((^a^tnomawi)  fegelnb,  mit  einer  Änoc^enangel,  nämli(^  ben  ^innbaden 
ber  oon  4)ina  gebotenen  Äinber,  SDlotarili  (SDlorgenftern)  nnb  Siefea^ia^i 
(äbenbftern)  pfc^enb,  burt^  ben  erfteren  Uleufeelanb  au8  bem  SBaffer  gog. 
©aftion:  3)ie  SBere^rung  ber  ^imraeWfcrper.  3«itf<f)r.  f.  St^nctogie, 
Sb.  4,  1872,  ©.  370.  — Der  inbifc^e  ®oft  SBifefmn  angelt  mit  feinen 
6berg4^nen  bie  (Srbe  au8  ber  2iefe  beS  Ocean«  heraus.  — 3Hit  einem 
an  bie  Singel  geftedten  ©tierfopf  fßb’erte  Slfa-S£^or  bie  f<^eu§lid)e  9Jlib* 
garb»S(blange  unb  gie^t  fie  empor,  bi«  fein  Segleiter,  ber  fRiefe  2)mir, 
au8  Sunljt  Bor  bem  ©eeunge^euer  bie  Slngelf^nur  burt^fctneibet  unb 
ibm  fo  gum  @ntf(^lüpfm  nerl^ilft.  9lo(f>  gu  Äonrab  non  ÜJlegenberg’8 
3eit  im  14.  3a^r^unbert,  mar  ber  ®lanbe  nerbreitet,  er  sei  ain  grozer 
▼isch,  der  haiz  celebrant,  dar  auf  ute  daz  ertreich,  und  hab  seinen 
Sterz  im  mund:  wenn  sich  der  weg  oder  umbker,  so  pidem  daz 
ertreich.  (S3u^  ber  9latur.  ^er.  non  Swng  ^Jfeiffer,  Stuttgart, 
1881,  ©.  XXXIX  unb  ©.  107.  ®r  fügt  bingu:  daz  ist  ain  törsen- 
maer  und  ist  niht  war.  — Offenbar  liegt  in  jenem  fübbeutfdjen  Solle« 
glauben  ein  ©rinnerung  an  bie  5Dlibgatbf(^longe , jene«  fifd;attige  Un« 
geheuer,  beffen  Semegungen,  nad>  notbgermanifcfier  Sluff.iffung  bie  6rb« 
beben  ^ernorrufen.  — Der  Slngell>afen  au«  einem  ©tüd  gef^ni^t  ober 
gemei§elt,  erforbert  atlerbing«  bereit«  niel  Ueberlegung;  e«  fcfjeint  aber, 
ba§  bie  ülteften  ^afen  au«  gtnei  ©tüden  beftanben,  au«  bem  ©cboft 
für  an  ben  ein  Splitter  ber  Ärt  angebunben  mar,  ba§  er  mit  bem 
©(^aft  gufammen  einen  SBinfel  ober  ^)afen  bilbete.  Der  ©t^aft  fonnte 
ou«  ^clg  ober  Sein,  bie  ©pi^e  ou8  Stein  ober  Änc^en  fein.  Stu« 
Slftftüden  non  hartem  ^olg  waren  übrigen«  au(^  einheitliche  brauchbare 
Singelhafen  leicht  h^ftellbar. 

16)  St0uier:  ©.  122,  Sifl-  56,  58.  — S<9-  56  ähnelt  einer  im 
alluniaien  2orf  bei  Sago»,  nahe  Sranbenburg  an  ber  ^anel  au8ge« 
grabenen,  au«  |)itf^>  ober  @lenge»eih  gefertigten  Seh^ridnabel,  »eiche 
i>err  non  @r;cleben,  flRitglieb  be«  Deutf^en  Sifth^^i'^trein«,  im 

(S9I) 


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56 


Sa^rf  1872  b«  Setliner  Snt^rol».  @ef.  Dorlegte.  Sgl.  Ser^.  bet 
Serl.  Knlbr.  @ef.,  Setl.  1872,  ©.  131,  in  bem  Seriell  mu§  e«  nii^t 
Sanbom  fonbem  Sago»  feigen. 

17)  Sgl.  S öfter:  Pre-historic  Races  of  the  ünited  States  of 
America.  II.  ed.  Chicago,  1873,  ©.  56  ff.,  »obei  id)  auf  Slnm.  2 
»erweife.  — ®ie  SReufen  anlangenb,  fo  »ermSgen  gewiffe  affen  fo  ge« 
febidte  manuelle  arbeiten  ju  oerriebten,  ba§  man  bem  boeb  unenblitb 
über  ben  Sierbänbem  ftebenben  iDilucialmenfcben  »obl  bie  Operation 
befi  §le<bten8,  fo  »eit  jie  bei  Steufen  in  8rage  fommt,  jutrauen  barf. 

18)  3oIp,  ®.  279,  brüeft  ft^  übet  bie  bi«  in  Srage  fommenbe 
Beit  »ie  folgt  au8:  „3<b  erinnere  namentlich  baran,  bag  man  in  einigen 
®(b»eijer  ©ecanfiebeluugen,  in  SBangen  am  Sobenfee  j.  S-,  fo»obl 
funftreicbe  Sefte  al8  auch  SegbejcbBcrer  ou«  8ebm  unb  Sebbalter  ober 
^ottbßlier  gefunben  bat.  — Bitniliib  oft  trifft  man  in  ben  nämliiben 
f(b»eijer  Pfahlbauten  Steufen  au8  SBeibenmtben  unb  noib  häufiger 
angelhafen  unb  Harpunen  au8  ©tein,  Plufcbelfcbalen  unb  .Dothen; 
auch  eine  anbere  art  oon  angelgeräthen,  »eiche  ganj  fo  auSfehen,  al8 
ob  jte  Bon  ben  Jegigen  ©ingeborenen  be8  Äurileninfeln  ober  ©rönlanb 
gemacht  »orben  »aten  (§ig.  95),  |tnb  ebenfall8  an  Berfcbiebenen  fünften 
©fanbinaBien8,  granfreicb8  unb  3talien8  entbeeft  »orben.  — Plan  fieht, 
bie  gifebgeräthe  entfpreeben  febon  in  bet  Urjeit  bem  3»ecf  bet  gifeb« 
Borgüglicb,  benn  fie  »aren,  »ie  bie  unfengen,  mit  .J)citcben  nerfehen,  bie 
ftcb  in  ben  ©aumen  ber  fich  feftbei§enben  Seutc  einhaften  unb  fie  feft> 
hielten.  ©Ben  9liljfon  hat  fteineme  ein«  ober  mehrriQige,  feht  febön 
polirte  angelfcbnurgewichte  abgebilbet.  („S)ie  Ureinwohner  be8  ©fanbi« 
naoifeben  9lorben8",  5Eaf.  II,  gig.  31 — 35*.  — IDer  gijebfpeet  ber 
©cbofcbonen.Snbianet  in  Sorbamerifa  ift  ein  fehr  einfacbe8,  ftnnreicb  «• 
bacbte8  SBerfjeug.  IDie  ©pi^e  befteht  au8  jtnoeben  unb  ift  in  ber 
Plitte  an  eine  fleine,  ftarfe  ©ebnur  befeftigt,  bie  bann  »ieber  et»a  ^»ei 
gu§  tiefer  an  ben  ©chaft  gefnüpft  ift.  am  Borberen  @nbe  biefet  Spifee 
fängt  eine  fleine  au8höhlung  an,  »eiche  ftcb  bi8  an  ben  äugerften  Sunft 
berfelben  erftredt;  fie  ift  gang  flach-  3»  biefe  Stählung  »irb  ber  untere 
3^eil  be8  ©^afte8  gelegt.  Ser  ©ebaft  befteht  au8  leichtem  9iohr  unb 
ift  ungefähr  10  gu&  lang.  3ft  ber  gifeb  getroffen,  fo  »irb  bet  ©chaft 
h«au8gegogen  unb  bie  ©ebnur  jerrt  bann  bie  Änoebenfpige  in  eine  ent- 
gegengefegte IRicbtung.  Sie  gifebnege,  beftehenb  au8  bem  Seutel«  unb 
©cblagneg  »erben  au8  Stinbe  gefertigt.  Sie8  Slaterial  liefert  einen 

(SM) 


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57 


l'e^T  ftarftn  gaben.  0o^e  9le$e  ftnb  inbeffen  ben  »eftlic^  nom  SJiadenjie 
voi^ntnben  9lotbe5Ifern  unbefannt.  9%i(^arbfon’<  Arctic  Expedition, 
vol.  II,  p.  25;  ©tt  3o^n  üubbotf:  2)ie  ootgefd^idjllit^e  3«t-  ®eutf(^) 
con  Raffern.  2.  üb.  1874.  ©.223.  — ©inen  gije^fte^et  aue  ©leb- 
geweib  mit  gcuerfteinfplitter-Sinfäben  non  2)irwangen,  ^roninj  Oft» 
Preußen  »gl.  bei  SBujaf  u.  Sprotbmann:  55reu§.  ©teingerötbe.  üEaf.  V, 
gig.  11  unb  Setliner  Sld8ft.»Sat.  1880,  ©.  428. 

19)  Äbgebübet  bei  9IUffon:  ©teinjeit,  gig.  28  u.  29. 

20)  9Ulffon:  gig.  20,  au8  einem  ©(bonenftben  Jorfmocr.  ~ 
griebel:  ®ef(b.  bet  gif(betei,  a.  a. 0.  gig.  80,  81,  82,  ©.  128,  eben» 
bafelbft  gig.  92  ein  lDoppel»2(ngeibafen  auS  einem  ©ebueijer  ©ee. 

21)  SgL  bie  betreff.  Angaben  in  9(nm.  15. 

22)  griebr.  ».  .^ellwalb;  Äulturgef(bi(bte  in  ihrer  natürli(ben 
©ntwidelung.  1875.  ©.  43.  — S*ftb*I‘  SSöIIerfunbe  ©.  202  ff. 

23)  „2)ie  ©uionen,  alfo  bie  Sorfabten  bet  ©tbrneben  unb  9lot» 

mannen,  lannten  3U  2acitu«  Seit  (um  117  n.  6b*-)>  ®*r» 

mania  44  au8brü(fli(b  fagt,  ben  gebrauch  ber  ©egel  no(b  ni^t,  eben» 
fonjenig  bie  ©nriebtung  gefcbloffenet  JRuberbänfe;  Sorbet»  unb  |)intet» 
tbeil  mar  bei  ihren  ©ibiffen  nicht  gefebieben,  fo  ba^  fie,  ohne  ju  wenben, 
überall  lanben  fennten.  ©olcbe  altnorbifcben  j^äbne  mosten  jur  gabrt 
3tcif(ben  ben  Snfeln  unb  in  ben  Selten  unb  giorben  geeignet  fein;  im 
^cebfommet  festen  fte  »ieDeicbt  »on  bet  Snfel  ©otblanb  in  ben  finni» 
feben  unb  rigoifeben  SWeerbufen  hinüber;  aber  erft  mit  ber  au8  ©üben 
gefommenen  Seebnif  be«  ©egeltucb«  unb  be8  6ifen«  fam  bet  9Jtutb  3U 
ben  »eiten  S)ifinget3Ügen.  ^o8  beutfebe  38ort  ©egel,  agf.  segel,  altn. 
segl,  im  ©ennanifeben  bunfel  unb  frembartig,  ftammt  Wohl  au8  bem 
Äeltifcben  (altirifcb  aeol,  s6ol,  mit  unterbrüeftem  gutturalem  Snlaut). 
i'itauer  unb  $olen  entlehnten  »ieber  bab  beutfebe  ©egel,  litauifcb  ieglas, 
polniftb  iagiel,  bie  Söbmen  halfen  ftcb  mit  ber  SBenbung;  ©tücf  Sein» 
»anb  ober  SBinbfang,  bie  ©übflaoen  brauchten  ©<bo§  für  ©egel,  bie 
Sinffen  nahmen  bab  grieebifche  tftipog  in  ber  gorm  parus  an  — lauter 
fpöte  ©praebprobufte.*  Sgl.  Sictor  ^>ehn:  Äulturpflan3en  unb  4)aub» 
thiere  in  ihrem  Uebergange  aub  Elften  nach  @riecbenlanb  unb  Stalien 
fo»ie  in  bab  übrige  6uropa.  2.  Slufl.  1874,  ©.  160  ff.  — Sn  ber 
Shat  haben  fp&ter  bie  IBenben  an  bet  Oftfee  »on  ben  heibnifchen  ©fanbi» 
na»iem  unb  ben  chriftlichen  IDeutfcben  bie  ©eefebifffahrt  unb  ben  ^oeb» 

(*9J) 


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58 


feefifc^fang  geirrnt,  lod^tenb  fte  ctgnitlic^  ein  Sdabau*  unb  SIn§ftf(^fang 
trribenbeb  93olI  uaren. 

24)  ißgl.  ^tiebel:  Scrobicularia  piperata  unb  Balanus 
improTisus  tm  9la^ri(bteblatt  ber  beutfc^m  ^alafojoolog.  ®rfenf(b<tf^ 
K.  1872.  ©.  82.  — 6.  griebel:  ©rläuteningen  ju  einet  ©atnmlnng 
uigefcbidptlit^er  unb  »orgeft^ic^tüc^eT  ®egenftdnbe  au8  ber  Umgegenb  non 
@reifemalb,  im  (Satalog  bei  3.  »om  baltifi^en  @entral*iBeieitt  für 
Sl^ierjuc^t  unb  S^ietfcbub  neranftalteten  ^uA^edung  Dom  11.— 15.  fOlät} 
1881.  <3. 1— VI.  — @.  g liebet:  J^ierlebeu  im  SReer  unb  am  ©tranb 
Don  91euDOTpommern,  in  ber  3eitf<^nft  ,!Der  3oDlogif4»*  ©arten" 
Sfl^rg.  XXIII.  granffurt  a.  9R.,  1882,  ©.307,  fomie  in  ben  9la<^)» 
trägen  ju  biefem  äuffa^.  XXIV.  1883,  ©.  105  flg.  — SSergl.  enbli^ 
®.  griebel  in  ben  93erl^.  ber  ^Berliner  Slntbrcp.  ®ef.  1882,  ©.214 
unb  S.  griebel:  3ur  ^ommetfcben  SGBeii^t^ierfauna , 9la(^ri(^WbIatt 
ber  b.  malafojool.  ©ef.  1882,  ©.  87. 

25)  ^u4  ber  fe^r  ungemein  weitfc^ic^tigen  Literatur  bet  bänifc^ien 
ÄJöHenmjbbinger  fü^re  ic^  nur  @inige6  an.  8peII:  a.  a.  D.  ®.  ff. 
— ©eilie:  a.  a.  O.  ©.  365  ff. — ©ir  3o^d  8ubbod:  JDie  Dorgefc^. 
3eit,  I,  ©.217  ff.  — 3d?  b<*be  bereit«  in  meinem  Stuffa^:  gif<b»ff*n 
in  ©fanbinaoien  unb  ©cf)le«»ig*^)oIftein,  Sirculare  be«  beutfdjen  gif(f>etti» 
SSerein«,  1874,  ©.  88  betont,  ba§  mä^renb  bie  Unterfuc^ungen  ©teen» 
ftrup’a,  got(^^ammet’8,  SBorfaae'«  erft  feit  1847  batiren,  fx(^  be» 
reif«  im  3a^re  1844  bei  Oer  ft  eb  in  feinet  flafftfc^tn  JDiffertation 
Oe  regionibus  marinis.  Elementa  topograpbiae  historico-naturalis 
Freti  Oereaund.  p.  19  eine  at(bäoIogift^  erfic^tlid^  faum  beacfitete 
©(flilberung  Don  3 ©4)i(f>ten  eine«  .^ügel«  bei  IBillingebael  finbet: 
a)  stratae  areoae  vagae;  b)  stratum  animalium  mariDoram.  — ln 
colle,  ab  ora  remoto,  per  quem  via  ducta  est,  stratum  fossilium 
quae  specierum  nunc  mare  babitantium  sunt,  Buccini  undati, 
Fuai  antiqui,  Littorinae  littoreae,  Cardii  edulis,  Cyprinae  islandicae 
et  aliorum  magna  multitudine  stratorum  arenae  borizontalium 
(a)  incluBum  cernitur;  ut  primo  aspectu  effectus  maris  invenire 
nobis  videamur.  Diversa  vero  animalia,  quae  in  tarn  diversa 
profunditate  vivunt,  quam  Cardium  ed.,  Cyprina  isl.,  res  arti- 
ficiosae  quae  ibi  adsunt,  inprimis  magna  carbonis  mul- 
titudo,  aliaque  bis  similia,  facile  nobis  persuadent,  hunc 
collem  cumulum  arenae,  qui  Klit  appellatur,  esse,  ut  ostendat, 

(I«) 


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59 


quantopere  effectus  aeris  maris  effectus  imitari  poasint.  — !Bic 
b mit  ibten  ©peifeconApIien  unb  ürtrfactrn  bärfttn  ni(^t<  aU 
bte  jtiSffrnmdbbing  rineS  »orgefibic^tlic^rn  gifc^ecoolfd  fein. 

26)  ®.  Sriebel:  JDie  ÄjöHenmobbinget  bet  SBeflfee, 

für  ®t^nologie,  1,  0.  82 — 85.  — ®.  giiebel:  ^öblenbauten  and  bei 
Jüngeren  0teinjeit  auf  0plt.  3«if4>r-  ber  @ef  für  ©tbfunbe,  S)b.  IV, 
1869,  0.  259 — 266.  — n.  4>eli®alb:  !£er  oorgef4ii(^tl.  üJlenfct, 
II.  «ufi.,  0.  503  unb  524. 

27)  gor4)^ammer:  lieber  bie  SSeftanbt^eile  beJ  9JJeet»affer«, 
feine  0trcmungen  unb  beren  @influ§  auf  baS  jllima  ber  jlüften  ncn 
9lotb*6uropa,  im  amtl.  Setiebt  übet  bie  24.  9laturfcrf(ber»3Serf.  ju 
Äiel,  1847. 

28)  ® re»  in  gl:  JDaJ  fölergellaget  »on  Äunba  in  Sieulanb. 
IDorpat,  1882. 

29)  Dr.  D.  2i|'(bifr:  ©eitrüge  jut  Äenntnig  bet  0teinjeit  in 
Dflpreugen  unb  ben  angrcnjenben  ©cbietcn.  0(briften  btt  p^püfolift^* 
äfoncmifdjen  @ef.,  Sa^rg.  XXIII,  Ä6nig8b.  1882.  Stußcr  Äfcttcn- 
mcbbinger  fommen  bi*  rcidien  gunbe  Den  ©emfltin  in  ©etraebt, 
ben  bie  gif(berftämme  bet  ©orjeit  funftpoU  )u  bearbeiten  oerftanben. 
JDie  grc§artigen  ©aggttungen,  »el(be  bie  gitma  0tantien  & ©edet 
im  jtutifiben  4>aff  not  bem  Sabeort  0cb»aticrt  im  neclitbiftben  SlUu* 
»ium  Bornebmen  lä^t,  haben  Botjüglitbe  ©emfteinarbeiten  geliefert. 
SDiefe  ©emfleinfad)en  fommen  nur  an  gewiffen  0teÜen  be«  4>aff8  Bor 
unb  finb  »obl  bei  0turmflutben,  »eltbe  übet  bie  9lebrung  fortgingen, 
im  .{>affgrunbe  abgelagert  worben,  ©gl.  Dr.  fRicbatb  Äleb«:  fDet 
©ernfteinftbmud  ber  ©teinjeit  oon  ber  ©aggerei  bei  0(b»arjort  unb 
anberen  2ofoIitSten  ©reugenS  ic.,  ©ebriften  btt  pbbf.'üfcn.  @ef.  ju 
Äßnigabetg,  1882  unb  ©ttliner  Slu0fteIlung8»ÄataIog , 1»80  , 0.  394 
bU  397. 

30)  ©irtbom  in  ben  ©erbanblungen  bet  ©erl.  3lntbrop.  @ef., 
1880,  0.  339  ff. 

31)  gojiet:  a.  a.  £).  3.  156 — 164. 

32)  6ine  ftböne  ©ammlung  primititer  gifebereigerütbe  au8  9lorb* 
9merifa  war  auf  ber  ©erliner  Snternationalen  gij(berei»Äu8fteHung  oom 
Sabre  1880  jufammengebraebt.  ©gl.  G.  Brown  Goode:  Exhibit 

(S95) 


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60 


of  tbe  Fisherics  and  Fisb  Culture  of  tbe  United  States  of  America, 
made  at  Berlin  in  1880.  Washington  1880. 

33)  Charles  Rau:  The  Archaeological  Collection  of  the 
United  States  National  Museum,  in  Charge  of  the  Smithsonian 
Institution,  Washington,  D.  C.  Washington  City:  1876.  ©.  27, 
63,  64,  67. 

34)  S3et^.  bet  S3erl.  Slnt^rop.  ®ef.  1877,  ©.  143;  1871, 
©.  29;  1873,  @.  19  ff. 

33)  gofter,  164—168. 

36)  4>.  SDleffifcramet  fils:  gifd^ereigerät^e  bet  ^fa^lbauet,  in 
„Slntiqua",  Unter^altungflblatt  für  greunbe  bet  9l(tert^um8funbe, 

1883,  9lt.  1,  ©.  4 ff.  — 3n  bem  flfa^lbau  non  ^oo8feebotf  fanbra 
ft^)  u.  21.  5 ^)ornl^arpuiien.  9ubbod:  2)ie  cotgtft^.  Seit.  I.  @.  11. 

37)  ?ubbocf:  2)ie  Borgefc^it^tl.  Seit.  I.  ©.  171  ff.  — M.  Troyon: 
Sur  les  Habitations  Lacustres.  — ®.  ®efor:  2>te  Pfahlbauten  befl 
9leuenburget  ©eefl.  — SRutimeper;  .Unterfuchung  bet 

ben  Pfahlbauten  bet  ©(hweij*  unb  „Die  gauna  bet  Pfahlbauten  in 
bet  ©chweij." 

38)  (Srwähnt  fei  noch,  bah  bie  2Baffemu§,  Trapa  natans,  eine 
fchuimmenbe  Pflanje,  beten  mehliger  item  ben  Pfahlbaufifchetn  al8 
9Iahrung  gebient  ju  hoben  fcheint,  in  ben  ffeinjeitlichen  gifcherftatten 
non  9Roo8feebotf  unb  Siobenhaufen  norfommt.  Die  Pflanze  ejciftirt 
lebenb  in  bet  ©chmeij  anjcheinenb  nur  noch  an  einet  ©teÜe.  @ine 
gtöhere  ncrwanbte  ©pecieä  wirb  non  bet  gifchetbenßlfcrung  in  gewiffen 
®egenben  (ShinaS  noch  le^t  al8  9Iebenprobuft  eingefammelt  unb  ähnlich 
ttirthfchaftlich  nerwerthet.  Die  umfänglichfte  2(rbeit  über  bie  einjchläg« 
liehe  glora  ngl.  bei  4>eet:  Die  Pflanzen  bet  Pfohlbauten. 

39)  SSgl.  (Srnft  griebel:  gührer  but^  bie  gifcherei*2tbtheilung 
be«  IDlärfifchen  ProninjiahPlufeum«,  Serlin,  1880,  ©.  30.  — Da« 
Plärfifche  Plufeum  ift  reich  an  bergl.  bronzenen  gif^erei.®eräthen.  — 
Da8  S(.  ülntiquarium  ju  töerlin  beRht  eine  bronjene  2lngel  mit  SBibet* 
hafen,  au8  bem  Pachlah  be«  Dbriftlieutenant  ©chmibt  1846  erworben, 
be«gl.  eine  au8  ®ethatb'e  Pachla§  1869  erworben,  eine  bergL  ohne 
SBiberhofen,  eine  bergt,  complicirter  mit  2 größeren  unb  4 Heineren 
.^afen,  wohl  jum  2lalfang,  nier  Pabeln  3um  Pehftriden,  fämmtUdh  bei 

(396) 


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61 


6(«ee  gtfunbtn.  9ue  ber  ®ammlnng  SDUnutoIi.  £)b  alle  foI(^e,  btel* 
fac^  au(^  in  anberen,  öffentlichen  wie  privaten  @antmlungen  corhanbenen 
bronzenen  gif<hereigeräthe  fämmtlich  bet  engem  ©ronjejeit  angefiSren, 
bleibt  felbftrebenb  babingefteDt.  pftfßnlicb  h®*’*  feinen  Sweifel,  ba§ 
bie  IRömer,  al<  fie  Slbtüc  von  ©etmanien  bebeirfchten,  noch  mehrere 
Sahrhunberte  nach  ©^8'""  «nferer  3«itrechnung  theilmeife  noch  bronzene 
Singelhafen  benuhten,  getabe  wie  noch  Jebt  folche  aufl  SWeffing  gefertigt 
merben,  »eil  manche  Siebhaber  Slngelgerfith  aut  bergl.  IDletall  bem 
leicht  roftenben  Sifen  Vorlieben.  S3gl.  Dr.  S.  gtiebetichö:  jfleinere 
Äunft  unb  Snbufttie  im  Slterthum.  ©üffelborf,  1871,  ©.  253  ff.  — 
Slbbilbnngen  von  bronzenem  Slngelgeräth  ber  @ch»eii  h®i>‘  i<^  gegeben 
ln  meiner  ©efchichte  ber  gifcherei  k.,  ®.  126— 128.  — Sgl.  auch 
bafelbft  ®.  99  ff.  Sin  gifchangeln  befinben  fi^  aut  ben  ©chweijer 
Pfahlbauten  von  Sibau:  189,  SiSringen:  12,  Sftavaper;  43, 
6ortillob;  71,  ßorcelettet:  10,  Sluvernier:  2,  in  einer 
©ammlung.  SubbocJ:  2)ie  vorgefch.  Seit-  I.  ©.  12  unb  41. 

40)  Sgl.  ©trobel  unb  v.  SJlartent  in  Serh.  ber  Serl.  @ef. 
für  Slnthrop.,  V,  1873,  ©.  19  ff.  — ©trobel;  ®ie  Serremare.  Sr.  7, 
Sb.  III  ber  9Jlitth-  ber  Slnthrop.  @ef.  in  SÖien.  — IDerf.:  Le  valve 
degli  Unio  nelle  Mariere  dell’  Emilia  e nei  Paraderos  della 
Patagonia. 

41)  6.  griebel:  lieber  bie  Serwenbung  ber  ©ügwaffermufchel- 
thiere  alt  ©ch»einefutter  in  Sorbbeutfchlonb,  Seth-  ber  Serl.  Slnthr. 
@ef.,  1873,  ©.  23.  — 6.  griebel:  2)ie  lebenben  SBofferthiere  auf  ^ 
Internat.  gif^erei-Slutft.  ju  Serlin  im  Sahre  1880  in  bet  Seitfchr- 
„3)er  Soolog.  @artm"  1880,  @.  326  ff.  — gerner  bafelbft  1874, 
©.  100  bit  102;  ferner  6orref ponbenjblatt  bet  ©eutfchen 
gifcherei»Sereint,  1874,  ©.  88;  ferner  @.  griebel:  ©efchichte  ber 
gifcherei  auf  bet  intern.  gifch.«3lutft.  von  1880,  ©.  302. 

42)  ®.  griebel:  ©efd).  bet  gifcherei  a.  a.  O.  ©.  102. — ^)aupt» 
cotalog  ber  intern.  gifch.-Slutft.  von  1880,  ©.33.  — Serh- 
ber  Serl.  Slnthtop.  ®ef.  1873.  ©.  19. 

43)  ©chliemann:  Slict,  ©tabt  unb  8anb  ber  Srofoner.  Seipjig 
1881,  ©.  579,  unb  Sirchom’t  Sotijen  bafelbft  ©.  133  ff.  — Sergl. 
auch  Sirchom  in  Serh.  ber  Serl.  Slnthrop.  ®ef.  1880,  @.  263,  267 
bit  269  unb  @b.  von  Startent  im  Seri^t  über  bie  ©i$ung  ber 

(S»7) 


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62 


Okfellfd^ft  natuTfor{(^enbeT  ^reunb«  ju  Snlin  »om  17.  3uni  1879, 
®.  86 — 93.  — 6.  STtebd:  @efcb.  b«r  gifi^erri,  ®.  116  ff. 

44)  35ie  eingflnen  ©pede«  fie§e  in  tnetnti  ©ffd^ic^te  bet 
gijdjetei  jc.  ®.  118. 

45)  SSjl.  ®tnft  gtiebel:  ©te  ©tein«,  Sronje»  unb  ©ijeiytit  in 
bet  SRaif  l^tanbenburg.  iBetlin  1878,  ©.  32  ff. 

46)  ®.  gttebel:  @ef(bi4te  bet  gi|(fcetei,  ©.  103  ff.  — 4>et« 
botb’4  Seben  be4  93if(^of4  £)tto  non  ä3ambeig,  II,  Aap.  24, 
1 unb  41.  — S3Io(b:  Cefonom.  9Iatutgef4).  bet  gtfcpe  ©eutfc^Ionb«, 
I,  ©.  127.  — SBit(^Dtt):  ®trculate  be«  ©eutfc^en  gif(^erei*93etein#  im 
3a^te  1873,  ©.  149.  — ®.  gtiebel:  ®enetal'9eri(^t  übet  bie  gift^tei* 
2ln<ften.  jn  Serlin  im  3«^te  1873.  ®ott.*Sl.  be«  ©eutft^.  gijc^etei* 
’Betein«,  1873,  ©.  75. 

47)  ®.  gtiebel:  @cf(^.  bet  gif^etei,  ©.106.  — 6ort.«SI. 
be«  ©eutfc^en  gif djetei.Sßetetn«,  1881,  ©.58  ff.  — ®.  gtiebel: 
gurret  bur4»  bie  giftf)etei.2lbt^.  be0  fÖlärl.  j)tou.>9)Iufrum0,  ©.  17  ff. 

48)  ®.  gtiebel:  ©ie  ©tein«,  SBronje«  unb  Sifenjeit  jc.  ©.42. 
— ®.  gtiebel:  gürtet  jc.,  ©.  32.  — 3ln  Äie^en  finb  u.  Ä.  »ot* 
^anben  ober  »erben  bod)  erwähnt  in  bet  ^rooinj  Branbenbutg  unb  811t» 
marf:  1.  Branbenburg  mit  2 jUe^en  (fD)atfgrafen»jIie^  unb  j(ie^  eon 
bet  8lltftabt»2Bolti^ ; 2.  Bee0fo»;  3.  Biefent^al;  4.  ©liefenborf  in  bet 
Saucf^e;  5.  Scpenid;  6.  ©renfe;  7.  ©riefen;  8.  gabrlonb;  9.  grant» 
furt;  10.  greienmalbe  a.  D.;  11.  ®öriö,  2anb  2ebu4;  12.  @r£ben  im 
Jelto»;  13.  Äüftrin;  14.  ganbsberg  a.  9B.;  15.  8ebu0;  16.  Sii^ten» 
berget  Äieft  bei  Berlin;  17.  8uno»,  Ucfermart;  18.  Dberbetg; 
19.  $ot0bam;  20.  ^rigDalf;  21.  fRat^no»;  22.  IRet^;  23.  Di^ino»; 
24.  bei  ©4iorin  je^t  fDIacquarb;  25.  ©panbau,  j»ei,  alter  unb  neuer; 
26.  ©onnenbutg,  2anb  ?ebu8;  27.  ©toljen^agen,  Udcrmatf;  28.  ©tran§« 
betg;  29.  ©d)webt  a.O.;  30.  Sangermünbe,  SlltmatI;  31.  3ßffn<; 
32.  ajtieaen. 

49)  Äßnig:  Betfucb  einet  ^iftorif(^en  ©(fjilbetung  bet  SReffbenj» 
ftabt  Berlin,  1792,  Bb.  I,  ©.  7.  — ®.  gtiebel:  @ef(f)i4te  bet 
gifc^erei,  ©.  115. 

50)  ^)omct:  31»«  V,  708  u.  7d9.  — Slt^enaeu«  1,  16,  Onib, 
gaft.  6,  173:  Piscis,  adhuc  illi  populo  sine  fraude  natabat.  Varro 

(S»9) 


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63 


b<t  Non.  p.  216.  H.  Bücbeler  p.  211:  Nec  multinummus  piscis 
ex  salo  captuB  Helops  neque  ostrea  illa  magna  Baiana  quivit 
palatum  suscitare.  — 0edet’S  ®aQn<,  III.  3.  @.  236. 

— 3-  SDlarquorbt:  4>anbb.  ber  IRöm.  Slltert^ümer.  VII.  0b., 
2.  35a«  ^tieatlfbett  bet  Süötntr,  1882,  ©.416  ff. 

51)  ^erobot,  V,  16. 

52)  Sula«,  5,  1 — 11.  — H.  B.  Tristram:  The  Natural 
Histoiy  of  the  Bible.  III.  ed.,  1873,  p.  289. 


(399) 

Stutf  noii  (Sebt.  Unflft  (Jl|.  (Sirimni)  in  Serlin  SW.,  ©(fionebergerftt.  17a. 


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4 


J)er 

SottesdtenPt  in  #fympio. 


S3  0 r t r a 9 

Don 

Dr.  ßKbniig  Sltitiget, 

6(i)ntnan(ilbireftor  in  äBeimar. 


firtU«  SW.,  1884. 

SSetlag  Don  @arl  ^abel. 

(C.  (0.  Bttligilra4i|iaiibIiiDg.) 

33.  . etrab«  33. 


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Saä  9tec^t  ber  Ueberfe^ung  in  ftembe  Sprachen  lohb  Dorbe^alten. 


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^ie  9Ratutforf(^ung  unferet  Slage  ^at  erfannt,  ba§  in  bcn 
gißten  untetirbifc^er  Äo^Ienlaget  ©onnenwärmc  unb  Sonnen» 
H(^t  ber  Urgeit  aufge{)}et(^eTt  liegen,  »el^e  bereinft  ftattlici^en 
33aumtt)ud^S  auf  bet  @rbe  ergeugt  ^aben.  ÜJienft^Iid^e  betrieb» 
famfeit  fßrbert  biefe  j^räfte  in  ©eflalt  beS  fß^wargen  Stenn* 
ftoffeö  au8  bet  Stiefe  »ieber  empot,  unb  inbem  »it  unfete 
Sitnmet  feigen  obet  baS  IDunlel  bet  2öintetnä(bte  et^eDen,  ge» 
langt  bie  gebunbene  ©onnenftaft  utweltlit^et  Seiten  gu  neuet 
JBitf  famfeit. 

@in  a^nlid^et  Sotgang  finbet  ftatt,  wenn  bie  ^anb  be8 
Borfd^etS  au0  Stümmetftätten  be8  Slltett^umS  ^unftgebilbe  längft 
entfcbmunbenet  ©ef^led^tet  an  ben  Sag  ^olt.  HJiädbtis^  Hebet» 
tefte  Don  @tgeugniffen  e^emaliget  ®eifte8bilbnng  liegen  an  ben 
einftigen  SESo^nfi^en  begabtet  Sollet  ^iet  unb  ba  untet  bet 
fd^ü^enben  .^ülle  bet  @tbe  oetbotgen.  grob  @ntbedfung 
graben  unfete  @elel)tten  biefe  merfmütbigen  SEBetfe  bet  Set» 
gangenbeit  miebet  au8  unb  bringen  fie  mitten  hinein  in  ba8 
geben  bet  ©egenwatt.  lDut(b  3ei<bnung  unb  Sefdbreibung  met» 
ben  Saufenbe  mit  ben  gunbergebniffen  befannt  gemacht,  unb  fo 
gef^iebt  e0,  ba^  bet  in  ben  ©ebilben  bet  Sotfabren  gebannte 
ÜHenfdbengeift  gu  neuem  geben  erwadbt  unb  noch  einmal  fein 
gidbt  übet  »eite  Äteife  unb  ferne  Seiten  leuchten  läfet. 

3Bie  reichlich  folth  neugetoonnener  SilbungSftoff  bet  auf» 

XIX.  MS.  1*  (WS) 


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4 


geiDanbten  (o^nt,  ift  ni(^t  gu  ermeffen.  9(u^  bte  großen 

Ausgrabungen,  welche  baS  beutfc^e  SRet(!^  an  ber  Stätte  beS 
alten  Olpmijio  fe(^8  Sa^re  ^inbur^,  »om  ^lerbft  1875  biS 
gum  ^^ja^r  1881,  mit  einem  Aoftenaufwanb  non  übet 
600  000  ÜDlarf  oeranftaltet  ^at,  ^aben  einen  unf^ä^baren  ®e> 
toinn  gebracht,  ^eilid^  flnb  bie  erjten  (Smartungen  OJlan^et 
getäufd^t  worben.  9Ber  geglaubt  ^atte,  man  werbe  ein  griec^t« 
fd^eS  ^omijeji  ■ ftnben , mit  ftolgen  £em))e(n,  i>räd^ttgen  .fallen 
unb  einet  güQe  non  ©ebilben  aller  .fünfte  in  fo  wo^ler^altenem 
Suftanbe,  wie  bie  campanifc^e  ^leinftabt,  unb  äu^erlid^  ebenso 
glängenb,  ber  ^at  feine  Hoffnung  nid^t  in  Erfüllung  ge^en  fe^en. 
3)et  Anblid  beS  unge'^eueren  StümmerfelbeS  wirr  untereinanber* 
geworfener  Steinblödte,  wie  eS  bur(^  bilblidbe  ©arftellung  be« 
Tannt  geworben  ift^),  mac^t  einen  entmut^igenben  @inbrudf. 
Au(b  wer  bie  gefunbenen  ^nfiwerfe  muftert,  finbet  wenig 
barunter,  waS,  wie  bet  .^ermeS  unb  bie  Siegesgöttin,  butd^ 
überwältigenbe  SRadbt  ber  Sd^ön^eit  beim  erften  Anblid  ge« 
fangen  nimmt.  Allein  eS  wäre  t^öridf)t  na<^  oberfläc^lid^er 
SBabme^mung  gu  urtl^eilen,  wo  fc^on  bie  IDlaffe  beS  Aufgefun« 
benen  mit  Sid^er^eit  erwarten  lä§t,  ba§  oieleS  @ingelne  barunter 
Bor'^anben  fein  wirb,  weites  in  irgenb  einer  ^infic^t  eigen« 
artigen  2öert^  befi^t. 

^enn  unS  bet  berühmte  grie^ifc^e  ^eftort  nid^t  in  einem 
Suftanbe  erhalten  würbe,  bet  bem  ber  oerfdbütteten  Stäbte  am 
IBefuo  entfpric^t,  fo  finb  baran  bie  Sc^idtfale  fc^ulb,  weld^e 
über  benfelben  nodb  nac^  bem  SSerfaOe  ber  ^edenifc^en  93ilbung 
»erbangt  gewefen  finb.  @8  bat  fi(b  betöuSgefteQt,  ba§  bie  be» 
beutenberen  3fiefte  beS  alten  Olpmpia  in  ben  frübeften  Seiten 
beS  SDlittelalterS  burdb  3Renftbenbanb  unb  dlaturgewalt  gum 
großen  $beile  »emidjtet  würben.  9iadbbem  im  3abtc  393  un« 
ferer  Seitrecbnung  gum  lebten  Sölale  bie  Spiele  gefeiert  waren, 

(404) 


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5 


^at  no(^  me^me  3a^T^unberte  lang  eine  ^eruntergefommene 
93evölferung  an  bem  alten  ^eftorte  geno^nt  unb  mancherlei 
SBechfetfälle  in  Jhieg  unb  ^rieben  erlebt.  Silbung  unb  äBobl* 
ftanb  ber  früheren  Seiten  maten  längfit  bahin,  überbied  war 
burch  baS  @hi^iftenthum  bad  33erftänbni§  für  bie  j^unftergeugniffe 
ber  9(ten  abhanben  gefommen,  benen  faft  immer  bie  hcibnifche 
8eben0anf(bauung  anhaftet,  unb  bie  9ioth  ber  Beiten  lag  fchwet 
auf  ben  SRenfchen.  Sieben  au^  bie  SRaubjüge  germanifdher 
tBülfer  non  beweglichen  @)egenftänben  äu§eren  SBerthS  nur  wenig 
gurüd,  fo  befanb  ft^h  bo^  immer  noch  ein  unerfchöpflicher  (Reich» 
thum  bebeutenber  ^unftwerfe  an  Drt  unb  ®teOe.  ülber  rücf» 
fichtSIoS  bebienten  fich  bie  Einwohner  beffen,  waS  fie  für  ihre 
nächften  8ebenSbebürfniffe  brauchen  fonnten:  eherne  S3tlbwerfe 
unb  @eräthe  würben  eingefchmoljen,  SRarmorarbeiten  eblen 
©tpl8  in  bie  Äaltöfen  gefchleppt  unb  ju  (Diörtel  gebrannt,  mit 
welchem  man  bie  SBruchftücfe  ber  alten  ^errlichfelt  ju  fchlechten 
Raufern  unb  33ertheibigungflwänen  oerfittete.  3n  folcher  SBeife 
lebte  man,  wie  ÜRüngfunbe  erweifen,  bis  gegen  @nbe  beS  fechften 
SahrhunbertS  lümmerlich  bahin.  (Roch  Ranben  bamalS  bie  großen 
Stempel;  benn  weber  S3recheifen  noch  oereinte  @ewalt  ber  SHrme 
war  im  @tanbe  gewefen  bie  ungeheuren  Sßerfftücfe  auS  bem 
feften  ©efüge  ber  (Borgeit  h^rauSgulüfen.  Slber  bie  Elemente, 
welche  ba8  @ebilb  ber  SRenfchenhanb  hoffen,  oollenbeten  enblich 
bie  längft  begonnene  Setftörung.  SDie  fur^tbaren  ©rbbeben  oon 
521  unb  551  nach  welche  in  93orberafien  unb  ©riechen« 

lanb  ganje  ®täbte  oernichtet  hnben,  ftürjten  in  wenig  ISugen» 
blicfen  bie  Sauten  ber  QRenfchen  um  unb  warfen  bie  ftolgen 
Säulenreihen  gu  Soben.  (Roch  h^ul^  liegen  bie  mächtigen  Slöcfe 
auf  berfelben  Stelle;  au8  ben  leicht  »erf^obenen  Steintrommeln 
be8  3eu8tempel8  lä^t  fich  ba8  frühere  9lu8fehen  noch  beutlich  er« 
Tennen,  unb  gewih  wäre  e8  möglich  einen  großen  Sh^t^  Säulen 

(4051 


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6 


«noerfe^rt  am  ölten  'Stanborte  »lebet  oufjuricbten.  SSergftütje 
unb  IRegengüffe,  »el^e  baS  @ibreicli  bet  naben  |>5ben  b^tab* 
f))ütten,  vor  tSQem  bie  Ueberf^»emmungen  bei  betben  Ströme, 
»elcbe  Dlpmtjia  von  }Wei  Seiten  einfcblie^en,  besten  na^  unb 
nach  eine  f(bü^enbe  .^üQe  von  Sanb  unb  Schlamm  übet  bie 
Srümmevmelt  *). 

Untei  biefet  IDecfe  b<>i  fi^  unoetjebtt  gelegen,  biS  nach 
mebi  als  taujenb  Sabren  bie  ;^bpetboteet  bet  DReujeit  beftimmt 
»aten,  bie  eblen  9iefte  beQenif^en  ülltettbumö  »lebet  anö  Siebt 
gu  boien.  Unb  bie  beutjeben  ^otfebet  finb  fi^  bet  Sebeutung 
ibteö  Sbunö  lebt  »obl  be»ubt  ge»e|en.  IDenn  |o  grob  auch 
bie  Setflörung  erjebeint,  unb  |o  »enig  bad  ©efunbene  bureb 
@lang  unb  IReicbtbum  gu  blenben  vermag,  |o  unetmebli^  bleibt 
boeb,  »ie  man  licbtig  geahnt  batte,  bei  »iffenjcbaftlicbe  SBeitb 
bed  butcb  bie  üluögrabungen  and  Siebt  ©ebraebten.  IDurcb  bie 
Stufbeefung  von  Dlpmbia  finb  bei  Sltertburndfunbe  @ifenntnif[e 
gugefloffen  unb  ^Sufgaben  er»aeb|en,  an  beten  Bewältigung  man 
»eit  übet  bad  gu  @nbe  gebenbe  3abrbunbert  binemd  gu  febaffen 
haben  »iib.  ©ilt  bied  gunäebft  in  Begug  auf  bie  »ertbvoflen 
Beiträge  gut  ©efebiebt^  ber  bilbenben  fünfte  naeb  ib^en  mannig« 
faltigen  Stiftungen,  gilt  ed  von  ben  gablretcben  Belehrungen 
auf  bem  ©ebiete  bed  beHenifeben  Staatd>  unb  ^jlUtagdlebend, 
beffen  Betftänbni^  vornebmlieb  buteb  bie  gro§e  Sltenge  von  3n< 
febriften  geförbert  »itb,  gilt  ed  ferner  für  bie  SBiffenfebaft  bet 
Sptaebe,  »elebe  burf  bie  gefteigerte  j?enntnib  bet  gtieebifebfn 
IDtunbarten  Beteieberung  erfährt,  fo  ift  ed  boeb  elfter  Stelle  bie 
Drtdfunbe  bed  alten  Clbmvia,  für  bie  bad  ©tgebnib  ein  in 
hohem  ©tobe  belebTenbed  fein  mu^te.  IDied  aber  »iegt  um  fo 
ffwetet,  je  bebeutenber  elnft  bie|e  Stätte  menfeblicbet  Bilbung 
an  fieb  unb  für  bad  ©tieebenvolf  indbefonbere  gemefen  ift.  ^)iet» 
mit  gufammenbängenb  »irb  aber  aueb  ein  metfmütbiged  ©ebiet 
(««) 


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7 


o!täried>tf(^en  gebcnS  unb  SDenfenfl  me^t  aI8  btö^et  Det[tänbli(b. 
@8  ift  bieS  bie  gu  jDlpmpia  in  gto^et  ißoQenbung  auSgebitbete 
art  ber  ©ötteTtete^rung.  2)et  olpmbifc^e  @otte8bien[t 
geigt  ein  fo  tunft»oQe8  @efüge,  ba^  i^m  gegenübet  bie  geptieie« 
nen  Spiele  mit  allem  Subeljör  an  Sebeutung  gurüdtreten,  fo» 
fern  man  fie  nid^t  felbet  al8  einen  J^eil  gotteSbienftli^et  SSet» 
ric^tung  auffaffen  will.  @8  ift  in  ^o^em  @tabe  angie^enb 
biefem  ®egenftanbe  nac^guge^en  unb  ba8  fReuentbe^e  mit  ben 
teid^lic^  et^altenen  fRac^tic^ten  bet  Sd^tiftftellet  be8  aitett^um8 
gufammengufteDen. 

JDet  gefiott  Dlpmpio  gehörte  bet  peloponnepfc^en  ganbfc^aft 
$ifati8  an,  wel(be  mit  ben  9ta(^bargauen  2;tip^plia  unb  fRiebet» 
eli8  Sanb  unb  Staat  @H8  audmat^te.  3m  Sßeften  bitbeten 
bie  Stutzen  be8  ionif<^en  OReeteS,  im  Dften  bie  mächtigen  $ö^en 
be8  atfabife^en  IBetglanbeS  bie  natutlidien  Stengen  bet  ftuc^t« 
baten  unb  anmut^igen  Sanbfc^aft.  @in  Senat  von  neungig 
teben8längti^en  fIRitgliebetn,  au8  einet  Snga^l  in  tteinen  St&bten 
obet  auf  S3utgen  fe|^after  abel8gef(^le(^tet  entnommen,  oetfügte 
übet  bie  ftaatlid^e  flRac^t  unb  ^anb^abte  biefelbe  im  wefentli^en 
in  aufgaben  bet  IBetwaltung.  0enn  ba8  elifcbe  8anb  geno§ 
eines  ftebenben  @otte8ftieben8.  IDutcbgie^enbe  .^eete  mußten 
an  ben  Stengen  bie  äBaffen  abtegen,  unb  wenn  auib  bie  93e» 
wohnet  in  etregten  Seiten  nic^t  vöQig  bet  S^eilna^me  an  ^äm« 
pfen  fi(b  enthielten,  fo  wat  bo(h  @li8  me^t,  al8  ein  anberet 
griechifcber  Staat,  vom  idtiege  oerfdhont  unb  wu^te  fidh  biefeS 
gefegneten  SuftanbeS  flug  gu  bebienen.  IDet  äSohlftanb  nahm 
gu  unb  wutbe  butdb  taufenb  Duellen,  bie  bo8  $eft  ihm  etöffnete, 
genährt.  9Birfli(h  etfcheinen  bie  @leet  wie  ein  ptieftnlidhe8 
IBolf  untet  ben  @tie(hen,  unb  iht  8anb  galt  al8  heilige  @rbe, 
bie  ben  @6ttetn  auSnehmenb  am  .feigen  lag.  @iftige  pflege 
bet  @otte8öetehtung,  ©thaltung  bet  beftehenben  Sa^ungen  unb 

(407) 


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8 


lebensfähige  äBeiterbilbung  »iib  atS  aidbtige  SfegierungSaufgabe 
betrachtet,  not  allem  aber  bte  Leitung  bet  gtohen,  aOe  t>ier 
3ahic  gefeierten  Spiele  mit  »ohlübertegter  Sorgfalt  unb  auf 
@tusb  einer  @rfahrnng,  welche  bie  Uebung  non  Sahrhunberten 
auSgebilbet  hot,  gehanbhabt.  ^Den  9efti^rbnem,  welche  @liS 
fteUte,  hatten  aQe  ©riechen  @ehorfam  gu  leiften.  3h^  9tame 
^eQanobifen,  baS  hei^t  .^eOenenrichter,  galt  nicht  bloS  als  ein 
@h>^^titel,  fonbern  beruhte  auf  unbeanftanbeter  Slnerfeunung. 
Sie  waren  fith  berfelben  fehr  wohl  bewußt,  unb  bte  ^tegierung 
non  @IiS  nerftanb  fie  unter  ^enu^ung  aller  .^ilfSmittel  religiöfen 
€lnfehenS  auch  mächtigen  Staaten  gegenüber  gu  ergwingen’). 

^Oe  Säben  ber  gotteSbienfilichen  SJerfaffung  unb  SerwaU 
tung  liefen  in  ber  ^auptftabt  @lis  gufammen.  IDie  Sh^tigleit 
bet  Sehötben  erftredtte  fleh  in  erfter  Sleihe  auf  bie  Sorge  für 
bie  ^eiligthümer  unb  bie  @ctterbienfte  in  ber  ^auptftabt  felbft 
unb  in  Olhmpia.  @liS  war  mit  bem  Mtotte  bur^  gwei  $ahr> 
ftrafien  oerbunben.  IDer  fogenannte  heiligt  3Beg  führte  in  einer 
gluSbehnung  non  etwas  über  ftrben  SJieilen  butch  bie  fru^tbare 
9iieberung  beS  älüftenlanbeS  unb  gewährte  bie  URoglichfeit  in 
einet  SageSfahrt  ben  heiligen  Drt  gu  eneichen.  @ine  gweite 
Strafe,  bie  weiter  bftlich  übet  bie  93erge  lief,  war  etwas  näher. 
Dlpmpia  als  eine  Stabt  gu  begeichnen  ift  man  faum  berechtigt. 
<SS  beftanb  auS  einer  Ißereinigung  non  gahlreichen  gotteSbienft* 
liehen  unb  S3erwaltungSgebäuben , befa§  aber  feine  eigentlichen 
93ürger,  bie,  wie  anberSwo,  in  bauernbet  Sehhaftigfeit  unb  im 
ä)ewu§tfein  eineS  felbftänbigen  @emeinwefenS  lebten  ober,  non 
^jllterS  heimifch,  burch  ^anbwerf  unb  bewerbe  ftch  nährten. 
9)ian  wirb  eS  am  erften  einem  großen  SBallfahrtSort  fatho» 
lifcher  Sänber  nergleichcn  bürfen,  ber  gu  beftimmten  Seiten  be< 
fonbetS  ftarf  befucht  wirb  unb,  wie  eS  S3ebütfnih  unb  Neigung 
mit  fich  bringt,  gro^e  Sauanlagen  unb  banfbare  Stiftungen 

(40») 


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9 


erhalten  ^at.  3nbe§  ftnb  fold^e  SJetgleiti^e  ni(!^t  im  ©tanbe 
ein  genügcnbeö  ©ilb  ber  einjigattigen  ©er^ältniffe  8“  geljenr 
beten  ©erftänbni^  fid^  ei[t  bem  etf(^lie§t,  bet  auf  t^te  gotted> 
bienfilit^en  ©tunblagen  nä^et  einge^t.  3ut  Seit  bet  gefle  »ur. 
ben  bie  ftattlic^en  Slem^el  unb  ^aQen  bnrc^  ^enfc^en« 

maffen  belebt,  abet  biefe  ÜJlenfdben  waten  Brcmbe  unb  weilten 
nut  auf  futje  3«t  am  Ort.  3n  bet  Sfiegel  mu§  e8  einfam  in 
JDIpmpia  au8gefe^en  0ieifenben,  weld&e  ben 

@ammeli>la^  fo  »ieled  3Rer!wütbigen  gu  befu(^en  famen  unb, 
Bon  ben  ^tembenfü^retn  geleitet,  bie  3?äume  butcbwanberten, 
Snaurer,  ©teinme^en  unb  anbete  ^anbwetfet,  bie  ununterbtocben 
©efc^äftigung  fanben,  geifllid^e  Sßütbenttäget  Berfd|iebener  (^rabe, 
benen  tegelma^ig  8«  Berfe^enbet  Opferbienft  oblag,  brachten  ein 
fpätlicbeS  geben  in  bie  ftiHen  @tta§en  beS  ©ötterparffl.  ©on 
6li8  ^er  famen,  wie  ein  neuerer  Borfcbet  finnreid^  bemerft,  glei^ 
einet  ^eiligen  ©arnifon  bie  für  be^immte  S)auet  gewählten 
prieftetlid^en  unb  ©erwaltungSbeamten  gut  feftgefe^ten  Seit  i^reS 
Amtsantritts  herüber  unb  blieben  in  Dlpmpia,  bis  i^re  Ablöfung 
einttat.  9lur  wenige  SDienfte  fd^einen  ftänbigen  SBo!^nft^  Ber* 
langt  gu  ^aben*). 

Unter  feieren  Umftänben  entwidelte  fic^  bie  bauli^e  AnS* 
ftattung  Bon  Olpmpia  bur^auS  eigent^ümlic^.  ©on  Often  nach 
SBeften  rollt  bet  glu^  Alp^eioS  bem  3onij(^en  ÜJteere  gu,  Bon 
ÜRotben  bet  faft  rei^twintlig  münbet  in  i^n  bet  .RlabeoS  ein. 
3tt  bem  öftli(ben  SBinfel,  ben  bie  beiben  ©ttßme  bilben,  liegt 
ber  beilise  ^ain  beS  3euS,  bie  Alt  iS,  ein  unregelmäßiges 
©ieredf  Bon  betrdibtlicbem  Umfange  bebedenb,  welcbeS  Bon  $eft* 
gebäuben  eingefcbloffen  war.  ©orbwärtS  würbe  eS  butcb  einen 
bewalbeten  ^ügel  begtengt,  gegen  Often  bebnten  fi(b  bie  beiben 
©ennbabnen  für  gäufet  unb  ©offe  auS.  S)et  große  weite  ^laß 
bat  fi^  im  gaufe  bet  mebt  alS  taufenb  3abte,  butd)  welche 

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10 


o^ne  [törenbe  Unterbre(i^ung  »on  längeret  Dauer  bie  @pte(e  ge< 
feiert  würben,  mit  0auti^feiten  aller  ^rt,  verfcbiebener  Qirö§e 
unb  oerfd^iebenen  ^^unftftpled  angefüQt.  Dem^jel,  j^apeden,  palaft» 
artige  ^runfbauten  unb  eine  ungejäblte  ÜJienge  von  @tatuen 
erhoben  swifc^en  ben  forglicb  gepflegten  Säumen  beS  ,^ainS 
in  woblgewäblter  Slnorbnung,  gut  angelegte  SBafferleitungen 
forgten  für  Sebürfni^  unb  Slnmut^,  unb  eigend  baju  beftedte 
Seamte  wagten  über  bie  @rbaltnng  unb  Erweiterung  ber  9ln« 
lagen  mit  Eefc^macf  unb  Serftänbnil,  bem  reiche  drittel  gu 
,J)ilfe  famen®), 

bie  ältefte  @tdtte  olpmpifc^er  ©otteSvere^rung  barf 
man  ben  ^ügel  betrachten,  an  beffen  0ubabhang  bie  ÜUtiS  fleh 
auSbreitet.  9(uf  feinem  ©ipfel  beftanb  lange  »or  Anfang  ader 
gefchichtlichen  Ueberlieferung  ein  ^>6henbicnft  beö  Äronofl,  ber 
adern  ülnfcheine  nach  morgenlänbifchen  UrfprungS  ift.  9ln  biefen 
0ih  ehrwürbigen  ©ottedbienfteS  fchloffen  fidh  bie  anbern  heilig« 
thümer,  immer  wachfenb  an  S^hl  Sebeutung,  an.  äBir 
bemerfen  barunter  nur  wenige  STempel,  bagegen  finbet  fich  eine 
erftaunli^e  Slngahl  im  freien  erri^teter  ISltäre  gum  3w<dfe 
eines  eigenthümli^  auSgeftatteten  0pferbienfteS  nor,  wie  er 
nirgenbS  im  Sitterthum  feineS  gleichen  gehabt  h«i- 
gereifte  ^aufaniaS,  welcher  im  gweiten  3ahrhuubert  na^  @h>^tfto 
bie  SlltiS  befuchte  unb  für  bie  unS  erhaltene  Sefchreibung 
OlpmpiaS  unb  feine  ©efchichte  noch  ältere  Clueden  auS  guter 
Beit  benu^en  tonnte,  h<>t  in  feiner  Darftedung  einen  werthooden 
Einblicf  in  bie  Crbnung  beS  SDpferbienfteS  ber  olpmpifd|en  ©ott* 
heiten  eröffnet.  Et  giebt  nämlich  eine  Slufgeichnung  ber  Slltäre, 
an  benen  geopfert  würbe,  unb  begleitet  fie  mit  eingeftreuten  Se» 
Wertungen  über  bafl,  wafl  ihm  babei  bebeutfam  etfdhien.  Diefer 
aufjeichnung  ift  nicht  bie  örtliche  Sage,  fonbern,  wie  ^aufaniaS 
oorauSfehiett  unb  fpäter  noch  einmal  auSbrüdlich  wieberholt,  bie« 

(410) 


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11 


jenige  Speisenfolge  3U  ®runbe  gelegt,  in  welcSei  in  jebem  SOlo« 
nate  oon  ben  geiftlicSen  S3eSörben  auf  all  biefen  .^eiligtSümern 
baJ  regelmäßige  Dl)fer  bargebratSt  würbe.  SBir  feßen,  baß  bie 
SPeißenfolge  nicßt  nur  ab  unb  ju  ber  räumlicSen  wiberfpridßt,. 
jonbern  baß  fie  aucS  nicSt  an  bie  3eitli(Se  @ntfteSung  gebunben 
ift.  muffen  alfo  auefcSließlicß  gotteebieuftlicSe  @)efi(Stdpunlle 
gewefen  fein,  welche  bie  S3eS5rben  gu  biefet  Slnorbnung  beftimmt 
ßaben,  bo<S  finb  biefelben  für  und  nur  in  ein3elnen  gdHen  nocß 
erfennbar.  SPitSt  weniger  al0  69  aitäre  werben  aufgefüßrl,  bei 
benen  ber  monatlicSe  SPunbgang  erfolgte.  @r  begann  bei  einer 
Dpferftätte  ber  .^eerbgöttin  im  ^rptanenßaufe  unb  enbete  eben« 
bafelbft  bei  einem  Sfltare  beS  ^an®). 

IBon  allen  biefen  .^eiligtSümern  ift  ber  große  ÜlfdSeuattar 
bed  bei  weitem  bad  merfwürbigfte.  6t  bilbete  ben  SDPittel« 
punft  aller  gottedbienftlidßen  IBenicStungen  in  £)lpmpia,  unb 
wie  3eud  alle  ©ötter,  fo  überragte  er  alle  anbern  Dpferftätten 
an  @röße  unb  33ebeutung.  6r  lag  auf  einem  freien  $laße  im 
fSPittelpuntte  ber  tHltid  unb  war  aud  ben  IBranbreften  bet  bem 
@otte  geopferten  StS^^f^Senfel  3u  beträcStlicSet  j£)öSe  aufgebaut, 
^aufaniad  wibmet  ißm  eine  eingeßenbe  93ef(Sreibung.  „JDer 
erfte  SIbfaß  bed  iSltard",  fo  berichtet  ber  alte  SPeifenbe,  „ben  man  bie 
^rotßpfid  nennt,  ßat  einen  Umfang  oon  125  guß,  berjenige  über 
ber  ^rotßpfid  oon  32  guß,  bie  |>5Se  bed  ®an3en  beträgt  22  guß. 
IDie  Dpferlßiere  müffen  auf  bem  unteren  3bfaß  gef(ßladStet  wer- 
ben, bie  ©cßenfel  aber  trägt  man  auf  bie  ßocSfte  ©teile  bed 
iSltard  unb  opfert  fie  bafelbft.  33on  3wei  ©eiten  bet  ^rotßpfid 
' füßren  fteinerne  ©tufen  auf  biefelbe;  ber  obere  ißeil  aber  ßat 
©tufen  oon  Slf^e.  S3id  3ur  ^rotßpfid  ift  ed  aucß  fSPähcßen 
empor3ufteigen  geftattet  unb  in  gleitbet  SBeife  grauen  3U  bet 
3eit,  wann  fie  nitßt  oon  Dlpmpia  audgefcßloffen  finb;  oon  bort 
bid  3um  obe^ften  Ißeile  bed  3Iltard  werben  nur  SDPännet  3U« 

(411) 


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12 


gelaffen.  ©eopfert  aber  wirb  bem  3eu8  nut^  aufeet  bet  Beftjeit 
von  Privatleuten  unb  {eben  5lag  von  ben  (Sleern.  3ä^rltdb  ein« 
mal,  am  9.  Sage  beS  PtonatS  @Iat)^{o8,  ^olen  bie  @e^er  au8 
bem  Prptanen^aufe  bie  bort  angefammelte  Slfdbe,  mi[(^en  fie 
mit  SBaffet  au8  bem  Sllp^cioS  unb  ftrei(^en  fte  fo  übet  ben 
Slltar.  3Rit  anberem  SBofjer  aber  läfet  fi<b  «wö  bet  Sfebe  lein 
8ebm  bereiten,  unb  be§balb  gilt  ber  aipb«o8  für  ben  liebften 
Slu|  be8  olpmpifdben  3eu9*-  Someit  ber  antife  Seriebterftatter. 
@8  leudbtet  ein,  wie  gefpannt  bie  ®twartung  ber  SluSgrabenben 
»at,  ob  c8  gelingen  werbe  bie  Stätte  biefeS  wichtigen  ^etlig» 
tbumS  wieber  aufjufinben.  Unb  bieS  ift  witllicb  bet  gaü  ge« 
wefen.  5Racb  langem  Sueben  fam  im  vierten  3abre  ber  Unter» 
grunb  be8  wunberlicben  $auwerl8,  ein  eirunber  fRing  au8 
unbehauenen  Steinblöden  jum  SBorfebein.  SBie  im  alten  Sefta« 
ment  3ebovab  bureb  3Rofe  ju  SSrael  rebet:  „So  bu  mir  einen 
fteinernen  Siltat  wiDft  madben,  follft  bu  ihn  nicht  von  gehauenen 
Steinen  bauen,  benn,  wo  bu  mit  einem  ÜReffet  barübet  fäbreft, 
fo  wirft  bu  ihn  entweihen"  — , fo  galt  auch  ben  ©riechen  ba8 
funftlofe  ©ebilbe  bet  fRatur  für  beil*SW,  al8  SBetf  ber  ÜRenfehen» 
banb.  JDiefe  erhabene  Stätte  unaufhörlich  gepflegten  unb  mit 
uralter  SEBeiSfagelunft  verbunbenen  Dpferbienfte8  für  ben  SSater 
ber  ©ötter  unb  SRenfeben  war  ber  eigentli^e  Hochaltar  von 
Dlpmpia,  von  bem  täglich  ber  Dpfetraudh  h^^  «De 

{»eiligthümet  3um  ^)immel  ftteg.  Sludh  ber  im  Pifatengau  alt« 
heimifeben  ©öttin  ^>era,  fowie  ber  ^eftia  unb  ber  ©rbgöttin 
waren  Slltäre  von  Stfebe  geweiht,  allein  fie  erhoben  ficb  niebtey 
ju  ber  4>öhe  beS  3eu8altar6,  bem  fie  auch  an  Sebeutung  unb 
JDpferbienft  naebftanben.  Unter  ber  großen  3ahl  ber  übrigen 
aitäre  treten  nur  noch  wenige  befonber8  hei^oor.  S3on  biefen 
verbieneu  feebs  paarweiS  georbnete  genannt  gu  werben.  .£)erafle8 
felbft  batte  fte  alter  Uebetlieferung  3ufolge  errichtet  unb  für  3«u8 

C«2) 


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13 


unb  ^ofeibon,  ^era  unb  Slt^ena,  .^ermed  unb  SpoQon,  IDion^fod 
unb  bte  S^ariten,  Slrtemid  nnb  ben  ^lu^gott  Sflpbeiod,  enbli^ 
für  Jhonod  unb  9i^ea  je  eine  gemeinfame  @tätte  bet  SSere^rung 
gegtünbet.  2)ie  ©ejt^tbpunfte,  nad)  benen  bie  ®ötterf>aare  »et* 
bunben  morben  ftnb,  laffen  nic^t  mebi  beutlicb  eifennen, 
ba§  ci  bebeutenbe  unb  wohlerwogene  waten,  batf  au8  manchen 
anjeicben  gefchloffen  werben^- 

^Die  weiften  aOet  von  ^aufaniaS  erwähnten  aitäre  finb 
völlig  verfdhwunben,  von  einigen  hat  man  ©puren  entbedt.  IDet 
Dpferbicnft  felbft  hingegen  h“t  feinen  einftigen  Umfang  burch 
beutliche  Seichen  bejeugt.  Sn  vetfchiebenen  Stellen  bet  aitiö, 
gun&^ft  ba,  wo  einft  bie  afchenaltäre  beö  3eu8  unb  bet  $era 
geftanben  haben,  bann  ofllich  vom  ^eratempel,  weftlidh  vom 
ÜJietroon  unb  füblich  vom  Tempel  beS  3eu8,  fam  bei  ben  ®ra« 
bungen  eine  erftaunliche  SJiaffe  von  Äohlenreften,  Dpfetaf^e 
nnb  {[einem  @eräth  ju  Sage.  Einmal  barauf  aufmerlfam  ge> 
worben  ging  man  biefen  Spuren  forgfältig  nach  unb  gelangte 
tiefet  grabenb  nach  unb  nach  beträchtlich  unter  bic  antife  SSoben^ 
fläche  bet  aitiS.  @8  ergab  fich,  bah  bad  @rbreidh  von  bidfen 
Sdhi«ht«n  eherner  unb  thönemer  SSotivfigürchen  ju  @h’^en  bet 
@öttcr,  von  Scherben,  SSlechftüden  unb  Jfnodhenreften  burchfeht 
war,  unb  bah  biefe  Schichten  felbft  unter  bie  @runbmauern  bet 
älteften  @öttertempel  hinabreidhen.  IDaS  ift  eine  Shatfa^e  von 
weitreichen  bet  Sebcutuug.  Sie  befunbet,  bah  bereits  vor  6r* 
richtung  ber  ©otteflhäufcr  in  Dlpmpia  aitarbienft  im  heiligen 
.^ain  unter  freiem  ^immel  ftattgefunben  hat.  6rft  fpäter  wur» 
ben  bann  Sempel  errietet,  von  allen  nachweislich  am  fpäteften 
aber  gcrabe  ber  beS  3euS  mit  bem  93ilbwerf  beS  ^hi^iaS.  Um  bie 
vorhanbenen  aitäre  auf  ber  für  ben  SeuStempel  beftimmten  Stätte 
p fchoncn,  baute  man  baS  ©otteShauS  übet  biefelben  hinweg, 
unb  noch  3U  ^aufaniaS  Seit  ftanben  fie  mitten  in  ber  (5eHa 

Ml») 


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14 


unter  betn  freien  .^immelSiic^te,  baS  oben  burdb  bte  2)ad^öffnun$) 
einfiel®). 

SStele  taufenbe  eiserner  unb  t^önemer  Bigürd^en  ^at  man 
aud  ben  IReften  ber  Sranbopfer  ^erauggelefen.  IDte  meiften  finb 
con  fe^r  einfadber  Arbeit,  meift  IDarfteQungcn  oon  «18 

^ferben,  tRinbern,  and)  SSögeln  unb  gabelgebilben,  »ie  ©reifen 
unb  bergleicben,  aber  au^  ÜRenfdbengeftalten  in  oerfcbiebenet 
(Stellung,  bagu  oiele  ©eratbftüde  mit  ben  erften  Ißerfucben  alter« 
tbümlicber  Sergierung,  bagegen  feine  eigentlichen  ©ötterbilber. 
SBeggemorfen  ober  nach  lanbläuftger  Sitte  al8  SBeibgabe  am 
^Jltar  niebergelegt,  ober,  wie  bie  angebrachten  Siorrichtungeu  be« 
geugen,  an  ben  Säumen  bdd  ,^ainS  aufgebängt,  halben  fte  fich 
in  langem  Seitraume  gu  biefen  maffenbaften  ülnbäufungen  gu« 
fammengefunben.  Unter  ben  ©erdtbftücfen  fallen  befonberö  bie 
gablrei^en  fRefte  oon  IDreifüben  auf.  @8  ift  befannt,  mit  »el« 
dber  Sorliebe  man  ficb  biefeS  ©erätbcS  im  griecbifcben  @otte8> 
bienft  für  Dpfergwedfe  unb  al8  immer  »ieberfebrenbeS  SBeib« 
gefcbenf  bebiente.  IDenno^  bleibt  biefe  reicblicbe  IHnmenbung  in 
Dlpmpia  erftaunlidb.  ©rgbledbe,  bie  getrieben  ober  gufommen« 
genietet  bereinft  ©infabfeffel  ber  ehernen  Subgeftelle  bitbeten, 
haben  fidb  oorgefunben,  aber  auch  gange  2)reifu§e  fleinen  Um» 
fang8  oon  guter  (Erhaltung  fehlten  nicht.  Sie  muffen  an  ber 
gunbftätte  felbft  irgenbrnie  Sermenbung  unb  SluffteHung  gefun» 
ben  hoben.  @rwägt  man  nun  ade  Umftänbe,  fo  fteHt  ftdh  im 
^inblicf  auf  manches,  maS  auS  Sdhriftftetlernachrichten  befannt 
ift,  ein  fehr  eigenthümlicheS  Sitb  oon  bem  ©otteSbienft  be8 
oorgefchi^tlichen  Otpmpia  heraus.  Sohthunberte  früher,  ehe 
bort  ber  ©riechen  SSotfer  oon  fern  unb  nah  gu  ben  Spielen  gu» 
fammenfirömten,  beftanb  ber  Dpferbicnft  auf  bem  meitfdhauenben 
©ipfel  beS  ^ronoShügelS  mit  feinem  heiligen  Sergattare,  beftanb 
gu  gü^en  ber  J&ohe  ber  umhegte  .^ain  mit  feinen  forvgfam  ge« 

(414) 


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15 


^jfleäten  wUben  Oelbäumen,  |)lotanen  unb  ©ilberpapijeln,  unter 
beten  ?aubbo(b  SHtäre  e^rfur^tgebietenber  ©ott^eiten  ftanben. 
Äuf  ben  unbe^ouenen  Steinen  biefet  Dl>ferflätten  Raufte  bie 
afi^e  bet  jahraus  jahrein  maffen^aft  uerbtannten  il^iete,  unb 
feiten  n>o^l  verging  ein  Sag,  an  bem  nid^t  bet  ben  ©öttern 
wo^lgefäDige  $ettbampf  bnx6)  bie  Saumwipfel  emporwitbelte. 
SRingd  um  bie  %'ltäte  ftanben  gto§e  IDteifüfie,  an  ben  Sweigen 
bet  Säume  gingen  J^effel  unb  Seden,  bie  beim  IRauf^en  beö 
SBinbeS  wie  ©lodfen  aneinanbetfcblugen  unb  weithin  ^unbe  ga> 
ben  von  bet  ^eiligen  SBei^eftätte  ^o(bgefeietter  ©ötter.  ©8  ift 
baffelbe  Silb,  weld^e8  von  bem  alten  Si^e  be8  pelaSgifd^en 
3eu8bienfte8  im  epirotifd^en  0obona  überliefert  ift,  wo  neuere 
Ausgrabungen  ebenfalls  ^öd^ft  bemerfenSwertl|e  ^unbe  ju  Sage 
gefßrbert  hoben.  JDie  olpmptfihe  AltiS  bilbete  ein  gotteSbienft* 
lid^eS  ©angeS,  eine  Sammelftätte  jahlreid^er  Altäre,  bie,  ver> 
fdjiebenen  ©ottheiten  geweift,  bod^  gleichfam  in  ein  etngigeS 
großes  2Beihgefd)enf  gufammengefaht  erfd^ienen  unb  auS  bem 
©ebanfen  erwacbfen  waren  ben  lidfiten  SJiädjten  beS  |>immel8 
wie  bet  bunflen  Siefe  bet  ©tbe  ©htfurdbt  unb  ©anlbarleit  ju 
befunben  unb  fith  i^reS  SeiftanbS  gu  vetfidhern®). 

IDet  gefteigerte  ©lang  beS  gefd&ldhtlidben  Dlpmpia  ift  auf 
biefer  alterthümlidien  ©runblage  erwaihfen.  Sd^uf  er  auch  fort 
unb  fort  Seränberungen  beS  ehtwütbigen  SilbeS  Der  Urgeit,  fo 
hat  et  bodh  beffen  ©runbgüge  niemals  gang  gu  verwtfchen  ver< 
mocht.  68  folgte  bie  Seit  ber  Sempelbauten.  9lodh  lä§t  fidh 
etfennen,  wie  am  §u|e  beS  ÄtonoShügelS  bie  erften  größeren 
J£)eiligthümet  entftanben  finb,  unb  wie  man  von  bort  weiter 
nach  bet  9Ritte  beS  AltiS  vorgerüdft  ift.  25aS  ältefte  ©ebäube 
bet  Art  ift  bet  Sempel  bet  ehtwütbigen  EanbeSgöttin  von  ^ifa, 
ber  .J)era,  beren  Serehrung,  auf  morgenlänbifdjer  ©inwirfung 
beruhenb,  nad^weiSlich  lange  vor  bet  beS  SeuS  beftanben  hat. 

(♦15) 


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16 


9Iu(^  an  unb  füt  fic^  i[t  baS  ^eräcn  eined  bet  metfmütbigfien 
SOauteerfe  beS  iSItert^umS,  ba  ed,  tnte  fein  anbered,  no(^  bie 
Spuren  urfprüngltd^er  ^oljarbeit  jeigt,  toie  fte  and  ben  ^er^ält« 
niffen  bed  .^ainbitnfled  naturlid^  ^eraudgemacbfen  ift.  So  alt 
ed  gewelen  — unb  bie  Ueberlieferung  rei<bt  bid  in  bad  elfte 
3a^r^unbert,  bie  {>erfteOung  aud  Stein  Iä§t  fi(b  auf  bad  a^te 
3urü(ffübr«n  — fo  befunben  botb,  wie  wir  fo^en,  bie  Slfe^enrefte 
unter  feinen  ©tunbmauern  bad  frühere  Sefte^en  bed  tempellofen 
IDienfted.  S)ad  .peräon  le^nt  ficb  im  92orbweften  ber  9ltid  bid^t 
an  ben  93erg  bed  ^ronod  an  unb  würbe  f^on  frü^  ald  Sd^a$> 
fammet  für  befonberd  wert^ooQe  SBei^gefcbenfe  benu^t.  5Der 
jweite  Tempel  war  ber  ©öttermutter  fR^ea  gewibmet,  er  lag  weiter 
nac^  Dften  unb  ift  ber  3eit  nad^  jünger;  audb  ^ier  bejeugen 
S<bidbten  non  Dpferaf^e  unter  bet  @runb(age  bed  93aued, 
ba^  ber  bena^barte  tSItarbienft  bet  @)tunbung  ooraudgegangen 
ift.  SDer  britte  unb  fpätefte,  freilidb  aud^  bet  ftattlicbfte  ber 
olpwpifd^en  Siempel  ift  ber  bed  3eud  in  ber  ÜRitte  ber  Slltid,  bad 
berühmte  äQerf  bed  @(eerd  8ibon,  oon  bem  bebeutenbe  Srüm* 
nier,  indbefonbete  bie  Söilbwetfe  bet  ©iebelfelber,  aufgefunben 
worben  33olIenbet  würbe  bet  Sou  um  bie  9Ritte  bed 
fünften  3al)tliunbettd  oor  @^riftud;  ni(^t  oiel  fpäter  erhielt  ber 
Tempel  feinen  ^errlicbften  Sd^mud  in  bem  @5oIbeIfenbeinbiIbe 
bed  t^ronenben  3«ud  oon  bet  ÜJleifterbanb  bed  ^^bi^iaS-  31ber  fo 
bo(^  au(b  ganj  @riedben(anb  oon  ber  großartigen  Sdbonbeit  unb 
SEßürbe  biejed  Äunftwerfed  begeiftert  wot,  beffen  mächtigem  @in» 
brucf  feiner,  ber  ed  gefcßaut  ßat,  ficß  entgieben  fonnte,  fo  war  bodb 
feine  Sebeutung  für  ben  ©ottedbienft  eine  untergeorbnete.  3)enn 
ber  Dpferbienft  bed  Äroniben  blieb  nach  wie  »or  an  ben  gto» 
ßen  Slf^enaltar  ohne  Silb  unb  unter  freiem  ^immel  gelnüpft. 
^ußer  ben  genannten  brei  enthielt  bie  ^Itid  anbere  Tempel  nidbt. 
iSußerbalb  bed  b^iliiien  pained  lag  in  bet  9täbe  bed  Stabiond 

Ut6) 


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17 


ein  ber  JDemeter,  ferner  am  ab^ang  be8  Ärono8. 

bügel8  ein  5£empe(  ber  ^immlifc^en  Sp^robite  unb  eine  iDoppel« 
fapeQe  ber  Qeburtggöttjn  unb  be8  5)ämon8  @ofipDti8.  iDodb 
,^aben  unfere  au8grabungen  btefe  fünfte  nidbt  in  i^r  Sereicb 
gezogen,  auch  fd)einen  bie  Sauten  ni<bt  bebeutenb  gemefen  gu 
fein.  S)ie  ga^ireicben  ©ebäube  aber,  bie  fonft  in  Dipmpia  nor> 
banben  waren,  bienten  ber  aufbewabrung  non  @(bä^en  ober 
bem  Sebürfni§  ber  Verwaltung  unb  ber  ©cbauftedung  non 
|)radbt  unb  f^rSmmigfeit.  Unnerfennbar  bleibt  ber  eigentü^e 
OJotteSbienft  bi8  in  bie  fpäteften  3«ten  eben  an  bie  aitäre  ge» 
fnupft,  unb  bie  Opferbarbringungen  unb  bie  feierlidben  Ver» 
ricbtungen,  wel^e  an  bieie  fidb  anf^Ioffen,  bilbeten  feinen  wefent« 
lidbften  Seftonbtbeil’“). 

SBenn  e8  ficb  nun  barum  banbeit  ein  Silb  be8  regelmäßigen 
®otte8bienfte8  im  alten  Olpmpia  gu  gewinnen,  fo  barf  man  gu« 
nä(bft  non  ben  großen  §e  ft  opfern  abfeßen,  wel(be  nor,  wöb» 
renb  unb  na^  ben  Spielen  non  Seiten  ber  abgefanbten  großer 
Staaten,  wie  non  @ingelnen,  in  betracßtlidber  angaßl  unb  unter 
(Entfaltung  großer  Ißtatbt  bargebra^t  würben.  2)iefe  Opfer, 
gu  Denen  umfangreiche  Viebb^erben  non  weit  unb  breit  ßer» 
getrieben  würben,  waren  freiwillige;  fie  fanben  nadß  Sebürf» 
niß  unb  Steigung  an  ben  aitdren  biefer  ober  jener  ©ottbeiten 
ftatt.  Smmer  aber  bilbete  bet  ^jocßaltar  be8  3eu8  ben 
fUlittelpunft.  3n  ftattlicbem  aufguge  gogen  bie  f^eftgefanbt» 
febaften  um  bie  ait&re.  Voll  ftolgen  SBetteiferS  waten  bie  Jß”** 
neßmer  beftrrbt  bureb  glängenbe  au8ßattung  bie  Scßauluft  ber 
gaßlteicb  nerfammelten  ©emeinbe  gu  befriebigen.  dltädßtige 
Staaten,  wie  reieße  unb  angefeßene  ©injclne,  pflegten  für  biefe 
©elegenßeit  ißre  alten  Scbauftücfe  non  eblem  fOtetaO,  namentlich 
Opfergerätß  unb  ^runlwaffen,  au8  ben  Schaßfammem  ßetnor» 
gußolen  unb  in  bem  farbenreichen  Seftguge  aufgufüßren.  ©ine 

XIX.  U3.  2 (417) 


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18 


«r^ö^te  Stampe  im  Dften  bet  Sttid  enthielt  @i^plä^e  für  ein* 
^eimif^e  SBürbenträger  unb  frembe  @^rengäfte;  non  ba  and 
fonnte  man  bie  l^rojeffion  am  beften  übetf(^auen,  njenn  fie 
unter  ben  klängen  ber  SRufif  bur^  baS  ^eftt^or  i^ren  @injug 
^ielt  unb  fi(^  am  Beu^tempei  norüber  langfam  ben  Stufen  be8 
^ocbaltard  näberte,  mo  bie  feierlicbfte  aQet  Dpferbarbringungen 
ftattfanb.  Snbeffen  tritt  felb^  baS  grofee  ©taatöopfer  bet  ®leet, 
u>el(bed  urfpTÜngliib  tnobi  ben  ^aupttbeil  bet  Dlpmpienfeier 
au9gema(bt  bot  unb  in  einer  .^efatombe  für  3eu9  beftanb,  an 
toeicbe  fl(b  Semirtbung  ber  Staates  anf(bIo§, 

tro^  aQeS  |)runfe9  in  feinet  gotteSbienftlidben  Sebeutung  gu* 
TÜd,  infofem  eS  eben  nur  alS  Stücf  einer  @iu3elfeier  gu  be* 
trachten  ift.  Slngiebenber  als  bie  raufcbenbe  |)ra(bt  beS  ^och* 
fefteS  unb  lebrreicber  für  bie  @runbanfcbauung  ber  olpmpifcben 
^otteSoerebrung  bleiben  in  ihrer  9irt  bie  regelmäßigen  ®ottee* 
bienfte  ber  ftiQen  Bvifchengeit,  welche,  wenn  bie  0Dtenfchenma{fen 
ber  nierjährigen  ^auptfeier  fich  verlaufen  b<>il^n,  in  hccflcbrachtet 
Orbnung  jahraus  jahrein  unb  fOtonat  für  SRonat  nerridbtet 
würben.“) 

SluS  ber  IDarfteQung  beS  ^aufaniaS  fcheint  betvorgugehen, 
baß  ber  SJtonatS  bienft  an  ben  69  Sltären,  bie  er  aufgähit 
nicht  auf  bie  eingelnen  5£age  nertbeilt  war,  fonbetn  baß  an 
einem  beftimmten  ÜOtonatStage,  fei  eS  am  erften  ober  am  fieben* 
ten,  ben  beiben  b^iliflcn  Klagen  oon  jeher,  ober  gut  SSoUmonbS« 
geit,  an  aDen  ISltären  bintereinanber  bie  Opferung  ftattfanb. 
Sag  bie  SDorbereitung  beS  ^euetangünbenS,  wie  eS  fcheint,  be* 
fonbem  IDienetn  ob,  bann  fonnte  baS  heiüge  @efchäft,  wie  eS 
f>aufaniaS  befchreibt,  in  guter  Orbnung  non  Sonnenaufgang  bis 
fDtittag  erfolgen.  IDenn  bie  ^anblung  war  furg  unb  nach  bc>^* 
gebrachter  Sitte  auf  ben  fStorgen  befchränft.  IBot  ber  SRittagS* 
geit  mit  bem  IDienft  ber  ^immlifchen  aufgubSren  gebot  alter 

(418) 


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19 


@Iaub(;  benn  ^lac^mittag  unb  Sbenb  ge^brte  ben  Unteritbifd^en. 
aiudb  war  bte  ©emeinbe  toä^renb  bet  ^etli()en  93erri(btung  mit 
mit  bem  Slngefld^t  nach  Sonnenaufgang  gewenbet  S)ie  ^eilige 
Salbung  ^atte  für  ben  fRunbgang  an  aQen  Siltdren  beftimmte 
IBotfcbriften  feftgefe^t.  fOlan  lie^,  md^tenb  ade  Snaefenben 
in  »eibeoollem  ©(bmetgen  cer^arrten  unb  f^IStenmufif  ertönte, 
SBei^raudb  unb  ein  @emenge  non  SBetjenme^I  unb  ^onig  über 
bet  flamme  aufbam^fen  unb  f^enbete  ben  @öttetn  SSBeingüffc; 
bte  i2Utäre  aber  mürben  mit  Dlinengmeigen  unb  Sdnbern  ge« 
fcbmüdt.  S)em  3euS  gu  @bren  fanb  ferner,  mte  mir  faben,  an  jebem 
Slage  ein  Dbf«  «“f  bem  ^)0(baltare  ftatt.  Sei  aDen  Opfern  für 
3euö  mu^te  baö  ^olg  nach  einem  alten  burcb  bie  Sage  begrün« 
beten  ^erfommen  non  ber  Silberpappel  genommen  merben; 
fo  nämlidb  fodte  ei  ^erafled  felber  geftiftct  haben.  ^u§et  biefen 
regelmäßigen  ^ageS«  nnb  ddonatöopfem  fanben  anbere  größere 
Darbringungen  bei  befonberen  Gelegenheiten  ftatt.  IBiele  maren 
mit  gaftlicher  Semirthung  im  9>tptanenhaufe  nerbunben,  mo 
bie  Sluögrabungen  no(h  unb  ^afelgefchirr  gu  >£age  geför« 
bert  haben.  Dort  mar  auch  eine  ^apede  ber  ^eerbgöttin  ;^eftia 
eingebaut,  unb  auf  bem  Sfchenaltare  biefer  Göttin  brannte  ein 
emigeö  Seuer.  Sei  ben  Opfermalgeiten  maren  beftimmte  GebetÖ« 
foimeln  norgefchrieben,  meldhe  bei  ben  äßeingüffen  gu  Einfang 
beö  Sdhmaufed  gefprochen  mürben.  Such  pflegten  eigenö  gu 
biefem  3we(!e  in  botifcher  ddunbart  abgefaßte  geiftlidpe  Sieber  ge« 
jungen  gu  merben^*). 

dJlerfmütbig  für  un6,  aber  im  SBefen  bet  Sache  felbft  be« 
grünbet,  menn  biefelbe  bei  dRannigfaltigfeit  unb  Sielfeitigfeit 
ber  Vorgänge  Dauer  haben  fodte,  ift  bie  peinliche  Genauigfeit, 
mit  ber  auf  bie  überlieferten  Saßungen  geachtet  mürbe.  G8 
erflärt  fich  barauö,  gumal  menn  man  auch  bie  gahlreichen  anber« 
meitigen  gotteöbienftlichen  Senichtungen  unb  bie  umfangreiche 

2»  (4UJ 


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20 


SJrrttaltuncj  bcfl  Bon  Sa^T^unbert  ju  So^t^unbert  amnadjfcnben 
(Sigent^umd  in  Setra^t  bie  beträchtliche  9(n3ahl  ber  Bom 
elifd^en  Staate  befteDten  Seamten.  Ueber  bie  Betfdhiebenen 
Slemter,  benen  ber  ©ottesbienft  unb  inSbefonbere  bie  2)ut^* 
fühmng  bet  Opfer  oblag,  geben  bie  SchriftfteDer  einigen  8In» 
halt,  unb  ba3u  ift  je^t  bur^  bie  ^nfehriften  weitere  Belehrung 
gefommen.  SBährenb  bie  Leitung  bet  ^efifpiele  nnb  adefl  beffen, 
wad  an  biefe  fidh  anfehioh,  ben  ^eilanobifen  unb  ihren  Unter« 
gebenen  übertragen  war,  fo  ftanben  an  ber  Spi^e  ber  geifilidhen 
Sehötben  brei  fDtänner,  wel^e  ben  Sitei  Bon  führten 

unb  in  ber  Bierjährigen  Seit  Bon  einer  Olpmpiabe  bis  3ur  an« 
bern  mit  ber  oberften  Leitung  ber  gotteSbienfilichen  ©efchäfte 
betraut  waren.  Sie  theilten  fich  in  biefelbe  fo,  bafe  einet  nach 
bem  anbem  je  einen  ORonat  lang  beS  Slmtefi  waltete.  3)ie 
Sheofolen  gehörten  Bornehmen  elifchen  ©ejchlföhtern  an  unb 
fcheinen  nur  währenb  ihrer  2)ienft3eit  in  DIpmpia  gewohnt  3U 
haben,  wo  ihnen  ein  eigenes  9(mtSgebäube  3ur  SSerfügung  ftanb. 
©eigegeben  war  ihnen  ein  fdhriftBerftänbiger  ©eamter,  bet 
©rommateuS,  um  baS  mancherlei  Schreibwerf,  weldheS  baS  Ber« 
antwortli^e  5lmt  mit  fich  brachte,  3U  beforgen.  3h«cn  gut  Seite 
wirften  brei  anbere  geiftliche  SBürbenträger,  bie  Sponbophoren. 
3Ran  barf  biefelben  wohl  als  bie  fltechtSfunbigen  beS  ^)eiligthumS, 
bie  ©ibeShelfer  unb  .^üter  ber  in  Olpmpia  abgefchloffenen  ©er» 
träge  be3eichnen.  ISuch  lag  ihnen  ob,  alS  Slbgefanbte  beS  elifchen 
?)riefierftaateS  in  jeber  Olpmpiabe  ben  ©eginn  ber  Sefi3eit  unb 
beS  bamit  für  ©riechenlanb  gebotenen  ©otteSfriebenS  an3ufagen. 
2Bie  bie  Sponbophoren,  fo  gehörten  auch  ®lrr  als  „Seher“ 
begeichnete  geiftlidhc  ©eamte  3U  bem  ftehenben  Opfetperfonal. 
auch  ihnen  waren  noch  befonbere  ©errichtimgen  übertragen, 
über  weldhe  weiter  unten  gu  hnnbeln  fein  wirb,  gür  bie  @r» 
haltung  beS  SnoentarS  waren  gwei  Äleibu^en,  gu  beutfeh 

(4*0) 


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21 


©^lüffelträger,  angeßeDt;  fie  Ratten  bte  Db^ut  übet  bie  ^eiligen 
6)eb&ube  unb  bmn  @(^ä^e.  $ür  bie  3nftanb^altung  bec 
Bauliebfetten,  Slltäre  unb  aufgefteUten  ^^nftmerfe  tnaib  bureb 
einen  be|onberen  0adbuerftänbigen,  ben  Ülrdbiteften,  gefolgt. 
3)en  böbeten  SBiiibenträgern  [taub  eine  grofee  SJienge  oon  Unter« 
beamten,  toie  SageSopfeier,  Siötenfbieler,  SSeinfebenfen,  ^ö^e, 
unb  S)ienerfdbaft  für  Heine  Beniebtungen  3U1  Seite.  Sogar 
Ständer,  toelcben  bie  SuSfübrung  bed  oermutblid)  in  fün{tli<be<c 
IReigenform  ftattfinbenben  Dpferumgangfl  unb  äbnlitber  litur« 
gif^er  ^anblungen  itbetioiefen  toar,  unb  Srembenfübrer  für  bie 
3ablrei^en  Befueber,  bie  DlbmpiaS  9)iertioürbigteiten  ju  befeben 
famen,  merben  genannt,  felbft  ein  ^oljtoärter  (XpleuS)  fehlte 
nicht,  bei  baS  oorgefebriebene  Dbferbol^  gu  liefern  b«Hs- 
gewinnt  man  baS  Bilb  einer  umfangrei^en,  ben  Bebürfniffen 
anget>a§ten  Beamtenfcbaar,  weiche  ftänbig  ober  oorübergebenb 
in  DIpmpia  weilte  unb  reichliche  Befebäftigung  fanb.  S)a  bureb 
biefe  9Könner  bie  ben  jablrei^en  ©öttern  gebübrenbe  Dpferebre 
gewifferma§en  im  großen  unb  ganjen  oerriebtet  würbe,  fo  be« 
burfte  man  eigentlicher  ^riefter  für  bie  eiugelnen  ©ottbeiten 
faft  gar  nicht.  SBir  böten  nur  oon  ?)rieftcru  beS  Äronoö,  bie  ben 
altertbümlicben  Sitel  oon  Königen  führten ; auch  einer  beS  3eud 
wirb  erwähnt,  boeb  war  feine  Stellung  ohne  fonberlicbe  Beben« 
tung.  Hl6  SIngeftellte  priefterlicber  2lrt  fann  man  aKenfaHS 
noch  bie  |)baebrpnten  bezeichnen,  !Dlänner  aud  ber  IRj^fommen« 
febaft  bee  ^hibiaö,  weldjen  bie  {Reinigung  unb  ©rbaltung  beä 
Seudbilbed  oblag,  unb  benen  ein  befonbered  Dpfer  für  9ltbene 
©rgane  gur  gemacht  war.  Snblicb  foll  au^  beS  .Knaben 
nicht  oergeffen  werben,  ber  mit  golbenem  SReffer  bie  Deljweige 
gu  ben  SiegeSfrängen  oon  einem  beftimmten  Baume  abgufebneiben 
batte.  {Rur  ein  folcbeB  Äinb,  bafl  beibe  ßltern  noch  am  8eben 

(4J1) 


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22 


^atte,  butfte  mit  biefet  ^eiligen  ä3etri(^tung  betraut  werben, 
ba  blefe  eine  reine  unb  glficfli^e  ^>anb  erforberte ' *). 

3)tefer  großen  ®(^aar  männli(^er  ülngefteQter  fte^t  eine 
Slnja^i  im  @otte6bienft  befc^äftigter  grauen  gegenüber,  welchen 
ni(bt  minber  geregelte  JDbliegen^eiten  übertragen  waren.  @ine 
0(bwefterf(baft  von  fec^jebn  betagten  IDamen  nome^met  9b* 
fnnft,  beten  Stiftung  auf  bie  Vereine  ^ippobamia  jurücfgefübrt 
wirb,  ^tte  in  @liS  bem  IDionpfoS,  in  Dlpmpia  bet  .pera  gn 
@^ren  mancherlei  Obliegenheiten.  9IIe  uiet  Sahte  mußten  fie 
ber  großen  @ötterfönigin  ein  ^ra^tgewanb  weben  unb  einen 
IBettlauf  junger  Räbchen  oeranftalten,  wobei  ber  Siegerin  ein 
Olioenfrang  unb  ein  Stücf  con  einer  bet  ^exa  geopferten  ^uh 
gefpenbet  würbe.  IDen  fechgehn  ^auen  ftanben  oerheirathete 
3)ienetinnen  gur  Seite.  IDie  Schwefterfchaft  hatte  ferner  gu  be* 
ftimmten  Sfiten  gu  @hren  ber  beiben  ^>etoinen  ^hpöfoa  unb 
^ippobamia  Steigentänge  aufguführen  unb  @ebächtni^feiern  gu 
ueranftalten.  IDiefe  Aufgaben  »erlangten  bie  9nwefenheit  ber 
Sechgehn  balb  in  @Iid,  balb  in  Olpmpia.  ferner  h^^^cn  wir 
»on  einer  alten  ^au  im  IDieufte  M SofipoliS  unb  ber  6)eburtd* 
güttin.  Sofipolid  war  ber  Sepu^geift  bed  8anbed  unb  hatte 
im  innetn  IRaume  bet  oben  erwähnten  IDoppelfapeQe  fein  <^eilig* 
thum,  welches  nur  bie  9lte  in  weiten  Schleier  gehüQt  betreten 
burfte,  bie  ihm  Sühnopfer  unb  .^onigfuchen  barbrachte.  IDie 
norbere  paQe  ber  .Kapelle  war  bet  ©eburtSgöttin  geweiht;  bort 
pflegten  f^tauen  unb  SRäb^en  bie  Gottheit  burch  feftlichen  ®e« 
fang  gu  ehren  unb  fRäucheTwerf  bargubringen.  IDie  greife 
IDienerin  beS  SofipoliS  muhte  fid)  nach  elifcher  Sa^ung  eines 
oöQig  enthaltfamen  äSanbelS  befleihigen.  UebrigenS  befah  auch 
bie  ©eburtSgöttin  felbft  eine  *})rieftetin,  welche  jebeS  Saht  neu 
gewählt  würbe,  pochangefehen  war  enblich  baS  ^rie^erthum 
ber  @föttin  IDemeter;  eS  we^felte  unter  ben  oornehmen  Stauen 

CiM) 


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23 


bed  8anbed  unb  brachte  ben  befonbeten  SSötl^eit  mit  fic^,  ba^ 
bie  Sn^aberin  ben  Dl9m^>if<^en  Spielen  juf^auen  barfte,  teö^reab 
allen  anberen  ^auen  baS  blo§e  betreten  bed  ^eftpla^ed  mä^renb 
bet  ^eiligen  3eit  auf  baß  ftrengfte  »erboten  mar^*). 

3n  ben  bisherigen  ©rßrterungen  ijt  eine  Seite  noch  nicht 
berührt,  bie  auf  einer  befonberen  Siichtung  hcHenifchen  ©laubcnS 
beruht  unb  im  Saufe  ber  Seit  immer  größere  Sebeutung  er» 
halten  hat-  IDicS  ift  ber  auch  in  @IiS-'Dlhmpia  reich  auSgebil» 
bete  ^»eroeubienft.  5)ie  gro§en  ^erfönlcdhfeiten  ber  Urjeit, 
Don  benen  Sage  ober  ©efchichte  .^unbe  gab,  unb  bie  um  Sanb, 
SOoIf  ober  ©otteSoerehrung  33erbienfte  hotten,  burften  nicht  un» 
geehrt  bleiben.  JDieS  erforberte  iDanfbarfeit  unb  abergläubifchc 
Scheu  zugleich.  Solche  ©eftalten  finb  eS,  bie  mit  bem  SRamen 
|)eroen  bejei^net  »erben.  3h*e  Verehrung  fnüpft  [ich  ganj 
überwicgenb  an  ^Reliquien  unb  an  ©räber.  6S  galt  in  ben» 
fenigen  griechifchen  Sänbern,  bie  befonbetS  auf  gotteSbienftliche 
Ucbung  hielten,  in  Stabten  namentli^,  »ie  fDelph»»  Sheben, 
2lrgo8,  für  ein  befonberS  fchfih^areS  ©rbtheil  ber  SSorjeit,  heilige 
©räber  ber  oerbienten  SRothhelfer  unb  ^üter  beS  0rtä  ju  bc» 
fihen.  fStan  badhte  ftch  bie  Jperoen  in  ber  ©rabfammet 
mohnenb  unb  ber  gebührenben  Cpfergaben  hoeeenb,  jumal  an 
3ahreStagen  ber  ©rinnerung  ihrer  Ahnten  ober  bei  grofeen  SanbeS» 
feiern.  5)a  rief  man  fie  auch  ®ohl  burch  ©ebet  unb  ©efang 
empor  unb  glaubte,  ba§  fie  unfichtbar  fich  einftellten,  bem  9iufc 
gehorcheub.  Solcher  heiligen  ©räber  befah  auch  Olpmpia  unb 
bie  ^)auptftabt  ©liS  nicht  »enige;  »or  allen  waren  bie 
beS  ^elopS  unb  ber  ^)ippobamia  in  ber  SSltiS  »ürbig  auSgc» 
ftattet,  umfangreiche  Sejirfe,  fleinen  griebhöfen  gleichenb,  mit 
©aumpflanjungen,  baulichem  unb  ftatuarifdhem  Schmuef  »er» 
fehen.  3m  Stabion  befanb  fich  ein  ©rabmal  beS  fagenberühm» 
ten  ÄönigS  ber  SBorjeit  ©nbpmion,  unb  in  ber  JRennbahn  »urbe 

(i») 


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24 


eine  @teQe  gejeigt,  an  welcher  bie  ^fetbe  fd^eu  gu  tterben 
pflegten,  benn  bott  war  ed  nic^t  geheuer,  trgenb  ein  ^eroö  lag 
an  bet  @teDe  begraben,  wer  eS  [ei,  barüber  waren  bie  OReinun« 
gen  get^eilt.  ferner  waren  weitet  aufwärts  am 
@täber  beS  Äönigö  OinomaoS  unb  bet  ^eier  feinet  2o(^ter  gu 
fe^en ; (elbft  »on  ben  ?)fetben  jener  ^eiet  wieö  man  bie  @rab» 
ftätten  vor,  unb  fogar  ein  übelberüc^tigter  0iäubet  bet  Sorgeit 
[RamenS  @auroS  erbieit  gebübrenbe  ©rabeS^fiege.  f9n  ber 
8anbeSgrenge  war  baS  @ftab  beS  SRanneS,  bet  ben  erften  olpm« 
t)if(ben  @ieg  errungen  botte,  befl  ÄoroiboS,  erbalten.  5«  6ÜÖ 
felbet  aber  glaubte  man  bie  fRubeftätten  ber  alten  SanbeSfönige, 
beS  O^cpIoS,  beS  fSetoIoS,  beS  SlugeaS  unb  Slnberer  gu  befi^en, 
fogar  eine  leere  ©ruft  beS  SldbiQeufl  rühmte  man  fieb  bott  gu 
haben  unb  hielt  fie  bi’tb  tn  ©b'^e»;  t^enn  war  ben  8ei^nam  gu 
beftatten  nicht  möglidb  gewefen,  fo  behalf  man  ficb  mit  einem 
Äenota^jb,  um  an  biefen  bie  ©rinnerung  gu  fnüpfen'®). 

[Run  beftanb  auch  biefen  Slobtenbienft  alte  tjriefterliche 
©ahung.  ©chon  ber  Äönig  OirploS,  fo  bie§  e8,  unter  bem 
aetolifche  ©inwanberer  bereinft  in  ©liS  fi^  angefiebelt  batten, 
habe  für  bie  ©rbaltung  bet  alten  i^eroenbienfte  ©orge  getragen 
unb  neue  eingefübrt,  unb  noch  gu  ^aufaniaS  Seit  würbe  aOen 
^)eroen  unb  ^>etoinen,  fooiele  ihrer  nicht  blofe  in  JDIpmpia,  fon» 
bem  auch  unb  fogar  in  2letolien  verehrt  würben,  baS 

gebfibrenbe  ©ranbopfer  bargebra^t.  gür  gröbere  .^eroenopfet 
beftanb  ein  befonberer  ©rauch,  t>er  fogenannte  ©nagiSmoS.  S)a 
baS  Opfer  ©erftorbenen  gewibmet  war,  fanb  eS  gegen  9lbenb' 
ftatt,  unb  aDe  ^beiinebmer  waren  bei  ber  heiligen  {)anblung 
nach  ©onnenuntergang  gewenbet,  wo  nach  altefter  ©orftellung 
baS  [Reich  ber  lobten  lag.  fDie  Opferung  gefchab  nidbt  auf  einem 
IHltat,  fonbern  übet  einer  ©rube;  benn  eS  fam  barauf  an,  bab 
baS  ©lut  in  bie  ©rbe  binabbrang.  iDaS  Opfertbier  würbe  bar* 

(4S4) 


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25 


über  gebeugt,  bet  aber  ^inabgebrücft  unb  abge|d^nitten, 
ttä^tenb  bei  für  bie  ^itnmltfdben  @)ötter  bet  ^aU  bei 

Sbieteg  nad)  oben  gerichtet  unb  bet  £of>f  na^  gezogen 

ttutb^  93on  aOen  ^etoen  galt  in  DIpmpia  als  bet  bebeutenbfte 
^elopS,  ihn  ehrte  man  fo  hi’ch  unter  ben  ,^eroen,  tvie  ben  3eud 
unter  ben  ©üttern.  Sähtlich  »urbe  ihm  ein  fchwatjer  SBibber 
geopfert  unb  audh  hierbei  baä  ^)olj  bet  SBei&pappel  gebraucht. 
SBet  aber  oon  bem  Dpferfleifche  a§,  burfte  ni^t  in  ben  3euß» 
lempel  treten,  benn  er  war  burch  tSerührung  mit  ben  3)iächten 
beß  j^obrß  unrein  geworben;  baher  erhielt  au^  ber  @eher  nicht, 
wie  fonft  üblich,  9lntheit  am  ^(eifch,  unb  nur  ber  ;^oIjwärter  befam 
ben  ^>aU  beß  Jh*eteß.  IDie  ©rabeßehren  für  .^ippobamia  würben 
oon  ben  fechßgehn  grauen  bargebracht,  unb  baß  Opfer  machte 
ebenfaUß  ben  .^aupttheil  berfelben  auß.  9ioch  in  fpüter  3eit 
glaubte  man  in  DIpmpia  bie  heiligen  @ebeine  biefer  @agen> 
geftalten  bet  SJorgeit  ju  befi^en  unb  ergöhlte  ffiunberfameß  oon 
ihrer  SBiebergewinnung,  nadhbem  fie  lange  im  Sußlanbe  [ich  be> 
funben  hatten.  IDie  olpmpifchen  ^eroenehren  müffen  giemlich 
gahlreich  gewefen  fein,  wenn  fie  audh  nur  theilweife  überliefert 
finb.  @ie  »eroollftänbigen  baß  ©efammtbilb  beß  olpmpifchen 
©otteßbienfteß  nad)  einer  fWichtung,  welche  im  Saufe  ber  3eiten 
leineßwegß  oerbla|te,  fonbetn  unter  bem  ©influh  gefchichtlidher 
SSerhöltniffe  neue  Slnregung  erhielt,  wie  4>eiligencerehrung  gu 
3eiten  auch  bei  chriftli^en  3?ßltern  ben  reinen  unb  unmittel* 
baren  ©otteßbienft  gu  überwuthem  gebroht  h<>t-  eß  foweit 
ni^t  fam,  bafür  forgle  in  Dlpmpia  bie  feftgefugte  Drbnung  ber 
©otteßoerehrung , welche  baß  alte  heilige  9Serhältni§  niemalß 
ungebührlich  trüben  lie§**). 

Sieben  bem  SUtarbienfte  unb  ber  .jperoenoerehrung  tritt  alß 
britte  bebeutfame  ©inrichtung  beß  olpmpifchen  ©otteßbienfteß 
baß  uralte  Orafel  ber  ©rbgöttin  hetüor.  Uralt  war  eß,  wie 

(435) 


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26 


bie  @Tborafel  in  ©riec^enlanb  überhaupt,  ^an  eilennt  and 
tnancberlei  Sagen  unb  unmittelbarer  UeberUefeTung,  ba|  fpäter 
ber  Dienft  ber  btnimlif^en  @5tter  bie  SSere^rung  jener  9]%ä(bte 
ber  Xiefe  unterbrüdte,  in  ben  ^inlergrunb  fcbob  ober  in  ge> 
jcbidter  SEBeife  ber  iDttdlegenbe  unb  bem  IRituat  eiu3uorbnen  oer> 
[tanb,  inbem  man  bie  SBei^e  bed  ISUertbumS  unb  baS  @e^eimni§« 
»olle  biefeS  2)ien[te8  für  bie  ceränberten  Siele  nu^bar  machte. 
3n  DIpmtJia,  wiffen  mir,  befa§  bie  (ärbgöttin  @da  einen  9lfdjen» 
altar  unb  trat  baburdb  an  SSebeutung  ber  ^eftia,  fo  mie  ben 
beiben  ,£)auptgott^eiten  Seuä  unb  ^era  an  bie  Seite.  9leben 
biefem  21j(benaitar  mürbe  eine  @rböffnung  gezeigt,  au8  ber  bie 
begeifternbe  ^raft  bem  Scbo§e  ber  nä(btli(ben  Siefe  entftrömte. 
@in  jmeiter  Slltar  neben  biefem  ßrbfpalt  mar  ber  SE^emifl  ge» 
meibt,  meldbe  nlö  33ettrelerin  ber  göttlichen  Sa^ungen  in  9Rit» 
mirfung  trat  unb  ba8  SBalten  einer  emigen  unabdnberlichen  Drb* 
nung  befunbete.  S)ae  @rborafel  oon  Dlpmpia  f<hIob  fi(h  an 
3eu0  an,  neben  bem  bie  ©rbgöttin  bereinft  in  gleicher  SBürbe 
geftanbcn  gu  haben  fcheint,  mie  in  Dobona.  Später  trat  ihre 
Sebeutunvg  juröcf,  unb  bie  Drafelgebung  felbft  erfuhr  manche 
Slenberung.  3n  ber  älteren  Seit  haben  bie  Sprüche  ber  olpm» 
pifchen  @äa  namentlich  in  ben  peloponnefifchen  gänbern  eine 
anerfannte  unb  gefürchtete  ÜKacht  gebilbet.  IDamalS  gog  man 
nach  £)lpmpia  nicht  um  Spiele  gu  feiern,  fonbern  um  bie  Sahun» 
gen  ber  Gottheit  gu  vernehmen  unb  an  hi’^heiliger  Stätte 
hoppelt  mittfame  unb  mohlgefäQige  Dpfer  bargubringen 

3Benn  nun  aber  auch  allmählich  ba8  ^Infehen  ber  prophe« 
tifchen  Stätte  über  ber  ©ntmidelung  ber  anberen  Seiten  olpm» 
pifcher  |)errlichfeit  mehr  unb  mehr  bahinfchmanb,  fo  erhielt  ftch 
buch  bie  (ärinnerung  baran  in  ben  Seherf amilien  ber 
Samiben,  Älntiaben  unb  JeÜiaben  fort,  beten  ©lieber  in  eine 
priefterlichc  ©enoffenf^aft  eingeorbnet  mären.  2)ie  2elliaben 

i*K) 


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27 


treten  geitig  in  ben  ^intetgrunb,  bie  beiben  anbern  @ef(i^Ie(^tet 
aber  nahmen  Sa^r^unberte  lang  an  ben  Opfern  t^eU  unb  pfleg* 
ten  am  .^o^altar  bed  3eud  altüberlieferter  Jbunft  auS  ben 
brennenben  Settt^eüen  ber  ©cbenfel,  befonbetd  aber  and  ben 
Siiffen  unb  ©palten  be8  ScUeö  ber  bargebratbten  Opfert^iere 
bie  Sufunft  gu  beuten.  3nbem  fo  bie  ©eljerfunft  ben  @ef(^le<^» 
tern  an^aftetr,  blieb  bie  Stellung  ald  Opferma^ifager  in  ben* 
felben  eine  lebenslängliche  unb  erbliche,  mdhrenb  bie  übrigen 
geiftlichen  SBürben  gumeift  burch  9Bahl  befe^t  mürben.  So  er* 
hielt  fich  vom  SSater  auf  ben  Sohn  fortgeerbt  bie  eigenthüm* 
liehe  ^enntni§  ber  Sei^enbeutung  alS  merthooHer  Sefi^  unb 
mit  ihr  oerbunben  ein  Scha^  ftaatli^er  unb  gotteSbienftlicher 
SSeiSheit,  ber  auch  im  iSuSlanbe  21nerfennung  fanb.  Mächtige 
Staaten  juchten  ©lieber  biefer  ©efchle^ter  alS  IRathgeber  in 
ihr  8anb  gu  giehen,  unb  bie  ©ejchichte  berietet  oon  bem  6in» 
mitten  biefer  SKännet  auf  bie  ©reigniffc.  fflamentlich  jeheint 
mon  fie  gern  als  ^eereSpriefter,  melche  bei  jfriegSgügen  bie 
Beihilfe  bet  ©ottheiten  »ermittelten  unb  jelbft  friegerifche  IRoth  * 
fchläge  ertheilten,  gemonnen  gu  haben.  3n  ihrer  ^eimath  aber 
geugen  gahlreiche  Snfehriften  noch  in  romifcher  Seit  »on  ihrer 
2:heilnahme  am  Sltarbienfte.  S)ie  SluSgrabungeri  haben  ein 
mertmürbigeS  ^enfmal  gu  Sage  geförbert,  melcheS  man  mit 
biefen  Sehern  in  Segiehung  gebracht  hat-  ©S  ift  ein  niebriger 
»ieteefiger  Sitar  mit  aufgemalter  ISldtterDergiecung  unb  ber  3n* 
fchrift  fjQwog,  baS  ift  „bem  J^eroS  gehörig".  9ldhere  Unter* 
juihung  ergab,  bah  unter  brr  oberften  ^arbfehicht  anbere  ftch 
befanben,  unb  eine  »orfkhtige  Sblöjung  etmieS,  bah  mehr  als 
ein  3)uhenb  foefcer  Schiften  mit  ähnlicher  SBetgietung  überein* 
anberlagen.  S)ie  forgfdltig  angefertigten  Sbbilbnngen  aber  geigen 
einen  SBechfel  ber  3nfdhrift,  mitunter  finbet  fich  neben  fjQu>ng 
in  bet  ©ingahl  auch  ^ie  Sorm  ber  SWehrgahl  r^Qiiutv.  5Den 

(427) 


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28 


®c^(u§  »on  @urttud,  ba|  biefet  auf  blo^ei  (£rbe  innerhalb 
eines  ^auerringS  mit  tricbterattigei  Vertiefung  in  einem  2ln« 
bau  beS  ben  Stb^ofolen  eingeräumten  SlmtSgebdubeS  gefunbene 
ültar  ben  beroifdben  Slbnbetrrn  bet  Samiben  unb  ^Iptiaben 
ober  bem  bei  erfteren  adein  gemibmet  mar,  unb  ba^  barauS 
bei  9Beibfel  non  @inga^l  unb  lIRebija^t  fi(b  etfläte,  ift  febt 
beftecbenb.  3ft  er  richtig,  fo  mürbe  auch  bie  meitere  Folgerung, 
bah  eben  bort  bie  @tdtte  bed  @rborafel8  gemefen  fei,  jiemli^ 
berechtigt  etfcheinen.  @rmiefen  ift  freilidb  feines  non  beiben. 
2iu(h  fcheint  eS  an  ficb  mabrfcheinlidber,  ba§  baS  @dabei(igtbum, 
mie  bie  dtteften  ber  ^ItiS  überhaupt,  innerhalb  beS  c^ainS  unb 
näher  bem  ^ronoSbeige  3U  gelegen  h^l-  2iheof<^lenhauS 

aber  liegt  außerhalb  ber  meftli^en  SlltiSmauer.  ®ei  bem,  mie 
ihm  molle,  eS  mirb  baburch  ber  S^hatbeftanb  nicht  beeinflußt, 
baß  ber  olpmpiiche  2)ienft  ln  feinet  früßeften  Seit  unter  bet 
fcßmermiegenben  SRitmirlung  ber  Drafelgebung  ber  @rbgöttin 
unb  beS  SeuS,  nermittelt  burcß  erbli^e  ©ehergefcßlechter,  fich 
entmidfelt  unb  auSgeftaltet  h“i**)- 

3Qit  fommen  fchlteßlich  auf  einen  bet  erheblicßften  ^^eflcßtS* 
punfte  für  baS  Verftdnbniß  ber  olpmpifcßen  ©otteSnerehrung, 
nämlich  auf'baS  Beftmefen  unb  ben  heiligen  dfalenber.  Senn 
eS  ftch  nach  griedhifcher  Sitte  »on  felbft  »erfteßt,  baß  bie  @ott» 
ßeiten  eines  in  ritualer  ÜluSbilbung  fo  ßocßentmicfelten  DrteS  je 
nach  ißter  Vebeutung  neben  bem  laufenben  5)ienfte  auch  i>urch 
befonbere  geiern  geeßrt  merben  mußten,  unb  menn  biefe  geietn 
an  beftimmt  mieberfeßrenbe  Stage  im  Saßre  ober  einen  längeren 
Slbfcßnitt  gebunbenmaren,  foergiebtftchnothmenbigbaSVorßanben» 
fein  einet  für  bie  Swedfe  beS  ©otteSbienfteS  georbneten  Seit» 
eintßeilung.  Seßtere  feßt  als  @runblage  ben  bürgerlichen  dfa» 
lenber  voraus.  Snbeß  ift  biefer  in  feinen  9(nfängen  überaD  in 
griechifchen  ganben  felbft  auS  ben  religißfen  Vebürfniffen  et» 

(4*8) 


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29 


»a^fen.  9[lte  |)tiefteTiDei0^eit  ^at  bet  ben  ^edenen  bte 
ftbwterige  dReffung  unb  Orbnung  ber  Seit  burcb  @rfenntni§  be0 
Kaufes  bet  beiben  meffenben  ®eftirne  @onne  unb  dßonb  ju 
beaetffteDtgen  gelernt.  5)ie  ©tiefen  befaßen  ein  SRonbjabr  »on 
12  SRonbmonaten  ober  354  Sagen.  S)iefeS  blieb  Eintet  bem 
@onneniabt  um  11^  Sage  gurücf.  .^ierauS  ergiebt  fi^,  ba§ 
beftimmt  batirte  ©ötterfefte  nad)  unb  nach  bitten  bur^i  aOe 
3abre0jeiten  muffen.  6in  folget  Suftanb  war 

ganj  unbaltbar.  (Sin  ©rntefeft  3.  S.,  bei  »eicbem  gemiffen 
©ottbeiten  !Banf  für  bie  ©abe  ber  gelber  bargebradbt  »erben  foH, 
fann  ni^t  baS  eine  mal  am  1.  Sluguft,  ba0  nä^fte  3abr  11^  Sage 
früber  am  21.  Suli  unb  natb  SSetlauf  »on  3ebn  »eiteren  Sobren 
3U  Anfang  SKörg  gefeiert  »erben.  SIbbilfe  bot  allein  ein  Slu§» 
glei^  3»if(ben  bem  «Sonnenjabr  »on  365|  unb  bem  ÜRonbjabt 
»on  354  Sagen  burcb  recbt3eitige  ©infcbaltung  an  3»edmä§iget 
©teile,  ©ebr  fröb  wan  auf  ben  a^tjäbrigen  ©(balttreiö 
gefommen.  3n  a^t  Sab’^*“  ergiebt  bet  ttnterf^ieb  »on  je 
11^  Sagen  bie  runbe  ©umme  »on  90  Sagen  unb  biefe  90  Sage 
teilte  man  in  3 dltonate  »on  je  30  Sagen  auf  unb  fügte  jebeS 
brüte,  fünfte  unb  atbte  3abt  biefeö  Seitgan3en  einen  gu  ben 
übrigen  3»ölf  als  ©dbaltmonat  gu.  ©0  entftanb  bad  berühmte 
©roljabr  ber  ©rietben,  bie  fogenannte  DftaeteriS,  »eltbe  ad)t 
gewöbnlitb«  3ab^f  umfafete  unb,  al§  ein  beüifleS  ©angeö  geltenb, 
»obl  überall  burcb  ein  b<t»orragenbeS  geft  bet  ganbeSgottbeit 
eingeleitet  »urbe.  3(u^  bie  elifcbe  ©eberfcbaft,  »eicbet,  »ie  au8 
einet  ©teile  beö  ^aufaniaS  b«’f®argu geben  fcbeint,  bie  Orbnung 
beö  Äalenberö  oblag,  baüe  biefe  ©inridbtung  bereits  febt  früh 
burcbgefübrt,  ein  SSerbienft,  baS,  »ie  manche  anbete  ber  olpmpifcben 
SDrbnungen,  bem  ^erafleS  gugefcbrieben  »urbe.  33ieIeS  fbricbt 
bafür,  ba|  bie  alten  Olympien  beS  SeuS  unb  ber  j^era  bereinft 
a^tjSbrig  gefeiert  »urben.  ©ie  »aren  ein  ©dbaltfeft  gut  ©in» 


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30 


teitung  beS  neuen  ScitfreifeS  unb  hielten  ben  @inn  einer  grogen 
Steinigung  unb  SteugerfteOung  bet  gottedbienftli^en  Regierungen 
feft.  0)>äter,  a(d  bet  ®Iang  bet  0piele  beten  r^ufige  9Bieber> 
rotung  ertnünlcgt  machte,  uutbe  bad  groge  Sogt  non  99  SJtonaten 
in  gwei  Sgeile  getlegt  unb  bie  Dipntpienfeiet  ade  vier  Sagte 
abtt>e(gfelnb  balb  nadg  49,  halb  nacg  50  dJtonaten  begangen.  3)a4 
elif^'olpmt^ifcge  Sagt  begann  im  ^ocgfommet  an  bem  bet 
0ommetfonnenmenbe  gunäcgft  liegenben  92eumonb.  Ron  ba  an 
liefen  nun  feine  gwolf  SJtonbmonate  oon  abmecgfelnb  30  unb 
29  Slagen  tegelmägig  fort.  Ron  ben  Stamen  biefet  SRonate 
pnb  nur  »iet  belaunt.  SBie  bet  etfte  ÜRouat  be8  3agte8  genannt 
mutbe,  miffen  mit  nicgt,  bet  gmeite  aber  gieg  SlpoOonioS  unb  ent* 
jpta^  etroa  unferm  Sluguft,  bet  britte,  ^artgeniofl,  fiel  in  bie  3«it 
beä  September,  bet  neunte,  @(apgio8,  in  bie  be8  IDtärg.  @nbli(g 
gaben  bie  3nf(grifteu  einen  5Jlonat  SlgpioS  überliefert ; biefet  mat 
oermutgli(ig  bet  fünfte  unb  etma  bem  Slooembet  gleicggeitig.  >*) 
@8  fteQt  fi(g  nun  bie  miffenfcgaftlicge  iSufgabe  getau8,  gu 
ermitteln,  mel(ge  ©ütterfefte  @li8  unb  Olpmpia,  bie  in  biefem 
gaQe  bei  bet  gemeinfamen  Oberleitung  unb  bem  Sufammengang 
bet  gotteSbienftlicgen  Retfaffung  al8  ein  @ange8  gu  betrauten 
pnb,  gefeiert  gat,  unb  in  meldje  SJlonate  biefelben  fielen.  Allein 
biefe  Aufgabe  ift  nur  in  menigen  ©tüdfen  I68bat.  O^leicg  ben 
Krümmern  eineS  9lto|ai(boben8 , non  beffen  Rilbmufter  einige 
Umriffe  ergalten  finb  unb  augetbem  ein  befcgeibeneä  ^)5ufdgen 
bunter  ©teine  ogne  Otbnung,  liegt  bet  überlieferte  ©toff  not  ben 
klugen  be8  ^otfcgerS,  Siatgfel  übet  Siätgfel  bietenb,  bie  gum 
grögeren  2geil  niemals  igre  Söfung  finben  merben.  ©orgfdltigeö 
©udgen  ermöglicgt  gier  unb  ba  einige  ©tüde  miebergerguftetlen;  im 
gangen  ift  nur  gu  ertennen,  bag  ein  moglgeorbneteß  SBerf  not« 
ganben  mar.  güt  bie  erften  IDtonate  mirb  bureg  bie  @ef^i(gte 
bet  S^ftfpiele  nodg  am  meiften  Singalt  geboten.  ^Qe  nier  Sagte 

(4J0) 


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31 


obwec^felnb , baS  eine  mal  im  '2(polloniee,  baS  anbre  mal  im 
^att^enioö,  fanben  ju  6^ten  beö  3eu8  bic  Dlpmpien  ftatt.  @ie 
fielen  in  bie  SSoQmonbgjeit  unb  bauerten  urfprünglidl}  einen, 
fpäter  fünf  Jage,  »om  11.  btfl  jum  16.  bc8  SfflonatS.  ®a8  geft 
beftanb  in  gefc^icbtlicbet  Seit  au8  ben  3Seltf)}{e[en  ber  ORünnet 
unb  Sünglinge  im  @tabion  unb  in  ber  Siennba^n,  baran  fcblofi 
ftdj  eine  feierlicbe  ^rojeffion  mit  bem  @taat8opfer  ber  6Ieer 
unb  fefili^e  SBemirt^ung  ber  ©afte,  »on  ben  freiwilligen  ®ar» 
bringungen  nic^t  gu  reben.  !Die  erften  5lage  be8  jDlpmt^ien« 
monat8  gehörten  bereit8  bem  ©otte8frieben  an  unb  waren  bur<b 
rituelle  lOorbereitungen , |>erDenfeicrn  unb  freiwillige  £)t>fer 
befe^t;  in  6li8  begingen  bie  ©ecböje^n  grauen  ein  Irauerfeft 
am  ©rabe  be8  9ld^iQeu8.  3n  ben  ÜRonat  |)art^enio8  fiel  in 
bemjelben  Saljre,  wie  bie  Dlpmtjien,  ba8  ^o(bfeft  ber  ^era,  bie 
|)eräen.  @8  beftanb  au8  bem  oben  erwähnten  SBettlauf  ber 
Sungfrauen,  einer  ^Jrojejfion  unb  bem  Opfer  einer  Äu^  mit 
bem  üblichen  geft{cbmau8,  auch  würbe  ber  ©öttin  ba8  non  ben 
@ecb83e^n  gewebte  ^raebtgewanb  bargebrad)t.  gerner  f^eint 
bie  jä^rlic^e  Slobtenfeier  be8  ^ippobamia  um  biefelbe  Seit  ftatt* 
gefunben  3u  ^aben.  93  on  geften  ber  näc^ften  SJlonate  ift  ni(^t8 
überliefert  bi8  gum  !£^pio8.  3n  biefem  beging  man  in  @li8  bie 
93aIcbo8feier  ber  ^^pien,  bei  weldper  ber  ©ott  bureb  ein  noep 
erpaltene8  8ieb  ber  ©eepgepn  grauen  perbeigerufen  würbe  unb 
fein  ©rfepeinen  baburep  lunb  gab,  bap  in  einer  oerfcploffenen 
j^apetle  oor  ber  ©tabt  aufgeftetlte  ^effel  in  wunberbarer  9Ei)eife 
ft(p  mit  Sein  anfüDten.  IDaran  fcplop  fi<p  feftli(pe8  ©elage 
mit  Opfern  unb  mufifalif(p»bramatif(pe8  geftfpiel  wanbember 
©(paufpielertruppen  im  Slpeater.  3m  ÜJionat  6lappio8  begegnen 
un8  meprere  gefte;  gunöcpft  »eranftaltete  man  in  Olpmpia  eine 
grope  geier  gu  ©pren  ber  9lrtemi8  ©lappia.  gerner  würbe  am 
19.  be8  9Jlonat8  bie  9lfdpe  oom  Slltar  ber  .^eerbgöttin  auf  ben 

(4*1) 


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32 


,^0(^altat  bed  übertragen.  2(m  Sage  bec  $rübling8«Sag* 
unb  9iacbtg(ei(be,  bie  in  benfelben  äRonat  fiel,  braibten  bie 
Äronoepriefter  tbrem  @otte  ba8  ^)ß^eno^>fet  bar.’“) 

JDieö  finb  bie  bürftigen  Uebetliefetungen  berjenigen  ©türfe 
be8  elifcben  tneldbe  ftcb  noch  in  i^rer  geitUdben  93ei> 

tbeilung  erfennen  laffen.  äSeiter  ift  berichtet,  ba§  in  Cl^mpia 
ber  @5ttin  @i(eitb9ia  unb  bem  IDämon  ©ofipolis  gu  bie 

oben  gefcbilberte  ^rauenfeier  begangen  mürbe,  ba§  ber  IHrtemiS 
au^er  bem  norbingenannten  noib  anbre  ^efte  gewibmet  maren, 
ba§  |)elop8  feine  jäbrlicben  .^eroenebren  erhielt,  bab  in  ©tabt 
^lie  baö  ^eiligtbum  be8  Unterweltdgotte8  .^abeS  einmal  fabtliib 
aufftanb,  aber  au^  bann  nur  con  feinem  ^riefter  betreten  atx* 
ben  burfte.  ßbenbafelbft  fanb  ein  SBettftreit  ber  ©cbönbeit 
ftatt,  bei  meinem  bie  ©ieger  SBaffen  al8  $rei8  erhielten,  melibe 
fie  ber  Ültbene  meibeten.  3lber  mir  »iffen  nicht,  in  »eliben 
SJlonaten  biefe  ^eftlidbfeiten  begangen  mürben.  S>ab  enblicb 
au^  anbern  Gottheiten,  mie  in  Olhmt^ia  namentli^  ber  {Rb<^> 
bie  einen  ber  groben  Sempel  bejah,  ber  IDemeter,  bem  apollon, 
bem  ^ofeibon,  ber  Slpbrobite  Urania,  ferner  ben  3nb®&ei^  ^8' 
midbtigften  ISttcire  unb  manchen  bet  .^eroen,  vor  aOem  bem 
^erafleö,  eigene  Sahreöfefte  gefeiert  mürben,  batf  angenommen 
merbeur  überliefert  ift  nichts  baoon.  ^Dagegen  füllt  ftdb  baS 
gotteSbienftlicbe  Saht  bnrdh  bie  tdgli^en  Dpfer  beö  3eu8  unb 
ben  monatlichen  IRunbgang  an  allen  ütltären,  fo  mie  bie  feft« 
gefegten  SBeingüffe  für  bie  .^etoen.  ^Rechnet  man  gu  aOebem 
Gingelftiftungen  unb  bejonbere  Gebräuche,  mie  fie  überall  an 
Stätten  grober  Götteroerehrung  in  Griedbenlanb  in  8Jlenge  »or« 
hanben  maren,  jo  läbt  fi^  ein  ©d^lub  auf  bie  ununterbrochene 
IRegfamfeit  be8  gottedbienftli^en  SirfenS  machen.  @8  ift  un« 
oetfennbat,  bab  bie  geiftlichen  Sehörben  oon  Gli8,  um  ni^ts 
gu  oerfehen,  9titualaufgeichnungen  ähnlidbet  Slrt,  mie  bie  .^eiligen* 

f«S) 


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33 


talenber  bei  römift^en  J^irc^e  unb  b{e  9lefio(ogien  bed  3RitteI* 
alteiö  befeffen  ^aben  muffen. 

gut  un8  Hegt  auf  biefem  ©ebiete  ein  Stmmmerfelb  »ot, 
nici^t  minbec  grc§  unb  nic^t  minber  miir  mie  baSjentge,  melc^eS 
bie  Slufigrabungen  in  bei  2llti8  blo^gelegt  ^aben.  3mmet()in 
entbcdt  ba8  fud^enbe  iSuge  au(^  au8  biefem  SBirrfal  weit^DoUe 
©injel^eiten,  mel^e,  wenn  man  fie  in  gebü^renbet  SBeife  gu 
einem  ©äugen  ncroollftänbigt  benft,  belunben,  wie  gio^attig 
ba8  alte  Dlpmpia  auf  bem  ©ebiete  gotte8bienftIidber  ©inric^tungen 
au8geftattet  war.  SBa8  un8  iReueie  aber  woi)I  am  meiften  in 
©iftaunen  fe^t,  ift  bie  ^b^tfacbe,  ba§  biefe  ©inrid^tungen  weit 
über  ein  Saljrtaufenb  fi(b  ungeftört  erhalten  Ijaben.  35enn  bi8 
über  ba8  adjte  3abrb“n^>®’^*  Dordiriftlicben  Seit  gurüd  (affen 
fie  fi(b  oerfolgen,  unb  bi8  ju  ©nbe  be8  »ierten  3a^r^unbert8 
nach  ©brifto  haben  fie  in  faum  unterbrochener  fRegelmähigfeit 
angebauert.  3ahrau8  jahrein,  auch  wenn  ber  alle  »iei  3ahre 
erneute  8örm  ber  Spiele  f^wieg,  oerrichteten  bie  geiftlichen 
33ehörben  »on  ©li8  ihre  Obliegenheiten  in  ber  prachterfüllten 
Stätte  ber  ISltäre,  SBeilfgef^enle  unb  h«iiis®”  Sauten.  Slber 
fie  wußten  fehr  wohl,  warum  fie  biefe  ^flid|ten  fo  ernft  nahmen: 
fie  felbft  unb  ihr  8anb  ficherten  fich  baburch  SSohlftanb  unb 
©influh  weithin  übet  bie  gange  antife  SBelt.  Unb  wenn  ber 
größte  Staat8mann  unferer  Slage  mit  fRecht  barauf  hingewiefen 
hat,  ba§,  fo  weit  gefchichtliche  Ueberlieferung  reidht,  ber  alte 
SBettftreit  gwifchen  Äönigthum  unb  ^riefterthum  fich  »erfolgen 
laffe,  fo  beweifen  bie  merfwürbigen  ©inri^tungen  folget  Orte 
wie  Olpmpia,  ba§  auch  in  ©riechenlanb  ba8  |)riefterthum  cer<^ 
ftanben  hat,  eine  ebenfo  glängenbe,  wie  tief  eingreifenbe  3Ra^t 


^Xntnerhnitgeit. 


1)  966übung  beS  Srümmerfelbd  in  bcn  Sludgrabungdtonlen, 
au^  b«  31.  S3ßtli<^er,  Dl^mpia  iEof.  II.  XII.  25a8  2öerf  »on  ©ötti^ier 
barf  folgen,  bie  ein  leidet  jugänglic^eS  ©efammtbilb  beS  alten  DIpmpia 
nnb  feiner  @ef(^i^te  ju  erhalten  tcünfd)en,  t>or  aQen  empfohlen  werben. 

2)  Untergang  DIpmpiaS:  ngl.  Sücfing,  Monatsberichte  ber 
berliner  3lfab.  1881,  6 315  ff.  6urtiu«-3tbler,  Olpmpia  nnb  Umgegenb, 
©.  18  f.  SBötticIjer,  a.  a.  O.  ©.  29  ff. 

3)  .^eiligfeit  unb  gute  SSertoaltung  non  @liS:  ©trabo  8 
©.  333.  343.  358.  366  f.  ^olpb.  4,  73  f.  3Eenoph-  7,  4,  30.  |)au. 
faniaS  4,  28,  4. 

4)  33ewohner  oon  DIpmpia:  ogl.  @.  6urttu8,  bte  3(Uäre  non 
DIptnpia,  3lbh.  Serl.  3lfab.  1881  ©.  18.  28.  38. 

5)  Ueberficht  ber  3(Iti8:  ogI.  bie  3:afeln  non  jtaubert  unb 
®6rpfelb  bet  6urtiu8*3tbler  a.  a.  JD.;  über  bie  SBafferleitungen  ebb.  ©.14 
unb  Strchäologijclje  Sf'tung  1883  ©.  274. 

6)  Slltäre:  $auf.  5,  14,  5.  SSgl.  6urtiu8,  Stb^.  SerL  311.  1881 
©.  3 ff.  unb  bie  Ueberficht  ©.  39. 

7)  Hochaltar:  f)auf.  5,  13,  5 ff.  14,  5 ff.,  t»gl.  2.  Mofe  20,  25. 
— 2)ie  Doppclaltäre:  ^eroboroS  bet  ©^ol.  ^inb.  £)I.  5,  10.  StpoUcbor  2, 
7,  2. 

8)  SSronjefunbe:  Surtwöngler,  31bh.  33erl.  3lfab.  1879  ©.  4 ff. 
tDreifü§e:  ebb.  ©.  12  ff.  14.  103.  (5urtiu8,  3Utäre  ©.  10  ff. 

9)  3teUefter  ©otteSbienft:  ogl.  Sßtticher  a.  a.  D.  ©.  186. 

10)  Sempelbauten;  ogL  6urttu8<3(bter  @.  36  ff.  ^auf.  6,  20. 
ößtticher  ©.  190  ff.  246  ff. 

11)  geftopfer:  jJraufe,  Dlputpia  ©.  77  ff. 

(4S4) 


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35 


12)  SKonotSclJfer:  ?)auf.  5,  15,  6 f. 

13)  S3 tarnte:  ^auf.  5,  15,  6.  93gl.  ÜDittenberger , 8r^.  3*9- 

1880  S.  57.  ff.  Onfc^riften).  (Surtiud  Slltare  ®.  18.  ÖÖtticf)«  ©.  151. 

Sa^rbücfiet  für  1883  ©.  480  f- 

14)  grauenbienfte:  ?)ouf.  5,  16,  2.  6,  20,  1 ff.  ’JSgl.  meine  Slb^. 
über  baa  (Sollegium  bei  ©e(!^ajc^n  grauen  jc.  ^rogr.  SBeimat  1883. 

15)  fernen:  »gl.  Slb^.  ®e(^8je^n  grauen  ®.  19.  O^lert,  ©eitröge 
jur  4)ercoIogie  bet  ©rieten.  ?)rogr.  ?auban  1875  u.  1876. 

16)  Jobtenbienft:  Äb^.  ©edp8je^n  grauen  ®.  18  ff. 

17)  Drafel:  ©trabe  8 b.  353.  Sßouf.  5,  14,  8.  ogl.  6urtiu8, 
Ältöre  ©.  14  ff. 

18)  ©e^ergeft^Icc^ter:  ©(f>oL  |)inb.  DI.  6,  7.  111.  ©gL  6urtiu8 
Slltöre  ©.  16  ff.  Slbbilbung  be8  ^)eroenaltor8  ebb.  ©.  22  f.  unb  S^fel  I. 
©ötticber  ©.  312. 

19)  @Hf(^er  i?alenbet:  ©cf)ol.  |)inb.  Dl.  3,  33.  35.  ©auf.  5, 
13,  11.  6,  20,  1.  ?lbb.  ©ci^je^n  grouen  ©.  13. 

20)  6lifefie8  geft  ja  br:  cgi- 4)ermann,  @otte8bienftI.  Slltertbümer 
2.  3Iufl.  § 51,  1 ff.  31bb.  ©edjSifbn  gr.  ©.  10  ff.  — @ine  eingebenbe 
iDarftedung  bitfea  ©egenftanbea  ift  een  mir  eerbereitet. 


(4J4) 

3>ruit  Bsn  (Kebr.  Ungti  (Sb.  ttrimm),  Dnltn  SW. 


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tteaer  hie  #renseit 


jtt)ifd)en 

pfijdiifdirr  irfunli|eit  ntili  idUrsfliinino. 


6 1 n c @ t u b i e 

Don 

Dr.  d.  pelmott, 

®ireftor  ber  Snenanftalt  ©rafenberg. 


m 


fietlin  SW.,  1884. 
Serlag  Don  ®arl  ^abel. 

(€.  10.  tnitritj’litlt  Stclagsboijlllinilaiig.) 

33.  SU^tIm>etraic  33. 


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2)aä  fRe^t  bei  Ueberff^ung  in  frembe  3prad)rn  roirb  norbe^alten. 


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Unter  ben  gortfc^ritten,  an  benen  unfere  Seit  fo  reic^  ift, 
ftefet  bie  ©ntroidetung  ber  ?Ratur»ifienf(^aften  oben  an,  unb  bic 
kelteren  unter  und  werben  ber  SBanblungen  nod^  wol^l 
erinnern,  bie  unfere  Slnfd^auungen  auf  biefem  ©ebiete  erlitten 
^aben.  S)enn  nic^t  immer  ftanb  ber  @a^,  ba^  bie  Statur  feine 
Sprünge  mad^e,  fo  unbeftritteu  feft,  wie  bieß  ^eutjutage  ber 
gall  ift.  SBo  je^t  taufenb  ^fabe  bequem  unb  faft  unmerfbar 
»on  einem  ©ebiete  3um  anbem  ^inüberfü^ren,  ba  flafften  nodb 
»or  furgem  faft  unüberfteiglic^e  Slbgrünbe  unb  man  fonnte  ftcb 
ein  neueß  Seitalter  nur  auf  ben  Drummern  beß  alten  benfen, 
baß  erft  in  Seuer  unb  SBaffer  mit  adern,  waß  eß  enthalten, 
gu  ©runbe  ge^en  mu§te,  um  einer  neuen  Schöpfung  ^la^  gu 
mad^en.  . 

3)afe  eß  ^ier  gang  anberß  geworben  unb  unfere  3tnf(^auungen 
fic^  fo  »on  ©runb  auß  gu  einem  anberen  unb  beffereu  »eränbert 
^aben,  baß  »crbanfen  wir  in  erfter  Steife  bem  gorfdjergeifte 
eineß  UJlanneß,  beffen  9tamen  wir  mit  mehr  ober  weniger 
SSereljrung,  immer  aber  mit  öewunberung  nennen  müffen. 
6^.  JDarwin  war  eß,  bet  butt^  feine  großartigen  gorfc^ungeu 
baß  gange  ©ebiet  bet  9taturwiffenf(^aften  mit  neuem  geben 
befeelte,  unb  beffen  E^eorien  ein  früher  ungeaßnteß  gid^t  narb 
allen  Seiten  außftrablen. 

Sa,  eß  ift  anberß  geworben,  baß  läßt  fi^  nun  einmal  ni^t 
leugnen,  unb  für  ungäblig  »iele  2)inge  würbe  unß  baß  Set* 

XIX.  444.  1*  (43S) 


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4 


ftanbnil  etfc^loffen,  ao  früher  tiefcö  ®unfel  unb  unficbeted 
Umljertappen  ^cnfc^te. 

33on  ollem  am  meiften  ober  bot  bie  (ätfenntni^  be6  9Renf(ben 
felbft  gewonnen,  bafl  unftreitig  fcbwierigfte,  ober  ebenfo  nnbe» 
ftritten  oud)  bo8  intereffontefte  @ebtet,  weldje8  bet  eineÄ 
^urjcberg  betreten  fonn.  Unb  unter  benen,  welchen  bie  neue 
Sebre  ju  @ute  gefommen  ift,  ftebt  bie  @eelenl}eilfunbe  ntc^t 
jule^t. 

35et  Botbin  erwähnte  ©o^,  bie  9lotur  mo(bt  feine  ©prünge, 
gilt  für  fie  fernetbin  eben  fo  gut,  wie  für  aDe  onberen  3»fige 
ber  groben  Üloturfunbe.  Äeine  jcbotfe  @renje  trennt  bie  geiftige 
©ejunbbeit  oon  bem  jfrantfein,  unb  wie  überall  in  bet  9lotut 
gebt  eins  in’S  onbere  ollmöblicb  über.  33on  bem  beftgeorb« 
netftem  ©eiftc  biß  gut  tbieräbnlicben  ©ntortung  fönnen  wir  eine  * 
ftufenweife  SBeronbetung  uetfolgen,  unb  in  biefer  Äette  reibt 
ti(b  ®lieb  an  ©lieb  ebne  8üdfe  unb  ohne  Unterbrechung. 

Um  l'o  leichter  bie  ÜSeurtbeilung  an  ben  äu|erften  fünften 
ift,  um  fo  {^wieriger  wirb  fie  nach  ber  Witte  bin,  unb  eS  giebt 
ein  breites  unb  redbt  beBölferteS  ©renjgebiet,  wo  eS  genauer 
jVenntnib  unb  grober  Uebung  bebarf,  um  ben  Borliegenben  $aQ 
richtig  aufjufaffen  unb  ju  beurtbeilen.  ^ier  ift  ber  weite 
Summelplab  aller  oerfannteu  ©enieS  unb  auch  wohl  einiger 
echten,  \)iex  begegnen  wir  ben  fogenannten  Driginalen,  ben  @t» 
finbern,  JHeformatoren , ganatifern  unb  Snfpirirten,  bierbet  ä«* 
bören  bie  Summier  unb  Sagabunben  oon  Wetier  unb  bie 
falfchen  Propheten,  ja  nach  ^^nficht  Bieter  auch  bie  wahren. 
Sor  allem  aber  beBÖltert  biefeS  3n>iffhcnlanb  bie  grofee  Waffe 
bet  gewobnbeitSmä§igen  Setbrecher. 

@8  ift  leicht  etflärlich,  ba§  man  biefen  3wftünben  erft  fpät 
feine  iHufmerffamfeit  juwanbte,  unb  manche  bo'Ten  noch  i’i^  nuf 
biefe  ©tunbe  ihres  WeifterS.  IDenn  als  man  überhaupt  anfing, 
ein  Serftonbnih  für  bie  fronfhaften  ©eelenjuftänbe  ju  gewinnen 
unb  fich  bie  Uebergeugung  Sahn  brach,  man  h<>be  eS  h<ct  n^i^ 

C440) 


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5 


Äranfen  ju  l^un,  bie  man  nic^t,  wie  bieS  biflljer  gefd^e^en,  für 
ben  JReft  i^reS  Gebens  in  Äetten  legen,  fonbern  bie  man  be» 

^anbeln  unb  feilen  fönne,  ba  war  e0  flar,  ba§  man  fi(^  juerft 
ben  Suftänben  un3n)eifell)after  ©eifteflftörung  jumanbte.  ,^ier 
t^at  eine  ^)ülfe  »ct  aflem  unb  l)ier  griff  man  auc^  ^elfenb 
unb  föibernb  ein. 

9iac^  unb  na^  aber  erweiterte  fidj  bie  Äenntnife  unb  man 
fonnte  fic^  ber  Ueberjeugung  ni(bt  »et|c^lie§en , ba^  eS  neben 
ben  gwetfeOod  unb,  wenn  ic^  fo  fagen  barf,  ben  offiziell  cer< 
rücften  noc^  eine  gweite  unb  nicht  etwa  Keine  Älaffe  »on 
3ubimbuen  gebe,  bie  man  faum  nedb  ben  geiftig  gefunben  gu« 
gäljlen  bütfe. 

Unb  möchte  ich  mich  0lei<h  ocu  uemherein  gegen  ein 
etwaiges  SJlihoerftänbnih  ficher  [teilen,  unb  meine  Verwahrung 
gegen  hieraus  heroorgehenbe  Vorwürfe  einlegen. 

9Kan  wirft  ben  Srrenärgten  guweilen  nor,  bafe  fie,  fei  eS 
nun  aus  allgu  einfeitiger  Vefchäftigung  mit  bem  weniger  »er« 
ftänbigen  2.heite  unferer  fDKtmenfchen,  fei  eS  burch  ben  hierburch 
gef^ärfteren  Vlid,  oft  auch  eine  Q^eifteSftorung  gu  fehen 
glaubten,  wo  fie  in  ber  SBirflichfeit  nicht  »orhanben  ift,  unb  ba§ 
ihnen  gegenüber  eigentlich  Viemanb  ficher  fei,  am  @nbe  gar 
für  nicht  recht  richtig  gehalten  gu  werben. 

©egen  biefen  Vorwurf  nun  möchte  ich  »erwahren. 
fßieht  minber  aber  auch  gegen  ben  Verbacht,  ba§  wir  fein 
Verftönbni§  für  ben  genialen  'Aaltenwurf  in  ber  ©eele  unferS 
Vächften  hätten,  unb  unS  am  @nbe  gar  einen  Vormalmenfchrn 
fonftruirten,  einen  ?Oiufterbürger  »on  Diuhe,  Orbnung  unb  gang* 
weiligfeit,  wo  wir  in  jeber  Abweichung  oon  biefer  Schablone 
ein  bebenflicheS  ,£)inneigen  gum  Srrfein  witterten.  2)aS  ift  nicht 
ber  ^aH,  unb  um  jebeS  9Ri§oerftänbnih  gu  nermeiben,  müffen 
wir  einen  Augenblicf  bei  bem  Vegriffe  ber  ©eifteSftörung  »er* 
weilen  unb  unS  barüber  Kar  werben,  waS  wir  aOeS  barunter 
»erftehen. 

C«i) 

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6 


Unter  ©eifteöflörnnß  im  weiteren  (ginne  umfaffen  wir  bie 
Sleu^erungen  bed  frant^aft  oeränberten  ^iin«  unb  9tetDenlebenS, 
ober  mit  anberen  SBorten,  bie  @eifteeftörung  ift  bie  ^olge  einer 
@rfranfung  bed  ©ebirned. 

JDaö  ift  einfadb  unb  flar,  unb  eö  mürbe  )omit  ber 
meid  einer  @rfranfung  beS  ©e^irneS,  a(S  beö  Organes  bet 
geiftigen  ^unftionen,  genügen,  um  aud)  bie  ©eiftedfranfbeit 
felbcr  feftgufteDen  unb  eine  f^arfe  ©renje  jwifcben  ©eifteS» 
gefunbbeit  unb  ^anfbeit  aufjuricbten. 

3n  Dielen  $äQen  wirb  unb  mug  bied  gelingen,  unb  id) 
weife  nur  auf  bie  gericbtlicben  Unterfudbungen  beö  ©emütbß* 
juftanbeß  bin,  in  anberen  aber  wirb  eß  fcbwer,  ja  unmöglich 
fein,  unb  jwar  auß  folgenben  ©rünben; 

9)ian  nennt  baß  ©ebim  baß  Organ  beß  ©eifteß  unb  biefe 
Annahme  bürfte  b^ui^  ^A»m  auf  ernftlicben  SBiberfprucb  fto^en. 

IDaß  normale  ©eifteßleben  ift  fo  enge  mit  ber  Integrität 
beß  ©ebirneß  oerfnüpft,  unb  bie  ©rfranfungen  beß  le^teren 
wirfen  fo  bireft  auf  bie  ^bötigfeit  beß  ©eifteß  ein,  ba§  eß  oer> 
geblicbeß  bemühen  wäre,  wcQten  wir  an  einem  urfäcblicben 
Sufammenbange,  wie  er  in  Organ  unb  gunction  gegeben  ift, 
noch  ferner  jweifeln.  Unb  bocb  liegen  bie  ©acben  b*«  etmaß 
anberß  alß  wie  bei  ben  übrigen  Organen  beß  ^örperß,  unb 
wir  unß  jenen  Sufammenbang  in  wefentlicb  anberer  SBeife 
DorjufteUen.  0et  ben  übrigen  Organen  nämlich  ift  bie  Bunftion 
bie  einfache  Bc^lge  auß  ber  anatomifchen  ©truftur.  fOiit  ber 
^enntnih  ber  Sufammenfehung  eineß  Organeß  ift  auch  baß 
IBerftänbnih  für  bie  Bunition  beffelben  gewonnen,  ba  biefe  ni^tß 
anbcreß  ift,  alß  baß  fRef ultat  ber  Bewegung  ber  Slbeile,  auß 
benen  fich  baß  Organ  jufammenfeht.  @o  jiebt  fich  ber  SKußtel 
jufammen,  weit  feine  fleinften  aȧ  einem  tontraftilen 

©emebe  befteben,  ^eber  unb  'Jiiere  fonbern  ab,  weil  ihre  Äon» 
ftruftion  baju  eingerichtet  ift,  unb  bie  ^bbftologie,  b.  b-  bie 
i!ebre  non  ben  Bunftionen  ber  menfchtichen  Organe,  ift  nichtß 


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7 


anbeiS,  ald  bie  praftif^e  Skmett^ung  bet  iinatomie,  weld^e 
und  ben  0au  bieiet  feiben  Organe  gelehrt  ^at. 

93etm  @ebitne  aber  ift  baS  anbetd,  unb  wir  mögen  no(^ 
fo  tief  in  feinen  inneren  Sau  unb  in  bie  onotomifi^e  Äon« 
ftruftion  feiner  fleinften  I^etlcben  eingebrungen  fein,  fo  fehlt 
und  hoch  bid  je|t  febe  Äunbe  über  bie  Semegung  betfelben, 
unb  von  einem  Sufammenhange  biefer  muthma^lichen  Semegung 
mit  bem  ©mpfinben,  IDenfen  unb  SBoQen,  jenen  Sleufeerungen, 
bie  wir  unter  bem  9iamen  bet  @eele  3ufammenfaffen , wifjen 
mit  nichtd.  • iSnbeterfeitd  ift  bad  @ehirn,  ald  bet  ebelfte 
bed  Äotperd,  oon  ber  9latur  mit  bem  ftärfften  Schule  umgeben. 
Starre  unb  ftarfe  Änodbenwänbe  hüDcn  ^i»  unb  fe^en  einer 
birettcn  Unterfuchung  beim  fUlenf^en  unüberwinbbore  Schranfen 
entgegen,  währenb  aQe  Unterfuchungen  bei  Schieten,  unb  würben 
pe  mit  nodj  jo  großer  ^finheit  unternommen,  und  übet  bie 
Sorgdnge  ber  Seele,  übet  Serönberungen  in  bem  ©mtJpnben, 
5)enfen  unb  SioQen  nur  fehr  fpätliihe  (Srgebniffe  liefern  lönnen. 

So  finb  wir  gerabe  hif'  großen  .^)ülfdmittel,  bie  und 
fonft  jut  Seite  fte^en,  beraubt  unb  bet  Spefulation  ift  ein 
größerer  Soben  freigegeben. 

Diefe  ülbfcbweifung  auf  bad  nicht  ganj  leichte  Gebiet  ber 
©ehirnphvpi’logie  f^ien  mir  nöthig,  um  auf  bie  Schwierigfeiten 
hinjuweifen,  welche  pch  einet  Seurtheilung  bet  Seelen3uftänbe 
entgegenftetlen , unb  bamit  man  ben  3trenat3t  ni^t  ber  Un> 
wiPenheit  3eihe,  wenn  ihm  biefe  Seurtheilung  guweilen  nicht 
fofort  gelingt.  S)enn  nidht  überall,  wo  bie  Seuperungen  bed 
Seelenlebend  oeränbert,  unb  mit  bem  normalen  ’^blaufe  ber 
^)irnthätigfeit  fehlest  iu  @inflang  gu  bringen  pnb,  miD  und  ber 
birefte  fßachmeid  einet  ©ehitnerfranfung  gelingen. 

SBir  müpen  und  aldbann  an  bie  ’^leupetungen  felber  holten, 
unb  fchon  ben  Schlup  aud  einer  Seränbetung  betfelben  auf  eine 
@tftanfung  bed  Otganed  wagen. 

£)ahet  fönnen  wir  auch  bad  Silb  eined  normalen  Seelen« 

(**») 


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8 


lebenS  nt(^t  entbehren  unb  jmat  bebütfen  ait  beffelben  al8 
emed  9Ra§ftabed,  an  welchem  wir  bie  Slbweic^ungen  bemef|en. 

2)o(^  ift  bied  nic^t  etwa  fo  gu  verfielen,  alS  ob  wir  etwas 
gang  befonbereS,  etwa  ein  ^tormalbilb  befä§en,  baS  unS  in 
feiner  urfprünglid^en  unb  non  aQem  Seiwert  loSgelöften  fRüc^> 
tern^eit  nac^  9lrt  ber  @oet^e’fd^en  Urt)fiange  alS  fRormalmeter 
ber  menf^licben  3nteIIigeng  gu  bienen  ^ätte.  3)ieS  ift  nid^t  ber 
gad.  SSielnie^r  befte^t  fogar  bie  Steigung , ber  Snbinibualität 
beS  @ingelnen  einen  größeren  «Spielraum  gu  gewähren,  alS  bieS 
wo^I  fonft  ber  Bad  ift- 

@0  wäre  falfd^,  wollte  man  in  jeber  9(bweid)ung  oon  jener 
9torm  fogleic^  eine  @eifteSftörung  oermut^en.  SBo^l  aber  ^at 
ficb  unfer  9uge  gewöhnt,  bort  f(^on  eine  in  baS  ©ebiet  beS 
^anf^aften  faHenbe  Sbweic^ung  oom  normalen  Seelenleben  gu 
fe^en,  wo  anbete  nur  iSbfonberlic^feiten , Ungegogen^eiten  ober 
gar  netbre(^erif(^e  Steigungen  anne^men,  unb  wenn  wir  ba^er 
ab  unb  gu  »erf(^iebenet  SReinung  pnb,  unb  IDiefen  ober  Seueu 
für  uns  beanfpruc^en,  ben  bie  öffentliche  SReinung  bet  SRip* 
achtung  unb  ber  Strafe  überweifen  will,  bann  meine  iä),.  mühte 
man  unS  eigentlich  gum  IDanfe  oerppichtet  fein,  bah  »>ir  unS 
bemühen,  an  bie  Stelle  ber  äSerachtung  baS  SRitleib,  unb  ftatt 
bet  Strafe  bie  Teilung  gu  fe^en. 

SBir  ade  fennen  bie  Driginale  unb  Sonbctlinge,  unb 
brauchen  gewih  nicht  weit  gu  fudjen,  um  auS  bem  engeren 
Greife  uufeter  Sefannten  ein  folcheS  Original  hwau^gugreifen. 
3war  ift  unfere  3^t  ben  Originalen  nicht  mehr  günpig,  unb 
nicht  mit  Unrecht  behauptet  man  oon  ihnen,  pe  theitten  baS 
8ooS  ber  Uroölfer  unb  gingen  bem  ^uSfterben  entgegen.  3(h 
glaube  bem  entgegenpeden  gu  foden,  bah  h^ute  noch 

in  gleicher  5Beife,  wie  früher,  geboren  werben,  bah  ihre  ®nt« 
wicfelung  bagegen  eine  oiel  fchwierigere  geworben  ift. 

Unb  baS  bringt  mich  gu  einer  anberen  @rwägung.  IDer 

(Ui) 


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9 


5Wenf(^  al6  Sabicibumn  ift  jwat  ein  ©an^eö,  aber  bicJeS  @ange 
ift  nur  bad  ^probuft  non  ©ebutt  unb  ©rjie^ung. 

2)ie  SKenf^ljeit  giebt  und  33ater  unb  üJiutter,  bie  SWenjd^* 
li^Ieit  bagejjen  nerlei^t  und  nur  bie  ©r^ie^unj. 

^ürft  ^antomir  brücft  biejen  ©ebanfen  in  folgenben 
SSerjen  auS: 

äßir  pflegen  bei  ^atuc  juar  aQed  betjulegen, 
iDodb  tt'enn  »ir  {eben  Jrieb  aufmerffant  nur  erwägen, 

0c  finbcn  wir,  ba^  e5  »on  ber  (Srjiebung  rübrt, 

Unb  ba^  i^r  aUe8  8cb  unb  aller  8Iud>  gebührt, 

2)a  ite  ber  jungen  23ruft  — bem  ©runb  ju  eblen  Jriebcn  — 

3m  ©egentbeil  baS  3}Ub  p gafterii  eingejcbrieben.  — 

SSir  werben,  wad  wir  finb,  burd)  ©eburt  unb  ©r^ieijung, 
unb  unfere  fpäteren  ©igenfcbaftcn  fangen  wir  ber 

9KuttermiI(^  ein,  an  biefem  ©efe^e  ift  nie^td  ju  änbern,  unb 
baffelbe  gilt  beule  gerabe  fo  gut,  wie  nor  taufenb  Saljren. 

aber  wenn  ed  auch  nidjt  in  unferer  9Jla(bt  ftebt,  bie  geifti« 
gen  göbigfeiten,  bie  wir  mit  jur  SSBelt  gebracht,  in  bad  ©egen» 
tbeil  gu  nerfebren  ober  gegen  anbere  umgutaufcben,  fo  ift  eine 
aenberung  berfelben  innerhalb  gewiffer  ©rcnjen  bodb  möglich, 
unb  wir  fonnen  ed  babin  bringen,  unfere  ftnnlichen  9ieigungen 
gu  begäbmen.  Talente  taffen  ficb  gwar  bort  nicht  erwerben,  wo 
fie  fehlen,  unb  aud  bem  geborenen  93erfchwenber  wirb  ebenfo 
wenig  ein  ©eigbald,  wie  aud  bem  SOiutbigen  ein  Feigling. 

Sohl  aber  liegt  ed  in  ber  fDlacht  bed  ©ingelnen,  ben  aud> 
wüdpjen  feined  angeborenen  Semperamented  entgegen  gu  arbeiten 
unb  ihnen  ba,  wo  Beit  unb  Umftänbe  ed  gebieten,  B^um  unb 
Bügel  angulegen.  Unb  ber  SSeg,  auf  welchem  mir  biefe  gäbigfeit 
erlangen,  ift  bie  ©rgiepung. 

Die  ©rgiebung  aber  ift  gegen  früher  eine  anbere  geworben, 

unb  fie  erweift  fich  beute  ber  ©ntwicfelung  ber  Originale 

gerabegu  feinbli^.  9Kag  man  ed  nun  tabeln  ober  loben,  fo 

ftebt  bad  ©ine  feft,  ba§  unfer  heutiger  gebrplan  ber  Snbiribua* 

lität  bed  ©ingelnen  wenig  ober  gar  feine  JRedjnung  trägt.  @r 

C«s) 


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10 


»erlangt  ein  genjiffefl  mittleres  9Jta^  unb  eine  beftimmte  mittlere 
Veranlagung.  3n  bieleS  ÜJMIitairma^  ber  3)tittelmä§igfeit  mu§ 
fi(%  ber  ©injelne  einpaffen,  unb  jebe  inbioibuelle  Äraftdufeerung 
über  baffelbe  hinaus  »irb  unangenehm  empfunben.  Vicht  mit 
Unrecht  hot  man  barauf  hingen?iefen,  t»ie  bie  fogenannten  beften 
©chüler,  jene,  bie  mit  Äonfequen^  bie  erften  ^lä^e  einnehmen, 
nur  feiten  bie  förmartungen  erfüflen,  bie  man  »on  ihnen  h«3tc- 

2)enn  bie  ©runblage  biefer  förmartungen  war  falfch- 

Vielfach  h^iwl^^lte  eS  fich  hierbei  um  eine  '})rämiirung  ber 
VUttelmdhigfeit,  unb  mancher  hat  eS  fpäterhin  ju  etwas  gebraut, 
bem  »ou  ber  ©chule  ein  fchlechteS  ^rognoftiton  mit  auf  ben 
SBeg  gegeben  würbe,  ich  erinnere  nur  an  3.  bon  giebig. 

IDaS  aber  glaube  ich  behaupten  gu  fönnen,  ba§  nichts  fo 
geeignet  ift,  wie  bie  ©chule,  um  ©Icmente  »on  abfonberlicher 
Veranlagung  »ollftänbig  gu  ©runbe  gu  richten,  unb  fie  rafch 
bahin  gu  bringen,  wo  über  ihre  geiftigen  öähigfeitcn  ein  3weifel 
ni^t  mehr  möglich  ift-  -^ierwit  aber  ift  ber  ©ntwicfelung  ber 
fpäteren  Originale  ein  »orgeitigeS  6nbe  gefegt. 

Unb  was  bie  ©rgiehung  ber  eigentlichen  ©chule  übrig  liefe, 
»oOenbet  bie  mächtigere  @chule  beS  gebenS.  iSuch  unfer  geben 
ift  gegen  früher  anbetS  geworben.  @ang  anbere  Slnfprüche  treten 
an  uns  h^ran,  unb  raftloS  mufe  3eber  »orwärtS  ftreben,  wenn 
er  nicht  gurüdbleiben  wiQ. 

IDa  ift  wenig  Vaum  mehr  für  garte  Vücffichten  unb  feine 
Seit  für  eine  inbicibuelle  Vehanblung  beS  ©ingelnen,  unb  wer 
fich  bem  allgemeinen  Schema  nicht  fügen  wiQ,  wirb  einfach  gur 
Seite  gefchoben. 

V$ir  »erlangen  h^utgutage  ©efeUfchaftStoilette  unb  ©lacee> 
hanbfchuhe,  unb  oer  gaune  beS  ©ingelnen  finb  burch  Sitte  unb 
Vtobe  bie  engften  Schranfen  gejefet.  Ob  iDiogeneS  h^ute  noch 
in  Slleranber  einen  Vewunberer  finben  würbe,  fd)eint  mir  fraglich, 
mit  Sicherheit  aber  läfet  fich  f«in  gooS  »orherfagen,  wenn  ein 
anberer  IDiogeneS  am  ^^9^  Vtenfchen  mit  ber  gaterne 

(446) 


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11 


fuc^en  ober  feinen  Söo^nfi^  in  einet  Sonne  auffc^iagen  rooQte. 

Unfere  Seit  ift  in  bet  S^at  ten  Dtiginalen  nic^t  fonbetlic^ 
gunftig. 

3ln  bie  ©onbetlinge  f(^lie§en  fic^  bie  ©flooen  bet  @e* 
wo^n^eit  unb  bet  Dtbnnng,  unb  baS  ^eer  bet  fogenannlen 
9(ngewo^n^eiten  an. 

SEBir  finb  alle  bet  9Ra(^t  bet  ©ewo^nljeit  untetworfen, 
me^r  aU  wir  gewö^nlic^  meinen,  unb  bet  2)tcl}tet  nennt  fie 
unfere  Slmme. 

Unb  ^ier  möchte  ic^  einen  Slugenblirf  bei  bem  oermeilen, 
waö  ic^  über  bie  Munitionen  be8  ©e^irneS  gefagt  ^abe, 

3(b  ^atte  bort  angebeutet,  wie  wir  un8  bie  ©eifteSt^ätigfeit 
als  eine  2lrt  bet  ^Bewegung  ju  benfen  Ratten.  IDie  fleinften 
S^eil^en  be8  ©e^irneS  gerätsen  in  Bewegung,  unb  je  na^  bet 
©ro§e  unb  9Itt  biefer  ''Bewegung  ^aben  wir  bie  3ntenfitöt  ober 
bie  S3erf(^iebenljeit  unferet  feelifc^en  Munitionen,  be8  ©mpfinbenS, 
^Denlen8  unb  SßoüenS. 

SBit  fe^en  nun  bei  bcn  gewöhnlichen  Bewegungen,  wie  pe 
um  fo  leichter  ocn  Statten  gehen,  je  hnupget  fie  geübt  werben, 
unb  wir  ade  machen  biefe  ©tfahtung  täglich  im  ©tiernen 
einet  jeben  manuellen  M«tigfeit,  g.  B.  beä  Älaoierfpieleö, 

9ticht  anber8  ift  e8  mit  ben  Bewegungen  be8  ©ehitneS, 
auch  pe  gehorchen  bemfelben  ©efe^e  ber  ©ewohnheit.  Unb 
hierin  liegt  ein  Bortheil,  aber  auch  eine  grope  ©efahr  bet  ©t= 
jiehung. 

9Kan  lann  einer  einfeitigen  ©ntwirfelung  butch  bie  ©r» 
giehung  entgegenarbeiten,  ober  pe  mächtig  förbern,  je  nacpbem 
bie  {)anb,  welche  pe  leitet,  oerftänbig  ift  ober  nicht. 

3.  1>aul  brüdt  bieS  in  feinet  8eoana  fo  au0:  „3ebe  fittlidhe 
©igenthümlithleit  bebarf  ihm  ©rengberichtigung  jur  3u8> 
bilbung  ihres  entgegengefepten  ^raftpoleS"  unb  3-  ^Paul  put 
«echt. 

3ebeä  einfeitige  .^ingeben  an  eine  beftimmte  «ichtung  ift 

{«?) 


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12 

»etfcbrt.  jebem  neuen  @ef(bel)en  ttirb  bte  Söa^n  beS  @e« 
bitned,  auf  tcelcbet  btefe  33orgänge  ablaufen,  ausgetretener,  unb 
bie  SJcrbinbungen  enger,  bis  enblitb  btefelben  33crfte[lungen  bet 
jeber  (Gelegenheit  mitflingen,  unb  fidb  alS  üble  ober  fomijcbe 
Stngemobnbeiten  geltenb  machen. 

hierher  geboren  bie  fomifcben  diebenSarten,  bie,  fie  mögen 
t)a§en  ober  nicht,  überall  angebradbt  werben,  bie  jonbcrbaten 
angemcbnungen  unb  bie  (äigenbeiten  ber  ©elebrten,  bie  ben 
Inhalt  fo  mancher  Slnefbote  bilben. 

9(ucb  möchte  ich  3unggejeQen  unb  bie  alten  3ungfem 
hier  einfügen.  Glicht  jeber  unoerbeiratbete  9Kann  ift  beShalb 
ein  alter  Sunggefelle  unb  nicht  jebeS  alternbe  ^äbdben  eine 
alte  Jungfer. 

IDaju  gehört  etwaS  mehr.  SBohl  aber  wirb  in  ber  IDiogeneS* 
tonne  beS  (SölibateS  mancher  jum  ©onberling,  bet  eS  im  ga* 
milicnfreife  fchwerlich  geworben  wäre.  3n  bet  ©bcloftäfc't 
liegt  ganj  entfd)ieben  eine  ©efahr,  unb  baS  gehlen  ber  ©tenj* 
berichtigung,  »on  welcher  3,  ^aul  rebet,  fönnen  nur  wenige 
Secorjugte  ungeftraft  ertragen.  9lichtS  (cheint  jo  geeignet  ju 
fein,  bie  fdjatfen  Konten  beS  eigenen  abjufchleifen, 

als  bie  fanfte  j^anb  ber  liebenben  ©attin,  unb  bei  ber  Äinber» 
erjiebung  unb  ben  täglichen  @orgen  beS  ^auShalteS  fehlt  jebe 
Seit  jur  Gnlwicfelung  jener  Siercteien  unb  ber  taufenb  ©onbet» 
barfeiten,  bie  baS  8eben  einet  alten  3ungfer  nerbittern. 

(fbenfo  hollen  bie  igtecfenreiter  bie  fDfitte  jwifchen  ben 
^umoriften  unb  ben  fJlarren. 

(äin  folcher  IReiter  beS  ©teefenpferbeS  ift  glürflich,  wenn 
er  irgenb  ein  nergeffeneS  SJiitglieb  einer  hohen  gamilie  in  feinen 
©tammbaum  eingetragen  hoti  unb  wenn  eS  ihm  gelungen,  in 
einem  alten  ©riechen  ein  Äomma  an  bie  ©teile  eines  fünftes 
ju  feben,  ift  er  fo  ftolg,  wie  ein  anberer,  bet  eine  wertbnofle 
©rfinbung  gemacht  b®l- 

(41^) 


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13 


bie  @«mm(eT  bürfen  n>ir  ba^in  te^nen,  bei  benen 
un3  oft  genug  bie  ^)eine’idöen  Serie  in’ö  Hingen; 

O jtdnig  ^Umatitbra,  o »elcb'  ein  Dc^d’  bift  S)u, 

Saß  2)u  foeiel  fcrgeft  unb  flagefi, 

Unb  alle«  um  eine  — Äu^. 

@S  finb  bie«  {db^n  Störungen,  aber  bod}  erträgliche.  Schlimmer 
unb  näher  bem  pathologijchen  (Gebiete  liegen  bie  C^igenthümlich« 
feiten,  beten  DueUe  nicht  auf  bie  Gewohnheit  gurüdgeführt  werben 
fann,  unb  bie  wie  bad  Salten  einer  fremben  Seit  in  bie  unfete 
hineinragen. 

IDie  ^jllten,  benen  folche  Suftänbe  nicht  fremb  waren,  fugten 
ihre  Grflärung  in  ber  Seelenwanberung.  waren  mächtige, 
wenn  auch  nur  bunfle  Grinnerungen,  bie  unä  auö  einem  frühe» 
ten  in  baä  je^ige  ^eben  gefolgt  finb,  unb  fich  h'^t^  ^ilö  Seigungeu 
unb  Triebe  geltenb  machen. 

IDie  ^h^lfo^c  fell’ft  ift  nicht  ju  beftreiten,  unb  auch 
Grflärung  wohl  in  foweit  ridhtig,  al6  e«  wirtlich  SachHänge 
eines  früheren  geben®  finb,  nur  ba^  wir  biefeS  geben  in  unfern 
Gltern  geführt  hohen. 

Unter  bem  Ginfluffe  einer  oft  nachweisbaren  ererbten  2ln» 
läge  brängen  fich  in  unfere  SorfteHungen  ganj  fonbetbare 
3been  ein,  bie  ohne  unb  felbft  gegen  unfern  Sillen  fommenb, 
halb  unfet  ganzes  IDenfen  behertfehen  unb  unfer  .panbeln  be» 
ftimmen. 

IDiefe  Grflärung  möchte  ich  hen  fogenannten  Sbiofpufrafien 
geben,  jenen  oöllig  unmotioirten  3u*  unb  ISbneigungen  gegen 
beftimmte  ©egenftänbe  unb  ^etfonen.  Sir  fönnen  biefeS  ober 
jenes  nicht  leiben,  ohne  ba^  wir  unS  über  baS  warum  eine 
Siechenfehaft  geben  fönnen,  unb  biefet  SibetwiHe  fann  eine 
folche  Stärfe  erreichen,  ba§  et  6tel  unb  Äranfheit  oerurfacht. 

Gine  weitere  Gntwicfelung  auf  abfehüfftget  Sahn  hüben 
bie  fo  gefürsteten  SmangSoorftetlungen.  5)ie  ^ennlni^  biefer 
3uftänbe  ift  »erhältnihmä|ig  jung.  Set  erinnert  fiS  nidbt  auS 

(M) 


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14 


bet  JHnbetjett  ber  ^übfd^en  Srgäblung  in  @nmm'd  ©ammlung 
beutfdjet  ?Difi^rd)en,  »o  bie  fluge  9Wagb  in  ben  Äefler  gefd^i^t 
»irb,  um  Silein  ju  unb  niibt  miebetfe^rt.  @tnet  nadb 

bem  anbern  non  ben  Q^äften  ge^t  tl^r  nadb  unb  fie  aDe  fommen 
nid)t  wteber,  weil  fie  benfen  unb  fortbenfen  muffen,  wie  eö  woljl 
läme,  wenn  bet  ^>an8  bie  ©ret^e  nä^mc,  unb  bie  ©ret^e  be» 
f&me  ein  ^inb,  unb  baS  ^inb  ginge  in  ben  teilet  unb  bet 
@tein  fiele  bem  ^inbe  auf  ben  J^opf,  u.  f.  w.  fRun  wiQ  id^ 
nicht  behaupten,  bag  ed  SwangSootfteOungen  gewefen,  an  benen 
bie  fluge  f0iagb  gelitten,  aber  etwas  bem  ähntidbeS  war  e8  bo^, 
wa8  9Ragb  unb  ©öfte  quälte. 

2)enn  jut  Qual  unb  gu  einer  te^t  bitteren  gnmal  fönncn 
biefe  3wang8ibeen  werben. 

3fbet  Don  un8  h«t  fichetlich  fcb^n  leichte  3lnflänge  an  ber< 
artige  3uftänbc  gehabt,  wo  irgenb  ein  ©ebanfe  pch  bet  Slrt  in 
ben  Borbergrunb  brängte,  bag  wir  ihn  trog  aller  Bemühungen 
nidht  wiebcr  loSwetben  fonnten.  Unb  nun  benfe  man  fich  foldhe 
Sbeen,  ocu  beten  Shorheit  wir  ooHftänbig  übergeugt  finb,  trog» 
bem  gu  fo  unumjchränfter  .^errfchaft  gelangen,  bag  wir  nichts 
bagegen  oermögen  unb  ihnen  ohnmächtig  unb  gleichfam  gebunben 
anheimfallen. 

Balb  ift  e8  bie  Borftellung,  bag  man  etwas  nergeffen  habe, 
wie  g.  B.  einen  Brief  gu  unterfchreiben,  ober  ben  ©elbfdbranf 
gugufchliegen,  unb  trog  aller  befferen  ©infi^t  muffen  wir  immer 
wieber  nachjehcn,  um  unS  non  bem  gu  übergeugen,  woran  wir 
im  ©runbe  nicht  gegweifelt  gaben. 

Balb  unb  baS  finb  fcgon  gang  beftimmte  formen,  brängen 
fich  .^anblung  3weifel  auf,  bie  gu  enblofen  gtagen 

Beranlaffung  geben,  ^hhftologiich  gaben  mit  etwas  aegnlidgeS 
bei  ben  Äinbetn,  bie  IHQe  megr  ober  weniger  in  ber  Sragejucgt 
leiften.  3m  fpäteren  Sllter  bagegen  fönnen  ber  9lrt  Beute  Reg 
unb  anberen  gut  magren  ^lagc  werben.  @o  reifte  ieg  noeg 
jüngft  mit  einem  .i^errn,  bet  gang  entfdgieben  gietgin  gu  gäglen 

(450) 


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15 


ttat.  @d^on  war  er  mir  burdj  jetn  gebrüdted  SBefen 

auf$)efaQen,  unb  fpäter  würbe  mir  Har,  worin  bieS  begrünbet 
war.  @r  war  nämlidb  nid)t  im  <Stanbe,  obwohl  man  ei  feiner 
0teQung  unb  0ilbung  md)  wobl  b^tte  oorauSfe^en  fönnen, 
aud  eigener  ^raft  irgenb  einen  ©ntfc^lu^  gu  faffen,  unb  feine 
fragen  bauerten  nom  fUiorgen  gum  tübenb.  SBaö  meinen  @ie, 
foll  i(b  um  7 ober  7 ^ Ubr  auffteben,  foB  icb  auf  meinem  Bimmer 
ober  unten  Äaffee  trinfen,  ben  leisten  ober  fdbweren  fRod  an» 
gieben,  bem  portier  ober  .^aufilne^t  Irinfgelb  geben,  mir  eine 
6igarre  angünben  ober  einen  Sognac  trinlen,  fo  unb  ber  iSrt 
ging  baö  fragen  fort,  unb  nur  baS  f^aibintereffe  lie^  mich  er» 
tragen  waä  fonft  unerträglidb  gewefen  wäre. 

@in  äbnli^eS  0dbwanfen  unb  ber  gleiche  BRangel  an  @nt» 
fdblufe  führte  befanntlidb  bei  Suriban’8  6fel  gum  SEobe,  unb 
mancher  ©elbftmorb  oerbanft  feine  SSeranlaffung  gleicher  Ur» 
fache,  benn  ein  folcher  Buftanb  ift  auf  bie  S)auer  unerträglich. 

Bloch  qualooBer  werben  biefe  3been,  wenn  fie  pcb  mit 
tjeinlidben  unb  oerfebrten  IBorfteQungen  oerbinben  unb,  was 
über  furg  ober  long  ftetö  ber  gaQ  fein  mu§,  bo8  SBoBen  unb 
^anbeln  in  BRitleibenf^aft  gieben.  @chon  baS  etnfadbe  0cbwanFen 
nerleibt  unferm  jpanbeln  etwaS  unfichereö  unb  energielofeä. 
Serwirren  ftch  aber  bie  SBorfteBungen  in  ber  SBeife,  bafe  man 
fich  ober  anbete  burch  Serübrung  anguftecfen  ober  gu  pergiften 
glaubt,  bann  nimmt  auch  ba8  .^anbeln  einen  fonberbaren  unb 
auffaQenben 

Blo^  beoor  biefe  Suftänbe  ihre  SJebanblung  unb  S3efchrei» 
bung  in  ber  giteratur  gefunben  batten,  batte  ich  ©elegenbeit 
mit  einem  ^errn  gu  netfebren  ber  burch  fein  fonberbateS  33e= 
nehmen  aUerbingS  nielfache  SSeranlaffung  gu  ^emerlungen  gab, 
im  übrigen  aber  für  gefunb  galt.  9luf  ber  ©trafee  hielt  er  im 
©eben  ftetö  eine  fchnutgetabe  Slichtung  ein,  genau  in  ber  Bllitte, 
unb  er  bog  nur  im  rechten  SBinlel  ab,  nachbem  er  einen  ülugen» 
blid  fteben  geblieben  unb  fich  oerfichert  batte,  bah  er  Bliemanben 

{♦.MJ 


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16 


berühren  werte.  3m  2Birl^8l)aufe  rficfte  et  forgfältig,  wenn 
au(^  D^ne  gciabe  aufjufaöen,  »on  feinen  SRac^barn  ab  unb  »er* 
mteb  ängftli^  jebe  Serül)tung.  91ie  beja^lte  er  bireft,  ftetö  lie§ 
et  feine  3e<^e  l>ur(^  feine  f^rau  berichtigen,  unb  ich  erfuhr  non 
ber  gau3en  Störung  erft  bann,  al8  feine  fvrau  mich  h'«i*r  bem 
SRiidten  bed  ÜRanneö  um  {Rath 

@tn  anbetet  .^err  hatte  bie  3bee,  ba&  er  fi^  burch  Strpch» 
ninpitlen  oergiftet  hätte.  Diefeg  @ift  fafe  in  feinem  Äötpet 
unb  äußerte  audh  auf  anbere  feinen  nacbtheiligen  @inf(u^,  bähet 
bei  bem  fonft  feingebilbeten  unb  geiftreiöhen  9Ranne  ein  höchft 
fonbetbareb  SSenehmen.  Stuf  Spajiergängen  »ermieb  et  jebe 
Berührung  unb  jumal  ^inbetn  wich  et  fchcn  non  weitem  auö. 
duftete  aber  jemanb  plöftlich  unb  fah  et  feinet  SRexnung  nach 
fehlest  aub,  fo  ging  er  rafch  auf  ihn  ju  unb  fragte  ihn,  ob  er 
ftch  fchon  lange  unwohl  fühle  ober  erft  foeben  eine  franfhaftc 
Smpfinbung  nerfpürt  habe.  ÜRan  fann  fich  bie  SBitfung  auf 
ben  harmlofen  SBanberer  unb  namentlich  anf  Äinbetmäbchen 
benfen,  unb  bie  überrafchten  unb  oetwinteii  Slntworten  waren 
nicht  geeignet,  ihn  »on  feiner  franlhaftcn  3bee  gu  furiten. 

Unb  wieber  in  einer  anberen  gotm  äußern  fich  bie  SwangS» 
»orftedungen  in  ber  Unmöglidhfeit,  aQein  unb  ohne  Begleitung 
über  eine  Strafee  ober  einen  freien  '])la^  gu  gehen  ohne  in 
'Ungft  unb  bie  größte  Unruhe  gu  »etfallen.  @8  ift  fein  eigent« 
licheö  Schwinbelgefühl,  baö  bie  an  biefet  ^la^furcht  leibenben 
jebcfimal  befällt,  wenn  e8  fich  barum  hanbelt  einen  freien  Staicm 
gu  burchfehreiten,  fonbetn  eine  unüberwinbliche  S^eu  unb  baS 
Bewuhtfein  bet  Unmöglichfeit,  ba8  getabegu  lähmenb  wirft. 
SBir  nähern  unö  hiermit  allerbingö  fchon  bebenflich  bet  @renge 
beö  witflichen  SrrftnnS,  obwohl  biefe  3uftänbe  bei  fonft  guten 
©eifteöfräften  beftehen  fönnen. 

(äine  junge  grau  wohnte  in  einem  ^aufe,  ba6  fchr  »on 
IDtäufen  heimgefucht  war.  2)a  fie  gerabe  oor  biefen  Jhieren 
einen  befonbeten  SBibetwillen  hatte,  fo  rieb  unb  wufch  fie  jeben 

(«aj 


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17 


©egenftonb  auf  bafl  peinlid^fte  ab,  beoot  pe  i^n  in  bie  ^>önbe 
nahm,  aud  Surd^t,  ba|  et  mit  ben  SJlfiufen  in  Setübrung  ge» 
fommen  fei,  unb  fo  oft  fie  et»a8  angefapt  botte»  »uftb  fie  p(b 
bie  ,^änbe.  Salb  oetlangte  pe  ba8  gleiche  von  betn  3Ranne, 
ben  ^nbetn  unb  ben  IDienftboten,  unb  bi^nnit  nicht  gufrieben, 
fab  pe  im  8aufe  beS  Sage8  unjäblige  fDiale  nach*  ob  ihre 
SBäf^e  gut  oetfchloPen  unb  vor  fDiäufen  gepchett  fei.  „@8  lag 
bieS  nicht  in  meinen  SBünfchen,  fo  fagt  pe  felbp  in  ihren  2luf» 
Zeichnungen,  fonbern  ein  übermdltigenbeS  Sebürpiip,  baß  mein 
Serftanb  unb  mein  SBille  in  gleicher  Steife  verurtbeilten , trieb 
mich  baju  an  unb  ich  konnte  nicht  miberfteben.  gleichzeitig 
entwidfelte  pch  bei  mit  eine  gto§e  Sermitttbeit,  ba  ich  oft 
zweifelte,  ob  ich  mich  gemaf^en  b^ii^  unb  baburch  zu  immer 
neuen  IBafchungen  gezwungen  war.  3ih  fchtieb  beßbalb  auf, 
wann  unb  warum  ich  mid)  gewafchen  hotte,  aber  obwohl  ich 
nur  in  SSbfürzungen  fchrieb,  fo  füllte  ich  t>och  zuweilen  in  einem 
Slage  ca.  50  Seiten  bamit  an,  unb  enbli^  glaubte  ich  ouch 
meinen  Sufzei^nungen  nicht  mehr.  Sergebenß  rief  ich  mir  zu, 
welch’  traurigeß  Serbängnip,  bu  boft  gute  Slugen  nnb  ein  guteß 
@ebör,  ein  vortrefpi^eß  ©ebächtnig  unb  hoch  fannft  bu  bich 
nicht  bavon  überzeugen,  bap  alleß  fo  vetfchloPen  ift,  wie  bu  eß 
haben  wiQp.  Unb  wenn  ich  Pcrben  foQte,  ich  fann  eß  nicht 
laPen  immer  wiebet  unb  wiebet  nachzufeben,  ba  mi^  eine  un» 
wibetPehlicho  @ewalt  auch  gegen  meinen  SBiQen  treibt."  SU» 
möhlich  nahm  biefer  Buftanb  immer  gtöpere  2)imenponen  an. 
IDie  furcht  pdb  zu  verunreinigen  unb  bet  Stvang  pch  zu  wafchen 
trat  fchon  bei  ber  blopen  SorfteQung  eineß  befchmupten  ®egen» 
ftanbeß  auf,  unb  pe  brachte  ihre  ?age  nur  mit  bem  Wafchen 
ihrer  .^änbe  z«-  @ie  lebte  nun  einfam  in  ihrem  feftverfchloPenen 
Simmer,  wozu  jebem  ber  ©intritt  verboten  war;  pe  laß  nicht, 
fdbrieb  nicht,  verbat  pch  jeben  Sefudb  unb  nahm  felbp  an  ihren 
Äinbern  feinen  Slntbeil  mehr.  9iur  feiten  rebete  pe  mit  einem 
ihrer  gamilie  unb  bann  nur  mit  leifer,  unp^erer  Stimme. 

XIX.  444.  2 (4iS 


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18 


Scftdnbige  unb  3»eifel  oetfolgteu  unb  quälten  fle.  — 

^ bet  plpc^tatrifc^en  ^ac^ltteratui  finb  btefe  Suftänbe 
neuerbingS  unter  bet  93egetd^nung  mit  bet  §ut(^t 

Bot  IBetü^tung  frember  @egenftänbe"  befd^rteben  morben. 

Stöbet  ^anbelte  eg  ft(b  um  SSerle^rt^eiten  me^r  ^atmlofer 
9latur,  bie  man  bem  ©tngelnen  fc^on  nac^fe^en  fann.  IDag  ift 
aber  nicht  immer  bet  $a0  unb  in  einer  meiteren  Sieihe  fehen 
mir  ben  ^ang  gum  SBerbrecherifchen  in  einer  ©tärfe 
treten,  ber  mir  oft  rathlofl  gegenüberftehen. 

33on  ben  Seibenfchaften  unb  ISffeTten  gilt  in  noch 
@rabe,  mag  ich  vorhin  oon  ben  @)emohnheiten  ermähnt,  unb 
man  rebet  nicht  umfonft  oon  ben  @flaoen  ber  Seibenfchaft. 

9m  auggeprägteften  finben  mir  bieg  bei  ben  5ltinfern,  unb 
mer  fich  mit  biefer  leibet  recht  auggebehnten  @efeDfchaft  nähet 
gu  befchäftigen  Gelegenheit  h^l,  mei|  bavon  gu  ergählen,  mie 
feiten  eg  gelingen  miQ  unb  mie  fdhmer  eg  ift,  einem  Gemohn« 
heitgtrinfer  bag  !£rinlen  abgugemöhnen.  ^iet  ftreift  bie  äBitlen» 
lofigfeit  bet  Printer  unb  ihre  Ohnmacht  bem  übermächtigen 
Sitinlen  gu  miberftehen,  fchon  h^rt  an  bie  Gtenge  beg  3rrfinng 
unb  mir  begegnen  in  ber  Sh^t  hm  unb  mieber  bem  IBetfuche, 
bie  Gemohnheitgtrinfer  alg  mirfliche  Geiftegfranfe  aufgufaffen 
unb  fie  alg  folche  gu  behanbeln.  IDoch  bürfte  bieg  benn  hoch 
etmag  gu  meit  gegangen  fein  unb  ich  glaube  baran  fefthalten 
gu  muffen,  ba§  ber  gemohnheitgmähige  9Ri§btauch  geiftiger 
Getränte,  im  änfonge  menigfteng  beftimmt,  ein  Hafter  ift,  für 
bag  man  ben  Setreffenben  mohl  oerantm örtlich  machen  unb  be« 
fhafen  botf.  $Da&  ber  Gemohnheitgtrinfer  im  meiteren  SBetlaufe 
feineg  oermerflichen  Sreibeng,  gang  abgefehen  oon  9ugbtüchen 
mhrflichen  Srrfinng  — bem  befannten  JDelirium  bet  Irinfer  — , 
enbli^  in  einen  3ufl<mh  beg  «Stumpffinneg  unb  ber  Geifteg« 
fchmäche  oerfinft,  ber  ihn  einem  oöllig  33löbfinnigen  nahe  fteQt, 
ift  befannt  genug,  unb  nicht  menige  Snfaffen  ber  Srrenanflalten 
oerbanfen  ihr  unheilbateg  @iechthum  ben  SSermüftungen  beg 

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19 


®rannt»ein§.  68  tft  bie8  eine  golge  bet  6inttitfung  alfo^nl« 
faltiger  getränte  auf  ba8  6e^im,  bie  fi(^  um  fo  net^ängni^* 
voDer  geltenb  mac^t,  alS  ft(i^  ba8  @e^{tn  eines  gto§en  Steile! 
biefei  Snbinibuen  fc^on  o^ne^in  untei  bem  6htfln§  Tranl^aftet 
Anlage  unb  nerfe^rter  6tjie^ung  beftnben  wirb.  6inen  S^eil 
bet  Stinlet  glaubt  man  o^ne  meiteted  ben  ©eifteSftanfen  gu> 
jaulen  ju  bütfen.  6«  finb  bie«  bie  fogenannten  Duattalöfäufet, 
bie  IDppjomanen,  non  9iatut  au«  nüi^teme  unb  feineSmeg«  3ura 
©enuffe  betaufc^enbet  ©etränfe  ^innetgenbe  geute,  bie  angeblich 
in  mebi  obet  meniget  tegelmd^igen  Svifd^enrdumen  anfangen, 
ma|lo«  ju  excebiren  unb  ft(^  fo  lange  ju  betaufd^en,  bi«  ge  in 
nöllige  6tf(^laffung  nerfaQen  obet  ein  IDelitium  bie  ®cene  be> 
fc^lie^t.  min  ^iet  nut  an  einen  unfetet  beliebtegen  SMc^tet 
etinnetn,  übet  begen  Seben  biefe  ^anf^eit  einen  bunfeln 
©(batten  gemotfen  bot  3)enn  biefe  Quortalttinfet  gnb  in  bet 
S^bdt  geifteSftanf,  unb  meift  liegen  biefen  Sinfänen  Buftänbe 
non  melancbolifcbet  Untube  obet  auch  non  tobfücbtigei  6ttegung 
ju  ©tunbe.  3n  bet  inneten  9iotb  ober  bem  Sebfitfnige  nach 
äußeren  Sieigmitteln  greift  bet  jttanfe  nach  bem  ©ett&nfe  um 
g(b  JU  betäuben;  unb  bet  ftanibafte  Stieb  netfcbminbet  gugleicb 
mit  bem  ©tunbjuftanbe,  bem  er  feine  ©utftebung  neibanfte. 

93ei  ben  eigentlichen  Haftern  bagegen  bei§t  e«  ben  Anfängen 
entgegentreten  unb  ge  bebettfcben  ju  lernen.  SSit  finb  geiftig 
fo  frei  al«  mögli^,  menn  mit  e«  babin  gebracht  bol’cn,  unfete 
Stiebe  butch  bie  Vernunft  ju  jügeln.  3e  mehr  mit  bie  Ätag 
bietju  netlieten  unb  fe  mehr  mit  un«  ihrer  gßacht  miHenlo« 
übetlagen,  um  fo  meitet  entfernen  geh  bie  i'eibenfchogcn  non 
bem  ©ebiete  be«  normalen  Beben«  um  ba«  be«  franfbagen 
ju  betteten.  8ln  unb  für  geh  gnb  bähet  Beibenfehagen  unb 
Ülgefte  noch  feine  ©eigeSgörung,  mobl  aber  bilben  ge  ben 
fruehtbargen  Soben  für  bie  ©ntftebung  berfelben,  fo  bag  man 
eine  geitlang  fogat  bie  SButgel  fämmtlidber  ©eelengorungen  in 
einet  ftanfbagen  Serittung  bet  Slffefte  unb  Beibenfehngen  fu^en 

2*  (455) 


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20 


woQte.  0a6  ift  nun  ni(^t  ber  $aQ,  unb  bie  Seit  ift  gludlid^ei 
SBeije  Doiübet  »o  man  in  ber  @)eifteöfranfbeit  ein  moralifdbed 
@ebredben  fa^,  baS  folgeridbtig  aud^  non  bie|em  Stanb^unfte 
aud  beurt^eilt  unb  be^anbelt  mürbe.  SBaö  man  bamalfi  für 
bie  Urfacbe  gebalten,  ift  oft  meiter  nicbtS  als  bie  Solge  beffelben. 
2)er  5ERenf(b  mar  Ieibenf^aftli<b  unb  »erfe^rt,  meil  er  bereits 
geifteSgeftcrt  mar,  unb  baS  gemaltfame  .^ernoitreten  ber  nieberen 
Triebe  be^ei^nete  fc^cn  ben  beginn  ber  @eelenftörung. 

Sür  eine  dieibe  non  anberen  SäQen  reicht  biefe  Snfebauung 
inbeb  nicht  auS.  ^ier  jeigt  fi^  bie  lafterbafte  Steigung  unb 
Serfebrtbeit  fo  früh  unb  fo  inftinftin,  bab  mir  unS  nach  einer 
anberen  @rflärung  umfeben  muffen. 

2>ie  5Ratur  erjeugt  mit  merlmürbiger  öonfequenj  fort» 
mäbrenb  Snbioibuen,  bie  moralifcb  befeft  finb.  @cbon  bei  ben 
^inbern  fäOt  ben  @Uern  ein  ^ang  3um  SSöfen  unb  eine  9ieigung 
gu  allem  SSerfebrten  auf,  bem  fie  nergeblicb  gu  mebten  fueben, 
unb  ber  ffe  in  Unruhe  unb  in  @r[taunen  febt. 

9Ran  hofft  auf  Seffetung,  ober  bie  erfte  Sebingung  bi«rgu, 
bie  @inficbt  in  baS  begangene  Unrecht,  bie  @rfenntnib  beS  Un» 
rechtes  übeibauht,  ift  ni^t  norbanben.  @S  ift  als  ob  ber  @inn 
für  Siecht  unb  Unre^t  gänglich  mangele,  unb  etmaS  SlebnlicheS 
ift  auch  mirflich  ber  $aH. 

3)ei  fonft  anfeheinenb  guter  geiftiger  93eföbigung  beftebt 
ein  abfoluter  SRangel  an  etbifebem  @efübl,  unb  man  bot  biefe 
unglücflichen  ©efchbpfe  ni^t  mit  Unrecht  als  moralifche  Sbioten 
begeichnet. 

@0  machten  fie  beton,  unb  @rgiebung  unb  Strafe  hoben 
nur  menig  baran  gu  beffern  nermocht.  SJUt  ben  Sohren  unb 
ben  erma^enben  i^eibenfehoften  mirb  eS  immer  fchlimmer,  bis 
baS  i!eben  fie  mit  fchonungSlofen  Firmen  umfaßt  unb  als  Sßraef, 
gebrochen  unb  nerfommen  an  ben  ®tranb  beS  SrrenbaufeS  ober 
beS  ©efängniffeS  mirft. 

S)aS  finb  bie  lOerbre^er  auS  Siatumotbmenbigfeit,  auf 

«5«) 


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21 


@runb  einer  franf^aften  ©e^imanlafle,  bet  unb  ho^  einet  guten 
Stjie^ung,  bie  fid)  ^iet  eben  fo  nu^IoS  erweift  tnie  leibet  auch 
in  ben  meiften  SdDcn  bie  fo  rei^lit^  batauf  oetnjanbtc  SJlü^e 
bei  ben  eigentlichen  Sbioten. 

©iefe  gäöe  oetlaufen  alle  nahezu  nach  betfelben  Schablone, 
unb  toenn  ich  einen  bancn  hicr^^  f?^e<  n^itb  man  bie  anbein 
leidht  etfennen  fönnen. 

2)etS3atct  war  ein  tüchtiger  ©efchäftflmann,  aber  überteijt, 
netDöfl  unb  leidet  ju  gro|et  ^eftigfeit  geneigt.  2)ie  5Ruttet 
gart,  unfelbftänbig,  unb  wenn  au^  in  anberet  3Beife  wie  bet 
33atet  netoßS.  ©uftan  war  bet  jüngfte  »on  fünf  ©efchwiftem, 
fßtpetlidh  wohlgebilbet,  geiftig  aber  in  ho*?«“*  ©rabe  befeft. 
Sobalb  et  3um  felbftänbigen  .^anbein  fähig  war,  war  biefeS 
^anbein  verfehlt  unb  fehlerhaft.  9tafchhaft,  »erlogen  unb 
biebifch  aie  ^inb,  blieb  et  gleich  unempfinblich  gegen  bie  \)äx“ 
teften  Süchliflungen  beß  in  ^ühjotn  außbre^enben  H^aterß,  wie 
gegen  bie  ^Bitten  unb  ©rmahnungen  bet  allgujättli^en  ÜRuttet. 
93on  Schule  ju  Schule  gebracht  unb  fortgefchicft,  blieb  er  auch 
im  Eernen  3urücf,  obwohl  eß  ihm  bntchauß  nicht  an  bem  nßthigen 
SSetftanbe  fehlte  unb  et  feine  'Jlufgaben  gan3  gut  beihalten 
Tonnte,  wenn  et  eben  woOte.  0kchbem  aDe  möglichen  Schulen 
burchgenommen  waren  unb  alle  Wehtet  erflärt  hotten,  ba§  et 
ein  IBetbetb  für  bie  anbetn  Knaben  unb  unmöglich  länget  3U 
halten  fei,  fam  et  3U  |)rioatlehrem,  bie  tro^  beß  hoh«n  ^reifeß  . 
ebenfo  wenig  im  Stanbe  waren,  ben  Änaben  auf  bie  5)auet 
gu  holten.  Schulbenmachen  unb  enblich  offener  IDiebftahl  unb 
©inbruch  in  bie  ©elbfaffe  beß  ^iatetß  unb  bet  Sehter  war 
fchon  bamalß  nichtß  felteneß,  unb  bei  bem  IDutchfuchen  feinet 
Sachen  fanb  fich  gerabe3u  Unglaubli^eß,  hunberte  »on  Spielen, 
Silberbüchetn,  ^rachtwerfen  unb  betgl. , bie  et  gar  nicht  ge> 
brauchen  Tonnte,  ^it  bem  3unehmenben  3ltet  traten  auch 
Steigung  3um  StunI,  gu  allerhanb  fchlechtet  ©efeQfchaft  unb 
gu  anbeten  recht  bebenflichen  IDingen  hingu,  unb  alß  fich  enblich 

(4SJ) 


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22 


nad^  langem  @uc^en  mtebet  3emanb  fanb,  bet  ti  unietne^men 
moDte  i^n  gu  beffern,  ein  $faner  auf  bem  Sanbe,  tt>u|te  et  ftd^ 
balb  bte  @unft  bet  altetnben  2)ienftmagb  gu  oetj^^affen  unb 
mutbe  mit  17  Sagten  bet  SSatet  eines  ^nbeS. 

@t  wutbe  batauf  auf  ein  @ut  gef^idit  unb  fam  mit  auS 
ben  9ugen  bis  ic^  plö^lic^  nad^  einigen  Sagten  mieber  SSetan* 
laffung  ^atte,  mi(^  einge^enbet  mit  i^m  gu  befd^äftigen.  @t 
mat  nämlicb  gum  SRilität  gefommen  unb  bott  nac^  vielen  toQen 
©tteid^en  enbU^  befettirt.  SSetgeblicb  ^atte  id^  frü^et  batauf 
aufmetffam  gemacht,  ba^  et  nie  unb  nimmet  @oIbat  »erben 
bütfe,  ba  eS  gang  unbenfbat  fei,  ba§  eS  bott  gut  mit  t^m  ge^en 
fönne. 

£ie  Ungewi§^eit,  »aS  man  mit  ii^m  ma(^en  foQe  unb  bie 
{>offnung,  ba^  man  bott  mo^I  mit  i^m  fettig  werbe,  waren 
ftätfer  gewefen  als  meine  Sbma^nungen,  unb  burc^  aOet^anb 
Setbinbungen  unb  Sergünftigungen  war  eS  auc^  eine  SBetle  ge* 
gangen.  Slber  wie?  ®o  ^atte  et  unter  anberen  bei  allen  @^nei* 
betn  bet  @abt  feine  Uniformen  ma(^en  laffen,  gu  gangen  S)u^en* 
ben,  unb  fie  wiebet  gu  ®pottpreifen  vetfauft,  unb  fo  war  eS 
weiter  gegangen  bis  et  enbli^  bod^  bet  @a(^e  fatt  würbe  unb 
einfa(^  butc^ging.  3um  @Iüct  ^atte  man  i^n  in  bet  @^weig 
anfgegtiffen,  bott  feinen  Suftanb  tid^tig  etfannt,  feine  SuSliefe* 
tung  verweigert  unb  i^n  einet  3rrenanftalt  überliefert.  Unb 
tro|bem  toftete  eS  gro|e  fDiü^e  unb  fogar  einet  @ingabe  beim 
oberften  ÄriegS^errn,  bis  baS  Setfa^ten  gegen  i^n  eingefteHt 
unb  et  für  geifteSftanf  erflört  würbe. 

@ang  auf  bem  Soben  ungweifel^after  geiftiger  jhant^eit 
liegen  eine  fRei^e  von  einfeitigen  Stieben  gu  befiimmten  gewalt* 
famen  ^anblungen.  IDoc^  ift  man  in  bet  @rfenntni§  biefet 
Suftänbe  neuetbingS  etwas  anbetet  Snfi^t  gewoiben  unb  bie 
vielberufenen  ORonomanien,  wie  man  fie  genannt  ^at,  treffen 
^eutgutage  auf  eine  me^t  ffeptifc^e  Seurt^eilung. 

Unb  in  bet  S^at  lann  bie  Slnna^me  eineS  ifolirt  auf* 

(«8) 


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23 


tretenben  S3ranb*  ÜJlotb»  ober  ©te^ltriebeö  mit  unfcien  3in» 
[(^auungen  oon  ber  Sb^tigfeit  bed  @eifted  ni^bt  gut  gufammen> 
gcbraibt  werben,  unb  bann  ift  auch  nicht  3eber,  bet  ohne  nacb> 
wetöbaren  @runb  motbet  ober  fHeblt,  beSbnib  nerrfirft. 

!Die  Seubetung  eines  @t>i|buben  nom  ^acb  ift  cbaraltetiftifdb 
genug  um  bietfär  alS  Beuge  angeführt  gu  werben. 

„SSenn  (Sie  glauben,  jagte  er,  ein  3)ieb  würbe  ni^t  ftehlen 
weil  er  eS  nid^t  nothwenbig  hätte,  fo  wären  @ie  im  3rrthum. 
SBaS  ein  orbentlidber  ©pi^bube  i^,  ber  ftiehlt  ob  rei^  ober  arm, 
fo  wie  fich  ihm  eine  Gelegenheit  baju  bietet,  benn  biefe  Gelegen* 
heit  fönnte  in  gleicher  Güte  nicht  wieberfommen'*. 

Unb  baher  hot  ber  fogenannte  ©tehltrieb  immer  etwaS  oer* 
bächtigeS,  um  fo  mehr  als  ber  ,^ang  3ut  wiberrechtlichen  fXn* 
eignung  fremben  GigenthumeS  nicht  gerabe  baS  auSfdhliehliche 
IBonecht  bet  ni^t  befihenben  GefeQfdhaftSTlaffe  ift. 

IDie  großen  93ajare  ber  fReugeit  fönnen  ein  8ieb  baoon 
fingen,  unb  manche  nornehme  0ame,  non  bet  man  eS  ficher 
nicht  nermuthete,  foH  in  bem  Sünbenregifter  eines  ober  beS 
anberen  biefet  SSajare  eingetragen  fein  als  GelegenheitSbiebin, 
beren  93ewachung  ben  SngefteDlten  gut  befonbeten  ^fUdht  ge« 
macht  ift. 

dagegen  bürfte  baS  gewöhnliche  .^eer  ber  SSerbrecher,  bie 
unnerbefferlichen  ifumpen,  bie  Summier  unb  Sagabunben  non 
Seruf  wieber  gum  Grenjlanbe  gehören. 

|)iet  wirten  angeborene  Gigenfchaften  unb  Gr^iehung  ner« 
eint  nach  einet  Stiftung,  fiät  gegenfeitig  ergängenb  unb  et* 
ftidenb. 

Sßo  foQ  ber  Serbrecher  überhautJt  bie  fittlichen  SorfteQun* 
gen  hemehmen,  bie  feinen  non  Geburt  an  fehlerhaften  Stieben 
hemmenb  in  ben  3Beg  treten  fönnten?  Slu^  er  ift  geiftig  befelt, 
Wenn  au^  nicht  auf  Grunb  einer  franthaften  fünlage,  fo  hoch 
in  Böige  einer  nerfehrten  Grjiehung,  bie  ber  Gntwicflung  jebeS 

etwa  nothonbcnen  ÄeimeS  beffeter  Gmhfinbungen  frühjeitig  ent* 
• («») 


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24 


gegengetretea  ift,  unb  fo  aud^  i^n  gu  einet  2(tt  »on  motaltfc^en 
Sbioten  gemacht  ^at. 

9(u(^  bem  @e»o^n^eitdoerbre^er  fe^tt  ba@  93et»u§tfetn  non 
Siecht  unb  Unre^t,  baS  wir  anbeien  SRen[(^en  befi^en.  @t 
tcei§  unb  bie  (Srfabtung  ^at  e@  i^m  gelehrt,  ba^  et  für  gewitfe 
^anbiungen  beftraft  wirb,  ooraudgefe^t,  ba§  man  i^n  babei  er« 
tt)if(bt  unb  t^n  trc§  feined  8eugnenS  bet  ^anblung  überführen 
fann.  2(bet  eigentlich  Unrecht  im  ethifchen  @inne  btS  äBorted 
hat  er  feiner  SReinung  nach  ni<hl>  »»b  er  fann  eigentlich  feine 
anbere  fUleinung 

3Ran  h<tl  bähet  auch  »^ohl  in  jenen  ©emohnheitSoerbrechern 
eine  eigene  klaffe  non  ^JRenfchen  fehen  wollen,  bie  ftch  non  ben 
®eiftedfranfen  jwat  unterfcheiben,  aber  hoch  manche^  mit  ihnen 
gemeinfam  hoben. 

2Ber  ©elegenheit  hot  mit  ben  Snjaffen  eines  größeren  @e» 
fängniffeS  ober  einet  SlrbeitSanftalt  in  Setührung  ju  fommen, 
fann  barüber  merfwürbige  @tubien  machen.  @chon  bie  $hhfiog° 
nomien  hoben  etwaS  abfonberlicheS,  man  glaubt  nielfach  9Rit< 
glieber  berfelben  Familie  oor  fich  ju  hoben  unb  nicht  mit  Un« 
recht  fpricht  man  bähet  non  Serbrechertppen.  ©^wetlich  bürfte 
ein  Silbhauer  hiet  feine  SRobeüe  finben  unb  nach  foqjerlicher 
Schönheit  unb  IBodfommenheit  wirb  man  nergeblich  juchen. 
S)er  (Stempel  beS  IBetfommenen  ift  ben  ÜReiften  gar  gu  fi^tbar 
aufgebrücft  unb  gwat  haftet  er  an  ihnen  fchon  non  @eburt  an. 

3e  tiefer  man  in  bie  fRaihtjeiten  beS  menjchlichen  iiebenS 
einbrang,  um  fo  beutli^er  fanb  man,  ba§  fich  mit  bet  mangel« 
haften  @ntwicflung  beS  @eifteS  auch  gewiffe  törperlidhe  ^ih> 
bilbungen  nerbinben  unb  oft  fchon  als  äußerliche  Seichen  ber 
©ntartung  angefprochen  werben  müffen,  wenn  bie  gehler  ber 
geiftigen  (Sntwicflung  no^  nicht  gut  ^Beachtung  gefommen  finb. 

^Diefe  fogenannten  IDegenerationSgeichen,  wie  man  fie  nannte, 
IBerbilbungen  bet  Dhren  nnb  beS  @aumenS,  Unregelmäßigteit 
ber  @iefichtSgüge,  unooUfommene  iiähmungen  unb  bergt,  mehr 

(«Oj 


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25 


finben  ftd?  nun  eben  fo  teicblid^  in  ben  Snenanftalten  rote  in 
ben  ©efdngntffen,  unb  fie  »eifen  fo  auf  eine  innere  SSerroanbt» 
fc^aft,  auf  einen  engeren  Sufantmen^artg  bet  beiberfeitigen  3n» 
faffen  ^in.  Unb  notb  auf  eine  anbere  SEBeife  wirb  biefer  3u» 
fammen^ang  barget^an. 

9lad)  ben  übereinftintmenben  (ärgebniffen  einet  grß|eten 
fSngabl  »on  Säblungen  erfranfen  etwa  3 »on  1000  @inroo^netn 
eines  Banbeö  an  ©eifteflftotung.  5)ie  eben  fo  einftimmigen 
Angaben  ber  @efangen^äufet  ergeben  aber  einen  ganj  anberen 
l^rogentfa^  unb  man  fann  bie  3abl  ber  Söerbted^et,  bie  un= 
jweifel^aft  geifteSfranf  werben  auf  etwa  baß  fünfje^nfadje  jener 
3o^l  anne^men,  ober  auf  na^ejti  5 oom  ^unbert.  S3et  allet 
JRiufficbt,  bie  man  ^iet  auf  bie  au§etorbentli(^  fomplijirten  Sßer» 
^ältniffe  nimmt,  unb  wenn  man  ben  Slnt^eil  beö  roilben  unb 
uerbreeberifdben  SebenS,  beS  S^runfeS  unb  ber  iSuSfdbweifungen 
biefer  fOienftben  no(b  fo  bo^  anf^lägt,  fo  bleibt  bodb  immerbin 
no<b  genug  jurüd,  roaS  nur  auf  eine  gemeinfame  SBurjel,  auf 
bie  bei  beiben  gleiibartige  Anlage  gurüdgefübrt  werben  fann. 
3)a§  ftcb  mit  biefen  Slnftbauungen,  wie  wir  fle  tbeilen,  bie  ro> 
mantif(ben  Srjdblungen  oon  wunberfamen  Slütben  an  ©eifteS» 
f^önbeit  unb  Slugenb,  bie  auf  foltbem  Soben  betnorgefproffen, 
ni^t  recht  »ereinen  wollen,  ift  nicht  gu  dnbem,  unb  ebenfo  wenig 
tonnen  wir  ben  erbaulichen  S3eifpielen  non  plö^lichet  IReue  unb 
S3efferung,  womögli^  erft  auf  bem  @^affotte,  niel  ©lauben 
fchenfen.  3a,  wenn  man  bie  gange  ©rfabrung  ber  früheren 
Sage  mit  einem  Schlage  nernichten  fonnte,  unb  bann  bie  fo  ge« 
fdbaffene  Beere  mit  bem  ©egentbeile  beS  bißberigen  f^fiblenß  unb 
IDenfenß  erfüllen  würbe,  bann  oieQeicht  mö^te  eß  gelingen,  unb 
auch  bann  nur,  wenn  bie  organifche  Selaftung  beß  ©ebirnß  ni^t 
ftarf  genug  ift,  um  tro^bem  alle  IDdmme  gu  burchbrechen  unb 
fich  fchranfenlüß  roieber  bem  Swonßc  ber  ererbten  fRotur  bin» 
gugeben. 

!Die  gtangofen  haben  ein  Sprichwort,  „Sllleß  begreifen  beiflt 

(461) 


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26 


atleö  oergri^en,*  unb  für  unß  liegt  in  bet  eine  grofee 
SBa^r^eit  barin.  iDenn  ift  eS  nidft  eine  gio|e  Serubigung, 
trenn  wir  einen  S£^eil  ber  @(^eu§li(^feiten,  welche  bad  3Renf(^en> 
gefd^ied^t  (d^&nben  unb  wonon  unä  bie  ©efd^ic^te  ergä^lt,  auf 
bie  ©eifteflftörung  übertragen  fSnnen? 

Bwar  ^at  audb  nad|  einer  anberen  Stis^tung  bie  @^ren« 
rettung,  ber  ft^  einige  neuere  @e{(bi(btbforf(ber  mit  bejonberem 
@ifer  ^ingeben,  mancbeS  @ute  gu  Sage  gebracht,  unb  wir 
muffen,  um  gerecht  gu  fein,  g.  33.  mit  8ucregia  33orgia  ein 
anbered  0Ub  nerbinben,  ald  wie  wir  früher  gewohnt  waren 
unb  wir  fte  noch  ouf  ber  0ühne  bargefteOt  fehen;  bei 
anberen  aber,  wo  bie  Shaten  nicht  gu  begweifeln  finb,  mu§ 
ber  @eiftedguftanb  einer  eingehenberen  Unterfudhung  untergogen 
werben.  @o  finb  bie  Slaubier  (Siberiud,  9iero,  6aligula  unb 
@laubiud),  Don  beren  Shuten  wir  und  fchaubernb  wenben,  ber 
©eiftedftörung  mehr  ald  »erbodbtig,  ber  finftere  ^h'*W 
Spanien  unb  3wan  ber  Schrecfliche  oon  fRufelanb  litten  an 
0erfoIgungdwahn , unb  laum  werben  wir  eine  Seite  ber  @e« 
f^ichte  auffchlagen  fönnen,  ohne  bah  neued  fSiaterial  für 
unfere  Itnterfuchungen  entbecfen. 

{tierbei  h^Ben  wir  und  vor  einer  Klippe  gu  hüten,  unb  ed 
wäre  nerfehrt,  wollten  wir  Beiten  unb  üRenf^en  oon  bem  Stanb« 
punfte  unferer  heutigen  Snf^auungen  unb  0ilbung  heraud  be« 
urtheilen.  Slnbere  Beiten,  anbere  Sitten,  unb  wad  in  anberen 
Bahrhunberten  ober  an  anberen  Drten  für  natürlich  unb  felbft> 
oerftänblich  galt,  will  und  heute  oft  »erfehrt  unb  fchwer  erllär« 
lidh  bünfen. 

SBoden  wir  anbere  Beiten  unb  anbere  SJtenfchen  wirtlich 
oerftehen,  bann  müffen  wir  und  gu  ihren  Snfchauungen  bequemen, 
und  gleichfam  in  ihre  dJtitte  oerfehen,  mit  ihnen  leben  unb 
benfen.  3)er  Brrthum  einer  Beit  ift  noch  feine  ©eiftedftörung, 
fo  abfonberlidh  er  und  au^  fcheinen  mag.  Unb  wad  für  ben 
Brrthum  eined  gangen  Solfed  gilt,  barf  auch  für  ben  wiffen* 

c«ej) 


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27 


f^aftUc^en  Srtt^um  eineg  ^ingelnen  geltenb  gemacht  tveTbrn. 
iHu(^  bet  tt)if[enj(^aft{i(^e  Sttt^um  beg  (Sinjelnen  ift  an  ft(^ 
nod)  feine  ©eiftegftörung,  obmo^l  et  biefet  ®tenge  untet  Um« 
^änben  tec^t  na^e  fommen  fann. 

Dgfat  »on  SRebmi^  fotbert  in  feinem  Obilo,  ba§  mit  ung 
ben  -Sl^ot^eiten  bet  QRenf^en  gegenübet  ein  mitleibigeg  8ä^eln 
bemai^ten  foQen,  unb  D.  t>on  iRebmi^  ^at  Siedet,  benn: 

SBn  biefeg  Sätbelng  jfunft  vecftebt, 

9iur  bet  mit  »ollem  SBeltoerftanb 
Unb  0eelenru^e  .^anb  in  ^anb 
S)urcb  biefe  SBeltfomgbie  ge^t. 

Unb  ben  i;!a))alien  unb  {cnbetbaten  Sünfereien  gegenübet, 
momit  bie  ©(bolaftifet  beg  SJMttelaltetg  fi^  abmü^ten,  mitb  eg 
ung  nid)t  fc^met  galten,  unfetn  .^umot  ju  bemalten. 

SBenn  mon  fi(^  bomalg  batübet  fttitt,  ob  eine  2aufe  gültig 
fei,  menn  man  fic^  ^ierju  beg  SSieteg  obet  @uppe  bebient 
^abe,  unb  felbft  ein  Sl^omag  oon  Slquin  Untetfu^ungen  an« 
fteOte,  mie  \joä)  bie  ^i^e  in  bet  .^öUe  fei,  mit  ^aben  nut  ein 
8ä(^|eln  übet  folc^e  JDinge.  Unb  fe^en  mit  in  unfetcn  Jagen  bie 
^nfttengungen  eineg  Sin^elnen,  bie  Sonne  in  intern  Saufe  auf« 
ju^lten,  obet  bie  ©aufeltünfte  eineg  Sc^minbletg  mit  bem 
Salten  nod^  unentbecftet  9iatutftäfte  ju  etf laten,  bann  mitb 
eg  ung  oieHeicbt  etmag  fc^meret,  abet  mit  lächeln  audi)  bann  noc^. 

Sc^met  abet  mitb  eg  fein,  bag  Säcbeln  auf  ben  Sippen  gu 
galten  unb  nicht  mit  beg  UnmiOeng  gebadtet  Sauft  gu  oet* 
taufdhen,  menn  mit  in  bie  büfteten  Seiten  bet  Jpexenptogeffe 
hinabfteigen,  unb  ad  bet  Sammet  unb  bag  @lenb  an  ung  hetan« 
tfitt,  ben  Slbetglaube  unb  teligiöfe  Schmätmetei  ergeugt. 

Unb  hiet  etinnete  ich  baran,  bah  toit  folche  (Itfcheinungen 
nut  im  3ufa«menhange  mit  bet  Seit  bettachten  bütfen,  mo  fie 
fich  geigen.  S3on  biefem  Stanbpunfte  aug  mäte  eg  oetfehtt, 
modten  mit  bie  toden  unb  ftampfattigen  Suefungen  beg  d)iitte(« 
altetg  in  bag  @ebiet  bet  @eiftegftötungen  oetmeifen. 

(4«S) 


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28 


2)ic  Jänner  unb  ®ei§let  bc8  XIV.  Sa^t^uDbettS,  bie 
Äinberfreujjüge  unb  enbltd^  bie  Sefeffenen  unb  ^ejcen,  fte  ade 
mären  ©eifteßepibemien,  b.  franl^afte  ^Bewegungen  gro§et 
SKaffen,  bie  auf  bem  SBege  bet  fWac^a^mung  wie  bur(^ 
SInftedung  »erbreiteten.  @8  waren  Serirrungen,  »on  benen 
wir  uu8  jum  J^eil  mit  abfc^eu  abwenben,  aber  eigentlitb 
geifteSfranl  in  unferem  Sinne  waren  biefe  Snbicibuen  ni(^t, 
2Bo^l  aber  mag  e8  an  wirfli(b  SSetrüdten  unter  i^neu  nic^t 
gefehlt  ^aben,  benn  in  btefer  93ejie^ung  wirb  e8  ft(b  bamalS 
nic^t  anberä  uerbalten  ^aben,  wie  ^eute  au^. 

@8  läuft  viel  unau8gereifter  SEßa^n  im  ®emüt^8<  unb 
@eifte8leben  frei  in  ber  3Bclt  um^er,  ber  jebe8  inneren  .g»alte8 
bar,  wie  bie  SÖIotfe  von  bem  8i(bte,  von  jebem  fReuen  unb 
©onberbaren  ungezogen  wirb.  33egeiftert  für  SHIe8,  wa8  fie 
nicht  verftehen,  werfen  pe  pdj  jebem  Schwinbel  in  tie  9lrme, 
unb  treten  für  jebe  neue  Sefte  in  bie  S^ranfen.  9lu8  ihnen 
refrutiren  pth  bie  Slnhänger  be8  93egetariani8mu8,  bie  ©b'^tipen, 
Sifdhrüder  u.  f.  w.,  hoch  möchte  ich  ^>><h  hi^^  bagegen 
verwahren,  al8  wenn  ich  nun  ade,  bie  biefen  freien  j^ünpen 
hulbigen,  für  geifte8franf  hieite.  3m  ©egentheil  wid  ich  gerne 
jugeben,  bap  biefe  Slrt  von  'Parteigängern  ben  eigentlichen 
Süngern,  benen  e8  mit  ber  Ucber5eugung  6rnft  ift,  h«>^jtich 
unbequem  finb.  lÄn  ber  Sache  felbft  aber  änbert  bie8  nicht8. 

3«  gleicher  SBeife  erflärt  fi^  eine  anbere  S^hntfo^e,  bie 
fonft  parabor  etf^einen  müfete. 

2öir  jehen  mit  politifch  aufgeregten  Seiten,  3umal  mit 
0ftevotiitionen,  eine  Abnahme  ber  @eifte8hanfen  einhergehen, 
währenb  wir  von  vornherein  baS  ©egentheil  erwartet  hatten. 

©iefe  Erfahrung  hat  pth  bei  bet  Patifer  ßommune  wieber 
beutlich  herau8gepedt.  Sit  bürfen  barau8  ben  Schlup  giepen, 
ba§  berartige  Bewegungen  in  ihrer  3(rt  lupteinigenb  pnb. 
Sie  wirfen  nämlich  bei  aden  irgenbwie  geiftig  befeften  3nbi» 
vibuen  wie  bet  Stich  bet  Jarantel.  EJJJit  veden  Segeln  eilen 

C«*) 


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29 


fie  ber  SSeweäung  ju,  unb  i»a6  ble  Äugeln  bcr  ®egner  übrig 
laffen,  ge^t  bur^  2tunf  unb  Stufregungen  jeber  Slrt  mit  ber 
Semegung  felber  ju  ®runbe.  ©cld^er  Slrt  ift  ber  ^eiljame 
@influ§  ber  0ie»oIutionen  unb  Slolföbemegungen  auf  bie®eifte0= 
flörungen. 

Sei  bem  lebten  großen  IDrama  biefer  Slrt,  bcm  6ommune= 
aufftaube  in  ^ariä,  niar  bie  {Rolle,  welche  eine  {Rcilje  nctorifd^ 
oerrüdter  ^nbioibuen  babei  einna^m,  feine  geringe,  unb  wenn 
wir  bie  ^^otograp^ien  ber  Gomunarben,  namentlich  in  il)rem 
weibli^en  5£be>Ie  bur^muftern,  fo  werben  wir  auffaUenb  niete 
finben,  benen  ber  SSa^nfinn  mit  unnetfennbaren 
Bügen  auf  bie  ©time  gef^rieben  ift. 

2)iefelbe  Sinnahme  wirb  auch  für  bie  Solföfranfheiten  beö 
Söiittelalterö  geftattet  fein. 

Ginige  wirtlich  Serrücfte  ercffneten  ben  {Reigen,  fei  eö, 
ba^  fie  glaubten,  in  SSölfe  »erwanbelt  ober  ccm  Slenfel  befeffen 
gu  fein,  bafe  fie  fich  mit  ®eifeeln  jerfteifchten  ober  nach  bem 
Ätange  ber  iarantella  bis  3ur  ©rfchöpfung  in  wahnfinnigen 
Saften  brehten,  unb  bie  Slnberen  folgen  na^,  umgarnt  con 
6lenb,  Serbummung  unb  Slberglauben,  hineingeriffen  in  ben 
wilben  Srubel.  Unb  fo  ging  e8  bie  Sahrhunberte  h*nbur^, 
bis  fich  baS  Sitte  cerlor  unb  {Reueö  an  feine  ©teile  trat. 

2)ie  .J)ej:en  ftnb  fo  jiemlich  cerfthwunben,  unb  wenn  fich 
je  noch  eine  3eigt,  fo  wirb  fie  nicht  mehr  cerbrannt,  wenigftenö 
bilbet  bieö  nicht  mehr  bie  {Regel.  Sah«r  fann  {Rcbwi^  feinen 
IDoftor  fagen  laffeu: 

@inft  hätt’  ale  ^ere  man  bie  Äranfe 
Sei  SuBpfalmlicbern  unb  ®eläut’ 

Serbrannt  mit  hßHifchem  ©eftanle, 

Unb  ihre  Slfche  noch  »erflucht. 

3n  unferer  glaubenJarmen  3r>t 
93armher3igec  je^t  ble  5)lenf(hliihf*it 
SlU  Äranfe  fee  ju  heil««  f“<bt' 

C465) 


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30 


Slber  tm  @tunbe  ^at  bo(b  nur  bie  @cenerte  getvetbfett, 
unb  na^  93ei|^ielen  geifttget  SInftedung  Brauchen  toit  aud)  ^eute 
nicBt  weit  gu  fuc^en. 

3Beit  hinten  in  ^atiö  erftnnt  irgenb  eine  t^örid^te  ^etjon 
ein  ebenfo  t^örid^teS  ^oftüm,  unb  unfere  fe^r  verftänbigen  S)amen 
^aben  nicbtd  eiligeres  ju  t^un,  als  fdlleunig  i^ten  gewohnten 
Slnjug  gegen  baS  5fleue  gu  Bertauf(ften,  unb  jebet  »erftänbigen 
@TWägung  guwiber,  |o  lange  als  klarten  bet  neuen  ^obe  ein« 
^eiguge^en,  bis  eS  benen  in  ^aris  beliebt,  eine  anbere  IBer« 
fleibung  auf  ben  fIRatft  gu  bringen. 

IDaS  ift  bie  ÜJlaebt  bet  9tacba^mung,  jenes  gewaltigen 
SriebeS,  bet  unS  gu  einem  fo  gefeHigen,  aber  anä)  gu  einem 
von  ber  ©efeUfd^aft  fo  abhängigen  äBefen  macht. 

S)odb  möchte  ich  einen  Sugenblid  gu  bem  SRittelalter 
gutüdfehren.  2)aS  SJiittelalter  ift  bet  üp^jigfte  Soben  für  eine 
@tuppe  uon  @r{cheinungen , bie,  wenn  auch  heutgutage  leibet 
noch  nicht  gang  oetfehwunben,  hoch  gewöhnlich  ihte  @tlebigung 
halb  DOt  bem  ©taatSanwalte  finben.  3ch  meine  bie  teligiöfe 
SSergüduug,  bie  fogenannte  ©jeftafe,  unb  bie  bamit  »erbunbenen 
religiöfen  @t[dheinungen,  bie  IBifionen. 

3n  bft  (Selbftbiogtcqjhie  ber  heiligen  Jhetefe  befi^en  wit 
eine  flaffifche  ©chilbetung  folchet  Suftänbe,  wo  bie  ^eilige  mit 
in  bie  @luth  ihrer  S3egeifterung  getauchter  Seber  ihre  eigenen 
6mpfinbungen  unb  ^ifionen  bef^reibt. 

3um  Serftänbnih  biefet  Suftänbe  muffen  wit  einen  lurgen 
©treifgug  auf  baS  @ebiet  ber  Srrenheilfunbe  unternehmen. 

Unfere  ©mpfinbungen,  baS  Sehen,  ^ören  u.  f.  w.  lommen 
baburch  gu  ©tanbe,  ba§  ein  äußeret  IReig  auf  bie  ©inneSorgane 
wirft  unb  butdh  ^ie  ©inneSneroen  bem  ©ehime  gugeführt  wirb. 
^)ier  finbet  erft  bie  eigentliche  ©mpfinbung  ftatt.  SBaS  wit 
©eben  ober  {>ören  nennen,  ift  bähet  im  ©runbe  genommen 
eine  beftimmte  unb  gang  befonbere  Seränberung  beS  ©ehirneS, 

(4«€) 


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31 


adeibingd  »eranla§t  bui(^  bte  ©c^ioingungen  von  8uft  unb 
dlet^n  unb  bir  (Sinmtrcfung  biefet  0d}tt>tngungen  auf  bie  ner> 
»Öfen  Elemente  in  3uge  unb  O^r. 

Untet  normalen  SSeriifiltniffen  bebarf  eS  gum  Suftanbefommen 
einer  jeben  ©inneSempfinbung  gundd^ft  eineS  du|eren  Sietged, 
unb  mir  bören  unb  {eben  ni^tS,  maö  ni(bt  audb  in  ber  SBirf« 
li<bteit  oorbanben  märe.  d)aneben  (önnen  mir  eine  dbnlidie 
93emegung  beS  ®ebimed,  menn  audb  in  meit  geringerer  Stdrfe, 
miDfürlicb  bctoorrufen,  unb  bie^auf  beruht  bie  (Erinnerung  einer 
©inneSempfinbung.  (Dag  ge{unbe  @ebim  empfinbet  babei  ben 
Unterjdbieb  bet  S3emegung  unb  ift  ft(b  biejeS  Unterjcbiebeg  mobl 
bemu&t,  unb  mir  merben  bie  ©mpfinbung  {elbft  mit  ihrem  (Er* 
innerungSbilbe  fo  leidet  nicht  oermecbfeln. 

Anberg  ift  eg  fcbon  im  ©chlafe,  bei  lebhaften  (träumen, 
unb  in  ben  eigentlichen  @eiftegftörungen,  bei  ben  franfbaften 
(Reigguftänben  beg  (^ebirneg  ift  oon  biefem  Unterfchiebe  feine 
Siebe  mehr,  ^ier  fann  bie  Semegung  beg  (Eebirneg  aug  inne< 
ren  (Borgängen  \itxau6  in  gleicher  @tärfe  auggelöft  merben, 
mie  bieg  untet  normalen  33etbältniffen  nur  bei  ber  3Babr> 
nebmung  äußerer  (SegenRänbe  gefdbiebt,  unb  an  bie  ©teile  bet 
©innegempfinbungen  tritt  bie  {)aOugination.  @ine  Unter« 
{Reibung  ift  bi^^  nicht  mehr  möglich,  bie  .^nDngination  impo« 
nirt  alg  mirfliche  ©innegempfinbung.  (Der  ^ante  fiebt  unb 
hört  mit  berfelben  ©enauigfeit  unb  ©^ärfe,  alg  menn  er  ben 
@egenftanb  felber  vor  fich  bntte,  unb  bag  franfbaft  oeränberte 
Gehirn  fann  auch  oon  anbeter  ©eite  bei  feine  ^oneftur  bet 
falfdben  SSorfteQung  eintreten  laffen. 

(Dag  äluftreten  oon  {)aUuginationen  ift  baber  unter  allen 
Umftänben  ein  nicht  unbebenflidbeg  ©pmptom,  fann  aber  au^ 
bei  geifteggejunben  Snbioibuen  ootfommen. 

(Die  einfeitige  unb  intenfioe  SSetfenfung  nach  einer  Siich* 
tung  unb  in  einen  @ebanfen  fann  gu  ähnlichen  (Erfcheinungen 

(467) 


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32 


führen,  unb  bie  @e[(^i(^te  bei  .^eiligen  liefert  unS  ^ieifüt  ein 
leidi^altigee  SJiaterial.  SIbet  aud)  bei  profanen  ©efc^ic^te 
mangelt  eö  nic^t  an  3)eifpielen  unb  bie  S3ifionen  !Diobameb8 
unb  bei  Jungfrau  non  Orleans,  Sut^er’S  S^eufelerf^einung  unb 
@ötbe’S  ^Doppelgänger  fönnen  bici:  angeführt  werben. 

^ut^er  unb  @öt^e  beS^alb  für  geifteSfranf  3U  erflären,  i^ 
nod^  9Hemanbem  eingefommen,  unb  baffelbe  wiberftrebt  unS  bei 
einer  ber  lieblid^ften  @rf(^einungen,  oon  benen  unS  bie  @ej(^i(^te 
erjd^lt.  S)aS  fUläbc^en  oon  S)om  0lemp,  bie  l^elbenmüt^ige 
Befreierin  granfreidjS,  bietet  ber  gorfdbung  na^  mehr  wie  einer 
(Seite  i^in  gro§e  diätljfel,  unb  fie  bürfte  wo^l  gu  jenen  gott> 
begnabeten  ^erfonen  gehören,  bie  nur  oon  Seit  gu  Seit  er« 
fc^einen  unb  an  bie  wir  einen  anbern  SRa^ftab  legen  muffen, 
als  womit  wir  bie  gewö^nlitpen  ©terblidben  meffen.  Bei  einer 
langbauernben  unb  einfeitigen  BefdbÄftigung  mit  einem  ®egen« 
ftanbe  alfo  lann  eine  innere  .Rongentration  ber  ©e^imt^ätigfeit 
na(^  biefem  einen  fünfte  ber  (0rt  ftattfinben,  bag  bei  gleich« 
geitiger  neroöier  Einlage  unb  Ueberreigung  beS  9teroenfpftemS 
buid)  haften  unb  fRac^twacben  @inneStäuf^ungen  auftreten. 
3)iefe  ,J)aUuginationen  werben  in  Sorm  unb  Snbalt  ber  Stieb« 
tung  ber  ©eifteStbätigfeit  entfpreeben,  unb  ba  eS  ficb  b*^' 
um  teligiöje  BorfteQungen  b^nbeln  wirb,  jo  ift  aueb  ber  ©b«’’ 
ratter  ber  JpaQuginationen  ein  religiöfer.  fStan  ftebt  unb  bört 
je  nach  Seit  unb  Bilbung  bie  fDtutter  ©otteS,  ben  Teufel  unb 
bergleicben  mehr. 

BJenn  wir  näher  gufeben,  fo  finben  wir,  bafe  eS  fitb,  wenn 
auch  auSfeblie^licbr  meift  um  grauen  bnnbelt. 

Bei  ben  geauen  eben  überwiegt  bao  ©emütb,  unb  bie 
gartere  ^älfte  beS  fDtenjcbengej^ledbteS  mu^  biefeS  SJtebr  an 
SiebenSwürbigteit,  baS  fte  unftreitig  oor  unS  oorauS  bat,  gum 
Xbeil  wenigftenö  auf  Äoften  beS  nüchternen  BerftanbeS  beftreiten. 
Stebmen  wir  biergu  bie  größere  Sartbeit  ber  Äorperfonftitution 
unb  eine  hieraus  folgenbe  größere  Steigung  gu  Steroenftörungen, 

(468) 


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33 


jo  fabelt  mit  SJn^altSpunfte  genug,  um  bie  a3orliebe  für  baö 
fdjöne  ©efcbledjt,  jugleid^  aber  aud^  bie  ftanfbajte  Dtatur  biejet 
SJorgönge  gu  etfläten. 

3cb  bin  ni^t  ungalant  genug,  um  ben  be§  alten  unb 
groben  8ateinerd  gu  unter jcbreiben:  malieri  ne  mortuae  quidem 
credendum,  aber  einen  gemifjen  S^eil  »on  bemühter  unb  un» 
bemühter  Sduf(bung  merben  mir  in  feinem  biejet  gäHe  cermifjen, 
mögen  jie  nun  Swuen  ober  auch  ÜJiännev  betrejfen.  ®o  jtnb 
g.  S.  bei  gouije  galeau  einj^eil  bet  i^e^auptungen,  oor  allem 
bie  mangelnbe  ^Ra^rungSgufu^t  unbebingt  in  baö  jReitb  beS 
SetrugeS  gu  cetmeijen. 

anbereö  lä§t  gum  Sl^eil  menigftenS  eine  anberc  ©tfldrung 
gu.  -Die  SRerocn  oermitteln  au^et  SBoune  unb  @d)merg,  au^et 
©emegung  unb  ©mpfinbung  auc^  bie  förnabrung  ber  ©emebe, 
bie  SBertbeilnng  beö  SBluteö  unb  bctgleicben  mehr. 

SBir  fcnuen  nun  gemifje  ©rfranfungcn  bc6  jRercenjpjtemeö, 
unb  au^  bi«'^  miebet  »orgugemeije  bei  ben  grauen,  bie  jtcb 
unter  Slnberem  burd)  merfmütbige  «Storungen  in  bet  Srndbrung 
unb  $bötigfeit  bet  ^nut  unb  anberet  ©emebe  äii§ern,  unb  bie 
man  unter  bem  Flamen  ber  -J)9fterie  gujammenja|t.  SDbmobl 
entjcbieben  franfbajter  jRatur,  jo  finb  bieje  Störungen  bem  ©in» 
jlujje  be8  SBillenS  bo(b  nicht  gang  entgegen,  unb  ba  ber  SBille 
bei  biejer  Ärantbeit  »ieljacb  oerfebrt  unb  in  franfbafte  23abnen 
geleitet  ift,  jo  ergiebt  jicb  ein  berartigeö  ©emijib  oon  beab» 
jicbtigten  unb  unbeabjidbtigten  ^ranfbeitSerjebeinungen , ba§  e^ 
faft  eines  3lriabnefabenö  bebarf,  um  jicb  b’ft  guredbtgufinben. 

3cb  miQ  bem  meijen  Seijpiele  SSitdbom'S  folgen  unb  mich 
nicht  auf  eine  ©tflärung  oon  2)ingen  einlajjen,  bie  ich  nid)t 
jelbet  gejeben,  unb  ich  giebe  eS  baber  oor,  bie  ©ntjtebungö* 
gejebiebte  äbnlicbet  SBunber  an  einem  jelbjt  beobachteten  gälte 
ocrgujübren: 

SlgneS  3Rep  mar  ein  menig  entmidfelteS  SRäbeben  oon 
18  Sabten,  bie,  nadbbem  jie  eine  3«*  lang  förperlicb  leibenb 

XIX.  444.  3**  (469) 

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34 


getoejen,  auc^  geiftig  eifranfte.  <3ie  luai  tveinetlic^,  flagte  fid) 
aOeilei  Ketnei  SSetge^en  an,  unter  anberen,  ba^  fie  einen  @5ioi(^en 
untetfc^lagen,  ben  fle  im  Aufträge  ber  ^)en|(^aft  an  ‘Krme 
geben  fotlte,  Sudergeug  genaf^t  b«be  unb  betglei^en  mcljr. 
SlQmä^Iicb  mürbe  fie  [tarrer,  fte  ag  fcbMt,  fonnte  nur  mit 
^üt}e  gefüttert  merben,  unb  fie  mu^te  megen  @cbmäd^e  unb 
©tarrfuc^t  bauernb  im  S3ette  liegen,  ^ier  lag  fie  mo^enlang 
na^eju  o^ne  93emegung  mit  getreusten  $ügen  unb  feft  gefaltenen 
^änben  ba,  leife  vor  ftd^  ^inmurmelnb,  unb  nur  ^in  unb  mieber 
gab  fie  su  verfte^en,  ba§  fie  6^riftuS  fei  unb  am  ^euje  ^änge. 

@e^r  halb  Bilbeten  ficb  an  ben  §ü§en  munbe  ©teilen  unb 
auf  ben  ,^anbrüden  gro|e  mit  IBlut  gefüllte  Slafen,  bie  geit> 
meife  ftarf  abfonberten.  Unb  ni^t  genug.  IDad  fDläbdjen 
fd^mi^te  fo  ftarf,  ba§  ficb  bie  ^aut  über  unb  über  mit  fleinen 
glängenben  ^ufteln  bebecfte,  bie  namentlicb  auf  ber  ©tim  gu> 
fammenfloffen  unb  einen  voQftänbigen  jfrang  bilbeten.  @o  fehlte 
nichts  an  bem  S3ilbe  einer  ©tpgmatifirten,  unb  nur  bie  groge 
Unreinlichfeit  ber  Jfranfen  unb  ihr  früheres  aufierorbentlich  al> 
bemeS  unb  einfältiges  S3enehmen  h<elt  baS  SBartperfonal  ein> 
geftanbenerma^en  bavon  ab,  hmt  an  ein  Iffiunber  gu  glauben. 

3n  bem  vorliegen  galle  mar  an  ber  Äraniheit  fein  Bmeifel, 
aber  maS  märe  nicht  SllleS  möglich  gemefen,  menn  boffelbe  unter 
anberen  SSerhältniffen  vor  fich  ging.  SBie  leicht  märe  cS  ge» 
mefen,  mit  etmaS  ^antafie  unb  vielem  guten  SBiDen  eine  neue 
Souife  Bateau  in  ©gene  gu  fehen. 

IDenn  gumeilen  glaubt  man  fich  mirflich  in  bie  Seiten  ber 
Äreuggüge  unb  ber  Äe^er Verfolgungen  gurüctverfe^t,  unb  bie 
^heofe  com  19.  3ahrhunbert  miD  unS  manchen  @rfahrungen 
gegenüber  ni^t  gang  angebracht  erfcheinen.  9feben  ben  Smeiflem 
unb  ben  Ungläubigen  begegnen  mir  noch  oft  genug  bem  blöb» 
finnigen  93ruber  beS  ©laubenS,  bem  Aberglauben,  unb  bie  @e» 
richtSverhanblungen  in  SRarpingen  unb  anberen  @nabenorten 
haben  unS  manchen  traurigen  Auffchln§  barüber  gegeben.  S)a 

(470) 


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35 


ift  eS  benn  fd^wer  genug,  beb  Säcbelnb  j^unft  gu  üben  unb  nicht 
Sebem  ift  e8  gegeben,  wie  @u(enfpiegel  bie  feinet 

Seit  mit  leichtem  SRuthe  gu  uetfpotten. 

Äebren  wir  nach  btefer  hiftorifchen  Slbfchweifung  auf  ben 
S3oben  bet  Gegenwart  gutücf,  fo  hatten  wir  no^  einiger  @ruh> 
pen  gu  erwfihnen,  bie  wir  fchwerlich  in  biefer  ©efedfehaft  uer^ 
muthen  würben.  3cb  meine  nämlich  bie  einfeitigen  Stalente  unb 
bie  @enie0.  Die  fogenannten  SBunberfinber  finb  im  ©runbe 
genommen  feine  angenehme  (Srfcheinung. 

3u  bem  begriffe  eines  ÜJienfchen  gehört  bie  hoTmonifche 
!flu8bUbung  feiner  fämmtlichen  Sähigfeiten,  wie  wir  fie  g.  93. 
bei  @6the  im  aHerooflenbetflen  ?Dla§e  bewunbem.  9iun  fann 
gwar  nicht  jeber  ein  @öthe  fein,  aber  biefe  altflugen  unb  fonber* 
baren  ©ejehöhfe,  bie  fchon  in  ben  SBinbeln  mathematif^e  3(uf< 
gaben  löfen  ober  eine  Spmphi’nie  fomponiten,  finb  hoch  gar  gu 
weit  Bon  biefem  Sbeale  entfernt.  3Jlir  wenigftenö  ergeht  eS 
wie  @ulenfbiege(,  ber  weinen  mu§te,  wenn  er  einen  93erg  hinab> 
ging,  ba  er  fchon  wiebet  an  baS  ^{ettern  ba^te,  füRir  will  bei 
jebem  ^unftftücfe  biefer  Äinbet,  bei  jebem  93ogenftriche  bet 
@ebanfe  an  baS  @nbe  ni^t  au8  bem  ^opfe,  unb  baS  liegt  ge> 
wohnlich  fehr  nahe  beim  Anfang.  @8  befteht  in  oorgeitiger  @r» 
fchöpfung,  in  @eifte8nacht  unb  frühem  Sob. 

Diefe  ^inber  fommen  im  eigentlichen  ©inne  älter  auf  bie 
£}elt  al8  anbere.  @ie  überfpringen  bie  glücflichen  Sahre  bet 
jtinbergeit,  um  fofort  in  ba8  fDianneSalter  eingutreten,  unb  fie 
ftnb  serbraucht,  erfchöpft  unb  gum  ©reife  geworben,  wenn  ihre 
9lltei8  gen  offen  fich  noch  <”it  ben  ©eheimniffen  ber  IRechtfchrei« 
bung  abquälen.  Da§  e8  auch  unter  ihnen  befonberS  begabte 
Ausnahmen  giebt,  fann  nur  ben  alten  ©a^  Bon  ber  Siegel  be« 
ftätigen. 

aber  bie  ©enieS,  wie  fommen  bie  hierher,  wie  fommt  ©aul 
unter  bie  S^ropheten? 

SBeun  wir  un8  ben  ©eifteSfranfen  etwa  fo  Borftellen,  al8 

(471) 


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36 


ticr  übricipn  npTtnalen  SBelt  gegenüber  in  bet  SRinbet^eit,  hinter 
ibr  jurü(fgeblieben  unb  ibr  folgenb,  fo  gebt  baS  @enie  grabe 
entgegen  gefegt  bet  SBelt  noranö,  ti  giebt  fie  hinter  fld)  b®’^  “nb 
führt  pe  an  auf  bet  S3abn  beö  gortfcbritteS.  SBtt  haben  ni^t 
bie  einfeitige  ©ntroirfelung  not  unb,  wie  bei  ben  SBunberfinbern. 
üJiit  gewaltiger  Äraft  wirb  ba8  gange  @ebiet  beö  ©eifteö  um» 
fapt  unb  baS  @enie  ift  in  fid)  allein  bie  93erförperung  be«  Seit« 
geifteß.  Sro^bem  ift  ba8  @enie  feine  normale  ©ntwicfelung 
£»e8  ©ebirneS.  Oft  genug  erweift  fi(b  jene  Äraft  al8  gu  ge» 
waltig  für  ba8  Drgan.  JDa8  ©ebim  fann  ben  Slnforberungen 
nicht  entfprecben  unb  e8  bridbt  unter  ihnen  gufammen.  Slucb 
ben  ©enie8  ift  feiten  eine  lange  iiaulbabn  nergönnt  unb  bie 
Annalen  bet  Srrenbäufer  wiffen  non  manchem  großen  ©eifte  gu 
ergdblen,  bet  in  ihnen  gu  ©runbc  ging. 

^jlnbererfeit8  ergiebt  bie  ^amiliengefcbicbte  bet  ©enie8  ihre 
nabe  SBerwanbtfcbaft  mit  ©ebirn»  unb  fRernenftörungen.  ®it 
pnben  bei  ben  SOüeipen,  ba§  pe  einer  Familie  angeboren,  wo 
gabireicbe  fWitglieber  an  ©eifteSfranfbeiten,  SRetoenleiben  unb 
bergleicfcen  gelitten  haben. 

©in  englifcber  ©cbriftpeHer  löpt  bo8  ©enie  nur  auf  biefem 
53oben  entfteben  unb  gebt  fo  weit,  pcb  mit  bem  SBabnpnn  net» 
föhnt  gu  erflären,  weil  man  ohne  ihn  auch  auf  ba8  ©enie  ner» 
gidbten  müpe. 

Sßir  etfeben  barau8,  wie  wir  ba8  £icbt,  wa8  wir  ben 
©Ottern  entreißen,  auch  tbeuer  begabien  müpen,  hoch 

fann  unb  barf  un8  bie8  nicht  abbalten,  Den  ^faben  gu  folgen, 
bie  $rometbeu8  3abrtaufenbe  nor  un8  gewanbelt  ift. 


(472) 

X)cu(f  een  CUtfci.  Ungti  (ZI).  (Krünn),  Cttltai  8W. , 17 1. 


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^ora5,  Pctfius,  Juoetiaf, 

He  «&aiiptüertreter  ber  römifc^eit  0atire. 


SSortrag 

oon 

<E.  firiHner. 


Jiiveuali»  urdi't  et  juKulat,  Persius 
insnltat,  Horatia!«  irridet. 

J.  C.  Scaliger. 


flerli«  SW.,  1884. 

Setlag  »on  (Sari  ^abel. 

{C.  täbtitti’adjt  Bttlagabsdiliinblnng.) 

33.  SSilbelm  • StTiilt  33. 


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2)qö  5Red)t  ber  Ueberfeöung  in  frembe  Sprotten  rotrb  Dorbe^alten. 


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totr  nun  einmal  nid^t  me^r  in  jenem  golbcnen  3«t= 
alter  leben,  inelc^eg  bie  fDid^ter  jo  f^on  beftngen,  in  melc^em 
jebet  freiwillig,  o^ne  @efe^,  baö  fRecbte  t^at  unb  glüdflidb 
unb  gufrieben  im  ffioBgennffe  aller  ©fiter,  mfibeloö  nnb  ebne 
Sorge  in  einem  traumbaft»feligen  dolce  far  niente  feine  Sage 
»erbringen  tonnte:  fo  ift  eS  gang  natörlicb,  ba§  »on  allen 
Seiten  IDiebatmonien  erflingen,  oft  fo  gewaltig,  ba§  fte  bte  gu 
©runbe  gelegte  SJlelobie  fibertönen.  3Bie  »erbalten  ficb  nun 
bie  50lenfcben  gn  biefem  Gongert,  baS  fie  bod)  anboren  muffen, 
ba  fie  bei  ihrem  ©intritt  in  baö  geben  gugleicb  autb  ein  Swang« 
billet  bagu  erbalten  haben?  IDieö  fommt  gang  auf  ihre  geiftige 
Anlage  an  unb  anf  ben  ^la^,  ber  ihnen  gufäOig  angewiefen 
würbe.  S)ie  einen  finb  fo  glfidlidh,  fein  ober  wenig  muftfalifcbeS 
@ehör  gu  befihen,  fo  ba§  fw  bie  Sölufif  tro^  ihtcS  BJlihflongeß 
unbebingt  loben;  anbere  »emeinen  fiberhaupt  jeglidhe|)armonie; 
mandhe  halten  ficb  ^te  Oh^^n  gu  unb  wenben  ftcb  ab;  »iele 
grämen  unb  ärgern  ft^  ftill;  nicht  wenige  laffen  ihrem  Sorn 
freien  gauf;  nur  eine  geringe  Slngahl  fügt  ft^  mit  JRuhe  unb 
©leicbmuth  in  baß  Un»ermeibliche  unb  fu^t  im  Stimmen» 
gewirre  bie  ri^tige  SBeife  gu  erlaufchen;  ja  eß  giebt  auch  folcbe, 
bie  bagu  lachen,  wenn  ber  gätm  nicht  gar  gu  betäubenb  um 
ihr  eigeneß  .^aupt  fchlägt.  9luß  bet  Sabl  berer  nun,  bie  ba 
hören  unb  nid)t  fchweigen  tonnen  ober  wollen,  bitbet  fich  baß 
Kontingent  ber  Satirifer,  »on  benen  einige  Jpeetffihrer  auß 

XIX.  ui.  1*  C«i) 


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t 


4 


tötnifc^er  3<*t  ©egenjtanb  unfeter  S?etrad^tung  fein 

l'oOen. 

3ut>oi  aber  »ollen  mir  in  aOet  ^rje  fe^en,  »aö  bad  SBott 
(Satire,  Deffen  ältere  gorm  satura  lautet,  eigentlid^  bebeutet, 
»oran  ft^  furge  Erörterung  fnüpfen  »trb,  wie  ficb 

bie  Satire  als  Sd^riftgattung  entwicfelt  ^at,  unb  bamit  wirb 
au(^  bie  ^age  erlebigt  werben,  worin  i^r  eigentli(^eä  SBejen 
befiele. 

SoQ  man  „Satire*  mit  i ober  9 fd^reiben?  So  fragen 
gewi§  viele  Sterbli^e,  wenn  fie  in  ben  BaD  fommen,  biefeS 
SBort  burc^  bie  ju  jie^en.  IDie  SReinungen  fin^  set^eilt, 
obwo'^l  fi(^  bie  SRajorität  fc^on  längft  für  i entfcbieben  ^at, 
baö  ja  au^  bur^  unfere  neue  Orthographie  ben  Stempel 
höherer  SBeihe  empfangen  hoi*  Seuffel  meint,  ba§  fein 

orbentli^  Eefdhulter  meht  Satire  fdhreibe.*)  @6  ift  bieö  eine 
etwas  f(htoffe  ^nfitht  von  biefem  hmhverbienteu,  vor  noch  nicht 
longer  3«it  verftorbenen  ©eiehrten,  ba  fich  eine  ftattli^e  Sleihe  von 
fonft  fehr  wohlgebilbeten  Leuten  aufgählen  liege,  bie  mit  bem 
alten  ^Brauche  noch  nicht  gebrochen  haben.  3Ber  wirb  g.  einen 
ber  erften  3lefthetifer  unferer  3eit,  %x.  $h-  Sif^hfi^i  ni^h*  “**fer 
bie  orbentlich  ©efchulten  rechnen?  IDerfelbe  fdhreibt  unentwegt 
bis  in  bie  neuefte  3eit  9.  ^QerbingS  mögen  Sleuffel  unb  über* 
haupt  alle  bie,  wel^e  für  i ihre  i^ange  einlegen,  re^t  haben, 
bag  bie  Satire  nichts  mit  ben  griechifchen  Satpm,  jenen  über* 
müthigen  Vertretern  beS  VaturlebenS,  ben  Vegleitem  beS  25io* 
npfoS,  unb  mit  bem  Satprbrama  gu  thun  hat,  ba  griedhifcher 
Einflug  auf  bie  satura  ber  alten  Seit  faum  bentbar  ift.  ^tc- 
bor  SRommfen  bringt  in  feiner  römifchen  ©efchi^te  beibe 
SB  Örter,  baS  griechifche  unb  loteinif^e  (aarvpoi,  satura),  mit 
einanber  in  SSerbinbung,  inbem  er  bie  Satire  erflärt  alS  ben 
„SJlummcnfchang  ber  vollen  geute“;  ber  SRummenfchang  begiegt 

(476) 


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5 


bemnad^  auf  bad  ben  ®atprn  gleid^e  93et^alten  bet  Slcteutd, 
bie  bei  feftli(ben  ©elegen^eiten  uad^  gehöriger  ©dttigung  — 
benu  satur  Reifet  ja  fatt  — in  auflgelaffenet  SBeife  aUetlei  Un» 
fug  trieben,  inbem  fie,  ttie  ÜJlommfen  fagt,  in  unb 

Sodffeüe  gefüllt,  mit  i^ren  @pä|en  ba0  geft  befcblie^en". 

0et  @iammatifer  0iomebed  aud  bem  4.  n.  lä§t 

bie  ginge  in  Sejug  auf  bie  Slbftammung  offen.  ®r  meint 
ndmlic^,  bag  bad  ^ort  na(^  feinem  Utfprunge  entmeber  auf 
bie  ©atptn  ^inmeifr,  meil  in  befagter  Sichtung  läc^eilic^e  unb 
fcbmu^ige  Dinge  oorfämen,  loie  fie  bie  ®atprn  fügten  unb  aud> 
führten,  ober  „ooDe  ©d^üffel  (lanx  satura)“  bebeute,  bie  gefüllt 
mit  einet  ÜJienge  oon  mandbeilei  @tflIingSftu(bten  in  alten  Seiten 
ben  @öttetn  ald  Dpfet  bargebracbt  toorben  fei;  bei  bet  britten 
@ttlätung,  bie  er  giebt,  beruft  er  fid)  auflBano,  bet  baSSBort 
mit  einet  9lrt  SBurft  — lat.  farcimen,  »on  farcire,  füllen  — 
bie  au8  Dielen  Dingen  bereitet,  be3-  bamit  gefüllt  mürbe, 

in  Sufammen^ang  gebracht  h^^be.  9(uf  eben  biefem  SSerbum 
beruht  auch  baS  italienifche  &rsa,  eigentlich  »gülfel,  ©emengfel“, 
fran3öfifch  farce,  unfere  *^offe*.  Äut3:  bie  übermiegenbe 
9Rehr3ahl  ber  ©rünbe  fpricht  für  bie  Ableitung  Don  bem  Slbjec» 
tiDum  satur,  mag  man  nun  3U  bem  gemininum  satura  bad 
©ubftantiDum  lanx  «©chüffel“  ober  einen  93egriff 

eigön3en.  SSieHeicht  h«t>en  auch  welche  in  bem  SBorte 

ein  felbftänbig  gebilbeteö  ©ubftantiuum  3U  erfennen  glauben.*) 
Demnadh  h^^i  ^ie  ©chreibart  mit  i ihre  DoIIe  S3eiedttigung. 

Die  ©atire  al0  befonbere  liteiarifche  ^unftgattung  ift  eine 
©ihöpfung  beS  römifdhen  ©eifted.  Slber  fie  hotte  mie  jebe  anbere 
Dichtung  eine  lange  93ahn  3U  burchlaufen,  biS  fie  biejenige 
Sollenbung  erhielt,  bie  fie  befähigte,  eine  hertorragenbe  ©tel* 
lung  in  bet  Biteratur  ein3unehmen.  Denn  ihr  Urfprung,  auf 
meldhen  3urüd3ublicfen  unfer  Dhema  und  aufforbert,  fällt  in 

(477) 


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6 


Beiten,  »elc^e  bad  Sic^t  bet  ®ef(^i(^te  nic^t  genägenb  beleuchtet. 
Seinahe  ade  9iachri(hten  baiübet  finb  tuin  unb  unoollftänbig. 
6in8  |ebo^  ift  fithet:  Die  @otite  ift  fo  ju  Jagen  ein  Jopf» 
geväd)^,  welcbed  betn  müttetlichen  33oben  beS  SSolfSthumS  ent» 
nommen  ift.  9Hit  anbeien  SBotten:  fie  uerbanft  i^t  Dafein 
fomif^en  ®^)ielen,  bte  bafl  93olf  in  üKittelitalien  ju  feinet  @t» 
heitetung  bei  feftlichen  Gelegenheiten  fidh  felbft  fc^uf  unb  bie 
in  ihiei  ooQenbeteren  gotm  ein  mixtum  compositum  waten 
Don  Gefang,  Gtjdhlung,  Dialog,  lebhaftet  Geftifulation  unb 
untet  ^Begleitung  oon  ^lötenfpiei.  .<pietbei  waltete  wo^I 
bie  Bmprooifation  ooi,  inbem  man  im  ^3lQgemeinen  bie  3bee 
bet  .^anbiung  oetabiebete,  abet  bie  Ausführung  beS  ^efonbeten 
bem  Augenblitfe  übetlieh.  Den  biefet  Spiele  trifft 

cieDeicht  SoIgenbeS:  man  nedte  unb  fpottete,  unb  gwat  nicht 
in  bet  feinften  SBeife,  wobei  wohl  bie  eingelegten  Siebet  befon* 
betS  wirfungSooK  gewefen  fein  mögen,  bie  wahrfdjeinlich  h»“* 
fichtlich  beS  BnhaltS  oiel  Aehnlidhfeit  mit  ben  obetbaitifchen 
Sdhnaberhüpfeln  hoüen.  9Iun  gab  eS  aber  in  jenen  Beiten 
noch  anbere  ooItSmähige  Auph^ungen,  bie  fogenannten  $eScen> 
ninen,  Snimen  unb  Atedanen,  bie  fämmtlich  ben  Satiren  in 
biefet  ölteften  Gewalt  feht  nahe  ftehen  unb  wohl  nicht  immer 
genau  oon  ihnen  gefchieben  wutben.^)  Den  größten  @inp§ 
aber  auf  bie  Satire  fcheint  eine  Art  oon  ^Pantomimen,  unfet 
heutiges  fallet , mutatis  mutandis,  auSgeübt  ju  hol’en,  welche 
oiedeicht  fogat  ben  Anfto§  jut  Satire  gegeben  h^hen,  wenn  wir 
einem  jagenhaften  33eri(hte  beS  ^>iftotifetS  SituS  SitiuS  (VII,  2) 
trauen  woden.  Detfelbe  erjählt,  bafe  einft  im  4.  3ahrh“ni^«rte 
0.  (She.  eine  furchtbare  f>eft  in  9iom  wüthete  unb  man  bei  bem 
adgemeinen  S^recfen  ade  fUUttel  anwanbte,  um  ben  Been  bei 
Götter  ju  oerföhnen.  Da  fei  man  auf  ben  Gebanfen  oerfaden, 
gu  biefem  !@ehufe  Schaufpielet  auS  Gtruiien  hetheignrufen, 

(476) 


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7 


unb  fo  ^abe  Siom  ein  Sl^eater  et^alien,  bad  ti  cor^et 
no(b  nidbt  ^atte.  S)tefe  etruSfifcben  ©piele  I^atten  leinen  !£e^; 
man  tanjte  no(^  ben  Älängen  bet  gißte  unter  anmut^igen, 
(^arafteriftifdien  IBemegungen.  IDieß  gefiel.  S)aß  SSolf  a^mte 
nac^,  unb  mag  e3  nun  feine  Satire  erft  je^t  gef(^affen  ober 
au(b  nur  oerooQftänbigt  ^aben,  fie  fowo^l  als  au(^  bie  anbcren 
SBolfßfpiele  bauerten  no^  lange  fort,  auch  bann  no^,  alß  baß 
junftmä^ige  Sweater  baß  urmüc^fige  IDrama  oevbrängt  ^atte 
unb  auf  ber  ©runblage  griedjift^er  ÜJlufter  funftgemä§e  2)ar« 
fteQungen  ju  @eficbt  unb  @e^5r  brachte. 

3?ie  Satire  mürbe  fpäter  alß  9lacbfpiel,  exodium,  auf  bie 
S3ü^ne  mit  ^erübergenommen , aber  halb  oon  ber  Slteüana, 
melcbe  injmif^en  fid^  meiter  außgebilbet  Seite  ge« 

feboben.  2)a  nabmen  fi^  ber  SSermaiften  literarif^  gebilbete 
DJldnner  an,  unb  fo  mürbe  fie  narb  IHbftreifung  ihrer  Urmüebfig« 
feit  ju  einet  Äunftform,  meltbe  bie  IRomct  oon  bem  SSormurfc 
beß  SJiangelß  an  literarifcbec  f)robuftiDität  binfi<bili<b  bei  ®i* 
finbungen  neuer  iiiteraturgattungen  gerettet  b^^i  unb  feitbem 
eine  9JJa(bt  im  öffentlichen  iJeben  gemorben  ift.  Satire  quidem 
tota  nostre  est,  „bie  Satire  ift  unfet  eigenfteß  9Berf,"  fagt 
Quintilian  (X,  1,  93)  mit  Stolg.  2)enn  in  allen  übrigen 
IDiibtungßarten  rächte  ficb,  mie  c^otag  fagt,  baß  bur^  Saffen 
eroberte  @riecbenlanb  an  feinem  Sieger  babureb,  ba§  eß  biefem 
bie  geffeln  feineö  ©eifteß  anlegte.^) 

mber  bie  IBolIenbung  gef^ab  nidbt  fofort.  '^uß  ber  IRaube 
entftanb  gunäcbft  bie  $ut)be,  auß  ber  enblicb  ber  Schmetterling 
fich  entmirfelte. 

9iachbem  bie  Satire  einen  l^lnh  in  ber  Literatur  erhalten 
batte,  mu|te  fie  natürlich  eine  Umgeftaltung  erfahren,  gleichmie 
ein  üinb,  baß  in  bie  Schule  fommt,  auch  oon  feiner  Eigenart 
mancheß  aufgeben  mufe.  (Snniuß,  bet  im  3.  unb  2.  Sahrhunbertc 

(47») 


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8 


V.  lebte,  führte  bte  Satire  in  bie  8itetatur  ein  unb  pe 
geftaltete  p<b,  fo  eiel  n>ir  bacon  n>if[en,  unter  feinen  ^änben 
3U  einem  i)robufte,  meld^eS  mit  ber  alten  Satura  bie  Unbeftimmt> 
beit  b.  b-  bie  lodere  SSerbinbung  be8  Snbaltö  unb  bie  SKannig« 
fa(tig{eit  bed  ÜRetrumS  gemeinfam  batte.  Slber  Pe  biente  ni<bt 
lebiglidb  8a^en  3U  erregen,  fonbern  war  uielmebt  au<b 
empbaper  9(rt,  wobei  baS  bramatifcbe  Element  nicht  auper 
^(bt  gelapen  würbe,  wie  g.  S3.  auS  einem  SSericbte  bed  DuintiUan 
(IX,  2,  36)  pd>  ergiebt,  welcher  ergäblt,  bap  6nniu8  in  einet 
Satire  ben  Stob  unb  ba8  8eben  um  ben  SBorgug  ftreitenb  ein« 
geführt  habe. 

33 on  ben  fPa^foIgern  beä  @nniu8  foQ  nur  einer  genannt 
werben,  welcher  wie  ein  uerlorener  ^often  im  1.  Sabrbunbert 
».  @bi-  baftept,  nachbem  berfenige  bereit«  aufgetreten  war,  ber 
bie  Satire  in  bie  Sahn  einlenfte,  in  welcher  pe  »on  nun  an 
bleiben  foHte.  3enet  ©pigone  ift  3R.  SerentiuS  SJarro  au8 
fPcote,  ein  ^ol^bifiot  unb  juglei^  einer  ber  fchreibluftigPen 
?Kännet,  bie  e8  je  gegeben  bat-  SDerfelbe  b“t  ungefähr  620  93ücher 
gejcbrieben,  oon  benen  150  Sucher  ben  Slitel  „satorae  Menip- 
peae“*)  führen,  unb  auperbem  noch  4 Sücper  saturae.  @t 
überbot  ben  @nniu8  formal,  inbem  er  mit  ben  Ser8mapen 
noch  peier  umging  unb  nach  S3elieben  $tofa  mit  Serien  unb 
Satehtifcb  mit  ©riecpifch  abwecbfeln  liep.  .^orag  fpricpt  gar 
nicht  Bon  ipm,  wa8  um  fo  bepembenber  ip,  al8  er  bie  Satiren 
eine«  anberen,  oiel  unbebeutenberen  Sarro  erwähnt,  ber  gum 
Unterfchiebe  oon  jenem  Sltacinu«  b.  i.  ber  oom  Sitar,  einem  bluffe 
in  ©aUien,  peipt  (®at- 1»  10»  46). 

3Ba8  feplte  ber  Satire  nocp,  na^bem  Pcp  ipt  bie  Pforten 
be«  giteroturtempel«  geöffnet  patten?  Seftimmter  SDup  unb 
beftimmte  garbe.  SDa  fam  ber  re^te  ©ärtner,  ber  Pe  in 
ben  ipr  gufagenben  Soben  eingrub,  fo  bap  fie  feffe  SButgel 

(480) 


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9 


taffen  nnb  ftd^  gebet^lid^  entwideln  fonnle.  JDtefet  aber  mar 
SurtUud,  ber  in  bei  2.  ^älfte  beb  2.  Sa^r^unbertS  c. 
lebte,  bet  @prö§ling  eines  »o^langefe^enen  Stittergefd^led^tefl 
auS  @ueffa  iSuiunca  in  (Kampanien,  ein  tÜJiann  non  reicher 
©Übung,  wacferen  ©Uten,  nnb  barum  au4l  bei  greunb  bet 
©eften  feines  ScitalterS,  »erftänbig,  fc^arf,  wi^ig,  geifttei(^, 
aber  aud^  wo^IvoOenb,  wo  er  ®uteS  fa^;  aQeS  in  allem:  ein 
ailann,  gana  baju  geeignet  „bie  IRoffe  3U  lenfen",  wie  Suoenal 
fagt  (I,  20).  Unb  biefe  l)at  et  benn  aud^  weiblid>  auf  ber 
neuen  Siennbabn  getummelt.  @r  ift  eS  gewefen,  ber  bie  ©atire 
3U  einer  eigent^mlid^en  2)id^tungSgattung  von  beftimmtem 
Oepräge  et^ob,  bie  nur  nodt>  ber  fiinftlerifd^en  ©ollenbung  ent» 
beerte.  IStleS,  waS  »or  i^m  ba  war,  ift  nur  »orbereitenb,  fo 
ba^  man  i^n  mit  bemfelben  9le(^te  ben  ©ater  ber  ©atire 
nennen  fonnte,  wie  man  ^jerobot  ben  ©ater  ber  ©ef^ic^te  ge» 
nannt  ^at.  Unb  banfbar  erfennen  bieS  aud^  bie  fpäteien  ©a» 
tirifer  an,  befonberS  .^)otaj,  ber  i^m  unumwunben  bie  Otigi» 
nalität  ber  ©rfinbung,  ja  aud)  bie  ©upen'orität  beS  ©eifteS 
3ugefte^t,  wäbrenb  er  nur  gweietlci,  alletbingS  fe^t  fd^arf,  an 
i^m  tabelt:  feine  ©(^reibfeligfeit  unb  bie  3fncorreft^eit  bet 
^orm.®) 

Slber  was  ift  benn  nun  bie  .^aujjtfac^e  bei  biefer  ©eu» 
geftaltung?  ©ei  ber  alten  ©atura  in  i^rer  fd^on  auSgebilbeteren 
$orm  tarn  eS,  wie  wir  gefe^cn  ^aben,  ^aut>tfä(^li(^  auf  2Bi^ 
unb  ©pott  an;  ©nniuS  unb  feine  ©ad^folger  oeiallgemeinetten 
fie,  unb  eS  würbe  ein  pcle-mSle,  ein  potpourri,  barauS,  baS 
man  »ielleicbt  mit  ben©auferien  bei$ran3ofen  oerglei^en  fann; 
bie  neue  ©atire  aber,  wie  fie  ifuciliuS  f^uf  unb  wie  fie  »on 
feinen  Süngem  weitet  auSgebilbet  würbe,  na^m  bie  ©runbibee 
ber  alten  ©atura  wiebei  auf,  lie^  aud)  baS  bramatifdbe  ©lement 
nii^t  faden,  entäu|erte  fic^  nid^t  gang  bet  ©reite  ber  ©nniani* 

(481) 


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10 


fdjen  ©alire  unb  t^ret  9leigung  ju  ‘Digteffionen,  naljm  ben 
.^ejramclet  an,  bet  bet  2uciliu8  aQetbingfl  no^  mit  Stocken 
unb  Samben  »erfe^t  ift,  unb  — »aö  bie  J^au^>tfa<^e  ift  — 
erhielt  eine  et^ifd^»Iritif(^e  STenbenj,  b.  fie  mutbe  ein  8e^r» 
gebiet  mit  bet  auögefproc^enen  2lbfi^t,  3:^ot^eiten,  geilet  unb 
Unfittli(^feiten  gu  geißeln,  »obei  gugleic^  ou8  bet  gried^ift^en 
Äomöbie  bie  petfönlid^en  Angriffe  entlehnt  »utben.^)  3(18  @toff 
biente  »ie  üotbem  ba8  gange  eolIeSKenidjenleben  in  feinen  mannig» 
faltigften  @tfc^einungen,  we8t^alb  bie  ©atite  au(^  füt  bie  6ultut> 
gejc^it^te  eine  reid^e  gunbgtube  geworben  ift.  3n  golge  i^ret  6nt» 
mitflung  aber  je^en  mit  and)  in  bet  früheren  Seit  no(^  gumeilen 
jenen  allgemeinen  ß^arafter,  mie  er  bei  @nniu8  fid^  geigt,  oot« 
betrf^en,  fo  bo§  literarifcbe^robucte  ol8©otiren  begeic^net  merben, 
bie  biefen  9lamen  mit  Unrecht  gu  führen  fd^einen;  benn  mit  ^oben 
un8  gemö^nt,  mit  bem  SSegriffe  „©atire*  jene  etl)if^»ftitifcbe 
Senbeng  in  engfte  SSetbinbung  gu  fe^en.  IDa  nun,  mo  biefe 
»orfiertfc^t,  legt  bet  ©atirifer  etuen  ibealen  SKa^ftab  an  bie 
IDinge,  in  bet  .^offnung,  butcb  eine  genaue  IDiagnofe  bet  ^anl* 
beit  beten  .^eitung  gu  bemtifen  ober  menigften8  ba8  SSotbanben* 
fein  bet  ^anlbeit  feftgufteOen.  Unb  eben  baburcb  unterf^ieibet 
et  fi(b  Dom  ^a8quitlanten,  bem  e8  nut  batauf  anfommt,  gu 
fdbmdben,  gu  läftein  unb  gu  Detlefen. 

3e  natb  bem  Temperamente  unb  bet  ©inne8art  be8  93er» 
faffer8  mtrb  nun  entmebet  ©(^erg  ober  @tnft  »ormiegen,  me8» 
halb  man  au(b  im  IHUgemeinen  eine  latbenbe  unb  eine  ftrafenbe 
©atite  untetfcbeibet,  obmobl  p(b  bie  ©renglinie  ni^t  immer 
genau  beftimmen  labt. 

SBie  fi(b  nun  bie  ©atire  bei  ben  btei  ©atirifern,  D.  ^o» 
ratiu8  glaccu8,  9lulu8  (ober  etru8Kf(b  2lule8)  9)etfiu8  glaccu8 
unb  3)(eclmu8)  3untu8  3uoenali8  geftaltet  bat,  ba8  foQ  im 
golgenben  nabet  bebanbelt  merben. 

(48JJ 


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SS16  ^)oraj,  geb.  65  ».  6^r.,  geft.  8 d.  ©br-»  ber  ©ob« 
eines  °uS  bet  Keinen  8anbflabt  SSenufta  in 

lien,  in  bie  güeratut  eintrat,  waren  bie  Seiten  mittlerweile 
gan3  anbere  geworben.  SuciliuS  tonnte  in  allen  äSejiebungen 
nodb  frei  b«auflfagen,  waS  ibm  baS  .g>erj  bewegte;  .^joraj  fanb 
eine  bur(b  politifebe  Parteiungen  jerflüftete  ©efeUfcbaft  »or, 
»ot  welcher  gewiffe  Punfte  nur  mit  bet  größten  SSorfidbt  be» 
fprocben  werben  burften.  @0  war  ein  friegerifcbeS  Seitalter. 
SBäbrenb  beS  gan3en  SabrbunbertS  b“tte  innerhalb  unb  aufeer» 
halb  StalienS  bet  ^ampf  getobt.  9tacb  bem  Sobe  6äfarS 
fi(b  ein  neues  S^riumoirat  gebilbet,  unb  eS  bonbelte  ficb  nun 
batum,  wer  enbgültig  .^>err  ber  3Belt  werben  folltc  — eine 
Stage,  bie  i.  3-  31  o.  6br-  burch  bie  ©d)la(bt  bei  Slctium  gu 
©unften  CctaoianS  entfcbieben  würbe.  Slucb  ^»ora3  böKe  fii^ 
als  junger  Ptann,  im  Slnfange  ber  3wan3iget  3abte  ftcbeub, 
an  bem  jtriege  betbeiligt.  @r  hielt  fi^  gerabe,  um  griecbif^e 
SEßeiSbeit  an  ber  Duelle  fennen  3U  leinen,  in  Sltben  auf,  als 
Pt.  S3rutuS  im  ifluguft  beS  3abieS  44  o.  6be.  babin  tarn,  unb 
fcblofe  fitb  mit  anbern  bort  ftubirenben  jungen  9R5metn  bem 
lepublifanifdben  .^eere  an,  in  weldiem  er  bie  ©b^^^äe  eines 
SEribunen  erhielt.  IDa  ma^te  bie  Schlaft  bei  Pbilippi  i.  3.  42 
feiner  militärifcben  Saufbabn  ein  @nbe.  @t  felbft  benu^te  bie 
Slmneftie,  bie  man  ben  Srümmcrn  beS  gefcblagenen  .^eereS  ge> 
währte,  ba3u,  na^  (Rom  3urücf3ufebren.  (Über  fein  oäterlidbeS 
@rbgut  würbe  confiScirt,  unb  ba  er  fo  mittellos  geworben  war, 
mufete  er  froh  fein,  baS  Slmt  eineS  DuSftorenfcbteibetS  ober 
©efretärS  3U  erhalten.  S)amalS  nun  war  eS,  wo  et  begann, 
feine  3amben,  auch  @poben  genannt,  unb  feine  3Wei  Suchet 
Satiren  3U  bicbten,  womit  et  ungefähr  3ebn  3abre  ^ubracbte.*) 
IDurih  biefe  ISrbeitcn  gewann  et  bie  Sreunbfchaft  eines  SariuS 
unb  Sergil,  unb  burch  biefe  wieberum  würbe  er  bem  Vertrauten 


12 


bed  j^atferö,  Sl^aecenad,  DorgefteQt,  mit  bem  i^n  f^äter  bie 
tnntgfte  $reunb[(^aft  bid  an  bad  @nbe  beö  SebenS  nerbanb  unb 
bet  i^n  au(^  in  ben  @tanb  fe^te,  in  be^aglidb<t  unb  iorgenfteier 
Seife  feinen  fReigungen  leben  ju  fönnen.  2)iefe  brei  aber, 
^oraj,  SBergil  unb  Soriuö,  mürben  bie  ©timmfü^rer  einer 
neuen  9ii(^tun3  in  ber  lateinifd^en  |>oefie,  meiere  bie  Slenben3 
»erfolgte,  burc^  Dtbnnng  unb  3Jlaa§,  mie  fte  in  ber  gtiec^ifc^en 
©i^tfunft  bie  latcinifdjen  3U  »etebeln.  25a^et  au^ 

bie  Dt)pofitiDn  gegen  bie  SSorgdnger,  benen  getabe  biefe  ©gen* 
fc^aften  in  ^o^em  @rabe  mangelten.’) 

Saturn  manbte  fid^  ^»ra3  gerabe  3undc!^ft  bet  f^arfen 
3ambenbi(^tung,  einer  ©d^meftergattung  ber  ©atiren,  »orin 
i^m  ber  ©ried^e  ^tc^ilod^ud  aU  SBorbilb  biente,  unb  vornehm* 
lieb  — benn  jene  3atnben  fpielen  eine  untergeorbnete  fRolle  — 
ber  ©atire  3U? 

.^ota3  fagt  felbft  barüber: 

$IU  mich  »on  bem  dtTtegdb^nbueefe  befreite, 

S(U  icb  gebrochenen  HRutbS,  ohne  ©tanb,  bee  S<>>nilimeibgutd 
0ar  fab,  ba  trieb  mich  bie  Dlotb,  bie  HRutter  ber  jtübnbeit, 
Slerfe  ju  machen  an.  6p.  II,  49 — 53.  i“) 

Jeuffel“)  bemerft  gu  biefen  SJetfen;  „©eine  5u|ere  ©tel* 
lung  als  ©ctiba  mar  »on  ber  9lrt,  ba^  er  bamit  faum  bie 
bringeubften  SBebürfniffe  beftreiten  fonnte  unb  feine  2iebe  gut 
S3equemli^feit  machte  ihm  eine  93erbefferung  feiner  l^age  gut 
gebieterifdben  9lotbmenbigleit.  3)ie  paupertas  trieb  ihn  fomit 
an,  ben  SSerfueb  gu  ma^en,  ob  er  peb  nicht  butcb  feine  Talente 
auS  feiner  fümmerlicben  Sage  b^auSbelfen  tonne.  @r  fühlte 
in  Pcb  bie  abftracte  ÜRöglicbfeit  etmaS  gu  leiften  bei  feinet 
©Übung  ut\b  feinen  ©ortenntniffen , feiner  ^>errf^aft  über  bie 
©pracbe  eä  in  Slllem  gu  etmaS  gu  bringen,  ©efonbereu  inneren 

©etuf  für  irgenb  einen  3»ei9  fühlte  er  nicht  in  Pcb  unb  liep 
(«*) 


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13 


ba^er  tn  ber  SEBa^I  beffen,  »aö  et  guetft  bearbeiten  wollte, 
but(b  äußere  JRüdffid^tcn  leiten.  @r  begann  |i^,  weld^eS  gelb 
am  banfbaiften  wäre,  welibefi  noc^  am  wenigften  bebaut  fei 
unb  ba^er  einen  neuen  Searbeiter  am  meiften  8o^u  oer^ci^e. 
@r  fa^  fid^  um  in  bet  tömif(^en  8iteratutgefd)ic^te  unb  fanb, 
ba§  bie  ©atire  nod^  eineö  weiten  9lu8baue0  fällig  fei  unb  ent» 
d^lo§  pd^,  felbft  biefer  Aufgabe  pcb  ju  unter^ietien." 

@ine  ^ödjft  eigent^fimli(^e  ©rflarung.  Da8  ift  bod^  getabe 
fo,  als  woDte  man  etwa  fagen:  @oetbe  fa^  pd^  um  in  bet 
beutf(^cn  giteraturgefdbi^te  unb  fanb,  bap  ba0  3iitterbrama 
no(^  nidpt  oertreten  fei,  unb  entfdplop  pcp,  felbp  biefer  Aufgabe 
p(b  ju  untetjiepen,  weöpalb  et  ben  @ö^  oon  Serlidjingen 
feprieb.  ©cwopl  bei  bem  einen  wie  bei  bem  anbern  wäre 
WDpI  nur  etwas  SammerooDeS  ju  ©tanbe  gefemmen,  wenn 
fie  nid)t  in  anberer  SBeife  biSponirt  an  ipte  Aufgabe  ge» 
gangen  wären.  2)ie  erwähnte  Slcuperung  beS  .^orag,  bap  ipn 
bie  9iotp  gut  25idjtfunft  getrieben  ^abe,  ift  atletbingS  niept  etwa 
ein  bloper  ©d^erg,  wie  man  pe  pat  beuten  wollen.  0i(ptec 
unb  ©dpripfteUer  jener  3<it  fu(pten  p(p  ©öuner  gu  erwerben, 
bie  eS  für  ipre  (Sprenppi^t  pielten,  baS  Salent  gu  unterftüpen, 
weil  bamalS,  wie  eS  fdpeint,  bie  33ucppänb(er  feine  Honorare 
begaplten.  IDapet  tracptetc  auep  ^)orag  batnaep,  auf  biefe 
3öeife  feine  8age  gu  oetbefferu,  waS  ipm  ja  auep  gelaug.  @t 
würbe  aber  ntmmermept  im  ©tanbe  gewefen  fein  ©atiren, 
gerabe  ©atiren  gu  fepreiben,  wenn  ni(pt  befonbete  Umftänbe 
mitgewirft  pätten.  Sunäd^ft  waren  eS  wopl  bie  SSerpältniffe, 
innere  wie  äupere,  bie  ipn  antrieben,  in  biefe  Sapn  eingulenfen. 
©eine  politifcpen  Sbeale  waren  ipm,  »iellcicpt  fdpon  wäprenb 
feinet  IDienpgeil  alS  Tribun,  genonnen.  3)ie  SBelt  geigte  ipm 
ein  anbereS  Slntlip  als  »orbem:  fein  fd^arfeS  9luge  fap  bie.^opl» 
peit,  Serfaprenpeit  unb  Sßerfeprtpeit  ber  fcrialen  Suftänbe  unb 

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14 


ber  Unmuts  barüber,  btc  @orge  um  bie  3u?«nft 

biiidten  i^m  bie  Sebet  in  bie  ^anb,  bie  er  aber  flugermeife 
nic^t  in  ®ift  tauchte,  fonbern  ec  fd)rieb  fo,  nie  eS  ber  ©eifi 
i^m  gebot. 

JDann  »or  adern  aber  fommt  feine  JDiöpofttion  3ur  Satire 
in  23etra(bt.  ^oxai  batte  mehr  93erftanb  unb  fritifdben  Sdbarf» 
blid,  mebt  @6prit  unb  SBi^  al8  glübenbe  ^bantafi^ 
ber  ©mpflnbung,  ©cbmung  unb  S3egeifterung,  unb  fcbon  biefe 
feine  geiftige  Begabung  befähigte  ibn  oorjugSmeife  ju  einer  SDicb* 
tungflart,  beren  innerftefi  äBefen  e8  erbeifcbt,  baS  miberfpru(b8i>ode 
Treiben  ber  SRenfdben  ju  erfennen,  baS  Ungereimte  unb 
in  ihrem  ^Dichten  unb  brachten,  ihren  SBünfcben  unb  IBegierben 
auSjufpähen.  Unb  obfcbon  et  eine  mefentlidb  contemplatioe 
fRatur  unb  3ur  5Rube  unb  Sebagli^feit  geneigt  »ar,  fo  toar 
er  boeb  in  fo  meit  aggreffto,  ba|  er  baS,  n>a8  ihm  Unbehagen 
oerurfaebte,  mit  ©etoalt  oon  ficb  ab3umebten  tradbtete.  SBeii 
er  nun  mit  benjenigen  ßigenfebaften  ooQfommen  au§geftattet 
mar,  bie  3ur  Satire  befähigen,  mar  eS  ba  nicht  natürlich,  ba§ 
et  in  jener  gefebilberten  Stimmung,  bie  in  ihm  burdh  bie  Seit* 
»erhältniffe  angeregt  morben  mar,  ftcb  gegen  biejenignr  SRä^te 
manbte,  bie  feine  Äteife  ftorten?  @r  fagt: 

2Bie  bet  Äöpfe,  fo  gicl't  e8  ber  ©innc 
Saufenbe;  mich  nun  crgoht’8  in  §ü§e  30  föigen  bie  3Borte 
9lacb  be8  8uciliu8  Slrt.  ©at.  II,  1,  27 — 29. 

Unb  an  einer  anberen  Stelle: 

!Da^  ein  jeglicher  btobt  mit  ber  ^unft,  in  ber  er  fich  [tarf  fühlt, 

£)ag  bie  51atur  bie8  »itl,  bie  gemoltige,  fchliefjtn  wir  alfo: 

fficif  greift  an  mit  bem  3ah"  mit  bem  ^eme;  wie  fSm’  ba6 

Chut  ©timme  ton  innen? 

©leicptiel,  ob  mir  ein  geruhige«  Stlter 
^)arrt,  ober  ob  mich  bet  Sob  f^on  mit  bunfelen  Singeln  umflattert, 

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15 


ober  arm,  ju  9tom  ober,  »itl’ä  ba«  ©efc^td,  in  SSetbannung, 
!Bte  mein  8eben  geflalten  mag,  ic^  biente! 

©ot.  II,  50-53.  57—60. 

S)aju  tritt  no^  ald  weiteres  Oltotnent  bie  @rj{e^ung  ^in3U, 
bie  i^m  jein  93ater  ^otte  angebei^en  laffen. 

9J?ein  trefflic^iet  SBoter  l^at  babur^ 

$el)Ier  ju  fliel^n  mi(^  gewSbnt,  bag  er  ©c^recfbeifpiele  mir  oorbielt. 

©at.  I,  4,  105  sq. 

äiufgä^lung  einiger  biefer  abfe^redenben  Seijpiele 
fä^rt  er  fort: 

©benjo  füblt  fub  ein  junges  ©emütb  burtb  onberer  ©cbonbe 

Dft  Bor  geilem  gemornt.  ©o  blieb  i(b  bel^ütet  oor  allen 

gaftern,  bie-jum  SBerberb  ^infül;ten,  bin  einjig  in  gefjeln 

kleiner,  ocrjeiblicber  geiler.  SSietteiebt  nimmt  jelbp  no(b  Bon  biejen 

tUlantben  baS  älter  bin®f0.  unb  ein  ofjenberjiger  greunb,  unb 

6igner  SSerftanb ; benn  an  mir  feblt’S  ni(bt,  unb  jei’S  auf  bem  fKubbett, 

©ei’S  in  ©ejeUftbaftSballen,  fo  beni  i^:  „baS  ift  baS  beffre; 

®enn  icb  baS  tbu’,  bann  leb’  id)  glücflitber,  bleibe  ben  greunben 
Steuer  unb  wertb.  9licbt  fein  t^un  einige  biejeS;  unb  bo"bl’  itb 
ÜJlan(bmnl  eben  jo  jelbft,  unmijjentli:^?*  ©ol^eS  bejpretb’  id) 

?eije  mit  mir,  bie  l'ippen  geprefet,  unb  finb’  iif)  bie  9)Ju§e, 

SSring’  it^'S  gleich  jU  ^a))ier.  ©ot.  I,  4,  128 — 139. 

35ieje  Söerje  erflären  bipt^olosijt^,  wie  fo  frü^  jeho« 
eine  jo  oorgügli^e  ÜJtenj(Sen=  unb  SBeltfenntni^  fid)  erwerben 
tonnte:  jein  23ater  leitete  iljn  gu  einer  jergfältigen  Beobachtung 
beS  gebenS  unb  beS  eigenen  „3ch"  an;  benn  baS  „jehau  in  bich 
unb  jehau  um  bi^"  ift  eine  ^auptbebingung  für  ben  ©atirifer. 
aSeil  jener  aljo  nicht  jo  thöricht  war,  jeinen  ©ohn  nur  auf  bic 
©djattenjeiten  aufmerfjam  gu  madben,  jonbern  ihm  auch,  wie 
aus  ben  Beifpielen  gu  erfehen  ift,  bie  Sichtjeiten  geigte,  jo  würbe 
eS  bem  Jf)orag  bei  jeinem  gejunben  fflatureU  möglich,  tu  einem 
fortwöhrenben  2äuterung§brcgcfje  fich  gu  jener  reinen  9Kenjch>- 
lichteit  emporguarbeiten,  bie  bejonberS  in  jeinen  Briefen  ihre 

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16 


fc^önften  IBlüt^en  treibt  unb  bie  i^m  auch  3u  jener  Unerf^ütter« 
li^feit  bed  @eifted  unb  jener  Dbjefttnität  in  ber  93etra(btun9 
ber  S)inge  biefer  SBelt  verbal j,  weidbe  i^ren  ^öd^ften  iSuebrucf 
in  bem  „nil  admirari‘‘  fanb. 

9li(bt8  anftaunen,  ba«  ift  ttobl  ba«  einjtge  SRittel,  Ttumicme, 

3ft  ee  aDein,  toae  ben  9Renf(ben  jum  uabren  unb  bauemben  ®Iüd  fü^rt. 

I,  6,  1 sq. 

IDiefe  auf  ftoifd^er  öafiö  beru^enbeu  SBorte,  welche  barauf 
noch  weiter  erörtert  werben,  geben  ben  Siath,  fich  burch  feine 
9(ufregung  beirren  ju  laffen,  fonbern  aüeS,  waö  und  locft  unb 
reijt,  beunruhigt  unb  quält,  richtig  ju  fchähen  unb  ruhig  unb 
feften  ©chritted  burch  bad  8ebeu  gu  wanbeln. 

2Benn  wir  beu  ^£>0003  eineu  ftoifchen  ©a^  audfpredben 
hören,  fo  war  er  hoch  weit  entfernt,  ein  blinber  33erehrer  biefer 
philofo^hif^cn  ©chule  3U  fein.  @r  befennt  fich  na^  feinen 
eigenen  SBorten  halb  3ur  Sehre  bed  ßpifur,  halb  3U  ber  9ii^= 
tung,  welche  aud  ben  »erfchiebenen  ©^flemen 

bie  unb  jene  Sehre  h««u8flteift/  ju  bem  ©fleftieidmud.  9HIer= 
bingd  neigte  er  im  reiferen  Silter  immer  mehr  3U  ben  ©toifern 
hin,  ohne  jeboch  bereu  Sludfehreitungen  3U  billigen;  namentlich 
hat  er  fich  nie  mit  ihrem  Sugenbbegriff  befreunbet,  ben  fie  auf 
eine  folche  .^öhe  ftellten,  ba§  ihn  ber  menfchli^e  93lid  nidht 
mehr  erreichen  fonnte.  3n  feinen  ©atiren  3eigt  er  fi^  burdhaud 
ald  ©pifuräer.  Smmer  unb  immer  wiebet  empfiehlt  er  bie 
golbene  ÜRitte. 

Äurj,  ei  aHe6  beftimmte  Segtenjung, 

50or  ober  jenfeitö  beren  unmcgli^  baö  Diecfite  beftehn  fonn. 

Sat.  I,  1,  106  sq. 

2)cmgemä§  fieht  er  auch  ald  bie  oorgüglidhften  biejenigen 
an,  welche  bie  wenigften  gehler  befihen;  benn  mangelhaft  finb 
alle  fUienf^en  unb  gerabe  folche,  welche  fich  für  bie  größten 

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17 


Jugenbljelben  galten  — nad^  feinet  Slnfic^t  eben  bte  ©toifer  — 
erfc^einen  i^m  in  intern  ^j^ilofop^ifdben  ^oe^mut^e  unb  SBiffenS» 
bünfei,  mit  bem  fie  auf  bie  anberen  ^erabfe^en,  gugiei^  au4> 
al8  bie  größten  9larren. 

Ueber^aufjt  ift  ja  bie  SBelt  »oUet  9lan^eit  — baö  ift  bo8 
i^auptbogma  beö  ^)ora3.  5Damit  ift  auch  juglci^  bet  SEon,  bet 
in  feinen  Satiren  ^errfcbt,  gefenn3eic^net,  ben  ic^  fürs  mit  ben 
©orten  @oet^e’0  im  „Äoo^tifdfien  8iebe*  dbaraftcrifiren  möd)te: 

Äinbet  ber  Älugb'it,  o habet  bie  iRanen 
@bcn  3um  Platten  aiub,  »ie  fich’8  gehört! 
flauen  aber  behanbelt  man  nicht  wie  SBöfemichte.  JDeß= 
halb  3ieht  eö  ^ora3  au^  not,  lachenb  bie  ©ahrheit  3U  fagen 
(Sat  1,  1,  24)  unb  nur  uerhältnißmäßig  feiten  fcmmt  eö  uor, 
baß  er  ben  ftrafenben  5Eon  anfchlägt.  Unb  babei  bebient  et  fidh 
aller  SDlittel,  um  burch  großtmöglichfte  SfJiannigfaltigfelt  in  bet 
IDiction  ba8  Sntereffe  3U  beleben.  Saune,  ©i^,  3ronie,  @at= 
faömufl,  ^>umot,  alle  bie  ©eifter,  welche  bem  ©atirifer  3U  @e» 
bote  ftel)en  muffen,  wenn  et  nicht  langweilig  werben  will,  ruft 
unfer  ^Dichter  herbei  unb  weiß  fie  mit  ISnftanb  3U  3Ügeln,  mit 
Urbonitdt,  wie  ber  Slömer  fagt,  welcher  unter  biefem  begriffe 
ben  gan3en  ©^liff  bet  Silbung  in  ÜJianieten  unb  Sprache  uer^ 
fleht,  wie  er  nur  in  ber  .g>auptftabt  erworben  werben  lonnte. 
lDa3U  fommen  nodh  bie  gabel,  bie  Slnefbote,  baS  ©leichniß,  bie 
Senten3  u.  f.  w.  Oft  auch  I“ßt  er  fcheinbar  ben  Soben  fallen, 
um  ihn  3Ut  rechten  Seit  wieber  auf3unebmen.  3n  biefet  ©eife 
läßt  er  eine  wunberliche  ©ruppc  »on  ^erfonen  in  feinem  thea- 
trum  mundi  auftreten,  meift  fomifdße  Ääu3e,  welche  bie  ober 
jene  oerfehrte  ^affton  haben  unb  nun  mit  ihrer  5Rartenfappe 
auf  bem  .Raupte  einherftol3iren,  ©timaffen  3ießen,  ihre  ^ut3el» 
bäume  f^lagen  unb  mit  ihren  Schellen  flingeln.  Unter  ihnen 
befinben  fich  auch  einige  tppifche  ©haeaftere,  bie  wohl  bem  8u= 

XIX.  445.  2 (489) 


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18 


citiud  entlehnt  ftnb,  wie  bet  SBetfd^wenbet  3)iaeniud,  bet  @ba§* 
macker  ^antelabuä,  ber  ©klemmet  9iomentanuS.  Sefonberd 
»iberwdrtig  finb  i^m  ber  ©einige  unb  ber  ^ablfid^tige,  fowte 
beren  ©cgenfa^,  ber  ftnnlofe  S3erfd)»enber;  unb  nid^t  tninber 
ftetlt  er  ben  @enu§füc^tigen  jeber  SIrt  on  ben  Pranger  unb  legt 
bie  9Ud)ttgTeit  bed  2:ugenb[d^wä^er6  unb  anberer  SRenomiften 
bar  — furg  unb  gut,  jebefl  @j:trem,  mag  efl  ft(^  3cigen,  wo  unb 
wie  e8  wifl,  unterliegt  feinem  @t>otte.  5)en  ganjen  SReid^t^um 
feiner  ©eftalten  i)ier  aufjujä^len,  ift  nii^t  möglich,  ©r  umfaßt 
baS  ganje  Sereic^  bed  focialen  Gebens,  etnftblieglid^  be8  litera« 
rifcbeu,  ober  mit  Uebergebung  ber  ^olitif;  babei  tritt  audb  feine 
eigene  ^erfon  ben  Sorbergrunb,  ja  fogat  ganje  ©a» 

tiren  bre^en  fitb  um  biefelbe,  ba  et  b^ufig  ©elegenbeit  nehmen 
mufete,  ficb  gegen  feine  SBibetfa^er  ju  nertbeibigen'*).  3uglei(b 
giebt  er  audb  oft  genug  feinen  fRarreu  ben  SBeg  gu  einem  ricbti* 
gen  Sßcrbalten  an,  wenn  er  fie  ni^t  mit  feiner  Stonie  beim= 
febidft.  Setra(bten  wir  fein  SSerfobten  an  einigen  groben.  @8 
trete  junö^ft  bet  ©arbe  2igelliu8  not.  SBa8  fagt  ^>oro3  oon 
ibm? 

©ämmtlicben  ©ängetn  gemein  ift  bie  Unart,  ba§  f»«  auf  Sitten 
9liemal6  fingen  Bor  greunben,  unb  ftngen  fie  unaufgeforbert, 
ginben  T'*  nie  ein  6nbe.  3)er  ©arbe  SligeUiuS  jäbltc 
©anj  ju  biefem  ©efcbiccbt.  SBenn  Gafar,  ftatt  ju  befehlen, 

©elbft  ihn  bol,  bei  ber  Siebe  ju  ihm,  jum  93ater,  fo  war  ba« 
aHe«  umfonft;  bo(b  fo  oft  e«  ihm  einfiel,  fang  er  Bom  Slnfang 
gort  bi«  jum  6nbe  be«  9Rabl«:  ^)eil  Sacthu«!  halb  in  ben  hßthftm 
£5nen  unb  balb  in  ben  tiefften  be«  2:etrachorbe«  ber  ii)xa. 

@Iei(b  ptb  JU  bleiben  nerftanb  er  in  nidjt«;  oft  lief  er  fo  ftbnefl  als 
SBär’  er  auf  haftiger  g(u(bt  Bor  bem  geinb;  oft  ging  er  bebächtig, 
@lei(h  als  trüg’  er  ben  Äorb  einer  3uno;  bWt  fuh  an  ©claoen 
Dft  jweihunbcrt  unb  oft  nur  jehn.  Salb  fpratb  er  fo  Bomehm 
aäJie  ein  Sietrach,  wie  ein  JJönig,  unb  bolb:  mein  SEBunfch  ift  ein  lifchlein, 
©infache«  ©alj  in  ber  SRufch«!,  ein  Äleib  nur  gegen  bie  Äölte, 

(♦90) 


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19 


@rob  mag’«  fein,  wie  e«  wolle".  3u  ^)unberttaufenben  gab  man 
JDiefem  S8ebürfni§(ofen,  ©enügfamen  — faum  eine  SEBoc^ 

©päter  unb  alle«  war  fort!  Salb  wat^t’er  be«  Dlac^t«,  bi«  ber  UKotgcn 
Slnbrac^»,  halb  öerf4>lief  et  ben  Stag.  Äein  ©terbli(ber  war  je 
®lei(^  »oH  3Biberfprüd>e.  ©at.  I,  3,  1 — 19. 

SDiefe  ©d^ilberung  bient  bem  SDie^ter  nur  jur  Einleitung. 
3m  fRdd^ftfolgenben  tabelt  et  bie  Eigenliebe  bet  5Kenftben, 
meld^e  fo  gerne  i^te  geilet  überfe^en,  bagegen  ein  febarfe«  äuge 
für  bie  ihrer  greunbe  SEßie  foO  man  fibh  fleijen  biefe 

»erhalten?  ^)otaj  »crf(hreibt  folgenbe«  fRecept: 

Seffer,  wir  wenbcn  ben  Slid  auf  bie  Siebenben,  bie  für  bie  SWängel 
©linb  finb  ihrer  ®eliebtcn,  fogar  fich  freuen  bcr  ÜJlängel, 

SBie  fi^  an  .^agna’«  9lafenpoIpp  Solbinu«  ergcpte. 

SBdr’  man  hoch  ebenfo  blinb  in  ber  greunbfchaft!  ^dttc  bie  Ethif 
3rgenb  ein  ehtenbe«  SlBort  hoch  gefunben  für  biefe  Serblenbung. 
®lei^wie  ein  Sater  »om  ©ohne,  fo  foUen  au(h  wir  »on  bem  ^reunbe, 
IBenn  ein  ®ebre<hen  fich  j^igt,  un«  nicht  wegwenben  mit  Sbfcheu. 
„Slinjaug"  nennet  ber  Sater  ben  ©chielenben;  „fjuppchen"  ba«  ©ßhnlein, 
29enn  c«  fo  gwerghaft  blieb,  wie  einft  ber  ju  frühe  gebot’ne 
©ifpphu«;  , ©chrägelchen"  ben  mit  weit  auSfäbelnben  Seinen, 

, Stumpelchen"  laUt  et  bem  ju,  ber  ben  Älumpfuh  hintenb  baherfchleppt. 
8ebt  wer  allju  genau,  ben  nenne  man  orbentlich;  ift  wer 
Staftlo«,  macht  fich  ju  Inut,  bann  fag'  man:  er  will  nur  ben  ^reunben 
8ieben«würbig  erfcheinen;  hoch  ift  er  ein  folteret,  ift  er 
Swanglo«  über  ®ebür,  bann  gelt'  er  al«  offen  unb  furchtlo«. 

^)ihig  unb  unüberlegt,  ba«  nenne  man  feurig.  34>  meine, 

SDa«  fnüpft  greunbe  jufammen  unb  h^lt  bie  Serfnüpften  in  Eintracht. 

®at.  1,  3,  38—54. 

Ueberhaupt  fchenft  ^oraj  feinen  ^reunben  bie  größte  0tücf: 
ficht,  ba  ihm  ^eunbfchoft  al8  einfl  ber  höthP*"  @üter  be«  8e» 
ben«  erfcheint  — eine  ©efinnung,  bie  in  folgenbcn  SBorten 
gipfelt: 

Sticht«  hoch  gleicht  einem  theueren  greunb!  benft,  wer  bei  Ser- 

nunft  ift.  ©at.  I,  5,  44. 

2*  («91) 


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20 


aßet  läfe  ferner  nt(^t  immer  wiebet  gern  jene  neunte  @o* 
tire  bed  erften  Sucres  mit  %en  prächtigen  S)iaIogen  unb  SRo« 
nologen,  in  welker  gefchilbert  wirb,  wie  ein  aufbringlicher 
®(hwä^er,  ein  wahrer  SEßinbbeutel,  fi<h  an  ,^oraj  h^ranbrängt 
unb  bur^oufl  ben  Sugang  3U  bem  Streife  bei  ÜJläcenaS  fidb  er« 
jwingen  will? 

0o(h  nicht  immer  finben  wir  eine  fo  hrrjerquidtenbe  Reiter« 
feit  wie  in  biefer  unb  anberen  ©atiren,  fonbern  auch  oft  lange 
©trerfen,  in  benen  ein  wohlthuenber  6rnfl  oorwaltet,  wie  3.  S. 
in  folgenben  SSerfen,  wo  bet  35i^tet  in  »ollen  S3ruftt5nen  baS 
@Müd  befingt,  baS  ihm  burch  bie  @üte  beö  a^täcenag  3U  ^h<ft 
geworben  ift,  bet  ihm  ein  ßanbgut  gefchenft  hatte,  ba0  geliebte 
©abinum: 

Do8  Wat  immer  mein  SBunfch:  ein  @ut,  nur  »ob  mäßigem  Umfang, 
©ammt  einem  ©arten,  unb  noch  beim  ^au6  ein  lebenbiged  üßaffei, 

Unb  ein  ©tücflein  2ßalbe8  bajn.  iDoch  haben  bie  ©öfter 

ajlehr  mir  unb  Seff’te«  bef^eert.  SBohl  mir;  brum  bitt’  ich  ™<hr» 

IDlafa’ö  ©ohn,  al8  ba§  bu  mit  bie«  ol8  eigen  belaffeft. 

{>ab’  ich  »ach  nie  mein  ©ut  burch  hä§lich^  fünfte  »ergrö§ett, 

SBerb’  ih  e«  nie  burch  «igme  ©chulb  unb  fehlet  »erringem; 

S3itt’  ih  bich  thöricht  nicht  um  betlei:  war’  hoch  ba«  SRächfte 
iianbftüd  auch  »och  mein,  ba«  fe^t  unförmlich  ba«  ©ut  macht! 

Seigte  mit  hoch  ein  ©lücJ«jufatl  einen  ©elbtcpf,  wie  Jenem 
Lohnarbeiter,  ber  bann  mit  bem  alfo  gefunbenen  ©cha^e 
@ben  ben  Slder  gefauft  unb  bebaut,  burch  ^erfulefl  ©üte 
©liicflich;  freu'  ich  “>*1  ®anf  mich  meine«  SBefihe«,  fo  bitt’  ich: 
ajjoche  bem  ^>errn  fein  33ieh  recht  fett,  unb  alle«,  nur  ein«  nitht, 

9ticht  fein  ^)er3!  unb  bleib,  wie  bu  »fltgft,  ein  mächtiger  ^ütet! 

©at.  II,  6,  1—15. 

Unb  welcher  Subei,  wenn  er  bet  ©tabt  entfliehen  unb  bet 
9tatur  unb  bem  ©tubium  feinet  lieben  ©riechen  btau|en  anf 
bem  8anbe  fleh  in  bie  Slrme  werfen  fann’®).  IDo^  genug  ba» 

(49J) 


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21 


Don.  3um  jei  nod^  bte  furje  SSoifc^rift  angeführt,  bie 

gelegentlicb  übet  bte  Slbfaffung  bet  @atire  gegeben  wirb: 

— bem  ^Srenben  nitbtS  aU  ein  lautet  ®elä(bter  erregen, 

®at  ift  ju  wenig  — bodj  jäbift  autb  in  bem  gatb  Ptb«  alt  SJorjug  — 
j^ürje  bebarf  folcb  Sßerl;  ber  ®eban!e  mug  eilen,  er  barf  fi<b 
91i(bt  in  äBorten  nerwideln,  bie  laftig  bat  nur  ermüben. 

?lu(b  einer  Sprache  bebarf’t,  bie  mit  6mft  oft  wechfelt  unb  Scberjen, 
93alb  einen  0iebner  unb  IDicbter  »erräth  unb  flug  barin  wechfelt, 

S3alb  ben  wibigen  5ÖJann,  ber  gefchiit  fiib  beherrfcht  unb  bie  JtrSfte 
SHieber  mit  Jtbftcbt  hält;  benn  et  fchlagt  bot  Äomifche  beffet 
£)ft  unb  entfchiebener  burth,  auch  in  wichtigen  Sachen,  alt  $athot. 

Sat.  I,  10,  9-15. 

3n  biefem  SEone  finb  audh  SlDgemetnen  feine  Satiren 
gehalten;  ba^  er  ben  richtigen  getroffen,  bafür  jeugl  bat  Sob 
aller  Seiten,  bat  ihm  in  reichem  fDiafie  gu  Slheil  geworben  ift. 
greili^  ift  hingujufügen,  ba§  et  in  feinen  Briefen  noch  gröfeer 
ift,  non  benen  fogar  eine  giemliche  ISngahl  gu  ben  Satiren  ge< 
rechnet  werben  tonnte,  in  fofern  alt  fie  fi^  non  benfelben  in 
nichts  weiter  unterf^eiben  alS  burch  bie  perfönli^fen  93egiehungen, 
in  welche  er  gu  ben  (Smpfüngern  tritt,  wie  er  benn  ja  auch 
felbft  bie  Satiren  unb  33riefe  unter  ben  gemeinfamen  Flamen 
sermones  b.  h-  ngivanglofe  Unterhaltungen"  gufammenfaht. 


(äiuige  SDecennien  nach  -^orag  tritt  ^etfiuö  auf.  @t  war 
geboren  im  Sahre  34  n.  ©h^-  ftarb  im  3ahre  62  in 
no^  nicht  noUenbetem  28.  BebenSfahre.  Sunächft  non  grauen 
ergogen,  fchlofe  er  pch,  nachbem  er  in  baS  SunglingSalter  ein» 
getreten  war,  eng  an  ben  ftoijchen  ^h'lofophen  g.  SlnnaeuS  Gor» 
nutuS  an,  beffen  ^reunbfchaft  er  gu  gewinnen  unb  gu  erhalten 
wuhte.  Sein  SSiograph,  SaleriuS  |)robuS,  f^ilbert  ihn  milb 
non  6h(>i^otter,  jungfräulich  fchüdhtem,  fchön  non  ®eftalt  unb 

freunblich  gegen  fUlutter,  Schwebet  unb  SEante.  Seine  erften 

(«8) 


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22 


bid^terifc^en  SSetfuc^e  würben  nac^  feinem  ^Tobe  auf  ben 
bed  eben  erwähnten  ^ornutud  unterbrüctt,  feine  fed^S  Satiren 
aber  finb  und  erbalten  unb  b^ben  bie  nerfcbiebenften  Urtbeile 
betnorgerufen.  SBenn  non  irgenb  einem  Sudbe,  fo  gelten  non 
bem  f einigen  bie  SEßorte:  habent  sua  fata  libelli.  IDad  Filter« 
tbum  pried  ibn,  ba  et  bem  bettfcbenben  ©efcbmacfe  gemä§  f(btieb, 
bad  (briftliebe  3!Kittelalter  unb  au(b  bie  Solgejeit  bewunberte  ibn 
»egen  feined  @rnfted  unb  feinet  Sittenfttenge,  bie  ^Reu^eit  net» 
hält  fidb  mebt  ablebnenb  ald  anetfennenb,  inbem  fic  fein  Stre» 
ben  »obl  gelten  (äbt,  abet  bie  äftbetif^en  ^JRängel  feinet  Sa» 
titen  f(batf  tügt.  So  foll  fein  S^itgenoffe  3R.  ^nnaeud  8ucanud, 
bet  3)i^tet  bet  — allerbingd  fein  niubtetnet  S3e» 

uttbeilet  — bei  ©elegenbeit  einet  aSotlefung  bed  ^erfind  aud» 
getufen  b«ben,  bad  etft  feien  »obre  ©ebi^te.  Ouintilian  fagt, 
^etfiud  b^ibe  fidb  niel  »abten  5Rubm  etmotben,  obfcbon  et  mit 
ein  93u^  gefcbrieben;  SRattial  feiett  ibn  in  gleidbet  Sßeife  in 
einem  IDifticbon.  STettullianud,  8actantiud,  Sluguftinud, ^ietonpmud 
cititen  IBetfe  non  ibm  unb  abmen  feinen  Stil  nadb-  Slbet  neben 
biefen  anerfennenben  Uttbeilen  finben  fiib  audb  ganj  abmeicbenbe 
anficbten.  IDa  fagt  3.  SB.  Sofef  Scaliger:  ^etfiud,  ein  ganj 
atmfeliget  Scbriftfteßet,  befleibigt  fi^  bet  2)unfelbeit;  ed  finben 
ficb  feine  Sibönbeiten  bei  ibm,  abet  ed  ift  möglidj,  febt  niel 
Siböned  über  ibn  ju  fibteiben.  Unb  anbetdmo:  c'est  un  pauvre 
poete.  2Bad  bie  IDunfelbeit  betrifft,  fo  foU  ^)ietonpmud  an» 
fänglicb  jotnig  bad  S3u<b  weggemorfen  haben  mit  ben  SBorten: 
wenn  bu  nicht  witlft  nerftanben  werben,  fo  braucbft  bu  audb 
nicht  gelefen  gu  werben.  SBon  ben  fReueren  lobt  SBernbarbp  ben 
^erfind  ald  2Renfchen  wegen  feined  eblen  unb  reinen  (Sbatafterd, 
fpticht  aber  norwiegenb  Sabel  übet  ibn  ald  SchriftfteUet  aud. 
Seuffel  nennt  ibn  jugenblich  unreif,  aber  ebel  gefinnt,  unb  ut» 
tbeilt  in  33egug  auf  feine  Schteibweife : IDie  Uebetlabenbeit 

(494) 


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23 


unb  @ef(^raubt^eit,  we(^e  ^ut  9)}antet  ber  Seit  gehört,  ift  in 
biefen  ©atiren  bi8  3ur  JDunfel^cit  gefteigert.  9tm  ^drteften 
cenprt  iljn  2^.  ÜJiommfcn  in  feiner  römifcben  @ef(^ic^te.  JDiefet 
fagt  Don  i^m:  er  fei  „baS  rechte  3beat  eine8  hoffdrtigen  unb 
mattherjigen  ber  §)oefie  befliffenen  3ungen"  (I  *,  p.  236).  — 
Unb  in  ber  Jh^t,  bie  Stabler  haben  nicht  fo  gan5  Unrecht,  ^er» 
fiuö  bricht  unermüblich  8anjen  für  bie  Sugenb,  aber  biefe  $u» 
genb  ift  bie  ftoifche  in  ber  höthften  ^oteng  ihrer  Sntoleranj. 
Die  »ier  ©arbinnltugenben  ber  ©toifer  finb:  fitlliche  ©inficht 
{(fQÖvrjatQ),  Japferfeit,  S3efonnenheit  unb  @ered)tigfeit.  Slber 
nur  berfenige  fann  bie  einzelne  2ugenb  n?ahrhaft  befi^en,  ber 
aöe  Jugenben  in  fl^  Bereinigt.  JRecht  fchön.  SBenn  nur  bie 
ftrengen  Dogmatifer  unter  ben  ©toiferu  nicht  ju  weit  gegangen 
iBÜren  unb  eineStheilö  burch  eine  fchroffe  ©intheilung  in  SBeife 
unb  ihei^en  nicht  ben  realen  Sßoben  unter  ihren  Sü^en  uerloreu, 
anberntheile  fich  einem  .^ochmuthe  hingegeben  hätten,  ber  fie 
ben  auberen  fUlenfchen  im  hö<hften  @rabe  abfto^enb  unb  lächer« 
lieh  erfcheinen  liefe.  Dnfe  ?)erflu0  aber  |u  biefer  ^Richtung  ge* 
hörte,  ift  au8  allem  erfichtlich.  ©o  fagt  er  g.  S. 

— »enn  ben  ginget  bu  ftretfeft,  fo  irrft  bu: 

9ti(ht8  ift  gering.  Du  toirft  niemals  burep  £)pfet  betoiifen, 

Dafe  auch  nur  ein  Sitelcben  SBeiöheit  hafte  am  Dharen. 

D.  h-  njet  nicht  BoHfommen  »eife  ift  ober  menigftenfl  ju 
biefer  SBeiÖheit  gu  gelangen  fucht,  gählt  gu  ben  Dhoren,  unb 
jebe  ^^anblung,  mag  fie  auch  noch  f*’  unbebeutenb  erfcheinen,  ift 
thöri^t.  S3on  biefem  rigorofen  ©tanbpunfte  auS  beurtheilt  er 
flRenf^en  unb  ÜRenfchenleben  — fo  weit  er  bieS  fonntc;  benn 
weit  rei^t  fein  ©efichtSfreiS  nicht,  nicht  hinauf  über  bie  ©chule 
unb  über  bie  geftüre,  ba  et  bem  eigentlichen  geben  immer  fern 
geftanben  hat.  SEBie  wahr,  wa8  ®oethe  bem  9(lphnn8  im 
„lorquato  laffo"  fagen  läfet: 

(«») 


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24 


@in  eblet  Snenfc^  fann  «nem  engen  jtreife 
9li(^t  {eine  Silbung  banfen.  Siaterlanb 
Unb  äßelt  mu§  auf  t^n  »irfen.  Oiu^m  unb  Sabet 
9J2n§  ei  ertragen  lernen,  ©ic^  unb  anbere 
SBirb  er  gejuungen  rei^t  ju  fennen. 

fDal^et  fd^ieibt  ftd^  aber  au^  bie  fHimutb  ber  Stoffe  bed 
f)erflu8.  Sunä^ft  eröffnet  er  ben  {Reigen  mit  einem  Prologe, 
in  meinem  er  fid^  ftreng  oon  ben  fDi^terlingen  {einer  Seit  unter« 
{(Rieben  wif{en  will.  JDie  barouf  folgenbe  erfte  Satire  beginnt 
{e^t  (barafteriftifcb  mit  bem  freilidi  bem  Suciiiud  entnommenen 
93er{e: 

lieber  bet  9Ren{(ben  S3emübn!  3Bie  eitel  unb  leer  bocb  bie  Sßelt  i{t! 
{Ra(^  einem  ^Dialoge,  in  welchem  et  am  Sdf|Iuf{e  oerfitbett, 
ba§  i^n  {eine  9RiIg  baju  gwinge,  in  '^erauöforbernber  9Bei{e  gu 
lachen,  fommt  er  gum  eigentlichen  Schema:  er  weift  aDe  @^emein« 
{(haft  mit  ben  fDid^tern  {einet  Seit«  beten  @e{(hmadf(ofigIeit  unb 
@itelfeit  et  tabelt,  gurüd,  mögen  fie  aud^  noch  @unft 

bed  |)ublifumö  {ich  erfreuen;  ihn  treibe  fein  3nnereö  gut  Satire; 
freilich  nicht  beliebt,  aber  batum  tümmere  ec  fich  nicht ; 

er  wolle  vielmehr  nach  ben  SRuftern  beö  SuciliuS  unb,^orag  bichten: 
Suriliub  einft, 

gu^jue  unb  lIRuciub,  bicb,  unb  ben  SSadgahn  brach  er  an  ihnen; 

Sein  wei§  glaccuS  bem  ^eunb  an  jeglichen  gehler  gu  ta|ten, 

®ag  er  babei  felbft  la^t,  unb  er{chlie§t  man  bafl  innerfte  ^)erg  ihm, 
ffiarmt  er  e6  {pielenb;  bc«  SBolf«  weih  fbih‘8  “ 3“  fpotten. 

Surfte  benn  nicht  auch  i<h  wi^  mudfen  — geheim  — in  ein  8och  nur? 
Soch  fei  hi«  eö  oerfcharrt:  „Such,  Such,  ich  {<>h  **  Slugm, 
Ohren  bee  @{el§  befcht  .J)err  9liemanb."  Siefeb  @eheimni§, 

Sieb  mein  Sachen,  wie  {ehr  auch  ni^itig,  »erlauf  ich  nm  feine 
Slia«  bir.  ®at.  1,  114-123. 

|)iergu  noch  ^olgenbeö: 

Slld  einft,  fo  ungefähr  ergählt  £)rib,  in  einem  mufifchen 

<4»6) 


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25 


0tteite  gwifci^en  $an  unb  SboDo,  alfo  jwifc^en  bet  $löte  unb 
bet  Äpt^ara,  bet  p^tpgifd^e  ^önig  SKibaS  bem  ^an  ben  ^tetfl 
juerfannte,  He§  i^m  SlpoHo  gut  Sttafe  @fel8o^ten  »ati^fen, 
bie  et  fotflfdlHg  untet  feinet  5Kü^e  oerftecft  3ebo(b 

feinem  gtifeut  lonnte  biefe  ©otteSgabe  nit^t  nerbotgen  bleiben. 
IDa  nun  bie  meiften  SKenft^en  gut  SKittbeilung  geneigt  finb 
unb  ni(bt  am  »enigften  bie  gtifeure,  jenet  arme  ober  bodb 
butdbaub  fdbmeigen  mu^te,  fo  machte  er  feinem  bebtdngten  ^et> 
jen  babut^  8uft,  ba§  er  ein  goch  in  bie  @rbe  grub  unb  bie 
SBorte  b'neinflüfterte:  dtönig  ÜJlibaS  6fel8obren. 
becfte  bet  grifeut  bie  Deffnung  mit  @tbe  wiebet  ju,  abet  leibet 
wu(h8  an  bemfelben  £>rte  ©chilf  empor,  ba6,  com  Sinbe  be< 
wegt,  in  »eträtberif^er  SEBeife  immer  jene  SBorte  flüfterte.  — ©o 
Win  auch  $erfiu8  feinem  ^Büchlein  annertrauen,  ba§  bie  Seit 
»oQet  8lc<<h  )vie  ba8  0^ilf,  wirb  auch  ^i^feb 

jenes  groge  ©eheimnig  funb  tgun.  hierbei  aber  ift  nod)  3u 
bemerfen,  bag  bie  Sorte  „©feUogren  hat  jebet"  non  ©otnutuä 
hettühren,  weldher  bie  utfprünglid)e  SeSart: 
auricolas  asini  Mida  rex  habet  — 

„2)et  Äönig  SKibaS  hat  ©felSohten"  uerönberte,  inbem  er 
bafür  fchtieb:  auriculas  asini  quis  non  habet?  alfo  eigentlich, 
„wer  hat  ni^t  ©felöohren?"  — unb  jwar  tgat  6ornutn8  bieö 
beöhalb,  bamit  man  nicht  etwa  benfen  foOte,  bag  bet  .Äaifer  9lero 
bamit  gemeint  fei. 

aifo  la^en  will  ^erfiuS  über  bie  Slhat^eiten  bet  fWenfehen. 
Sie  thut  et  bieö?  9JJit  einem  bitterböfen  ©epcht  fegt  er  pch 
auf  feinen  ftoifd^en  gehrftuhl  unb  bocitt  opn  bemfelben  feinen 
Seitgenoffen,  oft  in  te^t  ausfälliger  Seife,  immer  unb  immer 
wiebet,  bag  fie  hoch  recht  fchlechte  unb  erbärmliche  ©efeQen  feien 
unb  nur  bie  ^)lngabe  an  fein  ©pftem  fie  oom  SBerberben  retten  fönne. 
©ine  ©put  Don  gtohpnn  unb  ©chalfhaftigfeit  itgenbwo  ju 

(«7) 


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26 


entbecfen  möchte  wo^l  jelbft  bem  fc^ärfflen  Sluge  umnöglid^  fein. 
9lw(^  Bon  @elb[tflefäHigfeit  ift  ?)etflu8  nid^t  fretjufprecben,  fo 
bo§  er  in  ben  Singen  etneS  ^ora^  wo^l  bie  JRoQe  fpieien  möd^tc, 
bie  bte{er  bem  2)amaftppu8  guert^eitt,  einem  ehemaligen  ^auf« 
mann,  bet  nach  33etluft  feineä  SSermögenfl  ftdj  ganj  ber  ftoifdjen 
bie  Sltme  geworfen  unb  in  langer  Diebe  bem 
^orag  bie  Dli^tigteit  aüefl  Stbifd^en  unb  bie  SSerfehrtheit  bet 
DKenj^en  flar  gn  machen  fucht,  »or  feinet  eigenen  SBeiöheit 
aber  ad^tungSooH  ben  j^nt  jieht**). 

Die  jmeite  Satire  ift  an  einen  greunb,  ^lotiuö  DJlactinuö, 
gerichtet.  Diachbcm  ^erfiu8  benfelben  gu  feinem  ©eburtfltage 
beglücfmünfcht  h“i»  nimmt  et  ©elegenheit  fidh  über  bie  Steilung 
ber  DJlenfchen  ju  ben  ©öttern  unb  befonberS  über  ©ebete  unb 
Dpfet  auSjufpre^en,  wobei  er  mannichfache  ?eben8bilber  hingu» 
gieht  unb  enbli^  gu  bem  Diefultatc  gelangt,  ba§  bie  unRnnigeu 
unb  felbftfüchtigen  SBünfche  nicht  erfüllt  werben,  ba§  bet  SJienfdh 
»ielmeht  nur  burch  oernünftigeB  Denfen  unb  ri^tigeB  .^anbeln 
bie  ©Otter  Hth  S^neigt  mache. 

SRubigcn  ©inn,  fih  bc8  Diecbten  bewußt,  unb  im  innerften  ^>etgen 
Feinheit,  ein  Seben  getränft  mit  bem  ©ittlicben  — laß  mich  ben  Tempeln 
Die«  barbringen,  bonn  fcpofft  mir  ba«  Dpfer  SrhBrung  bet  ©Bttin. 

©at.  II,  73  — 75. 

Die  nSchften  Satiren  erBttern  nur  ftoifdßc  ©runbjähe  unb 
bilben  fo  gewiffermaßen  einen  ©pcIuB  für  fich. 

Die  brüte  Satire  ermahnt  gur  unbebingten  .^>ingabe  an 
bie  D^hiI<’i<’Ph<«>  ouf  weichet  alle  ©efunbheü  bcB  ©eifteB  beruhe; 
bie  oierte  gum  aavrnv“  gut  Selbfterfenntniß;  bie 

fünfte  Satire  ift  ein  Senbfchreiben  an  ©ornutuB,  weldßeB  ben 
^ernpunft  ber  ftoifchen  $htI°fophi^i  bie  flehte  non  ber  wahren 
ffreiheit,  auBeinanberfeht,  unb  bie  fecfafte,  an  ©aefiuB  S3affu8 
gerichtet,  h«nbelt  ton  bem  rechten  ©ebrauche  ber  itbifchen  ©fiter, 

C498) 


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27 


wobei  ^erftuS  ein  ©efprdc^  mit  feinem  6tben  fingirt,  ben  et 
boTt  mitnimmt,  wenn  et  fic^  etwo  übet  bie  ffietminbetung  beö 
@rbed  beflogen  foQte. 

@8  ift  nic^t  ju  leugnen,  ba^  juweilen  tiefe  Stßne  be8  @e» 
fü^l8  erflingen,  wie  3.  33.  bie  folgenben  33etfe  3eigen,  bie  bet 
fünften  ©atire  entnommen  finb: 

©infam  reben  wir  fe^t,  brum  ttitl  ic^,  ©omutuS,  bet  HJlufe 
geigen  unb  gan3  bir  bie  33ruft  aufftbliegen,  bir  jeigen,  geliebter 
gteunb,  wie  fo  treu  i(b  bi^  liebe,  wie  gan3  mein  ^erj  bir  geweift  ifi 
iprüfe  mi(b,  prüf  mein  SOßort:  bu  fannft  ja  fo  fein  unterf<beiben, 

3öa«  nach  ©ebiegenem  flingl  unb  wa8  nur  blenbenber  Süntb  ift. 

2>aju  mc(bt  i<b  mit  füljn  auSbilten  bet  Stimmen  ein  bunbert, 

Um  aufritl)tigen  Sinn«  ju  »erfünben,  wie  tief  bu  in«  fülle 
4)et3  mit  gegraben,  unb  ba§  Botlftönbig  erfc^Ioffen  bie  äBorte, 

3Ba«  in  bet  fdjweigenben  S3ruft  fiib  Unau«fptecbli(be«  reget. 

Sat.  V,  21-30. 

^Jlbet  wir  finben  bei  i^m  auc^  febt  oiel  ®emacbte8,  eine 
golge  bet  33ilbung  be8  3«italter8,  in  welchem  bie 
3enbe  Jriumpbe  feierte,  wo  man  alfo  ben  SBortptunf  liebte, 
getnet  ift  bie  gtofee  Slbbängigfeit  be8  ^etpu8  non  guciliu8,  fo 
weit  fie  ficb  conftatiren  läfet,  ba  wir  oon  biefem  nur  gragmente 
befi^en,  unb  gau3  befonbetS  oon  ^>ota3  eine  bö^bfi  unerfteuli^e 
SEBabtnebmung,  bie  in  bob**”  @rabe  geeignet  ift,  gegen  ibn  ein» 
gunebmen,  ba  wir  immer  an  jene  Iftäbe  erinnert  werben,  bie 
ficb  mit  fremben  gebern  febmfufte. 

5)a8  ©nbrefultat,  ba8  wir  au8  bet  Seftüre  biefet  ©atiren 
gewinnen,  bürfte  wobl  folgenbetmaben  lauten: 

Sieben  wir  bie  ©ntlebnungen  unb  Uebertreibungen  ab,  fo 
fonnen  wir  wobl  fngen,  ba§  ^erftu8  fo  fpriebt,  wie  c8  ibm  um 
bad  J^er3  ift  — unb  ba8  ift  311  loben.  3u  bebauern  jeboeb  ift, 
ba§  fein  enget  .^ori3ont  ben  331icf  in  bie  ®ten3en  feine8  SBeicb» 
bilbe8  bannte  unb  ibn  oerbtoffen  unb  mi^mutbig  machte;  3n 

(499^ 


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28 


abein  ift  feine  @ef^madflofigfett,  bie  nur  biejenigen  überleben 
fönnen,  uel^e  über  ben  @mft  feiner  ®eftnnung  bie  Snforbe« 
rungen,  »elcbe  an  ein  Äunftwerf  ju  ftellcn  finb,  »ergeffen. 


3n  bemfelben  3a^rbunberte  wie  ^erfind  unb  nod^  weit 
barüber  ^inauS  lebte  3uoenaI,  nämlidl  etwa  non  47  ober  nadb 
einer  neueren  Slnfi(^t  »on  57 — 130  n.  6^r.  3)a  i^m  bemnac^ 
ein  giemli^  ^o^ed  9l(ter  ju  S^eil  würbe,  fo  fann  man  baraud 
erfe^en,  ba|  eine  grofee  Bornmüt^igfeit  nicht  immer  lebensge- 
fährlich ift.  Die  Duellen  über  feine  ©chidffale  flielen  trüb  unb 
finb  fhätlidh-  3n  Slquinum  geboren,  rhetorifdh  gebilbet,  nielleicht 
au^  Dffijier,  oerbannt  wegen  eines  lofen  SBi^worteS  gegen  eine 
bei  |)ofe  beliebte  ^erfönlichleit  h“t  er  16  ©otireu  hinicrioff*«» 
bie  meift  umfangreich  finb  unb  hi»fi(^iii(^  3nterhretation 
nicht  geringere  ©dhwierigfeiten  alS  bie  beS  ?)erfiu8  bieten.  6r 
gehörte  gur  Suhl  berfenigen  OJtänner,  bie  bur^l  ih^e  ma§lofe 
Offenheit  unb  IRüdfichtSlofigfeit  bie  SBelt  in  @rftaunen  fe^en 
unb  gerabe  beShalb  auch  großer  Erfolge  fich  rühmen  fönnen. 
38aS  Sllfreb  SBoItmann  in  feinem  Sluche  „^uS  4 Sahrhunberten 
uieberlänbifch'beutfcher  Äunftgefchichte"  über  ben  englifchen  9Kaler 
j^ogarth,  ber  in  feiner @igenfchaft  alSÄünftler  offenbar  eine  au§er» 
ocbentliche  Slehnlichfeit  mit  bem  2)ichter  3uoenaI  hat,  fagt,  ba§  bei 
ihm  bie  (Sarricatur  oorherrfche,  ba^  er  im  ^ä^lichen,  3Biber> 
wattigen  unb  SSergerrten  fchwelge  — baS  gilt  auch  »on  Suoenal. 
3h>n  ift  oS  burchauS  nicht  heinlidh  in  ber  unoerhüllteften  unb 
fchonungSlofeften  9irt  über  menfchlicheS  ^h^n  unb  Treiben  gu 
Bericht  gu  fi^en  unb  eS  oor  baS  ü£ribunal  ber  Deffentlichfeit 
gu  giehen.  $reili^  liegt  eS  in  bem  SBefen  beS  flafftfdhen  IHlter« 
thumS,  bie  iDinge  beim  richtigen  IRamen  gu  nennen  unb  ohne 
©cheu  reale  IBerhältniffe  jebweber  iSrt  blo^  gu  legen,  wie  eS  in 
bet  ©egenwart  nicht  gum  guten  Stone  gehört:  aber  hoch  geht 

(500) 


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29 


3uö«nal  in  biefem  fünfte  bifl  jut  äufeerftcn  @tenje.  @t  f^reibt 
nic^t  in  usum  Delphin!;  o^ne  bie  gcTtngfte  Suiüd^altung  jeigt 
et  mit  grimmigem  Se^agen  auf  biefen  ober  jenen  ^äfeli(^en 
gleden  am  Äörper  feines  SeüaWerö  — unb  ba§  biefeS  nic^t 
baS  tobenSmett^efte  mat,  barübet  belehren  unS  bie  2(nna(en 
jener  Seit  faft  auf  jeber  @eite.  3d^  braune  nur  als  fRepräfen» 
tanten  berfelben  bie  9iamen  9iero  unb  IDomitian  3U  nennen. 
33erborben^eit  unb  ©ittenlofigfeit  jogen  immer  weitere  Äreife 
unb  baS  glänjenbe  römifcbe  3Be(treic^  ging  baburd^  me^r  unb 
me^t  feinem  aSetfaOe  entgegen.  @S  ift  nidjt  ju  leugnen,  bafi 
unter  fo  ^eillofen  IBer^Itniffen  bie  9Renf(^^eit  gum  großen 
!li;ei(e  voQftänbig  entartete.  Unb  vorjügli(^  waren  eS  bie  obe* 
ren  @(fti(^ten  bet  ©efetlf^aft,  welche  mit  bem  fc^Iec^ten  S3eifpiele 
corangingen. 

3lbet  wie  folt  man  bie  Jbnetpte  loben, 
jtSmmt  boc^  bae  Stergemt^  oon  oben! 

^te  bie  ©lieber,  fo  aucp  baS  ^auUt! 

(Äapuj.  in  ffioDenfl.  8ager.) 

!Da§  aber  bie  @uten  unb  93raven  nic^t  ooClig  auSgeftorben 
waten,  bauon  finb  ebenfalls  Diele  Seugniffe  Dot'^anben.  Sagt 
bo^  3.  S3.  felbft  ilacituS,  welcher  wa^rlii^  bur^  feine  rofen* 
farbene  58tiHe  fie^t,  in  feinen  .^iftorien  (I,  3): 

„IDennoc^  ift  baS  3a^r^unbert  nic^t  fo  arm  an  eblen  Sügen, 
ba§  eS  nid)t  au(^  gute  93eifpiele  aufge3eigt  ^ätte.  fDlütter  be< 
gleiteten  i^re  ©ö^ne  auf  ber  glu^t;  eS  folgten  grauen  i^ren 
5Jlönnern  in  bie  SSerbannung;  SlnDerwanbte  f(^rerften  Dor  ,J)in> 
betniffen  nic^t  gutüd.  ©ibame  waren  ftanb^aft;  ©claoen  blieben 
felbft  unter  goltcrqualen  unoetbrüd^lii^  treu;  ^oe^geftellte 
ÜRönner  erbulbeten  bie  öufeerften  IDrangfale,  ja  felbft  ben  Slob 
ftanbtjaft,  unb  i^r  ©nbe  war  eben  fo  ru^mrotl  wie  baS  jener 
ÜRänner  beS  Slltert^umS". 

(401) 


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30 


Daß  ift  bte  anbetc  ©eite  beß  Sleppid^ß,  »te  ber  iStaber 
fagt.  3u»enal  aber  [teilt  bie  ^a§lld)Ielt  in  eine  folc^e  93e» 
leudbtung  unb  lä§t  in  bera  Cirabe  bie  greOften  ©(blaglid^tet  auf 
fie  fallen,  ba§  man  beinahe  glauben  mSd^te,  eß  fei  alle  ©^ön« 
^eit  auß  bem  8eben  entreid^en  — wenn  er  ficb  nicht,  bejonbctß 
in  ben  SBeifpielen,  bie  er  bringt,  juweilen  felbft  oerriethe  unb 
fo  bie  obigen  SBorte  feineß  gro§en  Scitgenoffen  beftätigte.  SBaß 
er  aber  burd)  feine  ©chilberungen  bejWedt,  nämlich  einen  ge= 
wattigen  ©inbrud  auf  bie  ©eele  feiner  8efer  außjuüben,  baß 
bat  er  erreicht;  unb  wenn  ihm  audb  unfer  fritifcheß  Seitalter 
mehr  auf  bie  Singer  fleht,  alß  eß  oorbem  gef^ab,  unb  feinen 
rbetorifchen  ©pajiergängen  auf  bie  ©pur  getommen  ift,  fo  ftebt 
er,  ber  gefeierte  ©tbicuß  beß  ÜJlittelaltcrß  bo^  noch  immerhin 
grob  genug  ba,  ba  man  feine  gewaltige  ,^raft  unb  feinen  ge« 
raben  ©inn  nicht  in  Steige  ftetlt,  ja  er  b>^t  fich  einen  folcben 
fRamen  gemacht,  ba§  er  fo  3U  fagen  alß  ber  ©atirifer  xar 
f Snyj]v  gilt.  Weil  er  jeneß  fritifche  ©lement,  welcheß  burch  8nri= 
liuß  ber  ©atire  beigemifcht  würbe,  in  tBerbinbung  mit  dbenber 
©chärfe  am  confequenteften  jum  äußbrucf  bringt.  Suß  eben 
biejem  ©runbe  ift  er  auch  ber  „tieffte  ©atirifer“  genannt 
worben,  ßinige  Urtbeile  befannter  UJlänner  mögen  bieß  betätigen. 
©0  fagt  j.  SB.  ßefftng  in  einer  Dbe  (an  J^errn  9T*): 

Suf  Sreunb!  bie  @ci§cl  ju  crfaffen, 

2)ie  bort  Beruiobern  will. 

©eit  Suöcnal  fee  fallen  laffen. 

Siegt  fie,  Triumph  ib^  ?after!  ftill. 

Der  ,£)iftorifer  Sobanneß  »on  SKüHer  fpricht  fleh  folgenber» 
magen  auß: 

„©anj  anberß  (nämlich  «Iß  ®on  fJRartial),  fo  recht  inß 
^erj  hinein,  würbe  ich  nnu  meiner  »ierten  geftüre  bejoubert, 
»on  3u»enaliß.  6be«nalß  »erftanb  ich  ih”  ni<^t,  aber  bie  grogen 

(50») 


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31 


Stabte  unb  bie  Sebendecfa^rung  l^aben  i^n  mir  commentirt. 
fBelc^er  9)tann,  wenn  er  fic^  erijebt!  9Ber  moQte  nt(bt  gern, 
teie  (5icero,  fterben  um  jo  einen  5Häd)ct!  Bi^enib  »on  bem 
geuer,  |o  er  in  mir  entflammt,  l^rieb  id)  nur  bie  SlnfangS» 
»orte  geaiffer  großer  ©teilen,  bie  lebenSlängli^  ju  lefen  finb, 
»eil  fie  in  ben  innerften  ©c^a^  ber  IJJleniii^^eit,  bie  Seute  bcr 
Sa^r^unberte,  geljören  ‘ *).* 

2Qie  fam  nun  biejer  fo  ^ocb  gefeierte  2)tann  gu  bem  @nt< 
fc^luffe,  ©atiren  gu  bienten?  @r  ftanb  bereits  in  ben  mittleren 
Sagten,  als  er  ungefähr  i.  3.  100  n.  6^r.  biefe  2^ätigfeit  be» 
gann,  beren  23lütl)egeit  in  bie  Otegierung  JrojanS  fällt,  Der  fi(b 
ben  93einamen  „ber  befte  Äaifer"  erworben  ^at.  Slber  au(b 
unter  ^abrian  je^te  er  baS  angefangene  SBerf  weiter  fort,  ob» 
wo^l  mit  jcbwäcberen  Äröften;  benn  bie  ©atiren  ber  lebten 
Seit  geugen  oon  ©rmübung.  9Jtan  ift  beS^alb  fogar  geneigt, 
einige  berjelben  i^m  abgufpreeijen,  obfebon  bie  Dafür  beigebrad^ten 
ülrgumente  nic^t  burdb|d)Iagenb  finb.  91a(b  bem  gewaltjamen 
üluSgange  IDomitianS  at^mete  bie  3BeIt  wieber  auf:  baS  freie 
SBort  Durfte  fi(^,  naebbem  ber  mi^trauifd)e  unb  graufame  Jprann 
babin  war,  wieber  an  bie  Oeffentlicbfeit  wagen,  wenn  auch 
immerbin  gewiffe  ©rengen  gegogen  waren,  bie  gu  überfebreiten 
au^  Damals  nicht  geftattet  war.  IDa  fattelte  auch  3unenal  fein 
feuetf^naubenbeS  9io§  gu  einem  jebarfen  JRitte.  SBaS  ibn  bagu 
Beranlafete,  fagt  er  felbft.  2)ie  erfte  ©atire  ift  gewiffermafeen 
baS  Programm,  baS  et  ficb  ftellt.  3n  wib<g  bei§enber  gorm 
fd^ilbert  er  gunäcbft  baS  SBefen  unb  Sireiben  ber  geitgenöffifeben 
IDicbter,  bie  ibn  mit  ben  IRecitationen  ihrer  ^robucte  quälen*®). 
iSueb  er  will  nun  nicht  länger  in  tböriebter  äBeife  milb  fein  unb 
baS  Rapier  febonen;  er  fei  ja  auch  in  bie  ©cbule  gegangen  unb 
habe  Dort  bem  ©utla  — er  meint  Damit  ben  berübniten  IDiftator 
beS  1.  Sabrb-  »•  ßb^f-  — *>en  0tatb  gegeben,  ficb  Doch  liebet 

(603) 


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32 


in  bae  ruhige  ?)r{DatIeben  gumdju^ieben.  .^tetbei  ift  fe^r  be« 
acbtenSmeTt^,  ba^  ei  feine  t^etorifcbe  SSilbung  betont;  ti  ift 
bieS  ein  gingetjeig  für  bie  SSeurt^eilung  feiner  SJiction!  3)ar» 
auf  wenbet  er  fi(b  jn  bem  eigentlichen  ^h^ma,  toarum  er  gerabe 
ber  Satire  [ich  »ibme.  „5)afl  Slbfurbe  regiert  bie  SEBelt“  — 
unb  baS  fann  er  nid^t  ru^ig  ertragen.  ^Oed  ift  auf  ben  .^opf 
gefteOt.  0ieS  uirb  burch  eine  Steihe  non  Seifpieten  bewiefen. 
Unter  folchen  Umftänben  eine  anbere  IDiihtungSart  gu  wählen, 
wäre  ühotheit-  *ft  «8  fchww,  ni^t  Satire  ju  fchreiben. 
(Difficile  est  saturam  non  scribere.  I,  30). 

Sollte  bergletcben  icb  nicht  nenuftnifchet  Feuchte  für  uürbtg 
siebten  unb  wählen  jum  Stoff?  Unb  liebet  non  4>erfule8  fingen 
Ober  non  Spbeud  Sohn,  ¥abprinthu8’  SrüQen,  bet  jtnaben 
3f«ru8  Sturj  in8  SUleer,  non  be8  Äünftler8  3)äbalu8  ginge? 

I,  51—54. 

SBieberum  fe^t  er  baö  IRäberwerf  in  Bewegung,  nn8 
fchwarge  ©eftalten  gu  geigen,  big  ihm  abermal8  ein  Sluhepunft 
nothig  erfcheint,  um  baS  SSorhergehenbe  nc>(h  weiter  gu  commen* 
tiren. 

®ag’  ein  S3erbre<hen,  wofür  bu  nach  ®paru8  foüteft,  in8  3uchthau8, 
SBMflft  bu  wa8  fein.  Siechtfehaffenheit  lobt  man  unb  lägt  fte  nerhungetn, 
2)o^  bem  SSerbrechen  neibanft  man  ißaläfte  unb  ißarfe  unb  Siifche, 
Uralt  Silbergefchirr  unb  ?)ofale. 

I,  73—78. 

Unb  fobann  weiter: 

— 33rrfagt’8  bie  9latur,  bann  fchmiebet  ben  SSer8  bie  6ntrüftung, 
äßie  fte  ihn  eben  netmag,  wie  ich  mach’  unb  Slunienu8. 

I,  79  sq. 

So  erhält  bei  biefer  ©elegenheit  ein  gewiffer  ßluniennfi, 
febenfallS  ein  fchlechter  Dichter,  non  bem  fonft  weiter  nichtö  be» 
fannt  ift,  einen  Seitenhieb,  wie  Snnenal  ei  liebt  — gang  nach 
2lrt  beö  ^)orag. 

(■'•04) 


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33 


Unb  abermals  ^olt  er  einen  neuen  4>aufen  »on  aUerlet 
fragmürbigen  Q^eieOen  ^erbei  unb  jagt  fie  über  bie  Sü^ne,  beren 
^)intergrunb  bie  alte^rmürbige  aSergongen^eit  — i'ein  3beal  — 
bilbet”)-  3orntg  über  bie  0(li(bt8nu^igfeit  bet  ©egenwart 
bricht  er  barauf  in  bie  Sßorte  anS: 

S(b«fr  wirb’«  werben  bereinft  für  bie  Dtacbwelt,  will  jte  efl  ärger 
ajlac^en  al«  wir;  fie  »ermag  nichts  UteueS  ju  thun  unb  ju  wünfcben. 
3egli<hft  ift  ftho"  ®“f  l'f*”  .pöbcpunft. 

I,  147—149. 

Unb  nun  hinein  in  bieö  roogenbe  fUieer.  2)aher  ruft  er 
fid?  felbft  ju: 

brauche  bic  Segel, 

©reite  fie  recht  weit  aus! 

I,  149  gq. 

3d)  mr.fe  \)xtx  auf  einige  iBerfc  jurüefgreifen,  bie  ben  ^lafi 
»er  biefen  h“üen.  Sie  lauten; 

SSaS  ba  treiben  bie  DlJienf^en,  ihr  SBünfdben  unb  fürchten, 

^>affen  unb  Sieben,  ihr  greuen  unb  Sagen  ift  Stoff  für  mein  ©üchlein. 

I,  85  gq. 

©ein  @toff  alfo  foß  bafl  bunte  Treiben  ber  gangen  SiJell 
fein.  3ft  bieS  ber  gatl?  3a  unb  nein,  ©eine  SBelt  ift  5Rora, 
aClerbingS  „baS  ^irn  jener  SBelt",  wie  ©ictor  ^ugo  fagen  mürbe. 
3eboch  fcheint  mit  ben  eben  citirten  SSerfen  bet  ©(blufe  ber 
erften  ©atire  nicht  übereinguftimmen,  roo  er  fagt,  et  moQe  pch 
nicht  ber  S^obeSgefahr  auSfe^en,  unb  beShalb  nur  bie  ©erftorbe« 
nen  richten,  aber  biefer  ©inmanb  ift  leicht  gu  befeitigen. 
ailerbingS  nimmt  er  nielfach  S3egug  auf  bie  Vergangenheit,  gu« 
meift  auf  bie  jüngftc,  infofern,  als  9lamen  unb  fonftige  'Per« 
foualien  in  Vetracht  fommen.  3m  Uebrigen  aber  gilt  faft  aHeS, 
maS  er  non  ber  Vergangenheit  berietet,  auch  füc  bie  ©egen* 
mart.  3n  ber  fDlehrgahl  ber  gäüe  ift  er  biefem  Jheüc  beS 
Programms,  bem  ©piloge  ber  erften  ©atire,  untreu  gemorben: 

XIX.  44S.  3 (»05] 


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34 


fein  @ifet  ^at  t^n  ^ingettffen,  feinen  Seitgenoffen  einen  Spiegel 
Dor  baö  Ülntli^  ju  galten,  wie  e8  fein  anberet  Satirifer  »ot 
unb  nac^  i^m  getban  ^at. 

Se((^  eine  BüQe  beS  Stoffes,  mit  ber  unS  Suoenal  über» 
fd^üttet!  SBeld^  großartige  ^etfpcctioe,  bie  er  unS  auf  bie 
prächtige,  glänjenbe,  ewige  unb  bodb  bis  in  baS  innerfte  9Rarf 
franfe  9icma  eröffnet!  Unb  unter  welche  blutrotße  SSeleu^tung 
fteiU  er  biefe  Scenerie!  !DaS  golbene  .^auS  ber  ÄaiferS,  bie 
glän3enben  ?)aldfte  ber  ©roßen,  fowic  bie  fcßmußigen  SBinfel 
ber  Slrmutß  unb  ber  33erworfenheit , ©öttertempel,  21)eater, 
©irruS,  bie  3lrena,  bie  gewaltig  hoßen  Sinöhäuf«,  bie  SBerf» 
ftätten,  bie  8äben,  SBirthSßäufer,  Äücßc  unb  ÄeQer,  ©arten, 
^)aine,  SBriufen,  ben  gelben  $iber,  baS  9JlarSfeIb,  bie  ^löße, 
bie  ©affen  in  ber  Stabt  unb  bie  Straßen,  welche  auf  baS  üanb 
unb  in  bie  ^rooinjen  führen  — älleS  bieS  jeigt  er  unferrn 
crftaunten  Sluge  unb  belebt  eS  bei  Sag  unb  bei  fRacht  burch 
eine  SBolfSmenge,  in  ber  jeber  Sh®*l  fo  weit  ße  be* 

fannt  war,  oertreten  ift,  unb  mit  ber  wir  in  ber  auSgiebigften 
SBeife  befannt  gemacht  werben,  ©iefeS  S3raufen  unb  Söogen 
mit  all  feinen  Unannehmlichleiten  unb  ©efaßren  ift  befonberS 
in  ber  britten  Satire  höchft  lebenbig  unb  jum  Sßeil  auch  h“wo» 
rißifch  uub  gemüthooH  gcfchilbert.  UmbriciuS,  ein  lieber  greunb 
beS  2)idhterS,  iß  beS  8ebenS  unb  SreibenS  in  IRom,  wo  man 

faum  auf  bie  Straße  wagen  barf,  oßne  »orher  baS  Seftament 
gemacht  3U  hoben,  wo  man  nicht  ruljig  fcßlafen  fann,  wo  außer» 
bem  nur  Schürfen  unb  eßrlofe  ?)ar»enüS  gu  Slnfeßen,  SRacßt 
unb  Sfleichlhum  gelangen,  fo  öberbrüffig,  baß  er  befdhloffen  hot, 
in  baS  friebli^e  6umä  auSjuwanbern.  SSon  ben  Sewohnem 
SdomS  aber  ßnb  bem  ehrlichen  UmbriciuS  befonberS  bie  glatten 
unb  aalgewanbten  ©riechen  »erhaßt,  bie  baßin  gefommen  waren, 
um  ihr  ©lücJ  ju  madhen.  Sunenal  benußt  nämlich  oft  bie  ©e» 

(SO«) 


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35 


legen^eit,  um  auf  btefe  unb  überhaupt  auf  bie  ba8  alte,  rdjte 
3t6mertbum  ^etfe^enben  ®u0länbct  einige  feiner  fdjatfen  |)feile 
abjuf^iegen.  ift  eine  lange  ülueeinanbeife^ung,  von  bec  ic^ 
nur  eine  Ber^öltnt|mä§ig  feljr  ja^me  ©teile  ^eroor^eben  »iD, 
bie  über  bie  ©(^mei^elei  ber  ©rietben  b^nbelt.  „5)ie  ganje 
Station  fpielt  ^omöbie*,  b^i^t  eS: 

S)u  lacbeft  laut:  noib  louter 

©(ballt  fein  Soeben;  er  »eint,  »enn  bie  Slugen  beS  ©Snner«  er  na§ 

pebt, 

Ob"*  ©efübl  von  ©^merj;  oerlangft  bu  ein  geuer  im  ©bätberbft, 
Siebt  er  ben  SPeljrocf  an;  fagft  bu  ,f^wül  ift  e8,"  fo  ftbrnißt  et. 

III,  100—104. 

Unb  mie  ftebt  ed  mit  ben  anbern  ©iementen  ber  ^aupt» 

ftabt?  Äein  Sllter,  fein  @tanb  mirb  von  ibm  unberü(ffi(bt  ge= 

(affen,  faft  jebeö  23orIommni§  be8  8eben8  untergiebt  er  bet 

Äritif.  SBir  lernen  ba  g.  S.  bie  S3erbältniffe  bei  .^ofe  fennen, 

bebauern  lä^elnb  ben  armen  ©lienten,  ber  bie  größten  S)e> 

mütbigungen  von  feinem  flolgen  unb  übermütbigen  Patron  ge« 

bulbig  bi""*b"'*"  entarteten  ©b^^ögling  be« 

rübmter  gamilien  fi^  megmerfen  ober  in  ftbmoblicber  5Ber« 

fommenbeit  ba8  8eben  friften,  plagen  über  ben 

fümmetlitben  8obn  ber  geiftigen  Slrbeit,  mobnen  ©eridbtSverbanb« 

tungen  unb  bem  Unterridbte  in  ber  ©cbule  bei,  jdbauen  ben 

Uebermutb  be8  3Jiilitär8,  lernen  (Betrüger  aller  9(rt  fennen,  be« 

obaebten  ba8  (Bolf  in  feiner  Arbeit  unb  fDluge,  feinen  Seiben 

unb  greuben,  feinen  geblern  unb  gaftem,  werben  von  bem 

5Did)ter  mit  ben  intimften  (Berbältniffen  ber  gamilie  befannt  ge> 

ma^t  unb  erbalten  oon  ibm  über  bie  ©ebeimniffe  ber  ©tabt 

(Suff^lüffe  oller  art.  @ebr  ungufrieben  geigt  fi(b  Suoeual 

mit  bem  fronen  ©efdble^te  feinet  Seit,  beffen  ©ebretben 

— nach  gemiffenbafter  (Berechnung  finb  e8  31  — et  in  661 

3*  (iu7> 


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36 


l^etfen  ausführlich  f^ilbcrt.  SBoher  btefet  ^>a§?  SBetl  in  golge 
beS  allgemeinen  fniebergangS  beS  SJienf^engefchlechteS  auch  bie 
meiblicbe  9latut  entartet  fei.  ©ein  SJlahftab  ift,  wie  fchon  er« 
wähnt,  bie  gute,  alte  Seit,  bie  er  »ielfach  bet  ©egenwart  gegen« 
Überft  eilt: 

Denn  bamalS,  aU  bie  @rbe  noch  “"b  ber  .^imntel  noih  neu  war, 
Vfbte  bae  ÜWenfchengeichlecht  ganj  anber«.  VI,  1 1 sq. 

SBelcher  Jon  in  biefer  ©atire,  bie  für  fein  bebeutenbfteS 
aSert  gilt,  herrfcht,  fann  man  fchon  barauS  erfehen,  ba§  Otto 
IRibbccf'*)  in  einem  rein  fritifch  gehaltenen  33uche  über 
Suoenol,  baS  nur  für  a^h«lologen  beftimmt  ift,  e6  nidht  übet 
fich  gebracht  hot,  über  biefelbe  beutfch  3U  f^reiben,  fonbem  fleh 
ber  lateinif^en  ©ptache  bebient  hot.  ,iDer  ©toff  bet  6.  ©atire 
»erlangte  gebieterifch  bie  flaffifche  ^)üQe",  fagt  er  (©.  182). 
Diefe  ©atire,  welche  für  fich  allein  — aÜerbingS  nadh  einet 
fpäteren  ©intheilung  — ein  Such  bilbet,  baS  jweite,  unb  bie 
man  wegen  beS  gewaltigen  ©rolleS  unb  ber  überftrömenben 
@rbiiterung,  bie  fich  in  ihr  offenbaren,  mit  einer  lang  anbauern« 
ben  »ulTanif^en  ©ruption  oerglei^en  fann,  bilbet  übrigens  einen 
SBenbepunft  in  bet  ©ntwicfelung  3u»enalS,  infofern  nämlich, 
als  anftatt  beS  lobernben  SorneS  immer  mehr  unb  mehr  in  ben 
noch  folgenben  brei  Süchern  bie  IRefleTion  »orwaltet  unb  auf 
©runb  einer  reichen  8ebenSerfahrung  bie  geftellteu  Jhemota 
befprochen  werben,  wenn  auch  noch  genug  feurige  fRafeten  em» 
porfteigen. 

2luS  bem  ©efagten  läfet  fich  hinlönglich  erfennen,  wie  3u« 
oenal  feine  ©toffe  behanbelte.  Swei  fünfte  aber  oerbienen 
noch  befonberS  hetoorgehoben  gu  werben.  3n»enal  befinbet  fich 
im  Sefi^e  aHet  fomifdhen  aJMttel,  bie  er  auch  reichlidh  an« 
wenbet,  um  feine  fchwer  »erbaulichen  ©peifen  3U  wüt3en;  unb 
ba  ihm  auch  baS  ©eftaltungSoermögen  innewohnt,  fo  mödhte 

(50«) 


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H7 


bte  Se^auptunj  nid^t  atlju  gewagt  etfc^einen,  ba§  et 

unter  anbern  Umftänben  etn  üotjuglic^et  Suftfpielbic^tet  ge- 
worben wäre,  ferner  beft^ränft  er  nicht  nur  auf  bie  nega» 
tioe  Äritit,  fonbern  3eigt  auch  fe^r  oft,  worin  ba8  {Rechte  be- 
gehe. ©0  gefd^ieht  bieS  ifehtere  3.  33.  in  bet  3ehnten  ©atire, 
in  bet  et  »on  ben  thörichten  SBünfchen  unb  ©ebeten  fpridbt  — 
ein  Shenw,  ba0,  wie  erwähnt,  auch  ^erfiuö  behanbelt.  ©egen 
ben  ©chlufe  hin  «8: 

©oH  man  fonach  um  nichts  benn  ffeh"?  SBenn  mt^)  bu  um  {Rath 

fragft, 

©teile  ben  ^immltfhen  felbft  ju  erwägen  anheim,  waS  am  meiften 
§ür  uns  pagt  unb  waS  fie  für  uns  am  nühlichften  holten. 

Statt  beS  Stgßhii<hP®”  werben  fie  ftetS  baS  ©ceignetfte  geben. 

2heuter  ift  ihnen  ber  SSJlenfch  als  biejer  ftch  felbft 

X,  346—350. 

SBet  aber  bitten  wiQ,  ber  bitte  um  wahrhaft  {Rühlicheä  unb 
©ute0: 

gleh’,  baß  bein  Äörper  gefunb  unb  gefunb  im  3?ßrpet  ber  ©eift  fei. 
SSitt’  um  ein  tapferes  .^erj,  baS  gur^t  nicht  fchrecft  ror  bem  Jobe, 
2)aS  in  beS  JDafeinS  äugerftem  3<el  ein  ©efchenf  ber  9iatur  fieht, 
Jegliche  ÜJlüh’  ju  ertragen  oetmag,  baS  nimmer  ber  Jähjom, 

9tie  bie  ©egierbe  behenfcht  — X,  356—360. 

©ie  be3eidhnenb  für  ben  2)ichter8!  Unb 

ebenfo  be3eichnenb  ift  bie  nachfolgenbe  ©etflchetung,  ba^  ni^t 
butch  ein  aufeethalb  beö  ÜRenfchen  ftehenbeS  ©dhicffal,  fonbern 
nur  butch  eigene  Äraft  unb  Jüdhtigfeit  bie  höthPcn  ©üter  beö 
8eben8  su  erlangen  feien. 

Supenal  fteht  ol8  SRarfftein  ba;  er  ift  nicht  nur  ber  lehte 
©atirifer  bet  {Römer,  fonbern  mit  ihm  fchliefet  audh  bie  ©e» 
fchichte  ber  tömifdhen  fDichtlunft  ab,  fo  weit  in  ihr  pon  ©eift 
unb  Originalität  bie  {Rebe  fein  fann. 

auch  wir  wollen  h^w  einen  9Rar!ftein  fehen.  ©teilen  wir 

(509) 


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38 


unfetc  brei  tSatirifcr  je^t  no(^  einmal  nebeneinanber,  fo  je^en 
wir  gwci  reib^e  SRönnet  unb  in  beten  SRitte  einen  armen. 
SBon  biefen  jwei  ^iännern  aber  befi^t  bet  eine  weltmännif(^e 
Sübung,  feine  ©Uten  unb  einen  umfaffenben  Slicf,  bet  weit 
übet  bie  ©rengen  fetneö  33aterlanbe8  ^inau8tei(^t : er  gehört  gu 
ben  Kosmopoliten  unb  wirb  in  allen  Sa^r^unbetten  non  ben 
©ebilbeten  oerftanben  werben.  'Der  anbeie  bagegen  ift  ber 
@o^n  feinet  Seit,  bie  i^n  netbittert  ^at,  unb  er  felbft  »ertieft 
fi^  noch  au^crbem  berartig  in  feine  ©timmung,  ba§  eS  itjm 
Rreube  macht,  gu  feiner  eigenen  ©enugt^uung  fo  recht  auS  bem 
IBotlen  heraus  feinen  ^^bfc^eu  bet  SBelt  gu  »etfünben.  IDet 
arme  SDlann  enblich  pth  “l’et  wir  hören  nur 

immer  baS  ©ptüchlein,  baS  et  in  ber  ©chule  gelernt  hat. 

Unb  nun  noch  ein  SBott.  5)ie  SBeltgefdhichte  burchgiehen 
rothe  gäben,  weldhe,  oft  in  bet  fernften  ^Vergangenheit  an» 
gelnüpft,  biS  in  bie  ©egenwart  h'neinrei^en.  ©o  lä§t  fi^ 
auch  ein  folchet  gaben  »on  bet  alten  ©atura  bis  auf  unfere 
Seiten  »erfolgen.  Unfet  .^anSwurft,  unfct  Kasperle  finb  Kinbet 
jener  Sage,  wo  bie  ©iebeuhügelftabt  noch  in  ber  SBiege  ober 
»ielmehr,  ba  biefeS  ehrwürbige  ©tüd  beS  ,^auSrathS  fo  giemlich 
»etfchwunben  ift,  im  Korbe  lag,  wenn  biefct  SluSbrucf  erlaubt 
ift,  ber  no^  nidht  in  gleicher  SBeife  wie  baS  äBort  .äBiege" 
»on  ber  ißoefie  umftrahlt  wirb.  Unb  au^  unfere  literarifche  ©atire 
in  äBort  unb  IBilb,  bie  im  i^aufe  ber  3ahrhunberte  bie  mannig» 
fachften  gönnen  angenommen  hat,  ift  nur  olS  eine  gortfe^ung 
jener  luftigen  ©piele  StalienS  angufehen,  wie  fie  in  ähnt^'i^ 
aöeife  baS  33olf  in  feiner  gröhli^feit  an  ©mtefeften,  Kirmeffen 
ba  unb  bort,  befonberS  in  folgen  ©egenben,  bie  etwas  abfeitS 
»om  großen  SBeltoerfehre  liegen,  gleichfam  auS  IRa^e  gegen  bie 
üothergehcnbe  Seit  bet  ^lage  unb  Slrbeit  noch  he«tgutage  auffuhrt. 

(5W) 


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39 


^mnerhnitQen. 

1)  ^aulp'8  9JcaI*6nc9cI.  unter  „Satire". 

2)  So  .^ermann  Sri^fc^e  in  feiner  9(u6flabe  „be«  Q.  ^eratiufi 
Slaccu«  Sermonen",  (Sinl.  p.  11.,  3tnm.  1.  Eerfelbe  überfe^t  satura 
mit  „bie  gulle"  unb  erinnert  an  SBötter  toie  fabula,  fama  non  fa-  wie 
4>aT<;  Bon  <j)ct  unb  an  grietffifcfje  Subftantina  gen.  fern,  wie  vpyr„ 
bie  9täffe. 

3)  3)ie  gefleenninen  ftnb  benannt  nae^  bem  Drte  i^rer  (Sntftel^ung, 

ber  Stabt  Fescennium  (ober  aud>  Fescennia)  in  (Strurien,  fo  wie 
gleic^faU«  bie  ÄteHanen  nac^  ber  Stabt  Atella  in  Sampanien.  23ie 
9Jlimen,  bei  ben  fRSmern  (aud)  bei  ben  ©riechen  gab  eä  foldje)  in  Unter- 
Italien  (magna  Graecia)  juerft  aufgefü^rt,  ^aben  iljren  Flamen  Bon 
berbtomif(^en  fJtadja^mungen  au8  bem  ?eben.  Diomedes:  (mimus)  a 
Graecia  ita  definitua;  ,uT^o's  e«-Ti(v')  /xlfx)^(ni;  ßlou  t«  tc  ruyxey^wpyi/ue'fct 
xai  p*iT<t  nepiey^wv. 

4)  Hör.  Ep.  II.,  156—157: 

Graecia  capta  ferura  victorem  cepit  et  artea 
Intulit  agreati  Latio. 

5)  Heber  ben  6influ§  be8  ©riechen  9Henippu8  auf  bie  remift^e 
Satire  f.  grifefifie  a.  a.  O.  p.  23  ff. 

6)  Sat.  I,  4,  6 — 13.  8uciliu8  me^rfad)  erwdf)nt  in  Sat.  I,  10 
unb  II,  1. 

7)  Sat.  I,  4,  1—5: 

Eupolia  atqne  Cratinua  Ariatophaneaqiie  poetae 
Atque  alii,  quorum  comoedia  priaca  virorum  eat, 

Si  quia  erat  dignua  deacribi,  quod  malua  ac  für, 

Qnod  moechua  foret  aut  aicariua  aut  alioqui 
Pamoaua,  multa  cum  libertate  notabant. 

8)  2Bir  ^aben  ^loraj  nur  al8  Satirifer  beurt^eilen.  26a8  er 
fonft  no(f)  gefe^rieben  ^at  — feine  4 iBüc^cr  Iprifcfie  ©ebi(f)te,  ba8 
carmen  aaeculare,  bie  Samben  ober  (Spoben  unb  bie  2 Sucher  Sriefc 
— fommt  l^ierbei  nid^t  in  33etra(^t. 

9)  2)iefe  neue  Äunftric^tung  (teilte  fid;  in  jc^roffen  ©egenfa^  ju 

(511) 


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40 


ber  großen  2Raf|e  bc6  ^ubltfumfl,  ben  35ilettanten  unb  btn  Sütert^ümltrn. 
3(m  i4)ärfften  pnbet  |i(^  berfelbc  au8gefproc^oi  in  ^)or.  (5p.  II,  1. 

10)  2)ic  Ueberfe^ungen  finb  jumcift  Scbetletn  unb  SMnbet  (^)oraj) 
unb  Jeuffel  (^crftuS  unb  Suoenal)  tntnommra. 

1 1)  SBil^.  ©igm.  Jeuffel,  05^araftfriftif  be«  ^)craj.  ?etpjig,  Dtto 
SBtganb,  1842. 

12)  ©.  befonberS  ©at.  I,  4.  6.  lü.  II,  1. 

13)  ©at.  I,  6 enthält  bte  treffenbfte  ©(^ilberung  ber  greuben 
feinea  ?anblebenS.  ©.  ferner  (5pob.  II. 

14)  4>or.  ©at.  11,  3. 

15)  2)aju  noch  golgenbe«:  3n  Serggiefe^übel,  einem  ©täbtdjen 
©ac^fen«,  finbet  fiep  in  bem  fogenannten  i})Detengange  eine  Stifeprift 
folgenben  3npalt8,  beren  SSetfaffer  Äarl  griebritp  Slpeobor  SBinfler  ift, 
weldjer  fiep  al8  ©epriftfteller  Sipeobor  ^>etl  nannte: 

35er  ©nnger  frommen  ?ieb8,  ber  peitre  gabelbiepter, 

Unb  2)cutfeplanb8  Suuenal,  ber  feine  ©ittenriepter, 

Sie  pflegten  pier  ju  rupn  naep  3wiefpwtp  «nft  unb  traut. 

9toep  tönet  ©eKcrta  9iupm  unb  IHabenerS  9Iapme  laut. 

Äuf  iprem  ©epottenftp  lagt  iprem  Ängebenfen 
Uns  treue  35anfbarfeit  }ur  @pre  S)eutfeplanb6  fepenlen. 

1765.  Speobor  ^eO. 

16)  3>gl.  baju  3u»-  ®»t.  III,  9 unb  VII,  36—47.  — Ueber 
biefe  SRecitationen,  »elepe  ju  einer  üRobetranfpeit  gettorben  waren,  maept 
fiep  auep  ^oraj  ©at.  I,  4,  73—78  luftig. 

1 7)  Silan  pat  mit  Unreept  bem  3ut>enal  ein  römifepeft  unb  fhtliepet 
3beal  abfpreepen  wollen  (SJemparbp,  ©runbri^  ber  römifepen  8itteratur*) 
p.  609  unb  Ä.  D.  SllüHer,  ©rieepifepe  i?iteraturgefepiepte  l.,  239  A.) 
Um  fiep  con  ber  ©runblorigfeit  biefer  Slnfupt,  welepe  überpaupt  bie  Se* 
reeptigung  be«  3u»fnal  al8  ©atirifer  im  eigentlicpen  ©inne  be8  SBortea 
in  gtage  (teilen  würbe,  ju  überjeugen,  lefe  man  folgenbe  ©teilen: 
I,  94—95.  II,  73-74.  III,  312—314.  VI,  1—10;  265  — 267; 
287  — 291;  335  — 337;  342  — 345.  VII,  210—212.  VIII,  98  bi« 
99.  X,  298  — 299.  XI,  77  — 119.  XlII,  53  — 59.  XIV,  160  bi« 
171;  179  — 189;  316-320.  XV,  166—168;  171-174. 

18)  Dtto  aiibbeel,  ber  eepte  unb  ber  uneepte  Subtnal.  S3erlin, 
©uttentag  1865. 


(513) 

Ituif  fcn  ®ebi.  Uitgft  (H-  ®timm),  ®trlra  SW.,  &<b6»«b«rjnHr.  IJ  «. 


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Vas  Brot 

unb  beffcn  öiätcttfcl^cr  IDertt? 


3?  0 r t r a ß 

Don 

3Srot-  Dr.  3.  tttfrlmann, 

in  SRoftocf. 


ßttlln  SW.  1884. 

Si^eilag  Don  @arl 

(C.  täintt|*Jiii(  SitiagibniiilitDMaag.) 
38.  üBil^clai  • ettagc  83. 


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^0^  bet  Ueberfefeung  in  ftembe  ©prad)en  roirb  oorbe^alten. 


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^Benn  eS  eine  S^atjac^e  ift,  ba§  bte  9(rt  unb  äBeife  ber 
@rnä^rung  ben  größten  @influ§  auf  ben  @e(unb^eitSjuftanb, 
bie  ^eiftungd«  unb  SBiberftanbefä^igfeit  bed  9}lenf(^en  auSübt, 
fo  tnu§  eS  Don  ganj  bcfonberer  SBicbtigfeit  fein,  ben  biätetifdben 
SBertb  bed  8roteS  nä^er  {ennen  gu  lernen.  2)enn,  bet  aQen 
Stationen  unferet  gemäfeigten  3one  »erbreitet,  ift  e§  baß  »or« 
nebmfte  SRa^mngßmittel  für  Scbermann,  für  SfJeid)  unb  Slrni, 
für  ^o(b  unb  9liebrig,  für  3uug  unb  2(U.  @8  bitbet  bie  @runb» 
läge  bet  ganjcn  (ätnä^rung,  fel^lt  ni(bt  SKorgenS  auf  bem  Stifte, 
ni^t  fUUttagß  unb  nicht  Sibenbß,  begleitet  ben  Arbeiter  bei 
feinem  Jagewerfe,  baß  Äinb  gut  ©^ule,  ben  9fletfenben  auf 
feinen  fBanberungen,  unb  ift,  obgleich  täglich  Qcnoffen,  hoch 
ftetß  in  glei^em  fDia^e  beliebt  unb  begehrt.  6in  fRahtungß» 
mittet,  metcheß  eine  fo  gto^e  0iotle  im  .^außhatte  bet  fDienfchen 
f^iett,  oetbient  eß  in  bet  Slhai»  ha§  man  mit  ihm  unb  feinem 
biätetifchen  SBeethe,  feinem  @influ§  auf  bie  Qiefunbheit  fich  ein* 
gehenb  befchäftigt.  3tu^  für  ben  fRichtargt  Hegt  h*crgu  hin* 
reichenbe  ÜBerantaffung  vor,  ba  eß  ihm  hoch  nicht  gieichgüttig 
fein  fann,  gu  erfahren,  uetcheß  93rot  baß  nahthaftefte , baß  am 
teichteften  verbautiche,  baß  gefunbefte  ift. 

SBotlen  mir  nun  ben  biätetifchen  Süßerth  beß  genannten 
fRahrungßmittetß  tintig  abfehä^en,  fo  müffen  wir  vor  Sltlem 
bie  chemifche  Sufnmmenfe^ung  unb  bie  äSerbautichfeit  beffetben 
fennen,  b.  h-  wit  müffen  »iffen,  weiche  fRähtftoffe  c8  enthätt, 

XIX.  446.  . 1*  (Mi) 


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4 


in  welchem  Set^ältnil  biefdben  unter  einanbet  fteben  unb  toie 
fie  vom  inenf(^({(^en  Digant6mu8  auSgenu^t  werben.  ' 9Iuf  aDe 
biefe  fünfte  werbe  id^  beS^alb  beS  (Räderen  einge^en.^ 

!Die  (bemif^e  Sufammenie^ung  beS  SroteS  int  ^Dgentetnett 
unb  ber  (bemifdbe  Unterftbieb  ber  einzelnen  Slrten  be8(el6en  tm 
Sefonberen  wirb  am  lei^teften  rerftänblt(b , wenn  man  fi(b  ein 
33ilb  nom  Saue  unb  non  ben  SeftanbtbeUen  be8  ©etreibefomeS 
jn  verfcbaffen  fucbt.  3)ie8  Untere,  mag  e8  ba8jentge  be8 
9ioggen8  ober  S8ct3en8  fein,  wirb  non  einer,  in  mebrere  @<bi«b*<« 
getlegbaren  ge(b«bräunli^en  .^ant  umgeben,  welche  au8  bem 
für  SJlenfcben  faft  unoerbaulicben,  ?5flan3en3elIftoff, 

ber  fog.  ßellulofe,  beftebt  unb  bie  ©runbmaffe  ber  Äleie 
bilbet.  9In  biefe  äußere  ^>üOe  fd)lie|t  ficb  nach  innen  bie 
wichtige  ^leberfcbicbt  an,  welche  au8  einer  einfaAen  0ieibe 
grober,  bicbt  an  einanber  gelagerter  SeOen  3ufammengefe9t  ift. 
Bebtere  enthalten  innerhalb  einer,  gleicbfan8  au8  3ellftoff  be= 
ftebenben,  3orten  ^fiCle  neben  fhariamen  ffetttröpf^en  3abllofe 
fleine,  runblicbe  fcbwach  gelblidb  gefärbte  J^crn^en.  lDie8  finb 
bie  .Rleberförncben;  Kleber  aber  ift  ein  @iwei§,  weldbe8 
nicht  blo8  febr  bebeutfam  al8  9fäbrftoff,  fonbern  auch  uunm» 
ganglicb  nötbig  ift  al8  Mittel  3ur  @r3eugung  ber  fiebrigen, 
eloftifchen,  ba8  Slufgeben  beförbemben  ©igenfchaft  be8  Srot* 
teigeS.  SRacb  innen  non  ber  Äleberfcbi<ht  liegt  ber  weifec 
SJicblfern,  bie  ^>aut)tmaffe  be8  gan3en  Äorn8.  ©8  beftebt  im 
Sßefentlichen  au8  ©tärfemebl,  beffen  äfügelchen  non  farblofen, 
bünnwanbigen  Sellbäuten  umfcbloffen  ftnb,  enthält  aber  auch 
no^  etwa8®iweib,  2)ej:trin,  ©ummi,  Sudfer  unb  ©alge, 
Sluberbem  finben  wir  im  ©etreibefom  nur  nodh  benÄeimling, 
welcher,  an  bem  einen  6nbe  feitwärtS  gebettet,  fowobl  ©tweib 
al8  f^ett  enthält. 

lDa8  5Roggen=  ober  SBei3enforn  bietet  un8  bemnadb  boljisen 
Sellftoff  (SeQuIofe),  ferner  Siweib,  fobann  ein  wenig  gett, 

(516) 


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5 


oiel  ®tärfemet)l,  einige  anbete  biefem  na^e  »erttanbte  ^o^le: 
bpbrate  unb  enblic^  ©al^e,  untet  n>e(d)en  leiteten,  »ie  ^iet  I}in:: 
gugefügt  metben  mag,  bejonberS  ^alioetbinbungen  mit 
fdure  notmiegen.  2)ad  93etbältni§  bet  einzelnen  9iäbr^offe  gu 
einanbet  ergiebt  fi^  and  folgenber  BufammenfteOung: 

^Dag  SBeigenfotn  b^t  in  100  Slbeilen  burcbfdbnittlidb 
ein>ei§artige  ©ubftang  = 13  5lbeile 

gett  «=  1 ^ 

©tärfemebl  =65  „ i alfo  nerbaulidje  itoble» 

JDettrin,  ©ummt  u.  Burf«  = 7,5  „ j bpbrate  = 72,5  ütbeile- 

@a[ge  = 1,5  „ 

3eUftoff  = 1,5  „ 

Söaffet  = 10,5  „ 

2)ad  3}erbä(tni§  beS  ©imei^ed  gu  bet  ©efammtmaf|e  ber 
^oblebpbrate  ift  bemnad)  im  SBeigenfotn  etwa  wie  1 : 5,6. 

S)aS  dioggenfotn  geigt  eine  gang  äbnli(be  Bufammen^ 
fe^ung;  botb  ift  jein  ©ebalt  an  6iwei§  (12,5  p(5t.)  ein  wenig 
geringer,  an  BeDftoff  (2  p6t.)  etwas  größer,  als  im  SBeigenforn. 
löemerfenSmertb  bürjte  aber  fein,  ba§  baS  6iwei§  beS  leiteten 
gu  einem  bebeutenberen  2(ntbeil  alS  bei  erfterem  auS  Kleber 
bejtebt;  ein  Umjtanb,  welcher  gewiffe,  bemnäcbft  weiter  gu  be< 
jprecbenbe  53orguge  beS  SSBeigenbroteS  leicht  erflärt.*) 

S3eim  jlltabirn  jutbt  man  nun  gunächjt  eine  mögli^ft  gute 
Berfleinerung  beS  ^omeS  unb  au§erbem  eine  2lbjcheibung  beS 
unuerbaulichen , gejchmacflojen  B^llftoffeS  gu  ergielen.  Um  jo 
»otlftänbiger  S3eibeS  erreicht  wirb,  bejto  feiner  unb  wei|er  ift 
baS  gewonnene  fDiebl.  Seiber  bittet  aber  bie  ungemein  wichtige 
Kleber jchicht  giemlid)  feft  an  ber  äußeren  ,f)üQe,  unb  jo  fommt 
eS,  ba§  mit  leitetet  ftetS  auch  ÄlebergcQen  abgetrennt  werben, 
©ine  oöQig  fieberfreie  Äleie  giebt  eS  gut  B«t  noch  nicht,  jo 
jebr  man  fich  auch  bemühte,  fie  be<^2ufteOrn,  unb  jo  bebeutjam 
auch  bie  33erbefjerungen  finb,  welche  bie  SKuDerei  in  ben  lebten 

CM?) 


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6 


Sauren  erfahren  ^nt.  IDie  bteier  Se^auptuag  lö§t 

ftc^  leicht  erweifen.  @in  S3li^  but^’d  SJlifroffop  geigt  und, 
ba§  faft  an  jebem  j^leieftüdt^en  fteinere  ober  größere  ^aitteen 
bet  leicht  gu  etfennenben  J(Iebet)c^id)t  haften,  unb  auch  bte 
(^emifdje  Prüfung  ergiebt,  bofe  Äieie  noc^  gu  14 — 15  p6t.  ihrer 
9)iaf|e  aud  @ituei^  befteht.  Bit  muffen  alfo  thatfächUd;  bie 
^jlbtrennung  bed  für  und  SRenfcben  burcbaud  nu^Iofen  SeQftoffS 
mit  bem  SSetlufte  eined  recht  erheblichen  f<h^  werth<= 

Doöen  ÄlebcTd  etfaufen,  ober  muffen,  um  Unteren  in  feinet 
gangen  SRenge  gu  erhalten,  ben  nicht  ndhrenben  SeOftoff  mit= 
nehmen. 

Sud  ber  Slhatfache,  bah  bie  .^aupteimeihmaffe  brd  ©etreibe: 
focned  nahe  ber  Dbeifläche  beffelben  ftch  befinbet  unb  ber 
äuheten  .^aut  giemlich  feft  anhaftet,  erflört  ftch  übtigend  auch, 
bah  ^od  SRehl,  melched  ^(eie  enthält,  mehr  @imeih  führt,  ald 
bad  fleienfreie,  bah  au<h  bad  flJiehl  um  fo  ärmer  an  ätleber, 
unb  um  fo  reicher  an  ®tärfe  ift,  je  feiner  unb  meiher  ed  fich 
Ijräfentirt.  Da  bied  nicht  genügenb  beachtet  mirb  — oerlangt 
hoch  ber  Bohlhabenbe  faft  burchioeg  ein  mdgli^ft  toeihed  @e> 
bäd  — , fo  laffe  ich  hic^^  befferen  3üuftration  bed  @efagten 
bad  @rgebnih  ber  chemif^en  Unterfuchung  oerfchiebener  flRehU 
arten  folgen: 


(^inetg 

(Stärfemebl 

Beigenmehl  aud  bem  gangen  .^orn  h<>t 

13  p6t. 

65  p6t. 

„ mittelfeined  „ 

11,3  , 

66,5  „ 

„ feinfted 

8,9  „ 

69,0  „ 

IRoggenmehl  aud  bem  gangen  .^om  hat 

12,5  , 

63,0  , 

„ mittelfeined  „ 

11,1  . 

64,0  , 

„ feinfted  „ 

9,6  „ 

66,0  . 

DiefeSahlen  (ehren  bie  Slichtigfeit  beffen,  »ad  foeben  behauptet 
mürbe.  SOerbingd  wirb  fich  bei  näheret  Betrachtung  ergeben, 

bah  biefem  h^h^^^n  @ehalte  bed  groben  fDtehled  an  @imeih 

(»1») 


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7 


buT(^au0  nic^t  ein  grö^etet  p^pftoiogifc^er  9lä^rweTt^  entfprid^t^ 
ba§  e0  melmet)t  jmedmälig  eric^eint,  tnenigftenS  auf  ben 
bf«  6i»eife  3u  üergtc^ten,  bet  ni(^t  o^ne  bie  gröbere  (äellulofc 
gu  haben  ift  unb  ihn  lieber  gu  anberetn  S^ecfe,  al0  für  bie 
menjchliche  Ernährung,  gu  nerwerthen.  9(ber  eö  brängt  fid) 
hoch  baneben  ber  @ebanfe  immer  miebet  auf,  ba§  man  fe^t 
niedeicbt  in  ber  ÜluSfd^eibung  bet  geUftoffigen  Sefianbtheile  all^ 
gumeit  gehe,  bah  eö  rationeQer  fein  möge,  ein  mUtelfeineö  alö 
ein  feht  feines  fDieht  gur^^erftedung  beS  93roteS  gu  benu^en. 
3d)  merbe  h^^i^auf  meiter  unten  noch  einmal  gurüdfommen, 
wenn  uon  ber  SJerbaulichfeit  unfeteö  dlahrungömittelS  bie  fRebe  ift. 

diachbem  bie  Sufammenfe^ung  beS  dRehleS  befptochen  würbe, 
fod  nunmehr  bie  SBeteitung  beö  Sroteö  in  fo  weit  erörtert 
werben,  al8  für  unfere  Swecfe  nöthig  erfdheint.  Die  Äunft  biefer 
Bubereitung  ift  ungemein  alt;  ader  SBabrfcheinlichfeit  nach 
ftammt  fie  au8  bem  diUlanbc  unb  würbe  oon  bort  anberen 
iBölfetn  übermittelt.  Urfptünglich  ah  man  baS  grob  gerfleinerte 
(iietteibefotn  auöfdhliehlich  in  gorm  eineö  S3teie0  unb  einer 
@uppe,  wie  bieS  bei  ben  alten  Deutfchen  beftimmt  noch  gu 
SSnfang  unferct  Beitrechnung  ber  gad  war.  @rft  fpdter  ol0 
bie  Sereitung  biefer  eben  genannten  Speifen  lernte  man  ba0 
ungefäuerte,  noch  fpäter  ba0  gefäuerte  93rot  hetfteden.  ISie 
fehr  biefe  neue  ^nft  im  Sllterthum  gefchöht  würbe,  geht  beutli^ 
genug  au0  ber  ^hatfache  heroor,  bah  ntan  fie  al0  ba0  @^ef(hent 
eines  @otte0,  bei  ben  ©riechen  be0  DionpfoS,  bei  bendtömem 
be0  ^an,  betrachtete.  Unb  in  SBahrheit,  fie  burfte  wohl  al0 
eine  werthoode  ©abe  angejehen  werben,  ba  bet  SBohlgefdhmad 
be0  S3toteS  ein  fo  auherorbentlich  oiel  befferet  war,  al0  bet 
be0  I3reie0  unb  ber  ddehlfuppe.  Da0  war  eben  ber  grohe 
Bortfehritt,  bah  man  gelernt  hatte,  ben  Snhalt  bc0  ©etreibe» 
fotneö  gu  einer  Sebermann  auch  auf  bie  Dauer  gufagenben, 
leicht  oetbaulichen  ©peife  gu  oerarbeiten. 

(419) 


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8 


@e^en  »it  gu,  auf  »eld^e  SBeife,  bur(^  »eldje  SKittel  man 
bie«  ergielte  unb  nod)  ergielt.  2)ie  erfte  Operation  ift  befannt= 
lid)  bie  Stlbung  beö  Jeige«.  JDiefen  leiteten  bereitet  mon, 
inbem  man  baS  @etreibemel)l  mit  SBaffer  ober  3Ril(^  gleidb» 
mä§ig  »ermengt.  SBtrb  eine  fol(^e  ÜJlaffe  rafc^  perbatfen,  fo 
befommt  man  ein  menig  fc^macf^afteS,  ungefäuerted,  fefteö  b.  i). 
f(^ma(^poröfed  SSrot,  melc^ee  etmaS,  aber  nid^t  oiel  per  baulicher 
ift,  aie  ein  SHe^Ibrei.  @in  anbered  unb  ungleich  beffered  9iab= 
rungdmittel  erhält  man,  menn  ber  S^eig  Pot  bem  S3acfen  auf^ 
gelodert,  poröd  gemacht  wirb,  wie  bied  je^t  allgemein  gefchieht- 
3n  bet  Siegel  perwenbet  man  gu  folchem  3»ede  einen  fog. 
©ähtungderteget,  nämlidh  ^)efe  ober  ©auerteig.  2)er  erftere 
ift  ein  Konglomerat  mifroffopifcher  Slädcpen,  ber  .^efegeUen, 
welche  bei  angemeffenet  Temperatur  eine  ©ähtung  bed  Swclerd, 
b.  h>  eine  Umwanblung  beffelben  in  ^2ilfohol  unb  ^ohlenfäure 
gu  SBege  bringen.  Der  ©auerteig  aber  ift  alter  Teig,  in 
welchem  bereitd  ,^efegellen  unb  nebenher  butch  ^nfieblung  aud 
ber  lJuft  noch  anbere  fleine,  bie  fog.  fOiilch»  unb  ®jfigfäute= 
gährung  bebingenbe  Organidmen  fich  befinben.  ©ein  Sufa^ 
gu  bem  frifdhen  Teige  ruft  bedhalb  nicht  blöd  eine  Umwanblung 
bed  Suderd  in  Slfohol  unb  ^ohlenfäute,  fonbern  auch  Pie  SiU 
bung  pon  9)iilch=  unb  Kffigfäure  hetuor-  @p  erflärt  ee  ficb 
ohne  SBeitered,  wedhalb  bad  {)efenbrot  nicht  fäuetlich,  bad  mit 
©auerteig  bereitete  aber  jäuerlich  fchmedt. 

31lfo  mon  nimmt  9Jiehl,  SBaffet  ober  ÜJUlch,  je^t  gur  Kr» 
gielung  größerer  ©chmadhaftigfcit  unb  gtöfeeret  J^oltbarteit  Ped 
l^roted  etwad  ^ochfalg  hiugu,  mengt  ben  ©ährungderreger  bei 
unb  fnetet  forgfam  burch.  IDiejed  leitete  follte  )d)on  aud  Siein« 
lichfeitdrudfithten  ftetd  mit  ben  bereite  oot  100  Sahten  etfunbenen 
unb  feitbem  ungemein  nerbefferten  .Knetmafchinen*)  bewert» 
ftelligt  werben.  Slber  auch  bie  {Rüdficht  auf  mßglichft  gute 
Dualität  bed  ©rotee  lä^t  bie  ©erwenbung  biefer  Apparate 

(420) 


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btingenb  isünfcibendwert^  erfcbeinen,  ba  fte  eine  niel  gleich» 
mäßigere  2)ui(^atbeitung  bed  Sleiged  unb  beS  ©ä^tungdeTregerd 
betnirfen.  üu^etbetn  erfpart  iljr  ©ebraud)  viele  Seit  unb  viele 
8ltbeit,  fo  ba§  eS  jvgar  im  eigenen  Sntereffe  ber  S3äder  liegen 
würbe,  fid}  i^rer  gu  bebienen. 

5)ie  fertige  Seigmaffe  wirb  nun  ber  Sdrme  ouflgefefet; 
benn  nur  bei  angemeffener  Sem^eratur  finbet,  wie  f^on  gefagt, 
eine  SBirfung  ber  @äbtungderreger  ftatt.  Sllbbann  veränbert 
ficb  gunäd)ft  unter  bem  @influ[fe  eines  befonberen,  ber  3Ralg= 
biaftafe  ä^nlidben  SetmenteS,  wabrfcbeinlid)  beS  @erealin,  ein 
Jljeil  ber  ©tärfe  bcS  üJle^leS  in  SDejrtrin,  weiterhin  in  Suder, 
richtiger  in  9Kaltofe.  SDiefe  unb  ber  fcbon  von  vornherein 
vothanbene  Suder  wirb  bann  burd|  bie  ^hütigfeit  ber  ,^efegellen 
fei  eS  ber  .^efe  ober  beS  Sauerteigs  in  Sllfohol  unb  bie  luft=’ 
artige  ^ohlenfäure  umgewanbelt.  äSeibe  ^robufte  ber  @ährung 
würben  frei  entweichen,  wenn  nicht  ber  Seig  bie  gühid^ctt  be> 
föße  fie,  inSbefonbere  bie  33lafen  ber  ÄohlenfSure  gurüdguhalten. 
JDet  Sleig  verbanlt  bieje  gähigfeit  aber  lebiglich  feinem  ©ehalt 
an  Kleber,  i^e^terer  binbet  einen  erheblichen  Slheil  beS  ju- 
gefe^ten  SöafferS,  quillt  burch  baffelbe  auf  unb  wirb  fiebrig. 
Söenn  bann  in  golge  ber  ©öhrung  lölajen  von  Äohlenföute 
fich  entwideln,  fo  fönnen  biefe  ben  elaftifchen  5leig  nicht  butch° 
brechen;  fie  blähen  ihn  nur  auf,  erfüllen  ihn  mit  jenen  IBlafen 
unb  lodern  ihn  auf  biefe  SBeife.  Sehn  Äilogramm  Söeigenmehl 
vermögen  nicht  weniger  als  45  000  ^'ubifcentimeter,  baS  finb 
45  Eiter  Äohlenfäure  gu  liefern,  welche  bann  in  ber  Eeigmaffe 
^la^  fudhen.  IDie  ^<Hufloderung  ber  legieren  ift  um  fo  bcbeu^: 
tenber,  je  gro§er  ihre  Älebrigfeit  unb  @lafticität  ift;  biefe  aber 
hängt  ihrerfeits  ab  non  bem  größeren  ober  geringeren  Otehalte 
beS  ÜJiehleS  an  gefunbem  Älebet.  Deshalb  liefert  SBeigenmehl, 
welches  nach  bem  früher  Oiefagteu  am  fleberreichften  ift,  baS 


10 


poTÖjefte  @ebä(f,  unb  aud  bemfelben  @)runbe  lägt  fidb 
tne^I,  iseil  fteberatm,  3U1  93iotbereitung  mentg  t>erwert^en. 

Sei  biefem  Soigange  ber  Üluflotferung,  tveld^er  ungemein 
micgtig  ift,  meil  bie  Setbauli^feit  bed  SadmerfS  in  geiabem 
Set^ällnig  ju  leinet  ^orofität  fte^t,  büfet  ba0  jum  Jetge  »et* 
manbte  9Jlebl  etwa  1,2 — 2,0  t)6t.  feines  ©ewic^teS  ein.  @0 
»iel  gebt  eben  in  üllfobol  unb  ,^oblenjäute  über,  bie  fpdter  fid) 
»etflücbtigen.  SJtan  bat  beSbalb  »ielfadl  einen  Setjudb  gemacht, 
biegodetung  burcb  anbete  ÜlUttei  gu  et3ielen,  welche  bemSReble 
9ticbtS  ent3ieben,  unö  alfo  jene  @inbuge  etfpaten.  3.  »•  8iebig 
berechnete,  bag  man  bei  Setmeibung  ber  (egteren  in  Seutfchlanb 
täglich  200000  *J)funb  mehr,  baS  b«<fet  9tabrung  für 

400000  ü)tenjchen  gewinnen  würbe,  |elbft  wenn  man  lebiglich 
einen  ©äbrungSDerluft  »on  1 p©t.  annäbnie.*)  ©c  fdglug  auS 
biefem  ©runbe  »or,  bem  Jeige  foblenfaureS  Platten  unb  @al3» 
fäure  3U3ufegen,  beten  SJlifchung  bann  im  Sleige  Äoblenfäurc 
entwideln  würbe,  ©leichen  3i»ed  »erfolgt  bie  3ugabe  beS 
.^orSforb*8iebig'f chen  SadpuIoerS,  baS  auS  faurem  t>ba^= 
hbotfaurem  Äalf  unb  bohpeltfcblenfaurem  9tatron  beftebenb  im 
!£eige  baS  Steiwerben  ber  j^oblenfäure  3ur  $olge  bai-  @i>r  ®e* 
mifch  »on  bem  nämlichen  9iatronfal3  unb  ^einfteinfäure  mit 
etwas  ^ebl  unb  ^teie  fommt  in  Slmerifa  unb  ©nglanb  als 
Yeast-powder,  .^efepuloet,  ab  unb  3uin  Stnwenbung,  um 
ebenfalls  burch  ©ntwidlung  »on  .^oblenfäure  ben  STeig  auf* 
3ulcdern. 

©togen  'jlnflang  haben  aQe  biefe  SlUttel  bislang  ni^t  ge* 
funben,  3um  ^b^'t  it’sbl  beSgalb,  weil  fie  bem  Srote  einen  eigen* 
tbümli^en,  nicht  3rbem  gufagenben  ©efchmad  ertbeilen,  3um 
^beH  aber  beSbalb,  weil  ihre  Serwenbung  eine  5Reuerung  war, 
ber  baS  Sädergewerbe  überhaupt,  wie  eS  fcheint,  recht  wenig  3U* 
getban  ift.  ‘Jluch  biente  eS  nicht  gerabe  3U  ihrer  ©mpfeblung, 
bog  fie  gar  nicht  feiten  bei  fa^perftänbiger  ?)tüfung  als  unrein, 

(iM) 


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11 


ja  als  gifthaltig  befunben  mutben.  (Dagegen  fcbeint  baS  finn* 
reiche  93eifahten  non  (Dauglifh  allmählich  mehr  S3oben  ju  ge» 
minnen.  (Diefei  englifche  IHijt  fchlug  nämlich  not,  bie  J^ohlen» 
fduie,  beten  man  jur  Suflodetung  bebütfe,  in  einem  befonbeten 
Apparate  3U  entmicfeln,  bann  in  äBaffet  bineinjupteffen,  le^teted 
in  einem  gefchloffenen  93ehältet  innig  mit  bem  fDlehle  ju  einem 
Seige  gu  mengen  unb  biefen  nunmehr  pottionemeife  anbtretcn 
gu  taffen,  um  ihn  gu  bacfen.  hat  biefe  OJlethobe  ben  jehr 
fchä^endmerthen  IBbrgug,  ba|  fie  unenblich  nie!  fauberer  ift,  aI8 
bie  gemöhnliche;  bagu  tommt  noch,  bei  ihrer  !Jinmenbung 
baö  SBrot  binnen  onberthalb  ©tunben  fertig  gefteOt  werben  fann, 
bah  eö  in  golge  bet  ©rfparung  »on  .^änbearbeit  billiget  ift 
unb  ein  fchöneö  auSfehen,  fowie  gleichmäßige  gocferung  geigt. 
(Doch  joQ  nicht  ootl  fo  fchmadhaft  fein,  wie  bad  mit  @ährungS» 
enegern  hergeftellte.  (Der  SJiehrgewinn,  welcher  noch  ^em  S3er» 
fahren  »on  (Dauglifh  an  SBacfwaaren  ergielt  wirb,  beträgt  1^  p6t. 
bii  2 p6t.,  ift  bemnach  beim  ©roßbetriebe  gar  nicht  unbebeutenb. 
Um  fo  bringenber  fann  man  bie  Jperftellung  biefed  feg.  „agreted 
bread“  empfehlen,  welches  in  Bonbon  recht  beliebt  fein  fotl, 
übrigens  auch  bereits  in  eingelnen  @roßftäbten  beS  (Kontinents 
fäuflich  ift- 

.jpat  man  nun  ben  £eig,  gleichoiel  burch  welches  fUUttel, 
aufgelocfert,  fo  wirb  er  geformt  unb  bann  »erbaefen.  Se^tereS 
erfolgt  bei  einet  demperatur  »on  160 — 200  ßentigraben  unb 
ruft  eine  IReihe  »on  SUeränberungen  in  bet  STeigmaffe 
welche  in  biätetifcher  S3egiehung  »on  fehr  grobem  Seetange  finb. 
Sunächft  behnen  fich  in  ber  .pi^e  bie  ^ohlenfäureblafen  auS, 
wie  bieS  ja  gang  natürlich  ift.  (Daburch  wirb  ber  Seig  noch 
etwas  loderet,  als  er  fchon  »othet  wor.  (Dann  »erflüchtigt  fich 
jenes  (KfaS  unb  mit  ihm  ber  größte  Sh^H  Slfohol.  (Die 
fDlenge  beS  leiteten,  welche  auf  biefem  SBege  entweicht,  ift  gar 
nicht  unbeträchtlich;  benn  100  g fDlaltofe  liefern  51,11  g Ifllfohol, 

(6JS) 


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12 


unb  barnac^  würben  bei  ^erftellung  eine§  SroteS  non  5 kg 
etwa  25  g tSlEs^ol  entfielen.  ®ra^am  ^at  berechnet,  ba§  aOetn 
in  Bonbon  bei  ber  Srotbereitung  jübtUcb  a»  13  !DHQionen 
l'iter  btejeS  viel  begehrten  @enu§mitteld  im  äüertbe  oon  nicht 
weniger  aie  6 9)iiQionen  ^larf  in  bte  Buft  entweichen,  ^h«!* 
jächlich  finb  auch  bereits  gahlreiche  S^erfuche  angefteüt  worben, 
um  wenigftenS  in  ben  großen  S3äcfereien  biefen  immerfort  nu^loS 
fich  oerflüchtigenben  SUtohoI  wieber  gu  gewinnen,  bis  je^t  leibet 
ohne  (Erfolg.  Vielleicht  gelingt  eS  aber  hoch  einmal  ber  raftloS 
fortfdhreitenben  £.echnif,  bieS  Problem  gu  löfen.  2>tn  Uebrigen 
entweicht  ber  Sllfohol  nid^t  ooQftänbig  auS  bem  Vrote;  ftifcheS 
Vrot  enthält  oon  ihm  nod)  etwa  ^ p6t.,  alteS  ^ feiner  SRaffe, 
fo  ba§  berjenige,  welcher  1 kg  frifcheS  Srot  geniest,  mit  bem* 
felben  noch  annähernb  3 g Sllfohol  einführt. 

Veben  Unterem  unb  ber  ^ohlenjäure  oerflüchtigt  fich  beim 
Vacfen  felbftoerftänblich  auch  ein  erheblicher  5lheil  beS  SßafferS. 
@uteS  Vrot  foll  baffelbe  nur  noch  gu  38 — 40  p6t.  enthalten. 
2lm  meiften  trocfnet  bie  Oberfläche  beS  SeigeS,  unb  baburch 
bilbet  fich  bie  Vinbe  ober  Prüfte,  bie  nur  etwa  16 — 20  t)6t. 
SEBaffer  enthält  unb  beShalb  felbftoerftänblich  reicher  an  Vähr* 
ftoffen  ift,  als  bie  Ärume, 

SBaö  ben  Äleber  anbelangt,  fo  oerliert  er  burd)  bie  Vacf* 
hi^e  feine  ^ähigEeit  gu  quellen  unb  feine  @lafticität.  @r  er« 
fcheint  in  gahllofe  graue  ober  graugelbliche  Streifen  gertheilt, 
welche  bie  ©tärfeförnchen  umfchliehen  unb  ift  transparent  ge< 
worben.  SBurbe  Sauerteig  gur  Währung  benuht,  fo  erfcheint 
ber  Äleber  nach  bem  Vacfen  bunfel,  unb  gwar  in  ^olge  einet 
@inwirfung  ber  @ffig*  refp.  SRilchfäure,  welche  fich  nach  jenem 
3ufah  bilben.  6in  berartig  bereitetes  SJrot  geigt,  weil  bet 
Äleber  gleichmäßig  oertheilt  ift,  eine  bunflere  garbe,  als  ein 
.jpefenbrot. 

Such  bie  @tärfeEöm^en  finb  burch  bie  ,^iße  oeränbert 

(W4) 


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13 


teorben : Suetft  quollen  fie  in  bet  ^et§en  ^eud^tiqfeit  auf,  bann 
gingen  fie  in  ben  fog.  IBerHeifterungSguflanb  übet  unb  nahmen 
bamit  bic  ©igenfd^aften  ber  loSli^en  ©tärfe  an.  JDie«  ifl  un* 
gemein  wichtig;  benn  bie  leitete  wirb  fe^r  oiel  leichter  oetbaut, 
ald  bie  gemobnlid^e  ©tätfe.  ift  aber  um  fo  mic^tiger,  al8 
bet  eben  genannte  9ld^rftoff  im  ®tote  quantitati»  bet  ^ernot» 
tagenbfte  ift,  unb  alö  et  in  bemfelben  mit  bem  @imei§e  innig 
»erflebt  notfommt.  SBürbe  et,  (bie  iStätfe,)  ft^met  oerbaut 
metben,  fo  mürben  bie  IDigefiionSfäfte  au^  3u  bem  J^lebet 
jdjmietiget  »otbringen  fSnnen,  ba  biefet  ja  nielfad^  »on  jener 
eng  umfc^loffen  ift.  2öit  müffen  alfo  jene  SBerönbetung  in  ber 
Sl)at  als  eine  fetjr  mefentti(^e  unb  belangreiche  anfehen. 

@in  2h^l  bet  @tätfe  geht  aber  bei  bet  ^i^e  in  IDertrin 
rcfp.  @ummi  übet  unb  mirb  au^  babutch  »etbanlichet.  SSon 
biefen  beiben  UmmanblungSprobucten  bitbet  fich  am  meiften  in 
bet  Siinbe,  meldhe  ber  ftärferen  ^)ihe  auBgefeht  ift.  iDer  ©lang 
ber  Oberfläche,  bad  fog.  S3lanfe  berf eiben,  rührt  eben  baoon 
her,  ba^  fi^  ©urnmi  in  bem  SBaffer,  mit  melchem  ber  93ärfet 
ba8  S3rot  noch  mährenb  beS  33etbacfen8  beftreicht,  rafch  auflöft 
unb  bann  beim  6introdnen  ber  Blüffigfeit  alB  ein  bünner, 
glängenbet  Uebetgug  gurüdtbleibt.  3n  bet  IRinbe  hüben  ft^ 
aber  in  Rolge  ber  ftarlen  ,^ihe  noch  onbere  bemerfenflroerthe 
^robucte.  2Bit  finben  in  ihr  nämlich  einen  btäunli^  gefärbten 
Surfer,  ben  fog.  ©otamel,  eine  burch  IRoften  eutftanbene  9Jio= 
bification  beB  im  Seige  oorhanbenen,  nicht  in  Sltfohol  unb 
Äohlenfäure  übergeführten  SurferS  unb  aufeerbem  nod)  ein  @e» 
mi)^  »on  anbermeitigen  0t5ftprobucten,  melche  aromatifcher  S^tatur 
finb.  35iefe  »etleihen  bet  Stinbe  ben  angenehmen,  Slphetit  et= 
regenben  ©erudh  unb  ©efdhmad;  bur^  bie  SBilbung  jeneB  6a* 
tamel  aber  erhält  fie  ihre  bräunliche  gatbe.  gelteren  fann  man 
leicht  butch  SluBgiehen  mit  SBaffet  geminnen;  bie  aromatifchen 
IRöftfubftangen  aber  ejrtrahirt  man  am  »oUftänbigften  burch  Slether. 

(526) 


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14 


©(Rüttelt  mon  jerflemerte  0fiinbe  ftorf  mit  bi«fer  ^löjftgfeit  unb 
tagt  fie  bann  nerbunften,  fo  erhält  man  einen  golbgelben,  öligen 
tRücfftanb,  weldber  ungemein  fröftig  unb  gwat  na^  frifdsem 
Srote  unb  gugleicg  ein  »enig,  mie  Slpfelgelee  riecht,  fi^wacb 
fäuerli(^  unb  red^t  piquantibitter  fdbmedt.  @ine  nähere  @töt< 
terung  bet  0flatur  biefer  SRöftprobuctc  gehört  ni(bt  ^ierget;  ba» 
gegen  bürfte  e8  nt(^t  über^üffig  fein,  gu  betonen,  bag  igre  9n« 
mefengeit  non  groger  S3ebeutung  ift,  weil  fie,  ägniicg  ben  @t« 
tractinftoffen  beö  Blcifdgeö,  alS  ®enugmittel  witfen,  bie  Slbfonbe« 
rung  bet  tBerbauungSfäfte  unb  baburcg  bie  Serbauung  felbft 
befötbctn. 

@ine  fegt  belangreiche  SBirfung  ergielt  bie  ^adgi^e  enblicg 
nocg  in  fo  fern,  al8  biefelbe  bie  germente  bet  @fftg*  unb  SRilcg» 
fäuregögtung , fowie  bie  ^efegellen  »crnidgtet  begw.  unwirffam 
madgt.  Sliefe,  wie  jene  erliegen  beftimmt  unb  ooQftänbig  einer 
Slemperatur,  wie  fie  in  bem  Sadofen  gerrfcgt,  oorauflgefegt, 
bag  fte  lange  genug  einwirft,  um  aucg  bis  inS  innere  beS 
SeigeS  norgubringen.  3a,  eS  genügt  bagu  fdgon  eine  ^ige  non 
100°  6-,  ba  überall  in  ber  9Raffe  nocg  geucgtigfeit  gugegen  ift, 
bie  ©ägrungSerteger  aber  in  geiger  Seucgtigfcit  eger,  alS  in 
trodner  ^ige  gu  ©runbe  gegen. 

Slucg  biefer  (Sffect  ift  ein  biätetifcg  fegt  bebeutfamcr.  IDenn, 
würben  bie  genannten  ©ägrungSeneger  nicgt  getöbtet,  fo  würben 
fte  au^  nodg  nacg  ©ntfemung  beS  SroteS  auS  bem  Dfen  igre 
Jgötigfeit  fortfegen,  baS  ©eböd  weiter  nerönbem  unb  felbft 
na^  bem  ©enuffe  im  IBcrbauungSfanal  beS  fUienfcgen  ©ägrungS> 
erfcgeinungcn  gernotrufen.  ^gatfädglicg  tritt  ja  SegtereS  ein, 
wenn  ein  nicgt  nötlig  gareS  93rot,  inSbefonbere  ein  angefcgobeneS 
geuoffen  würbe,  in  welchem,  wie  man  leidgt  nacgwetfen  fann, 
ber  Siegel  na^  bie  ,^efegellen  ni^t  burcgweg  unwirffam  gemacht 
finb,  unb  welcgeS  ficgerlich  in  §olge  beffen  fo  leidgt  ©obbrennen, 
©aSentwidelung  im  Silagen  u.  f.  w.  gu  SBege  bringt. 

(J»8) 


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15 


Daö  fertige  S3tot  l^at  nun  tm  allgemeinen  folgenbe  d^emifdfee 
Sufammenfe^ung: 

5n  100  Stl^eilen  finben  ft(%: 

6 — 7,5  ©imeifefubftonj, 

50—53  „ (Stfitfe,  @ummi,  IDejctrin  unb  3urfw, 

0,5-1  „ gett. 

1,5  H ©olje, 

0,3 — 1,5  „ ßeHulofe, 

36 — 40  „ SBaffer. 

©robed  unb  feineg  3Beijenbrot  ^aben  ein  menig  me^r  @i> 
wei^,  olg  gtobeg  unb  feineg  {Roggenbrot,  grobeg  Srot  überhaupt 
me^r  6tmei&  alg  feineg.  SRiltbbrot  ift  in  golge  beg  3ufa^cg 
»on  ÜRUdb  jum  SReble  eiwei§»  fett»  unb  gutferl^altiger,  olg  ein 
mit  SBoffer  bereiteteg.  SBefentli(be  abweid^ungen  »on  ben  fo 
eben  notirten  Biffei«  jcigt  aber  bie  3ufammenfe^uug  feiner  un= 
ferer  gemö^nlid^en  Srotarten.  {Rur  ber  3»iebacf,  ein  toie 
ber  {Rame  fagt,  gweimal  geboefeneg  S3rot,  macht  eine  augnahme. 
6r  enthält  »iel  weniger  SBaffer,  bofür  erbeblicb  mehr  6in>ei6= 
fubftang  unb  Äoblebnbrote,  »on  erfterer  nämlich  ca.  10—12  p(5t., 
»on  Unteren  78 — 80  h®t.  £)ie  englifchen  Sigeuitg,  »eiche 
aug  fehr  feinem  unb  beghalb  eimeihärmerem  {Kehle 
»erben,  finb  ungleich  weniger  nohrhaft,  alg  unfere  guten  3»ie= 
barfe;  benn  fie  haben  nur  ea.  7 p6t.  6iwei§fubftanj  unb  75  ^3®t. 
^ohleh»brate.  Ungemein  reich  an  @i»et§  finb  bagegen  bie  fog. 
Äleberbigcuitg  ober  Äleberbrote,  welche  man  befonberg 
für  Sutferfranfe  em^jfohlen  hat,  unb  »eldhe  aug  Äleber  uebft 
etwog  {Kehl  bereitet  werben.  @ie  bieten  nicht  weniger  alg 
55  — 75  p6t.  diweihfubftang  neben  10—30  p@t.  Äohlehpbraten. 

grifcheg  unb  alteg  Srot  weichen  in  ihrer  3ufammeufehung 
»iel  weniger  »on  einanber  ab,  alg  man  nach  bem  fehr  »erfdhie» 
benartigen  ©efchmadfe  glauben  follte.  6g  »erliert  bag  ©rot 
aHerbingg  beim  aufbewahren  mehr  unb  mehr  SBaffer,  fo  wie 

(S»7) 


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16 


ben  3To§ten  beS  nod)  Dot^anbenen  Sllfobold;  aber  bieS 
ift  au(^  bet  einzige  Unterfcbieb.  (Sine  nac^trSglic^e  93eränbe» 
rung  »on  5Rä^r»SejianbtbeiIen  finbet  nidjt  ftatt,  wenn  wir  non 
unri^tig  3ubereitetem  ©ebäd  abjel^en.  35a  brängt  ftd)  benn 
natürlii^  bie  grage  auf,  worauf  bte  gro|e  Serfc^ieben^eit  be8 
©efcbwacfeS  beruhe.  3)et  SBaffernerluft  fann  biefelbc  nid^t  be= 
hingen,  ba  e^  eine  S^atfad^e  ift,  ba^  altbadened  S3rot,  wenn 
e8  ni(^t  aUju  troden  war,  wieber  frifdbfd^medenb  wirb,  wenn 
man  e8  furje  3eit  auf  etwa  70°  6.  erwärmte.  68  mu&  bemnae^ 
eine  anbere  Urfac^e  »oiliegen.  Souffinggault  nimmt  al8 
fclt^e  eine  Slenberung  be8  ÜRolecuIar3uftanbe8  ber  SSrotbeflanb* 
t^eile  an.  3Bal)tfd)einli(^er  ift  mir,  bo§,  wie  »on  Sibta  be- 
hauptet, beim  Slufbewabten  be8  S3rote8  ba8  Söaffer  mit  ber 
©törfe  ober  bem  .Kleber  eine  intimere  SBetbinbung  eingeht, 
welche  beim  6rwärmen  be8  6ebäde8  wieber  fich  lodert  unb 
biefem  ouf8  9leue  ©efdhmeibigfcit,  6lofticitöt  oerleiht.  SSieüeicht 
fnielt  babei  ber  ©ehalt  be8  Srote8  an  Kleber  eine  IRoHe  auch 
in  fo  fern,  al8  leitetet  burch  höh^i^c  Jemperatur  bei  Slnwefen* 
heit  Don  Seuchtigfeit  geloft  wirb,  bei  Abnahme  bet  Stemperatur 
aber  in  ben  unlö8lidhen  Suftanb  übergeht. 

Äennen  wir  nun  auch  bie  cbemifche  3ufammenfehung  be8 
Srote8  unb  feiner  einjelnen  Sitten,  fo  fennen  wir  bamit  noch 
feine8weg8  ben  wirflicpen  SRährwerlh  beff eiben.  3)enn  e8  giebt 
SflahrungSmittel,  welche  reich  an  9lährfloffen  finb,  aber  fchlecht 
»erbaut,  ba8  helfet  fchlecht  auSgenu^t  werben,  unb  anbete,  welche 
weniger  reich  an  9tährftoffen  finb,  aber  oortreffli^  au8genuht 
werben.  68  fann  alfo  »crfcmmen,  ba§  jwei  9iahrung8mittel 
bei  fehr  »erfchiebenem  SRährftoffgehalte  gleichen  9lährwerth  unb 
bei  glei^cm  9iährftoffgehaIt  fchr  oerfchiebencn  9lähtwerth  be* 
fifeen.  5)em  menichlichen  £)rgani8mu8  fommt  eben  nicht  Sllle8 
gu  @nte,  wa8  er  genicfet,  fonbern  lebigli^  ba8jenige,  wa8  er 
oerbaut,  wa8  er  in  jeine  ©äftemaffe  einführt.  3)ie8  wollen 

(5*8) 


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17 


tDtr  gatij  befonberS  auch  bei  Seuttbeilung  beS  tbatfä^Iidben 
5Räbrwettbe8  bet  eingelnen  9?totoTten  im  Stuge  bebalten. 

^Die  S3erbauli^!eit  eine8  9iabrung8mittel8  ift  im  SOgemeinen 
um  fo  gtöfeer,  je  leiertet  bie  eiti3elnen  5Räbrftoffe,  au8  benen  ed 
beftebt,  ben  SMgeftionSfäften  3ugängtg  finb,  je  befjer  e8  jelb^ 
»DU  leiteten  in  feinet  SSotalität  buttbbtnngen  »itb.  @o  ift 
3.  S?.  fefteS,  betbe8  Bleif^  febwetet,  al8  lodeteS  unb  »eidbe8, 
ein  barte8  6i  tiel  ftbwetet,  al8  ein  »eicbe8  3U  »etbouen.  3u(b 
ba8  SStot  mitb  um  fo  beffet  unb  nollftänbiget  auSgenu^t,  je 
lodetet  unb  potofet  e8  ift.  Sei  foicber  Sefebaffenbeit  beffelben 
fönuen  bie  SetbauungSfäfte  leiebtet  in  baffelbe  einbtingen,  tafdbet 
3u  ben  9iäbrftoffen  gelangen  unb  fic  ouflöfen.  55e8balb  mußten 
mit  ja  getabe  oom  biätetifdjen  ©tanbpuntte  bie  9iotbmenbig» 
feit  einet  au8giebigen  ijodetung  bc8  2eige8  fo  befonbetS  be= 
tonen.  3(bet  auf  bie  Setbauli(bfeit  be8  StoteS  finb  nodb  S»ei 
anbete  SRomente  »on  nidbt  3U  untetfebä^enbem  ®infiufe,  nämlidb 
bet  ®ebalt  an  Äleie  unb  betjenige  an  @äute.  S53a8  bie  etftete 
anbelangt,  fo  miffen  mir  beteitS,  ba§  fie,  fomeit  fie  au8  bem 
bolgigen  SeOftoff  beftebt,  »cm  SKenfeben  faft  gat  ni^t  »etbaut 
mitb,  unb  miffen  nicht  minbet,  ba§  bet  ibt  anbaftenbe  Älebet 
»on  ßeHulofebülIen  umfebteffen  ift.  Siefe  leiteten  fe^en  bem 
Einbringen  be8  SigeftionSfafteB  ctbeblicben  SBibetftanb  entgegen, 
menn  fie  nicht  in  golge  be8  5Kahlbtoceffe8  itgenb  meldb«  9üffe 
unb  Süden  erhielten.  68  tann  bemnacb,  mcnigften8  »on  bet 
groben  Äleie,  nur  ein  relati»  geringer  SÄntbeil  ihrer  Eimeife» 
fubftan3  unfetem  Organismus  3U  @ute  fommen.  9lodb  miebtiger 
aber  ift  e8,  ba§  bie  Slnmefenbeit  erbeblicbeter  Stengen  »on  EeUu» 
lofe  im  Stote  entfebieben  auch  bitect  bie  9lu8nu^ung  beffelben 
überbaust  unb  bet  ein3elnen  SRäbrftoffe  beffelben  im  Sefonbeten 
binbert,  mabtf^einlicb  meil  fie  felbft  311m  Stbeil  in  ©äbtung 
übergebenb,  ©äbtungSoctgünge  im  ©peifebrei  et3eugt,  unb  meil 
fic  meebanif^  bie  SSetbauung8otgane  tei3enb,  fräftigere  3ufam» 

XIX.  446.  2 CM») 


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18 


menjie^ungen  bet  ^Dammudfulatur,  in  $oIge  beffen  aber  eine 
rafc^ete  93otwärtSbewegung  bed  @f>etjebteied  betoitft,  bie  bann 
i^retjeitS  natüclid}  eine  weniger  voOfommene  SiuSnu^ung  beS 
leiteten  ju  3Bege  bringt.  $inben  ftc^  enblid)  otganift^  @änten, 
i(b  meine  ÜJtilc^«  unb  @ffigfäure  im  Srote,  wie  bieS  ja  bei 
bem  mit  Sauerteig  ^ergefteQten  tege(mä§ig  ber  ift  fo  be« 
mitfen  auch  fif,  ebenfo  wie  bie  .^(eie,  eine  }u  raf(^e  tBormörtd« 
bewegung  beS  S^eifebteiee,  unb  bie  @{ftgfäure  ^inbert  ma^r« 
fii^einlitb  fc^on  o^nebieb  bie  SSerbauung  ber  @iwei§{ubftang. 

9ta(b  biefem  werben  wir  erwarten  müffen,  ba^  baS  SBeijen« 
brot,  weil  )>oröjet  unb  locferet,  beffer  aufigenu^t  wirb,  ald  baS 
Stoggenbrot,  ba|  jebeS  mit  Sauerteig  bereitete  Srot  fcbleebter, 
als  ein  mit  ^efe  bereitetes,  jebeS  grobe,  fcble^ter  a(S  ein  feineS 
verbaut  wirb.  So  ift  eS  in  bet  £^at,  wie  bieS  auS  ben  Unter« 
fud^ungen  mehrerer  gotjd^et*)  ouffi  S3e[timmtefte  bwoorgebt. 
@S  wirb  nämlic^  auSgenu^t: 

Beines  SBeijenbrot  im  @an3en  gu  ...  95—96  t>(£t. 

Beines  ^Roggenbrot  , „ „ ...  90  , 

OtobeS  fSuetlicbeS  9ioggenbtot  im  ©angen  gn  80—81  „ 
Berner  werben  auSgenu^t: 

im  feinen  äBeigenbrot  baS  @iwei§  gu  81  ))(S;t.,  bie  Ifoble^pbrate 
gu  98,5  f3©t,  bie  Salge  gu  70  p6t.; 
im  feinen  ^Roggenbrot  baS  @iwei§  gu  77  )>6t.,  bie  ^oble^Vbrate 
gu  95  p@t.,  bie  Salge  gu  70  p6t. 
im  groben  ^Roggenbrot  (Si^wargbrot)  baS  ©iweife  gu  58  i)6t., 
bie  j(ol}le^9brate  gu  89  ))6t.,  bie  Salge  gu  60  p6t. 
äBä^renb  alfo  SBeigenbrot  na^e  ooQftänbig  bis  auf  wenige 
^rocente  auSgenu^t  wirb,  bleibt  baS  grobe  {Roggenbrot  gu  i 
unoerbaut.  Sd}on  bieS  ift  in  ^obem  @rabe  beac^tenSwertb. 
S)aS  gule^t  genannte  IBrot  finft  in  feinem  biätetifcben  äSertbe 
aber  nodb  mehr,  wenn  wir  inS  9ugc  faffen,  um  wie  SSieleS 
weniger  fein  wertbooQeS  @iwei^  unS  gu  ©ute  fommt.  2)aS« 

(630) 


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19 


i<n{gf  beS  äBeijenbrotcS  wirb,  »ie  bie  obige  Snfamtnenßeaung 
ergiebt,  5U  f,  bcrtjenige  beS  groben  Sioggenbroted  nod^  nt(bt  ein« 
mal  gn  | »erbaut;  beinahe  bie  |)älfte  bet  @imei^f!offe  be& 
legieren  bleibt  bemnadb  unauSgenu^t.  ift  bad  eine  2;^at« 
fad^e,  auf  loelcbe  ic^  mit  um  fo  grögetem  9tadbbrud  aufmerfi'arn 
mad^e,  al0  fie  bislang  im  nic^tärgtlic^en  $ubli!um  menig  be« 
Tannt  geworben  gu  fein  fc^eint. 

SBenn  aifo  baS  Sc^wargbrot  aud^  etwas  me^r  an  @iwei§ 
enthält,  fo  fübrt  eS  »on  bemfelben  unferem  Organismus  bo^l 
er^eblid)  weniger  gu,  als  eine  gleidbe  fDienge  SBeigew  unb 
Oioggenfeinbrot.  @S  finben  fidb  g.  33.  in  1000,0  Cloggenfd^warg» 
brot  72,0  6iwei§,  unb  oon  blefen  werben  41,7  »erbaut;  in  1000,0 
JRoggenfeinbrot  finben  fid^  gwar  nur  65,0  @iwei&,  »on  biefen 
werben  50,0  »erbaut.  33on  weldb’  ^o^er  33ebeutung  bieS  fowot^l 
in  ^»gienift^er,  alS  in  »oKSwirt^fcbaftlidber  ^infic^t  ift,  wirb 
3ebem  o^ne  SBeitereS  einleui^ten.  5Der  fDienfc^  !ann  t^atfäcblicb 
einen  beftimmten  @iwei|bebarf  mit  einem  etbeblicb  geringeren 
Ouantum  »on  Sßeigen*  unb  Sloggenfeinbrot,  alS  »on  9ioggen> 
grobbrot  beden,  unb  geniest  er  le^tcreS,  fo  fü^rt  er  bem  Stbtpti 
»iel  me^r  unnü^en,  unter  Umftänben  fogar  fc^äblidben  33aQaft 
gu,  als  wenn  er  jene  anberen  33rotforten  gu  fidb  nimmt.  Um 
50,0  6iwei§  feiner  Säftemaffe  eingnoerleiben,  mu§  er  faft  1200,0 
fRoggengrobbrot  effen.  @inen  gleidben  @ffect  aber  würbe  et 
ft^ott  mit  1000,0  Süoggenfeinbrot  ergielen.  2)arauS  er^Ot,  ba§ 
ber  33aflaft,  weldben  bet  2Renf(!^  mit  bem  ©enuffe  beS  erfteren 
einfü^rt,  red^t  beträd^tlid^  ift.  IDie  Bufu^r  nu^lofer  fDtaffen 
mu§  aber  moglic^ft  eingefc^räntt  werben,  ba  fie  immerhin  3(n* 
ftrengungen  bet  33etbauungSorgane  unb  in  golge  beffen  33er* 
gcubung  »on  ^raft  bebingt. 

fRelati»  günftiger  fteHt  fi^  ber  biötetift^e  3Bert^  beS  ©(^warg* 
broteS,  wenn  wir  feinen  ©e^alt  an  »erbaulichen  ^ohlehpbraten 
berechnen.  3n  1000,0  eiueS  foldhen  33roteS  finben  wir  500,0 

2*  (531) 


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20 


Äo^Ie^pbtate,  »on  weldbcn  445,0  auögenu^t  ttetben;  in  1000,0 
Sioggenfeinbrot  finben  toit  510,0  Äoble^bbrate,  »on  njeltben 
485,0  auögenu^t  »erben.  Um  500,0  Äo^Iebpbrate  feinet  @5fte» 
maffe  einjunetleiben , bebatf  bet  SRenfc^  bemnad^  bet  3«fubt 
»on  1120,0  groben  ober  »on  1030,0  feinen  ^Roggenbrote«.  55er 
Unterfcbieb  ift  olfo  nit^t  fo  fe^r  bebeutenb,  »ie  et  fi^  fo  eben 
beraudfteQte,  al«  »it  ben  ®e^alt  an  »erbaulicbem  @i»ei§  ju 
©tnnbe  legten. 

9tacb  biefen  Setracbtungen  fönnen  »ir  nunmehr  ba^u 
fcbreiten,  ben  9täbt»ertb  bet  Srotforten  mit  bem  ’Preife  ber* 
felben  gu  »ergleicben.  @ine  rationelle  ^bfcbä^ung  be«  leiteten 
fann  bocb  unmöglidb  allein  auf  @runb  feiner  (bemifcben  3u« 
fammenfe^ung,  fonbern  nur  auf  @tunb  biefet  unb  ber  bbpfio* 
logifcben  äSermertbung,  ber  tbatfäcblicben  Slu«nu^ung  im  Orga> 
niömuö,  »erfudbt  »erben.  SBon  biefem  @a^e  ouögebenb  finben 
»ir,  ba§  aQerbing«  Oa«  grobe  ober  f(b»arge  ^Roggenbrot  ni^t 
blo«  abfolut,  fonbern  audb  relati»  biDiget  ift,  b.  b-  flleicbe  SRengen 
affimilirbarer  5Räbtftoffe  für  geringeren  ^rei«  bietet,  al«  gein= 
brot  unb  SBeigenbrot.  55enn  für  eine  9Rarf  erbalten  »it  gut 
3eit  4125,0  Sioggenfeinbrot  unb  in  benfelben  268,0  6i»eib  »on 
benen  206,5  »erbaut  »erben,  nebft  2103,0  Äoblebpbraten,  »on 
benen  2000,0  »erbaut  »erben,  güt  bicfelbe  ©umme  aber  faufen 
»it  5500,0  grobe«  ^Roggenbrot,  finben  in  benfelben  396;o  @i» 
»ci§,  »on  benen  229,0  gut  Slffimilation  gelangen,  nebft  2750,0 
Äobleb»braten,  »on  benen  2447,0  gut  afRmilation  gelangen. 
55a«  lebtbegei^nete  IBrot  bietet  alfo  tbatfäcblicb  für  benfelben 
|)rei8  mehr  »erbauliche  fRäbrftoffe,  al«  ba«  feine  unb  felbft» 
»erftünblicb  au<b  al«  ba«  au«  SBeigenmebl  bereitete.  @«  ift  bie« 
nicht  un»efentlicb;  benn  bie  ^rei«»ürbigfeit  ft>ielt  bei  bet  33e* 
urtbeitung  be«  »abren  Berthe«  eine«  S3olf«nabrung«mittel«  mit 
IRecbt  eine  gtofee  fRoQe.  prüfen  »ir  bie  »erfdbiebenen  ©orten 
be«  93rote«  »eher,  fo  finben  »ir  noch  g»ei  SRomente,  »elcbe 

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21 


fÜT  bad  grobe  fpred^en.  2)aS  leitete  munbet  junädbft  einer 
fe^r  gro§en  3«^!  »on  9Kenf(^en  3umal  auf  bte  SDauer  beffer, 
als  baS  feine,  unb  bieS  ift  alS  bie  $oIge  beS  @e'^aIteS  an  @äuren 
anjufe^en,  welche  bem@ebfi(f  einen  frifchen^efdhmacf  verleihen.  @o< 
bann  gewährt  eS  länger  baS  ®efühl  ber  Sättigung,  h^lt,  wie  ber 
Slrbeiter  fagt,  länger  vor.  SuS  biefem  Umftanbe  wirb  bann 
gefchloffen,  ba§  baS  grobe  S3rot  auch  Iräftige  als  baS  feine. 
@ine  foldbe  Annahme  ift  aber  eine  irrige.  2Ille  Unterfudhungen 
lehren  ja,  wie  oben  auSgeführt  würbe,  bafe  gleiche  fUlengen  Bein» 
brot  bem  33lute  mehr  5Rährftoffe,  inSbefonbere  mehr  ®iwei§  ju» 
führen,  als  Schwarzbrot.  S)aS  S3olf  oerwedhfelt  augenfcheinlich 
baS  burdh  ^nfüQung  beS  fStagenS  mit  einem  berb»confiftenten 
9iahrungSmittel  ergeugte  @efühl  ber  Sättigung  unb  bie  buntle 
©mpfinbnng  ftärferer  Arbeit  ber  SSerbauungSorgane  mit  bem 
@efühl  größerer  Kräftigung.  Smmerhin  bleibt  eS  richtig,  ba§ 
baS  grobe  23rot  bem  Arbeiter  beffer  munbet  unb  ihm  eine  nach* 
haltigere  Sefriebigung  feines  .pungerS  gewährt.  — @8  finb  baS 
fUlomente,  welche  nebft  ber  gro§eren‘  Sitligfeit  fehr  inS  ©ewicht 
faQen  gegenüber  ber  Shc>t)ache,  ba^  bie  S3erbaulich!eit  eine  ge« 
ringere  ift.  3)ie  9lahrung  beS  SlrbeiterS  foH  billig  unb  hoch 
wohlfchmedenb  fein,  foD  auch  fettigen,  eine  h'oreichenbe  3eit 
verhalten,  weil  ohne  baS  ©efühl  bet  auSgiebigen  Sättigung 
jene  innere  Sefriebigung  fehlt,  weldhe  jum  thatf räftigen , freu* 
bigen  Schaffen  erforberlich  ift.  IDeShalb  fann  eS  gar  nidbtS 
nü^en,  bem  33olfe  eine  2lenberung  4n  feiner  ©mährung  vor* 
gufchlagen,  wenn  auf  bie  oben  bejeidhneten  fünfte  feine  IRücf* 
ficht  genommen  wirb.  35er  arbeitet  will  in  erfter  iJinie  ge* 
fättigt  fein  unb  zwar  zu  bem  biUigften  95reife,  fowie  auf  meg» 
lichft  lange  Seit  hiuauS.  35aS  fDiah  ber  auSnu^ung  feiner 
92ahrung  ift  ihm  vöQig  gleichgültig.  35eShalb  bürfen  wir  unS 
nicht  ber  Jäufchung  hingeben,  eS  werbe  bet  arbeitet  auf  blofee 
Empfehlung  h»n  baS  billige,  fättigenbe  Schwarzbrot  fortlaffen 

(533) 


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22 


unb  bad  t^eute  Seinbrot  effen.  ä^om  biätetifcb«^9gienif(i^en  @tanb« 
fünfte  muffen  mir  münf^en,  ba§  bad  erftbejeic^nete  @ebäd 
burc^  beffere  ©orten  me^r  unb  me^r  oerbrdngt  merbe,  meil  ed 
fii^weTer  oerbaulicb  ift,  fcbied^ter  auSgenu^t  mirb,  bie  (Sinfübtung 
einer  größeren  ÜJtenge  läfKgen  SaQafteS  bebingt.  2iber  mir 
muffen  au(b  bebenten,  ba§  biefer  3Bunf<b  niemals  fi(b  cermirf« 
lieben  mirb,  menn  mir  nie^t  bem  SSolfe  ein  tbatfäebli^  beffereS 
Srot  bieten,  melebeS  bie  SSor^üge  ber  oollftänbigen  ISuSnubung 
unb  leichteren  SSerbauliebf eit  mit  benen  ber  SiDigfeit,  beöSBobl* 
gefd^madeS  unb  ber  nachbaitigen  ©ättigung  oereint.  giaui’c, 
ba^  ein  foIdbeS  @ebäd  ju  ergielen  ift  bnreb  SBeimenbung  eineS 
SloggenmebleS  mittlerer  Seinbeit,  rnelebem,  ca.  20  f)@t.  unb  ba* 
mit  bie  groben,  oorjugSmeife  b‘’l5<3^>'  entjogen 

mürben,  fomte  bunb  IBermenbung  oon  ^efe  nebft  etmaS  faurer 
9)til(b  an  ©teile  beS  ©auerteigeS.  @S  lä|t  fieb  auf  folebe  SBeife, 
mie  ieb  feftgeftedt  bai><*  ein  ^ei’t  bereiten,  melebeS  aderbingS 
nicht  gang  aber  annähernb  fo  bidig  mie  ©chmargbrot,  babei  noch 
moblfchmedenber  alS  biefe?  ift,  benfelben  @ebalt  an  @imei§  be> 
fi^t,  reichlich  fo  (oder  ift,  ebenfo  nachhaltig  fdttigt  unb  babei 
gu  faft  90p@t.,  aifo  fo  gut  mie  dioggenfeinbrot.  auSgenuht 
mirb.  ©omit  bürfte  eS  ben  ^nforberungen  ber  ^pgiene  unb 
IDiätetif  ebenfo  ood,  mie  ben  SBünfd^en  beS  ^ublifumd  ent« 
fpiechen,  meines  an  eine  fubftantiedere  ,^oft  gemöhnt  ift  unb 
theure  Srotforten  gu  faufen  auher  ©taube  fich  befinbet.  Sür 
eine  dJtarf  laffen  fich  oon  bem  genannten  @ebdd  bei  jehigen 
greifen  4850,0  heefteden;  in  biefen  erhält  man  350,0  ©imeifi, 
oon  melchen  270,0  oerbaut  merben  unb  2530,0  ^ohlehpbrate, 
melchen  2380,0  oerbaut  oon  merben,  erhält  alfo  für  ben« 
felben  @elbmerth  gmar  etmaS  meniger  ajfimiliTbare  .^ohlehpbrate, 
aber  nicht  unerheblich  mehr  affimilitbare  ^(Ibuminate. 

Sluch  baS  fog.  6ommiSbrot,  mie  eS  na^  ben  neueften 
Se^immungen  für  bie  ©olbaten  unferer  Urmee  angefertigt  mirb, 

(S34) 


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23 


ift  fc^on  beffet,  intbefonbm  leid^tet  verbaulicb,  als  baS  int 
9lorben  S)eutf(^IanbS  fo  beliebte,  auS  ^e^I  »cm  gangen  jtom 
gebadene  ©ebwargbeot.  @rfteieS  mu^  nämli(b  je^t  anS  einem 
9Reble  bereitet  tterben,  welebefl  bie  eigentlich  gtebe  Äleie  nicht 
mehr  enthält.  IDte  IBorfchrift  lautet,  ba§  non  50  .^lograntm 
Sioggen  beim  Sermahlen  7|  Kilogramm,  alfo  nicht  »entger  als 
15  p6t.  .^leie  bur^  Sichten  mit  einem  Si^teblatt  abgufonbein 
finb,  welches  auf  einem  jDuabiatcentimeter  Dberfläche  17  bis 
18  Säben  geigt.  IDaburch  wirb  in  ber  2;h<tt  bet  größte  Sihetl 
ber  berbholgigen  93eftanbtheile  auSgefchieben.  2)aS  gewonnene 
IDiehl  ift  atlerbingS  no^  nicht  baSjenige  mittlerer  Reinheit,  fteht 
bemfelben  aber  hoch  nahe.  SBirb  eS  gut  nerbaden,  jo  erhält 
man  ein  93rot,  welches  wohlfchmedenb,  hiin:ci<hcnb  loder  unb 
nachhaltig  fättigenb  ift.  3ch  habe  mich  hiervon  butch  längeren 
Olenuh  noQfommen  übergeugt.  Seine  SSerbaulichfeit  erreicht 
noch  ni^t  noQ  biejenige  beS  SioggenfeinbroteS;  benn  eS  wirb 
auch  bei  befter  Dualität  nur  gu  etwa  85 — 87  p@t.  auSgenuht, 
wenn  ich  auS  ben  an  mir  felbft  gemachten  ^Beobachtungen  einen 
allgemeinen  Schlug  giehen  barf.  Smmerhin  liegt  in  bem  jegigen 
IBerfahren  ber  ,^erfteHung  beS  SolbatenbroteS  ein  nicht  un« 
wefentlicher  $ort)chritt  gegen  früher.  6)ang  ficherlich  lägt  eS  fich 
aber  ohne  erhebliche  HJiehtfoften  noch  weiter  oerbeffern,  wenn 
baS  Dorhin  angegebene  Verfahren  gang  ober  gum  Shell  an« 
genommen,  inSbefenbere  ein  noch  etwas  feineres  Sllehl  oet« 
wanbt  wirb. 

Das  hbgienifch  befte  93rot  lann  alletbingS  nie« 
malS  burch  SSerwenbnng  eines  9t  oggenmehleS  mittlerer 
Reinheit  ergielt  werben,  c^ietüber  möchte  ich  leine  Sweifel 
beftehen  laffen.  Dem  Sbeale,  welches  bie  Diätetif  auffteUt, 
entfpricht,  wie  wir  bereits  gefehen  haben,  am  meiften  baS  auS 
feinem,  aber  nicht  allgufeinem,  SEBeigenmehl  heegefteüte  @e« 
bäd.  Daffelbe  führt,  gumal  wenn  mit  ÜNilch  bereitet,  ber  Säfte« 

CJM) 


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24 


maffe  me^t  ^iä^rftoffe  3U,  als  irgenb  eine  anbere  Sorte,  fteHt 
babei  leine  l^o^en  Stntorberungen  an  bie  SBerbauungSorgane  unb 
nöt^igt  t^nen  faum  irgenb  welchen  nu^Iojen  Sadaft  auf.  S>iefent 
ißrote  würbe  bidtetifd^  am  näd^fteu  fielen  baS  auS  feinem 
3loggenme^l  mit  ^)efe  bereitete.  SSerwenbet  man  neben  le^terer 
ein  wenig  faure  9JU1(^,  wie  bei  ber  ^erfteQung  beS  ^iittelbroteS, 
fo  er^lt  man  ein  fo  oortreffiicb  auSfebenbeS  unb  fo  oortrefflicb 
fcbmetfenbeS  ©ebädf,  wie  man  eS,  sumal  für  baucrnben  @enu§, 
ficb  ni^t  beffer  wünfcben  fann.  IDaSfelbe  bat  bann  bieäBeiße, 
fowie  bie  8oderbeit  beS  ^ei^enbroteS  unb  ben  angenehmeren  @e> 
fcbmacf  beS  0ioggenbroted,  ift  gang  fcbwacb  fduerlidb  unb  bürfte 
auch  (na<b  norldufigen  geftftellungen  [oerbdlt  eS  ficb  fo)  febr 
gut  auSgenu^t  werben. 

IHber  baS  Seigenbrot  unb  baS  fHoggenfeinbrot  haben  oor 
ber  ^anb  bei  unS  in  Seutfcblanb  nodb  leine  grofee  Sluöfidjt,  fo 
allgemeines  SSolfSnabrungSmittel  gu  werben,  wie  fie  eS  in 
einigen  gdnbern  ßuropaS  bereits  finb.  Schon  um  beS  ^reifes 
wiQen  werben  beibe  Sorten,  oorauSfichtlidb  noch  auf  Idngere 
Beit  hinaus,  im  SBefentlichen  nur  ben  woblhabenben  klaffen 
gum  ®enuffe  bienen,  welche  ja  jeht  baS  grobe  Jlleienbrot  faum 
noch  effen.  5)a  nun  biefeS  leitete  bidtetifch  nidbt  gu  empfehlen, 
jenes  feinere  93rot  aber  für  bie  mittleren  unb  unteren  IBollS» 
Haffen  gu  theuer  ift,  fo  fodten  biefe,  alfo  auS  oorwiegenb  pral» 
tifchen  ©rünben,  jenes  ©ebdd  mittlerer  geinheit  genießen,  welches 
hinpchtlich  feiner  23erbaulichfeit  bem  fRoggenfeinbrote  nahe  ober 
gleichlommt,  im  greife  aber  um  ein  nicht  gang  UnbetrddhtlicheS 
nachfteht 

2)ic  SBerwenbung  mittelfeinen  fölehleS,  b.  h-  «neS  folchen, 
aus  welchem  gwar  ade  groben,  berbholgigen  S^hcdo  ber  j^leie, 
jeboch  nicht  auch  bie  garteren  unb  feineren  auSgefchieben  würben, 
ift  Dom  bidtetifchen  Stanbpunfte  Rcherlich  gerechtfertigt. Senn 
bie  garte  (Sedulofe  ftört  bei  Slnwefenheit  rndfeiger  Sdiengen  bie 

(U6) 


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25 


Sßecbauung  jebenfaDS  wenig  unb  beeinttäd^tigt  bte  SuS: 
nu^ung  t^atfäd^lid^  in  ungleidb  gecingerem  9}ia§e,  alfi  bie  grobe. 
iDabutc^  aber,  ba§  baS  9)ie^l  nur  oon  le^terer,  nid^t  ton  erfterer 
befreit  wirb,  bleibt  efl  »iel  eiweifereicber,  alö  baö  feine  unb 
feinfte,  wie  bieä  fc^on  oben  feftgefteHt  würbe.  @8  ift  ba0  ein 
Umftanb,  weither  fe^r  wobl  in  93etrad)t  gejogen  werben  mufe; 
benn  bie  bei  SBeitem  weiften  OJienfdhen  pflegen  ihren  Sebarf 
an  @iwei§  3ur  .^dlfte  ober  gu  einem  no^  größeren  Sntheile 
burth  Srct  ju  betfen,  unb  Ie^tere8  wirb  bur^  9Iu8icheibung 
outh  ber  feinen  Äleie  au8  bem  9JiehIe  nid^t  blo8  ärmer  an  6i« 
wei^,  fonbern  auch  reicher  an  .^ohlehhbraten,  enthält  bann  alfo 
biefe  beiben  5Rährftoffc  in  einem  oiel  ungünftigeren  gegenfeitigen 
aierhä(tni§,  alö  ber  ©toffwethfel  e8  erforbert 

3ft  enblidh  ba8  (Serealin,  wie  oben  angegeben  würbe,  in 
SBirflichfeit  nöthig  gur  Umwanblung  ber  @tärfe  beS^eigeb  in 
tofe,  jo  liegt  eine  gewichtige  S3eranlaffung  mehr  oor,  in  ber  9lu8* 
fcheibung  berC^eOulofe  nicht  allguweitgu  gehen,  nidht  ba8  allerfeinfte 
SRehl  für  baS  biätetifch  befte  gu  erllären.  IDa0  (Serealin  finbet 
fich  nämlich  oorgugöweife  in  ber  Äleie. 

lDurdhau8  nothwenbig  bleibt  aber  bie  9lu8f^eibung  oder 
gröberen  unb  herberen  2hf*Ic  GeDuIcfe.  ^)ierüber  fann  nach 
bem  bisher  ©ejagten  wohl  lein  Sroeifel  mehr  beftehen.  Sie* 
felben  foüten  nicht  länger  bem  5)?enfthen  überwiefcn  werben, 
welcher  au8  ihnen  both  feinen  9tu^en  gicht.  Sa8  5örot  au8 
gefchrotenem  Äorn,  ba8  grobe,  fdhwarge  Srot,  ift  bemnadh,  um 
e8  noch  einmal  gu  betonen,  au8  hVäisnii^fm  unb  oolfSwirth* 
fdhaftli^em  ©efichtäpunfte  gu  oerwerfen.  9fur  für  gewiffe  biä* 
tetifch'therapeutif^e  Swecfe,  auf  bie  ich  h>w  näher  ein* 
gehen  fann,  feilte  man  e8  nod)  oerwenben,  im  Uebrigen  oon 
ihm  Döflig  abfehen,  gang  befonberö  bei  ber  ©mährung  oon 
.Rinbern  ber  erften  Sahre*  welche  in  ihrer  ©efunbheit  burch  bie 
faft  unoerbauliche,  blähenbe  ©ellulofe  unb  bie  ©dure  be0  S^warg* 

(5S7) 


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26 


brotö  oft  f(b»et  gefc^ötiigt  werben.  Die  gröbere  Äleie  gehört 
ben  ^flanjenfreffem , wel^e  fie  ooQftänbig  auSnu^en  unb  und 
in  gorm  non  gleifcb  ober  wicber  gurürfgeben. 

älQerbingd  liegt  ber  ©ebanfe  fe^r  na^e,  ed  mö(^te  ftc^  niel« 
leicht  eine  beffere  Serwert^ung  ber  nä^renben  Seftanbt^eile  bet 
^(eie  für  ben  SRenfö^en  auf  irgenb  eine  SBeife  erreichen  laffen. 
@d  finb  au^  in  ber  2:^at  bereitd  ba^in  jielenbe  SSerfud^e  ge* 
mac^t  worben,  befonberd  non  @4jille  unb  9Jlöge»3Rouri^d. 
6rfterer  weichte  bad  ©etreibe  in  SBaffer  auf,  lie&  ed  bann  einen 
fDtetallc^linber  paffiren,  ber  eine  rau^e,  reibeifenähnliche  fläche 
hatte,  befreite  ed  fo  non  ber  äu§erften,  reinholgigeu  ^üOe  unb 
braute  ed  nunmehr  in  einen  jweiten  SRetaUcplinber,  mit  radpeU 
artiger  SBanbung.  3n  biefem  entfernte  er  burch  Slnbrücfen  mit 
befonberen  ©ürften  noch  einen  Keinen  Dheü  reftirenben 
(SeQulofe  unb  weichte  ed  bann  in  einer  fauerteighaltigen  ©äh« 
rungdflüffigfeit  auf,  3erquetfchte  ed  jwifchen  ifäalgen  ju  einem 
Sötei  unb  formte  aud  Unterem  bie  ©rote,  bie  aldbann  ohne 
SBeitered  nerbacfen  würben.  Sei  einem  berartigen  ©erfahren 
feilen  nur  5 pSt.,  ber  oöHig  werthlofe  j£h«K»  ©etreibefornd 
entfernt  werben.  3Rege«fl[Rouri4d  bagegen  empfahl  bad  ^orn 
guerft  ju  fchroten,  bann  noch  einmal  3U  mahlen,  nun  gu  fieben, 
ben  Keiehaltigen  ©ried,  ber  babei  gewonnen  würbe,  mit  foch« 
fal5hnltigem  SBaffer  ju  oenühren,  biefe  SRifchung  auf  ein  feined 
^aarfieb  gu  bringen  unb  bie  burchlaufenbe  trübe  ^lüffigleit  mit 
bem  feineren  SRehle  gu  nerbacfen.  9Ran  foQ  auf  folche  SBeife 
84  p@t.  bed  Äornd  gewinnen,  bie  gröbere  ©eUulofe , welche  auf 
bem  .Ipaarfieb  bleibt,  audfeheiben  unb  babei  ein  guted  3Bei§brot 
in  gröberer  ÜRenge  ergielen,  ald  beim  gewöhnlichen  Serbaefen. 
6d  ift  gweifellod  bie  befte  non  allen  9Rethoben,  wel^e  man  gur 
noQftänbigen  Serwerthung  bed  nährenben  Slntheild  ber  ^leie  er« 
bacht  hat.  SSrohbem  fanb  fie  ebenfowenig,  wie  biejenige  @4« 
gille’d,  eine  weite  Serbreitung.  Sielleicht  hängt  auch  bied 

(5J8) 


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27 


mit  bem  conieiBotioen  ©inne  bet  SBäffet,  mit  i^iet  f<%on  »ot^in 
betonten  Slbnetgung  oor  9leuetungen,  3u|ammen,  mögiid^enveiie 
aber  auc^  bamit,  ba§  man  e@  t^at|ä(bti(b  füt  geioinnbringenbet 
hält,  bie  grobe  Äleie,  fo  »iefie  i[t,  ben  ^flanjenfreffetn  3U  übet» 
weifen,  anftatt  biefelbe  unter  2(m»enbung  comblicirter  SRa^t» 
unb  S3admet^oben  für  ben  2Jtenf^en  au83unu^en. 

SBenn  nun  ober  ouc^  bie  oerf(biebenen  Sitten  Srot,  bie 
wir  fennen  gelernt  ^aben,  je  natb  ibret  ßubereitung  binfiebtli^ 
beS  biätetif(ben  Söettbeö  unter  einanbcr  biffetiren,  fo  finb  fie 
bo(b  alle  ein  »ortreffUebeS  5<iabrung6mlttel,  welebefl  3<betraann 
bocbfcbüb^n  mu§.  S3ietet  e8  bodb,  gleicbuiel  in  welcher  Suberei» 
tung  e8  genoffen  wirb,  fämmtli^e  9läbrftoffe,  beten  bet  ^enfcb 
bebarf,  nämlich  Siweih,  Seit,  Äohlehpbrate  unb  ©al3e.  ®abei 
ift  auch  9Jlenge  feinet  9lährftoffe  relatio  bebeutenb  3U  nennen, 
^ebenfalls  fleht  baS  S3rot  hinftthHiih  berfelben  entfdhieben  ciel 
höh^  Kartoffeln,  welche  nur  2 p@t.  @iwei§  unb  20p6t. 
Kohlehpbrate  enthalten.  @8  gleicht  bagegen  in  Se3ug  auf  bie 
@iweif>menge  bem  IR  ei 8,  welchem  e8  nur  an  Kohlehpbraten 
nachfteht.  IBon  ben  pflan3lidhen  9lahrung8mitteln  finb  e8  auch 
allein  bie  .^ülfenfrü^te,  welche  burch  ih^cn  ungleich  h^h^^^n 
@iweihgehalt  bo8  l6rot  übertreffen.  lDa8  Sierhältnih,  in  welchem 
bie  fticfftcffhaltigen  fRöhrftoffe  biefe8  5Rahtung8mittel8  3U  ben 
ftirfftofffreien  ftehen,  ift  etwa  baSjenige  non  1:7  ober  1:7,5, 
b.  h-  ni«ht  flon3  fo,  wie  e8  für  ben  ©toffwechfel  be8  5Renfchen 
3n  wünfchen  wäre  (1 : 5),  aber  hoch  ein  relatio  günftige8,  3. 
faft  ba8|enige,  welche8  in  bet  biätetifd>  fo  fehr  gefchähten  6fe» 
linnenmilch  fich  finbet.  Sllletbing8  präoaliren  im  S3tote  unter 
ben  ftidftofffreien  5Rährfubftan3en  bie  Kohlehpbrate  fo  fehr  oot 
bem  gette,  bafe  biefeS  oollftänbig  in  ben  ^intergrunb  tritt.  @8 
ift  ba8  ein  thatfächlicher  SRangel;  bemfelben  wirb  aber  fehr  ein» 
fach  baburch  abgeholfen,  bah  ju  unferem  91ahrung8mittel 
S3ntter,  @chmal3  ober  ©perf  geniehen.  (Sine  folche  Sugabe  muh 

CM») 


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28 


für  t)iel  rationeOer  erflärt  merben,  ald  biejenige  »on  @pcup, 
.^ontg  obet  ObftmuS,  Welche  fäimntlid^  baö  Uebettna^  bet  ^o^lr> 
^pbtate  nut  noc^  »erme^ten.  @ie  ift  inebejonbere  füt  ben  St* 
beiter  bie  befte  Sugabe,  treil  biefer  ber  §ett|ubftangen , aie  ber 
Dorjugömetfe  ^udfelfraft  etgeugenben,  |o  fe^r  bebarf  unb  ,^o^Ie° 
bpbrate  o^nebin  meift  jdbon  in  3U  rei^licber  3)ienge  genie|t. 
5Dad  Ü3rot  mu^  aber  nicht  b(od  wegen  feines  ©ebalteS  an 
ftoffen,  fonbem  auch  wegen  feiner  33etbauli(bfeit 
werben.  S)enn  Sßei^enbrot  wirb  im  ©anjen  genau  fo  gut, 
wie  Siinbfleifcb  auSgenu^t  unb  fte^t  bemfelben  nur  bejügltcb 
bet  ^uSnu^ung  feineS  @iwei§eS  nach,  wie  ja  überhaupt  aOeS 
pflanzliche  @iwei§  weniger  »erbaulich  ift.  ®aS  9ioggenfein« 
brot  wirb  im  ©anjen  faft  fo  gut,  wie  Kuhmilch  auflgenuht, 
wenn  wir  wteberum  »on  ben  Slbuminaten  abfehen.  @S  fteht 
hinfichtlich  feiner  IBerbaulichfeit  h^ber  alS  Kartoffeln,  als  Stuben, 
olS ^ülfenfrüchte.  3a,  felbft  baS  ©chwarjbrot  übertrifft  nod) 
bie  beiben  gule^t  genannten  StahrungSmittel  h'^fichttich  beS 
SRaheS  ber  SluSnu^ung  um  @twaS. 

^rohallebem  »ermag  ber  SJtenfch  auSf^liehlich  mit  S3rot 
obet  mit  S3rot  unb  SBaffcr  feinen  Organismus  nicht  ju  erhalten. 
®t  würbe  »on  feiner  Äörpermaffe  jufehen  unb  fchlte§li^  3U 
©runbe  gehen,  felbft  wenn  er  fo  »iel  23rot  3U  fich  nähme,  wie 
er  nut  3U  effen  im  ©tanbe  wäre.  @S  hüngt  bieS  bamit  3u< 
fammeu,  bafe  in  unferem  StahrungSmittel  bie  ©iweihftoffe  nicht 
baS  ?Dia^  erreichen,  welches  fie  ben  fticfftofflofen  Slährftoffen 
gegenüber  hüben  müffen,  wenn  ber  Organismus  im  ©leichgewidht 
beS  ©toffwechfelS  fich  erhalten  foQ,  unb  ba§  baS  gett  in  ihm 
»iel  3u  fpatfam  »ertreten  ift.  SöoHte  Semanb  feinen  ganzen  S3e» 
barf  an  @iwei^  (täglich  118,0)  unb  an  Kohlehpbraten  (täglich 
500,0)  in  Otoggenfeinbrot  beden,  fo  mü^te  er,  wenn  baS  oben 
eiterte  9Ra§  berauSnuhung  zu©runbe  gelegt  wirb,  binnen  »ier« 
unbzwonzig  ©tunben  ca.  2000,0,  ober  »ier  S^funb  geniefeen. 

(JM) 


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29 


S)ied  wate  ein  viel  gu  beträc^tli^ed  Duantum,  al8  ba§  eS  Sag 
füt  Sag  bewältigt  werben  fönnte.  Uebetbied  enthält  e8  nur  ben 
britten  S^eil  bed  ^etted,  welcbeS  ein  @rwac^{ener  täglich  im 
3)iinimum  nötbig  bot,  eines  9iäbrftoffeS,  ber  unentbebriicb  ift 
unb  von  bem  eS  noch  nidbt  feftftebt,  ba§  et  bur^  ein  $(u8  von 
.fiobtebpbraten  erfe^t  werben  fann. 

9iacb  SOem  2)iefem  ift  bie  IBerurtbeilung  gu  SBaffer  unb 
Srot,  welche  frübet  fo  b®»fig  Statt  b^tte  “uti)  je^t  noch 
becretirt  wirb,  eine  Strafe,  welche  fcbwere  Scbäbigung  ber  @e< 
funbbeit  na^  ftdb  gieben  mufe,  fall8  fie  nidbt  auf  febr  furgeSeit 
eingefc^ränft  wirb.  S)er  menfcblidje  Ifötper  fann  eben  nicht 
mit  jenem  eingigen  9labrung8mittel  befteben,  fo  wertbvoH  baö» 
felbe  im  Uebrigen  auch  ift.  S)ieS  b<it  fcbon  vor  vielen  Sabren 
berßnglänbet  Star!  an  fidb  felbfi  erfahren.  6r  afe  eine  lange 
3eit,  gegen  6 SBocben,  tögUcb  etwa  1|  ^funb  93rot  unb  nahm 
wäbrenb  biefer  Seit  17  ^funb  ab.  5)ann  fing  er  an,  ein  etwas 
größeres  Duantum  (faft  2 ^funb)  nebft  einer  getingen  5Wenge 
Surfet  gu  geniefeen  unb  verlor  nunmebt  in  28  Sagen  nur  nod) 
3 ^fuub.  Sein  ©ewiebt  flieg  jeboeb  fofort,  als  et  barauf  tag* 
lieb  If  ^funb  S3rot  unb  giter  ÜRilcb  gu  ficb  nafem.  Slueb 
JRubnet’S  Serfuebe  Ijobtn  febr  beftimmt  etwiefen,  bafe  ber 
Äörper,  felbft  bei  ftarfem  ßonfum  leiebt  verbaulicben  SBeifebrotS 
allein,  ficb  ©leicbgewicfet  beS  StoffwedjfelS  gu  erbalten 

vermag. 

2lu6  biefen  ©rorterungen  gel)t  ohne  SBeitereS  b«®ot,  bafe 
bet  ©enufe  fefer  grofeer  SRengen  SSrot,  wie  wir  ifen  fo  b®Mp3 
in  nieberen  Stäuben  conftatiren,  butebauS  nicht  ratbfam  ift. 
IDerielbe  fufert  eben  gu  viele  Äofelefebbrate  im  S3erbältnife  gum 
©iweife  unb  inSbefonbere  gut  9Renge  beS  affimilitbaren  ©iwetfeeS. 
^Der  S3erbauungSapparat  gelangt  auS  biefem  ©tunbe  an  bie 
©renge  feines  SeiftungSvermogenS,  efee  nur  baS  nötbige  Quantum 
©iweife  aufgenommen  ift,  unb  wirb  babei  mit  einet  SBaQaftmenge 

(Ml) 


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30 


üEietlaben  , bte  in  me^i  als  einer  SBeije  na(^tl)eilig  witlen 
mu§.  S)agu  fommt,  ba§  bei  jOrganiSntue  beim  Sonfum  gtc§et 
Dnantitäten  ©rot  entfliehen  ©efabr  läuft,  eine  gu  rnäffcrige 
©fiftemaffe  unb  in  golge  beffen  gu  »äffetigc  Dtgane  gu  erhalten. 
SBetben  bodb  mit  1000,0  ©rot  gegen  400,0,  unb  menn  eß  feudjt 
ift,  felbft  500,0  SBoffet  elngefü^rt.  Sßöfferige  Organe  bebeuten 
aber  mentger  wiberftanbefä^ige  Organe.  @o  brängt  fid^  un> 
»iDfürlid^  bie  grage  auf,  ob  fidj  ni^t  eine  @tenge  feftfteDen 
lä^t,  übet  welche  binauß  man  tm@euuffe  non  ©rot  nicht  geben 
füll.  9lun,  (Srfabrung  unb  wiffcnfcbaftlicbe  gorfcbung  haben 
gelebtt,  ba^  eß  für  einen  ermacbfenen  SRann  nicht  »ortbeilbaft 
ift,  mehr  alß  750,0  g ©rot  für  beit  Sag  gu  confumiren. 
fDieß  Ouantum  liefert  ihm  etwa  | feineß  ©ebarfß  an  @iweth 
unb  mehr  alß  | feineß  ©ebarfß  an  Jtoblebhbiaten.  $ür  Stauen 
würben  600,0,  für  12 — 14 jährig«  Äinber  275,0  baß  Sageß» 
marimum  fein.®) 

©on  weldb’  bal)«m  ©elange  eine  foldbe  Siritung  ber  böch^* 
guldffigen  SRenge  auch  für  bie  öffentliche  (^efunbbeitßpfiege  ift, 
welche  fich  um  bie  Ernährung  beftimmter  ©enölfetungßflaffen, 
ber  Firmen,  ber  befangenen,  beß  SRilitärß,  ber  Süglinge  non  @r< 
giebungßanftalten  gu  fümmem  bat,  liegt  auf  ber  ^anb.  IDoch 
ift  eß  nieOeicht  nicht  überfiüffig  gu  betonen,  ba§  bei  jeber  ber« 
artigen  9ioimimng  bie  Sirt  beß  ©roteß  unb  baß  3Ra§  ber  Sluß« 
nu^ung  in  ©eiechnung  gegogen  werben  mug.  .^aben  wir  hoch 
gefeben,  bag  nom  @chwargbiot  ein  erbebli^et  9lntbeil  bem  (Son< 
fumenten  gar  nicht  gu  bute  fommt,  unb  ergiebt  fich  gang 
non  felbft,  bag  bie  nu^loß  eingefübrte  2Raffe,  ber  ©aHaft,  alß 
9täbrmaterial  nicht  oeranfchlagt  werben  barf,  felbft  wenn  fie  an 
unb  für  fich  näbrenb  ift.  3ch  fage,  eß  verlohnt  fich  wogl,  bieß 
gu  betonen,  weil  tbatfächlich  febr  oft  nicht  nadg  bem  eben  her» 

Dorgebobenen  brunbfage  ncifabren  wirb,  unb  weil  eß  hoch  burch* 

(Mi) 


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31 


OU0  geboten  ift,  gerabe  @m&]^rung  3ebent  [ein 

IRe^t  »erben  ju  laffen. 

Damit  wäre  bie  Darfteflung  beö  biätetifcben  SBert^eS 
unjered  9ta^rungSmitteld  beenbigt.  Doch  batf  nid^t  fdbliegen, 
o^ne  »enigftenä  in  ^urje  ber  tSnforberungen,  »eld^e  bie  .^pgiene 
an  baS  93rot  [teOt,  {owie  betjenigen  gefunb^eitlidb  bebeutfamen 
Segler  gebac^t  gu  ^aben,  welche  baSfelbe  barbieten  fann.  — 
„Daß  ©rot  foO",  unb  bieß  ift  bie  gorberung  bet  ^pgiene,  „au8 
reinem,  gefunbem  Material  gut  inßbefonbete  gleich* 

mähig  aufgegangen,  gar,  hoch  nicht  gu  gar  gebaden,  htnteichenb 
lodfer,  non  angenehmem  ©eruche  unb  ©ef^macfe  fein.  Der 
©ehalt  an  SBoffer  batf  40tj6t.  nicht  überfteigen;  bementfprechenb 
batf  auch  ber  @ewichtßnerluft  eineß  gu  3 Kilogramm  auß* 
gebacfenen  SBroteß  am  erften  unb  gweiten  Dage  nur  34  g, 
am  britten  Sage  nur  56  g unb  nach  längerem  Seit* 
»erlauf  nur  72  g betragen.“’)  Da§  eß  allen  biefen  gotbe» 

rungen  ftetß  genüge , fann  man  leibet  nicht  fagen.  @in 
9lohrungßmittel  oon  fo  hetoonagenber  gefunbheitlicher  Se* 
beutung,  welcheß  non  Sebetmann  in  fo  großen  Mengen  täglich 
genoffen  wirb,  follte  bodh  in  möglichfter  ®fite  unb  möglichft 
tabelfrei  in  ben  |)anbel  fommen.  klimmt  man  fleh  ober  bie 
SJJühe,  baß  S3rot  genauer  gu  prüfen,  fo  finbet  man  fehr,  fel)r 
häufig  gehler,  welche  non  nicht  geringem  SBelange  finb. 

6ß  fommt  »or,  ba§  baß  nerwenbete  SRehl  oerborben  war, 
fei  eß,  bah  eß  auß  außgewachfenem  ^orn  bereitet,  ober  ba§  eß 
in  feuchten  IRäumen  aufbewahrt  würbe.  Daß  auß  folchem 
SRaterial  gewonnene  93rot  fann  nicht  bie  nöthige  ^orofität  be< 
fifeen.  Denn  in  jebem  bet  beiben  gälte  geht  mit  bem  wichtigen 
.Riebet  eine  belangreiche  fWobification  »or;  berfelbe  wirb  in  bie 
lößli^e  gorm  übergeführt  unb  babutch  gut  Seigbilbung  un^^ 
geeignet.  5än  manchen  Orten  pflegen  bie  Säefer  betartigem 
SJiehle  bei  ber  Srotbereitung  metallifche  Sufä^e  gu  modhen, 

(M3) 


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32 


welche  bem  ÄleBer  feine  UnloflUc^feit  unb  bamit  feine  gS^igfeit, 
SBaffet  ju  binben,  »ieber  ertbeilen.  (©ie^e  unten.)  JRi^tiger 
ift  bie  Bon  S.  ».  Siebig  gu  biefem  3we^e  »orgeft^Iagenc  SSet» 
wenbung  non  ^alfwaffet;  nod^  lidbtigei  aber  ift,  ein  cetbotbeneS 
ÜJle^l  über^ubt  nit|t  me'^r  gut  Sßereitung  »on  SSrot  gu  benu^en. 
— 9ie(^t  oft  finbet  fid^  ferner,  ba§  ba0  SKe^l  mit  SRe^len 
minberet  Quolitdt,  g.  33.  mit  Kartoffel*,  S3o^nen»,  6rbfen» 
@erfte=ober.^aferme^l  ocrfe^t  würbe.  3n  folgern gade  erf(^eint  ba8 
@ebd(f  weniger  locEer,  weil  bie  genannten  Sufö^e  arm  an  Älebet 
Rnb  bgw.  i^n  gar  nid^t  enthalten.  6in  berbereö  SSrot  ift  aber, 
wie  wir  wiffen,  weniger  oetbaulitb;  f^cn  beSbalb  mu§  eine 
berartige  33etfälfcbung,  gum  SKinbeften  ber  .^anbelSwaate,  au§er 
in  Seiten  ber  9lotl)  »erboten  fein.  — SKitunter  ^at  baö  9Rebl 
entfdjieben  gefunbbeitögefd^rlidbe,  ja  giftige  S3eimengungen,  g.  33. 
oon  5Jiutterforn,  BonÄotnrabe»  unb  Saumelloltbfamen, 
bie  but(^  änwenbung  geeigneter  .^ornreinigungSaBparate  febt 
wol)l  unb  mit  8eicbtigfeit  bdtten  femgebatten  werben  fönnen. 
9io(b  böufiger  finben  wir  e8  mit  fdbdblidjen  Stoffen  oermengt, 
bie  mit  offener  3(bfid)t  bet  gdlfcbung  gugefe^t  würben,  fo  mit 
©dbw erfbatb,  mit  germablenem  ©ppö.  @8  gcfcbiebt  auch, 
ba§  nacbtbeilige  ©ubftangen  erft  im  Slugenblicfe  ber  33rotberei* 
tung  gu  bem  3wede  beigemengt  werben,  um  bem  ©ebdtf  einen 
befferen  9ln|d)ein  gu  geben  (Sllaun),  ober  um  ein  wenig  gutes 
SJiebl  gur  Sleigbilbung  geeigneter  gu  machen  unb  gu  bewirfen, 
ba§  baS  S3rot  wdffriger  wirb,  ohne  e8  gu  fcbeinen  (ÄuBfetBitriol 
unb  SiniDitrioI).  2)ct  3ufab  biefet  fogenannten  3Serbefferung0» 
mittel  ift  glüdflicberweife  bei  un8  in  SJeutf^lanb  nicht  feht  ge= 
brdu(hlich;  bagegen  trifft  man  ihn  gicmlich  oft  inS3elgien,  granf» 
reich  unb  (Snglanb. 

©ntfdhieben  bie  meiften  gebier  be8  33rote6  entftehen  aber 
nicht  fowohl  burch  bie  33erwenbung  ungeeigneten  3)iaterial8  unb 
ungehöriger  3nfd^e,  al8  burch  eine  abfichtlich  ober  unabficbtlich 

(M4) 


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33 


»etfe^rte  SIrt  bcr  3uJ>ewitunä.  Salb  wirb  ber  2eig  nidjt  gut 
mit  ben  ©ä^rungäettegern  burcbfnetct;  bie  golge  ift  ungleich» 
mäßiges  Slufge^en  unb  ungleichmäßige  ^orofität.  Salb  ift  ba8 
©ebäcf  im  ©an^en  ober  an  ben  ©eiten,  mit  benen  eS  angejchoben 
war,  nicht  gar  geworben  unb  enthält  bann  meiftenS  ju  viel 
SBaffer,  feßr  oft  auch  noch,  '»ie  o^en  gejeigt  würbe,  uuoerän» 
berte,  nicht  »erfleifterte  ©tärfe  unb  noch  wirffame  .^)efejfnen; 
au^  fehlen  «hm  in  foldhem  SaQe  recht  oft  bie  aromatifcben  Dioft* 
hrobucte  ber  JRinbe.  JDen  le^tbejcichnetcn  fUlangel  jeigt  gleich* 
faOe  baS  Srot,  welches  in  $olge  atlguftarfer  Sacfhi^e  an  feiner 
Dberfläche  oerfohlte.  55tle  biefe  fehler  finb,  wie  au8  ber  früheren 
IDarftedung  erhellt,  auch  biätetifch  oon  Selang,  ba  fie  bie 
Serbaulichfeit  ungünftig  beeinfluffen.  ISIS  gerabeju  ungefunb 
aber  muß  jebeS  Srot  bezeichnet  werben,  weites  adzufauer  ge« 
rieth-  S)ieS  Untere  ift  bie  Wnlse  einer  Serwenbung  ju  alten 
©auerleigS  ober  einer  ju  langen  $Douer  ber  ©ährung.  JDie 
übermäßige  ©äure  beeinträchtigt  bie  Serbauung  in  hnheni  ©rabe, 
ftört,  wie  wir  wiffen,  bie  SluSnuhung  ber  9tährfto|fe  unb  ruft 
nicht  feiten  2)armfatarrh  hcruor. 

@nbli^  fann  baS  ©ebäd  an  feiner  Dualität  leiben,  wenn  eS 
in  feuchten,  bumpfen,  ungenügenb  gelüfteten  IRäumen  aufbewahrt 
wirb.  ©S  bilbet  fich  bann  auf  unb  in  bem  Srote,  zumal,  wenn 
eS  wafferrei^  ift,  fehr  leicht  ©chimmel,  fei  eS  ber  gewöhnliche 
graue  (Mucjor  Mucedo)  ober  ber  graufchwarje  (Rhizopus  nigri- 
cans) ober  ber  gelbliche  (Thamnidium).®)  kleine  (Mengen 
eines  folchen  SroteS  fchaben,  wie  eS  fcheint,  bem  SKenfehen  nicht; 
größere  aber  rufen,  inSbefonbere  bei  länger  anhaltenbem  ©enuffe, 
oftmals  SJtagen*  unb  SDarmtatarrh  bieS 

burch  zahlreiche  ^ittheilungen  oorzugSweife  franzöfifcher  9Jlilitär« 
ärzte  beftimmt  erwiefen  ift. 

9lach  biefer  nicht  einmal  »otlftänbigen  ISufzählung  fann 
baS  Sret  thatfächlich  eine  9ieihe  gefunbheitlidh  bebeutfamer 

XIX  446.  3**  (i*i) 


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34 


55e^ler  barbieten.  Um  fo  fcbwerer  ift  e§  gu  befloßen,  bafe  bie 
fanitätSpoligcilitbe  6ontrole,  »el^e  erfteulicbetmeife  mit  bem 
gleifdbe  unb  ber  ÜJiilcb  in  jüngfter  Seit  eingebenb  fidb  be» 
icbäftigt,  gar  nic^t  ober  faft  gar  nic^t  auf  taS  0rot  auSgebe^nt 
mirb,  obfdbon  biefed  an  gefunbl)eitlicber  Sebeutung  ben  eben  ge> 
nannten  9iabrung8mitteln  ma^rlicb  nic^t  nacbfte^t.  3?ie  Söertb* 
oerminberung  ber  SWilc^  bnr(^  SBaffergufa^  wirb  fcbarf,  baö 
Beilbalten  gu  wäffrigen  93rote8  faum  jemals  geabnbet,  unb  hod) 
ift  bie  9trt  ber  Bdlfdbung  genau  bie  nämlicbe.  ©duerlicbe  9Jiil(b 
unb  oerborbeneS  gleif^  werben  confiScirt,  auf  abgebadeneö,  gu 
faureS,  burcb  fc^le^te  IHufbewabrung  rerborbeneS  S3rot  aber 
fabnbet  man  nid^t.  @8  liegt  barin  eine  Snconfequeng,  welche 
man  nicht  entf^ulbigen  fann,  unb  welche  man  entfcbieben  be> 
fämpfen  mu§.  ^lllerbingS  empfiehlt  [ich  nicht,  bie  SBieber« 
einführung  ber  früheren  Srottayen  gu  erftreben;  biefelbe  würbe 
feinen  ©egen  bringen.  SEBohl  aber  bürfte  e8  am  ^la^e  fein, 
eine  Ueberwachung  ber  iBdcfereien  unb  eine  öftere  nicht  regeU 
mäßige  Unterfuchung  ber  Sacfwaaren  gu  forbern.  ©rftere,  bie 
dontrole  ber  S3äcfereien,  ift  in  @nglanb  f^on  fehr  lange  bur^ 
ein  befonbereö  ©efe^,  bie  Bakehouse  Regulation  Act,  ein« 
geführt.  9iach  bemfelben  finb  bie  ©efunbheitSbeamten  befugt, 
jebergeit  währenb  be8  23acfen8  bie  für  baffelbe  beftimmten  Släume 
gu  betreten,  fowie  gu  reoibircn,  unb  finb  bie  3nhaber  berfelben 
»erpfiichtet,  für  auSgiebige  Sfieinhaltung  ©orge  gu  tragen,  ©ine 
berartige  SSerorbnung  garantirt  aüerbingS  noch  nicht  eine  beu 
5?lnforberungen  ber  ^jpgiene  entfpre^enbe  Dualität  ber  SBacf« 
wäre;  ben'n  oon  Unterer  ift  in  ber  genannten  9(ct  nicht  bie  Diebe. 
31ber  trohbem  wirb  bie  SSeftimmung,  bafe  ©efunbheitSbeamte 
in  bie  SBadhnwfet  eintreten  bürfen,  fchon  für  ftch  manche  Uu« 
gehörigfeit  oerhüten;  auherbem  follen  fie  auf  bie  .^anbhabung 
ber  Dieinlichfeit  achten,  unb  gefchieht  bie8,  fo  wirb  baburch  ficher« 
lid)  auch  Dualität  be8  16rote8  birect  um  S3iele8>  gebeffert 

(54«) 


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35 


toetben.  Smmer^in  »ürbe  bie  blo^e  Ueberwod^ung  bet  Sod» 
Raufet  ni(^t  genügen;  e8  mü^te,  wie  gejagt,  eine  öftere  fanitätö* 
potijeilidbe  Unterfui^ung  bed  !0iote8  ^tngufommen,  unb  ba8 
fRefultat  üetfelben  öffentlit^  befannt  gemad^t  werben.  2)te  3)ur(^» 
füljrung  betartiger  9Ra§nal}men  erfdbeint  im  3>ntereffe  ber  9i(l» 
gemeinbeit  bringenb  geboten,  ba  eS  fi^  um  ein  9labrung8mittel 
Bon  gan3  betöorragenb  bPüienijcber  33ebeutung  banbeit.®) 


^nmechungett. 


1)  Der  tJefer  Bergleidje  inSbcfonbere  bie  Slbbanblung  ^Birnbaum’« : 
Da893rotbaden  in  beffelben SlutorS 2ebrbucb  ber  ianbwirtbfcbaftlicben 
©ewerbe,  1878,  unb  J^önig,  bie  menfcblidben  9labrung8*  unb  @enu§* 
mittel,  1883,  II  ®.  351  ff. 

2)  älnbete  ©etreibearten  fominen  für  un8  faunt  inS3etiacbt.  Die 
©erfte,  an  ftcb  febr  nabrbaft,  aber  arm  an  lieber,  giebt  ein  wenig 
locferee,  fabe  fcbmedenbeS  ©ebdd,  unb  4>afet,  ber  noch  tleberärmer  ift, 
liefert  ein  S3rot,  welche«  brödelig  ift  unb  gleicbfatl«  re^t  fabe  fcbmecft. 
Da«  SWaiSfotn  würbe,  aüerbing«  nur  bei  richtiger  53erarbeitung,  jut 
©rotbereitung  fi^  febr  ®abl  eignen;  e«  wirb  aber  in  Deutfcblanb  ju 
wenig  angebaut,  al«  ba§  e«  an  biefet  ©teile  einer  eingebenben  ©erüd* 
fichtigung  rerbiente.  SBei^en  unb  Sieggen  bleiben  unfere  eemebrnften, 
fa  faft  auSfcblieblicben  ©rotfrüebte. 

3)  Die  erfte  Änetmajihine  war  Bon  ©alignac  im  Sabre  1760 
cenftruirt.  3«bt  finbet  man  am  bäufigften  biefenigen  ©olanb’«,  Slol» 
lanb’«  unb  Delirh’«;  biefe,  wie  jablreicbe  anbere,  auch  beutfehe,  ftnb 
augführlicb,  unter  ©eigabe  Bon  Sei^nungen,  in  ber  oben  citirten  Slb» 
hanblung  ©irnbaum’«  befebrieben. 

(M7) 


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36 


4)  @4  ift  tabei  jeboc^  }u  bnrüdfit^tigen , ba§  bn  93ertuft  lebiglic^ 
bie  j^o^lel^^brate,  nic^t  auc^  bad  @itDei§  betrifft,  unb  ba§  jene  für  fiif) 
allein  feine  Dta^rung  bilben  fönnen. 

5)  3d>  ^obe  hierbei  befonbetS  bie  ©rgebniffe  ber  Unterfuc^ungen 
SUle^er’a  unb  Slubnet’«  im  Säuge;  fte^e  Sntfcbtift  für  Biologie 

SBonb  VII  unb  IBanb  XV.  fowie  XIX.  3n  Unterem  0anbe  befpritbt 
IRubner  fpecieü  baS  SBeinjenlleiebrot  ber  englifc^en  „bread  reform 
leagufi“,  welche«  bie  Äleie  fel^r  fein  nnmol^Ien  enthält,  mit  ^)efe,  ®alj 
unb  etwas  3«der  bereitet  ift  unb  ju  ca.  88  p6t.*  »erbaut  wirb,  aifo 
beweift,  ba§  bie  feine  3frfleinerung  ber  Äleie  ber  SluSnu^ung  fbrberlidj  ift. 

6)  gür  jfinber  ift  baS  2;ageSma;cimum  aucf)  relatic  niebriget  ju 
bemeffen,  als  für  @rwa(f)fene;  benn  jene  bebürfen  erfahrungsgemäß  eines 
gtüßeren  DuantumS  von  animalifchem  @iweiß  unb  werben  von  ber  @in> 
füßrung  unoerbauli^en  SoHafteS,  wie  fie  bei  jebem  ©rote  Statt  hol» 
viel  leidster  ungünftig  beeinflußt. 

7)  So  lauten  inSbefonbere  bie  iBeftimmungen  übet  bie  Dualität 
beS  SKilitärbroteS. 

8)  Sieße  barüber  beS  IBerfafferS  Slbhanblung:  IDarfteHung  beS  in 
oußerbeutfthen  ?änbetn  auf  bem  ©ebiete  ber  öffentlichen  ©efunbheitS* 
hflege  ©eleifteten.  1878.  Seite  270,  fowie  ®ingler’S  polhtechnifcheS 
Sournal  92  (Seite  466)  unb  114  (Seite  435). 

9)  lieber  bie  9)lethobe  ber  Srotunterfuchung  finbet  ber  i?efer  9lä» 
heteS  bei  IBimbaum  loc.  cit.  S.  290. 


(54K) 

35tu<l  Bon  e*cbr.  lltifler  (Sb.  ®rimm)  in  Serliii  SW..  (£(6onfberstr(tt.  17a. 


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poctifd^c  Curnicre, 


33  0 r t T a g 

Don 


(Bttßao  Bierih's;. 


6etUii  SW.,  1884. 

33erlag  von  @atl  .^abel. 

(C.  (0.  X«kiittV*4l<  Bttlagili«iti^inil«ii(.) 

SS.  Sflftlm.etiatc  SS. 


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®Qäi  5Red)t  bft  Uebcrie^uiig  in  frembe  Sprachen  rotrb  norbebalten. 


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IXeberaD  ba  uttb  gu  allen  Sfiten,  tto  unb  »ann  bie  ‘Ditftt* 
funft  ober  allgemeiner:  bie  infeDectueDen  3ntereffen  ©influfe  auf 
bo8  fociale  unb  politijd^e  geben  ber  SSöIfer  gewannen,  fe^en  wir 
halb  bie  (Entfaltung  einer  regen  S^ätigfeit  auf  ben  ©ebieten 
be8  geiftigen  ©^affenS  »or  ftdb  ge^en  unb  einen  eblen  SBetteifer 
unter  ben  Slragem  ber  literarifdjen  ^robuction  entfielen.  55iefe 
©rfdieinuHg  ift  »otlig  natürlidb,  benn  ber  menfdb* 

lieben  9Jatur  eingeboren  unb  auf  baS  ©ngfte  mit  bem  Slbätig» 
feitS»  unb  au^  mit  bem  Gr^altungötrieb  »erbunben.  3ft  habet 
einmal  auf  irgenb  einem  ©ebiete  menfcblicbcr  Jbötigfeit  ein 
neues  gelb,  eine  neue  33abn  eröffnet,  fc  wirb  audb  alSbalb  eine 
eifrige  ©oncutrens  gu  bemerfen  fein,  bie  gut  ©ntwicfelung  bet 
begüglieben  Äräfte  unb  göbigfeiten  in  bebeutenbem  9Jia§e  bei» 
trägt. 

SEBo  nun  bie  literarif^e  Sbätigfeit  einen  fo  tiefgreifenben 
©influfe  auSübte,  bafe  pe  ade  ©(bidbten  ber  ©efeKfcbaft  in 
gleicher  SBeife  in  ihren  33ereicb  gog,  wo  biefer  (Einflup  in  einer 
natürlichen  poetifdbeu  ^Begabung  feinen  ©runb  batte,  ba  fonntc 
eS  nidjt  auSbleiben,  ba§  pdb  aOmäblidb  biefeS  allgemeine  Sntereffe 
barin  befunbete,  bap  in  Heineren  ober  größeren  ©emeinfehaften, 
»or  fleinerem  ober  größerem  3uborerfreife,  ja  enblicb  »or  bem 
gu  feftli^er  ©elegenbeit  oerfammclten  Sßolte  neue  Dichtungen 
Borgetragen,  ba§  in  greunbeSfteifen,  in  literarifchen  SSereini» 
gungen,  gragen  oon  allgemeinem  3ntereffe  biScutirt  würben. 

XIX.  447.  1*  (551) 


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4 


barf  und  ba^et  nic^t  in  @rfiaunen  fe^en,  »enn  wit  IDicl^tungm 
trüget  gerieben,  wenn  wir  p^ilofop^ifd^e  ©(griffen  bed  grie» 
(^i)d^en  SUtert^umd  in  biaIogi)d^er  Bi’tm  finben,  benn  biefe  ift 
bet  Sudbntd  einet  natütli(^en  @ntwicfelungd:p^aje  bed  geiftigen 
gebend.  2)ie  25idcuffiDn  übet  ein  angetegted  S^emo  wat  bie 
etfte  Sotm,  in  bet  teife  SJiünnet  ben  @tunb  jut  SBiffenicbaft« 
li(^feit  legten.  JDie  ©idcuffton  ift  intmet  om  »ot3ÜgIi(bften  ge- 
eignet, bie  fcblummetnben  gS^igfeiten,  bie  eingebotncn  Oeifted» 
ftöfte  ju  etweden  unb  gunt  ©tteben  nac^  entfpte^enbem  Sludbtud 
anjufpotnen.  @o  entftanben  bie  etften  Slcabemien,  bie  etften 
|)flegeftätten  wiffenfd^aftlic^en  gebend,  bie  ^^udbitbungdfdbulen 
füt  bie  ©eiftedttäfte  and  bet  SSeteinigung  eingelnet  ^od^begabter 
Snbiöibuen  gu  etnftet  93efptecbung,  aud  bet  funfenfprü^enben 
Sdeibung  felbftt^ätiget  ©ciftet.  .Rotten  bie  intenectuellen  3nte» 
teffen,  ^atte  bie  $oefie  bie  OJtaffen  einmal  fo  nöOig  etfa§t,  bag 
fie  mit  ben  ^5(^ften  anbetn  Snteteffen  bed  inbisibuellen  unb 
bed  nationalen  gebend  concuttiren  tonnten,  wat  bie  bet 
ptobucitenben  ©eiftet  fo  angewac^fen,  bag  bad  ©eiftedleben 
einen  ^o^en  ©tab  non  fRegf amfeit  etlangt  l^atte,  fo  entwidelte 
fi(b  in  golge  beffen  audb  ein  fc^atfet  ftitifcbet  ©eiji,  bet 
bie  geiftungen  bet  [oetfc^iebenen  Stäget  bet  literatifc^en  0e<> 
fttebungen  gegen  einanbet  abwog  unb  ein  Utt^eil  fäQte.  2)ad 
wa^fenbe  3nteteffe  bet  gto^en  ÜRaffen  on  bet  ^oepe  liep  pe 
au(p  an  bet  Ititiptenben  Sbätigfeit  2:^ei[  nehmen,  wie  ed  in 
feinet  Sntenptät  op  gtabegu  bem  fflationatgeift  unb  SeitgeiP 
ben  ©tempel  aufbtüdte.  9tacbbem  bann  bie  ÜPenfcpen  einmal 
ba^in  gelongt  waten,  gum  3eitoettteib  obet  aud  ©tfenntnip  bet 
9lü^li(bfeit  füt  bie  Sludbilbung  bed  Äotpetd,  bie  p^ppf(^en  Ätäpe 
an  einanbet  gu  mePen,  äBettfämpfe  gu  oetanftalten,  wat  ed  bei 
fold^en  IBölIetn,  bie  an  bet  ^^ätigfeit  bet  S)icbtet  unb  Mentet 
tegen  iSnt^eil  nahmen,  nut  eine  natütliebe  golge,  au^  bie 

(S5S) 


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5 


@eifteefräfte  ber  eingeloen  3nbtotbuen  in  öffentlid^en  )>oett{(^en 
SBett!äm)>fen  bemeffen  gu  wiffen-  SDeraitige  Sßettfämpfe  mu§tm 
jebo(b  not^wenbiget  SBeifc  ein  SRejultat  ergeben,  fie  waren  gmecf* 
log,  wenn  ni(^t  bie  ^ritif  bed  9iationatgeifited  in  feiner  @efammt« 
^eit  ober  einzelner  anerfannter  äSertreter  beffelben  über  bie 
8eiftungen  ber  al8  SBettfännjfer  Sluflretenben  entfc^ieb  unb  bie 
^eroonogenbften  berfelben  in  irgenb  welket  SBeife  belohnte. 

@0  fe^en  wir  innerhalb  ber  ©efcbid^te  ber  5Jlenf^^cit  gu  wiebet« 
holten  SJialen  unb  bei  oerfdbiebenen  SSßlfem  bie  Snftitution  bet« 
artiger  ^joetif^er  SBettfäm^3fe  entftehen,  wie  audh  anbete  »er«  • 
wanbte  @rfd^einungen,  bie  und  in  ber  Kultur  bed  SRittelalterd 
begegnen,  nicht  cereingelt  auftraten,  fonbern  ihre  felbftftänbigen 
Vorgänger  unb  9iachfoIger  hatten. 

IDie  älteften  berartigrn  3BettIäm))fe,  für  bie  wir  füglich 
Sott  Slurnier  anwenben  bürfen,  wenngleich  bagu  bie  engen 
@rengen,  in  bie  biefer  S3egriff  heute  eingefchloffen  ift,  hte  unb 
ba  überfdhritten  werben  müffen,  fanben,  fo  weit  wir  mit  @idher« 
heit  urtheilen  fönnen,  in  ©riechenlanb  ftatt,  wo  gu  ber  Seit  bet 
Gulturblüthe  bed  8anbed  bad  Sntereffe  ber  SSolfdmaffen  für  bie 
^oefie  einen  relativ  au^erorbentlich  hi’^en  ®rab  von  Snteufität 
aufweift.  IDie  $oefie  h^tte  bort,  butch  ben  Umftanb,  ba§  fie 
einen  wichtigen  Slheil  bed  religiöfen  Sultud  audmachte,  feine 
©tü^e  unb  Begleiterin  war,  »ou  ben  früheften  Seiten  an  fo 
nachhaltig  auf  bie  Boltdmaffen  eingewirft,  bad  Sntereffe  für 
fich  in  folchem  @rabe  in  Slnfpruch  genommen,  ba^  fie  gewiffer« 
ma§en  9iationalfa^e,  ihre  ^robucte  nationaler  33efi^  würben, 
ba|  ber  gtiechif^e  ^tationalgeift  auhcrorbentli^  gu  poetifcher 
Bethätigung  h>uneigte.  2)ie  vier  großen  nationalen  Seftfpiele, 
bie  ol^mpifchen,  bie  ppthifchen,  bie  ifthmifchen  unb  nemäifchen 
bienten  aDetbingd  faft  gang  audfchliehlich  ben  ghmnaftifdhen  unb 
ben  ritterlichen  Itönften,  hoch  waren  bei  ben  fjpthif^en  mit 

(Ml) 


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6 


biefen  auc^  muftfaltfc^e  Settfänq}fe  Derbunben,  ja  ed  fcbeint, 
alö  ob  bie  pptl^ifcben  Spiele  urfprünglicb  nur  biejem  te^tetn 
3»ecf  gebient  Ratten.  @in  gorbeetftang  für  ben  beften  ^ptnnuä 
auf  Apollo  ttat  ftübseitig  an  Stelle  ber  @elbjumme,  bie  bafür 
als  ^reiö  auögefe^t  war,  unb  eö  ift  bc3eicbnenb  für  bie  grie» 
(bif(^e  iDenfweife,  ba^  bie  greife  bei  allen  3öettfänipfen  feinen 
materiellen,  fonbern  nur  ibeeQen  äSert^  befaßen,  in  ^almen> 
gweigen  unb  in  ^^ängen  aud  natürlichem  iiorbeer,  @ppi^, 
gichtenreifern  :c.  beftanben.  gieilich  geno^  ber  Sieger  in  ben 
olpmpifchen  Spielen  befonbetö  neben  bem  über  bie  gange  grie* 
cbifche  SSelt  uerbreiteten  Slnfeben,  ?)riDiIegien  unb  SSortheile, 
bie  einen  bebeutenben  materiellen  ÜBerth  repräjentirten.  ^Jluch 
bei  ben  ifthmifchen  unb  nemäifchen  Spielen  waren  mufifche  SBett* 
fampfe,  bei  ben  erften  fpeciell  poetifche  gebräuchlichf  an  benen 
fich  auch  IDichterinnen  betheiligten.  IDie  olpmpifchen  Spiele 
hatten  mufifche  SBettfämpfe  ni^t  in  ihr  Programm  aufgenommen. 
5Die  gro§e  93ebeutung  berfelben,  bie  ungeheuren  ÜJienfchenmaffen, 
bie  fie  hwbeigogen,  würben  aber  Beranlaffung,  bafe  ^Dichter, 
belehrte,  ^hi^afophen  bort  oor  ber  oerfammelten  ^enge  ihre 
ncuefteu  ßrgeugntffe  oortrugen  — ohne  freilich  um  einen  au8* 
gefegten  ^rei8  ju  concurriren,  fonbern  nur  um  fich  befannt  gu 
machen,  wogu  [ich  alletbingS  feine  günftigere  Gelegenheit  bot. 

33on  wefentlich  S)ebeutung  al8  bieje  nationalen 

^eftfpiele  waren  jeboch  in  literarifcher  .jpinficht  bie  mit  ben  al8 
S)ionpfien  begeichneten  [heften  oerbunbenen  äBettfampfe  brama* 
tijeher  ^Dichter.  9tu8  bem  2)ionpio8cultu8  hatte  [ich  ba8  IDrama 
entwicfelt,  ba8  oermöge  biefe8  feines  religiöfen  UrfprungS  ein 
hohes  iJInfehen  genoh  unb  eine  gewichtige  diolle  im  Gulturleben 
ber  Griechen  fpiclte,  benn  baS  ^h^ater  galt  ihnen  mit  Siecht 
als  hächfte  SilbungSanftalt  unb  bie  Sh^aterbichter  erfaßten  ihre 
Slufgabe  bemgemä§  unb  bemühten  fich  wirflich  in  ber  früheften 

(iM) 


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7 


Seit  bcr  ©ntaicfclung  beS  3)tama8,  ©Tjte^er  beS  Solleö  j«  fein. 
@0  würbe  bie  pflege  ber  biamatifc^en  ^oefle  al8  ®taat8fa(i^e  • 
betrautet  unb  bur^  SluSfe^ung  von  @taat8preifen,  bie  ebentaQS 
in  natürlici^en  Jtränjen  unb  ferner  in  2)reifü§en  beftanben,  bet 
SBerteifer  bet  3)id^tet  angef^jomt.  35ie  oberfte  ©taatöbe^örbe 
prüfte  bie  neuen  @tü(fe,  bie  für  bie  JDionpfien  einliefen,  unb 
lie§  nur  biejenigen  gut  Bewerbung  um  ben  ^reifl  ju,  bie  fie 
al9  geeignet  unb  würbig  anerfannte.  SDiefe  ©tüde,  gewö^nlid) 
»on  3 concurrirenben  2)id^tem,  würben  nün  gut  Sluffübrung 
gebracht  unb  banacb  Don  ben  bagu  auSgeiooften  unb  beeibigten. 
Preisrichtern  beurtheilt,  worauf  bann  oor  »erfammeltem  Publifum 
bie  SJertheilung  ber  Preife  ftattfanb.  SDiefe  SSorfteDungen  ge» 
ftalteten  fich  ftetS  gu  ben  gro§artigften  geften,  an  benen  ba8 
S^olf  Don  91then  fidh  auf  ba8  Sebhaftefte  betheiligte  unb  jo  baS 
3ntereffe  befunbete,  baö  e8  an  ber  Poefie  nahm. 

Db  in  '^(epanbtia  poetifcheäBettfämpfe  mit  Preibcertheilungen 
oeranftaltet  würben,  erhellt  nicht  mit  JDeutlichfeit  au8  ben  9Kit» 
theilungen  ber  Sllten.  S3ei  bem  überau8  regen  Q$eifte8leben,  ba8 
in  ber  .^auptftabt  be8  ptolemäerreidhs  hettfchte,  in  ‘^lepanbtia, 
baS  al8  bie  ©eele  be8  römifchen  SieltreicheS,  al8  bie  geiftige 
SRetropole  beffelben  begegnet  werben  barf,  ift  man  wohl  be« 
rechtigt,  biefe  ©tabt  au^  al8  ben  ©chaupla^  oon  poetifdhen 
^outnieren  gu  betrachten.  0efannt  ift,  bag  in  jener  Pftegeftätte 
bet  SBiffenfchaften  unb  ber  Poefie,  im  Piufeion,  bei  feftlichen 
Gelegenheiten  SSorträge  oon  neuen  bichterifchen  Grgeugniffen 
ftattfanben,  unb  bah  oon  bem  Grfolg  berfelben  ber  9iuf  bet 
^Dichter  abhing.  SDie  furchtbarften  Äabalen  beftanben  gwifchen 
ben  Parteien,  bie  bie  ©elehrtentepublit  beS  Piufeion  gerfehten 
unb  war  e8  an  fich  fchon  eine  febr  hohe  ©h^^e  gu  bet  poetifchen 
Goncuneng  gugelaffen  gu  werben,  eine  2)i^tung  bort  oor  ben 
Cv^en  ber  gelehrteften  Äritifer  unb  Grammatifer  oorgutrogen, 

(»i) 


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8 


fo  gingen  aud^  ^nfteDungen  an  Den  wiffenfc^afilici^en  2>ttfHtuten 
^(ejranDriaS  Danon  ab.  äDodoniuD  non  {R^oDoS  tonnte  in  feinet 
SSaterftaDt  nic^t  bleiben,  ald  et,  S)anf  Den  Snttiguen  be9  £aQi« 
tnacboS  unb  feinet  f)attei,  mit  feinem  @poS  Sltgonautica  eine 
völlige  fRiebetlage  etlitten  ^atte,  unb  etft  me^rete  ^Q^cje^nte 
fpätet  mutbe  i^m  unb  feinet  S)id^tung  bie  gebü^tenbe  @^te  gu 
5£bei(,  al8  et  von  Sibobod  nac^  SUetanbtia  betufen  tvutbe,  um 
bott  bie  Leitung  be9  fIRufeion  gu  übetne^men. 

3n  9tom  lagen  bie  SSetbältniffe  gang  anberS  al9  in  @tie(ben> 
lanb.  IDott  übenvog  bie  tSuSbilbung  bet  ^bpftf(^^  ^äfte  gu 
allen  3«ten  bie  bet  pjp^ifcben  fo  gang,  ba|  bie  ©ntftebung 
einet  iiitetatut  bafetbft  but^  'jluSlänbet  angeba^nt,  ba^  baS 
3ntereffe  füt  ©eifteSbtlbung,  füt  Jfunfte  unb  5Biffenf(baften 
mü^fam  auSgebilbet  metben  mugte.  IDet  Untetfc^ieb  im 
bet  Spiele  bet  ©tietben  unb  bet  Oiömet  ift  füt  biefe  SSölfet 
böcbft  begei(bnenb.  3n  @tiecbenlanb  waltete  in  bet  Seit  feinet 
)0[ütbe  unb  vot  betfelben  baS  Stteben  nadb  b<temonif(bet  IDutcb« 
bilbung  bet  Äötpet»  unb  ©eifteöftäfte,  nach  eblera  ©leicbma^ 
gmif(ben  ihnen  vot.  3n  IRom  Dagegen  geigt  ficb  nut  bie  ein> 
feitige  '.SuSbilbung  bet  phPfif^en  ^äfte,  wotauS  bann  in  ben 
Seiten  bed  .ftaatlicben  93etfall9  jene  thietifdhe  ißettohung  unb 
(Sntattung  entftanb,  bie  fi(b  in  bem  (gefallen  an  ben  ab> 
fcbtedlenbften  SSlutfcenen  befunbete.  ©tfreute  bet  ©tie^e  bet 
petifleifcben  Seit  pdh  an  ben  henlidhen  ©tgeugniffen  feinet 
ISrcbitecten,  Silbhauer,  3Ralet  unb  JDichtet,  fo  bet  {Römet  bet 
auguPeifchen  Seit  unb  bet  batauf  folgenben  ^etiobe  nut  an 
©labiatoten«  unb  Shtetfämpfen  bet  iStena.  3Benn  9ieto  in 
feinem  unbänbigen  Selbftbewuptfein  unb  in  feinet  gtengenlofen 
©itelfeit  fi(h  von  bem  IBoIIe  al9  gro§et  IDichtet  bemunbett  unb 
vetgöttett  tviPen  moQte  unb  gu  biefem  93ehuf  poetifche  äSett« 

(U6) 


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9 


fämpfe  veianftaltete,  fo  wäre  ed  boc^  Derfe^It,  biefe  überbau)}! 
nur  mit  benen  ber  Qf^riedben  nergteicben  ju  woQen. 

S)er  ^iftortfcben  Siei^enfolge  gemä§,  wie  fie  in  unfern  &e» 
fic^töfreiö  troten,  finb  e8  nun  bie  literariftben  gefte  ber  feltif^en 
93arbenorben,  bie  und  guerft  begegnen,  beren  (I^arafter  aber 
nur  fe^r  fcbwet  gu  erfenuen  ift.  3(uc^  biefe  SBettfämpfe,  bie  fo« 
genannten  ©iftcbbfobd,  bie  in  iSberfraro,  ßaerwpd,  SJlat^raoal 
unb  an  anbetn  Orten  bed  feltifc^en  Britannien  unb  @aOien 
abge^alten  würben,  ftanben  unter  ber  9(uffid^t  bed  ©taatd,  bet 
bie  Äampfricbter  ernannte.  S3id  gut  Seit  ber  Äonigin  ©lifabet^ 
non  @ng(anb  erhielten  fie  tro$  bet  Bebeutungdlofigfeit,  gu 
ber  bad  Barbenwefen  aud  politifc^en  @tünben  fc^on  lange  normet 
^erabgebrüdFt  worben  war. 

Berwecbfeln  bürfen  wir  mit  biefen  wirfiicben  SSettfämpfen 
natürlicb  nic^t  jene  poetifcben  Borträge,  bie  bei  feftiicpen  ®e« 
legen^eiten  überall  ba  ftattfanben,  wo  oon  poetifc^er  Siegfamfeit 
unb  oon  Sntereffe  für  bie  ^oefie  bie  Bebe  war.  SBie  'Poefie, 
@efang  unb  Sang  urfprünglicb  im  IDienfte  bed  religiöfen  .^ultud 
ftanben,  aud  i^m  ^erootgingen,  fo  waren  mit  religiöfen  geften 
meift  bei  allen  auf  nieberer  ^ulturftufe  ftebenben  Böllern 
poetifcbe  Borträge  oerftbiebener  3rt  oetbunben,  benen  batum 
ober  ber  ß^arafter  ber  SBettlämpfe  natürlicb  noUfcmmen  abging. 

9lu(^  im  germanifc^en  Borben,  in  Sfanbinaoien  unb  auf 
Sdlanb  würben  poetifc^e  Surniere  oeranftaltet  unb  fc^einen  eine 
giemli^  gewöhnliche  Unterhaltung  gebilbet  gu  h^l^en.  ©o  weit 
wir  aud  ben  notbifchen  Literaturen  fchlicfeen  fönnen,  hatten  bie 
eigentlichen  SBettfampfe  jeboch  einen  weit  ernfteren  6h“taUer 
ald  bie  früheren  bet  ©riechen,  ald  bie  fpäteren  bet  ^rooengalen, 
benn  ed  würbe  bei  biefen  Surnieren  guweilen  bad  Leben  auf 
bad  Spiel  gefegt.  Sunächft  finben  wir  ein  Spiegelbilb  ber  an 
allen  norbif^en  .^öfen  unb  bei  aOen  gto|en  Seftlich^eiten  unb 

(M7) 


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10 


@aftmäb[ern  gebiäucblicben  ©falbentuiniere,  unb  ber  fpejtfi|cb 
norDi)(ben  ^orm  berjelben  begegnen  wir  in  Derj(biebenen©icbtungeii 
bet  älteten  unb  jüngeren  (äbba,  wo  wie  in  SSaftbrubniSmal  Dbin 
(©angrabr)  unb  SSaftbrubnir  al8  @egnet  auftreten.  3)a8  teli» 
giöje  SEBifjen  ift  e8  b»^r  ***  Sotm  oon  9lätbielaufgaben 
ben  ©egenftanb  be8  S3ettfanipte8  bilbet;  a(8  ^fanb  wirb  aber 
beibeTjeit8  bet  Äopf  eingelegt,  ben  betjenige  oerliert,  bet  ein 
Dcm  Segnet  aufgegebene8  Sfiätbjel  nicht  Ißfen  fann.  2)ie  25ot» 
ftellung  biei'et  jtämpfe  unb  gwat  in  §orm  oon  Stätbfelftagen 
finben  wir  freüteb  bei  waneben  inbogermanijehen  ißßlfein,  fo  bet 
ben  ©riechen  in  bet  ®nge  oon  Debipu8  unb  bet  @pb***t  wiebet 
unb  fie  finb  in  bie  beutfehe  SDRätihenbichtung  übergegangen,  in 
bet  wir  ihnen  giemlich  h*iwfi0  begegnen.  Slm  getreueften  ift 
biejeS  StäthfelbueU  Dbin’8  mit  Söafthrubnir,  aber  gunächft  in 
bet  notbijehen  «^erwaratjage  wiebetgegeben , wo  Dbin  in  bet 
Seftalt  be8  blinben  Seft  fich  mit  ^önig  Jpeibret  im  StäthfeU 
rathen  mifet  unb  wo  ebenfalls  ber  Äopf  beffen  al8  ^fanb  gilt, 
ber  ein  SRäthjel  nicht  gu  löjen  »etmag.  lDa8  Snterejfe  für 
folche  SSJettfämpfe  mu^  bei  ben  Sermonen  überhaupt  jeht  ftarf 
entwicfelt  gewejen  fein,  benn  au§et  biefen  mpthifchen  St» 
göhlungen  bietet  bie  j^ulturgejchichte  noch  viele  IBeweife  bafür. 
(Die  SRorblänbet  liebten  ben  Siortrag  von  Sichtungen,  unb  bie 
38lanbet  befonbet8  pflegten  bie  natürliche  poetifche  Begabung, 
bie  fie  befaßen  unb  heute  noch  neben  grofeet  Schärfe  be8  Seifte8 
befi^en  fotlen,  auf  ba8  eiftigfte.  So  beluftigte  man  fich  bei 
Saftmähletn  gern  mit  bem  „^Jtänneroergleich''  bet  barin  be» 
ftanb,  bah  fich  3®ei  Parteien  bilbeten,  oon  benen  jebe  eine  be» 
fonbere  ‘‘Perfönlichfeit  in  iJiebetn  bejong  unb  ihren  gelben  übet 
ben  gegnerifchen  gu  erheben  fuchte,  wobei  benn  wohl  gnweilen 

ober  oft  au8  ben  SBorttämpfen  Schwerlfämpfe  entftanben,  ba 

(sr^) 


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11 


bie  großen  Waffen  von  9Ret^,.  bie  man  ju  tiinfen  gemeint  mar, 
bad  irrige  jur  @i^iQung  bei  @emüt^ei  beitrugen. 

3n  ber  ©ubrun  finbet  fid)  ferner  eine  Stelle  bie  bemeift, 
ba§  man  an  ben  ^öfen  bie  IDid^tung  liebte  unb  pflegte.  2)er 
bänifc^e  .pelb  unb  Sänger  Jporanb  fpric^t,  Strophe  40G,  jur 
fc^önen  Jpilbe: 

D ebleg  ^JJtägbelein, 

ÜJltin  .J)ert  fjat  alle  Sage  an  bem  4>ofe  fein, 

3»ölf,  bie  bet  weitem  beffet  al8  i<b  um  greife  ringen, 

®at  füg  ifl  ibre  SBeife  — boeb  fann  mein  ^err  am  alletbeflen  fingen. 

25ie  §orm  beö  ÜRätbfelratbend  mit  (äinfe^en  beö  Äopfeö 
jum  'Jlfanbe  bilbet  aber,  oerbunben  mit  bem  „fDiänneroergleit^" 
auch  ben  ©egenftanb  ber  Sage  unb  ber  fDic^tung  vom  Sönger= 
flieg  auf  ber  Sartburg,  bet  groifebeu  1206  unb  1208  bafelbft 
ftattgefunben  foß-  Sie  Sicberbeit  mit  ber  biefe  Sage 

auftritt,  bemeift  ferner,  ba^,  menn  i^t  nic^t  eine 
Sbatfabbe  gu  @runbe  lag,  fo  boeb  bei  germanifebe  @eift  immer 
baß  leb^aftefte  Sntereffe  für  poetifc^e  Söetttämpfe  begte. 

Sie  feltifcben  Barbenmettfämpfe  feilten  befonberß  auf  notb= 
frangöfiftbem  ©oben  in  cbriftlicber  Seit  ihre  'Jlacbfolget  finben, 
bie  eine  bebeutenbe  tRolle  in  bem  mittelalterlicben  @eifteß(eben 
gu  fpielen  berufen  maren.  @be  mir  auf  biefe  jebod)  einen  ©lief 
merfen,  muffen  mit  unß  gunäebft  einem  anbeten  ©olfe  oon 
anberet  iRaffe  gumenben,  ben  Qltabetn  nämlitb.  3tucb  bei  biefen 
mar  bie  ^poefie  ©ationaljatbe  unb  griff  tief  in  baß  fogiale  ?eben 
ein.  Sie  natürlicbe  poetift^e  ©egabung,  bie  ficb  in  bem  allen 
©ebuinen  eigenen  Sntprocifationßtalent  befunbet,  mar  bie  Ut' 
fadje  für  baß  au^erorbentlit^e  Sntereffe  unb  ©erftänbnife,  bie 
fie  allen  bebeutenben  Schöpfungen  beß  @eifteß  entgegenbrachten. 
Srftanb  in  irgenb  einem  Seltlager,  in  irgenb  einem  Stamm  ein 
neuer  Sichter  von  ungemöhnlicher  ©egabung,  |o  mürbe  biefeß 

(Ü9) 


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12 


6reigni§  burd)  grofee  gePe  gefeiert,  ©elbft  in  bem  politifdben 
lieben  fpielten  bieS)i(bter  eine  grope  SloQe,  benn  wenn  pe,  wie 
gewöbnlic^,  gugleid^  auch  tüchtige  .Krieger  waren,  fo  übertrug 
man  ihnen  bie  Leitung  unb  SSertretung  ihreS  ©tammeS  anberen 
gegenüber.  3n  ben  Kriegen  waren  pe  ti,  bie  burch 
.^erauSforberungen  bie  Äömpfe  eröfpteten;  Pe  fungirten  al8 
@4l*cb8ri(hter,  wenn  langjöhrige  Äriege  beigelegt  werben  feilten. 
IBon  einem  ^Dichter  non  IRuf  befangen  3u  werben,  galt,  wie 
bieS  au8  manchen  bezüglichen  Erzählungen  erhellt,  al8  eine 
auperorbentliche  Eh^^^r  ^rmen  reich,  ben  ^ülflofen 

mächtig  machte.  9(n  ben  gropen  .^ulturftälten  würben  bei  Ee< 
legenheit  oon  Sahtwärften  unb  religiöfen  geften  meift  auch 
SBettfämpfe  »eranftaltet;  bie  bebeutenbften  berfelben  waren  jeboch 
bie  »on  OfhflZ/  auf  bet  gropen  SahreSmePe  bie  gröpten 
SMchter  pch  mit  einanbet  mapen  unb  ber  ?)rei8,  bet  ber  f^önften 
^Dichtung  zu  Sh^i^  würbe,  beftanb  barin,  bap  biefelbe  mit  Eolb 
auf  ©eibe  gefchrieben  im  9iationalheiligthum  ber  Araber,  in  bet 
^aaba  zu  ISieffa  aufgepängt  würbe,  unb  7 folcpe  IDi^tungen, 
bie  fogenannten  ^oaUatat  pub  ber  äBelt  erhalten  geblieben. 
3n  bem  ibeellen  Sharafter  beö  ?)reife8,  ber  bem  IDichter  ettpeilt 
würbe,  befunbet  pch  auch  ^^u  Erieepen  ba8  hape 

auiepen,  baS  bie  ^oefie  bei  bem  arabifepen  SBolfe  genop. 

IDurcp  SHopammeb  unb  bemgemäp  burip  bie  iSlamitifcpe 
Ortpobcjrie  war  bie  ^oefie  in  ben  iölamitij^en  IReidpen  zuerft 
unb  tm  ^3Qgemeinen  in  9)iip!rebit  gebracht  worben  unb  entartete 
bann  einerfeitfl  i\xx  .^ofbieptung,  anbererfeitö  trat  pe  in  bie 
JDienfte  bet  ^olitif  unb  ber  Slenbenz;  am  meiften  würbe  pe  oou 
ben  SSolfem  geppegt,  bet  benen  bie  religiöfe  greigeifterei  unb 
Äeperei  am  gröpten  waten : bei  ben  Werfern,  ben  pzilifcpen  unb 
fpanifepen  Ülrabetn  unb  SJlauten.  ^oetifepe  SBettfämpfe  würben 

feit  bet  Seit  be9  Epalifen  Seztb  zwar  auep  im  Orient  oetan« 
(660) 


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13 


ftaltet,  befonbcrfl  fpätet  unter  ben  Slbajflbijc^en  «^ertfc^eru  in 
Sagbab  innerl^alb  bet  8iterarif(^en  ©efeQft^aften  nnb  Älubö.  3m 
iflügemeinen  aber  traten  fie  im  Orient  nereinjelt  auf,  njä^tenb 
im  (S^alifat  Äötbooa,  überhaupt  im  mauetifc^en  Spanien,  bie 
poetifd^en  Sutniere  gu  ben  gen}5^nlic^ften  IBeluftigungen  ber 
SSorne^men  gehörten,  unb  ebenfo  roie  bie  ritterlichen  Uebungen 
bort  lange  »er  ber  3eit  gepflegt  mürben,  in  ber  ba0  (hriftliche 
9titterthum  mit  feinet  JRomantif  entftanb.  gahtenbe  Sänget 
jogen  allein  ober  »on  ihren  ÜRufifern  begleitet  burd)  bie  iöla» 
mitifchen  IReiche,  unb  maren  houpl|ädhli(h  on  ben  maurifchen 
^öfen  unb  in  ben  ^alöften  ber  SReichen  gern  gef  eben.  Grafen 
bafelbft  mehrere  IDichter  gufammen,  jo  ergaben  fich  bie  3Bett» 
fompfe  alSbalb  oon  felbft.  S3ei  grofeen  religiöfen  geften,  wie 
am  ©eburtötage  beä  ^Iropheten  war  e0  an  manchen  Orten,  bei» 
fpielflmeife  au^  in  geg  Sitte,  öffentliche  SBettfämpfe  um  h^hc 
greife  gu  oeranftatten,  bie  oon  ben  betreffenben  gürften  »ertheilt 
würben. 

iJeo  tSfrifanuö  berichtet  über  biefelben  nach  S^aef  ('•poefie 
unb  Äunft  bet  Araber  I 84)  folgenbermahen:  „35ie  ^Dichter  in 
geg  oerfaffen  jährli^  @ebichte  gum  ^obe  3Ruhammeb0,  oorgüg» 
li^  an  beffen  Geburtstage;  bann  nämlich  ftrömen  fie  fchon  früh 
ÜJtorgenS  an  bem  Orte  gufammen,  wo  ber  oberfte  ber  SJeamten 
feine  SBohnung  hot  unb  regitiren  nach  ber  fReihe,  inbem  fie 
beffen  erhöhten  Si^  befeitigen,  oor  einer  großen  33olI8mengc 
ihre  gobliebet;  benjenigen,  beffen  Gebicht  als  baS  elegantefte 
unb  fchlagenbfte  anertannt  wirb,  ruft  man  bann  für  baS  3ahr 
gum  JDichterfürften  auS.  So  lange  noch  bie  Sületiniben  heitf<hten, 
berief  ber  jebeSmalige  ^önig  bie  Gelehrten  unb  Schöngeifter, 
fo  Biele  beten  in  ber  Stabt  waten,  in  fein  Schloß,  bereitete 
ihnen  einen  prächtigen  Gmpfang  unb  lieh  jeben  in  feiner  Gegen» 
wart  Bon  einem  erhöhten  ^la^  fein  Gebicht  auf  fUiuhammeb 

(561) 


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14 


Bortraäen;  wer  bann,  nadb  aCfer  Urt^eil,  ©ieger  wor,  warb 
»om  .Könige  mit  einem  ^»rä^tigct  Stoffe,  einer  ©ffauin,  ljunbert 
©olbftücfen  unb  bera  ©cwanbe,  baß  ber  Äönig  felbft  getragen, 
belohnt." 

«Derartige  SEurniere  muffen  aufeerorbentlic^  beliebt  gewefen 
fein,  benn  fie  würben  bei  befonberen  ©elegen^eiten  auch  nc(5 
lange  md)  ber  Sernid^tuug  ber  9Kauren^errfd)aft  non  ben  9Jlo. 
rißfen  oeranftaltet,  wie  eß  auß  bem  2.  SSanbe  ber  ©efd^idjte 
bet  SSürgerfriege  uon  Pcrez  de  Hita  erljcHt.  3n  §olge  ber 
fur^tbaren  Sebrüdfungen , bie  bie  unglüdlic^en  ?0toriß!en  »on 
bem  Sl^ron  unb  bem  tSltar  ©panienß  gu  erbulben  Ijatten,  Bet» 
fucbtcn  fie  gu  wieber^olten  SJlalen,  bie  fpanifcbe  J^errfd^aft  ab» 
gufdjütteln  unb  ftd^  wieber  i^re  frühere  Unabljängigteit  gu  et» 
ringen,  ©o  Ratten  fie  1568  9lben  Dmcpa  gu  ihrem  Äonig 
erwählt  unb  lämpften  mit  gtö|ter  Erbitterung  gegen  bie  $eete, 
bie  Philipp  II-  8^96”  entfanbte.  Einige  ©iege  waren  er» 
fcdjten  unb  bei  ©elegenheit  eineß  fol(hen  würbe  1569  in  ?)ur» 
<hena,  ber  JRefibcng  beß  SJtorißfenfönigß,  ein  grofeeß  geft  gefeiert, 
an  bem  biefer  unb  alle  feine  Äriegßoberften  Sh^ü  nahmen. 
SBie  in  ben  SEurnieren  früherer  3«*,  würben  nun  gunäd)ft  gitm» 
naftifche  unb  ritterlidbc  SBettfampfe  oeranftaltet,  Äroftproben 
gcmarht  — in  ähnlicher  SBeife  wie  eß  im  9.  unb  10.  3ahr= 
hunbcrt  am  EhoÜffnhofc  gu  jfdrbooa  ©itte  gewefen  war. 
31n  einem  ber  lebten  Jage  beß  großen  Sefteß  traten  au^ 
mauetifdhe  Jängetinnen  unb  ©ängetinnen  auf,  bie  um  ben  ^reiß 
für  baß  hefte  gieb,  ein  foftbareß  ©ewanb,  rangen.  «Die  @c» 
wohnheit,  berartige  hoetifche  SBettfämpfc  in  Heineren  ober  größeren 
greifen  gu  Beranftalten.  fam  fogar  in  manchen  ©ebichtformen 
gum  Slußbrucf,  bie  ben  hotcmifchen  Eharafter  im  SMalcg,  in 
Siebe  unb  ©egenrebe,  in  bem  bramatifch  ftch  gufpi^enben  ©treit 
übet  ein  gegebeneß  Jhema  beweifen. 

(5fiS) 


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15 


Slud^  bte  a(te  ©ewo^n^eit  ber  Scbuinen,  betn  ®^»ett= 
fampf  Dor  einet  eine  poetife^e  .^erauSforberunii  »oran* 

ge^en  ju  laf[en,  wutbe  non  ben  ^Rauten  @pantenä  beibe^alten 
unb  übettrug  ftcb  nie  fo  unenbli(^  »ieleS  anbete  au^  gum  S^eii 
auf  bte  ©egnet,  ging  bo^  aud^  bem  SBaffenturnier  bei  ben 
fDlo^ammebanern  wie  bei  ben  (Sbtifien  tm  SDgemeinen  eine 
9(it  .^eraudfotbeiung  in  gebunbenet  ober  ungebunbener  fRebe 
ootan. 

SBir  treten  nun  in  bte  Äulturfp^re  ber  ß^riftenljeit  übet 
unb  gwat  muffen  mir  un8  \)ietiü  auf  frangörifdjen  Soben  begeben. 

JDie  alten  5B6lfer  Ratten  ftd^  auSgelebt,  bte  alten  3?ei(be 
waren  gnfammengeftürgt,  baö  (S^riftent^um  unb  bie  ©ermanen 
waren  berufen,  neue  ©taatgorganiömen  gu  ftbaffen.  Unter  bem 
©influfe  bet  arabift^-mautiicbcn  Äultur,  unter  ben  Kämpfen  bet 
ß^riflen  gegen  ben  SSlam  erwatbten  bie  SBölfer,  bie  au8  ben 
SBirren  ber  SBolferwanbetung,  au8  ber  9Jli|(bung  bet  fRationen 
aKmäljlic^  ^erootgcgangen  waren,  gum  Seben.  3m  SBoCibeft^ 
iljter  pljpfif^en  unb  pfpd^ifcben  Äräfte  fut^te  bie  djriftlidje 
9Renf(^l)eit  biefelben  aud^  anguwenben  unb  gut  Sluöbilbung  gu 
bringen,  unb  in  i^tet  Sugcnblicbfeit  »ieö  fie  natürlid^  audb 
alle  jene  ^araftcriftif^en  (äigenjcbaften  auf,  bie  ber  erften 
8eben8pctiobe  beS  9Renfd)cn  überall  unb  immer  beimobnen. 
Ueberj(bwängli(bteit  beS  ©mpfinbungSlebenS,  ^b^ntaftif,  -bie 
unter  bem  @influ§  bet  fatoliftben  Äultur  gum  SölpftigiSmuö 
binneigte;  baö  3?ewu§tfein  bet  pbpftfdben  .Kraft  unb  baS  baraufl 
entfpringenbe  Sebürfni§,  biefelbe  anguwenben  — ergeugten  jene 
wunberbaren  ©tjtbeinungen  unb  Unternebmungen  beS  9Rittel= 
alterg,  auf  benen  für  unS  moberne  SRenf^en  berfcibe  Sauber  ber 
SRomantif  rubt,  ben  bie  ©tinnerung  an  bie  Sugenbperiobe  in 
jebcm  SRenfcben  bcroorruft.  (58  ift  baS  ^'rioilegium  ber  Sugenb, 
ja  ein  natürli(be8  ©tforbetnife  ibre8  SBefenS , ba^  fie . ftcb  au8= 

(S63) 


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16 


toben  mufe;  fo  batf  e8  unö  ni^t  in  Setwunbernng  fe|sen,  wenn 
wir  bie  mittelalterH(^en  SRenfd^en  Sbealen,  Seftrebungen,  ^im» 
geipinften,  $^anta3magorien  aQei  9it  nac^jagen  fe^en,  bte  wir 
beute  nur  begreifen  fönnen,  wenn  wir  ben  @eift  unb  ©bfl^after 
jener  Seit  einer  eingebenben  Prüfung  unter jieben.  3ene  Seit, 
in  ber  bie  ®nen  ber  franlljaften  asfefe,  bem  religiöfen  gana* 
tiSmuS  unb  ben  ibm  nerwanbten  @rf<beinungen,  bie  Sinberen 
ben  auSfcbweifenbften  Siegungen  beS  ©innenlebenS  verfielen,  in 
ber  SJiinionen  pcb  ber  3bee  ber  Äreujjüge  gum  Dpfet  brachten, 
ben  @rita3men  be3  ^eufeU,  ben  S^ubereien  fdblauer  I0eträger, 
ber  ^eilfraft  »on  Sieliquien  ©lauben  beima|en  — jene  Seit 
war  e3  ancb,  bie  baS  Siittertbum,  ben  SliarienfultuS,  ben  Sßinne« 
bienft  entfteben  fab.  @ie  aQe  erwu^fen  auf  bem  8oben  ®aUien3, 
beS  ehemaligen  $ranfenrei^3,  gingen  au8  ber  IBerbinbung  nor> 
bifcber  Äraft  unb  arabif^er  ©alanterie,  germanifcber  grauen» 
»erebrung  unb  überfcbwenglicber  Sleligiofität  beroor,  benen  ba8 
fubjettioe  @mfinbung8»  unb  ©innenleben  ber  3ugenb  al8 
IBermittler  biente.  Unter  bem  @influ§  be3  glücfUdben  ^limaS 
©übfranfreicbS , beffen  fruchtbarer  tBoben  mit  geicbtigfeit  alle 
SebenSbebürfniffe  befriebigte,  ber  ©orglofigfeit,  bem  grobftnn 
einer  lei^tbeweglicben  fanguinifcben  Senölferung  93orf(bub  leiftete, 
entfalteten  ff(b  bie  geftaltenben  gaftoren  beö  9Rittelalter8 : Slitter» 
tbum,  SJlinnebienft,  ?)oefie,  SJiufif  — furg:  bie  JRomantif  in 
Doflfter  23lütbe  unb  bie  prooengalijcbe,  bie  iroubabourpoefte  ift 
ihre  gru^t.  IDiefe  gewährt  al8  e(bte8  (ärgeugnife  ber  bamaligeu 
Seitnerbältniffe  unb  .Kultur  einen  norgüglicben  (Sinblicf  in  jene 
^eriobe  ber  9Jienfcbb«t8gef(bicbtf. 

SBurben  in  grieben8geiten  bie  furniere  bie  beliebtefte  8e= 
fcbäftigung  ber  nach  IBerwenbung  ihrer  ^aft  ftrebenben  jungen 
tSbeligen,  fo  würben  ba,  wo  bie  Sliilbe  be8  J$lima8,  wo  bie  ©e° 
mäcblidbteit  be8  l^eben8  erfcblaffenb  wirlten,  an  ©teQe  ber  pbp» 

(564) 


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17 


ftj(^en  .^Taftübungen  bte  geiftigen  gefegt.  Angeregt  buiig  ben 
t>oetif(ben  unb  tittecli^en  @eift,  burtg  bie  pflege  bet  mufifcben 
unb  bet  ritterlidben  .^nfte,  bie  bei  ben  3]^auren  ©ganienö  }u 
|)aufe  waren  unb  |i4)  ^on  bort  übet  bie  d^riftlidbe  Setölfe^ 
tung  9iotbfpanienfl  »erbreiteten,  fonben  auig  bie  fongeSfrogen, 
me^t  gum  @enugleben  alö  gut  Arbeit  unb  gu  J^aftanfttengungen 
neigenben  ^tonencalen  mel^r  SSergnügen  an  ben  goetifdben 
.^ulbigungen  unb  bem  SKinnebienft,  bie  fie  ben  5Damen  bat= 
brachten,  alö  an  ^rieg  unb  SUtterfgielen.  S)ie  gagiofen  fleinen 
.^öfe  bet  ^tonence  würben  bie  ^flangftätten  bet  ^oefie;  bie 
Slamen  fcgenften  ben  .^ulbigungen  bet  ritterlicben 

@änger,  bet  SEtoubaboute  unb  igter  iBoten  unb  ÜKufifet,  bet 
Jongleure,  gern  ®eböt,  liegen  ficg  bon  i^nen  ben  .^of  ntacgen, 
ogne  bag  bie  hatten  gatten  wagen  bütfen,  baran  etwad  aud= 
gufegen.  fDie  ^roubaboute  waten  an  allen  ^5fen  bet  6griften=’ 
geit  wintommen,  igre  Sgtatge  war  überall  in  ben  gögeten 
©(giften  bet  @efellf(gaft  betannt  unb  igt  @tfcgeinen  würbe 
IBetanlaffung  gu  gtogen  ^eftlidgf eiten,  bei  benen  bet  Steicgtgum, 
bie  ^ta(gt  bed  gegen  ülbeld  gu  boQem  Klange  entfaltet  würben, 
f^reube  unb  ®^etg,  Siebe  unb  ^oefie  waten  bie  begleitet  bet 
Sroubaboute.  ^eeilicg  feglte  eS  guweilen  ni^t  an  etwad  SBet^ 
mutg,  ben  bie  @ifetfucgt  bet  @atten  gegen  bie  Siebgabet  et° 
geugte  unb  bem  man(ged  Seben  gum  Ogfet  fiel.  ‘Denn  waten 
bie  SEroubaboute  au(g  feineöwegd  audfcglieglicg  @&nger  bet  Siebe, 
nagmen  fie  »ielmegt  ben  lebgafteften  ^ntgeil  an  ben  Seitereigniffen, 
bonnerten  fie  in  mäcgtigen  ®treitgebi(gten,  ben  @itnented,  gegen 
beu  tBetfaH  bet  ^tcge,  gegen  bie  Entartung  unb  fittlicge  33et> 
wilbetung  beS  ^lerud  unb  bet  gegen  ®tänbe,  gegen  alle  golitiftgen 
unb  focialen  ©(gäben,  fo  war  eg  in  Gegenwart  bet  3)amen,  im 
gefeOf^aftlicgen  93erfegi  boeg  nur  bie  Qlalanterie,  bie  ^unft  gu 
lieben,  bie  gegflegt,  fcgulgetecgt  beganbelt  unb  bemgemd^  in 

XIX.  447.  2 (i65) 


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18 


fpi^finbigfteT  3Bei{e  auSgebilbet  wucbe.  S)ad  Sufammentreffeii 
me^teier  SEtoubaboute  unb  bie  gefeQige  Bereinigung  gaben  Ber* 
anlaffung  ju  ^oetifd^en  2){Scuffionen  übet  irgenb  mel(^e  galante 
^agen,  bte  ficb  aub  ber  Unterhaltung  ergaben.  IDie  Beurtheilung 
ber  äBettgejänge  niurbe  ben  anwefenben  IDamen  überlaf^en  unb 
biefe  älrt  »on  @efellf(haft8fptelen  fanb  fo  allgemeinen  Beifall, 
mürbe  jo  eifrig  ge))flegt,  ba§  bie  barauS  entftehenbe  ©euohnheit, 
in  galanten  Streitfragen  baS  Urtheil  non  feiugebilbeten  in  ben 
@efehen  ber  bamaligen  höfijchen  Sitte  erfahrenen  hi^h^»  IDamen 
anjurufen,  im  8aufe  ber  Seit  bie  ©runblage  ffir  bie  Snftitution 
jener  8iebe0höfe  jdhuf,  bie  eine  ber  eigenthümli(hften  bera  ba* 
maligen  Seitgeift  aber  oöllig  entfprechenben  @rjcheinungen  ber 
mittelalterlidben  jovialen  6ultur  bilben.  IDer  ®eift  beS  Sdholafti« 
ci0mu0,  ber  bie  miffenjchaftlidhen  Beftrebungen  bamaliger  Seit 
(harafterifirt,  unb  halb  genug  in  geifttöbtenbe  Bebanterie  unb 
Sbihfinbigfeit  auSartete,  ergriff  natürlidh  im  Saufe  ber  Seit  auch 
bie  Boepe,  fchuf  ©efe^e  ber  ©alanterie  »ie  ber  Boetil  unb  je 
weiter  bie  erfteren,  befto  enger  bie  Unteren.  Sin  ben  lleinen 
gürftenhöfen,  wo  früher  ben  IDamen  nur  ber  ^of  gemacht  morben 
mar,  bilbeten  biefe  nun  nach  unb  nach  unter  bem  Borph  ^iuet 
©rmenparbe  »on  Dlarbonne,  ber  Königin  ©leonore  »on  ©u^enne, 
ber  5Jlarie  »on  ©huuipagne,  ber  ©hbille  b’SInjou  unb  mie  pe 
fonp  h«ifeeu  mochten,  ©erichWhöfe,  an  bie  man  ahhellirte,  beten 
Urtheil  man  Pdh  unterwarf  unb  bie  enblidh  ben  ©havafter  wirf« 
liehet  Tribunale  mit  einer  gropen  Beamtenfchaar  unb  mit  einet 
ben  bürgerlichen  ©eri^tShüfen  entfprechenben  ©inrichtung  an« 
nahmen,  woraus  wir  allerbingS  nodh  nicht  fd^liepen  bürfen,  bap 
bie  bort  gefällten  Urtheile  über  ben  Bereidp  biefer  fleinen  früh« 
liehen  Äreife  hiuauö  SJiacht  gehabt  hätten,  freilich  ift  biefe 
ganje  Srage  ber  HJiinnehöfe  nod^  feineSwegS  enbgültig  erlebigt 
unb  währenb  bie  ©inen  unter  ben  ^orfchern  biefe  Snftitutionen 

CM«) 


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19 


lebtglti^  ai0  ^eitere  @efeDfd^aften  auffaffen  unb  hai  ®anje  al8 
Sinegorie  unb  a(8  bramatifc^en  @(^crj  bettac^ten,  wofüt  manche 
Umftänbe  fprechen,  moGlen  Slnbete  fie  wiebri  ald  fogiale  3nfti« 
tuKonen  »cn  hbdhfter  S3ebeutung,  ald  @ittengeri(btdhöfe  anfehen, 
beten  Urtheile  wirfU^  adgemetne  Geltung  gehabt  h&tten  — unb 
auch  bafüc  bietet  ftdh  manchet  Inhalt,  befonbetS  bte  @tjählung 
non  bem  ÜJlinnegertcht,  baS  unter  ^arl  YI.  non  Btan!rei(b  1382 
ftattgefuuben  haben  foK.  @o  »iel  fteht  feft,  ba§  folche  8iebe«» 
höfe,  beten  ^läfibentinnen  bte  oben  genannten  hohen  3)amen  unb 
anbete  ^ütftinnen  unb  SIblige  au8  ben  oornehmften  Qiiefchlechtern 
waren,  in  @übftanfrei(h  beftanben  haben,  unb  al8  bie  be> 
beutenbften  werben  bie  »on  ?)iertefeu,  Stir,  tRomanin,  ©igne, 
unb  Soignon  genannt. 

@0  würbe  gu  weit  führen,  auf  bie  (Sinridhtungen  biefer 
8iebe8höfe  eingugehen,  jo  mögen  nur  einige  Schemata  erwähnt 
werben,  bie  bort  gum  föegenftanb  oon  bi^terifdhen  äBetttdmpfen 
gemacht  würben,  ba  finben  wir: 

„Äann  gwifchen  ©heßatten  wahrhafte  Siebe  beftehen?"  waS 
mit  „9lein"' entfchieben  würbe.  „3Ber  ift  würbiger  geliebt  gu 
werben,  ber  welcher  freiwillig  giebt  ober  ber  welcher  wiber 
IBiOen  giebt,  nur  um  für  freiwiQig  gu  gelten?"  „SBen  von 
gwei  im  Uebrigen  gleich  würbigen  Siebhabern  foll  eine  iDame 
annehmen,  ben  reifen  ober  ben  armen?"  eine  IDame 

für  ihren  @eliebten  eben  )o  oiel  thun,  alö  er  für  fie?"  ,lBon 
ber  ^ein  beS  ÜRannee,  ber  feine  geliebte  um  eine  anbere  oer> 
lägt,  fidh  ihe  fpäter  aber  wieber  guwenbet."  „3ßa8  ift  gröger, 
bie  greuben  ober  bie  Seiben  ber  Siebe?"  „SBelcher  ©öhmetj 
ift  gröger:  eine  (geliebte  burch  ben  Sob  ober  burch  Untreue  gu 
oerlieren."  jc. 

5Daö  ©efegbuch  ber  Siebe  aber  enthält  gum  SSeifpiel  bie 
©runbfäge,  bag  e9  nidgt  oerboten  ift,  bag  eine  grau  oou  gwet 

2* 


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20 


Männern,  ober  ein  3Sann  non  }wet  ^auen  geliebt  weibe;"  ba| 
,bte  @^e  feine  legitime  @nt|(bulbigung  gegen  bie  Siebe  ift*  ic. 

£)b  unb  in  wie  weit  bie  Urtbeiie,  bie  an  ben  SiebeS^bfen 
gef&Ot  würben  mit  ißert^eilung  non  greifen  oetbunben  waten, 
ift  wiebetum  iu  ermitteln.  3n  @nbftanfrei^  befianben 

fdbon  in  ben  ^eibnifcben  Seiten  bebeutenbe  S)ruibenf deuten, 
bie  bann  unter  ben  9l5mem  ju  gelehrten  ®(bu(en  umgeftaltet 
würben  unb  ftdb  unter  weiteren  SBanbtungen , bie  fte 
burdbgumacben  Ratten,  bid  in  bad  ^Ritletalter  erbielten.  3n 
manchen  non  biefen,  bie  wieberum  bie  @runblage  für  bie  fpüteren 
9Rinnehöfe,  literarifchen  ©efeUfchaften  unb  ^oetifchen  ^Ifabemieen 
würben,  »eranftaltete  man  notorif^  unb  jwar  mit  bem  12.  3ahr> 
hunbert  jährlich  poetifche  furniere,  bei  benen  greife  auSgefe^t 
unb  oertheilt  würben.  So  gefchah*  eS  g.  93.  in  |>up  Sainte* 
9Jtarie  unb  auch  wohl  in  3;ournet,  $up«oerb  unb  anberen  Drten 
ber  ^ronencc.  3m  Uebrigen  werben  bei  ben  gefefligen  23er« 
gnügungen  unb  ben  bamit  oerbunbenen  2Bettgefängen  ober  2;ut« 
nieten,  bie  fich  bei  ber  ’Knwefenheit' mehrerer  SEronbaboure  unb 
Songleure  oon  felbft  ergaben,  im  SlQgemeinen  ünb  in  ben 
früheften  Seiten  bet  prooengalifchen  i)oefle  nicht  gerabe  befonbere 
greife  außgefe^t  fein,  fonbetn  ber  Sieget  wirb  non  ber  JDame 
feined  ^ergenS  ein  Seichen  ihrer  ®unft,  eine  23lume  ober  ein 
anbereS  2Inbenfen  erhalten  ho^en,  worauf  fich  bann  fpäter  bie 
Gewohnheit  entwidelte,  23lumenpreife  für  ben  Sieger  im  2Bett« 
fampf  andgufe^en.  S)ie  ^otm  in  ber  folche  0ueQe  ober  furniere 
ftattfanben,  befunbet  fich  beutlich  in  ber  ^Dichtungsgattung  bet 
Sengone,  bie  wie  fo  oiele  anbete  (Singelheiten  bet  Sronbabour« 
poefie  unb  beS  StitterthumS  ipr  23orbiIb  in  ber  atabifch*mane« 
rifchen  poefie  hatte.  !Die  Sengone  würbe  ^onrnepamon  genannt, 
wenn  mehr  alS  gwei  S)ichter  über  ein  gegebenes  ^h^ma  in 
^oefien  biStutirten.  Swar  finb  biefe  Gebichte  im  üHgemeinen 

(468)  . 


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21 


ß>o^t  von  etngelnen  S>t^to:n  gef(^rieben  worben,  manebe  aber 
waten  ba9  wirfU^e  @rgebni§  beS  Sßettfampfed  unb  bitten  in 
ihren  verf^iebenen  ©troph^n  bie  betreffenben  dichter  ju  93et< 
fajfem,  bie  al9  Kämpfer  in  bet  ^Dichtung  be5ei^net  würben. 
3n  jebem  ^all  geben  fie  ein  93ilb  oon  bem  * ^b^tafter  btefet 
äUettTämpfe.  S)a9  Sbewa  baju  würbe  entweber  von  einem  bet 
3)i(btet,  ober  von  ber  JDame  beS  |)au|e0  ober  einet  onbeten 
S)ame  gegeben;  bie  2 ober  3 5Di^ter  bie  ftcb  nun  am  SOSett* 
fam^jf  betbeiligten,  traten  entweber  fofort  in  inbrooiftrten  2)i(b* 
tungen . in  bie  S)i9fu{fion  ein,  ober  fte  beft>ra(ben  unter  ein* 
anbet,  welche  @teOung  ein  jeber  gu  bem  gegebenen  Sb^wa 
nehmen  wollte,  bereiteten  fitb  barauf  vor  unb  fochten  ihre  <Sad^e 
bei  ber  nd^ften  Sufammenfunft  ber  9irt  au8,  ba^  bie  ©tropbc 
beS  Eingreifen  ben  im  gleiten  Sleim  unb  EletSmab  beantwortet, 
unb  fo  im  ElUgemeinen  in  vier  ober  fünf  Strohbenhaaren  bet 
@egenftanb  bebanbelt  würbe,  worauf  bie  ESorfihenbe  be9  ^inne« 
bofeS  na^  93eratbung  mit  ihrem  @tabe  von  SRichterinnen  felbft 
bae  Urtbeil  fprach  unb  ben  ^reiS  verlieb  ober.  beibeS  burch  eine 
ihrer  IBeirdtbinnen  gefcbeben  lie^.  Eiucb  biefeS  Urtbeil  würbe 
in  ESerfen  audgef^jrocben.  S)ie  gewöhnlichen  IBeluftigungen  biefer 
Elrt  würben  al9  jeox  mi-partis  begeicbnet. 

Sei  ben  9lotbfrangofen  b“W<n  fi<b  ebenfaHö  giebelböfe  ge* 
bUbet,  bo^  befo|en  biefelben  einen  wefentli^  ernfteren  Gb^’^ftcr 
al9  bei  ihren  (Sübfrangöftfdhen  SanbSleuten.  Elue  ben  (iterorifchen 
Beften  unb  SBettfdmpfen  ber  leltifcben  Sarben  waren  bort  bie 
puys  d’amour  ober  jieux  de  l’ormel  in  benen 

bie  ^oefie  auf  baö  eifrigfte  in  regelmäßigen  3u|ammen!önften 
gepflegt  würbe.  3)ie  bebeutenbften  puys,  bie  wir  füglich  mit 
litetarifcben  @efeHf^aften  vergtei^en  unb  aI9  foicbe  begeid|nen 
fönnen,  beftaiiben  in  Elmiend,  6aen,  IDieppe,  Salencienneö  unb 
an  manchen  anbeten  Orten  befonberö  SurgunbienS,  ber  9lor* 

(m 


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22 


wanbie  unb  bet  ^icarbie.  2)iefe  puys  waren  bie  ^flegeftätlen 
beS  norbfrangöfifc^en  ©eiftedlebenS,  bie  ^etbe  poetifc^er  Bilbung, 
bort  fammelten  fic^  bie  eptfd^en  Stoffe  bet  gangen  mittelalterlichen 
SBelt,  bort  würben  fie  »erarbeitet  unb  »on  bort  gingen  fte  in  bie 
9lachbarlänbcr  über.  — 2Bie  bet  ben  alten  ©ermanen,  fo  hatten 
au^  bei  ben  hribntfchen  .feiten  bie  grauen  eine  bebeutenbe  Stolle 
im  fogialen,  Ja  fagar  im  politifchen  8eben  biefer  aSßlfet  gefpielt  unb 
einen  bebeutenben  @influh  auf  bie  Kultur  berfelben  gehabt;  fo 
hatten  bei  ben  ©alliern  wie  bei  ben  Stlänbetn  grauen  ihre 
eigenen  Stathßoerfammlungen  gehalten  unb  butch  biefelben  bie 
politifchen  SSerhältniffe  ihrer  gänbet  beeinflußt,  fo  waten  e8 
au^  fpäter  in  dh^^ftlidher  Seit  IDamen,  bie  in  ben  puys  eine 
heroonagenbe  Stolle  fpielten.  SBie  fie  fa  überhaupt  ben  fStittel« 
punft  ber  Stitterlichfeit  bilbeten,  wie  eßSDamen  waren,  bie  gum 
Schluß  bet  SBaffenturniere  bie  greife  »ertheilten,  fo  waten  tS 
auch  tarnen,  bie  in  »ielen  puys  .^of  hielten,  Urtheil  fpra^en 
über  bie  poetifchen  Seiftungen,  unb  biefelben  mit  entfprechenben 
greifen  belohnten.  Uebetwog  aber  im  Süben  granlreicßS  an 
ben  bortigen  8iebrehßfm,  tvie  gefagt,  auSfdhließlich  bie  pflege 
ber  .funfi  gu  lieben,  ber  ©alanterie,  fo  im  Storben  bie  wirtli^e 
ernftliche  pflege  bet  fDichterfunft.  IDiefe  puys,  unb  bie  bamit 
»erbunbenen  poetifdßen  SBettfämpfe  hatten  fich  bem  frangößfehen 
©eift  fo  tief  eingeprägt,  waren  fo  beliebt,  fo  allgemein  anet» 
fannt  worben,  baß  auch  in  oiel  fpäteren  Seiten  ba8  Sntereffe 
bafür  fo  wadh  blieb,  baß  man  biefe  fStinnegebichte  unb  alleS-wad 
bamit  oerbunben  war,  nodh  in  bramatifcher  unb  hnmoriftifcher 
aSeife  »erwerthete,  baß  wieberholentlich  fogar  eine  SSelebung 
biefer  3nftitutionen  »erfucht  würbe.  Sei  befonbeten  feßlichen 
©elegenheiten  würben  auch  in  3talien  in  fpäteren  Seiten 
poetifdhe  SBettfärnpfe  infeenirt,  um  wie  ^heateraufführungen  ald 
Seluftigungen  gu  bienen.  3n  fpoUanb  bilbeten  fich  na^  bem 

(570) 


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23 


Soibilbe  bei  puys,  jum  S^etl  jogai  aud  i^nen  liteiaiifcbe 
@efeOf(baften,  woraus  bann  bie  Chambres  de  rhdtorique  unb 
j^ammein  beS  9lebeipfei8  entftanben.  iSelbft  in  2)eutjcblanb 
fanben  bie  pays  mit  i^ren  Slutnieren  unb  ^reiSoertbeilungen 
^iacba^mung. 

9la^bem  bet  Sllbigenfetftieg  1205—1229  bem  beitern  geben 
bei  ^rooence  ein  jänbe,  biejeS  ganb  jur  SSüfte  gemacht 
fcbmanb  auch  bie  ^oefie  au8  jenen  feligen  QiefUben,  in  benen 
fie  übet  200  3abte  ein  .g>eim  gefunben  baW«-  9iur  bie  unb  ba 
etbielten  ficb  bie  fReminifcengen  an  bie  früberen  beitem  Seiten 
unb  Snftitutionen ; nut  bie  unb  ba  fiifteten  giebeSböfe  unb  puys 
ein  fümmeilicbeS  2)a{ein.  'jtn  ben  .^öfen  bet  aiagonijcben  unb 
fatalonifdben  dürften  Spaniens,  bie  ftetS  bie  Stoubaboute  gern 
bei  p(b  gejeben  baüen,  fanb  bie  au0  bet  ^tooence  oerttiebenc 
^oefie  nun  aber  fteunblicbe  äufnabme  unb  foigfältige  pflege, 
gteilicb  entartete  fie  noch  mebt,  alS  c8  in  ben  lebten  Seiten 
ibter  @jriftenj  in  bet  ^tooence  bet  §aU  gewefen,  bie  Äünftelei 
trat  an  ©tetie  wabtet  Äunft  unb  ^oefie;  bie  fonoentioneUe 
^b^afe  an  ©teüe  beS  iHuSbtudS  innigften  @mpfinbungS> 
lebenS.  3Ran  war  aber  wenigftend  auf  baS  eiftigfte  befttebt, 
bie  ^)interlaffenf(baft  bet  ^rooengalen  in  @been  ju  beiten  unb 
nach  Ärdften  füt  bie  Sßelebung  unb  (Srbaltung  bet  ^oefie  ju 
jorgen.  Safob  I.  oon  3ltagon,  getbinanb  UI.  »on  Äaftilien, 
fein  großer  @obn,  aipbonß  X.,  bet  SBeife  unb  »iele  anbete 
fpanifcbe  Könige  waren  in  biefem  ©inne  tbätig. 

0iefeS  S3eifpiel,  baß  bie  fpanifcben 'dürften  unb  ootnebmen 
iDamen  gaben,  wirfte  halb  wiebet  auf  bie  ^looence  gutüd  unb, 
ben  Sleibdltniffen  in  ben  übrigen  cbtiftlicben  ganben  entfpiecbenb, 
war  eß  nunmebt  bet  SBütgetftanb,  bet  fl<b  bet  »erwaiften  ^oefic 
annabw.  3Bat  fie  ootbei  ein  ^tioilegium  beß  iSbeIß  gewefen, 
war  fie  oon  ibm  ju  feinet  Seluftigung  gefjfi®äi  worben,  fo 

(571) 


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24 


traten  nun  bte  Sürger  an  bie  ©teile  bet  0Utter  unb  »on  bet 
^Touence  ging  eine  neue  literarifc^e  Bewegung  and,  bie  bei 
bet  gune^menben  SRa^t  bed  Sütgerftanbed  beti  anbeten  ©tfinben 
gegenüber  halb  in  aOen  euro^äifc^n  8anben  entf)>te(^enbe  @nt< 
((Reibungen  ^ernoitief. 

7 2)i(^ter  ttaten  nümli^  1322  in  Souloufe  gu  einet  @e« 
feOf(i^aft  gufamtnen  unb  erliefen  für  ben  1.  fDtai  1324  eine 
(Sinlabung  an  alle  ^reunbe  bet  ^oefie  gu  einem  großen  ^oetifc^en 
furnier,  für  bad  bie  cberfte  ©tabtbe^ötbe  ein  golbened  93eil(^en 
ald  $teid  audgefe^t  ^atte,  mogu  bann  in  wenigen  Sagten  no<^ 
anbete  ?)teife,  eine  wilbe  Slofe,  eine  9iingelblume,  eine  9ielfe 
and  ©ilbet  lamen,  an  beten  ©teile  in  h)dtetet  3«it  wiebet  no^ 
anbete  Blumen  and  @belmetaO  ttaten.  1325  wutbe  bann  bie 
@efeüf(||aft  bet  7 SEtoubaboute  in  bad  Äonfiftotium  bed  leiteten 
SBiffend  umgeftaltet,  bad  gang  na(^  bem  Sotbilb  bet  Uninetfi« 
täten  eingerichtet  war,  IBaccalauteen  unb  S)oftoren  ernannte 
unb  halb  ihre  .^anjler,  SRoliniet,  mit  bet  Ülbfaffung  einet  $oe« 
tif  beaufttagte,  bamit  hoch  nur  bad  bichtetifche  Talent  fo  tegeU 
recht  wie  möglich  audgebilbet  werben  möge.  2)iefe  $oetiI,  bie 
ben  Flamen  „^iebedgefehe"  trug,  erfchien  1358.  @d  begreift  fleh 
leicht,  bafi  bie  IDichtfunft  unter  ber  Saft  bet  a!abemi[chen  @e» 
fc^e  unb  bet  f)ebanterie  bed  ftrengen  ©cholafticidmud  immet 
mehr  entartete  unb  bod  öffentliche  3«tereffe  halb  gang  einbüfete. 
3)a  würbe  gu  @nbe  bed  fünfgehnten  3ohi^^unbertd,  1484,  wiebet 
ein  JBerfuch  gemacht,  bie  ©i^tfunft  gn  heben.  @ine  reiche 
S)ame  and  Slouloufe,  (SIdmence  Sfaute  war  ed  bet  ©age  nach, 
»on  bet  biefe  Sefttebung  audging.  Det  literatif^en  @$efellfdhaft 
würbe  nun  eine  etwad  »eränberte  ®eftalt  gegeben,  bid  fie  1695 
»on  8ouid  XIV.  gum  IRange  einer  Sltabemie  mit  allen  begüg* 
li^en  Siechten  erhoben  werbe,  um  nun  ald  bie  bet  S3lumenfhiele 

mit  Unterbrechungen  »on  wenigen  Sahten  bid  heute  in  Souloufe 
cs«) 


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25 


il)t  S)afrin  ]u  ftiften.  9lac^  i^rem  SBotbilb  wutben  au(^  in 
Stollen  unb  Spanten  ö^nlic^e  Snftitute  in$  geben  gerufen.  Sn 
regelmäßigen  Sufammenlnnften  unb  Seften,  bei  benen  in  poe« 
tifcßen  Slumieren  um  bte  audgefeßten  greife  geldmpft  mürbe, 
pflegte  man  bie  ^oefte,  bie  fretltdb  barüber  nöllig  bem  ftarrften 
, Formalismus  anßeimfiel,  in  Felge  beS  @ebotS,  baß  ni^t  melt' 
lid^e  giebe  befungen  merben  burfe,  jebe  Spur  von  9iatürli(ßfe{t 
ber  @mpftnbungen  einbäßte.  @rft  in  biefem  Saßrßunbert,  in 
bem  natb  mie  not  bie  Slfabemie  ber  01umenfpiele  in  Siouloufe 
ber  .^eerb  ber  pronengalif^en  2)i^tfunft  geblieben  ift,  naßm 
biefe,  getragen  burdß  bebeutenbe  Talente  mie  Sanfemin,  Ülubanel, 
»or  allen  SDiiftral  einen  neuen  auffeßmung,  in  Folge  beffen  bie 
öffentli^en  0lumenfpiele  anä)  mieber  an  |)rat^t  unb  an  aOge« 
meinem  Sntereffe  gemonnen  ßaben.  an  jebem  3.  9Rai  finbet 
nac^  ber  fir^licßen  Feier,  bie  baS  Feft  einleitet,  in  bem  Capitol, 
bem  IRatßßaufe,  mo  fi^  bie  Acadämie  des  jeox  floraux  be« 
finbet  unb  mo  eine  Statue  ber  mpftifeben  Slömence  Sfaure  auf« 
fteQt  ift,  in  ßergebraebter  Form  baS  01umenfpiel,  biefeS  poetift^e 
5lurnier  ftatt,  an  bem  fieß  am^  IDicßterinnen  betßeiligen  bürfen; 
28  Flauen  ßaben  mäßrenb  beS  0efteßenS  biefer  Snftitution  ba< 
felbft  greife  errungen. 

Barcelona  mar  unb  blieb  für  Spanien  bie  bebeutenbfte 
|>flegeftätte  ber  Sroubabourpoefie  unb  ber  nadß  bem  SRufter 
berer  von  S^ouloufe  bort  eingerießteten  0lumenfpieIe,  na^bem 
au(ß  bort  ein  „adatß  beS  ßeitern  SBiffenS"  cingefeßt  unb  natß« 
bem  bur^  aufiaS  ÜRareß,  ©afteloi  unb  anbere  Didßter  feit  ber 
fDiitte  beS  oierjeßnten  SaßrßunbertS  eifrig  für  Selebung  ber 
üroubabourpoefie  gemirft  morben  mar.  1388  ßatte  Soßann  I. 
»on  arogon  eine  ©efanbfdßaft  an  ben  ftanjöfifdßen  Äönig  Äarl  YI. 
gef^idt,  um  fidß  oon  ißra  einige  ©idßter  jur  föinritßtung  einer 
afabemie  im  (Sßaralter  berjenigen  oon  Jouloufe  ju  erbitten. 

(5») 


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26 


3)iefem  SBunj^e  würbe  golge  geleiftet;  2 ,9Roiateneur0“  würben 
na(^  @)}anten  entfanbt  unb  in  Sarrelona  ber  9tat^  be0  Reitern 
SBiffenS  1390  gegrfinbet,  beffen  Sinfünfte  unb  ^rinUegien  halb 
fe^r  er^5^t  würben,  unb  ber  unter  bem  Marquis  Enrique  de 
YUlena  großen  Sluffc^wung  nai^m.  ^ocb  bort  wie  in  SSalenda, 
i£orto[a  unb  anberen  @tdbten,  bie  Barcelona  unb  Souloufe 
nacbeiferten,  fonnte  bie  iDialeftbidbtung  fi(b  nicht  b®*ten;  bie 
3bee  ber  poetifcben  furniere  fanb  ober  in  gonj  Spanien  ben 
größten  Slnflong.  2)ie  foflUifcbe  ^oefle,  bie  gonj  in  bie  iDienfte 
ber  SReligiün  trot,  muhte  auch  ben  Äirdjenfeften  @lanj  »erleiden 
unb  wöbrenb  beö  15.,  16.  unb  17.  3ab’^buni>«t0  Pnben  wir 
bort  bei  ©elegenbeit  öon  .Äir^enfeften  folcbe  poetifdbe  SEurniete, 
justa  poeticas,  bie  bei  bem  iBolfe  auherorbentlicb  beliebt  waren 
unb  bei  beneu  biä  5000  SDicbtungen  um  bie  greife  fonfnnirten. 
@0  fanb  1474  ein  groheS  lurnier  gur  SSetberrlicbung  ber  3ung» 
frau  fDtaria,  1511  30  @bten  ber  heiligen  Katharina  ftatt;  bie 
pracbtigften  waren  jebocb  bie,  bei  benen  Lope  de  Yega  ben 
Sßorfth  fübi^te  unb  bie  3U  ,^eiligfpre(bung  ber  ^ereSa 

1614,  beö  3fibor  1620  unb  1622  »eranftaltet  würben,  SDo0 
3ntereffe  für  bieje  SBetttämpfe  würbe  aUmölig,  weil  Dom  .^leruS 
genährt,  fo  groh,  ba§  biefe  93eluftigungen  enbli^  in  golge  ihrer 
^Otöglichfeit  unb  Entartung  @egenftanb  beS  SpotteS  würben. 

2)a8  ^ufgehen  Kataloniens  unb  ‘^ragonienS  in  baS  König« 
reich  Spanien  h<>ite  inswifchen  ber  ^rooin3ialliteratnr  biefer 
gänber  jeben  S3oben  3U  ihrer  (Sriften3  ent3ogen,  wie  auch 
Sprachen  biefer  ^rooin3en  ihre  Selbftftänbigfeit  unb  IBebeutung 
einbühten.  So  oerfchwanben  benn  aOmdlig  auch  i<»e  litera« 
rifchen  IHfabemieen  unb  ihre  ISlumenfpiele,  bie  fich  fpe3teD  bie 
pflege  ber  prooeu3alif^en  unb  ber  au8  ihrer  S^ule  h^i^forge« 
gangenen  norbfpanifchen  IDialaftbichtung  gur  Slufgabe  gemacht 
hatten. 

(i74) 


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27 


SEBerfen  toii  nun,  e^e  ttit  bie  neuerbingS  in  Spanten  ein« 
geführten  S3lumenfpie(e  betrachten,  einen  93licf  auf  anbere  2änber. 
Sn  Ställen  hatte  bie  SBieberbetebung  bet  SBiffenfchaften,  bie  9ln» 
tegung,  bie  »on  ber  ^ronence  h«t  gegeben  worben,  bie  ©rünbung 
mancher  Bereinigung  jum  3<»e(fe  huntaniftifcher  Stubien,  bet 
pflege  bet  Spraye  unb  ^ocfie  gut  golge.  än  bem  ^ofe  be3 
arabifch  gebilbeten  Äaiferö  griebtidh  II.  würbe  nicht  allein  ber 
©runb  gut  italienifchen  Literatur  gelegt,  fonbern  auch  n>i[fen* 
fchaftli^e  üntegungen  gingen  oon  bort  aud,  um  halb  in  gang 
Stalien  SEButgel  gu  faffen.  SBie  an  ben  atabifchen  ^)öfen  Slnba» 
luftenS  würben  audh  bort  poetifche  SBettfämpfe  oeranftaltet,  war 
bo^  ber  .^of  oon  Palermo  ftetd  ber  Sammelplah  vieler  unb 
ber  erften  Sinter  unb  ©elehrten  jener  Seit.  Sll8  nun  bie 
flaffifchen,  bie  huwianifchen  Stubien  ftch  Bahn  brachen,  würben 
baib  neben  ben  Unioerfitäten  literarif^e  unb  gelehrte  SIfabemieen 
unb  ©efeüichaften  gefchaffen,  innerhalb  beten  bie  S)i8fu{fionen 
baS  Sntereffe  an  ben  äSettfämpfen  lebenbig  erhielten.  Seitbem 
1341  ber  ruhmfüchtige  ^etrarta  auf  bem  römifchen  ^apitoi  mit 
bem  iDichterlorbeer  gefchmüdt  worben  war,  würbe  bet  ©hegeig 
aller  bebentenben  ©elfter  baburch  noch  weiter  angefpornt  unb 
baö  Streben  nach  biefer  höthften  würbe  ebenfaKö  Beran» 
(njfung,  ba§  befonberS  in  beu  Sprachalabemien,  bie  gugleich 
theüweife  ^flegeftätten  ber  nationalen  IDichtfunft  waren,  poe« 
tifche  unb  gelehrte  Sumtere  au8gefod)ten  würben.  SBir  bürfen 
bieS  füglidh  au8  manchen  oerftreuten  §(nbeutungen  unb  au8  ber 
Crganifation  ber  nach  itolienifchem  fDtufter  gef^affenen  beutfchen 
Sprachgefellfchaften  fchlie§en.  Slu8  bem  15.  Sahrhunbert  liegen 
fogar  mehrere  Berichte  über  öffentliche  poetifche  SBettfämpfc  oor, 
bie  theil8  gu  ©h^^”  hah^i^  ®äfte  an  ben  .^öfen  oeranftaltet 
würben  unb  bie  bann  aHerbing8  meift  ben  ©haoafter  oon  ^h^ater« 
aufführungen  unb  Belüftigungen  hatten,  theil8  aber  fötberlich 

C57« 


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28 


aut  @nt»icfe(ung  beS  ©eifteSlebend  einwtrfen  joOten.  @o 
^otte  ber  IBater  Borenjo'd  von  9)}ebtd,  Pietro,  ein  poetifd^ed 
Sumiet  für  ben  22.  Oftober  1451  angeorbnet,  für  ba8  aU 
Sterna;  „bie  mbte  ^eunbfd^aft"  gegeben  unb  alö  9>rei6  ein 
fitberner  ifoebeerfranj  audgefe^t  worben  war.  Sreilid)  na^m 
biefeS  Siumter  einen  anberen  S^erlauf  aU  geplant  war.  9nd 
@prerbietung  gegen  ben  bamald  in  ^lorettj  anwefenben  ^apft 
patte  Pietro  bie  apoftolifcpen  @ecretäre  beffelben  }u  ^arnpf« 
Tteptern  ernannt,  unb  alö  nun  bie  !BerIefung  ber  eingelaufenen 
®ebi(pte  erfolgt  war,  erflärten  bie  Stifter  eine  @ntf(peibung  niept 
treffen  ju  fönnen  unb  beflimmten  ben  ^orbeerfronj  ‘für  bie 
2)omfir(pe,  in  ber  biefed  Seft  gefeiert  würbe. 

fOMtben  S)i(pterfrdnungen,  bie  feit  @nbe  be6  lö.Saprpnnbertd 
au(p  in  S)eutf(planb  gebräueplid)  unb  oom  ^aifer  SJiarimilian  II. 
juerft  wieberpolentlicp  ooUjogen  würben,  oerbreitete  fitp  bortpin 
auep  bad  Sltabewiewefen  unb  in  ber  wiener  literarifcpen  @efeD> 
f(paft  IDanubiana,  an  beren  @pi^e  1497  jfonrab  SelteS  be< 
rufen  worben  war,  würben  al8  greife  für  bie  33ewerber  in  ber 
93erebfamfeit  unb  ^oetif  ^orbeerfronen  oerliepen.  9(u^  bie 
üDleifterfingerfipulen  patten  ipre  ^eife  für  bie  Söettgefänge, 
bie  bei  ben  ale  ^eft«  unb  ®ing|cpulen  oeranftalteten  Sufammen:^ 
fünften  ftattfanben.  Sei  biefen  (extern,  bie  monatliip  ab* 
gepalten  würben,  oerliep  ber  SRerfer  in  ber  Spat  nur  bie  greife, 
bie  in  einer  filbernen  liette  mit  J^önig  IDaoibe  Silbni§  unb  in 
einem  ^ranj  aud  feibenen  Slumen  beftanben,  benn  biefe  JUein« 
obien  mußten  nadp  ®cplu§  ber  betreffenben  ®i^ung  wieber  gu* 
rütfgegeben  werben.  3n  ben  früpeften  ^erioben  ber  @efcpi(pte 
beö  9Reiftergefang0,  ald  no(p  ein  frif^er  lebenbiger  @eift  biefe 
Sufammenfünfte  befreite,  ba  waren  bie  (^efangSwetten , bie 
poetifepen  Surniere  in  ber  9(rt  wie  fie  bei  ben  ^rooengalen  ge* 
übt  worben,  ocQig  gebräu^lidp  unb  auep  bie  ^orm  ber  Sengon* 

(57«) 


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29 


bafür  ^erc^ebra^t.  £Dad  „@inf^nfen*  mit  einem  Sieblein,  bie 
^etauafotbetung  3U  einem  SBetlftreit  eröffnete  immer  einen 
frif^en  unb  fröt^licben  @ängetfrieg,  bet  in  bet  @rt^eilung  eined 
^reifed  feinen  2(bf(^Iu§  fonb  unb  — ni^t  jo  blutig  mar,  mie 
bet  ben  ^intergrunb  bet  «Sage  nom  ®ängetftieg  auf  bet  SBart« 
bürg  bilbenbe. 

?il6  bann  im  17ten  Sa^t^unbert  an  ©teile  bet  SKeifter« 
fingetfcbulen  bie  ©t>ra(^a!abemien  jut  Hebung  bet  beutf(ben 
©ptacbe  unb  ^oefie  traten,  bet  ^almenotben  ober  bie  frucbt« 
btingenbe  ©efeüf^aft  1617,  bet  gefrönte  SSlumenorben  1644, 
.bet  @Ibf^manenorben  1660  unb  anbere,  ba  mürben  and)  inner« 
^alb  biefer  literarifc^en  @e)eQfii^aften  2;urniere  oeranftaltet  unb 
— mie  im  ©lumenorben  an  ber  ^egni^,  SSlumen  al8  greife 
gegeben. 

iDie  Dome^me  9Belt  von  ^atiS  enblic^,  bie,  im  unbeftimmten 
SBemufetfein  bet  ©efdjraubtbeit  unb  Unnatur  bet  bamaligen 
fojialen  93er^ältniffe  bie  9iiirffel)t  jur  fRatur  mo^l  al8  ein  ge» 
funbe8  (Eorrectio  bagegen  erfannte,  in  i^ter  @ebunben^eit  an 
ben  6onoentionaIi8mu8  be8  ©alon8  nunmehr  aber  ber  oon 
©panien  au8gehenben  Ungeheuerlidhfeit  eine8  oergerrten  ©cbäfer« 
thum8  anheimfiei,  fudhte  in  ihrem  ^afdhen  nach  Belüftigung 
unb  nach  ‘<Sbmech8lung  au^  bie  prooenjalifchen  SRinnehöfe  mit 
ihren  furnieren  3U  ihrer  Erheiterung  mieber  in8  Seben  ju  rufen. 
Earbinal  ^Richelieu  oeranftaltete  3.  B.  einen  folchen  SBettfampf 
in  bem  bie  pföl3i|che  ^rin3effin  ^arie  at8  ^räfibentin,  fIRa» 
bemoifede  be  ©cub4tp  aber  al8  Eeneralabootatin  fungirte. 

iSbet  nicht  nur  3ur  Bertreibung  ber  Sangemeile  mürben 
Belebung8oeriu(he  bet  mitteialterlidhen  Siomantif  unb  im  Be« 
fonbem  ber  ptooen3aIijchen  Blumenfpieie  gemacht,  fonbetn  gum 
3»ecfe  bet  Hebung  ber  ^Rational«  unb  ^tooingialpoefie  mürben 
fie  oon  fReuem  unb  mie  bereit8  ermähnt  in  ©übfranlreich  mit 

(577) 


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30 


glü(fli(^[tetn  Stejultat  auSgefü^rt.  S)ie  bortige  93ewegung  blieb 
jebod^  nif^t  auf  bie  Provence  befcbtfinft,  fonbern  witfte  auä)  an> 
regenb  auf  ©panien.  SBenige  5a^t3e^nte  flnb  auc^  batübet 
^ingegangen,  ba^  in  golgc  ber  inneren  politifd^en  SBirren  unb 
Parteiungen  in  ©panien  bie  einzelnen  Proningen  fi(^  »ieber 
ihrer  alten  urtprünglic^en  Unab^ängigfeit  unb  Autonomie  be> 
mu§t  würben,  unb  fo  entftanb  aud;  in  Katalonien,  baS  fic^  gu 
allen  Seiten  bur(^  ©elbftbewu|tfein , J^aft  unb  Energie  aud« 
geic^nete,  eine  partifulariftifdfie  Bewegung,  bie  auf  bie  SBieber» 
^erftellung  be0  ehemals  felbftftänbigen  J^önigreid^fl  abgielte.  SJlan 
würbe  fi^  bewußt,  ba^  bie  ratalonifdje  ©prat^e  in  früheren 
Seiten  minbeftenfl  gleiche  Söered^tigung  rait  ber  caftilifc^en  ge= 
bnbt  Ijatte,  ba§  bie  catalonifd^en  Diester  unb  @elel)rten  lange 
Seit  ^inburc^  bie  ^auptföc^lid^ften  Präger  beS  ©eifteöleben«  in 
©panien  waren  unb  fo  würbe  bie  2)ialeftbi(i^tung  in  catalonifc^er 
©pracpe  begonnen,  bie  alSbalb  in  allen  anberen  Prooingen 
ä^nlid^e  IBeftrebungen  wad^rief,  foba^  wir  ^eute  bereits  von 
einet  galigifdjen,  anbalufifcben  unb  einer  fe^r  reichhaltigen  cata> 
lonifchen  Literatur  neben  ber  eigentlich  fponifcben  in  caflilifcher 
©prache  fpredhen  fönnen. 

Sluf  politifcher  Safifi  aljo,  burch  politifche  {Rüdffidhten  unb 
Seftrebungen  h«i^öorgerufen , entftanb  fowit  in  Katalonien  eine 
neue  geiftige  93ewegung,  bie  beS  früheren  SufantmenhangS 
Kataloniens  mit  ber-pro»ence  eingebenf,  unb  in  golge  ber 
großen  SSerwanbtfdjaft  unb  iSehnlidhfeit,  bie  heute  noch  gwifchen 
ber  catalonifchen  unb  prooengalifchen  ©prad^e  befteht,  bie  Lite- 
ratur ber  früheren  catalonifchen  ^Dichter  beS  14.  unb  15.  3ahr- 
hunbertS  unb  ber  prooengalifchen  Siroubaboure  gum  S^orbilb 
nahm.  JDie  SlrSger  biefer  Seftrebungen  organiflrten  fich  1859 
in  ^Barcelona  gu  einet  ©efellf^aft,  bie  ber  früheren  Slfabemie 
beS  Reitern  3BiffenS  unb  bet  ber  Slumenfpiele  in  Stouloufe  ähn- 

(578) 


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31 


wot.  IBtctor  Salaguer,  einer  ber  bebeutenbften  ^oUtifer 
unb  5Didbter  ber  ®egemnart  in  @i)anien,  würbe  bie  eif^entlicbe 
@eele  biefer  Unternehmungen  unb  ift  eS  h<ute  noch,  unb  bie 
äSIumenfpiele  unb  bie  poetifchen  Slurniere,  bie  nun  jährlich  in 
Sarcelona  gefeiert  werben,  ftnb  bereits  5U  geften  geworben,  bie 
bur(h  ihren  ©lang  unb  — ihre  ijolftifche  Sebeutung  baS  Sluge 
gan3  (Spaniens  auf  fi^  gelenft  hn^en.  3a,  noih  mehr.  IDaS 
iBorbilb,  baS  ©atalonien,  im  SBefonbern  Barcelona  unb  5£arra< 
gona  in  biefer  .^inftiht  gaben,  würbe  balb  in  anberen  ^heilen 
nachgeahmt  unb  jährlich  ftnben  nun  in  einer  ganjen  fReihe 
Bon  Orten  betartige  SSlumenfpiele  ftatt,  bei  benen  freilich  bie 
Slumen,  bie  utfprünglich  natfirlidhe  gewefen,  bann  golbene  unb 
fUberne  geworben  waren,  fich  nunmehr  3um  ^hei(  in  ©elb< 
fummen,  golbne  gebern,  filbeme  3:inten3euge,  ^rachtwerfe  unb 
ähnliche  ©egenftänbe  oerwanbelt  haben. 

2)aS  lBer3eichni§  bet  bei  bem  literarifchen  unb  wiffen« 
fchaftlichen  SBettfampfe  im  Slteneb  non  Sllmetia  im  3ahre  1879 
Bertheilten  8 greife  mag  hier  als  Seleg  folgen. 

1.  ©ine  natürlidhe  Slume  bem  Slutor  ber  beften  Iptifchen 
SiebeSbichtung. 

2.  ©ine  filbeme  gebet  bem  beften  ©idhter  im  Iptifchen 
patriotifchen  ©eure. 

3.  ©ine  0lofe  Bon  ©Über  unb  ©olb  bem  beften  Iprifchen 
Sichter  mit  freiet  SBabl  beS  ©egenftanbeS. 

4.  ©in  ©remplar  beS  Son  Ouijote  non  Sore  illuftrirt. 

5.  ©in  filberaeS  ©chreibgeug  oom  ©tabtrath  für  bie  befte 
Slrbeit  hiftnr.  frit.  SnhaltS  über  ben  Utfprung  unb  bie 
frühere  ©rö^e  non  ISlmeria. 

6.  ©in  ^reiS  non  3000  JRealen  non  ber  ^roBin3ialbeputation 
für  bie  befte  Senffchrift  über  ben  gegenwärtigen  ©tanb 
beS  SldferbaueS,  jpanbelS  unb  ©ewerbeS  in  ber  ^roBiu3 

(579) 


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32 


Sdmeria  unb  übet  bie  geeignetften  SRittel  bie  @ntioicfIung 
berjelben  ju  förbetn. 

7.  @in  fUberneS  Sc^reibjeug  oom  aboocatencolleg  5U  SUmetia 
für  bie  befte  Slrbeit  über  baö  SE^ctna:  @influ§  ber  Sitten 
unb  ber  politifc^en  £>rgani[ation  eined  iBolfeb  auf  ba8 
Serbrec^en. 

8.  grämte  »on  1500  JReoleu  »on  ber  Jtörperfi^aft  ber  3n» 
genieure  be8  S3erg»  unb  SBegbauwefenö  über  ^Darlegung 
unb  Prüfung  ber  doctrina  transformiata,  i^re  3jorgönge 
unb  Solgeu. 

2!)a8  mobeme  ©eifteöteben  ber  SBelt  weift  nun  enbltc^  in 
ben  ^reiöauflfc^reiben  ber  iSfabemieen,  Sournalen,  Sweater» 
bireftionen,  au(^  eine  9(rt  uon  furnieren  auf,  bei  benen  bet 
Sauber  mitlelalterlicber  iRomantif  aQerbingS  t>ergeb(i(^  gejuckt 
wirb,  bei  beuen  greife  in  Ilingenber  ü)iün}e  au8gefe^t  werben; 
— aber  freilich  barf  auf  biete  ^Prei8au8|(^reiben  über^upt  faum 
me^r  ber  Segriff  beS  SumierS  auögebe^nt  werben,  ba  bie  ein« 
jelnen  iSrbeiten  ni(^t  uon  i^ren  SSerfaffern  in  öffentlichem  SBett« 
fampf  unb  unter  iSnwenbung  be§  früher  bamit  uerbunbenen 
SlpparatS  corgelefen,  bie  greife  nicht  »on  fchönen  Damen  »er« 
theit  werben.  2Boh(  bürfen  aber  bie  nationalen  ober  inter« 
nationalen  Sieberfe^e  ber  9ieu3eit  ISnfpruch  auf  bie  3)egeichnung 
beb  mufijchen  DurnierS  machen.  3n  ^inficht  ber  poetifchen 
Durniere  aber  h<tben  bie  oeränberten  Sritftrömungen,  ber  oer« 
anberte  Seitgcift  biefe  natürliche  SBanblung  heroorgebracht.  SBie 
im  Ülllgemeinen,  fo  hot  auch  biefem  ©ebiete  ber  3beali8mu8 
unb  ötomanticiSmul  früherer  Seiten  bem  nüchternen  IRealiSmud 
unb  ^racticiSmufl  ber  gegenwärtigen  weichen  müffen. 


(S80) 

!ttu<t  Don  (VfbT.  Dnjti  (2b-  Wtimm)  in  V<rlin,  SiböncbtT^nfti.  17  n. 


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^ie 

^rlieotong  JLtjiinitnpprojrfeü 

für  ba^  ßebett  M tl^icrif(i^cn  Drgantömuö. 


Sß  0 r t r a g 


^of.  jQermattn  ooit  Me^tt 

in  3iiti^. 


fitrll«  SW.  1884. 
SBerlag  Don  @atl  ^abel.  ‘ 

13.  Sil^clm  • etrat«  13. 


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9le(!^t  bei  Uebeifelsung  in  fiembe  0prac^en  rotrb  Dorbe^alten. 


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^ie  augenfäQigften  (Stfc^einungdmeifen  beS  oor^anbenen 
Gebens  in  einem  organtfd^en  äBejen  au8  bei  S^ierrei^e  ftnb 
beffen  fic^tbaie  ^Bewegungen,  welche  bur^  bte  eigenen  in  bem 
DrganiSmud  waltenben  Kräfte  bei»oigerufen  werben.  £)ie  33e« 
wegung  burci^  innere  Äräfte  ift  fo  ie^r  an  bie  6^arafteiiftif  be8 
t^ierifc^en  DiganiämuS  gebunben,  ba§  eine  gro§e  fleinfter, 

nur  mifroffü<)iid^  fid^tbarer  organifd^et  .Rorper  früljet  für  Slljiere 
erflärt  würben,  weil  fte  [icb  in  bem  Söaffer,  baß  i^nen  jum 
iSufent^ait  bient,  auf  baß  leb^aftefte  bewegen,  unb  eß  gehörten 
crft  je'^r  genaue  unD  umfaffenbe  ©tubien  bagu,  in  i^nen  ijflanj» 
lid)e  ®ebilbe,  fogenannte  ©cbwärmfporen,  gu  crfennen.  — Sei 
ben  am  ^öd^ften  cntwidfelten  Drganißmen  ift  ein  J^eil  biefer 
fi(^tbarcn  Scwegungen  Don  bem  SBiHen  abhängig  unb  treten 
nur  bann  in  bie  (frfc^einung,  wenn  fie  mit  me^r  ober  weniger 
Sewufetfein  witlfürlic^  ^eroorgebra^t_  werben.  55iefe  Älaffe 
Don  Bewegungen  fann  beßwegen  aud^  gcitenweife  Doilftänbig 
ru^en  unb  wir  wiffcn  alle,  bafe  in  bem  ©cblafc,  wenige  Jraum’ 
bewegungen  außgenommen,  eine  Dollftänbige  äußere  Slu^e,  eine 
DoUftänbigeSewegungßlofigfeit,  beobachtet  wirb,  wee^alb  manbenn 
audi)  wohl  in  bichteriicher  fRebeweife  ben  ©chlaf  einen  „Sruber 
beß  2obeß"  genannt  h^l-  — SRögcn  aber  aud)  ade  fonft  fo 
fichtbaren  Bewegungen  ber  ©lieber  unb  beß  5Rienenfpielcß  in 
no^  fo  tiefe  Diuhe  terfenft  fein,  in  fo  tiefe,  bafe  ber  ober« 
flöchlidhe  Beoba^ter  tiedeicht  fogar  ben  Suftanb  beß  Slobeß  gu 
erfennen  wähnt,  fo  l^och  gwei  Bewegungen  ununterbrochen 

XIX.  «!«.  1 • (588) 


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4 


t^dtig  unb  Tu^en  felbft  in  foldjen  Suftdnben  Hejftet  du^etlid^ 
^Ru^e  nicht;  eS  finb  bte  betben  Setnegungen,  beten  beftdnbiged 
iBonftattengeben  eine  ©tunbbebingung  füi  ben  ungeftdrten 
Bortbeftanb  be8  Bebend  ift,  — nämlich  bie  ^ergbemegung  unb 
bie  BlthmungdbetDegung.  ®e(bft  bie  fleinfte  Unterbrechung  einer 
biefer  2:hätigfeiten  genügt,  bad  Beben  auf  bad  fchnellfte  aud> 
gulöfchen. 

@d  liegt  etmad  @ro§artiged  in  biefem  burch  eine  gange 
Bebendbauer  hinburch  unermübiich  thdtigen,  nie  nachlaffenben 
SBirfen  unb  faft  unglaubli^  finb  bie  Beiftungen,  welche  burch 
biefe  beiben  wunberbaren  ORe^anidmen  erfüllt  werben.  — 
SRehmen  wir  70  .^ergbewegungen  in  ber  SRinute,  fo  finben  wir, 
boh  in  ber  @tunbe  beren  nid^t  weniger  ald  4200  gefchehen 
müffen  ober  in  24  ©tunben  100  800  unb  in  einem  3ohic 
36  792  000,  alfo  nahegu  37  ORillionen.  — 5Ridht  gang  fo  gro§, 
aber  nicht  minber  imponirenb,  finb  bie  Bah^f®  ülthmungd» 
bewegungen.  Sfled^nen  wir  baoon  20  in  ber  ÜRinute,  fo  gibt 
biefed  1200  für  bie  ©tunbe,  28  800  für  24  ©tunben,  für  bad 
gange  Sah*  ni^t  weniger  ald  10  512  000,  alfo  beinahe 
11  fDlillionen.  — SBei  ber  sSuffteHung  biefer  Bohlen  inbeffen 
nur  bie  ruhigen  normalen  Buftdnbe  berüdlfichtigt;  für  leiben* 
f^aftliche  ober  hanfhafte  Buftdnbe  fönncn  biefe  Buhte®  fuft 
auf  bad  hoppelte  fteigen. 

3)ie  |)ergbewegungen  fonnen  ni^t  gefehen  werben;  oon 
ihrem  Sonftattengehen  fann  man  nur  burch  angelegte  Ohr 
unb  bie  aufgelegte  ^anb  fRachricht  hut?en;  — burch  bad  Ohr 
»ernimmt  man  bad  ©chlagen  ber  Jpergflappen  unb  bad  {Raufchen 
ber  ©lutftröme,  — burd)  bie  aufgelegte  ^)anb  fühlt  man  ben 
©toh  ber  Jpergfpihe  gegen  bie  Söruftwanb.  ©eine  Sthdtigfeit 
ift  alfo  bem  gewöhnlith®®  Beobachter  oerborgen. 

@in  Slnbered  ift  ed  mit  ben  Slthmungdbewegungen.  2)iefe 
finb  ftetd  mehr  ober  weniger  fichtbor,  in  ber  ^>ebung  unb  6t* 
Weiterung  bed  Sruftforbed  unb  felbft  in  leichteren  begleitenben 

(584) 


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5 


Seaegungen  ber  ©eftcbtegüge,  — unb  au^erbcm  tna^en  flc 
fi(^  no^  babut(^  bemetfUc^,  ba|  bte  ein>  unb  auStTetenben 
Suftfttöme  gefüllt  unb  unter  Umftäuben  fogar  gehört  tnetben 
fönnen.  — S)a  bie  ^tt^mungSbeueguugen  bemna(j^  leicht  erfenn« 
bare,  jebem  in  bie  Beobachtung  aufnöthigenbe  Seu^erungen 
beS  8eben8  finb,  fo  hat  »Sthmen*  ouch  »on  jeher  faft  gleich» 
bebeutenb  mit  „geben"  gegolten.  — „0ine8,  »aö  Dbem  hat“ 
jagt  ber  ^Dichter  unb  meint  bamit  bie  ganje  lebenbc  SJtenfch» 
heit,  — man  gelobt  „bifl  jum  lebten  4>auch"  einer  Sad^e  treu 
ju  bleiben,  — exspirare,  auflhauchen,  auSathmeu,  jagt  ber 
{Römer  für  „fterben".  JDie  crfte  Unterfuchung  bei  einem  ruhen» 
ben  Äörper,  ber  möglicher  SBeife  tobt  fein  fann,  geht  barauf, 
ob  bie  ^thmungöbewegungen  mahmehmbar  finb.  Bei  einem 
©cheintobten,  3.  B.  burch  @rtrinfen,  ift  baö  SBieberlehren  ber 
Slthmungebemegungen  baS  Seichen  bafür,  bah  Sßieber» 
belebungSoerfu^e  gelungen  finb.  Unb  bie  $rage,  ob  ein  tobt 
gefunbeneö  neugeborenes  ^nb  lebenb  geboren  morben  fei,  wirb 
non  bem  ©erichtSarjte  babur^  gelöft,  ba§  er  bie  Sungen  unter» 
jucht,  um  gu  jehen,  ob  baS  ^inb  geathmet  habe. 

3n  SBirftichfeit  ift  benn  auch  ber  SltbmungSprogel  ber 
Wichtigfte  (Regulator  ber  gebenöthötigfeiten.  IDer  Berbauungfl» 
apparat  fchafft  gwar  bie  nöthige  ÜRaterie  für  ben  ISufbau  beS 
Körpers  anb  tönnte  in  fo  ferne  bebeutenber  erf^einen, 

inbeffen  ift  beffen  SEhatigfeit  immer  nur  non  Seit  gu  Seit  in 
gröberen  Swijchenräumen  nöthig  unb  fann  fogar  feht  lange 
Seit  ohne  wef entliehen  SRadhtheil  entbehrt  werben,  wie  unter 
^nberen  baS  Beifpiel  beS  Dr.  SEanner  beweift,  welcher  40  Sage 
lang  fich  aller  (Rahrung  enthielt,  unb  babei  gwar  fchwfichcr 
würbe,  fonft  aber  fich  wohl  befanb.  IDie  @tnführung  con  guft 
in  ben  Körper  auf  bem  9Bege  ber  Sthmung  fann  bagegen  faum 
eine  SRinute  entbehrt  werben,  ohne  bah  baS  geben  auf  bem 
©piel  ftönbe;  benn  non  ihm  hängt  ba8  Bonftattengehen  einer 

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6 


SRei^e  »cn  gebenflptojeffcn  ab,  beten  ununtetbtoebenet  gortganj 
für  bie  gottbauer  beg  ?eben8  unbebingt  not^roenbig  ifL 

$ßit  ftnben  beg^alb  and)  in  bet  ganzen  S^iemelt  bie  Stn- 
ricbtungen  für  ba«  SUbmen.  Um  aber  bie  oerfibiebenen  gormen 
biefet  @inri(btungen  unb  bamit  bie  @teQung  beS  menfcblicben 
atbmung8at)parate8  ju  nerfteben,  ift  e8  notbwenbig,  erjt  bie 
S9ebeutung  bet  Stbmung  für  ben  Drgani8mu8  ju  ermitteln. 

^Diejenigen  cberaifeben  ©runbbeftanbtbeile,  »elcbe  ben  £>r» 
gani8mu8  gujammcnfe^cn , Rnb  ni^t  in  fo  einfadjet  gotm  mit 
einanbet  »etbunben,  wie  biefe8  in  bet  unorganifcben  SBelt  bei 
beten  (bemifcben  @rnnbbefianbtbei(en  bet  gaQ  ift.  Sßäbtenb 
nämli^  in  biefen  bie  Elemente  immer  binär,  b.  b-  tn  Sweigabl 
mit  einanbet  cetbunben  finb,  finb  fie  in  bet  organifcben  SBelt 
bet  9ltt  mit  einanbet  nerbunben,  ba§  ihrer  gleichseitig  btei, 
»iet  ober  mebt  ju  einet  SBerbinbung  sufammentreten.  SSet» 
binbungen  biefet  Urt  nennt  man  beSmegen  and)  „organifcbe". 
@ie  b^ben  alle  ba8  QJemeinfame,  fteilicb  bie  einen  mehr,  bie 
anbern  weniger,  ba§  fie  feine  Seftänbigfeit  b«ben,  fonbetn 
fi^  febt  leicht  wiebet  Ibfen  unb  jwat  um  fo  leichter,  je  feuchter 
fie  finb.  3n8befonbete  ift  e8  eine  feftgefteHte  bafe 

alle  lebhafteren  fogenannten  8eben8etfcbeinungen  in  ben  Ge- 
weben, wie  bie  fIRngfeljufammensiebungen  unb  bie  fRetoen« 
funftionen,  mit  chemifchen  Setfe^ungen  ihrer  ÜRaterie  uetbunben 
finb.  @ine  jebe  folche  gunftionSübung  oerni^tet  alfo  einen 
gewiffen  Jbeil  bet  fnnftiongfäbigen  9Ratetie.  Jpietau8  geben 
aber  sweietlei  SSetbältniffe  in  ben  ©eweben  betbUT.  @ine8tbeil8 
nämlich  ift  bamit  ein  (Subflanjoerluft  für  ba8  ©ewebe  gegeben, 
unb  cnberentbeil8  werben  baburch  unbranchbar  geworbene  Se> 
ftonbtbeile,  Abgänge,  in  ben  ©ewebcn  gehäuft.  — Ser  ©ubftanj= 
oerluft  muh  erlebt  werben,  bie  3lbgänge  müffen  befeitlgt  werben, 
wenn  bie  ©ewebe  in  ungeftörter  gnnftion8fäbigfeit  fortbefteben 
joden.  Ser  ©tfab  für  ba8  oerloren  ©egangene  wirb  bur^  bie» 

(5i«6) 


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7 


jenigen  Materien  geleiftet,  welche  bet  !93erbauung8^toje§  bem 
^(ute  3ufü^rt  unb  weldje  burd^  ben  Slutumlaut  fobann  ben 
@eweben  bargeboten  toerben.  SBie  aber  fdnnen  bie  ^^bgSnge 
befeitigt  werben  V — ©ooiet  ift  beutlit^,  ba§  bie  le^te  Se» 
feitigung,  b.  bie  dtücfgabe  t^rer  Elemente  an  bie  Qlu^enwelt 
Duri^  bie  ^JIbionbetung8apparate  gefc^e^en  mu§.  3Bte  aber 
fönnen  fie  biefen  gugefü^rt  werben?  Offenbar  ift  eß  aucb 
wieber  ber  SSIutnmlanf,  weld^er  biefeS  oermittelt.  hierfür 
muffen  fie  aber  in  geeignete  ©eftalt  gebradjt  fein,  unb  ba§ 
biefeß  gef(bie^t,  bafür  tritt  ber  SltbrnungSproge^  oermittelnb 
ein.  3nbem  biefer  nämlid)  ben  ©eweben  ©auerftoff  jufü^rt, 
gibt  er  ben  Slbgängen  baburc^  ©elegenbeit,  fid)  mit  .^ülfe  t>on 
biefem  in  oerfd^iebene  (bemifdje  SSerbinbungen  umjufe^en,  weldbe 
für  bie  au8f(beibung  geeignet  finb.  3erfe$ung  orgonifdjer  33er= 
binbungen  unter  SJtitwirfung  oon  ©auerftoff,  woburd)  neue 
SSerbinbungen  entftei)en,  an  wel(^en  biefer  wefentlid)  bet^eiligt 
ift,  nennen  wir  aber  „S3erbrennung".  IDer  ben  ©eweben  gu» 
geführte  ©auerftoff  „oerbrennt"  alfo  bie  Abgänge  unb  fe^t  fie 
in  Sßerbinbungen  um,  welche  für  bie  le^te  9(u8fd;eibung  burch 
Oie  Sbfonberungßapparate  geeignet  finb.  ^iefe  $^erbinbungen 
finb  aber  breierlei  iSrt:  e8  finb:  Äohlenföure,  SBaffer  unb 
ftidftoffhaltige  SSerbinbungen.  5)ie  jfohlenfäure  unb  ba8  SEBaffer 
werben,  erftere  in  ©aßform,  (e^tereß  in  S)ampfform,  burd)  bie 
Bunge  unb  bie  äuffere  Jpaut  ber  Slugenwelt  wiebergegeben;  bie 
fticfftoffhaltigen  3^erbinbungen  aber  werben  in  w&fferiger  Büfung 
burch  anbere  ^^tußfdheibungßorgane  befeitigt.  — S)ie  Verbrennung 
ber  Säbgünge  ift  alfo  bie  .^auptwirfung  beß  in  ben  Otganißmuß 
eingeführten  ©ouerftoffeß. 

3)iefer  Verbrennungßprogeff  hnt  aber  feinerfeitß  nod)  eine 
fel)t  widjtige  fRebenwirfung.  3eber  Verbrennungßprogeff  ift  ja 
befanntlicb  mit  SBärmeentwicfelung  oerbunben,  unb  fo  audh  ber» 
jenige  ber  Slbgangßftoffe  ber  ©ewebe,  — unb  bamit  ift  bann 
bie  .^auptquede  ber  thierifcben  äBärme  gegeben. 

(587) 


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8 


(Die  SSebeutung  be8  atbtnungfiptojeffe«  für  ben  t^ierifdjen 
^örpet  ift  aifo  bie,  ba§  burd^  ben  in  bemfelben  eingefü^rtea 
©auerfioff  bie  Abgänge  ber  t^ieti|(^en  ©ewebe  »etbrannt  metben, 
wobut(^  einerfeitö  beten  0efeitigung  au0  bem  ^br))et  ein* 
geleitet  wirb  unb  anbererfeitfl  bie  @igenu>ärme  beS  ^6t;>er0 
ergeugt  wirb,  weldbe  beffen  Sefte^en  innerhalb  gewiffer  ©rcnjen 
unabhängig  von  bet  äu§eren  Senq^etatut  hinfteQt 


^ie  gefdhilbetten  (hemifchen  ^togeffe  fann  lein 
entbehten;  bei  aQen  mu§  aIfo  bie  SUöglichfeit  gegeben  fein, 
ba§  bie  ©ewebe  mit  ©auetftoff  butdittänft  wetben.  S3ei  einet 
großen  iKngahl  von  Slhieten  finben  wit  bann  auch  aOetbingS 
befonbete  Otgane,  als  beten  S3etri(htung  gu  erfennen  ift,  ba§ 
He  bie  Slufnahme  beS  ©auetftoffeS  in  ben  OtganiSmufl  »er* 
mittein,  unb  welche  beSh^Ib  auch  nSthmungSotgane“  genannt 
wetben.  0ei  anbeten  uetmiffen  wit  baS  IBot* 

hanbenfein  folchet  Dtgane.  ^fluffallenb,  wie  biefe  2:hAifo<i>e 
auf  ben  erften  93Iicf  erf^einen  mag,  lä^t  He  ft(h  boch  ohne 
©chwietigfeit  erfläten. 

^ierfüt  ift  abet  not  aQen  IDingen  feftguhalten,  ba§  bet 
©auetftoff  bem  ben  umgebenben  fDiebium  entnommen 

wetben  muh,  entwebet  aifo  bet  atmofph&tifchen  8u|t  obet  bem 
SBaffet. 

3n  S3egug  auf  bie  in  bet  8uft  lebenben  Slhiete  iH  cS  faum 
nöthig  befonbetS  angufühten,  bah  bet  ©auetftoff  ein  feht 
wefentlichet  Seftanbtheil  bet  atmof))hätifchen  8uft  ift,  inbem  et 
in  biefet,  mit  ISuSnahme  gufäQigei  ^Beimengungen,  in  bem  un* 
gefahren  SSerhältnih  oon  1 gu  3 mit  bem  gang  inbifferenten 
©tidftoffe  gemengt  ift.  ^>ict  ift  aifo  ein  genügenbet  SSonath 
oon  ©auerftoff  beftänbig  gut  ^etfügung  unb  eS  ftagt  Hch  nut, 
in  weldhet  SBeife  betfelbe  in  bie  ©ewebe  eingefühtt  wirb.  Diefe 
f^tage  witb  fhätet  einlählid)er  gu  behanbeln  fein. 

^t  bie  in  bem  Sßaffer  lebenben  h^t  baS  umgebenbe 

C»88) 


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9 


SBoffct  ben  nöt^tgen  ©auerftoff  gu  liefern.  3»ar  Befi^t  baß 
SBaffet  in  feiner  3«faramenfe^ung  eine  fe^r  BeträdBtlidBe  ÜRenge 
»on  ©ouerftoff,  bicfe  ift  aber  o^ne  eine  dbemif(^e  3erlegung 
beß  SBafferß  nid^t  frei  gur  Verfügung.  ®ie  SlBgabc  »on  ©auer’ 
ftoff  anß  bem  SEBafjer  ift  olfo  ouf  anbere  SBeife  gu  erfiären. 
|)ierfür  ift  eß  nun  »on  befonberem  Sntereffe  gu  wiffen,  bafe 
baß  SBaffer  baß  Sermogen  bcp^t,  @afe  in  ficB  aufgune^men 
unb  an  fidb  ju  binben,  wenn  au(B  biefc  IBerbinbung  eine  fe^r 
lofe  ift  unb  burd^  ©rwärmung  ober  Sferminberung  beß  Suft« 
brurfeß  fe^r  leicht  gelbft  werben  fann.  — 2)ie  lo^lenfaurcn 
SBaffer  geben  bafür  baß  einfa^fte  unb  befanntefte  SSeifpiel.  — 
@in  jcbeß  freie  mit  ber  Qltmofp^äre  in  S3erüBrung  ftebenbe 
SBaffer  enthält  beßwegen  eine  gewiffe  fIRenge  »on  atmof))^rifcBer 
Suft  unb  alß  beren  IBeftanbt^eil  eine  entfpre^enbe  fIRenge  »on 
©auerftoff  gebunben.  greilid)  beträgt  biefe  Bödlfteuß  V/U  Ber 
SBaffermenge  (bem  Bolumen  na^),  inbeffen  ift  bamit  bodb 
immer  ein  genügenber  iBonatI)  »on  ©auerftoff  in  leicbt  »er° 
fügbarer  ©eftalt  in  bem  SBaffer  »or^anben  unb  fann  für  bie 
fSt^mung  benu^t  werben.  S)ie  Siliere,  welche  in  bem  SBaffer 
at^men,  entnehmen  alfo  eigentlitb  au^  nur  ber  atmofp^ärif^en 
Suft  i^ren  '©auerftoff,  wenn  biefeß  aud;  burdb  baß  SBaffer  in 
begeid^neter  SBeife  »ermiltelt  wirb. 

SBo  unb  wie  nun  auch  ber  ©auerftoff  bem  Drganißmuß 
bargeboten  wirb,  fo  fann  er  niemalß  alß  freier  Suftftrom  in 
bie  ÜRaffe  ber  ©ewebe  einbringen,  benn  biefe  flnb  überall  gegen 
aufeen  abgeft^loffen.  Sie  gorm,  in  welcher  er  einbringen  fann, 
mu|  ba^er  ftetß  nur  biejenige  ber  Siffufion  fein  b.  bie» 
jenige,  ba§  er  »on  ben  glüjfigfeiten,  welche  in  ben  ©eweben 
liegen  unb  biefe  burcBtränfen,  ben  SSerbinbungen,  in  welchen  er 
fi(^  befinbet,  entgogen  wirb.  Ser  ©auerftoff  ber  2uft  mufe 
alfo  ber  äußeren  Suft  babur^  entgogen  werben,  ba^  er  von  ben 
geuc^ttgfeiten  ber  ©ewebe,  welken  er  bargeboten  wirb,  ab» 
forbirt  wirb;  — unb  auf  gleite  SBeife  mu§  ber  an  baß  SBaffer 

(S89) 


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10 


flebunbene  @auet[toff  biejem  entjojen  »erben.  — SBit  bürfen 
l)ierfüt  eine  9trt  i'on  Sfnjie^unij  bea  @ouerftoffe0  burdb  bte 
(^eu^tiäf eiten  ber  ©cwebe  anneljmen. 

(gelbftnerildnbUd)  »irb  für  biefe  Slnjie^ung  eine  getoifle 
räumli(^e  ©ren^e  gev3eben  fein  muffen,  über  »el(^c  ^inou0  fie 
ni(^t  me^t  »irfen  fann.  3;l)ierförper  nun,  weld^e  »ic  biejenigen 
ber  3nfuiorien  in  il)ter  gan3en  ©rö^e  biefe  @ren3e  nidjt  über* 
fc^reiten,  fönnen  beSmegen  mit  i^ret  Dberfldc^e  oljne  2Beitere§ 
i^rer  Umgebung  ben  notl)igen  ©auerftoff  entnehmen  unb  be« 
bürfen  beSmegen  feiner  Sltl)mung0apparate.  — 5n  bem  gleichen 
^aQe  befinben  fid|  auch  folt^e  it^ierleiber,  »el(^e  wie  manche 
niebere  ©eet^iere  3.  S.  9)iebufen,  eine  unoer^öltni&mäfeig  grofee 
glüffigfeitamenge  in  i^ret  Subftan3  entgolten;  auc^  biefe  be» 
bürfen  befonberer  SJlt^mungaapparate  nidjt,  inbem  bie  an  ber 
äußeren  Oberfläche  be0  SEhi^rleibea  mit  ©auerftoff  belabene 
©cbichte  innerer  Stüffigfeit  fich  leicht  in  bem  gan3en  Äorper 
biffunbirt  unb  auf  biefe  SSJeife  ber  an  ber  Oberfläche  auf» 
genommene  ©auerftoff  überall  in  ben  Äörper  »ertheilt  wirb. 

S3ei  gröhereu  ”1*^  fefterem  Sau  finb  inbeffen  be» 

foubere  ©inrichtungcn  nöthig,  welche  ben  ©eweben  ben  ©auer» 
ftoff  birefter  3uführen;  fo  finben  wir  3.  S.  bei  ben  fefler  ge» 
bauten  SRabiaten  (©eeigel,  ©eefternen)  ein  ben  Äörper  burch» 
giehenbea  Äanalfpftem,  weld)e0  ba0  umgebenbe  SBaffer  auf» 
nimmt,  fo  bah  biefe0  burch  ben  Äorper  innerlich  oeitheilt,  feinen 
©auerftoff  au  bie  ©ewebe  abgeben  fann. 

3)a0  fchönfte  Seiftjiel  birefter  Sufühtung  bc0  ©auerftoffea 
31t  ben  ©eweben  finben  wir  inbeffen  bei  ben  3nfeften. 

3n  ben  ©eitenlinien  be0  Äörpera  befinben  fleh  nämlidh  bei 
biefen  3»if^en  ben  hom«tigen  geibearingen  fleine  runbliche 
Oeffnungen  (stigmata)  unb  »on  einet  jeben  berfetben  geht  ein 
©pftem  oon  JRöhrchen  aua,  welche  fich  theilen  unb  »ieber 
theilen,  bia  fie  fich  enblich  auf  ba8  feinfte  au0gefpalten  in  allen 
Organen  uerbreiten.  Die  SBanbung  biefer  Siöhr^en,  wel% 

(>90) 


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11 


man  „Stac^ecn“  nenn!,  ift  burt^  einen  ummtnbenben  ^ornattigen 
©piralfaben  fo  gefteift,  ba§  fte  Jtetö  ein  offenes  turnen  um* 
f(^lie&t.  JDurd^  bie  Stigmata  tritt  nun  bie  äu§ete  8uft  in 
biefe  Scac^een  ein  unb  oert^eilt  fic^  burd)  biefelben  in  beni 
ganzen  Äöri>er.  Se^r  aQgemein  finb  biefe  ©ligmata  butd) 
jum  SJ^eil  feljr  jierlid^e  ©ebilbe  oergitteit,  fo  bo6  bure^  bie» 
felben  fein  Staub  in  bie  Slracbeen  einbringen  fann;  unb  »aö 
bie  33ert^eilung  bet  Srac^een  angelt,  fo  ift  biefe  eine  fo  alfge» 
meine  unb  fo  feine,  ba§  man  faum  irgenb  einen  S^eil  eines 
3nfefteS  unter  baS  fKifroffop  nehmen  fann,  ohne  in  bemfelben 
Jhrile  Don  beten  festen  SSeräftelungen  gu  finben.  — 3Bit  be» 
gegnen  in  biefet  (äinrichtung  bet  überaus  intereffanten 
fache,  ba§  butch  biefelbe  ben  ©emeben  biteft  f^uft  gugeführt 
wirb  unb  finben  barin  eine  wichtige  Seftdtigung  bafür,  bafe 
bie  Sauerftoffjufuht  in  ben  Äörper  ttitflich  in  naebftet  unb 
engftet  SSegiehung  gu  bem  fjeben  bet  ©ewebe  fteht.  — lernet 
werben  wir  aber  auch  burch  bie  nähere  33etrachtung  biefer  ©in* 
richtung  batauf  geführt,  ba§  wir  ben  Drt  ber  33etbrennung 
bet  SlbgangSftoffe  ber  ©ewebe  in  ben  ©eweben  felbft  gu  fuchen 
haben.  S)ie  Berfe^ungSprobufte  ber  ©ewebe  finb  ja  febenfaDS 
wäfftige  gßfungen  ober  wenigftenS  wäffrige  weidje  Subflangen. 
SBürben  biefe  in  bie  Tracheen  einbringen,  um  in  biefen  oer» 
brannt  gu  werben,  fo  mü§te  man  fie  fichet  unter  bem  fUlifroffop 
bort  fehen  fönnen.  fRiemafS  aber  fieht  man  in  ben  Siracheen 
etwas  anbereS  alS  8uft.  ©ie  i^eteinigung  beS  SauerftoffeS 
mit  ben  Betfe^ungSprobuften  mu§  alfo  nothwenbiger  Seife 
innerhalb  ber  ©ewebe  gefchehen.  Selbes  bann  baS  weitere 
Schicffal  ber  SSerbrennungSprobufte  ift,  fönnen  wir  ni^t  fagen. 
Sit  werben  aber  anetfennen  muffen,  bo§  fie  nur  auf  gweierlei 
Seife  aus  bem  Äörpet  entfernt  werben  fönnen;  entweber  nämlich 
fönnen  fie  fid)  ben  in  bet  UeibeShöhle  befinblicben  freien  ©lut» 
maffen  beimengen  unb  auS  biefen  burch  abfonbetnbe  ©rüfeu 
auSgefchieben  werben,  — ober  fie  fönnen  in  ©aSgeftalt  in  bie 

(591) 


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12 


Srac^een  gelangen  unb  auf  biefem  SBege  baS  Bteie  gewinnen. 
SBa^rfdbeinlidb  finbet  beibeb  ftatt,  inoem  bte  wäffrtgen  Söfnngen 
but(i^  bte  abfonbernben  IDrüfen,  bte  gaSf6imtgen  9>robufte  ba< 
gegen  buicb  bie  Slrad^een  in  bie  Su^enwelt  gelangen. 

S>er  ^t^munggapparat  ber  3nfeften  gibt  un6  alfo  fe^t 
ttid^ttge  9uffd^(üffe,  inbem  et  und  einen  birelten  ^inweid 
batauf  giebt,  ba|  bie  S3ebeutung  ber  @infü^ntng  bed  @auer> 
ftoffed  in  ben  Ocgantdmud  nur  bann  wirflidb  jut  @rfüQung 
fommt,  wenn  berfelbe  in  fein  nert^eiltem  Suftanbe  ben  ©eweben 
fo  bargeboten  wirb,  ba^  er  fie  gang  burt^btingen  fann.  IDie 
feine  SSert^eilung  ber  Luftwege  burc^  ben  gangen  .Körper  gibt 
hierfür  bad  .^ütfdmittel  ab.  — 93ei  benfenigen  inbeffen, 

welthe  ein  fd^arf  audgebilbeted  @efä^fpftent  beft^en,  n&mlidb  bet 
ben  SBtrbelthieren,  bebarf  ed  etned  folchen  ^ülfdmitteld  nicht. 
IDiefe  hoi’C”  ©efägfpftem  eine  Ülnorbnung  fein 

audgefpaltener  (Röhren,  weld^e  in  ihren  lebten  SSertheilungen  ald 
ein  feined  9teh  in  ben  6)eweben  gelegen  finb.  Sunädhft  finb 
biefe  Stohren  aderbingd  ber  ^ühtung  bed  S3luted  beftimmt, 
welthed,  auf  biefem  SBege  ben  Geweben  gugeleitet,  biefen  bie« 
jenigen  SRaterialien  barbietet,  beten  biefelben  gut  @rgängung 
ihred  Slufbaued  bebürfen;  inbeffen  gewinnen  fte  hoch  auch  bte 
gleiche  Sebeutung  wie  bie  Sltacheen  ber  3nfe!ten,  inbem  fte 
auher  ben  @mährungdmaterialien  auch  n<’(h  nöthigen 
@auerfto{f  gu  ben  Geweben  hinfühten.  @elbftDerftänbli(h 
fönnen  nicht  biefe  beiben  SRaterialien  getrennt  neben  einanber 
in  ber  gleichen  @efä§röhre  geführt  werben,  unb  ed  ift  ihre 
gleichgeitige  Sefötberung  auf  berfelben  33ahn  nur  baburch  mög» 
lieh,  bah  einet  einheitlichen  SRaffe  bereinigt  finb.  @o 

ift  benn  auch  SBirflichteit  bad  ben  Drganen  guftrömenbe 
SJlut  eine  SJlengung  »on  S3lut  im  engeren  ©inue,  b.  h-  »on 
(Smährungdfiüffigfeit,  mit  ©auerftoff,  welker  an  biefe  butch 
Slbforption  gebunben  ift.  3n  ben  @eweben  werben  non  biefen 
beiben  93eftanbtheilen  entfprechenbe  ^ntheile  abgefe^t  unb  pnben 

(59J) 


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13 


no(^  i^ret  9lrt  S3erwenbung,  bie  ©rnS^rungöflfiffigfett  für  ben 
38ieberer[a^  ber  ©ewebe,  ben  ©auerfloff  für  bie  äSetbrennung 
ber  3etfe^ung0probufte.  ©agegen  treten  aber  bie  3erfetung8» 
l^robufte  ttieber  in  bie  ©efü§e  ein  unb  gwar  fc^on  ale  »er« 
brannte  3«tfe^ung8brobufte  in  ©eftalt  non  wöffrigen  8ßfungen 
unb  in  ©eftalt  non  SEßaffer  unb  ^o^Ienfäure.  IDa^er  ift  benn 
aud^  baß  burdb  bie  93enen  au8  ben  ©enieben  jurüeffe^renbe  Slut 
reic^  an  SBaffer  unb  Äo^Ienfdure  unb  nerbanft  biefem  Umftanbe 
feine  IDünnflüffigfeit  unb  feine  bunfele  Färbung.  @8  ift  inbeffen 
bie  9JißgIid)feit  nit^t  gau3  »on  bet  ^anb  ju  weifen,  ba^  bie 
3etfe^ung0probufte  t^eilroeife  au(^  in  ro^em  Suftanbe,  b. 
unnerbrannt  in  bie  !@Iutba^n  einbringen  unb  erft  in  biefer  burc^ 
ben  noch  im  Slute  jurüdgebliebenen  £^eil  beS  ©auerftoffed 
nerbrannt  werben. 


@0  entftebt  nun  bie  ^age:  3n  welcher  Seife  fann  ba0 
23Iut*  mit  bem  in  ber  äufeeren  ?uft,  bejie^ungßweife  in  bem 
Saffer  enthaltenen  ©auerftoffe  fo  befrachtet  werben,  bag  er 
ber  angegebenen  S3ebeutung  entfpre^en  fann? 

• 5Da0  S31ut  ift,  wie  jebe  anbere  glüffigfeit,  wäffriger  fRatur, 
geeignet,  ©afe  burch  iflbforption  in  ftch  aufgunehmen.  Um  eine 
gewiffe  SKenge  »on  Sauerftoff  an  ba0  33Iut  gu  binben,  ift 
bähet  nur  nöthig,  ba§  eine  gewiffe  fUlenge  »on  S3lut  mit  ber 
äußeren  Suft  ober  mit  lufthaltigem  Saffer  in  nahe  Berührung 
gebracht  werbe.  Unmittelbare  Berührung  ift  nicht  möglich,  ba 
ba0  Slut  ftet0  in  feinen  IBahnen  eingef^loffen  bleiben  mu^, 
unb  e0  genügt  auch  nach  ©efe^en  ber  IDiffufion,  ba§  biefe 
Serühtung  mit  3wifchenf^altung  einer  ganj  bünnen  unb  jarten 
fUiembran  gu  0tanbe  gebracht  wirb. 

Sir  finben  nun  biefen  3wecf  baburth  erreicht,  ba^  ein  fehr 
gart  gebauter  $h*il  Äörperoberfldche,  in  welchem  eine  fehr 
reichliche  S3Iut»ertheilung  in  einem  fehr  gartwanbigeu  ©efd^ne^ 
au0gebreitet  ift,  ber  SBetührung  mit  bet  dufeeren  8uft  be» 

(5»3) 


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14 


jiet)unge»ei|(  mit  bem  lufthaltigen  äBaffer  audgefe^t  ift.  9ia(h 
ben  @e{e$en  ber  IDiffufion  nimmt  bann  an  einer  fold^en  f^lä(he 
baS  S3Iut  ben  ©auerftof  ber  äu§eren  Suft  auf  unb  gibt  bagegen 
an  biefe  bie  in  ihm  enthaltene  non  ber  Verbrennung  ber  Wn- 
gänge  h^^ührenbe  ^ohlenfäure  ab;  an  folchen  Bischen  fann 
audh,  menn  fte  mit  8uft  in  Verührung  pnb,  leidbt  rine  gewiffe 
aUenge  beö  in  bem  SSlutc  enthaltenen  SBafferß  »erbarapfen.  — 
©ol(he  Oberflächen  hol’c«  fo  f«ne  bie  gleiche  Ve» 

beutung  wie  bie  Stigmata  ber  Snfelten,  alö  fie  bie  ©intrittö» 
tjforten  für  ben  bem  Äörtjer  nothwenbigen  ©auerftoff  finb;  — 
fie  unterfcheiben  fidh  aber  non  ben  ©Hgmata  baburch,  bah  »on 
biefen  au6  bie  8uft  bireft  in  bie  ©emebe  geführt  wirb,  währenb 
an  ben  in  bejeichneter  SEBeije  organifirten  Oberflächen  bie  8uft 
gunächft  nur  an  baö  Slut  gebunben  wirb,  um  bann  mit  biefem 
ben  ©eweben  jugeführt  3U  werben. 

S)a  nun  aber  immer  nur  nerhältnihmähig  Heine  ^h^He 
ber  äußeren  Oberflä^e  be6  2:hi*HeibeS  eine  folche  Organifation 
geigen  fönnen,  weil  hoch  an  bie  Oberfläche  überhaupt  ber  Än» 
fpruch  einer  gewiffen  SBiberftanbäfähigfeit  gemacht  wirb  unb 
biefe  eine  herbere  ©truftur  nerlangt,  unb  ba  ferner  hoch  noth= 
wenbiger  SBeife  ftets  eine  moglicpft  grofee  aiienge  non  33lut 
mit  ©auerftoff  befrachtet  werben  muh,  fo  finb  bie  bejeichneten 
Slheile  ber  Oberfläche  burch  reichliche  Saltenbilbung  fehr  be* 
trächtlich  nergröhert  unb  3wat  fann  eine  folche  Vergroherung 
in  gweietlei  9lrt  ftattfinben. 

2)ie  eine  9lrt  ift  bie,  bah  «nf  «ner  Keinen  Vap8  ber 
äuheten  .Ipnut  eine  grohe  Slngaht  bünner  Vlätter  ftehen,  welche 
mit  einer  fehr  garten  J^aut  übergogen  unb  reichlich  mit  S3lut= 
gcfähnehen  burchfelgt  finb;  biefe  ^orm  nennt  man  „Äiemen*. 
begreiflicher  SBeife  fönnen  folche  Äiemen  nur  ba  Verwenbung 
finben,  wo  ber  ©auerftoff  bem  äilaffer  gu  entnehmen  ift,  benn 
an  ber  ^uft  würben  fie  fchnell  oertroefnen  unb  bamit  untauglich 
werben. 

(S94) 


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15 


!Die  gtoeite  9lrt  ift  biejenige,  in  weld^er  bie  SSetgrö^etung 
bet  Dberflä^e  burdb  ©inftulpungen  in  baS  innere  beö  ÄörperS 
enei(bt  wirb,  ©olc^e  6inf^ül^3ungen  fönnen  cntroeber  nur  ©öde 
fein,  njeicbe  an  bet  ^ötpetobetfiäcbe  auSmünben  unb  etwa  an 
i^tet  inneren  Dbetflädje  no(b  eine  ängabl  »cn  Borfprtngenben 
Balten  geigen,  wie  bei  ben  B^öfcben,  ober  fie  fönnen  bie  ©eftalt 
aftartig  auögefpaltenet  JRöljren  geigen,  wie  bei  ben  ©Suge» 
t^ieren.  äBelc^e  non  biefen  beiben  ©runbgeftalten  fie  aber  audb 
haben  mögen,  fo  führen  fie  ben  fRamen  „2unge“. 

@ine  etwas  eigenthümliche  3n>if(bcnform  geigen  bie  Bifch^- 
S3ei  biefen  befinbet  fich  nämlidh  jeberfeitS  hinter  unb  unter  bem 
Äopfe  eine  fehr  gto^e  Oeffnung  in  ber  geibeSwanb,  weldhc 
geraben  2öegeS  in  ben  ©chlunbfopf  fuhrt.  SDiefe  Oeffnung  ift 
»on  einet  Slngahl  gartet  23lStl(hen  ddu  bem  Saue  ber  Äiemen 
gitterartig  burrhfe^t  unb  gwifdjen  biefen  ftrömt  beflänbig  baS 
SBaffer  hindurch,  fo  ba§  an  beten  Oberfläche  bie  ©auerftoff= 
aufnahme  in  baS  S3lut  gefcljehen  fann.  SBenn  biefe  ©ebilbe 
nun  auch  nitht>  ®i«  anbere  Äiemen,  bircft  bem  SÖaffer  bar= 
geboten  finb,  fonbern  baS  SBaffcr  bur^  befonbcre  Slhötigfeit 
ftetS  gwifchen  ihnen  hinburch  getrieben  werben  mu^,  fo  nennt 
man  fie  bo^  ihres  SaueS  wegen  ebenfalls  „gtiemen", 

$Da  nun  bie  iÄufnahme  ooii  ©auerftoff  iu  ben  jförper  in 
bem  gewöhnlidhen  ©prachgebtau^e  „Slthmen"  heifet,  fo  pflegt 
man  gu  fagen,  bafe  gewiffe  Sthiere  but^  Slta^een,  anbere  burch 
Kiemen  unb  wiebet  anbere  burd)  Zungen  athmen. 

3nt  SUlgemeinen  fommeu  Jra^een  ben  Snfeften  gu,  .ttiemen 
ben  SBafferthieren  unb  ßungen  ben  Sanbthieren.  — Seffer 
würbe  man  inbeffeu  wohl  fagen,  ba|  Jtiemen  bie  ©auerftoff» 
aufnahme  auS  bem  SBaffer  oermitteln,  jungen  aber  biejenige 
aus  ber  Suft;  benn  gewiffe  Söafferthiere,  wie  Jritonen  unb  Söale, 
welche  Sungen  befi^en,  nniffeu  ftetS  an  ber  Oberfläche  beS 
SöafferS  ?uft  in  biefe  eingiehen  unb  fönnen  ihren  ©auerftoff« 
bebarf  nicht  mit  ^ülfe  ber  iiungen  bem  Süöaffer  entnehmen. 

(S95) 


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16 


S)ui^  bie  angegebenen  üllobtftfationen  eined  S^eiled  bei 
J(örperoberfläd)e  -in  @e[talt  non  ftdcbenreicben  fernen  ober 
jungen  roitb  eS  bann  eiiei(^t,  ba§  bie  gejammte  9 (nt: 
maffe  beS  ^örpeid  ben  bejeic^neten  Umn)anblungSprc;;e§  et« 
fahren  fann,  e^e  fte,  nac^bem  fle  ald  S^enenblut  aug  ben  @e« 
»eben  juiüdgefe^it  ift,  in  i^rem  beftänbigen  ^eiölaufe  tttebet 
auf’8  9leue  in  bie  ©emebe  entjenbet  mitb.  JDet  ganje  ÄtciS« 
(auf  beS  SluteS  befielt  alfo  eigentlid^  barin,  ba§  baffelbe  in 
bie  in  ben  ©eweben  liegenben  ©efä^ne^e  einfhömt,  ^ier  <Sauer« 
ftof^  abfe^t  unb  S^erbtennungdijrobufte  aufnimmt,  — fobann  abet 
in  bie  ©efa^ne^e  bei  at^menben  gläd^en  (fernen,  gungen) 
eintiitt,  ^iet  bie  Seibrennungfiprobufte  abgibt  unb  (Saueiftoff 
aufnimmt,  — l)ierauf  wiebet  in  bie  ©ewebe  ge^t  jc.  — 3wif<^en 
biefen  beiben  gewiffetmafeen  al8  ^ole  be8  ÄteiölaufeS  bafte^enben 
©efäfene^en  (Äotpergefä§ne^  unb  3(t^mung8gefä&ne^)  ptömt 
ba8  ^lut  in  gto^eten  @tämmen,  in  welche  gugleic^  al8  ^tieb« 
ftaft  für  ben  Ärei8lauf  ba8  eingefügt  ift, 

SDet  Drt  bet  ©infügung  be8  ^erjen8  ift  abet  ein  »er« 
f^iebener  unb  bana^  ^aben  auc^  bie  ÜIt^mung8a^parate  eine 
»etf(^iebene  telatioe  Sage  ju  bem  ^evien. 

33ei  ben  Ätebfen,  meld^e  allein  unter  ben  witbellofen 
Spieren  einen  au8gebi(  beten  ,^ei8Iauf  befi^en,  fammett  fi4)  ba8 
au8  ben  ©eweben  tücffe^tenbe, Senenblut  in  Stämmen,  welche 
fid^  wiebet  in  ben  Kiemen  »erafteln ; unb  bie  au8  biefen  wiebet 
au8tretenben  Stämme  ge^en  bann  gum  ,^etgen,  um  »on  biefem 
wiebet  in  bie  ©ewebe  getrieben  gu  werben. 

S3el  ben  gifc^en  bagegen  ge^t  ba8  SOenenblut  guerft  gu 
bem  jpetgen  unb  wirb  »on  biefem  gunä(^ft  in  bie  Äiemeu  ge« 
trieben;  au8  biefen  gurüefgefe^rt  unb  in  einem  Stamm  ge* 
fammelt  ge^t  e8  bann  wieber  in  bie  ©ewebe,  um  fid^  in  biefen 
gu  »ertbeilen. 

Sei  ben  ifrebfen  liegt  alfo  ba8  ^)etg  gwijt^en  bem  Jriemen» 
gefö&nel  unb  bem  Äetpergefaßne^  in  bem  arteriellen  Strome, 

(S96) 


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17 


— bei  ben  ^ifd^en  aber  a»if(^en  bem  Körper  gef  dfenc^  unb  bcm 
ifiemengefd§ne^  in  bem  nenofen  ©trome.  (SrflefeS  ^eigt  bed« 
megen  aut^  „Äötper^erj",  le^teteö  ^Äiemen^era".  aHe 
SEBitbelt^iere  (SSögel,  ©äuget^iere)  befi^en  aber  an  beiben 
genannten  ©teilen  ein  ^erj,  beft^en  alfo  ein  Äör^jer^era  in  bem 
artieDen  ©trome  unb  ein  ^iemen^eta  (ober  i^ungen^erg)  in  bem 
oenojen  ©trome.  IDiefe  beiben  ftnb  jebocb  äu§erli(^  fo  oer« 
einigt,  bag  man  fie  ald  ein  einjiged  Organ  anfie^t,  melc^ed 
man  f^lec^tweg  *^erg"  nennt.  JDiefe  ungenaue  3luffa[fung 
veranlagt  benn  eine  ent{i>re(benbe  ungenaue  IDarfteHung  beä 
iBIutfrei^Iaufed.  IDtan  lägt  nämlicg  bag  IBenenblut  beä  ^ör))erg 
in  baö  „.^)era“  eintreten,  au8  bem  „.^ergen"  in  bie  Zungen 
gegen,  — bann  natg  gefcgegener  Umroanblung  gu  bem  „^>ergen" 
gutücffegren,  oon  bem  „.^etgen*  wiebet  in  ben  Äßtper  gegen  jc. 

— Dieje  Sarftellung  gibt  bann  ba8  geläufige  aber  ungenaue 
5?ilb  be8  Äreifilaufeg,  wonacg  man  gwei  J^reiSläufe  unter« 
{(geibet,  wel^e  ficg  in  bem  ^er^en  berügren,  nämlicg  einen 
„gtogen  ÄteiSlauf"  oon  bem  ^)ergen  burtg  ben  Äörper  gu 
bem  |)ergen  gurüd,  unb  einen  „fleinen  Jfteiölauf“  ober 
,ljungenfrei0lauf " oon  bem  ^)etgen  burtg  bie  Zungen  gu 
bem  .^ergen  gurütf.  — ^iernotg  ift  alfo  ein  befonberer  Slgeit 
ber  IBlutbagn,  weltgen  aber  ba8  gejammte  3)lut  immer  burtg« 
laufen  mug,  ege  eS  wiebet  in  bie  ^örperblutbagn  eintritt,  in 
birefte  93etbinbuug  mit  ben  SStgmunggwerfgeugen  (ben  jungen) 
gebracgt. 

35ie  Äiemen  werben  beftänbig  oon  SBaffer  umfgjült.  @6 
ift  begwegen  feine  befonbere  ^gätigteit  notgwenbig,  um  in 
ignen  ba8  Slut  mit  bem  Sauerftoff  in  Sctügtung  gu  bringen 
unb  felbft  bei  ben  giftgen  wirb  nur  eine  unbebeutenbe  SEgätig« 
feit  gierfür  in  'jinft>ru(g  genommen. 

9nber0  ift  e@  bei  benjentgen  agieren,  weltge  burtg  Sungen 
atgmen.  3n  ben  im  3nnern  beö  Äörpetß  gelegenen  ^ogltaum 

XIX.  44k.  2 (5*7) 


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18 


ber  Sungen  tann  bte  Buft  ntd^t  von  fetbft  etnbringen.  ®te  mufi 
mit  einet  gewiffen  @e»alt,  mit  einet  gewiflen  Äraft  btnein» 
gettieben  metben,  um  i^n  etfüllen  3U  fönnen  @8  ift  biefe8 
um  fo  not^menbiget,  als,  mie  ft>5tet  noch  be[onbetS  b^TUoC’' 
ju^eben  fein  mttb,  bie  SBanbungen  bet  8ungeneinftülf>ung  febt 
viel  elaftifcbeS  ©emebe  enthalten  unb  burcb  beffen  @inmitfung 
im  IRube^uftanb  uetfütjt  unb  oetengett  etfcbeinen. 

9luf  jmeietlei  SUeife  mütbe  eS  nun  mbglicb  fein,  bie  8uft 
in  ben  8ungenfa(f  einjutteiben,  entwebet  nämltcb  babutcb,  ba^ 
eine  biteft  eintteibenbe  ^taft  in  ^b^tigfeit  gefegt  mütbe,  obet 
babutcb,  bag  bie  äBibetftänbe  fo  »etminbett  mütben,  ba|  bet 
&u|ete  8uftbtud  alS  eine  telatiu  gtöbete  @emalt  bie  @intteibung 
ju  bemitfen  im  @tanbe  fein  mütbe.  @S  mütbe  gu  meit  führen, 
menn  entmicfelt  merben  foQte,  matum  bie  etfte  Srt,  bie  birefte 
Sletmebtung  bet  eintteibenben  Äroft,  faum  burcb  bie  ^ülfs= 
mittel  beS  DrganiSmuS  erhielt  metben  (önnte.  @S  fei  beSmegen 
foglei^  bie  ^rt  unb  SBeife  nadbgemiefen,  in  melcbet  bie  9Biber« 
ftänbe  oetminbert  metben  tonnen,  fo  ba^  bet  äußere  Buftbrucf 
als  eintteibenbe  @emalt  oollftänbig  genügt  unb  benten  mit 
babei  gunü^ft  an  bie  IBetbältniffe  beS  menfcblicben  Körpers. 

Setanntlicb  ift  bie  8nnge  in  bemjenigen  ^b^ile  bet  IRumt^f« 
höhle  gelegen,  meldhen  man  alS  Stufthöhle  begeichnei  IDiefcr 
9taum  ift  tingSum  von  bem  Inöchetnen  Sruftforbe  (ben  fRibpen) 
umgeben  uub  ift  nach  unten  butch  baS  3metd}fell  abgef^loffen. 
IDaS  3n>er^feQ  ift  eine  SRuSfelplatte,  melche  an  bem  ganzen 
unteren  Umfange  beS  SruftforbeS  angeheftet  ift  unb  im  et« 
fchlafften  3uftanbe  butch  bie  von  ben  Sauchmanbungen  gu« 
fammengebrängten  !0aucheingemeiben  fo  nach  oben  gebrücft 
mirb,  ba|  fie  ftatf  fonoejr  in  bie  Sörufthöhle  hinein  tagt  unb 
baburch  beten  JRaum  beengt;  — im  jufammengeiogenen  3n« 
ftanbe  ift  fie  jebodh  abgeflacht  unb  bet  Srufthöhlenraum  ift  ent* 
fprechcnb  oergtöhett.  — SEBit  etlennen  in  biefem  S3ethöltni§ 
fchon  ein  michtigeS  ^pülfSmittel,  um  ben  ©intritt  ber  8uft  in  bie 

(r.»9) 


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19 


?unge  ju  oeranlaffen.  bo8  ben  SBibet» 

ftanb  ber  33au(^mu8feln  übeininbenb,  jufammen,  fo  witb  ed 
bie  S3aud^etn3ewetbe  ^inabtreiben  unb  bie  älauAwanbungen 
babuic^  audbe^nen,  ber  9ru[t^ö^lentaum  aber  wirb  erweitert 
werben.  @0  ift  bied  nit^t  anberd,  ald  wenn  ber  @tembel  einer 
@pri^e  anc^ejogen  wirb.  3Bie  bei  biefer  in  Solge  beS  ^njiel^end 
beß  ©tempelß  nnb  ber  baburc^  bebingten  SSergrö^erung  iijreß 
.po^Iraumeß  bie  8uft  burc^  baß  ©augero^r  einftrömt,  fo  ftrömt 
au(^  bei  ber  burcib  bie  SSerfiacbung  beß  3wer(bte{Ieß  gegebenen 
Sergrö§etung  beß  Sruftraumeß  bie  8uft  burdj  bie  mit  ftanen 
SBanbungen  »erfe^enen  Luftwege,  bur^  bie  9tafe  unb  bie  8uft* 
rö^re  in  bie  93ruft^ö^(e  ein  unb  erfüllt  bie  ^o^Iräume  ber 
tiunge.  2)ie  lebten  @nbigungen  ber  üuftrü^renäfte  finb  aber 
fieine  fe^r  bünnwanbige  ^läßd^en,  in  welchen  ber  ©aßaußtaufcb 
gwifc^en  Suft  unb  0lut  ju  @tanbe  lommen  fann,  weil  ein 
reicbeß  ®efä§ne^  in  beren  äBanbungen  enthalten  ift.  — 3ft 
ber  @aßaußtau|^  fo  weit  gebieten,  ba§  ber  in  ben  8ungen 
eingefthloffenen  8uft  ber  ©auerftoff  ju  einem  großen 
entjogen  unb  an  beffen  ©teile  j^ohlenfäure  getreten  ift,  bann 
mu§  bie  Sunge  non  ^uft  foweit  möglich  entleert  werben,  bamit 
auf’ß  5Reue  atmofphärifche  8uft  eingejogen  werben  fann.  3)iefe 
6ntleemng  ber  8unge  fommt  aber  auf  baß  einfachfte  ju  ©taube. 
IDurch  bie  einbringenbe  8uft  ift  nemlidb  baß  bie  gange  8unge 
reichlich  burchfehenbe  elaftifchc  @ewebe  außgefpannt  unb  eß 
genügt  bie  ©tfchlaffung  beß  3werchfelleß,  beffen  3ufammen» 
giehung  ben  Stuftraum  erweitert  h“lf  bie  ©laftigitöt  biefeß 
@lewebeß  gut  ®eltuug  gu  bringen,  fo  bah  fl<^  bie  gange  Sunge 
auf  einen  fleineren  Umfang  gufammengieht  unb  ben  grölten 
Stheil  ber  enthaltenen  8uft  h*naußtreibt;  gleichgeitig  brangeu 
bann  auch  bie  norgetriebenen  Sauchwanbungen  bie  non  ihnen 
umfdhloffenen  @ingeweibe  wieber  gegen  baß  3werdhfell,  fo  ba| 
biefeß  wieber  in  bie  Srufthöhle  hineinflctrieben  wirb  unb  bereu 
JRaum  nerfleinert. 

2*  (5»9) 


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20 


35iefed  ift  bet  SRe^aniämaö,  but(^  »eichen  In  bem  ge= 
YDÖ^nlic^en  ruhigen  3uftonbe  bet  (äinttitt  bet  ?uft  In  bie 
^unge  unb  beten  Entleerung  gu  ®tanbe  fommt.  @8  ijl  abet 
gugleid^  betjenige  IBotgang  in  bem  2(t^mung8)>tcge|,'  meld^en 
man  aQein  beobachtet  unb  beSwegen  Quch  baS  «Spiel 

biefeS  SKecbaniflmuö  in  bet  SßolMfptache  „Slthmen“  unb  beffen 
eingelne  Slfte  „Einathmen“  unb  „Sluöathmen*.  — 5Bte  au8 
bem  ^othetge^enben  gu  etfehen,  ift  aifo  beim  gemöhnlidben 
ruhigen  Sithmen  nut  baS  Einathmen  eine  lebenbige  flRudM« 
thätigfeit,  ba8  9u8athmen  aber  nur  bie^oige  bet  SBirffamleit 
phhfifalif«h*'^  Äräfte. 

9li(ht  immer  bef^ränft  fid)  bet  9Ithmung8me(hani8mu8  auf 
tiefe  einfachen  SBotgänge,  melche  eigentii^  nur  eine  9ltt  oon 
iBentilation  in  ben  .pohlraumen  ber  Sunge  ergeugen,  inbem 
babei  bie  Sunge  niemals  auf  ihr  fDiajnmum  auSgebebnt  unb 
audh  niemals  gönglich  entleert  wirb.  ES  fommt  häufig  »ot, 
bah  ein  gtöhcreS  SlthmungSbebürfnih  eine  ftdtfere  SJufüIIung 
bet  Sungen  »erlangt,  ober  auch,  «ne  ftärfere  Entleerung 
bet  iiunge,  als  eS  beten  Elaftigitdt  aOein  gu  Staube  bringt, 
gebraust  »itb,  — etftereS  bei  ftärferen  fötperlichen  Slnftten» 
gungen,  hnpigem  Saufen  k.,  Unteres  bei  lang  gebehntem  Stufen 
ober  Singen,  bei  ftarfem  SSlafen  jc.  3n  tiefen  fällen  mitb 
tie  SBanbung  ter  ©tufthöhle  gu  |)ülfe  genommen  unb  batch 
beten  ^)ebung  bet  innere  Sruftraum  erroeitert. 

3)ie  Stippen  liegen  nämlich  fo  in  bet  Sruftmant,  bah  pe, 
hinten  an  bet  iEBirbelfäule  beweglich  befeftigt,  f^räg  nach  norn 
unb  unten  abfteigen  unb  gwar  bie  unteren  mehr  alS  bie  oberen. 
3ln  baS  in  bet  »orteten  üJtittellinie  bet  Stuft  gelegene  Stuft» 
bein  finb  bann  bie  »orteten  Enten  bet  fieben  oberen  Stippen 
feltlid)  angeheftet  unb  gwar  fo,  bap  bie  erfte,  gweite  unb  britte, 
au^  wohl  noch  bie  »ierte  Stippe  in  einem  einfachen  Sogen  von 
bet  SBitbelfduIe  gu  tiefer  änheftungSftetle  gehen;  bie  folgenben 

Stippen  aber  fteigen  in  ihrer  Schieflage  fo  tief  hinub,  bafi  fie 

(600) 


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21 


erft  mit  einer  ftarfen  ^bfnidfung  nach  oben,  in  intern  notberen 
6nbe  aufmärtd  fteigenb,  bad  ä3ruftbein  eneic^en  fönnen.  SBie 
ftarf  bie)e  iSbfnicfung  ift,  fann  man  baranS  fe^en,  ba^  bie 
fiebente  SWipt)e,  an  »eichet  Re  fi(^  am  ftörfften  3eigt,  »on  ber 
{)ö4e  beS  fiebenten  S3ru[tmitbeIS  bid  ju  bet  |)6^e  beS  jniölften 
3)ruftmirbel@  ^inabReigt  unb  bann  miebec  big  gut  {)ö^e  be0 
achten  3)rufttoirbeld  ^inauffteigt,  um  baS  untere  @nbe  bed 
Smftbeined  gu  erreichen.  S)ie  folgenben  (ac^te  bid  gwölfte) 
9tif)t>en  jeigen  bie  entff>re(!^enbc  Slnorbnung  mit  bem  Unter« 
f(^tebe,  baR  i^re  lebten  nor  ber  SIbfniefung  gelegenen  S^^eile 
ft(b  nid)t  an  bad  93ruftbein,  fonbern  an  ben  auffteigenben  S^eil 
ber  3unä(^ft  barfiber  liegenben  diRjpe  anlegen.  3)ie  auffteigen« 
ben  2^^cile  ber  fiebenten  nnb  ber  folgenben  SRipfjen  bilben  ben 
feften  feitU^en  Otanb  bei  fogenannten  ^er^giube. 

93on  befonberet  3öid)tigfeit  für  ben  SKec^aniSmuä  ber 
0Up))en  mirb  bei  Umftanb,  baR  alle  0{ipben  in  t^rem  noibeien 
Steile  ni(^t  me^i  fnöc^ern  ftnb,  fonbent  fnorpelig;  infibefonbeie 
finb  bei  benjenigen  Stipb^n,  meldbe  bie  erw&b>>te  (Sinfnidung 
geigen,  nur  bie  abfteigenben  fnöcbein,  bie  ^nidungfifteQe 

felbft  aber  unb  bei  auffteigenbe  bagegen  fnoipelig. 

äSBeiben  nun  bie  Riippen  gehoben,  fo  muR  i^ie  b*nteie 
Slnbeftnng  an  bei  Söirbelfäule  in  unoeran  beiter  ^age  bleiben 
unb  autb  norberefl  birelt  ober  inbiieft  mit  bem  öiuftbeine 
oeibunbeneö  @nbe  fann  megen  bei  geringen  Bemegli^feit  biefet» 
ÄnodbenS  nur  geringe  gagenneiänberung  erfabren.  3n  ber 
gehobenen  9Uppe  muR  fi^  bedbalb  bei  biegfame  fnoipelige 
ÄnirfnngSwinfel  gerober  ftieden  unb  bie  fo  geftreefte  9ftippe 
muR  bann  um  ibie  beiben  feftgebaltenen  @nbpunfte  nach 
auRen  unb  oben  »äljen.  5)aber  »iib  benn  bei  tiefem  @in* 
atbmen  ber  SSiuRfoib  an  beu  ©eiten,  namentli^  unten,  furjei 
unb  weiter  unb  babei  »erbreitert  Rdb  bie  ,^erjgrube. 

Diefefl  Serbalten  ber  unteren  abtbeilung  befl  SruRforbeö 

bei  bem  gefunben  unb  (räftigen  ©inatbmen  weift  biftmit  aucR 

(«i) 


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22 


auf  bte  9tol^wenbig!eit  ^in,  bie  ^etoegungen  bei  StuftforbeS 
äbetbauf)t  unb  namentlich  feinet  unteren  ni^t  gu  h«n> 
men,  wenn  bet  93ebingung  entfptochen  werben  foQ,  ba§  bie 
Üungen  mit  einer  entfprechenben  fOienge  frifcher  8uft  erfüllt 
werben;  — unb  ed  geht  baranS  beutlich  h^roor,  welchen  fRach» 
theil  eng  anliegenbe  ^(eibungdftüde,  namentlich  Schnütleihe 
(6orfet8),  auf  ba8  gehörige  SSonftottengehen  be8  Slthmung«» 
progeffeö  auöüben  unb  wie  ftörenb  fte  beShalb  auch  <iuf  bie  für 
gefunbeö  £eben  fo  nothwenbigen  chemifchen  ^rogeffe  be8  Or* 
ganiömuö  einwirfen.  2)r&ngen  hoch  folche  enge  ,^leibung8ftücfe 
ben  93ruftforb  oft  bis  gum  SSerfchwinben  ber  .perggrube  gufammen! 
3>a8  gewöhnliche  ^SuSfunftSmittel,  ben  oberen  S^heil  beS 

iBruftforbed  gewaltfam  gu  heben,  fann  aber  für  bie  mangelhafte 
IHuSbehnung  beS  größeren  unteren  S^heileS  beS  93ruftfotbed  nur 
feht  unooQftänbigen  @tfah  gewähren. 

3>aS  ^eben  ber  Stippen  gefchieht  burch  SRuSfeln,  welche 
von  ber  SEBirbelfäule  hertommenb  an  bie  Stippen  fiep  anfepen 
unb  biefe  gegen  bie  in  Stupe  oerharrenbe  SBirbelfäule  bewegen. 

IDer  angegebene  SRechaniSmuS  genügt  fepon  in  fepr  h^h«" 
@rabe  au^  einem  ftärteren  iXthmungSbebürfniffe.  3nbef[en 
fommen  boep  wopl  auep  8äQe  oor,  in  welchen  er  niept  genügt. 
@8  finb  biefeS  bie  ^äOe  pödhfter  tSthmungSnotp  g.  93.  bei  <^erg« 
leiben,  93ruftwafferfucpt  k.  äBeitere  .pülfSmittel  al8  Hebung  brr 
Stippen  fönnen  bann  aOerbingS  niept  gugegogen  werben,  aber 
e8  fönnen  bie  gur  Hebung  bet  Stippen  oerwenbeten  .^äfte  oer« 
meptt  unb  biefe  .^ebung  baburep  auf  ein  SRarimum  gebracht 
werben.  IDiefeS  gef^iept  aber  baburep,  ba§  eine  gewiffe  Slngapl 
Don  SRuSfelu,  wel^e  fonft  @cpulter,  Slrm  unb  ^opf  bewegen, 
wobei  ber  Sruftforb  ber  fefte  9Iu8gang8punft  iprer  SBirfung  ift, 
oerwenbet  werben,  um  bei  geftftellung  be8  ÄopfeS,  ber  ©cpulter 
unb  be8  9lrme8  ben  öruftforb  gu  bewegen.  Patienten,  welcpe 
an  folcper  9lthmung8noth  leiben,  fiept  man  beSwegen  auep  ben 

Äopf  burep  ftarfe  StücfwärtSbeugung  be8  .polfeS  feftftellen,  bie 
(602) 


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28 


®d)ultet  nad^  hinten  ^inaufjte^en  unb  häufig  aud^  no(^  bie 
baburd)  gegebene  $i]cirung  bet  @^uUet  butcb  Slnftemmen  bet 
Sltme  untetftü^en.  3n  gcringetem  ©tobe  fann  man  bieje  ^>al» 
tungen  fcbon  bei  ^etfonen,  »elcbe  3.  93.  na^  [tattern  Saufen 
„au§et  Sittern"  ftnb,  wabtne^men,  inbem  ald  dbataftetiftifcbe 
flRimif  füt  fotcbe  Buftänbe  bet  3utüdgebogene  ^opf  unb  bie 
nach  binten  gehobenen  ©cbultern  beoba^tet  metben. 

3n  aQen  Bällen,  in  weltben  but(b  |)ülte  oon 
Rippen  bad  ©inatbinen  3U  @tanbe  tommt,  in  meliben  alfo 
jtarfe  unb  [tätffte  ^DtuSfeltbätigfeit  bafüi  in  9lnfptu(b  genommen 
wtTb,  ift  bie  9ludatbmung  eben  jo  wie  bei  bem  leisten,  obet< 
fiäcblicbeton  Sltbmen  auf  bie  SSMrfung  bet  @lafti3ität  bet  Sungen 
angemiefen,  biefe  mitb  abet  no^  mefentlicb  unterftü^t  butcb  bie 
@lafti3ität  bet  fRtppenfnotpel.  S)ie  JtnotpeIfubjitan3  ift  nämlicb 
in  bob<tn  ©tabe  burdb  @lafti3ität  auSge3ei(bnet,  unb  wenn  in 
bet  ©inatbmung  bet  winfelig  gebogene  IRippenfnorpel  gefttedt 
wirb,  fo  mu^  beffen  ©laft^ität  butd)  bie  Äraft  bet  ©in« 
atbmungdmuöfeln  übetwunben  wetben.  ©obalb  abet  bann  bie 
SRuSfeltbätigfeit  na^  läfet,  ma(bt  fi(b  bie  ©laftisität  be8  Änot« 
pel0  geltenb  unb  betfelbe  ttitt  tafcb  in  feine  IRubefteOung  (SluS« 
atbmungSfteDung)  3utüct.  3ebem  tiefeten  ©inatbmen  pflegt 
be§balb  ein  fcbneHeS  ttäftigeS  9lu8atbmen  3U  folgen. 

äßenn  nun  audb  bet  9lu8atbmung8pt03e§  ein  gan3  un« 
wiQfürlicbet,  nut  auf  bie  pbpfifalifcben  Jträfte  bet  ©laftisität 
bet  Sungen  unb  bet  IRippenfnotpel  angewiefenet  9lft  ift,  fo  ift 
e8  bocb  möglich  benfelben  butcb  ÜUtuSfeltbätigfeiten  3U  mobi« 
fi3iten,  fo  bab  et  langfamet  unb  allmäblicbet  obet  tafcbet  unb 
gtünblicbet  3U  ©tanbe  tommt.  IDie  Regelung  in  bem  ©inne, 
bab  et  langfamet  3U  ©tanbe  tommt,  witb  babutcb  bewittt,  bab 
man  bie  ©inatbmung8mu8feln  nicht  plöhlich  ib^^^  ^bätigteit  ein« 
fteDen  labt,  fonbern  nur  langfam  unb  aQm&hli(h>  ^i< 

äßitfung  bet  @lafti3ität  fi^  nicht  auf  einmal  geltenb  machen 
fann,  fonbem  nut  gewiffetmahen  fchtittweife  in  bem  SSethält« 

(«03) 


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24 


utffe,  wie  bte  S^ätigfeit  bet  @inat^mungdmudfeln  na<^lä|t. 
iSuf  biefe  SESeife  if)  ei  benn  möglich  bem  Studat^mungdafte  eine 
je^r  lange  2)auer  gu  geben,  wie  bieieJ  g.  0.  beim  @pre<b«i 
unb  me^r  noch  beim  ©ingen  geft^e^n  mufe.  — iHaicb  unb 
fräfiig  (ann  bagegen  bie  ifludat^mung,  g.  0.  beim  SBegblafen 
eines  ®egenftanbeS,  ^etuorgebra^t  werben,  wenn  man  bie  9iii(f> 
fe^r  bet  i!ungen  unb  ber  9ii))penfnor))eI  in  ihre  IRu^elage  ni(bt 
nur  ber  Sßitfung  bet  @laftigität  übeilä^t,  fonbetn  ÜRuStelfräfte 
bafür  in  iHnfptucb  nimmt.  ,^ietfüi  bienen  einetfeitS  bie  ^uS< 
fein  ber  0au(!^wanbung,  welche  in  lebhafter  Sufammengie^ung 
bie  0au(beingeweibe  gegen  baS  SwetcbfeU  btücfen  unb  biefeS 
babutcb  tiefet  in  bie  0ruft^ö^le  bineinbtängen,  — anbererfeitS 
aber  tönnen  auc^  bie  gehobenen  Stippen  but(^  befonbere  ÜRuSfeU 
t^ätigfeiten  ^erabgegogen  unb  baburcb  bet  0tufttaum  verengert 
werben. 

tlngeftrengte  ^ortfe^ung  foldber  auSat^menber  SKuSfelt^ätig« 
feiten  ift  bann  au(b  im  ©tanbe,  ben  0ruftTaum  über  ben  but(b 
feinen  Siu^eguftanb  begeir^neten  Umfong  gu  verengern  unb  babnrdb 
bie  SuSatbniung  über  baS  ÜDfa§  binnuS  gu  verlängern,  welches 
burd)  bie  Sßitfung  ber  @laftigität  allein  b^^forgebraibt  wirb. 
S)ie)eS  ^ülfSmittel  finbet  feine  Snwenbung,  wenn  ^öne  febt 
lange  gebalten  werben  muffen  ober  wenn  ebne  neueS  Sltbem« 
bolen  no(b  einige  SBorte  gut  0oQenbung  eineS  ©a^eS  ge> 
fptoeben  werben  feilen. 

S)er  biet  näher  angeführte  iDfecbaniSmuS  b^t  in  allen  fei* 
nen  angegebenen  bem  augenblicflitben  0ebürfniffe  angepa^ten 
aRobipfationen  nur  ben  3wf«f,  bie  8uft  in  ben  Zungen  gu  et» 
neuern,  fo  bap  baS  in  ben  i^ungen  umlaufenbe  0lut  ftetS  mit 
ftiftben  guftmengen  in  0erübrung  treten  fann. 

@S  ift  inbeffen  ni(bt  gu  vergeben,  ba§  bie  Stbntigfeit  beS» 
felben  nur  bann  gum  fRu^en  baS  DrganiSmuS  wirft,  wenn  burd) 
benfelben  wirflicb  ©auerftoff  in  baS  01ut  eingefübrt  wirb. 

(«04) 


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25 


SBü  ^aben  ja  ge jeben,  bag  bie  @infübtung  biefeS  füc  bad  8eben 
fc  loidbtigen  @lementeS  ba8  ^auptjiel  bed  31tbmung$me(bani6mu0 
ift.  — fDie  SRöglicbfeit  feines  @intritteS  in  baS  931nt  berubt 
aber  ni(bt  auf  einet  befonberen  3(njiebungöftaft  beS  SluteS  für 
ben  ©aueiftoff,  fonbern  auf  ber  @igenfcbaft  beS  SluteS,  alS 
einer  wäfferigen  ^lüfftgfeit,  @afe  in  ficb  aufjunebmen  ober  gu 
abfotbiten.  2)affelbe  nimmt  habet  aQe  ®afe  in  fidb  auf,  meldbe 
ibm  in  ben  Sungen  botgeboten  werben  unb  fübtt  fie  ben  @e* 
weben  gu.  ©inatbmen  anberer  @afe  ol8  bet  fauerftoffreidben 
atmofpbärifcben  Suft  fann  habet  ni(bt  ohne  febt  wefentlidbe  @in* 
witfung  auf  ben  Organismus  bleiben,  ja  eS  genügt  b’^efüt 
f<bon  eine  größere  Beimengung  betfelben  an  bie  atmofpbürifcbe 
8uft.  @S  geigt  ficb  «bet  babei  eine  nicht  unbebeutenbe  Bet> 
fdbiebenbeit  unter  ben  ©aSartcn.  — @ine  l^ategorie  »on  @aS» 
arten,  als  beren  üppuS  ber  ©tidftoff  baftebt,  ift  »oElftünbig 
unfcbäblicb  unb  bet  fRacbtbeil  bet  (äinotbmung  gröberer  ÜJiengen 
betfelben  beftebt  nur  barin,  bab  baburcb  bie  3ufübtung  neu 
Sauerftoff  befebräntt  ober  bebinbert  wirb;  foldbe  @afe  wirfen 
alfo  aus  bem  gleichen  @runbe  erftiefenb,  wie  baS  Untertaueben 
unter  SBaffet.  — IDie  gweitc  jfategorie  bilbet  bie  Äoblen« 
fSute.  JDureb  bie  Sltbmung  foH  ja  Äoblenfdure  als  iSuSwurfS* 
ftoff  beS  Organismus  entfernt  werben;  wenn  aber  bemfelben  in 
ber  eingeatbmeten  8uft  reidblicb  Äoblenfäure  geboten  wirb,  fo 
Tann  bie  in  bem  Blute  enthaltene  ^oblenfäure  nicht  auStreten 
unb  eS  mub  gu  ber  @infcbräntung  beS  Eintrittes  non  ®auer< 
ftoff  babei  noch  ber  9iacbtbeil  ouftreten,  welchen  baS  3urücf» 
holten  biefeS  auSwurfSftoffeS  bebingt  unb  welcher  ficb  gunächft 
in  geftörter  ^>ergtbätigfeit  unb  habet  rübrenben  Äongeftionen 
öubert.  ©tdrfer  noch  müffen  biefe  Erfcheinungen  betbortreten, 
wenn  bie  Äoblenfdure  in  folchet  SRenge  in  bet  8uft  enthalten 
ift,  bab  fie  »om  Blute  aufgenommen  wirb,  Ungefdbr  20  pEt. 
j^ohlenfdnre  in  bet  8uft  genügen  fdbon  biefe  Etfebeinungen  bis 
gu  töbtlicbem  SluSgange  gu  fteigern.  3)er  fRachtbeil  gu  langen 

(«Oil 


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26 


5iet»eilenä  in  überfüllten  IRäumen  ift  jum  großen  ü^eil  barouf 
jurüdfsufü^ren,  ba§  bie  8nft  in  biefen  ju  fe^r  mit  auSgeat^meter 
Äo^lenfäure  gemengt  ift.  — $Die  britte  Äategotie  oon  @afen 
umgreift  biejenigen,  njel(^e  »irflit^e  Störungen  in  bem  ^eben 
beö  Drganiömuö  biö  gu  töbtlic^em  Erfolge  bebingen;  biefe 
mirfen  alfo  birett  ol0  @ifte.  S3on  ben  belannteren  ©aSarten 
gehören  ^ier^er  namentlich  baö  Seuchtgaö  unb  baö  Jbohlc»’ 
ojcpbgaö,  non  melchen  namentlich  lehtereö  in  $olge  gu  frühen 
Schließend  ber  Ofenfla)}f)en  fchon  vielfach  ernfte  @rfranfungen 
über  gar  Job  veranlaßt  hai* 

Sud  biefen  f^olgen  unpaffenber  Beimengungen  gu  bet  ein* 
geathmeten  guft  ift  erftchtlich,  »ie  feßr  ed  im  »ohlverftanbenen 
3ntereffe  liegt,  bafür  gu  forgen,  baß  in  ben  SBohnräumen  mög* 
lichft  reine  atmofphürifche  8uft  ber  Sthmung  geboten  werbe. 
Bugleich  aber  ift  auch  erfichtlicb,  welche  fRachtheile  eine  Bimmer* 
luft  \jahen  muß,  wie  fie  häufig  auf  bem  8anbe  getroffen  wirb, 
wo  niemald  ein  Senket  geöffnet  wirb,  unb  Ofenbunft,  Speifen« 
bunft,  .^autaudbünftung  gahlreicher  menfchlidier  unb  etwa  auch 
thierifcher  Bewohner  unb  anbere  unnennbare  ®adarten  ver* 
fchiebcnftcr  Srt  für  ächte  athembare  atmofphärifche  8uft  fanm 
einen  ^la^  übrig  laffen. 

9ia^  bem  in  früherem  @ntwicfelten  finb  alfo  bie  @in* 
athmungdbewegungen  unb  gelegentlich  audß  bie  Sudathmungd* 
bewegungen  auf  SRudfelthätigleiten  gurücfguführen.  Sld  folch« 
finb  fie  aber  von  ben  9ierven  abhängig,  benn  auf  eigenen  Sn« 
trieb  fönnen  fich  bie  ÜJiudfeln  nidßt  gufammengießen,  fonbetn  bie 
Snregung  bagu  muß  ihnen  ftetd  von  ben  9letven  gegeben  wer« 
ben.  — IDiejenigen  ?0iudfeln,  welche  biefen  Bewegungen  bienen, 
gehören  äße  gu  ber  Älaffe,  welche  burch  unfere  freie  SBiflend* 
thätigfeit  ihre  SRervenanregung  befommen  fönnen  b.  h-  ed  finb, 
wie  man  fi^  gewöhnlich  etwad  ungrammatifalifch  audgubrücfen 
pflegt,  „witlfürliche"  ÜRudfeln.  — @d  ift  batum  eine  hü^ft 

C«0«) 


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27 


merfendwert^e  (j^rfc^tinung,  ba^  bie  ^ftion  biefer  SRubfeln  in 
ben  ^t^muagdbewegungen  nicht  burch  unteren  SBiQen  angeregt 
»trb,  fonbem  ohne  unteren  SBinen0einfiu&  gewifferniahen  auto» 
matif^  gu  cStanbe  fommt.  @8  ift  unoerfennbar,  ba§,  um  bte* 
fe0  möglich  ju  machen,  eine  betonbere  hierauf  abgielenbe  @in« 
richtung  innerhalb  be0  tReroenthftemed  fich  oorfinben  mu§,  unb 
bie  ^hpfialofl«  ift  au<h  ja  weit  in  baö  ®eheimni§  biejer  6in» 
richtung  eingebrungen,  ba§  fie  einen  gewiffen  Slheii  fo« 
genannten  oerlängerten  ÜJlarfeÖ,  b.  h-  be8  oberften  bem  ©ehirne 
gunächft  gelegenen  £heüe8  be8  9tucfenmaife8,  al8  ben  'j(u8gang8« 
^junft  ber  3fthmung8bemegungen  etfannt  hat.  SBelche  SJlomente 
e8  aber  finb,  welche  bieten  Jheil  in  t^  beftänbiger  dtregung 
halten,  ba§  von  ihm  fortwährenb  bie  ^^nregung  ber  betreffenben 
9ieroen  au8gehen  fann,  ift  gwar  no^  nicht  gweifeUo8  ermittelt, 
aber  e8  ift  hoch  t<^on  oon  großem  SBerthe,  bah  wir  jenen  lüu8> 
gang8punft  ber  9thmung8bcwegungen  al8  tollen  haben  fennen 
lernen  unb  ba§  wir  wiffen,  ba§  bie  biete  automatitchen  33ewegungen 
beftimmenben  Dteroen  bort  ihr  Zentrum  haben.  81u8  bietet 
^hattache  erflärt  e8  fich  auch,  bah  IBetlehung  biete8  ^h^Ürö 
bet  SReroencentra  augenblicflichen  lob  burch  ©rfticfung  jur  Solge 
haben  muh.  2^a  nun  eine  tolche  Serlehung  fehr  leicht  burch 
einen  @tich  unmittelbar  hinter  bem  .jpinterhauhte  au8getührt 
roerben  fann,  t“  ift  auf  bieje  SBeite  leicht  eine  rat^he  ^öbtung 
hetbeigufühten;  — unb  biete  wirb  auch  geübt  burch  bie  Säget 
in  bem  togenannten  „©enidfang"  unb  auf  bie  gleite  SBeije 
wirb  in  ben  ©tiergefechten  ber  ©tier  gule^t  burch  ben  ©tpaba 
niebergeftrecft. 

äUenn  aber  auch  bie  betreffenben  3Ru8feln  bie  9(thmung8<’ 
bemegungen  ohne  SJfitwirfung  unfere8  9BiQen8  automatitch  au8* 
führen,  jo  bleiben  fie  barum  bo^  bem  SBitlen  unterworfen,  unb 
mShrenb  ihre  automatifche  ^ftion  bie  ^ürgfchaft  bafür  giebt, 
bah  ^ie  tSlthmung8bewegungen  niema(8,  auch  iw  tiefften  ©chlafe 
nicht,  eine  Unterbrechung  erleiben,  jo  ift  e8  un8  bo^  gu  gleichet 

(607) 


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28 


Seit  geftaltet,  butd^  unferen  SBiQen8einflu&  biefelben  ju  tnobi* 
fijiren;  unb  je  nach  ©utbfinfcn  ober  SBebürfnil  fönnen  wir  fie 
beö^olb  au(!^  befe^Ieunigen  ober  berlangfamen,  Ijäufiger  ober 
fcltencr,  tiefer  ober  oberfläc^lii^er  machen;  — ja!  wir  fönnen 
fle  fogar  »oKftanbig  hemmen,  wie  bicfeö  norüberge^enb  gefdbie^t, 
wenn  wir  bei  ftarfer  förperli(^er  Slnftrengung  ben  ©ruflforb, 
»on  welchem  au8  bie  fräftigeren  8(rmmu8feln  wirfen,  feftfteDen 
wollen.  — @8  werben  gäüe  er5äblt,  ba§  ^erfonen  fid^  freiwillig 
getöbtet  ^aben  bnburcb,  bafe  fte,  wie  man  annabm,  i^re  3u«ge 
cerfcbludften;  ba  aber  ein  fol^eS  SJerfcblucfen  ber  Sunge  eine 
anatomifdbe  Unmögli^Ieit  ift,  fo  mnffen  wir,  um  folc^e  gäHe, 
wenn  fie,  waS  nidjt  abjuweijen,  wahr  finb,  3u  erfldren  eine 
anbere  Urfacbe  eines  folgen  freiwilligen  ©terbenS  3U  ermitteln 
fu(ben  unb  pnben  biefe  barin,  ba§  o^ne  Sweifel  fold^e  ^erfonen 
mit  großer  SBiDenSanftrengung  ben  iSt^em  fo  lange  an^ieltcn, 
bis  ©rfticfung  erfolgte. 

Äe^ren  wir  aber  3U  ben  automatifd^en  3lt^mung8bewegungen 
gurüdf,  fo  werben  mir  in  ber  SUjotfad^e,  ba^  biefelben  »on  ber 
S^ätigfeit  ber  5Rer»en  ab^öngig  finb,  ©rflörung  für  mand^ 
intercffante  6rfal)rung  flnben. 

@8  ift  eine  anerfannteSlbotfodbe,  ba^  biejiraft  einer  ^Bewegung 
abhängig  ift  »on  bem  @rabe  ber  Erregung  berjenigen  9ieroen, 
welche  fie  »ermitteln.  S^wö^er  erregte  9ier»en  er3eugen  be8» 
wegen  fchwödhere  Bewegungen,  ftörfer  erregte  bagegen  ftätfere 
Bewegungen.  Bei  gefcbwächten  ^erfonen  finb  barum  auch  bie 
SthmungSbewegungen  unfräftiger  unb  oberflädhlidher,  bei  leiben» 
fdhaftlich  erregten  bagegen  fväftiger,  energifcher  unb  tiefet. 

Bei  rpthmifch  auftretenben  Bewegungen  ift  aber  auch  ferner 
wahr3unehmen,  ba§  ftärfere  (Erregung  ben  IR^thmuS  bef^leunigt, 
bie  Bewegungen  fomit  häufiger  macht,  währenb  2)e^)reffion  ber 
9ier»en  ben  JR»thmu8  »erlangfomt,  bie  Bewegungen  fomit  fei» 
tener  ma^t.  ©0  bebingen  ja  auch  alle  geiftigen  Aufregungen 

eine  lebhaftere  .^er3thätigfeit  unb  mit  iht  einen  frequenteren 

(608) 


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29 


?)ulö,  »ä^renb  ade  beprimtrenben  affefte  bte  ^erjt^ätißfeit 
berabfttmmen  unb  ten  ?)ulö  feltenet  machen.  2)a8  ©leiere  ift 
benn  aud)  mit  ben  StbrnungSbeaegungen  bet  gaH. 

SBeobatbten  mit  ben  @rmübeten,  ©efdbwäcbten,  aengftlidben, 
9iiebergefdblagenen,  fo  finben  mit  bi«  bic  (gdjwäcbe  ber  atbem« 
jüge  beutlidb  auögefprodben.  5Da  ftdb  aber  bteje  auf  groeierlei 
SBeife  funb  geben  fann,  ndmlid)  einetfeitfl  burd)  ^aftloftgfeit 
bet  Semegungen,  anbererfeifä  burd)  langfameren  Sptbmu«,  fo 
finben  mir  au(b  je  nach  ben  Umftänben  ober  je  noch  bet  3n- 
bbibualität  baib  bie  eine  halb  bie  anbere  norbetrfebenb. 

®ie  Sltbemjügc  finb  feltener,  lange  gebebnt  unb  fonnen  in 
biefet  3)ebnung  eine  3iemlidbe  Jiefe  etreicben,  ober  fie  finb 
füt3er  unb  obetfiäcblicber  unb  crbalten  babureb  auch  öftetö  eine 
etwas  gröbere  greguenj,  weil  nur  babureb  bem  atbmungS» 
bebürfnib  entfproeben  werben  fann,  ober  fie  »eebfeln  auS  bem 
gleitben  ©tunbe  mit  einzelnen  langfamen  tiefen  atbemjügen 
ab.  — aebniiebe  SBitfung  bat  bie  gefpannte  ©rwartung,  ©tau» 
nen  unb  anbete  in  rubigeret  Söeife  bie  ganje  pfpebifibc  2bätig» 
feit  in  anfprueb  nebmenbe  Seeleujuftönbe;  benn  biefe  »itfen 
atle  bureb  abftvaftion  läbmenb  auf  bie  beftänbig  witfenben 
OlerDentbätigfeiten.  IDie  fd)laffe  allgemeine  J^altung  beS  ganzen 
ÄötperS  unb  baä  febfafff  Offenfteben  beS  fUlunbeß  unter  folgen 
SSerbältniffen  finb  ja  fpticbttörtlicb  geworben;  unb  fo  werben 
au^  bie  atbmungSbewegungen  in  g(eid)er  äBeife  gehemmt;  ba» 
bet  man  »on  „atbemlofer  ©rwartung"  unb  »on  „ntbemlofem 
©taunen"  fpridbt. 

anberS  ift  eS  bei  erregenben  affeften,  bie  atbemjuge  wer» 
ben  lebhafter  unb  3War  entweber  fibnefler  unb  tiefet,  ober 
häufiger,  ober  beibeS.  ©eben  eine  freubige  ©tregung,  eine 
Jöegeifterung  „fcbwellt  bie  Jbruft"  ober  „bebt  bie  S3ruft  böb^t"- 
©in  oon  angft  Sefreiter  „atbmet  nen  auf“.  — heftigere  ©t= 
regungen  aber  rufen  bemetflicbere  ©rfebeinungen  bfioo^- 

(609) 


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30 


^eftigfte  3otn  läfet  fräftig  unb  tief,  habet  aber  futj  einat^men 
unb  überläßt  bie  iSueat^mung  nicht  ben  etaflifchen  Säften, 
fonbern  er  führt  btefelbe  burch  eine  fräftigere  furje  fD2uSfe(> 
thötigfeit  auS,  fo  ba§  ber  Suftftrom  mit  einem 
räufche  nach  äugen  tritt;  biefefi  ift  baS  „(Schnauben  nor  SButh". 

betrübte  9lffefte,  welche  fich  nicht  burch  gebrüdte  Süuhe 
äugern,  fonbern  burch  einen  (eibenfchaftlichen  Sturm  in  bem 
fReroenfpfteme,  welcher  gugleich  burch  äBeinen  [ich  3U  äugem 
pflegt,  haben  ebenfallö  ihre  befonbere  9lrt  gefteigerter  fSthmungfl. 
bewegungen;  einer  hffÜsen,  furgen,  faft  frampf haften  tiefen  @in« 
athmung  folgt  eine  in  mehrere  fur^e  Stoge  verlegte  iüuSathmung. 
Seibe  iXtte,  6inathmen  wie  iSudathmen,  finb  bann  ebenfalls 
mit  hörbarem  @eräufche  bed  Suftftromee  oerbunben. 

IDiefe  {>inwei{e  mögen  genügen  gu  geigen,  bag  bie  Sithmungb: 
bewegungen  nicht  nur  ein  formlofeö  ,^ülf6mittel  für  bie  förper= 
liehe  Erhaltung  bed  8eibed  ftnb,  fonbern  bag  fie  auch  in  ebenfo 
enger  33egiehung  gu  einem  höh^i^^n  ®eifted>  unb  Seelenleben 
ftehen,  wie  bie  Bewegungen  beS  ©efichtefl,  — bag  fie  gleich 
biefen  bon  ben  pfpcgifchen  Suftänben  beeinflugt  werben  unb  bag 
au8  ber  hieraus  heroorgehenben  fUiobififation  ber  Bewegungen 
in  gleicher  SBeife,  wie  au8  ben  Bewegungen  nnb  ,^altungen 
beS  @efichte8,  (Rüdf^lüffe  auf  bie  9lrt  ber  pjp^ifchen  Erregung 
gemacht  werben  lönnen.  — IDie  ISthmungdbewegungrn  nehmen 
baher  einen  widgligen  Slntheil  an  ber  ÜRimif  ber  geibenfehaften 
unb  erheben  fich  baburch  au8  ber  Stellung  einer  biogen  @r. 
nährung8funftion  gu  einer  wefentlich  höheren  vergeiftigten 
Stellung.  — 2)ennoch  aber  ift  btefe8  noch  «i^ht  bie  höfhft« 
Stellung,  welche  wir  ihnen  guerfennen  müffen,  benn  fie  ge= 
Winnen  einen  no^  bebeutenb  höheren  SBerth  baburch,  bag  fte 
bie  ©runblage  für  bie  Sprache  werben.  2)er  oberfte  2h«l  ber 
guftröhre  geigt  nämlich  no^  eine  befonbere  SDrganifation  al8 
Äehllopf,  welker  fein  geglieberte  Slpparat  geeignet  ift,  mit 

(61U) 


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31 


^)filfe  beö  au8geat^meten  8uft[trome8  einen  großen  Umfang  non 
Sönen  ^ernorjubringen.  ^Dut(^  bie  fDiunb^ö^ie  l}tnau8jie^enb 
unb  but(^  beten  Detänberltc^e  innere  ®efta(tung  nielfad^  rnobi« 
fijirl,  »itb  bann  bet  tönenbe  unb  aud^  bet  tonlofe  Suflftrom 
©runblage  für  bie  S3ilbung  bet  ©prad^Iaute.  S)ie  ©prac^e 
aber  ift  ba8  fDUttel,  but(^  »eld^eS  pfpc^ifd^e  Suftfinbe  unmittel= 
bar  fid^  mitt^eilen  lönnen  unb  auf  tnel^eS  bet  gange  geiftige 
SSetfe^t  be8  >iKenf(ben  mit  bem  ÜRenfcben  flt^  ftü^t;  — unb 
fo  erlangen  benn  bie  !3t^mung8t»etfgeuge  al8  bie  @runb> 
bebingung  für  @rgeugung  bet  @pta^e  noc^  einen  SBert^, 
welcbet,  i^te  93ebeutung  für  ba8  3nbinibuum  weit  übetfc^teitenb, 
für  ba8  gange  gefeDfc^aftlic^e  unb  ftaatlic^e  i^eben  maggebenb  wirb. 


S5Sii  erfennnen  bemnacb  in  bet  iXt^mung  eine  bet  wichtig« 
ften  uub  begie^ung8rei(^ften  gunftionen  be8  organifc^en  Seben8. 

Utfprüngli^  nur  ein  3^^eil  bet  mit  bet  (Stnü^tung  net* 
bunbenen  (Sifc^einungen,  nimmt  fie  bod;  fd^on  al8  foldbe  einen 
gemiffen  bevorgugten  9tang  ein;  benn  bie  mit  i]}t  netbunbenen 
(^emijd^en  Vorgänge  gemalten  un8  bie  feinften  (Srnä^tungS» 
materialien  in  Buftgeftalt  unb  befeitigen  bie  untaugli^  ge> 
motbenen  Seftanbt^eile  ebenfall8  in  bet  feinften  luftförmigen 
©eftalt.  @ie  ftnb  bemnat^  bie  ebelfte  gotm  be8  ÜKatetien» 
au8tauf(^e8  mit  bet  9lu§em»elt,  unb  wir  treten  bur^  fie  in 
unmittelbaren  otganifd^en  Bufammen^ang  mit  bem  liuftmeere, 
ba8  unfeten  |)laneten  umwogt,  wät^renb  bie  an  ben  ^et< 
bauung8apparat  gebunbene  gorm  bet  ©rnä^tung  in  toljetet  ©e> 
ftalt  unfet  IDafein  an  tie  groben  SWatetien  be8  6rbboben8 
feffelt. 

IDie  ^^t^mungdbewegungen  aber,  welche  ba8  |)ülf8mittel 
finb,  butc^  welches  jener  SUaterienaudtaufc^  mit  bet  Sltmofp^äre 
ermöglid^t  wirb,  gewinnen  al8  t^eilne^menb  an  ben  mimijc^en 

f6U) 


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32 


2lftionen  unb  alS  Q^runblage  ber  Sprad^e  unb  beten  ge^obenetet 
Sotm,  bed  @e|anged,  eine  tnicbtige  ©teOung  in  ben  Seu§eiungd« 
tveifen  bed  ©eelenlebenb  unb  in  bem  geiftigen  Serte^re  bet 
aJlenfdb^eit, 


(61S) 

I>TU(f  ren  Urgfr  (4^.  (^rimm)  in  l?trUn -SW.,  Gdbcnef^trgnrftr.  17», 


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1583-1645, 


Sott 

£.  flrnmantt. 


6*rlttt  SW.,  1884. 
Setlag  Don  @atl  .^abel. 

(C.  VfllltTitfattit  Brrlngsboftitiin&lnng.) 

33.  9ßUbc(n*€tTa|c  33. 


, y Google 


Din  ■ 


®aä  Dtec^t  bet  Ueberfe^ung  in  frembe  (Sprocken  roirb  oorbeliaUen. 


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r 


^er  nad^  früherer  @itte  laltniftrle  gamüienname  bcö 
berühmten  9Jlannefl,  be||en  8eben  unb  ©eifteflt^aten  »it  bem 
gefer  btefer  ®lStter  »otjufit^ten  beabftd^tigen , eigentlich 
@root.  SBenn  je  ein  5Uamc  gu  feinem  Sräget  e8 

berfenige  @roct’8.  JDenn  eine  toahrhnft  grofie,  in  ihrer  9lrt 
einzige  ^erfönlichleit  tritt  unS  h^er  uor  bie  Sugen,  betnunberungd* 
mürbig  nach  l)rn  nerfd^iebenften  dtidhtungen,  burdh  unb  burdh 
unb  gebietenb.  Unb  ni^t  unjeitgemäh  bärfte  bie 

ßrinnerung  an  foldheu  9Kann  fein,  menn  eben  in  bem  3ahre, 
in  bem  mir  biefe  Seilen  nieberfd^tieben , bie  brüte  ©öcularfeier 
feiner  ßeburt  unfi  mahnt  eine  0chutb  beS  ^Danfefl  unb  ber 
giebe  abgutragen. 

5Denn  c8  gehört  ^ugo.ßrotiuS  jener  Suhl  nuSermähHer 
^enfdhen,  benen  eS  mie  einem  iSriftoteleS,  93aco  non  SSerulam, 
9tett)ton,  geibnih  hennH’entieQ  gegeben  »ar,  ba8  ©ehräge  ihre® 
©enieS  ber  gangen  ^olgegeit  aufgubrüdCen,  fdhöhferifdh  gu  wirfen 
im  ©ebiete  ber  SJiffenfihaft  wie  be8  hractifdhen  gebenS.  JDen 
äBenigften  war  e8  wie  ihm  vergönnt,  ben  Stuhm  ber  ftaunen8> 
wertheften  ©elehrfamleit  mit  bet  be8  thätigen  @taat8manne8  gn 
vereinigen.  9tiemanb  hut  in  h^h^^^ni  ©rabe  al8  er  in  ben 
äBe^felffillen  eine8  vietbewegten  geben8  feine  gehre  burdh  ;ba8 
ÜJiufterbeifpiel  hoh«»  rein  menfdhli^ier  ©efinnung  unb  ^anblung8» 
weife  befiegelt. 

XIX.  449.  1*  («15) 


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4 


geben  unb  ^d^rjften  @root’8  ergänzen  fl(^  »e^felfeitig,  * 
unb  Wenn  fein  3«ttgenoffe  SRubenS  in  bem  befannten  Silbe  bet 
2)teflbenet  ©alerie  ©toot’ö  itbifd^e  3«fle  a«f  unö  gebrad^t 
wirb  beffen  ©eift  unb  ^erg  un»ergängli(^  in  feinen  SBetfen 
' fortleben. 

.^ugo  ©root  ber  ®prögling  einet  ^oQänbifc^en  Familie, 
beten  9tame  o^ne  i^n  tro^  i^teö  alten  SlbelJ  unb  anfe^enS 
fc^werlid^  auf  bie  9la(bwelt  gefommen  wäre,  erblidte  ba8  gebenS« 
lic^t  ju  IDelft  am  10.  april  1583,  »iet  Sa^re  nud)  bet  Utre^tet 
Union  (23.  3uni  1579),  weld^e  bie  fieben  nörblidien  ^tooinjen 
gu  einem  unabhängigen  @taatenbunbe  machte,  unb  ein  Saht 
vot  ©tmotbung  SBilhelmS  oon  Oranien,  beS  ©rünberS  biefet 
Unabhängigfeit.  Sein  Sätet  Sohan  be  ©root,  Sürgermeiftet 
oon  IDelft  unb  ©uratot  ber  Unioerfität  gepben,  gab  bem  fich 
wunbetbat  fdhnell  entwidfelnben  Hinbe  bie  forgfältigfte  ©tgiehung. 
©(hon  im  gwßlften  gebengfahre  warb  et  an  bie  Unioerfität  oon 
gepbeu  gefdhidt,  wo  er  bie  claffifd^e  giteratur  unter  anleitung 
beS  berührten  ^hi^oI<>3en  3of.  ©caliget  fennen  lernte,  unb  gu 
iht  unoerfiegbare  giebe  fd)öpfte.  Äaum  fünfgehn  Soh^e  alt,  er* 
langte  er,  ben  bie  gelehrten  Seitgenoffen  al8  einen  Süngling  oon 
wunberbarem  ©enie  begeichneten,  ben  ©rab  eine«  IDoctorS  bet 
Bieste. 

ai8  im  3ahre  1598  bie  ©eneralftaaten  eine  ©efanbtfdhaft  an 
Heinrich  IV.  oon  granfreith  fchicften,  um  ihn  gut  gortfehung  be8 
Äriege8  gegen  ©panien  gu  bewegen,  nahm  einer  bet  ©efanbten, 
Dlben  Sarneoelbt,  ben  jungen  .^ugo  ©root,  mit  beffen  ©efchirf 
ba8  feinige  in  fpäterer  Seit  fo  tragif(h  oerflodhten  würbe,  al8  SReife* 
gefährten  mit  fich-  ©root  würbe  oom  Äönige  hulbooll  empfangen, 
unb  fnfipfte  mit  ben  bebeutenftcn  ÜRännetn  Serbinbungen  an. 

3n  bie  ^eimath  gurücfgefehrt  oeröffentlichte  bet  laum  bem 

(fiU) 


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5 


.^abenaltet  entwac^fene  Jüngling  eine  Steife  non  gelehrten 
arbeiten,  meift  ^j^ilologifdjen  Sn^alW,  tod^renb  e^r  jugleic^,  »enn 
au(^  o^ne  befonbere  SSorliebe  ald  0te(^teanmalt  ^jracticirte.  3nt 
Sa^re  1609  betrat  er,  gum  ©eneralaboocaten  non  ,^oIIanb,  <See» 
lanb  unb  SBeftfriedlanb  ernannt,  bie  öffenttid^e  Saufba^n,  unb 
erhielt  bie  e^rennoQe  Aufgabe  bie  @efd[>id^te  bed  Srei^ettSfam^fed 
ber  Stieberlanbe  gegen  Spanien  3U  fcprelben.  3n»  Sa^re  1609 
fc^rieb  et  feine  Ijerrlid^e  Äb^anblung  „Mare  liberum“  bapn* 
brec^enb,  mnftergültig,  tnafegebenb  für  aDe  golgejeit.  5Der  3»e<* 
tt>ar  gunäcbft  bie  ^anbeldfrei^eit  ber  9MeberIdnber  in  bem  inbifd^en 
Ocean  gegen  bie  anma^ungen  ber  Spanier  unb  ^ortugiefen  gu 
nert^eibigen.  3n  einer  ä^nlic^en,  bie  ,^anbel8frei^eit  betreffenben 
Streitigfeit  würbe  @root  fpäter  an  ^önig  Safob  I.  non  @nglanb 
gefi^icft.  3m  3a^re  1618  würbe  er  ald  ^enfionär  ober  SpnbicuS 
na^  tRotterbam  berufen,  unb  er’^ielt  in  foldfier  @igenf(paft  als 
fDlitglieb  ber  ^rooingialfiänbe  t^oGlanbS  Si^  unb  Stimme  in 
ben  @eneralftaaten.  3n  biefer  Stellung  warb  er  aucp  in  ben 
t^eologifcpen  Streit,  welcher  bamalS  bie  93ereinigten  fProningen 
erfcpütterte,  unb  bie  Se^re  beS  ^rebigerS  arminiuS  non  ber  @nabe 
gum  @egenftanbe  l^atte,  ^ineingeriffen.  IDlit  ben  beften  SJldnnern 
beS  8anbeS  war  et  ben  arminianern  guget^an,  wä^renb  ber 
Stabt^alter  ber  93ereinigten  $roningen,  9Rori^  non  iDranien, 
mit  ber  SJle^rga^l  bet  ©eiftlid^feit  unb  auf  bie  SlolfSmaffen 
geftü^t  fiep  auf  bie  Seite  ber  peftigen  ©omarianer  neigte.  JDer 
religißfe  Streit  war  Jeebel  unb  9Ra8le  für  ben  politifd^en.  JDort 
ftanben  bie  Patrioten  unb  göberaliften,  bie  ariftolratifcpe  Partei; 
pier  ber  nad^  aileinperrfcpaft  unb  ^Bereinigung  ber  ©ewalten 
ftrebenbe  ^elbperr,  geftüpt  auf  fein  fDlietppeer  unb  bie  urtpeilS« 
lofen  SRaffen,  gumal  beS  StäbtepöbelS.  IDiefer  ^ampf  ber 
Parteien  bur^giept  bie  gange  ©efepiepte  ber  Stepublif  bis  gu 

(«17) 


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6 


Intern  Untergang  (1793).  3m  tSuftrage  ber  ^OBinjialftaatcn 
Don  {)oClanb  fertigte  ;^ugo  @root  ein  @bict  and,  tnobutd^  ben 
gatteten  SSetfö^nlic^feit  unb  iDulbung  em^fo^Ien  matb.  9(fä 
aber  gut  ^Dämpfung  ber  entftanbenen  Unruhen  im  Sluftrage 
berfeiben  ^toving  2;ru^;>en  geworben  würben,  erfldrte  ber  Satt« 
^cuber  bie[eö  aU  einen  @ingtiff  in  feiner  @ere(btfame.  (Sr 
wu|te  bie  @eneralftaaten  auf  feine  Seite  gu  gieren,  auf  bereu 
Sefe^l  Dlben  SBarneoelbt,  ^ogerbretö  unb  .^ugo  @root  »er^aftet 
unb  fofort  als  SSerät^er  beS  SSaterlanbeS  unb  Aufwiegler  an« 
geflagt,  unb  ber  erftere,  ein  gweiunbfiebgigid^Tiger  @reiS  gum 
^obe,  bie  beiben  lebten  gu  lebenSwieriger  .^aft  oerurt^eilt  würben. 
@TotiuS  würbe  auS  berfelben  erft  nac^  gwei  Sauren  burcb  bie 
aufof>fembe  8iebe  feiner  ®attin  IDlaria,  auS  bem  ®efcble(bte  ber 
tReigerSberg  befreit,  unb  rettete  fi(^  mit  manigfa^en  Sd^rli^feiten 
na(^  $ranfrei(^.  .^ier  lebte  er  alS  Privatmann  vom  3a^re  1621 
bis  gum  3a^re  1631.  Sein  unbanfbareS  93ater(anb,  baS  er 
bis  gum  5£obe  gdrtlid)  liebte,  baS  er  alS  Staatsmann  unb  als 
Se^riftfteller  bur^  feine  SBerfe  verherrlichte,  fonnte  er  in  ber 
Solge  nur  gweimal  unb  flüchtig  betreten.  0aS  erfte  3Ral,  alS 
Pring  gebrich  von  Dranien  na^  bem  Slobe  feines  SruberS 
9Rori$  (1625)  gum  Statthalter  gewdhlt,  bie  fReligionSvetfolgungen 
fofort  einftellte  unb  bie  ©ingeferferten  befreite.  3m  3ahte  1631 
wollte  fomit  @root  nach  ^vllanb  gurücffehren,  aber  neuetbingS 
verfolgte  ihm  bie  3Buth  feinet  Seinbe,  welche  fogat  feine  ewige 
Setbannung  bewirften.  2)aS  gweite  unb  lehte  9Ral  betrat  er, 
nur  burdhreifenb  als  (^efanbter  SchwebenS  am  frangöfifchen  .^ofe 
ben  h^imathli^en  93oben. 

IDet  größte  ^h^ll  SRaffe  bet  Arbeiten  unb 

tiefe  ©elehrfamleit  auSgegeichneten,  ja  ftaunenSwerthen  literarifchm 

^hätigfeit,  bie  et  übrigens  faft  bis  gum  le|ten  Athemguge  nicht 
(618) 


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7 


aafgab,  fönt  in  bie  |)eriobe  fetneß  etflen  je^njä^rigen  Slufent^altS 
in  ^anfteid^.  ^icr  lebte  er  geehrt  tm  Äretfe  bet  ebelften  ?!Jlfinner, 
vom  ^öntg  Subtnig  XIII  buicb  einen  SabreSge^alt  untetftü^t, 
unb  ^ier  wor  efl,  »o  er  (1625)  fein  bcm  ÄSnig  8ubwig  XIII. 
ge»ibmete8  unftetblic^eS  SBetf  De  jure  belli  ac  pacis  I|etau8gab. 

aber  bie  fran3öfif(be  ^enfion  würbe  i^m  fe^t  unregelmö^ig 
autgeja^lt,  enblid^  noDenbS  eingefteOt,  al8  er  fi^  weigerte  in 
gewiffe,  biö  fe^t  unbefannte  Rotbernngen  be8  6arbina!8 
{Ridjelieu  einjuge^en,  ber  i^n  für  gtanfreicb8  JDienfte  gewinnen 
woOte.  9Ba8  ber  (Sarbinat  non  i^m  »erlangte,  ftanb  gewi^  mit 
feiner  iBaterlanbSliebe  im  SBibetfpru<be.  fDenn  in  einem  feinet 
S3riefe  fc^reibt  er  feinem  SSater,  er  fönnte  aQe8  hoffen,  wenn 
et  bie  Sorge  füt8  Saterlanb  ben  SRücffitbten  auf  feinen  perfSn« 
ii(^en  SSort^eil  opfern  woHte. 

®rotiu8  oerlie^  Sianlreicb,  wie8,  nur  auf  ba8  geliebte 
äSaterlanb  bebadbt,  bie  antrfige  mehrerer  dürften  in  i^re  IDienfte 
ju  treten,  3urücf,  unb  »erlebte  bie  na(bften  jwei  Sa^re  in  .^am* 
bürg,  al6  bet  gro§e  Sdbwebenföuig  @ufta»  abolp^,  ber  i^n 
bo^fc^ä^te,  unb  wie  aieranbet  »on  IDtacebonien  bie  ^liabe,  ba8 
SBerf  de  jure  belli  et  pacis  ftet8  mit  fidb  führte,  i^n  für  feinen 
IDienft  gu  gewinnen  fud)te.  5)ie  @(bla(bt  »on  ?fi^en  (1632) 
madbte  bem  .^elbenlauf  Qilufta»  abolpb^  ein  @nbe,  aber  fein 
Söille  warb  erfüllt  »om  Sßotmunbe  bet  jungen  Äönigin  ©b^fline, 
bem  Serwefet  be8  9ieitbe8  Orenftierna.  @rotiu8  folgte  bcm 
Stufe  eines  folcben  fUlanneS,  warb  gum  ©efanbten  ©(^webenS 
bei  bet  Ärone  gtanfreicbö  ernannt,  unb  begab  fi(^  Anfangs  beS 
1635  na^  S^ariS.  35a8  93ertrauen  Drenftierna’8  in 
^)ugo  ©root’8  @eift  unb  SBiOenSfroft  mufe  gro^  gewefen  fein, 
ba  er  iljn  in  bem  augenblicf  gum  ©efanbten  ernannte,  wo  bie 
Satbc  bet  mit  ^anfreicb  »erbünbeten  Schweben  na^  ber  Schlugt 

(«19) 


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8 


»on  SRötblingen^  (1634)  unb  @a(bfen9  Slbfall  faft  »erloren 
fd^ien.  @root  fid|  biefet  nid^t  untcertb  bewies, 
würbe  fcbon  auS  bet  Sll^atfad^e  er^eOen,  ba§  er  ftd^  tro^  aOet 
33etläumbungen  feiner  geinbe,  tro^  ber  fSiad^inationen  beS 
j^a^uginerS  3ofe)>^  unb  beS  aQmücbtigen  ^arbtnalS  felbft,  butdb 
ge^n  Sa^re,  gut  Sufriebenl^ett  DjrenfHetna’6  unb  ©dbwebenS  auf 
feinem  fcbwierigen  ^often  gu  erhalten  wu§te.  Üiber  eö  gelang 
i^m  nidf^t  ben  Sractat  mit  ^tanfreid^,  ben  er  betreiben  foQte, 
gu  ©taube  gu  bringen,  unb  et  befam  obenbrein  »erbrie^licbe 
Äam})fftreitigfeiten  mit  9ii(belieu,  ber  al8  ßatbinal  i^m  wie 
anbere  uom  ,^önige  ernannten  @efanbten  felbft  in  bet  eigenen 
SBo^nung  bie  Dber^anb  ni(bt  einrfiumen  wollte.  35er  frangöfifcbe 
<^of  »erlangte  fogat  feine  3urüdberufung , bie  feboib  nic^t  be= 
willigt  würbe.  91ad^bem  i^m  jebod)  ein  ©ecretür,  ber  eigentlich 
ein  ihm  fontroUirenber  ©t>ion  war,  beigegeben  warb,  auch  fonft 
feine  ©tellung  immer  unbehaglidhet  würbe,  feinte  er  fidh  felbft 
nach  feiner  Surudberufung,  welche  1644  erfolgte.  @r  begab  fi^ 
nun  nach  ©chweben,  wo  ihn  bie  Königin  Shtiftine  hulbreich 
emt>fing  unb  ihn  in  ben  ©taatSrath  aufgunehmen  befd^log. 
SIS  aber  auch  biefeS  »on  feinen  ^einben  hintertrieben  würbe, 
»erlief  et  1645  bie  fchwebifdhen  3)ienfte  gängli^,  unfchlüffig, 
was  er  je^t  beginnen,  wohin  er  fidh  wenben  follte.  Suf  bem 
Sßege  nach  8übecf,  würbe  baS  Schiff,  baS  ihn  trug,  burdh  einen 
heftigen  ©türm  an  bie  pommerfdhe  Äfifte  »etf^lagen.  3)er 
SlobeSgefahr  faum  entronnen,  lieh  et  fich  nadh  IRoftocf  bringen, 
wo  et  fchwer  ertranite  unb  nach  wenigen  Slagen  am  28.Suguft  1645 
in  feinem  62.  SebenSjahre  mit  chriftlid^er  Ergebung,  fern  vom 
aSaterlanbe,  fern  »on  ben  ©einigen  ftarb.  ©eine  irbifche  ^>ülle 
würbe  na^  3)elft  gebracht  unb  in  ber  @ruft  feiner  SSorfahren 

beigefe^t.  ©eine  felbft  »erfaffte  ©rabfchrift  lautet: 

(6*0) 


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9 


Grotias  hic  Hugo  est,  Batavus,  Captivus  et  Exul, 
Legatus  regni,  Suecla  magna  tui. 

S)ret  unb  eine  Slod^ter  überlebten  i^n.  @etn 

jc^ledbt  lebt  fort,  unb  ber  berühmte,  oor  loentjen  3a^ten  oer> 
ftorbene  ®ef(bicbtdfd)reiber  @rie(benlanbd,  @rote  foO  in  birecter 
IJinie  Bon  .^itgo  @rotiu0  abftammen.  3)er  treffliche  nieberlänbifche 
Staatsmann,  Bor  {urjem  no^  @efanbter  am  SBiener  ^ofe  Q)raf 
93an  Bupl^n  Ban  ^tieoelb  führt  feinen  Stammbaum  in  birecter 
^DeScenbenj  auf  bie  Sochter  ®root’S  hinauf. 

3n  ber  @efchi^te  ber  SBiffenfchaft  wirb  ber  9tame  .^ugo 
@rotiu8  neben  ben  größten  unb  beften  unBergünglidh  fortleben. 
©rotiuS  war  Surift,  ^»iftorifer,  3;heolofle  unb  Philologe,  auf 
aQen  biefen  ©ebieten  erften  fRangeS.  @r  fchrieb  in  hollänbifcher, 
franjöPicher  unb  lateinifdher  Sprache,  in  biefer  mit  noHenbeter 
^Reinheit  unb  ©leganj.  SluS  ben  Älafpfem  fchopfte  er  Äraft 
unb  S;roft  im  Unglüde,  auS  ben  heiligen  Sdhriften  jenen  milben 
©ei ft  ber  SBerföhnung  unb  Siebe,  ber  ihn  burdh  S^nge  Beben 
begleitete.  Unabläffig  befchäftigte  ihn  ber  ©ebanfe,  aQe  fReligionS' 
Parteien  wieber  ju  Bereinigen.  3>iefen  ©ebanfen  gu  Berwirllichen 
mad;te  er  bie  tief  Pen  Stubien  ber  ^irdhenoäter,  fchrieb  er  eine 
grope  Btngahl  Bon  Slractaten,  fcheute  er  nicht  ben  Bon  ben  pro> 
teftantifchen  ©iferem  ihm  gemachten  Sormurf  beS  Ärppto» 
fathoIiriSmuS. 

^ein  beflereS  ORitfel  giebt  eS,  biefe  fchöne  Seele  unb  aHe 
©ingelnheiten  biefeS  reichen  ©eipeSlebenS  fennen  gu  lernen,  alS 
bie  Sammlung  feiner  S3riefe,  wel^e  im  3aht^  1687  in  I9mfter> 
bam  Beröff entlieht  würbe,  bie  gugleich  eine  gunbgrube  ift  für 
Äenntnih  feiner  3e«t,  gumal  ber  frangopfchen  Suftänbe. 

©S  fei  unS  geftattet,  hitt,  wenn  audh  im  engem  IRahmen 
übet  baS  äBerf,  weites  Bor  allen  ben  0iuhm  ©root*S  für  aQe 

(6J1) 


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10 


golge^eit  begrünbete,  9iä^etc8  ju  «wähnen.  3llö  @totiu8  fein 
SSBeef:  de  jure  belli  ac  pacis  in  ülngriff  na^m,  beabflc^tigte  et 
feine8»eg8  ein  gpftem  be8  9latur»  unb  SlölferredjteS  gu  ent= 
werfen,  ©eine  iäbficbt  war  gunäcbft  barauf  gerichtet,  fRet^te 
unb  ^flicbten  bet  J^iiegfüijrenben  batgulegen.  Unb  wie  ein 
^iebenSengei  etf^ien  fein  SBBerf  inmitten  bet  fürt^tetli^en 
@po(be  bed  btei§igjö^tigen  Ittiege8.  3)ie  geiftlid^en  Sempera» 
mente  bet  ^itci^e,  ebenfo  ba8  {Rittert^um  Ratten  i^te  .^aft  unb 
^ebeutung  (ängft  verloren.  IDie  eutcpäifcbe  ORenfcb^eit  war 
ni^t  minbet  von  bet  eigenen  al0  bet  fremben  Satbatei  bebto^t, 
Deutfcblanb  ein  großes  ©(blar^tfelb,  halb  nur  eine  gro^e  @tötte  bet 
SBer^eerung.  2)ie  ^tatiö  beS  33ölferredbte0,  guntal  be8  Ätiegfl» 
rechtes  war  eine  troftlofe.  3n  feinem  ©ebiete  ^atte  bie  SBiffen» 
fdjaft  eine  größere,  fegenöreirbere  ?(ufgabe  ju  erfüllen  ul0  in 
biefem  unb  fic  ^ucb  etfüllt,  al8  in  bem  be8  935lfene^te8. 
©ie  ift  gewifferma^en  an  bie  ©teile  eineö  Codex  juris  gentium 
getreten,  unb  felbft  bet  übermütbigfte  ©roberet  wirb  fe^t  33e» 
benfen  tragen  an  bie  ©teHe  bet  gogif  eineö  @rotiu8  bie  be8 
93rennu8  }u  fe^en;  er  wirb  feine  ©ewaltacte  mit  Argumenten 
jU  befcbönigen,  unb  fo  inbircct,  um  ein  befannteö  SBort  8a 
lRo^efaucaulb’8  anguwenben,  bem  IBclferrcebfe  ben  Sribut 
bet  Anerfennung  bargubringen.  L’bypocrisie  est  un  tribut  que 
le  vice  paye  a la  vertu. 

®ie  SGBiffenftbaft  al8  retbtflerseugenbe  unb  re<bt0bilbenbe 
^otenj  b^t  nirgenbö  größere  Autorität  al8  in  bet  inteinalionalen 
fRecbtöorbnung  erlangt,  unb  gewi^  giebt  e8  fein  33u(b,  ba« 
practifdb  bebeutfamet  unb  folgenreitbet  geworben,  al8  baS  übet 
ba0  IRerbt  beS  Ätiegcö  unb  griebenö  von  .£)ugo  ©rotiuS.  2)a8 
ßentrum  bet  Unterfurbungen,  welrbe  ©rcot  anftellte,  war  bet 
Jftieg  unb  beffen  {Recht.  Aber  fcbon  bie  etfte  Stage,  wer  Ärieg 

(6SS) 


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11 


gu  führen  berechtigt  fei,  führte  ti)n  auf  bo8  ftaaWrechtliche 
biet,  unb  inbem  er  ba8  Sunbament  beS  Staates  unb  aQe8 
^Rechtes  auffuchte,  nach  ber  93egninbung  bed  @igenthumS,  ber 
tBerbinblichfeit  ber  Sßerlräge  forfdbte,  ju  ber  Slufftetlung  ber 
lebten  ©runbfahe  über  0iecht  unb  Staat,  fo  ba§  er  allmählich 
jn  ber  Peripherie  flelangt,  ben  gefammten  Äreiö  ber  fRechtfllehre 
umfaffte.  So  gelangte  er  auf  bem  SBege  ber  IHnolpfe  jum 
SRaturrechte,  fo  warb  er,  ber  unfprünglich  nur  ba8  Sßölferrecht, 
unb  auch  nur  eine  Partie  beffelben,  ba8  Siecht  be8  .Krieges  be» 
hanbeln  wollte,  ber  @)rünber  ber  gefammten  äBtffenfchaft  beS 
Slatur*  unb  SBolferrechteS.  2)a8  Spfiem  beS  SiaturrechteS  ging 
organifch,  ungejWungen  au8  bem  .^auptwerfe,  biefeS  erweiternb 
unb  begrünbenb  hetoor.  Crescit  ingcnium  cum  amplitadine 
rerum.  @r  felbft  fagt  in  feinen  Prolegomenen,  ber  äSorrebe 
jum  jus  belli  ac  pacis,  welches  wie  eine  pradhtooQe  S3orhatle 
in  baS  erhabene  Silerf  einführt,  bie  lieber jeugung,  bah  tö 
Siechte  unb  Ißerbinblidhfeiten  unter  ben  SSölfern  gebe,  welche 
fowohl  auf  bie  Unternehmung  eines  ^iegeS,  als  auf  bie  Slrt 
unbSBeife  ihn  gu  führen,  ihrelSnWenbung  finben,  habe  ihn  bewogen, 
über  biefen  @egenftanb  gu  f^reiben,  um  fo  mcl)r,  ba  er  ben 
großen  Pühbrauch  wahrgenommen,  ber  fowohl  beim  ©nftehen 
als  bei  ber  gührung  beS  ÄriegeS  um  fich  greife.  Sluf  beiben 
Selten  gehe  man  gu  weit,  fowohl  wenn  man  gar  feine  Siegel 
beS  SSölterrechteS  im  Kriege  gelten  laffen  wolle,  als  wenn  man 
jeben  Krieg,  auch  ben  gerechteften  für  gang  unb  gar  unerlaubt 
erfläre.  @r  habe  geglaubt  bie  richtige  Piittelftrahe  einhalten  gu 
müffen,  auf  bah  i>ie  einen  nicht  wähnen,  bah  fiar  fein  Krieg 
erlaubt,  bie  anbern,  bah  im  Kriege  alles  erlaubt  fei,  unb  fei  er 
fo  bemüht  gewefen,  bie  burch  bie  Ungerechtigfeit  feines  IBater* 
lanbeS  oeranlaffte  Piuhe  gum  heften,  ber  Sie^htSgelehrfamfeit  gu 

(6S3) 


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12 


toermenben.  ©ejen  ben  oft,  namentlich  im  »orijen 
erhobenen  SSorwurf,  et  habe  feinem  SBerle  eine  SJlaffe  ton 
Gitaten  angehängt,  tertheibigt  et  fich  fclbft  am  beften  in  ben 
^rolegomenen.  6t  habe  bie  Seugniffe  bet  ©efchi^tdfchreiber, 
3)idhter,  ^hi*ofo^)hcn  unb  Slnberet  ju  IRathe  gejogen,  nicht  al8 
ob  benfelben  unbebingt  gn  glauben  fei,  fonbern  »eil  bie  Ueber« 
einflimmung  bet  Sßeifeften  unb  heften  aller  Seiten  unb  8änbet 
in  gewiffen  $unbamentalgrunbfähen  be8  {Rechtes  unb  bet  {IRotat 
füglich  als  bet  ^uSbrudf  beS  ©efammtbemuhtfeinS  bet  URenfch* 
heit  angefehen  »erben  fann.  SBie  ein  herrlicher  Ätang  buftenbet 
S31üthen  umgeben  bie  fchönften  ©teilen  bet  6laffifet,  bie  et> 
habenften  ©chrifttette  unb  SluSfpriiche  bet  Äitdhenuäter  baS 
tieffinige,  etnfte  SBetf.  3)ie  ^ellficht  feines  eblen  ^>et3enS  finbet 
nuS  bem  ©cha^e  feltenftet  6rutition  ftetS  bie  richtige  ©teile 
heraus.  SBenn  man  langfamen  ©^ritteS,  — benn  ©root’S  Buch 
»in  ftubirt,  nid^t  »ie  ein  {Roman  gelefen  fein  — butch  bie 
eingelnen  Slbtheilungen  beS  »iffenfdjaftlidhen  ©ebäubeS  fdhreitet, 
ift  bet  ©eift  erfreut,  inmitten  bet  großen  9Rännet  unb  ©reigniffe 
aller  Seiten  auSruhen  gu  fönnen.  S)ie  ©runbfähe  übet  {Redht 
unb  ©Ute  »erben  nicht  ton  bet  Berebfamfeit  eines  eingelnen 
URenfchen,  fonbetn  ton  bem  tereinigten  ©eniuS  bet  llRenfd^heit 
ange)}tiefen  unb  getragen.  S)ie  llRethobe  beS  ©rotiuS  ift  eine 
inbuctite.  2)er  eingelne  URenfch  unb  beffen  ©ocialitätStrieb  ift 
bet  {Red)t*  unb  ©taat  etgeugenbe  gactor.  ^bet  biefer  appetitua 
Bocialis  ift  nicht  bloS  phpftfrhe  SBedhfelbebürftigfeit,  fonbern 
tielmeht  ein  SBohlmoDen  gegen  Slnbete,  im  ©egenfa^e  gum 
bloßen  ton  jebem  ethif^en  {IRotite  abfehenben  {Ru^en,  ben 
»ebet  für  fich  noch  in  Betbinbung  mit  gurcht  tot  ©träfe  bie 
©tunblage  bet  ©efeUfchaft,  beS  ©taateS  bilben  fann.  S)ie  ge< 
fellige  9latur  bcS  URenfchen  ift  bie  ©tunblage  unb  baS  ^rinclp 
(««) 


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13 


befl  5Red^te8.  ®a8  bataufl  fliefeenbe  Siecht  ift  baS  jus  naturae, 
worunter  aber  femeSweflö  bet  utopif^e  ^laturjuftonb  ju  »er» 
fielen  ift,  ou8  bem  bie  9tad^folget  @root’8  afleS  5Re(bt  a priori 
bebuciren  wollten.  ^)ugo  @root  war  ein  ju  erlen<bteter  @eift, 
um  fid^  in  nebelhaften  Speculationen  gu  oerlieren. 
wie  ben  IRömern,  bie  naturalis  ratio,  bie  au8  ben  realen  93er« 
hältniffen  hc<’<’>^SS^^nbe  Betrachtung  al8  maggebenb.  Jbommt 
audb  bei  ®root  noch  f^h’^  häufig  bie  Bermifchung  prioat«  unb 
»olferredhtlichft  SKaterie  oot,  wenbet  et  au^  nicht  feiten  @runb« 
fahe  beS  privaten,  brfonberS  be8  rbmifdhen  IRechteS  auf  ba8 
Bölferredht  unb  beffen  Behanblung  an,  fo  barf  bodh  nicht  übet« 
fehen  werben,  bah  « wahrhaft  fdhöpferifch,  juerft  eine  felbft« 
ftänbige  SEBiffenf^aft  beS  Bölferrechtö  begrünbet,  unb  allen 
9lachfolgetn  bie  Bahn  vorgegei^net  hat.  5)er  hwoiane,  rein 
fittliche  (Seift,  von  bem  fein  ganjeö  SEBerf  burchbrungen  ifl,  hat 
nicht  wenig  bagu  beigetragen  bemfelben  gleich  vom  @rfcheinen 
an  eine  ©eltung  ju  vetf^affen,  beren  rt<h  wenige  fchtift« 
ftellerif^e  ?eiftungen  rühmen  fönnen:  @8  war  ein  ©ro^eS  gu 
geigen,  mit  unwiberlegbaren  ©rünben  gu  geigen,  bah  auch 
ben  Berhältniffen  von  Bolf  gu  Bolf  nicht  bet  Bu^en  fonbem 
ba8  Becht  mahgebenb  fei.  ERicht  nur  al8  erfter  ©rfinber,  fonbern 
auch  burch  bie  !flu8führung,  bie  ^iefe  bet  ©ebanfen  unb  bie 
lebenbige  Sluffaffung  ber  wirtlichen  Saftänbe  überragt  ©root 
feine  ERachfolger.  6t  beabfichtigte  ein  philofophifche8  Bölfer* 
recht  gu  f^reiben,  von  bet  ohnehin  fo  mangelhaften,  bet  Regelung 
erft  bebürftigen  ^ra]ti8  feiner  3«it  abgufchen,  unb  fein  SBer!  ift, 
wa8  man  au^  fagen  mag,  im  beften  @inne  be8  9Botte8  ein 
pofitioe8,  welches  von  philofophif^em  ©elfte  erfüllt  unb  ge* 
tragen  ift.  Äein  SBunber,  bah  nach  bem  2obe  beS  9)ieifter8 
feine  Schüler,  je  nach  ihrer  Slichtung  bie  SÖBiffenfehaft  be8 

(6*5) 


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14 


SSölferred^lefl  auffafienb,  bte  ^j^ilofop^tjc^e  ©d&ule  »ie  jene  bet 
fügen.  ^ofitiDlften  au6  @root  fd^o^>ften,  fi(^  auf  i^n  beriefen,  ba§ 
entgegengefe^te  ft(^  beTömpfenbe  ©pftemc  au8  feinem  @(ii|oo|e 
^ernotgingen.O 

fRad^  bet  Sinf^auung  @root'8  bilbet  bet  menf^(i(^  SBiQe 
ben  ©taat,  ba8  93oIf  im  juriftif^en  ©inn,  unb  au8  bet  Sßers 
einigung  eingelnei  äSölIerinbiütbuen  entfielt  bad  SSoIfetred^t. 
@ine  Setetnigung  bet  flRenfc^en  unb  93ölfer  buttb  Ueberein« 
ftimmung  ^at  aber  wefentlicb  gut  ®tunblage  ben  SSettrag, 
begie^ungeweife  bie  au8  betfelben  ^etvorge^enbe  SSetbinblidbfeit. 
2)a  alfü  bie  äiernunft,  bie  naturalis  ratio  gebiete,  eingegangene 
SSetbinblidbfeiten  gu  galten,  fo  fei  aüeS  (Recbt,  bad  bürgetli^e 
n>ie  ni(^t  minbet  ba8  tB&lfenecbt  au8  biefet  Duelle  abguleiten. 
Slbei  et  fügt  gleidb,  biefen  SuSfptud^  nä^et  be^immenb,  ^ingu, 
ba^  nadbbem  bie  SSerbinbli^feit  au8  Uebeteinfunft  in  bem 
natürlichen  (Rechte  murgelt,  bie  menfchliche  (Ratur,  nicht  ba8 
Uebereinfommen  an  fich  unb  für  fich  allein  betrachtet,  al8  le^te 
Duelle  beS  (SiniU  unb  (ßölfenechteS  angefehen  merben  müffe. 

2)er  Sormurf,  ben  ©tahl  in  feinet  ©efchichte  berJRe^tJ» 
bhilofophi^  erhebt,  ba§  @root  einen  (RedhtSbau  mit  Slbfttaction 
non  bem  Urheber  bet  fittlichen  Dtbnung  aufguführen  unter* 
nommen  h^be,  ift  getabegu  unbegreiflich,  felbft  wenn  non  bem 
gangen  SBetle,  unb  bem  chtiftlich  ethifchen,  eS  burchbringenben 
unb  etfüQenben  Reifte  abfehen  wollte. 

^ein  Slutot  ift  mehr  gelobt,  feinet  mehr  getabelt  worben, 
aI0  ^)ugo  @rotiu8.  6r  ift  bet  ©rünbet  bet  SBijfenfchaft  be9 
(Ratur*  unb  93ölferrechte8,  bet  ©ntbeder  einet  neuen  geiftigen 
SBelt,  unb  wie  fchatf,  wie  fchwach  ober  gar  nid^t  begrünbet  ift 
oft  ba8  Urtheil  bet  ©pigonen,  bie  au8  ihm  gefdhöpft,  auf  feinen 

©^ultern  emporgeftiegen  finb.  JDo  tritt  ein  ÜRann  oon  bet 

m) 


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15 


Sutoritfit  ©ta^l’ö  auf,  unb  bricht  übet  bafl  gan3e  SBerf,  über 
©root’8  ©bftcw  @tab.  2)ie  SBcrtragSt^eorie  ©root’ö, 
feine  Sluffaffung  »om  ©taote  ma^e  baö  gange  SSerf  Berrocrflicb. 
@Toot  ^abe  bet  SSorftellungSweife  guerft  9lu8brudf  gegeben,  ba§ 
bet  Staat  feine  Siutotität  in  fi(^  felbft  übet  ben  ÜJJenfc^en 
bobe,  fonbern  fie  nur  but<b  SSertrag  etbalte,  unb  feinen  3wfcf 
in  fi^  felbft  b“^enb,  nur  gum  Swecfe  bet  eingelnen  fDienftben 
biene.  So  ift,  fährt  Stahl  fort,  mit  @rotiu8  ein  ^rinciv  in’8 
geben  getreten,  ba8  in  feinet  SBeitetbilbung  gut  gehre  Äant’8 
unb  IRouffeau’ö,  gule^t  gut  frangofifdhen  fReoolution  mit  fRoth» 
»enbigfeit  führte.  5)ie  gehre  @root'8,  ba^  bie  Unterthan8bflidbt 
ihren  @tunb  in  einem,  ob  au8brü(fli(hen,  ob  ftillfchweigenben 
Siettrage  höbe,  ift,  wie  Stahl  meint,  bei  @root  felbft  gang  un= 
fcheinbar  unb  unoetfänglich-  9lbet  fie  braucht  nur  in  ihrem 
gangen  Inhalte  unb  in  ihren  Balgen  entmicfelt  gu  werben,  fo 
war  fie  ba8,  wa8  ein  3ahrhunbert  fpätei  bie  Orbnung 
©uroba’8  ftürgte.  So  ift  eine  Schneeflocfe,  ruft  unfer  Äritifer 
pathetif^  au8,  bie  fich  »om  93etge8gibfel  16ft,  unfcheinbat,  aber 
fie  wälgt  fidh  fort,  unb  fallt  bann  al8  gerfthmetternbe  gawine 
in  bie  2iefe. 

®ah  @rotiu8  ni^t  auf  ben  Stanbpunft  bet  heutigen  ge» 
fihifhtli^en  IReihtsfdhule  ftehe,  noch  ftehen  fonnte,  ift  eine  2:hot» 
fadhe,  bie  feinem  Sachoetftänbigen  auffallen  wirb.  IDa^  fein 
2Betf  mit  ihm  nicht  abgefchloffen  war,  fonbern  wie  ade  wahr» 
haft  genialen  Schöpfungen  fruchtbare  Äeime  ber  ßntwicfelung 
für  3ahrhunberte  enthielt,  ift  eben  fo  uatürli^.  2lber  bie  8lrt 
unb  aSeife,  wie  Stahl  einen  fo  mädhtigen  IDenfer,  ba8  .^aupt 
einet  gangen  Schule  oon  ‘])hilofophen  oerurtheilt,  geugt  minbeften8 
Don  3Rangel  wiffenfchaftlicher  Pietät. 

SBir  modhten  biefen  Vorgang  al8  eine  post  mortem  de- 

(6S7) 


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16 


nuDciatio  bejeid^nen.  QliotiuS  wirb  wie  ein  gto§er  S^ulbiget 
»Dt  bie  ©d^ranfen  eineö  @etid^te8  citirt,  er  wirb  folibatifc^  er» 
flärt  mit  Äant  unb  felbft  mit  SRouffeau;  e8  fe^lt  wenifl  unb  et 
wirb  für  aOe  ®täuel  bet  ftan^öfifc^en  JRe»oIution  »etantwottli^ 
gemalt  ©eine  wa^r^aft  ^tiftlic^e  Btömmigfeit,  an  bet  fid^ 
männigli^l  etfpiegeln  fönnte,  fein  eblet,  tein  menf^llic^et  ©inn, 
wirb  bem  angeftifteten  Unheil  gegenüber  faum  aI8  milbetnbet 
Umftanb  angefeben.  ^ie8  ift  eine  eben  fo  woblfeile  aI8  un* 
begrünbete  ölrt  ju  fritifiren.  @8  ift  bie8  bie  ©timme  bc8  re» 
artionören  ißoIitiferS,  nic^t  bie  be8  obfecti»,  unparteiifdb  bentenben 
SBobl  wiffen  wir,  ba8  alte  9taturre(bt  feine 
Seit  ge'bobt,  ift  ein  überwunbenet  ©tanbpunft.  aber  feine 
großen,  bleibenben  ffierbienfte  um  Sfied^t,  Sreibeit,  ©taat,  wirb 
fein  gefunber  @eift  in  abrebe  fteOen.  (Sine  ganje  @eifte8ri<btung, 
bie  ihre  Seredbtigung  b^tte,  bie  in  bet  @ntwic!Iung8gef(bi(bte 
bet  SSiffenfdbaft  eine  fo  gro§e  ©teile  eingenommen  unb  ihre 
aufgabe  erfünt  b<>t,  fann  nicht  fo  in  ^aufdb  unb  Sogen  »et> 
bonnett  werben.  üJlit  bemfciben  SRe^te  wie  @rotiu8  für  Sflouffeau 
unb  bie  ftanjöfifcbe  SReooIution,  fonnte  (SoIumbuS  für  bie  ©tfiuel 
eines  6orto8  unb  ^ijarto  »erantwortlidb  gemacht  werben.  Sunt 
Ueberfiuffe  Weift  fRouffeau  (Contrat  social  II.  2.)  jebe  ©oli» 
barität  mit  @rotiu8  jutüdf,  greift  ihn  al8  einen  2obrebner  bet 
2?rannei,  al8  einen  ©chmeichler  gubwig  XIII.  auf8  beftiflft* 
an.  ©ab  @rotiu8  feine  Sorliebe  für  gefe^lofeS  ?>öbel*  wie  für 
lDe8t)otenregiment  gehabt,  beweift  fein  8eben  unb  beweifen  feine 
©chriften;  ba^  er  ben  ^atrimonialflaat  mit  feinen  ©onfequenscn 
al8  eine  Sbu(fu<he  ni^t  läugnete,  ohne  ihn  im  entfernteften  ju 
wünf^en  ober  gar  gu  ibealifiren,  beweift  für  feinen  unbefangenen 
©inn,  unb  wie  wenig  er  in  feinen  juriftifchen  Snbuctionen  »on 

bem  fogenannten  ©taate  in  bet  3bce  auSging.  Siouffeau  aber  bat 
(628) 


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17 


feine  geiftige  SBerroanbtjt^aft  mit  @root  gewi§  mit  »eit  grS* 
§erem  (Reffte  geläugnet,  al8  Sta^l  besauftet. 

©cbliefelitb  tooflen  mit  no(b  einige^  übet  baS  literatifc^e 
©(bicffal  beö  metfmürbigen  Su<^e8,  bo6  un8  ^iet  junäi^ft  be» 
f^äftigt,  nnfü^ren. 

©elbftcetftänblicb  beabficbtigen  mir  leineSmegd  eine  soGI^’ 
ftänbige  Literatur  fämmtlidjer  SBetfe  ©roofä  gu  bieten.  3n 
biefem  etfcbßbfcnJ>e«  Umfange  mürbe  fc^on  bie  ülneinanberrei^ung 
ober  fpfteraatifibe  SufaDimenftellung  ber  nur  ouf  baß  .^»auptmerf: 
de  jure  belli  ac  pacis  begüglicben  Literatur  ein  anfebniicbeß  Such 
füQen.  SBir  muffen  unß  \)\tx  nur  auf  fummarif^e,  baß  leitete  be> 
treffenbe  Angaben  befdbwnlen.  2)a^  eß  gabllofeSlußgaben  erlebt  bat, 
unb  in  bie  ©pracben  fämmtliiber  ^ulturDÖlfer  überfebt  morben  ift, 
bürfte  gu  etmabnen  faft  übetflüffig  fein.  JDie  ?)arifer  Original» 
außgabe  nom  3abre  1623  ift  eine  bet  größten  bibliogtapbifcben 
©eltenbeiten  gemorben;  bie  meiften  nacbfolgenben  @bitionen  finb 
in  ^Imfterbam  unb  in  ^ranffurt  a.  9R.,  barunter  acht  nodb  bei 
gebgeiten  ©root’ß  erfd^ienen,  inßbefonbere  bie  bei  S3leau  in 
amfterbam  1642  gebrudCte  »om  Berfaffer  felbft  mit  gablteidben 
ÜRoten  nermebtt  morben,  meicbe  fiib  in  allen  fpäteren  Slußgaben 
mieber  finben.  3m  Sabre  1691,  alfo  46  Sabre  nadb  ©root’ß 
Stöbe  mürbe  baß  S3utb  in  f^ranlfurt  a.  D.  oon  SSecfmann  cum 
notis  variorum  ebirt,  eine  @bre,  bie  ibm  gleich  ben  alten  ($laffi» 
fern,  ibm  allein  unter  ben  neuen  ©^riftftellern  über  ©taatß» 
miffenfcbaften  gu  Stbeil  »urbe.  Sablreicbe  Kommentare  erfcbieuen 
in  rafcber  ^olge  gut  Ktflärung  beß  Bucbeß  de  jure  belli  ac  pacis, 
aQe  übertroffen,  menn  nicht  entbebrlicb  gemacht  burcb  ben  ber 
berühmten  Reiherten  (Batet  unb  ©obn)  .^einricb  unb  ©amuel 
Kocceji,  melcber  in  fünf  mächtigen  Ouartbänben  gu  8aufanne 
im  Sabre  1751  erfcpien.  ■ 

XIX.  *49.  2 (6S9) 


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18 


91ebft  ben  DoQftänbigen  6omtnentaTen  übet  ®rotiud  giebt 
eS  eine  Olienge  »on  toeldfe  jut  Seleuci^tung  beS 

SBeifeg  ober  eingelnet  1)attien  beffelben  gefc^rieben  »urben, 
tabeOarif(be  unb  fpnoptifc^e  SufammenfteQungen,  Sludgüge,  9b> 
^anblungen,  ^onogia)>^ien  bet  Det[(biebenften  älrt,  bie  in  bem 
SiJerfe  befl  gtei^ettn  uon  Dmpteba:  Siteratur  beS  33ölferre(^te8 
(1785)  genjtflen^aft  netjeicbnet  finb.  JDafe  ade,  bie  ©efcbic^tc 
bet  neueren  |)l}ilofo)>^ie  unb  inSbefonbere  bet  SiecbtSp^Üofopbie 
bebanbelnben  SBerfe  me^t  ober  mtnbet  augfü^tlicb  non  Q^rotiud 
unb  jeinem  ©pfteme  ^anbeln  müffen,  ‘ift  |elbftnet[tänblid). 

bie  Uebeife^ungen  beS  ä3ud^ed  de  jure  belli  ac  pacis 
betrifft,  befi^en  bie  grangofen  eine  aa^tljaft  claffi|cf>e  non  Sat» 
beptac,  »el(ben  bie  ttefflid^en  fWoten  befl  Ueberfc^erö  gut  wert^e 
nodfiten  93eigabe  bienen.  @ie  erf^ien  gule^t  nadfi  SSatbepiac'fi 
Sobe  mit  älndgügen  aud  bem  Socceji’fcben  Kommentar  nettne^rt, 
in  5.  SiuSgabe  in  Duarto  in  Reiben  1759.  Unter  ben  @ng< 
länbem  b«t,  bet  älteren  Ueberfe^ungen  nic^t  gu  gebenfen,  bet 
bebeutenbe  belehrte  9B.  SBbewed  1854  eine  neue  Ueberfebung 
bed  SBerfed  ^etauSgegeben.  3n>ei  gang  neraltete  bentfc^e  Ueber« 
fe^ungen  finb  in  ben  erften  3flbten  beö  18.  Sa^r^unbertö  er» 
fd^ienen.  SBir  fönnen  fie  je^t  entbehren,  feit  im  Sa^te  1869 
in  ^Berlin  bie  fe^t  gute  3}erbeutj^ung  non  ^ird^mann  erfc^ienen 
ift.  ©ämmtlicbe  Uebetfe^ungen,  bie  »ir  ^iet  dnfü^ren,  bieten 
im  Eingänge  me^r  ober  minbet  ausführliche  biogtapbif(he>  <^ugo 
@root  betreffenbe  dlotigen.  3)ie  norgüglichfte,  nodftänbigfte  5Bio» 
graphie,  l>ic  auch  in’8  SDeutjdbe  übetfe^t  »urbe,  ift  bie  non 
SBurignp:  "Vie  de  Hugues  Grotius,  ^oriS  1752,  in  gttei  öän» 
ben.  Unter  ben  IDentf^en  h«t  ber  befannte  ^iftorifer  8uben 
in  feinem  SSetle:  .^ugo  ®rotiuS  nach  feinen  @chidfalen  unb 
Schriften  bargeftedt  (Setlin  1806)  eine  ausführliche,  mit  8iebe 

(6S0) 


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19 


abgefa^te  8ebendbefdbteibung  {)ugo  @coot’d  oeiöffentlic^t.  Uber 
aud^  eine  fütjete,  getreue  S3tograt>^ie  »oUen  wir  nid^t  unerwähnt 
laffen,  welche  ber  Sibbe  feinem  in^aitreid^en  Su^e:  Etade 
sur  le  drok  de  la  guerre,  ^atiö  1875  voranfc^tdFt.  Slm  ©bluffe 
flnbet  man  noib  ein  weiteres  93erjeid^ni§  non  meift  ^ollänbifd^en 
Siograpbien,  bie  ®root  betreffen. 

Unb  wenn  anä)  wir  jum  ©c^luffe  nod^  eine  bibliograpl^ifc^e 
SR0H3  ^ingufügen,  fo  begießt  ftc^  biefelbe  auf  bie  fog.  33 or» 
läufer  unfereS  @rotiuS.  @r  ift  ber  eigentliche  @rünber  ber 
SBiffenf^oft  befl  33ölferrechte8.  iDem  Sllterthume  mit 
feinen  fich  ifolirenben  ober  nach  Unioerfalherrfihaft  ftrebenben 
©taaten,  bem  SRittelalter,  weldhed  nom  stampfe  bec  9)lonar(hie 
mit  bcn  Üehenwefen  erfüllt,  innerlich  obforbirt  würbe,  fonnte 
biefe  SBiffenfchaft  ihren  Urfprung  nicht  nerbanfen.  . ©ie  ift  ber 
92atur  ber  gangen  gefchichtlichen  (SntwidFlung  ein  ^robuct  ber 
SReugeit,  fie  fteht  im  untrennbaren  3ufammenhange  mit  ber 
33ilbung  ber  anberen  ©toaten.  unb  ihrer  3Bechfelbegiehungen, 
ber  ©taatenfpfteme.  JDah  fidp  in  ben  ©chriften  ber  mittelalter» 
lidhen  Suriftcn  unb  Sh'ologen  h®“ftä  «ngelne,  gerftreute  @e» 
banfen  über  internationales  (Recht,  gumal  über  baS  Verhalten 
im  Äriege  oorfinben,  ift  gweifelloS.  (Roch  wehr,  ber  ©panier 
33althafar  (Kpala,  Q^eneralaubitor  beS  fpanifchen  .^eereS  in 
glanbern,  ber  berühmte  Drforber  ^rofeffor  (Slberidh  ©entili, 
ein  Italiener  non  @eburt,  fchrieben  bereits  formlidhe  Stractate 
über  baS  Stecht  beS  Krieges,  unb  bantbar  gebentt,  namentli^ 
©entili’S  ^ugo  @root. 

5)er  um  baS  33olfene^t  bur^  »iele  geiftungen  fehr  »er* 
biente  Freiherr  0.  .^alteborn  hinterlieh  ein  33uch  reichen  Inhalts : 
(Die  33orl5ufer  beS  ^>ugo  ©rotiuS,  IJeipgig  1848.  6ine  ahn» 

liehe,  fehr  genaue  Arbeit  oeroffentlichte  1882  in  (Brüffel:  Droit 

2*  (6SI) 


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20 


de  la  gaerre  et  les  pr^curseors  de  Grotios,  ein  waderet  bei« 
gifcbet  ©ele^rter  ^en  Dr.  ßrnft  8Rp8.  ÜRit  9ied)t  berutt  fidb 
au<b  bejügli^  fetneö  S^emad  ^en  9Ip8  auf  bad  fÜT  bte  8ite« 
ratut  beö  IBölfeae^tcS  SBa^n  brecbenbe  SEBetf  Ompteba’S: 
Ütteratur  be8  gefammten  fovo^t  natütlic^en  al8  pofitinen 
93ölferre(^t8. 


(632> 


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^Anmerkungen. 


1)  (Sine  gebröngte  Ueberftdjt  be8  SBerfe9  de  jure  belli  ac  pacis 
bürften  bie  eben  gemachten  ©emerfungen  übet  bie  Slet^obe  unb  ben 
Sbeengang  be8  StutorS  am  beften  begtünben  unb  anjc^aulic^  madien. 
3m  erften  IBuc^e  ^anbelt  er  non  bet  @etec(>ttgfeit  be8  Krieges  übeti^aulJt, 
non  bet  @intl^ei(ung  beffelben  in  ben  öffentlid^en  unb  ben  eigent^ümlic^ 
fo  bejeiebneten  $rinat« jbrieg,  non  bet  ©ounetänetät,  nom  Staate,  non 
ben  nerftbiebenen  gormen  beffelben,  non  ben  Pflichten  bet  Untertbanen 
gegen  ben  Staat.  3m  jmeiten  SBuebe  »erben  bie  Sleranlaffungen  }um 
jCriege,  »eicbe  ba8  @igentbum,  petfbnliibe,  bingliibe  ober  SSertragSreebte 
betreffen,  erörtert.  (Daran  anfnüpfenb  wirb  bie  ganje  8ebre  nom  (Sigen* 
tbum,  non  SSerträgen,  ihrem  @ntfteben,  0efeftigung8orten  unb  @tlöf(ben 
berfelben,  alfl  ergän^enbe  unb  erläutembe  SBegrünbung  bet  noraulgefcbidten 
Sebtfdb«  erörtert.  3m  britten  unb  lebten  S3u(be  wirb  unterfutbt,  »a« 
im  Kriege  erlaubt,  wa8  netboten  fei.  ^>ietan  f(blie§t  ber  Uebergang 
jur  8ebre  non  Seenbigung  be«  ÄtiegeS  unb  non  griebenSnerträgen.  3«be8 
bet  brei  Sütbet  jerfäüt  in  Sitel,  biefe  in  (Sapitel,  Untere  in  eine  geringere 
ober  größere  3<>bl  »on  ^aragtapb^n.  $Ian  unb  @intbeilung  beS  äBerfeö 
befpri<bt  Qörotiuö  felbft  in  ben  63  Stbfdben  ober  Paragraphen  ber 
Prologomena,  welche  offenbar  erft  nach  IBoIlenbung  beö  ällerfeö  nerfapt 
worben  Pnb. 

gut  bie  Stuffaffung  ®root’8  nom  Ubaturreebte  genügt  e«  feine  (Depnition 
beö  Dbaturre^teö  anjufübren.  Jus  naturale  est  dictatum  rectae  rationis 
indicans  actui  alimi,  ex  ejus  <x>nyenientia  aut  disconvenientia  oum 
ipsa  natura  rational!  inesse  moralem  turpitudinem  aut  necessitatem 
morabem,  ac  consequenter  ab  auctore  naturae.  Deo  talem  actum 

(6»S) 


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22 


aut  vetari  aut  praecipi.  (8.  I.  6.  1.  § 1).  Älar  ge^t  au«  biefm 
SEBorten  Reiser,  ba§  ®root  füi  ein  @9ftem  be«  natürlichen  Siechte«  ein 
rein  ethifche«  litincip  ohne  Sifidjtcht  auf  Siuhra  auffteUt.  93e!anntUch 
hat  bie  SBoIfffche  ein  3ahihunbert  fbäter,  um  bie  gefanunte 

9ie(ht«Iehte  auf  oermeintlich  ununiftü§Hche  ©ronblage  ju  fteOen,  eine 
fein  foQenbe  mathematifche  SRethobe  in  biefelbe  einjuführen  beabjichttgt, 
fa  biefelbe  auf  ba«  ganje  fittliche  ®ebiet,  auf  bie  SBelt  bet  Freiheit 
übertragen  uoHen.  Schon  SIriftotele«  hot  biefe«  SSotgehen  in  ethif(hen 
S)ingen  für  unjuläffig  erflürt,  unb  auch  ®eoot  »ie«  e«  energifch  al«  un« 
fiatthaft  jurücf,  ein  SSorgehen,  ba«  unfere«  ©ebünfen«  um  fo  gefähtliihet 
ift,  al«  e«  au«  midfütlichet  9>rümiffen  filo  ratiocinii  )u  fcheinbar  un* 
truglichen  Siefultaten,  ju  toiffenfchaftlicher  IDüntelhaftigfeit  ober  auch  ju 
geiziger  Srügheit  führt. 

2)a«  natürliche  Siecht  fann  nach  ®tcot'«  ^ priori  beviefen 

Verben,  uenn  borgethan  vitb,  ba§  e«  mit  bet  natürlichen  unb  gefelligen 
Statut  be«  SRenfehen  übereinftimmt,  a posteriori,  »enn  unb  infofem  e« 
»on  allen  ober  hoch  ben  gefitteteren  935ltem  bafüt  gehalten  ttirb.  35enn 
eine  allgemeine  SBirlung  erforbert  eine  allgemeine  Utfache.  (8. 1. 6. 1.  § 12.) 

2)em  jus  naturale  ftellt  @root  ba«  voluntarium  entgegen,  genauer 
betradhtet  jur  Seile.  SJlan  mu§  bejüglich  bet  Schematif,  bet  ganjen 
@lieberung  be«  SBerfe«  nicht  oergeffen,  bog  ®rcot  bei  allet  Unabhängig* 
feit  feine«  ®eifte«  unb  ber  Siefe  feiner  Sorfchung  ftch  boih  »on  ben  in 
bei  Schule  jener  3<it  henrfchenben  Jlnfihauungen  nicht  loSmachen  fonnte, 
ober,  nenn  man  viO,  ni^t  umhin  fonnte,  biefen  Slnf^aunngen,  um  ben 
Seitgenoffen  oerftünblich  ju  fein,  »iffenfchaftliche  unb  practifche  6rfolge 
}u  erjielen,  bi«  ;u  einem  geviffen  ®rabe  auch  gerecht  gu  »erben. 

IDa«  jus  yoluntarium,  »eiche«  feinen  Urfprung  im  SBiOen  hat,  ift 
entveber  ein  jus  humanum  ober  ein  jus  divinum.  IDa«  bumanum 
ift  ent»eber  ein  jus  cüvile,  »eiche«  ent»eber  non  ber  potestas  cüvilis 
au«geht,  ober  ein  ^echt  im  engem  Sinne,  (jus  arctitu  patens),  »eiche«, 
g»ar  bon  ber  bürgerlichen  ®e»alt  nicht  audgehenb,  ihm  hoch  untergeorbnet 
ift,  umfafft  bie  @tbote  be«  SSater«,  be«  .^enm  unb  Sehnliche«.  (8.  1. 
@.  1.  § 12).  3m  Diiginal  h^i^t  e«:  jus  arctius  patens  et  ab  ipsa 
potestate  civili  non  veniens,  quamquam  ei  subditnm  varium  est, 
praecepta  patria,  dominica  et  si  quae  sunt  similia  in  se  continens. 
2)a«  varium  begieht  fi^  offenbar  auf  bie  mannigfaltigen,  im  Staate 
befinblichen,  ton  ij)m  gefchühten  Sle^tSfieife.  @nblich  folgt  al«  britte« 
@intheilung«glieb  ba«  jus  voluntarium  humanum,  im  ®egenfahe  gu 

(SS4) 


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23 


bftn  oben  befprc4)enen  arctius  patene,  bad  jus  latius  patens,  toelc^S 
nichts  anberee  alb  bab  jus  gentium  ift.  bebarf  faum  bet  9lä^ettn 
erflärt  ju  toetben,  baß  biefeb  jus  gentium,  wel4)e0  ^eut  ju  Sage  etnfa(b 
al0  bie  Iateinif4)e  Sqei<bnung  für  baS  iBflferiec^t  gilt,  in  feinet  nr* 
fprünglic^  rümifc^  re(btli(^en  Ü3ebeut«ng  etmad  anbereb,  bem  heutigen 
internationalen  ^rioatrec^te  91naloge0  bebeutet,  »enngleit^  gef(bi4|tlidt 
naibnetSbar  ift,  ba§  biefeb  antife  jus  gentium  in  feiner  (Sntwicflung  auf 
bie  {>eranbilbnng  beS  mobemen  iBülferre(bte0  wejentlid^en  @in^u§  aueübte, 
loäbrenb  äßiffenfc^aft  unb  $ran§  be0  fBölIeredjtd  in  bet  eigentlich,  tec!>«  * 
nifdfien  SSebeutung  be«  ©orte«  aU  >J)robuct  ber  9leujeit  angefe^en  »erben 
muffen,  liefet  I3511erre(f)t,  baS  jus  voluntarium  humauum  latius  potens 
erhalte  feine  oerbinblic^e  Äraft  burcb  ben  Söillen  aDer  ober  Dielet  SJölfer. 
®r  fage  Dielet,  fügt  Oroot  in  ber  oben  citirten  ©teile  ^inju,  »eil  außer- 
halb beS  9laturrechte0  (extra  jus  naturale)  faum  irgenb  ein  fogenannte0 
IBSlferrecht  ju  finben  ift,  baS  bei  allen  IBSIfem  gälte.  IBielmehr  ift  oft  in 
einem  ber  6toe  etwa«  Dülferrecbtliih,  tja«  e6  in  bem  anbem  nicht  ift. 

jfommt  auch  bei  {)ugo  ®root  noch  häufig  bie  Sßermifchung 
»rioat-  unb  Dölferrechtlicher  KJlaterie  Dor,  »enbet  er  auch  f*lten 
®runbfühe  be0  prioaten,  befonberS  beS  römifchen  IRechteä  auf  ba0 
SSßlferrecht  unb  beffen  Sehanblung  an,  Derfennt  er  auch  »o"  f«nem 
Stanbpunfte  au«  bie  obfectiDe  hSh^e  IBebeutung  be8  SUBlferrechte« , fo 
barf  bo4  nicht  überfehen  »erben,  baß  er  mit  »ahrhaft  fchöpferifchem  (^ei^e 
juerft  eine  felbftftänbige  3Biffenfchaft  be«  IBülferrechte«  begrünbet,  unb 
allen  iHachfoIgem  bie  IBahn  Dorgejeichnet  hot. 

2)  2)aß  {)ugo  ®root  3urift,  unb  j»ar  al0  toie  al« 

^ractifer  gleich  h*r®»rtagenb  »ar.  Dafür  fprechen  in  erfter  Uinie  fein 
Jpaupt»erf,  bem  »it  unfete  ^Betrachtung  Dor  2lIIem  ju»onblen,  fein  für 
alle  Solgejeit  muftergültige«  IBuch  mare  liberum,  feine  florum  sparsio 
ad  jus  lustinianeum,  enblich  fo  Diele  ÜJlonogtaphien  über  juribifche 
SontroDerfe. 

3)  äBa«  @rotiu6,  bem  ^)iftorifer,  betrifft,  fo  gebenfen  »ir  hier  Doret^ 
feiner  berühmten  ©efchichte  be«  Äampfe«  ber  feit  bet  Utrechtcr  Union 
Dom  Sahre  1579  ju  einet  SüberatiD-Slepublif  Dereinigten  fieben  nörtlichen 
^roDinjen  be«  ehemaligen  burgunbifchen  Äteife«  gegen  bie  erfte  IDiilitär- 
macht  jener  Seit.  Aanales  et  bistoriae  de  rebus  belgicis  usque  ad 
iuducias  anni  1609.  3)a«  »ar  ber  befannte  {»elfjährige  9BaffenftiIIftanb, 
»eichen  bie  Dlieberlanbe  mit  Spanien  fchloffen,  nach  beffen  Stblauf  fie 
ben  älampf  {u  Sanbe  unb  jur  See  mit  glüdlichem  @rfoIge  fortfeßten, 

(6Si) 


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24 


bis  ®panien  in  bem  gricben  oon  fünfter  1648  i^re  Unat'bängii3!eit 
ntblit^  unb  enbgfiltig  anerfanntr.  ©rotiuS  fc^rieb  baS  im  Siuftrage  bet 
Oeneralftaoten  fd?on  Bor  Sagten  begonnene  SBerf,  bie  großen  ^iftorifer 
beS  3Htertßum8  als  SDlufter  neßmenb,  unb  in  großartig  objectioer  SBcife, 
in  freiem  ®ei[te  nacßaßmenb,  in  einem  maßrßaft  claffifd)  ju  nennenben 
?atein.  5DerS3or»urf,  ben  iijm  Kleiber  unb  Ij^perfritif^e  SJeurtßeiler  mad>ten, 
er  ßabe  feinen  Liebling  iEacituS  foft  fcloBifcß  in  ber  ®iction  nacfjgebilbet, 
ifi  feitßer  langft  wlberlegt  worben.  ©rotiuS  ßat  5£acituS  nad^geaßmt, 
’nii^t  nac^geäfft.  6r  |(f>ilberte  aJlenjdjen  unb  JDinge  mit  energifeßer 
jtfirje,  ja,  unb  baS  gereicht  ißm  wie  bem  Serfe  gewiß  nießt  jum  9lac^> 
tßeile,  fonbern  jum  Dlußme,  mit  ber  fpridjwßrtlitß  geworbenen  brevi- 
loquentia  tacitea,  mit  SSermeibung  jeber  Unflarßeit,  mit  Boiler  8ebenbigfeit 
unb  SBärme  ber  Wctualltöt.  ?uben  in  feiner  trefflidjen  Siograpßie 
©root'S  (Serlin  1806),  geßt  offenbar  in  ber  Slnpreifung  ber  SDarftetlungS- 
weife  ©root’S  juweit,  wenn  er  feine  ©c^ilberung  non  gcfcf)i(f)tlic^n  Sßoractem 
wie  Sllba,  ©rannetla  u.a.  in  eine  für  ©{fiiller,  in  feiner  ©efdjicbte  beS  SlbfallS 
ber  9tiebrrlanbe  feßr  ungünftige  parallele  feßt.  ©erabe  bie  non  tiuben 
angeführten  ©teilen  jeigen  bie  9Reifterf(haft  unfereS  ©(filier.  3lbet  in 
einer  SSejießung  unb  bie  beiben  Stutoren,  welche  benfelben  ©toff  beßanbelt 
haben,  nergleithenb , fffnnen  wir  bei  ber  hßihft™  Verehrung  für  ben 

großen  £Di(hter  nitßt  umhin  unfete  8lnß(ht  bahin  auSjufprethen , baß 

©robt  als  4)iftoriograph  im  antifen  ©inne  unb  ©tple  betrachtet,  nicht 

hoch  genug  geftellt  werben  fann. 

äber  noch  «nbere  hiftorifth*  Slrbeiten  hinterließ  ©root  ben  9lach* 
fommen.  Um  ßch  ©chweben,  feinem  8lboptio»93atetlanbe,  baS  ißn  geehrt, 
mit  ihm  unb  burch  ißn  ftch  felbft  nerherrlicht  hotte»  ein  3lnbenfen  gu 
bieten,  beabficßtigte  er  anfänglich  8eben  ©uftan  ÄbolphS  gu  fchreiben, 
gab  feboch  biefeS  SSorhaben  auf,  ba  er  fonb  baß  bie  nothonbenen 
lUlaterialien  ni^t  hinreichten,  um  bie  eines  fo  großen  4>elb«n  würbige 
S3iogrophie  gu  entwerfen,  ©tatt  beffen  wanbte  er  ßch  ber  älteflen  ©e* 
fchichte  ©chwebenS  gu,  unb  überfeßte  beS  f)rocopiuS  nanbalifche  unb 

gothifche  ©efehießte.  SiS  auf  feine  Seit  befta.nb  nur  eine  hi'thft  »nangel« 
hafte  Ueberfeßung  biefeS  SKerfeS  in  bie  lateinifcße  ©praeße.  9Wit  ^>ülfe 
gelehrter  Archäologen  gelang  eS  ißm  gwei  werthBoUe  lUJanufaipte  ber 
Bon  $rocopiuS  herrüßrenben  ©efeßießte  aufgußnben,  welcße  ißm  bei  feiner 
Arbeit  wefentlidh  gu  ftatten  famen,  ber  fteß  eine  SReiße,  baffelbe 
Sßema  beßanbelnber  9Ronograpßien  anf^loffen. 

®ir  glauben  in  ber  gifte  ber  hiftorifeßen  SBerfe  ©root’S  aueß  eine 

(6S«) 


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25 


Unterführung  üfcer  ben  Utjprung  bet  SBeao^nct  Slmerifa«  erwähnen  ju 
feilen.  0te  ffifirt  ben  Sitel:  De  origine  gentium  Americ&nanim 
dissertatio,  unb  erfc^ien  in  ipari«.  ©einen  nimmer  ru^enben,  allen 
3eitfragen  Slufmeetfamfeit  fdrenfenben  @eift  mufete  andj  biefe  Swfle 
befdräftigen.  ^)ugo  ©root  ujar  ber  SUleinung,  Slmerifa  fei  »on  Dtormegen 
one  fibet  38lonb  unb  ©rßnlanb  beuSlfert  »erben.  2)a§  biefe  SJleinung 
bia  in  unfet  Sa^rbunbert  btrouf  3(nbänger  unb  Sertbeibiger  fanb,  ift 
eine  befannle  Sbolfatb«;  ba§  fte  aber  eben  fe  bäupg  beftritten  »urbe, 
ift  nihrt  minber  belannt.  SSBaa  ÜBunber,  ba§  ©roet  ebenfallB  in 
©rmangelung  fefter  Slnbaltepunfte  ju  ^pvi’^b^f^  Buflu^t  nahm. 
8lu(b  bt«  befunbet  et  feinen  bioinatoriftben  ©eift.  3)enn  feeiel  unterliegt 
na<b  b<ulis<n  gerfebungen  fcb»erli(b  einem  BQ’cifel,  bag  bie  erfte  ju> 
eerläffige  ©ntbeclung  Qlmerifa’a  een  ben  ©fanbinaeem  auBging,  bag 
een  38lanb  auB  in  ©renlanb  @elenien  gegrünbet  »urben,  bie  freUiib 
no(b  im  ajlittelalter  3U  ©runbe  gingen,  ba§  felbft  baB  geftlanb  im 
9lerben  ämerifa’B,  ?abraber,  bie  DJiimbung  beB  ©t.  SctenjftremeB  ben 
9terbmannen  nicht  unbefannt  »aren. 

SBenn  »ir  im  ©enteyte  unferer  ?lrbeit  fagten,  ©roet  fei  3»rift, 
^ifterifer,  ^bilcloge,  ütb^elege  gemefen,  fe  fügten  »ir  bin^u,  ba§  er  in 
feinem  biefer  auBgebebnten  ©ebiete  et»a  nur  alB  Dilettant,  eielmebr  in 
jebem  alB  IKeifter  erften  9langeB  auftrat.  ÜJlan  ftaunt  nun,  baß  er 
alle  biefe  SBiffenfibaften  eellfommen  beberfebte,  baß  er  in  feinem  eiel- 
bemegten  ?eben  bie  3füi  bie  SJluje  fanb,  fe  gro§e,  eft  riefige  Beiftungen 
unb  mit  fe  tief  eingebenber  ©rünblidrfeit  ju  eoHbringen.  SBobl  galt 
een  ibm  ©icere’B  Jlnpreifung  ber  SIBiffenfcbaft,  bie  ibm  im  Unglüde 
Sreft  unb  3u^ucbt  barbiete  (haec  studia  adversis  rebus  solatium  ac 
perfug[ium  praebent).  SBelcben  Sireft,  »eicbe  ©türfung  er  auB  ber 
heiligen  ©dprift  unb  ben  Äircbenöätern  febopfte,  gebt  auB  feinem  ganjen 
Beben  »ie  auB  feinen  SBerfen  b«n>or. 

4)  ©rotiuB  »ar  »on  feber  ein,  man  fann  fagen  leibenfcbaftlicber 
Slnbänger  beB  internaticnalen  griebenB.  IDaB  fpredrenbfte  3(ugni§  baoon 
geben  jabireicbe  ©teilen  feiner  S3riefe,  in  benen  er  ben  ®er»anbten,  ben 
Sreunben  fein  ganjeB  ^)erj  erfiblie^t.  9JJit  Sorliebe  nennt  er  ftcb  felbft 
Surger  beB  UniserfumB.  Unb  noch  lebhafter  angefaebt  würbe  biefe, 
feinem  SESefen  fe  natürliche  ©timmnng  beim  $(nblicle  bet  entfeblicben 
©räuel  beB  breigigjäbrigcn  jfriegeB,  ni^t  minber  bet  blutigen,  fe  »iele 
£)pfer  etbeifebenben  IBirren  in  feinem  eigenen  ^aterlanbe.  @r  jittert 
»er  Sreube,  fte  »ar  leibet  nur  »on  ju  furjer  iDauer,  alB  er  »emimmt 

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26 


9{t(^lteu  felBfi  looQe  ben  allgeinetnen  Sriebtn  ^trfteDen.  0ehie 
S9eri(^te  an  bie  ^inigin  non  ©(^loeben  unb  ben  OietdbSlanjIei  atl^men 
bun^ud  glfi^enbe  SiiebmSltebe.  o^ne  Snttrrffe  ift  btt  Setnerfung, 

tttlt^e  et  in  bem  0(^rtiben  an  einen  ^eunb  bejüglit^  granfiei^ie  mac^t. 
Snit  SSergnfigen  neunte  er  va^r,  bag  bie  ^anjo[en  ben  ^eben  lieben, 
unb  jut  (Sinft(^)t  gelangten,  bag  bet  Ärieg  nur  ein  SlnSfnnftdmittel  fei, 
beffen  fit^  bebrängte  ^Regierungen  bebitnen  um  innere  ®efagren  ju 
befeitigen. 

!£)er  giiebe  ift  baS  3beal  beS  @rotiuS,  unb  aU  er  vom  Seginn 
ber  (Sonferenjen  in  SRunfter  unb  Dfinabrüd  in  ben  erften  nierjiger 
Sauren  Äunbe  ergält,  begrügt  et  Re  alfl  bie  SBorboten  einet  bcffeten 
Sufunft.  !Dem  SBiberfprm^e  jtuif^en  feinen  ^erjento&nfc^  mit  ben 
^flitgten  feinet  Stellung  al8  Sotft^fter  fonnte  et  febotf)  nid^t  immer 
entgehn,  ^öefanntlit^i  fam  betgtiebe,  trog  geplanter,  oft  untetbrotgenet 
6onfeten3tn  et  ft  natg  Sagten,  aU  ®rotiue  längft  bie  %ngen  gefdgloffen 
gatte,  enbgultig  3U  Stanbe.  S»  bet  3i»if(gen3eit  aber  mürbe  ber  jtrieg 
mit  aller  ^eftigfeit  fortgefegt,  toeil  feber  Sgeil  (Srfolge  unb  burcg  fie 
günftigere  griebenSbebingungen  3U  etreicgen  goffte.  2)e«galb  mugte  @rotind 
toiebergolt  auf  9tuebe3aglnng  bet  oertragemägig  3ugefi^erten  fran3{ftf(gen 
©ubfibien  für  bie  ftgwebiftgen  Sruppen  bringen. 

IDer  groge  ®ebanfe,  bet  unfern  ®rotiu6  oor  Sllem  erffiQte,  mar 
bie  .$>rrbeifiigrung  bed  religibfen  griebend.  IBiele  bebeutenbe  URänner 
im  16.  unb  17.  Sagrgunbert,  unter  ben  jtatgolifcgen  mie  ben  ^rote^nten, 
bacgten  inmitten  ber  IReformationefriege,  bed  ®emirree  bet  l^arteien  unb 
Secten  an  eine  Slnnägerung,  an  eine  aUmäglicge  SSerfognung  unb 
SEßieberoereinigung  bet  getrennten  unb  Reg  befegbenben  ©onfeffionen.  iDa# 
SeRreben  mar  gemig  ein  ISblieged,  münfegenemertge  Siele  betreffenbeS. 
$tber  bie  Seibenfcgaftliigteit,  bie  URagloRgfeit  bet  Parteien  fonnte  in  fo 
tief  aufgeregten  Seiten  folgern  IBemägen  niegt  förberlitg  fein.  S)a0 
erflört,  mie  felbft  ein  9Rann  »on  ber  ©eifteSfigörfe  eine«  Sagle  in 
feinem  Dictionaire  philsophique  fene  3aglrei(gen  93erfu(ge,  eine  bleibenbe 
Djetfögnung  aßet  fReligionSparteien  3U  bemirfm  für  au«R(gteto«,  bem 
Stein  ber  SBeifen  ober  bet  Duabratur  be«  ßirfel«  oergleitgbar,  erflärte. 
(Srging  e«  boeg  au(g  ®root  in  biefem  ®ebiete  niegt  anber«,  als  mit  bem 
profectirten  emigen  grieben  3mif(gen  ben  lB5ltem,  ben  an3ubagnen,  mit 
fortfegreitenber  ®eRttung  unb  magrgaft  (gtiRli^  ©eRnnung  3U  förberu, 
et  gleieg  ben  grieben«freunben  unferer  S^ge  niegt  für  nnmSglicg  gielt. 
©eiläuRg  gefagt,  galten  mir  e«  für  fegt  magrfegeinlieg,  bag  et  in  ber 

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27 


3ett,  al«  er  mit  Dlben  SSarnecelbt  am  ^ofe  ^tinrii^  IV.  etfi^ien,  »cm 
Q^ebanfen  beS  emt|jen  griebenS,  ber  eben  bur4)  ^einri(^  IV.  unb  feinen 
Sninifter  ©uOp  }ur  )>iactif(^en  @eftaltung  gebracht  meiben  follte,  mächtig 
angeregt  würbe.  3«,  in  feinen  (Scnceffionen  an  bie  cerfchiebenen  ®on« 
feffii^nen,  beren  ma§lofen,  unerfättlichen  gotberungen  gegenüber  geht  er 
oft  fo  weit,  ba§  webet  bie  Äatholifen  noch  bie  ‘Profteftanten  mit  ihren 
gahlreichen  inneren  Secten  ihn  als  ben  ihrigen  anerfennen,  Bon  feinen 
üSerfühnungdBerfuchen  etwas  wiffen  wollten.  Seine  theologifchen  Stubien 
gehören  ju  ben  umfaffenbften  unb  grünblichften  beS  auherorbentiichen 
iUlanneS.  6s  ift  faum  gu  begreifen,  wie  et  inmitten  feiner  anberweitigen 
Slrbeiten  in  ben  oerfchiebenften  ©ebieten  ber  Surisprubeng,  ber  ©efchichte, 
ber  ge’tabe  auch  in  bet  3fit  feinet  ©efanbtfchaft,  welche  fchon 

für  fich  bie  aufreibenbfte  i"  älnfpruch  nahm,  eine  fo  groge 

Soh^  theologifchet  i£ßeife,  meift  polemifchet  ^rt  publicireu  lonnte.  6S 
genügt  einige  biefer  SBerfe  anguführen:  De  veritate  religionis  cbristianae, 
Votum  pro  pace  ecxlesiastica;  De  imperio  summarum  poteatatum 
circ»  sacra;  Aunotatioues  in  vetus  testamentum  in  btei  Soliobdnben, 
Anootationes  in  novum  teatamentum  u.  f.  f. 

6ingelne  Siefotmatoren  beabfcchtigten  bie  SfBieberoereinigung  ber 
eingelnen  ©ecten  im  ©cho§e  beS  SproteftantiSmuS.  ©rotiuS  hatte  fich 
ben  Biel  umfaffenberen  plan  Borgefeht,  alle  6hriften  in  einet  ^iche  gu 
Bereinigen.  Slbet  auch  in  biefer  SSegiehung  hatte  et  glüngenbe  SBorgänger, 
einen  6raSmuS,  einen  ÜJlelanchthon,  einen  ^einri^  IV.  Unb  eS  ift 
metfwütbig,  ba§  et  mit  fortfchreitenbem  SUter  immer  größere  6nergie  für 
baS,  was  er  für  feine  ÜJliffion  hält,  entfaltet,  mit  immer  fteigenber  itraft 
feiner  hohe«  Aufgabe  gerecht  gu  werben  bemüht  ift.  2)ie  SJorwürfe  unb 
iPerläumbungen  feinet  erbitterten  ©egnet  behanbelt  et  als  ohnmächtige 
SnnectiBen,  welche  ihn  in  einet  gto§en  ©ott  gefälligen  ©ache  nicht  be» 
hinbem,  unb  in  feiner  ©eelenruht  nicht  ftören  Knnen.  ©rotiuS  fcheiterte 
in  feinem  lOorhaben,  wie  fo  niele  eble  ©eifier  baran  gefcheitert  finb. 
aber  bie  fRachwelt  wirb  fein  SSerbienft  auch  in  biefer  Stiftung  banfbat 
gu  wütbigen  wiffen. 

©rotiuS  bewahrte  feinen  frommen  chriftlichen  ©inn,  feine  echte 
IReligiJfität  butch  frin  gangeS  Ueben,  butch  bie  ftanbhafte  ©tbulbnng  Bon 
?eiben,  bie  ihm  in  reichfter  gülle  gugemeffen  waren.  Unb  fein  6nbe 
war  baS  eines  9RanneS,  ber  fein  8ooS  mit  Eingebung  in  ben  gättlichen 
äBiOen  ertrug.  6t  würbe,  wie  wir  oben  erwähnten,  bei  ber  IRüdfehr 
Bon  feiner  lebten  Steife  nach  ©chweben  butch  einen  hffti0*n  ©türm  an 

(63») 


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28 


bie  pommerf(^e  Äufte  üerfd^lagen.  ©eine  Sibjii^t  war  nac^  göbetf 
ju  begeben.  SBo^in  et  weiter  reifen  WoUte,  ift  unbefannt.  SBal^tfc^in* 
lief)  wu§te  ber  große  SiKann,  einer  ber  größten  feine«  Sa^r^unbert«,  felbft 
no^  ni^t,  wo  et  nac^  S3erni(f)tung  aUer  feinet  4>offnungen  fie^  begeben 
follte.  Set  2obe8gefabr  faum  entronnen,  mit  gebroe^enet  Äraft,  fu^r 
et  nac^  ^übeef,  »on  ba  nad^  fRoftoef.  SBeiter  ju  reifen  geftattete  niebt 
fein  leibenbet  3uft«nb.  ®in  Slrjt,  ben  er  berief,  erflärte,  bie  übermäßige 
Sinftrengung  ßabe  feinen  Äötpet  gef(f)wä(bt,  aber  einige  SRuße  würbe 
ißn  fräftigen  unb  wieber  ßerftellen.  SU«  er  aber  am  näd)ften  iEage 
waßmabm,  baß  ber  äuftanb  be«  Patienten  ein  bebenfli^er  geworben, 
empfaßl  et  ißm  einen  ©eiftlicben  tommen  ju  laffen,  ber  ißm  in  biefem 
ernften  Slugenblicfe  bie  Ströftungen  bet  fKeligion  bereiten  werbe.  Soßann 
Duiftorp,  ein  lutberifcber  ©eiftliißer  unb  ^rofeffor  an  ber  Unioerritöt 
JU  IKoftocf,  Bon  bem  wir  einen  Seriebt  übet  bie  Icßten  Slugenblicfe 
©root’«  befißen,  ermähnte  ©root  an  bie  Sufunft,  an  ba«  anbere  ?eben 
JU  benfen,  in  welchem  bie  ©eßeimniffe  biefe«  8eben«  bem  Sülenfdßen  Har 
werben,  et  möge  etfennen,  baß  et  ein  ©ünber  fei,  bet  allein  in  ©otte« 
SBarmßerjigteit  ^eil  unb  ©nabe  ßnben  lönne.  SJon  biefer  SSarmßerjig* 
feit  ßabe  ber  36nner  im  ©oangelium  feine  ©eeligfeit  geßofft.  Sa 
antwortete  ©rotiu«:  3(ß  bin  biefer  3äHn«-  Sarauf  ermaßnte  ißn 
IDuiftorp,  feine  Hoffnung  auf  3efum  ®ßriftum  ju  feßen.  ©rotiu«  er* 
wieherte,  er  feße  feine  .^offnung  auf  Sefum  Sßriftum.  Sann  betete 
Quiftorp  unb  fragte  ißn,  ob  er  ißn  serftänbe.  ®r  ontwortete,  bie 
SBorte  oerfteße  ieß  woßl,  aber  faum  nermag  ieß  ben  ©inn  ju  faffen. 
Unb  al«  er  bie«  rußig  gefagt  unb  ptß  mit  Slnflrengung  gefaßt  ßotte, 
ba  Berließ  ißn,  fo  fcßließt  bie  auf  un«  gefemmene  ©rjäßlung  be«  ©eift* 
ließen,  fanft  unb  leife  bie  ©eele  in  ber  ©tunbe  ber  lOiittemaeßt  be« 
21.  Slugnft  1645,  unb  feßrte  ju  bem  ewigen  Urquell  be«  8eben«  jurücf, 
bem  fte  fuß  feßön  unb  ebel  Bor  meßr  al«  62  3aßrn<  entrungen  ßatte. 

©eine  geinbe  entblöbeten  ß«ß  »itßt  ftlbfl  bem  lobten  üble  9la(ßtebe 
JU  ßalten.  @r  fei,  fagten  bie  einen,  al«  jfatßolif,  bie  anbern,  er  fei  al« 
Sltßeift  geftorben,  er  ßabe  fogar  meßrere  SBefenntniffe  abgelegt.  3a  felbft 
gewaltfame  £obe«art  würbe  ißm  naeßgefagt.  SlDem  biefem  ©erebe  braueßt 
man  nur  ba«  3cugniß  be«  ganj  unbefangenen  Duiftorp  entgegen  ju  ßalten. 
©rotiu«  ßat  al«  frommer  ®ßrift  gelebt,  unb  ift  al«  Sommer  ®ßrift 
geftorben.  Set  ©laube  an  eine  gottbauer  oßne  ®nbe  erfüttte  fein 
ganje«  Söefen.  Slbet  aueß  auf  ®rben  wirb  fein  9lame  unfterblicß  fort* 
leben,  al«  bet  eine«  bet  erßabenften  ©eifter,  eine«  ber  Seften,  ©belften 

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29 


bt«  ÜJlenfc^|en0t|djle(^te«.  ©fine  ffietft,  feine  S^oten,  feine  I>o^e  @e» 
finnung,  feine  tiefe  Steligiofität,  olle0  cereinigt  wie  wir  am  Eingänge 
ju  unferei  üirbeit  bemerften,  ju  einem  in  feinet  9t rt  einjigen,  gro§* 
artigen  ßbaracterbilbe. 

5)  erübrigt  unt  no<f>  jur  tBernoQftänbigung  biefer  ©^ilberung 
biefeS  wiffen|(f>aftli(^en  ^ero(,  ©rotiud  ben  $^i(o logen  nä^er  ind 
9tuge  3U  faffen.  SOiit  befonbeter  SBotliebe  betrieb  ®rotiuS  feit  ber 
früljeften  3ugenb  bU  in  feine  testen  Sebendtage  baS  ©tubium  ber  9((ten. 
©eine  @bitionen  bet  (Slaffifer  I}ütten  allein  genügt  feinen  f)tamen  auf 
bie  9ta4)welt  ju  bringen.  S>ai  große  ^ublifum  tennt  nur  fein  ^aupt> 
wett  über  baS  äie^t  be8  jtrieged  unb  beS  ^riebene.  Um  wie  oiel 
weniger  nimmt  man  baoon  9iotij,  bag  ®rotiud  aucf)  S)i(^ttr,  unb  jwar 
^prifer,  Spigrammatifer,  ja  felbft  93erfaffer  »on  einigen  Jragübien  ^ei. 
©ein  ©eift,  fein  ©emütg  lebt  in  allen  biefen  ©i^tungen.  9tber  fte 
allein  Ratten  |(gwerli(p  fRugmedtitel  für  il)n  abgegeben.  IDenfen  war 
für  ign,  wie  ©ftge  oon  ftd)  fagt,  probuciren.  Unb  wie  reicp  war  bie 
©ebanfenwelt  beS  augerorbentlidjen  SDlannefl! 

aSBenn  ft^cn,  wie  im  Sterte  angeführt  würbe,  bie  3«tgenoffen  @rotiu8 
ben  Jüngling  einen  juyenem  portentosi  ingenii  nannten,  fo  red^tfertigte 
er  biefe«  (Srftaunen  ftpon  burtp  feine  erfte  ppilologifcpe  9trbeit,  eine 
9tu8gabe  ber  im  füJiittelalter  fept  gefcpägten  Mortianua  Capelia,  aive 
de  nuptiis  philologiä  et  Mercurii,  einer  91rt  non  @ncpclopäbie  be8 
aSBiffenSwertpen.  Unb  biefefl  augerft  ftpwet  »erflanbli^e  SEBerf  bet  fpateren 
8atinitöt  ebirte  ®rctiu6,  al8  er  fgum  »ietjepn  Sapre  alt  geworben. 
2)ag  fein  Zepter  an  ber  Unitjerfität  8epben  ipm  biefen  ©toff  unb  biefen 
Stutor  empfeplen  fonnte,  beweift,  wa8  für  eine  f^einung  et  oon  feinem 
Slalente  unb  ebenfo  oon  feinet  ©eleprfamfeit  patte. 

(Sin  ©lief  in  ba8  1599  erftpienene  93u(p  weift  auf  bie  faft  un» 
glaublicpe  3apt  antifer  ©(ptiftfteller , welcpe  gelefen,  gtünbli(p  ftubirt 
werben  mugten,  um  ßapetla  ju  erf löten.  SDie  grögten  kennet  be8 

9Utertpum8,  ein  ©caliger  an  ber  ©pige,  ein  (Safanbonu8,  ein  SBoffiu8 
fpenbeten  bet  9(rbeit  be8  Änaben  ba8  »otlfte  9ob,  erftörten  er  pabe  ben 
gau3  »erunftalteten  (Sapetla  wieber  wie  neu  pergeftetlt. 

3nt  3«pre  1609  etftpien  fein  ?ucan  (Lucani  Pharsalia,  aive  de 
bello  civili  inter  ('aesorem  et  Pompejum  libri  X),  leoibirt  unb  mit 
fo  wettpooHen  Dloten  au8geftattet,  bag  93offiu8  ipm  ftpreiben  fonnte, 
mit  SHeipt  bürfe  @rotiu8  8ucnn  in  biefer  ©eftalt  ben  feinigen  nennen, 
inbem  er  suetft  ipn'  in  foltper  aSoflftönbigfeit  bearbeitet  pabe.  SDie  gan3e 

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30 


gelehrte  SBelt  jei  i^m  beS^alB  )u  2>anfe  oerpflic^tet.  ^Der  größte 
feiner  ^^ilologifc^en  9(rBeiten  fiel  in  baS  Sa^tje^nt  »elc^ei  et  als 
f>rit>atinann  in  ^anfteit^  jubrae^te  (1621 — 1631).  4>iet  gab  et  1622 
baS  Florilegium  Stobaei,  baS  gtie(^ij(^e  Original  mit  gegenüber 
fle^enber  lateinif^er  Ueberfe^ung  ber  poetif(^n  ©teilen  alter  2)ic^tet 
heraus.  ©tobciuS  ^atte  @;cceri)te  auS  einigen  ^unberten,  bnn^  bie  Un> 
bin  bet  3«iten  für  unS  meift  tetlorenen  2)i(^tem  eeranftaltet,  ttoburc^ 
eben  biefe  Slumenlefe  »on  fo  großem  SJert^e  ift. 

@in;  im  ©eifte  beS  Florilegiums  non  ©tobäuS,  U)ie  jur  @rgänjung 
unb  gortfe^ung  beffelben,  ebenfaU«  mit  einer  Ueberfe^ung  in  lateinifc^en 
SSerfen  auSgeftattete  flrbeit  ®root'S  erf^iien  1626  unter  bem  Xitel: 
Excerpta  ex  Tragoedüs  et  ComoediisGraecis,  tum  qua  extant,  tum  qua 
perieniut,  emandata  et  latiuis  versibus  reddita.  IDiit  feiner  Ueberfe^ung 
erfc^ienen  am^  bie  Phoenissae  beS  Suripibefl  bet  ju  feinen  gieblingSbidjtem 
gehörte.  @benfo  (1 640)  XacituS  mit  trefflid^en  Slnmerfungen  non  ®rotiuS. 
9tod;  muffen  mir  am  ©c^luffe  einer  in  i^rer  ÜIrt  einjigen  p^ilologifc^en 
Strbeit  ®root’«,  feinet  metriic^ien  Ueberfeftung  ber  grie<^if(^en  Slnt^ologie 
gebenfen.  9Bie  bie  (Sbition  beS  nRartianuS  6apeUa  fein  erfteS  äBerf  in 
biefem  ®cbiete  mar,  fo  bie  Stnt^ologie  ba«  legte.  Sefanntlicg  ift  bie 
älnt^ologie,  ju  ber  faft  300  2)i(gter  igre  Sieber,  bot  allen  i^re  (Spigramme, 
baS  9Bort  in  clafüfcgem  ©inne  beS  SBorteS  genommen,  beigeiragen  ^aben,  fo« 
mo^l  in  practifcfier  |)inric^t,  in  ^ejie^ung  auf  ©pracge,  ©itte  unb  baS  ge« 
fammte  ^eDenifcge  Seben  in  beffen  oerf(^iebeneii  ^erioben  ein  unftgägbareS 
jbleinob,  welches  unS  and;  für  ben  SSerluft  fo  oieler  lprif(ger,  namentlidt 
elegifcget  2)i(gter  einigermaßen  f^abloS  l^ält.  HuS  ben  oerf(^iebenen  alteren 
älnt^ologien  oerfaßte  ßonftantinuS^ep^alaS  ju  ßonftantinopel  im  lO.^l^r^. 
eine  umfaffenbe  ©ammlung,  bie  bet  IDidncg  ^lanubeS  im  14.  3a^r^.  in 
einem  SuSjug  brachte.  Dlac^bem  biefe  legte  ©ammlung  in  ja^lreii^en 
VluSgaben  bereits  erf(^ienen  mar,  entbedte  ©almaftuS  (Saumaise)  im 
3a^te  1606  in  ber  berühmten  Bibliotheca  Palatina  in  ^>eibelberg  eine 
aus  bem  10.  3a^t^.  ftammenbe  ^anbf^rift,  me^e  bie  ganje  2lnt^oIogie 
beS  ßonftantinuS  j^ep^alaS  entfiielt.  ©almaftuS  na^m  Sbfc^rift  non  bem 
Sobet;  ber  Palatina,  aber  feine  Slbftc^t  einet  neuen  fritifc^  SluSgabc 
!am  nic^t  ju  ©tanbe.  äßo^l  ^atte  er  feine  IBerbefferungen  unb  Sufäge 
feinem  greunbe  ®root  mitget^eilt,  ben  ein  eigener  9tei3  gu  ber  9lntl)ologie 
^injog,  beren  ©ebic^te  et  in  metrift^er  lateinift^er  Uebetfegung  bem 
gtieegift^en  Xejrte  gegenüber  fteßte.  Slber  oor  aßen  befi^üftigte  ign  nur 
ber  ©ebanfe  bie  ganje  Slnt^ologie  in  ergdnjten,  nefbefferten,  bisher  fegt 
(6«) 


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31 


corru)5ten  Ifxte  ju  üfrSffentli(^en.  3n  feinem  60.  ?eben8ja^te  ma^te  et 
ft(^  mit  fugenbli(f)ec  Segeifterung  an  biefe  utnfaffenbe,  äugerft  fcfimierige 
Slrbeit.  31bet  bei  bem  Semü^en  um  biefe  fd^on  bruÄfertig  »orliegenbe 
gtD§artige  Stiftung,  bem  ^Bedangen  nac^  immer  ^c^erer  @Ieganj  unb 
©orrect^eit,  »etftric^  bie  Seit,  unb  al«  er  fic^  bem  Siele  feinet  3Bünfc^e 
näherte,  unb  wie  in  iQoia^nung  feined  }u  frühen  @nbe8,  brängte,  über« 
tafelte  i^n  ber  Slob.  9lod^  im  Sanuat  be«  SofiteS  1645  richtete  er, 
bie  Sorge  für  bie  .Verausgabe  bem  greunbe  Sfaf  SSoffinS  empfe^Ienb, 
an  biefen  ein  Schreiben.  Schon  batte  bie  ü)ru(f(egung  begonnen,  als 
in  bemf eiben  Sabre  1645  na^  einigen  Söicnaten  ber  5Eob  feiner  Ungebulb 
ein  @nbe  machte.  S*»ar  ging  baS  äJlanufcript  beS  griechifchen  »on  @root 
reoibirten  SejrteS  in  23erluft;  aber  ®anf  einem  gütigen  ©efehiefe  würbe 
baS  Suwel  ber  ©rcot’fchen  Ueberfehung,  feine  loftbare  |)interlaffen« 
fchaft  wieber  aufgefunben,  unb  (1795)  oon  einem  SanbSmanne  ©root’S, 
bem  bemorragenben  ©elebrten  non  ben  IBofcb  in  einer  trefflichen,  im  ©eifte 
©root’S  gebuchten  unb  auSgefübrten  ©bition  bem  griechifchen  2ejcte  3ur 
Seite  publicirt.  Glicht  unerwähnt  wollen  wir  laffen,  ba§  bie  mufter« 
gültige  eon  griebrich  SacobS  bearbeitete  SCuSgabe  ter  Slntbologie,  wie 
auch  beffelben  Delectus  Epigrammatum,  nach  IBorgange  oon  ben 
IBofch  in  feiner  poetifchen  SSorrebe  baS  bleibenbe  SJerbienft  ©root’S  um 
bie  griechifche  Slnthologie  banfbar  unb  liebeootl  beroorbeben. 


(M3)  . 

0ru((  Dcn  Q$e6r.  Uiiijfr  (tb«  tn  (Berlin,  >£<bcnrbergerftT.  IT  a. 


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|ln:t|l(ilniig  btt  Prnfibrn  übtt  bit  f tbt 

unb  bie 

llrfat^en  ber  tjerfc^iebenartigcn  ^olfööcrbi^tung 
in  ben  einzelnen  ®rbt§cUen. 


Deffentli(^et  SSortrag,  gehalten  im  3onuat  1883 

Don 

Dr.  «Ul),  fiotrd) 

in  ®era. 


ßttli«  SW.,  1884. 
SSerlag  oon  (£ail  ^abel. 

(C.  ITubtTiti’idit  Btrlagsbmilllimblong.) 

33.  SBilbelm . £trai<  33. 


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2>a^  bei  Ueberfe^ung  in  ftembe  Sprachen  rotib  Doibe^alten. 


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Communi!«  torra  mater 
est  Omnium  roortaliom 
Liviug. 


ber  neueften  ©(bä^img  füllen  auf  unfetet  @tbe 
1434  9Kinionen  SRenfc^en  ujo^nen.  SCu^crotbentltc^  gro^  ftnb 
bte  SSerfc^ieben^eiten  an  ^örperbi(bung,  .^autfaibe  unb  $aar, 
©prad^c  unb  ©itte,  »eldje  uuö  in  biefer  3al)I  entgegentreten, 
unb  c8  ift  unftreitig  »on  ^obem  Sutereffe  ben  Utfacben  nadbju* 
foifcben,  tnelcbe  biefe  Qnterfdbiebe  im  8aufe  ber  3eÜen  betauS> 
gebilbet  hatten.  9bet  ntibt  minbet  ift  auch  bte  anbere  ^age 
Bon  Sebeutung,  »ie  fldb  bie  obige  3abl  Berf^icbenen 
gänbertäume  oettbeilt  unb  »eltbe  Urfatben  b*w  «ne  bitbtere, 
bott  eine  fpärltcbeTe  0eB5iferung  bnl’cn  entfteben  taffen,  eine 
gtage,  bie  fidb  mit  ber  elfteren  in  mancbeu  |)uuften  berührt, 
greift  bodb  bie  SeBöIferungSfrage  b«ite  bereits  tief  in  unfere 
inirtbf^ftliiben  unb  t>otitif(ben  Serbältniffe  ein,  fo  bab  mir 
gejtBungen  ftnb  auf  fDiittet  unb  SEBege  gu  finnen,  toie  mir  bie 
Kräfte,  meicbe  bem  SSaterlanbe  burcb  bie  bei  ber  rafcben  Sunabme 
ber  0eB5Iferung  ftcb  ftetig  fteigernbe  ^uSmanberung  notbiBenbig 
Berloren  geben  muffen,  in  nationalem  unb  n>irtbf(baftti(b«n  3u'> 
fammenbange  mit  bem  fOiutterlanbe  erhalten  unb  fo  auch  ferner« 
bin  bemfelben  nu^bar  machen  fönnen. 

Unter  biefen  Umftänben  bürfen  mir  eS  mobt  atS  eine 
Slufgabe,  bie  ber  EllJiübe  lohnt,  eradf|ten,  eineStbeilS  bie  IBer« 
tbeiliing  ber  üJlenfcben  über  bie  6rbe  feftguftetlen  unb  anbern« 
tbeilS  bie  Urfacben  ber  oerfcbiebenartigen  IBolfSBerbicbtung  in 
ben  eingelnen  ©rbtbeilen  gu  ermitteln.  2Bir  mcrben,  um  gur 


XIX.  <50. 


(«47) 


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4 


gSfung  tiefer  feineSwegß  leichten  Slufgabe  ju  gelangen,  in  bet 
SBeife  »erfahren,  ba§  »ir  junäcbft  eine  Ueberfic^t  übet  bie  @rb* 
tbeile  naä)  ihrer  abfoluten  unb  relaticen  Senölferung  geben  unb 
bann  unterfudjen,  acltheß  bie  »etfcbiebenen  Urfa^en  finb,  benen 
ein  hetnrnenbet  ober  fcrbernbcr  @infiu§  auf  bie  SeDölfcrungß» 
»erhältniffe  eineß  8anbeß  gugefthriebcn  »erben  mu^.  Stuf  biefen 
crften  allgemeinen  einge^enbe  Sefpre^ung 

ber  einzelnen  @rbtheile  folgen. 

»ir  feboch  unferer  eigentlidhen  Slufgabe  unß  gumenben 
fcnnen,  finb  einige  erläuternbe  IBemerlungen  ooraußgufchicfen, 
»eiche  h<iuptfächlici)  baß  ftatiftifche  fDlaterial  unb  beffen  SSer« 
»erthung  betreffen. 

S)ie  gefammte  93oltßgahl  eineß  ®ebieteß  bilbet  bie  abfolute 
ISeoölferung  beffelben.  6ß  ift  flar,  ba^  ein  burchauß  gucerläffigeß 
ÜRaterial  nur  burch  genaue  Sählungen  ge»onnen  »erben  fann; 
»0  bieß  nicht  ber  §aU  ift,  finb  »ir  auf  blc§e  Schälungen  an« 
ge»iefen.  SQein  bergleichen  periobifche  Sähiuugen  h^i^^ 
in  S<h»eben,  9iot»egen  unb  ben  ^bereinigten  Staaten  feit  bem 
@nbe  beß  notigen,  in  ben  eutopäifdjen  ^Iturftaaten  erft  feit 
bem  93eginn  biefeß  3ahthunbertß  ftattgefunben  unb  erftrecfen 
fich  h^uic  noch  nicht  auf  bie  ^älfte  bet  oben  genannten  S3e« 
nolferungßgahl  unferer  @rbe,  nämlich  nur  auf  626  SiiUionen 
äfienfchen,  »enn  »ir  Diuhlanb,  »o  nur  fogen.  ätenifionen  ftatt« 
finben,  mit  einre^nen  »otlen.‘)  @ß  bleibt  bemnach  no^  bie 
3ahl  non  runb  800  fDiiQionen  übrig,  »el^e  auf  bloßen  Schälungen 
beruht.  IDiefe  Schälungen  fönnen  natürlich  non  fehr  nerfchiebenem 
SBerthe  fein:  eß  giebt  Schälungen,  »ie  unß  bie  @)ef^ichte  ber 
Senölferungßftatiftif  lehrt,  *)  beten  Slefultate  nur  alß  nage  SBer» 
muthungen  gu  begeichnen  finb,  unb  »ieberum  folche,  bie  non  ber 
äBahrheit,  baß  fann  man  »ohl  behaupten,  nur  um  ein  @eringeß 
abmeichen.  3u  ben  leiteten  müffen  »ir  bie  unten  gu  er»ähnenben 
Berechnungen  non  Behm  unb  SBagner  gählen;  gu  ben  erfteren 

gehören  bie  Berfuche  ber  Statiftifer  beß  nötigen  unb  auch 

•) 


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5 


biefeS  3al)t^unbert8,  weld^e  fo  »erfuhren,  ba§  fie  3unä(^ft  ben= 
jenigen  S^cil  bet  ©tboberfläc^e  abfc^ä^tcn,  ben  fte  Überlauf t 
für  bewohnbar  hielten,  unb  biefe  glöcbe  bann  mit  bet  ©idjtig« 
leitöga^l,  bie  fie  au8  i^rer  näibflen  Umgebung  berechnet  Ratten, 
multiplicirten.  2luf  biefeSBeife  gelangten  einjtlne  ju  betunge^euren 
Summe  non  4000,  ja  bi8  ju  13  385  SQlUHonen  Sewo^nern, 
anbete  gu  au§etotbentIi(b  niebrigen  Sailen.  ?Re^men  mit  nodb 
^ingu,  bag  biefe  iBetec^nungen  gu  einet  Seit  angefteOt  mutben, 
wo  bie  wabte  au8bebnnng  bet  ganbfiäcben  uut  böi^ft  ungenfigenb 
befannt  wat,*)  fo  wetben  mit  mit  5Redbt  biefelben  al8  noQig 
wettblo8  begeic^nen  fönnen.  3lut  weit  fie  non  b'ftorifdjem 
Sntereffe  finb,  woDen  wit  b««  einige  biefet  SSetjutbe  bie  @e» 
fammtbenölfetung  bet  @tbe  gu  fcbä^en  nodb  anfübten. 

3l’aaf  33offiu8  (1685)  nahm  bie  Seoölferung  bet  6tbe 
nut  gu  500  ÜRiQionen  an.  ^Det  b«n§if<b*  Selbptebiget  @ü§» 
mitdb  fibäbte  bie  93ewobnet  bet  @tbe  auf  1000  fDMtlionen. 
Seine  im  3abte  1742  etfibienene  S^rift:  ?Die  göttli^e  Dtbnung 
in  ben  SBetdnbetungen  be8  menfibliiben  @ef^tecbt8  u.  f.  w.  wat 
epocbema^enb,  unb  feine  Sablen  b^^^^n,  wobt  gum  ^b^il  mit 
wegen  bet  bequemen  'jlbtunbung,  bie  8ebtbü(bet  butcb  einen 
Beittaum  oon  100  3abten  bebettftbt.  3m  Slnfange  unfete8 
3abib»nbett8  febtte  man  wiebet  gu  ben  niebtigen  Sablen  be8 
17.  3abtbw"*>^t8  gutütf.  Setetbnete  bo^  noch  non  0toon  in 
feinen  „Qitunbgügen  bet  6tb«,  tBölfet«  unb  Staatenfunbe"  (1840) 
bie  3abt  Sewobnet  unfetet  @tbe  auf  nut  864  ÜJlilUonen. 

@rft  feit  bet  Segtünbung  be8  geogtapbtf^en  3abtbu(b8 
(1866)  but(b  6.  ©ebm  ftebt  un8  in  ben  etften  btei  SSänben 
beffetben  ein  in  bi^b^m  @tabe  gui>etldffige8  unb  ade  Stbeile  bet 
6tbe  umfaffenbe8  ftatiftifibe8  SJlateriat  gu  ©ebote,  welibe8  in 
bet  feit  1872  non  SBebm  unb  SBagnet  gemeinfibaftliib betau8» 
gegebenen  »Senölfetung  bet  @rbe"  (3abtg.  I— VII,  @tgdngung8= 
befte  gu  $etetmann’8  dRittbcitungen)  ftetige  IBetmebtung  unb 
(grgdngung  etfabten  bat.  3ebet,  bet  einen  331i(f  in  biefe  „S3e> 

(649) 


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6 


toöKeiung  ber  @tbe"  get^an,  »iib  bie  Ueber^eugung  geictnnen, 
ba§  mir  ^iet  eine  Arbeit  »or  und  ^aben,  mo  mit  ber  t>einli^jten 
@)emiffen^aftigfeit  unb  unter  S3enn$ung  unb  Eingabe  aQer  nur 
irgenb  gugänglicben  Duellen  bad  Sa^lenmaterial  jujammenge« 
ftellt  ift. 

Ungleich  mid)tiger  unb  son  meljeitigerem  3ntere{ye  ald  bie 
abjoluten  Bohlen  ber  Serölferung  finb  bie  relativen.  äBir 
erholten  bie  relative  Sevölferung,  menn  mir  bie  Bohl  S3c» 
mohner  eined  8anbed  burch  bie  feiner  Duabratfilometer  bivibiten, 
unb  man  verfteht  bemnach  unter  ber  IBolfdbi^tigfeit  biejenige 
Bahl  ber  93emohner,  melche  auf  {eben  Duabratfilometer  entfallen 
mürbe,  menn  biefelben  gleichmäßig  über  bad  betreffenbe  ^nb 
vertheilt  mären.  IDiefe  relativen  Bah^^  fi>^^  wefentliched 
Element  ber  ©eogratJhiSr  baß  ohne  fie'  eine  annähernb  richtige 
SSorftellung  von  einem  Sanbe,  bem  ^ulturjuftanb,  ben  fojialen 
unb  t)olitif^en  IBerhältniffen  bcffelben  faum  möglich 
fie  nüßen  natürlich  nur  bei  vergleichenber  Bufammenftellung  ber 
IBolldbi^tigfeit  in  ben  verfchiebenen  Säubern.*) 

Solche  IBerglei^ungen  gmifchen  verfchiebenen  Säubern  fomie 
innerhalb  eined  einzelnen  Sanbed  führen  und  auf  michtige  Unter* 
fchiebe  ber  gefeQf^aftlichen  Buftänbe.  (Sine  gemiffe  IBolfdbidhte 
ift  nothmenbig  für  bad  SBoßl  ber  ©efetlfchaft.  @ine  über  meite 
Gebiete  gerftreute  Sevölferung  ift  nicht  im  Staube  bie  9iatur* 
fräfte  biefed  ©ebieted  gu  beherrfchen,  fonbern  muß  fich  benfelben 
untermerfen,  mie  man  ed  an  brn  9ta^fömmlingen  ber  Spanier 
in  SüDamerifa  unb  ben  canabifchen  $rangofen  h^il  fth^tt  fönnen. 
IDie  Sortfchritte  ber  .Kultur  entftehen  eben  nur  unter  einer  ver* 
bi^teten  ^evölferung  burch  eine  fortgefeßte  ^h^itung  ber  ülrbeit, 
bie  jeben  ©ingelnen  hinrinfügt  in  eine  höchft  vermicfelte,  aber 
äußerft  mirffame  ©lieberung.“) 

3Bir  mollen  hi^^  unterlaffen  auf  gemiffe  fehler,  in 
bie  man  leicht  bei  biefen  vergleichenben  ^Betrachtungen  verfallen 
fann,  aufmerffam  gu  ma^en.  3Jian  mürbe  ficher  gu  faifchen  93or* 

(«M)) 


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7 


fteHuiii^en  gelangen,  wenn  man  etroa  JJdnbergebiete  t»on  fe^r 
Det)d)iebener  @rö§e  mit  einanber  »etglei(^en  »oUte  ober 
»enn  man  bei  ^änbern,  meldje  jo^lreic^e  unb  gro^e  Sinnen» 
ge»ä[fcr  enthalten,  biefe  bei  bet  Seredtnung  ber  Solföbicbtigfeit 
nicht  in  9(b3ug  brächte.  @o  barf  man  nicht  etma  baS  unbebeutenbe 
(Gebiet  bet  Stabt  ^>amburg  (410  qkm),  weldheö  453  869  Se* 
wohnet,  alfo  eine  IDichte  oon  1115  h®*-  Sänbetn  wie 
©adifen,  welches  198,  ober  Selgien,  welches  188  Sewohner  auf 
1 qkm  hat,  in  Setgleich  ftellen.  (Sinjelne  gtofee  Stabte  lönnen 
einem  @5ebiete  eine  oiel  grä|ete  SeoölferungSbichtigfeit  verleihen^ 
olS  baffclbe  in  bet  Sthat  befi^t.  2)ie  Umgebungen  »on  Setlin, 
München,  ^abtib  u.  a.  ftnb  Deihältni§mä§ig  fchwach  beoolfect, 
würben  abet  mit  {)injutechnung  bet  @inwohnetjahl  btefet  Stabte 
als  jiemlich  bicht  bewölfett  erfdieinen.  So  h«t,  um  nur  noch 
ein  Seifpiel  an^ufühten,  bet  IRegietungSbejitf  ^otSbam  ratt 
Setlin  110,  ohne  Setlin  nur  56  Sewohner  ouf  1 qkm.  @8 
geht  batauS  hetoot,  ba§  bie  groben  Stäbte,  beten  SeoblterungS« 
jahl  baS  |)tobuft  eines  ganjen  8anbeS',  ja  oieUeicht  eines  ganzen 
@tbtheil8  ift,  bei  biefen  IDur^fchnittSberechnungen  am  beften 
ganj  'in  Sbgug  ju  bringen  finb,  wenn  auch  i^gegeben  werben 
mu§,  bab  bann  bet  wahre  Slurchfchnitt  immer  noch  nicht  ootl» 
fommen  genau  beftimmt  ift.  @benfo  mub  man  aber  auch 
Sänbetn  wie  bem  feenreichen  ^innlanb,  beffen  Seen  jufammen 
einen  Flächeninhalt  oon  bet  @röbe  bet  Schweij  (41  670  qkm),*) 
alfo  mehr  als  V9  ®efammtareal8  haben,  bie  Fläche  biefet 
Sinnengewäffer  abjiehen,  ba  fonft  bie  SolfSbichtigfeit  geringer 
etf^einen  wirb,  als  fie  in  SBirflichfeit  ift. 

3n  ben  Sereich  biefet  Setrachtungen  gehört  au^  noch  bie 
tartographifchb  S)atfteQung  ber  SeoöKerungSbichtigteit. 
9lach  iSnalogie  bet  Semperaturfarten,  {Regenfarten,  ber  ethno» 
graphifchen  unb  anbetet  ftatiftifcher  harten  finb  auch  jahlteiche 
Setfuche  gemacht  worben  beoöiterungSftatiftifche  J^arten  h^^jn« 
ftellen,  oon  benen  wohl  bie  meiften  bie  »erfchiebene  Stärfe  bet 

(6M 


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8 


©eöolferung  but(!^  Bctjd»icbene  Satbentöne  auSbtüden.  35et 
einfacbfte  unb  bequemfte  9Bej,  ben  man  habet  einftblagen  fann, 
ift  jebenfatlS  bet,  ba§  man  bie -©eDÖlferunfläbidbte  möglidjft 
Meiner  ©ejitfe,  aifo  j.  ©.  für  2)eutfd)Ianb  bet  Ätctfe  berechnet 
unb  bann  bie(elben  nad;  einet  beftimmten  @ca(a  coloritt.^)  0a 
aber  felbft  innerhalb  io  fleinet  Serwaltungöbejitfe  mie  bet 
pteu|ii(hen  ^eife,  melche  burcbichnittlic^  eine  ®töhe  non  800  qkm 
haben,  immer  noch  eine  gto§e  ©erfchiebenheit  in  bet  ©ertheilung 
bet  ©emohnet  nothanben  fein  fann,  fo  mürbe  eine  folche  Äarte, 
metche  bie  politijchen  Qkenjen  auch  alS  @tenjen  für  bie  färben« 
töne  anmenbet,  im  @runbe  nicht  niel  mehr  gemühtm  al8  eine 
0ichtigfeitötabeOe;  ein  nollftänbig  mahted  ©ilb  bet  ©olfSnet* 
theilung  gu  geben  mürbe  fte  nicht  im  Stanbe  fein,  ^an  muh 
bähet  eingeftehen,  bah  relatinen  ©enölfetungögahlen  ober 
bie  mittlere  ©olföbichte  eineö  8anbe8  unb  beten  fattogtahhif<hc 
SSiebergabe  gum  nollen  ©erftänbnih  bet  natürlichen  ©ebingungen 
bet  ©enöllerutigdnethältniffe  noch  nid)t  auöteichen.  Um  bahin 
gu  gelangen,  hoben  bie  ^etauögebet  bet  „©enolfetung  bet  @tbe" 
auf  ben  beiben  bem  2.  3<>htgange  beigegebenen  hatten  gum 
erften  Zitate  eine  netmicfeltere  uqb  fchmietigere  ilRethobe  ein« 
gefchlagen.  0aö  habet  in  iSnmenbung  gebrachte  ©erfahren  foU 
hier  mit  ein  t>oat  SB  orten  erlöntett  metben.*)  3unächft  hot 
man  bie  eingelnen  Bünbet  in  möglichft  fleine  ©egitfe  gu  theiien 
unb  für  biefelben  bie  ©enölferungöbidjte  gn  berechnen.  0ann 
m erben  biefe  ©egitfe  mit  ihren  0id}tigfeitSgahlen  auf  topo« 
gtophifche  iforten  eingetragen  unb  nun  erft  mit  IRücfficht  auf 
bie  gröbere  ober  geringere  ^)äufigfeit  her  Ortfchoften,  mie  fte 
nur  auf  topographifthen  Jfarten  erft^tlich  ift,  bie  eingelnen 
0ichtigfeitögebiete  burch  jtumen  non  einanber  getrennt  unb  in 
bie  gmifdben  biefen  liegenben  3onen  bie  färben  eingetragen. 
Um  un8  einen  ©egriff  banon  gu  machen,  meldhe  fDfühe  eö  et« 
forbert  bie  non  ben  Herausgebern  bet  M^bbölferung  her  Stbe" 
gefertigten  jfarten  hergufteQen,  genüge  eS  batauf  hingumeifen, 
(«») 


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9 


ba§  biefen  .harten  etwa  3600  ‘Dic^ti^feiteberet^nuni^en  ju  ®runbe 
liegen,  »on  benen  2500  auf  ©utopa,  464  auf  Elften,  157  auf 
Sluftralien  unb  ^olpnerten,  175  auf  Slftifa  unb  305  auf  Ülmerifa 
cntfaQen. 

9lut  mit  ^lilfe  einet  foldien  Äatte,  wie  fie  eben  beftbtieben 
wutbe,  b.  b-  burd^  iOergleic^en  betfelben  mit  ben  entfpied^enben 
p^pftfalifdjen  unb  ftatiftifcben  ,^atten  beffelben  ©ebietefi  fann 
man  bie  Uifad^en  ber  nerf(^iebenattigen  tBert^eilung  ber  SJtenfcben 
übet  bie  ©ibe  etfennen,  ba  aQein  biefe  mit  bem  iSufgeben  bei 
politifc^en  Segtenjungen  ben  natürlichen  33erhältniffen  toll* 
fommen  diechnung  tragen. 


Die  (Erbtl^eile  nad?  iijrer  abfoluten  unb  relatioen 
öeDöIferung  unb  bie  Urfaci?en  ber  oerfd^iebenen 
öeoölferungsbid^tigfeit  im  Allgemeinen. 

ÜIudgang8pun!t  für  unfere  weiteren  Betrachtungen  fteOen 
wir  eine  tabeÜarifche  Ueberpcht  über  bie  S3eo5lferung8oerhältnif|e 
ber  einzelnen  ©rbtheile,  nach  beten  BoIfSbichte  georbnet,  voran. 

Die  1434  ÜRillioneu  fOtenf^en  vertheiien  fi^  nach  ben 
neueften  ©ered^nungen  („©evölferung  ber  ©rbe“  "VII)  wie  folgt: 


qkm 

t.  p6t. 

Seroobner 

l.  p(5t. 

äleio.auf 
1 qkm 

SuTopa . . . 

9 780  576 

7 

327  743  400 

22,8 

34 

Slfien  .... 

44  580  860 

33 

795691000 

56,6 

18 

«ftifa  . . . 

29823  253 

22 

205  823  260 

14,4 

7 

Stmerifa.  . . 

38473  138 

28 

100  416  400 

7 

2,6 

luftratien  u. 
$olpnefien . 

8 952  855 

6,6 

4282000 

0.3 

0,6 

^olatgebiete . 

4478  200 

3,4 

82  600 

— 

— 

136  088  872 

1 433  887  600 

10,5 

(CU) 

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10 


©c^on  bet  einet  obetfiäd^Ii^en  SSergleidjung  mufe  bet  9to|e 
@e»3enfa^  jaifc^en  bet  alten  unb  neuen  SBelt  fofott  in  bie  Slugen 
fallen.  äSoKen  wir  aber  biefen  ©e^enfa^  gwtft^en  bet  alten 
unb  neuen  SBelt  noch  beutlic^ei  gum  SluSbrucf  bringen  unb  gu 
btefem  3we^e  »on  ISfrifa,  beffen  SSenölferung  un8  am  »enigften 
ficket  non  allen  Srbt^eilen  betannt  ift,®)  abfe^en,  fo  »erben 
»ir  ftnben,  ba§  in  ben  beiben  alten  ^ulturfi^en  (Suropa  unb 
Slfien,  »et^e  gufammen  40  p(St.  ber  gelammten  Bänbermaffe 
unferer  6rbe  umfaffen,  runb  80  p6t.  aDet  fOlenfcben  »o^nen, 
»äbrenb  wenig  me^r  alö  7 p6t.  auf  bem  faft  gleid)  großen 
areale  leben,  wcldbeö  amerifa,  aujtralien  unb  bie  ^olargebiete 
gufammen  bilben.  SBenn  nun  auch  ein  wefentlicber  antbeil  an 
bie|er  }o  äufeerft  geringen  33enölterung  ber  neuen  SBelt  ber 
nod)  jungen  Äulturentwicfelung  biefer  Bänber  gugeftbrieben  werben 
mub,  fo  b^i^^n  boeb  autb,  wie  wir  bei  ber  33efprecbung  ber 
eingelnen  @rbtbeile  feben  werben,  gum  nicht  geringen  S^bcile 
geograpbil^e  Urfadben  babei  einen  bebeutenben  @influg  auSgeübt. 

@eben  wir  nun  non  ber  abfoluten  S3eoölferung8gabl  über 
gut  relatioen  unb  betrachten  wir  bie  burcbfcbnittlicbe  Sleoolferung 
bet  eingelnen  6rbtbeile.  auch  bi*'  afrifa  mit  feinem 
IDutcbfcbnitt  t>on  7 33ewobnem  auf  1 qkm  wiebet  in  ber  SKitte 
gwifeben  ben  bidjtbeoölferten  unb  fcbwacbbeoölferten  Bänber« 
räumen  ber  @rbe.  amerifa  unb  Sluftralien  finb  weit  unter  bem 
IDurcbf^uitt  (10,6  auf  1 qkm)  beoöltert:  erfterefl  b“i  Vi. 
Unteres  faum  Vss  beffelben.  iDagegen  b“i  ‘-SR*”  wü  «n« 
IDiebte  oon  18  faft  baS  IDoppelte  unb  Europa  mit  34  mehr  al0 
ben  breifa^en  3)urcbf^nitt  aufguweifen, 

@rgiebt  ficb  nun  febon  au8  biefen  allgemeinen  anbeutungen, 
ba§  bie  33ertbeilung  ber  SJienfcben  über  bie  6rbe  eine  au§er» 
orbentlicb  ungleicbmä§ige  ift,  fo  tritt  bieS  noch  mehr  b*'V<’'i 
fobalb  mir  mehr  inS  eingelne  eingeben. 

SBäbrenb  g.  ba8  j^önigteicb  ©adbfen  mit  einem  flächen« 
inbalte  oon  ungefähr  15  000  qkm  faft  3 fWillionen  Sewobner 

(6M) 


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11 


ernö^rt  (1880),  »o^nen  auf  bem  500  mal  fltö§cren  geftlanbe 
»DU  Sluftratien  nit^t  gauj  2}  fDlillionen  (1881).  ©tbitien  ift 
an  ^(ädbeninbalt  um  2^  fUlill.  qkm  gTÖ§er  atd  @uroi>a,  bat  aber 
nach  bet  Setecfcnung  für  1879  etma  3 911200  ßtnujcbnet, 
ujöbrenb  bie  eine  ©tabt  8onbon  im  Sab'^e  1881  bereits  3 814  571, 
mit  ben  IBoiftäbten  fogat  über  4^  fDtiD.  ©eelen  gäblte. 

Sßenn  nun  unfere  eigentliche  Slufgabe  barin  befteben  foQ 
bei  ben  eingelnen  ijänbergebieten  bie  Serfcbiebenbeit  in  ben 
SeublferungScerbältniffen  auf  ihre  Urfacben  jurudjufübren,  fo 
mub  eS  uns  meiter  junäcbft  barauf  anlommen,  ba§  wir  im 
gemeinen  feftftellen,  welches  bie  uerfchiebenen  Urfachen  finb,  bie 
auf  bie  IDichte  ber  Seuölferung  überhaupt  einwirfen  fönnen, 
unb  in  welchem  fD2a§e  ihnen  ein  folcher  (Sinfluh  gugefchrieben 
werben  barf.»'’)  3u  biefem  3»ecfe  ift  eS  nötbig,  wie  oben  an* 
gebeutet  würbe,  bie  .^arte  ber  0eDÖlferungSbichtigfeit  mit  ben 
betreffenben  DrcjbpbrograpbifchenÄarten,  Jemperaturfarten,  0legen» 
farten  u.  f.  w.  gu  Dergleichen. 

3)ie  ©onnenwärme  ift  bie  erfte  ©runbbebingung  beS 
menfchlichen  wie  aHeS  organifcben  ^afeinS.  IDurch  bie  9lb* 
nähme  ber  Särme  fowobl  nach  ben  ^olen  gu  als  auch  >nit 
ber  .^öbe  über  bem  fDleereSfpiegel  wirb  ebenfo  ber  IBetbreitung 
ber  $flangen  unb  Sbiere  wie  bem  HJlenfcben,  ber  fa  an  biefe 
gebunben  ift,  eine  03renge  gefegt.  ®egen  ben  fRorbpol  bin  fann 
man  wohl  ben  71.  @rab  als  bie  @renge  beS  URenf^engefcblechtS 
anfeben ; benn  nur  an  wenigen  ©teilen  wirb  berfelbe  »on  fcften 
Slnfiebelungen  überfchtitten , wie  an  ber  SBeftfüfte  ©rönlonbS, 
welche  fogar  bis  gum  78.  @rab  bewohnt  ift,  in  fRorbfibirien  unb 
auf  einigen  3nfeln  beS  norbametifanifchen  Archipels.  Slber  waS 
für  ein  geben  ift  baS!  SllS  geopolb  »on  Such,  fo  ergSblt 
D.  ^efchel  in  feiner  Sölferfunbe,  im  arftifchen  IRorwegen  reifte, 
übergeugte  er  fich,  ba§  bie  menfchliche  @efeQfchaft  »on  ben 
bortigen  Sewobnern  feine  geiftige  Sereicherung  bcanfpruchen 
bürfe,  benn  bie  »olle  jfraft  beS  0[Renf(hen  werbe  gänglich  auf* 


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12 


geje^rt  bur^  bcn  ^ampf  mit  einer  ftrengen  SRatnr  um  bie 
fümmerlic^e  91ot^burft  beS  8eben8.  9lut  baS  ec^te  |)olatüo(f 
bet  @8fimo0  Ijat  bie  fc^wierige  Aufgabe  gelöft  ben  ^o^en  9lorben 
unletet  @tbe  bauernb  beoölfetn,  bteje  ©egenben,  „wo  Jag 
unb  SRadjt  übet  bie  IDauet  non  3al)re3jeiten  fl(^  erftterfen,  roo 
ein  neunmonatli(^er  SBintet  baS  8anb  uerfteinett,  wo  fein  33aum 
me^t  tcäcbft,  ja  mo  nic^t  fo  siel  .ipolj  angeje^wemmt  wirb,  um 
nur  al0  ©c^aft  gu  einem  ©peet  ju  bienen.* 

©egen  ben  ©übpol  liegt  bie  ©ten3e  bed  3Renj(^engej^Ie(^t0 
nod)  in  weit  niebtigeten  ©reiten.  9iitgenb8  etieit^en  Ijiet  bie 
^enfe^en  ben  60.  ©tab,  fie  weichen  fogar  bi0  jum  40.  unb  30. 
jutüdf.  ^2u§et  bet  geringen  f üblichen  ©tftteefung  bet  ©rbtbeile 
unb  bem  ÜRangel  an  3nfe(n  in  ben  {üblichen  SReeten  ifl  hieran, 
»ie  unfl  ein  ©lief  auf  bie  Sfot^etmenforte  3eigt,  nod|  bie  faltete 
Jemperatut  bet  füblicben  .^albfugel  f^nlb;  man  oetgleic^e  nur 
bie  Sage  bet  ^fot^ermen  non  10°  auf  beiben  .^älften.  S)ie 
fd^inimmenben  ©iSmaffen  be0  antarfti{(^en  D3ean0  fotnmen  bem 
Sequator  um  10  ©reitengrabe  näl|et  a(0  jene  be0  nörblicben 
^olatmeereS:  man  ^at  fie  febon  auf  bet  ^öbe  bet  ^apftabt 
beobachtet. 

Slueb  bie  in  nettifaler  IRi^tung  abnebmenbe  SBärme  fe^t 
bet  ©erbreitung  bet  ^ienfeben  unb  ibiet  S)i^tigfeit  beftimmte 
©ren3en  butcb  ba0  Sufbören  bet  ©egetation,  ba0  nach  öitlicben 
©etbültniffen  natürlid)  in  netfebiebenet  ^öbe  ftattfinbet.* ') 
©ine  bi’bc  Jempetatut  febt  nur  bet  ©erbreitung  bet  net> 
febiebenen  Staffen,  ni<bt  aber  bet  ©etbiebtung  bet  ©enölfetung 
getabe3u  ^inbetniffe  entgegen.  3n  ©utopa  befinbet  ficb  bie 
biebtefte  ©enölfetung  3tnij<ben  bem  40.  unb  60.  parallel  ober 
3»ij(ben  ben  3abre0ifotbetmen  non  5 unb  15°  ©.,  in  9totb« 
amerifa  3»ij(ben  bem  30.  unb  50.  parallel  (10 — 20°  ©.),  in 
©bina  gwij^en  bem  20.  unb  40.  parallel  (15 — 25°  ©.),  in 
Snbien  3inifiben  bem  10.  unb  25.  Parade!  ober  ben  3fotbetmen 
non  25° — 30°©.  IBit  feben  alfo,  ba§  e§  auch  ln  bet  Jtopen» 
(««) 


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13 


jene  8anbf(^aften  giebt,  n>el(^e  ju  ben  am  bic^teften  beDölferten 
geböten. 

SBir  fommen  weiter  ju  bem  ßiufluffe,  weltben  bie  geudjlig» 
feit  auf  bie  iDic^tigfeit  bei  Seoölfeiung  ^at,  unb  ^aben  ed 
^iet  mit  bet  SSert^eilung  bet  ffliebetfcblöge,  mit  ben  @in. 
wirfungen  be8  SDieeteö  unb  bet  Slüffe  ju  t^un. 

Sietgleidben  wir  bie  fRegenfatte  cineä  einjelnen  Sanbeö, 
alfo  beijpieUweife  iDeutfc^lanbd,  mit  bet  j^atte  bet  SeuölfetungS* 
bid^tigfeit  beffelben,  fo  finben  wir  butdbauS  feine  Uebetein» 
ftimmung  gwije^en  beiben:  niigenbg  tritt  ba  bie  ^jlbbängigfeit 
bet  S3e»ölferung8bid)te  uon  bet  größeren  ober  geringeren  {Regen* 
menge  ^etuot.  (Sine  foI(^e  Uebeteinftimmung  ift  aud^  fc^on 
bed^alb  nic^t  möglicb,  njeil  bie  mit  reichlicheren  {Rieberfchlägen 
Dctjehenen  ©ebirge  eine  geringere  Seoölferung  geigen  als  bie 
weniger  ^euchtigfeit  eihaltenben  ©benen.  {Rur  oollftänbiger 
{Regenmangel  ober  grofee  {Regenarmuth  machen  h»ct  «ft  ih«n 
(Sinflu^  geltenb.  2)aher  lä^t  ein  {ßetgleich  bet  ißenölferungS* 
bichtigfeitefarte  bei  gangen  (Srbe  mit  einer  ^arte  über  bie 
{ßertheilung  bet  9iieberfchläge  (Stielerö  ^>anbatla0,  Slatt  6) 
unjdhwei  eifennen,  ba§  bie  Uifachc  bet  au^erorbentlich  bünnen 
S)eDÖlferung  beS  grogen  afrifanifch*afiatifchen  SBüftengürtelS  nur 
bet  {IRangel  an  {Rieberfchlägen  ift.  0ei  e8  nun,  ba§  bem  3nnent 
bie  Seu^tigfeit  burch  bie  {Ranbgebirge  entgegen  wirb,  wie  in 
iSuftralien  ober  {Rorbamerita;  ober  ba^  ein  antarftifcher  {fReered* 
ftrom,  wie  in  ©übamerifa  unb  ©übafrifa,  bie  in«  8anb  giehenbe 
iJuft  troefnet,  überaQ  haben  bie  tegenarmen  SBüftengebiete  feine 
ober  nur  eine  feht  fpätli^e  Seoölferung.  9ln  unb  für  [ich  ift 
bet  Soben  anbaufähig,  tuie  barau8  hcroorgeht,  ba^  überall  ba, 
wo  burch  Quellen  ihm  bie  nöthige  geuchtigfeit  gugeführt  wirb, 
menfehliche  SInfieblungen  gu  finben  finb.  Streicht  hoch  bie  S3e* 
Dollerung  an  eingelnen  ©teilen  in  bei  ©ahara  fogar  eine  IDichte 
non  20  auf  1 qkm. 

Sludh  bafi  {IReer  inufe,  unb  gwar  fchon  beöwegen,  weil  e8 

(6J7) 


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14 


ben  83etfel)r  begünftigt,  gu  benjemgen  (hafteten  gcredbnet  werben, 
welche  eine  größere  ÜJlenfc^enga^l  anjujiel)en  ijflegcn.  mit 
Unrecht  würbe  ed  ba^er  non  ben  alten  ^eQenen  ald  bte  .^eilige 
©aIgflutV'  »ere^rt,  auö  ber  ©ßtter,  @rbe  unb  SDRenfc^en  Ißereor« 
geftiegen  fein  foDten.  SBenn  wir  Don  ben  Sewo^nern  beS 
^o^en  9lorben8,  benen  bafl  föieer  bie  SRutter  unb  ©r^alterin 
befl  gebenö  ift,  weil  c8  für  fte  ben  größten  2ßeil  beö  3oßre8 
bie  alleinige  92a^rung8queQe  bilbet,  ßiet  abfeßen,  fo  finben  wir 
überall  an  ben  3Reere6füften  eine  biente  SSenöIIerung,  außer  wo  etwa 
ungünftige  Serßdltniffe  be8  Jflimafl  unb  ber  33obenbef(^affen^eit 
bieS  nerßinbem.  infolge  be8  SufamntenwirfenS  nerfc^iebener 
f^aftoren  wirb  aber  ber  @inblicf  in  ben  Sufammen^ang  gwif(ben 
SRatur  unb  Scnölferung  feßr  erfc^wert,  fo  boß  eö  nidßt  möglich 
ift  bie  nerfebiebenen  natürlichen  Sebingungen  htnftcblli^l 
@influffe8  auf  bie  lOolfönerbiebtung  f^arf  gegen  einanber  ab* 
gugrengen. 

@rfennbarer  al8  ber  ©influß  beS  SReereö  ift  ber,  welchen 
bie  Slüffe  auf  bie  Slnfammlung  ber  SRenftben  b“ben-  ©cb^n 
bafl  ftetS  fi^  emeuernbe  23ebürfniß  ber  fRabrung  treibt  flRenfcben 
unb  £b'^^  3^  Ufern.  3)em  Stepben*  unb  SBüftenbew  ebner 
ermöglicben  fte  allein  ben  ISderbau.  3b^^c  böcbfte  SBebeutung 
liegt  aber  barin,  baß  fte  bureb  Slblagerung  fruebibarer  ©rbe  an 
ihren  fRänbent  eine  bi^te  aderbauenbe  Senölferung  gu  serfammeln 
im  ©taube  finb.  ©ie  finb  bemnacb  al8  bie  wahren  $ul8abem 
beS  gefeQf^aftli^en  8eben8  gu  begeiebnen.  9ln  ihnen  liegen  bie 
SBiegen  ber  ©taaten;  fie  finb  bie  SBurgeln  ber  großen  ©tobte. 
5)od)  gehört  erft  ein  gewiffer  @rab  non  Äultur  bagu,  um  biefe 
äSortbeile  auögunußen.  S)ie  IBewobner  ber  neuen  SBelt  waren 
noch  nicht  bi8  gu  biefem  @rabe  gelangt,  baßer  finb  bie  großen 
©tröme  9merifa8  für  fie  oßne  Sebeutung  geblieben  unb  geigen 
noch  feßt  eine  fpörlicße  93eoölferung.  @ang  anberö  in  ber  alten 
SBelt!  .^)ier  haben  ficb  in  bem  ©djwemmlanbe  ber  großen  ©tröme 
bie  ungeheuren  Setjölferungßcentren  gebilbet,  beren  SSefteßen 

C6&8) 


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15 


berettä  nac^  3ai^rtau)'enben  ®angee  unb  IBramaputra,  bte 

^ineftfdien  ©törne,  unb  iH^ein  ernähren  an  ihren  Ufern 
eine  Seoölferung  bie  gu  ben  bichteften  auf  bet  @tbe  gel)6rt. 
fRirgenbg  aber  jei^t  [ich  bieö  in  großartigerer  Seife  aU  beim 
9HI,  bejfen  lanbbilbenbe  Äraft  — noxafids  tQyttrixns  nennt 
ihn  .^erobot  — bad  fchmale,  faum  4 ©tunben  breite  Sh<>l  ju 
einem  hcdhft  fruchtbaren  fDiarfchlanbe  umgeftaltet  hat,  auf  »elchem 
eine  ber  grSßten  S)ichtig(eit  europäifcher  ^ulturftaaten  gleich« 
tommenbe  Seoölferung  ermachfen  ift,  wahrenb  3U  beiben  ©eiten 
biefe6  fchmalen  @ürtel8  faft  menfchenleere  Süfte  fich  befinbet. 

Um  bie  oerfchiebene  äSertheilung  ber  ^enölterung  gu  er« 
flöten,  i^  ea  ferner  nöthig  bie  orogtaph»fche  ©eftaltung 
eines  SanbeS  3U  berücffichtigen.  3ebe  häh^c  IBobenerhebung 
ift  ber  IBolfSoerbichtung  hinbetlich,  vor  allem  natürlich  bie 
^lateaur  unb  .pochgebirge.  IBei  biefen  finb  eS  bie  flimatifchen 
Serhöltniffe,  melche  unmittelbar  Vegetation  unb  2:hierteben, 
mittelbar  ben  ORenfchen  beeinfluffen.  3n  bet  Siegel  merben 
baher  bie  Slieflönbet  unb  ÜJiittelgebirge  eine  bebeutenb  größere 
VeoölferungSbichtigfeit  geigen  alS  bie  |)ochebenen  unb  .poch« 
gebitge.  S)och  finben  fich  auch  oereingelte  ^jluSnahmen.  ©0 
finb  bie  ISnben  weit  ftörfer  bewohnt  alS  baS  fübamerifanifche 
Salb«  unb  ^ulturlanb,  ebenfo  baS  Plateau  oon  SOierifo  im 
Vergleich  gu  ben  ^ftengegenben.  3n  ber  neuen  Seit  haben 
jeboch  abfonbetliche  Verhöltniffe  bie  Jfultur  nach  po^ebenen 
gegogen.’*)  ISußerbem  ift  aber  wohl  gu  beachten,  baß  bie 
VolfSbichtigfeit  ber  podhgebirge  nnb  pochplateaur  immer  gu 
meffen  ift  mit  berjenigen  gu  ihren  Süßen.  Unter  einanber  Der« 
gli^en  geigen  biefelben  immer  noch  fehr  oerfchiebene  @rabe  ber 
IDidhtigfeit.  ©0  erfcheiucn  bie  SUpen  mit  einer  ©ichtigteit  oon 
15  — 20  Vewohnern  auf  1 qkm  ni^t  blo8  bem  fchottifchen  ober 
tibetanifchen  pochlanbe  gegenüber  alS  bicht  beoölfert,  fonbern 
würben  auch  in  ‘Huftratien,  3lmetifa  unb  ‘Ufrifa  noch  gu  beu 
beftbeoölferten  ©ebieten  gehören. 


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16 


3Bo  entließ  gu  ben  günftigen  fUmatifd^en  S3er^ä(tniffen  noc& 
bie  ^robultibitdt  bc8  Sobenö  ^ingutritt,  ba  aerben  toir 
aud)  eine  biente  S8eȧlferung  antreffen.  5n  erflet  ^inie  fomtnen 
^tet  bie  terttären  unb  bilueialen  Slblagerungen,  alS  3^er> 
unb  Äulturlanb  in  SJetrac^t.**)  ©o  liefern  bie  bilunialen  Slb» 
lagerungen  ber  uorbbeutfeben  9iiebetung,  fomeit  fie  8ö§  enthalten, 
frudbibaren  Seferboben,  ber  eine  gto^e  IBerbicbtung  bei  $e« 
Bölferung  geftattet;  al8  ©anb»  ober  Äie8boben  bagegen  finb  fie 
bem  Snbau  unb  einer  biebteren  IBeoölterung  bin^erlicb. 

3ur  größten  Sidbtigfeit  erbebt  fitb  aber  bie  Seoölferung, 
wenn'  ber  33oben  nu^bare  3Jtineralien , oor  allem  ^oble  unb 
@ifen,  entbölt,  fo  ba|  ficb  bie  Snbuftrie  entmicfeln  fann.  Sem 
IBorbanbenfetn  ber  ^oble  oerbanfen  oor  aQem  bie  großartigen 
englif(ben  Snbuftriebegirfe,  ebenfo  bie  rbeinifeben  unb  belgifcßen 
ihren  mädbtigen  Sluffebwung.  künftige  natürliche  93e« 
bingungen  für  ÜldFerbau  unb  Snbuftrie,  oerbunben  mit 
günftigen  flimatifeben  33 erbältniffen,  ba8  finb  bie 
.^auptfaftoren , welche  bie  biebtefte  IBeooIferung 
ergeugen. 

Sie8  wären  bie  geograpbU^b^i^  Urfacben,  welche  auf 
bie  Berfdbiebene  Siebtigfeit  ber  SeBolletung  ihren  ®influß  au8* 
üben;  boeb  laffen  ficb  bureb  biefe  allein  bie  IBerfcbiebenbeiien  in 
ber  33eBolferung8bicbte  noch  nicht  aOe  erllären.  3Bo  nämlich 
unter  gleichen  geograpbif^en  33ebingungen  bennoeb  eine  Ber« 
fdbiebene  S3olf8bicbtigfeit  ftdb  geigt,  ba  müffen  immer  biftoiifcbe 
33oigänge  bebeutenber  3lrt  ober  @igentbümlicbfeiten 
be8  S3olle8  ihren  @influß  gur  Geltung  gebracht  h^ben.  3118 
S3elege  bafür  lann  man  in  ©uropa  bie  Sürfei  unb  ©t?anien 
anfehen,  bie  troß  ihrer  ^obuftion8fähigfeit  weit  geringer  be« 
Bölfert  finb  al8  anbere  europäifebe  i^änber,  welche  Bon  ber  9latur 
weit  weniger  reich  au8geftattet  würben,  ©panien  foH  gur 
türabergeit  über  25  SRillionen  ÜJtenfcben  ernährt  haben,  wdhrenb 

e8  jeßt  nur  16  9KtHionen  gählt.'^^)  9Kan  nimmt  an,  baß  an 
(6«0) 


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17 


biefet  ©ntvölterung  Spaniens  neben  ben  jerrfitteten  Politiken 
Sßer^ältniffen  bie  (Sntbednng  SlmerifaS  »efentlicben  Slnt^eil 
habe,  benn  untet  ^ail  I.  foQ  bie  Senblterung  beS  SanbeS  auf 
10  ORiQionen,  untet  Äarl  II.  (SDMtte  beS  17.  Sa^r^nnbertS)  fogat 
ouf  6 SRiflionen  jufaramengefd^moljen  fein.  > ®)  Sluf  bet  SBalfan» 
^albinfel  ttagen,  wie  in  Spanien,  bie  traurigen  politifc^en  S3er» 
^ältniffe  bie  St^ulb  an  bet  »er^altni§mäfeig  geringen  Senölferung 
berfelben.  SlnbererfeitS  geigen  unö  bie  SSeBölferungSnet^ältniffe 
in  bet  neuen  2Selt,  ba§  nur  bet  Äulturguftanb,  nic^t  aber 
bie  Statut  bem  ütnaacbfen  bet  SBeBÖlfetung  fitb  entgegen  [teilte. 
iDenn  berfelbe  33oben,  bet  je^t  untet  ben  .^änben  bet  (äutopäet 
fo  ttcfflicbe  6rnten  liefert,  bafe  et  ben  SBeltmatft  mit  Oietreibe 
Beriotgt,  mar  Boi  bet  @inwanbetung  bet  @utopSer  nur  Bon 
f^macben  Snbianerftämmen  bewohnt,  bie  in  beftdnbigen  gebbea 
unteteinanbet  fi^  auftieben. 


Die  Dertf^eilung  ber  ZTTcnfcben  innerhalb  her 
ein3elnen  €rbttjeile. 

Sluf  bieje  aDgemeine  Uebetfiebt  laffen  wir  nun  eine  ein» 
gebenbe  SSefpte(bung  bet  eingelnen  @rbtbeile  folgen,  um  fowobl 
bie  Betfcbiebene  ißettbeilung  bet  S3eBÖlferung  innetbalb  berfelben 
als  auch  bie  Utfacben,  butcb  welche  jene  bebingt  ift,  fennen 
gu  lernen. 

SBit  bereits  bct»‘’^9c^eben,  ba^  bie  beiben  gule^t 

entbeeften  ©tbtbeile,  Sluftralien  unb  Slmetifa,  welche  als  SnfeU 
©tbtbeile  ben  brei  unteteinanbet  gufammenbdngenben  föutopa, 
SIfien,  aftifa  gegenüber  fteben,  in  ihren  SeoölferungSBerbältniffen 
manches  ©emeinfame  h“ben.  Sie  finb  bie  am  fcbwädjften  be» 
Bolferten  untet  aOen  unb  fenngeiebnen  ficb  weitet  babutdb,  ba§ 
fie  ihre  febige  Senölletung  grö^tentbeilS  butcb  (finwanbetung 
aus  bet  alten  SBelt  erhalten  \iahen.  Sluf  bem  geftlanbe  Bon 

XIX.  450.  2 C««l) 


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18 


Sluftralien  befielt  faft  bte  gefammte  95eȧlferunfl,  in  Slinerifa 
me^t  al8  bte  ^älfte  au8  eingewonberteu  ©uropäern.’ 

2)te  ©inuo^nerja^l  bei  auftialifd^en  Kolonien,  toelt^e  im 
3a^re  1871  nod)  1 978  748  betrug,  ^at  nat^  einem  3a^tje^nt 
bie  Don  2 835  954  erreicht,  unb  bie  jährliche  S3et>olferung8* 
gunahme  beträgt  auch  je^t  noch  burchfchnittlich  3 — 4 t>©t.  unb 
geigt  un8  alfo,  mrnn  mir  ba8  natürliche  ^a^Sthum,  b.  h-  ben 
Ueberfchuh  ber  ©ebuiten  über  bie  <SteibefäDe  gu  1 p©t.  annehmen, 
ba|  bie  ©inmanberung  auch  h^nte  noch  eine  gang  bebeutenbe 
ift.  3n  9lorbamertfa  ftieg  bie  3nhl  ^ei  ©inmanbeier  in  eingelnen 
3ahren  auf  | 9RitIion,  fo  bafi  bie  ISeoölferung  ber  ^Bereinigten 
0taaten,  melche  tm  3nh’^e  1830  noch  ORiUionen  gählte,  nach 
SSerlauf  oon  50  3ah’^^n  bie  Summe  »on  über  50  SRtllionen 
erreichen  fonnte. 


21uftralicn  unb  polyncftcn. 

2Bir  betrachten  gunächft  ba8  ^eftlanb  unb  bie  größeren 
3nfeln,  bann  ^olpnefien.  Suftralien  ift  bei  am  fchmächften  be« 
nolterte  oon  allen  ©rbtheilen  unb  hnt,  ohne  bie  3nfeln,  nur 
eine  burchfehnittliche  Seoöllerung  oon  0,3  auf  1 qkm.  9ber 
bie  S3eo51ferung  ift  [ehr  ungleichmäßig  übet  ben  ©rbtheil  oei<= 
theilt,  mie  fich  bie8  fchon  au8  bei  folgenben  Ueberficht  übet  bie 
eingelnen  Kolonien  ergiebt.  ber  Sählung  oom  3.  9lpti(  1881 
fommen  auf: 


lReu>@äb-S3aIeä  . . . 

qkm 

. 799 139 

iöeoölferung 

751468 

93ero.  auf  1 
0,9 

Sictoria 

229  078 

862  346 

3,7 

IQueenöIanb 

, . 1730  721 

213  525 

0,1 

f (Süb  • auftralien  . . . 

. . 985  720 

276  414 

03 

\ 9lorb " Sertitorium  . . 

. 1366  891 

3 451 

— 

^eft'Kuftralien 

. 2527  283 

31000 

0,01 

7G27  832  2 138  20t  0,3 


baju  Eingeborene  ööOOO 

@eiamnitbeDölI.  b.  geftlanbeä  o.  Sluftratien  2 183  200 

91u8  bet  obigen  Tabelle  läßt  fich  jofort  erfeßen,  baß  | bet 

(662) 


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19 


Sesölfeiung  auf  bte  beiben  Kolonien  iBictoria  unb  91eu*©üb* 
SBaleö  entfaDen,  gufammen  etwa  | bed  SrealeS  umfaffen. 

6in  üet^dltnifemd&ig  bid)t  beoölfcrtet  ©üboften  fteljt  bemuad^ 
einem  faft  menfc^enleeren  Innern,  fRorben  unb  SBeften  gegenübet. 
SRatürlic^  ift  auc^  innerhalb  bet  eingelnen  Kolonien  bte  Ser* 
t^eilung  ber  Sewc^nei  no(^  eine  fe^r  ungleic^md§tge.  S>te 
Seuölfetung  concentrirt  ndmlid}  faft  auSfcbIie§Itdb  um  bie 
grofeen  ©tdbte.  3fi  bot^  allein  in  ben  6 größten  ©tdbten 
Sictoriad  faft  bie  .^dlfte  ber  Sewot^nei  biefer  jtolonie  entl^alten. 
9Rit  eutopdifd^en  Ser^dltniffen  Id§t  fid^  freiltdb  bie  Did^tigfeit 
felbft  ber  am  beften  becölferten  Gebiete  Suftraliend  nidjt  im 
©ntfernteftm  meffen,  benn  nur  14  000  qkm  befl  Rejtlanbe8  ^aben 
eine  butd)fd>nittlicbe  Senölferung  oon  20  — 30  , 44  000  qkm 
eine  folc^e  non  10  auf  1 qkm.'*) 

3)a§  biefer  ©üboften  tro^  feinet  größeren  Entfernung  oon 
ben  europdifc^en  JSulturldnbem  bennod^  eigentlich  ber  faft  allein 
bevdlferte  Kontinente  ift,  bae  oerbanft  berfelbe  au§* 

f(hlie§li(h  ben  günftigen  geographifth^  Sebingungen.  91ur  im 
©üboffen  erhebt  fich  bie  ^lateaumaffe  bee  auftralif^en  Seftlanbee 
gu  bebeutenberer  ^öhe,  gu  größeren  Eebirgetetten.  SBenn  bie* 
felben  auch  ©chneegrenge  überfteigen,  fo  nerbanft  ihnen 

hoch  ber  ©üboften  feine  oerhdltni§mdhig  reiche  Sewdffernng. 
9Bir  hot’cn  hi^i^  cingige  größere  ^lulfpftem  mit  bauernbem 
SBaffet,  ben  ÜRuttap-iDatling.  gteilich  fteht  baffelbe  tro^  feiner 
SluSbehnung  in  gar  feinem  Setgleidj  mit  ben  glufegebieten  anberer 
Erbtheile,  ee  würbe  für  ben  Setfeht  weit  mehr  teiften,  wenn 
e8  Bon  einem  Hochgebirge  wie  unfere  üllpen  gefpeift  mürbe. 

äBeiter  lommt  ht^S^i  Klima  biefeS  füboftlichen 

Eh®'fe8,  welche^  etwa  bem  Bon  ©übfranfteich  ober  Dberitalien 
entfpricbt,  ein  für  Europder  aufeerorbcntli^  gefunbed  ift. 

2Ba8  bie  ©umme  ber  fflieberfchldge  anbetrifft,  fo  barf  man 
Sluftralien  bur^auS  nicht  gu  ben  regenarmen  Gebieten  rechnen; 
namentli^  ber  fRorben  unb  bet  fchmale  Küftenfaum  im  Often 

2*  (66J) 


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20 


unb  @üboften  erhalten  retc^ltd^e  9liebetfd^(äge;  bo(6  ift  fc^on 
jcnfeiM  ber  oftUc^en  Otanbgebitgc  bie  Sett^eilnng  bcrfelben 
eine  berartige,  ba^  oft  auf  ein3elnc  au§erge»ö^nlt(be  JRegenguffe, 
welche  Ueberfcbwemmungcn  ^ernortufen  unb  »eite 

6benen  unter  S9affet  fe^en,  eine  monatelange  5)ürre  folgt. 
IDiefe  lange  an^altenbe  Srocfen^eit  unb  bie  and  bem  3nnem 
fommenben  ^ei^en  äBinbe,  »elci^e  fogar  bis  na<b  2^a§manien 
»eben,  Wnnen  bie  Vegetation  in  !urjer  3«it  oemidbten.  ©ie 
finb  bie  ftblintmften  geinbe  ber  .^oloniften,  benn  eine  einzige 
Dürre  fann  ben  Viebftanb  um  füliflionen  »erringern. 

SBenn  nun  autb  ber  ©üboften  unb  Dften  ni(bt  frei  ftnb 
Bon  troftlofen  fanbigen,  mit  bi^tem  ©eftrüpp  beftanbenen  @in» 
oben,  fo  finben  »ii  bod)  auch  au^erorbentlidb  fruchtbaren  3cfer« 
boten,  »elcber  ben  2lnbau  oon  Sßeijen,  3Rai§  unb  Kartoffeln, 
Surfenobr  unb  VaumwoOe  geftattet.  9(u^  Drangen,  ßitronen, 
geigen,  Slepfel,  Simen,  ©ein  unb  anbere  burcb  bie  Koloniften 
eingefübrte  @e»a^fe  gebeiben  oörtrefflicb.  Der  weitaus  grö§te 
Sb^l  beS  SobenS  beftebt  aber  auS  ©eibelanb.  Daher  bat 
Sluftralien  in  ber  Vieb3U(bt  ade  8änber  ber  6rbe  in.fur3er 
Seit  übertroffen.  Vacb  ».  Veumann»@pallart  (Ueberficbten  ber 
©eltmirtbfdbaft,  Säb'fäang  1880)  bat  ficb  »on  1870  — 78  bie 
Sabl  ber  Vinber  in  ben  englifcben  Kolonien  ISuftralienS  um 
faft  3 5RiQionen,  bie  ber  ©cbafe  um  10  SJlillionen  oermebrt, 
fo  ba§  auf  1000  (Sinwobner  2840  Vinber  unb  23  400  ©dbafe 
fommen.'*) 

Sfucb  in  Se3ug  auf  baS  Vorbanbenfein  nu^barer  SRetalle 
ftebt  ber  Dften  ben  übrigen  S£b®<t«n  beS  geftlanbeS  »eit  »oran. 
Sinn  unb  @ifen,  Kupfer  unb  Koble  finb  »eit  »erbreitet,  aber 
im  gan3en  no^  wenig  auSgebeutet.  VicbtS  bat  aber  einen 
größeren  ©influ^  auf  baö  fcbnede  ©acbStbum  bet  Senölferung 
in  ben  Kolonien  beS  ©üboftenS  auSgeübt  als  bie  ©ntbecfung 
ber  ©olbfelber  im  Sabre  1851.  @8  lä§t  ficb  bieS  an  bem  ra« 
piben  ©teigen  bet  Seo5lferungS3ablen  in  ben  lebten  30  Sabwn 

(664) 


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21 


beutlic^  »erfolgen.  ?Rac^  ^)ent9  ©refrat^  beläuft  bet 
©olbertrag  in  ben  ouftralifd^en  Kolonien  bi8  1881  auf  5677 
üKiHionen  SJlarf.®“)  „SDie  ©olbära",  fagt  er,  „toanbelte  ben 
bisher  giemlic^  ruhigen  ©ang  beS  auftratifc^en  gebend  »öQig 
um.  IDer  gewöhnliche  ©efchäftdoerfehr  bradh  ab,  in  ben  ©täbten 
unb  ^Dörfern  fah  man  nur  nodh  ©reife,  Stauen  unb  Äinber, 
ja  fDlelbourne  war  wie  audgeftorben.  IDie  Kolonie  ©übauftralien 
entoölferte  pch  unb  fd^ien  ruinirt  3U  fein ; in  Sadmanien  brachen 
bie  ©träfllnge  lod.  5)ic  ©dhäfet  in  ben  großen  SBeibebiftriften 
IRioerina  unb  IDarling  liefen  baoon,  unb  niemanb  wollte  unter 
120  — 140  ÜJif.  täglich  ®<hafe  fcheeren.  ©hatnhagner  war  fo 
giemlich  bad  gewöhnliche  ©etränf  geworben,  unb  bie  Slafche 
würbe  mit  einer  Unge  ©olb  (etwa  80  IDlf.)  begahlt."  2)ie 
©ntbedung  ber  ©olbfelbet  hatte  alfo  gut  Solge,  ba|i  bie  S3e> 
oölferung  feht  bewegli^  würbe  unb  gwifdhen  beu  eingelnen 
.Kolonien  hin  unb  her  wanberte.  SRit  bem  Slbnehmen  ber  ©olb» 
erträge  werben  pch  febo^  bie  IBewohner  anberen  0efchäftigungen 
guwenben  unb  allmählich  fephafter  werben.  9Rit  ber  Seit  werben 
auch  i^ie  nörblichften  ©ehiete  »on  IDueendlanb,  bed  9torbterr{> 
toriumd,  fa  felbft  SSeftauftraliend,  in  benen  man  theilweife  fchon 
mit  ©ludE  tro)}ifche  ©ewädhfe  angebaut  hat,  noch  mehr  ülnfiebler 
anlodFen.  IDad  innere  bagegen  mit  feinen  weiten  <Stred'en 

bichten  93ufdhwerld,  falgigen  @ümt)fen  unb  ben  »on  nu^lofem 
©tachelgrad  bebedften  ©benen  wirb  wohl  für  immer  bem  Stefer» 
bauet  fowohl  ald  audh  bem  IBiehgüchter  ein  »erfdhloffened  ©ebiet 
bleiben. 

IDie  auftralifdhe  Snfelwelt  umfapt  einfdhliepli^  Slad« 
maniend  ein  Sreal,  welched  bebeutenb  größer  ift  ald  ©entral« 
europa,  ernährt  aber  nur  etwa  ben  50.  ^heil  ^er  SSeoöltemng 
beffelben.  ©d  bepnben  pdh  barunter  gahllofe  Snfelchen,  welche 
nur  bie  ©röpe  »on  wenigen  Ouabratfilometem  haben,  währenb 
anbere  an  ©röpe  ben  beutfdhen  IDUttelftaatcn  gleichfommen. 

IRut  9feu>®eelanb  unb  fReu«©uinea  würben  in  bie  fReihe  ber 

(««) 


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22 

eutopäif^en  @ro§ftaaten  gu  fe^en  {ein.  SS^ünii^e  SBotfSgä^lungen 
traben  bis  je^t  nur  bort  jtattgefunben,  too  ©uropäet  in  gtöbetrt 
Üngabi  angefiebelt  {Inb,  {onft  ftnb  »ir  auf  bie  Eingaben  bet 
{Oülfionäre  unb  eigene  @cbä|ungen  angewiefen.  ü/ocb  Iä§t 
fi(b  iouiel  fagen,  ba§  biefe  3nfeln  burcbfcbnittlicb  eine  tueit 
bubteie  SeuöKerung  b^ben  a(S  baS  geftlanb. 

$ei  bei  :8etia(btung  bei  betn  Beftlanbe  gunä^f)  gelegenen 
gröberen  3njeln  fönnen  vir  non  bem  noch  fo  ventg  befannten 
9teu>  Guinea  coQftänbig  abfeben.  @S  fommen  bann  nur  SEaS« 
manien  unb  9teu>iSeeIanb  in  Setracbt.  Seibe  haben  ihre  jebige 
Säeuölfeiung  in  uerbältnibmäbig  lurger  Seit  erhalten  unb  haben 
eine  gleiche  IDichte,  1,8  auf  1 qkm.  SBie  in  bem  gebirgigen 
iXaSmanien,  fo  führte  auch  auf  9ieu>Seelanb  baS  gefunbe  j^lima, 
bie  Bruchtbarfeit  bei  Shäler  unb  uoi  aQem  ber  Sieichthum  cm 
nuhbaren  {Mineralien  bie  rafche  S3efiebelung  herbei.  Meufeelanb 
nahm  befonberS  nach  ber  @ntbeclung  feiner  ergiebigen  @olbfelber 
(1861)  einen  großartigen  ^luffchvung  unb  gählt  fchon  jeßt  mehr 
größere  Stabte  alS  bie  übrigen  auftialifchen  Kolonien  mit  9uS> 
nähme  SictoiiaS.  !Sber  felbft  venn,  vie  ooiauSgufeßen  ift,  ber 
@rtrag  ber  @olbfelber  fich  noch  vefentlich  oerringern  wirb,  fo 
ift  bie  2)op^elinfel  hoch,  ba  gwei  IDrittel  ihieS  ä)obenS  fultur« 
fähig  ftnb,  bur^  ihre  wiithfchaftlichen  IBerhältniße  berufen  bie 
heroorragenbfte  MoOe  unter  ben  engUfcßen  Kolonien  gu  fpielen. 
Statt  bei  halben  {Million,  bie  eS  feßt  ernährt,  fönnte  biefeS 
• ' H®ioßbiitannien  ber  Sübjee",  ba  eS  ber  italifchen  ^albinfel  an 
Flächeninhalt  faft  gleichtommt,  einer  ^eoölteiung  oon  mehr 
als  20  {Millionen  ben  Unterhalt  gewähren. 

2)ie  fieineren  ogeanifchen  Snfeln  ftnb  gwar  im  Allgemeinen 
ßäifer  beoölfert  alS  baS  Feftlanb  unb  olS  bie  größeren  Snfeln, 
bo^  geigen  fie  unteieinanber  immer  noöß  eine  fehl  oerfchiebene 
IDichtigfeit.  9Bir  erfeßen  bieS  f^on  auS  ber  folgenben  oon 
Sehm  unb  IBagner  auf  @runb  ber  {Ratui  ihrer  93ewohner  ge* 
machten  SufammenfteOung.  @S  fommen  banach  auf: 

(6M) 


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23 


3Relanefien 145855  qkm  617  400  iBero.  4,2  auf  1 qkm 

®oli)nefien 0 781  „ 121 500  „ 12,4  „ 

©anbrottfa'Snffl«  • 17  008  „ 57  985  „ 8,4  „ 

Dfifronefien . . . 3530  „ 91600  „ 26 „ 


Cjeanien  . . 176  184  qkm  888500  Sero.  5 auf  1 qkm 
2118  bic  Urfac^en  tiefet  tie^teren  SJeDÖlfetung  ^'olDnefienS 
ijat  man  bie  ^ruc^tbarfeit  unb  ba8  gleicbmä^ige  o^eanifcbe  ^lima 
anjufe^en,  roelt^eS  biefelben  tro^  i^rer  8age  in  bet  ^ei§en  3o«e 
genießen.  bie  niebrigen,  meniget  gut  bewäfferten  unb  ballet 
»eniget  ftuc^tbaten  Unfein  immet  eine  fpdtlicbc  Seuölfetung 
bemalten  metben,  liegt  auf  bet  ,£)anb;  bagegen  batf  man  et-- 
»arten,  ba|  auf  ben  l)oben  mit  ibtem  au8  bet  Seife^ung  bet 
Dulfaniftben  ©efteine  entftanbenen,  bun^  teie^e  Sfliebetf^lägc 
angefeucbteteten  .^umuBboben  mit  bet  ^dt  eine  »eit  ftütfete 
Seuölfetung  ftcb  anfammeln  witb. 


2tmerifa. 


@8  ift  eben  bereits  etm&^nt,  ba§  fSmetifa,  naäj  2lfien  bet 
grd§te  unter  ben  ©tbt^eilen,  fou>o1)l  wegen  bet  abfoluten  al8 
au^  wegen  bet  relatiuen  23eudlfetung  vorläufig  noch  bie  gweit* 
unterfte  ©teile  einnimmt.  2luf  bie  beiben  an  Slä(^enin^alt  fafi 
gleichen  .^älften  biefeS  @tbt^eil8  vert^eilen  ficb  bie  100  fUliQionen 
Sewo^net  fo,  ba^  gwei  ^Drittel  auf  9lotbametila,  bet  JReft  auf 
©übamerita  unb  SQeftinbien  entfällt,  fo  bag  alfo  9lotbametiIa 
no(b  einmal  fo  bid|t  beoolfett  ift  al8  ©übamerifa. 


2)ie  folgenbe  SabeUe  giebt  gunäcbft  eine  Uebetfiebt  übet  bie 
SSctt^eilung  bet  S3e»olfetung  auf  bie  eingelnen  Staaten,  bodj 


^aben  wir  bei  ©übametila  baoon  abgefe^en,  ba  fid;  bie  93e> 
DÖlfetungSbi^te  betfelben  wenig  DonbemDut(^fcbnitt(l,6)entfetnt. 


9loTbamerifa  ■ . ■ . 24190876  qkm 
brit.  3lorbamerifa.  8 651429  „ 

arft.  'Unbiuel  . . 3470  830  „ 

^Bereinigt.  Staaten  9 331  360  , 

^Dtefito  ....  1945471  „ 

{£enttal»amerifa  . 547  308  „ 

SBeftiubien  ....  244  478  , 

Sübomerifa  ....  17752292  „ 


72  045 124  IBem  3 auf  1 qkm 
4505364  „ 0,5 

10000  „ - 

50  442  066  , 5,4 

9 577  279  „ 5 

2 893000  „ 5 

4 617  415  „ 19 

28  3802r>0  „ 1,6 

fC«7) 


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24 


®c^on  eine  cbetfläd^U^e  äSetrac^tung  jeigt  und,  ba§  bte 
i^euttge  Sewo^ner^a^l  'jlmerifad  noc^  in  feinem  93ei^ältni^  fielet 
gu  bcr  ungeheuren  3lu8behuung  feiner  8änber.  JDie  SBereinigten 
©taoten,  beren  @ebtet  faft  fo  gro§  ift  alfl  ©uropa,  haben  bcch 
nur  50  fDfiQionen  ©eelcn,  mährenb  unfer  @rbtheil  halb  baS 
©iebenfache  erreicht.  ®ang  ©übamerifa,  melched  beinahe  boppelt 
fo  gro§  ift  loie  ©uropa,  h“*  boch  nicht  mehr  Semohner  alä 
baS  j^önigrei^  Italien. 

9Ba3  nun  bie  SSertheilung  ber  Seoölterung  im  @ingelnen, 
welche  fidh  aud  ber  obigen  Tabelle  natürlidh  nicht  ooQfommen 
erfehen  ld§t,  anbetrifft,  fo  ftehen  au^  hier  wie  in  iSuftralien 
eingelnen  oeihältni^mähig  bicht  beoölferten  Gebieten  weite  faft 
raenfchenleere  3läume  gegenüber. 

3n  9lorbamerifa  pnben  wir  bie  ^>auptmaffe  bcr  Se« 
oölferung  in  bem  öftlichen  ^Drittel.  IDaS  am  bichteften  bewohnte 
Gebiet  wirb  im  ©üben  burch  ben  30.  ^aratlelfreiö,  im  SBeften 
burch  ben  mittel^en  ^eribian  begrengt;  im  fRorben  reicht  ed 
bis  gu  ben  canabifchen  ©een,  im  fRorboften  fogar  noch  üi^er 
biefelben  hinaus  bis  gur  ÜRünbung  beS  SorengftromeS.  Jbleinere 
93eoö(ferungSanfammIungen  finben  wir  bann  nur  noch  um 
©.  Francisco  unb  auf  bem  Plateau  oon  !IRerifo.  90eS  übrige 
®ebiet  ift  au§erorbentIich  fchwach  beoölfert.  3n  ben  .^ubfonbai* 
tdnbern  fommen  auf  50  qkm  faum  1 — 2®inwohner.  IDer 
gange  arftifche  'jlrchipel  aber  umfaßt  mit  SluSnahme  ber  lüften 
@rönlanbS  oöQig  unbewohnte  eifige  (gebiete,  bie  gu  feiner 
bauemben  fRieberlaffung  geeignet  finb,  unb  wirb  höchRenS  auf 
ben  bem  Kontinente  gund^ft  liegenben  3nfe(n  oorübergehenb 
oon  @SfimoS  bewohnt.  ®benfo  ift  baS  öbe,  ben  arftifchen 
8dnbem  ähnliche  Snnere  oon  8abtabor  unbewohnt,  wdhrenb  wir  ' 
unter  gleicher  geographif<h«  ©reite  in  ©uropa  bie  am  bichteften 
beoolferten  Kulturldnber  antreffen. 

3n  ©übamerifa  finb  fefte  ülnfiebelungen  unb  eine  bichtere 
Seoölferung  auf  bie  Äüftcnrdnber  befchrdnft,  mit  SluSnahme 
(««) 


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25 


von  Columbia  unb  @cuabor,  »o  bte  bid)tere  SBevöItetung  auf 
ben  .^o^ebencn  bet  Slnben  gu  finben  ift;  ferner  finb  ausgenommen 
ber  Otanb  ber  Stacamamüfte  unb  bte  lüften  ^atagonienS.  3ni 
Snnern  treffen  wir  nur  ouf  ben  .^)o^ebenen  S3oUolaS  unb  2lr« 
gentinienS  einen  bid^ter  bevölferten  ©tridfl,  ber  fid)  biS  gut 
5Künbung  beS  ^gtaguap  fortfe^t  unb  gatft^en  biefem  unb  bem 
^orana  fogat  eine  3)i(^le  von  40  ouf  1 qkm  erreid^t.  3u  einet 
foid^en  ^5^e  gelangen  nur  wenige  ^egenben  beS  fäbamerifanifdl^en 
^üftenlanbeS : in  93ra{iUen  bie  ^fte  von  @eara  biS  S3a^ia, 
fonft  nur  bie  nöc^fte  Umgebung  ber  größeren  @täbte.  iSQe 
übrigen  lüften  ^aben  nur  2 — 10  (Sinwo^ner  auf  1 qkm,  baS 
3nnet?  bagegen  ift  von  ^erumftreifenben  3nbianem,  alfo  äu^erft 
bünn  bevölfert. 

2)ie  93ev5(!erungSbid^tigfeit  bet  Unfein  ift,  abgefe^en  von 
ben  93a^amainfeln,  eine  wefentlic^  größere  alS  bie  beS  Beft* 
lanbeS;  namentlich  gilt  bieS  von  ben  fleineren  Unfein.  IDie  vir* 
ginifdhen  3nfeln  hn^en  eine  burdhfdhnittlidhe  Ißevölferung  von  68, 
bie  Ileinen  lüntiOen  eine  fol^e  von  76;  unb  unter  biefen  leiteten 
eneidht  URartinique  fogar  eine  IDic^te  von  163,  SSatbaboS  370 
Einwohner  auf  1 qkm. 

IDie  Utfachen  ber  geringen  abfoluten  Sevölferung  beS  @tb* 
theils  unb  ber  ungleichmäßigen  SJertheilung  berfelben  hoben  wir 
gunächft  in  bet  Sage  unb  S3obengeftaltung  beS  .Kontinents  unb 
ben  baburch  bebingten  Üimatifchen  unb  ^robuftionSverhöItniffen 
gu  fuchen.  3n  beiben  ^)älften  werben  weite  Eieflänber  von 
meribionalen  Gebirgen  im  Dften  unb  Sßeften  eingefdhloffen. 
2)ie{e  weiten  @ebiete  beS  3nnern,  theilS  Steppen  unb  SBüfte, 
theitS  Utwalb,  finb  außerorbentlich  bünn  bevölfert  unb  fteßen 
bem  an  @belmetaQen  reifen  SBeften  unb  bem  in  jeber  Begießung 
bevorgugten  Dften,  welcher  bie  ^)auptmaffe  bet  33evölferung  ent* 
hält,  weit  nach-  9im  ungünftigften  jebocß  finb  bie  SSerhältniffe 
im  äußerften  Süben  unb  IRorben;  baS  unwirthliche  Patagonien 

(669) 


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26 


iviib  ebenfo  menig  wie  bai  aeftifcbe  9torbamerifa  jemald  eine 
felbafie  Seuölletung  etljalten. 

Sfleben  biefen  natütlicben  Sebingungen  ^aben  aber  and) 
bie  fullurellen  unb  politi|(ben  ®etbältniffe  i^ien  @influ§  in 
bob^m  Qirabe  geltenb  gemalt.  äSot  ber  @ntbetfung  unb  33e> 
fiebelung  Slmerifad  burcb  bie  @uropäer  befanb  ftcb  eine  bicbtere, 
‘Jldetbau  treibenbe  33enßl!erung  nur  auf  ben  .^ocbebenen  non 
SRejrifo  unb  |)eTu.  SBenn  fi<b  fpätet  bie  (Sinwanberung  gunätbff 
auf  bie  £)fttüften  bet  beiben  Hälften  erftredte,  fo  b°^  bied 
feinen  Qirunb  in  ber  günfiigen  geograpbif^<n  Sage,  ben  cot« 
Irefflicben  $afen  unb  ben  übrigen  norjüglicben  fRaturbebingungen. 
9iur  geigte  fidb  febr  balb  ein  wefentlicber  Unterf^ieb  in  ben 
eigentbümli^en  Einlagen  ber  neuen  iünftebler,  unb  biefer  Umftanb 
war  non  bem  aflergrö^ten  (Sinfluffe  auf  bie  S3eoölferungS« 
nerbältniffe  ber  neuen  SBelt. 

iDie  @))anier  unb  ^ortugiefen,  wel(be  lebiglicb  bem  Qiolbe 
nacbgingen,  ermangelten  beS  folonljatorifcben  Satented,  ba8  ben 
germanif<ben  Söllern,  not  allem  ben  @nglänbern  in  b^bctn 
@rabe  eigen  ift.  3)ie  elenbe  $olitit  biefer  romanifcben  Sölfer, 
welche  bie  traurigen  bi’Ittifcben  Serbältniffe  beö  fDlutterlanbeS 
in  bie  Kolonien  eintrug  unb  fcbliebli^  bie  Soöteibung  betfelben 
berbeifübrte,  war  bie  Urfacbe  banon,  bab  bie  @inwanberung  in 
biefelben  geitweife  gänglicb  aufbörte,  wäbrenb  biejenige  na<b  ben 
Sereinigten  Staaten  non  3abr  gu  3abr  gunabm,  fo  bab  ber 
germanif^e  fRorben  ein  bebeutenbeö  Uebergewicbt  über  ade 
anberen  @ebiete  erhielt,  infolge  ber  elenben  fRegierungSguftünbe, 
ber  unaufbörlicben  Sürgerfriege  unb  beö  @tumpffinneö  ber 
flRifcbbenöIferung  in  ben  ebemalö  fpanifcben  ^olonieen  <Süb« 
unb  @entralamerifaö  ift  baber  auch  noch  nur  ein  nerbältnib* 
mäbig  Meiner  S^b^M  beö  Sobenö  angebaut.  So  bieö  aber  ber 
Sad  ift,  ba  liefert  berfelbe  reichen  Ertrag  unb  bat  eine  bicbtere 
©enölferung  angefammelt.  fRut  einer  ber  fübamerifanifcben 
Staaten  b“t  fi<b  feit  bet  UnabbängigfeitaerHärung  einer  gröberen 

(670) 


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27 


9tu^e  unb  ba^ei  etned  bebeutenben  Sluffc^uungS  ju  erfreuen 
gehabt:  bte  9{e)}ublif  6^ile,  ein  mit  guten  ^äfen,  mtlbem  ^Uma 
unb  ebien  3}{etaQen  reidb  autigeftatteted  8anb,  in  welcbeS  bei 
bem  lo^nenben  ^^nbau  europäifcber  @)emä(bfe  eine  fo  ga^Ireicbe 
@inwanberung  ftattgefunben  ^at,  bafe  bie  ©eoölferung  in  ben 
lebten  20  Sauren  um  me^r  al8  ^ SJiillion  fi(b  »ermeljrt  l)at. 
3Wd^t  beffet  al8  in  ben  fpanifdjen  Äolonien  ftanb  e8  in  Srafilien. 
iDurcb  bie  ftiefmutterlicbe  Se^anblung  »on  ©eiten  bet  ^ortu« 
giefen  »urbe  anfänglicb  jeglii^er  Stuffcbmung  uerbinbert,  feit 
ber  8o8rei§ung  uom  SOlutterlanbe  (1821)  in  ben 

von  ben  feuchten  ©üboftminben  eneicbten  Mftenl&nbern  bet 
3ucfet>  unb  iSaummoQenbau  unb  nodb  mehr  bie  ^affeefultut 
gu  gto^attiget  ^)5be  gefteigett  unb  bemgemä|  b>« 

Dölfetung  uerbi(btet. 

3n  Senttaiametifa  ift  eS  nic^t  bie  Unetgiebigfeit  be8 
S3oben8,  meicbe  eine  SSetbicbtung  ber  S3euö(ferung  in  eingelnen 
©egenben  »crbinbert  bat,  fcnbern  lebiglid)  baß  ungefunbe,  füt 
ben  ©uropäet  gerabegu  tobtlicbe  ^(ima.  3)abet  metben  bie 
atlantif(ben  j^üftenniebetungen  bem  gefunben,  menn  au(b  nicht 
fo  fruchtbaren  ;^c7cb(anbe  gegenüber  immer  an  ^emobnetgabl 
gurücffteben. 

SBeftinbien  ift,  wie  mit  oben  gefeben  baten,  ftotfet  be» 
oöifett  alß  bae  übrige  ülmerifa,  oerban!t  aber  biefe  bicbtere 
Seoßlferung  neben  bem  Umflanbe,  ba§  e0  oon  ben  Spaniern 
guerft  entbecft  unb  befiebelt  würbe,  oor  adern  feiner  günftigen 
SSeitiage  unb  bet  aubetorbentlicben  Srudbtbarfeit  beß  Sobenß. 
3udetrobt,  Sabaf,  SaumwoDe,  ’Jieiß  unb  fämmllicbe  ©übftücbte 
geitigt  baß  j^lima.  @ß  mub  jebocb  b^i^t^atgeboben  wetben,  ba§ 
biefe  3nfeln,  oor  adern  bie  gröbeten,  noch  eine  weit  gablteicbete 
Seoöltetung  gu  ernäbren  im  ©tanbe  waten,  wenn  nicht  bt^^ 
ebenfo  wie  in  ben  füb«  unb  centralametifanif^en  9iepubli(en 
bie  gertütteten  politifcben  Suftänbe  eine  glei^mäbige  ©ntwidelung 
unmöglicfa  gemacht  hätten.  S)aß  ptäcbtige  .^aiti,  gtob^^  a(ß  baß 

(671) 


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28 


^öntgrei^  Maiern,  fönnte  na^  einem  9ludf)}tu(]^e  beS  ^raftbenten 
@tant  minbeftenS  10  aJlitlionen  Wenfc^en  ernähren,  ^at  aber 
nut  850  000  Bewohner.  0e^nlidb  oer^ält  eS  fic^  mit  @uba, 
Samaica,  ^uertorico. 

Sßenn  mir  jum  0d^lu^  no^  einen  S3Iicf  auf  bie  SSenölferungS* 
ver^ltniffe  ber  IBereinigten  Staaten,  unb  gmat  beS  öftlicf^en 
iDritteld  betfelben  merfen,  fo  l^un  mir  bieS  nid)t  nur  aud  bem 
@runbe,  meil  baS  beftbemo^nte@ebiet9[meriIad  einer einge^enberen 
Setracbtung  mert^  ift,  fonbern  aud^  meil  bie  bortigen  93er^ült> 
niffe  für  unS  non  utigleid^  größerem  3ntereffe  ftnb  aI8  anbere. 
0inb  bo(b  in  ben  testen  40  3a^ren  me^r  ald  3 ^DHDionen 
Seutfc^e  ^ier  eingemanbert! 

SSorgüge  mannigfacher  iSrt  finb  bie  Urfa^e  beS  unoergleich« 
lieh  fchneUen  üuffchmungeS  biefer  j^olonien.  IDie  Sage  in  ber 
gemäßigten  3one,  bie  reiche  ®Iieberung  ber  £üfte,  bie  große 
Slnnäßerung  an  bie  alte  SBelt  ftnb  ohne  Sweifel  oon  großem 
Einfluß  auf  bie  (Sntmicfelung  berfelben  gemefen;  ebenfo  auch  bie 
phpfifch^  ©eftaltung  beS  SanbeS  unb  bie  ^robuftioität  bed  Sobenfi. 
2)iefem  leßteren  galtor  ijl  ber  größte  Einfluß  auf  bie  oerfchiebene 
93ertheilung  ber  93eoölferung  gugufeß reiben,  ba  in  flimatifcßer 
^)inficht  in  biefem  öftlichen  ^Drittel  ber  bereinigten  Staaten 
generelle  Unterfeßiebe  nicht  oorßanben  finb.*‘) 

3n  ben  ©übftaaten  nimmt  ber  SBalb  noeß  50  — 60  t>(5t. 
be6  bobend  ein  unb  ein  großer  Sßeil  ber  ^üftrngegenben  ift 
fogar  noch  mit  Sümpfen  unb  @een  bebeeft,  namentli^  bie  gange 
Sübßälfte  ber  ^albinfel  $(oriba.  3n  biefen  ^üftengegenben  ift 
baßer  bie  bolMbicßte  eine  feßr  geringe  unb  finit  biö  gu  1 — 2 
auf  1 qkm  ßerab.  äber  felbft  in  bem  beoöllerteren  nörblicßen 
SLßeile  ber  ©übftaaten  treffen  mir  erft  eine  JDttßte  oon  5 — 10 
bernoßnem  an,  ba  infolge  ber  ^lautagenmirtßl^aft  nnb  ber 
Sflaoerei  bad  innere  nur  Heine  Stabte  unb  S)örfer  befißt  unb 
felbft  bie  größeren  ©täbte,  melcße  ald  ^>anbeldemporien  on  ber 

(67J) 


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29 


Äüfte  ober  an  ben  S3erfe^t8fha§en  Hegen,  meift  50  000  6tn« 
wohnet  nid^t  überftetgen. 

3e  »etter  man  aber  oom  36.  parallel  nac^  SRorben  ge^t, 
befto  me^r  nimmt  ber  anbaufähige  0oben  unb  gleichzeitig  auch 
bie  5)i(httgfeit  bet  SSeoßlferung  ju.  3n  bem  SBinfel  j»if(hen 
Dh*o  unb  SJliffouri,  bet  cigentli^en  Äornfammer  3lmeti!a8, 
crreitht  biefelbe  bereits  bie  ^)ßhe  »on  30  bis  40  auf  1 qkm, 
eine  JDidbtigfeit,  »eldbe  nur  »on  ben  atlantifdhen  ÜKittelftaaten 
übertroffen  wirb,  ©iefe  gelteren,  welche  etwa  einen  gldchenraum 
wie  baS  .Königreich  3talien  umfaffen,  ernähren  jeht  bereits 
14  50liHionen,  unb  in  bet  Umgebung  bet  gröberen  ©täbte  »er* 
bid^tet  fidh  bie  Seoölferung  bis  jur  .^öhe  »on  70  auf  1 qkm. 
@ie  »etbanfen  biefe  bichte  S3e»ölferung  in  erfter  8inie  bem 
gieichthura  an  Äohle  unb  6ifen.  IDodh  h“*  Sunahme  ber 
33e»61ferung  biefet  atlantifdhen  ÜJiittelftaaten  (wie  fich  auS  einer 
SufammenfteKung  in  bet  „SBeoölfetung  bet  6tbe“  VI,  @.  76 
unb  VII,  @.  69  ergiebt)  in  ben  lebten  20  3ahten  ni^t  mit  bet» 
jenigen  im  3nnetn  ©chritt  gehalten,  unb  zwar  beShalb,  weil 
man  „ben  fi^  »erringemben  @rtrag  beS  SobenS  nicht  bur^ 
intenfioere  .Kultur,  fonbem  in  fortwährenbem  ©rängen  na^ 
SBeften  bur^  .^inzunahme  nie  zuooi^  bebauter  glächen  zu 
fehen  fuchte." 


2tfrifa. 

©iefet  ©rbtheil  fann  nidijt  z«  ben  fdhwach  be»ölferten  ge» 
rechnet  werben.  6t  ift  hoppelt  fo  »olfrci^  als  2lmetifa,  unb 
wir  ftnben  hi«  ni^t  weht^  ®ie  in  ben  beiben  oben  befptod^enen- 
6rbtheilen  nur  »ereinzelte,  »erhältni§mä§ig  Heine  Jheü«»  welche 
eine  ftärfere  SBeüolferung  haben,  fonbern  gro^e  zufammenhängenbe, 
ÜJliHionen  »on  qkm  umfaffenbe  ©ebiete  mit  einet  ziemlich  bichten 
33e»ölferung.*®)  SBill  man  nodh  bazu  baS  Slreal  ber  SBüften 
unb  Seen,  welches  nach  „S3e»5lferung  ber  6rbe"  VI,  S.  59  z« 

(673) 


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30 


mei}i  ald  10  3RtDioneti  qkm  geregnet  werben  fann,  in  Sbjng 
bringen,  fo  erreicht  3(frita  gerabe  bte  burc^idjnittli^e  SeBölferungfl« 
bicbte  ber  ganjen  @tbe  (10 — 11  SSewo^ner  ouf  1 qkm). 

£)bwo^l  nun  SIfrifa,  wie  oben  bereits  erwähnt  würbe 
(@.  10  u.  9Inm.  9),  nach  feinen  SSenölferungSserhältniffen  im 
@ingelnen  auch  h^u^^  tioch  fehr  wenig  befannt  ift,  fo  ift  eS  troh> 
bem  möglich  im  @an3en  ein  beutlicheS  93i(b  bet  SSoIfSoer« 
theilung  3u  geben,  infolge  ber  wenigen  IBeränberungen  in 
ben  lebten  3ah’^<n  ftimmt  baffelbe  immer  nodh  mit  bem  non 
ä?ehm  im  1.  ^anbe  beS  geograt)hif4en  SahrbucheS  (S.  87) 
gegebenen  überein.  „SSie  gering  auch  bie  Sunerläffigfeit  bet 
abfoluten  Bahl^o  betfelbe,  „fo  beutlich  fteQt  ftch  bo^ 

im  @au3en  baS  ä3ilb  ber  SSollSoertheilung  in  2lfrifa  heraus. 
@in  bidht  bewohnter  @ürtel  3ieht  fich  um  ben  Sufen  non 
@uinea,  non  Senegal  bis  3nm  @unene.  IDiefer  Q^ürtel  nimmt 
in  feinem  norbweftlichen  ^h^tle  ben  9iaum  3Wif(hen  bet  Sahara 
unb  bet  J^fte  non  Ober>@uinea  ein,  fchwillt  bann  in  ber  3Jtitte 
bebeutenb  an,  inbem  et  fich  faft  über  bie  gan3e  Sreite  beS 
JSontinentS  biS  nach  bem  ägpptifchen  Suban  unb  ben  @aDa> 
8änbem  erftrecft,  wirb  aber  gegen  Süben  wieber  bebeutenb 
fchmäler,  fo  ba§  et  bie  (Region  ber  großen  oftafrifanifchen  See« 
nid^t  mit  einfchlie§t.  $aft  alleS  8anb  außerhalb  btefeS  ©ürtelS 
ift  öufeerft  fchwa^  benölfert.  3m  (Rorben  behüt  fi^  faft  butcb 
bie  gan3e  Streite  beS  @rbtheitS  bie  Sahara  auS,  wo  fich  bie 
S3en5lferung  am  (Ranbe  beS  Suban  unb«  in  ein3elnen  £)afen 
fon3cntritt.  (Rur  ber  (Rotbranb,  längs  bet  Äüften  beS  9RitteI« 
mecteS  ift  wieber  etwaS  bichter  bewohnt.  Süblich  non  ben 
®aOa*^änbem  nimmt  bie  (BoIfSbid)tigfeit  rafch  gegen  Süben  hin 
ab;  im  Allgemeinen  iR  bie  gan3e  Sübfpihe  AfrifaS  nom  10.Sreiten> 
grab  abwärts  fehr  fpätlich  bewohnt.** 

Siefe  fut3e  Sfi33e  mag  burch  bie  folgenbe  UeberftchtStabeQe 
ergän3t  werben,  welche,  in  SÜücfficht  auf  bie  Serfchiebenheit  bet 
Dberflächengeftaltung  3ufammengeftellt,*ä)  bie  ungleiche  93er= 

(674) 


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31 


t^filung  ber  SeDÖIferung  unb  gugleic^  bie  oeogtap^ifd^en  Utfad^en 
berfelben  mit  einem  93li(fe  erfennen  (ä^t: 


Hlorbofrtfa  (oorroiegenb  äSüfte) 

amn. 

qkm 

10 

ajliü. 

SBero. 

20 

3(uf 
1 qkm 
2 

©uban  unb  ßentralafrifa  cSBalb-,  Kultur- 
unb  ©aoannfnlaiibfchaft) 

9 

140 

16 

Dfiafrifa  (©aoannen  unb  ©teppen)  . . . . 

4 

30 

7 

©fibafrtfa  (uoroiegrnb  SBüften,  ©teppen  unb 
^Suf^Ianb) . . ■ . 

6,3 

10 

1-2 

Snfeln 

0.6 

4 

7 

3u  beiben  ©eiten  be8  SlequatorS  \fahen  wir  alfo  ba8  reiche 

SBalb:  unb  ^ulturlanb  mit  ben  tropifd^en  Senit^altegen;  ^iet 
meinen  70  ))(£t.  ber  gelammten  93emo^ner  älfrifae.  Slötblid) 
unb  füblid^  bauen  erftreefen  [id^  bie  beiben  @tep)}en>  unb  SBüften« 
güitel  foiueit,  ba§  fie  nur  einen  fc^malen  SRanb  übrig  (affen, 
ber  in  bie  fubtrobifdbe  3one  ^ineinreid)t  unb  in  S3e3ug  auf 
^lima  unb  S3obenbef^affen^eit  befonberS  begünftigt  ift.  (Denn 
bie  ^erraffen  beS  fübafrtlanifd^en  SlafellanbeS  finb 

meift  weite  baumlofe  6benen,  bie  nur,  wenn  fie  in  ber  fur3en 
(Regenzeit  fi(^  in  ein  )}rü(^tigeö  Slumen^  unb  @raSmeer  uer> 
wanbeln,  gur  SSie^weibe  benu^t  werben  fonnen.  9tur  ber  füb< 
lic^fte  X^eil  beö  ^aplanbed,  welcher  ber  fubtropifc^en  3one 
angel^ört,  unb  ber  Kimatifc^  beuorjugte,  bur^  ©ommerregen 
reid^Iicb  befruchtete  ©üboftabhang  finb  für  ben  Ülcf erbau  günftig; 
buch  ift  auch  htet  nod^  bie  Seuölferung  eine  fo  fpärliche,  bah 
fie  erft  in  ber  Umgebung  ber  gröberen  ©täbte  eine  (Didhte  uon 
10  auf  1 qkm  erreicht.  Ungleich  günftigere  natürliche  Sebingungen 
für  bad  SBachbthum  ber  IBeuöIferung  finben  wir  am  fubtropifchen 
9lorbranbe,  bem  einzigen  IhcK«  Slfrifaö,  welcher  feit  alterS  mit 
ben  afiatifchen  unb  europoifcheu  fRachbarlänbern  in  Serfehr  fteht; 
bo^  lä|t  ber  38lam  biefe  ^üftenlanbf^aften  nicht  ju  ber  ^lüthe 
gelangen,  ju  welcher  fie  non  ber  9lotur  befähigt  wären.  3n 
bem  fruchtbaren  Äüftenfaume  ber  tHtlaSläuber,  bem  fogenannten 
Stell,  fteigt  bie  (Dichte  auf  30  ^to  qkm,  iu  StuniS  fogar  bis 

(67S) 


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32 


ju  70.  @e^en  ttit  »etter  nad^  Dften,  fo  fommen  »ir  enbUd^ 
5U  bem  fd^malen  9titt^ale,  auf  beffen  bunfelbraunem  @d^»emm> 
taube  feit  Sa^rtaufenbeu  eine  3a^lreic^e  acfetbautreibenbe  Se* 
uölfetuns  lebt.  Siingt  man  nur  baS  wirftii^  brauchbare  8anb  in 
Stnfcblag  — ein  anbereö  SBerfahren  würbe  hier  gu  Dötlig  unrichtigen 
SBorftellungen  führen  — fo  ergiebt  fich  eine  JDichte  non  übet 
200  Bewohnern  nro  qkm,  alfo  eine  fo  bichte  Seoolfetung,  »ie 
fie  in  ©utopa  nur  in  Snbuftriegegenben  erften  SRangefl  ge* 
funben  wirb. 

SBa8  bie  afritanif^en  3nf  ein  anbetrifft,  fo  machen  wir 
»ie  bei  Qluftralien  unb  Slmerifa  »ieberum  bie  0emet!ung,  ba§  fie 
im  IDurchfchnitt  »eit  bcnölfcrter  finb  al8  bafl  gcftlanb.  JDie* 
jenigen,  »eiche  pch  burch  gefunbe«  Älima  unb  gruchtbarfeit  beS 
IBobeng  gan3  befonberd  au03eichnen,  erreichen  fogar  bie  S)idhte 
bet  europäifchen  Snbuftrieftaaten.  ORabeira  mit  einer  ©ichtig» 
feit  non  160  unb  bie  ORaSlarenen  mit  138  ftehen  au8  biefem 
®runbe  alten  anberen  »eit  noran,  unb  unter  biefen  lehteren  ift 
QRauritiuS  befonberS  beffen  Senöllerung  fich 

in  Solge  be§  bebeutenben  3u(Ierrohrbaued  in  ben  testen  30  fahren 
nerboppett  hatr  f»  ba§  bort  je^t  187  SIRenfehen  auf  1 qkm  leben. 
5Die  geringe  ©enölferung  9Rabaga8far8,  bet  größten  non  allen 
afrifanif^en  3nfeln,  »eiche  faft  boppelt  fo  gro^  ift  al8  @ro&* 
britannien,  aber  nur  ben  10.  Jh«if  ®on  beffen  S3e»ohnetn  enthält, 
ift  3um  ^heil  eine  ^olge  beS  ungünftigen  .KIima8  ein3elner  ®e* 
genben;  au^etbem  ift  ba8  fübliche  ^Drittel  eine  flache,  troefene 
Steppe  ober  SBüfte. 


itftcn. 

SDie  abfolute  SenöIFerung  9fien8,  be8  größten  non  alten 
6rbtheilen,  beffen  Slreat  ein  Drittel  bet  troefenen  @rbobetfIä^e 
au8ma^t,  beträgt,  felbfi  wenn  »ir  bie  neuefte,  etwas  geringere 
Schälung  non  795,6  ober  runb  800  Millionen  annehmen,  immer 

(676) 


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33 


nod^  weit  nte^r  aie  bie  ^dlfte  ber  33ewo^ner  unjeter  @ibe. 
iSber  biefe  maf[en^afte  ä3et>6IIeiung  ift  fe^i  ungUtd^md^ig  über 
ben  Kontinent  »ertbeilt.  ,^ein  anbcrer  (ärbt^eil  ^at  fo  gewaltige 
©egenjd^e  in  SSejug  auf  orogra))^if(^e  ©eftaltung  unb  flimatifcbe 
SSer^dltniffe  aufjuweifen  unb  ebenfo  ^infic^tlid^  bet  Sßett^eilung 
ber  SBeuölfetung.  5)en  corttefflic^  gegliebcrten,  mit  allen  ©aben 
bet  9iatur  tei^lic^  auögeftatteten  Sltopenlanbf^aften  be0  @üb- 
oftenS  mit  i^rer  uralten  acferbautreibenben  SSeublterung  unb  ben 
jabltei^en  fRiejenftdbten  fte^en  gegenüber  bie  faft  menf(^enleeren 
Steppen  unb  SBüften  beö  wafferarmen  ^o^lanbeS  unb  ba0  un« 
wirt^li^e  Sibirien  mit  feiner  ungeheuren  SBinterfdlte,  bie  gröfite 
unb  ungugdnglidhfte  ^ontinentalmaffe  ber  (Stbe,  bie  erft  feit  ser« 
hdltni^mdfeig  furjer  Seit  »on  einer  fe|h®ften  S3e»5lferung  in 
Sep^  genommen  ip. 

@in  mddbtiger  ^)oihebenengürtel  bnrchjieht  ben  förbtheil 
»om  dgdifihen  SJleere  biä  3ur  ÜJlanbfdhurei  bnreh  100  Sängen» 
grabe  ma(hti>otl  beftimmt  er  baS  ^lima  unb  fd^eibet 

bie  33erbreitung0be3irfe  bet  ^Pan3en  unb  Elpere  fowoljl  al0 
aud)  ber  Böller. 

IDie  folgenbe  Jabelle^*)  wirb  bie  Bertheilung  ber  S3e» 
»ölfetung  auf  bie  brei  flimatijthen  .^auptgürtcl  unb  bie 
Utfadhen  ber  »erf^iebenen  IDichtigfeit  flar  gum  3lu8bru(f  bringen. 


TOiü. 

gjtiu. 

p6t.  b. 
SeDöft. 

auf 

qkm 

33ero. 

1 qkm 

1)  $0^  nörblicbe  Sßalbgebtet 
(©ibirten  unb  9lmurlanb)  . . 13,4 

7 

0,9 

0,5 

2)  Sotroiegb.  ©teppenii.  Sßüfte  19,1 

58 

7,1 

3 

a.  (Sentralafiat.  ,/pod)Iänber  . 7,1 

10 

— 

1,4 

b.  äralo'Äaöpi>58ecfen  ...  4,4 

10 

— 

2,2 

c.  ®orberafien  ......  7,<j 

38 

— 

5 

3)  2)a0  ^onfungebiet  ....  12,3 

735 

92 

60 

a.  Stop.  SBalblanbfc^.  (,£»inter- 
inbien  u.  oftinbifd).  Slrcbipel)  4,0 

.55 



14 

b.  Äulturlanb: 

a.  iöorberinbien  ....  3,9 

260 

_ 

67 

ß.  61)m“‘3apan.  ...  4,4 

420 

— 

95 

3öir  fehen  au8  biejer  JabeHe,  bap  auf  bo8  nörblicpe  Söolb» 

XIX.  4&0.  3 (677) 


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34 


gebiet,  roelc^eö  an  Streal  baö  OJicnjungebift  übertrifft,  ncc^  ni(^t 

1 p6t.  bet  Senölferung  entfäÖt,  roä^renb  baö  geriete  nabeju 
bie  gejammte  Semo^netja^I  beö  (SrDl^eilS,  nämlic^  92  p(5t. 
umfaßt. 

3Bir  ivenben  unS  nun  ju  einet  einge^enbeten  Sefptediung 
biefet  btei  cetjdjiebenen  ©ebiete,  um  ju  fe^en,  meiere  Untetfe^iebe 
innetbalb  betjelben  ned)  »oi^anben  unb  mobutc^  biefelben  be» 
bingt  finb. 

IDab  nötblid^e  SBalbgebiet  ge^ött  ju  ben  am  jd^mäc^ften 
benölfetten  gönbertäumen  bet  6tbe.  ©ibitienö  gläi^entn^alt 
ift  bebeutenb  gtö^et  olä  bet  @utopa8,  abet  eß  ttobtten  ^orl, 
rote  oben  fc^on  bemetft  wutbe,  nut  einige  Jaufenb  ©inwo^ner 
me^t  alß  in  gonbon.  2)a8  ausgeprägte  ^ontinentalflima,  oet« 
bunben  mit  bet  weiten  ©rftredung  über  ben  ^olatfreiS  ^inauö 
in  bie  falte  3onCi  [teigem  bic  SBinterfälte  gu  einet  [Diesen  jpöbe, 
wie  pe  in  feinem  anbern  (ärbt^eile  »orlommt,  unb  bewirfen, 
bap  ein  gtopet  jl^eil  (Sibiriens  Dollig  unwitt^licbeS  @ebiet  ip. 
2)ocp  gerfänt  Sibirien  in  gwei  natp  23obenge[taltung  unb  Älima 
fept  »er[c^iebene  Oftpbitien  ift  Dorwiegenb  ©ebitgSlanb, 

SBeftpbirien  2)ie  SabteSifotpetme  oen  0°  6.  tritt 

mit  bem  60.  @tab  in  Sibirien  ein  unb  gebt  bis  gum  Sübbogen 
beS  iSmur  (50°)  berab;  batin  [pri^t  pdb  bie  bebeutenb  niebrigetc 
Temperatur  beS  DftenS  auS.  Dftpbirien  bat  noch  biS  gum 
42.  @rab  mit  @iS  bebeefte  Äüften,  unb  noch  im  5Rai  füllen 
(äiSmaPen  baS  o^otSfijibe  5)iecr.  JDaber  bie  größere  Unwirtb* 
li(bfeit  DppbirienS  unb  bie  bebeutenb  geringere  ©eoölferung. 
3m  Slmurgebiete  fommt  erft  auf  10,  im  Äüpengebiete  fogat 
erft  auf  25  qkm  ein  Sßewobner;  in  bem  erfteren  pnben  fid)  nur 

2 Stabte,  in  bem  leiteten  feine  Stabt  mit  5000  (Sinwobnetn. 
Ueberbaupt  pnben  mir  nut  im  Süben,  an  bem  SRotbranbe  beS 
centralafiatifcben  ;g)DcblanbeS,  wo  an  bem  Oberläufe  bet  gröpeten 
glüpe,  beS  3lmur,  ber  gena  unb  Slngara  ©etreibebau  mögli(b 
ift,  ober  wo  bet  ©rgreieptbum  ber  ©ebirge  angiebenb  wirft,  wie 

(678) 


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35 


im  2Utai'  unb  Sablonoi*  ©ebirge,  eine  bid^terc  Seuölferung 
(<tt»a  5 auf  1 qkm).  Slu^etbem  jie^t  fid)  im  Söeften  no^  ein 
anbaufähiger  Streifen  ju  beibcn  ©eiten  ber  großen  ^oft=  unb 
^anbeIS[tra§e,  »eld)e  fRu^lanb  mit  bem  innern  3lfien  Dcrbinbet. 
9lbcr  au(h  bie  Sid^tigfeit  erft  biö  ju  10  auf  1 qkm. 

2)a§  mittclafiatifdhe  3Büften=  unb  Steppengebiet 
fteht  3War  an  relatiuer  Seuölferung  höher  al8  bn8  fibirifdhe 
SBalblanb,  »eil  einzelne  2hf'^^  eine  jiemli(h  biehte  Seuölferung 
haben;  e8  umfaßt  aber  anbererfeitS  au(h  »ieber  bie  größten 
raenf^enleeren  ©ebiete,  bie  roir  auf  ber  ©rbe  haben.  55ie  jobl» 
reichen  großen  unb  fletnen  SBüftenftriche,  wie  bie  ©obi  unb  baö 
Slarimberfen,  ferner  bie  Heineren  SBüften  ^wifdhen  ülrau  unb  Spr, 
fübliib  com  Slralfee  unb  faSpifdjen  fJJteer  unb  enblidh  ba8  ganje 
Snnere  »on  3trabien  flnb  öbe,  menfthenleere  ©ebiete.  9iur  an 
ben  wenigen  Stellen,  wo  bem  95oben  SSefru^tung  ju  2he'l 
wirb,  finben  wir  ülnbau  unb  bidhtere  Slnfieblungen.  So  gieht 
pdh  an  ben  Ufern  be8  Slarim  ein  fdpmaler  Äulturftreifen  mitten 
burep  wüfteß  ©ebiet,  ebenfo  haben  SSrnu  unb  Spr  an  ihren  Ufern 
eine  jiemli^  biepte  Seoölferung  gefammelt.  2)ie  gebirgigeren 
©egenben  SlrabienS,  oor  allem  baS  ftiebfepeb  unb  bie  Dftfüfte 
erhalten  reidhlidpe  9Ueberfchläge  unb  bringen  eö  auf  bem  frudpt» 
baren  SBoben  ju  einer  größeren  Sidptigfeit,  in  ber  ©egenb  oon 
9Ra8cat  fogar  biS  gu  60  auf  1 qkm.  9li(pt  opne  Seoölferung, 
aber  bodp  äufeerft  bünn  bewohnt  (etwa  2 auf  1 qkm)  finb  bie 
Steppengebiete:  bie  Äirgifenfteppe,  baö  ^otplanb  »on  Scan  unb 
»on  Äleiuafien.  3m  Uebrigen  ift  Äleinaflen  baö  am  heften  be« 
»ölferte  »on  aQen  »orberafiatifchen  Säubern;  namentlidp  finb 
bet  91otb<  unb  äBeftranb  bureb  reiflichere  fRieberffläge  oot 
ben  übrigen  Jpeilen  bebeutenb  beoorgugt  unb  eneiepen  eine 
2)i(pte  »on  25  — 30. 

3n  ff  reffftem  ©egenfat3  gu  ben  bißper  befprof  enen  Sänbem 
ftept  baö  SKon fungebiet,  in  welfem  wir  bie  maffenpaftefte 
S3e»ölferung  nift  nur  SlfienS,  fonbem  bet  @tbe  überhaupt  an* 

3*  (679) 


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36 


trcjfcn.  Unbewohnte  Utäume  giebt  e8  jwat  ni^t,  bodh  ftnb, 
wie  fd^on  au9  bet  obigen  Tabelle  hewoig^^t,  and)  innerhalb 
biefeS  Gebietes  noih  bebeutenbe  @egen{d^e  oothanben.  0o 
ftehen  ^interinbien  unb  ber  oftinbifche  Slrthipel  mit  einet  S3e» 
Boltcrung  oon  55  sUliDionen  unb  einet  $Di(htigfeit  oon  14  pto  qkm 
bem  übrigen  ©ebiete,  weld&cS  680  ?Dtinionen  unb  eine  JDid^tig* 
feit  ton  82  hat,  gegenübet,  ^intetinbien  unb  bet  ofiinbifdhe 
ätchipcl  finb  feht  gebirgiget  Statut  unb  geböten  3um  gto§en 
Sh^ile  ber  Sropenjone  an.  S)arau8  erflört  ft(h  wohl  ihre 
weientlidh  geringere  8eoöIferung8bi(htigfeit.  Sn  .^intetinbien 
ift  bie  Seoölferung  am  bidhteften  in  bem  üftlidhen  unb  weftlichen 
Äüftenfaume  unb  in  ben  fruchtbaren  ^hdletn  bet  großen  Ströme; 
fie  bringt  e8  h'e^  3“  bet  .£)öhe  oon  20  — 30  pro  qkm.  2)er 
oftinbifdh«  ®r^ipet  ift  jwar  in  golgc  beS  feud^t=hei&en  .^limaS 
ein  duherft  fruchtbare8  ©ebiet,  aber  noch  grö&tenthcil8  mit  Ut» 
walb  bebecft.  JDahet  fteigt  bie  IDid^tigfeit  bei  bet  ÜReht3ahl 
ber  Snfeln  nicht  übet  10;  nur  bei  einigen  ber  “”b 

»ot  allem  auf  Sana  pnben  wir  in  §olge  ber  oortrefflichen 
.^Itioiruug  be8  :0oben8  120  Bewohner  auf  ben  qkm. 

Sn  ben  übrigen  be8  fUionfungebieteS  oertheilt  pch 

bie  S3eoölfetung  im  SlHgemeinen  fo,  ba§  bie  bichtbeoölferten  ©e» 
biete  in  ben  ©benen  3u  finben  finb,  bie  weniger  beoöltcrten  auf 
bie  ©ebitgSldnbet  fallen.  9lur  Sapan  macht  hieroon  eine  9lu8» 
nähme.  2)ie  japanifchen  Snfeln  finb  burchweg  gebirgig,  aber 
ba8  milbe  ^lima,  bie  regelmdhtgen  unb  rei^li^en  Stegen 
3ufammen  mit  bem  frudhtbaren  »ulfanifdhcn  SScben  machen  Sapan 
•gu  einem  ber  gefegnetften  i^dnber  3(fien8.  ^iet  hat  bet  Sleih 
bet  SSewohnet,  welcher  felbft  ben  fteilften  Setgabhdngen  burch 
forgfdltige  Sewdfferung  nodh  eine  rei^e  ©mte  abgewinnt,  eine  Se» 
o5lfetung8bichtigteit  ermöglicht  (126  pro  qkm),  weldhe  berfenigeu 
©hiaag  wenig  nachfteht. 

Sn  ©h*”®  finben  wir  bie  bichtefte  Seoölfetung  in  bet 
frudhtbaren  Siefebene  gwif^en  bem  30.  unb  40.  ?)arallel.  2)a9 

(6W) 


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37 


ganjc  8anb  tft  bem  Slcferbau  geatbraet,  ber  unter  bet  .^anb 
beö  raftloS  fleißigen  (Sbinefen  2 btS  3 @mten  liefert  uub  eine 
fo  erftaunlicb  biente  tBenölferung  ernährt,  bag  300  bid  400  93e> 
wohnet  auf  1 qkm  fommen.  Sir  fonnen  und  eine  iBorftellung 
banon  machen,  mie  bi^t  bie  SenöKerung  in  bem  d^inefifeben 
2:ieflanbe  jufammengebrängt  ift,  wenn  mir  eutopäifdbe  ©ebiete 
jum  aSergleidb  bstanjieben.  3n  JDeutfrblanb , meltbed  ungefähr 
benfelben  Bläcbeninbalt  bat,  mie  bad  eben  befebtiebene  ebinefif^e 
^ieflanb,  fommen  auf  1 qkm  nur  84  99emobner;  in  S)eutfd^lanb 
mobnen  45  SRiOionen,  bort  140  ^DMIIionen  auf  bemfelben  ^täcben« 
roum.  6ine  fo  maffenbafte  33eo5lferung  fann  felbft  bei  ben 
günftigften  fiimatifdben  unb  iBobenoerbäitniffen,  mie  mir  fie  biet 
in  (Sbina  oorfinben,  nur  ernährt  merben,  menn  von  ben  S3e° 
mobnetn  bie  mä^igften  ^nfprüd^e  an  ben  Unterhalt  gefteOt 
merben.  JDied  ift  in  (Shina  ber  Satl.  gür- einen  großen  Z\)eil 
ber  33emobner  hüben  JReid  unb  Siftb«»  welche  ber  ©oben  unb 
bie  glüffe  in  reichem  9Wo§e  liefern,  bie  einsige  8lahrung.  IDa 
Seftdhina  unb  bad  gange  i^anb  füblicb  oom  3ang°te>fiang 
mefentlicb  l^erglanb  ift,  fo  nimmt  naturgemäß  nach  Seften  unb 
©üben  gu  bie  IDicbtigfeit  ber  53eoölferung  ab. 

Slebnlicbe  Serhältniffe  finben  mir  in  Sorbetinbien.  Slueb 

hier  ftnb  bie  eigentlidhen  SeoölFerungdcentreu  in  ben  Stiefebenen 

gu  finben.  9lm  beoölfertften  ift  bie  ©angegebene,  mo  auf  bem 

Sltluoialboben  oon  unerfcböpfticber  ^uebtbarfeit,  ber  bur^  bie 

regelmäßigen  Uebetfebmemmungen  bed  ©anged  bemäffert  unb 

mit  reichen  Sieberf^lägen  oom  inbifeben  Dgean  »erforgt  mitb, 

bie  2)i^tigfeit  bet  Seoölferung  bid  übet  250  auf  ben  qkm  fteigt. 

JDemnädhft  finb  bie  jcßmalen  Äüftenftreifen  ber  Dft»  unb  Seft» 

füfte  burdh  ihre  f$ru^tbarfeit  unb  biebte  Seoölferung  audgegeiebnet. 

Samentlicb  ift  bie  ^oromanbellüfte  eine  oon  gahlreidhen  ^lüffen 

burebftrömte  fru^tbare  ©bene,  in  melcber  bie  ©iebtigfeit  bet 

Seoölfetung  gu  berfelben  |)öhe  fteigt  mie  in  Sengalen.  3)ie 

große  innere  ^lateaumaffe  bagegen  ift,  fomeit  ißr  bie  geudhtig* 

(681) 


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38 


feit  burc^  bie  Oianbgebitge  entgegen  ®irb,  grö§tentl)eit8  tterfen 
unb  [te^jpenortig.  2)a^er  finft  ^iet  bte  S3e»ölfetung8bt(^te  be» 
beutenb  ^erab  unb  erreicht  faum  20  ^jto  qkm.  9loc^  geringer 
ift  biefelbe  in  bem  Steppen»  unb  SBüftengebiete  beö  unteren 
Jnbuö,  bem  ^eifeeften  unb  troefenften  SBinfel  ber  gangen  ^alb» 
infei,  ber  nodj  nicht  eine  JDichte  non  2 erreicht.  9tnr  ber  nörb» 
lichfte  ^h^if  be8  3nbu8gebiete8,  ba8  ^anbfehab,  bem  butch  bie 
»Jlähe  be8  @ebirge8  unb  burch  bie  gahlrei^en  glu§abern  reichliche 
Seu^tigfeit  gugeführt  mirb,  bringt  e8  mieber  gu  einer  Sichtig» 
feit  »on  100  pro  qkm. 


(Europa. 

Unfer  @rbtheit  nimmt  in  nieler  93egiebung  eine  beoorgugte 
Stellung  ben  anbern  gegenüber  ein.  @r  ift  ber  eingige,  meldhet 
gar  nicht  bie  heffee  3one  berührt,  unb  r»a8  non  iljm  nörblich 
bet  3ahre8ifotherme  oen  0®  C.  liegt,  alfo  bet  falten  3one  an» 
gehört,  betrögt  faum  ^ ber  gangen  ganbmaffe.  Äeine  ®egenb 
entbehrt  ber  fRieberfchlöge,  hoher  fehlen  bem  ©rbtheil  bie  SBüften 
gönglich,  unb  Steppen  treten  nur  in  verhältnihmä§ig  geringer 
I9u8behnung  auf. 

Sinb  auch  i^ifchen  bem  unmirthlidhen  fRotben,  in  welchem 
nur  1 3)ewohner  auf  ben  qkm  fommt,  unb  ben  reich  gefegneten 
Siftriften  SRitteleuropad  mit  ihrer  bichten  SSeoölferung  non  über 
200  pro  qkm  noch  erhebliche  ®egenfö^e  eorbanben,  fo  finben 
fich  biefelben  hoch  niemal8  unoermittelt  neben  einanber,  wie 
mit  bie8  bei  ben  onberen  @rbtheilen  gefchen  haben. 

5Jlit  3lu8nahme  be8  h^hrß  9Rorben8  unb  ber  fübruffifchen 
Steppen  finb  bie  33eroohner  giemlich  gleichmöfeig  übet  unferen 
(ärbtheil  oertheilt,  ba  bet  ©oben  im  ©ro^en  unb  ©angen  ber 

gleichen  .Kultur  fähig  ift.  @8  beftötigt  un8  bie8  auch  bie 

(682) 


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39 


folgenbc  Sabetle,  in  »eldjet  wir  nadb  ben  flimatii^en  3?et^ä(l= 
niffen  folgcnbe  @rub^>en  untetf (Reiben: 

'öcni. 

qkm  iöeoülferung  auf  1 qkm 

'Jlorb  unb  C'ft'Giiropa.  . GUI  308  it0105  758  14,7 


©üb' Europa 1460001  67  314  642  46 

f ßenlrabeuropa  . ...  1284931  92200  343  72 

1 ffieft.  Europa 874  333  78122  671  89 


Säiir  feben  aifo  Ijietaug,  bafe  bte  SSepelferungöbid^tigfeit  in 
Söeft«  unb  Gentraicuropa  feine  wefentlic^  oetid^iebene  ifi;  au* 
©Übeuropa  ftel)t  nod^  nt*t  übetmöfetg  gegen  bic  beiben  elfteren 
jurüct.  ^Dagegen  ^at  bet  Sflorben  unb  Often  beä  6rbt^eil8, 
uelt^er  etroa  f beS  SlrealS  umfaßt,  bebeutenb  weniger  als  ein 
^Drittel  bet  Seoölfetung  auf3uweifen.  gaffen  wir  nun  SBeft* 
unb  Gentraleuropa,  wel*e  fid^  an  relatioer  Sepolfernng  ungefaßt 
gleid^fte^en,  jufammen,  fo  ert)alten  wir  btei  gro§e  ©ebiete, 
welche  fi*,  wenn  aud^  etflätlid^etweife  nid^t  gan3  genau,  mit 
ben  brei  perf(^iebenen  flimatifd^en  ©ebieten  ©utopaS  berfen. 
68  Iö§t  fi(^  alfo  fd^on  je^t  erfennen,  ba§  3unäd^ft  bem  Älima 
unb  iobann  ber  natürlid^en  S5ef(^affenl)eit  unb  5)robuftinität  beS 
SobenS  bet  wefentlic^fte  Slnt^eü  an  biefet  oetfd^iebenen  SSet« 
t^eilung  ber  Setüfferung  3ufäUt. 

SBir  wollen  btefelben  bet  fReilje  nac^  einet  einge^enben 
Sejptec^ung  untet3te^en  unb  beginnen  mit  bem  fd^wad^  be» 
pölferten  fRotben  unb  Dften,  alfo  mit  ©fanbinaoien  unb 
IRu^lanb. 

IDen  größten  SE^eil  bet  ffanbinapifi^en  ^albinfel  nimmt 
ein  i^od^gebitge  ein,  weli^eS  ein  faft  hoppelt  fo  gto^eS  ©ebiet 
^at  als  bie  Sllpen,  eS  bilbet  eine  3ufammen^ängenbe  golge  oon 
'J-Hateaur,  bie  nac^  SSeften  ftcil  unb  mauerartig  3um  ÜJlcete 
abftüt3en  unb  nut  eine  fpätlic^e  aipenweibe  gewähren.  IDa^er 
ift  in  9iotwegen  f,  in  ©(^weben  bie  Jpälfte  beS  SobenS  un* 
probuftio,  unb  bet  probuftipe  S^eil  befte^t  gtö^tentljeilS  auS 
®alb.  2)ieS  erllärt  unS  bie  aufeetotbentli*  geringe  JDi^figfeit 

(GM) 


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40 


bet  33eoölfening.  9l5tblic^  »om  61.  ®rabe,  »o  ^aufenbe  von 
qkm  fa[t  menf(^enUere  ©inßbe  pnb,  nur  von  lapptft^en  91  en« 
t^iernomaben  burc^gogen,  ift  bie  {ep^afte  S3e»öl(erung  lebtglU^ 
auf  bie  fi^malen  glupt^äter  unb  Äüpenfäume  angewtefen.  91ut 
bet  ©üben  (in  Sflorwegen  bet  Äüftentanb  von  ©tavanget  bis 
@^riftiania,  in  ©c^weben  baS  auSgebe^nte  ^lac^lanb  füblic^  bet 
©eentegion)  oetraag  eine  bic^tete  Seoölfetung  gu  erna^tcn,  wellte 
in  bet  butci^  i^ie  8age  unb  ^ruc^tbatfeit  bevorgugten  ©übfpi^e 
von  ©c^onen  fogot  bis  gu  70  pto  qkm  fteigt. 

aiic^  91uplanb  eS  nut  bis  gu  einem  ‘Duic^fd^nitt  von 
15  93en>o^nern  pto  qkm  btingt,  fann  unS  nic^t  munbetn,  benn 
auc^  ^ier  fommen  noch  40  p@t.  beS  SobenS  auf  unptobuftioeS 
unb  ©taSlanb  unb  von  bem  9ieft  nut  20  p(5t.  auf  baS  Sltfet» 
lanb.  iSIfo  ‘ift  au(i^  ^iet  bet  gtö§te  ^^eil  beS  S3obenS  noc^ 
ni(^t  {ultivitt.  91ur  im  mittleten  91u§lanb  pnben  mit  bebeutenbe 
Städten,  meld^e  eine  giemlic^  bidjte  S3evölfetung  etnä^ten.  2)et 
f(^mole  norbtuffifcJje  iJanbtüden  fc^eibet  baS  nßtblidje  3öalb= 
unb  Sunbrengebiet,  in  welchem  nut  an  ben  ^lufeufetn  fpätlic^e 
menf(^Ii(f|e  Slnpebelungen  angettoffen  metben  (nßtblic^  beS  ^olat> 
fteifeS  ni(^t  2 auf  1 qkm),  von  9RitteItu^Ianb,  wo  mit  fott» 
f(^teitenber  8i(fctung  bet  SBälbet  auSgebe^nteret  SKnbau  unb  eine 
bittere  35evölfetung  P(^  anfammeln  wirb,  je|t  etwa  20  Se» 
wohnet  auf  ben  qkm  fommen.  3n  bem  ©ebiete  bet  fd^watgen 
@rbe,  welches  pch  von  ben  Abhängen  bet  Äatpaten  bis  gut 
oberen  Söolga  hi”3*sht,  erreicht  bie  SDidjtigfeit  fogat  bie  .^ohe 
von  50 — 60.  ©üböftlich  von  biefer  acfetbauregion  9KttteIru§= 
lanbS  fommen  wir  bann  in  baS  bünnbewohnte  ©teppengebiet, 
wo  nut  an  ben  Ufern  bet  ^lüffe  Slderbau  unb  ^aumwuc^S 
unb  fomit  auch  eine  etwaS  bichtere  SSevölfetung  pdh  pnbet. 
^Die  fiufeetft  geringen  ©ommenegen  unb  bie  grope  SBinterfölte 
pnb  hier  bie  geinbe  bet  Äultut.  Seträgt  bodh  g.  S.  für  DbePa 
bie  mittlere  fühcliche  ^Regenmenge  nut  360  mm,  für  Sifttachan 
fogat  nut  120  mm.  Sn  aftta^an  (46°  21'  n.  S3r.)  Peigt  bie 

(M4) 


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41 


bur(i^{(^mtlltd^e  lemijeTatut  beö  fölteften  SRonotfl  auf  — 6,4°, 
in  bem  24  @tab  nßtblid^eten  ^>ammetfeft  (70°  40')  aber  etfl 
auf  — 5,1°. 

3n  ^nnlanb,  wo  ber  größte  2:^eil  beS  IBobend  aud  ja^l« 
lofcn  @een,  ÜKoor»  unb  ;^eibebifiritten  befielt,  ifi  nur  au  wenigen 
©teilen  eine  intenfioere  .Kultur  niöglicb,  fo  in  bem  fiat^en,  gum 
£^eil  mit  ^Jinuoium  bebedten  ^üftenfaume,  in  welkem  bie  0e° 
üölferung  ftd^  gu  einer  2)i(bte  »on  10 — 15  ergebt. 

3n  ©übeuropa  treffen  wir  eigentbümlid^e-SBer^altniffe 
an.  S)ie  Sert^eilung  ber  Seoölferung  in  ben  bret  füblicben 
^)albinfeln  ift  eine  giemlicb  gleic^möfeige,  i^te  3o^l  aber  gegen* 
über  SBeft»  unb  SJlittcleuropa  unb  im  S3ergleidb  gn  berjenigen, 
wel^e  biefe  8onber  im  aitertbum  ernährten,  feljr  gering.  SDie 
Urfac^e  ber  geringen  SSolfSbidbtigfeit  biefer  einft  fo  blü^enben 
üönber  liegt  in  ben  politift^en  Serbältniffen.  9tamentli^  leiben 
bie  Salfan»  unb  ^prenäenbolbinfel  unter  benfciben.  3n  ©riechen* 
lanb  ift  bie  ^älfte  bed  Hreal6  fe^t  unt>robuftioed  unb  äBeibelanb, 
ber  Slnbau  liegt  ooQftänbig  barnieber.  2)ie  fcbßnften  ^I&cben 
finb  mit  Unfraut  bebedt,  unb  wo  man  angebanteß  8anb  trifft, 
ba  wirb  e8  in  ber  t>rimitioften  SGBeife  bearbeitet.  iHuf  ber 
^prenäenbalbinfel  beträgt  baS  ^der«  unb  ©artenlanb  nur  30  p6t. 
^)ier  geftalten  ftcb  bie  SSerbältniffe  bur(b  bie  orograpbifeb« 
ftaltung  beß  8anbeS  noi)  ungünftiger.  S)ie  fte^penbürren  ^odb< 
ebenen  lönnen  nur  alß  SBeibelanb  benu^t  werben;  ba^er  wirb 
^ier  nur  eine  SSeoölferungSbic^tigteit  wie  in  ben  9ll;}en  ober 
auf  bem  fdjottifd^en  ^oc^lanbe  angetroffen,  15  — 20  ^jro  qkm. 
9tur  wo  rei^liibere  fHieberftbläflc  »or^anben  finb,  wie  an  ber 
fRorb»  unb  SÖeftfüfte,  ober  lünftlid^e  Sewäfferung,  wie  im  ©üben 
unb  am  ©olf  oon  SSalencia,  ba  ^at  fidb  eine  bebeutenb  biestere 
Seoölferung  angefammelt  (100  biS  150  auf  1 qkm). 

33effer  ift  bie  mittlere  ber  brei  füblic^cn  ,^>albinfeln  »on 
ber  SRatur  auflgeftattet.  grcilicb  Ijaben  wir  au^  ^ier  weite, 
unfruchtbare  ©ebiete,  bie  eine  äu§erft  bünnc  Seoölferung 

(68S) 


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42 


wie  bie  ficber^aut^enbcn  ©umpfbiftrifte,  welche  fi(^  Bon  ^ija 
längs  bet  SBefttüfte  bis  3U  ben  pomptinifc^en  ©ümpfen  erftteden. 
!Dem  gegenüber  ^at  Stolien  aber  auch  teid^e,  forgfältig  bebaute 
©egenben,  wie  bte  frudbtbare  Webetung  beä  Sirno  ober  bie 
campanifebe  6bene,  bie  ftben  im  SUtertbum  bureb  ib«  Sruebt» 
barfeit  berühmt  war  unb  gabireicbe  ©täbte  unb  IDotfer  batte. 
3)ie  bidbtefte  ScüöUerung  StalienS  finben  wir  in  ber  ^oebene, 
beren  ^robuftenfüHe  unb  SJlenf^eupracbt  fdbon  ^olpbiuS  rübmt 
(II,  15).  SUlmäblicb  but^  bie  5luff(büttungen  ber  Sllpen»  unb 
Sfpenninenjuflüffe  entftanben,  bat  biefeS  ©cbwemmlanb  Bon  jeber 
bureb  feine  au§erorbentIicbe  ^ru^tbarfeit  eine  SeBÖlferungS« 
bi(bte  erzeugt,  welche,  obwohl  nur  auf  bem  Üldetbau  berubenb, 
bennoeb  mit  ben  bicbtbeBolferten  Snbuftriebejirfen  rinaliftten  fann. 
Die  ^oebene  entbölt  faft  bie  .^älfte  bet  Sewobnet  Bon  gang 
Stalien,  unb  eö  leben  b>f^  160  bis  180  SOtenfeben  auf  1 qkm. 

@S  erübrigt  noch  auf  bie  SeBöIferungSBerböltniffe  in  SBeft* 
unb  Gentraleuropa  einen  Slid  gu  werfen.  Da  biw  bie  Ilima» 
tifeben  Serbältniffe  im  gangen  wenig  Unterfebiebe  geigen,  fo 
fönnen  bie  ©egenfd^e,  wel^e  in  Setreff  bet  SolfSöertbeilung 
Bielfadb  Botbanben  ftnb,  nur  auf  bie  orograpbifd)e  ©eftaltung 
unb  ^robuItiBität  beS  SobenS  gurüdgefübrt  werben. 

Daher  geigen  bie  .podbgebirge,  wie  bie  Sllpen  unb  baS 
fdbottif^e  ^ocblanb,  wafferarme  ^eibeplateaur,  wie  bie  ^ocb> 
länbet  ber  3luBetgne  unb  ©bampagne,  unb  ©anb*  nnb  @umpf> 
lanbfdbaften,  wie  bie  üanbeS,  bie  J£)eibe=  unb  ÜJloorbiftrifte  im 
norbweftli(ben  Deutfdblanb  eine  glei(b  bünne  Senölferung,  bödbftenS 
20  — 30  auf  1 qkm. 

6inige  anbere  niebtige  plateauartige  ©rbebungen,  wie 
baS  taube,  einförmige  ^lateau  bet  6ifel,  beS  .^unStüd,  bet 
baperifdben  ^odbebene,  geigen  eine  um  weniges  biebtere  Se» 
BÖlferung,  etwa  40  — 50  auf  1 qkm. 

3ut  bödbftcn  Didbtigfeit  fteigt  bie  Seoölferung  nur  bort, 

wo  ber  Sldetbau  reichen  ©rtrag  liefert  ober  bebcutenbe  inbuprieQe 
(68«) 


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43 


J^ätigteit  entfaltet  toerben  tann.  IDaS  erftete  ift  bet  gaH  in 
bet  t^einif^cn  Tiefebene,  im  t^uringiidjen  Jpügellanb,  .am 
Slu^enranbe  bet  notbbeutfd^en  5)tittelgebirge,  in  ben  ftu^lbaten 
9Katf(^en  bet  9iotbfeefüfte  unb  im  englift^en  gladjianbe.  2)ieje 
SeBölferungöcentren  ftnb  meift  3l(tet8  unb  ^aben  in  bem 
©oben  eine  unoetfiegbate  Duelle  i^teä  Söol)lftanbe8. 

3»citeu8  ift  eS  bie  ^o^e  inbufttieHe  Gntffiidfetung,  »eld^e 
bie  Secülferung  »etbidjtet.  Äc^le  unb  ©ifen,  baö  finb  bie 
beiben  mäd^tigen  .^ebel,  meld^e  oon  Dberfcbleficn  bis  jum  6^= 
gebitge,  üom  9lotbab^ange  beS  t^eini)(^en  ©d^iefergebirgeS  bi8 
mö)  Stanfteii^  hinein  unb  in  no(^  gto§aitigetet  SBeife  im 
centralen  ßnglanb  in  Iut3ct  Seit  eine  ©eüolfetung  ^etuorgebrac^t 
^aben,  bie  eine  ^öt)e  üon  300  unb  me^r  ©emo^nern  auf  1 qkm 
erreicht. 

2)iefe  Snbuftriebegirfe  gehören  bet  jüngften  Vergangenheit 
an;  fie  fenn3eidhnen  ft^  al8  folche  bureb  bo8  rapibe  SBachSthnm 
bet  ©eBölfcrung  einerfeitS  unb  butch  bie  Sunahme  bet  ftäbtifeben 
gegenüber  bet  länblichen  ©eBÖlferung  anbeterfeitS. 

@8  ttirb  Bon  Sntereffc  fein,  in  biefer  |)infid)t  groifchen  ben 
bebeutenberen  Staaten  einen  Vergleich  nnguftellen.  lDa8  ftäbtifchc 
Element  nimmt  in  benjenigen  8änbern,  melche  au8f(hlie§tich  auf 
ben  Sldtetbau  ongemiefen  finb,  nur  einen  fleinen  S3e» 

Bölferung  ein;  in  S^weben  etwa  10p6t.,  in  5Rotwegen  13p6t., 
in  Defterrei^=Ungnrn  16  h®t.  3u  benjenigen  Staaten,  mo  bie 
Snbuftrie  gwat  fc^on  einen  bebeutenben  QluffchiBung  genommen 
hat,  in  benen  aber  bodh  noch  bie  VeBölferung  Botmiegenb  uom 
^efetbau  lebt,  toie  in  gtanfreidh  unb  IDeutfdhlanb,  erreicht  bie 
ftäbtifche  VeBölferung  bereits  25  p6t.  9lm  ungünftigften  ift  baS 
Verhältnis  etflätlichenBeife  in  ©roSbritannien,  wo  bereits  bie 
ipälfte  allet  @inwol}net  in  ben  Stabten  wohnt,  unb  wenn  wir 
Bon  Schottlanb  unb  Stlanb  abfeljen,  fo  fommen  in  bem  eigentlichen 
©nglanb  66,6  B®t.  auf  bie  ftäbtifche  unb  nur  33,4  v(5t.  auf  bie 
länbliche  VeBölferung  („Veoölferung  bet  6tbe"  VIT,  11). 

(687) 


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44 


SBir  müficn  hiermit  unfcte  Setrad^tungen  abfd^Iie§en,  5)er 
8efet  wirb  auö  un|eren  Ausführungen  ben  @inbru(f  erhalten 
haben,  ba§  mir  hici^  »ot  einem  Schema  ücn  unerfchcpfltchet 
güHe  ftehen.  3)er  enge  9fiahmen  etneS  folchcn  SortragS  er» 
forbert  aber  eine  ^efdjränlung  auf  baS  9lothwenbigfte.  55aher 
fonnte  mandheS  nur  angebeutet,  anbereS  muhte  noQftänbig  über» 
gangen  »erben.  5)ie  »orhergehenbe  JDarftellung  follte  unS  geigen, 
»ie  fi(h  bie  1434  ÜRidionen  fDienfchen  über  bie  eingelnen  8änber» 
räume  uertheilen,  unb  »ir  haben  gefehen,  bah  Städten  non 
einer  bidhten  SSeoölferung  bewohnt  finb,  ja  wir  fßnnen  fagen, 
gum  2h**I  f^on  heute  an  Ucberoölferung  leiben.  5Da  bringt 
fich  benn  wohl  ber  @$eban!e  auf,  ob  unfer  planet  nodh  lange 
im  ©tanbe  fein  wirb  bie  fich  immergu  mehrenbe  3ahl  ber  QJlenfchen 
gu  faffen. 

S3on  ben  1434  ÜRillionen  5ölenfchen  leben  faft  } ober  runb 
1000  SKiÜionen  in  6urot>a,  93orber»3nbien,  6hina  unb  Sapan, 
b.  h*  auf  einem  glächenraume,  welcher  nodh  ”'*^1  fiebenten 
Slhell  ber  Sanboberfläche  auSmacht.  ^ür  bie  übrigen  | bleiben 
baher  nur  434  9JHQionen  ober  3 — 4 Sewohner  auf  1 qkm 
übrig.  9iimmt  man  nun  felbft  an,  bah  bie  .^älfte  biefeS  DiefteS 
(bie  groben  unb  fleinen  SBüften,  bie  bürren  ©te^jpen  unb  bie 
nörblichcn  3;h«le  »on  Afien  unb  Amerifa**)  feiner  ftärferen 
23eeölferung  fähig  wäre,  fo  bleiben  hoch  immer  nodh  runb 
56  SJliflionen  qkm  (alfo  ein  ©ebiet,  baS  bebeutenb  gröber  ift 
als  Afien)  übrig,  bie  eine  weit  ftärfcre  Seoölferung  gu  ernähren 
im  ©tanbe  finb,  alS  fie  je^t  ernähren. 

JDiefe  ^h^tfache  wirb  unS  bie  Seruhigung  gewähren,  bah 
auf  lange  Seiten  hluuuS  für  fommenbe  ©ef^le^ter 
noch  Siaum  genug  auf  unfeter  @rbe  »orhanben  ift. 


C«B8) 


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^ntnerhnngm. 


1)  S.  Se^m  unb  Söogner,  Seeßlfetung  bet  6rbe  VI,  ©.  6 
unb  bie  biefem  So^rgange  beigegebene  Heberlic^tfifarte  ber  Sänber,  in 
welchen  bial^er  wirflie^e  SSolfbjäbiunflo*  flattfanben.  — ®ie  fegen. 
SReoillonen  in  atuglanb  ^aben  nic^t  ben  SBertf>  »irtli(^)et  iüolf83äl)Iungen, 
ba  bie  JöeoßlfetungSfumme  auf  @runb  polijeilicber  fRegiflrationen,  bie 
niebt  glei(bjeitig  ftattfinben,  jufammengefteüt  wirb. 

2)  ®.  S3ebm  unb  SBogner,  Seuölferung  ber  ®rbe  II. 

gemeine  ©etraebtungen  unb  Stücfbliefe)  ®.  4.  — 3lucb  bie 

folgenben  Slngoben  finb  im  iäOgemeinen  biefet  Sinleitung  entnommen. 

3)  3118  ein  ©eifpiel,  ba^  felbft  wenigen 

i?5nbern  ber  (Srbe  ber  gläcbeninbalt  binreicbenb  genau  befannt  ift,  möge 
Surepa  bienen,  ba8  feinem  SIreal  na(b  om  beften  befannte  ©ebiet  ber  Srbe. 
9Iocb  Diitter  gab  ba3  3lreal  beffelben  ju  150  000  Quabratmeilen  (=  8‘/4 
fBIiUionen  qkm),  SEBappduS  (1854)  ju  154  000  jQnabratmeilen  (=  8'/j 
fUIiflienen  qkm)  an  [©utfjc  unb  SBagner,  ?ebrbucb  ber  ©eograpbie  II, 
5.  Slufl.  1883.  ®.  27],  wdbrenb  ©eneral  üon  Strelbi^fp  (La  super- 
ficie  de  l’Europe,  1882)  ju  bem  fRefultate  oon  etwas  übet  10  SOiill. 
qkm  gefommen  ift.  ©enauereS  barüber  finbet  man  in  „©euölfetung 
bet  ©rbe"  VII.  ®.  21  unb  139. 

4)  ®.  @.  ©ebm.  ©eograpbif^e«  3abrfc»(b  130,  ber  bift 
juerft  eine  genaue  nergleicbenbe  SufammenfteUung  fdmmtliiber  Sdnber 
ber  6tbe  auf  ®.  131 — 137  giebt. 

5)  .^auSbofer,  gebt«  unb  ^)anbbu(b  ber  ©tatiftif.  9Bien  1882, 
S.  106  unb  O.  ©eftbel,  ©ßlterfunbe.  3.  3lufl.  Seipjig  1876,  S.  472. 

6)  9Ia(b  ben  ©ereAnungen  Strelbibfp’S  in  , ©eößlferung  ber 
erbe"  III,  ©.  92. 

7)  3n  biefer  SSeife  ift  bie  Äartc  ber  ©oüSbicbtigleit  'Deutf^lanbS 
angefertigt,  welche  bem  19.  ©anbe  (3abre8fupplement  1881 — 82)  non 
'IJleper’8  ÄonnerfationSlejrifon  beigegeben  ift.  ©ine  ©ergleicbung  berfelben 

(689) 


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4« 


mit  bec  Ucberfi^tefarte  über  bic  ©eeolferung  Seuli'c^lanb«  »Jon  Se^m 
(^clcrmann’6  9JcittbeiIungen,  Sabrgang  1874,  S.afd  1)  wirb  jebcn  »on 
ber  Siit^tigfeit  unfcror  weiteren  Sarlegungen  (eidjt  überjeugen. 

8)  „S3et)6ltening  ber  (?rbe*  II,  ®.  92—95. 

9)  Sä^lungen  haben  bi«  je^t  nur  ftattgefunben  in  Sllgerien,  Unter« 
Ägypten,  in  ben  franjöfifcben  JBefihungen  an  ©enrgol  unb  ben  britifeben 
Jlclcnien  in  Sübafrifa,  augerbem  auf  ben  Snfeln,  mit  ?(u«nahme  »on 
5Kabaga«far.  ©.  bie  UebcrfichtÄtarte  Don  SBagner  ju  „©eeclferung 
ber  6rbe"  VI. 

10)  cermeifen  l;ier  auf  bie  Bortreff liebe  Sarftellung  (5.  ilebm’« 
in  „IBeBDlIerung  ber  Srbe*  II,  ©.  97—102,  melcbe  un«  al8  ®runblage 
bienen  fonnte. 

11)  „(S«  haben  SJlenfcben  ben  Ghitn^orajo  (6310  m)  befliegen  unb 
ftnb  in  Buftfehiffen  bi«  jur  ^)öhe  Bon  6780  m gelangt.  3lber  biefe 
4)öhen  «erben  nirgenb«  bauernb  betnohnf.  Sie  hcthflf"  bewohnten  Orte 
ber  Srbe  fmb  ^oinle  in  SBefttibet  (4598  ra),  Serro  be  ^a«co  (4352) 
unb  ^otoft  (4069)  auf  ber  peruanifeb-boliBianifchen  .^ochebene,  ?abaf  in 
SBefttibet  (3600);  in  unfern  Sllpen  ift  ©ta.  SJlaria  am  ©tilfferioeb 
(2535),  in  unteren  fDlittelgebirgen  ba«  gelbberghau«  (gegen  1400)  bie 
hötblten  bauernb  bewohnten  ©teilen."  9ia(jel,  SInthropo  • ©eographie, 
©eite  311. 

12)  3.  @.  Äohl,  ©fijjen  au«  DIatur«  unb  SBßlferleben. 

13)  ,Ä.  S.  non  !öör  gebt  boton  ou«,  bo§  ba«  ©tbaf  bei  ben 

Jbulturanfängen  ber  alten  SBelt  eine  große  IRotle  gefpielt  habe,  unb  weift 
barauf  hi»>  baß  ba«  ©cbaffameel  (Bama)  ber  3(nben  al«  einjige«  nüß« 
li(be«  ^au«thier  Slmerifa«  Stebnliche«  in  ^eru  bewirft  haben  fann." 
(S3eo5lferung  ber  Srbe  II,  ©.  102.)  — Slaturprobuften  ber 

peruanifeben  ^otblanbe  nerbanfen  wir  bie  Srjiehung  ber  fübamerifanifeben 
Äultumölfer,  nämlich  bem  SSortommen  ber  Bama«2lrten,  ber  Äartoffel 
unb  ber  Äincahirfe."  (O.  'Pefcbel,  Slolferfunbe,  3.  3Infl.  ©.  476). 

14)  gür  Seutfchlanb  ift  ber  Sinflu^  ber  geologifchen  fßerbältniffe 
in  eingehenbfter  SSeife  naebgewiefen  non  S.  Sotta,  Seutfcblanb«  Soben, 
fein  geologifcher  S3au  unb  beffen  Sinwirfung  auf  ba«  Beben  ber  fölenfchen. 
2 IBänbe.  Beipjig  1858. 

15)  9lach  ber  3ähl“ng  ton  1877.  ®othaif(ber  4>offalenber  1882. 
©eite  985. 

16)  „9lu8  allen  SBelttheilen"  3ahrg.  XIV,  ®.  126.  — Sie  ©tabt 
Sorboba  jählte  unter  ber  ^terrfcbafl  ber  Slraber  über  eine  üliillion 
Sinwohner,  ießt  (1877)  nur  50  000.  ®oth.  4>offal.  1882.  .©.  986. 

17)  Sine  fiberiichtlicbe  3»fammcnftellung  giebt  4)-  SBagner,  Behrbuch 
ber  ®eograpbie,  5.  Slufl.  1882.  1,  2.  286. 

(690) 


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47 


18)  .f)ier  unb  im  ^clijentcn  ftü^en  mit  un«  auf  tie  rocrfljBonen 
SlngaBen  ©agncr’ä  in  feinem  öe^tbne^  bet  ©eograpfjie,  iöb.  I,  1882. 
Sib.  II,  1884.  — lieber  bie  ilertbcilnng  bet  33eBclfenmg  in  ®üb- 
ouftralicn  nergleic^e  man  ^etermann’S  Äarte  im  Ü)iaf;i'tabc  son  1:5000000, 
ÜJiitt^eilungen  1873,  3af.  22.  — 2/00  neuefte  ftatiftifd^e  Material  über 
bie  fommerjietle  Sebeutung  bcS  @rbt^eil0  finbet  man  bei  6.  3ung,  ber 
SBeltt^eil  'Jluftralien,  4 Sbe.  ^tag  1882;  fürjer  in  bem  betr.  Slbfdjnitte 
Bon  Slnbree’0  gecgrapl)if(^em  4>anbbuc^c,  @.  46 — 119. 

19)  2Sir  führen  jum  Ulergleic^  an,  baß  nad)  ben  neueften  @r» 
fiebungen  in  (Europa  310  IRinber  unb  682  Strafe  auf  1000  ßinnjoljner 
fommen;  unb  jmar  in  I»eutf(f)lanb  (1873)  384  unb  609,  in  (»erbien  (1866) 
609  unb  2201. 

20)  31u0  allen  Jffieltt^cilen,  3u^rg.  XIV,  ©.  17. 

21)  ^ann,  ^anbbm^  ber  Älimatologie.  Stuttgart  1883,  S.  544. 

22)  SDtan  ^at  jmat  nielfat^)  gegen  33el}m’0  löcrec^nung  ber  Se> 
Bclferung  Slfrifa«  (Sinwenbungen  ertjoben  unb  bie  'änna^me  Bcn  200 
SWiUionen  Semo^ner  fogar  um  bafl  doppelte  ju  Ijod)  erllärt,  aber  bie 
6ntbecfung0reifen  ber  lebten  3o^rc  liaben  bie  au^erorbentlidj  bid)te  Se» 
Bclferung  Gentralafrifa«  nur  cen  neuem  beftätigt. 

23)  9lad)  Sogner,  öebrbuc^  ber  @eograpl)ie  1,  ©.  379.  — 
9Ran  Betgleicbe  ^ierju  bie  Äarte  über  bie  llerbreitung  ber  miditigften 
^flanjengtuppen  bet  6rbe  (SJJepet’S  Ä'cnBerfation8«8epifm,  3aljw0' 
Supplement  1883/84)  unb  ß^Banne'ä  Äarte  bet  SegenBert^eilung  in 
Slfrifa  (fRunbje^au  für  ©eograptjic  unb  Statiftit,  VI.  3al;rg.  1.  ^)älfte). 

24)  91ai^  4).  SEßagner,  8c^tbu(^  bet  öeogr.  I,  S.  543. 

25)  51a(^  ben  öerecfinungen  93el;m’«  in  .iöeBölferung  ber  6rbe", 
3a^rg.  II,  S.  95. 

6ine  Aarte  ber  S3eBölferung«bic^tigfeit,  reelle  gewiß  Bielen 
8efem  ermünfe^t  märe,  fonnte  befl^alb  nidjt  beigegeben  werben,  weil  eS 
bei  bem  fleinen  UJlaßftabe,  in  weldjem  biefelbe  Ijätte  angefertigt  werben 
müffen,  unmöglicfi  gewefen  wäre  ein  nur  einigermaßen  genügenbe«  33ilb 
ber  SJclfflcertßeilung  im  Singeinen  gu  geben.  3öir  fügen  baßer  bie  33e« 
merhmg  ßingu,  baß  bet  neue  Stßulatlaa  non2)ebe8,  Airdjßoff  unb 
Aropatfcßecf  bergleitßen  ftatiftifeße  Aorten  Bon  allen  Srbtßeilen  (mit 
SluSnaßme  SfrifaS)  entßSlt  unb  boß  bet  weit  Berbreitete  ^anbatlafl  Bon 
SBnbtce  menigften«  Bon  Suropa  unb  2)eutf(ßlanb  eine  fol^e  Aarte  giebt. 


(69U 

fcn  Ungfr  in  Set^Rfba^erftT.  17  a. 


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25er 


Cl^enerai  non  ^(^ai:nl)oc|i. 


®on 


firrlitt  SW.,  1884. 

Sßetlng  Don  6arl  .^»abel. 

(€.  iC.  Xübtriti'iitit  SnligibiifilianblBng.) 

33.  JSIIbdm-Ctraic  33. 


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5)aö  bet  Ueberfe^ung  in  ftentbe  (Spradjcn  wirb  Dorbebaltcii. 


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Unter  ben  großen  09t5nnern,  n>el(^e  ft(^  um  unfei  SBaterlanb 
in  ben  !£agen  feiner  tiefften  (^rniebrigung  bleibenbe  SSerbienfte 
erttjorben  ^aben,  fte^t  @^arnl)orft  in  norberfter  SRei^e.  6r  ifi 
eS  ja  nor  aDen  ülnberen,  ber  ben  büxi^  9la)>o(eon  zertrümmerten 
unb  feiner  Kampfmittel  beraubten  preugif(^en  @taat  wieber 
wehrhaft  gemad^t  unb  i^n  befähigt  ^at,  in  einem  ru^muonen 
Kriege  bad  be8  fremben  Unterbrüderd  abzufd^ütteln,  fo  ba§ 
i^n  fi^on  Seitgenoffen  al8  ber  beutfcben  grei^eit  SBnffenfd^tnieb 
bejei^net  ^aben.  ©d^arn^orft  ift  aber  auch  baburd^,  ba^  er 
auf  ber  ®runb(age  ber  allgemeinen  Sße^rpflidbt  ein  mit  ben  beften  . 
geiftigen  unb  fittlicbcn  Kräften  ber  Station  auSgerüfteteS  ^eer 
un8  fd^uf,  ber  Urheber  unferer  mobemen  Sßc^rfraft  unb  ber 
SDRitbegrfinber  unferer  gegenwärtigen  @rS^e  geworben. 

Snbem  i^  bie  Siufmertfamfeit  bet  8efer  auf  baS  bebeutungS» 
»oHe  SBirlen  biefeg  SDRanneS  lenfe,  »erlebte  i^  mir  ni^lt, 
ba^  (S^arnborft’8  ?>erf5nlidbfeit  ben  ©ebilbeten  unfereS  SBolfe« 
fo  wobt  befannt  ift,  bab  iljnen  auf  ben  nadbfolgenben  Slättern 
nur  wenig  9teued  geboten  werben  fann.  3rre  icb  aber  nid^t, 
fo  gebärt  unfer  $elb  nicht  adetn  burcb  bie  ©rö^e  feiner  SBerbienfte, 
fonbem  auch  burcb  ^obeit  feined  3^  benjenigen 

weltgefcbicbtlidben  ^erfönlicbfeiten,  bereu  Biib  wir  und  immer 
wieber  gern  »ergegenwärtigen,  felbft  wenn  ed  und  nur  in  fnappeti 


XIX.  4il. 


(895) 


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4 


Umriffen  entgesenftitt.  Unb  foOte  ni(^t  auc^  btt 
^jintergrunb,  auf  bem  igd^arn'^otfi’8  geben,  jumol  in  ben  ent» 
fc^eibenben  Salären  feiner  SBirffamfeit,  in  ben  Stagen  bet  SBiebet» 
gebutt  unb  bet  (Strebung  unfereS  SßoIfeS,  fic^  abfpielt,  unfetc 
S^eilna^nte  immet  non  neuem  in  Sinfptuc^  nehmen  bfirfen? 

6ine0  ^annöuetifcben  ^äd^terö  So^n  toutbe  ©ct^atb  SDauib 
©d^atn^otft  am  12.  9to»cmbet  1755  ju  93orbenau  an  bet 
Seine,  3 9Jlei(en  uon  bet  @tabt  ^)annoner,  geboten.  @t  ge^ött 
alfo  ebenfo  wenig  wie  bie  @taat8mäunet  ®tein  unb  ^atbenberg 
obet  wie  bie  ^elb^erten  SBlüd^et  unb  @neifenau,  mit  benen  et 
fid^  bereinft  in  ^teu§en  jU  einet  e^joc^emadbenben  SBitffamfeit 
verbinben  foQte,  von  @ebuit  bem  Staate  Stiebri(b8  be8  ®ro§en 
an.  SDafe  eS  ein  auf  9laffouif<bet  @tbe  geborenet  9teidb8rittet,  bet 
greifen:  Äarl  von  Stein,  gwei  .Hannoveraner,  Se^ambotft  unb 
{>arbenberg,  ein  ^ecflen bürget,  01üc^et,  unb  bet  von  fübbeutfcben 
@(tern  geborene  9teibbatbt  von  ©neifenau  waren,  wel^e  vor 
aQen  2(nbem  ba8  bem  Untergänge  na^e  $teu§en  auf  neuen 
©tunbiagen  wiebet^ergefteHt,  für  feinen  heutigen  0ernf  tauglidb 
gemacht  unb  ju  glorreichen  Siegen  geführt  hoben,  baran  Tann, 
fdbeint  mir,  nicht  oft  genug  erinnert  werben. 

3n  einfachen  unb  engen  3?erhältniffcn  ift  unfet  o®f 
bem  ganbe  aufgewa^fen.  9la^  bem  fein  S3ater,  6m|t  SBHhelm 
S^mhorft,  eine8  flüchten  SBauern  Sohn,  weichet  in  jungen 
fahren  in  bet  honnöverif^en  Ülimee  gebient  unb  e8  bi8  gum 
Duartiermciftet  gebraut  hotte,  mit  feinet  ©attin,  bet  Mochtet  be8 
Sreifaffen  Siegetmahet  in  SSorbenau,  mehrere  3ahte  in  brürfenber 
Sbhängigfeit  auf  bem  Schwiegervater8  gelebt  hotte, 

pachtete  et,  um  felbftftänbig  gu  wirthfthoften,  ba8  SBotwerf  Hämelfee 
in  bet  fUähe  von  $oja  an  ber  SBefet.  ®ott  hot  bet  junge  Sdharn» 
horft  feine  .^abengeit  vom  4.  bi8  10.  gebenSjahte  gugebradht. 
(«««)  • 


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5 


waren  fc^toere  3a^te  für  bie  ■9>äci)ter8Ieute.  2)enn  jn  ben 
Saften  be8  flebenjä^rißen  ÄriegeS  famen  bolb  bte  großen  Äo^en 
eines  langwierigen  ^ro^effeS,  burd^  weld^en  ber  Sater  beS  jungen 
©erwarb  feine  Snfprüc^e  an  baS  @ut  ber  mittlerweile  »erftorbencn 
@(^wiegereltern  ju  nerwirflü^en  fud^te.  @o  war  auf  bem  IBor» 
wert  ^ämelfee  bie  eingefi^r&nftefte  SebenSweife  bei  unabläffiger 
S^ütigfeit  geboten,  nnb  unfer  ^elb  lernte  frü^  an  bem  S3eifi>iele 
ber  wiDenSftarlen  @ltem,  waS  be^anlic^er  ^lei|  unb  ftrenge 
©enügfamfeit  für  baS  Scben  wertl)  flnb.  SKü^igge^en  burftea 
aud^  bie  ^eranwad^fenben  ^nber  beS  raftloS  t^ätigen  ^äc^terl 
ni(^t,  fie  würben  nielme^r  frü^  gu  leichten  Arbeiten  in  ^anS 
unb  Selb  ange^alten  unb  ©erwarb  namentlid^  gur  .^ütung  ber 
@{^afe  unb  Äü^e  »erwenbet.  @8  war  ungefähr  um  biefelbe  3«t, 
aI8  in  einem  tbüringif^n  IDorfe  ein  mutterlofer  ^nabe  befferer 
^erfunft,  bem  au^  nic^t  ber  Selbmarfd^allftab  in  bie  Siege  ge> 
legt  war,  i(^  meine  ©neifenau,  baarfu§  bie  ©änfe  gehütet  ^ot. 

IDie  93ebr5ngni^  ber  @(barn^orft'f(^en  Sonilie,  beten  jbinber« 
gal^l  auf  vier  ^eranwu(^8,  würbe  nod^  nerme'^rt,  al8  eine  SeuerS* 
brunft  bo8  SBorwetf  ^melfee  grö^tent^eil8  in  Slfd^e  legte  unb 
bamlt  aud^  einen  S^eil  be8  SRobiliarbeft^eS  be8  $ä(^ter8  »er« 
nic^tete.  9luf  einem  SSorwerfe  be8  nur  wenige  Stunben  »on 
^amelfee  entfernten  IDorfeS  IBot^mer,  ba8  gtücflii^er  Seife  gut 
^adbtung  fi<^  batbot,  begann  bet  unterne^meube  fDtann  »on 
9teuem  gu  wirt^fc^aften.  @8  beburfte  aller  Umfid^t  unb  ©nergie, 
um  au8  ben  brudenben  IBerlegen^eiten  ^erauSguf ommen , bi8 
enblic^  bie  SluSfic^t  auf  einen  glücflic^en  9(u8gang  be8  berührten 
?)rogeffe8  bo8  geben  freunblid^er  geftaltete. 

Sür  ben  fünftigen  5(rieg8^elben  war  e6  nic^t  o'^ne  Sebeutung, 
ba|  bet  allgemein  geartete  IBater  vielfach  mit  benachbarten 

ySchtem  »erfehrle,  bie  gleich  We  Saffen  im  35ienfte  be3 

(»0 


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6 


SaterlanbeS  getragen  Ratten.  S8ie  eifrig  ^orc^te  er  auf,  ber 
»{^begierige  ^nabe,  mit  ben  großen,  ^eQen  klugen,  fo  oft  jMegÖ« 
ereigniffe  ben  @egenftanb  ber  Unterhaltung  bilbeten.  9lament« 
(ich  machten  bie  @r3ählungen  eined  Snvalibenunteroffijierd  einen 
tiefen  Ginbrud  auf  ihn  unb  fleigerten  nicht  wenig  baS  3ntereffe, 
baS  er  an  ben  Ileinen  friegSgefdiichtlichen  ©chriften  nahm,  bie 
et  bei  bem  ?>tebiget  in  Sothmcr  gefunben.  @o  erwachte  in 
bem  jungen  @charnhi?rft,  ben  bet  äSater  jura  8anbwirth  beftimmt 
hotte,  ber  lebhafte  SBunfdh  @oIbat  ju  werben,  ©einem  @hr0«3 
foD  babei  al6  h^^fteS  3icl  bad  33orpoftenfommanbo  eineS  Unter* 
offijierd  oorgef^webt  haben.  3um  ©olbatenftanb  fühlte  ft<h 
auch  förderlich  tüdhtig.  IDenn  feine  von  ^au8  au8  femige  @e> 
funbheit  war  butch  ba8  einfache  8anbleben  mit  ben  regelm&^igen 
Sefdhaftigungen  im  freien  nur  noch  nieht  geftShlt  worben,  fo 
ba§  ein  abgehärteter,  allen  Slnftrengungen  gewachfener  Mörder 
neben  früh  gewedtem  Pflichtgefühl,  SBiQen8energie  unb  (Shatafter* 
fefligfeit  bie  werthooHe  ÜJUtgift  bildete,  bie  er  au8  bem  @ltern* 
häufe  mitnahm. 

9tur  bie  geiftige  3(u8bilbung  be8  fdäteren  ^ieg8he(ben,  ber 
bi8  3ur  @onftrmation  auf  ben  fdärtichen  Untenicht  ber  3>orffchuIe 
angewiefen  war,  blieb  noch  länger  nemachläffigt.  3war  griff 
ber  junge  ©charnhorft  nach  jebem  ^uche,  ba8  feiner  8embegierbe 
93efriebigung  »erfdtoch,  ober  ber  daffenben  Suchet  fonben  fich 
in  Sothmer  unb  Umgegenb  wenig  genug,  unb  auch  ber  Unter« 
rieht,  ben  ihm  ein  d^nflonitter  ;^audtmann  in  ber  HJtathematif 
ertheilte,  woQte  wenig  bedeuten.  @in  entfeheibenber  ©chritt  ju 
feinet  Sorbereitung  auf  ben  lünftigen  Seruf  fonnte  erft  gef^ehen, 
a(8  ber  langj&htige  Progeh  über  ben  Sefi^  be8  grohelterlichen 
@ute8  gewonnen  unb  bie  Ueberfiebelung  nach  Sorbenau  erfolgt 

war.  S)a  erwarb  fich  ber  Sätet  al8balb  bie  Sichtung  unb  @unft 
(6»8) 


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7 


bed  Qirafen  9Bil^e(m  von  Sätfebuig,  wettet  ben  18j&^rigen 
Jüngling  im  .^etbfte  beö  Ja^teS  1773  in  feine  berühmte  Ätiegfl» 
f(^ule  aufnabm. 

IDet  Heine  @raf  non  ©(baumburg«8q5ije,  welket  in  fo 
etfolgteid)et  SBeife  in  bo8  geben  Stbarnbotfi’d  eingreifen  follte, 
»ai  einet  bet  auggejeidjnetften  dürften  unb  ^elbbenen  feinet 
Beit.  9iacbbem  et  mäbtenb  be8  fiebenjäbtigen  ^iegeö  in  IDeutfcb- 
lanb  tt)ie  in  ^ottugal  fi(b  glSnjenbe  SSeibienfte  aU  ^eetfübtet 
mie  als  Stu)jpenotganifatot  emotben,  etticbtete  et  in  feinem 
gänbdben  auf  bem  0ott  äüBilbelmftein  im  ©teinbubet  ^D^ieete  eine 
mit  einem  Jngenieut»  unb  Stttilletiefot^d  oetbunbene  ^egSfcbule, 
an  bet  untet  feinet  eigenen  ‘^ufficbt  unb  lAnleilung  treffli^e 
gebret  bie  Böglinge  tbeotetif(b  unb  b^uctifcb  in  bie  j^tiegdfunft 
einfübtten.  S)ie  ©cbület  bet  untetften  j^Iaffe  mußten  neben 
bem  »iffenf(baftlicben  Untetticbt  ben  SMenft  mit  ben  @$e> 
meinen  tbun;  bie  bet  gmeiten  l^laffe 
Untetoffigieten;  bie  @leven  bet  etften  .klaffe,  ^onbucteute  ge> 
nannt,  nabmen  eine  ©teQung  gmif^en  ben  Untetoffigieten  unb 
ben  Dffijieteu  ein.  9iiemanb  mutbe  aufgenommen,  ohne  ba^ 
bet  ®taf  felbft  ibn  »otbet  ge^itüft  b^tte.  JDa§  bet  junge 
©(batnbotft  nut  tai  befcbeibenfte  9)Ra§  non  J^enntniffen  mit> 
btacbte,  lä§t  fidb  benfen.  Slbet  baö  fcbutfe  Sluge  be8  9Kenfcben= 
fennetd  enietb  auf  ben  etften  ^lid  bie  bebeutenbe  93ef&bisung 
beS  jungen  fDianneö,  bet  juglei(b  but(b  fein  gangeJ  SSBefen  ben 
©rafen  fo  febt  anjog,  ba&  et  übet  bie  bütftige  Sotbilbung 
beffelben  binweg  fab. 

©(barnborft,  »eidbet  mit  bem  bebanlidbften  glei§e  ein 
audgegeicbneted  ©eböcbtnig  unb  ein  noch  felteneted  IDenfnet» 
mögen  netbanb,  tecbtfettigte  bad  IBetttauen  feined  äBobltbütetd, 
inbem  et  fcbnelle  gottf(btite  in  allen  SBiffenftbuften  raadjte. 

(699) 


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8 


9(ber  nic^t  allein  bte  ISlat^ematif,  bie  unb  bie  eigentlid^en 
SRilitairiDiffenidbaften  jogen  ben  jugenblid^en  @eift  m&c^tig  an> 
fonbern  mit  bemfelben  6tfer  [tubirte  et  neuere  @^rad^en,  @e* 
fc^id^te  unb  ®eogro^^ie  unb  befielt  babei  nod^  Seit  übrig,  fi(b 
audb  mit  ber  bamald  frijc^  aufblü^enben  fd^önen  Siteratur  be> 
fannt  ju  madben,  fo  ba§  neben  feinem  flaten,  fd^atf  ))rüfenben 
IBerftanbe  auch  fein  für  aOefi  9ie(bte,  @ro|e  unb  @dböne  er« 
glü^enbeS  ®efü^I  bie  nüt^ige  ffia^rung  fanb. 

SBenn  eS  unfer  ^elb  tro^bem  nie  ba^in  gebracht  b«t,  ba§ 
S>eutf(be  ganj  fehlerlos  ju  fcbreiben,  unb  wenn  er  namentlidb 
im  ®ebrau(be  beS  fDatiud  unb  Slccufatind  eine  gewiffe  Unfi^er« 
^eit  »erriet^,  fo  ift  baron  gu  erinnern,  ba§  bei  bem  mangelhaften 
grammatif(hen  Unterricht  feiner  Seit  gar  mand^e  bebeutenbe 
SRünner  nicht  beffer  batan  waren.  ®o  hot  j.  um  non 
S3lüchet  gor  nicht  ju  reben,  bet  taijfere  2)orf,  @raf  »on  SBarten« 
bnrg,  nie  in  brr  fDtutterfprache  fich  correct  auSjubrüdFen  gelernt. 
„0ie  uerbammten  mir’S  unb  mich’d,"  b^egte  er  ju  fagen;  „beim 
©chteiben  geht  eS  noch,  ba  macht  man  einen  Sug,  unb  jeber 
fann  ti  lefen,  wie  er  wiQ,  aber  beim  ©blechen  mu§  man 
heraus  bamit." 

®o  fchlimm  freilich  ftanb  eS  um  ®charnhorft'S  fbtachliche 
S3ilbung  ui^t.  ©eine  Briefe  unb  zahlreiche  Schriften  zeigen 
vielmehr  ein  in  feiner  Sinfachheit  oft  vortreffliches  IDeutfdh,  unb 
wo  bie  gorm  mangelhaft  bleibt,  ift  ber  3nh“It  um  fo  Hatet  unb 
überzeugenber.  — SKit  bet  theoretifdhen  Silbung  aber  hielt  in 
ber  3Rilitärf(hule  bie  btaTtifche  gleidhen  Schritt.  meine  bamit 
nidht  allein  alle  Sitten  beS  gewöhnlichen  SBaffenbicnfteS,  worin 
bie  @leven  beS  äBilhelmfteinS  fleißig  unterwiefen  würben  unb 
Scharnhorft  fich  balb  burdh  9)ün!tlidh!eit  unb  ©ewanbtheit  her« 
vorthat,  fonbern  ich  ^enfe  babei  namentli^  an  Uebnngen 

C700) 


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9 


wi[fenf(^aftli4)=te(^ntf(^ct  Statut  auf  bem  ©eblele  bet  SlttiQerle- 
unb  Sugenteutwiffenfcfiaften.  JDec  @raf  jelbft,  »eld^et  3«el  unb 
^id^tung  beS  Unterrtdbtd  überaQ  beftimmte  unb  manche  Uebungen 
unb  93erfu(^e  felbft  leitete,  be^ertfd)te  alle  Steile  bet  j^riegdlunft 
mit  f Dieser  9Jieifterf(^aft  unb  war  feiner  Seit  fo  weit  uoraud  ' 
geeilt,  ba§  @neifenau  nad^  Prüfung  bet  im  SüdFebutger  Strd^in 
aufbewa^tten  .^anbfdbtiften  i^m  fogar  nadbgerfi^mt  ^at,  et  ^abe 
unfere  ganje  IQolfSbcwaffnung  com  Sa^re  1813,  l^nbwe^t  unb 
Sattbfturm,  baS  gange  neuere  J^iegSwefen,  ausführlich  bearbeitet 
unb  aQeS  con  ben  größten  Umriffen  bis  auf  baS  Ileinfte  @ingelne 
{(hon  gewußt,  gelehrt,  auSgeführt;  auS  feinem  Reifte  hatten  fich 
fo  weit  in  ber  Seit  corauS,  bie  größten  ^iegSgebanfen  ent< 
widFelt,  aus  beten  fpäteren  IBerwirflichung  gule^t  bie  gange  SRacht 
92apoleonS  eigentli^  gufammengebrochen  fei. 

3n  .einet  fo  auSgegeidhneten  @chule  h^i  @charnhorft  ben 
®runb  gu  feiner  feltenen  IriegSwiffenfdhaftlidhen  S3ilbung  gelegt. 

9(1S  ber  @raf  Sßilhelm,  weldher  ihn  cot  allen  anberen  Süglingen 
f^ä^te  unb  liebte,  im  3ahre  1777  plöhlich  ftarb,  würbe  er  tief 
erfchüttert,  unb  wie  et  feinem  fürftlidhen  SBohlthäter  gcitlebenS 
ein  pietätcoQeS  Snbenfen  bewahrte,  fo  erinnerte  er  fid;  aud)  an 
bie  militärifchen  änftalten  unb  @inrichtungen  beffelben  immer, 
wie  er  felbft  fagt,  mit  einer  IStt  con  ©nthufiaSmuS. 

@in  3ahr  nach  bem  3:obe  beS  Grafen  SBilhelm  trat  ©dharn« 
horft  als  Sähnbrich  in  ein  hannöcerif^eS  IDragonenegiment,  baS 
gu  9iorbheim  ftanb,  ein  unb  würbe  con  feinem  @h^fr  bem  cor> 
trefflidhen  (General  @ftorf,  mit  bem  Unterricht  an  ber  SiegimentS« 
fdhulc  betraut.  3nbem  et  bie  eigenen  @tubien  mit  beharrlichem 
gleifee  fortfe^te,  würbe  et  gugleich  ein  antegenber  Sehrer.  2)ie 
@tfinbung  eineS  SRifrometerS  für  gernröhre  lenfte  audh  bie  2tuf» 
merlfamfeit  gelehrter  Äreife  auf  ihn. 

(701) 


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10 


3m  3fl^ve  1782,  junäc^ft  no(^  al8  Sä^ntric^,  ju  ber  iSrtiQeiie 
nai^  ^annoBct  »erfe^t,  fanb  ©c^anitiorft  ^ier  al0  gehret  an  bet 
3te8tment8f(^ute,  bU  bann  ju  einet  allgemeinen  ÄriegSftbuIe  et» 
weitert  würbe,  eine  größere  SBitffamfelt.  Slbet  wä^renb  et  mit 
gtcfetem  @ifet  untertirbtete  unb  nur  in  bet  mangelhaften  lüor» 
bilbung  bet  S^dlinge  eine  unbequeme  ©chranfe  fanb,  entfaltete 
et  guglei(h  eine  fru^tbare  fdhriftftetlerif^e  3ntereffe 

bet  Dffigiere.  9ln  militdrifche  3eitf^tiften , bie  et  h<wu8gab, 
j(hloh  R(h  ein  „^anbbmh  fut  Dffigiere"  an,  fetnet  ein  „mili» 
tdrifcbeS  2:af(benbu(h  gum  ©ebraudh  im  Selbe'*  unb  eine  0teihe 
non  bebeutenben  fiiegSgefdhichtlichen  Arbeiten,  wobutch  et  ft(h 
ben  fRuhm,  bet  gelehrteftc  3)iilität}(htiftfteller  feinet  3«t  gu 
fein,  erwarb. 

IXber  fo  gto^  auch  feine  f(htiftftelleti)(he  S^hntiqfeit  war, 
fo  würbe  et  bo^  leineSwegS  gu  einem  ©tubengelehrten.  @chon 
bie  ^raftifche  IRi^tung  ber  URilitdrwiffenf (haften  bewahrte  ihn 
bauet,  ©ein  heUeS  ©olbatenauge  blieb  immer  bem  8eben  gu> 
gewanbt  unb  richtete  fi^  über  bie  Sntereffen  feines  engeren  SBater» 
lanbeS,  bem  et  noch  butch  mancherlei  litetarifdhe  $ldne  gu  bienen 
gebachte,  früh  hinaus  auf  bie  allgemeinen  beutfehen  Ungelegen» 
heiten.  3m  ©ommet  1783  unternahm  er  eine  IReife  nach  ben 
fübbeutfehen  ©taaten,  ferner  nach  Oefterteich  unb  |)reuhen,  um  bie 
militdrifchen  Einrichtungen  biefer  8dnbet  fennen  gu  lernen. 
SBahrf^einlich  unter  bem  Einbtud  feiner  bamaligen  Betrachtungen 
hat  et  ben  ©a^  nlebetgefchtieben:  „Äein  8anb  hat  eine  er» 
bdtmli^ere  Einrichtung  gut  gefchwinben  ^ülfe  im  ^iege  als 
IDeutfchlanb."  Süt  ferne  warme  nationale  ©efinnung  in  einet 
theitS  bem  J^oSmc^iolitiSmuS,  theilS  ber  Betgötterung  StanfreichS 
hulbigenben  Seit  fptechen  auch  ^ie  fchünen  SfBorte: 

„Es  hat  mich  immer  traurig  gemacht,  bah  wi*^  S)eutf^en 

(703) 


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11 


fo  wenig  SSatetlanbdliebe  unb  fo  wenigen  92ationaIftoIj  be< 
fi^en,  bafe  ein  SEt>eil  unfetet  feutigften,  un{eter  corjügli^pen 
©cbriftflener  fic^  mit  me^r  @nt^ufia9mu9  für  bie  fTan3Öjtf(^e, 
ol8  für  bie  eigene  Station  intereffiten  fann.“ 

Slut^  bem  gefetligen  geben  ^ielt  fi(^  S^arn^orft  gu  ^annonet 
nic^t  in  bem  3Jia§e  fern,  wie  ei  fpäter  i^m  gur  ©ewo^n^eit 
würbe.  SRidbt  oHein,  ba§  et  einet  großen  militärifd^en  gefe* 
gefellfcbaft  vorftanb,  fonbetn  et  netfe^tte  auc^  häufig  mit  anbeten 
@efeQf(f|aft8f(affen,  liebet  fteilic^  mit  biebern,  ic^Ii^len  0Atgetn 
al8  mit  Snge^ctigen  bet  fog.  ^ö^eten  @tünbe.  9(m  büufigften 
fab  man  i^n  im  ^)aufe  feines  ObeimS,  beS  .^offifcberS  <5cbatn* 
borft,  bei  bem  au^  feine  neiwittwete  SRuttet  wobnte  unb  bie 
anbetn  ©efdbwiftet  oft  gufammentrafen.  @in  ftatf  auSgeptügtet 
Samilienfinn  wat  bem  ü^ten  9Ueberfa^fen  immer  eigen. 

28  3nb*e  grünbete  @<barnborft  feinen  eigenen  ,^eetb 
mit  einet  .^annoneraneiin,  beten  IBtubet,  bet  ffiätere  ©ebeimratb 
@(berg  in  Berlin,  ibm  eng  befreunbet  war.  Son  feltener  (Süte 
beS  ^)ergenS  unb  fanftet  ©emütbSart,  bereitete  ibm  bie  @attin 
eine  glfidlicbe  |)äuS(idbfeit,  bie  f)>äter  nur  baburdb  etwas  getrübt 
würbe,  bab  bie  b^ufig  Iräntlicbe  unb  fcbwürmerifrb  empfinbfame 
^au  baS  geben  febt  fcbwer  nahm.  3n  früheren  3ab<cn  boHc 
ße  na(b  guter  grauen  9tt  rege  Sb^i(n<thme  für  bie  Arbeiten 
ibreS  l0ianneS  unb  erbeiterte  ibm  bie  wenigen  fOiubeßunben,  bie 
ibm  feine  lDienftgef(büfte  unb  feine  literarif^e  Slbütigfeit  übrig 
ließen.  IDaS  büuSlicbe  @lücf  aber  würbe  noDenbet  burdb  bie 
Geburt  unb  baS  ftöbUcbe  @ebeiben  bet  j^nbet,  beten  nach  unb 


na^  nier  b^tanwucbfen;  an  ihnen  bi»g  @^arnborft  mit  un* 
bef(breibU(bet  giebe.  @ang  befonbetS  b<<t  er  »on  jebet  feine 
ältere  Mochtet  3ulie,  bie  ß(b  fpäter  mit  einem  Grafen  oon  2)obna 


»etmäblte,  in  fein  ^exj  gefcßloffen.  @ie ^olV-^ftbem.  fie  mit 

V'  - ' ' (J03) 

0?  ' vt  ^ 


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^ by  Googie 


12 


btm  Sauber  vornehmer  Slnmut^  eine  ^ocl^^erjige  Qiefinnuno 
Bereinigte,  ald  baS  geiftigc  @benbilb  bed  SBaterS,  unb  mürbe 

na(b  bem  SBerluft  ber  ©attin,  ber  eine  jüngere  Jodler  olßbalb 
im  ijobe  folgte,  eine  »ertraute  grennbin.  3luf  biefe  SBeife  ent« 
ftanb  ein  ^riefmed^fel,  ber  für  ben  ©iogratj^en  ©d^amVift’ö 
eine  DueOe  erften  IHanged  hübet,  mir  merben  bemfelben 
^ier  unb  ba  ein  ebarafteriftifd^eS  SBcrt  entnehmen. 

@0  lange  ©dbarnborft  mit  ^au  unb  .^inbern  in  .^annoDer 
lebte,  mar  eö  i^m  no(b  einer  arbeitöDOÜen  SBoebe  bie  liebfte 
©rbolung,  Sonntage  mit  ben  Seinigen  einen  Spajiergang  in 
bie  ©rtenrieb  gu  machen.  tSuf  bem  SBege  borthin  pflegte  ber 
befcheibene  unb  freunblich  auftretenbe  Dffljier  in  bem  lebten 
Ü3äcferlaben  nor  bem  ©gibienthore  vorgufprechen , um  für  einen 
©rofchen  SSeSperbrob  gu  faufen.  3Ber  hätte  in  bem  Snfpruche« 
lofen  ben  größten  friegerifchen  ©eniuS  iDeutfchlanbe  nermuthet? 

IDie  9ie»olution8hiege  foHten  Sdhatnhorft  bie  etfie  ©elegen« 
heit  bieten,  fleh  im  Selbe  auSgugeid^nen.  IDa  ber  j^urfürft  non 
.^annooer  juglei^  .^önig  von  ©ro|britannien  mar,  mürben  bie 
hannöverif^en  Slruppen  von  ber  englifchen  ^Regierung  im  3ahre 
1793  gu  bem  ©oalitionöfriege  gegen  Stanfreich  nadh  ben  fRicber» 
lanben  entboten.  Scharnhorft,  gum  Staberapitün  ernannt,  nahm 
mit  feiner  ^Batterie  fomohl  an  ber  93elagerung  von  Stftungen, 
als  in  Selbfchla^ten  2:heil  unb  geichnete  fi^  überall  burdh  Um« 
fuht  unb  laltblütige  ^pferfeit  au8.  lDa§  ^ö^fte  aber  leiftete 
er  im  Sahre  1794  an  ber  Seite  beö  hannöverifchen  @enetaI8 
von  ^ammerftein  bei  ber  h^benmüthigen  SSertheibigung  ber 
Seftung  üRenin  unb  bem  lühnen  IDnrchfchlugen  be8  fleinen  6orp6 
bnreh  einen  gehnraal  ftärferen  S«nb.  3)aB  Serbienft  biefer  au8« 
gegeichneten  friegerifchen  Slhat  mürbe  von  bem  ©eneral  von 
.^ammerftein  felbft  unter  ben  ehrenbften  S(u8brflcfen  bem  ^aupt« 

(TOi) 


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13 


mann  @^atn^OTft  beigefegt.  ,lDie[et  (o  ber^tete  er  bem 
@eneraIfeIbmatf(^aIIvoniBaQmoben,  bet  feinem  ganzen  fHufent^alte 
in  ÜRenin  nnb  (e^tlicb  beim  2!)uTd^{^(agen  Sä^igfeiten  unb  Talente, 
»erbnnben  mit  einer  gauj  unnermerfli^en  Sranour,  einen  nie 
ermübenben  @ifer  unb  eine  bemunbernewürbige  (Sontenance  ge« 
geigt,  bag  ic^  i^m  aOetn  ben  glü(fli(^en  Sfudgang  meines  $(anS, 
mi(b  burt^gufc^fagen,  eerbante.  @r  ift  bei  aOen  fSuSfü^rungen 
ber  erfte  unb  ber  le^te  gemefen,  fann  eS  unmöglich  aDeS 
befc^reiben,  non  wef^iem  großen  9bu^en  biefer  fo  fe^r  nerbienft« 
noCfe  unb  einem  jeben  gum  ÜJiufter  aufgufteHenbe  Offigtet  mir 
gemefen  ift.*  — 

3)er  3ai|re8fag  non  ÜWenin  mürbe  in  ©(barn^orfi’S  .^aufe 
für  immer  gu  einem  ^amilienfefte.  S)er  .König  non  @ng(anb  aber, 
beffen  ®nabe  ber  hoffnungsreiche  .i^auptmann  anf’S  mürmfte 
empfohlen  mürbe,  befchenfte  ihn  mit  einem  ©hrenfä^Jef,  ernannte 
ihn  gum  üliajor  im  ©eneralftabe  unb  gum  ©enerafquartiermeifter« 
©ehülfen.  SHur  ber  ihm  ermünfchtefte  8ohn,  bie  nerbünbeten 
3lrmeen  pegen  gn  fehen,  blieb  ©iharnhorp  nerfagt.  2>ie  englifch« 
hannönerifchen  Slruppen  mu§ten  pdh  unter  93erluften  gurücfgiehen, 
bis  ber  Triebe  non  0afet  bie  iffiaffenruhe  audh  im  9iorbmeften 
S)eutf(hlanbs  mieber  hctftellte.  IDap  ©charnhorp  mit  feinem 
f^arfen  Üluge  bie  Urfadjen  ber  feinblidhen  @rfoIge  mohf  ertannte 
unb  aus  bem  ®tubium  beS  frangöPfchen  ^cermefenS  unb  ber 
neuen  Kriegführung  bfeibenben  iRu^en  gog,  braucht  nidht  gefagt 
gu  merben. 

9lach  einigen  menigen  Sahren,  bie  ©charnhorft,  mipen» 
f^aplich  nnb  practif^  thütig,  mieber  in  .jpannoner  gubradhte, 
follte  er  enblidh  Gelegenheit  pnben,  feine  gefteigerten  ^ühigfeiten 
in  einem  gropen  SBiifungSfreife  gu  bemühren. 

©chon  im  3ahre  1795  maren  ihm  northeilhafte  fSnträge, 

(70») 


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14 


in  bänifc()e  S)ienfte  gu  tteten,  gemacht  tnotben,  er  lernte  fte  ab. 
@benfo»enig  nahm  er  tm  folgenben  Sa^re  baS  günftige  §(netbieten 
an,  bad  ibm  auf  @m))fe^lung  beS  |)ergogd  ^erbinanb  non  Sraun« 
f^btneig  non  preu^tfcber  Seite  gemacht  würbe.  @r  warb  bafür 
gum  Dbriftlieutenant  beförbert.  3>a  jebodb  nach  weiteren  4 fahren 
ber  (Erfüllung  feineS  berechtigten  SBunfched  ber  Sfnciennität  gemäh 
ein  ^analerieregiment  gu  erhalten,  non  Seiten  bed  h^nnönerifchen 
StbelS  entgegengewirft  würbe,  entf(hIo§  er  fi^,  auf  erneute  9(n« 
trfige,  bie  ihm  ^riebrich  SBilhelm  HI.  im  3ahre  1801  machen 
lieh  eingugehen. 

@8  würbe  ihm  nicht  leicht,  fi^  non  bem  Staate  gu  trennen, 
bem  er  23  Sahre  mit  größter  Eingebung  gebient  hatte,  aber 
burfte  er,  ber  tud^tigfte  aller  StabSoffigiere,  fich  geringjd)ä|ig 
behanbeln  laffen,  weil  er  ein  fDlann  nieberer  .^erfunft  war? 
IDagu  fam  für  ben  2RctteQofen  bie  fRüdficht  auf  {eine  Samilie. 
Unb  fönte  er  nicht  auch  in  bem  SSorgefühle  gehanbelt  haben, 
bah  inbem  er  ba8  engere  S3atertanb  nerlieh,  für  baS  grohe 
@ange  gu  wirfen  beftimmt  war?  .^atte  er  hoch  fchon  lange  nor 
feiner  93erufung  na^  IBerlin  ben  93emühungen  gebrich  SBSil« 
helmS  III.  um  bie  IBerbefferung  ber  ^reuhifchen  iSrmee  feine 
Sh<ilnahme  gugewanbt  unb  im  3ntereffe  non  gang  IDeutfchlanb 
jenen  Steformbeftrebungen  glücfli^en  @rfoIg  gewünf^t. 

3n  äSerlin  nom  .^önig  gnübig  aufgenommen,  würbe  er  gum 
Oberftlieutenant  im  3.  Srtillerieregiment  ernannt,  unb  gugleich 
mit  bem  Unteni^t  ber  jüngeren  £)ffigiere  ber  3nfanterie  unb 
^anallerie  betraut.  93alb  genug  aber  foQte  et  bie  auherorbent» 
liehen  Schwierigfeiten  fennen  lernen,  bie  ihn  audh  hier  umgaben. 
@r  fanb  bie  JDffigiete  bet  Strmee,  bie  nodh  an  bem  Otuhme 
$riebri(h8  beS  drohen  gehrten,  ohne  mit  ber  Beit  fortgefchritten 
gu  fein,  nur  gu  ^nmahung  unb  @igenbünfel  unb 

(70«) 


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15 


bem  ^emben,  gegenüber  »oU  5Reib  unb  niebrtger  ®(^el» 
fu^t.  00  |a^  et  man^erlet  Sattlungen  auSgefe^t. 

0(^on  feine  äußere  @rfd^einung  lonnte  oberfläc^ltd^etn  Ut< 
t^eile  als  ein  ®runb  3ur  @eringf(^ä^ung  erf^einen.  2)enn 
©4>am^orft’0  ?)etf5nli(^feit  ^atte  auf  bcn  erftcn  Sltd  wenig 
9ln3ie^enbe8  unb  ftanb  barin  3.  33.  hinter  SÖIfic^er  unb  ©neifcnau 
weit  3utücf.  ©ein  nat^läffiget  @ang,  bei  etwaö  »orgebeugter 
Srper^aitung  — er  fc^Ienberte,  fagte  Simbt,  fogat  unfolbatifi^ 
eintet,  gewo^nlii^  etwas  »oruübet  gebeugt  — feine  bebäd^tig 
langfante  Siebe,  feine  ®eringf(bü^ung  aller  Sleu^erlit^feiten, 
erinnerte  nte^r  an  ben  ©ele^rten,  ben  ^tofeffor  in  Uniform, 
als  an  bie  ftramme  Slrt  preu§tf(bet  Dffyiete,  !Da§  aber  in 
bem  Äopfe  beS  eigenartigen  SölanneS,  über  beffen  JDenferftirn 
baS  ^aar  nac^läffig  ^erabgefümmt  war,  „bie  tiefften  unb  geift« 
»oüften  ©ebanfen  fid^  btSngten“  blieb  bem  Dberflö^Iid^en  um 
fo  me^t  »erborgen,  olS  ©cbarn'^orft  nad^  Slrnbt’S  SluSbtud,  ge* 
lernt  l^atte,  „feine  ©cfü^le  unb  ©ebanfen  mit  einem  nur  ^alb 
bur^fic^tigen  ruhigen  ©Fleier  3U  umfangen,  wä^renb  eS  in 
feinem  Snnern  fod^te."  9lud^  gereichte  i^m  feine  niebrige  ©eburt 
in  ber  preu^ifc^en  9lrmee,  bie  nur  oblige  Dffi3iete  anerfennen 
wollte,  noch  me^r  als  unter  ber  Slriftofratie  .^annooerS  3um 
33otwutf.  iDagu  fam  enbli^  no(b,  ba§  eS  i^m  aud^  an  »or> 
nehmen  ^affionen  gebra^.  ©(^arn^orft  ^atte  nur  3Wei  geiben* 
fd^aften  unb  bie  waren  gut  bürgerlidfiet  9lrt:  er  liebte  übet  alles 
bie  33ü(^et  unb  tranf  »iel  Jüaffee. 

3nbe§  gelang  eS  i^m,  burcb  ben  Untenid^t  ange^enber 
Offt3iere  unter  ben  jüngeren  einigen  iSn^ang  3U  gewinnen. 
3nbem  er  überall  auf  baS  ©elbftbenfen  größeres  ©ewic^t  legte, 
als  auf  baS  SBiffen,  regte  er  geiftig  empfängliche  ©chüler  mächtig 
an.  ©laufewih  3. 33.,  ber  gto§e  Süilität'^laffifer,  weldhet  ©charn* 

(707) 


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16 


^oift  ben  Sßattt  feinet  ©eifteS  ßenannt,  ^at  t6  immer  für  ba8 
größte  @lüdt  gehalten,  fein  3u^ötet  gewefen  gn  fein.  Unb  a!8 
auf  ©t^atn^orft’e  Setrieb  bet  einfi(^tige  Äönig  bie  bifl^et 
mangell>afte  Se^tanftalt  gu  einet  »oQftfinbigen  afabemie  für  bie 
jungen  Dffijicte  bet  3nfanterie  unb  ÄanaHerie  umwonbelte, 
wu(|8  bie  3a^t  bet  SJlönner,  auf  beten  @eift  unb  ©Übung  er 
nadbbaltiß  einmitfte,  in  etfreulii^et  SBeife.  JDie  alteten  Dffigiete 
aber  »etftanb  et  butcb  Stiftung  einet  militätifdb«"  ©efeUft^aft, 
bie  unter  feiner  umfidb^^ßcn  Leitung  einen  aufierotbentlit^n 
'^uffdbmung  na^m,  mit  feinen  Snftcbten  von  ^ieg  unb  ^tieg> 
fü^tung  befannt  gu  mad^en.  9Iut  feine  9iegiment6fametaben 
Vtten  feine  @m))finbung  für  ben  unfcbä^baten  3Bettb  bed  i^nen 
ftembartigen  SRanneS  unb  verbitterten  i^m  butcb  Slänfe  unb 
.Kabalen  bab  8eben  fo  fe^t,  ba^  et  um  ©etfe^ung  an  eine  anbete 
Stelle  bat.  gtiebtidb  SBilbeI***i  welcher  S^arn^otft’8  bob' 
©ebeutung  für  bie  Sltmee  »0^1  gu  ivütbigen  verftanb  unb  i^m 
))erfönli^  mit  befonbetem  äSo^lmollen  begegnete,  et^ob  i^n  in 
ben  Slbelöftanb,  beförberte  i^n  gum  Obetftcn  unb  mad^te  t^n 
gum  3.  ©eneralquattiermeifter  bet  Sltmee. 

3n  biefet  @igenf(baft  na^m  unfet  ;pelb  an  bem  unheilvollen 
^iege  theil,  ben  $teu§en  nad|  langet  fchtvci^lichet  9leuttaUtät 
unter  ben  alletungünftigften  Umftänben  gegen  9laf)oleon8  äBeIt> 
mad^t  im  3ahte  1806  begann,  ©ergebend  h^itte  Sdhatnhotft, 
tvie  et  in  einem  feinet  ©riefe  fagt,  von  Einfang  an  ©otfchläge 
gethan,  mie  man  bem  Unglücf  guvotlommen  fönnte;  et 
bie  @rtid|tung  einet  9tationalmilig,  bie  allgemeine  ©etvaffnung 
beö  ?anbe8,  bie  ©erftätfung  bet  Siegimentet,  eine  engere  ^olitifd^e 
©erbinbung  votgefehlagen.  9lun  fah  et  in  bem  ^auhtquortier 
in  S^hütingen  bie  vollenbete  SRathlofigTeit  unb  Unfdhtgfeit  bet 
.^eereöleitung,  auf  bie  er,  bet  junge  Dbetft,  gegenüber  ben  et» 

(708) 


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17 


grauten  @eneta(en,  feinen  @infln§  3U  üben  oermoe^te.  9{nt  baS 
^erbienft  tonnte  er  ftd|  ertoerben,  ba§  an  bem  großen  nnglüdS* 
tage  be8  14.  Dctober,  al8  ein  bteu§ij(^et  ^eerefltl^eil  bei  3cna 
3er{d}mettert  unb  bie  .^au^tarmee  bei  Siuerftäbt  gefi^Iagen  würbe, 
wenigftenfi  bet  eine  glügel  befl  bei  Stuerftäbt  fämpfenben  J^eere« 
fi^  oortrefflii^  ^ielt.  9ta(^bem  nämlic^  ber  Dberbefe^Id^abet 
f^wet  oerwunbet  war  unb  jebe  Oberleitung  fehlte,  ^atte  auf  bem 
einen  §lügel  0d^arn^orft  bie  gü^rung  on  fi(^  genommen.  SDUt 
SEobe8»era(i^tung  flritt  et  an  bet  ©pi^e  biefer  Gruppen,  un» 
befümmert  barum,  ba|  er  non  einem  ©treiffd^u^  in  bet  ©eite 
blutete.  9lber  baS  ©d^idffal  beS  SageS  vermochte  er  mit  feinen 
wenigen  Siegimentern  ni^t  ju  wenben.  3n  bie  gluckt  beö  bet 
3ena  gefe^Iagenen  .^eeteä  würbe  au^  bie  SStmee  oon  Slucrftdbt 
»erwicfelt,  eä  war  bet  Slnfang  einer  allgemeinen  Sluflöfung. 
3Ran  weife,  wie  nur  Stummer  ber  fto^en  Slrmee  fid^  auf  Um» 
wegen  über  bie  @lbe  retteten,  wie  $rin3  .^o^enlo^e  bei  ^renjlau 
fcfeimpfli(^  lapitulirte,  bie  jtärfften  geftungen  unter  atter8|cfewa(^en 
©eneralen  o^ne  ©(^wertftreidti  ftc^  bem  ©ieger  überlieferten, 
wä^renb  93lü(^er  wenigftenfl  bie  fd^wer  gefd^äbigte  SBaffenefete 
rettete,  inbem  er  mit  feinem  fleinen  ^otpS  auf  bem  IRüdfjuge 
nach  bet  niebcrn  ®lbe,  »on  gwei,  ja  brei  ftanjöfif^en  Sötarfd^ölleu 
»erfolgt,  na^  Sübecf  gdfe  glficflic^  buT(^fd)lug  unb  erft  bei  SRatfau 
»or  bet  feinbticben  Uebermai^t  bie  Waffen  ftreifte,  al8  IBrot  unb 
Munition  il^m  au8gegangen  waren. 

ffiet  sölüc^er  in  ben  ©tanb  fe^te,  in  ber  3«t  ber  ©c^wäd^e 
unb  .^opfloggfeit  ein  leu(^tenbe8  33eifpiel  befferet  Sage  aufju» 
ftellcn,  wot  fein  anberer  al8  ©d^arnfeorft.  6t  biente  auf  jenem 
berühmten  3uge  IBlüd^er  al8  6eneralftab8c^ef  unb  mad^te  but(% 
eing^t8»o0en  fRat^  wie  bur^  füfene  6ntf(^loffen^eit  ba8  @e» 

XIX.  451.  2 (70») 


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18 


wagtefte  Btd  et  bei  bem  @tta§en(am^fe  in  ^übed  am 

äSotabenb  bet  Kapitulation  gefangen  genommen  tmttbe. 

„fBie  @ie  gefangen  »aten",  fagte  i^m  Sliu^er  mit  Sutanen 
im  Singe,  .wat  i<b  oetloten.  Sie  waten  bie  Seele  meinet 
Kotpd,  o^ne  Sie  ^atte  flUemanb  fDbtt^,  o^ne  Sie  tonnte  nicbtö 
gefc^eben.“ 

IBenige  Sage  fpätet  würbe  Scbatnbotft  gleid|  Slücber  ju 
Hamburg  aujgewe^felt  unb  tonnte  fi^  nun  übet  Sioftoif  unb 
S)angig  nach  Königsberg  begeben,  um  ft(b  feinem  unglü(fti(ben 
KtiegSbetrn  oon  neuem  gut  Setfügung  gu  ftetlen.  Übet  wer 
befdbreibt  bie  Dualen,  bie  et  auf  biefet  IReife  in  bet  Seele  trug? 
IDet  @ebante  an  bie  Scbanbe  bet  Slrmee  unb  ben  Untergang 
beS  Staats  worb  i^m  gut  poltet.  „fDUcb  trifft  eS,*  fo  tlagt  et, 
,boppelt,  ba  i(b  an  bie  Seblet,  bie  IDummbeit,  bie  Feigheit  tenne, 
bie  unS  babtn  gebracht.*  33on  ficb  felbft  burfte  et  fagen,  ba^ 
et  für  feine  ^etfon  taufenbmal  mehr  get^an,  als  et  gu  t^un 
brauchte.  9bet  „bie  einet  Sltmee  unb  bie  Sichtung  einet 
fRation,  mit  fo  oielem  S3lute  ertauft,  gu  @cabe  gu  tragen^  bet 
Schanbe  pieiSgeben  gu  muffen  ober  gu  überliefern,  ift  für  mich 
baS  Schrecfli^^e,  waS  bem  SRenfchen  alS  Staatsbürger  begegnen 
tann."  — Dft  genug  h“t  i“  jeoen  Sagen  bet  Schmetg  beS 
.gelben  fidh  in  Shränen  Suft  gemacht,  gumal  wenn  et  oor  feinet 
Sochtet  fein  ^erg  auSfchüttete.  „9loch  ift  fein  Srief  an  2>ich 
abgegangen,  bet  nicht  mit  Shränen  bene^t  ift  IDu  bift  IDeinem 
SSater  gu  ähnlich,  alS  ba^  ^Du  nicht  wie  er  baS  Unglücf,  baS 
uns  trifft,  tief  fühlen  foUteft.  S)u  hafi  aber  auch  gewih  SRuth 
genug  eS  gu  ertragen.* 

Som  König  unb  oon  bet  Königin  ^ouife,  wel^e  bie  tapfere 
.^altung  beS  S3lü^er'fchen  Korps  fteubig  anerfannten,  anf'S 
gnäbig^e  aufgenommen,  fah  Scharnhorft  auch  feinen  S8unfch 

C710) 


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19 


et|fint,  toiebei  in  iS^dtigfeit  oor  bem  geinbe  ju  fommen,  wenn 
au(^  unter  ben  ungünftigften  ä3eii;dltni{|en.  ^reugen,  baS  ein 
falbes  Sa^r^unbert  früher  unter  bem  großen  Könige  einer  Seit 
in  Sßaffen  jahrelang  erfolgreid^  5lro^  geboten,  (onnte  nur  noch 
wenige  taufenb  3)iann  in’d  $etb  fteden,  unb  nur  mit  .^ülfe  ber 
enblic^  naiienben  ruffi[^en  Sruppen  an  eine  ^ortje^ung  beS 
jhrieged  benfen.  3um  93efe^(6^aber  bei  fieinen  SiorpS,  auf  bem 
bie  lebten  ,^offnungen  grtebrid^  SBil^elmö  beruhten,  mürbe  ber 
törperlid^  unb  geiftig  (dngft  gealterte  @eneral  tf’Sftocq  ernannt 
unb  bemfelben  ald  ®eneralftabg(bef  ©diarn^orft  beigegeben. 

mar  bed  Unteren  SSerbienft,  menn  bie  ^reugen  namentti<^ 
an  ber  benfmürbigen  @^la(bt  bei  @ilau,  ben  rugmoollften  ^n* 
tgeil  nagmen.  ©dgarngorft  ergielt  ben  Drben  Pour  le  mörite, 
aber  bie  Hoffnungen,  bie  fi^  an  ben  @rfoIg  jeneg  Sageg  fnfipften, 
mürben  gule^t  auf  ben  blutgetrdnften  gelbem  oon  grieblanb, 
mo  bie  diuffen  eine  entfcgeibenbe  dtieberlage  erlitten,  gdnglicg 
oernitgtet.  35er  Äaifer  Sllejcanber  bot  bem  ©ieger  bie 
gum  grieben  unb  überlieg  ben  unglficHicgen  ^dnig,  ber  nur  nodg 
ben  dugerften  SBinfel  ber  dlionarcgie  fein  nannte,  einem  unbarm« 
gergigen  0cgidfal. 

3u  Jilfit  mürbe  oon  dlapoleon  ber  griebe  bictirt,  ber  bie 
preugifcge  dlionarcgie  auf  bie  Hälfte  rebucirte  unb  au(g  bie  bem 
.^onig  no^  oerbleibenben  oier  alten  ^rooingen  oftmdrtg  ber 
@lbe  auf  unberecgenbare  3<it  ber  IDccupation  feinblicger  Sruppen 
unterwarf. 

3n  fo  beifpiellofer  8age  begann  ber  ^önig  mit 
grogen  dlidnner,  mit  benen  er  fi(g  umgab,  ben  dieubau  beg 
@taateg.  SBdgrenb  @tein  in  gogem  @inne  bie  Sioilangelegen« 
geiten  leitete  unb  jene  tiefgreifenben  dieformen  unternagm,  bie 
feine  furge  ISmtgfügrung  für  immer  benimürbig  gemacgt  gaben, 

2*  (711) 


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20 


Yt>ac  ®(^arn^0Tfi  bie  ®eele  ber  SRilitäneorganifation,  bie  nid^t 
rainber  epocbemad^enb  gewotben  i|).  Sie  getttümmerte  2(tmee 
in  netnerem  9ia^men  unb  auf  neuet  ©runblage  wiebet  ^etju» 
fieQen,  ade  unwürbigen  Elemente  unb  fämmtli^e  geworbenen 
üiuSIänbei  auejuft^Itegen,  bie  Offi3ieiefteQen  bet  nur  nod;  au8 
Snldnbern  befte^enben  SIrmee  auc^  ben  bütgerli^en  Talenten 
gugöngltdb  gu  machen,  bie  Bewaffnung,  wie  bie  SBethflegung, 
bad  @jreTcitium  wie  bie  SiSciplin  jwedmä§ig  umgugeftalten  unb 
bad  fo  gefchaffene,  neu  auSgerüfiete  unb  gefcbulte  nationale  ,^eer 
mit  ))atTiotif(bet  Begeifterung  unb  fittlicher  ^aft  nicht  minber 
wie  mit  friegerifcher  Bübung  gu  burchbiingen  bad  war  bie  hohe 
Aufgabe,  ber  ©charnhorft  fleh  mit  größter  Eingebung  wibmete. 
Sabei  fonnte  ed  nicht  fehlen,  ba§  ber  Btudh  mit  ben  bisherigen 
Gewohnheiten,  IWoilegien  unb  dJlihbrduchen  unb  bie  Berufung 
fo  mannet  Sntereffen  hefiiflen  2öiberftanb  heroortief.  3n  ber 
(Sommijfion,  welche  bet  Äönig  gut  SReorganifation  ber  Slrmee 
berufen,  burfte  (Scharnhorft,  ber  Borfi|ente,  nur  auf  bie 
ihm  gleich  gefinnten  Gneifenau  unb  GroOmanu  unb  ben  fpdter 
hingugefommenen  Bopen  gdhlen;  bie  anberen  dJlitglieber  ber 
Gommiffion  waren  gegen  ihn  unb  noch  mehr,  manche  einfluh» 
reidhe  dRdnnet  auS  bet  Umgebung  beS  IfönigS  nebft  allen  älteren 
Offlgieren  ber  SÄrmee.  8(bet  ©charnhorft’S  3Ruth  wuchs  mit  ben 
©chwierigfeiten,  bie  fich  ih«n  in  ben  2Bcg  ftelltcn,  unb  nur  feiner 
Beharrlichfcit  fonnte  eS  gelingen,  in  ungünftigfter  3eit  ein  SBerf 
bet  Sieform  gu  »oClbringen,  baS  feines  gleichen  ni^t  hatte. 

Unmöglich  bagegen  geigte  eS  in  ben  Sohren  1807—12 
baS  ^rincip  ber  allgemeinen  SBehr^fUcht,  baS  ber  SReorganifotion 
gu  Grunbe  lag,  in  SBirflichfeit  burdhguführen,  fei  eS  in  gorm 
einet  dlationalmilig,  ober  einet  dleferoeatmce  ober  einet  8anb* 
weht.  SBohl  arbeitete  «Scharnhorft  einen  Gntwurf  nach  bem 

(713) 


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21 


anbecn  auS,  um  oQe  me^r^aften  Männer  in  ben  ^tenfl  bei 
S3ateilanb(g  gu  [teilen,  abet  abgefeben  non  ben  in  unübet> 
winbli(ben  flnangieUcn  @db®i«i8Wten  begränbeten  S3ebenlen 
be8  JfönigS  mad>te  im  3ab’^*  9lai>Dleon8  iKocbtgebot  bie 
3)ur(bfübrung  jener  $läne  gu  nid^te.  S)enn  in  bem  SSertrage 
über  bie  enblicbe  Siäumung  beS  Sanbed  non  Seiten  ber  feinb« 
li^en  Srn^ben,  ben  ^iapoleon  bamaI8  ergtnang,  fi4 

auSbebungen  ba§  ^reu^en  [ein  ^eer  ni^t  über  42  000  ÜRann 
nermebre  unb  feinerlei  Sanbmebr  erri(bte. 

SBöre  eö  au[  Stein,  Sdbaro^or[t  unb  ihre  ^eunbe  an» 
gefommen,  [o  hätte  bet  Äönig,  [tatt  jenen  ©ertrag  gu  ratificiren, 
[dbon  im  Sommer  1808,  als  8iapoleon  in  ben  [panijdben  ^eg 
[i(b  nertnicfcite  unb  Defterreicb  gu  einem  neuen  ^amp[e  nacbboltig 
rü[tete,  im  ©ertrauen  au[  ben  @ei[t  befl  neu  ge[cbaj[enen  ^eerefl 
unb  au[  bie  über  gang  91orbbeu[(bIanb  gum  Sn’ccI  einer  ©oIlS» 
erbebung  auSgebreiteten  geheimen  ©etbinbungen,  ben  ©etjudb 
gemagt,  baS  nerbafete  3oib  in  einem  Äampfe  au[  geben  unb 
$ob  abgu[dbütteln. 

2Bie  bamalS  ber  j^önig  ohne  JRublanbS  ©ei[tanb  gu  einem 
[o  ge[abrooQen  Schritte  [l^  nicht  gu  entfalteten  nermocbte,  [o  au^ 
im  3abre  1809  ni^t,  als  bie  ö[terreichiichen  .^eere  gegen  91a» 
poleon  an  ber  S)onau  fämp[ten,  in  ben  tiroler  ©ergen  ber 
^reibeitSTrieg  entbrannte  unb  auch  in  91orbbeutjchIanb  eingelne 
©erfudbe  ber  3n[urrection  unternommen  mürben.  S)a  mar  mit 
©lücher  unb  ©neifenau  auch  ©chatnbor[t  mieber  unter  benen, 
melche  ben  .^önig,  ber  [chon  bie  j^riegSbereit[cha[t  genehmigt 
batte,  meinten  [ortreiten  gu  fcnnen.  3Ran  mei§,  mie  Defteneidb 
not  ber  Seit  noch  einmal  unterlag,  unb  freuten  gu  ber  ©olle 
[tummen  ©eborjamS  gegen  ben  gümenben  Smberator  gutüd» 
febrte. 

(TU) 


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22 


911Ö  biejet  Umfci^Iag  erfolgte,  toutbe  gum  erften  ORale  ba8 
Sertranen  erfc^üttert,  baS  ber  i^cnig,  allen  (Sinflüfterungen  unb 
^Inflagen  gutn  £ro^,  feinem  JtriegSminifter  unb  erften  müitäiif(^en 
Serat^er  bewahrt  batte.  ©efrSnft  bat  ©cbamborft  unter  Sot* 
läge  einer  glängenben  gefcbrtebenen  Sftecbtferttgungdf^rift  um 
feine  @ntlaffung.  @r  trug  fi(b  mit  bem  ©ebanfen,  in  Sufunft 
feineu  iDegen  im  englifdben  5Dienfte  gegen  ben  Unterbrücfer 
ßunpa’e  gu  führen.  @lütfli(bertt>eife  fab  aber  griebri(b  SSilbelm 
halb  genng  fein  Unre^t  ein  unb  lohnte  bem  SSerleumbeten  mit 
oerboobeitem  SSertranen. 

©0  fuhr  ©cbarnborft  in  ber  ©title  fort  oermittelft  beß 
fogenannten  Ärümberfbftemß  für  einen  fünftigen  Ärieg  oiel  mehr 
Srubpen  b^cangubilben,  a(8  ber  ^arifer  SSertrag  geftattet  b&tte, 
biß  enblicb  9tapoIeon  bur^  bie  frangofenfreunblicben  3)tienen  beß 
gegen  feine  9latur  gum  SKeifter  in  bet  Ännft  ber  Scrftedung 
(geworbenen  ficb  ni^t  länger  täufcben  Iie§  nnb  bie  @nt(affung 
©(barnborft’ß  oom  .^iegßminifterium  entf(bieben  forberte.  „@in 
ehemaliger  ©öttinger  ^rofeffor,  ein  gelehrter  ÜKann,  ber  baß 
frangöfifche  ©ouocrnement  h“§t“,  fo  war  ©(harnhorft  »on  bet 
frangüfifchen  geheimen  f)oligei  fchon  längft  in  bet  8ifte  bet 
IBerbädhtigen  begeichnet. 

IDie  @nttaffung  oom  ^iegßminifterium  fonnte  bet  J^bnig 
nicht  oerweigern,  er  behielt  aber  ben  Unerfehlichen  nicht  aOein 
atß  @h^f  beß  (Seneralftabß  unb  3nfbectorß  ber  Seftungen  im 
IDienfte,  fonbem  wieß  auch  ben  neuen  j^riegßminifter  im  Geheimen 
an,  ©charnhorft  auch  in  3ufunft  alß  feinen  SBorgefe^ten  angu* 
fehen,  unb  ftch  in  allen  wichtigen  ^agen  mit  ihm  gu  oerftänbigen 
unb  feine  ©enehmigung  einguhoten. 

Diefe  ©teDung,  wohl  eingig  in  ihrer  3ltt,  bauerte  nodh  fort, 
alß  9taboleon  feine  93orbereitungen  gu  bem  fRiefenfamhfe  gegen 

(7U) 


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23 


Siu^Ianb  traf  unb  bem  unglödlii^en  $reu§en,  auf  bet  {)eetftra^e 
na^  bem  63aienrei(^  gelegen,  nnr  bie.  9Ba^l  Iie§,  fi^l  i^m  ganj 
ju  untetmerfen , ober  ben  ^am^f  bet  äSerjtoetflung  gegen  feine 
Ueberma^t  ju  tämpfen.  9lie  mar  bem  Könige  bet  Untergang 
beS  ©taateS  fo  bto^enb  not  Singen  getreten,  unb  nie  ©d^atn« 
^orft’ö  Siat^  unb  0eiftanb  i^m  unentbe^rlidber  gemefen,  aie  feit 
bem  ©ommer  1811.  6t  betraute  i^n  mit  t>eimlid^en  fUliffionen 
nach  ^eterdburg  unb  SBien  unb  lie§  i^n  sugleic^  ade  S3or> 
bereitungen  ^um  godfc^Iagen  treffen,  bid  er  enblidfi  na^  langem 
©träuben  o^ne  ^ilfe  oon  au^en,  fcf)on  umringt  oon  feinblid^et 
bemalt,  ben  SSertrag  bet  Untermerfung  bem  .^elbenfan^jfe 
t’oijog  t 3u  bem  bie  ^^n^eit  ©d^am^orft'S  bis  jule^t 
gebrängt  ^atte. 

91un  mu§te  na(b  Siücbet  unb  ©netfenau  and)  ©d^arnborft 
Serlin  unb  ben  ^ienft  beS  .^önigS  oetlaffen.  ^rauemb,  aber  audb 
je^t  nicht  an  bet  Sufunft  oerjweifelnb,  jog  er  ftdb  nach  @chlefien 
juTÜcf.  (Dort  lebte  er,  mähienb  ^anfteichS  c^eetf^aaren,  burch 
baS  preugifche  unb  öfteneichifche  .^ilfScorpS  oerftärlt,  nach 
lanb  oorbrachen,  anf^einenb  ganj  feinen  miffenfchaftli^en 
Sirbeiten;  im  Geheimen  aber  beforgte  er  im  Sluftrage  beS 
J^önigS,  bet  mit  ihm  auch  fe^t  no^  an  bet  ^ofnung  auf  eine 
SBenbung  beS  ©chicffalS  fe^h<<Iii  bie  StuSrüftung  ber  fdhlefifchen 
^e^ungen. 

Snbeh  burfte  er  in  folcher  Sage  nicht  einmal  in  ben  ©riefen 
an  bie  flochtet  oenathen,  maS  er  in  ben  bangen  dRonaten  beS 
luffifchen  ^elbgugeS  litt,  erftrebte  unb  hoffte.  SBir  erfahren 
bähet  auch  nicht,  wie  bie  erfte  ^nbe  oon  bem  fürchterlichen 
©chidffal,  baS  bie  gro§e  SIrmee  auf  ben  ©dhneefelbem  Siuglanb’S 
ereilte,  auf  ihn  gewirlt  h«i-  ®ber  wer  fönnte  jweifeln,  ba^ 
ber  heißblütige  Patriot  nicht  anberS  em^fanb,  als  aQ  bie  Saufenbe, 

C«i) 


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24 


»el^e  an  ben  Untergang  bed  ^la^oleontf^en  .^eeted  bte  {)offnttng 
bet  3Bieberaufrid}tung  beS  äSateilanbed  fnü^ften.  9tur  erma§ 
Sii^am^orft  nieUeid^t  beffet  als  irgenb  ein  anbetet  bie  an^et=: 
otbentlic^en  @^wierigfetten,  bie  no^  3U  äbetminben  tooten,  e^e 
$reu§en  fic^  mit  oufgeft^Iagenem  93ifit  gegen  ben  Untetbtü(fet 
ergeben  tonnte.  9todb  »at  bad  Sanb  oon  ga^lteicben  ftanjöfiftben 
Inqjpen  befe^t  unb  felbft  bet  Äönig  tonnte,  wenn  et  bie  @e* 
banten  beS  iSbfaQed,  mit  benen  et  fid^  trug,  botjeitig  oeniet^, 
jeben  9(ugenbli(f  gefangen  genommen  werben.  @r  ge^ot(^te 
habet  nur  bem  Spange  bet  Sierbältniffe,  wenn  er  felbft  bie 
batriotifcbe  £b<>t  bed  @enetald  ^ott  00t  bet  SBett  mißbilligte, 
icb  meine  ben  bentwütbigen  iBetttag  oon  Siautoggen,  wobutcb 
Sott  baS  preußifcbe  .^UfSfotbd  ben  ^anjofen  entzog  unb  bamit 
ben  erften  Ülnftoß  gu  bet  balbigen  @idbetung  DflpteußenS  gab. 
@bd  man  in  ä3erlin  bie  3Hadte  $ianttei(b  gegenüber  abwetfen 
burfte,  mußten  bie  Stüftungen  im  Sanbe  weitet  gebießen  unb 
bie  Segießungen  gu  ben  befteunbeten  ÜDlädßten,  00t  adern  gu 
Olußlanb,  fefter  geregelt  fein. 

S)aßet  burfte  audß  @cßarnßotft  au8  bem  S>untel  bet  3u> 

rüdtgegogenßeit  erft  wiebet  ßeroortteten,  ald  bet  ^önig,  um  ^ert 

feinet  @ntf(ßließungen  gu  fein,  baä  .^oflaget  oon  Setltn  na<ß 

bet  oon  feinblidßen  Stuppen  nicßt  befeßten  4?nuptftabt  ©dßleßenS 

oetlegtc.  greilitß  mußte  gtiebtidß  SBilßelm,  ben  bet  ftangößfcße  @e» 

fanbte  nacß  93reSIau  begleitete,  au^  feßt  no(ß  ben  «Sdßcin  gu  wußten 

fucßen,  ald  ob  bie  Stüftungen,  beten  ®eele  feßt  gang  unb  gat  wiebet 

@(ßatnßotß  war,  9tapoleon  gu  @ute  tommen  fodten.  tlbet 

beoor  nocß  in  bem  fernen  Äonigöbetg  bie  patriotiftß  begeiftetten 

®tänbe  Dftpteußend  eine  adgemeine  ^Bewaffnung  ober  bie  €lud> 

rüßuug  einer  Sanbweßr  befdßloffen,  gu  bet  ©laufewiß,  bet  8ieb« 

Ung8f(ßület  @<ßarnßotft’8,  ben  ©ntwutf  gemacßt,  tßat  man  in 
(716) 


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25 


Jöttfllau  einen  ©djritt,  übet  beffen  0ebeutung  ficb  nur  bie 
gtanjofen  täufc^n  la[fen  tonnten. 

©^atn^orft  fe^te  nämlicb  bei  bem  Könige  but(^,  ba§  bie 
jungen  Männer  bet  ®tänbe  nom  17.  bis  24.  Sebenb; 

ja^te,  bie  fid>  felbft  Ketben  unb  bewaffnen  tonnten,  jur  Gilbung 
fteiwiOiger  3ägertorbd  aufgefotbert  würben.  ®eine  ^jlbfic^t  babei 
war,  ffbuTib  .^erbeigie^ung  unb  @ntbufiaSmirung  brr  (Sebilbeten 
ben  @eift  be4  ganzen  fDtilitärd  aufjufrifc^en  nnO  ju  ^eben  unb 
jugleir^  baS  Sntereffe  allet  gamilien  an  ben  Ätieg  gu  tnüpfen.“ 
©egen  wen  bie  fteiwiQigen  Säger  bie  Söaffrn  fübten  füllten, 
war  in  bem  Slufrufe  »om  3.  gebtuat,  ber  ftatt  bev  Unterfc^rift 
beS  Königs  bie  beS  ®taatStanjIer8  trug,  nod|  nicht  gefügt:  aber 
jeber  echte  ^reu§e  wu^te,  ba§  eS  nur  bem  @inen  gelten  tonnte, 
beffen  9lame  4>a§,  glu^  unb  Stäche  bebrütete.  SBie  ber  Sluftuf 
gegünbet  h«t>  ift  betannt.  Sn  heQen  .Raufen  eilten  bie  tampf* 
luftigen  fStänner  Sreölau  gu,  notan  bie  ftubirenbe  Sugenb,  fo 
bah  |)5rföle  ber  Uninerfitäten  unb  bie  oberen  Älaffen  ber 

©pmnofien  fich  leerten.  Sn  S3te8lau  war  eö  bet  mit  ©^arnhorft 
befreunbete  ^rofeffor  ©teffenS,  welcher  mit  feinem  gangen 
iSubitotium,  gegen  200  ©tubenten,  auf  einmal  in’8  Sägerlorpö 
eintrat.  1818  et  bann  bei  @charnl)orft  »orf^jrach  um  fich  Slath8 
gu  erbitten,  eilte  biefet  ihm  in  tiefer  SSewegung  entgegen,  um^ 
armte  ihn  unb  rief;  „©teffen8,  ich  »ünfche  Shnen  ©lüct,  ©ie 
wiffen  nicht,  wa8  ©ie  gethan  haben." 

Sn  einem  gleichgeitigen  S3rief  an  bie  Tochter  freilich,  bet 
frangöfifchen  ©pähetn  in  bie  .pänbe  fallen  tonnte,  fanb  et  nöthig, 
feinen  Subei  gu  oetbergen  unb  untunbige  gefer  auf  falfche  gärthe 
gu  führen.  Um  fo  raftlofer  bereitete  er  in  bet  ©tiQe  bie  grohe 
©ntfcheibung  not.  ©chon  haUe  et  ben  £)peration8plan  für  bie 
in  feinem  ©eift  bereit8  Bereinigte  preuhifch'rnffifche  Slrmee  üol» 

(7)7) 


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26 


lenbet;  am  9.  gebtuar  erfd^ien  baS  6bict,  baS  für  bie  S)auet 
btefeß  Äriegeß  ade  Befreiungen  »on  ber  5Jlüitärbfli(bt  aufbob; 
au(b  baß  ®efeb  über  bie  Bilbung  ber  Sanbmebr  in  gang  i)reu§en 
batte  er  febon  mit  eigener  .^anb  entworfen,  daneben  berietb 
er  mit  j£>arbenberg  unb  bem  Äönige  jeben  bit>lomatif(ben  ©ebritt, 
ber  im  ruffifdben  .Hauptquartier,  in  SBien,  Bonbon  u.  f.  w.  ge» 
febeben  fotlte.  „@<bon  um  5 Ubr  SERorgenß",  fo  ergöblt  fein 
bamaliger  tSbjutant  tfWat  baS  Bureau  beß  ©enetalß 

geöffnet,  ©{barnborft  felbft  arbeitete  bann  gewöbnlidj,  in  einen 
weiten  2:uibmantel  gebullt,  in  feiner  ©tube  meiftentbeilß  fnieenb 
Dor  feinem  ©ebreibtifebe,  eine  ©tellung,  bie  ipm  eine  wobltbütige 
abwetbßlung  mit  ber  fibenben  gewährte.-  9iacb  10  Ubr  pflegte 
er  ficb  gum  Könige  unb  bem  ©taatßfangler  gu  begeben,  non 
wo  er  feiten  früher  alß  gum  ddittageffen  gurücffabm,  baß  er 
gewöbnlicb  gang  allein  für  ft(b  einnabm.  Um  4 Ubt  9iaibmittagß 
erwartete  er  mich  wieber  auf  bem  Bureau,  wo  bie  Slrbeiten  meift 
um  8 ober  9 Ubr  enbeten.  SBar  inbeffen  ©^arnborft  no^  gu 
Sonferengen  gum  ©taatßtangler  gegangen,  fo  würbe  eß  auch 
wohl  d)iittema(bt,  beuor  er  gurüeffam.  3cb  muhte  ihn  aißbann 
erwarten,  ba  eß  ftetß  noch  etwaß  anguweifen  ober  gu  bictiren 
gab.  Defterß  fielen  ihm  babei  vor  ©rmübung  bie  Slugen  gu, 
er  fanf  für  etwa  10  SJlinuten  in  einen  anfibeinenb  feften  ©tblaf, 
bann  ermunterte  er  ficb  rafdb  unb  fe^te  baß  IDictiren  gang  an 
ber  ©teile  fort,  an  ber  er  obgebroeben  batte." 

URit  fol^er  ^nfpannung  ber  ^äfte  gu  arbeiten,  war  nur  oon 
einem  3Ranne  möglich,  welker  ni^t  allein  »on  gäber  Äraft,  fonbern 
auch  von  @Uutb  ber  Begeifterung  für  eine  bvbe  unb  heilige  ©adbe 
von  deinem  ubertroffen  würbe.  9Bie  grofec  ^inberniffe  ©ebam» 
borft  auch  in  biefen  lagen  noch  gu  überwinben  batte,  werben 
wir  niemalß  gang  gu  ermeffen  im  ©tanbe  fein.  Hieben  ber 

(718) 


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27 


beifpiellod  f^wiettgen  Sage  beö  ©taatS  war  ed  nicbt  am  »entgfien 
baS  burc^  {^(imme  (Stfa^rungen  gebrüdfte  forgenvoQe  @emüt^ 
bei  Honigs,  bad  fü^nen  unb  rafc^en  @ntfd^Iüfjen  wiberftrebte. 
5Rur  mü^fam  fonnte  gticbrtc^  SBU^elm  ben  guBerfid^tUc^en 
erlauben  an  ben  großen  Umf^wung,  ber  fi(^  vodgog,  gewinnen. 
„SBer  wirb  benn  ba  fommen?"  ^atte  ber  Äonig  gefagt,  ald 
@(^arn^orft  feine  Suftimmung  gu  bem  Aufruf  au  bie  freiwilligen 
3äger  gu  erlangen  fu(^te.  6rft  al8  ber  ©eneral  il?m  eines 
Jage«  »cn  einem  genfter  be«  ©reSlauer  ©c^loffe«  bie  jubelnben 
©d^aaren  ber  ^erbeiftrömenben  greiwiUigen  geigen  fonnte,  würbe 
er  in  tiefer  JRü^rung  inne,  ba§  ber  ^offnungSootle  fWa^ner 
richtiger  geurt^eilt  al8  er  felbft.  Slber  bann  fam  bem  jfönige 
wieber  bie  ©orge  um  bie  ungel|euren  Äoften  einer  fo  au8» 
gebe^nten  33olf8er^altung?  SBo^er  follte  ber  »erarmte  unb  oom 
geinbe  au8gefogene  ©taat  bie  SJtittel  nehmen?  ©(^am^orft 
empfahl  aud^  ^ier  ben  Appell  an  bie  DpferwiHigfeit  be8  93olf8, 
worauf  ber  jfönig  mi^trauifdfi  erwiberte:  „Wer  wirb  benn  ba 
wo8  geben?"  S!u^  batüber  fonnte  erft  ber  @rfolg,  freilich  ein 
über  aHe8  hoffen  gldngenber  ßrfolg,  bem  Äönige  jeben  Sweifel 
nehmen.  SQie  man  wei§,  ^at  niemal«  eine  gefittete  Station 
*,^ab'  unb  ®ut  opferfreubiger  bem  IDienfte  be8  S3aterlanbe8  ge> 
wei^t,  al8  e8  in  ^reufeen  in  bem  un»erge§li^en  grü^ling  unb 
unb  ©ommer  be8  3a^re8  1813  gefd^e^en. 

„3)ie  fDlenge  freiwilliger  ®aben",  fagt  ^üfer,  „unb  be» 
fonberS  be8  ©ilbergeugS,  bie  in  ben  SBoeben  oor  ^ufbruc^  ber 
Ülrmee  beim  ®eneral  ©(^arn^orft  abgeliefert  würben  unb  burc^ 
meine  ^dnbe  gingen,  grengt  wirflid^  an’8  Unglaublid^e.  ®ange 
SBafdjfötbe  »oll  ber  fc^werften  filbernen  ©uppenterrinen,  3lrm» 
leu(^ter,  ©d^üffeln,  ©coolen  u.  f.  w.  ^abe  it^  in  bie  UJlünge  ge» 
liefert,  ebenfo  bie  prac^tBoOften  ©^imudtgegenftdnbe  oder  9lrt." 

(717) 


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28 


9lber  ni(^t  bie  Sieic^en  ober  äßol^l^abenben,  burfen  t»ir  ^inju> 
fc^en,  fpenbeten,  wa8  fte  an  ©elbeSmert^  Ratten,  fonbern 
rü^renbet  noch  waren  bie  gal^IIojen  @aben,  welche  bie  Un* 
bemittelten  unb  Ültmen  auf  bem  Altäre  be8  ^aterlanbeS  opferten. 

©dbott  Ratten  friegerifcbe  0egeifterung  unb  patriotiftber 
©emeinfinn  einen  großen  Sbetl  befl  preu§ifcben  0olfe8  in  einer 
nie  geahnten  SBeife  ergriffen,  al8  nodb  bie  Oiegierung  formell 
mit  granfreid)  in  grieben  lebte  unb  für  ben  beoorftebenben 
^ampf,  in  bem  e8  ftdb  um  ®ein  ober  9ii(btfein  b^n^eln  feilte, 
noib  jebe8  fieberen  0unbe8genoffen  entbehrte.  Defterrei^,  auf 
beffen  .^ilfe  man  mit  Oieebt  entfebiebenen  SBertb  gelegt  bottCr 
bebarrte  unter  9Jietterni(bt8  »orpebtiger  8eitung  in  feiner  ab» 
wartenben  Haltung;  auch  bie  0unbe8oerbanblungen  mit  @nglanb 
unb  @^»eben  ftiepen  auf  ©(bwierigfeiteu.  Oloeb  weniger  liep 
pcb  oon  ben  OibeinbunbeSpaaten  eine  Ürieg8ernärung  an  ben 
gefürchteten  ^etfeber  erwarten.  3a  felbft  mit  bem  Äaifer 
Slleranber  oermoebte  ber  preupifdbe  Unterbänbler  ^nefebeef,  ber 
pcb  in  ba8  ruffifebe  Hauptquartier  ju  Äalifdb  begeben,  in  feiner 
übertriebenen  0ebädbtigfeit  nicht  gum  Slbfcblup  gu  lommen. 

2)a  war  ©ebamborft  unter  benen,  welche  meinten,  über 
bie  oon  bem  6garen  gepeilten  0ebingungen  nicht  länger  marften  * 
gu  fotlen.  „Unfere  Aufgabe  ift  ben  @ieg  gu  führen;  über  bie 
Sertheilung  ber  ©eute  wirb  ber  griebcn8fongreb  entfdbeiben." 
fUiit  bem  vom  Könige  am  25.  gebruar  gu  0re8Iau  genehmigten 
©unbe8oertrag  begab  p^  ©ebarnborft  gu  bem  rufpfeben  Äaifer 
nach  ^alifcb  unb  untergeiebnete  al8  ©eoollmäcbtigter  ^reupenS 
am  28.  gebruar  bie  Urfunbe,  wobureb  Oiuplanb  Pcb  oerpPi^tete, 
ben  ^rieg  an  ber  ©eite  ^reupenS  fo  lange  fortgufepen,  bi8 
biefe8  wicber  in  bem  ©ePp  ber  fDiacbt  gelangt  fein  werbe,  bie 
e8  Bor  bem  Sah«  1800  gepabt  hott*-  Sbf^luPe 

(j*>) 


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29 


beö  Äaltfc^er  SünbniffeS  aber  Dergingeit  notb  14  5Eage,  für 
Scbarn^orft  jelbft  Sage  »od  unbefc^reibli^et  anftrengungen, 
bis  bet  Äönig  bem  getnbe  gegenüber  bie  le^te  ÜKaflfe  faden  lie§. 

9lm  16.  aJlfitj  würbe  ber  Ärieg  an  granfteid^  erflärt,  om 
17.  ba8  @eje^  über  bie  SSilbung  bet  8anbme^r  etlaffen  unb  an 
bemfelbcn  Sage  erj(bien  audb  ber  berühmte  „Sluftnf  an  mein 
SBoIf",  worin  griebridb  SBilbelm  mit  h^jüdhen  SBorten  feine 
SBranbenburger,  ^reufeen,  ©cblefier  unb  9>ommern  3U  bem  lebten 
entfcbeibenben  .^am))fe  aufbot,  ju  einem  .Kampfe,  in  bem  ed 
gelte,  glorreitb  gu  fiegen  ober  ehrenood  untergugehen. 

@0  war  benn  enblidb  bie  gro§e  Seit  gefommen,  wo  ©dbam= 
horft  fi^  bet  grüdbte  feinet  aufS  .^ödbfte  gefieigerten  Shätigleit 
freuen  burfte.  $Danf  bet  genial  gebac^ten  unb  mit  unerfcbütter» 
liebet  auSbauet  burdbgefübrten  Drganifation,  ©ant  nicht  minbet 
bem  friegetifdben  SEBetteifer  ader  ©tänbe  war  ^reu^en  im  ©tanbe, 
in  wenigen  Söodben  au§et  46  000  8inientruppen  noch  95  000 
Slefruten  für  bie  ftebenbe  9lrmee,  10000  freiwidige  Säget  unb 
120000  SOlann  8anbwebt  gu  fteden.  „dJtcin  SEBirfungöfreiS", 
fo  burfte  ber  Sefcheibene  mit  ©elbftgefübl  feinem  Sreunbe 
@neifenau  f^reiben,  gab  ber  gangen  dtüftungdangelegenbeit  baS 
8eben,  ich  fu^e  fie,  foweit  idb  fann,  gu  enben,  ehe  ich  abgehe 
(nämlich  gut  9rmee).  Sch  otbne  bie  SluSführung  fo  an,  bah 
fie  nicht  unterbrochen  werben  fann,  — ohne  bieS  würbe  bie 
8anbwehr  ni^t  gu  ©tanbe  fommen  unb  bie  anbeten  germationen 
(b.  h-  her  8anbfturm)  »iedeicht  erft  in  mehreren  dJlouaten.  S«h 
verfahre  beSpotifch  unb  labe  viel  SSerantwortung  auf  mich,  <>her 
ich  glaube  bagu  berufen  gu  fein." 

9teben  bet  Einrichtung  unb  Sludtüftung  bed  neu  gefchaffenen 
,£ieere8  hotte  ©charnhorft  feine  raftlofe  Shötigfeit  befonbetö  ber 
0ilbung  eined  tüchtigen  EeneralftabS  unb  bet  Sefe^ung  ber 

(7S1) 


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30 


^ öderen  OfftjierSfteQen  gugrwenbet,  habet  aber,  tote  er  feiner 
Socbter  fcbreibt,  für  ftcb  felbft  fein  ^ommanbo  nehmen  fönnen. 
„3(b  I^nbe  mich  nur  begnügt,  gute  brauchbare  8eute  betvorgu« 
gieren,  i^  tonnte  bied  nur  burchfehen,  wenn'  ich  felbft  adern 
entfagte."  3nbe§  hoffte  er,  im  SBefi^e  be8  unbebingten  35er* 
trauend  ber  beiben  oerbünbeten  fDtonar^en,  auch  ohne  ^ommanbo 
auf  bie  iDperalionen  entfcheibenben  @inf(uh  gu  üben.  33or  adern 
war  Slücher,  ben  «S^arnhorft  ald  ben  33efehldhnber  ber  gunö^ft 
in  33etracht  fommenben  ©chlefifchen  ^tmee  aOen  (Sinwenbungen 
gum  !£roh  beim  ^önig  burchgefe^t  hotte,  auf  feinen  dtath  an« 
gewiefen.  2)enn  ©charnhorft  ftanb  bem  ^elbengreife,  bem 
triegdwiffenfchaftlidie  Gilbung  fremb  war,  ald  erfter  General« 
quartiermeifter  ober  @eneralftabdchef  gur  Seite,  unb  gugleich  ald 
gweiter  @eneralftabd^ef  ber  ihm  congeniale  @neifenau.  9fur 
S^abe,  ba§,  fobalb  bie  ruffifihe  SIrmee  unter  SBittgenftein  fidh 
mit  ber  tjreufeifchen  »ereinigte,  ber  jDberbefeht  bem  Diuffen 
SBittgenftein  gufiel,  obwohl  berfelbe  faum  einmittelmä§iger@eneral 
unb  bie  ruffifchen  Srupt^en  cor  ber  ^anb  fehr  fchwach  waren. 

@rwog  man  bagegen,  ba§  dtapoleon  feit  dRonaten  bad 
grohe  frangöfifche  Äaifeneich  unb  feine  SSafadenftaaten  gu  ben 
umfaffenbften  SRüftungen  angetrieben  hotte  unb  im  älpril  1813 
an  ber  Spi^e  eined  mächtigen,  nur  oon  feinem  SBiden  ab« 
hängigen  ^eered  fich  auf  bem  SBege  na^  ^^hüringen  befanb, 
um  bort  fidh  no^  burch  bad  ^orpd  bed  33igefönigd  @ugen  gu 
»erftärfen,  fo  fonnte  man  Borläufig,  ehe  bie  ruffifchen  SReferoen 
unb  bie  nodh  in  ber  33itbung  begriffenen  Sanbwehrtruhpen  auf 
bem  Äampfpla^e  erfchienen,  faum  auf  gro^e  ©rfolge  hoffen. 

„3öir  oerfuchen  unb  wagen",  fagte  Scharnhorft.  SBäre  ed 
nach  feinem  fRathe  gegangen,  fo  hotte  man  bad  Ülderfühn^e 
gewagt,  nämlich  Bor  fRapoleond  Idnfunft  fi^)  ouf  @ugen’d  üorpd 

(722) 


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31 


gefiÜT3t,  e6  gef(^Iagen,  unabläffig  ueifolgt  nnb  ganj  jRorbbeutfc^« 
lanb  gum  Slufftanb  fottgerinen,  JDic  Oluffen  aber  tetmorfen 
ben  cenoegenen  ^laa  unb  wollten,  nad)bem  f!e  mit  ben 
^reu|en  bie  6Ibe  überjd^ritten,  ben  geinb  in  ©a^jen  erwarten. 
„SQo  bie  SnteQigeng  mangelt,  meinte  ©neifenau,  ba  wirb  bie 
2)ai»ferfeit  entfcbeiben."  Slucb  ©(barnborft  blieb,  fo  fe^r  et  bie 
©(bwädbe  bet  IRuffen  beliagte,  guten  9Jlutb@  unb  blicfte  „getroft" 
in  bie  Sufnnft.  „3Bir  eine  gro^e  pbpflf^be  Uebermaebt 

gegen  un0,  wir  buben  aber  ÜKutb  unb  [treiten  für  bie  b«lifle 
©aibe,  barin  b“ben  wir  bafl  Uebergewidjt."  SBütbe  bet  geinb 
au(b  noch  fo  gro|e  Siege  erfechten,  „bie  gange  Anlage  beö 
^ege@  ift  fo  ba§  im  Saufe  biefeS  ^elbgugeS  und  fowobl  bie 
Ueberlegenbeit  ald  ber  ©ieg  nicht  entgehen  fann.  .^iernon  bin 
ich  feft  übergeugt,  unb  IDu  wei§t,  ba§  ich  eher  fchwarg  ald 
rofenfarbig  fehe/  „Sollte  ich  bad  @nbe  bed  $elbguged  auch 
nicht  erleben,  fo  fterbe  ich  in  ber  feften  Uebergeugung,  bah  bied» 
mal  bie  55reibeit  unb  Selbftönbigfeit  ^reu§cnd  unb  JDeutfchlanbd 
fiegt.  SJieine  ISnwefenheit  im  .£>aui)tquartier  but  mir  bie 
Uebergeugung  gegeben." 

So  fchrieb  Sdbarnbor^  am  28.  ülpril  aud  ISltenburg, 
4 Stage  oor  ber  für  ibn  oerhängibo ollen  Schlacht  »on  Sü^en 
ober  ©rohgörfdbcn.  9iapoleon  marfchirte  in  ber  0lichtung  auf 
Sei^gig,  ald  bie  SSerbünbeten  befchloffen,  bad  gweimal  fo  ftarfe 
feinbliche  .^eet  füblich  »on  Sühen  angufaHen.  9Jlan  hotte 
meinen  foUen,  ba§  ed  nach  ©dbui^nborft’d  SDidpofitionen  ge» 
fchebe,  aber  SBittgenftein  buW®  bie  Slnorbnungen  gur  Schlaft 
feinem  ruffifcheu  ©eneralftabe  überlaffen,  unb  ald  Slücher,  bei 
bem  fleh  ©charnhorft  unb  ©neifenau  befanben,  bie  3lufmarfch= 
befehle  erhielt,  war  ed  troh  aller  Semübungen  für  eine  Slenberung 
ber  ©idpofition  gu  f^jöt. 

(723) 


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32 


@rft  gegen  ü^ittag  beS  2.  ÜJ2at  geriet^  man  an  ben  Beinb, 
unb  jvar  junäi^ft  an  bad  ^otpd  9lep,  bad  eine  Gruppe  non 
4 S)5rfern,  baiunter  @ro§<  unb  ^leingörfd^en,  befe^t  ^ielt. 
SSlucbere  ^crpö  machte  ben  ^ngtiff  unb  mit  ^elbenmntb 
5um  ©türm.  ®rei  bet  ©orfer  mürben  in  3meiftfinbigem 
mötberifcbem  Äampfe  bem  geinbe  entriffen,  SJlittlermeile  mar 
9lapoleon  felbft  mit  frifcben  SEruppen  beibeigeeitt  unb  trieb  bie 
|)ren§en  3urü(f.  Slber  ein  neuer  furibtbaret  SInfturm  braute 
bie  JDörfer  nodb  einmal  in  i^te  ©ernalt.  „®Iaubt  i^r,  ba§ 
mein  Stern  untergebt?  fragte  9lapoleon  ben  Sertbier.  IDet 
Slnblict  be0  preufeilcbett  ^elbenmutbö  entlodfte  ibm  ben  Üluflruf: 
„®iefe  'Jbte«  b“ben  maß  gelernt."  .^Stte  audb  bie  rnffif<be  fRe» 
ferne  recbt3eiitg  eingegriffen,  ober,  mie  Scbarnborft  fagt,  SBittgen» 
ftein  anberö  operirt,  fo  bitten  bie  SSerbünbeten  „ben  etlatanteften 
Sieg“  erringen  fönnen.  3fber  baß  ruffifcbe  IRefetneforpß  blieb 
bem  Stblacbtfelbe  fern,  mÄbrenb  9lapoleon  neue  SBerftärfungen 
erhielt.  lDa3u  fam  auf  Seiten  bet  Serbünbeten  ber  ORangel 
einer  guten  unb  fidbene«  «übrung.  Salb  fommanbirte  SBittgen« 
ftein,  halb  ber  Äaifer  Slleranber,  halb  fRiemanb,  unb  am 
meuigften  bet  @ine,  ber  not  allen  anberen  berufen  gemefen  möre, 
baß  S^laibtinftrument,  baß  et  gefcpliffen,  auch  3U  banbbaben. 

Scbarnborft  mar  ln  ben  Äampf  an  bet  Seite  Slüdberß 
eingetreten,  bef(bränfte  ficb  aber  ni^t  barauf,  biefem  alß  IRatb* 
gebet  3u  bienen,  fonbern  erliefe  mieberbolt  audb  Anträge  an  ben 
Äaifet  Slleranber  gelangen.  feuriger  alß  an  biefem 

SEage  b“tt«  w“”  gefeben.  fDlebtmalß  brang  er  mit  ge» 

30geuem  Säbel  an  bet  Spifee  bet  SEruppen  in  ben  geinb;  et 
fenerte  bie  Beute  an  unb  tief:  cß  lebe  bet  Äönig,  inbem  et  ben 
Säbel  f^mang.  Sein  brauner  @nglänber  mürbe  ibm  unter 
bem  Beibe  burtb  eine  Äanonenfugel  etf^offen.  6in  3meiteß 

(734) 


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33 


?)ferb,  baS  er  beflieg,  »urbe  blefftrt;  eine  Äugel  ging  i^m  but^ 
ben  Sfd^afo,  eine  anbere  but^I5(i^erte  feine  Uniform,  bis  enblid^ 
gwif(^en  6 unb  7 Ubt,  al8  bie  wieber^olt  im  ©türm  genommenen 
Dörfer  noc^  oon  ben  ^reu§en  be^au^itet  mürben,  eine  Äuget 
fein  Sein  fo  gef5f)tlidb  traf,  ba^  er  ber  D^nma^t  na^e  fam  unb 
Bom  §)fetbe  ju  ftürjen  brodle,  ©ein  gmeiter  ©o^u,  ber  i^m 
Sbjutantenbienfle  leiftete  — au^  ber  ältere  jeid^nete  ftc^  unter 
ben  tSugen  befl  SoterS  unb  gu  beffen  ^o^er  greube  bur^ 
Sapferfeit  au8  — ^ielt  i^n  mit  9Rü^e  aufrecht  unb  brachte 
i^n  nad^  unb  no(^  au§  bem  geuer. 

©0  nerliefe  er  baS  ©c^la^tfelb,  e^e  bie  ^ei§  umftrittenen 
tDorfer  Don  ber  Uebermad^t  beS  BeinbeS  enbgültig  miebet  ge» 
nomraen  mürben,  unb  blieb  ber  SKeinung,  ba§  bie  Serbünbeten 
gefiegt,  md^tenb  man  in  SBal)r^eit,  mie  bie  Solge  bemieS,  nid^t 
einmal  fagen  fonnte,  ba^  bie  ©d^lac^t  unentfe^ieben  geblieben. 

3lm  fpäien  SIbenb  nod^  erreid^te  ber  oermunbete  ©enctal 
^egau,  mo  iljm  bie  erfte  ärgtlid^e  |)ülfe  ^u  J^eil  marb.  ?Kan 
febnitt  ibm  bie  Äuget  auS  bem  Sein  unb  oerfi^erte  i^m,  ba^ 
er  in  4 SBo^en  mieber  fein  fonne.  IDann  fu^r  er 

über  Sütenburg  meiter  nach  IDreSben,  ba  bie  Slrmee,  fiatt  am 
3.  ?Kai  ben  Äampf  fortgufe^en,  mie  bie  ^reufeen  oerlangten, 
ficb  nadb  ber  @lbe  gurütfgog. 

3n  IDreSben  fühlte  fi^  ©dharnhorft  fd^on  nach  ein  t5aar 
S^gen  nidht  allein  fähig  feine  tDienflgefihäfte  mieber  aufgunehmen 
unb  Dorgüglich  an  ber  .Jjerbeifdhaffung  ber  nSthigen  ÄriegS* 
materialien  gu  arbeiten,  fonbern  er  erbot  fogar  gu  einer 
ebenfo  anftrengenben,  mie  michtigen  2Riffion. 

Uebergeugt,  bap  man  Defterrci^S  >^ülfe  nicht  länger  ent* 
bepren  lönne,  moUte  er  an  beö  ungeeigneten  ÄnefebedfS  ©teile 
perfönlidh  ben  gaubernben  SBiener  j^of  für  bie  Ullliance  geminnen. 

XIX.  4M.  3 (725) 


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34 


S)ie  Sletjte  loibeinet^en  bie  »eite  Steife,  unb  auc^  ber  ^önig 
gab  ungern  bem  3)tängen  be§  @elbftlofen  nadb. 

91m  7.  ober  8.  9)tai  reifte  ©dbomborft  non  Sreflben  ab. 
3n  Sittau  fd^on  mu§tc  er  ^>alt  machen.  JDaS  ga^ren  batte  bie 
SSunbe  nerfcblimmert,  ber  ^anfe  fieberte  unb  fam  24  @tunben 
nidbt  gu  ficb.  SIber  faum  batte  et  ficb  unter  auSgejeidbneter 
pflege  etwa8  gebeffert,  fo  lle^  er  fldb  ni^t  abbalten,  bie  gefabr* 
DoOe  Steife  fortjufe^en,  inbem  er  allen  Slbmabnungen  bie 
£)^)ferpfli(bt  für  Äßnig  unb  93aterlanb  entgegenftetite.  Unb 
bod)  foOte  er  SBten,  wobin  ed  ibn  fo  mädbtig  gog,  ni^t 
erreichen. 

3n  Sna^m,  gehn  SJteilen  »on  bem  b«^  erfebnten  Siele 
entfernt,  füblte  et  feine  3Bunbe  fo  »erf^limmert  unb  feine 
Ifräfte  fo  erfcböpft,  ba§  er  nur  nodb  »om  SBagen  auf  baö 
Saget  gebracht  werben  fonnte.  Stoch  ^uferS  SJteinung  hätte 
©cbarnborft  feinen  Suftanb  wefentlicb  baburdb  »erfcblimmert, 
ba§  et  au^  in  jenen  Jagen  ftatt  paffenber  Stabrung  nur  ben 
ihm  unentbehrlichen  Äaffee  gu  fich  nahm. 

„3^  gebe  rot  Ungebulb  gn  @tunbe",  flogt  er  oon  Snapm 
aud  feinem  @neifenau,  unb  felbft  ber  geliebten  Jochtet,  non 
ber  er  jebe  Sorge  fern  halten  möchte,  geftebt  er,  wie  fdjmerg* 
baft  bie  9Bunbe  geworben,  unb  bob  et  übet  ''Prag  gurücfgufebren 
genötbigt  fei.  9lber  Weber  tbut  ihm,  bah  er  in  einem  ent« 
f^eibenben  Slugenblicfc,  wo  er  an  Drt  unb  Stelle  Diel  tbun 
fönnte,  — e0  finb  bie  Jage  ber  Schlaft  Don  93auhen  — un« 
bötig  bleiben  muh. 

3nbe§  bafftt  er  au^  je^t  noch,  in  ein  paar  SBochen  wieber 
gu  Pfcrbe  fi^en  gu  fönnen.  33on  ber  SEBelt  freilich  will  er 
ni^tö  mehr,  ba  fie  ihm  ohnehin  nicht  giebt,  waö  ihm  wertb 
ift.  würbe  fein  gröbteö  @lüd  fein,  wenn  er  auf  bem 

(726) 


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35 


^Sc^lai^tfelbe  fallen  fönnte,  o^ne  wieber  »eiaunbet  ju  »erben. 
9lIIe8  anbere  ift  glei%ültig.  „Äönnte  ic^  baö  ©anjc 
fommabiren,  fo  Ȋre  mir  baran  nie!  gelegen,  id^  ^alte  mic^  in 
aller  Sergleit^ung  bagu  fä^tg."  — „31n  JDiftinftionen  ift  mit 
nichts  gelegen;  ba  id^  bie  nid)t  erhalte,  bie  id^  cerbiene,  fo  ift 
mit  jebe  anbere  eine  S3eleibigung,  unb  i^  mürbe  mid^  cera(^ten, 
»enn  id^  anberö  büchte."  — „alle  Crben  unb  mein  geben 
göbe  id^  um  ba8  ,^ommanbo  eiueS  2age8."  — bieg, 

»00  i(^  ^iet  f(^reibe,''  fo  fä^rt  ber  merf»ürbigfte  aQet  Sriefe 
an  bie  2^od(|tet  fort,  „gang  meinem  !£ßefen  guwiber,  ba^  idb 
nid^tg  oerlange,  nie  mi(b  ungufrieben  äufeere,  unb  je^t  fo  gang 
anbetg  3)it  fd^teibe,  »itb  2)i(b  beftemben.  @g  ift  aber  bieg 
fein  93tief,  fonbern  eine  eigentliche  9lachri(ht  für  iDich,  »ie 
iDein  SSater  badete,  »enn  idh  nid^t  mehr  ba  fein  foQte." 

@0  enthüllte  ber  gro|e  (Schmeiger  auf  feinem  einfamen 
@(hmergenglaget  ber  certrauten  Tochter  ben  eingigen  großen 
@h<^ü^ig>  unbefriebigt  feine  @eele  bemegte  unb  heimlich  «n 
feinem  geben  gehrte.  SBohl  mag  man  eg  ein  tragifcheg  @ef^idf 
nennen,  ba|  gerabe  bem  SKanne,  ber  unter  unfäglichen  ©orgen 
unb  SJlühen  bie  befte  armee  ber  SBelt  gefchaffen,  ber 
3Bunf^  beg  |)eTgeng,  fie  ein  eingigeg  fDtal  alg  tommanbirenber 
gelbhetr  gum  @iege  gu  führen,  »erfagt  bleiben  foQte. 

@nbe  3Rai  erreichte  Schar nhorft  ^rag  unb  mu^te  pdh 
»iebethoU  fchmerghaften  Dperationen  untergiehen.  @r  hie^ 
©hatpie  »ißfommcn,  bie  ihm  bie  theure  Jochtet  aug  bem 
fernen  Äöniggberg  fanbte.  an  ber  |)offnnng  auf  Sefferung 
aber  h'clt  « noch  aab  ebenfo  blieben  feine  @e« 

banfen  auf  bag  ©chlachtfelb  unb  bie  @efdhicfe  beg  IBaterlanbeg 
gerietet. 

„3ch  hoff*"»  f«h*i*6  w am  18.  Juni  mit  gitternber  .^anb, 

3*  (7S7) 


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36 


mit  bfn  erften  ©treitern  beim  SBicbetauSbtuc^  beö  Äiieaefl 
fiegen  ju  fonnen  unb  werbe  boju  aße  ßJUttel  onwenben.“ 

2)tei  2age  fpäter  (21.  3uni  1813)  ftarb  er/  na^bem  er, 
wie  erjä^lt  wirb,  noc^  bie  greubc  gehabt  ^atte,  mit  bem  grei* 
^errn  Don  @tein  [eine  ©ebanfen  über  ben  enblit^en  ©ieg  ber 
guten  ©ad^e  audgutaufdben. 

6r  ftarb  im  Stlter  non  58  Sohren  auf  frember  @rbe  unb 
würbe  auch  junötbft  in  ?)rag  beftattet,  aber  mit  aß  ben  @^ren, 
bie  einem  öfterreidbifc^en  ©enerallieutenant  gebührten  unb 
unter  ber  Xbeitnabme  einer  nadb  nielen  Saufenben  jäblenben 
33oIfdmenge. 

SBie  aber  nahmen  bie  greunbe,  wie  baö  preufeifdfie  unb 
beutf^e  Sßolt  bie  Jrauerbotfdbaft  auf? 

2Bäl)icnb  bem  ©iebter  3irnbt  ber  ©efaßene  wie  ein  ©iege§« 
bote  erfebeint,  ben  bie  für  i^re  Srei^eit  fümtjfenben  ©ermanen 
ihren  Sinnen  na^  SBalbaßa  fenben  — „9lur  ein  .^elb  barf 
^>elbenbotf(baft  tragen  — barum  mu^  ©ermanienö  befter  üllann, 
©ebarnborft  mu§  bie  S3otfcbaft  tragen"  — fbru<b  ber  er» 
i^ütterte  j^önig  in  feiner  flüchten  SBeife:  „9Kit  ibm  briebt 
mir  eine  treue  fefte  ©tü^e,-  er  wirb  mir  unerfe^Iidb  fein." 
©tein,  ber  eberne  ßJlanu,  bradb  in  Slb^f^nen  au8,  unb  ber  greife 
S9(ü6er  eradjtete  ben  .^eimgang  feines  ^reunbeS  einer  »er« 
lorenen  ©dbla^t  gleidb;  »ergeffen  aber  b<>t  et  feiner  niemals, 
»ielmebr  immer  »on  bleuem,  fo  oft  er  alS  ©ieger  gefeiert 
würbe,  in  feurigen  SBorten  baS  Slnbenfen  beffen  erneuert,  ber 
ibn  unb  bie  Srmee  }u  fiegen  gelehrt  b^be. 

Stiefer  nodb  mögen  ©neifenau  unb  ©laufewib  ergriffen 
gewefen  fein,  ©ie  wibmeten  bem  greunbe  unb  SJieifter  einen 
feurigen  91acbruf.  2Bir  fagen  bem  fDieifter,  beun  als  ©^arn» 
borft’S  Sünger  b«ben  fi(b  beibe  immer  banfbar  befannt.  „@ie 

(7*6) 


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37 


teaten  fein  So^anneS,  fagte  ©netfenau,  t(^  nur  fein  ?>etru8, 
bod^  bin  i(b  i^m  nie  untreu  geworben,  wie  jener  feinem  9Reifter.“ 
9tocb  auf  ber  ,^ölje  feineä  9lume8  lernte  e8  ber  gelbmarfcbad 
ab,  einem  9Jtann  gleid^  gefegt  ju  werben,  ber  ein  {Riefe  gegen 
i^n,  ben  ^pgmaen,  fei,  beffen  ©eifteStiefe  er  nur  bewunbern, 
nimmer  aber  ergrünben  fönne. 

{Rur  einer  ;^ulbigung  woden  wir  nod?  gebeuten,  bie  bem 
großen  lobten  11  Sa^re  nad^  feinem  ^injtbeiben  bargebrac^t 
würbe.  SDaö  ©rabmonument  oon  {Raud)’8  {Dteifter^anb  auf 
bem  Snoalibenfircb^ofe  ju  S3erlin  war  oodenbet,  unb  bie  3lfcbe 
©^arn^orft’8  oon  ?)rag  bort^in  gebradbt.  31m  Slbenb  be8 
Jage8,  al8  ba8  3)enfmal  cntbüdt  war,  weilten  no^  lange  jwei 
warme  SSere^rer  be8  eblen  lobten,  beibe  {IRanner, 

an  ber  ©rabftätte.  5Der  eine  war  ber  Ätieg8minifter  oon  IBopen, 
ber  narb  ben  greibeitäfriegen  im  ©eifte  8dbarnborft’8  fegenSood 
feines  3(mte8  waltete;  ber  anbere  ber  ©efcbicbtSfcbreiber  flreufe. 
„Sir  waren  bie  ©ingigen",  ergäblt  ber  ^e^tere,  „an  biefem 
feierlichen  Drte.  ©^weigenb  überließen  wir  un8  unfercn  ©e» 
bauten  unb  ©efüblen.  Seim  ©cbeiben  entblößte  Sopen  an» 
bdcbtig  fein  ,^anpt  unb  fpracb  jum  {Dlonument  gewcnbet,  bie 
Sorte,  mit  benen  auch  wir  oon  unferem  ^>elben  Slbfcbieb  nehmen: 
9Roge  e8  bem  SSaterlanbe  nie  an  Solchen  fehlen,  wie  JDu 
einer  gewefen." 


(7J9) 


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£itrrartfi^e  £loti|. 


Sie  ^«ute  fe^lt  eS  ouffaDiger  SBeife  on  einer  ieS  großen  9Jlanne« 
ttürbigen  S3iogtapl;ie.  SBa«  „über  taS  geben  unb  ben  S^orafter  »on 
Sc^ml^crft''  au0  bem  9lad)laffe  befl  ©eneral  ßlaufeioi^  »on 
geopolb  9lanfe  im  1.  Sanbe  feiner  ^iftorifc^politifc^en  Sfitfcbriit  1832 
mitget^eUt  mürbe,  befielt  in  einet  halb  nad)  bem  lobe  ©^am^orft’S 
»on  feinem  gieblingSfcpüler  unb  »ertrauten  grennbe  niebergefc^riebenen 
geift»cllen  S^arofteriftif  unb  einet  einige  3al)re  fpäter  »erfaßten  ^lotij 
übet  fein  geben.  Seibe  Sluffä^e,  benen  no^  ein  paat  ©riefe  ®(^am« 
borft’0  on  ßlaufemi?  beigefügt  finb,  merben  tro$  i^reS  geringen  Um» 
fongeS  immer  einen  ^er»orrogenben  9Bett^  bel^oupten.  JDoffelbe  gilt  »on 
ber  f leinen  ®d)rift  beS  ehemaligen  Ärieg0miniftet0  »on  ©open 
„©eiträge  jur  Äenntni§  be«  ®eneral  »on  ©(fjamborft  unb  feiner 
amtlichen  Shätigfeit  in  ben  Sahren  1808  bifl  1813"  (1833),  meld>e 
ben  bie  ©erbienfte  beg  ©chüpferS  ber  preußifchen  SBehr» 

fraft  gegen  ©etunglimpfungen  in  ©cpu^  nahm,  bie  fchon  bomol«  »on 
jfüniggbetg  ouggingen.  — S)ie  auf  amtliche  Duellen  geftü$te  Arbeit 
©cherbening’8  „bie  Sieorganifation  ber  preußifchen  Slrmee  nach  ben* 
Silfiter  grienen"  in  bem  ©eiheft  jum  9Jlilitärmochcnblatt  1854  ff.  ent» 
hält  (I,  27)  eine  biographifche  ©fijje  ©chamhorft«,  nachbem  fchon  bo8 
aUilitärmochenblatt  »on  1847  einige  ©riefe  beg  ®eneralg  aug  bem 
Sahre  1813  gebracht  h“llE.  Slnbere  ©eiträge  ju  bem  geben  ©^arn» 
hotft’g  bot  ©erh  in  feinen  SBetfen  über  ©tein  unb  ®neifenau. 
©^meber  enblich  »eröffentlichte  im  3ahre  1865  eine  fleine  populäre 
©iographie,  bie  gut  gefchrieben  ift,  ohne  h^^ffcn  Slnfprüchen  gu  ge. 
nügen.  — IDagegen  mar  ®.  ^flippel  fo  glücilich  einem  geben  be8 
®enetal  »on  ©chamhorft",  bag  berfelbe  in  3 ©änben  1869 — 1871 
herauggab,  eine  gro§e  3ahl  merth»olIet,  bigher  unbetannter  ©riefe  unb 
Slftenftüdfe,  bie  er  theilg  gamilienpapieren,  theilg  amtlichen  ©ammlungen 
entnehmen  burfte,  ju  ®runbe  ju  legni  fonnen.  Slber  mie  meit  bleibt  bag 

(730) 


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39 


SBfrf  ÄlippeU  leintet  ben  Slnfotberungen  jurucf,  bie  man  an  eine  toiffen« 
f(^aftli(^e  5)lono0tap^ic  unb  »oHenS  ein  biograp^ifdjeS  Äunftwerf  fteHen 
mu§!  Sirop  be8  9ieuen  unb  @uten,  melcpeS  ba8  Suep  entfjSIt,  ift  eö 
ni(^t  nur  ungeniepar,  fonbern  auc^  ni(^t  überall  juöerlaffig.  — Um 
fo  lieber  »erna^m  man,  bag  2Rajc  Seemann  eine  ©iograp^ie  0cparn* 
prft’8  ju  preiben  unternommen.  2)ie  erfle  Srut^t  feiner  Stubien  mar 
bie  au8gegeic^nete  Stbrift  „Änefcbecf  unb  Stbon,  ©eiträge  jur  ©efdjicbtc 
ber  greibeitShiege"  (1875),  worin  0(barnborft  mit  Senu^ung  omtlicber 
■Quellen  gegen  Änefeberf  oon  ber  Jlntlage  freigefproeben  würbe,  im 
3abre  1813  bunberte  oon  Dffijieren  jum  9(u8tiitt  au8  ber  preu§ifiben 
Slrmee  bewogen  ju  »äbrenb  ibm  gegen  bie  ©erunglimpfungen 

0d)ön8  fein  ©erbienft  um  bie  preu§if(be  ganbwebr  ftegreiep  gewaprt 
würbe.  35a  inbeg  (1876)  in  bem  Suepe  „ju  0cputj  unb  $rup  am 
@rabe  0(pön'8,  ©über  au8  ber  3«it  bet  0tpma(b  unb  ber  ©rpebung 
iPreugenS.  ©on  einem  55reu§en"  no(p  einmal  bie  ©ertpeibigung  ber 
©epauptungen  0cp6n8  oerfutpt  würbe,  lie§  9JJ.  ?epmann  1877  bie 
0(pupftbtift  ,0tein,  0(parnporft  unb  0(pön''  folgen,  bie  für  ben 
2epteren  fo  oemieptenb  au8fiel,  ba§  au(p  ber  lepte  2peil  beS  IV.  Sanbe8 
ber  ipublifation  „SäuS  ben  papieren  be8  iIWiniftei8  jc.  oon  0^on*, 
ber  eine  9eben8ffijje  0(barnporft6  au8  bem  3“pK  1851  entpält,  nur 
geringen  ©jertp  beanfpruepen  fann.  — ©on  ben  in  ben  lepten  3apren 
befannt  geworbenen  ©eiträgen  jjur  ®ef(pi(ptc  0cparnpotft’8  erwäpne  i(p : 
„Senfwürbigfeiten  au8  bem  ^eben  be8  @eneral8  bet  3nfanl«ri«  Bo» 
.J)üfer*  (1877),  welket  in  bem  unoerge§Ii^en  grupling  1813  Säbjutant 
0cpatnporft’8  Wat,  unb  baS  „9eben  be8  @enetal8  6orl  oon  ßlaufewip 
unb  ber  grau  lOlarie  oon  ßlaufewip  5C.  oon  Ä.  0(pwar5  (1878) 
mit  intereffanten  brieflidjen  ÜJtittpeilungen  be6  3ünger8  über  ben  ©ieifter. 
Slu(p  Dmpteba’8  politifcper  ©acplap,  Sb.  2 (1869)  unb  SB.  OndCen, 
„Defterreidp  unb  'Preupen  im  ©efreiung8friege"  2.  ©b.  (1879)  bringen 
einige8  Sleue  über  ©cparnporft’8  oielfeitige  Spätigfeit.  ©cn  befonbetem 
SBertp  ift  enbliip  bie  Slbpanblung  31.  0terns:  ,3ur  ©eftppte  ber 
SJliffion  0(parnporft’8  naep  ©3ien  im  3apte  1811"  (gotfepungen  jur 
beutftp.  ®ef(picpte  20.  ©b.  1880).  — Sit  meifterpafte  Sparafteriftif, 
welcpe  4).  0.  2reitf(pfe  oon  ©tparnporft  entworfen,  ift  febem  Befer 
be8  1.  ©anbe8  ber  „beutfeben  ®efcpi(pte  im  19.  3aprp."  in  Erinnerung. 


(731) 

3)tud  DOK  Wtbt.  Ungn  (£b.  Wtimm),  Setltn  HW.,  Scböaeberjerfti.  17*. 


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SlriftotelcS’  Slitf(l^auun9 


m |teitniifi|aft  0011  Irlirnsgütern. 


Son 

Kttbolf  (Enihett. 


6rtHn  SW.,  1884. 
Seilag  »OQ  @arl  .^abel. 

(C.  Xiitriti’litit  SirliBibni|)|ianMnRg.) 

33.  SU^Im . @tra|e  33. 


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llripDtelcö’  Slnft^auung 

non  |temtliff|aft  tinii  00»  feliettSDtitetn. 


93on 

Knbolf  (Sniheii. 


«etlin  SW.,  1884. 
93eilag  doq  (Sari  ,^abel. 

(€.  (S.  Httla|)sbait)|iaiililang.) 

J3.  IBitgcIm.Stiatc  33. 


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2)ad  9ie(]^t  bet  Ueberfe^ung  in  frembe  ©(»tacben  rotrb  oorbebalten. 


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^inen  eigenartigen  Steig  gewährt  ei,  bie  in  ben  einfa^jten 
menf^Iic^en  SSer^ältniffen  erwad}{enben  ^anblungen  nnb  &e* 
finnungen  unter  ceränberten  Umgebungen,  in  ber  @ebanfemnelt 
ferner  Seiten  nnb  93ölfer  aufgufutben.  (Stmaiger  Ueberein> 
ftimmung  mögen  mir  unö  ale  eines  SeugnijfeS  für  baS  non 
nnS  n>ertb  @ebaltene  freuen,  in  ^bueid^ungen  aber  einen  Antrieb 
gur  beutlid^eren  tSegrünbnng  beS  @igenen  finben;  but(bge^enb 
ttitb  ferner  bie  SSergegenwärtigung  beS  f^remben  auf  fcbärfere 
Raffung  beS  Staren  ^inwirfen,  mit  bem  mir  gu  fe^r  ner« 
macbfen  ftnb,  um  ei  unmittelbar  alS  (langes  unb  ©igent^üm*^^ 
Hc^eS  gu  mürbigen.  Stur  non  bem  Slnbern  ^er  netmag  bet 
SJtenf(^  fic^  felbft  gu  erfennen. 

Sn  fcld^er  nergleic^enben  SBetracbtung  ma§  unS  aber  fein 
SSolI  me^t  antegen  alS  baS  griecbifc^e.  2)ie  non  feinen  leitenben 
@leiftern  in  ber  @rgrünbung  unb  ©eftaltung  beS  Steinmenfd^li^en 
etmiefene  Genialität  ^at  aUer  fpäteren  Gnttnicflung  bie  Grunb« 
läge  gefdiaffen;  mag  ^iet  errungen,  ift  unaufgebbare  93otanS* 
fe^ung  alles  Späteren.  ISber  mir  Steueren  befinben  unS  ben 
8ebenSptoblemen  gegenüber  ni(^t  me^t  in  betjelben  Sage.  SSit 
braudjen  bie  SSergleicbung  nur  gu  beginnen,  um  ben  erbeblicfien 
Unterf^ieb  gu  gemalten,  bag  bie  ISlten  bei  allem  S)rang  in 
bie  Jiefe,  bei  allem  Verlangen  geiftiger  33erarbeitung  beS 
Gmpfangenen  bie  einfacfie  ISnft^auung  beS  GegenftanbeS,  ben 
erften  unbefangenen  Ginbrud  fräftiger  feft^alten  unb  fruchtbarer 

XIX.  45S.  1*  (7Si) 


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4 


bertteriben  aU  »it.  ^ögen  ttjt  grdgetet  freiem 

y'-j  VJ  * 

@rl|ebung  über  ben  <Stoff  eingreifenbe  Umwälzungen  be8  @r* 
fennend  unb  bed  hebend  banfen,  mit  bem  3Bagni|  ift  audb  bie 
®efal)r  unb  mit  ber  ^ei^eit  bie  3rt|^Iitterung  geftiegen;  eben 
bei  »oder  Sinerfennung  bed  eigent^ümlicb  dJtobemen  werben 
wir  und  gern  bie  fcblicibiß^ef  unmittelbar  fatblic^e,  man  möchte 
fagen,  unfc^ulbigere  Slrt  ber  Sllten  ald  ein  ergänzenbed  @egen> 

jurfitfrufen. 

9iun  pflegt  und  ald  d)hifterbi(b  ebler  gried^ifcber  hebend* 
anfc^auung  $Iato  ju  gelten.  @r^aben^eit  ber  @ebanfen  unb 
bewältigenbe  dda^t  ber  ^erfönli^feit  vereinen  ftcb  ^ier  mit 
beftricfenbem  ^arbenreig  ber  Sludfübrung,  mit  leud^tenbem  ©lang 
ber  (DarfteQung.  5Die  im  größten  0inn  gefc^affenen  Entwürfe 
»on  SBelt  unb  8eben  muffen  immer  von  SReuem  greunbe  unb 
SSere^rer  anzie^en;  wad  ^iet  vorliegt,  ift  unb  bleibt  ein  Se» 
fenntni§  ber  Genfer  unb  Seiten,  ©o  mächtigem  ©inbrudC 
gegenüber  fann  ber  gro^e  ©dbület,  fann  Slriftoteled  leicbt  im 
©(batten  bleiben,  ©ein  aHerfaffenbed  ©pecialwiffen,  bie  dlücbtem» 
beit,  bie  z«tlegenbe  unb  unterfdbeibenbe^Slrt  feined  93erfabtend 
fcbeinen  i^n  bem  menfcblicben  .^erzen  in  gleidbem  d)ta§e  zu 
entfremben,  wie  fie  i^n  bem  SSerftanbe  wertb  ma^en;  ba§  er 
mit  bem  Sludbrud  perfönli^er  5lbeilnabme  zurüdbält,  fann  ald 
©leicbgültigfeit  bed  ©emütbed  verftanben  werben;  wenn  er  bei 
ben  8ebendprcblemen  ber  eigentbümlitben  33eid:affenbeit  menfib» 
ti^er  9latur  unb  8age  feine  Sfufmerffamfeit  in  büb^ut  @rabe 
Zuwenbet,  fo  mag  bad  audfeben,  ald  wolle  er  bie  Sufammen« 
bänge  unfered  S)afeind  mit  bem  Sßeltleben  aufgeben  ober  bo^ 
abfcbwädben.  Sltlerbingd  ift  Striftoteled  ein  anberer  ald  ?)lato, 
aber  ben  @runb  welchen  biefer  gefcbaffen,  giebt  er  feinedwegd 
auf,  unb  in  ibm  wurzelnb  befuubet  et  wertbvolle  SSotzüge. 

(TM) 


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5 


auf  bem  Gebiet  inenfc^lic^en  hebend  atbeitet  er  bad  3beale 
Iräftiget  in  baS  dieale  ein,  nimmt  ei  baS  2;^atfä(^U(^e  in 
teic^erei  ^üQe  unb  mit  genauerem  Sufe^en  in  bte  ®ebanfen> 
melt  auf.  @t  erfcbeint  glei^  bemunberungSwürbig  in  ber  S3ei« 
!nü;>fung  bed  SRannigfac^en  gu  einem  @efammtbUbe  mie  in 
bem  Saft,  eined  3eben  Eigenart  gu  mütbigen.  fflaäj  3n^alt  unb 
$orm  bema^rt  er  jened  3Ra^^aIten,  baS  ni(^t  gu  ^arafterlofer 
3RitteImä§igfeit  abf^leift,  fonbem  toelcbeö  aHed  @ingelne  im 
®angen  nerfte^t  unb  nac^  ben  3tt>eden  bei  langen  beurt^eilt. 
SBennf^on  9lriftoteled  Erörterungen  über  geben  unb  gebenSgüter 
teineSwegd  auSmeicbt,  fo  ift  eö  nid^t  feine  3rt,  berartige  ^agen 
normiegenb  nom  ©tanb^unft  beS  eingelnen  ©ubjeftö  auS  gu 
be^anbeln  unb  bem  ÜIuSbrudF  ber  Empfinbungen  meiten  ©^iel- 
raum  gu  gönnen.  9ia(^  biefer  ©eite  ^in  bürfte  er  ficb  nirgenbg 
me^r  etf^liegen  alö  in  einet  Unterfud^ung  über  bie  ^eunbfd^aft, 
mel^e  fic^  im  achten  unb  neunten  ä3ud>  feinet  Et^if  finbet. 
5Da8  befonbere  ißtoblem  erfc^eint  ^iet  fo  fe^t  ald  SKitteU 
;>unft  aOgemeinet  Uebergeugungen,  ba^  mir  ein  Eefammtbilb 
ber  gebenöanfd^auung  geminnen,  ein  Eefammtbilb,  ba6  oor 
aQgemeinen  Erörterungen  ben  SSorgug  fefter  Umgrengung  unb 
• anf^aulidber  ^uSfü^tung  ^at. 

S>aper  mag  e8  geftattet  fein,  oon  biefem  ^unft  auS  einen 
3)urcbblid  ariftotelifd^er  ge^re  gn  oerfudfien. 

ÜIQerbingö  mag  bie  erfte  Snfic^t  beS  Eegenftanbed  e8 
gmeifel^aft  etfc^einen  laffen,  ob  fi(b  ^ier  mirflit^  bie  Eefammt« 
übergeugung  beS  ^^ilofop^en  in  ooQer  ^aft  unb  Siefe  audpräge. 
3)ie  ©(^Ii(bt^eit  ber  2)atftenung  fönnte  bie  Meinung  ermetfen, 
als  fei  ber  3n^alt  giemlic^  unbebeutenb,  ja  faft  felbftoerftünblid^. 
^be§  ^üten  mit  un8,  etmaS  gering  gu  achten,  meil  eS  fic^ 
einfa^  unb  flar  giebt,  etmaS  für  felbftoerft&nblic^  au9gugeben, 

(717) 


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6 


■»eil  efl  fei»e  i^orafteriti{f<^c  ©gcnt^fimli^fnt  nit^t  bet  crften 
fIü(^Hgen  Setracbtung  aufbt&ngt.  ^liftoteted  fpri^t  ni(^t  Diel 
Don  feinen  Uebergeugnngen,  et  jie^t  eS  dot,  fie  in  bet  S3e< 
^nblnng  bet  @egen^änbe  nntaittelbar  3u  Dertreten  unb  ju 
etweifen.  @em  entwidelt  et  feine  gelten  an  unb  bei  befonberen 
Stögen,  bie  leitenben  ©ebonfen  oetfenft,  jo  Detftecft  er  mandb» 
mal  fo  in  ben  @toff,  bo|  fie  g(ei(!^fam  bet  (Sntbedung  Rotten. 
@tnb  fie  ober  entbecft,  fo  f)flegt  sugletcb  gu  et^eDen,  bag  bo8* 
jentge  maS  fo  farbloS  unb  felbftoeift&nblic^  fi^ien,  fe^i  eigen« 
artige  unb  folgenreiche  Uebetgeugungen  cinf(ihlie§t.  Siefer 
©efichtSpuntt  ift  oon  SEBi^tigfeit  füi  unfere  eigne  Untetfuihung. 

3tne(f  ift,  fouohl  bie-  aiiftotelifcbe  ^nfdhouung  im  Sufommen« 
hange  gu  f<hübern  aiS  eine  präcife  @rfaffung  ihrer  @igenthüm« 
(i^feit  angubahnen;  hai  aber  lann  fie  nicht  erreichen  burch  bloheö 
Sorfnhten  bet  ©ebanfen  in  ber  gotm,  »Die  fie  un8  überliefert 
finb.  Sie  mu§  ein  getoiffeS  ©leidhmah  gtoifchen  ben  eingelnen, 
Dom  in  feht  oetfchiebener  Sueführlichfeit  behanbelten 

Seiten  be§  ©egenftanbeS  ^ fcheinbat  ger« 

ftreuten  ©rbrterungen  ben  leitenben  gaben  aufgufuchen,  oor 
^Qem  aber  h<it  fie  alleS  Sefonbere  gu  ben  leitenben  IHincipien 
in  äSegiehung  gu  fehen  unb  biefe  ihrer  ©igenthümlichteit  nach 
möglichft  h^Q  beleuchten.  S)abei  mn§  fie  bie  ©efahr  meiben, 
Shdtfachc  unb  IDeutung  gu  tetmengen,  eine  ©efahr,  bie  faum 
anbetS  fo  nahe  liegt  n»ie  bei  bet  SSehanblung  ber  ^tten.  IDenn 
»enn  biefelben  un8  guerft  oft  fo  einfach  unb  felbftDerftänblich 
Dcrfommen,  bah  U)it  fie  lei^t  unb  unmittelbar  glauben  erfaffen 
gtt  tonnen,  fo  pflegen  fie  un8  in  bem  HJiahe  ferner  gu  rüdten, 
al8  mit  auf  einem  genaueren  unb  refüofen  33erftänbnih  beharren. 

3n  beginn  ber  Untetfu^ung  ift  bie  Sebeutung  be8 
ariftotelifchen  Slu8bm(Jc8  fe^gufteHen,  ben  n>it  mit  gteunb« 

(7») 


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7 


f^aft  nur  annä^etnb  ju  überfe^ett  vermögen.  S)em  SBort  tpilia 
fd^eint  ^teBe  injofern  e^er  gu  oitf)>re(Ben,  all  eS  fid^  nm  bie 
93egei(Bnnng  bet  ®rabe  perfBnlidBet  Suneignng  BonBelt, 

fowie  aud^  beSmegen,'  toeil  bo8  griecBifcB«  SBort,  mie  8iebe  in 
unferem  @^tadBgebrau(B,  aDe  93et^ältniffe  vom  ÜRenfdB  gu 
^enf^  in  unabfeBbarer  9(udbe^nung  oermanbt  mitb.  ^bet  ein 
8li(f  auf  ben  Sn^alt  le^rt  unö,  ba§  bafl  freie  SerBältnife 
@)Iei(Bftebenber,  im  93efonberen  bie  8ebend>  unb  @emütB8° 
oeremigung  eingelner  geiftig  Bcrvortagenber  SJlännet.  bem 
griedBif(Ben  ^Denfer  aI8  bie  ooQfommenfte  SBetmiiÜicBung  bed 
33egriffe8  »orfcBmebt,  in  i^r  erblicft  er  baS  Sbeal  für  alle  S3et= 
Bültniffe  Don  ?)etfon  gu  ?)etjon,  fie  giebt  @efe^  unb  Siegel 
für  bie  ©eftaltung  biefer  SSerBüItniffe.  2)otum  fönnen  mit 
nic^t  anberS  al8  von  ^eunbfdBaft  unb  von  ^reunbeSliebe  reben. 
ÜKag  babei  feinen  fSugenblitf  bie  meitere  SBermenbung  mit  bem 
lateren  ©inn  gu  oergeffen  fein,  e8  ge^t  bie  SegteBung  auf  bie 
©eftalt,  mel^e  ben  ^)5Bef}unft  bilbet,  nie  oöHig  verloren,  eß 
bleibt  für  SebenSfübrung  unb  ©emütb  begeid^nenb,  ba^  ft(b  bie 
greunbf^aft  im  engeren  ©inne  al8  Slorm  für  ade  unb  febe 
Bereinigung  bet  SJienf(ben,  bie  ^eunbeßliebe  al8  Urbilb  für 
ade  Berbinbnng  ber  ©efinnung  barftedt. 

SBorin  aber  ba8  eigentbümlt(be  Sdefen  von  ^eunbf^aft 
unb  gteunbeßliebe  gegenüber  anbern'Berbältniffen  beflebt,  boß 
bat  Slrifioteleß  im  Umrib  burcb  genaue  Hbgrengung  gegen  baß 
SBoblmoden  entivicfelt.  IDaß  SBoblwoden  b“t  ohne  3w«fel 
man^eß  mit  ber  §reunbf(baft  gemein,  eß  fanti  alß  eine  S3e» 
bingung,  eine  Borftufe  berfelben  ongefeben  »erben,  aber  getabe 
bei  foldber  Stäbe  geigt  ft^  ibm  gegenüber  ber  unterfcbeibenbe 
©b^iofter  ber  ^eunbf^iaft  befonberß  anfcbaulidb.  Sctfen  »it 
alfo  einen  Blicf  auf  baß,  »otin  beibe  oußeinaubetgeben.  SBobl» 

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8 


woQen  tft  oft  einfeitig,  ^reunbfd^aft  oetlangt  ©egenfeitigfeit; 
SBo^IiooQen  ge^t  audfi  auf  Unbelannte,  3.  S3.  wenn  wir  aie 
Suf^auet  eines  3Betifam))feS  einet  f)artei  unfere  @9mt>at^ie 
3uwenben,  Sreunbfcbaft  forbert  Sefanntjc^aft,  ja  SSetttaut^eit; 
Sßo^lwoflen  lann  uiele,  ecbte  ^eunbfd^aft  nut  wenige  umfaffen; 
jenes  mag  fidb  oerfteden,  biefe  mu§  3a  SEage  treten  unb  beiben 
Sl^eilen  bewußt  fein;  jeneS  entfielt  ntci^t  feiten  plö^Ii^,  biefe 
reift  langfam  unb  aQmä^lid^;  SBo^twoHen  ift  ein  Buftanb  o^ne 
aufregung  unb  Snff>annung,  ber  ficb  oft  nid}t  in  2:^at  umfe^t, 
^eunbfdjaft  treibt  äBirfen  unb  Schaffen  hoi^or,  fie  bröngt  3um 
fUtiteinanberfein  unb  Bufammenleben,  währenb  äSohlwoUen  auch 
Don  ber  gerne  h«  ftattfinbet.  6ben  mit  biefer  gotberung 
thätiger  ©emeinfc^aft  ift  baS  nach  fSriftoteleS’  Ueber3eugung 
heroonagenbfte  fDierfmal  ber  greunbfchaft  be3eichnet.  IDenn  bet 
Qiebanle  beherrfcht  alle  ein3elnen  StuffteQungen:  greunbf^aft  ift 
nicht  eine  im  Bnnetn  behaltene  @efühlenegung,  eine  ein« 
feitige  Siichtung  bet  ©efinnung,  fonbem  fie  bebeutet  ein  thätigeS 
3}erhalten,  ein  lebenbigeS  gegenfeitigeS  Sßirlen  mit  unb  aufeinanber, 
eine  fefte  IBetbinbung  oon  Shun  unb  SBolIen  bur^  baS  gan3eSeben. 
IDahet  ohne  ä3erühtung  ber  8ebenSfteife,  ohne  thatfächliche  Set« 
Infihfung  ber  3ntereffen  unb  bet  ^anblungen  feine  greunbfchaft. 
35er  Snhalt  biefer  Äreife,  bie  äJlichtung  ber  Sntereffen  ent« 
fcheibet  über  ihre  nähere  Sefdhaffenheit:  welker  Slrt  bie  @e« 
meinfdhaft,  ber  9rt  bie  greunbfchaft.  fOtögen  ben  @inen  Srinfen 
unb  SBürfelfpiel , ben  Snbem  förderliche  Uebungen  unb  3agb, 
weiter  fünbere  wiffenfchaftliche  gotfchung  unb  geiftige  !£hötigfeit 
angiehen;  waS  jeben  erfüQt,  bafüt  fudht  et  @enoffen,  baS  will 
et  mit  bem  greunbe  theilen.  Slbet  blo^  äufeereS  Bufammentreteu, 
blohe  Serfnüdfung  ber  {tanblungen  alS  äu|erer  geiftungen  giebt 
noch  feine  greunbfchoft;  gu  ihr  ift  eine  Setbinbuug  ber  @e« 

(740) 


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9 


mutier,  ift  gegen[ettige  [Siebe  unentbe^rlid^.  S)et  (Sine  mug 
fi^  übet  baö  Sßo^i  beS  Ülnbent  fieuen,  über  fein  Seib  betrüben, 
unb  gwar  and  feinem  anbern  ®runbe  alS  um  beS  ^reunbeS 
felbft  miOen,  er  mug  gefonnen  fein,  alleä  jenem  förbetlicge  aQein 
bed  ^leunbed  wegen  gu  tbun.  3Ran  mug  unmittelbareg  (Se> 
faden  aneinanber  flnben  unb  bag  bloge  Bufatnmenfein,  abgefe^en 
non  aden  folgen,  für  ein  gogeg  (Sut  eradgten.  @o  mug  ft(b 
gur  ®emeinf(gaft  ber  2;^ätigfeit  ©inigung  bet  ©emütger  ge» 
feden,  um  ben  Segriff  ber  greunbft^aft  gu  nodenben. 

SBelt^en  SBertg  aber  bürfen  wir  ber  fo  gefagten  greunb» 
fegaft  beilegen?  ^ann  ficb  ber  ^gilofop^  bet  ^ogen  @d;agung 
anf(bliegen,  welcge  bag  3}oIf  in  ungä^ligen  ©pri^tnörtern  be> 
funbet  unb  welche  bie  ^iegter  in  igren  üleugerungen  faft  noch 
fteigem?  2lriftoteleg  neigt  fi^  bahin;  er  erflärt  bie  greunbfehaft 
für  bag  höchfte  ber  äugem  ®üter,  ja  für  etwag  gum  ®lütf  fo 
Unentbehrlicheg,  bag  dUemanb  ein  mit  aden  fonftigen  SSorgügen 
auggeftatteteg  Seben  ohne  ^eunbe  unb  Sieben  überhaupt  würbe 
leben  mögen.  ‘Jlber  eg  ift  ein  Snbereg  fi^  gu  folget  ©d^ägung 
gu  befennen,  ein  Slnbereg  fte  wiffenfchaftlich  gu  begrünben.  ©ieg 
fann  ni^t  wogl  gef^ehen,  ohne  bie  ©tedung  ber  ^reunbfehaft 
im  ®angen  ber  Sebengaufgabe  gu  erörtern;  wir  müffen  bie 
Sehre  non  ^i^eunbf^aft  unb  ^eunbegliebe  auf  eine  adgemeine 
®runblage  gurüdführen,  wenn  fie  alg  ein  @tüdf  philofophif^er 
Uebergeugung  SSerftänbnig  finben  fod.  äBenben  wir  ung-barum  gu» 
nachft  bem  Problem  beg  häuften  Sebenggieleg,  bem  beg  ®Iüdeg  gu. 

5Dag  ®lücf,  fo  geigt  ^riftoteleg,  fann  nidht  in  bem  beftehen, 
worin  eg  lanbläufige  d)ieinung  fegt:  nicht  im  finntichen 
®enug,  benn  wag  ber  dJtenf^  mit  ben  gemein  h^t« 

fann  nicht  bag  @nbgiel  feineg  IDafeing  bilben,  nicht  im  93eftg 
non  ®elb  unb  ®ut,  benn  bag  ift  nur  drittel  für  anbereg, 

(741) 


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10 


»ä^tcnb  bafl  ©lüd  ©elbftjtted  fttn  mu^;  aud^  mi^  itt  @^re 
unb  3ln^m,  bann  fofern  biefe  ba0  Urt^eil  ber  anbetn  übet  un8 
au§btü(fen,  ftnb  flc  im  bcften  gaH  ein  S^JtegelbUb  unfeter 
jEüc^tigfeit  in  ber  ©(^a^ung  bet  Umgebung;  bamit  aber  fe^en 
wir  un8  auf  bie  2:ücbtig(eit  al8  ba6  überUtgene  unb  begtünbenbe 
^ingemiejen.  ©oOen  mir  bemnacb  in  biefer,  b.  in  bet 
Jugenb  im  weiteftcn,  nidbt  blo§  im  eng  morolifi^en  ©inue,  ben 
Snbegtiff  beS  ©lücfeö  fu(^en?  8u^  bo8  fto§t  auf  Sebenfcu. 
Denn  fo  wenig  ©iücf  o^ne  Slüd^tigfeit  möglich  ift,  fo  fpcicbt 
cerf(biebene8  bagegen,  ©lüd  unb  Dugenb  einfa^  gleii^gufe^en. 
Dugenb  fSnnen  wie  al8  bioge  ©igenfd^aft,  al8  ruhigen 
Sefi^  o^ne  S3et^ätigung  benfen,  wä^renb  wir  uu8  bagegen 
fträuben,  in  t^atenlofem  iBer^alten  bie  93oIIenbung  be8  Sebeu8 
3U  finben.  S3egteiten  wir  aber  bie  Sugenb  in  ba8  SBirfen,  fo 
fann  nur  t^eoretifc^er  ©igenfinn  fi(^  bagegen  oerblenben,  bo§ 

5U  glüdlidbcin  ©elingen  binjufommen  mu§  bie  ©unft  ber  Um» 
ftänbe,  bie  9(ngemeffent|eit  ber  Umgebungen,  ba§  fie  ba8  ©lüd 
mit  bebingen,  ja  ba§  febwere  ©cbidfal8f(bläge  bem  aBoblfein 
ernftticbe  ,^emmung  bringen  fönnen.  SBirb  man  o^ne  SBibet» 
fpru(b  unbefangenen  Urtbei(8  3emanben  glüdlicb,  nollfommen 
glücflitb  nennen  bütfen,  ber,  wennfebon  innetli^  tüchtig,  fein 
geben  binbureb  an  ,^anfbeit  leibet,  ober  bem  günjiicb 

bie  ÜJlittel  fehlen,  bie  in  ibm  fdblummembcn  Äräfte  ju  entfalten, 
oder  ber  enblicb  an  feinen  Sieben  Äummet  unb  Selb  erfährt?  'Z 
SBenn  biefe  $rage  gu  verneinen,  fo  ift  vorläufig  audh  bie 
Dugenb  gurüefgufteUen  unb  ba8  ©lücf  anber8wo  gu  fueben. 
Sei  folcbcm  Serfogen  ber  näcbftliegenben  Slnfidhten  fönnen  wir 
un8  aber  gu  feinem  anbern  führet  wenben  al8  gur  |>hilofobhi«; 
fie  allein  vermag  un8  neue  SluSfichten  gu  eröffnen,  inbem  fie 
auf  le^te  Uebergeugungen  von  SBelt  unb  ©ein  guruefgreift. 

(74J) 


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Den'erften  ^oltpunft  gewährt  un8  ^ler  bet  ©ranbgcbanfe 
attftoielifd^er  Se^ie,  bag  bet  £ein  bet  IDtnge  nic^t  in  einet 
netf(^lof[enen  Siefe  ^intet  aller  ©rft^etnung  netbitgt,  fonbeni 
ba§  et  fi(b  im  SBitfen,  in  bet  Sbäligfeit  erf^Iie^t.  S)a8 
SBefen  bet  IDinge  liegt  in  bcm  SBetfe,  baS  pe  »erti^len,  eben 
bann  ibi^c  Statut,  bap  Pe  biefeS  93eftimmte  tpun  unb 

leipen.  Da  nun  ba8  @tü(f  gweifelloä  mit  bem  SBefen  beS 
IDRenfcben  jufammenpängt,  fo  etgiebt  p<b  bie  Sermutbung,  bap 
e8  auch  gu  unterer  Dbätigfeit  in  enget  93e3iebung  pepe,  bap  e8 
bet|elben  um  fo  mejentlicbet  nerbunben  fei,  je  mept  pe  p(p  ju 
einem  ©angen  gufammenfcpliept  unb  bie  @inpe{t  unfetet  Statur* 
gum  I9u8btu(f  bringt.  @8  gülte  alfo  eine  Spätigfeit  gu  et> 
mitteln,  melcpe  bem  SQtenf^en  al8  SDtenfcpen,  nicpt  na^  bem 
Unterfcpieb  bet  93erufe  unb  ©eifteärieptungen,  gufommt.  3ur* 
Slufpnbung  berfelben  leitet  un8  ein  gmeitet  ®ap  be8  $pilo« 
fot>pen.  Die  bepenfdbenbe  j£)6pe  ber  Jpdtigfeit,  bet  ben  gangen 
Umfang  be8  ©ein8  buttpbrtngenbe  3»ed  mup,  fo  meint  er,  in 
bem  beftepen,  »08  einem  SBefen,  einet  9ltt  eigentpümlicp  ip. 
.^iet,  unb  nicpt  in  bem,  wa8  ipm  mit  anbetn  gemeinfam,  liegt 
ba8  9lu8gei(pnenbe  feine8  Dafein8,  ba8,  motauf  aQe8  ^nbete, 
ba8  ipm  gugepört,  al8  SKittel  ober  SSotpufe  gn  begiepcn  ip. 
9(18  ba8  ©igentpümlicpe  bet  menfcpliipen  Statur  pnbet  pcp  aber 
bie  SSernunft;'  baper  mup  bie  un8  befonbet8  gutommenbe 
Jpötigfeit  eine  »ernunfterfüllte  fein.  Die  ©ntwidfelung  unfete8 
gefammten  Dafein8  ip  batan  gebunben,  bap  bie  IBernunft  aQe 
SDtonnigfaltigfeit  unfere8  SBitfen8  ergreife  unb  bepertppe,  bap 
pe  ba8  in  un8  Angelegte  cetmitflicpe  unb  bie  fonft  geiftreuten 
8eipungen  gut  ßinpeit  ber  8ebcn8füptung  »etbinbe.  ^©olcpe 
tpatfrdpige  (Sntfaltung  unfetet  Statur,  in  uoUem  ©elingen  unb 
al8  ba8  gange  ^eben  umfaPenb  gebatpt,  ip  nun  eben  ba8. 


12 


woiin  n>it  baS  gu  fu^en  ^aben.  Silit  bte|em  Begriff 
ooQenbeter  8ebenet^ätigfeit  tft  ein  Qlipfelpunft  erreicht,  von  bem 
auS  ivit  au^  bem  anbern,  ba8  für  jt(^  ni^t  genügte,  geteert 
merben  fönnen.  iDenn  aDe  anbem  @ütet  treffen  in  bet  Sl^ätig== 
feit  jufammen  unb  ftufen  fic^  flogen  cinanbet  ab.  9118 
grunblegenber  Beftanbtbeü  erfc^eint  babei  innere  ^üc^tigfeit,  aber 
e8  erbeQt  3UgIeic^,  ba^  fte  i^ren  redeten  SBert^  erft  burc^  Um« 
fe||ung  in  .^anbeln  unb  Slirfen  befommt/  3U  JDIpmpia  tragen 
nicht  biejenigen  einen  Jfran3  bauen,  »eiche  im  höchften  SRa^e 
fchon  unb  ftarl  fein  mögen,  aber  fich  am  Äampf  nicht  betheiligen, 
fonbern  nur  au8  ben  Äämpfenben  geht  bet  Sieger  h«»Dr-  3n 
ber  j^hÄtigfeit  aber  gefeüen  [ich  gut  5£üchtigfeit  SBohl« 

fein  unb  @unft  umgebenber  Berhöltniffe,  an  fie  ift  bic  S3cr= 
förperung  ber  innern  ^raft  ebenfo  gebunben  »ie  ber  brama« 
tifche  JDichter  für  bie  9lufführung  feineS  2Berfe8  an  bie  fcenifche 
9lu8ftattung.  Bereinigt  ftch  aDe8  gu  einer  fraftooden,  leben« 
umfpannenben  3Birffamfeit,  fo  bringt  btefelbe  unmittelbar  ?up 
unb  Sreube  mit  fid},  unb  mir  fehen  nun  nicht,  ba|  noch  etmaS 
gum  @lüd  fehle. 

®ehen  mir  etma8  nahet  auf  biefe  @Iü(f8lehre  ein,  fo  ge« 
mähren  mit  al8  eigenthümli^  an  ihr  ootnehmlich  ba8  Streben, 
bie  vetfehiebenen  Sntereffen,  mel^e  bei  bem 

Probleme  gufammentreffen,  in  lunioerfenem  Uebetblid  gn  et« 
faffen  unb  mit  überlegenem  Urtheil  gegen  einanbet  auSgugleichen. 
SBenn  fich  babei  Dichtungen,  in  benen  mir  f^roffe  ©egenfä^e 
gu  erbliden  gemohnt  finb,  vereint  finben,  fo  fehen  mir  barin 
einerfeitS  rin  Seichen  ber  Seite  unb  Unbefangenheit  be8 
fophen,  anbererfeita  aber  ift  nicht  gu  verfennen,  ba§  bie'öegen« 
fä^e  noch  meniger  fd^arf  gugefpi^t  maren,  bah  man^e  Probleme 
noch  fchlummerten,  beten  ©tma^en  ba8  ©efammtbilb  ber  Sache 

(7U) 


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13 


Deränbein  mu§te.  StiftoteleS  Dermoc^te  no(^  ®ebanfenrt(^tungen 
mit  einem  fomo^l  — al8  au(^  frieblic^  gu  nerbinben,  bie  fpdter 
al8  entmeber  — ober  in  Porten  Äamt)f  mit  einanbet  geriet^en. 
SBic  glauben  einen  Slugenblicf  bei  biefem  |)unlte  oermeilen  gu 
foOen,  ba  ficb  ^ier  bie  gefammte  SebenSftimmung  befonberS 
rein  unb  beut(i(^  auSbrüdt,  auf  melc^er  aud^  bie  Ueber3eugung 
Don  ber  greunbfc^aft  ru^t. 

@ei  e8,  ba§  mir  auf  baS  S3er^ä(tni^  oon  innerem  ju 
9leu§erem  ober  baS  oon  ^rei^eit  unb  ©efcbicf  ober  baS  oon 
8eben8ge^alt  unb  8uft  blicfen,  überall  fe^en  mir  iSriftotele8 
feinen  SEßeg  gmift^en  ben  ©egenfö^en  gelten.  — 2)ad  Snnere 
mag  er  al8  Äern  be8  8eben8f>ro3effe8  meitau8  ooranfteDen,  bem 
Slcu^ern  mirb  jein  {Rec^t  feine8meg8  oerfurjt.  Sofern  mir 
ben  9Jienf(^en  in  fertiger  ©eftalt  auf  ber  ^)ö^e  be8  SEBirfen8 
betrachten,  erfc^eint  ba8  Seugere  freilich  nur  al8  SRittel, 
nur  in  bienenber  Stellung.  Unb  3mar  bient  e8  nur  fomeit,  al8 
e8  oon  ber  Shntiflteit  ergriffen  unb  in  unfern  8eben8frei8 
hineingegogen  ift.  @8  barf  über  bie  Sebeutung  be8  9Qerf> 
3euge8,  fomie  über  bie  bamit  gefegte  ©renge  ber  l?lu8brhnung 
nicht  h<nnn8ma^fen.  ohne  93ernunftgehalt  unb  ©lüd  unfere8 
Seben8  ernftlich  3U  bebrohen.  9Ba8  mir  aber  an  URitteln  unb 
2Berf3eugen  bebürfen,  ift  nicht  oiel,  man  fann  thätig  unb 
glüdlich  fein,  ohne  über  ?änber  unb  ÜReere  3U  hertf<heti.  9tur 
in  auffaUenben,  ihrer  fRatur  nach  »ereingelten  Fügungen  mag 
äuhere8  ©efchid  eine  eigentli^e  iffienbung  be8  8eben8  hevbei« 
führen;  aber  felbft  ba8  fchmerfte  Unglüd  fann  ben  2:ü(htigen 
nicht  eigentli^  elenb  machen,  benn  burdh  allen  Schmerg  mirb 
ba8  ©bie  ht*'^>utth  leudhten,  menn  Semanb  fchmereS  ©efchid 
gelaffen  trögt,  nicht  au8  Stumpffinn,  fonbern  au8  Seelengröfee. 
So  erfcheint  h*w  ^>“8  9leu|ete  al8  ein  9tebenföchliche8,  baS 

(746) 


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14 


Bebcndroerf  feinen  ^au^jtjügen  na(^  al6  ein  nnn  innen  @e: 
fd^affrned.  Slbec  bie  SBert^fibä^ung  Derwanbelt  nenn  tnti 
auf  ben  9Beg  achten,  bet  ben  einzelnen  gum  3iel<  fühtt.  ^ier 
begegnen  mit  bet  Uebergeugung  beS  ^h^Iofo^h^n,  ba§  bie  bem 
SRenfcben  innewohnenbe  geiftige  !2(nlage  gut  @ntwi(felung  etft 
burch  »orangehenbe  unb  antegenbe  gelange.  S)et  @ingelne 
mu§  in  ein  lebenbiged  thatfä^licheg  ^anbeln  hineingeftedt  fein, 
um  butch  bie  \jitt  eifolgenbe  93elebung,  ^Richtung  unb  Se^ 
feftigung  bet  5lhätigfeit  fi^  feinet  »etnünftigen  diatut  geuiffei« 
ma§en  gu  bemächtigen.  93on  etfcheinen  ®efe^  unb 

@itte  bed  umgebenben  ®angen  alö  S3ilbnet  beS  @h^taftet8 
unb  bet  ®efinnung,  bamit  abet  etweifi  fi(h  ^ib  @t»ecfung  unb 
iBoIIenbung  beö  3nnetn  non  etwad  abhängig,  maS  bem  (§\xi- 
gelnen  gunächft  nut  con  au^en  gegeben  fein  fann.  @o  gefchoh 
eö  nicht  ohne  @tunb,  wenn  fchon  bad  fpätete  Ulteithum  ben 
Sotwutf  gegen  tSnftoteleS  ethob,  et  h<^^^  Selbftänbigteit 
bed  3nnetn  nicht  genfigenb  gewahtt.  SRochte  et  innetbalb  bet 
^anbiung  ba8  Seu^ete  alö  äBetfgeug  noch  fo  f^h^  unterotbnen; 
infofetn  bie  tSuSbübung  bet  @efinnung  an  bet  »on  au§en  gu 
erwedenben  Sh^t  h^ngt,  erhält  eS  feinerfeitd  eine  ma§gebenbe 
SSebeutung.  $üt  ihn  felbet  brauchte  abet  batauS  feine  S3et> 
wicflung  gu  etwachfen,  weil  et  SBeltgefchehen  unb  Innenleben, 
innete  Anlage  unb  umgebenbe  IBerhältniffe  nicht  fchioff  non 
einanbet  loStih,  fonbetn  beibeS  in  einem  netnunfterfüHten  SID 
ald  eng  gufammenhängenb  befaßte.  dRit  bet  @tfchüttening 
biefet  Uebetgeugung  mu^te  auch  bet  oetfuchte  SluSgleich  gwifchen 
3nnetem  unb  Sleuhetem  gufammenbtechen. 

^udh  bet  ®egenfa^  »on  ©chicffal  unb  Bteiheit  ift  bei  bet 
®lüddlehte  beö  ^[tiftoteleS  noch  nicht  in  feinet  ^erbigfeit  auf« 
gegangen.  SBet  fo  fehr  bie  Sihätigfeit  gut  .jpauhtfache  macht 

(74«) 


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15 


nne  er,  bet  fann  baS  ®iü(f  nic^t  ablöfen  DOtn  SBoDen  unb 
^anbetn.  91un  unb  ntmmet  fann  e8  bem  (Singeinen  o^ne  fein 
Snt^nn  »ie  ein  @ef(^enf  netlte^en  weiben,  eä  ift  bnt(^  eigene 
anftreugung  gu  erringen  unb  in  fortbaucrnber  Äraftaufbietung 
gn  behaupten.  9fie  mirb  eS  gu  einer  @ad^e  ruhigen  93eft^ed, 
mit  @infleDung  brr  Si^fitigfeit  mü§te  eS  fofort  erlSfc^en.  aber 
menn  bad  @Iüd  atö  Sßerf  nnb  bed  flRenfc^en  ber 

greift  bebatf,  eö  ift  baö  feine  grei^eit,  welche  fid)  SRatur  unb 
@ef(^id  entgegenfe^te,  fonbern  aufi  ben  .^änben  biefer  nimmt 
baa  SBirfen  be8  ?Kenf(^en  ben  gaben  auf;  ni(^t  nur  auaftattuug 
bea  ^anbelna,  nid)t  nur  cemünftige  Umgebung,  au^  bie  geiftige 
Segabung,  bie  urf))rüngli(^e  fRid^tung  auf  baa  @ute  mu|  ber 
SJlenfc^  empfangen  unb  banfbar  aia  (^abe  bea  @efd)icfea  uer« 
e^ren.  <Bo  lebt  unb  wirft  er  in  großem  Sufammen^ängen, 
ohne  ba^  biefelben  feine  grei^eit  erbrüden  foDen. 

9Ran  ^at  in  neuerer  Seit  bie  et^ifd^en  ©pfteme  in  fold^c 
ber  Jugenb  unb  ber  guft  einget^eilt.  @8  märe  fr^mer,  bie 
oriftotelifc^e  8e^re  ben  einen  ober  anbern  gugurec^nen,  wenn« 
fd)on  bie  Stugenb  offenbar  bie  erfte  @teQe  einnimmt,  aber  ea 
finb  beim  8eben  9iealge^alt  unb  fubjeftioe  ©mpfinbung  weniger 
fi^roff  gefd^iebeu  aia  bei  ben  Steuern.  3Jlit  aller  ©nergie  fteHt 
ft^  ariftotelea  ben  SSerä^ltem  ber  8uft  entgegen.  JDiefelbe  er« 
fd^eint  if>m  aia  unerlä§Iid^er  Seftanbt^eil  be8  @Iüd8,  al8 
etwaa,  nad^  bem  oon  9fatur  aQe8  ftrebt.  aud^  für  bie  ^l^ätig« 
feit  felber  ift  bie  8uft  wect^ood,  .nid^t  nur  inbem  fie  una  angeigt, 
ba^  eine  4)anblung  un8  gang  unb  gar  erfülle,  — benn  erft 
wenn  wir  etwaa  mit  8uft  unb  Siebe  t^un,  ift  ea  ooQig  fieser,  ba^ 
bie  2^at  aua  unferem  gangen  SSefen  ^eroorge^t,  — fonbern  aud) 
bur(^  fac^lid^e  gorberung  beö  ©trebena.  2)enn  fie  wirft  an« 
tegenb  unb  fd^ärfenb  auf  baa  .Raubein  unb  fü^rt  ea  baburd^ 

(747) 


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16 


jeinet  SSoHenbung  nä^er.  @o  »ert^eibigt  Slriftoteleö  bie  8ujt» 
Slbet  e0  ift  ein  eigent^ümlid^er  ®inn,  in  bem  et  fie  »ett^eibigt. 
@t  wiQ  nid^t  eine  8uft,  bie  ji(^  non  bet  S^ätigleit  ablöfle  unb 
in  fteijd|iDebenbet  @]tijten},  o^ne  aOe  Sejie^ung  auf  einen 
Snbalt  genofjen  »etben  fönnte,  fonbetn  et  fd^ä^t  fie,  fofetn  fie 
in  enget  SSetbinbung  mit  »etnunftetfülltem  SBitfen  unb  ©Raffen 
fte^t.  9Bie  auf  ein  Utnbänomen  bet  9latut  beiuft  et  ficb 
auf  bie  St^atja^e,  bag  S^ätigleit  al8  Entfaltung  beS  ^efenS 
unmittelbat  fteubige  Er^5I)ung  beS  gebend  mit  fi(b  btingt;  et 
etacbtet  al0  ö^te  Suft  nut  fold^e  aud  bet  S^ätigleit  ^etnot« 
quellenbe  ©teigetung  be8  8eben8gefü^Ie0.  ©te^t  bie  ©a(^e 
bet  9ltt,  jo  ttüt  bie  8uft  bet  ^anblung  nid^t  oon  au§en  wie 
eine  ^tämie  ^in3u,  jonbetn  fie  gebött  unmittelbat  jum  geben 
befl  fOlenj^en  unb  fann  un8  nic^t  butcb  SBiHfüt  entzogen  »etben. 
gernet  ift  bei  jolc^et  Slnjdbauung  Sltt  unb  @tab  bet  8ujt  oer» 
j^ieben  nach  bet  S^b^tigfeit:  je  mettbooDet  unb  bebeutenbet  bet 
©ebalt  be8  8eben8,  befto  eblet  unb  grölet  bie  guft.  2)a8  @lu(f 
be8  Süebtigen  ift  ein  anbete8  al8  ba8  be8  gemeinen,  be8 
.Saftigen  al8  ba8  be8  ©dbmaeben.  UebetaQ  mitb  jomit  fReaU 
gebalt  unb  8eben8empfinbung  unttennbat  in  einen  ?)t03e§  oet» 
j^lungen;  guft  unb  Jugenb  lajjen  fidb  in  bet  JböitflWt  ni(bt 
gegen  einanbet  abfonbetn. 

SBenn  in  allen  biejen  fünften  jpätete  ©egenffi^e  noch  un* 
gejcbieben  jujammengeben,  fo  märe  e8  unoetftänbig,  Stiftotele8 
be8megen  ju  tabeln,  meil  et  JDinge  nidbt  fab,  bie  noch  ni^t  in 
bem  »ifjenjcbaftli^en  @efi(bt8ftei8  bet  fUlenjcbbeit  lagen,  @egen= 
jä^e  no(b  ni(bt  in  bet  ©dbärfe  erfannte,  melcbe  erft  »eitere 
Eifabtung  be8  9Jlenjcbengef(ble(bt8  betau8geftellt  bai-  Slbet 
anberetjeitS  ift  bie  SKitmitfung  eine8  inbioibuellen  gactor8 
unoetfennbar.  ®8  ift  ariftotelijdbe  SBeije,  bie  Sebanblung  bet 

(74S) 


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17 


Probleme  innet^alb  ber  ®renjen  beS  unmittelbaT  votliegenben 
3Beltge|^e^en6  ju  galten,  etwaige  ©(^wterigteiten  (iebet  auf  ft(^ 
berufen  ju  laffen,  alS  ju  i^rei  8ö|ung  in  Siefen  ^inabjufteigen, 
bie  fi(^  i^nt  lebiglid^  ald  bunfie  '^bgtünbe  batftedten. 

Äe^ien  wir  nunmehr  jum  Problem  ber  greunbfcbaft  gurüdt, 
um  ber  Btage  na^  intern  Söett^  uub  i^rer  S3ebeutung  nou  bet 
gewonnenen  ©runblage  auS  nä^er  gu  treten.  Slugenfdbeinlii^ 
ift  ber  Sufammen^ang  oon  greunbfcbaft  unb  @lücf.  SDenn  baS 
@Iücf  war  begrünbet  in  ber  S^dtigfeit,  greunbfc^aft  beruht  auf 
©emeinfamfeit  ber  S^ätigfeit,  eb  wirb  fi(^  ba^er  ber  ÜBert^ 
ber  Sreunbfd^aft  barnatb  bemeffen,  welche  SSebeutung  bie  ®e< 
meinf(^aft  für  bie  S^ätigfeit  bat.  5Run  bebarf  e8  bei  fo  ad» 
gemeiner  Saffung  beß  Problems  für  2lriftoteIe9  feiner  ©eweiö* 
fübrung,  ba§  adeß  oernunfterfüdte  SBirfen  unb  @^affen  S3er» 
binbung  ber  Ärofte  »erlange,  ba§  ber  9Kenf(b  nur  in  ber  @e» 
meinfcbaft  bie  Aufgabe  feineß  SBefenß  »odenben  lönne.  SBo  fo 
»iel  barauf  anfommt,  ba§  baß  innere  ftcb  in  umfebt,  fo 
entfcbieben  bebouptet  wirb,  bab  erft  vom  ^anbeln  auß  ficb  bie 
©efinnung  bilbet,  ba  wirb  ber  (Singeine  nie  für  ficb,  fonbern  nur 
mit  anberen  baß  Bebenßgiel  gu  erreichen  vermögen.  IBebarrenb 
unb  baß  innere  erfcbliebenb  aber  wirb  bie  ©emeinfcbaft  erft 
in  ber  greunbfcbaft,  barum  wirb  ficb  ©influb  bet  greunb» 
fcbaft  übet  ade  8ebenß»erbültniffe  außbreiten,  an  jeber  @tede 
wirb  fie  bie  IBerbinbung  fräftigen  unb  »erinnerlidben.  @elbft 
bie  Staaten  fcbeint  Sreunbfcbaft  gufammengubalten  unb  für 
fie  nocb  mehr  gu  bebeuten  alß  bie  ©erecbtigfeit.  @ß  ift  aber 
für  bie  IDurcbfübrung  biejeß  @ebanfenß  befonbetß  wi^tig,  ba§ 
bet  Sriftoteleß  auf  aden  (Gebieten  bie  ©efübißerregung  an  bie 
IBegiebung  auf  beftimmte  ^erfonen  gebunben  erfcbeint.  @ß 
löfen  ficb  ni^t  Familie,  Staat,  dRenfcbb^H  alß  abftrafte  ©röben 

XU.  4i2.  2 (742) 


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18 


von  i^ies  ©liebetn  ab,  um  al8  fold^e  eine  äBirfunq  an^l  auf 
bad  3nnete  3U  üben,  fonbern  tvaS  gefd^te^t,  baS  bettegt  in 
ben , fteilid^  objeftin  gebunbenen  SSetl^ältniffen  unb  ©efinnungen 
non  9)2enf(^  gu  3Renf(^.  93on  ba^et  ertieQt  aud^,  ttte  bie 
^eunbfd^aft  im  engeten  «Sinne,  bie  Bebend«  unb  @emüt^d« 
nerbinbung  gttifc^en  einigen  ttenigen  ^etfonen,  S3orbiIb  aHer 
Regierungen  im  menfdrii(Ten  IDafein  gu  ttetben  nermag. 

Stagen  ttit  nun  rneiter,  ttorin  fidT  bie  eingigartige  ^ocT« 
f^ä^ung  biefer  Sreunbf^aft  begrünbet.  <Die  StidTtung  bet  Re« 
antttortung  ttirb  nomermlicr  babutdT  angebeutet,  ba§  Slriftoteled 
bie  SteunbfdTaft  ald  eine  @rtteiterung  bed  Selbfi  betradTtet, 
ald  eine  Sudbernung  bed  3dr,  nicTt  ald  ein  üfufgeben,  eine 
@infdrtänlung  beffelben.  @t  fcTeint  ben  anbetn  |>rilofopren 
notan  ben  Sreunb  guerft  ald  anbered  Selbft  begeid^net  gu 
raben,  er  r«i  öfter  unb  mit  9ta(Tbru(f  get^an,  ald  ttotle 
et  gu  netfteren  geben,  ba§  ed  fidT  ni^t  um  eine  bloge  SRebe« 
ttenbung  ronbele.  lSu(r  gie^t  et  aQed  (Srnfted  bie  6onfequeng, 
bie  Biebe  gum  Sreunbe  auf  bie  Siebe  gu  fi^  {elber  gurücf« 
gufürten;  er  beraubtet,  bag  bie  ®efinnung,  mel^e  ttit  gu  und 
felbft  in  bet  SreunbfcTaft  auf  ben  anbern  audgebernt 

tterbe.  liegen  jolcTe  SlnficTt  fofort  auftaudTenbe  Rebenfen 
gttingen  aber  gu  einer  genaueren  IHudeinanberferung.  Slriftoteled 
fann  Steunbfd(|aft  ni^t  auf  Selbftliebe  gurücffürren  o^ne  in  beiben 
einen  gemeinfamen  ^em  aufgutteifen,  er  fann  jene  nid^t  fdTä^en 
o^ne  biefe  ald  bere^tigt  bargutrun.  IDürfen,  ja  foOen  ttit 
unfer  Selbft  lieben?  @d  fommt,  fo  meint  ber 
borauf  an,  mad  unter  bem  Selbft  unb  bem  SBitfen  für  baffelbe 
nerftanben  ttirb.  Rebeutet  ed  eine  ^n^aufung  non  Effecten 
unb  Beibenfcraften  unb  erjagt  man  biefen  gu  Biebe  bie  äuleten 
®üter,  um  tteld^e  bie  ORenfcTen  ftreiten,  ttie  finnlicTe  Buft, 

(750) 


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19 


@elb  unb  Snfe^en,  unter  rüdffi^MIofer  Surüdfbrängung  anbete  , 
fo  »erffiUt  {old^e  @eIbftUebe  geregtem  !^bel.  tSber  fo 
ftd^  »einunfterffinteS  Seben  über  8eben  nad^  Seibenfd^aft 
ergebt,  fo  fte^t  ein  »a^reS  ©elbft  übet  jenem  falf(ben. 
iDem  9>^i(ofop]^en  gilt  alS  baS  toaste  Selbft  beS  fbtenfd^en 
bie  ^5^e  feines  SBefenS,  baS  tHuSjeit^nenbe  feinet  92atut,  bie 
SSetnunft  in  i^m.  @t  benft  ba^et  bei  bet  SSe^ufjtung  beS 
Selbft  nid^t  an  etmaS,  baS  bie  ^enfd^en  gegen  einanbet 
abf^lie§t,  fonbetn  an  baS,  ua8  fie  einanbet  oetbinbet.  SSenn 
batnad^  unfet  ©elbft  lieben  ^eifit  bie  SSetnunft  in  und  lieben, 
unfet  ©elbft  fteigetn  bie  SSetnunft  in  unS  füeigetn,  fo  mn§ 
Selbftliebe  al8  f)fli(bt  etf (feinen;  getabe  bet  @ble  alS  einet 
bet  ben  meiften  @tunb  ^at,  fic^  feines  SBefenS  ju  freuen,  mitb 
foId^eS  fangen  an  feinem  Selbft  betunben.  @in  SBitlen  auS 
biefet  ©elbftliebe  lann  nie  in  ©egenfa^  gu  ben  Snteteffen  an» 
betet  treten,  eben  inbem  bet  fDienfdb  non  i^t  auS  ftäftig  für 
SSernunftgmecfe  ^anbelt,  mitb  et  bie  anbern  am  meiften  fötbetn. 
9iut  infofetn  mö^te  et  etmaS  oor  i^nen  ootauS  ^aben,  als  et 
fid^  im  (Sblen  notanftellt,  fid^  baS  S^metfie  ootbe^ält.  2)ieS 
beifet  miebetum  nitbt,  ba§  er  alles  SBitfen  an  fi^  tei§t,  oiel» 
mebt  fann  unb  mitb  baS  ^öbere  oft  in  bem  Suräcltreten,  ja 
in  bet  Slufobferung  feinet  felbft  Hegen.  SBenn  aber  bet  ®ble 
fein  geben  bem  SSatetlanbe  batbtingt,  menn  er  bem  gteunbe 
nicht  nur  einen  Sonang  in  Gütern  unb  fonbetn  au^ 

im  .^anbeln  gugeftebt,  fo  b^t  et  nur  fcbeinbat  fein  Selbft  auf» 
gegeben : benn  inbem  et  gto^e  ^bot^n  f^ä^t  als  fein  geben, 
inbem  et  bet  Urbebet  beS  ®lüdeS  anberet  mitb,  bat  et  bie  SSernnnft 
in  fidb,  fein  ibealeS  Selbft  nidbt  geminbett,  fonbetn  gefteigcrt. 

fDUt  biefet  edbten  Selbftliebe  geigt  ficb  nun  in  bet 
5£bat  bie  ^reunbeSliebe  nabe  oermanbt.  9Ran  »erlangt, 

2*  (7S1) 


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20 


ba|  bet  gteunb  ben  anbern  feinet  felbft  wiCfen  Hebe,  abet  wo 
bejeigen  wtt  eine  berartige  unnermittelte  8iebe  utfptänglid^et 
unb  häftiget  a(8  im  93et^Itni§  jum  3n^alt  beS  eigenen  Bebend« 
heifed,  ju  und  felbft?  SDie  greunbfd^aft  beruht  auf  bet  @e« 
meinfci^aft;  mit  wem  abet  fielen  wit  in  tnnigetet  @)emeinfdbaft 
old  mit  und  felbft?  <So  fc^eint  adetbingd  bod  eigene  3d>,  fo« 
fetn  ed  einen  Snbalt  gewinnt  unb  fid^  felbet  benfenb  etlebt, 
ni^t  nüt  ®egenftanb  non  Biebe  unb  Breunbfcbaft  3U  werben, 
fonbern  non  biefem  Soben  aud  fd^eint  fi(b  ^reunbf^aft  ju 
onbern  ju  entwideln;  bet  dJtenfdb  trägt  in  i^t  übet  ft(b 
felbft  ^inoud,  wad  et  gunöcbft  in  fidfj  erleben  mu§.  3ut  Unter« 
ftü^ung  biefer  Sluffaffung  beruft  ftdb  bet  ?)^ilDfop^  getu  auf 
bie  SSolfdmeinuug,  weldbc  befouberd  ^erncrtogenbe  greunbfd^aftd« 
bünbniffe  burdb  bad  Bob  audgeic^net,  man  liebe  ben  anbern  wie 
ftdb  felbft.  35iefer  0a$  erhält  bei  i^m  einen  ftrengeren  unb 
eigentlicben  ©inn.  fdbeint  ed,  ald  ob  wit  ben  greunb  in 

SBabt^eit  in  unfet  geiftiged  ©ein  aufnebmen.  !Denn  wenn 
unfer  SSefen  liegt,  wo  unfere  Sb^Hgfeit,  fo  mug  Sludbebnung 
e^tet  ^b^Hgfeit  ben  .^eid  unfeted  ©eind  getabe^u  erweitern. 
@ine  berartige  ^udbebnung  erfolgt  aber  im  Beben  unb  SBitfen 
mit  bem  Wteunbe;  habet  wirb  et  ein  ©tüd  unfeted  SBefend, 
wit  lieben  in  ibm  unfet  eigened  ®ut,  und  felbft. 

?Run  würbe  bie  ^age  eintreten,  wad  bet  SRenfdb  but^  fol(bc 
@tweiterung  feined  ©elbft,  but^  IBe^iebung  feined  Bebend  auf 
ein  gweited  3^  gewinne.  IDiefen  Gewinn  b»(b  angufiblagen  mug 
Slriftoteled  um  fo  bereiter  fein,  old  an  leinet  onbern  ©teile  feiner 
SBeltanf^auung  fidb  bad  menfcblid)e  Beben  fo  febt  ald  ganged  et« 
f^liegt.  @t  lennt  lein  eigentlicbed  @)emütbdoerbältnig  gut  äßelt 
unb  0f|atut,  nodb  eind  gut  @ottbeit,  audb  bei  ben  menfcblicben 
Sufammenbängen  faben  wit  bie  3nnerlicbfeit  fi^  nur  im  S3et« 

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21 


^ältni§  Bcn  ^etfon  ju  yetjon  auöbilben.  ®a^et  bürfen  »Ir 
fagen,  ba§  in  bei  eigentli^en  ^reunbf^aft  etuad  fc^Iec^teibingS 
unoergletcblt^eb  nörgele,  ^iet  ift  bie  eingige  @tätte,  an  bei  jtdb 
ä3f3ie^ung  tnen{d^licben  3)afeind  »om  fangen  gum  Orangen 
bilbet,  wo  eine  reine  Innenwelt  fic(>  gu  entwideln  unb  gu  be« 
feftigen  vermag.  SBenn  wir  bamad^  erwägen,  wie  viel  bie 
$reunb{(baft  für  iSriftoteleS  im  @runbe  bebeutet,  fo  mu|  eö  und 
befremben,  bie  SUert^fc^ä^ung  nur  an  eingelnen  fünften  unb 
auch  ^ier  giemlid^  jd^werfäQtg  entwidelt  gu  finben.  SBir  fe^en 
genug  von  bem  Slbel  unb  bcr  Jiefe  ariftotelifd^er  ©mpfinbung, 
um  und  feinet  ^lunbauffaffung  gu  veigewiffern,  aber  eine  grope 
Sude  in  ber  üludfü^rung  ift  nid)t  gu  verfennen.  3uw  Sl^eil 
entfprang  biefer  3)langel  fid^crlit^  ber  3eitlage,  weld)e  ben  9lud» 
brud  reinen  G^emüt^dlebend  nic^t  fo  leidet  machte  wie  f))äteie 
@pod^en;  aber  auc^  tfi  inbivibuelle  Ülrt  bed 
nitbt  äuget  €pie(.  33ieIIei^t  bat  ign  bie  @(beu  vor  adern 
Wad  unbegrengt  unb  geftaltlod,  von  näberem  hingegen  auf  ben 
©egenftanb  abgebalten;  jebenfadd  ift  ed  igm  nitbt  in  bet 
f^nffendfräftigen  SBeife  ^lato’d  gelungen,  bad  wad  bie  innetfte 
^iefe  bed  Sehend  bewegte,  aud  bem  ©cbattenreidb  in  bad  ©ebiet 
bed  Sicbtd  unb  Sehend  gu  fübren.  SBir  finben  in  ber  9lud* 
einanberfegung  gerftüdelt,  wad  ber  Einlage  nadb  nur  ald  ©anged 
gemeint  fein  lonnte. 

©d  finb  aber  vomebmlidb  folgenbe  ©rwägungen,  burdb 
weldge  Slriftoteled  bie  .^oibfcbä^ung  ber  greunbfcbaft  in  feinem 
©tnne  redbtfertigt.  JDamit  ficb  ber  SKenfcb  fcined  Sehend  unb 
SBirfend  erfreue,  mug  et  ed  ftdb  gum  Sewugtfein  bringen,  ed 
benfenb  erfaffen;  babut^  erft  wirb  ed  im  bötbften  ®inne  fein 
eigen,  .^iet  bringt  aber  bie  greunbfcgaft  eine  groge  Steigerung. 
JDad  Sgun  bed  ^reunbed  trieben  wir  wie  ein  eigened,  aber  wir 

(TM) 


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22 


vermögen  tS  beutli^er  gu  fci^auen,  lei^lter  gu  »«gegenwärtigen, 
als  bad  wae  wir  felbft  t^un.  Snn«  erweitert  freunbfd^aftlic^e 
SSerbinbung  ben  ^eid  b«  5l^ätigfeit,  benn  überaus  »iel  »«« 
mögen  wir  im  SSer^ältni^  gum  Sreunbe  unb  nur  in  biefem 
ißer^ältni^  gu  wirfen.  $ür  ft(i>  allein  würbe  man  nic^t  in 
fortwä^renber  iSnfpannung  beS  ^anbelnS  bleiben  lönnen,  mit 
bem  Sreunbe  unb  in  ^infiii^t  auf  t^n  ift  eS  e^er  möglid^.  91u(b 
erfährt  baS  für  .^anbeln  unb  ©lüd  wefentU(b{te,  bte  Süc^tigleit, 
ni(^t  g«inge  Sörbeiung;  im  Bufammenleben,  in  ber  SSerbinbung 
b«  SBerfe  unb  ©emüt^er  wirb  bie  2Ra(^t  beS  ©uten  gehoben; 
»or  Errungen  fönnen  bie  ^eunbe  einanb«  ft^ü^en,  ©bleS  non 
einanb«  anne^men. 

SBie  »iel  aber  bie  Sreunbfc^aft  in  allen  biefen  Regierungen 
bem  ©ingelnen  fein  fönne,  baS  r^nst  rau))tfä4|liir  von  fein« 
eigenen  Ref^affenreit  ab;  wir  fönnten  fagen:  baS  «jte  ©elbft 
entfcbeibet  barüber,  waS  burcT  baS  gweite  gu  gewinnen  ift. 
2Ber  im  redeten  ©inne  $reunb  werben  wiQ,  mug  felbft  liebend* 
wertr  fein,  mit  ficT  felbft  in  ^rieben  leben,  in  »ernünftigem 
{)anbeln  ReranlicTteit,  an  SBirlen  unb  ©(Taffen  S<^eube  T^ben. 
IDieS  aQeS  aber  oetmag  nur  ber  £ü(Ttige.  SBec  bagegen  in 
feinem  3nnem  gefpalten  ift,  wer  auS  2eibenf<Taft  ober  SrägTeit 
nicTt  auSfü^rt,  waS  « für  baS  Refte  eiacTtet,  babei  in  feinen 
©ntfcTlüffen  fortwäTrenb  umf(Tlägt,  ober  wer  gar  wie  bie 
©^le^ten  oon  peinigenben  ©rinnerungen  unb  böfen  ©rwartungen 
gequält  wirb,  ber  fann  ebenfowenig  ^reube  an  ficT  felbft  Taben, 
fidT  felber  ein  §reunb  fein  wie  ben  anbern  ein  ^eunb  werben. 

21uf  ©runb  fol(T  enger  Rerbinbung  b«  $reunbf^aft  mit 
uvb  äCBefen  beS  SRenf^en  weiT  ^riftoteleS  man(Te 
SebenSetfdTeinungen  einfacT  gu  etllären,  bie  oft  als  auffaUenb 
erörtert  unb  alS  Beiden  fcTledTter  9(rt  beflagt  werben.  SSir 

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23 


gewahren  in  bem  ^Teunbfc^aftjon^&ltni^  bui^gfingig  bie  ®e> 
benben  eifriget  unb  beftänbiger  als  bie  @m)>fangenben , biefe 
{(feinen  iaf(b  unb  gern  gu  mge{|en,  jene  baS  ®et^ane  immer 
wteber  fid^  unb  ben  anbem  norgn^alten.  ®elbfi  im  !93er^ältni^ 
ber  @ltern  unb  ^inber  geigt  ftd^  baS,  jene  t>flegen  in  bet  Siebe 
weit  voraus  gu  fein.  @oQen  mir  barauS  eine  Snflage  gegen 
bie  menjd^Iic^e  9iatur  entnehmen?  3ft  etma  jene  (Srjdheinung 
fo  gu  erflären,  ba§  jeber  eben  nur  feinem  IBortheil  na(hgel|t, 
nadh  Srt  eineS  ®^ulbverhältniffeS,  mo  ber  ©laubiger  ein  eigen« 
nü^igeS  Sntereffe  an  bem  Wohlergehen  beS  @^ulbnerS  h«ir 
mährenb  biefet  ber  tßerpflidhtung  gern  entlebigt  fein  mSdhte  unb 
baher  ben  ©Idubiger  fortmünf^t?  SlriftoteleS  giebt  bereitmiQig 
gu,  ba§  bie  ÜJtenge  lei^t  vergibt,  ba^  ber  5Durchf(hnittSmenf<h 
©Utes  lieber  empfängt  alS  ermeift,  aber  biefet  2)ur<hfdhnittSmenf(h 
bebeutet  ihm  nicht  ohne  Weiteres  bie  lüienfchhctt/  bie  menfdhli^e 
9iatur.  @S  miberftrebt  ihm,  anoerbreitete  SSorgänge  fo  gu  et« 
flären,  ba§  aOeS  in  Saufch  unb  Sogen  auf  bie  Serberbtheit 
nnfereS  ©efchlechtS  gefchoben  mirb;  f^on  ber  SRethobe  nadh 
fcheint  er  ein  fo  fummarifcheS  Serfahren  nicht  fonberlich  gn 
fchä^en.  IDem  S^hntfächlichen  nach  aber  enegt  folgenbe  Wahr« 
nehmung  Sebenlen  gegen  jene  IDeutung.  Wir  finben  oft,  bah 
au^  abgefehen  von  Sortheil  unb  Sergeltung,  in  SäQen,  mo 
fot^e  butch  bie  @a^lage  völlig  auSgefchloffen  finb,  baS  3ntereffe 
auf  ber  ®eite  beS  ©ebenben  gröber  ift  als  auf  ber  beS  ©mpfan« 
genben.  IDie  Siebe  bet  ©Itern  verminbert  fich  nid^t  burdh  baS 
Semuhtfein,  bah  bie’,Rinber  ihnen  baS  ermiefene  ©ute  nicht  gu 
erftatten  vermögen,  fie  pnb  gufrieben  bei  bem  ©ebanfen,  bah  «ö 
benf eiben  mohlgeht.  9iamentli^  in  ber  üliutterliebe,  ber  auch 
für  SlriftoteleS  höchften  @tufe  aufopfember  SthÄtigfeit,  ift  Witfen 
unb  @orgen  burchauS  unabhängig  von  irgenb  melchem  ,^inblid 

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24 


auf  8o^n  unb  SBetgeltung.  5)ie  SInalogte  beS  ®(%ulbBct^ältniffe8 
lä§t  ^iet  in  @o  gilt  e8,  flcf|  nat^  einer  anbeten  ®t* 

flärung  umjufe^en-  JDiefelbe  ergiebt  fi<b  aber  einfach  auö  bet 
näheren  SBettacbtung  bet  SBitfung,  wel<^e  ©eben  unb  Empfangen 
für  ben  3Renf(^en  unmittelbar  mit  fic^  bringen.  8iebe  etweifen 
gleid^t  bem  ^anbeln,  iiiebe  empfangen  bem  Seiben.  SBer  nun 
t^ütig  ift,  bet  fteigert  fein  8eben  unb  SBefen;  et  »erhält  fid^  gum 
©egenftanb  feines  SBitfene  ä^n(td)  mie  bet  Äünftlet  gu  feinet 
©cböpfung;  mie  biefen,  fo  fpri^t  i^n  au8  bem  SBerfe  bie  SBet= 
förperung  feinet  Sl^tigfeit  an;  man  fann  fi^  ben  ©egenftanb 
nidbt  netgegenmärtigen,  o^ne  eine  freubige  @t^b^ung  be8  8eben8 
gu  erfahren;  batum  lieben  bie  Huftier  i^r  SBerf  wie  bie  6ltera 
ibte  Äinber,  unb  gwat  lieben  fic  um  fo  me^t,  je  angcfltengtet 
bie  aufgebotene  J^ötigfeit  war,  benn  eben  burd^  9Mübe  unb 
Sltbeit  »ermö^ft  bet  ©egenftanb  ihrem  SBefen.  ©o  erflatt  e8 
fidh,  ba|  Sltutterliebe  größer  ift  aI8  SSatetliebe.  3Ba8  aber  ben 
@mpfangenben  anbelangt,  fo  gewinnt  et  aHetbingS  äußeren 
SSottheil,  aber  er  fann  na(b  9lriftotele8’  Slnfdhauung  Äraft  unb 
©belftnn  nid^t  wie  jener  entfalten;  et  bleibt  bähet  innerlich  im 
Sto^theil,  er  fieht  fich  im  Äem  feines  SBcfenS  mehr  hewbgefe^t 
als  gehoben.  Serner  »ergeht  ba8  Slü^liche  mehr  ober  weniger 
tafdh,  wahtenb  bie  eble  Sth®*  ^*8  ©ebetS  beffen  SBefen  bauernb 
angehört.  2)ahet  ift  eS  natürlich,  ba§  bem  ©mpfangenben  fich 
©abe  unb  ©ebet  ni^t  fo  gern  unb  oft  »ergegenwärtigt  wie 
bem  anbern,  ba§  überhaupt  bie  ©tregung  beS  ©emütheS  von 
»etfdhiebener  ©tärfe  ift.  Slie  würbe,  fo  meint  SlriftoteleS,  ein 
Äunftwerf,  bem  eine  ©eele  eingehaucht  würbe,  ben  .fiünftlet 
in  bem  fDiage  lieben,  wie  eS  »on  ihm  alS  feine  ©dhöpfung 
geliebt  wirb. 

@0  wate  bie  fcheinbat  rathfelhafte  ©tfcheinung  in  ein« 

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25 


fad^ec  äBeife  erflärt,  burd^  @tnorbnung  in  ein«  aDgemeinere 
wäre  alS  natütlid^ee  ©ef^e^en  begriffen,  waS  an* 
fängli(^  als  SSoiwurf  gevgen  bie  9)2enfd^l)eit  gefe^rt  würbe, 
©egen  ner^errenbe  ,^erabfe^ung , bie  in  aQec  8et^ätigung  nur 
bercc^nenbeS  Sntereffe  beS  Keinen  3(^  finbet,  ift  bie  Söert^eibi» 
gung  mit  @lücf  geführt.  £)b  freili(^  bie  ^ter  gegebene  Seant* 
»Ortung  olle  ©eiten  befl  ©egenftanbeö  erfdf>ö^)ft,  ift  eine 
onbere  grage. 

S3i8  fo  »eit  »ar  bie  Unterfuc^ung  bem  ©efammtbegriff 
bcr  greunbjc^aft  jugewanbt,  beftanb  bie  Aufgabe  barin,  i^re 
allgemeine  Sefd^affen^eit  aufju^eHen.  Slbet  ba§  Sntereffe  beS 
^^ilofopl^en  ift  bamit  nic^t  erfc^öpft;  mit  nic^t  geringerer  ©tdrfe 
ergreift  e8  bie  reid^e  güDe  »on  ©eftaltungen,  »eldje  bie  greunb* 
fd^aft  t^atföc^Ud^  im  Seben  annimmt.  SMefe  SJtannigfaltigfeit 
foD  burd^forfc^t,  bie  6igent^ümli(^feit  jeber  bcfonberen  8lrt  feft* 
geftellt,  baS  SSerfd^iebenartige  abgegrengt  unb  bie  ©efammt^eit 
gu  einem  ©angen  georbnet  »erben,  gür  biefen  gilt  eö 

bie  leitenben  ©ebanfen  mit  lÄnf(^auung  unb  ©rfa^rung  in 
Söecbfelroirfung  gu  fe^en  unb  mittelft  gegenfeitiger  IDurd^brin* 
gung  neue  Slnftcbten  au^  allgemeiner  9iatur  gu  erfdjliefeen. 
.^ier  gewahren  »ir  ben  ^^ilofo^)^en  im  fRingen  mit  ber  Sölenge 
ber  ©rfi^einungen,  aber  et  bleibt  ber  guftrömenben  glut^  ,^err 
unb  geigt  fid}  Ijiet  ebenjo  alß  ?Keifter  »ie  ba,  »o  baß  ©ebiet  alä 
©angeß  bem  ©ebanfen  gu  unterwerfen  war. 

3)er  ©runbbegrijf,  an  bem  bie  oerfd^iebenen  3lrten 
fpalten,  ift  immer  unb  immer  bie  3:l)ätigfeit;  »aß  ^iet  an 
^)auptri^tungen  »orliegt,  baß  finbet  au(^  in  ber  greunbfc^aft 
feinen  Slußbrucf.  ®aß  SBic^tigfte  beim  J^anbeln  ift  nun  für 
Slriftoteleß  baß  3iel,  baß  ©ut,  baß  jenem  oorfc^webt;  eß  wirb 
ba^er  fo  oiele  ^>aui)tric^tungen  bet  Sl^Stigfeit  unb  benfelben 

(757) 


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26 


entfprec^enb  ^auptarten  freunbfc^attUi^er  SSetbinbung  geben 
als  ftib  oetfd^tebene  Stele  im  8eben  unb  Streben  erfljfnen.  @8 
unterfcbeibet  aber  Slriftoteleö  i^tet  btei:  bafl  @ute,  baö  Sin» 
genehme,  baS  9lü^H(be.  2)enn  e8  fuc^en  bie  !llienj(ben  entweber 
an  ficb  SBertbvoOeS  ober  @enu§btingenbe8  ober  enblitb  Mittel 
jum  Beben.  0em  folgen  brei  ^auptarten  bet  $reunbf<baft. 
nach  bem  Siele,  baS  bie  @)emeinfcbaft  erregt  unb  gufammen^ält, 
geftaltet  ti<b  bie  S3ef(baffen^eit  ber  SSerbinbung  anberS,  an 
bem  bie  ST^ätigleit  be^errf^enben  ®ute  b^ngt  audb  bie  @e» 
fmnung,  welche  unter  ben  ®enoffen  waltet,  .^ier  wie  fonft 
im  ®ebanfenfrei8  be8  SlriftoteleS  beftimmt  baS  obiettioe  ®e» 
fd^eben  ben  fubjeftioen  Suftanb,  bie  Sibat  baS  @efübl8leben. 

3nbem  ber  barauf  auSgebt,  jene  brei  formen 

ber  ^eunbfcbaft  ihrer  Eigenart  nadb  möglicbft  beutli(b  gu 
geiebnen,  b<tt  er  oielleiebt  gu  febr  al8  gefonberte  @tfcbeinungen 
bebanbelt,  wa8  fi(b  in  SBirfli^feit  oft  untrennbar  oerfcblingt 
unb  fafl  unmerdteb  in  einanber  übergebt,  aber  e8  bleibt  fein 
SSerbieuft  unbeftreitbar,  mittelft  energiftber  Slufleinanberbaltung 
unb  confequenter  2)ur(bfübrung  einiger  ^auptt^pen  ben  leiebt 
verworren  bleibenben  @egenftanb  in  b»bctn  ©rabe  geflürt  gu 
haben.  SEBenn  bi<t  übrigenö  SlngenebmeS  unb  9tübli(beS  al8 
@egenfa|  gum  ®uten  erfebeinen,  io  finb  fie  barum  ni^t  fdbled^t* 
bin  verworfen.  3ebe8  von  ihnen  enthält  ein  untergeorbneteS 
®ute,  etwas  ber  häcbften  BebenSaufgabe  2)ienli(be8;  barin  allein 
liegt  bie  IBerTehrung,  ba§  ein  von  9tatur  als  fDtittel  ober  be> 
gleitenbe  Solge  SlngelegteS  bur<b  ben  URenfcben  gur  .^auptfacbe 
erhoben,  unb  ba§  von  ihm  als  Selbftgwed  in'S  @nblofe  erfhebt 
wirb,  waS  in  Wahrheit  9Kah  unb  Siel  an  bem  @uten  h«t.  — 
Snbem  in  ,^{nfi(bt  auf  biefe  Unterf^iebe  ber  ^hili’ffph  feinen 
IBlicf  bem  wirflicben  Beben  guwenbet,  erfennt  er  bie  überwiegenbe 
(7M) 


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27 


bet  SRenfci^en,  bie  SJlenge,  aU  ben  niebeTcn  3idra 
jugeuenbet;  aber  er  wiQ  barüber  nicht  »ergeflen,  ba|  eine,  wenn 
auch  Hein«  SJlinberjahl  bem  ©uten  feft  onhöngt-  ©affelbe  be» 
3eigt  fi^  auch  i»  nuferem  j^teife  ald  f£Racht;  nicht  barin  liegt 
ber  SRihftanb,  bag  unfere  9latur  feiner  überhaupt  unfähig  fet, 
fonbem  bann,  bag  ei  [ich  fo  feiten  unter  unS  oerwirflicht  finbet. 
9ber  biefe  Seltenheit  ber  SSerwirtlichung  vermag  nicht  feine 
leitenbe  Stellung  3u  erfchüttem.  0aS  ©ute  giebt  ald  bab  9ior* 
male  ben  SRagftab  für  bte  Seurtgeilung  aller  8eben8verhältniffe, 
bie  wenigen  Sättigen  vertreten  gegenüber  ber  fo  viel  gahl' 
reicheren  SRenge  bie  SBahrheit  ber  9latur.  So  belunbet  fich 
ein  fräftiger  ethifcher  3beali8mu8,  ben  ber  SBiberfpruch  ber  @r> 
fcheinung  in  feinen  Ueber3eugnngen  ni^t  im  URinbeften  beint. 
@8  3eigt  fiep  aber  auch  eine  eigenthümliche  Spaltung  be8 
HJtenfchengefchlechtS.  33or  ben  ©ebanfen  an  bie  gemeinfame 
Sefchaffenheit  aller  [teilt  fidh  hi^^  Unterf^iebeS  nach 

tüchtig  unb  gering,  nach  ^bel  unb  gemein.  9Mcht  barin,  bag 
biefe  Unterfchiebe  überhaupt  gemacht,  wohl  aber  barin,  bag  fie 
al8  legte  aufre^t  gehalten,  bag  fie  nicht  burch  einen  allgemeinern 
©ebanfen  überwunben  werben,  erblidfen  wir  etwaä  im  huh^u 
©rabe  ©igenthümlicheS.  @8  bleibt  charafteriftifch,  bag  in  biefen 
legten  fragen  auch  berfenige  antife  ^h<l‘’fuph  bte  ^enfehheit  burch 
eine  tiefe  ^luft  gefchieben  fein  lägt,  welcher  auf  politifchem 
©ebiet  ber  IDemofratie  mehr  al8  bie  meiften  onbeten  Vertrauen 
unb  Spmpatgie  entgegenbrachte. 

Sluch  bie  f^reunbfehaft  fann  ihr  SBefen  unb  ihre  Jiefe  nur 
ba  eneichen,  wo  ba8  Streben  nach  bem  ©uten  bie  SSerbinbung 
begrünbet  unb  burchbringt,  nur  hier  trifft  völlig  3U,  wa8  vorher 
über  ihren  ©ehalt  unb  SBerth  allgemein  bemerft  würbe.  9tur 
hier  wirb  ber  gan3e  Umfang  beS  8eben8  gemeinfam;  e8  wirb 

(7J9) 


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28 


ber  9nen{(^  nid^t  »egen  eingelner  brau^barei  (Sigenjd^aften 
ober  8eiftungeir,  fonbetn  für  fic^,  feinet  ®emfit^0art,  bem  Äem 
feines  SBefenS  mit)  gefd^fi^t,  eS  ȟnf(^t  ^iet  bei  eine  bem  an> 
bem  uneigennü^ig  baS  @ute,  ^iet  finbet  fid^  ^eftigleit,  ja  Un> 
»anbelbarfeit  ber  ©eftnnung.  3m  »itflid^en  8eben  finb  bet* 
artige  Sünbniffe  feiten  unb  um  ju  reifen  beburfen  fie  bet  Seit  unb 
@ifa^mng,  ber  blo^e  SBiQe  ^eunb  gu  fein  genügt  feineSmegS. 
ülnberS  fte^t  e8  in  allen  biefen  fünften  mit  ben  nieberen  Srten 
ber  IBerbinbung.  Unleugbar  ift  fteilid)  audf>  ^iei  eine  getoiffe 
©emeinf^aft.  9Renfd)en,  beten  ©inn  auf  bie  fUJittel  be0 
8eben8,  ccrne^mlic^  ©elb  unb  ©ut,  gerid^tet  ift,  mögen  ft(^  an 
einanber  anfd^Iie^en,  um  mit  oereinten  Säften  me^r  gu  erteilen 
ol8  jeber  für  fi^;  au(^  in  8nft  unb  ©enu§  fann  o^ne  Sveifel 
butc^  SSerbinbung  mehrerer  ein  jeber  er^ebli^en  3u»a(^8  er* 
galten,  inbem  ber  eine  bem  anbern  burc^  UmgangSmeife  ober 
befonbete  geiftungen  ©rgö^ung  bereitet.  SHerbingS  ift  ba8,  ma8 
ficb  l^ier  an  ©emeinf^aft  auSbilbet,  recht  äu^erli^,  aber  fSri* 
ftoteleS  möchte  ihm  bod>  ben  fliamen  ber  greunbfchaft  ni^t  ab» 
fprethen.  JDenn  immerhin  entfteht  eine  Slrt  SSereinigung  auch 
ber  ©emüthei,  bie  ber  ächten  ^reunbfchaft  einigermaßen  »er* 
wanbt  ift,  ba8  JBilb  bet  höh”«”  8orm  ift  bei  ben  nieberen 
gegenwärtig,  unb  enblich  fann  im  Saufe  ber  Seit  ba8  äußerlich 
begonnene  innerlidher  »erben.  ^riftoteleS  »iQ  hier  »ie  an  an* 
beten  ©teilen  gurücfbleibenbe  unb  abweid^enbe  ©eftaltungen 
lieber  in  Sufammenhang  mit  ber  normalen  gorm  halten  aI8  fte 
baoon  »öDig  loSreißen  unb  ihr  fchroff  entgegenfeßen,  liebet  für 
eine  SIbart  be8  [Rechten  gelten  laffen  al8  wie  ein  feinbli^eS 
»erwetfen. 

©cidhei  principieUen  ©chäßung  entfpricht  auch  fein  that* 
fächlidheS  Verfahren,  infofern  er  gern  bei  bet  ©igenthümlidhfeit 

(760) 


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29 


bet  nfeberen  gönnen  mit  feinet  Setrac^tung  »etweilt.  SBei§ 
et  bod),  ba|  fie  t^atjä(^Ii^  in  mannigfacher  SSetjmeigung 
übet  baS  ganje  Seben  auSbreiten,  ba8  Slbotfächliche  aber,  au^ 
wenn  eB  nid^t  mehr  ift  alS  baS  iDurdhfchnittU^e  bet  gewöhn« 
li^en  Sebenöfühtung,  flnbet  bei  ihm  ftetö  ein  tegeS  Sntereffe 
unb  einen  ftcheten  iblicf.  (SB  waltet  aber  augenfcheinli^  gwi« 
fdhen  ben  SBetbinbungcn  bet  8uft  unb  beS  5Rufeen8  ein  gewiffet 
©egenfa^:  bie  8uft  am  gteunbe  brangt  gum  Sufammenfein,  ba« 
mit  man  fich  genießen  fönne,  bem  9(nhänger  beS  92uhen8  ift 
petfönliche  SBcrühtung  gleichgültig;  bie  luftooHe  gteunbfchaft 
mag  al8  ein  flüchtiges  unb  flattethaftcS  rajchem  SEBcdhfel  unter» 
liegen;  fo  lange  pe  anhält,  ift  pe  frei  oon  »erbrie§Iichem  3anf, 
ba  fie  ja  auf  gegenfeitigem  Gefallen  beruht  unb  eö  jeben  ISugen« 
blicf  freifteht  bie  SSetbinbung  gu  löfen;  bie  nüp^e  mag  in 
fefteren  SSerhältnipen  begrünbet  fein,  aber  al8  eine  ihrer  9latur 
ttad)  auf  ^Rechnen  unb  Slbwägen  angelegte  @ienopenfchaft  pnbet 
fie  fteten  9lnla§  gum  ^aber;  ein  jeber  möchte  mehr  empfangen 
al8  leiften,  jeber  ift  geneigt  pch  für  beuadhtheillgt  gu  halten. 
3cne  luftooHe  3lrt  ber  SSerbinbung  hat  etwas  Unmittelbares, 
Unbebautes,  SiücfhaltlofeS,  hierher  gehört  baS,  waS  pch  im 
tägli^en  Seben  als  Biebe  begeichnet;  bie  anbere  bagegen  hat  ben 
©haraftergug  beS  SBorpehtigen,  Ueberlegcnben,  fRüchternen;  baher 
ift  jene  ber  in  ©egenwart  unb  ©efiihlSerregung  lebenben  Sugenb, 
biefe  bem  »orforgenben  unb  nachbenflichen  ©reifenoltergufagenber. 
Sei  etwaiger  fSbfehä^ung  wäre  bie  auf  8uft  beruhenbe  greunb» 
fchap  für  ebler  gu  erachten  unb  bet  echten  greunbfehaft  nähet 
gu  peQen.  25enn  wie  bie  8uft  als  ©elbftgwccf,  nicht  als  PRittel 
erftrebt  wirb,  fo  wirb  hier  ber  greunb,  wenn  auch  ni^hi  feines 
SBefenS  halber,  fo  hoch  hinp^tlich  feiner  äußeren  19rt,  in  Um» 
gang  unb  Serfehr,  feiner  felbft  willen  gefucht. 

(761) 


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30 


3a  e8  fann  fogar  ber  ©i^ein  einer  na^en  35erwanbtf(i&aft, 
bie  ©efa^r  einet  5Bermengung  mit  bet  wogten  greunbf(^aft 
eintteten,  infofetn  aud^  biefe  bet  8u^  nicl^t  entbehren  lann. 
IDenn  o^ne  unmittelbare  Steube  am  Sufammenfein  netmag  fie 
ni(bt  3U  hefteten.  iSbet  2tt>ifc^en  gufl  unb  8uft  ift  ^tet  unb 
bort  ein  gewaltiger  ttnterft^ieb.  Sei  bet  wagten  ^eunbfdbaft 
begrünbet  ficb  bie  gteube  an  einanbet  in  bem  @e^It  bet  ge« 
meinfamen  8eben8f^ätig!eit,  in  bet  Uebereinftimmung  bet  @^a> 
raftete;  bei  bet  nieberen  gotm  bagegen  haftet  bie  8u|t  an  3“= 
füDigem  unb  Seu^etem;  bott  gefeilt  fie  ft(^  al8  begleitenbe  Solge 
bet  Bereinigung  be8  SBitlenö  unb  ^anbelnS  gn,  ^iet  tritt  fte 
al8  Selbftgtnedf  auf.  9ta(b  au^en  aber  betunbet  fi(^  bet  Unter« 
f^ieb  batin,  ba^  Bet^ältniffe  blo§en  @efaQen8  unter  nielen, 
Steunbfdbaft  al8  8eben8neteinigung  nur  gwifd^en  fe^i  wenigen 
ftatt^aben  lann. 

IDemnacb  untetfc^eiben  fi(^  bem  SBefen  mä)  bie  netfc^iebenen 
iSrten  ber  Sreunbf^aft  aufS  @r^eblid^fte.  äibet  ba  immerhin 
eine  gewiffe  SInalogie  bleibt  unb  ba  na^  äugen  ^iu  fic^  bad 
Betf(^iebenartige  oft  o^nlidg  barftellt,  fo  lann  in  ber  Seut%ilung 
leicht  eine  Betmengung  bed  Betfd^iebenattigen  eintreten;  eine 
folc^e  aber  mug  in  ben  Begießungen  ber  SRenf^en  »iel  Streit 
unb  Snung  ßerwortufen.  Sft  c8  bod^  bet  <g>auptgtunb  bet  3«= 
wütfniffe,  bog  bie  SKenf^en  ficß  nid^t  in  bem  Sinne  in  SBaßt« 
ßeitgteunbe  ftnb  al8  fte  felber  e8  wäßncn,  bag  jebet  fi^,  feine 
©efinnungen  unb  8eiftungen  ebenfo  gu  überflögen  wie  bie  be8 
anbern  gu  unterf(ßögen  geneigt  ift.  2)et  @runb  biefet  3;öuf(ßung 
liegt  not  aDem  barin,  bag  wir  un8  felbet  na^  einem 
anbetn  SRagftabe  meffen  al8  bie  anbern.  Bei  un8  ftnb  wir 
geneigt  bie  Slbfidßt  für  bie  Sßat  gu  geben,  un8  non  eblen 
3wedten  geleitet  gu  galten,  wo  un8,  wenn  ftßon  »erborgen,  in 

(76S) 


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31 


SSa^T^eit  bet  91u$en  angog.  bie  Seiftung  erfährt  eine 

»etjcl^tebene  @d^ä^ung,  inbem  ber  ^anbelnbe  aDeS  äBoIIen,  alle 
aufgebotene,  »ennfebon  ni^it  gum  @tfolge  gelangte  Äraft  ein« 
red^net,  bet  (Smpfangenbe  abet  nur  baS  in  S^at  Umgefe^te 
iDÜibigt,  unb  au(^  biefeS  nic^t  nad^  bem,  wad  ed  bem  anbetn 
an  ORü^e  unb  9tbeit  loftete,  fonbern  nad)  bet  Sorberung,  bie 
ti  i^m  felber  tbatfäd^Iid^  gebracht  bot.  @o  gefd^iebt  eS,  ba§ 
jeber  fid)  für  ben  befferen  §teunb,  füt  ben  Sertreter  ber  etbten 
Sreunbfcbaft , ben  anbern  aber  al6  minber  eifrig,  als  minbet 
ebel  eraebtet,  fa  ibn  überbauet  nidbt  alä  ^eunb  im  redbten 
@tnne  gelten  la^t.  Slber  fo  Diel  an  Unliebfamem  bist  Dorgeben 
mag,  unb  fo  mentg  bie  nieberen  Stufen  ben  ^orbemngen  ber 
Ißernunft  entfbrecben,  auch  ihnen  gegenüber  feben  wir  ben 
ni^t  fomobl  batauf  bebadbt,  ricbterlicb  abguurtbeilen, 
als  fie  ihrer  ©igentbümlicbfeit  nach  gu  oerfteben  unb  audb-in 
entarteten  ©eftaltungen  einen  Sufammenbang  mit  bem  3beal« 
begriffe  feftgubalten.  3n  folcbem  Streben  unterftü^t  ihn  bie 
Uebetgeugung,  ba§  auch  in  ben  IRieberen,  ja  ben  Sdbleibten  baS 
Don  9tatur  allen  innewobnenbe  @ute  nicht  oöQig  erlofdben  fei, 
unb  bab  e8  bie  ©ingelnen  über  fi^  felbft  binouSbebe.  aHe 
Strungen  ber  Snbioibuen  erf^üttem  ihn  nicht  in  feinem  ©lauben 
an  bie  menfdbliche  IRatur.  So  auch  bei  bet  greunbfchaft.  ©egen« 
über  allem  SJiibfäQigen  beS  täglichen  £ebenS  fcheint  ihm  bie  Sreube 
an  ber  ©efammttbatfachc  bet  greunbfchaft  burchgufchlagen , bie 
greube  baran,  ba§  bie  OJlenfchen  fidb  überbauet  uerbinben,  ba§  in 
allen  medbfelfeitigenlBegiebungenbaS  Streben  nach  einer  perfönlichen 
©eftaltung,  einer  Snnenmenbung  beS  S^erbaltniffeS  mächtig  mirb. 

3u  biefer  Unterfcheibung  ber  greunbfchaft  nach  Siel 
unb  ©efinnung  gefeiten  ftch  meitere  Don  anbetn  ©efichtS« 
puniten  au8.  fReue  Stanborte  ber  93etrachtung  gemähten  neue 

(783) 


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32 


Surdjblide  unb  ent^üOen  neue  ©eiten  am  ©onjen.  @o  be« 
^anbelt  SHriftoteleä  ben  Untetfcbieb  al8  einen  butc^gceifenben, 
ob  bie  §ceunbf(^aft  3mif^en  @(et(^gefteOten  ober  ob  fte  jmifc^en 
Ungleichen  ftattfinbe.  3>abei  ift  ed  in  (^rabe  bemerfend« 

»erth,  ba§  er  alS  normale  ©eftalt  ber  greunbfchaft  bie  Ser> 
binbung  ©leicher  betrautet;  audb  unter  ben  SSerfchiebenen 
mu§  irgenb  melche  ISuSgleichung  h^rgeftellt  werben,  wenn 
fie  [ich  3u  bauember  Sreunbfchaft  oerbinben  follen.  S)ad 
flliehr  auf  ber  ©eite  beg  einen  mu§  bur^  irgenb  melcheg  fOiehr 
auf  ber  beg  anbem  anfgetoogen  werben.  Unter  ben  mannigfachen 
hier  entftehenben  fragen  ift  oon  befonberem  Sntereffe  bie,  wie 
weit  bie  SSerfchiebenheit  gehen  bürfe,  um  überhaupt  noch  eine 
freunbfchaftli^e  SSerbinbung  jujulaffen.  Tiatürlid)  ift  eine  enge 
^Bereinigung  überall  ba  auSgefchloffen,  wo  getabe  ©egenfähe 
»orliegen,  wie  gwifchen  ©blem  unb  ©emeinem,  aber  eö  lann 
auch  unter  SBefenöoerwanbten  ber  Slbftanb  fo  grofe  werben,  bafe 
eine  Sebenggemeinfehaft  ftch  nicht  gu  hüben  uermag.  ©inen  ber^’ 
artigen,  eigentliche  Sreunbfehaft  augfchlie^enben  ISbftanb  nimmt 
Slriftoteleg  jwifchen  ÜJienfch  unb  ©ottheit  au;  fie  erfcheinen  ihm 
oon  einanber  ju  entfernt,  olg  bafe  fich  ein  S3erhöltni§  ber  ©leich« 
heit  hci^ftsHen  liehe.  ÜJlit  biefer  Slufhebung  bet  greunbfehaft, 
b.  h-  «ufg  ©emüthgoerhältniffeg  oon  ^etfon  gu  ^erfon,  mu§ 
bie  0fleligion  olg  ein  befonbereg  gebenggebiet  aug  ber  ariftotelifchen 
SBeltanfchauung  augfeheiben,  ein  eigenthümlicheg  Innenleben 
oetmag  ft^  an  ber  3bee  bet  ©ottheit  hi^t  nicht  gu  entwicfeln. 

Slber  wenn  Slriftoteleg  ^eunbfehaft  unb  perfönlicheg  Seben 
auf  btn  menfchli^en  ^eig  einfchröntt,  fo  hat  er  ihnen  h«t  bie 
weitefte  Slugbehnung  gegeben,  j^eine  S3egiehung  oon  fDienfdh 
gu  SJienf^  ift  baoon  auggcfchloffen,  ba  greunbfehoft  unb  gteun» 
begliebe  fich  nicht  auf  folche  SSerbinbungen  befchränft,  welche 

(T64) 


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83 


aud  freier  ttebereinfunft  betootge^en  unb  fid^  burc^  fortbauemben 
freien  SBiDen  erhalten,  fonbem  ebenfomo^t  in  ben  natur« 
gegebenen  ©emeinfcbaften  »ie  gamiiie  unb  Staat  i^ren  ^ia$ 
flnbet.  Dabei  bängt  überall  bie  Sefcbaffenbeit  bcffen,  »a8  bie 
@injelnen  innerlich  erleben,  an  ber  gigentbünili^feit  beS  in  ge^ 
meinfamem  äBirfen  unb  Schaffen  tbatfä^lich  @eftalteten.  Die 
^eunbt'chaft  führt  überall  eine  SBenbung  gum  f>erf6nli(hen 
herbei  unb  benirft,  ba|  alle  fDlannigfaltigfeit  ber  SebenSlagen 
im  @emflth  Siurgel  fchlügt.  UebcraQ  h<^^  tft  eS  ber  9)tenfch, 
welcher  bem  fDIenfchen  bie  ^Verinnerlichung  bed  SebenSgehalted 
»ermittelt. 

Sefte  Qirunbgemeinf^aften  aber  erblicft  Slriftoteled  nur  in 
Familie  unb  Staat,  er  fonbert  nicht  bie  QVemeinbe  aU 
eine  eigentl)ümliche  3n>i{(henftufe  ab,  er  behanbelt  nicht  bie 
Einheit  bed  9Renfchenge|chle^ted  al8  eine  ^anbeln  unb  @mpfinben 
beherrfchenbe  3)iacht.  @3  erfcheint  aber  bie  Familie  in  ^tx<= 
gleichung  mit  bem  Staate  al3  von  9iatur  nothwenbiger  unb  al3 
geitlich  »orangehenb;  infofem  ift  eö  im  Sinne  be8  ^h<iofoph«n, 
wenn  eine  Schrift  feiner  Schule  bie  ülnfänge  unb  Quellen  ber 
greunbeSliebe,  be3  Staates  unb  beS  fRechtS  in  ber  Familie 
flnbet.  aber  in  |)inbli(J  auf  bie  SSernunft,  ber  ibealen  Statur 
noch  ift  ber  Staat  baß  frühere,  al8  bie  ©emeiufchaft,  welche  bie 
gange  Snlnge  unferer  geijügen  Statur  »erwirflidht,  ohne  einet 
©rgöngung  anberdwoher  gu  bebürfen,  wel^e  aDe  3ntereffen  um» 
fa|t  unb  alle  SBetbinbungen  bet  SJtenfchen  unter  ftch  begreift. 
Der  Staat  aber  fann  burchauS  nicht  ber  greunbfchaft  entbehren, 
bie  S3ürger  müffen  fich  einanber  perfonlich  verbunben  fein,  wenn 
fie  n^h  gv  gemeinfamer  Slhätigfeit  einigen  foüen.  Diefer  @e» 
banfe  ift  fein  nachträgli^er  unb  nebenföchlicheT,  fonbern  er 
beherrfcht  bie  politifcpe  @runblagen.  @t 

XIX.  4S3.  3 (tSi) 


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34 


gettä^rt  j.  ©.  ariftoteleJ  einen  feften  5Ka§ftob  für  bie  @röfee 
bed  Staates.  2)etfelbe  baif  ni(bt  fo  fe^r  anwacbfen,  ba|  ftc^ 
bie  Sürgei  nic^t  me^r  unter  einanber  gu  lennen  nertnögen. 
S)enn  wenn  fid)  bie  @tngelnen  nic^t  mebt  ^etf5nli<b  betübren, 
wenn  ni^t  webt  jeber  gu  einem  Urtbeil  übet  {eben  gu  gelangen 
nermag,  fo  lann  baS  Suiammenleben  nicht  »on  tnneili^et  liebet« 
einftimmung,  nicht  non  bet  @eftnnung  getragen  werben,  bie 
bocb  gu  wahrer  @emeinfcbaft  beS  .^anbelnS  unb  8eben8  unent« 
bebilicb  ift-  3n  biefem  Sujammenbange  rechtfertigt  fich  baS 
SBiberftreben  gegen  gro§e  ©emeinfd^aften.  SlriftoteleS  erachtet 
als  normalen  Umfang  beS  Staates  eine  eingige  Stabt  mit 
mäßigem  ©ebiet,  er  beftebt  barauf,  ba§  ber  gange  StaatSforper 
woblüberfebbat  fei.  Seine  SEbewie  begegnet  fich  wü  ben 
Sbalf°<hen  ber  griechifchen  ©efchichte,  fie  nermag  an  bie  über« 
lommene  ®eftalt  ber  Staaten  angufnüpfen  unb  biefelbe  als 
nernünftig  gu  nertbeibigen , freili^  nicht  ohne  burch  bie  iibtl'’“ 
fot>btf^e  Segrünbung  einen  eigentbümlichen  Sinn  bineingutragen. 
UeberbauiJt  aber  geigt  bie  unmittelbare  SSetlnüpfung  ber  greunb» 
fchaft  mit  bem  politifchen  geben,  wie  anberS  31riftoteleS  Staot 
unb  inbinibuen>perf5nlidbeS  geben  gu  einanber  [teilt  als  bie 
9ieugeit.  3bm  baS  politifche  ®ange  baffelbe  Siel  wie  ber 
eingelne  QJienfch,  @lüct  unb  ®üter  ftnb  im  großem  unb  fleinem 

JtreiS  einfach  biefelben,  baS  ^anbeln  foQ  nach  Siichtung  unb  Snbalt 

» 

hier  wie  bort  gleichen  ©efe^en  folgen.  IDer  Staat  ift  feine 
unperfönliche  3bee,  fonbern  ein  lebenbig  petfönliiheS  äBefen;  ber 
StaatSgebanfe  wirft  nicht  wie  eine  non  ben  3Jlenf^en  abgelöfte 
ÜRacht,  bie  auS  begrifflicher  Slotbwenbigfeit  Sorbetungen  beroor« 
triebe  unb  burchfehte,  ohne  [ich  um  baS  ©rgeben  ber  banbelnben 
Snbinibuen  gu  fümmern.  SBenn  bei  SfriftotdeS  baS  3nbinibuum 
bem  ©angen  alS  ©lieb  eineS  DrganiSmuS  eingefügt  wirb,  wenn 

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35 


Ci  nit^t  felbet,  fonbctn  bem  ©anjen  fle^ött,  fo  ip  mdbt  ju 
becgePen,  ba§  ei  in  bem  ®taate  menf<^lt(b  bccfönlid^ei  Seben, 
ben  5Kenf(i^en  im  ©ropen  »ieberpnbet.  — @inc  weitete  6on» 
fequenj  foldfiet  93inbung  aHet  ©emeinfd^aft  an  petfdnlii^e  t^at< 
fä(bli^e  Ü3(3ie^nng  ift  ei,  bap  bie  3bee  bet  3)2enfd^^eit  in  bem 
et^ifi^en  ©pfteme  bei  IStipotelei  feine  gtope  SBebentung  etlangt. 
SBo^l  erfennt  et  an,  ba§  bie  ©emeinfamleit  bet  SSetnunft« 
begabung  ein  gewi^ei  Sanb  3Wif(^en  ben  ©injelnen  ^etfteHt, 
bap  pe  eine  9ltt  non  giennbfd^aft  eimöglid^t,  aber  biefe 
S^atfad^e  gewinnt  feine  eingteifenbe  SRacbt;  bet  ^^ilofopfi 
benft  nid^t  batan,  bie  8ebeniatbeit  untet  ben  ©ePc^tipunft 
einet  gemeinfamen,  im  Sufammenwitfen  gu  löfenben  Aufgabe 
gu  peQen  unb  bie  ©efammtbeit  bet  S^ätigfeit  non  ba  aui 
eigent^ümlic^  gu  gepalten;  bafüt  ift  bei  i^m  bet  ©ebanfe  bet 
SPenfc^b^t  viel  gu  fc^atten^aft,  et  entbehrt  viel  gu  fe^t  fenet 
jfötpeilid^feit,  an  weld^e  ^iet  aQe  Sl^ätigfeit  gebunben  eifc^eint. 
@0  bleibt  bet  Staat  bet  eigentliibe  Staget  bei  SSetnunp» 
lebeni. 

SBenn  abet  bai  Staatileben  feinet  fPatut  nadb  wedbfel« 
feitige  IBei^dttnipe  unb  ©epnnungen  bet  93ürget  fd^afft  unb 
trfigt,  fo  wirb  ei  benfelben  je  nad^  feinet  befonberen  Seft^offen» 
^eit  einen  abweid^enben  ©^arafter  aufbrücfen.  9)ian  fonnte 
fagen,  bap  na(^  atiftotelif^er  ÜlnP(^t  bie  geiftige  unb  pttlidpe 
Ültmofppdce,  welche  fitb  im  Staat  auibitbet,  übet  bie  ©eftaltung 
bet  anbern  ©emeinfchaften  entjcpeibet.  2)emnadh  iP  auch 
Familienleben  abhängig  non  bem  Staatileben;  wai  im  gropen 
©ebiet  bet  SDepentlidhfeit  an  ©utem  unb  33ofem  nörgelt,  bai 
ecftredt  feine  äBitfung  bii  in  ben  fleinen  ^leii  bei  |)aufei. 
©ine  Selbpänbigfeit,  ein  Siecht  beffelben  gegen  ben  Staat  Pept 

hier  überhaupt  nicht  in  Siebe.  3a  biiweilen  pnbet  bet 

3*  (7«7) 


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36 


(SefaQen  baian,  bte  wie  ein  9bbilb  bed  @taate(, 

wie  einen  volitifc^en  SRifrofodmud  gu  bemänteln.  9IIe  SRannts« 
faltigfeit  ber  ©taatäeetfaffungen  fcbeint  in  ben  einfad^en  S3et> 
^ältniffen  ber  Familie  wieberjufe^ren.  @r  unterfcbeibet  abet, 
von  ber  StegietungSfoim  audge^enb,  guntid^fi  iDionat^te,  Srifto* 
fratie  nnb  Slimofiatie  (fpäter  meift  S)enioftatie  genannt),  ^em 
Jfönigtbum  entfpricbt  baS  normale  93er^ältm|  oon  ll^ater  unb 
®o^n,  ber  SIriftofratie  ba6  von  3Jlann  unb  Stau,  ber  2;tmo> 
fratie  ta9  bet  IBrüber  untereinander.  &S  erjdbeinen  aber  ancb 
bte  @ntfteOungen  ber  S3etfaffungen  wieber,  weldbe  baraue  ent« 
flehen,  ba^  bte  IRegieienben  nid^t  bag  SBo^l  beS  langen,  fonbem 
ibie  eignen  3ntereffen  oerfolgen:  ^l^rannid,  Dligarcbie  unb 
iDemofratie  (fpäter  gewobnlicb  Dcblofratie  genannt).  @in  33er« 
bältni^  nadb  3lrt  bet  SpranniS  mag  fitb  bem  ©flauen  gegenüber 
redbtfertigen,  eine  @ntartung  ift  e8  gwifd^en  @Itern  unb  jfinbein; 
ber  33erbtnbung  ber  hatten  ft^Iügt  bte  ^riftofratie  in  Dligartbie 
um,  wenn  ber  9)fann  aHed  an  [icb  reifit  ober  gar  bie  Stau, 
etwa  auf  mitgebradbten  S3efi^  geftübi»  fi^b  ^tenftbafl  be- 
mächtigt; bemofratifdb  enbltcb  gebt  eS  in  ben  Jpäufern  gu,  wo 
feine  ober  nur  eine  fcbwatbe  Siegterung  oorbanben  ift  unb  feber 
tbut,  wag  ibm  gerabe  beliebt.  IDiefe  3^araQelifirung  bäuSIicbet 
unb  ftaatlicber  IBerbältniffe  ift  befanntlicb  für  bie  poUtifcbe 
Jbeorie  fpäter  febt  einflubteicb  geworben;  nicht  wenig  aSetwirrung 
ift  baraud  erwacbfen,  ba§  bie  oetfcbiebenen  Züchtungen  bie  9lna« 
logie  bet  Somilie  unmittelbar  alg  aSeweiSmittel  für  baS  Zletbt 
befonberer  Staatgformen  oerwanbten,  fei  eg  ba^  bie  ORacbt  beg 
33aterg,  ober  bie  überlegene  @inficbt  ber  Pleiteren,  ober  bie 
Gleichheit  ber  IBtüber  alg  Sppug  für  bie  politifcbe  Geftaltung 
berangegogen  würbe.  Gin  berartigeg  aSerfabren  liegt  airiftoteleg 
fern;  wenn  et  einen  gebier  begebt,  fo  ift  eg  bet  umgefebrte: 

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37 


ben  9amilient)et^ällmf|en  buT(^  bie  malgebenbe  Sfnalogie  btd 
politifd^en  Sehend  i^t  eigent^ümliched  {Re(ht  jn  Deifümmern. 

fBie  bet  her  9tt  bie  @eftaltung  bet  Sreunbfc^aft 

im  Bufammen^ange  fefter  Sebendorbnungen  unterfu(^t,  |o  vex« 
»enbet  er  niibt  geringere  Slufmerffamfeit  barauf,  i^te  Seaä^rung 
in  ben  mecbfelnben  Segiebungen  unb  ©efd^icfen  bet  @in^e(nen 
ju  nerfolgen.  @t  geigt,  mad  fie  für  bie  netfdbiebenen  Sehend» 
alter  bebeute,  wie  fie  bem  3üngling  ^inweifung  gum  Siechten, 
bem  5Jiann  görberung  im  ©choffen,  bem  @reid  pflege  unb 
@tu^e  bringe,  er  erörtert  audführlicher,  wie  SBerthboDed  in 
®lü(f  unb  Unglüd  ^eunbedliebe  gu  leiften  vermöge.  @d  mag 
geftattet  fein,  hici^  »och  einen  Sugenblicf  gu  verweilen,  ba  fich 
babei  nicht  nur  eble  9(it  unb  feinfühlenbed  Urtheil  befunbet, 
fonbern  fich  auch  bie  aHgemeine  Sebendanficht  wieberum  eigen* 
thümli^  audprägt. 

fUiit  großer  @ntf^iebenheit  weift  ^Jlriftoteled  bie  fDieinung 
ab,  ber  ©lücniche  bebütfe  ber  greunbfchaft  nicht  ober  hoch  we« 
niget  ald  anbere.  iDied  würbe  nur  gutreffen,  fofern  bie  ^reunb« 
fchaft  lebiglich  Siu^en  ober  SInnehmlichfeit  ald  Gewinn  brächte; 
beffen  fann  ber  ©lüdliche  aOetbingd  entbehren,  ülber  gut  Sreube 
an  bem  @uten  unb  gut  eblen  5£h<>t  braucht  et  @enoffen;  er 
muh  mittheilen  unb  wohithun  fönnen,  bad  ift  im  regten  Sinne 
nur  Sreunben  gegenüber  möglich;  er  muh  3ewanben  h^ben,  ber 
an  feinem  Wohlergehen  mit  felbftlofer  ^eube  theilnimmt,  bad 
vermag  wieberum  nur  bet  f^reunb.  S)iag  bem  Unglücflidhen  bie 
Breunbf^aft  gut  @^fteng  nothwenbiger  fein,  gut  93oIIenbung  bed 
Sehend  ift  fie  ebenfo  unentbehrli^  bem  @Uücf liehen.  @rft  bei 
biefem  erreicht  fie  in  grober  unb  freiet  ©efinnung  ihre  höchfte 
Stufe. 

3m  Unglücf  aber  ift  ber  greunb  eine  Stü^e;  vielleicht  barf 

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38 


man  fagen,  ba§  er  bie  8aft  mittrögt  unb  babutdb  »erringei^ 
jebenfaQS  ^at  fc^on  feine  ©egenwart  etwaS  Sufrid^tenbeö  unb 
Stöftenbed.  @3  n>trb  aber  bec  Süchtige  feinerfeitS  möglich^  net« 
meiben,  ben  Steunb  iu  fein  @lenb  hineinjugiehen,  benn  eS  mu^ 
ihm  fchmerglich  fein,  anberen  ein  ®tunb  non  Setrübni^  gu 
merben;  er  tuirb  bähet,  mofern  ei  fidh  nicht  um  übem&Itigenbe 
@chicffalSfd>läge  h<>nt>flt,  fein  8eib  liebet  ftid  für  fidh  tragen. 
5Rur  »eibifch  ©eflnnte  mögen  gteube  baran  finben,  jemanben 
um  ftch  gu  ho^^°f  tnit  ihnen  fammert  unb  flagt.  3ut 
Sheilnahme  am  aber  fann  bet  Sü^tige  ben  Sreunb  nicht 
gu  tafch  hci^^ci^olen,  hi^i^  brängt  ed  ihn,  bem  anbern  mögli^ft 
rafch  Don  bet  freute  mitgutheilen.  @etabe  entgegengefe^t  mitb 
man  fich  gu  uerbalten  ho^^nr  t»enn  eö  gilt  gu  ben  @tlebniffen 
beö  ^eunbeö  Stellung  gu  nehmen.  3u»t  UnglüdFli^en  foQ  man 
fofort  unb  ungetufen  eilen,  bem  ®lücflichen  aber  nur  bann 
rafch  nahen,  wenn  man  ihn  alö  ^reunb  bei  feinem  Shun 
fötbetn  fann;  h^nbelt  ei  ftch  aber  um  bloheö  @mpfangen,  fo 
fcheint  3ügern  geboten,  benn  eö  ift  nicht  ebel,  in  Erwartung 
eines  SSortheilS  gum  gteunbe  gu  fommen. 

3n  folcher  ®tt  unb  ©efinnung  »erfolgt  SlriftoteleS  bie 
^teunbfchaft  weitet  in  bie  SSergweigungen  unb  SBechfelfüQe  bet 
Lebenslagen. 

ISuch  baS  Problem  beS  ©tlöfdhenS  bet  ^eunbfchaft  h«t 
unfern  iDenfer  befchäftigt.  SBenig  Schwierigfeiten  ma^cn  h*« 
bie  nieberen  Sormen;  wie  ihrem  Sßefen  nach  ouf  unficherem 
Soben  begrünbet,  fo  ftnb  fte  ftetS  bet  Sluflöfung  auSgefeht. 
9lm  meiften  üluSfi^t  auf  iDauet  haben  fte,  wenn  bie  Setheiligten 
fi^  in  benfelben  Sntereffen  gufammenfinben;  je  »etfchiebenet  bie 
S3eweggrünbe  ber  SSereinigung,  befto  leichter  werben  fi^  bie 
SBege  fcheiben.  Uber  auch  Si^eunbfchaft  beffeter  ISrt  ift  ni^t 

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39 


»öDig  fldjct  Bot  3etwüifnife.  (S8  famt  ge|(^c^en , ba|  ritte 
unetgennü^ige  SSerbinbung  nut  von  bet  einen  @eite  etn[tIi^ge»ont 
iDurbe.  2)ann  mu|  ba§  S3ünbni§  jeifaQen ; wer  aber  gut 
{(^ung  SBeran(a[fung  gegeben  ^at  — unb  ni(^t  b(o§  burdb  Sßet* 
fe^en  be8  anbern  für  beffet  genommen  ifl  — , bet  ift  gärtet  ju 
beuribriien  alö  ein  9)2ünjfäl|(bet,  benn  bict  bonbeit  eS  ftcb  um 
SBertbBoQered  al8  um  ®elb.  üludb  eine  tbatfü^licb  beftebenbe 
$teunbf(baft  ift  infofetn  ©efabten  au6gefe$t,  alg  bie  $ieunbe 
in  bet  @ntmitfelung  auSeinanbet  gu  geben,  unb  wenn  nicht  gut 
ibtet  fittlicben  äUcbtung  nach  in  (Segenfa^  gu  geratben,  fi<b  hoch 
fo  weit  in  bet  ?eben01bätigfeit  »on  einanber  gu  entfernen 
»ermögen,  ba§  eine  @emein{cbaft  bed  |>anbeln0  unb  bet  @e« 
finnung  gwifcben  ihnen  ni^t  behauptet  werben  fann.  Sbet 
wenn  bie  Trennung  unter  Umftänben  unuetmeiblicb  ift,  febenfadS 
foUen  Bteunbe  ficb  nicht  leicht  fcheiben.  <Bo  lange  wie  möglich, 
fod  bet  .^öbetftebenbe  helfen  unb  betaufgieben;  nach  BoQgogenet 
Trennung  aber  geratbe  bie  Botmalige  SSertrautbeit  nie  in  93et« 
geffenbeit. 

@0  bie  @ebanfenentwidelung  bed  SlriftoteleS. 

3um  Schlul  feien  einige  SBotte  gut  SBürbigung  geftattet. 
3n  ben  ootangebenben  ^Darlegungen  geigt  ficb  und  ^riftoteled 
in  gwiefacher  ^inficht;  ald  dRenjch  unb  ald  ^b<Iafopb;  beibed 
ift  in  bet  IBeurtbeilung  audeinanbet  gu  halten.  SBad  bie  rein« 
menfehliche  Raffung  bed  @legenftanbed  anbelangt,  fo  ftebt  ibt 
äBertb  au^et  aQem  3iueifel.  äBeiter  93lid  für  bad  ©ange  unb 
feinftet  Statt  für  bad  ©ingelne,  ruhige  Unbefangenheit  gegenüber 
ben  Stbatfachen  unb  fefte  @netgie  in  bet  93eurtbeilung,  Klarheit 
bet  SDatftellung  unb  SBörme  bed  ©efübld,  atled  tragenb  aber 
eine  eble  unb  liebendwürbige  ©efinnung  mit  bem  unoetfenn« 
baten  Stempel  bet  ©chtbeit,  fie  fiebern  bem  ©angen  eine  blei> 

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40 


benbe  Slnjic^ungSfraft,  fie  mad^en  baS  ®efammtbi(b  ju  einet 
liefern  @runblage  p^tlofop^ifcber  Sorft^ung. 

Raffen  tvii  aber  bie  :t>l}ilofop^if(be  SSerarbeitung  inö  9uge, 
fragen  wir,  wie  bie  »erfibiebenen  ©eiten  beS  @egenftanbe9 
faebUeb  nertnüpft,  wie  bie  unmittelbaren  @inbrü(fe  wiffenftbaftliib 
gere<btfertigt,  wie  bafl  befonbere  ®ebiet  ju  allgemeinen  $tin> 
cipien  in  SSejiebung  gefegt  ift,  fo  finben  wir  ebne  grage  eine 
buribauS  (barafteriftifebe  Slbeone,  weld^e  fowobl  bie  (Sigenart 
beS  S)enfer8  ald  bie  feined  Solfeä  unb  feiner  Seit  gum  Sluäbrud 
bringt.  9(ber  eä  ift  biefed  (Sbaealteriftifcbe  fo  glei^mdbig  übet 
üaS  gange  ®ebiet  auSgebreitet  unb  mit  fo  gäbet  Energie  in 
alled  etngelne  bineingearbeitet,  eö  tritt  babei  fo  anfprucböloS  auf 
unb  febeint  fo  unmittelbar  au4  ber  erften  iXnficbt  ber  @a(be 
berootguwadifen,  ba§  e8  — ein  grober  Sriumpb  für  ben  2)en* 
fer  — feiner  SReubeit  unb  ©elbftänbigfeit  nach  oon  fpöteren 
Beiten  gerabegu  überfeben  werben  fonnte.  2)enn  nur  bei  lieber« 
febung  beffen,  wie  viel  @igentbümli(bed , gef^icbtlicb  SebingteS 
unb  ge|(bi<btli^  93egrengteS  b^et  oorliegt,  fonnte  bie  ariftotelifcbe 
@tbif  Sabtbunberte  binburd)  a(ö  aDgemeinmenfcblicbe  gelten,  al4 
normale  gepriefen  werben.  2)ab  bie  ©a<be  anberfi  liegt,  ba§ 
bie  SebenSprobleme  \)ier  nach  befonberen,  für  un4  nicht  mebt 
ober  boeb  nicht  ohne  weiteres  gültigen  SorauSfebungen  unb 
Sbeen  bebanbelt  finb,  bafür  legt  eben  ber  ©egenftanb  Seugnib 
ab,  bem  unfete  ^lufmerffamfeit  gugewanbt  war.  2)ie  an  ihm 
gu  Sage  tretenbe  t^b^lofophifcb^  ^ebenSanfiebt  b«t  bei  aDer  Oitöbc 
unoerfennbare  ©^ranfen,  ber  fie  umfcbliebenbe  IRabmen  ifl 
bureb  bie  geiftige  IBewegung  bet  OJienj^b^t  tbatfäcblicb  gerfprengt. 

SBeltgefcbicbtlicbe  @rfabrung  b«t  gegwungen,  bet  negatioen 
©eite  beS  Gebens  erheblich  mehr  93ebeutung  beigumeffen  alS  fie 
hier  erhält.  @0  ift  eine  lebensfrohe,  thatenmuthige  SInfebauung, 

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41 

-9 


welche  bie  ariftotelifd^en  SSuffteQungen  bc^etrfc^t,  fctcfclbeu  jpie» 
geln  bie  SBeltanfidjt  be0  ©lüdltd^en,  ^Sftigen,  geiftig  33or» 
nehmen,  »eld)e  baß  ©emeine  nicht  fennt,  bo8  ^liebere  al8  Sor= 
ftufe  gelten  Idfet,  bur^  ade  eorhanbenen  9)ii§ft5nbe  in  ^erfonen 
unb  ©sehen  ihrer  geftigfeit  nach  nidht  erfchüttert  »irb.  ®em 
Unglütf  gegenüber  geigt  fidh  bie  ©eelengröhe  Bomehmlich  in 
tapferer  Abwehr;  ein  innereß  3lufnehnten  beffetben  in  ben  l*ebenß= 
progeh  finbet  ni^t  ftatt,  eine  läuternbe,  umwanbelnbe,  oereinenbe 
Äroft  wirb  ihm  nicht  gwerfsnnt.  5n  Solge  bcf|en  bleiben  weite 
Siefen  beß  ©eelenlebenß  unerfchloffen. 

9iach  einer  anbetn  Slichtung  hin  muh  eß  unß  befremben, 
wie  wenig  93eschtung  bei  bet  f^reunbfdhsft  bie  ^nbioibuslitdt, 
bie  geiftige  SSefonberheit  bet  ©ingelnen  finbet.  3e  mel)r  bie 
©ntwidlung  ber  neueren  Jl^ultur  jebem  @ingelnen  bie  ISufgabc 
guerfannte,  baß  äSeltleben  unmittelbar  mitguerleben  unb  baß 
©äuge  in  fich  eigenthumlich  bargufteden,  befto  mehr  muhte  in  ben 
perjönlichen  SSerhaltniffen  baß  Problem  gegenfeitiger  ©rgdngung 
heroortreten;  baß  aber  fonnte  nicht  gefchehen,  ohne  ber  ©sehe 
eine  neue  SBenbung  gu  geben,  ohne  anbete  Slufgaben  unb 
Söerthfehahnngen  einguführen.  9lun  fagen  wir  nidht,  bah  2lriftoteleß 
auf  biefen  ^unft  überhaupt  nicht  fommt,  aber  wir  behaupten, 
bah  ihn  nuch  nicht  annähernb  in  ber  SSebeutung  würbigt, 
in  welcher  ihn  baß  moberne  S3ewuhtfein  erfaht  h'^t-  ISriftoteleß 
begreift  ben  Sdlenfchen  »iel  gu  wenig  im  SEBerben,  oiel  gu  wenig 
im  IRingen  mit  ber  SBcIt  unb  mit  fich  felber;  finbet  fich  bei 
ihm  ©ntwidflung,  fo  bebeutet  fie  ©ntfaltung  einet  gegebenen 
Einlage;  läht  er  ben  ©ingelnen  bur^  bie  SSereinigung  mit  anbern 
gewinnen,  fo  hnnbelt  eß  fich  niehr  nm  Slußbehnung,  Bereicherung, 
Bewuhtfeinßfteigerung , alß  bah  in  bem  Äampf  um  ein  geiftigeß 
3)afein  eine  @rfd)ütterung  unb  Umwanblung  biß  gut  Siefe  erfolgte. 

XIX.  4M.  8**  CI7S) 


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42 


9lu8  biefea  unb  anberen  ©rüiibeu  ift  ju  behaupten,  ba^ 
ariftoteleS’  p^ilofop^ifdje  8e^re  Bon  bet  greunb|(feaft  mit  feinet 
ganjen  @t^if  gefc^Ioffen  hinter  un8  liegt.  Eibet  mit  meinen 
ni(^t,  ba§  pe  beflmegen  allen  ffiert^  fut  un8  »etloren  Ijabe. 
f^teilic^  müpen  mit  eine  @tmägung  bet  fpecipfcb  p^ilofop^ifcben 
Stiftung  aI8  in  ben  ©tteit  bet  Se^tmeinungen  »etmicfelnb  ^iet 
able^nen.  Elbev  mit  glauben,  bn§  aud^  bei  einet  me^t  etotetif(^ien 
S3etta(^tung,  bei  EJetgegenmdrtigung  beffen,  ma8  bie  miffen» 
fcbaftlic^e  Eltbeit  gut  geiftigen  IDurdbbtingung  bet  ollgemein  menf^» 
licken  Einfidjt  an  5JHfteIn  aufgeboten  ^at,  fi<^  ^etcottagenbe  @igen» 
f(baften  etmeifen.  S3ot  Eitlem  ift  bie  ©netgie  gn  fdifi^en,  mit 
bet  eine  butcb  unb  burd^  eigenattige  p^ilofop^ifc^e  ^^eotie  an 
bem  ©egenftanbe  »etförpett  ift.  Si8  in8  ®ingelne  unb  Äleinfte 
pnbet  fid)  eine  au8geprägte  ©efammtübetgeugung  butd^geffil>tt, 
Don  jebem  $unft  au8  fe^en  mit  un8  auf  ba8  ©ange  mit  feinen 
(bataftetiftifdjen  ©tunbgebanfen  ^ingemiefen.  ffii^t  fatblofe 
Umtiffe  bet  iDämmetung,  fonbern  ^eH  befd^ienene  unb  flat  p(^ 
ab^ebenbe  ©eftalten  fte^en  not  unferm  Eluge.  IDabei  mag 
ba^ingejfellt  fein,  ob  bie  ^iet  erfc^loffene  ESeleud^tung  alle 
bunflen  Siefen  auf^eÜe,  jebenfalie  ift  fie  frSftig  genug,  bie 
9ltbel  gu  gerpteuen,  mel(^e  ©efammteinbrüde  unb  »ermorrene 
Stimmungen  übet  ba8  ©ebiet  gu  »erbreiten  pflegen. 

©olcbe  ftaftooHe  ©r^ebung  be8  ©egenftanbe8  in  eine  ©e* 
banfenmelt  bringt  bie  ©efa^t  einfeitiget  ©ubfeftiDität  gmeifelloS 
mit  fl(^.  SBenn  mit  biefe  ©efa^t  ^ier  gang  oergeffen,  menn 
mit  bei  einet  ariftotelifd^en  ©töriernng  un8  be8  @inbrud8  nid^t 
ermel)ren  fönnen,  nidfit  blo8  bie  Elnfic^t  eine8  genialen  3nbi:< 
oibuum8,  fonbern  eine  bi8  gum  ©runbe  etfd^bpfenbe  ©nt« 
midtlung  be8  ©egenftanbe8  gu  erhalten,  fo  fe^en  mit  un8 
babutdb  gut  Elnerfennung  einet  bemunbetung8mfitbigen  Sadblic^« 

(774) 


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43 


feit,  etned  0enfen<(  unb  Urt^eilrnd  aud  bet  ^Jtatut  beö  @e^en< 
ftanbeS  gegmungen.  Slriftoteled  wäre  freilich  ni(^t 
wenn  ei  nic^t  über  bte  erfte  @rfc^einung  ^inaudginge  unb  ben 
®egenftanb  weiter  3U  etfcülie§en  unternäi^me,  aber  bae 
9ieue  wn8  er  fuifet,  ift  nic^t  ein  frcmbeö,  fonbern  bie  ben  @r» 
fdjeinungen  ju  ®runbe  liegenbe  jt^atfac^e,  bie  in  ihrer  ^iefe 
wirfenbe  J^raft.  Dtefe  0{i(htung  ift  bei  ihm  nicht  blogeg  SBoQen 
geblieben,  fonbern  gang  unb  gar  gut  SBtrflichfrit  geworben. 
@0  bewunbern  wir  bie  gro§artige  ©egenftänblichfeit  ber  Unter» 
fudhung,  bie  gleichmäßige  @ntwiJlung  ber  @aci)e,  bie  überlegene 
fRuhe  ber  (Stimmung,  baS  S)enfen  unb  S)arfteDen  au8  ber 
SBahrheit  ber  2)inge.  3n  biefem  |)unfte  geigt  iStiftoteleö  fi^ 
enger  mit  @oethe  oerwanbt  al8  irgenb  ein  Slnberer. 

Sobalb  wir  unS  vergegenwärtigen,  baß  folche  Objeftivität 
nicht  einfach  0Dlenf(hen  wie  ein  Gegebenes  gufädt,  fonbern 
baß  fie  burdh  Arbeit  unb  Äampf  h*riufteöen  ift,  leuchtet  ein, 
baß  eben  in  foicßer  fich  äußerlich  wenig  abhebenben  ^eiftung  bie 
glängenbfte  (Srweifung  geiftiger  Jlraft  oorliegt,  baß  bad  f^etn* 
bare  93erfchwinben  be8  Subfeftö  ben  höthften  Triumph  be0 
@eifte8  hübet.  SBa8  aber  ben  ^hitofi^Phen  i*“  Sefonbeten 
anbelangt,  fo  fann  er  ber  Slufgabe  nur  burch  thatfräftige 
Unioerfalität  genügen.  9iur  burch  fi<h«rc  Erhebung  übet  bie 
eingelnen  ©eiten  fann  er  bie  ©a^e  al8  @ange8  gut  ©eltung 
bringen,  er  h^t  bie  ibeale  Einheit  be8  ®egenftanbe8  immer 
gegenwärtig  gu  hotten  unb  auf  biefen  ÜRittelpunft  ade8  33efonbere 
gu  begiehen.  SBie  er  bie  eingelne  ©rfcheinung  im  Bufommen» 
hange  ficht,  fo  hot  er  auch  bie  oerf^iebenen  Sntereffen  in 
einer  adumfaffenben  SBerthfchäßung  au8gugleidhen.  Bür  ba8 
ade8  onmag  bloße  SJielfeitigfdit  unb  Sielwiffen  gar  nichts,  nur 
überlegene  theoretif^e  Bteihcit  unb  unerfchütterliche  ©elbftänbig» 

(77i) 


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44 


feit  beä  ©ebonfenö  ftnb  ber  Slufgabe  geaac^fen.  Striftoteleö  aber 
ttütbc  nid^t  Don  je^et  aI0  unioerfeUftet  IDenfer  gepriefen  fein, 
wenn  er  ^ter  nid^t  feine  ©rö^e  in  ^eroorragenber  SBeife 
befunbete. 

aber  ber  SOfenft^  auö  einheitlichem  ©ebanfen  ber 
@adhe  bie  güKe  ber  ©rfdheinungen  »erftehen  fann,  baS  »irb 
nur  möglich  bei  ber  Sßoraufifehnng,  ba§  alle  fKannigfaltigfeit  in 
SBahrheit  auf  ein  einfaches,  baS  unS  gugängli^,  3urücffommt, 
ba§  in  bem  ©^lichten,  »aö  burdhgeht,  ba8  SBcfen  ber  Sache 
behalten  fei.  Sluf  bem  ©ebiet  ber  greunbfehaft  ift  8lriftotele0 
mit  großem  ©rfolge  bafüc  eingetreten , er  h^^  einfach 
9!Jicnf^li(he  überall  al8  ©runb  unb  Äraft  ermiefen,  er  h^t  »on 
ba  au8  fich  3U  allen  iiebenSerfcheinungen  einen  innern  Sugong 
ju  bahnen  nerftanben.  Selbft  feine  ©arftcUung  befunbet  burch 
bie  SdbliAtheit,  mir  möchten  fagen,  bie  Scrtraulichfeit  ihreS 
j£one0,  toie  er  au8  ben  terwidfelten  ©ebilben  be0  großen  ©e* 
bieteS  unmittelbar  einfache  ©runbgeftalten  h^iouSfieht. 

■äJiittelft  fcsl^er  SSorjüge  h®i  fSriftoteleS  ba8  gefammte 
©ebiet  redht  eigentlich  bem  wiffenfchaftlichen  ©ebanfen  unter» 
morfen;  alle  fpätere  93ehanb(ung,  wel^e  ben  3uf<>ntmenhang 
gefchidhtlid^er  läibeit  aufnimmt,  wirb  gu  feiner  Beiftung  al8 
einer  bahnbrechenben  gurüdffchauen  müffen. 


(-7«) 

t)cu(f  i'cn  ClScbi.  Uiiiitc  (ib.  ^rimm)/  Stclin  8W. , Cc^öscbtr^crftr  17*. 


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Ueber  bie 


orgriiftitigra  $r;i(^nn9(n  btt  Pan^rnotpnr. 


33  0 r tt  a g 

gehalten  in  ber  naturforftbenbeu  ju  JRoftorf 

Don 

Dr.  jß.  (Boebel. 


m 


Berlin  SW.,  1884. 
33ertag  con  @arl  .^abel. 

(€.  <e.  rUtrit|'sd)(  5rrlagflii(ti||intliing.) 

SS.  lBiI^tIin.<StTate  SS. 


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2)a£  9te(^t  btt  neberfe^ung  in  ftembe  Sprachen  totrb  Dorbe^aittn. 


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ift  eine  @rfa^rung  beS  aQtäglid^en  8eben§,  bo§  bte 
eitijeinen  Steile  unb  Digane  etneö  ^flanjenT5i))ere,  j.  eines 
93aumeS,  unter  fld^  niet  »entget  enge  Sejte^ungen  geigen,  alS 
bie  beS  I^ictförpetS.  ©ei  fe^t  Dielen  Säumen  ift  jebet  3»eig 
Dom  Saume  getrennt,  unter  gänftigen  Umftänben  befähigt,  gu 
einem  neuen  Saume  ^erangumac^fen,  beim  Diuliren  »erben 
^nofpen,  beim  Sfcopfen  gange  (Sprogftüde  Don  einem  ^nbioibuum 
auf  ein  anbereö  übertragen  unb  treten  mit  bemfelben  in  organif^en 
Sufammen^ng.  Sogar  Slätter  laffen  fidi  Don  einem  J^eil 
einer  ?)fiange  ouf  einen  anbetn  übertragen.  Änig^t ' ) ^at  g.  S. 
Slätter  beS  SBSeinftodS  auf  ben  ^rucbtftengel , bie  Sianfe  ober 
einen  jungen  Srieb  gepfropft,  fie  »uc^fen  an  unb  festen  i^te 
Sebendoerric^tungen  fort. 

IDiefe  Unab^ängigfeit  ift  aber  nur  eine  morp^ologift^e,  in 
pbpfiologif(^er  Segie^ung  bagegen  finb  bie  eingelnen  J^eile  beS 
^flangenförperS  nic^t  unabhängig  Don  einanber,  fonbern  ftef|en 
in  SBedjfelmirfung.  3i)«  gegenjeitigen  Segiehungen  pnb  jeben» 
faHö  Dielfad)  fe^t  fomplicirter  3lrt,  unb  bie  ßrfenntnifi  berfelben 
»itb  überall  ba  erjchwert,  »o  experimentelle  ©ingriffe  nit^t 
möglich  pnb. 

IDie  9n»enbung  beö  ©xperimentS  gut  ©ntfcheibung  mor^ 
phologif^er  fragen  ift  aber  offenbar  Don  hö^hP«***  Sntereffe. 

XIX.  «3.  1 • (779» 


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4 


@eftattet  fte  unS  bo^,  und  bem  3<ele:  bte  urf&c^ltc^enSebingunsen, 
tDeld^e  ben  ^ormeet^ältniffen  ju  @runbe  Hegen,  fennen  ju  lernen, 
einigermaßen  ju  näßern.  2)abei  fteOte  fic^  nun  ßeraud,  baß 
(9röße  unb  Sudbilbungdform  ber  ^flanjenorgane  feinedmegd 
immer  burtß  SSererbung  ßrirt  pnb,  fonbern  cielfacb  erß  im 
IBerlaufe  ber  @ntmi(Kung  burcß  bie  gegenfeitigen  Sejießungen 
ber  einzelnen  Slßeile  beßimmt  »erben.  93on  biefen  ©ejießungen 
bängt  ed  3.  fd.  ab,  ob  eine  S31attanlage  3ur  braunen,  nur  ald 
©cbußorgan  bienenben  ©tbuppe  ober  3um  gaubblatt,  ob  ein 
Sproß  3um  unterirbifcßen  Üludläufer  ober  obetirbifcßen  8aub- 
gweig  »irb,  ob  ein  Sproß  aufre^t  ober  geneigt  »ädßft,  unb 
namentli^  aucß,  ob  er  überboupt  ficß  entfaltet  ober  auf  einem 
frühen  @nt»icflungdßabium  ftcben  bleibt  unb  bann  nerfümmert, 
unb  ferner,  roelcße  ©röße  et  unb  feine  Slätter  erreitben. 

Die  leßt  angebeuteten  Segießungen  ßnb  bie  einfacßßen  unb 
am  leicßteften  in  bie  9lugen  fatlenben.  Dad  ^rincip,  »elcßed 
ißnen  gu  ©runbe  liegt,  fönnen  wir  ald  bad  ber  ©ompenfation 
bed  Sßadbdtbumd^)  begeicßnen.  @d  berußt  darauf,  baß  feber 
^ßangenfßrper  ( — wir  ßaben  babei  gunöcßft  nur  bie  Samen» 
pßangen  im  2luge  — ) meßt  Drgananlagen  bilbet,  ald  er  gu 
entfalten  im  Stanbe  ift.  ©benfo  werben  ja  anfäßrlicß  große 
fWaffen  »on  Samen  gebilbet,  wel(ße  notßwenbig  gu  ©runbe 
geßen  muffen,  weit  ed  an  JRaum  für  ißre  ©ntwidlung  feßlt, 
oiete  gelangen  überßaupt  nicßt  gur  Jl^eimung,  unb  non  ben 
Äeimpßangen  erliegen  wiebet  oiele  bem  „^fampf  um’d  Dafein“. 
5)lit  biefem  Äampf  um’d  Dafein  laffen  ßcß  nun  au^  bie  Se» 
gießungen  ber  Dtgananlagen  eined  ^ßangenförperd  nerglei^en. 
Diejenigen  unter  ißnen,  weltße  günftiger  fituirt  ßnb,  benen  bie 
im  gangen  ^ßangenförper  ootßanbenen  Baumaterialien  rei(ßlicßet 
gußießen,  entwideln  fibß,  bie  anbetu  bleiben  im  Sßa^dtßum 

(780) 


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5 


3urürf  unb  ge^en  früher  ober  fpötet  ju  ©runbc.  SJlan  brautet 
nur  in  einem  »n  »eicbcm  bie  Dbftbäume  reicbUd)  grücbte 

anfe^en,  bie  gtofee  9Kenge  »on  unreif  abfadenben  3“ 

beachten,  um  fich  Don  ber  Siichfigfeit  beS  oben  aufgeftellten 
3U  überzeugen,  ©er  Saum  fe^t  ciel  mehr  grüchte  an, 
als  er  ernähren  lann,  eine  gro^e  3ahl  berfelben  mu§  aifo  3U 
®unften  ber  übrigbleibenben  »erfümmcrn.  tritt,  »ie  es 
fchcint,  bieS  Serhältni§  befonberS  bei  unfern  fulticirten  Dbft= 
bäumen  meldjcn  bie  ein3elnen  fruchte  oiel  größer 

»erben,  alfo  mehr  fRährmaterial  beanfpruchen , alS  bie  ber 
„wilben“  ©tammform;  offenbar  fann  ja  ein  Saum  bei  glei^er 
SJtenge  organifchen  Saumatcrialö  entweber  eine  größere  9(n3ahl 
fleinerer  ober  eine  fleinere  iSnzahl  größerer  grüchte  3ur  2lu8» 
bilbung  bringen,  ©ie  ©ärtner  fennen  biefen  Umftanb  fehr  gut: 
bie  riefigen  ©tachelbeere'n,  Sirnen  unb  anbere  grüchte,  »eiche 
»it  auf  unfern  @artenbau«5lu8ftcllungen  be»unbern,  . finb  oiel» 
fadh  auf  bie  SBeife  erzielt,  ba|  man  bem  Saume  ober  ©trau^ 
nur  einige  »enige  ^rü^te  läfet,  bie  nun  eine  gro^e  ?Kenge  oon 
fRährfubftanzen  3U  ihrer  Serfügung  haben.  Sehnlich  Hcht  »an, 
ba§,  »enn  Säume,  3.  S.  Sinben,  einer  großen  Anzahl  »on 
3»eigen  beraubt  werben,  bie  ftehcnbleibcnben  ober  neu  au0» 
treibenben  nun  Slätter  bilben,  beten  ©rohe  »fit  über  ba0 
gewöhnlidhe  9Rah  h»au8  geht. 

Sielfadh  erreichen  nun  aber  Drgananlagen  nidht  nur  nicht, 
»ie  in  ben  angeführten  f^ällen,  bie  ©röfee,  3U  ber  fie  eigentlich 
heranroachfen  fönnten,  fonbetn  fie  »erben  burch  baö  SBachöthum  - 
anberet  Organe  ganz  unterbrfnJt.  ©ie  grucht  ber  (Siche  3.  S. 
fchliefet  einen,  relati»  fehr  großen  ©amen  ein.  Unterfucht  man 
aber  bie  Sru<bt  in  jugenblichem  Stabium,  »ot  ber  SluSbilbung 
beS  ©ameuS,  fo  finbet  man  in  berfelben  fech§  ©amenumlagen, 

0*1) 


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6 


bie  offenbar  aQe  gang  normal  gebaut  unb  entmi(!Iungfif&^{g 
ftnb,  unb  »on  benen  n>a^rfcbetnlt(b  ^öuflg  mc^r  alö  eine  befragtet 
mirb.  Ütber  faft  audna^miod  geminnt  eine  berfelben  bad  Ueber: 
gemi(^t  über  bie  anberen,  erfticft  pe  unb  fpeidbert  nun  in  P(b 
ade  ber  $ru(bt  guftrömenben  Saüftoffe  auf,  »eicbe  pe  bann  ffjater 
bei  ber  Keimung  gur  9lu8bilbung  ber  erpen  Drgane  ber  Sttim* 
pPange  oermenbet.  35ap  auch  bie  anbern  ©amenanlogen  ent» 
toicflungSf&^ig  Pnb,  geigt  fc^on  bie  S^atfac^e,  ba§  gutoeüen 
einige  berfelben  pcb  mirflic^  auSbilben;  eine  @icbelfru(bt  mit 
fe<bb  ©amen  ift  aHerbingS  too^l  ni^t  befannt,  foicbe  mit  fünf 
aber  pnbet  man,  »ennglei^  fe^r  feiten. 

9to^  aupadenber  Pnb  bie  IBorgänge  bei  ber  ©amenbilbung 
mannet  Sflabelbölg®'^-  Äiefer  pnb  in  ber  Samen- 

anlage 3 — 5 befruc^tungdfä^ige  @igeden  oor^anben,  oon  benen 
jebe  gu  einem  @mbrpo  merben  lann.  dte^men  mir  an,  ed  feien 
3 @igeden  oor^anben  unb  jebe  berfelben  werbe  befru^tet,  fo 
bilben  p^  gunä^ft  3 ^eimanlagen  (©mbtponen).  3ebe  ber» 
felben  fijaltet  Pcb  aber  noc^  in  oier  felbftänbig  wad^fenbe 
iSnIagen,  beren  jebe  einen  Keimling  liefern  Tönnte.  9Ran  müpte 
beren  bann  gwölf  in.  einem  ©amen  treffen,  er  enthält  aber  petd 
nur  einen  eingigen,  e8  ift  ba8  berjenige,  weleber  über  bie  anbern 
bie  Dber^anb  gewonnen  ^at,  unb  pe  gum  Serfümmern  bringt, 
fo  bap  tm  reifen  ©amen  faum  nocp  ipre  gerbrüdften  fRefte  wapr« 
nepmbar  Pnb.  IDie  regelmäpig  pattffnbenbe  IBermebrung  ber 
^eimanlage  burcp  ©paltung  ift  alfo  oodftänbig  nuplod;  ba  bod^ 
immer  nur  eine  ber  fo  entftanbenen  Anlagen  gu  »oder  9lue» 
bilbung  lommt. 

S^ielfacp  Pnb  bie  im  Kampfe  mit  anbern  obfiegenben 
Drgananlagen  bur<p  ipre  ©tedung  bagu  prübiffionirt.  Sin 
8Iütpenftänben  g.  S.,  bie  eine  grüpere  ülngapl  oon  01ütpen 

(78J) 


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^cttotbringen,  rettet  bafl  SJlaterial  je^r  häufig  nic^t  me^r  ^in, 
um  bie  jüngften,  le^tgebilbeten  Slüt^en,  meiere  am  @nbe  beS 
Slüt^enftanbd  flehen,  jut  (Sntfaltung  3U  bringen.  Sn  ben 
meiften  berfelben  finb  jmat  ade  ihre  Organe  angelegt,  man 
finbet  alfo  jbeld^,  S3Iunien!rone,  ©taubblätter  unb  Sru^tlnoten 
tn  jugenblic^em,  aber  normalen  Suftanb  in  i^nen,  aOein  ju  ber 
Seit,  mo  biefe  Slüt^en  gur  äBeiterentmiefiung  an  bie  IReibe 
fämen,  ^aben  bie  älteren  SSlütben  bereits  begonnen,  ©amen 
angufe^en,  unb  biefen  ftrömen  nun  ade  93ilbung6^of[e  gu,  bie 
iüngften  Slütbenanlagen  aber  oerfümmem.  ©0  ift  eS  g.  S9. 
häufig  bei  ben  eigentbümlid)  fcbnrdenförmig  eingerodten  IBlütben« 
ftänben  einiger  Soragineen,  gu  melden  einige  ber  oerbreitetften 
Siirget  unferer  glora  gehören,  ferner  bei  ber  diathtferge 
(Oenothera  biennis),  bie,  auS  fRorbamerifa  eingemanbert,  h^ute 
ntelr  glu|ufer,  ©chutthaufen  u.  bgl.  mit  ihren  grofien  gelben 
Slüthen  fehmüeft.  (Entfernt  man  bie  jungen  Brächte  re^tgeitig, 
fo  fann  man  bie  fonft  oerfümmernben  Slüthenanlagen  gur  @nt> 
widlung  bringen  unb  baffelbe  mirb  audh  ohne  bie  genannte 
9Ra§regel  eintreten  fönnen,  wenn  bie  gange  ^flange  fi^  nnter 
befonberS  günftigen  äußeren  S3ebingungen  befinbet.  3n  anbem 
Bäden  merben  bie  gule^t  angelegten  Slüthen  bagegen  non 
nornherein  gur  Ißerlümmerung  nerurtheilt;  biefe  uhrb  h<n  alfo 
nid)t  burch  bie  SBeiterentmidlung,  fonbern  fchon  burch  bie  SuS> 
bilbung  ber  erften  IBlüthen  bebingt.  J^önnte  man  bie  festeren 
aber  entfernen,  fo  mürben  ohne  Smeifel  bie  fon^  oerfümmernben 
SSlüthenanlagen  fi^  entfalten.  ©0  ift  eS  g.  SB.  bei  unferen 
äBiefengräfern,  in  jeber  IBlüthenrifpe  berfelben  finb  IDu^enbe 
oon  oerfümmerten  Slüthen  auf  aden  @ntmicflungSftabien  angu> 
treffen. 

IDerfelbe  93organg  mieberholt  fich  auch  rä  ber  oegetatioen 


8 


{Region,  in  nie^t  feltenen  fällen  bebingen  Änofpen  but^  %e 
Stellung  begünfrigt  bag  Cerfümmetn  anberer  Änof^jen.  Untere 
fu^en  ttir  3.  33.  im  @|)5tfommer  bie  3»eige  beg  glieberg,  fo 
geigt  ba|  an  allen  heften  bie  ©nbfnofpe  oerfümmett,  fie 
oertro^net  unb  fällt  ab,  mä^renb  bie  untet  il|r  fte^enben  gmei 
Seitenfnofpen  ftd^  Itäftig  auäbilben  unb  im  ndd^ften  gtü^jal^r 
gu  neuen  Stieben  aug»a(^fen.  3lu^  biefe  S^atjac^e  beruht, 
wie  experimentell  nad^weifen  ld§t,  barauf,  ba^  bie  Seiten^ 
fnofpen  bie  ©nbfnofpe  gum  Slbftctben  bringen.  @ntfernt  man 
bie  erfteren  ndmlic^  rec^tgeitig,  fo  oerlümmert  bie  @nbfnofpe 
ni^t,  fie  bleibt  erl^alten  unb  oerldngert  fidb  im  nd^ften  3a^re 
gu  einem  Stiebe. 

@8  finb  »on  ben  Sa^rcgtrieben  ber  S3dume  — im  ©egen* 
fa^  gu  bem  oben  für  einige  S3lütbenftdnbe  3!lngefü^rten  — 
gewöbniit^  gerabe  bie  oberften,  jüngften  ^ofpen,  bie  ficb  auf 
. Äoften  bet  unteren,  älteren  entwidteln  *).  3ln  einem  Ulmengweig 
g.  33.  Id^t  fi(b  febr  elegant  beobachten,  wie  bie  8dnge  bet  ©eiten» 
gweigc  oon  bet  Sweigfpi^c  nach  ber  S3afi8  h«n  abnimmt.  SDie 
unterften  .^nofpenanlagen  finb  hiec,  wie  in  vielen  anbern  gälten 
entweber  gang  »erfümmert  ober  al8  „Äurgtriebc“  auggebilbet, 
eine  ©pro§form,  auf  welche  ich  gweiten  Sheile  biefet  ©t» 
örterung  gutücffomme,  bei  bem  {Rachweig,  ba^  bie  gegenfeitigen 
33egiehungen  bet  ^flongenorgane  nidht  nur  in  quantitatioer, 
fonbern  ouch  in  qualitatioer  3lu8bilbung  berfelben  ftch  geltenb 
machen,  ©chneibet  man  oberhalb  einer  ber  bafalen,  normal 
nicht  gut  Sugbilbung  gelangenben  3»eigfnofpen  ben  3®eig  ab, 
fo  lange  ber  S3aum  no^  im  3Buchg  beftnblich  ift,  fo  treibt 
biefelbe  au8  unb  fann  pch  gw  einem  Iräftigen  3weige  entwidfeln. 
©ang  nu^log  finb  bie  pch  nicht  entwicfelnben  ^nofpen  für  bie 
■»PPange  übrtgeng  hoch  nicht.  Sie  bleiben  alg  „{Ruhefnofpen* 

(784) 


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9 


oft  3a^re  lang  lebenbig  unb  !önnen  bann,  wenn  bur^  i^dblid^e 
©inwirfungen  bie  übet  t^nen  fte^enben  ^b^tle  gerftört  werben, 
au6treiben  unb  fo  gut  St^altung  beö  ^flangenfSrperS  beitragen. 
6in  let^t  gu  beoba^tenbeS,  lebtreicbeS  Selfpiel  bieten  bie  Äeim* 
t)flangen  ber  SBaünul  (Juglans  regia).  Oberhalb  bet  Äeim» 
blötter  (Äotplebonen)  finbet  ft(b  bie^  eine  größere  3ngabl  oen 
@pro§aniagen  — bi8  ac^t  — übet  einanbet , eine  ^uSnabme 
»on  bem  gewöbnlidben  SBerbalten,  wonach  über  jebet  S3latfbafi8 
nur  eine  Slchfelfnofpe  ergeugt  wirb.  S3on‘biefen  gabireichen 
.Rnofpen  wä^ft  aber  bei  ungeftörter  ©ntwicflung  bet  Äeim« 
^jflange  feine  gu  einem  Steige  au8,  unb  nach  93erlauf  weniger 
Sabre  finbet  man  feine  ©pur  mehr  »on  ihnen.  JDie  S3er= 
fümmetung  all  biefet  ( — bi8  gu  16  — ) Änof^jen  wirb  bebingt 
baburch,  ba§  bie  Äeimpfjange  alleö  ibr  gu  ©ebote  ftebenbe 
SKaterial  gur  ©ntwidlung  ihrer  ©nbfnofpe  »erwenbet,  welche 
fi^  aQmdbli^  gum  ©lammten  »erldngert.  SBitb  biefe  6nb» 
fno8pe  gerftört,  fo  lange  bie  erwähnten  ©eitenfnoipen  noch 
entwicflung8fdbig  finb  (im  erften  ober  gweiten  SebenSjabr  ber 
Spange),  bann  wd^ft  eine  ober  einige  wenige  ber  ©eitenfnofpen 
gu  einem  Sltiebe  auä  unb  fi^ert  fo  bie  SBeiterentwicflung  ber 
Äeimppange.  Sablreiche  oerfümmernbe  Anlagen  an  »egetatioen 
unb  an  231ütbenfproffcn  laffen  fich  alfo  auf  SBadjAtbumö» 
compenfationen  gurüeffübren. 

9ludb  für  bie  Jbeile  ber  S31dtter  laffen  fich  foldbc  (5om»en= 
fationSerfcheinungen  in  einigen  gdHen  — bie  pch  jebenfadS  noch 
bebeutenb  oermebren  laffen  — nachweifen.  Söiele  ©Idtter  tragen 
an  ihrer  93aP8,  ba,  wo  fie  bem  ©prop  anfi^en,  auf  jeber  ©eite 
ein  bldttdbenartigeä  Slnbdngfol.  68  führen  biefe,  eutweber 
troefenbdutigen  ober  faftigen  unb  grünen  ©ebilbe  bie  Segeidb» 
nung  dlebenbldtter ; pe  bienen  im  SQefentli^ben  al8  ©chuhorgane 

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10 


für  bog  931att  felbft  im  .^nof))enftabtum  ober  für  bie  @nbInofpe. 
©tattli(%  entmitfelt  [inb  fle  3.  S.  bei  ber  ^ferbebo^ne,  Vicia 
Faba.  S)ie  Q)iö^e  bie{ec  ^Nebenblätter  mirb  mit  bebingt  bur(b 
bo8  SBad^Stbum  beß  Slatteö,  an  bem  fie  fielen  ♦).  Entfernt 
man  möglicbft  frü^geitig  bie  junge  Slattanlage  oberhalb  ihrer 
SNebcnblätter,  jo  erfahren  biefe  eine  bebeutenbe  SSergröhetung. 
SBährenb  ejn  9lebenblatt  (einer  beftimmten  Sarietät)  im  normalen 
Suftanb  etwa  150  qmm  $lä^e  befiht,  !ann  man  burd^  ben  be* 
f(hriebenen  ©ingriff  SNebenblätter  mit  über  900  qmm  gläehe 
er3ielen. 

©8  ift  biefe  Slhatfadbe,  abgefehen  non  bem  Sntereffe,  meld^eß 
fie  an  unb  für  fich  h«tr  beßhalb  oon  SBerth,  weil  fie  un8 
einen  ^ingerseig  giebt  für  bie  richtige  Sluffaffung  einiger  fonft 
fchwer  erflärbaren  ©eftaltungßoerhältniffe.  @0  würbe  gelegent* 
lieh  im  freien  eine  ÜJlihbilbung  oon  Yicia  Faba  gefunben,  bei 
welcher  bie  33lötter  »ollftänbig  oerfümmert,  ihre  SNebenbldtter 
enorm  oergröfiert  waren.  S)a8  angeführte  ©rperiment  geigt, 
bah  Umftanb  eine  golge  be8  erfteren  ift.  IDie  33er« 

gröhetung  ber  fRebenblätter  wirb  aber  hierbei  eine  nodh  betracht« 
liiere  fein,  al8  bei  fünftlicher  ©ntfernung  ber  331attanlage, 
welche  bodh  immer  erft  gefchehen  fann,  nadhbem  auf  ba8  3Bach8« 
thum  ber  0(attanIage  eine  Duantität  UNährmaterial  oerwenbet 
ift,  welche  nun  ber  S3ergr5§erung  ber  ^Nebenblätter  nicht  mehr 
gu  gute  fommen  fann. 

3Ba8  bei  ber  33ohne  al8  gelegentliche  fDtihbilbung  oor« 
fommt,  geigt  eine  anbere,  bemfelben  S3erwanbtfchaft8freife  an« 
gehörige  ^flange  fonftant,  ober  boch.faft  fonftant.  ©8  ift  bie8 
eine  fleine,  in  oielen  ©egenben  nicht  feltene,  namentlich  in  @e> 
treibeäcfern  wachfenbe  SBiefe,  ber  Latbyras  Aphaca.  1)ie 
S3lätter  pnb  hier  (mit  9lu8nahme  einiger  weniger,  auf  bie  Äeim« 

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11 


blätter  fo(genben)  entttebrr  fe^Igef^Iagen,  ober  (in  bet  oberen 
©tengelregion)  ju  bfinnen  gäben,  ju  JRanfen,  umgebilbet, 
mittelft  beten  bet  bfinne  @tenge(  ft(^  an  benachbarten  ^flangen 
befeftigt.  gür  feine  eigentliche  9lufgabe:  bie  Slffimilation  beß 
j?ohlenftoffß  unb  bie  Abgabe  von  äßafferbampf  i|l  ein  berartig 
umgebilbeteß  IBlatt  natürlich  nicht  mehr  geeignet,  eß  verhält 
fich  in  biefer  Segiehung  ebenfo,  alß  wenn  eß  gang  oerfümmert 
wäre,  ©eine  gunftion  wirb  übernommen  butch  bie  feht  »er* 
gröhcrten,  auch  in  ihrer  gorm  etwaß  »erönberten  Ulebenblätter. 
fUlan  fönnte  fich  nun  benfen,  biefe  @igenthümlichfeit  fei  burch 
allmähliche  Sergtöherung  ber  fRebenblätter  im  Saufe  gahlreichet 
Generationen  entftanben,  nnb  fei  fchlte§lich  gu  einer  fonftanten 
©igenfchaft  geworben.  Unfere  Stfahmngen  mit  Vicia  Faba 
berechtigen  unß  gu  einer  anberen  tSuffaffung,  unb  gwar,  wie  ich 
glaube,  gu  einer  befriebigenberen : wir  tünnen  nämlich  au^  h^^^ 
bie  SBergro^erung  bet  fRebenblätter  alß  birefte  golge  beß  S3et» 
fümmetnß  ber  Slattfläche  betrachten.  Gelegentlich  finbet  man 
übtigenß  Gremplare  ber  genannten  9>flange,  beten  Slätter  nicht 
gu  ber  IRanfenbilbung  aufgegangen  finb,  unb  baß  ift,  wie  ber 
IBergleich  mit  verwanbten  gönnen  geigt,  jebenfallß  ber  utfptüng> 
liehe  Suftanb  gewefen. 

SBenben  wir  unß  gu  ben  93(attgebilben  bet  Slüte,  fo 
treffeu  wir  auch  hi<i^  ähnli^e  Sompenfationßoerhältniffe.  IDie 
wilbe  ©tammform  unfereß  GartenfdhneebaUß  g.  IB.  befi^t  einen 
bolbenfürmigen  8lütenftanb.  IDie  IRanbblüten  beffelben  h°^^n 
eine  Slumenfrone,  welche  viel  größer  ift,  alß  bie  ber  innern 
S3lüten,  eß  bienen  biefe  vergrößerten  IRanbblüten  bagu,  ben 
gangen  93lütenftanb  für  bie  bie  Seftäubung  vermittelnben  3n< 
feiten  auffällig  gu  machen.  fSIlein  bie  bebeutenbe  Gntwidlung 
ber  Slumenirone  erfolgt  auf  .Roften  ber  ©ejcualorgane,  welche 

(787) 


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12 


in  ben  Staubblüten  ganj  »erfümmert  ftnb.  SJtan  ^at  ^war  nodb 
ni(^t  ben  SSetfuc^  gemacht,  burcb  frfi^jettige  Entfernung  bet 
Staub'  unb  ^tud^tblüttei  auc^  bei  inneren  Stuten  beS  Slüteu' 
fitanbd  eine  folc^e  Sergrögerung  ^eroorjurufen , unb  ein  folget 
Serfuc^  ^at  audb  n>enig  StuSrtc^t  auf  Erfolg  negen  ber  Si^wierig« 
feiten  ber  Studfii^rung  unb  ber  »ahrfc^einlidb^n  Sefcbäbigung 
ber  Stute.  !Dafe  ober  ein  EompenfationSBer^öItnife  ^iet  je^r 
wo^rfdjeinlic^  ift,  geigt  bie  ©artenform  beS  S(^neebatt8,  ^ier 
finb  aud;  bie  Stumenfronen  ber  meiften  inneren  Stuten  »er» 
grögert  unb  biefe  Stuten  finb  bann  roie  bie  Slanbblüten  bet 
witben  ^orm  voDig  fteril.  Ebenfo  festen  bei  ben  Staubblüten 
mancher  Eompofiten  bie  Staubbtätter  unb  jugtei(^  befetjen  biefe 
Stanbbtüten  bebeutenb  größere  Stumenfronen  aI8  bie  inneren, 
au^  mit  Staubbtöttern  »erfe^enen  Stüten. 

Ob  bei  manchen  Brfuhten,  bie  feine  ober  taube  Samen 
hüben,  wie  bie  ^ulturform  ber  ^nana8,  bie  reichtidbe  Entwid» 
tung  be0  ^ru(htfleif(he8  auf  Äoften  ber  Samen  erfotgt,  bteibt 
bahingeftellt,  angegeben  wirb  wenigftenS,  ba^  bei  ber  witben 
Stammform  bie  §rüd)te  Samen  enthatten,  aber  ein  weniger 
entwicfelte8  gruchtfleifch  befi^en.  Sebenfattö  aber  töfet  fich  baS 
bei  einer  ^flanjc  fonftatirte  Eompenfationfloerhöttnife  nicht  auf 
eine  anbete  ohne  Söeiterefl  übertrogen:  jahtreiche  grüchte  bringen 
fclmfähige  Samen  unb  reichticheS  gruchtfleifch  gugleich 

Eigenthümlich  finb  bie  Segiehungen,  wetche  gwifchen  ben 
Stüten,  tefp.  ben  ^ortpflanjungSorganen  im  Sltlgemeinen  unb 
ben  »egetatiöcn  Jhe'le**  obwatten.  Einerfeitö  nämlich  tä^t  fi^ 
in  »ielen  gdOen  teicht  fonftatiren,  ba§  mit  ber  Sitbung  ber 
gortpflangungSorgane  eine  Etfchßpfung  ber  »egetati»en 
»etbunben  ift,  befonberfl  bann,  wenn  in  ben  weibtichen  gort» 
pflangungSorgonen  ein  Embtpo  fleh  bitbet,  gu  beffeu  Ernährung 

(788 


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13 


nun  bie  uerfügbaren  *DlateriaHen  oernjenbet  teetben.  35ie  Äetm» 
pPanjen  bet  Sarnfräutet  3.  23.  entfielen  an  f (einen,  grünen 
unfd^einbaren  ©ebilben,  ben  ^rot^aUien,  »eii^e  bie  ©efd^le^W» 
Organe  tragen,  ©ntfte^t  au8  einet  befruchteten  (Sijelle  ein 
©mbr^o,  fo  lebt  er  junächftf  ehe  er  felbft  23Iätter  unb  SBurgeln 
gebilbet  hatr  auf  Äoften  be8  ^rothalliumS.  6t  erfchöpft  baS« 
felbe  baburdh  regelmä§ig  fo  fe^r,  ba§  feine  6ntwicf(ung  bamit 
abgef(h(offen  ift.  23leiben  fämmtlidje  weibliche  ©efdhle^tSorgane 
beß  ^rothaHiumö  bagegen  unbefruchtet,  fo  fann  eä  unter  Um« 
ftönben  3ahre  lang  weiter  wachfen,  unb  immer  neue  ©efchlechtö« 
Organe  ergeugen,  bie  aber  fchliefelich  eine  abnorme  gorm  an« 
nehmen. 

(Such  »iele  @amenpf(angen  werben  burch  bie  23Iüten=  unb 
fjrudhtbilbung  fo  erfchöpft,  bah  fte  abfterben ; ein  befannteö  Sei» 
fpiel  bafüt  liefern  bie  Sanonen  (Musa),  unb  auch  wufere  „ein* 
jährigen"  'Pflangen.  3“  biejen  gehört  auch  öie  als  Bietpflange 
allgemein  oerbreitete  fRefebc.  ©chneibet  man  an  berfelben  bie 
blühenben  2riebe  rechtgeitig  ab,  fo  fann  man  babutdh  bie  6r» 
fchöpfung  bet  ^flange  oerhinbern,  unb  biefelbe  fo  frdftigen,  bah 
fie  einen  bäumchenartigen  SBuchö  annimmt  unb  mehrere  Sahre 
hinburch  oegetirt.  änbererfeitS  ift  nicht  gu  ocrfennen,  bah 
fach  23etminberung  beß  oegetatioen  SBachßthumß  eine 

oermehrte  Sölütenprobuftion,  unb  umgetehrt  mit  gefteigertem 
Sßachßthum  ber  gaubfproffe  eine  SSerminbetung  ber  25lüten« 
btlbung  ftattfinbet.  6ine  ^flange,  welche  „in’ß  Äraut  fchieht," 
blüht  ni^t,  eine  folche,  beren  oegetatioe  6ntwirflung  gehemmt 
ober  geftort  wirb,  fdjreitet  oft  frühgeitig  unb  reiflich  gut  23lüte. 
2)ie  Bichtc  i-  53.  blüht  normal  erft  etwa  im  50.  Sahre  ihteß 
gebenß,  wirb  fie  oerfeht,  unb  babur^  in  ihrer  oegetatioen  6nts 
wicfluug  geftort,  fo  fann  fie  fchon  oiel  früher  blühen.  6twa 

(79») 


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14 


lOjä^rige  ^ic^ten  g.  93.,  melc^e  in  ben  „SSoIIdgarten"  in  SBürg« 
buTS  gefegt  mürben,  brachten  maffen^aft  SBIüten  ferner,  (weiche 
inbe§  feine  f^rüc^te  anfe|(ten,)  obwohl  niete  beifelben  faum 
Wanned^ö^e  eneic^ten.  tDie  gättnerif^e  flrariö  fennt  biefen 
Umftanb  fd^nn  längft.  @ie  {ud^t  an  üfipig  entmidelten  IBäumen 
bae  negetatine  iBac^St^um  burc^  S3efi^neiben  ber  SBurgeln  gu 
i^emmen  unb  babuic^  93Iüten>  unb  ^ru^tbitbung  ^ernorgurufen. 
Unb  benfelben  Btnecf  nerfotgt  fte  burc^  Kultur  non  £)bftb&utnen 
in  köpfen.  S)ie  @ntmicflung  bed  SBurgelipftemd  unb  bamit 
au^  bie  bet  übrigen  negetatinen  Streite  ift  bei  einer  Jopfijflange 
natürlich  bef^ränft,  bafür  aber  treten  93lüten  unb  ^rü^te  ga^l« 
reidber  unb  früher  auf,  al8  bei  ungehemmter  negetatiner  @nt« 
midlung.  9IQetbingS  mirb  bafür  bie  SebenSbauet  ber  fo  be« 
hanbelten  91)fiangen  nerfurgt,  benn  eS  mu§  fcbiie^Iith  eine  @t« 
fthäpfung  beä  negetatinen  iBadbfithumg,  melched  ba8  Btaterial 
gut  93Iüthen<  unb  Btu(btbi(bung  liefert,  eintreten,  allein  ber 
3ü(bter  ift  burdb  ben  reicheren  ^ruchtertrag  bafür  entfehäbigt. 

S)er  gegentheilige  Satt,  in  tnelcbem  eine  gu  üppige  negetatine 
(Sntmicflung  al8  Utfa^e  ber  Unterbrüdfung  ober  93erminberung 
ber  931üthen>  unb  §ru(htbitbung  angufehen  ift,  finbet  ftdb  feht 
andgeprägt  bei  manchen  j^artoffelnarictäten.  @8  giebt  fotche, 
roelche  gmat  fehr  reichlich  Anoden  tragen  — befanntli^  finb 
biefe  nichts  anbereS  alS  bie  angefchmoDenen,  gu  üieferneftoff» 
behältern  ouSgebilbeten  @nben  unterirbifcher  (Sproffe  — aber 
nicht  blühen.  ©pecieQ  gilt  bieS  non  grühfartoffeln.  fDian 
fann  aber  bie  93(üthen«  unb  gruchtbilbung  h^i^Dortufen , tnenn 
man  bie  ^noUenbilbung  nerhinbert.  SSerfuche  biefer  9(rt  mürben 
jehon  non  Änight,  meldhem  bie  experimentelle 

fDlorphoIogie  eine  IReihe  ber  merthnoQften  ^otfehungen  nerbanft, 
au8geführt‘).  6r  pflangte  im  grühjaht  einige  @tücfe  einer 

(790) 


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15 


fcl»r  frühreifen  Äartoffelforte , tneldhe  nodh  niemals  bei  ihm  ge» 
blüht  hatte,  in  So)>fe,  mobei  er  bie  @rbe  über  ben  fRanb  bet 
Söpfe  fo  hach  möglich  häufte,  unb  in  bie  Sni^e  biefeS 
SergeS  ein  @tüd  bet  Änollen  eingrub.  9118  bie  ^flanjen 
einige  3olI  hcJ^  waren,  würben  fie  an  ftarfe,  in  bie  6rbe  ge» 
fterfte  ©täbe  befeftigt  unb  bann  bie  @rbe  burth  einen  ftarlcn 
@trom  SBaffet  »om  unterften  Üh^ilc  ber  ©tengel  abgefpült. 
2)ie  IJflanje  fchwebte  fo  in  bet  8uft,  fie  war  nur  bur^  ihre 
äSur^eln  mit  bem  0oben  in  SSerbinbung  unb  e8  war  beShalb 
mögli^,  bie  fonft  im  93oben  oerborgenen  91nlagen  bet  ^noDen 
ju  gerftören,  fobalb  fie  ftch  seigten.  IDie  golge  baoon  war  bie 
93ilbung  gahlreicher  93lütben  unb  grüchte. 

©ne  rein  fpetulatioe  Betrachtung,  ohne  Äenntni§  be8  an- 
geführten ©berimenteS  hätte  h'®*  ju  bet  9lnnahme  führen 
Tonnen,  bie  Blüthenbilbung  fei  bei  ber  betreffenben  Barietät 
ober  {Raffe  ganj  unterbrütft,  unb  bie  gefdjle^tliche  gort^jflaujung 
hier  but^  bie  ungefchledhtliche  (burch  ji^nollen)  erfe^t.  0em 
ift  aber  nicht  fo.  ®a8  Bermögen  bet  Blüthenbilbung  ift  noch 
oorhanben,  e8  Tann  ftch  aber  ni^t  geltenb  machen,  weil  alle, 
auch  bie  fonft  jur  Slüthen»  unb  gruchtbilbung  oerwenbeten 
(Stoffe  oon  ben  \)itx  früher  al8  fonft  fich  bilbenben  ÄnoHen 
beanfprucht  werben.  9lnbererfeit8  ift  3.  B.  beTannt,  ba§  bie 
ßueferrübe  in  wärmeren  gänbern  Teine  „{Rüben"  bilbet:  fie 
blüht  bort  fchon  im  erften  Saht,  unb  bie  fonft  in  ber  „{Rübe* 
ol8  {Referoeftoffe  abgelagerten  flRaterialien  bienen  3ur  Blüthcn= 
unb  gruchtbilbung.  9lu^  bie  Shatfache,  ba§  bie  maffenhaft 
Blätter  bilbenbe  Äugelala^ie  nicht  ju  blühen  pflegt,  werben  wir 
auf  baffelbe  ©ompenfationSoerhältnih  jurücTführen  bütfen.  Unb 
wahrf^einlich  gilt  baffelbe  auch  für  man^e  2Bafferpflanjcn. 
SBachfen  biefelben  (3.  B.  Alisma  Plantago,  Sagittaria,  Hippuris 

(-91) 


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16 


Limosella  aquatica,  Veronica  -Anagällis  u.  a.)  in  gu  tiefem 
Söaffet,  io  bilben  fie  gmat  i^rc  SSegetationSorgane  üppig  au8, 
üppiger  al8  ttenn  fte  auf  bem  ^anbe  ober  in  feic^tem  aBaffet 
»egetircn,  fe^en  aber  feine  aSlüt^en  an.  SBit  »iffen  freilidb 
nic^t,  ob  bie  Unterbrüdung  ber  ^lüt^enbiibung  ^ier  bie  Urfac^e 
be8  gefteigeiten  oegetatioen  SBa^St^umd  ift,  ober  umgefe^rt. 
angeführt  fei  nur,  ba^  manche  ^flangen,  bie  fomo^l  im  SBaffer 
al8  auf  bem  8anbe  ieben  fönnen,  in  lefeterem  gaQe  niebrig 
bleiben  unb  nach  ber  grud^treife  abfterben,  im  SBaffer  bagegen 
größere  ©tmenponen  erreitben  unb  langer  leben.  @o  g.  83. 
mandje  ßallitricbe»  unb  9Ranuncullu9»8lrten. 

2)ie  2radbt  be8  ^flangenförpera  beruht,  abgefeben  »on  ber 
oeridbiebenen  ©eftaltung  feiner  21)6*1^»  b“uplfütbl'tb  «uf  ber 
iRidbtung  berfelben.  IDiefelbe  ift  feine  gufäHige.  @ie  wirb  bei 
bem  .^auptftamm  unb  ber  .^auptmurgel  bebingt  bureb  eine  ben 
^fiangen  eigentbümlicbe  IReigbarfeit  für  bie  IRicbtung  ber 
Scbroetfraft,  ben  „@eotropi8mu8".  ©ie  .^auptmurgel  einer 
83obne  ober  Sanne  g.  0.  fucbt  unter  normalen  Umftänben  ab> 
wärtfl,  in  ber  Siidbtung  beö  6rbrabiu8  gu  macbfen,  fi«  ift  »po* 
fitio  geotropifcb"  ber  {>auptftamm  bagegen  ift  „negatio  geo» 
tropif^“,  er  wädbft  in  entgegengefe^ter  fRicbtung  aufroärtfi. 
33eibe  fucben  au8  ihrer  normalen  8age  gebracht,  biefelbe  — fo« 
fern  fie  noch  mach8tbum8fäbig  finb  — mieber  gu  erreichen,  ©ie 
SRichtung  ber  ©eitenmurgeln  unb  ©eitengmeige  büngt  — ab» 
gafeben  oon  ben  ©inmirfungen  be8  8idbt8,  Selaftung8Derbält« 
nijfen  u.  bgl.  — ab  einerfeit8  oon  ihrem  „@eotropi8mu8" 
anbererfeit8  oon  ihren  S3egiebungen  gur  ^jauptwurgel  unb  gum 
.paupt|pro§.  Slm  einfacbften  geigt  bie8  ba8  Seifpiel  ber  SBurgeln. 
©a8  SBurgelfpftem  einer  Sohne  beftebt  au8  einer  früftigen  in 
ber  ^Richtung  ber  gotblinie  nach  abmärt8  machfenben  c^aupt» 

(792) 


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17 


tvuTjcl  unb  einet  Slnja^I  von  ®eitenivurje(n,  )vel(^e  ni^t  fenf> 
re(^t  {onbein  unter  einem  fc^iefen  iBinfel  nad)  abivätld  mahlen, 
unb  fi^l  i^retfeitS  tvieber  vetjtveigen  fönnen.  @^neibet  man 
bie  <Spi^e  bet  ^auptmutjei  unterhalb  einet  jungen  Seiten« 
wutjel  ab,  fo  beobad)tet  man  in  vielen  Bällen,  ba§  ba@  SBac^S« 
t^um  biefer  Seitemvurjel  fic^  änbett:  fie  ni(^t  me^t 

jc^ief  jonbern  fenfrc(bt  nad^  abwärts  unb  fuc^t  fi(^  in  bie  SBer* 
längetung  bet  ^auptwurjel  ju  fteQen.  9Rit  biejet  9iid^tungS> 
änberung  ift  au(^  eine  tSenbetung  bet  @igen|c^aften  ver« 
bunben,  eS  ge^en  biejenigen  bet  .^auptwutjel  auf  bie  frühere 
Seitenwur^el  übet,  b.  SBac^St^umS  > unb  tBer3WeigungS> 
fä^igfeit  bet  früheren  .jpauptwutiet  werben  gefteigett,  fie  gewinnt 
baS  Uebcrgewicbt  über  bie  anberen  Scilenwur^eln  unb  wirb 
nun  jut  ©tunblage  für  bie  weitete  ©licbetung  beS  SBurjel» 
fpftemS®). 

güt  bie  obctitbifc^en  Sl^eile  bieten  bie  fRabell)öl3er  in  biefer 
Se^iebung  bie  tebrreicbften  Seüpiele.  ©ine  Spanne  ober  gi^te 
3.  ©.  befi^t  einen  aufredjt  wa^fenben  Jpauptftamm,  bet  fräftiger 
als  alle  Seiten3weige  ficb  entwicfelt.  @r  weicht  von  ben  (enteren 
au(b  fonft  ab,  33ei  bet  Stanne  (Abies  pectinata)  finb  an  i^m 
bie  ©lättet  (fRabeln)  unb  Seitenfproffe  ringsum  gleichmäßig 
vertbeilt.  2tn  einem  boti3ontal  gewacbfeuen  Seiten3Weig  ba> 
gegen  finb  bie  SRabeln  „gefcheitelt",  fie  ftnb  in  bet  .g)ori3ontal* 
ebene  fo  auSgebreitet,  baß  pe  färnrntlicp  ihre  Dbetfeite  na^ 
oben,  ißte  Unterfeite  nadß  unten  febten.  5Da  bie  beiben  Seit^ 
Des  SSIatteS,  wie  man  f^on  an  ibtet  abweicbenben  gärbung  er» 
fennen  fann,  vetfdbieben  gebaut  pnb,  fo  erhält  bet  gan3e  3w«3 
babutdb  in  pbpPologifdbet  a3e3iebung  eine  Dbet»  unb  Unterfeite, 
waS  fi^  auch  batin  auSfpridbt,  baß  feine  Seiten3weige  vot3ugSweife 
nur  auf  ben  beiben  Seiten,  in  Dem  angenommenen  gatle  alfo 

XIX.  4i3.  2 (79S) 


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18 


in  ber  ^otijontaiebfne  [id^  entwidfeln.  3n  bem  ^nofpenftabium 
aber  finb  .^aupt«  unb  ©eitenjweig  »oDftänbtg  einanber  gleid^, 
an  betben  finb  91abeln  unb  @pro§anIagen  ringsum  gleid^mä^ig 
»ert^eilt,  ber  ©eitenjmeig  aber  »irb  burc^  feine  feitlidbe  ©teHung 
— atfo  feine  Sejie^ung  3um  .^auptftamm,  gu  einer  uon  ber 
beS  legieren  abweidbenben  ÜluSbUbung  ueranla^t.  9Ran  fann 
ft(b  »on  ber  urfprünglic^en  Sbentität  beiber  ©profeformen  leiert 
übergeugen,  rcenn  man  ben  ®tpfel  beS  .^auptfproffeS  über  einem 
jungen  @eitenfpro§  entfernt.  SDann  rid^tet  fi(b  bie  ©pi|ie  beS 
Unteren  auf,  er  fucbt  ftdb,  refp.  feine  noib  madbStbumSfäbigen 
Slbcile  in  S3erI5ngerung  beS  .^auptfproffeS  gu  ftellen,  unb 
erhält  bamit  audb  beffen  @igenfcbaften.  2)ie  einmal  „ge> 
fcbeitelten"  9labeln  aOerbingS  behalten  ihre  ©teHung  bei,  bie 
nach  ber  SÄufrichtung  neu  h^toortretenben  9tabeln  geigen  bie 
SSertheilung,  wie  fie  bem  ^)auptftamme  gufommt,  unb  baffelbe 
gilt  für  bie  SSergweigung.  Glicht  bei  aßen  Koniferen  gelingt  in* 
be^  bie  sReubilbung  eines  ©ipfelS  auS  einem  ©eitentrieb.  Gine 
folche  ift  g.  S.  bei  ben  9lraucarien  nicht  ohne  SBeitereS  möglich. 
2)odh  ift  eS  ben  ©ärtnern  gelungen  bieS  3iei  bur^  geeignete 
SJlahregeln  gu  erreichen. 

2)ie  le^tbefdhriebenen  gdlle  gehören  fdhon  gu  benjenigen, 
in  weldhen  fich  bie  gegenfeitige  93egiehung  ber  £)rgane  barin 
auSfpricht,  ba^  urfprünglidh  gleichartige  IHnlagen  bifferent  fich 
auSbilben.  Sir  fönnen  biefe  Grfdheinung  ben  oben  befpro^enen 
GompenfationS*lBegiehungen  als  Sad)SthumS<Gorrelation 
gegenüberfteOen.  GS  liegt  in  ber  5Ratur  ber  ©ache,  ba^  fthni^t« 
©rengen  gwifdhen  beiben  fid)  nicht  giehen  laffen. 

gaffen  wir  gunädhft  bie  GorrelationSerfcheinungen  ber 
©proffe  in’S  9luge.  Slu§er  ben  träftig  fich  entwidelnben,  jebeS 
3ahr  um  ein  bebeutenbeS  ©tücf  wachfenben  Sri  eben  finbet  fidh 

(191) 


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19 


bei  ben  Säumen  gemö^nlid^  ncd^  eine  anbere  @pro§fortn, 
Triebe,  bie  nur  feljt  wenig  wad^fen,  alfo  feine  geftrerften  ©liebet 
befi^en,  aud^  i^ren  .^oljfötper  nur  wenig  entwicfeln,  unb  fid^ 
meift  nur  bann  nerjwcigen,  wenn  fte  Stützen  bilben.  3)eun 
an  üielen  Säumen  3.  S.  ben  Slpfet;  unb  Sirnbäumen  ftnb 
gerabe  biefe  „Äut33Weige"  ober  „ ©taud^linge " bie  Orte  ber 
Slüt^enbilbung.  @8  [timmt  baö  überein  mit  ber  oben  erörterten 
2^atfad)e,  bn^  oerminberte  oegetatioe  J^ätigfeit  — wie  fie  ja 
beutlic^  in  ben  Äur3trieben  ftattfinbet  — ber  Slüt^enbilbung 
günftig  ift.  3m  allgemeinen  finb  bann  au(^  biefe  ^urgtriebe 
Bon  befc^ränfter  SebenSbauet,  fie  fällen  nach  einiger  3eit  ab, 
wä^renb  bie  „Sangtriebe"  baS  bleibenbe  ©eruft  beS  ©tammefl 
aufbauen.  (Solche  Äur3triebe  finb  e8,  3.  S.  welche  bie  Slatt» 
^jaare  unferer  liefern  tragen,  bie  ^(^fe  biefer  Äur3triebe  bleibt 
’^ier  aber  fo  flein,  bafe  fte  äufeerlid^  gar  nid^t  ^eiDortritt.  2)er 
anlage  nat^  aber  unterfd^eiben  fi(^  biefe  Äur3triebe  nicht  üon 
ben  Sangtrieben,  ©d^neibet  man  ben  ©pro^gipfel  oberhalb 
eines  .Rur3triebe8  ab,  fo  wädbft  ber  leitete  31t  einem  ßangtriebe 
au8.  3m  normalen  Serlaufe  ber  Segetation  wirb  er  batan 
oerhinbert  burdh  bie  Se3iehungen  3U  ben  anbern,  fich  al8  Sang« 
triebe  au8bilbenben  ©pro^anlagen.  Unb  3Wat  finb  baS  bei  ber 
.Kiefer  bie  ber  ©pi^e  beS  3ahre8trieb8  nächftftehenben  Änofpen. 
@8  ift  alfo  ber  jf'ur3trieb  eine  SerfümmerungS»  ober  .pemmungS« 
form  beS  SangtriebS , worauf  auch  bie  UebergangSformen , bie 
fi^  gwifchen  beiden  an  manchen  Säumen  finben,  hinbeuteu,  mit 
biefer  Serfümmerung  ift  aber  au^  eine  theilweife  Seränberung 
bet  ©igenfehaften  oetbunben.  Son  ben  bet  Anlage  nach  gleichen 
©eitenfnefpen  eineS  SahreStriebeS  pflegen  fich  bie  unteren  al8 
Äurgtriebe  au83ubilben,  bie  oberen  äfnofpen  finb,  wie  fchon  oben 
herootgehoben  würbe,  in  ihrem  SBachSthum  geförbert,  fie  werben 

2*  (W5) 


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20 


gu  gangtrieben.  !Die  uriprünglid^e  ©leicbartigfeit  »on  ?ong» 
unb  Äurgtrieben  läfet  babur(^  erwei)cn,  bo|  man  8anä« 

trieb» SIntagen  reranfafet,  gu  Äurgtrieben  auflgubilben.  @8 
gefc^iebt  bie8  bei  ben  Obftbäumen,  inbem  man  einen  mit 
^ofpen  befe^ten  Stieb  natb  abwärts  biegt.  ®ie  In  bet  nadb 
abwärts  gebogenen  Partie  befinblicben  ^nofpen  bilben  fidb  nun 
tbeilwei|e  gu  Äurgtrieben  auS,  wä^renb  fie  im  normalen  93et» 
lauf  ber  IBegetatiou  gu  8angtrieben  geworben  wären  0-  ®irt 
näheres  (äingeben  auf  biefe  S3etl)ältni[fe  würbe  8“ 

weit  führen,  gumal  noch  eine  Slngabl  anberer  SorrelationS» 
©rfdbrinungen  oon  ©ptoffen  b^i^ßorgubeben  finb. 

68  würbe  oben  erwähnt,  ba§  bie  Kartoffel  ein  gum  Oteferoe» 
ftoffbebälter  umgebilbeter  ©prob  ift.  5)aoon  fann  man  pdh  audb 
erperimentell  übergeügen.  ©d^neibet  man  »on  einer  Äartoffel» 
pflange  am  Beginne  bet  BegetationSgeit  bie  übet  ber  @tbe  he- 
finblidbcn  Wffl»  fo  wad^fen  bie  oorhet  unterirbifeben 

©proffe  berfelben  übet  ben  ©oben  bilben  fi^  je^t  aber  . 

nidbt  gu  ÄnoHen,  fonbern  gu  grünen  Saubfproffen  auS,  mit 
welchen  fie  in  ihrer  erften  Slnlage  offenbar  auch  übereinftimmen. 

68  liegt  olfo  audh  h<ft  in  ben  SSethfelbegiehungen  gwif^en 
ben  eingelnen  Sheilen  ber  pflange  begrünbet,  ba§  eingelne 
©prohanlagen  fi^  gu  .RnoHen  auSbilben,  feineSwegS  aber  finb 
biefe  Einlagen  unabänberlidh  gu  einer  folchen  ^uSbilbung  be» 
ftimmt.  Äann  man  hoch  fogar  obetitbifchc  ©proffe  gut  ÄnoHen» 
bilbung  »etanlaffen!  68  gefdhieht  bieS,  inbem  mau  bie  unter» 
irbifchen  SÄuSläufer  früh  entfernt,  ober  ihre  Berblnbung  mit  ben 
oberitbifehen  Sheüen  beeinträchtigt.  Änight  giebt  fogar  an,  ba§ 
e8  ihm  gelungen  fei  bie  Bilbung  oon  Knollen  an  ber  ©pi^e 
(oberirbifcher)  ©eitengweige  gu  oeranlaffen,  ben  fünften  alfo, 
welche  oon  bem  normalen  Drte  ber  ÄnoOenbilbung  am  weiteften 

(-9«) 


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entfernt  finb.  9(n  allen  anberen  ®teDen  nämlid)  tnurbe  bie 
jhtodenbUbungner'^inbert,  unb  „nad^  einem  nergebli^en  Sträuben* 
non  einigen  3Boc^en  würben  bie  ^flanjen  feinen  SBünfc^en 
geljorfam,  unb  biibeten  bie  Knollen  gerabe  an  ben  Steden, 
bie  er  ii^nen  angewiefen  ^atte.  Offenbar  beruht  alfo  bie  Anoden« 
biibung  barauf®),  bafe  in  bie  gaubfproffe  ein  „^Silbungflfaft“ 
(wenn  man  biefen  adgemeinen  tSuflbrudf,  >ber  gum  minbeften 
ebenfo  bere^tigt  ift,  wie  bie  Slnna^nie  eineö  magnetifdjen 
gluibumfl  in  ber  ^^pfif,  ^ier  geftatten  will)  in  8aubfpro§» 
anlagen  einwanbert.  JDiefer  „SSilbungSfaft*  flrcmt  bei  unge- 
hemmter @ntwicflung  nach  unten,  in  bie  unterirbif^en  iSud« 
läufer.  3)ur^  ©ntfernung  berfelben  aber  fonn  man  ihn  in  ben 
oberirbifchen  Slh^ilfu  gurüdhalten,  unb  hier  befinbliche  Sprohan» 
lagen  jur  jtncdenbilbung  neranlaffen.  Gelegentlich  finbet  man 
auch  *ui  freien  Äattoffelpflangeu  mit  fnodig  »erbicften  a^fel» 
fproffen.  68  liegt  bie  SSeimuthung  nahe,  bah  an  biefen  ^flanjen 
bie  unterirbifche  Jtnoflenbilbung  gehemmt  war,  unb  biefelbe  — 
burdh  Beobachtungen  weiter  gu  pn'ifenbe  — SSermuthung  läfet 
fich  auch  auf  bie  Slhutfache  anwenben,  bah  in  Söpfen  im  S)unfeln 
fultioirte  Kartoffeln  häufig  in  ben  Blattadhfeln  ihrer  oberirbifchen 
Stengel  Knoden  anfe^en.  Sll8  le^teS  Beifpiel  für  Sproh* 
ßonelationen  fei  bie  3)ornbilbung  genannt,  bei  weld^er  bie 
Spi^e  ber  betreffenben  Sweige  hart  wirb,  unb  ihre  Blattanlagen 
oerfümmern  läht.  S^neibet  man  ben  9lft,  an  Welchem  eine 
SDornanlage  (bie  in  SSBirflichfeit  mit  einer  gaubfprohanlage  gang 
übereinftimmt)  ab,  fo  wirb  bie  „©otnanlage“  nicht  gu  einem 
3)orn  fonbern  gu  einem  Baubfproh;  berf^ad  liegt  hier  alfo  gang 
ähnlich;  wie  bei  ber  Kartoffel,  unb  hier  wie  bort  läht  fleh  bie 
Sorrelation  auch  uuf  anbere  SBeife  al8  burdh  SBegnehmen  be» 
ftimmter  Sproffc  barthun. 


22 


Sßenben  wie  und  ju  ben  (Sonelationdetfc^einungen  an 
aSldttern®),  fo  gelangen  wir  in  eined  ber  am  ^dufigfien  unb 
mit  ben  neti^iebenften  IRefuItaten  be^anbelten  (Gebiete  ber 
SJotanif,  in  bie  „aJletamorp^ofenle^re".  IDie  Seiebtonfung 
biefet  S3ejei(bnung  auf  bie  33(attgeftaltiing  ift  nur  biporif^  be» 
reebtigt,  benn  wie  wir  oben  faben,  finbet  ja  bei  ben  ©proffen 
eine  Slnjabl  oerf^iebener  Umbilbungen  ftatt. 

@d  pnben  ficb  am  ^flan^euförper  eine  SInjabl  »on  Slatt» 
bilbungen,  welche,  fo  oerfebieben  fie  ficb  <tucb  äuberlicb  barfteHen, 
bo^  offenbar  in  innerer  SBerwanbtfcbaft  [leben.  35ie  befannteflen 
berfelben  finb  bie  ^aubblatter,  beten  wi^tigfte  Sunftion  bie 
Gewinnung  bed  .^oblenftoffd  aud  ber  atmofpbärifcben  d^oblen* 
fäure  ift.  3m  Söinter  finb  bie  gaubblattanlagen  in  Änofpen 
oetborgen,  welche  umbüQt  unb  gefebübt  finb  von  ©^u^pen, 
ben  .^nofpenf^uppen,  welche  jufammen  mit  ben  ihnen  gleiten« 
ben  f^uppenartigen  blättern  an  unterirbifeben  iSudldufern, 
3wiebeln  u.  betgl.  bie  Äategorie  ber  9lieberblätter  bilben.  35a> 
ju  fommen  bie  Slattgebilbe  bet  S31ute,  Äelcb*,  lölumen»,  ©taub» 
unb  Beu^tblätter,  unb  einfache,  in  ber  ^lütbenftanbdregion  auf» 
tretenbe,  ben  5Rieberblättern  meift  gleicbenbe  ©ebilbe,  bie  „^oeb* 
blätter."  6d  foQ  für-  eine  Kategorie  biefet  Slattbilbungen,  für 
bie  SRieberblätter,  ber  9la^weid  geführt  werben,  ba&  fie  niebtd 
anbered  finb,  ald  umgebilbete  Saubblätter,  bie  ficb  auch  311 
folcben  entwicfeln  würben  wenn  bie  (Sorcelation  ju  anbetn 
Organen  ihnen  nicht  einen  anbern  @ntwicflungdgang  anwiefe. 

Sßorin  biefet  befiehl,  bnd  jeigt  bie  Sergleicbung  ber 
QJlieberung  oen  8aub*  unb  ©cbuppenblatt.  31n  bem  gaubblatt 
eined  bifctplen  ^aumed  laffen  ficb  gewöhnlich  brei  unter» 
jebeiben:  bie  flache,  einfache  ober  verzweigte  Ü31attfpreite,  ber 

SBlattftiel  unb  beffen  etwad  erweiterter,  fcbeibenfßrmiger  ©runb, 
C79“) 


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23 


bcr  ®fattgrunb , welcher  bem  Swetge  auffi^t.  IDet  ©lattftiel 
teirb  »on  biefett  brei  Stadien  am  fpSteften  entwicfelt,  etft  na^. 
bem  Stattgrunb  unb  SBIattfpreite  fd^on  beutUt^  ton  einanbet 
gefonbert  flnb,  »irb  bet  S3Iatt[tiel  jmifc^en  beibe  eingefc^oben. 
JDte  Olieberblfitter,  Bon  melc^cn  mir  fpecieH  bie  Änof^enf^uppen 
im  äuge  hoben,  finb  ^jemmungSbilbungen  »on  gaubblättern, 
bie  Anlage  beiber  flimmt  überein,  aber  3a  einem  je  nach  bem  6in3eU 
faQc  uer|chiebenen  Seitbunfte  — unb  3Wat  ftetfl  »or  Sluftreten 
beö  Slattftielö  — tritt  bte  Umbilbung  ber  iiaubblattanloge  gum 
9lieberb(atte  ein.  68  fann  biefelbe  in  uerjcbicbener  SBeife  »or 
ficb  gehen.  $Die  .^nofpenfdhuppen  beS  glieberS  (Syringa) 
3.  S.  entftehen  burch  eine,  ni^t  fehr  ttefgreifenbe  Umbilbung 
ber  33lattfpreite.  93ei  fehr  »ielen  335umen,  3.  S.  ben  Obft« 
bäumen,  cerfümmert  umgefehrt  bie  @<3reitenanlage  ocllftänbig 
unb  bet  am  gaubblatt  fleine  Slattgrunb  entmictelt  fidh  nun 
beträdhtlich  3U  einet  @(huppe,  auf  bereu 
fümmerte  Einlage  ber  33Iattf^>reite  noch  in  gorm  eines  »et» 
trodneten,  f(ht»ar3en  Keinen  ÄörperS  »ahrnehmen  fann,  fo 
3.  16.  recht  beutlidh  bei  »ielen  .Rnofpenfchuppen  bed  ^h^tnS. 
Sei  @i(hen,  Suchen  u.  a.  finb  eS  ferner  bie  9tcbenblätter,  welche 
bie  .^nofpen  enthüllen,  »ährenb  bie  ba3u  gehörigen  Slatt» 
anlagen  »etfümmern. 

£>ah  biefe  Serlümmerungen  unb  Umbilbungen  auch 
burch  ßorrelationSBerhältniffe  bebingt  »erben,  läht  fich  burch 
einfache  ©jrperimente  3eigen.  IDie  Slätter  »eiche  bet  2rieb 
eines  SaumeS  im  gtühlaht  entfaltet,  finb  fdhon  in  bet  über» 
winterten  Änofpe  »orhanbeu,  fie  würben  im  Serlaufe  beS  »or» 
hergehenben  ©ommerS  angelegt.  Suerft  bilben  fich  bie  als 
^>üHe  bienenben  Änofpenfchuppen,  bann  bie  Slnlagen  bet  8aub» 
blStter.  ©oH  bie  Silbung  bet  Änofpenf^uppen  »erhinbett 

(79*) 


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24 


werben,  fo  mu^  man  bie  betreffenben  Änof^jen  »etanlaflen, 
fd^on  tm  Sabre  ihrer  Slnleäimß  auöjutreiben.  @8  gej^iebt  bieö 
befanntlidb  «i^t  feiten  au(b  ebne  menftbÜJben  ®>ngriff  beim 
fogenannten  Sobanniötrieb.  Äünftlidb  fnnn  ba0  Sluätreiben  ber 
^fnof^jen  auf  nerfebiebene  SBeife  neranlabt  werben,  am  einfaebften 
babut(b,  ba§  man  einen  Slft  oberhalb  einer  in  ber  Silbung  be» 
griffenen  SJdbfelfnofpe  beffelben  abj(bneibet.  Die  Änofpe  treibt 
nun  aus,,  ihre  fonft  ju  Änof^jenfdbuppeu  umgebilbeten  Saub» 
blattanlagen  werben  wirflidb  gu  8aubbldttern , falls  bie  Um» 
bilbung  noch  nidbt  begonnen  hat-  Sfi  biejelbe  gang  fertig,  fo 
ift  eine  weitere  23erSnberung  ber  Änofpenfehubb« 
bem  erwähnten  Eingriff  nidbt  moglidb.  «£>at  bie  SluSbilbung 
aber  eben  erft  begonnen,  fo  läfet  fie  fteb  aufbalten:  man  erhält 
bann  33ilbungen,  welche  in  ber  fUMttc  ftehen  gwifchen  8aubblatt 
unb  Änofbenfdhubbe-  ßbenfo  fonnte  man  ficher  bei  ber  Äar» 
toffel  auf  bie  obenerwähnte  SBeife  ÜJlittelbilbungen  gwifchen 
ÄnoHen  unb  gewöhnli^en  Saubfbroffen  erhalten,  unb  bie  S3or= 
fteQung,  welche  wir  unS  über  ben  33organg  ber  Umbilbung  eines 
SaubfbroffeS  in  einen  ÄnoQenfbroh  gemadbt  h“^«nr  finbet  auch 
auf  baS  SSevhältnih  oon  Saubblatt  unb  Änofbenfehubb«  (fßieber» 
blatt)  Slnwenbung. 

S3ei  ben  anberen  33lottformen  läfet  fidh  bis  jeht  no^  nicht 
überall  ihre  S3egiehung  ju  ben  anbern  Organen  refb-  gnm  @e» 
fammtwachSthum  ber  gangen  ^flange  fo  flar  erfennen,  wie  bei 
ben  9?ieberblättern.  ©icher  aber  wirb,  na^bem  einmal  bie  @r» 
fenntnih  »on  ber  funbamentalen  S3ebeutung  ber  ßorrelationen 
fich  Sahn  gebrodhen  h^t,  audh  h^c>^  ©efi^tSfreiS  ein 

weiterer,  unfere  ©infidht  in  bü  ©eftoltungSoerhältniffe  ber 
5>flangen  eine  tiefere  werben,  als  fie  bei  einer  rein  formalen 
Setradhtung  berfelben  fein  fann. 

(MO) 


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25 


0,6  fei  ^ier  nur  auf  ble  Söer^ältniffe,  roie  fie  fi(^  tu  beu 

©lütten  ßeltcnb  ma^en,  noc^  einmal  3urü(f3efltiffen,  not  adern 

meil  ^ier  in  ber  @arfenfultur  ein  meiteö,  aber  miffenfti^aftlic^ 

no(b  feineömegö  genügenb  au0flebrcitete8  2^atfad)cn= Material 

»erliegt,  ©pecied  gilt  biefl  für  bie  fogenanntcn  „gefüdten" 

^lüt^en.  06  finb  bie8  dJlt^bilbungen,  beren  ©rjeugung  ein 

mit  immer  me^r  fteigenbem  ©rfolg  crflrebteS  3icl  bet  ©örtnerei 

ift,  obme^l  ein  an  eingel)enbere  S3etrad^tung  ber  ^flanjenformen 

gewöhntes  äuge  aut^  in  äft^etifcber  Söe^ie^ung  iljnen  nur  feiten 

ben  SBortang  »er  ben  „einfachen"  ©lütten  guerfennen  wirb. 

5)ie  SSeränberung  ben  leiteten  gegenüber  crfelgt  bur(b  eine  au6» 

gieblgere  ^rebuftien  »en  Slumenbldttern,  bie  aber  auf  fe^r 

»erfebiebenem  SBege  »er  ficb  geljen  fann,  ber  ^oubtfa(be  na^ 

entroeber  burdb  Umbilbung  »en  in  ber  einfachen  ölüt^e  »or= 

banbenen  Organen  in  S31nmenblättfr  (roelcbe  bäupg  mit  einer, 

bntcb  Spaltung  erfelgenben  IBeroielföltigung  berfelben  »erbunben 

ift)  ober  burcb  auftreten  »en  SBlattanlagen,  bie  in  ber  normalen 

Iblütbe  überhaupt  nicht  »orbanben  finb.  .^ierbet  läpt  ficb  in 

einigen  gäden  in  morpbelogifcber  mie  in  pl)pfielegifcber  Se» 

jlebung  ba0  IBorbanbenfein  »en  „dorrelationen"  nacbweifen. 

S3ei  einigen  »en  ben  ©ävtnern  al8  „hose  in  liose“  begeicbneten 

331ütben  fommt  bie  güdung  baburcb  ju  ©tanbe,  ba§  ber  fonft 

grüne  Äelcb  bie  gdtbung  ber  Slumenftene  annimmt,  fo  bah 

alfe  gmei  Slumenfronen  in  einonbet  ftecfen;  bieä  ift  ber  gad 

bei  manchen]  Primeln  („Primula  calycauthema“)  3Kimnlu8» 

arten  u.  a.  53iit  ber  aenberung  in  ber  garbung  ift  aber  oucb 

eine  aenberung  ber  gorm  »erbunben:  bie  beS  Äelcbeö  »ermanbelt 

in  bie  bet  Slumenfrone,  fo  bap  alfe  in  biefem,  »ie  auch 

in  onbern  gaden,  aenberung  in  bet  garbung  unb  in  ber  gorm 

mit  einanber  in  SBegiebung  ftcben.  23efonber0  ober  tritt  bie 

(801) 


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26 


Sejte^ung  ber  ^Blumenblätter  gu  ben  ©erualorganen  bet  Stütze, 

bie  f(^on  oben  ermähnt  würbe,  bei  ben  gefüllten  Stützen  beut» 

li^  ^eroor.  JDie  gruc^tbarfeit  berfelben  ift  nämltc^  in  ben 

meiften  gätlen  eine  geminberte,  ober  gauj  aufgehobene,  felbft 

ba,  wo  bie  Serualorgane  ber  Slüthe  (©taubbldtler  unb  grucht» 

blätter)  nicht  bireft  in  bie  Umbtlbung  3U  Blumenblättern  hinein» 

gejogen  finb.  SEßo  bo8  geltere  bet  gall  ift,  fann  felbftoerftänbli^ 

bon  ber  SluSbilbung  oon  0amen  feine  Siebe  fein,  allein  auch  ohne» 

bieö  fann  fein  3n»eifel  an  ber  erwähnten  Shnifn<he  beftehen. 

greili^  ift  e8  h>*^  'n  anberen  Süllen  oon  Korrelation  nicht 

leicht  gu  unterfcheiben,  weld^e  oon  beibeu  Kifcheinungen  Urfadhe  unb 

SBitfung  ift,  oermchrte  Blumenblattprobuftion  ober  Schwächung 

refp.  Slufhebung  beö  SruchtungöDermögene.  SebenfaHö  hängen 

mit  ber  Aufhebung  beS  leiteten  einige  weitere  Jhnlfnthen  gu» 

fammen,  bie  an  unb  für  fich  fehr  auffallenb  erf^einen  fönnten. 

@0  blühen  3.  33.  „einfache"  ©eorginen  giemlich  oiel  fpäter  äl8 

bie  „gefüllten."  iJehtere  fe^en  feinen  Samen  an,  im  Swfammen» 

hang  mit  ber  Betgröfewung  bet  SSluinenfrone  finb  bie  Se>:uol» 

Organe  ooDftänbig  oerfümmert.  2)ie  einfachen  Blüthen  aber 

brauchen  gut  9lu8bilbung  ihrer  Samen  einen  großen  JheU  bet 

burch  bie  Ktnäl)rung8thätigfeit  bet  S3lätter  unb  Söurgeln  ge» 

bilbeten  organifchen  Bauftoffe.  ®ie  gefüllt  blühenben  gormen 

bagegen  fönnen  einen  gro§en  Slh®ll  ber  lehteren  in  ben,  au8 

angefch wollenen  SBurgeln  beftehenben,  nnterirbifdhen  ÄnoHen 

ablagern.  IDiefe  bienen  als  9tcferoeftoffbehälter,  unb  liefern  im 

nächften  Sahre  baö  OJiaterial  gut  Bilbung  neuer  ^flangen.  3e 

früher  unb  reichlicher  biefe  ÄnoOen  alfo  fi^  auöbilben,  befto 

früher  unb  reichlicher  werben  au^  im  nächften  Sahre  bie  Blüthen 

erfcheinen  fönnen,  unb  hierin  finb  au8  bem  angeführten  ©tunbc 

bie  „gefüllten"  ^flangen  oor  ben  einfachen  im  SSortheil,  au8 
(802) 


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27 


bemfelben  @runbe,  au8  betn,  wie  früher  angegeben  wutbe,  bei 
grübfattoffeln  oft  bie  Slütbenbilbung  unterbrüdt  tft.  9lut^ 
Änig^t  giebt  an,  bafe  „gefüllte"  ?)ftan3en  frübet  blühen  al8 
einfache,  unb  anbemeitige  Sifabrungen  beftätigen  bieS  für  baS 
Leberblümchen  (Anemone  hepatica),  ©chneeglcdchen  (Galanthus 
nivalis)  u.  a.  SSeniger  auf  bie  Seit  ol8  auf  bie  Sieichlichfeit 
beS  Slühenfl  berechnet  ift  baö  SBegnehmen  ber  jungen  Srüchte 
an  ^ofenftöden,  bie  tUiaterialien,  bie  fonft  3ur  lSu8bilbung  bet 
©amen  unb  grüchte  gebient  hätten,  fönnen  nun  ben  Slüthen» 
fnoflpen  für  bafl  nächfte  Saht  gu  gute  fommen.  3u  bem  ÜKangel 
beö  ©amenanfa^eS  ftimmen  oiele  (feineöwegä  alle)  „gefüllt" 
blühenbe  ^flanjen  mit  manchen  S3aftarb»^flanjeu  überein.  Sluch 
bei  ihnen  ift  ba8  ^ruchtungSoermögen  oielfach  ein  oerminberteS. 
3n  SSerbinbung  bamit  fteht  bei  oielen  berfelben  eine  Ueppigfeit 
beS  3!i}a^8thum8  unb  ber  (Sntwidlung  oon  SButjelfch offen, 
Sleften,  Slattern  unb  ©turnen,  welche  bei  ben  ©tammeitern 
biefer  ©aftarbpflanjen  audh  bei  forgfdltiger  Kultur  nicht  an» 
getroffen  wirb.  Äölreuter,  einet  ber  hwoorragenbften  ©eobadhter, 
ber  fich,  wie  fein  Lanbämann  6.  ©ärtner  um  bie  wiffen» 
fchaftliche  Unterjuchung  ber  ©aftarbirung  bie  größten  ©erbienfte 
erworben  h<>t,  bemerft  bereits  biefen  Bufammenhang.  IDenn  er 
wies  barauf  hin,  bag  bie  ©aftarbe  nur  im  freien  ©oben  bie 
ooQfommene  (Sntwidlung  ihrer  Slheite  erreichen,  währenb  fie  in 
köpfen  gepflanjt,  unb  baburch  im  ©3achSthumStriebe  gehemmt, 
mehr  9leigung  jum  Frucht*  unb  ©amenfa^  erlangen,  eine  weitere 
©e^ätigung  unferet  oben  gemachten  ifluSführungen,  ©ärtner 
hat  aber  bereits  barauf  aufmetffam  gemalt,  ba^  auch 
©ejiehungen  feine  allgemeinen  finb,  auch  ftnb  fie  jebenfadS  häufig 
fo  nerwidelt,  ba§  fie  nur  burch  forgfdltige  ©ergleidhung  im 
Ginjelnen  ermittelt  werben  fönnen,  eS  ift  3.  ©.  auch  gau3  gut 


_^(803) 

” h »■  * 

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28 


benfbar,  ba§  baS  in  SSecbtnbung  mit  ber  Saftatbirung  emorbene 
größere  @proffung6»erm6gen  ^emmenb  auf  bie  bei  »ielen 
Saftarben  noch  uor^anbene  @amenprobuftion  einwitft. 

@pecieQ  aber  lie§e  fi^l  eine  Analogie  ber  gefüllt  blü^enben 
^flanjcu  unb  ber  S3aftarbe  noch  barin  finben,  ba|  auc^  bie 
leiteten  früher  unb  reicblit^er  ju  blühen  l^flegen,  al6  bie  reinen 
Wirten,  unb  jtelreuter  fucbt  auch  hierfür  ben  ©runb-  in  ber  Un< 
frucbtbarfeit  (tefp.  geminberten  grudbtbarfeit)  ber  S3aftarbe,  benn 
gerabe  bei  ben  im  bncbften  ®rabe  unfruchtbaren  ^pbriben 
»erben  biefe  @igenf^aften  auch  in  befonberfi  he>hem  ÜRahe  an:= 
getroffen,  freilich  ift  aber  auch  hi^e,  »ie  Gärtner  nachmeift, 
bie  33ejiehung  feine  bur^greifenbe,  benn  gerabe  SBaftarbe,  »eiche 
fich  bur^  Sruchtbarfeit  auSjeichnen,  thun  bieS  auch  bezüglich 
ber  grühjeitigfeit  unb  {Reichlichfeit  bc0  33lühen9. 

3;rohbem  »irb  bie  Sluffinbung  folcher  S3ejiehungen  eines 
ber  »ichtigften  Siele  einer  rationellen  9Rorphelo0ie  fein,  unb  ba* 
bei  fann  namentlich  auch  ^<e  Unterfuchung  von  SRihbitbungen 
von  {Bebeutung  »erben.  @9  fei  hier  nur  ein  ^aO  al9  93eiff)iel 
angeführt.  Der  9Rai9  (türfijcher  SBeigen)  h“i  nn  einer  unb 
berfelben  ^'flange  j»eierlei  SSlüthenftänbe,  an  ber  ©pi^e  eine 
mit  männlichen  Iblüthen  befehle  {Rijpe,  in  ben  Slchfeln  einiger 
Blätter  bie  befannten  J^olben,  »eiche  bie  »eibli^en  ^lüthen 
tragen.  Die  le^teren  fi^en  auf  ber  hier  jiemlich  ftarf  onge» 
fch»olIenen  ©pinbel,  »ährenb  bie  ber  männlichen  Slüthen  bünn 
ift.  {Run  fommt  e9  nicht  feiten  vor,  bah  auch  bie  männlichen 
{Blüthenftäube  ftellenmeife  »eibliche  01üthen  tragen.  Die  ©teilen 
ber  ©pinbel,  an  »elcher  bie  le^teren  fi^en,  geigen  fich  nun  an« 
gefch»ollen,  fie  nähern  fich  in  ihrer  Ißefchaffenheit  ber  ber  »eib« 
liehen  ^olbenfpinbel  um  fo  mehr,  je  gahlreicher  bie  »eiblichen 
93Iüthen  finb.  S8ir  fehen  hier  aifo  bie  S3ilbung  von  »eiblichen 

(804) 


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©lütten  in  enger  ©ejie^ung  3ut  3lu8bilbung  Bon  anbem  I'^eUen 
bet  ^flanje,  unb  9le^nlt(^eö  finbet,  tote  ic^  nnbetweitig  auSju» 
führen  Beriucbt  ^abe'®),  au(^  fonft  [tatt,  namentlich  bei  bet 
SluSbilbung  bet  oft  eigenthümlich  umgeftalteten  fporentragenben 
©lötter  bet  gatnftäutet,  unb  eine  eingehenbe  Unterfuchung  wirb 
bie  3ohl  biefet  gätle  gewi^  noch  Bermehrcn. 


!;\nmerhungen. 


1)  (Einige  ber  wit^tigften  Slrbeiten  biejeS  ftnb  über- 

lebt in  8.  Jreöiranu?,  Sebträge  jut  'PfIan3en^.'^9poIogie,  @6t» 
tingen  1811.  . 

2)  SUJit  bie  erften  ;£)inweife  auf  biefe  Sejie^ungen  pnben  fitb  wobl 
bet  ®5tbe  unb  ©eoffrop  ®aint«^ilaire  (traite  de  teratologie).  (Srfteret 
^at  feine  Slnfdjauungen  borüber,  wie  bie  über  bie  ÜJletamorbf>ofe  ber 
flflanjen  in  einem  befannten  ©ebic^tc  niebergelegt,  Den  wcitbem 
fpecietl  eine  ©teile  ju  nennen  ift.  ((Sotta’fcbe  ©cfammtauSgabe  non 
1869,  36.  Sb.  ©.  164.) 

„®0(b  im  3nnern  ft^eint  ein  ®cift  gewaltig  ju  ringen 
SBie  er  bur^bräc^e  ben  .(trei«,  SBiHfür  ju  f^affen  ben  Sormen, 
5öie  bem  SBolIen;  bod)  wa8  er  beginnt,  beginnt  er  nergeben«. 
2)enn  3War  brängt  er  lltb  nor  su  biefen  ©liebem,  3U  jenen, 
Staltet  mächtig  fie  au8,  jeboeb  febon  barben  bagegen 
Slnbere  ©lieber;  bie  8aft  bc8  Uebergewicbte8  nerniebtet 
91  de  ©ebene  ber  gönn  unb  äße  reine  Sewegung. 

©iebft  EDu  nlfo  bem  einen  ©efebövf  befonberen  Sor3ug 
Srgenb  gegönnt,  fo  frage  nur  gleich,  wo  leibet  e8  etwa 
HJJangel  anber8wo,  unb  fuebe  mit  ferfebenbem  ©eiftc: 
giuben  wirft  bu  fogleicb  311  aller  Sübung  ben  ©eblüffel. 

Senn  fo  b«*  Wn  Übier,  bem  fdmmtliebe  3öbne  ben  obern 
Äiefer  umfäumen,  ein  4)orn  auf  feiner  ©tirne  getragen, 

Unb  baber  ift  ben  86wen  gehörnt  ber  ewigen  fDlutter 
©an3  unmöglicb  3U  bilben,  unb  böte  f'«  oH«  ©ewalt  auf; 

Senn  fie  bot  nicht  SJJaffe  genug,  bie  Reiben  ber  Sühne 
Sollig  3U  pflan3en  unb  au^)  ©eweil;  unb  ^törner  3U  bilben. 

(S06) 


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31 


3)  ©(^cn  ÜJJo^l  6at  auf  biefe  2^atfa(^f  ^ingettiefen.  („®ie  »rge* 

tafcilif^e  3<ne"  in:  91.  3Bogner«  ^>anbttörterbud^  bet  1855. 

©anb  4 ©.  255.) 

4)  Der  nähere  9la^mei§  bafür  finbet  fid>  in  meiner  Slb^anblung 

„©eiträge  jut  9Jicrpl)oIcgie  unb  ©lalte«.  Sotanifc^e 

Seitung  1880. 

5)  Die  in  Deutf(^lanb  Ijcrtj^enbe  formale  ÜJJotp^olcgie  ^at  biefe 
©ejieljungen  allerbinß«  fo  gut  wie  ganj  öernac^läffigt,  wa8,  wie  Ijiet 
nie^t  näfiet  auSgefu^rt  werben"  fann,  mit  ber  ganjen  fRidjfung  berfelben 
jufammen^ängt.  $)iet  fei  nur  barauf  I;ingewiefen,  baß  bie  erperimentelle 
(Sinwirfung,  bur(^  welt^e  eine  Äno8pe  »eranlaßt  werben  fann,  ftcß  ju 
einem  i?ang>  ober  Äurjtrieb,  jur  ©lüt^e  ober  gum  ?aubfproß,  gut  Änolle 
ober  beblätterten  2rieb,  gu  leßterem  ober  einem  Dorn  auSgubilben, 
fcineSwegS  eine  ßrrungenft^aft  bet  9leugeit,  fonbern  fefjon  feit  Änig^tö 
©erfudjen  (benen  ftc^  nct^  anbere  anreißen  ließen)  feftgeflcllt  ift. 

6)  ©gl.  ©aebö  in  'Arbeiten  bc9  botan  SnflitutS  gu  5Bürgburg. 
©b.  I.  ©.  622. 

7)  ®lan  oergl.  barüber  ©cc^ting,  übet  Drganbilbung  im  ©flangen* 
reid^  II.  1884,  wo  auep  bie  gärtncrifc^en  Erfahrungen  über  ben 
Dbftbaumfdjnitt  eingcl;cnbe  ©erwetthung  gefunben  haben. 

8)  ©gl.  Sach«,  Stoff  unb  Sonn  bet  ©fl.ingcn,  crgaii.  ?Itb.  beS 
botan.  Snftitut«  in  Sßürgburg.  ‘©b.  II. 

9)  Dafl  ©orhanbenfein  berfelben  würbe  na^gewiefen  in  bem  oben 
citirten  Üluffaß,  Sotan.  3eitung  1880. 

10)  ©crgl.  ßntwicflungSgcfchichte  ber  ^flangenorgane.  (©chenf, 
.fianbbuih  ber  ©otanif,  III.  Dheil.) 


(#07) 


Trud  BOn  P#ebt.  Utiflet  (Jft.  Wtimm)  in  Serlin  SW.,  gcfeönctetfletftt.  17a. 


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illekr  elementare  foigniffe 

im  Slltert^ium. 


Son 


^tof.  Dr.  i|tnnanit  igogeit. 


fincHii  SW.,  1884. 
®etlag  »on  6orI  ^>abel. 

(C.  (t.  Xsiniti’iitt  StrligitaitliiDtlmg.) 

53.  SU^lm  • Sttat«  33. 


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2>ad  fRed^t  bei  Ueberfe^ung  in  ^embe  Sprai^en  roirb  Dotbebalicn. 


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'Äeit  einet  längeren  Steife  »on  5JJlonaten  ift  bie  SKenfd^^ieit 
unferer  2:age  in  ununterbrochene  Stngft  unb  Aufregung  »erje^f 
9ii(ht  Ätiege  »erurfad^en  i^r  biefen  Schreefen:  bie  ^solitijdhe 
jtonftenation  lä^t  glficflicher  3Sei|e  folche  ni(ht  fo  balb  befürchten 
unb  2)anf  ber  unermüblichen  Slrbeit  ber  allet  Orten  »irfenben 
^riebenSliga  ueiben  fie  non  ^ag  3U  Sag  in  immer  weitere 
gerne  gerüdtt.  9lein,  nicht  folche  JDinge  beunruhigen  un8,  bie, 
wie  fie  burch  eigenen  Unoerftanb  h^beigeführt  werben,  fo  auch 
burch  eigene  SBeiSheit  ftdh  oermeiben  laffen,  fonbem  @teignif)e, 
benen  gegenüber  ber  3)ten]ch  tro^  aDer  S3orfichtdma§regeln 
fchlie§lich  hoch  wehr>  unb  waffenlos  bafteht.  ^aum  hatten  wir 
uns  oon  bem  @chrecfen  erholt,  in  ben  unS  baS  Unglüd  beS  oom 
JBilbwaffer  gänzlich  unb  auf  Sahre  h'aauS  »erheerten  Sprol 
uerfe^t  hat,  fo  fam  bie  traurige  j^unbe  non  ber  SSerwüftung 
©rinbelwalbS  burd)  einen  Sergfturj,  ber  bie  ©dh'^edfenSftunben 
beS  unglüdlichen  6Im'S  wieber  wach  rief,  unb  gleichzeitig  bie 
SRa^richt  oon  bem  namenlofen  6Ieub,  baS  bie  ^ochfluth  in 
bie  liebreijenben  gluren  beS  gefegneten  Sth^tnthalS  getragen  hat- 
9toch  finb  wir  auS  bem  ©^reefen  ni^t  heraus : bie  Sawine, 
welche  bei  @encnba  nom  0tauhen  ©lärnifch  gu  Shal  ftürgte, 
lieh  9Jiitcibgenoffen  für  baS  800S  ihrer  SBrüber  zittern,  unb 
nur  mit  9Jlüh’  unb  9loth  hiawieberum  fonnte  im  Serner  ©ee* 
lanb  bie  SBafferSnoth  zurü^fle^Jrängt  werben.  6rft  ber  ftegreiche 
(Sinzug  beS  SenzeS  lie§  unS  wieber  etwas  aufathmen,  aber 

XIX.  454.  1*  (811) 


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4 


fluf  nur  atlju  furje  grift:  ein  einjiger  ©(^log  unb  ßafamicctola 
tDor  mit  6000  SRenfc^en  gerfc^mettett;  menige  SBoc^en  »ergingen, 
fo  »ema^m  man,  ba^  leinten  in  Oftafien  im  malaiift^en  Srd^ipel 
neue  furchtbare  ©rbbeben  93etge  jertrümmert,  Snfeln  »erfenft, 

»eite  ©treden  »erwüftet  unb  noch  »or  faum  einem 

SJtonat  »atb  ©mprna  burch  fech^  @rb)chläge  erfchüttert  unb 
Das  benachbarte  £f^eSmeh  mit  3000  Käufern  jertrümmert, 
wobei  500  fKenfd^eti  getöbtet,  an  300  »erwunbet  »urben. 

Slngefid>t8  biefer  enblofen  SOlafj'e  »etheerenber  ©ingtiffe  ber 
9iatur  in  baS  georbnete  ^Dafein  beS  fSienfchenlebenS  brängt  ftch 
ber  ©egenwait  unwiQIürli^  bie  grage  auf,  ob  wir  nid)t  einer 
burchgreifenbenSSeränberung  unferet  ©iboberflä^e  entgegen  gehen. 
3)ic8,  obwohl  »on  ben  SJiännetn  ber  SBiffenfdhoft  beftritten,  / 
machen  fich  benn  auch  ^effimiften  weiblich  ju  9iu^e,  inbem 
fie  barin  eine  Seftätigung  ihreS  ©a^eS  finben  wollen,  ba§ 
überhaupt  in  ber  38e(t  9QeS  fchle^ter  werbe,  SllleS  in  Sluflüfung 
begriffen  fei;  babei  weifen  fte  barauf  hin,  wie  überall  in  ©taat, 
Äir^e,  SJloral  an  ber  gefunben  Ueberlieferung  gerüttelt  werbe,  fie 
betonen  baS  Ueberhanbnehmen  »on  >J)ohlheit,  ©h^rafterloftgleit, 
@enu§fucht,  fie  »erjeichnen  ben  Mangel  an  alter  ©itteneinfalt,  bie* 
berer  Sflechtfchaffenheit,  patriotifcher  Slufopferung,  lurj  fie  reben  »on 
ber  .^enf^aft  beS  3JiaterialiSmuS,  ber  jebe  ibeale  IRegung  über* 
wu^ere  nnb  in  nicht  aQjugroher  gerne  ben  »ölligen  Oiuin  alleS 
unb  febeS  ©eifteSlebcnS  h«'^l>«fnh’^*n  werbe. 

©lüdli^er  SBeife  ift  eS  bem  unbefangenen  Sßeurtheiler,  ber 
baS  @anje  unfere  hantigen  Kultur  auS  einer  gewiffen  ^öhe 
überfchaut,  ni^t  fchwer,  neben  ben  genannten  ©pmptomen,  an 
bereu  S3efeitigung  ju  arbeiten  unfere  ernfte  Pflicht  fein  mu§, 
noch  eine  ganje  [Reihe  ber  glänjenbften  ©igenf^aften  ju  ent* 
becfen,  bie  gerabe  in  unferer  gefdhmÄhtc«  ©egenwart  reiner  al8 
je  ju  Slage  getreten  finb  unb  fidh  gegenüber  bem  berfelben 

(81J) 


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5 


toorgewotfenen  3)2ater{aHdmu8  btelme^r  alS  bad  ^robuft  einer 
ec^t  tbealen  SBeltanfclifauung  fennjeidiinen.  @8  finb  vor  SQrm 
bie  Sebürfniffe  be8  93olf8,  »eld^e  no(^  allen  Olid^tungen  gum 
©egenftanb  ictafamcr  gorft^ung  gemad^t  werben;  Hebung  ber 
@(bule,  ©efeitigung  fogtalet  9Jli§ftänbe,  Dbforge  bet  hänfen 
unb  ©d^wod^en,  pflege  ber  »olfflwttt^f<^aftli(ben  Sntereffen: 
aQ  bted  unb  ^e^n(id|e8  bie  ©egenwart  auf  i^r  Programm 
gefegt.  9Kit  einem  SBortc,  eö  ifl  bet  @elfi  ber  ^)umanität, 
welcber  getroft  al8  bie  Signatur  unferer  3eit  begeid^net  werben 
fann.  IDiefer  @eift  ber  9Jlenfcbli<bfeit  ift  eine  gru(bt  be8  ftifcb 
erwachten  2)range8  nach  aügemeinet  ©Übung,  wel^e  allein  e8 
ermögli^t,  über  bafl  3lfltögli(he,  Sufäflige,  Scheinbare  hinauä 
baS  ßirige,  SBefentliche,  3Bahre  gu  etlennen  unb  feftguhalten. 
iDian  fühlt  baS  ©ebürfni§,  bie  eigene  Srit  im  Sufammenhang 
mit  fämmtlichen  voraufgegangenen  Epochen  gu  betrachten,  unfere 
jfultur  als  einen  5Ring  in  ber  feftgefchloffenen  Äetle  fammtlidher 
^ulturentwicfetung  ber  fDienfchhrit  aufgufaffen.  ^Dah  man  hier* 
bei  mit  ©orliebe  auf  baS  Sllterthum  gurüdgreift,  erflärt  fich 
(ei^t,  wenn  man  fleh  baran  erinnert,  ba§  bei  aQen  h^tvor« 
ragenben  Äulturphafen  ber  SSeltgefchichte  eine  @inwirfung  be8 
SnterthumB  nicht  gu  vetfennen  ift.  Glicht  ohne  ©ebeutung  finb 
hier  auch  bie  großartigen  @ntbedungen  ber  fReugeit  geblieben. 

2)a8  Si^tlgfte  ift  aber  ba8  Stubium  bet  ©efchichte,  unb 
barau8  erwachsen  un8  gwei  föftli^e  ©ortheÜe:  erftlich  inteOeftueQ 
IReife  unb  Unbefangenheit  be8  UrtheilB  unb  gweitenB  in 
moralifcher  ^»injicht  eine  gewiffe  2lrt  von  ©efreiung  unb  Kräftigung 
ber  Seele.  35Bie  fchon  im  gewöhnlichen  Sehen  ber  Ülnblicf 

fremben  Setbe8  ba8  eigene  vergeffen  läßt,  fo  ergeugt  in  no^ 
höherem  9Raße  bie  ©ef^ießte  mit  ihrem  9tachwei8,  baß  audß 
bie  früheren  ©enerationen  ähnli^en  UnglücfSfäQen  auBgefeßt 
gewefen  ßnb,  ja  fogar  vielfa^  unter  noch  viel  härteren  Schlägen 

81 S) 


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6 


3U  leiben  Ratten,  in  und  jene  leibenjc^aftdlofe  Sfiu^e,  welche  bie 
Siltett  mit  bem  iRamen  araQa^ia  ober  ^ei^cit  non  jeglid^er  6t» 
fc^ütterung  be3eid^net  ^aben. 

©erabe  bo8  Sllterl^um,  auf  bad  wir  mit  begeifterter  S3e» 
wunberung  jener  nur  einmal  unb  nie  wieber  ju  Jage  getretenen 
Harmonie  allet  ÄrSfte  unb  Sleu^etungen  bed  SRenfcbengeifted 
jurüdfblicfen , ^at  in  ben  mannigfad^ften  6tf(beinungcn  bie 
bämonift^e  ©ewalt  elementarer  6reigniffe  an  fidb  gu  erfahren 
gehabt.  6d  fei  ^iet  geftattet,  butd^  SSotfü^rung  einiger  S3ei» 
fpiele  bie  9ii(^tigfett  biefcd  ©a$ed  3U  etweifen.  3Röge  bie 
6rinnerung  an  bie  fcbweren  geiben  längft  ba^ingefd^wunbenet 
@ej(^le^ter  bie  30genben  ^)er3en  bed  heutigen  öpigonent^umd 
ftärfen,  auf  ba§  auc^  an  und  fidb  bewahrheite,  wad  fRom’d  gr5|ter 
Iptifdher  JDidhter  »om  dharafterfeflen  Spanne  gu  Hnsen  weife: 

Unb  ftüt3te  felbft  bed  Äetherd  SBöIbung, 

Ürifft  bad  ©etrümmer  ben  UncridhrDcfnen, 

5Die  fRömer  foDten  nur  gu  balb  in  traurigfter  SBeife  an 
biefen  Spruch  bed  .£)oratiud  erinnert  werben. 

3n  gräfelichfter  ©eftalt  tritt  bad  SSerhängnife  heran,  fobalb 
bie  ÜRenf^en  mitten  im  horm«  unb  ahnungdlofen  Sefcfeauen 
einer  feftlidhen  Sflufführung,  währenb  Silier  Singen  unb  Sinne  in 
forgenfteier  Unbefangenheit  auf  nichtd  Slnbered,  aid  bad  S^au» 
fpiel  Dor  ihnen  gerichtet  Rnb,  plöfeli^  ncm  Unglücf  erfafet  unb 
ohne  ©rbarmen  3ermalmt  werben.  ®ied  war  ber  SaH  3« 

gibenae,  einem  wohlan gefehenen,  3Wei  Stunben  norböftlich  »on 
SRom  gelegenen  8anbftäbtchen , wo  im  3ahre  27  nach  6hr- 
bortige  Slmphitheoter  währenb  ber  SBorftetlung  sufammenbrach 
unb  unter  feinen  Strümmem  eine  Unmaffe  SSolfd  begrub,  beten 
3ahl  ’&öhe  non  nidfet  weniger  ald  noDen  fünf3ig  Jaufenben 
erreichte.  9Ran  fennt  bie  SJotliebe  bet  Sitten  für  öffentliche 
SchoufteHungen,  bie  fich  bei  ben  Stalitern  3n  einer  wahren 

(814) 


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7 


ftelgerte,  fobalb  @Iabiatorenfämpfe  ober 
3trlu0  in  SluBficbt  gefteDt  würben.  @o  war  eö  ni(^t  gu  »er« 
wunbem,  ba§  bamald  unter  bem  ^onfulat  beS  3)1.  Stdniud  unb 
i.  ßalpurniufl  eine  ungeheure  3<«bl  »on  SKännem  unb  grauen 
non  jeber  aiterSflnfe  »on  allen  ©eiten,  namentlich  »on  bem 
nahen  9iom  hft»  i«  gibenae  gujammengeftömt  war,  unb  gwar 
hatte  ber  3ubrang  be0h?lb  no^  gang  außergewöhnliche  5)i» 
menfionen  angenommen,  weil,  wie  und  Sncitud  berichtet,  bad 
iBolf  währenb  ber  büfteren  Dtegierung  bed  menfchenfeinbltchen 
ÄaiferS  Jiberiud  bid  baßin  auf  hößer«»  Sefeßl  »on  allen  ber» 
artigen  Seluftigungen  grunbfäßlich  fern  gehalten  worben  war. 

iDarauf  war  natürlich  bie  Heine  ÜRunicipalftabt  nicht  einge» 
richtet,  fo  audgebehnt  auch  jonft  berlei  Sauten  felbft  in  gang  be» 
jcheibencn  Kolonien  angelegt  gu  fein  pflegen.  @d  mußte  eigend 
ein  riefiger  Sau  h^tgefteUt  werben,  unb  fofort  bemöchtigte  fich 
bie  ©pefulation  ber  ©aeße.  @in  gewiffet  Sltiliud,  einer  »on 
ber  ©orte  ber  greigelaffenen,  wie  2acitud  begeießnenb  bingufeßt, 
alfo,  wie  et  bamit  gu  »erftehen  giebt,  einet  ton  benen,  bie  oßne 
folibe  Silbung  nur  barnach  trachteten,  rafdh  3)lillionäre  gu 
werben,  ßaHd  aud  fleinftübtifchem  @h^fl^tg  unb  auch  nicht 
aud  Ueberfluß  an  ©elbmitteln,  fonbetn  auf  feßmußigen  Profit 
hin  bie  ©nießtung  cined  Slmphitßeatetd  auf  fieß  genommen: 
feßon  ber  Unterbau  war  ni^t  folibe  fonftruirt  unb  barüber 
tßütmte  er  toHenbd  ein  luftiged  ßolgetned  ©erüfte  auf,  oßne 
baß  bie  Salten  feft  in  einanber  griffen,  ©o  ließ  benn  auch 
bie  .^ataftropße  nießt  lange  auf  fieß  warten  unb  gwat  oßne 
warnenbed  Sorfpiel  ober  barmßergige  3wifcßcnafte:  nein,  Slnfaug 
unb  @nbe  fielen  in  Sind  gufammen,  wie  Slacitud  fagt.  IDad 
©ange  ftürgte  übereinanber,  tßeild  naeß  Snnen  tßeild  naeß  Slußen. 
3licbt  nur  bie  3ufcßauet  würben  fämmtlicß  gerfeßmettert,  fonbern 
auch  noch  Siele,  bie  außen  umßerftanben.  Chören  wir  bed 

(815) 


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8 


2;acitue  eigene  SBorte:  „Unb  jene,  welche  ber  Sufammenbruc^ 
gleid^  am  Anfang  auf  ben  Sob  getroffen  ^atte,  fonnten  babuiob 
wenigftenö,  fo  weit  man  bei  foldbem  ®efd^id  non  einer  fUHlberung 
fpreci^en  fann,  ben  Dualen  entgehen,  n0(|  mehr  aber  Waren 
biejenigen  gu  bemitleiben,  welchen  ein  j^öihertheil  abgeriffen 
worben  war,  ohne  ba^  fie  bad  8eben  oerlaffen  hätte.  IDicfe 
juchten  am  2;age  burdh  UmherblidFen,  in  ber  jltacht  mittelft 
Seufgen  unb  SBehftagen  nach  ©attinnen  ober  Jfinbem 
umher.  2)ann  famen  noch  weitere  8eute  h«bei,  bur^  bie  Äunbe 
oon  bem  gefchehenen  Unglüd  h^'^t’^iS^gogen,  unb  von  biejen 
bejammerte  ber  6ine  feinen  SSruber,  ein  tSnberer  einen  93cr« 
wanbten,  ein  ^Dritter  feine  ©Itern.  Sludh  fotchc,  beren  Steunbe 
ober  IBerwanbten  aud  einem  anbern  ©tunbe  ftch  oon  .^aufe 
entfernt  hatten,  muhten  trohbem  in  ^ngft  fein;  benn  ba  man 
noch  nitftt  in  ©rfohrung  gebracht  hatte,  wen  tSQe8  jeneö  Unglüd 
gerfchmettert  habe,  war  in  $oIge  ber  Ungewi|hett  über  ben 
Shatbeftanb  bie  $ur^t  nur  noch  grö§er.  Slld  man  enblich  ben 
’^nfang  machte,  bie  gufammengeftürgten  .Raufen  abgutragen, 
ftrömte  fSDeö  gu  ben  ©ntfcelten  heib«»  man  umarmt  ht«lt 
unb  mit  Äüffen  überbedte,  unb  oft  gob  eö  unter  ben  8eib» 
tragenben  einen  Streit,  wenn  bei  ben  ocrwif^ten  ©efid^tögügen 
bie  gleiche  ©eftalt  ober  baS  namlidhe  9lter  bie  SBiebererfennung 
auf  Irrwege  geführt  hatte." 

Den  Urheber  biefeS  namcnlofen  £eib8  traf  — nur  gu 
milbe  — bie  Strafe  bet  SSerbannung.  9luch  war  man  je^t 
— post  festum  — raf^  mit  aHerhanb  SJerfügungen  bei  bet 
^anb,  bie  einem  ähnlichen  Unglüd  oorbeugen  foQten:  deiner 
bütfe  eine  ©labiatorenoorfteHung  oeranftalten,  ber  weniger  S3er* 
mögen  befi^e,  al8  400  000  SeStergen,  b.  h.  ben  gtitterccnfufl, 
unb  jebed  Amphitheater  müffe  auf  einem  S3oben  »on  aÜfeitig 

erprobter  ^eftigteit  aufgebaut  werben. 

(81«) 


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9 


3Rit  biefem  S^eatereinfluTj  verglichen  erföheint  felbjü  ber 
Sranb  beS  SBienet  Stingtheaterd  ober  bie  vor  faum  einem  Sahre 
im  3irfu8  gu  Serbitjchem  ftattgefunbene  ^euerdbrunft  faft  un* 
bebeutenb;  fo  über  aDe  TOa^en  gewaltig  war  ber  mit  jener 
jfataftropbr  verbunbene  ißerluft  an  SRenfchenleben!  IDocb  war 
bafür  glüdlicherweije  bad  menjchli<he  üRitgefübl  um  fo  größer. 
SJian  merft  ed  StacituS  an,  wie  er  aufathmet,  ba§  er  feinem 
graufigen  Berichte  noch  folgenben  nerföhnenben  @chlu§  beifügen 
fann:  „3tn  Uebtigen  öffneten  fidb  unmittelbar  auf  baä  frifche 
Unglüd  hin  bie  ,^äufer  ber  SSomehmen  aufg  @aftlichfte;  IBer« 
banbgeug  unb  illergte  würben  gum  allgemeinen  S3eften  geliefert, 
unb  fo  glich  bie  Segeifterung  in  jenen  Sagen,  obwohl  nur 
traurige  Ollienen  gu  fehen  waren,  gang  ben  währfchaften  Sitten 
ber  SSorfahren,  welche  jeweiten  na^  fchweren  Schta^ten  ben 
Serwunbeten  burch  reichliche  @elbf)>enben  unb  fonftige  forg> 
faltige  pflege  nach  <^nften  Erleichterung  gu  nerfchaffen  gewohnt 
waren." 

!Doch  ein  Unglüd  fommt  feiten  allein.  Schon  im  barauf 
folgenben  .Kapitel  ftcbt  fidh  SacituS  ceranlaht,  oon  einem  neuen 
Etenb  gn  berichten.  fRoch  nid)t  war  ber  Unfall  non  gibenae  in 
SBergeffenheit  gerathen,  al8  bie  Stabt  fRom  burch  «ine  h«fiis« 
geuerSbrunft  niebergebeugt  warb,  inbem  ba8  gange  Eälifche 
Duartier,  mons  Caelius  ober  Caelimontium  geheimen,  in  Stammen 
aufging.  Es  war  baS  bie  gweite  ber  14  [Regionen  ber  ewigen  Stabt, 
neben  welcher  ft^äter  93eSt)aftan  unb  Situd  baS  weltberühmte 
Soloffeum  erri^teten.  Die  »ergweifelnbc  Seoölferung  lie§  eö 
fich  nidbt  auSrebcn,  bah  all  biefed  Elenb  eine  Strafe  ber  Eötter 
fei,  weil  SiberiuS  feine  [Reife  nadh  Eapri  unter  ungünftigen 
IBorbebeutungen  angetreten  h^be.  SiberiuS  fuchte  baS  burch 
rei^e  Eelbfpenben  wieber  gut  gu  ma^en,  bie  er  ohne  Slnfehen 
ber  ^erion  an  jeben  ©efchäbigten  gelangen  lie|,  unb  ergielte 

(817) 


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10 


fcaburc^  in  ber  fcitenS  beä  allezeit  gut  foifetIt(^  gefinnten 
©enatö  eine  folenne  ©anffagung. 

war  bad  nic^t  baS  elfte  ORal,  ba^  bie  Stabt  9iom  uon 
flammen  ^eimgefud^t  »urbe.  ©d^on  im  Sa^te  390  ».  6^r. 
Ratten  bie  ©aUiet  unter  StennuS  gouj  3iom  burd^  geuet  »er» 
^eert  mit  SluSna^me  bed  ^atiitold,  auf  bad  fid^  bie  fül|nen 
S3erti)eibiger  jurüdgejogen  Ratten.  „SBie  in  einem  Sc^aufpiel", 
jagt  8i»iue,  „mußten  biefe  guje^en,  t»ie  in  ber  31t  i^ren  gü^en 
liegenben  Stabt  SBeiber  unb  ^inber  unter  SBe^flagen  um^er« 
liefen,  baä  ©efdjrei  ber  geinbe  ertönte,  bie  glammen  praffelten, 
bie  ©ebdube  unter  ^rac^en  jufammenftürjten."  Slian  begreift, 
ba§  Sftebner  unb  ©efc^ic^töfc^reiber  nii^t  oft  genug  biefeö  Un» 
glürf  ermähnen  tönnen. 

IDann  fanb  ^acituö  felbft  noch  me^rmaiS  ©elegen^eit,  bie 
Sc^ilberung  d^nlicber  Äatajtropbeni  bie  Siom  getroffen  unb  bic 
er  3um  Jljeil  felbft  erlebte,  feiner  Seitgefd^icbte  ein3u»erleiben. 
So  brannte  im  3. 36  n.  @^r.  ber  Sitfuö  3Kajcimu8  ab  fammt  bem 
gau3en  bena^barten  auf  bem  Snentinifc^en  IBerg  angebauten  Duar» 
tier.  3lu(b  ^ier  legte  SiberiuS  eine  beifpiellofe  greigebigfeit  an  ben 
Sag:  nicht  weniger  al8  100  IDHIIicnen  Se8ter3en  sa^lte  er  au8 
feiner  ^rioat^atouQe  alö  ©ntfdbdbigung  für  bie  niebergebrannten 
^aldfte  unb  fDUethquartiere,  na^bem  er  eigenö  eine  Scbd^ungi» 
fommiffion  3ur  3u8mittelung  beö  Sranbfchabenö  eingefe^t. 
Sacitud,  ber  fonft  auf  Siberiuö  nicht  befonberS  gut  3U  fprec^en 
ift,  glaubt  biet  noch  befonberS  betonen  3U  muffen,  bah  beS 
jtaiferö  Liberalität  einen  um  fo  mohlthuenberen  ©inbrudf  ge» 
macht  ^ i‘’nft  in  ber  ©rfteQung  »on  ^rinatbauten 

eine  grohe  3urücfhaltung  beoba^tete.  ^atte  er  hoch  felbft  im 
9iamen  be8  Staates  nur  3t»ei  äSerfe  bauen  laffen,  einen  Sempel 
für  ‘ÄuguftuS  unb  bie  Sühne  im  Sheater  be0  ?)ompeiu8  unb 

felbft  biefe  hatte  er  nicht  einmal  felbft  eingeteeiht. 

(81») 


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11 


SrnmcT^in  ^atte  biefeg  ^ranbunglücf  nur  einen  ^^eil  ber 
tömifdjen  SeBDlferung  getroffen,  bo(^  »ar  ber  @tabt  balb  unter 
einem  ff^ateren  .^aifer  ncd|  ein  ganj  anbered  @(enb  oorbe^alten, 
bad  bie  ganje  tßemo^nerfc^aft,  @ro§  unb  ^(ein  in  unfäglic^e 
SRot^  ftür^en  füllte.  63  mar  bieS  ber  weltberühmte  Sranb  oon 
fRom  unter  9leto  im  3ahre  64. 

STacitu3,  ber  bamalB  etwa  10  3ah«  oü 
biefer  Äataftrophe  «ne  fo  lebenbige  ©thilberung,  ba§  man  gteid) 
fieht,  bah  et  babei,  wenn  er  fte  nicht  felbft  miterlebt  h“tf 
Wenigften3  bem  Sieferat  eines  3(ugen3eugen  folgt.  „5)a8  23er» 
berben",  meint  et,  „wat  fchweret  unb  grdhli^et,  al3  2lf(e8,  wa8 
bis  bahin  ber  @tabt  butch  SenerSgewalt  jugeftohen  war." 
^jöten  wir  feinen  Sericht. 

„2)er  23ranb  begann  an  bemjentgen  SirfuS,  bet 

fi(h  an  ben  ^aiatin  unb  ben  mons  Caelius  anlehnt;  hier  würbe 
. burch  bie  umliegenben  23etfaufSbuben,  in  benen  R(h  fot(h«Ict 
2ßaaren  befanben,  wet^e  bet  glamme  fRahrung  geben,  baS 
geuet  gugleid)  entfacht  unb  fofort  groh  gegogen.  33om  2Binb 
bahingetragen  hatte  eS  bähet  auch  augenblicflich  bie  gange  Sänge 
beS  BirfuS  etfaht.  IDenn  eS  tagen  feine  2^aläfte  bagwifchen, 
bie  Bon  SSranbmauetn  umgeben  waren,  ober  Tempel,  Bon  üRauern 
eingefdhloffen,  ober  fonft  ein  SSauwerf,  baS  hinbernb  hätte  in 
ben  2Beg  treten  fönnen.  fDlit  Ungeftüm  bur^rafle  bie  geuerS* 
brunft  guerft  bie  oberen  2>artieen,  bann  ftetterte  fie  bie  3lnhöhen 
empor,  Berwüftete  barauf  wieber  bie  unteren  ©tabttheile  unb 
entgog  fich  mit  2BinbeSeile  allen  .^ülfSmahregeln,  intern  bie 
©tabt  bur^  ihre  engen,  batb  bahin,  balb  borthin  fich  brehenben, 
winfligen  ©trahen  unb  bie  enblofen  jpäufemihen,  wie  eS  eben 
im  alten  9tom  auSfah,  ber  @efaht  gang  befcnberS  auSgeie^t 
war.  IDagu  fam  überall  noch  baS  ©ejammct  bet  etf^recften 
grauen  unb  baS  2Behflagen  Bon  üRenfchen  hothf^flagltn  3Uter8 

(819) 


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12 


ober  unerfa^renet  jtinb^eit;  bann  ba9  .^ia«  unb  Verrennen  von 
Leuten,  bic  für  ftd^  unb  anbere  beforgt  waten,  tnbem  fte  bte 
j^rattlofen  fortjogen  ober  auf  fte  warteten.  Unb  wä^renb  fo 
bte  @inen  flehen  blieben  unb  bte  Slnbcm  eiligft  I^crbeiftürjteu, 
war  aOefl  einanber  im  SBege.  Unb  oft,  wfi^renb  fie  nur  für 
einen  Slugcnblitf  tüdwäiM  fc^auten,  würben  fie  von  bet  (Seite 
ober  von  vorne  )>lö^li(b  vom  Unglücf  erfafit  ober,  wenn  fte  fidf^ 
in  bie  näd^ftgelegenen  Üuaitiere  gerettet  Ratten,  mußten  fte 
halb  bie  ©rfa^rung  ntad^en,  ba§  autb  jene  vom  Beuet  ergriffen 
würben,  ja  ba&  felbft  blejenigen  ^artieen,  bie  man  für  weit 
abgelegen  von  jeber  ©efat^r  erad^tet  ^atte,  bad  gleiche  Schicffal 
3u  tbeilen  h®^***.  Schliefelid)  wu^te  Ütiemanb  mehr,  wa8  fer 
gu  vermeiben,  wa8  er  aufgufuchen  h®be,  unb  jo  füllten  fie  bie 
Strafen  an  unb  würben  übet  bie  gelber  gejagt,  IDie  @inen 
hatten  aß’  iht  ^ab’  unb  ®ut  eingebü^t,  felbft  ben  93efth  be8 
täglichen  8eben8bebarf8 , 2lnbere  waren  butch  bie  Siebe  ju  ben 
Shrigen,  bie  fie  ber  ©efahr  nidht  h®Wf®  entreifeen  fonncn, 
felber  ju  ©runbe  gegangen,  obwohl  ihnen  ein  SluSweg  offen 
geftanben  h®Hc*  Unb  9Uemanb  wagte  e8,  bem  Schtecflichen 
(Sinhalt  gu  thun,  ba  man  h®ufig  von  SSielen  IDrohungen  gu 
hären  befam,  welche  bad  Söfchen  verhinberten,  unb  weil  Anbere 
gang  offenfunbig  gacfeln  hineinwarfen  unb  bagu  laut  fdhrieen, 
fie  thäten  bafl  auf  höh^r«n  Sefehl,  fei  eö,  um  ihre  JRäubeteien 
um  fo  rücfhaltSlofer  auSüben  gu  fonnen,  ober  auf  witfliched 
©eheife." 

3Ba8  hl^t  SacituS  noch  unentfchieben  lä§t,  h®l 
Sicgraph  Sucfoniufl  gang  unumwunben  auögefpro^en.  „3(18 
@iner  bet  einem  Stfchgefprä^  äußerte:  „3Benn  ich  einmal  tobt 
bin,  ba  mäge  meinethalben  bie  @tbe  in  geuer  aufgehen!*  jagte 
9leto:  „9lein,  im  ©egentheil,  fo  lange  ich  noch  lebe *,  nnb 
barnach  h®nbelte  er  benn  auch-  0enn  gleichfam  geärgert  burch 

(SJO) 


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13 


bie  ^ä^ltc^feil  ber  alten  .p&ujer  unb  burc^  bie  @n^e  unb  Sinfel 
bet  Strafen  günbete  er  bie  @tabt  an  unb  gwat  {c  offenfunbig, 
bag  bie  ülieiften  feine  {)au8gen offen,  gemefene  .^onfuln,  bie  fie 
mit  SBetg  unb  ^e^fadeln  auf  i^ten  Gütern  antrafen,  nic^t 
angurü^ren  wagten:  ja,  ti  würben  einige  in  ber  9lä^e  bei 
taiferlid^en  ^alaftei  befinblid^e  3Ragagine,  bereu  Slreal  bem 
^aifer  befonberi  in  bie  lüugen  ftadb,  fogar  mit  .ßriegimafc^inen 
erfcbüttert,  ba  fie,  weil  aui  Steinmauern  errietet,  nicht  fo 
leiht  angugünben  waren.  Schi  Sage  binburh  unb  fttbcn 
flächte  würbe  bei  biefem  6lenb  gewuthet,')  unb  bie  Seoölierung 
mu§te  ficb  in  öffentlihen  @ebänben  unb  felbft  in  (^rabbenl« 
malern  einquartieren.  Slu^er  einer  enblofen  Suhl  »on  3Jlieth« 
Wohnungen  brannten  bamali  audh  jene  ehrwürbigen  Sehaufungen 
alter  gelbherren  nieber,  noch  auögefhmücft  mit  ben  ©t?olien  ber 
Seinbe,  unb  Tempel  ber  @ötter,  noch  non  ben  Jtonigen  \)et, 
unb  bann  bie  in  ben  i^unifchen  unb  gallifhen  j^riegen  geweihten 
,^eiligthümer,  furg  Ülllei,  wai  fich  noch  an  Seheniwürbigteiten 
unb  ©enfmälem  au0  ber  alten  Seit  erhalten  hatte." 

©iei  fährt  ^acitui  in  golgenbem  noch  näher  aui:  ,@ine 
Sählung  bet  gerftörten  Jpäufer  unb  Duarliete  unb  3;em^)el  an» 
gufteUen,  bürfte  nicht  fo  leicht  möglich  fein;  baher  nur  fo  oiel, 
bah  jener  Stempel  von  uralter  .^eiligfeit,  welchen  Seroiui  SluUiui 
ber  l*una  gebaut  hatte,  gu  @mnbe  ging,  bann  ber  gro^e  Slltat 
fammt  .peiligthum,  welchen  ber  iKrfabier  (Soanber  bem  ihn  be* 
fuchenben  ^)erlulei  geweiht,  ferner  ber  oon  JRomului  gelobte 
Jempel  bei  Supiter  Stator,  weiter  bie  Äönigiburg  bei  9luma 
unb  bie  Äopetle  bet  Sefta  mit  ben  Renaten  bei  römifhen  53olfefi 
bem  IBranbe  gum  Dpfer  fielen,  ©agu  noch  all  bie  hcitühci^ 
Äleinobien,  in  fo  oiel  Siegen  erworben,  unb  bie  Sieben 
griechifchen  Äunflfleihei,  ferner  alte  unb  uncerfälfchte  @remplare 
oon  SBerlen  grober  ©elfter:  an  Slllei  bai  werben  fih  troh  bet 

(SSI) 


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14 


betrlid^en  ©djön^ett  bet  au0  ben  S^rümmern  »iebcr  aufftetgenben 
Stabt  bte  adteien  not^  üielfac^  erinnern,  benn  baS  finb  25inge, 
bie  eben  nic^t  wieber  erje^t  werben  fonnten." 

Ueber  bte  SuSbe^nung  giebt  eine  genaue  ftatiftifd^e  9iotig 
unjereS  ©ewä^tSmanneS  9luffd^Iu§.  3)a0  gan3e  ungeheure 
Stabtgebiet  non  IRom  jerfiel  befanntlid^  in  14  Siegionen  ober 
Ouartiere:  non  biefen  waren  nat^  SacituS  nur  »iet  Born  geuet 
unberührt  geblieben;  brei  würben  bem  ©tbboben  gleid^  gematzt, 
bei  ben  fteben  übrigen  waren  nur  uo(^  wenige  krümmer  Bon 
Sauten  [te^en  geblieben  unb  auä)  biefe  noi^  gong  getriffen  unb 
balb  niebergebrannt. 

^a0  Ungtücf  war  gu  fd^wer,  a(0  ba^  nicht  aOerhanb 
abergläubifdhe  Sorfteüungen  baran  gefnüpft  hätten.  2)ie  @tnen 
machten  bie  Seobachtung,  ba§  bie[er  Sranb  am  14.  Bor  ben 
Äalenben  be8  Sejrtiliä  (19.  3uli)  feinen  Slnfang  genommen  habe, 
aifo  an  bem  gleichen  2)age,  an  bem  einft  auch  bie  fenouifchen 
©aDier  bie  eroberte  Stabt  in  glammen  gefegt  halten  (i.  3.  390 
B.  6t)r.).  Slnbere  brachten  fogar  burch  Sählen  hf^ouS,  bah 
gwifchen  beiben  ^euerbbrünften  genau  ebenfoBiel  3ahre  unb 
SJionate  unb  5Eagc  gelegen  feien,  nämlich  418  3ahre  unb  418 
^JDionate  unb  418  Sage!  6S  ftimmt  aber  nicht  gang. 

60  muhte  anetbing0  grohe0  Sluffehen  enegen,  bah  fith 
Sievo  währenb  ber  meiften  Seit  be0  Sranbe0  gang  ruhig  in 
^jlntium  aufhielt  unb  ber  Stabt  nicht  eher  feinen  Sefu^  fchenfte, 
bi0  ba0  Seuer  laut  Sericht  feinem  eigenen  ^alafte,  ba  wo  er 
ba0  ^alatium  unb  bie  (Märten  be0  S)iäcena0  weiter  gebaut 
hatte,  nahe  gcfommen  war.  3cbodh  fennte  audh  h*er  ber  §euer0» 
brunft  fein  6inhalt  gcthan  werben,  ba0  ^alatium  fowohl,  al0 
fein  eigener  ^alaft  gingen  in  glaramen  auf. 

9iero  benuhte  bie  Gelegenheit,  auf  einmal  ben  milbthätigen 
ÜJlenfchenfreunb  gu  fpielen,  wie  et  überhaupt  für  ba0  Schau» 

(322) 


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15 


ipielern  «in  gaible  ^atte  unb  fogar  in  eigener  ^erjon  tnel)rmal8 
auf  bet  33u^ne  aufgetreten  war.  2)em  »cr3WeifeItcn  unb  flitcbtigen 
Sßolt  öffnete  er  baö  ÜRatflfelb  unb  bie  ©entwäler  bc0  Slgri^j^a 
(»erfdbiebcnc  großartige  ©ebäube:  porticus  Vipsania,  thermae 
Agrippae,  Pantheon  ic.),  ja  fogat  feine  eigenen  ©arten  am 
älatican,  ferner  ließ  er  Paraden  bauen,  in  welchen  bie  ßülfloje 
fIKaffe  Slufnaßme  finben  fofle.  ISucb  würben  »on  Dftia  (bem 
^afenplaß  »on  {Rom)  nnb  oon  ben  benad^barten  Söiuuijipien 
'ßet  allerlei  J£)auögetStße  unb  SBcrfgeuge  ßerbeigefeßafft  unb 
bet  ^teiS  be8  ©etreibeS  biä  auf  3 ©eSterjen  per  ©dßeffel 
ßerabgefeßt. 

3Mefe  Slnotbnungen,  obwoßl  »olffltßümlitßer  SRatur,  oct« 
fehlten  aber  gleicßwoßl  bie  beabfießtigte  SBirlung,  weil  fit^  baö 
©erü(bt  »erbreitet  unb  feftgefeßt  ßatte,  baß  er  gerabe  jur  3«t, 
al8  bie  ©tabt  brannnte,  eine  Süßne  in  feinem  ^aufe  betreten 
unb  bie  Setftbtung  »on  SEroja  befungen  ßabe,  inbem  er  in  bem 
gegenwärtigen  ©lenb  eine  wiDIommene  SQuftration  3U  ben 
SEßaten  unb  geiben  bet  äBor3eit  erblidte.  JDafl  {Rämlicbe  lefen 
wir  au^  bei  ©uetoninS:  „©iefe  geueröbrunft  betraebtete  er  »on 
bem  ^butm  beö  flRäcenad  auö,  ßatte  feine  ßelle  ^reube  an  bet 
©tbönßeit  bet  flamme,  wie  er  fagte,  unb  fang  ba3u  bie  @r» 
oberung  »on  3lio8  in  jenem  feinen  befannten  SBübnenfoftüm." 
Unb  gwar  nic^t  etwa  ein  frembe8  ©ebic^t,  fonbern  ein  eigene8 
©po8.*) 

35ie  erwähnte  SRilbtßätigfeit  gegen  bie  atmen  abgebrannten 
ließ  fidß  fReto  nidjt  adguDtel  foften.  ®t  naßm  ßierfüt  nießt 
bloß  bereitwillig  ÄoQeften  entgegen,  fonbern  »erlangte  folc^e 
fogat,  fo  baß  er  bie  ©elbguellen  »on  ^ro»in3en  unb  ^ri»at< 
perfonen  beinahe  »oClftänbig  erftböpfte,  SBeiß  bo^  ©uetoniuö 
fogar  ba»on  gu  berießten,  baß,  naeßbem  ber  Sranb  3U  ©nbe  ge» 
wütßet,  bet  Jtaifer  {Riemanbem  ben  Sutritt  gu  ben  Ueberreften 

(823) 


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16 


feines  ehemaligen  S3efi^eS  nerftattet  unb  gmat  einfa(h 

beShalb,  um  felber  mögli(h[t  uiel  S3eute  3U  machen,  mel^’ 
fchnöDe  iSbficht  er  in  baS  glei§neri{(he  S3etfbte(hen  fieibete,  er 
mode  krümmer  unb  Seichen  f^on  auf  eigene  Soften  »eg« 
fchaffen  laffen. 

9iun  galt  eS  an  ©teile  beS  alten  winfligen  engftra§igen 
0iom  eine  ganj  mebeme  Su;i;uSftabt  mit  glängenben  Prachtbauten, 
breiten  pid^en  unb  granbiofen  @tra§enflu(hten  gu  fe^en.  S)aS 
mirb  ganj  unummunben  alS  d)2otiD  für  bie  ^Injünbung  angegeben; 
auch  h^ilc  ^aifer  cor,  bie  neue  ©tabt  nach  feinem  eigenen 
fRamen  gu  benennen,  nämlich  9ieronia,  mogu  eS  aber  megen 
feines  balbigen  ^obeS  boch  nicht  mehr  gefommen  ift.  Unter 
biefen  Prachtbauten  nahm  bie  cberfte  ©teQe  ein  ber  faiferliche 
Palaft,  baS  fogenannte  golbene  {)auS,  bei  beffen  @rftellung  in 
ber  ^^leS  ®eftein  nicht  gefpart  morben  mar; 

Dor  SlQem  aber  ftach  eS  burch  bie  rieftgen  IRaums^omplejre  her» 
t)oc,  melche  ftch  ringS  um  baffelbe  lagerten  unb  halb  Promenaben, 
Parle,  SBUbniffe,  halb  freigelegene  @benen  unb  9luSblitfe,  halb 
Fluren  unb  S^ei^e  barftedten.  Slifo  gang  ein  Sajrenburg, 
©chme^ingen,  93erfaideS.  S)abei  bienten  ihm  als  Saumeifter 
unb  @rfinber  gmei  dRcnner,  ©eueruS  unb  @eler,  bie  genug 
@enie  unb  j^uhnheit  befaßen,  um  auch  fel<he  S)inge,  mel^e  bie 
dtatur  vermeigert  hätte,  auf  bem  3Bege  ber  ^ünftelei  gu  net« 
fuchen  unb  bie  @elbmittel  beS  Surften  gu  uerfchleubern. 

3m  Uebrigen  mürben  non  ber  ©tabt  bie  Partieen,  melche 
baS  dteronifche  ^auS  no^  übrig  lie§,  mie  fich  5£acituS  bitter 
auSbrücft,  na^  einem  genauen  Plane  aufgerichtet,  fo  bah  boehec 
bie  ©trahenreihen  abgeftedt,  breite  Snifchenräume  ber  SBege 
aufgeftedt,  bie  ^)5he  ber  ©ebäube  in  corgefchriebenen  ©chranlen 
gehalten,  meite  J^ofräume  frei  gelaffen  unb  SSorhadeu  beigefügt 
mürben,  um  überad  bie  Seont  ber  Duartiere  gu  frönen.  Such 

(824) 


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17 


»urben  ^Belohnungen  auägeie^t,  um  bie  SBemohnet  ju  eifrigem 
SBeltieb  ber  Sauten  anjuftJornen,  bie  fie  aber  nur  bann  erhalten 
fönten,  »enn  fie  bi6  3U  einem  bcftimmten  Seitpunft  bie  ^aläfte 
unb  Quartiere  fertig  hätten.  3)a0  Srümmerwerf  mürbe  fämmf 
li^  in  beu  Sümpfen  bei  Dftia  abgelaben. 

©aß  Saureglement  enthielt  ferner  eine  Sleihe  ffrupulöfer 
^olijeibeftimmungen,  bie  alle  »on  bem  ©ebanfen  eingegeben 
maren,  einem  fünftigen  Sranb  enetgifch  oorjubeugen.  IDie 
^>äufer  fönten  bi8  ju  einem  feftgefe^ten  !£heile  nicht  anS  Salfen 
ober  Srettermert  beftehen,  fonbern  auä  Stein  unb  3mar  au8 
©abinifchem  ober  Sllbanifdhem,  meil  biefe  Steinart  oon  ben 
glammen  ni^t  fo  leicht  bur^bohrt  merbe.  9luch  fönten  feine 
gemeinfamcn  SBanbe  errichtet  merben  bürfen,  fonbern  einen  jeben 
Sau  mühten  feine  eigenen  ÜJtauern  umgeben.  25ann  mürbe  ba8 
SBaffer  bem  minfürlichen  ©ebrauch  ber  ^Jltioaten  ent3ogen  unb 
unter  Dbl)ut  oon  SBä^tern  (Srunnenmeiftern)  geftent,  bamit 
e8  um  fo  reidhli^er  unb  an  mehreren  Stenen  3um  öffentlichen 
©ebrauche  fliehe.  iJluch  fone  ein  Seber  3Kittel  3ur  j^anb  hohen, 
um  einer  etmaigen  §euer8brunft  mirffam  3U  begegnen.  „IDiefe 
3um  öffentlichen  9lu$en  bienenben  Serfügungen",  meint  3;acitu8, 
„oerfchafften  ber  neuen  Stabt  3ugleich  au^  einen  gemiffen 
Schmud."  fügt  er  glei^  noch  ht^iWr  hah  e8  8eute  ge* 

geben,  bie  ba  geglaubt  hätten,  jene  alte  Sorm  fei  für  bie  ©e* 
funbheit  3uträglidher  gemefen,  meil  megen  ber  6nge  ber  Strahen 
unb  ber  .pöhe  ber  Raufer  bet  2)unft  bet  Sonnenftrahlen  niöht 
fo  leicht  überall  l)obe  einbringen  fönnen.  Se^t  gebe  e8  faft 
feinen  Schatten  unb  bafür  eine  um  fo  brücfenbete  pi^e  mit 
einet  ÜJtaffe  oon  Äranfheiten  im  ©efolge. 

3lber  auch  bicfer  mit  aßen  5Ritteln  in  Scene  gefegte  Söh«n 
oon  ©emeinnü^igfeit  unb  oolf8thümlich=üäterlichet  ©efinnung 
fonnte  ba8  ©erüdjt  oon  bet  faiferlichen  Urheberfchaft  fene8 

XIX.  4M.  2 (»25) 


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18 


(^lenbd  ntd^t  gum  Sditoeigen  bringen.  2>a  nuc  nod^  ein 
9JlitteI:  e8  mußten  gemiffe  ©(bulbige  auSfinbig  gemacht  »erben. 
8118  folcbe  jd^ob  er,  fagt  SEacituö,  jene  geute  unter,  weldje  »egen 
i^rer  ©cbledbtigfeiten  oer^afet  »aren  unb  nom  SBolfe  ©Triften 
genannt  »urben  unb  belegte  fie  mit  ben  auflgefu^teften  ?Kartem. 
,2)er  Url)ebet  biefeä  9lamen0,  (Sljriftuö,  »ar  unter  ber  {Regierung 
be8  2;iberin8  bur^  ben  Statthalter  ^ontiuS  ^ilatuS  h<ngeridhtet 
»orben.  JDer  für  ben  Slugenblid  unterbriufte  oerberblithe  aber* 
glaube  brad)  bann  »ieDer  hetoor  unb  nerbreitete  fich  nid^t  nur 
in  3ubda,  ber  ^flangftdtte  biefed  Uebelfl,  fonbern  audh  in  ber 
.pauptftabt,  »0  ja  uon  allen  Seiten  aHe8  Scbenfiliche  unö 
Q$rd§li(he  gufammenftrömt  unb  feine  anbdnger  finbet.  IDaher 
würben  guerft  Einige  gepadt,  bie  ihre  @efinnung  offen  befannten, 
unb  bann  »urbe  nadb  beren  Angabe  eine  ungeheure  SRaffe 
überführt  unb  g»ar  nicht  in  gleichem  SRage  be8  ihnen  gemachten 
Bor»urf0,  ba§  fie  bie  Beuet8hrunft  ocrurfacht  hätten,  al8  piel* 
mehr  »egen  ihres  .^affeS  gegen  bie  SRenfchhrit.  Unb  »dhrenb 
fie  ihrem  SJerbetben  entgegengingen,  trieb  man  noch  allerlei 
.^ohn  unb  Spott  mit  ihnen;  bie  @inen  »urben  in  bie  Seile 
»Uber  eingenäht  unb  bann  ben  ^unben  gnm  Serfleifchen 
oorgeworfen;  Snbere  »urben  anS  Jbreug  gefchlagen  unb  »ieber 
anPere  »urben  mit  einem  Seuerfleib  umgeben  unb  bann,  wenn 
e8  Dunfel  geworben  war,  mr  {Rachtbeleuchtung  oerbrannt."  2)a8 
finb  bie  berüchtigten  Sacfeln  bed  91ero,  burch  erfchütternbe  5lon« 
bilber  unb  effeftPolIe  ©emdlbe  Sh^en  befannt.  „9lero  hatte  für 
biefeS  Schaufpiel  feine  @drten  bem  93olfe  geöffnet  unb  lie§ 
Daher  Sitfuöfpiele  aufführen,  inbem  er  in  ber  Slracht  eines  SBagen» 
lenfers  fich  unter  baS  Soll  mifchte  ober  auf  einen  Streitwagen 
ftanb.  IDaher  entftanb  großes  {Dlitteib,  wenngleich  eS  Schulbige 
waren,  inbem  man  fidh  jagte,  ba§  fie  nicht  gnm  SBohle  beS 


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19 


©taated,  fonbern,  um  bfe  ©raufomfeit  eines  ©injtgen  ju  be» 
friebigen,  ba^ingerafft  mürben." 

JDoS  mar  baS  unter  bem  9tamen  bet  ^leronif^en  ©Triften» 
uetfolgung  befannte  büfteie  9latbfpiel  jum  Staube  uon  SRom. 
5)aß  jmeite  SRatbfptel  fam  uiet  Sa^te  batauf,  mo  et  »ou  ben 
©(^tedgeftalten  bet  uon  i^ra  ©tmotbeten  »etfolgt,  but(^ 
©alba  »cm  Xbtone  geftütjl,  uon  jämmtUcben  iÄnIjÄngetn  »et» 
taffen,  ton  alten  Hilfsmitteln  entblößt  fi^  bet  unuermeiblid^en 
abnbung  feinet  Setbte(ben  but(b  ©elbftmotb  entjog. 

äBeniget  bebeutenb  etfdjeinen  baneben  bie  Stanbunglüde 
anberet  antifet  ©täbte,  fo  meit  mit  »on  fol(ben  noch  Äenntnt§ 
haben.  SBit  b^ben  auS  beten  3abl  nur  nod|  ben  Stanb  »on 
8pon,  bem  alten  8ugubunum,  anS  bem  3abw  58  n.  &\)x.  betBot, 
übet  melcben  bet  ©enefa  an  feinen  gteunb  8nciliuS 

berichtet.  IDaruacb  mutbe  bie|e  im  3abi^£  43  ».  ©bi^-  gegrünbete 
Äclonie  in  einer  eiujigen  fllacbt  »ötlig  gerftört  unb  bamit 
prächtige  Äunftbentmäler,  »on  benen  jebeS  einzelne  fcbon  genügt 
hätte,  um  ganzen  ©täbten  gut  Sietbe  ju  gereichen.  „fUJitten  im 
tiefften  f?tieben  ift  etmaS  gefcheljen,  maS  nicht  einmal  in  ÄriegS» 
gelten  gefürdbtet  metben  fann."  Sluch  StacituS  gebenft  biefeS 
©reigniffeS  unb  fügt  bei,  ba§  9lero  im  3abi^e  65  eine  ©umme 
»on  4 9JJillionen  ©eStergen  b«gegeben  habe,  um  bie  »erfchütteten 
Sauten  unb  Duartiere  bet  ©tobt  mleber  bwguftetlen , freilich 
nicht  ohne  ben  3ufah,  ba&  bie  8ugbunenfet  ibrerfeitS  bie  gleidbe 
Summe  bei  UnglücfSfäHen  bet  Hauptftabt  batgeboten  batten. 
SDiefe  ©umme  ift  gu  b^ch,  um  ongnnebmen,  bafe  bie  Seroobner 
bet  ^rooingialftabt  biefelbe  bei  einet  anbetn  ©elegenbeit  bat» 
brauten,  alS  eben  bei  bem  oben  gefchilbetten  Stanb  »on  IRom 
aus  bem  3abre  64,  um  fo  anetfennenSmettbet  erf^eint  biefe 
Opfetfteubigfeit  bei  Beuten,  bie  felbft  noch  “ntet  ben  fchmeten 

2*  (827) 


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20 


folgen  eigenen  Unglücfö  gu  leiben  Ratten,  beten  eigene  Stabt 
no^  gum  Sl^eil  in  Sitümmetn  lag. 

Unter  bem  gleichen  3a^te  58  berichtet  Jacituö  au^  non 
einem  bei  ben  Ubiern  audgebroc^enen  ^oorbranb.  „$euer:> 
maffen",  Reifet  ed  ,bie  anö  ber  6rbe  ^ernorbra(^en,  ergriffen 
überall,  meffen  fie  ^ab^aft  werben  fonnten,  Sanb^änfer,  Selber, 
®6rfet  nnb  würben  fogar  bl8  gu  ben  SRauem  ber  fürglic^  ge» 
grünbeten  jJolonie*)  getragen.  IDiefeS  Seuet  fonnte  nic^t 
gelSfc^t  werben,  Weber  wenn  ber  Siegen  ftrömte,  noc^  but(b 
Slu§waffer  ober  eine  anbere  Seudbtigfeit,  bi0  wegen  SJlangelS 
an  .J)ülf8mitteln  nnb  au8  Born  wegen  bet  Slieberlage  einige 
ganblente  Seläblödfe  au8  ber  Serne  barauf  warfen:  al8  auf 
biefe8  ^in  bie  Slawwon  inne^ielten,  traten  jene  nä^er  ^ingn 
nnb  trieben  butib  Änittel  ba8  Seuer,  wie  wilbe  Seftien,  gurüd 
@nbltd^  warfen  fie  ©ewönber  barauf,  bie  fie  nom  2eibe  gegen, 
in  bet  S5orau8febung,  ba§  je  profaner  bief eiben  wären,  fie  um 
fo  e^er  ba8  Seuet  erftiefen  würben.“  S(blie§li(b  erlofd^  ba8 
Seuer  au8  Sliangel  an  Siabrung. 

Slueb  bie  Sebreefen  eine8  IBalbbranbeS  enblidb  waren 
ben  ‘jtlten  niibt  unbefannt;  einen  foliben  f^ilbert  SSergil  tppifdb  im 
2.  ©efang  feine8  @ebicbte8  oom  8anbbau,  o.  303  ff.:  „Dftmal8 
entfiel  bem  unaebtfamen  ^)irten  ein  Sunfe,  ber  guerft  bolwli^ 
geborgen  unter  bet  bfli^ö'öon  Siinbe  Jfräfte  fammelt,  bann  bi8 
iu8  beb®  2aubwerf  emporfletternb  gewaltigc8  ?)taffeln  gen 
.pimmel  jenbet;  oon  ba  fiegreicb  über  ba8  ©egweig  laufeub 
benfebt  et  auf  ben  beben  SBipfeln  nnb  umbütlt  ben  gangen 
SBalb  mit  Slammen  unb  ftö|t  biebt  gum  Selber  empor  eine 
finftere  SBolfe  mit  peebfebwargem  Siaueb;  ba,  fieb,  felbanb  fenft 
ficb  be'^nl’  ni-’m  ©(beitel  nuf  SBälber  ein  Sturm  unb  umber» 
rafenb  ballt  er  gufammen  bie  glül)enbe  i?obe."  Sutb  al8  ©leicb* 
nib  wirb  bie  bämonijebe  ©ewalt  be8  unaufbaltfam  babin 

(328) 


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21 


ftürmenben  ßlementö  fc^on  früljjeitig  doh  ben  55i(i^tern  »emanbt 
bereits  bie  j^ometifdben  .gelben  fämpfen  einer  fpru^enben  SSranb» 
maffe  »erglei^bar,  unb  bei  Siergil  erjä^It  SlencaS  ber  gaftlid^cn 
IDibo  »on  ber  grauftgen  9iac^t,  alS  bie  Slt^äer  in  baß  forglo|em 
©(hiafe  ^ingegebene  Slion  einbrac^en,  mit  bem  gleichen  Silbe: 
„Som  ©tblafe  »erb’  itb  aufgefc^rerft  unb  eile  gu  ben  Sinnen 
beS  ^öebften  ©adjeS  empor  unb  fte^e  ba  mit  lauf^enbem  D^r 
unb  ^öre  ein  Stofen,  »ic  wenn  bei  »üt^enbem  gö^nwinb  bie 
glamme  inS  ©aatgefilb  ftürgt  ober  ein  reifeenber  ©trom  mit 
gebirgigem  @ie§en  bie  Selber  gu  Soben  wirft  unb  bie  freubigen 
©aaten  unb  ber  ©tiere  Slrbeit  unb  bie  Söälber  entwurgelt  mit 
pd)  teifet;  eS  ftarrt  ahnungslos  ber  ^irte,  wie  er  »om  hohen 
©ipfel  beS  SelfenS  baS  Sofen  oernimmt." 

Sie  hieti  fo  erfdheint  au^  fonft  oielfa(h  baS  anbere  ©lement 
in  feiner  entfePelten  Suth  ebenfalls  als  ©leidhnip.  ©o  pngt 
fchon  ,^omer  »om  Stelamonier  3liaS:  „Sie  wenn  mit  SaPer» 
maPen  ber  Slup  nach  ^er  ©bene  hinabgieht,  »on  ©isputh  ge» 
fdhwoDen,  »om  ©ebirg  h««  burth  ben  Stegen  beS  SeuS  genährt 
unb  ber  trodenen  ©ichen  »iele  unb  Sichten  mit  pch  bahin  trägt  unb 
»iel  ©chlamm  einherfchleppenb  inS  SKecr  ftürgt,  fo  burchrafte 
bamalS  bet  lierrli^e  SliaS  baherftütmenb  bie  ©bene,  StoPe  unb 
Scannen  banieberfchmetternb."  Stehnlich  fchilbert  Sergil  baS 
unabläpige  Stoben  beS  motbenben  fPeoptolemoS:  „5äerger,  atS 
wenn  bei  gebrodpenen  SDämmen  fchäumenb  ber  ©trom  auS» 
bricht  unb  bie  entgegengeftemmten  SäHe  mit  feinem  ©trubel 
banieberwirp  unb  wüthenb  mit  ber  SRaffe  in’S  ©eplbe  hinaus» 
fährt  unb  burch  aQe  Selber  mit  ben  ©täQen  bie  .^eerben  fort» 
fchleppt."  Unb  enblich  heipt  eS  bei  bem  nämlidhen  SDichter  »on 
ber  unwiberftehlithen  Suth  beS  SleneaS  unb  SturnuS:  „Sie 
wenn  mit  reipcnbem  3lbfturg  »on  ben  ho^en  Sergen  auf» 

fchäumenbe  ©tröme  herabbonnem  unb  nach  ber  ©bene  ftürmen, 

(8») 


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22 


ein  jeglic^et  {einen  ^fab  net^eerenb,  ni^t  läffiser  tajen  bie 
Selben,  Senead  unb  SuniuS,  butd;  bie  @^Iacbtge{ilbe." 

ÜWon  [ie^t,  baö  ftnb  berebte  Seuflniffe  bafür,  ba§  jener 
^eiteren  SBelt  bed  iHltettbutnd  auc^  bie  ®cbauet  bei  Sa  {{erd* 
not{>  nic^tä  ^embeS  tnaren.  3nbem  wir  von  ben  bem  @ebiet  bei 
@age  ange^öiigen  Uebeifcbwemmungen,  nie  bei  2)eufa(ionifcben 
Biutb  unb  ^(e^nli^em  abje^en,  eijd^eint  und  au^  bist  namentlid) 
iRom  {(bwei  von  Safferdnotb  bebiängt  unb  3n>ai  ju  tvieberbolten 
{{Ralen,  buidb  unjulänglicb  leguliiten  Sliberftiom.  (Dal)in 
gebört  eine  von  ^)oioj  in  bei  jroeiten  Dbe  bed  elften  Sud;ed 
ge{(bi(beite  Uebeifcbuemmung,  roel^e  nicht  lange  nach  jenen,  bui^ 
(Söfar’dßimoibung  belustigten  Sbenbed 9Rör3Vom3abre44v.6bt- 
erfolgt  wor:  biefelbe  mitb  Dort  in  boetifSer  ©eftaltung  auf  Den 
@roQ  bei  3lia,  Der  ©tammmuttei  bed  3uIiiSeu  ©efSleSteö 
juiüdgefübrt,  welS«  ih^f“  ©emabl,  ben  glu^gott  2iberinud  be» 
ftimmt  babe,  »egen  (Säfar’dSlob  on  ben  unbanfbaren9ictneru9iaSe 
3U  nehmen.  3ene  Ueberflutbung,  begleitet  von  ©Sneegeftöber, 
$agel  unb  jablreiS^n  SlibfSiügen,  muh  jiemltS  bebeutenb  ge« 
»efen  fein.  IDenn  »enn  auS  bie  SeigleiSung  mit  bei  IDeu« 
falionifSen  Blutb  auf  {ReSnung  audfSieitenbei  IDiSterpbuntafie 
}u  {eben  fein  »iib,  fo  entfbieSen  RScrliS  bei  SiifUSleit  bie 
Sorte:  „®efSaut  btii’cu  »ii,  »ie  bet  gelbliSe  Sibeiftiom 
gemaltfam  bie  Sogen  guiücfmöljte  vom  @tiudfi|Sen  ©eftabe 
unb  fiS  aufraffte,  bie  IDenlmdlei  bed  Äönigd  (fRuma)  unb  ben 
Stempel  bei  Sefta  gu  gertrümmern," 

3ui  nämliSen  Seit  fanben  auS  an  anbein  £)iten  3taliend 
UeberfSwemmungen  ftatt,  fo  in  bei  ^oebene:  „9Rit  wahn« 
»ibigem  Siibel  padte  bie  Salbei  bei  Slüffe  ^bnig  ©ribanud 
unb  butS  aDe  @benen  lib  er  bahin  mit  ben  ©ehöften  bie 
4)eetben,"  fingt  Sergil,  bei  ebenfoHd  borin  eine  ©träfe  bei 
©Otter  »egen  ©äfai’d  ©rmoibung  erblidt. 

(830) 


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23 


Sereitd  Suguftud,  bet  popularfte  unb  gemeinnü^igfte  Sürft, 
ben  [Rom  je  gehabt  ^at,  fa^  bte  2)i{ngü^[eit  einet  butcbgteifenben 
Sibenegulitung  ein  unb  fi^uf  ba^et  ein  eigenes  ^mt  »on 
caratores  riparum  et  alvei  Tiberis.  2Do(^  liefen  bie  SBe» 
mü^ungen  bief^t  93e^ötbe  oiel  gu  »ünfc^en  übtig,  fo  ba§,  als 
im  3fl^te  15  n.  6!)t.  im  gmeiten  [Regietung  beS 

SibetiuS  eine  gewaltige  Uebetfd^memmung  bet  butd;  [Regengüife 
ange)(^n)otlenen  Stibet  iämmtlit^e  in  bet  6bene  gelegenen 
^artieen  [Rom’S  untet  SBaffet  gefegt  ^atte,  bie  gtage  bet 
Äotteftion  etnftli<^  in  Slngtiff  genommen  unb  Seti(bt  unb 
Antrag  batübet  bem  SlteiuS  Sapito  unb  SuciuS  SlrtuntiuS  gu« 
gewiefen  wutbe.  2)eten  SJorjtblag  ging  ba^in,  eS  foUten  bie 
glüffe  unb  ©een,  butdb  meiere  bie  'Jtbet  anfcbroelle,  einfach  ab» 
geleitet  werben.  Slbet  bagegen  wehrte  fich  bie  ®eoölfetung 
jener  IJanbfttithe,  in  benen  bie  ptojeftitte  Äanalifation  auS» 
geführt  werben  foQte,  beS  aHerentf^iebenften.  @o  meinten  bie 
Sewohner  »on  Sloteng,  wenn  bet  ßlaniS  in  ben  Sltno  ab* 
geleitet  werbe,  hätten  fie  felbcr  öhnlicheS  SSerbetben  gu  ge» 
würtigen;  beSgleichen  behaupteten  bie  Sürget  von  3nteramna 
in  Umbrien  (SSetni),  bet  Slufe  [Rar  werbe,  wenn  man  ihn  in 
jtanäle  gerfpalte,  baS  gange  8anb  untet  SEßaffet  fe^en;  nidht 
minbet  fträubten  fich  auS  bem  gleichen  @runbe  bie  [Reatiner 
(Don  SRieti  im  ©abinetlanb)  gegen  bie  geplante  SSettammelung 
beS  SSelinerfee’S  an  bet  ©teile  feines  (SinfluffeS  in  ben  [Rat. 
IDie  ängftlichen  ^rooingialen  hatten  baneben  noch  eine  [Reihe 
anbetet  ©runbe  bei  bet  ^>anb:  bie  [Ratur  habe  felber  am 
alletbeften  für  bie  Söebütfniffe  bet  ©terblichen  geforgt,  inbem 
fie  jebem  Sluffe  feinen  iJauf,  feinen  Utfprung  unb  fein  6nbe 
üorgegeichnet  habe;  auch  “*äffe  man  bie  teligiofen  ©ebräuche 
bet  Sorfahren  refpectiren,  welche  ben  heiwifthen  Slüffen  2empel 
unb  .^)aine  unb  aitöre  geweiht  hätten.  3a  bet  Siberftrom 

(831) 


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24 


felber  aoQe  gewt^  nic^t  mit  geringerem  {Ru^me  ba^tnflte§en, 
inbem  er  ber  benachbarten  Suflüffe  beraubt  werbe,  ©er  Senat 
war  rathlod,  ba  trat  einer,  S^amend  (Sneiud  $ifo  auf  mit  bem 
Antrag,  ed  foQe  2(Qed  beim  üllten  bleiben,  unb  bem  würbe 
fofort  männiglich  beigeftimmt. 

©aneben  fungirte  eine  ftänbige  .^ommiffion  non  5 Senatoren 
gur  Ueberwadjnng  ber  Siber  ruhig  weitet,  man  trifft  fle  noch 
bid  auf  (Slaubiud  auf  Snfehriften  an. 

3n  befonbetd  fchrerflidhet  SBeife  fteQte  [ich  bann  wiebet  im 
3ahte  70  bie  SBafferdnoth  ein.  2:acitud  fdhreibt  barübet  im 
erften  Suche  ber  ^iftorien  (6ap.  86):  „©ie  Sibet,  ungeheuer 
anfchwellenb , gerrih  bie  Sublicifche  Stüde  unb  burch  bie 
krümmet  ber  [ich  entgegenftemmenben  SRaffen  jurüdgebrdngt, 
füBte  fie  nicht  nur  bie  ebenen  unb  in  ber  Hiicberung  gelegenen 
Sheile  ber  Stabt,  fonbern  au^  foldhe  Streden,  bie  fonft  oon 
foldhen  UnglüddfäQen  nerfchont  geblieben  waren.  2(uf  ber  Strahe 
würben  bie  BReiften  weggeriffen,  noch  >neht  Seute  würben  in 
Äaufläben  unb  ihren  Schlafjimmem  überrafcht.  ©ann  folgte 
eine  allgemeine  .^ungerdnoth,  ba  ed  feinen  (Srwerb  gab  unb 
wegen  Unterbrechung  bet  Äommunifation  feine  frifchen  gebend* 
mittel  werben  fonnten.  ©urch  bie  ftagnirenben 

©ewäffet  würben  bie  ©runbmauern  ber  Quartiere  unterhöhlt 
unb  biefc  ftürjten  bann,  ald  ber  Blufe  enblich  in  fein  Sett 
gurüdwich,  einfach  gufammen." 

auch  ber  9ih«i“i  Ueberfchwemmungen  noch  erft 

»ot  Äutgem  fo  Biel  Schreden  Berurfadjt  halben,  h“tte  ff^hon  in 
alter  Seit  bie  ©emüther  beunruhigt,  namentlich  in  feinem 
untern  nach  Selgien  gu  gerichteten  Saufe,  ©ied  Beranla§te  im 
Sahre  5 b.  ©h^-  ^en  ©rufud  ©ermanicud,  in  jenen  ©egenben 
einen  großen  ©amm  angulegen,  bet  aber  erft  63  Sahre  fpäter 
burch  ^aullinud  ^omhejud  unb  S.  Setud  gu  6nbe  geführt 

(S39) 


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25 


mutbe;  btei'elben  [a^en  in  biefer  ^tbeit  eine  ttiCüomtnene 
Beji^äfttgung  i^ret  fonft  burdb  baä  ungebunbene  Sagetleben 
feiner  in  Sucht  ju  huttenben  ©olbaten.  Vieler  2)amm  h«tte 
faum  ein  Du^enb  Saljre  hiubutch  oDe  3lng[t  »or  Uebet» 
fchuemntungen  befeitigt,  aie,  tnieberum  in  bem  genannten  un* 
glüdtöfdbtteren  Sa^re  70,  ber  aufflänbifche  3(nfübret  bet  SBataner, 
@(aubiuS  6i»ilie,  bie  biufifchen  SBuhren  abfichtiich  burchftadb, 
um  bie  gefürsteten  tTiomer  niSt  an  fiS  hs^uutommen  3U  laffen. 
„@r  lic§",  jagt  Slacitufl,  „ben  IJibein  mit  feiner  ganjen  2Baffer= 
maffe  fiS  über  ©aUien  ergiefeen,  inbem  er  SHIea  megfSaffte, 
maß  irgenbwie  bem  SBaffer  noS  SBiberftanb  bet.“ 

S)iefe  UeberfStnemmungen  waren  naturgemäß  con  uer» 
beerenben  ©euSen  begleitet,  non  benen  namentliS  eine  non 
Sacituß  mit  aQen  ©in^elbeitcn  gefSilbert  wirb,  bie  fi*  bift  niSt 
wiebergeben  laffen.  @ine  weitere  S3efSteibung  eineß  folgen 
Unglücfß,  in  welker  befonberß  bie  mebijinifSen  ©nmptome 
genau  bebanbelt  werben,  finbet  fiS  in  Sergil’ß  ©eföngen  nom 
ganbbau.  ©nbliS  erwähne  iS  uoS,  »on  Slnberem  ju  fSweigen, 
auß  früherer  Seit  bie  furStbare  ^J)eft  in  Sltben  ju  Seginn  beß 
peloponnefifSen  Äriegeß,  ber  auS  ?)erifieß  gum  Dpfer  fiel  unb 
non  welSer  Sbufpbibeß  ein  fo  anfSauliSefl  23ilb  giebt  (II,  48  f.). 
©iefelbe  war,  wie  eß  hieß,  auß  Sletbiopien  gefommen,  war 
bann  naS  Slegbpten  unb  Sibpen  berabgeftiegen  unb  bann  weiter 
naS  ^erfien  gcbrimgen.  3n  Sltben  tauSte  fie  gang  plößliS 
auf  unb  gwar  guerft  im  ^iraeuß,  fo  baß  fiS  baß  ©erüSt  ner» 
breitete,  bie  ^eloponnefier  hätten  in  bie  bortigen  Siebbrunnen 
@ift  geworfen.  Sie  ^eft  geigte  fiS  mit  einem  furgen  Snternall 
gweimal;  baß  erfte  ?0lal  butte  fie  gwei  nolle  Sabre  angebauert; 
beim  gweiten  9Kal  beeefSte  fte  noS  ein  gangeß  Sohr.  Ser 
SSerluft  an  SKenfSenleben  war  außerorbentliS  gtoß;  Siobor 
(XII,  58)  giebt  ißn  auf  mehr  alß  10  000  ^eie  unb  ©flauen  an, 

(833) 


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26 


i^ufpbtbeö  nennt  4400  ^>o^)liten  (ben  Äetn  bet  Sütgerfd^aft), 
btei^unbert  9tittet  (non  1200)  unb  »om  übrigen  SSolf  eine 
unge5a^lte  SDienge.  „Um  biefe  3«t  ^eni(^te  feine  »on  ben  ge» 
mö^nlicben  ^anf^eiten,  unb  mo  eine  notfam,  ging  fie  in  jene 
über.  Einige  ftarben  auS  SRangel  an  pflege,  anbere  aud)  bei 
ber  forgjamften  Süartung.  6ä  gab  fein  einjigeö  beflimmteS 
Heilmittel,  non  weldbem  man  ^ätte  jagen  fßnnen,  ba^  jein 
@ebrau(b  entjcbeibenbe  Hülfe  gewahre.  SDenn  maö  bem  @inen 
3uttSgli(^  war,  fdbabete  bem  Slnbern.  Äeinc  SeibeSbejd^affenbeit, 
mochte  jie  jtärter  ober  fcbmäcber  fein,  fonnte  biejet  Äranf^eit 
miberjte^en;  fie  raffte  8Ule  o^ne  Unterf^ieb  ^in,  nac^  welcher 
Hcilart  man  fie  and)  be^anbelte".  IDann  meiter:  „2)a8 
©cblimmfte  mar,  ba§  ber  (Sine  bur^  bie  pflege  be8  Slnbetn 
angeftedt  mürbe ....  SBollte  man  au8  gnrcbt  fid^  einanbet  ni^t 
nähern,  fo  ftarben  Die  Äranfen  o^ne  SSeiftanb  unb  »iele  Häufet 
mürben  au8  fUtangel  an  pflege  neröbet.  .^am  man  aber  mit 
ben  .Rtanfen  in  SSerü^rung,  fo  mar  man  »erloren,  gumal  fold^e, 
bie  einigen  3)ienfteifer  geigen  mollten.  SDenn  au8  @^rgefü^l 
»ergaben  fie  bie  Sponung  gegen  ficb  felbft  unb  befugten  i^re 
$reunbe:  mürben  bod^  bie  näcbften  9lngel)örigen,  meil  betäubt 
non  bem  Ueberma§e  be8  Unglücfd,  am  @nbe  ber  @orge  um  bie 
©terbenben  überbrüffig.  JDie  ©enefenen  jebo(b  füllten  am 
meiften  ÜJiitleib  gegen  bie  ©terbenben  unb  geibenben,  meil  fie 
baS  Uebel  au8  ©tfabrung  fannten  unb  ficb  felbft  nunmehr 
gerettet  fühlten;  benn  ein  töbtlidher  fRiicffaU  trat  nicht  ein." 

®ie  {folge  biefeS  fchroeten  Unglücfä  mar  felbftoerftänblidh 
eine  überaQ  rafch  um  fi^  gteifenbe  JDemoralifation.  3)ie8  betont 
auch  S^hufpbibeS  mit  ben  SBorten;  „Ungefcheuter  magle  man 
nun,  maä  man  fonft,  ohne  fein  ©elüfte  offen  gu  bcfriebigen, 
»erheimli^t  hnlle»  ba  man  ben  rafchen  SBechfel  beS  ©chidtfal8 
fah,  mie  bie  {Reichen  plöhlich  hinftarben,  unb  folche,  bie  guoor 

(834) 


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27 


9iid)tfl  Ratten,  |(^nell  in  ben  33efi^  Don  beten  ©ütern  famen. 
SDa^et  wollten -fie  ftc^  einen  |(^nellen  unb  angenehmen  @enu§ 
betjelben  oeridhaffen,  ba  geben  unb  Vermögen,  baö  eine  wie 
ba6  Slnbere,  ihnen  alg  [o  futjbauetb  erjchienen.  Tiiemanb  hotte 
guft,  füt  iai,  »ad  atd  gut  unb  ebel  galt,  noch  ein  Opfer  ju 
bringen,  ba  eö  ihm  ungewiß  bünfte,  ob  et  nicht  eor  etreichung 
feined  Bwecfd  meggrtafft  mürbe.  Sßa§  aber  augenblicflichen 
@enu§  unb  bet  guft  irgenb  melchen  @eminn  gemährte,  baö 
mürbe  a(8  gut  unb  nü^tich  erflärt.  j^eine  f^urcht  oor  ben 
©Ottern,  fein  menfchlith^ö  ©efeh  gab  eine  ©chranfe.  2)enn  jene 
gu  ehren  ober  nicht,  achteten  fie  für  gleichgüttivg,  meil  fie  hoch 
ÖlDeö  ohne  Unterfchieb  eine  93eute  beö  2obe0  merben  fahen;  mag 
aber  bie  93ctbrecher  betraf,  fo  bachte  feiner,  ba§  er  noch  fo  lange 
leben  mürbe,  big  bie  ©ache  oor  ©ericht  entfchieben  märe  unb 
et  bie  ©träfe  auf  [ich  gu  nehmen  hätte,  ba  ja  ein  fchon  be» 
ftimmteg,  oiel  ärgeteg  ©trafgericht  bereitg  übet  feinem  .Raupte 
fchmebte,  oor  beffen  ^ugbtuch  man  hoch  billig  bag  geben  noch 
einigermaßen  genießen  bürfe". 

©olche  feuchenartige  ©rf^einungen  glaubte  man  audh  noch 
mit  anbern,  bie  gemöhnliche  Orbnung  ber  IDinge  umftürgenben 
Ißorfommniffen  in  IBerbinbung  bringen  gu  foHen,  fo  namentlich 
mit  oulfanifchen  Unregelmäßigfeiten.  IDer  Umftanb,  baß  bie 
im  ^Iterthum  fo  häufig  auftretenben  @rb beben  oielfach  oon 
©euchen  begleitet  mürben,  giebt  füt  biefe  Iheorie  eine  aug» 
reidjenbe  ©tflätung.  ©g  ift  begeichnenb,  baß  Slhufpbibeg 
(III,  87),  nachbem  et  oon  ber  gmeiten  ^eft  gu  Slthen  gefprochen, 
beifügt:  ,,©g  fanben  bamalg  auch  bie  befannten  häußgen  ©rb= 
beben  ftatt,  in  gUßen  unb  auf  ©uboea  unb  im  ganbe  ber 
Söotier;  bort  namentlich  in  Dtchomenog." 

IDiefe  ©tbbeben  maren  in  bet  Slhot  für  bie  eilten  eine 
ßänbige  ^lage;  fie  hotten  barunter  troß  3lllem,  mag  mir  heut* 

(Mi) 


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28 


jutage  ^aben  erleben  muffen,  boc^  im  ungleich  ^ö^etem  fDia^e 
3U  leiben,  als  alle  folgenbe  Seit- 

lieber  bie  Urfat^en  ber  ©rbbeben  finb  im  Slltert^um  bie 
oerf^iebenften  50leinungcn  aufgeftellt  worben.  IBereitö  bie 
gried^tfc^en  9iaturp^ilofoi)^en  Ratten  juweilen  gerabe  baS  ton 
Sebem  als  Urgrunb  aller  iDinge  aufgeftellte  (Element,  geuer, 
SBaffer  unb  bergl.  auc^  biefer  ©rfc^einung  ju  ©runbe  gelegt; 
fte  werben  beS^alb  oon  SlriftoteleS,  weld^et  mit  feinem  allum» 
faffenben  ©eift  an^  biefe  fBlaterie  guerft  im  Sufammenljang 
be^anbelt  ^at,  in  einer  ©(^rift  über  bie  SReteorologie  einla§li<^ 
gurüdfgewiefen.  6t  felbft  giebt  folgenbe,  non  ben  Späteren 
gemeiniglid^  aboptirte  ©rllärnng:  2)ie  8uft  im  Snnern  bringe, 
inbem  fie  einen  SluSweg  anftrebe,  eine  ©rf^ütterung  beS  S3obenS 
^ernor.  JDa^er  ge^e  einem  ©rbbeben  gewß^nlid^  SBinbftille  oor» 
aus,  inbem  fi(^  alle  SBinbmaffe  im  Snnern  oerfangen  ^abe. 
SBe^e  gufällig  bo^  ein  3Binb,  fo  erfc^eine  bann  bie  ©rfd^üttemng 
abgefd^wäc^t,  weil  bie  ©ewalt  beS  SßinbeS  jert^eilt  fei.  ©ie 
meiften  ©rbbeben  fänben  9ia(^tS  ftatt  ober,  wenn  am  ©age,  am 
SJlittag,  ba  gu  biefer  Seit  am  meiften  SBinbftiQe  eintrete,  inbem 
gerabe  bie  ©onne  bie  reguläre  SluSbünftung  gurüdfbränge. 

©enefa  fü^rt  biefe  föieinung  in  ber  SBeife  weiter  auS, 
bafe  er  auf  ben  im  Snnern  ber  6rbe  l)errf^enben  Äampf  oon 
SBaffer  unb  geuer  aufmerffam  macht,  ©erfelbe  ergeuge  einen 
gewaltigen  ©ampf,  ber,  nad^bem  er  oergeblich  einen  SluSweg  gu 
fchaffen  gefud^t,  fchliefeli^  ba  burchbred^e,  wo  bie  ©rbrinbe  am 
bünnften  fei  unb  ba^er  ben  geringften  SBiberftanb  entgegenfe^e. 
6S  ift  bieS  eine  Slnfic^t,  welche  audf)  ©alluft  aufftellt,  wenn'  er 
in  einem  Fragmente  feiner  .^iftorien  fagt,  ba&  burch  baS  Umher» 
ftürmen  beS  SBinbeS  in  ben  -Höhlungen  ber  6rbe  einige  0erge 
geborften  unb  in  fich  felbft  gufammengefunfen  feien. 

‘AIS  93eleg  bafür,  bah  ©rbbeben  guweilen  §olge  eineS 

(8>6) 


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29 


unter  bei  betreffenben  @teHe  [tattgefunbenen  SS^inbfampfed  {ei, 
fü^rt  geuefa  a\iä)  bie  S3eobad)tung  an,  ba§,  tuenn  fi^  bei  einet 
(Srjc^ütterung  eine  Steile  be@  S3obenö  geöffnet  l)abe,  hieraus 
meutere  Joge  ^inbntc^  heftiger  SBinb  ftröme.  So  fei  biefl  3.  33. 
bei  bem  @tbbeben  non  @^alfiS  (auf  @uboea)  bei  BaD  gevefen. 
Sa^et  fei  bamit  aud^  gerne  eine  Seuche  oetbunben,  ba  mit 
bem  SBinbftrom  allet^anb  ungefunbe  ©ünfte  inö  8«ie  träten. 

3lu(^  ^liniuö  ber  iSeltere  ^ält  ben  im  Snnetn  tobenben 
SBinb  für  bie  Utfat^e:  „iDenn  nie",  fagt  er,  „»erben  bie  Sanbe 
erf^üttert,  al0  »enn  ba0  ÜJlcer  beruhigt  unb  bet  ^immel  fo 
ftiü  ift,  ba§  bet  ging  ber  SSögel  fi^  nid^t  me^r  3U  galten 
oermag,  unb  auc^  nie,  a(g  nad^bem  lutj  oor^er  bie  SBinbe  ge* 
»e^t  ^aben,  inbem  nömlic^  ter  SBinb  fit^  in  ben  Slbern  unb 
,^6^len  ber  6rbe  oerborgen  ^at."  Slucb  bei  Sonnen*  unb  ÜJionb* 
finfletni§,  ^ei§t  e8,  famen  bie  ©rbbeben  l)äufig  oor,  ba  um 
biefe  Seit  bie  Stürme  ruhten.  SefonbcrS  gerne  aber,  wenn 
auf  0legen  trcdfene  ,^i^e  folge.  9lu(^  jeige  fid^  am  ,^immel 
oot^et  eine  SBolfe  in  ©eftalt  eineä  langen  bünnen  Streifens. 
3n  ben  33runnen  enbli^  fei  baS  SBaffet  trüber  unb  ^abe  einen 
Übeln  @ef(bmacf.  ©amit  ftimmt  bie  ebenfalls  oon  ^liniuS 
überlieferte  IRadjridbt,  ba§  ^^erefpbeS,  bet  lebtet  beS  ^ptbagoraS, 
auS  einem  ©runt  SBafferS  baS  |)etannaben  eines  ©rbbebenS  et» 
fannt  habe- 

©et  ©icbter  freilidb  legt  ficb  ben  23organg  anberS  3uretbt. 
©er  ©rang,  bie  bewustlos  wirfenben  Äräfte  ber  9latur  in 
poetifcber  SSerflärung  3U  felbfttbätigen  Organismen  3U  geftalten, 
ermcdft  bei  33ergil  bie  SSorfteHung,  ber  8eib  beS  ßnfelaboS,  00m 
SSlit^ftrabl  beS  3enS  oerfengt,  fei  in  bie  liefen  ber  (Srbe  ge* 
fdbleubert  unb  bann  bet  ungeheure  Sletna  übet  ihm  aufgetbürmt 
worben,  unb  fo  oft  jener  ben  ermatteten  iieib  3ut  Seite  wenbe, 

(8S7) 


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30 


erbebe  mit  ®et5fe  ganj  Srinafrien  unb  ber  ^immel  umfleibe 
fi^  mit  fc^toatjem  2)unft. 

©ie  (ätbbeben  mürben  Bon  ben  9tlten  je  na^  bet  Ser» 
fc^ieben^eit  i^red  Auftretens  unb  i^ret  mel^r  ober  minbet  Ber» 
berblic^en  SBirtung  nadf  brei  Kategorien  georbnet.  „0ie 
leic^tefte  Art“,  fagt  ^aufaniaS,  „ift  bie,  menn  gugleic^  mit  bem 
erften  Anfang  bet  Semegung,  melc^e  bie  .Raufet  gegen  ben 
Soben  brüdt,  fofort  ein  entgegengefe^ter  Sud  entfte^t,  meiner- 
bie  bereits  nac^  einer  @eite  gefc^obenen  @ebäube  mieber  auf» 
recht  fteUt.  Sei  ©tbbeben  biefer  Art  faun  mau  fc^en,  mie 
©äuten,  melche  fc^on  faft  auS  bem  Soben  getiffen  maten,  mieber 
aufrecht  ju  ftehen  fommen  unb  Bon  einanber  loSgetiffene  SKauem 
mieber  gu  ihrer  urfptünglidhen  Serbinbung  ftch  gufammenfchlie§en. 
ßbenfo  fügt  ein  folcheS  ©tbbeben  an  Kanülen  unb  fonftigcn 
Sßafferleitungen  bie  guerft  auSeinanber  geriffenen  @tüde  noch 
genauer  gufammen,  als  menfchliche  |)ünbe  eS  oermöchten." 
5)ahin  geht  auch  ber  AuSfpruch  ^liniuS’  beS  Aelteren,  bafe  rüd« 
läufige  @rfchütterungen  nicht  gefährlich  feien;  berfelbe  h^t  auch 
bie  Seobachtung  gemacht,  ba§  bie  SSölbungen  unb  Sögen  bet 
@ebäube,  mie  auch  ferner  bie  ^den  ber  SBänbe  am  gefichertften 
blieben,  inbem  bet  2)rud  Bon  ber  anbern  (Seite  ftdh  entgegen» 
ftemme.  @benfo  gehört  oon  iSenefa  mitgetheilte 

©tfcheinung,  melche  bei  ©elegenheit  ber  erften  ^ompejanifchen 
Serfchüttung  Bom  3-  63  Bon  einem  gerabe  bamalS  im  Sabe 
befinbli^en  SRanne  feftgeftellt  marb:  bie  ben  Soben  beS  SoffinS 
bebedenben,  gu  einet  SSofaifbede  Bereinigten  ©teinchen  hätten 
fich  guerft  getrennt  unb  fo  baS  SBaffer  burch  ben  Soben  Ber» 
ichluden  laffen,  bann  aber  hätten  ftch  ©teine  plöhlich  mieber 
gufammengefchoben,  moburch  baS  äBaffer  fchäumenb  unb  auf» 
jprubelnb  mieber  herauSgebrängt  morben  fei. 

„Das  ©rbbeben  gmeiter  Klaffe",  fährt  ^aufaniaS  fort, 

(858) 


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31 


„jerftört  bie  leiditeren  ©ejcnftänbe  unb  wirtt  atleg,  rooraitf  eö 
mit  feiltet  SEßud^t  fdßf,  mit  bet  ÜRadjt  Bcn  Selagerungegejcbü^en 
ju  Soben". 

^5Die  brüte  unb  fc^Iimmfte  9lrt  enblic^  »ergleit^t  man  ge» 
wö^nlit^  mit  bem  ®efül;Ie  beS  @TftidenS,  wenn  ber  iXt^em  butd^ 
anljallenbeö  Riebet  beengt  ift  unb  mit  gvo§cr  @ewalt  nad^  oben 
briuft.  Stuf  ä^ntidje  Söeife  fommt  aud)  baö  ©tbbeben  in  gerabet 
9iid)turg  unter  bie  Käufer  unb  ^ebt  i^re  ©tunbmauetn  fenfret^t 
in  bie  ^öße,  gan^i  fo,  wie  bie  ORaulwütfc  i^re  ^)ügel  ou8  bem 
Sunem  bet  @rbe  emporwerfen.  6ine  betartige  33ewegung8» 
ritbtung  Iä§t  ni^t  einmal  ©puren  früherer  SBo^nft^e  am  Orte 
jurücf“.  Soweit  ^aufaniaS. 

9io(^  »on  einer  weitern  Slrt  fpric^t  ^liniuö,  wenn  er  oiel» 
mel^r  bie  roQenben,  weQenfötmigen  @rf^ütterungen  aie  bie  ge» 
fd^rlit^ften  erHärt,  fobalb  bie  Bewegung  fit^  nur  nat^  einer 
©eite  ^injie^e. 

9luf  ben  engen,  wenngleid)  nit^t  au6f(^lie§Ii{^en  Sufammen» 
Ijang  bet  ©rbbeben  mit  »ulfanift^en  ©tfd^einungen  lenfte 
man  natürlid)  in  erfter  ginie  feine  iXufmerffamfeit.  ,^iet  waren 
eä  namentlid)  ber  SJefu»  unb  bet  SHetna  mit  il)ten  ©tbbeben, 
beten  ft^redenöooQeS  ©eba^ren  ft^on  ftü^j^eitig  für  bid)tetif^e 
'Jlrobuftionen  ben  ©toff  lieferte.  S3ou  mehreren  ©eiten  würbe 
gerabe  ber  Säetno  jum  fUMttelpunft  ganjer  35id)tungen  gematzt: 
fo  Don  Sergil  in  einem  ©ebit^t  feiner  Sugenbja^re,  weld^eß  jebod^ 
Derloren  ift,  unb  Don  Suciliug  bem  Süngern  in  600  ,^ejtametem. 
Setgil  ^at  aud^  fonft  gerne  auf  biefen  ©egenftanbgurüdgegriffen: 
im  brüten  S3ud)  ber  Sleneiö  bei  ©elegen^eit  ber  Slnfunft  ber 
Strojaner  auf  ©ijilien  fc^ilbert  et  bie  büftere  9laturerft^einung 
alfo;  „9Rit  ft^tedlic^em  ©infturj  bonnert.  ber  Sletna  unb  halb 
ftöfet  et  jum  Slet^er  empor  eine  bunfle  SBolfe,  bampfenb  ton 
pet^ft^warjem  SBitbelwinb  unb  weifeglü^enben  f^unfen  unb 

(839) 


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32 


4 

fc^Ieubert  binauf  Slammenfnäuel  itnb  bene^t  bie  ©eftirne,  halb 
fpeit  er  geiamaflen  unb  loageriHenea  ßtngeweibe  beS  ©ebirg’ß 
unb  flüiftgea  ©eftein,  3ufammengebant,  unter  Sledbj«*. 

3ifd)t  auf  Bom  innerften  ©ruube.“ 

bem  ©ibbeben  gegenüber  ber  9)tenf(b  bur(^au8  ma^tloa 
fei,  btefer  auf  ber  ^anb  Itegenben  SBeobaebtung  ift  benn  audb 
»on  ben  Sitten  uielfadb  Slu8brudt  uetlieben  worben,  ©enefa, 
welcher  felber  in  feinen  3ugenbjabren  eine  (ni^t  mehr  »orbanbene) 
SHonograpbie  de  motu  terrarum  berauflgegebeu  unb  fpöter  Ba8 
ganje  6.  SBudb  feiner  9taturforfcbungen  (quaestiones  naturales) 
biefem  Slbewa  gewibmet  Ijat,  meint,  freilich,  wie  e8  feine  Slrt 
ift,  etwas  bbperbolifcb  unb  empfinbfam  hierüber:  „@egen  febeS 
anbere  Unglücf  lann  man  fiih  irgenb  wie  febü^en,  nur  gegen 
©rbbeben  nicht.  93or  einem  ©türm  rettet  un8  ber  febü^enbe 
.^afen.  2)ie  berabftrömenbe  Dtegenmaffe,  bie  fein  6nbe  nehmen 
will,  halten  bie  ©cbäube  ferne.  6ine  geuerSbrunft  folgt  nicht 
nach,  wenn  man  ficb  auf  bie  glucbt  wirft,  ©egen  Sli^e  unb 
©robungen  beS  jpimmetS  giebt  eS  eine  3nflucbt  in  unterirbifdhen 
SSebaufungen.  Sei  einer  ©euche  fann  man  bie  SEBobnfi^e 
änbern  ....  ®och  biefeS  Unglücf  ift  unentrinnbar,  fri§t  gierig 
um  ficb,  richtet  im  ganjen  Solfe  ©chaben  an.  3)enn  nicht  nur 
einjetne  .£)äufer  ober  Familien  ober  gewiffe  ©täbte  oerfchlingt 
e8,  fonbern  gange  Solfer  unb  auSgebehnte  ganbftri^e  wirft  eS 
gu  Soben  unb  überberft  fie  halb  mit  Sriimmern,  halb  begräbt 
e8  fie  in  tiefen  ©^lünben  unb  nicht  einmal  fo  »iel  lä§t  e8  noch 
übrig,  ba§  man  barauS  erfennen  fbnnte,  ba§  baS,  wa8  man 
nicht  mehr  fieht,  wenigftenS  einmal  ba  gewefen  fei." 

ÜJtan  benft  bei  biefer  ©chilberung  unwiHfürlicl}  an  ben  ?jall 
non  Pompeji  unb  ,^)erfulaneum,  boeb  bat  ©enefa  biefe  weit* 
berühmte,  felbft  bureb  ein  großartiges  ©äfularfeft  nor  wenigen 

(S4U) 


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33 


Sorten  gefeierte  Jfataftrop^e  nid&t  me^t  erlebt.  SBo^l  aber  lag 
i^tn  eine  gro§e  3)taffe  anbetweitiger  8elege  not. 

Sßenngletcb  fein  @a^,  ba§  bad  ^rbbeben  feinen  ©rbt^eil 
ceif^one,  fonbein  überall  bie  Siunbe  mac^e,  eine  geiniffe,  au(]^ 
but^  bie  neueren  Seoba^tungen  feftgefteOtc  IRic^tigfeit  ^ot,  fo 
ISfet  fi^  anbererfeitä  ni(^t  uetfennen,  ba§  in  bet  alten  3eit 
toenigftenS  gewiffe  @rbftri(^e  mit  SBotliebe  »on  bemfelben  ^eim« 
gefud)t  »utben,  befonberö  fol^e  8änber,  bie  fid^  in  bet  9fa^e 
bet  ÜJleereöfüfte  befinben,  barunter  ©prien  unb  ?)^önigien,  ÜproJ 
tootan,  bad  an  @rbbeben  getabegu  gewohnt  mar,  in  Sufammen« 
^ang  bamit  bie  Snfel  (Sppern,  bann  ber  mefllic^e  Äüftenftridj 
Bon  Jfleinaften,  ber  nötblicbe  St^eil  Bom  ^eloponneö,  Soeotien, 
2;^e[falien  unb  fDiafebonien,  ferner  ©tgilien  unb  Bon  Italien 
Bor  9lllem  (Kampanien,  bann  auch  ber  mittlere  Sl^etl  baBon  unb 
bie  ?)oebene.  8lu8  biefcr  ©inroirfung  befl  SKeereS  fc^rieb  man 
ben  ^omerifc^en  Seinamen  beS  ^ofeibon,  6nnofigaio8  ober 
6nofi(^t^on,  b.  t).  ßrberjc^ütterer,  ^er. 

3n  allen  biefen  ©egenben  beobachtete  man  jemeilen  eine 
beftimmte  fiofalifirung,  mie  ja  auch  eine  folche  noch  heuijutage 
oftmals  fcftguftellen  ift,  fo  bei  ber  Äataftrophe  Bon  38ihiaf  bie 
im  nahen  9?eapel  nicht  oerfpürt  mürbe.  3a,  ©enefa  fpricht  ftdh 
fogar  bahin  auS,  ba§  bie  ©trecfe  Bon  200  römifchen  fUteilen, 
alfo  etma  70  ©tunben,  nie  überfchritten  merbe.  ©o  fei  bet  ber 
SBerf^üttung  Bon  ^Jompefi  (b.  h-  ber  erften  Bom  3-  63,  benn  bie 
gmeite,  allein  berühmt  gemorbene  h»!  ©enefa  nicht  mehr  erlebt) 
baS  @rbbeben  nicht  über  Kampanien  hinausgegangen.  iSuch  bei 
bem  ©rbbeben  non  (ShalfiS  auf  (äuboe  blieb  baS  nahe  Jheben 
ruhig  ftehen;  beim  Unglüd  oon  Slegium  in  Slchaja  fpürte  baS 
baneben  gelegene  ^atrae  nidhtS,  unb  alS  ^>elife  unb  SSuriS  ner« 
fchüttet  mürben,  mar  mieberum  Slegium  unnerfehrt  geblieben. 

©chon  aus  früheren  3ahrhunberten  merben  @rbbeben  ge<: 

XIX.  4M.  3 (841) 


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34 


melbet:  jo  bcTid^tet|)o|eibon{ogo.9{^obo8  (im2.unbl.3a^T^unbert 
o.@^r.)bet  @trabo  uon  einer ©tabtm^^önijien,  oberhalb @ibon’S 
i^elegen,  tnel^e  nöQig  nerfunfen  {ei,  wä^tenb  von  ®tbon  {elbft 
fa{t  jwei  ^Drittel  einftütjten,  jebocb  nic^t  plö^lidb,  fo  ba§  ber  SSerluft 
non  0Jten{(^en  nid)t  {e^i  betrdi^tlic^  war.  S)aju  fam  bann  noc^ 
na(b  ^liniuö  ber  BaQ  ^on  jtoei  »eiteren  ^^onijifc^en  0täbten 
@analid  unb  @5amale,  bie  einfach  nerfc^ludt  mürben.  @benfaQ< 
ber  älteren  Beit  gebärt  bie  Berftörung  ber  @tabt  3^antaliS  am 
@ip9lod  in  SBorberfleinafien  an,  bie  in  eine  @rböf{nung  nerfanf 
unb  gmar  fo,  ba§  and  ber  @teOe  be9  Serged,  »eicber  bie  @tabt 
aufgenommen  b^itte,  SSaffet  beenorquoQ  unb  fo  ben  @rbf^alt  in 
einen  förmlicben  @ee  9iamene  @abe  umgeftaltete:  au(b  maren 
auf  bem  @runbe  beffelben  no^  lange  krümmer  einet  @tabt 
ficbtbat.  9In  ber  gleiten  @teQe  ftürgte  bann  ff>äter  ber  ^erg 
SippIoS  felbet  noch  nad),  ferner,  mie  $liniu6  am  nämlicben 
Ort  beifügt,  bet  b<>^e  93erg  ^pbotoA  in  ^bepgien  fammt  ber 
®tabt  ^urite,  fomie  bie  Kolonien  ^Pnnba  unb  ^Jlntiffa  am 
afo»if<ben  SKeet. 

äSäbrenb  beS  peloponnefifcben  Krieges  mürbe  in  §oIge 
einet  @Tbetf<büttemng  plö^licb  bie  gum  opuntifcben  Softb  ge« 
hörige,  in  ber  9läbe  beS  vielfach  von  @rbbeben  hcttnficfu^lten 
@uboea’S  gelegene  Bnfel  ^jltalante  vom  3)ieere  Verfehlungen : bad 
nämliche  @chi(ffal  ereilte  im  3-  373  v.  @ht.  bie  @tabt  ^elife 
am  Iorinthi{(hcn  ÜReerbufen:  eS  mar  grtabe  SBinterögeit  unb 
ba8  9Reet  ftürmifch  erregt,  fo  ba^  baffelbe  bereite  vorher  bie 
gange  @tabt  ringsum  unter  äBaffer  gefegt  h^itte.  ^lö^lich  er« 
bröhnte  ein  furchtbarer  ©cplag  — von  ^aufaniaS  bem  ^ofeibon 
gugefchrieben  — , bae  üUteer  mich  gurüd  unb  ri^  baS  gange  |)elife 
fammt  feinen  3nfa[fen  in  bie  ^iefe.  9ioch  lange  lonnte  man 
bei  flarer  Bluth  auf  bem  SlteereSboben  bie  .^äufer  ber  unglöcf« 
liehen  ®tabt  but^fdhimmern  fchen.  0et  gleiche  ^nla§  vernichtete 

(84*) 


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35 


au(^  bie  benachbarte  @tabt  99urid,  von  beten  Bewohnern  nur 
foeiele  am  8eben  blieben,  alS  gutänig  tm  j^iege  ober  and  anbet« 
»eiligen  ©rünben  oon  .^aufe  abwefenb  waren*). 

@inen  auöführltchen  ^Bericht  ferner  über  bie  im  nörbli^en 
von  ©riechenlanb  ftattgefunbenen  (Srbbeben  bet  lebten 
3al)rhunberte  oot  ©ht.  oetbanfen  wir  bem  von  ®trabo  benufiten 
.piftorifer  SDemetrioö  oon  Äalatta,  welcher  bem  erften  Saht« 
hunbert  o.  @h<^-  angehört;  betfelbe  erzählt  unter  anberem,  ba§ 
bei  einem  folchen  IHntah  bie  warmen  Duellen  oon  SlebepfoS  unb 
Jhennopplae  erft  nach  breitägiger  Unterbre^ung  wiebet  gefloffen 
feien,  ja  bie  oon  9lebet>fod  feien  an  einet  gang  anbem  @teHe 
wicbet  gil  SEage  getreten.  3n  bem  Stöbt^en  «Sfarph«a  auf  bet 
gleichnamigen  3nfel,  welche  gut  3nfelgrupg)e  8tchabed  bet  @uboea 
gehört,  fonben  burch  einen  ©infturg  1700  (äinwohner  ben  SEob, 
in  Jh^onium,  bet  |>au|)tftabt  bet  egjilnemibifchen  fjofter,  mehr 
als  hall’  fo  Diel,  unb  gwar  war  biefer  Unfall  oon  einer  völligen 
Umwölgung  be0  bortigen  gluhfpftem’S  begleitet.  Sei  9llgonu0 
enblich,  ba8  man  wohl  in  bet  fliähe  bavon  gu  fuchen  hat,  hatten 
25  3ungfrauen  währenb  beö  ber  IDemeter  geweihten  jlheötaa* 
hhacenfefteS  — ich  erinnere  an  bie  ^h^^atophotiagufen  beS 
Slriftophaneö  — einen  Jha^ai  om  .pafen  befliegen,  um  bem 
@tbbeben  gugufchauen:  ba  ftürgte  plö^li^  bet  Sharm  ebenfaDd 
ein  unb  begrub  fte  fämmtlich  im  SWeete. 

3n  3talien  war  im  3ahre  217,  in  welchem  bie  iRomer 
gegen  ^annibal  bie  berühmte  ©chlacbt  am  Srafimenet  @ee 
auSfochten,  nicht  weniger  al8  57  fDial  bie  fliachridht  von  @rb> 
beben  nach  fRom  gebracht  worben.  3a,  ^liniuö  ergählt,  gerabe 
währenb  ber  genannten  Schlacht  habe  bort  ein  gewaltige^  @rb« 
beben  ftattgefunben,  fei  jeboch  in  ber  pi^e  beö  ÄampfeS 
webet  von  ben  Slömern,  no^  von  ihren  SBiberfachern  verfpürt 
worben. 

3*  (»43) 


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36 


^ann  l^ört  man  ^tec  lange  nid)t3  non  foI(^en  j(ata{hop^en 
btö  jum  Sa^te  91  ».  6^t.,  ein  3al)t  »ot  bem  SunbeSgenoffen» 
frteg.  2Da  fuhren  unter  bem  ^onfulat  beS  i.  3Rarciu3  unb 
©ejrtuS  3uliu8  in  ber  9lä^e  bon  SJlutina  (SKobena)  auf  einmal 
jmei  S3erge  auf  einanbci  Io3,  juetft  anftürmenb  unb  bann  gurücf* 
fpringenb,  mä^reub  ouf  ber  Äerniliid^en  ©tra^e  eine  grofee  3a^l 
römifd^er  fRitter,  gamUien  unb  IReifenbe  gufc^auten:  aOe  in  ber 
3Ritte  gelegenen  SSillen  mürben  gerbrücft  fammt  vielen  ÜRenfc^en 
unb  Silieren. 

3mmer^in  maren  bied  bo^  me^t  ober  meniger  oereinjelte 
@reiguiffe;  um  fo  meljr  mu^te  bie  SBelt  im  3-  17  na<^  @^t. 
burd^  bie  unermartete  9ladbric^t  ergriffen  roerben,  ba§  in  ^lein« 
afien  nic^t  meniger  al8  12  volfreic^e  ©täbte  aQe  auf  einmal 
oerfc^üttet  morben  feien.  &S  gef(^a^  bie3  mä^renb  ber  9lac^t, 
fo  ba§  baS  @lenb  um  fo  fc^redlic^er  mar.  ,9lu(^  ftanb*,  fagt 
£acitu3,  „ber  bei  einem  folc^en  Unfälle  ftdb  fonft  barbietenbe 
9lu3meg,  ficb  in3  ^reie  ^inauSjuretten,  l)ier  nic^t  gu  Gebote, 
meil  ftd^  ber  SSoben  öffnete  unb  bie  Semo^ner  fo  o^ne  SBeiterfl 
verfd^lungen  mürben.  3Ran  ergä^lt,  e8  Sötten  fi(^  bamald 
ungeheure  S3erge  gefenlt  unb  in  bie  .^o^e  fei  emporgemac^fen, 
maS  vorder  gang  eben  gemefen,  unb  mitten  unter  ben  fRuinen 
hätten  glanimen  aufgeleui^tet."  9lm  ^örteften  maren  bie  S3emo^ner 
von  ©arbeS  vom  Unglüd  betroffen  morben:  ba^er  oerfprod^ 
i^nen  SliberiuS  10  SRillionen  ©eftergen  unb  erlief  i^nen  obe«= 
brein  auf  volle  fünf  3a^re  fämmtlid^e  abgaben  an  bie  ©taatfl» 
faffe.  9Ber  erinnert  fi(^  ba  nic^t  an  bie  erft  vor  einem  SRonat 
burd)  bie  Seitungen  gebrachte  ^unbe,  ba§  in  bem  na^e  gelegenen 
©mprno  fe(^8  ftarfe  @rfdbütterungen  verfpürt  mürben  unb  im 
bena^barten2fd^eflme^über3000^)äufereinftürgten,  öOOÜRenfdjcn 
getöbtet  unb  300  vermunbet  mürben?  2)ann  fam  ÜRagnefia  am 
©ipplog,  an  beffen  Flamen  fi<^  bereits  fo  viele  ominöfe  ©reigniffe 

(844) 


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37 


fnü))ften,  ferner  !£emnod,  ^^ilabel^^ia,  Slegeae,  Sbi’Qonibea,  bte 
SKoftener  unb  macebonif(^en  ^^prfaner,  ^ierocaefatea,  ÜKprtna, 
J^nte  unb  Smotud.  Sludb  btefe  tnurben  fämmtlid^  auf  bte 
gleiche  Seitbauer  non  5 Sauren  non  ben  ©taaiSfteuem  befreit; 
au(b  würbe  ein  SHegierungSfonrntiffär  abgeftbi^t,  um  ben  S^at° 
beftanb  on  Drt  unb  Stelle  in  Slugenfdjein  ju  nehmen  unb  für 
bie  bringenbfte  9lotb  Sb^ülfe  bereit  ju  galten. 

23on  einer  ber  genannten  Stabte,  f>bilabelp^ia,  j^reibt 
Strabo  im  XII.  Su^e  feineS  2öerfe8,  worin  er  jene  ganje 
@)egenb  unb  beren  (Srhbebendjarafter  fcbilbert;  „|)^ilabet))^ia 
^at  ni(bt  einmol  fefte  flauem,  ba  biefe  gewifferma^en  töglid^ 
erfcbüttert  unb  gefpalten  werben;  bie  Sewobner  geben  beftanbig 
auf  biefe  @rfcbütterungen  bed  S3obend  ^jldbt  unb  wehren  ficb 
bagegen“.  IDaö  Uiämlicbe  fagt  er  aud>  int  XHI.  Sutbe  unb 
fügt  btnju:  „Seewegen  wobnen  nur  SSenige  in  ber  Stabt:  bie 
^Reiften  leben  anf  bem  8anbe  vom  ^clbban.  Slber  auch  non 
ben  SBentgen  ift  e8  wunberbar,  ba§  fie  eine  foltbe  Sorliebe  für 
einen  fo  gefäbrlicben  SEßobnort  hoben;  uodb  mehr  aber  mochte 
man  ficb  über  biejenigen  wunbern,  welche  ficb  bort  erft  angefiebelt 
haben“. 

@0  eriftirt  noch  ein  int  3.  30  n.  ßh^-  ju  @heen  Äaijerö 

EibertuS  errichtetes  JDenImal  gn  |)utcolt,  auf  welchem  bie  Flamen 

fSmmtlidjer  Stabte  nergeichnet  finb,  wel^e  3;ibetiu8  auf  erfolgtes 

©rbbeben  hi“  untcrftü^t  hotte.  IDarunter  figuriren  au§er  ben 

ebengenannten  gwölf  no^  .^ibpra  unb  (SphefuS,  bem  nämlichen 

ßanbftri^  angehörig,  non  benen  jenes  im  3.  23,  biefeS  im  3.  29 

auf  gleiche  Söeife  heiwgejubht  worben  war.  IDagu  fam  noch  bie 

fchon  früher  f^wer  betroffene  Stabt  Slegium  in  9lchaia,  ber 

ebenfalls  bie  Abgaben  unb  gwar  auf  brei  3ohTC  erlaffen  würben. 

3n  biefer  3Jlnnificeng  hotte  libcrinS  ein  herrliches  IBorbilb  an 

SluguftuS,  welcher  bie  Stabt  SitallcS  mit  @elb  unterftü^t  hotte, 

(8«) 


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38 


als  bafelb[t  baS  ^pmnafium  unb  anbece  ®ebäube  etngeflürjt 
maren,  fowle  bte  @tabt  gaobicea  in  ?)^rpflien,  unb  bet  übet» 
^aupt  (aut  bem  SJlonumentum  iSncptanum,  einet  8tt  ©elbft» 
biogtap^ie,  nidbt  »eniget  als  2400  aRill.  ©eft.  auS  feinet  ^tinat» 
(^atouQe  füt  gemeinnü^ige  Bwetfe  oetauSgabt  ^at. 

Seichtet  fam  bie  juie^t  etvä^nte  ©tabt  8aobtcea  im  % 60 
p.  6^t.  boDon,  »0  fie  ficfa  o^ne  ftembe  ^ülfe  buttb  eigene  SRittel 
»iebet  auf^elfen  fonnte.  ®ie  bortige  ©egenb  mar  überhaupt 
but^  bie  S3efc^a|fen^eit  beS  ilettainS  gang  befonberS  ben  @rb» 
beben  auSgefe^t : eS  finben  fid^  nämlic^  bort  nac^  ©trabo  (1.  XU) 
eine  SOiaffe  untetirbife^er  @änge  unb  aufeerbem  flrömen  bie 
bluffe  ftellenweife  unter  bem  Soben. 

fRicbt  lange  batauf  ^ielt  baS  ä?erberben  mieber  in  Stalien 
@infe^t  unb  gmat  in  bem  befannten  Pompeji  am  beS 
SSefunS : eS  gefc^a^  bieS  im  3.  63,  an  ben  fronen,  b.  am  5., 

beS  fDionatS  gebtuar,  gu  einet  Sa^teSgeit,  melc^e  fonft  nac^  ben 
äSet^ei^ungen  ber  SSotfa^ren  non  betattigen  Unfällen  frei  bleiben 
foQte.  IDaS  Unglücf  mu^  tto^  ©enefa’S  93emetlung  bod;  größere 
SMmen fronen  angenommen  bai>on:  eS  etfttecfte  fi(b  fcbon  bamalS 
auch  übet  ^etlulaneum  unb  9iucetia  unb  Iie§  felbft  9ieapel 
nicht  unnerfchont.  9Ran  begreift  ba^et  leicpt,  ba§  felbft  bie 
16  3ahte,  welche  gmifchen  biefem  @tbbeben  unb  ber  ©chlu^» 
lataftrophe  oom  3-  79  lagen,  nicht  non  getne  auSreichten,  um 
bie  traurigen  ©puren  bet  erften  SSerfchüttung  gu  entfernen, 
bähet  bie  gahlteichen  Stinnetungen  an  jene  frühere  ^Periobe, 
benen  mit  bei  ben  hculia^n  ^jluSgrabungen  gu  Pompeji  auf 
©chritt  unb  2ritt  begegnen. 

IDem  gegenüber  flingt  eS  faft  fomifch,  wenn  mir  bei  piiniuS 
lefen,  ba§  im  3-  68,  bem  lebten  3nh’^e  9iegietung  beS  fRero, 
im  SRatrucinerlonb  auf  bem  Sanbgut  non  fReto’S  SJermalter 
SBectiuS  ^RarcelluS  ein  ©tüd  SBiefenlanb  unb  eine  Oelbaum» 

(M6) 


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39 


pflanjuno  einen  @rbfto§  einfach  auf  bie  anbere  Seite  ber 
dffentlic^en  Strafe  ^inübernerfr^t  toorben  fei. 

^jlbet  bei  93efuv  »at  mit  feinen  bisherigen  Dpfern  no^ 
nicht  3ufrieben.  Svat  nach  ^<>n  3.  63  niete  Semohnet 
6amt>anienS  bem  8anbe  iBalet  gefagt,  aber  eS  mar  hoch  noch 
SeoöIIerung  genug  jurüdtgeblieben,  um  auch  taS  fommenbe  £eib 
burchgufoften.  Senefa'S  Sroftfpruch,  ba§  ©egenben,  in  benen 
©tbbeben  fchon  gemüthet  hatten,  gegen  adeS  Sehnliche  gefeit 
feien,  ba  baS  ©efchicf  hi^  feine  Reifte  bereits  aufgebraucht  unb 
ber  Ort  gerabe  butch  feinen  Sufammenfturg  eine  befonberS  fefte 
©runblage  olS  Stü^e  gewonnen  hnb«!  würbe  — freilich  erft 
nad)  feinem  £obe,  fo  ba§  er  fenen  nicht  wiberrufen  {onnte 
— butch  bie  unerbittliche  fSBirflichfeit  Sügen  geftraft. 

SBir  befinben  unS  in  ber  Sage,  über  biefe  Äataftrophe  »om 
3.  79  noch  ausführliche  93erichte  gu  befihen,  unb  gwar  »ou 
einem  Sugengeugen,  bem  gleichnamigen  fReffen  beS  älteren 
^liniuS,  meldh  Unteren  baS  bamalige  ©rbbeben  megraffte.  SlacituS 
hatte  jenen  gebeten,  ihm  bie  näheren  Umftänbe  angugeben,  unter 
welchen  fein  Onfet  babei  ben  jlob  gefunben,  ba  er  baoon  in 
einem  gefchichtlichen  SBerfe  — in  ben  erhaltenen  ©tücfen  fteht 
bauen  nichts  — ber  IRachwelt  .ftenntnih  geben  wolle.  IDieS 
ueranlahte  bann  ben  jüngeren  ^liniuS,  gwei  SSerichte  abgufaffen, 
beren  elfter  bie  ©chidjale  ^piiniuS’  beS  Seltern  behanbelt, 
währenb  er  in  bem  gweiten  auf  feine  eigenen  ©rlebniffe  gu 
fprechen  fommt.  Suf  ben  näheren  3nhalt  biefer  beiben  IBriefe 
in  beren  gangem  äJerlauf  eingutreten,  ift  mit  wegen  beS  furg 
gugemeffenen  üiaumeS  faum  geftattet.  3^  erwähne  bähet  barauS 
nur  furg  ^olgenbeS,  bah  baS  mit  einer  ©ruption  nerbunbene 
@rbbeben  um  1 Uhr  ffRittagS  am  24.  Suguft  feinen  Snfang 
nahm:  gu  biefer  3«t  erhielt  ber  ältere  *piiniuS,  ber  bamalS  gu 

URifenum  als  glottenfommanbant  fungirte,  bie  ihn  als  9tatur> 

(8«) 


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40 


forfd^er  lebhaft  inteteffirenbe  9lad^ri^t,  ba^  fi^  auf  bem  SSefu» 
eine  ungetcöl^nUd^  grc^e  SBolfe  con  (^anj  merfnütbiger  @epalt 
jetge.  Suglci^  batten  einige  befteunbete  Familien  um  f^Ieunige 
.ipülfe  gebeten.  @o  fuhr  ee  benn  eiligft  auf  bag  gang  am  §u§e 
beS  SSefund  gelegene  @tabiae  gu,  mel^ed  beteitd  non  einem 
bicbten  9fcbentegen  übetbecft  mar,  nerbradbte  bafelbft  in  atlet 
Q^emütb^Tube  bie  fRadbt,  obmobl  ingmifcben  oom  SSefun  an 
mehreren  SteQen  meitbin  fidb  audbreitenbe  Slammengungen  auf> 
Unsteten  unb  aQerbanb  @eftein  bunb  bie  8uft  angemirbelt 
fam.  ^it  ^übe  tonnte  man  ibn  am  fDtorgeu  gum  Slufbrudb 
bemegen:  fcbon  batte  bie  Saoa>  unb  ülfcbenmaffe  bie  ^bür  gu 
feinem  @ema(b  faft  nöllig  oenammelt.  9lun  f(bneü  ein  ^>aar 
@(britte  na^  bem  fUteere  gu:  ba  fenft  fidb  plö^licb  eine  neue 
tafdjenmolte  brrab,  bie  ba0  ©iScben  Sag  roieber  in  finftre  9ta^t 
ummanbelt  unb  mel(ber  bet  ftart  an  Sftbma  (eibenbe,  bereits 
bejahrte  ©elebrte  fdblie§Udb  erliegt. 

IDa^  ben  ^ompejanern  biefeS  Unglüd  oöÜig  unermartet 
tarn,  tann  man  leidbt  auS  bem  Umftanbe  f^Iie§en,  ba^  fie,  mie 
bie  iSuSgrabungen  geigen,  eine  SRenge  oon  foftbaren  unb  babei 
leidjt  fortgufdbaffenben  ©egenftänben,  fomic  oiele  für  ben  aller» 
nddjften  ©ebraudb  notbmenbige  ©erätbfcbaften  on  Drt  unb  ©teile 
im  ©ti(b  lieben,  ©ocb  ift  bie  3abl  ber  bisher  aufgefunbenen 
©erippe  unb  ber  burdb  umfliebenbe  Sana  gebilbeten  Körper» 
boblräume,  bie  man  betanntlicb  mit  ©ppS  auSgegoffen  bat, 
nicht  fo  grob,  alS  man  angunebmen  berechtigt  märe,  menn  bie 
j^ataftropbe  alle  unb  jebe  Slucht  abgefchnitten  hätte.  S)ab 
folche,  menn  gleich  unter  ben  gröbten  ©^mierigfeiten,  hoch  in 
münfchbarer  ‘ÄuSbebnung  bemerfftelligt  merben  tonnte,  mirb  auS» 
brücflich  oon  ^liniuS  begeugt:  geigt  hoch  auch  bie  gange  ä3e> 
fchaffenbeit  beS  IBerfchütlungSbobenS,  ber  bei  näherer  Unterfuchung 
fleh  nicht  als  einheitliche  3)laf)e,  fonbem  als  ein  Ülggregat 


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41 


mehrerer  übet  etnanbet  aufget^ürmtei,  geitlicb  jelbftänbt^er 
@d^t(^ten  etweift,  bag  eS  ^ier  um  einen  nid^t  plö^ltdl), 
jonbetn  olImäHg  eingelretcnen  SSorgang  ge^anbelt  ^at. 

3n  engem  Sufammen^ang  mit  ©rbbeben  fielen  33ergftür je 
unb  (ätbjc^lipfe.  gaft  immer  berieten  bie  ©cbtiftftellet  bei 
ber  33efd^reibung  non  @rf Fütterungen,  toie  Serge  ju» 
fammengeftürjt,  ragenbc  ©ebirgflfämme  bem  ebenen  Soben  gleiF* 
gemalt  aorben  feien.  ^liniuS  ber  keltere  erjä^lt  (Et,  81), 
mie  ber  ^^ilofop^  iSnarimanber  »on  Sfflilet  ben  8acebämoniern 
ein  (grbbeben  »orauSgefagt  unb  fte  ju  reFtjeitigcr  SorfiFt 
ermahnt  ^abe,  unb  »irtliF  fei  furj  barauf  i^re  ganje  ©tobt 
gufammengeftürjt  unb  ein  großer  S^beil  beS  Sta^getog,  uelFer 
wie  ein  ©Fipe“^®  ^ernorragte,  ^abe  mit  feinen  Slrümmern  bie 
©Futtmaffe  noF  obenbrein  überbedt. 

®a8  ©raufige,  ba8  in  einem  folF«n  jd^en  SergbrnF  Hegt, 
unb  melFcS  bo8  fFwer  geprüfte  ©Fweijerlonb  nur  oHjufrifF 
noF  im  ©ebdFtni^  bema^rt,  ^aben  bie  alten  SiFter  lebenbig 
erlannt  unb  mei8HF  bagu  benu^t,  um  bamit  auf8  ^rdftigfte 
ba8  iSnftürmen  i^rer  ;£)elben  gu  »erfinnbilbliFen.  Som  rafenben 
^)eItor  fingt  ba8  13.  ^ieb  ber  3lia8:  „3)ie  2roer  [türmten  »or= 
aärl8,  ^aufenweiS:  Doran  eilte  .^ettor,  entgegen  pF  ftemmenb, 
al8  »ie  ein  ©teinblod  »om  gelfen,  ben  ein  6i8mafferftrom  »om 
©ebirgäranb  ^erunterftö^t,  mann  er  mit  unfdgliFem  SlegenfFwaD 
bie  ‘Pfeiler  be8  grauenrotlen  §clfen8  burFbroFen  — unb  ber 
piept  nun  auf^üpfenb  einher  unb  e8  bröpnt  unter  ipm  ber 
SBalb.  3)oF  er  fpringt  pFer  unaufgebalten  ba^in,  bi8  er  gur 
©bene  gelangt  ift."  Dann  SBergil  »on  2;urnu8  im  ©Flup= 
gefang  feiner  9lenei8:  „3Bie  wenn  ein  §el8bIo(I  vom  ©ipfel  be8 
Serge8  fäplingS  perabftürgt,  lo8geriPen  com  ©türm  ober  bap 
ipn  ber  tRegenfFouer  abgefpült  ober  ba8  bejaprte  tülter  peimliF 
gelöft  pat  — ; e8  fd^rt  bapin  in  bie  jdpe  ^iefe  ber  ruFIofe 

XI.\.  4M.  ■ 8**  (9«) 


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42 


©erg  mit  heftigem  Solen  unö  fpringt  auf  Bom  ©oben,  SBälber 
mit  |ic^  tei^enb  unb  .^eerben  unb  OJlannen". 

©on  bem  ^iftorifer  Sloruö  »erben  ferner  bie  Bon  ben 
SrienterSlpen  mi)  Stalien  ^erabfteigenben  (Simbern  unbSeutonen 
mit  einem  jä^en  ©ergftur3  Berglicben,  unb  enblic^  bebient  fitb 
©iliuS  3talicu8,  um  baö  ©infturjen  einer  Bom  geinbe  unter» 
minirten  fDtauer  ju  fd^ilbern,  beS  gleichen  ©UbeS  unb  3»ar  benft 
er  babei  fpe3ten  an  ein  jolchee  @reigni§  in  SIpengegenben:  „©o 
3er|plittern  in  ben  Sllpen  h'mmelragenbe  Seifen  mit 

bröhnenbem  @inftur3  bie  Sluh  unb  eS  ftürmt  h^iab  baS  »uchtige 
©ellippe." 

S5ir  finb  am  önbe  unfereS  fur3en  UeberblicfS  über  bie  »i^tig« 
ften  elementaren  6reignif|e  im  IBIterthum  angelangt.  9Jtau  fleht,  bie 
Sitten  halten  Bon  benfelben  minbeftenS  ebenfoBiel  3U  leiben,  »ie 
»ir  h^ut3utage.  S)a8  giebt  un8  einen  gemiffen  Sroft,  in  ben 
[ich  freilich  ein  ©efühl  ucn  ©itterfeit  mifcht  bei  ber  ©etrachtung, 
ba§  e8  ber  9feu3eit  tro^  ihren  granbiofen  (Stfinbungen  unb  ben 
gewaltigen  ©ntbeefungen  auf  bem  ©ebiet  ber  ©aturforfchung 
immer  noch  nicht  h^t  gelingen  »oQen,  bie  fSflenfchhcit  gegen 
berartige  graufame  UeberfäQe  auSreichenb  gu  wappnen.  Slber 
auch  befi^en  wir  ein  wirffameS  ©egeugewicht,  iubem  wir 
bie  Uebergeugung  gewonnen  hu^^u,  ba^  wenigftenS  auf  bem 
©ebiete  be8  ©eifte8  bie  elementare  9fatur  ihre  SJiacht  Berloren 
hat,  ba&  bem  ftetigen  ©orbringen  be8  Sortfehrittefl  fiep  ni^tS 
entgegengufe^en  oermag,  ba§  ba8  unabläffige  (Ringen  ber 
(Dienjchheit  nach  ©eroollfomnung  fcplie^lich  bo^  gum  gewünfehten 
Siele  gelangen  mu§. 


(SW) 


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43 


^ntnerkmtsni. 

1.  3a  lehrte  ba«  geuct  au^  nac^^et  no(^  einmal  jutüd,  fo 
ba§  ba8  ©anje,  2ltle8  in  3lllcm,  9 Sage  lang  bauerte;  bic  jmeite  geueta* 
brunfl  mar  »eniger  f4)te(fli(^,  weil  fie  fic^  mc^r  über  bie  offen  gelegenen 
2^eile  ber  Stabt  nerbreitete.  ®a§  fie  auf  ben  Sanbgütetn  »on  2igetlinu8, 
5lero’8  aUmä(f)tigem  ©unftling,  au8gebroc^en  war,  »urbc  nit^t  al8  3“faH 
betrachtet. 

2.  2)affelbe  ift  nicht  mehr  »orhanben,  bafür  aber  hat  ber  35er* 
faffer  im  Saht«  1869  in  (Sinfiebeln  jwei  butolifche  ®ebichte  auf» 
gefunben,  »eiche,  ber  9leronifchen  3«it  angehßrenb  — bie  Sinficbler 
ÜJlenche  beachteten  p«  nicht  meitcr,  ba  fie  in  ihnen  nach  t«*n  2lu8fpruch 
OreHi’8  lebiglich  'Probufte  be8  fpäten  SHittelalterS  faben  — ganj 
augenfcheinlich  jene8  ®po8  be8  ÄaiferS  unter  gemaltigcn  i?obpreifungen 
feroilfter  Sorte  in  ben  ^limmel  erheben,  aljo  mit  großer  äBahrfchcinlichfeit 
bem  3ahre  64  jujuioeifen  finb.  3»ei  4>irten,  ^ha'npraS  unb  Saba8 
fommen  ju  einem  3)ritten,  'JlamenS  Ü)liba8,  mit  ber  Sitte,  bcrfclbe 
möge  ihren  SBettftreit  im  Singen  fchlichten.  Seibe  fingen  nun  Sieber 
ju  ®hten  be8  tichtenben  @otte8  9lero,  (Sincr  ben  Slnbern  überbietenb; 
bag  er  mit  5Phocbu8  ibentificirt  wirb,  ift  noch  l>a8  ®cringfte.  3(ber 
ba8  ©anje  läuft  barauf  hinau8,  ba§  QlngefichtS  bc8  htrrlid;en  ®ichter» 
nihmes  be8  faiferlichen  3tpotl8  bie  Stabt  TOantua,  SergilS  4>eimath, 
einfach  ihte8  Sohnes  3lenciS  mit  eigener  ^anb  jerftert,  weil  gegenüber 
bem  faiferlichen  6po8  fünftig  nicht  mel;r  ber  Scachtung  werth-  2)aS 
anbere  ©ebicht  fingt  baoon,  ba§  iegt  3lpo((o  regiere  unb  baS  golbene 
3eitalter  angebrochen  fei. 

3.  ©emeint  ift  ba8  im  Sahre  5Ü  burch  bie  Äaiferin  Slgrippina, 
©laubiuS’  ©emahlin,  gegrünbete  Äöln. 

4.  9Ucht  lange  barauf,  jur  3«it  SllepanberS  beS  ©rogen,  hatte  bie 
Stabt  3lpamea  in  Spbien  — »elcher  Sanbftrich  auch  Äatafefaumene 
hieß,  ba8  uerbrannte  Sanb,  »egen  be8  burch  ^aS  unterirbifepe  geuer 
unterminirten  SobenS  — an  ©rbbeben  ju  leiben,  bann  »ieber  unter 
UJlithribateS,  »elcher  3um  Slufbau  100  jolente  fchenfte. 


(SH) 

£tuil  Bon  C)t(br.  Ungrt  CVrimm)  in  tJcrlin,  £<^öni6(rgcrftr.  17  n. 


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Hebet 


Sipcrg-  und  KieCcntPuchs. 


SSortrag, 

gehalten  in  bet  «nt^ro^jologifc^en  ©ejeflit^afl  ju  ?Kun^en 
am  26.  Dftober  1883 


von 


Dr.  (Btto  BoUinger, 

$rof.  in  9Rfln(b(n. 


9Rit  3 ^oI)f(bnitten. 


flerü«  SW.,  1884. 

SBerlag  oou  6arl  .^abel. 

(C.  (0.  ZiiiTtti’fiiit  Sttlagiliniiilioiiiling.) 

SS.  »il^lm.etraie  SS. 


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9le(^t  bei  Ueberfe^ung  in  fiembe  Sprachen  mitb  norbe^alten. 


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^ie  metfroürbigen  9iaturipicle  beS  Swe^ä*  unb  {Riefen» 
iDU(^fe0,  bie  feit  alten  3«ten  bie  Slufmerffamfeit  ber  5IRenf(^en 
auf  fid^  gejogen  unb  ber  fc^5pferif(^en  ^^antafie  be0  SSolIefl 
reid^Iid^en  Stoff  jut  Sitbung  »on  Sagen  unb  SRärd^en  geboten 
l^aben,  finl*  Slnt^ropologen  infofern  »on  3ntereffe,  aU 

Bwerge  unb  {Riefen  ©jctreme  barfteHen,  tDtUf)t  für  bie  Setrad^tung 
ber  normalen  @rD§enoer^altniffe  be8  menfc^li^en  ÄörperS  »on 
Sebeutung  finb. 

Unter  ben  anatomif^en  Unterfc^eibungSmerfmalen  ber  {Raffen 
fpiclt  bie  Äörperlänge  eine  wici)tige  {RoQe  unb  e8  mögen,  benot  id^ 
in  mein  St^emd  eintrete,  einige  SBemerfungen  übet  bie  normalen 
@rö§enner^ältniffe  norauSge^en.  Sud^cn  mir  junüc^ft  bie 
gtage  ju  beantmorten,  in  melc^em  Slbfc^nitt  beö  menfd^lic^en 
Gebens  ber  gängenmadböt^um  beS^örperd  al8  beenbet  ju  betrachten 
fei,  fo  lauten  bie  Hingaben  barüber  etmaS  nerfdbieben:  {Radb 
{Billerm4  bauert  ba0  HBachStbum  bi8  3um  23.,  nadb  Ouetelet 
bi0  3um  25.  Lebensjahre,  mährenb  nach  ben  H3eobachtungen 
Lufchfa’S*)  baS  LangenmachSthum  beS  SRenfdhen  in  JDeutfdb» 
lanb  mit  bem  22.  Lebensjahre  abgefchloffeu  ift.  Hlnatomifch  ift 
biefer  Hlbfdhlu§  im  .^nochengerüfte  baburih  auSgefprothen,  ba§  bie 
ßnbftücte  ber  ©lieberFnocben  mit  ben  mittleren  Slbfchnitten  ber» 
f eiben  in  fnöcherne  Gontinuität  getreten  finb.  5IRit  {Rüdtficht 
auf  bicfe  mürbe  auch  fchon  non  competenter  Seite  baS 

^oftulat  aufgeftcDt,  bafe  man  bei  ber  HluShebung  3um  51Rilit5t» 
bienfte  ober  minbeftenS  bei  bet  Hirt  ber  HSermenbung  in  bemfelben 

XIX.  4S5.  1*  (965) 


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4 


biefem  Umftanbe  fRed^nung  3U  tragen  ^abe,  ba  not  bei  angegebenen 
Seit  bie  ©lieber  einer  längeren  angeftrengten  J^ätigleit  nid^)t  gu 
genügen  »erm  ödsten . 

IDie  mittlere  ®rߧc  ber  5Deutf(^en  ift  offenbar  »erfdjieben 
je  nach  bem  Orte  ber  S3eobad^tnng. 

SBäbrenb  Senele  bie  mittlere  ^örpergröffe  beS  SRittel«  nnb 
9iorbbeutf(ben  anf  1,68  ÜReter  für  bie  männliche  SBeoöIfernng, 
für  bie  weiblidhe  auf  1,58  SReter  angiebt,  hake  i<^  für  bie  füb» 
baprifd^e  SeoöIIerung  aI8  ÜRittelmafe  ber  ÜRännet  1,62  ?Keter, 
ber  SSeiber  1,52  SJleter  gefunben*).  2Bie  au0  folgenber  Jobelle 
eifi^tlidb,  finb  ale  bie  größten  ORenfdben  ber  ©ibe  bie  'Patagonier 


SSIferfchaft 

3)ni(i)f4ntttli(be 
^Sipeilänge 
(in  Sentimeter) 

Patagonter 

180,3 

iRotbametifanri  Ui  SQciitiie  . . . 

177,0 

, , OP««  .... 

178,0 

Sielänber 

1 173,6 

6ngl&nb(i 

172,7 

Setten 

170,4 

©(fttoeben 

170,2 

Belgier 

168,6 

9lorbb(utf(be 

168,0 

S)entf(h5ftenei(hei 

167,0 

®Ben 

164,2 

®fibfranjo[en 

163,0 

S^inefcn 

162,5 

9Itbapern 

162,0 

3talienei 

162,0 

SRoIapen 

157,0 

Sopuen , . . . 

• 152,4 

SIffa  (9UIqneHen) 

140,0 

93u|(]}männer 

137,2 

Hbongo  (fßeffofrifa) 

137,0 

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5 


ottjufe^en,  bie  eine  mittlere  ÄortJergr6§e  »on  1,803  SJietcr  ^abeti; 
eine  8Snge  ton  1,93  SKeter  foH  bei  biefen  Sliefen  feine  ©eiten» 
^eit  fein. 

IDen  8apt>en  mit  152,4  (Zentimetern  ^ör|>er^ö^e,  bie  lange 
Seit  ^inburc!^  ald  ber  fleinfte  3)fenf(^enftamm  angefe^en  tturben, 
^aben  bie  Sufebmänner  unb  einige  anbere  ©tämme  Sfrifad  ben 
Slang  ftreitig  gemacht,  inbem  biefelben  ald  fleinfte  SRenfeben 
bet  6tbe  nur  137 — 140  ©entimeter  Äörbetlänge  befi^en  unb 
beiläufig  ber  @rö§e  einefl  11— IQjäbrigen  beutfeben  Äiubeö  ent» 
fpreeben.  — 3)te  ton  (Sriftoteleö  unb er obot bereits  ermähnten 
?)9gmäeu  in  ben  Duellgegenben  beS  SM18  finb  in  ihrer  ©rifteng 
bur^  unferen  8anbSmann  ®eorg  ©cbiteinfurth  beftätigt 
»orben.  S3ei  bem  Äanibalen»Äönige  SJlunfa  fener  ©egenb 
traf  ©ebweinfurt  SSertreter  ber  SSffa’S,  bie  auSgebehnte  ©ebiete 
gmif^en  bem  1.  unb  2.  @rabe  nötbli^et  IBreite  bewohnen  unb 
eine  burcbfcbnittlidhe  ^5rpergrö§e  ton  140  (Zentimetern  haben. 
3)et  Sleifenbe  8eng  fanb  in  ben  70er  Sahren  nicht  fern  ton  bet 
äquatorialen  SBeftfüfte  Slftifa’S  baS  gmerghafte  S3olf  ber  Slbongo, 
IDiefelben  finb  ton  fähwächlidheia  Körperbau,  haben  bünne  giemlicb 
lange  @liebma§en,  einen  ftumpffinnigen  ©eficbtSauöbrucf,  un» 
ruhiges  febeueS  (Suge,  fehr  lange  ©(bäbel  mit  totragenben 
.^efern,  fleine  gierlidhe  ^änbe  unb  Bube,  eine  liebt  cbofolabe^ 
braune  Hautfarbe,  furgeS  ttoDigeS  $auf)thaar  unb  eine  IDurcb» 
febnittShöh«  »an  132 — 142  (Zentimetern  bei  auSgeroaibfenen 
SJiännern,  bei  Btaucn  bebeutenb  tteniger. 

@S  reicht  fomit  ein  S3ufcbmann  ober  (Sbongo  einem  ^atagonier 
nur  bis  an  bie  93ruft,  ber  fleinfte  SJlenfcbenfcblag  hat  f bet 
8eibe8hohe  beS  grobten,  ein  Unterfebieb,  bet  geringfügig  erfebeint 
im  SSergleicb  mit  bem  ©röbenunterfebiebe  gwifeben  terwanbten 
Staffen  gemiffet  SEhiere,  wobei  hi«  nur  an  ^fetbe,  j^unbe  unb 
kühner  erinnert  werben  foll. 

Sutn  S5erglei<bc  mit  obiger  SabeHe  möge  eine  ton  B-  Se» 

* (8S7) 


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6 


nefe*)  gegebene  3uffl«nmen[tcnung  finben,  »eld^e  JDurd^* 
fcbnittdma^e  füt  bad  notmale  unb  bte  normale 

^örpergemicbtSjuna^me  tm  ftnblid^en  unb  jugenbli^en  91ter  giebt: 


Sütet 

^ötperlänse 
(in  ßentimeter) 
m&nnlidb  1 nxiblicb 

jtörtieigctDicbt 
(in  j^lIogTamm) 
männlidb  | wriblicb 

(Geburt 

50,0 

49,0 

3,2 

3,1 

1 3abr 

71,0 

69,5 

9,0 

8,6 

2 „ 

80,0 

79,0 

11,5 

11,0 

3 „ 

87,0 

86,0 

12,7 

' 12,4 

4 . 

93,0 

i 91,5 

14,2 

14,0 

5 , 

99,0 

97,5 

16,0 

i 15,7 

6 „ 

105,0 

104,0 

17,8 

i 16,8 

7 •« 

110,6 

109,0 

19,7 

17,8 

8 , 

116,0 

114,5 

21,7 

19,6 

9 - 

122,0 

1200 

23,6 

21,0 

10  . 

128,0 

125,0 

25,5 

23,2 

11  . 

133,5 

130,5 

27,5 

25,5 

12  . 

187,5 

136,5 

30,0 

30,0 

13  , 

142,0 

1426 

33,0 

33,0 

14  , 

147,0 

146,0 

37,5 

37,0 

15  , 

152,0 

149,0 

42,0 

41,0 

16  . 

156,0 

152,6 

47,0  j 

45,0 

17  , 

162,0 

154  0 

520  1 

48,0 

18  , 

166,0 

167,0 

55,0  i 

50,0 

19  , 

167,0 

168,0 

58,0 

62,5 

20  , 

168,0 

168,0 

60,5 

64,0 

25  . 

— 

— 

64,0 

55,0 

35afi  baß  SGBeib  beiläufig  um  an  ^ötfjetldnge  — circa 
10  Zentimeter  bei  Zngldnbetn  unb  JDeutfcben  — hinter  bem 
50ianne  jurüdfteht,  ttieberholt  fi(h  anndhemb  bei  allen  ÜWenfcben» 
raffen. 

Sßenn  auch  bad  9iormaIma§  ber  lörhefli^en  Zntmidelung 
eine  bebeutenbe  Sreite  hut,  fo  finb  au^erbem  nach  beiben  Seiten 

(8W)  . 


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7 


^in  getDiffe  no(^  in  bad  ®ebiet  beS  9}orniaIen  fallenbe  ©lenj» 
t^pen  auf}uf}eQen,  bie  bei  5U  geringer  ^&r^grö|e  alS  tninber« 
mäßige,  bei  fe^r  er^eblid>er  Sänge  aI8  übergroße  ORenfdjen  ober 
jpo(^»u(^8tppen  (Sänger) ♦)  jn  bejeit^nen  finb.  ®ie  3a^l 
ber  3Rinbermä§igen  beträgt  in  iDbetbapem  »ie  in  granireicb 
but(^fd)nittlid^  5 — 6 ^rocent  ber  Seoölferung;  bie  fogenonnten 
;^0(^njuc^8t9t)en,  bie  bei  ben  ©übbapem  6—7  |)rocent  ber 
Seoöllerung  auflmad^en,  ^aben  meift  Ileinen  Äot>f,  tur3e  SBirbel» 
fäule,  etvaö  oerlängerten  Sruftlorb,  längere  ^jlrme  nnb  S3eine, 
geringe  ©^ulterbreite  unb  erijo^te  ^üftbreite. 

2)ie  viel  bidfutirte  ^age,  ob  bie  @rö^e  ber  ^enf^en  inner* 
^alb  ber  einzelnen  ©tämme  feit  ber  SSorjeit  bis  auf  unfere  Jage  fi(^ 
»efentli^  oeränbert  ^abe,  wirb  oon  ber  SKe^rja^l  bet  gorjc^et 
ba^in  beantwortet,  ba§  bieS  wo^I  nic^t  ber  gaQ  fei.  ©ie  @rgeb= 
niffe  ber  präl^i^orifcbenSorfd^ung,  bie  (Refuitate  ber  Ausgrabungen, 
namentli(^  bie  ÜReffungen  ber  ©felette  beweifen,  ba§  bie  ÜRen* 
fdjen  bamalS  an  @rö§e  bie  gegenwärtigen  Sewo^ner  ni(^t  über* 
trafen,  ©ie  »or  3a^rtaufenben  beftatteten  SDlumien  geigen  bie» 
felbe  Äörpergtö^e  wie  bie  genügen  Sewo^ner  beS  9liIIanbeS. 

©iefer  Anfd^auung  oon  ber  @onftang  ber  ^ötpergrü^e 
oermag  idfi  in  i^rer  erdufioen  Raffung  ni^t  beigutreten,  ba  nad)» 
weisbat  ga^Ireid^e  Urfad^en  im  @tanbe  finb,  bie  ©ntwirflung 
beS  ÄötfjetS  unb  bamit  baS  SJlafe  ber  Jförper^ö^e  gu  beeinfluffen. 
3ebe  p^pftfc^e  ©egeneration,  mag  fie  nun  burd^  mangelhafte  @r» 
uähning,  burch  übermäßige  förderliche  ober  geiftige  Arbeit,  burdß 
ungenügenbeSKuSfelthätigfeit,  burch  einfeitige^flege  berdfddhifthen 
Sphäre,  burch  fDiißbrauch  oon  ®enußmitteln  unb  enblich  burdh 
erbliche  ober  erworbene  Ätanfheiten  bebingt  fein,  führt  audh  gnr 
9)erminberung  ber  Körpergröße,  namentlich  wenn  gange  IReihen 
oon  ©enerationen  betroffen  werben. 

Um  nur  einiges  h^<iuSgugrrifen,  waS  meinen  obigen  Saß 

gu  beftätigen  geeiguet  ift,  erinnere  ich  Unterfudhungen  oon 
• CM9) 


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8 


3.  Slanfc,‘)  bet  für  bt<  SeDölferung  eine  getingere 

^dq>eTgro|e  feftgefteQt  ^at  alfi  für  bie  Sanbbenölferung , uobet 
neben  anbeten  ffactoren  ficbet  bie  beim  Sanbbemobnet  übet== 
miegenbe  9Ru0feltbötigIeit  eine  {)aubttoDe  fpiell.  3e  grofeet  bie 
SbÄtigfeit  bet  ben  Soeben  umgebenben  9Ru0feln  im  maibfenben 
Körper  ift,  um  fo  fräftiget  entmiefein  ficb  bie  etfteten;  bei  un> 
genügenbet  9Ru0felatbeit  metben  bie  Jt'nodben  aubetbem  au<b 
bünnet,  fcbmalet  unb  fcbwäcber.  0iefe  @d^e  miib  febet  er> 
fabtene  Sbi^iücbtet  beftdtigen  unb  boi’ra  biefelben  für  ben 
ÜRenj^en  gmeifelloS  biefelbe  Geltung  mte  für  SLb*^'  ^^nn 
bie  fRefuItate  bet  9Rtlitdr<^u0bebung  mit  @i(betbeit  bemeifen, 
ba|  bie  böbet«*»  Älaffen  tto^  einer  burdbftbnittlid)  beffeten  @r» 
ndbrung  überbauet  fötperlicb  meniget  tüchtig  finb  al0  bie  Sn* 
geb&tigen  bet  Sanbbenölferung,  fo  ift  bieö  ein  emfter  ginget* 
jeig,  bet  beutlidb  auf  bie  ©efabren  unfeiet  mobetnen  Gilbung 
für  bie  förpetli^e  ©efunbbeit  binmeift.  — 35urcb  SReffungen 
an  ® (buifinbetn , bie  in  @nglanb  unb  9iorbamerita  neuetbingS 
in  gtöbtem  fDiabftabe  angefteQt  metben,  ift  gut  @otbeng  nach« 
gemiefen,  bab  @tabt*  unb  Sanbleben,  S^oblbabenbeit  unb  Stmutb 
(Sinflub  auf  bad  SBaebStbum  bet  3ugenb  b<iben.  fDie  intet* 
effante  ^boifo<bCf  bab  bie  eingeborenen  fRotbametifanet  an 
J^öipergtöbe  bie  eingemanbetten  @ngldnbet,  ©cbotten,  3ten 
unb  3)eutf^en  übettreffen,  bemeift  beuUiefaet  alfl  irgenb  etmaö, 
bab  äubete  @inflüffe  innerhalb  telatio  futger  Seittdume  einen 
mefentlicben  @influb  auf  bie  IDurcbfcbnittegrobe  bet  ÜRenfeben 
auSguüben  netmögen.  IDaö  mirtbfcbaftlitbe  @ebeiben,  bie  günftigen 
(Srndbrungönerbdltniffe  fomie  bie  burcbfcbnittli^  gute  fört^etlicbe 
Dualitdt  bet  @ingemanbetten  büiften  biet  al0  utfdcbli^e  SRomente 
in  Setraebt  fommen.  — ^ab  anberfeitS  bie  mobetne  3nbufttie 
namentlicb  biegabtifatbeit  mit  ihren  gablreicben  ®<bdblicbleiten  auf 
@efunbbeit  unb  @röbenma(b0tbum  bet  ^Renfcben  einen  fcblimmen 

@influb  auöüben,  unterliegt  feinem  Sueifel-  3Rit  felbft  finb 
(860) 


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■ 9 


Sabrifbiftricte  belannt,  wo  bie  förperlt^e  Slücbtigfeit  bet  SBe« 
wo(>net  nur  but(b  fortwfi^renben  3u3ug  von  au^en,  but^  un« 
untetbro(!^ene  ^ufftifc^ung  beS  SluteS  eintgeima§en  conferoitt 
witb. 

93on  einft^netbenber  Sebeutung  für  bie  @ntwicfelung  beS 
©feletta  unb  bie  Jförpergröfee  finb  enblicb  gewiff  e Äranf^eitö» 
)>roceffe.  S)ie  englifcbe  ^ranl^eit  ober  (R^acbitiä,  bie  in  ben 
^überen  @raben  neben  anberweitigen  folgen  bie  befannten  @äbeU 
beine  bei  ^nbei  in  ben  elften  fiebendjabren  bebingt  unb  an  welcher 
in  ben  gr5|eren  Stabten  Suropa'b  beiläufig  ^ aDer  .^nber  leibet 
bauptfächlidb  in  ^olge  mangelhafter  @mäbrung  unb  fehlen  bei 
3Ruttermi((b,  b^^  8^^  Soige,  ba§  bie  bamit  behafteten  ^inber 
burcbfcbnittlidb  um  | fleiner  finb  ate  normale  ^nber.  3^  lann 
mid)  ^eS  @ebanfend  nicht  erwehren,  ba§  bie  relativ  geringe 
j^örperbobe  beS  fonft  häftigen  altbaprifchen  SSoIfSftammed  in 
ber  @bene  mit  ber  ,^äufigfeit  ber  OibachiH^  in  einem  gewiffen 
Sufammenbange  ftebt,  wäbrenb  im  füblichen  gebirgigen  Ebeüe 
Sltba^emö  ebcfnfo  wie  in  Sprol,  wo  bie  fDiuttermilch  bie  vor« 
wiegenbe  9iabmng  ber  Säuglinge  bilbet,  erheblich  gröbere  unb 
flattliche  ^örperformen  angetroffen  werben.  Bür  biefe  dlnnabme, 
bie  für  bie  Seurtbeilung  ber  ©röbenverbältniffe  von  wcittvagenber 
Sebeutung  ift,  fpricht  bie  von  3.  fRanfe  für  Sapern  nach» 
gewiefene  S^hntfacb^r  hafi  biefelben  Segirfe,  welche  bie  gröbte 
Sinjabl  von  kleinen  aufweifen,  au^  bie  gröbte  Äinberfterblich  • 
feit  bnl’ro:  biefelben  focialen  SKibftänbe,  welche  bie  erceffive 
Jfinberflerblichfeit  verfchulben,  beeinträchtigen  auch  ©röben» 
entwicflung  beö  Sfeletted.  S)er  ©influb  patbologifcher  fSiivmente 
auf  bie  Jförpergrcbe  tritt  hier  fo  beutlich  alö  möglich  3U  2:age. 

fDer  wichtige  ©influb  ber  ©rnäbrung  auf  baS  förper» 
liehe  SBachStbum  tritt  und  in  armen  ©egenben  unb  Sänbem  fo 
über3eugenb  entgegen,  bab  eine  weitere  ©rörterung  überflüfftg 
erfcheint.  2)ie  IRefultate  ber  3;bi«i3ncht  unb  bad  2^b>twtpetiw«tt 

(8M) 


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10 


gig.  1. 

S)ie  beibtn  Slbbiltungtn  mürben  natnrgrtreu  na<^  p^otograp^tfc^en 
SInfnapmrn  angefeitigt. 

©c^toein  butc^  teic^lid^e  unb  ent)pred^enb  gufammengefe^te 
fRa^rung  auf  bad  ^Doppelte  bed  urfpiüni^Uc^en  @etui(^ted  unb 
eine  entipiec^enbe  Körpergröße  ju  bringen,  tnäßrenb  ein  gineiteö 

urfprüngli^  gleicß  großes  mit  einer  mangelhaft  gufammengefeßten 
(862) 


finb  im  ©tanbe,  bie  Sebeutung  ber  @mährung  für  baö  ^ößen« 
machSthum  flar  nor  klugen  gu  füßren.  3cß  erinnere  ßier  gunäcßft 
an  bie  in  ÜRündßen  non  3ul.  8eßmann«)  angefteüten  SBerfn^e, 
tnelcßem  eS  gelang,  im  IBerlaufe  weniger  fDtonate  ein  junges 


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11 


eiroeifearmen  9la^?rung  gefüttertes  Sdjwein  in  betfelben  3eit  nur 
tuentg  an  ^letti^t  unb  @r5§e  3una^m  unb  bei  ber  @dbla(btung  ein 
hanf^afteS  r^ac^itifcbeS  j(nocbengeiüfte  batbot.  äBä^tenb  baS 
trocfene  ©feiert  beS  gutgend^rten  2l)iere8  na^  4monatlrt^et 
SBerfucbSbauet  3360  ©ramm  ©ettitbt  ^atte,  wog  baSjenige  beS 
mangelhaft  ernährten  ÜhiereS  nur  1600  ©ramm.  — Slehnli^e 
Slefultate  erhielte  »or  Äur^em  2)r.  .^ermann  con  .^öSlin^), 
als  er  im  ^älathologiichen  3nftitute  ju  SJtünchen  2 gteichalterige 
junge  .^unbe,  bie  oon  berfelben  fDtutter  flammten  unb  ju  IBeginn 
beS  SSerfucheS  faft  glertheö  Körpergewicht  (3,1  unb  3,2  Kilo» 
gramm)  geigten,  naheju  1 3ahr  lang  mit  einer  9lahrung  fütterte, 
bie  fich  quantitatio  wie  3:1  »erhielt.  Der  mit  ber  reichlichen 
9tahrung  gefütterte  Jpunb  (gig.  lA)  hatte  am  ©nbe  beS  SSerfu^eS 
ein  Körpergewicht  »on  29,5  Kilogramm,  ber  gweite  ^)unb,  (gig. 
Iß)  ber  nur  | ber  9lahrungSmenge  erhalten  hatte,  wog  9,1 
Kilogramm  unb  bem  entfprechenb  »erhielt  fich  anndhernb  bie 
Körperhöhe.  Die  Körperldnge  »erhielt  fich  wie  100 : 83  unb 
war  bemnach  baS  Heinere  5lhier  etwaS  länger  alS  feinem  ©ewichte 
entfprach. 

Die  ftattliche  ©tö§e  bet  J£)äuptlinge  bei  3ilatur»ölfcrn 
(©übfeeinfeln)  wirb  »on  ben  Steifenben  auf  bie  beffere  unb 
reichlichere  9tahrung  gurücfgeführt;  fo  fanb  ein  beutfcher  gotfCher 
6 fDlänner  einet  ^äuptlingSfamilie  ber  Kaffem  im  SKirtel  183 
©entimeter  hath  H ©entimeter  höher  als  baS  ORirtel  beS 
äSolfeS.  Die  hoh^»  ©eftalten,  wie  fie  namentli^  in  ber  norb> 
bentfchen  unb  englifchen  Ulriftofratie  angutreffen  pnb,  fptechen 
ebenfalls  für  ben  ©influh  einer  guten  ©raährung  einerfeitS  wie 
ber  erblichen  Anlage  anbrerfeits.  3n  Unterer  S3egiehung  fönnen 
auch  bie  großen  $otSbamer  angeführt  werben,  bie  »on  ben 
befannten  ©arbiften  gtiebrich  SBilhelm  I.  abftammen. 

Den  höchft  wichtigen  ©influ§  ber  ©rblichfeit  auf  bie 
Körpergröhe  »ermag  ich  niCht  beffer  gu  illuftriren  alS  burch  ben 

• (86J) 


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12 


^tnweie  auf  bie  tn  @tbena  angeftellten  SSerfuc^  »on  Dr. 
^lönntS,^)  weldjec  uon  einem  metblicben  @eiben^ünb(ben 
($ig.  2B)  von  4,5  ^(ogromm  @emi(bt  unb  einem  männlichen 
fReufunblönbet  »on  43,4  Äilogtamm  ©emicht  2 Sunge  erhielte, 
von  benen  baS  meibliche  Slhiet  ($ig.  2A)  fich  ooQftänbig  nach 
bem  iBaterthiec  entmidtelte  unb  mit  4 SRonaten  fchon  bo)))>eIt  fo 
fch»et  al0  jeine  Sölutter  (B)  mar,  mähtenb  ba0  männliche  Sunge 
(gig.  2C)  butchauS  bet  SWuttet  nachartete,  ade  ©igenf^aften 
eines  ©eibenhünbchenS  geigte  unb  in  ber  ©ntmicfelung  meit 


gifl-  2. 


9ta(h  Ol)otograpbt{(hee  Sufna^me  reprobucitt. 

hinter  bem  meibltchen  Sungen  gutüdblieb.  SBit  fehen  in  biefem 
gaDe,  wie  ä^tc  ©ejchwifter  fich  in  jeber  Oiichtung,  namentlich 
in  Segug  auf  Körpergröße  oerjchieben  verhalten  fönneu:  bie 
Tochter  fchlägt  voQftänbig  bem  S3ater,  bet  @ohn  ber  dRutter 
nach- 

3u  ben  phhjiologifchen  @^wanfungen  bet  Körper« 
größe  haben  wir  Die  iSbnahme  berjelben,  wie  fie  aOabenbliöh 
namentlich  nach  langem  Stehen  fich  eingufteHen  pflegt,  fowie  bie 
im  häh^i^cn  Slltet  fidb  einftellenbe  IBerfleinerung  bet  Körper« 

(M4)  • 


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13 


länge  gu  ret^nen.  IDutci^  lange«,  g.  S.  24  ©tnnben  bauetnbe«, 
Stellen  fann  bie  ^örperlänge  um  mehrere  Sentimeter  (bi«  gu 
6 ($m.)  abne^men  unb  beruht  biefe  ^bnal^me  auf  einfa^ 
lifc^en  33eränbetungen:  nämlid^  auf  Setbännung  ber  ^ot^el* 
fc^etben  bet  SlBirbelfäuIe,  auf  ISbfladiung  be«  ^u^gemölbe«  unb 
ouf  Söerbünnung  bet  gu§fo^Ie.  — 5)a|  längete«  Siegen,  g.  S.  tu 
$olge  oon  ^ant^eiten  ben  JSöt)>et  gu  oetlängetn  im  Staube 
ijt,  ift  eine  alte  ©tfa^rung  bet  Sletgte.  — 3)ic  im  ^ö^eten 
Seben«altet  fid^  einfteOenbe  ISbna^me  bet  ^öt))ergt5ge  beginnt 
meift  nad>  bem  50.  8eben«ia^re  unb  fann  bei  SKenfi^en,  bie 
fe^t  alt  werben,  bi«  gu  7 6cntimeter  betragen. 

@e^en  wir  nad^  btefen  SSorbemerfungen  gut  33efptedf)ung 
bet  3»etge®)  übet,  fo  ift  befannt,  ba§  bie  3®erge  in  unfetet 
fDiptbologie  eine  wi(^tige  fRoQe  fpielen : unter  bem  9tamen  9lb, 
@lfen,  @lbe,  SBic^tel,  Iföidbtet,  .^eingelmänncben  u.  f.  w.  gelten 
fte  at«  bem  ^enfc^en  fteunblicb  gefinnte  äBefen,  aber  au^ 
mäd^tig  gu  fe^aben. 

SBie  bei  gablreidjen  9taturetfdbeinungen  ift  bie  wiffenf^aft* 
li(be  ^Definition  eine«  3»«ge«  -ni(f|t  o^ne  Sc^wletigfeit,  ba 
eine  fi^arfe  Slbgrengung  oon  9totmalen  faum  möglidb  ift.  3m 
lÄHgemeinen  fönneu  wir  un«  übet  ben  Segtiff  bet  3n)etge  ba» 
^in  »erftänbigen,  bafe  wir  barunter  fol^e  SOlcnf^en  »etfteben, 
wel(be  im  S3et^ältni§  gu  intern  IHlter  aUguetbebltcb  unter  bem 
fOiinimalmaa^  i^rei  Stace  ober  i^te«  Stamme«  bleiben  unb  ba» 
burdb  auffallen.  ®0  wirb  bemnacb  ein  patagonifcber  3wetg  er» 
beblid^  gtö§et  fein  bürfen,  al«  ein  foldjer  bei  ben  Suf(^männern 
ober  Sappen,  gut  bie  Sewo^net  ÜRitteleuropa«  bürfte  eine 
^6^e  »on  etwa«  über  1 fERetet . (105  ßentimenter)  al«  ©tenge 
gelten,  unterljalb  weichet  ba«  3n>etgent^um  beginnt.  Hl« 
prägnante  0eifpiele  von  3n>ergwu^«  fü^re  ic^  ba«  gegenwärtig 
in  SDlündjcn  bepnbenbe  3»etgenpaar  au«  Hmetifa  an: 
„©eneral  9JUte,"  bet  bei  einem  mut^maplid^en  HUet  »on 

(MS) 


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14 


16  Sauren  unb  6,5  Äilo  Äorpergettii^t  82,4  6m.  gro§  ift, 
»ä^renb  feine  12jä^ttge  Staut  50li§  9RilHe  (»ergl,  §ig.  3)  67 
(nod^  einer  anberen  Angabe  72)  Zentimeter  Äörijerlänge  unb 
6 J(ilo  j^ör^ergewid^t  aufmeift.  S)ie  auS  ^oKanb  ftammenbe 
3»ergtn  „^Irinjeffin  llauline"!  “)  njar  1882  im  Slltet  oon  93a^ten 
53,8  Zentimeter  bodb  unb  4 Äilo  febwer,  übertraf  fomit  bie 
8ünge  (49,0  Zentimeter)  unb  baS  ©ettidbt  (3,1  Äilo)  einefl  neu« 
geborenen  50t5b(ben6  nur  um  ein  ©etingeä  * “).  Zin  3w«g  ber 
Oemablin  Äönig  Zarl’8  I.  »on  Znglanb  mar  im  8.  8eben8jabre 
angeblidb  fo  flein,  bab  et  in  ein  Safdbentudb  eingewtdfelt  »erben 
Tonnte. 

2)ie  Uebergang8formen  gut  normalen  @tö^e,  Welche  fe^r 
»erfdbiebenen  Urfptung8,  entmeber  angeboren  ober  ertoorben  fein 
fonnen,  begeid^net  man  am  gwedmä^igften  al8  gmer grafte 
©eftalten,  ©felette  foicbet  g»ergbaften  SPienf^en  trifft  man 
faft  in  allen  anatomifeben  Sammlungen,  namentli(b  in  ben 
©ebärbäufern,  ba  gmergbafte  »eibltdbe  Snbioibuen  biefe  8lno« 
malie  beim  @eburt8gef<bäft  b®ufig  mit  bem  Seben  bü^en  ober 
ben  .^aiferfebnitt  notbwenbig  machen.  — 5.  SlanTe  fanb  unter 
45  500  baberifdben  fWilitairbflicbttgen , bie  im  Sabre  1875  ge« 
muftert  »urben,  43  gmergbafte  ©eftalten,  beten  Äörbergrbbe 
gmifeben  1,15—1,40  9Reter  fcb»anfte. 

9118  befonbere  unb  burcbau8  batbo^'^ß'ltb^  ^*8  3»etg* 
»udbfe8  Tennen  »ir  ben  Tretiniftifdben  3wetgwutb8» 
enbemtfdb  in  gewiffen  ©egenben  »orTommt  unb  meift  mit  Sbiotie 
unb  Äropf  oerbunben  erfebeint. 

©0  batte  eine  bierbet  gebätige  SKiTrocebbalin,  SKargaretbe 
Sedfer  au8  Surgeln  bei  Dffenbacb,  ber  beTanntcn  gamilie  Sedlet 
angebötig,  mit  9 Sabren  eine  Äßr^jerlänge  »on  60  Zentimeter 
unb  11  ^funb  ©emidbt. 

Zin  miTroccpbaler  Änabe,  Srang,  Sruber  ber  »origen,  ber 

im  Sabre  1881  im  9llter  »on  9 Sabre»  ftarb  unb  »on  Slefdb**) 

(866) 


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15 


in  SBürjbutg  untet|ud^t  nmtbe,  ^atte  bet  einem  Jföt^ergemid^t 
»on  5,5  ^i(o  eine  ©c^eiteiftei^Iänge  non  44  Sentimetern,  voai 
einet  ^örper^öl^e  non  beiläufig  85  @entimetern  entfptec^en  bütfte; 
berfelbe  ^otte  bemnat^  bie  @tö§e  eines  2— 3 jährigen  Jtnaben. 
SSon  bem  enbemifd^en  freliniftif(^en  3»er0»m^8  unterfd^eibet 
S3it(^oin’*)  ben  hetinöfen  ober  ftetinoiben  bet 

allenthalben  ft)otabif(h  norfommt.  ^iethet  gehört  bie  confefutine 
3»ergbilbung , »ie  fie  bei  dhtonifther  ^irnhöhlenwaffetfucht 
(SBaffetlopf)  beobachtet  wirb.  $Die  SBachSthumSintenfität  ift  bei 
Sbioten  gang  »efentlich  abgefchmächt  unb  nerlangfamt  (Äinb  '*) 
unb  lörünnirfe 2.  gfirft»®)  befchteibt  neuetbingS  einen 
betartigen  gaH,  »o  ein  mit  biefet  Anomalie  behaftetes  ibiotifd^eS 
3Räb^en  mit  16  fahren  nur  81  Zentimeter  gro§  mar,  mährenb 
bie  9lormaIgtö|e  biefeS  IKlterS  152  Zentimeter  beträgt. 

3)ie  Swetge  metben  meift  feht  flein  geboren,  ftammen  in 
ber  Siegel  jeboch  non  normalen  ZItern  ab.  @o  foGl  ber  oben 
ermähnte  ©eneral  SJiite  bei  bet  ©eburt  2 ^funb  gemogen 
haben,  ÜJiih  SKißie  angeblich  H ZItern  beS  @e* 

neralS,  ber  im  Sahre  1867  geboten  mürbe,  finb  nöQig  normale 
Snbinibuen;  bie  SJiutter  mar  17  Sahre  alt,  als  er  gut  SBelt 
lam,  ber  Süater,  ben  ich  felbft  gefehen,  hatte  eine  Äörperlänge 
non  170  Zentimeter.  SJlillie’S  SJiutter,  eine  mohlgebilbete  grau, 
mar  bei  bet  ©eburt  bet  3n>ergin  32  Saht  alt.  3n  feltenen 
gälten  finb  mehrere  ©efd?mifter,  'tie  non  normalen  ZItern  ab« 
ftammen,  gleichgeitig  3n?crge,  fo  bafe  für  berartige  gälle,  ähnlich 
mie  bei  eingelnen  göQen  non  9Jiiftocephf<lie  unb  angeborenem 
93löbfinn  eine  fogenannte  coQaterale  IBererbung  angenommen 
metben  mufe.  — Sn  ber  Siegel  geigen  bie  ©efchmifter  ber 
3metge  ein  normales  Verhalten  in  Segug  auf  Äörhergtöhe. 

Sn  eingelnen  gällen  metben  bie  3werge  normal  groh  ge» 
boten  unb  entmicfeln  fich  in  golge  bet  Hemmung  beS  normalen 

(8fi7) 


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16 


Sßa^öt^umS  erft  im  93erlaufe  bet  Ätnbetja^re  ju  3wergen,  in« 
bem  baö  ©rö^enma^St^um  vorjeitig  abid^liegt.  ' 

S)a§  bie  Swerge  nic^t  »on  3o>ergen  abftammen,  bo^  mitf« 
liebe  3n>ergfamilien  nidbt  ejrifiiten,  ift  einfach  batin  begrünbet, 
ba§  benfelben  bie  Sortppanjungßfäbigfeit  fehlt  ober  jum  minbe» 
ftenß  eine  fe^t  befcbtönlte  ift.  Slbgefeben  ron  anberweitigen 
^inbetniffen  ift  bie  Sorttjflanjung  gwerghafter  ?0tenf(bcn  fc^on 
aOein  babureb  etf^mett  unb  in  bet  Stegei  gerabegu  unmöglicb,  ba^ 
ben  meiblicben  Snbinibuen  gemijfe  meebanifebe  SBotbebingungen 
bet  Geburt,  nie  g.  IB.  eine  entfptecbenbe  SSeite  beß  33edenß, 
abgeben. 

SEßaß  bie  anatomifeben  ^ötbeinerbältniffe  bei3)neTge 
betrifft,  fo  liegen  barübet  nur  »enige  Berichte  »ot.  SBflb’^enb 
bie  bereitß  erwähnte,  »on  Birdh  o w unterfudhte  ^tingeffin  ^auline, 
bie  ich  nur  auß  einer  Sibbilbung  fenne,  einen  tppif^en  unb 
guten  ätürperbau  geigte,  finbet  ficb  feiten  ber  .Körper  gleidjmäbig 
wohlgebilbet,  meift  ift  bet  Äopf  gü  gro^,  ebenfo  ber  Bauch, 
Sinne  unb  gü§e  finb  h«wfi3  »etfürgt.  Sluß  bem  Uebermoab 
beß  Dberfßrperß  im  Bergteicbe  mit  bet  Unterförperlänge  bei 
mannen  3tuergen  (Slom  S^ouce  unb  Slbmiral  Stomp)  ergiebt 
ficb  bet  finblicbe  ^abituß,  ber  alß  baß  Stefultat  eineß  plöbl*^ 
eingetretenen  SBacbßthumßftiDftanbeß  aufgnfaffen  ift.  3n  anberen 
göllen  erfebeint  ber  Jförpet  oetfrüppelt,  Stücfen  unb  ©ftremitäten 
»erfrümmt,  bie  leiteten  feht  bid  ober  abnorm  bünn.  3)ie  @e» 
fcblecbtßbrüfen  finb  meift  flein  unb  wenig  eutwidelt,  bie  hiet 
unb  ba  behauptete  Sortpflangungßfähigfeit  ift  nicht  butcb  ein« 
wurföfreie  Beifpiete  gu  erhärten. 

@0  wirb  berichtet,  ba|  Katharina  oon  SJtebici  unb  bie 
®emahlin  beß  Äurf  ür  ften  3oadhimgriebricb  oonBranben» 
bürg  ihre  männli^en  unb  weiblichen  .^ofgwerge  ohne  @tfoIg 
mit  einanber  »erheirotheten.  Ueber  bie  (Stfolge  ber  oon  Steter 

bem  ©to^en  oeranftalteten  3»crgenhocbgeit  ift  ebenfaüß  niebtß 

(868) 


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17 


befannt  getootben.  3tn  5DlitteIalter  »aren  be^^alb  bie  3»etge 
aufi  wohlerwogenen  @rünben  webet  erb«  noch  lehenflfähtg. 

Söei  geringeren  ©toben  bet  Bwerghoftigfeit  finben  ftd)  bie 
SnbiDibuen  öfters  jeugungSfähig. 

Sei  ben  cretiniftifchen  formen  beS  Swetgwudhfeß  pnbet 
fi(h  öfters  neben  Sertürgung  oUet  Wochen  eine  oorgeitige 
fnöcherne  Serfchnielgung  bet  SthöbelbofiS  mit  Setförgung  bet« 
felben. 

IDog  boS  ©ehirn  bet  Bwerge  manchmal  in  Sejug  auf  feine 
SRoffe  normale  Serhöltniffe  geigen  fann,  beweift  eine  Seobachtung 
won  ©djaaffhaufen, '*)  bet  bei  einem  61jährigen  Swcrgen 
»on  94  Zentimeter  iJönge,  bie  ungefähr  einem  4— 5 jährigen 
jbtaben  entfprechen  bürfte,  ein  ^imgewicht  oon  1183  ©ramm 
fanb,  wähtenb  baS  ©ehitn  eines  normalen  4jährigen  ^aben 
auf  1100  ©ramm  ©ewicht  gu  ueranf^lagen  ift. 

Swetge  »on  nahegu  normalen,  fogat  f^lanfen  Proportionen, 
fommen  feht  feiten  »ot.  hierher  gehört  na^  ben  Unterfuchungen 
ganget’S  ber  feinet  Beit  oiel  bewunberte  Bwerg  Sebe  beS 
polnifdhen  ÄönigS  ©taniSlauS,  beffen  Körperhöhe  33  Parifet 
Boll  =■  89,3  Zentimeter  betragen  holten  foQ.  fßachbem  er  im 
16.  Lebensjahre  bie  ^)öhe  »on  29  Boll  eneidht  h<'tle»  begann 
fich  bie  5Birbelfäule  gu  frümmen.  Son  biefer  Beit  an  würbe 
er  fränfli^  unb  ftarb  im  breiunbgwangigften  Lebensjahre.  Son 
Semunft  unb  geiftiger  gähigfeit  hat  man  wenig  bei  ihm  wahrt 
genommen,  bagegen  war  er  leicht  gornig  unb  eiferfüchtig.  — 
5n  biefe  Kategorie  gehört  wahtfcheinlich  eine  »on  Quetelet 
befchricbeue  Bwergin  »on  33  Sohren  unb  91,8  Zentimeter 
Körperhöhe,  ferner  ber  in  SBien  Znbe  ber  60er  Sahre  »et« 
ftorbene  fogenannte  .^ofgwerg,  bet  ungefähr  40  Sahre  alt  würbe 
unb  beiläufig  1 55leter  grofe  wot,  enblich  ein  »on  Sitch  ow 
im  ©peffart  beobachteter  27  jähriger  Bwerg  »on  1 SJleter  ^>öhe. 
^)ierher  ift  ferner  gu  rechnen  bet  Bwerg  Upolb,  geboren  am 

XIX.  455.  2 (*«*) 


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18 


3.  3«li  1860  in  bet  ^roeinj  ^annower,  bet  ft<^  im  Suni  1883 
in  2Rünc^en  glei^jeitig  mit  ber  (Riefin  SRarianne  seigte.  IDet« 
felbe  mar  angeblich  97  (Sentimeter  ^od^,  3iemli(b  gut  ^Toportionitt 
unb  machte  einen  intelligenten  @inbrucf. 

0ie  inneren  Drgane  ber  3>uerge  merben  in  ber  Siegel  bem 
^örpervolum  ))ro))ottionaI  gefunben.  3BaS  bie  ©efunb^eitd* 
»erhältnifie  bet  Swerge  betrifft,  fo  jeigen  biefelben  im  SlQge» 
meinen  eine  geringe  (Refifteng  gegen  äu|ere  (äinflüffe:  meifl 
altern  fie  frühe  unb  fterben  balb.  Shtr  auSnahmdmeife  erfreuen 
fie  fich  einer  guten  ©efunbheit  unb  erreichen  ein  hüh^teS  91ter. 
@0  mürbe  ber  oben  ermähnte  non  @chaaffhaufen  unterfuchte 
3merg  61  Sahre  alt,  ber  28  3oQ  h'^^^  Sui  t^roportionirte 
f)oInifche  @belmann  (Boruiamdfp  mürbe  im  äUter  non  47  fahren 
in  Bonbon  gegeigt.  33on  feinen  ©efdhmiftern  maren  3 Stüber 
normal,  ein  Srubet  unb  eine  (S^mefter  maren  ebenfaOö  3merge. 
— 5Die  ÜRuöfelfraft  ber  3merge  ift  meift  fehr  gering;  eine  ge» 
miffe  Steigung  gu  3om,  So8heti  unb  ®iferfucht  foH  bei  bet 
SRehrgahl  angetroffen  merben.  — 3)er  in  SRündhen  »on  .^einr. 
(Ranfe  näher  unterfuchte  16jährige  ©enetal  SRite  mar  geiftig 
uollfommen  normal;  er  befa|  raf^e  SluffaffungSgabe,  ein  gutes 
@ebädhtni§  unb  oiel  SRuttermi^.  Befen  unb  fchreiben  fonnte  er 
nicht,  meil  feine  @ltern,  angeblich  au8  furcht  fein  @ehirn  gu 
fehr  anguftrengen,  ihn  biefe  fünfte  nicht  lernen  lie|en  (!).  Stach 
ben  non  o.  Soit  vorgenommenen  Unterfuchungen  betrug  baS 
@emi^t  bet  aufgenommenen  Stahrung  unb  ^lüffigleit  414  ®ramm 
pro  2ag  mit  135  ©ramm  feften  Seftanbtheilen.  SRit  (Rücfficht 
auf  bie  verhältni§mähig  grohc  Äötberobetfläche  müffen  nadh 
0.  Soit  betartige  3»etge  ähnlich  mie  f leine  Sh^te  relativ  mehr 
gerieten  unb  vergehren  alS  normal  gro|e  SRenfchen. 

lieber  bie  Utfadhen  ber  miffen  mit  menig 

@ichereS.  2luf  alle  SäQe  ift  in  biefer  (Richtung  ber  angeborene 
3mergmuch8  von  ben  ermorbenen  gormen  gu  unterfdheiben.  Sei 

(870) 


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19 


ben  congenitalen  Socnen  »erben  bie  ^nber  mangelhaft  ent:> 
»irfelt  geboren  unb  e8  beutet  bie  Kleinheit  bei  ber  ©eburt  f^on 
barauf  bin,  ba§  eine  totale  @nt»i(felung§ftörnng,  eine 
.^emmungSbilbung  oorliegt,  bie  auf  conce:ptioneQe  @inflüf|e 
ober  intrauterine  ©ntmicfelungeftörung  gurüd  ^n  führen  ift. 
möge  bi^^  @rwäbnung  ftnben,  ba§  man  an  fünftlicb  be> 
brüteten  .^übnereiem  nad|3uweifen  im  @tanbe  »ar,  ba§  but(b 
Bebrütung  bei  abnorm  2;em^eratnr  ober  burcb  @in> 

ftbtänfung  ber  ©auerftoffjufubr  3»ergbilbung  ber  ©mbt^onen 
erzeugt  werben  fann. 

©ewijfe  formen  be8  congenitalen  Swergttudbfefl  beruhen 
auf  uäher  gefannteu  Störungen  ber  ©felettentwidelung,  auf  ber 
fogenaunten  fötalen  fRh^nhtti^  (englif^e  J^ranfheit),  wobei  be« 
fdbleunigte  Berfnöcherung  mit  geringer  ,^norpelwu(hecung  unb 
abnorme  Berbichtung  beS  ^odbengewebed  eine  ,^au^troIIe  3U 
f^ielen  fcheinen. 

SBerben  3»erge  normal  geboren,  jo  fönnen  bei  ber  @nt> 
wicfelung  ber  9lbnormität  immer  noch  ©tblichfeit  — nament» 
lieh  I’ei  feen  aetiniftif^en  formen  — ober  Störungen  in  ber 
Sfelettbilbung  (erworbene  lUhflchitiö)  im  S^jtele  fein;  ba§ 
ferner  gewiffe  Störungen  in  ber  ©ntwicEelung  beS  ©rohhiraß, 
wie  fie  namentlich  bei  ^ronifcher  |)imwafferfu^t  ber  ^nber 
beobachtet  werben  unb  mit  3feiotie  einhergehen,  ba8  8ängen> 
wachSthum  be8  .^örperö  häufig  fchwer  beeintrüchtigen,  unterliegt 
feinem  3weifel.  $Die  bei  Schieren,  wie  ?)ferb,  0tinb,  .^unb, 
^a^e  beobachteten  f$äHe  von  3n>ergwuch8,  finb  meift  burch  con« 
genitale  IRhnchitiö  bebingt;  gwerghafter  SBuchö  bei  5lhieren  ift 
abgefehen  oon  ihrem  Borfommeu  al0  einer  ^jhpfiologifchen  IRacen» 
©igenthümlidhfeit,  öfters  bebingt  burch  mangelhafte  ©mährung. 
5)er  Borfchlag  eineö  älteren  SlutorS,  bie  ^age  nach  ben  Ut» 
fadhen  beS  3toergwuchfe8  burch  ©jcperimente  an  5£hieren  gu  löfen. 
becen  äBa^Sthum  fünftli^  burch  innere  unb  äußere  ^nwenbung 

2*  (871) 


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20 


bed  SranntweinS  bef^täntt  werben  (5nne,  bärfte  wenig 
auf  @rfolg  nerfptec^en. 

SBit  faffen  bennod^  uniere  9Infic^t  über  bie  ©ntfte^ung  be8 
3wergwud)fe8  bo^in  guiammen,  ba§  wir  fagen:  2)ie  Swcts» 
bUbung  ift  ba8  ^robuft  einer  allgemeinen  @ntwicfelung8^emmung, 
bie  vor  ober  na^  bet  @eburt  einfe^t.  S3ei  Steigerung  fold^er 
^emmung8Dorgänge  ftirbt  ber  ©mbt^o  ab  ober  ge^t  nai^  mangel* 
^after  @ntwide(ung  fd^lie^Hc^  gu  @runbe.  Db  oorüberge^enbe 
Suftönbe  ber  @ltern  bei  fonft  normalem  Ser^alten  berfelben  be» 
t^eiligt  fein  fßnnen,  ift  na(^  Analogie  mit  ä^nlid^en  ©ntwirfe» 
lung8ftörungen  nii^t  unwa^tfcbeinlic^  > ^).  9uf  alle  ^öDe  hüben 
bie  3n>erge  leine  befonbere  Gattung  be8  3Renfd^engefd^led^te8, 
fonbem  finb  in  ber  gto|en  fDle^rja^l  ber  f^älle  al8  pat^logif^e 
Gilbungen  aufjufaffen,  al8  alte  ^inber  mit  nur  geringen  8eben8> 
^ancen,  wSljrenb  ein  geringer  S3ru(^t^eil  fi(^  me^r  normalen 
S3erl)ültniffen  nähert:  bie  le^teren  fßnnen  al8  oerfleinerte  SRobeQe 
normal  gewa(^fener  Seute  gelten  unb  finb  jiemlicb  wiber* 
ftanb8fäljig. 

@e^en  wir  gum  entgegengefe^ten  ©rtrem  fßrperlic^en  2Bod^8« 
t^ura8,  gum  fRiefenwuc^8  (ÜRafrofomic)' *)  über,  fo  »erfie'^en 
wir  barunter  eine  monftrßS  auffaOenbe  ^ßrf>er^o^e,  bie  über 
ba8  gewß^nlid^e  ^aa§  fe^r  großer  URenfd^en  !^inau8ge^t. 

3118  SSorftufe  ober  UebergangSform  fennen  wir  bie  fo« 
genannten  übergroßen  fDtenfd^en  ober  ^^ocßwud^ßtptjen, 
beren  Äßrperlange  gwifc^en  175  Zentimeter  bi8  205  Zentimeter 
beträgt  unb  bie  burcbfc^nittlicß  5 — 6 ^rogent  ber  S3e»ßlferung 
bei  un8  bilben.  Unter  1 SRiQion  3Imerifanetn  — bei  einer 
©ur^ftßnittSgrßße  ber  Söieftomerifaner  non  177  Zentimeter, 
ber  Dftamerifaner  oon  173  Zentimeter  — waren: 

je  47  über  200  Zentimeter 

« 22  „ 203 

„ 11  „ 205 

(«2) 


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21 


„ 7 übet  208  ©entimeter 

» 6 « 211 

, 2 „ 213 

^0^.  Unter  45500  baperif^en  OJltlitarpfllc^tigen  fanb  3-  JRanfe 
nur  4 ÜJlännet,  bie  1,90— 1,92  SReter  gro§  waren.  ®ieje 
^od|wu^0t»pen  finb  in  t^ter  ISntfte^ung  meift  auf  Sßet« 
etbung  jutüdf3ufü^ten  unb  d^arafteriftifi^  für  biefelben  finb 

nad)  Sänget  neben  bet  auffaOenben  ^otpetl&nge  folgenbe 
anatomift^e  (Sigenfdbaften:  bie  übergroßen  ÜRenftßen  befißen 
meift  einen  relati»  Keinen  Äopf,  fut3e  SBirbeljöule,  etwaö  »er= 
längerten  Sruftforb,  Jüngere  Slrme  unb  Seine,  oerminbertc 
©(bulterbreite,  erßößte  .^üftbreite,  adeä  mit  3aßlreid^en  inbioi» 
buellen  ©(ßwanfungen.  — JDie  gemöljnlicbe  @röße  bet  JRiefen 
l'd^wanft  3Wif(ben  2,5  unb  2,35  SReter;  fol^e,  bie  btä  3u  2,50 
biß  2,60  9Reter  ßotß  finb,  finb  große  Seltenheiten;  borüber 
hinaus  finb  nur  gau3  Derein3elte  Sülle  belannt  unb  möchte  ich 
hier  bemerfen,  baß  bie  9Reht3ahl  bet  Eingaben  über  bie  Äor^jcr» 
große  ber  SRiefen,  befonberß  wenn  biefelben  behufß  materieller 
Sluflbeutung  3U  öffentlicben  ©chauftellungen  benußt  werben, 
ebenfo  wie  bei  3®ergen  mit  befonberer  Sorpeht  auf3unehmen 
pnb.  Sbgefehen  con  gewipen  SRadhhülfen,  inbem  3.  S,,  wie 
bem  Serfaffer  oon  guoetlüfpger  ©eite  mitgetheilt  würbe,  übet« 
müßig  bitiJe  ©oßlen  in  einem  SaRe  angebrad)t  würben,  lauten 
bie  Slngaben  oon  ©eiten  ber  fRiefen  ober  ihrer  3lngeh6rigen 
in  ber  JRegel  übertrieben.  — 3m  @an3en  mögen  50 — 60  Sülle 
oon  Oiiefen  in  bet  Sitteratur  befeßtieben  fein. 

Sei  bet  ©eltenheit  bet  (Riefen  mögen  3unüdhft  einige  in 
ben  leßten  3ahren  beobachtete  Säöe  fut3  erwühnt  werben,  bie, 
foweit  mit  befannt  ift,  mit  Slußnahme  ber  Säüe  Jpaßlet  unb 
(Rhiner  nirgenbß  nüher  befchrieben  würben. 

3«  ber  ©ammlung  beß  pathologifchen  3npitutß  31t  SRünchen 
bepnbet  pch  baß  wohlerhaltene  ©feiert  beß  (Riefen  Slhoniaß 

(873) 


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22 


fyatln. 


f)atagoDitT. 

@agIäDbet. 

Xltbober. 

Sappe. 


SBufdjmann. 

3»«8paft. 


®enecaI3)2ite. 
a»i6  SMtaie. 


gig.  3 fon  in  ftbcmatifcPer  3fi4nung  feen  Unterfditeb  jmifipen  bem 
.<Rtr{en  j>a$let  nnb  ber  fi&bcr  ertDäpnten  3D>e^in  il){i§  Widie  ucranfc^an* 
H^en.  sieben  bei  (Scntimetei-Scala  finb  )um  ScrgUicpe  bic  @r5gcn  einiger 
ißölferfiämnie  angegeben. 


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23 


^oölet  (gig.  3)  ouö  @emunb  am  Stegernfw,  ben  to.  S3ul^I‘*) 
nd^er  gefc^Ubert  ^at.  3)et  93ater  bed  ^aSlec  ftarb  im  SUter 
von  56  3abren  an  Sungenp^t^ife,  bie  SRutter  mat  gut  Seit 
bed  SEobeS  i^refi  (So^neS  noc^  am  ^ben.  SDei  dltefie  SQruber 
^at  fi(b  im  ®efdngni§  errängt,  augerbem  lebten  no(^  4 gefunbe 
©efdbmifter.  S^omaS  entmicfelte  fi(^  bid  gu  feinem  9.  3a^te 
oöQig  normal.  Um  biefe  3cÜ  eiütt  er  einen  ^uffcblag  an  ber 
linlen  Sange,  ^alb  barauf  fing  et  an  unge^euerlicb  gu  ma^fen. 
@r  a^  viel,  vorgugdmeife  93utter  unb  anbered  gett,  eine  ^oft, 
wie  fie  in  unferem  ©ebirge  üblich  ift.  SDiit  11  fahren  war 
XhomaS  fo  gro§,  ba|  er  and  ber  ©dhule  cntlaffen  werben  mu^te, 
weil  er  in  ben  SBdnfen  ni^t  mehr  9>Ia^  fanb.  fUHt  12  Soh^^cn 
mafe  er  fchon  6 gu^.  ÜJiit  14  Saht^n  fi®t  « iw  f«wet  @tube 
unb  brach  [ich  ben  linfen  @chenielhald  unb  bie  linfe  Fibula; 
beibe  93rü(he  heilten  raf^.  Slllmdhtich  oerbicften  fidh  bie  0<häbet> 
unb  ©efichtdfnochen  bid  gum  fDionftröfen  unb  nicht  blöd  auf  ber 
@eite,  wo  ber  .^uffdjlag  fich  ereignete.  Seit  er  audgewachfen 
war,  ah  er  wenig.  Seine  Hautfarbe  war  fahl.  6r  war  fleißig 
unb  gutmüthig.  3ebe  ISewegung  machte  ihm  aber  SRühe  unb 
Sefchwerbe.  ^ier  unb  ba  flagte  er  über  Kopfweh.  21m  Sage 
»or  feinem  Sobe,  ber  gang  plöhÜch  29.  3uni  1876  unter 
ben  ©tfcheinungen  ber  Slthemnoth  unb  unter  Ätdmpfen  eintrat, 
war  Radler  noch  »oh^  “wb  munter.  6t  erreichte  ein  9Uter 
bon  25  Sohren,  bad  Äcrpergewi^t  betrug  155  Kilogramm,  bie 
Äötpetldnge  2,27  ÜJleter;  unter  Serucffi^tigung  einer  Krümmung 
bet  Sirbelfdule  berechnete  o.  93uhl  bie  mittlere  8dnge  auf 
2,35  SJleter.  2)ie  inneren  Drgane  entfpradhen  ungefähr  ben 
33erhdltniffen  bed  Äörpetd.  JDie  Änochen  bed  Schdbeld  geigten 
enorme  IBetbidungen,  fo  bah  ber  Schdbelinnenraum  in  h»he<n 
©rabe  beeinträchtigt  war  unb  ber  Sob  in  Böige  ber  ^irn« 
compreffion  eintreten  muhte.  3>a  pch  in  biefem  BaHe  im  3ln: 
fchluh  an  ben  |)uffchtag  bie  S3erbicfung  ber  ©efichtd*  unb 

(87i) 


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24 


@^äbeIfno^en  tsie  bad  ©efammtriefenwac^St^um  entroidelte, 
fo  ift  bieSInna^me  nic^t  auSgefc^loifen,  Da§  gwijdben  bem  bun^ 
ben  ^uffc^Iag  gelebten  9Ietje  unb  bem  Sttejenmac^et^um  ein 
urjäc^lidbet  Sufammen^ang  ooibanben  ift. 

6ine  gewiffe  ae^nlid^feit  mit  Botliegenbem  gaöe  ^at  bet 
Bon  gritfd^e  unb  ÄlebS*“)  bef(briebene  {Riefe  ?)eter  {Rbinet 
ou8  6lm  im  Äonton  @(atu0,  geboten  1838,  bet  über  2 {Dieter 
lang  toat  unb  bis  gn  feinem  36.  gebenSja^te  gefunb  war.  Son 
biefer  Seit  an  entioicfelten  fic^  franf^afte  ©rf^einungen,  bie 
^auptfacblidb  in  (Smeic^ung  bet  Knochen  (Ofteomalacie)  unb 
einet  bebeutenben  Stimmung  bet  SBirbelfäule  nach  hinten  be« 
ftanben. 

3n  Diefelbe  me^r  patbologifd^e  ®ruppe,  bie  mit  Anomalien 
unhSDeformität  eingelnerÄnocben  behaftet  ift,  gehört  bienod^lebenbe 
{Riefin  {Diatianne  SBe^e  au0  Senlenbotf  bei  .^aUe,  welcbe  fi(b 
im  Sommer  1883  in  SDiünc^en  t)tobucirte  * '■).  IDiefelbe  ift  geboren 
am  31.  Sanuar  1866,  »ar  ä^nlidj  wie  J^aöler  biß  jum  7.  biS 
8.  Lebensjahre  notmal.  Um  biefe  Seit  begann  baS  abnorme 
SBathSthum.  3n  einem  Sllter  Bon  16^  Sahnen  mar  fie  angeblich 
8 Suh  2 Sott  (=  255  ©entimeter)  gto§  unb  160  Kilogramm 
fchmet.  IDie  ©Itern  finb  Bon  mittlerer  ©röfee;  Bon  10  Äinbern 
ift  fie  baS  fiebente.  JDie  ©efchmifter:  6 SSrüber  unb  3 ©cbmeftern 
finb  Bon  normaler  @rö&e;  ein  Srubet  foU  6 gufe  2 Sott  gro^ 
fein.  3)ie  ©eftalt  ift  im  ©angen,  fomeit  ein  Urtbeil  ohne  nähere 
Unterfuchung  gulSffig  ift,  proportionirt.  3n  §olge  eines  ©turgeS, 
ben  DRarianne  bei  einem  Sranbe  in  Lonbon  erlitten  haben  fott, 
hinft  biefelbe.  SebenfallS  ift  eine  giemlich  bebeutenbe  feitliche 
Ärümmung  ber  SEBirbelfSule  (©foliofe)  Borhanben,  über  beten 
©ntftehung  i^  jeboch  nichts  ©i^ereS  eruiren  fonnte.  2(lle  Slhoilo: 
Äopf,  .^änbe,  ISrme  unb  Stuft  übertagen  gemöhnliche  menfch« 
liehe  gormen;  bie  §ühe  finb  15^  Soll  lang.  SDie  Semegungen 
finb  fchmetfällig.  3m  ©egenfah  ju  ihrer  SBalfürengeftalt  geichnet 

(876) 


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25 


ft(^  biefe  fRiefin  buTc^  ein  janfted,  ru^igeS  unb  befc^eibeneS 
SBefcn  ou8.  — 3n  ber  ©todfbolmer  anatomiji^en  ©ammlung 
finbet  ftd)  bad  ©!elett  einer  riefigen  Sappin:  au^eibem  [inb 
Stiefinnen  in  ber  neueren  Seit  faum  beobachtet  »orben. 

3m  3ahi^e  1881  probucirte  fi^  in  SDtünchen  unb  Setlin 
ber  Siiefe  2)rafa(,  ein  ^annafe  au8  .^oKef^au  bei  Dlmü^  in 
SJlähren,  37  3«^*®  alt**). 

3)rafal  ift  angeblich  8 Sufe  3^  SoQ  CO  hat  ein 

Gewicht  non  310  $funb.  2)erfelbe  lebt  al8  .^audbefiher  unb 
@emeinberath8mitglieb  in  feinem  Geburtsort  unb  ift  giemlich 
prcportionirt  gebaut.  Slngeblich  fpridht  er  4 ©prachen  (nämlich 
cgechifch,  beutfch,  rufjtfch  unb  ungarifch).  S)ie  noch  lebenbe 
fIRuttcr  unb  3 Gejchmifter  geigen  nichts  9lbnormeS  unb  ftel)en 
fogar  unter  normaler  @rߧe.  JDie  »irfliche  Gröfee  fchähe  ich 
auf  beiläufig  230  Gentimeter. 

2)er  chinefifche  fRiefe  Ghang»2)u  = ©ing,  ber  Reh  1878 
in  S3erlin  unb  1883  in  München  geigte,  hat  ebenfaQS  brn  S^npuS 
beS  proportionirten  {RiefenaachSthumS  ® 0-  IDerfelbe  hatte  eine 
Äßrperhßhe  Don  angeblich  '^86  Gentimeter  (nach  feiner  eigenen 
Angabe  oon  8 guh  unb  10  Soll  englifch)  (?),  ein  Gemixt  »on 
368  ^funb,  ift  1840  (nach  einer  anberen  ülngabe  1847)  in 
*‘Peting  geboren.  JDie  Gltern  finb  njohlhabenbe  Stheepeber  unb 
wohlgebaut,  »on  normaler  Grß^e.  Derfelbc  ift  burchweg  pro« 
portionirt  gebaut,  bie  .pänbe  unb  $ü§e  »erhältni^mäRig 
flein,  »on  angenehmem  Sleufeeren,  hat  intelligente  ^hbfiaflnamie 
unb  foH  ein  gewiegter  Äaufmann  fein.  2)erfelbe  foll  »erheirathet 
fein  unD  2 gefunbe  Äinber  befihen. 

Geht  man  mit  fritifcher  ©trenge  gu  SEBerfe,  fo  bürfte  bie 
JRiefenhßhe  baS  3Raah  »on  253  Gentimeter  faum  überfchreiten 
(^Eanger).  ©erfelbe  ^orfcher  begeichnet  als  baS  grßfete  »or« 
hanbene  ©felett  baS  ber  fogenannten  3rifh  Giant,  welches  im 

(877J 


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26 


S:rinit9<@onege  3U  2)ublin  auf  bewahrt  unb  auf  8 6 3oQ 

englifdfi  angegeben  wirb. 

S)ae  in  bet  Sammlung  bed  SdbloffeS  IXmbtad  bet  SnnSbrutf 
befmbltt^e  |>ortrait  eineö  ©Ifaffer  SJauetu  au8  bem  16.  Sa^r» 
^unbert,  be8  ^anned  .^am  au8  0ofentan  bet  .l^agenau,  mürbe 
einet  Äörpetbö^e  oon  270  ßentimetet  entfpret^en,  ba8  größte 
bt8bet  befannte  J^öti^ermaa^,  uotau8gefe$t,  ba§  ba8  ^orttait 
mitflidb  „getetbt“  gemalt  ift.  Sidbet  conpotitt  ift  bie  Äöttjet» 
böb«  be8  ftbmebif^en  {Riefen,  bet  in  bet  @atbe  ^iebri^  II. 
Bon  ^reufeen  biente,  mit  252  (Zentimeter.  S3ou  nabegu  gleitber 
@töfee  foU  bet  römifdbe  Äatfet  SRatimin,  ein  jEbr^ftw,  ge» 
mefen  fein. 

SBa8  bie  einzelnen  ^ürpetBerbältniffe  bet  {Riefen  anlangt, 
fo  unterfcbeibet  ganger  unter  ben  {Riefen  jmei  Sornttbijen, 
einen  fcblanfen  botbbeinigen  mit  !üt3etem  Dberfütper  unb  einen 
gebtungenen,  unterfe|)ten  mit  mastigerem  {Rum^jfe.  IDie  leitete 
©eftaltung  reprdfentirt  in  großen  IDimenfionen  bie  gorm  be8 
mittleren  9Ranne8.  — 8lu§erbem  laffen  ftS  bie  {Riefen  unter» 
fSeiben  in  folSemit  normal  jufammengefe^ten  ^noSen  (IDtafal 
unb  (5b«n9‘2)u*@tn0)  unb  in  folS«,  beten  ÄnoSengerüfte 
neben  mangelbofter  geftigfeit  allerlei  SIbmeiSungen;  abnorme 
ÖrüSigfeit,  Siegungen  u.  f.  m.  geigt,  mie  bie8  bei  bem  oben 
ermähnten  Sboui^ö  ^)o8ler,  bei  {Rbiner  fiSer  unb  bei  9Ra» 
rianne  Söebbe  mobrfSeinliS  ber  gall  ift.  — Die  Äöpfe 
bet  {Riefen  finb  relatio  Hein,  bei  bet  SRe^rga^l  bie  Äiefenegion 
übermäßig  VS>  ber  Unterfiefer  meift  monftrö8  unb  oorgefSoben, 
fo  ba^  bie  unteren  Sühne  bie  be8  Dberfiefer8  allenthalben  über» 
ragen,  ©er  ©efiStSfSübel  ift  mie  bie  fnöSerne  ^>irnlahfel 
meiftenS  oerbicft,  gippen  unb  {Rafe  finb  öfter8  gemulftet, 
©Snlter»  unb  Sruftbreite  finb  ebenfo  mie  bie  .^»üftbreite  über» 
mä§ig  au8gebilbet,  bie  langen  {RöhrenfnoSon  finb  oerhältni§» 
mä§ig  bünn. 

(878) 


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27 


@nifpre(!^enb  bem  fleinen  Duetf^nitte  ber  OJludcuIatut 
galten  9Raf|e  unb  Seiftungdtäbigfeit  bet  ^luSfeln  ni(bt  gleichen 
@d}ritt  mit  bem  StnmudbS  ber  {>öbe,  eine  Siegel,  monon  nur  bie 
^aumuSculatur  eine  Üludnabme  bilbet.  5Damit  ftimmt  überein, 
ba§  no(b  jUDerlöjfigen  Seriditen  bie  förperlidbe  Äraft  ber  {Riefen 
fo  gering  ift,  ba|  c6  glaubwürbig  erfc^eint,  menn  berichtet  wirb, 
ba|  ähnlich  wie  beim  j^ampfe  ©oliathd  am  faiferlichen  ^ofe 
ju  3Bien  {Riefen  burdh  Smerge  beftegt  würben. 

lieber  Slbweidhungen  ber  inneren  ^örperovgane  ber  {Riefen 
ift  wenig  Sicheret  befannt.  ®rö^e  unb  33oIum  biefer  @ebUbe 
ftehen  in  ber  {Regel  im  93erhältni§  jum  Äörtjergewicht.  3n 
einjelnen  gäQen  ift  ein  für  bie  ©jciftenj  ber  {Riefen  gefährliches 
{IRihrerhältnih  gwifchen  ber  enormen  ^örpermaffe  unb  ber  9tuS=’ 
bilbung  beS  centraten  {ReruenfhftemS  erwiefen. 

2)ie  geiftigen  ^ähigfeiten  unb  bie  SnteUigenj  ber  {Riefen 
finb  nur  auSnahmSweife  gut  entwicfelt  wie  3.  93.  bei  @hinefen 
6hang=2)u*©ing;  in  ber  SRehrgahl  ber  SäHe,  nomentlich  bt{ 
gleichjeitiger  @rfranfung  ber  Änochen,  ift  baS  {Riueau  ber 
geiftigen  ^otenj  ein  geringes  unb  fteht  fogar  unter  bem  {Rormalen. 

93oIIftänbig  im  @legenfah  3ut  {Dlpthologie  ber  Sitten  wie  jur 
norbifchen  ©otterlehre,  wonach  bie  {Riefen  bie  ^erfonification 
beS  Ungeheuren  unb  Ungethümen,  beS  ginftern  unb  geinbfeligen 
in  ber  (Ratur,  ber  rohen  ungejähmten  Elemente  barftetten, 
fteht  baS  »on  bem  Slnatomen  Sauger  entworfene  93ilb  unferer 
mobernen  SHicfen: 

„9Rag  bie  {Riefengeftalt  ihrer  ©ettfamfeit  wegen  noch  fo 
fehr  ©taunen  erregen,  5£heilnahme  fann  fie  nie  (!)  erwerfen. 
IDenn  alle  Sh^tle,  wel^e  bie  geiftige  ©eite  beS  {Kenfchen  gum 
SluSbrucf  bringen,  finb  unter  ber  wuchernben  5Raffe  ber  Drganc 
beS^materiellen  SebenS  manchmal  beinahe  untergegangeu.  3eneS 
fchöne  @benmaa§,  welches  ,alle  ©lieber  ber  geiftigen  ©t>häre 
unterorbnet,  mu^te  einem  SOlihoerhältniffe  weid)en,  bei  weldhem 

(87») 


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28 


Ii(t  btc  ÄautDerfjeuge  unb  @pttemttatcn  ü^jpig  »orbtängen  unb 
getabeju  nur  nod^  um  ben  auf  breiteftcr  SBaftö  aufgebauten 
{Rumpf  ald  (Sentrum  grupptren.  ^aft  unb  ©nergie  ber  ^er« 
fonli(b!eit  finb  ^erabgeftimmt  unb  ber  »etbltebene  0left  nur 
noc^  ben  33emübungen  jugemenbet,  bie  fernere  8aft  beö  8eibe8 
ju  tragen  unb  materiell  ju  erhalten.  0c^merfdQig  bis  jur 
Xrög^eit,  bietet  ber  e^te  {Riefe  halb  mit  feinen  fc^Iotterigen 
©liebem  ein  SBilb  beö  3ammer8,  halb  bei  bem  SSerfu^e  ftrammer 
Spaltung  ein  ©pmbol  ungeorbneter,  nur  burd)  ben  SRangel  an 
3lu8bauer  gebänbigter  Äraft;  er  fann  wobt  eine  crträgliebe 
©tanbfigur  abgeben,  aber  faum  »irtfam  in’8  geben  eingreifen.* 

2)iefe  in  büfteren  färben  gehaltene  @(bilberung  pa^t  aller« 
bingS  mit  wenigen  ISuSnabmen  für  bie  flRebrjabl  ber  {Riefen. 

2)ie  gcrtpflanjungöfabigfeit  ber  {Riefen  ift  meift  feblenb; 
äbnli(b  wie  bei  ben  Swergen  liegt  in  bem  Sehl®“  {Riefen« 
familien  ein  SRoment,  weites  beutlitber  al8  alleS  ben  franl« 
haften  6h«rafter  biefer  ertremen  SBilbungen  fennjei(hnet. 

^18  Dcrwanbten  Suftanb  {ann  man  ben  partiellen  {Riefen« 
wuchs**)  auffaffen.  3n  folchen  öfters  beobachteten  fallen,  wobei 
nur  eiu3elne  j^örpertheile,  namentlich  bie  ©rtremitäten,  betheiligt 
erfcheinen,  geigen  bie  ergriffenen  Organe  eine  übermäßige  2lu8« 
bilbung  unb  riefenhafte  JDimenfionen.  2)er  partielle  {Riefen« 
wuchs,  wobei  alle  Slh^Je  — flRuSfeln,  Änochen  — in  gleidhem 
Sßerhältniß  entwicfelt  finb,  befchränft  Reh  auf  eine  3ehe,  ober 
auf  einen  Singer,  auf  Sufer  ^>anb,  eine  ©rtremität,  in  feltenen 
SäHen  auf  eine  Äörpethälfte. 

S3on  frühzeitiger  {Reife  fpricht  man,  wenn  Äinber  fchon 
bei  ber  ©eburt  eine  - übermäßige  Äörperentwicflung  geigen. 
Solche  Äinber  werben  j.  93.  mit  7 — 10  Kilogramm  Äörper« 
gewicht  geboren;  nach  ber  ©eburt  »erlangfamt  fich  bie  ©nt« 
wicflung  allmählich  wieber.  Ober  bie  Äinber  entwicfeln  fich 

nach  ber  ©eburt  fo  rapib,  baß  Re,  wie  in  einzelnen  Säüen 

(8^0) 


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29 


ridjtet  totrb,  mit  7 — 8 SOionaten  fc^on  allein  ouf  bet  Strome 
umljetlaufen.  — 3n  einem  berartigen  galle  mar  ein  Änabe 
Don  4 Sauren  117  ßenlimeter  ^oi^,  fe^t  geftä§ig  unb  »on 
feieret  Äörpeifraft , ba§  et  einen  falben  @a(f  {Roggen  ttagen 
unb  einen  9Rann  »on  65  Äilcgtamm  Äßtpergeroidbt  auf  bem 
©c^ubfarten  fahren  lonnte.  — (Eine  übetmä§ige  Äotpet« 
entmicflung  finbet  man  fetnet  manchmal  bet  angebotener  gett* 
judjt.  @0  tjtobucitte  ftt^  in  9Rünt^en  oot  einigen  Sagten  ein 
15iä^tiget  Änabe  au8  bet  Cberpfalj,  bet  mit  biefem  Uebel  be> 
haftet,  enorme  gettmaffen  an  fid^  ttug  unb  ein  Äotpetgemidit  »on 
112,5  Kilogramm  ^atte.  — 33ei  ben  S^ieten  fommt  {Riefen* 
»u(^8  ä^nlit^  wie  bet  3wer9tt>ut^8  nut  fe'^t  feiten  »ot. 

Sule^t  noc^  einige  SBotte  übet  bie  Utfa^en  beS  deuten 
{Riefenmatfiöt^umS,  übet  bie  leibet  roenig  ju  jagen  ift. 

{Rac^bem  »it  auöeinanbetgefe^t  ^aben,  ba§  bet  9tiefen« 
»u(^0  faft  nut  bei  männlichen  Snbioibuen  »otlommt,  ift  hiw 
nachjuttagen,  bafe  eine  SSorliebe  füt.gemiffe  {IRenjchentaffen  nicht 
na^juroeifen  ift.  2)a8  abnotme  SBachSthum  beginnt  meift  gut 
Seit  bet  etften  33efchleunigung  be8  SBach8thum8,  mit  bem  9—10. 
£eben8jahte. 

2)a  bie  @ltetn  unb  JBoteltetn  immer  normale  ©rßbenoer* 
hältniffe  geigen,  fo  ift  eine  erbliche  Anlage  al8  utfdchlicher 
Sactor  bircct  au8gufchlie|en. 

Sefonbere,  ba6  Änochenroach8thum  förbetnbe  {IRomente, 
finb  bei  ben  {Riefen  nicht  aufgufinben  unb  bürfen  mir  bie  6r* 
gdhlung  SBatünfonS,  monoch  e8  bem  Sifchof  ©erfelep  im 
»origen  3ahrhunbett  gelungen  fei,  butch  ein  eigenthümlicheS 
hvgienifche8  äSetfahten  einen  itif^en  .Knaben  fünftlich  gum 
{Riefen  herongugiehen , mit  bere^tigtem  9Ribtrauen  aufnehnten. 
2)a^  dubete  ©inflüffe,  namentlich  bie  9lrt  bet  ©tndhtung  unb 
gemiffe  fpecififche  {Reige  auf  bie  Äörherentmicflung  eingumirfen 

finb,  unterliegt  feinem  Sweifel-  3m  ©egenfa^  gum  SUfohol, 

(881) 


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30 


ber  attgeblid^  bet  jüngeten  Snbbibuen  bie  ^ör))crent)Dt(fIung 
be^inbetn  foO,  i[t  burdb  bie  SSerfut^e  tjon  @ie8**)  ftd^ct  mH)* 
gettiefen,  ba&  burt!^  längere  Seit  fortgefe^te  gütterung  mit  fe^t 
fieinen  SDofen  ülifenif  bie  jhtotben  junger  Kaninchen  länger 
werben  unb  ba§  bie  non  arfeniffreffenben  Jb*eren  geworfenen 
Sungen  bei  ber  @eburt  an  gleiftb,  gett  unb  ^ot^en  »iel  reicher 
waren  — bis  gu  33  'Procent  — olS  bie  Sungen  oon  Äanin^en 
gleicher  ®rö§e,  bie  bei  betfelben  'Jtahrung  fein  Slrfenif  erhielten. 
3n  ähnlicher  SEBeite  wie  ber  Slrfenif,  ftheint  ber  ^hoSphoe 
bie  ©Übung  compaften  Äno^engewebeS  ju  begünftigen.  — 3n 
@rmangelung  einet  befferen  .^ppothefe  mfiffen  wir  unS  begnügen, 
bie  IRiefenbilbung  auf  eine  befonbere  Ueppigfeit  beS  Einlage« 
moterialS  beS  götuS  3utürf3uführen,  ouf  ©otgänge,  bie  oielleidht 
mit  ber  Spaltung  oerwanbt  finb.  9luf  biefe  SBeife  fommt  eS 
3u  einer  Steigerung  bet  fnothenbilbenben  ^rojeffe,  bie  bis  gu 
einem  gewiffen  ©tobe  in  baS  ©ebiet  beS  ^formalen  fällt,  wogu 
fith  in  bet  9Rehr3ohl  bet  gälle  ober  3weifelloS  franfhofte 
©orgänge:  ©rüchigfeit  ber  Änochen,  abnorme  portieHe  ©er» 
bidungen,  ©etbiegungen  unb  Deformitäten  gefellen.  Da» 
mit  übereinftimmenb  beobachten  wir  bie  £hot)a(he>  l><>§  ^ie 
fjliefen  meift  einen  franfhaften  .^abituS  barbieten  unb  früh  3U 
©runbe  gehen. 


(883) 


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31 


l^nmerhttngrn. 


1)  Sttfd^fa,  ^ubett  Hebet  *JJlaa§-  unb  So^Ifneer^ältniffe  be« 
menftbli^cn  ^?6tpet8.  Subingen  1871. 

2)  2U9  9JJateriol  bienten  Betunglücfte  unb  raft^  geftorbene  3nbi* 

Bibuen,  wie  pe  im  3npitute  basier  jur  ®ection  fommen.  Sei 

grSgerem  Secba^tungflmaterial  bürfte  pc^  bie  ongegebene  SJlittcIgtöge 
ber  ©übba^em  um  einige  Gentimeter  er^ö^en. 

3)  g.  ®.  Senefe,  ,91otbineft"  9lr.  12.  1882. 

4)  Sänger,  Äarl,  SEBac^ät^um  be8  menfe^Iic^en  ©feleteS  mit  Se* 
jug  auf  ben  SRiefen.  (iUlit  7 Safeln.)  Senff(^riften  bet  Äaifctli(^en 
afnbemie  bet  SBipenf(^aften.  aJJat^.»naturwipenfc^aftl.  JUa^e.  31.  Sb. 
ffiien  1872.  @.  1—107. 

5)  3tanfe,  3o^.,  3«r  ©tatiftif  unb  bft  Äörper» 

grßge  ber  baperififien  SUJilitärppic^tigen.  Seiträge  jur  Slnt^ropolcgie 
unb  Urgefc^ic^te  SapemS.  Sb.  IV.  ©.1.  1880.  — Sergl.  ferner: 
31.  Seiet,  3ur  ©tatiftit  ber  Äötpergrßge  im  @rogr;erjogt§um  Saben. 
Slre^iB  f.  Slnt^ropologie  Sb.  IX.  ©.  257.  1876;  6.  SPlajer,  lieber 
Sölaag*  unb  ®enjic^t8Betf)altnipe  ber  ÜJlilitärppie^tigen  Bon  ÜJlitteN 
ftanfen.  SerjtU^e8  3ntelligen^blatt  1862.  9Ir.  24  u.  25. 

6)  Seemann,  3ul.,  be8  lanbw.  Sereiu8  in  Sapem. 

LXIII.  3a^rg.  ©.  495.  1873. 

7)  2)ie  bejüglitpen  Serfudje  B.  ^)ßglin’8  pnb  no(f>  nid>t  Ber« 
ßPentlic^t. 

8)  SÜub.,  Äünftlic^e  Sefrue^tung  einer  ^)ünbin  jc. 
3naug.«®ipert.  SRoftoef  1876. 

9)  Sine  3ufammenfteflung  Bon  in  ber  alteren  Siteratur  befc^tiebenen 

3u)etgen  giebt  @.  gr.  3äger:  Serglcie^ung  einiger  butd)  gettigfeit 
ober  coloffale  Silbung  au8ge3eicfmetet  Äinber  unb  einiget  3werge. 
©tuttgart  1821.  ©.  45.  Sergl.  ferner  ^larl  Sänger,  ütnatomie 

ber  äugeren  gotmen  be8  menfdjlic^en  Ä6rper8.  SSßien  1884.  ©.  85. 

(SM) 


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32 


10)  SlBbilbung  unb  Sejc^retbung  btr  IJtinjefftn  flauline  pnbtt  ft(b 
in  bcr  9eipjiger  Sfluflr.  3«it«ng  5Rr.  1975.  1881. 

11)  3^01^1  iSnatom.  Unteifuc^ung  eines  ntifrocep^alen 
jbnaben.  geflf(^rift  jut  geier  beS  300  Jährigen  SSefte^enS  bet  SfuliuS* 
OJlayimilianS-llniBerrttät  ju  ÜBürjbnrg.  Seipjig  1882. 

12)  Sirc^ßW,  9lub.,  götde  3ta<^)iti«,  ÄietiniSmuS  unb  3werg« 
nju(^S,  beffcn  9It(^iB  f.  praft.  Slnat.  Sb.  94.  ®.  183.  1883. 

13)  Äinb,  Slrc^in  f.  |)fp(^)iatrie.  Sb.  VI.  ©.  447. 

14)  Srünnide,  Soumal  f.  ^inberfranl^eiten.  Sb.  47.  1866. 

15)  8.  gürft,  Sirt^otr’S  SSrc^iiB  f.  pat^.  Slnat.  Sb.  96.  ©.363. 
1884.  («Blit  abbilbung.) 

16)  ©(^aaff^aufen,  ©i^ungSberidit  bet  nieben^ein.  ©efeDf^ft 
füt  Statut-  unb  .J)eUfunbe  Bom  9.  Sunuat  1883. 

17)  SergL  über  biefen  glunit;  D.  So  Hing  er,  liebet  Setetbung 
Bon  Äranfbciten.  ©tuttgart.  3-  ©•  6otta.  1882.  ©.  5. 

18)  Satuffi,  6efare,  Deila  macrosomia.  Memoria.  SJtilano. 
1879. 

19)  B.  Su^I,  2.,  SJtitt^eilungm  auS  bem  ^at^olog.  Snftitut  ju 
ÜJlün(^en.  ©tuttgart  1878.  ©.  300. 

20)  gritfdje  unb  itlebS,  ©(^weijet  6orrefponbenj-SIatt  füt 
1883.  ©.  162  unb  270. 

21)  Setgl.  bie  Slbbilbung  in  bet  geipjiget  SDuftrirten  ^ntnng 
91t.  2101.  6.  Dftober  1883. 

22)  Setgl.  bie  Slbbilbung  in  bet  8eipjiget  SDujitttten  3titung 
Sit.  1961.  29.  Sanuat  1883. 

23)  Setgl.  bie  Slbbilbung  in  bet  8eipj.  SHuftr.  3«tung  Str.  1852. 
1878.  unb  im  Sa^eim  XV.  Su^tg.  1879.  Str.  15. 

24)  Setgl.  über  partiellen  9tiefen»U(f)S  unb  frü^jeitige  Steife: 
Sllblf^'^f  SJli^bilbungen  beS  SJlenfcpen.  SltlaS. 

25)  ©ieS,  Sltdjir  füt  ejrper.  ^at^ol.  u.  5)^armaf.  Sb.  VIII.  ©.175. 


S>mS  von  VtVt.  nnjn  in  ttcrlin,  C^önttergnftt.  17 


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Bon  der  drutftl)en 


(^ine  ^iftorifc^c  0fis3C 

»on 

Dr.  Benilke. 


fierliti  SW.,  1884. 
SBeilag  »on  6atl  ^abel. 

(C.  if.  tübnitriitii  Snligsbsititliiiilsfg.) 

33.  Silbtln  * 33. 


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2)aä  3te(^t  bet  Ueberfeftung  in  ftembe  Sprotten  rotrb  oorbe^alten. 


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mt  gutem  ©runbe  gilt  bet  SBelteerfe^r  aI8  eine  bet 
impofanteften  unb  eigenottigften  ©tf^ieinungen  unfetet  Sage. 
9Ran  fe^e  nut  ein  ftatiftifc^eö  ^anbbud^  no(^,  um  gu  ctftaunen 
übet  bie  tieflgen  Siffetn  »on  6in»  unb  9lu8fu^t  bet  mannig« 
faltigften  ^anbelflattifel  auß  unb  in  aOet  .fetten  2dnbet,  Siffeni, 
beten  ^c^e  jebe  ÜRöglid^feit  außfd^Iie^t,  eine  ttitfli(^e  Sin» 
fi^auung  bamit  gu  netbinben.  9lidfet  miubet  ftaunenettegenb  finb 
bie  ÜJiittel,  beten  ftc^  biefet  93etfe^t  bebient,  fomo^l  baß  ^od^» 
entwidelte  ©tebitmefen  alß  bie  gülle  unb  3»etfniä|igTeit  unfetet 
du^eten  ßommunicationßanftalten.  9tut  betgeffe  man  nid^t,  ba§ 
biefet  ^anbel  ejrtenfin  wie  intenfis  vet^dltni§md§ig  nod^  jungen 
Datumß  ift:  im  3Befentlid&en  »aten  eß  gwei  gefd^i(^tli(be  @r« 
cigniffe,  welche  i^m  biefen  mdtbtigen  Sluffi^mung  unb  Smpulß 
mitget^eilt  ^aben,  bie  gto|en  @ntbecfungen  um  ben  Slußgang 
beß  15.  Sa^t^unbettß,  ttjel(^e  ^iet  ein  gang  neueß,  ungeahnt 
ergiebigeß  ^robuctionß»  unb  Slbfa^gebiet  auffd^loffen,  bott  ein 
alteß  leiertet  gugdngli^  mad^ten,  unb  fpdtet^in  bie  mannigfad^e 
33emenbung  bet  35ampfftaft,  bie  bet  Stiump^  etft  unfeteß  3a^r= 
^unbettß  »ctben  follte.  SSieüeitbt  fommt  mand^em  8e)et  eine 
anfptu^ßlofe  ©figge  ni(^t  unetwünfe^t,  »el(pe  auß  biefen  gte^« 
artigen  merfantilen  Buftönben  bet  neuetn  unb  neueften  ©efd^i^te 
in  eine  ftü^ete  unb,  gwat  bie  ndd^ftootangel^enbc,  ^etiobe  bet 
J^anbelßgefc^id^te  gutüdffü^tt,  an  ben  enget  begtengten,  abet 
übetfid^tli(^eten  unb  ni(^t  »eniget  ongie^enben  SSetpdltniffen  bet 

XIX.  45G.  1*  («80  • 


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4 


beutfd^en  ^anfa  ein  mittelalterlid^eS  @egenbilb  bed  mobetnen 
fBeltoetfe^rß  jet^net.  ©te  toirb  junät^ft  in  oller  Äurje  bie 
bau^tfä(i^l{(^en  ©ntfle^un^dmomente  fomie  einiges  SBenige  ouS 
ber  äußeren  @e[d>id^te  beS  SunbeS  ^ernoi^eben,  um  bann  in 
bo8  innere  Seben  beffelben,  in  ^anbel8=  unb  ©emerbebehieb, 
Äunfttbötigfeit,  ^rinatleben  unb  SSerfaffung  etwoö  tiefer  eiuju» 
bringen. 

IDie  beutfdbe  ^anfa  ift  ouS  3tnei  .i^auptmur^eln  ^ernors 
gemodbfen,  1)  ben  SSereinen  nieberbeutf(^er  ^oufleute  im  9uS> 
lonbe  unb  2)  ben  ©inungen  nieberbeutfc^er  ©tobte  im  3nIonbe. 

©cbon  öon  Äorl  b.  @r.  war  ®eut{d>(anbS  Dftgrenje  bis 
3ur  ©Ibe  unb  über  bie  ©Ibe  binauS  nadb  .^olftein  bin^in  «u8« 
gebebnt  worben,  aber  erft  unter  ^riebridb  SSarbaroffa,  alfo 
nabe3u  4 3abrbunberte  fböter,  erreichte  pe  bie  Dftfee,  beren 
füblicbe  UfetlSnber,  boS  je^ige  ÜJlecflenburg,  Sommern,  |)reu|ien, 
bamaie  faft  au8fdblie§li(b  nodb  non  flaoifcber  unb  littauifcher 
SSenöIferung  erfüllt  worcn.  SDaS  SSerbienP  an  biefem  ÜJlacbt« 
3uwncb8  gebührt  in  erper  8inie  bem  ©adb|enber3og  ^einri^  b. 
8öwen,  ber,  wäbrenb  ber  Äaifer  mit  weitauSgreifenben  unb 
am  ©nbe  bodb  unemidbbaren  SBeltberrfcbaftSplänen  trug  unb 
befcbüpigte,  auf  biefem  jungfräulichen  33oben  eine  überaus 
frudbtbare  ©olonifationStbätigfeit  entwicfelte,  mit  beupchen 
Saueru,  Bürgern  unb  ^rieftern  audb  beutfcheS  SBefen  unb 
chripliche  ©epttung  bic^b^i^  nerppangte.  ©o  entpanben  auf 
biefem  ben  ©lauen  abgerungenen  ©oben  um  1200  eine  Sfieibe 
3ufunftSreicher  ©täbte,  oor  allem  8übed,  baS  .^einridb  mit  einem 
eigenen  gou3  ouf  bie  ©erfebrSbebürfniPe  3ugefchnittenen  ©tabt« 
recht  bewibmete,  bem3ufolge  ©atb  unb  ©ürgerfchaft  bie  weit* 
gebenbPen  ©efugnipe  erhielten,  ©iefem  Siecht  f^lopen  p^  bie 
rafch  aufblübenben  ©adbbarftäbte  an,  fo  namentlidb  SEßiSmar, 
IRopocf,  ©trolfunb,  ©reifswalb,  Slnclam,  ©tettin,  bie  man 

(S88) 


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5 


gemeinhin  bie  wenbif^en  @täbte  nannte.  — 3m  Serlauf  beä 
13.  3a^r^unbert8  »atb  bann  aud^  baö  ^etbntfd^e  ^teu§en  »on 
bem  !Deutfd^orben  unb  bie  heutigen  rujpf^en  Opjee^sroninjen 
»on  bem  na^oetmanbten  Drben  bet  ©d^wertritter  erobert,  be» 
pebelt  unb  ^riftianiprt:  unb  bamit  mar  benn  bie  ganje  ©üb^ 
unb  Dftfüfte  bet  Dftfee  beutfcb,  mie  »iel  jlaoifcbc  @Iemente  andb 
ba^mifdjen  oerftreut  no^  fortbefte^en  mosten.  2Bie  auS  bem 
golgenben  erpcbtlid^  mirb,  mieber^olt  fid^  nun  ^ier  berjelbe 
gef^id^tlii^e  ^rocep,  ben  mir  an  ben  griecbifi^en  Kolonien  be8 
SUtert^umö  unb  ben  amerifanijcben  bet  neueren  3«*  beobad^ten: 
bie  jungen  f>Pan3ungen  überminben  me^r  unb  inebr  ben 
becngenben  @inpup  be8  5Rutterlanbe8  unb  mitlen  mit  i^rer 
^apiger  fcrtfc^reitenbcn  ©ntmicflung  belebenb  auf  biefeS  jurüd. 

3njmifcben  maren  bcreit8.feit  2 3a^rbunberten  unb  länger 
bie  übrigen  Umlanbe  ber  Oft»  unb  5Rorbfee  bem  (S^riftent^ume 
gemonnen,  aljo  9?uplanb,  @d>meben,  SRormegen,  JDänemarf  unb 
längft  fc^on  ©nglanb.  — @8  tonnte  ni(^t  au8bleiben,  ba§  pc^ 
nunmehr  ein  immer  leb^aperer  93erfe^r  auf  ben  beiben  9Keercn 
entmicfelte,  gumal  nach  ben  Äreu3gügen,  bie  mit  bem  Sluffd^lup 
neuer  .^anbelSmege  unb  ber  ermeiterten  Äenntnip  oon  @ebrau^8« 
unb  SSerbraucbSgegenftänben  ba8  SBebürfnipmap  ber  gefammten 
abenblänbifcben  SBelt  fo  rapibe  gepeigert  l^atten.  liefet  nament» 
lidb  auf  ber  Dftfee  p^  entmidfelnbe  SBerle^r  erinnert  lebhaft  an 
ben  3!nitte[meerbanbel  be8  9llterthum8  unb  giebt  un8  gute8 
Sleiht,  pe  in  ähnlichem  ©inne  ein  (Sulturbecfen  gu  nennen,  mie 
man  ba8  von  bem  alletbingS  beoorjugteren  fübeuro)>äifdhen 
Sinnenmeer,  bem  ©dhaupla^  ber  ganzen  alten  ©efchichte  gethon 
hat.  Slnfänglidh  betheiligten  pdh  au^  frembe  Stationen,  StuPen, 
JDänen,  ©nglänber  an  biefem  .^anbel,  aber  halb  genug  mürben 
pe  non  bem  rinaliprenben  beutfdhen  J^aufmann  au8  allen  ihren 

?)optionen  hftau8gebrängt.  @anj  fo  mie  bie  norbif^en  Steife 

(8«) 


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6 


nac^  @infü^iung  b«S  i^te  ^aatUc^cn  unb  gefeQ« 

f(^aft(i(^ea  ]$ormen,  Se^nduefen,  Slittert^um  u.  j.  f.  ben  beut« 
[^en  Snftituttonen  na(^gebilbet  Ratten,  ebenfo  unterlag  aud^  bie 
^anbeU  unb  getcerbetieibenbe  Sevölfeiung  in  ben  ^te  unb  ba 
entftanbenen  ®täbten  beS  9torbend,  wie  ^tod^olm,  93ergen, 
.^open^agen  u.  a.  bem  cuttureDen  unb  indbefonbere  niertantiien 
Uebeigewi^t  beS  beutfd^en  Sürgett^umd.  ^erfwürbig  genug, 
in  welcher  gotm  eS  biefe  großen  (Srfolge  gewann.  3m  jpäteren 
SRittelalter  {a^en  jtd^  aQe  Senölferungdfreife  auf  @elbft^ilfe 
angewiefen,  fte  fud^ten  unb  nerftanben  ben  mangelnben  ober 
unjuteii^enben  (Sd^u^  unb  Seiftanb  beö  0taated  butc^  cotpo* 
ratine  33erbänbe  ju  eiferen.  <So  fdbwuren  ftc^  auc^  in  ben 
nieberbeutfc^en  .^anbeUplä^en  bie  nach  einem  gemeinjamen  äSer« 
fe^idpunft  ^antiienben  ^aufleute  ju  0(^u^  unb  2:ru^  unb  gegen« 
feitiger  ^orbetung  gufammen  unb  biefe  einjelftäbtifd^en  SSeteine 
au^  balb  unter  einanber.  ä3on  aQen  biefen  prinaten  .^anbelS« 
gefeDfc^aften  ^at  feine  eine  größere  Sebeutung  erlangt  al8  bie 
got^länbifc^e,  ein  äSerein  nieberbeutfcper  ^aufleute,  welche  @ct^* 
lanb,  bad  SSerfe^rScentrum  ber  £>ftfee,  ju  .^anbeldjwecfen  be> 
fud^ten.  .jpier  lag  baS  mäd^tige  SßiSbp,  fo  rei(^,  ba^  ein  IDänen« 
fönig  jagen  fonnte,  bie  @d^weine  fragen  bort  auä  filbernen 
Jrögen;  no^  .^eute  erinnern  gewaltige  Saurefte  bet  alten 
®tabtmauer  unb  ber  einft  befte^enben  18  .^ir(^en  an  bie  e^e« 
malige  @)rö|e  unb  .^enlid^feit.  iDet  S3erein  blühte  befonberS 
im  13.  3a^r^unbert  unb  gebahrte  fid;  ganj  wie  eine  politifc^e 
3Jla^t,  führte  ein  eigenefl  Siegel,  ^anb^abte  eine  ftrenge  See» 
poligei  unb  fc^uf  ein  Seerecbt  mit  bem  Slnfptuc^  auf  ä3erbinb> 
li^feit  für  alle,  wel(^e  bie  Dftfee  befuhren. 

!Diefer  @ntwidflung  parallel  gept  tm  3nlanbe  bie  aOmä^liibe 
.^eraudbilbung  non  Stäbtebünbniffen.  ^j(n  ®rünben  bagu  war 
wa^r^aftig  fein  fDfangel.  IDie  räuberifd^en  Steigungen  beS  um« 

(t90) 


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7 


wo^nenben  ^jlbel8,  t>ad  bebio^li^  SBad^t^um  bet  ^üiftenmadbt, 
beffen  tiefed  9ie^t  fidb  aud  bei  fRatui  beS  Staate^  felbet  ergab, 
unb  juglet(^  ^anbel0po(iti[(^e  ünotiee  aller  91tt,  fo  bet  3Bun{d^, 
verbannte  äSetbrec^ei  unb  ©c^ulbnet  ni(^t  in  ber  9ia(^bat> 
gemeinbe  aufgenommen  unb  gefd^ü^t  3U  fe^en,  aQeS  bieS  vets 
anla§te  ben  abfd^lufe  oon  Verträgen  unb  ©ünben.  Ueber  baö 
ganje  nieberbeutfdje  @pia(^gebtet  ober  geograt>^{{(^  gef^rod^en 
bie  ganje  nieberbeutfc^e  Siefebene  oon  @ft^lanb  big  ^ollanb, 
bie  beibe  no^  3um  beutfd^en  iReic^e  ge'^örten,  veibreiteten  fi(^ 
fo  im  13.  unb  14.  3^af)t^unbert  berartige  fieilid^  3unä(^ft  no(^ 
3iemli(b  locfere  @täbteoeretne,  bie  fic^  aber  me^r  unb  me^t  baran 
gemö^nen,  auf  befonbeten  Sagfa^rten  i^te  Angelegenheiten  3U 
befpted)en,  fich  gegenfeitig  in  Allem  9?otf(hub  3U  leiften,  in  9ioth 
unb  ©efahr  3U  einanber  3U  ftehen.  3m  fernen  SBeften  begegnen 
wir  bet  niebetlänbifchen  ober  fübetfeeifchen  ©täbtegruiJpe,  3U  bet 
namentlidh  ^fampen,  Deoenter,  Utrecht,  Dorbrecht,  ©taooren, 
3ieriree,  Amfterbam  :c.  3Öhlten,  bann  weiter  im  ©innenlanbe 
bem  Serbonb  ber  äufeerft  betriebfamen  rheinifch^ioeftphälifchen 
©täbte,  Äöln,  Dortmunb,  ÜRfinfter,  @oe^  u.  a.,  meldhe  fich 
tro^  ihrer  Abgelegenheit  oon  bem  SReere  in  ber  ©efchichte  einen 
@hienpla^  al8  33ahnbrecher  beutfchen  ©eehanbelS  oerbient  haben. 
9lun  folgt  noch  Dften  eine  weite  8üde,  ba  Dftfriefllanb  unb 
Dlßenburg  noch  feine  nennenflwerthe  ©tobte  aufwiefen,  öhnli^ 
wie  Dittmarfchen  nnb  .^olftein  gan3  oorwiegenb  eine  bäuerliche 
Seoölferung,  faft  noch  ouf  altgennanifdhem  gu§e  einf^loffen. 
6rft  on  ben  SRünbungcn  oon  SBefer  unb  6lbe  unb  bie  Dfifee» 
füfte  entlang  treffen  wir  wieber  auf  größere  @emeinwefen,  ja 
bie  wichtigften  ©lieber  be0  SunbeS  überhaupt,  auf 

bie  f^on  erwähnte  wenbif^e  ©täbtegruppe,  ber  auch  baS  et3> 
bifdhöfli^e  0remen  unb  bad  gräflich  holfteinifdhe  Hamburg  3U« 
ge3ählt  würben.  Siefer  lanbein  bie  märfif^en  ©täbte,  baj  noch 

(891) 


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8 


ganj  unbebeutenbe  ä3etlin,  ^erlebetg  u.  a.,  betnnäc^ft  bie 
^ä(^ft^d^en,  güneburg,  OJlagbebutg,  ^annoDet,  ^ilbcS^eim,  @o8* 
lor,  Sraunf^wetg  u.  a.,  unb  im  fernen  Dfien  bie  6 rafd^  empor= 
gemac^fenen  )}teu§ifd^en  Drbendftäbte  ($ulm,  S^orn,  Rangig 
©Ibing,  Sraundbetg,  Königsberg,  gule^t  in  2i»«  unb  ©ft^lanb 
{Riga,  JDorpat,  {Renal,  ?)emau.  — Sefonberö  folgenreid^  »utbe 
ber  jttif(^en  2übe(f  unb  ^omburg  nereinbarte  Vertrag  n.  3- 1241, 
ba  gübedf  bie  {Berfe^rflintereffen  ber  Dflfee,  .£>amburg  bie  ber 
@lbe  unb  {Rorbfee  nertrat;  aber  man  ^at  burcbauö  lein  {Re^t, 
i^n  mit  faft  aßen  ^anbbüc^em  als  ba8  @eburtöbatum  ber 
^anfa  auSgugeben.  @rftli(b  begog  er  ftd),  wie  neuerbingS  nac^« 
getniefen,  gunäc^ft  nur  auf  ben  gemeinfamen  milit&rifdben 
bet  SBetbinbuugdfhafee  beiber  ©tobte,  mie  Jbunberte  non  5ljn* 
lid^en  SSertrögen  in  jenen  Seiten  abgefd^loffen  finb,  unb  fobann 
tnerben  bie  bisherigen  SluSführungen  fi^nn  hot’en  ertennen 
laffen,  ba§  ft^  bie  .^anfe  überhaupt  nicht  als  eine  ))lö|li(he 
norbebachte,  )>lanmä§ige  ©chö))fung  barftellt,  etwa  entfprungen 
bem  ftaatSmännifchen  ®enie  eingelner,  fonbern  als  baS  $robuct 
einer  langen,  faft  langfamen  @nttnicf(ung,  bie  fi^  tnie  non 
felbft  macht,  auS  bem  praftifchen  Bebürfnih  gegenfeitigen 
©chu^eS,  gemeinfamen  93erfehrS  herauSmöchft- 

93iSher  ftanben  nun  biefe  beiben  IBereinSgruppen,  bie  fauf» 
mdunifche  unb  bie  ftäbtifche  unnermittelt  neben  einanber,  aQeS 
lam  barauf  an,  ba§  fie  ineinanber  aufgingen.  Unb  baS  gefchah: 
aus  ben  neteinigten  SEButgeln  erwuchs  bet  ftolge  Saum  bet 
beutfchen  $anfe.  2)ie  prinaten  ©enoffenfchaften,  bie  gothlönbifche 
nicht  auSgefchloffen,  tonnten  bem  .^anbel  bei  feiner  wachfenben 
SiuSbehnung  unb  bet  naturgem&§  gunehmenben  ©iferfucht  ber 
fremblänbifchen  Kaufmannf^aft  auf  bie  IDauet  bodh  feinen  ge* 
nügenben  ©chu^  gewähren,  unb  rafch  nun  fam  biefem  Sebürfnih 
bie  politifche  Klugheit  unb  3nitiatine  ber  leitenben  lubifchen 

(8»S) 


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9 


©taatömdnner  entgegen.  @o  gefci^al)  eß,  ba|  jene  ^liBatnereine 
in  ben  lebten  Sa^rje^nten  beß  13.  Sa^r^unbertö  in  immet 
gtölete  Stb^dngigfeit  »on  ben  ©täbtebünben  geriet^en,  bie  nun 
unter  gü^rung  beß  burti^  feine  {Reid^flfrei^eit  unb  centrale  tjage 
boju  berufenen  ISübed  eine  energifd^e  gürforge  für  ben  über« 
feeif^en  ^anbel  übernahmen  unb  in  biefem  Streben  auß  ihrer 
feitherigen  3folirung  hnauß  gu  einem  umfaffenben,  freilich  nor> 
erft  noch  mentg  feften  93unbe  gufammentraten. 

Schon  am  Slußgang  beß  13.  Sahrhunbertß  beftanb  bie 
junge  ^anfa,  wenn  mir  fte  anbetß  f^on  fo  nennen  bürfen,  ihre 
Feuerprobe  in  einem  erften  frtegerifchen  Auftreten  gegen  baß 
Äonigreidh  9lormegen,  melcheß  mit  neuen  unb  größeren  3u* 
geftänbniffen  in  ^>anbel  unb  SBanbel  ben  Frieben  erfaufen 
muhte.  Fteili^  verfiel  balb  bana^  biefe  bißher  ftetig  fort- 
fchreitenbe  @ntmicllung  noch  einmal  einer  rücfläufigen  Semegung: 
IDünemarf,  bamalß  bie  erfte  @ro§macht  beß  9iorbenß,  trachtete 
feit  mehr  benn  einem  3ahthunbert  nicht  ohne  ®lücf  nadb  bet 
SSorherrfdhaft  über  bie  Dftfee,  mogu  fchon  feine  Selegenheit  am 
©ingang  berfelben  aufguforbern  fehlen.  3a,  Sübeef  mürbe  je^t 
für  ein  »olleß  3ahrgehnt  »on  bem  thathäftigen  IDSnenfönig 
©rieh  fDlenceb  in  eine  gemiffe  Unterthänigfeit  h<neingenöthigt 
unb  bamit  vom  S3unbe  loßgetiffen.  Snbeh  mürben  bie  übet* 
haupt  nie  gdnglich  eingefteClten  Söerfehrßbegiehungen  gu  ben 
alten  Sdbmefterftäbten  balb  burch  neue  Sertragßfchlüffe  mieber 
geregelt  unb  gefeftigt,  unb  alß  nun  ooUenbß  i.  3.  1361  bet 
IDünenfönig  SBalbemat  Ültterbag  auß  Stach«  unb  .^abfucht  ftch 
beifommen  lieh,  ^aß  biß  bahin  f^mebifche  SBißbp,  bie  SBetfebtß* 
metropole  ber  Dftfee,  in  tiefftem  Frieben  gu  übeaumpeln  unb 
gu  annectiren  unb  babei  ben  grabe  anmefenben  nieberbeutfehen 
Äaufleuten  empfinbli^e  Sßetlufte  an  ^)ab  unb  @ut  gufügte,  ba 
ftanb  gübed  mieber  »dQ  unb  gang  an  bet  Spi^e  ber  menbifchen 

(S93) 


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10 


@täbte  unb  einigte  fic^  mit  i^nen  unb  eneigif(^  auf  bem 
@teif6»alber  Sage  3U  einem  SlngriffSfrieg  gegen  ben  tüdflt^tfi» 
lofen  ©toberer.  Slber  bie  @j:pebition  na^m  einen  üblen  ÄnS® 
gang,  »efentlitb  burd^  bie  @anmfeligfeit  bet  in  ben  Äriegö» 
bunb  bineingf^os^nen  Äünige  ocn  ©d^weben  unb  9lor»egen; 
nicbtSbeftoweniget  mu^te  ber  lübifdbe  ^lottenbauptmann,  bet 
Sütgermeiper  3ob-  SBittenbotg,  auf  cffenem  ÜRatfte  ju  8übed 
bad  ÜJUpgefcbic!  im  ^enfetStobe  bü§en.  3)tit  ben  S)änen  fd^Iop 
man  einen  »enig  oetttauenetmetfenben  gtieben;  nidbt  lange,  fo 
»utbe  et  »on  i^ret  Seite  bur^  neue  ^lünbetungen  banpftbet 
Sdbiffe  unb  neue  3Setfebt0einfd)ränfungen  gebtodben;  ein  no^» 
maliger  SBaffengang  mupte  entjcbeiben.  @0  ift  bie0  bet  größte 
unb  tubmteicbpe  Ätieg,  ben  bie  ^anfa  nidbt  blo§,  fonbern 
IDeutfdblanb  überbaupt  3ut  See  geführt  bat.  3m  9tatbbau0  3U 
Äöln  fanben  fi<b  um  OJlattini  1367  abgeorbnete  au0  ben 
pteupif^en,  ujenbifiben  unb  fübetfeeifiben  Stabten  ein  unb  ret» 
abrebeten  bafelbft  jene  benfmütbige  @onfoberation0acte,  meldbe 
einen  3U)eitcn  anvgtiffbftieg  gegen  SBalbcmat  fepfe^te,  jebe 
Stabt  nach  9Jta|gabe  ibtcr  ?eipung0fSbigfeit  3U  einem  be» 
ftimmteu  Sruppencontingent  »etpflidbtete  unb  3ut  Seftteitung 
bet  ^open  einen  au0fubr3oQ  auf  ade  SBaaten  anotbnete,  enblicb 
auch  SSefdbmerbebriefe  an  ben  ?)app,  an  .Raifcr  .^orl0  IV.  unb  »iele 
beutfdbe  Sütpen  in  au0p^t  nahm.  IDiefet  Sag  ift  ein  ent» 
fdbeibenbet  fBenbepnnft  bet  banpfcben  @efdbidbte  unb  mit  bütfen 
mebt  fagen,  ein  bacb^^^^atfamer  and)  für  bie  ®efammtentmicllung 
unfete0  S3atetlanbe0  gemotben.  .i^iet  fdbliebt  bie  iBotgefdbicbte 
bet  .^anfe  ab:  ihre  gro§e  3«t  beginnt.  Die  Otlogfcbiffe  bet 
Stäbte  unb  ibr  au0  dUttern  unb  Rechten  angemotbene0  8anb» 
beet  übetmanben  in  gmei  fcbmeren  .Rtieg0iabten  Danemarf  jo 
ncllig,  bap  im  9Rai  1370  bet  bünifdbe  9iei(b0ratb,  bie  pänbifdbe 
S^ertretung  be0  bab^a  abel0  unb  JSIetu0,  32  ÜRitgliebet  nadb 

(894) 


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11 


®tral|unb  hinüber  fc^icfie,  um  bott  im  angeblichen  Auftrag 
ihres  lanbfiüchtig  gemorbenen  .^enf^etS  jenen  ^rieben  ju  unter* 
jeichnen,  ben  mir  mit  Bug  unb  IRecht  als  ben  {)öhepunTt  in  bet 
SRachtentmicflung  beS  beutfehen  SürgerthumS  überhaupt  be< 
gelchnen  bürfen.  gr  cetlieh  neben  beträchtlichen  SBerfehrS* 
begünftigungen  ben  SRitgliebern  ber  Kölner  gonföberation,  etma 
60  .^anfaftäbten  baS  IRecht,  bie  nier  auf  ©chonen  belegenen 
bänif^en  ©chlöffer  ^elfingborg,  5SRaIm5,  @can6t  unb  Bulfterbo, 
melche  bem  @unb,  ber  michtigften  SBafferftrahe  beS  huufijchen 
33erfehrSgebieteS  jugefehrt  maren,  auf  15  fahren  mit  ihren 
33ögten  unb  Sehrmannen  3u  beferen,  gu  nermaltenunbgunieh* 
brauchen,  unb  mehr  noch  baS  unerhörte  Stecht,  bie  nächfte 
bänijehe  JtönigSmahl  ihrer  Buftimmung  gu  untergiehen,  momit 
fie  eine  Superiorität  gemannen,  mie  meber  ^ai(er  nodh  ibönige 
bamalS  über  einen  fremben  @taat  auSübten.  Breilid)  barj 
ni^t  unermähnt  bleiben,  ba^  bie  gonföberirten  bei  bem  fchon 
nach  menig  Soh^^fu  eintretenben  Jh^unmechfel  auf  bie  that* 
fachlich^  SluSübung  biefeS  gefährlichen,  gmeifchneibigen  {Rechtes 
oergichteten;  bagu  neranlaht  burch  %e  bermaligen  politifchen 
3[$erhältniffe  unb  gugleich  burch  ^^uge  SBerhanblungen  bet  jungen 
Königin  5Diargarethe,  ber  Siebter  unb  Slhtonerbin  SalbemarS, 
berjelben,  bie  in  ber  Äalraorer  Union  1397  bie  btei  notbifchen 
gCronen  auf  ihrem  Jpaupte  nereintc.  Slber  bei  adebem:  je^t 
fteht  bie  ^anfa  ba  gefchmüeft  mit  ben  Botbeeten  eines  großen 
Krieges  unb  innerlich  but^  {Roth  unb  @efaht  mie  burch 
machfenbe  .^anbelSintereffen  fefter  gufammengefchloffen,  um  nun 
für  anberthalb  Sohrhunberte  maritim  bie  erfte,  politifch  eine 
ber  erften  notbifchen  SRächte  gu  bleiben,  unb  baS  aQeS  ohne 
Beihilfe,  ja  ol)ne  Buftimmung  con  Äaifer  unb  {Reich- 

3n  biefe  ihre  gro^e  Beit  möchte  ich  ^*u  8efer  nunmehr 
hineinftellen,  ihm  im  3(nfchlufe  an  neuere  BorfchungSergebniffe 

(895) 


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12 


(id^  uerwetje  »or  allem  auf  bie  audgejeid^nete  unb  umfaffenbe 
DarPeDung  biefet  JDinge  in  JD.  @d^äfet’0  pteiflgcitßntem  SBerl: 
S)te  ^anfeftäbte  unb  ^önig  SEßalbemar,  auS  ber  au(^  bie  nad^= 
fte^enbe  ©fijje  »ot3ug0weife  fd^ßpft)  mit  einigen  ©trid^en  unb 
garben  geben  unb  Stteiben  biefer  rührigen  ©tSbte  unb  i^teö 
SunbeS  außmalen. 

SuDor  @inigeS  übei  ben  .^anbel,  ber  bod[;  meit  mel^t  a(0 
®emerbe  unb  Sldterbau  i^i  eigentüd^eS  gebenSelement  außmadfit. 
S)a  tarn  benn  junäc^ft  alleS  barauf  an,  bie  re^tlofe  ©teQung, 
meld^e  febet  ^embe  nadE>  früf^mittelaUeilic^er  iSnfi^auung  im 
SluSlanbe  einna^m,  gu  befeitigen.  2)a8  6rgebni^  biefer  Se« 
mül^ungen  finb  bie  ^rinilegien,  welche  bie  ©täbte  eingeln  ober 
»eteint,  man  barf  fagen,  gu  ^unbertcn  ermotben  ’^aben.  Saft 
immer  ber  ndmli(^e  Sn^alt:  e8  gilt  ©(^u^  »on  ^erfon  unb 
SBaare,  iXbfdbaffung  beS  @(runbru^rred^t0,  melc^eS  bem  ganbeS^ 
^errn  oUeö  für  »erfallen  erflfirte,  maS  — etwa  »om  SBagen 
^erabfallenb  — ben  Soben  berührte,  abfdfiaffung  be8  nod^  »lei 
fd^Iimmeren  ©tranbred^tS,  baö  bem  anmo^nenben  ©runb^erm 
ade  f(^iffbrüc^{gen  ®üter  aI0  @igent^um  gufprac^,  Sufage  ber 
SRed^tSpfiege  gegen  fäumige  Sollet,  ^Befreiung  »om 
unb  anberen  formen  be§  ©otteSurt^eild  im  @eri(^t0»erfa^ren, 
förmS^igung  ber  3ßHe,  3ulSffigfeitSerfIärung  beS  Älein^anbelö, 
g.  S3.  eHenmeifer  Sertauf  »on  Jud^  unb  geinen,  ber  fonft  nur 
ben  @ingeborenen  guftanb,  unb  ä^nlid^e  SBerfe^rSerleid^terungen 
me^r.  2)a0  »orne^mfte  ©innen  unb  Sra^ten  ber  .i^anfen  ging 
aber  barauf  au0,  an  ben  befud^teften  äSerle^rS^Iä^en  be0  lSu0= 
t lanbeö  Kontore  anlegen  gu  bürfen.  IDod^  ba»on  nod^  f^äter! 
®abei  fiel  i^nen  nid^t  im  entferteflen  ein,  ben  Stationen,  mit 
welchen  fie  jold^e  IBereinbarungen  trafen,  alfo  @nglänbem, 
glomlänbem,  5Rorwegem,  IDänen,  9Ruffen  i^rerfeitS  o^nlit^e 
SSergunPigungen  gu  gemS^ren!  3m  ©egent^eil:  in  Äöln  burften 

(896) 


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13 


beifpielSveife  frembe  ^aufieute  nur  breimal  im  3a^t  erfc^einen 
unb  bann  nur  für  ben  3eitraum  »on  wenigen  SBod^en.  9lie 
ifl  meinet  SBiffenfl  in  ber  SBeltgefd^ic^te  ein  ^)anbel8monopol 
fo  rüdfi(^tfilod  burc^gefü^rt  worben  wie  ^ier  unb  3War  ein 
ÜRonopol,  bab  nid^t  jowo^I  auf  ber  eigenen  9iation  laftete, 
fonbern  fed  in  bie  ©oueerainetöt  frember  Staaten  ^ineingriff, 
um  allen  ©igcn'^anbel  bafelbft  nteberjubtüden  ober  gar  wie  in 
9lor wegen  gu  erbtüden. 

IBon  ben  jwei  <^au))tftra§en  ^anfifc^en  .^anbelb  erwähne 
i^  guerft  bie,  wel^e  bur^  bie  beiben  6nb<>unfte,  S3tügge, 
IRowgorob  begei^net  wirb.  Sie  ift  mehrere  3a^rl)unberte  ^tn» 
bur^  fo  gut  wie  auSfd^lie^lic^  oon  ben  ©(Riffen  fianfifi^er  ^auf« 
leute  befuhren  worben,  wobei  il)nen  gar  nodi  »erboten  war, 
mit  Slublänbern,  IRuffen,  ©nglänbern  u.  f.  f.  Gompagniegefd^äfte 
gu  treiben.  9lowgorob,  woblgef(bü^t  gegen  ©eeräuber,  an  ber 
fc^iffbaren  SBold^ow  gelegen,  fonnte  bermalen  in  gewiffem  ©inne 
al0  ;g)auptftabt  be8  no(b  »iel  gertbeilten  9iuffenrcid^e8  gelten; 
fie  concentrirte  feit  ben  Jagen  i^reö  ©rünberS,  beö  3Borägerfl 
IRurid,  ben  ruffif<ben  .J>anbel  unb  erfreute  ficb  einer  faft 
re))ubltfanifd^en  ©elbftänbigfeit  .^ier  liefen  bie  freguenteften 
|>anbel0wege  nach  bem  2)niepr=  unb  SBolgagebiet  auS  unb 
weiter  gum  fernen  Often.  93on  IRufelanb  ejrportirte  ber  beutfcbe 
Kaufmann  befonberö  bie  feineren  ^elgforten,  Siber,  3»bel,  Jper* 
meline  k.,  unb  riefige  fBlaffen  SBa^S,  baö,  wie  no(b  ^eute,  in 
ben  mittleren  walbreidben  ßanbefl  burcb  eine  au8* 

gebebnte  S3ienengud^t  gewonnen  worb,  ©ein  3n»bort  beftonb 
bagegen  in  feineren  SBebftoffen  au8  SBoHe,  Seinen  unb  ©eibe, 
felbft  in  ©dbubwerf,  ba8  au8  ruffifd^em  Seber  ba^eim  gearbeitet 
würbe,  au^erbem  noch  in  SBier,  9JletoD*  unb  Iframwaoren. 
ÜRan  »erforgte  ba8  inbuftriell  no(b  gang  unentwidelte 

Sanb  mit  faft  allen  (Srgeugniffen  be0  @ewerbf(eifee8,  beren  e8 

(897) 


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14 


über^au^t  beburfte.  — Srügge,  bte  anbere  @nbftation  bet  on* 
gegebenen  @tra§e  in  Blanixtn,  war  für  bte  brei  lebten  3a^r« 
^unberte  be4  0]Ritte(alter8  annä^erungdweife  baS,  wa4  8onbon 
für  bie  ®egenwart  bebentet,  neben  SBenebig  bet  eigentUd^e  SBeIt> 
marft  be4  (Sontinentt,  »o  Italiener,  @^>anier,  ?)ottugiefen, 
granjofcn,  @nglönber,  Ober»  unb  Sflieberbeutft^e  in  buntem 
S)ut(^einanber  i^re  Saaten  taufcl^ten.  IDort^tn  führte  bet 
^anfe  auS  Schweben  unb  Salb)>robufte,  93aufteine  unb 
@ifen,  bab  noc^  in  Salbfd^mieben  t^rimitio  verarbeitet  mürbe, 
enblidb  autb  einen  SlbeU  ber  ,^upferau§beute  aud  ben  teilen 
@(ba(bten  von  Salun,  meld^e  gro^entbeilö  an  lübtfibe  bürget 
verlauft  ober  verpfonbet  waren.  SJuä  ben  Dftfeelänbem  im. 
portirte  et  betreibe,  aud  ®tanbinavien  .geringe  unb  ©todffifcbe, 
lauter  9laturprobufte,  für  bie  er  ben  betrefenben  Gebieten  feine 
3nbuftriewaaren  gurücfgab.  @r  vertritt  in  93rügge  ben  gangen 
SRorben  wie  im  ©eben,  fo  im  ©mpfangcn:  benn  nur  burtb  feine 
Vermittlung  tonnten  bie  @aben  beö  ©übenS  unb  Dftenö,  Oele, 
Seine,  ©ewürge,  ©eiben«  unb  ^urudwaaren,  weldbe  oorjugd« 
weife  nod}  über  bie  Sllpenpaffe  bie  9i^einftra§e  l^inab  natb 
Vrügge  verfrachtet  würben,  beSgleichen  bie  vielbegehrten  Su^ 
ber  großen  flanbrifd^eu  Sabrilftübte  (nicht  feiten  würbe  bie 
@0e  mit  90  9fim.  begahlt)  wieber  an  bie  9torblänber  abgefe^t 
werben. 

S)er  anbere  ^auptftrom  beS  h<>”fiid|en  {)anbelä  münbete 
in  Bonbon.  Such  für  biefen  ^la^  beforgte  er  bie  (Einfuhr 
namentlid)  frangöftfcher  Seine  unb  venetianifcher  ©eibenarbeiten, 
anftatt  bah  gum  Vu^en  ihrer  ©chifffahrt  bie  ^robucenten  Be 
felber  gebracht  ober  bie  (Sonfumenten  B^  felbet  geholt  hatten. 
3n  Siücffracht  nahm  er  vor  SHern  bie  fchon  bamalö  maffenhaft 
gewonnene  englifche  SoQe,  bie  er  gröhtenthcitö  wieber  ben 
glamlänbern  gut  fabritmähigen  Verarbeituug  guführte.  lDo4 

(898) 


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15 


93et^ä(tni|  lag  bamald,  man  fann  fagen,  gtabe  umgele^rt  wie 
^eutjutage:  wenn  ftc^  @nglanb,  wefentlic^  banf  feinet  unoetc 
gletd^lic^  glüdlid^en  Sage  mitten  auf  bet  Sanb^albfugel  bet  @rbe, 
gegenwärtig  jur  erften  @ee«  unb  .^anbeUmacbt  ber  fSelt  empot« 
gej^wungen  ^at,  fo  war  ed  bamald  öfonomifc^  no<b  grabe ju 
abhängig  non  2)eutf(^(anb,  baS  nach  iQeiluft  feiner  i>oIttif(ben 
©uprematie  eben  auf  bem  wirt^fc^aftlicben  ®ebiet  aOen  9iationen 
DorauSeilte,  — oiellei^t  mit  ^uSfd^Iu^  bet  Araber  unb  norb> 
itali|4|en  ©eetepublifen,  bie  ben  orientalifc^en  unb  ^ittelmeet« 
^anbel  be^enfcbten.  S)ie  englifcbe  ^aufmannf(^aft  ift  natüili^l 
immer  eiferfüd)tig  unb  fül^it  oft  Sef(^wetbe  not  ben  Königen 
unb  Parlamenten,  aber  jene  grabe  f^ü^en  unb  begünftigen  tro^ 
aOet  norfaQenben  Placfereien  immer  wiebet  ben  fremben  @in= 
bringltng.  SBarum?  äßeil  fie  fo  wenig  wie  bie  Könige  bed 
9torbend  bie  ©übertrugen  ber  ^anfifcben  ©täbte  unb  ^aufleute 
entbehren  fonnten,  bie  fiiib  r^re  33orfcbüffc  übrigens  noc^  burc^ 
bie  Erträge  non  Sinngruben  unb  SBoUgölIen  unb  me^r  alS  ein» 
mal  burc^  Snpfanbna^me  non  j^ron  unb  0ef(bmetbe  ftdber  gu 
fteUen  beliebten.  — @enug,  in  jenem  weitnergweigten  3»if<bm' 
^anbel  müffen  wir  bie  nornef^mfte  Duelle  beS  ^anfifcben  9ieid^> 
t^umS  erfennen.  — Stuf  einige  anbere  wichtige  ^anbelSnerbin^ 
bungen  fomme  ic^  bei  fpäterer  ©elegen^eit  gurücf,  bie  minber 
belangreichen  wiD  ich  im  tBorübergehen  wenigftenS  anbeuten; 
fo  bie  mit  ©chottlanb  unb  3rlanb,  mit  93rabant  unb  f^ranfreich, 
bereu  Sahtmärfte  bie  ^anfen  tegelmä§ig  begogen.  ©trebt  ihr 
^anbel  fo  inS  SBeitc,  fo  muh  “m  fo  mehr  auffallen,  ba§  ihr 
äierfehr  mit  ben  nächften  Ola^barn,  ben  Dberbeutfchen,  fo 
fchwach  war.  Shr  Sanbhanbel  befchrdnfte  ft<h  in  ber  ^hnt  nuf 
bie  nieberbeutfche  Siefebene  bis  nach  Shüringen  hin,  anberer» 
feitS  bis  gum  Dber>  unb  SBeid^felgebiet,  wo  .^rafau  einen  lebten 
©tühpunft  gab.  ©ie  groben  oberbeutfchen  ©emeinben  am  9Wain 

(899) 


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16 


unb  0onau  vetfolgten  )}o(iH{(^  unb  wirt^fc^aftlic^  anbere  3nter< 
effen:  wie  fte  wejentlidb  Sabrifftäbte  »aten,  |o  traten  fie  nur 
Dorüberge^enb  in  @inungen  jufammen.  !Dte^r  auf  ben  @üben 
@UTopad  angewiefen,  unterf(^eiben  fie  ficb  im  übrigen  »on  i^ren 
nieberbeutfd^en  iBoifdgenoffen  namentlid)  nod^  burc^  i^re  @oIb^ 
Währung,  infofem  jene  burd^auS  bad  ©ilbergelb,  gutnal  baS 
lfibif(^c  benorsugten.  — 3ebe  .^»anfeftabt  bilbete  natürli^  ben 
fDtittelpunIt  eine6  lofalen  Sßerfe^rS  für  bie  engere  unb  meitere 
9ta(^barf(^aft:  ^ier^er  fam  @belniann  unb  S3auer,  um  bie 
$rü(^te  beS  $etbeS  gegen  ftdbtifc^e  ©rjeugniffe  umjufe^en,  bad 
etwa  überfi^üffige  iBermögen  nu^bar  ansulegen  ober,  toad 
häufiger  oorfommen  modhte,  baS  fehlenbe  gu  leihen,  liübecf  unb 
iBrügge  mären  bamalS  bie  größten  (Selbmärfte  bed  9lorben8,  ihre 
9tath6>  unb  .^aufhenen  bie  93anfier3  für  j^önige  unb  ^{ten. 

5)ie  Slrt  unb  SBeife  beä  h®”P|th*”  SBerfehrS,  gu  beren  S3e* 
fprechung  i(h  mi(h  nunmehr  wenbe,  unterfcheibet  fich  bo(h  mefent« 
lidb  Bon  ber  heutigen.  @8  gab  »eber  ^o^en  noch  Scrficherungen, 
nur  wenig  3Be<hfeloerfehr,  auch  uur  fpdrlichcn  (gpebitionS»  unb 
6ommiffion8hanbeI,  ber  einem  ^Dritten  JranSport  unb  iBertrieb 
ber  Saare  überid^t.  S)er  .^anbel  mar  eben  gang  oorheirfchenb 
©igenhanbel,  forbertc  in  »iel  gröheteui  ÜRa§e  aI8  heute  ein 
herfönlicheS  (gintreten  beS  Kaufmanns:  meift  gog  er  felbft  mohU 
bewehrt  über  @anb  unb  ®ee  nach  ^em  fernen  ^anbe,  auf 
@ott  »ertrauenb  unb  auf  feine  0auft.  3118  @chiff8herr  unter» 
lieh  er  nicht,  bie  ä3oot8leute  bur^  ©eminnantheile  an  ber 
SBohlbehaltenheit  feines  gahrgeugS  gu  iutcreffiren.  Unb  in  ber 
2h®t,  bie  Steife  be8  Kaufmanns  war  ungleich  gefahrooller  al8 
heute.  2luf  ber  ganbftrahe  überfiel,  plünbertc  unb  fing  ihn  ber 
Staubritter,  um  ihn  erft  gegen  fchwereS  Böfegelb  au8  SSerlieh 
unb  ©efangenf^aft  gu  entlaffen,  unb  in  ben  gahllofen  ©chlu^jf» 
winfeln  ber  flihpenretdhen  ©eftabc  unferer  norbifchen  SJteere 

(HOO) 


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17 


lauerten  bie  StuSlieger  bet  '})itaten.  i9lo(^  immer  galten  ja 
biefe  noblen  ^J)affionen  in  »eiten  Reifen  mehr  ober  weniger 
als  entf(bulbbare8  ©efi^äft.  IDu^enbe  oon  jRanbburgen  ^aben 
bie  Stdbte  mit  ihren  Sfleifigen  gebrochen,  JDu^enbe  Bon  greU 
beuterj(hiffen  mit  ihren  griebenSfoggen  aufgebra^t,  bie  Siäubet 
felbct  mit  Seil  unb  @(h»ert  geridjtet  ober  frifchwcg  übet  Sorb 
geworfen.  5)ie  größten  33imenfionen  unb  wilbcften  Sotmen 
gewann  ber  (Seeraub  burd)  bie  berüchtigte  ®efeQ{dhaft  ber 
@leidhtheilet  ober  Sitalienbrüber.  @8  war  bie8  eine  bunt  gu> 
fammengewürfelte  ©(haar  oon  abligen  unb  ni(htabligen  @e= 
feilen,  bie  bei  allet  auSbünbigen  (Rohheit  hoch  audh  ritterli^e 
Süge,  echten  ©eemannSmuth  unb  tolle  Slbenteuerluft  nicht  ent* 
behrten.  3n  ben  80et  3ahren  be8  14.  3ahrhunbert8  gebilbet, 
begwecfte  fie  anfangs  nur,  ben  Sertheibigung8fami)f  beS 
©^webenfönigS  gegen  bie  eroberungsluftige  Königin  SRargarethe 
gu  unterftü^en,  inSbefonbere  baS  belagerte  ©tocfholm  mit 
Sictualien  gu  oetforgeu;  bahcr  ber  (Rome.  SRatürlich,  bafe  bie 
wilben  ©efeHen,  alS  mit  bet  Uebergabe  ber  ©tobt  unb  bem 
Suftanbelommen  eines  ^ebenS  ihr  anfänglicher  3wecf  wegfiel, 
baS  einträgliche  @efchäft  nur  immer  frecher  unb  mahlofer  auf 
eigene  f^auft  fortfe|ten:  ein  hßlbeS  3ahthunbert  finb  fie  ber 
©chrecfen  unferer  norbifchen  SReere  geblieben;  faft  adfährlich 
muhten  bie  ©täbte  foftfpielige  griebenSloggen  in  ©ee  fdhiffen, 
bie  nicht  immer  Erfolge  enangeu,  wie  bie  oiel  gefeierte  „bunte 
Äuh*  bet  .^ambutger,  ber  eS  gelang,  bie  gefähtlichften  Sanben» 
führet,  einen  GlauS  ©törtebefer  unb  ©obefe  SRichel  mit  ihren 
©^jiehgefeflen  unb  fabelhaften  ©^ä^en  in  Hamburg  eingubringen: 
brei  Sage  ftanb,  wie  bie  ©age  berichtet,  ber  genfer  biS  an  bie 
Jlnöchel  im  Slute  bet  ©erichteten.  — ©leidhwohl  glaube  man 
nicht,  bah  hinter  jebem  Sufch  unb  jebet  .Klippe  ein  (Räuber  oer^ 
ftecft  gewefen;  bie  ungeftörte  (Reife  war  hoch  bie  (Regel,  nur 

XIX.  45«.  2 (»1) 


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18 


ba|  natürlich  bie  Suänal^me  in  ben  gteic^jeitigen  SSeric^ten 
me^r  üon  teben  modbt.  — 3u  btefen  focialen  SJli^ftänben 
famen  noc^  elementaie  @efa^ten  aQer  Sri,  befonbetd  bie 
jeiten  bet  5Rorbfee  unb  bie  feid^te  Sefc^affen^eit  bcr  ganj<  »or= 
wtegenb  befahrenen  ufernahen  ^eereStheile,  Gefahren,  benen 
nodh  fein  6ompa§  unb  ©hti^nometer,  nur  wenige  @(hiffahrt8» 
jeichen  unb  Seudhtthürme,  auch  nur  ungureithenbe  nautifche 
Äeuntniffe  entgegenwirften.  Äein  SBunbet  fomit,  ba§  ©chiff» 
brüdhe  gu  ben  SQtäglidhfeiten  gehörten,  unb  bann  trat  in  nur 
gu  Dielen  gdllen  jenes  graufome  ©tranbrecht  in  Äraft,  baS  tro| 
aOet  päpftlidhen  Süden  unb  freien  Verträge  immer  mieber,  ja 
mit  begeichnenber  Sorliebe  Don  bem  Sremer  ©rgbifchof  felbft 
auSgeübt  wirb.  Sei  adebem  »ar  bie  ©eereife,  bie  übrigens 
ihrer  ©efährlichfeit  »egen  im  SBinter  gefchlich  Derboten  mürbe, 
no^  angenehmer  unb  fichrer  als  bie  gu  Sanbe:  bieje  mu§te  fich 
auf  Dorgefchtiebener  @tra§e  halten,  jebe  feitroartS  auSbiegenbe 
gahrt  galt  als  Sodbefraubation  unb  hatte  bie  Sefchlaguahme 
ader  ^abe  gur  golge.  6S  flingt  faft  unglaublich,  welche  3od= 
pladereien  bet  Kaufmann  erbulben  mufete.  SBie  in  bem  bunten 
SBitnih  Don  SerfehtSmüngen,  bie  fchliefelich  faft  jebet  @taf  unb 
jebe  ©tabt  für  fidh  auSprägen  burfte,  fo  fpiegelte  fich  auch  in 
biefer  unfinnigen  Uebcrfüde  Don  SBeg=  unb  SBaffergöden  bie 
gange  jammetDode  Se^ffenheit  unfereS  SolfeS  im  fpäteren 
3Rittelalter  wiebet.  Dberhalb  Hamburgs  gab  eS  auf  eine  SBeg» 
ftrede  Don  12  fWeilen  nidht  weniger  alS  9 3oöfleden.  (Sin 
@lücf  nur,  ba§  ber  $atif  jeht  wenig  complicirt  war;  meift 
würbe  einfadh  Don  ©chiffS:  unb  SBagenfracht  ober  auch  baden«, 
foh«  unb  fiftenmeife  bet  3oUbetrag  erhoben,  alfo  nicht  abgcftuft 
nach  bem  Sierth  unb  bet  feineren  ober  gröberen  Dualität  ber 
SBaare.  Stuf  baS  Dorgehaltene  (Stucifijr  legte  ber  .Kaufmann 
nebft  feinen  etwaigen  (äibeShelfern  ben  ©chwur  ab,  bah  feine 

(902) 


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19 


Slngoben  übet  bte  mitgefü^rten  ©ütet  » a^r^eitögetrcu  feien, 
n>te  benn  bte  @tbedletftuitg  überhaupt  im  mittelaitetiid^eti 
0ledjt8*  unb  ©efc^öftSDerfe^r  eine  auöne^menb  häufige  9tn« 
wenbung  fanb. 

6in  fur^eö  nad^ttoglii^efi  SBort  nod^  über  bie  (Seefahrt 
unb  bie  Saumeife  ber  ^anfifc^en  @^iffe.  35iefe  waren  meift 
runbbau^ige  ^a^rjeuge  mit  l)obem  ©otb  unb  einem  ?IRaft, 
boBon  ber  ^eimift^e  ^lüget  ^etQbmel)te,  Ber^ältni^mä^ig  breit, 
au8  ftarfen  QJIanfen  jufamniengefügt;  leicht  fonnte  man  3“ 
ftiegcrif^et  Serwenbung  umänbern  burd^  Sluffe^ung  fog.  ßaftelle, 
wo  bann  Söurfmafcbinen  unb  SBogenfc^ü^en  untergebra^t  würben; 
im  SDur^fcbnitt  bürften  pe  an  @r5pe  faum  ben  ^anbelSf^iffen 
nad^geftanbcn  ^aben,  bie  nccJj  je^t  bie  Oftfee  burd^heujen.  2Bie 
gef  c^irft  man  fie  ju  ^anb^aben  nerftanb,  erhellt  3.  S.  au8  einem 
3eitgenöffif(ben  Serid^t,  wonad^  eine  ga^rt  non  Sfli^jen  auf  3üt= 
lanb  bis  na^  Slmfterbam  in  3Wei  Sagen  gurüdfgclegt  warb.  — 
SBaö  fobann  bie  ©eefaptt  felbp  betrifft,  fo  beftätigt  audb  pe 
jenes  au8ge3eicbnete  Salent  3ur  SBilbung  genoPenfc^aftlidber  S3er= 
bdnbe,  worin  man  jüngft  mit  IRedbt  ben  bepen  9lu8brudt  ber 
polilifi^en  8eiftung8fä^igfeit  be8  auSge^enbcn  bcutf^en  SJlitteU 
alterS  gefunben  ^at.  3d^  be3ic^e  mid?  babei  weniger  auf  bie 
©ewoljnbeit  bet  ÄauPeute,  gef^wabetwcife  au83ufegcln,  al8 
auf  bie  eigent^mlidben  3nftitutionen,  womit  man  ba8  8ebcn  an 
SBorb  3u  regeln  l^Pegte.  6in  näherer  utfunblic^et  9luff<blup 
batübcr  ift  un8  au8  ber  ®litte  be8  16.  3a^rpunbert6  erhalten, 
(cfr.  grentag,  SBilbcr  au8  bet  beutfc^en  SBcrgnngen^eit,  Sb.  IJ, 
®.244p.).  ©obalb  bie  Ijo^e  @ee  erreicht  war,  Iciftete  bie  @c^ip6« 
gefellfcpaft,  bie  peb  au8  bem  ©ebipsberrn  ober  ßapitain  unb  ben 
©ebipöfinbetn,  b.  b-  ber  SRannfepaft  3ufammenfebte,  ba8  eiblicbe 
Serfpreeben,  ben  Sorgefebten  ;jünftli(b  geborfamen  unb  etwaige 
Seute  gleicbmäpig  »ertbeilen  3a  wollen  unb  inftallirte  bann 

2*  (903) 


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21 


SBcr^ältntffe  foroie  bet  i^m  jufte^enben  red^tlid^en  SSefuflniffe, 
bie  faft  in  iebet  0tabt  anbere  waren  unb  burd^auS  ^intet 
benen  bet  eingeborenen  Sürger  jurücfftanben : nidbt  wie  in  ben 
cioilifirten  Staaten  ber  ©egenwart,  wo  jeber,  er  fei  ^eimifd^ 
ober  fremb,  ben  gleichen  fRe^tgfe^u^  geniest.  33ome^mlic^  aub 
biefem  ÜKangel  entfprang  bab  unabläffige  Streben  ber  .^anfen 
nach  feften  ©ontoren.  grü^  fc^on  war  eine  fol(^e  fliieberlaffung 
in  gonbon  unter  bem  fRamen  beb  ©taljl^ofb,  in  fRowgorob 
unter  bem  fRamen  beb  St.  ^eterb^ofeb  entftanben,  bebgleic^en 
in  Srügge  unb  mehreren  fleineren  Orten  ©nglanbb  unb  ber 
fRiebcrlanbe,  — eine  jete  mit  »erjd^iebenen,  wenn  audj  »erwanbten 
?>rioilegien,  gebenbgewo^n^eiten  unb  faufmännif(^en  Ufancen, 
allefnmmt  aber  mit  bem  uufc^ä^baren  fRed^t,  Streitigfeiten  unter 
ben  ©enoffen  nadb  ^eimif^en  Sa^ungen  aubglei^en  ju  bütfen. 
3n  iJonbon  mu^te  ber  »on  ben  ©ontorbrübem  erwählte  9leltcr= 
manu  bab  Söürgerre<bt  erlangen,  woburtb  bie  gange  fRieberlaffung 
gleid^fam  naturalifirt  warb.  Sie^nlid^eb  gilt  non  ber  Stellung 
bet  ^anfifd^en  Äaufleute  in  SBrügge,  wo  fte  bei  bet  ftarlen 
©oncuneng  non  Jpanbelbtreibenben  aller  ^Rationen  überljaupt 
feine  fc^roff  aubgeprägte  monopoliflifc^e  9?olle  fpielen  fonnten; 
Ijier  bcfa§en  fie  nur  gemeinfame  Spei^eträume,  wd^renb  fie 
felbft  bei  ben  ein^eimif^en  Bürgern  gut  SRietlje  wohnten, 
wenngleich  fie  au^  IRemtet  beb  ©armeliterflofterb 

gemeinf^aftlid^  über  i^re  ©cuoffen  ©eric^t  halten  unb  ihre 
Serwaltungbgefdhäfte  erlebigen  burften.  ©ang  anberb  in  5Row= 
gorob:  ht<<^  Uncultur  unb  nationalen  Antipathie 

ber  IRuffen  bie  dufeerfte  ^orfitht  im  33erfehr  mit  ben  ©ingeborenen 
geboten,  wollte  man  nicht  bie  ©jeifteug  ber  gongen  ©olcnie 
gefdhtben.  IDementfprechenb  würbe  betfelbe  feitenb  beb  ©ontor» 
oorftanbeb  unb  bet  ©unbebtage  ben  betaillierteften 

3?erhaltungb»  unb  ©ontrollmahregeln  unterworfen.  Am  inter* 

(905) 


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22 


eflanteften  aber  geftalteten  ftcb  biefe  a3cr^ältni[|e  in  Sergen, 
bem  nörblid^ften  9lu§enpoften  ^anftfc^en  ^anbelö.  ^ier  in 
9torwegen,  baS  gleicbfaHd  no(%  auf  giemli^  tiefer  Sulturftufe 
ftanb,  f(^Iug  ber  beutf^e  Kaufmann  allmä^lic^  mit  @elb  ober 
SBaffen  alle  ©oncurrenj  anbeter  9tationen,  namentli^  ber  6ng» 
länber,  au6  bem  Belbe  unb  begrünbete,  etma  um  1350,  in  ber 
beftgelegenen  unb  leb^afteften  ©tabt  beS  SanbeS,  eben  in  Sergen, 
ba0  le^te  Kontor,  »eld^eS  fi(b,  freilich  in  überlebter,  erftarrter 
gorm  bis  inS  oorige  Sahr^unbert  erhalten  gemährt 

biefe  fpäte  ©dhöpfung  beS  h^nfifchen  (Solonifaticn0talent0  mie 
laum  etmag  anbercS  einen  beutli^en  @inbli(f  in  ben  ®eift  unb 
0ef(häft0betrieb  biefer  Äaufleute  unb  mag  befehalb  ein  menig 
auöführli^er  behanbelt  merbeu.  — 3lm  3D?eere8ftranbe  lagen  21 
ebenjoBiel  ^anfaftäbten  gehörige  ,^ßfe,  grofee  umfriebigte  ^lä^e, 
bebecft  mit  hohen  ©peichern  unb  SBohngebäuben,  melchelehteren  grö§> 
tentheil0| auöh  noch  al8  3Baavennieberlagen  bienten;  Bonjebem  ^of 
lief  eine  ganbungflbrücte  in0  9Jieer  au0,  um  bequem  bie  einlaufenben 
©chiffe  anlegen  unb  mit  3uhiif6”flh*”£  mächtiger  ^ahne  tofdhen 
ju  fönnen.  3?a0  @anje  umfchloh  eine  Umfaffung0mauer,  an 
»eiche  bie  ©chuftergaffe  angrenjte,  bemohnt  Bon  lauter  junft» 
»eife  georbneten  beutfchen  ,g)anbmerfern , »eiche  fich  hier  mit 
ihter  Samilie  bauernb  angefiebelt  hatten,  aber  [tet0  treue  Fühlung 
mit  ben  alten  Solf0genoffen  im  ©ontor  behielten.  Äeinem 
@ontorhau0  fehlte  brr  ©chütting,  b.  i.  ein  geräumiger  fenfter« 
lofer  ©aal,  ber  guft  unb  ?icht  burch  biefelbe  ©achlufe  begog, 
bur^  »eiche  er  ben  {Rauch  Beuerheerbe0  hioauölieh-  2)ort= 
hin  berief  ber  Sleltermann  bie  ÜReifter,  ba0  finb  bie  gactoren 
ber  h^iniHihcn  .Raufhenen  gu  gefchäftlichen  Serathungen  ober 
geridhtlichen  Serhanblungen  über  norgefaHene  Sergehen,  bie  ber 
©ejeHe  mitöelb*,  ber  gehrjunge  mit  reichlich  bemeffener  Prügel = 
ftrafe  abgubü^en  haW®-  ©benba  fafeen  an  ben  langen  gefchöft0» 

(S«€) 


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23 


ftiDen  'Jlbenben  bed  norbifd^en  ^interg  bie  einzelnen  B<»nilien, 
wie  man  ben  gactor  nebft  ©efeClen  unb  ge^rbutfdben  ^übftb 
unb  traulich  benannte,  eine  jebe  an  t^rem  bejonbcien,  rol^gefügten 
^oljtifd),  um  mit  fermerem  ©etränf  unb  »etgnügllc^em  ©eplauber 
bie  fc^Ieid^enben  Stunben  ju  fürjen.  @alt  eg  Setat^ungen  im 
3ntereffe  bet  ganzen  ßolonie,  fo  pflegten  im  bremer  ©(^utting 
„3um  SJiantel"  bie  Slelterleute  fämmtlit^et  .£)5te,  ber  fog.  {Rat^ 
bet  Sldjtje^ner  jufammenjutreten,  unter  benen  bet  lüberfer, 
entfpredbenb  bet  Ijegemontfc^en  Stellung  feiner  SJaterftabt,  fi(^ 
beg  größten  Slnfe^eng  erfreute.  3n  ftreitigen  ober  augne^menb 
wit^tigep  Sodjen  wanbten  fie  fic^  mo^l  an  bag  SSetgenfa^rer» 
coHegium  in  güberf,  Ijäufiger  an  ben  bortigen  IRat^  unb  jumeift 
an  bie  ^öc^fle  Snftanj,  einen  allgemeineu  J^anfetag.  Se^r 
niebrig  fteQteu  fid)  bei  bet  flöfterlic^en  ©infad^^eit  beg  Sebeng 
unb  ber  großen  Slnjaljl  ber  bet^eiligten  |)erfonen  bie  Abgaben 
3ur  Unterhaltung  bet  Sactorei.  Sic  hot  jur  Seit  ihrer  33lüthe 
gewi§  an  3000  SWitglieber  gegählt  unb  würbe  wie,  nur  ein 
Älofter  ober  gelbloger,  ocn  ben  ftrengften  ©efe^en  behenfcht. 
j^ein  SBeib  warb  barin  gebulbet;  mit  Sonnenuntergang  mu^te 
jebet  ju  v^aufe  fein;  ber  fRaehjüglet  mochte  fehen,  wie  et  on 
ben  biffigen  ^)ofhunben  norbei  fom,  bie  nadhtüber  ben  .^ofroum 
bewachten.  fRiemanb  oon  ben  .^anfifchen  burfte  fi^  mit  einer 
fRotwegcrin  oerheirathen,  um  ni^t  Durch  Sermif^ung  mit  ber 
eingeboreneu  Seoölferung  ben  3llleinbefih  ihtet  33otre^te  unb 
te^nif^cu  gertigfeiten  ju  bebtohen.  SBie  weit  bie  erfteren 
gingen,  mag  ber  8efer  auch  bataug  erfehen,  ba§  bie  6ontor° 
genoffen  an  ben  SEßo^enmörften  bie  Strahen  einfach  unb 
ungeftraft  bur^  honbfefic  Äerle  abfperren  lie§en,  um  ihr  f^äh» 
bareg  ^orfaufgrecht  au^  in  SEßahrheit  augjunuhen.  ©tflätlich 
genug,  bah  fie  ouf  biefe  refolute  I9rt  bie  ©infaufgpreife  ganj 
willfürlich  unb  einfeitig  beftimmten,  wie  fich  bag  non  ihren 

(SÜ7) 


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•24 


SBcrfauföpreifen  bei  bem  ÜJlangel  jebmebet  (ioncurtenj  Bon  jelbft 
Betitelet.  @ebr  Berjei^lid^,  »enn  unter  bem  2)ru(f  biefet  toittl)* 
f^aftlic^en  5£ptannei  ben  ohnehin  jtemlii^  raufluftigen  9toTmegeru 
^umeilen  bo^  bie  @ebulb  ri§.  Widern  bte  2)eutfc^en  ^a^Iten  bann 
mit  ^lri(i^et  !Diünge  3urü(!  unb  blieben  »a^r^aftig  nickte  fc^ulbig. 
'Salb  {d^lagen  fte  o^ne  0(^eu  Bor  bem  gufäDig  anmefenben 
.^onig  einen  Sif^of  tobt,  balb  fe^en  [ie  übet  ben  köpfen  ber 
bef(^auli(^en  dRonc^e  ein  ^lofter  in  flammen,  bann  uiebet 
bergen  unb  entführen  fie  Serbrec^et  ober  rauben  leicht  gewimmerte 
Jpolj^äufer,  um  fo  raitfi  unb  bequem  3U  Srennmaterial  3U 
fommen.  9lur  but(^  fefte  ©intrac^t  unb  ftrenge  ©eft^Iojlen^eit 
fonnten  [ie  fid&  butc^  Sa^r^unberte  in  bem  unmirt^Ii^en  fc^ioad^ 
beBoIferten  8anbe  behaupten.  0ieben  3ahre  lang  mu^te  ber 
gchrjunge,  bet  bur^fchnittlid)  im  Sllter  Bon  12  Sahnen  eintrat, 
für  bie  ölteren  Äaufgefeden  fodhen,  fegen,  mafchen  unb  ,^anb= 
reidjungen  aller  SIrt  Berridhtcn;  bann  erft  aoancirte  er  3um 
©efeUen  unb  3War  unter  hc^ft  ergö^lichen  §eictli(h feiten  unb 
jinnigen  (Zeremonien  »ie  folgt.  @in  ftattli(be8  Jrinfgelage  auf 
beS  Sungen  Äoften  machte  ben  Slnfang,  bem  ber  le^tmalige 
®rnu§  bed  in  ber  Sehrweit  alljährlich  genoffenen  „@taupenfpielS  im 
^arabieö"  folgte:  baS  mar  geinife  ein  mohlflingenber  fRame  für 
eine  gar  empfinbliche  ©a^e:  man  teilte  nämlich  brinnen  ober  brau» 
hen  einen  Otaum  inö  (J^eBtert  mit  Sirfenreifetu  ab,  in  ben  bet  3unge 
mit  Berbunbenen  Sugen  unb  notbürftigfter  J^leibung  unter  fRatren» 
geleit  eiutreten  mu§te,  um  bafelbft  Bon  ben  @ngeln  bcö  ^arabiefeö 
in  ©eflalt  fauftberber  ^Pritfehmeifter  auf  ba8  unbarmherwigfte 
geprügelt  wu  merben;  fein  ©chmetwgef^tei  übertönten  luflige 
jtrommeln  unb  pfeifen  unb  baS  f^abenfrohe  Gelächter  bet 
rohen  ©eföhrten.  2ln  biefe  Suftbarfeit  fchlofe  ftch  ein  feierlicher 
Umgug  burch  bie  ©tragen;  Boran  wmei  alö  normegifcher  Sauer 
unb  Säuetin  baroef  maöfierte  5«ngen  mit  bem  Aufträge  unter* 

(906) 


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25 


»egä  bie  gajfenbe  ÜKenge  mit  Söaffetjpri^en  unb  ä^nlid^cn 
@d|ergen  3U  necfen  unb  gu  beluftigen.  9tun  ^inauS  in  ®ee 
gut  erftifd^enbcn  SBaffertaufe,  gum  Äiel^olen  bet  aufgune^menben 
Sungen.  5Rac^  biefer  ?)rDcebur  bie  granfamfte  »on  allen.  SJlan 
entgünbete  auf  bem  ^erbe  im  ®(^ütting  einen  angefeui^teten 
fReiflg^auf,  untermifc^t  mit  gebet,  Sl^tan  unb  .^aaten,  gog 
ben  Unglücflidben  bann  gum  ^Dac^Io^  hinauf  unb  lie^  i^n 
unter  beftänbiget  ©efaht  in  bem  entfe^lichen  Qualm  gu  erftiden 
lange  Oteben  h^i^fns^n;  alfo  gang  biefelbc  ^ehanblung,  bie  ben 
J^eringen  im  JRauchfang  gu  warb.  6in  »ahreS  SBunbet, 
bafe  un8  nur  pon  einem  @tftirfung8tobe  betithtet  mitb.  9iun 
aber  famcn,  »ie  gebühtenb,  auf  bie  böfen  au(h  bie  guten  Stage, 
»D  bet  junge  ©efeHe  bei  feftliihem  Sttanf  unb  @d}mau8  aller 
übetftanbeuen  ÜRartern  »ergcffen  mochte.  9luf  bie  gahlteichen 
übrigen  Spiele  be8  6Dntor8  gehe  idh  nicht  ein  unb  bemerfe  nur, 
bah  fte  ebenfoDiel  für  ben  ^umor  wie  für  bie  5)erbheit  bet 
bamaligen  ©eneration  bemeifen ; troh  aller  Slnfechtungen  oon  Seiten 
ber  ^anfe  unb  6er  eingelnen  Stabte  finb  fie  Sahrhunberte  lang 
»on  ben  Sontorf^en  aufredht  erhalten  unter  bem  nicht  un» 
begrünbeten  23ormanb  al8  Suchtmittel  bet  faufmännifchen  3ugenb 
unentbehrlich  gu  fein;  nie  aber  ift  »ohl  eine  b«bere,  prügel» 
reichere  ^äbagogif  geübt  morben  al8  hier. 

@ang  furg  will  ich  enblich  noch  einen  SRittelpunft  Ijanfifcher 
.^anbel8berocgung  im  9lu8lanbe  berühren,  nämlich  bie  Heine,  in 
ben  Sunb  hinauStagenbe  ganbgunge  »on  Sfanör  unb  galfterbo,  ein 
Slnhängfel  ber  gröberen  c£)albinfel  Schonen,  jeht  noch  eine  »er= 
ßbete  Sanbflädhe,  bie  nur  burch  fpärliche  Strümmer  unb  furchen 
an  ba8  ehemalige  lebhafte  @efchäft8treiben  bahiet  erinnert,  ^atte 
bet  4?eiing  im  10.  unb  11.  Sahrhunbert  in  tiefigen  fDtaffen 
befonber8  bie  pommerf^en  Äüften  befudjt,  fo  »erlegte  et  banadh 
feine  Sngrichtung  auf  bie  eben  begeichnete  Stelle  im  Suube. 

(909) 


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26 


2)0  waren  benn  untere  ^anjen  fünf  bei  ber  ^)anb;  eö  gelong 
i^nen,  biefed  einträglid^fte  S^erritorium  beS  bamaligen  ^dnemail 
faft  auSfd^Iieglid^  alS  @tgent^um  ju  erwerben,  ein  übeijeugenbet 
beweis,  wie  unglaublich  fchlecht  [ich  bie  berjeitigen  SanbeS° 
füiften  auf  SluSbeutung  ihrer  natürlid>en  SanbeSf^ä^e  nerftanben. 
IDiefe  verliehen  ndmlich  mehreren  beutfdhen  @eeftäbten  unb  gwar 
jeber  einzelnen  bie  SSefugni^,  je  eine  SSitte  hier  anlegen  ju 
bürfen,  baö  finb  auSgebehnte,  umgäunte  ^lä^e  an  ber  Äüfte, 
welche  fie  theilweife  mit  SSerfaufS»  unb  gijchbuben,  au^  mit 
einer  Äirche  bebauten  unb  burch  eigene  SSögte  nerwalten  liehen. 
2)a8  SBichtigfte  aber  war,  bah  pe  »on  hier  au8  an  ben  nahen 
©ammelfteHen  ber  ,^eringe  unbehinbert  ben  gang  betreiben 
burften.  JDiefer  begann  im  3uli  unb  bauerte  biö  jum  Dctober. 
2lu0  allen  berechtigten  ©tobten  ftrömten  bann  bie  .Raufleute, 
gifcher  unb  Sßttcher  ju  taufenben  herbei,  um  hier  ben  ^»ering 
ju  pfchen,  gu  folgen,  gu  röuchern,  gu  »erpacfen  unb  gu  uerlaben.  2)o= 
mit  nerbanben  fidh  »ielbefuchte  Sahturörtte  für  bie  weite  Umgebung. 
SBar  bie  ganggeit  gu  @nbe,  fo  cerftummte  al0balb  auch  bieS 
laute  Seben  unb  Treiben  ber  SKörfte.  3m  9lnfong  beS  15. 
3ahrhunbert0  nahm  ber  launifche  gifch  plöhü^  wieberum  eine 
anbre  aiJanberrichtung,  bieömal  nach  ben  hoHünbifchen  Äüften, 
bie  er  in  bemfelben  SJlahe  bereicherte,  wie  er  ben  oftfeeifchen 
©tobten  Slbbru^  that.  @8  war  für  biefelben  ein  unwieber» 
bringlicher  unb  unerfehlicher  93erluft,  eine  üble  SBorbebeutung 
unb  mitwirfenbe  Urfache  be8  fünftigen  lUerfaQS.  SBa8  man 
aber  halb  non  Slmfterbam  auSfagte,  e8  fei  mit  allem  feinem 
fReichthum  auf  geringen  gebaut,  bo8  galt  einft  unb  lange  Seit 
mit  gleichem  {Redht  für  unfere  .t)anfaftSbte  am  baltifchen  fDieer. 

Sur  ©hueutteriftif  be6  ^anbelS  fei  an  biefer  ©teile  nodh 
einiges  na^getragen.  Sßie  eS  feinen  auSgebilbeten  @ommiffionS« 

hanbel  gab,  ebenfc  wenig  fann  fthon  ton  eigentlicher  ©pefulotion 

(810) 


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27 


bie  0}ebe  fein:  mobl  fommen  Seitfäufe  dot,  namentlich  im 
©etreibehanbel,  aber  entfernt  nidfet  in  ben  SMmenfionen  bet 
©egenwart,  wo  „eine  Söaare  ein  JDu^enbmal  oeifauft  wirb,  becor 
fte  überhauiit  oorhanben  ift."  5)iefe8  wenig  reelle,  auf  bie 
zeitlichen  ?)reibfchwanfungen  bafierte  IDifferenjgefchäft  fannte  man 
faum.  aSaare  gegen  SBaare  ober  S3aargelb,  bafl  ift  gleichfam 
baS  fKotto  beö  hflnftfdhen  JpanbelS,  womit  er  freilich  nicht  non 
aßen  betrügerifchen  ßJlanipulationen  freigefprodben  fein  foß.  Dft 
genug  waren  bie  unteren  Oagen  einer  .peringStonne  oerbcrbte 
SBaare,  unb  oft  genug  mu^te  ein  S3aßen  Seinwanb  non  Station 
ju  Station  an  ben  fRath  beS  ^erfunftorteg  jur  Unterfuchung 
juriicfgefchicft  werben,  weil  Qualität  ober  Quantität  ben  h^mbelfi. 
gefehlithen  Seftimmungen  ober  ber  getroffenen  Slbrebe  nicht 
entfprach.  ßRit  befonberer  Söorliebe  machte  ber  fchlaue  ^)änbler 
fich  bei  berartigen  Ueberoortheilungen  bie  niel  berufene  (äinfältigfeit 
ber  fRorweger  zu  SRuhe. 

JDer  Umfang  biefeS  ,J)anbel0  war  hoch  größer  al0  man 
meinen  foflte,  ebenfo  grofe  unb  in  einigen  3lrtifeln  grö|er  al0 
auf  bemfelben  äiertehrSgebiet  oor  etwa  50  fahren,  aljo  nor 
Slnbruch  beS  3)amt)fzeitalter8 , welches  unferen  ©täbten  einen  fo 
tapiben  S3coßlterung0zuwachß  unb  wirthfchaftlichen  Sluffchwung 
gebraut  hat.  3-  5).  war  ber  gifchhanbel  ungleich  bebeutenber, 
einmal,  weil  ber  .gering  noch  an  naher  Qftfeefüfte  lonbete, 
unb  fobann,  weil  bag  firdhliche  S3erbct  anberen  gleifchgenuffeS 
alö  gijch  znr  Seit  ber  Saften  no^  IbaS  ganze  confeffioneß  un» 
Zertheilte  Sbenblanb  umfaßte.  3lehnlich  oerhält  e0  fidh  mit  bem 
im  mittelalterlichen  ©otteSbienft  fo  maffenhaft  gebrauchten  SiJachS. 
©in  paar  3ahlen  werben  hier  am  ^la^e  fein  unb  beutli^er 
fchübern  al0  SBorte:  1855  würben  3700  Sonnen  .geringe  über 
gübecf  eingeführt,  500  3ahre  früher  33000.  3n  bem  ^iegSfahre 
1369  betrug  ber  ©rport  au0  30  hanfifchen  Seeplä^en  tro^  ber 

(911) 


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28 


S3crfe^r8fpcrte  mit  bem  feinblic^en,  fonft  fo  ccnfumtionSfräftigen 
SJänemotf  tto^  130  5Rm.,  au8  Hamburg  allein  etmo 

40  9JHn.  unb  Hamburg  mar  et^ebltc^  fleinet  al8  gübedt. 

@8  oerfte^t  fi<^r  fd^wung^aftem  ^anbel  auc^ 

bo8  ©ernctbe  blühen  mu§te.  @8  exiftiiten  bamal8  in  gübecf 
faft  boppelt  fo  Biel  Södter  al8  ^eute.  3n  befonberem  glot 
ftanb  bei  bet  gto§en  5Rod^frage  nad^  ^etingSfäffetn  au(^  ba8 
Söttcbergemerbe,  nid^t  minbet  bei  bem  Bielgepriejenen  JDurft 
uniercr  33orfa^ren  bie  33tauetei,  worin  bamal8  ba8  niebet» 
beutfe^e  .^anfagebiet  ©übbeutfc^Ianb  nod^  weit  überttaf.  ^am» 
bürget  ober  SRoftodfer  S3iet  fehlte  nid^t  lei^t  bei  einet  ©afterei 
im  9iotbcn.  gaft  fämmtlic^e  ©täbte  oon  ginlanb  bi8  jut 
SBejermünbung  waren  Bon  weiten  .Hopfengärten  umgeben,  unb 
Hamburg  in8befonbere  Betbanfte  fein  raf(^e8  ©wpotfommen  im 
14.  3a^rl)unbert  wefentlit^  feinen  ©ierbauetn  (jeitweilig  500), 
Bon  benen  allein  126  für  3lmfterbamer  iSbfa^  probucirten. 
9iid^t  bIo§  bie  Vertretet  be8  Äunftgewerbe8,  wie  @olbf(^miebe, 
9JletaDarbeiter,  SJtaler,  Silbf^ni^er,  ^aternoftermad^er,  9lltar» 
f(^teiner,  fonbetn  auc^  niebere  H^nbwerfet,  3.  35.  bie  Stuftet, 
nertrieben  i^re  Slrbeiten  im  weiten  9lorben,  bet  Rd^  felbft  auf 
HerftcHung  biefer  einfadjften  |)robucte  nod^  fi^led^t  Berftanb. 
3Bir  fennen  einen  e^rfamen  ©(^u^macber,  ber  eine  Seitlang  in 
StuRlanb,  bemaib  in  ©tocfbolm  für  einen  SUtter  unb  fcblie|licb 
in  Santiago  bi  ©ompofteDa  für  Pilger  arbeitet.  — Sille  biefe 
Hanbwerfe,  bie  je  na^  brr  @unft  ber  8oralitäten  in  befonberen 
©tragen  unb  ©tabtoicrteln  gufammenwobuten,  waten  in  Sünfte 
organifirt  unb  lange  Bon  jeber  S^beilnabme  am  ©tabtregiment 
au8gef(bloffen,  ba8  allein  in  bet  ^ani  ber  großen  ^auf»  unb 
©runbberren  rubte.  3m  14. 

SSorgang  ber  fübbeutfeben  ©emeinwefen  auch  in  ben  b<>nfif(ben 

©täbten  ber  „Sunftteufel“  I08,  eine  tiefgebenbe  unb  lang» 
(»1») 


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29 


bauernbe  bemofrattfc^e  93ewe^ung,  bie  viel  S^ermanbted  ^at  mit 
bem  ©tdnbefampf  im  alten  {Rom.  ©ie  Bünfte  begehrten  @i^ 
unb  Stimme  im  ÜRagiftrat,  erflörten  nur  unter  biefer  S3e» 
bingung  i^ren  Sc^o^  3a^len  gu  wollen.  IDie  weiften  Stdbte 
Ratten  in  biefet  Seit  blutige  ISufftdnbe  ju  oergeic^nen,  unb  bet 
.genfer  fanb  ooHauf  gu  t^un;  ^iet  Regten  bie  IDemofraten, 
bort  bie  ^atiicier,  unb  nicht  feiten  erneuerte  Reh  ber  häßlich« 
Swift,  bieömal  vielleicht  mit  entgegengefe^tem  @rfoIg.  {Rach 
anfdngli^er  Surüdhaltung  mifchte  Reh  auch  ber  ^anfabunb  al8 
folcher  in  biefe  interna  ber  eingelnen  Stdbte,  regelmdRig  gu 
©unften  ber  eycluRven  ^atricierherrfchaR  unb  erweiterte  bamit 
ben  Umfang  feinet  Sweefe,  ba  et  R^  bisher  faft  lebiglich  auf 
Schu^  unb  Ißermehrung  ber  auSldnbifchen  |)anbeldhrivilegien 
befchrdnft  holte.  flRan  wolle  übrigend  biefe  Snnftbewegung  als 
etwas  gang  {RaturgemdReS  anfehen.  3Bar  baS  .^anbwerf  anfangs 
hörig,  einem  35ienflherrn,  fei  eS  einem  Sifchof,  ÄloRet  ober 
gürRen,  gu  Sind  unb  ^jerfonlichen  geiftungen  verpRichtet,  fo 
lam  nachh^t  ber  ©runbfaR  auf,  wer  in  einer  Stabt  unange= 
fprochen  Saht  a**b  $ag  verweile,  foHe  für  feine  ^etfon  gang 
frei  fein,  ein  Segen,  ben  in  jener  Seit  fchroffet  StanbeSunter» 
fchiebe  bet  Sürgerftanb  nur  mit  bem  geiftlichen  theilte.  3« 
biefen  {Berufen  fonnte  auch  ein  {Riebriggeborener  am  eigenen 
Sopf  Reh  emporarbeiten,  hier  fperrten  bem  Salente  webet  S3or» 
recht  noch  93oruttheil  bie  freie  Sahn.  flRancher  arme  üehrjunge 
im  Sergenet  6ontor  ift  fpdter  ber  8lhnhett  Rolget,  nodh  jeRt 
blühenbet  dbaufmannSgefchlechter  geworben.  IRatürlich,  t’aR  bie 
^anbwerler,  einmal  ihrer  greiheitsfehranfen  entlebigt,  nur  beRo 
begehrlicher  weiter  brdngten  unb  fchoben,  gumal  baS  alte  arifto« 
tratifche  {Regime  Rdh  immer  junterhafter  gebetbete.  Siudh  hüte 
man  Reh,  ihte  bamalige  fociale  Stellung  nadh  ber  heutigen  gu 
beurtheilen:  bie  SilbungSunterf^iebe  bet  eingelnen  ©efellfchaRS* 

(91S) 


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30 


flaflen  griffen  bei  weitem  nid^t  fo  tief  a(d  in  unferen  Sagen, 
unb  überbied  lebte  au^  im  ^anbwetfet  eine  ä^nlidfie  ritteiUd^ 
©efinnung,  wie  in  bem  reichen  Äauf^erm.  SBit  wiffen  »on 
einem  gttQ,  ba§  ein  @(^ufter,  o^ne  fi<^  lä^jetlii^  ju  machen 
einem  Serufögenoffen  ge^be  anfagt,  bie  blutig  enbete. 

2)a§,  wo  ^anbel  unb  ©ewetbe  fo  florirten,  and)  bie  Äünftc 
empDtfamen,  beftätigt  nur  eine  alte  ßrfa^rung  ber  @ef<^ic^te. 
3d^  erinnere  an  bie  ^ertlichen  got^if^en  2)ome  in  unferen 
|)anfaftäbten,  wo^l  jämmtlic^  in  SBadftein  erbaut,  welche  not^ 
^eute  lautrebenbeö  Seugni^  geben  von  bem  @lan3  oergangener 
Sage.  ^S^Dn  unb  ol^ne  Uebettreibung  fagt  ein  neueret  ^orf^er: 
„3)cm  9torblänber,  ber  in  Sraoe  ober  5Bei(^fel  einfu^r,  bie 
ragenben  ^irc^t^ürme  bi(^t  neben  einanber  fdjlanf  unb  lei^t 
in  bie  Suft  emporfteigen  fa^,  3U  ben  ^o^en  Litauern  unb  i^ren 
ja^lreic^en  Stürmen  ^inaufblicfte,  ben  mu^te  ein  ä^nlic^eS  @e> 
fül^l  anwanbeln,  wie  ber  S)eutf(be  ^aben  mochte,  wenn  er  bem 
ewigen  IRom  nal^te."  iDie  ^auptträgeriu  biefer  funftlcrif^eu 
aSeftrebungcu  war  fteilii^  auc^  ^ier,  wie  überall  im  (^riftlic^en 
SRittelalter,  bie  .^ir^e.  Slber  aud^  bie  prächtigen  JRathhäufer, 
fowie  bie  wenigen  au6  jener  Seit  erhaltenen  ^rioatgebäube  mit 
ihrem  treppenförmigen  ©iebelbau  unb  ihrer  bei  aOem  Oieich» 
thum  bodh  gefchmacfooQen  Ornamentif  bewrijen  cbenfo  oiel  für 
bie  pra^tliebenbe  9ltt  alS  ben  foliben  .^iinftfinn  biefed  ©efchlechtd. 
3n  bet  gothifchen  ardhiteftur  flanb  jene  Seit  bo^  fidherlich 
ber  unfrigen  eher  ooran  als  nach-  93on  ftrenger  SBiffenfchaft 
im  mobetnen  ©inne  fann  bei  bet  Befangenheit  in  bem  ©laubenö» 
jwange  bed  fatholifchen  IDogmag  natürlich  nicht  wohl  bie  IRebe 
fein.  Swar  beftehen  bereits  an  ben  meiften  ^farrfitchen  Spulen, 
ootj  ugSwetfe  für  bie  ^atriclerföhne  beftimmt,  aber  mit  ein  paar 
©rodfen  gatein,  mit  gefen,  ©dhreiben  unb  ©ingen  ift  auch  i>er 
ganje  enge  ÄreiS  bet  gehrgegenftönbe  erfchöpft.  flicht  feiten 

(91  ♦) 


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31 


ift  bet  einzige  ©elebttc  bet  @tabt  bet  juttftifd)  unb  geiftlicb 
BotgebÜbete  Stabtfdjreibet,  bet  SIbnberr  unfetet  heutigen  (gpnbict. 

Um  jo  liebet  etgab  jidh  bad  gejunbe  unb  tobujte  @ejchledbt 
einem  behaglichen  SBohlteben,  gu  bem  mit  2)eut|(hen  ja  jeit 
utalten  Seiten  bifl  auf  ben  heutigen  Jag  neigen.  Sumal  bo8 
SRittelalter  »at  eine  lebenSftohe  Seit.  OKan  braucht  nur  an 
bte  buntfarbigen  Jrachten,  beten  auSartenbe  Ueppigfeit  halb 
Äleibetotbnuugen  nöthig  machte,  an  Jutniere,  Schühenfefte  unb 
9Rummenj(hanjeteien  ju  erinnern,  um  bason  ju  übergeugen. 
Die  gtohen  (S^maufcteien  bei  häuölidhen  Slnläfjen,  Äinbtaufen, 
jpocbgeiten  :c.  mürben  meift  im  ©ilbehaufe  ober  gar  im  {Rath» 
häufe  gegeben,  hier  auch  auf  Äoften  beö  @tabtfädfel8  ootnehme, 
oft  fürftliche  ©äfte  teichli^  bemirthet.  Die  JBermaltung  bet 
{RathäfeQerei  galt  a(8  ein  Biel  refpectablereS  ’Jlmt,  benn  heutgu^ 
tage.  SUIeö  baS  ift  gugleich  ein  SluSbrucf  bet  henfchenben 
SBohlhabenheit:  SBermögen  Bon  ]00000{Rm.  finb  nichts  Seltenes. 
ORan  legt  fie  gern  in  bena^barten  abligen  EehnSgütem  an,  um 
babutch  felbft  in  ben  ritterlichen  Stanb  eingutreten,  felbft  Siegel 
unb  SBoppen  ftatt  ber  bisherigen  .^auSmarte  gu  erlangen.  Der 
Stabt  Sübecf  hat  nach  bem  gro§en  Jpanfaltieg  geitmeife  faft  baS 
gange  .^ergogthum  i?auenburg  gubehört. 

9ln  ber  Spi^e  jebet  Stabtgemeinbe  ftanb,  um  gum  Schlufe 
meinet  ‘Ausführungen  noch  furg  bie  SBerfaffung  ber  Stabte  unb 
ihres  ®unbeS  gu  jfiggiren,  ber  {Rath,  befe^t  mit  12—24  9iath8= 
herren,  bie  groat  auf  SebenSgeit  gemählt,  in  gmei»  bis  breijähtigem 
JutnuS  rcechjelten,  fidh  felbft  aus  ben  Bornehmen  rathSfähigen 
©efchlechtern  ergängten,  barunter  2 ober  4 IBürgermeifter,  roelche 
in  ben  Si^ungen  ben  93otfi^  führten  ober,  roie  man  fi^  auS= 
brücfte,  baS  SBort  hielten.  Alle  Bermalten  ihr  Amt  im  Sinne 
eines  ©heeuamtS  ohne  ©ehalt;  ihr  ©efchöftSfreiS  umf^lieht 
fSmmtli^e  öffentliche  Angelegenheiten  ihrer  Stabt,  Ärieg  unb 

(9J5) 


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32 


griebcn,  unb  6Jeri(%t8iDe|en , 3Rarft=,  .^anbclī  unb 

Bunftpclijei  unb  Bot  SlClem  bie  ^nanj:  fte  j^teiben  ben 
aus,  ber  ujo^l  bann  unb  wann  no(b  Bon  bem  @onttibuenten 
ni^t  gegen  Quittung  eingeja^It,  fonbetn  unbemerft  in  eine  auS> 
geftellte  gäbe  geworfen  würbe,  ein  3eugni|  bafür,  bafi  man  ^ie 
unb  ba  baS  leibige  Steuern  no(i^  a(S  @^rent>fli(!^t  betrachtete 
unb  feine  betrügerifcbe  ißerfäumni§  berjelben  argwöhnte.  S)en 
®efammt(harafter  biefeS  StabtlebenS  B^rfcher  fcbön  unb 

treffenb  Berglidben  mit  bem  Sufammenleben  unb  ^auSbalt  einer 
Samilie;  jeber  ,^anbwerler  fühlte  fich  in  feinem  ^eife  als  ein 
Seamter  feinet  Stabt,  wie  ja  au^  in  bet  Spraye  bet  3«it 
bie  3ünfte  „aiemter“  2)«^au8  erflärt  fx^  ber  warme 

Stabt^jatriotiSmuS,  bet  biefe  S3ütger  befreite  unb  einigermaßen 
@rfaß  bietet  für  ben  ^Jlfangel  eines  auf  ein  großes  unb  einiges 
SSaterlanb  bezogenen  politifcßen  3bealiSmuS.  @in  föftlich  Quente* 
bilb  bat  bie  93remet  aufbewabrt.  ©a  pßt  ein  ^übeder 

mit  einem  SBremet  in  ber  „gemeinen  Verberge"  jufammen  unb 
oertritt  auf  Äoften  StemenS  im  SBortgefe^t  bie  SSorgüge  feinet 
beimifcben  Stabt;  ebreifrig  aber  forbert  fein  jfum^jan,  „dat  he 
sulker  werde  hude  hedde  unde  drunke  syn  beer  myt  make.“ 
3n  ben  Stabten  erwacht  gum  erften  3Ral  bet  mobeme  Staats« 
gebanfe:  ber  ©ingelne  beginnt  fein  ^füchtoerbältniß  gu  einem 
©emeinwefen  gu  empfinben,  wäbrenb  in  ben  feitberigen  t’olitifchen 
SSetböuben  beS  SRittelalterS  nur  ein  ^jetfönlicheS  Slreunerb&ltniß, 
wie  gwifchen  SebnStröger  unb  iJebnSberrn  ftattfinbet.  — ©iefe 
©ingelftäbte  entfenben  im  Sebütfnißfall  auf  ein  meift  oon 
i'übecf  auSgebenbeS  IRunbfihteiben  ißte  StatbSfenbeboten,  meift 
nach  cioct  wenbijdben  Stabt,  um  bort  auf  einem  ^anfatage  in 
allgemeinen  SBunbeSfachen  gu  beratben  unb  gu  befchließen.  3>he 
ift  ein  folcher  Slag  oon  allen  ^anfaftäbten  befchidt  worben: 
bie  SBerfaffung  war  gang  frei,  ermangelte  jebet  tbeoretifchen 

(916) 


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33 


Sd^ablone.  3ßen  grabe  bie  SSer^anblungSgegenftänbe  nä^et 
behafen,  bet  cntfanbte  feine  Sertreter,  bie  bonn  auc^  im  äBintet 
bie  meite  unb  befcbmerlicbe  Steife  nid;t  fcbeuten.  9taä)  bem 
Kölner  (Sonföberationdabfd^Iu^  i^  fafi  jä^rlic^,  in  bet  Siegel  nm 
fDtitfommer,  eine  aDgemeine  2;agfa^rt  geljalten.  S)iefe  Sßet« 
famtnlungen  überfa^en  mit  i^tei  ^oiitif  nieQei(bt  einen  weiteren 
@efi(btSfreid,  ald  irgenb  eine  anbete  gleic^geitige  SRa^t  SJteifi 
gilt  et  jebodb  ni^t  IBet^anblnngen  1^0(bbolitif(b<i^f  fonbem 
fcblic^t  merfantiler  Statur,  ^^notbnungen  in  Setreff  bed  ^anbelS, 
6ontrole  bet  Kontore,  (Srwerb  non  Privilegien  ic.  k.  Oft 
finben  fid^  gürften  ein,  um  von  ben  gewanbten  unb  einfln^« 
teidben  @täbtern  93unbedgenoffenfdbaft  ober  bif>Iomatif^e  Unter» 
ftü^ung  ju  erbitten.  @8  giebt  feine  gemeinfame  j^affe;  finb 
Selber  vonnötben,  fo  fdbreibt  man  ein  fog.  Pfunbgelb,  einen 
SudfubrgoD  auf  aQe  SBaaten  ouS,  ben  bie  einjelnen  @täbte 
ober  ^aufleute  ebenfo  wenig  wie  anbere  b«nt>siSdcfe|)li(be  3n* 
mutbungen  weigern  bürfen,  wogegen  bie  SJtitbetbeilignng  an 
rein  politifcben  33erträgen  mehr  in  bad  freie  belieben  gefteUt 
war.  IDie  ^ef (bluffe  bet  SSetfammlungen  @^teibee 

protofollatifdb  aufjunebmen  in  gotm  fog.  Steceffe,  beten  gegen» 
wattige  .^etaudgabe  von  @eiten  bet  STtün^ner  ©efdbicbiS» 
fommiffion  unb  beS  b^nfif^en  (Sefcbidbidvereinb  bie  wi^tigften 
unb  oft  überrafdbenbften  Sluffdblüffe  übet  bad  aubgebenbe  fDtitteU 
alter  beS  gefammten  Storbeuro^ja  gewabert-  ^»f  Uebertretung 
bet  93unbeSvorf(btiften  ftanb  (Selbftrafe  unb  äu^erften  golld  bie 
Serbanfung,  bie  Suef^lie^ung  vom  Sunbe  unb  gugleiib  bem 
SJtitgenub  feinet  )>rivilegirten  Ste<btSftellung  im  HuSlanbe,  eine 
S)ta§tegel,  welche  bie  betroffene  @tabt  gef(bäftli(b  ifoliten  unb 
unb  f(blie§li(b  banfrott  machen  mu|te,  wofern  fie  nicht  bemütbise 
Unterwerfung  unter  ben  S3unbeSwiDen  vorgog.  93remen  b^i 
aHerbingd  ein  3abrbunbert  lang  ben  faufmännifdben 

XIX.  446.  S (91-1) 


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34 


Sonnftta^I  auöge^alten,  aber  »o^lgemerft,  no(b  »or  ber  etgent= 
lid^en  sjRac^tentfaltung  beö  SBunbefl  im  bänif(^en  ^ege.  Sluf 
bie  befonberen  Slagfa^rten  einjetnet  ©täbtegtup^jen,  bet  pteu« 
§if(^en,  wenbifd^en,  föberfecifd^en  :c.,  bie  entoebet  einen  ^jarti» 
fularen  ober  nur  norbetat^enben  ß^arafter  tragen,  ge^e  id) 
hierorts  ebenfo  wenig  ein,  wie  auf  bie  bret,  nac^mald  nier 
^unbedabt^eilungen,  bie  befannten  Duartiere,  welche  tm  9Bejent> 
lid^en  nur  jur  SSeteinfa^ung  beg  äußeren  ®efd)äftSgangeg  be> 
ftimmt,  feine  aUju  gro§e  Sebeutung  in  Slnfbtucb  nehmen.  — 
5Dlan  fieht,  e8  ift  eine  jiemlieh  lodere,  aber  fe^r  elaftifthe  33er» 
faffung,  bie  bag  gute  Sefte  bem  jeweiligen  3ntereffe  unb  SBe« 
bürfni§  überldlt,  wie  benn  bejeichnenber  SBeife  au^  feine  93er< 
faffunggutfunbe  eriftirte.  2)ie  Sh^o^e  gilt  nid^tg,  bie  S^hotfacbe 
unb  bag  Sntereffe  oHeg.  8übecf  ift  ebenfo  wenig  »on  ben  »er* 
bünbeten  ®täbten  jeinalg  in  feiner  SSorortfteQung  fbrmlidh  an> 
erfannt  worben,  wie  ihr  ©unb  oom  beutf(hen  Äaifer;  eg  war 
ihnen  übrigeng  ganj  redht  unb  lieb,  bah  tiefer  fi(h  fo  gut  wie 
gar  nicht  um  fie  unb  ihre  faufmdnnifchen  Angelegenheiten 
fümmerte.  @ntbehrten  fie  auch  heg  ohnehin  nicht  fehr  wirf* 
fomen  faiferlidhen  ©dhu^eg,  fo  erfreuten  fie  fich  bogegen  einer 
faft  republifanifdh  freien  ©ewegung. 

3n  biefet  ©lute  h«t  fidh  bie  ,^anfa  im  ©rohen  unb  ©anjen 
big  gum  ©nbe  beg  ^ittelalterg  behaut^tet.  iDarni  aber  brach 
oon  allen  ©eiten  gugleich  bag  ©erberben  herein.  50Mt  @nt* 
bedfung  ber  beiben  Amerila  unb  beg  ©eewegg  nach  Snbien 
fanb  unb  ging  ber  .^anbel  neue  ©ahnen,  würbe  trangoceanifch 
unb  gerieth,  nicht  ohne  ©chulb  ber  ^anfen  felber,  mehr  aber  in» 
folge  bet  günstigeren  Sagenoerhältniffe  allmählidh  in  ben  faft 
augfchliehlichen  ©eph  ber  wefteuro^jöifchen  ©eeftaaten,  ©tjanien, 
Portugal,  granfreich,  ber  ©ieberlanbe  unb  guleht  ©nglanbg. 
©leich  nachtheilig  warb  ber  .^anfe  bie  politifche  SBanblung  ber 

(918) 


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35 


Seit;  bie  erftarfenbc  gfttftcmnac^t  räumte  immer  euergifd^er  mit 
ben  alten  @onberre(^ten  auf,  juckte  ^jllle  unb  tHQeä  }u  nivetliren, 
um  fi^  felbft  3U  er^ö^cn.  (Sine  ©tabt  nad^  ber  anbcren  »er* 
fanf  in  tiefere  Ülb^ängigfeit  »on  ben  SanbeS^erren,  bie  fid^  nun 
au^,  freili(^  in  iljrem  Sinne,  für  »irt^f^aftlic^e  ©inge  ju 
interefpren  anpngen,  unb  in  bemfelben  9Jta§e  entfernte  unb 
löfte  Pe  pcb  »on  bem  alten  Sunbe.  IDer  ^)anfa  fallen  mie 
einem  alten  SBeibe  bie  3ä^ne  au8,  f^ottete  ®ufta»  SBafa.  (Die 
|)olIdnber  waren  längP  fcbon  au8  ehemaligen  S3ünbnem  ju  er* 
bitterten  Sticalen  geworben.  IDaju  fam  al8  wi(htigfte8  unb 
entf(heibenbe8  ÜKoment  ber  pegreic^e  SBiberpanb  ber  »on  bem 
hanfifdhen  SRonopol  niebergebrudtten  ^Rationen,  @nglanb  unb 
IRuplanb  fchloften  bie  ©ontore  unb  hol>en  fur3er  ^anb  alle 
SSorredbte  auf.  3)ie  ^>anfa  glich  einem  gefunben,  fröftigen 
0aume,  aber  auf  fchledhtem  SSoben,  war  bebingt  »on  ber  ^oli* 
tifdben  Schmäche  ber  heimifchen  gürftengewalten  unb  ber  wirth* 
f^aftlichen  Schtodche  be8  ISuälanbeS,  unb  fobalb  biefe  negativen 
mittelatterlidben  Supünbe  »on  ben  Stürmen  be8  aufgehenben 
9ieformation8jahthunbert8  mehr  unb  meht  hinweggefegt  würben, 
bradh  audh  fie  langfam  3ufammen,  freilich  nicht,  ohne  noch  bie 
grope  gefchichtlidhe  Sragobie  Jürgen  fBulIenweoer  3U  ergeugen: 
»on  feinen  patricifdhen  Mitbürgern  »errathen,  mupte  ber  geniale 
bemolratifche  Steuerer  feinen  überfühnen  SSerfudh,  burdh  ©roberung 
2)önemarf0  ber  pnfenben  J^anfe  einen  lepten  SRüdthalt  3U  fchaffen, 
mit  bem  Slobc  »on  .^enferShnnb  be3ahlen. 

(Die  .^xinfa  hnt  banadh  fchwa^  unb  f^wä^er  weiter  »egetirt: 
1630  hnt  ba8  unerquicflidhe  Siedhthnm  ein  (Snbe:  ade  S3unbe8* 
glieber  jagen  pch  lo8.  9lur  bie  heutigen  brei  .^anfapäbte  er* 
neuern  auf  ewige  3«ten  ben  Sunb,  ber  inbep  mit  bem  alten 
nicht  »iel  mehr  gemein  hnt,  al8  ben  dtamen.  tiefer  aber  hatte 
feine  grope  weltgef^ichtliche  Aufgabe  erfüllt:  er  hat  bem  gan3en 

(91») 


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86 


9iotbcn  ba0  noc^  ^eute  überall  crTennbare  ©epräge  beutjc^et 
ßultur  oufgebrüdt,  bat  bem  beutfcben  ^anbel  für  longe  Seit 
eine  nie  »ieber  errei^te  unb  fdbweitidb  toieber  eneid^bare 
©uperioritSt  über  ben  anbeter  Elationen  enungen,  ^at  bie 
5Reidb8gtenge  in  9iotb  unb  Dft  treu  behütet  unb  befebirmt  unb 
gu  einer  Seit,  al8  unfer  Äaifertbum  obmnä^tig  am  SBoben  lag, 
ber  beutftbe  ©inbeitSftaat  in  bunbert  Äleinftaatcn  auöeinanber» 
brodelte,  JDeutf^lanbö  ©b'ce  unb  ©inbeit  im  weiten  Umfreifl 
ber  Oft*  unb  9iorbfeelanber  gu  nacbbrüdlidbet  ©eltung  gebradbt. 
Um  mit  einem  Söort  ibreö  neueften  |)iftDrifer8,  iDietritb  @(böfer’8 
ju  f(blie§en:  „3118  3Ule8  in  IDeutfdblanb  partifutar  war,  blieb 
bie  ,^anfe,  unfer  33olf  auf  bem  3Reerc,  beutfeb-“ 


(990) 

üDnitf  0cn  ^thx.  Qnger  in  t^erlin,  €<^önt(frgnftt.  17 


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AN  INITIAL  FINE  OF  25  CENTS 

WILL  BE  ASSESSED  FOR  FAILURE  TO  RETURN 
TH18  BOOK  ON  THE  DATE  DUE.  THE  PENALTY 
WILL  INCREA8E  TO  SO  CENTS  ON  THE  FOURTH 
DAY  AND  TO  SI.OO  ON  THE  8EVENTH  DAY 
OVERDUE. 


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THIS  BOOK  IS  DXJE  ON  THE  liAST  DATE 
8TAMPED  BELOW 


AN  INITIAL  FINE  OF  25  CENTS 


WILL  BE  AS8C88ED  FOR  FAILURE  TO  RETURN 
THIS  BOOK  ON  THE  DATE  DUE.  THE  PENALTY 
WILL  INCREASE  TO  80  CENTS  ON  THE  FOURTH 
DAY  AND  TO  «I.OO  ON  THE  SEVENTH  DAY 
OVERDUE. 


STöRAetr 


ANNEX 


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